Koalitionsfreiheit und Crowdwork: Zur Kollektivierung der Beschäftigteninteressen soloselbstständiger Crowdworker [1 ed.] 9783428581375, 9783428181377

Crowdwork im engeren Sinne meint die Erledigung rein digitaler, ortsungebundener Arbeitsaufgaben. Crowdworker erbringen

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Koalitionsfreiheit und Crowdwork: Zur Kollektivierung der Beschäftigteninteressen soloselbstständiger Crowdworker [1 ed.]
 9783428581375, 9783428181377

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 361

Koalitionsfreiheit und Crowdwork Zur Kollektivierung der Beschäftigteninteressen soloselbstständiger Crowdworker

Von

Jan Armin Gärtner

Duncker & Humblot · Berlin

JAN ARMIN GÄRTNER

Koalitionsfreiheit und Crowdwork

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn

Band 361

Koalitionsfreiheit und Crowdwork Zur Kollektivierung der Beschäftigteninteressen soloselbstständiger Crowdworker

Von

Jan Armin Gärtner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-18137-7 (Print) ISBN 978-3-428-58137-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Das vorliegende Werk wurde im Sommersemester 2020 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen als Dissertation angenommen. Die Disputation fand am 28. Mai 2020 statt. Die Ende Juli 2019 eingereichte Fassung wurde für die Drucklegung überarbeitet und aktualisiert. Rechtsprechung und Literatur sind nun bis Anfang Juli 2020 berücksichtigt. Herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Rüdiger Krause, an dessen Lehrstuhl ich während der Erstellung dieser Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Er hat mein Promotionsvorhaben von der Themensuche bis zur Veröffentlichung unterstützt, stand mir dabei fachlich wie persönlich bereichernd zur Seite und gewährte mir stets die wissenschaftliche Freiheit, eigene Ansätze zu entwickeln. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Olaf Deinert für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Beiden gemeinsam gebührt Dank für die kollegiale, offene und konstruktive Atmosphäre am Göttinger Institut für Arbeitsrecht, an der sie bedeutenden Anteil haben und die meine Tätigkeit dort zu einer ganz besonderen Zeit gemacht hat. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme in diese Schriftenreihe. Bei Appelhagen Rechtsanwälte und Steuerberater bedanke ich mich für die Stiftung des Fakultätspreises der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen, mit dem diese Arbeit im Sommersemester 2020 ausgezeichnet wurde. Der FAZIT-Stiftung danke ich für die großzügige Beteiligung an den Druckkosten dieses Buches. Besonderer Erwähnung bedürfen ferner Maximilian Schulz und Dr. Frederike Maaß. Der fortlaufende Austausch in unserer Doktorandenrunde sowie die stetige wechselseitige Unterstützung in fachlichen und persönlichen Belangen haben einen gewichtigen Beitrag zum Gelingen dieses Vorhabens geleistet und zur Überwindung zahlreicher Hürden entscheidend beigetragen. Vera Bretthauer hat mich besonders beim Korrekturlesen, aber auch weit darüber hinaus tragend unterstützt. Ganz besonderer Dank gilt schließlich meinen lieben Eltern, ohne deren bedingungslosen Rückhalt und deren fortlaufende Unterstützung in allen Bereichen dieses und viele andere Projekte nicht denkbar wären. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Göttingen, im August 2020

Jan Armin Gärtner

Inhaltsübersicht Erster Teil Grundlagen

15

§ 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Crowdwork als Erscheinungsform der digitalen Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Gang und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 § 2 Formen und Verbreitung von Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Plattformökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Internes und externes Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 40 41

Zweiter Teil Crowdwork als rechtliches Phänomen

43

§ 3 Rechtliche Einordnung von Crowdworkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 A. Rechtsbeziehungen auf Crowdwork-Plattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 B. Rechtliche Qualifikation von Crowdworkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 § 4 Rechtsrahmen für soloselbstständige Crowdworker de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . 98 A. Individualrechtlicher Schutzschirm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 B. Kollektivrechtlicher Schutz arbeitnehmerähnlicher Crowdworker . . . . . . . . . . 122 § 5 Internationales Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Anwendungsbereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts . . . B. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Gerichtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

124 125 127 131 134

§ 6 Ergebnisse des Zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Dritter Teil Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker § 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Soloselbstständige Crowdworker als Träger der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für Soloselbstständigenkoalitionen . . . . . . . . C. Inhalt und Reichweite der Koalitionsfreiheit für soloselbstständige Crowdworker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136 136 138 173 176

6

Inhaltsübersicht

§ 8 Kollektivmaßnahmen abseits klassischer Tarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 A. Mögliche Akteure im Kontext von Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 B. Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 § 9 Kartellrechtliche Grenzen kollektiver Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Verhältnis von nationalem und europäischem Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kartellkontrollprivileg für den Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ausdehnung der Privilegierung auf Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Crowdworker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Grenzen der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

291 295 297 315 321 321

§ 10 Grenzziehung durch europäische Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Relevanz für Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

322 322 326 334

Vierter Teil Schluss § 11 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rechtliche Einordnung und Rechtsrahmen von Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . B. Trägerschaft und inhaltliche Reichweite der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . C. Kollektivakteure und Kollektivmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Einfluss des Kartellrechts und der europäischen Grundfreiheiten . . . . . . . . . .

335 335 335 336 336 337

§ 12 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Grundlagen

15

§ 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Crowdwork als Erscheinungsform der digitalen Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Gang und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 § 2 Formen und Verbreitung von Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A. Plattformökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Plattformtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 II. Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Spannungsfelder der Plattformökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Tendenz zur Oligopolbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Einseitige Gestaltung der Vertragsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Reputationssysteme und Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4. Kommodifizierung von Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Internes und externes Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Zweiter Teil Crowdwork als rechtliches Phänomen

43

§ 3 Rechtliche Einordnung von Crowdworkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 A. Rechtsbeziehungen auf Crowdwork-Plattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Rahmenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Erledigung einzelner Arbeitsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Rechtsverbindlichkeit der Ausschreibung von Arbeitsaufgaben . . . . . . . . 46 2. Begründung eines Schuldverhältnisses durch bindendes Versprechen nach § 657 BGB oder durch Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Sonderfall: Wettbewerbsbasiertes Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4. Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Lehrmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

8

Inhaltsverzeichnis III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 B. Rechtliche Qualifikation von Crowdworkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Umgehung von Arbeitsverträgen durch Rahmenvertragsgestaltung . . . . . . . 61 II. Arbeitnehmereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Typologische Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Anwendung der Grundsätze auf typische Crowdwork-Gestaltungen . . . . . 65 a) Weisungsgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Programmierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 cc) Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Eingliederung in fremde Arbeitsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Sonstige Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Mikro-Arbeitsverträge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. Alternativen bei der Ermittlung der Arbeitnehmereigenschaft . . . . . . . . . 73 a) Arbeitnehmerbegriff nach Wank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Konzept des Arbeitgebers nach Prassl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 d) Vertragliche Drei-Personen-Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 III. Arbeitnehmerähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Begriff der Arbeitnehmerähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Erweiterung des Begriffs der Arbeitnehmerähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 90 3. Anwendbarkeit des Heimarbeitsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 IV. Selbstständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Negativabgrenzung – Kriterien selbstständiger Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Crowdwork als Spezialfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 V. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

§ 4 Rechtsrahmen für soloselbstständige Crowdworker de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . 98 A. Individualrechtlicher Schutzschirm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. AGB-Kontrolle – Auswahl der geprüften Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB . . . 99 2. Auswirkungen der Vertragsparteien auf die Verwendereigenschaft . . . . . . 101 3. Untersuchung einzelner Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Leistungsablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Preisausschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Abtretung aller Rechte am Leistungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 d) Nacherfüllungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 e) Bindung an Plattformen, Exklusivitätsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Exklusivitätsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Inhaltsverzeichnis

9

bb) Begrenzung der Kontaktaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Wettbewerbsrechtliche Schutzmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 B. Kollektivrechtlicher Schutz arbeitnehmerähnlicher Crowdworker . . . . . . . . . . . . 122 I. Arbeitnehmerähnliche in der Betriebsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Tarifautonomie und Arbeitnehmerähnliche § 12a TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Sondervorschriften für Heimarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 § 5 Internationales Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 A. Anwendungsbereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts . . . . . 125 I. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 B. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Eingriffsnormen Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Öffentliche Ordnung Art. 21 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 C. Gerichtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Gerichtsstand nach der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Formerfordernisse Art. 25 Abs. 1 lit. a – c, Abs. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . 133 2. Materielle Wirksamkeit Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . 133 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 § 6 Ergebnisse des Zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Dritter Teil Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

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§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 A. Soloselbstständige Crowdworker als Träger der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 I. Systematischer Unterschied zur Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG 138 II. Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Jedermann-Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Historische Auslegung der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Entwicklung bis zur WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Koalitionsverbote und ihre Aufhebung in § 152 GewO 1869 . . . . . . . . 143 b) Ambivalente Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivil- und Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

10

Inhaltsverzeichnis c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Koalitionsfreiheit in der WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3. Die Entstehung des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 4. Implikationen der Entwicklungsgeschichte der Koalitionsfreiheit . . . . . . . 151 IV. Teleologische Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Sinn und Zweck der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Verhältnis von Art. 9 Abs. 3 GG und dem Arbeitnehmerbegriff des einfachen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Unterscheidung von Tariffähigkeit und Grundrechtsträgerschaft . . . . . 155 c) Schutzbereichsausweitung auf Arbeitnehmerähnliche . . . . . . . . . . . . . . 155 d) Schutzbereichsausdehnung auf sonstige Selbstständige . . . . . . . . . . . . 156 2. Zweckorientierte Schutzbereichsbestimmung: Vergleichbarkeit von Crowdworkern mit klassischen Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Persönliches Tätigwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Individuelle Verhandlungsschwäche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Verschärfte Konkurrenz am Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 d) Beitrag zum Lebensunterhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 V. EU-rechtskonforme und völkerrechtsfreundliche Auslegung . . . . . . . . . . . . . 170 VI. Auslegungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für Soloselbstständigenkoalitionen . . . . . . . . . . 173 C. Inhalt und Reichweite der Koalitionsfreiheit für soloselbstständige Crowdworker 176 I. Individueller Gewährleistungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. Kollektiver Gewährleistungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Normsetzungsbefugnis – Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Abwehrrechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Leistungsrechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 aa) Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung . . . . . . . . . . 184 bb) Gewährleistungsreichweite der Normsetzungsbefugnis . . . . . . . . . 186 cc) Verfassungsrechtlicher Schutz des einfachgesetzlichen Tarifvertragssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 dd) Gewährleistungsgehalt im Crowdwork-Kontext . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Arbeitskampfrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Konzeption des Arbeitskampfs in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Entscheidungen des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 bb) Entscheidungen des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Arbeitskampfbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Grundrechtsdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Natürliche oder normgeprägte Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 bb) Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung . . . . . . . . . . 206

Inhaltsverzeichnis cc) Einfluss des internationalen Rechts auf den Arbeitskampfbegriff

11 210

dd) Gewährleistungsgehalt im Crowdwork-Kontext . . . . . . . . . . . . . . . 213 d) Kontrollmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 § 8 Kollektivmaßnahmen abseits klassischer Tarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 A. Mögliche Akteure im Kontext von Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 I. Voraussetzung: Mobilisierung in der digitalen Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . 215 1. Beispiel: „Dynamo“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Solidarität vs. Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Solidarität, Transparenz und Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 III. Selbstständigenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 IV. Internetforen, – portale und Tools . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 V. Die Crowd – „Ad-hoc Koalitionen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 B. Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 I. Mittelbare Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 II. Abschluss sonstiger Kollektivverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1. Durchsetzungsschwäche schuldrechtlicher Vereinbarungen – Historische Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Rechtliche Begründung der Einbindung in Individualverträge . . . . . . . . . 237 a) Tarifgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) Vertretungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d) Differenzierungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 e) Leistungsbestimmung durch Dritte; Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 f) Offene Verpflichtungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 g) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 3. Konkrete Gestaltung von Koalitionsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Richtlinien- und Musterverträge; Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 b) Allgemeine Koalitionsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 c) Anspruchsbegründende Koalitionsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 d) Verbindliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Anknüpfung an bestehende gemeinsame Vergütungsfestsetzungen 252 bb) Anknüpfung an verbindlich vorgegebene Vergütungsordnungen

253

4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 III. Interessenbündelung auf Gegenplattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 IV. Arbeitskampfmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Rechtmäßigkeitsprüfung und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

12

Inhaltsverzeichnis 2. Konkrete Kampfmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 a) Unterstützungsstreik durch Stammbelegschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Störung der Vertragsbeziehungen – Digitaler Streik . . . . . . . . . . . . . . . 271 c) Digitaler Flashmob – Cyberattacken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 d) Boykott – Verruf, Shitstorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

§ 9 Kartellrechtliche Grenzen kollektiver Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 A. Verhältnis von nationalem und europäischem Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 B. Kartellkontrollprivileg für den Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 I. Nationale Entwicklung und dogmatische Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 II. Privilegierung in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 III. Rezeption der jüngeren Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 1. Art der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Begriff der Scheinselbstständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 b) Begriff des Unternehmens bzw. der Unternehmensvereinigung . . . . . . 305 c) Beurteilungsperspektive im Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Gegenstand der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 3. Rechtspolitische und internationale Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 C. Ausdehnung der Privilegierung auf Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Crowdworker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 D. Grenzen der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 § 10 Grenzziehung durch europäische Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 A. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 B. Relevanz für Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 I. Potentielle Eröffnung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten . . . . . . 326 II. Beschränkung und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Koalitionsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 2. Kollektive Kampfmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

Vierter Teil Schluss

335

§ 11 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 A. Rechtliche Einordnung und Rechtsrahmen von Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . 335 B. Trägerschaft und inhaltliche Reichweite der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 336

Inhaltsverzeichnis

13

C. Kollektivakteure und Kollektivmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 D. Einfluss des Kartellrechts und der europäischen Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . 337 § 12 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

Erster Teil

Grundlagen § 1 Einführung A. Crowdwork als Erscheinungsform der digitalen Arbeitswelt „Jeder hat soviel Recht, wie er Macht hat.“1 nach Benedictus de Spinoza, 1677

Unsichtbar, uninformiert und verhandlungsschwach – diese drei Attribute der Crowdworker lassen sie als ein Paradebeispiel von Spinozas skeptischer Sicht auf das Recht erscheinen.2 Angestoßen durch die fortschreitende Digitalisierung der Lebensund Arbeitswelt und angesichts der vorausgehenden Ausweitung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wird die Lebenswirklichkeit zunehmend über digitale Plattformen3 und Netzwerke organisiert. Was sich in vielen Fällen eher spielerisch und geradezu harmlos, euphorisiert von den neuen Möglichkeiten in der exzessiven Kommunikation über „soziale“ Netzwerke Bahn bricht4, äußert sich darüber hinaus in vielen anderen Bereichen. Beseelt vom Gedanken, die Wissenspotentiale der globalen Internetnutzerschaft auszuschöpfen, werden diese schon seit etwa 20 Jahren fruchtbar gemacht. Als prominenteste Beispiele hierfür dienen die Online-Enzyklopädie Wikipedia5 oder die „Open Source“ Bewegung6 bei

1 Vgl. Spinoza, Der politische Traktat, Kapitel II § 8, Nachdruck von 1677: „… weil jeder so viel recht hat, als seine Macht reicht …“. 2 Vgl. zum Zusammenhang zwischen Macht und Privatautonomie nur: Flume, Das Rechtsgeschäft, 10, „Es ist aber das ewige Dilemma der Privatautonomie, daß diese immer wieder durch ungleiche Machtverteilung in Frage gestellt wird.“ 3 Der Duden führt unter dem Stichwort „Internetplattform“ die Bedeutungsübersicht: „Website, Plattform im Internet, wo sich Nutzer etwas ansehen, anhören, sich informieren oder miteinander diskutieren können“. 4 Facebook hatte Ende 2018 2,32 Milliarden aktive Nutzer, im ersten Quartal 2020 2,6 Milliarden https://allfacebook.de/toll/state-of-facebook; Instagram hat 1 Milliarde aktive Nutzer, https://allfacebook.de/instagram/instagram-nutzer-deutschland. 5 Gründung im Januar 2001, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Enzyklop%C3% A4die/Geschichte_der_Wikipedia. 6 Bekanntes Beispiel hierfür dürfte der Internet-Browser Mozilla Firefox sein, der seit 1998 als Open-Source Software entwickelt wird: https://www.mozilla.org/de/about/history/; zur

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Erster Teil: Grundlagen

Softwareprodukten, deren Quellcode durch potentiell alle Personen mit Internetzugang vollständig einseh- und veränderbar ist. Auch in der Arbeitswelt hinterlassen die Folgen der Digitalisierung umfangreiche Spuren. Die Stichworte „Industrie 4.0“ bzw. „Arbeit 4.0“ sind omnipräsent.7 Dabei entfernt sich die Arbeitsorganisation weg vom traditionellen, hierarchisch organisierten, ortsgebundenen, bipolaren Austauschverhältnis, hin zu netzwerkartigen Organisationen.8 Dieser Entwicklung wohnen zahlreiche Verheißungen inne: Flexibilität, Selbstbestimmtheit, Gleichberechtigung, Kostenoptimierung und niedrige Zugangsschwellen, um nur einige zu nennen.9 Gleichwohl hat die Welt der digitalen Plattformen ihre anfängliche Unschuld verloren. An die Stelle hehrer Motive und altruistischer, geradezu gemeinnütziger Projekte treten vermehrt handfeste wirtschaftliche Interessen. Die aufgezeigten Potentiale werden umfassend kommerzialisiert.10 Im Ausgangspunkt ähnlich zu Verkaufs- und Versteigerungsplattformen11, betreiben Plattformen zur Arbeitsorganisation in erster Linie „Matchmaking“.12 Dabei führen sie durch den Einsatz von IKT zusammen, was – jedenfalls nach überkommenem Verständnis und analogen Möglichkeiten – nicht zusammengehört. Das ortsbezogene „Normalarbeitsverhältnis“ wird in ortsungebundene Kleinst-Transaktionen aufgespalten und über als Intermediäre fungierende Plattformen abgewickelt. Idealtypisch für diese Entwicklungen ist Crowdwork. Dies beschreibt die Vergabe von Arbeitsaufgaben an eine im Vorhinein nicht überschaubare Masse (engl. crowd) von Leistungserbringern mithilfe solcher Internetplattformen.13 Als FortEntwicklung von Crowdwork aus der Peer-to-Peer Arbeitsorganisation der Softwarebranche: Al-Ani/Stumpp, Arbeiten in der Crowd, 10 f. 7 Vgl. nur: Krause, Gutachten DJT, 7 ff.; Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weissbuch Arbeiten 4.0; Däubler, AuR 64 (2016), 325 ff.; Arnold/Günther (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, 8 „Zentrales Phänomen des Übergangs von der traditionellen arbeitsteiligen Hierarchie zur netzwerkartigen Plattformorganisation“: Al-Ani/Stumpp, in: Bührmann/Fachinger/WelskopDeffaa (Hrsg.), Hybride Erwerbsformen, 239; ähnlich: Bücker, IndBez 23 (2016), 187, 190 ff., 204; kritisch dagegen: Brors, IndBez 23 (2016), 226, 231. 9 Vgl. etwa: Al-Ani/Stumpp, Arbeiten in der Crowd, 13; Greef/Schroeder/Sperling, IndBez 27 (2020), 205, 215 m. w. N. 10 Zur Entwicklung der Open-Source Bewegung und zur „Zurückeroberung“ durch den Kapitalismus: Al-Ani/Stumpp, in: Bührmann/Fachinger/Welskop-Deffaa (Hrsg.), Hybride Erwerbsformen, S. 239, 244 f.; Al-Ani/Stumpp, Arbeiten in der Crowd, 22 f. 11 eBay, Amazon etc. 12 Vgl. allgemein: Engert, AcP 218 (2018), 304, 331 ff. 13 Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1033; Leimeister/Durward/Zogaj, Crowd Worker in Deutschland, S. 15 ff.; Blohm/Leimeister/Zogaj, FS Österle, S. 51, 53 ff.; Däubler TVG/ Heuschmid, § 1 TVG Rn. 825.; Hensel/J. Koch/Kocher u. a., IndBez 23 (2016), 162, 169; Warter, Crowdwork, 83; Gärtner, in: Dobreva/Hack-Leoni/Holenstein u. a. (Hrsg.), Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, S. 157, 158; Pacha, Crowdwork, 39; Günther/Böglmüller, NZA 32 (2015), 1025, 1029 f.; Wisskirchen/ Schwindling, ZESAR 16 (2017), 318; Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 742.

§ 1 Einführung

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setzung des Gedankens des Outsourcings14 nahm dieses Modell der Artbeitsorganisation etwa 2005 in den USA seinen Ausgang.15 In Deutschland handelt es sich um eine relativ neue Form der Beschäftigung16, die eine Vielzahl offener Fragen birgt. Dabei sind Potentiale wie auch Gefahren augenfällig. Einerseits kennt Crowdwork keine Staatsgrenzen und ermöglicht somit einen globalen Arbeitsmarkt. Anders als beim klassischen Outsourcing sind die anfallenden Transaktionskosten dabei gering.17 Außerdem bietet Crowdwork den Beteiligten größtmögliche zeitliche und örtliche Flexibilität hinsichtlich der Arbeitserbringung und gewährt damit eine niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeit in eine Form der Beschäftigung. Andererseits besteht gerade aufgrund der größeren persönlichen Freiheit die Gefahr der Selbstausbeutung der Crowdworker. Ferner kann Crowdwork zu einer Aushebelung des arbeits- und sozialrechtlichen Schutzschirms führen. Auf Seiten der Plattformbetreiber, die als „Vermittler“ zwischen Crowdworker und Unternehmen fungieren, laufen sämtliche Informationen zusammen. Dabei legen sie einseitig die Bedingungen der Arbeits-Abwicklung fest. In der Folge droht in ihren Händen eine Akkumulation von (Markt-)Macht, die sie gegenüber ihren Geschäftspartnern ausnutzen können.18 Damit steht jedenfalls in einigen Bereichen des Crowdworks die Gefahr einer neuen prekären Beschäftigungsform im Raum: Die Entgelthöhe variiert stark und liegt oftmals erheblich unterhalb des jeweiligen Mindestlohns. Der Bedarf an und die Qualität verfügbarer Arbeit lassen sich für die Zukunft nur schwer abschätzen, weshalb geregelte Einkünfte von Vornherein nicht bestehen, sondern allenfalls durch eine gewisse Kontinuität geprägt sind. Konflikte zwischen Leistungserbringer und -nachfrager werden seitens der Plattformen kaum mediiert und gehen deshalb regelmäßig zum Nachteil der Crowdworker aus. Globale Konkurrenzsituationen unter anonymen, unsichtbaren Crowdworkern, verbunden mit Reputationsmechanismen begünstigen Verhandlungsungleichgewichte und erhöhen den Preisdruck.19 14 Erstmalige Verknüpfung der Begriffe Outsourcing und Crowd bei: Howe, Wired Magazine 14 (2006), 1 ff. 15 Gründung Amazon Mechanical Turk 2005, vgl. https://www.mturk.com/. 16 Verstärkte Aufmerksamkeit der (Arbeits-)Rechtswissenschaft etwa seit 2015, vgl.: C. Benner (Hrsg.), Crowdwork – zurück in die Zukunft?,; Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032 ff. 17 Vgl. Däubler, AuR 64 (2016), 325, 333 f.; Bergvall-Kåreborn/Howcroft, New Technology, Work and Employment 29 (2014), 213, 214. 18 F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 10 – 11; Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen Berlin, Faire Arbeit in der Crowd, 43; vgl. zu sozialen Netzwerken, insb. Facebook aus kartellrechtlicher Perspektive: Zschoch, Soziale Netzwerke im Kartellrecht, 106 ff. 19 J. Berg, Income Security in the on-demand economy: Findings and policy lessons from a survey of crowdworkers, 18; J. Berg/Furrer/Harmon u. a., Digital labour platforms and the future of work: Towards decent work in the online world, 50 ff., 58, 17 % der Crowdworker in Nordamerika, Europa und Zentralasien leben in Haushalten deren monatliches Einkommen

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Erster Teil: Grundlagen

Begreift man Crowdwork als bloßes Übergangsphänomen, das genau solange existiert, bis die nach diesem Modell vergebenen Tätigkeiten vollständig automatisiert sind, erschiene es opportun, den Problemkreis bis zu seiner Erledigung sich selbst zu überlassen. Wird insofern ein Bild des endlichen Arbeiters gezeichnet, dessen verbesserte Arbeitssituation seine Abschaffung nur beschleunigt, weil sie den Maschineneinsatz rentabler macht, wird dies dem Problem jedoch nicht gerecht.20 Gerade weil es sich bei Crowdwork um eine unter mehreren Erscheinungsformen der digitalisierten Arbeitswelt handelt, muss es unter dem Blickwinkel des Rechts betrachtet werden. Weder ist davon auszugehen, dass sich die vielschichtigen Gestaltungen, die unter Crowdwork subsumiert werden, insgesamt erledigen, noch scheint ausgeschlossen, dass die Kultivierung des zugrundeliegenden Organisationsmodells zukünftig zu einer Aushebelung des Arbeitsrechts führt. Naturgemäß findet alles „Neue“ jenseits ausgetretener Pfade statt. Diese liegen jedoch nicht in einem rechtsfreien Raum, zu dem das Recht keinen Zutritt hat. Hier liegt vielmehr der Schlüsselkonflikt, den das Recht lösen will, indem es abstrakte Regelungen für die Zukunft trifft. Crowdwork, das vor allem in einer rechtlichen Grauzone zwischen abhängiger und selbstständiger Arbeit auftritt, bildet dabei keine Ausnahme. Angesprochen ist damit der Bereich abhängiger und deshalb potentiell schutzwürdiger Alleinselbstständigkeit außerhalb des klassischen Arbeitsrechts.21 Zwar ist die Zahl der Soloselbstständigen in Deutschland in den letzten Jahren nicht signifikant angestiegen22 und erste Untersuchungen indizieren, dass die Mehrheit der Crowdworker nicht formal selbstständig tätig ist.23 Daraus kann indes nicht geschlossen nicht zur Deckung des Grundbedarfs ausreicht, deutlich höhere Werte ergeben sich für andere Regionen; vergleichende Befragung in Südostasien und Afrika: Graham/Hjorth/Lehdonvirta, Transfer 23 (2017), 135, 141 f.; Pongratz/S. Bormann, AIS-Studien 10 (2017), 158, 169; Schörpf/Flecker/Schönauer u. a., New Technology, Work and Employment 32 (2017), 43, 50 ff.; Fabo/Karanovic/Dukova, Transfer 23 (2017), 163, 166 f., stellen deutlich geringere Entgelte im Bereich rein digitaler Crowdwork fest, als im Bereich analoger Dienstleistungen; demgegenüber liegt die oftmals in USD ausgeschüttete Bezahlung auf Online-Arbeitsplattformen in der Ukraine meist oberhalb des dortigen Mindestlohns: Aleksynska/Bastrakova/ Kharchenko, Work on Digital Labour Platforms in Ukraine, 25 f. 20 In diese Richtung: Al-Ani/Stumpp, in: Bührmann/Fachinger/Welskop-Deffaa (Hrsg.), Hybride Erwerbsformen, S. 239, 239, 250, die „Übergangsphänomen Crowdworking“ titeln. 21 Vgl. exemplarisch: Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 1 ff.; Bayreuther, Sicherung, 9 ff.; siehe auch: Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 742 f. 22 Brenke/Beznoska, Solo-Selbstständige in Deutschland – Strukturen und Erwerbsverläufe, 18 f., konstatieren seit 2012 einen Rückgang der Soloselbstständigkeit; ähnlich: Maier/ Ivanov, Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland, 13 f.; Bonin/Krause-Pilatus/Rinne, Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland (Aktualisierung 2020), 9; siehe aber zum Anstieg für den Vergleichszeitraum seit 1980 m. w. N.: Deinert/Maksimek/Sutterer-Kipping, Die Rechtspolitik des Sozial- und Arbeitsrechts, 318 ff. 23 Serfling, Crowdworking Monitor Nr. 1, 26, 29, wonach eine Mehrzahl der Crowdworker nur im Nebenverdienst auf Plattformen tätig wird, 1/3 der Befragten verdient weniger als 100 E pro Woche; ähnliche Zahlen bei: Serfling, Crowdworking Monitor Nr. 2, 22 ff.; siehe auch die aktuellen Antworten der Bundesregierung auf Fragen der Partei Die Linke zur Absicherung von Crowdworkern, BT-Drs. 18/10762, 21.

§ 1 Einführung

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werden, dass die rechtliche Einhegung mit den überkommenen Mitteln gelingen wird.24 Im Übrigen zeigt sich, dass Soloselbstständige im Vergleich zu abhängig Beschäftigten und Selbstständigen mit Beschäftigten geringere Einkommen erwirtschaften und eine hohe Einkommensspreizung aufweisen.25 Gepaart mit den dargestellten Prekarisierungsrisiken bedarf Crowdwork nach alledem einer eingehenden Analyse. Selbst wenn es nur einen Zwischenschritt darstellt, entpflichtet dies nicht von einer rechtlichen Untersuchung im Hinblick auf potentiell kompensationsbedürftige Schutzdefizite. Entscheidend dafür ist die Ermittlung des Rechtsrahmens, innerhalb dessen sich der einzelne, tatsächlich und rechtlich unsichtbare Crowdworker bewegt. Dabei ist insbesondere der Frage nachzugehen, ob Crowdworker sich zu einem „Kartell der Unsichtbaren“ zusammenschließen können, um ihre Arbeitsbedingungen gemeinsam zu verhandeln.

B. Gang und Gegenstand der Untersuchung Ziel dieser Arbeit ist eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Phänomen Crowdwork, wobei der Fokus auf kollektivrechtlichen Handlungsmöglichkeiten der Crowdworker de lege lata liegt. Die Untersuchung gliedert sich demgemäß in vier wesentliche Teile. Nach der Grundlegung in § 1 wird unter § 2 das Phänomen Crowdwork in den Kontext der Plattformökonomie eingeordnet und der hier primär interessierende Bereich des ortsungebundenen Crowdworks konkretisiert. Zudem werden die grundsätzlichen Potentiale sowie Gefahren der Plattformökonomie näher dargestellt. An die Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes schließt sich in § 3 die Untersuchung von Crowdwork als rechtliches Phänomen an. Hier gilt es zunächst, die verschiedenen Rechtsbeziehungen auf den einschlägigen Plattformen (A.) freizulegen sowie anschließend die Qualifikationsfrage zu beantworten, d. h. zu klären, ob Crowdworker de lege lata in den Schutz des Arbeitsrechts einbezogen sind (B.). Unter § 4 folgt die Darstellung des Rechtsrahmens für die in aller Regel als Soloselbstständige einzuordnenden Crowdworker, insbesondere im Hinblick auf bestehende rechtliche Schutzmechanismen nach Maßgabe des deutschen Rechts. Den Kern dieses Teils bildet die Untersuchung häufig verwendeter bzw. besonders bemerkenswerter Klauseln im Rahmen einer AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB mit Rücksicht auf die rechtstatsächlichen Besonderheiten bei Crowdwork, ohne gleichsam allgemeine zivilrechtliche Grundsätze aus dem Blick zu verlieren. Dem zunächst ausgeklammerten Umstand, dass Crowdwork oftmals grenzübergreifend stattfindet wird sodann Rechnung getragen. Unter § 5 schließt sich – gewissermaßen 24 In diese Richtung lässt sich die beobachtende Position der Politik verstehen, die gleichwohl zumindest Problembewusstsein signalisiert: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weissbuch Arbeiten 4.0, 176. 25 Maier/Ivanov, Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland, 30 ff.; Bonin/KrausePilatus/Rinne, Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland (Aktualisierung 2020), 38 ff.

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Erster Teil: Grundlagen

als Exkurs – die Analyse internationalen Crowdworks in Bezug auf die Fragen des anwendbaren Rechts und der gerichtlichen Zuständigkeit an. Den Schwerpunkt der Untersuchung bildet der dritte Teil (§§ 7 – 10), in dem der kollektivrechtliche Rahmen von Crowdwork in einem Dreischritt rechtlich abgesteckt wird. Zunächst dient § 7 der Ermittlung des verfassungsrechtlichen Rahmens in Bezug auf die Interessenkollektivierung bei Crowdwork. Den entscheidenden Ausgangspunkt bildet insoweit die Frage nach der Trägerschaft der Koalitionsfreiheit soloselbstständiger Crowdworker und ihrer Vereinigungen (§ 7 A.). Weiter wird zum einen geprüft, welche verfassungsunmittelbaren Vorgaben Art. 9 Abs. 3 GG für derartige Zusammenschlüsse (§ 7 B.) vorsieht, sowie zum anderen wie sich Inhalt und Reichweite der verfassungsrechtlichen Gewährleistung darstellen, vor allem hinsichtlich des kollektiven Gewährleistungsgehalts der Koalitionsfreiheit. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage, ob und inwieweit Crowdworker an den Gewährleistungen der Tarifautonomie und der Arbeitskampffreiheit teilnehmen (§ 7 C.). Im nächsten Abschnitt folgt nach der abstrakten Sondierung des verfassungsrechtlichen Rahmens die Bestimmung konkreter Handlungsmöglichkeiten außerhalb der Tarifautonomie. § 8 widmet sich insoweit der Darstellung von Kollektivmaßnahmen abseits klassischer Tarifverträge und gliedert sich dabei in einen personellen und einen inhaltlichen Abschnitt. Zunächst erfolgt die Analyse möglicher Kollektivakteure im Crowdwork-Kontext (§ 8 A.) insbesondere mit Blick auf die Rolle der Gewerkschaften sowie neuer digitaler Kollektive. Sodann folgt die Untersuchung der rechtlichen Handlungsmöglichkeiten dieser Crowdworker-Koalitionen, insbesondere der Abschluss sonstiger Kollektivverträge zur Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen (§ 8 B. II.) und hierauf gerichtete atypische (digitale) „Arbeitskampfmaßnahmen“ (§ 8 B. IV.), wie Boykotts oder Cyberattacken. Im Folgenden werden die gewonnenen Ergebnisse unter § 9 auf ihre Vereinbarkeit mit dem Kartellrecht untersucht, wobei die Reichweite des Kartellkontrollprivilegs nach der Albany-Doktrin des EuGH sowie die Interpretation der Rechtssache FNV Kunsten im Zentrum stehen. Zuletzt (§ 10) wird sondiert, ob die europäischen Grundfreiheiten in ihrer Interpretation durch den EuGH in den Rechtssachen Viking und Laval den Kollektivmaßnahmen von Crowdworker-Koalitionen engere Grenzen ziehen. Bei alledem erfolgt zur umfassenden Einordnung des Phänomens Crowdwork neben der Analyse der genannten rechtlichen Fragen ein Blick auf die zugrundeliegenden tatsächlichen Abläufe unter Berücksichtigung empirischer Daten, historischer Begebenheiten sowie rechtspolitischer Forderungen. § 11 bietet eine Zusammenfassung der Ergebnisse, § 12 endet mit einer Schlussbetrachtung.

§ 2 Formen und Verbreitung von Crowdwork

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§ 2 Formen und Verbreitung von Crowdwork Der Begriff Crowdwork ist keineswegs zwingend und eindeutig für die unter ihn gefassten tatsächlichen Begebenheiten. In einer Vielzahl von Publikationen wird Crowdwork international jedoch weitgehend übereinstimmend definiert. Danach meint es allgemein die Ausschreibung von Arbeitsaufgaben durch ein Unternehmen als Auftraggeber (Crowdsourcer) an eine potentiell unbestimmte Menge von Menschen (Crowdworker) auf einer Internetplattform.26 Die Bandbreite an Aufgaben und der genaue Ablauf der Aufgabenerledigung unterscheiden sich dabei erheblich, auch die Frage, ob die Aufgabenerledigung bei Crowdwork ausschließlich digital erfolgen darf, wird bisher nicht einheitlich beantwortet.27

A. Plattformökonomie Unter dem Oberbegriff der Plattformökonomie (auch On-Demand-, Sharing- oder Gig-Economy28) sind verschiedene Plattformtypen zu verstehen, über die unterschiedlichste Arten von Transaktionen abgewickelt werden. Gemeinsam ist allen Gestaltungen, dass es sich um Onlinemarktplätze handelt, über die mindestens zwei Parteien in Beziehung zueinander treten.29 Dabei lässt sich anhand unterschiedlicher Kriterien, auf die im Folgenden näher einzugehen sein wird, zwischen verschiedenen Plattformtypen differenzieren.30 26 Hensel/J. Koch/Kocher u. a., IndBez 23 (2016), 162, 163 f.; Krause, Gutachten DJT, 100; Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 2; Cherry, CLLPJ 37 (2016), 577; Däubler/ Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1033; Däubler, IndBez 23 (2016), 236, 245; Däubler TVG/ Heuschmid, § 1 TVG Rn. 825; J. Berg, Income Security in the on-demand economy: Findings and policy lessons from a survey of crowdworkers, 1; Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weissbuch Arbeiten 4.0, 55 ff.; Leimeister/Durward/Zogaj, Crowd Worker in Deutschland, 1 f.; mit weiterer Differenzierung: F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 3 ff.; Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383; siehe auch: Warter, Crowdwork, 83; Pacha, Crowdwork, 39; C. Schubert, RdA 71 (2018), 200, 201 f.; Brose, Soziale Sicherheit 68 (2019), 330, 330 f.; von Crowdsourcing sprechend: Felstiner, BJELL 32 (2011), 143, 145 ff.; Lingemann/Chakrabarti, in: Arnold/Günther (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, S. 27, 47 Rn. 65; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 41 ff. 27 In diese Richtung etwa: Warter, Crowdwork, 83, der auch einen offenen Aufruf im Sinne einer Ausschreibung nicht als konstitutives Merkmal sieht; ebenso: Pacha, Crowdwork, 38 f. 28 Vgl. zu den unterschiedlichen Begriffen nur: Krause, in: Dörr/Goldschmidt/Schorkopf (Hrsg.), Share Economy, S. 147, 147 ff., 153; Prassl, Humans as a service, 2 ff. 29 F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 5; Srnicek, Plattform-Kapitalismus, 46. 30 Differenzierung nach den Kriterien Orts- und Personengebundenheit: F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 6 f.; phänomenologische Unterscheidung zweier Kategorien: Krause, Gutachten DJT, 99; Unterscheidung von fünf Kategorien anhand einer Marktanalyse: Leimeister/Zogaj/Blohm, in: C. Benner (Hrsg.), Crowdwork – zurück in die Zukunft?, S. 9,

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Erster Teil: Grundlagen

I. Plattformtypen Nicht alle Plattformen vermitteln Arbeitsleistungen, vielmehr geht es oftmals um das Angebot sonstiger kommerzieller Güter bzw. Nutzungsrechte an diesen. Darunter fallen etwa Unternehmen wie der Musik-Streamingdienst Spotify31, die Wohnungs- bzw. Zimmervermittlung AirBnB32 oder die Verkaufsplattform eBay33. In Hinblick auf diese Plattformtypen erscheint der Begriff der Sharing-Economy besonders passend. Zwar steht auch hier die Kommerzialisierung von Inhalten bzw. Objekten im Vordergrund, aber dennoch werden Nutzungsrechte zunehmend wichtiger als das Eigentum an Vermögenswerten.34 Um die Vielzahl an kommerziellen Plattformen, die Arbeitsleistungen anbieten, zu strukturieren und die für Crowdwork relevanten Konstellation freizulegen, bietet es sich mit Schmidt an, Orts- und Personengebundenheit der über die Plattform vermittelten Inhalte als Anknüpfungspunkt für eine Unterscheidung zu nehmen.35 Zu beachten ist allerdings, dass auch anhand dieser Kriterien nur graduelle Unterschiede festgemacht werden können. Viele Plattformen bieten ganz unterschiedliche Auftragsgestaltungen an. Dennoch gibt es kommerzielle digitale Plattformen zur Vermittlung von vorwiegend ortsgebundenen Arbeitsaufgaben. Dabei handelt es sich um 18 f.; Differenzierung von drei Plattformkategorien: Valenduc/Vendramin, Transfer 23 (2017), 121, 130 f.; Differenzierung von im Wesentlichen drei (anderen) Kategorien: Kocher/Hensel, NZA 33 (2016), 984, 985; Unterscheidung von vier Plattformkategorien danach, wer die Steuerung der Projekte übernimmt und in wen der Auftraggeber sein Vertrauen hinsichtlich der Qualitätskontrolle setzt: Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 57 ff.; Al-Ani/Stumpp, in: Bührmann/ Fachinger/Welskop-Deffaa (Hrsg.), Hybride Erwerbsformen, S. 239, 246 unterscheiden nach dem verfolgten Zweck drei Plattformtypen; Engert, AcP 218 (2018), 304, 320 ff. unterscheidet jenseits von Crowdwork zwischen Informations- und Vermittlungsplattformen; Wisskirchen/ Schwindling, ZESAR 16 (2017), 318, 319 differenzieren vier Plattformtypen; Graef, EU competition law, data protection and online platforms, 10 ff. differenziert mit Blick auf wettbewerbsrechtliche Fragen drei Plattformtypen: Suchmaschinen, soziale Netzwerke und ECommerce-Plattformen. 31 Musikstreamingportal: https://www.spotify.com. 32 Gastgewerbe: https://www.airbnb.de. 33 Internetauktionshaus: https://www.ebay.de. 34 Näher: Aloisi, CLLPJ 37 (2016), 653, 664; Peitz/Schwalbe, Zwischen Sozialromantik und Neoliberalismus – zur Ökonomie der Sharing-Economy, 4 ff.; T. Scholz, Plattform Cooperativism, 2; Al-Ani/Stumpp, in: Bührmann/Fachinger/Welskop-Deffaa (Hrsg.), Hybride Erwerbsformen, S. 239, 245 schildert die Entwicklung von der „Sharing zur monetarisierten Rental Economy“; zu positiven Effekten des Konzepts des Teilens, vgl. die Umfrage aus den USA bei: Bothun/Lieberman/Egol u. a., The Sharing Economy, 8 f. 35 F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 7; ähnlich: Greef/Schroeder/Sperling, IndBez 27 (2020), 205, 210 f.; Kilhoffer/Lenaerts/Hauben u. a., Study to gather evidence on the working conditions of platform workers, 42 ff.; Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 2312 (2019) The societal impact of the platform economy vom 29.11.2019, unter 7.2, empfiehlt jüngst ebenfalls die Unterscheidung anhand der Ortsgebundenheit der erbrachten Dienste.

§ 2 Formen und Verbreitung von Crowdwork

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Gestaltungen, die lokale Dienst- bzw. Arbeitsleistungen an Endabnehmer vermitteln. Hierunter sind die Fahrdienste Uber36 und Lyft37, die Haushaltsdienstleistungsvermittlung Helpling38 oder der Anbieter von Rechtsanwaltsleistungen advocado39 zu fassen. Auch die Lieferdienste Deliveroo40 und Foodora41 gehören zu dieser Gruppe. Diese Kategorie kann als On-Demand- bzw. Gig-Economy beschrieben werden.42 Hier bucht der Kunde analoge Dienstleistungen über digitale Kanäle, zumeist über Apps. Die Anbieter erbringen ihre Aufgaben auf Nachfrage (On-Demand). Solche kurzen Aufträge werden auch als Gigs bezeichnet. Dieser Begriff kommt ursprünglich aus der Musikwelt und beschreibt dort einen einzelnen Auftritt, im Gegensatz zu längerfristigen Verpflichtungen.43 Die weitere Unterscheidung nach der Personengebundenheit kann nicht trennscharf erfolgen. Während der Nachfrager bei Helpling eine bestimmte Reinigungskraft anhand ihres Namens, ihrer Qualifikationen und Bewertungen individualisieren kann, erfolgt dies bei Uber schon nur noch in abgeschwächter Form. Dort gibt man seinen Abholort und das gewünschte Fahrtziel an, nimmt ein Fahrer in der Nähe die Fahrt an, wird einem dieser zugewiesen, ohne dass man Einfluss auf die Auswahl des konkreten Fahrers hat.44 Ähnliches gilt für die Lieferdienstleister Foodora und Deliveroo. Auch hier richtet sich der Auftrag an die „Crowd“ der in der Nähe verfügbaren Fahrer. Mithin kann auch ortsgebundene Gigwork als Crowdwork im weiteren Sinne klassifiziert werden.45 Die ortsungebundenen Dienste lassen sich ebenfalls unterteilen. Ortsunabhängige Dienstleistungen, die sich an bestimmte zertifizierte freie Mitarbeiter richten, bilden eine Kategorie (Freelancer46 oder Upwork47). Bei diesen ortsunabhängigen, aber 36

Https://www.uber.com. Https://www.lyft.com. 38 Https://www.helpling.de. 39 Https://www.advocado.de. 40 Https://deliveroo.de, die Geschäftstätigkeit in Deutschland wurde im August 2019 eingestellt. 41 Der seit der Übernahme durch das holländische Unternehmen Just Eat Takeaway zum 1.4.2019 in Deutschland unter dem Branding lieferando firmiert, vgl. aber https://www.foodora. com. 42 Näher dazu exemplarisch: Lingemann/J. Otte, NZA 32 (2015), 1042 ff.; Yousif, Journal of Law in Society 19 (2019), 141, 145 f.; Heiland/Brinkmann, IndBez 27 (2020), 120, 122 ff. 43 Hornby/Deuter, Oxford advanced learner’s dictionary of current English, 659; Brookes (Hrsg.), Collins English dictionary, 818. 44 Vgl. dazu das Uber Handbuch: https://help.uber.com/de_DE/h/1aaf0913-484f-46959042-e61fc7613f24. 45 Anders: F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 7; ebenso: Todolí-Signes, Transfer 23 (2017), 193, 194 f. 46 Https://www.freelancer.com. 47 Https://www.upwork.com, wo unterschiedlich „offene“ Varianten der Ausschreibung möglich sind, vgl: Vogl, Crowdsourcing-Plattformen als neue Marktplätze für Arbeit, 68. 37

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Erster Teil: Grundlagen

personengebundenen Aufgaben handelt es sich nach ihrer Ausgestaltung jedenfalls dann, wenn Adressat einer Ausschreibung einzelne Individuen sind, nicht um Crowdwork. Etwas anderes gilt, wenn der Adressatenkreis etwa nach Qualifikation begrenzt wird.48 Demgegenüber stehen Plattformen, die Crowdwork im engeren Sinne durchführen. Dies meint rein virtuelle Austauschbeziehungen, die über digitale Marktplätze in Gestalt der Plattformen abgewickelt werden. Bei den ausgeschriebenen Aufgaben (Tasks oder Gigs) handelt es sich meist um atomisierte Großprojekte, die den Crowdworkern in Kleinstaufgaben (Mikrotasks) zur Erledigung übertragen werden. Die verbreitetsten Plattformen dieser Art sind Amazon Mechanical Turk49 (AMT), clickworker50, Twago51, 99designs52 und InnoCentive53. Insbesondere auf den drei letztgenannten Plattformen werden jedoch auch komplexere Aufgaben (Makrotasks, etwa designbezogene Tasks) an die Crowd vergeben, bzw. entsprechende Wettbewerbe organisiert, bei denen nur die besten Ergebnisse prämiert werden. Zusammenfassend lassen sich zwei Plattformkategorien systematisieren, die Crowdwork in einem weiteren Sinne durchführen. Die erste Kategorie bildet die ortsgebundene Vermittlung von analogen Arbeitsleistungen an Endabnehmer.54 Die zweite Kategorie betrifft Crowdwork im engeren Sinne und meint die orts- und personenungebundene Erbringung von rein digitalen Arbeitsleistungen, die aus Mikrotasks oder komplexeren Makrotasks bestehen können.55 Letzteres betrifft Crowdwork im eigentlichen Wortsinne und soll den Hauptgegenstand der nachfolgenden Untersuchung bilden.56 Angemerkt sei nochmals, dass die Übergänge zwischen den Kategorien aufgrund der Vielgestaltigkeit der Plattformen fließend sind.

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Ebenso: Warter, Crowdwork, 30; Pacha, Crowdwork, 39. Https://www.mturk.com. 50 Https://www.clickworker.de. 51 Https://www.twago.de. 52 Https://www.99designs.de. 53 Https://www.innocentive.com. 54 Anders: Warter, Crowdwork, 83, der Tätigkeiten, die in der realen Welt erbracht werden, nicht unter Crowdwork fassen will. 55 Ähnliche Unterscheidung: Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 624.; Gerber/Krzywdzinski, in: Hanau/W. Matiaske (Hrsg.), Entgrenzung von Arbeitsverhältnissen, S. 25, 27; zu weiteren Beispielen für Mikro- und Makrotasks: Gerber, WSI-Mitteilungen 73 (2020), 182, 185 f. 56 Weitere Plattformbeispiele bei: http://faircrowd.work/de/platform-reviews/. 49

§ 2 Formen und Verbreitung von Crowdwork

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II. Verbreitung Die Anzahl an Internet-Plattformen hat in den letzten Jahren weltweit erheblich zugenommen. Diesen von manchen Autoren als „Plattformisierung“57 nicht nur des Marktes, sondern der gesamten Arbeits- und Lebenswelt beschriebenen Prozess gilt es zunächst zu beschreiben.58 Die Plattformen dringen auch in Lebens- und Wirtschaftsbereiche vor, die bisher anders organisiert waren.59 Neben den oben beispielhaft genannten Online-Marktplätzen für Arbeitsleistungen, Streamingdiensten und dem Gastgewerbe gilt dies auch für die Partnervermittlung60, im Bereich der sozialen Medien61 sowie im Finanzsektor62. Die europäische Kommission veranschlagt den Bruttoumsatz in der Plattformökonomie in der EU mit 28 Mrd. Euro im Jahr 2015 und geht von einem gewaltigen Wachstumspotential der Branche aus.63 Für den Bereich der Plattformen, die Crowdwork im engeren Sinne anbieten, ist ein sprunghafter Anstieg zu konstatieren. Der 2005 gegründete Wegbereiter AMT gibt 500.000 Crowdworker in 190 Ländern an.64 Das deutsche Pendant clickworker wirbt sogar mit einer „Workforce“ von über 2,2 Mio. Workern weltweit.65 Auch weitere Konkurrenten wie FigureEight66, Topcoder und die Design Plattform 99designs67 geben ähnliche Zahlen an.68 Insgesamt steigt die Bekanntheit von Crowdwork und entsprechenden Plattformen. In einer EU-weiten Erhebung gaben 52 % der Befragten an, bereits von den 57 Kocher/Hensel, NZA 33 (2016), 984 ff.; so auch: Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 2312 (2019) The societal impact of the platform economy vom 29.11.2019, unter 4. und 5., „platformisation“. 58 Krause, Gutachten DJT, 99 ff. 59 Peitz/Schwalbe, Zwischen Sozialromantik und Neoliberalismus – zur Ökonomie der Sharing-Economy, 4. 60 Dating App Tinder: https://www.gotinder.com; Berliner Startup, dass per App bezahlte „Dates“ vermittelt: https://www.ohlala.com. 61 2004 gegründetes größtes soziales Netzwerk Facebook: https://www.facebook.com; zur Erfolgsgeschichte dieses Netzwerks: Zschoch, Soziale Netzwerke im Kartellrecht, 13 f. 62 Crowdfunding, z. B.: https://www.indiegogo.com. 63 Europäische Kommission, Europäische Agenda für die kollaborative Wirtschaft, 2.; Kilhoffer/Lenaerts/Hauben u. a., Study to gather evidence on the working conditions of platform workers, 47 ff.; Urzí Brancati/Pesole/Fernández-Macías, COLLEEM-II 2020, 16 f., die für die Jahre 2017 und 2018 ein eher geringes, aber stetiges Wachstum der Plattformbeschäftigung in Europa feststellen. 64 Https://mturk.com; für eine Übersicht zum Prozessablauf: Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383, 385 f 65 Https://www.clickworker.de. 66 Https://www.figure-eight.com, ehemals CrowdFlower, der Abruf des Links führt Stand Juli 2020 auf die Webseite https://appen.com/. 67 Etwa 445.000 „glückliche Kunden“: https://99designs.de. 68 Übersicht bei: Smith/Leberstein, Rights on Demand: Ensuring Workplace Standards and Worker Security In the On-Demand Economy, 3.

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Erster Teil: Grundlagen

Angeboten der „kollaborativen Wirtschaft“, sprich der Gig-Economy, gehört zu haben, während 17 % angaben, das Angebot bereits genutzt zu haben.69 Auch bei Unternehmen etwa in der Informationswirtschaft steigt die Bekanntheit von Crowdwork. In Befragungen 2016 und 2018 gaben mehr als drei Viertel dieser Unternehmen an, das Arbeitskonzept zu kennen, während etwa 3 % es bereits nutzten.70 Jüngste Umfragen ergaben, dass etwa 10 % der wahlberechtigten Deutschen als Crowdwork-affin eingestuft werden können71, während circa 4 % als aktive Crowdworker einzuordnen sind – das entspräche bis zu 2,5 Mio. Menschen.72 Deutlich konservativere Schätzungen gehen demgegenüber für 2017 von bis zu 300.000 aktiven Crowdworkern in Deutschland aus.73 Verschiedentlich wird Crowdwork vor allem als „hybride Erwerbsform“ gedeutet, weil ein beachtlicher Anteil die Tätigkeit auf Plattformen lediglich als Zuverdienst nutzt.74 Andererseits zeigt sich, dass Crowdwork für einen ebenso signifikanten Anteil der jeweils Befragten die Haupteinnahmequelle und keinen bloßen Zuverdienst darstellt.75 Die 69

Flash Eurobarometer, The use of collaborative platforms, 5. Ohnemus/Erdsiek/Viete, Nutzung von Crowdworking durch Unternehmen: Ergebnisse einer ZEW-Unternehmensbefragung, 4 f.; Erdsiek/Ohnemus/Viete, Crowdworking in Deutschland 2018: Ergebnisse einer ZEW-Unternehmensbefragung, 5 ff., während die Bekanntheit weiter stieg, stagnierte die tatsächliche Nutzung von Crowdwork. 71 Serfling, Crowdworking Monitor Nr. 1, 17; Serfling, Crowdworking Monitor Nr. 2, 11 ff. 72 Serfling, Crowdworking Monitor Nr. 2, 11 ff.; dagegen noch von circa 5 % ausgehend: Serfling, Crowdworking Monitor Nr. 1, 16 f.; erheblich höhere Zahlen bei: Huws/Joyce, Size of Germany’s ’Gig Economy’ revealed for the first time, 1; Bonin/Rinne, Omnibusbefragung zur Verbesserung der Datenlage neuer Beschäftigungsformen, 9 ff., gehen zwar zunächst von einem Bervölkerungsanteil von 2,9 % aktiver Crowdworker aus, korrigieren diesen Wert jedoch auf 0,27 % bzw. 0,85 %, was etwa 1 Mio. Deutschen entspräche; Fairwork Deutschland, Ratings 2020: Arbeitsstandards in der Plattformökonomie (https://fair.work/wp-content/uploads/sites/ 97/2020/05/Germany-De-report.pdf), 7, sprechen von 500.000 bis 1,6 Millionen Plattformbeschäftigten in Deutschland. 73 Pongratz/S. Bormann, AIS-Studien 10 (2017), 158, 164. 74 Als verbreitetster Grund für Crowdwork ergeben die meisten Befragungen die Schaffung eines Zuverdiensts: Al-Ani/Stumpp, in: Bührmann/Fachinger/Welskop-Deffaa (Hrsg.), Hybride Erwerbsformen, S. 239, 251; Pongratz/S. Bormann, AIS-Studien 10 (2017), 158, 174 ff.; J. Berg/Furrer/Harmon u. a., Digital labour platforms and the future of work: Towards decent work in the online world, 37 f.; aus sozialversicherungsrechtlicher Perspektive: European Social Insurance Platform, Are social security systems adapted to new forms of work created by digital platforms?, 18 ff.; Bonin/Rinne, Omnibusbefragung zur Verbesserung der Datenlage neuer Beschäftigungsformen, 14; Pürling, ZSR 62 (2016), 411, 427; für die Ukraine: Aleksynska/Bastrakova/Kharchenko, Work on Digital Labour Platforms in Ukraine, 16. 75 J. Berg/Furrer/Harmon u. a., Digital labour platforms and the future of work: Towards decent work in the online world, 41, gehen davon aus, dass für 56 % der Umfrageteilnehmer Crowdwork die persönliche Haupteinnahmequelle darstellt; Serfling, Crowdworking Monitor Nr. 1, 27, sehen den Anteil bei 27 % gegenüber 23 % Nebenverdienst; ähnlich: Bonin/Rinne, Omnibusbefragung zur Verbesserung der Datenlage neuer Beschäftigungsformen, 15 f.; Leimeister/Durward/Zogaj, Crowd Worker in Deutschland, 48 mit einer Aufteilung nach Plattformtypen; Urzí Brancati/Pesole/Fernández-Macías, COLLEEM-II 2020, 16, gehen dabei von 1,5 % der wahlberechtigten Deutschen aus, die hauptsächlich Plattformbeschäftigung nachgehen, was etwa 900.000 Menschen entspräche. 70

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Crowdworker sind dabei ersten Studien zufolge eher jung, männlich und gut ausgebildet.76 Gleichwohl scheint etwa im Bereich des Mikrotaskings ein relativ geringeres Bildungsniveau zu herrschen.77 Aufgrund der geringen Stichprobengröße, der uneinheitlichen Definition von Crowdwork und der differierenden Befragtengruppen sind diese Erkenntnisse insgesamt mit Vorsicht zu genießen. Dennoch kann mittlerweile als gesichert gelten, dass Crowdwork als Haupterwerb kein zu vernachlässigendes Randphänomen darstellt, sondern eine beträchtliche Zahl der Beschäftigten in Deutschland und darüber hinaus betrifft. Ausgehend von den vorgestellten Untersuchungen lässt sich die Zahl derjenigen, die Crowdwork als Hauptbeschäftigung nachgehen, vorsichtig zwischen 0,5 und 1 Mio. ansetzen. III. Spannungsfelder der Plattformökonomie Zweifellos birgt die Organisation in Netzwerken mithilfe von Onlineplattformen große Potentiale. Die mit diesen neuen Organisationsformen verbundenen Verheißungen sind zahlreich. Die Aufgabenerledigung solle deutlich kostengünstiger erfolgen, als im Falle der Erledigung durch eigene Arbeitnehmer, die Vergabe an die Crowd gewähre ferner ein hohes Maß an Flexibilität aufgrund der ständigen Verfügbarkeit der Crowd aus Sicht der Auftraggeber und sogar aus Sicht der Crowdworker, die, in der Theorie, ihre Aufgaben flexibel wählen und zwischen Plattformen wechseln könnten.78 Darüber hinaus handele es sich bei Crowdwork um eine Beschäftigung mit besonders niedrigen Zugangsschranken – abgesehen von einem Internetanschluss seien keine anderen Voraussetzungen gegeben, sodass auch 76 J. Berg, Income Security in the on-demand economy: Findings and policy lessons from a survey of crowdworkers, 5; Altersdurchschnitt von 33,2 Jahren im Bereich des Mikrotaskings: J. Berg/Furrer/Harmon u. a., Digital labour platforms and the future of work: Towards decent work in the online world, 33; Durchschnittsalter von 29 Jahren: Bertschek/Ohnemus/Viete, Befragung zum sozioökonomischen Hintergrund und zu den Motiven von Crowdworkern, 4; Huws/Joyce, Size of Germany’s ’Gig Economy’ revealed for the first time, 3; Leimeister/ Durward/Zogaj, Crowd Worker in Deutschland, 32 ff.; Pongratz/S. Bormann, AIS-Studien 10 (2017), 158, 167 f.; Eurofound, Platform work: Maximising the potential while safeguarding standards?, 7 ff.; Serfling, Crowdworking Monitor Nr. 1, 18 f., allerdings mit höherem Frauenanteil; Urzí Brancati/Pesole/Fernández-Macías, COLLEEM-II 2020, 20 ff.; ähnlich in der Ukraine: Aleksynska/Bastrakova/Kharchenko, Work on Digital Labour Platforms in Ukraine, 14; Altersdurchschnitt von 21 Jahren bei Deliveroo-Fahrern in Belgien, von denen im Schnitt 88 % männlich sind: Drahokoupil/Piasna, Work in the platform economy: Deliveroo riders in Belgium and the SMart arrangement, 13. 77 Leimeister/Durward/Zogaj, Crowd Worker in Deutschland, 35; Serfling, Crowdworking Monitor Nr. 1, 24; auch der Verdienst scheint im Bereich des Mikrotaskings vergleichsweise gering zu sein: Urzí Brancati/Pesole/Fernández-Macías, COLLEEM-II 2020, 38. 78 Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 17 ff.; Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1033; Prassl/ Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 625 ff.; Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weissbuch Arbeiten 4.0, 60 f.; Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 4.; Schönefeld, in: Hensel/ Schönefeld/Kocher u. a. (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit, S. 43, 44 f.

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Erster Teil: Grundlagen

Menschen, die darauf angewiesen sind von zu Hause zu arbeiten, zum Zuge kämen.79 Insofern funktioniere Crowdwork auf egalitärer Basis und damit diskriminierungsfrei.80 Allerdings erscheinen diese Innovationspotentiale nur auf den ersten Blick in ausschließlich positivem Licht. 1. Tendenz zur Oligopolbildung Faktisch genießen wenige große Internetkonzerne in ihrem jeweiligen Sektor eine monopolartige Stellung.81 Dies gilt für Google, Facebook, Youtube und Skype gleichermaßen, obwohl keines dieser Netzwerke im Grundsatz selbst Inhalte generiert, sondern jeweils nur den Zugang zu fremden Inhalten gewährt.82 Dieser geringe Grad an Wettbewerb in der Plattformökonomie lässt sich zum Teil durch direkte und indirekte Netzwerkeffekte erklären83: Je mehr Menschen sich in einem bestimmten Netzwerk organisieren, desto nützlicher ist dies für alle Beteiligten. Das heißt, die Zahl der Teilnehmer korreliert unmittelbar mit dem Nutzen, den der Einzelne aus einem bestimmten Dienst zieht – dieses Phänomen wird als direkter Netzwerkeffekt bezeichnet.84 Kommunikationsplattformen wie auch soziale Netz-

79 J. Berg, Income Security in the on-demand economy: Findings and policy lessons from a survey of crowdworkers, 7 f.; vgl. Bergvall-Kåreborn/Howcroft, New Technology, Work and Employment 29 (2014), 213, 215 f.; die Potentiale von Crowdwork beim (Wieder)Einstieg in den Arbeitsmarkt betonend: Schramm/Tietgen-Simonsen, in: Hanau/W. Matiaske (Hrsg.), Entgrenzung von Arbeitsverhältnissen, S. 11, 15 ff. 80 Sehr zweifelhaft: Meyer-Michaelis/Falter, DB 69 (2016), 2543, 2544. 81 Degryse, Digitalisation of the economy and its impact on labour markets, 14 f.; ausführlich aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive zur Marktabgrenzung und Machtverhältnissen auf Online-Plattformen: Graef, EU competition law, data protection and online platforms, 55 ff., 111 ff.; Zschoch, Soziale Netzwerke im Kartellrecht, 41 ff.; Bundeskartellamt, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken, 1 ff., 6; Schweitzer/Haucap/ Kerber u. a., Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen, 93 ff.; Körber, ZUM 61 (2017), 93, 94 f.; BMWi, Industrie 4.0 – Kartellrechtliche Betrachtungen, 7 f., dazu nunmehr auch § 18 Abs. 2a GWB, vgl. BT-Drs. 18/10207, 47 f.; siehe ferner die Entscheidung zulasten Facebooks wegen Marktmachtmissbrauchs: BKartA, Beschl. v. 6.2.2019 – B6 – 22/16, BeckRS 2019, 4895; vorläufig bestätigt durch: BGH, Beschl. v. 23.6.2020 – KVR 69/19; anders die Vorinstanz: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.8.2019 – VI-Kart 1/19 (V), MMR 2019, 742. 82 Srnicek, Plattform-Kapitalismus, 76 f., spricht insoweit von schlanken Plattformen, die keinerlei materiellen Gehalt haben, sondern rein virtuell funktionieren; Haucap/Heimeshoff, Google, Facebook, Amazon, eBay, 2; vgl. T. Scholz, Plattform Cooperativism, 3; zur „Marktmacht durch Datenhoheit“, insb. im Hinblick auf Plattformen wie soziale Netzwerke, die ihre Leistungen für Nutzer vermeintlich kostenfrei anbieten: BMWi, Industrie 4.0 – Kartellrechtliche Betrachtungen, 18 ff.; vgl. § 18 Abs. 2a GWB; siehe auch: BT-Drs. 18/10207, 47 f.; Zschoch, Soziale Netzwerke im Kartellrecht, 100 ff, 122 ff. 83 Vgl. § 18 Abs. 3a GWB, BT-Drs. 18/10207, 48 f. 84 Grundlegend zum direkten Netzwerkeffekt: Rohlfs, The Bell Journal of Economics and Management Science 5 (1974), 16 ff.

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werke, sind umso erfolgreicher, je mehr Menschen über sie kommunizieren und damit für ihr Gegenüber erreichbar sind.85 Auf zweiseitigen Märkten, bei denen ein Intermediär mit zwei Parteien in Geschäftsbeziehungen tritt, wie dies bei Crowdwork-Plattformen üblich ist, treten darüber hinaus indirekte Netzwerkeffekte auf. Dabei profitieren die Nutzer auf derselben Marktseite nicht direkt von einer Erhöhung ihrer Zahl. Indes ergeben sich indirekte Verstärkungseffekte, indem Nutzer auf der anderen Marktseite angezogen werden.86 Angewandt auf das Beispiel von AMT bedeutet dies, dass mehr potentielle Crowdworker eine höhere Zahl an Crowdsourcern anziehen, da sich die Wahrscheinlichkeit einfacher und qualitativ hochwertiger Aufgabenerledigung durch eine größere Menge an Crowdworkern erhöht. Ferner erhöht sich der Wettbewerb um die ausgeschriebenen Tasks unter den Crowdworkern, sodass niedrigere Preise erzielt werden können. Andersherum erhöht eine Vielzahl von ausgeschriebenen Tasks die Attraktivität der Plattform für weitere potentielle Crowdworker, sodass es zu reziproken Steigerungsverhältnissen kommt. Diese sich verstärkenden Effekte bilden gleichwohl keine abschließende Erklärung für die Marktmacht der Plattformen. Aus deren Sicht besteht vielmehr die Schwierigkeit beide Marktseiten anzusprechen, denn der gerade erläuterte Effekt wirkt auch gegenläufig – ohne Crowdworker keine Crowdsourcer und umgekehrt („Huhn und Ei Problem“).87 Der Intermediär muss also zunächst dafür sorgen, dass auf beiden Marktseiten Nutzer der Plattform beitreten. Auch innerhalb der Plattformökonomie findet in bestimmten Sektoren durchaus Wettbewerb statt. Das gilt insbesondere auch für die Crowdwork-Plattformen, um die es im Folgenden gehen soll. Einerseits bleibt es den Crowdworkern grundsätzlich unbenommen, für mehrere Plattformen zu arbeiten (sog. Multi-Homing), vor allem, da die Markzutrittsschranken in der Regel niedrig sind. Ein Beitritt erfolgt über eine Online-Registration und ist zumeist kostenfrei. Andererseits erscheint Multi-Homing aufgrund der Reputationssysteme88, durch die Crowdworker an eine bestimmte Plattform gebunden werden (sog. Lock-In Effekt), wenig realistisch. Hat man auf einer Plattform eine hohe Reputation erworben, so würde ein Wechsel auf eine andere Plattform hohen 85

Haucap/Heimeshoff, Google, Facebook, Amazon, eBay, 3; Graef, EU competition law, data protection and online platforms, 21, mit dem Beispiel des Telekommunikationsnetzwerks; Bundeskartellamt, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken, 4; Lettl, WRP 64 (2018), 145, 147; BT-Drs. 18/10207, 50; Srnicek, Plattform-Kapitalismus, 48; Zschoch, Soziale Netzwerke im Kartellrecht, 23. 86 Zum Ganzen: Peitz, Persp. Wirtschaftspol. 7 (2006), 317 ff.; Haucap/Heimeshoff, Google, Facebook, Amazon, eBay, 3 f.; Schweitzer/Haucap/Kerber u. a., Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen, 9; BT-Drs. 18/10207, 50; Bundeskartellamt, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken, 13. 87 Graef, EU competition law, data protection and online platforms, 20; Haucap/Heimeshoff, Google, Facebook, Amazon, eBay, 4; Wiedemann KartellR-HdB/Ewald, § 7 Rn. 71 f.; zur Notwendigkeit der Erreichung einer kritischen Masse: Zschoch, Soziale Netzwerke im Kartellrecht, 25. 88 Dazu sogleich.

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Aufwand und damit hohe Wechselkosten bedeuten, da erneut eine Reputation aufgebaut werden müsste.89 Ein weiterer Faktor, der den Wettbewerb unter Nachfragern von Crowdwork beschränkt, ist die hohe Marktkonzentration, die auf einigen Plattformen besteht. Nachgewiesen ist diese auf Seiten der Crowdsourcer für Amazon Mechanical Turk. Dort sind 0,1 % für 30 % des Wertes der ausgeschriebenen Tasks verantwortlich und zeigen sich damit als exzessive Nutzer von Crowdwork.90 Eine derartige Marktkonzentration begünstigt niedrige Preise und eine hohe Marktmacht der wenigen Crowdsourcer.91 Zusammengefasst bewirken die unterschiedlichen Netzwerkeffekte zwar keine Monopolisierung innerhalb der Plattformökonomie, begünstigen aber die Tendenz, dass sich wenige große Plattformen herausbilden.92 2. Einseitige Gestaltung der Vertragsbeziehungen Trotz mannigfaltiger Unterschiede weisen verschiedene Plattformtypen Parallelen auf. Nahezu alle Plattformen, die die Erledigung von Aufgaben gegen Entgelt zum Gegenstand haben, leugnen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Terms of Service), deren Wirksamkeit zunächst einmal unterstellt93, zumindest implizit ihren Arbeitgeberstatus, viele weisen sogar explizit darauf hin, dass keinesfalls ein Arbeitsvertrag zwischen ihnen und den Leistungserbringern entsteht.94 89 So auch: Peitz/Schwalbe, Zwischen Sozialromantik und Neoliberalismus – zur Ökonomie der Sharing-Economy, 30 ff.; Graef, EU competition law, data protection and online platforms, 40 ff., 43; vgl. jedoch: Gerber, WSI-Mitteilungen 73 (2020), 182, 190, derzufolge 64 % der Mikroworker und 52 % der Makroworker volle bis partielle Mobilität zwischen Plattformen praktizieren; zu kartellrechtlichen Bedenken gegen die Erschwerung von Multihoming: Schweitzer/Haucap/Kerber u. a., Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen, 59 ff. 90 J. Berg, Income Security in the on-demand economy: Findings and policy lessons from a survey of crowdworkers, 3. 91 Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383, 390 f., die von 10 % Requestern sprechen, die für 98 % der Aktivität verantwortlich sind. 92 Vgl. insoweit exemplarisch die Marktmissbrauchsverfahren des BKartA gegen Facebook: Bundeskartellamt, Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes (https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Diskussions_Hin tergrundpapier/Hintergrundpapier_Facebook.pdf?__blob=publicationFile&v=5), 3 f.; dazu: Pomana, BB 73 (2018), 965 ff.; Pautke/Schultze, WuW 69 (2019), 2 ff.; sowie gegen Amazon und Google: Hoffer/Lehr, NZKart 7 (2019), 10, 11 ff. m. w. N.; zu hohen Marktanteilen digitaler Plattformen auch: Körber, ZUM 61 (2017), 93, 94 f.; sowie: Zschoch, Soziale Netzwerke im Kartellrecht, 30 ff., insb. zu Facebook: „Monopolisierungs- und Konzentrationstendenz“. 93 Siehe unten § 4 A. I. zur AGB-Prüfung. 94 Amazon Mechanical Turk Participation Agreement, Stand 25. März 2020, 3. e. „Workers perform Tasks for Requesters in their personal capacity as an independent contractor and not as an employee of a Requester or Amazon Mechanical Turk.“; Clickworker Allgemeine Geschäftsbedingungen, Stand 3. Dezember 2012, § 3.4 „Jeder Clickworker ist dafür verant-

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Die Plattformen definieren sich selbst vielmehr als Marktplätze, Vermittler und Intermediäre, die lediglich dem Zusammenfinden von Angebot und Nachfrage dienen. Sie bieten, in den Worten von 99designs, eine Onlineplattform, auf der sich Kunden und Designer begegnen können95 – nicht mehr und nicht weniger. Darüber hinaus üben die Plattformen in der Regel ein erhebliches Maß an Kontrolle aus. Auf der Zugangsebene wird dies erst auf den zweiten Blick deutlich. Zunächst ist die Registrierung als Crowdworker in aller Regel kostenfrei online möglich.96 Sodann sind jedoch detaillierte Angaben zu den eigenen Fähigkeiten und Interessen zu machen und oftmals Online-Eignungstests bzw. -Qualifizierungsprogramme zu durchlaufen.97 Das Ergebnis dieser Zugangsprozedur ist dann maßgeblich für die offerierten Aufgaben.98 Auf der Ebene des Angebotsverfahrens zeigt sich die Kontrolle der Plattformen zum einen dadurch, dass es sich bei den ausgeschriebenen Aufgaben um eine invitatio ad offerendum handeln könnte99, wodurch sich die Plattform bzw. ihre Kunden die Annahmeentscheidung vorbehielten.100 Dabei wird zum anderen der Kreis derer, für die die jeweilige Aufgabe sichtbar ist von der Plattform bzw. auf Wunsch der Partei, die die Aufgaben ausschreibt, beschränkt.101 So ist es die Regel, dass nur Crowdworkern mit bestimmten Qualifiwortlich, dass im Rahmen seiner Geschäftsbeziehung mit clickworker die für seinen Wohnsitz geltenden sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Insbesondere ist jeder Clickworker daher verpflichtet, anfallende Steuern und Abgaben eigenverantwortlich abzuführen.“; FigureEight, ehemals CrowdFlower Terms of Service, Stand 13. Oktober 2015, 12. „Neither your use of our website nor anything in this agreement creates an employment, partnership, joint venture, agency, franchise, or sales representative relationship between you and Figure Eight.“; 99designs Nutzungsbedingungen, Stand September 2019, § 1 1.1 „99designs stellt eine Onlineplattform zur Verfügung, auf der sich Kunden, die Designs kaufen möchten („Kunden“), und Designer, die Designs zur Verfügung stellen möchten („Designer“), begegnen können, …“; OneSpace Terms of Service, Stand 2020, The OneSpace Plattform „OneSpace’s role … consists solely of facilitating access to and use of the OneSpace Platform for Users. Freelancers who provide services to Clients through the OneSpace Platform do so as independent contractors and not as employees of OneSpace.“ 95 Siehe oben Nutzungsbedingungen 99designs; sowie exemplarisch mit weiteren Beispielen: Cunningham-Parmeter, N. Ill. U. L. Rev. 39 (2019), 379, 390 ff. 96 So etwa bei Amazon Mechanical Turk, Clickworker, OneSpace, FigureEight u. v. m. 97 Siehe dazu auch: Kocher/Hensel, NZA 33 (2016), 984, 985; Lutz, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 62, 75 ff. 98 Zur Begrenzung des Marktzugangs durch AMT, insbesondere durch Master’s Accounts für Turker mit besonders guter Reputation: Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383, 385. 99 Siehe unten § 3 A. II. 1. 100 FigureEight, ehemals CrowdFlower Terms of Service, Stand 13. Oktober 2015, 1.; Clickworker Allgemeine Geschäftsbedingungen, Stand 3. Dezember 2012, § 3.1; Däubler/ Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1033; Kocher/Hensel, NZA 33 (2016), 984, 985. 101 Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383, 385; Kocher/Hensel, NZA 33 (2016), 984, 985.; Bergvall-Kåreborn/Howcroft, New Technology, Work and Employment 29 (2014), 213, 219; Greef/Schroeder/Sperling, IndBez 27 (2020), 205, 208; zur aus Sicht der Crowdworker intransparenten (oft algorithmenbasierten) Aufgabenbegrenzung: Gerber, WSIMitteilungen 73 (2020), 182, 186.

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kationen, aus bestimmten Herkunftsländern oder mit einer bestimmten Reputation die Möglichkeit zur Reaktion auf eine Ausschreibung gewährt wird.102 Sowohl die Zeit als auch die Entgelthöhe werden mit der Ausschreibung festgelegt, sodass der Crowdworker lediglich entscheiden kann, ob er die Aufgabe für den festgelegten Preis zur bestimmten Zeit übernimmt. Das Auswahlverfahren kann auch wettbewerbsbasiert ablaufen, sodass die Dienste mehrerer Crowdworker in Anspruch genommen werden und nur das beste Ergebnis entlohnt wird.103 Zur Qualitätssicherung bedienen sich die Plattformen unterschiedlichster Technologien. Verbreitet sind Überwachungsvorrichtungen, die die Mausaktivität mitschneiden oder in regelmäßigen Abständen automatisch Screenshots anfertigen, um die Arbeit der Crowdworker nachzuvollziehen.104 Ferner arbeiten fast alle Plattformen mit Bewertungsmechanismen und legen oftmals innerhalb ihrer AGB ein Exklusivitätsverhältnis zwischen Crowdworker und Plattform fest. Dies umfasst einerseits das Verbot, Dritte mit der Abarbeitung der übernommenen Aufgaben zu betrauen und darüber hinaus die Möglichkeit für mehrere Plattformen parallel tätig zu werden.105 Letztlich wird deutlich, dass die Plattformen sich in aller Regel ein erhebliches Maß an Kontrolle vorbehalten und dadurch einseitig die Risiken auf die Crowdworker verlagern. Diese haben einerseits die Zeit zur Beschaffung von Arbeitsaufgaben aufzuwenden, ohne dass am Ende eine Entlohnung für gefundene Aufgaben sicher ist. Der Umfang der zur Arbeitssuche aufgewandten Zeit ist oft so erheblich, dass die erhoffte und viel beschworene Flexibilität106 ad absurdum geführt wird.107 102 Aloisi, CLLPJ 37 (2016), 653, 667; Cherry, CLLPJ 37 (2016), 577, 601; Gerber, WSIMitteilungen 73 (2020), 182, 186. 103 Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1038; Gerber/Krzywdzinski, in: Hanau/W. Matiaske (Hrsg.), Entgrenzung von Arbeitsverhältnissen, S. 25, 34. 104 F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 12; Degryse, Digitalisation of the economy and its impact on labour markets, 40 f.; besonders bedenklich ist in dieser Hinsicht die „work diaries“ Funktion bei Upwork: Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 81 f.; zum Work Diary auch: Vogl, Crowdsourcing-Plattformen als neue Marktplätze für Arbeit, 70 ff. 105 Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 14; in diese Richtung: Clickworker Allgemeine Geschäftsbedingungen, Stand 3. Dezember 2012, § 3.3; Amazon Mechanical Turk Participation Agreement, Stand 25. März 2020, 3. d.; Topcoder Terms & Conditions, Stand 18. Oktober 2018, „… you will not provide your topcoder information including, but not limited to, your topcoder handle and rating, to any third party for the purpose of pursuing employment opportunities without the written consent of topcoder …“; anders aber: FigureEight, ehemals CrowdFlower Terms of Service, Stand 13. Oktober 2015, 12. „You are free at all times to perform tasks for any person or business, including any of our competitors.“ 106 Bertschek/Ohnemus/Viete, Befragung zum sozioökonomischen Hintergrund und zu den Motiven von Crowdworkern, 9 f.; Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 625; Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 18; Kilhoffer/Lenaerts/Hauben u. a., Study to gather evidence on the working conditions of platform workers, 76 f.

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Faktisch müssen Crowdworker ständig online sein, um die begehrten, gut bezahlten Aufgaben zu bekommen.108 Flexibilität können sich somit nur jene leisten, die nicht auf Crowdwork als Einkommensquelle angewiesen sind.109 Darüber hinaus wird die zur Arbeitssuche aufgewandte Zeit nicht in Gestalt eines Arbeitsverhältnisses „belohnt“.110 Andererseits tragen sie das Risiko, dass sie im Wettbewerb unterliegen, bzw. dass ihr Arbeitsergebnis entschädigungslos abgelehnt wird.111 Bei AMT geht dies so weit, dass die Crowdsourcer die Nutzungsrechte an den eingereichten Arbeitsergebnissen selbst dann erhalten, wenn sie das Ergebnis als nicht zufriedenstellend abgelehnt haben.112 Diese rechtliche Ausgestaltung öffnet Missbrauch Tür und Tor.113 Horton fasst die Rolle der Plattformen treffend zusammen, wenn er ihren Einfluss auf den Markt eher mit dem einer Regierung vergleicht: „The influence of the market creator is so pervasive that their role in the market is closer to that of a government: they determine the space of permissible actions within market, such as what contractual forms are allowed and who is allocated decision rights.“114

3. Reputationssysteme und Informationsasymmetrien Weiterhin unterhalten alle Plattformen wie bereits erwähnt Bewertungssysteme unterschiedlicher Natur, die dazu dienen, ein- oder beidseitig Anbieter und Nachfrager zu bewerten. Auf einem Markt, der Transaktionen ausschließlich online ohne persönlichen Kontakt abwickelt, muss ein Ausgleich für die fehlenden Informationen über die Vertragspartner, aber auch die angebotenen Güter, gefunden werden. Die Art der Lösung dieses Informationsdefizits ist für den wirtschaftlichen Erfolg einer 107 Zwei Stunden Suche für eine Stunde Arbeit: J. Berg, Income Security in the on-demand economy: Findings and policy lessons from a survey of crowdworkers, 14 f. 108 Aloisi, CLLPJ 37 (2016), 653, 662.; vgl. auch die Befragungen bei: Schönefeld, in: Hensel/Schönefeld/Kocher u. a. (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit, S. 43, 62,78 f.; siehe auch: Gerber, WSI-Mitteilungen 73 (2020), 182, 187, bzgl. der für Nachbesserungen aufgewandten Zeit. 109 Bericht einer Crowdworkerin: Milland, Transfer 23 (2017), 229, 230. 110 Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383, 388. 111 Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505, 518 f.; Bergvall-Kåreborn/Howcroft, New Technology, Work and Employment 29 (2014), 213, 217 f.; Gerber/Krzywdzinski, in: Hanau/ W. Matiaske (Hrsg.), Entgrenzung von Arbeitsverhältnissen, S. 25, 34; Aleksynska/Bastrakova/ Kharchenko, Work on Digital Labour Platforms in Ukraine, 28, gelangen für die Ukraine zum Ergebnis, dass ein Drittel der Beschäftigten das Ausbleiben der Bezahlung erlebt haben, wovon mehr als die Hälfte dieses Ausbleiben als nicht zu rechtfertigen einstufen; Gerber, WSI-Mitteilungen 73 (2020), 182, 186 f., die zu dem Ergebnis gelangt, dass Nichtbezahlung eher die Ausnahme als die Regel darstellt. 112 Amazon Mechanical Turk Participation Agreement, Stand 25. März 2020, 3. b. c. „… Requesters may reject Tasks you perform for good cause …“ und „… intellectual property rights, will vest with the Requester immediately upon your performance of the Service.“ 113 Irani/Silberman, Turkopticon: Interrupting Worker Invisibility in Amazon Mechanical Turk, 613. 114 Horton, in: Saberi (Hrsg.), Internet and Network Economics, S. 515, 517.

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Plattform entscheidend.115 Oftmals gehen gute Bewertungen und erfolgreiche Geschäfte auf den Plattformen Hand in Hand. Eine Studie aus dem Jahr 2015 konnte in diesem Zusammenhang nachweisen, dass Crowdworker auf AMT, die nur für Crowdsourcer mit guter Reputation arbeiten, ein um 40 % höheres Entgelt erzielen als solche, die Aufgaben für Crowdsourcer mit neutraler oder schlechter Reputation erledigen.116 Dabei ist anzumerken, dass AMT selbst gar keine Bewertung der Crowdsourcer zulässt. Das plattformeigene Bewertungssystem funktioniert vielmehr einseitig in Gestalt von Bewertungen der Crowdworker durch die Crowdsourcer. Erst das 2008 entwickelte Browser-Plugin Turkopticon ermöglichte die umgekehrte Bewertung der Crowdsourcer durch die Crowdworker.117 Die Reputation eines Crowdworkers und das ihm in Gestalt einer Bewertung entgegengebrachte Vertrauen werden so zur wichtigsten „Währung“ in der Plattformökonomie.118 Das gilt einerseits für ortsgebundenes Crowdwork im weiteren Sinne, etwa bei Beförderungsleistungen zur Nachtzeit in einer fremden Stadt, weil dabei aus Sicht desjenigen, der die Leistung in Anspruch nimmt, die personale Reputation des Leistungserbringers von großer Bedeutung ist. Andererseits wird ein Crowdsourcer aber auch bei der Ausschreibung von Kleinstaufgaben ein Interesse daran haben, den Adressatenkreis der Crowdworker anhand der jeweils von diesen erlangten Bewertungen einzugrenzen, um möglichst hochwertige (schnelle und fehlerfreie) Arbeitsergebnisse zu erhalten. Unabhängig davon, ob auf einzelnen Plattformen einoder beidseitige Bewertungen möglich sind, bringen derartige Systeme als entscheidender Anknüpfungspunkt für die Wahl des Vertragspartners verschiedene Probleme mit sich. Einerseits sind viele Bewertungssysteme unterkomplex und bieten nur Bewertungsmöglichkeiten von einem Stern bei geringer Zufriedenheit bis zu fünf Sternen bei hoher Zufriedenheit, ohne dass falschen oder böswilligen Bewertungen Einhalt geboten würde.119 Besondere Brisanz entfaltet sich auch hier bezüglich AMT. Dort können Crowdsourcer Arbeitsergebnisse der -worker ablehnen, mit der Konsequenz, dass 115 Peitz/Schwalbe, Zwischen Sozialromantik und Neoliberalismus – zur Ökonomie der Sharing-Economy, 10 ff.; vgl. auch: Engert, AcP 218 (2018), 304, 352 ff.; Brescia, NLR 95 (2016), 87, 102; Busch, in: Franceschi (Hrsg.), European contract law and the Digital Single Market, S. 223, 226, spricht sogar von „reputation economy“, die er als Substitut für sonstige Marktregulierung einordnet; M. Cohen/Sundararajan, U. Chi. L. Rev. Online 82 (2015), 116, 121. 116 Zu Bewertungen von Requestern bei AMT mithilfe des Tools Turkopticon: Benson/ Sojourner/Umyarov, Can Reputation Discipline the Gig Economy?, 21. 117 Irani/Silberman, Turkopticon: Interrupting Worker Invisibility in Amazon Mechanical Turk; Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505 ff. 118 Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 22; Aloisi, CLLPJ 37 (2016), 653, 664; Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 627; Busch, in: Franceschi (Hrsg.), European contract law and the Digital Single Market, S. 223, 224. 119 Vgl. Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505, 536 ff.; Aloisi, CLLPJ 37 (2016), 653, 667; Pastuh/Geppert, IndBez 27 (2020), 179, 189; siehe unten § 8 B. IV. 2. d) zur bisherigen Rechtsprechung im Kontext von Bewertungsplattformen, sowie zur Haftung der Plattformen für derartige Inhalte: Engert, AcP 218 (2018), 304, 356 ff.

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keine Bezahlung erfolgt120, wenn sie einen wichtigen Grund hierfür haben („good cause“121).122 Die Auslegung des Erfordernisses des wichtigen Grundes lässt dabei großen Spielraum. Den Crowdsourcern wird vor der Annahme eines Angebotes die Rate angezeigt, mit der die Arbeitsergebnisse des jeweiligen Crowdworkers in der Vergangenheit abgelehnt wurden (rejection rate), ohne dass aufgeschlüsselt würde, weshalb eine Ablehnung erfolgte. Ferner bereitet es den Crowdworkern mangels Konfliktlösungsmechanismen der Plattformen erhebliche Schwierigkeiten, bei unzulässiger Ablehnung einer Arbeit gegen diese vorzugehen.123 An diesem Beispiel wird der Nachteil simpler Bewertungssysteme augenfällig. Andererseits liefe es dem Gedanken der Flexibilisierung124 und der Vereinfachung von Kommunikation entgegen, wenn die Bewertungen viele verschiedene Kategorien und längere Texte enthielten. Selbst das Bewertungstool Turkopticon, das laut seiner Entwickler als ein System gegründet wurde „to make worker-employer relations visible and to provoke ethical and political debate“125, stößt in dieser Gemengelage an seine Grenzen.126 Diese kommen insoweit zu dem Ergebnis, dass sowohl ein Bedürfnis an Moderation einschließlich der Möglichkeit zur Löschung einzelner Bewertungen, als auch an Verobjektivierung der Bewertungskriterien besteht.127 Ferner führt die beschriebene Relevanz der Reputation für den Erfolg auf einer Plattform dazu, dass die Crowdworker, nachdem sie auf einer Plattform eine entsprechende Bewertung aufgebaut haben, faktisch an diese gebunden sind (Lock-In Effekt).128 Je entscheidender die Rolle der Reputation, desto wichtiger wäre es, diese auf andere Plattformen portieren zu können.129

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Siehe oben im vorigen Abschnitt. In der Version der AGB bis Oktober 2017 war die Zufriedenheit der Crowdsourcer für die Ablehnungsmöglichkeit entscheidend „not reasonably satisfied“: Amazon Mechanical Turk Participation Agreement, Stand 2. Dezember 2014, 3. a. „… If a Requester is not reasonably satisfied with the Services, the Requester may reject the Services …“. 122 Amazon Mechanical Turk Participation Agreement, Stand 25. März 2020 seit 17. Oktober 2017, 3. b. „… the Tasks you perform may be rejected for good cause and any payment obligations owing to you will be cancelled if rejected …“. 123 Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505, 518. 124 Aleksynska/Bastrakova/Kharchenko, Work on Digital Labour Platforms in Ukraine, 31 f., gehen zutreffend davon aus, dass schon die Existenz des Bewertungssystems an sich Flexibilität erheblich einschränkt, sofern begonnene Aufgaben nur zum Preis schlechter Bewertungen abgebrochen werden können. 125 Irani/Silberman, Turkopticon: Interrupting Worker Invisibility in Amazon Mechanical Turk, 611. 126 Dazu ausführlich: Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505, 536 ff. 127 Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505, 536 f. 128 Siehe oben § 2 A. III. 1. 129 So auch: Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 136; Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 627; allgemein zur Portabilität: Mückenberger, Der Arbeitnehmerbegriff – aus arbeitspolitischer Perspektive, 21 f.; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 243; zu EU-weiten Regulie121

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Erster Teil: Grundlagen

Aus der Gestaltung der Bewertungs- und Reputationssysteme ergibt sich ein weiteres Spannungsfeld. Während bei den Plattformen alle entscheidenden Informationen zusammenlaufen, tappen die Crowdworker sprichwörtlich im Dunkeln. Sowohl „rejection rate“, als auch Aufenthaltsort und in einigen Fällen durchlaufene Qualifikationsprogramme der Crowdworker werden offengelegt. Gleichzeitig halten die meisten Plattformen, bis Juli 2019 auch AMT, Informationen über die Crowdsourcer, wie etwa ihre „approval rate“, d. h. die Quote mit der sie sich mit Arbeitsergebnissen zufrieden gegeben haben, ihr Kommunikationsverhalten und die durchschnittliche Höhe ihrer Bezahlung, zurück.130 Auch Tools wie Turkopticon können dieses Ungleichgewicht der Informationsverteilung nicht aufwiegen. Die fehlenden Informationen auf Seiten der Crowdworker führen vielmehr dazu, dass diesen die Möglichkeit genommen wird, schlechte Auftraggeber ausfindig zu machen und zu meiden.131 Dieses Risiko wird ihnen zusätzlich zu den bereits beschriebenen Faktoren aufgebürdet. Auf anderen Plattformen wird das Informationsgefälle durch extensive Überwachungspraktiken, durch die einseitig weitere Informationen gewonnen werden, verstärkt.132 Aus Sicht der Crowdsourcer kann die Qualitätssicherung bei simplen Arbeitsaufgaben – wie der Erkennung von Mustern auf Bildern – durch Abgleich der Ergebnisse der Crowdworker untereinander vergleichsweise effektiv verwirklicht werden, wobei dies weniger für komplexere Tätigkeiten oder die Teilnahme an Umfragen gilt.133 Diese informationellen Asymmetrien in der Plattformökonomie führen zu adversen, d. h. negativen Marktentwicklungen. Weder Crowdworker noch Crowdsourcer können effektiv zwischen „guten“ und „schlechten“ Geschäftspartnern differenzieren, sodass es zu unpassenden „Matches“ kommt, die einen Marktaustritt der „guten“ Marktteilnehmer begünstigen.134 Dies kann einen imperfekten Markt begünstigen, der durch eine Abwärtsspirale gekennzeichnet ist und letztlich dazu führt, dass nur noch „schlechte“

rungsmöglichkeiten von Online-Reputationssystemen m. w. N.: Busch, in: Franceschi (Hrsg.), European contract law and the Digital Single Market, S. 223, 230 ff. 130 Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383, 387; vgl. https://blog.mturk.com/ new-feature-for-the-mturk-marketplace-aaa0bd520e5b, wonach activity level, approval rate und average payment review time der Requester nunmehr für die Crowdworker angezeigt werden. 131 Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383, 387; vgl. zur Informationsasymmetrie in der Sharing-Economy: M. Cohen/Sundararajan, U. Chi. L. Rev. Online 82 (2015), 116, 120 f. 132 Etwa zur Plattform Upwork: Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 81 f.; bei Uber: Rosenblat/Stark, IJoC 10 (2016), 3758, 3771 ff. 133 Vgl. zur Qualitätskrise auf AMT bzgl. Umfragen: R. Kennedy/Clifford/Burleigh u. a., PSRM 2020, 1, 2 ff.; dazu auch: Ahler/Roush/Sood, The Micro-Task Market for Lemons: Data Quality on Amazon’s Mechanical Turk (http://gsood.com/research/papers/turk.pdf), 3 ff.; zu Beispielen von Crowdwork-Tätigkeiten etwa: Brose, Soziale Sicherheit 68 (2019), 330, 330 f. 134 Vgl. Fort/Adda/K.B. Cohen, Computational Linguistics 37 (2011), 413, 418; Kingsley/ Gray/Suri, Monopsony and the Crowd: Labor for Lemons? (http://blogs.oii.ox.ac.uk/ipp-confe rence/sites/ipp/files/documents/Monopsony_and_theCrowd_SCK_MLG_SS.pdf), 15, 33.

§ 2 Formen und Verbreitung von Crowdwork

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Ware angeboten wird (sog. market of lemons135, deutsch: Problem der Montagsautos).136 Damit schließt sich der Kreis zu den oben geschilderten Marktmachtproblemen. Auch die Annahme, Crowdwork funktioniere auf egalitärer Basis, erweist sich als falsch.137 Anonymität allein begründet noch keine Diskriminierungsfreiheit. Vielmehr erlauben Crowdwork-Plattformen vielseitige Benachteiligungen. Die Auftraggeber können etwa von der Möglichkeit Gebrauch machen bestimmte Regionen zu blockieren, d. h. ihre Ausschreibungen für Crowdworker außerhalb Nordamerikas unsichtbar schalten.138 Gleichzeitig ist die Zugangsschwelle je nach Lebensstandard potentieller Crowdworker unterschiedlich hoch.139 Während in Europa ein Internetanschluss und ein Computer als Voraussetzung für Crowdwork zur Grundausstattung gehören mögen, gilt dies nicht durchweg für Entwicklungs- und Schwellenländer. Auch die beschriebenen Reputationssysteme bergen jedenfalls die Gefahr unlautere Kriterien einzubeziehen.140 Letztlich sind Diskriminierungen auf Onlinebzw. Crowdwork-Plattformen ebenso denkbar wie in der übrigen Arbeits- und Lebenswelt.141 4. Kommodifizierung von Arbeit Karl Marx sprach 1849 von menschlicher Arbeit als einer „eigentümlichen Ware, die keinen andern Behälter hat als menschliches Fleisch und Blut.“142 Dem damaligen Verständnis geschuldet beschreibt er menschliche Arbeit zwar als Ware, stellt aber fest, dass sie sich von sonstigen Waren unterscheidet.143 Diese Sichtweise ist unter dem Eindruck der umfassenden Ausbeutung der Arbeitskraft durch den frühen Kapitalismus in der Phase der Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der damit einhergehenden Vermarktlichung von Arbeit (Kommodifi135

Dazu grundlegend: Akerlof, QJE 84 (1970), 488 ff. Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383, 393 f.; Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505, 519; Aloisi, CLLPJ 37 (2016), 653, 670 f.; dazu und zum Phänomen des „moral hazard“: Peitz/Schwalbe, Zwischen Sozialromantik und Neoliberalismus – zur Ökonomie der Sharing-Economy, 10 f.; Sundararajan, The sharing economy, 139 f.; Engert, AcP 218 (2018), 304, 311. 137 So: Meyer-Michaelis/Falter, DB 69 (2016), 2543, 2544. 138 Aloisi, CLLPJ 37 (2016), 653, 665 ff.; Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 11. 139 Cherry, CLLPJ 37 (2016), 577, 601. 140 Cherry, CLLPJ 37 (2016), 577, 597. 141 Degryse, Digitalisation of the economy and its impact on labour markets, 49; Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 11. 142 Marx, in: Rosa Luxemburg Stiftung (Hrsg.), Marx Engels Werke, Bd. 6, S. 397, 399. 143 In diesem Sinne auch: Brentano, Das Arbeitsverhältniss gemäss dem heutigen Recht, 182 ff., der annimmt, dass der Arbeitnehmer als Verkäufer der Ware Arbeit als Person untrennbar mit der verkauften Ware verbunden ist, sodass der Arbeitgeber als Käufer auch die Herrschaft über den verkaufenden Menschen erwirbt. 136

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Erster Teil: Grundlagen

zierung) zu begreifen.144 Lotmar begründet die beschriebene Eigentümlichkeit damit, dass Arbeit anders als sonstige Waren nicht Vermögens-, sondern Kraftaufwand sei und dementsprechend anders behandelt werden müsse.145 Diesen Gedanken nimmt Sinzheimer auf, wenn er davon spricht, dass die Arbeitskraft die persönliche Grundlage des Lebens jedes Menschen sei, der sich im Sinne abhängiger Arbeit der Verfügungsgewalt eines anderen – der des Arbeitgebers – unterwerfe.146 Ein weiterer Unterschied zu bloßen Vermögensaufwendungen liegt in der Investition begrenzter Lebenszeit in erheblichem Umfang. Zusammenfassend betonen schon die Vorreiter des Arbeitsrechts abseits rein ökonomischer Erwägungen die Besonderheit menschlicher Arbeit und Arbeitskraft und ihr Verhältnis zum Markt. Jedoch erst die Gründung der ILO nach dem ersten Weltkrieg 1919147 sowie die Verbreitung des Normalarbeitsverhältnisses und des Wohlfahrtsstaates beschränkten das Verständnis von Arbeit als bloßer Ware (De-Kommodifizierung).148 Neuere Entwicklungen, die etwa seit den 1980er Jahren unter dem Schlagwort „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ firmieren, befeuern diese Frage bis heute.149 Dabei geht es um unterschiedlichste Entwicklungen von der Auslagerung von Betriebsteilen, über den Einsatz von Fremdpersonal, bis hin zur Arbeit auf Abruf und Einflüssen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt – kurz: um die Verbreitung atypischer Beschäftigung und das Unterlaufen gefestigter arbeitsrechtlicher Strukturen.150 Bezogen auf Crowdwork liegt die Klassifikation von Arbeit als Ware bei der Organisation mithilfe von Plattformen beinahe auf der Hand. Mangels (rechtlicher) Regulierung verbleibt der Markt als einzige Regelungsinstanz. Die Crowdworker erledigen ausgeschriebene Kleinstaufgaben aus der anonymen Masse heraus, ohne auf die Vertragsbedingungen entscheidenden Einfluss zu haben. Diese an vielen 144 Vgl. Lotmar, Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches, 44 f.; Keiser, ZNR 37 (2015), 50 ff. 145 Lotmar, Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches, 47. 146 Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, 8 ff. 147 Vgl. Erklärung von Philadelphia 10.5.1944 I. a): „Labour is not a commodity“ im Anhang zur Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization [ILO]). 148 Gaugler, in: Gaugler/Besters (Hrsg.), Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses?, S. 12, 14 ff.; siehe auch: A. Krause/C. Köhler, Arbeit als Ware. 149 Vgl. Alewell, Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses – Ist das Arbeitsrecht noch zeitgemäß?, 14 ff., die auf die Erosion wegen atypischer Beschäftigung eingeht.; Gaugler, in: Gaugler/Besters (Hrsg.), Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses?, S. 12, 18 ff., der das Normalarbeitsverhältnis eher als zu starr und überkommen darstellt und für Flexibilisierung plädiert. 150 Ausführlich dazu das Gutachten des 68. Deutschen Juristentages: Waltermann, Abschied vom Normalarbeitsverhältnis?, 9 ff.; Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 6 f.; so auch schon: Alewell, Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses – Ist das Arbeitsrecht noch zeitgemäß?, 14 ff.; Däubler, IndBez 23 (2016), 236 ff.; Krause, Gutachten DJT, 10 ff.; Kocher, KJ 46 (2013), 145 ff., im Hinblick auf Outsourcing und Soloselbstständigkeit; Srnicek, Plattform-Kapitalismus, 89 f.; Lingemann/Chakrabarti, in: Arnold/Günther (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, S. 27, 28 ff.

§ 2 Formen und Verbreitung von Crowdwork

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Stellen als „Neo-Taylorismus“151 bezeichnete Arbeitsweise zeichnet sich durch automatisches Management, möglichst wenig Kommunikation, d. h. programmierte Arbeitsschritte und stark heruntergebrochene Arbeitsaufgaben aus.152 Irani und Silberman zitieren in diesem Kontext einen großen Crowdsourcer bei AMT, der begründet, warum persönliche Interaktionen mit Crowdworkern nicht die Regel sind: „The time you spent looking at the email costs more than what you paid them.“153 Dies zeigt, dass Kommunikation mit Crowdworkern aus Sicht der Auftraggeber schlicht nicht wirtschaftlich ist und oftmals auf ein Minimum beschränkt wird. Lukas Biewald, Gründer und CEO von CrowdFlower (mittlerweile FigureEight), wird mit einer Aussage aus dem Jahr 2010 zitiert: „Before the Internet, it would be really difficult to find someone, sit them down for ten minutes and get them to work for you, and then fire them after those ten minutes. But with technology, you can actually find them, pay them the tiny amount of money, and then get rid of them when you don’t need them anymore.“154

Dieses schon in seiner rohen Wortwahl beeindruckende Zitat ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Crowdwork als innovativen Ausbeutungsmechanismus beschreiben, ist es doch sinnbildlich für die (Dis-)Qualifikation menschlicher Arbeit als bloße Ware, die man kauft, wenn und solange man sie braucht und ohne Weiteres wieder loswird, wenn man sie nicht mehr benötigt. Etwa auf dieser Linie bewegt sich auch der CEO von Amazon, Jeff Bezos, der die Einführung von AMT 2006 vor einer Hörerschaft des MIT in Boston mit den Worten „You’ve heard of software-as-a-service. Well, this is basically people-as-a-service.“ begleitete.155 Diese im Deutschen etwas ungelenk klingende Formulierung von Menschen als Dienstleistung beschreibt in anderen Worten das, was Biewald meint, wenn er von der Möglichkeit spricht, Menschen Kleinstaufgaben erledigen zu lassen und sie anschließend wieder zu entlassen. Der Mensch wird zur Dienstleistung und seine Arbeit zur Ware. Die beschriebene absolute Austauschbarkeit der Crowd151

Grundlegend dazu: Taylor, The principles of scientific management, 32 ff., siehe auch Dritter Teil Fn. 163 m. w. N. 152 Cherry, CLLPJ 37 (2016), 577, 596; Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1034; Leimeister/Durward/Zogaj, Crowd Worker in Deutschland, 12 f.; Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 624; F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 15 ff.; näher: Schaupp, WSI-Mitteilungen 73 (2020), 201, 202 ff.; Bergvall-Kåreborn/Howcroft, New Technology, Work and Employment 29 (2014), 213, 220; für Uber: Pastuh/Geppert, IndBez 27 (2020), 179, 187 f. 153 Irani/Silberman, Turkopticon: Interrupting Worker Invisibility in Amazon Mechanical Turk, 614. 154 Zitiert nach: Marvit, The Nation 5.2.2014, abrufbar: https://www.thenation.com/article/ how-crowdworkers-became-ghosts-digital-machine/; ebenfalls zitiert bei: Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 4. 155 Jeff Bezos Minute 11:40 http://techtv.mit.edu/videos/16180-opening-keynote-and-keyno te-interview-with-jeff-bezos.

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Erster Teil: Grundlagen

worker aufgrund potentiell globaler Konkurrenz156, gepaart mit automatischem Management, geringem Zeitaufwand und der Möglichkeit entschädigungsloser Ablehnung, macht den Einzelnen zum austauschbaren Rädchen im System. Auch wenn einzelne Zitate nicht geeignet sind, das Bild einer ganzen Branche zu prägen, sind die mit ihnen verbundenen Implikationen eindeutig. Zwar stellen sich der Crowdwork- und der Plattform-Arbeitsmarkt als durchaus heterogene Arbeitswelt dar, der man mit Verallgemeinerungen nicht gerecht wird. Dennoch lässt sich gerade für Crowdwork im engeren Sinne als Tendenz eine Rekommodifizierung von Arbeit beobachten. Große Plattformen agieren von gesetzgeberischen Regelungen weitgehend unbehelligt mit dem Markt als Leitinstrument. Der Crowdworker bietet seine Arbeitskraft und damit im Sinne Brentanos sich selbst an157, ohne dass dieser Asymmetrie von bloßem Vermögensaufwand auf der Seite der Auftraggeber und existenziellen Fragen auf Seiten der Crowdworker durch ein Mindestmaß an Schutz Rechnung getragen würde. Insoweit kommt den Plattformen eine entscheidende Bedeutung im Geflecht der rechtlichen Beziehungen bei der digitalen Organisation von Arbeit zu, die größere Entwicklungen, wie etwa die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, begünstigen können. Das Phänomen Crowdwork fügt sich in den größeren Bezugsrahmen der Verbreitung atypischer Arbeit ein und setzt diesem gewissermaßen die Krone auf. Der Grundbegriff des Crowdsourcings beleuchtet das ihm zugrundeliegende Phänomen des Outsourcings von Betriebsteilen. Auch die Verbreitung von Leiharbeitsmodellen und vielen anderen „modernen“ Beschäftigungsformen, die vom Normalarbeitsverhältnis in verschiedener Hinsicht abweichen, bilden den Rahmen, in dem Crowdwork im engeren Sinne als besondere Ausprägung bestehender Tendenzen zu begreifen ist.

B. Internes und externes Crowdwork Anknüpfend an die oben vorgestellte Definition lässt sich Crowdwork weiter in Bezug auf die adressierte Crowd untergliedern. Wird eine Aufgabe innerhalb eines Unternehmens an die Belegschaft ausgeschrieben, so handelt es sich um internes Crowdwork. Dieses findet innerhalb bestehender Arbeitsverhältnisse statt, oftmals, aber nicht zwingend, ohne dass ein Intermediär außerhalb des Unternehmens ein-

156 Zum Substitutionsdruck durch „Maschinen“ demgegenüber: Schwemmle/Wedde, Alles unter Kontrolle? Arbeitspolitik und Arbeitsrecht in digitalen Zeiten, 20 ff.; Krause, Gutachten DJT, 21 f.; siehe dazu bereits: Frey/Osborne, The Future of Employment, nach denen 47 % der Beschäftigten in den USA Gefahr laufen ihre Jobs innerhalb der nächsten 10 – 20 Jahre im Zuge der Weiterentwicklung digitaler Technologien zu verlieren; relativierend: Hirsch-Kreinsen, RdA 72 (2019), 88, 89. 157 Siehe oben Erster Teil Fn. 143.

§ 2 Formen und Verbreitung von Crowdwork

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geschaltet wird.158 Ein vielzitiertes Beispiel internen Crowdworks stellt das Programm IBM-Liquid dar.159 Die Folgen internen Crowdworks sind dabei nicht zu vernachlässigen. Gefahren können sich etwa aus der ständigen Verfügbarkeit von Arbeitsaufgaben (Stichwort: Selbstausbeutung) oder aus dem Unterlaufen bisheriger Unternehmensstrukturen oder des Datenschutzes ergeben. Auch der Wettbewerb wird ähnlich wie bei externem Crowdwork potentiell globalisiert.160 Insofern ergeben sich zwar Überschneidungen bei den Problemfeldern, gleichzeitig wirft internes Crowdwork aber weniger rechtliche Fragen auf, da die Teilnehmer als klassische Arbeitnehmer unter dem Schutzschirm des Arbeitsrechts stehen. Dementsprechend geht es bei internem Crowdwork stärker um die Auswirkungen auf bestehende Betriebe, als um Crowdwork an sich. Deshalb wird diese Variante im weiteren Verlauf nicht näher untersucht. Wenn von Crowdwork gesprochen wird, ist, sofern nicht ausdrücklich anders angegeben, externes Crowdwork gemeint. Dabei geht es um die echte Auslagerung von Aufgaben an die (externe) Crowd, die von Mikrotasks bis zu komplexen Designund Programmieraufgaben alles umfassen können. Insbesondere in diesem Bereich bestehen die beschriebenen Konfliktpotentiale, die im weiteren Verlauf näher untersucht werden sollen.

C. Zusammenfassung Den Untersuchungsgegenstand soll wie dargelegt Crowdwork im engeren Sinne bilden. Im Sinne einer Arbeitsdefinition ist darunter die Erledigung rein digitaler Arbeitsaufgaben gegen Entgelt zu verstehen, die von einem Auftraggeber (Crowdsourcer) mithilfe einer als digitaler Markplatz fungierenden Internetplattform an eine potentiell unbestimmte Menge von Menschen (Crowdworker) ausgeschrieben wird. Weiterhin ist festzuhalten, dass die Plattformökonomie ein äußerst heterogenes Feld darstellt. Dennoch lassen sich gewisse Spannungsfelder ausmachen, die einige Plattformtypen stärker und andere weniger stark betreffen. Zunächst tendieren Internetplattformen allgemein durch unterschiedliche Netzwerkeffekte zur Bildung von Monopolen bzw. Oligopolen. Ferner bedienen sie sich zur Vermittlung von Arbeitsaufgaben Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die die Vertragsbedingungen und den Arbeitsprozess einseitig festlegen und steuern. In diesem Zusammenhang kommt es zu Informationsasymmetrien, die durch intransparente Reputationssysteme, die für den digitalen Erfolg von erheblicher Bedeutung sind, verstärkt werden. 158 Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1033; Leimeister/Durward/Zogaj, Crowd Worker in Deutschland, 12; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 13, 14.; Schramm/Tietgen-Simonsen, in: Hanau/W. Matiaske (Hrsg.), Entgrenzung von Arbeitsverhältnissen, S. 11, 19 f. 159 Dazu: Rehm, in: C. Benner (Hrsg.), Crowdwork – zurück in die Zukunft?, S. 61 ff.; Boes/ Kämpf/Langes u. a., Cloudworking und die Zukunft der Arbeit. 160 Boes/Kämpf/Langes u. a., Cloudworking und die Zukunft der Arbeit, 44.

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Erster Teil: Grundlagen

Zuletzt hat sich gezeigt, dass jedenfalls im Bereich des Mikrotaskings eine Rekommodifizierung menschlicher Arbeit stattfindet, dem Verständnis von Arbeit des 19. Jahrhunderts entsprechend. Festzuhalten ist darüber hinaus, dass auch eine Betrachtung von Crowdwork im engeren Sinne keinesfalls ein homogenes Bild abgibt. Mikrotasking ist nur eine – besonders bedenkliche und deshalb für die nachfolgende Untersuchung relevante – Ausprägung unterschiedlichster Erscheinungsformen. Designaufgaben, Softwaretesting uvm. sind im Bereich des Crowdwork ebenso weit verbreitet. Diese vielgestaltigen Spannungsfelder werfen die im Folgenden zu untersuchende Frage auf, ob und wie die Interessen von Crowdworkern mithilfe rechtlicher Instrumente geschützt werden können bzw. müssen.

Zweiter Teil

Crowdwork als rechtliches Phänomen § 3 Rechtliche Einordnung von Crowdworkern Die rechtswissenschaftliche Literatur der letzten Jahre hat sich vor allem mit der rechtlichen Qualifikation von Crowdworkern beschäftigt.1 Die dabei gewonnenen Ergebnisse sollen im Folgenden in der gebotenen Kürze rekapituliert und überprüft werden. Dabei ist zu klären, zwischen welchen Polen sich die rechtliche Einordnung bewegt und welche Auswirkungen das jeweilige Ergebnis zeitigt. Entscheidend ist ferner, ob bei einer typisierenden Betrachtung von Crowdwork eine Einordnung als Arbeitnehmer, als Arbeitnehmerähnliche oder als (Solo-)Selbstständige, d. h. Werkbzw. Dienstvertragsnehmer geboten ist. Die Einordnung als Arbeitnehmer zöge den vollen Schutz des Arbeitsrechts nach sich. Dabei stellt sich die Folgefrage der weiteren Konsequenz dieser Einordnung. Die Erledigung von Mikrotasks erfolgt oft in wenigen Sekunden. Denkbar wäre, dass entsprechende Mikro-Arbeitsverträge entstünden, oder aber dass die Erledigung mehrerer Kleinstaufgaben ein durchgehendes Arbeitsverhältnis begründete. Die rechtliche Einordnung von Crowdworkern lässt sich danach in drei Abschnitte gliedern. Zunächst ist zu klären, ob und wie bzw. zu welchem Zeitpunkt und zwischen welchen Parteien Verträge bei Crowdwork – unabhängig von ihrer rechtlichen Zuordnung – geschlossen werden. Sodann stellt sich die Frage, ob bei Crowdwork typischerweise ein Arbeitsvertrag zustande kommt und ob dieser durchgehend oder in Gestalt von Mikroverträgen vorliegt. Zuletzt ist zu erörtern, welcher Status Crowdworkern zukommt, sofern sie keine Arbeitnehmer sind, und welche Folgen sich daraus ergeben. Dabei wird zunächst eine Untersuchung nach Maßgabe des deutschen Rechts erfolgen, d. h. es wird eine Crowdwork Gestaltung innerhalb Deutschlands fingiert, bei der ausschließlich deutsches Recht anwendbar ist. In einem zweiten Schritt wird erörtert, was die gewonnenen Erkenntnisse für – bei Crowdwork häufig vorliegende – grenzüberschreitende Sachverhalte bedeuten. 1

Ausführlich etwa: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032 ff.; Waas, in: Waas/Liebman/ Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 142 ff.; Kocher/ Hensel, NZA 33 (2016), 984, 987 ff.; C. Schubert, RdA 71 (2018), 200, 203 f.; Pacha, Crowdwork, 148 ff.; Lingemann/Chakrabarti, in: Arnold/Günther (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, S. 27, 52 f.; für Österreich: Warter, Crowdwork, 87 ff.; Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 743 f.; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 130 ff.; international: Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 627 ff.; Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 7 f.; rechtsvergleichend: C. Schubert, ZVglRWiss 118 (2019), 341, 346 ff.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

A. Rechtsbeziehungen auf Crowdwork-Plattformen Bevor der Status von Crowdworkern geprüft werden kann, ist zunächst der Frage nachzuspüren, zu welchem Zeitpunkt und in welcher rechtlichen Konstruktion bei Crowdwork rechtliche Bindungen eingegangen werden. Dabei bietet es sich an, zwischen dem mit der Anmeldung bzw. Freischaltung des Nutzerkontos auf der jeweiligen Plattform begründeten Rahmenvertrag und dem Vertrag mit dem Inhalt der Erledigung einzelner Arbeitsaufgaben zu differenzieren.2 I. Rahmenvertrag Der Plattformbetreiber steckt in Gestalt der jeweiligen Internetseite den Rahmen für etwaige Crowdwork-Aktivitäten ab. Bevor mit der Bearbeitung von Aufgaben begonnen werden kann, ist stets die Registrierung bzw. Einrichtung eines eigenen Benutzerkontos unter Angabe der persönlichen Daten und Zustimmung zu den jeweiligen Nutzungs- und Datenschutzbestimmungen3 erforderlich. Die Bereitstellung des Registrierungsformulars stellt jedoch noch kein rechtsverbindliches Angebot i. S. v. § 145 BGB dar. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine invitatio ad offerendum, da sich die Plattformbetreiber vorbehalten, Konten nicht freizuschalten bzw. sie zu deaktivieren.4 AMT akzeptiert beispielsweise derzeit keine Crowdworker aus Deutschland. Auf den Versuch der Registrierung erfolgt zunächst der Hinweis, dass das Anliegen geprüft werde. Anschließend wird eine abschlägige Email ohne Angabe von Gründen versandt.5 Durch die Eingabe der persönlichen Daten unter Akzeptierung der Bedingungen durch Anklicken und das anschließende Absenden unterbreiten die potentiellen Crowdworker der Plattform ein Angebot, gerichtet auf den Abschluss eines Nutzungs- bzw. Rahmenvertrages bezogen auf die Plattform. Diesen nehmen die Betreiber ggfs. durch Freischaltung an.6 Dieser Nutzungsvertrag begründet zwar keine Leistungspflichten im engeren Sinne, wohl aber Neben2 So auch: Warter, Crowdwork, 103 ff.; Pacha, Crowdwork, 103 f., die ohne inhaltlichen Unterschied begrifflich zwischen Nutzungs- und Auftragsverhältnis unterscheidet. 3 Zur Geltung der Plattform-AGB insbesondere im Verhältnis Crowdworker-Crowdsourcer siehe ausführlich unten § 4 A. I. 2. 4 Ebenso: Pacha, Crowdwork, 107 m. w. N. 5 Registrierungsversuche bei AMT am 19.1.2018 mit der Antwort: „… We regret to inform you that you will not be permitted to work on Mechanical Turk … we cannot disclose the reason why an invitation to complete registration has been denied.“ sowie am 10.7.2020 mit der Antwort: „… we are not always in a position to extend an invitation to complete tasks and earn rewards to every newly registered Worker. Should conditions change in the future, we will notify you with an invitation.“ 6 Dies gilt auch für andere Internetforen und -plattformen, vgl.: Schwenke, K&R 15 (2012), 305, 306; Maume, MMR 10 (2007), 620, 621; Kreutz, ZUM 62 (2018), 162, 166 f., der darüber hinaus der Frage nachgeht, ob der bloße Besuch einer Webseite einen Vertragsschluss bedeuten kann; siehe auch: AG Kerpen, Urt. v. 10.4.2017 – 102 C 297/16, MMR 2017, 642, Rn. 22 ff.; LG München I, Urt. v. 25.10.2006 – 30 O 11973/05, ZUM-RD 2007, 261, III A. 1.

§ 3 Rechtliche Einordnung von Crowdworkern

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pflichten, wie die Pflicht zur Aktualisierung der persönlichen Daten etc.7 Diese Vereinbarung zwischen Plattformbetreiber und Crowdworker bildet zwar den Rahmen für die Nutzung der jeweiligen Plattform, begründet darüber hinaus aber keinen Leistungsaustausch, sodass er wenig Spannungspotential birgt. Dies wird von der Rechtsprechung des BAG untermauert, nach der ohne Verpflichtung zur Dienstleistung eine Rahmenvereinbarung kein Arbeitsverhältnis begründet, selbst wenn diese die Bedingungen potentieller Arbeitsaufträge festlegt.8 Im CrowdworkKontext hat das LAG München diese Rechtsprechung jüngst bekräftigt.9

7 Ähnliche Einordnung bei: Pacha, Crowdwork, 114, die diesen Rahmenvertrag als Dauerschuldverhältnis sui generis ohne primäre Leistungspflichten charakterisiert; anders: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 74 ff., die meint der Plattformbetreiber schulde dem Crowdworker die Bereitstellung der Plattform in organisatorischer und technischer Hinsicht, weshalb es sich um einen Dienstvertrag oder einen Auftrag handele. Dieses Verständnis lässt sich jedenfalls nicht unmittelbar aus den gängigen AGB entnehmen. Zu Nebenpflichten vgl. AMT Participation Agreement, Stand 25. März 2020, 1. a., c. „… ensure that information (…) is complete, accurate, and up-to-date at all times … You may not permit any other person to perform Services as Provider using your account.“; Clickworker AGB, Stand 3. Dezember 2012, § 2.2 „Der Clickworker ist verpflichtet, die angegebenen Daten auf aktuellem Stand zu halten und eventuell erforderliche Anpassungen unverzüglich vorzunehmen.“; FigureEight Terms of Service, Stand 13. Oktober 2015, 8. „You agree to provide information about you to assist us in verifying your identity.“; InnoCentive Terms of Use, Stand 15. Juni 2020, 3. „You agree that your registration information at all times correctly represents your professional affiliation, experience, qualifications and ability to transact business.“; OneSpace Terms of Service, Stand 2020, User Accounts „If you are a User with a registered account, you may not authorize, permit or otherwise allow any third party to access and/or use your username, password or account on your behalf. You also may not assign or otherwise transfer your account to any other person or entity.“; Upwork Terms of Service, Stand 26. Mai 2020, 1.3 „… provide to us and to update your information to maintain its truthfulness, accuracy, and completeness.“; Topcoder Terms & Conditions, Stand 18. Oktober 2018 unter Accounts „… you must give us accurate and complete information.“; Twago Allgemeine Geschäftsbedingungen, Stand 24. Mai 2018, § 7 2.2 „Der Nutzer ist verpflichtet, jegliche Änderungen seiner Account- und Profil-Daten umgehend auch in seinem Account bzw. Nutzerprofil auf der Online-Plattform zu ändern.“; 99designs Nutzungsbedingungen, Stand September 2019, § 12 6. „Sie sichern zu und gewährleisten: dass (a) alle von Ihnen gemachten Angaben richtig und genau sind; und dass (b) Sie die gemachten Angaben so pflegen werden, dass sie aktuell bleiben werden.“; zum Zustandekommen eines Plattformnutzungsvertrages, wenn auch ganz allgemein, ohne Fokus auf Arbeits-Plattformen: Specht-Riemenschneider/Dehmel/Kenning u. a., Grundlegung einer verbrauchergerechten Regulierung interaktionsmittelnder Plattformfunktionalitäten, 25 ff. 8 BAG, Urt. v. 31.7.2002 – 7 AZR 181/01, AP TzBfG § 12 Nr. 1 (m. Anm. Kamanabrou); BAG, Urt. v. 15.2.2012 – 10 AZR 111/11, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 122 = NZA 2012, 733, Rn. 15; BAG, Urt. v. 16.5.2012 – 5 AZR 268/11, NZA 2012, 974, Rn. 16 f.; BAG, Urt. v. 21.5.2019 – 9 AZR 295/18, NZA 2019, 1411, Rn. 26. 9 LAG München, Urt. v. 4.12.2019 – 8 Sa 146/19, NZA 2020, 316, Rn. 121 ff.; dazu: Frank/ Heine, NZA 37 (2020), 292, 293 f.; Fuhlrott/Oltmanns, NJW 73 (2020), 958, 960.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

II. Erledigung einzelner Arbeitsaufgaben Rechtlich relevanter sind die Rechtsbeziehungen in Bezug auf die Ableistung einzelner ausgeschriebener Arbeitsaufgaben. Rechtstatsächlich erfolgt die Erledigung so, dass die Auftraggeber über bzw. durch die Plattformen Aufgaben ausschreiben. Diese werden dann für alle oder zumindest einen Teil der Crowdworker sichtbar und können ausgeführt werden. Anschließend erhält der Crowdsourcer bzw. der Plattformbetreiber das Arbeitsergebnis und veranlasst, sofern die Leistung angenommen wird oder wenn es sich um das beste eingereichte Arbeitsergebnis handelt, die Bezahlung.10 Dieser typische Ablauf der Aufgabenerledigung wirft unterschiedliche Fragen auf, die im Folgenden in drei Schritten untersucht werden. Zunächst stellt sich die Vorfrage des rechtsverbindlichen Handelns der möglichen Akteure. Anschließend wird der Mechanismus der Begründung rechtlicher Beziehungen ermittelt, um zuletzt die Vertragsparteien zu analysieren. Dabei wird die Klärung der Akteure trotz ihrer potentiellen Relevanz für die Auslegung der jeweiligen Willenserklärungen bewusst abgeschichtet, weil einerseits die Frage des Modus der Begründung der Rechtsbeziehungen ergebnisoffen untersucht werden soll und weil andererseits je nach konkreter Ausgestaltung ohnehin sowohl Rechtsbeziehungen zwischen Crowdworker und Crowdsourcer als auch jeweils zum Plattformbetreiber denkbar sind. 1. Rechtsverbindlichkeit der Ausschreibung von Arbeitsaufgaben Verträge kommen grundsätzlich durch zwei korrespondierende Willenserklärungen (§§ 145 ff. BGB) gerichtet auf Abschluss eines Vertrages, Angebot und Annahme, zustande, vgl. § 151 S.1 BGB.11 Willenserklärungen müssen für ihre Wirksamkeit inhaltlich ausreichend bestimmt und mit Rechtsbindungswillen abgegeben worden sein.12 Während beim Einstellen des Arbeitsauftrages auf einer Plattform das Merkmal der Bestimmtheit in aller Regel keine Probleme bereiten wird, da meist genaue Vorgaben, die eine weitere Kommunikation über den Arbeitsablauf entbehrlich machen, erfolgen, erscheint die zweite Voraussetzung zumindest zweifelhaft. Das Ausschreiben einer Aufgabe zur Erledigung könnte einerseits bereits ein verbindliches Angebot in Gestalt eines Angebotes an die Allgemeinheit (offerte ad incertas personas) begründen oder andererseits mangels Rechtsbindungswillens eine Aufforderung zur Unterbreitung eines Angebotes – eine invitatio ad offerendum – darstellen. Bei der Ermittlung des Rechtsbindungswillens ist nicht auf den inneren Willen des Erklärenden, sondern unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung auf das Verständnis eines objektiven Dritten abzustellen, §§ 133, 10

Vgl. dazu die Ausgestaltungen in den AGB der Plattformen, siehe oben § 2 A. III. 2. Grundlegend: Flume, Das Rechtsgeschäft, 618 ff.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, 204 ff., siehe zum Internet-Vertragsschluss ferner die Nachweise in Zweiter Teil Fn. 6. 12 Vgl. nur: MüKoBGB/Busche, § 145 BGB Rn. 6 ff. 11

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157 BGB.13 Somit ist durch Auslegung die Frage zu beantworten, wie ein objektiver Dritter des relevanten Verkehrskreises der Crowdworker die Einstellung der Aufgaben wertet. In der bisherigen Literatur wird die Frage uneinheitlich beantwortet, wobei erneut anzumerken ist, dass sich die konkreten Ausgestaltungen je nach Plattformmodell erheblich unterscheiden können, weshalb hier wie dort von einem idealtypischen Crowdwork-Prozess ausgegangen wird. Die überwiegende Zahl der Autoren scheint einer bloßen invitatio ad offerendum zuzuneigen.14 Warter, der die Fragestellung sehr viel umfassender, wenngleich für das österreichische Recht, untersucht, kommt demgegenüber zu dem Ergebnis, dass es sich um ein verbindliches Angebot handele.15 Dies ergebe sich aus einem Vergleich der klassischen Fälle fehlenden Rechtsbindungswillens mit der Situation bei Crowdwork. Bei letzterer bedürfe es auf Seiten des Erklärenden weder der Überprüfung der Lieferfähigkeit, da diese durch Computerprogramme sichergestellt werde, noch sei eine Bonitätsprüfung angezeigt, da ja gerade der Erklärende und nicht der potentielle Erklärungsempfänger zu einer Zahlung verpflichtet werde. Ferner widerspreche die Annahme einer invitatio dem Grundgedanken des ABGB, dass geleistete Arbeit vergütet werden müsse16 und darüber hinaus würden sämtliche Gewährleistungsvorschriften unterlaufen. Pacha will demgegenüber zutreffend die Nutzungsbedingungen der Plattformen im Rahmen der Auslegung der Willenserklärungen berücksichtigen und kommt dementsprechend je nach deren Ausgestaltung zu unterschiedlichen Ergebnissen.17 Die Argumentation Warters überzeugt nicht vollends und lässt sich nur bedingt auf das deutsche Recht übertragen. Zunächst ist anerkannt, dass auch wenn die Lieferfähigkeit durch Einsatz von Software sichergestellt wird, beim Darbieten von Ware oder Dienstleistungen auf einer Homepage im Onlinehandel dennoch eine invitatio vorliegen kann.18 Insbesondere werden Crowdsourcer sich nicht schon mit der Ausschreibung rechtlich binden wollen, da Softwarefehler sonst zu ihren Lasten gingen, etwa wenn bereits alle Aufgaben abgearbeitet sind, das System die Aus13

Flume, Das Rechtsgeschäft, 311, 450; Staudinger/Bork, § 145 BGB Rn. 4; MüKoBGB/ Busche, § 145 BGB Rn. 10 ff. 14 Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1034; Kocher/Hensel, NZA 33 (2016), 984, 985; Meyer-Michaelis/Falter, DB 69 (2016), 2543, 2544; Lingemann/Chakrabarti, in: Arnold/ Günther (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, S. 27, 51 Rn. 81; offenlassend: Risak, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 44, 50; siehe zu dieser Frage bereits: Gärtner, in: Dobreva/HackLeoni/Holenstein u. a. (Hrsg.), Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeitsund Sozialversicherungsrecht, S. 157, 168 f. 15 Warter, Crowdwork, 119 ff.; insoweit einen Rechtsbindungswillen annehmend, als er von einem „unilateral contract“ ausgeht: Felstiner, BJELL 32 (2011), 143, 162. 16 So auch: Däubler, in: C. Benner (Hrsg.), Crowdwork – zurück in die Zukunft?, S. 243 ff., in Bezug auf § 612 BGB. 17 Pacha, Crowdwork, 131 ff. 18 Zur Online-Flugbuchung: BGH, Urt. v. 16.10.2012 – X ZR 37/12, NJW 2013, 598, Rn. 14; OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.7.2009 – 14 U 622/09, OLGR München 2009, 645; Staudinger/Bork, § 145 BGB Rn. 9.

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schreibung aber weiterhin als offen anzeigt. Hinzu kommt, dass eine Bonitätsprüfung im engeren Sinne zwar keinen Sinn ergeben mag, da nur die Auftraggeber, nicht aber die Crowdworker zur Zahlung verpflichtet werden. Das ändert jedoch nichts daran, dass auf Seiten der Crowdsourcer kein Vertragsschluss mit jedem potentiellen Crowdworker gewollt sein wird. Diesem Interesse kann freilich durch die ex ante Festlegung des Adressatenkreises einer Arbeitsaufgabe Rechnung getragen werden. Bei AMT sind Aufträge, für die der jeweilige Crowdworker nicht qualifiziert ist, beispielsweise grau hinterlegt, wobei die fehlenden Qualifikationen angezeigt werden. Ein weiterer gewichtiger Einwand ergibt sich aus den AGB der Plattformen. Zwar werden AGB grundsätzlich erst mit wirksamem Vertragsschluss Vertragsbestandteil und ermöglichen darüber hinaus nicht die Schaffung von Rechtstatsachen, die der tatsächlichen Rechtslage widersprechen, vgl. zum Beispiel nunmehr § 611a Abs. 1 S. 6 BGB zur tatsächlichen Vertragsdurchführung bei der Feststellung eines Arbeitsverhältnisses.19 Insoweit gilt also die tatsächliche Durchführung als vorrangig zur gewählten Bezeichnung der Parteien für die eingegangene Rechtsbeziehung.20 Allerdings kommen AGB sehr wohl auch im Rahmen einer Vertragsanbahnung insofern Bedeutung zu, als sie bei der Ermittlung des Parteiwillens und der Auslegung von Willenserklärungen Beachtung finden.21 Der Beitritt zur Plattform hat die Kenntnisnahme und die Zustimmung zu den jeweiligen AGB durch Auftraggeber und Crowdworker im Rahmenvertrag zur Voraussetzung.22 Zwar gelten die AGB unmittelbar jeweils nur im Verhältnis der Crowdworker und Crowdsourcer zur Plattform, dennoch ist allgemein anerkannt, dass die von den Parteien akzeptierten AGB für die Auslegung von Willenserklärungen heranzuziehen sind, soweit diese auslegungsbedürftig sind.23 Dies gilt im Rahmen von Inter19 St. Rspr. seit: BAG, Urt. v. 8.6.1967 – 5 AZR 461/66, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 6 = NJW 1967, 1982; BAG, Urt. v. 28.6.1973 – 5 AZR 19/73, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 10; BAG, Urt. v. 25.9.2013 – 10 AZR 282/12, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 126 = NZA 2013, 1348; BAG, Urt. v. 2.11.2016 – 10 AZR 272/12, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 130 = NZA 2017, 187, Rn. 11; ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 43 ff. 20 Vgl. beispielhaft die grds. unbeachtliche Leugnung der Arbeitnehmerstellung: OneSpace Terms of Service, Stand 2020, The OneSpace Plattform „OneSpace’s role … consists solely of facilitating access to and use of the OneSpace Platform for Users. Freelancers who provide services to Clients through the OneSpace Platform do so as independent contractors and not as employees of OneSpace.“; zur „primacy of fact“ in mehreren Rechtsordnungen Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 13. 21 So bereits: Flume, Das Rechtsgeschäft, 617, in Bezug auf die hohe Bedeutung der „Vertragsverhandlungen“ für die Auslegung des Vertrages; abweichend: Warter, Crowdwork, 120 f. 22 Siehe oben im vorigen Abschnitt. 23 St. Rspr.: BGH, Urt. v. 7.11.2001 – VIII ZR 13/01, NJW 2002, 363; BGH, Urt. v. 3.11.2004 – VIII ZR 375/03, NJW 2005, 53, II. 2. a) aa); BGH, Urt. v. 8.6.2011 – VIII ZR 305/ 10, NJW 2011, 2463, Rn. 13; BGH, Urt. v. 8.1.2014 – VIII ZR 63/13, NJW 2014, 1292, Rn. 18 f.; BGH, Urt. v. 24.8.2016 – VIII ZR 100/15, NJW 2017, 468, Rn. 19; BGH, Urt. v. 15.2.2017 – VIII ZR 59/16, NJW 2017, 1660, Rn. 12, zum Problem der Verwendereigenschaft siehe unten § 4 A. I. 2.

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net-Auktionsplattformen wie eBay, aber auch darüber hinaus.24 Die verwendeten AGB stellen teilweise ausdrücklich klar, oder setzen doch voraus, dass es sich beim Einstellen von Aufgaben lediglich um eine invitatio und noch nicht um ein verbindliches Angebot handelt.25 Danach liegt es nahe, dass ein objektiver Crowdworker das Einstellen von Arbeitsaufträgen auf der jeweiligen Plattform noch nicht als verbindliches Angebot zum Abschluss eines Vertrages, sondern lediglich als Einladung selbst ein Angebot zu unterbreiten, auffassen darf. Die für ein rechtsverbindliches Angebot vorgebrachten Argumente vermögen dieses Ergebnis nicht zu erschüttern. Auch wenn den Crowdworkern so im Zweifel kein „Recht zur zweiten Andienung“ zuteil wird, weil mangelhafte Ergebnisse entschädigungslos abgelehnt werden, vermag dies die rechtliche Bewertung nicht zu ändern. Schon die Annahme, dass insbesondere bei Mikrotasks, die Sekunden dauern und Cent-Beträge einbringen, Nacherfüllung eine realistische Option darstellt, erscheint zweifelhaft. Darüber hinaus ist die Unanwendbarkeit von Gewährleistungsrechten mangels Vertragsschlusses unabhängig von der Frage nach etwaigen Schadensersatzansprüchen der Crowdworker für zu Unrecht abgelehnte Arbeitsleistungen. So ist Crowdworkern jedenfalls für Missbrauchsfälle, insbesondere bei der willkürlichen Ablehnung von Arbeitsergebnissen oder bei der Verwendung der Ergebnisse durch den Auftraggeber trotz Ablehnung, ein Schadensersatzanspruch aus c. i. c. nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB gegen den Auftraggeber zu gewähren.26 Letztlich handelt es sich bei der Crowdwork um eine atypische Konstellation. Die auf den ersten Blick komfortable Position, in der sich die Auftraggeber befinden, ist aus der analogen Welt nicht unbekannt. Ein Vergleich mit Handwerksleistungen, bei denen es üblich ist, dass der Handwerker auf eigene Kosten einen Kostenvoranschlag anfertigt und die Leistung zu diesem Preis anbietet, hinkt zwar insofern, als Crowdworker i. d. R. bereits die gesamte Leistung erbringen, also ein fertiges Arbeitsergebnis anstelle eines Voranschlages abliefern. Allerdings wird deutlich, dass es nicht unüblich ist, dass der Anbieter einer Leistung, gleich welcher Art, in Vorleistung geht, bevor es zum Vertragsschluss kommt. Insoweit trägt im Grundsatz jeder Teil das Risiko, dass im Vertrauen auf den Vertragsschluss im Rahmen von Verhandlungen gemachte Aufwendungen letztlich nicht zum Abschluss eines Vertrages führen.27 Dass ein Vergleich mit analogen Dienst- bzw. Werkleistungen schwerfällt, ist vor allem dem Vertragsgegenstand, der Durchführung von Mikro24

Für den Zahlungsdienstleister Paypal: BGH, Urt. v. 22.11.2017 – VIII ZR 213/16, ZIP 2018, 226 = BeckRS 2017, 136005, Rn. 30. 25 Vgl. Clickworker Allgemeine Geschäftsbedingungen, Stand 3. Dezember 2012, § 3.4 „clickworker stellt auf dem Workplace Projekte mit hierfür geltenden Konditionen vor (lediglich als eine „Einladung zum Angebot“ – invitatio ad offerendum).“ 26 Vgl. zur Haftung nach den Grundsätzen der c. i. c. im Vorfeld bestehender Vertragsverhältnisse beim Preisausschreiben: BGH, Urt. v. 23.9.2010 – III ZR 246/09, NJW 2011, 139, Rn. 12 f.; siehe bereits: Gärtner, in: Dobreva/Hack-Leoni/Holenstein u. a. (Hrsg.), Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, S. 157, 173. 27 Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, 617.

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tasks, zuzuschreiben, bei denen die Erledigung weniger Zeit und Kosten in Anspruch nimmt als ein üblicher Kostenvoranschlag – wobei anzumerken ist, dass auch die Verdienstmöglichkeiten entsprechend geringer sind. Insgesamt sprechen keine grundlegenden Prinzipien, die der Auslegung unter Berücksichtigung des Inhalts der AGB vorgehen würden, gegen die Qualifizierung des Einstellens von Arbeitsaufgaben auf einer Internetplattform als bloße invitatio ad offerendum. Die Crowdworker bieten mit Übersendung ihrer digitalen Arbeitsergebnisse den Vertragsschluss an, der durch Abnahme bzw. Bezahlung von den Plattformen bzw. Auftraggebern angenommen wird.28 Etwas anderes gilt dann, wenn sich in den Nutzungsbedingungen keine entsprechenden Bestimmungen zur Unverbindlichkeit der Ausschreibung finden lassen. In diesen Fällen ergibt die Auslegung, dass bereits die Ausschreibung ein verbindliches Angebot darstellt, welches die Crowdworker durch Anklicken des jeweiligen Aufgabenfeldes annehmen.29 Im Übrigen wird selbst bei Vorliegen einer invitatio im Rahmen von längeren Projekten wie Designaufgaben, bei denen etwa Zwischenergebnisse eingereicht und über diese kommuniziert wird, regelmäßig bereits ein Vertrag zustande kommen. 2. Begründung eines Schuldverhältnisses durch bindendes Versprechen nach § 657 BGB oder durch Vertrag Hinsichtlich des Modus der Begründung der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien stellt sich die Frage, ob es sich bei der Ausschreibung der Arbeitsaufgaben um eine Auslobung i. S. d. § 657 BGB handelt.30 Als Ausnahme zum Vertragsdogma (vgl. § 311 Abs. 1 BGB a. E.) kommt das Schuldverhältnis bei § 657 BGB durch einseitige nicht empfangsbedürftige Willenserklärung in Gestalt eines öffentlichen Versprechens zustande.31 Damit bedarf es auch hier zur Wirksamkeit des Rechtsbindungswillens des Erklärenden, der oben für Crowdwork-Gestaltungen zum Teil verneint wurde. Dennoch ist die Frage der Anwendbarkeit der Auslobung nicht zuletzt wegen der vielgestaltigen Erscheinungsformen insgesamt von Interesse.

28 Anders: Pacha, Crowdwork, 134, die diese Auslegung für lebensfremd hält, indes dogmatisch fragwürdig die Annahmehandlung in der „Zurverfügungstellung der zur Durchführung der Aufgaben notwendigen Daten“ sieht; wie hier, sofern invitatio angenommen wird: Warter, Crowdwork, 123 f., 126; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 77, wenn auch verkürzt stets von einer invitatio ausgehend. 29 Ebenso: Pacha, Crowdwork, 133 f. 30 So etwa: Felstiner, BJELL 32 (2011), 143, 162 ff., der von einem „unilateral contract“ ausgeht; ebenfalls von Auslobung sprechend: Mückenberger, Der Arbeitnehmerbegriff – aus arbeitspolitischer Perspektive, 17; nach österreichischem Recht: Warter, Crowdwork, 128 ff.; zu dieser Frage bereits: Gärtner, in: Dobreva/Hack-Leoni/Holenstein u. a. (Hrsg.), Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, S. 157, 164 ff. 31 MüKoBGB/F. Schäfer, § 657 BGB Rn. 3 ff.; Zimmermann, FS Heldrich, S. 467, 469 ff.

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Bei der Auslobung handelt es sich nach h. M. (Versprechens- bzw. Pollizitationstheorie) demnach nicht um einen Vertrag.32 Die vor allem vor der Kodifizierung des BGB vertretene Vertragstheorie, wonach die Auslobung durch Vertrag zustande kommt, konnte sich, unter anderem wegen des klaren Gesetzeswortlauts, § 657 BGB a. E., nicht durchsetzen.33 Die Auslobung verpflichtet ausschließlich den Versprechenden, nicht aber den Versprechensempfänger.34 Dabei ist sie keinem anderen vertraglichen Schuldverhältnis zuzuordnen, sondern bildet grundsätzlich einen eigenen Typus im System der Schuldverhältnisse.35 Diese Sonderstellung wird allerdings sowohl von der Rechtsprechung als auch von der Lehre aufgeweicht, wenn auf Verträge eigener Art zum Leistungsanreiz die Vorschriften der §§ 657 ff. BGB analog angewandt werden.36 Letztlich scheint der Anwendungsbereich der Auslobung trotz ihrer dogmatischen Struktur als besondere rechtliche Bindungsform gerade durch einseitiges Versprechen umfassender verstanden zu werden.37 Bezogen auf die in Rede stehenden Crowdwork-Prozesse erscheint die Anwendung der §§ 657 ff. BGB zumindest zweifelhaft. Als Versprechen wäre die Zahlung der Vergütung für die Erledigung einzelner Aufgaben zu werten. Dieses Versprechen müsste öffentlich bekannt gemacht worden sein. Darunter ist die Zielrichtung der Erklärung auf einen im Grundsatz quantitativ unbestimmten Adressatenkreis zu verstehen.38 Fraglich ist insoweit, ob die Plattformöffentlichkeit genügt. Dagegen spricht, dass nur registrierte Nutzer auf die Ausschreibung reagieren können und zumeist auch nur diese überhaupt Einsicht haben. Hier scheiden demnach bereits einige Plattformgestaltungen aus, bei denen die Ausschreibungen nur ausgewählten registrierten, qualifizierten und eingeloggten Nutzern angezeigt werden.39 In diesen Fällen kann nicht von einem quantitativ unbestimmten Adressatenkreis der Ausschreibung gesprochen werden. Bei den verbleibenden Plattformen, die ihre Ausschreibungen tatsächlich an die Internetöffentlichkeit adressieren, gilt etwas anderes. Bei der Adressierung aller 32

Historischer Überblick m. w. N.: Dreiocker, Zur Dogmengeschichte der Auslobung, 135 ff.; zur h. M.: MüKoBGB/F. Schäfer, § 657 BGB Rn. 3; BeckOKBGB/Kotzian-Marggraf/ Kneller, § 657 BGB Rn. 2; Palandt/Sprau, § 657 BGB Rn. 1; rechtsvergleichend: Kleinschmidt, JURA 29 (2007), 249, 251 ff. 33 Heute noch: Staudinger/Herrler, § 657 BGB Rn. 7 ff. m. w. N., 13 ff. 34 Palandt/Sprau, § 657 BGB Rn. 1; MüKoBGB/F. Schäfer, § 657 BGB Rn. 12. 35 MüKoBGB/F. Schäfer, § 657 BGB Rn. 12. 36 BGH, Urt. v. 14.6.1955 – V ZR 120/53, NJW 1955, 1473; BGH, Urt. v. 6.4.1966 – Ib ZR 82/64, BeckRS 1966, 31170354; BGH, Urt. v. 9.6.1983 – III ZR 74/82, NJW 1984, 1118; Kleinschmidt, JZ 64 (2009), 1121; BeckOKBGB/Kotzian-Marggraf/Kneller, § 657 BGB Rn. 13; MüKoBGB/F. Schäfer, § 657 BGB Rn. 16. 37 Dagg. Dreiocker, Zur Dogmengeschichte der Auslobung, 141, der unter Verweis auf die Gesetzesbegründung eine analoge Anwendung für ausgeschlossen befindet. 38 MüKoBGB/F. Schäfer, § 657 BGB Rn. 24. 39 Dies gilt z. B. für die Plattform Clickworker und neuerdings auch für AMT, wo die Tasks mittlerweile auch erst nach erfolgtem Login angezeigt werden.

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potentiellen Crowdworker handelt es sich um einen für den Auftraggeber unbestimmten Personenkreis. Hierin liegt ja gerade der Zweck von Crowdwork. Dennoch erscheint es bei einer am Sinn und Zweck des Publizitätserfordernisses orientierten Auslegung sehr fraglich, ob es in der vorliegenden Konstellation erfüllt ist. Der entscheidende Unterschied des § 657 BGB zum Abschluss von Verträgen nach §§ 145 ff. BGB ist, dass der Adressatenkreis so unbestimmt ist, dass eine vertragliche Lösung entweder nicht möglich oder jedenfalls nicht umsetzbar ist. Schäfer versucht insoweit die Präzisierung des Tatbestandsmerkmals mithilfe der Kontrollfrage, „ob mit jedem einzelnen Adressaten, der zur Vornahme einer Handlung motiviert werden soll, im Zeitpunkt der Abgabe des Versprechens ein Vertrag geschlossen werden könnte.“40 Dies wäre bei Crowdwork aufgrund der technischen Vorrichtungen ohne Weiteres möglich, sodass es sich lediglich um ein „privates“ Versprechen handeln würde. Diese am Telos des Publizitätsaktes orientierte Auslegung erscheint insofern überzeugend, als sie verhindert, dass ohne Not auf einen alternativen Bindungsmechanismus mit nur wenigen normierten Rechtsfolgen zurückgegriffen wird, wenn eine vertragliche Gestaltung naheliegt. Hinzu kommt die von Zimmermann und Kleinschmidt betonte gesetzgeberische Absicht hinter dem bindenden Versprechen, einen Belohnungsanspruch gerade für die Fälle zu begründen, in denen die Handlung ohne Kenntnis der Auslobung vorgenommen wird.41 Auch diese Erwägung spricht dafür, dass eine Anwendung auf Plattformgestaltungen fernliegt. Denn bei diesen ist es ausgeschlossen, dass eine Handlung ohne Kenntnis der jeweiligen Auslobung erledigt wird. Zuletzt werden bei Crowdwork oftmals in den AGB der Plattformen Bestimmungen zur Übertragung von Immaterialrechtsgütern auf die Auftraggeber bzw. Plattformen getroffen.42 Insoweit handelt es sich um die Begründung wechselseitiger Verpflichtungen, denen eine vertragliche Lösung entspricht. Insgesamt lassen sich die Abläufe beim Crowdwork deutlich unkomplizierter einer vertraglichen Lösung zuführen.43 Allein die Gestaltung in Form einer Ausschreibung vermag die Anwendung der §§ 657 ff. BGB noch nicht überzeugend zu begründen. Durch das Registrierungserfordernis auf den Plattformen und die Ausschreibung an einzelne Crowdworker, die in keinem denkbaren Fall in Unkenntnis der Ausschreibung Aufgaben erledigen, wird die Plattformöffentlichkeit so begrenzt, dass kein Spielraum für die Annahme einer Auslobung verbleibt. Wenig nachvollziehbar erscheint 40

MüKoBGB/F. Schäfer, § 657 BGB Rn. 25. Zimmermann, FS Heldrich, S. 467, 470 ff.; Kleinschmidt, JZ 64 (2009), 1121, 1122.; vgl. Gärtner, in: Dobreva/Hack-Leoni/Holenstein u. a. (Hrsg.), Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, S. 157, 167. 42 Amazon Mechanical Turk Participation Agreement, Stand 25. März 2020, 3. c. „… intellectual property rights, will vest with the Requester immediately upon your performance of the Service.“ 43 Im Ergebnis ebenso: Pacha, Crowdwork, 127 f., 133, allerdings mit dem widersprüchlichen Argument, die Auftraggeber wollten sich mit der Ausschreibung noch nicht binden, weshalb ein einseitiges Versprechen nicht in Betracht komme, im Anschluss aber von einem verbindlichen Angebot ausgehend; für das Preisausschreiben ähnlich: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 85 f. 41

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es, die Auslobung extensiv auszulegen und vertragliche Vorschriften etwa aus dem Werkvertrags- oder gar dem Arbeitsrecht analog auf diese anzuwenden.44 Dadurch ergäbe sich einerseits ein dogmatischer Widerspruch zur Rechtsfigur der Auslobung als einseitig bindendem Versprechen, andererseits widerspräche es der Gesetzessystematik und wirkte darüber hinaus deutlich konstruierter als die oben vorgestellte vertragliche Lösung. 3. Sonderfall: Wettbewerbsbasiertes Crowdwork Einen einzeln zu behandelnden Sonderfall bildet das wettbewerbsbasierte Crowdwork, welches aufgrund seiner Ausgestaltung eine größere Nähe zu den §§ 657 ff. BGB aufweist. Der rechtstatsächliche Modus unterscheidet sich nicht wesentlich von dem bereits vorgestellten Ablauf bei regulärem Crowdwork. Es wird mithilfe einer Plattform eine bestimmte Aufgabe ausgeschrieben, die die Crowdworker erledigen und ihr Arbeitsergebnis einreichen. Der Unterschied liegt darin, dass nicht jeder, der die Aufgabe ausschreibungsgemäß erledigt, bezahlt wird, sondern lediglich derjenige, der innerhalb einer bestimmten Frist das beste Ergebnis abgibt oder die überzeugendste Problemlösung darbietet.45 In diesen Fällen handelt es sich demnach üblicherweise um bewertungsbedürftige Handlungen eines Preisbewerbers.46 Naheliegender als oben erscheint in diesem Fall die Anwendung der Vorschriften über das Preisausschreiben i. S. d. § 661 BGB. § 661 BGB bildet einen Unterfall der Auslobung nach § 657 BGB.47 Typische Fälle sind künstlerische, wissenschaftliche oder sportliche Wettbewerbe, Architektenwettbewerbe oder TV-Quizfragen.48 In der Regel unterscheiden sich die typischen Konstellationen insofern, als dass es dort um die Prämierung von Entwürfen geht, während bei Crowdwork i. d. R. die vollständige Leistung bereits erbracht und eingereicht wird.49 Grundsätzlich erscheint es, losgelöst von der Frage, ob diese Gestaltung sittenwidrig ist oder gegen AGB Recht verstößt, denkbar, dass die Vorschriften der §§ 657 ff. BGB in diesem Fall entsprechende Anwendung finden. Dies würde bedeuten, dass der Auslobende oder eine Jury bzw. sofern in der Auslobung festgelegt, ein Preisgericht, nach §§ 661 Abs. 2, Abs. 3, 659 Abs. 2 BGB über die Vergabe der Belohnung entscheidet. Ferner soll die Belohnung, wenn die Leistung von mehreren gleichzeitig vorgenommen wurde oder 44 In diesem Sinne: Staudinger/Herrler, § 657 BGB Rn. 39; in Bezug auf Crowdwork allerdings im österreichischen Recht: Warter, Crowdwork, 139 ff. 45 Siehe unten § 4 A. I. 3. b) zu konkreten Beispielen. 46 MüKoBGB/F. Schäfer, § 661 BGB Rn. 2 ff. 47 MüKoBGB/F. Schäfer, § 661 BGB Rn. 1. 48 Vgl.: BGH, Urt. v. 14.6.1955 – V ZR 120/53, NJW 1955, 1473; BGH, Urt. v. 6.4.1966 – Ib ZR 82/64, BeckRS 1966, 31170354; BGH, Urt. v. 9.6.1983 – III ZR 74/82, NJW 1984, 1118; S. Ernst, NJW 59 (2006), 186 ff. 49 So auch: Däubler, in: C. Benner (Hrsg.), Crowdwork – zurück in die Zukunft?, S. 243, 253; Warter, Crowdwork, 130.

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wenn die Ergebnisse von gleicher Qualität sind, den Preisbewerbern zu gleichen Teilen gebühren, vgl. §§ 661 Abs. 3, 659 Abs. 2, S. 1 BGB. Letztlich wird die Ausschreibung der Arbeitsaufgaben wegen einer anderen Ausgestaltung der Bezahlung aber nicht zur Auslobung i. S. d. §§ 657, 661 BGB. Vielmehr gilt die oben erläuterte Vertragskonstruktion mangels Erfüllung des Tatbestandes der Auslobung. Aus den obigen Erwägungen ergibt sich jedoch, dass auf etwaige Verträge zum Zwecke des Leistungsanreizes, bei denen eine öffentliche Bekanntmachung nicht vorliegt, hinsichtlich der Rechtsfolgen die §§ 657 ff. BGB, entgegen der vorgestellten dogmatischen Bedenken, analog angewandt werden können, um z. B. eine gerechte Verteilung der Belohnung zu erreichen, sofern die vertraglichen Rechtsfolgen dem Wettbewerbsmodus nicht gerecht werden. Dies führt zu sachgerechten Ergebnissen.50 4. Vertragsparteien Nach der Darstellung des Zustandekommens rechtlicher Beziehungen bei Crowdwork ist der Folgefrage nachzugehen, zwischen welchen Parteien die Verträge bzgl. der Ableistung einzelner Arbeitsaufgaben entstehen. Denkbar wäre einerseits ein direktes Vertragsverhältnis zwischen Crowdworker und Auftraggeber bezogen auf die Ableistung der Arbeitsaufgaben, während zu den Plattformen jeweils nur der bloße Rahmenvertrag bestünde. Andererseits könnten, über den Rahmenvertrag hinaus, auch hinsichtlich der Erledigung einzelner Aufgaben ausschließlich Verträge zwischen den Auftraggebern und den Plattformbetreibern auf der einen Seite und zwischen den Crowdworkern und den Plattformbetreibern auf der anderen Seite vorliegen. Die Frage nach den Vertragsparteien wurde bisher uneinheitlich beantwortet. a) Lehrmeinungen Teilweise wird ein direktes Vertragsverhältnis zwischen den Crowdworkern und den Crowdsourcern angenommen.51 Andere Autoren scheinen eher davon auszugehen, dass jeweils nur zu den Plattformen Rechtsbeziehungen bestehen (Vertragskette52, indirekte/s Crowdwork/-sourcing53).54 Zur Beantwortung werden un50

Vgl. Gärtner, in: Dobreva/Hack-Leoni/Holenstein u. a. (Hrsg.), Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, S. 157, 168. 51 Meyer-Michaelis/Falter, DB 69 (2016), 2543, 2544, die die Plattformen überwiegend als reine Vermittler sehen; Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 742, die von der wohl praktischeren Erscheinungsform spricht; auch von den Plattformen als Vermittler sprechend, jedoch gleichzeitig deren großen Einfluss betonend Kocher/Hensel, NZA 33 (2016), 984, 985; Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1033 bzgl. der Plattformen AMT, Freelancer.com, InnoCentive und Twago, anders z. B. Clickworker, CrowdFlower; ähnliche Differenzierung bei: C. Schubert, RdA 71 (2018), 200, 202; C. Schubert, ZVglRWiss 118 (2019), 341, 344 f. 52 Warter, Crowdwork, 106.

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terschiedliche Differenzierungen vorgenommen: So entstehe kein unmittelbares Vertragsverhältnis, wenn die Arbeitsergebnisse an die Plattformen gehen und diese die Bezahlung, sowie die Qualitätskontrolle übernehmen und die Arbeitsbedingungen einseitig festlegen, anderes könne jedoch auch in Fällen ohne direkte Kommunikation gelten, etwa wenn die Plattformen tatsächlich lediglich als Stellvertreter der Crowdsourcer in Erscheinung träten.55 Die englischsprachige Literatur lässt die Frage zum Teil offen, unternimmt jedoch Vergleiche zur Leiharbeit und konstatiert, dass „contractual arrangements involving multiple parties“ Intransparenz begünstigen, sodass aus Sicht der Crowdworker unklar sei, wer der eigene Vertragspartner ist.56 An anderer Stelle scheint zumindest für AMT von direkten Vertragsbeziehungen ausgegangen zu werden.57 b) Rechtsprechung Aus der deutschen Rechtsprechung58 ergeben sich bislang kaum Anhaltspunkte für die Klärung der Frage nach den Vertragsparteien bei Crowdwork im engeren Sinne. Insbesondere in den USA, in Großbritannien, aber auch in Deutschland sind jedoch mehrere Entscheidungen zu den Fahrdienstleistern Uber und Lyft bzw. zum 53 Hötte, MMR 17 (2014), 795, 797; Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 17; Pacha, Crowdwork, 117; Lingemann/Chakrabarti, in: Arnold/Günther (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, S. 27, 49 Rn. 79 f.; Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 742; C. Schubert, RdA 71 (2018), 200, 202; Rinck, RdA 72 (2019), 127, 128; Fuhlrott/Oltmanns, NJW 73 (2020), 958, 959, verwenden das Begriffspaar mittelbar und unmittelbar. 54 In diese Richtung, soweit die Plattformen nicht als Stellvertreter der Crowdsourcer agieren: Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 13, 21; Risak, ZAS 50 (2015), 11, 15 f.; Klebe/Neugebauer, AuR 62 (2014), 4, 5; Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 17; Däubler, in: C. Benner (Hrsg.), Crowdwork – zurück in die Zukunft?, S. 243, 245, der allerdings klarstellt, dass etwa AMT als reiner Vermittler auftritt; Brose, NZS 26 (2017), 7, 9.; Ruland, NZS 28 (2019), 681, 683. 55 Insoweit offenlassend: Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 629; Risak/Warter, Legal strategies towards fair conditions in the virtual sweatshop, 6; Warter, Crowdwork, 115 ff., der nach ähnlichen Kriterien zwischen Gesamtdienstleistungs- und Vermittlungsplattformen differenziert.; Pacha, Crowdwork, 119 ff., diese Differenzierung inhaltlich übernehmend unter den Begriffen „Full-Service- und Self-Service-Plattform“; Kocher, JZ 73 (2018), 862, 863, spricht von Leistungskette und Agenturmodell. 56 Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 8; Cherry, CLLPJ 37 (2016), 577, 598 ff. 57 Felstiner, BJELL 32 (2011), 143, 171; ähnlich Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383, 396, die jedoch den enormen Einfluss der Plattform (AMT) auf den Arbeitsablauf betonen. 58 Erste Anhaltspunkte finden sich jedoch, vgl.: LAG München, Urt. v. 4.12.2019 – 8 Sa 146/19, NZA 2020, 316; LAG Hessen, Beschl. v. 14.2.2019 – 10 Ta 350/18, NZA-RR 2019, 505; Fuhlrott/Oltmanns, NJW 73 (2020), 958, 959 ff.; Frank/Heine, NZA 37 (2020), 292, 292 f., näher hierzu sogleich.

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Online-Lieferdienst Deliveroo ergangen, deren Geschäftsmodell zumindest Elemente des Crowdwork im weiteren Sinne enthält.59 Dementsprechend lohnt es sich einige dieser auf den ersten Blick ferner liegenden Fälle genauer zu betrachten. Im Wesentlichen ging es um den Status der Fahrer – selbstständige Dienstleister oder Arbeitnehmer –, sowie damit korrespondierend um die Frage, ob es sich bei Uber bzw. Lyft um ein Technologie-Unternehmen, das lediglich Angebot und Nachfrage zusammenführt, oder vielmehr um ein Transportunternehmen, das Verkehrsdienstleistungen anbietet, handelt. Während die Frage nach dem Status der Fahrer nicht einheitlich beantwortet wird,60 wird Uber nahezu einhellig als Transportunternehmen qualifiziert.61 Dies gilt nicht nur für US-Gerichte, sondern auch für die bisher in

59 Zu Fällen in den USA: Cherry, CLLPJ 37 (2016), 577, 579 ff.; Cherry, Tulane L. Rev. 94 (2020), 183, 200 ff.; Cunningham-Parmeter, N. Ill. U. L. Rev. 39 (2019), 379, 394 ff. 60 Für den Arbeitnehmerstatus: Superior Court of California, Urt. v. 3.6.2015 – 11 – 46739 EK (Berwick v. Uber Technologies, Inc.), Order, Decision or Award of the Labor Commissioner, 1, 9 f.; Employment Tribunal London, Urt. v. 28.10.2016 – 2202551/2015 (Aslam and others v. Uber BV), IRLR 2017, 4, Rn. 86; bestätigt durch: Employment Appeal Tribunal, Urt. v. 10.11.2017 – UKEAT/0056/17/DA (Uber BV v. Aslam and others), IRLR 2018, 97, Rn. 109 ff.; sowie: Court of Appeal, Urt. v. 19.12.2018 – [2018] EWCA Civ 2748 (Uber BV v. Aslam and others), IRLR 2019, 257, Rn. 95 ff.; ebenso: Cour de Cassation, Urt. v. 4.3.2020 – (19 – 13.316), AuR 2020, 233 (m. Anm. Buschmann) = ECLI:FR:CCAS:2020:SO00374; zum Arbeitnehmerstatus der Fahrer im Fall des Online-Essenslieferdienstes Take Eat Easy: Cour de Cassation, Urt. v. 28.12.2018 – (17 – 20.079), ECLI:FR:CCASS:2018:SO01737; dazu: Engler, EuZA 12 (2019), 504, 508 ff.; United States District Court – Northern District of California, Urt. v. 11.5.2015 – 13-cv-04065-VC (Cotter et al v. Lyft Inc.), Order Denying Cross- Motions for Summary Judgment, „As should now be clear, the jury in this case will be handed a square peg and asked to choose between two round holes. The test the California courts have developed over the 20th Century for classifying workers isn’t very helpful …“.; anders etwa: Central Arbitration Committee, Urt. v. 14.11.2017 – TUR1/985(2016) (IWGB v. RooFoods Ltd. (t/a Deliveroo)), IRLR 2018, 84, Rn. 100 f., wonach Deliveroo-Fahrer keine „worker“ seien, da ihnen die Möglichkeit zur Substitution gewährt werde; bestätigt durch: High Court, Urt. v. 5.12.2018 – [2018] EWHC 3342 (IWGB v.CAC and RooFoods Ltd. (t/a Deliveroo)), IRLR 2019, 249, Rn. 24 ff., unter Berücksichtigung von Art. 11 EMRK; dagegen für die Arbeitnehmereigenschaft von Deliveroo-Fahrern in einem niederländischen Fall: Rechtbank Amsterdam, Urt. v. 15.1.2019 – 7044576 CV EXPL 18 – 14763, AuR 2019, 187; rechtsvergleichende Analyse der Rechtsprechung zur Qualifikation der Beschäftigten in der Gig-Economy m. w. N.: Waas, AuR 66 (2018), 548, 550 ff.; vgl. auch: C. Schubert, ZVglRWiss 118 (2019), 341, 343 ff.; zur Abgrenzung zwischen „employee“ und „independet contractor“ zuletzt auch: Supreme Court of California, Urt. v. 30.4.2018 – S222732 (Dynamex Operations West, Inc. v. Superiour Court); der hierbei vom Gericht angewandte sog. ABC-Test, der im Wesentlichen die widerlegliche Vermutung der Arbeitnehmereigenschaft und damit eine Beweislastumkehr enthält, gilt seit dem 18. September 2019 gemäß Assembly Bill No. 5/2019 als Gesetz in Kalifornien; vgl. dazu: Kohler, AuR 67 (2019), 458, 458 f.; sowie: Wank, RdA 72 (2019), 383; Sprague, Wm. & Mary Bus. L. Rev. 11 (2020), 733, 749 ff.; zum ABC-Test auch: Cunningham-Parmeter, N. Ill. U. L. Rev. 39 (2019), 379, 409 ff.; Cherry, Tulane L. Rev. 94 (2020), 183, 201 f. 61 United States District Court – Northern District of California, Urt. v. 11.3.2015 – C13 – 3826 EMC (O’Connor et al v. Uber Technologies, Inc. et al), Order Denying Defendant Uber Technologies, Inc.’s Motion for Summary Judgment, 1, 11, „Uber does not simply sell software; it sells rides“.

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Deutschland und Großbritannien ergangenen Entscheidungen.62 Kürzlich hat auch der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren auf eine Vorlagefrage aus Spanien in diesem Sinne geurteilt und diese Entscheidung mittlerweile bestätigt.63 Beim EuGH anhängig war zudem ein Verfahren, das sich mit der Entscheidung in der Rs. Asociación Profesional Elite Taxi erledigt hat, in dem der BGH die Frage vorgelegt hatte, ob Uber selbst Verkehrsdienstleistungen i. S. v. Art. 58 Abs. 1 AEUV erbringe.64 In der Folge bejahte der BGH diese Frage.65 Diese Entscheidungen zeigen zwar, dass im größeren Kontext der Sharing- bzw. On-Demand-Economy durchaus eine Tendenz besteht, die Plattformen, die die entscheidenden Gewinne einfahren und ein besonders hohes Maß an Kontrolle ausüben, entsprechend zu regulieren. Nichtsdestoweniger erscheint eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf Fragen des Crowdwork im engeren Sinne vorschnell. Einerseits finden Fahr- oder Lieferdienstleistungen in der analogen Welt und nicht rein digital statt, andererseits sind die Fahrer mit Uber durch die Vermittlungen der Fahrten, die durch die Fahrer nur sehr begrenzt abgelehnt werden dürfen, enger verbunden als bei Mikrotasks. Darüber hinaus ist das Vergleichsmaterial für einen umfassenden Rechtsvergleich zu spärlich, sodass sich aus den vorgestellten Entscheidungen keine Folgerungen für das deutsche Recht ableiten lassen. Die Fälle zu Crowdwork im engeren Sinne sind deutlich schmaler gesät. Eine amerikanische Sammelklage Otey vs. CrowdFlower wurde verglichen.66 Dabei war CrowdFlower (nunmehr FigureEight) damals noch Crowdsourcer auf der Plattform

62 OLG Frankfurt, Urt. v. 9.6.2016 – 6 U 73/15, AuR 2016, 306, Rn. 48 ff., für Uber als Personenbeförderungsunternehmen, hinsichtlich des Status der Fahrer jedoch offenlassend; so auch: OVG Berlin Brandenburg, Beschl. v. 10.4.2015 – OVG 1 S 96.14, CR 2015, 376, Rn. 32 ff.; Employment Tribunal London, Urt. v. 28.10.2016 – 2202551/2015 (Aslam and others v. Uber BV), IRLR 2017, 4, Rn. 89 f., „The notion that Uber in London was a mosaic of 30,000 small businesses linked by a common platform was faintly ridiculous“; Court of Appeal, Urt. v. 19.12.2018 – [2018] EWCA Civ 2748 (Uber BV v. Aslam and others), IRLR 2019, 257, Rn. 95; Krause, in: Dörr/Goldschmidt/Schorkopf (Hrsg.), Share Economy, S. 147, 160 f.; Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 48 ff., jeweils m. w. N. 63 EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-434/15 (Asociación Profesional Elite Taxi), ECLI:EU:C:2017:981; ausführlich: GA Szpunar, Schlussantr. v. 11.5.2017 – C-434/15 (Asociación Profesional Elite Taxi), ECLI:EU:C:2017:364, Rn. 39 ff.; vgl. auch: GA Szpunar, Schlussantr. v. 4.7.2017 – C-320/16 (Uber France), ECLI:EU:C:2017:511, Rn. 15 ff.; bestätigt in: EuGH, Urt. v. 10.4.2018 – C-320/16 (Uber France), ECLI:EU:C:2018:221, Rn. 22; zu dieser Rechtsprechung auch: Waas, AuR 66 (2018), 548, 549 f. 64 EuGH, Urt. v. 19.10.2017 – C-371/17 (Uber), ECLI:EU:C:2018:313; BGH, EuGHVorlage v. 18.5.2017 – I ZR 3/16, MDR 2017, 686 – Rücknahme durch Beschl. v. 29.3.2018. 65 BGH, Urt. v. 13.12.2018 – I ZR 3/16, BeckRS 2018, 36491, Rn. 47 ff., näher zum Verstoß des Dienstes „Uber Black“ gegen § 49 Abs. 4 S. 2 PBefG Rn. 31 ff. 66 United States District Court – Northern District of California, Urt. v. 28.5.2015 – 3:12-cv05524-JST (Otey v. CrowdFlower Inc.), Collective Action Settlement; näher: Cherry, CLLPJ 37 (2016), 577, 591 f.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

AMT.67 Daraus lässt sich schließen, dass die Parteien von einem direkten Vertragsverhältnis ausgegangen sind. Anderenfalls hätte wohl die Plattform und nicht CrowdFlower den Vergleich geschlossen.68 Gegenteiliges ließe sich aus der Entscheidung des LAG München ableiten. In diesem Fall klagte ein Crowdworker unmittelbar gegen den Plattformbetreiber, was eher für eine Vertragskette spräche.69 Letztlich ist die Rechtsprechung hinsichtlich der Frage der Vertragsparteien wenig ergiebig. c) Bewertung Sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung wird die Frage nach den Vertragsparteien bei Crowdwork wie gezeigt uneinheitlich beantwortet. Das dürfte zum einen den heterogenen Geschäftsmodellen der Plattformen und zum anderen den unterschiedlichen Formen des Crowdworks von Mikrotasks bis zu Designwettbewerben geschuldet sein. Dabei erscheint der verschiedentlich unternommene Versuch der Systematisierung bzw. Kategorisierung der unterschiedlichen Plattformmodelle70 insofern zielführend, als dass er eine umfassendere Antwort auf die Frage nach den Vertragsverhältnissen ermöglicht. Anknüpfend an Liebman/Lyubarsky gilt es zu klären, zwischen welchen Akteuren die Kommunikationsprozesse ablaufen, wer die Abläufe organisiert und wem die Qualitätskontrolle obliegt.71 Einerseits gibt es Plattformen, auf denen der Crowdsourcer selbst in Erscheinung und mit den Crowdworkern in Kontakt tritt. In diesen Fällen sind direkte vertragliche Beziehungen durchaus denkbar. Demgegenüber stehen Plattformen, auf denen nicht ersichtlich ist, für wen der einzelne Crowdworker Aufgaben erledigt. Die gesamte Abwicklung und Organisation erfolgt durch die Plattformen. Hier fällt es schwer direkte vertragliche Beziehungen zwischen Crowdworker und Auftraggeber anzunehmen.

67 Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 47 f. 68 So auch: Warter, Crowdwork, 87 ff., 114. 69 Der Sache nach handelte es sich bei dem vorliegenden Fall um ortsgebundenes Crowdwork im weiteren Sinne: LAG München, Urt. v. 4.12.2019 – 8 Sa 146/19, NZA 2020, 316, Rn. 120 ff.; Frank/Heine, NZA 37 (2020), 292, 292 f., die in diesem Sinne zutreffend davon ausgehen, dass keine Rechtsbeziehungen zwischen Crowdworker und Crowdsourcer bestanden; ebenso: Fuhlrott/Oltmanns, NJW 73 (2020), 958, 959. 70 Warter, Crowdwork, 108 ff., der von Gesamtdienstleistungsplattformen und bloßen Vermittlungsplattformen ausgeht; Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 58 ff., die vier Kategorien unterscheiden. 71 Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 58.

§ 3 Rechtliche Einordnung von Crowdworkern

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Es wird deutlich, dass nur eine Gesamtschau der Umstände eine Kategorisierung hergibt.72 Diese ergeben sich zumeist aus den AGB der Plattformen, die Aufschluss darüber geben, wer wem die Organisations-, Abwicklungs- und Kontrollfunktionen schuldet, mit anderen Worten wem die Ausschreibung zuzurechnen ist.73 Ein maßgebliches Kriterium könnte ferner der Grad der Kommunikation zwischen Crowdworker und Crowdsourcer sein. Wobei prima facie einiges dafür spricht, dass, sofern hinsichtlich der Auftragserledigung, der Qualitätskontrolle oder etwaiger Anweisungen ein hohes Maß an direkter Kommunikation stattfindet, direkte Vertragsbeziehungen vorliegen. Gleichzeitig ist zu beachten, dass nach den Regeln der Stellvertretung gem. § 164 Abs. 1 BGB ein Vertragsschluss zwischen Crowdworker und -sourcer auch ganz ohne direkte Kommunikation auskommt, sofern die sonstigen Voraussetzungen vorliegen und der Plattformbetreiber damit als Stellvertreter des Crowdsourcers auftritt. Insoweit ist bezüglich des Grades der Kommunikation Vorsicht geboten, wenngleich dem direkten Austausch über die Aufgabenerledigung Indizwirkung zukommt. Entscheidender scheint die Qualifikation des Geschäftsmodells der jeweiligen Plattform zu sein. Fungiert diese tatsächlich als reiner Vermittler, d. h. als digitales „Schwarzes Brett“, dem keine weitere Funktion als die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage gebührt, kommen zwischen Crowdworker und Crowdsourcer nur direkte Vertragsbeziehungen in Betracht. Dies ist der Fall, wenn die Crowdsourcer selbst Aufgaben portionieren und auf der jeweiligen Plattform ausschreiben, wenn sie – sei es unter einem Pseudonym wie bei AMT – irgendwie in Erscheinung treten, wenn sie für die Abwicklung der Auftragserledigung insofern zuständig sind, als dass ihnen die Qualitätskontrolle und damit die direkte Kommunikation mit den Crowdworkern obliegt und wenn sie zuletzt zumindest mittelbar für die Bezahlung der Crowdworker zuständig sind. Sind diese Voraussetzungen kumulativ bzw. ganz überwiegend erfüllt, so kommt hinsichtlich der Ableistung einzelner Arbeitsaufgaben nur ein direktes Vertragsverhältnis zwischen Crowdsourcer und Crowdworker in Frage. Übernimmt demgegenüber die Plattform diese Organisations-, Kontroll- und Abwicklungsfunktionen und tritt der Crowdsourcer nicht auf der Plattform in Erscheinung, so kommt keine direkte vertragliche Bindung zwischen Crowdworker und Crowdsourcer, sondern jeweils nur zur Plattform in Betracht. In diesen Gestaltungen ist es grundsätzlich nicht denkbar, dass die Plattform die Verträge im Namen des Crowdsourcers i. S. d. § 164 Abs. 1 BGB schließt. Dazu müsste sie ihr Handeln in fremdem Namen zumindest schlüssig offenlegen74, was regelmäßig nicht der Fall ist, solange der Crowdsourcer in der Ausschreibung keine Erwähnung 72

313 f.

In diese Richtung für digitale Plattformen allgemein auch: Engert, AcP 218 (2018), 304,

73 Vgl. Gärtner, in: Dobreva/Hack-Leoni/Holenstein u. a. (Hrsg.), Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, S. 157, 175. 74 Vgl. zum Offenheitsgrundsatz nur: Palandt/Ellenberger, § 164 BGB Rn. 1.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

findet.75 Vielmehr übernimmt die Plattform selbst wesentliche vertragliche Pflichten und wird dadurch Vertragspartei. Ist dagegen die Kontrollfrage, ob es sich nach dem konkreten Geschäftsmodell der Plattform lediglich um eine „digitale Zeitung“ handelt, die gegen Entgelt eine Anzeige darstellt und darüber hinaus keine weiteren Aufgaben übernimmt, zu bejahen, so kommt nur ein direktes Vertragsverhältnis zwischen Crowdworker und Crowdsourcer in Betracht. In diese letzte Kategorie fallen etwa die Plattformen AMT, CrowdFlower, InnoCentive und Twago. Demgegenüber gilt für die Plattformen clickworker, 99designs und Topcoder, dass keine direkten vertraglichen Beziehungen zwischen Crowdsourcer und –worker bestehen. Eine pauschale Antwort auf die Frage der Vertragsparteien ist demnach nicht möglich. Gleichwohl lässt sich anhand der vorgestellten Kriterien durch eine Untersuchung der AGB sowie der Abläufe auf den Plattformen mit relativ geringem Aufwand ermitteln, zwischen welchen Parteien sich vertragliche Beziehungen entfalten. III. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei Crowdwork unterschiedliche Rechtsbeziehungen vorliegen. Einerseits schließen sowohl Crowdworker als auch Auftraggeber mit den Plattformen einen nicht leistungsbezogenen Rahmenvertrag, der mit der Freischaltung nach erfolgter Anmeldung und Akzeptierung der AGB und der Datenschutzbestimmungen durch Freischaltung seitens der Plattformen begründet wird. Dieser Vertrag kann Nebenpflichten enthalten. Darüber hinaus werden in Bezug auf die Erledigung einzelner Arbeitsaufgaben Verträge zwischen den Parteien geschlossen. Die Ausschreibung an sich stellt je nach Ausgestaltung der Nutzungsbedingungen ein verbindliches Angebot oder lediglich eine invitatio ad offerendum dar, auf die die ausführenden Crowdworker mit Bearbeitung der Aufgabe als Annahme bzw. spätestens durch Einreichung des Arbeitsergebnisses mit einem Angebot reagieren. Jedenfalls in der Abnahme der Leistung liegt die Annahme durch die Crowdsourcer. Rechtlich handelt es sich demnach nicht um eine Auslobung i. S. d. § 657 BGB. Denkbar ist es jedoch in Fällen des wettbewerbsbasierten Crowdworks einzelne Vorschriften der §§ 657 ff. BGB auf die bestehenden Verträge entsprechend anzuwenden, um bzgl. der Bezahlung der Crowdworker zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen. Ob direkte Vertragsbeziehungen zwischen Crowdworker und Crowdsourcer bestehen oder jeweils nur Verträge zur Plattform vorliegen, hängt vom jeweiligen Geschäftsmodell der Plattform ab. 75

Ebenso: Pacha, Crowdwork, 120.

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B. Rechtliche Qualifikation von Crowdworkern Nach der Klärung der Vertragsmodalitäten ist nun eine Einordnung der entstehenden Verträge bei typisierender Betrachtung vorzunehmen. Die Verträge, gerichtet auf die Ableistung einzelner Arbeitsaufgaben, könnten Arbeitsverträge i. S. d. § 611a BGB darstellen, mit der Konsequenz, dass Crowdworker als Arbeitnehmer zu qualifizieren wären. Als Vertragspartner kommen nach der obigen Untersuchung einerseits Plattformen und Crowdworker, andererseits Crowdsourcer und Crowdworker in Betracht. Zu fragen ist auch, ob ein dreiseitiges Arbeitsverhältnis mit Crowdsourcern und Plattformen als gemeinsamen Arbeitgebern entstehen kann. Dabei stellt sich die Folgefrage, ob ein durchgehendes Arbeitsverhältnis oder MikroArbeitsverträge begründet werden. Alternativ zum Arbeitsvertrag könnte es sich um freie Werk- oder Dienstverträge nach §§ 631 bzw. 611 BGB handeln. Demnach wären Crowdworker als Soloselbstständige, d. h. rechtlich selbstständige (Kleinst-)Unternehmer einzuordnen, die allein tätig sind, also keine eigenen Arbeitnehmer beschäftigen.76 In diesem Fall wäre zu untersuchen, ob sie als Arbeitnehmerähnliche zumindest einen Teil des arbeitsrechtlichen Schutzes genießen und ob das Heimarbeitsgesetz auf sie Anwendung findet. I. Umgehung von Arbeitsverträgen durch Rahmenvertragsgestaltung Vorab stellt sich die Frage, ob mit dem Abschluss von Rahmenverträgen ein Unterlaufen des Arbeitsrechts bezweckt wird. Losgelöst von der Frage der Wirksamkeit etwaiger kettenbefristeter Arbeitsverhältnisse nach § 14 TzBfG77 könnte die Vereinbarung eines den einzelnen Verträgen zugrundeliegenden Rahmenvertrages eine missbräuchliche Gestaltung zur Umgehung des Arbeitsrechts darstellen. Grundsätzlich zulässig ist der Abschluss einer Rahmenvereinbarung, in der sich der Auftragnehmer noch nicht zur Erbringung von Diensten verpflichtet. Hierin liegt weder ein Arbeits- noch ein Dienstvertrag, deshalb werden durch eine solche Vereinbarung weder der verfassungsrechtlich gebotene Bestandsschutz aus Art. 12 I GG in Gestalt des gesetzlichen Kündigungsschutzes, noch die gerichtliche Befristungskontrolle unterlaufen.78 Insofern besteht auch keine Pflicht der Parteien statt

76 Zum Begriff auch: Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 11; Deinert/Maksimek/Sutterer-Kipping, Die Rechtspolitik des Sozial- und Arbeitsrechts, 312 f.; Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 741 f.; siehe auch: Uffmann, RdA 72 (2019), 360, 361 ff. 77 Dazu sogleich, siehe unten § 3 B. II. 3. 78 BAG, Urt. v. 31.7.2002 – 7 AZR 181/01, AP TzBfG § 12 Nr. 1 (m. Anm. Kamanabrou), unter B. 1. a), 3.; BAG, Urt. v. 15.2.2012 – 10 AZR 111/11, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 122 = NZA 2012, 733, Rn. 23 ff.; BAG, Urt. v. 16.5.2012 – 5 AZR 268/11, NZA 2012, 974, Rn. 17 ff.

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einer Rahmenvereinbarung mit einzelnen befristeten Arbeitsverhältnissen ein Abrufarbeitsverhältnis nach § 12 TzBfG zu schließen.79 In den zwischen Crowdworkern und Plattformen bei Registrierung geschlossenen Rahmenverträgen wird üblicherweise keine Dienstleistungspflicht vereinbart.80 Diese könnte sich indes auch aus der tatsächlichen Durchführung des Rahmenvertrages ergeben.81 Eine solche tatsächliche Pflicht, resultierend aus Sanktionsmöglichkeiten bei Inaktivität oder des Drucks positive, aktuelle Bewertungen anzuhäufen, wird verschiedentlich behauptet.82 Tatsächlich ist diese Sichtweise aus zwei Gründen zweifelhaft. Erstens ist nicht nachgewiesen, dass ein solcher Druck zur Ableistung von Arbeitsaufgaben besteht. Selbstverständlich beruht das Geschäftsmodell der Plattformen darauf, dass auch tatsächlich Arbeitsaufgaben erledigt werden. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass der einzelne Crowdworker mit Registrierung zur Ableistung von Arbeit verpflichtet wird.83 Schon die rechtliche Ausgestaltung der Ausschreibung von Aufgaben, ohne dass Crowdworker direkt angesprochen werden, steht im Widerspruch zur Annahme einer Leistungspflicht.84 Außerdem richten sich Sanktionsmöglichkeiten der Plattformen bis hin zur Deaktivierung des Accounts im Fall von Crowdwork im engeren Sinne soweit ersichtlich auf Nichteinhaltung des Code of Conduct etc. und weniger auf bloße Inaktivität.85 Zweitens begründet der wenig greifbare Druck zur Leistungserbringung allenfalls eine wirtschaftliche Abhängigkeit, die für sich genommen keinen Arbeitsvertrag entstehen lässt. Der Umstand, dass ein registrierter Crowdworker in aller Regel arbeiten wird, nicht zuletzt um gute Bewertungen anzuhäufen und lukrative Aufträge zu erhalten, begründet keine rechtliche Leistungspflicht, sondern ist dessen wirtschaftlichem Interesse geschuldet.86 Insgesamt ist also unter dem Gesichtspunkt der Umgehung arbeitsrechtlicher Vorschriften durch die Ausgestaltung des Rahmenvertrages nicht von der Entstehung eines (durchgehenden) Arbeitsverhältnisses auszugehen.87 79 ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 21 a. E.; BAG, Urt. v. 16.5.2012 – 5 AZR 268/11, NZA 2012, 974, Rn. 21. 80 Siehe oben § 3 A. I.; sowie LAG München, Urt. v. 4.12.2019 – 8 Sa 146/19, NZA 2020, 316, Rn. 121 ff. 81 BAG, Urt. v. 15.2.2012 – 10 AZR 111/11, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 122 = NZA 2012, 733, Rn. 19. 82 Lutz, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 62, 92; Risak, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 44, 55. 83 LAG München, Urt. v. 4.12.2019 – 8 Sa 146/19, NZA 2020, 316, Rn. 127 ff.; vgl. BAG, Urt. v. 21.5.2019 – 9 AZR 295/18, NZA 2019, 1411, Rn. 31, zur Unterscheidung zwischen der Äußerung von Erwartungen und der Erteilung von Weisungen. 84 Insoweit übereinstimmend: Risak, ZAS 50 (2015), 11, 17. 85 Vgl. LAG München, Urt. v. 4.12.2019 – 8 Sa 146/19, NZA 2020, 316, Rn. 132 f. 86 So auch: BAG, Urt. v. 15.2.2012 – 10 AZR 111/11, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 122 = NZA 2012, 733, Rn. 20. 87 So auch: Warter, Crowdwork, 196 f.; Risak, ZAS 50 (2015), 11, 17.

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II. Arbeitnehmereigenschaft Der Arbeitsvertrag und damit der Begriff des Arbeitnehmers ist nunmehr in § 611a Abs. 1 BGB legaldefiniert. Angeknüpft wird dabei immer noch an die Formel von Alfred Hueck, nach der Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen Arbeit verrichtet.88 Gemäß § 611a Abs. 1 S. 1 BGB ist Arbeitnehmer, wer im Dienste eines anderen weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Der Gesetzgeber verfolgte dabei mit der Einführung des neuen § 611a BGB zum 1. April 2017 vornehmlich den Zweck, die höchstrichterliche Rechtsprechung bzgl. des Arbeitnehmerbegriffs gesetzlich festzulegen.89 Die Neuregelung sieht sich teilweise heftiger Kritik ausgesetzt. So wird sie als „gutes Beispiel für schlechte Systematik“ beschrieben, die keine neuen Erkenntnisse beinhalte und das Ziel der Schaffung von Rechtssicherheit verfehle.90 An anderer Stelle wird kritisiert, dass § 611a BGB die Bedeutung des Dienstvertrages für das Arbeitsverhältnis verdunkle, die nunmehr normierten Merkmale könnten in der digitalen Arbeitswelt keine ausschlaggebende Rolle mehr spielen, ohne die Geltung des Arbeitsrechts preiszugeben. Insgesamt sei § 611a BGB überflüssig.91 Zuzugeben ist der Kritik, dass die Regelung jedenfalls unübersichtlich geraten ist. Es wird nicht deutlich, in welchem Verhältnis die Merkmale persönliche Abhängigkeit, Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmtheit zueinander stehen. Außerdem werden Selbstverständlichkeiten festgeschrieben, wie etwa die Reichweite des Weisungsrechts aus § 106 S. 1 GewO in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB.92 Hinzu kommt, dass die fehlende Normierung Raum für Flexibilisierung ließ, der durch die normative Festsetzung bestimmter Kriterien in § 611a BGB jedenfalls prima facie begrenzt wird. Diese Bedenken vermag auch die Beteuerung des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialien, dass eine Änderung der bestehenden Rechtslage nicht gewollt sei, nicht aufzuheben. Trotz der berechtigten Kritik kann nach dem gesetzgeberischen Willen auf die gefestigte Rechtsprechung unter Berücksichtigung der Rechtslehre Bezug genommen werden, um den § 611a BGB zu interpretieren.93 88

Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, 34 f. Vgl. BT-Drs. 18/9232, 31; BT-Drs. 18/10064, 4. 90 Wank, AuR 65 (2017), 140; ähnlich kritisch: Willemsen, FS Moll, S. 757, 760 ff. 91 Richardi, NZA 34 (2017), 36, 36, 39; kritisch hinsichtlich der Regelungsinhalte, aber die gesetzgeberische Entscheidung respektierend: ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 9 ff.; ähnlich kritisch: Hromadka, NZA 35 (2018), 1583, 1585 f.; Maties, in: Benecke (Hrsg.), Unternehmen 4.0, S. 39, 47. 92 Ähnlich: Wank, AuR 65 (2017), 140, 144; Deinert, RdA 70 (2017), 65, 71; Hromadka, NZA 35 (2018), 1583, 1585. 93 In diese Richtung: Deinert, RdA 70 (2017), 65, 71 f., der jedoch festhält, dass die Typusbeschreibung in § 611a BGB weit von einer subsumtionsfähigen Rechtsnorm entfernt sei; vgl. auch: Kocher, in: Hensel/Schönefeld/Kocher u. a. (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit, S. 173, 179 f.; R. Schwarze, in: H. Hanau/Matiaske (Hrsg.), Entgrenzung von Arbeitsverhältnissen, S. 49, 64. 89

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1. Typologische Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs Nach ständiger Rechtsprechung des BAG und im Einklang mit der h. L. sowie dem Gesetzeswortlaut dient das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit der Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses vom Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters.94 Dabei erfolgt eine typologische Betrachtung, bei der den einzelnen Kriterien nur Indiziencharakter zukommt, sodass eine wertende Gesamtbetrachtung im konkreten Einzelfall erforderlich ist. Dem Typus des Arbeitnehmers werden bestimmte Merkmale zugeschrieben, die im Einzelfall untersucht und gewichtet werden. Auf diese Weise versuchen die Gerichte und die h. M. für Einzelfallgerechtigkeit zu sorgen und den vielgestaltigen Lebenssachverhalten und Arbeitsformen gerecht zu werden.95 Gleichwohl vermag die typologische Methode unter den Gesichtspunkten der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nur bedingt zu überzeugen, weder ist die Klassifizierung von Arbeitnehmern anhand objektiver Kriterien vorhersehbar, noch verläuft die Rechtsprechung einheitlich. Insoweit ist ihren Kritikern zuzugestehen, dass die Untersuchung der Arbeitnehmereigenschaft stets Einzelfallentscheidungen trifft, die nur bedingt auf weitere Fälle übertragbar sind und streckenweise eine Orientierung am Telos des Arbeitsrechts vermissen lassen.96 Nichtsdestoweniger ist die typologische Methode wie oben erläutert handhabbar. Nach den dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen bzw. nach § 611a BGB ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Ein Abgrenzungsmerkmal zwischen Arbeitsverhältnis und freiem Dienst- bzw. Werkvertrag ergibt sich insoweit aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB (vgl. nunmehr § 611a Abs. 1 S. 3 BGB), wonach selbstständig ist, wer im Wesentlichen frei von arbeitgeberseitigen Weisungen seine Tätigkeit und Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbstständig, d. h. persönlich abhängig ist demgegenüber derjenige, dem dies nicht möglich ist. Die Reichweite des Weisungsrechts umfasst örtliche, zeitliche und fachliche Vorgaben (ehemals anknüpfend an § 106 S. 1 GewO, nun explizit § 611a Abs. 1 S. 2 BGB). Dabei gilt der Grundsatz, dass je stärker die Weisungsgebundenheit ausgeprägt ist, desto eher liegt ein Arbeitsverhältnis vor. 94 BAG, Urt. v. 8.6.1967 – 5 AZR 461/66, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 6 = NJW 1967, 1982, unter 1. der Gründe; BAG, Urt. v. 17.5.1978 – 5 AZR 580/77, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 28 = AuR 1979, 121, unter 1. der Gründe; BAG, Urt. v. 13.1.1983 – 5 AZR 149/82, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 42 = NJW 1984, 1985, unter II. 1. der Gründe; BAG, Urt. v. 24.6.1992 – 5 AZR 384/91, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 61 = NZA 1993, 174, unter II. 1.; BAG, Urt. v. 30.11.1994 – 5 AZR 704/93, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 74 = NZA 1995, 662, unter II.; BAG, Urt. v. 25.9.2013 – 10 AZR 282/12, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 126 = NZA 2013, 1348, Rn. 16 f.; BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453, Rn. 15; ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 32; HWK/Thüsing, § 611a BGB Rn. 47; MüKoBGB/Spinner, § 611a BGB Rn. 88 f. 95 Deinert, RdA 70 (2017), 65, 66 f.; HWK/Thüsing, § 611a BGB Rn. 46 m. w. N., siehe auch Zweiter Teil Fn. 94. 96 Vgl. ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 53; Richardi, NZA 34 (2017), 36, 38; Wank, AuR 65 (2017), 140, 144; siehe bereits: Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 23 ff.

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Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch der Werkunternehmer, der freie Dienstvertragsnehmer und der Auftragnehmer Ausführungsanweisungen ihrer Vertragspartner in Bezug auf die übernommenen Aufgaben unterliegen (§§ 645 Abs. 1 S. 1, 665 S. 1 BGB).97 Ferner hängt der Grad der persönlichen Abhängigkeit von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab (nunmehr ausdrücklich § 611a Abs. 1 S. 5 BGB), sodass Verallgemeinerungen ausscheiden. Ein weiteres Kriterium stellt die organisatorische Abhängigkeit im Sinne der Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation dar. Zuletzt ist auch die Frage nach der Fremdnützigkeit der Arbeitsleistung zu erwägen, da ein Arbeitnehmer, anders als ein Unternehmer, seine Arbeitskraft fremdnützig einem anderen zur Verwertung überlässt, anstatt diese selbst vorzunehmen.98 Die in der Literatur vertretene Auffassung, nach der die maßgebliche Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und Selbstständigen nach der Zuordnung unternehmerischer Risiken zu erfolgen hat99, wird von der Rechtsprechung jedoch weitgehend abgelehnt.100 Zuletzt legt § 611a Abs. 1 S. 6 BGB im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung fest, dass es für die Beurteilung des Vertrages auf dessen tatsächliche Durchführung und nicht auf die von den Parteien gewählte Bezeichnung ankommt.101 2. Anwendung der Grundsätze auf typische Crowdwork-Gestaltungen Nun stellt sich die Frage, zu welcher Einordnung eine Anwendung der dargelegten Grundsätze auf typische Crowdwork-Konstellationen gelangt. Dass bei Crowdwork typischerweise privatrechtliche Verträge, entweder zwischen Crowdworkern und Plattformen oder Crowdworkern und Crowdsourcern, gerichtet auf die Ableistungen von Arbeitsaufgaben, vorliegen, wurde bereits aufgezeigt (siehe oben § 3 A. II. 2. und 4.). Auszuklammern sind indes diejenigen Fälle, in denen im Zeitpunkt der Aufgabenerledigung keine vertragliche Pflicht zum Tätigwerden vor-

97 Vgl nur: BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453 Rn. 26, m. w. N. 98 Vgl. frühere Formulierungen des BAG in diesem Sinne: BAG, Urt. v. 15.3.1978 – 5 AZR 819/76, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 26 = RdA 1978, 200, unter B. II. 2. b), c). 99 Ausführlich: Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 23 ff. 100 BAG, Urt. v. 30.11.1994 – 5 AZR 704/93, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 74 = NZA 1995, 662, unter B. II. 1; BAG, Urt. v. 25.5.2005 – 5 AZR 347/04, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 117, unter II. 6. der Gründe; BAG, Urt. v. 20.1.2010 – 5 AZR 99/09, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 119 Rn. 22.; zuletzt: BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453 Rn. 25. 101 BAG, Urt. v. 13.1.1983 – 5 AZR 149/82, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 42 = NJW 1984, 1985, unter B. II. 3.; BAG, Urt. v. 30.1.1991 – AZR 497/89, AP AÜG § 10 Nr. 8, unter II. 2.; BAG, Urt. v. 9.4.2014 – 10 AZR 590/13, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 127 = NZA-RR 2014, 522, Rn. 16.

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liegt.102 Die danach verbleibenden Verträge sind im Folgenden rechtlich zu qualifizieren. a) Weisungsgebundenheit Maßgebliches Kriterium für die Ermittlung der Arbeitnehmereigenschaft ist die persönliche Abhängigkeit. Diese soll sich insbesondere aus der Weisungsgebundenheit i. S. v. § 611a Abs. 1 S. 2 BGB, sowie aus der Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation ergeben.103 Crowdworker unterliegen typischerweise, insbesondere in Fällen des Mikrotaskings, kaum inhaltlichen Weisungen der Plattformen oder der Crowdsourcer. Dies folgt einerseits aus der Einfachheit der relevanten Aufgaben, die zumeist selbsterklärend sind und andererseits aus der Ausschreibung, die die maßgeblichen Arbeitsanleitungen bereits enthält. Darüber hinausgehende Weisungen bezogen auf Arbeitsort und -zeit kommen praktisch nicht vor. Entscheidend und genügend ist allerdings die rechtliche Möglichkeit Weisungen zu erteilen. Nach der Vertragsgestaltung unterliegen Crowdworker jedoch gerade keinen diesbezüglichen Weisungen. Sie können ihre Aufgaben grundsätzlich von überall und zu jeder Zeit erledigen. Zwar erfährt diese Flexibilität insoweit eine Einschränkung, als einerseits sowohl ein PC, als auch ein Internetanschluss erforderlich sind und andererseits eine Ableistung der Arbeit auf der jeweiligen Internetplattform erfolgen muss. Hieraus ergibt sich jedoch keine Weisungsunterworfenheit bezüglich des Arbeitsortes – diesen wählen Crowdworker vielmehr selbst. Dass für die Erbringung der Leistung die Nutzung der Plattform Voraussetzung ist104, begünstigt zwar durchaus technische Kontrollmöglichkeiten durch die Plattformbetreiber, woraus sich eine persönliche Abhängigkeit ergeben kann, betrifft jedoch nicht den Arbeitsort.105 Auch aus dem über Crowdwork hinausgehenden Bedeutungsverlust des Kriteriums Arbeitsort als örtlicher, physischer Zusammenkunft im Betrieb in der Arbeitswelt 4.0, aufgrund des Einsatzes von

102 Das gilt vor allem dann, wenn Crowdworker allein auf Grundlage des Rahmenvertrages auf eine Ausschreibung als invitatio ad offerendum eines Auftraggebers reagieren. Eine Leistungspflicht (in persönlicher Abhängigkeit) als notwendige Voraussetzung eines Arbeitsvertrages ist dann ausgeschlossen. Vgl. zur Voraussetzung einer Leistungspflicht auch: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 134, 140; LAG München, Urt. v. 4.12.2019 – 8 Sa 146/19, NZA 2020, 316, Rn. 121. 103 Vgl. den Überblick möglicher Indizien, die in die Bewertung einer Weisungsbindung einfließen können bei: Kocher, in: Hensel/Schönefeld/Kocher u. a. (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit, S. 173, 176 f.; rechtsvergleichend: C. Schubert, ZVglRWiss 118 (2019), 341, 346 ff. 104 Zur Frage des virtuellen Arbeitsortes auch: Warter, Crowdwork, 174; Pacha, Crowdwork, 171 f. 105 Ebenso: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1034; Pacha, Crowdwork, 172; Warter, Crowdwork, 173 f.; Brose, NZS 26 (2017), 7, 11, für den sozialrechtlichen Beschäftigtenbegri ff.

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IKT und flexibleren Arbeitsmodellen, wie Vertrauensarbeitszeit106, ergibt sich nichts anderes. Dass die Ausschreibungen auf Internetplattformen zeitlich begrenzt sind, begründet ebenfalls keine zeitliche Weisungsgebundenheit potentieller Crowdworker. Ihnen steht es grundsätzlich frei, auf eine Ausschreibung zu reagieren und dem Crowdsourcer bzw. der Plattform ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten oder aber dies zu unterlassen. Aus dem Umstand, dass diese Möglichkeit nur für eine gewisse Zeit besteht, auf eine persönliche Abhängigkeit zu schließen, erscheint fernliegend.107 Zugleich zu beachten ist, dass fachliche Anweisungen, wie sie bei komplexeren Crowdwork-Sachverhalten denkbar sind, nicht zwingend auf einen Arbeitsvertrag schließen lassen. Vielmehr sind solche Anweisungen auch innerhalb anderer Rechtsverhältnisse, wie dem Auftrag oder dem freien Dienst- oder Werkvertrag denkbar, vgl. §§ 665 S. 1 BGB, 645 Abs. 1 BGB.108 Freilich bedeutet eine Weisungsfreiheit noch keinen Ausschluss der Arbeitnehmereigenschaft. Vielmehr können fehlende Weisungsgebundenheit in Bezug auf Arbeitsort und -zeit durch eine Eingliederung in die arbeitgeberseitigen Organisationsstrukturen aufgewogen werden und so trotzdem eine persönliche Abhängigkeit begründen.109 Umgekehrt sind Tätigkeiten, etwa im Außendienst, denkbar, bei denen eine organisatorische Abhängigkeit von der Betriebsstruktur fehlt, ein umfassendes Weisungsrecht jedoch vorliegt und die Arbeitnehmereigenschaft begründet.110 aa) Dauer Denkbar wäre, dass die kurze Dauer insbesondere bei Mikrotasks die Leistungserbringung in persönlicher Abhängigkeit ausschließt. Grundsätzlich besteht jedoch keine Mindestdauer eines Arbeitsvertrages, d. h. auch die Ableistung sehr kurzer (wenige Stunden oder sogar Minuten dauernder) 106

Krause, Gutachten DJT, 34 m. w. N. So aber: Warter, Crowdwork, 175 f.; wie hier: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1034 f.; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 151 ff.; im Ergebnis auch: Pacha, Crowdwork, 166 ff.; Fuhlrott/Oltmanns, NJW 73 (2020), 958, 961; vgl. auch: BAG, Urt. v. 21.5.2019 – 9 AZR 295/18, NZA 2019, 1411, Rn. 33. 108 Vgl. BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453, Rn. 26; Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 16 (2017), 318, 320; Heise, NZABeil. 36 (2019), 100, 106. 109 Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 151 f.; BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453 Rn. 25 ff., im Ergebnis zwar den AN-Status eines von zu Hause arbeitenden Programmierers verneinend, wofür die Weisungsungebundenheit allein jedoch nicht maßgebend war. 110 BAG, Urt. v. 26.5.1999 – 5 AZR 469/98, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 104 = NZA 1999, 983, unter III. der Gründe. 107

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Arbeitsaufgaben kann in persönlicher Abhängigkeit erfolgen.111 Entscheidend ist allein die persönliche Abhängigkeit während der Arbeitsleistung. Diese kann sich aus den Umständen der Arbeitserbringung auch bei sehr kurzer Dauer ergeben, etwa durch ein hohes Maß an Kontrolle.112 Indes werden die Möglichkeiten zur Erteilung von Weisungen und Ausübung von Kontrolle je geringer, desto kürzer die Arbeitsleistung dauert.113 Das spricht jedenfalls indiziell gegen persönliche Abhängigkeit, wobei der Dauer keine entscheidende Bedeutung als Kriterium zukommt.114 bb) Programmierung Manche sehen bei Crowdwork gerade in der umfassenden Vorgabe der Aufgaben innerhalb ihrer Ausschreibungen eine „Vorprogrammierung“, die den Entscheidungsspielraum des Crowdworkers bei der Durchführung so verengt, dass hierdurch eine persönliche Abhängigkeit begründet oder jedenfalls eine vergleichbare Situation der Fremdbestimmtheit hervorgerufen werden kann.115 Dem ist zu widersprechen. Weder vermag eine besonders genaue Aufgabenbeschreibung allein eine umfassende Weisungsbindung zu erzeugen oder zu ersetzen, noch kann von der Hervorrufung persönlicher Abhängigkeit ausgegangen werden, wenn der Crowdworker sich trotz einer im Rahmen der Ausschreibung bereits ex ante offenkundigen umfassenden Vorprogrammierung zur Ableistung der jeweiligen Aufgabe privatautonom bereiterklärt. Das BAG hat entschieden, dass im Fall von Zeitungszustellern, die eine simple Tätigkeit ausführen, die keiner Weisungen bedarf, die Arbeitnehmereigenschaft nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil sich die wenigen erforderlichen Weisungen im Vertrag finden.116 Hieraus ergibt sich jedoch schon nach dem Entscheidungswortlaut kein Argument für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft. Dass eine Vorverlagerung von Weisungen in den Vertrag ein Arbeitsverhältnis nicht ausschließt, bedeutet umgekehrt nicht, dass dieses Vorgehen ein solches begründet. Zu konstatieren ist, dass ein qualitativer Unterschied zwischen der Weisungsunterworfenheit und der Festlegung von Vertragsbedingungen besteht. Wie oben dargestellt birgt die einseitige Vertragsgestaltung durchaus Spannungspotential 111 Däubler, SR 6 (2016), 2, 34; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 155; MüKoBGB/Spinner, § 611a BGB 107; Risak, ZAS 50 (2015), 11, 17. 112 Siehe dazu sogleich. 113 Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 156. 114 So auch: Pacha, Crowdwork, 159; mit Blick auf punktuelles Tätigwerden bei Crowdwork auch: LAG Hessen, Beschl. v. 14.2.2019 – 10 Ta 350/18, NZA-RR 2019, 505, Rn. 22. 115 Däubler, SR 6 (2016), 2, 32 f.; Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1035; Ruland, NZS 28 (2019), 681, 691, spricht aus sozialrechtlicher Perspektive insoweit von einer bewussten Verhinderung der Weisungsgebundenheit; anders: Kocher/Hensel, NZA 33 (2016), 984, 988, die für Plattformarbeit den Schwerpunkt eher auf nachträgliche Bewertung, als auf Vorprogrammierung legen. 116 BAG, Urt. v. 16.7.1997 – 5 AZR 312/96, NZA 1998, 368, unter I. der Gründe.

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und führt ggfs. zur AGB-Kontrolle, eine persönliche Abhängigkeit ergibt sich hieraus jedoch noch nicht.117 cc) Kontrolle Etwas anderes könnte sich aus den technischen Kontrollmöglichkeiten ergeben. Die potentiellen und tatsächlichen Kontrollmechanismen sind mannigfaltig und umfassen Screenshots, Mitschneiden der Maus- und Tastatur-Aktivitäten, Protokollierung der Arbeitsabläufe, Teilnahme an unterschiedlichen Qualifizierungstests, nachträgliche Bewertungen der Crowdworker und Vergleich ihrer Leistungen untereinander.118 Die Plattformen (oder Crowdsourcer) können erhebliche Kontrolle auf allen Ebenen der Aufgabenerledigung ausüben.119 Diese umfassende Einwirkung auf den Arbeitsleistungsprozess kann im Einzelfall durchaus einen Arbeitsvertrag begründen.120 Allerdings werden diese Fälle insbesondere Crowdwork im weiteren Sinne oder jedenfalls Fälle komplexerer Aufgaben betreffen121, da sich im Bereich des Mikrotaskings schon aufgrund der geringen Dauer und der Einfachheit der Aufgaben keine Kontrolle im obigen Sinne lohnt. Mithin wird nur in Ausnahmefällen ein solches Maß an Kontrolle vorliegen, welches eine persönliche Abhängigkeit begründet. Für die Plattformökonomie konstitutiv sind die vielgestaltigen Bewertungsmechanismen und Reputationssysteme. Diese gehören zum Kern des Geschäftsmodells der Plattformen und dienen sowohl der Überbrückung des Vertrauensdefizits, das bei rein digitalen Transaktionen vorliegt, als auch der Kontrolle der Crowdworker bzw. dem Qualitätsmanagement und sind für den wirtschaftlichen Erfolg der Crowdworker von entscheidender Bedeutung.122 Einige Autoren sprechen zu Recht davon, 117

I. E. auch: Pacha, Crowdwork, 175 f.; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 141 f. 118 Krause, Gutachten DJT, 104; Prassl, Humans as a service, 55 ff.; Risak, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 44, 51; Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 47, Vergleich der Crowdworker bei CrowdFlower anhand ihrer „performance“; Leimeister/Durward/Zogaj, Crowd Worker in Deutschland, 69 ff.; Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1035; Rogers, HLPR 10 (2016), 479, 493 ff., zum „control test“ im common law; Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 81 f., Upwork’s „work diary“, das umfassende Überwachung des Arbeitsablaufs begründet; dazu auch: Vogl, Crowdsourcing-Plattformen als neue Marktplätze für Arbeit, 70 ff. 119 Kocher/Hensel, NZA 33 (2016), 984, 985 f. 120 Ebenso: Krause, Gutachten DJT, 104, „virtuelle Werkshalle“; Däubler, SR 6 (2016), 2, 36; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 152; Lingemann/Chakrabarti, in: Arnold/Günther (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, S. 27, 54 Rn. 89; Kocher, in: Hensel/Schönefeld/Kocher u. a. (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit, S. 173, 178. 121 Dies gilt vor allem, weil eine Leistungspflicht (in persönlicher Abhängigkeit) als notwendige Voraussetzung eines Arbeitsvertrages überhaupt nur denkbar ist, wenn im Zeitpunkt der Aufgabenerfüllung ein Vertrag vorliegt, was nicht stets der Fall ist, siehe oben § 3 A. I., II. 1. 122 Siehe oben § 2 A. III. 3.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

dass innerhalb der Plattformökonomie die Qualitätskontrolle auf die Kunden (hier Crowdsourcer) abgewälzt wird.123 An die Stelle der Kontrolle des Arbeitsprozesses tritt die Kontrolle des Ergebnisses.124 Anders als im Hinblick auf den (extrem kurzen) Arbeitsprozess gilt dies auch für die Erledigung von Mikrotasks. Diese nachträgliche Evaluation ist insofern auch zukunftsgerichtet, als sie die offerierten Aufgaben bestimmt oder im Extremfall die Abschaltung bzw. Löschung des Nutzeraccounts herbeiführt.125 Dabei wird eingewandt, dass die nachträgliche Bewertung einer Transaktion nicht geeignet ist, ihre Durchführung in persönlicher Abhängigkeit zu begründen, sondern allenfalls auf wirtschaftliche Abhängigkeit hindeuten kann.126 Dem ist zuzustimmen. Zwar sind Bewertungen durchaus zukunftsgerichtet und für die Crowdworker von erheblicher Bedeutung, allerdings für ihren wirtschaftlichen Erfolg auf der Plattform. Sie begründen hingegen keine persönliche Abhängigkeit von den Plattformen oder Crowdsourcern. Demnach ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Bewertungsmechanismen kein Übergewicht zugunsten eines Arbeitsverhältnisses. b) Eingliederung in fremde Arbeitsorganisation In den typischen Crowdwork-Konstellationen liegt ebenfalls keine umfassende Einbindung in eine fremde Arbeitsorganisation vor, die eine persönliche Abhängigkeit begründen würde. In einem aktuellen Fall hat das BAG die Arbeitnehmereigenschaft eines Programmierers insgesamt und auch unter dem Gesichtspunkt der Einbindung verneint, obwohl dieser mit einem eigenen Nutzerzugang in der betriebsinternen Programmierumgebung Aufgaben erledigt hat.127 Die Nutzung der organisatorischen Gegebenheiten des „Arbeitgebers“ sei auch für Selbstständige durchaus üblich und begründe in diesem Fall noch keine ausreichende Eingliederung in die fremde Betriebsstruktur. Entscheidend sei vielmehr, dass Entscheidungsfreiheit über das Ob und Wann der Leistungserbringung bestehe. Ähnliches ist auch für Crowdwork-Konstellationen anzunehmen. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass eine so umfassende Einbindung in eine fremde Arbeitsorganisation vorliegt, dass diese auch ohne Weisungsgebundenheit eine Leistungserbrin123

Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 5; F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 18; Gerber, WSI-Mitteilungen 73 (2020), 182, 186 f. 124 Todolí-Signes, Transfer 23 (2017), 193, 198. 125 Siehe oben § 2 A. III. 3. 126 Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 154 f. 127 BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453 Rn. 27; ähnlich: BAG, Urt. v. 21.5.2019 – 9 AZR 295/18, NZA 2019, 1411, Rn. 32; anders noch die Vorinstanz, die eine Kompensation der fehlenden Weisungsgebundenheit durch die Eingliederung in die betriebliche Programmierumgebung annahm, LAG Hessen, Urt. v. 13.3.2015 – 10 Sa 575/14, BeckRS 2016, 65115 Rn. 49 ff.

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gung in persönlicher Abhängigkeit erzeugt. Hierfür genügt die bloße Nutzung der Plattform durch Crowdworker jedoch ebenso wenig, wie die Nutzung eines bestimmten betriebsinternen Systems durch Programmierer. Demnach sind Crowdworker üblicherweise nicht in eine fremde Arbeitsorganisation eingebunden.128 c) Sonstige Kriterien Crowdworkern ist in den meisten Fällen die Weitergabe ihrer Accounts untersagt. In diesem Zusammenhang sind sie nicht berechtigt die Tasks durch Dritte ausführen zu lassen.129 Die Pflicht zur persönlichen Erbringung einer Dienstleistung konstituiert für sich genommen noch nicht die Arbeitnehmereigenschaft (vgl. etwa die Vermutung des § 613 S. 1 BGB für den Dienstvertrag), hat jedoch gleichwohl Indizwirkung für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Demgegenüber spricht die Verwendung eigener sächlicher Arbeitsmittel – PC, Internetanschluss, sowie Einrichtung und laufende Kosten des „Home Office“ – indiziell gegen eine Arbeitnehmerstellung der Crowdworker. d) Zusammenfassung Insgesamt ergibt sich ein eindeutiges Übergewicht der Indizien gegen die Arbeitnehmerstellung von Crowdworkern. Crowdworker sind danach grundsätzlich keine Arbeitnehmer.130 Sie können Arbeitszeit und -ort i. d. R. frei von Weisungen bestimmen und sind in eine fremde Arbeitsorganisation nicht umfassend eingebunden. Dabei sind sie Bewertungsmechanismen ausgesetzt, die auch für ihren zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg relevant sind. Hieraus ergibt sich jedoch keine persönliche, sondern allenfalls eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Leistungserbringung. Diese begründet keine Arbeitnehmereigenschaft. Auch die Vorprogram128 In diese Richtung für Crowdwork auch: LAG Hessen, Beschl. v. 14.2.2019 – 10 Ta 350/ 18, NZA-RR 2019, 505, Rn. 22; siehe auch: Fuhlrott/Oltmanns, NJW 73 (2020), 958, 962, die indes davon auszugehen scheinen, dass die IT-Infrastruktur der Plattform allein zur Auftragsbeschaffung, nicht aber zu deren Ausführung genutzt werde, was etwa im Bereich des Mikrotaskings unzutreffend sein dürfte; so aber auch: Ruland, NZS 28 (2019), 681, 691. 129 Siehe oben § 2 A. III. 2.; AMT Participation Agreement, Stand 25. März 2020, 1. c. „You may not permit any other person or entity to request or perform Tasks using your account.“; Clickworker AGB, Stand 3. Dezember 2012, § 3 3.3 „Die Weitergabe des Projektes und die Bearbeitung durch Dritte sind ausdrücklich untersagt, soweit dies nicht in der Projektbeschreibung ausdrücklich erlaubt wird.“ 130 Ebenso: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1035; H. Hanau, NJW 69 (2016), 2613, 2615; Krause, Gutachten DJT, 104; Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 630; Waas, in: Waas/ Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 150 ff.; Maties, in: Benecke (Hrsg.), Unternehmen 4.0, S. 39, 56; Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 16 (2017), 318, 324 f.; Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 744; Willemsen, FS Moll, S. 757, 769; offenlassend: Risak, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 44, 51; Kocher/ Hensel, NZA 33 (2016), 984, 987 f.; Tendenz zur Annahme der Arbeitnehmereigenschaft: Warter, Crowdwork, 189 ff.

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mierung der vertraglichen Leistung in der Ausschreibung vermag keine persönliche Abhängigkeit zu begründen, sondern stellt vielmehr ein neutrales Kriterium dar – schließlich sind auch Werkverträge denkbar, die inhaltlich stark „vorprogrammiert“ sind, ohne dass sich dadurch etwas an ihrer Einordnung als Werkvertrag ändern würde. In der Regel erreichen Kontrolle und Überwachung der Crowdworker durch Technologie auf den Plattformen nicht das für eine Arbeitnehmereigenschaft durch persönliche Abhängigkeit erforderliche Ausmaß. Etwas anderes gilt jedoch in extremen Fällen, in denen der Arbeitsprozess der Crowdworker durch Screenshots und Protokollierung ihrer Aktivitäten engmaschig kontrolliert wird. In diesem Fall liegt ausnahmsweise persönliche Abhängigkeit vor. 3. Mikro-Arbeitsverträge? Für die Annahme der Qualifikation von Crowdworkern als Arbeitnehmer ist zu klären, ob insbesondere beim Mikrotasking ein durchgehendes Arbeitsverhältnis oder eine Vielzahl von Arbeitsverträgen mit jeweils nur sehr kurzer Dauer entstünden. Zwar ist der wiederholte Abschluss sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge mit dem gleichen Arbeitgeber unzulässig, mit der Folge, dass ein durchgehendes Arbeitsverhältnis entsteht.131 Allerdings stellt sich die Frage, ob dieser Grundsatz auf die Gestaltungen bei Crowdwork anwendbar ist.132 Zunächst ist ein formales Argument aus dem Weg zu räumen: In den Fällen direkter Vertragsbeziehungen zwischen Crowdsourcer und -worker wechseln die Vertragsparteien in der Regel, sodass es an wiederholten Arbeitsverträgen mit dem gleichen Arbeitgeber fehlen könnte.133 Dabei ist zu beachten, dass davon nur ein Teil der Plattformen betroffen ist. Darüber hinaus werden in aller Regel mehrere Tasks in kurzer Folge für denselben Crowdsourcer abgeleistet, sodass auch hier von mehreren befristeten Arbeitsverträgen ausgegangen werden könnte. Zweifelhaft ist ferner, ob tatsächlich befristete Verträge mit den Crowdworkern geschlossen werden. Oft werden zeitliche Vorgaben innerhalb der Ausschreibungen getroffen, sodass eine kalendermäßige Zeitbefristung nach § 3 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 TzBfG vorliegt. Werden solche Begrenzungen nicht vereinbart, ergibt sich allenfalls die Möglichkeit einer konkludenten Zweckbefristung i. S. v. § 3 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 TzBfG gerichtet auf die Erledigung der entsprechenden Arbeitsaufgabe. Eine solche Vereinbarung setzt die dahingehende Einigung der Parteien voraus, dass das Arbeitsverhältnis mit der Zweckerreichung unmittelbar enden soll.134 Liegt danach eine 131

Dazu: ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 97 ff. In diese Richtung: Krause, Gutachten DJT, 104 a. E.; Risak, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 44, 55; Warter, Crowdwork, 194 f., der jedoch von einer zulässigen Aneinanderreihung von Arbeitsverhältnissen ausgeht. 133 So auch: Warter, Crowdwork, 194. 134 Vgl. ErfK/Müller-Glöge, § 3 TzBfG Rn. 10. 132

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Kette befristeter Arbeitsverhältnisse beim gleichen Crowdsourcer vor, bedarf diese der sachlichen Rechtfertigung. Nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG kann die Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigen. Das BAG fasst hierunter vor allem Gestaltungen, bei denen sich der Arbeitgeber auf die Ausübung der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG berufen kann, wobei auch dann eine umfassende Abwägung mit dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers erforderlich sei.135 Im Fall von Crowdworkern ließe sich die flexible Gestaltung der Arbeit, die in den Ausschreibungen erkennbar auf kurze Arbeitsbeziehungen angelegt ist, ins Feld führen. Weder ist im Ausgangspunkt anzunehmen, dass die Crowdworker dauerhafte Rechtsbeziehungen anstreben, noch gilt dies für die Crowdsourcer.136 Unter Berücksichtigung der Crowdwork zugrundeliegenden Interessen lässt sich mit der Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung von Crowdwork-Arbeitsverträgen rechtfertigen137, wobei die Schriftform nach § 14 Abs. 4 TzBfG freilich gewahrt werden müsste. Danach lägen ggfs., unter der Voraussetzung, dass im Zeitpunkt der Aufgabenerfüllung bereits ein Vertrag mit einer Leistungspflicht geschlossen wurde138, MikroArbeitsverträge und kein durchgehendes Arbeitsverhältnis vor. Entscheidend ist dabei jedoch die Auslegung der Vereinbarungen und die Abwägung der Interessen im Einzelfall. 4. Alternativen bei der Ermittlung der Arbeitnehmereigenschaft Unabhängig von den dargestellten Grundsätzen sind zukunftsgerichtet auch abweichende Strategien zur Einhegung des Problems der Einordnung von Crowdwork denkbar. Um es mit einem Bild Rudolf von Jherings auszudrücken besteht zwischen dem Recht und dem Rechtsgefühl nicht zu jedem Zeitpunkt Kongruenz. „Es verhält sich mit beiden so, wie mit dem Schatten eines Wanderers, der sich vor Tagesanbruch auf den Weg macht und den ganzen Tag von Westen nach Osten geht. Bevor die Sonne aufgegangen ist, wirft er noch keinen Schatten, ist sie aufgegangen, so fällt sein Schatten je nach ihrem wechselnden Stande bald hinter ihn, bald ihm zur Seite, bald ihm voraus. Der Wanderer ist das Recht, sein Schatten das Rechtsgefühl, die Sonne die Geschichte.“139

135

Zuletzt: BAG, Urt. v. 30.8.2017 – 7 AZR 864/15, NZA 2018, 229, Rn. 30 ff. Warter, Crowdwork, 195; Risak, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 44, 55. 137 So auch: Risak, ZAS 50 (2015), 11, 17. 138 Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit der Ausschreibungen, siehe oben § 3 A. I., II. 1. Kommt ein Vertrag erst mit der Annahme der Leistung des Crowdworkers durch den Crowdsourcer oder den Plattformbetreiber zustande, besteht mangels Vertragsschluss im Zeitpunkt der Aufgabenerledigung keine Leistungspflicht, sodass einem Arbeitsvertrag von vornherein der Boden entzogen ist. 139 Jhering, Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts, 27. 136

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

So ist auch in diesem Fall nicht ausgeschlossen, dass das bestehende Recht, wie es die Rechtsprechung und die herrschende Lehre anwendet, dem „Rechtsempfinden“ hinterherhinkt, bildlich gesprochen der Schatten dem Wanderer vorausgeht. An dieses „Gefühl“ anknüpfend gilt es dort, wo überkommene rechtliche Kriterien aufgrund neuer Entwicklungen wie der digitalisierten Arbeitswelt, die Gestaltungen wie Crowdwork ermöglicht, nicht länger greifen, Mechanismen zu erwägen, durch die Kongruenz zwischen Recht und Rechtsempfinden geschaffen wird. Deshalb ist der Blick sprichwörtlich über den Tellerrand140 auf die nachfolgend untersuchten Konzepte zu richten, die der atypischen Crowdwork-Konstellation möglicherweise eher gerecht werden. a) Arbeitnehmerbegriff nach Wank Wie bereits erwähnt vertritt insbesondere Wank einen alternativen Arbeitnehmerbegriff, der maßgeblich am Kriterium der freiwilligen Übernahme des Unternehmerrisikos ausgerichtet ist,141 gleichwohl nur schwer mit der Konzeption des § 611a BGB in Einklang zu bringen ist. Dabei seien die Merkmale der Weisungsbindung und der Eingliederung zumindest um den teleologischen Leitgedanken – keine Möglichkeit zu unternehmerischen Entscheidungen auf eigene Rechnung – zu ergänzen, ferner könnten die übrigen Umstände als Indizien Berücksichtigung finden.142 Nach diesem Verständnis lägen § 611a BGB und diese Konzeption gar nicht so weit auseinander. Unter dem Unternehmerrisiko sei vor allem das Berufs- und Existenzrisiko zu verstehen, d. h. dass Selbstständige unmittelbar vom Markt abhängig seien und deshalb das Risiko etwaiger Gewinneinbußen, eigener Fehler oder der Fehler von Mitarbeitern, sowie völliges Scheitern absichern bzw. tragen und ihre eigene Organisation entsprechend gestalten müssten. Darüber hinaus trügen sie die allgemeinen persönlichen Risiken wie Unfall, Krankheit, Tod etc.143 Demgegenüber trüge der Arbeitnehmer diese Risiken zum großen Teil nicht selbst, vielmehr würden sie durch den Arbeitgeber bzw. den Staat übernommen. Die Kehrseite dessen sei jedoch, dass der Arbeitnehmer anders als der Selbstständige nicht die Möglichkeit habe, 140 Vgl. insoweit auch das neue Gesetz betreffend die Abgrenzung von employees und independent contractors im Kontext von Plattformbeschäftigung vom 18. September 2019 im US-Bundesstaat Kalifornien (Assembly Bill No. 5/2019), das im Wesentlichen die widerlegliche Vermutung der Arbeitnehmereigenschaft und damit eine Beweislastumkehr enthält, anknüpfend an die Entscheidung: Supreme Court of California, Urt. v. 30.4.2018 – S222732 (Dynamex Operations West, Inc. v. Superiour Court); dazu auch: C. Schubert, ZVglRWiss 118 (2019), 341, 342; Wank, RdA 72 (2019), 383; Kohler, AuR 67 (2019), 458, 458 f.; Sprague, Wm. & Mary Bus. L. Rev. 11 (2020), 733, 749 ff. 141 Grundlegend: Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 23 ff.; aktuell: Wank, AuR 65 (2017), 140, 152. 142 Wank, AuR 65 (2017), 140, 152. 143 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 128.

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unternehmerische Entscheidungen auf eigene Rechnung zu treffen.144 Diese fehlende Gewinnmöglichkeit kann gewissermaßen als Preis für die Abwälzung des Risikos auf den Arbeitgeber verstanden werden. Auf Tatbestandsseite sei nun die Verteilung von unternehmerischen Risiken und Chancen entscheidend, wobei auf die jeweilige vertragliche Ausgestaltung abzustellen sei.145 Überträgt man diese Grundsätze auf typische Crowdwork-Gestaltungen, so erscheint die Einordnung als Selbstständige zumindest weniger eindeutig. Das oben untersuchte Phänomen der einseitigen Vertragsgestaltung, das dazu führt, dass den Crowdworkern erhebliche Risiken zugeschoben werden, muss hier Berücksichtigung finden.146 Wie dargelegt tragen die Crowdworker nach der Ausgestaltung der Verträge unter Verwendung der AGB der Plattformen das Berufs- und Existenzrisiko einseitig. Sie müssen selbst für ihre soziale Absicherung sorgen, verpflichten sich oftmals zur unbedingten Übertragung der Rechte an ihren Arbeitsergebnissen, dürfen in aller Regel keine Dritten mit der Erledigung ihrer Aufgaben betrauen, ihre Account-Daten nicht weitergeben und tragen zuletzt auch das Risiko, dass ihr Arbeitsergebnis ohne vernünftigen Grund entschädigungslos abgelehnt wird, bzw. sie bei Wettbewerbsgestaltungen nicht berücksichtigt werden. Darüber hinaus sind sie gezwungen Zeit aufzuwenden, um lukrative Arbeitsaufgaben zu finden, ohne dass vorhersehbar wäre, ob dies gelingt. Es wird deutlich, dass auf Seiten der Crowdworker eine Kumulation wirtschaftlicher Risiken besteht. Schwerer fällt es jedoch diese Risiken als spezifische Unternehmerrisiken zu begreifen. Die Entscheidungen der Crowdworker beziehen sich stets auf den einzelnen Task und bergen zwar das Risiko, künftig, sei es aufgrund schlechter Bewertungen, zu geringer Onlinezeiten oder sonstiger Umstände, keine Aufträge mehr zu erhalten. Allerdings sind sie nicht unmittelbar am Markt tätig, sondern über den „Umweg“ der Plattformen jeweils auf deren Marktplatz. An die Stelle des allgemeinen Absatzmarktes treten die jeweiligen Plattformen. Fehlinvestitionen oder die Verkennung bestimmter Marktentwicklungen sind bei Crowdwork wenn überhaupt in Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn Tasks erledigt werden, die sich erst während ihrer Ausführung als nicht lukrativ herausstellen. Echte unternehmerische Entscheidungen können sich allenfalls auf der Mikroebene zutragen.147 Crowdworker bestimmen wie dargelegt darüber, welche Aufgaben sie erledigen wollen und wann sie dies tun wollen. Ihr unternehmerischer Gestaltungsspielraum ist dabei jedoch gering, sie beschäftigen i. d. R. keine Mitarbeiter und setzen abgesehen von den Anschaffungs- bzw. laufenden Kosten für ihre IT-Infrastruktur auch kein eigenes Kapital ein. Andererseits ist festzuhalten, dass Crowdworker nach den gängigen 144 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 128.; vgl. auch: Willemsen, FS Moll, S. 757, 762, der ähnlich darauf abstellt, dass der Selbstständige eine Dienstleistung am Markt anbietet und verkauft. 145 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 129 f. 146 Siehe oben § 2 A. III. 2.; vgl. auch: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 177 f. 147 Vgl. Prassl, Humans as a service, 52 ff., „Life as a Micro-Entrepreneur“.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

Vertragsgestaltungen alle persönlichen Risiken tragen und ggfs. selbst für eine dementsprechende Absicherung sorgen müssen. Weiterhin sind die als gering erscheinenden Risiken der Vorstellung des Tätigwerdens auf Mikroebene geschuldet, woraus keine andere rechtliche Wertung folgen kann, als wenn die Crowdworker an großen, teuren Projekten arbeiten würden. Dass der einzelne Task im Extremfall nur wenige Cent einbringt, ändert nichts daran, dass die Crowdworker das unternehmerische Risiko etwa im Hinblick auf das Ausbleiben der Entlohnung tragen. Das einzige ihnen zur Verfügung stehende Kapital ist ihre eigene Arbeitskraft, die sie, unter Inkaufnahme der Möglichkeit des Verlustes derselben, einsetzen. Ferner ergeben sich aus dem Unterbleiben der unmittelbaren Tätigkeit am Markt insofern nur geringe Konsequenzen, als das Risiko des Preisverfalls und des Unterbietungswettbewerbs die Crowdworker auf den potentiell global agierenden Plattformen ebenso trifft, als wären sie unmittelbar am allgemeinen Absatzmarkt tätig. Zusammenfassend laufen in den Händen der Crowdworker eine Reihe wirtschaftlicher Risiken zusammen, die sich, wenn auch auf der Mikroebene, als Unternehmerrisiken darstellen. Aus der Kumulation von Risiken folgt jedoch auch nach Wank noch nicht zwingend die Arbeitnehmereigenschaft. Vielmehr ist zu fragen, ob diesen Risiken unternehmerische Chancen, genauer die Möglichkeit des Treffens von unternehmerischer Entscheidungen auf eigene Rechnung, gegenüberstehen. Die Antwort hierauf fällt eindeutig aus. Zunächst haben Crowdworker keinen Einfluss auf das Entgelt, welches sie für die jeweils erledigte Aufgabe erhalten. Dieses ist vielmehr bereits in der Ausschreibung festgelegt. Gleichzeitig vermag ein Crowdworker auch nicht durch Organisationsentscheidungen oder Kapitaleinsatz erhebliche Gewinne zu erzielen. Zwar gibt es insbesondere bei komplexerem Crowdwork die Möglichkeit durch die Erledigung beträchtliche Entgelte einzustreichen. Dies beruht dann jedoch auf der besonderen Qualifikation des jeweiligen Crowdworkers und weniger auf dessen unternehmerischer Entscheidung, die sich in einem unternehmerischen Erfolg widerspiegelt. Vom Crowdworker zu treffende unternehmerische Entscheidungen beziehen sich allenfalls auf seine eigene Organisation, richten sich aber weniger nach außen auf sein Verhalten am Markt. Letztlich zeigen die Gewinne und die starke Ausbreitung der Plattformen, dass ihr Geschäftsmodell materiell vor allem den Betreibern selbst zugutekommt. Es ergibt sich eine Anhäufung wirtschaftlicher Risiken beim Crowdworker, während die Plattformen weitgehend von solchen freigehalten werden. Gleichzeitig ist nicht völlig eindeutig, ob bei diesen übernommenen Risiken von spezifischen Unternehmerrisiken gesprochen werden kann, deren Ausgleich durch Partizipation an unternehmerischen Chancen unterbleibt. Es scheint vielmehr so zu sein, dass Crowdworker zwar das Berufs- und Existenzrisiko tragen und sich einseitigen Vertragsgestaltungen zu ihrem Nachteil beugen müssen, gleichwohl aber zumindest auf der Mikroebene auch interne unternehmerische Entscheidungen treffen können. Dennoch partizipieren sie nur sehr bedingt an den Chancen und möglichen Gewinnen. Sie werden in aller Regel keine großen wirtschaftlichen Erfolge auf dem

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Crowdwork-Markt feiern. Diese werden vielmehr auf dem „Weg vom Markt zum Crowdworker“ durch die Plattformen abgefangen. Insgesamt kann sich daraus eine zunächst untechnisch gemeinte wirtschaftliche Abhängigkeit des Crowdworkers von einer Plattform, für die er Aufgaben erledigt, ergeben. Das Gesetz kennt die Arbeitnehmerähnlichen als Arbeitnehmern vergleichbar Schutzbedürftige, wirtschaftlich und nicht persönlich abhängige Selbstständige (vgl. § 12a TVG). Begreift man die Elemente „wirtschaftliche Abhängigkeit“ und „keine Möglichkeit zur unternehmerischen Entscheidung auf eigene Rechnung“ als synonym148, so gelangt man vorbehaltlich einer Weisungsbindung (die bei Crowdwork wie gezeigt i. d. R. nicht vorliegt) zur Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern – diese haben keine eigene Arbeitsorganisation und beschäftigen auch keine Mitarbeiter, haben aber gleichwohl zumindest theoretisch die Möglichkeit auf verschiedenen Plattformen zu arbeiten. Demgegenüber erscheint es vorzugswürdig, die wirtschaftliche Abhängigkeit als entscheidendes Kriterium des § 12a TVG zu sehen und dementsprechend auszulegen. Im Fall von Crowdworkern ist trotz der Kumulation wirtschaftlicher Risiken ohne echte unternehmerische Chancen auch nach diesen Kriterien die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen. Unter Berücksichtigung des teleologischen Leitgedankens – Möglichkeit zur unternehmerischen Entscheidung auf eigene Rechnung – ist dieses Ergebnis jedoch zweifelhafter als nach der herrschenden Meinung. b) Konzept des Arbeitgebers nach Prassl Einen weiteren Ansatz zur Einhegung insbesondere von Crowdwork-Gestaltungen liefert Prassl, der sich der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft von anderer Seite nähert und die Frage zu beantworten versucht, anhand welcher Kriterien sich die Arbeitgebereigenschaft begründen lässt, deren Kehrseite naturgemäß der Arbeitnehmerstatus bilde.149 Hier wird der Arbeitgeberbegriff ins Zentrum gerückt, während er allgemein lediglich als Pendant zum Begriff des Arbeitnehmers gesehen wird.150 Dieses Vorgehen werde den mehrpoligen Rechtsbeziehungen bei Crowdwork eher gerecht, da es diese nicht in einzelne Zwei-Personen-Konstellationen aufspalte, um innerhalb dieser den Arbeitnehmerstatus zu untersuchen. Es werde vielmehr eine Gesamtschau der vertraglichen Beziehungen ermöglicht, statt einer fragmentarischen Analyse, die zu unsachgemäßen Ergebnissen führe.151 Dazu hat Prassl ein funktionales Konzept entwickelt, welches den Arbeitgeberstatus im Wesentlichen an fünf Kategorien festmacht. Der Arbeitgeber bestimme (1) über Begründung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, habe (2) das 148 In diese Richtung: Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 129; Maties, FS Wank, S. 323, 328. 149 Grundlegend: Prassl, The concept of the employer. 150 MHdbArbR/M. Richter, § 23 Rn. 1 ff. 151 Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 633 f.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

Zugriffsrecht auf die Arbeit und ihre Früchte, stelle (3) Arbeit und die Bezahlung bereit, kontrolliere (4) alle Schritte der Produktion, d. h. übernehme das interne Management und trage (5) das unternehmerische Risiko nach außen, d. h. betätige sich am Markt (äußeres Management).152 Angewandt auf das Beispiel Uber gelangen Prassl und Risak, der sich insofern Prassls Konzept anschließt, zu dem Ergebnis, dass in der Plattform alle fünf Funktionen des Arbeitgebers in einer Hand zusammenfließen und die Verträge der Fahrer entsprechend als Arbeitsverhältnisse zu qualifizieren seien.153 Der eigentliche Lackmustest des funktionalen Konzepts des Arbeitgebers liegt demgegenüber in Gestaltungen, in denen diese Funktionen von unterschiedlichen Parteien wahrgenommen werden. In diesen Fällen scheint Prassl eine spiegelbildliche Anwendung von Teilen des arbeitsrechtlichen Schutzes, abhängig von der jeweils ausgeübten Arbeitgeberfunktion, vorzuschweben.154 Dafür spricht, dass der Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen in multilateralen Beziehungen mit einer entsprechenden Analyse über das einzelne Rechtsverhältnis hinaus begegnet werden muss, um etwaige Schutzbedürfnisse rechtlich zu erfassen.155 Anderenfalls ermögliche eine entsprechende Vertragsgestaltung die vollständige Vermeidung des arbeitsrechtlichen Schutzes.156 Legt z. B. die Plattform einseitig das Entgelt fest, ohne dass der Crowdworker darauf Einfluss nehmen kann und ergibt sich daraus eine Bezahlung unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns, so hätte der Crowdworker einen Anspruch gegen die Plattform gem. § 1 Abs. 1 MiLoG auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. Am Beispiel von AMT lassen sich die Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen nicht eindeutig kategorisieren. Die Plattform stellt die Infrastruktur und schließt mit den Crowdworkern den Rahmenvertrag ab (s. o.). Hieraus ergeben sich nicht unmittelbar Arbeitsverhältnisse, wenngleich AMT sich das Recht zur Beendigung der Vertragsbeziehungen vorbehält. Die konkrete Ausschreibung von Arbeitsaufträgen erfolgt hingegen durch die Crowdsourcer. Während das Arbeitsergebnis unmittelbar an die Crowdsourcer geht, wirbt Amazon mit ihrer „24/7 elastic workforce“157, sodass hier durchaus von einer Nutzung der Früchte der Arbeit gesprochen werden kann. Bereitgestellt werden Arbeitsaufgaben allein durch die Crowdsourcer in ihren Ausschreibungen, wobei auch die Entgelthöhe festgelegt wird. Allerdings wickelt AMT vollständig die Zahlung ab und behält eine Provision ein. Die Qualitätskontrolle im Sinne eines internen Managements obliegt den Crowdsourcern, die Arbeitsergebnisse ablehnen können, ohne bezahlen zu müssen. Gleichwohl übt Amazon ein gewisses Maß an Einfluss aus, indem das Löschen 152 Prassl, The concept of the employer, 157 ff.; Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 635 ff.; zur funktionalen Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs bereits: Nogler, ZESAR 8 (2009), 461 ff. 153 Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 637 ff. m. w. N. 154 Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 648. 155 Vgl. Prassl, Humans as a service, 101. 156 Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 634. 157 Https://www.mturk.com/.

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unzulässiger Aufgaben möglich bleibt und die persönliche Erledigung der Arbeitsaufgaben im Rahmenvertrag festgeschrieben wird. Das unternehmerische Risiko nach außen tragen einerseits die Crowdworker, die ihre eigenen Arbeitsmittel nutzen und selbstständig für ausreichend Arbeit sorgen müssen. Gleichzeitig stellt AMT die Infrastruktur der Plattform bereit und schafft damit erst den Markt, auf dem die Crowdworker ihre Dienste feilbieten. Es zeigt sich eine unübersichtliche Ausübung von Arbeitgeberfunktionen, teilweise durch die Crowdworker selbst, aber vor allem durch AMT oder die Crowdsourcer bzw. beide gemeinsam. Weiter gehen die von der Plattform clickworker wahrgenommenen Arbeitgeberfunktionen. Dort stellen die Crowdsourcer ihre Aufträge nicht unmittelbar ein, sondern reichen sie i. d. R. an clickworker weiter, die dann für das Einstellen und ggfs. auch für die Anleitung zum jeweiligen Auftrag sorgt. Ebenso wird das Arbeitsergebnis zunächst an die Plattform übermittelt und erst dann an die Crowdsourcer weitergegeben. Insgesamt übt clickworker zumindest zum Teil alle fünf Arbeitgeberfunktionen aus.158 Gleichwohl zeichnet die Anwendung dieses Konzepts auf Crowdwork im engeren Sinne ein eher unklares Bild. Abgesehen von praktischen Bedenken und der Frage nach der Missbrauchsanfälligkeit birgt Prassls Konzept durchaus Potential, da es eine differenzierte Abkehr vom „Alles oder nichts Prinzip“ des arbeitsrechtlichen Schutzes erlaubt. Praktisch unklar bleibt indes etwa, was geschieht, wenn ein Crowdworker für mehrere Mikrotasks, die im Schnitt in 30 Sekunden erledigt werden können und mit 10 Cent pro Task vergütet werden, stattdessen eine Minute braucht. Im ersten Fall läge sein Stundenlohn bei etwa 12 Euro und damit über dem gesetzlichen Mindestlohn, im zweiten Fall bei etwa 6 Euro und damit darunter. Hat der Crowdworker im zweiten Fall keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn oder gehen diese Leistungsunterschiede wie im „Normalarbeitsverhältnis“ zu Lasten des (partiellen) Arbeitgebers? Ferner ist zu fragen, wie die Arbeitszeit etwa für die Haftung nach dem MiLoG gemessen werden soll. Beginnt die Arbeitszeit bereits mit dem Login in die Plattform, selbst wenn dann private Tätigkeiten verrichtet, oder auf mehreren Plattformen parallel gearbeitet wird?159 Diese Umsetzungsfragen würden sich indes gleichermaßen stellen, wenn Crowdworker nach § 611a BGB als Arbeitnehmer qualifiziert würden. Zusammenfassend birgt die Untersuchung der Ausübung bestimmter Arbeitgeberfunktionen mit der Konsequenz der spiegelbildlichen Anwendung bestimmter Teile des Arbeitsrechts durchaus Potential. Ein klarer Vorteil ist die Flexibilität dieser Methode, die es ermöglicht, die Verantwortung für bestimmte Vertragsgestaltungen ganz konkret zuzuordnen. Gleichzeitig bleibt unklar, wie die praktische Rechtsumsetzung erfolgen soll. Für AMT, wo hinsichtlich der Bereitstellung von Arbeit und Bezahlung Plattform und Crowdsourcer gemeinsam Arbeitgeberfunktionen aus158 Vgl. Clickworker AGB, Stand 3. Dezember 2012; so auch: Lutz, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 62, 83 f.; siehe auch: Pacha, Crowdwork, 334. 159 Dieses Problem erkennend: Prassl, Humans as a service, 105 f.

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üben, seien beide gemeinsam zur Zahlung des Mindestlohns verpflichtet.160 Im deutschen Recht würde man hier wohl von einer gesamtschuldnerischen Haftung nach § 421 BGB ausgehen. Trotz Bedenken hinsichtlich der Umsetzung handelt es sich um eine vielversprechende Methode, die weiter konkretisiert werden sollte.161 Anzumerken ist, dass die partielle (analoge) Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften in anderem Kontext im deutschen Recht kein unbekanntes Konzept darstellt. So werden z. B. auf das Dienstverhältnis eines GmbH (Fremd-)Geschäftsführers, den die deutsche Rechtsprechung uneinheitlich und anders als der EuGH162 nicht als Arbeitnehmer klassifiziert, im Einzelfall arbeitsrechtliche Schutzvorschriften wie § 622 BGB analog angewandt.163 c) Unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff Weiterhin stellt sich die Frage, ob der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff weiter reicht als der nationale und somit eine Erfassung typischer CrowdworkKonstellationen im Kollisionsfall auf Grundlage des Anwendungsvorrangs164 gebietet. Die unmittelbare Relevanz des unionsrechtlichen Arbeitnehmerverständnisses ist dabei für das nationale Recht zwar begrenzt165, gleichwohl lohnt ein Perspektivwechsel vor dem Hintergrund der rechtlichen Einhegung von Crowdwork als neues Phänomen, weil der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff insoweit eine Blaupause für das nationale Recht darstellen könnte.166 Dabei gilt es mehrfach zu differenzieren. 160

Vgl. Prassl, Humans as a service, 103 f. Deutlich kritischer: Pacha, Crowdwork, 336 f., die im Hinblick auf Rechtsunsicherheit und Abgrenzungsprobleme zur Ungeeignetheit der Methode für das deutsche Arbeitsrecht gelangt. 162 Dazu sogleich. 163 BGH, Urt. v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 270; Reinfelder, RdA 69 (2016), 87, 91 f.; siehe auch: Wank, EuZA 9 (2016), 143, 153 f. 164 Vgl. nur: Callies/Ruffert/Ruffert, Art. 1 EUV und AEUV Rn. 16 ff. m. w. N. 165 Näher hierzu: Wank, EuZA 11 (2018), 327, 331, 339 ff. mit Beispielen zu Problemfällen beim Auseinanderfallen des europäischen und des nationalen Arbeitnehmerbegriffs einerseits sowie dem Zugang zum europäischen Arbeitnehmerbegriff über europäische Rechtsgrundlagen andererseits; zum europäisierten Arbeitnehmerbegriff sowie zu Vereinheitlichungstendenzen am Beispiel der neuen Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union (EU 2019/1152) vgl.: Henssler/Pant, RdA 72 (2019), 321, 323 ff. 166 Vgl. insoweit den Bezug zur RL (EU 2019/1152) mit Hinweis auf Erwägungsgrund 8, der Beschäftigte auf Online-Plattformen einbezieht, sofern diese nicht tatsächlich selbstständig sind: Henssler/Pant, RdA 72 (2019), 321, 329, wobei auch hier für die Frage des persönlichen Anwendungsbereichs vor allem der nationale Arbeitnehmerbegriff maßgeblich sei; Art. 1 Abs. 2 der RL verweist insoweit zwar auf den Arbeitnehmerbegriff der Mitgliedsstaaten, fügt jedoch hinzu, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen sei; C. Picker, ZEuP 28 (2020), 305, 309 f., geht dementsprechend von der unionsautonomen Auslegung durch den EuGH aus. 161

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Erstens ist der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff nicht auszumachen. Vielmehr ist einerseits zwischen der unionsautonomen Auslegung des Primär- und Sekundärrechts und andererseits Verweisen auf das Recht und die Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten zu unterscheiden. Gleichwohl hat der EuGH in seiner Rechtsprechung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV im Wege der Auslegung (Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV) eine autonome Definition des Arbeitnehmerbegriffs gebildet, die verschiedentlich ausstrahlt, aber (nur) dann zum Tragen kommen soll, wenn sich weder aus Primär- bzw. Sekundärrecht, noch aus einem Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten eine Definition ergibt.167 In der Lawrie-Blum Entscheidung formulierte der EuGH, dass der Arbeitnehmerbegriff im Rahmen von Art. 45 AEUV anhand objektiver Kriterien zu ermitteln sei: „Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht aber darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält“.168 Diese Definition bedeutet in zweierlei Hinsicht eine Erweiterung des nationalen Arbeitnehmerbegriffs. Zum einen fehlt der Bezug zum Rechtsgrund der Leistungserbringung und damit zum privatrechtlichen Vertrag, der bei der Abgrenzung der Grundfreiheiten aus Art. 45 AEUV und Art. 49 AEUV aus unionsrechtlicher Perspektive keine entscheidende Rolle spielt. Hieraus folgt, dass auch Beamte unter den Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV fallen können.169 Zum anderen ist das Merkmal der Weisungsgebundenheit denkbar weit zu verstehen und umfasst etwa auch Vorstandsmitglieder juristischer Personen, deren Subordination sich daraus ergeben soll, dass sie durch Gesellschafterversammlung abberufen werden können und deshalb i. d. S. weisungsgebunden, ergo Arbeitnehmer i. S. d. Art. 45 AEUV sind.170 In Bezug auf die Anwendung und Auslegung des Sekundärrechts ist zunächst festzuhalten, dass der EuGH immer dann auf die genannten Grundsätze rekurriert, wenn kein Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten

167

Zur autonomen Auslegung iRv Art. 45 AEUV vgl. bereits: EuGH, Urt. v. 19.3.1964 – C75/63 (Unger), ECLI:EU:C:1964:19; EuGH, Urt. v. 13.1.2004 – C-256/01 (Allonby), ECLI:EU:C:2004:18 = NZA 2004, 201, Rn. 66; MHdbArbR/A. Schneider, § 18 Rn. 50; Temming, SR 6 (2016), 158.; Junker, EuZA 9 (2016), 184, 186 f.; Wank, EuZA 11 (2018), 327, 332 f.; Henssler/Pant, RdA 72 (2019), 321, 324. 168 EuGH, Urt. v. 3.7.1986 – C-66/85 (Lawrie-Blum), ECLI:EU:C:1986:284, Rn. 17. 169 In Bezug auf die Arbeitszeit-RL: EuGH, Urt. v. 14.10.2010 – C-243/09 (Fuß), ECLI:EU:C:2010:609, Rn. 67; Callies/Ruffert/Brechmann, Art. 45 AEUV § 45 AEUV Rn. 12; Temming, SR 6 (2016), 158, 159; Wank, EuZA 11 (2018), 327, 337; Henssler/Pant, RdA 72 (2019), 321, 324. 170 EuGH, Urt. v. 27.6.1996 – C-107/94 (Asscher), ECLI:EU:C:1996:251, Rn. 24 ff.; EuGH, Urt. v. 7.5.1998 – C-350/96 (Clean Car), ECLI:EU:C:1998:205, Rn. 18 ff.; EuGH, Urt. v. 8.6.1999 – C-337/97 (Meeusen), ECLI:EU:C:1999:284, Rn. 13 ff.; EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – C-232/09 (Danosa), ECLI:EU:C:2010:674, Rn. 41 ff.; EuGH, Urt. v. 9.7.2015 – C-229/14 (Balkaya), ECLI:EU:C:2015:455, Rn. 38 ff.; vgl. Kocher, FS Kohte, S. 925, 936 f.; Junker, EuZA 9 (2016), 184, 198 f.; Wank, EuZA 11 (2018), 327, 334 f.; Gallner, FS Moll, S. 133, 134 f.

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vorliegt.171 Dies hat der EuGH u. a. im May Urteil ausdrücklich entschieden.172 Doch auch darüber hinaus wird verschiedentlich die Tendenz des EuGH beklagt, die Kompetenz zur Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs auch dort an sich zu ziehen, wo ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen wird, etwa im Fall des § 2 Nr. 1 Befristungs-RL 99/70/EG oder Art. 3 Abs. 1 Leiharbeits-RL 2008/104 EG.173 Dies sei unter schlichter Berufung auf den effet utile grundsätzlich unzulässig und könne lediglich eine Missbrauchskontrolle umfassen.174 Hieraus ergibt sich, dass trotz berechtigter Kritik an dieser Kompetenzausdehnung seitens des EuGH die Frage nach der Reichweite des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs in Bezug auf Crowdwork durchaus bedeutsam ist.175 Das gilt insbesondere auch für die neue Nachweis-RL (EU) 2019/1152 vom 20. Juni 2019 die nach ihrem Erwägungsgrund 8 ausdrücklich auch Plattformbeschäftigte adressiert, gleichwohl in Art. 1 Abs. 2 bzgl. des Arbeitnehmerbegriffs einerseits auf das Recht der Mitgliedsstaaten und andererseits auf die Rechtsprechung des EuGH verweist.176 Zweitens kennt das Unionsrecht lediglich die Dichotomie des Arbeitnehmers auf der einen und des Selbstständigen auf der anderen Seite. Eine Zwischenkategorie der Arbeitnehmerähnlichen (§ 12a TVG) mit abgestuftem arbeitsrechtlichen Schutz wie im deutschen Recht besteht nicht.177 Dies berücksichtigend erklärt sich die Tendenz des EuGH, wirtschaftlich abhängige Dienstleister auch ohne im deutschen Sinne persönliche Abhängigkeit unter den Arbeitnehmerbegriff zu subsumieren, um ihnen entsprechend Schutz zu gewähren. Unter Berücksichtigung obiger Definition ergeben sich als maßgebliche Kriterien des weit auszulegenden178 „autonomen Arbeitnehmerbegriffs“ einerseits die Weisungsbindung im Sinne eines Subordinationsverhältnisses und andererseits die Leistungserbringung für gewisse Zeit gegen Entgelt.179 Diese Merkmale werden verschiedentlich konkretisiert oder erweitert. So wird in der Haralambidis Entscheidung das Erfordernis der Ausübung einer „tatsächlichen echten Tätigkeit“ 171 Vgl. etwa Antidiskriminierungsrichtlinien 2006/54/EG, 2000/43/EG und 2000/78/EG; Mutterschutz-Richtlinie 92/85/EG; Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG; MassenentlassungsRichtlinie 98/59/EG. 172 EuGH, Urt. v. 7.4.2011 – C-519/09 (May), ECLI:EU:C:2011:221, Rn. 22. 173 Temming, SR 6 (2016), 158, 161 f. m. w. N.; Wank, EuZW 29 (2018), 21 ff.; MHdbArbR/ A. Schneider, § 18 Rn. 54. 174 Wank, EuZW 29 (2018), 21, 22 ff. m. w. N.; a. A. EuGH, Urt. v. 17.11.2016 – C-216/15 (Ruhrlandklinik), ECLI:EU:C:2016:883, Rn. 29. 175 Siehe unten § 9 zur Bedeutung des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs für die Anwendung des Kartellrechts. 176 Vgl. C. Picker, ZEuP 28 (2020), 305, 312 ff., der Crowdworker dementsprechend als nicht vom Anwendungsbereich der RL erfasst ansieht. 177 MHdbArbR/A. Schneider, § 18 Rn. 51. 178 EuGH, Urt. v. 10.9.2014 – C-270/13 (Haralambidis), ECLI:EU:C:2014:2185, Rn. 27. 179 EuGH, Urt. v. 3.7.1986 – C-66/85 (Lawrie-Blum), ECLI:EU:C:1986:284, Rn. 17; EuGH, Urt. v. 14.12.1989 – C-3/87 (Agegate), ECLI:EU:C:1989:650, 35.

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aufgestellt, womit vornehmlich die entgeltliche Tätigkeit, d. h. der Austausch wirtschaftlicher Werte gemeint sein dürfte.180 Weitere Kriterien scheinen die „Beteiligung an den geschäftlichen Risiken des Unternehmens, die freie Gestaltung der Arbeitszeit und der freie Einsatz eigener Hilfskräfte“ zu sein, wobei diese gegen den Arbeitnehmerstatus sprechen dürften.181 Die Subsumtion der Crowdwork-Sachverhalte unter dieses weitere Verständnis des Arbeitnehmers ergibt kaum Abweichungen zu dem bereits Untersuchten. Die Ableistung digitaler Aufgaben erfolgt gegen Entgelt und stellt eine echte wirtschaftliche Tätigkeit für eine gewisse (wenn auch kurze) Dauer dar. Dabei sind Crowdworker zwar weitgehend frei von Weisungen; bei einem der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere dem GmbH-Fremdgeschäftsführer entsprechenden weiten Verständnis, mag eine Weisungsbindung aufgrund der Vorprogrammierung oder etwaiger Weisungsrechte aus § 645 S. 1 BGB (nach deutschem Verständnis – der Vertragstyp ist wie gezeigt für den unionsrechtlichen Begriff nicht von entscheidender Bedeutung) eine Arbeitnehmereigenschaft naheliegend erscheinen lassen. Ein weit verstandenes Subordinationsverhältnis zwischen Crowdworkern und Plattformen zu begründen fällt aufgrund der Reputationssyteme und der einseitigen Vertragsgestaltung, insbesondere mit der Möglichkeit das Nutzerkonto zu deaktivieren und den Crowdworker von der Plattform auszuschließen, nicht schwer.182 Indes erscheint es eher fernliegend von einer umfassenden Beteiligung an den unternehmerischen Risiken der Plattformen durch die Crowdworker auszugehen. Vielmehr beschränken sich ihre unternehmerischen Möglichkeiten auf ihre interne Arbeitsorganisation, während alle äußeren Faktoren, wie die digitale Arbeitsumgebung der Plattform, das Entgelt und der zeitliche Rahmen vorgegeben sind. Des Weiteren können Crowdworker wie dargestellt ihre Arbeitszeit frei bestimmen, während der Einsatz von Hilfskräften in der Regel untersagt ist. Insgesamt spricht auch nach dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff vieles gegen das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft, wenngleich die Einordnung weniger eindeutig als nach nationalem Recht ausfällt.183 d) Vertragliche Drei-Personen-Konstellationen Zuletzt stellt sich die Frage, ob sich aus sonstigen rechtlichen Dreiecksverhältnissen Impulse für die Handhabung von Crowdwork-Konstellationen gewinnen lassen. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, ob sich die selbst proklamierte 180 EuGH, Urt. v. 10.9.2014 – C-270/13 (Haralambidis), ECLI:EU:C:2014:2185, Rn. 28, 36; zu Recht kritisch: Junker, GS Rebhahn, S. 177, 180 f. 181 EuGH, Urt. v. 14.12.1989 – C-3/87 (Agegate), ECLI:EU:C:1989:650, Rn. 36; EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 36; dem zustimmend: Wank, EuZW 29 (2018), 21, 29 f.; vgl. auch: Gallner, FS Moll, S. 133, 136 f. 182 Ähnlich: Donini/Forlivesi/Rota u. a., Transfer 23 (2017), 207, 211. 183 Optimistischer: Gallner, FS Moll, S. 133, 143 ff., die es für möglich hält, Crowdworker als Arbeitnehmer u. a. i. S. d. ArbZRL und der MassenentlassungsRL einzuordnen.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

Position der Plattformen als Vermittler und Intermediäre rechtlich niederschlägt. Dabei werden bei der Analyse der rechtlichen Dreiecksbeziehungen reflexhaft auch die Rechtsbeziehungen zwischen Crowdsourcern und Plattformen in den Blick genommen, ohne dass deren Qualifizierung hier jedoch im Vordergrund stünde. Hinsichtlich der Rechtsfolgen, aber auch als Ausgangspunkt für eine Betrachtung der Rechtsbeziehungen zwischen Crowdworker, -sourcer und Plattform kommt ein einheitliches Arbeitsverhältnis des Crowdworkers mit mehreren Arbeitgebern (Crowdsourcer und Plattform) in Betracht. Während dieses Phänomen in der angloamerikanischen Literatur unter dem Stichwort „Joint Employment“ firmiert und durchaus diskutiert wird184, erfährt das einheitliche Arbeitsverhältnis in der deutschsprachigen Crowdwork-Literatur weniger Beachtung. Dabei liegt auf der Hand, dass Ansätze wie jener von Prassl, die eine Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen ermöglichen, eine Mehrheit von Arbeitgebern in Bezug auf einen Arbeitnehmer zur Folge haben.185 Nach Auffassung des BAG bedarf es für das Vorliegen eines einheitlichen Arbeitsverhältnisses weder einer besonderen gesellschaftsrechtlichen Verbindung der Arbeitgeber, noch der Führung eines gemeinsamen Betriebes oder des gemeinsamen Abschlusses eines Arbeitsvertrages.186 Entscheidend sei vielmehr, ob „diese [Rechts]Beziehungen selbst miteinander derart zusammenhängen, daß die Rechtsordnung ihre isolierte rechtl. Bewertung verbietet“.187 Konsequenz eines solchen Zusammenhangs sei die gesamtschuldnerische Haftung für die Vergütungs- und Beschäftigungspflicht, sowie die Beschränkung auf eine einheitliche Kündigung.188 Denkt man die vorgestellten Konzepte der Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen auf unterschiedliche Parteien weiter, liegt die Einordnung als einheitliches Arbeitsverhältnis nach den Voraussetzungen des BAG nicht fern. Üben Plattform und Crowdsourcer Arbeitgeberfunktionen gemeinsam aus, z. B. in Gestalt der Kontrolle des Arbeitsprozesses durch die Plattformen und der Zahlung der Vergütung durch die Crowdsourcer, ließe sich argumentieren, dass diese Rechtsverhältnisse nicht unabhängig voneinander existieren könnten und deshalb miteinander „stehen und fallen“ i. S. e. einheitlichen Arbeitsverhältnisses. Gleichwohl bietet sich de lege lata kein Raum für ein entsprechendes Verständnis der triangulären Rechtsbeziehungen zwischen Crowdworker, -sourcer und Plattform. Angemerkt sei ferner, dass ein solches einheitliches Arbeitsverhältnis dem funktionalen Konzept des Arbeitgebers nach Prassl insoweit widerspräche, als dass keine 184

Dazu: Felstiner, BJELL 32 (2011), 143, 187 ff.; Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 12 f.; Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 96 ff. 185 Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 647 f. 186 BAG, Urt. v. 27.3.1981 – 7 AZR 523/78, AP BGB § 611 Arbeitgebergruppe Nr. 1, unter I. 1. 187 BAG, Urt. v. 27.3.1981 – 7 AZR 523/78, AP BGB § 611 Arbeitgebergruppe Nr. 1, unter I. 2. 188 BAG, Urt. v. 27.3.1981 – 7 AZR 523/78, AP BGB § 611 Arbeitgebergruppe Nr. 1, unter II. 3.

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umfassende gesamtschuldnerische Haftung der Arbeitgeber gewollt ist, sondern jeder nur entsprechend der ausgeübten Funktionen haften soll. Dies kann hinsichtlich einzelner Aspekte zwar zu einer gemeinsamen Haftung führen, unterliefe als allgemeine Rechtsfolge aber die gewonnene Flexibilität in Gestalt der Aufteilung von Arbeitgeberfunktionen. Insbesondere in den Gestaltungen mit direkten Vertragsbeziehungen zwischen Crowdworker und –sourcer wäre an eine Stellvertretung der Crowdsourcer durch die Plattformen bzw. an einen Dienstverschaffungsvertrag zwischen Crowdsourcer und Plattformen189 zu denken. Nach den oben erläuterten Geschäftsmodellen treten die Plattformen jedoch in aller Regel nicht als Stellvertreter der Crowdsourcer i. S. d. § 164 BGB auf.190 Weder schließen die Plattformen im fremden Namen Verträge ab, noch sind sie durch die Crowdsourcer mit entsprechender Vertretungsmacht ausgestattet. Vielmehr verdienen sie nach ihrer Geschäftsorganisation an dem Leistungsaustausch zwischen Crowdworkern und -sourcern selbst mit. Rechtlich einzuordnen wäre das Verhältnis der Plattformen mit den Crowdsourcern aber möglicherweise als Dienstverschaffungsvertrag. Dieser ist im BGB nicht geregelt, im Rahmen der Vertragsfreiheit aber allgemein anerkannt (§ 311 Abs. 1 BGB) und darauf gerichtet, einem Dritten Dienste einer oder mehrerer Personen zu verschaffen.191 Dabei kann es sich genauer um einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag handeln, sofern Dienste in persönlicher Abhängigkeit erbracht werden sollen, dem Empfänger das arbeitsbezogene Weisungsrecht verschafft werden soll und die Überlassung im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Überlassenden erfolgt, vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG. Ebenfalls möglich ist die Verschaffung von Diensten im Rahmen eines freien Dienstvertrages anstelle von Leistungen im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses.192 Davon zu unterscheiden ist Arbeitsvermittlung, die vorliegt wenn der Überlassende nicht die üblichen Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko übernimmt, vgl. die Vermutung in § 1 Abs. 2 AÜG. Anders gewendet unterscheiden sich diese Instrumente insoweit, als dass bei der Arbeitnehmerüberlassung kein Arbeitsvertrag zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zustande kommt, ein solcher besteht vielmehr nur zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher. Demgegenüber ist bei der Arbeitsvermittlung die Begründung eines Arbeitsverhältnisses gerade das Ziel, vgl. § 35 Abs. 1 S. 2 SGB III. Eine solche Vermittlung von Beschäftigungsverhältnissen gegen eine bestimmte Vergütung entspricht nicht den oben dargestellten Geschäftsmodellen der Plattformen. Durch bloße Gewährung der digitalen Infrastruktur wird allenfalls die Möglichkeit zum Abschluss von Verträgen erleichtert, während eine Zusammen189 Näher zu den Rechtsbeziehungen zwischen Crowdsourcer und Plattform und der darin zum Ausdruck kommenden Risikoverteilung: Kocher, JZ 73 (2018), 862, 863 ff.; dazu aus der Perspektive des allgemeinen Zivilrechts und losgelöst von Crowdwork: Engert, AcP 218 (2018), 304, 321 ff. 190 Siehe oben § 3 A. II. 4. c). 191 ErfK/Wank, § 1 AÜG Rn. 35; ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 106 ff. 192 MüKoBGB/Spinner, § 611a BGB Rn. 31.

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führung von Crowdworker und -sourcern in einem engeren Sinne nicht stattfindet.193 Ferner wird insbesondere im Verhältnis zu den Crowdworkern mit den Plattformen keine Vermittlung i. S. v. § 296 Abs. 1 S. 1, S. 2 SGB III vereinbart, nach dem sich die Plattformen zur Vermittlung von Arbeitsverhältnissen gegen Gebühr verpflichten. Im Zentrum der Geschäftsmodelle steht vielmehr die Bereitstellung eines Markplatzes, auf dem Arbeitsaufgaben ausgeschrieben und erledigt werden, wobei die Plattformen für jede Transaktion eine gewisse Gebühr (Provision) von den Crowdsourcern erheben. Eine vertragliche Vermittlungspflicht im Verhältnis Plattform zu Crowdsourcer besteht danach nicht. Selbst wenn man die Crowdworker als Arbeitnehmer der Plattformen einordnen würde, so ließe sich die vertragliche Beziehung zwischen Plattformen und Crowdsourcern nur schwerlich als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag einordnen. Weder werden durch die Plattformen einzelne Arbeitnehmer überlassen, noch erfolgt eine Unterwerfung unter die Weisungen der Crowdsourcer in deren Betrieb.194 Vielmehr erledigen die Crowdworker die ausgeschriebenen Aufgaben auf der jeweiligen Plattform weisungsunabhängig. Fernliegend wäre auch ein mittelbares Arbeitsverhältnis195, wonach die Crowdsourcer als Arbeitgeber der Plattformen, die ihrerseits die Crowdworker beschäftigen würden, als mittelbare Arbeitgeber fungieren würden. Dieses Verständnis verkennt bereits, dass die Plattformen gegenüber den Crowdsourcern nicht zur Ableistung der Arbeitsaufgaben verpflichtet sind und sich mithin dazu auch nicht der Arbeitsleistung der Crowdworker bedienen. Von der obigen Konstellation des Dienstverschaffungsvertrages zwischen Crowdsourcern und Plattformen sind (freie) Dienst- und Werkverträge insofern zu unterscheiden, als dass im letzteren Fall der Unternehmer für die Erzielung des wirtschaftlichen Erfolges selbst organisatorisch tätig wird, während er im anderen Fall Arbeitskräfte überlässt, die der Vertragspartner dann in seiner Organisation einsetzt.196 Ebenfalls denkbar wären ein Dienst- oder Werkvertrag zwischen Plattform und Crowdworker, den letztere durch Ableistung der Arbeitsaufgaben für die Crowdsourcer erfüllen.197 Sofern die Plattformen als Vermittler von Dienst- und Werkverträgen auftreten, könnte es sich bei dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis um einen Maklervertrag i. S. v. § 652 BGB handeln.198 Kämen aufgrund der Vermittlung der Plattformen entsprechende Verträge zwischen Crowdworker und Crowdsourcer zustande, hätte die Plattform Anspruch auf einen Mäklerlohn (§ 652 BGB). 193

Vgl. MüKoBGB/H. Roth, § 652 BGB Rn. 105 ff. Vgl. BAG, Urt. v. 31.3.1993 – 7 AZR 338/92, AP AÜG § 9 Nr. 2, unter I. 3.; ähnlich: Risak, Fair Working Conditions for Platform Workers, 10. 195 Dazu: ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 172 ff.; im Zusammenhang mit Outsourcing vgl.: Kocher, KJ 46 (2013), 145, 154. 196 ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 100. 197 Vgl. Konstellationen bei: Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 144 f. 198 Näher: Engert, AcP 218 (2018), 304, 323 ff. 194

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Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Plattformen in aller Regel weder die Vermittlung von Arbeitsverträgen, noch von sonstigen Verträgen betreiben. Diese setzt das Herbeiführen oder Fördern der Abschlussbereitschaft durch Einwirkung auf den Willensentschluss voraus.199 Die Plattformen schaffen vielmehr die abstrakte Möglichkeit der Begründung solcher Rechtsverhältnisse unter Nutzung ihrer ITInfrastruktur. Die konkreten Rechtsbeziehungen bezogen auf die Ableistung von Arbeitsaufgaben werden allein auf Betreiben der Crowdworker und Crowdsourcer abgeschlossen. Dementsprechend erscheint eine Einordnung als Arbeitsvermittlungs- bzw. Maklervertrag wenig passend. Sinnvoll erscheint auch hier eine Differenzierung nach den Vertragsverhältnissen. Im Fall von direkten vertraglichen Beziehungen200 zwischen Crowdworker und Crowdsourcer werden zwischen diesen Werk- oder Dienstverträge bzw. im Einzelfall Arbeitsverträge vorliegen, während im Verhältnis von Crowdsourcer und Plattform ein Geschäftsbesorgungsvertrag (§§ 675, 631, 611 BGB) in Betracht kommt, abhängig von den übernommenen Pflichten.201 Etwas anderes gilt, wenn keine direkten vertraglichen Beziehungen zwischen Crowdworker und Crowdsourcer vorliegen. In diesen Fällen nehmen die Plattformen unmittelbaren Einfluss auf die Arbeitserledigung, da nur jeweils zu ihnen entsprechende Rechtsbeziehungen bestehen. In diesen Fällen wird üblicherweise ein Werkvertrag zwischen Crowdsourcer und Plattform, gerichtet auf die Erledigung bestimmter Aufgaben durch die Crowdworker, vorliegen.202 Letztere erledigen dann ihrerseits auf werkvertraglicher Grundlage (wenn man wie hier nicht von einem Arbeitsverhältnis ausgeht) die Arbeiten für die Plattform.203 III. Arbeitnehmerähnlichkeit Das deutsche Recht kennt die erwähnte Zwischenkategorie der Arbeitnehmerähnlichen, die sich zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit finden und zum Teil in den arbeitsrechtlichen Schutz einbezogen werden.204 Für jene 199 MüKoBGB/H. Roth, § 652 BGB Rn. 115, gleiches gilt für den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss, den die Plattformen geknüpft an eine Vergütung nicht erbringen, vgl. Rn. 105 ff. 200 Siehe oben §3 A. II. 4. c) z. B. im Fall der Plattformen Amazon Mechanical Turk und FigureEight (ehemals CrowdFlower). 201 Ähnlich: Risak, ZAS 50 (2015), 11, 16; Prassl/Risak, CLLPJ 37 (2016), 619, 633, die in diesem Fall „jedenfalls“ eine Vermittlung durch die Plattformen annehmen. 202 Dagegen von einem Dienstvertrag ausgehend, weil die Plattform nur die Vermittlungstätigkeit und keinen Erfolg schulde: Lingemann/Chakrabarti, in: Arnold/Günther (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, S. 27, 51 Rn. 80. 203 Siehe oben §3 A. II. 4. c) in diese Richtung geht das Geschäftsmodell der Plattform clickworker. 204 Übersicht über die anwendbaren arbeitsrechtlichen Vorschriften bei: KR/Rost/Kreutzberg-Kowalczyk, ArbNähnl. Pers. Rn. 42 ff.; exemplarisch zur Debatte in den USA zur Ein-

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Crowdworker, die nicht schon vom Arbeitnehmerbegriff erfasst werden, kommt die Einordnung als Arbeitnehmerähnliche in Betracht. 1. Begriff der Arbeitnehmerähnlichkeit Einen einheitlichen Begriff der Arbeitnehmerähnlichkeit gibt es nicht, dieser wird vielmehr in verschiedenen Vorschriften erwähnt.205 Vielfach wird zur näheren Bestimmung jedoch auf die Legaldefinition des § 12a TVG zurückgegriffen.206 Danach müssen arbeitnehmerähnliche Personen (1) wirtschaftlich abhängig und (2) vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sein. An die Stelle der persönlichen tritt die der wirtschaftlichen Abhängigkeit, die nach der Rechtsprechung des BAG dann vorliegt, wenn der Beschäftigte im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig wird und die Vergütung aus diesem Tätigwerden seine Existenzgrundlage bildet.207 Dies schließe jedoch nicht aus, dass der Auftragnehmer für mehrere Auftraggeber tätig werde, solange die Beschäftigung für einen überwiege.208 Damit gehören Arbeitnehmerähnliche der Gruppe der Selbstständigen an, die ihre Leistungen auf Grundlage von Werk- oder Dienstverträgen bzw. vergleichbaren Vertragstypen erbringen.209 Die einem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzwürdigkeit ergebe sich aus einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung mit Blick auf die soziale Stellung des Auftragnehmers.210 Die wirtschaftliche Abhängigkeit konkretisieren § 12a Abs. 1 Nr. 1 lit. a und b TVG insoweit ausdrücklich, als der Arbeitnehmerähnliche überwiegend für eine Person tätig sein muss oder ihm von einer Person im Durschnitt mehr als die Hälfte seines für die Erwerbstätigkeit insgesamt erhaltenen Entgelts zusteht. führung einer Zwischenkategorie im Kontext der Gig-Economy: Cherry/Aloisi, Am. U. L. Rev. 66 (2017), 635, 646 ff.; Harris/Krueger, A Proposal für Modernizing Labor Laws for Twenty-First-Century Work: The „Independent Worker“, 15 ff.; zur (Miss)Klassifikation: Yousif, Journal of Law in Society 19 (2019), 141, 145 ff. 205 So etwa in § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG, § 2 S. 2 BUrlG und § 12a Abs. 1 TVG, näher dazu: HWK/Thüsing, § 611a BGB Rn. 125 ff.; C. Schubert, Der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen, 7 ff. 206 Frantzioch, Abhängige Selbständigkeit im Arbeitsrecht, 92, die insoweit von einer „allgemeinen Definition“ ausgeht; im Ausgangspunkt ebenso: C. Schubert, Der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen, 26 ff.; vgl. bereits: Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 237 ff. 207 BAG, Urt. v. 15.11.2005 – 9 AZR 626/04, AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 12, unter I. 1. b). 208 BAG, Beschl. v. 21.12.2010 – 10 AZB 14/10, NZA 2011, 309, Rn. 8. 209 Vgl. BAG, Urt. v. 17.1.2006 – 9 AZR 61/05, NJOZ 2006, 3821 = BeckRS 2006, 42231, Rn. 14; BAG, Urt. v. 8.5.2007 – 9 AZR 777/06, AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 15, Rn. 27. 210 BAG, Beschl. v. 15.4.1993 – 2 AZB 32/92, NZA 1993, 789, unter 2. b) aa); BAG, Urt. v. 17.1.2006 – 9 AZR 61/05, NJOZ 2006, 3821 = BeckRS 2006, 42231, Rn. 14.

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Nach der bisherigen Untersuchung werden Crowdworker in aller Regel auf Grundlage eines Werkvertrages für die Plattformen oder Crowdworker tätig. Dabei erbringen sie die entsprechenden Leistungen persönlich und ohne den Einsatz von Mitarbeitern, der aufgrund der AGB der Plattformen meist untersagt ist. Auch die soziale Schutzbedürftigkeit ähnelt der von Arbeitnehmern. Crowdworker beugen sich der einseitig zugunsten der Plattformen ausgestalteten Verträge, tragen das wirtschaftliche Risiko (Berufs- und Existenzrisiko) und sind zum Teil intransparenten Bewertungsmechanismen ausgesetzt. Gegenüber den Plattformen haben sie aufgrund des potentiell globalen Wettbewerbs untereinander eine schwache Verhandlungsposition und nehmen deshalb auf die Entgelthöhe nur sehr begrenzt Einfluss. Aus alledem folgt ein Grad an sozialer Abhängigkeit gegenüber den Vertragspartnern, der denen von Arbeitnehmern entspricht. Problematisch erscheint jedoch die wirtschaftliche Abhängigkeit i. S. v. § 12a TVG der Crowdworker. In den Fällen direkter Vertragsbeziehungen zwischen ihnen und den Crowdsourcern sind sie in aller Regel für unterschiedliche Crowdsourcer tätig, sodass eine dauerhafte Beziehung zu einem Vertragspartner, die die Schaffung einer Existenzgrundlage bedeutet, nicht vorkommt. Im Einzelfall mag eine solche verdichtete Beziehung denkbar sein, insbesondere wenn man die hohe Marktkonzentration etwa bei AMT211 bedenkt, die laufende Beziehungen mit demselben Crowdsourcer wahrscheinlicher macht. Gleichwohl dürften derartige Verhältnisse die Ausnahme bleiben.212 Der Annahme einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Plattform steht die Erwägung entgegen, dass es als Anknüpfungspunkt gerade auf die Leistung für den Vertragspartner, d. h. den Crowdsourcer, ankommt.213 Demgegenüber ließe sich in den Fällen ohne direkte Vertragsbeziehungen zwischen Crowdworker und –sourcer an eine wirtschaftliche Abhängigkeit im Verhältnis zu den Plattformen denken. Dem steht zunächst die abstrakte Möglichkeit entgegen, für mehrere Plattformen tätig zu werden. Aufgrund des mit den Reputationsmechanismen verbundenen Lock-In Effekts ist dieses Argument jedoch eher schwach214 und gilt im Übrigen für beide vertraglichen Konstellationen. Entscheidender dürfte sein, dass auch wenn keine unmittelbaren Vertragsbeziehungen zu den Crowdsourcern bestehen, diese doch für das Arbeitsentgelt aufkommen und die Arbeit bereitstellen, selbst wenn die Plattform die Abwicklung übernimmt und die Crowdsourcer selbst nicht in Erscheinung treten. Hieraus könnte folgen, dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu den Plattformen ausgeschlossen ist. Stellt man al211

J. Berg, Income Security in the on-demand economy: Findings and policy lessons from a survey of crowdworkers, 3. 212 Anders: Warter, Crowdwork, 182 f., 200, der auch für diesen Fall eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu den Plattformen annimmt; wie hier: Pacha, Crowdwork, 201. 213 Vgl. BAG, Beschl. v. 21.2.2007 – 5 AZB 52/06, NZA 2007, 699, Rn. 12; Pacha, Crowdwork, 201. 214 Siehe oben § 2 A. III. 1., vgl. auch: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1036; Risak, ZAS 50 (2015), 11, 13; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 162.

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lerdings auf die jeweilige vertraglich zugesagte Vergütung ab, wird diese in diesen Konstellationen direkt von den Plattformen geschuldet, unabhängig davon, dass hinter diesen die Crowdsourcer als „Geldgeber“ stehen. Insofern sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen ein Crowdworker weit überwiegend z. B. für die Plattform clickworker tätig wird, von dieser mehr als die Hälfte seines Einkommens bezieht und deshalb von dieser wirtschaftlich abhängig ist. In derartigen Fällen lägen die Voraussetzungen der Arbeitnehmerähnlichkeit vor.215 Allerdings wird in den meisten anderen Fällen aufgrund der wechselnden Vertragspartner und der Vielzahl von Rechtsbeziehungen keine wirtschaftliche Abhängigkeit gegeben sein, sodass Crowdworker keine Arbeitnehmerähnlichen sind.216 2. Erweiterung des Begriffs der Arbeitnehmerähnlichkeit Nun stellt sich die Frage, ob durch eine Ausweitung des Begriffs der Arbeitnehmerähnlichen de lege ferenda eine Lösung der Schutzdefizite, wie sie bei Crowdwork auftreten, erreicht werden kann. Prima facie erscheint es unbillig, bei festgestellter sozialer Schutzbedürftigkeit und gleichen Arbeitsbedingungen, allein aufgrund der Vertragskonstruktion der jeweiligen Plattform (direkte Vertragsbeziehungen), den partiellen Schutz der Arbeitnehmerähnlichkeit zu versagen.217 Verschiedentlich wird eine solche Ausweitung erwogen, sei es unter Hinweis auf die flexiblere Handhabung im Vergleich zum Arbeitnehmerbegriff, durch ein Hineinschrumpfen in die bzw. Hinauswachsen aus der Arbeitnehmerähnlichkeit218 oder im Sinne einer Effektivierung bestehender Instrumente, bzw. einer „genauen Beobachtung“.219 Dass eine solche Ausweitung allein zielführend ist, erscheint jedoch 215

Zustimmend: Risak, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 44, 58; Pacha, Crowdwork, 202. 216 So auch: Krause, Gutachten DJT, 105; Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1036; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 162; Meyer-Michaelis/Falter, DB 69 (2016), 2543, Rn. 19 ff.; Pacha, Crowdwork, 204 ff., mit dem Hinweis auf die geringe Zahl der erwerbssichernd tätigen Crowdworker in Deutschland; Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 16 (2017), 318, 325; Scholle, SR 9 (2019), 28, 31; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 150; a. A. Warter, Crowdwork, 182 f., 200 ff. 217 Pacha, Crowdwork, 204 f.; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 233 ff. 218 So etwa: Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 149; Hensel/J. Koch/Kocher u. a., IndBez 23 (2016), 162, 179 m. w. N. 219 Letzteres plant die Politik: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weissbuch Arbeiten 4.0, 179; wobei die seit Oktober 2018 im BMAS eingerichtete Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft durchaus konkrete Handlungsspielräume für gute Plattformarbeit auszuloten scheint, etwa Labs zu diesem Themenbereich durchführt, vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Begleitband Ratsvorsitz DE 2020, 278 ff., 302 ff.; ähnlich: Europäische Kommission, Shaping Europe’s digital future, 4, „… legal protections for people who do not have a worker status yet who share some of the vulnerabilities of workers“; siehe auch Impulse bei: Krause, Gutachten DJT, 106 f.; C. Schubert, ZVglRWiss 118 (2019), 341, 371 ff.; Rinck, RdA 72 (2019), 127, 129 f.

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zweifelhaft. Einerseits ist die Einbeziehung der Arbeitnehmerähnlichen in das Arbeitsrecht nur sehr begrenzt – sie umfasst weder das Kündigungsschutzrecht, noch das Betriebsverfassungsrecht.220 Andererseits ist eine Ausweitung des bestehenden Begriffs nach wie vor vom klassischen Verständnis bipolarer Beziehungen geprägt, ohne den geschilderten Besonderheiten etwa bei Crowdwork gerecht zu werden.221 Auch die geringe Nutzung der Möglichkeit zum Abschluss von Tarifverträgen auf Grundlage des § 12a TVG darf hier nicht unerwähnt bleiben.222 Insgesamt erscheint die Schärfung der Merkmale zur Zuordnung arbeitsrechtlicher Verantwortlichkeit in Mehr-Personen-Konstellationen vielversprechender als die Ausdehnung bestehender Begriffe223 – der Arbeitnehmerähnliche-Begriff ist, im Hinblick auf die wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Vertragspartner, nicht anders als der Arbeitnehmerbegriff der Vorstellung bipolarer Rechtsbeziehungen verhaftet. Eine Ausweitung würde die Schwierigkeiten der Anwendung des Arbeitnehmerbegriffs lediglich in die Anwendung des Begriffs der Arbeitnehmerähnlichkeit verlagern, ohne das dahinterstehende Problem der rechtlichen Fassung neuer Arbeitsformen zu bewältigen. 3. Anwendbarkeit des Heimarbeitsgesetzes Crowdworker könnten im Einzelfall als Heimarbeiter – einer Unterkategorie der Arbeitnehmerähnlichen224 – zu qualifizieren sein.225 Eine Legaldefinition des Heimarbeiters liefert das Heimarbeitsgesetz von 1951, welches darüber hinaus eine Reihe von Schutzvorschriften vorsieht.226 Nach § 2 Abs. 1 S. 1 HAG ist Heimarbeiter, wer in selbstgewählter Arbeitsstätte allein oder mit seinen Familienangehörigen im Auftrag von Gewerbetreibenden oder Zwischenmeistern erwerbsmäßig arbeitet, jedoch die Verwertung der Arbeitsergebnisse dem Gewerbetreibenden überlässt. Satz 2 stellt klar, dass die Beschaffung von Roh- und Hilfsstoffen durch den Heimarbeiter nichts an dessen Status ändert. Ebenso wie bei Arbeitnehmerähnlichen tritt bei Heimarbeitern an die Stelle der persönlichen Abhängigkeit die wirtschaftliche Abhängigkeit, sie können ihre Arbeit frei von Weisungen erbringen 220 Vgl. Däubler, IndBez 23 (2016), 236, 243; kritisch auch: Pacha, Crowdwork, 205 f.; ähnlich: Fuhlrott/Oltmanns, NJW 73 (2020), 958, 962; dafür dennoch: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 240. 221 In diesem Sinne: Bücker, IndBez 23 (2016), 187, 205. 222 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weissbuch Arbeiten 4.0, 174. 223 So auch: Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 19 ff. 224 So die h. M.: Kappus, NJW 37 (1984), 2384, 2385; KR/Rost/Kreutzberg-Kowalczyk, §§ 29, 29a HAG Rn. 1 f. m. v. w. N. 225 Ausführlich zu dieser Frage: Pacha, Crowdwork, 206 ff., mit im Grundsatz positivem Ergebnis, vgl. S. 263 f.; für Österreich: Warter, Crowdwork, 203 ff.; aus US-amerikanischer Perspektive: Finkin, CLLPJ 37 (2016), 603, 608 ff. 226 Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 167 ff. m. w. N.; vgl. zu den anwendbaren Arbeitnehmerschutzvorschriften: ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 85.

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und ihre Arbeitszeit selbst bestimmen.227 Nach der Rechtsprechung des BAG bedürfen die Heimarbeiter gerade wegen dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit eines besonderen Schutzes.228 Dabei können auch geringfügige und unregelmäßig ausgeübte Tätigkeiten Heimarbeit sein, die ihrer Höhe nach nicht zur ausreichenden Bestreitung des Lebensunterhalts geeignet sind.229 Insbesondere seit der Änderung des Heimarbeitsgesetzes 1974 und der Abänderung des Merkmals des § 2 Abs. 1 S. 1 HAG gewerblich in erwerbsmäßig, werden auch komplexere Angestelltentätigkeiten von der Definition umfasst.230 Nun stellt sich die Frage, ob Crowdwork unter diese schon aufgrund der Zeit ihres Entstehens nicht für derartige Sachverhalte vorgesehenen Regelungen zu fassen ist. Begreift man Crowdwork wie Warter als neuen Ausbeutungsmechanismus, ähnlich der Arbeitsumstände zu Beginn des 20. Jahrhunderts, so erscheint das HAG als rettender Anker, der einen Schutzschirm bereitstellt.231 Dieses „Bauchgefühl“232 vermag für sich genommen jedoch keine rechtlichen Konsequenzen zu zeitigen. Richtig ist aber, dass das Heimarbeitsgesetz ein geschlossenes Schutzkonzept bereitstellt, das Schutzlücken schließen könnte, die mit der Arbeitsform Crowdwork einhergehen. Ferner unterscheidet sich das Heimarbeitsverhältnis nur graduell vom Arbeitsverhältnis233, weshalb aufgrund ähnlicher sozialer Schutzinteressen ein eher weites Verständnis sachgerecht erschiene. Eindeutig nicht in den Anwendungsbereich des HAG fallen Crowdworker, die nicht erwerbsmäßig tätig werden, weil sie nur einmalig oder zum Zeitvertreib auf Plattformen tätig werden, ohne einen Beitrag zum Lebensunterhalt zu erwirtschaften, wobei es auf die Entgelthöhe nicht ankommt.234 Dem stehen jedoch im Wesentlichen zwei Erwägungen entgegen. Zunächst zeigt eine genaue Betrachtung der Regelungen im HAG, dass diese nach Telos und Systematik von gänzlich anderen Ausgestaltungen von Arbeit ausgehen, als das bei Crowdwork der Fall ist. § 6 S. 1 und 2 HAG liegt beispielsweise die Vorstellung zugrunde, dass Heimarbeit in Ausgaberäumen verteilt wird und alle Heimarbeiter in Listen eingetragen werden.235 § 11 Abs. 1 HAG sieht vor, dass Heimarbeit auf die Beschäftigten gleichmäßig entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit verteilt wird. 227 Vgl. BAG, Urt. v. 8.5.2007 – 9 AZR 777/06, AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 15, Rn. 27. 228 BAG, Urt. v. 3.4.1990 – 3 AZR 258/88, AP HAG § 2 Nr. 11, unter II. 3. 229 BAG, Urt. v. 12.7.1988 – 3 AZR 569/86, AP HAG § 2 Nr. 10, unter 2. a). 230 BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453, Rn. 47 f. m. w. N., im vorliegenden Fall ging es um komplexe Programmiertätigkeiten. 231 Warter, Crowdwork, Rn. 204 ff. 232 So Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 164. 233 So ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 85; ähnlich: Waltermann, RdA 72 (2019), 94, 98. 234 Deinert, RdA 71 (2018), 359, 363; Pacha, Crowdwork, 213 f. 235 Vgl. Bücker, IndBez 23 (2016), 187, 206.

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Bereits an diesen Beispielen wird deutlich, dass im Fall von Heimarbeit von einer grundlegend anderen Arbeitsorganisation als bei Crowdwork auszugehen ist. Unabhängig davon, dass physische Ausgaberäume und die Eintragung in Listen unzeitgemäß sind und nicht zur digitalisierten Arbeitswelt passen, wird Heimarbeit verteilt, ausgegeben, oder im Fall von § 12 Abs. 3 SGB IV vergeben. Unter all diesen Begriffen ist die aktive Zuweisung von Arbeitsaufgaben zu verstehen – ob dabei ein Zurückweisungsrecht der Heimarbeiter besteht, ist für die Einordnung des Arbeitsprozesses irrelevant. Bei Crowdwork erfolgt gerade keine Zuweisung von Aufgaben, vielmehr werden diese lediglich ausgeschrieben und für die Crowdworker sichtbar geschaltet, die dann ihrerseits die Bearbeitung der jeweiligen Aufgabe anbieten können. Bereits hierin liegt ein entscheidender Unterschied der Heimarbeit zum Crowdwork.236 Daraus allein ergibt sich zwar nicht die Unanwendbarkeit des HAG auf Crowdwork, ein erstes, auf Sinn und Zweck der Regelungen beruhendes Indiz gegen die Anwendung lässt sich gleichwohl ausmachen.237 Diese Differenzierung steht im Einklang mit einer neueren Entscheidung des BAG, die auf den ersten Blick als Toröffner für die Anwendung des HAG auf viele CrowdworkKonstellationen gelesen werden könnte.238 Darin wurde ein als „freier Mitarbeiter“ tätiger Programmierer, der ein komplexes IT-Statik-Betriebssystem unterhalten hat, dabei jedoch frei von Weisungen, unter selbstständiger Einteilung seiner Arbeitszeit und des Arbeitsvolumens Leistungen erbracht hat, als Heimarbeiter eingeordnet. Dabei war er im Wesentlichen, bzw. ausschließlich über 21 Jahre für die Beklagte als Auftraggeber tätig und die einzelnen Arbeitsaufgaben wurden ihm via Email zugewiesen.239 Dabei bestand laut BAG die rechtliche Möglichkeit der Ablehnung von Arbeitsaufgaben, wenngleich der Beschäftigte vorgebracht hat, dass eine Zurückweisung für ihn undenkbar war.240 Es wird deutlich, dass in diesem Fall eine Vergabe 236 So auch: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1036; Bücker, IndBez 23 (2016), 187, 206; Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 16 (2017), 318, 325; Brose, NZS 26 (2017), 7, 13, für § 12 SGB IV; im Ergebnis auch: Krause, Gutachten DJT, 105; hinsichtlich des Geschäftsmodells zustimmend: Risak, ZAS 50 (2015), 11, 17; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 163 f.; Warter, Crowdwork, 215, der Crowdworkern zwar eine passive Rolle zuschreibt, aber davon auszugehen scheint, dass auch die Plattformen Arbeitsaufgaben verteilen und auf die Crowdworker „zugehen“; ähnlich: Kocher, in: Hensel/Schönefeld/Kocher u. a. (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit, S. 173, 182. 237 A. A.: Pacha, Crowdwork, 224, „reine Begriffsjurisprudenz“; Waltermann, GS Rebhahn, S. 635, 644. 238 Deinert, RdA 71 (2018), 359, der von einem Paukenschlag spricht; Preis, SR 7 (2017), 173, 173 ff., „Leitstern für die digitale Arbeitswelt“; siehe bereits: Kappus, NJW 37 (1984), 2384, 2384 ff.; Reinhard, ArbRB 17 (2017), 161 spricht von Renaissance des Heimarbeitsvertrags; kritischer: Bayreuther, Sicherung, 14; Deinert/Maksimek/Sutterer-Kipping, Die Rechtspolitik des Sozial- und Arbeitsrechts, 370; Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 16 (2017), 318, 325 f. „Einzelfallentscheidung“; C. Schubert, ZVglRWiss 118 (2019), 341, 372, meint, einer eigenständigen Regelung des Heimarbeitsrechts im HAG fehle heute die Rechtfertigung. 239 BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453. 240 BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453, Rn. 25.

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von Arbeitsaufgaben durch den Auftraggeber erfolgte, anders als dies bei Crowdwork geschieht. Beachtenswert ist dennoch, dass die Rechtsprechung das HAG im Grundsatz auch auf rein digitale Tätigkeiten, wie bei Crowdwork, anwenden will. Das Urteil des BAG spricht jedoch den zweiten Aspekt an, der einer Anwendung des HAG auf Crowdwork entgegensteht. Dieser ergibt sich aus dem Erfordernis der wirtschaftlichen Abhängigkeit, ebenso wie im Rahmen von § 12a TVG. Das HAG geht im Rahmen der Frage der Ausweitung des Geltungsbereichs auf Heimarbeitern vergleichbar Schutzwürdige gem. § 1 Abs. 2 S. 2 davon aus, dass für die Ermittlung der Schutzwürdigkeit das Ausmaß der wirtschaftlichen Abhängigkeit entscheidend sei. Versteht man die Heimarbeiter als arbeitnehmerähnliche Selbstständige spricht dies dafür, die wirtschaftliche Abhängigkeit analog § 12a TVG zu begreifen und die Abhängigkeit von einem Auftraggeber bzw. den überwiegenden Bezug des Gesamtentgelts von einer Person zur Voraussetzung zu erklären.241 Wenn demgegenüber vereinzelt der Versuch unternommen wird, mit einem systematischen Argument gegen das Erfordernis wirtschaftlicher Abhängigkeit i. d. S. zu argumentieren, kann dies nur bedingt überzeugen. Weder aus § 12 Nr. 7 BUrlG, noch aus § 29 Abs. 3 S. 1 HAG, die spezielle Regelungen enthalten, die daran anknüpfen, dass der Heimarbeiter nur bzw. überwiegend für einen Auftraggeber tätig wird, folgt irgendetwas für die wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Auftraggeber.242 Diese schließt schlicht nicht aus, dass der Heimarbeiter für mehrere Auftraggeber tätig wird, solange die Tätigkeit für einen überwiegt.243 Ein anderes Verständnis vertritt das BAG scheinbar in einer Entscheidung, in der zwar die Rede davon ist, dass der Heimarbeiter wirtschaftlich vom Unternehmer abhängig sei, sich diese Abhängigkeit aber insbesondere aus der Preisgestaltung durch den Auftraggeber, der Möglichkeit zur Ablehnung von Aufträgen, ohne deshalb künftig Aufträge zu verlieren und zuletzt der Frage nach dem Umfang der Beschäftigung für den Auftraggeber, ergebe.244 Auch im aktuellen Urteil wird die Prüfung so verstandener besonderer Schutzbedürftigkeit zumindest in Frage gestellt.245 Hieraus ließe sich ein abweichendes Verständnis der wirtschaftlichen Abhängigkeit zu § 12a TVG folgern, welches stärker auf die insgesamt unterlegene Verhandlungsposition der Heimarbeiter abstellt.246 Ob sich aufgrund dieser Entscheidungen ein anderes Verständnis der wirtschaftlichen Abhängigkeit begründen lässt, ist insofern unerheblich, als das Gericht selbst in diesen Fällen den Umfang der Beschäftigung als Kriterium heranzieht. Hieraus ergibt sich, dass je241 In diesem Sinne: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1036; Krause, Gutachten DJT, 105; Deinert, RdA 71 (2018), 359, 363. 242 So aber: Otten, NZA 12 (1995), 289, 292 f.; daran anknüpfend nunmehr: Pacha, Crowdwork, 211 f. 243 Ebenso: Deinert, RdA 71 (2018), 359, 363. 244 BAG, Urt. v. 3.4.1990 – 3 AZR 258/88, AP HAG § 2 Nr. 11, unter II. 3. 245 BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453, Rn. 48. 246 In diesem Sinne: Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 166 m. w. N.

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denfalls eine gewisse Dauerbeziehung zu einer Plattform bzw. einem Auftraggeber erforderlich ist, um von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit auszugehen.247 Ebenso wie bei den sonstigen Arbeitnehmerähnlichen werden viele Crowdwork-Sachverhalte bereits deshalb ausscheiden, weil Crowdworker für viele verschiedene Auftraggeber tätig werden und für eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Plattformen kein Raum besteht. Insoweit ergibt sich nichts anderes als oben.248 In Ausnahmefällen kann eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu den Plattformen (insbesondere in Fällen ohne direkte Vertragsbeziehungen zwischen Crowdworker und -sourcer) oder zu den Crowdsourcern entstehen. Im Regelfall ist dieser Weg bei Crowdwork jedoch verbaut. Darüber hinaus sei angemerkt, dass die oben aufgezeigten Widersprüche zum Arbeitsablauf bei Heimarbeit auch durch eine wirtschaftliche Abhängigkeit nicht aufgehoben würden. Außerdem ist festzuhalten, dass selbst bei Anwendbarkeit des HAG und der Qualifikation der Plattformen als Zwischenmeister im Sinne des Gesetzes hieraus keine besonderen Rechtspflichten der Plattformen gegenüber den Crowdworkern folgen würden.249 Gleichwohl ist den Autoren, die eine Reform des HAG fordern, insoweit zuzustimmen, als hierdurch bestehende Instrumente auf neue Begebenheiten zugeschnitten würden, um etwaige Schutzlücken effektiv zu schließen250, auch wenn manch gezogene Parallelen und soziale Prekarisierungsängste für Crowdwork jedenfalls noch nicht nachgewiesen sind.251 IV. Selbstständigkeit Für die nach hier vertretener Auffassung überwiegende Zahl der Crowdworker verbleibt die rechtliche Einordnung als Selbstständige. 1. Negativabgrenzung – Kriterien selbstständiger Arbeit Anders als der nunmehr in § 611a BGB definierte Arbeitsvertrag, aus dem sich der Begriff des Arbeitnehmers ergibt, folgt die Selbstständigeneigenschaft aus einer Negativabgrenzung insbesondere zu diesem. Danach erbringen Selbstständige 247 Ebenso: Bayreuther, Sicherung, 14; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 170; Pacha, Crowdwork, 213. 248 Siehe oben § 3 B. III. 1. 249 Dazu: Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 170 f. m. w. N. 250 Krause, Gutachten DJT, 106; H. Hanau, NJW 69 (2016), 2613, 2616; Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1036; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 177 ff.; Preis, SR 7 (2017), 173, 179 ff.; Deinert, RdA 71 (2018), 359, 366; Waltermann, RdA 72 (2019), 94, 98 f.; Waltermann, GS Rebhahn, S. 635, 647; Frank/Heine, NZA 37 (2020), 292, 294; ausführlich zu den Schutzvorschriften für Crowdworker unter dem HAG: Pacha, Crowdwork, 225 ff., 263 f.; für das SozVersR: Brose, NZS 26 (2017), 7, 14. 251 Warter, Crowdwork, 214 ff.; zur historischen Isoliertheit der Heimarbeiter und zur kollektiven Selbsthilfe: Karpf, Heimarbeit und Gewerkschaft, 24 ff.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

Leistungen frei von Weisungen, d. h. selbstbestimmt, ohne in einen fremden Betrieb eingegliedert zu sein, folglich nicht in persönlicher Abhängigkeit. Sie können im Wesentlichen frei ihre Tätigkeit gestalten und ihre Arbeitszeit bestimmen252, vgl. die Definition des selbstständigen Handelsvertreters in § 84 Abs. 1 HGB. Sie bieten ihre Leistungen am Markt an, werden also auf eigene Rechnung tätig und tragen das Berufs- und Existenzrisiko ihrer Tätigkeit.253 Dabei ist es grundsätzlich denkbar, dass sie auf werkvertraglicher Grundlage, etwa wie Handwerker, einzelne Leistungen erbringen. Gleichfalls möglich ist aber eine Dauerrechtsbeziehung, z. B. als „freier Mitarbeiter“, aufgrund derer einzelne Aufträge vergeben werden.254 2. Crowdwork als Spezialfall Dabei erfüllen Crowdworker nach der bisherigen Untersuchung die genannten Kriterien zwar weit überwiegend, wenngleich sie keinen Idealtypus des selbstständigen Unternehmers bilden.255 Nach den gewonnenen Erkenntnissen ergibt sich, dass sie typischerweise frei von Weisungen ihre Tätigkeit gestalten und ihre Arbeitszeit bestimmen können. Dabei verrichten sie ihre Tätigkeit ortsungebunden, ohne in einen fremden Betrieb eingegliedert zu sein. Sie werden üblicherweise auf Werkvertragsbasis (§ 631 BGB) für mehrere Auftraggeber tätig. Dabei erbringen Crowdworker ihre Leistung in aller Regel ohne den Einsatz eigener Mitarbeiter, d. h. persönlich (solo). Ihre Arbeitsorganisation umfasst deshalb nur die Organisation des Einsatzes ihrer eigenen Arbeitskraft, ein weitergehender Kapitaleinsatz findet nicht statt. Sie nehmen kaum Einfluss auf die Preisgestaltung, die vorab in den Ausschreibungen erfolgt und treffen unternehmerische Entscheidungen lediglich auf der Mikroebene.256 Dementsprechend sind die Verdienstmöglichkeiten der Crowdworker oftmals als gering einzuschätzen. Sie sind nicht unmittelbar auf den Absatzmarkt ausgerichtet, sondern erledigen Aufgaben auf bestimmten Plattformen für unterschiedliche Crowdsourcer. Aufgrund des potentiell globalen Wettbewerbs und der die Austauschbarkeit einzelner Auftragnehmer begünstigenden Anonymität, befinden sich Crowdworker gegenüber ihren Vertragspartnern in einer schwachen Verhandlungsposition, d. h. sie nehmen kaum Einfluss 252

Vgl. bspw.: BAG, Urt. v. 8.6.1967 – 5 AZR 461/66, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 6 = NJW 1967, 1982, unter 1.; BAG, Urt. v. 11.8.2015 – 9 AZR 98/14, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 128 = NZA-RR 2016, 288, Rn. 16; BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453, Rn. 20 ff.; vgl. zu den Merkmalen selbstständiger Tätigkeit grundlegend: Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 117 ff. 253 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 122 ff. 254 Vgl. etwa: BAG, Urt. v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 129 = NZA 2016, 1453; zur Anwendung des Dienst- und Werkvertragsrechts auf Crowdwork: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 87 ff. 255 Siehe oben zu den Umständen, unter denen Crowdwork geleistet wird § 1 A., § 2 A. III. und zur rechtlichen Einordnung § 3 A. und B. 256 Vgl. „Life as a Micro-Entrepreneur“ bei: Prassl, Humans as a service, 52 ff.

§ 3 Rechtliche Einordnung von Crowdworkern

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auf die Vertragsgestaltung. Zuletzt sind sie Bewertungsmechanismen unterworfen, die für ihren wirtschaftlichen Erfolg maßgeblich, gleichzeitig aber intransparent und von ihnen nur bedingt beeinflussbar sind. Insgesamt sind Crowdworker mithin als Soloselbstständige einzuordnen und stehen damit außerhalb der Schutznormen des Arbeits- und Sozialrechts.257 Nur in Einzelfällen, in denen eine besonders engmaschige Kontrolle des Arbeitsprozesses erfolgt, kommt eine Arbeitnehmereigenschaft in Betracht. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit i. S. v. Arbeitnehmerähnlichkeit ist insbesondere aufgrund der Vielzahl von Auftraggebern bei Crowdwork unwahrscheinlich. Gleiches gilt für die Anwendbarkeit des HAG. V. Zwischenfazit Nach der bisherigen Untersuchung sind Crowdworker grundsätzlich Soloselbstständige. Sie unterfallen nur in Ausnahmefällen als Arbeitnehmer § 611a BGB, genießen mithin nicht den vollen Schutz des Arbeitsrechts. Gleiches gilt für die Qualifikation als Arbeitnehmerähnliche bzw. Heimarbeiter. Dieses Ergebnis ist für Gelegenheits-Crowdworker mangels Schutzwürdigkeit hinzunehmen. Damit sind diese, sowie diejenigen Fälle, die bereits de lege lata dem Arbeitsrecht (partiell) unterfallen, für die weitere Untersuchung zu vernachlässigen. Für die übrigen Konstellationen ließe sich Schutz einerseits durch eine Modifikation des Arbeitnehmerbegriffs sowie andererseits durch Gesetzesänderungen erreichen, wenngleich letzteres aktuell wenig erfolgsversprechend erscheint.258 Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie eher von theoretischem Interesse bzw. unwahrscheinlich und in ihrer Umsetzung im Hinblick auf ein tatsächlich erhöhtes Schutzniveau durchaus fraglich sind. Die vorliegende Arbeit verfolgt deshalb eine andere Konzeption. Es soll der Versuch unternommen werden, durch Bündelung i. S. v. Kollektivierung der berechtigten Schutzinteressen der Crowdworker innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens eine Vertretung und Durchsetzung dieser Interessen zu ermöglichen. Während die vorgestellten Ansätze darauf zielen, Crowdworker gesetzlich in das Arbeitsrecht zu integrieren, um so ihren Schutz sicherzustellen, wird hier das Konzept effektiver Selbsthilfe durch Interessenbündelung und -vertretung zur Er-

257

Vgl. zu dieser Problematik und sonstigen Formen „neuer“ Selbstständigkeit: Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 1 ff., 13 ff.; Uffmann, RdA 72 (2019), 360, 362 ff.; Däubler TVG/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 825; Waltermann, Abschied vom Normalarbeitsverhältnis?; grundlegend: Wank, Arbeitnehmer und Selbständige; tabellarische Übersicht der anwendbaren (Schutz-)Vorschriften auf AN, Heimarbeiter, ANähnliche und Selbstständige: Preis, SR 7 (2017), 173, 180; zum sozialrechtlichen Beschäftigtenbegriff: Brose, Soziale Sicherheit 68 (2019), 330 ff. 258 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weissbuch Arbeiten 4.0, 188, scheint eher auf weitere Beobachtung zu setzen, als legislative Maßnahmen anzustoßen.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

reichung eines Machtgleichgewichts untersucht.259 Insofern lassen sich den vorgestellten Überlegungen durchaus plausible Konzepte zur Einhegung vieler Probleme im Zusammenhang mit Crowdwork entnehmen. Vorliegend wird allerdings ein anderer Weg beschritten.

§ 4 Rechtsrahmen für soloselbstständige Crowdworker de lege lata Im folgenden Abschnitt wird untersucht, welcher Schutz Crowdworkern nach der erfolgten Einordnung als Soloselbstständige bereits nach geltendem Recht zuteil wird.

A. Individualrechtlicher Schutzschirm Das Zivilrecht bietet mehrere Tatbestände, die zugunsten des schwächeren Geschäftsteils die Privatautonomie begrenzen. Diesem Schutzgedanken trägt insbesondere das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen §§ 305 ff. BGB Rechnung, daneben aber auch §§ 138, 242 BGB, sowie zum Teil das Kartellrecht in §§ 19 f. GWB, Art. 102 AEUV. Hinsichtlich der AGB-Kontrolle ist jedoch zu beachten, dass mit dieser ein umfassenderer Schutzzweck verfolgt wird. Sie dient nicht nur dem Schutz des wirtschaftlich schwächeren Vertragsteils, sondern allgemein dem Schutz vor der einseitigen Ausnutzung der Vertragsgestaltungsfreiheit durch die Verwendung vorformulierter Klauseln, die den Vertragsinhalt prägen und für den Klauselgegner nur schwer überschaubar und auf ihre Richtigkeit zu kontrollieren sind.260 Stärker als um die Kompensation wirtschaftlicher Nachteile geht es darum „der situativ bedingten Unterlegenheit des Klauselgegners [zu] begegnen“.261 Nichtsdestoweniger spielt die Verbrauchereigenschaft für den Anwendungsbereich des AGB-Rechts eine entscheidende Rolle, § 310 Abs. 3 BGB, weshalb diese im weiteren Verlauf vorab zu untersuchen ist. I. AGB-Kontrolle – Auswahl der geprüften Klauseln Bei der Untersuchung der AGB der Plattformen, die wie bereits dargestellt beim Registrierungsprozess auf der jeweiligen Plattform Vertragsbestandteil der Rahmenverträge werden, aber darüber hinaus die Modalitäten der Verträge zur Ableis259

Vgl. aus US-amerikanischer Sicht zu „Self-Regulatoriy Solutions“ in der SharingEconomy: M. Cohen/Sundararajan, U. Chi. L. Rev. Online 82 (2015), 116, 123 f. 260 Vgl. dazu: Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht, Einleitung BGB Rn. 5; Stoffels, AGB-Recht, Rn. 88 ff. 261 Stoffels, AGB-Recht, Rn. 89.

§ 4 Rechtsrahmen für soloselbstständige Crowdworker de lege lata

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tung einzelner Arbeitsaufgaben festlegen und im Rahmen der Auslegung selbst für Verträge zwischen Crowdworker und Crowdsourcer relevant sind, sind zwei Umstände zu beachten.262 Zunächst bedienen sich die Plattformen zum Teil sehr umfassender AGB und verweisen in diesen auf weitere Regelwerke, wie den jeweiligen Code of Conduct oder spezielle AGB nur für Crowdsourcer. Aus allen in Betracht kommenden Regelungen wurden hier nur einige Klauseln ausgewählt, die entweder in ähnlicher Gestalt in verschiedenen Klauselwerken vorkommen und deswegen besondere Bedeutung im Plattform-Kontext genießen oder die zwar nur von einer Plattform benutzt werden, aber paradigmatisch für die Crowdwork-Abläufe sind, sodass auch ihr einmaliges Vorkommen eine Analyse rechtfertigt. Zweitens ändern sich die AGB der Plattformen regelmäßig, sodass etwa für AMT ein Vergleich unterschiedlicher AGB-Varianten erfolgen kann.263 1. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB Begrifflich handelt es sich bei den von den Plattformen verwendeten Klauseln durchweg um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen und damit um Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. § 305 Abs. 1 BGB. Hinsichtlich des Umfangs der Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle ist maßgeblich, ob die Crowdworker die Verträge mit den Plattformen und Crowdsourcern als Verbraucher oder Unternehmer i. S. d. §§ 13, 14 BGB schließen, vgl. § 310 Abs.1, Abs. 3 BGB. Ersteres wäre der Fall, wenn der Vertragsschluss überwiegend weder der gewerblichen noch der selbstständigen beruflichen Tätigkeit der Crowdworker zugerechnet werden könnte. Wie gezeigt agieren Crowdworker in Ausübung ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit und damit nicht als Verbraucher, sondern vielmehr als Unternehmer i. S. v. § 14 Abs. 1 BGB. Darunter fallen natürliche oder juristische Personen, die planmäßig und dauerhaft vorgehend Leistungen gegen Entgelt am Markt anbieten.264 Nur in den hier weniger interessierenden Fällen, in denen Menschen Crowdwork als bloßen Zuverdienst in ihrer Freizeit betreiben und dabei nur ein „Taschengeld“ verdienen265, wäre eine Verbraucherstellung anzunehmen.266 Der überwiegende Teil der Crowdworker, der nicht auf Grundlage eines Arbeitsvertrages, sondern eines Werkvertrages nach § 631 BGB regelmäßig Leistungen für Plattformen oder Crowdsourcer erbringt und darin seine Haupterwerbs-

262

Siehe oben § 3 A. II. Https://www.mturk.com/ letzte Änderung März 2020, vorhergehende Änderungen u. a. Oktober 2017, Dezember 2014. 264 Palandt/Ellenberger, § 14 BGB Rn. 2 m. w. N. 265 Vgl. dazu: MüKoBGB/Micklitz, § 13 BGB Rn. 72. 266 Abweichend: Meyer-Michaelis/Falter, DB 69 (2016), 2543, Rn. 37, die aufgrund des entgeltlichen Tätigwerdens eine Verbrauchereigenschaft auch hier verneinen wollen, was angestichts der st. Rspr. des BAG zum Verbraucherstatus von Arbeitnehmern nicht überzeugt; dazu auch: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 101. 263

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quelle hat, ist als Unternehmer i. S. v. § 14 BGB einzuordnen.267 Dies gilt bereits für den Abschluss des Rahmenvertrages, der dem Zweck dient gem. § 14 BGB selbstständig beruflich tätig zu werden. Wie Däubler/Klebe zutreffend konstatieren, führt dieses Ergebnis dazu, dass sich die höhere Abhängigkeit, die die Beziehung hauptberuflich tätiger Crowdworker zu ihren Auftraggebern prägt, nicht zugunsten ersterer niederschlägt.268 Vielmehr erfolgt eine nach § 310 Abs. 1 BGB eingeschränkte AGB-Kontrolle.269 Eine Einbeziehungskontrolle nach §§ 305 Abs. 2 und 3 BGB findet nicht statt. § 305c BGB bleibt jedoch anwendbar, sodass inhaltlich oder nach ihrem äußeren Erscheinungsbild überraschende und ungewöhnliche Klauseln nicht Vertragsbestandteil werden.270 Die Inhaltskontrolle ist auf § 307 Abs. 1 und 2 BGB beschränkt, wobei die Wertungen aus §§ 308 und 309 indiziell Berücksichtigung finden können.271 Trotz des Unterbleibens einer Einbeziehungskontrolle anhand von § 305 Abs. 2 und 3 BGB, ist eine am allgemeinen Vertragsrecht orientierte ausdrückliche oder stillschweigende rechtsgeschäftliche Vereinbarung, gerichtet darauf, dass eine Klausel Vertragsbestandteil werden soll, erforderlich.272 Ausreichend ist ein im Rahmen etwaiger Verhandlungen gegebener Hinweis auf die AGB, der die Möglichkeit der zumutbaren Kenntnisnahme durch den anderen Teil gewährt.273 Dabei gilt die Einbeziehung grundsätzlich nur für den jeweils in Rede stehenden Vertrag, sodass bei einer auf Dauer angelegten Geschäftsverbindung mit weiteren Einzelverträgen der Wille des Verwenders, die AGB auch allen künftigen Verträgen zugrunde zu legen, deutlich zum Ausdruck gebracht werden muss. Ein stillschweigendes Einverständnis des anderen Teils mit einer so weitgehenden Einbeziehung kann nicht erwartet werden.274 In Bezug auf Crowdwork weisen die Plattformen bei Abschluss des Rahmenvertrages ausdrücklich auf ihre AGB hin, denen zur Fortsetzung des Registrierungsprozesses zugestimmt werden muss.275 Dabei wird in den AGB festgelegt, dass diese Zustimmung für die gesamte Nutzung 267 So auch: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1037; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 173; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 103. 268 Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1037; siehe auch: Hensel, in: Hensel/Schönefeld/ Kocher u. a. (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit, S. 215, 220; differenzierend: Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 172 f. 269 Dagegen fordern manche eine erweiterte AGB Kontrolle zugunsten schutzbedürftiger Soloselbstständiger, die sich de lege ferenda durch eine Erweiterung des § 310 Abs. 3 BGB umsetzen ließe, die Soloselbstständige wie Verbraucher behandelt: Bepler, SR 9 (2019), 12, 13. 270 Zu den Voraussetzungen vgl. Ulmer/C. Schäfer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht, § 305c BGB Rn. 12 ff. 271 Vgl. P. Ulmer/Schäfer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht, § 310 BGB Rn. 25 ff. 272 Stoffels, AGB-Recht, Rn. 304. 273 Ulmer/C. Schäfer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht, § 310 BGB Rn. 23. 274 P. Ulmer/Schäfer, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht, § 310 BGB Rn. 30. 275 Siehe auch: Pacha, Crowdwork, 110.

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der Plattform gelten soll und auch für die Folgeverträge Geltung beansprucht. Dem stimmen die Crowdworker durch Abschluss der Registrierung grundsätzlich zu. In diesem Zusammenhang ist erneut zu hinterfragen, ob und inwieweit sich unterschiedliche vertragliche Konstellationen auswirken. 2. Auswirkungen der Vertragsparteien auf die Verwendereigenschaft Nach § 305 Abs. 1 BGB ist Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen derjenige, der die Bedingung bei Vertragsschluss stellt. Dem Schutzzweck des AGBRechts entsprechend dient die Ermittlung der Verwendereigenschaft dem Schutz des anderen Teils vor einseitiger Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit.276 Verwender ist derjenige, von dem das Angebot zur Einbeziehung der AGB in den jeweiligen Vertrag ausgeht, d. h. derjenige, dem die Einbeziehung der AGB zuzurechnen ist.277 Bezogen auf Crowdwork-Gestaltungen ergibt sich hier ein dem Dreiecksverhältnis aus Plattform, Crowdworker und Crowdsourcer geschuldetes Problem, dem, soweit ersichtlich, bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde.278 Unproblematisch sind die Fälle, in denen über den Rahmenvertrag hinaus die Ableistung einzelner Arbeitsaufgaben vertraglich zwischen Crowdworkern und Plattformen abgewickelt wird. Hier ist davon auszugehen, dass die Plattformen ihre in den Rahmenvertrag eingebrachten AGB auch künftigen Verträgen zugrunde legen wollten, die Crowdworker dies erkennen konnten und damit einverstanden waren. Insoweit wurden die AGB auf Veranlassung der Plattformen mit ausdrücklicher Zustimmung der Crowdworker Bestandteil künftiger Werk- oder Dienstverträge. Die Verwendereigenschaft ist hier unproblematisch und eine AGB-Kontrolle eröffnet. Anders könnte der Fall liegen, in dem abgesehen vom Rahmenvertrag keine vertraglichen Beziehungen zur Plattform entstehen, sondern ausschließlich und direkt zwischen Crowdworker und Crowdsourcer. Raum für eine AGB-Kontrolle dieser Werk- oder Dienstverträge bestünde nur dann, wenn die Drittbedingungen der Plattformen Vertragsbestandteil würden und eine der Parteien sie der anderen bei Vertragsschluss stellt, also Verwender ist.279 Nach dem vom BGH entwickelten „Auslegungsmodell“ für verschiedene Internetplattformen, wie insbesondere eBay, gelten die im Verhältnis zur Plattform bestehenden AGB nicht unmittelbar zwischen 276 Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht, § 305 BGB Rn. 26. 277 Palandt/Grüneberg, § 305 BGB Rn. 12. 278 Siehe aber: Pacha, Crowdwork, 127 ff.; im Kontext digitaler Plattformen allgemein: Engert, AcP 218 (2018), 304, 346 ff. 279 Siehe auch: Redeker, IT-Recht, Rn. 1295; dieses Problem würde entschärft, wenn § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB auch zugunsten Soloselbstständiger Anwendung finden würde, vgl.: Bepler, SR 9 (2019), 12, 13; die Problematik ergibt sich auch dann nicht, wenn man eine Inhaltskontrolle allein des Rahmenvertrages im Verhältnis Plattform-Crowdworker vornimmt, so etwa: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 105 ff.

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den Plattformnutzern, werden aber gleichwohl zur Auslegung der Willenserklärungen der Parteien auch für zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnisse herangezogen.280 Dabei hat der BGH die Frage, ob die §§ 305 ff. BGB auch auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Plattformnutzern Anwendung finden, obwohl sich keine Partei als Verwender i. S. v. § 305 Abs. 1 BGB ausmachen lässt, erkannt, wenngleich bisher unbeantwortet gelassen. Bereits in der Ricardo-Entscheidung (einer Versteigerungsplattform ähnlich eBay) spricht der BGH davon, dass „keine Vertragspartei ,Verwender‘ i. S. des § 1 AGBG [§ 305 Abs. 1 S. 1 BGB] ist. Mit dieser Feststellung ist allerdings die Frage, ob Bestimmungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Veranstalters von Internet-Auktionen einer Kontrolle nach dem AGB-Gesetz auch insoweit unterliegen, als sie das Vertragsverhältnis der Auktionsteilnehmer untereinander betreffen, nicht bereits abschließend zu verneinen.“281

Auch in späteren Entscheidungen hält das Gericht zwar an der Auslegungslösung fest, wirft die Fragestellung aber immer wieder auf.282 So liegt der Fall auch bei Crowdwork mit direkten Vertragsbeziehungen zwischen Crowdworker und -sourcer. Keine der beiden Parteien stellt „ihre“ AGB der anderen Seite, wenn überhaupt, erfolgt eine stillschweigende Vereinbarung der Geltung der AGB der Plattformen, denen beide Seiten zugestimmt haben. Nun ließe sich die Frage des Verwenders „teleologisch“ bestimmen, indem man den Inhalt der Klauseln berücksichtigend, denjenigen als Verwender auffasst, den die Klauseln begünstigen. Das wäre oftmals der Crowdsourcer. Dieses Vorgehen ist jedoch mit dem Sinn und Zweck der AGBKontrolle unvereinbar.283 Einerseits spielt der Inhalt der Klauseln für die Frage der wirksamen Einbeziehung keine Rolle, andererseits würde einem Teil ein Klauselwerk „untergeschoben“, dem er nicht anders als der andere Teil lediglich als Vertragspartner zugestimmt hat. Außerdem wäre es denkbar, dass in einem Klauselwerk unterschiedliche Vertragspartner begünstigt werden oder neutrale Klauseln niemand begünstigen, sodass die Verwendereigenschaft auseinanderfallen würde oder sich gar nicht ermitteln ließe. Nichtsdestoweniger liegt auf der Hand, dass das Ergebnis des Ausbleibens einer AGB-Kontrolle mangels Verwender ebenso absurd ist.284 Dann hätten die Plattfor280 Siehe oben § 3 A. II. 2., sowie: stRspr BGH, Urt. v. 7.11.2001 – VIII ZR 13/01, NJW 2002, 363, unter I. 4. a); BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09, NJW 2011, 2421, Rn. 21; BGH, Urt. v. 8.6.2011 – VIII ZR 305/10, NJW 2011, 2463, Rn. 15; BGH, Urt. v. 15.2.2017 – VIII ZR 59/16, NJW 2017, 1660, Rn. 12. 281 BGH, Urt. v. 7.11.2001 – VIII ZR 13/01, NJW 2002, 363, unter I. 4. a). 282 BGH, Urt. v. 10.12.2014 – VIII ZR 90/14, NJW 2015, 1009, Rn. 19, wonach davon auszugehen sei, dass die Parteien widerspruchsfreie Vereinbarungen schließen wollen, ggfs. auch im Widerspruch zu den AGB der Plattform; BGH, Urt. v. 15.2.2017 – VIII ZR 59/16, NJW 2017, 1660, Rn. 13. 283 Palandt/Grüneberg, § 305 BGB Rn. 12; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht, § 305 BGB Rn. 26, 29 a. E. 284 A. A. Hellgardt, AcP 213 (2013), 760, 812 ff., der private Marktordnungen aufschlussreich untersucht und der Auffassung ist, dass beide Teile keinen Einfluss auf die

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men über den Umweg der Drittverträge freie Hand zur kontrollfreien Verwendung extrem missbräuchlicher Klauseln. Deshalb bietet es sich an unter Rückgriff auf eine Erwägung, die auch in einer BGH Entscheidung285 anklingt, eine indirekte Kontrolle der AGB der Plattformen auch bei Verträgen zwischen Crowdworker und -sourcer durchzuführen. Dafür spricht die Erwägung, dass die Vertragsparteien nur solche AGB zur Grundlage ihres Vertrages machen wollen, die rechtlich wirksam sind, bzw. anders gewendet, dass die Plattformen ihren Kunden nur solche AGB vorgeben dürfen, die sie auch selbst verwenden könnten.286 Zusätzlich lässt sich dies damit begründen, dass die Plattformen einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter schlössen, wenn sie unwirksame AGB, die zum Nachteil eines Vertragsteils von den gesetzlichen Regelungen abweichen, verwendeten.287 Letztlich erfolgt also auch in den Fällen direkter Vertragsbeziehungen zwischen den Plattformnutzern eine Inhaltskontrolle der AGB des zur Plattform bestehenden Rahmenvertrages, ungeachtet der fehlenden Verwendereigenschaft der Vertragsparteien.288 Nur so kann der Verwendung missbräuchlicher Klauseln Einhalt geboten werden. 3. Untersuchung einzelner Klauseln Im Folgenden werden beispielhaft einige der von den Plattformen verwendeten AGB nach deutschem Recht untersucht, ohne dass strikt zwischen Rahmenvertrag und einzelnen Verträgen unterschieden wird. Nach den bisherigen Erläuterungen erfolgt in beiden Fällen eine Inhaltskontrolle. a) Leistungsablehnung Für besonderes Aufsehen in der Crowdwork-Literatur hat die Möglichkeit der entschädigungslosen Ablehnung der vom Crowdworker bereits erbrachten Leistung aufgrund wenig nachvollziehbarer Kriterien gesorgt.289 Beispielhaft dafür war die Marktordnung haben, weil sie allein vom Marktplatzbetreiber bestimmt wird. Da alle Teile der Marktordnung zustimmen sei eine AGB-Kontrolle nicht erforderlich. Diese vor allem zu Auktionsplattformen unternommenen Überlegungn sind gleichwohl nicht auf Crowdwork übertragbar. 285 BGH, Urt. v. 10.12.2014 – VIII ZR 90/14, NJW 2015, 1009, Rn. 19, „weil anzunehmen ist, dass die Parteien eine Gesamtregelung frei von Widerspruch schaffen wollten.“ 286 In diesem Sinne: Pfeiffer, in: M. Wolf/Lindacher/Pfeiffer u. a. (Hrsg.), AGB-Recht, § 305 BGB Rn. 29.; Engert, AcP 218 (2018), 304, 349. 287 Schuster, in: Spindler/Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, § 305 BGB Rn. 18. 288 IE an der „Auslegungslösung“ festhaltend und keine AGB-Inhaltskontrolle durchführend: Pacha, Crowdwork, 130. 289 Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1037 f.; Warter, Crowdwork, 272 ff.; Kocher/ Hensel, NZA 33 (2016), 984, 986; Meyer-Michaelis/Falter, DB 69 (2016), 2543, Rn. 28; Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505, 513; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 174 f.; Liebman/Lyubarsky, in: Waas/ Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 100.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

ehemals verwendete Klausel der Plattform AMT Participation Agreement vom 2. Dezember 2014 unter 3. a. „Upon completion of Services to Requesters’ reasonable satisfaction, Requesters must pay Providers for their Services.“ und „If a Requester is not reasonably satisfied with the Services, the Requester may reject the Services.“ Dies führte zu einem Ablehnungsrecht aus jedem denkbaren oder ohne Grund.290 Mit der Einführung neuer AGB vom 17. Oktober 2017 hat AMT diese Klausel verändert. Sie lautet nunmehr unter 3. a. auch in den aktuellen AGB vom 25.3.2020 unverändert „you will not reject Tasks performed by Workers without good cause“ hinzu kommt sowohl auf Seiten der Requester, d. h. Crowdsourcer als auch auf Seiten der nunmehr als Worker bezeichneten Crowdworker die Klausel „you will interact with Workers in a professional and courteous manner, and accurately describe your Tasks“ und andersherum „you will interact with Requesters in a professional and courteous manner, and provide reasonably requested information in connection with your performance of Tasks“. An der entschädigungslosen Ablehnungsmöglichkeit von Arbeitsergebnissen durch die Crowdsourcer hat sich nichts geändert, wohl aber an dem Grund. Zunächst wurde auf die „reasonable satisfaction“, d. h. darauf, ob der Crowdsourcer vernünftigerweise mit der Leistung zufrieden sein musste, abgestellt. Diese Zufriedenheit als zunächst gänzlich subjektives Kriterium sollte erkennbar durch das Erfordernis der Vernünftigkeit objektiviert werden. Hieraus ergab sich in der Praxis jedoch offenbar kaum eine Verbesserung. Nunmehr tritt an die Stelle der „reasonable satisfaction“ das Verbot der Ablehnung ohne „good cause“ und die allgemeine Vorgabe „professional and courteous“ miteinander umzugehen. Demnach soll eine Ablehnung des Arbeitsergebnisses nur noch aus wichtigem Grund möglich sein. Hier wird deutlich, dass AMT versucht, jedenfalls dem äußeren Anschein nach, Missbrauch vorzubeugen. Indes sind sowohl der Begriff der „reasonable satisfaction“ als auch des „good cause“ auslegungsbedürftig. Eine Konkretisierung ergibt sich dabei auch nicht aus dem allgemeinen Gebot, professionell und höflich miteinander umzugehen. Diese Unklarheit entfaltet besondere Brisanz aufgrund der Generalverweigerung eines Konfliktmanagements zwischen den Parteien durch AMT.291 Hierdurch wird die missbräuchliche Verwendung des Ablehnungsrechts noch begünstigt. Ähnliche Klauseln finden sich auch in den AGB anderer Plattformen, wie z. B. unter 14. im Fall von FigureEight. Dort heißt es: „If, for any reason, FigureEight or the TaskAuthor does not accept performance of a task you completed, you as a Contributor will not be entitled to any reward for the task.“ Diese Klausel geht noch

290

So Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505, 515. AMT Participation Agreement, Stand 25. März 2020, 2. „… we are not responsible for resolving any disputes between participants related to any Tasks or any transaction.“ 291

§ 4 Rechtsrahmen für soloselbstständige Crowdworker de lege lata

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weiter, als die von AMT verwendete und spricht schlicht von „any reason“ also irgendeinem Grund, aus dem die Leistung nicht akzeptiert wird. Auch auf der deutschen Plattform clickworker findet sich in § 3 3.2 eine vergleichbare Klausel. Dort heißt es, dass clickworker auch nach der Annahme des Angebotes eines Crowdworkers als Reaktion auf die Ausschreibung keinen Erfüllungsanspruch gegen den Crowdworker habe, während dieser im Gegenzug keinen Anspruch auf Abnahme der Leistung habe. Letzteres scheint insbesondere auf Fälle der Überschreitung des Zeitraumes zur Leistungserbringung zu zielen.292 Gleichwohl erscheint diese Klausel insofern weniger scharf, als dass eine dreitägige Nacherfüllungsfrist für mangelhafte Arbeiten vorgesehen ist. Diese Klauseln weichen i. S. v. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB auch von bestehenden Rechtsvorschriften ab, namentlich von §§ 631 Abs. 1 bzw. 611 Abs. 1 BGB, die jeweils die Leistungspflicht als synallagmatisch verknüpft mit der Vergütungspflicht ansehen. Diese Verknüpfung wird gelöst und der Vergütungsanspruch ins Belieben des Auftraggebers gestellt.293 Hierin liegt eine Modifikation des Leistungsversprechens, die nach § 307 Abs. 1 BGB kontrollfähig ist.294 Diese Modifikation in der Gestalt, dass eine Vergütungspflicht entgegen der §§ 631, 611 BGB auch bei Leistungserbringung nicht besteht, ist grundsätzlich nicht mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen vereinbar. Sie benachteiligt die Crowdworker deshalb unangemessen und ist nach §§ 307 Abs. 2 Nr. 1, 306 Abs. 1 BGB unwirksam. Dies gilt selbstverständlich für mangelfreie, aber auch für mangelhaft erbrachte Leistungen. Letzteres ergibt sich einerseits aus dem Rechtsgedanken des § 632 BGB, der davon ausgeht, dass die Leistungserbringung in aller Regel gegen Vergütung erfolgt, sowie aus dem gesetzlichen Mängelgewährleistungs- und Kündigungsrecht, insbesondere §§ 634 Nr. 2, 323 Abs. 1 BGB und § 649 BGB. Dies sieht den Vorrang der Nacherfüllung vor, bevor eine Rückabwicklung des Vertrages mit der Folge des Entfallens der Vergütungspflicht in Betracht kommt. Eine sofortige einseitige Lösungsmöglichkeit vom Vertrag schreibt § 649 BGB vor, wobei diese nur bis zur Vollendung des Werkes besteht und im Übrigen eine anteilige Vergütung geschuldet wird. Die Unwirksamkeit dieser Klausel nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB wird ferner von der Erwägung gestützt, dass es sich um eine besonders starke Form des Änderungsvorbehaltes nach § 308 Nr. 4 BGB handelt295, die in Gestalt des gänzlichen Entfalls der Vergütung dem Vertragspartner keineswegs zumutbar ist. Diese Unvereinbarkeit nach § 308 Nr. 4 BGB ist gemäß § 310 Abs. 1 S. 2 HS 1 BGB in die Wertungen des § 307 Abs. 2 BGB einzubeziehen. 292

Lutz, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 62, 69. Vgl. Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1037. 294 Stoffels, AGB-Recht, Rn. 441 m. w. N. 295 Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht, § 18 Rn. 76; vgl. auch: Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 54 ff.; allgemeiner zu Änderungsvorbehalten: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 105 ff. 293

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Dieses Ergebnis gilt indes nicht vorbehaltlos. Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei der Ausschreibung von Arbeitsaufgaben auf den Plattformen jedenfalls zum Teil lediglich um eine invitatio ad offerendum, sodass die Crowdworker ein Angebot unterbreiten, das teilweise erst konkludent in der Übersendung des Arbeitsergebnisses liegen wird. Im Grundsatz ist es deshalb denkbar, dass Crowdsourcer dieses Angebot zulässigerweise ablehnen können. Dies wäre zum Beispiel bei einer Überschreitung des zeitlichen Rahmens, einer Erledigung des Bedarfs oder technischen Problemen wie einem Absturz des Servers denkbar, wobei der Bedarf oft elektronisch überwacht wird. Ein Vertrag, dessen gesetzliche Wertungen unterlaufen würden, käme in diesem Fall gar nicht zustande. Wie dargestellt, sollen Crowdworker dadurch aber nicht der Willkür der Crowdsourcer ausgeliefert werden. Für die missbräuchliche Ablehnung besteht ein Anspruch des Crowdworkers aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB auf Schadensersatz.296 Trotzdem ist eine solche Klausel im Grundsatz nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Denn auch wenn die Ausschreibung teilweise eine invitatio ad offerendum darstellt, kommt es im weiteren Verlauf in der Regel zu einem Vertragsschluss. Praktisch werden die Crowdworker auf eine Ausschreibung durch Anklicken reagieren, wenn dann eine weitere Bereitstellung von Informationen und Instruktionen erscheint und die Arbeitsaufgabe für den jeweiligen Crowdworker reserviert wird, ist hierin eine Annahme des Angebotes zu sehen (vgl. § 151 S. 1 BGB). Das gilt etwa für die Plattform clickworker, die in § 3 3.2. ihrer AGB selbst von einem Nacherfüllungsanspruch ausgeht, der nur dann Sinn ergibt, wenn zunächst ein Erfüllungsanspruch besteht. Gleiches gilt für Twago § 11 3.2. der AGB, wo zunächst eine unverbindliche Projektanfrage online gestellt wird, auf die sich die Crowdworker bewerben können. b) Preisausschreiben Unterschiedliche Plattformen betreiben Crowdwork wettbewerbsbasiert, d. h. nur die beste bzw. besten Arbeiten werden prämiert, während der Rest leer ausgeht.297 Solche Wettbewerbe sieht beispielsweise die Plattform 99designs vor, in deren AGB (Stand September 2019) unter 1.2 der Prepaid- und der garantierte Wettbewerb unterschieden werden. § 2 1. 2. a und c „… Der Designvorschlag muss die Anforderungen für den Designwettbewerb eindeutig angeben, sodass Designer genau wissen, nach welchen Regeln und Kriterien ihre Designkonzepte beurteilt werden … Bei Prepaid-Wettbewerben muss der Kunde bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Prepaid-Wettbewerbs ein oder mehrere gewinnende Designkonzepte auswählen. Der Kunde kann den Prepaid-Wettbewerb (jedoch nicht einen garantierten Wettbewerb) rückgängig machen und sich die Kundenzahlung erstatten lassen, bevor die Finalrunde begonnen hat und bevor der Prepaid- Wettbewerb abgeschlossen wird. 296 297

Siehe oben § 3 A. II. 2. Siehe oben § 2 A. III. 2.; § 3 A. II. 3.

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Der Kunde kann zusätzlich jederzeit bis zu 60 Tage nach dem Datum der Zahlung für den Prepaid-Wettbewerb eine Erstattung der Kundenzahlung für einen Prepaid-Wettbewerb (aber nicht für einen garantierten Wettbewerb) verlangen, aber nur wenn die Auswahl der Finalisten durch den Kunden nicht erfolgt ist.“

Die Unterscheidung zwischen garantiertem und Prepaid-Designwettbewerb scheint darin zu liegen, dass der Prepaid-Wettbewerb abgebrochen werden kann, während beim garantierten Wettbewerb jedenfalls ein Designer zum Gewinner gekürt werden muss oder anderenfalls der Gewinn durch 99designs auf die Teilnehmer verteilt wird. Maßgeblich für die Frage der Zulässigkeit der genannten Klausel ist der tatsächliche Ablauf der Wettbewerbe. Sofern es sich wie bei Architektenwettbewerben bei den eingereichten Designs um Entwürfe handelt, spräche dies für die Zulässigkeit. Erbringen die Designer aber tatsächlich die gesamte Leistung bereits im Vorhinein und reichen das fertige Ergebnis ein, spräche dies dagegen. Die Designwettbewerbe laufen in Runden ab, wobei der Crowdsourcer in der Finalrunde bis zu sechs Finalisten auswählen kann.298 Tut er dies, entsteht einerseits ein garantierter Wettbewerb, mit der Folge, dass einer der Designer bezahlt werden muss. Nimmt man andererseits die FAQ ernst, müssen die Designer in der Finalrunde bereits nachbessern: „You’ll want to listen to the customer’s feedback and put everything you can into meeting their needs.“ Dies spricht eher dafür, dass es sich bei den eingereichten Designs nicht um bloße Entwürfe handelt. Im Wortlaut der AGB wird ausschließlich von „Designkonzepten“, die es einzureichen gilt, gesprochen. Dies deutet wiederum auf Entwürfe und keine fertigen Designs als Gegenstand der Wettbewerbe hin. Ebenfalls wettbewerbsbasiert funktioniert die Plattform InnoCentive, bei der extrem komplexe Aufgaben ausgeschrieben werden, die zu Preisgeldern in Millionenhöhe führen können.299 In Sektion 7 der AGB vom 15. Juni 2020 wird hinsichtlich der Bezahlung auf die einzelnen „InnoCentive Challenge Statements“ verwiesen, in denen die Qualifikationsanforderungen einzelner Aufgaben näher spezifiziert würden. Eine weitere wettbewerbsbasiert agierende Plattform ist Topcoder. Auf dieser Plattform werden unterschiedliche Arten von Wettbewerben organisiert und der oder die besten Ergebnisse werden prämiert.300 Die Wettbewerbe können dabei in mehreren oder in einer Runde abgehalten werden, wobei auch siegreiche Crowdworker zu kleineren Nachbesserungen verpflichtet werden.301 298 Vgl. https://support.99designs.com/hc/en-us/articles/204761745-I-m-a-contest-finalistWhat-does-that-mean-. 299 Vgl. zum Ablauf der Wettbewerbe: Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 74 ff.; Warter, Crowdwork, 79 f. 300 Topcoder Terms and Conditions, Stand 18. Oktober 2018, unter „Prize Payment“. 301 Vgl. Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 71 ff.

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Während in der bisherigen Literatur beinahe einhellig von einer unangemessenen Benachteiligung der Crowdworker bei Bezahlung nach einem Preisausschreiben ausgegangen wird302, scheint die Antwort differenzierter ausfallen zu müssen. Zunächst ist im Grundsatz zuzustimmen, dass Arbeit, die mit Zustimmung des Arbeitgebers erbracht wird, vergütet werden muss, vgl. § 612 BGB, der auch für freie Dienstverträge gilt. Auch Selbstständigen, die aufgrund eines Werkvertrages nach § 631 BGB Leistungen erbringen, ist diese Leistung grundsätzlich zu vergüten, vgl. §§ 632, 649 BGB.303 Demgegenüber ist ein bloßer Kostenanschlag gemäß § 632 Abs. 3 BGB im Zweifel nicht zu vergüten. Ungeachtet dessen soll eine Vergütungspflicht jedenfalls dann bestehen, wenn der Werkunternehmer nicht vornehmlich im eigenen Interesse tätig wird (z. B. zur Akquise), sondern im Interesse des Bestellers, etwa dann, wenn die Vorarbeit im Verhältnis zum späteren Auftrag einen unverhältnismäßigen Aufwand verursacht.304 Wird dieser Grundsatz aufgrund von Wettbewerbsgestaltungen in AGB unterlaufen, liegt eine Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB vor. Diese ist als Modifikation des Hauptleistungsversprechens dergestalt, dass der in einer bestimmten Frist abgegebene, beste Vorschlag vergütet wird, auch der Inhaltskontrolle unterworfen.305 Diese Abweichung begründet aber nicht ohne Weiteres eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB mit der Folge ihrer Unwirksamkeit. Vielmehr ist seit langem anerkannt, dass auch auf (vertragliche) Rechtsbeziehungen, die eine Leistungserbringung zum Gegenstand haben, die §§ 657 ff. BGB entsprechende Anwendung finden können und z. B. Architektenwettbewerbe, Sportwettbewerbe, TV-Quizsendungen oder die Beantwortung von Forschungsfragen in Wettbewerbe gekleidet werden können.306 Ferner sind die §§ 612, 632 BGB nicht zwingend und gelten nur dann, wenn ein Werk- oder Dienstvertrag vorliegt. Der maßgebliche Unterschied zu Crowdwork, dass fertige Ergebnisse und keine Entwürfe den Wettbewerbsgegenstand bilden, ist zwar durchaus erheblich, für viele der Wettbewerbsplattformen aber kaum nachweisbar.307 Dass wie bei 99designs die Gelegenheit zu einer gewissen Nachbesserung oder Weiterentwicklung von Ent302 So z. B.: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1038; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 174 f.; Warter, Crowdwork, 266 f.; dagegen aber: Lingemann/Chakrabarti, in: Arnold/Günther (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, S. 27, 52 Rn. 83; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 110 f. 303 Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1038; Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 174 f. 304 Vgl. Palandt/Sprau, § 632 BGB Rn. 10 f. m. w. N.; kritisch: MüKoBGB/Busche, § 632 BGB Rn. 11. 305 Vgl. dazu: A. Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht, § 307 BGB Rn. 38 ff. 306 BGH, Urt. v. 14.6.1955 – V ZR 120/53, NJW 1955, 1473, unter B. C. I.; BGH, Urt. v. 6.4.1966 – Ib ZR 82/64, BeckRS 1966, 31170354, unter II. 1. a); BGH, Urt. v. 9.6.1983 – III ZR 74/82, NJW 1984, 1118, unter I. 2. 307 Siehe oben § 3 A. II. 3.

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würfen gegeben werden kann, was mit Kosten verbunden ist, ist etwa aus Architektenwettbewerben bekannt und solange sie allen Teilnehmern gewährt wird, kein Argument gegen einen zulässigen Preiswettbewerb.308 Außerdem scheint es sich bei den eingereichten Designs lediglich um Konzepte, Entwürfe und Beispiele zu handeln. Wären die Designs bereits abgeschlossen, ergäbe die dargestellte Möglichkeit, in der Finalrunde die Wünsche der Crowdsourcer zu berücksichtigen, wenig Sinn. Kostenvoranschläge zeitigen, sofern nichts anderes vereinbart wurde und ein Werkvertrag vorliegt, keine Vergütungspflicht, § 632 Abs. 3 BGB. Ein weiteres Argument folgt ggfs. aus der Ausschreibung als invitatio ad offerendum. Eine Vergütungsvereinbarung setzt zwei diesbezüglich korrespondierende Willenserklärungen voraus. Diese können sich aus der Reaktion des Crowdworkers auf eine unverbindliche Ausschreibung schon dogmatisch nicht ergeben.309 Etwas anderes kann gelten, wenn der Crowdsourcer bereits Entwürfe erhalten hat und den Crowdworker zu Veränderungen auffordert. In diesem Fall käme eine entsprechende (stillschweigende) Vergütungsvereinbarung in Betracht. Ganz entscheidend gegen die Annahme einer Vergütungspflicht spricht die Erwägung, dass derjenige, der auf einen Wettbewerb reagiert als einziger in der Position ist, abzuschätzen, ob er sich den damit verbundenen Aufwand leisten kann. Indem er sich auf den Wettbewerb einlässt, äußert er sein Einverständnis mit dieser Ausgestaltung und muss damit rechnen, dass der Wettbewerbsveranstalter, sofern nichts anderes in der Ausschreibung angegeben ist, nicht zur Zahlung etwaiger Entschädigungen bereit ist. Anderenfalls würde die Idee des Wettbewerbs ad absurdum geführt, da der Veranstalter nicht überschaubare Haftungsrisiken einginge, wenn er jedem Teilnehmer dessen Aufwand ersetzen müsste.310 Letztlich handelt es sich um mit typischen Wettbewerbsgestaltungen vergleichbare Ausschreibungen, die im Einklang mit § 661 BGB stehen, der analog auf die vorliegende Konstellation anzuwenden ist. Dabei sind insbesondere §§ 661 Abs. 3, 659 Abs. 2 BGB zu beachten, wonach bei Bewerbungen gleicher Würdigkeit der Preis nach gleichen Teilen an die Bewerber auszuschütten ist. Dieses Vorgehen ist nach den AGB von 99designs möglich, so etwa wenn kein Gewinner ausgewählt wird. Dieses Ergebnis gilt entsprechend für Wettbewerbe bei Topcoder. Etwas anders liegt der Fall bei InnoCentive. Dort geht es um die Lösung hochkomplexer Probleme unterschiedlichster Natur.311 Auch derartige Gestaltungen 308

Vgl. dazu: BGH, Urt. v. 9.6.1983 – III ZR 74/82, NJW 1984, 1118, unter 5. So auch: Alpert, CR 17 (2001), 213, 216; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 110. 310 In diesem Sinne: BGH, Urt. v. 12.7.1979 – VII ZR 154/78, NJW 1979, 2202, unter I. 2. d) cc). 311 Https://www.innocentive.com/ar/challenge/browse bietet unterschiedliche „Challenges“ z. B. Preisgeld iHv 80.000 USD für Ideen zum Monitoring von Krankheitserregern im Abwasser, die über den bisherigen Stand der Technik hinausgehen oder ebefalls 80.000 USD für Vorschläge zur effektiven Inspektion von Flugzeuglandebahnen auf etwaige Schäden. 309

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waren bereits Gegenstand der deutschen Rechtsprechung.312 Das Abweichen vom Grundsatz, dass erbrachte Leistungen jedenfalls anteilig vergütet werden müssen, rechtfertigt sich hier aus zwei Erwägungen und ist deshalb nicht unangemessen benachteiligend. Erstens erbringen die Crowdworker bei InnoCentive die Problemlösungen in der Erwartung eines extrem hohen Gewinns und nehmen dafür die Möglichkeit, nicht berücksichtigt zu werden, bewusst in Kauf. Dabei ist anzumerken, dass bei derart komplizierten Aufgaben eine sehr viel geringere Anzahl an potentiellen Wettbewerbern besteht.313 Außerdem ist eine Aufteilung des Gewinns auf mehrere Crowdworker möglich und bei einer Vielzahl der Ausschreibungen geht es um die Einreichung von Ideen, d. h. Lösungsvorschlägen. Insoweit überschneiden sich die Ausschreibungen mit denen auf 99designs und Topcoder. Zweitens ist die bloße Teilnahme an InnoCentive Wettbewerben prestigeträchtig und kann für das weitere berufliche Fortkommen von erheblicher Bedeutung sein.314 Hier zeigt sich eine Parallele zu sportlichen oder wissenschaftlichen Wettbewerben, bei denen neben dem Preisgeld die Reputation im Vordergrund steht. Insgesamt ist auch hier keine unangemessene Benachteiligung der Crowdworker anzunehmen. Dennoch sind Konstellationen denkbar, die mit § 307 BGB unvereinbar sind. In den AGB von 99designs wird unter § 2 1. 2. (c) eine Beendigungsmöglichkeit bis zur Finalrunde vorgesehen, ohne dass die Crowdworker entschädigt werden müssten. Klauseln wie diese, die ggfs. dazu führen, dass Crowdworker aufgrund einer (Preis-)Ausschreibung zur Erbringung von Leistungen bewogen werden, ohne dass ein Preis überhaupt ausgeschüttet wird, sind nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Derartige Klauseln sind jedenfalls mit den oben genannten gesetzlichen Regelungen (§§ 612, 632 BGB) unvereinbar, sofern im Einzelfall bereits ein Werkoder Dienstvertrag vorliegt. Unabhängig davon stehen sie aber auch im Widerspruch zu den entsprechend anwendbaren §§ 657 ff. BGB, insbesondere § 658 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach ein Widerruf der Auslobung nur bis zur Erbringung der Handlung möglich ist, da in diesem Zeitpunkt der Anspruch auf die Belohnung bereits entsteht. Dies gilt auch im Fall des Preisausschreibens, bei dem mit Fristsetzung im Zweifel von der Unwiderruflichkeit auszugehen ist (§§ 661 Abs. 1, 658 Abs. 2 BGB315) und hat mit der Entscheidung über die Preisbewerbung nach § 661 Abs. 2 BGB nichts zu tun. Unzulässig ist nicht, dass nicht jede Preisbewerbung entlohnt wird, sondern dass nach Teilnahme gar kein Preis ausgeschüttet wird. 312 Vgl. zur Ausschreibung bzgl. der Widerlegung einer Theorie zu sog. „Sonnenflecken“ bereits: BGH, Urt. v. 14.6.1955 – V ZR 120/53, NJW 1955, 1473. 313 Die Anzahl aktiver Crowdworker („Solver“) wird auf InnoCentive im Challenge Center angezeigt und ist entsprechend transparent. Am 14. Mai 2018 waren bei allen Challenges jeweils wenige Dutzend Teilnehmer aktiv. Am 10. Juli 2020 waren bei insgesamt 30 Challenges jeweils zwischen 100 und 650 Solver aktiv. Die „lukrativste“ Challenge am 10. Juli 2020 sah ein Preisgeld von 1 Mio. USD vor. 314 Vgl. Liebman/Lyubarsky, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 75. 315 Palandt/Sprau, § 661 BGB Rn. 1.

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Gleiches gilt für alle Gestaltungen, in denen bereits das komplette Arbeitsergebnis übertragen wird, während nur ein Wettbewerbsteilnehmer bezahlt wird. Hier lässt sich die Abweichung von werk- bzw. dienstvertraglichen Vergütungsgrundsätzen auch im Hinblick auf § 661 Abs. 2 BGB nicht rechtfertigen.316 In diesen Fällen stehen der Aufwand für die Vorarbeit, d. h. die Erstellung eines Designs bzw. Designkonzepts oder die Lösung eines Problems, im Missverhältnis zum möglichen Preisgewinn, insbesondere bei kleinen Arbeitsaufgaben.317 Auch bei Preisausschreiben führt eine Preisbewerbung nicht dazu, dass der Bewerber unabhängig von einem Gewinn seine Rechte am Leistungsgegenstand überträgt, vgl. § 661 Abs. 4 BGB, der sich ersichtlich auf das prämierte Werk bezieht. Die Erwägung, dass Kostenvoranschläge durchaus eingeholt werden können, ohne dass sich der Auftraggeber dann für eines der Angebote entscheiden müsste, ist auf Wettbewerbsgestaltungen mangels Ausschreibung des Arbeitsauftrages nicht übertragbar. Die Zahlung nach Art eines Preisausschreibens stellt nicht per se eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 BGB dar, wobei in den gezeigten Fällen eine solche anzunehmen ist. c) Abtretung aller Rechte am Leistungsgegenstand Auf mehreren Plattformen finden sich Klauseln, die festlegen, dass alle Rechte, insbesondere Immaterialgüterrechte an den Arbeitsergebnissen, auf die Plattformen bzw. Crowdsourcer übergehen. So z. B. AMT Participation Agreement vom 25. März 2020 unter 3. c. „Any work product from Tasks you perform as a Worker is a ,work made for hire‘ for the benefit of the Requester, and you (i) agree that all ownership rights, including all intellectual property rights, will vest with that Requester immediately upon your performance of those Tasks, and (ii) waive all moral or other proprietary rights that you may have in that work product. To the extent any ownership rights do not vest in the Requester under applicable law, you hereby assign or exclusively grant (without the right to any compensation) all right, title, and interest, including all intellectual property rights, in that work product to that Requester.“318

316 Zur Übertragung von Immaterialgütern auch ohne entsprechende Bezahlung siehe sogleich unter c). 317 Vgl. MüKoBGB/Busche, § 632 BGB Rn. 12; Alpert, CR 17 (2001), 213, 217 ff. 318 Ähnlich Figure Eight Terms of Service, Stand 13. Oktober 2015 unter 16.; Einräumung umfassender Nutzungsrechte bei: Twago AGB, Stand 24. Mai 2018, § 26 8.1; 99designs Nutzungsbedingungen, Stand September 2019, § 14 7.2; Clickworker AGB, Stand 3. Dezember 2012, § 5.1; anders bisher: Topcoder Terms & Conditions unter Ownership Rights of Submissions, dort wurde bis zur letzten Änderung vom 18. Oktober 2018 ausdrücklich festgehalten, dass nur bei Bezahlung eine Rechteübertragung stattfindet.

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Im Grundsatz entspricht dies der vertraglich übernommenen Pflicht des Werkunternehmers, der gem. § 631 Abs. 1 BGB die Herstellung des Werkes schuldet, wovon die Ablieferung d. h. Verschaffung von Besitz und Eigentum am Werk umfasst ist.319 Etwas anderes ergibt sich aber, wenn der andere Teil zur Übertragung aller Rechte im Zeitpunkt der Leistungserbringung verpflichtet wird, ohne dafür bezahlt zu werden. So ist die von AMT verwendete Klausel zu verstehen, die festschreibt, dass alle Urheberrechte, einschließlich der Rechte am geistigen Eigentum unmittelbar mit der Erledigung der Arbeitsaufgaben auf den Crowdsourcer übertragen werden („immediately upon your performance of those tasks … without the right to any compensation“). Dabei besteht wie gezeigt die Möglichkeit das Arbeitsergebnis aus nicht näher konkretisiertem, wichtigen Grund entschädigungslos abzulehnen. Hieraus ergibt sich eine Abweichung von der synallagmatischen Verknüpfung der Werkleistung inklusive der Übertragung des Eigentumsrechts am Werk und der Vergütungspflicht, die nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des § 631 BGB unvereinbar ist. Mithin sind derartige Klauseln unwirksam.320 Hinzu kommt, dass die Urheberrechte an Werken (§ 2 UrhG) nach § 29 Abs. 1 UrhG rechtsgeschäftlich grundsätzlich nicht übertragbar sind, sondern nur entsprechende Nutzungsrechte vom Urheber eingeräumt werden können, § 31 UrhG. Für die Einräumung derartiger Nutzungsrechte ist eine angemessene Vergütung zu zahlen, vgl. § 32 Abs. 1 S. 2 UrhG.321 Insofern verstießen derartige Klauseln, soweit der Anwendungsbereich des Urheberrechtsgesetzes eröffnet ist, auch gegen urheberrechtliche Vorschriften.322 Die von AMT und FigureEight, ehemals CrowdFlower, verwendeten Klauseln verstoßen gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und sind dementsprechend unwirksam. Die Einräumung von Nutzungsrechten einschließlich der Möglichkeit zur Verwertung gegen Zahlung von Entgelt, wie sie in den AGB anderer Plattformen auftauchen, stellt demgegenüber keine unangemessene Benachteiligung dar. d) Nacherfüllungsfristen In verschiedenen Klauselwerken werden relativ kurze Fristen zur Nacherfüllung festgesetzt. Unter § 3. 2 der clickworker AGB vom 3. Dezember 2012 heißt es:

319

Vgl. nur: Palandt/Sprau, § 631 BGB Rn. 15. Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht, § 18 Rn. 81 f.; Klebe/Neugebauer, AuR 62 (2014), 4, 6; Warter, Crowdwork, 277 f. 321 Dies gilt auch, wenn eine Vergütung gar nicht vereinbart wurde, BeckOKUrhR/Soppe, § 32 UrhG Rn. 11. 322 Siehe dazu auch: Waas, in: Waas/Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 142, 175. 320

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„Die abgelieferten Resultate werden im Folgenden durch clickworker überprüft. Zeigen sich hierbei Mängel, erhält der Clickworker eine dreitägige Frist zur Nacherfüllung. Schlägt diese Nacherfüllung fehl oder wird sie von dem Clickworker verweigert, tritt clickworker von dem entsprechenden Vertrag zurück.“323

Eine Frist zur Nacherfüllung muss grundsätzlich angemessen lang sein, vgl. nur § 323 Abs. 1 BGB. Die Angemessenheit richtet sich dabei nach der geschuldeten Leistung und soll den Schuldner in die Lage versetzen eine bereits begonnene Leistung zu vollenden.324 Danach wird insbesondere bei Mikrotasks eine Dreitagesfrist angemessen sein. Gleichwohl sind Klauseln, die allgemein, ohne Rücksicht auf die Komplexität der übernommenen Verpflichtungen, eine Nacherfüllungsfrist von drei Tagen festsetzen, nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, weil sie den Vertragspartner (Crowdworker) unangemessen benachteiligen.325 e) Bindung an Plattformen, Exklusivitätsklauseln In den Klauselwerken der Plattformen zeigen sich ganz unterschiedliche Versuche, die Crowdworker an sich zu binden bzw. die Nutzung anderer Plattformen zu erschweren. Dies kommt einerseits in Exklusivitätsklauseln zum Ausdruck, in denen festgelegt wird, dass die Erledigung von Arbeitsaufgaben für 12326 oder 24327 Monate ausschließlich über die jeweilige Plattform zu erfolgen hat, wenn die Geschäftsbeziehung zwischen Crowdworker und -sourcer über die Plattform begründet wurde. Auch AMT legt in seinen AGB fest, dass Arbeitsergebnisse nur über die Seite abgegeben und von Crowdsourcern akzeptiert werden dürfen, nicht aber außerhalb dieser, etwa durch Geschäftsverbindungen der Parteien außerhalb der Plattform.328 Dieses Umgehungsverbot unterscheidet sich jedoch qualitativ von den Exklusivitätsklauseln, indem es eine Bindung an die Plattform nur bezogen auf den einzelnen Auftrag und nicht zukunftsgerichtet festschreibt und entsprechend unbedenklich ist, weil es allein darum geht die durch das Zusammenführen für einen einzelnen Task bereits „verdiente“ Provision zu sichern. 323 Ähnlich, wenn auch nicht in den AGB, sondern FAQ zu finden: 99designs Finalrunde zur Nachbesserung des Designs dauert drei Tage, https://support.99designs.com/hc/en-us/articles/2 04761745-I-m-a-contest-finalist-What-does-that-mean-. 324 Vgl. nur Palandt/Grüneberg, § 323 BGB Rn. 14 m. w. N. 325 So auch: Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht, § 18 Rn. 83; Klebe/Neugebauer, AuR 62 (2014), 4, 6; Warter, Crowdwork, 277; Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 61; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 114. 326 Twago AGB, Stand 24. Mai 2018, § 41 11.1 und § 44 11.4 Umgehungsverbot der Plattform und Erhebung der Servicegebühren für 12 Monate. 327 99designs Nutzungsbedingungen, Stand September 2019 unter § 9 4.1 exklusive Nutzung der Plattform für 24 Monate, oder Zahlung einer „Opt-Out-Gebühr“ iHv 2.500 USD bzw. 15 % der Auftragskosten. 328 AMT Participation Agreement, Stand 25. März 2020, 3. a. b.

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Andererseits wird der Versuch unternommen, die Nutzung von plattformbezogenen Informationen oder der eigenen Bewertung zur Verfolgung von Beschäftigungsmöglichkeiten bei Dritten zu unterbinden und den Plattformbetreiber bei Kontaktversuchen durch Dritte unverzüglich darüber zu informieren.329 Beide Arten von Klauseln zielen auf die Absicherung einer Bindung an die jeweilige Plattform, bedienen sich dabei aber unterschiedlicher Instrumente. Während die erste Klauselvariante jeweils auftragsbezogen sicherzustellen versucht, dass der Plattform über sie angebahnte Geschäftsbeziehungen auch wirtschaftlich zugutekommen, geht die zweite Variante deutlich weiter. Topcoder scheint einerseits nur einer Abwerbung von Crowdworkern durch Dritte entgegensteuern zu wollen. Gleichzeitig wird aber der Kontakt unter Weitergabe von Informationen bzgl. der Plattform ohne schriftliche Zustimmung von Topcoder gänzlich untersagt. Außerdem soll die Plattform auch bei Kontaktversuchen durch Medien informiert werden. Hier geht es also nicht in erster Linie um die Sicherung der wirtschaftlichen Partizipation an einzelnen Geschäftsbeziehungen, sondern um die Sicherung des Bestands an Crowdworkern durch Beschränkung der Kommunikationsmöglichkeiten und um eine Geheimhaltung der Abläufe bei Topcoder. Während Exklusivitätsklauseln die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit begrenzen, einem Wettbewerbsverbot nahekommen und im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung330 die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG berühren oder im Extremfall nach § 138 BGB sittenwidrig sein können, stehen Kontaktverbote und -erschwerungen in einem Spannungsverhältnis zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG. Sie beeinträchtigen darüber hinaus aber auch die Verwertung auf einer Plattform erzielter Arbeitsergebnisse (Bewertungen) auf weiteren Plattformen. aa) Exklusivitätsklauseln Zunächst ist festzuhalten, dass Exklusivitätsklauseln und Wettbewerbsverbote dem Gesetz und der Rechtsprechung nicht fremd sind. Im HGB finden sich in den §§ 60 f. und 74 ff. Regelungen zu gesetzlichen und vertraglichen Wettbewerbsverboten für Handlungsgehilfen, die auch auf Arbeitnehmer und Arbeitnehmerähnliche Anwendung finden.331 Dabei wird im Anwendungsbereich dieser Regelungen eine Tätigkeit im Geschäftsbereich des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer untersagt, solange das Arbeitsverhältnis besteht. Darüber hinaus ist für ein verbindliches nachvertragliches Wettbewerbsverbot die Zahlung einer Karenzentschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB erforderlich. § 90a HGB, der nur für Handelsvertreter i. S. v. § 84 HGB gilt, gibt in Satz 2 einen Anhaltspunkt für eine mögliche Dauer nachvertraglicher Wettbewerbsverbote, die dort auf zwei Jahre begrenzt wird. Die Rechtspre329 Topcoder Terms & Conditions, Stand 18. Oktober 2018 unter Other Restrictions on Conduct. 330 Siehe unten § 7 C. II. 2. c) aa). 331 Vgl. ErfK/Oetker, § 60 HGB Rn. 2 m. w. N.

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chung hat sich insbesondere mit nachvertraglichen Wettbewerbsverboten ausscheidender Gesellschafter oder Angehörigen der freien Berufe beschäftigt und auf das zeitlich, örtlich und inhaltlich notwendige Maß hin überprüft, wobei sich eine Dauer von zwei Jahren als in der Regel zulässig ergeben hat.332 Darüber hinaus sind Exklusivitätsvereinbarungen aus verschiedenen Dauerlieferungsverträgen bekannt und jedenfalls dann unzulässig und sittenwidrig i. S. v. § 138 Abs. 1 BGB, wenn sie die wirtschaftliche Freiheit des Vertragspartners derart beschränken, dass dieser seine wirtschaftliche Selbstständigkeit verliert.333 Ähnlich zu den verwendeten Klauseln sind im Maklerrecht vorkommende Folgevertragsklauseln, die eine Provision auch für aus dem vermittelten Geschäft entstehende Folgeverträge festlegen. Die Wirksamkeit derartiger Klauseln in AGB wird bezweifelt, weil der Makler anderenfalls ohne Rücksicht auf die Umstände des Vertragsschlusses und auch bei völliger Untätigkeit Provisionen erhielte, die ggfs. höher als die Ursprungsprovision wären.334 Demgegenüber könne sich aus der Auslegung des individuellen Maklervertrages insbesondere bei Versicherungsmaklern ergeben, dass auch Folgeverträge zu provisionieren seien.335 Nun sind diese Grundsätze nicht ohne Weiteres auf die vorliegende CrowdworkKonstellation anzuwenden. Zum einen handelt es sich bei Crowdworkern wie gezeigt nicht um Arbeitnehmer, zum anderen begründen die dargestellten Klauseln kein Wettbewerbsverbot im engeren Sinne. Darüber hinaus besteht zu den Plattformen in der Regel auch kein Maklervertrag i. S. v. § 652 BGB.336 Die Auslegung der „Exklusivitätsklauseln“ von Twago und 99designs ergibt, dass ihnen vornehmlich der Zweck, die Zusammenführungsleistung der Geschäftspartner durch ihre „Vermittlung“ zu schützen, indem sie selbige für eine gewisse Zeit an sich binden, zugrunde liegt. Nun ist es nicht ganz widerspruchsfrei, wenn die Plattformen zwar nur „eine Onlineplattform zur Verfügung stellen, auf der sich Kunden … begegnen können“337, gleichzeitig aber diese Verbindung über die einzelne „Begegnung“ hinaus 12 bzw. 24 Monate exklusiv „für sich haben“ möchten. Ein widersprüchliches und damit i. S. v. § 242 treuwidriges Handeln, das jedenfalls die Un-

332 BGH, Urt. v. 28.4.1986 – II ZR 254/85, NJW 1986, 2944; BGH, Beschl. v. 25.9.1990 – KVR 2/89, GRUR 1991, 626; BGH, Urt. v. 19.10.1993 – KZR 3/92, NJW 1994, 384; BGH, Urt. v. 18.7.2005 – II ZR 159/03, NJW 2005, 3061; BGH, Urt. v. 30.11.2009 – II ZR 208/08, NJW 2010, 1206; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – VII ZR 56/11, NJW 2013, 2027, Rn. 32; BGH, Urt. v. 20.1.2015 – II ZR 369/13, NJW 2015, 1012. 333 Erman/Armbrüster, § 145 BGB Rn. 71 ff. 334 BGH, Urt. v. 28.2.1973 – IV ZR 34/71, NJW 1973, 990, unter 2.; Staudinger/Arnold, § 653 BGB Rn. 263; Jauernig/Mansel, § 652 BGB Rn. 29; a. A. MüKoBGB/H. Roth, § 652 BGB Rn. 237; BGH, Urt. v. 13.6.1990 – IV ZR 141/89, NJW-RR 1991, 51. 335 BGH, Urt. v. 27.11.1985 – IV a ZR 68/84, NJW 1986, 1036; BGH, Urt. v. 13.1.2005 – III ZR 238/04, NJW-RR 2005, 568, unter II. 2. 336 Siehe oben § 3 B. II. 4. d). 337 99designs Nutztungsbedingungen, Stand September 2019 unter § 1 1.1.

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wirksamkeit der Klausel nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zur Folge hätte, ergibt sich hieraus allein indes noch nicht. Vom Schutzzweck – der Sicherung der Provisionen für Geschäfte, die ohne Zutun der Plattformen nicht zustande gekommen wären – ausgehend, ist der Umfang der Exklusivitätsvereinbarung zu ermitteln, um diese bewerten zu können. Zur Verhinderung der Umgehung der Plattformen werden Crowdworker und -sourcer verpflichtet, für einen gewissen Zeitraum Arbeitsaufträge allein über die Plattformen zu schließen. Zunächst bezieht sich das ausschließlich auf das jeweils durch die Plattform „vermittelte“ Vertragsverhältnis und Folgeverträge zwischen denselben Parteien. 99designs will auch „indirekte Arbeitsaufträge mit der Partei oder solche, die sich aus der Beziehung mit der Partei ergeben“ exklusiv für sich beanspruchen.338 Letzteres dürfte auch Folgeverträge mit anderen Crowdsourcern („indirekt“) umfassen, die sich kausal auf das Zusammentreffen der Parteien auf der Plattform zurückführen lassen. Eine Bindung an die Plattform erfolgt also begrenzt auf durch sie ermöglichte Geschäftskontakte. Darüber hinaus bleibt es den Crowdworkern unbenommen für andere Plattformen und andere Crowdsourcer tätig zu werden. Die Beschränkung des Wettbewerbs im Verhältnis zu weiteren Plattformen bzw. im Verhältnis der Parteien zur Plattform, die keine „günstigeren“ direkten Geschäftsbeziehungen schließen können, wirkt mithin nur partiell. Insofern besteht nur eine minimale Parallele zu den Vorschriften des HGB, die eine Karenzentschädigung vorsehen. Die Crowdworker werden nicht etwa generell daran gehindert, ihrer Tätigkeit nachzugehen oder „Konkurrenz zu machen“, indem sie ihre Arbeitskraft anderweitig anbieten. Vielmehr soll ein Unterlaufen der Provisionszahlungen an die Plattformen vermieden werden. Die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Crowdworker wird mithin nicht ausgeschlossen, sodass derartige Klauseln jedenfalls nicht sittenwidrig i. S. v. § 138 Abs. 1 BGB sind und auch keine Verletzung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG begründen. Dieses Verständnis ist gleichwohl nicht zwingend. Folgevertragsklauseln im Maklerrecht, bei denen es um die wirtschaftliche Partizipation des Maklers an kausal auf dem Nachweis oder der Vermittlung beruhenden Geschäften geht, kommen den verwendeten Klauseln noch näher. Denkbar wäre es, dass die Leistung der Plattformen – Bereitstellung der Infrastruktur zur Anbahnung und Abwicklung von Aufgaben – durch (einmalige) Zahlung der entsprechenden Provision vollständig abgegolten ist. Dies hat der BGH etwa beim späteren Kauf einer zunächst als Mietobjekt vermittelten Wohnung für einen Immobilienmakler angenommen.339 338 Das galt jedenfalls für die Nutzungsbedingungen der Plattform mit Stand 1. November 2016 und September 2017, unter 4.1. Diese Wendung findet sich in der aktuellen Exklusivitätsklausel mit Stand September 2019 indes nicht mehr ausdrücklich: „… verpflichten Sie sich, nach einem Vertragsabschluss mit jeglicher Partei über die Website innerhalb der nächsten 24 Monate (”Exklusivitätsfrist”), die Dienste von 99designs als exklusive Methode zu nutzen, um Designs bei dieser Partei anzufragen oder dieser Partei zur Verfügung zu stellen („99designsBeziehung“).“ 339 BGH, Urt. v. 28.2.1973 – IV ZR 34/71, NJW 1973, 990, unter 2.

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Hierbei ist zu beachten, dass ein späterer Kauf eine ganz andere Geschäftsart als die ursprünglich vermittelte Miete darstellt, während es vorliegend um gleichartige Verträge zur Erledigung bestimmter Arbeitsaufgaben geht. Demgegenüber ist beim Immobilienmakler in der Regel, ebenso wie auf den Plattformen, einmalig eine laufzeitunabhängige Provision zu zahlen, während z. B. beim Versicherungsmakler fortlaufend eine prozentuale Provision von der Versicherungsprämie gezahlt wird.340 Dennoch sind die Rahmenverträge und das Konzept der Plattformen ersichtlich auf dauerhafte Zusammenarbeit angelegt. Letztlich ist analog zu den Maklerverträgen im Wege der Auslegung der Vertragsbeziehungen zu den Plattformen zu ermitteln, ob Folgeverträge provisionspflichtig sind oder ob die Leistung mit der einmaligen Provision vollständig abgegolten ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 297 Nr. 4 SGB III, der für die Arbeitsvermittlung die Unwirksamkeit von Vereinbarungen, die den Einsatz nur eines Vermittlers festschreiben, verbietet oder aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 WoVermG, der Provisionsansprüche für die Verlängerung, Fortsetzung oder Erneuerung eines Mietverhältnisses in Bezug auf dasselbe Mietobjekt ausschließt. Beide Klauseln sind auf die vorliegenden Fälle nicht anwendbar und regeln einzelne Sondertatbestände. In Bezug auf die verwendeten Exklusivitätsklauseln ergibt sich, dass im Einzelfall eine Auslegung der Vertragsbeziehungen eine zulässige Provisionspflicht auch für Folgeverträge ergeben kann. Allerdings stellt die Gestaltung in AGB eine unangemessene Benachteiligung der Crowdworker sowie der Crowdsourcer gem. § 307 BGB dar. Das gesetzliche Leitbild des Maklervertrages, der auf die Vermittlung oder den Nachweis einer bestimmten Gelegenheit gerichtet ist341, findet vorliegend zwar keine Anwendung. Nichtsdestoweniger ändert das wirtschaftliche Interesse der Plattformen an dauerhaften, wiederkehrenden Geschäftskontakten nichts daran, dass die Provision, bezogen auf einzelne Aufträge die durch die Infrastruktur der Plattformen begründete Abschlussmöglichkeit vollständig abgilt. Auch wenn im Verhältnis zu den Plattformen ein Werkvertrag, ein Geschäftsbesorgungsvertrag und bzw. oder ein auf Dauer geschlossener Rahmenvertrag besteht, wird von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in treuwidriger Weise abgewichen, indem eine Provision über die einzelne Aufgabenerledigung hinaus durch AGB begründet wird. Das ergibt sich aus der Erwägung, dass anderenfalls jegliche Folgeverträge für die die Begegnung auf der Plattform kausal war, eine Provisionspflicht auslösen würden, ohne dass ausreichend Rücksicht auf die Art des Geschäfts oder die Umstände des Vertragsschlusses genommen würde. Es ist auch nicht ersichtlich, warum den Plattformen auf diesem Wege eine potentiell viel höhere Provision als im Falle des Ausgangsvertrages zustehen soll, die sich möglicherweise erst aus Folgegeschäften ergibt. Die Verpflichtung zur Zahlung der Provision trifft zwar in aller Regel die Crowdsourcer. Dies ändert indes nichts daran, dass Exklusivitätsklauseln Crowdworker ebenso unangemessen benachteiligen. Diesen wird jedenfalls prak340 341

Vgl. BGH, Urt. v. 27.11.1985 – IV a ZR 68/84, NJW 1986, 1036, unter I. 3. c). A. A. MüKoBGB/H. Roth, § 652 BGB Rn. 237.

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tisch die Möglichkeit des Abschlusses günstigerer Rechtsbeziehungen (z. B. Arbeitsverträge) mit ihren Geschäftspartnern genommen, da beide Seiten an den Geschäftsablauf auf der Plattform gebunden sind und sich für die Crowdsourcer kein entsprechender Anreiz ergibt. An diesem Ergebnis ändert auch die etwa von 99designs aufgestellte „Opt-Out-Gebühr“ nichts, wonach der Crowdsourcer 2.500 USD oder für 24 Monate jeweils 15 % des Auftragsvolumens an die Plattform zahlen müsste, um die Exklusivität abzuwenden.342 Ob Exklusivität mittelbar durch einmalige Zahlung bzw. Zahlungen unter Umgehung der Plattform gewährleistet wird oder die Parteien direkt an die Plattformen gebunden werden macht keinen Unterschied. bb) Begrenzung der Kontaktaufnahme Die zweite Klausel343, nach der die Kontaktaufnahme durch Dritte unverzüglich angezeigt werden muss und Informationen über die Abläufe auf der Plattform einschließlich der Bewertungen nicht für die Arbeitssuche bei Dritten verwendet werden dürfen, ist eindeutig unwirksam. Eine derart umfassende Geheimhaltungspflicht in AGB, losgelöst von Geheimhaltungsinteressen des Arbeitgebers, wird im Anwendungsbereich des Arbeitsrechts weitgehend für unwirksam gehalten.344 Vorliegend gilt nichts anderes. Zunächst findet sich die Klausel an versteckter Stelle am Ende eines längeren Absatzes, der die missbräuchliche Nutzung der Plattform untersagt und ist darüber hinaus inhaltlich gänzlich unklar. Die Pflicht die „Topcoder information“ nicht weiterzugeben ist aus Sicht der Crowdworker wenig verständlich. Insoweit steht die Klausel schon im Widerspruch zum Transparenzgebot, welches erfordert, dass die Rechte und Pflichten des Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar dargestellt werden.345 Ferner ist in dieser Hinsicht keine Abweichung zu den im Arbeitsrecht geltenden Grundsätzen anzunehmen.346 Auch Selbstständige werden in ihrem Persönlichkeitsrecht unangemessen beschränkt, wenn sie pauschal, völlig unabhängig von berechtigten Geheimhaltungsinteressen, in Bezug auf Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse zur Verschwiegenheit verpflichtet werden und jeden Versuch der Kontaktaufnahme melden müssen. Des Weiteren liegt ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB darin, dass Crowdworkern ohne berechtigtes Interesse der Plattformen entgegen Treu und Glauben die Möglichkeit genommen werden soll, ihre erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in Gestalt ihrer Bewertungen auch für künftige Arbeitsaufträge an anderer Stelle zu 342

99designs Nutzungsbedingungen, Stand September 2019 unter § 9 4.1 a) b). Topcoder Terms & Conditions, Stand 18. Oktober 2018 unter Other Restrictions on Conduct. 344 Vgl. LAG Hamm, Urt. v. 5.10.1988 – 15 Sa 1403/88, BeckRS 1988, 06934; ErfK/Preis, § 611a BGB Rn. 714 m. w. N. 345 Vgl dazu: A. Fuchs, in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Recht, § 307 BGB Rn. 335 ff. 346 So Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht, Rn. § 18 Rn. 86 f. 343

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verwenden. Die genannte Klausel ist mithin insgesamt unwirksam, wobei sie inhaltlich vom vorangehenden Teil abtrennbar ist, der entsprechend wirksam bleibt. II. Wettbewerbsrechtliche Schutzmechanismen Rechtlicher Schutz von Crowdworkern könnte sich weiter aus wettbewerbsrechtlichen Vorschriften ergeben. Dabei wäre zunächst an die Vorschriften des § 1 GWB, Art. 101 AEUV zu denken, wonach wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen verboten sind.347 Relevanter dürften Art. 102 AEUV, §§ 19, 20 GWB sein, die marktbeherrschenden oder überlegenen Unternehmen die missbräuchliche Ausnutzung ihrer Stellung verbieten. Adressaten und Begünstigte dieser Vorschriften sind Unternehmen.348 Darunter fallen nach dem funktionalen Unternehmensbegriff des Kartellrechts alle eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübenden Einheiten, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.349 Damit wären Crowdsourcer und Plattformen ebenso wie alleinselbstständige, durch Anbietung ihrer Leistungen wirtschaftlich tätige Crowdworker als Unternehmen einzuordnen.350 Die Marktbeherrschung des relevanten Marktes wird in § 18 Abs. 1 GWB näher konkretisiert, wobei Abs. 2 klarstellt, dass der Markt in räumlicher Hinsicht weiter sein kann als der Anwendungsbereich des GWB. Demnach wäre der internationale Markt für Crowdwork-Dienstleistungen als räumlich relevanter Markt denkbar. Mit der 9. GWB-Novelle mWv. 9.6.2017 wurde § 18 Abs. 3a GWB eingefügt, der konkrete Vorgaben zur Ermittlung der Marktstellung für mehrseitige digitale Märkte macht.351 Danach sind u. a. direkte und indirekte Netzwerkeffekte, der Wechselaufwand der Nutzer (Stichwort: Lock-In Effekt) sowie der Zugang zu Daten zu berücksichtigen.352 Der Gesetzgeber verleiht damit jüngsten Bemühungen der europäischen und nationalen Wettbewerbshüter Ausdruck, verstärkt gegen missbräuchliches Verhalten marktmächtiger digitaler Plattformen wie Google und

347

Siehe unten ausführlich auch zum Verhältnis von nationalem und europäischen Kartellrecht § 9. 348 Vgl. LMRKM/Loewenheim, § 19 GWB Rn. 6, 13; zum Aspekt des Verbraucherschutzes: MüKoKartR/Eilmansberger/Bien, Art. 102 AEUV Rn. 10. 349 EuGH, Urt. v. 23.4.1991 – C-41/90 (Höfner und Elser), ECLI:EU:C:1991:161, Rn. 21; Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 1 GWB Rn. 7 ff.; Immenga/ Mestmäcker/D. Zimmer, Art. 101 AEUV Rn. 9 ff.; siehe auch: C. Schubert, Der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen, 83. 350 Näher zur Frage der Unternehmenseigenschaft siehe unten § 9; vgl. für Arbeitnehmerähnliche noch mit Fokus allein auf das nationale Recht: C. Schubert, Der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen, 83 f. 351 Näher zur Auswirkung der Novelle auf digitale Plattformen: Lettl, WRP 64 (2018), 145, 146 ff.; zur Marktabgrenzung und Marktmachtanalyse bei sozialen Netzwerken vgl.: Zschoch, Soziale Netzwerke im Kartellrecht, 62 ff., 79 ff. 352 Vgl. die Erwägungen des BKartA: Bundeskartellamt, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken, 3 ff.

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Facebook vorzugehen.353 Trotzdem bereitet die Abgrenzung des relevanten Marktes bei mehrseitigen Plattformmärkten weiterhin erhebliche Schwierigkeiten, da sich die überkommenen Konzepte nicht ohne Weiteres übertragen lassen.354 Crowdworker bieten einerseits ihre Dienstleistungen auf den Plattformen an und diese bzw. die Crowdsourcer fragen derartige Leistungen nach; hinzu treten die Marktbeziehungen zwischen Crowdsourcer und Plattformen mit den jeweiligen Wettbewerbsverhältnissen, beeinflusst durch unterschiedlich wirkende (Netzwerk-)Effekte. Lässt sich der relevante Markt in diesem Geflecht bestimmen, wäre der Marktanteil des Unternehmens zu ermitteln. Nach § 18 Abs. 4 GWB gilt ein Unternehmen als marktbeherrschend, wenn es einen Marktanteil von 40 % hat.355 In diesem Zusammenhang ist auf die Überlegungen Däublers zu verweisen, dass der Marktanteil einzelner Crowdwork-Plattformen ohne empirische Untersuchung nicht sicher beurteilt werden kann.356 § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB untersagt marktbeherrschenden Unternehmen, Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen zu fordern, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb ergeben würden. Dieses Verbot des sog. Ausbeutungsmissbrauchs, der sich primär auf die Marktgegenseite richtet, umfasst neben dem Missbrauch durch den Anbieter auch den des Nachfragers.357 Den Bewertungsmaßstab bildet hinsichtlich zu niedriger

353 Näher zu anhängigen bzw. abgeschlossenen Missbrauchsverfahren gegen Google, Eventim und Facebook: Schweitzer/Haucap/Kerber u. a., Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen, 20 ff. m. w. N.; Pautke/Schultze, WuW 69 (2019), 2, 4 f.; vgl. die aktuelle Entscheidung: BKartA, Beschl. v. 6.2.2019 – B6 – 22/16, BeckRS 2019, 4895, Rn. 871 ff., in der Facebook untersagt wird, seine marktbeherrschende Stellung zu missbrauchen, um über weitere Dienste wie WhatsApp erlangte Daten mit den Nutzerprofilen zu verknüpfen; vorläufig bestätigt durch: BGH, Beschl. v. 23.6.2020 – KVR 69/19; anders die Vorinstanz: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.8.2019 – VI-Kart 1/19 (V), MMR 2019, 742. 354 BMWi, Industrie 4.0 – Kartellrechtliche Betrachtungen, 9 ff. m. w. N.; siehe auch zur Marktabgrenzung und zum SSNIP-Test: Langen/Bunte/Bulst, Art. 102 AEUV Rn. 37 ff.; vgl. auch: Hensel, in: Hensel/Schönefeld/Kocher u. a. (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit, S. 215, 226, die vier zu differenzierende Märkte im Rahmen von Crowdwork unterscheidet. 355 Der EuGH definiert eine marktbeherrschende Stellung in ständiger Rechtsprechung seit: EuGH, Urt. v. 13.2.1979 – C-85/76 (Hoffman-La Roche), ECLI:EU:C:1979:36, Rn. 38 f. als „die wirtschaftliche Macht eines Unternehmens … die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten. Eine solche Stellung schließt im Gegensatz zu einem Monopol oder einem Quasi-Monopol einen gewissen Wettbewerb nicht aus, versetzt aber die begünstigte Firma in die Lage, die Bedingungen, unter denen sich dieser Wettbewerb entwickeln kann, zu bestimmen oder wenigstens merklich zu beeinflussen, jedenfalls aber weitgehend in ihrem Verhalten hierauf keine Rücksicht nehmen zu müssen, ohne dass ihr dies zum Schaden gereichte“. 356 Däubler, in: C. Benner (Hrsg.), Crowdwork – zurück in die Zukunft?, S. 243, 262 f. m. w. N.; vgl. zur Wettbewerbskontrolle bei Crowdwork auch: Hensel, in: Hensel/Schönefeld/ Kocher u. a. (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit, S. 215, 225 ff. 357 Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 GWB Rn. 53; Langen/Bunte/Bulst, Art. 102 AEUV Rn. 69, 92, 157 ff.; vgl. zum Ausbeutungsmissbrauch in

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Einkaufs- bzw. zu hoher Verkaufspreise einerseits ein Vergleich zwischen Preis und Wert der jeweiligen Leistung358 sowie andererseits ein Preisvergleich nach dem Vergleichsmarktkonzept.359 Nichts anderes gilt für vom Marktbeherrscher gegenüber seinem Geschäftspartner angewandte unangemessene, unbillige Bedingungen.360 Zu dieser zunächst vielversprechend klingenden Norm sei angemerkt, dass sich etwaige geringe Entgelte für Crowdwork-Leistungen weniger aus der vermeintlich marktbeherrschenden Stellung einzelner Unternehmen als Nachfrager ergeben dürften, als aus dem potentiell globalen Wettbewerb auf Anbieterseite. Dieser führt zu geringen Entgelten, die gerade Ausdruck von intensivem Wettbewerb sind. Das mag zwar arbeits- und sozialrechtlich bedenklich sein361, nicht aber aus kartellrechtlicher Perspektive.362 Hinzu kommt, dass ein Vergleich von Preis und Wert der Leistung zwar durchaus ein Missverhältnis aufweisen kann. Das gilt insbesondere, wenn aus Sicht des Lieferanten (Crowdworker) der Einkaufspreis nicht einmal die Selbstkosten deckt.363 Gleichwohl kann aufgrund der Möglichkeit des Multi-Homings und der offenen Ausschreibung schwerlich von Erzwingung dieser Einkaufspreise gesprochen werden. Insoweit scheint sich aus dem GWB bzw. dem AEUV jedenfalls derzeit kein unmittelbarer Schutz für Crowdworker zu ergeben. Die Initiativen der Wettbewerbsbehörden zeigen jedoch, dass bei missbräuchlichem einseitigen Diktat von Preisen und Vertragsbedingungen durch marktbeherrschende digitale Plattformen die Aktivierung wettbewerbsrechtlicher Schutzvorschriften durchaus denkbar ist. III. Zusammenfassung Insgesamt zeigt sich, dass Crowdworker bereits de lege lata nicht gänzlich schutzlos gestellt sind. Vielmehr ergab eine beispielhafte Untersuchung häufig Gestalt des Konditionenmissbrauchs durch Facebook: BKartA, Beschl. v. 6.2.2019 – B6 – 22/ 16, BeckRS 2019, 4895, Rn. 522 ff. 358 Vgl. nur: EuGH, Urt. v. 14.2.1978 – C-27/76 (United Brands), ECLI:EU:C:1978:22, Rn. 248/257, der prüft „ob ein übertriebenes Missverhältnis zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und dem tatsächlich verlangten Preis“ besteht. 359 MüKoKartR/Eilmansberger/Bien, Art. 102 AEUV Rn. 340 ff.; Langen/Bunte/Bulst, Art. 102 AEUV Rn. 171 ff.; Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 GWB Rn. 57 ff. 360 Langen/Bunte/Bulst, Art. 102 AEUV Rn. 179 ff. 361 Zum Konkurrenzparadoxon siehe unten § 7 A. IV. 1. d). 362 Offenlassend, ob bei Untauglichkeit des Vergleichsmarktkonzepts allgemeine Gerechtigkeitserwägungen Einzug in die Bewertung halten können: BGH, Beschl. v. 6.11.1984 – KVR 13/83 (KG), NJW 1986, 846, unter II. 2. d); vgl. zur parallelen Frage der Berücksichtigung sozialer Kriterien innerhalb der rule of reason im amerikanischen antitrust law: Viol, Die Anwendbarkeit des Europäischen Kartellrechts auf Tarifverträge, 110 ff. m. w. N. 363 Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 GWB Rn. 62; Langen/Bunte/Bulst, Art. 102 AEUV Rn. 177; MüKoKartR/Eilmansberger/Bien, Art. 102 AEUV Rn. 360.

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verwendeter AGB auf Plattformen, dass diese zum Teil nach § 307 BGB unwirksam sind. Einige Vertragsgestaltungen stellen sich darüber hinaus sogar als sittenwidrig i. S. v. § 138 BGB dar.364 Gleichwohl wirkt der individualrechtliche Schutz der Crowdworker nur partiell und ist ungeeignet eine generelle Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen herbeizuführen.

B. Kollektivrechtlicher Schutz arbeitnehmerähnlicher Crowdworker Neben den individualrechtlichen Schutzvorschriften bildet im Arbeitsrecht die Kollektivierung der Beschäftigteninteressen eine zweite Säule. Diese äußert sich insbesondere in der später umfassend zu untersuchenden Ausübung der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG, die im Rahmen der Tarifautonomie zum Abschluss von Tarifverträgen mit Normwirkung nach § 4 Abs. 1 TVG führen kann. Ferner gewährt das BetrVG vielfältige Einflussmöglichkeiten von Arbeitnehmervertretungen. Die Eintrittskarte in diese betriebsverfassungsrechtlichen Rechte bildet gleichwohl die Arbeitnehmereigenschaft, die bei Crowdworkern in aller Regel nicht vorliegt. Wie dargestellt (siehe oben § 3 B. II. und III.) sind diese in der Regel auch weder als Arbeitnehmerähnliche noch als Heimarbeiter zu qualifizieren. Es gibt jedoch einzelne Fallgestaltungen, in denen sich etwa aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit von einzelnen Auftraggebern eine andere Einordnung ergeben kann. Deshalb soll im Folgenden ein kurzer Überblick zu den Ausgangspunkten des kollektivrechtlichen Schutzes von Arbeitnehmerähnlichen und Heimarbeitern in der Betriebsverfassung, nach dem TVG und nach dem HAG gegeben werden, ohne die Beantwortung der Kernfrage nach dem Verhältnis soloselbstständiger Crowdworker und der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG vorwegzunehmen. I. Arbeitnehmerähnliche in der Betriebsverfassung Anders als Heimarbeiter sind Arbeitnehmerähnliche nicht generell in die Betriebsverfassung einbezogen.365 Erstere gelten nach § 5 Abs. 1 S. 2 BetrVG ausdrücklich als Arbeitnehmer i. S. d. BetrVG, soweit sie in der Hauptsache für den jeweiligen Betrieb arbeiten.366 Insofern genießen Heimarbeiter einen weitergehenden Schutz als Arbeitnehmerähnliche.367 364 Bayreuther, Sicherung, 24 f., der in § 138 BGB zutreffend nur eine äußerste Grenze des Zulässigen sieht, die als allgemeiner Vertrags- oder Vergütungsschutz für Selbstständige ungeeignet ist. 365 Zu Beteiligungsrechten, die nicht an die Arbeitnehmereigenschaft anknüpfen, m. w. N.: Benecke, in: Arnold/Günther (Hrsg.), Arbeitsrecht 4.0, S. 269, 270 f.; zu (versuchten) Betriebsratsgründungen bei Essenslieferdiensten (Deliveroo): Haipeter/Hoose, Interessenvertretung bei Crowd- und Gigwork, 14 ff. 366 Vgl. Fitting BetrVG, § 5 Rn. 309; zur Problematik der betrieblichen Zuordnung: Pacha, Crowdwork, 255 ff.

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II. Tarifautonomie und Arbeitnehmerähnliche § 12a TVG Erfüllen Arbeitnehmerähnliche hingegen die Voraussetzungen des § 12a Abs. 1 TVG, so gilt das TVG für sie entsprechend.368 Dies eröffnet die Möglichkeit Inhalt, Abschluss und Beendigung der Rechtsverhältnisse von Arbeitnehmerähnlichen tariflich zu regeln. Im Einzelnen kommen als Bezugspunkt tariflicher Regelungen die in § 12a TVG genannten Werk- und Dienstverträge, wie auch die den Einzeleinsätzen zugrundeliegenden Rahmenverträge in Betracht.369 Gleichwohl müssen die übrigen Voraussetzungen des TVG vorliegen370, insbesondere müssen Arbeitnehmerähnliche einer tariffähigen Vereinigung beitreten, damit diese nach § 2 Abs. 1 TVG für sie Tarifverträge schließen kann.371 Voraussetzung dafür ist das Bewusstsein, dass durch Kollektivierung der Interessen im Zusammenschluss eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen erreicht werden kann (ausführlich zum Erfordernis von Solidarität siehe unten § 8 A. I.). Möglicherweise folgt aus dem Fehlen dieses Bewusstseins, dass § 12a TVG in der Tarifpraxis, außer im Bereich der Medien, wenig Anklang gefunden hat.372 III. Sondervorschriften für Heimarbeiter Für Heimarbeiter ergibt sich aus § 17 Abs. 1 HAG, dass schriftliche Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Auftraggebern sowie Vereinigungen als Tarifverträge gelten.373 Damit steht es auch den in Heimarbeit Beschäftigten offen, sich gewerkschaftlich zu organisieren und kollektiv Inhalt, Abschluss oder Beendigung ihrer Beschäftigungsverhältnisse mit ihren Auftraggebern autonom zu regeln.374

367 Zu den anwendbaren arbeitsrechtlichen Vorschriften vgl. ausführlich: KR/Rost/Kreutzberg-Kowalczyk, ArbNähnl. Pers. Rn. 45 ff.; ferner: Klebe, in: C. Benner (Hrsg.), Crowdwork – zurück in die Zukunft?, S. 277 ff.; Deinert/Maksimek/Sutterer-Kipping, Die Rechtspolitik des Sozial- und Arbeitsrechts, 344 f. 368 Näher zu Inhalt und Reichweite der von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie, siehe unten § 7 A. IV. 1. c), C. II. 1.; das BAG geht insoweit davon aus, dass Arbeitnehmerähnliche schon aufgrund von Art. 9 Abs. 3 GG an der Tarifautonomie teilnehmen und § 12a TVG lediglich die Rechte der Tarifparteien untereinander näher ausgestaltet, vgl. BAG, Urt. v. 15.2.2005 – 9 AZR 51/04, AP TVG § 12a Nr. 6 = NZA 2006, 223, unter II. 2. b) aa), zu Gegenstimmen siehe unten § 7 A. IV. 1. c). 369 Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 12a TVG Rn. 16 f. 370 ErfK/Franzen, § 12a TVG Rn. 10. 371 Siehe unten § 7 A. IV. 1. b), § 7 B. zur Unterscheidung von Tariffähigkeit und Grundrechtsträgerschaft im Rahmen der Koalitionsfreiheit sowie zum Koalitionsbegriff des Art. 9 Abs. 3 GG. 372 Dazu: Däubler TVG/B. Reinecke/Rachor, § 12a TVG Rn. 9 ff. m. w. N. 373 Näher zu alledem: Pacha, Crowdwork, 232 ff.; Deinert, RdA 71 (2018), 359, 359 ff. 374 Vgl. MHdbArbR/Klumpp, § 236 Rn. 42, siehe unten § 7 A. IV. 1. c) zur Schutzbereichsausdehnung von Art. 9 Abs. 3 GG auf Heimarbeiter.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

Davon zu unterscheiden ist die in § 19 HAG normierte Möglichkeit bindender Festsetzungen über Entgelte oder sonstige Vertragsbedingungen durch Heimarbeitsausschüsse (§ 4 HAG), die wie allgemeinverbindliche Tarifverträge wirken, § 19 Abs. 3 S. 1 HAG.375 Hierbei handelt es sich um ein an das Tarifrecht angelehntes Kompensationsinstrument mit staatlicher Mitwirkung, durch das in Bereichen der Heimarbeit, in denen kein funktionierendes Tarifvertragssystem besteht, angemessene Entgelte und sonstige Vertragsbedingungen sichergestellt werden sollen.376 Dies erfolgt durch die Ermöglichung des Beschlusses bestimmter Arbeitsbedingungen durch die Heimarbeitsausschüsse, in denen sich die (noch) unorganisierten Auftraggeber und Beschäftigten gegenüberstehen, jeweils mit der Zustimmung der zuständigen Arbeitsbehörde als staatlicher Stelle, § 19 Abs. 2 S. 1 HAG.377 Voraussetzung dafür ist nach § 19 Abs. 1 S. 1 HAG das Fehlen repräsentativer Verbände, die Anhörung der Parteien und die Unzulänglichkeit bisheriger Entgelte bzw. Vertragsbedingungen.378 IV. Zusammenfassung Kollektivrechtlich besteht, sofern man Crowdworker entgegen der hier vertretenen Auffassung als Arbeitnehmerähnliche oder Heimarbeiter begreift, auch nach geltendem Recht ein gewisses Schutzniveau. Doch auch auf kollektiver Ebene ist der volle Schutz des Arbeitsrechts im Grundsatz untrennbar mit der Arbeitnehmereigenschaft verknüpft.

§ 5 Internationales Crowdwork Die vorliegende Untersuchung richtet sich zwar im Grundsatz allein nach deutschem Recht, betrachtet man indes die praktische Umsetzung des bestehenden Schutzes von Crowdworkern, stellen sich Probleme bei der Rechtsdurchsetzung, die vor allem im Fall von grenzüberschreitenden Crowdwork akut werden. Diese wurden in der bisherigen Bearbeitung ausgeblendet und sollen nun untersucht werden.

375

Zur Verfassungsmäßigkeit: BVerfG, Beschl. v. 27.2.1973 – 2 BvL 27/69, NJW 1973, 1320 = BVerfGE 34, 307, unter B. II. 4. d), wonach die bindenden Festsetzungen ihre Qualität als Rechtsregeln aus der in Art. 9 Abs. 3 GG wurzelnden staatlichen Anerkennung erhalten. 376 Das BVerfG spricht von einem „dem sozialen Schutz der Heimarbeiter … dienenden, an das Tarifvertragsrecht möglichst eng angelehnten Ersatz“: BVerfG, Beschl. v. 27.2.1973 – 2 BvL 27/69, NJW 1973, 1320 = BVerfGE 34, 307, unter B. II. 4. c). 377 NK-GA/Horcher, § 19 HAG Rn. 1, 6 f.; vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.2.1973 – 2 BvL 27/ 69, NJW 1973, 1320 = BVerfGE 34, 307, unter B. II. 4. d). 378 Näher: MHdbArbR/Heinkel, § 200 Rn. 29.

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Wo kann ein in Deutschland lebender und arbeitender Crowdworker gegen unwirksame Vertragsklauseln gerichtlich vorgehen, die seiner Tätigkeit z. B. für AMT379 zugrunde liegen? Welches Recht ist bei der Beurteilung eines solchen Rechtsstreits anwendbar? Letztgenanntes Unternehmen hat seinen Sitz in Seattle im Bundesstaat Washington der USA und erklärt in seinen AGB das Recht dieses Staates für anwendbar.380 Zu beachten ist, dass neben grenzüberschreitendem Crowdwork auch nationale Sachverhalte vorkommen. So haben beispielsweise die Plattformen clickworker und Twago ihren Sitz in Deutschland und erklären in ihren AGB das Recht der Bundesrepublik für anwendbar, sowie ihren Firmensitz zum ausschließlichen Gerichtsstand.381 Ferner ist auch im Bereich des grenzüberschreitenden Crowdworks zu berücksichtigen, dass die AGB unmittelbar nur zwischen den Plattformen und den Crowdworkern gelten. Bei Streitigkeiten, die aus Vertragsbeziehungen zu den Crowdsourcern resultieren, ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Rechtswahl- und Gerichtsstandsklauseln der Plattformen auch diesen zugrunde liegen. Im Folgenden werden anwendbares Recht und Zuständigkeit anhand der üblicherweise von den Plattformen verwendeten Bestimmungen untersucht. Die Ausführungen beziehen sich, vorbehaltlich der Geltungsfrage, gleichwohl entsprechend auf Streitigkeiten zwischen Crowdworker und Crowdsourcer.

A. Anwendungsbereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts Der Begriff des internationalen Privatrechts findet sich in Art. 3 EGBGB a. E. und meint danach die Vorschriften, die das anzuwendende Recht bei Sachverhalten mit Verbindungen zu ausländischen Staaten festlegen. Das zunächst insbesondere im EGBGB geregelte, durch jeweilige nationale Kollisionsnormen zersplitterte internationale Privatrecht wurde aufgrund verschiedener Initiativen der Europäischen Gemeinschaften innerhalb der EU bis heute weitgehend vereinheitlicht, vgl. dazu Art. 3 Nrn. 1 und 2 EGBGB.382 Die hier interessierenden Fragen nach dem anwendbaren Recht sowie der Zuständigkeit im Rahmen vertraglicher Schuldver379 Soweit eine solche Tätigkeit in Betracht kommt; siehe oben § 3 A. I. zur Registrierungsmöglichkeit als Crowdworker aus Deutschland bei AMT. 380 AMT Participation Agreement, Stand 25. März 2020 unter 10; FigureEight Terms of Service, Stand 13. Oktober 2015 unter 27. „… laws of the State of California …“; ebenso Topcoder Terms & Conditions, Stand 18. Oktober 2018 unter Choice of Law and Forum; ebenso 99designs Nutzungsbedingungen, Stand September 2019, § 31 15.2 (a); InnoCentive Terms of Use, Stand 15. Juni 2020 unter 17. „… England and Wales…“. 381 Clickworker AGB, Stand 3. Dezember 2012, § 8.2; Twago AGB, Stand 24. Mai 2018, § 56 16.2. 382 Zur Entstehungsgeschichte: MüKoBGB/Hein, Einleitung zum internationalen Privatrecht Rn. 9 ff.; zum internationalen Zivilverfahrensrecht: MüKoZPO/Gottwald, Vorbemerkung zu Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 1 ff.

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hältnisse beantwortet für Deutschland das Internationale Vertragsrecht insb. in den unmittelbar anwendbaren Verordnungen (EG) Nr. 593/2008 vom 17. Juni 2008 (Rom I-VO) und (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 (Brüssel Ia-VO). I. Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung umfasst nach Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. Damit sind die im Bereich des Crowdwork vorkommenden Werk- und Dienstverträge unzweifelhaft erfasst. Der erforderliche Auslandsbezug liegt bereits dann vor, wenn im Inland ansässige Vertragsparteien ein ausländisches Recht als Vertragsstatut wählen.383 In allen Crowdwork-Konstellationen, in denen ein fremdes Recht gewählt wird und/oder die Vertragsparteien nicht im gleichen Staat ansässig sind, ist die Verordnung danach anwendbar. Demgegenüber findet die Verordnung keine Anwendung auf reine Binnensachverhalte. Gleiches gilt nach Art. 1 Brüssel Ia-VO, der die Anwendbarkeit auf Erkenntnisverfahren in allen Zivil- und Handelssachen mit Auslandsbezug festschreibt. II. Persönlicher Anwendungsbereich In persönlicher Hinsicht ist die Rom I-VO grundsätzlich unbeschränkt anwendbar, damit ist unerheblich, ob die Vertragsparteien Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der EU sind.384 Gleichzeitig statuiert Art. 2 Rom I-VO deren universelle Anwendung, d. h. dass das nach der Verordnung für anwendbar befundene Recht auch dann zur Anwendung kommt, wenn es sich um das Recht eines Staates, der nicht Unionsmitglied ist, handelt.385 Zu beachten ist gleichwohl der räumliche Geltungsbereich der Rom I-VO, der sich auf die EU Staaten beschränkt, vgl. Art. 29 Rom I-VO. Wird in einem anderen Staat Klage erhoben, so kommt das dort geltende IPR zur Anwendung. Bei der hier interessierenden Klageerhebung in Deutschland gilt die Rom I-VO.

383 Vgl. Deinert, Internationales Arbeitsrecht, § 1 Rn. 14; Kieninger, in: Ferrari/Kieninger/ Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 1 Rom I-VO Rn. 1; näher zur Voraussetzung des Auslandsbezugs m. v. w. N: R. Magnus, ZEuP 26 (2018), 507, 512 ff. 384 ErfK/Schlachter, Art. 9 Rom I-VO Rn. 4. 385 Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 2 Rom I-VO Rn. 1 ff.

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B. Anwendbares Recht Nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO steht den Parteien grundsätzlich die freie Wahl des anzuwendenden Rechts zu. Diese kann, wie bei Crowdwork häufig, auch durch Rechtswahlklauseln in AGB erfolgen.386 Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO sieht sogar die Möglichkeit einer stillschweigenden Rechtswahl vor, die sich aus den Umständen ergibt. Eine solche kommt etwa bei der Unterwerfung unter ein Schiedsgericht eines Landes in Betracht, woraus sich die stillschweigende Vereinbarung der Geltung des materiellen Rechts des jeweiligen Landes ergeben kann.387 Wird von diesem Wahlrecht kein Gebrauch gemacht, was bei den untersuchten Crowdwork-Sachverhalten die absolute Ausnahme darstellt, kommt Art. 4 Rom IVO zur Anwendung. Nach Abs. 1 lit. b) dieser Vorschrift unterliegen Dienstleistungsverträge dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Crowdworker unterfallen nach hier vertretener Auffassung als selbstständig Tätige jedenfalls dem Dienstleistungsbegriff im Sinne der Verordnung.388 Dies würde bei aus Deutschland agierenden, international tätigen Crowdworkern – vorausgesetzt eine Rechtswahl ist ausnahmsweise unterblieben – zur Anwendbarkeit deutschen Rechts führen. Weitere Einschränkungen der freien Rechtswahl ergeben sich aus Art. 6 und 8 Rom I-VO für Verbraucher- und Arbeitsverträge. Wie im deutschen Recht ist die Verbrauchereigenschaft situativ zu ermitteln und liegt vor, wenn der Vertragszweck nicht oder nur zum geringen Teil der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, wobei die objektiv erkennbaren Umstände des Geschäfts entscheidend sind.389 Danach ergibt sich hier keine Abweichung zu § 13 BGB, wonach Crowdworker in den in dieser Arbeit relevanten Fällen bei Abschluss der Verträge zum Zwecke der Ausübung ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit handeln.390 Der persönliche Anwendungsbereich von Art. 6 Rom I-VO ist nicht eröffnet, sodass die Einschränkung der Rechtswahl nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO, wonach zwingende Verbraucherschutzvorschriften nach dem am Aufenthaltsort geltenden Recht Anwendung finden, wenn das gewählte Recht dahinter zurückbleibt, nicht eingreift.391 386

Dazu: Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 3 Rn. 6. Siehe dazu: MüKoBGB/Martiny, Rom I-VO Art. 3 Rn. 51; Beispiel einer Schiedsklausel bei Crowdwork: AMT Participation Agreement, Stand 25. März 2020 unter 10.; zur stillschweigenden Rechtswahl durch Gerichtsstandsvereinbarungen auch: Deinert, Internationales Arbeitsrecht, § 9 Rn. 28. 388 Zur Auslegung des Begriffs vgl.: Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 4 Rom I-VO Rn. 27 ff., sowie Art. 57 AEUV; Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 4 Rn. 8; so auch: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1039.; Kozak, in: Lutz/ Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 304, 313. 389 Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 6 Rn. 5. 390 Siehe oben § 4 A. II. 391 A. A. Warter, Crowdwork, 296; wie hier: Pfalz, GS Rebhahn, S. 426, 431. 387

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Auch im Rahmen des Art. 8 Rom I-VO, der für Individualarbeitsverträge gilt, ist eine Rechtswahl im Grundsatz möglich, vgl. Art. 8 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO. Nach Satz 2 dieser Vorschrift darf die Rechtswahl jedoch nicht dazu führen, dass von zwingendem Arbeitsschutzrecht abgewichen wird, welches nach Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom I-VO anwendbar wäre, wenn keine Rechtswahl erfolgt wäre.392 Anwendbar ist Art. 8 Rom I-VO nach seinem Wortlaut auf Arbeitsverträge einzelner Personen, ohne dass der Begriff des Arbeitnehmers in der Verordnung definiert würde. Dieser ist autonom, insbesondere unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 45 AEUV auszulegen.393 Insoweit kann auch hier auf die Ausführungen zum unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff verwiesen werden.394 Danach scheitert die Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern in der Regel an der fehlenden Weisungsgebundenheit. Auch das Kriterium der Eingliederung in den Betrieb, welches der EuGH in der Holterman Ferho Exploitatie Entscheidung zu Art. 18 EuGVVO bemüht hat395, ist bei Crowdworkern nicht erfüllt. Mithin findet auch Art. 8 Rom IVO keine Anwendung auf die für Crowdwork maßgeblichen Verträge. Anderes kann für Arbeitnehmerähnliche oder in den Anwendungsbereich des HAG fallende Gestaltungen gelten.396 Danach würde die Rechtswahl der Plattformen zunächst unbeschränkt gelten, sodass deutsches Recht keine Anwendung fände. I. Eingriffsnormen Art. 9 Rom I-VO Die Anwendung des grundsätzlich wirksam gewählten Rechts der Plattformen wird ferner durch zwingende internationale Eingriffsnormen des deutschen Rechts nach Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO durchbrochen. Diese setzen sich gegenüber dem nach der Verordnung anwendbaren Recht durch. Abs. 2 legt insoweit fest, dass der Richter dem international zwingenden Recht seines Staates Folge zu leisten hat.397 Nach der Legaldefinition des Absatzes 1 der Vorschrift sind Eingriffsnormen zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirt392 Vgl. dazu: A. Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 8 Rom I-VO Rn. 12 ff.; MHdbArbR/Oetker, § 13 Rn. 25 ff. 393 BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, NZA 2017, 502, Rn. 54 m. w. N.; ausführlich zur Auslegung: Deinert, Internationales Arbeitsrecht, § 4 Rn. 14 ff.; zustimmend auch: ErfK/ Schlachter, Art. 9 Rom I-VO Rn. 4; MHdbArbR/Oetker, § 13 Rn. 11; A. Staudinger, in: Ferrari/ Kieninger/Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 8 Rom I-VO Rn. 10; siehe auch: Kozak, in: Lutz/Risak (Hrsg.), Arbeit in der Gig-Economy, S. 304, 308 f. 394 Siehe oben § 3 B. II. 4. c). 395 EuGH, Urt. v. 10.9.2015 – C-47/14 (Holterman Ferho Exploitatie u. a.), ECLI:EU:C:2015:574, Rn. 39. 396 Deinert, Internationales Arbeitsrecht, § 4 Rn. 46 m. w. N. 397 Vgl. MüKoBGB/Martiny, Rom I-VO Art. 9 Rn. 5, 104 ff.; Martiny, ZEuP 26 (2018), 218, 235 ff.

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schaftlichen Organisation angesehen wird, dass von ihnen nicht abgewichen werden darf. Entscheidend für die Qualifikation als Eingriffsnorm ist damit der internationale Geltungsanspruch einer Vorschrift.398 Enthält die Vorschrift keinen ausdrücklichen Hinweis auf einen internationalen Geltungswillen, ist dieser im Wege der teleologischen Auslegung zu ermitteln.399 Liegt ein internationaler Geltungsanspruch danach vor, ist zu untersuchen, ob die Norm eine überindividuelle Zielrichtung aufweist, ob sie also hauptsächlich oder überwiegend und nicht nur reflexartig öffentliche Interessen verfolgt.400 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob deutsche Gerichte danach die §§ 307, 138 BGB als Eingriffsnormen nach Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO in CrowdworkFallgestaltungen anwenden können. § 307 BGB formuliert jedenfalls keinen ausdrücklichen internationalen Geltungsanspruch. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Diese dient dem Schutz der Vertragsfreiheit des Einzelnen, der vor der alleinigen Inanspruchnahme dieser durch den anderen Teil (den Verwender) geschützt werden soll.401 Zwar mag der Gesetzgeber seinen Schutzauftrag zur Sicherung der sozialstaatlichen Ordnung, durch Wahrung der Vertragsgerechtigkeit unter anderem durch Schaffung des AGBG wahrgenommen haben.402 Gleichwohl steht der Schutz des Einzelnen und der Ausgleich privater Interessen bei den §§ 305 ff. BGB im Vordergrund. Es handelt sich somit nicht um Eingriffsnormen nach Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO.403 Ähnliches gilt für § 138 BGB, wenngleich die Einordnung weniger eindeutig ausfällt. So wird § 138 BGB in verschiedenen Konstellationen von der Instanzrechtsprechung als Eingriffsnorm angewandt.404 Im Bereich des Arbeitsrechts ist die Anwendung des § 138 BGB als Verbot des Lohnwuchers als Eingriffsnorm noch nicht abschließend geklärt.405 Gleichwohl geht es bei § 138 BGB in den hier interessierenden Konstellationen um das Gleichgewicht der vertraglichen Verpflichtun398

Vgl. A. Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 9 Rom I-VO Rn. 6. 399 ErfK/Schlachter, Art. 9 Rom I-VO Rn. 21; Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 9 Rn. 5; mit Hinweis auf eine restriktive Auslegung: Martiny, ZEuP 26 (2018), 218, 237. 400 A. Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 9 Rom I-VO Rn. 8; Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 9 Rn. 5 ff. 401 Siehe oben § 4 A. I. 402 Vgl. nur: Palandt/Grüneberg, Überbl v § 305 BGB Rn. 7 ff. 403 So auch: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1039; Warter, Crowdwork, 306, für Österreich. 404 Zu Art. 34 EGBGB a. F.: LG Detmold, Urt. v. 29.9.1994 – 9 O 57/94, NJW 1994, 3301; LG Düsseldorf, Urt. v. 31.7.2002 – 12 O 415/98, BeckRS 2002, 12698, Rn. 65; ArbG Bielefeld, Urt. v. 2.12.2008 – 3 Ca 2703/08, BeckRS 2008, 58340, unter B. 2. b), das sogar §§ 305 ff. BGB als Eingriffsnormen zu begreifen scheint; anders: BGH, Urt. v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, NJW 1997, 1697, unter III. 2. b). 405 ErfK/Schlachter, Art. 9 Rom I-VO Rn. 21 m. w. N.

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gen und damit allein um das Verhältnis der Parteien untereinander.406 Ein staatliches Interesse an der Durchsetzung dieser Grundsätze mag allerdings dann in Betracht kommen, wenn sie einer strukturellen Unterlegenheit Rechnung tragen und diese ausgleichen, wie Däubler/Klebe dies unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG für gewisse Crowdwork-Konstellationen fordern.407 Nichtsdestoweniger ist hierbei eine gewisse Zurückhaltung geboten. Weder sind die im Arbeitsrecht geltenden Grundsätze auf Crowdwork ohne Weiteres übertragbar, noch sollte die Anknüpfung an ein bestimmtes Recht nach der Rom I-VO durch die extensive Auslegung von Ausnahmevorschriften wie Art. 9 Rom I-VO unterlaufen werden.408 Ferner sind Korrekturen des Sachrechts, insbesondere im grundrechtsrelevanten Bereich, über den ordre public409 vorzunehmen.410 Im Grundsatz ist deshalb auch § 138 BGB nicht als Eingriffsnorm zu qualifizieren.411 Ausdrücklich als Eingriffsnorm ausgestaltet ist demgegenüber § 32 UrhG, vgl. § 32b UrhG, der auch im Bereich des Crowdwork eine Rolle spielen kann.412 Letztlich bleibt es, von Ausnahmefällen abgesehen, bei der Anwendung des privatautonom vereinbarten bzw. nach Art. 4 Rom I-VO anwendbaren Rechts. II. Öffentliche Ordnung Art. 21 Rom I-VO Zuletzt könnte sich eine Korrektur des nach der Verordnung anwendbaren Rechts aus Art. 21 Rom I-VO ergeben. Danach sind ausländische Vorschriften, die mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates, dessen Gericht zur Entscheidung berufen ist, offensichtlich unvereinbar sind, nicht anzuwenden. Bereits der Wortlaut (offensichtlich unvereinbar) macht deutlich, dass es sich um außergewöhnliche Fälle handeln muss.413 Erforderlich ist hiernach ein Verstoß gegen den Kernbestand inländischer Gerechtigkeits- und Wertvorstellungen, insbesondere gegen Grundrechte.414 Ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB genügt dazu für sich genommen noch 406

Vgl. MüKoBGB/Martiny, Rom I-VO Art. 9 Rn. 60. Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1039. 408 Vgl. MüKoBGB/Martiny, Rom I-VO Art. 9 Rn. 1. 409 Dazu sogleich. 410 BGH, Urt. v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, NJW 1997, 1697, III. 2. b); MüKoBGB/ Martiny, Rom I-VO Art. 9 Rn. 60. 411 Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 9 Rn. 10 a. E.; MüKoBGB/Martiny, Rom I-VO Art. 9 Rn. 60; A. Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 9 Rom I-VO Rn. 9. 412 Siehe oben § 4 A. I. 3. c); Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1039; A. Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 9 Rom I-VO Rn. 30. 413 Vgl. Deinert, Internationales Arbeitsrecht, § 5 Rn. 13, Anwendung müsse absolute Außnahme bleiben; siehe auch: MüKoBGB/Martiny, Rom I-VO Art. 21 Rn. 5. 414 G. Schulze, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 21 Rom I-VO Rn. 8; MüKoBGB/Martiny, Rom I-VO Art. 21 Rn. 6. 407

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nicht.415 Gleichwohl mag in krassen Einzelfällen etwas anderes gelten416, wobei zu beachten ist, dass Art. 21 Rom I-VO lediglich negativ, d. h. abwehrend wirkt. Daraus folgt, dass die Unanwendbarkeit einzelner ausländischer Vorschriften nicht etwa die umfassende Anwendung deutschen Rechts zur Folge hat, sondern der Lückenschluss vielmehr durch Rückgriff auf das anwendbare ausländische Recht zu erfolgen hat.417 Im Grundsatz bleibt es bei Crowdwork also bei der Anwendung des gewählten bzw. nach Art. 4 Rom I-VO anwendbaren Rechts.

C. Gerichtliche Zuständigkeit Zuletzt ist die Frage nach der internationalen gerichtlichen Zuständigkeit zu klären, die nicht etwa aus dem anwendbaren Recht folgt, sondern davon unabhängig nach der Brüssel Ia-VO zu bestimmen ist. Auch in diesem Zusammenhang sind der rechtliche Status der Crowdworker sowie privatautonome Vereinbarungen des Gerichtsstands maßgeblich. I. Gerichtsstand nach der Brüssel Ia-VO Im Grundsatz ist nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO das Gericht am Wohnsitz des Beklagten zuständig, sofern dieser im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union liegt. Für juristische Personen gilt nach Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung als Wohnsitz. Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO schreibt für Beklagte die keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten haben fest, dass es bei der Anwendung des nationalen Zuständigkeitsrechts bleibt, was in Deutschland zur Anwendung der §§ 12 ff. ZPO führt.418 In diesen Fällen käme die örtliche Zuständigkeit deutscher Gerichte nach § 29 Abs. 1 ZPO in Betracht, da es sich um Streitigkeiten aus Vertragsverhältnissen handeln wird, deren Erfüllungsort in Deutschland liegt, sofern dort CrowdworkTätigkeiten verrichtet werden.419 Eine im Ergebnis ähnliche Regelung trifft Art. 7 Nr. 1 a) b) Brüssel Ia-VO für den Gerichtsstand des Erfüllungsortes. Hat der Beklagte seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, kann er in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, soweit es um Ansprüche aus einem Vertrag geht und der Erfüllungsort am Ort 415

OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.5.2011 – 4 Sch 03/10, SchiedsVZ 2012, 47, 50 f. In diesem Sinne: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1039; Warter, Crowdwork, 307. 417 Vgl. G. Schulze, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 21 Rom I-VO Rn. 8. 418 Musielak/Voit/A. Stadler, Art. 6 EuGVVO n. F. Rn. 1. 419 Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1040. 416

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

des Gerichts liegt.420 Dass Crowdwork digital „auf der Plattform“ erbracht wird, ändert in beiden Fällen nichts daran, dass sich der Erfüllungsort nach der Legaldefinition des Art. 7 Nr. 1 b) dort befindet, wo der Crowdworker die Leistung erbringt, denn die Leistungshandlung wird an diesem Ort vorgenommen und erst anschließend elektronisch weitergeleitet. Schließlich gilt auch im Rahmen der Brüssel Ia-VO im Ergebnis nichts anderes als im Rahmen der Rom I-VO, wonach Vorschriften für Verbraucher- sowie Individualarbeitsverträge auf Crowdwork-Konstellationen keine Anwendung finden. Dementsprechend kommen Art. 17 Brüssel Ia-VO und insbesondere Art. 19 Brüssel IaVO, der die Möglichkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen begrenzt, nicht zur Anwendung. Gleiches gilt für Art. 20, 23 Brüssel Ia-VO.421 II. Gerichtsstandsvereinbarung Die Zuständigkeit eines Gerichts kann sich schließlich aus einer entsprechenden Parteivereinbarung ergeben, vgl. Art. 25 Brüssel Ia-VO. Nach Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO wirken Gerichtsstandsvereinbarungen ausschließlich, sofern nichts anderes vereinbart wird. Derartige Festlegungen des Gerichtsstands finden sich zum Teil in den AGB der Plattformen.422 Bei Crowdwork werden teilweise Gerichte innerhalb der Mitgliedstaaten für zuständig erklärt, während in anderen Fällen Gerichte in Drittstaaten, insbesondere in den USA, berufen werden. Nach seinem Wortlaut findet Art. 25 Abs. 1 Brüssel IaVO nur auf die Begründung der Zuständigkeit (Prorogation) mitgliedstaatlicher Gerichte Anwendung. Nach überwiegender Auffassung wird Art. 25 Brüssel Ia-VO über seinen Wortlaut hinaus auf Fälle angewandt, in denen zwar drittstaatliche Gerichte prorogiert werden, gleichzeitig aber sonst nach der Verordnung zuständige mitgliedstaatliche Gerichte abgewählt (derogiert) werden, um Einheitlichkeit im Umgang mit Derogation in den Mitgliedstaaten zu schaffen.423 So liegt der Fall hier. Bei in Deutschland praktiziertem Crowdwork für Drittstaatler ergäbe sich aus Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO i. V. m. § 29 Abs. 1 ZPO die Zuständigkeit deutscher Gerichte. Diese wird durch die Prorogation z. B. der Gerichte in Boston, USA derogiert.

420

Zum Erfüllungsort siehe: Musielak/Voit/A. Stadler, Art. 7 EuGVVO n. F. Rn. 12 m. w. N. 421 Anders: Warter, Crowdwork, 314 ff. 422 99designs Nutzungsbedingungen, Stand September 2019, § 31 15.2 (c) „… vereinbaren die Parteien unwiderruflich die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte in London, England …“; Topcoder Terms & Conditions, Stand 18. Oktober 2018 unter Choice of Law and Forum „You hereby agree to submit to the exclusive jurisdiction of the courts of San Francisco County, California“; InnoCentive Terms of Use, Stand 15. Juni 2020, 17. „… any legal proceeding arisingout of this Agreement will occur in London, United Kingdom.“ 423 Musielak/Voit/A. Stadler, Art. 25 EuGVVO n. F. Rn. 3 m. w. N.; siehe auch: U. Magnus, FS Martiny, S. 785, 795.; R. Magnus, ZEuP 26 (2018), 507, 517 f.

§ 5 Internationales Crowdwork

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Diese Sichtweise ist nach dem Wortlaut des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO gleichwohl nicht zwingend. Ebenfalls denkbar wäre es, den Fall der Prorogation der Gerichte eines Drittstaates als von der Verordnung nicht erfasst anzusehen. Erwähnt wird ein drittstaatlicher Bezug lediglich in Art. 6 Brüssel Ia-VO, ohne dass die Prorogation drittstaatlicher Gerichte geregelt würde. Hieraus ließe sich folgern, dass der Beklagtengerichtsstand nach Art. 6 und 7 Brüssel Ia-VO derogationsfest ist – mit der Folge der Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Erfüllungsort in Deutschland. Gegen diese Sichtweise, auch wenn sie deutschen Crowdworkern zugutekäme, spricht entscheidend, dass Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO selbst auf seine Geltung vorbehaltlich Art. 25 Brüssel Ia-VO hinweist, mithin dispositiv ist. Dass diese Disposivität nicht im Verhältnis zu Drittstaaten gelten soll, ergibt sich aus der Verordnung ebenso wenig wie das gegenteilige Verständnis. Ferner ergäbe sich so eine unzulässige Bevorzugung drittstaatsansässiger Kläger im Vergleich zu EUansässigen.424 Zuletzt ist festzuhalten, dass ein potentiell höherer gerichtlicher Schutz durch die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Crowdworker nicht über den Umweg des Zuständigkeitsrechts herbeizuführen ist, wenn das materielle Recht tendenziell in eine andere Richtung deutet. Danach sind die Gerichtsstandsvereinbarungen einheitlich an Art. 25 Brüssel IaVO zu messen. 1. Formerfordernisse Art. 25 Abs. 1 lit. a – c, Abs. 2 Brüssel Ia-VO Der nach Art. 25 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO grundsätzlich erforderlichen Schriftform steht nach Abs. 2 die elektronische Übermittlung gleich, sofern die dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung möglich ist. Diesem Erfordernis wird genügt durch den Hinweis bei der Registrierung auf Crowdwork-Plattformen und die Zustimmung durch Anklicken.425 Auch ein Abrufen und Ausdrucken der AGB wird dabei ermöglicht. Die Formerfordernisse sind somit erfüllt. 2. Materielle Wirksamkeit Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO Materielle Voraussetzung ist zunächst eine wirksame Willenseinigung der Parteien, die bei Einhaltung der o. g. Formvorschriften allgemein vorliegen wird.426 Art. 25 Abs. 1 S. 1 a. E. Brüssel Ia-VO fordert darüber hinaus, dass die Vereinbarung nicht nach dem Recht des gewählten Mitgliedstaates nichtig sein darf. Welches Recht das ist, wird innerhalb der EU-Staaten trotz der Herausnahme von Gerichtsstandsvereinbarungen aus ihrem Anwendungsbereich gemäß Art. 1 Abs. 1 424 Vgl.Mankowski, in: T. Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 15 m. w. N. 425 Vgl. dazu: Musielak/Voit/A. Stadler, Art. 25 EuGVVO n. F. Rn. 11. 426 Vgl. U. Magnus, FS Martiny, S. 785, 792.

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Zweiter Teil: Crowdwork als rechtliches Phänomen

lit. e Rom I-VO, unter Heranziehung der Rom I-VO beantwortet.427 Wurde eine drittstaatliche Gerichtsbarkeit vereinbart, kommt das für diesen Staat geltende Kollisionsrecht zur Anwendung. Dabei ist die Vereinbarung für sich genommen, unabhängig vom Hauptvertrag, zu beurteilen, vgl. Art. 25 Abs. 5 Brüssel Ia-VO. Die Nichtigkeit ist ggfs. vom angerufenen Gericht nach dem jeweils anwendbaren Recht zu prüfen. Darüber hinaus wird eine im Wortlaut der Vorschrift nicht vorgesehene allgemeine Missbrauchskontrolle diskutiert.428 Verschiedentlich wird dies unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH429 gefordert, der entschieden hat, dass für Gerichtsstandsvereinbarungen in AGB bei Verbraucherverträgen das angerufene Gericht nach nationalem Recht von Amts wegen anhand der Klauselrichtlinie 93/13/ WEG eine Wirksamkeitsprüfung durchzuführen hat.430 Dagegen spricht jedoch, dass der prozessuale Verbraucherschutz in Art. 19 Brüssel Ia-VO verwirklicht ist.431 Ferner spielen Verbraucherverträge bei Crowdwork ohnehin keine Rolle. Nichtsdestoweniger spricht das dem Unionsrecht immanente Verbot des Rechtsmissbrauchs dafür, losgelöst vom Verbraucherschutz, im Einzelfall eine Missbrauchskontrolle zu erwägen. Im Zusammenhang mit Crowdwork ist an Fälle zu denken, in denen die Rechtsverfolgungskosten völlig außer Verhältnis zum Streitwert stehen.432 Gerade im Bereich des Mikrotaskings könnten Gerichtsstandsvereinbarungen an einer derartigen Missbrauchskontrolle scheitern. Das Prorogationsverbot des Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO findet mangels Verbraucher- bzw. Individualarbeitsverträgen hingegen keine Anwendung.

D. Zusammenfassung Letztlich bleibt es hinsichtlich des anzuwendenden Rechts in aller Regel bei dem durch die Parteien nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO gewählten, bzw. nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO sonst anwendbaren Recht. Ist eine Rechtswahl ausnahmsweise unterblieben, kommt damit deutsches Recht zur Anwendung. Abgesehen von besonderen Einzelfällen ergibt sich aus Eingriffsnormen nach Art. 9 Rom I-VO bzw. 427 Siehe dazu: U. Magnus, FS Martiny, S. 785, 793 ff.; Kieninger, in: Ferrari/Kieninger/ Mankowski u. a. (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Art. 1 Rom I-VO Rn. 18a; Musielak/ Voit/A. Stadler, Art. 25 EuGVVO n. F. Rn. 5; MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 17. 428 Vgl nur: MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 71 f.; U. Magnus, FS Martiny, S. 785, 801; Musielak/Voit/A. Stadler, Art. 25 EuGVVO n. F. Rn. 2 m. w. N. 429 EuGH, Urt. v. 27.6.2000 – C-240/98 (Océano Grupo Editorial), ECLI:EU:C:2000:346; EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – C-243/08 (Pannon GSM), ECLI:EU:C:2009:350, Rn. 32 ff. 430 So Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1040; siehe auch: Musielak/Voit/A. Stadler, Art. 25 EuGVVO n. F. Rn. 2. 431 So auch: MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 72. 432 In diesem Sinne auch: MüKoZPO/Gottwald, Brüssel Ia-VO Art. 25 Rn. 72.

§ 6 Ergebnisse des Zweiten Teils

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aus dem ordre public nach Art. 21 Rom I-VO keine Anwendung deutschen Rechts, bzw. keine Nichtanwendung ausländischen Rechts. Zuständig ist nach Art. 6 Abs.1 Brüssel Ia-VO i. V. m. § 29 Abs. 1 BGB, bzw. Art. 7 Nr. 1 lit. a und b Alt. 2 Brüssel Ia-VO zumindest auch das Gericht am Erfüllungsort, sprich in Deutschland. Dem stehen allerdings nach Art. 25 Abs. 1 Rom IVO wirksame Gerichtsstandsvereinbarungen entgegen. Diese sind im Grundsatz zulässig und kommen in der Praxis häufig vor. Lediglich in Ausnahmefällen kann eine unionsrechtliche Missbrauchskontrolle durch ein in Deutschland angerufenes Gericht die Unwirksamkeit derartiger Vereinbarungen ergeben, wodurch die Zuständigkeit nach den eben genannten Vorschriften der Verordnung wieder aufleben würde. Dies kommt vor allem in Betracht, wenn die Rechtsverfolgungskosten den Streitwert ganz erheblich übersteigen. Für reine Inlandssachverhalte gilt deutsches Recht, für das deutsche Gerichte nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 12 ff. ZPO) zuständig sind, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Verordnungen bedürfte.

§ 6 Ergebnisse des Zweiten Teils Die Untersuchung von Crowdwork als rechtliches Phänomen hat ergeben, dass zwischen unterschiedlichen Rechtsbeziehungen zu differenzieren ist. Einerseits schließen sowohl Crowdworker als auch Auftraggeber mit den Plattformen einen nicht leistungsbezogenen Rahmenvertrag. Andererseits werden in Bezug auf die Erledigung einzelner Arbeitsaufgaben zumeist Werkverträge nach § 631 BGB zwischen den Parteien geschlossen. Ob diese Verträge zwischen Plattform und Crowdworker oder Crowdsourcer und Crowdworker geschlossen werden, hängt maßgeblich davon ab, ob Plattform oder Crowdsourcer die Organisations-, Kontroll- und Abwicklungsfunktionen übernehmen. Dafür kann eine Untersuchung der AGB unter Berücksichtigung der Frage, wer wem diese Tätigkeiten schuldet, maßgeblich sein. Crowdworker üben ihre Tätigkeit dabei im Grundsatz als Soloselbstständige aus. Ihr rechtlicher Schutz beschränkt sich deshalb neben wenigen Sondervorschriften auf das allgemeine Zivilrecht. Einige Vertragsgestaltungen bzw. von den Plattformen in den Rahmenvertrag eingebrachte Klauseln sind nach § 307 BGB bzw. § 138 BGB unwirksam. Bei grenzüberschreitendem Crowdwork erfolgt i. d. R. sowohl eine Rechtswahl, als auch eine Gerichtsstandsvereinbarung in den AGB der Plattformen. Diese sind im Grundsatz wirksam, was in der Regel zur Anwendung eines fremden Rechts und zur Zuständigkeit ausländischer Gerichte führt. Gleichwohl sind deutsche Gerichte sowohl für Inlandssachverhalte, als auch im Falle einer missbräuchlichen Gerichtsstandsvereinbarung, zuständig.

Dritter Teil

Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker In den beiden ersten Abschnitten dieser Arbeit hat die typisierende Betrachtung und rechtliche Bewertung externen Crowdworks zweierlei ergeben: Einerseits handelt es sich bei Crowdwork um ein heterogenes Feld, dem man mit generellen Prekarisierungsbefürchtungen nicht gerecht wird. Weder ist Crowdwork zwingend als neuer Ausbeutungsmechanismus organisiert, noch werden alle Verheißungen bzgl. größtmöglicher Flexibilität bei angemessenem Entgelt eingelöst. Die Realität liegt zwischen diesen Extremen. Andererseits zeigen sich gerade im Bereich des Mikrotaskings Parallelen zu Arbeitsformen des 19. Jahrhunderts. Dennoch erbringen Crowdworker ihre Arbeit nicht in persönlicher Abhängigkeit, weshalb ihnen die Eintrittskarte in den Schutzbereich des Arbeitsrechts fehlt. Auch wirtschaftlich abhängig i. S. v. § 12a TVG sind Crowdworker nur ausnahmsweise. Es handelt sich bei ihnen um rechtlich und wirtschaftlich Selbstständige.

§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen Im Folgenden soll, auf den bisherigen Erkenntnissen aufbauend, die Frage untersucht werden, ob und wie Crowdworker ihre schwache Verhandlungsposition gegenüber ihren Auftraggebern durch Kollektivierung ihrer Interessen kompensieren können. Dabei ist im Ausgangspunkt Art. 9 GG in den Blick zu nehmen, der auf Verfassungsebene die Möglichkeit des Zusammenschlusses zu Vereinigungen bzw. Koalitionen beschreibt und einen Anknüpfungspunkt möglicher Kollektivmaßnahmen bildet. Die bisherige Untersuchung zeigte, dass der Versuch der rechtlichen Einhegung der mit Crowdwork verbundenen Probleme unterschiedliche Blüten treibt. Einige Ansätze drohen über das Ziel hinaus zu schießen, wenn sie Crowdworker ungeachtet der erheblichen Unterschiede zu „klassischen“ Arbeitnehmern durch ein weites Verständnis der Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit in das Arbeitsrecht einbeziehen wollen und dabei die Besonderheiten von Crowdwork verkennen. Andere Versuche bieten zwar einen partiellen Schutzschirm, wie etwa eine Ausweitung des Begriffs der Arbeitnehmerähnlichen mit der Folge einer Partialinklusion in den Schutz des Arbeitsrechts oder eine Fassung unter das HAG mit den dort geregelten Schutzvorschriften. Diese bedürfen aber entweder eines Tätigwerdens des Gesetz-

§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen

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gebers, um Crowdworker wirksam zu erfassen oder bieten nur einzelne Instrumente, um damit die Bekämpfung von Symptomen der Plattformökonomie zu erreichen, anstatt an der Wurzel des Problems – der schwachen Stellung von Crowdworkern – anzusetzen. Diese liegt in der kompensationsbedürftigen Verhandlungsschwäche begründet, die sich weder in ihrer persönlichen Abhängigkeit, noch in ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von bestimmten, einzelnen Auftraggebern äußert. Vielmehr tritt sie in den bedenklichen Bereichen des Crowdworks in einem spezifischen Kräfteungleichgewicht beim Vertragsschluss und bei der Vertragsgestaltung zu Tage. Sie liegt mit anderen Worten in der Verkürzung der Vertragsfreiheit im Hinblick auf die inhaltliche Gestaltungs- sowie die Abschlussfreiheit.1 Dies ergibt sich maßgeblich aus drei Faktoren. Das Ausschreibungsmodell, welches den Vertragsinhalt bereits vor Abschluss vorgibt, ohne dass die Crowdworker auf den Vertragsinhalt Einfluss nehmen könnten, bildet den ersten Grund. Dieses führt dazu, dass Vertragsverhandlungen, wie sie bei selbstständigen Unternehmern idealtypisch und üblich sind, gänzlich unterbleiben. Die Crowdworker können sich für oder gegen die Erledigung einer Aufgabe entscheiden, die inhaltliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses, insbesondere der Entgelthöhe, bleibt ihrem Einfluss jedoch entzogen. Die von den Plattformen diktierten AGB, die jedenfalls mittelbar Geltung auch für direkte Verträge zwischen Crowdworkern und -sourcern beanspruchen, gehen zweitens wie gezeigt überwiegend zu Lasten der Crowdworker und tragen zum einseitigen Diktat der Vertragsbedingungen bei. Zuletzt, quasi ex post, sichern drittens die für den Erfolg auf den Plattformen essentiellen Bewertungen die Vertragsdurchführung zu tendenziell ungünstigen Bedingungen sowie die Bindung an einzelne Plattformen. Diese Machtasymmetrie hinsichtlich der Ausübung der Vertragsfreiheit zwischen Crowdworkern und Crowdsourcern bzw. Plattformen und die Ausnutzung dieser Macht bei der Vertragsgestaltung bildet den Problemkern bei Crowdwork. Sie ließe sich mithilfe der Erzeugung von Gegenmacht durch die Kollektivierung der Interessen der Crowdworker potentiell abmildern. Möglichkeiten der kollektiven Interessenvertretung von Crowdworkern sind aus zwei Blickwinkeln zu betrachten. Zunächst ist zu untersuchen, ob Crowdworker als Soloselbstständige2 bereits de lege lata in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG einzubeziehen sind. Dies hätte rechtliche Folgen für den Arbeitskampf einerseits und für die kartellrechtliche Wirksamkeit etwaiger kollektiver Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen andererseits. Außerdem ist faktisch zu untersuchen, inwieweit bestehende Koalitionen, insbesondere Gewerkschaften, Crowdworker schon jetzt vertreten bzw. außerhalb des Abschlusses von Tarifverträgen beraten und wie sich derartige Maßnahmen ausweiten ließen.

1 Näher dazu nur: Flume, Das Rechtsgeschäft, 12 ff.; Raiser, JZ 13 (1958), 1 ff., siehe unten § 7 A. IV. 2. 2 Zum Begriff siehe oben § 3 B.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

A. Soloselbstständige Crowdworker als Träger der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG lautet: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“ Die Koalitionsfreiheit ist dabei als entwicklungsoffenes Grundrecht zu verstehen, dessen Historie und Wesenskern in der Antwort auf sozioökonomische Problemlagen liegt.3 Erkämpft durch eine postfeudale Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert, deren Arbeitskraft in den Fabriken der industrialisierten Welt hemmungslos ausgebeutet wurde, ist das Koalitionsgrundrecht stärker als andere Grundrechte durch sozioökonomische Umstände geprägt.4 Deshalb muss dort, wo die menschliche Arbeitskraft in vergleichbarem Maße ausgebeutet wird, über die Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG nachgedacht werden. I. Systematischer Unterschied zur Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG Im Folgenden soll, ohne konkrete Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG vorwegzunehmen5, ein kurzer Überblick zu den Unterschieden zur allgemeinen Vereinigungsfreiheit gegeben werden. Systematisch steht Art. 9 Abs. 3 GG in Zusammenhang mit der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG, wenngleich unter anderem hinsichtlich des Kreises der Grundrechtsberechtigen, aber auch funktional einige Abweichungen bestehen.6 Den wesentlichen Unterschied der Koalitionsfreiheit zur allgemeinen Vereinigungsfreiheit stellt der spezifische Vereinigungszweck dar. Dieser liegt bei Art. 9 Abs. 3 GG in der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und korrespondiert mit einem weitergehenden Grundrechtsschutz als durch Art. 9 Abs. 1 GG.7 Dies äußert sich des Weiteren in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, der ausnahmsweise die unmittelbare Drittwirkung eines Grundrechts anordnet. Diese wirkt sowohl zugunsten der Koalierten, als auch der Koalitionen selbst und belegt sämtliche Abreden, die die Freiheitsrechte des S. 1 3 In diesem Sinne auch: BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter B. IV. 1. 4 Umfassende Nachzeichnung der historischen Entwicklung bei: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 62 ff.; Gamillscheg, KollArbR I, 79 ff.; siehe für die Entwicklung bis 1914 auch: R. Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, 246 ff. 5 Dazu: siehe unten § 7 C. 6 Dreier GG/H. Bauer, Art. 9 GG Rn. 29; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 32; Maunz/ Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 7 ff., der trotz einiger Unterschiede eine „funktionale Verwandtschaft“ annimmt; siehe bereits: Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 36 ff.; anders etwa: Gamillscheg, KollArbR I, 152 f., der die Unterschiede betont und an Beispielen illustriert, jedoch zugesteht, dass „beide Freiheiten derselben Wurzel entstammen.“ 7 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, vgl. unter C. I. 1. a).

§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen

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einschränken oder behindern mit der Nichtigkeitsfolge bzw. entsprechende Maßnahmen mit dem Verdikt der Rechtswidrigkeit.8 Der Schutz durch die Koalitionsfreiheit wirkt danach einerseits individuell und kollektiv, d. h. als „Doppelgrundrecht“9 und andererseits positiv wie negativ.10 Der individuelle Schutzgehalt umfasst den Schutz des Einzelnen in Bezug auf seine koalitionsspezifischen Tätigkeiten, wie den Beitritt zu oder den Verbleib in einer Koalition, während die negative Freiheit den Schutz des Austritts oder des Fernbleibens erfasst.11 In kollektiver Hinsicht werden der Bestand und die Organisation der Koalitionen selbst, sowie ihre außenwirksamen Tätigkeiten geschützt. Letztere Schutzdimension erfasst potentiell auch den Abschluss von Tarifverträgen und bildet damit die Grundlage der Tarifautonomie. Damit korrespondiert der Schutz von Arbeitskampfmaßnahmen, wie etwa Streiks, die auf den Abschluss von Tarifverträgen zielen.12 Die Gewährleistungen des Abs. 3 reichen also weiter als die der allgemeinen Vereinigungsfreiheit, weshalb die Frage nach der Geltung der Koalitionsfreiheit für Crowdworker von besonderer Bedeutung ist. Einerseits käme etwaigen Kollektivvereinbarungen zur Festlegung von Arbeitsbedingungen, insbesondere des Entgelts, möglicherweise ein Kartellkontrollprivileg13 zugute, andererseits könnten Crowd8 Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2092; Oetker, RdA 57 (2004), 8, 10; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn 49 ff. m. w. N. 9 Str. grundlegend: BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, NJW 1954, 1881 = BVerfGE 4, 96, unter A., seitdem st. Rspr.; zuletzt: BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 130; BVerfG, Urt. v. 26.3.2014 – 1 BvR 3185/09, NJW 2014, 1874 = NZA 2014, 493, Rn. 23; so auch die h. M.: Gamillscheg, KollArbR I, 181 f. m. w. N.; JKOS/Krause, § 1 Rn. 18 f.; Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2016; siehe auch: Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 14 ff.; Kittner/Schiek, in: E. Stein/Denninger/HoffmannRiem u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 84; ablehnend und Art. 19 Abs. 3 GG bemühend: Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 22 ff., 170, 240; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 51 ff., 121 f.; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 70; ebenso ablehnend: Picker, ZfA 17 (1986), 199, 201 ff.; Picker, NZA 19 (2002), 761, 764 f.; Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 144 ff.; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 114; auf diesen Streit kann hier nicht weiter eingegangen werden. 10 BVerfG, Urt. v. 26.3.2014 – 1 BvR 3185/09, NJW 2014, 1874 = NZA 2014, 493, Rn. 23; BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 130 m. w. N.; letzteres str. nunmehr aber ganz h. M.: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 357 m. v. w. N. 11 ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 30 ff.; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 36 ff. m. w. N. 12 Siehe unten § 7 C. m. v. w. N.; vgl. ausführlich zum Schutzbereich auch: Maunz/Dürig/ Scholz, Art. 9 GG Rn. 169 ff.; Gamillscheg, KollArbR I, 210 ff.; BVerfG, Urt. v. 6.5.1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 = BVerfGE 18, 18, unter B. III. 2. d) „Die Koalitionsfreiheit umfaßt die Bildung, die Betätigung und die Entwicklung der Koalitionen in ihrer Mannigfaltigkeit …“; BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 130 ff.; BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 115. 13 Siehe unten § 9.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

worker sich hinsichtlich kollektiver Kampfmaßnahmen ggfs. auf den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG berufen. II. Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG Zunächst ist der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG dahingehend zu untersuchen, ob er eine Erstreckung des Schutzbereichs auf soloselbstständige Crowdworker und ihre Vereinigungen ge- bzw. verbietet. 1. Jedermann-Grundrecht Nach ihrem Wortlaut wird die Koalitionsfreiheit „für jedermann und für alle Berufe gewährleistet“. Insoweit ist Art. 9 Abs. 3 GG im Gegensatz zu Abs. 1, der lediglich für alle Deutschen gilt, als Menschenrecht mit universaler Geltung formuliert. Diese Formulierung erfasst auf den ersten Blick alle berufstätigen Personen, unabhängig von der konkret ausgeübten Tätigkeit. Selbst wenn man die Berufsträgerschaft als besonderes soziales Qualifikationsmerkmal sieht,14 so folgt daraus nicht bereits der Ausschluss Selbstständiger, denn auch diese üben eine der Schaffung ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlage dienende Tätigkeit und damit einen Beruf aus, unabhängig von der Rechtsgrundlage.15 Gerade die weite Formulierung „für alle Berufe“ ist vor dem historischen Hintergrund der Koalitionsbeschränkungen für verschiedene Berufe und als Antwort darauf zu verstehen.16 So werden heute neben Arbeitnehmern und Arbeitgebern17 etwa auch Beamte und Angehörige des öffentlichen Dienstes, einschließlich Soldaten, wie auch Auszubildende als dem Schutzbereich zugehörig angesehen.18 Gleiches gilt für leitende Angestellte, auch wenn diese eine funktionale Nähe zum Beschäftigungsgeber aufweisen, etwa das Direktionsrecht ausüben.19

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In diese Richtung: Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 42 f. Zur weiten Auslegung des Berufsbegriffs: Frantzioch, Abhängige Selbständigkeit im Arbeitsrecht, 126 f.; vgl. auch: Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 156. 16 Vgl. Schlachter, GS Zachert, S. 634, 637. 17 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a); kritisch: Ramm, RdA 21 (1968), 412, 413 f. 18 BVerfG, Beschl. v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62, NJW 1966, 491 = BVerfGE 19, 303, unter B. I. 2. a); BVerfG, Beschl. v. 27.2.1973 – 2 BvL 27/69, NJW 1973, 1320 = BVerfGE 34, 307; Gamillscheg, KollArbR I, 158 ff.; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 119. 19 Gamillscheg, KollArbR I, 172; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 181; dies ließe erneut Spielraum für Selbstständige, die weder in die Organisation des Arbeitgebers integriert sind, noch Führungsaufgaben für diesen übernehmen, vgl.: Schlachter, GS Zachert, S. 634, 637; Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 157. 15

§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen

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Für sich genommen bietet der Wortlaut kaum Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Erstreckung des persönlichen Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG20 auf soloselbstständige Crowdworker. Die Formulierung steht einem derartigen Verständnis jedenfalls nicht entgegen. 2. Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Begrenzt wird der weit formulierte persönliche Schutzbereich durch die Festschreibung des Vereinigungszwecks zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Danach unterfallen Vereinigungen nur dann dem Schutzbereich, wenn sie die genannten Zwecke wahren oder fördern. Auch dieses Begriffspaar bietet reichlich Interpretationsspielraum. Entscheidend ist, ob Arbeitsbedingungen in einem engen Sinne dahingehend zu verstehen sind, dass allein die Bedingungen im Kontext von klassischen Arbeitsverträgen (i. S. v. persönlicher Abhängigkeit) erfasst werden. Dagegen spricht die Nennung der Wirtschaftsbedingungen, die jedenfalls nicht unmittelbar an Arbeitsverträge anknüpfen und deshalb durchaus diejenigen Bedingungen, zu denen selbstständige Arbeit, z. B. auf werkvertraglicher Basis erbracht wird, erfassen könnten. Die Verbindung der beiden Begriffe legt jedenfalls nahe, dass es sich einerseits nicht um Arbeitsbedingungen in einem engeren Sinne handeln muss, gleichzeitig aber auch nicht um bloße Wirtschaftsbedingungen, losgelöst von der Erbringung von Arbeit. Entscheidend ist vielmehr eine Verknüpfung zwischen beiden Begriffen, über deren Intensität der Wortlaut jedoch keinen Aufschluss gibt. Deshalb ist das Verhältnis des Begriffspaars lebhaft umstritten.21 Gerade bei der Erbringung von Crowdwork auf werkvertraglicher Basis steht der entgeltliche Einsatz der eigenen Arbeitskraft im Vordergrund. Die Bedingungen, zu denen dieser Arbeitskrafteinsatz erfolgt, lassen sich zwanglos als Arbeitsbedingungen i. w. S. begreifen. Und selbst wenn man über den Wortlaut hinaus Arbeitsbedingungen als „Bedingungen abhängiger Arbeit“22 verstehen will, 20

Vgl. Hromadka, NZA 35 (2018), 961, 962, „unvollständige Norm“. Die h. M. versteht die Begriffe kumulativ: Söllner, JbArbR 1979, S. 19, 26, der von einem „einheitlichen Begriff“ spricht; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 9, arbeitsrechtlicher Zusammenhang i. w. S.; Gamillscheg, KollArbR I, 220, Wirtschatfsbedingungen müssen in unmittelbarem Zusammenhang mit den Bedingungen abhängiger Arbeit stehen; Schlachter, GS Zachert, S. 634, 637, Rahmenbedingungen zur Gestaltung der Beschäftigung; Kempen/Zachert/Kempen, Grundlagen Rn. 138, Kombinationssektor, in dem sich beide Begriffe in der gesellschaftlichen Realität überschneiden; Müller, Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, 38, innerlicher Zusammenhang mit den Gestaltungen abhängiger Arbeit; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 48 ff.; JKOS/Krause, § 1 Rn. 47; anders: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 607, der eine komplementäre Deutung favorisiert, wonach die Begriffe zwei Seiten des Arbeitsmarktes beschreiben, sodass dasjenige was für den Arbeitnehmer Arbeitsbedingung ist, für den Unternehmer Wirtschaftsbedingung ist; Alternativität annehmend und damit sogar Kartelle dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zuordnend: Dürig, NJW 8 (1955), 729 ff. 22 ErfK/Franzen, § 2 TVG Rn. 6; MHdbArbR/Rieble, § 218 Rn. 15; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 23 m. w. N. 21

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ist damit noch nicht mehr dargetan, als dass die Arbeit gegenüber einem Beschäftigungsgeber erbracht werden muss, von dem eine wie auch immer geartete Abhängigkeit besteht. Aus dem Wortlaut lassen sich insgesamt keine entscheidenden Argumente für oder gegen die Einbeziehung soloselbstständiger Crowdworker in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit ableiten. III. Historische Auslegung der Koalitionsfreiheit Das BVerfG hat in verschiedenen Entscheidungen die Wichtigkeit der historischen Entwicklung für das Verständnis der Koalitionsfreiheit betont.23 Art. 9 Abs. 3 GG geht unmittelbar auf die im Wortlaut weitgehend übereinstimmenden Art. 159, 165 WRV zurück. Im Folgenden sollen daher die Entwicklungsstufen der Koalitionsfreiheit chronologisch nachvollzogen werden, um sie anhand dieser im Hinblick auf die Reichweite der Grundrechtsträgerschaft auszulegen. 1. Entwicklung bis zur WRV Die Frühzeit des Koalitionswesens lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Diese Periode war, abgesehen von den wenigen freien Lohnarbeitern (Tagelöhnern), wesentlich vom genossenschaftlichen mit Koalitionszwang versehenen Zunftwesen geprägt, in dem Meister wie Gesellen organisiert waren.24 Im 16. Jahrhundert wandelte sich die Organisation der Zünfte insoweit, als die Meister sie zunehmend nach außen hin vor Konkurrenz abzuschließen versuchten, um der steigenden Zahl von Gesellen, etwa durch Zuwanderung und Landflucht, Herr zu werden. Hierauf folgten Koalitionskämpfe, insbesondere Arbeitsniederlegungen der Gesellen, auf die die Obrigkeit mit polizeilichen Maßnahmen und Koalitionsverboten reagierte.25 Ein wenig erfolgreicher Versuch der Obrigkeit dieses Ansinnen zu effektivieren und die polizeistaatliche Kontrolle und Lenkung der Wirtschaft zu sichern, wurde mit Einführung der Reichszunftordnung von 1731 unternommen.26 Schließlich bildete die schrittweise deutschlandweite Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen ab 1810 den entscheidenden Ausgangspunkt der Entwicklung des Koalitionsrechts im

23

BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, NJW 1954, 1881 = BVerfGE 4, 96, unter B. 2. b); BVerfG, Urt. v. 6.5.1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 = BVerfGE 18, 18, unter B. II.; BVerfG, Beschl. v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62, NJW 1966, 491 = BVerfGE 19, 303, unter B. I. 2. c) (2); BVerfG, Beschl. v. 19.2.1975 – 1 BvR 418/71, NJW 1975, 968 = BVerfGE 38, 386, unter B. II. 1.; BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. IV. 1.; BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a). 24 Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, 79 f. 25 Zum Ganzen: Bogs, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Koalitionsrechts, 8 f. 26 Bogs, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Koalitionsrechts, 10 f.; Gamillscheg, KollArbR I, 81.

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19. Jahrhundert und gleichzeitig den Beginn der Verelendung der Arbeiterschaft.27 Im Grundrechtskatalog der Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März 1849 (Paulskirchenverfassung), die zwar nicht zu bundeseinheitlicher Geltung gelangte, gleichwohl der späteren Weimarer Reichsverfassung an vielen Stellen als Vorlage diente, fand sich zwar in § 162 die allgemeine Vereinigungsfreiheit, aber noch keine spezielle Koalitionsfreiheit. a) Koalitionsverbote und ihre Aufhebung in § 152 GewO 1869 Die explizite Gewährung der Koalitionsfreiheit ist ihrerseits als Lehre aus den bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreiteten Koalitionsverboten zu verstehen28, die einen Zusammenschluss zur kollektiven Interessenvertretung insbesondere zum Zwecke des Arbeitskampfes unter Strafandrohung verboten29, gleichwohl nicht vollkommen verhinderten.30 Erst in den 1860er Jahren wurden derartige Verbote schrittweise aufgehoben. Schließlich erfolgte mit Einführung des § 152 der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund 1869 formal eine großflächige Aufhebung des Koalitionsverbotes, „Alle Verbote und Strafbestimmungen … wegen Verabredung und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben“. b) Ambivalente Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivil- und Strafsachen Diese Vorläufer der Koalitionsfreiheit bedeuteten aber keineswegs eine freie Entfaltung von Koalitionen. Vielmehr kreiste die Diskussion in der Folgezeit um die Beschränkung der Ausübung der Koalitionsfreiheit. Begrenzend wirkten etwa die Sozialistengesetze vom 22. Oktober 187831, die bis 1890 galten und die außerparlamentarischen Aktivitäten der Sozialdemokratie in Gestalt von Versammlungen und des Zusammenschlusses in Vereinen stark erschwerte.32 In diesem Sinne waren auch 27

„Entfesselung der wirtschaftlichen Kräfte“ Gamillscheg, KollArbR I, 85. Vgl. zur Entwicklungsgeschichte des Koalitionswesens seit dem Mittelalter bis zu frühen Koalitionsverboten Bogs, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Koalitionsrechts, 8 ff. 29 Vgl. etwa § 181 ff. der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845, insb. § 182 Abs. 1: „Gehülfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter, welche entweder die Gewerbetreibenden selbst oder die Obrigkeit zu gewissen Handlungen oder Zugeständnissen dadurch zu bestimmen suchen, daß sie die Einstellung der Arbeit oder die Verhinderung derselben bei einzelnen oder mehreren Gewerbetreibenden verabreden oder zu einer solchen Verabredung andere auffordern, sollen mit Gefängniß bis zu einem Jahre bestraft werden.“ 30 Vgl. zu den Arbeitsniederlegungen in den 1840er und -50er Jahren: Mottek, Von der Zeit der Französischen Revolution bis zur Zeit der Bismarckschen Reichsgründung, 241 ff. 31 RGBl. 1878 Nr. 34, S. 351 ff. 32 Vgl. zu den Auswirkungen auf die Gewerkschaftsbewegung: Gimbel, in: Deppe/Fülberth/Harrer (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, S. 56, 59 f.; Bogs, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Koalitionsrechts, 17. 28

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die Urteile des Reichsgerichts in Strafsachen durch ein restriktives Verständnis des § 152 GewO von 1869 geprägt. „Der § 152 GewO hat es absolut nicht mit irgend welchen Gegenständen allgemein politischer Natur, sondern ausschließlich mit den konkreten Arbeitsverträgen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, mit den unmittelbar durch diese Verträge geregelten Lohnund Arbeitsbedingungen … zu thun. Sobald … Koalitionen behufs Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen das Gebiet des gewerblichen Lebens mit seinen konkreten Interessen verlassen, sobald sie hinübergreifen in das staatliche Gebiet, sobald sie die Organe und die Thätigkeit des Staates für sich in Anspruch nehmen, hören sie auf, gewerbliche Koalitionen zu sein, und wandeln sich in politische Vereine um, die als solche den Beschränkungen des Vereins- und Versammlungsrechts unterliegen.“33

Allgemeinpolitische Aktivitäten der Koalitionen, wie etwa Petitionen an den Reichstag, waren nach diesem Verständnis nicht vom Koalitionsrecht erfasst. Auch die zulässigen Mittel zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen sah das Reichsgericht stark begrenzt. „Völlig unberührt von der in § 152 enthaltenen Anerkennung der Koalitionsfreiheit bleibt aber die Frage, welche Mittel, von der Eingehung der Koalition selbst abgesehen, sonst die vereinigten Arbeiter oder Arbeitgeber zur Erreichung des in § 152 bezeichneten Zwecks anwenden können und anwenden dürfen, ohne sich strafbar zu machen.“34

Stärker als die freie Ausübung der Koalitionsfreiheit, etwa durch Streiks, stand deren Begrenzung im Mittelpunkt. Diese erfolgte zunächst insbesondere nach Maßgabe des § 153 GewO von 1869, der es unter Strafe stellte, andere durch Zwang, Drohung etc. zur Teilnahme an Verabredungen i. S. v. § 152 GewO 1869 zu bestimmen oder vom Rücktritt von diesen abzuhalten. Auch wenn diese Vorschrift vor allem als Schutzvorschrift für Arbeitswillige gedacht war und nach heutigem Verständnis den Gedanken der negativen Koalitionsfreiheit zum Ausdruck brachte, barg sie jedenfalls die Gefahr, zur übermäßigen Begrenzung der Koalitionsfreiheit instrumentalisiert zu werden. So findet sich denn auch eine Reihe von Verurteilungen auf Grundlage dieser Vorschrift.35 Dabei führt das RG aus, dass es der Gesetzgeber für geboten hielt „besonderen Schutz durch Strafbestimmungen gegen den sogenannten Terrorismus der auf derselben Seite des Lohnkampfes stehenden gegen ihre Genossen zu gewähren.“36 Koalitionszwang war damit verpönt37, wurde sehr weit verstanden und strafrechtlich verfolgt.38 33

RG, Urt. v. 10.11.1887 – 2105/87, RGSt 16, 383. RG, Urt. v. 6.10.1890 – 1893/90, RGSt 21, 114. 35 Etwa: RG, Urt. v. 19.10.1886 – 2471/86, RGSt 14, 387; RG, Urt. v. 6.10.1890 – 1893/90, RGSt 21, 114; RG, Urt. v. 25.4.1902 – 1004/02, RGSt 35, 205; Saul, Staat, Industrie, Arbeiterbewegung im Kaiserreich, 263: 6373 Verurteilungen zwischen 1903 und 1912. 36 RG, Urt. v. 25.4.1902 – 1004/02, RGSt 35, 205, 207. 37 Anders noch im Mittelalter vgl. Gamillscheg, KollArbR I, 80; Bogs, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Koalitionsrechts, 4. 38 Auf Grundlage von § 153 GewO 1869, sowie § 152 Abs. 2 GewO 1869, der die rechtliche Verbindlichkeit der koalitionsbezogenen Rechtsverhältnisse ausschloss „Jedem Teilnehmer 34

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Aber auch auf die Gegenseite gerichtete Maßnahmen führten zu Verurteilungen durch die Strafsenate nach § 153 GewO 1869 bzw. wegen Erpressung nach § 253 StGB. Die Strafrichter fassten unter „andere“ i. S. d. § 153 GewO 1869 auch die Gegenseite im Lohnkampf, woraus folgte, dass die bloße Androhung eines Streiks oder eines Boykotts gegenüber dem Arbeitgeber bestraft wurde, während deren Durchführung im Grundsatz von § 152 GewO gedeckt war.39 Dieses aus heutiger Sicht paradoxe Ergebnis, die Ankündigung als im Grundsatz milderes Mittel zu bestrafen, während die tatsächliche Durchführung als schärferes Schwert straflos blieb, schränkte die Koalitionsfreiheit faktisch ganz erheblich ein. Eine Gesetzesinitiative zur Ausweitung dieser Vorschrift, die unter anderem die öffentliche Aufforderung zur widerrechtlichen Arbeitsniederlegung unter Strafe gestellt hätte, wurde vom Reichstag indes im April 1891 mit klarer Mehrheit abgelehnt.40 Die Situation des so begrenzten Koalitionsrechts, das letztlich nur die negative Koalitionsfreiheit schützte, gleichsam faktisch keine positiven Garantien enthielt41, beschreibt Lotmar um die Jahrhundertwende prägnant: „Die gesetzliche Koalitionsfreiheit ist nur Unverbotenheit und Straflosigkeit. Die Koalition ist frei, nämlich vogelfrei, und ein Koalitionsrecht ist erst noch zu schaffen.“42 Kontrastiert wurde die äußerst restriktive Rechtsprechung von den deutlich zurückhaltender urteilenden Zivilrichtern des Reichsgerichts, die Streiks und Boykotte43 auf Arbeitnehmerseite und Aussperrungen als Gegenmaßnahmen der Arbeitgeber in Gestalt der Untersagung der Arbeitsaufnahme44 auf Grundlage des § 152 GewO 1869 grundsätzlich für zulässig erachteten und von Verurteilungen analog der Strafsenate in diesem Zusammenhang nach §§ 823 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. Strafgesetzen bzw. § 826 BGB weitgehend absahen.45 Die Auffassung der Zivilsteht der Rücktritt von solchen Vereinigungen frei, und es findet aus letzterem weder Klage noch Einrede statt“. 39 R. Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, 297 ff., 335 ff. m. w. N. 40 Reichstagsprotokolle, 8. Legislaturperiode, 1890/92,4, 106. Sitzung 23. April 1891, 2540: 78 Ja Stimmen, 142 Nein Stimmen. 41 Vgl. R. Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, 301; Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 75; so auch schon: Groh, Koalitionsrecht, 28. 42 Lotmar, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 2 (1900), 1, 63. 43 Siehe unten § 8 B. IV. 2. d) näher zum Boykott als Arbeitskamfmaßnahme. 44 Vgl. nur: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 1 Rn. 20. 45 Vgl. exemplarisch: RG, Urt. v. 12.7.1906 – VI 497/05, RGZ 64, 52, 60, „Die Mittel, mit denen bei Streitigkeiten der in § 152 GewO bezeichneten Art angriffs- oder verteidigungsweise gekämpft wird, sind regelmäßig darauf berechnet, den widerstrebenden Willen des Gegners zu beugen, diesen durch Zufügung eines Übels zum Nachgeben zu zwingen, und die wirkliche Anwendung der dabei in Betracht kommenden Maßnahmen stellt, verglichen mit der bloßen Androhung derselben, das schärfere, zur Brechung des Willens wirksamere Mittel dar. Es scheint unmöglich, anzunehmen, daß der Gesetzgeber das intensivere Zwangsmittel habe gestatten, das mildere aber mir Strafe bedrohen wollen; es wäre das auch vom Standpunkte der Zweckmäßigkeit aus gar nicht zu verstehen.“

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richter fasst Schröder wie folgt zusammen: In wirtschaftlichen und gewerblichen Kämpfen seien vorsätzliche Schädigungen, die in sonstigem Kontext zum Schadensersatz verpflichten würden, bis zur Grenze der Existenzvernichtung erlaubt gewesen; gleichzeitig habe der Vorrang des milderen Kampfmittels sowie der Grundsatz, Konsequenzen für Dritte gering zu halten, gegolten.46 Die Zivilrichter des Reichsgerichts haben danach schon in frühen Entscheidungen Kriterien angewandt, die sich bis in die heutige Rechtsprechung fortgesetzt haben.47 Diese Frühzeit des Koalitionsrechts lässt sich am besten als ein Ringen um eben dieses Recht charakterisieren. Rechtstatsächlich hatten es die Gerichte und der Gesetzgeber mit einer aus heutiger Sicht erstaunlichen Fülle von Arbeitskämpfen unterschiedlicher Art zu tun48, die einerseits aufgrund ihres wirtschaftlichen Schadens für die Allgemeinheit begrenzt werden sollten, andererseits verlangte insbesondere die sozialdemokratische Bewegung eine freie Entfaltung der Arbeiter und ihrer Koalitionen zum Zwecke der Erreichung besserer Arbeitsbedingungen. Diesen Widerstreit illustriert ein Zitat Lujo Brentanos von 1899, in dem er sich klar zur Notwendigkeit der Koalitionsfreiheit bekennt: „Wenn ich so energisch für volle Koalitionsfreiheit eintrete, so geschieht dies nicht etwa, weil ich den Streik will. Es gibt keinen Menschen, der in Arbeitseinstellungen und Aussperrungen etwas an sich Gutes erblickte. Niemand, der in ihnen nicht ein Übel sähe, das man möglichst vermeiden müsse. Selbst die energischsten Verteidiger der Koalitionsfreiheit treten für sie ein nur, weil es die größte Ungerechtigkeit ist, wenn den Arbeitern, bis eine bessere Ordnung da ist, die Koalitionsfreiheit versagt wird, und weil jede Ordnung, die nicht anstelle von vergleichsweise harmlosen Arbeitskämpfen Revolutionsversuche setzen soll, die Koalitionsfreiheit zur notwendigen Voraussetzung hat.“49

Erst nach der Jahrhundertwende lösten sich einige Verengungen der Koalitionsfreiheit. So erfolgte 1916 eine Änderung des Vereinsgesetzes von 1908 unter Einfügung des § 17a, der die Koalitionen von den Beschränkungen der für politische Vereine geltenden §§ 3, 1750 ausnahm und ihnen die politische Betätigung ermöglichte.51 Am 15. November 1918 wurde das Arbeitsgemeinschaftsabkommen52

46 R. Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, 437 f. 47 Siehe unten § 7 C. II. 2., § 8 B. IV. 48 1131 Arbeitsniederlegungen zwischen 1. Januar 1889 und 1. April 1890: Gimbel, in: Deppe/Fülberth/Harrer (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, S. 56, 65; nochmalige Steigerung im Jahr 1896: J. Schmidt/Seichter, in: Deppe/Fülberth/Harrer (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, S. 77 ff. 49 Brentano, Vortrag zum 4. Delegiertentag des Nationalsozialen Vereins. 50 Diese sahen u. a. vor, dass ein Mitglieder- und Vorstandsverzeichnis bei der zuständigen Polizeibehörde einzureichen war und verboten die Koalitionsmitgliedschaft und die Teilnahme an Versammlungen durch unter 18-jährige. 51 RGBl. 1916 Nr. 147, 635; vgl. Bogs, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Koalitionsrechts, 20.

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zwischen den Spitzenverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen und am 23. Dezember desselben Jahres trat die Tarifvertragsordnung53 (TVVO) in Kraft. c) Zwischenfazit Hinsichtlich der Frage nach dem persönlichen und sachlichen Geltungsbereich des späteren Art. 9 Abs. 3 GG zeigt der Blick auf die Vorgängervorschriften ein gemischtes Bild. Es liegt auf der Hand, dass während des Kampfes um das Koalitionsrecht als solches weniger dessen Reichweite, als seine grundsätzliche Geltung im Fokus stand. Auffällig ist, dass anstatt der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Folgevorschriften noch von den sprachlich engeren Lohn- und Arbeitsbedingungen die Rede ist. Daran wird einerseits deutlich, dass es um die Verbesserung existenzieller Arbeitsbedingungen i. e. S. ging. Andererseits zeigt sich, die gesetzgeberische Sorge eines zu weiten Vereinigungszwecks, der in den Bereich der Wirtschaftsbedingungen und -politik übergreifen könnte. Gleichzeitig gehen die Akteure selbstverständlich vom Widerstreit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus. Hierin liegt aber wohl keine bewusste Entscheidung, sondern eher eine kraft Natur der Sache entstandene Gegenüberstellung der tatsächlichen im Arbeitskampf stehenden Konfliktparteien. Jedenfalls lässt sich nicht sagen, dass frühe Koalitionsrechte formal an das Vorliegen eines Arbeitsvertrages54 angeknüpft hätten. Vielmehr stand die Bekämpfung des Arbeiterelends im Vordergrund. Unabhängig von der konkreten Rechtsgrundlage der Arbeitsbeziehungen ging es bereits damals darum, die individuelle Verhandlungsschwäche der Arbeiterschaft auf kollektiver Ebene zu kompensieren und dadurch bessere Arbeitsbedingungen zu erstreiten. 2. Koalitionsfreiheit in der WRV Die Weimarer Reichsverfassung löste die Koalitionsfreiheit aus der allgemeinen Vereinigungsfreiheit und regelte sie separat in Art. 159 und 165 WRV55, orientierte 52 Reichsanzeiger Nr. 273 vom 18. November 1918; „1. Die Gewerkschaften werden als berufene Vertretung der Arbeiterschaft anerkannt. 2. Eine Beschränkung der Koalitionsfreiheit der Arbeiter und Arbeiterinnen ist unzulässig …“. 53 RGBl. 1918 Nr. 192, S. 1456; „§ 1 Sind die Bedingungen für den Abschluß von Arbeitsverträgen zwischen Vereinigungen von Arbeitnehmern und einzelnen Arbeitgebern oder Vereinigungen von Arbeitgebern durch schriftlichen Vertrag geregelt (Tarifvertrag), so sind Arbeitsverträge zwischen den beteiligten Personen insoweit unwirksam, als sie von der tariflichen Regelung abweichen …“ 54 Sofern ein solcher überhaupt bestand; zum Arbeitsvertrag als individualrechtliche Rechtsquelle seit Geltung der GewO von 1869: Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 91 f. 55 Art. 159 WRV: Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und

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sich dabei seinem Wortlaut nach allerdings am Begriff der Vereinigung und nicht am Begriff der Koalition, betonte also stärker das individuelle Recht, sich zu bestimmtem Zwecke zusammenzuschließen, als den kollektiven Gehalt des Grundrechts. Die Entscheidung für diese Begrifflichkeit erklärt sich maßgeblich aus der Sorge, mit der Koalitionsfreiheit gleichfalls die Streikfreiheit zu gewährleisten, was nicht gewollt war.56 In der Folge kreiste die inhaltliche Diskussion dann auch insbesondere um die Nichtgewährung eines Streikrechts.57 Gleichzeitig bedeutete Art. 159 WRVaber sowohl in persönlicher als auch in gegenständlicher Hinsicht eine Ausweitung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit. So erfolgte anders als noch in § 152 GewO von 1869 eine Gewährleistung für jedermann und alle Berufe, was insbesondere auch Beamte umfasste. Auch inhaltlich erfolgte eine Erweiterung des Begriffspaars Lohn- und Arbeitsbedingungen hin zu Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, d. h. eine Ausdehnung des Vereinigungszwecks.58 Die Verknüpfung der Begriffe Lohn- und Arbeitsbedingungen führte, so die zeitgenössische Interpretation, zu einer Verengung möglicher Zwecke auf solche, die innerhalb eines bestimmten Arbeitsverhältnisses, eines bestimmten Arbeitsortes oder eines bestimmten Berufes verwirklicht werden dürfen.59 Demgegenüber wurde die Formulierung Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durchaus weiter verstanden. Während Nipperdey unter Arbeitsbedingungen alles, was tarifvertraglich geregelt werden kann, fasste, stellte er gleichzeitig klar, dass die Koalitionen sich nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse im Kontext fremdbestimmter, d. h. abhängiger Arbeit beschränken mussten, sondern durchaus auch im Bereich selbstständiger Arbeit in Erscheinung treten konnten, solange es sich zumindest um „arbeitsrechtlichen eng verwandte Verhältnisse“ handelte.60 Im Ansatz ähnlich verstand auch Böhm die Wirtschaftsbedingungen unter Bezugnahme auf die Änderung des Vereinsgesetzes Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig. 56 Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, 86; Anschütz, in: Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 159 WRV S. 733; Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 13. 57 Nipperdey, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Art. 159 WRV S. 416; Anschütz, in: Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 159 WRV S. 733 ff. 58 Ramm, RdA 21 (1968), 412, 414; Anschütz, in: Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 159 WRV S. 731 f.; Groh, Koalitionsrecht, 26; anders: Poscher, RdA 70 (2017), 235, 240, der die Beschränkung auf Wirtschaftsbedingungen im Vergleich zu einem allgemeinpolitischen Mandat der Koalitionen betont; ebenso bereits: Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 15, unter Berufung auf Äußerungen des Abgeordneten Cohn im Verfassungsausschuss. 59 Vgl. RG, Urt. v. 10.11.1887 – 2105/87, RGSt 16, 383; Groh, Koalitionsrecht, 26; Nipperdey, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Art. 159 WRV S. 397 m. w. N. 60 Nipperdey, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Art. 159 WRV S. 398, am Beispiel von Ärztevereinigungen gegenüber Krankenkassen; ebenso Groh, Koalitionsrecht, 11.

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von 1916 als „möglichst weitherzige Umschreibung des geschützten Aufgabenkreises von Vereinigungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber“. Echte Koalitionen sollten danach auch mittelbare Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen können.61 Insofern lässt sich die begriffliche Erweiterung des Art. 159 WRV zwanglos als Abschied von der Zweckbegrenzung auf einzelne konkrete, abhängige Arbeitsverhältnisse hin zu einem weiteren Verständnis verstehen, das selbstständige Arbeit, die unter vergleichbaren Bedingungen erbracht wird, einschließt.62 Untermauert wird diese Ausdehnung des Schutzumfangs durch Art. 159 S. 2 WRV, der im Gegensatz zu § 152 Abs. 2 GewO, der die Rechtsverbindlichkeit der koalitionsbezogenen Rechtsverhältnisse noch ausdrücklich bestritt, unmittelbare Drittwirkung anordnet.63 Art. 165 Abs. 1 WRV64 postulierte demgegenüber auf Verfassungsebene die Anerkennung der organisierten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberschaft, ohne dass hierin eine kollektivrechtliche Garantie einschließlich des Streikrechts oder auch nur des Bestands der Koalitionen gelegen hätte.65 Der oftmals als Räteartikel bezeichnete Art. 165 Abs. 1 WRV ist vielmehr als Gesetzgebungsprogramm mit dem Ziel, der Arbeitnehmerschaft ein Mitbestimmungsrecht in der Volkswirtschaft zu gewähren, um so Parität zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern herzustellen, zu verstehen.66 Als Zäsur in der Entwicklung der Koalitionsfreiheit ist die Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 zu sehen. Die sozialen Gegenspieler wurden zwangsweise in der Deutschen Arbeitsfront zusammengefasst, um einen Interessenausgleich entsprechend nationalsozialistischer Grundsätze zu gewährleisten.67 Mit Ende des zweiten Weltkrieges wurde die Arbeitsfront durch die Alliierten aufgehoben68 Diese Übergangszeit mündete in die Entstehung des Art. 9 Abs. 3 GG, der zum 24.5.1949 in Kraft trat. 61

Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 14. Vgl. Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 15 f., auch wenn der Gesetzgeber hieran wohl nicht bewusst gedacht hat, besteht die Möglichkeit dieser Interpretation; Nipperdey, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Art. 159 WRV S. 398; Anschütz, in: Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 159 WRV S. 731 f. 63 Nipperdey, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Art. 159 WRV S. 403; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, 84, 92, der von einer inzidenten Aufhebung des § 152 Abs. 2 GewO 1869 durch Art. 159 WRV ausgeht; siehe auch: Nikisch, Arbeitsrecht II. Band, 19 f.; Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 6. 64 Art. 165 Abs. 1 WRV: Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt. 65 Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 31 f. m. w. N. 66 Anschütz, in: Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 165 WRV S. 744 f.; Tatarin-Tarnheyden, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Art. 165 WRV S. 523 f. 67 Vgl. Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 102 ff. m. w. N. 68 Kontrollratsgesetz Nr. 2 zur Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen vom 10.10.1945. 62

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3. Die Entstehung des Art. 9 Abs. 3 GG Bei der Genese des Art. 9 Abs. 3 GG erfolgte insoweit ein Rückschritt, als dass die Koalitionsfreiheit wieder in unmittelbaren Zusammenhang mit der allgemeinen Vereinigungsfreiheit gebracht wurde und keinen eigenen Artikel erhielt.69 Streitpunkt im Parlamentarischen Rat war, wie schon in Weimar, vor allem ein potentieller Abs. 4 des Art. 9 GG, der sich mit dem Streikrecht und dessen Begrenzungen hätte befassen sollen. Trotz des Bestrebens, politisch motivierte Streiks zu vermeiden, beschloss der Hauptausschuss die Streichung eines möglichen Abs. 4 wegen Bedenken gegen eine ausufernde Kasuistik, die die Festschreibung eines Streikrechts mit einer Reihe von Beschränkungen nach sich zöge.70 Ein vergleichbares Schicksal traf die Debatte um ein ausdrückliches Verbot des Beitrittszwangs als negative Gewährleistung der Koalitionsfreiheit, die letztlich mit ähnlichen Argumenten zu einer Streichung des entsprechenden Satzes führte.71 Dazu mag einerseits die Erfahrung der harschen Rechtsprechung des RG in Strafsachen zu § 153 GewO 1869 und die damit verbundene Einschränkung des Koalitionsrechts beigetragen haben72 sowie andererseits der Umstand, dass kein Anlass gesehen wurde, dass entsprechende Vereinigungen den bestehenden Grundsatz der Freiwilligkeit in Frage stellen könnten.73 Insgesamt lässt sich eine gewisse Zurückhaltung des Verfassungsgebers in der Regelung konkreter Inhalte ausmachen. Er knüpft mit Art. 9 Abs. 3 GG an historische Regelungen individueller Koalitionsfreiheit an, ohne eine Art. 165 WRV vergleichbare kollektive Regelung hinsichtlich der Verbände selbst zu schaffen. Daraus ergibt sich freilich nicht, dass die kollektive Koalitionsseite nicht geschützt wäre, vielmehr wollte der Verfassungsgeber auch Bestand und Betätigung der Koalitionen garantieren, jedoch vor allem als Unterstützung des Individualrechts.74 Im Übrigen wurde Art. 9 Abs. 3 GG sprachlich wie inhaltlich weitgehend Art. 159 WRV nachgebildet, was indiziell für eine Übernahme auch der Inhalte spricht75. Selbiges untermauern die analog verlaufenden Diskussionen im Parlamentarischen Rat.

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Vgl. Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 35; entsprechende Vorschläge zur Aufteilung auf zwei Artikel konnten sich nicht durchsetzen: Leibholz/Mangoldt, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 1, 119. 70 Vgl. Leibholz/Mangoldt, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 1, 123. 71 Leibholz/Mangoldt, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 1, 124 f. 72 Siehe dazu im vorigen Abschnitt; ebenso: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 346. 73 Leibholz/Mangoldt, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 1, 124. 74 So zutreffend: Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 37. 75 Vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 152.

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4. Implikationen der Entwicklungsgeschichte der Koalitionsfreiheit Nach dem Gesagten lässt die historische Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG zwar keine zwingenden Schlüsse zu. Wohl aber besteht Raum für einige Ableitungen, die für die Auslegung relevant erscheinen. An vielen Stellen finden sich Einteilungen in unterschiedliche Entwicklungsphasen der Koalitionsfreiheit in Deutschland.76 Diese ließen sich, je nach Stärke der Lupe, durch die man blickt und betrachtetem Zeitraum, beliebig vervielfachen. Mit Gewissheit sagen lässt sich, dass die Koalitionsfreiheit den Beschäftigten nicht von außen, etwa durch den Gesetzgeber, „gegeben“ wurde. Im Gegenteil erkämpfte sie die Arbeiterschaft insbesondere im 19. Jahrhundert, motiviert durch existenzielle soziale bzw. wirtschaftliche Not. Die gesetzgeberische Flankierung dieses Kampfes lässt sich als kontinuierliche Weiterentwicklung der rechtlichen Gewährleistungen zusammenfassen. Blendet man frühe Koalitionen im Mittelalter aus, so ist seit der Zeit der Koalitionsverbote in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine stetige Ausdehnung und Weiterentwicklung der Koalitionsrechte festzustellen. Wenn Sinzheimer in Bezug auf §§ 152, 153 GewO 1869 vom „geschichtlichen Durchbruchspunkt der Koalitionsfreiheit in Deutschland“77 spricht, so ist ihm rückblickend zuzustimmen, auch wenn noch zur Jahrhundertwende sicher niemand von einem Durchbruch hätte sprechen wollen. Die Koalitionsfreiheit, von Rückschritten oder Zäsuren wie durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen, die Sozialistengesetze und erheblich durch den Nationalsozialismus abgesehen, nahm dort ihren Ausgangspunkt und entwickelte sich stetig weiter. Von der Gewährung nur für Gewerbetreibende und der rechtlichen Unverbindlichkeit zur Gewährung für jedermann und alle Berufe, von den Lohn- und Arbeitsbedingungen hin zu Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, entstand eine „echte“ Koalitionsfreiheit. Das am vorläufigen Ende der Entwicklung stehende Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist vor seinem historischen Hintergrund wie schon in der WRV auch als Abgrenzung zu sonstigen allgemeinpolitischen Zwecken zu begreifen.78 Die Arbeitsbedingungen bilden dabei einen Ausschnitt der weiter zu verstehenden Wirtschaftsbedingungen.79 Koalitionsrechte sollen und sollten denjenigen Vereinigungen zugutekommen, deren Zweck in der Förderung eben dieser Bedingungen liegt. Dabei wirkt der Begriff der Wirtschaftsbedingungen nach seiner historischen Genese in zwei Richtungen. In Richtung der Arbeitsbedingungen stellt er eine Erweiterung dar, weil Wirtschaftsbedingungen mehr umfasst als nur die Bedingungen hinsichtlich der Durchführung einzelner konkreter Arbeitsverträge (anders noch die Lohnbedingungen). Gleichzeitig begrenzt er die für die Trägerschaft 76

Bogs, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Koalitionsrechts, 1 ff.; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, 76 ff.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, 113 ff.; Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 63 ff.; siehe auch: Höpfner, RdA 73 (2020), 129, 132 ff. 77 Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, 77. 78 Vgl. Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 15. 79 Poscher, RdA 70 (2017), 235, 241.

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der Koalitionsfreiheit erforderlichen Zwecke von sonstigen politischen Zwecken auf die Förderung gerade der Wirtschaftsbedingungen. Zu weit würde es gehen, anzunehmen, dass immer auch Arbeitsbedingungen i. e. S. betroffen sein müssen, um den Koalitionszweck zu erfüllen. Dann hätte es des Begriffs der Wirtschaftsbedingungen nicht bedurft. Trotzdem sind beide Begriffe nicht völlig losgelöst voneinander zu betrachten, vielmehr muss es sich um Wirtschaftsbedingungen handeln, die jedenfalls mit der Erbringung von Arbeit in einem weiteren Sinne in Verbindung stehen. Wenn hinsichtlich konkreter Schlüsse vor der Beliebigkeit der historischen Methode gewarnt wird80, mag das daran liegen, dass in der Methodenlehre unterschiedliche Spielarten historischer Auslegung diskutiert werden.81 Differenziert wird etwa zwischen genetischer Auslegung im Sinne einer Analyse der Gesetzesmaterialien der auszulegenden Norm und historischer Auslegung i. e. S., die auch die Vorläufernormen einschließlich aller zur Verfügung stehenden Materialien einer Vorschrift berücksichtigt.82 Gerade hinsichtlich der wechselvollen Entwicklung der Koalitionsfreiheit bietet sich die hier erfolgte umfassende Würdigung der historischen Entwicklung an, während eine rein genetische Auslegung gerade wegen der partiellen Übernahme des Art. 159 WRV83 eine Verkürzung darstellen würde. Weitgehend begründungslos vorgebrachte Kontinuitätsargumente, die allein darauf abheben, dass die Koalitionsfreiheit immer auf Personen abzielte, die vollständig der Arbeitsrechtsordnung unterlagen, weshalb dies bis heute gelte,84 können demgegenüber nicht überzeugen. Dies trägt weder dem Wandel des Arbeitnehmerbegriffs und der Arbeitsrechtsordnung Rechnung, noch wird ein Blick über den starren Anwendungsbereich hinaus, hin zur Ebene der grundlegenden Wertungen gewagt. In diesem Sinne erfordert das Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eine dynamische Auslegung als „zeitoffene Begriffe“, die Raum für Fortentwicklung lassen.85 Eine Begrenzung nur auf Arbeitsverträge enthält Art. 9 Abs. 3 GG jedenfalls nicht. Historisch stand vielmehr der Schutz der arbeitenden Bevölkerung zur Erwirkung angemessener Bedingungen im Zentrum, der sich letztlich im Grundgesetz niedergeschlagen hat. Dass Koalitionsrechte gerade von der (abhängigen) Arbeiterschaft erkämpft und entsprechend der sozialen Wirklichkeit durch die Gesetz- bzw. Verfassungsgeber „verrechtlicht“ wurden, steht dem nicht entgegen. Ob 80 Gamillscheg, KollArbR I, 151 f.; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 40, meint sogar, dass es angesichts der „Vagheit“ der Formulierung statt auf einen „logisch determinierten Erkenntnisakt auf einen rechtspolitischen Willensakt“ ankomme. 81 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 449 ff. 82 Reimer, Methodenlehre, Rn. 347 f.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 148. 83 Vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 152, der von „droit constant“ spricht, das die Übernahme des Normtexts mit der Übernahme der Inhalte gleichsetzt. 84 So etwa: Stolterfoht, DB 26 (1973), 1068, 1073. 85 In diese Richtung: BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. IV. 1.; Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2049; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 64 ff.; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 58.

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der Parlamentarische Rat bei der Entstehung der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG an ein allgemeines Persönlichkeitsrecht bewusst gedacht hat, spielt für dessen Bestand solange keine Rolle, wie er Vorschriften geschaffen hat, denen ein solcher Schutzgehalt potentiell innewohnt. Ebenso spricht die historische Weiterentwicklung der Koalitionsfreiheit dafür, dass eine Begrenzung der gewährten Freiheiten gerade auf die abhängige Arbeiterschaft nicht angezeigt ist. Mit Art. 9 Abs. 3 GG wurde vielmehr eine Regelung geschaffen, die vor dem historischen Hintergrund des Ringens um die Koalitionsfreiheit zum Zwecke der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Koalitionsfreiheit all jenen gewährt, die darauf angewiesen sind. Auch wenn sich ein eindeutiger historischer Befund hinsichtlich der Erweiterung der Koalitionsfreiheit auf soloselbstständige Crowdworker verbietet, so steht die Entstehungsgeschichte dieser nicht entgegen, sondern begünstigt derartige Fortentwicklungen eher. IV. Teleologische Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG Von entscheidender Bedeutung für die Frage der Reichweite der Koalitionsfreiheit sind neben ihrer historischen Genese die ihr zugrundeliegenden Wertungen und der mit ihr verfolgte Sinn und Zweck. Deshalb wird zunächst unter 1. ermittelt, wie weit eine schutzzweckbezogene Deutung der Koalitionsfreiheit reicht, mit anderen Worten welche Personengruppen ihr wertungsmäßig unterfallen, um anschließend unter 2. zu untersuchen, ob Crowdworker diesen vergleichbar und deshalb ebenso schutzwürdig sind. 1. Sinn und Zweck der Koalitionsfreiheit Zu klären ist, ob eine am Telos des Art. 9 Abs. 3 GG orientierte Auslegung für die Grundrechtsträgerschaft in persönlicher Abhängigkeit erbrachte Arbeit verlangt. Wäre dies der Fall, könnten Crowdworker und ihre Zusammenschlüsse nicht Träger der Koalitionsfreiheit sein. a) Verhältnis von Art. 9 Abs. 3 GG und dem Arbeitnehmerbegriff des einfachen Rechts Das Bundesverfassungsgericht spricht hinsichtlich der Grundrechtsträgerschaft ausdrücklich zwar nur von Arbeitnehmern, Arbeitgebern, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden86, ohne dass dadurch eine Ausdehnung des Schutzbereichs z. B. 86

BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, NJW 1954, 1881 = BVerfGE 4, 96, unter B. 1. b); BVerfG, Urt. v. 6.5.1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 = BVerfGE 18, 18, unter B. I.; BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a); BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 147.

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auf Heimarbeiter ausgeschlossen wäre.87 Dennoch stellt sich die Frage, ob im Interesse der Einheit des Arbeitnehmerbegriffs im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG auf den Arbeitnehmerbegriff des Individualarbeitsrechts, mittlerweile geregelt in § 611a BGB, zurückgegriffen werden muss.88 In Art. 9 Abs. 3 GG taucht der Begriff des Arbeitnehmers oder Arbeitsvertrages weder auf, noch enthält er entsprechende Definitionen.89 Schon aus dem Prinzip der Normenhierarchie ergibt sich, dass der einfachgesetzliche Arbeitnehmerbegriff nicht maßgeblich für die Reichweite des Schutzbereichs eines Grundrechts sein kann.90 Vielmehr wirken die Grundrechte auch gegenüber dem Gesetzgeber bindend, Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG.91 Danach ist zunächst zu akzeptieren, dass Art. 9 Abs. 3 GG keine unmittelbare Kopplung an den Gewerkschafts- oder Arbeitnehmerbegriff enthält. Dieses Verständnis lässt sich durch Schutzzweckerwägungen untermauern. Während im Individualarbeitsrecht der Arbeitsvertrag i. S. v. § 611a BGB, mit dessen Vorliegen der Schutz des Arbeitsrechts steht und fällt und dessen Inhalt das Ergebnis von Vertragsverhandlungen ist, im Fokus steht, setzt Art. 9 Abs. 3 GG früher an. Er gestattet die Kompensation der individuellen Verhandlungsschwäche des Einzelnen durch Kollektivierung und Kartellierung für beide Seiten des Arbeitsmarktes zum Zwecke der Gewährleistung angemessener Vertragsbedingungen. Das Individualarbeitsrecht greift demgegenüber in die arbeitsvertraglichen Beziehungen der einzelnen Arbeitnehmer zu ihren Arbeitgebern ein.92 Im Übrigen wäre eine Bindung an „den“ einfachrechtlichen Arbeitnehmerbegriff auch insoweit problematisch, als dass dieser ebenfalls historischen Veränderungen unterliegt und erst seit kurzem seinen Niederschlag in § 611a BGB gefunden hat.93 Selbst wenn man hier von einer Kongruenz zwischen einfachem Recht und Verfassungsrecht ausgehen wollte, hätte man damit zu einer Konkretisierung wenig beigetragen.

87 BVerfG, Beschl. v. 27.2.1973 – 2 BvL 27/69, NJW 1973, 1320 = BVerfGE 34, 307, unter B. II. 4. b). 88 Umgekehrt: Rancke, Die freien Berufe zwischen Arbeits- und Wirtschaftsrecht, 121 ff., der einen Arbeitnehmerbegriff aus Art. 9 Abs. 3 GG entwickeln möchte; dagg. insbesondere: Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 332 f.; ebenso: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 197. 89 Vgl. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 196. 90 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 332 f.; Rancke, Die freien Berufe zwischen Arbeits- und Wirtschaftsrecht, 134 Fn. 104; Schlachter, GS Zachert, S. 634, 639; HK-ArbR/ Hensche, Art. 9 GG Rn. 34; ablehnend auch: HdbVerfR/Farthmann/Coen, § 19 Rn. 17. 91 Vgl. Boemke, ZfA 29 (1998), 285, 290; Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 149. 92 Vgl. C. Schubert, EzA, Nr. 3 zu § 12a TVG, 24 f.; Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 150 f. 93 Vgl. etwa das Abstellen auf den sozialen Stand bei: Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, 33 f.; zur Entwicklung: Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 27 ff. m. w. N.

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b) Unterscheidung von Tariffähigkeit und Grundrechtsträgerschaft Weiterhin hat das BVerfG bereits in frühen Entscheidungen zwischen der Tariffähigkeit und der Trägerschaft der Koalitionsfreiheit differenziert.94 Daraus folgt, dass im Grundsatz auch nicht tariffähige Koalitionen den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG genießen können.95 Darüber hinaus bestehen bereits Beispiele der Ausweitung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit auf Selbstständige, insbesondere im Bereich der Arbeitnehmerähnlichkeit und als deren Unterfall der Heimarbeit. Die Diskussion in Rechtsprechung und Lehre kann dabei in zwei sich teilweise überlappende Diskurse eingeteilt werden. Zum einen geht und ging es um die Fassung von Arbeitnehmerähnlichen und Heimarbeitern unter Art. 9 Abs. 3 GG, zum anderen ist die allgemeinere Frage der Erweiterung des Schutzbereichs auf Selbstständige zu beantworten. c) Schutzbereichsausweitung auf Arbeitnehmerähnliche Streit entzündete sich in der Vergangenheit an der Einbeziehung der Arbeitnehmerähnlichen in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG und dem Verhältnis des § 12a TVG zur verfassungsrechtlich gewährleisteten Tarifautonomie. Wie erwähnt hält das BVerfG eine Erstreckung des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG auf Heimarbeiter für möglich, ohne diese expressis verbis festzuschreiben.96 Das BAG geht für § 12a TVG weiter und nimmt an, dass Tarifautonomie für Arbeitnehmerähnliche schon aufgrund von Art. 9 Abs. 3 GG bestehe, es einer entsprechenden einfachgesetzlichen Regelung also gar nicht bedurft hätte.97 So ist mittlerweile vor allem im Tarifrecht ganz herrschende Meinung, dass Arbeitnehmerähnliche neben Heimarbeitern in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fallen und § 12a TVG die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie einfachgesetzlich ausgestaltet.98 94 BVerfG, Urt. v. 6.5.1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 = BVerfGE 18, 18, unter B. II.; BVerfG, Beschl. v. 19.10.1966 – 1 BvL 24/65, NJW 1966, 2305 = BVerfGE 20, 312, unter C. I.; BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, NJW 1982, 815 = BVerfGE 58, 233, unter B. I. 1.; BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 164. 95 Kempen/Zachert/A. Stein, § 12a TVG Rn. 7; Däubler TVG/B. Reinecke/Rachor, § 12a TVG Rn. 13; Wiedemann/Wank, § 12a TVG Rn. 46; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 12a TVG Rn. 2 f.; Deinert, AuR 64 (2016), 444, 445; vgl. bereits: Ramm, RdA 21 (1968), 412, 417. 96 BVerfG, Beschl. v. 27.2.1973 – 2 BvL 27/69, NJW 1973, 1320 = BVerfGE 34, 307, unter B. II. 4. b); so bereits: BAG, Beschl. v. 15.11.1963 – 1 ABR 5/63, AP TVG § 2 Nr. 14, unter II. 3. a). 97 BAG, Urt. v. 15.2.2005 – 9 AZR 51/04, AP TVG § 12a Nr. 6 = NZA 2006, 223, unter II. 2. b) aa); enger noch: BAG, Urt. v. 2.10.1990 – 4 AZR 106/990, AP TVG § 12a Nr. 1 = NZA 1991, 239. 98 BAG, Urt. v. 15.2.2005 – 9 AZR 51/04, AP TVG § 12a Nr. 6 = NZA 2006, 223, unter II. 2. b) aa); Däubler TVG/B. Reinecke/Rachor, § 12a TVG Rn. 13; Kempen/Zachert/A. Stein, § 12a TVG Rn. 7; wohl auch: Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 12a TVG

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Begründet wird dies vor allem mit dem Arbeitnehmern vergleichbaren Schutzbedürfnis. Gegenstimmen99, die gerade in Bezug auf die historischen Wurzeln des Koalitionsgrundrechts eine Begrenzung auf klassische Arbeitnehmer annehmen, vermochten sich nicht durchzusetzen. d) Schutzbereichsausdehnung auf sonstige Selbstständige Die Zwecke der Koalitionsfreiheit sieht das BVerfG recht diffus in der „sinnvollen Ordnung“ bzw. „Befriedung des Arbeitslebens“.100 Hieraus ergibt sich wenig Material für die hier zu entscheidende Frage der Reichweite der Koalitionsfreiheit. Sowohl Rechtsprechung101, als auch Literatur sehen die äußeren Grenzen des persönlichen Schutzbereichs des Art. 9 Abs. 3 GG überwiegend, oftmals ohne diese tatsächlich auszuloten, jedenfalls dort, wo der Bereich der wirtschaftlich abhängigen Selbstständigkeit102 verlassen wird. Am äußersten Ende des Meinungsspektrums stehen diejenigen, die von einer natürlichen Kongruenz des einfachrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs und des persönlichen Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit auszugehen scheinen.103 Gegen diese Auffassung bestehen ohnehin Bedenken, weil mit ihr die Gefahr einer unzulässigen Begrenzung grundrechtlicher Gewährleistungen durch das einfache Recht einhergeht.104 Im Übrigen ignoriert diese Sicht die Entwicklungsoffenheit105 des

Rn. 2 f.; Wiedemann/Wank, § 12a TVG Rn. 46; Gamillscheg, KollArbR I, 178 f.; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 11; ErfK/Franzen, § 12a TVG Rn. 2; Maus, RdA 21 (1968), 367, 373 f.; Waltermann, FS Moll, S. 727, 731. 99 Lieb, RdA 27 (1974), 257, 267 f.; Stolterfoht, DB 26 (1973), 1068, 1072 f.; so noch: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 197 f.; unsicher: Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 43; grundlegend gegen den Begriff der Arbeitnehmerähnlichen: Rancke, Die freien Berufe zwischen Arbeits- und Wirtschaftsrecht, 82 ff. 100 BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, NJW 1954, 1881 = BVerfGE 4, 96, unter B. 2. b) bb); BVerfG, Urt. v. 6.5.1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 = BVerfGE 18, 18, unter B. I. 2. 101 BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, NJW 1954, 1881 = BVerfGE 4, 96, unter B. 1. b) aa); BVerfG, Urt. v. 6.5.1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 = BVerfGE 18, 18, unter B. I.; BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a). 102 Siehe oben § 3 B. III. zur Arbeitnehmerähnlichkeit, sowie im Folgenden. 103 V. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 GG Rn. 181, womit gleichwohl nicht die Erfassung von Beamten ausgeschlossen wird; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 42 f., 46; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 178; Gamillscheg, KollArbR I, 158 f.; siehe bereits: Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, 81; Stolterfoht, DB 26 (1973), 1068, 1073, Schutzbereich erfasse nur diejenigen, die „in toto“ dem Arbeitsrecht unterfallen, eine Ausdehnung könne sich also aus einer Erweiterung des Arbeitnehmerbegriffs ergeben; R. Dietz, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner u. a. (Hrsg.), Die Grundrechte, Die Koalitionsfreiheit 421. 104 Siehe oben § 7 A. IV. 1. a).

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Koalitionsgrundrechts, was sich bei einigen Autoren an Einschränkungen ihrer Auffassung zeigt.106 So spricht etwa Scholz einerseits davon, dass das Merkmal unselbstständiger Arbeit für „den Arbeitnehmerbegriff des Art. 9 Abs. 3 GG maßgebend“ sei.107 Andererseits sei ein Hereinwachsen in den „Bereich potentieller Grundrechtsberechtigung des Art. 9 Abs. 3 GG“ durch den sozioökonomischen Wandel von Berufsbildern108, wie etwa im Bereich der Kulturberufe, möglich, ohne dass er damit freie Mitarbeiter generell der Koalitionsfreiheit unterstellt wissen möchte.109 Rancke geht demgegenüber den umgekehrten Weg und versucht für die freien Berufe einen aus Art. 9 Abs. 3 GG entwickelten Arbeitnehmerbegriff zu etablieren.110 Entscheidend seien die wirtschaftlich-sozialen Existenzbedingungen und das Selbstverständnis der betroffenen Personen.111 Zu begrüßen ist dabei der Versuch, die Verbindung von Individual- und Kollektivarbeitsrecht ausgehend von der Verfassung zu lösen. Gleichwohl lassen Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Koalitionsfreiheit eine solche Deduktion schwerlich zu. Im Übrigen gibt die Verfassung Wertungen und keine konkreten Begriffe vor, die sich für das Arbeitsrecht darüber hinaus nicht allein aus Art. 9 Abs. 3 GG, sondern etwa auch aus Art. 12 GG ergeben müssten.112 Abseits der Einbeziehung von Arbeitnehmerähnlichen wird eine Schutzbereichserstreckung auf Selbstständige nur vereinzelt angesprochen. Vielmehr wird scheinbar als Gegenstück zur Selbstständigkeit gelegentlich der unscharfe Begriff abhängiger Arbeit gebraucht113, mit dessen Verwendung gleichwohl keine Konkretisierung des Schutzbereichs erreicht wird.114 105 BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. IV. 1.; BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, NJW 1982, 815 = BVerfGE 58, 233, unter B. I. 1.; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 39 f.; Waltermann, FS Moll, S. 727, 732. 106 Gamillscheg, KollArbR I, 178 f., der Arbeitnehmerähnliche in den Schutzbereich einschließen, selbstständige Unternehmer und Freiberufler hingegen ausschließen will. 107 Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 178. 108 Dazu: Boemke, ZfA 29 (1998), 285, 285 ff.; C. Schubert, Der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen, 62 ff.; Frantzioch, Abhängige Selbständigkeit im Arbeitsrecht, 33 ff.; Rancke, Die freien Berufe zwischen Arbeits- und Wirtschaftsrecht, 76 ff.; zur Veränderung gewerkschaftlicher Organisation in diesem Bereich: Zacher, FS Berber, S. 549, 570 f. 109 Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 180, anders Rn. 180 a. E. selbstständig Berufstätige können sich lediglich auf Art. 9 Abs. 1 GG berufen. 110 Rancke, Die freien Berufe zwischen Arbeits- und Wirtschaftsrecht, 124 ff. 111 Rancke, Die freien Berufe zwischen Arbeits- und Wirtschaftsrecht, 129 ff. 112 Siehe die Kritik bei: Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 332 f. 113 Badura, JbArbR 1978, S. 17, 27; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 12a TVG Rn. 3; Müller, Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, 37; ebenso: Däubler/Hege, in: Koalitionsfreiheit, Rn. 95, allerdings unter Einschluss der Heimarbeiter, Arbeitnehmerähnlichen und freien Mitarbeitern im Medienbereich. 114 Vgl. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 197 „persönlich, wirtschaftlich oder sonstwie von ihrem Vertragspartner abhängig“.

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Im Hinblick auf selbstständige Ärzte gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen formuliert Nikisch: „Allerdings wird man selbständig Berufstätigen den besonderen Schutz des Art. 9 III GG nicht vorenthalten dürfen, wenn sie unter den gleichen kollektiv vereinbarten Bedingungen für andere tätig sind und sich zusammenschließen, um ihre Interessen beim Abschluß dieser Kollektivverträge gemeinsam zu wahren, denn die soziale und wirtschaftliche Abhängigkeit, die zur Bildung von Koalitionen der Arbeitnehmer geführt hat, ist auch in diesem Falle vorhanden.“115

Der Formulierung von Nikisch lässt sich zweierlei entnehmen. Einerseits ist das Beispiel der Kassenärztlichen Vereinigungen116 insofern speziell und nicht verallgemeinerungsfähig, als eine vergleichsweise homogene Gruppe einzelner Kassenärzte einem Kollektiv, „den Krankenkassen“, gegenüberstand und sich zusammenschloss, um kollektiv zu verhandeln. Andererseits wird deutlich, dass bereits unter Geltung der WRV eine Schutzbereichserweiterung auf Selbstständige erwogen wurde, soweit eine sozial und wirtschaftlich Arbeitnehmern vergleichbare Gruppe einem sozialen Gegenspieler gegenüber ihre Vertragsbedingungen kollektiv zu verbessern suchte.117 Unter anderer Prämisse, der Frage der Anwendbarkeit des Koalitionsgrundrechts auf Kartellvereinigungen nachgehend, wendet sich Dürig im Hinblick auf den weiten Wortlaut und die Entstehungsgeschichte gegen eine enge arbeitsrechtliche Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG und plädiert für ein sehr weites Verständnis des Begriffs der Wirtschaftsbedingungen.118 Ebenfalls gegen eine Abgrenzung auf Grundlage des einfachen Rechts wenden sich Farthmann/Coen, die die Koalitionsfreiheit all jenen zuerkennen wollen, die aufgrund ihrer wirtschaftlich-sozialen Lage und Beschäftigung einen kooperativen Zusammenschluss zur Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen benötigen oder wünschen.119 Diese Erweiterungstendenzen sehen sich Kritik ausgesetzt: Sie stünden im Widerspruch zur Entstehungsgeschichte, außerdem würden sie den Weg zu einer verfassungsrechtlich geschützten Befugnis freigeben, wirtschaftliche Macht einer Marktseite durch im Wege der Kartellierung geschaffene Gegenmacht zu bekämp-

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Nikisch, Arbeitsrecht II. Band, 22; ähnlich: R. Dietz, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner u. a. (Hrsg.), Die Grundrechte, Die Koalitionsfreiheit 421 f., für „Verbände gleichartiger Zielsetzung“; ähnlich bereits zu Art. 159 WRV, siehe oben § 7 A. III. 2., sowie: Nipperdey, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Art. 159 WRV S. 398; Groh, Koalitionsrecht, 11; anders zu Art. 159 WRV: Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 29, der in der Koalitionsfreiheit ein „Korrelat wirtschaftlicher Unselbstständigkeit“ sieht, wobei er die Geltung des Art. 159 WRV auch für reine Unternehmerkartelle untersucht. 116 Vgl. dazu § 77 Abs. 5 SGB V, mittlerweile als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert. 117 Siehe oben § 7 A. III. 2. 118 Dürig, NJW 8 (1955), 729, 729 ff. 119 HdbVerfR/Farthmann/Coen, § 19 Rn. 18.

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fen, ohne dass sich brauchbare Grenzen dieser Befugnis finden ließen.120 In diesem Zusammenhang stehen die von Rieble geltend gemachten Bedenken, dass die Ausdehnung des Schutzbereichs aufgrund der mit ihr verbundenen Kartellgarantie im Widerspruch zur Wirtschaftsordnung stehe, weil sie den freien Gütermarkt aufhebe.121 Dazu ist anzumerken, dass das Grundgesetz, anders als die WRV in Art. 151 ff., keine Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung enthält.122 Die durch den Gesetzgeber einfachgesetzlich ausgestaltete Wirtschaftsordnung kann nicht maßgebend für die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 GG sein.123 Hinzu kommt, dass die Kartellierung hier zwar Mittel, nicht aber Ziel kollektiver Verträge ist. Weniger als die Ausnutzung wirtschaftlicher Macht zu Lasten anderer Marktteilnehmer steht die Wiederherstellung der gestörten Vertragsparität im Fokus. Es geht nicht um missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht, sondern um ihren zweckgebundenen Einsatz zur Schaffung von Machtsymmetrie. Dem Umstand, dass hierdurch der Wettbewerb beschränkt wird, kommt für die Auslegung insoweit keine entscheidende Bedeutung zu.124 Dass mit den dargestellten Ausdehnungstendenzen noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein muss, deutete das BVerfG in seinem Heimarbeitsbeschluss bezugnehmend auf die Koalitionsfreiheit selbst an: „Dieses Prinzip setzt voraus, daß es ,überall‘, wo ein Bedürfnis dafür besteht, also der Individualarbeitsvertrag ein unzureichendes Instrument zur Begründung eines sozial angemessenen Arbeitsverhältnisses darstellt, solche organisierten Tarifparteien gibt.“125

Ohne dass der Schutzbereich in dieser Entscheidung ausdrücklich auf Selbstständige erstreckt würde, wird doch deutlich, dass das BVerfG jedenfalls keine Schutzbereichsverengung auf klassische Arbeitnehmer verlangt, sondern den grundrechtlichen Schutz „überall“ dort, wo ein entsprechendes Bedürfnis besteht, gewähren möchte. Wenn dem Aussagen aus dem Mitbestimmungsurteil126 bzw. dem

120

197 f. 121

197 f.

Stolterfoht, DB 26 (1973), 1068, 1073; ähnlich: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rieble, ZfA 29 (1998), 327, 331; siehe auch: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb,

122 BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. II. 1. 123 So auch: C. Schubert, EzA, Nr. 3 zu § 12a TVG, 26, für die Arbeitnehmerähnlichen. 124 Siehe unten § 9 zur Vereinbarkeit mit dem Kartellrecht; nicht überzeugend erscheint es, schon die Grundrechtsträgerschaft unter Verweis auf das europäische Kartellverbot nach Art. 101 f. AEUV pauschal auszuschließen, so aber: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 218 f. 125 BVerfG, Beschl. v. 27.2.1973 – 2 BvL 27/69, NJW 1973, 1320 = BVerfGE 34, 307, unter B. II. 4. a). 126 BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. IV. 1.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Aussperrungsbeschluss127 gegenübergestellt werden, um zu belegen, dass das BVerfG einer Schutzbereichsbegrenzung auf Arbeitnehmer i. S. d. historischen Fabrikarbeiters zuneigt,128 erscheint das in zweierlei Hinsicht fragwürdig. Erstens stellt niemand, einschließlich des BVerfG, in Abrede, dass Art. 9 Abs. 3 GG seinem historischen Ursprung nach zuvörderst für klassische Industriearbeiter galt. Aus der Betonung dieses Umstands ergibt sich jedoch nur der Schutzbereichskern, über seine Reichweite ist damit nichts gesagt. Zweitens folgt auch aus der Formulierung „… obwohl historisch vor allem den Arbeitnehmern vorenthalten und von diesen erstritten, [ist die Koalitionsfreiheit] nicht als Arbeitnehmer-Grundrecht ausgestaltet, sondern steht ebenso Arbeitgebern zu.“129 die Geltung gerade für die sozialen Gegenspieler und nicht etwa eine Beschränkung nur auf klassische Arbeitnehmer.130 In der neueren Literatur finden sich dementsprechend vermehrt Stellungnahmen, die von einem weiteren Verständnis der persönlichen Reichweite des Koalitionsgrundrechts geprägt sind. Bayreuther hält, obwohl er Arbeitnehmer und Arbeitgeber als natürliche Adressaten des Art. 9 Abs. 3 GG sieht, eine Schutzbereichsausdehnung auf wirtschaftlich abhängige Selbstständige, die Arbeitnehmern vergleichbar schutzbedürftig sind, auch abseits der „formalen“ Arbeitnehmerähnlichkeit für möglich.131 Insgesamt lässt sich eine zunehmende Tendenz zur Einbeziehung abhängiger Selbstständiger, welche auf kollektive Interessenwahrnehmung angewiesen sind, ausmachen.132 Auf dieser Linie hat das BSG jüngst für Vertragsärzte eine Erfassung durch Art. 9 Abs. 3 GG ausdrücklich offengelassen und dabei Spielraum für entsprechende Auffassungen eingeräumt.133 In einer neuen Entscheidung verneint das BAG dem127

BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a). 128 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 197. 129 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a). 130 So auch: BSG, Urt. v. 30.11.2016 – B 6 KA 38/15 R, NZS 2017, 539 = BSGE 122, 112, Rn. 100; ähnlich: Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 140 f. 131 Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 11 f., obgleich er diesbezüglich vor Schnellschüssen warnt; in diese Richtung auch: ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 28; BKS/Kocher, Grundlagen Rn. 84. 132 Vgl. Schaub/Treber, § 188 Rn. 22; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 119; HK-ArbR/ Hensche, Art. 9 GG Rn. 34; in diese Richtung auch: Kempen/Zachert/J. Schubert/Zachert, § 1 Rn. 781; Kocher, in: Möslein (Hrsg.), Private Macht, S. 241, 271; BKS/Kocher, Grundlagen Rn. 84; BKS/Wankel, § 12a TVG Rn. 6; Waltermann, RdA 72 (2019), 94, 100; Waltermann, FS Moll, S. 727, 732; erwägend auch: Scholle, SR 9 (2019), 28, 31; aus kartellrechtlicher Perspektive: Klapperich, NZKart 8 (2020), 125, 127 f. 133 BSG, Urt. v. 30.11.2016 – B 6 KA 38/15 R, NZS 2017, 539 = BSGE 122, 112, Rn. 99 ff., wenngleich die Gewährleistung der Tarifvertrags- und Arbeitskampffreiheit für Vertragsärzte in Rn. 103 als sehr fernliegend bezeichnet wird.

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gegenüber die Fassung Soloselbstständiger unter Art. 9 Abs. 3 GG, wenn auch allein unter dem Blickwinkel der Regelungsbefugnis der Tarifparteien, was prima facie über die Grundrechtsträgerschaft im Allgemeinen nichts aussagt.134 Vielmehr bleibt die Frage nach der Nutzbarkeit der Koalitionsfreiheit bzw. des Tarifsystems zum Schutz von Soloselbstständigen gegenüber ihren Beschäftigungsgebern unbeantwortet. Gleichwohl werden nur selten konkrete Kriterien zur Feststellung einer vergleichbaren Schutzbedürftigkeit entwickelt. In diesem Sinne wird vereinzelt eine funktional-ökonomische Auslegung der Koalitionsfreiheit vorgeschlagen.135 Diese führt zwar überwiegend zu zutreffenden Ergebnissen, macht den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit aber zu sehr von erst ex-post verlässlich ermittelbaren ökonomischen Umständen abhängig, anstatt auf die rechtlichen Begebenheiten bei Vertragsschluss abzustellen.136 Darüber hinaus führt dies im Wesentlichen zur wirtschaftlichen Abhängigkeit als maßgebliches Kriterium, welches bereits für die Arbeitnehmerähnlichkeit entscheidend ist, die viele Crowdwork-Konstellationen nicht erfasst. Dennoch können wirtschaftliche oder wettbewerbsbezogene Umstände als Indizien und zur Absicherung der gefundenen Ergebnisse herangezogen werden.137 Insoweit wäre die inverse Reaktion Soloselbstständiger am Arbeitsmarkt durchaus ein Indiz dafür, dass diese eine schwache Marktposition innehaben und deshalb schutzbedürftig sind.138 Ebenso wie Arbeitnehmer sind diese zum Teil auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen und haben keinen Einfluss auf das Angebotsverhalten ihrer Konkurrenten. Sie reagieren auf sinkende Nachfrage nicht mit Verknappung des Angebotes, um erneut steigende Preise zu erzeugen, sondern mit Ausweitung ihres Angebotes, wodurch die Preise insgesamt im Sinne einer Abwärtsspirale verfallen.139

134 BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 279/16, NZA 2018, 867, Rn. 25, 32 ff., dabei untersucht das Gericht indes vor allem die Möglichkeit der Subsumtion Alleinselbstständiger unter den Arbeitgeberbegriff im Hinblick auf deren Beitragspflicht zu einer gemeinsamen Einrichtung. 135 Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 160 ff. 136 Insoweit zutreffend kritisch: Schlachter, GS Zachert, S. 634, 640 f. 137 So auch: Schlachter, GS Zachert, S. 634, 641. 138 Zum Konkurrenzparadoxon im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG sogleich, sowie: Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 170 ff. 139 Vgl. zur inversen Reaktion am Arbeitsmarkt allgemein bereits: Brentano, Zur Kritik der englischen Gewerkvereine, 17; Stützel, Marktpreis und Menschenwürde, 79 ff.; Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 43 f.; Kempen, NZA-Beil. 17 (2000), 7, 8; aus heutiger Sicht kritisch: Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 62 f., „holzschnittartig auf Arbeiterfrage des 19. Jahrhunderts ausgerichtet“; ablehnend: Reuter, ZfA 21 (1990), 535 ff.; Reuter, RdA 44 (1991), 193, 194 f.; Möschel, ZRP 21 (1988), 48, 50; Möschel, BB 60 (2005), 490, 491.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Stärker als die Wettbewerbssituation auf dem jeweiligen Teilmarkt prägt allerdings die individuelle Verhandlungsschwäche Soloselbstständiger gegenüber ihren Auftraggebern den durch Art. 9 Abs. 3 GG aufzufangenden Schutzbedarf.140 Weitere Indizien seien eine verschärfte Konkurrenz einer Vielzahl von aus Sicht der potentiellen Vertragspartner austauschbaren Leistungsanbietern sowie die Begrenzung des Leistungsumfangs durch persönliches Tätigwerden.141 An diese Kriterien anknüpfend lässt sich im Folgenden eine Schutzbereichsausdehnung auf soloselbstständige Crowdworker begründen. 2. Zweckorientierte Schutzbereichsbestimmung: Vergleichbarkeit von Crowdworkern mit klassischen Arbeitnehmern Unter Berücksichtigung des bisherigen Auslegungsergebnisses und der soeben genannten Kriterien spricht vieles dafür, dass soloselbstständige Crowdworker Träger der Koalitionsfreiheit sind. Nach ihrem Schutzzweck und dem historischen Befund muss diese überall dort, wo eine vertragsschlussbezogene Paritätsstörung in Gestalt einer Machtasymmetrie zwischen Leistungsanbieter und Vertragspartner besteht, die in vergleichbarer Weise klassische Arbeitsverhältnisse prägt, gewährleistet werden.142 Die im Folgenden untersuchten Merkmale zur Vergleichbarkeit können dabei zugleich als Voraussetzungen für die Eröffnung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit jenseits von Crowdwork verstanden werden. a) Persönliches Tätigwerden Crowdworker werden grundsätzlich persönlich tätig. Es handelt sich bei ihnen rechtlich i. d. R. um Soloselbstständige, die, Arbeitnehmern vergleichbar, entscheidend auf den Verkauf ihrer eigenen Arbeitskraft angewiesen sind.143 Möglichkeiten zur Angebotsausweitung finden ihre natürliche Grenze in der maximalen persönlichen Arbeitszeit, gleichsam wird die Qualität des Angebots durch die eigene Qualifikation bestimmt und limitiert.144 Aufgrund der bei Crowdwork durchweg eingesetzten Reputationssysteme und der damit verbundenen Bindung an einzelne

140

Vgl. Heinze, DB 49 (1996), 729, 732. Schlachter, GS Zachert, S. 634, 641. 142 BVerfG, Beschl. v. 27.2.1973 – 2 BvL 27/69, NJW 1973, 1320 = BVerfGE 34, 307, unter B. II. 4. a); Schlachter, GS Zachert, S. 634, 640 f.; vgl. auch: Heinze, DB 49 (1996), 729, 732. 143 Siehe oben § 3 B. zur Einordnung. 144 Brentano, Zur Kritik der englischen Gewerkvereine, 16 f.; vgl. auch: Rancke, Die freien Berufe zwischen Arbeits- und Wirtschaftsrecht, 128; Schlachter, GS Zachert, S. 634, 641; Kocher, KJ 46 (2013), 145, 151; Kocher, in: Möslein (Hrsg.), Private Macht, S. 241, 274; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 27 f.; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 228 f.; kritisch zum Kriterium der Angewiesenheit: Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 286. 141

§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen

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Plattformen (Lock-In Effekt)145 wird das Angewiesensein auf den Verkauf der eigenen Arbeitskraft verschärft. Während viele Klein-Unternehmer dieses Schicksal im Grundsatz teilen, sind Crowdworker indes auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft gerade auf der Plattform, auf der sie eine bestimmte Reputation erworben und mithin Zugriff auf lukrativere Aufgaben haben, angewiesen. Hier zeigt sich ein erstes Moment beeinträchtigter Vertragsfreiheit, namentlich der Abschlussfreiheit. Zwar können Crowdworker immer noch aus den verfügbaren Ausschreibungen wählen oder Multi-Homing betreiben, ihre Möglichkeit zum Vertragsschluss ist gleichwohl faktisch hinsichtlich der wirtschaftlich sinnvollen Abschlussmöglichkeiten auf die jeweilige Plattform limitiert. b) Individuelle Verhandlungsschwäche Hinzu tritt die individuelle Verhandlungsschwäche der Crowdworker, die sich in einer starken Begrenzung der Ausübung der vertraglichen Gestaltungsfreiheit äußert. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass Vertragsgerechtigkeit nur bei annäherndem Kräftegleichgewicht der Parteien erreicht werden kann.146 In dem unter anderem für die Bestimmung der Reichweite des Art. 9 Abs. 3 GG herangezogenen147 und von vielen anderen148 einschließlich des BVerfG149 verwendeten und gleichsam durch andere bekämpften150 Begriff der „strukturellen Unterlegenheit“ als Grund für die Kompensation eines Machtgefälles auf dem Arbeitsmarkt, etwa durch kollektive Ausübung der Privatautonomie,151 wird diese Paritätsstörung zusammengefasst. Der 145 Siehe oben § 2 A. III. 1. und 3.; vgl. auch: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 230 f. 146 BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469 = BVerfGE 81, 242, unter C. I. 3.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 12 ff.; Flume, Das Rechtsgeschäft, 10; Dieterich, RdA 48 (1995), 129, 131. 147 Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 163 f. 148 Im Crowdwork Kontext etwa: Däubler/Klebe, NZA 32 (2015), 1032, 1036; C. Schubert, RdA 71 (2018), 200, 205; Scholle, SR 9 (2019), 28; aktuell auch: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 40 ff; Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 121 ff., 163 ff.; Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 25; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 59; Wielsch, AcP 213 (2013), 718, 744; Klapperich, NZKart 8 (2020), 125, 125 f. 149 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 3. b) aa); BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, NJW 1994, 36 = BVerfGE 89, 214, unter C. II. 2. b); BVerfG, Urt. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86, NJW 1996, 185 = BVerfGE 92, 365, unter C. I. 1. c); BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 146. 150 Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 229 ff.; Zöllner, ZfA 19 (1988), 265, 286 ff.; Rittner, AcP 188 (1988), 101, 126 ff.; Rittner, NJW 47 (1994), 3330 f.; kritisch auch: Reichold, RdA 55 (2002), 321, 324 f. „anachronistisches Modell sozialer Bevormundung“. 151 Ausführlich dazu: Picker, ZfA 17 (1986), 199, 246 ff.; Picker, NZA 19 (2002), 761, 762 ff.; Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 51 ff.; siehe auch: Stütze, Die Kontrolle

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Begriff des Arbeitsmarktes umschreibt dabei grundsätzlich den Teil des Gesamtmarktes, auf dem in abhängiger Beschäftigung erbrachte Dienstleistungen gehandelt werden.152 Selbstständige bieten ihre Dienste dagegen grds. auf dem Markt für Waren und gewerbliche Dienstleistungen153 an. Unabhängig von der Frage, ob Crowdwork vom Arbeitsmarkt i. w. S. erfasst wird, mit anderen Worten, wie weit der Begriff der abhängigen Beschäftigung reicht, lässt sich jedenfalls im Grundsatz eine gestörte Vertragsparität im klassischen Arbeitsverhältnis festhalten.154 Dieses Machtungleichgewicht endet jedoch nicht an den Grenzen des Arbeitsvertrages, sondern reicht darüber hinaus. Die Vertragsparität zwischen den Parteien ist bei Crowdwork wie bereits nachgewiesen erheblich gestört.155 Die Plattformen gestalten die Rechtsbeziehungen insbesondere durch AGB einseitig, ohne dass die Crowdworker Einfluss auf den Vertragsinhalt nehmen könnten. Das Ausschreibungssystem, das ihnen nur die Entscheidung über das Ob, nicht aber das Wie ihres Tätigwerdens gewährt, gepaart mit der potentiell globalen Konkurrenz mit einer Vielzahl anderer Crowdworker auf derselben Plattform, führt zu einem erheblichen Verhandlungsungleichgewicht zwischen Crowdworker und Vertragspartner. Eine Beeinflussung der Transaktionsbedingungen i. S. v. privatautonomer Gestaltungsfreiheit durch die Crowdworker wird weitgehend ausgeschlossen. Die von den Plattformen ausgeübte Kontrolle im gesamten Prozessablauf156 sowie die in ihrer Hand zusammenlaufenden Datenmengen führen zu erheblichen Informationsasymmetrien.157 Diese begünstigen, worauf noch einzugehen sein wird, den Anstieg von Marktmacht auf Seiten der Crowdwork-Nachfrager.158 Gleichsam lässt sich hieran weitergehend ein Moment der Abhängigkeit erkennen, das der Unterwerfung unter das arbeitgeberseitige Direktionsrecht zumindest nahekommt. Der Crowdworker kauft mit seiner Reaktion auf eine Ausschreibung sprichwörtlich die Katze im Sack. Vordergründig sind zwar die Rahmenbedingungen, d. h. Aufgader Entgelthöhe im Arbeitsrecht, 198 ff.; Kocher, in: Möslein (Hrsg.), Private Macht, S. 241, 254; Krause, Annales Univ. Sci. Budapest., Sec. Iur. 52 (2011), 101, 104. 152 Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 116; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 24; zum Arbeitsmarkt als Faktormarkt: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 532 ff. 153 Vgl. § 18 Abs. 1 GWB. 154 BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 146 m. w. N.; Dieterich, RdA 48 (1995), 129, 134 f.; Dieterich, RdA 55 (2002), 1, 2; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 117 ff.; Picker, ZfA 17 (1986), 199, 241 ff. m. w. N. und Auseinandersetzung mit der Kritik hieran in Fn. 131; Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht, 28 ff. ebenfalls m. w. N. zur Kritik. 155 Siehe oben § 2 A. III. 2. 156 Dazu: Kocher/Hensel, NZA 33 (2016), 984, 985 f.; siehe oben unter § 2 A. III. 2., sowie § 4 A. I. 3. 157 Vgl. Bayreuther, Sicherung, 57; siehe oben unter § 2 A. III. 3. 158 Kingsley/Gray/Suri, Policy & Internet 7 (2015), 383, 387 ff.; vgl. auch: Klapperich, NZKart 8 (2020), 125, 127.

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benbeschreibung, verfügbare Aufgabenzahl, Entgelt pro Aufgabe, veranschlagte Dauer und verfügbare Zeit etc., in der Ausschreibung angegeben und bereits bei Vertragsanbahnung sichtbar. Diese scheinbare Transparenz wirkt sich in der Praxis jedoch nur sehr bedingt aus. Crowdworker sind, begünstigt durch das Fehlen gegenseitiger Reputationssysteme etwa auf AMT, weder in der Lage gute, d. h. lukrative, von schlechten, d. h. schlecht bezahlten, Aufgaben zu unterscheiden, noch sind sie in ihrer Anonymität im Stande, die Abläufe sowie die Qualität und Fairness des Auftraggebers zu überblicken. Nur so lassen sich das Bedürfnis, ganze Foren, in denen täglich die besten HITs geteilt werden,159 zu unterhalten und Tools wie Turkopticon160 erklären. In diesem Sinne unterwirft sich der Beschäftigte bei Crowdwork ähnlich einem Arbeitnehmer der Gewalt des Auftraggebers, ohne die Beschäftigungsumstände ex ante vollends absehen zu können. Darüber hinaus lässt sich für besonders krasse Formen des Mikrotaskings eine historische Parallele ziehen. Die allgemeine Arbeitsmarkt-Entwicklung bewegt sich eher in Richtung komplexerer Aufgaben, die durch mündige, selbstbestimmte und qualifizierte Arbeitnehmer erledigt werden.161 Gleichsam anachronistisch wirkt es, wenn auf Crowdwork-Plattformen repetitive, einfachste, anspruchslose KleinstAufgaben erledigt werden, die aus größeren Projekten herausgebrochen werden. Diese auch als „Neo-Taylorismus“162 bezeichnete Arbeitsorganisation zur Steigerung der Produktivität bei gleichzeitiger maximaler Kontrolle durch das Management, führt zu einer weitgehenden Aufhebung des Bildes des selbstbestimmten Beschäftigten.163 Derartige Gestaltungen treiben die Beschäftigten vielmehr in die Abhängigkeit und entmündigen sie.164 In diesem prekären Bereich des Mikrotaskings ergibt sich danach ein weiteres Moment der individuellen Verhandlungsschwäche der Crowdworker, die sich über die Durchführung des Vertragsverhältnisses erstreckt.

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Siehe unten § 8 B. IV. Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505 ff. 161 Vgl. Krause, Gutachten DJT, 18 ff.; Schirmer, NZA-Beil. 33 (2016), 85 ff.; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 64 f. 162 Grundlegend dazu: Taylor, The principles of scientific management, 32 ff. 163 Unter Bezugnahme auf Frederick Taylor und sein „Scientific Management“: F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 15; Hensel/J. Koch/Kocher u. a., IndBez 23 (2016), 162, 167 f.; Leimeister/Zogaj/Blohm, in: C. Benner (Hrsg.), Crowdwork – zurück in die Zukunft?, S. 9, 32; Risak, ZAS 50 (2015), 11, 13; Valenduc/Vendramin, Transfer 23 (2017), 121, 130, „virtual Taylorism“; Aloisi, CLLPJ 37 (2016), 653, 658, „digital version of Taylorism“; Cherry, CLLPJ 37 (2016), 577, 595 f.; Schaupp, WSI-Mitteilungen 73 (2020), 201, 202 ff., „digitaler Taylorismus“; van Stone, From widgets to digits, 31 ff.; Prassl, Humans as a service, 52 f. 164 Vgl. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 34. 160

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

c) Verschärfte Konkurrenz am Markt Aus Sicht der Vertragspartner besteht weiterhin eine Vergleichbarkeit zwischen dem Einsatz klassischer Arbeitnehmer und dem Einsatz soloselbstständiger Crowdworker. Dies lässt sich auch als „On-Demand Aspekt“ beschreiben. Durch die potentiell unerschöpfliche Masse an Crowdworkern, die auf Abruf um die Erledigung von Aufgaben global konkurriert, wird die dauerhafte vertragliche Bindung aus Sicht der Auftraggeber obsolet. Ihnen stehen „Arbeitskräfte“ jederzeit zur Verfügung, ohne dass sie dafür den „Preis“ eines Arbeitsvertrages zahlen müssten. Diese mit der Austauschbarkeit der Crowdworker165 einhergehende verstärkte Konkurrenz potenziert das Machtungleichgewicht beim Vertragsschluss. Crowdsourcer bzw. Plattformen sind auf den einzelnen Vertragsabschluss in erheblich geringerem Maße angewiesen als die Crowdworker selbst. In seiner Kritik am Begriff der Arbeitnehmerähnlichen hat Lieb bereits dargelegt, dass auch die Sozialleistungen, zu denen der Arbeitgeber im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses verpflichtet ist, Teil des Gegenwerts für die erfolgten Dienstleistungen seien. Insofern entspreche der Gesamtaufwand des Arbeitgebers166 dem Marktwert der Arbeitskraft.167 Deshalb ist der Aussage, dass dieselbe Leistung nicht unterschiedlich honoriert werden darf, grundsätzlich zuzustimmen. Die Differenzierung zwischen Entgelt und Entgelt zuzüglich Sozialleistungen ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich diese Unterschiedlichkeit auch in den Leistungsbedingungen widerspiegelt. Aufgrund der Austauschbarkeit der Leistungserbringer ist das bei Crowdwork gerade nicht der Fall. Während die Auftraggeber mit relativer Sicherheit von der Erledigung ihrer Arbeitsaufgaben ausgehen können, obwohl sie die Leistungserbringer nicht dauerhaft vertraglich an sich binden, bleiben letztere auf vergleichsweise unsichere Augenblicksbeziehungen angewiesen, ohne dass dies durch entsprechend höhere Entgelte kompensiert würde. Hier treten außerdem die Grenzen des Steuerungsmodus Wettbewerb für den Arbeitsmarkt zu Tage.168 Anders als auf dem Güter- und Dienstleistungsmarkt169 führt der freie Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt klassischerweise zu keinem sozial angemessenen Arbeitsverhältnis. Das lässt sich in aller Schärfe am historischen Arbeiterelend während der Wirtschaftspolitik des Laissez-faire170 im 19. Jahrhundert ablesen171, das Anlass zur Gegenmachtbildung gab, und auch heute fortgilt.172 165

Dazu auch: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 227 f. Also auch die Übernahme von Risiken z. B.: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall; Mutterschutz; Kündigungsschutz. 167 Lieb, RdA 27 (1974), 257, 264. 168 Siehe unten § 9 ausführlich zum Wettbewerbs- sowie zum Gegenmachtprinzip, sowie: Säcker, ZHR 137 (1974), 455, 465; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 30, „Arbeitsmarktversagen“. 169 Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, 10 f.; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 207. 170 Vgl. nur: Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 26 ff., „… basierte auf der Überzeugung, daß brauchbare Formen, also im ganzen eine zweckmäßige Wirtschaftsordnung, sich 166

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Die Digitalisierung und neue Arbeitsmodelle wirken jedoch auch abseits klassischer Arbeitsverhältnisse ähnlich disruptiv wie die erste industrielle Revolution, wenngleich ihre Auswirkungen (Arbeiterelend) heute weniger handgreiflich sind. Gleichwohl schaffen digitalisierte Märkte Strukturen, die von einer vergleichbaren Machtasymmetrie geprägt sind. Der Crowdworker wird als Dienstleistung, nicht als Dienstleister gesehen („people-as-a-service“).173 Durch die soeben vorgestellten Mechanismen auf den Crowdwork-Plattformen wird eine künstliche Konkurrenz auf Seiten der Leistungsanbieter (Crowdworker) geschaffen, während auf Seiten der Nachfrager (Crowdsourcer, Plattformen) eine Tendenz zur Oligopolbildung vorliegt.174 Insoweit besteht eine weitere Parallele zu den Anfängen der industriellen Revolution: Die Einführung der Gewerbefreiheit und die Folgen der Bauernbefreiung führten zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Landflucht und damit zu einem starken Bevölkerungswachstum in den Städten.175 Daraus resultierend stand ein großes Angebot an Arbeitskräften der noch in den Kinderschuhen steckenden Industrie mit einer verhältnismäßig geringen Nachfrage gegenüber.176 Dies begünstigte in den Worten von Brentano „lebhafte Concurrenz“ unter den Arbeitern, wodurch der Lohn bis unter das zum Leben Unentbehrliche gedrückt wurde.177 Diese äußeren Bedingungen liegen im ersten Zugriff fernab von den heutigen Verhältnissen einer Arbeitslosenquote von etwa 5 %178, dem Schutz der Arbeitnehmer durch das MiLoG, sowie dem Anspruch auf ALG I nach § 136 SGB III und der sozialen Grundsicherung von unten her aus den spontanen Kräften der Gesellschaft von selbst entfalten, wenn Freiheit bestehe und das Rechtsprinzip gewahrt werde“; vgl. auch: Dieterich, RdA 48 (1995), 129, 131. 171 Vgl. nur: Brentano, Das Arbeitsverhältniss gemäss dem heutigen Recht, 194, „… die regelmäßige Armut des Arbeiters in wirtschaftlicher Beziehung [hat] die Wirkung dem einzelnen Arbeiter jeden Einfluss auf die Verkaufsbedingungen der Arbeit zu entziehen.“ 172 Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht, 28 f.; Kempen, NZA-Beil. 17 (2000), 7, 11; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 117 ff.; Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 29; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 48 f.; Klapperich, NZKart 8 (2020), 125, 127. 173 Prassl, Humans as a service, 3, in Anlehnung an den Amazon CEO Jeff Bezos. 174 Siehe oben § 2 A. III. 1. 175 Vgl. Fülberth, in: Deppe/Fülberth/Harrer (Hrsg.), Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, S. 22, 23; Brentano, Das Arbeitsverhältniss gemäss dem heutigen Recht, 34 ff. 176 Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, 84; Bogs, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Koalitionsrechts, 13 ff.; Brentano, Das Arbeitsverhältniss gemäss dem heutigen Recht, 65; Kempen, NZA-Beil. 17 (2000), 7, 8. 177 Vgl. Brentano, Das Arbeitsverhältniss gemäss dem heutigen Recht, 76; Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 303 f. 178 Vgl. https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/Statistik-nach-Themen/Ar beitslose-und-gemeldetes-Stellenangebot/Arbeislose-und-gemeldetes-Stellenangebot-Nav.html, abgerufen am 10.10.2018 sowie am 10.7.2020, wobei die Arbeitslosenquote zwischenzeitlich auf 6,2 % gestiegen ist; siehe auch: OECD, Employment Outlook 2020, 43, zu den massiven Auswirkungen der Covid-19 Krise auf Plattformbeschäftigung.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

nach SGB II bzw. SGB XII. Dennoch schaffen die Plattformen in ihrem digitalen Mikrokosmos vergleichbare äußere Bedingungen. Während sie, begünstigt durch einmal in Gang gesetzte Netzwerkeffekte, Oligopoltendenzen aufweisen, die dazu führen, dass sich wenige große Plattformen herausbilden179, stehen dem potentiell unzählige, global konkurrierende180, faktisch an die jeweilige Plattform gebundene Crowdworker gegenüber. In der virtuellen Vertragsschlusssituation auf der Crowdwork-Plattform ist das Machtverhältnis zwischen Crowdworker und Plattform bzw. Crowdsourcer trotz vollkommen veränderter äußerer Bedingungen denen des Arbeiters im 19. Jahrhundert vergleichbar.181 Dass ein gewisser sozialstaatlicher Mindeststandard gewährleistet wird, der wirtschaftliche Druck der Crowdworker demnach weniger existenziell ist, vermag diese Vergleichbarkeit nicht aufzuheben.182 Erstens ist die latente Existenzbedrohung nicht der einzige Faktor zur Begründung individueller Verhandlungsschwäche, sie liegt wie gezeigt auch unabhängig davon, bereits aufgrund der Konkurrenzsituation unter gleichzeitiger Bindung an die Plattform, vor. Zweitens überzeugt es nicht, wenn aus der Garantie des sozialstaatlichen Existenzminimums bzw. des Mindestlohns generell auf ein Unterbleiben der inversen Reaktion von Beschäftigten am Arbeitsmarkt geschlossen wird.183 Weder wird das Ausbleiben „irrationaler“ Reaktionen nachvollziehbar belegt, noch handelt es sich bei der fehlenden sozialen Absicherung um den allein maßgeblichen Grund, sondern vielmehr um Teil eines Motivbündels.184 Darüber hinaus markiert die staatliche Absicherung allenfalls die Untergrenze, bis zu der der Preis für Arbeit bei sinkender Nachfrage fällt und damit das Niveau, ab dem ein Marktaustritt ökonomisch opportun wird. Zuzugeben ist indes, dass der wirtschaftlich-existenzielle Druck graduelle Unterschiede aufweist und mit sozialstaatlicher Absicherung sinken dürfte. Gleichsam ist speziell für Crowdwork auf das Zusammenspiel von Reputationsmechanismen und Informationsasymmetrien hinzuweisen, die wirtschaftlich „vernünftige“ Entscheidungen der Crowdworker er179

Siehe oben § 2 A. III. 1. Dieser Aspekt beschränkt sich deshalb nicht allein auf Crowdwork, sondern stellt eine allgemeine Folge fortschreitender Globalisierung dar; relativierend hinsichtlich der Globalisierung auf Crowdwork-Plattformen aufgrund sprachspezifischer sowie kultureller Grenzen: Gerber/Krzywdzinski, in: Hanau/W. Matiaske (Hrsg.), Entgrenzung von Arbeitsverhältnissen, S. 25, 36 f.; zum Preisdruck aufgrund der potentiell globalen Konkurrenzsituation bei Crowdwork auch: Kirchner/Matiaske, IndBez 27 (2020), 105, 108. 181 Vgl. zu dieser Deutung auch: Schwemmle, AiB-Extra 36 (2015), 35, 35 f. 182 Gegen diese Vergleichbarkeit aufgrund der sozialstaatlichen Absicherung und für Wettbewerb am Arbeitsmarkt: Reuter, ZfA 21 (1990), 535, 547 ff.; Reuter, RdA 44 (1991), 193, 194 ff. m. w. N.; ähnlich: Zöllner, NZA-Beil. 17 (2000), 1, 5; Möschel, BB 60 (2005), 490, 491; kritisch auch: Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 62 ff.; ähnlich wie hier: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 40 ff.; Krause, Annales Univ. Sci. Budapest., Sec. Iur. 52 (2011), 101, 103. 183 Vgl. Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 176 ff. 184 Vgl. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 28. 180

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heblich erschweren.185 So zutreffend die Erwägung, dass dem Crowdworker des 21. Jahrhunderts ein viel breiteres Angebot an alternativen Arbeitsgelegenheiten, Beratungsmöglichkeiten186 etc., als den Arbeitern zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Verfügung steht, ist, so wenig vermag dies die Vergleichbarkeit der individuellen Verhandlungsschwäche und der Machtasymmetrie aufzuheben.187 Dass potentiell alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, hebt die einmal verfestige Machtbeziehung innerhalb einer Beschäftigungsbeziehung nicht auf. Insgesamt zeigt sich ein dem Arbeitsverhältnis vergleichbares Machtgefälle zwischen Crowdworkern und Plattformen bzw. Crowdsourcern, hervorgerufen durch die Austauschbarkeit sowie die verschärfte Konkurrenz unter den Crowdworkern. d) Beitrag zum Lebensunterhalt Ein weiterer Aspekt betrifft die Vergütung soloselbstständiger Crowdworker. Hier besteht die Gefahr einer Vermengung mit dem einfachgesetzlichen Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit i. S. v. § 12a TVG.188 Dennoch liegt auf der Hand, dass dem Vergütungsaspekt eine gewisse Erheblichkeit zukommt.189 Zunächst ist der Schutzbedarf zur Anwendung von Art. 9 Abs. 3 GG je stärker, desto geringer die Vergütung ist. Umgekehrt könnte ein beträchtlicher Verdienst einen angemessenen Ausgleich für die gerade genannten Nachteile darstellen. Mindestens erforderlich ist, dass die jeweils in Rede stehende Tätigkeit zur Erzielung des Lebensunterhalts beiträgt, ohne dass es dabei verfassungsrechtlich auf einen bestimmten Prozentsatz und einen konkreten Auftraggeber ankäme. Nicht ausreichend ist indes eine bloße Gelegenheitstätigkeit, bei der es nicht um die Erwirtschaftung eines Beitrags zum Lebensunterhalt, sondern um ein „hobbymäßiges“ Tätigwerden zur Erzielung eines „Taschengeldes“ geht. Die Schutzbedürftigkeit der Crowdworker besteht wie dargetan aufgrund ihrer individuellen Verhandlungsschwäche, der Begrenzung auf den Umfang der eigenen Arbeitskraft bei gleichzeitiger Angewiesenheit auf den Verkauf derselben und ihrer Austauschbarkeit, ohne dass es dabei auf das überwiegende 185

Milland, Transfer 23 (2017), 229, 230, „Flexibility on the platform is only afforded to those who don’t need the money …“. 186 Vgl. nur: http://faircrowd.work/de/unions-for-crowdworkers/leistungen-der-ig-metallfur-solo-selbstandige/; https://www.ich-bin-mehr-wert.de/support/cloudworking/; siehe auch: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 42 f. 187 Ähnlich: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 44. 188 Zum Einfluss der Vergütung auf die Schutzbedürftigkeit: Lieb, RdA 27 (1974), 257, 264; Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 146 f.; C. Schubert, Der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen, 38 ff. 189 Klapperich, NZKart 8 (2020), 125, 127 f., schlägt demgegenüber vor, an die für die jeweilige Tätigkeit erforderliche Qualifikation anzuknüpfen, weil Tätigkeiten im niedrig qualifizierten Sektor typischerweise auch mit einem entsprechenden sozioökonomischen Status einhergingen. Unklar erscheint indes, ob dieses Kriterium tatsächlich geeignet ist, die vorgestellten Aspekte vollständig abzubilden. Dies erscheint zweifelhaft, weil Abhängigkeiten auch bei höher qualifizierten Tätigkeiten kultiviert werden können.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Tätigwerden gerade für einen wesentlichen Auftraggeber ankäme.190 Die geschilderte vertraglich-wirtschaftliche Abhängigkeit kann vielmehr auch gegenüber mehreren Vertragspartnern bestehen, ohne dass ihr Schutzbedürfnis abnähme.191 Das gilt insbesondere sofern Crowdworker an einzelne Plattformen gebunden sind, gleichzeitig aber für viele verschiedene Crowdsourcer tätig werden. Darüber hinaus können alleinselbstständige Crowdworker gerade wegen der natürlichen Begrenzung des eigenen Arbeitsumfangs ihren Verdienst auch durch Tätigwerden für unterschiedlichste Plattformen bzw. Auftraggeber nicht skalieren192, sodass es auch jenseits der klassischen „wirtschaftlichen Abhängigkeit“ bei einem erheblichen Schutzbedürfnis bleibt. e) Zusammenfassung Insgesamt ergeben sich vier maßgebliche Merkmale für die Eröffnung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit für soloselbstständige Crowdworker. Diese werden persönlich tätig, sind also auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen, sind individuell verhandlungsschwach gegenüber ihren Auftraggebern, stehen in scharfer Konkurrenz zu anderen Crowdworkern und erwirtschaften mit ihrer Tätigkeit einen Beitrag zu ihrem Lebensunterhalt. V. EU-rechtskonforme und völkerrechtsfreundliche Auslegung Zuletzt ist der Frage nach dem Einfluss internationalen Rechts auf die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG in Bezug auf die Grundrechtsträgerschaft nachzugehen. Besondere Bedeutung kommt dabei auf Grundlage des Art. 23 GG dem Unionsrecht zu. Relevante kollektivrechtliche Gestaltungen finden sich in der im Rang dem Primärrecht entsprechenden (vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV) Grundrechtecharta, namentlich in Art. 12 GRCh sowie Art. 28 GRCh, in denen die Koalitionsfreiheit nach deutschem Verständnis auf zwei Gewährleistungsteile aufgespalten wird.193 Art. 12 GRCh schützt das Recht sich insbesondere gewerkschaftlich zusammenzuschließen und solchen Zusammenschlüssen beizutreten194, während Art. 28 GRCh das Recht auf Kollektivverhandlungen und -maßnahmen gewährt.195 Ferner finden sich völkerrechtliche Regelungen in Art. 11 EMRK, in Teil II Art. 6 Nr. 4 der Europäischen Sozialcharta und in einigen ILO-Übereinkommen. Dabei sind zwei Fragen zu dif190

Vgl. in diese Richtung bereits: Kocher, KJ 46 (2013), 145, 151 f. Ebenso: Deinert, Soloselbstständige zwischen Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht, Rn. 146. 192 Vgl. C. Schubert, Der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen, 38. 193 Vgl. Waltermann, EuZA 8 (2015), 15, 21. 194 Näher: EuArbR/C. Schubert, Art. 12 GRCh Rn. 18 ff.; Waltermann, EuZA 8 (2015), 15, 21; Stern/Sachs GRCh/Rixen/Scharl, Art. 12 GRCh Rn. 10 ff. 195 Sagan, Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen – Eine dogmatische Analyse des Art. 28 der Europäischen Grundrechtecharta, 60 ff. 191

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ferenzieren. Erstens ist zu untersuchen, welche Bedeutung den internationalen Gewährleistungen im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG generell zukommt. Zweitens ist zu klären, welchen Inhalt eine mögliche Beeinflussung hat. Art. 12 und 28 GRCh gelten grundsätzlich nur bei Durchführung des Unionsrechts, Art. 51 Abs. 1 GRCh. Das Verständnis des EuGH von der „Durchführung“ des Unionsrechts reicht dabei zunächst relativ weit, indem er ausführt, es genüge, wenn die am Unionsrecht zu messende Frage im Anwendungsbereich desselben liege.196 Gleichzeitig dehnt die GRCh den Geltungsbereich des Unionsrechts weder über deren Zuständigkeitsbereich aus, noch begründet sie neue Zuständigkeiten, Art. 51 Abs. 2 GRCh. Diese Begrenzung setzt sich in Art. 153 Abs. 5 AEUV fort, der festschreibt, dass die Union keine Kompetenz zur unmittelbaren Regelung des Koalitionsrechts, sowie Aussperrung und Streik hat. Hierdurch wird bereits auf der Ebene der Bestimmung der Gewährleistung verhindert, dass eine unionsrechtliche Grundrechtsgewährleistung über die Wirkungen bestehenden europäischen Arbeitsrechts in den Mitgliedstaaten hinausgehen kann.197 Das untermauert der Hinweis in Art. 28 GRCh auf die „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“. Inhaltlich verweist Art. 28 GRCh demnach auf das kompetenziell beschränkte Unionsrecht einerseits und auf das Recht der Mitgliedstaaten andererseits.198 Damit wirkt Art. 28 GRCh weitgehend kompetenzakzessorisch.199 Für die hier interessierende Frage der Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG hinsichtlich der Reichweite der Koalitionsfreiheit ergibt sich mithin kein Erkenntnisgewinn.200 Letztlich ist Art. 28 GRCh vor allem als Schranke von Unionshandeln201 zu begreifen und übt weniger inhaltlichen Einfluss auf Art. 9 Abs. 3 GG aus. Nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit202 und verstärkt über den Umweg des Art. 52 Abs. 3 GRCh203 kommen potentiell Art. 11 EMRK sowie Art. 6 196 EuGH, Urt. v. 26.2.2013 – C-617/10 (Åkerberg Fransson), Rn. 25 ff.; enger: EuGH, Urt. v. 10.7.2014 – C-198/13 (Hernández), Rn. 34, 37; Latzel, EuZW 26 (2015), 658, 659 f.; Krebber, EuZA 9 (2016), 3, 3 ff.; Jarass, ZEuP 25 (2017), 310, 316. 197 Krebber, EuZA 9 (2016), 3, 10. 198 Vgl. Thüsing/Traut, RdA 65 (2012), 65, 68; EuArbR/C. Schubert, Art. 28 GRC Rn. 1; R. Streinz, in: R. Streinz/Michl (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 28 GRCh Rn. 5. 199 Vgl. Krebber, EuZA 9 (2016), 3 ff.; Sagan, Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen – Eine dogmatische Analyse des Art. 28 der Europäischen Grundrechtecharta, 69 f. 200 Vgl. Waltermann, EuZA 8 (2015), 15, 22. 201 Junker, ZfA 44 (2013), 91, 132; EuArbR/C. Schubert, Art. 28 GRC Rn. 2, 7; Krebber, EuZA 9 (2016), 3, 10 ff.; Ausgestaltungsvorbehalt der nationalen Organe: Rebhahn, GS Heinze, S. 649, 654 f.; Thüsing/Traut, RdA 65 (2012), 65, 69 f. 202 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407 = BVerfGE 111, 307, unter C. I. 1. b); BVerfG, Urt. v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09, NJW 2011, 1931 = BVerfGE 128, 326, Rn. 87 ff.; BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, NJW 2016, 1295 = BVerfGE 141, 1, Rn. 65 ff. 203 Kritisch: Thüsing/Traut, RdA 65 (2012), 65, 68 f.; ähnlich und m. w. N.: Krebber, EuZA 9 (2016), 3, 14.

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Nr. 4 ESC, die grundsätzlich im Rang eines einfachen Bundesgesetzes stehen (Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG), Bedeutung für die Auslegung zu.204 Doch auch diese Vorschriften bieten inhaltlich keine Konkretisierung des persönlichen Geltungsbereichs.205 Darüber hinaus gilt der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit nicht absolut, sondern findet seine Grenzen in der methodisch vertretbaren Auslegung des Grundgesetzes.206 In Art. 6 Nr. 4 ESC ist zwar ausdrücklich von Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Rede, ohne dass damit eine entsprechende Begrenzung zwingend wäre. Im Übrigen zielen internationale Menschenrechts-Verträge auf die Schaffung von Mindeststandards und nicht auf die Verhinderung weitergehenden Schutzes durch andere Regelungen, vgl. Art. 53 EMRK. Ebenso verwenden die ILO-Übereinkommen Nr. 87 und 98207, die Kollekivrechte betreffen, zwar die Begriffe Arbeiter bzw. Arbeitnehmer und Arbeitgeber, ohne jedoch auf die personelle Reichweite einzugehen. Auch die Heimarbeitskonvention Nr. 189208 erfasst Heimarbeiter, die innerhalb eines Arbeitsverhältnisses arbeiten, Art. 1 (b). Explizit wird im ILO-Übereinkommen Nr. 141209 auf die Reichweite des persönlichen Anwendungsbereichs eingegangen. Dort wird die Vereinigungsfreiheit auf alle in der Landwirtschaft abhängig oder selbstständig Beschäftigten erstreckt, wobei letztere in der Landwirtschaft ihre Haupteinnahmequelle unterhalten und im Wesentlichen ohne Fremdpersonaleinsatz wirtschaften müssen, vgl. Art. 2 Abs. 2 des Übereinkommens. Dieser speziellen Regelung kommt indes eher indizielle Wirkung mit der Erwägung zu, dass Deutschland bei der Ratifikation jedenfalls keine grundsätzliche Unvereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 3 GG gesehen haben wird.210 Gleichzeitig ist damit für die hier interessierende Frage jedoch wenig gewonnen. Letztlich handelt es sich um rechtlich unverbindliche Vorschriften, die keinen bestimmenden Einfluss auf die Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG ausüben. Insgesamt erfolgt hinsichtlich der Grundrechtsträgerschaft der Koalitionsfreiheit keine wesentliche Beeinflussung der Auslegung durch internationale Regelungen. 204

Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der ESC im innerstaatlichen Recht m. w. N.: Schlachter, in: Schlachter/Heuschmid/Ulber (Hrsg.), Arbeitsvölkerrecht, § 6 Rn. 520 f. 205 Vgl. High Court, Urt. v. 5.12.2018 – [2018] EWHC 3342 (IWGB v.CAC and RooFoods Ltd. (t/a Deliveroo)), IRLR 2019, 249, Rn. 46 ff., 55, im Hinblick auf die Frage, ob DeliverooRider sich auf Art. 11 EMRK berufen können. Das Gericht gelangt zu dem Schluss, dass diese mangels employment relationship nicht von Art. 11 Abs. 1 EMRK erfasst werden. Art. 11 EMRK sei nicht „engaged“ und beeinflusse danach nicht die persönliche Reichweite der nationalen Bestimmungen. 206 BVerfG, Urt. v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09, NJW 2011, 1931 = BVerfGE 128, 326, Rn. 93; BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, NJW 2016, 1295 = BVerfGE 141, 1, Rn. 72; BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 133 ff. 207 BGBl. II 1955, 1122 ff.; BGBl. II 1956, 2072 ff.; zum jeweiligen Gewährleistungsgehalt: R. Zimmer 10 (2020), 85, 86 ff. 208 BGBl. II 2013, 922 ff. 209 BGBl. II 1977, 481 ff. 210 Ebenso: Schlachter, GS Zachert, S. 634, 639 f.; vgl. auch: Wiedemann/Wank, § 12a TVG Rn. 47.

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VI. Auslegungsergebnis Im Einklang mit der historischen Entwicklung der Koalitionsfreiheit und unter Berücksichtigung ihres Zwecks kommen soloselbstständige Crowdworker grundsätzlich als Träger der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG in Betracht. Hierfür spricht sowohl die Entwicklungsoffenheit der grundrechtlichen Gewährleistungen als auch der historische Schutzzweck, die individuelle Verhandlungsschwäche des Einzelnen durch Kollektivierung auszugleichen und ihm so die Ausübung seiner Vertragsfreiheit zu ermöglichen. Entscheidend für die Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs sind persönliches Tätigwerden, individuelle Verhandlungsschwäche, verschärfte Konkurrenz der Leistungsanbieter und Beitragleistung zum Lebensunterhalt.

B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für Soloselbstständigenkoalitionen Fallen soloselbstständige Crowdworker in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit, können sie sich grundsätzlich zum Zwecke der Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusammenschließen, um ihre Interessen kollektiv zu vertreten. Obwohl rechtlich zulässig, haben sich bisher keine Crowdworker-Koalitionen nach klassischem Verständnis gebildet.211 Diese hätten indes den folgenden Voraussetzungen zu genügen: Sie müssten zunächst die Förderung derjenigen Bedingungen bezwecken, die jedenfalls mit der Erbringung von Arbeit in einem weiteren Sinne in Verbindung stehen.212 Umfasst wären etwa die kollektive Aushandlung der Entgelte soloselbstständiger Crowdworker für ihre Leistungen sowie ihrer sonstigen „Arbeitsbedingungen“. Ferner stellt sich die Frage, welche weiteren Anforderungen die Verfassung an etwaige Soloselbstständigenkoalitionen stellt. Der Vereinigungsbegriff entspricht dabei dem des Art. 9 Abs. 1 GG. Es muss sich also um freiwillige Zusammenschlüsse gewisser Stabilität handeln.213 Doch auch kurze Bündnisse, die sich bloß an eine vorhandene Koalition anlehnen, können diesem Erfordernis bereits genügen.214 Darüber hinaus müssen Koalitionen i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG strukturell und organisatorisch von ihrem sozialen Gegenspieler unabhängig, d. h. gegnerfrei und gegnerunabhängig, sein.215 Dabei ist zwischen Koalitionseigenschaft und Tariffä211 Siehe unten § 8 A. zu Kollektivakteuren im Crowdwork-Kontext und deren Koalitionseigenschaft. 212 Siehe oben § 7 A. II. 2.; § 7 A. III. 4. 213 BVerfG, Beschl. v. 18.12.1974 – 1 BvR 430/65 und 259/66, NJW 1975, 1265 = BVerfGE 38, 281, unter C. I.; BVerfG, Beschl. v. 26.1.1995 – 1 BvR 2071/94, NJW 1995, 3377 = AP GG Art. 9 Nr. 77, unter II. 2. a). 214 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. b). 215 BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, NJW 1954, 1881 = BVerfGE 4, 96, unter B. II. 2. b) bb); BVerfG, Urt. v. 6.5.1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 = BVerfGE 18, 18, unter B. II. 1.; BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290,

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

higkeit zu differenzieren.216 Allerdings werden die Merkmale „frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert“ auch unabhängig von der Tariffähigkeit als verfassungsrechtliche Voraussetzungen für die Koalitionseigenschaft angesehen.217 Unzulässig wäre es, den verfassungsrechtlichen Koalitionsbegriff auf die einfachgesetzliche Regelung in § 2 TVG zu begrenzen.218 Auf die für die Tariffähigkeit entscheidenden Merkmale der Verbandsmacht bzw. Durchsetzungsfähigkeit kommt es demnach nicht an.219 Ebenso wenig ist die Arbeitskampfbereitschaft für die Koalitionseigenschaft entscheidend.220 Koalitionen soloselbstständiger Crowdworker müssten danach frei, d. h. ohne Zwang und auf privatrechtlicher Grundlage gebildet werden. Darüber hinaus müssten sie von ihren sozialen Gegenspielern, d. h. den Plattformen, bzw. Crowdsourcern oder deren Verbänden unabhängig in einem materiellen Sinn221, also finanziell und organisatorisch selbstständig222 bzw. überbetrieblich organisiert223 sein. Das BAG konkretisiert diese Voraussetzungen, indem es formuliert:

unter B. IV. 1.; BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, NJW 1982, 815 = BVerfGE 58, 233, unter B. I. 1.; BVerfG, Beschl. v. 24.2.1999 – 1 BvR 123/93, NJW 1999, 2657 = BVerfGE 100, 214, unter B. II. 2. b) bb). 216 Siehe oben § 7 A. IV. 1. b), sowie: ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 25. 217 BVerfG, Beschl. v. 26.1.1995 – 1 BvR 2071/94, NJW 1995, 3377 = AP GG Art. 9 Nr. 77, unter II. 2. a); BVerfG, Urt. v. 10.3.2014 – 1 BvR 377/13, BeckRS 2014, 51215, Rn. 14; ebenso: Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 59 ff.; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 35; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 25 f.; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 194 ff. 218 Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 194, 216 m. w. N. 219 BVerfG, Beschl. v. 26.1.1995 – 1 BvR 2071/94, NJW 1995, 3377 = AP GG Art. 9 Nr. 77, unter II. 2. a); Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 61; HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 48 ff.; Henssler, ZfA 29 (1998), 1, 15. 220 BVerfG, Urt. v. 6.5.1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 = BVerfGE 18, 18, unter B. I. 2.; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 35; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 217. 221 Unter der Prämisse der Tariffähigkeit: BAG, Urt. v. 17.2.1998 – 1 AZR 364 – 97, AP GG Art. 9 Nr. 87 (m. Anm. Oetker), unter II. 1. b) bb) und II. 3. Anm.; BAG, Urt. v. 24.4.1999 – 3 AZR 352/97, NZA 1999, 1339, unter II. 2.; BAG, Beschl. v. 14.12.2004 – 1 ABR 51/03, AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1, unter B. III. 2. d) aa); BAG, Beschl. v. 5.10.2010 – 1 ABR 88/09, AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 7, Rn. 31; Herschel, JZ 20 (1965), 81, 82 ff.; H. Wiedemann, RdA 29 (1976), 72 ff.; siehe auch: Thüsing/Hütter, RdA 71 (2018), 129 ff. 222 H. Wiedemann, RdA 29 (1976), 72, 75; ausführlich: Olbrich, Die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen, 211 ff. 223 Das Kriterium der Überbetrieblichkeit spielt für Crowdwork keine über die Gegnerunabhängigkeit hinausgehende Rolle. Diese genügt um sicherzustellen, dass der soziale Gegenspieler keinen entscheidenden Einfluss auf die Koalition nehmen kann, zur geringen Bedeutung des Kriteriums siehe auch: Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 60, „spezifischer Aspekt der Gegnerunabhängigkeit“ mit nur indizieller Wirkung; ebenso: ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 25; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 35; ErfK/Franzen, § 2 TVG Rn. 6 „als Kriterium des Koalitionsbegriffs obsolet“; ablehnend auch: Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 2 TVG Rn. 198.

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„Die erforderliche Gegnerunabhängigkeit fehlt, wenn die Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Struktur der Arbeitnehmervereinigung angelegt und verstetigt und die eigenständige Interessenwahrnehmung der Tarifvertragspartei durch personelle Verflechtungen, auf organisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft gefährdet ist.“224

Während die Beachtung dieser Voraussetzungen für Zusammenschlüsse von Crowdworkern kaum Probleme bereiten dürften, birgt das Erfordernis der Gegnerfreiheit gewisses Spannungspotential. Solange soloselbstständige Crowdworker sich in gänzlich eigenen Verbänden organisieren, stellt auch das Merkmal der Gegnerfreiheit kein Problem dar. Etwas anderes gilt dann, wenn klassische Gewerkschaften ihre Reihen für soloselbstständige Crowdworker öffnen und sie so im gleichen Verband wie klassische Arbeitnehmer organisiert sind. Selbstständige können sich jedenfalls potentiell jederzeit als Arbeitgeber betätigen, indem sie Arbeitnehmer beschäftigen.225 Das hätte zur Folge, dass die jeweilige Gewerkschaft ihre Gegnerfreiheit und damit die Koalitionseigenschaft verlieren würde. Zur Gegnerfreiheit von Arbeitnehmerorganisationen, die leitende Angestellte, die im Betrieb Arbeitgeberfunktionen ausüben, vertreten, hat das BAG entschieden, dass diese erst dann entfällt, wenn die leitenden Angestellten Aufgaben in Unternehmer- und Arbeitgeberorganisationen übernehmen, die sich auf die arbeitsrechtliche und wirtschaftliche Situation der in der Koalition organisierten Beschäftigten auswirken können.226 Das dürfte bei nur wenigen Mitgliedern mit entsprechenden Funktionen bzw. solange diese keine besonderen Aufgaben innerhalb der Arbeitnehmerverbände übernehmen, regelmäßig nicht der Fall sein. In tatsächlicher Hinsicht vertreten deutsche Gewerkschaften zunehmend auch Soloselbstständige bzw. Crowdworker. Die IG-Metall vertritt seit 2016 soloselbstständige Crowdworker227, berät diese, übernimmt Kosten für Rechtsstreits bzgl. Entgeltforderungen etc.228 Gleiches gilt für ver.di,229 die ebenfalls verschiedene Beratungsangebote bietet.230 Ein Nebeneinander von klassischen Arbeitnehmern und Selbstständigen innerhalb einer Gewerkschaft ist im Bereich der Arbeitnehmerähnlichen

224

BAG, Beschl. v. 5.10.2010 – 1 ABR 88/09, AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 7, Rn. 31. Vgl. Bayreuther/Deinert, RdA 68 (2015), 129, 132. 226 BAG, Beschl. v. 15.3.1977 – 1 ABR 16/75, AP GG Art. 9 Nr. 24, unter IV. 1.; BAG, Beschl. v. 16.11.1982 – 1 ABR 22/78, AP TVG § 2 Nr. 32, unter B. III. 1. 227 Vgl. Satzung der IG-Metall vom 1. Januar 2020, § 3 Beitritt Nr. 1 a. E. „Selbstständige, die … ohne selbst Arbeitgeber zu sein …“. 228 Siehe: http://faircrowd.work/de/unions-for-crowdworkers/leistungen-der-ig-metall-fursolo-selbstandige/. 229 Vgl. Satzung ver.di Stand September 2019, IV. § 6 1. b); § 65. 230 Siehe: https://www.ich-bin-mehr-wert.de/support/cloudworking/; die von verschiedenen internationalen Arbeitnehmervereinigungen betriebene Webseite faircrowdwork fasst das derzeit bestehende Beratungsangebot zusammen, vgl. http://faircrowd.work/de/unions-forcrowdworkers/. 225

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

bereits bekannt.231 Für letztere können Gewerkschaften Tarifverträge unter § 12a TVG abschließen. Wie gezeigt fallen Arbeitnehmerähnliche nach ganz herrschender Meinung in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG232, des Weiteren wird ihnen einfachgesetzlich Tarifautonomie gewährt. Diese gesetzgeberische Entscheidung in § 12a TVG spricht entscheidend dafür, dass Gewerkschaften, die sich dieser Beschäftigtengruppe annehmen, hierdurch nicht ihren Koalitionsstatus verlieren dürfen.233 Ferner setzt § 12a TVG ohnehin voraus, dass Arbeitnehmerähnliche im Wesentlichen in eigener Person ohne Mitarbeiter tätig werden.234 Damit ist ihre Nähe zu klassischen Arbeitnehmern gesichert. Nichts anderes gilt nach der bisherigen Untersuchung für soloselbstständige Crowdworker, die ihrerseits ebenfalls in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fallen. Auch wenn es für sie keine Entsprechung zu § 12a TVG gibt, hängt ihre Gewährleistung der Koalitionsfreiheit nach der vorliegend vertretenen Ansicht ebenfalls vom persönlichen Tätigwerden ab. Auch hier führt eine Anknüpfung an den formellen Arbeitnehmerstatus zu einer unangemessenen Verengung des verfassungsrechtlichen Koalitionsbegriffs. Wie nachgewiesen gilt die Koalitionsfreiheit gerade für solche Crowdworker, die in vielerlei Hinsicht klassischen Arbeitnehmern vergleichbar schutzbedürftig sind.235 Die Vertretung dieser Gruppe neben klassischen Arbeitnehmern, denen sie deutlich näher stehen als Arbeitgebern, vermag die Gegnerfreiheit einer gemeinsamen Koalition mithin nicht aufzuheben.236 Insgesamt bestehen hinsichtlich der Organisation soloselbstständiger Crowdworker neben Arbeitnehmern in klassischen Gewerkschaften keine durchgreifenden Bedenken. Eine solche gemeinsame Organisation schließt Gegnerfreiheit und -unabhängigkeit nicht aus.

C. Inhalt und Reichweite der Koalitionsfreiheit für soloselbstständige Crowdworker Nachdem die Einbeziehung soloselbstständiger Crowdworker in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG sowie verfassungsrechtliche Vorgaben, entsprechende Koalitionen zu organisieren, nachgewiesen wurden, sind nunmehr Inhalt und 231

Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 12a TVG Rn. 11. Siehe oben § 7 A. IV. 1. c). 233 Bayreuther, Sicherung, 50; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 12a TVG Rn. 11; zweifelnd bzgl. Tariffähigkeit eines Schornsteinfegerverbands der „Fördermitgliedschaft“ für selbstständige Schornsteinfeger vorsieht: BAG, Beschl. v. 31.1.2018 – 10 AZR 60/16 (A), BeckRS 2018, 11432, Rn. 20 ff. 234 ErfK/Franzen, § 12a TVG Rn. 7. 235 Siehe oben § 7 A. IV. 2. 236 Für dieses Verständnis bei Arbeitnehmern vergleichbar gestörter Vertragsparität: Kempen/Zachert/Kempen, § 2 TVG Rn. 25; Bayreuther, Sicherung, 50; Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 314 f. 232

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Reichweite der grundrechtlichen Gewährleistungen zu ermitteln. Dabei soll, der Funktion der Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht237 entsprechend, neben dem individuellen Gewährleistungsgehalt vor allem auf die kollektivrechtlichen Gewährleistungen und dabei auf mögliche Tarifautonomie bzw. Normsetzungsbefugnis und die Gewährung eines „Arbeitskampfrechts“ eingegangen werden. Demgegenüber werden kartellrechtliche Fragestellungen an späterer Stelle erörtert.238 Zu beachten ist, dass durch die Unterschiedlichkeit der Grundrechtsträger Abweichungen zum Gewährleistungsgehalt im Bereich des „Kernarbeitsrechts“ auftreten können. I. Individueller Gewährleistungsgehalt Hinsichtlich der individuellen Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG für soloselbstständige Crowdworker ergeben sich keine Unterschiede zu den allgemeinen Grundsätzen. Gewährleistet werden die Koalitionsgründung, der Beitritt und das Fernbleiben sowie die Teilnahme an den kollektiv geschützten Koalitionsbetätigungen.239 II. Kollektiver Gewährleistungsgehalt Entscheidender ist die Reichweite der kollektiven Grundrechtsgarantie, von der die soeben erwähnte individuelle Garantie der Teilnahme an geschützten Tätigkeiten abhängt. Kollektiv werden, ihrer Betätigung notwendigerweise vorausgehend, Bestand und Organisation der Koalitionen gewährleistet.240 Entgegen früherer Rechtsprechung des BVerfG beschränkt sich der Schutzgehalt dabei nicht von vornherein auf einen „Kernbereich“.241 Geschützt werden neben „Binnentätigkeiten“ zur Er-

237

Siehe oben § 7 A. I. Siehe unten § 9. 239 BVerfG, Beschl. v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62, NJW 1966, 491 = BVerfGE 19, 303, unter B. I. 2. a); BVerfG, Beschl. v. 26.5.1970 – 2 BvR 664/65, NJW 1970, 1635 = BVerfGE 28, 295, unter II. 1.; BVerfG, Beschl. v. 14.6.1983 – 2 BvR 488/80, NJW 1984, 1225 = BVerfGE 64, 208, unter B. I.; BVerfG, Beschl. v. 11.7.2006 – 1 BvL 4/00, NJW 2007, 51 = BVerfGE 116, 202, Rn. 64 ff., siehe oben unter § 7 A. I. 240 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a); BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, NJW 1996, 1201 = BVerfGE 93, 352, unter B. I. 1. 241 BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, NJW 1996, 1201 = BVerfGE 93, 352, unter B. I. 3.; BVerfG, Urt. v. 26.3.2014 – 1 BvR 3185/09, NJW 2014, 1874 = NZA 2014, 493, Rn. 23; vgl. bereits: BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 3. a); anders noch: BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, NJW 1954, 1881 = BVerfGE 4, 96, unter B. 2. b); BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, NJW 1982, 815 = BVerfGE 58, 233, unter B. I. 1.; dazu: Dreier GG/H. Bauer, Art. 9 GG Rn. 85 f.; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 23 ff.; HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 83; Höfling, FS Friauf, S. 377, 380 ff. 238

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

haltung und Sicherung der Koalition242 vor allem auch alle außenwirksamen Maßnahmen, die als koalitionsspezifische Verhaltensweisen einzustufen sind.243 Dazu zählen etwa die Mitgliederwerbung, die Betätigung in Betriebsräten und Personalvertretungen, die außergerichtliche Beratung sowie die Vertretung in gerichtlichen Verfahren.244 1. Normsetzungsbefugnis – Tarifautonomie Von besonderem Interesse ist hier die Frage, inwieweit die Verfassung selbst dergestalt Tarifautonomie fordert, dass Koalitionen soloselbstständiger Crowdworker, obwohl sie weder unter § 2 Abs. 1 TVG245 noch unter § 12a TVG246 fallen, Tarifverträge mit Normwirkung i. S. v. § 1 Abs. 1 TVG, der seinerseits an „Arbeitsverhältnisse“ anknüpft247, schließen können. Dass die Ausübung der Tarifautonomie durch Abschluss von Tarifverträgen unter die koalitionsspezifischen Verhaltensweisen und damit in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fällt, entspricht

242 Vgl. nur: BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 132 f. 243 BVerfG, Urt. v. 26.3.2014 – 1 BvR 3185/09, NJW 2014, 1874 = NZA 2014, 493, Rn. 23; BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 115 m. w. N. 244 BVerfG, Beschl. v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62, NJW 1966, 491 = BVerfGE 19, 303, unter B. I. 2. d); BVerfG, Beschl. v. 26.5.1970 – 2 BvR 664/65, NJW 1970, 1635 = BVerfGE 28, 295, unter B. II. 1.; BVerfG, Beschl. v. 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85, NJW 1993, 1379 = BVerfGE 88, 103, unter B. I. 2. c); BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, NJW 1996, 1201 = BVerfGE 93, 352, unter B. I. 2.; BVerfG, Urt. v. 10.3.2014 – 1 BvR 377/13, BeckRS 2014, 51215, Rn. 16; ebenso: BAG, Beschl. v. 19.9.2006 – 1 ABR 53/05, NZA 2007, 518, Rn. 41 ff., anders jedoch für den Gewerkschaften vorbehaltene Rechte des BetrVG, Rn. 40; zur Rechtfertigung der Mitgliederwerbung über dienstliche E-Mail: BAG, Urt. v. 20.1.2009 – 1 AZR 515/ 08, NZA 2009, 615, Rn. 31; keine Duldungspflicht des AG bzgl. Streikaufruf im Intranet: BAG, Beschl. v. 15.10.2013 – 1 ABR 31/12, NZA 2014, 319, Rn. 36; Duldungspflicht bzgl. Streikaufruf auf Firmenparkplatz: BAG, Urt. v. 20.11.2018 – 1 AZR 189/17, NZA 2019, 402, Rn. 30 ff.; dazu: Rudkowski, RdA 72 (2019), 308, 310 ff.; vgl. zur Mitgliederwerbung: Schönhöft/Klafki, NZA-RR 17 (2012), 393, 394 ff.; Krause, RdA 62 (2009), 129, 138 f. 245 Vgl. nur: BAG, Beschl. v. 15.3.1977 – 1 ABR 16/75, AP GG Art. 9 Nr. 24, unter III. 1., tariffähig sind nur Gewerkschaften, die Arbeitnehmer vertreten und die sonstigen Erfordernisse der Tariffähigkeit erfüllen, siehe oben § 7 B.; davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit klassische Gewerkschaften Tarifverträge für Soloselbstständige schließen können, offen bzgl. tariflicher Regelungsbefugnis der Tarifpartner in dieser Hinsicht: Bayreuther/Deinert, RdA 68 (2015), 129, 133 f.; dagg. unter dem Blickwinkel der Erweiterung des Arbeitgeberbegriffs des TVG auf Soloselbstständige: BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 279/16, NZA 2018, 867, Rn. 33; ebenso: Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 444 f.; Vetter, NZA-RR 22 (2017), 281, 283 f. 246 Siehe oben § 3 B. III. zur Arbeitnehmerähnlichkeit von Crowdworkern. 247 Dies wird im Allgemeinen als Begrenzung des Regelungsgegenstandes auf Arbeitsverträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verstanden: ErfK/Franzen, § 2 TVG Rn. 38; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 2 TVG Rn. 159; Bayreuther, Sicherung, 51.

§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen

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einhelliger Meinung.248 Gleichzeitig stellt das BAG unter ausdrücklicher Billigung des BVerfG249 bestimmte Anforderungen250 an die Tariffähigkeit, die, wie oben erwähnt251, zu einem Auseinanderfallen von Grundrechtsträgerschaft und Tariffähigkeit führen.252 Mithin steht nicht allen Koalitionen i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG die Möglichkeit offen, Arbeitsbedingungen unmittelbar und zwingend in Tarifverträgen festzulegen.253 Unmittelbarkeit in diesem Sinne heißt nicht, dass die Tarifnormen Teil des Arbeitsvertrages würden, sie wirken vielmehr von außen, gleichwohl automatisch, ohne das Erfordernis eines Umsetzungsaktes (wie ein Gesetz) auf diesen

248 BVerfG, Urt. v. 6.5.1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 = BVerfGE 18, 18, unter B. II. 1.; BVerfG, Beschl. v. 19.10.1966 – 1 BvL 24/65, NJW 1966, 2305 = BVerfGE 20, 312, unter C. I.; BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. IV. 1.; BVerfG, Urt. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86, NJW 1996, 185 = BVerfGE 92, 365, unter C. I. 1.; BVerfG, Beschl. v. 11.7.2006 – 1 BvL 4/00, NJW 2007, 51 = BVerfGE 116, 202, Rn. 70 f.; BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 131; BAG, Beschl. v. 15.3.1977 – 1 ABR 16/75, AP GG Art. 9 Nr. 24, unter III. 3.; BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 11; BAG, Urt. v. 18.11.2014 – 1 AZR 257/13, NZA 2015,306, Rn. 30; Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 137; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 299; Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 87, 92; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 89; HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn 76; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn 87; Wiedemann/M. Jacobs, Einleitung Rn. 119, 150; Dreier GG/H. Bauer, Art. 9 GG Rn. 83; Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht, 88 ff.; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 39; Dieterich, RdA 55 (2002), 1, 8; HdbVerfR/Farthmann/Coen, § 19 Rn. 61 ff.; Badura, JbArbR 1978, S. 17, 20; P. Hanau, RdA 46 (1993), 1, 4; Kamanabrou, RdA 50 (1997), 22, 29; Konzen, JZ 65 (2010), 1036, 1040 f.; Henssler, ZfA 29 (1998), 1, 13; Müller, Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, 333; Neumann, RdA 60 (2007), 71 ff.; Löwisch/ Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 149; Däubler TVG/Däubler, Einleitung Rn. 93; HK-ArbR/Hensche, Art. 9 GG Rn. 73; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 51 ff.; JKOS/Krause, § 1 Rn. 20; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 170; Kempen, NZA-Beil. 17 (2000), 7, 10; Kittner/Schiek, in: E. Stein/Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 130; Isensee, in: Freudenfeld (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 162 f.; Raab, ZfA 35 (2004), 371, 392; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 161 ff.; I. Schmidt, FS Richardi, S. 765, 766; MHdbArbR/ Rieble, § 220 Rn. 34; Bourazeri, Tarifautonomie und Wirtschaftskrise, 41 ff.; BKS/Kocher, § 1 TVG Rn. 79 ff.; a. A. Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 284 ff. 249 BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, NJW 1982, 815 = BVerfGE 58, 233, unter B. I. 2.; siehe auch: BVerfG, Beschl. v. 19.10.1966 – 1 BvL 24/65, NJW 1966, 2305 = BVerfGE 20, 312, unter C. II.; BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter B. IV. 1. 250 Siehe oben § 7 B. 251 Siehe oben § 7 A. IV. 1. b). 252 BAG, Urt. v. 17.2.1998 – 1 AZR 364 – 97, AP GG Art. 9 Nr. 87 (m. Anm. Oetker), unter II. 2. b); BAG, Beschl. v. 22.5.2012 – 1 ABR 11/11, NJW 2012, 3325, Rn. 19 ff.; vgl. auch: BAG, Urt. v. 13.3.2013 – 5 AZR 951/11, NZA 2013, 680, Rn. 20 ff. 253 Vgl. zu dieser Wirkung von Tarifverträgen § 4 Abs. 1 S. 1 TVG.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

ein.254 Zwingend meint demgegenüber, dass von den Rechtsnormen des Tarifvertrages nicht abgewichen werden kann, wobei dies nach dem Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG) nur zulasten des Arbeitnehmers gilt.255 Die Rechtsprechung erweckt den Anschein, als stünde mit der Tariffähigkeit die Reichweite der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG zur Disposition des einfachen Gesetzgebers, der lediglich eine Missbrauchskontrolle zu fürchten habe.256 Dies steht jedenfalls in einem erklärungsbedürftigen Spannungsverhältnis zur Annahme, dass die Tarifautonomie Teil des Gewährleistungsgehalts der Koalitionsfreiheit sei. Letzteres spräche dafür, dass grundsätzlich alle verfassungsrechtlichen Koalitionen tariffähig sind.257 § 2 Abs. 1 TVG wäre, um dieses Verständnis zu korrigieren, verfassungskonform dahingehend auszulegen, Kongruenz zwischen einfachgesetzlichem Gewerkschaftsbegriff und verfassungsrechtlichem Koalitionsbegriff zu schaffen. Die im ersten Zugriff disparat wirkende Rechtsprechung des BVerfG steht exemplarisch für eine Vielzahl grundrechtsdogmatischer Friktionen, die zu ganz unterschiedlichen Erklärungsmodellen und erheblicher Unsicherheit bei der Handhabung der Koalitionsfreiheit geführt haben.258 Entschärfen lassen sich diese Probleme grundrechtsdogmatisch mithilfe der Unterscheidung unterschiedlicher Grundrechtsdimensionen.

254 BAG, Urt. v. 12.12.2007 – 4 AZR 998/06, AP TVG § 4 Nr. 29 (m. Anm. Deinert), Rn. 42; Däubler TVG/Deinert, § 4 TVG Rn. 489; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 29; HWK/Henssler, § 4 TVG Rn. 3; Gamillscheg, KollArbR I, 791; JKOS/ M. Jacobs, § 7 Rn. 2; vgl. bereits: Hueck, Das Recht des Tarifvertrages, 92 f.; Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 141. 255 BAG, Urt. v. 10.2.1999 – 2 AZR 422/98, NZA 1999, 657, B. II. 1.; Däubler TVG/Deinert, § 4 TVG Rn. 489 f.; Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, 224; Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 142. 256 Vgl. HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 51; BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/ 78, NJW 1982, 815 = BVerfGE 58, 233, unter B. I. 2., die Anforderungen an die Tariffähigkeit müssen verhältnismäßig sein und dürfen nicht zu einer Aushöhlung der Koalitionsfreiheit führen. 257 Vgl. HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 51; siehe auch: Gamillscheg, KollArbR I, 429 ff. 258 Vgl. Isensee, in: Freudenfeld (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, 159, der von der Tarifautonomie als „erratischer Block in der Verfassungslandschaft“ spricht; Friauf, RdA 39 (1986), 188, 189, der von einer „grundrechtsdogmatischen Landkarte mit erheblichen weißen Flecken“ ausgeht; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 150, der von „diffuser Bereichsdogmatik“ spricht; Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2015, „… dogmatische Einordnung … sieht sich vielfältigen Unsicherheiten und Schwierigkeiten ausgesetzt.“

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a) Abwehrrechtliche Dimension Der beschriebenen Konzeption des BVerfG als Freiheitsrecht259 entsprechend soll zunächst die klassische abwehrrechtliche Dimension der Koalitionsfreiheit in den Blick genommen werden.260 Diese erzeugt negatorischen Schutz, gerichtet auf die Freiheit vor staatlicher Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter und umfasst die in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG enthaltenen sachgeprägten oder „natürlichen Freiheiten“.261 Letztere bestehen unabhängig von der Verfassung bzw. bereits vor-konstitutionell, wurden von dieser vorgefunden und normativiert in die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen aufgenommen. Ihre Ausübung zielt nicht auf Rechtsgestaltung ab und bedarf mithin anders als normgeprägte Freiheiten keiner staatlichen Bereitstellung eines Normbestandes.262 Dazu zählt im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG insbesondere die im Wortlaut verankerte individuelle Freiheit Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden. Doch auch darüber hinaus kommen natürliche kollektive Betätigungen wie etwa Mitgliederversammlungen, Werbung neuer Mitglieder, Veranstaltung von Kundgebungen, Beratungsangebote etc. in Betracht.263 Auf dieser Ebene kommt eine Verengung des grundrechtlichen Tatbestandes im Sinne eines Kernbereichs von vornherein nicht in Betracht.264 Grundrechtseingriffe in diesen Bereich sind vielmehr an der allgemeinen Schrankendogmatik zu messen, unterliegen also entsprechend der vorbehaltlosen Gewährleistung nur verfassungsimmanenten Schranken.265 Diese grundrechtliche Dimension spielt für die hier in259 BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. IV. 1. 260 Vgl. zur liberalen Grundrechtstheorie: Böckenförde, NJW 27 (1974), 1529, 1530. 261 Zur abwehrrechtlichen Grundrechtsdimension: Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 91; Sachs GG/ Sachs, Vor. Abschn. I Rn. 42 ff.; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 34, 94, der ebenfalls den Begriff der natürlichen Freiheit verwendet; ähnlich zwischen natürlichen und normgeprägten Freiheiten unterscheidend: Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 163 ff.; HdbStR IX/Isensee, § 191 Rn. 60 f., 69, differenziert zwischen sachgeprägten und rechtserzeugten Schutzgütern; Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, 89 ff., unterscheidet in diesem Sinne zwischen natürlicher und derivativer Freiheit; Groß, JZ 54 (1999), 326, 330. 262 Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2023; Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 51; R. Schwarze, JuS 44 (1994), 653, 656 f.; A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 259. 263 Siehe oben § 7 C. II. 264 Sachs GG/Sachs, Vor. Abschn. I Rn. 45, anders noch die frühere BVerfG Rspr. siehe § 3 A. III. 2.; Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2023. 265 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 3. a); BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 117; Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2082 f.; zur Frage der Anwendung der Schrankenregelung des Art. 9 Abs. 2 GG zutreffend ablehnend: Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 135 ff. m. w. N.

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teressierende Frage der Gewährung einer Normsetzungsbefugnis der Koalitionen indes keine entscheidende Rolle. b) Leistungsrechtliche Dimension Über die soeben dargestellte abwehrrechtliche Dimension hinaus enthält die Koalitionsfreiheit eine leistungsrechtliche Dimension266, die sich in Abgrenzung zu natürlichen Freiheiten auf normgeprägte Freiheiten wie die Tarifvertragsfreiheit bezieht.267 Die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers in Art. 1 Abs. 3 GG wirkt nicht nur negativ, d. h. abwehrend, sondern auch positiv als Pflicht zur grundrechtskonformen, freiheitsschützenden Ausgestaltung der Gesetze.268 Die Ausübung normgeprägter Freiheiten ist notwendigerweise auf ein Mindestmaß staatlicher Ausgestaltung angewiesen.269 Insofern zeitigt Art. 9 Abs. 3 GG eine in der Schutzfunktion der Grundrechte270 wurzelnde staatliche Pflicht zur Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen zur Ermöglichung des kollektiven Interessenwiderstreits und der entsprechenden Einigung zwischen den privaten Kollektivparteien.271 Damit unter266

Vgl. zur Wirkung der Grundrechte als objektive Wertordnung, die den dogmatischen Ausgangspunkt für weitere Grundrechtsdimensionen bildet: BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257 = BVerfGE 7, 198, unter II. 1.; HdbStR IX/Isensee, § 191 Rn. 159 „bildet den hermeneutischen Urschleim, aus dem immer neue Funktionen entsprießen“. 267 Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 79 ff., 89; Dreier GG/H. Bauer, Art. 9 GG Rn. 101 f. 268 Vgl. Stern/Sachs, in: dies. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 73 S. 1258 m. w. N.; Raab, ZfA 35 (2004), 371, 392; JKOS/Krause, § 1 Rn. 36; Bethge, in: Bethge/Weber-Dürler/Schoch (Hrsg.), Der Grundrechtseingriff, S. 10, 29; A. Engels, JZ 63 (2008), 490, 491; Wielsch, AcP 213 (2013), 718, 753 f. 269 Stern/Sachs, in: dies. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 69 S. 956; JKOS/Krause, § 1 Rn. 34; Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit und Betriebsverfassung, 217. 270 Allgemein anerkannt, vgl.: BVerfG, Urt. v. 25.2.1975 – 1 BvF 1 – 6/74, NJW 1975, 573 = BVerfGE 39, 1, unter C. II. 1.; BVerfG, Beschl. v. 20.12.1979 – 1 BvR 385/77, NJW 1980, 759 = BVerfGE 53, 30, unter C. I. 2.; BVerfG, Urt. v. 28.5.1993 – 2 BvF 2/90, NJW 1993, 1751 = BVerfGE 88, 203, unter D. I.; BVerfG, Urt. v. 13.2.2007 – 1 BvR 421/05, NJW 2007, 753 = BVerfGE 117, 202, Rn. 63 f.; BVerfG, Beschl. v. 15.3.2018 – 2 BvR 1371/13, NJW 2018, 2312, Rn. 32 ff.; Stern/Sachs, in: dies. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 69 S. 945 ff.; Jarass/Pieroth/Jarass, Vorb. Art. 1 GG Rn. 8 m. w. N. 271 Wie hier hinsichtlich staatlicher Schutzpflicht: HdbVerfR/Farthmann/Coen, § 19 Rn. 62; Dreier GG/H. Bauer, Art. 9 GG Rn. 102; Raab, ZfA 35 (2004), 371, 392 f.; Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2023 ff.; I. Schmidt, FS Richardi, S. 765, 767; Bourazeri, Tarifautonomie und Wirtschaftskrise, 54 ff.; Kempen, FS Gitter, S. 427, 430 f., der diese Schutzpflicht aus der unmittelbaren Drittwirkung in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG herleitet; ähnlich: Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 138; ausführlich: Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 328 ff.; siehe auch: BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 279/16, NZA 2018, 867, Rn. 35 ff.; kritisch: Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 215 ff.; begrifflich abweichend im Hinblick auf die Gefahr der Verschleierung, dass es in erster Linie nicht um Übergriffe Privater, sondern um die Schaffung von Verfahrensregeln durch den Staat geht: JKOS/Krause, § 1 Rn. 37.

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scheidet sich die schutz- bzw. leistungsrechtliche Dimension der Koalitionsfreiheit in dieser Hinsicht in ihrem Ziel, nicht aber in ihrem dogmatischen Ursprung272 von Konstellationen, bei denen es in erster Linie um den Schutz vor Übergriffen Privater durch den Staat oder beispielsweise um die Leistung eines bestimmten Existenzminimums geht.273 Dabei bedarf es indes keiner Deutung der Tarifautonomie im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG als Einrichtungsgarantie in Gestalt einer institutionellen bzw. Institutsgarantie274, obgleich hinsichtlich der Einbeziehung normativer Regelungspflichten in den grundrechtlichen Schutzbereich eine sachliche Nähe zur Institutsgarantie besteht.275 Nach dem Verständnis der Tarifautonomie als Institutsgarantie ist das einfachrechtliche Tarifvertragssystem grundrechtlich garantiert, weil die Koalitionen ohne die in ihm enthaltenen Instrumente nicht in der Lage wären, Tarifverträge zu schließen und die grundrechtlich geschützte Freiheit somit ins Leere liefe.276 Dabei werde das Tarifvertragssystem jedoch nicht in seinem aktuellen Umfang und Inhalt verfassungsrechtlich festgeschrieben, sondern nur der Kernbereich der Einrichtung geschützt.277 Zutreffend daran ist, dass es um das Erfordernis gesetzgeberischer Ausgestaltung geht, genauer um die Frage des Spielraums, der dem Gesetzgeber dabei zukommt. Zur Unterscheidung dieser leistungsrechtlichen Dimension von der klassisch abwehrrechtlichen lässt sich mit Alexy sagen:

272 Vgl. etwa zu einem ähnlich weiten Verständnis der leistungsrechtlichen Dimension als jedes Recht auf positives Tun des Staates, d. h. als Gegenstück zum Abwehrrecht: Alexy, Theorie der Grundrechte, 402 f., 410, 428, der darunter Rechte auf Schutz ebenso wie Rechte auf Verfahren und Organisation fasst. 273 Vgl. zu diesen Fällen die Nachweise in Fn. 270 im Dritten Teil, sowie zur klassischen Schutzfunktion der Grundrechte als Kontrolle des zivilrechtlichen Schutzstandards: Wielsch, AcP 213 (2013), 718, 733. 274 So aber: Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 94 ff., für die Tarifautonomie als Institutsgarantie; v. Mangoldt/Klein/Starck/ Kemper, Art. 9 GG Rn. 141 ff.; ähnlich: Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 157 ff.; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 30; Badura, RdA 27 (1974), 129, 131; Badura, JbArbR 1978, S. 17, 21 ff.; ähnlich auch: Isensee, in: Freudenfeld (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 171, der von Insituten spricht; ähnlich auch: Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, wenn auch unter Hinweis auf eine Doppelnatur des Koalitionsgrundrechts; dagegen etwa: Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 254; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 173, 297 f.; Dreier GG/ H. Bauer, Art. 9 GG Rn. 102; Stern/Sachs, in: dies. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 68 S. 851 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 444. 275 R. Schwarze, JuS 44 (1994), 653, 657 Fn. 63; Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit und Betriebsverfassung, 226; Alexy, Theorie der Grundrechte, 441 ff.; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 175 ff.; Papier/Krönke, ZfA 42 (2011), 807, 823. 276 V. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 GG Rn. 141; Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 94 ff. 277 V. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 GG Rn. 144.

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„Wenn es verboten ist, etwas zu zerstören oder zu beeinträchtigen, dann ist jede Handlung, die eine Zerstörung oder Beeinträchtigung darstellt oder bewirkt, verboten. Demgegenüber ist dann, wenn es geboten ist, etwas zu schützen oder zu fördern, nicht jede Handlung, die einen Schutz oder eine Förderung darstellt oder bewirkt, geboten.“278

Demnach ist die Unterlassung jeder einzelnen beeinträchtigenden Handlung notwendige und das Unterbleiben aller solcher Handlungen hinreichende Bedingung der Erfüllung eines (abwehrrechtlichen) Beeinträchtigungsverbotes.279 Abweichend gilt für die Erfüllung von Leistungsrechten i. w. S. allgemein, dass die Vornahme (irgend)einer geeigneten Schutzhandlung hinreichend ist, sind mehrere geeignet, ist indes keine von ihnen notwendig. Notwendig ist nur, dass irgendeine geeignete Schutzhandlung vorgenommen wird. Erst dann, wenn nur eine geeignete Handlungsmöglichkeit besteht, wird diese zur notwendigen Erfüllungsbedingung.280 Diese Vorüberlegungen zeigen, dass mit der grundsätzlichen Feststellung der Notwendigkeit gesetzgeberischer Ausgestaltung noch keine abschließende Aussage über die verfassungsrechtliche Gewährleistung konkreter Inhalte verbunden ist. Hinsichtlich dieser steht dem Gesetzgeber vielmehr ein weiter Gestaltungsspielraum bzw. eine Einschätzungsprärogative zu.281 Festhalten lässt sich gleichwohl, dass dasjenige, was zur Funktion der kollektiven Koalitionsfreiheit notwendig ist, durch den Gesetzgeber geleistet werden muss.282 aa) Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung Allerdings steht die gesetzgeberische Ausgestaltung des offen formulierten Art. 9 Abs. 3 GG in einem Konflikt mit dem vom BVerfG betonten Verständnis der Ko278

Alexy, Theorie der Grundrechte, 420. Alexy, Theorie der Grundrechte, 421. 280 Alexy, Theorie der Grundrechte, 421. 281 Das äußert sich einerseits in einem Prognosespielraum des Gesetzgebers, der je nach Bedeutung der jeweiligen Rechtsgüter eine abgestufte Überprüfung von einer Evidenz-, über eine Vertretbarkeits-, bis hin zu einer umfassenden inhaltlichen Kontrolle zulässt: BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. I. 2. b); dazu auch: Alexy, Theorie der Grundrechte, 426 ff.; andererseits besteht ein Gestaltungsspielraum bis zur Grenze des objektiven Gehalts des Art. 9 Abs. 3 GG: BVerfG, Urt. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86, NJW 1996, 185 = BVerfGE 92, 365, unter C. I. 1. c); BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/ 15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 144 ff.; vgl. auch: Neumann, RdA 60 (2007), 71, 74 f.; Ulber, NZA 33 (2016), 619, 620 f. 282 Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 77 ff., 83, der von einer kompetentiellen Bewirkungsdimension der Koalitionsfreiheit spricht und insoweit der Kernbereichslehre des BVerfG zumindest in dieser Hinsicht Berechtigung einräumt; den Begriff der Bewirkungsdimension übernehmend: BVerfG, Beschl. v. 10.1.2020 – 1 BvR 4/17, NZA 2020, 253 = AP TVG § 5 Nr. 42, Rn. 17; vgl. auch: BVerfG, Urt. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86, NJW 1996, 185 = BVerfGE 92, 365, unter C. I. 1. e), „… strukturelle Ungleichgewichte auftreten, die ein ausgewogenes Aushandeln der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht mehr zulassen und die in dem der Rechtsprechung gezogenen Rahmen nicht ausgeglichen werden können. Der Gesetzgeber ist dann verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz der Koalitionsfreiheit zu treffen.“ 279

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alitionsfreiheit als liberales Freiheitsrecht283, insbesondere als Abwehrrecht gegen den Staat. Dies gilt jedenfalls nach dem klassischen Grundrechtsverständnis, nach dem das Verhältnis „von Freiheit und Gesetz wie das von Feuer und Wasser“ denkbar gegensätzlich ist.284 Nach diesem ist Eingriff jeder staatliche Rechtsakt, der final, unmittelbar und imperativ die Verkürzung bestimmter Grundrechte herbeiführt.285 Der moderne Eingriffsbegriff erweitert diese Merkmale, sodass jedes staatliche Handeln, das ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich macht oder erheblich erschwert, als Eingriff anzusehen ist.286 Dementsprechend folgern manche, jede Ausgestaltung bedeute zumindest für eine Seite des bipolaren Interessenkonflikts, der dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit in besonderem Maße innewohnt, einen grundsätzlich rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die verbürgten Freiheiten.287 Gleichsam meinen andere, die Ausgestaltung des Grundrechts schaffe erst die Voraussetzung zur effektiven Ausübung dieser Freiheiten und solle deshalb stets zulässig sein.288 Diese umstrittene und stellenweise als unlösbar bezeichnete Differenzierung289 zwischen Eingriff und Ausgestaltung290 markiert den für die Prüfungsintensität relevanten Scheidepunkt zwischen abwehr- und leistungsrechtlicher Grundrechtsdi283 BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. IV. 1.; BVerfG, Urt. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86, NJW 1996, 185 = BVerfGE 92, 365, unter C. I. 1. a). 284 Isensee, in: Freudenfeld (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 166. 285 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91, NJW 2002, 2626 = BVerfGE 105, 279, unter B. I. 3. b); Bethge, in: Bethge/Weber-Dürler/Schoch (Hrsg.), Der Grundrechtseingriff, S. 10, 38. 286 HdbStR IX/Hillgruber, § 200 Rn. 89; Bethge, in: Bethge/Weber-Dürler/Schoch (Hrsg.), Der Grundrechtseingriff, S. 10, 40. 287 Henssler, ZfA 29 (1998), 1, 15 f.; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 27 ff. 288 Vgl. Butzer, RdA 47 (1994), 375, 377 f.; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 91; Ipsen, JZ 52 (1997), 473, 479; Neumann, RdA 60 (2007), 71. 289 Däubler TVG/Däubler, Einleitung Rn. 162; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 30; siehe zu dieser Problematik auch: Alexy, Theorie der Grundrechte, 303 f. 290 Unterscheidung nur wertend, nicht begrifflich möglich: R. Schwarze, JuS 44 (1994), 653, 658; Henssler, ZfA 29 (1998), 1, 11 f.; Konzen, JZ 65 (2010), 1036, 1041 f.; Scholz/ Lingemann/Ruttloff, NZA-Beil. 32 (2015), 3, 20; auch ausgestaltendes Tätigwerden des Gesetzgebers muss sich an Eingriffsprüfung messen lassen: HdbStR IX/Hillgruber, § 200 Rn. 65; Bourazeri, Tarifautonomie und Wirtschaftskrise, 62; ähnlich: Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 441 f.; für strenge Exklusivität: Butzer, RdA 47 (1994), 375, 380 f.; Dieterich, RdA 55 (2002), 1, 11 f.; Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 157 ff.; Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 51; Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit und Betriebsverfassung, 227 ff.; Neumann, RdA 60 (2007), 71, 71 f.; Papier/Krönke, ZfA 42 (2011), 807, 825 f.; A. Engels, JZ 63 (2008), 490, 492; mit Einschränkungen: Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 54 ff.; Ausgestaltungsgesetze als Kollisionsordnung zwischen individual- und kollektivrechtlicher Ebene: Ladeur, AöR 131 (2006), 643, 656 f.

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mension und bedarf deshalb im Grundsatz der strikten Trennung.291 Die Frage des verfassungsrechtlichen Schutzbereichs wird indes nicht „ausgestaltend“ durch den einfachen Gesetzgeber abgesteckt. Die leistungsrechtliche Dimension betrifft als denknotwendige Vorbedingung des abwehrrechtlichen Gehalts292 die Schaffung von Voraussetzungen zur Erreichung des Koalitionszwecks und nicht dessen Einschränkung. Erst die staatliche Normsetzung konstituiert die Tarifvertragsfreiheit als normgeprägte Freiheit, in den Worten des BVerfG setzt sie „Regelungen …, die erst die Voraussetzungen für eine Wahrnehmung des Freiheitsrechts bilden“.293 Die Koalitionsfreiheit wird hier allein in ihrer leistungsrechtlichen Dimension betroffen. Gleichwohl wäre einer unter dem Deckmantel der Ausgestaltung erfolgenden Grundrechtsverkürzung mit einer entsprechenden Eingriffsprüfung zu begegnen. bb) Gewährleistungsreichweite der Normsetzungsbefugnis Die hier interessierende Frage der Reichweite der Tarifautonomie wird in der Literatur von denjenigen, die eine Ausweitung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit auf bestimmte Selbstständige abseits des Begriffs der Arbeitnehmerähnlichen erwägen, mit unterschiedlichen Argumenten verneint. § 12a TVG gebe abschließend Auskunft darüber, welchem Ausschnitt der Selbstständigen die Möglichkeit zur koalitionsmäßigen Schaffung unmittelbar und zwingend wirkender Normen zukomme.294 Eine Erweiterung dieser Befugnis würde eine unzulässige Gleichsetzung des Geltungsbereichs der Koalitionsfreiheit und der Tariffähigkeit bedeuten, die nur mit einem unabweisbaren Schutzbedarf zu rechtfertigen wäre, der aufgrund der Möglichkeit zur Vereinbarung bloß schuldrechtlicher Mindestbedingungen nicht bestehe.295 Weiter wird geltend gemacht, die Befugnis zur Schaffung unmittelbar und zwingend wirkender Normen werde klassischen Koalitionen garantiert, weil die Gewerkschaften historisch in eine quasi-gesetzgeberische Rolle hineingewachsen seien und diese Aufgabe nur mit einer entsprechenden Normsetzungsbefugnis ausgefüllt werden könne.296 Demgegenüber bestehe keine echte Koalitionskultur für Selbstständige, die funktional eher Interessenvertretung als gesetzgeberisches Organ seien und die strengen Anforderungen an die Tariffähigkeit 291 Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 51 f.; Papier/Krönke, ZfA 42 (2011), 807, 825. 292 Nur eine bestehende und damit ggfs. ausgestaltete Freiheit kann von staatlichen Eingriffen freigehalten werden. 293 BVerfG, Urt. v. 10.1.1995 – 1 BvF 1/90, NJW 1995, 2339 = BVerfGE 92, 26, unter B. II. 1. b) bb). 294 Schlachter, GS Zachert, S. 634, 642; Bayreuther, Sicherung, 51, unter Hinweis auf die Anknüpfung des § 1 Abs. 1 TVG an Arbeitsverhältnisse; vgl. Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 13, zur Verringerung des Schutzumfangs bei Erweiterung des personellen Schutzbereichs. 295 Schlachter, GS Zachert, S. 634, 642. 296 Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 266.

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ohnehin nicht erfüllen könnten.297 Dieser vorwiegend auf einfachgesetzlicher Ebene beantworteten Frage gehen grundlegendere Erwägungen voraus. Aus dem Vorhandensein des § 12a TVG und dem zugrundeliegenden gesetzgeberischen Willen lässt sich für den materiellen Schutzgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG zunächst wenig ableiten. Denkbar wäre vielmehr, dass die Normsetzungsbefugnis zur „sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens“ notwendig und damit zur Erfüllung der leistungsrechtlichen Dimension verfassungsrechtlich geboten ist.298 Dem widerspricht jedoch offenbar das BVerfG im Mitbestimmungsurteil, wenn es formuliert: „… Das gilt auch für die Gewährleistung der Tarifautonomie. Diese ist ganz allgemein; sie umfaßt nicht die besondere Ausprägung, die das Tarifvertragssystem in dem zur Zeit des Inkrafttretens des Grundgesetzes geltenden Tarifvertragsgesetz erhalten hat. Sie läßt dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum zur Ausgestaltung und schafft damit die Möglichkeit, die Voraussetzungen der Tariffähigkeit der jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit so anzupassen, daß die Koalitionen ihre Aufgabe erfüllen können.“299

Die oben angedeutete Widersprüchlichkeit löst sich durch die Besinnung auf den Garantiegehalt der Koalitionsfreiheit. Dieser umfasst als Fortsetzung der individuellen Betätigungsfreiheit den antagonistischen, kollektiven Interessenwiderstreit einschließlich eines entsprechenden Einigungsmechanismus. Schon sehr früh hat das BVerfG auf dieser Interpretationslinie von „Gesamtvereinbarungen“ gesprochen, die gewissermaßen „nur zufällig“ historisch in Form von Tarifverträgen mit Normativcharakter und Unabdingbarkeit300 vorgefunden wurden.301 Die Entwicklungsoffenheit des Art. 9 Abs. 3 GG bricht sich auch hier Bahn, indem die Verfassung keinen konkreten Einigungsmechanismus vorgibt, sondern Raum für andere dem Koalitionszweck entsprechenden Lösungen bietet. Der Erhebung konkreter einfachrechtlicher Erscheinungsformen der Tarifautonomie in den Verfassungsrang wohnt die Gefahr einer Versteinerung der Koalitions(betätigungs)freiheit auf einer bestimmten historischen Entwicklungsstufe inne. Selbiges gilt für einen im Rahmen einer Institutsgarantie verbürgten Kernbereich. Dies wäre mit dem notwendigen grundrechtlichen Bezug zur sich verändernden sozialen Wirklichkeit unvereinbar.302 297 Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 267. 298 So etwa: P. Hanau, RdA 46 (1993), 1, 5. 299 BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter B. IV. 1. 300 Unabdingbarkeit ist hier mit zwingender Wirkung gleichzusetzen und passt auch sonst zu dieser Begrifflichkeit, zur uneinheitlichen Verwendung des Begriffs siehe: Däubler TVG/ Deinert, § 4 TVG Rn. 490; differenzierend auch: Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 141 f. 301 BVerfG, Urt. v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, NJW 1954, 1881 = BVerfGE 4, 96, unter B. 2. b) aa). 302 Ähnlich: Isensee, in: Freudenfeld (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 169; Wielsch, AcP 213 (2013), 718, 756 f. „Jeder, der sich im Schutzbereich eines Grundrechts betätigt, konstituiert die (pluarlistische) Wirklichkeit der Norm und interpretiert das Grundrecht“, neue soziale Normativität schaffe in diesem Sinne Recht.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

cc) Verfassungsrechtlicher Schutz des einfachgesetzlichen Tarifvertragssystems Allerdings wäre, entsprechend der grundrechtlichen Schutzdimension, eine gänzliche Abschaffung des TVG, jedenfalls solange nicht gleichzeitig adäquate Ersatzregelungen geschaffen würden, mit der Gewährleistung der Koalitionsfreiheit unvereinbar.303 Insoweit genießt das geltende Tarifvertragsrecht mittelbaren grundrechtlichen Schutz durch Art. 9 Abs. 3 GG, ohne dass damit ein Anspruch auf den Erhalt der derzeitigen Ausgestaltung einherginge.304 Der Gesetzgeber ist, im Sinne des Untermaßverbotes305, aufgerufen eine Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit zu gewährleisten, die eine adäquate Koalitionsbetätigung ermöglicht. Mit anderen Worten muss die Tarifautonomie so ausgestaltet werden, dass ihre Funktionsfähigkeit erhalten bleibt.306 Zwischen Untermaßverbot als Markierung dessen, was eine autonome und wirksame Verwirklichung des Koalitionszwecks mindestens verlangt und Übermaßverbot als Eingriffsgrenze, kommt dem Gesetzgeber ein näher zu konkretisierender Gestaltungsspielraum zu.307 Nicht gefolgt werden kann der Auffassung, dass auch der ausgestaltende Gesetzgeber an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist.308 Dies würde die getroffene Unterscheidung von Ausgestaltung und Eingriff partiell aufheben und wäre im Übrigen kaum mit dem postulierten weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers vereinbar.309 Dieser lässt sich unter zwei Aspekten spezifizieren. Zunächst ergibt sich bereits aus der bisherigen Untersuchung, dass der Gestaltungsspielraum am Untermaßverbot, also an der Grenze dessen, was zur sinnvollen Ausübung der Koalitionsfreiheit notwendig ist, endet. An diesem Punkt wandelt sich der Gestaltungsauftrag zur -pflicht. Darauf folgt zwingend die Frage, welche Betätigungsmittel in diesen Bereich fallen. Diese Frage ist unabhängig vom jeweils zugrunde gelegten dogmatischen Verständnis lebhaft umstritten. Einerseits wird die verfassungsrechtliche Garantie

303

Vgl. JKOS/Krause, § 1 Rn. 44. Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit und Betriebsverfassung, 221 f.; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 88 f.; Isensee, in: Freudenfeld (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 170 f. 305 Dazu grundlegend: Canaris, AcP 184 (1984), 201, 228. 306 JKOS/Krause, § 1 Rn. 41; I. Schmidt, FS Richardi, S. 765, 768 f. 307 Siehe dazu bereits oben Dritter Teil Fn. 281 f.; zur Entwicklung eines einheitlichen Maßstabs für Schutzpflicht und Eingriffsabwehr: Mayer, Untermass, Übermass und Wesensgehaltgarantie, 144 ff.; siehe auch: Bourazeri, Tarifautonomie und Wirtschaftskrise, 55 ff. 308 Zu diesem Streit: Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 331 ff. m. v. w. N. 309 Ähnlich: Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 342; Epping, Grundrechte, Rn. 439a; A. Engels, JZ 63 (2008), 490, 494; ggfs. modifizierte Anwendung gerichtet auf den schonenden Ausgleich der betroffenen Rechte: R. Schwarze, ZfA 49 (2018), 149, 166 f. 304

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unmittelbarer und zwingender Normsetzung grundsätzlich bestritten310, andererseits ist im Lager derer, die diese bejahen311, die dogmatische Umsetzung der normativen Wirkung Gegenstand umfassender Theorienstreits.312 Ohne diesem Streit hier abschließend nachgehen zu wollen, lässt sich für das vorliegende Problem feststellen, dass die gesetzgeberische Entscheidung, nicht allen Koalitionen Tarifautonomie in Gestalt des konkreten TVG zu gewähren, das Untermaßverbot nicht verletzt. dd) Gewährleistungsgehalt im Crowdwork-Kontext Die im TVG festgeschriebenen Koalitionsmittel haben sich historisch als geeignete Instrumente zur Betätigung der Tarifautonomie erwiesen. Die außerhalb des Anwendungsbereichs des TVG verbleibende Möglichkeit, schuldrechtliche Vereinbarungen313 zu schließen, stellt zwar ein weniger effektives und damit auch weniger geeignetes Mittel zur Verwirklichung der Tarifautonomie dar. Gleichzeitig birgt dieses Mittel aber auch potentiell weniger Belastungen für die Normunterworfenen und Dritte.314 Dass die widerstreitenden Grundrechtspositionen im An310 Dabei am weitesten gehend wohl: Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 198 ff.; in diese Richtung auch: Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 361; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 300 f.; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 98; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 181 f.; zweifelnd auch: Friese, Kollektive Koalitionsfreiheit und Betriebsverfassung, 247; Buchner, ZfA 35 (2004), 229, 240; Isensee, in: Freudenfeld (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 170. 311 So etwa: Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 72; Gamillscheg, KollArbR I, 287; P. Hanau, RdA 46 (1993), 1, 4; Kempen, RdA 47 (1994), 140, 146; Dieterich, RdA 55 (2002), 1, 2; Söllner, NZA-Beil. 17 (2000), 33; JKOS/Krause, § 1 Rn. 44; Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 132; differenzierend: Wiedemann/M. Jacobs, Einleitung Rn. 8 ff.; siehe auch: BVerfG, Beschl. v. 24.5.1977 – 2 BvL 11/74, NJW 1977, 2255 = BVerfGE 44, 322, unter B. II. 1. b) aa), das von der Zuweisung bzw. Garantie in einem Kernbereich gegenüber den Koalitionen zur Regelung durch unabdingbare Gesamtvereinbarungen spricht; BVerfG, Beschl. v. 11.7.2006 – 1 BvL 4/00, NJW 2007, 51 = BVerfGE 116, 202, Rn. 73, von sich aus der Betätigungsfreiheit ergebender Normsetzungsbefugnis ausgehend. 312 Unterschieden wird danach, wie die Normsetzungsbefugnis des Staates auf die Koalitionen übertragen wird, nach der Integrationslehre erfolgt dies verfassungsunmittelbar durch Art. 9 Abs. 3 GG, die herrschende Delegationslehre geht von einer Übertragung Kraft und im Umfang des TVG aus, während die Sanktionstheorie davon ausgeht, dass der TV nicht aus sich heraus, sondern erst logisch nachfolgend durch einen Akt der Autorisierung durch das TVG normative Kraft erhalte, vgl. Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 95 m. w. N. 313 Zu sonstigen Kollektivvereinbarungen etwa: Zachert, NZA 23 (2006), 10, 13 f.; MHdbArbR/Klumpp, § 264 Rn. 1 ff. 314 Zu kartellrechtlichen Fernwirkungen von Tarifverträgen: Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 1108, 1112 ff.; zu Einschränkungen der individuellen Vertragsfreiheit durch das geltende Tarifvertragssystem sowie zu den Vorzügen schuldrechtlicher Kollektivverträge: Heinze, DB 49 (1996), 729, 732 ff.; BVerfG, Beschl. v. 24.5.1977 – 2 BvL 11/74, NJW 1977, 2255 = BVerfGE 44, 322, unter B. II. 2. b), „… der Staat … den Bürger nicht schrankenlos der normsetzenden Gewalt autonomer Gremien ausliefern darf, die ihm gegenüber nicht demokratisch bzw. mitgliedschaftlich legitimiert sind.“; nahezu wortgleich: BVerfG, Beschl. v. 10.1.2020 – 1 BvR 4/17, NZA 2020, 253 = AP TVG § 5 Nr. 42, Rn. 14; zur

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wendungsbereich des TVG einen schonenden Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz315 erfahren haben, bedeutet gleichzeitig, dass eine Ausweitung dieser Regelungen einerseits besonderer Rechtfertigung bedürfte und dass andererseits solange ein sinnvoller „Gewährleistungsrest“ des Art. 9 Abs. 3 GG verbleibt, jedenfalls keine gesetzgeberische Pflicht zur Schaffung entsprechender Regelungen besteht. Mit der Festlegung des Anwendungsbereichs des TVG hat der Gesetzgeber eine verfassungsgemäße Entscheidung im Rahmen seines Gestaltungsspielraums getroffen. Die hier vertretene weite Schutzbereichsauslegung hinsichtlich der Grundrechtsträgerschaft soloselbstständiger Crowdworker mit Blick auf den Zweck der assoziativen Selbsthilfe zur Schaffung von Verhandlungs- und Vertragsparität muss sich umgekehrt in ihrer Gewährleistungsreichweite widerspiegeln. Selbst wenn die Koalitionsfreiheit den historisch gewachsenen Gewerkschaften und Arbeitgebern bzw. deren Verbänden Normsetzungsbefugnis unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des TVG garantiert, kann daraus nicht gefolgert werden, dass selbiges für alle Koalitionen i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG gilt. Neuen Assoziationsformen als Wahrer und Förderer der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen muss vielmehr mit einer abgestuften Schutzbereichsreichweite316 begegnet werden, weil sie sich nicht im gleichen Maße auf ein historisch gewachsenes Koalitionswesen berufen können.317 Diese einfachgesetzlich induzierte Abstufung des grundrechtlichen Schutzbereichs zwischen nicht-tariffähiger Koalition und Gewerkschaft i. S. v. § 2 TVG beschreibt Isensee treffend mit den Worten: „Auf der höchsten Stufe verengt sich der Kreis der Grundrechtsträger zu einer Art von Grundrechtsoligarchie. Hier ist der grundrechtliche Ort der Tarifautonomie.“318 Insoweit ist es zutreffend, dass eine Ausweitung der Normsetzungsbefugnis die Koalitionen in eine quasi-gesetzgeberische Rolle rückt319, wobei an deren „Qualität“ schon aus Gründen der Sicherung der zwingenden Wirkung auch bei wirtschaftlicher Überanspruchung der Normunterworfenen: Däubler TVG/Deinert, § 4 TVG Rn. 573; zu denkbaren Beeinträchtigungen der Koalitionsaußenseiter: Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 124 ff.; zur Außenwirkung auch: H. Wiedemann, NZA 35 (2018), 1587, 1589 f.; vgl. im Kontext der Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien auch: BAG, Urt. v. 19.12.2019 – 6 AZR 563/18, NZA 2020, 734, Rn. 21, „… die staatlichen Arbeitsgerichte [sind verpflichtet], die Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien zu beschränken, wenn diese mit den Freiheitsoder Gleichheitsrechten oder anderen Rechten mit Verfassungsrang der Normunterworfenen kollidiert. Sie müssen insoweit praktische Konkordanz herstellen.“ 315 Grundlegend dazu: Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 2 Rn. 72. 316 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.4.1996 – 1 BvR 712/86, NJW 1997, 513 = BVerfGE 94, 268, unter C. II. 1. 317 Damit ist gleichwohl keine „Stufentheorie“ i. S. v. Art. 12 GG gemeint, so aber: Friauf, RdA 39 (1986), 188, 191. 318 Isensee, in: Freudenfeld (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 163. 319 Vgl. Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 266.

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Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie320 sowie aus Legitimierungserwägungen321 bestimmte Anforderungen gestellt werden müssen. Anderenfalls drohte die Ausweitung von Rechtsetzungsmacht auf Vereinigungen, die dieser prinzipiell grundrechtsverkürzenden Befugnis nicht gerecht würden.322 Schließlich lässt sich zumindest als Hilfserwägung festhalten, dass in anderen Rechtsordnungen „Tarifsysteme“ auch ohne die Möglichkeit zur Schaffung materiellen Rechts durch die Sozialpartner funktionieren.323 Die Normsetzungsbefugnis ist damit jedenfalls nicht rechtsordnungsübergreifend konstitutiv. Letztlich bieten die Möglichkeit der Kartellierung und der Abschluss schuldrechtlicher Kollektivverträge eine geeignete Betätigungsmöglichkeit für Koalitionen soloselbstständiger Crowdworker. Darüber hinaus erzeugt Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG mit der Anordnung unmittelbarer Drittwirkung einen stärkeren Schutz als Abs. 1. Eine verfassungsrechtliche Normsetzungsbefugnis aller Koalitionen, die eine entsprechend verfassungskonforme Auslegung erfordern würde, besteht nicht. Der Gesetzgeber sowie die Rechtsprechung haben bei der Ausgestaltung und Interpretation des TVG und der Begrenzung des Anwendungsbereichs keine grundrechtlichen Schutzpflichten, gerichtet auf die Bereitstellung eines Koalitionssystems, verletzt. Ihr Tätigwerden genügt vielmehr dem Untermaßverbot. 2. Arbeitskampfrecht Zu klären ist weiterhin die Frage, ob Koalitionen soloselbstständiger Crowdworker verfassungsrechtlich das Recht zum Arbeitskampf gewährleistet wird. Vorab ist festzuhalten, dass der Arbeitskampf sich als zwangsmäßiges324 Kompensationsinstrument von Machtungleichgewichten bzw. Paritätsstörungen historisch als notwendig erwiesen und damit faktisch seit langem etabliert hat.325

320 Zu diesem Kriterium als Rechtfertigung gesetzgeberischer Einschränkungen: BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 144 ff. m. w. N.; BAG, Beschl. v. 5.10.2010 – 1 ABR 88/09, AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 7, Rn. 33 ff. m. w. N. 321 Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 92 ff. 322 BVerfG, Urt. v. 6.5.1964 – 1 BvR 79/62, NJW 1964, 1267 = BVerfGE 18, 18, unter B. II. 1., in den Worten des BVerfG soll Tarifautonomie nur solchen Koalitionen zukommen, die die Aufgabe der Ordnung des Arbeitslebens sinnvoll erfüllen können; siehe auch: Richardi, NZA 30 (2013), 408, 411 f. 323 Dazu: Henssler, ZfA 29 (1998), 1, 30 f., insbesondere in Bezug auf Großbritannien. 324 Verschiedentlich wird betont, dass der Arbeitskampf einen Fremdkörper in unserer als Friedensordnung angelegten Rechtsordnung darstellt: Picker, ZfA 17 (1986), 199, 208 f.; Richardi, JZ 40 (1985), 410, 418; Mayer-Maly, RdA 32 (1979), 356; Isensee, in: Freudenfeld (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 161. 325 Siehe oben § 7 A. III.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Eine gesetzliche Regelung ähnlich dem TVG fehlt indes für das Arbeitskampfrecht.326 Die Verfassung erwähnt in der 1968 mit der Notstandsgesetzgebung eingeführten Bestimmung Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG zwar den Arbeitskampf, allerdings ohne dass schon damit eine entsprechende Garantie desselben verbunden wäre.327 Es handelt sich vielmehr um eine bloße Schranken-Schranke gegen Notstandsregelungen.328 Darüber hinaus beruht das Arbeitskampfrecht weitgehend auf Richterrecht, was hinsichtlich der vom BVerfG entwickelten Wesentlichkeitstheorie für sich genommen problematisch erscheint329, hier gleichwohl als gegeben hingenommen werden soll. Das BVerfG selbst billigt das „Einspringen“ der Arbeitsgerichtsbarkeit in die vom Gesetzgeber gelassene Lücke ausdrücklich.330 a) Konzeption des Arbeitskampfs in der Rechtsprechung Die ausschließlich richterrechtliche Ausprägung des Arbeitskampfrechts kann aus Sicht der Kampfparteien Segen und Fluch zugleich sein. Die Entscheidung einzelner konkreter Fälle erlaubt zwar die Entwicklung einer gewissen Systematik, aus der sich allgemeine Maßstäbe und Grundsätze ableiten lassen, sie wirkt dabei gleichwohl stets retrospektiv und restriktiv, niemals aber prospektiv und konstruktiv im Sinne eines Gesetzes, das bestimmte Verhaltensweisen auch für die Zukunft erfasst und regelt.331 Damit ist zwangsweise eine gewisse Rechtsunsicherheit im Hinblick auf neue Arbeitskampfmittel verbunden.332 Gleichzeitig erlaubt die Ent326 Vgl. zu sonstigen Normen des einfachen Rechts, die den Arbeitskampf als Tatbestandsmerkmal nennen und deren Wirkung: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 45 f.; Richardi, FS Wolf, S. 549 ff. 327 Siehe aber: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 19. 328 So die überwiegende Ansicht: Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 150 f.; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 38 f.; Gamillscheg, KollArbR I, 942; Isensee, in: Freudenfeld (Hrsg.), Die Zukunft der sozialen Partnerschaft, S. 159, 162 f.; Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2060; vgl. auch: Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 82 f.; BAG, Urt. v. 26.4.1988 – 1 AZR 399/86, NZA 1988, 775, unter B. II. 2. c) bb); anders wohl: BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a); BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 116; zum Begriff der Schranken-Schranke vgl. Dritter Teil Fn. 434. 329 Zur insoweit widersprüchlichen Rechtsprechung des BVerfG siehe: Maunz/Dürig/ Scholz, Art. 9 GG Rn. 168; ausführlich zur Notwendigkeit gesetzgeberischen Tätigwerdens: A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 326 ff.; Friauf, RdA 39 (1986), 188, 192; Kloepfer, NJW 38 (1985), 2497, 2501 ff. 330 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 2. a); BVerfG, Beschl. v. 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85, NJW 1993, 1379 = BVerfGE 88, 103, unter C. II. 2. b). 331 Vgl. Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 64. 332 Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, 936; vgl. auch: Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 444 f.; Gentz, NZA 2 (1985), 306; kritisch dazu auch: Giesen, Sozialer Fortschritt 65 (2016), 266, 272.

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scheidung einzelner Fälle ein großes Maß an Flexibilität.333 Gerade im Hinblick auf rechtstatsächliche Veränderungen fallen schrittweise Anpassungen der Rechtsprechung deutlich leichter als die Änderung bestehender Gesetze.334 Die bereits dargestellten Schwierigkeiten bei der gesetzlichen bzw. verfassungsrechtlichen Regelung des Arbeitskampf- und insbesondere des Streikrechts im Rahmen der Beratungen zu Art. 159, 165 WRV, sowie zu Art. 9 Abs. 3 GG335 und der anschließende Verzicht auf entsprechende Regelungen, führten dazu, dass die verfassungsrechtliche Absicherung von Arbeitskämpfen bis in die jüngere Zeit umstritten war.336 aa) Entscheidungen des BVerfG So hat das BVerfG ein verfassungsrechtliches Bekenntnis zum Arbeitskampf bis in die 1990er Jahre vermieden.337 Erst 1991 im Aussperrungsbeschluss hat es anerkannt: „Zu den geschützten Mitteln zählen auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluß von Tarifverträgen gerichtet sind. Sie werden jedenfalls insoweit von der Koalitionsfreiheit erfaßt, als sie allgemein erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen.“338

Dabei wurde die suspendierende Abwehraussperrung zwecks Wiederherstellung der Verhandlungsparität als vom Schutzbereich erfasst angesehen.339 In der Entscheidung zum Einsatz von Beamten auf bestreikten Arbeitsplätzen bei der Deutschen Post erkennt das Gericht sodann in ähnlicher Formulierung auch den Streik als zur Sicherstellung funktionierender Tarifautonomie jedenfalls erforderliches Mittel an.340 Im Urteil zum alten § 116 AFG heißt es neben der Wiederholung der schon zuvor verwendeten Formulierung, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des arbeitskampfbezogenen Rechtsrahmens grundrechtlich nicht zur Optimierung der Kampfbedingungen angehalten sei, vielmehr sei es Sache der Tarifparteien ihre 333 Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 36. 334 Zur Zulässigkeit von Rechtsprechungsänderungen und -fortentwicklungen vgl.: BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 2. c). 335 Siehe oben § 7 A. III. 2. und 3. 336 Zur älteren Rspr. des BVerfG siehe: Seiter, AöR 109 (1984), 88, 126 ff. 337 Ausdrücklich offenlassend etwa: BVerfG, Beschl. v. 19.2.1975 – 1 BvR 418/71, NJW 1975, 968 = BVerfGE 38, 386, unter B. II. 1. 338 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a). 339 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a). 340 BVerfG, Beschl. v. 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85, NJW 1993, 1379 = BVerfGE 88, 103, unter C. II. 1.

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Kampfmittel sich wandelnden Gegebenheiten anzupassen. Allerdings könne der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen von Arbeitskämpfen aus Gründen des Gemeinwohls oder zur Wiederherstellung gestörter Paritäten ändern.341 Ebenfalls 1995 im Mitgliederwerbungsbeschluss erfolgte die Aufgabe bzw. in den Worten des Gerichts die Klarstellung der Kernbereichsformel, wonach auf Schutzbereichsebene nunmehr alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen erfasst würden.342 Erst knapp 10 Jahre später folgte ein Kammerbeschluss zur Einbeziehung eines Außenseiter-Arbeitgebers in den Arbeitskampf um einen Verbandstarifvertrag. Darin nahm das Gericht en passant zum Grundsatz der Kampfmittelfreiheit Stellung und führte aus: „Aus der Bedeutung des Art. 9 Abs. 3 GG als Freiheitsrecht der Koalitionen und der Staatsferne der Koalitionsfreiheit folgt, dass die Wahl der Mittel, die die Koalitionen zur Erreichung des Zwecks der Regelung von Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag für geeignet halten, den Koalitionen selbst obliegt. Eine Bewertung von Arbeitskampfmaßnahmen durch die Fachgerichte als rechtswidrig kommt deshalb grundsätzlich nur in Betracht, wenn eine Arbeitskampfmaßnahme offensichtlich ungeeignet oder unverhältnismäßig ist.“343

Eine wesentliche Fortentwicklung dieser Rechtsprechung folgt aus dem Flashmobbeschluss von 2014. Dort heißt es erstmals hinsichtlich der Begrenzung des Schutzbereichs auf überkommene Arbeitskampfmittel: „[Der Schutzbereich] ist auch nicht auf die traditionell anerkannten Formen des Streiks und der Aussperrung beschränkt, denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass allein diese Arbeitskampfmittel in ihrer historischen Ausprägung vom Verfassungsgeber als Ausdruck eines prästabilen Gleichgewichts angesehen worden wären. Die Wahl der Mittel, die die Koalitionen zur Erreichung der koalitionsspezifischen Zwecke für geeignet halten, überlässt Art. 9 III GG vielmehr grundsätzlich ihnen selbst. Dies folgt aus der Bedeutung des Art. 9 III GG als Freiheitsrecht der Koalitionen und aus der Staatsferne der Koalitionsfreiheit.“344

In der Tarifeinheitsentscheidung sowie in der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Streikverbots für Beamte wurde demgegenüber die frühere „jedenfalls-Formel“ verwendet.345 341 BVerfG, Urt. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86, NJW 1996, 185 = BVerfGE 92, 365, unter C. I. 1. b); vgl. in diesem Sinne auch: BVerfG, Beschl. v. 10.1.2020 – 1 BvR 4/17, NZA 2020, 253 = AP TVG § 5 Nr. 42, Rn. 18, wonach Art. 9 Abs. 3 GG den Koalitionen weder Stärke noch Erfolg garantiere, sondern allein die realisierbare Möglichkeit der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. 342 BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, NJW 1996, 1201 = BVerfGE 93, 352, unter C. I. 3. 343 BVerfG, Beschl. v. 10.9.2004 – 1 BvR 1191/03, NZA 2004, 1338 = AP GG Arbeitskampf Nr. 167, unter B. 2. b). 344 BVerfG, Urt. v. 26.3.2014 – 1 BvR 3185/09, NJW 2014, 1874 = NZA 2014, 493, Rn. 23. 345 BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 131 „… erfasst sind auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, jedenfalls soweit sie erforderlich sind, um eine funktionierende Tarif-

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In letzterem Urteil hat das BVerfG ausdrücklich Stellung zu Unterstützungsstreikmaßnahmen genommen und ausgeführt: „Eine Aussage dahingehend, dass der Streik stets in Bezug auf den Abschluss eines eigenen Tarifvertrags erfolgen müsste, lässt sich den bisherigen Entscheidungen allerdings nicht entnehmen. Entscheidend für die Zugehörigkeit zum Schutzbereich des Art. 9 III GG ist vielmehr, dass es sich um gewerkschaftlich getragene, auf Tarifverhandlungen bezogene Aktionen handelt. Das BAG nimmt jedenfalls einen Streik, den eine Gewerkschaft zur Unterstützung eines auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichteten Streiks ausruft, nicht (mehr) von vornherein vom Schutzbereich des Art. 9 III GG aus. Ein solches umfassendes Verständnis von Art. 9 III GG und das darin zum Ausdruck kommende Bemühen um die Gewährleistung eines möglichst weitreichenden Grundrechtsschutzes greift im Sinne einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung zudem die Wertungen des EGMR zu Art. 11 EMRK auf, wonach auch der Unterstützungsstreik jedenfalls ein ergänzendes Element der Koalitionsfreiheit darstelle.“346

Danach reicht ein bloß mittelbarer Tarifbezug zum Einsatz von Arbeitskampfmitteln aus. bb) Entscheidungen des BAG Das BAG sah sich häufiger und schon deutlich früher als das BVerfG mit Arbeitskampffragen konfrontiert. Im Folgenden sollen deshalb nur die wesentlichen Eckpunkte der Rechtsprechungsentwicklung herausgegriffen werden. Bereits 1955 hatte der Große Senat des BAG auf Vorlage des Ersten Senats zu entscheiden, ob der Arbeitgeber den gewerkschaftlichen Streik ohne arbeitnehmerseitige fristgemäße Kündigungen mit außerordentlicher fristloser Kündigung der Streikenden beantworten könne und ob nach Ende des Arbeitskampfes ein Wiedereinstellungsanspruch bestehe. Dabei war das Gericht zunächst der Auffassung, dass sich diese Fragen nicht aus der Verfassung beantworten ließen, sondern auf der Ebene des einfachen Rechts zu lösen seien.347 Sodann heißt es: „Arbeitskämpfe (Streik und Aussperrung) sind im allgemeinen unerwünscht, da sie volkswirtschaftliche Schäden mit sich bringen und den im Interesse der Gesamtheit liegenden sozialen Frieden beeinträchtigen; … Unterbrechungen der betrieblichen Arbeitstätigkeit durch einen solchen Arbeitskampf sind sozialadäquat, da die beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit solchen kampfweisen Störungen auf Veranlassung und unter der Leitung der Sozialpartner von jeher rechnen müssen und die deutsche freiheitliche Rechtsordnung derartige Arbeitskämpfe als ultima ratio anerkennt. Es besteht Freiheit des Arbeitskampfes, Streikfreiheit und Aussperrungsfreiheit.“348

autonomie sicherzustellen“; BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 116. 346 BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 140. 347 BAG, Beschl. v. 28.1.1955 – GS 1/54, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 1, unter I. 2. 348 BAG, Beschl. v. 28.1.1955 – GS 1/54, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 1, unter I. 3.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Das Recht zum Streik leitet der Große Senat historisch, sowie aus § 49 Abs. 2 S. 3 BetrVG 1952 her. Daraus folgert er nach dem Grundsatz der Waffengleichheit im Sinne der Kampfparität die Möglichkeit des Arbeitgebers zur lösenden Abwehraussperrung durch Kündigung sowie das Nichtbestehen eines Wiedereinstellungsanspruchs.349 1971 wich der Große Senat von dieser Rechtsprechung teilweise ab und maß Arbeitskämpfen grundsätzlich nicht länger lösende, sondern nur suspendierende Wirkung zu.350 Der rechtmäßige Arbeitskampf suspendiere danach die Hauptleistungspflichten des Arbeitsvertrages zur Erbringung der Arbeitsleistung und zur Zahlung der vereinbarten Vergütung.351 Aufgrund ihrer Auswirkungen auf Drittbetroffene, insbesondere Nichtstreikende und die Allgemeinheit sei der Arbeitskampf ultima ratio, müsse hinsichtlich seiner Durchführung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen und nach Beendigung müssten beide Seiten sich um Wiederherstellung des Arbeitsfriedens bemühen.352 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bleibe die lösende Aussperrung gleichwohl möglich, wenn auch nicht gegenüber besonders geschützten Personen (Betriebsräte, Schwangere), führe jedoch regelmäßig zu einem Wiedereinstellungsanspruch.353 Ferner ergebe sich aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, dass keine Seite das Kampfgeschehen alleine bestimmen könne, vielmehr müssten möglichst gleiche Verhandlungschancen bestehen, sodass auch der einzelne Arbeitgeber das Recht zur (Angriffs-)Aussperrung habe, dies sei Voraussetzung funktionierender Tarifvertragsfreiheit.354 Diese Entwicklung lässt sich auf zwei wesentliche Veränderungen herunterbrechen: So ist der Große Senat 1971 einerseits stillschweigend von der 1955 aufgestellten Lehre der Sozialadäquanz zugunsten des Verhältnismäßigkeitsprinzips abgewichen.355 Darüber hinaus hat er andererseits den Grundsatz formeller Parität, d. h. der strengen Entsprechung von Streik und Aussperrung i. S. v. Waffengleichheit, weiterentwickelt zum Erfordernis möglichst gleicher Verhandlungschancen, d. h. materieller Parität.356

349

III. 1.

BAG, Beschl. v. 28.1.1955 – GS 1/54, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 1, unter II. 1. und

350

BAG, Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, unter Teil III

351

BAG, Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, unter Teil III

C. C. 1. 352

A. 1.

BAG, Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, unter Teil III

353 BAG, Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, unter Teil III C. 5, D. 2. 354 BAG, Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, unter Teil III B. 1. und 2. 355 Vgl. Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 46. 356 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 7 Rn. 10.

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Dieses materielle Paritätsverständnis konturierte das BAG in der Folge weiter. Es anerkannte Streik und Aussperrung als grundsätzlich über die Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Arbeitskampfmittel, mit der viel zitierten Formel, dass Tarifverhandlungen ohne Recht zum Streik nicht mehr als „kollektives Betteln“ seien.357 Weiter stellte das Gericht fest, dass eine kollektive Kampf- und Ausgleichsordnung keine etwaigen gesamtpolitischen Ungleichheiten in dem Sinne kompensieren könne, dass alle denkbaren Kriterien, die sich auf das Kräfteverhältnis der Tarifpartner auswirken könnten, berücksichtigt werden; Ziel könne deshalb nicht die Schaffung von Gesamtparität, sondern vielmehr tarifbezogener Parität sein.358 In Bezug auf die Abwehraussperrung seien Arbeitskampfmittel auf das zur Herstellung von Parität geeignete, erforderliche und proportionale Maß zu begrenzen, weshalb es aufgrund der Abhängigkeit der Arbeitnehmer von ihrem Lohn als Lebensgrundlage dem Mittel der Aussperrung regelmäßig nicht bedürfe.359 Hinsichtlich möglicher Paritätsstörungen zulasten der Arbeitgeber, die eine Aussperrung verhältnismäßig erscheinen ließen, entwickelte das Gericht für „eng geführte Teilstreiks“ sodann die „Aussperrungsarithmetik“, nach der es entscheidend auf den Anteil der Streikenden an den im Tarifgebiet Beschäftigten ankomme.360 Weiterer Ausfluss des Paritätsgedankens ist die Zuordnung des Arbeitskampfriskos: Grundsätzlich trage der Arbeitgeber das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko, indem er zur Fortzahlung des Entgelts verpflichtet sei, wenn ohne sein Verschulden in seinem Betrieb nicht weitergearbeitet werden könne bzw. eine Fortsetzung des Betriebs wirtschaftlich sinnlos werde.361 Bei Beeinflussung der Verhandlungsstärke im Arbeitskampf befindlicher Parteien könne das Arbeitskampfrisiko gleichwohl aus Paritätsgründen auf den Arbeitnehmer zurückfallen.362 Weitere Konkretisierungen ergaben sich namentlich zum Warnstreik, der zunächst im Rahmen der „Neuen Beweglichkeit“363 während laufender Verhandlungen kurzfristig durchgeführt und gerichtlich akzeptiert wurde, ohne ihn dem ultima ratio 357 BAG, Urt. v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64, unter A. I. 2. a) und 3. 358 BAG, Urt. v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64, unter A. IV. 3. 359 BAG, Urt. v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64, unter B. I. 2. 360 BAG, Urt. v. 10.6.1980 – 1 AZR 168/79, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 65, unter B. II. 2. d); siehe auch: Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 7 Rn. 13; näher zu dieser Rechtsprechung und zu den exakten Quoten: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 8 Rn. 48 ff. m. w. N. 361 BAG, Beschl. v. 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP GG Art. 9 Arbeitskmapf Nr. 70, unter C. I. 1. a). 362 BAG, Beschl. v. 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP GG Art. 9 Arbeitskmapf Nr. 70, unter C. I. 2. a) (3); BAG, Beschl. v. 22.12.1980 – 1 ABR 76/79, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 71, unter C. I. 363 Zu dieser gewerkschaftlichen Strategie verhandlungsbegleitender Kurzsstreiks als „Nadelstiche“ ab 1981 näher und m. w. N.: Gamillscheg, KollArbR I, 1159 f.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Prinzip zu unterstellen.364 Diese Abgrenzung gab das BAG gleichwohl auf und unterstellte den Warnstreik ebenso wie den Erzwingungsstreik dem ultima Ratio Grundsatz, wonach Arbeitskämpfe um des Kampfes und der Demonstration der Stärke willen, noch vor Kenntnisnahme des gegnerischen Standpunktes unzulässig seien.365 Insgesamt führte die Ausrichtung am Prinzip tarifbezogener Parität zu einem engen Bezug zu tarifbezogenen Arbeitskämpfen. Danach „… dient das Streikrecht nur der Durchsetzung solcher Ziele und Forderungen, die Gegenstand eines TV sein können und sollen.“366 Mit der Aufgabe der Kernbereichsrechtsprechung durch das BVerfG in den 1990er Jahren und dem damit verbundenen weiten Schutzbereichsverständnis liberalisierte sich auch die Rechtsprechung des BAG.367 Insoweit hielt das Gericht einen Arbeitskampf gegen einen verbandsangehörigen Arbeitgeber um einen Firmentarifvertrag unter Paritätsgesichtspunkten für zulässig. Weder würde die individuelle Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers berührt, noch die des Verbandes verletzt, jedenfalls solange es um Arbeitsbedingungen ginge, die nicht durch Verbandstarifvertrag geregelt sind, noch demnächst geregelt werden sollen.368 Auf dieser Linie liegt auch die Zulassung des Streiks um einen Sozialplantarifvertrag im Kontext eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrages. Auch hier liege keine Paritätsstörung vor. Dass der Betriebsrat unabhängig vom Arbeitskampf einen betrieblichen Sozialplan nach § 112 BetrVG erzwingen könne, verschiebe das Verhandlungsgleichgewicht nicht entscheidend. Die Chancen zur Abwehr der gewerkschaftlichen Forderungen würden vielmehr durch diese Möglichkeit nicht geringer.369 Anders als noch 1985 beim Sympathiestreik, der mangels Tarifbezug in der Regel für rechtswidrig gehalten wurde,370 steht das BAG der Möglichkeit eines Unterstützungsstreik nun insofern offener gegenüber, als es diesen grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zuordnet.371 Mit der vom BVerfG anerkannten umfassenden koalitionsspezifischen Betätigungsfreiheit372 sei gleichwohl keine

364 BAG, Urt. v. 12.9.1984 – 1 AZR 342/83, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 81, unter B. II. 2. d). 365 BAG, Urt. v. 21.6.1988 – 1 AZR 651/86, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 108, unter A. I. 3. d). 366 BAG, Beschl. v. 23.10.1984 – 1 AZR 126/81, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 82, unter 3. b). 367 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 7 Rn. 26. 368 BAG, Urt. v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734, unter B. I. 2. b) (2). 369 BAG, Urt. v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987, Rn. 69 ff., 88 ff. 370 BAG, Urt. v. 5.3.1985 – 1 AZR 468/83, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 85, unter I. 3. b). 371 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 12. 372 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 19; siehe zum BVerfG im vorigen Abschnitt, sowie insbesondere: BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, NJW 1996, 1201 = BVerfGE 93, 352, unter B. I. 1. und 3.; vgl. zuletzt BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 115 m. w. N.

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unbeschränkte Zulässigkeit verbunden.373 Diese richte sich vielmehr nach der Ausgestaltung der Rechtsordnung, die ihrerseits der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie verpflichtet sei, wobei zentraler Prüfungsmaßstab aufgrund seiner Abstraktionshöhe nicht vor allem das Paritätsprinzip, sondern der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei.374 Dabei billigt das BAG den Parteien hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit des gewählten Kampfmittels im Hinblick auf das verfolgte Kampfziel eine Einschätzungsprärogative zu, lediglich bei offensichtlich ungeeigneten oder nicht erforderlichen Mitteln sei ein Kampfmittel rechtswidrig.375 Lediglich für die Angemessenheit gilt ohne Einschätzungsprärogative: „Verhältnismäßig im engeren Sinn (proportional) ist ein Arbeitskampfmittel, das sich unter hinreichender Würdigung der grundrechtlich gewährleisteten Betätigungsfreiheit zur Erreichung des angestrebten Kampfziels unter Berücksichtigung der Rechtspositionen der von der Kampfmaßnahme unmittelbar oder mittelbar Betroffenen als angemessen darstellt.“376

Unangemessen sei danach etwa ein Unterstützungsstreik bezogen auf einen rechtswidrigen Hauptarbeitskampf oder ein räumlich, wirtschaftlich und branchenmäßig weit entfernter Unterstützungsstreik.377 Zuletzt hielt das BAG zudem (vom BVerfG bestätigt378) einen streikbegleitenden Flashmob auch durch unbeteiligte Dritte im Einzelhandel für zulässig, wobei es vornehmlich um die Störung des Betriebsablaufs durch Befüllen von Einkaufswagen sowie des Kassenbandes, ohne anschließend zu bezahlen oder die Waren zurückzustellen, ging.379 Solche Aktionen, die der Verfolgung tariflicher Ziele dienen, unterfielen der Koalitionsfreiheit, was auch gelte, wenn Dritte einbezogen würden, solange es sich um eine gewerkschaftliche Aktion handele.380 Die weitere Rechtmäßigkeitsprüfung verläuft dann analog zum Unterstützungsstreik-Urteil, wonach das Paritätsprinzip allein aufgrund seiner Abstraktionshöhe nicht als Beurteilungsmaßstab ausreiche, weshalb die Maßnahme am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen sei.381 Derartige Maßnahmen seien weder offensichtlich ungeeignet noch offensichtlich nicht erforderlich um zur Durchsetzung tariflicher Ziele Druck auf die Gegenseite auszuüben.382 Im Rahmen der Angemessenheit stellt das Gericht zwei wesentliche Unterschiede zu überkommenen Kampfmaßnahmen heraus und stellt insoweit fest, dass derartige aktive Störungsaktionen regelmäßig ohne wirtschaft373

BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 14. BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 20 ff. 375 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 26 f. 376 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 28. 377 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 44 f. 378 Siehe bereits im vorigen Abschnitt, sowie: BVerfG, Urt. v. 26.3.2014 – 1 BvR 3185/09, NJW 2014, 1874 = NZA 2014, 493, Rn. 26 ff. 379 BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, zum Sachverhalt. 380 BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 34 f. 381 BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 40 f. 382 BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 48 f. 374

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

liche Nachteile für die Angreifer auskommen und darüber hinaus im öffentlichen Bereich Dritte involvieren, deren Verhalten wenig kontrollierbar ist, was Eskalationspotential berge.383 Diese Unterschiede führen jedoch nicht automatisch zur Unverhältnismäßigkeit des Kampfmittels. Solange es sich um eine gewerkschaftlich gesteuerte Maßnahme handele und dem Kampfgegner wie im konkreten Fall Verteidigungsmöglichkeiten, etwa die Ausübung des Hausrechts oder der Betriebsschließung verbleiben, sei die Maßnahme angemessen.384 Es zeigt sich, dass die Rechtsprechung grundsätzlich Arbeitskampfmaßnahmen gerichtet auf den Abschluss von Tarifverträgen, solange sie zur Sicherstellung funktionierender Tarifautonomie erforderlich sind, als von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Koalitionsbetätigungsmittel anerkennt und den Koalitionen dabei erheblichen Spielraum in der Wahl der Kampfmittel zubilligt.385 Die Arbeitsgerichte stellen darüber hinaus zur Ermittlung der Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen wie gezeigt auf die Kriterien der Kampfparität sowie auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit386, einschließlich des ultima-ratio-Prinzips, ab.387 b) Arbeitskampfbegriff Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung werden unterschiedliche Arbeitskampfbegriffe vertreten. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass es sich jedenfalls um kollektive Druckausübung i. S. e. Störung der Arbeitsbeziehungen durch die Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite handeln muss, die darauf abzielt, die Gegenseite verhandlungsbereit zu machen.388 Nicht ausreichend ist dementsprechend die bloße gemeinsame Wahrnehmung arbeitsvertraglicher Rechte, die nur auf die Erhaltung individualvertraglicher Rechte zielt, ohne ein darüber hinausreichendes Regelungsziel.389

383

BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn 52. BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 53 ff. 385 Grundlegend: BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a); BVerfG, Beschl. v. 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85, NJW 1993, 1379 = BVerfGE 88, 103, unter C. II. 1.; BVerfG, Urt. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86, NJW 1996, 185 = BVerfGE 92, 365, unter C. I. 1. a); BVerfG, Urt. v. 26.3.2014 – 1 BvR 3185/09, NJW 2014, 1874 = NZA 2014, 493, Rn. 23 ff.; zuletzt: BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 131 ff., sowie die vorgenannten Urteile. 386 Zum Wandel des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Rechtsprechung vgl.: Deinert/ Kittner, FS Lörcher, S. 283, 291 f. 387 Zur Auswirkung dieser Grundsätze auf die Arbeitskampffreiheit bei Crowdwork sogleich. 388 Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 1 Rn. 1 ff.; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 94; Dütz/Thüsing, Arbeitsrecht, Rn. 655; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 1 ff. 389 BAG, Urt. v. 30.9.2004 – 8 AZR 463/03, NZA 2005, 43, unter II. 1. b) dd) (2), zur gemeinsamen Ausübung des Widerspruchsrechts aus § 613a Abs. 6 BGB. 384

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Über die begriffliche Orientierung hinaus wird einschränkend ein enger, kampfzielbezogener und ein weiter, kampfmittelbezogener Arbeitskampfbegriff vertreten. Dabei geht es in aller Regel nicht mehr um die bloße rechtliche Kategorisierung, sondern um die Frage der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen. Die wohl noch überwiegende Ansicht vertritt einen engen Kampfbegriff, demzufolge die Arbeitskampffreiheit nur insoweit verfassungsrechtlich gewährleistet wird, als sie für eine funktionierende Tarifautonomie erforderlich ist.390 Die Gegenansicht sieht keine zwingende Akzessorietät zwischen Tarifautonomie und Arbeitskampf, sodass beliebige Ziele im Rahmen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Zweck des Arbeitskampfs sein können.391 Danach wären schuldrechtliche Kollektivverträge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen soloselbstständiger Crowdworker als legitimes Ziel des weiten Arbeitskampfbegriffs erfasst. Die Rechtsprechung wird oftmals dem engen Arbeitskampfbegriff zugeschlagen, wozu sie durchaus Anlass gegeben hat.392 Trotzdem kann diese Einordnung nicht restlos 390 Gamillscheg, KollArbR I, 1071; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 5 Rn. 5 ff.; Brox/Rüthers/Rüthers, § 8 Rn. 144; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 214; Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 155; Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, 44; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 81 ff.; Richardi, JZ 47 (1992), 27, 33; ähnlich: Richardi, FS Wolf, S. 549, 562; Richardi, JZ 40 (1985), 410, 418; Richardi/Bayreuther, Kollektives Arbeitsrecht, Rn. 5, 22 ff.; Konzen, JZ 41 (1986), 157, 160 f.; Ramm, AcP 160 (1961), 336, 350 ff.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 2; Giesen/Kersten, NZA 35 (2018), 1, 5; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 492 f.; Wank, RdA 62 (2009), 1, 3; Olbrich, Die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen, 154 f.; H. Hanau, in: Rieble/Giesen/ Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 15, 28; M. Jacobs, ZfA 42 (2011), 71, 82 f.; Thüsing/Waldhoff, ZfA 42 (2011), 329, 345; Vertragsbezogenheit: Picker, ZfA 41 (2010), 499, 627. 391 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 5 f.; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 71, 105; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 112; HdbStR VIII/Scholz, § 175 Koalitionsfreiheit Rn. 124; deutlicher: Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 316; A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 227 ff.; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 415; Lange-Korf, Unions- und völkerrechtliche Einflüsse auf das Streikrecht in Deutschland, 16 ff.; Kittner/Schiek, in: E. Stein/Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 141 ff.; HdbVerfR/Farthmann/Coen, § 19 Rn. 151; Mückenberger, KJ 13 (1980), 258, 263 ff.; Mückenberger, KJ 22 (1989), 241, 242; Bock, Investorenvereinbarungen zur Sicherung von Arbeitnehmerinteressen, 275 f.; Trabant, Solidaritätskampf oder Sozialschlacht?, 265 ff., 287; offen auch: Georges, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht und seine besondere Relevanz für die Rechtmäßigkeit von Unterstützungsstreiks, 101 ff.; Reinbach, Das gewerkschaftliche Streikmonopol, 207 ff. 392 Insoweit eindeutig: BAG, Beschl. v. 23.10.1984 – 1 AZR 126/81, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 82, unter 3. b) „Doch dient das Streikrecht nur der Durchsetzung solcher Ziele und Forderungen, die Gegenstand eines TV sein können und sollen.“; BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448, Rn. 111 „Ein Grundrecht auf Streik, losgelöst von seiner funktionalen Bezugnahme auf die Tarifautonomie, gewährleistet Art. 9 III GG nicht.“; ebenso: BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437, Rn. 49; ähnlich: BAG, Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, unter Teil III B. 1. „… im Rahmen der Tarifautonomie durch Verhandlungen und notfalls duch Ausübung von Druck und

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überzeugen. Das BVerfG hat sich wie gezeigt ganz überwiegend der Einschränkung bedient, dass Maßnahmen „jedenfalls“ soweit sie für den Schutz der Tarifautonomie erforderlich sind geschützt werden.393 Das ist unter Zugrundelegung des üblichen Sprachgebrauchs so zu verstehen, dass potentiell Raum für Maßnahmen, die dieses Kriterium nicht erfüllen, verbleibt.394 Ebenso hat das BAG in Urteilen jüngeren Datums teilweise ein weniger enges Verständnis gezeigt und die generelle Tarifakzessorietät in Frage gestellt.395 Zu beachten ist ferner, dass viele Stimmen in der Literatur, die einer engen Auffassung zuneigen, noch unter dem Eindruck der Kernbereichsrechtsprechung entstanden sind, während neuere Stimmen entsprechend der umfassenden Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG, den Arbeitskampf überwiegend nicht als bloßen Annex der Tarifautonomie sehen. Letztlich leidet die Diskussion um den Begriff des Arbeitskampfs auch daran, dass ihr Ziel uneinheitlich definiert wird. Insoweit liegt auf der Hand, dass erhebliche Unterschiede zwischen bloßer Deskription zur rechtlichen Orientierung und rechtsdogmatischer Begriffsbildung, einschließlich der Definition bestimmter Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, bestehen.396 c) Grundrechtsdimensionen Ausgehend von dieser Gemengelage ist die aufgeworfene Frage nach der grundrechtlichen Gewährleistungsreichweite zu beantworten. Soloselbstständigenkoalitionen bzw. diese vertretende Gewerkschaften können nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis keine Tarifverträge i. S. d. TVG schließen. Der Tarifabschluss als Zweck des Arbeitskampfes entfällt demnach. Entsprechend der h. M. entfiele damit auch die grundrechtliche Arbeitskampfbefugnis hinsichtlich Zielen, die nicht im Abschluss eines Tarifvertrages liegen. Prima facie wäre dieses Ergebnis nach der Gegendruck zum Abschluß von TV … kommt.“; BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a) „Zu den geschützten Mitteln zählen auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluß von Tarifverträgen gerichtet sind.“ im nächsten Satz gleichwohl mit „jedenfalls“ einschränkend. 393 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. a); BVerfG, Urt. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86, NJW 1996, 185 = BVerfGE 92, 365, unter C. I. 1. a); BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 131; BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 140, mittelbarer Tarifbezug ausreichend. 394 Zur Deutungsmöglichkeit in zwei Richtungen: Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 60 f.; wie hier in Richtung der Möglichkeit zur Fortentwicklung des Arbeitskampfrechts: Giesen/Kersten, NZA 35 (2018), 1, 3. 395 BAG, Urt. v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734, unter B. I. 3. a); klar dagegen aber: BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448, Rn. 111 „Ein Grundrecht auf Streik, losgelöst von seiner funktionalen Bezugnahme auf die Tarifautonomie, gewährleistet Art. 9 III GG nicht.“ 396 Vgl. Richardi, FS Wolf, S. 549 ff.; siehe auch: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 1 Rn. 1; Dütz/Thüsing, Arbeitsrecht, Rn. 655.

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oben zur Tarifautonomie erfolgten Untersuchung397 insoweit zu akzeptieren, als es sich bei der Begrenzung der Arbeitskampffreiheit durch die Rechtsprechung um bloße quasi-gesetzgeberische Ausgestaltung handelt. Dann hätte die Rechtsprechung lediglich das Untermaßverbot zu achten, das durch eine Begrenzung des Arbeitskampfs auf tariflich regelbare Ziele wohl nicht verletzt wäre. Dieses Ergebnis bedarf jedoch der Korrektur. aa) Natürliche oder normgeprägte Freiheit Auch an dieser Stelle ist eine Zuordnung zu den unterschiedlichen Wirkdimensionen des Art. 9 Abs. 3 GG unentbehrlich. Insbesondere liegt es im Gegensatz zur Tarifvertragsfreiheit näher, die Arbeitskampffreiheit im Grundsatz als natürliche Freiheit zu begreifen, die dann der umfassend gewährleisteten abwehrrechtlichen Dimension des Art. 9 Abs. 3 GG zuzuordnen wäre. Trotzdem wird die Freiheit zum Arbeitskampf überwiegend als normgeprägte und damit ausgestaltungsbedürftige Freiheit gesehen.398 Dem widerspricht indes eine zunehmende Zahl von Autoren.399 Dabei streitet die Historie für ein natürliches Verständnis. Arbeitskämpfe gab es lange vor und völlig unabhängig von gesetzlichen Regelungen und einem Tarifvertragssystem.400 Bis heute bestehen keine konstruktiven Regelungen zum Arbeitskampfrecht, sondern allein restriktives, das „rechtliche Dürfen“ betreffendes Richterrecht.401 Selbst rigide durchgesetzte Streik- bzw. Koalitionsverbote konnten Arbeitskämpfe als urwüchsige Kompensationsinstrumente von Machtasymmetrien nicht verhindern.402 Die bloße Durchführung etwa von Streiks i. S. v. kollektiver Arbeitseinstellung bedarf für sich genommen keiner rechtlichen Ermöglichung.403 Mit dem BVerfG 397

Siehe oben § 7 C. II. 1. Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2060 f.; R. Schwarze, JuS 44 (1994), 653, 657; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, 169 ff.; Richardi, JZ 47 (1992), 27, 32; Thüsing/Waldhoff, ZfA 42 (2011), 329, 342; mit Einschränkungen auch: Höfling, FS Friauf, S. 377, 386; Richardi, JZ 40 (1985), 410, 420; Olbrich, Die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen, 155; R. Schwarze, ZfA 49 (2018), 149, 159, 165. 399 F. Bauer, JZ 8 (1953), 649, 651; Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 64; Gooren, Der Tarifbezug des Arbeitskampfes, 74 f.; A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 261 ff.; Greiner, Das arbeitskampfrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip, 25 ff.; in diese Richtung auch: Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 63 ff.; Reinbach, Das gewerkschaftliche Streikmonopol, 224 f. 400 Vgl. nur: Rüthers, Streik und Verfassung, 6 ff.; anders ohne entsprechende Belege: Olbrich, Die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen, 156, derzufolge aus der historisch parallelen Entwicklung von Tarifvertrag und Arbeitskampf die Hilfsfunktion folgt. 401 Siehe oben § 7 C. II. 2. a), sowie: Gooren, Der Tarifbezug des Arbeitskampfes, 74. 402 Siehe oben § 7 A. III. 403 Der Streik an sich wirkt sich dementsprechend nicht auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses aus: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 1 Rn. 10. 398

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handelt es sich bei der Koalitionsfreiheit vielmehr „in erster Linie um ein Freiheitsrecht“404, womit zwar keine unmittelbare Aussage über die Arbeitskampffreiheit verbunden ist, wohl aber ein freiheitsrechtliches Grundverständnis geäußert wird. Mit einer liberalen Konzeption der Arbeitskampffreiheit ist die Annahme eines notwendigen gewährenden staatlichen Aktes unvereinbar.405 Umgekehrt ist es Sache der Koalitionen selbst, ihr Handeln innerhalb des verfassungsrechtlichen Schutzzwecks zu definieren, insoweit unterliegen sie keinem numerus clausus koalitionsgemäßer Betätigungen.406 Hierzu passt, dass das BVerfG im Aussperrungsbeschluss die Paritätsrechtsprechung des BAG und die damit verbundene Begrenzung der Befugnis zur Aussperrung aufgrund kollidierender Grundrechte der Arbeitnehmer für gerechtfertigt hielt.407 Darin liegt die Prüfung einer Eingriffsrechtfertigung, die nur für die abwehrrechtliche Grundrechtsdimension Sinn ergibt.408 In dieser Hinsicht handelt es sich bei Art. 9 Abs. 3 GG tatsächlich um ein „normales Grundrecht“.409 Eine institutionelle Deutung der Arbeitskampffreiheit im Sinne einer Einrichtungsgarantie ist hiermit unvereinbar.410 Die zutreffende Erwägung, dass der Arbeitskampf rechtsgestaltende Wirkung hat und für seine Effektivität der (richter-)rechtlichen Festlegung seiner zivilrechtlichen Folgen bedarf, hebt das grundlegende Verständnis der Arbeitskampffreiheit als natürliche Freiheit indes nicht auf.411 Denn die rechtliche Regelung der Folgen der Freiheitsausübung ist stets notwendig. Im Gegenteil wird dort, wo die Gegenseite sowie Dritte in ihren grundrechtlich geschützten Positionen berührt werden, auch in diesem Kontext die leistungsrechtliche Dimension in Gestalt der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte aktiviert. Diese verpflichtet die Gerichte als Ersatzgesetzgeber412 über Art. 1 Abs. 3 GG ggfs. 404 BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. IV. 1.; BVerfG, Urt. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86, NJW 1996, 185 = BVerfGE 92, 365, unter C. I. 1. a); BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 115; BVerfG, Beschl. v. 10.1.2020 – 1 BvR 4/17, NZA 2020, 253 = AP TVG § 5 Nr. 42, Rn. 16. 405 A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 262. 406 Kittner/Schiek, in: E. Stein/Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 124. 407 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 3. b). 408 Dass es dabei um einen Eingriff in die Arbeitskampffreiheit der Arbeitgeber ging ändert nichts daran, dass für Eingriffe in Gewährleistungen der Beschäftigtenseite das gleiche gilt. 409 Heilmann, AuR 44 (1996), 121 ff. 410 So aber: Rüthers, Streik und Verfassung, 33 ff.; Brox/Rüthers/Rüthers, § 4 Rn. 85; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 33 ff.; Badura, RdA 27 (1974), 129, 131; Gamillscheg, KollArbR I, 943; Wank, RdA 62 (2009), 1, 2. 411 Ebenso: Greiner, Das arbeitskampfrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip, 26; Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, 115 f.; Reinbach, Das gewerkschaftliche Streikmonopol, 225 ff., der jedoch im Hinblick auf die Suspendierungswirkung von einer normativen Komponente ausgeht. 412 Vgl. Kloepfer, NJW 38 (1985), 2497, 2498.

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zu entsprechenden schützenden „Regelungen“, wirkt jedoch nicht auf die grundlegende Qualifikation der Arbeitskampffreiheit zurück. Hierunter fällt etwa die Zuordnung widerstreitender Grundrechtspositionen in Gestalt der gerichtlichen Festlegung der privatrechtlichen Rechtsfolgen des (rechtmäßigen) Arbeitskampfes. In diesem Bereich geht es um Übergriffe Privater durch Ausübung ihrer grundrechtlichen Freiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG auf grundrechtliche Schutzgüter Dritter, insbesondere des jeweiligen Gegenspielers. „[Der Staat] ist der Koordinator der grundrechtlichen Freiheit und gewährleistet, daß die Freiheit des einen neben der Freiheit des anderen bestehen kann.“413 In diesem Bereich ist der Staat zur Schaffung koordinierender Regelungen verpflichtet, die ein ausgleichendes Nebeneinander konfligierender Grundrechtspositionen unter Privaten sicherstellen. Hierbei kommt den über Art. 1 Abs. 3 GG ebenfalls und gerade im Arbeitskampf gebundenen Gerichten ein Ausgestaltungsspielraum zu.414 Diesen haben die Gerichte wie dargestellt genutzt, indem sie die zivilrechtlichen Folgen von Arbeitskämpfen festgeschrieben haben, etwa Schadensersatzansprüche bei rechtswidrigen Streiks nach § 823 Abs. 1 BGB oder die Lehre vom Arbeitskampfrisiko.415 Im Verhältnis der Grundrechtsträger zueinander, auf horizontaler Ebene, wirken die Grundrechte grundsätzlich nur mittelbar durch „Einbruchstellen“ im Privatrecht, als Ausfluss der Grundrechte als objektive Wertordnung.416 Fasste man staatliches Handeln in diesem horizontalen Bereich per se als Eingriff auf, untergrübe man folglich diese Wirkungsweise, indem man Gesetzgeber und Gerichte vertikal unmittelbar gegenüber dem Bürger zur Berücksichtigung der Grundrechte in horizontalen Rechtsbeziehungen verpflichtete.417 Erlaubt die staatliche Gewalt Übergriffe zwischen Privaten, sind die Grundrechte jedoch allein in ihrer Schutzfunktion betroffen.418 Hinsichtlich des Arbeitskampfs spricht Engels für diesen Bereich nicht unpassend von einer „unmittelbaren Doppelrolle“ der Gerichte, weil diese in ihrem Rechtmäßigkeitsurteil einerseits über die Grundrechtsgeltung zwischen Privaten im Bereich der grundrechtlichen Schutzfunktion entscheiden sowie andererseits gleichsam über die inhaltliche Reichweite des Arbeitskampfes und damit über den abwehrrechtlichen Grundrechtsgehalt.419

413

HdbStR IX/Isensee, § 191 Rn. 176. HdbStR IX/Isensee, § 191 Rn. 293 ff. 415 A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 278. 416 BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, NJW 1958, 271 = BVerfGE 7, 198, unter 1.; kritisch: Canaris, AcP 184 (1984), 201, 210 ff.; siehe auch: Medicus, AcP 192 (1992), 35, 43 ff.; Stern/Sachs, in: dies. (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 76 S. 1527 ff.; Wielsch, AcP 213 (2013), 718, 731 f. 417 Oldiges, FS Friauf, S. 281, 284. 418 Oldiges, FS Friauf, S. 281, 301; A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 304. 419 A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 304. 414

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Nach der hier verfolgten Konzeption ist die Arbeitskampffreiheit als natürliche Freiheit umfassend geschützt. Das gilt notwendigerweise auch für ihr definitionsgemäßes „privatrechtliches Übergriffsverhalten“420, ohne damit alle denkbaren, etwa auch gewalttätige Arbeitskampfmaßnahmen als umfassend grundrechtlich geschützt ansehen zu wollen.421 Maßgeblich ist, dass streng zwischen Schutzbereichs- und Rechtfertigungsebene, zwischen verfassungsrechtlichem Schutz eines Kampfmittels als Koalitionsbetätigung als solchem und der gerechtfertigten Begrenzung seiner Wirkungen, insbesondere auf Dritte, unterschieden wird. bb) Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung Insgesamt ist nicht erkennbar, warum schon der Schutzbereich des koalitionsmäßigen Freiheitsrechts von vornherein verengt werden soll, gerade weil entgegenstehende schützenswerte Güter von Verfassungsrang bei einer etwaigen Eingriffsrechtfertigung berücksichtigt werden können.422 Die Rechtsprechung zur Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfes im Ganzen und zum Erfordernis des Tarifbezuges im Speziellen, stellt eine Verkürzung des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts der Koalitionsfreiheit dar. Eine solche Begrenzung darf nicht mit dem bloßen Hinweis auf die Angewiesenheit der Arbeitskampffreiheit auf ein Normengerüst als bloße Ausgestaltung deklariert werden, sondern stellt einen Eingriff in die 420

A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 304. Dies lässt sich einerseits durch eine Ausklammerung bestimmter Verhaltensweisen aus dem grundrechtlichen Schutzbereich erreichen (enge Tatbestandstheorie) oder andererseits durch die Berücksichtigung der jeweiligen Grundrechtsschranken (weite Tatbestandstheorie). Für einen Friedlichkeitsvorbehalt aller grundrechtlicher Betätigung im Sinne eines engen Tatbestandsverständnisses: HdbStR IX/Isensee, § 191 Rn. 102, ausführlich zum Theorienstreit Rn. 82 ff. m. w. N. sowie plakativen Beispielen, so sei etwa die Frage ob der Mord auf der Bühne in den Schutzbereich der Kunstfreiheit falle nicht erst auf der Ebene der Abwägung zu entscheiden; siehe auch: Stemmler, Das „Neminem-laedere-Gebot“, 192 ff.; vgl. auch: Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 70 f., der gewalttätige Kampfmaßnahmen unter Rückgriff auf den Friedlichkeitsvorbehalt des Art. 8 Abs. 1 GG aus dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit ausklammert; dagegen: Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 176 ff., der eine Handlung erst dann wenn sie als Ergebnis der Abwägung zwischen Prinzipien, d. h. als Ergebnis des Spiels von Grund und Gegengrund nicht von einer Schrankennorm erfasst werde, als definitiv erlaubt ansehen will; zum „Spiel von Grund und Gegengrund“: Alexy, Theorie der Grundrechte, 272 ff., 289; offenlassend bzgl. des Arbeitskampfes: A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 218 ff., weil das Verbot von Gewalt im Sinne der Ausübung physischen Zwangs gegen Personen oder Sachen als Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols die Gewährleistung der Arbeitskampffreiheit mit Blick auf überkommene Arbeitskampfmaßnahmen nicht begrenze, siehe auch Fn. 397 zur Gefahr der abwägenden Beurteilung von Gewalt nach ihren Motiven; ausführlich zur Frage der Schutzbereichsbegrenzung durch das Strafrecht: Blume, Strafbefreiende Wirkung der „neuen“ Arbeitskampffreiheit?, 58 ff. 422 Vgl. Hufen, NZA 31 (2014), 1237, 1238, der ähnlich argumentiert, dafür jedoch kritisiert wird; Scholz/Lingemann/Ruttloff, NZA-Beil. 32 (2015), 3 ff., die dieses Argument jedenfalls nicht als Grund zur Aufgabe der Unterscheidung zwischen Eingriff und Ausgestaltung akzeptieren wollen. 421

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abwehrrechtliche Dimension des Art. 9 Abs. 3 GG dar.423 Anderenfalls läge eine unter dem Deckmantel der Ausgestaltung erfolgte Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten vor.424 Die grundlegende Begrenzung der Arbeitskampffreiheit auf tariflich regelbare Ziele ist danach als staatlicher Eingriff in die abwehrrechtliche Dimension der kollektiven Koalitionsfreiheit zu werten und bedarf der Rechtfertigung.425 Dies erkennt nunmehr auch das BAG, obwohl es zunächst von Ausgestaltung spricht, soweit es ausführt: „Zunächst haben die Gerichte zu berücksichtigen, dass jegliche Reglementierung zugleich eine Beschränkung der durch Art. 9 III GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit darstellt, die der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf.“426

Entsprechend der vorbehaltlosen Gewährung der Koalitionsfreiheit kann auch die Arbeitskampffreiheit nur durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkt werden.427 Als Schranke kommt dabei zunächst die Koalitionsfreiheit des Gegners in Betracht, der ebenso unter Art. 9 Abs. 3 GG fällt. Der Ausgleich antagonistischer Grundrechtsausübung kann die Beschränkung der Betätigung des einen zugunsten derjenigen des anderen notwendig machen.428 Ferner können kollidierende Grundrechte Dritter sowie des Gegners als Schranke fungieren. Hierbei wäre insbesondere an die individuelle Arbeitsvertragsfreiheit der Nichtorganisierten (Außenseiter), die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützt wird, sowie das Vertragserfüllungsinteresse des Arbeitgebers ebenfalls aus Art. 12 Abs. 1 GG zu denken.429 Zuletzt kommen weitere Güter von Verfassungsrang in Betracht. Insoweit könnten etwa das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG430, die Staatszielbestimmung der Verpflichtung zur Erhaltung gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aus Art. 109 Abs. 2 GG431 sowie 423 So bereits: Säcker, JbArbR 1974, S. 17, 43 f., der im Hinblick auf die Einführung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen in der Entscheidung des Großen Senats einen rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriff sieht; i. E. auch: Höfling, FS Friauf, S. 377, 388; ebenso: Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 65. 424 Siehe oben § 7 C. II. 1. b) aa) zu Ausgestaltung und Eingriff. 425 So auch: BeckOKGG/Cornils, Art. 9 GG Rn. 70; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 114 f.; H. Klein, Koalitionsfreiheit im pluralistischen Sozialstaat, 87 ff.; ähnlich auch: Säcker, JbArbR 1974, S. 17, 44; a. A. Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2063 m. w. N. 426 BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 38. 427 Siehe oben § 7 C. II. 1. a). 428 Höfling, FS Friauf, S. 377, 388. 429 BeckOKGG/Cornils, Art. 9 GG Rn. 89 f. 430 Neumann, DVBl 112 (1997), 92, 98 f.; nur in Ausnahmefällen eingriffslegitimierende Wirkung: Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 272; A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 307; kritisch auch: Gooren, Der Tarifbezug des Arbeitskampfes, 140. 431 Butzer, RdA 47 (1994), 375, 381; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 53 f.; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 420; ablehnend: Burkiczak,

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die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 12 GG als Schranke432 in Frage kommen. Darüber hinaus müsste der Tarifbezug des Arbeitskampfes als Eingriff verhältnismäßig433 sein, d. h. ein legitimes Ziel verfolgen und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen, im Sinne einer Schranken-Schranke sein.434 Gooren geht dabei in seiner Angemessenheitsprüfung davon aus, dass jedenfalls die Förderung der wesentlichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen möglich bleibe, da diese zulässige Inhalte des Tarifvertrags darstellten.435 Dieser Prämisse kann im vorliegenden Kontext, trotz ihrer grundsätzlichen Richtigkeit, nicht gefolgt werden. Solange es schutzbedürftige und schutzwürdige Gestaltungen gibt, die Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen, ohne dass diese einfachrechtlich in den arbeitsrechtlichen Anwendungsbereich einbezogen sind, liegen gerade nicht alle wesentlichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Regelungsbereich des § 1 TVG. Überhaupt ist die Koalitionsfreiheit mehr als nur Tarifautonomie, eine Beschränkung des Arbeitskampfs auf diese wird der umfassenden Koalitionsbetätigungsfreiheit in keiner Weise gerecht. Der Abschluss schuldrechtlicher Kollektivverträge ergibt nur dann Sinn, wenn ein adäquates Mittel zur Druckerzeugung besteht.436 Ein solches liegt im individualvertragsrechtlichen Instrumentarium gerade nicht.437 Die kollektive Drohung etwa mit Massenänderungskündigungen438 erzeugt aufgrund der bloß punktuellen Bindungen bei Crowdwork keinen Druck auf die Auftraggeberseite. Der Koalitionsstatus wäre ein stumpfes Schwert, wenn mit ihm keine verfassungsGrundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 273 ff.; A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 307. 432 Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 262 ff. m. w. N. überwiegend ablehnend. 433 Grundlegend: Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 19 ff. 434 Zum Begriff der Schranken-Schranke: Stern, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 84 S. 711 ff.; zum Übermaßverbot allgemein: Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 182 ff.; vgl. ausführliche Rechtfertigungsprüfung bei: Gooren, Der Tarifbezug des Arbeitskampfes, 133 ff., der zu dem Ergebnis kommt, dass der Tarifbezug gerechtfertigt, gleichwohl aufgrund des Arbeitsvölkerrechts, insbesondere der Rechtsprechung des EGMR und Art. 6 Nr. 4 ESC nicht haltbar ist; siehe auch: Blume, Strafbefreiende Wirkung der „neuen“ Arbeitskampffreiheit?, 54 ff., die das Erfordernis des Tarifbezugs als Ausgestaltung qualifiziert und diese einer abgeschwächten Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzieht, wobei sie den Tarifbezug i. E. auch mit Blick auf das Arbeitsvölkerrecht für zulässig hält. 435 Gooren, Der Tarifbezug des Arbeitskampfes, 149; ähnlich: Schansker, Die Beschränkung des Streikrechts auf tariflich regelbare Ziele, 125. 436 Vgl. Schansker, Die Beschränkung des Streikrechts auf tariflich regelbare Ziele, 125. 437 Anders wohl: Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 299 ff.; zu einem „subjektiv-privaten Streik- und Aussperrungsrecht“: Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 47 ff., 227 ff.; zum Arbeitskampf als wettbewerbliche, vertragsrechtliche Auseinandersetzung: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 394 ff.; wie hier: Schlachter, GS Zachert, S. 634, 643 f. 438 Dazu bereits: Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 389 ff. m. w. N.

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rechtlichen Arbeitskampfbefugnisse verbunden wären.439 Koalitionskampf und -einigung beruhen gerade auf dem Einsatz von Druck und Gegendruck.440 Während neben der Tarifvertragsfreiheit eine sinnvolle koalitionsmäßige Betätigung in schuldrechtlichen Vereinbarungen verbleibt, gibt es keine auch nur ähnlich effektive Alternative zum Arbeitskampf. „Kollektives Betteln“441 wird der besonderen Stellung der Koalitionen in Art. 9 Abs. 3 GG auch jenseits der Tarifautonomie nicht gerecht.442 Dementsprechend wird die Erstreikbarkeit des obligatorischen Teils von Tarifverträgen bzw. schuldrechtlicher Einigungen der Tarifparteien überwiegend für möglich gehalten443 und verschiedentlich sogar auf sonstige Kollektivverträge erstreckt.444 Somit werden Koalitionen soloselbstständiger Crowdworker im Grundsatz verfassungsrechtliche Arbeitskampfbefugnisse garantiert. Dies wird durch die Erwägung untermauert, dass die Rechtsprechung Arbeitskampfmaßnahmen nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit bewertet. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung in ihrer klassischen Funktion im Staat-Bürger-Verhältnis als SchrankenSchranke445 hinsichtlich der tatbestandlichen Begrenzung der Arbeitskampffreiheit kommt den schützenswerten Grundrechtspositionen des Gegners sowie Dritter insoweit abgeschwächte Bedeutung zu, als dass ihnen im Bürger-Bürger Verhältnis erneut Geltung verschafft wird446, dann auch zulasten der Kampffreiheit der Ge439

Schlachter, GS Zachert, S. 634, 642. Vgl. nur: BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 138. 441 BAG, Urt. v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64, unter A. I. 2. a). 442 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 5; Höpfner, RdA 73 (2020), 129, 140 f.; vgl. in anderem Kontext: BAG, Urt. v. 21.5.2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220, Rn. 31, das auf die grundsätzliche Betätigungsmöglichkeit abseits des TVG hinweist. 443 BAG, Urt. v. 12.9.1984 – 1 AZR 342/83, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 81, unter B. III. 2. b); ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 114; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 10; Gamillscheg, KollArbR I, 1070; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 488 ff.; Brox/Rüthers/Rüthers, § 8 Rn. 261; Kempen/Zachert/Zeibig/ A. Stein, § 1 TVG Rn. 997; differenzierend: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 5 Rn. 19 ff.; Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 126; Karsten, Schuldrechtliche Tarifverträge und außertarifliche SozialpartnerVereinbarungen, 315; Franzen, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Ausweitung der Tarifmacht – Zugriff auf Unternehmensautonomie und Marktverhalten, S. 119, 129 ff.; a. A. Mayer-Maly, BB 20 (1965), 829, 833. 444 Kempen/Zachert/Zeibig/A. Stein, § 1 TVG Rn. 998; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 20; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 114; Höpfner, RdA 73 (2020), 129, 140 f.; für schuldrechtliche Investorenvereinbarungen iRv Art. 9 Abs. 3 GG: Bock, Investorenvereinbarungen zur Sicherung von Arbeitnehmerinteressen, 279 f. 445 Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 134 ff., demzufolge die Grundsätze des Übermaßverbots im Bereich der „Mißbrauchsabwehr“ ihre stärkste Aktivität entfalten. 446 BeckOKGG/Cornils, Art. 9 GG Rn. 81 spricht insoweit sogar von unmittelbarer Drittwirkung des Art. 9 Abs. 3 GG hinsichtlich des Schutzes vor unverhältnismäßigen Kampfmaßnahmen der Gegenseite; allgemein zur Verhältnismäßigkeit im Privatrecht: Medicus, AcP 192 (1992), 35 ff.; speziell zur Anwendung im Arbeitskampfrecht: Deinert/Kittner, FS 440

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

genseite.447 Sie streiten jedenfalls nicht entscheidend für einen Tarifbezug schon im Arbeitskampfbegriff. cc) Einfluss des internationalen Rechts auf den Arbeitskampfbegriff Dies gilt umso mehr, weil der enge Arbeitskampfbegriff jedenfalls vor dem Hintergrund völkerrechtsfreundlicher Auslegung nicht haltbar ist. Da er wie gezeigt grundrechtlich nicht zwingend, bzw. ein nicht zu rechtfertigender Eingriff ist, bestehen keine Bedenken gegen eine entsprechende Auslegung im Einklang mit Art. 11 EMRK bzw. Art. 6 Nr. 4 ESC, sowie der Rechtsprechung des EGMR und dem Recht der Europäischen Union.448 Nach Art. 6 Nr. 4 ESC anerkennen die Vertragsstaaten das „Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen“, „um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten.“ Hieraus wird entgegen früherer Deutungen449 ein umfassenderes Streikrecht, über das Ziel des Abschlusses von Tarifverträgen hinaus, abgeleitet.450 Das Ministerkomitee des Europarats hat, ganz auf dieser Linie, am 3.2.1998 eine Empfehlung an die BRD gerichtet451, im Hinblick auf Art. 6 Nr. 4 ESC ihr enges Streikverständnis aufzugeben. Auch der Streik um nicht tarifbezogene Ziele bzw. der nicht gewerkschaftlich geführte Streik, soll danach rechtmäßig sein, solange es um kollektive Interessenkonflikte im Bereich der Arbeitsbedingungen gehe. Dabei wird deutlich, dass trotz des engen Wortlauts (Arbeitnehmer) keine Begrenzung auf Beschäftigte in persönlicher Abhängigkeit besteht.452 Wenig später hat das BAG Bedenken geäußert, dass „die generalisierende Aussage, Arbeitskämpfe seien stets Lörcher, S. 283, 284 ff.; zur Differenzierung von öffentlichrechtlichem und privatrechlichem Übermaßverbot: Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 148 ff. 447 Vgl. BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 44, „Unverhältnismäßig ist ein Arbeitskampfmittel daher erst, wenn es sich auch unter Berücksichtigung dieses Zusammenhangs als unangemessene Beeinträchtigung gegenläufiger, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen darstellt.“; vgl. aber: Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 625 f., dessen Ausführungen sich jedoch auf die Spiegelbildlichkeit von Abwehr- und Schutzdimension im Staat-Bürger Verhältnis beziehen. 448 Siehe oben § 7 A. V. zur Auswirkung auf die Frage der Grundrechtsträgerschaft, sowie allgemein: Dieterich, FS Jaeger, S. 95, 105 ff. 449 Brox/Rüthers/Rüthers, § 7 Rn. 124, der aus dem Wortlaut „Recht auf Kollektivverhandlungen“ den Bezug zu tariffähigen Koalitionen herstellt; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 195, der aus der gesamtarbeitsvertraglichen Beschränkungsmöglichkeit den Bezug zum Tarifvertrag ableitet. 450 Lörcher, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 10 Rn. 87 Fn. 404 m. v. w. N.; siehe auch: Schlachter, in: Schlachter/Heuschmid/Ulber (Hrsg.), Arbeitsvölkerrecht, § 6 Rn. 594; so bereits: Ramm, AuR 15 (1967), 97, 108 ff.; Ramm, AuR 19 (1971), 65, 72 ff. 451 Abgedruckt in AuR 46 (1998), 154 ff. 452 Siehe oben § 7 A. V. zur Berücksichtigung iRd völkerrechtsfreundlichen Auslegung.

§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen

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nur zur Durchsetzung tarifvertraglich regelbarer Ziele zulässig, im Hinblick auf Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC einer erneuten Überprüfung bedürfe.“453 In einem aktuellen Gesetzentwurf zur Ratifizierung der Revidierten ESC sieht die Bundesregierung mit Blick auf Art. 6 Nr. 4 eine Auslegungserklärung vor, die eine Beschränkung von Streiks auf tariflich regelbare Ziele ausdrücklich vorsieht.454 Des Weiteren hat der EGMR in den Entscheidungen Demir und Baykara455 sowie Enerji Yapi-Yol Sen456 gegenüber der Türkei die Nichtigkeitserklärung von Tarifverträgen bzw. Streikverbote gegenüber Beamten zum Anlass genommen, um Art. 11 EMRK Konturen zu verleihen. So erkannte er das Recht auf Kollektivverhandlungen entgegen früherer Rechtsprechung als wesentliches Element von Art. 11 EMRK an.457 Hinsichtlich der Umsetzung dieser Rechtsprechung stehe den Vertragsstaaten zwar die Wahl der Mittel frei, der Gerichtshof akzeptiere jedoch keine wesentlichen Einschränkungen der Koalitionsfreiheit, die diese aushöhlen würden.458 Grundsätzlich werde ferner das koalitionsmäßige Streikrecht anerkannt, das zum Schutz der Mitgliederinteressen von erheblicher Bedeutung sei.459 Das Streikrecht werde von den Kontrollorganen der ILO als untrennbarer Teil des ILO-Übereinkommens Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz der Vereinigungsrechte gewertet, ebenso erkenne die Europäische Sozialcharta das Streikrecht als Mittel zur Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen an.460 Demgegenüber hat der Gerichtshof in einer neueren Entscheidung das Verbot von Unterstützungsstreiks als über Art. 11 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt angesehen.461 Dies folge daraus, dass es sich beim Unterstützungsstreik nicht um ein Kernanliegen des Art. 11 EMRK handele, sondern dieser eher dessen Randbereich betreffe, weshalb dem Staat ein größerer Gestaltungsspielraum als im zentralen Gewähr-

453

BAG, Urt. v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734, unter B. I. 3. a). Vgl. BR-Drs. 261/20 55, hierbei dürfte es mutmaßlich um eine Auflösung der aufgezeigten Widersprüche gehen; kritisch dazu: Lörcher, AuR 68 (2020), 303, 309 f. 455 EGMR, Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97 (Demir und Baykara/Türkei), ECLI:CE:ECHR:2008:1112JUD003450397. 456 EGMR, Urt. v. 21.4.2009 – 68959/01 (Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei), ECLI:CE:ECHR:2009:0421JUD006895901. 457 EGMR, Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97 (Demir und Baykara/Türkei), ECLI:CE:ECHR:2008:1112JUD003450397, Rn. 154. 458 EGMR, Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97 (Demir und Baykara/Türkei), ECLI:CE:ECHR:2008:1112JUD003450397, Rn. 144. 459 EGMR, Urt. v. 21.4.2009 – 68959/01 (Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei), ECLI:CE:ECHR:2009:0421JUD006895901, Rn. 27. 460 EGMR, Urt. v. 21.4.2009 – 68959/01 (Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei), ECLI:CE:ECHR:2009:0421JUD006895901, Rn. 27; kritisch zu dieser Argumentation: Schorkopf, GS Heun, S. 89, 99 ff.; gegen eine Tarifakzessorietät mit Blick auf die ILO-Übereinkommen: R. Zimmer 10 (2020), 85, 94. 461 EGMR, Urt. v. 8.4.2014 – 31045/10 (RMT/Vereinigtes Königreich), ECLI:CE:ECHR:2014:0408JUD003104510, Rn. 104. 454

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

leistungsbereich verbleibe.462 Hierin lässt sich zwar keine Abkehr von der früheren Linie erkennen, gleichwohl zeigt sich, dass auch der EGMR nicht von einem unbegrenzten Streikrecht ausgeht. Letztlich erkennt er das Streikrecht als Ausfluss des Art. 11 EMRK als zentrales Menschenrecht an, das für die koalierten Mitglieder von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Insoweit scheinen die genannten internationalen Verträge sowie die Spruchpraxis ebenfalls gegen eine Verengung des Arbeitskampfs auf tariflich regelbare Ziele zu sprechen.463 Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass das BVerfG unter Berücksichtigung der Spruchpraxis des EGMR das Streikverbot für Beamte als vereinbar mit Art. 11 EMRK bzw. jedenfalls nach Art. 11 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt ansieht.464 Die besondere Bedeutung des Art. 33 Abs. 5 GG und des deutschen Systems des Berufsbeamtentums465 ist mit dem streikrechtlichen Tarifbezug nicht vergleichbar. Auch der EuGH hat, trotz der begrenzten Kompetenzen der EU im Bereich des Arbeitskampfes nach Art. 153 Abs. 5 AEUV466, durch die horizontale Aktivierung der Grundfreiheiten zwischen Unternehmen und Gewerkschaften467 im grenzüberschreitenden Bereich in den Entscheidungen Viking468 und Laval469 erste Impulse für eine Beeinflussung des nationalen Arbeitskampfrechts unter Bezugnahme auf Art. 28 GRCh (2007 noch unter Bezugnahme auf das Recht auf kollektive Maßnahmen als allgemeiner Grundsatz nach Art. 6 Abs. 3 EUV) gesetzt.470 Art. 28 GRCh verweist seinerseits wie erläutert471 auf die nationalen Gepflogenheiten, weshalb er für die Frage der Reichweite des Art. 9 Abs. 3 GG keine entscheidende Rolle spielt.472 Selbst wenn man annähme, dass Art. 28 GRCh einen eigenständigen Schutzbereich hat473, wäre dieser, inhaltlich vergleichbar mit Art. 11 EMRK (siehe

462

EGMR, Urt. v. 8.4.2014 – 31045/10 (RMT/Vereinigtes Königreich), ECLI:CE:ECHR:2014:0408JUD003104510, Rn. 87 f. 463 Zum Einfluss des Arbeitsvölkerrechts sowie des Europäischen Arbeitsrechts ausführlich: Gooren, Der Tarifbezug des Arbeitskampfes, 154 ff.; Lange-Korf, Unions- und völkerrechtliche Einflüsse auf das Streikrecht in Deutschland, 117 ff.; Green, Arbeitskämpfe zulasten der Allgemeinheit, 349 ff.; zum Einfluss des Mehrebenensystems auf die negative Tarifvertragsfreiheit: Heuschmid, KJ 47 (2014), 384, 386 ff. 464 BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 176. 465 BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 179 ff. 466 Siehe oben § 7 A. V., sowie: Callies/Ruffert/Krebber, Art. 153 AEUV Rn. 10 ff.; Krebber, EuZA 9 (2016), 3 ff.; Waltermann, EuZA 8 (2015), 15, 18. 467 Siehe unten § 10 ausführlich zum Einfluss der Grundfreiheiten. 468 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 33 ff. 469 EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05 (Laval), ECLI:EU:C:2007:809, Rn. 89 ff. 470 Vgl. Dieterich, FS Jaeger, S. 95, 110 f. 471 Siehe oben § 7 A. V. 472 Dazu insgesamt: Gooren, Der Tarifbezug des Arbeitskampfes, 259 ff. m. v. w. N. 473 EuArbR/C. Schubert, Art. 28 GRC Rn. 22 f. m. w. N.

§ 7 Verfassungsrechtlicher Rahmen

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Art. 52 Abs. 3 GRCh), weit zu verstehen474, sodass für die hier entscheidende Frage des Tarifbezugs nur eine Stützung des gewonnen Ergebnisses erreicht würde. Nach alledem lässt sich festhalten, dass der Eingriff gerichtet auf den Tarifbezug nicht gerechtfertigt ist. dd) Gewährleistungsgehalt im Crowdwork-Kontext Letztlich lässt sich das richterrechtlich ausgeformte Arbeitskampfrecht nur partiell auf die Rechtsbeziehungen im Crowdwork-Kontext übertragen, weshalb sich der verfassungsrechtliche Gewährleistungsgehalt von dem, was gegenüber klassischen Arbeitnehmer-Gewerkschaften gewährleistet wird, unterscheiden kann. So bedarf es keiner weitergehenden Erläuterung, dass Crowdworker als Werkvertragsnehmer den Abschluss neuer Verträge jederzeit ablehnen können, hierin läge kein „Streik“. Gleichwohl käme in diesem Zusammenhang z. B. ein Boykott als Kampfmaßnahme in Betracht.475 Daraus folgt indes nicht, dass Soloselbstständige von vornherein nur abgestuft am Gewährleistungsgehalt der Koalitionsfreiheit teilnehmen.476 Ihre Schutzwürdigkeit wurde dargelegt, sodass sie, abgesehen von auf tatsächlichen Unterschieden beruhenden Abweichungen oder zulässigen rechtlichen Unterscheidungen (Tarifautonomie in Gestalt des TVG), in vollem Umfang an der von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Arbeitskampffreiheit teilnehmen.477 Im Anschluss an die Feststellung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Arbeitskampfbefugnissen einschließlich der freien Kampfmittelwahl sind Inhalt und Kontrollmaßstab festzulegen. Ob Crowdworker, soweit es um längere Bindungen geht, laufende Vertragsbeziehungen unterbrechen können, um auf den Abschluss schuldrechtlicher Kollektivvereinbarungen mit Druckerzeugung hinzuwirken, ohne dass darin ein Vertragsbruch läge, mit anderen Worten ob ihren Arbeitskampfmaßnahmen Suspensivwirkung zukommt, hängt wie im überkommenen Arbeitskampfrecht von der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Kampfmaßnahme ab. Den Kontrollmaßstab, anhand dessen dieses Rechtmäßigkeitsurteil gefällt wird, gibt Art. 9 Abs. 3 GG indes nicht konkret vor.

474 Ebenso: Sagan, Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen – Eine dogmatische Analyse des Art. 28 der Europäischen Grundrechtecharta, 71, der auf Art. 6 Nr. 4 ESC verweist; Patett, Das Verhältnis des Arbeitskampfrechts Zu Art. 12 GG und den europäischen Grundfreiheiten, 192 ff.; EuArbR/C. Schubert, Art. 28 GRC Rn. 43 f.; zurückhaltender: Rebhahn, GS Heinze, S. 649, 654. 475 Siehe unten § 8 B. IV. 2. d) näher zum Boykott sowie zu weiteren konkreten Arbeitskampfmitteln. 476 So wohl: Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 302 f. 477 In diese Richtung auch: Schlachter, GS Zachert, S. 634, 644.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

d) Kontrollmaßstab Die Ziele und Grenzen der grundrechtlichen Arbeitskampfbefugnis ergeben sich nur ganz allgemein aus der Verfassung selbst. Verfassungsrechtliche Grenzen stellen einerseits das Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen als Gegenstand etwaiger Vereinbarungen und Maßnahmen, sowie andererseits die Zielrichtung der Ausübung von Druck auf die Gegenseite zwecks Abschluss einer Kollektivvereinbarung dar. Hinzu kommt, dass es sich um kollektive Maßnahmen handeln muss, auch wenn das Individuum ebenso wie die Koalition selbst Träger der Koalitionsfreiheit ist, ist der Arbeitskampf historisch und begrifflich notwendigerweise gerade auf gemeinsames Tätigwerden der Beschäftigten angelegt.478 Der Arbeitskampf muss auf Seiten der Beschäftigten also von einer Koalition getragen werden, umgekehrt muss der kampffähige einzelne Arbeitgeber Maßnahmen gegen eine Mehrzahl von Personen bzw. einen Verband richten.479 Gerade weil Arbeitskämpfe neben der Gegenseite auch Dritte sowie die Allgemeinheit beeinträchtigen, ist eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen erforderlich. Obwohl die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung insgesamt als Eingriff qualifiziert wurde, bestehen bezüglich der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes480 einschließlich des ultima-ratio Prinzips sowie der Anwendung des Paritätsgedankens481 zur Ermittlung der Rechtmäßigkeit einer Arbeitskampfmaßnahme weniger Bedenken hinsichtlich der Rechtfertigung als beim Erfordernis des Tarifbezugs. Anders als dieser stellt die Anwendung der sonstigen Grundsätze keine a priori Verengung des Schutzbereichs dar, sondern erlaubt eine differenzierte Abwägung der verschiedenen grundrechtlich geschützten Rechtspositionen, die dann in ihrem Ergebnis einzelnen Maßnahmen den Schutz rechtmäßiger Arbeitskampfmaßnahmen versagt.

III. Zwischenergebnis Folglich partizipieren Soloselbstständigen-Koalitionen grundsätzlich in großem Umfang am Gewährleistungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG. Zwar kommt ihnen keine Normsetzungsbefugnis i. S. d. TVG zu, sie nehmen aber an der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Arbeitskampffreiheit, gerichtet auf den Abschluss schuldrechtlicher Kollektivvereinbarungen, teil. Darüber hinaus kommen ihnen die sonstigen Betätigungsrechte der Koalitionen zu. 478 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 8 Rn. 2; Sachs GG/ Höfling, Art. 9 GG Rn. 112; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 1 ff.; A. Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 253; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 1 Rn. 5. 479 Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 1 Rn. 5. 480 A. A. Hensche/Wolter, GS Zachert, S. 544, 553 ff., die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit dem Streik als Freiheitsrecht für unvereinbar halten. 481 Ausdrücklich für vereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG erklärt: BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 3. b) aa).

§ 8 Kollektivmaßnahmen abseits klassischer Tarifverträge

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§ 8 Kollektivmaßnahmen abseits klassischer Tarifverträge Kollektive Interessenvertretung im Rahmen der Koalitionsfreiheit setzt voraus, dass sich Koalitionen bilden bzw. bestehende Koalitionen Crowdworker in ihre Reihen aufnehmen. Deshalb werden zunächst mögliche Akteure der Interessenvertretung im Crowdwork-Kontext ermittelt. Anschließend sollen die konkreten Handlungsmöglichkeiten dieser Akteure untersucht werden.

A. Mögliche Akteure im Kontext von Crowdwork Neben klassischer Interessenvertretung durch die Gewerkschaften treten in der digitalisierten Arbeitswelt neue Vertretungsmechanismen durch unterschiedliche Akteure482 zutage, die im Folgenden näher beleuchtet werden sollen. Diese Akteure teilen als notwendige Vorbedingung ihres Tätigwerdens das Erfordernis effektiver digitaler Mobilisierung. Trotz aller Potentiale, die die Digitalisierung mit sich bringt, bedarf es aus Sicht der Koalitionen zur gezielten Interessenkollektivierung wirksamer Instrumente der Mobilisierung abseits der klassischen Werbung im physischen Betrieb. Deshalb sollen im Anschluss „vor der Klammer“ Herausforderungen und Möglichkeiten der Mobilisierung in der digitalen Arbeitswelt beleuchtet werden. Im Folgenden wird demgemäß anhand eines Beispiels der Interessenvertretung mithilfe einer Internet-Plattform untersucht, welchen Schwierigkeiten die Kollektivierung von Beschäftigten zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen in der digitalen Arbeitswelt ausgesetzt ist, insbesondere im Hinblick auf die Solidarisierung anonymer, unsichtbarer Crowdworker (I. 1. – 4.). Anschließend wird, von den Gewerkschaften als klassischen Institutionen der Arbeitnehmervertretung ausgehend, hin zu neuartigen Kollektiven, die personale Dimension kollektiver Interessenvertretung bei Crowdwork beleuchtet (II.-V.). I. Voraussetzung: Mobilisierung in der digitalen Arbeitswelt Interessenkollektivierung und -vertretung bedürfen in der Regel der Mitwirkung derjenigen, deren Interessen vertreten werden sollen und beruhen damit vor allem auf der ortsbezogenen Vertretung.483 Wie gezeigt fällt dieser physische Bezug in der 482

Zu Akteuren in der Plattformökonomie ausführlich: Greef/Schroeder, Plattformökonomie und Crowdworking: Eine Analyse der Strategien und Positionen zentraler Akteure, 19 ff.; Hensel, in: Hensel/Schönefeld/Kocher u. a. (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit, S. 215, 242 ff.; zu neuen Vertretungsstrukturen für hochqualifizierte Soloselbstständige durch Agenturen und Genossenschaften: Apitzsch/Ruiner/Wilkesmann, IndBez 23 (2016), 447, 490 ff. 483 Vgl. Kittner/Schiek, in: E. Stein/Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 126, Grundlage der gewerkschaftlichen Tätigkeit sei die Interessenvertretung ihrer Mitglieder in den täglichen Konflikten „vor Ort“; „Entbetrieblichung“: Schwemmle/Wedde, Alles unter Kontrolle? Ar-

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

digitalen Arbeitswelt insbesondere bei Crowdwork i. e. S. weg.484 An seine Stelle tritt die digitale, virtuelle Plattform als Intermediär, auf der fluide485, anonyme „Arbeitsbeziehungen“ oft nur für die Erledigung einzelner Mikroaufgaben zusammenlaufen. Auf diesen Ländergrenzen überspannenden Netzwerken konkurrieren Crowdworker um eine äußerst heterogene Bandbreite von Arbeitsaufgaben.486 Diese wenigen Stichworte bereiten gleichzeitig den Boden für eine Betrachtung der Probleme der Mobilisierung in der digitalen Arbeitswelt und bieten Raum für Effektivierungspotentiale. Trotz der aufgezeigten historischen Parallelen487 zeigen sich bisher keine, einer „Arbeiterbewegung“ vergleichbaren Zusammenschlüsse von Crowdworkern, die gemeinsam bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen versuchen. Das ließe sich mit dem fehlenden Bedürfnis einer solchen Interessenvertretung begründen. Dagegen spricht jedoch ganz entscheidend, dass sich im CrowdworkKontext vielgestaltige Kollektivierungstendenzen zeigen, die gleichwohl weniger in klassischen, festen Strukturen, als in digitalen Netzwerken zutage treten.488 1. Beispiel: „Dynamo“ Verdeutlicht werden sollen Chancen und Probleme der digitalen, kollektiven Interessenvertretung am Beispiel der Internet-Plattform „Dynamo“, die amerikanische Wissenschaftler als Kommunikationsplattform für AMT-Crowdworker ins Leben riefen, um außerhalb klassischer Gewerkschaftsstrukturen Kollektivmaßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu ergreifen.489 Ein Blick auf die Homepage490 verrät, dass die letzten Aktivitäten auf der Plattform in das Jahr 2015 fallen, mit ihr also kein durchschlagender Erfolg erreicht wurde. Auch wenn dergleichen von einem wissenschaftlichen Modell-Projekt grundsätzlich nicht zu erwarten ist, wäre eine Verselbstständigung zumindest denkbar gewesen. Insoweit fragt sich, warum eine solche Verselbstständigung nicht stattgefunden hat und welche allgemeinen Erkenntnisse zu den Schwierigkeiten digitaler Interessenvertretung, insbesondere hinsichtlich der Mobilisierung, hieraus gezogen werden können. Nach entsprechenden sozialwissenschaftlichen Vorbefragungen richteten die Wissenschaftler die Plattform an den Bedürfnissen der „Turker“ aus, wobei eine beitspolitik und Arbeitsrecht in digitalen Zeiten, 26; Haipeter/Hoose, Interessenvertretung bei Crowd- und Gigwork, 4. 484 Siehe oben § 3 B. II. 2. a) sowie: Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 128 ff. 485 Dazu: Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 153, 169. 486 Siehe oben § 2 A. III. 3. 487 Siehe oben § 7 A. III. und IV. 2. 488 Dazu sogleich. 489 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621 ff. 490 Http://www.wearedynamo.org/, abrufbar bis 12.7.2019; die Seite ist mit Stand 10.7.2020 abgeschaltet.

§ 8 Kollektivmaßnahmen abseits klassischer Tarifverträge

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Anknüpfung an bestehende Kollektive wie Internetforen angestrebt wurde.491 Im Unterschied zu diesen sollte jedoch kein bloßer Raum für Diskurs, sondern vielmehr die Voraussetzungen zum gemeinsamen Tätigwerden, geschaffen werden.492 Ziel war es „unities without unions“ zu kreieren und dabei im Wesentlichen drei Anforderungen bzw. Zielen zu genügen: Vertrauen und Privatsphäre, Versammlung einer Öffentlichkeit und Mobilisierung.493 Die Notwendigkeit der Überbrückung des Vertrauensdefizits im Bereich der Online-Kommunikation zeigte sich auch hier494 und wurde durch Schaffung von Transparenz, Anonymität sowie durch die Sicherstellung erreicht, dass tatsächlich nur Crowdworker, die 100 HITs auf AMTabsolviert hatten, einen singulären Registrationscode für die Dynamo-Plattform erhielten.495 Gegenstand von Dynamo waren dabei vor allem Ideen-Eingaben, die registrierte Nutzer mit bis zu 140 Zeichen beschreiben und veröffentlichen konnten. Diese wurden dann durch andere Nutzer hoch- bzw. heruntergewertet. Ab 25 „Upvotes“ (und weniger „Downvotes“ als „Upvotes“) wurde eine Idee zur Kampagne und damit zur Diskussion in einem eigens eingerichteten „Thread“ gestellt.496 Ziel dieser Strategie war die Schaffung von Sichtbarkeit einzelner Ideen und die Anziehung kleiner motivierter Gruppen, um diese umzusetzen.497 Bei der praktischen Realisierung zeigten sich jedoch zwei wesentliche hemmende Faktoren, die der erfolgreichen Umsetzung von Ideen bzw. Kampagnen entgegenstanden. Diese nennen die Autoren „stalling“ und „friction“, wobei „stalling“ das Wegbrechen des Interesses an der Durchführung eines bestimmten Projekts bezeichnet, wenn dieses an Momentum verliert, und „friction“ die damit verbundenen Spannungen und negativen Emotionen, die sich in kritischen Nutzerbeiträgen und Konflikten entladen.498 Insgesamt bestehe ein beträchtlicher Unterschied zwischen rein diskursiven Gemeinschaften und solchen mit der Absicht, auch gemeinsam zu handeln („tactical publics“). Letztere erfordern erheblichen Arbeitsaufwand zur Strukturierung und Organisation, der aus der Gruppe heraus nicht ohne besonderes Engagement Einzelner geleistet

491 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1622 ff. 492 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1623. 493 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1624. 494 Siehe oben § 2 A. III. 3.; § 3 B. II. 2. a) cc). 495 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1625. 496 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1625. 497 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1625. 498 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1626 f.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

werde.499 Um kollektive Maßnahmen in derartigen Kooperationen voranzutreiben und Friktionen zu überwinden schlagen die Autoren vier Maßnahmen („labor of action“) mit der gemeinsamen Vorbedingung gewonnenen Vertrauens vor: Debatten mit Ablauffristen versehen; Maßnahmen proaktiv ergreifen, aber dabei Raum für Korrekturen lassen; Hoffnung schaffen und erreichbare Ziele setzen; auftretende Konflikte reflektieren und konkrete Lösungsvorschläge unterbreiten.500 Die Betrachtung dieser von den Autoren herausgearbeiteten Bedingungen zur erfolgreichen digitalen Mobilisierung lässt einige Schlussfolgerungen hinsichtlich künftiger Maßnahmen zu. 2. Solidarität vs. Konkurrenz Während die Überbrückung des Vertrauensdefizits sowohl den CrowdworkPlattformen als auch ihren Gegenspielern zu gelingen scheint, bereitet die dauerhafte Mobilisierung einer „Crowdworker-Öffentlichkeit“ größere Schwierigkeiten. Insbesondere scheint es an der Bereitschaft altruistischen, arbeitsintensiven Engagements, dessen Erfolg nicht absehbar ist, zu fehlen. Einer der maßgeblichen Gründe dafür könnte im Fehlen von Solidarität liegen, die als Prinzip insbesondere im kollektiven Arbeitsrecht in Gestalt des Art. 9 Abs. 3 GG besondere Bedeutung und Ausprägung erfährt.501 Ursprünglich in Verwandtschaft zum Begriff der „Fraternité“ der Französischen Revolution, emanzipierte sich der Begriff der Solidarität und wurde auch zum Kampfbegriff der Arbeiterbewegung.502 Solidarität lässt sich dabei trotz unterschiedlicher Verwendung503 auf einen festen Bedeutungskern reduzieren. Danach ist ein wechselseitiges Einstehen aus spezifischer Verbundenheit im Rahmen einer Personengesamtheit gemeint.504 Diesem liegen wiederum drei Elemente zugrunde. Die Existenz einer Solidargemeinschaft, 499 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1629. 500 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1628. 501 Vgl. Pfarr/Kittner, RdA 27 (1974), 283, 290, „Grundrecht auf Solidarisierung“; mit weiteren praktischen Beispielen: Gamillscheg, FS Fechner, S. 135 ff.; Volkmann, Solidarität – Programm und Prinzip der Verfassung, 237 f., 270, „solidarisches Muttergrundrecht“; ausführlich: H. Seifert, Solidarität im Arbeitsrecht, 78 ff. 502 Pfarr/Kittner, RdA 27 (1974), 283, 287 f.; Brunkhorst, Solidarität, 9 f., 79 ff.; Volkmann, Solidarität – Programm und Prinzip der Verfassung, 137 ff.; näher zu den Ursprüngen: H. Seifert, Solidarität im Arbeitsrecht, 35 ff., 51. 503 Auf den Wortursprung „solide, robust“ abstellend: Brunkhorst, Solidarität, 15; Giesen/ Kersten, Arbeit 4.0, 153 f.; A. Rauscher, in: Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft (Hrsg.), Staatslexikon, S. 1191, 1191 f., der Solidarität als Prinzip der Gesellschaft beschreibt; grundlegend: Volkmann, Solidarität – Programm und Prinzip der Verfassung, 76 ff. 504 H. Seifert, Solidarität im Arbeitsrecht, 52, „tatsächliche Verbundenheit, die zu ethischer Verantwortungsübernahme verpflichtet“; HdbStR IX/Depenheuer, § 194 Rn. 13; hinsichtlich der Verbundenheit ähnlich: Pfarr/Kittner, RdA 27 (1974), 283, 289 f.; siehe auch: F. Stadler, Digitale Solidarität, 33 f.

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das gegenseitige Sicherheitsversprechen der Mitglieder sowie die damit verbundenen Solidarpflichten des Einzelnen.505 Nun lassen sich die im Kontext der Plattform Dynamo ausgemachten Probleme als Schwierigkeiten der Erreichung derart verstandener Solidarität lesen. Erst diese bildet die Grundlage wechselseitigen Beistands, der für eine planmäßige und dauerhafte Mobilisierung und die Bereitschaft zu überindividuellem Engagement konstitutiv ist. Wo schon keine Solidargemeinschaft besteht, wird die Mobilisierung zu solidarischem Handeln zur Quadratur des Kreises. Erforderlich für das Entstehen entsprechender Gemeinschaften ist die spezifische Verbundenheit einer Personenmehrheit, die sich insbesondere aus deren relativer Homogenität ergeben kann.506 Während umfängliche Homogenität allein aufgrund der Bandbreite von Crowdwork, den damit verbundenen Erwerbsinteressen und einer Vielzahl an Plattformen nicht bestehen kann, lässt sich eine situative Gleichheit von Crowdworkern gegenüber bestimmten Crowdsourcern oder Plattformen durchaus feststellen, sodass das Bestehen bzw. Entstehen einer relativ homogenen Gemeinschaft nicht ausgeschlossen erscheint.507 Schmidt weist zutreffend darauf hin, dass Crowdworker ihre Marktposition eher durch gegenseitige Konkurrenz schwächen als geschlossen und damit gestärkt Auftraggebern gegenüberzutreten.508 Hier setzt ein von T. Scholz zur Kompensation der negativen Effekte der Sharing-Economy vorgeschlagenes Gegenmodell des „Platform Cooperativism“ an, das (Crowdwork-) Plattformen genossenschaftlich organisieren und so in die Hände der Crowdworker selbst legen will.509 Trotz in der Theorie positiver Effekte auf Konkurrenz und Arbeitsbedingungen der Crowdworker scheint die Vorbedingung der Umkehrung von Eigentumsverhältnissen großer internationaler Plattformen kaum erfüllbar. Zu unterschiedlich muten das eigene Nutzungsverhalten von Crowdwork und die Angst vor Repressionen oder einer Über-Regulierung an, als dass echte „Gemeinschaftlichkeit“ entstehen könnte.510 Bloße Überschneidungen von Interessen schei505 HdbStR IX/Depenheuer, § 194 Rn. 13; zur Einstands- bzw. Beistandspflicht: Volkmann, Solidarität – Programm und Prinzip der Verfassung, 277 ff.; A. Rauscher, in: Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft (Hrsg.), Staatslexikon, S. 1191, 1192; anders: H. Seifert, Solidarität im Arbeitsrecht, 48, wonach Solidarität nicht auf Gemeinschaften beschränkt sei. 506 HdbStR IX/Depenheuer, § 194 Rn. 17; Pfarr/Kittner, RdA 27 (1974), 283, 289. 507 So etwa bei Dynamo für AMT-Crowdworker mit mehr als 100 HITs. 508 Zu verschärfter Konkurrenz bei Crowdwork siehe oben § 7 A. IV. 2. c), sowie: F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 25; Schwemmle/Wedde, Alles unter Kontrolle? Arbeitspolitik und Arbeitsrecht in digitalen Zeiten, 28. 509 T. Scholz, Plattform Cooperativism, 10 ff.; diese Idee aufgreifend: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weissbuch Arbeiten 4.0, 132; siehe auch: Jürgens/Hoffmann/Schildmann, Arbeit transformieren!, 77; Kilhoffer/Lenaerts/Hauben u. a., Study to gather evidence on the working conditions of platform workers, 87 f. 510 Graham/Hjorth/Lehdonvirta, Transfer 23 (2017), 135, 155 „Digital workers have been unable to build any large-scale or effective digital labour movements. This is not only because many of them simply don’t know each other, but also because there is an understanding that if they withdraw their labour, then workers in other parts of the world are able quickly to replace them. Digital work platforms are designed always to remind workers that they are a market – and

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

nen in der digitalen Arbeitswelt jedenfalls nicht auszureichen, um anonyme Individuen zum kollektiven Tätigwerden zu veranlassen. Vielmehr wirken Crowdworker, von der Verfolgung eigener Partikularinteressen getrieben, wenig interessiert an klassischer Interessenvertretung durch planmäßige Organisationen. Die praktischen Lösungsvorschläge der Dynamo-Wissenschaftler zur Überwindung konkreter Friktionen ermöglichen zwar die Lösung einzelner Konflikte auf der Mikro-Ebene, verlangen aber gleichzeitig erheblichen Arbeitsaufwand hinsichtlich Moderation und Organisation, der in ihrem Modell von außen kommt und kommen muss, weil der Anstoß notwendiger Strukturen kaum intrinsisch von Einzelnen leistbar ist. Letztlich verbirgt sich in ihren Empfehlungen trotz des eben getroffenen Befundes ein Hinweis auf bestehende Institutionen und Strukturen, wie klassische Gewerkschaften, da nur diese über ausreichend Mittel zur Organisation, Strukturierung und Moderation entsprechender Plattformen von außen verfügen.511 Trifft es also zu, dass Crowdworker stärker von Individualinteressen geleitet sind, als dies bei Mitgliedern klassischer Assoziationen der Fall ist, weshalb ein Mangel an Solidarität und damit am Willen zum Einsatz für die gemeinschaftlichen Interessen besteht, und ist gleichsam eine bestehende Infrastruktur notwendige Voraussetzung effektiver Kollektivmaßnahmen, so sind zwei entgegengesetzte Lösungsmöglichkeiten denkbar. Einerseits könnten sich klassische Organisationen neuen Formen der Kollektivität öffnen und selbst niedrigschwellig (ähnlich den Plattformen) Zugang anbieten. Sie würden so zu reinen Zweckbündnissen, bestehend aus der Summe der Partikularinteressen. Andererseits könnten sie ihre bestehenden Strukturen stärken und ausbauen und Partizipation durch Schaffung von „incentives“ stärken. Derartige Anreize könnten etwa in umfassenderen Einwirkungsmöglichkeiten der Mitglieder auf die Verbandsaktivitäten liegen.512 Am vielversprechendsten scheint hier ein Mittelweg zwischen Öffnung für neue, schnelllebigere Formen der Kollektivierung unter gleichzeitiger Beibehaltung und Kultivierung der bestehenden Infrastruktur.

one in which workers from all over the world are supposed to compete with one another to offer the most favourable terms possible to clients.“; Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/ Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1624 f.; F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 25; vgl. auch: Schwemmle, AiB-Extra 36 (2015), 35, 36; Schwemmle/Wedde, Alles unter Kontrolle? Arbeitspolitik und Arbeitsrecht in digitalen Zeiten, 26 ff. weisen in diesem Zusammenhang auf die Entbetrieblichung sowie auf den Konkurrenzdruck bei Crowdwork hin. 511 Srnicek/Williams, Die Zukunft erfinden, 272 „Für Gewerkschaften ist es an der Zeit anzuerkennen, wie wichtig die Solidarität dieser unsichtbaren Arbeiterbewegung außerhalb des Arbeitsplatzes ist“. 512 So etwa: Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 181 f.; Waltermann, RdA 72 (2019), 94, 99, für Anreize zum Beitritt durch Gesetzgebung; siehe auch: Franzen, Stärkung der Tarifautonomie durch Anreize zum Verbandsbeitritt, 35 ff.

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3. Solidarität, Transparenz und Öffentlichkeit Den Beschreibungen zur Dynamo-Plattform lässt sich ein weiteres wichtiges Kriterium für Solidarität in der digitalisierten Arbeitswelt entnehmen – die Schaffung von Transparenz. Dabei werden verschiedentlich extrem radikale Ansätze totaler Transparenz vertreten, die eine vergleichende Gerechtigkeit schaffen sollen.513 Doch auch darüber hinaus bietet das Wechselspiel aus Transparenz und digitaler Solidarität Möglichkeiten zur Mobilisierung und Interessenkollektivierung. Vom „arabischen Frühling“514, über das Hacker-Kollektiv Anonymous515, bis hin zu öffentlichen Twitter-Debatten unter bestimmten „Hashtags“ (#metoo) und Plattformen wie Dynamo, führen digitale Netzwerke Personenmehrheiten temporär zu bestimmten Zwecken zusammen, bieten jedem die Möglichkeit Menschen mit ähnlichen Meinungen zu finden und durch die Veröffentlichung individueller Erlebnisse, sei es anonym oder öffentlich, Solidarität und ebenso gut Desinteresse oder gar Ablehnung zu erfahren.516 Solidarität ist dann Glückssache. Trotzdem ist die Schaffung von Transparenz notwendige Vorbedingung der Entstehung öffentlicher Diskurse sowie von Solidarisierungseffekten. Diese können nur entstehen, wenn Probleme offengelegt und zur Diskussion gestellt werden. Die Erkenntnisse der Potentiale von „Öffentlichkeit“ sind dabei keineswegs neu. Schon 1848 im Manifest der Kommunistischen Partei räsonieren Marx und F. Engels über den Einfluss „moderner“ Kommunikationstechnologien auf die „Vereinigung der Arbeiter. Sie wird befördert durch die wachsenden Kommunikationsmittel, die von der großen Industrie erzeugt werden und die Arbeiter der verschiedenen Lokalitäten miteinander in Verbindung setzen … Und die Vereinigung, zu der die Bürger des Mittelalters mit ihren Vizinalwegen Jahrhunderte bedurften, bringen die modernen Proletarier mit den Eisenbahnen in wenigen Jahren zustande.“517 Rund 170 Jahre später stehen ganz ähnliche Fragen im Raum. Die Kommunikationsmittel sind vielseitiger als je zuvor und die Schaffung von Öffentlichkeit ist im Zeitalter sozialer Netzwerke einfacher denn je und gleichzeitig in ihrem Ergebnis nicht absehbar. Gerade die Schaffung von Öffentlichkeit im Sinne einer handlungsfähigen Personenmehrheit zeitigt vielschichtige Probleme. Die im Zuge des Dynamo-Projekts getroffene Unterscheidung von bloßen „discursive publics“ und deutlich schwerer zu generierenden „tactical publics/publics that act“ legt den Finger in die Wunde.518 513 Vgl. Heller, Post-Privacy, 111 ff.; zur naheliegenden Kritik an diesem Konzept insbesondere im Hinblick auf die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz: Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 165 ff. 514 Zur Nutzung sozialer Netzwerke in diesem Zusammenhang: S. Rosiny/Richter, GIGA Focus Nahost 2016, 1, 5; Milz, Die Bedeutung Sozialer Netzwerke in der arabischen Welt. 515 Dazu: Beyer, Expect us, 26 ff.; F. Stadler, Digitale Solidarität, 26. 516 Ähnlich: Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 167 f.; vgl. Ingold, STAAT 53 (2014), 193, 201 ff. 517 Marx/F. Engels, in: Rosa Luxemburg Stiftung (Hrsg.), Marx Engels Werke, Bd. 4, S. 459, 471. 518 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1629.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Verschiedentlich wird damit zusammenhängend zwischen schwachen und starken Öffentlichkeiten dahingehend unterschieden, dass erstere sich lediglich auf die Deliberation beziehen, ohne sich auf die Beschlussfassung zu erstrecken, während letztere diese als Diskursergebnis einschließen.519 Als Paradigma starker Öffentlichkeiten gelten souveräne Parlamente.520 Semantisch ähnlich spricht Stadler von schwachen Netzwerken als wichtigster neuer Kooperationsform, womit er vor allem auf soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram abhebt.521 Ihre Schwäche äußere sich in der Anbahnung und Aufrechterhaltung nur sporadischer und beschränkter Interaktionen einerseits und der Spannung zweier sich überlagernder Gestaltungen andererseits, der horizontalen Komponente aus Sicht der Nutzer, die durch einen sozialen (Mehr-)Wert geprägt sei, und der vertikalen Struktur, die aus Perspektive der Eigentümer einen kommerziellen Wert habe.522 Bei den meisten neuen Kollektivierungsformen handelt es sich um in diesem Sinne schwache Öffentlichkeiten. Ohne hier bereits auf konkrete Erscheinungsformen eingehen zu wollen, stellen diese lose Kooperationen dar, die sich im bloßen Austausch oder in der Verfolgung einzelner Zwecke erschöpfen können. Darunter fallen insbesondere digitale Schwärme, Versammlungen, soziale Netzwerke, Internetforen, Bewertungsportale etc.523 Habermas beschreibt diese wie folgt: „Die von Beschlüssen entkoppelte Meinungsbildung vollzieht sich in einem offenen und inklusiven Netzwerk … [Diese] bilden sich, innerhalb eines grundrechtlich garantierten Rahmens, mehr oder weniger spontan. Die prinzipiell unbegrenzten Kommunikationsströme flieben durch die … Öffentlichkeiten … hindurch. Insgesamt bilden sie einen ,wilden‘ Komplex, der sich nicht im ganzen organisieren läbt … sie [hat] den Vorzug eines Mediums uneingeschränkter Kommunikation, in dem neue Problemlagen sensitiver wahrgenommen, Selbstverständigungsdiskurse breiter und expressiver geführt, kollektive Identitäten und Bedürfnisinterpretationen ungezwungener artikuliert werden können als in den verfahrensregulierten Öffentlichkeiten. Die demokratisch verfabte Meinungs- und Willensbildung ist auf die Zufuhr von informellen öffentlichen Meinungen angewiesen, die sich idealerweise in Strukturen einer nicht-vermachteten politischen Öffentlichkeit bilden. [Nur so] kann sich das Potential eines freigesetzten kulturellen Pluralismus voll entfalten – ein Potential, das gewib ebenso reich ist an Konflikten wie an bedeutungsgenerierenden Lebensformen. Aber die kommunikative Bewältigung dieser Konflikte bildet …[die] einzige Quelle für eine Solidarität unter Fremden …“.524

Damit sind die Potentiale zur Nutzung schwacher Öffentlichkeiten freigelegt. Die Übersetzung schwacher in starke Netzwerke ist, wie sich am Beispiel von Dynamo gezeigt hat, auf Dauer nur schwer zu erreichen, sie lassen sich „nicht im ganzen 519 Fraser, Social Text 25/26 (1990), 56, 75 ff.; Habermas, Faktizität und Geltung, 373 ff.; Brunkhorst, Solidarität, 184 ff. 520 Brunkhorst, Solidarität, 184. 521 F. Stadler, Digitale Solidarität, 28. 522 F. Stadler, Digitale Solidarität, 28, 31. 523 Vgl. F. Stadler, Digitale Solidarität, 20 ff.; Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 169 ff. 524 Habermas, Faktizität und Geltung, 373 f.

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organisieren“. Möglich ist gleichwohl, die „freie Meinungsbildung“ innerhalb dieser neuen Kooperationsmodelle zu nutzen und von ihnen ausgehend eine Brücke zu klassischen Institutionen der Interessenvertretung zu schlagen. So ließen sich Solidaritätspotentiale zur gemeinsamen Interessenverfolgung nutzbar machen. 4. Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich die Schaffung eines Rahmens, in dem sich Solidarität entfalten kann, als wichtigster Eckpfeiler gelungener Mobilisierung in der digitalen Arbeitswelt festhalten. Gelingen kann dies in Anknüpfung an bestehende Institutionen bei gleichzeitiger Öffnung in Richtung bestehender Kollektive. II. Gewerkschaften Die Überlegungen zur Mobilisierung in der digitalen Arbeitswelt haben gezeigt, dass grundsätzlich vor allem klassische Arbeitnehmervertretungen in Gestalt der Gewerkschaften über die erforderliche Infrastruktur zur effektiven Interessenkollektivierung verfügen. Gewerkschaften nehmen im Bereich des Crowdworks bzw. der digitalen Arbeitswelt diese Rolle mittlerweile durchaus an und bieten vielfältige Unterstützung für Crowdworker, ohne dass dabei bisher klassische Vertretungsstrukturen erreicht wurden.525 Trotzdem sehen sie sich einem gewissen Misstrauen und dem Vorwurf, in der digitalen Arbeitswelt unpraktisch zu sein, ausgesetzt: „Though the AMT workforce is host to many kinds of collective life, most of the Turkers we spoke with considered unions – the iconic form of worker collectivity – as inherently impractical in this environment. A number of dynamics made a unified voice and representation difficult to imagine. New workers join daily and some stay only for days or weeks. ,Work contracts‘ between workers and employers last for minutes. Further, many workers were attracted to AMT because of the personal independence it afforded. Many worried that the unified voice could not account for their particular needs and ethics.“526

Dieses Misstrauen lässt sich einerseits mit der Dauerhaftigkeit des gewerkschaftlichen Engagements und andererseits mit dem beitrittsbedingten Schritt aus der Anonymität erklären. Nicht zuletzt wirken die mit der Mitgliedschaft verbundenen Beitragszahlungen jedenfalls im prekären Bereich abschreckend.527 Hinzu kommt, dass Gewerkschaften seit langem etabliert und gesellschaftlich akzeptiert 525 Siehe oben § 7 B. sowie ausführlich zu gewerkschaftlichen Positionen: Greef/Schroeder, Plattformökonomie und Crowdworking: Eine Analyse der Strategien und Positionen zentraler Akteure, 31 ff.; mit Beispielen aus den USA: Al-Ani/Stumpp, Arbeiten in der Crowd, 32 ff.; vgl. auch: B. Keller/Seifert, IndBez 27 (2020), 227, 231. 526 Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1624. 527 Lamine/Prassl, in: Laulom/Hendrickx/Blanplain (Hrsg.), Collective bargaining developments in times of crisis, S. 269, 272; siehe zu entsprechenden Hemmnissen auch: Schwemmle, AiB-Extra 36 (2015), 35, 36 f.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

sind, womit eine gewisse Skepsis der Crowdworker hinsichtlich ihrer Eignung zur Durchführung neuer, digitaler und effektiver Kollektivmaßnahmen einhergehen könnte. All dies hemmt gewerkschaftliches Engagement der Crowdworker. Insoweit liegt in der bisherigen Betätigung der Gewerkschaften, der Schaffung von Portalen wie faircrowdwork, die vor allem Transparenz schaffen und jedem Besucher umfassende Informationen zu einigen Plattformen, einschließlich eines „AGB-Checks“ gewähren, der erste Schritt in die richtige Richtung. Gleiches gilt für die konkrete Auflistung der Leistungen für Soloselbstständige528, die durchaus als Anreiz zum Beitritt verstanden werden können. Gleichwohl liegt hierin keine wirkliche Öffnung hin zu neuen Kollektivierungsformen, sondern eher eine Übertragung klassischer Mechanismen in das Internet. Das zeigt sich auch bei Umfragen unter den soloselbstständigen ver.di-Mitgliedern, von denen drei Viertel mehr Engagement ihrer Gewerkschaft verlangen.529 Die Konstituierung einer digitalen Interessenvertretung, sei es zunächst auch nur als Diskurs-Raum (schwaches Netzwerk), wird gewerkschaftlich bisher nicht ermöglicht. Die betriebenen Portale wirken als Informations-, nicht aber als Kommunikationsplattform. Trotzdem bleiben die Gewerkschaften aufgrund ihres institutionellen Vorsprungs vielversprechende Akteure im Bereich von Crowdwork.530 Dass auch neue Infrastrukturen im gewerkschaftlichen Bereich entstehen können, zeigt das Beispiel der 2012 gegründeten Independent Workers’ Union of Great Britain (IWGB), die nach eigenem Bekunden vor allem prekäre Beschäftigte aus den Bereichen der Gig-Economy organisiert und sich für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einsetzt.531 III. Selbstständigenverbände Ebenso denkbar ist die Interessenvertretung durch Selbstständigenverbände. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen bestehenden Verbänden, die im Bereich des Crowdwork als Akteure in Betracht kommen und zwischen erst zu gründenden „reinen“ Crowdwork-Verbänden.

528 Http://faircrowd.work/de/unions-for-crowdworkers/leistungen-der-ig-metall-fur-soloselbstandige/; vgl. zu diesem Portal auch: Haipeter/Hoose, Interessenvertretung bei Crowdund Gigwork, 6 ff.; zum internationalen Portal fair.work der Fairwork Foundation: Graham/ Woodcock, Alternate Routes: A Journal of Social Critical Research 29 (2018), 242, 248 ff. 529 Pongratz, WSI-Mitteilungen 70 (2017), 605, 610. 530 In diese Richtung auch: Pongratz/Abbenhardt, WSI-Mitteilungen 71 (2018), 270, 275; Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 181 ff.; zur entscheidenden Rolle der Gewerkschaften in einer „individualisierten Gesellschaft“ auch: Thüsing, SR 7 (2017), 182, 183; Srnicek/Williams, Die Zukunft erfinden, 271 „unverzichtbar“. 531 Siehe https://iwgb.org.uk/; einen Überblick über Kollektivierungstendenzen innerhalb der On-Demand-Economy insb. in den USA gibt: Greenhouse, The American Prospect 27 (2016), 41 ff.

§ 8 Kollektivmaßnahmen abseits klassischer Tarifverträge

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Erstere sind bisher als Interessenvertreter speziell für Crowdworker wenig in Erscheinung getreten, beschäftigen sich gleichwohl mit Crowdwork.532 Problematisch erscheint allerdings die Vernetzung und Sichtbarmachung von Soloselbstständigen in allgemeinen Selbstständigenverbänden, weil sie dort zumeist eine Minderheit darstellen. Ein Fokus auf die Vertretung von Alleinselbstständigen wird bisher wenn überhaupt nur vereinzelt gelegt.533 Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e. V. (VGSD) richtet sich nach § 2 seiner Satzung branchenübergreifend vor allem an kleine bzw. Soloselbstständige sowie Gründer und vertritt deren Interessen, ohne jedoch speziell auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Vergütung abzuheben.534 Die erst im Februar 2017 entstandene Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) tritt für die Stärkung der Partizipation von Selbstständigenverbänden bei Gesetzgebungsverfahren und in der Sozialpartnerschaft ein535, scheint sich aber um Auftraggeber und -nehmer gleichermaßen kümmern zu wollen und legt bisher kein spezielles Augenmerk auf Crowdwork.536 Die Allianz Deutscher Designer (AGD) hat bzgl. Crowdwork vor allem die Sicherung ausreichenden Einkommens und die Einbindung in die Sozialversicherung im Sinn537, vertritt laut Satzung arbeitnehmerähnliche Designer538 und bietet darüber hinaus auch Angebote für Auftraggeber an. An diesen wenigen Beispielen zeigt sich, dass die Vertretung soloselbstständiger Crowdworker in Verbänden derzeit potentiell auf viele Akteure verteilt ist, von denen jedoch keiner konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ergreift. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Koalitionsstatus539 i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG bei diesen Verbänden, gerade wenn sie Auftragnehmer und Auftraggeber gleichzeitig vertreten, fraglich ist. Sie könnten sich ggfs. aber auf den (schwächeren) grundrechtlichen Schutz der Vereinigungsfreiheit in Art. 9 Abs. 1 GG berufen, womit gleichsam die grundrechtliche Verbürgung der Arbeitskampf532 Übersicht von Stellungnahmen bei: Greef/Schroeder, Plattformökonomie und Crowdworking: Eine Analyse der Strategien und Positionen zentraler Akteure, 38 ff. 533 Pongratz/Abbenhardt, WSI-Mitteilungen 71 (2018), 270, 273. 534 Satzung in der Fassung vom 10. März 2017: https://www.vgsd.de/wp-content/uploads/2 013/05/Satzung.pdf. 535 Https://www.vgsd.de/bagsv2/, dabei scheint die AG nicht auf formale Organisation zu setzen, sondern auf eine BAGSV-Whatsapp-Gruppe und ein gemeinsames Dropbox-Verzeichnis. 536 Greef/Schroeder, Plattformökonomie und Crowdworking: Eine Analyse der Strategien und Positionen zentraler Akteure, 39; Pongratz/Abbenhardt, WSI-Mitteilungen 71 (2018), 270, 275. 537 Vgl. https://agd.de/szene/2017/digitale-tageloehner; siehe auch Ergebnisse des Zukunftsdialogs „Neue Arbeit – Neue Sicherheit“ des BMAS vom 10. September 2018 unter Dialoginsel 2, https://www.bmas.de/DE/Schwerpunkte/Zukunftsdialog/auftaktkonferenz-zu kunftsdialog.html. 538 Satzung in der Fassung vom April 2013: https://agd.de/ueber-uns/geschichte-struktur/sat zung §§ 2, 3. 539 Siehe oben § 7 B.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

freiheit entfiele. Nichtsdestoweniger kommen Selbstständigenverbände grundsätzlich als Kollektivakteure in Frage, auch wenn sie dafür aufgrund der unübersichtlichen Verbandslandschaft, der entgegengesetzten Mitgliederinteressen und deren divergenter Entgeltsituation540 weniger geeignet erscheinen als Gewerkschaften. Daneben besteht nach der bisherigen Untersuchung die Möglichkeit zur Gründung neuer Verbände soloselbstständiger Crowdworker zwecks Förderung ihrer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG.541 Diese hätten den Vorteil, dass sie sich ganz konkret der Interessenvertretung alleinselbstständiger Crowdworker annehmen könnten. Dabei wäre allerdings von sehr kleinen Verbänden auszugehen, die überdies den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Koalitionsbegriffs genügen müssten.542 Nicht zuletzt das Beispiel Dynamo hat gezeigt, dass die Schaffung neuer Kollektive erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich nachhaltiger Mobilisierung bereitet, weshalb die Gründung neuer Crowdworker-Verbände derzeit wenig aussichtsreich erscheint. IV. Internetforen, – portale und Tools Wie bereits erwähnt bestehen im Rahmen von Crowdwork viele unterschiedliche Kollektive, zum Teil schon seit Jahren. Diese lassen sich mangels stabiler, verbandsmäßiger Organisation zwar nicht als klassische Akteure der Interessenvertretung beschreiben. Gleichwohl bieten sie einerseits einen Resonanzraum für Diskurse und andererseits das Potential Kollektivmaßnahmen zu ergreifen. Diese oftmals anonymen „Räume“ dienen zuvörderst der Binnenorganisation und dem -austausch und sind weniger nach außen gerichtet.543 In diesem Zusammenhang sind Bewertungstools und -portale, mit deren Hilfe Crowdworker ihre Auftraggeber bewerten, zu nennen. Eines der frühesten Tools in diesem Kontext ist Turkopticon544, mittlerweile finden sich aber etwa auch auf faircrowdwork sowie fair.work Plattform-

540 Ähnlich: Pongratz/Abbenhardt, WSI-Mitteilungen 71 (2018), 270, 275, die sich für die Kooperation mehrerer Verbände aussprechen; Lamine/Prassl, in: Laulom/Hendrickx/Blanplain (Hrsg.), Collective bargaining developments in times of crisis, S. 269, 271 f. 541 Zur (hypothetischen) Entwicklung einer „neuen“ Koalitionskultur siehe bereits: Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 121 ff. 542 Siehe oben § 7 B. 543 Siehe auch: Bayreuther, Sicherung, 56 ff.; zu Kollektivierungstendenzen auch: Coimbra Henriques, Brief Overview of the Challenges Posed to Labour Law by the Regulation of Crowdsourcing Platforms (https://docentes.fd.unl.pt/docentes_docs/ma/jzm_MA_31466.pdf), 12, der diese sogar als neue Form bzw. als funktionalen Ersatz für klassische Gewerkschaften versteht; Fabo/Karanovic/Dukova, Transfer 23 (2017), 163, 171; Al-Ani/Stumpp, Arbeiten in der Crowd, 47 ff., zur Gewerkschaft als Plattform; Greef/Schroeder/Sperling, IndBez 27 (2020), 205, 217 ff. 544 Siehe oben § 2 A. III. 3., sowie: Irani/Silberman, Turkopticon: Interrupting Worker Invisibility in Amazon Mechanical Turk, 1; Silberman/Irani, CLLPJ 37 (2016), 505 ff.

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bewertungen.545 Neben expliziten Bewertungstools stehen „informelle“ Bewertungen bestimmter Crowdsourcer bzw. Plattformen, die von einzelnen Crowdworkern über unterschiedliche Kanäle546 veröffentlicht werden. Ähnlich wie diese Portale funktionieren Internetforen und Channels, in denen Crowdworker lukrative Aufgaben mit anderen teilen. Hierzu zählen insbesondere verschiedene Netzwerke und Foren547 sowie mehrere Channels auf der RedditPlattform.548 Reddit ist dabei zur thematischen Sortierung in unterschiedliche Unterforen („subreddits“) gegliedert, die durch registrierte, anonyme Nutzer abonniert werden und in denen sie Beiträge verfassen können. Hier findet sich neben dem subreddit „r/HITsWorthTurkingFor“, in dem lukrative Arbeitsaufgaben auf der AMTPlattform geteilt werden, ein Diskussionsbereich zu AMT „r/mturk“, mit 78.000 und 72.000 Abonnenten und entsprechend reger Nutzung.549 Der Bereich „r/WorkOnline“ beschäftigt sich allgemeiner mit Online-Einkunftsmöglichkeiten und liegt im Juli 2020 bei 272.000 Mitgliedern, während es im November 2018 noch 108.000 waren. Kleinere Channels bilden „r/Clickworker“ mit knapp 1.000 und „r/UHRSwork“ mit 2.900 Nutzern, die sich auf die Plattform clickworker, bzw. auf deren Partnerplattform (Universal Human Relevance System), zu der man über clickworker Zugang erhält, beziehen.550 In diese Kategorie fällt auch die bisher als Forum organisierte Community „Turker Nation“, die nun in einem Chat auf der Plattform Slack zu finden ist, in dem ebenfalls lukrative HITs sowie Skripte zur Arbeitserleichterung geteilt werden.551 In den Untiefen dieser Kanäle finden sich zahlreiche Anleitungen, Hilfestellungen und Hinweise auf lukrative Verdienstmöglichkeiten oder besonders hilfreiche Tools und Skripte, die Crowdwork erleichtern, ebenso wie

545 Http://faircrowd.work/de/platform-reviews/; näher zur Fairwork Foundation: Graham/ Woodcock, Alternate Routes: A Journal of Social Critical Research 29 (2018), 242, 248 ff., siehe auch: https://fair.work/; zu den Fairwork Prinzipien Pay, Conditions, Contracts, Management, Representation: Graham/Woodcock/Heeks u. a., Geoforum 112 (2020), 100, 101 f.; aktuelle Ratings: Fairwork Deutschland, Ratings 2020: Arbeitsstandards in der Plattformökonomie (https://fair.work/wp-content/uploads/sites/97/2020/05/Germany-De-report.pdf), 11 ff. 546 Dazu sogleich. 547 Etwa: https://microjobbing.de; https://forum.clickworker.com/; http://mturkforum.com/; https://www.mturkcrowd.com/, siehe weitere Beispiele bei: Bayreuther, Sicherung, 56 f.; LaPlante/Silberman, Building Trust in Crowd Worker Forums: Worker Ownership, Governance, and Work Outcomes; näher zu plattforminternen Kommunikationsstrategien: Gerber, Competition & Change 2020, 1, 8 ff. 548 Https://www.reddit.com/, die eigene Plattform als „front page of the internet“ bezeichnend; vgl. auch Tanriverdi, Süddeutsche Zeitung v. 18.1.2014 „Der Nerd dein Freund und Helfer“, 42, „einer der kreativsten und spannendsten Orte im Netz“. 549 Stand 11.7.2020; bemerkenswert ist insoweit, dass sich die Zahlen in weniger als zwei Jahren beinahe verdoppelt haben, Stand 9.11.2018 waren es 52.000 und 38.500 Mitglieder. 550 Stand 11.7.2020; auch diese Zahlen sind angestiegen, und lagen am 9.11.2018 bei 500 und 2.200; vgl. https://www.clickworker.de/2013/09/10/uhrs-was-wo-und-wie-ein-kleinerguide-fur-neueinsteiger/. 551 Siehe https://turkernation.slack.com/, sowie auf reddit „r/TurkerNation“.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Warnungen vor einzelnen Auftraggebern und Darstellungen persönlicher Probleme und Erfolge. Hier zeigen sich durchaus solidarische Tendenzen unter Crowdworkern. Diese Kollektiv-Mechanismen eint indes der Antrieb, individuell die eigenen Arbeitsbedingungen durch Ausgleich des Informationsdefizits552 zu verbessern, ohne die Bedingungen dabei mit Wirkung für alle zu verändern. Ein Kollektiv in Gestalt einer abgrenzbaren, gemeinsam agierenden Personengesamtheit konstituiert sich hier nicht. Das Ziel dieser „Zusammenarbeit“ liegt darin, individuell aus den gegebenen Möglichkeiten das Beste herauszuholen und nicht darin, als Gemeinschaft aufzutreten.553 Unabhängig von den Motiven und der Festigkeit dieser Kollektivierung, zeigen sich doch vielfältige Bedürfnisse des Interessenaustauschs und des losen, anonymen Zusammenkommens. Zwar lassen sich aus den genannten Phänomenen nicht unmittelbar Akteure zur kollektiven Interessenvertretung gewinnen, gleichwohl können Kollektivmaßnahmen auch in anonymen Netzwerken ihren Ausgang nehmen. Derartige lose Verbindungen stellen gleichsam keinen Zusammenschluss i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG554 dar und dienen ferner nicht der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, sind damit also grundsätzlich nicht Träger der kollektiven Koalitionsfreiheit. Sie sind eher als Vorstufe eines Akteurs der Interessenvertretung zu verstehen. V. Die Crowd – „Ad-hoc Koalitionen“ Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob Spontanzusammenschlüsse i. S. v. „Ad-hoc Koalitionen“, die sich für einzelne Maßnahmen konstituieren, dem verfassungsrechtlichen Koalitionsbegriff555 unterfallen. Für einen unorganisierten Arbeitgeber, der sich einem konkreten Arbeitskampf des Arbeitgeberverbandes anschließt, hat das BVerfG dies mit der Einschränkung, dass die so entstandene Koalition den „Abschluß eines Tarifvertrages im Interesse des Außenseiters beeinflussen soll“, bejaht.556 Daran anschließend wird vertreten, entsprechendes müsse zumindest für den Beitritt Nichtorganisierter zu einem Streik gelten.557 Dennoch wird die Figur der Ad-hoc-Koalition unter Hinweis auf ein erforderliches Mindestmaß an zeitlicher und organisatorischer Stabilität sowie gemeinsamer Willensbildung

552 So auch: Bayreuther, Sicherung, 57; LaPlante/Silberman, Building Trust in Crowd Worker Forums: Worker Ownership, Governance, and Work Outcomes. 553 F. A. Schmidt, Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork, 25. 554 Siehe oben § 7 B. 555 Siehe oben § 7 B. 556 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 1. b). 557 Dreier GG/H. Bauer, Art. 9 GG Rn. 74; v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 GG Rn. 86; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 12 Rn. 22.

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überwiegend abgelehnt.558 Die Gegenansicht will dem Element der zeitlichen Stabilität keine entscheidende Bedeutung für den Koalitionsbegriff zumessen. Dies wird einerseits mit Art. 9 Abs. 2 GG begründet, der als Vereinigungen auch Spontanzusammenschlüsse erfasse, gegen die im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit vorgegangen werden können müsse559, andererseits sei bereits im Rahmen des § 152 GewO 1869 die bloße „Verabredung“ erfasst gewesen und die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben das Rad der Geschichte insoweit nicht zurückdrehen wollen.560 Bedeutsamkeit erlangt die Beantwortung dieser Frage bei der rechtlichen Beurteilung „wilder“, d. h. nicht gewerkschaftlich, sondern etwa ad-hoc organisierter Streiks, die das BAG für rechtswidrig hält.561 Der überwiegenden Auffassung ist mit Einschränkungen zuzustimmen. Das BVerfG hatte im Aussperrungsbeschluss allein die Frage der Anlehnung eines Außenseiters an eine tariffähige Koalition zu entscheiden. Hieraus kann nicht auf die prinzipielle verfassungsrechtliche Anerkennung von Ad-hoc-Koalitionen geschlossen werden. Gleichwohl erscheint es im Hinblick auf die Konzeption des Arbeitskampfes in Art. 9 Abs. 3 GG als liberales Freiheitsrecht wenig einleuchtend, die Dauerhaftigkeit eines Zusammenschluss als begrenzendes Merkmal heranzuziehen. Vielmehr müssen auch Zusammenschlüsse, die einzelne Zwecke aus dem Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in naher Zukunft umsetzen wollen ohne sich dauerhaft zu organisieren in den kollektiven Schutzbereich der Koalitionsfreiheit fallen.562 Dies gilt umso mehr im Zusammenhang mit der Entstehung neuer Koalitionen, die eine Monopolstellung bestehender Gewerkschaften verhindern können563, sowie in Bereichen geringer gewerkschaftlicher Organisationsstruktur.564

558 Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 9 GG Rn. 33; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 56; unter Berufung auf fehlende organisierte Willensbildung ablehnend: Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2026; ähnlich: Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 206; Maunz/Dürig/ Scholz, Art. 9 GG Rn. 192; HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 35; Gamillscheg, KollArbR I, 396; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 23 ff.; Olbrich, Die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen, 187 f. 559 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 12 Rn. 22. 560 Kittner/Schiek, in: E. Stein/Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 117; Däubler TVG/ Däubler, Einleitung Rn. 113; interessanterweise ebenfalls auf § 152 GewO 1869 abstellend, dabei jedoch entgegengesetzte Schlüsse ziehend: Gamillscheg, KollArbR I, 396. 561 BAG, Urt. v. 14.2.1978 – 1 AZR 76/76, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58, unter 6. a); zur Rechtswidrigkeit des wilden Streiks vgl.: BAG, Urt. v. 20.12.1963 – 1 AZR 428/62, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 32; BAG, Urt. v. 21.10.1969 – 1 AZR 93/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 41; offener: BAG, Urt. v. 28.4.1966 – 2 AZR 176/65, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 37, unter 5. 562 Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 206; Ramm, RdA 21 (1968), 412, 416; Däubler/Hege, in: Koalitionsfreiheit, Rn. 109. 563 Ramm, RdA 21 (1968), 412, 416. 564 Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 26.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Entscheidender als die zeitliche Komponente ist demgegenüber die (rechtlich) organisierte, gemeinsame Willensbildung, ohne dass es hinsichtlich der Organisation auf eine bestimmte Rechtsform565 ankäme.566 Eine entsprechend feste Organisation ist Garant einerseits für die Koordination etwaigen Kampfgeschehens und andererseits für die tatsächliche Umsetzung und Beachtung der erkämpften Inhalte.567 In diesem Sinne ist es für den hier interessierenden Bereich der digitalen Kommunikationsstrukturen denkbar, dass sich eine Personenmehrheit, einen überindividuellen Gesamtwillen bildend, konstituiert und damit ad-hoc eine Koalition zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen begründet.568 Die bereits vorgestellten Kommunikationsräume lassen eine derartige flexible Willensbildung zu und begründen auch eine in diesem Sinne weit zu verstehende „rechtliche“ Organisation.569 Danach käme der grundrechtliche Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG auch kurzfristigen Zusammenschlüssen zu, sofern diese von einer organisierten Willensbildung getragen werden. In diesem Zusammenhang lässt sich der naheliegende Gedanke, dass „die“ Crowd selbst sich ihrer Flexibilität und internen Fluktuation entsprechend für einzelne Aktionen als Koalition konstituiert und anschließend wieder auflöst, fruchtbar machen. Akteur wäre dann kein statischer Verband, sondern die dynamische Crowd in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen selbst. Neue fluide Kollektive, wie Schwärme, Mobs etc., organisiert über Plattformen, in Foren oder Netzwerken, können sich, eine hinreichend „stabile“, organisierte, gemeinsame Willensbildung vorausgesetzt, auf den Schutz der Koalitionsfreiheit berufen. Sie kommen folglich ebenfalls als Kollektiv-Akteure in Betracht, ohne dass damit bereits eine Aussage über die Zulässigkeit arbeitskampfrechtlicher Maßnahmen verbunden wäre.

B. Handlungsmöglichkeiten Nach der Ermittlung tauglicher Akteure zur kollektiven Interessenvertretung im Crowdwork-Kontext soll nun die instrumentelle Seite der kollektiven Koalitionsfreiheit für den Bereich des Crowdwork untersucht werden. Dabei sind neben den 565

Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 16; Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 62; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 58, 67; anders wohl: HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 35. 566 Kemper, Die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), 62; v. Mangoldt/Klein/Starck/Kemper, Art. 9 GG Rn. 86; Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2027; ähnlich, wenn auch enger: Maunz/ Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 213. 567 Olbrich, Die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen, 187. 568 Ähnlich offenbar: Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 182; unter dem Blickwinkel des Art. 19 Abs. 3 GG und „neuen Strukturen sozialer Emergenz“: Ingold, STAAT 53 (2014), 193, 208 ff. 569 Eine solche Organisation könnte etwa für die Mitglieder der Dynamo-Plattform angenommen werden, siehe dazu am Anfang dieses Abschnitts.

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klassischen gewerkschaftlichen bzw. verbandsmäßigen Handlungsoptionen außerhalb des TVG auch Möglichkeiten neuer, digitaler Kollektivakteure auszuloten. I. Mittelbare Interessenvertretung Wie gezeigt vertreten die großen Gewerkschaften ver.di und IG Metall neben klassischen Arbeitnehmern auch soloselbstständige Crowdworker.570 Daran anknüpfend ließe sich eine im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Equal-PayGrundsatzes in der Leiharbeit diskutierte Methode indirekter Vertretung571 durch Regelungen in klassischen Tarifverträgen aufgreifen.572 Vorstellbar wäre insoweit, dass die Tarifparteien sich darauf einigen, dass die tarifgebundenen Unternehmen die Leistungen alleinselbstständiger Crowdworker nur zu Bedingungen einkaufen, die den tariflichen Arbeitsbedingungen entsprechen.573 Relevanz könnten derartige Vereinbarungen vor allem in Bereichen erlangen, in denen Crowdworker Arbeiten verrichten, die üblicherweise von Arbeitnehmern erledigt werden. Als Beispiel einer solchen Vereinbarung könnte der IG Metall Tarifvertrag zur Bezahlung von Leiharbeitnehmern in der nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie aus dem Jahr 2010 dienen.574 Dieser traf in § 2 folgende Regelung: „Die Mitgliedsunternehmen sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass Leiharbeitnehmer iSd. AÜG während ihres Einsatzes im Betrieb des Mitgliedsunternehmens Anspruch auf Entgelt gegen ihren Vertragsarbeitgeber (Verleiher) in der Höhe haben, das sich bei Anwendung der für die Stahlindustrie jeweils gültigen Lohn- und Gehaltstabellen iSd. Vergleichsentgelts errechnen würde. Ein Entgeltanspruch des Leiharbeitnehmers gegen das Mitgliedsunternehmen wird nicht begründet.“

In § 3 war darüber hinaus eine Sanktionsmöglichkeit in Gestalt eines Schadensersatzanspruchs mit Exkulpationsmöglichkeit des Leiharbeitnehmers gegen den Entleiher in Höhe der Differenz zwischen arbeitsvertraglichem Entgelt und Vergleichsentgelt vorgesehen.575 Die Zulässigkeit tariflicher Regelungen, die den mittelbar Vertretenen keinen direkten Anspruch auf bestimmte Bedingungen gewähren, sondern auf das Marktverhalten der Unternehmen einwirken sollen, waren bereits im Kontext der Leiharbeit umstritten.576 So wurde insbesondere eingewandt, dass die Beeinflussung des

570

Siehe oben § 7 B. Ausführlich: Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 34 ff. 572 Bayreuther, Sicherung, 62 f. 573 Bayreuther, Sicherung, 62. 574 Dazu ausführlich: Karthaus, AuR 58 (2010), 494 ff. 575 Vgl. Karthaus, AuR 58 (2010), 494, 497. 576 Zu weiteren Beispielen tariflicher Regelungen im Kontext der Leiharbeit siehe: Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 30 ff.; 571

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Marktverhaltens der Unternehmen nicht unter Art. 9 Abs. 3 GG subsumiert werden könne, weil es sich nicht um Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen handele.577 Außerdem seien Vereinbarungen dieses Inhalts kartellrechtswidrig.578 Charakteristisch für die Arbeitnehmerüberlassung ist die Aufspaltung der Arbeitgeberfunktion auf Ver- und Entleiher. An dieser setzt die Regelung an, indem sie auf die Regulierung der Entgelthöhe als klassische Arbeitsbedingung abzielt. Dass sie dabei instrumentell auf das Rechtsverhältnis zwischen Ver- und Entleiher einwirkt, ist eben dieser Entkoppelung geschuldet und kann nicht zur Ausschaltung des Gegenmachtprinzips des Art. 9 Abs. 3 GG zugunsten des Wettbewerbsprinzips führen.579 Leiharbeitnehmer unterfallen im Übrigen als Arbeitnehmer des Verleihers grundsätzlich dem vollen Schutz der Koalitionsfreiheit, einschließlich der Tarifautonomie. Wie Krause gezeigt hat, wirken die in Rede stehenden Vereinbarungen auf drei Ebenen.580 Sie beeinflussen einerseits unmittelbar das Vertragsverhalten des Entleihers gegenüber dem Verleiher, mit anderen Worten die (selbstständige) Dienstleistung der Arbeitnehmerüberlassung. Darüber hinaus wirken sie andererseits mittelbar auf den Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und seinem (Zeit-)Arbeitnehmer ein. Zuletzt betreffen sie ggfs. Regelungen zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer hinsichtlich möglicher Schadensersatzansprüche, wenn dieser die Einwirkung auf den Verleiher versäumt.581 Allein im Hinblick auf das erste Rechtsverhältnis erscheine eine Subsumtion unter Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fraglich, dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Gewerkschaften zwar auf den Dienstleistungsmarkt einwirken, dabei jedoch nur minimalinvasiv der Lohnkostenwettbewerb ausgeschaltet werde, was das Kernanliegen der Koalitionsfreiheit darstelle und im Übrigen die Stammbelegschaften schütze.582 Etwas anderes gilt indes für Crowdworker. Eine Übertragung der vorgehenden Überlegungen scheidet von vornherein aus, wenn die Plattform als reiner Vermittler agiert, ohne dass zu ihr direkte (leistungsbezogene) Vertragsbeziehungen entstehen.583 In diesem Fall besteht schon kein vergleichbares rechtliches DreiecksverKempen/Zachert/Zeibig/A. Stein, § 1 TVG Rn. 301 ff.; Bayreuther, NZA-Beil. 29 (2012), 115 ff. 577 Giesen, ZfA 43 (2012), 143, 149 f. 578 Rieble, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Zukunft der Zeitarbeit, S. 65, 81 ff.; Rieble, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 103, 120 ff.; Giesen, ZfA 43 (2012), 143, 154 ff. 579 Zu Gegenmacht- und Wettbewerbsprinzip siehe unten § 9; Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 50; Bayreuther, NZA-Beil. 29 (2012), 115, 121. 580 Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 45. 581 Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 45. 582 Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 46, 51. 583 Siehe oben § 3 A. II. 4.

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hältnis einschließlich der Aufteilung der „Arbeitgeberfunktion“, das eine Einwirkung auf das Marktverhalten von Unternehmen rechtfertigt. Die drei Wirkdimensionen schrumpfen dann auf die Beeinflussung nur des Werkvertragsverhältnisses von Crowdsourcer und Crowdworker.584 Ein Dreiecksverhältnis besteht demgegenüber dann, wenn die Plattform selbst als Vertragspartner in Erscheinung tritt. Analog zu den oben unterschiedenen Ebenen läge dann eine Beeinflussung der Rechtsbeziehung zwischen Crowdsourcer und Plattform, eine mittelbare Regulierung des Verhältnisses von Plattform und Crowdworker und zuletzt ggfs. eine Regelung des Verhältnisses von Crowdsourcer und Crowdworker vor. Doch auch hier ist die Vergleichbarkeit begrenzt. Der entscheidende Unterschied liegt im Fehlen sowohl der Arbeitnehmereigenschaft der Crowdworker als auch der Arbeitgebereigenschaft der Plattformen. Zwar lassen sich die Transaktionsbedingungen soloselbstständiger Crowdworker wie gezeigt unter Arbeitsbedingungen i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG subsumieren und diese sind auch im Übrigen Träger der Koalitionsfreiheit585, gleichwohl nehmen sie nicht an der verfassungsrechtlich verbürgten Tarifautonomie teil.586 Dementsprechend ist die (mittelbare) tarifvertragliche Regelung ihrer Belange de lege lata ausgeschlossen. Anders als im Fall von Leiharbeitern können die Arbeitsbedingungen von Crowdworkern nicht unmittelbar in Tarifverträgen geregelt werden.587 Daraus folgt, dass sie ebenso wenig mittelbar Gegenstand von Tarifverträgen sein können. Insoweit handelt es sich bei Dreiecksbeziehungen im Crowdwork-Kontext nicht um ein „Umgehungsgeschäft“ in dem Sinne, dass die formale Arbeitgebereigenschaft vom tatsächlichen Beschäftigungsgeber entkoppelt und gerade damit eine ansonsten mögliche tarifliche Regelung mit dem Entleiher (Crowdsourcer) durch die arbeitsvertragliche Bindung an den Verleiher (Plattform) unmöglich gemacht wird.588 Vielmehr wären auch direkte Tarifverträge mit den Plattformen mangels Arbeitgebereigenschaft589 nach § 2 Abs. 1 TVG bzw. mangels Teilnahme von Crowdworkern an der Tarifautonomie590 ohnehin nicht möglich. Den Gewerk584

Siehe oben § 3 B. II. 4. d). Siehe oben § 7 A. IV. 586 Siehe oben § 7 C. II. 1. 587 Siehe aber: Bayreuther/Deinert, RdA 68 (2015), 129, 133 ff., nach denen sich die Tarifmacht auch auf Soloselbstständige als potentielle Arbeitgeber erstrecken kann; dagegen aber: BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 279/16, NZA 2018, 867, Rn. 25; R. Schwarze, JA 50 (2018), 867, 868; gegen eine Regelungsbefugnis der Tarifparteien für Soloselbstständige auch: Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 446 f.; offener: Waltermann, FS Moll, S. 727, 730 f. 588 Zu diesem Vorgehen im Bereich der Leiharbeit unter Geltung des § 9 Abs. 2 AÜG a. F.: Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 22; zu Gestaltungsmöglichkeiten nach der AÜG-Reform unter § 8 Abs. 2 AÜG: Bayreuther, NZA 34 (2017), 18, 19; siehe zu Branchenzuschlagstarifverträgen: Simon/Koschker, NZA 35 (2018), 755 ff. 589 Insoweit fehlt den Tarifpartnern die Regelungsbefugnis: BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 279/16, NZA 2018, 867, Rn. 20, 25 ff.; dazu: R. Schwarze, JA 50 (2018), 867, 868. 590 Siehe oben § 7 C. II. 1. 585

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schaften würde also die Einflussnahme auf Rechtsbeziehungen, die ihrer tariflichen Regelungsmacht entzogen sind, auf Umwegen gestattet. Dafür besteht nach der bisherigen Untersuchung kein Anlass. Neben kartellrechtlichen Friktionen, die sogleich behandelt werden (siehe unten § 9), lässt sich diese Form der mittelbaren Interessenvertretung ohnehin insofern als ungeeignet charakterisieren, als sie den Crowdworkern keine direkten Ansprüche gegen ihre Auftraggeber verschaffen würde.591 Die Effektivität derartiger Maßnahmen erscheint somit ebenso unsicher wie ihre rechtliche Bewertung. II. Abschluss sonstiger Kollektivverträge Im Folgenden soll die Möglichkeit untersucht werden außerhalb des TVG (insbesondere jenseits von § 12a TVG) sonstige schuldrechtliche Kollektivverträge abzuschließen, die der Verbesserung der Arbeitsbedingungen soloselbstständiger Crowdworker dienen, insbesondere die Zahlung eines angemessenen Entgelts sichern. Bevor konkreten vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten nachgespürt wird, sollen vorab Durchsetzungsschwierigkeiten bei der Umsetzung schuldrechtlicher Vereinbarungen auf Verbandsebene in Individualverträge und entsprechende Lösungsvorschläge dargestellt bzw. entwickelt werden. Die Begriffe sonstiger Kollektivvertrag bzw. Kollektivvereinbarung oder Koalitionsvertrag werden hier im beschriebenen Sinne synonym verwendet. 1. Durchsetzungsschwäche schuldrechtlicher Vereinbarungen – Historische Gestaltungsmöglichkeiten Anders als normativ wirkende Bestimmungen in Tarifverträgen (§§ 1 Abs. 1, 3, 4 Abs. 1 S. 1 TVG) bedürfen schuldrechtliche Kollektivverträge eines Umsetzungsaktes in die jeweiligen Individualrechtsbeziehungen, sie wirken nicht unmittelbar auf diese ein.592 Davon zu unterscheiden ist der obligatorische Teil des Tarifvertrags (vgl. § 1 Abs. 1 TVG „… Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien …“), der zwar nicht unmittelbar und zwingend wirkt, gleichwohl Teil des Tarifvertrages ist. Vorliegend soll es um sonstige Kollektiv- bzw. Koalitionsvereinbarungen jenseits des TVG gehen. Derartige Vereinbarungen werden seit der Frühzeit des Arbeitsrechts unter verschiedenen Bezugspunkten kontrovers diskutiert. Historisch wurden vor Inkrafttreten der Tarifvertragsordnung von 1918593 im Wesentlichen die Rechtsnatur von Tarifverträgen, ihr Zustandekommen sowie ihre Wirkweise, insbesondere die Möglichkeit unmittelbarer, unabdingbarer Regelungen 591

Im Ergebnis ebenso: Bayreuther, Sicherung, 63. Siehe bereits: Hueck, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts 73 (1923), 33, 47 ff. 593 Siehe oben § 7 A. III. 1. b) zur historischen Entwicklung. 592

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mit den Mitteln des Schuldrechts, diskutiert und dogmatisch unterschiedlich begründet. Dabei standen sich vor allem die an die Qualifikation des Tarifvertrags als privatrechtlichem Vertrag anknüpfende Vertretungstheorie Lotmars594 und die dem kollektivistischen Modell Sinzheimers595 entsprechende Verbandstheorie gegenüber, welches letztlich Eingang in die einfachgesetzlichen Regelungen fand.596 Lotmars Vertretungsmodell wirkt dabei in zwei Richtungen. Zunächst betrifft es das Zustandekommen des Tarifvertrages im Wege der Stellvertretung über § 164 BGB (bzw. im Wege der Genehmigung)597 durch die Verbände, im Namen der einzelnen Koalitionsmitglieder, gleichzeitig leitet er aus ihm aber auch die unmittelbare Wirkung des Tarifvertrages ab.598 In diesem Sinne bedürfe es zwischen den Arbeitsvertragsparteien, die er von den Tarifvertragsparteien unterscheidet, keiner Übernahme des Tarifinhalts in den einzelnen Arbeitsvertrag.599 Ergänzend sieht er den kollektiv im Verhandlungsergebnis geäußerten Willen als für den Einzelvertrag insoweit maßgeblich an, als auch bei entgegenstehendem Individualwillen nicht vom Tarifinhalt abgewichen werden könne, der Arbeitsvertrag komme vielmehr mit dem Inhalt des Tarifvertrags zustande.600 Dagegen erfolgt nach Sinzheimer der Vertragsschluss im Namen des Verbandes selbst, ungeachtet der historisch fehlenden Rechtsfähigkeit der als nicht rechtsfähige Vereine organisierten Gewerkschaften.601 Dieser kritisiert dabei vor allem den Widerspruch zwischen individualistischer Vertretungstheorie, die grundsätzlich nur das einzelne Mitglied binde und der Annahme eines überindividuellen Willens, der der Verfügungsmacht des Einzelnen entzogen sei.602 Letztlich stimmten Sinzheimer und Lotmar, was die rechtspolitische Erforderlichkeit der Unabdingbarkeit anging, überein603, allein über deren rechtliche Konstruktion herrschte Uneinigkeit. So betont Sinzheimer, dass der Parteiwille zwar über die Entstehung eines bestimmten Geschäfts entscheide, nicht aber über dessen Rechtswirkung, diese ergebe sich vielmehr aus der Rechtsordnung.604 Demnach wirke der Arbeitsnormenvertrag (Tarifvertrag) obligatorisch und eine individual594

Lotmar, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 2 (1900), 1, 89. Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, 81 f. 596 Vgl. nur: Wiedemann/Thüsing, § 1 TVG Rn. 163 ff. m. w. N. zur h. M.; Hueck, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts 73 (1923), 33, 72 ff. 597 Lotmar, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 2 (1900), 1, 68 ff. 598 Lotmar, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 2 (1900), 1, 88. 599 Lotmar, Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches, 780. 600 Lotmar, Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches, 780, der Individualwille sei insoweit „ohnmächtig“; Lotmar, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 2 (1900), 1, 106, „Der Kollektivvertrag ist für den Individualvertrag nicht derogierbar.“ 601 Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, 90 f. 602 Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, 75 f., „Damit ist die Vertretungstheorie aber nicht gerechtfertigt, sondern aufgehoben …“ 603 Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, 66, „… die Schicksalsfrage für die Wirksamkeit des Arbeitsnormenvertrages überhaupt.“; Lotmar, Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches, 786 f. 604 Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, 80 f. 595

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

vertragliche Abweichung von seinem Inhalt sei grundsätzlich zulässig.605 Trotzdem sei der Tarifvertrag Rechtsverhältnis und Rechtsquelle zugleich, die Schaffung objektiven Rechts durch Vertrag hänge jedoch von der staatlichen Verleihung entsprechender Kompetenz ab.606 Diese konkurrierenden Ansätze wurden teilweise für kombinierbar gehalten. So sollte nach der Kombinationstheorie in Anknüpfung an das Vertretungsmodell der Verband als Bevollmächtigter seiner Mitglieder diese rechtlich binden und darüber hinaus selbst Vertragspartei werden.607 Die unterschiedlichen historischen Ansätze werden bis heute rezipiert und weiterentwickelt.608 Daneben betrifft die Debatte vorwiegend den obligatorischen Teil von Tarifverträgen, einerseits hinsichtlich der Auslegung derartiger Vereinbarungen609, andererseits in Bezug auf das Erfordernis der Kongruenz normativ und schuldrechtlich regelbarer Bestimmungen.610 Dabei ist die Möglichkeit zum Abschluss sonstiger schuldrechtlicher Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien auch außerhalb von Tarifverträgen allgemein anerkannt.611 Verschiedentlich wird auf diese Möglichkeit 605

Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, 92 ff. Sinzheimer, Ein Arbeitstarifgesetz, 48 f. 607 Vgl. insb.: Rundstein, Die Tarifverträge und die moderne Rechtswissenschaft, 108 ff. 608 Vgl. zur historischen Entwicklung m. v. w. N. zu weiteren Positionen: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 109 ff.; siehe auch: Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 36 ff.; Picker, FS Richardi, S. 141, 148 ff.; Picker, in: ders. (Hrsg.), Recht und Freiheit, S. 25, 47 ff.; Richardi, ZfA 45 (2014), 395, 404 ff. 609 Die anders als im normativen Teil den Grundsätzen der Vertragsauslegung folgt: BAG, Urt. v. 26.1.1983 – 4 AZR 224/80, AP TVG § 1 Nr. 20; BAG, Urt. v. 5.11.1997 – 4 AZR 872/95, NZA 1998, 654, unter II. 2.2.2; BAG, Urt. v. 7.11.2000 – 1 AZR 175/00, NZA 2001, 727, unter 1. a); BAG, Urt. v. 14.4.2004 – 4 AZR 232/03, NZA 2005, 178, unter II. 1. b); BAG, Urt. v. 26.1.2011 – 4 AZR 159/09, NZA 2011, 808, Rn. 21 f.; BAG, Urt. v. 12.4.2017 – 7 AZR 446/15, NZA 2017, 1125, Rn. 34 f.; Wiedemann/Wank, § 1 TVG Rn. 952. 610 Dazu: Krause, Standortsicherung und Arbeitsrecht, 57 f. m. w. N. zur h. M., die keine solche Kongruenz fordert; BAG, Urt. v. 21.5.2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220, Rn. 31, „Im Grundsatz ist ihre schuldrechtliche Vereinbarungsmacht unbegrenzt …“; ausführlich auch: Karsten, Schuldrechtliche Tarifverträge und außertarifliche Sozialpartner-Vereinbarungen, 76 ff.; abweichend: Beuthien, ZfA 14 (1983), 141, 159 ff., der einen unmittelbaren Sachzusammenhang fordert; dagegen auch: Giesen, in: Rieble/Junker/ Giesen (Hrsg.), Ausweitung der Tarifmacht – Zugriff auf Unternehmensautonomie und Marktverhalten, S. 57, 68 ff., mit dem Hinweis auf eine unangemessene Befugnishäufung; Höpfner, RdA 73 (2020), 129, 137 f. 611 BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter C. IV. 2. b) sowie ebenda unter aa); BAG, Urt. v. 26.1.1983 – 4 AZR 224/80, AP TVG § 1 Nr. 20; BAG, Urt. v. 5.11.1997 – 4 AZR 872/95, NZA 1998, 654, unter II. 1.2; BAG, Urt. v. 14.4.2004 – 4 AZR 232/03, NZA 2005, 178, unter II. 1. c) aa), „Eine vertragliche Regelung zwischen Tariffähigen muss kein Tarifvertrag sein. Es kann auch ein sonstiger Vertrag oder ein Koalitionsvertrag sein, z. B. ein schuldrechtlicher Normenvertrag oder ein schuldrechtlicher Normenvertrag zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB).“; BAG, Urt. v. 26.1.2011 – 4 AZR 159/09, NZA 2011, 808, Rn. 18; BAG, Urt. v. 12.4.2017 – 7 AZR 446/15, NZA 2017, 1125, Rn. 32; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, 301 ff.; H. Wiedemann, RdA 22 (1969), 321, 334; Säcker/ Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 164 ff.; Zachert, NZA 23 (2006), 10, 13; siehe auch: Zachert, FS Hanau, S. 137, 141, mit Beispielen sog. Sozialpartnervereinbarungen; 606

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auch unter der Prämisse der Deregulierung des Tarifvertragssystems hingewiesen, im Zentrum steht dann nicht die ergänzende Funktion obligatorischer Vereinbarungen, sondern deren Alternativität.612 Seltener, hier aber vor allem interessierend, werden Kollektiv- oder Koalitionsvereinbarungen nicht tariffähiger Koalitionen besprochen, wobei vorliegend auch von tariffähigen Gewerkschaften geschlossene Vereinbarungen gemeint sind, soweit sie kollektiv Vereinbarungen über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen soloselbstständiger Crowdworker treffen, die wie gezeigt nicht unter das TVG fallen. Auch diesen nicht tariffähigen Koalitionen gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG die koalitionsmäßige Betätigung durch den Abschluss privatrechtlicher Kollektivverträge zur Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.613 Eine weitere Differenzierung hinsichtlich der Möglichkeit zum Abschluss von Koalitionsverträgen ergibt sich aus den Vertragsparteien. Handelt es sich bei der Vertragspartei der Auftraggeberseite um einzelne Crowdsourcer bzw. Plattformen, denen die Gewerkschaften bzw. Crowdworkerverbände gegenübertreten (vgl. Firmen- bzw. Haustarifvertrag614), so bereitet die Umsetzung in die Individualrechtsbeziehungen weniger Schwierigkeiten, als wenn auch dort ein Verband auftritt (vgl. Verbandstarifvertrag615). Gemein ist allen schuldrechtlichen Abreden ihre Durchsetzungsschwäche im Vergleich zu unmittelbar und zwingend wirkenden Regelungen. Zu fragen ist also, wie eine möglichst effektive und „feste“ Umsetzung in die Individualvertragsverhältnisse erreicht werden kann, ohne das Prinzip der Relativität der Schuldverhältnisse616 zu verletzen. Dabei erfolgt die Beantwortung im Folgenden unter Verschränkung der zu den verschiedenen Bezugspunkten vertretenen Argumentationen. 2. Rechtliche Begründung der Einbindung in Individualverträge Anknüpfend an die oben dargestellten schuldrechtlichen Konstruktionsmöglichkeiten bieten sich unterschiedliche dogmatische Wege zur Umsetzung sonstiger dazu auch: K. Molitor, FS Stahlhacke, S. 339, 344; Karsten, Schuldrechtliche Tarifverträge und außertarifliche Sozialpartner-Vereinbarungen, 181. 612 In diese Richtung: Heinze, DB 49 (1996), 729, 734 f., der von der „Alternative schuldrechtlicher Tarifverträge“ spricht; Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 208 ff.; siehe auch: Höpfner, RdA 73 (2020), 129, 138 f. 613 Siehe oben § 7 C. II. 1. b), sowie: Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 71; Däubler TVG/Däubler, Einleitung Rn. 988; Schlachter, GS Zachert, S. 634, 642; Kempen/Zachert/Kempen, § 2 TVG Rn. 25; Bock, Investorenvereinbarungen zur Sicherung von Arbeitnehmerinteressen, 104 f.; in diese Richtung auch: Otto, AP TVG § 12a Nr. 1, II. 1. b); Zachert, NZA 23 (2006), 10, 12 f.; abweichend: Gamillscheg, KollArbR I, 509; Karsten, Schuldrechtliche Tarifverträge und außertarifliche Sozialpartner-Vereinbarungen, 183. 614 Dazu: Wiedemann/Thüsing, § 1 TVG Rn. 180 ff. 615 Vgl. dazu: Wiedemann/Thüsing, § 1 TVG Rn. 163 ff. 616 Vgl. nur: MüKoBGB/W. Ernst, Einleitung Rn. 18 m. w. N.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Kollektivvereinbarungen in die Individualverträge. Dabei ist das erklärte Ziel einer möglichst effektiven Geltung der Kollektivinhalte im Blick zu behalten. a) Tarifgemeinschaft In Anlehnung an v. Gierkes genossenschaftliche Rechtstheorie, nach der Gemeinschaften autonom objektives Recht schaffen, das für den Kreis der Gemeinschaft Wirkung entfaltet617, wurde der Frage nach der Bildung einer Tarifgemeinschaft in Gestalt eines gemeinsamen Verbandes der Tarifparteien nachgegangen, innerhalb dessen durch autonome Satzung Arbeitsbedingungen als objektives Recht geschaffen würden.618 Gegen diese Lösung durch Gründung eines gemeinsamen Vereins spricht einerseits, dass die Vereinssatzung insoweit entfremdet würde, als sie nicht die Mitgliedschaftsverhältnisse zum Verband, sondern die von diesen unabhängigen individualvertraglichen Beschäftigungsverhältnisse der Mitglieder untereinander zu regeln bestimmt wäre.619 Hinzu kommt andererseits, dass Art. 9 Abs. 3 GG gerade ein auf Erzeugung von Gegenmacht beruhendes antagonistisches Verfahren des Interessenausgleichs vorsieht, das unter anderem in den Erfordernissen der Gegnerfreiheit und -unabhängigkeit Ausdruck findet.620 Bereits unter Geltung der WRV wurden sog. „Harmonieverbände“, in denen sich die sozialen Gegenspieler zusammenschlossen, nicht als Koalitionen anerkannt.621 Diesen Erwägungen lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass es bei der Tarifgemeinschaft allein um die Umsetzung vorher im Interessenwiderstreit erreichter Vereinbarungen geht.622 Mithin erscheint die Schaffung einer Tarifgemeinschaft insgesamt als ungeeignete Umsetzungsvariante.

617 Gierke, Deutsches Privatrecht, 112 ff., 142 ff.; zum Tarifvertrag: Gierke, Deutsches Privatrecht, 602 ff. 618 Gierke, ArchSozWiss 42 (1917), 815, 832; Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, 251 ff. m. w. N.; zum historischen Beispiel der Tarifgemeinschaft deutscher Buchdrucker: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 208; dazu auch: Imle, Die Tarifverträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Deutschland, 7 ff. 619 Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, 26; Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, 253; in diesem Fall eine staatliche Ermächtigung fordernd: Gierke, Deutsches Privatrecht, 152 f. 620 Siehe oben § 7 B. 621 Nipperdey, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Art. 159 WRV S. 393. 622 Zutreffend: Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 281; davon zu unterscheiden sind gemeinsame Einrichtungen der Tarifpartner nach § 4 Abs. 2 TVG, die auf Grundlage eines Tarifvertrages als eigener Rechtsträger bestimmte Aufgaben wie Lohnausgleichs- oder Urlaubskassen übernehmen, dazu: ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 22 ff.; Gamillscheg, KollArbR I, 618 f.

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b) Vertrag zugunsten Dritter Das BAG spricht in zahlreichen Urteilen von der Möglichkeit des Vertrags zugunsten Dritter, der jedenfalls im Bereich schuldrechtlicher Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien ein taugliches Mittel darstelle, dem einzelnen Arbeitnehmer einen direkten Anspruch gegen den vertragsschließenden Arbeitgeber nach § 328 Abs. 1 BGB zu gewähren.623 Übertragen auf Crowdwork wären so direkte Ansprüche der Crowdworker auf von ihren Verbänden mit einzelnen Auftraggebern bzw. Plattformen vereinbarte Mindestarbeitsbedingungen nach § 328 Abs. 1 BGB denkbar. Gegen eine solche Konstruktion richtete sich Sinzheimer vor allem mit der Erwägung, dass es sich nicht um Leistungen mit Drittbezug handeln könne, sofern es lediglich um die Vereinbarung einer Durchführungspflicht gehe, die eine Obligation tarifwidrige Abschlüsse zu unterlassen nur gegenüber dem Verband als Vertragspartner begründe.624 In der Tat begründet diese Durchführungspflicht keinen individuellen Leistungsanspruch des Crowdworkers, sondern kann nur mithilfe der Verbandsgewalt durchgesetzt werden625 (dazu näher sogleich). Ebenso wenig sind hier Ansprüche auf Abschluss von (weiteren) Werkverträgen im Sinne eines Kontrahierungszwangs der Auftraggeber gemeint.626 Vielmehr geht es um Ansprüche auf konkrete Vergütungssätze für bestimmte Leistungen.627 Wie gezeigt wird die Möglichkeit direkter (Zahlungs-)Ansprüche des Drittbegünstigten gegen den Versprechenden durch Kollektivvereinbarung mittlerweile anerkannt, dies gilt selbst dann, wenn die Auslösung der Zahlungspflicht des Versprechenden an die Unterlassung bestimmter Pflichten anknüpft.628 Diese Konstruktion versagt allerdings bei „Verbandskoalitionsverträgen“, bei denen auch auf Auftraggeberseite ein Verband Vertragspartei wird. Entsprechend Sinzheimers Konstruktion werden in diesem Fall allein die Verbände Vertragspartei, nicht aber ihre einzelnen Mitglieder. Nur zwischen ihnen gelten die vereinbarten obligatorischen Rechte und Pflichten. Unmittelbare Ansprüche der gegnerischen 623 Siehe oben im vorigen Abschnitt, sowie: BAG, Urt. v. 21.5.2014 – 4 AZR 50/13, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 220, Rn. 32 m. w. N.; für die schuldrechtliche Friedenspflicht in einem TV: BAG, Urt. v. 28.5.2015 – 1 AZR 875/13, NZA 2016, 179, Rn. 43; siehe auch: Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 77; Otto, AP TVG § 12a Nr. 1, unter II. 1. b). 624 Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, 141 ff. 625 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 235. 626 Vgl. bereits: Hueck, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts 73 (1923), 33, 38. 627 Vgl. Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 283. 628 Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 76 f.; i. E. ähnlich: Kempen/Zachert/Zeibig/A. Stein, § 1 TVG Rn. 303; Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 283 f.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Verbandsmitglieder untereinander entstehen demgegenüber nicht.629 Hier lässt sich über § 328 Abs. 1 BGB kein direkter Anspruch gegen die einzelnen Auftraggeber als Verbandsmitglieder begründen630, da dies einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter bedeuten würde.631 Dementsprechend bliebe nur der Verweis auf die Einwirkungspflicht des Verbandes auf seine Mitglieder632 und die, von unmittelbar wirkenden Mindestbedingungen freilich noch weiter entfernte, Möglichkeit der Einwirkungsklage der Beschäftigtenkoalition.633 c) Vertretungsmodell Einen möglichen Ausweg bietet hier Lotmars Vertretungstheorie, nach der der Auftraggeberverband sowohl sich selbst als auch seine Mitglieder über die §§ 164 ff. BGB verpflichten kann.634 Auf diesem Wege entstünde ein mehrgliedriger Kollektivvertrag, aus dem nach dem obigen Modell über § 328 BGB Individualansprüche gegen die einzelnen Verbandsmitglieder ableitbar wären. Dazu müssten die Mitglieder ihren Verband zum Abschluss derartiger Verträge in ihrem Namen bevoll-

629 Zu diesen Rechtswirkungen bereits: Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, 242; Gamillscheg, KollArbR I, 514; Hueck, Das Recht des Tarifvertrages, 50, 61. 630 Wallisch, Die tarifvertraglichen Einwirkungspflichten, 27; Karsten, Schuldrechtliche Tarifverträge und außertarifliche Sozialpartner-Vereinbarungen, 156; wohl aber des einzelnen Mitglieds gegen den Verband: Wiedemann/Thüsing, § 1 TVG Rn. 903; Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 44. 631 Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 78; so bereits: Rundstein, Die Tarifverträge und die moderne Rechtswissenschaft, 131; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 235; vgl. auch: Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, 702; zur grundsätzlichen Unzulässigkeit m. w. N.: Staudinger/Klumpp, Vorbem. zu § 328 BGB Rn. 53; dagg. für Zulässigkeit, sofern Drittbelastung offengelegt wird: Bettermann, JZ 6 (1951), 321, 322. 632 Zu diesen ausführlich: Wallisch, Die tarifvertraglichen Einwirkungspflichten, 33 ff.; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 1425, 1428 f.; zur Sanktionierung von Solidaritätsverstößen mit Verbandsmitteln: H. Seifert, Solidarität im Arbeitsrecht, 129 ff. 633 Wiedemann/Thüsing, § 1 TVG Rn. 900 ff.; Karsten, Schuldrechtliche Tarifverträge und außertarifliche Sozialpartner-Vereinbarungen, 160 ff.; Wallisch, Die tarifvertraglichen Einwirkungspflichten, 146 ff.; im hier interessierenden Bereich wäre allerdings, mangels Tariffähigkeit der vertragsschließenden Verbände bzw. mangels inhaltlichem Bezug zum TVG, nicht die Arbeitsgerichtsbarkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, sondern die ordentlichen Gerichte für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten zuständig, vgl.: Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 1145 f. 634 BAG, Urt. v. 29.6.2004 – 1 AZR 143/04, AP TVG § 1 Nr. 36, unter IV. a), mehrgliedrige TV i. e. S.; BAG, Urt. v. 8.11.2006 – 4 AZR 590/05, NZA 2007, 576, Rn. 22; BAG, Urt. v. 21.8.2013 – 5 AZR 581/11, NZA 2014, 271, Rn. 33; Wiedemann/Thüsing, § 1 TVG Rn. 194 ff.; Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 79; Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 155.

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mächtigen. Entscheidend ist somit, ob bereits im Verbandsbeitritt die konkludente Erteilung einer entsprechenden Vollmacht gesehen werden kann.635 d) Differenzierungsmodell Die genannte Schwierigkeit hinsichtlich direkter Ansprüche bei Verbandskoalitionsverträgen überwindet das Differenzierungs-Modell von Ramm, das auf Arbeitgeberseite von der Kombinationstheorie ausgeht, während auf Arbeitnehmerseite die Verbandstheorie zum Tragen kommt.636 Gestützt wird diese Differenzierung auf die unterschiedliche Macht- und Interessenlage auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Während erstere auf den Schutz der Gewerkschaft angewiesen seien und deshalb eine starke Interessenidentität zwischen beiden bestehe, herrsche auch zwischen verbandsmäßig organisierten Unternehmen potentiell Wettbewerb, sie gingen mithin nicht im Kollektiv auf, sondern blieben Einzelakteure.637 Auf Seiten der Gewerkschaft erfolge eine „Umbildung der individualrechtlichen Vertretung zu einer neuen sozialrechtlichen Institution“, die dazu führe, dass der einzelne Arbeitnehmer sich seiner Vertragsfreiheit partiell begebe und nicht mehr neben dem kollektiv abgesteckten Rahmen einzelvertraglich abweichend handeln könne.638 Dogmatisch werde diese Konstellation mit dem Instrument der verdrängenden unwiderruflichen Vollmacht adäquat erfasst.639 Diese Argumentation beseitigt zwar einige konstruktive Schwierigkeiten, ließe sich aber gleichwohl umkehren. Auch Arbeitnehmer konkurrieren potentiell untereinander, sodass sie nicht völlig im Kollektiv aufgehen. Darüber hinaus weckt die Annahme der konkludenten Erklärung einer so weitgehenden Vollmacht durch den Beitritt der Beschäftigten zum Verband Zweifel.640 Insgesamt scheint die Unterscheidung zu stark auf das gewünschte Ergebnis abzustellen, konnte sich letztlich bis heute nicht durchsetzen und ist deshalb im vorliegenden Fall nicht weiterführend. e) Leistungsbestimmung durch Dritte; Bezugnahme Mithilfe des § 317 BGB versucht Bötticher eine privatrechtliche Erklärung der unmittelbaren Wirkung der tariflichen Vereinbarungen auf die Einzelarbeitsverhältnisse zu geben. Dritte im Sinne des § 317 BGB seien die Tarifpartner als Einheit,

635 Vgl. Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 79 f. 636 Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 74 ff. 637 Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 71 ff. 638 Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 89. 639 Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 89. 640 Allgemein kritisch zur verdrängenden unwiderruflichen Vollmacht: Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 156; Flume, Das Rechtsgeschäft, 883 f. m. w. N.

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der Tarifinhalt stelle die Leistungsbestimmung dar,641 der sich die Verbandsmitglieder durch Beitritt unterworfen haben.642 Diese Unterwerfung unter das „Dauergestaltungsrecht“ der Tarifpartner habe zwei Komponenten. Sie wirke einerseits im üblichen Sinne als Unterwerfung unter die Vereinsgewalt, darüber hinaus andererseits als Unterwerfung unter die Bestimmungen des Dritten in Gestalt der Tarifparteien, wie sie sich im jeweiligen Tarifinhalt niederschlagen.643 Die Unabdingbarkeit ergebe sich ferner aus dem übereinstimmenden Interesse der Tarifparteien an der Ausgestaltung und Beibehaltung der Einzelarbeitsverhältnisse entsprechend dem Tarifinhalt.644 Der „Gehorsam“ in diesem Sinne könne nicht gebrochen, sondern nur durch Verbandsaustritt aufgekündigt werden.645 Auch hier wird dem Verbandsbeitritt mit dem Unterwerfungswillen erhebliche Bedeutung beigemessen, die gerade in Bezug auf das weite Verständnis des Dritten i. S. v. § 317 BGB zweifehlhaft erscheint. So wird man kaum annehmen können, dass im Beitritt zur Gewerkschaft eine Unterwerfung auch unter das Gestaltungsrecht des Arbeitgeberverbandes zu sehen ist, selbst wenn dieses durch den kontradiktorischen Interessenausgleich katalysiert wird.646 Die Begründung der Unabdingbarkeit mit dem entsprechenden Interesse erinnert an Lotmars Primat des Kollektivwillens gegenüber dem Individualwillen und widerspricht insbesondere dem Gedanken der Vertragsfreiheit. Insoweit vermag auch die Leistungsbestimmung durch Dritte keine überzeugende Umsetzungslösung zu bieten. Teilweise Überschneidung weist diese Konstruktion mit der Bezugnahme im Einzelvertrag auf den Inhalt des Koalitionsvertrags auf. Das gilt weniger für die statische Bezugnahme, die jedenfalls im Rahmen der Vertragsfreiheit zulässig ist, als für die dynamische.647 Für die dynamische Inbezugnahme von Tarifverträgen wird § 317 BGB als dogmatische Grundlage zwar überwiegend abgelehnt648, gleichwohl vom BAG für die Bezugnahme auf kirchliche Arbeitsbedingungen des „Dritten Weges“649 anerkannt.650 Die dogmatischen Bedenken, die antagonistischen Verbände als Dritten anzusehen, bestehen fort. Ob sich diese Überlegung also auf sonstige Koalitionsverträge übertragen lässt oder ob es sich dogmatisch um eine beiderseitige 641

Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, 20. Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, 19. 643 Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, 21. 644 Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, 24. 645 Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, 25. 646 Kritisch auch: Lobinger, FS von Hoyningen-Huene, S. 271, 286. 647 Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 1287. 648 Lobinger, FS von Hoyningen-Huene, S. 271, 286 ff. m. w. N.; unter Berufung auf: Joussen, AcP 203 (2003), 429 ff., der darlegt, dass es sich bei den §§ 315 ff. BGB vor allem um eine Ausnahme vom Bestimmtheitserfordernis handele. 649 Vgl. zum kollektiven Rechtsetzungsverfahren der Religionsgemeinschaften nach diesem Prinzip: Schaub/Linck, § 184 Rn. 9 m. w. N. 650 BAG, Urt. v. 10.12.2008 – 4 AZR 798/07, BeckRS 2010, 69158, unter B. I. 4. c) m. w. N.; Richardi, ZfA 45 (2014), 395, 406. 642

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Ermächtigung oder Bevollmächtigung handelt651, kann hier insoweit dahinstehen, als damit jedenfalls keine besonders feste Umsetzung in die Individualrechtsbeziehungen verbunden wäre. Die Vertragsparteien müssten die Bezugnahme vielmehr individuell vereinbaren, unmittelbare Ansprüche aus dem Kollektivvertrag bestünden nicht. f) Offene Verpflichtungsermächtigung Konstruktiv ließe sich die Befugnis des Verbandes, seine Mitglieder schuldrechtlich zu verpflichten, ferner im Wege einer Verpflichtungsermächtigung in Analogie zu § 185 BGB begründen, die mit dem Verbandsbeitritt erteilt werden könnte. Eine solche wird indes unter Hinweis auf Widersprüche zum Stellvertretungsrecht, welches durch das Offenkundigkeitsprinzip geprägt ist, überwiegend abgelehnt.652 Dem Gläubiger dürfe kein ihm unbekannter Schuldner aufgedrängt werden.653 Diese Kritik bezieht sich jedoch vor allem auf die verdeckte Verpflichtungsermächtigung. Entsprechend wollen einige Stimmen die offene Verpflichtungsermächtigung, bei der die Drittwirkungen offengelegt werden, zulassen.654 In diesem Fall wird dem Gläubiger kein unbekannter Schuldner untergeschoben, seine Interessen lassen sich außerdem durch die Konstruktion eines Zurückweisungsrechts entsprechend § 333 BGB wahren.655 Nicht unberechtigt wird diese Konstruktion insoweit als überflüssig abgetan, als sie sich in weiten Teilen mit der Stellvertretung überschneidet.656 In der Tat stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Konstruktion mithilfe des Vertretungsmodells sich von der offenen Verpflichtungsermächtigung unterscheidet. Soll die Verpflichtung insoweit kumulativ wirken, dass neben dem Verband auch das Verbandsmitglied Schuldner wird, so ließe sich selbiges mit dem gleichzeitigen Handeln im eigenen und fremden Namen, also durch Stellvertretung bzw. mithilfe des Schuldbeitritts erreichen.657 Soll allein der Ermächtigende/Vertretene verpflichtet werden, ist die Stellvertretung das Mittel der Wahl. Letztlich ist also nicht ersichtlich, welche Vorteile die Konstruktion einer offenen Verpflichtungsermächtigung haben soll. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Befürworter dieser Konstruktion allesamt im Kontext (schuldrechtlicher) tarifvertraglicher Ver651

So: Lobinger, FS von Hoyningen-Huene, S. 271, 287 f. Flume, Das Rechtsgeschäft, 906 f.; Staudinger/Klumpp, Vorbem. zu § 328 BGB Rn. 72. 653 Staudinger/Klumpp, Vorbem. zu § 328 BGB Rn. 72; Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 80. 654 Bettermann, JZ 6 (1951), 321, 325; Gamillscheg, KollArbR I, 634; Nikisch, Arbeitsrecht II. Band, 328; Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 80 f.; Picker, in: ders. (Hrsg.), Recht und Freiheit, S. 25, 57 f., 61 ff. m. v. w. N. auch zur Gegenansicht. 655 Bettermann, JZ 6 (1951), 321, 323; Martens, AcP 177 (1977), 113, 150. 656 Peters, AcP 171 (1971), 234, 239 ff.; Staudinger/Klumpp, Vorbem. zu § 328 BGB Rn. 72 a. E. 657 MüKoBGB/Bayreuther, § 185 BGB Rn. 32. 652

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

einbarungen argumentieren, wo sich mit § 2 Abs. 4 TVG zumindest ein rechtlicher Anknüpfungspunkt findet.658 Dieser bietet sich vorliegend bei Vereinbarungen außerhalb des TVG gerade nicht. Insoweit ist festzuhalten, dass gegen die Begründung einer offenen Verpflichtungsermächtigung zwar keine durchgreifenden dogmatischen Bedenken bestehen, ihre Wirkungen aber gleichsam mit den allgemein anerkannten Rechtsinstrumenten der Stellvertretung ggfs. mit § 328 BGB erzielt werden können. g) Bewertung Insgesamt spitzen sich alle schuldrechtlichen Konstruktionsmöglichkeiten auf die Frage der individualvertraglichen Abweichungsmöglichkeit von kollektiv vereinbarten Bedingungen zu. Wie gezeigt lässt sich über den Vertrag zugunsten Dritter, bei Verbandskoalitionsverträgen ggfs. in Kombination mit dem Vertretungsmodell bzw. einer offenen Verpflichtungsermächtigung, eine gewisse Unmittelbarkeit schuldrechtlich vereinbarter Mindestarbeitsbedingungen erzeugen, indem diese zwar nicht ipso iure auf den Einzelvertrag einwirken, der Einzelne jedoch zumindest direkte Ansprüche, gerichtet auf die Erfüllung der vereinbarten Bedingungen, gegen seinen Auftraggeber gewinnt. Allerdings bleibt es dem einzelnen Crowdworker unbenommen, individualvertraglich nach unten vom Kollektivvertragsinhalt abzuweichen bzw. seine Ansprüche gar nach § 333 BGB zurückzuweisen. Koalitionsvertrag und Individualvertrag wirken relativ und sind grundsätzlich voneinander zu trennen; es bedarf also zunächst der Feststellung, ob mit der individualvertraglichen Abweichung auch eine Zurückweisung des Anspruchs aus dem Kollektivvertrag verbunden ist.659 Dabei könne die individuelle Zurückweisung auf das Deckungsverhältnis, d. h. die Kollektivebene, insoweit durchschlagen, als der Versprechende wegen Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung nach § 275 Abs. 1 BGB auch von seiner Verpflichtung ggü. dem Versprechensempfänger befreit würde.660 Dieses Verständnis ist allerdings keineswegs zwingend, sondern hängt von der Auslegung des Deckungsverhältnisses661, d. h. des Koalitionsvertrages, ab, welche regelmäßig dazu führen dürfte, dass der Anspruch des Versprechensempfängers (der Crowdworker-Koalition) bestehen bleibt. Dieser Schwäche wird mit der Abbedingung des Zurückweisungsrechts, bzw. 658 Vgl. Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 81, sowie die Nachweise in Fn. 654 im Dritten Teil. 659 Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 1304; für diese „lebensnahe Auslegung“: Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 284; unter Berufung auf: Staudinger/Jagmann, § 333 BGB Rn. 2. 660 Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 284. 661 BGH, Urt. v. 11.5.2012 – V ZR 237/11, NJW 2012, 2354, Rn. 22; MüKoBGB/Gottwald, § 333 BGB Rn. 8; Staudinger/Jagmann, § 333 BGB Rn. 14.

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durch Anwendung des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG auf entsprechende Abweichungen, zu begegnen versucht.662 Eine derartige Interpretation der unmittelbaren Drittwirkung erscheint indes abwegig. Wenn Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG selbst keine umfassende Normsetzungsbefugnis verleiht663, erscheint es ausgeschlossen, dass mit der Anordnung unmittelbarer Drittwirkung eine quasi-normative Wirkung schuldrechtlicher Koalitionsvereinbarungen verbunden sein soll.664 Des Weiteren ist umstritten, ob neben dem individuellen auch der kollektive Gewährleistungsgehalt von der Drittwirkung erfasst wird.665 Unabhängig davon wirkt die individualvertragliche Abweichung von Koalitionsvereinbarungen wenn überhaupt nur mittelbar auf die kollektive Betätigung zurück. Demgegenüber erscheint die Abbedingung des Zurückweisungsrechts im allseitigen Einverständnis, trotz Bedenken hinsichtlich der Beschneidung der individuellen Vertragsfreiheit und dem Rechtsgedanken des § 137 S. 1 BGB, nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Genauso denkbar wäre es, im Koalitionsvertrag Vertragsstrafen666 für individualvertragliche Abweichungen nach unten zu vereinbaren, die entsprechend vom Auftraggeberverband an den Crowdworkerverband zu zahlen wären. Unmittelbare Ansprüche der Crowdworker auf bestimmte Arbeitsbedingungen würden damit zwar nicht begründet, gleichwohl würde ein wirtschaftlicher Anreiz gesetzt, die kollektiv vereinbarten Bedingungen tatsächlich umzusetzen. Die hinter der operationalen Ebene stehende Frage wird hiermit jedoch nicht beantwortet. Immer dann, wenn privatrechtlich zwingende Wirkung konstruiert werden soll, gelingt dies nur durch Überfrachtung des Verbandsbeitritts mit der konkludenten partiellen Aufgabe der Individualfreiheit der Koalierten zugunsten der kollektiven Verbandsinteressen. Ob man dabei wie Lotmar auf den Willen oder wie Bötticher auf die Interessen der Vertragsparteien zur Unterwerfung unter die Kollektivgewalt der Koalitionen abstellt, ist letztlich ein gradueller Unterschied. Ramm hat den Kern des Theorienstreits freigelegt. Danach geht bzw. ging es um die Grundentscheidung zwischen kollektivistischer und individualistischer Gesellschaftsordnung, also um die Frage, ob das Individuum als Träger von Rechten und Pflichten neben dem 662

Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 285. 663 Siehe oben § 7 C. II. 1. 664 Ebenso: Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 1295. 665 Dietlein, in: Stern/Sachs (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 112 S. 2098 m. w. N.; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 133; Höfling/Burkiczak, RdA 57 (2004), 263, 267 ff. 666 Deren Vereinbarung in Kollektivverträgen, insbesondere Tarifverträgen wird für möglich gehalten: ErfK/Müller-Glöge, § 345 BGB Rn. 26; zu Vertragsstrafenversprechen der Tarifpartner untereinander, um die Einhaltung des obligatorischen Teils des Tarifvertrages, etwa der Friedenspflicht sicherzustellen: Bötticher, ZfA 1 (1970), 3, 30 f.; vgl. BAG, Urt. v. 22.10.2003 – 10 AZR 13/03, AP TVG § 1 Tarifverträge: Gebäudereinigung Nr. 16 (m. Anm. Zachert); zur grundsätzlichen Zulässigkeit im Arbeitsrecht sowie zur AGB-Kontrolle im Falle vorformulierter Bedingungen, insb. in Individualarbeitsverträgen: Krause, FS Reuter, S. 627, 628 ff.; J. Winter, BB 65 (2010), 2757 ff.; Staudinger/Rieble, § 339 BGB 179 ff.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Kollektiv steht, oder das Kollektiv selbst zum dominierenden Faktor wird.667 Beantwortet man diese Grundentscheidung in letzterem Sinne, geht man den Weg der Verbandstheorie. Mit dem Beitritt erfolgt dann lediglich eine Unterwerfung unter die Verbandsgewalt, während dessen Vereinbarungen mit dem sozialen Gegenspieler nur den Verband selbst verpflichten und nur bei entsprechender staatlicher Anordnung auf die Individualrechtsverhältnisse der Mitglieder einwirken. Die Gefahr einer Überfrachtung des Verbandsbeitritts besteht insofern nicht, als dass aus ihm keine „besonderen“ Rechtswirkungen erfolgen. Geht man demgegenüber den entgegengesetzten Weg, muss das Individuum als zentraler Akteur Bestand haben und seine individuelle (Vertrags-)Freiheit auch im Kollektiv behalten. In einem individuellprivatrechtlichen Modell bedarf Normsetzung bzw. Verpflichtung mit quasi-normativer Wirkung, d. h. Rechtswirkung ohne bzw. sogar gegen den Willen des Individuums durch das Kollektiv, besonderer Rechtfertigung. Dann erscheint die Deutung des Verbandsbeitritts als begrenzte Unterwerfung unter die Kollektivgewalt der Koalitionen mit der Folge entsprechender Ermächtigungen, Bevollmächtigungen, bzw. einem Leistungsbestimmungsrecht aus § 317 BGB, keineswegs als Überfrachtung, sondern vielmehr als notwendige Voraussetzung einer vom Individuum ausgehenden Berechtigung des Kollektivs an dessen Stelle zu handeln. Dass dies ohne staatliche Ermächtigung erfolgen soll, erscheint trotz der grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG zumindest bedenklich. Dabei lässt sich das Grundrecht der Koalitionsfreiheit in beide Richtungen ins Feld führen. Einerseits ist Sinn und Zweck der Koalition gerade der Zusammenschluss zur Herstellung von Vertragsparität. Ziel ist also die Bildung eines Kollektivs, weil die Partikularinteressen durchsetzungsschwach sind. Dass hierbei die Individualinteressen im Kollektiven aufgehen, erscheint folgerichtig. Andererseits geht es lediglich um die kollektive Ausübung der Privatautonomie668, nicht deren Verschmelzung zu einer einheitlichen Kollektivautonomie. Darüber hinaus wird die kollektive Gewährleistung als notwendiges Instrument der im Wortlaut angelegten individuellen Freiheit verstanden669, was gegen den Vorrang des Kollektivs spricht. Damit lässt Art. 9 Abs. 3 GG dahingehend Interpretationsraum, ob die Individuen im Kollektiv aufgehen oder lediglich in diesem gebündelt werden. Innerhalb dieses Spielraums blüht der Streit um die Qualität der Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht, mit anderen Worten um das Verhältnis von Individuum und Kollektiv, auf.670 Letztlich verleiht das Grundgesetz gerade keine unmittelbare Normsetzungsbefugnis, der einfache Gesetzgeber hat die Tarifautonomie insoweit zulässig auf be667

Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 67 f. Vgl. Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 72. 669 Vgl. nur: Richardi, AöR 93 (1968), 243, 265 und siehe oben § 7 C. II. 1. 670 Siehe oben § 7 A. I.; sowie differenzierend: JKOS/Krause, § 1 Rn. 19, 30; Krause, Annales Univ. Sci. Budapest., Sec. Iur. 52 (2011), 101, 115; siehe auch: Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 127 f.; gegen die Verkürzung der Privatautonomie zugunsten der Kollektivautonomie ausdrücklich: Picker, in: ders. (Hrsg.), Recht und Freiheit, S. 25, 40 ff. m. w. N.; Picker, NZA 19 (2002), 761, 763 ff. 668

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stimmte Koalitionen beschränkt.671 Diese verfassungsgemäße gesetzgeberische Entscheidung würde jedenfalls zum Teil unterlaufen, wenn man „auf Umwegen“ nicht tariffähige Koalitionen quasi-normative Vereinbarungen schaffen ließe. Mithin bleibt es bei der von Hueck vor knapp 100 Jahren, kurz nach Einführung der TVVO672, getroffenen Feststellung, dass „… auf Grund der allgemeinen Privatrechtsregeln die Parteien die Unabdingbarkeit nicht rechtsgültig vereinbaren konnten, sich vielmehr mit der Begründung schuldrechtlicher Verpflichtungen begnügen mussten.“673 Überzeugender erscheint es damit, de lege ferenda die Voraussetzungen des kollektiven Arbeitsrechts bestehenden Schutzbedürfnissen anzugleichen und schutzbedürftige Gestaltungsformen wie Crowdwork vollumfänglich einzubeziehen. Solange dies nicht der Fall ist, lebt das kollektive Arbeitsrecht frei nach Böckenförde674 von Voraussetzungen, die es selbst nicht garantieren kann. Solange das Recht an Tatbestandsmerkmale anknüpft, die in der digitalen Welt trotz Notwendigkeit der Rechtsfolgen nicht länger erfüllt sind, schafft es sich in diesen Bereichen selbst ab. Insoweit verbleibt de lege lata die Ausschöpfung des dargestellten instrumentellen Spielraums, um einen möglichst weitreichenden Schutz zu gewähren. 3. Konkrete Gestaltung von Koalitionsverträgen Anknüpfend an Hueck werden schuldrechtliche Kollektivverträge verschiedentlich nach dem Grad ihrer Verbindlichkeit differenziert.675 Eine solche Einteilung bietet sich auch in Bezug auf Crowdwork an. Dabei sollen über den vorab unternommenen Versuch der privatrechtlichen Konstruktion unmittelbarer und zwingender Wirkung hinaus auch verschiedene „weiche“ Effekte, die trotz formal geringer rechtlicher Verbindlichkeit zur Effektivität einer Vereinbarung beitragen können, Berücksichtigung finden.

671

Siehe oben § 7 C. II. 1. Siehe oben zur historischen Entwicklung § 7 A. III. 1. b). 673 Hueck, Das Recht des Tarifvertrages, 94 f.; siehe auch: Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 136 f.; a. A. Picker, in: ders. (Hrsg.), Recht und Freiheit, S. 25, 65, der diese Wirkungen durch die Annahme einer unwiderruflichen, verdrängenden Vollmacht erzielen will. 674 Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 60, „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ 675 Hueck, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts 73 (1923), 33, 47 ff., der von Normenverträgen spricht; diese Unterscheidung im Wesentlichen übernehmend: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 230 ff.; Bock, Investorenvereinbarungen zur Sicherung von Arbeitnehmerinteressen, 131 ff.; Bayreuther, Sicherung, 52 ff.; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 1298 ff. 672

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

a) Richtlinien- und Musterverträge; Empfehlungen Aus rechtlicher Perspektive schwache Wirkung entfalten bloße Muster- oder Richtlinienverträge. Hierunter fallen von den Kollektivakteuren geschlossene Verträge, die bestimmte Arbeitsbedingungen oder Leitlinien für angemessene Arbeitsbedingungen aufstellen, ohne eine entsprechende Umsetzungspflicht zu vereinbaren. Von solchen zweiseitigen Vereinbarungen zu unterscheiden sind lediglich einseitige Empfehlungen von Verbänden. Hierfür gibt es im Bereich von Crowdwork einige und darüber hinaus etliche Beispiele. So haben internationale gewerkschaftliche Organisationen am 6. Dezember 2016 die Frankfurter Erklärung zu Plattformbasierter Arbeit676 abgegeben. Darin werden Crowdsourcer und Plattformbetreiber zur Gewährleistung angemessener Arbeitsbedingungen aufgerufen.677 Spiegelbildlich haben sich mehrere Plattformen auf Leitlinien für faire Beschäftigung von Crowdworkern verständigt und diese als Code of Conduct veröffentlicht.678 Darin geben die Unterzeichner an, Crowdworkern ein dem Wert ihrer Arbeit angemessenes und faires Honorar zu zahlen.679 Des Weiteren sollen der Abnahmeprozess transparent und nachvollziehbar geregelt und die Ablehnung von Arbeitsergebnissen begründet werden. Im Konfliktfall kann eine paritätisch besetzte Ombudsstelle angerufen werden.680 Von konkreten Entgeltordnungen und rechtlichen Verpflichtungen sind diese Erklärungen zwar noch weit entfernt681, sie formulieren gleichwohl erste Richtlinien, Forderungen bzw. Absichtserklärungen. Derartigen Vereinbarungen sind trotz ihrer Unverbindlichkeit rechtlich grundsätzlich nicht unbedeutend. Einerseits erleichtern sie die einheitliche Umsetzung bestimmter Richtlinien, soweit die Individualvertragsparteien beim Vertragsschluss ihren Inhalt übernehmen oder in Bezug nehmen.682 Andererseits haben derartige 676 Abrufbar unter: https://www.igmetall.de/docs_20161214_Frankfurt_Paper_on_Plat form_Based_Work_DE_1c33819e1e90d2d09e531a61a572a0a423a93455.pdf. 677 Vgl. etwa S. 8 der Frankfurter Erklärung „… vertreten wir den Standpunkt, dass so viel über Online-Plattformen geleistete Arbeit wie möglich, unabhängig vom rechtlichen Status der Beschäftigten oder ihrem Zugang zu anderen Arbeitsgelegenheiten, mit einem Betrag entgolten werden sollte, der mindestens dem am Standort der Beschäftigten geltenden Mindestlohn (nach Abzug aller Ausgaben, vor Steuern) entspricht.“ 678 Abrufbar unter: http://www.crowdsourcing-code.de/documents/9/Code_of_Conduct_ DE.pdf. 679 Vgl. S. 8 des Code of Conduct unter 3. „Die Mitglieder des Code of Conduct zahlen den Crowdworkern ein dem Wert der Arbeit faires und angemessenes Honorar beziehungsweise beraten den jeweiligen Auftraggeber entsprechend.“ 680 S. 6 des Code of Conduct unter 9. „Geregelter Abnahmeprozess und Nacharbeit“; ausweislich der Jahresberichte der Ombudsstelle wurden an diese seit Aufnahme ihrer Tätigkeit im November 2017 bis Ende 2019 44 Fälle herangetragen, von denen 26 einvernehmlich geklärt werden konnten, vgl. https://ombudsstelle.crowdwork-igmetall.de/de.html. 681 Ähnlich: Bayreuther, Sicherung, 54. 682 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 231.

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Richtlinien appellativen Charakter und können Leitbildfunktion erreichen, sofern sie sich am Markt durchsetzen und ein Bewusstsein für den Wert bestimmter Leistungen schaffen.683 Dann erfolgt auch ohne rechtliche Verbindlichkeit eine faktische, „weiche Durchführungspflicht“ der Individualparteien. Diese Funktionen erfüllen die dargestellten einseitigen Empfehlungen aufgrund ihrer sehr allgemeinen Formulierung derzeit noch nicht, sie bieten aber gleichwohl einen ersten Orientierungspunkt für Crowdwork. Trotz formaler Unverbindlichkeit können konkrete Vergütungsordnungen die beschriebene Leitbildfunktion erhalten. Obwohl auch diese rechtlich keine Bindungswirkung für Beschäftigungsverhältnisse entfalten, orientieren sich die Individualparteien an ihnen. Vorbilder derartiger Ordnungen finden sich etwa in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B), die Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen festlegt und dabei sowohl im rein geschäftlichen Bereich als auch gegenüber Verbrauchern weite Anwendung findet.684 Auch Tarifverträgen kann eine solche (unverbindliche) Leitbildfunktion zukommen. Nach der bisherigen Untersuchung ist zwar keine indirekte Interessenvertretung soloselbstständiger Crowdworker in Tarifverträgen zulässig685, allerdings gibt es durchaus praktische Beispiele von Tarifwerken, die eine Branche auch über die tarifgebundenen Arbeitnehmer hinaus prägen. So ist etwa der AGD Vergütungstarifvertrag Design (VTV), der seit 35 Jahren zwischen der Allianz deutscher Designer (AGD) e. V. und dem Selbständige Design-Studios (SDSt) e. V. ausgehandelt und vereinbart wird, online abrufbar und enthält auch für Nichtmitglieder Berechnungsbeispiele für Designkosten.686 Auch Crowdwork Design-Plattformen könnten sich an diesem Tarifwerk orientieren. Die Leitbildfunktion687 solcher Regelwerke wird durch besondere Bekanntheit in der jeweiligen Branche, etwa durch langen Bestand (VTV), begünstigt, kann aber auch durch öffentliche Empfehlungen der Verbände oder sogar durch staatliche Intervention hervorgerufen werden.688 Bei alldem ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Festlegung konkreter Entgelte für bestimmte Leistungen gerade im Bereich des heterogenen, potentiell globalen Crowdworks Schwierigkeiten bereitet.689 Nichtsdestoweniger dürften dif683 Bayreuther, Sicherung, 55 f.; Hueck, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts 73 (1923), 33, 49, der sogar eine Bedeutung entsprechend der Verkehrssitte für möglich hält, worauf eine entsprechende Vermutung für die Umsetzung in Einzelarbeitsverhältnisse folge; dies einschränkend S. 52 f. 684 Bayreuther, Sicherung, 52; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 231. 685 Siehe oben § 8 B. I. 686 Https://www.vtv-online.de/; näheres zu den Verbänden siehe oben § 8 A. III. 687 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 231, „Attraktivitätssog“. 688 Vgl. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 231, unter Bezugnahme auf die anders lautende Vorgängerregelung zu § 310 Abs. 1 S. 3 BGB (§ 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG); Bayreuther, Sicherung, 53 m. w. N. für Tarifwerke mit Orientierungsfuntkion. 689 So auch S. 7 f. Frankfurter Erklärung, in der eine Kombination aus Stücklohn und projektbasierter Vergütung vorgeschlagen wird.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

ferenzierte (Mindest-)Verdienstregelungen, die etwa im Bereich der Mikrotasks an Stückzahlen und in komplexeren Bereichen an den Zeitaufwand bestimmter Projekte anknüpfen, realisierbar sein. b) Allgemeine Koalitionsverträge Höhere Verbindlichkeit kommt den von den Verbänden geschlossenen Koalitionsverträgen zu, in denen bestimmte Arbeitsbedingungen festgelegt werden. Beinhalten die getroffenen Verabredungen keine konkreten Leistungen an Dritte, wohl aber die Verpflichtung der Vertragsparteien zur Einwirkung auf ihre Mitglieder, die vereinbarten Bedingungen zum Gegenstand der Individualverträge zu machen, so erfolgt diese Einwirkung auf die Parteien der Beschäftigungsverhältnisse allein mit den Mitteln der Verbandsmacht.690 Die Mitglieder können sich der Geltung des Inhalts der Koalitionsverträge allerdings durch Austritt entziehen.691 Wegen der Durchsetzungsschwäche der Einwirkung, die auch mit der Vereinbarung von Vertragsstrafen nur unzureichend kompensiert werden kann692, erscheinen derartige Koalitionsverträge als kaum vielversprechend hinsichtlich der effektiven Durchsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, wenngleich auch ihnen Leitbildcharakter zukommen kann. c) Anspruchsbegründende Koalitionsverträge Eine stärkere rechtliche Verbindlichkeit bringen anspruchsbegründende Koalitionsverträge mit sich.693 Derartige Vereinbarungen wurden bisher im Bereich von Crowdwork nicht geschlossen, lassen sich aber wie dargestellt mit privatrechtlichen Mitteln so konstruieren, dass den einzelnen Crowdworkern Ansprüche über § 328 BGB etwa auf Zahlung bestimmter Vergütungssätze für konkrete Leistungen gegen ihre Auftraggeber zukommen. Dabei bestehen für ausschließlich berechtigende Bestimmungen in Hauskoalitionsverträgen unter Anwendung von § 328 BGB dogmatisch wenig Schwierigkeiten, während es für Verbandskoalitionsverträge einer Überwindung des Verbots von Verträgen zu Lasten Dritter bedarf. Dies lässt sich konstruktiv auf zwei Wegen lösen: Einerseits über die Bevollmächtigung des vertragsschließenden Verbandes durch seine Mitglieder, für diese 690

Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 1303. Siehe oben zum Ganzen § 8 B. II. 2. b), sowie: Hueck, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts 73 (1923), 33, 66 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 233 ff.; Bock, Investorenvereinbarungen zur Sicherung von Arbeitnehmerinteressen, 132. 692 Siehe oben Dritter Teil Fn. 666; in diese Richtung bereits: Hueck, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts 73 (1923), 33, 64 f.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 234. 693 Siehe oben § 8 B. II. 1., 2., ausführlich zur dogmatischen Konstruktion derartiger anspruchsbegründender Kollektivverträge. 691

§ 8 Kollektivmaßnahmen abseits klassischer Tarifverträge

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entsprechende Koalitionsverträge zu schließen. Erfolgt dies auf Seiten der Auftraggeberkoalition, ließen sich im Verhältnis Gewerkschaft bzw. Beschäftigtenkoalition und einzelner Auftraggeber über § 328 BGB erneut Leistungen zugunsten einzelner Crowdworker vereinbaren. Das gleiche Ergebnis ließe sich „nachträglich“ durch einen Schuldbeitritt der einzelnen Auftraggeber erreichen. Andererseits könnten ähnliche Resultate, wenngleich dogmatisch auf wackligeren Füßen, mithilfe einer offenen Verpflichtungsermächtigung erzielt werden, die die einzelnen Mitglieder ihrer Koalition erteilen müssten. Entscheidende und gleichzeitig praktisch schwierigste Voraussetzung ist in beiden Fällen die Vollmachterteilung oder die Verpflichtungsermächtigung. Diese lässt sich, jedenfalls theoretisch, durch den Verband von allen Mitgliedern einzeln einholen, was jedoch wenig praktikabel erscheint.694 Maßgeblich ist also, ob schon im Verbandsbeitritt als Unterwerfungsakt die Erteilung entsprechender Berechtigungen gesehen werden kann. Dies hängt zwar von der Konzeption des Verbandes und den Umständen des Beitritts ab, wird aber zu bejahen sein, wenn Zweck des Verbandes gerade die Ordnung der Beschäftigungsverhältnisse durch Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen bzw. die Vereinbarung derselben ist und die Mitglieder sich diesem Regime unterwerfen wollen.695 Mithin steht der Weg, über anspruchsbegründende Koalitionsverträge angemessene Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, dogmatisch offen.696 Angemerkt sei zuletzt, dass gerade bei kleineren CrowdworkVerbänden auch die ausdrückliche Vollmachterteilung realisierbar erscheint. Daneben tritt auch hier die Einwirkungspflicht der Verbände auf ihre Mitglieder als schwächeres Durchsetzungsinstrument. Ein Verbandsaustritt befreit indes den selbst Vertragspartei gewordenen Auftraggeber auf dieser Stufe nicht mehr von den gegen ihn bestehenden Ansprüchen, weil sie zwar in ihrer Begründung über den Verband als Vertreter oder Ermächtigten laufen, in ihrem Fortbestand aber von diesem losgelöst wirken. Insoweit lässt sich zumindest von einer quasi-unmittelbaren Wirkung aus Sicht der Crowdworker sprechen. Die vereinbarten Bedingungen wirken zwar nicht direkt auf die Individualverträge ein. Sobald die im Koalitionsvertrag festgelegten Anspruchsvoraussetzungen aber erfüllt werden, gelangt ein unmittelbarer Anspruch gegen den jeweiligen Auftraggeber auf Gewährung der entsprechenden Bedingungen zur Entstehung. d) Verbindliche Regelungen Auf letzter und damit höchster Stufe stehen verbindlich wirkende Regelungen. Unmittelbar und zwingend wirkende Bedingungen in schuldrechtlichen Kollektivverträgen lassen sich allein mit zivilrechtlichen Mitteln nicht konstruieren. Die oben 694

Vgl. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 237. So: Gamillscheg, KollArbR I, 634; Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 82; Bayreuther, Sicherung, 54, „Einzelfallfrage“. 696 Siehe oben § 8 B. II. 1. und 2. 695

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

geschilderte Möglichkeit der Vereinbarung von Regelungen durch Tarifgemeinschaft697 oder Normenkorporation698 in einem Gesamtverein, erzeugt zwar in der Theorie mithilfe entsprechender Satzungsbestimmungen unmittelbare Wirkung699, erscheint für den hier interessierenden Bereich jedoch nicht als sachgerechte Lösung.700 Normativ wirkende Koalitionsverträge außerhalb des TVG können von den Kollektivakteuren letztlich nicht geschlossen werden. Trotzdem existieren neben Tarifabschlüssen über § 12a TVG für arbeitnehmerähnliche Crowdworker de lege lata durchaus rechtliche Anknüpfungspunkte für verbindliche Regelungen insbesondere der Vergütung. Diese könnten als Vorbild für die verbindliche kollektive Ausgestaltung von Crowdwork-Arbeitsbedingungen dienen. aa) Anknüpfung an bestehende gemeinsame Vergütungsfestsetzungen Insoweit wäre de lege ferenda an die gemeinsamen Vergütungsregelungen im Urheberrecht wie an die Bestimmungen der Entgeltfestsetzung des HAG anzuknüpfen.701 Hinweise auf die Regeln im Urheberrecht tauchen etwa in Forderungen des DGB, der HBS oder von ver.di immer wieder auf.702 Im Zentrum steht dabei der zunächst kaum wegweisende Anspruch des Urhebers auf die vertraglich vereinbarte Vergütung für die Einräumung von Nutzungsrechten an seinem Werk nach § 32 Abs. 1 UrhG. Gibt es keine solche Vereinbarung, gilt nach Satz 2 eine angemessene Vergütung als vereinbart. Ist nun aber die vereinbarte Vergütung nicht angemessen, so kann der Urheber nach Satz 3 die Einwilligung seines Vertragspartners in die Vertragsänderung zu einer angemessenen Vergütung verlangen. Die Angemessenheit richtet sich dabei nach § 32 Abs. 2 UrhG, wonach einerseits gemeinsame Vergütungsregeln nach § 36 UrhG als angemessen gelten, bzw. andererseits eine Vergütung, die bei Vertragsschluss üblich und redlich ist.703 Ergänzend regelt § 32a UrhG einen „Fairnessausgleich“, sofern sich ex post ein auffälliges Missverhältnis zwischen Vergütung und mit der Nutzung erzielten Erträgen einstellt, der dem Urheber erneut einen Anspruch auf Vertragsanpassung gewährt.704 Außerhalb des Geltungsbereichs von Tarifverträgen (vgl. §§ 32 Abs. 4, 36 Abs. 1 S. 3 UrhG), sollen 697 698

117 f.

Siehe oben § 8 B. II. 2. a). Hueck, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts 73 (1923), 33,

699 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 236 f., nicht aber zwingende Wirkung, das Mitglied kann sich durch Austritt den auf den Vereinsbestimmungen beruhenden Ansprüchen der Gegenseite entziehen; Bock, Investorenvereinbarungen zur Sicherung von Arbeitnehmerinteressen, 132 f. 700 Siehe oben § 8 B. II. 2. a). 701 Siehe oben § 3 B. III. 3. zum HAG sowie § 4 A. I. 3. c) zum UrhG. 702 Vgl. Greef/Schroeder, Plattformökonomie und Crowdworking: Eine Analyse der Strategien und Positionen zentraler Akteure, 33 f.; Bayreuther, Sicherung, 27 f. 703 Näher: BeckOKUrhR/Soppe, § 32 UrhG Rn. 60 ff. 704 Soppe, NJW 71 (2018), 729, 732.

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die Parteien, d. h. Urhebervereinigungen und einzelne Werknutzer bzw. deren Vereinigungen, durch branchenspezifische Kollektivregelungen auf Basis des § 36 UrhG selbst angemessene Vergütungen festlegen.705 Es besteht zwar keine Verpflichtung des Werknutzers zur Verabredung einer gemeinsamen Vergütungsregelung, unterlässt er die Mitwirkung, kann jedoch ohne sein Zutun ein Schlichtungsverfahren nach §§ 36 Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 36a UrhG eingeleitet werden.706 Der Schlichterspruch wird verbindlich, wenn nicht eine der Parteien innerhalb von sechs Wochen widerspricht, § 36 Abs. 4 UrhG. Letztlich wirken die so getroffenen Vergütungsregeln über den Anspruch auf angemessene Vergütung mittelbar, binden jedoch über §§ 36c, 36b Abs. 1 UrhG den Werknutzer, der an der Aufstellung der gemeinsamen Regel allein oder im Verband teilgenommen hat.707 Auch wenn der umfassende Erfolg dieses neuen Kollektivsystems bisher jedenfalls nicht positiv festgestellt werden konnte708, ließe sich regulatorisch an dieses Verfahren auch im Bereich des Crowdwork anknüpfen, um punktuell Regelungen zur kollektiven Selbsthilfe zu schaffen. bb) Anknüpfung an verbindlich vorgegebene Vergütungsordnungen Abseits von vertraglichen Regelungen sei an dieser Stelle noch auf mögliche staatliche Interventionen eingegangen. So fordern verschiedene Verbände die Allgemeinverbindlicherklärung709 von Mindesthonoraren, bzw. den Erlass von Mindestvergütungsordnungen durch das BMAS.710 Dabei besteht eine Fülle solcher, als Gesetz (etwa BRAO) oder Rechtsverordnung (etwa StbVV), erlassenen Honorarordnungen, die sich jedoch aufgrund der Bandbreite von Crowdwork nicht vergleichbar umsetzen lassen werden.711 Für spezielle Bereiche und Branchen finden sich indes für Crowdwork i. w. S. internationale Beispiele, wie die Verordnung des Seattle City Council, die es Uber- und Lyft-Fahrern erlauben sollte, sich zur kol-

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Bayreuther, Sicherung, 28; Soppe, NJW 71 (2018), 729, 731. Dreier/Schulze/G. Schulze, § 36 UrhG Rn. 5. 707 BeckOKUrhR/Soppe, § 36 UrhG Rn. 16; Bayreuther, Sicherung, 28. 708 BeckOKUrhR/Soppe, § 36 UrhG Rn. 113, Stand April 2019 15 Vergütungsregeln aufgestellt, m. w. N.; Bayreuther, Sicherung, 28 ff. 709 De lege lata dürfte dies daran scheitern, dass die Regelungsbefugnis der Tarifparteien durch die Allgemeinverbindlicherklärung nicht erweitert wird, überwunden wird allein die fehlende Tarifgebundenheit, § 5 Abs. 4 S. 1 TVG: BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 279/16, NZA 2018, 867, Rn. 38; ErfK/Franzen, § 5 TVG Rn. 5; Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 443; ferner besteht kein Anspruch der Koalitionen auf Allgemeinverbindlicherklärung durch den Staat: BVerfG, Beschl. v. 10.1.2020 – 1 BvR 4/17, NZA 2020, 253 = AP TVG § 5 Nr. 42, Rn. 15 ff. 710 Greef/Schroeder, Plattformökonomie und Crowdworking: Eine Analyse der Strategien und Positionen zentraler Akteure, 33, so etwa der DGB. 711 Ähnlich: Bayreuther, Sicherung, 31 ff. m. w. N. und Beispielen; siehe auch: Deinert/ Maksimek/Sutterer-Kipping, Die Rechtspolitik des Sozial- und Arbeitsrechts, 371 f. 706

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

lektiven Aushandlung besserer Vergütung zusammenzuschließen.712 Allerdings kam die Verordnung nie zur Anwendung und wurde nach längeren Rechtsstreitigkeiten u. a. vor dem Court of Appeals, das diese im Mai 2018 wegen kartellrechtlicher Bedenken für unzulässig erklärte, im April 2020 von den Parteien für erledigt erklärt.713 Diese in ihrer Wirkung verbindlichen Handlungsoptionen stehen allerdings überwiegend außerhalb koalitionsmäßiger Betätigung und hängen maßgeblich vom Tätigwerden des Gesetzgebers ab, mit dem derzeit nicht gerechnet werden kann.714 4. Zwischenergebnis Art. 9 Abs. 3 GG läuft außerhalb des TVG nicht leer, sondern erlaubt es den Koalitionen, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen schuldrechtlich in Koalitionsverträgen zu vereinbaren. Dabei lassen sich bei Hauskoalitionsverträgen über § 328 BGB direkte Ansprüche der Crowdworker gegen ihre Auftraggeber erzeugen. Gleiches ist bei Verbandstarifverträgen in Kombination mit der Stellvertretung der Auftraggeber durch ihren Verband zu erreichen. Eine entsprechende Bevollmächtigung kann schon im Verbandsbeitritt liegen. Neben diesen Möglichkeiten bestehen die teilweise genutzten Optionen der Verabredung gemeinsamer oder einseitiger Richtlinien und Empfehlungen, denen ebenso wie bestehenden Tarifverträgen Leitbildcharakter zukommen kann. III. Interessenbündelung auf Gegenplattformen Bereits in der bloßen Interessenbündelung in Foren oder auf Plattformen, ohne sich fest zusammenzuschließen (schwaches Netzwerk), liegt eine Form der Kollektivierung, die es erlaubt durch Informationsaustausch gegenüber Auftraggebern erste Gegenmacht zu bilden. Dabei handelt es sich prima facie zwar um eine schwache Form des Zusammenschlusses, allerdings müssen stärkere Kollektivierungsformen zwingend irgendwo ihren Ausgang nehmen. In der digital „zersplitterten“ Arbeitswelt kommt hierfür kein physischer Betriebsort in Frage, vielmehr 712 Seattle City Council Ordinance, adopted 14. Dec. 2015; Liebman/Lyubarsky, in: Waas/ Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 121 ff. m. w. N.; Prassl, Humans as a service, 113 ff. mit weiteren Beispielen. 713 United States Court of Appeals, Ninth Circuit, Urt. v. 11.5.2018 – 890 F.3d 769 (2018) (Chamber of Commerce of the United States v. City of Seattle), No. 17 – 35640; United States District Court – Western District of Washington, Urt. v. 10.4.2020 – 17-cv-00370-RSL (Chamber of Commerce of the United States v. City of Seattle), Stipulation and Order for Dismissal without Prejudice; hierzu und zu weiteren Maßnahmen: Liebman, NZA 36 (2019), 227, 231 f. 714 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weissbuch Arbeiten 4.0, 174 f., derzeit scheint die weitere Beobachtung der Entwicklung im Fokus zu stehen; siehe aber Vierter Teil Fn. 1 zu jüngsten gesetzgeberischen Bemühungen.

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wird sich die Konstituierung neuer Koalitionen ggfs. digital vollziehen. Dementsprechend ist die Wichtigkeit des Zusammenkommens auf Plattformen und Foren nicht zu unterschätzen.715 Die Handlungsmöglichkeiten innerhalb dieser digitalen Netzwerke sind neben dem Informationsaustausch vielgestaltig und können insbesondere (Arbeits-)Kampfmaßnahmen umfassen, worauf im Folgenden einzugehen sein wird. IV. Arbeitskampfmaßnahmen Anknüpfend an den vorgestellten schuldrechtlichen Aktionsradius soll nunmehr unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Rahmens, der soloselbstständigen Crowdworkern grundsätzlich Arbeitskampffreiheit garantiert, untersucht werden, wie Arbeitskämpfe im Crowdwork-Kontext rechtlich umzusetzen sind. In tatsächlicher Hinsicht sind soweit ersichtlich im Bereich des Crowdwork i. e. S. bisher keine klassischen Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks bekannt geworden. Für den weiteren Kontext der Gig-Economy gilt indes etwas anderes. Dort fanden in den letzten Jahren erste Streik- bzw. Protestaktionen, insbesondere von Uber-Fahrern sowie Deliveroo- oder Foodora-Lieferanten, statt.716 Wenn auch in anderem, oftmals nicht arbeitsbezogenen Zusammenhang, sind darüber hinaus verschiedene Aktionen zur Beeinträchtigung digitaler Infrastrukturen erfolgt, wie etwa die Lahmlegung von Servern, die auch im Bereich des Arbeitskampfs relevant werden können.717 Insoweit bestehen verschiedene Instrumente, derer sich Crowdworker zur Verbesserung ihrer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bedienen könnten, sofern es sich bei diesen um rechtmäßige Arbeitskampfmaßnahmen handelt. 1. Rechtmäßigkeitsprüfung und Rechtsfolgen Im Einklang mit den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG in Bezug auf Arbeitskampfmaßnahmen soloselbstständiger Crowdworker718 soll im Folgenden der einfachrechtliche, richterrechtlich geprägte 715

Siehe oben § 8 A. IV. zu dieser Form der Kollektivierung. Vgl. Krause, in: Dörr/Goldschmidt/Schorkopf (Hrsg.), Share Economy, S. 147, 164; Lamine/Prassl, in: Laulom/Hendrickx/Blanplain (Hrsg.), Collective bargaining developments in times of crisis, S. 269, 275 ff.; ausführlich zu Aktionen bei Deliveroo und Foodora: Degner/ Kocher, KJ 51 (2018), 247, 248 ff.; Greef/Schroeder/Sperling, IndBez 27 (2020), 205, 218 f.; zu Betriebsratsgründungen bei Foodora: Heiland/Brinkmann, IndBez 27 (2020), 120, 132 ff.; zu Schwierigkeiten bei der Ergreifung von Kollektivmaßnahmen: Drahokoupil/Piasna, Work in the platform economy: Deliveroo riders in Belgium and the SMart arrangement, 38; zu Uber: Rogers, U. Chi. L. Rev. Online 82 (2015), 85, 99, jeweils m. w. N. 717 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 31 Rn. 16 ff.; Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht, § 13 Rn. 41 ff.; Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 86 f.; Giesen/Kersten, NZA 35 (2018), 1, 5 ff.; Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 185 ff. 718 Siehe oben § 7 C. II. 2. 716

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Prüfungsmaßstab719 zur Beurteilung von Arbeitskampfmaßnahmen dargestellt werden. Ferner sollen die Rechtsfolgen rechtmäßiger und rechtswidriger Arbeitskämpfe vorab knapp gegenübergestellt werden. Zunächst muss der Arbeitskampf von einer Koalition i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG getragen werden und auf die Ausübung von Druck auf die Gegenseite zwecks Wahrung oder Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch entsprechende Kollektivvereinbarung gerichtet sein.720 Diesen naturgemäß weitgehenden verfassungsrechtlichen Vorgaben muss aufgrund der mit Arbeitskämpfen verbundenen negativen Wirkungen für die Gegenseite, Dritte und ggfs. die Allgemeinheit Einhalt geboten werden. Dabei bietet sich eine Anlehnung an die Rechtsprechung des BAG zur Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen an, wobei das Erfordernis der Tarifakzessorietät wie gezeigt rechtlich nicht haltbar ist und deshalb vorliegend nicht berücksichtigt wird.721 Der Grundsatz materieller Parität als Begrenzung von Arbeitskämpfen hat zwar in jüngeren Entscheidungen aufgrund seiner Abstraktionshöhe an Bedeutung verloren, ist aber losgelöst von einzelnen Kampfmaßnahmen darauf gerichtet, annähernd gleiche Verhandlungsstärke bei Kollektivvertragsauseinandersetzungen (vor allem Tarifverhandlungen) sicherzustellen.722 Anhand welcher Kriterien diese abstrakt zu ermitteln ist, ist umstritten.723 Für die hier interessierenden Fragen sind Paritätserwägungen einerseits aufgrund ihres Tarifbezuges, andererseits wegen der fehlenden Möglichkeit entsprechende Kriterien abstrakt abzuwägen, von untergeordneter Bedeutung, weil sie einzelne potentielle Kampfmaßnahmen kaum bewerten können. Trotzdem bietet die Rechtsprechung zumindest einige Beispiele für die Anwendung des Paritätsgedankens. So sei das Paritätsprinzip etwa dann nicht mehr gewahrt, wenn die Fähigkeit einen wirksamen Arbeitskampf zu führen verloren gehe.724 Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung der Flashmob-Entscheidung heißt es, dass bei neuen Arbeitskampfmitteln, sofern sie völlig frei von eigenen Risiken eingesetzt werden können und dem Gegner keine Verteidigungsmöglichkeit lassen, typischerweise die Verhandlungsparität gefährdet sei.725 Auch das BVerfG hat ver-

719 Dabei dient das durch die Arbeitsgerichtsbarkeit geprägte Arbeitskampfrecht als Orientierungspunkt, wenngleich diese für Rechtsstreitigkeiten im hier fraglichen Bereich gar nicht zuständig wäre. 720 Siehe oben § 7 C. II. 2. d). 721 Siehe oben § 7 C. II. 2. c). 722 Grundlegend: BAG, Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, unter Teil II B. 1.; BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 21; BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 40. 723 Ausführlich: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 2 Rn. 60 ff.; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 9 Rn. 32 ff.; Gamillscheg, KollArbR I, 968 ff.; Kissel, Arbeitskampfrecht, Rn. 25 ff. jeweils m. v. w. N. 724 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 20. 725 BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 46.

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schiedentlich Stellung zum Paritätsgrundsatz genommen und ihn überwiegend auf die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bezogen.726 Als weiteres Rechtmäßigkeitskriterium wird die Einhaltung der tarifvertragsimmanenten relativen Friedenspflicht herangezogen.727 Danach sind Arbeitskämpfe in Bezug auf die geregelte Materie während der Laufzeit des Tarifvertrags rechtswidrig.728 Dies dürfte vorliegend mangels Ordnung der Arbeitsbedingungen von Crowdworkern durch Tarifverträge eine untergeordnete Rolle spielen. Zukunftsgerichtet läge es gleichwohl nahe, auch in sonstigen Koalitionsverträgen eine entsprechende Friedenspflicht zu vereinbaren. Damit spitzt sich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit letztlich auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu. Demzufolge müssen Arbeitskampfmaßnahmen im Hinblick auf das verfolgte Kampfziel729 geeignet, erforderlich und angemessen sein, wobei den Koalitionen hinsichtlich der beiden ersten Ebenen eine Einschätzungsprärogative zukommen soll.730 Geeignet ist ein Kampfmittel, wenn durch seinen Einsatz die Durchsetzung des Kampfziels gefördert werden kann, wobei die Einschätzung der Tauglichkeit den Koalitionen bis zur Grenze der „offensichtlichen Ungeeignetheit“ obliegt.731 Entsprechend erforderlich ist ein Kampfmittel, wenn nach Ansicht der kampfführenden Koalition keine milderen Mittel zur Zielerrei-

726 BVerfG, Beschl. v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549 = BVerfGE 84, 212, unter C. I. 3. b) aa); BVerfG, Urt. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86, NJW 1996, 185 = BVerfGE 92, 365, unter C. I. 2. c) cc); BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 146 ff. 727 Vgl. ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 81 f., auch zur Möglichkeit der Vereinbarung einer absoluten Friedenspflicht. 728 BAG, Urt. v. 21.12.1982 – 1 AZR 411/80, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 76, unter A. II. 1. a); BAG, Urt. v. 28.5.2015 – 1 AZR 875/13, NZA 2016, 179, Rn. 43; zur Ermittlung der sachlichen Reichweite durch Auslegung und zum Drittschutz ausführlich: BAG, Urt. v. 26.7.2016 – 1 AZR 160/14, NZA 2016, 1543, Rn. 27 ff., 102 ff.; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 7 Rn. 2 ff. m. w. N. 729 Der Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist umstritten, vgl.: BAG, Urt. v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64, unter B. I. 2. b), das die Entscheidung zwischen Herstellung von Parität und Kampfziel als Bezugspunkt offenließ; für Parität als Bezugspunkt bei Abwehraussperrung: BAG, Urt. v. 12.3.1985 – 1 AZR 636/82, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 84, unter II. 2. c).; ebenso: M. Jacobs, ZfA 42 (2011), 71, 88 f. m. w. N. zu dieser Ansicht; siehe auch: Greiner, Das arbeitskampfrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip, 81 ff.; abweichend wie hier auf das Kampfziel abstellend aber: BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 25, 32; BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/ 08, NZA 2009, 1347, Rn. 41; ausführlich m. v. w. N. zu beiden Ansichten: Georges, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht und seine besondere Relevanz für die Rechtmäßigkeit von Unterstützungsstreiks, 59 ff. 730 StRspr seit: BAG, Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, unter Teil iII A.; Einschätzungsprärogative seit: BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 26. 731 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 33; BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 42.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

chung zur Verfügung stehen.732 Dies gilt bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs.733 Dabei ist als zeitliche Komponente der Verhältnismäßigkeitskontrolle das ultimaratio-Prinzip zu achten.734 Demzufolge ist ein Arbeitskampf erst dann geeignet und erforderlich, wenn alle zumutbaren Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind.735 Allerdings ist die Bedeutung dieses Prüfungspunktes praktisch gering, weil den Koalitionen auch in dieser Hinsicht ein Einschätzungsspielraum zugestanden wird, sodass die Ergreifung von Kampfmaßnahmen ausreicht, um zum Ausdruck zu bringen, dass die Verhandlungen gescheitert sind.736 Verletzt wäre das ultima-ratioPrinzip etwa, wenn gar keine Verhandlungsversuche unternommen werden.737 „Verhältnismäßig im engeren Sinn (proportional) ist ein Arbeitskampfmittel, das sich unter hinreichender Würdigung der grundrechtlich gewährleisteten Betätigungsfreiheit zur Erreichung des angestrebten Kampfziels unter Berücksichtigung der Rechtspositionen der von der Kampfmaßnahme unmittelbar oder mittelbar Betroffenen als angemessen darstellt. Insoweit steht einer Arbeitskampfpartei keine Einschätzungsprärogative zu, geht es doch hierbei nicht um eine tatsächliche Einschätzung, sondern um eine rechtliche Abwägung. Allerdings ist bei dieser stets zu beachten, dass es gerade das Wesen einer Arbeitskampfmaßnahme ist, durch Zufügung wirtschaftlicher Nachteile Druck zur Erreichung eines legitimen Ziels auszuüben.“738

Allein auf der letzten Prüfungsstufe erfolgt demnach eine umfassende rechtliche Prüfung, wobei auch hier zu beachten ist, dass Arbeitskampf per definitionem auf Nachteilszufügung abzielt, weshalb allein daraus noch nicht auf die Unangemessenheit geschlossen werden darf.739 Ferner kommt dem eingesetzten Kampfmittel für die Abwägung Bedeutung zu. Die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte variieren dementsprechend.740 Keine Rolle spielt indes die Höhe der Streikforderung, diese hat für den Gegner keine rechtsgestaltende Wirkung, wird typischerweise nicht in voller Höhe umgesetzt, ihre rechtliche Überprüfung ist deshalb mit der Betätigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG unvereinbar.741

732

BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 27. BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 43; siehe auch: BAG, Urt. v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987, Rn. 87, zur Weite der Einschätzungsprärogative. 734 Rieble, BB 63 (2008), 1506; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 14 Rn. 9. 735 BAG, Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, unter Teil III A. 2. a). 736 BAG, Urt. v. 21.6.1988 – 1 AZR 651/86, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 108, unter A. I. 3. c). 737 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 14 Rn. 9. 738 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 28; BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 44. 739 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 28. 740 BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 45 f. 741 BAG, Urt. v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987, Rn. 100. 733

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Diese neuere Rechtsprechung des BAG wurde in der Literatur rezipiert und zum Teil mit harscher Kritik überzogen. Letzteres gilt insbesondere für die FlashmobEntscheidung. Die Kritik lässt sich im Wesentlichen in vier Kategorien aufteilen: die instrumentelle Wahlfreiheit der Koalitionen in Bezug auf die Kampfmittel742, die Abkehr vom Paritätsgedanken und die alleinige Überprüfung anhand eines eingeschränkten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes743, die Öffnung des Arbeitskampfs für unbeteiligte Dritte und das damit verbundene Eskalationspotential744, die Zulassung aktiver Betriebsstörungen745.746 Ohne abstrakt auf die zahlreich geäußerte Kritik im Einzelnen eingehen zu wollen, lassen sich viele der vorgebrachten Bedenken unter Berücksichtigung des ausführlich dargestellten verfassungsrechtlichen Rahmens entkräften.747 Die Kritik an der grundsätzlichen Kampfmittelfreiheit scheint einem von vornherein begrenzten Schutzbereichsdenken in Entsprechung zur Mitte der 1990er Jahre aufgegebenen Kernbereichsrechtsprechung des BVerfG verhaftet. Die Arbeitskampffreiheit der Koalitionen als natürliche Freiheit gilt zunächst einmal umfassend und ist

742 Kluth, in: Waldhoff/Thüsing (Hrsg.), Verfassungsfragen des Arbeitskampfes, S. 102, 117; Kersten, Neues Arbeitskampfrecht, 70 f.; Franzen, JbArbR 2010, S. 119, 128 f.; H. Hanau, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 15, 29 f.; Thüsing/Waldhoff, ZfA 42 (2011), 329, 337; Rüthers/Höpfner, JZ 65 (2010), 261; R. Schwarze, ZfA 49 (2018), 149, 156 ff.; im Vergleich zur Rspr. des EuGH: Henssler, ZfA 41 (2010), 397, 405; siehe bereits: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 4 Rn. 26; zustimmend: Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 68 ff., „Kampfmittelerfindungsfreiheit“; ähnlich: Georges, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht und seine besondere Relevanz für die Rechtmäßigkeit von Unterstützungsstreiks, 113 f. 743 Franzen, JbArbR 2010, S. 119, 122, „ungewöhnliche Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“; H. Hanau, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 15, 23 ff.; M. Jacobs, ZfA 42 (2011), 71, 88 ff.; Otto, RdA 63 (2010), 135, 140; Konzen, SAE 61 (2008), 1, 7 f.; ausführlich m. v. w. N zur Kritik: Georges, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht und seine besondere Relevanz für die Rechtmäßigkeit von Unterstützungsstreiks, 49 ff.; grundsätzliche Ablehnung: Hensche/Wolter, GS Zachert, S. 544, 553 ff.; Picker, ZfA 41 (2010), 499, 530, Öffnung einer „Pandorabüchse“, „Irrweg“; Picker, ZfA 42 (2011), 557, 618 ff.; kritisch auch: Rödl, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 106 f., allerdings unter Hinweis auf den privatrechtlichen ultima ratio Gedanken. 744 Bayreuther, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Arbeitskampf, Verhandlung und Schlichtung, S. 15, 24 f.; Krieger/Günther, NZA 27 (2010), 20, 22; Thüsing/Waldhoff, ZfA 42 (2011), 329, 349; Giesen, Sozialer Fortschritt 65 (2016), 266, 267 f.; Picker, ZfA 41 (2010), 499, 523, 526, mit dem Hinweis auf die Entwicklung der Koalitionen hin zu intermediären Gewalten sowie auf den Einsatz angeheuerter Fremdenlegionen. 745 Säcker, NJW 63 (2010), 1115, 1117; Bayreuther, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Arbeitskampf, Verhandlung und Schlichtung, S. 15, 25; Säcker, JZ 65 (2010), 440, 443 ff.; Picker, ZfA 42 (2011), 443, 471. 746 Vgl. Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 45 m. w. N. zur Kritik. 747 Siehe oben § 7 C. II. 2.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

nicht von vornherein beschränkt.748 Mit anderen Worten fallen alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen zunächst in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Koalitionsspezifisch sind alle Verhaltensweisen, die dem Koalitionszweck dienen. Damit ist die private Sphäre vom Schutzbereich ausgenommen, ähnliches kann für unfriedliche i. S. v. gewalttätigen Kampfmaßnahmen angenommen werden.749 Insbesondere im Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen der Rechte und Rechtsgüter des Kampfgegners ist eine Vorab-Begrenzung des sachlichen Schutzbereichs indes nicht angezeigt.750 Über die Einhaltung der grundrechtlichen Ausübungsschranken, d. h. über die Zulässigkeit des Kampfmittels, ist damit jedoch nichts gesagt.751 Erst die verfassungskonformen einfachrechtlichen Rechtmäßigkeitsanforderungen, insbesondere in Gestalt des arbeitskampfrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips, erlauben eine Aussage über die Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfmittels. Insoweit erscheint auch die Einschätzungsprärogative der Koalitionen hinsichtlich des verwendeten Kampfmittels sowie der Geeignetheit und Erforderlichkeit seines Einsatzes folgerichtig. Begreift man demgegenüber die Arbeitskampffreiheit entgegen der hier vertretenen Auffassung752 und entgegen der jüngeren Rechtsprechung nicht als eine solche, sondern insgesamt als ausgestaltungsbedürftig, gelangt man dogmatisch bruchlos zu einer Abstufung des Schutzbereichs, mit der die dargestellte Konzeption des BAG unvereinbar ist.753 Dann ist verfassungsunmittelbar nur die unerlässliche Koalitionsbetätigung (Untermaß) garantiert und nur Beeinträchtigungen in diesem Bereich sind rechtfertigungsbedürftige Eingriffe.754 Oberhalb davon bestünde ein Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beim Ausgleich der widerstreitenden Grundrechtspositionen. So begrüßenswert die mit dieser Sicht eingeforderte Unterscheidung von Eingriff und Ausgestaltung ist, die in der Rechtspre-

748 Ebenso: Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 71 f.; Georges, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Arbeitskampfrecht und seine besondere Relevanz für die Rechtmäßigkeit von Unterstützungsstreiks, 113 f.; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 9 Rn. 44; Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 116; Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 66 ff., siehe zu Begrenzungen aber: S. 69 ff. 749 BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 34 a. E.; Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 70, unter Heranziehung der Grundsätze zur Friedlichkeit von Versammlungen iRv Art. 8 GG . 750 Vgl. die Erwägungen von: Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 71 ff.; krit. im Hinblick auf die Widersprüchlichkeit derartiger Begrenzungen zum Autonomiekonzept: R. Schwarze, ZfA 49 (2018), 149, 163. 751 Sachs GG/Höfling, Art. 9 GG Rn. 117. 752 Siehe oben § 7 C. II. 2. c) aa). 753 R. Schwarze, ZfA 49 (2018), 149, 165 ff. 754 R. Schwarze, ZfA 49 (2018), 149, 166.

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chung nicht durchgehalten wird755, so wenig kann das enge Freiheitsverständnis im Ausgangspunkt überzeugen. Dass den Koalitionen damit ein schrankenloser Art. 2 Abs. 1 GG zustehe, der „die bisherigen dogmatischen Koordinaten sprengt“ und dessen Inhalt sie selbst festlegen756, erscheint überzogen und auch sachlich unzutreffend. Zunächst ist festzuhalten, dass sich aufgrund der hohen Grundrechtsrelevanz des Arbeitskampfes kaum Fälle der beschworenen „Sprengkraft“ bilden lassen dürften, bei denen keine Grundrechte Dritter, jedenfalls Art. 9 Abs. 3 GG des Kampfgegners, als verfassungsimmanente Schranken aktiviert würden.757 Von hohen Hürden bei der Schrankenziehung argumentativ auf einen engen Schutzbereich zu schließen wirkt im Übrigen vor allem ergebnisorientiert. Insoweit wurde bereits festgestellt, dass der Koalitionszweck den Schutzbereich konturiert, ohne ihn von vornherein auf überkommene Betätigungsinstrumente zu begrenzen. Das gilt auch für Versuche, den Schutzbereich unter Hinweis auf eine vertragsakzessorische Deutung des Arbeitskampfs zu begrenzen.758 Vielmehr bestehen gegen die Möglichkeit von Betriebsstörungen im Zuge eines Arbeitskampfes, die über die bloße Unterlassung der vertraglichen Leistungen hinausgehen, im Rahmen der Kampfmittelfreiheit keine grundsätzlichen Bedenken. In sich geschlossene Gegenkonzepte, wie dasjenige der individualvertragsbezogenen, „marktkonformen“ Deutung des Arbeitskampfes durch Picker759, leiden an einer Überbetonung des individuellen Moments zulasten der kollektiven grundrechtlichen Gewährleistungen einerseits760 sowie der notwendigen Vorbedingung paritätischer Verhandlungen durch Kollektivierung der Beschäftigten andererseits. Erst in der Koalition besteht die Möglichkeit zur kollektiven Vertragsverhandlung auf Augenhöhe. Vor diesem Hintergrund greift ein alleiniger Rückbezug auf den vermeintlich frei ausgehandelten Individualvertrag, aus dem sich nach dieser Deutung alle arbeitskampf-

755 Vgl. nur: BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, NJW 2017, 2523 = BVerfGE 146, 71, Rn. 135 Eingriff einerseits, Rn. 149 Einschätzungsprärogative und Handlungsspielraum andererseits, eine Vermengung von Eingriffsrechtfertigung und Ausgestaltung ist zwar abzulehnen, gleichwohl steht die Betroffenheit beider Grundrechtsdimensionen mit dem hier vorgestellten Konzept im Einklang, siehe oben § 7 C. II. 2. 756 Thüsing/Waldhoff, ZfA 42 (2011), 329, 336. 757 Siehe oben § 7 C. II. 2. c) bb) zu weiteren verfassungsimmanenten Schranken. 758 Picker, ZfA 42 (2011), 443, 453; M. Jacobs, ZfA 42 (2011), 71, 85 f.; im Ergebnis ähnlich: Otto, RdA 63 (2010), 135, 137 ff.; dagegen zurecht: ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 271. 759 Das Kampfrecht sei rechtsdogmatisch als (individuelles) Zurückbehaltungsrecht zu begreifen, das für die Ware Arbeit durch kollektive Ausübung einen Preiskampf ermögliche: Picker, ZfA 42 (2011), 443, 454; das Streikrecht ersetze als marktmäßig-rechtsgeschäftliches Konfliktlösungsinstrument lediglich das Kündigungsrecht: Picker, ZfA 41 (2010), 499, 518; Picker, ZfA 42 (2011), 557, 580. 760 Picker, ZfA 41 (2010), 499, 534, wendet sich insofern gegen die „direkte Inanspruchnahme von Art. 9 Abs. 3 GG für Detailfolgerungen“.

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rechtlich zulässigen Instrumente unmittelbar ergeben müssen, zu kurz.761 Die Konzeption der Arbeitskampffreiheit als natürliche Freiheit, der ein kollektiv zu bewertendes Geschehen zugrunde liegt762, ist mit der Vorstellung, dass den Koalitionen nicht mehr Rechte zustehen dürfen als den Koalierten763, ebenso wenig in Einklang zu bringen wie mit einer Bindung der Kampfparteien an „systembedingt vorgegebene Arbeitskampfmittel“.764 Das gilt vor allem mit der Erwägung, dass Streiks sich gerade im hier interessierenden Kontext als ineffektiv erweisen können, sodass die Koalitionen auf entsprechende Alternativmittel angewiesen sind, um Druck zu erzeugen.765 Diese können im Übrigen durchaus weniger belastend als ein Streik wirken.766 Hierin liegt auch kein „Anrennen gegen die Wirklichkeit“ in dem Sinne, dass ein fehlender Markt, auf dem die in Rede stehende Arbeitsleistung schlicht nicht mehr gefragt sei, mit Vertrags- bzw. Marktversagen verwechselt würden.767 Im Gegenteil wurde die kompensationsbedürftige Unterlegenheit der Crowdworker am Markt für den hier interessierenden Bereich bereits dargelegt.768 Das BAG hat den Flashmob mangels Absperrung des Betriebs und aufgrund nur kurzfristiger Beeinträchtigung der Abläufe ausdrücklich von überwiegend für rechtswidrig gehaltenen Betriebsblockaden769 abgegrenzt und deren rechtliche Bewertung im Übrigen offengelassen.770 Die konkrete Reichweite derartiger Aktionen ist dann eine Frage der Verhältnismäßigkeit.771 Auch in Bezug auf den letzten Kritikpunkt des unbotmäßigen Einbezugs aktiver Dritter772 haben BAG und BVerfG eine rechtlich zutreffende Lösung vorgegeben. 761 In diese Richtung aber: Picker, ZfA 42 (2011), 443, 464 f., der die private Interessenauseinandersetzung am Markt betont; Picker, ZfA 42 (2011), 557, 594 f., „Reindividualisierung des Kampfrechts“. 762 Siehe oben § 7 C. II. 2. c) ausführlich zur hier vertretenen grundrechtlichen Konzeption des Arbeitskampfes. 763 Picker, ZfA 41 (2010), 499, 534, Verbandsbeitritt zeitigt keine qualitative Steigerung der von den Mitgliedern eingebrachten Handlungsrechte. 764 Picker, ZfA 41 (2010), 499, 539. 765 Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 71 f.; ähnlich bereits: Treber, Aktiv produktionsbehindernde Maßnahmen, 466 ff, 499 f., der aktiv produktionsbehindernde Maßnahmen dort, wo klassische Arbeitskampfmittel wie Streiks wegen technologischer Gegebenheiten leerlaufen für möglich hält. 766 ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 277; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 31 Rn. 7. 767 So aber: Picker, ZfA 41 (2010), 586, 591; Picker, ZfA 42 (2011), 443, 473. 768 Siehe oben § 7 A. IV. 2. 769 BAG, Urt. v. 21.6.1988 – 1 AZR 651/86, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 108, unter A. II. 2.; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 11 Rn. 5 m. w. N.; Söllner, FS K. Molitor, S. 333, 344 f.; anders bei nur 15 minütigen Behinderungen: LAG Hamburg, Urt. v. 6.1.2013 – 5 SaGa 1/12, BeckRS 2013, 66882, unter II. 2. b) bb). 770 BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 62. 771 Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 81. 772 Zu deren passiver Einbeziehung: Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 74 f.

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Zwar ist fraglich, ob unbeteiligte Dritte, die keine Koalitionsmitglieder sind, allein durch die Partizipation am Arbeitskampf zu Trägern der individuellen Koalitionsfreiheit in dieser Hinsicht werden, jedenfalls aber kann die kollektive Betätigungsfreiheit der Koalitionen den Einbezug Dritter umfassen.773 Allerdings muss der Einsatz Dritter im Rahmen der Verhältnismäßigkeit insoweit streng in die Abwägung eingestellt werden, als dass ihr Mitwirken mangels Einflussnahmemöglichkeit der kampfführenden Koalition besonderes Eskalationspotential birgt und sie keinem vergleichbaren eigenen Risiko unterliegen, was eine zusätzliche Enthemmung wahrscheinlicher macht.774 Außerdem wird man nur, wenn die jeweilige Koalition tatsächlich als zentraler Akteur auftritt, davon sprechen können, dass die Maßnahme von ihr organisiert und getragen wird.775 Von der Koalitionsfreiheit geschützte Arbeitskampfmaßnahmen, die nach den genannten Grundsätzen rechtmäßig sind, rechtfertigen auf kollektiver Ebene die Verletzung der (individuellen) Vertragspflichten.776 Hierauf gerichtete Schadensersatzansprüche der Gegenseite oder eine Kündigung des Beschäftigungsgebers kommen grundsätzlich nicht in Betracht.777 Die beiderseitigen Hauptleistungspflichten werden für die Dauer des Arbeitskampfes suspendiert.778 Auch ein Anspruch des Kampfgegners gegen die Kämpfenden auf Unterlassung bzw. Beseitigung nach § 1004 Abs. 1 BGB analog bzw. auf Schadensersatz wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB besteht im Grundsatz nicht, weil Art. 9 Abs. 3 GG derartige Störungen im Rahmen von rechtmäßigen Kampfmaßnahmen rechtfertigt.779 Diese Privilegierungen kommen dem rechtswidrigen Arbeitskampf grundsätzlich nicht zu.780

773

Ablehnend: Thüsing/Waldhoff, ZfA 42 (2011), 329, 349 ff. BVerfG, Urt. v. 26.3.2014 – 1 BvR 3185/09, NJW 2014, 1874 = NZA 2014, 493, Rn. 30; BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 52, 54. 775 Ähnlich: Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 77 f.; Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 78; BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 54. 776 Vgl. BAG, Beschl. v. 28.1.1955 – GS 1/54, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 1, unter I. 4. 777 Gamillscheg, KollArbR I, 1201; Brox/Rüthers/Brox, § 9 Rn. 307; Otto, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, § 14 Rn. 23; Ög˘ üt, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 19 Rn. 46. 778 BAG, Urt. v. 22.3.1994 – 1 AZR 622/93, NZA 1994, 1097, unter II. 3. a); Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 14 Rn. 2 ff. 779 Vgl. BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 8, 18; vgl. dagegen: Picker, ZfA 41 (2010), 499, 573 ff., demzufolge der klassische Streik als bloße Arbeitsniederlegung schon keinen Eingriff in eine absolut geschützte Rechtsposition darstellt. 780 Vgl. nur: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 15; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 224 ff.; MHdbArbR/Ricken, § 278 Rn. 4 ff.; vgl. BAG, Urt. v. 26.7.2016 – 1 AZR 160/ 14, NZA 2016, 1543, Rn. 21. 774

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2. Konkrete Kampfmaßnahmen Nach alledem sollen im weiteren Verlauf anhand der dargestellten Maßstäbe konkrete potentielle Kampfmaßnahmen von Crowdworker-Koalitionen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. a) Unterstützungsstreik durch Stammbelegschaften Zunächst erscheint es denkbar, dass gewerkschaftlich organisierte Stammbelegschaften anstelle von oder neben Crowdworkern zur Durchsetzung von Drittinteressen ihre Betriebe bestreiken bzw. unterstützende Streiks führen. Dabei bedient sich das BAG ebenso wie das Schrifttum keiner einheitlichen Wortwahl, sondern wechselt zwischen Sympathie- und Unterstützungsstreik.781 Verschiedentlich ist auch von Solidaritätsstreik die Rede.782 Trotz der hinter den verschiedenen Bezeichnungen stehenden Uneinigkeit darüber, was unter diese Begriffe fällt, lässt sich als entscheidendes Charakteristikum festhalten, dass es um Arbeitsniederlegungen gehen muss, die nicht der Durchsetzung eigener tariflicher Ziele dienen, sondern eine fremde Auseinandersetzung fördern sollen. Entscheidend ist demnach, dass die bestreikte Partei nicht selbst zum Abschluss eines Tarifvertrages bewogen werden soll. Streikbetroffener und Forderungsadressat fallen vielmehr auseinander.783 Vorliegend werden die Termini synonym verwendet, ohne damit eine unterschiedliche rechtliche Bewertung zu verbinden. Es zeigt sich eine Parallele zur untersuchten mittelbaren Interessenvertretung in klassischen Tarifverträgen.784 Wie dort werden derartige Sympathiemaßnahmen praktisch nur in Bereichen fruchten, in denen Stammbelegschaften ein mittelbares Eigeninteresse785 an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Crowdworkern 781 Vgl. nur: BAG, Urt. v. 5.3.1985 – 1 AZR 468/83, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 85; und BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055; Schlochauer, FS Buchner, 810; Rüthers, BB 19 (1964), 312. 782 Rödl, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 86; zur Terminologie auch: A. Jacobs, Die Rechtmäßigkeit von Sympathiearbeitskampfmaßnahmen – Beginn einer Rechtsprechungswende?, 79 ff. m. w. N. 783 Bulla, FS E. Molitor, S. 293, 296; Rüthers, BB 19 (1964), 312; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 504 f.; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 1 Rn. 33; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 16; Gamillscheg, KollArbR I, 1137; Rödl, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 85, 89; A. Jacobs, Die Rechtmäßigkeit von Sympathiearbeitskampfmaßnahmen – Beginn einer Rechtsprechungswende?, 81; Schlochauer, FS Buchner, S. 810, 811; Richardi/Bayreuther, Kollektives Arbeitsrecht, § 10 Rn. 81; vgl. auch: BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 12; abweichend: Trabant, Solidaritätskampf oder Sozialschlacht?, 28 ff., die dieses Auseinanderfallen für nicht zwingend hält. 784 Siehe oben § 8 B. I. 785 Dies ist gleichwohl entgegen mancher Stimmen keine Zulässigkeitsvoraussetzung, so aber: Bulla, FS E. Molitor, S. 293, 299 f.; R. Dietz, JuS 8 (1968), 1, 7; wie hier: Birk, Die Rechtmäßigkeit gewerkschaftlicher Unterstützungskampfmaßnahmen, 84 f.; zur Perspektive

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haben, etwa weil sie mit diesen indirekt konkurrieren. Ist dies der Fall, etwa weil ein Unternehmen zunehmend Crowdsourcing betreibt und damit Konkurrenz verschärft bzw. klassische Arbeitsplätze abbaut, erscheint es durchaus realistisch, dass Stammbelegschaften sich entsprechend solidarisieren. Besteht kein eigenes Interesse, wird eine rein altruistische Solidarisierung mit der anonymen Crowd, die über die Grenzen des eigenen Betriebes hinausgeht, unwahrscheinlich, wenn auch nicht ausgeschlossen.786 Ziel und Wesen des Unterstützungsstreiks ist gleichwohl die Förderung fremder Ziele und nicht die unmittelbare Verfolgung eigener Zwecke. Zu weit geht es indes, einen Unterstützungsstreik generell ausschließen zu wollen, wenn neben rein altruistischen Motiven noch eigene, mittelbare Interessen der beschriebenen Art bestehen.787 Einerseits wird kaum jemals ein singuläres Motiv zum Unterstützungsstreik bewegen, es dürfte sich vielmehr regelmäßig um Motivbündel handeln. Andererseits hinge die Rechtmäßigkeit einer Arbeitskampfmaßnahme so von der Erforschung subjektiver Motive ab, was zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würde.788 Im Hinblick auf die Vertragsverhältnisse bei Crowdwork sind zwei grundsätzliche Kategorien auseinanderzuhalten. Erstens kommen Unterstützungsstreiks gegen den eigenen Arbeitgeber in Betracht, der sich über eine Plattform als Crowdsourcer betätigt, ohne dabei selbst Vertragspartner einzelner Crowdworker zu werden (Vertragskette).789 In diesem Fall sind die Plattform als Beschäftigungsgeber der Crowdworker und der Arbeitgeber der Stammbelegschaft, der sich als Crowdsourcer betätigt, personenverschieden. Die Unterstützungsmaßnahme bezieht sich hier auf einen Arbeitskampf der Crowdworker gegen die sie beschäftigende Plattform. Zweitens kommen Unterstützungsmaßnahmen von Stammbelegschaften dergestalt in Frage, dass der Crowdsourcer einerseits Arbeitgeber der Stammbelegschaft und andererseits gleichsam Beschäftigungsgeber der Crowdworker ist. Die Plattform ist in diesem Fall bloße Vermittlerin (direkte Vertragsbeziehungen). Bezugspunkt der Unterstützungsmaßnahme ist hier ein Arbeitskampf der Crowdworker gegen denselben Beschäftigungsgeber. Dabei kann die Unterstützung in beiden Fällen zu einem „Stellvertretungskampf“ werden, wenn die Crowdworker aus tatsächlichen Gründen keinen eigenen Arder Bedrohung von Stammbelegschaften durch Crowdsourcing: Abendroth/Reimann/Diewald u. a., IndBez 27 (2020), 160, 166 ff. 786 Siehe oben § 8 A. I. 2., 3., vgl. auch: Rödl, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 86, „nur unter außerordentlichen Bedigungen …“; Bulla, FS E. Molitor, S. 293, 296, „Interesse am Ausgang des Hauptarbeitskampfes besteht, das über eine bloße Sympathie … hinausgeht.“ 787 So: A. Jacobs, Die Rechtmäßigkeit von Sympathiearbeitskampfmaßnahmen – Beginn einer Rechtsprechungswende?, 158 f. 788 Ebenso: Birk, Die Rechtmäßigkeit gewerkschaftlicher Unterstützungskampfmaßnahmen, 85; BKS/P. Berg, AKR Rn. 185; vgl. auch: Rüthers, BB 19 (1964), 312, 313, zur Rechtsunsicherheit beim Abstellen auf „mittelbare Interessen“. 789 Siehe oben § 3 A. II. 4. zu den unterschiedlichen Vertragsparteien.

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beitskampf führen, die Stammbelegschaften also ohne entsprechenden Bezug tätig werden. Einzig die erste Kategorie von Unterstützungsmaßnahmen eines Crowdwork-Arbeitskampfes790 ist dem klassischen Unterstützungsstreik vergleichbar. Wie dargestellt hat das BAG seine Rechtsprechung zum Unterstützungsstreik 2007 geändert791 und geht nach Aufgabe der Kernbereichslehre nunmehr davon aus, dass gewerkschaftliche Unterstützungsstreiks, die einen mittelbaren Tarifbezug aufweisen, grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen und am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen sind.792 Darüber hinaus stehe die Friedenspflicht insoweit nicht entgegen, als sie sich nur auf tariflich geregelte Gegenstände beziehe.793 Gleiches gelte für eine Ausweitung des Tarifgebiets, die zwar der Zulässigkeit von Abwehraussperrungen entgegenstehe, nicht aber Angriffskampfmitteln zur Herstellung einer gleichgewichtigen Verhandlungsposition.794 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit nennt das BAG neben der eingeschränkten Prüfung von Geeignetheit und Erforderlichkeit eine Reihe von Indizien, die zur Unangemessenheit führen können, etwa die Rechtswidrigkeit des Hauptarbeitskampfes, die Verlagerung des Schwerpunkts vom Haupt- auf den Unterstützungsstreik, fehlende Nähe der beiden Arbeitskämpfe etwa i. S. v. fehlender wirtschaftlicher Verflochtenheit der bekämpften Unternehmen, unproportionale Dauer und Umfang der Unterstützungsmaßnahme oder, als Tendenz, der von einer anderen als der verhandelnden Gewerkschaft durchgeführte Unterstützungsstreik.795 Diese Rechtsprechungslinie hat jüngst auch das BVerfG gebilligt.796 Übertragen auf Crowdwork würde es nach Auffassung des BAG wohl am mittelbaren Tarifbezug fehlen, wenn Crowdworker Arbeitskämpfe zwecks Abschlusses sonstiger Koalitionsverträge führten und Stammbelegschaften hierauf gerichtete Unterstützungsstreiks ergriffen. Nach hier vertretener Auffassung stellt der Tarifbezug indes einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Koalitionsfreiheit dar797, weshalb Arbeitskämpfe, gerichtet auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in schuldrechtlichen Koalitionsverträgen, als einzig sinnvolle Betätigungsmöglichkeit von Crowdworkern im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG, grundsätzlich tauglicher Bezugspunkt für Unterstützungskämpfe sind. Streiks von Stammbelegschaften, die Crowdworker bei der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen in diesem Sinne un790

Zu dessen konkreter Ausgestaltung sogleich. BAG, Urt. v. 5.3.1985 – 1 AZR 468/83, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 85, unter II. 3. c) a. E., wonach der Sympathiestreik in der Regel rechtswidrig war, weil der bestreikte Arbeitgeber ihn nicht durch Nachgeben abwenden konnte. 792 Siehe oben § 7 C. II. 2. a), sowie: BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 11 f., 22. 793 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 18, 30. 794 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 31. 795 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 43 ff. 796 BVerfG, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, NJW 2018, 2695, Rn. 140. 797 Siehe oben § 7 C. II. 2. c). 791

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terstützen wollen, sind unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative der Koalitionen taugliche und damit geeignete Mittel. Solange entsprechende Unterstützungsmaßnahmen den Crowdworker-Verbänden nicht aufgedrängt werden, fehlt es auch nicht offensichtlich an der Erforderlichkeit. Im Rahmen der Angemessenheit müsste dann eine umfassende Abwägung erfolgen, wobei sich typisierend sagen lässt, dass die Mehrzahl der vom BAG aufgestellten Punkte regelmäßig gewahrt sein dürfte. Nichtsdestoweniger ist in die Abwägung einzustellen, dass der mit Unterstützungsstreiks überzogene Arbeitgeber in eine „wirtschaftliche Geiselnahme“ verwickelt wird.798 Nüchterner gesprochen ist der betroffene Arbeitgeber insofern besonders schutzwürdig, als er nicht Adressat der Drittforderungen ist und diesen somit nicht zwecks Beendigung des Arbeitskampfes nachgeben kann.799 Zwar wird diesem Umstand mit dem Erfordernis der Verflochtenheit Rechnung getragen, trotzdem sind die grundrechtlich geschützten Rechte des Bestreikten, etwa am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 GG800), sowie die über Art. 12 GG geschützte Unternehmerfreiheit801 insoweit im Rahmen der Abwägung in Anschlag zu bringen. Die eigentliche Abwägung des BAG erfolgt im Urteil von 2007 zwar sehr knapp802, das dürfte indes dem zu entscheidenden Fall geschuldet sein, der die aufgestellten Kriterien relativ eindeutig erfüllte. Etwaige Hauptarbeitskämpfe von Crowdworkern werden kaum gegen eine Friedenspflicht verstoßen können und sind deshalb i. d. R. rechtmäßig.803 Die Gefahr der Intensitätsverlagerung auf den Unterstützungsstreik dürfte indes gerade bei schwachen Crowdwork-Verbänden bestehen. Ihr müsste ggfs. durch eine enge Begrenzung von Dauer und Umfang begegnet werden. Wie gezeigt ist durchaus denkbar, dass dieselbe Gewerkschaft, die Crowdworker vertritt, auch die Stammbelegschaften organisiert, was für die Angemessenheit sprechen würde.804 Die wirtschaftliche Verflochtenheit der Unternehmen und die Nähe der Arbeitskämpfe zueinander805 dürften demgegenüber regelmäßig kaum Probleme bereiten, weil ein Unterstützungsstreik außerhalb solcher Näheverhältnisse aufgrund der hohen Hürden (Solidarität) kaum denkbar ist. Ein exzessiver Crowdsourcer ist zwar regelmäßig 798

So: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 10 Rn. 39. Vgl. BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 58. 800 Geschützt als Teil der grundrechtlichen Eigentumsfreiheit, so die überwiegende Meinung: Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, Art. 14 GG Rn. 200 m. w. N. 801 Vgl. dazu: BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, NJW 1979, 699 = BVerfGE 50, 290, unter B. III. 3. a); BVerfG, Urt. v. 10.6.2009 – 1 BvR 706/08, NJW 2009, 2033 = BVerfGE 123, 186, Rn. 198. 802 BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 58. 803 Siehe oben § 8 B. IV. 1. bzw. im Folgenden zu rechtmäßigen eigenen Arbeitskampfmaßnahmen von Crowdworkern. 804 Siehe oben § 8 A. II. 805 Vgl. ausführlich zu Kriterien der Einwirkungsmöglichkeit: Trabant, Solidaritätskampf oder Sozialschlacht?, 391 ff. 799

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nicht konzernmäßig mit einzelnen Plattformen verbunden, steht aber mit diesen in laufenden Geschäftsbeziehungen. Eine enge wirtschaftliche Verbindung kann nach Ansicht des BAG auch durch solche Dienstleistungsbeziehungen entstehen.806 Eine räumliche und branchenmäßige Nähe könnte sich aus dem tatsächlichen Zusammenwirken der Crowdworker und der Belegschaft im Crowdsourcer-Unternehmen ergeben, wobei es hier keinen Unterschied machen kann, dass Crowdworker nicht physisch im Betrieb anwesend sind. Dass sie Arbeitsaufgaben für den jeweiligen Betrieb ortsungebunden erledigen, steht der geforderten Nähe nicht entgegen. Anderenfalls würden sämtliche flexiblen Arbeitsmodelle wie Home-Office dazu führen, dass Arbeitnehmer ihren räumlichen und branchenmäßigen Bezug zum Betrieb verlören. Nach alledem bestehen grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken gegen Unterstützungsstreiks der ersten Kategorie. Im zweiten Fall handelt es sich insoweit nicht um klassische Unterstützungsarbeitskämpfe, als Streikbetroffener und Forderungsadressat aufgrund direkter Vertragsverhältnisse und der bloßen Vermittlerrolle der Plattformen personenidentisch sind. Crowdworker und Stammbelegschaften würden in diesem Fall ihren gemeinsamen Beschäftigungsgeber bestreiken. Hier kann der Bestreikte die angestrebte Forderung im Gegensatz zum ersten Fall erfüllen. Kampfziel bleibt aus Sicht der Stammbelegschaft indes die Druckerhöhung zur Förderung fremder Regelungsziele. Abgesehen von der sogleich zu erörternden Frage, ob ein Streik durch Crowdworker denkbar ist, müssen in dieser Konstellation aufgrund des geringeren Schutzbedürfnisses des bestreikten Beschäftigungsgebers andere Maßstäbe als beim Unterstützungsstreik angelegt werden. Begreift man Crowdworker und Stammbelegschaft trotz unterschiedlicher Vertragsgrundlage arbeitskampfrechtlich als einheitliche Belegschaft, handelt es sich trotz solidarischer Beweggründe nicht um einen Unterstützungsstreik, sondern um einen einheitlichen (Haupt)Streik. Der Große Senat des BAG stellt dabei hinsichtlich der Aussperrung von Außenseitern auf die „soziale Wirklichkeit des Kampfgeschehens“ ab und geht von der Einheit von Betrieb und Belegschaft im Arbeitskampf aus, mit der Folge, dass auch arbeitswillige Außenseiter ausgesperrt werden können und umgekehrt nicht oder anders organisierte Arbeitnehmer am gewerkschaftlich getragenen Streik teilnehmen können, jedenfalls soweit für diese keine Friedenspflicht entgegensteht.807 Der später in der Rechtsprechung zum Ausdruck kommende 806

BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 46 a. E.; siehe auch: Trabant, Solidaritätskampf oder Sozialschlacht?, 417 ff. 807 BAG, Beschl. v. 21.4.1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43, unter Teil III B. 3.; BAG, Urt. v. 22.3.1994 – 1 AZR 622/93, NZA 1994, 1097, unter II. 3. a); BAG, Urt. v. 18.2.2003 – 1 AZR 142/03, NZA 2003, 866, unter A. III. 2. a); ähnlich: Gamillscheg, KollArbR I, 1135; Birk, Die Rechtmäßigkeit gewerkschaftlicher Unterstützungskampfmaßnahmen, 55; Rödl, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 93; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, 54 f.; Franzen, RdA 61 (2008), 193, 201 f.; unter Bezugnahme auf das jeweilige Tarifgebiet: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 10 Rn. 35; Konzen, DBBeil. 43 (1990), 1, 5, 14; kritisch: Kissel, Arbeitskampfrecht, § 39 Rn. 15 ff.; Lieb, RdA 44 (1991), 145, 149 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 417.

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Partizipationsgedanke, nach welchem die Streikberechtigung des Außenseiters aus dessen mittelbarer Begünstigung durch das Ergebnis des Arbeitskampfs folgt808, greift hier allenfalls indirekt, weil Stammbelegschaften jedenfalls nicht unmittelbar an den Arbeitsbedingungen der Crowdworker partizipieren.809 Dementsprechend dürfte die tarifvertragliche Friedenspflicht regelmäßig nicht entgegenstehen, da es nicht um die Infragestellung bestehender Tarifverträge (der Außenseiter), sondern um den Abschluss fremder Koalitionsverträge geht.810 Eine Anknüpfung an den räumlichen bzw. fachlichen Geltungsbereich811 des umkämpften Tarifvertrags zur Absteckung des einheitlichen Kampfgebiets entfällt vorliegend. Dabei hat die Unterscheidung von Unterstützungsstreik und regulärem betriebseinheitlichen Streik insoweit an Bedeutung verloren, als der Unterstützungsstreik nicht länger grundsätzlich rechtswidrig ist. Aus dem Blickwinkel des hier maßgebenden Art. 9 Abs. 3 GG sind klassische Arbeitnehmer und alleinselbstständige Crowdworker gleichermaßen Grundrechtsträger. Ihre Teilnahme am koalitionsgetragenen Streik ist als Ausübung der individuellen Koalitionsfreiheit zu werten.812 Dass erstere dauerhaft arbeitsvertraglich an den jeweiligen Betrieb gebunden sind, während Crowdworker nur durch punktuelle werkvertragliche Beziehungen an den Betrieb gekoppelt werden ohne physisch in Erscheinung zu treten, schließt eine einheitliche Betrachtung der Belegschaft im hier interessierenden Sinne nicht aus.813 Sie ist vielmehr Konsequenz aus der vergleichbaren kompensationsbedürftigen Verhandlungsschwäche, derer sich die Beschäftigten gemeinsam erwehren können müssen.814 Nur dann kann von einer effektiven Herstellung von Verhandlungsparität ausgegangen werden, was gerade im Hinblick auf Beschäftigtengruppen zutrifft, die nicht stark genug sind, ihre eigenen Forderungen durchzusetzen und anderenfalls schutzlos wären.815 Selbst wenn man unterstützende 808 BAG, Urt. v. 22.3.1994 – 1 AZR 622/93, NZA 1994, 1097, unter II. 3. a); BAG, Urt. v. 18.2.2003 – 1 AZR 142/03, NZA 2003, 866, unter A. III. 2. a). 809 Vgl. zur potentiellen Begünstigung durch den Streikerfolg: Franzen, RdA 61 (2008), 193, 202. 810 Vgl. Franzen, RdA 61 (2008), 193, 201. 811 Dazu: ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 10 ff. 812 Vgl. Linsenmaier, RdA 68 (2015), 369, 376 f.; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 166 m. w. N.; zum Streikaufruf im Intranet des AG als Ausübung der individuellen Koalitionsfreiheit: BAG, Beschl. v. 15.10.2013 – 1 ABR 31/12, NZA 2014, 319, Rn. 36 f.; a. A. Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, 54, der von einer „rechtsreflexiven Begünstigung aus dem Streikrecht der Gewerkschaft“ ausgeht. 813 Zu unterscheiden ist diese Frage von der nach der Einbindung in eine fremde Arbeitsorganisation iRv § 611a BGB, bei der es um die Frage der Fremdbestimmtheit geht, während hier allein das Bedürfnis zur Kompensation von Verhandlungsimparitäten maßgeblich ist, siehe oben § 3 B. II. 2. b). 814 Siehe oben § 7 A. IV. 2. 815 Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, 1135; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 504 f., die sich aufgrund dieser drohenden Schutzlosigkeit jeweils gegen eine Abgrenzung mithilfe des Geltungsbereichs des umkämpften TV richten; siehe auch: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 6 Rn. 11; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, 53.

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Streikmaßnahmen gegenüber dem gleichen Beschäftigungsgeber mangels einheitlicher Belegschaft entgegen der hier vertretenen Auffassung als Unterstützungsstreik i. S. d. ersten Kategorie verstünde816, wäre dieser nicht per se rechtswidrig. Vielmehr gilt umgekehrt: Bestehen schon keine durchgreifenden Bedenken gegen Unterstützungsstreiks gegen andere Arbeitgeber als den Forderungsadressat, muss dies erst recht für den Fall gelten, in dem beide personenidentisch sind.817 Die oben erfolgte Abwägung würde aufgrund des geringeren Schutzbedürfnisses des Beschäftigungsgebers eher zugunsten der Streikenden ausschlagen. Zuletzt sind unterstützende Arbeitskämpfe der beschriebenen Art denkbar, die nicht an einen Hauptarbeitskampf anknüpfen, die von der Stammbelegschaft also stellvertretend für die Begünstigten geführt werden. Das BAG geht auch in seiner neueren Rechtsprechung vom Erfordernis der Akzessorietät von Haupt- und Unterstützungsstreik aus.818 Grundsätzlich fiele auch ein solcher Arbeitskampf in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit, wäre nach dem BAG aber wohl unverhältnismäßig. Dem ist mit Einschränkungen zuzustimmen. In der ersten Kategorie, bei der Forderungsadressat und Bestreikter auseinanderfallen, ergibt sich die Legitimation des Unterstützungsstreiks gerade aus dessen Bezug zum Hauptarbeitskampf. Ein stellvertretender Arbeitskampf gegenüber einem Dritten überdehnt die Koalitionsfreiheit zulasten von dessen Rechten. Zwar fällt auch dieser „Stellvertreterstreik“ als Unterfall des Unterstützungsstreiks grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Die Begrenzung durch das Erfordernis der Akzessorietät erscheint gleichwohl gerechtfertigt.819 Das Koalitionsgrundrecht ermöglicht den Zusammenschluss zwecks Förderung und Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gegenüber dem jeweiligen Gegenspieler. Gelingt eine solche Förderung in einem bestimmten Bereich nicht, kann dies nicht stellvertretend durch Maßnahmen Dritter gegen Dritte kompensiert werden. Den entscheidenden Anknüpfungspunkt hierfür bildet gerade der eigene Kampf der zu unterstützenden Beschäftigten. Anderenfalls entfiele ein sinnvoller Bezugspunkt für die Begrenzung dessen, was dem unterstützend bzw. stellvertretend Bestreikten trotz seiner begrenzten Abwehrmöglichkeiten zumutbar ist. Gleichwohl sind im Hinblick auf die grundsätzlich schwache Position der Crowdworker einschränkend keine hohen Anforderungen an ihre kampfweise Auseinandersetzung mit ihrem Beschäftigungsgeber als Anknüpfungspunkt zu stellen. Vielmehr genügt bereits die koalitionsgetragene Auseinandersetzung um bestimmte Arbeitsbedingungen und der, etwa durch einen entsprechend Aufruf der Koalition zum Ausdruck gebrachte, Kampfeswille, unabhängig

816

So etwa: Trabant, Solidaritätskampf oder Sozialschlacht?, 30 m. w. N. Dies erkennt auch: Trabant, Solidaritätskampf oder Sozialschlacht?, 377 f. 818 Ausdrücklich: BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055, Rn. 44, indes sind das ganze Urteil und der Großteil der Voraussetzungen einschließlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf den Hauptarbeitskampf gerichtet. 819 Kritisch hierzu: Rödl, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 98 f., 123 ff. 817

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von der tatsächlichen Effektivität und Durchführung der Crowdworker-Kampfmaßnahme, um der Akzessorietät zu genügen. Handelt es sich demgegenüber i. S. d. zweiten Kategorie um einen einheitlichen Hauptstreik, liegt schon gar kein Unterstützungsstreik vor. Reagieren auf einen Streikaufruf der Gewerkschaft nur diejenigen Teile der einheitlichen Belegschaft, die selbst nicht unmittelbar begünstigt werden, steht das der Rechtmäßigkeit wie gezeigt nicht grundsätzlich entgegen. Nach alledem sind Unterstützungsstreiks durch Stammbelegschaften im Kontext von Crowdwork grundsätzlich zulässig, wobei hinsichtlich der Akzessorietät zum Hauptarbeitskampf Einschränkungen zu machen sind. Des Weiteren ist solidarisches Kampfverhalten innerhalb eines einheitlichen Betriebes bzw. durch Streikteilnahme von Außenseitern denkbar, ohne dass hierfür die Voraussetzungen des Unterstützungsstreiks erfüllt sein müssten. b) Störung der Vertragsbeziehungen – Digitaler Streik Neben Kampfmaßnahmen durch Dritte kommen vor allem eigene Arbeitskampfmaßnahmen von Crowdworkern in Betracht. Der Streik als überkommenes Kampfmittel der Arbeitnehmerseite820 lässt sich indes nur mit Einschränkung auf Crowdwork übertragen. Nichtsdestoweniger wird in der Literatur im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung verschiedentlich die Anerkennung des Streiks als Menschenrecht, mit Geltung auch außerhalb klassischer Arbeitsverhältnisse, gefordert.821 Nach den bisherigen Ausführungen wären Crowdworker-Koalitionen im Rahmen der Koalitionsfreiheit grundsätzlich zum Streik berechtigt. Indes können Selbstständige ihre Interessen i. d. R. wahren, indem sie Verträge zu für sie nachteiligen Bedingung schlicht nicht abschließen.822 Hiermit wird man der besonderen Schutzbedürftigkeit von Crowdworkern jedoch nicht gerecht. Die kollektive Arbeitsniederlegung als Störung der Vertragsbeziehungen ist gerade im Bereich des Mikrotaskings aufgrund der geringen Dauer gar nicht als Arbeitskampfmaßnahme denkbar. Sie erzeugt keinerlei Druck auf den Gegenspieler. Und auch bei längeren Projekten, etwa im Designbereich, wird sich die bloße Unterlassung der vertraglichen Pflichten in den wenigsten Fällen als effektives Druckmittel erweisen. Nur in Dauerrechtsbeziehungen kann die Suspendierung der Vertragspflichten erheblichen Druck auf die Gegenseite erzeugen. An diesen fehlt es 820

Vgl. nur: Brox/Rüthers/Brox, § 3 Rn. 26 ff. Stefano, INDLAW 45 (2016), 185, 201 f.; Körfer/Röthig, Transfer 23 (2017), 233, 234 f.; Lamine/Prassl, in: Laulom/Hendrickx/Blanplain (Hrsg.), Collective bargaining developments in times of crisis, S. 269, 273 ff.; Bayreuther, Sicherung, 64; Liebman/Lyubarsky, in: Waas/ Liebman/Lyubarsky u. a. (Hrsg.), Crowdwork – a comparative law perspective, S. 24, 121 ff.; vgl. auch: Kretzschmar, Die Rolle der Koalitionsfreiheit für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Arbeitnehmerbegriffs, 179 ff.; Schlachter, GS Zachert, S. 634, 643 f. 822 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 12 Rn. 66. 821

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im Bereich des Crowdwork. Hinzu kommt, dass in Gestalt der globalen Crowd eine potentiell unbegrenzte Masse jederzeit abrufbarer Streikbrecher vorhanden ist.823 Die Vorstellung, die gesamte Crowd oder auch nur einen spürbaren Anteil zur Arbeitsniederlegung zu bewegen, erscheint im Zuge der Globalisierung utopisch. Nur im Fall von Spezialisten-Crowdwork wäre eine hiermit verbundene Druckausübung denkbar, wenngleich aufgrund hoher Vergütungen selten notwendig. Auch kollektive Änderungskündigungen824 gegenüber einzelnen Beschäftigungsgebern in Bereichen, in denen sie aufgrund länger andauernder Rechtsbeziehungen überhaupt in Frage kommen, werden rechtstatsächlich kaum Druck auf die Gegenseite ausüben. Selbst wenn man ihnen Suspensivwirkung zubilligt825, stellen sie kein taugliches Arbeitskampfmittel dar. Solange nicht die große Mehrheit der auf einer Plattform bzw. durch einen Crowdsourcer Beschäftigten eine solche ausspricht, wird die Crowd den Druck abfangen. Die bloße Arbeitseinstellung vermag insgesamt keinen Druck auf die Beschäftigungsgeber von Crowdwork zu erzeugen. Anknüpfend an die Forderungen in der Literatur ist deshalb kein Streikrecht i. e. S. für atypische Beschäftigte, sondern vielmehr ein der jeweiligen Arbeitsorganisation Rechnung tragendes Arbeitskampfrecht zur effektiven Ausübung der Koalitionsfreiheit zu gewährleisten, wie es in diesem Abschnitt für Crowdwork entwickelt wird. Der erforderliche Druck könnte durch Potenzierung des jedem Streik innewohnenden Öffentlichkeitsmoments erreicht werden. Damit ist die Möglichkeit von Demonstrationsstreiks, um auf unangemessene Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen und mithilfe der Öffentlichkeit Druck auf die Gegenseite zu richten, angesprochen. Die Terminologie ist auch in diesem Bereich uneinheitlich.826 Vorliegend soll es allein um Konstellationen gehen, in denen Art. 9 Abs. 3 GG die Grundlage etwaiger Kampfmaßnahmen bilden könnte. Es bleibt Crowdworkern unbenommen zu demonstrieren oder ihre Meinung kundzutun und dabei die grundrechtlichen Gewährleistungen der Art. 5 und 8 GG in Anspruch zu nehmen, um allgemeinpolitische Ziele zu verfolgen bzw. staatliche Interventionen zu erwirken.827 Verletzungen arbeitsvertraglicher (respektive werkvertraglicher) Pflichten lassen sich in diesem Zusammenhang indes nicht über Art. 9 Abs. 3 GG rechtfertigen: Einerseits fallen allgemeinpolitische Ziele nicht unter die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, andererseits liegt der Koalitionsfreiheit der bipolare Interes823 Zum Einsatz von Crowdworkern als Streikbrecher auch: Lenz/Gressel, in: Benecke (Hrsg.), Unternehmen 4.0, S. 149, 164, sowie zur Unanwendbarkeit des Verbotes Leiharbeitnehmer als Streikbrecher einzusetzen nach § 11 Abs. 5 AÜG auf Crowdworker; näher zu § 11 Abs. 5 AÜG: Deinert, RdA 70 (2017), 65, 78 f. 824 Dazu: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 11 Rn. 32 ff. 825 In diese Richtung: Schlachter, GS Zachert, S. 634, 644. 826 Zur Differenzierung zwischen allgemein- und koalitionspolitischem Demonstrationsstreik m. w. N.: Wroblewski, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 148 ff. 827 Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, 1100.

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senwiderstreit zugrunde, nicht aber ein allgemeinpolitisches Mandat zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch die Koalitionen.828 Ob demgegenüber der koalitionsspezifische Demonstrationsstreik mit dem Ziel der Verbesserung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen, der in Abgrenzung zum klassischen Streik zwar gegenüber dem Kampfgegner erfolgt, sich aber an den Staat richtet, um diesen zu Maßnahmen zu bewegen, bzw. um gegen solche zu protestieren, unter Art. 9 Abs. 3 GG fällt829, bedarf vorliegend keiner abschließenden Untersuchung. Kampfziel ist in diesen Fällen weder der Abschluss von Tarifverträgen830, was nach hiesiger Auffassung indes einen rechtmäßigen Arbeitskampf nicht ausschließt, noch sonstiger Kollektivvereinbarungen, sondern ein Tätigwerden, etwa des Gesetzgebers. Kampfgegner bleibt indes der Arbeit- bzw. Beschäftigungsgeber, auch wenn er nicht Kampfzieladressat ist.831 Wie gezeigt vermag die Arbeitsniederlegung bei Crowdwork gerade keinen Druck auf den Beschäftigungsgeber auszuüben, weshalb der Demonstrationsstreik jedenfalls keine effektive Arbeitskampfmaßnahme darstellt. Ihn deshalb von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG auszuklammern, vermag entgegen der überwiegenden Meinung hinsichtlich des Tarifbezugs ebenso wenig zu überzeugen wie in Bezug auf das Auseinanderfallen von Ziel- und Mitteladressat, das auch den Unterstützungsstreik prägt. Überzeugender erscheint es, ihn jedenfalls dann außerhalb der Koalitionsfreiheit zu beurteilen, wenn sich die bloße Demonstration dem Schema Interessenauseinandersetzung und Interesseneinigung entzieht, weil sie nur Unmutsbekundung ist. Dann kann sich aus Art. 9 Abs. 3 GG keine Privilegierung von Vertragsbrüchen ergeben. Über Demonstrationen an sich bzw. sonstige Möglichkeiten zur Mobilisierung der Öffentlichkeit im Arbeitskampf ist damit indes nichts gesagt.832

828

Siehe oben § 7 A. III. 4.; § 7 C. II. 2.c). Die überwiegende Meinung verneint dies: Gamillscheg, KollArbR I, 1100 f.; Brox/ Rüthers/Rüthers, § 8 Rn. 141; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 119, 122; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 500 ff.; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 24 Rn. 68; Otto, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, § 5 Rn. 43 ff.; Richardi/Bayreuther, Kollektives Arbeitsrecht, § 10 Rn. 103; offener: Wroblewski, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 17 Rn. 176 ff.; Mückenberger, KJ 13 (1980), 258, 263 ff.; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 13 Rn. 59 ff.; BKS/P. Berg, AKR Rn. 188 ff.; Kittner/Schiek, in: E. Stein/ Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 9 Abs. 3 GG Rn. 143; HK-ArbR/Hensche, Art. 9 GG Rn. 122. 830 Weshalb das BAG ein entsprechendes Recht zum Demonstrationsstreik verneint: BAG, Beschl. v. 23.10.1984 – 1 AZR 126/81, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 82, unter 3. b); ablehnend unter Bezug auf die Kernbereichsrechtsprechung auch: LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 5.3.1986 – 1 Ta 50/86, NZA 1986, 264, unter II. 1. b) aa); ähnlich: LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 18.1.1995 – 3 Sa 568/94, NZA 1995, 842. 831 Kampfziel- und Kampfmitteladressat fallen auseinander: Mückenberger, KJ 13 (1980), 258, 261. 832 Siehe unten § 8 B. IV. 2. d) zum digitalen Boykott. 829

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

c) Digitaler Flashmob – Cyberattacken Im Bereich des Crowdwork deutlich interessanter als bloße Arbeitsniederlegungen sind aktive Störungen der Unternehmensabläufe zwecks Durchsetzung koalitionsvertraglicher Forderungen gegenüber den Beschäftigungsgebern. Im Anschluss an die Flashmob-Entscheidungen bestehen hiergegen keine grundsätzlichen Bedenken.833 Fraglich ist allein, welcher konkreten Instrumente sich Crowdworker im Rahmen von rechtmäßigen Arbeitskämpfen bedienen können, um die digitale Infrastruktur ihres Gegenspielers zu beeinträchtigen. So werden in der Literatur verschiedene potentielle Arbeitskampfmittel diskutiert. Giesen/Kersten erwägen unter dem Stichwort „alternativer Kampfzonen“ verschiedene digitale Kampfmittel, wie insbesondere DDoS-Aktionen (Distributed Denial of Service834), durch die Server mithilfe einer Vielzahl von Anfragen lahmgelegt werden sollen, ohne dass Daten verändert oder beschädigt werden.835 Dabei unterstellen sie derartige Kampfmaßnahmen, auch wenn sie im Kontext der Verbesserung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ausgeübt werden, nicht primär Art. 9 Abs. 3 GG, sondern bewerten sie als Aktivitäten außerhalb von Koalitionen vor allem auf Grundlage von Art. 5 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 1, 12 Abs. 1 sowie 2 Abs. 1 GG.836 Das mag einerseits ihrer harschen Kritik am Flashmob-Urteil837 und den damit geäußerten Bedenken an der Kampfmittelfreiheit geschuldet sein und andererseits einem vom hier vertretenen Untersuchungsschwerpunkt bzw. Verständnis abweichenden Fokus, gerichtet auf Aktionen außerhalb des Arbeitskampfrechts. Dennoch kann dieses Vorgehen nicht überzeugen. Zwar ist sicher richtig, dass die Kommunikationsgrundrechte neben Art. 9 Abs. 3 GG im Kontext von Internet-Aktionen betroffen sein können. Dass sich aber Aktionen wie DDoS-Angriffe in jedem Fall außerhalb der Koalitionsfreiheit abspielen, überzeugt indes nicht.838 Auch die Auffassung, dass es sich um eine Versammlung i. S. v. Art. 8 Abs. 1 GG auf der angegriffenen Webseite handelt, wirkt unabhängig von der Frage, ob es sich um physische Zusammenkünfte handeln muss839, schon deshalb fernliegend, weil es sich (so die Autoren) um eine mittels spezieller Software oder 833

Siehe oben § 8 B. IV. 1. Dazu BT-Drs. 16/3656, 13, sowie: Kochheim, Cybercrime und Strafrecht in der Informations- und Kommunikationstechnik, Rn. 686 ff., mit graphischen Erläuterungen. 835 Giesen/Kersten, NZA 35 (2018), 1, 5 f.; Kersten, Schwarmdemokratie, 218 f. 836 Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 207 ff.; Giesen/Kersten, NZA 35 (2018), 1, 5 ff. 837 Kersten, Neues Arbeitskampfrecht, 66 ff.; Kersten, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht?, S. 61, 77 ff.; Giesen, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Neues Arbeitskampfrecht?, S. 95, 97 ff.; Giesen, Sozialer Fortschritt 65 (2016), 266, 269; Giesen/ Kersten, NZA 35 (2018), 1, 3 f. 838 In diese Richtung scheinbar auch: Lenz/Gressel, in: Benecke (Hrsg.), Unternehmen 4.0, S. 149, 156, soweit sie eine „auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung“ fordern. 839 Dafür, d. h. gegen virtuelle Versammlungen m. w. N.: Maunz/Dürig/Depenheuer, Art. 8 GG Rn. 45; Sachs GG/Höfling, Art. 8 GG Rn. 30. 834

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Botnetzen durchgeführte Vielzahl von Zugriffen handelt.840 Was der mittels eines Computerprogramms durchgeführte Cyberangriff auf eine Webseite mit einer örtlichen Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zu tun hat, bleibt schleierhaft.841 Eine solche mag im Vorfeld in Foren, Chats oder sonst wo im Internet stattfinden, der Cyberangriff selbst lässt sich mit ihr indes nicht rechtlich qualifizieren. Wieso die übrigen Kommunikationsgrundrechte anstelle der Koalitionsfreiheit Anwendung finden sollen, wird nicht begründet und kann aus der hier eingenommenen Perspektive nicht überzeugen. Im Gegenteil ist durchaus denkbar, dass die virtuellen Kommunikationsräume eine kollektive Willensbildung und ein Mindestmaß an verfestigter Organisation etwa durch Registrierung in einem Forum zulassen, sodass auch ad-hoc gebildete Gruppen die Koalitionsfreiheit zwecks Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für Arbeitskampfmaßnahmen in Gestalt von Cyberattacken auf ihre Beschäftigungsgeber für sich beanspruchen können.842 Vorliegend geht es gerade um Maßnahmen, die in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit fallen. Deinert erwägt die Möglichkeit von Internetblockaden, die er grundsätzlich im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG verortet und deren Verhältnismäßigkeit gewahrt werde, solange die Beherrschbarkeit des Mittels sichergestellt werde, die Blockade von kurzer Dauer sei, keine weitergehenden Schäden verursache und die Gewerkschaft als Träger der Maßnahme in Erscheinung trete.843 Ähnlich hält Krause im Zuge der Flashmob-Rechtsprechung jedenfalls kurze „symbolische“ Blockaden für denkbar, wenngleich die jeweiligen Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen wären.844 Dabei sei die tatsächliche ökonomische Betroffenheit des Bekämpften in dem Sinne in die Abwägung einzubeziehen, dass es einen Unterschied mache, ob ein kleines Unternehmen mit einer Betriebsstätte oder eines mit zahlreichen Niederlassungen bekämpft werde.845 Dies leuchtet einerseits insoweit ein, als hinsichtlich des Verbleibs effektiver Verteidigungsmöglichkeiten die Intensität der Maßnahme Berücksichtigung finden kann und andererseits in Bezug auf die Abwägung der beeinträchtigten Rechtspositionen, die umso eher zugunsten des Bekämpften ausfällt, je stärker seine Rechtsgüter beeinträchtigt werden. Däubler setzt sich mit verschiedenen digitalen Druckmitteln bzw. politischen Protestaktionen auseinander, wie der massenhaften Versendung von E-Mails, die in der Vergangenheit etwa Server der Lufthansa i. S. e.

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Giesen/Kersten, NZA 35 (2018), 1, 6; Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 208. Zum engen und weiten Versammlungsbegriff m. w. N.: Sachs GG/Höfling, Art. 8 GG Rn. 16. 842 Siehe oben § 8 A. V. zu den Voraussetzungen der Grundrechtsträgerschaft von Ad-hoc Koalitionen. 843 Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 86 f. 844 Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 82. 845 Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 82. 841

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DDoS-Aktion lahmlegen sollte.846 Derartige Maßnahmen seien im Rahmen der Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen unter Art. 9 Abs. 3 GG nicht anders zu bewerten als Flashmobs, insbesondere könne an der Friedlichkeit nur gezweifelt werden, wenn in Datenbestände eingegriffen oder Software beschädigt würde.847 Sie seien i. d. R. auch verhältnismäßig, solange sie von der kampfführenden Gewerkschaft getragen und beherrscht würden, insbesondere die Mitwirkung Dritter stehe innerhalb dieser Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit nicht entgegen.848 Im Fall der Lufthansa hat das OLG Frankfurt die Initiatoren freigesprochen, weil nach damaliger Rechtslage mit der nur vorübergehenden Aktion keine Straftatbestände erfüllt wurden.849 MWv. 11.8.2007 wurde indes mit § 303b Abs. 1 Nr. 2 StGB eine neue Variante der Computersabotage eingeführt, die digitale Infrastrukturen vor in Nachteilszufügungsabsicht eingegebenen oder übermittelten Daten schützen soll, worunter sowohl DDoS-Aktionen als auch OnlineDemonstrationen fallen können.850 Massen-E-Mail-Proteste sollen nach Auffassung des Rechtsausschusses allerdings nicht in Nachteilszufügungsabsicht erfolgen, vielmehr von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG gedeckt sein und mithin den Tatbestand nicht erfüllen.851 So hat das LG Düsseldorf, wenn auch in ganz anderem Kontext der Forderung von Geldbeträgen von Wettportalen zur Vermeidung weiterer DDoS-Attacken, wegen Erpressung in Tateinheit mit Computersabotage nach §§ 253 Abs. 1, 3 und 4, 303b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1, 53 StGB verurteilt.852 Im Anwendungsbereich der Koalitionsfreiheit wäre hier ggfs. eine strafrechtliche Rechtfertigung zu prüfen.853 Gleiches gilt für den regelmäßig vorliegenden Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Bekämpften, der grundsätzlich zu Ansprüchen auf Unterlassung bzw. Beseitigung und Schadensersatz nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB führen würde, aber als Arbeitskampfmaßnahme gerechtfertigt sein kann.854 P. Berg sieht gewerkschaftlich getragene Betriebsstörungen durch massenhafte E-Mails, Aufrufe einer Homepage oder Anrufe in einem 846

Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht, § 13 Rn. 41 ff. Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 31 Rn. 19. 848 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 31 Rn. 19. 849 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 22.5.2006 – 1 Ss 319/05, MMR 2006, 547, 550 f., weder handele es sich um Gewalt noch um eine Drohung i. S. v. § 240 StGB, ebenso liege keine Datenunterdrückung nach § 303a StGB a. F. vor. 850 Vgl. BT-Drs. 16/3656, 13, BT-Drs. 16/5449, 6. 851 BT-Drs. 16/5449, 5. 852 LG Düsseldorf, Urt. v. 22.3.2011 – 3 KLs 1/11, MMR 2011, 624 (m. Anm. Bär), 625 f. 853 Vgl. zur Rechtfertigung gewerkschaftlicher Werbung über dienstliche Email-Adresse: BAG, Urt. v. 20.1.2009 – 1 AZR 515/08, NZA 2009, 615, Rn. 31; indes keine Duldungspflicht aus Art. 9 Abs. 3 GG hinsichtlich gewerkschaftlichem Streikaufruf im Intranet: BAG, Beschl. v. 15.10.2013 – 1 ABR 31/12, NZA 2014, 319, Rn. 36; siehe auch: Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 86; ausführlich zur strafrechtlichen Bewertung von Online-Arbeitskämpfen: Blume, Strafbefreiende Wirkung der „neuen“ Arbeitskampffreiheit?, 286 ff. 854 Vgl. zum Flashmob: BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 31. 847

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Call-Center, solange damit keine Beschädigungen einhergehen und keine unangemessene Beeinträchtigung gegenläufiger Interessen verbunden ist, als verhältnismäßig an, gerade weil der Bekämpfte regelmäßig Abwehrmaßnahmen wie die Schließung des jeweiligen Portals ergreifen kann.855 Auch Linsenmaier und Treber halten aktive Produktionsbehinderungen als Arbeitskampfmaßnahme nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes insbesondere dort, wo klassische Kampfmittel leerlaufen, für möglich.856 Eine allgemeine rechtliche Bewertung lässt sich nur im Hinblick auf die Wirkung der jeweiligen Arbeitskampfmaßnahmen formulieren. Cyberattacken, die Internetportale temporär lahmlegen, sind mittlerweile an der Tagesordnung, ohne dass vom hiesigen Standpunkt die konkreten Mittel, mit denen dies erreicht wird oder potentiell zukünftig erreicht werden könnte, überblickt werden.857 Gleichwohl lässt sich abstrakt formulieren, dass koalitionsgetragene Cyberattacken, gerichtet auf die temporäre Störung der Betriebsabläufe zwecks Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch Koalitionsverträge, in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fallen. Obwohl es in der Flashmob-Entscheidung allein um eine streikbegleitende Aktion ging, sind derartige Angriffe auch als isolierte Kampfmaßnahmen zulässig, soweit durch Streiks kein ausreichender Druck auf die Gegenseite erzeugt werden kann. Das folgt schon aus der Kampfmittelfreiheit.858 Anderenfalls wäre eine effektive Betätigung der Arbeitskampffreiheit unmöglich. Kampfmaßnahmen mit dem beschriebenen Ziel wären unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative der Koalitionen auch grundsätzlich geeignet und erforderlich. Im Rahmen der Angemessenheit ist dann vor allem zu berücksichtigen, dass das Element der Selbstschädigung durch Arbeitsniederlegung entfällt, was einen „Dammbruch-Effekt“ begünstigen könnte. Gleichwohl wird man dies im Bereich des Crowdwork nur mit Einschränkungen annehmen können. Crowdworker haben ebenso wenig wie klassische Arbeitnehmer ein Interesse daran, die digitale Infrastruktur „ihrer“ Plattform oder „ihres“ Crowdsourcers nachhaltig zu schädigen, 855

BKS/P. Berg, AKR Rn. 223. ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 277, 277c, nach Maßgabe der Flashmob-Entscheidung seien auch sonstige Störungsmaßnahmen des Internets zu prüfen; Schaub/Treber, § 192 Rn. 52; siehe bereits: Treber, Aktiv produktionsbehindernde Maßnahmen, 461 ff., 499 f.; dagegen etwa: M. Richter, Grenzen aktiver Produktionsbehinderung im Arbeitskampf, 184 ff., mit dem Hinweis auf fehlende Marktkonformität und Koalitionsspezifik. 857 Vgl. zu unterschiedlichen Cyber-Angriffen der letzten Jahre: Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland, 7 ff., siehe S. 13 zu sich selbst verbreitender Schad-Software; zur wirtschaftlichen Bedeutung solcher Angriffe sowie zu möglichen Ansprüchen der Angegriffenen: Mehrbrey/Schreibauer, MMR 19 (2016), 75 ff. 858 Siehe oben § 7 C. II. 2. a) aa) und § 8 B. IV. 1., ebenso: Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 31 Rn. 15, der die Durchführung von Warnstreiks, weil die Voraussetzungen für Erzwingungsstreiks nicht erreichbar sind für vergleichbar hält; Rehder/ Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 86; BKS/ P. Berg, AKR Rn. 221a; Blume, Strafbefreiende Wirkung der „neuen“ Arbeitskampffreiheit?, 50 ff. 856

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weil auch damit zwar kein unmittelbarer Verlust von Vergütungsansprüchen, jedenfalls aber eine mittelbare Selbstschädigung verbunden wäre.859 Dieses Argument gilt bei Angriffen auf einzelne kleine Crowdsourcer, die nur wenige Koalitionsmitglieder beschäftigen bzw. auf deren Internetpräsenz die Kämpfenden nicht angewiesen sind, nur abgeschwächt. Das begrenzende Moment steht gleichwohl in Gefahr durch die Einbeziehung Dritter aufgehoben zu werden. Diese haben mangels eigenen finanziellen Opfers regelmäßig kein Interesse daran, die zugefügte Beeinträchtigung gering zu halten. Dem muss die kämpfende Koalition insoweit entgegenwirken, als sie zentraler Akteur des Geschehens bleibt. Verselbstständigt sich die Aktion infolge eines öffentlichen Aufrufs in den sozialen Netzwerken, etwa bei Twitter, Stichwort – Viralität (vgl. unten zum „Shitstorm“), bis hin zu einem völligen Kontrollverlust der Initiatoren, würde dies die Grenzen der Rechtmäßigkeit sprengen.860 Demgegenüber ist Deinert zuzustimmen, dass soweit die Koalition entsprechende Vorkehrungen trifft, indem sie gezielt nur ihre Mitglieder anspricht und Vorgaben zum Ablauf der Aktion macht, etwaige Exzesse die sich durch (Weiter-)Verbreitung seitens der Mitglieder ergeben, ihr nicht zuzurechnen sind.861 Wird eine Aktion im Moment ihrer „Unkontrollierbarkeit“ rechtswidrig, haben die Koalitionen gerade keine Kontrolle mehr über den weiteren Verlauf, weshalb sie für diesen grundsätzlich nicht verantwortlich sind. Die Maßnahme muss vielmehr kollektiv betrachtet werden, ihr Gepräge erhält sie durch den jeweiligen Aufruf der kampfführenden Koalition zu bestimmten Maßnahmen und deren Billigung durch die Mehrzahl der Teilnehmer, während die Exzesse einzelner die Maßnahme nicht insgesamt rechtswidrig werden lassen.862 Selbst wenn die Koalition umfangreich Dritte einsetzt, für die der Arbeitskampf kein eigenes materielles Risiko bedeutet, führt dies nach Ansicht des BAG typischerweise erst dann zu einer Störung der Verhandlungsparität zu Lasten der Bekämpften und damit zur Unangemessenheit, wenn diesen keine Verteidigungsmöglichkeiten bleiben.863 Analog zur Flashmob-Entscheidung ließe sich mit der Geltendmachung des aus dem Grundstückseigentum oder -besitz folgenden Haus859 Vgl. etwa die Befürchtungen hinsichtlich Account-Deaktivierung infolge möglicher Kollektivaktionen: Salehi/Irani/Bernstein u. a., in: Begole/Kim/Inkpen u. a. (Hrsg.), the 33rd Annual ACM Conference, S. 1621, 1624. 860 Anders wohl: BKS/P. Berg, AKR Rn. 219, der von einer vermeintlichen Gefahr spricht und den Einsatz Dritter als Streikposten für vergleichbar hält. Schon die öffentliche Rezeption des Arbeitskampfes stehe dessen Eskalation entgegen. 861 Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 86 f. 862 BAG, Beschl. v. 28.1.1955 – GS 1/54, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 1, unter I. 5.; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 12 Rn. 22; Kissel, Arbeitskampfrecht, Rn. 114 ff., 120, das schließt indes keine individuelle Haftung der Exzess-Täter aus; Krause, in: Rieble/Giesen/ Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 71; zur kollektiven Bewertung vgl. auch: BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 35 a. E.. 863 BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 46.

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rechts ebenso argumentieren wie mit der Möglichkeit der temporären Schließung der Webseite.864 Wenngleich im Einzelnen umstritten, wird doch überwiegend anerkannt, dass Betreiber von Chat-Rooms oder Internetportalen Nutzer, die die Betriebsabläufe stören, in Ausübung ihres virtuellen Hausrechts z. B. durch Sperrung der IP-Adresse von der Nutzung ausschließen können.865 Eine Verteidigungsmöglichkeit im Sinne einer Abwehr liegt hierin indes nicht, weil zumindest eine Abschaltung des jeweiligen Portals die Störung nicht beseitigen sondern vertiefen würde.866 Zu berücksichtigen ist ferner, dass im Fall von Crowdwork im Hinblick auf das Geschäftsmodell bekämpfter Plattformen das jeweilige Internetportal alleinige Geschäftsgrundlage ist. Wird dieses attackiert und in der Folge blockiert, kommt es zum vollständigen Erliegen der unternehmerischen Betätigung nach außen. Darin liegt zwar kein grundsätzlicher Unterschied zum Flashmob in einer Einzelhandelsfiliale, wohl aber zu Angriffen auf die digitale Infrastruktur klassischer analoger Unternehmen, deren Produktion damit nicht automatisch ausgehebelt wird. Verteidigungsmöglichkeiten werden insbesondere bei größeren Unternehmen hierdurch jedoch nicht ausgeschlossen. Im Falle des Hausrechts erscheint die praktische Durchsetzung im Rahmen einer Cyberattacke zwar schwierig, gleichwohl nicht ausgeschlossen, zumindest im Hinblick auf die Minimierung der Störung durch entsprechende Sperrungen von IPAdressen. Demgegenüber bestehen eine Reihe von technischen Möglichkeiten zur Vorbeugung bzw. Bekämpfung und Geringhaltung etwaiger Cyberattacken wie DDoS-Angriffen. Der amerikanische Anbieter Cloudflare wirbt u. a. mit effektivem Schutz gegen entsprechende Angriffe.867 Durch die Zwischenschaltung eines solchen Dienstes zwischen zugreifendem Nutzer und potentiell bekämpftem Internetportal werden die Inhalte des Portals weltweit auf verschiedenste Server verteilt und Zugriffen ausgesetzt, während das eigentliche Portal im Hintergrund bleibt.868 Ebenso besteht die Möglichkeit, während Cyberangriffen Captchas, d. h. kurze Tests, zur Feststellung, ob es sich beim Zugreifenden um einen Menschen oder einen Computer 864

BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347, Rn. 56 ff. LG Bonn, Urt. v. 16.11.1999 – 10 O 457/99, MMR 2000, 109; OLG Hamburg, Urt. v. 18.4.2007 – 5 U 190/06, MMR 2008, 58; OLG Hamm, Urt. v. 23.10.2007 – 4 U 99/07, MMR 2008, 175; BSG, Urt. v. 6.12.2012 – B 11 AL 25/11 R, MMR 2013, 675, Rn. 14; Maume, MMR 10 (2007), 620, 621 f.; Karavas, Digitale Grundrechte, 18 ff.; G. Schulze, JZ 70 (2015), 381, 390 f.; kritisch dagegen: Baldus, JZ 71 (2016), 449, 450 f.; zum öffentlich-rechtlichen Hausrecht im virtuellen Raum vgl.: Kalscheuer, NJW 71 (2018), 2358, 2359 f. 866 Vgl. Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 87; Lenz/Gressel, in: Benecke (Hrsg.), Unternehmen 4.0, S. 149, 163, sprechen insoweit von „hohen wirtschaftlichen Verlusten“; zur Untauglichkeit von Hausrecht und Betriebsstilllegung als Verteidigungsmittel auch: Picker, ZfA 41 (2010), 499, 557 f. 867 Vgl. https://www.cloudflare.com/de-de/ddos/; https://www.imperva.com/. 868 Europäische Kommission, Counterfeit and Piracy Watch List (http://trade.ec.europa.eu/ doclib/docs/2018/december/tradoc_157564.pdf), 21, derartige Anbieter werden insoweit kritisch gesehen, als dass sich auch Seiten die Urheberrechtsverletzungen begehen ihres Schutzes bedienen. 865

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handelt, einzublenden, um Zugriffe auf die Seite zu begrenzen.869 Ähnlich wirken Firewalls, die ebenfalls von entsprechenden Dienstleistern angeboten werden.870 Insoweit bestehen potentiell durchaus Verteidigungsmöglichkeiten auf Seiten des Kampfgegners auch gegen Cyberangriffe. Die Übergänge zwischen einer bloßen Erschwerung durch Verlangsamung eines Servers und dessen vollständiger Lahmlegung sind gleichwohl fließend. Deshalb muss es sich in Abgrenzung zur Betriebsblockade871 um eine zeitlich begrenzte Attacke handeln, die das jeweilige Portal in Übereinstimmung mit den genannten Literaturpositionen nur vorübergehend, d. h. für wenige Stunden, lahmlegt. Die Koalition muss in der Lage sein die Aktion wieder zu beenden, was rechtstatsächlich eher bei DDoS-Angriffen durch ein Programm als bei massenhaften Zugriffen durch eine Vielzahl von Einzelpersonen gewährleistet sein wird.872 Dabei muss zwecks Verteidigungsmöglichkeit aus Sicht des Gegners hinreichend deutlich werden, dass es sich um eine Arbeitskampfmaßnahme handelt. Ausreichend ist aber die allgemeine Erklärung, dass die Koalition zu Arbeitskampfmaßnahmen greifen wird, da die konkrete Ankündigung einer DDoSAttacke diese im Hinblick auf die genannten Verteidigungsmöglichkeiten wirkungslos machen würde.873 Schließlich sind nur „friedliche“ Maßnahmen dahingehend, dass keine bleibenden weiteren Schäden an Soft- oder Hardware des Bekämpften hervorgerufen werden, angemessen.874 Sind Aktionen nach diesen Kriterien angemessen, ist tatsächlich davon auszugehen, dass ihr wirtschaftliches Schädigungspotential erheblich geringer ist als bei unbefristeten Vollstreiks.875 Sie fungieren dann eher als Nadelstiche, die gleichwohl den benötigten Druck auf die Gegenseite hervorrufen, um diese verhandlungsbereit zu machen. Verallgemeinernd lässt sich festhalten, dass koalitionsgetragene Cyberattacken in aller Regel rechtmäßig sind, sofern die Koalition in ihrem Kampfaufruf Vorkehrungen dafür trifft, dass sie Zentralgestalt des Kampfgeschehens bleibt, insbesondere dessen Dauer steuern kann, und es sich insoweit um friedliche Maßnahmen handelt, 869

Vgl. https://www.cloudflare.com/media/pdf/cloudflare-two-pager-rate-limiting-de.pdf. Zur Verbreitung derartiger Sicherheitsvorrichtungen in der Industrie: bitkom, Spionage, Sabotage und Datendiebstahl – Wirtschaftsschutz in der Industrie (https://www.bitkom.org/ sites/default/files/file/import/181008-Bitkom-Studie-Wirtschaftsschutz-2018-NEU.pdf), 38. 871 Siehe oben § 8 B. IV. 1., nach überwiegender Auffassung rechtswidrig. 872 Ebenso: Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 86; anders: Blume, Strafbefreiende Wirkung der „neuen“ Arbeitskampffreiheit?, 320, die den Einsatz von Software für mit dem Erfordernis der Kampfparität unvereinbar hält. 873 Vgl. Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 31 Rn. 19 a. E.. 874 BKS/P. Berg, AKR Rn. 223; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 31 Rn. 19; Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 87; siehe auch: Krause, in: Rieble/Giesen/Junker (Hrsg.), Entgrenzter Arbeitskampf?, S. 43, 70 f., der regelrecht unfriedliche Maßnahmen i. S. v. Gewalt schon aus dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ausklammert. 875 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 31 Rn. 19; BKS/P. Berg, AKR Rn. 218. 870

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als keine Schäden, die über die bloße Blockade bzw. Störung hinausgehen, verursacht werden. Außerdem muss der bekämpfte Beschäftigungsgeber abstrakt über Arbeitskampfmaßnahmen informiert werden, ohne dass diese konkret und formal angekündigt werden müssten. Dann bestehen auch weder gegen den Einbezug Dritter, noch im Hinblick auf Verteidigungsmöglichkeiten des Kampfgegners durchgreifende Bedenken. Rechtswidrig sind danach Sabotagemaßnahmen, die auf den Diebstahl geistigen Eigentums bzw. Daten oder die gezielte Beschädigung von Infrastruktur gerichtet sind.876 Durch derartige Maßnahmen entstanden in der deutschen Industrie in den letzten zwei Jahren Schäden von mehr als 43,4 Milliarden Euro.877 Gleiches gilt für die dauerhafte Lahmlegung von Internetseiten zwecks Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen i. S. e. „Lösegeldforderung“ für die Wiederfreigabe der digitalen Informationssysteme.878 Hierin läge zwar ohne Zweifel ein effektives Druckmittel zur Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen. Sofern es sich überhaupt um koalitionsmäßige Maßnahmen im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG handelt, sind diese jedenfalls unverhältnismäßig. Sie verschieben die Kampfparität einseitig zu Lasten des Bekämpften, schädigen ihn nachhaltig und pervertieren den Arbeitskampf von Druckausübung zur Schaffung von Verhandlungsbereitschaft hin zur rechtswidrigen Erpressung i. S. v. § 253 StGB. d) Boykott – Verruf, Shitstorm Wie bereits im Rahmen von Unterstützungsarbeitskämpfen angedeutet, liegt ein entscheidendes Potential der Arbeitskampfmaßnahmen von Crowdworkern in der Aktivierung der Öffentlichkeit über digitale Medien. Hierbei geraten überkommene Arbeitskampfmittel wie Boykott und Verruf879, aber auch neue potentielle Instrumente wie der „Shitstorm“ in den Blick. Selbst in Bereichen, in denen klassische Streiks durchgeführt werden, scheinen führende Technologie-Konzerne wie etwa Amazon gegen derartige Druckausübung immun.880 Umso wichtiger für eine ef876

Dazu: Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 31 Rn. 20 f. Bitkom, Spionage, Sabotage und Datendiebstahl – Wirtschaftsschutz in der Industrie (https://www.bitkom.org/sites/default/files/file/import/181008-Bitkom-Studie-Wirtschafts schutz-2018-NEU.pdf), 25. 878 Vgl. zu derartigen Gedankenspielen: Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht, § 13 Rn. 44. 879 Vgl. BAG, Urt. v. 19.10.1976 – 1 AZR 611/75, NJW 1977, 318, unter 4.; zum Boykott als universalem Kampfmittel, über den Wirtschafts- und Arbeitskampf hinaus vgl. Birk, Die Rechtmäßigkeit gewerkschaftlicher Unterstützungskampfmaßnahmen, 93 ff.; näher zur Rechtsprechung des RG und zur grundsätzliche Erlaubtheit des Boykotts Anfang des 20. Jahrhunderts, m. v. w. N.: R. Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, 273. 880 Vgl. die Ausführungen im Tatbestand, dass die Gewerkschaft ver.di seit 2013 in verschiedenen Niederlassungen versucht durch Kampfmaßnahmen Tarifverhandlungen zu erzwingen: LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 31.8.2016 – 4 Sa 512/15, LAGE Art. 9 GG Arbeits877

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fektive Betätigung der Koalitionsfreiheit kann die Einbeziehung Dritter, d. h. sonstiger Beschäftigter, aber auch Kunden und Geschäftspartner des Gegners, in den Arbeitskampf sein. Historisch wie begrifflich werden unterschiedliche Varianten des Boykotts differenziert, der keineswegs nur im Arbeitskampf eine Rolle spielt. Allgemein lässt sich von einem Konfliktaustragungsmechanismus sprechen, der durch Beeinflussung der wirtschaftlichen Betätigung des Gegners und unter Einschaltung Dritter diesen zum Nachgeben im Sinne des Initiators bewegen soll.881 Der arbeitskonfliktbezogene Boykott zielt darauf ab, dergestalt Druck auf die Gegenseite zwecks Erfüllung kollektivvertraglicher Forderungen auszuüben, dass durch Dritte mit ihr keine Vertragsbeziehungen aufgenommen oder fortgesetzt werden sollen.882 Im Rahmen des Boykotts werden insoweit drei Beteiligte unterschieden: Der Boykottierer (Verrufer), der zur Ächtung, Meidung bzw. Sperre aufruft, der Boykottant als aufgerufener Adressat, der ggfs. eine Sperrhandlung durchführt und der Boykottierte als Kampfgegner.883 Insofern zeigt sich, dass der Boykott ein mehraktiges Geschehen, bestehend aus dem Aufruf oder Verruf und der darauf folgenden Meidung, verklammert.884 Der Aufruf kann einerseits darauf gerichtet sein, die Boykottierten ggü. potentiellen Beschäftigungsvertragspartnern in Verruf zu bringen, sodass keine Beschäftigungsverhältnisse mehr mit ihnen eingegangen oder laufende Beziehungen abgebrochen werden.885 Andererseits kann Ziel sein, die Geschäftspartner und Kunden des boykottierten Beschäftigungsgebers sowie die sonstige Öffentlichkeit von Abschlüssen mit diesem abzuhalten.886 Dabei überschneidet sich der Boykott mit dem Streik, da auch bei diesem Streikarbeit kampf Nr. 108; LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.3.2017 – 24 Sa 979/16, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 110; siehe auch die Revision beim BAG: BAG, Urt. v. 20.11.2018 – 1 AZR 189/17, NZA 2019, 402; dazu auch: T. Klein, AuR 66 (2018), 216 ff. 881 Vgl. nur: Binkert, Gewerkschaftliche Boykottmassnahmen im System des Arbeitskampfrechts, 22 ff. m. w. N. zur historischen Entwicklung und unterschiedlichen Varianten; ähnlich, wenn auch ohne Nennung eines Zieles: Brunner, Der Boykott, 24. 882 Brunner, Der Boykott, 27 f.; Binkert, Gewerkschaftliche Boykottmassnahmen im System des Arbeitskampfrechts, 38 f.; Gamillscheg, KollArbR I, 916, 1054; Otto, Arbeitskampfund Schlichtungsrecht, § 11 Rn. 25; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 61 Rn. 122 ff.; Treber, Aktiv produktionsbehindernde Maßnahmen, 116; Birk, Die Rechtmäßigkeit gewerkschaftlicher Unterstützungskampfmaßnahmen, 96; Konzen, FS K. Molitor, 181. 883 Birk, Die Rechtmäßigkeit gewerkschaftlicher Unterstützungskampfmaßnahmen, 96; Gamillscheg, KollArbR I, 916; HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 240, 245; Renneberg, Die Arbeitskämpfe von morgen?, 227. 884 HWK/Hergenröder, Art. 9 GG Rn. 245; Binkert, Gewerkschaftliche Boykottmassnahmen im System des Arbeitskampfrechts, 42. 885 Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 11 Rn. 26 ff., der in diesem Fall vom arbeitsrechtlichen im Gegensatz zum güterumsatzrechtlichen Boykott spricht; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 28 Rn. 73, spricht in diesem Fall schlicht von Verruf; Brox/Rüthers/Brox, § 3 Rn. 66, Einstellungs- und Zuzugssperre. 886 BKS/P. Berg, AKR Rn. 211; Brox/Rüthers/Brox, § 3 Rn. 66.

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verhindert und Streikbrecher abgehalten werden sollen.887 Das BAG hat die Aufforderung der Gewerkschaft keine Streikbrecherarbeit zu leisten als Absperrung bezeichnet und als Begleithandlung des Streiks gewertet.888 Vom Unterstützungsstreik sinnvoll abgrenzen lassen sich Boykottmaßnahmen mit Binkert insoweit, als zweitere neben der Einbeziehung Dritter die Rechtsbeziehungen zwischen Boykottiertem und Boykottant als Anknüpfungspunkt zur Druckausübung nutzen, während diese für erstere keine entscheidende Rolle spielen.889 Die rechtliche Bewertung von Boykottmaßnahmen hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab. Hinzu kommt, dass sich Maßnahmen mit boykottähnlicher Wirkung an der Schnittstelle zwischen Deliktsrecht, insbesondere hinsichtlich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. des Rechts am Gewerbebetrieb, Lauterkeitsrecht890 sowie Verfassungs- und Arbeitskampfrecht befinden. Dies veranschaulicht allein im digitalen Kontext die ausführliche Rechtsprechung891 der letzten Jahre zu personen- bzw. unternehmensbezogenen Online-Bewertungsportalen892, die in Gestalt geschäfts- oder rufschädigender Kritik jedenfalls boykottähnlich wirken können893, bei denen es gleichwohl nicht um arbeitskampfbezogene Druckausübung geht. In diesem Zusammenhang sind auch gesetzgeberische In887

Treber, Aktiv produktionsbehindernde Maßnahmen, 116 ff.; Schaub/Treber, § 192 Rn. 53; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 278; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 11 Rn. 29; Konzen, FS K. Molitor, S. 181, 182; Söllner, FS K. Molitor, S. 333, 343; siehe auch: Brunner, Der Boykott, 29 ff., demzufolge eine klare Abgrenzung von Boykott und Streik kaum möglich ist. 888 BAG, Urt. v. 20.12.1963 – 1 AZR 157/63, NJW 1964, 1291, unter I.; akzessorische, dem Streiksinn dienende Handlung: BAG, Urt. v. 20.11.2018 – 1 AZR 189/17, NZA 2019, 402, Rn. 29 a. E. 889 Binkert, Gewerkschaftliche Boykottmassnahmen im System des Arbeitskampfrechts, 40. 890 Siehe dazu im digitalen Kontext: Glöckner, ZUM 62 (2018), 844, 845 ff. m. w. N., wobei es sich bei Boykottaufrufen von Beschäftigten und deren Koalitionen in aller Regel nicht um Mitbewerber des Boykottierten handeln wird, weshalb das UWG in diesen Fällen nicht zur Anwendung gelangt; zu kartellrechtlichen Fragen siehe im nächsten Abschnitt. 891 Vgl. zur Zulässigkeit eines Bewertungsportals für Lehrer, trotz persönlichkeitsrechtlicher Relevanz: BGH, Urt. v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08, NJW 2009, 2888, Rn. 30 ff.; grds. zulässig auch Ärzte-Bewertungsportal: BGH, Urt. v. 23.9.2014 – VI ZR 358/13, NJW 2015, 489; zu Auskunftsansprüchen des Verletzten gegen das Portal: BGH, Urt. v. 1.7.2014 – VI ZR 345/13, NJW 2014, 2651, Rn. 6 ff.; anders Beseitigungsanspruch des Verkäufers gegen unwahre Tatsachenbehauptung und damit verbundene Negativbewertung in einem Online-Portal: OLG München, Urt. v. 28.10.2014 – 18 U 1022/14 Pre, MMR 2015, 410, Rn. 16 ff.; zur Haftung des Portalbetreibers als mittelbarer Störer und zum Umfang seiner Überprüfungspflichten: BGH, Urt. v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15, NJW 2016, 2106, Rn. 21 ff.; zuletzt: BGH, Urt. v. 20.2.2018 – VI ZR 30/17, NJW 2018, 1884, Rn. 14 ff. 892 Zu ersteren insbesondere unter Hinweis auf die dort oft herrschende AnonymitätsAsymmetrie zwischen Bewertendem und Bewertetem: Kühling, NJW 68 (2015), 447 ff. m. w. N.; zur Haftung der Portale als Intermediäre: Lauber-Rönsberg, MMR 17 (2014), 10 ff.; Engert, AcP 218 (2018), 304, 356 ff. 893 Zur Haftung für unternehmensschädigende Äußerungen in Abgrenzung zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts Einzelner siehe: R. Schaub, JZ 62 (2007), 548 ff. m. w. N.

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itiativen zur Regulierung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet insbesondere durch das am 1.10.2017 in Kraft getretene NetzDG894 zu nennen, das Plattformbetreiber sozialer Netzwerke als Intermediäre u. a. zur Löschung bzw. Sperrung „rechtswidriger Inhalte“ verpflichtet, § 3 Abs. 2 Nr. 2, 3 NetzDG.895 Im Folgenden soll indes allein der rechtliche Rahmen arbeitskonfliktbezogener Boykottmaßnahmen896 bei Crowdwork analysiert werden. Wenig problematisch ist die Einordnung derjenigen Fälle, in denen Koalitionen bzw. einzelne Crowdworker als Boykottierer Plattformen oder Crowdsourcer aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen gegenüber Dritten dergestalt verrufen, dass sie vor dem Abschluss von Verträgen mit diesen warnen. Eine solche Warnung könnte sich inhaltlich konkret darauf beziehen, dass Arbeitsleistungen ungerechtfertigt entschädigungslos abgelehnt werden, dass deutlich mehr Zeit für Mikrotasks aufgewendet werden muss als angegeben oder dass Auftraggeber nicht oder schlecht kommunizieren, weshalb zum Verzicht auf Vertragsabschlüsse mit diesen aufgerufen wird. Hier wird die Privatautonomie der einzelnen Boykottanten angesprochen, denen es grds. unbenommen bleibt, Verträge abzuschließen oder dies zu unterlassen.897 Solche Aufrufe und Warnungen finden im Crowdwork-Kontext bereits zahlreich statt und werden sowohl von einzelnen Crowdworkern als auch auf (gewerkschaftlich) organisierten (Bewertungs-)Portalen ausgesprochen.898 Dienen sie der Druckausübung auf die Gegenseite, um sie verhandlungsbereit in Bezug auf bestimmte Kollektivforderungen zu machen und werden sie von Koalitionen ausgesprochen, so handelt es sich um Arbeitskampfmaßnahmen i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG.899 Gleichzeitig ist hier die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG angesprochen, die im Übrigen

894

BGBl. I 2017, 3352 ff.; vgl. zur ersten Novelle des NetzDG BT-Drs. 19/18792. Siehe dazu nur: Spindler, GRUR 120 (2018), 365 ff.; Liesching, MMR 21 (2018), 26 ff., jeweils m. w. N. zur bedenklichen Kompetenzverschiebung in Richtung der Netzwerkbetreiber hinsichtlich der Bewertung „rechtswidriger Inhalte“, insb. im Hinblick auf Meinungs-, Presseund Kunstfreiheit; teilweise positiver: Schiff, MMR 21 (2018), 366, 368 ff.; Eifert, NJW 70 (2017), 1450, 1451; Friehe, NJW 73 (2020), 1697, 1698 ff.; Specht-Riemenschneider/Dehmel/ Kenning u. a., Grundlegung einer verbrauchergerechten Regulierung interaktionsmittelnder Plattformfunktionalitäten, 56 ff. 896 Diesen Begriff verwendet auch: Renneberg, Die Arbeitskämpfe von morgen?, 225. 897 Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 11 Rn. 28; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 28 Rn. 74. 898 Siehe oben § 8 A. IV. zu Warnungen und Meinungsbekundungen in Foren und Channels, sowie mithilfe von Tools wie Turkopticon oder Portalen wie faircrowdwork, siehe auch: Däubler, in: C. Benner (Hrsg.), Crowdwork – zurück in die Zukunft?, S. 243, 268 ff.; Kocher/ Hensel, NZA 33 (2016), 984, 990. 899 Anders: Kissel, Arbeitskampfrecht, § 61 Rn. 127 f., demzufolge der Boykott wegen nur mittelbarer Druckwirkung, abhängig von der autonomen Entscheidung des Boykottanten, keine Arbeitskampfmaßnahme darstellt; dagg. zutreffend: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 11 Rn. 25, der darstellt, dass die tatsächliche Druckwirkung auch beim Streik von der ähnlich autonomen Entscheidung der Streikenden abhängt. 895

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auch außerhalb koalitionsmäßiger Aktivitäten greift, etwa bei Aufrufen einzelner Crowdworker.900 Derartige Aufrufe, die auf Portalen, in Foren bzw. in den sozialen Medien verbreitet werden, sind, losgelöst von der Aktivierung des Arbeitskampfrechts, nach allgemeinem Zivilrecht im Grundsatz rechtmäßig. Die Meidung selbst, als Ausführungsakt des Boykotts, ist Ausdruck der negativen Vertragsfreiheit und damit an sich rechtmäßig. Nichts anderes gilt für den Aufruf zu einem solchen rechtmäßigen Verhalten, sei es fristgemäße Kündigung laufender Verträge oder Nichtabschluss neuer Verträge, dieses stellt keinen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, sondern zulässigen Meinungskampf dar.901 Dies gilt, insbesondere solange es sich um wahre Tatsachenbehauptungen handelt902, auch im Falle von arbeitskonfliktbezogenen Boykottaufrufen.903 Selbst wenn man dies entgegen der hier vertretenen Auffassung anders sehen wollte, müsste im Rahmen eines Schadensersatz- bzw. Unterlassungsanspruchs des Boykottierten gegen den Verrufer wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb die Rechtswidrigkeit durch Interessenabwägung positiv festgestellt werden.904 Diese Abwägung würde bei Boykottaufrufen zu rechtmäßigem Verhalten, die sich inhaltlich auf einen jedenfalls nicht unwahren Tatsachenkern beziehen und an denen durchaus ein öffentliches Informationsinteresse besteht, regelmäßig zugunsten von Art. 5 Abs. 1 GG und ggfs. Art. 9 Abs. 3 GG gegenüber Art. 12, 14 GG seitens der Boykottierten ausfallen.905 Dabei wären die Grundrechte in ihrer mittelbaren Drittwirkung betroffen.

900

Vgl. Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 88; kritisch: Rieble, NZA 22 (2005), 1, 6, der Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen nicht Art. 5 Abs. 1 GG unterstellen möchte; außerhalb von Arbeitskämpfen: BGH, Urt. v. 6.2.2014 – I ZR 75/13, NJW-RR 2014, 1508, Rn. 16 ff.; siehe bereits den Boykottaufruf in der Lüth Entscheidung: BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257 = BVerfGE 7, 198. 901 Binkert, Gewerkschaftliche Boykottmassnahmen im System des Arbeitskampfrechts, 158; Binkert, AuR 49 (2001), 195; Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 88; vgl. auch: MüKoBGB/Wagner, § 823 BGB Rn. 354; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 28 Rn. 74. 902 Vgl. BGH, Urt. v. 6.2.2014 – I ZR 75/13, NJW-RR 2014, 1508, Rn. 23; BGH, Urt. v. 15.5.2012 – VI ZR 117/11, NJW 2012, 2579, Rn. 26. 903 Zu den rechtlichen Grenzen sogleich; gegen eine Übertragung zivilrechtlicher Wertungen in das Arbeitskampfrecht: Konzen, FS K. Molitor, S. 181, 197. 904 Die Rechtswidrigkeit ergibt sich aufgrund des „offenen Tatbestandes“ nicht schon aus Rechtsgutsverletzung, sondern erst aus umfassender Interessen- und Güterabwägung: BGH, Urt. v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14, NJW 2015, 773, Rn. 16 m. w. N. 905 So im Ergebnis im Falle eines arbeitskonfliktbezogenen Boykotts: LG Düsseldorf, Beschl. v. 14.6.2000 – 12 0 556/99, AuR 2001, 194; ebenso zugunsten der Meinungsfreiheit bei potentieller Verletzung des APR, außerhalb des Arbeitsrechts: BGH, Urt. v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, NJW 2016, 1584, Rn. 21 ff.

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Unterhalb der Schwelle zum Boykottaufruf liegt die Einbeziehung der Öffentlichkeit sowie von Geschäftspartnern des Kampfgegners in Informationskampagnen906, die statt auf Ächtung auf Solidarisierung oder bloße Information zielen und gegen die insoweit erst recht keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken bestehen. Informieren die Koalitionen im Rahmen ihrer Kampfmittelfreiheit Kunden über Missstände hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, steht schon das legitime Informationsinteresse der Öffentlichkeit907 der Rechtswidrigkeit entgegen. Vergleichbar der Mitgliederwerbung908 oder Flugblätterverteilung gehört derartiges Verhalten zur legitimen koalitionsmäßigen Betätigung der Öffentlichkeitsarbeit.909 Diese Ergebnisse gelten indes nicht unbegrenzt, insbesondere bzgl. mit der Kampagne verbundener geschäftsschädigender Kritik. Grenzen ergeben sich einfachgesetzlich sowohl hinsichtlich kritischer Informationskampagnen als auch bei Boykottaufrufen bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB sowie Verletzungen der persönlichen Ehre, etwa durch Formalbeleidigungen, vgl. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 185 ff. StGB.910 Auch die Verbreitung unwahrer Tatsachen kann eine Haftung nach § 824 BGB nach sich ziehen.911 Verfassungsrechtlich handelte es sich dann ggfs. um nicht mehr sachliche, sondern lediglich diffamierende Schmähkritik, die den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG nicht für sich beanspruchen könnte.912 Die Grenzziehung hängt von einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ab.913 Im Grundsatz sind auch scharfe und übersteigerte Aussagen zulässig914, hinsichtlich der Verbreitung „ungewisser“ Wahrheiten treffen die Koalitionen keine zu hohen Nachforschungspflichten, es genügt das Stützen auf seriöse Quellen.915 Außerdem darf der Boykottierer seinerseits keine wirtschaftlichen Machtmittel gegen die Boykottanten 906 Vgl. Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 22 ff. für konkrete Beispiele von Informationskampagnen; demgegenüber zu Organisierungs- und Druckkampagnen: Renneberg, Die Arbeitskämpfe von morgen?, 216 ff. 907 Dies betont hinsichtlich Arbeitsbedingungen auch: LG Düsseldorf, Beschl. v. 14.6.2000 – 12 0 556/99, AuR 2001, 194. 908 Siehe oben § 7 C. II. 909 BKS/P. Berg, AKR Rn. 212 f.; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 30 Rn. 5, 7, 24 ff. 910 Ähnlich auch: Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 88 f.; BKS/P. Berg, AKR Rn. 212; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 30 Rn. 8 ff. 911 LG Düsseldorf, Beschl. v. 14.6.2000 – 12 0 556/99, AuR 2001, 194. 912 BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, NJW 1995, 3303 = BVerfGE 93, 266, unter C. III. 2.; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531 – 96, NJW 1999, 1322 = BVerfGE 99, 185, unter B. II. 1. 913 Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 30 Rn. 8. 914 BVerfG, Beschl. v. 16.10.1998 – 1 BvR 1685/92, NZA 1999, 77 = AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 24, unter II. 2. a) aa), auch polemische und verletzende Äußerungen sind vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. 915 Palandt/Sprau, § 823 BGB Rn. 102 m. w. N.

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einsetzen916, was im hier interessierenden Kontext allerdings keine Rolle spielen dürfte. Ist die geschilderte Grenze überschritten, kommt bei der Abwägung im Fall von Arbeitskampfmaßnahmen i. d. R. auch Art. 9 Abs. 3 GG keine rechtfertigende Wirkung zu. Beinhaltet der Verruf die Aufforderung an die (Stamm-)Belegschaft einer Plattform oder eines Crowdsourcers, die Arbeit niederzulegen, handelt es sich ggfs. um einen (Unterstützungs-)Streik, dessen Rechtmäßigkeit wie oben zu bewerten wäre.917 Zielt der Verruf auf den Vertragsbruch durch die Boykottanten, handelt es sich um Aufrufe zu rechtswidrigem Verhalten. Hieraus folgt jedoch nicht automatisch die Rechtswidrigkeit einer solchen Maßnahme. Vielmehr kann Art. 9 Abs. 3 GG im Arbeitskampf gerade auch vertragswidriges Verhalten privilegieren.918 Auf etwaige Ansprüche im Verhältnis Boykottant – Boykottierter hat diese Privilegierung indes keine Auswirkungen, weshalb die Mobilisierung von Boykottanten zu vertragswidrigem Handeln aufgrund ihres Haftungsrisikos ein theoretisches Problem darstellen dürfte.919 In der Folge liefe es bezüglich Ansprüchen gegen die kampfführende Koalition innerhalb der deliktsrechtlichen Prüfung des Rahmenrechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen im Rahmen der Rechtswidrigkeit hinaus. Neben den soeben genannten rechtlichen Grenzen müsste hier neben Art. 5 Abs. 1 GG insbesondere Art. 9 Abs. 3 GG in die Abwägung einbezogen werden, der je nach Rechtmäßigkeitsurteil bezogen auf die Kampfmaßnahme920 weiter reichen könnte als die Meinungsfreiheit. In Fällen, in denen Dritte dergestalt zum Boykott aufgerufen werden, dass sie als Konsumenten angehalten werden keine Waren oder Dienstleistungen vom Boykottierten zu beziehen (Verbraucherboykott), oder dass die Ächtung durch Geschäftspartner des Boykottierten erzielt werden soll (Lieferboykott)921, gilt im Grundsatz nichts anderes.922 916 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63, NJW 1969, 1161 = BVerfGE 25, 256, unter B. II. 1.; Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 30 Rn. 30; Binkert, Gewerkschaftliche Boykottmassnahmen im System des Arbeitskampfrechts, 27. 917 Vgl. zur Einordnung des Boykotts von Seeschiffen und der Abgrenzung zum Sympathiestreik: Gamillscheg, KollArbR I, 1054 ff.; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 11 Rn. 26; Konzen, FS K. Molitor, S. 181, 182 ff. 918 So etwa beim rechtmäßigen Streik, vgl. bzgl. des Boykotts nur: Binkert, AuR 49 (2001), 195; für den Aufruf zu rechtswidrigem Verhalten eindeutig ablehnend: Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 11 Rn. 27; wie hier: Gamillscheg, KollArbR I, 1054. 919 Letzteres sieht auch: Däubler, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 30 Rn. 32. 920 Dazu sogleich. 921 Vgl. zu diesen Boykottformen: Binkert, Gewerkschaftliche Boykottmassnahmen im System des Arbeitskampfrechts, 26. 922 Vgl. BKS/P. Berg, AKR Rn. 211 ff.; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 11 Rn. 26; kritisch: M. Richter, Grenzen aktiver Produktionsbehinderung im Arbeitskampf, 182.

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Alle vorgestellten Aufrufe können sich, gerade in der oft leicht erregbaren Netzöffentlichkeit, verselbstständigen und für den Boykottierten über die konkrete beschäftigungsspezifische Auseinandersetzung hinausgehende, erhebliche wirtschaftliche Nachteile hervorrufen (Imageschäden, Gewinneinbrüche).923 Für digitale Empörungskampagnen in den sozialen Medien hat sich dabei der Begriff Shitstorm etabliert. Dabei handelt es sich weniger um eine diskursive konfliktbezogene Auseinandersetzung als um eine einseitige Empörungswelle, die sich über den Betroffenen, etwa wegen schlechter Arbeitsbedingungen in seinem Unternehmen924, ergießt.925 Der Duden führt unter dem Stichwort: „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht“.926 Der Shitstorm lässt sich mit Salzborn chronologisch in drei Phasen einteilen. In der Pre-Phase herrscht ein normales Aufkommen von Beiträgen, Nutzern und Inhalten. Darauf folgt die Akut-Phase, der eigentliche Sturm, der durch ein erhöhtes Aufkommen geprägt ist und in der maximalen Beitragszahl seinen Höhepunkt findet (Peak). In der Post-Phase kühlt die Empörung durch einen Beitragsabschwung ab, kann aber gleichwohl weiterhin negativ auf den Betroffenen wirken.927 In den letzten Jahren gab es zahlreiche Shitstorms gegen verschiedene Unternehmen, die bezogen auf ihre akute Phase i. d. R. wenige Tage andauerten.928 Ursachen, Strukturbedingungen und Wirkungen von Shitstorms sind und waren Gegenstand sozialwissenschaftlicher Untersuchungen.929 Für den hier interessierenden Bereich genügt insoweit, dass es sich um schwarmartige, anonyme Entrüstungswellen handelt, die ihren Ausgang in den sozialen Medien nehmen und dort einen Resonanzraum finden, kurzfristig an- und abklingen, dabei jedoch eine erhebliche Intensität erreichen können. Von besonderem Interesse sind dabei einerseits die Emotionalität, die Shitstorms prägt und dazu führt, dass oftmals unrichtige und beleidigende Aussagen rezipiert werden, ohne dass Raum für sachlichen Diskurs bleibt930, sowie der verschiedentlich festgestellte „David-gegen-Goliath-Effekt“, der 923 Ähnlich: Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 88. 924 Zum Beispiel der Shitstorm zulasten von Amazon wegen schlechter Arbeitsbedingungen der im Verteilzentrum in Bad Hersfeld eingesetzten Leiharbeitnehmer im Jahr 2013, vgl. Langenau, Süddeutsche Zeitung v. 15.2.2013 „Im Schatten“, 20, „… einen wahren Sturm der Entrüstung ausgelöst“. 925 Vgl. Stegbauer, Shitstorms, 33 f. 926 Https://www.duden.de/rechtschreibung/Shitstorm; geprägt hat den Begriff im deutschen Sprachgebrauch offenbar der Netzaktivist Sascha Lobo im Vortrag „How to survive a shitstorm“ 2010, abrufbar unter http://saschalobo.com/2010/04/22/how-to-survive-a-shitstorm/. 927 Zu dieser Einteilung: Salzborn, Phänomen Shitstorm, 93; siehe auch: Stegbauer, Shitstorms, 33. 928 Tabellarische Übersicht betroffener Firmen bei: Salzborn, Phänomen Shitstorm, 138 f., i. d. R. dauern Shitstorms nicht länger als zehn Tage. 929 Beispielhaft: Stegbauer, Shitstorms, 33 ff., 69 ff, 101 ff., der den Shitstorm als das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen schildert. 930 Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 214; Stegbauer, Shitstorms, 106, spricht insoweit vom „Abschmelzen von zivilisatorischen Vereinbarungen … in Phasen der Hochemotionalität“.

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zu einer Tendenz der Solidarisierung der Internetöffentlichkeit mit schwachen Einzelnen gegenüber den starken Unternehmen führt.931 Anders als etwa der Streik wirkt die öffentliche Ächtung, gerade wenn sie zum Shitstorm wird, potentiell über den konkreten Arbeitskampf hinaus. Eine Rückkehr zur Normalität durch Wiederaufnahme der Arbeit nach erzielter Einigung kann der Verrufer im Hinblick auf die Ächtung durch Dritte nicht gewährleisten.932 Für die Abwägung entscheidend ist die Bewertung des Boykottaufrufs als rechtmäßige Arbeitskampfmaßnahme. Dieses Verdikt könnte ggfs. auch Eingriffe in das Rahmenrecht des Gewerbebetriebs legitimieren. Nach den bisherigen Maßstäben müsste die Maßnahme also insbesondere verhältnismäßig sein. Bedenken bestehen hierbei erneut hinsichtlich der Einbeziehung Dritter sowie der Beherrschbarkeit933 von Aufrufen im Internet, wobei sich diese Punkte überschneiden. Dem Boykottaufruf wesensimmanent ist die Mobilisierung Dritter, die die Koalitionen im Rahmen der genannten rechtlichen Grenzen vor besondere Herausforderungen stellt und erst durch die Ineffektivität klassischer Streiks notwendig wird, um effektive Arbeitskämpfe zu führen.934 Trotz der verminderten Einwirkungsmöglichkeiten auf Dritte (im Vergleich zu Koalitionsmitgliedern) ergibt sich hieraus nicht schon die Unangemessenheit der Maßnahme.935 Die Schwierigkeiten bei der Einflussnahme wirken vielmehr in zwei Richtungen. Sie erschweren nicht nur die ex post Beherrschung der Maßnahme mangels eigener Opfer der Dritten, sondern stellen die Koalitionen schon ex ante vor organisatorische Hürden, die begrenzend wirken dürften. Losgelöst vom Einsatz Dritter spricht für die Angemessenheit des Aufrufs unter Beherrschbarkeits- und Langzeitwirkungserwägungen, wenn die Koalition zu einem konkreten digitalen Boykott aufruft und diesen, sollte er überhaupt die gewünschte Wirkung entfalten, über den selben „Kanal“ zurücknimmt. Verselbstständigt sich der Aufruf, ohne dass dies unmittelbar angelegt war, d. h. ohne Zutun der Koalition, zum Shitstorm, ist ihnen dies ähnlich wie beim Streikexzess grundsätzlich nicht zuzurechnen, weil einzelne Verhaltensweisen, die etwa §§ 185 ff. StGB erfüllen, nicht die Rechtmäßigkeit der Kollektivmaßnahme insgesamt aufheben.936 Eine Grenze ist erreicht, wenn sich rechtswidrige Verhaltensweisen extrem häufen und so das Bild der Maßnahme insgesamt prägen, ohne dass die Koalition

931

Salzborn, Phänomen Shitstorm, 94 m. w. N. Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 88. 933 Rieble, NZA 22 (2005), 1, 5, der den Boykott insoweit als besonders rücksichtslos einstuft; generell ablehnend wohl auch: Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 213. 934 Siehe oben § 8 B. IV. 2. b). 935 Siehe oben § 8 B. IV. 2. c) zur Einbeziehung Dritter im Rahmen von Cyberattacken. 936 Siehe oben § 8 B. IV. 2. c), sowie zur Haftung nach § 831 BGB für Exzessteilnehmer und der Exkulpationsmöglichkeit der kampfführenden Koalition: Richardi/Bayreuther, Kollektives Arbeitsrecht, § 11 Rn. 32 ff. 932

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entsprechend einschreitet.937 Das bedeutet, dass Shitstorms einen Boykottaufruf in Extremfällen insgesamt rechtswidrig erscheinen lassen, wenn der Arbeitskampf völlig in den Hintergrund tritt und die Begehung von Straftaten in den Vordergrund rückt. Bemüht sich die Koalition demgegenüber um eine rechtmäßige Kampfführung, bleibt es bei der kollektiven Beurteilung, sodass im Grundsatz auch schwarmartige Solidarisierungswellen von der Koalitionsfreiheit gedeckt sind. Wenn die Plattformen und Crowdsourcer die Vorteile der universal verfügbaren Crowd für sich nutzen, muss im Gegenzug auch die Crowd die entsprechenden potentiell unbegrenzten zeit- und ortsunabhängigen Reaktionen im Arbeitskampf für sich beanspruchen dürfen. Die völlige Austauschbarkeit der Crowdworker, die Druckerzeugung gegenüber dem Gegner beinahe ausschließt, wird durch die kampfweise Nutzung der Crowd kompensiert. Neue Formen der Arbeitsorganisation, die bestimmte Aspekte der Digitalisierung fruchtbar machen, ziehen zwingend neue Arbeitskampfformen, die dies in gleichem Maße tun, nach sich. Hieraus auf die Unverhältnismäßigkeit derartiger Aktionen zu schließen, trüge diesem Umstand nicht ausreichend Rechnung. Auch Paritätserwägungen sprechen dafür. So kann annähernde Verhandlungsparität nur dann sichergestellt werden, wenn Crowdworkern eine digital schlagkräftige arbeitskampfrechtliche Antwort auf neue Organisationsformen zusteht. Wenn umgekehrt behauptet wird, dass Boykotts generell unzulässig sind, weil der Kampfgegner keine Möglichkeit zur Gegenwehr hat938, kann dem nicht gefolgt werden. Genauso wie der Boykottierer allein auf funktionierende Öffentlichkeitsarbeit angewiesen ist, um Wirkung zu erzielen, kann der Boykottierte mit denselben Mitteln reagieren und den Versuch unternehmen die Öffentlichkeit für sich zu mobilisieren.939 Im Übrigen kann er, nach Maßgabe des NetzDG gegen strafrechtsrelevante Exzesshandlungen einzelner Boykottanten in sozialen Netzwerken mit mehr als zwei Millionen Nutzern im Inland (§ 1 Abs. 2 NetzDG), durch Beschwerden die kurzfristige Löschung bzw. Sperrung (§ 3 NetzDG) erwirken, um Negativwirkungen gering zu halten. Dass ein solches Vorgehen in der Netz-Öffentlichkeit ggfs. adverse Effekte nach sich ziehen kann940, steht dem nicht entgegen.

937 BAG, Urt. v. 8.11.1988 – 1 AZR 417/86, NZA 1989, 475, unter C. III. 2.; Gamillscheg, KollArbR I, 1121; Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 12 Rn. 22; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 47 Rn. 118. 938 Konzen, FS K. Molitor, S. 181, 203; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 422. 939 Vgl. dazu exemplarisch die aktuellen Bemühungen Amazons durch „Botschafter“ auf Twitter mithilfe vermeintlich freiwilliger und intrinsisch motivierter positiver Diskussionsbeiträge durch Beschäftigte ihr Image aufzubessern, FAZ v. 26.1.2019 „Hauptsache, positiv!“, 14; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 279; siehe auch: Renneberg, Die Arbeitskämpfe von morgen?, 227 ff.; Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 21 ff. 940 Vgl. insoweit den Streisand-Effekt, der ein Phänomen beschreibt, bei dem erst der Versuch der Unterdrückung eines Inhalts zu dessen viraler Verbreitung führt, https://de.wikipe dia.org/wiki/Streisand-Effekt.

§ 9 Kartellrechtliche Grenzen kollektiver Maßnahmen

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Letztlich stellen Boykott und Informationskampagnen innerhalb des skizzierten rechtlichen Rahmens zulässige Arbeitskampfmittel bzw. rechtlich zulässige Verhaltensweisen dar. 3. Zwischenergebnis Schon de lege lata lassen sich im Rahmen der Koalitionsfreiheit unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BAG effektive Arbeitskampfmittel von Crowdworker-Koalitionen ausmachen. Diese müssen sich der Arbeitsorganisation von Crowdwork anpassen und zielen deshalb primär auf die Mobilisierung Dritter einerseits und auf die aktive Beeinträchtigung der Unternehmensabläufe des Kampfgegners andererseits. Im Fokus steht nicht die Arbeitsniederlegung in Form von Streiks, sondern die Solidarisierung von Stammbelegschaften mit Crowdworkern im Rahmen von Unterstützungsstreiks sowie flashmobähnliche Cyberattacken auf die digitale Infrastruktur des Gegners und zuletzt Boykottmaßnahmen, die im Internet einen Resonanzraum finden, der zu erheblicher Druckerzeugung zwecks Durchsetzung von Kollektivforderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen kann.

§ 9 Kartellrechtliche Grenzen kollektiver Maßnahmen In der bisherigen Untersuchung ausgeblendet wurden etwaige wettbewerbsrechtliche Grenzen kollektiver Maßnahmen von Crowdworker-Koalitionen. Im Folgenden ist deshalb zu prüfen, ob bzw. inwieweit nationales und vor allem europäisches Kartellrecht der vorgestellten Bandbreite kollektiver Handlungsmöglichkeiten von Crowdworkern zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen entgegensteht. Angesprochen ist damit nach den bisherigen Ergebnissen der schmale Bereich am Rande des Arbeitsmarkts, auf dem Crowdwork jenseits persönlich abhängiger Beschäftigung stattfindet, sowie dessen Verhältnis zum allgemeinen Güterund Dienstleistungsmarkt. Im Ausgangspunkt hat sich gezeigt, dass Crowdworker und ihre Vereinigungen zwar in weiten Bereichen jenseits des arbeitsrechtlichen Schutzschirms stehen (§ 3 B. und § 4), gleichwohl Träger der Koalitionsfreiheit sind (§ 7 A. IV. 2.; VI.). Hieraus erwächst ihnen die verfassungsrechtlich verbürgte Möglichkeit der Assoziation (§ 7 C. II.) sowie der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen durch prinzipiell erkämpfbare Koalitionsverträge außerhalb des TVG (§ 8 B. II. und IV.). Ihre individuelle Verhandlungsschwäche wird durch die Schaffung von „countervailing power“941 kompensiert. Der Macht der Auftraggeber wird Gegenmacht durch Kollektivierung individuell schwacher Crowdworker entgegengesetzt. Statt vorhandene Macht aufzulösen wird damit neue Macht gebildet. Der Arbeitsmarkt wird zu einem 941

Grundlegend: Galbraith, American capitalism, 118 ff.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

„gesetzlich zugelassenen Modellfall eines bilateralen Oligopols“.942 Dieses Modell steht in schroffem Gegensatz zum Wettbewerbsrecht, das darauf zielt Vermachtung zu verhindern, um einen möglichst effizienten Wettbewerb zwischen relativ machtlosen Individuen zu ermöglichen.943 Wie hier bereits angeklungen944 und durch die Untersuchung von Schröder ausführlich nachgewiesen945, verlief die Entwicklung von kollektivem Arbeitsrecht und Kartellrecht in Deutschland indes lange Zeit parallel.946 Erst in den letzten hundert Jahren entwickelten sich beide Rechtsgebiete auseinander947 und werden nunmehr zum Teil als Gegensätze dargestellt – Gegenmachtprinzip vs. Wettbewerbsprinzip.948 Dies verstellt leicht den Blick darauf, dass in beiden Fällen zwar die rechtlichen Instrumente tatsächlich völlig unterschiedlich sind, gleichwohl dasselbe Ziel der Auflösung bzw. Kompensation ungleicher privater Machtverteilung zur Schaffung der Voraussetzungen materieller Vertragsfreiheit verfolgt wird.949 Es handelt sich insoweit um zwei Seiten derselben Medaille, um zwei unterschiedliche Ordnungsprinzipien. Nichtsdestoweniger nimmt das Kartellrecht eine breitere Perspektive ein, gerichtet auf das Interesse aller Marktbeteiligten an funktionierendem Wettbewerb als Garant einer durch frei ausgehandelte Austauschverträge geprägten Privatrechtsordnung.950 In diesen Verträgen schlägt sich, auf dem jeweiligen (Teil-)Markt als ökonomischem Tauschort, durch das Zusammenspiel von Angebot und Nach942

Säcker, ZHR 137 (1974), 455, 464. Vgl. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 19 f.; Galbraith, American capitalism, 53 ff.; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 450 f. 944 Siehe oben § 7 A. III. 1. 945 R. Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, 245 ff. m. w. N. 946 Vgl. etwa noch die Untersuchung Böhms, ob Zusammenschlüsse von Unternehmern die Koalitionsfreiheit für sich beanspruchen können: Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 5 ff.; siehe auch: Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 148 ff. 947 Vgl. insoweit insbesondere die Verordnung gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellung vom 2.11.1923, RGBl. 1923 I, 1067 ff.; dazu etwa: Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 156 ff.; siehe auch: Möslein, in: ders. (Hrsg.), Private Macht, S. 1, 10 f.; Mestmäcker, in: Möslein (Hrsg.), Private Macht, S. 25, 37 ff. 948 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 35; vgl. auch: Reichold, FS Reuter, S. 759, 769; in diese Richtung auch: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 522. 949 So ausdrücklich: Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 439; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 453 f.; Mohr/M. Wolf, JZ 66 (2011), 1091; Klapperich, NZKart 8 (2020), 125, 125 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 293; Raiser, JZ 13 (1958), 1, 3; Mestmäcker, JZ 19 (1964), 441, 445; W.-H. Roth, in: Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (Hrsg.), Tarifautonomie und Kartellrecht, S. 7, 10; siehe auch: Säcker, ZHR 137 (1974), 455, 464 ff.; in diesem Sinne bereits: Galbraith, American capitalism, 121 f.; Böhm, in: Böhm/Mestmäcker (Hrsg.), Reden und Schriften über die Ordnung einer freien Gesellschaft, einer freien Wirtschaft und über die Wiedergutmachung, S. 25, 31 ff. Nachdruck, Ersterscheinung 1928. 950 MüKoKartR/Säcker, Grundl. Rn. 15; vgl. zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Wettbewerbsordnung: Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 278 f. 943

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frage der Preis als Wertrelation zwischen einzelnen Gütern nieder.951 Der Begriff des Wettbewerbs entzieht sich dabei bis heute einer einheitlichen Definition, lässt sich gleichwohl grundsätzlich als Bemühen mehrerer Konkurrenten, durch eine relative Verbesserung ihrer Position Abschlüsse mit anderen zu erzielen, beschreiben.952 Von Hayek hat im Hinblick auf die Zukunftsgerichtetheit den Begriff vom „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ geprägt.953 Böhm spricht in ähnlichem Zusammenhang von den „millionenfachen Augenblicksmöglichkeiten wirtschaftlich nützlicher Betätigung“.954 Der Schutz des so verstandenen Wettbewerbs ist indes kein Selbstzweck.955 Ihm werden jedenfalls im Grundsatz956 vielmehr positive gesamtwirtschaftliche Effekte zugeschrieben. So sorgt er wirtschaftspolitisch für eine leistungsbezogene Ressourcenallokation zwischen den Marktteilnehmern, treibt diese zu weiterer Effizienz an und sorgt für Steuerung und Organisation des Wirtschaftslebens, insbesondere im Hinblick auf Angebots- und Nachfragestruktur.957 Gesellschaftspolitisch verhindert Wettbewerb den Aufbau privater Machtpositionen und dient damit der Wahrung von Individualfreiheit.958 Anzumerken ist indes, dass eine einzig am Prinzip der Effizienz durch Konkurrenz ausgerichtete Güterverteilung auf dem Arbeitsmarkt soziale Belange ignoriert.959 Eine in diesem Sinne „marktgerechte“, ökonomisch sinnvolle Ressourcenallokation bedeutet danach keine nach sozialen Kriterien gerechte Verteilung etwa des Lohns.960

951 Fezer, JZ 45 (1990), 657; siehe auch: Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 131 f. 952 Vgl. LMRKM/Meessen/Kersting, Einführung Rn. 7; KBF/H. Köhler, Einleitung Rn. 1.1; MüKoKartR/Kerber/Schwalbe, Grundl. Rn. 35; Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 93. 953 Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. 954 Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 234; ähnlich: Fezer, JZ 45 (1990), 657, 659. 955 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des GWB, BT-Drs. II/1158, 21. 956 Vgl. zur Unvollkommenheit des Wettbewerbs sowie zu weiteren wettbewerbspolitischen Konzeptionen: KBF/H. Köhler, Einleitung Rn. 1.12 ff. m. w. N.; Fezer, JZ 45 (1990), 657, 659 f.; MüKoKartR/Kerber/Schwalbe, Grundl. Rn. 66 ff.; siehe auch: BT-Drs. II/1158, 21 f.; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 206 ff.; Laitenberger, in: Ellger/Schweitzer (Hrsg.), Die Verfassung der europäischen Wirtschaft, S. 109, 120 ff. 957 MüKoKartR/Säcker, Grundl. Rn. 4; Wiedemann KartellR-HdB/G. Wiedemann, § 1 Rn. 2; Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 234 f.; Fezer, JZ 45 (1990), 657, 659; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 221 ff. 958 Böhm, in: Böhm/Mestmäcker (Hrsg.), Reden und Schriften über die Ordnung einer freien Gesellschaft, einer freien Wirtschaft und über die Wiedergutmachung, S. 25, 31 f. Nachdruck, Ersterscheinung 1928; Böhm, Kartelle und Koalitionsfreiheit, 18; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 224 ff. 959 Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 528 f. m. w. N. 960 Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 300, „ethisch-gleichgültiger Automatismus“.

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Nach den dargelegten Grundsätzen vollzieht sich Wettbewerb durch rivalisierendes Gewinnstreben unterschiedlicher Parteien auf Anbieter- bzw. Nachfragerseite, mit anderen Worten durch Konkurrenz. Trotz der gezeigten gesamtwirtschaftlichen Vorteile erscheint es aus Sicht des Einzelnen durchaus rational, den Wettbewerb in Gestalt des eigenen Konkurrenzdrucks zu beschränken, während alle anderen Marktteilnehmer unter Wettbewerbsbedingungen produzieren müssen.961 Dieser Anreiz äußert sich in privaten horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere durch Zusammenschlüsse von Wettbewerbern zu Kartellen, die Produktion und Preise von Gütern koordinieren und gemeinsam am Markt auftreten, um höhere als die Wettbewerbspreise durchzusetzen. Gegen derartige gesamtwirtschaftlich schädliche Monopolisierung richten sich die Verbotsnormen § 1 GWB, Art. 101 AEUV962, ebenso wie gegen vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen unterschiedlicher Marktstufen.963 Neben solchen Vereinbarungen zwischen Unternehmen sind Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, nach § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1, Abs. 2 AEUV grundsätzlich verboten und nichtig. Prima facie erscheinen Crowdworker aufgrund ihres rechtlichen Status als Unternehmen und ihre Verbände als Unternehmensvereinigungen. Somit unterfallen potentiell alle unter § 8 B. vorgestellten kollektiven Instrumente den Wettbewerbsverboten aus § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV. Schon die Kartellierung Soloselbstständiger durch Assoziation, etwaige Kollektivvereinbarungen zum Ausschluss des Unterbietungswettbewerbs unabhängig von ihrer rechtlichen Verbindlichkeit964 sowie Arbeitskampfmaßnahmen, insbesondere der Boykott (vgl. § 21 GWB), wären potentiell wettbewerbsrechtlich unzulässig. Schon der informatorische Austausch von Leistungskonditionen über Internet-Plattformen kann bei entsprechender Wirkung als Marktinformations- bzw. Preismeldeverfahren wettbewerbsrechtlich verboten sein, insbesondere aufgrund der Ausschaltung der unternehmerischen Aktionsoption Geheimwettbewerb.965 Nichts anderes gilt bei entsprechender Wirkung für einseitige Empfehlungen oder Beschlüsse von Crowd961 Vgl. MüKoKartR/Kerber/Schwalbe, Grundl. Rn. 38; LMRKM/Meessen/Kersting, Einführung Rn. 23; Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 31. 962 Zur historischen Entwicklung des EU-Wettbewerbsrechts vgl.: Laitenberger, in: Ellger/ Schweitzer (Hrsg.), Die Verfassung der europäischen Wirtschaft, S. 109, 110 ff. 963 Vgl. Langen/Bunte/Hengst, Art. 101 AEUV Rn. 163; LMRKM/Meessen/Kersting, Einführung Rn. 24 f. 964 Langen/Bunte/Hengst, Art. 101 AEUV Rn. 89. 965 Näher: Wiedemann KartellR-HdB/Lübbig, § 9 Rn. 240 ff.; Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 1 GWB Rn. 100 ff.; Immenga/Mestmäcker/D. Zimmer, § 1 GWB Rn. 152 ff.; Langen/Bunte/Hengst, Art. 101 AEUV Rn. 359 ff. jeweils m. w. N.; siehe auch: Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, Rn. 55 ff.

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worker-Verbänden.966 Die Überprüfung dieser rechtlichen Bewertung ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

A. Verhältnis von nationalem und europäischem Kartellrecht Zunächst fragt sich, in welchem Verhältnis nationales und europäisches Kartellrecht stehen, d. h. anhand welcher Normen eine kartellrechtliche Beurteilung der relevanten Maßnahmen zu erfolgen hat. Während das Zusammenspiel beider Regelungskreise lange Zeit umstritten war, zeigt sich nunmehr ein vergleichsweise klares Bild.967 Im Ausgangspunkt kommt dem EU-Recht im Kollisionsfall Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten zu, wenngleich die Vorschriften prinzipiell parallel anwendbar sind.968 Dies gilt auch im Kartellrecht, sodass Normenkonflikte nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionskartellrechts aufzulösen sind.969 Schon danach beanspruchte im Konfliktfall einerseits das strengere EU-Kartellrecht Vorrang, andererseits waren aber auch Freistellungen des EU-Kartellrechts nach Art. 101 Abs. 3 AEUV als „positive Eingriffe“ auf nationaler Ebene zu berücksichtigen.970 Explizit legt nunmehr Art. 3 Abs. 1 Kartellverfahrensordnung (VO EG Nr. 1/2003) hinsichtlich Art. 103 Abs. 2 lit. e AEUV fest, dass nationale Gerichte oder Wettbewerbsbehörden auf Sachverhalte, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, neben innerstaatlichem Kartellrecht stets auch Art. 101 ff. AEUV anzuwenden haben. Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO EG Nr. 1/2003 bekräftigt außerdem weitergehend, dass die Anwendung nationalen Kartellrechts nicht zum Verbot von Verhaltensweisen führen darf, die den Wettbewerb nach Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht beeinträchtigen oder die Freistellungsvoraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen. Mit anderen Worten setzt sich damit auch milderes EU-Recht gegen strengere nationale Bestimmungen durch.971 Sofern eine Maßnahme zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels geeignet ist, beantwortet Art. 101 AEUV ihre Wettbewerbswidrigkeit damit inhaltlich abschließend.972

966

Vgl. Wiedemann KartellR-HdB/Lübbig, § 8 Rn. 11. Vgl. zur historischen Entwicklung nur: Rehbinder, FS Immenga, S. 303, 303 f. 968 EuGH, Urt. v. 5.2.1963 – C-26/62 (Van Gend en Loos), ECLI:EU:C:1963:1; EuGH, Urt. v. 15.7.1964 – 6/64 (Costa/ENEL), ECLI:EU:C:1964:66; siehe auch: MüKoKartR/Kirchhoff, Grundl. Rn. 1553 ff. 969 EuGH, Urt. v. 13.2.1969 – 14/68 (Walt Wilhelm), ECLI:EU:C:1969:4, unter I. 970 EuGH, Urt. v. 13.2.1969 – 14/68 (Walt Wilhelm), ECLI:EU:C:1969:4; vgl. Wiedemann KartellR-HdB/G. Wiedemann, § 6 Rn. 3; MüKoKartR/Kirchhoff, Grundl. Rn. 1554, 1556. 971 Vgl. etwa: MüKoKartR/Kirchhoff, Grundl. Rn. 1557; Montag/Rosenfeld, ZWeR 1 (2003), 107, 125; Langen/Bunte/Bunte, Einl. Rn. 83 ff.; BGH, Urt. v. 7.2.2010 – KZR 71/08, GRUR 2011, 641, Rn. 58. 972 LMRKM/Meessen/Kersting, Einführung Rn. 90; Reichold, FS Reuter, S. 759, 760. 967

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Hinsichtlich des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen nach Art. 102 AEUV gilt dies mit der Einschränkung, dass nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 VO EG Nr. 1/2003 die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Ahndung oder Unterbindung einseitiger Handlungen von Unternehmen strengere Vorschriften erlassen bzw. anwenden können. In diesem Zusammenhang käme die Erfassung von Verhaltensweisen durch §§ 19, 20 GWB in Betracht, die nicht unter Art. 102 AEUV fallen. Im Konfliktfall bleibt es indes sowohl beim Grundsatz des Anwendungsvorrangs strengeren EU-Rechts, als auch bei der Pflicht zur Beachtung einer abweichenden Beurteilung im Lichte des Art. 101 AEUV, etwa wenn es sich nach EU-Maßstäben nicht um einseitiges Verhalten, sondern um eine Vereinbarung handelt.973 Diesen Befund wiederholt seit der 7. GWB-Novelle 2005 nunmehr auch § 22 GWB. In der Gesetzesbegründung heißt es insoweit, dass zur Schaffung eines „level playing field“ innerhalb des EU-Binnenmarktes eine auch im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigende weitgehende Angleichung des nationalen an das europäische Kartellrecht angestrebt wird.974 Nur in Fällen ganz ohne zwischenstaatlichen Bezug bliebe nach alledem Raum für abweichende nationale Wertungen. Dieser Bereich ist hier jedoch aus zwei Gründen überwiegend vernachlässigbar. Erstens wird das Zwischenstaatlichkeitserfordernis sehr weit verstanden.975 So bejaht der EuGH dieses in ständiger Rechtsprechung „wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen kann“.976

Dabei muss es sich quantitativ um eine (potentiell) spürbare Beeinträchtigung handeln.977 Insoweit besteht eine widerlegliche Vermutung, dass bei einem gemeinsamen Marktanteil der Parteien unter 5 % auf den von der Vereinbarung betroffenen relevanten Märkten sowie einem Jahresumsatz unter 40 Mio. Euro bzgl. der 973 Callies/Ruffert/Weiß, Art. 101 AEUV Rn. 20; Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 101 AEUV Rn. 49. 974 BT-Drs. 15/3640, 23; dazu auch: A. Fuchs, WRP 51 (2005), 1384, 1387; Montag/ Rosenfeld, ZWeR 1 (2003), 107, 123 ff. 975 Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Einführung Rn. 70; Langen/Bunte/Hengst, Art. 101 AEUV Rn. 295 ff.; Wiedemann KartellR-HdB/G. Wiedemann, § 4 Rn. 4; Callies/Ruffert/Weiß, Art. 101 AEUV Rn. 24 ff.; Montag/Rosenfeld, ZWeR 1 (2003), 107, 125 f. 976 EuGH, Urt. v. 30.6.1966 – C-56/65 (Société Technique Minière), ECLI:EU:C:1966:38; EuGH, Urt. v. 11.12.1980 – C-31/80 (L’Oréal), ECLI:EU:C:1980:289, Rn. 18; EuGH, Urt. v. 10.12.1985 – C-240/82 (Stichting Sigarettenindustrie), ECLI:EU:C:1985:488, Rn. 48; zur lediglich mittelbaren Beeinflussung: EuGH, Urt. v. 23.11.2006 – C-238/05 (Asnef-Equifax), ECLI:EU:C:2006:734, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 18.7.2013 – C-136/12 (Consiglio Nazionale dei Geologi), ECLI:EU:C:2013:489, Rn. 49. 977 Siehe dazu die Bekanntmachung der Kommission über die Leitlinien für den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art. 81 und 82 EGV, ABl. 2004 Nr. C 101/81, sowie: Callies/Ruffert/Weiß, Art. 101 AEUV Rn. 131 f.

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von der Vereinbarung erfassten Waren, keine spürbare Wettbewerbsbeschränkung besteht.978 Indes können auch Kollektivvereinbarungen, die nur auf dem Gebiet eines Mitgliedstaates gelten, geeignet sein, den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes zu beeinträchtigen.979 Das Erfordernis der Zwischenstaatlichkeit wird bei potentiell global durchgeführtem Crowdwork in aller Regel erfüllt sein, sodass für den hier interessierenden Bereich stets die Möglichkeit bestehen wird, den grenzüberschreitenden Waren- bzw. Dienstleistungsverkehr innerhalb des Binnenmarktes der EU zumindest mittelbar spürbar zu beeinflussen.980 Zweitens würde das Überschreiten der Schwelle der Zwischenstaatlichkeit bei uneinheitlicher Anwendung nationaler und europäischer Normen zu einer abweichenden kartellrechtlichen Beurteilung führen, was mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden wäre.981 Hier ist der Absicht des deutschen Gesetzgebers, das GWB sehr weitgehend an die Regelungen der Art. 101 ff. AEUV anzupassen, erneut Rechnung zu tragen.982 So gehen denn auch BGH und BKartA von der Auslegung nationalen Kartellrechts in Ansehung der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 101, 102 AEUV auch bei rein innerstaatlichen Sachverhalten aus.983 Insgesamt erscheint es insoweit angebracht das Hauptaugenmerk im Crowdwork-Kontext auf die Wertungen der Art. 101 ff. AEUV zu legen, wenngleich nationales Kartellrecht parallel anwendbar bleibt.

B. Kartellkontrollprivileg für den Arbeitsmarkt Den Anknüpfungspunkt für die kartellrechtliche Untersuchung kollektiver Maßnahmen von Crowdworker-Verbänden zur Verbesserung ihrer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bildet die allgemeine Beziehung zwischen Kartellrecht und

978 ABl. 2004 Nr. C. 101/81 Rn. 52 ff.; siehe auch: Langen/Bunte/Hengst, Art. 101 AEUV Rn. 315 ff. 979 EuGH, Urt. v. 23.11.2017 – C-427/16 (CHEZ Elektro Bulgaria), ECLI:EU:C:2017:890, Rn. 50 f.; Callies/Ruffert/Weiß, Art. 101 AEUV Rn. 124 f. 980 Vgl. zur Erfüllung der Zwischenstaatlichkeitsklausel durch TV: Ackermann, in: Rieble/ Junker/Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 17, 24 f. 981 Ebenso: A. Fuchs, WRP 51 (2005), 1384, 1387, „Schaffung eines Sonderrechts für die relativ wenigen Fälle mit einem klar begrenzten regionalen oder lokalen Bezug nicht sachgerecht“; Ackermann, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 17, 23, „ganz erhebliche Rechtsunsicherheit“. 982 Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Einführung Rn. 75, sprechen insoweit für Art. 101 AEUV von einem absoluten Vorrang des Gemeinschaftsrechts; Weitbrecht, EuZW 14 (2003), 69, 73; Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 103; Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 560 f.; ähnlich bereits: Bechtold, FS Bauer, S. 109, 112, der von völliger Identität zwischen § 1 GWB und Art. 101 AEUV (Art. 81 EG) spricht. 983 BKartA, Beschl. v. 23.1.2015 – VK 1 – 122/14, BeckRS 2016, 12267, unter II. 2. a); BGH, Urt. v. 6.11.2013 – KZR 61/11, BeckRS 2013, 20508, Rn. 54; BGH, Urt. v. 7.2.2010 – KZR 71/08, GRUR 2011, 641, Rn. 58.

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Arbeitsmarkt. Diese ist deshalb als Ausgangspunkt vorab darzustellen, bevor die Besonderheiten bei Crowdwork in die Untersuchung eingestellt werden. I. Nationale Entwicklung und dogmatische Herleitung Während eine explizite Bereichsausnahme im GWB sowie im AEUV für den Arbeitsmarkt zu keinem Zeitpunkt existierte984, ging namentlich das BAG davon aus, dass eine solche für Tarifverträge bestehe.985 Bis zur 6. GWB-Novelle mWv. 1.1.1999 fand sich hierfür ein Anknüpfungspunkt im Wortlaut des § 1 GWB, der eine Beeinflussung des „Verkehrs mit Waren oder gewerblichen Dienstleistungen“ erforderte986, was nach der Gesetzesbegründung Abreden hinsichtlich des Abschlusses oder Inhalts von Arbeits- oder Dienstverhältnissen ausschloss, da es sich bei ihnen nicht um gewerbliche Leistungen handele.987 Das BAG stützte seine Auffassung demgegenüber maßgeblich darauf, dass Gewerkschaften nicht als Unternehmen aufträten, sondern ihre auf Art. 9 Abs. 3 GG beruhenden Aufgaben zur Schaffung von Mindestarbeitsbedingungen für abhängig Beschäftigte wahrnähmen sowie ferner auf die ordnungspolitische Sonderstellung des Arbeitsmarktes.988 Diese Sicht war keineswegs unangefochten, sondern wurde durchaus kontrovers beurteilt.989 Dogmatische Ansatzpunkte bildeten dabei der Unternehmensbegriff des GWB, die gesetzgeberische Entscheidung für eine Herausnahme der Tarifautonomie aus dem GWB, sowie der vom BAG ins Spiel gebrachte Vorrang des Art. 9 Abs. 3 GG.990 Mit Änderung des GWB entfiel 1999 gleichsam der Anknüpfungspunkt im Wortlaut (gewerblichen Dienstleistungen), sodass der Begründungsaufwand für eine generelle Bereichsausnahme des Arbeitsmarkts eher gestiegen ist. Auch die weiteren GWB-Novellen, die vornehmlich 984 Vgl. Ackermann, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 17, 20 f.; MüKoKartR/Mohr, Grundl. Rn. 1258; Immenga, Grenzen des kartellrechtlichen Ausnahmebereichs Arbeitsmarkt, 18; Bechtold, FS Bauer, S. 109, 115; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 223 f.; J. Mohr/Wolf, JZ 66 (2011), 1091, 1092; Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 550 ff.; Fleischer, DB 53 (2000), 821, 822; Immenga/Mestmäcker/D. Zimmer, Art. 101 AEUV Rn. 161 ff. 985 Vgl. BAG, Urt. v. 27.6.1989 – 1 AZR 404/88, NZA 1989, 969, unter II. 3. c), sowie die weiteren Nachweise im Folgenden. 986 BGBl. I 1957, 1081. 987 BT-Drs. II/1158, 30. 988 BAG, Urt. v. 27.6.1989 – 1 AZR 404/88, NZA 1989, 969, unter II. 3. c); BAG, Urt. v. 10.11.1993 – 4 AZR 316/93, NZA 1994, 622, unter B. III. 3. 989 Für eine weitgehende Anwendung des Kartellrechts: Immenga, Grenzen des kartellrechtlichen Ausnahmebereichs Arbeitsmarkt, 35 ff.; ähnlich: Poth, NZA 6 (1989), 626, 629 f.; anders: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 136 f.; W.-H. Roth, in: Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (Hrsg.), Tarifautonomie und Kartellrecht, S. 7, 22 f.; Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 224 ff. 990 Vgl. Ackermann, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 17, 21 f.; Bechtold, FS Bauer, S. 109, 116 f. jeweils m. w. N.

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der Angleichung an das EU-Kartellrecht dienten, bis hin zur 9. Änderung 2017991, die sich um die Erfassung digitaler mehrseitiger Märkte bemüht, verzichteten auf die Implementierung einer Ausnahme für den Arbeitsmarkt.992 Wie gezeigt ist der Blick im Übrigen insoweit auf Art. 101 AEUV und die Rechtsprechung des EuGH zu richten. II. Privilegierung in der Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hatte sich erstmals 1999 in der Rs. Albany mit dem Verhältnis von kollektivem Arbeitsrecht und Kartellrecht zu befassen, genauer mit der Frage, ob die Pflichtmitgliedschaft von Arbeitgebern in einem Betriebsrentenfonds, beruhend auf einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag niederländischer Sozialpartner, dem Verbot des Art. 101 AEUV (damals Art. 85 EGV) unterfällt.993 Ohne nähere Auseinandersetzung mit der Kartellwirkung von Tarifverträgen ging der EuGH davon aus, dass mit diesen „zwangsläufig gewisse den Wettbewerb beschränkenden Wirkungen verbunden“ seien.994 GA Jacobs konkretisierte dies in seinen Schlussanträgen hinsichtlich der Beschränkung des Wettbewerbs zwischen Arbeitnehmern, diese könnten ihre Arbeit nicht mehr zu einem Lohn unter den vereinbarten Mindestbedingungen anbieten.995 Die mögliche Beschränkung des Nachfragewettbewerbs unterhalb der Tariflöhne auf Seiten der Arbeitgeber, sowie die Beeinflussung des nachgelagerten Produktmarktes kamen hingegen nicht zur Sprache.996 Jacobs kam darüber hinaus nach einem ausführlichen Rechtsvergleich des Rechts der Mitgliedstaaten sowie der USA997 zu dem Ergebnis, dass trotz erheblicher Variationen stets eine gewisse Abschirmung von Tarifverträgen gegen das Kartellrecht bestehe, woraus er zwar keine generelle Bereichsausnahme für den Arbeitsmarkt im Gemeinschaftsrecht ableitete998, wohl aber eine begrenzte Freistellung für Kollektivvereinbarungen der Sozialpartner.999 991

BGBl. I 2017, 1416. Überblick über die Gesetzesänderungen bei: Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Einführung Rn. 17 ff. 993 EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:430, siehe auch die weitgehend wortgleichen Parallelentscheidungen Brentjens C-115/97 sowie Drijvende Bokken C-219/97. 994 EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:430, Rn. 59. 995 GA Jacobs, Schlussantr. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:28, Rn. 178; in diese Richtung auch: Latzel/Serr, EuZW 25 (2014), 410. 996 Dazu etwa: Kamanabrou, EuZA 3 (2010), 157, 158 f.; Mohr/M. Wolf, JZ 66 (2011), 1091, 1092; Junker, ZfA 46 (2015), 267, 283; Möschel, WuW 55 (1995), 704, 705; MüKoKartR/Mohr, Grundl. Rn. 1271 ff.; Steinle/Haußmann, EuZW 26 (2015), 313, 316. 997 GA Jacobs, Schlussantr. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:28, Rn. 80 ff. 998 GA Jacobs, Schlussantr. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:28, Rn. 120 – 130. 992

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Der EuGH nahm zur Frage einer generellen Bereichsausnahme nicht explizit Stellung und formulierte unter zwei wesentlichen Voraussetzungen eine Einschränkung der Anwendung des Art. 101 AEUV: Diese gelte für (1) Sozialpartnervereinbarungen, als Ergebnis von Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern bzw. ihren Interessenverbänden und Arbeitnehmerorganisationen (2) zur unmittelbaren Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen.1000 Zur Begründung stellte er dabei maßgeblich auf die ernsthafte Gefährdung der sozialpolitischen Ziele der Union ab, die ihren Niederschlag nunmehr in Art. 4 Abs. 2 lit. b AEUV i. V. m. Art. 9 AEUV, Art. 151 ff. AEUV finden, würden Tarifverträge am Kartellverbot gemessen.1001 Eine Auslegung der Verträge in ihrer Gesamtheit führe dazu, dass derartige Vereinbarungen nicht unter Art. 101 AEUV fielen. Das gelte konkret auch für die Vereinbarung im vorliegenden Fall sowie folglich für ihre Verbindlicherklärung durch den Mitgliedstaat.1002 In den Folgeentscheidungen hat das Kartellkontrollprivileg weitere Konturierung erfahren. So entschied der EuGH in der Rs. Pavlov, dass Angehörige freier Berufe bei der kollektivvertraglichen Errichtung eines Rentenfonds nicht an der Ausnahme nach der Albany-Doktrin teilnähmen, weil diese Vereinbarung nicht im Rahmen von Tarifverhandlungen zwischen Sozialpartnern geschlossen worden sei.1003 Ferner gebe es für Selbstständige keine den Art. 151 ff. AEUV vergleichbaren Bestimmungen, die sie zum Abschluss von Kollektivvereinbarungen zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen aufriefen.1004 Gleichwohl fehle es im konkreten Fall bei der Vereinbarung der Fachärzte, die nach dem Gemeinschaftsrecht als Unternehmen einzuordnen seien, an einer spürbaren Wettbewerbsbeschränkung.1005 In den Entscheidungen van der Woude sowie AG2R Prévoyance bekräftigt der EuGH seine Albany-Rechtsprechung im Wesentlichen und nimmt auch tarifvertraglich errichtete Zusatzkrankenversicherungen von der Kartellkontrolle nach Art. 101 AEUV aus.1006 Der Gesamtschau dieser Entscheidungen lassen sich zwei Beobachtungen entnehmen. Erstens prüft der Gerichtshof auch bei Bejahung einer grundsätzlichen Ausnahme von Art. 101 AEUV verschiedentlich das Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102, 106 AEUV und dabei explizit die Unternehmenseigenschaft etwa eines Betriebsrentenfonds oder 999 GA Jacobs, Schlussantr. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:28, Rn. 190 ff., unter drei VSS: (1) förmlicher Rahmen von Tarifverhandlungen, (2) Vereinbarung in gutem Glauben, d. h. keine verdeckte Wettbewerbsbeschränkung der Produktmärkte, (3) Begrenzung auf den Kernbereich von Tarifverhandlungen wie Löhne und Arbeitsbedingungen. 1000 EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:430, Rn. 60, 63. 1001 EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:430, Rn. 59. 1002 EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:430, Rn. 60, 64, 66. 1003 EuGH, Urt. v. 12.9.2000 – C-180/98 (Pavlov), ECLI:EU:C:2000:428, Rn. 68. 1004 EuGH, Urt. v. 12.9.2000 – C-180/98 (Pavlov), ECLI:EU:C:2000:428, Rn. 69. 1005 EuGH, Urt. v. 12.9.2000 – C-180/98 (Pavlov), ECLI:EU:C:2000:428, Rn. 82, 97. 1006 EuGH, Urt. v. 21.9.2000 – C-222/98 (van der Woude), ECLI:EU:C:2000:475, Rn. 26 f.; EuGH, Urt. v. 3.3.2011 – C-437/09 (AG2R Prévoyance), ECLI:EU:C:2011:112, Rn. 36.

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einer Krankenversicherung.1007 Ein Unternehmen im Sinne des Kartellrechts sei jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.1008 Zweitens nimmt das Gericht im Vergleich zu GA Jacobs in Bezug auf die gegenständliche Reichweite des Kartellprivilegs eine großzügigere Stellung ein. Wollte letzterer die Ausnahme auf Vereinbarungen, die den Kernbereich von Tarifverhandlungen erfassen, begrenzen, scheint dem EuGH die Verfolgung sozialpolitischer Ziele sowie die Verbesserung der Beschäftigungsund Arbeitsbedingungen zu genügen. In der Entscheidung FNV Kunsten Informatie en Media vom 4.12.2014 hatte der Gerichtshof über eine tarifvertragliche Bestimmung zu entscheiden, die Mindesttarife für nach nationalem Recht selbstständige Orchestermusiker vorsah.1009 Die dem Fall seinen Namen gebende niederländische Gewerkschaft schloss gemeinsam mit einer weiteren Gewerkschaft und dem entsprechenden Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag für Aushilfsmusiker, der Mindesttarife sowohl für arbeitsvertraglich beschäftigte Musiker vorsah als auch für solche, die auf Grundlage eines freien Dienstleistungsvertrages tätig wurden. Der EuGH anerkannte, dass es sich bei der Art der Vereinbarung um einen Tarifvertrag handele1010, dennoch seien selbstständige Aushilfsmusiker, auch wenn sie die gleiche Tätigkeit wie Arbeitnehmer ausüben, Unternehmen, die als selbstständige Wirtschaftsteilnehmer Dienstleistungen gegen Entgelt am Markt anböten.1011 Ein Verband, der für diese Personen handele, trete insoweit nicht als Sozialpartner, sondern als Unternehmensvereinigung auf.1012 Entsprechend der Feststellungen in der Rs. Pavlov wiederholt der Gerichtshof das Fehlen von Bestimmungen wie Art. 153, 155 AEUV, die selbstständige Dienstleister ermutigen, in einen Dialog mit ihren Arbeitgebern zu treten, um Kollektivvereinbarungen zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu schließen.1013 Hieraus folge, dass eine derartige Vereinbarung nicht vom Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV ausgenommen sei, wobei jedoch etwas anderes gelte, sofern es sich bei den Dienstleistern um Scheinselbstständige handele, d. h. um „Leistungserbringer, die sich in einer vergleichbaren Situation wie die Arbeitnehmer befinden“, was das nationale Gericht zu prüfen habe.1014 1007

EuGH, Urt. v. 21.9.2000 – C-222/98 (van der Woude), ECLI:EU:C:2000:475, Rn. 28 ff.; EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:430, Rn. 71 ff., 88 ff. 1008 EuGH, Urt. v. 23.4.1991 – C-41/90 (Höfner und Elser), ECLI:EU:C:1991:161, Rn. 21; EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C-217/05 (Confederación Española), ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 39 ff. 1009 Zum Sachverhalt: EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 6 – 17; GA Wahl, Schlussantr. v. 11.9.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2215, Rn. 6 ff. 1010 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 26. 1011 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 27. 1012 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 28. 1013 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 29. 1014 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 30 f.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Weiter heißt es, dass „ein Dienstleistungserbringer seine Eigenschaft als unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer und damit als Unternehmen verliert, wenn er sein Verhalten auf dem Markt nicht selbständig bestimmt, sondern vollkommen abhängig von seinem Auftraggeber ist, weil er keines der finanziellen und wirtschaftlichen Risiken aus dessen Geschäftstätigkeit trägt und als Hilfsorgan in sein Unternehmen eingegliedert ist“.1015

Dabei komme es maßgeblich auf die Weisungsbindung, die Eingliederung in das Unternehmen und die Bildung einer wirtschaftlichen Einheit mit diesem an.1016 Mit seiner Entscheidung folgt das Gericht zwar im Wesentlichen den Ausführungen des GA Wahl, nimmt jedoch eine von diesem unternommene Differenzierung nicht auf. So hatte Wahl bei seiner Prüfung zwischen Bestimmungen in einem Tarifvertrag, die im Interesse von und für Selbstständige, und solchen, die im Interesse von und für Arbeitnehmer geschlossen wurden, differenziert.1017 Bemerkenswert ist dabei, dass der GA es im Grundsatz für möglich hält, die tarifvertragliche Vereinbarung von Mindesttarifen für Selbstständige als unmittelbare Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern zu begreifen und damit der Kartellkontrolle zu entziehen, sofern sie der Verhinderung von Sozialdumping dient.1018 Inhaltlich bestehen in dieser Hinsicht Parallelen zur oben abgelehnten Möglichkeit der mittelbaren Interessenvertretung in klassischen Tarifverträgen.1019 Zusammengefasst anerkennt der EuGH1020 eine Einschränkung der Kontrolle von Kartellvereinbarungen nach Art. 101 AEUV für den Bereich der Beschäftigungsund Arbeitsbedingungen zur Förderung sozialpolitischer Ziele im Rahmen von Tarifverhandlungen. Offen, bzw. jedenfalls unklar bleibt die genaue Reichweite dieser Privilegierung. Zwar lässt sich einerseits feststellen, dass keine generelle Bereichsausnahme für den Arbeitsmarkt besteht, andererseits lassen die Ausführungen des Gerichts Spielraum sowohl hinsichtlich des zulässigen Gegenstands der Vereinbarungen, als auch in Bezug auf ihre Art. Letzteres bezieht sich auf die Frage wer als „Sozialpartner“ kartellfreie Vereinbarungen treffen darf, mit anderen Worten wer Normadressat des Kartellrechts ist, womit die Begriffe des Unternehmens und der Scheinselbstständigkeit angesprochen sind. 1015

EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 33. Siehe oben § 3 B. II. 4. c) zum unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff; EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 36. 1017 GA Wahl, Schlussantr. v. 11.9.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2215, Rn. 21. 1018 GA Wahl, Schlussantr. v. 11.9.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2215, Rn. 66 ff, insb. 75, 83, 94. 1019 Siehe oben § 8 B. I. 1020 Siehe auch: EFTA-Gerichtshof, Urt. v. 19.4.2016 – E-14/15 (Holship), BeckRS 2016, 80662, der sich weitgehend der Rechtsprechung des EuGH anschließt; dazu: Kainer, EuZA 10 (2017), 90, 96 ff.; M. Schneider, EuZW 27 (2016), 494 ff. 1016

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III. Rezeption der jüngeren Rechtsprechung des EuGH Die vom EuGH eröffneten Spielräume, haben anknüpfend an die Rs. Albany und FNV Kunsten eine starke Rezeption in der Literatur mit zum Teil disparaten Deutungen erfahren.1021 Die zahlreichen Stellungnahmen lassen sich ihrerseits in Bezug auf die Reichweite des Kartellprivilegs für Sozialpartnervereinbarungen nach Art und Gegenstand der Vereinbarung untergliedern. 1. Art der Vereinbarung Zunächst wird verschiedentlich darauf hingewiesen, dass das Wort Tarifvertrag einzig der deutschen Entscheidungsübersetzung geschuldet sei, während in der Verfahrenssprache von Kollektivvereinbarungen die Rede war.1022 Dies bedeute einerseits, dass es sich nicht um Tarifverträge i. S. d. deutschen TVG handeln müsse.1023 Andererseits sei die Meidung des Begriffs durch den EuGH vor allem der fehlenden Kompetenz der EU für das Tarifrecht sowie der unterschiedlichen Regelungen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich zuzuschreiben.1024 Weiterhin herrscht hinsichtlich der Art der Vereinbarung vor allem bzgl. der Bedeutung der Begriffe der Scheinselbstständigkeit und des Unternehmens Unsicherheit darüber, wer kartellprivilegierte Sozialpartnervereinbarungen schließen kann sowie darüber, aus welcher rechtlichen Perspektive im Mehrebenensystem – nationales oder europäisches Recht – diese Beurteilung zu erfolgen hat. a) Begriff der Scheinselbstständigkeit Erhebliche Uneinigkeit besteht über die Bedeutung des vom EuGH verwendeten Begriffs der Scheinselbstständigkeit1025. Rieble ist der Auffassung, dieser werde vom EuGH allein verwendet, um das Auseinanderfallen von unionsrechtlichem und nationalem Arbeitnehmerbegriff zu beschreiben.1026 Maßgebend sei allein, ob ein Leistungserbringer europarechtlich als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist, dann seien 1021

Vgl. Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 559 ff. m. w. N. EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:430, Rn. 62, niederländisch: „collectieve overeenkomst“, englisch: „collective agreement“; ähnlich: EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 38 „collectieve arbeidsovereenkomst“ bzw. „collective labour agreement“. 1023 So etwa: Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 450; C. Schubert, ZfA 44 (2013), 1, 34; ebenso, sowie zur Bestimmung der Sozialpartnereigenschaft anhand des nationalen Rechts: Höpfner, RdA 73 (2020), 129, 142 f. 1024 Rieble, ZWeR 14 (2016), 165, 167; Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 578. 1025 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 31, in der französischen Sprachfassung: „faux indépendants“, engl.: „false self-employed“, niederl.: „schijnzelfstandigen“. 1026 Rieble, ZWeR 14 (2016), 165, 169 f. 1022

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Tarifverträge ihm gegenüber kartellrechtsimmun, unabhängig davon, ob er nach nationalem Recht als Arbeitnehmer, Arbeitnehmerähnlicher oder Selbstständiger einzustufen wäre.1027 Auch Goldmann meint, dass mit der FNV Kunsten-Entscheidung keine Erweiterung der Albany-Doktrin verbunden sei, das Urteil wiederhole nur, dass die Privilegierung lediglich für Arbeitnehmer gelte, die der Gerichtshof als Scheinselbstständige bezeichne.1028 Auf dieser Linie meint Lettl, hinsichtlich des Erfordernisses einer Sozialpartnervereinbarung sei unionsrechtlich zu bestimmen, ob die von der entsprechenden Vereinigung Vertretenen Arbeitnehmer seien, wobei es im Rahmen der Scheinselbstständigkeit um Gestaltungen gehe, in denen nach nationalem Recht selbstständige Leistungserbringer unter den EU-Arbeitnehmerbegriff fallen.1029 Demgegenüber sind Heuschmid/Hlava sowie Klebe der Auffassung, dass der EuGH unter Scheinselbstständigen gerade solche Leistungserbringer verstehe, die sich in einer vergleichbaren Situation wie Arbeitnehmer befinden, und gelangen damit zu einer „entwicklungsoffenen“ Interpretation des Kontrollprivilegs.1030 Hütter meint, nehme man die Formulierung des EuGH ernst, dass Scheinselbstständige solche Leistungserbringer seien, die sich in einer vergleichbaren Situation wie Arbeitnehmer befinden, müsse dieser Begriff mehr als nur Arbeitnehmer i. S. d. Unionsrechts umfassen.1031 Auch Bayreuther legt dar, dass sich das FNV Kunsten-Urteil des EuGH nur so verstehen lasse, dass dieser mit seinen Ausführungen zur Scheinselbstständigkeit die Reichweite der Kartellprivilegierung erweitern wollte, was mit der Annahme, er habe nur wiederholen wollen, dass sie für Arbeitnehmer (Scheinselbstständige) gelte, unvereinbar sei.1032 In diesem Zusammenhang werden Tarifverträge zugunsten Arbeitnehmerähnlicher i. S. v. § 12a TVG mangels europarechtlicher Scheinselbstständigkeit aufgrund fehlender Weisungsgebundenheit teilweise als nicht privilegiert angesehen.1033 Da-

1027 Rieble, ZWeR 14 (2016), 165, 170 ff.; ähnlich: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 219. 1028 Goldmann, EuZA 8 (2015), 509, 514; ähnlich: Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 573. 1029 Lettl, WRP 61 (2015), 294, 297 f. 1030 Heuschmid/Hlava, AuR 65 (2015), 193, 194; i. E. ähnlich in Bezug auf Crowdwork: Klebe, AuR 64 (2016), 277, 280 f.; ebenso, solange eine analoge Schutzbedürftigkeit vorliegt: Heuschmid/Klebe, FS Kohte, S. 73, 81; Däubler TVG/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 832; ähnlich wohl: Bücker, FS Klebe, S. 65, 69; Waltermann, FS Moll, S. 727, 735 f., der indes von einem Nebelreich spricht, das durch die unklare Entscheidung hervorgerufen werde. 1031 Hütter, ZfA 49 (2018), 552, 575. 1032 Bayreuther, Sicherung, 72; ebenso: Deinert/Maksimek/Sutterer-Kipping, Die Rechtspolitik des Sozial- und Arbeitsrechts, 375 f. 1033 Latzel/Serr, EuZW 25 (2014), 410, 413; Goldmann, EuZA 8 (2015), 509, 517 f.; Esch, jurisPR-ArbR 2015, Anm. 2 unter D.; differenzierend: Rieble, ZWeR 14 (2016), 165, 172; Däubler TVG/B. Reinecke/Rachor, § 12a TVG Rn. 14; Steinle/Haußmann, EuZW 26 (2015), 313, 317; Hütter, ZfA 49 (2018), 552, 576; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, 219; in diese Richtung auch: C. Schubert, FS Klebe, S. 351, 352 ff.

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gegen meinen andere, dass mit dem Begriff der Scheinselbstständigkeit gerade nach nationalem Recht Arbeitnehmerähnliche gemeint seien.1034 Das BAG hat sich bei der Anwendung der FNV Kunsten-Rechtsprechung offenbar der Interpretation angeschlossen, dass der EuGH unter Scheinselbstständigen Personen versteht, die nach nationalem Recht zwar selbstständig sind, gleichsam aber unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff fallen.1035 b) Begriff des Unternehmens bzw. der Unternehmensvereinigung Eng verwoben mit der Qualifikation der Vereinbarung ist die Frage, ob es sich bei den handelnden Verbänden bzw. Individuen um Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen i. S. v. Art. 101 AEUV (§ 1 GWB) handelt. Dies wird für klassische Arbeitnehmer ebenso wie für ihre Vereinigungen ganz überwiegend abgelehnt.1036 Nichts anderes gilt hinsichtlich der Frage, ob Gewerkschaften beim Abschluss von Tarifverträgen als Unternehmen auftreten.1037 Unklar ist indes, was im 1034 Eufinger, DB 68 (2015), 192, 193; BKS/Wankel, § 12a TVG Rn. 1a; Heuschmid/Hlava, AuR 65 (2015), 193, 194; Däubler TVG/Heuschmid, § 1 TVG Rn. 832; Klebe, AuR 64 (2016), 277, 281; Junker, ZfA 46 (2015), 267, 284; Junker, EuZA 9 (2016), 184, 196; Junker, GS Rebhahn, S. 177, 183 f., der jedoch von der Vermengung zweier unterschiedlicher Personengruppen spricht; J. Schubert/Jerchel, EuZW 26 (2015), 340, 346; Bayreuther, Sicherung, 73; Präzisierung fordernd auch: Waltermann, RdA 72 (2019), 94, 100. 1035 BAG, Urt. v. 24.8.2016 – 7 AZR 625/15, NZA 2017, 244, Rn. 44; BAG, Urt. v. 21.11.2017 – 9 AZR 117/17, NZA 2018, 448, Rn. 48. 1036 EuGH, Urt. v. 16.9.1999 – C-22/98 (Becu), ECLI:EU:C:1999:419, Rn. 26 f.; GA Jacobs, Schlussantr. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:28, Rn. 213 ff.; Langen/Bunte/Hengst, Art. 101 AEUV Rn. 14; Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 1 GWB Rn. 7; Mühlbach, Tarifverträge in der europäischen Kartellkontrolle, 126 ff.; Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 104; Reichold, FS Reuter, S. 759, 763; Reichold, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 55, 61 f.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 429; MüKoKartR/Mohr, Grundl. Rn. 1283; Immenga/Mestmäcker/D. Zimmer, § 1 GWB Rn. 19; Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 457; so bereits: Hendriks, Arbeitsrechtliche Vereinbarungen und Kartellrecht, 42 f.; Viol, Die Anwendbarkeit des Europäischen Kartellrechts auf Tarifverträge, 250, 256; Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 743; a. A. Ackermann, in: Rieble/ Junker/Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 17, 26 f., der auf das autonome Tätigwerden der AN als Anbieter von Arbeitsleistungen abhebt; Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 32 ff. 1037 BAG, Urt. v. 27.6.1989 – 1 AZR 404/88, NZA 1989, 969, unter II. 3. c) bb); BAG, Urt. v. 10.11.1993 – 4 AZR 316/93, NZA 1994, 622, unter B. IV. 3.; GA Jacobs, Schlussantr. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:28, Rn. 218 ff., der insoweit zwischen eigener wirtschaftlicher Tätigkeit und ihrem Auftreten als Bevollmächtigte der AN differenziert; grundsätzlich auch: EFTA-Gerichtshof, Urt. v. 19.4.2016 – E-14/15 (Holship), BeckRS 2016, 80662, Rn. 73; Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 1 GWB Rn. 11; Mühlbach, Tarifverträge in der europäischen Kartellkontrolle, 133 ff.; Reichold, FS Reuter, S. 759, 764; Reichold, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 55, 62 f.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 437; Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 458; Immenga/Mestmäcker/D. Zimmer, Art. 101 AEUV Rn. 161; Höpfner, Die Tarifgeltung im

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Fall der Vertretung von Soloselbstständigen (z. B. Crowdworkern) gilt. Entgegen dem EuGH meint Fuchs, dass die Gewerkschaft im FNV Kunsten-Urteil bei funktionaler Interpretation keine Unternehmensvereinigung gewesen sei, weil es sich bei der in Rede stehenden Kollektivvereinbarung nicht um einen Vertrag über Waren und Dienstleistungen, sondern um die Sicherung eines sozialen Mindeststandards für Selbstständige gehandelt habe.1038 Andere befürworten hier die Sichtweise des EuGH.1039 c) Beurteilungsperspektive im Mehrebenensystem Es zeigt sich, dass die Deutung der Entscheidungsgründe mit der Frage nach der zutreffenden Perspektive – nationales oder europäisches Recht – verbunden ist. Ausgehend von der fehlenden Rechtsetzungskompetenz der Union für das Tarifrecht gemäß Art. 153 Abs. 5 AEUV gelangen Latzel/Serr dennoch im Rahmen der Art. 101 ff. AEUV zu einem „kartellrechtlich-induzierten Unionstarifrecht“, das mit der Entscheidung über die Reichweite der Kartellrechtsimmunität bestimmte Anforderungen an Kollektivvereinbarungen stellen könne.1040 Auch Mohr spricht sich für eine europarechtliche Reichweitenbestimmung aus. Es müsse sich bei der Vereinbarung nicht um einen Tarifvertrag nach dem deutschen TVG handeln, das EUWettbewerbsrecht dürfe nicht den nationalen Rechtsordnungen anheimgestellt werden, deshalb sei ein spezifisch unionsrechtliches Verständnis anzulegen.1041 Dabei sei zwar davon auszugehen, dass von Art. 28 GRCh alle Vereinbarungen erfasst werden, die dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen, gleichsam komme es entscheidend darauf an, dass die Sozialpartner unionsrechtlich Arbeitnehmer verträten.1042 Anders will Goldmann für die Reichweite der Bereichsausnahme auf das nationale Recht und dabei insbesondere auf Art. 9 Abs. 3 GG abstellen, was sich einerseits aus eben der fehlenden Kompetenz der Union für das Tarifrecht und andererseits aus dem Verweis des Art. 28 GRCh auf das nationale Recht ergebe.1043 Da kartellrechtsimmune Maßnahmen dennoch an den Grundfreiheiten zu messen seien, würde Missbrauch durch die Mitgliedstaaten ausreichend Arbeitsverhältnis, 585 f.; Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 743 f.; kritisch: Immenga, Grenzen des kartellrechtlichen Ausnahmebereichs Arbeitsmarkt, 46; W.-H. Roth, in: Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (Hrsg.), Tarifautonomie und Kartellrecht, S. 7, 13 f. 1038 M. Fuchs, ZESAR 15 (2016), 297, 306. 1039 Hütter, ZfA 49 (2018), 552, 577; Goldmann, EuZA 8 (2015), 509, 515; Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 458; Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 743 f.; Klapperich, NZKart 8 (2020), 125, 127. 1040 Latzel/Serr, EuZW 25 (2014), 410, 411 f.; ebenso: Rieble, ZWeR 14 (2016), 165, 167 f. „Bereichsausnahme Tarifvertrag ist Geltungsschranke für das europäische Kartellrecht“; Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 1101; C. Schubert, FS Klebe, S. 351, 355; anders noch: Serr, Privative Tariftreue, 88. 1041 Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 450; ähnlich: Bayreuther, Sicherung, 72 ff. 1042 Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 451. 1043 Goldmann, EuZA 8 (2015), 509, 516 f.

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vorgebeugt.1044 Ebenso bestimmt Höpfner die Reichweite der Bereichsausnahme, mangels entsprechender Vorgaben des Unionsrechts sowie aufgrund von Art. 28 GRCh und Art. 153 Abs. 5 AEUV, durch Rückverweisung in das nationale Recht, insbesondere nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 3 GG.1045 Auch Fuchs ist der Auffassung, dass soweit die Mitgliedstaaten für eine Gruppe Selbstständiger wegen Arbeitnehmern vergleichbarer Schutzbedürftigkeit die Möglichkeit zum Abschluss von Tarifverträgen vorsehen, sich dies auch unionsrechtlich durchsetzen müsse, wenngleich diese Qualifikation für das Kartellkontrollprivileg notwendige, nicht aber allein hinreichende Bedingung sei.1046 Auf dieser Linie meint auch Bücker, dass es entscheidend auf „das Verhältnis des europäischen Kartellverbots zur nationalen Grundrechtsgewährleistung“ ankomme.1047 Gewissermaßen zwischen diesen Ansichten scheint sich Lettl zu positionieren, wenn er meint, dass zur Bestimmung des Ausnahmebereichs in Bezug auf die Anwendung des Art. 101 AEUV die Auslegung des Primärrechts zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen entsprechend des Art. 28 GRCh bzw. Art. 151 ff. AEUV herangezogen werden müsse.1048 2. Gegenstand der Vereinbarung Gleichfalls umstritten ist die Bedeutung des vom EuGH geforderten Vereinbarungszwecks „zur (unmittelbaren) Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen.“1049 Hierzu werden im Wesentlichen zwei Ansichten vertreten: Während teilweise eine formale Grenzziehung vorgeschlagen wird, die auf das Unmittelbarkeitskriterium pocht, meinen andere eine am Telos des Kartellrechts und der Kollektiv- bzw. Tarifautonomie orientierte Abwägung sei zielführend. Akut wird dieser Streit insbesondere im Fall von Vereinbarungen mit „Doppelwirkung“ bzw. mittelbarer Kartellwirkung, die sich neben dem Arbeitsmarkt auch auf die nachgelagerten Produktmärkte auswirken.1050 Im Sinne der ersten Ansicht meinen Latzel/ 1044

Goldmann, EuZA 8 (2015), 509, 517. Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 574 f.; ebenso: Bourazeri, Tarifautonomie und Wirtschaftskrise, 325; ähnlich: Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 110; Ackermann, in: Rieble/Junker/Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 17, 33, 35 f.; Serr, Privative Tariftreue, 88; Klapperich, NZKart 8 (2020), 125, 127. 1046 M. Fuchs, ZESAR 15 (2016), 297, 304 f. 1047 Bücker, FS Klebe, S. 65, 69. 1048 Lettl, WRP 61 (2015), 294, 297. 1049 Das Unmittelbarkeitskriterium taucht nicht in allen Entscheidungen auf, zu finden ist es jedoch in der Ausgangsentscheidungstrias: EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:430, Rn. 63; anders aber: EuGH, Urt. v. 12.9.2000 – C-180/98 (Pavlov), ECLI:EU:C:2000:428, Rn. 69; EuGH, Urt. v. 21.9.2000 – C-222/98 (van der Woude), ECLI:EU:C:2000:475, Rn. 22, 25; EuGH, Urt. v. 3.3.2011 – C-437/09 (AG2R Prévoyance), ECLI:EU:C:2011:112, Rn. 29; EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 22, 29. 1050 Vgl. nur: MüKoKartR/Mohr, Grundl. Rn. 1271 ff.; Reichold, FS Reuter, S. 759, 773 f.; Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 581 ff. 1045

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Serr eine gegenständliche Begrenzung der tariflichen Vereinbarungen könne sich allein aus dem Primärrecht ergeben, so sei eine Zuordnung zum Katalog des Art. 153 Abs. 1 lit. a-i AEUV sowie die unmittelbare Regelung von Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer erforderlich.1051 Ähnlich spricht Rieble sich, insoweit im Einklang mit dem dazu schweigenden EuGH, gegen die von GA Wahl vorgeschlagene Auslegung des Unmittelbarkeitskriteriums im Hinblick auf Sozialdumping aus1052, weil es für das Kartellprivileg bei einer formalen Grenzziehung bleiben müsse, um nicht in die „Inkommensurabilitätsfalle“ zu tappen.1053 Im Sinne der zweiten Ansicht schlagen Mohr/Wolf, Säcker, Bourazeri und Schubert für Grenzfälle eine Gesamtabwägung vor.1054 Zwar erkennen sie die Gefahr der verhaltenssteuernden Rechtsunsicherheit für die Sozialpartner, weshalb in eindeutigen Fällen wie der Regelung von Arbeitsentgelt oder Urlaub ein solches Vorgehen abzulehnen sei.1055 Kartellrechtlich privilegiert sei somit die Regelung eines tarifvertraglichen Kernbereichs, der sich aus einer Gesamtwürdigung aller Umstände ergebe, wobei entscheidend auf das fehlende Bedürfnis einer Prüfung der wettbewerblichen Auswirkungen abzustellen sei, das daraus folge, dass die einzelne „Regelung den Einsatz einzelner Wettbewerbsparameter im Verhältnis zur Marktgegenseite lediglich vorstrukturiert und nicht vorwegnimmt“.1056 3. Rechtspolitische und internationale Forderungen Zuletzt hat die jüngere Rechtsprechung des EuGH im Kontext der Plattformökonomie eine Mehrzahl rechtspolitischer Forderungen hervorgerufen. So sprechen sich verschiedene Gewerkschaften für ggfs. notwendige Änderungen des Wettbewerbsrechts aus, um Soloselbstständigen insbesondere Kollektivmaßnahmen zu

1051 Latzel/Serr, EuZW 25 (2014), 410, 414 f.; ebenso: Ackermann, in: Rieble/Junker/ Giesen (Hrsg.), Kartellrecht und Arbeitsmarkt, S. 17, 32; Kamanabrou, EuZA 3 (2010), 157, 163; ähnlich in Bezug auf die Unmittelbarkeit: Mühlbach, Tarifverträge in der europäischen Kartellkontrolle, 307 ff. 1052 Ebenso: Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 453. 1053 Rieble, ZWeR 14 (2016), 165, 173; hinsichtlich Schwierigkeiten einer rationalen Abwägung zwischen Wettbewerbsprinzip und kollektiver Ordnung und der drohenden Aushöhlung der Tarifautonomie bereits: Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 109 f., 112. 1054 Mohr/M. Wolf, JZ 66 (2011), 1091, 1098 f.; MüKoKartR/Mohr, Grundl. Rn. 1272 ff.; C. Schubert, ZfA 44 (2013), 1, 36; Bourazeri, Tarifautonomie und Wirtschaftskrise, 328 f.; ähnlich: Reichold, FS Reuter, S. 759, 773 ff. 1055 „Regelungsaufgabe behinderndes Damokles-Schwert“: Mohr/M. Wolf, JZ 66 (2011), 1091, 1098; MüKoKartR/Mohr, Grundl. Rn. 1273. 1056 Mohr/M. Wolf, JZ 66 (2011), 1091, 1099; MüKoKartR/Mohr, Grundl. Rn. 1273; Mühlbach, Tarifverträge in der europäischen Kartellkontrolle, 308; Bourazeri, Tarifautonomie und Wirtschaftskrise, 327 f.; vgl. bereits: Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, 216.

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ermöglichen.1057 Auch auf europäischer bzw. internationaler Ebene zeigen sich in entsprechenden Positionspapieren Tendenzen hin zu einer großzügigeren Anwendung des EU-Arbeitnehmerbegriffs sowie zur Ermöglichung kollektiver Verhandlungen für Soloselbstständige im Rahmen der Plattformökonomie. Das EU-Parlament hat in einer Entschließung vom 15. Juni 2017 festgestellt, dass die „Wahrung der Grundrechte und die angemessene soziale Absicherung der steigenden Zahl selbständig Erwerbstätiger, die in der kollaborativen Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielen, einschließlich ihres Rechts auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen auch im Hinblick auf ihre Bezahlung, von großer Bedeutung ist“.1058

Auch die EU-Kommission neigt in Bezug auf den Beschäftigtenbegriff sowie die Ermöglichung von Kollektivverhandlungen für Soloselbstständige einer Flexibilisierung zu.1059 Forde/Stuart u. a. fordern in einer Studie für den Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des EU-Parlaments die Anpassung des Wettbewerbsrechts, um Soloselbstständigen Zusammenschlüsse und Kollektivverhandlungen zu ermöglichen.1060 De Stefano stellt die Unklarheit in Bezug auf die Reichweite des Kartellprivilegs in der Rechtsprechung des EuGH heraus, um sodann mit generellen Erwägungen das Recht auf Assoziation und Kollektivverhandlungen als Menschenrecht anzuerkennen, das nicht mit Mitteln des Wettbewerbsrechts zu Lasten der „non-standard workforce“ auf „Scheinselbstständige“ begrenzt werden dürfe.1061 Auch Johnston/Land-Kazlauskas betonen einerseits die Unsicherheit der Kartell1057 Vgl. Greef/Schroeder, Plattformökonomie und Crowdworking: Eine Analyse der Strategien und Positionen zentraler Akteure, 35 ff., mit entsprechenden Nachweisen für die IG BCE, die ver.di sowie die IG Metall. 1058 Europäisches Parlament: Europäische Agenda für die kollaborative Wirtschaft 2017/ 2003(INI), Rn. 41; ähnlich auch der Europäische Wirtschafts und Sozialausschuss, Stellungnahme vom 25.5.2016 – Wandel der Beschäftigungsverhältnisse SOC/533, der klarstellt, dass das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nicht durch Wettbewerbsrecht beeinträchtigt werden dürfe; OECD, Employment Outlook 2018, 103, die ebenfalls die Notwendigkeit von Kollektivverhandlungen auch für Soloselbstständige im Plattform-Kontext betonen. 1059 Europäische Kommission, Europäische Agenda für die kollaborative Wirtschaft, 12 ff.; vgl. das zum Digital-Services-Act eingeleitete Konsultationsverfahren, Pressemitteilung der Kommission vom 30.6.2020, Competition: The European Commission launches a process to address the issue of collective bargaining for the self-employed; sowie: Europäische Kommission, Shaping Europe’s digital future, 4; ähnlich: Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 2312 (2019) The societal impact of the platform economy vom 29.11.2019, unter 5. ff., bzgl. der „platformisation of work“ und mit Verweis auf den Report vom 25.10.2019 (Doc. 15001), der unter 38. explizit „Ensuring the freedom of association and collective bargaining rights for crowdworkers“ erwähnt. 1060 Forde/Stuart/Joyce u. a., The Social Protection of Workers in the Platform Economy, 107 f.; siehe auch: Hatzopoulos/Roma, Common Market Law Review 54 (2017), 81, 109 ff., 120 f. 1061 Stefano, INDLAW 45 (2016), 185, 193 ff.; ähnlich: Stefano, The rise of the „just-in-time workforce“, 23, in Bezug auf die Beseitigung wettbewerbsrechtlicher Grenzen im Bereich der Gig-Economy; ähnlich: Donini/Forlivesi/Rota u. a., Transfer 23 (2017), 207, 213 f.

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privilegierung für „Scheinselbstständige“ in der Rechtsprechung des EuGH sowie andererseits die Notwendigkeit zur Ermöglichung kollektiver Interessenvertretung für Beschäftigte in der Plattformökonomie, wobei bereits erste Beispiele aus anderen EU-Mitgliedstaaten und den USA zu wettbewerbsrechtlichen Privilegierungen vorliegen.1062 Freedland/Kountouris argumentieren, dass entscheidend für die Differenzierung zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern nach EU-Recht persönliches Tätigwerden sei.1063 Erstens dürfe etwa im Fall von Uber-Fahrern nicht statisch deren Eigentum an Arbeitsmitteln wie Fahrzeugen betrachtet werden, sondern deren Einsatz für andere. Zweitens werde ganz überwiegend die persönliche Arbeitskraft eingesetzt und entlohnt, während der Kapitaleinsatz marginal sei.1064 Hier setzt auch Grillberger aus österreichischer Perspektive an, der bedauert, dass der EuGH nicht untersucht habe, ob das Kartellverbot nach Sinn und Zweck überhaupt auf Sachverhalte wie den der FNV Kunsten-Entscheidung anzuwenden sei.1065 Dagegen spreche, dass zur Kompensation des Machtungleichgewichts zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber Kollektivverhandlungen tendenziell besser geeignet seien als umfassende Konkurrenz. Diese Machtasymmetrie ergebe sich indes nicht vornehmlich aus der persönlichen Abhängigkeit, sondern aus dem wirtschaftlichen Angewiesensein auf den Verkauf der eigenen Arbeitskraft. Entscheidend für die Anwendung des Kartellprivilegs sei demnach trotz etwaiger Rechtsunsicherheiten die persönlich abhängigen Arbeitnehmern vergleichbare wirtschaftliche Lage.1066 Ebenso meint Risak, dass bei entsprechender Vergleichbarkeit Kollektivmaßnahmen rechtlich zulässig sein müssten, was etwa durch Neujustierung des Arbeitnehmerbegriffs zu erreichen wäre.1067 In der Stoßrichtung ähnlich argumentiert Daskalova, dass der Begriff der „Scheinselbstständigkeit“ zur Determination der Reichweite des Kartellkontrollprivilegs insofern ungeeignet sei, als er impliziere, dass vorbehaltlich der falschen Qualifikation die Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs vorliegen, was prekären neuen Beschäftigungsformen gerade nicht gerecht werde.1068 Anstatt diese durch eine Ausdehnung des (unionsrechtlichen) Arbeitnehmer- bzw. Begrenzung des Unternehmensbegriffs zu erfassen, müsse Art. 101 AEUV entsprechend angepasst werden, um auch im Bereich der Plattformökonomie Machtungleichgewichte aufzubrechen.1069 Schiek/Gideon sehen unterschiedliche Spielräume für eine Erweiterung der Privilegierung in der FNV Kunsten Entscheidung: Sie 1062

Johnston/Land-Kazlauskas, Organizing on-demand: Representation, voice, and collective bargaining in the gig economy, 25 ff. m. w. N. 1063 Freedland/Kountouris, ILJ 46 (2017), 52, 67 f. 1064 Freedland/Kountouris, ILJ 46 (2017), 52, 69. 1065 Grillberger, DRdA 64 (2015), 162, 167. 1066 Grillberger, DRdA 64 (2015), 162, 167; ebenso: Mosler, wbl 30 (2016), 774, 778. 1067 Risak, Fair Working Conditions for Platform Workers, 17. 1068 Daskalova, Regulating the New Self-Employed in the Uber Economy: What Role for EU Competition Law?, 7, 23 f. 1069 Daskalova, Regulating the New Self-Employed in the Uber Economy: What Role for EU Competition Law?, 36.

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sprechen sich für eine funktionale, wettbewerbsspezifische Interpretation des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs aus.1070 Die finale Verschiebung des wirtschaftlichen Risikos von den Unternehmen auf die Mikro-Dienstleister müsse sich wertungsmäßig zu deren Gunsten auswirken.1071 Auch außerhalb der Europäischen Union, insbesondere in den USA, wird dem Verhältnis von Kartellrecht und kollektiven Maßnahmen im Rahmen der Plattformökonomie verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet.1072 So wird argumentiert, dass die Bindung der dortigen wettbewerbsrechtlichen Privilegierung arbeitsrechtlicher Kollektivmaßnahmen an den Arbeitnehmerstatus keineswegs zwingend sei.1073 Umgekehrt müssten Kollektivmaßnahmen dort, wo Plattformen ihrerseits Preise festsetzen, etwa im Fall von Uber, erlaubt sein.1074 IV. Stellungnahme Die disparate Rezeption insbesondere der Rs. FNV Kunsten und die in weiten Teilen berechtigte Kritik an der Entscheidungsbegründung erklären sich vor dem Hintergrund der inkonsistenten Argumentationsweise des Gerichtshofs. Augenfällig wird diese in der Anwendung der Albany-Doktrin auf „Scheinselbstständige“, die zunächst als „Leistungserbringer, die sich in einer vergleichbaren Situation wie die Arbeitnehmer befinden“ beschrieben werden.1075 Folgerichtig wäre die anschließende Herausarbeitung von Kriterien für eine solche Vergleichbarkeit. Stattdessen erschöpfen sich die Ausführungen des EuGH in Erläuterungen zum Unternehmensbegriff,1076 in der Darstellung des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs und dem deklaratorischen Hinweis, dass nationalrechtlich Selbstständige unionsrechtlich 1070

Schiek/Gideon, International Review of Law, Computers & Technology 37 (2018), 1,

1071

Schiek/Gideon, International Review of Law, Computers & Technology 37 (2018), 1,

12. 13 f.

1072 Siehe bereits: R.K. Winter Jr., Yale L.J. 73 (1963), 14, 23 f.; E. Kennedy, BJELL 26 (2005), 143, 168 ff.; Iglitzin/Robbings, BJELL 38 (2017), 49, 55 ff.; aus australischer Sicht: McCrystal, in: Fudge/McCrystal/Sankaran (Hrsg.), Challenging the Legal Boundaries of Work Regulation, S. 139, 150 ff.; McCrystal, MULR 37 (2014), 662, 672 ff.; rechtsvergleichend mit EU-Recht: McCrystal/Syrpis, in: Bogg/Novitz (Hrsg.), Voices at work, S. 421, 425 ff.; Harris/ Krueger, A Proposal für Modernizing Labor Laws for Twenty-First-Century Work: The „Independent Worker“, 15 ff.; Hafiz, U. Chi. L. Rev. 87 (2020), 381, 409 f.; zur Möglichkeit von Boykottmaßnahmen durch independet contractors in der Gig-Economy: Blum, Nevada L.J. 19 (2018), 365, 379 ff. 1073 Paul, Loy. U. Chi. L.J. 47 (2016), 969, 1020 ff. 1074 Paul, BJELL 38 (2017), 233, 238 ff.; zur Möglichkeit kollusiven, wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens schwacher Anbieter, gegen mächtige Nachfrager am Beispiel von Amazon: Kirkwood, UMLR 69 (2014), 1, 52 ff. 1075 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 31 sowie erneut in Rn. 42 als Antwort auf die Vorlagefrage. 1076 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 32 f.

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Arbeitnehmer sein können.1077 Eine widersprüchliche Begründung läuft Gefahr, durch selektive Interpretation einzelner Passagen ganz unterschiedlichen Ableitungen Pate zu stehen1078 bzw. stellt den Rechtsanwender vor die Herausforderung, etwaige Widersprüche sachlich zutreffend aufzulösen. Wenn Höpfner im letzten Sinn meint, bei dem Halbsatz zur Vergleichbarkeit der Scheinselbstständigen mit Arbeitnehmern („vergleichbaren Situation wie die Arbeitnehmer“) handele es sich um ein (auszublendendes) Missverständnis, ist der Versuch einer konsistenten Interpretation zwar anzuerkennen, inhaltlich kann er jedoch nicht überzeugen.1079 Ebenso wenig kann unterstellt werden, dass der EuGH bei Scheinselbstständigen schlicht Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinn vor Augen hatte1080, denn das lässt sich mit der gebrauchten Formulierung kaum vereinbaren.1081 Richtig scheint vielmehr, die Entscheidungsgründe trotz der im ersten Zugriff festzustellenden Widersprüchlichkeit im Zusammenhang zu lesen, ohne dabei einzelne Passagen zu ignorieren. Den Ausgangspunkt des Gerichtshofs bildet die bekannte Konkretisierung der Albany-Doktrin in der Rs. Pavlov, wonach das Kartellkontrollprivileg grundsätzlich nicht für Selbstständige (Freiberufler) gilt.1082 Anschließend schränkt er dies im Hinblick auf Arbeitnehmern vergleichbare Scheinselbstständige ein: „Dies schließt jedoch nicht aus, dass …“, und fügt hinzu, dass die Bestimmung des Unternehmensstatus von selbstständigen Dienstleistern in der heutigen Wirtschaft nicht immer leicht sei.1083 Diese Ausführungen erfolgen als obiter dictum, losgelöst vom konkreten Fall, dem sich der Gerichtshof erst im nächsten Abschnitt zuwendet. Das Versäumnis des EuGH liegt vor allem darin, keine allgemeinen und abschließenden Kriterien für die Vergleichbarkeit aufgestellt zu haben. Dass er dies nicht en passant geleistet hat, ist angesichts der damit verbundenen Schwierigkeiten und der Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gleichwohl nicht verwunderlich.1084 Schließlich ließ sich der kon1077

36. 1078

EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 34 –

Das zeigt sich in dem breiten Meinungsspektrum im vorigen Abschnitt. Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 573 Fn. 3781; ebenso: M. Fuchs, ZESAR 15 (2016), 297, 303, der den Halbsatz gleichfalls aus der Deutung ausklammern möchte. 1080 Lettl, WRP 61 (2015), 294, 297 f.; Rieble, ZWeR 14 (2016), 165, 169 f.; Goldmann, EuZA 8 (2015), 509, 514; Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 573. 1081 Hütter, ZfA 49 (2018), 552, 575 weist darauf hin, dass vollständige Kongruenz als größtmögliche Vergleichbarkeit zwar begrifflich erfasst werde, gleichwohl entspreche dies nicht der Erklärungsintention des Gerichtshofs; vgl. auch: Bayreuther, Sicherung, 72. 1082 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 23, 29. 1083 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 31 f. 1084 Der im vorigen Abschnitt dargestellte, bei weitem nicht abschließende Überblick über den rechtlichen Umgang mit der Interessenkollektivierung schwacher Soloselbstständiger und ihrem Verhältnis zum Wettbewerbsrecht, lässt den vorsichtigen Schluss zu, dass es sich um ein rechtsordnungsübergreifendes Problem handelt, das einfachen Lösungen kaum zugänglich ist. 1079

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krete Fall auch ohne abschließende Ausführungen zu dieser Einschränkung lösen. So sind die nachfolgenden Urteilspassagen bezogen auf den konkreten Sachverhalt und gerichtet an das vorlegende Gericht zu verstehen. Dort gibt der EuGH die Lösung des zu entscheidenden Falles vor und führt zweierlei Selbstverständlichkeiten aus: Erstens verliere ein Leistungserbringer die Unternehmenseigenschaft, „wenn er sein Verhalten auf dem Markt nicht selbständig bestimmt, sondern vollkommen abhängig von seinem Auftraggeber ist …“1085, zweitens sei der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff maßgebend, sodass ein Auseinanderfallen von nationaler und europäischer Qualifikation denkbar sei.1086 In der Folge hat der in der Rs. FNV Kunsten national zuständige Gerichtshof in Den Haag entsprechend dieser Vorgaben geprüft und festgestellt, dass die Aushilfsmusiker für die Dauer des Vertragsverhältnisses zu den Proben erscheinen müssen und dem Weisungsrecht des Dirigenten unterliegen, weshalb sie unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff fielen und i. d. S. „Scheinselbstständige“ seien.1087 Die abweichenden Ansichten1088 unterstellen, dass der Gerichtshof i. d. S. völlig irreführende Formulierungen gewählt hat, um zwei allgemein bekannte Aussagen zu bekräftigen: Art. 101 AEUV ist an Unternehmen adressiert und wer unionsrechtlich Arbeitnehmer ist, fällt im Hinblick auf entsprechende Vereinbarungen unter das Kartellkontrollprivileg.1089 Das ist nicht überzeugend. Naheliegend ist vielmehr, dass der EuGH in Anbetracht eines relativ eindeutigen Vorlagefalls lediglich zwei besonders klare Varianten der „Scheinselbstständigkeit“ dargelegt hat, ohne abschließend Stellung zu der Frage zu nehmen, wann eine solche aufgrund der Vergleichbarkeit mit Arbeitnehmern vorliegt. Mit dieser Erkenntnis ist freilich insoweit nicht viel gewonnen, als die Kriterien zur Vergleichbarkeit sich jedenfalls nicht unmittelbar den Ausführungen des Gerichtshofs entnehmen lassen.1090 Gleichwohl können diese als Ausgangspunkt weiterer Überlegungen dienen. Soweit auf den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff abgestellt wird, ergibt sich wenig Neues.1091 Allerdings eröffnet der EuGH eine weitere Argumentationslinie, die sich dem Unternehmensbegriff und dem Status des selbstständigen Leistungserbringers widmet. Hütter meint insoweit, die Vergleichbarkeit ergebe sich daraus, „dass der Scheinselbstständige ebenso wie der Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne als Be-

1085 1086

36.

EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 33. EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 34 –

1087 Gerechtshof Den Haag, Urt. v. 1.9.2015 – 200.082.997/01, ECLI:NL:GHDHA: 2015:2305, unter 2.6. 1088 Siehe oben Dritter Teil Fn. 1026 ff. 1089 Vgl. Bayreuther, Sicherung, 72. 1090 Ebenso: Mohr, EuZA 11 (2018), 436, 457; Goldmann, EuZA 8 (2015), 509, 514, wenn auch jeweils mit abweichenden Schlussfolgerungen. 1091 Siehe oben § 3 B. II. 4. c) zur Anwendung des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs auf Crowdworker.

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standteil der wirtschaftlichen Einheit [des Unternehmens] zu betrachten ist.“1092 Zuzustimmen ist dem zunächst dahingehend, dass der Gerichtshof den Begriff der Scheinselbstständigkeit als Oberbegriff versteht1093, unter den Konstellationen der Vergleichbarkeit zu subsumieren sind. Ihren Schlussfolgerungen1094 kann indes nicht gefolgt werden. So kommt es für die Frage der wirtschaftlichen Tätigkeit und der Einordnung von Crowdworkern als (selbstständige) wirtschaftliche Einheit maßgeblich auf deren teleologische Zuordnung zum Arbeitsmarkt bzw. zum Markt für Waren und Dienstleistungen an.1095 Die Frage der zutreffenden rechtlichen Perspektive ist dabei differenziert zu beantworten. Zunächst ist festzuhalten, dass in vielen Stellungnahmen nicht trennscharf zwischen unterschiedlichen Rechtsregimen und ihrem Zusammenspiel unterschieden wird. Der EuGH hat in den Rs. Albany und FNV Kunsten die Reichweite des Art. 101 AEUV bestimmt und dabei naturgemäß europarechtlich argumentiert. Die Frage, ob Arbeitnehmer, Arbeitnehmerähnliche oder Heimarbeiter nach deutschem Recht unter den vom Gerichtshof angewandten Begriff der Scheinselbstständigkeit fallen, war nicht Gegenstand der Entscheidungen. Den Ausgangspunkt der Auslegung dieses Begriffs bildet das europäische Recht, insbesondere in Gestalt von Art. 28 GRCh, der gewissermaßen Art. 101 AEUV gegenüberzustellen ist. Erst nachgeordnet ergibt sich, ob Leistungserbringer, die nach nationalem Recht als Arbeitnehmerähnliche oder Selbstständige zu qualifizieren wären, in den kartellprivilegierten Bereich kollektiver Interessenvertretung fallen. Dass Art. 28 GRCh seinerseits neben dem Unionsrecht auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten und damit auch auf Art. 9 Abs. 3 GG verweist, ändert hieran zunächst einmal nichts.1096 Der äußerst umstrittenen Frage des zulässigen Vereinbarungsgegenstandes muss im vorliegenden Kontext nicht weiter nachgegangen werden. Sieht man das Kriterium der Sozialpartnervereinigung als erfüllt an, so geht es hier inhaltlich vor allem um die Verbesserung der Kernarbeitsbedingungen von Crowdworkern, d. h. insbesondere des Arbeitsentgelts. Diese fallen nach allen Ansichten unter den privilegierten Vereinbarungsgegenstand. Nichtsdestoweniger sei angemerkt, dass eine Gesamtabwägung bei Regelungen mit Doppelwirkung im Hinblick auf die Beein-

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Vgl. insoweit: Hütter, ZfA 49 (2018), 552, 575 f., die entsprechende Kriterien durch eine „kartellrechtsspezifische“ Auslegung gewinnen will. 1093 Hütter, ZfA 49 (2018), 552, 575 f. 1094 Hütter, ZfA 49 (2018), 552, 576, so komme es nicht auf die Vergleichbarkeit mit Arbeitnehmern an; entscheidend sei allein, ob der Leistungserbringer eine wirtschaftliche Einheit mit seinem Auftraggeber bilde, was im Fall von Arbeitnehmerähnlichen oder Heimarbeitern nach deutschem Recht nicht gelte. 1095 Insoweit zutreffend: M. Fuchs, ZESAR 15 (2016), 297, 305 f.; Grillberger, DRdA 64 (2015), 162, 167. 1096 Siehe oben § 7 A. V. zum Verhältnis von Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 28 GRCh.

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trächtigung nachgeordneter Produktmärkte nicht überzeugen kann.1097 Vielmehr ist die Grundentscheidung zugunsten von Kollektivverhandlungen und -vereinbarungen zu respektieren und sind entsprechende Wettbewerbsbeeinträchtigungen auf nachfolgenden Märkten hinzunehmen. Erst wenn nicht mehr davon gesprochen werden kann, dass Beschäftigungs- und Arbeits- bzw. Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gefördert werden, kommt Wettbewerbsrecht zur Anwendung. Alles andere bedeutete eine unzulässige Verkürzung der grundrechtlich verbürgten Koalitionsfreiheit aus Art. 28 GRCh bzw. Art. 9 Abs. 3 GG.1098

C. Ausdehnung der Privilegierung auf Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Crowdworker Die Blanketterklärung eines Rechts auf Kartellierung für alle Soloselbstständigen hätte unerwünschte Nebeneffekte wie höhere Preise, schlechtere Qualität, weniger Innovation etc. Das Kartellprivileg muss deshalb möglichst rechtssicher begrenzt werden, ohne dabei wie der EuGH auf eine am Telos orientierte Scheidung von Kollektivarbeitsrecht und Wettbewerbsrecht, von Arbeitsmarkt und Gütermarkt, zu verzichten. Deshalb ist die FNV Kunsten-Entscheidung trotz der aufgezeigten Spielräume insofern abzulehnen, als sie Koalitionen bei der Interessenwahrnehmung alleinselbstständiger Crowdworker der Gefahr von Kartellverstößen (und entsprechender Geldbußen) aussetzt. Von einem übergeordneten Standpunkt betrachtet ähnelt die aktuelle Situation digitaler atypischer Beschäftigungsformen derjenigen des kollektiven Arbeitsrechts des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Historisch gab es kein Arbeits(schutz)recht und wo der Versuch unternommen wurde, Machtungleichgewichte durch Gegenmachtbildung zu kompensieren, wurde dies zu unterbinden versucht. Die rechtliche Legalisierung kollektiver Maßnahmen wurde mühsam und über Jahrzehnte hinweg erkämpft.1099 Handelte es sich insoweit um bloße historische Kontinuitäten, befänden sich die Entwicklungen um Crowdwork an der Schwelle der dritten von vier Stufen, hin zur rechtlichen Kompensation des Schutzdefizits der Beschäftigten. Die Aufspaltung oder Atomisierung von Marktbeziehungen mithilfe von Plattformen hat auf der ersten Stufe zu Machtungleichgewichten geführt, denen erste kompensierende Kollektivierungsbestrebungen der unterlegenen Seite folgen.1100 Auf der zweiten Stufe beschäftigen sich im Rahmen der Gig-Economy und darüber hinaus Gerichte 1097 Vgl. Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 112. 1098 Vgl. Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 109 ff.; ähnlich: C. Schubert, ZfA 44 (2013), 1, 36 f., die sich indes für eine Gesamtabwägung ausspricht. 1099 Siehe oben § 7 A. III., IV. 2. ausführlich zur historischen Entwicklung. 1100 Siehe oben § 8 A. IV. exemplarisch zu Kollektivierungstendenzen der Crowdworker.

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mit entsprechenden Problemstellungen.1101 Vereinzelt, jüngst jedoch spürbar häufiger und umfassender, erreichen auf der dritten Stufe die Konflikte um neue Beschäftigungsformen die Politik und damit potentiell die Legislative.1102 Auf der vierten Stufe käme es zu einer rechtlichen Einhegung der bestehenden Probleme.1103 Aus Sicht des Kartellrechts wird mit dem Recht zur Vermachtung freilich versucht den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Der Wettbewerb ist indes nicht alleiniges Grundprinzip und entscheidender Wert der Rechts- und Lebenswirklichkeit.1104 So wie sich auf dem Gebiet des Güter- und Dienstleistungsmarktes entgegen aller Kritik das Wettbewerbsprinzip durchgesetzt hat, hat sich auf dem Arbeitsmarkt das Gegenmachtprinzip etabliert.1105 Die Bestimmung der Reichweite des Kartellprivilegs ist also nicht vom Primat des Wettbewerbs ausgehend zu beantworten. Vielmehr ist von einem neutralen Standpunkt aus nach Sinn und Zweck der jeweilige Gegenstand dem Kartellrecht oder der Kollektivautonomie zuzuordnen. Schon 1963 hat dies der US-amerikanische Jurist Winter treffend ausgedrückt: „If we lived in a one-value society, and that value were competition, little more need, or could be said. Collective bargaining would be sacrificed in the name of competition. But so long as we desire to opt for pluralism, voluntarism, and consent rather than coercion, we will always be faced with the need to accommodate clashes between competing values and claims at the least cost to the society as a whole.“1106 1101 Siehe oben § 3 A. II. 4. b) zu ersten Urteilen insb. im Zusammenhang mit Uber und Deliveroo. 1102 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Weissbuch Arbeiten 4.0, 42 ff.; Europäische Kommission, Europäische Agenda für die kollaborative Wirtschaft, 6 ff.; zuletzt verstärken sich die Bemühungen der Politik auf nationaler wie europäischer Ebene bzgl. Plattformbeschäftigung, vgl. Europäische Kommission, Shaping Europe’s digital future, 4, „… legal protections for people who do not have a worker status yet who share some of the vulnerabilities of workers“; sowie das von der EU-Kommission initiierte öffentliche Konsultationsverfahren zum Digital-Services-Act, das sich explizit auch mit der Frage der Vereinbarkeit von Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Plattformbeschäftigter und EU-Kartellrecht befasst, vgl. Pressemitteilung der Kommission vom 30.6.2020, Competition: The European Commission launches a process to address the issue of collective bargaining for the selfemployed; siehe auch: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Begleitband Ratsvorsitz DE 2020, 278 ff., bzgl. der dort im Oktober 2018 eingerichteten Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft, die durchaus konkrete Handlungsspielräume für gute Plattformarbeit auszuloten scheint, etwa Labs zu diesem Themebereich durchführt; Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 2312 (2019) The societal impact of the platform economy vom 29.11.2019, unter 5. ff., zu Handlungsempfehlungen bzgl. der „platformisation of work“. 1103 Vgl. zu historischen Parallelen: Johnston/Land-Kazlauskas, Organizing on-demand: Representation, voice, and collective bargaining in the gig economy, 26; Schiek/Gideon, International Review of Law, Computers & Technology 37 (2018), 1, 10. 1104 Vgl. Krause, Tarifverträge zur Begrenzung der Leiharbeit und zur Durchsetzung von Equal Pay, 110; siehe auch: Wielsch, AcP 213 (2013), 718, 729 f. „… kann der … gesellschaftliche Steuerungsmechanismus des Wettbewerbs die in ihn gesetzten Erwartungen … nur unzureichend erfüllen …, geht [er] doch einher mit zahlreichen Kollateralschäden …“. 1105 Vgl. nur: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 188 ff.; Kocher, in: Möslein (Hrsg.), Private Macht, S. 241, 253 ff. 1106 R.K. Winter Jr., Yale L.J. 73 (1963), 14, 23 f.

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Um diese Zuordnung vornehmen zu können, wird die Frage akut, ob schutzwürdige soloselbstständige Crowdworker Träger des Grundrechts aus Art. 28 GRCh sind. Zwar bezieht sich der Wortlaut ausdrücklich auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer, außerdem wurde festgestellt, dass sich Crowdworker mangels Weisungsbindung nicht eindeutig unter „den“ europäischen Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV1107 subsumieren lassen.1108 Dem steht jedoch entgegen, dass der EuGH wie gezeigt in der FNV Kunsten-Entscheidung Raum für die Einbeziehung Arbeitnehmern vergleichbarer Selbstständiger gesehen hat,1109 was über den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff hinausweist. Hinzu tritt der Verweis des Art. 28 GRCh auf die nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Hinblick auf den Gewährleistungsinhalt sowie die fehlende positive Kompetenz der EU für das Koalitionsrecht nach Art. 153 Abs. 5 AEUV, die dafür sprechen, dass überall dort, wo Begriffe nicht abschließend unionsautonom ausgefüllt werden, die nationalrechtlichen Wertungen zum Tragen kommen.1110 Ferner spricht der Verweis auf die EMRK in Art. 53 Abs. 3 GRCh dafür, das Recht auf Kollektivverhandlungen als universales Menschenrecht nicht zu eng zu interpretieren und allein vom Status oder der Weisungsbindung abhängig zu machen.1111 Anderenfalls läge in Art. 28 GRCh die verengende Reproduktion einer nationalen Freiheit auf Unionsebene1112, die vorliegend mit einer Absenkung des Schutzniveaus verbunden wäre. Umgekehrt legt Art. 28 GRCh einen grund- und menschenrechtlichen Mindeststandard i. V. m. der EMRK fest und schützt auf Unionsebene in erster Linie jedenfalls das, was nationalrechtlich vom Schutzbereich erfasst wird.1113 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Annahme eines „kartellrechtlich-induzierten Unionstarifrechts“.1114 Die unionsautonome Festlegung der Reichweite des Kartellkontrollprivilegs ist nicht geeignet „über die Bande gespielt“ den Geltungsbereich des Art. 28 GRCh abzustecken. Das für den nationalen Kontext nachgewiesene Schutzbedürfnis wirt1107 Dieser soll maßgebend sein: EuArbR/C. Schubert, Art. 28 GRC Rn. 17; Stern/Sachs GRCh/Rixen/Scharl, Art. 28 GRCh Rn. 5; Thüsing/Traut, RdA 65 (2012), 65, 71; Sagan, Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen – Eine dogmatische Analyse des Art. 28 der Europäischen Grundrechtecharta, 148 ff.; Preis/Sagan/Pötters, § 3 Rn. 3.74. 1108 Siehe oben § 3 B. II. 4. c). 1109 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 31. 1110 In diese Richtung geht die Interpretation als Ausgestaltungsvorbehalt: U. Lembke, in: Groeben/J. Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 28 GRCh Rn. 9 f.; Bourazeri, Tarifautonomie und Wirtschaftskrise, 276; Stern/Sachs GRCh/Rixen/Scharl, Art. 28 GRCh Rn. 12; Thüsing/Traut, RdA 65 (2012), 65, 69 f.; ähnlich: Preis/Sagan/Pötters, § 3 Rn. 3.75. 1111 Stefano, INDLAW 45 (2016), 185, 195. 1112 Vgl. Kempen, GS Zachert, S. 15, 25. 1113 Rebhahn, in: Grabenwarter (Hrsg.), Europäischer Grundrechteschutz, § 16 Rn. 38, 46 f. spricht von „Schildfunktion“; Wirkung wie „Scharnier“ für nationalrechtlich zulässige Kollektivaktionen auf europäischer Ebene: Thüsing/Traut, RdA 65 (2012), 65, 70; Stern/Sachs GRCh/Rixen/Scharl, Art. 28 GRCh Rn. 12; Junker, EuZA 7 (2014), 1, 9 f. verweist jedenfalls inhaltlich auf die nationalen Rechtsordnungen. 1114 Latzel/Serr, EuZW 25 (2014), 410, 411 f.

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schaftlich von mehreren Auftraggebern abhängiger individuell verhandlungsschwacher Crowdworker1115 setzt sich insofern auf Unionsebene fort. Danach sind auch wirtschaftlich abhängige soloselbstständige Crowdworker aufgrund ihrer Arbeitnehmern vergleichbaren Schutzbedürftigkeit Träger des Grundrechts aus Art. 28 GRCh.1116 Der EuGH liefert wie gezeigt keine Kriterien zur Ermittlung der Vergleichbarkeit Scheinselbstständiger mit Arbeitnehmern. Er hält vielmehr im Rahmen des Art. 101 AEUV an einem relativ weiten, funktionalen Unternehmensbegriff fest1117, während er gleichzeitig einen eher engen Arbeitnehmerbegriff, der auf die Weisungsbindung abhebt, verwendet.1118 Das mag den Friktionen geschuldet sein, die eine Neujustierung dieser Begriffe nicht zuletzt aus Rechtssicherheitserwägungen mit sich brächte. Nichtsdestoweniger versäumt der Gerichtshof es, die entscheidenden Erwägungen anzustellen. Maßgeblich ist Art. 28 GRCh, der sich inhaltlich nach den nationalen Rechtsordnungen richtet und der Kompensation individueller Verhandlungsschwäche aufgrund asymmetrischer Machtverhältnisse durch Gegenmachtbildung dient. Dieses Bedürfnis betrifft alleintätige Selbstständige im Rahmen der Aufspaltung der Marktbeziehungen über Plattformen weitgehend unabhängig von persönlicher Abhängigkeit (Weisungsbindung).1119 Diesem Bedürfnis kann auch nicht effektiv mit einer Entmachtung der Crowdsourcer bzw. Plattformen gegenüber den Crowdworkern begegnet werden1120, weil Crowdwork strukturell gerade asymmetrische Marktbeziehungen kultiviert. Auf der einen Seite stehen die gut informierten Auftraggeber, die ihrerseits die Preise festsetzen, auf der anderen Seite die potentiell grenzenlose anonyme und uninformierte Crowd, der keine Verhandlungsmöglichkeiten zukommen und deren Kollektivmaßnahmen zur Preisverhandlung wettbewerbsrechtlich problematisch erscheinen.1121

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Siehe oben § 7 A. IV. 2. ausführlich zur Grundrechtsträgerschaft iRv Art. 9 Abs. 3 GG. Ebenso offen: Heuschmid, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 34; NK-GA/Heuschmid/Lörcher, Art. 28 GRCh Rn. 8 sowie Art. 15 GRCh Rn. 6; Heuschmid/Hlava, AuR 65 (2015), 193, 194 f.; ähnlich: Klebe, AuR 64 (2016), 277, 280 f.; Heuschmid/Klebe, FS Kohte, S. 73, 81; Bayreuther, Sicherung, 73 f.; Klapperich, NZKart 8 (2020), 125, 127 f.; a. A. Rebhahn, in: Grabenwarter (Hrsg.), Europäischer Grundrechteschutz, § 16 Rn. 65, offener aber Rn. 73; EuArbR/C. Schubert, Art. 28 GRC Rn. 17 f.; C. Schubert, FS Klebe, S. 351, 354, die für Arbeitnehmerähnliche auf die Berufsfreiheit in Art. 15 GRCh verweist, um ein Kartellkontrollprivileg zu begründen; Jarass, in: Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 28 GRCh Rn. 10, sowie die Nachweise in Fn. 1030 f. im Dritten Teil. 1117 Siehe aber: M. Fuchs, ZESAR 15 (2016), 297, 305, der gerade die fehlerhafte Anwendung des funktionalen Unternehemensbegriffs bemängelt. 1118 EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – C-413/13 (FNV Kunsten), ECLI:EU:C:2014:2411, Rn. 33 ff. 1119 Siehe oben § 7 A. IV. 2. zum vergleichbaren Schutzbedürfnis. 1120 Siehe oben § 4 A. II. 1121 Zur Preisfestsetzung bei Uber: Paul, BJELL 38 (2017), 233 ff.; zur künstlichen Verschiebung des wirtschaftlichen Risikos auf die Crowdworker: Schiek/Gideon, International Review of Law, Computers & Technology 37 (2018), 1, 13 f. 1116

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Konstruktiv ließe sich alldem mit einer teleologischen Reduktion des Art. 101 Abs. 1 AEUV1122 ebenso Rechnung tragen wie mit der Modifikation der unionsrechtlichen Begriffe.1123 Vieles spricht indes dafür, dass schon über Art. 28 GRCh die nationalen Wertungen Einzug in die Prüfung der Vergleichbarkeit der Scheinselbstständigen mit Arbeitnehmern durch die nationalen Gerichte halten könnten. Damit böte die FNV Kunsten-Entscheidung einen Weg zur kartellrechtlichen Privilegierung der Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Crowdworker i. S. d. Albany-Doktrin. Eine Konkretisierung der Rechtsprechung ist gleichwohl angezeigt, um Kollektivmaßnahmen gar nicht erst dem Verdacht der Kartellrechtsverletzung auszusetzen. Hierzu könnte rechtspolitisch auch eine entsprechende Positionierung der Europäischen Kommission beitragen, die derzeit in einem Konsultationsverfahren zum Digital-Services-Act, u. a. der Frage nach der Vereinbarkeit von Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Plattformbeschäftigter und EU-Kartellrecht nachgeht.1124 Zuletzt sei angemerkt, dass selbst wenn man die EuGH-Rechtsprechung restriktiv verstehen und die vorgebrachten Argumente ignorieren will, schuldrechtliche Koalitionsverträge von Crowdworker-Verbänden und hierauf gerichtete Arbeitskampfmaßnahmen oftmals nicht geeignet sein dürften, den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten potentiell spürbar1125 zu beeinträchtigen. Solche Vereinbarungen mit nur geringen Marktanteilen bleiben in dieser Hinsicht kartellrechtsneutral; das gilt erst recht für nur einseitige Empfehlungen.1126 Der Anbieterwettbewerb auf Seiten der Crowdworker wird nur partiell und rechtlich nicht bindend eingeschränkt. Gleiches gilt für den Nachfragerwettbewerb der Crowdsourcer und Plattformen, die weiterhin in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Ein Zusammenschluss mehrerer „Mikro-Unternehmer“ bleibt ein Mikro-Unternehmen, dem nicht mit der vollen Härte des Kartellrechts begegnet werden müsste, das in erster Linie auf Verhaltensweisen großer Unternehmen zielt.1127 Diesen Gedanken ließe sich auch bei re1122 Grillberger, DRdA 64 (2015), 162, 167; M. Fuchs, ZESAR 15 (2016), 297, 306; ähnlich: Mosler, wbl 30 (2016), 774, 778. 1123 Erwägend: Mühlbach, Tarifverträge in der europäischen Kartellkontrolle, 127, 133; M. Fuchs, ZESAR 15 (2016), 297, 305 meint, dass im Fall FNV Kunsten ein funktionaler Unternehmensbegriff die Gewerkschaft als Unternehmen ausschließt; ähnlich: Schiek/Gideon, International Review of Law, Computers & Technology 37 (2018), 1, 12 ff. 1124 Vgl. Pressemitteilung der Kommission vom 30.6.2020, Competition: The European Commission launches a process to address the issue of collective bargaining for the selfemployed; siehe auch: Europäische Kommission, Shaping Europe’s digital future, 4; in diese Richtung auch: Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 2312 (2019) The societal impact of the platform economy vom 29.11.2019, unter 5. ff., mit Handlungsempfehlungen bzgl. der „platformisation of work“ und unter Verweis auf den Report vom 25.10.2019 (Doc. 15001), der unter 38. explizit „Ensuring the freedom of association and collective bargaining rights for crowdworkers“ erwähnt. 1125 Zu Bagatellfällen: Langen/Bunte/Hengst, Art. 101 AEUV Rn. 242 ff. m. w. N. 1126 Bayreuther, Sicherung, 76. 1127 Schiek/Gideon, International Review of Law, Computers & Technology 37 (2018), 1, 11 f.; i. E. auch: Waltermann, RdA 72 (2019), 94, 100; in diese Richtung auch: Waltermann, FS

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

striktivem Verständnis dogmatisch Leben einhauchen, indem man eine tatbestandliche Restriktion nach Vorbild der rule of reason annimmt, die in den Vereinigten Staaten im antitrust law eine Gesamtabwägung zwischen wettbewerbsfördernden und -beschränkenden Aspekten einer Vereinbarung ermöglicht.1128 Eine solche Übertragung der Rechtsfigur in den Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV wird unter Berücksichtigung der auch hier nicht eindeutigen Rechtsprechung des EuGH1129 verschiedentlich diskutiert1130, wobei überwiegend angenommen wird, dass es nicht allein um eine wettbewerbliche Bilanzierung geht, sondern vielmehr um eine grundlegendere Beschränkung des weiten Tatbestandes.1131 So verstanden käme es auf den Gesamtzusammenhang einer wettbewerbsbeschränkenden Maßnahme an, die neben den Umständen des Zustandekommens auch die verfolgten Ziele und Wirkungen berücksichtigt.1132 Übertragen auf Koalitionsverträge bei Crowdwork ginge es bei der Festsetzung von Mindestentgelten gerade um die Ausschaltung des Unterbietungswettbewerbs auf Anbieterseite, sodass eine wettbewerbliche Bilanz jedenfalls keine tatbestandliche Einschränkung wegen positiver Auswirkungen auf den Wettbewerb begründen könnte. Eine Gesamtabwägung der sozialpolitischen Umstände und Ziele, insbesondere im Hinblick auf Art. 28 GRCh und das Ziel der Verhinderung von Sozialdumping unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Art. 101 AEUV, liefe auf die bereits erwähnte teleologische Reduktion dieses Tatbestandes hinaus. Insgesamt erscheint die Rechtsfigur der rule of reason nicht geeignet, eine eigenständige tatbestandliche Begrenzung des Kartellverbotes für den hier interessierenden Bereich zu gewährleisten.

Moll, S. 727, 736; Kilhoffer/Lenaerts/Hauben u. a., Study to gather evidence on the working conditions of platform workers, 250; anders wohl Bourazeri, NZA 36 (2019), 741, 745. 1128 Zur Entwicklung im US-amerikanischen Recht, sowie zur Übertragung auf das europäische Recht: Viol, Die Anwendbarkeit des Europäischen Kartellrechts auf Tarifverträge, 47 ff., insb. 110 f. 1129 Gegen die Existenz einer rule of reason im Unionsrecht z. B.: EuG, Urt. v. 18.9.2001 – T112/99 (Métropole télévision), ECLI:EU:T:2001:215, Rn. 72 ff.; EuG, Urt. v. 24.5.2012 – T111/08 (Mastercard), ECLI:EU:T:2012:260, Rn. 80; offener, wenn auch auf den Gesamtzusammenhang abstellend, statt eine wettbewerbliche Bilanz vornehmend: EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-309/99 (Wouters), ECLI:EU:C:2002:98, Rn. 97; ebenso: EuGH, Urt. v. 18.7.2013 – C-136/12 (Consiglio Nazionale dei Geologi), ECLI:EU:C:2013:489, Rn. 53. 1130 Im Crowdwork-Kontext: Bayreuther, Sicherung, 77 f.; Schiek/Gideon, International Review of Law, Computers & Technology 37 (2018), 1, 14 f.; allgemein: Langen/Bunte/Hengst, Art. 101 AEUV Rn. 195 ff.; Immenga/Mestmäcker/D. Zimmer, Art. 101 AEUV Rn. 148 ff. 1131 In diese Richtung und kritisch gegenüber einer Übertragung der rule of reason nach ihrem eigentlichen Sinn: Callies/Ruffert/Weiß, Art. 101 AEUV Rn. 113 f.; Viol, Die Anwendbarkeit des Europäischen Kartellrechts auf Tarifverträge, 273 ff.; LMRKM/Grave/Nyberg, Art. 101 AEUV Rn. 285 ff.; für eine rein wettbewerbliche Bilanz: Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 101 AEUV Rn. 20. 1132 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-309/99 (Wouters), ECLI:EU:C:2002:98, Rn. 97; EuGH, Urt. v. 18.7.2013 – C-136/12 (Consiglio Nazionale dei Geologi), ECLI:EU:C:2013:489, Rn. 53.

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D. Grenzen der Privilegierung Grundsätzlich hält der EuGH es für möglich, dass auch bei Anwendung der Albany-Doktrin auf einen Kollektivvertrag nach Art. 101 AEUV eine darüber hinausgehende Verletzung des Art. 102 AEUV wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung vorliegen kann.1133 Parallel dazu könnten Kollektivaktionen Verstöße gegen §§ 19, 21 GWB oder § 4 UWG darstellen. Schon tatbestandlich scheiden diese Vorschriften in aller Regel aus. Lauterkeitsrechtlich muss es sich etwa beim Boykott nach § 4 Nr. 4 UWG um eine geschäftliche Handlung unter Mitbewerbern gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 3 UWG handeln1134, was bei Arbeitskampfmaßnahmen zwischen Crowdworker-Verbänden bzw. Gewerkschaften und den auf der Marktgegenseite befindlichen Plattformen oder Crowdsourcern nicht der Fall ist. Das kartellrechtliche Boykottverbot erfordert das Zusammenspiel dreier Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen zwecks „unbilliger“ Beeinträchtigung.1135 Rechtmäßige Arbeitskampfmaßnahmen zielen unter Berücksichtigung der Art. 9 Abs. 3 GG, 28 GRCh gerade nicht auf eine i. d. S. unbillige Beeinträchtigung ab. Auch die für §§ 19 f. GWB, 102 AEUV notwendige missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein Unternehmen wird durch Crowdworker-Verbände nicht erreicht werden.1136 Der Zusammenschluss dient gerade der Kompensation des Machtungleichgewichts zwischen einzelnen Crowdworkern und ihren Auftraggebern. Würde hierdurch per se eine marktbeherrschende Stellung erreicht, stellte dies die Verhältnisse auf den Kopf. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Subsumtion unter Art. 9 Abs. 3 GG, Art. 28 GRCh und die rechtmäßige Ausübung der verbürgten Kollektivrechte nicht gleichzeitig durch die genannten wettbewerbsrechtlichen Verbotsnormen sanktioniert werden. Selbst wenn die Verbotsnormen im Einzelfall tatbestandlich erfüllt wären, käme es innerhalb der aufgezeigten Grenzen zur Rechtfertigung. Letztlich soll im Rahmen der beiderseitigen Kollektivautonomie ein gleichgewichtiges Aushandeln der Arbeitsbedingungen sichergestellt werden.

E. Zwischenergebnis Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Crowdworker unterfallen nicht Art. 101 AEUV, sondern sind nach Art. 28 GRCh i. V. m. Art. 9 Abs. 3 GG, soweit 1133

EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – C-67/96 (Albany), ECLI:EU:C:1999:430, Rn. 71 ff.; siehe auch: Kordel, Arbeitsmarkt und Europäisches Kartellrecht, 256 f.; Höpfner, Die Tarifgeltung im Arbeitsverhältnis, 586. 1134 Näher: KBF/H. Köhler, § 2 UWG Rn. 10 ff., 90 ff.; zu Plattformen als Mitbewerber außerhalb des arbeitsrechtlichen Kontexts: Engert, AcP 218 (2018), 304, 317 ff. 1135 Immenga/Mestmäcker/Markert, § 21 GWB Rn. 8, 37, das Kriterium der Unbilligkeit fordert eine Interessenabwägung; Bechtold/Bosch, in: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 21 GWB Rn. 7 f. 1136 Siehe oben § 4 A. II. zu den Voraussetzungen.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

sie der Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen, privilegiert. Dafür bietet die Rechtsprechung des EuGH in der Rs. FNV Kunsten im Rahmen der Prüfung der Scheinselbstständigkeit einen Anknüpfungspunkt.

§ 10 Grenzziehung durch europäische Grundfreiheiten Zuletzt könnten die europäischen Grundfreiheiten, insbesondere die Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49, 56 AEUV, Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Crowdworker gegenüber Plattformbetreibern, Crowdsourcern bzw. deren Verbänden, im zwischenstaatlichen Bereich Grenzen setzen. Dabei sind im Kontext der bereits erwähnten1137 Rs. Viking und Laval verschiedene grundlegende Fragen bzgl. der Auswirkungen der Grundfreiheiten auf das kollektive Arbeitsrecht aufgeworfen. Den gedanklichen Ausgangspunkt der Überlegungen bilden dabei erneut Maßnahmen klassischer Arbeitnehmervereinigungen und deren mögliche Kollision mit den Grundfreiheiten. Bei alledem soll hier nicht der Versuch unternommen werden, der umfangreichen Kritik an der extensiven Rechtsprechung des EuGH im Einzelnen nachzugehen1138, sondern die im Crowdwork-Kontext relevanten Fragen zu beantworten.

A. Grundsätze Hauptanliegen der primärrechtlichen Grundfreiheiten ist es, einen Binnenmarkt zu schaffen (Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV), auf dem Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital frei von staatlicher Beeinträchtigung zirkulieren können.1139 Ausgehend von dieser Zielvorstellung hat sich die Anwendungspraxis der Grundfreiheiten in zweierlei Hinsicht extensiv entwickelt. Erstens wirken sie zwar vertikal und binden unstreitig die Mitgliedstaaten1140 sowie die Organe der Union1141, da vor allem diese die Macht haben, normative bzw. administrative Begrenzungen der Grundfreiheiten 1137

Siehe oben § 7 C. II. 2. c) cc). Einen aktuellen kritischen Überblick insbesondere aus arbeitsrechtlicher Perspektive, jeweils m. v. w. N. bei: Ulber/Wiegandt, Die Bindung von Arbeitnehmervereinigungen an die europäischen Grundfreiheiten, 55 ff.; Heuschmid, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 81 ff.; positiver: Skouris, in: Ellger/Schweitzer (Hrsg.), Die Verfassung der europäischen Wirtschaft, S. 53, 54 ff.; Bourazeri, Tarifautonomie und Wirtschaftskrise, 313 f. 1139 Näher zum Binnenmarkt: Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 8 ff.; R. Streinz, in: Bernhardt/Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, § 152 Rn. 1 ff. m. w. N. 1140 Vgl. nur: EuGH, Urt. v. 5.2.1963 – C-26/62 (Van Gend en Loos), ECLI:EU:C:1963:1. 1141 Müller-Graff, in: R. Streinz/Michl (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 56 AEUV Rn. 63; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 81 ff. 1138

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aufzustellen. Der grundsätzlichen Erwägung folgend, dass das Verbot staatlicher Beeinträchtigung nicht durch von privatrechtlichen Vereinigungen kraft Verbandsautonomie gesetzte Regelungen unterlaufen werden dürfe, entwickelte der EuGH jedoch im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Art. 45 AEUV später auch für die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit Horizontalwirkung bzgl. privater Verbände.1142 Die Entscheidungen betrafen beschränkende verbands- bzw. vereinsinterne Regelungen von Sportverbänden bzw. in der Rs. Wouters einer Rechtsanwaltskammer, die funktional „gesetzesähnlichen“ Regelungen durch die Mitgliedstaaten entsprachen.1143 Weitergehend hat der Gerichtshof die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch auf individualvertragliche Vereinbarungen angewandt1144, was sich erneut der funktionalen Äquivalenz derartiger Beschränkungen und staatlicher Maßnahmen aufgrund des Subordinationsverhältnisses im Rahmen von abhängiger Beschäftigung zuschreiben lässt.1145 Nach alledem sind auch die Kollektivvertragsparteien an die Grundfreiheiten gebunden, jedenfalls soweit sie „… die abhängige Erwerbsarbeit, die selbständige Arbeit und die Erbringung von Dienstleistungen kollektiv regeln …“.1146 Diese Ausdehnung in horizontaler Hinsicht entspricht der wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum, wobei aber nicht wenige Stimmen eine solche generell ablehnen, bzw. bestimmte Differenzierungen, etwa zwischen Diskriminierungen und Beschränkungen, fordern.1147 Zweitens wurden die Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten weiterentwickelt. In diesem Sinne verbieten etwa Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nicht nur Diskriminierungen, sondern alle Maßnahmen, die die Ausübung der je1142 EuGH, Urt. v. 12.12.1974 – C-36/74 (Walrave), ECLI:EU:C:1974:140, Rn. 16/19; EuGH, Urt. v. 14.7.1976 – C-13/76 (Donà), ECLI:EU:C:1976:115, Rn. 17/18; EuGH, Urt. v. 15.12.1995 – C-415/93 (Bosman), ECLI:EU:C:1995:463, Rn. 83 f.; EuGH, Urt. v. 16.3.2010 – C-325/08 (Olympique Lyonnais), ECLI:EU:C:2010:143, Rn. 30 f.; Dienstleistungsfreiheit: EuGH, Urt. v. 11.4.2000 – C-51/96 verb. mit C-191/97 (Deliège), ECLI:EU:C:2000:199, Rn. 47 ff.; Niederlassungsfreiheit: EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-309/99 (Wouters), ECLI:EU:C:2002:98, Rn. 120 ff.; Junker, FS Carl Heymanns Verlag, S. 65, 72 f. 1143 Vgl. Callies/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 112; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 642, 682 f. 1144 EuGH, Urt. v. 6.6.2000 – C-281/98 (Angonese), ECLI:EU:C:2000:296, Rn. 34 f.; EuGH, Urt. v. 17.7.2008 – C-94/07 (Raccanelli), ECLI:EU:C:2008:425, Rn. 45. 1145 Vgl. Ulber/Wiegandt, Die Bindung von Arbeitnehmervereinigungen an die europäischen Grundfreiheiten, 36. 1146 Seit EuGH, Urt. v. 12.12.1974 – C-36/74 (Walrave), ECLI:EU:C:1974:140, Rn. 16/19; EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 33, 61; zur Auswirkung auf Tarifverträge: Löwisch/Rieble, in: dies. (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, § 1 TVG Rn. 676; ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 8. 1147 Callies/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 113; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 45 AEUV Rn. 165 ff.; Callies/Ruffert/ Kluth, Art. 57 AEUV Rn. 46 ff.; Müller-Graff, in: R. Streinz/Michl (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 56 AEUV Rn. 65 ff.; Ulber/Wiegandt, Die Bindung von Arbeitnehmervereinigungen an die europäischen Grundfreiheiten, 24, jeweils m. w. N. zu den unterschiedlichen Ansichten; ausführlich bereits: Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 721 ff.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

weiligen Freiheit „unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen“.1148 Dieser tatbestandlich denkbar weiteste Beschränkungsbegriff zog in der Folge sowohl seitens des Gerichtshofs1149 als auch in der Literatur Bemühungen einer sinnvollen Grenzziehung nach sich.1150 In den Rs. Viking und Laval trat die Besonderheit hinzu, dass es sich um (faktische) Arbeitskampfmaßnahmen und nicht um abgeschlossene Kollektivvereinbarungen handelte. Ersterer lag die Verlagerung eines Betriebes (Umflaggen eines Schiffes) in einen Mitgliedstaat mit geringeren Lohnkosten durch ein finnisches Fährunternehmen (Viking Line) zugrunde. Dieses Vorgehen lehnte die finnische Gewerkschaft für Seeleute (FSU) ab, drohte mit Arbeitskampfmaßnahmen und veranlasste die internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF), in der neben der FSU 600 Gewerkschaften aus 140 Ländern organisiert waren, in einem Rundschreiben ihre Mitglieder aufzurufen, nicht mit Viking Line zu verhandeln. Der Sache nach handelte es sich um einen Boykottaufruf1151, der allerdings allein intern publiziert wurde, womit im konkreten Fall wegen der Größe der Organisation gleichwohl erhebliche Wirkungen verbunden waren. Der mit der Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit der Niederlassungsfreiheit befasste EuGH sah entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung den Anwendungsbereich des Art. 49 AEUV als eröffnet an. Durch den engen Bezug kollektiver Kampfmaßnahmen zum Tarifvertrag fielen diese ebenfalls in den Anwendungsbereich des Art. 49 AEUV.1152 Etwas anderes ergebe sich weder aus Art. 153 Abs. 5 AEUV, der nicht von der Beachtung des Unionsrechts auch außerhalb deren Zuständigkeit befreie, noch aus der Rs. Albany, deren Grundsätze nicht übertragbar seien.1153 Zwar sei das Recht auf Kollektivmaßnahmen einschließlich des Streikrechts auch unionsrechtlich als Grundrecht anzuerkennen (nunmehr Art. 28 GRCh), daraus folge jedoch kein Herausfallen aus 1148 StRspr exemplarisch: EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94 (Gebhard), ECLI:EU:C:1995:411, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 31.3.1993 – C-19/92 (Kraus), ECLI:EU:C:1993:125, Rn. 32; EuGH, Urt. v. 15.1.2002 – C-439/99 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:2002:14, Rn. 22; EuGH, Urt. v. 21.12.2016 – C-201/15 (AGET Iraklis), ECLI:EU:C:2016:972, Rn. 48; Ausgangspunkt iRd Warenverkehrsfreiheit: EuGH, Urt. v. 11.7.1974 – C-8/74 (Dassonville), ECLI:EU:C:1974:82, Rn. 5, eine Beschränkung ist danach „jede Handelsregelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.“; siehe auch: Callies/Ruffert/Kluth, Art. 57 AEUV Rn. 57 ff.; Müller-Graff, in: R. Streinz/Michl (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 56 AEUV Rn. 85 ff.; Callies/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 57 ff. 1149 EuGH, Urt. v. 24.11.1993 – C-267/91 (Keck), ECLI:EU:C:1993:905, Rn. 16 f., wonach iRd Warenverkehrsfreiheit die Festlegung bloßer Verkaufsmodalitäten nicht geeignet sei, den Marktzugang zu sperren oder stärker als für inländische Waren zu behindern; siehe bereits die Erweiterung der Rechtfertigungsmöglichkeiten: EuGH, Urt. v. 20.2.1979 – C-120/78 (Cassis de Dijon), ECLI:EU:C:1979:42, Rn. 8. 1150 Vgl. Bachmann, AcP 210 (2010), 424, 429 ff.; Callies/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 61 ff. m. w. N. 1151 Siehe oben § 8 B. IV. 2. d) zum Boykott. 1152 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 35 – 37. 1153 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 40, 48 ff.

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dem Anwendungsbereich des Art. 49 AEUV.1154 Ferner könne sich ein privates Unternehmen gegenüber einer Gewerkschaft auch auf eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit berufen, dabei sei die Horizontalwirkung nicht auf Vereinigungen beschränkt, „die eine Regelungsfunktion wahrnehmen und über quasilegislative Befugnisse verfügen.“1155 Hinsichtlich der Rechtfertigung forderte der Gerichtshof das Vorliegen zwingender Gründe des Allgemeininteresses sowie eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung der Maßnahme, innerhalb derer die Grundfreiheit mit den Zielen der Sozialpolitik abgewogen werden müsse.1156 In diesem Zusammenhang stelle der Arbeitnehmerschutz grundsätzlich ein berechtigtes Interesse dar, das entsprechende Berechtigungen rechtfertigen könne, allerdings nur sofern die fraglichen Arbeitsplätze gefährdet oder ernstlich bedroht seien.1157 Auch in der Rs. Laval ging es um Arbeitskampfmaßnahmen, die eine schwedische Gewerkschaft gegen ein lettisches Unternehmen führte, das Arbeitnehmer zwecks Bauleistungen nach Schweden entsandt hatte. Ziel war es, einen Tarifvertrag nach schwedischen Konditionen abzuschließen, obwohl bereits ein Tarifvertrag zu (schlechteren) lettischen Konditionen bestand. Als Kampfmittel setze die Gewerkschaft der Sache nach eine Betriebsblockade1158 ein, indem sie die relevante Baustelle absperrte, Streikposten aufstellte und Elektrikerleistungen auf der Baustelle verhinderte (Sympathiekampfmaßnahmen). Im Anschluss an Erwägungen zur Entsende-RL (96/71/EG) prüft der EuGH weitgehend parallel zur Viking-Entscheidung eine Beschränkung der Grundfreiheiten, hier der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV.1159 Bei der Blockade handele es sich um eine Beschränkung dieser Freiheit, die ggfs. aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt sein könne, was vorliegend indes daran scheitere, dass bzgl. der angestrebten Regelungen bereits eine gesetzliche Koordinierung aufgrund der Entsenderichtlinie erfolgt sei, die ein Mindestschutzniveau festlege.1160 Die schwedische Regelung, die Kampfmaßnahmen gegen ausländische Arbeitgeber privilegiere, stelle eine unmittelbare Diskriminierung i. S. v. Art. 56 AEUV dar, die hier nicht zu rechtfertigen sei.1161 Insgesamt zeigt sich, dass die jüngere Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten grenzüberschreitenden arbeitsrechtlichen Kollektivmaßnahmen durchaus schärfere Grenzen zieht als das jeweilige nationale Recht.

1154 1155 1156 1157 1158 1159 1160 1161

EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 44 ff. EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 56 ff., 64. EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 75 ff. EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 77, 81. Siehe oben § 8 B. IV. 2. c) zu Betriebsstörungen sowie zur Betriebsblockade. EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05 (Laval), ECLI:EU:C:2007:809, Rn. 86 ff. EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05 (Laval), ECLI:EU:C:2007:809, Rn. 101 ff. EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05 (Laval), ECLI:EU:C:2007:809, Rn. 116, 119.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

B. Relevanz für Crowdwork Zu klären ist nunmehr, inwieweit die genannten Grundsätze sich auf Crowdwork auswirken.

I. Potentielle Eröffnung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten Zunächst fragt sich, ob im Kontext von Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Crowdworker der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten eröffnet ist. Ob Auftraggeber in ihrer Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit verletzt sind, richtet sich nach dem Vorliegen einer dauerhaften bzw. auf unbestimmte Dauer angelegten wirtschaftlichen Tätigkeit1162 im jeweiligen Mitgliedstaat. Dabei muss es sich in Abgrenzung zu Art. 45 AEUV um selbstständige statt abhängige Erwerbstätigkeit handeln. Der als Auffangtatbestand gestaltete Art. 56 AEUV (vgl. die Subsidiaritätsklausel in Art. 57 Abs. 1 AEUV) erfasst gegen Entgelt erbrachte selbstständige Leistungen, bei denen Leistungserbringer, -empfänger oder nur die Dienstleistung selbst (vorübergehend) Mitgliedstaatsgrenzen überschreiten.1163 In persönlicher Hinsicht unterfallen Art. 49, 56 AEUV nach Art. 54 (i. V. m. Art. 62) AEUV neben natürlichen Personen als Staatsangehörige eines Mitgliedstaates auch Gesellschaften mit Sitz in dem Gebiet der Union. Die Niederlassungsfreiheit wäre danach im Kontext grenzüberschreitender Standortverlagerungen wie im Fall Viking bzw. bei Eröffnungen und Schließungen relevant. Wahrscheinlicher ist, dass im Bereich von Crowdwork die Dienstleistungsfreiheit betroffen ist. Zwar findet Crowdwork gerade ortsungebunden statt, sodass ein physisches Übertreten von Ländergrenzen durch den Crowdworker als Leistungserbringer bzw. den jeweiligen Leistungsempfänger die Ausnahme bleiben wird. Art. 56 AEUV wird jedoch bereits durch bloße Korrespondenzdienstleistungen aktiviert, bei denen unabhängig von der Dauer allein die Dienstleistung etwa telefonisch oder über das Internet die Staatsgrenzen übertritt.1164 Dabei werden sowohl der Leistungserbringer als auch der -empfänger geschützt.1165 Crowdwork findet global statt, sodass abgesehen von rein nationalen Sachverhalten, in denen alle Beteiligten in Deutschland ansässig sind, viele Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug denkbar sind. Das wäre z. B. der Fall, wenn Crowdworker, Crowdsourcer und Plattformen in unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten ansässig sind und über Ländergrenzen hinweg Leistungen austauschen. Kollektivmaßnahmen, gerichtet auf die 1162 Müller-Graff, in: R. Streinz/Michl (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 56 AEUV Rn. 27; Preis/ Sagan/Heuschmid/Schierle, § 16 Rn. 16.11. 1163 Callies/Ruffert/Kluth, Art. 57 AEUV Rn. 9 ff., 27 ff. 1164 EuGH, Urt. v. 6.11.2003 – C-243/01 (Gambelli), ECLI:EU:C:2003:597, Rn. 54; EuGH, Urt. v. 8.9.2010 – C-46/08 (Carmen Media), ECLI:EU:C:2010:505, Rn. 41; EuGH, Urt. v. 10.5.1995 – C-384/93 (Alpine Investments), ECLI:EU:C:1995:126, Rn. 21; zu Korrespondenzdienstleistungen: Callies/Ruffert/Kluth, Art. 57 AEUV Rn. 32 f. 1165 EuGH, Urt. v. 4.10.2011 – C-403/08 (Premier League), ECLI:EU:C:2011:631, Rn. 85.

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Verbesserung der Arbeitsbedingungen, etwa des Entgelts, wären prima facie geeignet, grenzüberschreitende Dienstleistungen bzw. die Niederlassung aus Sicht der Auftraggeber zu behindern, indem sie etwa den Leistungsempfang aus Deutschland aufgrund kollektivvertraglicher Mindestentgelte finanziell weniger attraktiv machen. Ebenfalls denkbar wären Beschränkungen der Art. 49, 56 AEUV im Hinblick auf im Ausland niedergelassene Crowdworker, deren Tätigwerden auf einer deutschen Plattform, die bestimmte Mindestentgelte kollektivvertraglich zusichert, weniger attraktiv wird, weil Konkurrenz unterhalb der Mindestvergütung ausgeschlossen bzw. erschwert wird. II. Beschränkung und Rechtfertigung Aus der potentiellen Eröffnung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten ergibt sich noch nicht, dass Kollektivmaßnahmen von Crowdworkern auch tatsächlich eine Beschränkung derselben darstellen, bzw. dass sie ungerechtfertigt wären. 1. Koalitionsverträge Im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Kollektivverträge bzw. Verbandsempfehlungen etc.1166 kommt eine Verletzung der Art. 49, 56 AEUV selbst bei unterstellter Horizontalwirkung nicht in Betracht.1167 Kollektivvertraglich vereinbarte Mindestarbeitsbedingungen stellen keine direkt oder indirekt an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Diskriminierung dar.1168 Zwar lassen sich diese nahezu beliebig unter den Beschränkungsbegriff subsumieren1169, insoweit darunter alle Maßnahmen fallen, die die Ausübung der Freiheit „unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen“.1170 Der EuGH verlangt einschränkend eine hinreichend substantiierte

1166

Siehe oben § 8 B. II. 3. Ebenso wenig kommt ein Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG in Betracht, da jedenfalls dieser keine horizontale Direktwirkung zukommt, vgl. nur Art. 288 Abs. 3 AEUV; zur mittelbaren Bindung von Arbeitnehmervereinigungen an die Grundfreiheiten über eine Schutzpflichtenkonstellation: Ulber/Wiegandt, Die Bindung von Arbeitnehmervereinigungen an die europäischen Grundfreiheiten, 78 ff. 1168 Zum Diskriminierungsverbot: Callies/Ruffert/Kluth, Art. 57 AEUV Rn. 54 ff. 1169 Zutreffend: T. Klein/Leist, ZESAR 16 (2017), 468, 472. 1170 EuGH, Urt. v. 15.1.2002 – C-439/99 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:2002:14, Rn. 22; EuGH, Urt. v. 5.10.2004 – C-442/02 (CaixaBank France), ECLI:EU:C:2004:586, Rn. 11; EuGH, Urt. v. 29.3.2011 – C-565/08 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:2011:188, Rn. 45. 1167

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

Eignung zur Behinderung, diese dürfe nicht „zu ungewiss und zu mittelbar“ sein.1171 Damit scheint weniger Spürbarkeit i. S. v. Art. 101 AEUV, als eine generelle Eignung i. S. v. Wahrscheinlichkeit gemeint zu sein.1172 Unabhängig von der Frage, ob sich die Keck-Rechtsprechung1173 zur Warenverkehrsfreiheit insoweit übertragen lässt, als bei der Festlegung bloßer unterschiedslos wirkender „Verkaufsmodalitäten“ der Gewährleistungsgehalt auf ein Diskriminierungsverbot zu reduzieren sei1174, lässt der Gerichtshof verschiedentlich erkennen, dass er für eine Beschränkung entscheidend auf die Beeinträchtigung des Marktzugangs abstellt.1175 Das erscheint als einschränkende Konkretisierung des Beschränkungsverbots insofern überzeugend, als damit dem Sinn und Zweck der Grundfreiheiten, Hindernisse eines offenen Binnenmarktes auszuräumen, Rechnung getragen wird. Die hier relevanten schuldrechtlichen Koalitionsverträge sind nicht geeignet, den Marktzugang für Auftraggeber oder Konkurrenten zu sperren oder auch nur zu beeinträchtigen. Ohne aus einem Argument der Schwäche Kapital schlagen zu wollen kommt hinzu, dass jenseits unmittelbar und zwingend wirkender Tarifverträge von einer signifikanten Strukturierung des Marktes nicht die Rede sein kann.1176 Nur weil Crowdworker1171

EuGH, Urt. v. 20.6.1996 – C-418/93 (Semeraro Casa Uno), ECLI:EU:C:1996:242, Rn. 32; EuGH, Urt. v. 8.5.2014 – C-438/12 (Pelckmans Turnhout), ECLI:EU:C:2014:304, Rn. 25. 1172 Vgl. Müller-Graff, in: R. Streinz/Michl (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 56 AEUV Rn. 87; Callies/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 55. 1173 EuGH, Urt. v. 24.11.1993 – C-267/91 (Keck), ECLI:EU:C:1993:905, Rn. 16. 1174 In diese Richtung verstehen manche: EuGH, Urt. v. 10.5.1995 – C-384/93 (Alpine Investments), ECLI:EU:C:1995:126, Rn. 33 ff.; so etwa: Kort, JZ 51 (1996), 132, 136; Callies/ Ruffert/Kluth, Art. 57 AEUV Rn. 61; dagegen etwa: Tiedje, in: Groeben/J. Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 56 AEUV Rn. 99 ff.; Müller-Graff, in: R. Streinz/ Michl (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 56 AEUV Rn. 88; kritisch auch: Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 56 AEUV Rn. 108 ff.; Cremer/Bothe, EuZW 26 (2015), 413, 418. 1175 EuGH, Urt. v. 10.5.1995 – C-384/93 (Alpine Investments), ECLI:EU:C:1995:126, Rn. 38; EuGH, Urt. v. 28.4.2009 – C-518/06 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:2009:270, Rn. 64; EuGH, Urt. v. 29.3.2011 – C-565/08 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:2011:188, Rn. 51; EuGH, Urt. v. 12.7.2012 – C-602/10 (Volksbank România), ECLI:EU:C:2012:443, Rn. 75; EuGH, Urt. v. 7.3.2013 – C-577/11 (DKV Belgium), ECLI:EU:C:2013:146, Rn. 33; EuGH, Urt. v. 21.12.2016 – C-201/15 (AGET Iraklis), ECLI:EU:C:2016:972, Rn. 49; Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 56 AEUV Rn. 110 sprechen von der Zugangsbehinderung als entscheidendem materiellen Kriterium; ähnlich: Callies/Ruffert/Korte, Art. 49 AEUV Rn. 52; Kainer/L. Herzog, EuR 53 (2018), 405, 411; S. Dietz/T. Streinz, EuR 50 (2015), 50, 54 f.; siehe auch: Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 305 ff.; ablehnend und auf ein gleichheitsrechtliches Verständnis der Grundfreiheiten abhebend: Callies/Ruffert/Kingreen, Art. 36 AEUV Rn. 67 ff. 1176 Höchstvergütungsregeln für Rechtsanwälte stellen etwa keine Beschränkung dar, solange sie Raum für Flexibilität bieten: EuGH, Urt. v. 29.3.2011 – C-565/08 (Kommission/ Italien), ECLI:EU:C:2011:188, Rn. 53; anders im Fall von Mindesthonorarordnungen, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann: EuGH, Urt. v. 5.12.2006 – C-94/04 (Cipolla), ECLI:EU:C:2006:758, Rn. 58; vgl. auch den anders gelagerten Fall zu verbindlichen Höchst- und Mindestsätzen für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren: EuGH,

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verbände kollektiv gewisse Mindestentgelte einseitig fordern oder ggfs. für ihre Mitglieder konkret vereinbaren, wird die grenzüberschreitende Zirkulation von Dienstleistungen nicht beeinträchtigt.1177 Außerhalb der nur inter partes wirkenden Kollektivverträge und oberhalb der festgesetzten Mindestniveaus bleibt ein „normaler und wirksamer Wettbewerb“1178 aus Sicht der Auftraggeber sowie potentieller Konkurrenten auf den relevanten Märkten möglich. Diesen bleibt es unbenommen, ihre Leistungen zu geringeren Entgelten anzubieten bzw. zu empfangen. Außerdem wäre es widersprüchlich, wenn Auftraggeber (Crowdsourcer oder Plattformen) im Rahmen von Firmenkoalitionsverträgen bestimmte Arbeitsbedingungen wie Mindestentgelte zusichern und vereinbaren, sich dann aber auf eine Verletzung ihrer Grundfreiheiten berufen. Wenn auch mit Einschränkungen, gilt beim Abschluss durch den Verband nichts anderes. Auch hier würden sich Auftraggeber durch die Berufung auf die Grundfreiheiten in Widerspruch zu ihrem vorhergehenden Verhalten setzen. In diese Richtung angewandte Grundfreiheiten würden die Privatautonomie der durch Gegenmachtbildung potentiell auf Augenhöhe Verhandelnden ad absurdum führen.1179 Nach alledem stehen Art. 49, 56 AEUV den hier relevanten Vereinbarungen und Empfehlungen nicht entgegen. Sie stellen schon keine Beschränkung der Grundfreiheiten dar. Erst wenn der Staat de lege ferenda eingreifen und eine Regelung zur Entgeltordnung für Crowdworker erlassen (z. B. nach Vorbild des UrhG) bzw. entsprechende Koalitionsverträge rechtlich verbindlich ausgestalten würde, käme es auf eine Rechtfertigung an.1180 Eine zwingend wirkende Vergütungsordnung stellt im Hinblick auf die Begrenzung des Marktzutritts eine Beschränkung im obigen Sinne dar1181, kann jedoch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sofern sie nicht diskriminierend angewandt wird sowie geeignet und erforderlich ist.1182 Der EuGH hat als zwingende Allgemeininteressen i. d. S. gelten lassen: Die Sicherung eines bestimmten Qualitätsstandards der angebotenen DienstleisUrt. v. 4.7.2019 – C-377/17 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C:2019:562, Rn. 92 ff., zur Unvereinbarkeit der HOAI mit der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG, wegen Inkohärenz der deutschen Regelungen. 1177 IE ähnlich: Bayreuther, Sicherung, 66. 1178 Hierauf stellt der EuGH verschiedentlich ab: EuGH, Urt. v. 5.10.2004 – C-442/02 (CaixaBank France), ECLI:EU:C:2004:586, Rn. 13 f.; EuGH, Urt. v. 29.3.2011 – C-565/08 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:2011:188, Rn. 51, 53; EuGH, Urt. v. 28.4.2009 – C-518/06 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:2009:270, Rn. 70. 1179 Im Ausgangspunkt ähnlich: Kamanabrou, EuZA 3 (2010), 157, 169. 1180 Siehe: Bayreuther, Sicherung, 23 f., auch zur Frage des Einflusses der Dienstleistungsrichtlinie; Deinert/Maksimek/Sutterer-Kipping, Die Rechtspolitik des Sozial- und Arbeitsrechts, 364 ff.; sowie: Hütter, ZfA 49 (2018), 552, 566 ff., die indes nur kartellrechtliche Grenzen auslotet. 1181 Vgl. EuGH, Urt. v. 5.12.2006 – C-94/04 (Cipolla), ECLI:EU:C:2006:758, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 3.4.2008 – C-346/06 (Rüffert), ECLI:EU:C:2008:189, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 12.9.2013 – C-475/11 (Konstantinides), ECLI:EU:C:2013:542, Rn. 48 ff. 1182 Grundlegend: EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94 (Gebhard), ECLI:EU:C:1995:411, Rn. 37.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

tungen im Rahmen der freien Berufe1183 und damit die Verhinderung eines ruinösen Preiswettbewerbs1184 sowie den Schutz vor bzw. die Verhinderung von Sozialdumping.1185 Weiterhin ging es um die Wahrung der Interessen der jeweiligen Leistungserbringer, deren wirtschaftliche Situation abgesichert werden sollte1186, und dabei insbesondere um den Arbeitnehmerschutz.1187 Danach ließe sich der Schutz vor Sozialdumping, der mittelbare Schutz der Arbeitnehmer vor „Billig-Konkurrenz“ und der Schutz der alleinselbstständigen Crowdworker selbst1188 anknüpfend an die bisherige Rechtsprechung des EuGH bereits de lege lata als zwingendes Allgemeininteresse zur Rechtfertigung verbindlicher gesetzlicher Vergütungsregelungen auffassen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der staatlichen Regelung wäre sodann im Einzelfall zu prüfen, ob diese geeignet ist die Erreichung des verfolgten Zieles zu gewährleisten ohne dabei über das dazu Erforderliche hinauszugehen. 2. Kollektive Kampfmaßnahmen Abschließend fragt sich, ob die zu Koalitionsverträgen gewonnen Ergebnisse auch auf hierauf gerichtete Arbeitskampfmaßnahmen übertragbar sind. Prima facie kann nichts anderes als im vorigen Abschnitt gelten, sofern Ziel der nationalrechtlich zulässigen Arbeitskampfmaßnahmen die Grundfreiheiten nicht beschränkende Kollektivverträge sind. Diese Schlussfolgerung lässt sich den Entscheidungen Viking und Laval jedoch nicht mit letzter Sicherheit entnehmen. Der Gerichtshof macht nicht deutlich, ob Gegenstand seiner Prüfung die faktischen Wirkungen der kollektiven Regelungsmacht der Koalitionen oder die Rechtswirkungen der angestrebten Tarifverträge sind.1189 Unklar bleibt dabei einerseits, mit welcher Begrün1183

Zur Vereinbarkeit von Honorarordnungen mit dem Unionsrecht: M. Schröder, EuZW 27 (2016), 5, 7 ff. 1184 Vgl. EuGH, Urt. v. 5.12.2006 – C-94/04 (Cipolla), ECLI:EU:C:2006:758, Rn. 62 ff. 1185 EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05 (Laval), ECLI:EU:C:2007:809, Rn. 103; EuGH, Urt. v. 19.12.2012 – C-577/10 (Kommission/Belgien), ECLI:EU:C:2012:814, Rn. 45. 1186 Ausdrücklich für selbstständige Dienstleistungserbringer und allgemein „Erwerbstätige“: EuGH, Urt. v. 19.12.2012 – C-577/10 (Kommission/Belgien), ECLI:EU:C:2012:814, Rn. 45. 1187 EuGH, Urt. v. 17.12.1981 – C-279/80 (Webb), ECLI:EU:C:1981:314, Rn. 19; EuGH, Urt. v. 23.11.1999 – C-369/96 und C-376/96 (Arblade und Leloup), ECLI:EU:C:1999:575, Rn. 36; EuGH, Urt. v. 3.4.2008 – C-346/06 (Rüffert), ECLI:EU:C:2008:189, Rn. 38; EuGH, Urt. v. 18.9.2014 – C-549/13 (Bundesdruckerei), ECLI:EU:C:2014:2235, Rn. 31; EuGH, Urt. v. 17.11.2015 – C-115/14 (RegioPost), ECLI:EU:C:2015:760, Rn. 70. 1188 Siehe oben § 2 A. III.; § 7 A. IV. 2. zur Schutzwürdigkeit. 1189 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 35 – 37, 55; EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05 (Laval), ECLI:EU:C:2007:809, Rn. 99; Rebhahn, ZESAR 7 (2008), 109, 113; Kocher, in: Fischer-Lescano/Rödl/Schmid (Hrsg.), Europäische Gesellschaftsverfassung, S. 161, 176; Heuschmid, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 85; Ulber/Wiegandt, Die Bindung von Arbeitnehmervereinigungen an die europäischen Grundfreiheiten, 67.

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dung der Gerichtshof eine staatliche Regelung, die den Marktzugang beschränkt oder eine funktional äquivalente Regelung durch Private mit im Ausgang ungewissen Kollektivaktionen, die den Abschluss einer Regelung erst herbeiführen sollen, gleichsetzt1190 sowie die Frage, was für Arbeitskämpfe ohne Tarifbezug gilt.1191 Solange der EuGH von „Maßnahmen … die … als unter die rechtliche Autonomie fallend anzusehen [sind] im Rahmen der … insbesondere durch das nationale Recht gewährten Koalitionsfreiheit …“1192 spricht, wären potentiell auch Kampfmaßnahmen von Crowdworkerverbänden angesprochen, die nicht auf den Abschluss eines Tarifvertrages zielen.1193 Dass der EuGH hier nicht klar Stellung bezieht und im Fall Viking einen internen (wenngleich effektiven) Boykottaufruf prüft, birgt die Gefahr, dass Vorfeldmaßnahmen nahezu beliebig an den Grundfreiheiten zu messen sein könnten, was bereits Bemühungen um den koalitionsmäßigen Zusammenschluss an sich im Keim ersticken könnte.1194 Ginge es dem EuGH allein um faktische Druckausübung1195 bzw. private Machtausübung1196, führte dies einerseits zu dem paradoxen Ergebnis, dass Arbeitgeber gegen effektive Arbeitskampfmaßnahmen die Grundfreiheiten in Stellung bringen könnten, während ineffektive Maßnahmen allein am nationalen Recht zu messen wären. Andererseits ist die Auflösung privater Macht Hauptanliegen des Kartellrechts und weniger der Grundfreiheiten.1197 Ohne hier die weitergehende und überwiegend berechtigte Kritik1198 an dieser Rechtsprechung abschließend untersuchen zu wollen, lassen sich entscheidende Argumente gegen eine Einschränkung durch die Grundfreiheiten vorbringen. Zunächst lässt sich trotz der geschilderten Unklarheiten feststellen, dass ein nationalrechtlich zulässiger Arbeitskampf, gerichtet auf den Abschluss eines Koalitionsvertrages, der seinerseits

1190

Rebhahn, ZESAR 7 (2008), 109, 113; Zwanziger, RdA-Beil. 62 (2009), 10, 18. Franzen, FS Buchner, S. 231, 236 f.; Rebhahn, ZESAR 7 (2008), 109, 113; Heuschmid, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 85; Ulber/Wiegandt, Die Bindung von Arbeitnehmervereinigungen an die europäischen Grundfreiheiten, 70. 1192 EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 35. 1193 Siehe oben § 7 C. II. 2. 1194 Vgl. Ulber/Wiegandt, Die Bindung von Arbeitnehmervereinigungen an die europäischen Grundfreiheiten, 71 f. 1195 In diese Richtung: EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 64, der klarstellt, dass die Horizontalwirkung der Grundfreiheiten nicht „auf quasiöffentliche Einrichtungen oder auf Vereinigungen beschränkt [ist], die eine Regelungsfunktion wahrnehmen und über quasilegislative Befugnisse verfügen.“; siehe auch: Franzen, FS Buchner, S. 231, 236 f. 1196 Ulber/Wiegandt, Die Bindung von Arbeitnehmervereinigungen an die europäischen Grundfreiheiten, 74 ff. m. w. N. 1197 Vgl. insoweit auch: Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 765 f., der vor einer Aushöhlung des geschlossenen Wettbewerbsrechts durch zusätzliche Anwendung der Grundfreiheiten spricht. 1198 Überblick bei: Heuschmid, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 81 ff.; Patett, Das Verhältnis des Arbeitskampfrechts Zu Art. 12 GG und den europäischen Grundfreiheiten, 205 ff. 1191

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

keine Beschränkung der Grundfreiheiten darstellt, erst recht keine marktzugangsbeeinträchtigende Beschränkung bedeutet. Sieht man dies anders, ist dem EuGH zuzustimmen, soweit er es ablehnt, die Albany-Doktrin auf die Frage des Verhältnisses von Tarifverhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen zu Grundfreiheiten zu übertragen.1199 Während Kartellverbot (Art. 101 AEUV) und das Recht zur Kartellierung bzw. zum Abschluss von Kollektivverträgen (vor allem aus Art. 28 GRCh) grundsätzlich unvereinbar seien, gelte dies nicht in gleichem Maße für das Verhältnis zu den Grundfreiheiten.1200 Vielmehr scheint der Gerichtshof in diesen Fällen eine Abwägung zwischen den grundsätzlich auf gleicher Stufe stehenden1201 (Art. 6 Abs. 1 EUV) Grundfreiheiten und dem Recht auf Kollektivmaßnahmen aus Art. 28 GRCh zu favorisieren.1202 Vorliegend geht es um die kollektive Verbesserung der Kernarbeitsbedingungen soloselbständiger Crowdworker durch Koalitionsverträge und hierauf gerichtete kollektive Kampfmaßnahmen. Die europarechtliche Anerkennung des Grundrechts auf Kollektivverhandlungen in Art. 28 GRCh darf iRd. gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht zu einer wertungsmäßigen Umgehung der kompetenziell allein den Mitgliedstaaten zugeordneten (nationalen) Koalitionsfreiheit durch ihre Messung an den Marktfreiheiten auf Unionsebene führen.1203 Der Expansionskurs des EuGH lässt sich insoweit treffend mit der Wandlung der Grundfreiheiten von Diskriminierungsverboten zu Harmonisierungs- und Deregulierungsgeboten umschreiben.1204 Diese sollen durch extensive Anwendung1205 auf Grundlage des kaum

1199

EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 48 ff. Vgl. EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 53. 1201 EuGH, Urt. v. 12.6.2003 – C-112/00 (Schmidberger), ECLI:EU:C:2003:333, Rn. 74 ff.; EuGH, Urt. v. 14.10.2004 (Omega), Rn. 35; EuGH, Urt. v. 15.7.2010 – C-271/08 (Kommission/ Deutschland), ECLI:EU:C:2010:426, Rn. 52; siehe die entsprechenden Verweise in: EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-438/05 (Viking), ECLI:EU:C:2007:772, Rn. 45 f.; EuGH, Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05 (Laval), ECLI:EU:C:2007:809, Rn. 93 f. 1202 C. Schubert, ZfA 44 (2013), 1, 24 f.; Junker, ZfA 46 (2015), 267, 282; Patett, Das Verhältnis des Arbeitskampfrechts Zu Art. 12 GG und den europäischen Grundfreiheiten, 209 ff.; Kokott, FS Jaeger, S. 115, 124; allgemein zur Interaktion von Grundrechten und Grundfreiheiten: Kahl/Schwind, EuR 49 (2014), 170, 174 ff. 1203 Vgl. Kempen, GS Zachert, S. 15, 25; Joerges/Rödl, KJ 41 (2008), 149, 157 ff.; Patett, Das Verhältnis des Arbeitskampfrechts Zu Art. 12 GG und den europäischen Grundfreiheiten, 208. 1204 T. Klein/Leist, ZESAR 16 (2017), 468, 469, die richtig von negativer Integration sprechen; Heuschmid, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 58; Grimm, Europa ja – aber welches?, 109, 111, der darlegt dass der EuGH den Mitgliedstaaten durch seine extensive Rechtsprechung seine Präferenz der wirtschaftlichen Freiheiten gegenüber den sozialen Grundrechten auferlegt. 1205 „Beinahe flächendeckende Anwendung in wirtschaftlichen Sachverhalten“: Latzel, EuZW 26 (2015), 658, 660. 1200

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tragfähigen effet utile-Arguments1206 vermeintliche Lücken schließen, die mangels europaweit-einheitlicher Standards Domäne der Mitgliedstaaten bleiben müssten. Wo keine politische Mehrheit für eine Harmonisierung besteht, darf der Gerichtshof diese nicht durch Überdehnung der Grundfreiheiten ohne entsprechende Legitimation herbeiführen.1207 Die hochkomplexen, über viele Jahrzehnte in den jeweiligen Rechtsordnungen gewachsenen Arbeitskampfsysteme, mit wie gezeigt kontroversen grundrechtlichen Abwägungen1208, können nicht durch eine unterkomplexe Prüfung als „Allgemeininteresse“ anhand der europäischen Grundfreiheiten auf den Kopf gestellt werden. Dass dabei nicht nur nicht sein kann, was nicht sein darf, findet Ausdruck in der fehlenden Rechtssetzungskompetenz der Union in Art. 153 Abs. 5 AEUV sowie in Art. 51, 52 Abs. 4 und 6 GRCh, die zwar nicht unmittelbar die Prüfungskompetenz des EuGH beschneiden, wohl aber Zurückhaltung1209 hinsichtlich „mittelbarer Rechtsetzung“ der Judikative gebieten. Auch die novellierte Entsenderichtlinie 2018/957/EU stellt nunmehr in Erwägungsgrund 17 klar, dass das Recht zur Führung von Arbeitskämpfen nicht untergraben werden dürfe. Selbst wenn man trotz erheblicher Bedenken1210 die Horizontalwirkung der Grundfreiheiten weiterhin unterstellt, zeigt sich nach alledem, dass ihre Anwendung auf Arbeitskämpfe durch den EuGH nicht überzeugt. Wertet man entgegen der bisherigen Ausführungen Kampfmaßnahmen alleinselbstständiger Crowdworker als Beschränkung der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit, wären diese aus den zuvor genannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses einer Rechtfertigung zugänglich. Die Kampfmaßnahme müsste unter stärkerer Berücksichtigung des Art. 28 GRCh, inhaltlich determiniert durch Art. 9 Abs. 3 GG, in verhältnismäßigen Ausgleich mit den Grundfreiheiten gebracht werden, vgl. Art. 52 Abs. 1 GRCh. Das ließe sich innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Arbeitskampfmaßnahme im Rahmen der Angemessenheit bewerkstelligen.1211 Geeignetheit und Erforder1206 Vgl. nur: EuGH, Urt. v. 12.12.1974 – C-36/74 (Walrave), ECLI:EU:C:1974:140, Rn. 16/19; kritisch mit überzeugenden Argumenten: Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 777 ff. 1207 Vgl. T. Klein/Leist, ZESAR 16 (2017), 468, 472 f.; Grimm, Europa ja – aber welches?, 115. 1208 Siehe oben § 7 C. II. ausführlich zum verfassungsrechtlichen Rahmen. 1209 In diese Richtung: Kocher, in: Fischer-Lescano/Rödl/Schmid (Hrsg.), Europäische Gesellschaftsverfassung, S. 161, 175; Heuschmid, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 109; Preis/Sagan/Pötters, § 3 Rn. 3.75, gleichwohl keinen Widerspruch der EuGH-Rspr. zur fehlenden Kompetenz annehmend Rn. 3.78. 1210 Ulber/Wiegandt, Die Bindung von Arbeitnehmervereinigungen an die europäischen Grundfreiheiten, 55 ff.; grundsätzlich gegen unmittelbare Bindung Privater und für mittelbare Drittwirkung: Patett, Das Verhältnis des Arbeitskampfrechts Zu Art. 12 GG und den europäischen Grundfreiheiten, 234 ff.jeweils m. w. N. 1211 EuArbR/C. Schubert, Art. 28 GRC Rn. 59; C. Schubert, ZfA 44 (2013), 1, 24 f.; teilweise unter Hinweis auf das Prinzip praktischer Konkordanz: Junker, ZfA 44 (2013), 91, 127 f.; Heuschmid, in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, § 11 Rn. 55; NK-GA/Heuschmid/Lörcher, Art. 28 GRCh Rn. 31 mit tendenzieller Präferenz der Grundrechte gegenüber den Grundfreiheiten.

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Dritter Teil: Interessenkollektivierung soloselbstständiger Crowdworker

lichkeit müssten im Rahmen der Kollektivautonomie regelmäßig der Einschätzung der Koalition obliegen. Innerhalb der Angemessenheit käme es entscheidend auf eine Abwägung zwischen Art. 28 GRCh und den beeinträchtigten Grundfreiheiten an, sodass insgesamt bei zutreffender Würdigung weitgehende Kongruenz zum nationalen Arbeitskampfrecht vorliegt.

C. Zwischenergebnis Die europäischen Grundfreiheiten werden vorliegend mangels Beschränkung nicht verletzt. Im Übrigen kann der extensiven Anwendungspraxis der Grundfreiheiten durch den EuGH nicht gefolgt werden. Diese ziehen, selbst wenn man eine Beschränkung annimmt, den hier in Rede stehenden Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Crowdworker zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen keine engeren Grenzen als das nationale Recht.

Vierter Teil

Schluss Abschließend sollen die gewonnen Untersuchungsergebnisse zusammengefasst und mit einer Schlussbetrachtung versehen werden.

§ 11 Zusammenfassung der Ergebnisse Die Zusammenfassung der Ergebnisse folgt dabei dem Aufbau der Untersuchung.

A. Rechtliche Einordnung und Rechtsrahmen von Crowdwork I.

Die Vertragsgestaltungen auf Crowdwork-Plattformen umfassen einerseits einen nicht leistungsbezogenen Rahmenvertrag des Crowdworkers und des Crowdsourcers mit der jeweiligen Plattform sowie andererseits einzelne Verträge, gerichtet auf die Ableistung von Arbeitsaufgaben.

II. Die Vertragsparteien dieser Verträge sind entweder Crowdworker und Plattform sowie Crowdsourcer und Plattform (Vertragskette) oder Crowdworker und Crowdsourcer (direkte Vertragsverhältnisse). III. Crowdworker sind bei typisierender Betrachtung de lege lata weder als Arbeitnehmer i. S. v. § 611a BGB, noch als Arbeitnehmerähnliche oder Heimarbeiter einzuordnen. Sie erbringen ihre Leistung vielmehr als soloselbstständige Dienstleister i. d. R. auf werkvertraglicher Basis. IV. Crowdworker sind demnach zwar nicht in den Schutz des Arbeitsrechts einbezogen, genießen jedoch partiellen Schutz über eine AGB-Kontrolle der von den Plattformen verwendeten Klauseln sowie über die allgemeinen Vorschriften des § 138 BGB bzw. über § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB. V. Bei grenzüberschreitendem Crowdwork ist aufgrund wirksamer Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung in den AGB der Plattformen i. d. R. fremdes Recht anzuwenden und sind ausländische Gerichte zuständig. Gleichwohl bleibt es bei der Zuständigkeit deutscher Gerichte sowohl für Inlandssachverhalte als auch im Falle missbräuchlicher Gerichtsstandsvereinbarungen.

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Vierter Teil: Schluss

B. Trägerschaft und inhaltliche Reichweite der Koalitionsfreiheit I.

Soloselbstständige Crowdworker sind grundsätzlich Träger der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG. Dies ergibt sich sowohl aus der Entwicklungsoffenheit der grundrechtlichen Gewährleistungen als auch aus dem historischen Schutzzweck, die individuelle Verhandlungsschwäche des Einzelnen durch Kollektivierung auszugleichen und ihm so die Ausübung seiner Vertragsfreiheit zu ermöglichen.

II. Entscheidend für die Grundrechtsträgerschaft sind kumulativ: Persönliches Tätigwerden, individuelle Verhandlungsschwäche, verschärfte Konkurrenz der Crowdworker als Leistungsanbieter sowie die Leistung eines Beitrags zum Lebensunterhalt, woraus die Vergleichbarkeit mit klassischen Arbeitnehmern folgt. III. Crowdworker nehmen im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG zwar nicht an der Tarifautonomie teil, die der Gesetzgeber mit dem TVG verfassungskonform auf tariffähige Koalitionen beschränkt hat, wohl aber partizipieren sie an der grundrechtlichen Gewährleistung der Arbeitskampffreiheit. Die Begrenzung letztgenannter Freiheit auf den Abschluss von Tarifverträgen stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG dar. IV. Crowdworker haben folglich das verfassungsrechtlich verbürgte Recht zum Führen von Arbeitskämpfen, die auf die Verbesserung ihrer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen mittels des Abschlusses schuldrechtlicher Kollektivvereinbarungen gerichtet sind.

C. Kollektivakteure und Kollektivmaßnahmen I.

Mögliche Akteure kollektiver Interessenvertretung von Crowdworkern im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG sind einerseits klassische Gewerkschaften, andererseits aber auch potentielle Crowdworker-Verbände sowie lose Kooperationen der Crowd in Internetforen oder -plattformen, soweit diese eine stabile, organisierte ad-hoc Willensbildung des Kollektivs zulassen und die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fördern wollen.

II. Alle unter I. genannten Akteure können schuldrechtliche Koalitionsverträge im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG vereinbaren. Dabei lassen sich sowohl in Hausals auch in Verbandskoalitionsverträgen über § 328 BGB, ggfs. in Kombination mit den Regeln der Stellvertretung, direkte Ansprüche der Crowdworker gegen ihre Auftraggeber konstruieren. Unterhalb dieser Schwelle verbleibt die Möglichkeit zum Abschluss unverbindlicher Vereinbarungen bzw. der Aufstellung einseitiger Empfehlungen und Richtlinien.

§ 12 Schlussbetrachtung

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III. Gleichsam zulässig sind die Interessenbündelung und der Informationsaustausch auf eigenen Plattformen als erstes Moment der Gegenmachtbildung. IV. Darüber hinaus sind die genannten verbindlichen Koalitionsverträge mit Arbeitskampfmaßnahmen im Rahmen der Koalitionsfreiheit erkämpfbar. Den Maßstab der Rechtmäßigkeitsprüfung bildet die Rechtsprechung des BAG, abgesehen vom Erfordernis des Tarifbezugs. V. Mangels der Möglichkeit zur Druckausübung durch Streiks können Crowdworker im Rahmen der Kampfmittelfreiheit effektive atypische Kampfmittel nutzen. Das umfasst einerseits die Einbeziehung Dritter durch Unterstützungskampfmaßnahmen und digitale Boykotts sowie andererseits die aktive Beeinträchtigung der Unternehmensabläufe durch Cyberattacken, nicht aber Sabotagemaßnahmen bzw. die dauerhafte Lahmlegung der gegnerischen (digitalen) Infrastruktur.

D. Einfluss des Kartellrechts und der europäischen Grundfreiheiten I. Die vorgestellten Kollektivmaßnahmen soloselbstständiger Crowdworker in Deutschland im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen nicht Art. 101 AEUV, sondern sind nach Art. 28 GRCh beeinflusst durch Art. 9 Abs. 3 GG, soweit sie der Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen, privilegiert. Das ergibt sich im Ansatzpunkt aus der FNV Kunsten Entscheidung des EuGH. II. Gleichfalls bedeuten die genannten Maßnahmen keine Verletzung der europäischen Grundfreiheiten, insbesondere der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Weder liegt eine Beschränkung dieser Freiheiten vor, noch finden diese auf die vorliegenden Fallgestaltungen i. S. v. Horizontalwirkung Anwendung.

§ 12 Schlussbetrachtung Die Ausführungen haben gezeigt, dass Crowdworker bei entsprechender Schutzbedürftigkeit, entgegen der überkommenen Begrenzung der Koalitionsfreiheit auf klassische Arbeitnehmer, schon de lege lata von deren Schutzbereich erfasst werden. Die bislang beobachtende Position der Politik erscheint insoweit unschädlich, als Crowdworker innerhalb des vorgestellten Rahmens zur kollektiven Selbsthilfe berechtigt sind. Das entbindet zwar nicht von weitergehenden Überlegungen zur Anpassung des rechtlichen Rahmens überall dort, wo ein entsprechendes Schutzbedürfnis besteht. Trotzdem ist die kollektive Selbsthilfe der Beschäftigten das historische Mittel der Wahl zur Verbesserung der eigenen Arbeitsbedingungen und erlaubt dies gleichzeitig flexibler und konkreter, als gesetzliche Regelungen es vermögen. Den Plattformen als Intermediäre, auf denen die Marktbeziehungen von

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Vierter Teil: Schluss

Leistungserbringern und -nachfragern zusammenlaufen, ist es gelungen, vormals zusammengehörige, auf Dauer angelegte bipolare Arbeitsbeziehungen in kurze, weitgehend anonyme Dreiecksbeziehungen aufzuspalten, aus denen vor allem sie selbst Kapital schlagen. Die Kollektivierung der Crowdworker ist letztlich Ausdruck des Bemühens diese Aufspaltung von Marktbeziehungen rückgängig zu machen. Durch sie werden die künstlich geschaffene „unsichtbare Anonymität“ und alle damit verbundenen Nachteile, wie Informationsdefizite und individuelle Verhandlungsschwäche, ein Stück weit aufgewogen. Das scheint zunehmend auch die Politik auf nationaler und europäischer Ebene zu erkennen, wie etwa die Europäische Kommission, die jüngst im Rahmen des Digital-Services-Act ein öffentliches Konsultationsverfahren eingeleitet hat, um mit Blick auf mögliche Anpassungen des rechtlichen Rahmens zu überprüfen, ob und inwieweit europäisches Wettbewerbsrecht der kollektiven Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch soloselbstständige Plattformbeschäftigte entgegensteht.1 Es wurde deutlich, dass die Kollektivierungstendenzen bei Crowdwork noch am Anfang stehen und nicht zwingend die bekannten Pfade beschritten werden müssen. Zwar treten die Gewerkschaften in Deutschland und darüber hinaus als zentrale Akteure mit bestehendem institutionellen Rahmen in Erscheinung, trotzdem liegen die entscheidenden Potentiale der Crowd dort, wo sie sich manifestiert – im Internet. Dementsprechend sind die bestehenden Kollektivierungstendenzen in Foren, Channels und auf Plattformen weiterzudenken, sodass sich auch dort Koalitionen zur Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bilden können. Kollektivforderungen etwa nach höheren Entgelten, entsprechende Verhandlungen und schließlich Kollektivvereinbarungen sowie auf deren Abschluss gerichtete Arbeitskampfmaßnahmen können dort ihren Ausgang nehmen. Trotz stellenweise berechtigter Skepsis gegenüber der rechtlichen Handhabung dieser neuen Phänomene erscheint es verfehlt, sie von vornherein außerhalb des kollektiven Arbeitsrechts anzusiedeln. Zutreffend ist vielmehr, diese potentiellen Aktionen der Crowdworker als Kehrseite der angesprochenen disruptiven Bemühungen der Plattformen als Beschäftigungsgeber zu begreifen und, wie in der vorliegenden Arbeit dargelegt, entsprechend rechtlich einzuordnen.

1 Vgl. Pressemitteilung der Kommission vom 30.6.2020, Competition: The European Commission launches a process to address the issue of collective bargaining for the selfemployed; sowie: Europäische Kommission, Shaping Europe’s digital future, 4; ähnlich: Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 2312 (2019) The societal impact of the platform economy vom 29.11.2019, unter 5. ff., bzgl. der „platformisation of work“ und mit Verweis auf den Report vom 25.10.2019 (Doc. 15001), der unter 38. explizit „Ensuring the freedom of association and collective bargaining rights for crowdworkers“ erwähnt; auch national arbeitet seit Oktober 2018 die Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft daran, gute Arbeitsbedingungen für Plattformbeschäftigung zu sichern, vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Begleitband Ratsvorsitz DE 2020, 278 ff., siehe auch: https://www.denkfabrikbmas.de/themen/plattformoekonomie.

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Sachwortverzeichnis Ablehnungsrecht 104 Ad-hoc-Koalition 228 f. AGB-Kontrolle 98 ff. – Drittbedingungen 101 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 114, 153, 283 Änderungsvorbehalt 105 Arbeitskampffreiheit 201 ff., 255 ff. – Friedlichkeitsvorbehalt 206, 260, 280 – Kampfmittelfreiheit 194, 259 ff., 277, 286 – Kampfparität 196, 281 – natürliche Freiheit 203 ff. – Tarifbezug 206 ff. – ultima-ratio-Prinzip 200, 258 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 196, 257 Arbeitsvertrag 30, 61 ff., 153 f. Ausgestaltung 182 ff., 205 ff. Auslobung 50 ff., 110 Befristung

61, 73

Crowdwork 21 Crowdwork im engeren Sinne 24 Crowdwork im weiteren Sinne 23, 34, 56 DDoS-Aktionen 274 ff. Demonstrationsstreik 272 Doppelgrundrecht 139, 246 Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 263, 285 Einrichtungsgarantie 183, 204 EMRK 170, 210, 317 Europäische Grundfreiheiten – Dienstleistungsfreiheit 322, 326 – Horizontalwirkung 323 – Niederlassungsfreiheit 323 ff. Europäische Sozialcharta 170, 211 Friedenspflicht

257, 266

Gegenmachtprinzip 166, 238, 292 Gegnerfreiheit 175 Gig-Economy 23, 224, 255 Grundrechtseingriff 184 ff., 206 ff. Hausrecht

279

invitatio ad offerendum

44, 46 ff., 106

Kernbereichstheorie 177, 194, 202, 259 f. Koalitionsverbote 142 ff. Kombinationstheorie 241 Konkurrenzparadoxon 161, 167 f. Lebensunterhalt 169 Leistungsbestimmung 242 Lock-In Effekt 29, 35, 89, 163 Makrotasks 24 Marktkonzentration 30 Mikrotasks 24, 49 Multi-Homing 29, 121, 163 Netzwerkeffekte 28, 119, 168 Normative Wirkung des Tarifvertrags 187 ff. Notstandsgesetzgebung 192 Preisausschreiben

53, 106 ff.

Rahmenvertrag 44, 61, 100 f. rule of reason 320 Schutzfunktion der Grundrechte – Schutzpflicht 191, 203 ff. Sharing-Economy 22 Sittenwidrigkeit 115, 286 Soloselbstständige 61 Soziale Mächtigkeit 174 Sozialistengesetze 143 Stellvertretung 59, 235, 240

182

179,

Sachwortverzeichnis Tarifbezug 206 ff. Tariffähigkeit 155, 174, 186 Tarifvertragsfreiheit 178 ff. – Haustarifvertrag 237 – normgeprägte Freiheit 182 ff. – Normsetzungsbefugnis 182, 186, 190 – Regelungsbefugnis 161, 308 – Verbandstarifvertrag 237 Verbandsgewalt 239, 246 Verbandstheorie 235

Verbrauchereigenschaft 99, 127 Verpflichtungsermächtigung 243 f. Vertrag zugunsten Dritter 239, 244 Vertretungstheorie 235, 240 Verwendereigenschaft 101 ff. Weimarer Reichsverfassung 147 ff. Weisungsgebundenheit 66 Werkvertrag 72, 89 Wesentlichkeitstheorie 192 Wettbewerbsprinzip 292

381