Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem [1 ed.] 9783428416554, 9783428016556

132 18 5MB

German Pages 53 [54] Year 1965

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem [1 ed.]
 9783428416554, 9783428016556

Citation preview

WERNER WEBER

Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem

Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem

Von

Dr. jur. Werner Weber Professor der Rechte in Göttingen

DUNCKER

&

HUMBLOT I BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Hurnblot, Berlin 41 Gedruckt 1965 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlln 61 Printed in Gerrnany

© 1965 Duncker

Inhalt I. Einführende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

II. Die Koalitionsfreiheit als Individualgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 111. Die Koal•itionsfreiheit als Kollektivgarantie .. .................... 14

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 V. Die Begrenzbarkeit der Tarifautonomie ·im einzelnen ....... . . . . . 34

I. Einführende Bemerkungen Die Tarifautonomie als die Befugnis der Gewerkschaften einerseits sowie der Arbeitgeber und ihrer Organisationen anderseits, die Lohnund Arbeitsbedingungen- gegebenenfalls unter Einsatz von Arbeitskampfmitteln gegenseitig auszuhandeln und in Gesamtvereinbarungen, d. h. Tarifverträgen, festzulegen, hat im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland keine ausdrückliche Erwähnung gefunden. Sie gilt als in den Freiheitsrechten des Grundgesetzes mit gewährleistet, und zwar als von der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG mit umschlossen. Unter welchen Voraussetzungen, in welcher Art und in welchem Umfange der Gesetzgeber sie begrenzen oder einschränken könnte, ist zum Unterschied von anderen Grundrechtsartikeln, in denen (wie in Art. 5 Abs. 2, Art. 6 Abs. 3, Art. 9 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 13 Abs. 2 und 3) ein spezialisierender oder (wie in Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 8 Abs. 2, Art. 10, Art. 12 Abs. 1 Satz 2) ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt angebracht ist, dem Grundgesetz selbst nicht unmittelbar zu entnehmen. Das Problem bedarf deshalb einer weiter ausholenden Untersuchung. Die Frage hat in der mehr als eineinhalb Jahrzehnte währenden Staatspraxis unter der Geltung des Bonner Grundgesetzes noch keine Zuspitzung erfahren1• Deshalb brauchte sie auch nicht verfassungsgerichtlich oder sonst durch Anrufung der Gerichte ausgetragen zu werden, und das Schrifttum konnte sich auf Erwägungen mehr allgemeiner Art zu dem Thema beschränken. Seitdem aber der Einbau einer "Notstandsverfassung" in das Grundgesetz auf der Tagesordnung der Staatsgestaltungsaufgaben steht, ist die Beschäftigung 1 Als wohl einzige Ausnahme ist der Ausschluß der Tarifverträge im Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer vom 12. Juli 1961 zu nennen. Dazu Werner Weber, Unzulässige Einschränkungen der Tariffreiheit, BB 1964,764.

I. Einführende Bemerkungen

8

mit dem Gegenstand von außen her dringlicher geworden. Der dem Bundestag der 4. Wahlperiode am 11. Januar 1963 von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zu dieser Notstandsverfassung nämlich2 sah keine außergewöhnliche Beschränkbarkeit der Koalitionsfreiheit vor3 , und das wurde damit gerechtfertigt, daß schon die Befugnisse der gewöhnlichen (einfachen, "normalen") Gesetzgebung ausreichten, hinsichtlich einer Begrenzung der Koalitionsfreiheit alles etwa im Notstand Erforderliche zu bestimmen4 • Aus den Beratungen des Rechtsausschusses des Bundestages (vgl. dessen Schriftlichen Bericht BT-Drucks. IV/3494 und zu IV/3494 vom 31. Mai 1965) ist der Entwurf insoweit - allerdings beschränkt auf den Zustand der äußeren Gefahr - unverändert hervorgegangen (Art. 114 d Abs. 2). Die Regelung des Zustandes der inneren Gefahr hat der Rechtsausschuß in einen neuformulierten Art. 91 des Grundgesetzes übernommen. Nach dessen Abs. 6 sollen die in Art. 91 Abs. 1 bis 5 statuierten Sonderbefugnisse (vornehmlich polizeilich-exekutivischen Charakters) "keine Anwendung finden auf Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Artikels 9 Abs. 3 geführt werden". Vom Standpunkt der Koalitionen wie von dem der für die Notstandsverfassung Verantwortlichen aus ist es naturgemäß wichtig zu wissen, ob sich 2

891.

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, Bundestagsdrucks. IV/

3 Nach dem Art. 115 b Abs. 2, der nach dem Entwurf dem Grundgesetz neu eingefügt werden sollte, sollten durch Bundesgesetz für die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr die Grundrechte aus Art. 5, Art. 8, Art. 9 Abs. t und 2 und Art. 11 über das sonst zulässige Maß hinaus eingeschränkt werden (Buchst. a) und hinsichtlich einiger anderer Grundrechte (Art. 12 Abs. 2 und 3, Art. 14 Abs. 3 Satz 2, Art. 104 Abs. 2 und 3) gewisse Modifikationen getroffen werden dürfen (Buchst. b-d). Die Artikel 2 und 9 Abs. 3 sind hier nicht genannt. Sie sind erst recht nicht in den Bestimmungen über den Zustand der inneren Gefahr und den Katastrophenzustand (Art. 115 k, 115m) als beschränkbar aufgeführt. 4 In diesem Sinne die amtliche Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. IV/891 S. 10) und Staatssekretär Dr. Schäfer im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 78 vom 14. Mai 1964 S. 706 (= Sonderausgabe "Der Notstand im Rechtsstaat" t 964 S. 22 f.), ferner der Bundesminister des Innern Höcherl bei der 1. Lesung des Regierungsentwurfs im Plenum des Bundestages (Sten. Ber. IV. Wahlp. S. 2485, 2531).

I. Einführende Bemerkungen

9

die Ansicht, die Koalitionsfreiheit sei einer Regelung und Begrenzung durch den gewöhnlichen Gesetzgeber zugänglich, bewahrheiten läßt. Dies schon deshalb, weil der erste, durch Ablauf der Wahlperiode des Bundestages erledigte Regierungsentwurf einer Notstandsverfassung (Entwurf eines Gesetzes zur Knderung des Grundgesetzes vom 20. April 1960, Bundestagsdrucks. III/1800) in dem in das Grundgesetz einzufügenden Art. 115 a Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a den ganzen Art. 9 GG zur Disposition gesetzesvertretender Verordnungen der Bundesregierung gestellt hatte, ohne hierbei allerdings in der amtlichen Begründung auf die Koalitionsfreiheit abzuheben5 , und weil auch der Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags vom 31. Mai 1965 (BT-Drucks. zu 3494 S. 16) noch hier und dort fortbestehende Zweifel erkennen läßt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß Art. 48 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung gleichfalls unter den im Ausnahmezustand suspendierbaren Grundrechten die Koalitionsfreiheit (Art. 159 WRV) nicht nannte. Es war damals anerkannt und fand sich in mehreren Präzedenzfällen bestätigt, daß Arbeitseinstellungen aus überwiegenden Gründen des öffentlichen Interesses durch einfaches Gesetz (und demgemäß auch durch Notverordnungen) verboten werden konnten6 • Ebenso wurde in der gesetzlich geregelten und in bedeutendem Umfang praktizierten Zwangsschlichtung keine 5 In der amtlichen Begründung (Drucks. III/1800 S. 4) war nur bemerkt, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und der Vereinsfreiheit müßten u. U. über die Art. 8 und 9 hinaus verfügt werden können; auch könne sich die Bildung von Zwangsverbänden als notwendig erweisen. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zu dem Regierungsentwurf (Drucks. III/1800 S. 7) gefordert, daß die Vorschriften über den Ausnahmezustand keine Anwendung auf Arbeitskämpfe finden sollten, die von nach Art. 9 Abs. 3 GG gebildeten Vereinigungen geführt würden; nur eine Beschränkung der allgemeinen Vereinigungsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG, nicht aber ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3) sei zu ermöglichen. Hierauf hatte die Bundesregierung (Drucks. III/1800 S. 10) in sehr allgemeiner Form entgegnet, daß im Einzelfall Arbeitskämpfe zu einer Gefährdung des Bestandes des Staates oder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung führen könnten und deshalb eine Möglichkeit staatlichen Einschreitens gegeben sein müsse. 6 Nachweisungen in dem Kommentar zur Weimarer Verfassung von Gerhard Anschütz (14. Aufl. 1933 = Neudruck 1960) Erläut. 6 zu Art. 159 WRV.

10

I. Einführende Bemerkungen

Verletzung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Koalitionsfreiheit gesehen7 • Dem Beispiel der Weimarer Verfassung sind von den nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Länderverfassungen, soweit sie überhaupt das Verfassungsinstitut des Staatsnotstandes kennen, diejenigen von Bayern (Art. 48), Hessen (Art. 125) und Rheinland-Pfalz (Art. 112) und die wieder außer Kraft getretene Verfassung von Württemberg-Baden (Art. 79) gefolgt. Auch die Schöpfer dieser Verfassungen waren wie die Urheber des hier erörterten Regierungsentwurfs eines "Gesetz~s zur Ergänzung des Grundgesetzes" offensichtlich von der Auffassung beherrscht, daß es für den Notstandsfall einer extraordinären Beschränkbarkeit der Koalitionsfreiheit nicht bedürfe, weil insoweit etwa notwendig werdende Begrenzungen schon in der Kompetenz des einfachen Gesetzgebers lägen. Anderseits wird dies weniger in verfassungsrechtlichen als in politischen Erörterungen unserer Tage öfter und gelegentlich sogar entschieden in Zweifel gezogen. Die Notstandsdiskussion, vom Ende der 4. Wahlperiode des Bundestags überdies vorerst abgeschnitten, ist für diese Untersuchung über die verfassungsrechtlichen Grenzen der Koalitionsfreiheit indessen nicht das eigentliche Problem, sondern nur eines der auslösenden und hinweisenden Momente. Ein weiteres liegt darin, daß neuerdings die Bestrebungen sich verstärken, die Tarifautonomie unter dem Stichwort "Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" auch in den Dienst einer aktiven "Eigentumspolitik" zu stellen8 • 7 Näheres bei Artbur Nikisch, Die Schlic.htung von Arbeitsstreitigkeiten, in: Festsc.hrift für den Deutsc.hen Juristentag (1960) Bd. I S. 317 ff., besonders S. 328 ff. und bei Hubert Raupach, Die Sc.hlichtung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten und ihre Probleme (1964), besonders S. 44 ff. 8 Aus der Diskussion hierüber seien vor allem die Beiträge zum 312-DM-Gesetz erwähnt: Werner Flume, Die recht!ic.he Problematik breiter Vermögensbildung, Der Betrieb 1965, 405 ff.; Ernst Forsthotf, Der Entwurf eines Zweiten Vermögensbildungsgesetzes, BB 1965, 381 ff.; Winfried Haase, Das Zweite Vermögensbildungsgesetz, BB 1965, 797 ff.; Wilhelm Hersehe!, Zu einer Kritik am Regierungsentwurf des Zweiten Vermögensbildungsgesetzes, Sozialer Fortsc.hritt 1965, 125 ff.; Werner Weber, Unzulässige Einsc.hränkungen der Tariffreiheit, BB t964, 764 ff.; ferner die Beiträge von Arnold Köttgen, Georg Wannagat und Wilhelm Reuß in: Georg Leber, Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, Wissensc.haftl. Beiträge, Dokumentation 3 (1965).

II. Die Koalitionsfreiheit als Individualgrundrecht Die Beantwortung der Frage, ob die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG durch den einfachen Gesetzgeber beschränkbar ist, kann nicht in ein Pauschalurteil ausmünden. Denn in dieser Verfassungsvorschrift sind mehrere Gewährleistungen enthalten, weshalb man hier mit Recht von einem "Doppelgrundrecht" spricht9 • Die Koalitionsfreiheit stellt, um der Formulierung in den zitierten Werken von Huber und von v. Mangoldt-Klein zu folgen, einerseits das individuelle Freiheitsrecht der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer dar, sich nach Belieben in Koalitionen zusammenzuschließen (positive Vereinigungsfreiheit) oder dies nicht zu tun (negative Vereinigungsfreiheit), und besteht anderseits in dem korporativen Daseins- und Betätigungsrecht der Berufsverbände selbst. Die individuelle Koalitionsfreiheit in dem eben beschriebenen Sinne ist für den Gesetzgeber unantastbar. Der "normale" Gesetzgeber kann den Arbeitnehmern weder verbieten, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschließen, noch ihnen vorschreiben, es zu tun. Er kann auch keine Modalitäten für den Entschluß zum Beitritt oder zum Fernbleiben und für seinen Vollzug normieren. Das gleiche gilt für die Bildung von Arbeitgebervereinigungen und für die Freiheit, ihnen fernzubleiben 10• Wenn der Gesetzgeber insoweit keine Einschränkungsbefugnisse besitzt, so hat dies seinen Grund einmal darin, daß die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG, die ihrem Wortlaut nach nur das individuelle Grundrecht ausformt, keinen Gesetzesvorbehalt aufweist. 9 So etwa E. R. Huber, Wirtschaftsverwa!tungsrecht, 2. Auf!. II 1954 S. 381; v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Auf!. I 1957 S. 327 und die dort Zitierten. In dieser Frage gibt es keine Meinungsverschiedenheit. 10 In diesem Sinne auch Rolf Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Die Grundrechte III/1 (1958) S. 447; E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II S. 384; N ipperdey, in: Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Auf!. II 1957, S. 94; Artbur Nikisch, Arbeitsrecht 2. Auf!. II 1959 S. 33 und viele andere.

12

li. Die Koalitionsfreiheit als Individualgrundrecht

Wesentlicher ist, daß von der Verfassungsordnung des Grundgesetzes her grundsätzlich und allgemein keine überwiegenden Gründe des öffentlichen Wohles erkennbar sind, um derentwillen es nötig und von woher es demgemäß auch zulässig sein könnte, die Koalitionsfreiheit als Individualrecht einzuschränken. Dabei ist allerdings als selbstverständlich vorausgesetzt, daß es sich um wirkliche Koalitionen, d. h. um der Verfassung gemäße Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, konkret um Gewerkschaften und die ihnen korrespondierenden Arbeitgebervereinigungen handelt; denn nur darauf erstreckt sich die Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG. Für Assoziationen also, die andere Zwecke verfolgen und sich nur als Koalitionen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG tarnen, und für Koalitionen, die zwar ursprünglich als solche im Sinne dieser Verfassungsbestimmung gebildet waren, aber inzwischen zugunsten anderer, besonders der in Art. 9 Abs. 2 GG gekennzeichneten Strafgesetz- und verfassungswidrigen Zielsetzungen "unterwandert" wurden, gilt die Koalitionsfreiheit weder in ihrer individuellen noch in ihrer kollektiven Komponente. Einige Autoren drücken dies dahin aus, daß der Abs. 2 des Art. 9 GG auch für Koalitionen des Abs. 3 anwendbar sei 11 , während man wohl eher davon sprechen sollte, daß in solchen Fällen und jedenfalls insoweit gar keine Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG vorliege12. Beide Auffassungen führen übrigens zu dem gleichen praktischen Ergebnis, daß die individuelle Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG nur auf "echte" Koalitionen zu beziehen und sie auch nur insoweit für den Gesetzgeber unantastbar ist. 11 So E. R . Huber, Wirtschafl:sverwaltungsrecht II S. 385 Anm. 10, 389; v . Mangoldt-Klein I S. 331 f.; Nikisch, Arbeitsrecht li S. 14, 27 f.; Dietz, in: Die Grundrechte III/1 S. 448; Benda, Notstandsverfassung und Arbeitskampf S. 7. Diese Auffassung findet neuerdings ihre Stiitze in§ 16 des Vereinsgesetzes vom 5. August 1[964 (BGBI. I S. 593), der unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG auch das Verbot von Koalitionen und ihrer Ersatzorganisationen gestattet und im Hinblick auf das übereinkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation vorn 9. Juli 1948 über die Vereinigungsfreiheit nur die Mitwirkung eines Gerichts an dem Verbot vorschreibt. 12 Dies bieten auch v. Mangoldt-Klein I S. 332 als Alternative an. Hueck-Nipperdey II S. 95 f. vertreten diesen Standpunkt vor allem.

II. Die Koalitionsfreiheit als Individualgrundrecht

13

Auch vom Standpunkt der Krisenlagen und des Notstandsrechts aus ist übrigens dieses Ergebnis ohne Umschweife zu akzeptieren. Weder im Zustand der äußeren noch in dem der inneren Gefahr und vollends nicht im Katastrophenzustand sind Lagen vorstellbar, in denen es sich als notwendig erweisen könnte, in das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zur Koalitionsgründung, zum Koalitionsbeitritt oder zum Fernbleiben von einer Koalition normierend einzugreifen, immer die allein verfassungsrechtlich geschützte "echte" Koalition vorausgesetzt. So unterliegt zwar die individuelle Koalitionsfreiheit nach dem Grundgesetz keinem irgendwie gearteten Gesetzesvorbehalt; aber das berührt auch die Notstandsverfassung nicht, weil diese Seite der Koalitionsfreiheit für den Staatsnotstand, und zwar in den drei in Betracht kommenden Erscheinungsformen (Zustand der äußeren Gefahr, Zustand der inneren Gefahr, Katastrophenzustand) gleicher~ maßen, irrelevant ist.

III. Die Koalitionsfreiheit als Kollektivgarantie 1. In der Staatspraxis und der rechtswissenschaftliehen Lehre hat sich, wie schon erwähnt wurde, die heute unumstrittene Auffassung herausgebildet, daß Art. 9 Abs. 3 GG neben der individuelien Koalitionsfreiheit auch den Schutz der Koalitionen als solcher zum Gegenstand hat. Das Bundesverfassungsgericht hat das in seiner Entscheidung vom 18. November 1954 (BVerfGE 4, 96) eindeutig zum Ausdruck gebracht. Der Leitsatz 1 dieser Entscheidung lautet: "Art. 9 Abs. 3 GG schützt auch die Koalition als solche". In der Begründung des Urteils (S. 101 f.) führt der Gerichtshof hierzu aus, die Rechtsfrage, ob die Vereinigung als solche durch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit geschützt sei, sei während der Geltung der Weimarer Verfassung umstritten gewesen. Auch das Reichsgericht (RGZ 111, 199 [202] und 113, 33 [36-37]) habe sie verschieden beurteilt. In der Rechtslehre jener Zeit habe sich - so glaubt der Gerichtshof feststellen zu können - eine überwiegende Meinung dahin gebildet, daß nicht nur der einzelne, sondern auch die Vereinigung als solche durch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit geschützt sei. Diese Auffassung treffe auch für das Grundgesetz zu. Entscheidend sei hierfür das ausdrückliche Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG). Diese Entscheidung des Verfassungsgebers schließe es aus, ein Grundrecht, dessen Ausdehnung auf soziale Gemeinschaften sich bereits in der Weimarer Zeit angebahnt hatte, nunmehr ohne zwingenden Grund in seiner Wirksamkeit auf Einzelpersonen zu beschränken. An dieser Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht auch in seiner Entscheidung vom 6. Mai 1964 (BVerfGE 18, 18 = SAE 1964, 137) festgehalten. Sie findet überall Billigung13 • 13 Statt vieler H1eeck-Nipperdey II S. 110; Nikisch, Arbeitsrecht II S. 54 ff.; Dietz, in: Die Grundrechte III/1 S. 458 f.; E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungs-

III. Die Koalitionsfreiheit als Kollektivgarantie

15

2. Soweit Art. 9 Abs. 3 GG die Koalitionen als solche schützt, ist Gegenstand und Inhalt dieses Schutzes ein anderer als bei der individuellen Koalitionsfreiheit. Hier nimmt der verfassungsrechtliche Schutz notwendigerweise ein institutionelles Element in sich auf; denn es handelt sich um Organisationen, die als solche und mit ihren sozialen Funktionen Schutz und Freiheiten genießen sollen. Die Rechtslehre, der auch die Rechtsprechung folgt, gliedert die Koalitionsfreiheit in diesem kollektiv-institutionellen Sinne in drei Bereiche oder Ausstrahlungen auf: Man spricht vom korporativen Daseinsund Betätigungsrecht der Koalitionen (v. Mangoldt-Klein a.a.O. S. 327) und unterteilt das korporative Daseinsrecht wiederum in das Existenzrecht einerseits und in die (innere) Verbandsautonomie anderseits. So ergibt sich die Trias von Bestandsgewährleistung, Verbandsautonomie und Betätigungsfreiheit14• Die Betätigungsfreiheit wird meist mit der Tarifautonomie gleichgesetzt, obwohl die Tarifautonomie die Betätigungsfreiheit nicht ganz deckt. 3. Die Frage, wieweit der Gesetzgeber die Koalitionsfreiheit der Koalitionen begrenzen kann, läßt sich im Hinblick auf die drei erwähnten Teilbereiche oder Ausstrahlungen nicht einheitlich beantworten. a) Die Ungestörtheit der Koalitionen in ihrem Bestande ist gesetzlich nicht angreifbar. Wenn nämlich das Individualrecht, Koalitionen zu bilden oder ihnen beizutreten, wie dargelegt wurde, nicht eingeschränkt werden kann, so ergibt sich daraus die unmittelbare Folge, daß auch die Existenz von Koalitionen unantastbar ist, immer im oben beschriebenen Sinne vorausgesetzt, daß es sich um "echte" Koalitionen handelt. Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen im recht 11 S. 381 ff.; Scheuner, in: Weber/Scheuner/Dietz, Koalitionsfreiheit (1961) S. 36 ff.; Bernd Rüthers, Streik und Verfassung (1960) S. 19 ff.; Werner Weber, Die Sozialpartner in der Verfassungsordnung, in: Göttinger Festschr. f. d. OLG Celle (1961) S. 242 ff.; Derselbe, BB 1964, ,765; Sdmorr, RdA if.955, 3 ff.; BAGE 6, 321 ff.; Wilhelm Reuß, Die Stellung der Koalitionen in der geltenden Rechtsordnung, in: Das Arbeitsrecht der Gegenwart Bd. I (1964) S. 157; Hans Galperin, Inhalt und Grenzen des kollektiven KoJ.litionsrechts, AuR 1965, 1 f. 14 Hueck-Nipperdey li S. 110; Werner Weber, Göttinger Festschr. OLG Celle (1961) S. 244,246- mit weiteren Nachweisen; Galperin, AuR 1965,2.

111. Die Koalitionsfreiheit als Kollektivgarantie

16

Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG können also niemals generell oder im Einzelfalle verboten, aufgelöst, zwangsweise zusammengeschlossen oder sonst unterdrückt werden, freilich mit der in § 16 des Vereinsgesetzes vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593) normierten Einschränkung. Diese Feststellung gibt indessen auch im Hinblick auf den Notstandsfall keinen Anlaß zu Bedenken. Denn die Existenz von Koalitionen an sich kann den im Staatsnotstand notwendigen Maßnahmen schwerlich jemals im Wege stehen. Es bedarf schon aus diesem Grunde keiner extraordinären Befugnisse des Notgesetzgebers oder Notverordnungsschöpfers, der Existenz der Koalitionen als solcher beschränkend entgegenzutreten. b) Die Verbandsautonomie der Koalitionen, d. h. ihr Selbstorganisations- und ihr inneres Gestaltungsrecht ist ebenfalls für den Gesetzgeber unantastbar, bis auf die noch zu erörternde Frage der Tariffähigkeit. Sieht man von dieser zunächst ab, so ist es dem Gesetzgeber verwehrt, in die innere Verbandsautonomie der Koalitionen beschränkend einzugreifen oder sie etwa einer Staatsaufsicht zu unterstellen15. Auch dies ist jedoch selbst in Notstandslagen ohne weiteres hinnehmbar. Denn ebenso wie die Existenz der Koalitionen als solche unter dem Gesichtspunkt denkbarer Notstandsmaßnahmen irrelevant ist, ist auch ihr inneres Verbandsleben unter diesem Gesichtspunkt unverfänglich. Anders ausgedrückt: Es ist nicht vorstellbar, daß sich der Staat in kritischen Lagen oder auch im Notstandsfalle in die Lage versetzt sehen könnte, auf die Verbandsautonomie der Koalitionen beschränkend einzuwirken16. Die Selbstdarstellung der Koalitionen hat allerdings eine Grenze darin, daß sie sich nicht ohne Einschränkung Tariffähigkeit beimessen können, sondern insoweit Voraussetzungen erfüllen müssen, die Dazu etwa Rcuß a.a.O. S. 156. Ernst Benda, Notstandsverfassung und Arbeitskampf S. 7 und den von ihm dort zitierten Autoren (Müller und Deus) ist allerdings durchaus darin beizupflichten, daß Grundrechtsbeschränkungen anderer Art im Notstand, etwa Versammlungsverbote, auch von den Koalitionen ertragen werden müssen, soweit sie nicht etwa gegen die Koalitionsfreiheit als solche gezielt sind. 15

10

111. Die Koalitionsfreiheit als Kollektivgarantie

17

- jedenfalls innerhalb eines bestimmten Rahmens - der Gesetzgeber normieren kann. Weil nämlich die Zuerkennung der Tariffähigkeit zur Folge hat, daß die Koalition Tarifverträge abschließen kann, deren normative Teile nach herkömmlichem und geltendem Tarifvertragsrecht (Tarifvertragsgesetz vom 9. April 1949, WiGBl. S. 55, in der Fassung des Gesetzes vom 11. Januar 1952, BGBL I S. 19) als objektive Rechtsnormen anerkannt sind, weil also mit der Anerkennung der Tariffähigkeit neben dem sonst die Rechtsetzungsgewalt monopolisierenden parlamentarischen Gesetzgeber weitere Träger von Rechtsetzungsbefugnissen entstehen, ist der Staatsgesetzgeber schon um der Ordnung willen, in der sich die verbandliehe Rechtsetzung vollziehen muß, befugt, über diese Fähigkeit Näheres zu bestimmen. Die Frage bildet den Gegenstand der beiden schon zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 18. November 1954 (BVerfGE 4, 96) und 6. Mai 1964 (BVerfGE 18, 18 = SAE 1964, 137). In der letzten dieser Entscheidungen weist der Gerichtshof darauf hin, daß die Frage zwischen Nipperdey (in Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl. II S. 287) und Dietz (in: Die Grundrechte III/1 1958 S. 461) einerseits und Nikisch (Arbeitsrecht 2. Aufl. II S. 61) sowie dem Bundesverfassungsgericht selbst anderseits kontrovers ist. Der Unterschied der Auffassungen ist jedoch, näher betrachtet, nicht erheblich. Nipperdey und Dietz sehen die Rolle des Gesetzgebers im Ergebnis wesentlich darin, die den Koalitionen schon ihrem Begriffe und dem Sinn des Art. 9 Abs. 3 GG nach eignende Tariffähigkeit zu entfalten und zu sichern, während Nikisch und das Bundesverfassungsgericht demgegenüber nur meinen, die Bestimmungsgewalt des Gesetzgebers über die Voraussetzungen der Tariffähigkeit etwas stärker akzentuieren zu sollen. Keine Meinungsverschiedenheit besteht darüber, daß gewisse Mindesterfordernisse unverzidttbar sind: "Um tariffähig zu sein, muß die Koalition als satzungsmäßige Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder gerade in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer übernehmen; sie muß frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein; schließlich muß 2 Wemer Weber

18

III. Die Koalitionsfreiheit als Kollektivgarantie

s1e das geltende Tarifrecht als für sich verbindlich anerkennen" (BVerfGE 18, 28 = SAE 1964, 139, schon früher BVerfGE 4, 106 f.). Das Bundesverfassungsgericht sieht in diesen Merkmalen nur den Begriff der Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG abgegrenzt und erwägt, daß der Gesetzgeber über die Voraussetzungen der Tariffähigkeit mehr bestimmen könne. Es führt dazu in der auch sonst für das hier erörterte Problem wichtigen Entscheidung vom 18. November 1954 (BVerfGE 4, 107 ff.) aus: "Gleichwohl kann es nicht der Sinn der in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsfreiheit sein, daß der Gesetzgeber schlechthin jede Koalition zum Abschluß von Tarifverträgen zulassen, also als tariffähig behandeln muß. Geht man nämlich davon aus, daß einer der Zwecke des Tarifvertragssystems eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens, insbesondere der Lohngestaltung, unter Mitwirkung der Sozialpartner sein soll, so müssen die sich aus diesem Ordnungszweck ergebenden Grenzen der Tariffähigkeit auch im Rahmen der Koalitionsfreiheit wirksam werden. Diese Grenzen der Tariffähigkeit zu ziehen, ist an sich eine Aufgabe des gesetzgeberischen Ermessens. Da der Tarifvertrag das Gebiet des privaten Vertragsrechts verläßt und als unabdingbarer Kollektivvertrag normative Wirkung äußert, kann es dem Gesetzgeber nicht gleichgültig sein, zu wessen Gunsten er sich durch die Verleihung der Tariffähigkeit seines Normsetzungsrechts begibt. In der Gestaltung des Tarifsystems, insbesondere in seiner sachgemäßen Fortbildung, ist der Gesetzgeber nur dadurch beschränkt, daß mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit zugleich die Institution eines gesetzlich geregelten und geschützten Tarifvertragssystems verfassungsrechtlich gewährleistet ist, dessen Partner frei gebildete Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG sein müssen. Dieser mit der Koalitionsfreiheit zugleich gewährleistete Kernbereich des Tarifvertragssystems verbietet es dem Gesetzgeber, die von Vereinigungen frei gewählten Organisationsformen schlechthin oder in entscheidendem Umfang bei der Regelung der Tariffähigkeit unberücksichtigt zu lassen und auf diese Weise das Grundrecht der Koalitionsfreiheit mittelbar auszuhöhlen. Der Gesetzgeber darf also einerseits die Tariffähigkeit nicht ausschließlich oder in entscheidendem Maße an solche Organisationsformen und -prinzipien binden, die von den frei gebildeten Vereinigungen allgemein oder vorwiegend abgelehnt werden; andererseits ist er nicht genötigt, außergewöhnliche Organisationsformen oder solche, die durch die tatsächliche Entwicklung des sozialen Lebens nahezu völlig oder doch im wesentlichen als überholt gelten dürfen, auch dann bei der Regelung der Tariffähigkeit zu berücksichtigen, wenn sich daraus erhebliche Störungen einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens, vor

III. Die Koalitionsfreiheit als Kollektivgarantie

19

allem schwer überwindbare Schwierigkeiten für die Gestaltung des Tarifrechts in Richtung der Tarifklarheit und Rechtssicherheit ergeben würden. Starre Grundsätze lassen sich nicht aufstellen. Das Ermessen des Gesetzgebers, der bei einer Normierung der Tariffähigkeit sowohl die historische Entwicklung des Tarifwesens als auch eine für die Ordnung des Soziallebens gedeihliche Fortbildung des Tarifrechts mit dem Blick auf die Betriebsgestaltung in den verschiedenen Wirtschaftsbezirken wird berücksichtigen müssen, findet seine Grenzen darin, daß die freie Entwicklung der Koalitionen und damit auch ihr Entscheidungsrecht über ihre Organisationsform nicht sachwidrig gehemmt oder in ihrem Kern angetastet werden darf."

Dieser Auslegung ist nicht nur wegen der in ihr wirksamen höchstrichterlichen Autorität, sondern auch von der Sache her wenig entgegenzusetzen. Sicher ist jedenfalls, daß die Organisationsautonomie der Koalitionen, so unantastbar sie für den Gesetzgeber im übrigen sein mag, sich insofern gewissen gesetzlichen Eingrenzungen anbequemen muß, als die Voraussetzungen der Tariffähigkeit in Frage stehen. Denn aus dem Funktionszweck des Tarifvertragssystems, unter Mitwirkung der Sozialpartner eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens herbeizuführen, ergeben sich Grenzen der Tariffähigkeit, die abzustecken in der Verantwortung des Gesetzgebers steht17• Indessen braucht dieses Problem hier nicht weiter vertieft zu werden. Auch die im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Mai 1964 (BVerfGE 18, 18 = SAE 1964, 137) erneut lebhaft erörterte Frage, ob der Begriff der Gewerkschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes nicht nur kampfwillige Organisationen umfaßt18, kann hier dahingestellt bleiben. Die Fragen, um die es in diesem Zusammenhang geht, stellen sich nämlich in Krisenlagen und im Notstand nicht anders und nicht dringlicher dar als im verfassungsrechtlichen Normalzustand. Man mag die Bestimmungsgewalt des Gesetzgebers dahin, von der normierenden Um17 Das räumt auch Otto Kunze, Streikbereitschaft als Voraussetzung der Tariffähigkeit, BB t964, 1311 ff. (1316) in seiner Kritik an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Mai 1964 bereitwillig ein. Ebenso Wilhelm Reuß, a.a.O. S. 158 und Wilhelm H erschel, Tariffähigkeit und Unabhängigkeit, JZ 1965, 81 ff., 86. 18 Dazu etwa Kunze a.a.O.; Nikisch in SAE 1964, 141 ff.; Herschel, ]Z 1965, 83 ff. mit weiteren Hinweisen in Anm. 26.

20

Ill. Die Koalitionsfreiheit als Kollektivgarantie

schreibung der Tariffähigkeit her mittelbar auf das Organisationssystem der Koalitionen einzuwirken, größer oder geringer einschätzen. Der Notgesetzgeber der Notstandslage braucht auf diesem Gebiete jedenfalls keine weiteren Befugnisse, als sie schon der normale Gesetzgeber hat oder nicht hat. Denn die Fragen der Tariffähigkeit sind für die Notstandslage ohne spezifischen Belang. 4. Nach diesen Erwägungen läßt sich innerhalb der angestellten Untersuchung das folgende Zwischenergebnis festhalten: a) Die Koalitionsfreiheit als Individualrecht unterliegt keinerlei Gesetzesvorbehalt. Sie ist auch ihrem verfassungsrechtlichen Sinne nach gesetzlich nicht begrenzbar. Gleichwohl ist es nicht notwendig, in einer "Notstandsverfassung" ihre Beschränkbarkeie vorzusehen, weil es sich bei ihr um ein Freiheitsrecht handelt, das gegenüber Notstandslagen - und umgekehrt - indifferent ist. b) Die Koalitionsfreiheit als kollektiv-institutionelle Gewährleistung der Koalitionen als solcher muß differenzierend gewürdigt werden: Die Freiheit der Bildung, besser das Existenzrecht der Koalitionen ist untrennbar mit der individuellen Koalitionsfreiheit verbunden. Sie ist (unter dem schon erwähnten Vorbehalt des Art. 9 Abs. 2 GG) ebenso wie diese gesetzlich nicht begrenzbar, aber in gleicher Weise auch notstandsindifferent. Die (innere) Verbandsautonomie der Koalitionen unterliegt gleichfalls grundsätzlich nicht gesetzlicher Normierung und naturgemäß ebensowenig einer etwa dadurch legitimierten exekutivischen Einwirkung. Hier hat indessen der Gesetzgeber wohl die Möglichkeit, die Voraussetzungen der Tariffähigkeit abzustecken und insoweit auf die organisatorische Selbstdarstellung der Koalitionen innerhalb eines durch die Koalitionsfreiheit einerseits und den Ordnungszweck der Koalitionen anderseits begrenzten Rahmens mittelbar Einfluß zu nehmen. Aber für die Vorkehrungen in einer Notstandsverfassung ist die Frage ebenfalls gleichgültig. Die Maßnahmen, die der Zustand der äußeren oder der inneren Gefahr oder einer Katastrophe herausfor-

III. Die Koalitionsfreiheit als Kollektivgarantie

21

dert, liegen jenseits aller rechtlichen Erörterungen über die Tariffähigkeit von Koalitionen und auch außerhalb ihres inneren Verbandslebens. Um so mehr konzentriert sich das Interesse auf die Grenzen, die derjenigen Auswirkung der Koalitionsfreiheit gesetzt sind, die man als Betätigungsfreiheit der Koalitionen oder als ihre Tarifautonomie bezeichnet.

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen Die Betätigungsfreiheit der Koalitionen, soweit sie hier interessiert, äußert sich in der Gestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durch Tarifverhandlungen und Tarifvertragsabschluß. Zu ihr gehören als Mittel zur Erreichung des Koalitionszwecks auch das Schlichtungsverfahren und die Erscheinungsformen des Arbeitskampfes. Ungeachtet der Notwendigkeit, in der einen oder anderen Richtung zwischen diesen verschiedenen Aktionsrichtungen der Betätigungsfreiheit zu differenzieren, sollen sie im folgenden unter dem auch sonst in diesem Sinne verwendeten, wenngleich der WOrtbedeutung nach nur das Hauptelement akzentuierenden Sammelbegriff "Tarifautonomie" zusammengefaßt werden. 1. Es ist allgemein anerkannt, wie schon bemerkt wurde, daß die Tarifautonomie einen Teil oder einen Ausfluß der in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsfreiheit bildet. Nirgendwo aber wird ein ernsthafter Zweifel dagegen erhoben, daß sie im Rahmen dieser Verfassungsvorschrift nicht absolut garantiert ist, sondern daß sie verfassungsrechtlichen Begrenzungen unterliegt und durch Gesetz beschränkbar ist19• Nur Grund und Grenzen dieser Beschränkbarkeit werden nicht einheitlich beurteilt. Bisweilen wird in diesem Zusammenhang die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) bemüht20• Aber sie läßt sich in ihrer Vieldeutigkeit, wie aus dem Schrifttum leicht zu erkennen ist21 , ebensogut dafür 19 So neuestens zusammenfassend mit weiteren Hinweisen - Galperin, AuR 1965,2 f. 20 In keineswegs unkritischer Weise geschieht das z. B. bei Benda, a.a.O. S. 22 ff., ausgedehnter bei Nipperdey in seinem Lehrbuch und dem Grundriß passim. 21 Es sei nur auf den Facettenreichtum der folgenden Beiträge hingewiesen: Chr.-Fr. Menger, Der Begriff des sozialen Rechtsstaates im Bonner Grundgesetz (1953); Erich Fechner, Freiheit und Zwang im sozialen Rechtsstaat (1953); Referate

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgerneinen 23

verwenden, die Autonomie der Koalitionen gegen den staatlichen Gesetzgeber zu stützen als sie diesem gegenüber zu begrenzen, und bietet insofern für die Ermittlung überzeugender Ergebnisse in diesen Fragen keine verläßliche Grundlage. Eine Begründung dafür, daß der Gesetzgeber die Tarifautonomie begrenzen kann, wird gelegentlich in folgender Erwägung gefunden: Die Betätigungsfreiheit der Koalitionen, so sagt man etwa, ziele darauf ab, zu einer Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durch Abschluß von Gesamtvereinbarungen zu gelangen. Das Entscheidende an diesen Gesamtvereinbarungen sei wiederum der normative Teil der Tarifverträge, also die Schaffung von Rechtsnormen. Die tarifvertragliche Rechtsetzungsgewalt sei aber nicht originär, sondern vom Staatsgesetzgeber delegiert oder doch konzediert. Es handele sich also bei der normsetzenden Wirkung der Tarifverträge um Betätigung hoheitlicher Gewalt, die vom Staat, genauer vom Staatsgesetzgeber, abgeleitet sei. Auch abgesehen hiervon sei der Vorrang zwingenden Gesetzesrechts vor den tarifvertragliehen Normen unbestritten. Davon Ernst Forsthoff und Otto Bachof über "Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaats" auf der Bonner Staatsrechtslehrertagung, VVDStRL 12, 1954, S. 8 ff., 34 ff.; Ernst Forsthoff, Verfassungsproblerne des Sozialstaats (1954); Wolfgang Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz, in: Festschr. f. L. Bergsträsser (1954) S. 279 ff.; Derselbe in: Su!tan-Abendroth, Bürokratischer Verwaltungsstaat und soziale Demokratie (1955) S. 81 ff.; Hans Gerber, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes, AöR 81 (1956), S. 1 ff.; Fritz Werner, Sozialstaatliche Tendenzen in der Rechtsprechung, AöR 81 (1956) S. 84 ff.; Hermann fahrreiß, Freiheit und Sozialstaat (1957); Werner Thieme, Liberalismus und Grundgesetz, ZgesStW 113 (1957), S. 294 ff.; Gerhard Müller, Der Gedanke des sozialen Staates in der bisherigen Rechtsprechung des BAG, Der Betrieb 1956, S. 524 ff., 549 ff.; Derselbe, Drittwirkung von Grundrechten und Sozialstaatsprinzip, RdA 1964, 121 ff.; Derselbe, Der Sozialstaatsgedanke unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, BArbBI. 1964, 723 ff.; Hans Berger, Aufgaben und Grenzen des Sozialstaates, in: Priester und Arbeiter 1963, Heft 1 u. 2; Reußfantz, Sozialstaatsprinzip und soziale Sicherheit (1960); Alfred Hueck, Der Soziaistaatsgedanke in der Rechtsprechung des BAG, Festschr. f. W. Ape!t (1958) S. 57 ff.; W alter Bogs, Die Rechtsprechung des BSG zum Grundgesetz, JahrhöR NF 9 (1960), S. 169 f.; Bernd Rüthers, Streik und Verfassung (1960) S. 54 ff.; Andreas Hamann, Gewerkschaften und Sozialstaatsprinzip (1959); Helmut Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften im Sozialstaat nach dem Grundgesetz (1960) S. 3 ff.; E. R. Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft (1962); vor ausuferndem Gebrauch warnend Gerhard Leibholz, Verfassungsrecht und Arbeitsrecht, in: Hueck-Leibholz, Zwei Vorträge zum Arbeitsrecht (1960). Weitere Hinweise bei Benda, a.a.O. S. 22 ff.

24

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgerneinen

nach, so folgert man weiter, habe der staatliche Gesetzgeber schon kraft seiner formalen Oberordnung die Befugnis, die Tarifautonomie zu regulieren und zu begrenzen22 • So schlüssig dieser Gedankengang zu sein scheint, ist er doch nicht ohne Schwächen. Wie nämlich noch in jüngster Zeit von Eiedenkopf und Kunze deutlich gemacht worden ist23, entstammt die Rechtsetzungsmacht der Koalitionen nicht einer Delegation des Gesetzgebersdas Tarifvertragsgesetz von 1949/1952 hat diese Rechtsetzungsmacht nicht nach Maßgabe des Art. 80 Abs. 1 GG begründet, sondern bereits vorgefunden und nur geordnet -; sie liegt vielmehr in der Tarifautonomie als einem Ausfluß der verfassungsrechtlichen Koalitionsfreiheit selbst beschlossen und leitet sich insofern unmittelbar aus der Verfassung ab. Die Befugnis des Gesetzgebers, die Tarifautonomie zu begrenzen, läßt sich daher nicht einfach auf die Überlegenheit des Gesetzgebers als des "Monopolisten" verfassungsrechtlich begründeter Rechtsetzungsgewalt oder als eines Deleganten der Tarifautonomie zurückführen, sondern muß in anderen Zusammenhängen gesucht werden. Als erstes ist nach dieser Richtung zu nennen, daß es aller Tradition des modernen Staatswesens im allgemeinen und der Koalitionsfreiheit im besonderen, auch der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes widersprechen würde, wollte man das Grundgesetz dahin auslegen, es habe der Rechtsetzung kraft Tarifautonomie den gleichen Rang geben wollen wie derjenigen des parlamentarischen Gesetzgebers, und es habe der universellen Regelungsvollmacht des Gesetzgebers einen wesentlichen Bereich des Wirtschafts- und Soziallebens gänzlich entziehen wollen. Zum andern ist zu bedenken, daß die Tarifautonomie nicht ein Grundrecht - ohne Gesetzesvorbehalt im klassischen Sinne, sondern daß sie einen aus dem Grundrecht der 22 Zu diesem Gedankengang neigen etwa Nikisch, Arbeitsrecht II S. 45; N ipperdey, Lehrbuch II S. 262; BAGE 4, 240 (250 f.). 23 Biedenkopf, a.a.O. S. 103 f. unter Berufung auch auf H. Galperin, Die autonome Rechtsetzung im Arbeitsrecht, in: Festschr. f. Molitor (1962) S. 155 ff.; Otto Kunz e, Streikbereitschaft als Voraussetzung der Tariffähigkeit, BB 1964, 1311 (1313). Die Berechtigung der "Delegationstheorie" bezweifelt auch Benda a.a.O. S. 19.

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen 25

Koalitionsfreiheit deduzierten Systembestandteil der Sozialordnung, eine institutionelle Emheinung also, darstellt, die mit den eigentlichen institutionellen Verfassungsgarantien24 zwar nicht identisch ist, aber ihnen verwandte Züge aufweist25 • Das bedeutet, daß die Verfassungsgarantie sie zwar - ähnlich dem Schutz der Institution der kommunalen Selbstverwaltung durch Art. 28 Abs. 2 GG - in ihren historisch geprägten entscheidenden Wesenszügen deckt und gegen Denaturierung schützt, aber unbeschadet dieses "Wesensgehalts" eine nähere Ausformung ihrer Reichweite und ihrer Betätigungsmodalitäten durch den Gesetzgeber offenhält. Mit Recht hat Kunze festgestellt, daß "Gegenstand der institutionellen Garantie der Institution des Tarifvertragssystems ... nach einhelliger Auffassung nur der Kernbereich dieser Institution" ist26• Das Ganze ist eine Frage der Staatsverantwortung und der demokratischen Staatsgestaltung. Wäre das Ausfechten der Arbeitskämpfe zwischen den Koalitionen deren bloßes Internum, und blieben die Wirkungen ihrer tarifvertragliehen Abmachungen auf den Bereich der Koalitionen beschränkt, so bestände allerdings kein Anlaß, in diesem Zusammenhang auf die politische Gesamtverantwortung des demokratischen Staatswesens zu rekurrieren, es sei denn, um für den Schutz eines bei den Koalitionsauseinandersetzungen bedenklich bedrohten Schwächeren Vorkehrungen zu treffen. Aber um ein reines Internum der Koalitionspartner handelt es sich gerade nicht. Es liegt im Wesen der tarifvertragliehen Abmachungen, daß sie jeweils nur zu branchenmäßig oder regional begrenzten Regelungen führen. Bisweilen aber erfordert es die Natur der Sache, daß - nicht nur als Mindestarbeitsbedingungen - durchgängige und einheitliche Regelungen für das ganze Staatswesen getroffen werden, die, weil sie auch 2 • Zu ihnen neustens Gunter Abel, Die Bedeutung der Lehre von den Einridttungsgarantien für die Auslegung des Banner Grundgesetzes (1964). 25 So audt Eiedenkopf a.a.O. S. 105; Schnorr, RdA 1955, 3; Scheuner, in: Weber, Scheuner, Dietz, Koalitionsfreiheit (1961) S. 39; Kunze, BB 1964, 1313; Wilhelm Reuß, Die Stellung der Koalitionen in der geltenden Redttsordnung, in: Das Arbeits· redtt der Gegenwart I (1964) S. 146, 154, 157. 26 Kunze, BB 1964, 1316; ähnlidt Scheuner, a.a.O. S. 39, 44 und die eben zitierte ~ußerung von Wilhelm Reuß.

26

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen

durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung nur begrenzt erreichbar sind, notwendig in die Verantwortung des staatlichen Gesetzgebers fallen. Weiter hat die Tarifautonomie dort ihre natürliche Grenze, wo die Regelung von Lohn- und Arbeitsbedingungen in unlöslicher Verbindung mit anderen, dem Staatsgesetzgeber vorbehaltenen Fragen der Sozialordnung, etwa des Jugend- und Mutterschutzes, der Gesundheitspflege, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der prinzipiellen Eigentums- und Wirtschaftsordnung stehen. Auch hier muß die Tarifautonomie hinter der primären Regelungsverantwortung des demokratischen Gesetzgebers zurücktreten. Das alles sind im übrigen unproblematische Fälle. Es ist aber ferner zu bedenken, daß die Verhandlungsergebnisse der Koalitionen der Wirkung nach auch auf dem eigentlichen Gebiet der Festlegung der Lohn- und Arbeitsbedingungen selbst möglicherweise weit i.iber den Kreis der unmittelbar Beteiligten hinausgreifen. In dem, was die Tarifpartner über Lohnhöhe, Arbeitszeit usw. aushandeln und in Normen umsetzen, wird in der Rückwirkung auf die Preise und auf die Kaufkraft der Bevölkerung - potentiell - über die Verteilung des Sozialprodukts zugunsten der einen und zu Lasten der anderen mitentschieden und werden möglicherweise soziale Umstrukturierungsprozesse allgemeinen Charakters eingeleitet, wird ferner auf die interne wie externe Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft und den Bestand der Währung Einfluß genommen, und zwar unter Umständen in einer sehr nachhaltigen Weise27 • Wo das geschieht oder sich abzeichnet, sind die Staatsführungsinstanzen und ist vor allem der staatliche Gesetzgeber dahin aufgerufen, die Belange des Staates und aller seiner, auch der nicht koalitionsbeteiligten Bürger aus demokratischer Gesamtverantwortung zu wahren und der Betätigung der Tarifautonomie begrenzend entgegenzutreten. Schließlich ist es vorstellbar und durch ältere Erfahrungen bestätigt, daß Arbeitskämpfe nicht nur "lebenswichtige" Betriebe, Einrichtun27 Wilhelm Reuß, a.a.O. S. 144 spricht in diesem Zusammenhang von der Macht der Koalitionen, "Niveau, Gangart und Gangrichtung der Wirtschaft, Kaufkraft und Währung ganz allgemein entscheidend mitzubestimmen".

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen 27

gen und Funktionen in Gefahr bringen, sondern auch für den Gang des Wirtschaftslebens und damit für die Wohlfahrt der Bevölkerung einen ruinösen Charakter annehmen können. Dagegen Vorsorge zu treffen, gehört ebenfalls zur unveräußerlichen Verantwortung des Staatswesens, besonders eines solchen, das sich als Demokratie legitimiert. Es kommt m diesem Zusammenhang zunächst nicht darauf an, zwischen den in der Koalitionsfreiheit einerseits und der Ordnung des staatlichen Gemeinschaftslebens anderseits beschlossenen Werten oder Gütern abzuwägen- davon wird später noch die Rede sein-, vielmehr herauszustellen, daß der eigentliche Grund der Beschränkbarkeit der Tarifautonomie durch den Gesetzgeber im demokratischen Prinzip der Verfassung und in der grundgesetzlich aufgetragenen Verantwortung der demokratisch legitimierten Verfassungsorgane - wenn man so will: zur Verwirklichung des Sozialstaats oder sozialen Rechtsstaats - zu finden ist. 2. Der hier entwickelte Gedankengang ist mehr oder weniger deutlich auch als Leitlinie vielfältiger sonstiger Beiträge zu unserem Problem zu erkennen. Das Bundesverfassungsgericht hat ihm in den beiden zitierten Entscheidungen vom 18. November 1954 (BVerfGE 4, 96) und 6. Mai 1964 (BVerfGE 18, 18 = SAE 1964, 137) auf seine Weise Ausdruck gegeben. In der ersten Entscheidung, von der ein wesentlicher Teil schon oben im Wortlaut wiedergegeben wurde, hebt das Bundesverfassungsgericht darauf ab, daß, wenn die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit nicht ihres historisch gewordenen Sinnes beraubt werden solle, im Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 ein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich auch in der Richtung liegen müsse, daß ein Tarifvertragssystem im Sinne des modernen Arbeitsrechts staatlicherseits überhaupt bereitzustellen sei und daß Partner dieser Tarifverträge notwendig frei gebildete Koalitionen seien. Die Entscheidung spricht dann im 'weiteren Verlauf davon, daß einer der Zwecke des Tarifvertragssystems eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens, insbesondere der Lohngestaltung, unter Mitwirkung der Sozialpartner sein solle. Die aus diesem "Ordnungs-

28

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen

zweck" sich ergebenden Grenzen der Tariffähigkeit müßten auch im Rahmen der Koalitionsfreiheit wirksam werden; sie zu ziehen sei an sich eine Aufgabe des gesetzgeberischen Ermessens. Wegen der normativen Wirkung des Tarifvertrages könne es dem Gesetzgeber nicht gleichgültig sein, zu wessen Gunsten er sich durch die Verleihung der Tariffähigkeit seines Normsetzungsrechts begebe. In der Gestaltung des Tarifsystems, insbesondere in seiner sachgemäßen Fortbildung, sei der Gesetzgeber nur dadurch beschränkt, daß mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit zugleich die Institution eines gesetzlich geregelten und geschützten Tarifvertragssystems verfassungsrechtlich gewährleistet sei, dessen Partner frei gebildete Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG sein müßten. Am Schluß der Entscheidung findet sich noch einmal die Wendung von dem mit dem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG "zugleich verfassungsmäßig geschützten Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung". In der zweiten Entscheidung (BVerfGE 18, 18 = SAE 1964, 137) hebt das Bundesverfassungsgericht an nicht weniger als drei Stellen (unter B, I, 2 a. E., B, II, 1 und B, III, 2 c) hervor, daß es die den Koalitionen im öffentlichen Interesse übertragene Aufgabe sei, im Verein mit dem sozialen Gegenspieler das Arbeitsleben zu ordnen und zu befrieden. Besonders charakteristisch geschieht dies unter B, II, 1 mit folgenden Worten: "Die aus der Koalitionsfreiheit entspringende Tarifautonomie verfolgt den im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, in dem von der staatlichen Rechtsetzung frei gelassenen Raum das Arbeitsleben im einzelnen durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, insbesondere die Höhe der Arbeitsvergütung für die verschiedenen Berufstätigen festzulegen, und so letztlich die Gemeinschaft sozial zu befrieden."

Gewiß sind die beiden Entscheidungen, die sich konkret nur mit Fragen der Tariffähigkeit zu beschäftigen hatten, nicht dahin aufzufassen, daß in ihnen das Problem der Betätigungsfreiheit der Koalitionen erschöpfend abgehandelt sei. Aber die wesentlichen Punkte, die die Tarifautonomie nach der Ansicht des Gerichtshofs kennzeichnen, treten doch deutlich hervor: Um einen für den Gesetz-

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen

29

geber unantastbaren "Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung" breitet sich eine Zone, in der der Gesetzgeber Gestaltungsfreiheit oder jedenfalls Gestaltungsmöglichkeit hat. Dabei wird dem Gesetzgeber zur Orientierung in den Blickpunkt gerückt, daß die Koalitionsfreiheit die Herstellung einer "sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens" als Zweck hat und daß sie die den Koalitionen im öffentlichen Interesse übertragene Aufgabe in sich schließt, im Verein mit dem sozialen Gegenspieler das Arbeitsleben zu ordnen und zu befrieden. Es klingt auch die "Delegationstheorie" mit dem Hinweis an, daß die Rechtsetzungsbefugnis der Tarifpartner dem Normsetzungsrecht des Gesetzgebers entstamme und der Gesetzgeber auch von hier aus eine Ordnungsaufgabe behalte. Schließlich ist angedeutet, daß die Tarifautonomie dem Zweck diene, "in dem von der staatlichen Rechtsetzung frei gelassenen Raum das Arbeitsleben im einzelnen durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen". Im ganzen ist die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts unverkennbar, von dem "geschützten Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung" abgesehen, die Befugnisse des demokratischen Gesetzgebers zur Definierung und Begrenzung der Betätigungsfreiheit der Koalitionen weit zu spannen. Daß sich der Gesetzgeber dabei immer und ausschließlich von den Notwendigkeiten des Gemeinwohls bestimmen läßt, ist selbstverständliche Voraussetzung. 3. Auf die Frage, mit welchen Regelungsbefugnissen der Gesetzgeber die Betätigungsfreiheit der Koalitionen einschränken kann, antwortet das Schrifttum in mancherlei Nuancen. Der Kommentar zum Grundgesetz von v. Mangoldt-Klein (2. Aufl. 1/ 1957 S. 331 ff.) will den allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt des Art. 2 Abs. 1, 2. Halbs. GG auch auf die Koalitionsfreiheit bezogen wissen und meint sogar, daß die Streik- und Aussperrungsfreiheit vom Gesetzgeber beliebig eingeschränkt werden könne. Nach Rolf Dietz (Die Koalitionsfreiheit, in: Die Grundrechte 111/1, 1958 S. 460) bedeutet die verfassungsremtliche Garantie der KoalitionenAnerkennung des Tarifrechts. Darin sei, so legt er unter Bezugnahme auf BVerfGE 4, 96 dar, der Kern dessen beschlossen, was das Wesen des Tarifrechts ausmache,

30 IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen

nämlich die unmittelbare Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch die Koalitionen. Die Regelung dieses Rechts im einzelnen bleibe dem Gesetzgeber überlassen. Ob damit eine staatliche Kontrolle verbunden sein dürfe, sei keine verfassungsrechtliche Frage, sondern sei durch Gesetz zu entscheiden. Die Verfassung stehe nicht entgegen, solange es sich nur um eine Kontrolle handele, nicht aber um eine Maßnahme, die den Koalitionen die eigenverantwortliche Gestaltung aus der Hand nehme. Außerhalb des Tarifrechtes genössen die Koalitionen einen verfassungsrechtlich garantierten Mindestrahmen nicht; die Abgrenzung sei hier vielmehr ganz dem Gesetzgeber überlassen (a.a.O. S. 462). Die Streikfreiheit sei nur ein Ausfluß der in Art. 2 Abs. 1 GG normierten allgemeinen Betätigungsfreiheit und sei wie diese durch den Gesetzgeber beschränkbar (a.a.O. S. 463)28• Hinsichtlich der Streikfreiheit vertritt Artbur Nikisch (Arbeitsrecht, 2. Aufl. 1959 II S. 24) die gleiche Auffassung; in der Beurteilung der Tarifautonomie stimmt er wie Dietz in den Grundzügen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. November 1954 zu (a.a.O. s. 55). Nipperdey bringt in dem großen Lehrbuch (Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl. II 1957 S. 112 f.) zum Ausdruck, daß er die Betätigungsfreiheit der Koalitionen mit der Untergliederung in Tariffähigkeit, Schlichtungsfähigkeit, Arbeitskampffähigkeit und der Fähigkeit, Träger betriebsverfassungsrechtlicher Rechte zu sein, in Art. 9 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt sehe, daß aber die durch Art. 2 Abs. 1 gesteckten Grenzen (Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz) auch dieser Betätigungsfreiheit gesetzt seien. Ohne im einzelnen darauf einzugehen, welche Ausformung der Begriff der "verfassungsmäßigen Ordnung" im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefunden hat, führt Nipperdey (a.a.O. S. 114) weiter aus, zur verfassungsmäßigen Ordnung gehöre auch das Prinzip des sozialen Rechtsstaats. Die Koalitionen müßten sich daher eine Beschränkung ihrer Betätigungsfreiheit durch den Staat gefallen 28

Neuerdings von Dietz unterstrichen in SAE 1964, 156.

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen 31

lassen, wenn dies zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips unumgänglich notwendig sei. Dabei sei aber zu beachten, daß der Staat in die Freiheitsrechte zugunstcn des Sozialstaatsprinzips nicht ohne zwingende Notwendigkeit eingreifen dürfe. Der Staat werde daher danach zu trachten haben, das zunächst mildere Mittel, insbesondere die Lenkung des freiwilligen Gebrauchs der Freiheitsrechte in die Richtung sozialer Verpflichtungen, anzuwenden, bevor er zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips in die Handlungsfreiheit der Koalitionen eingreife. Erst wenn diese Mittel versagten, sei ein Eingriff in die Autonomie der Koalitionen zulässig. Wo die Grenzen lägen, lasse sich nur an Hand des Einzelfalles bestimmen. - In dem von Hueck und Nipperdey herausgegebenen "Grundriß des Arbeitsrechts" (2. Aufl. 1962) setzt Nipperdey - rund 5 Jahre später - die Akzente ein wenig anders. Es heißt dort (S. 146): Der Staat habe die freie Aushandlung der Arbeitsbedingungen durch die Arbeitgeber und Arbeitnehmer und durch ihre frei gebildeten Verbände grundsätzlich zu achten und anzuerkennen. Die dadurch bedingte freiheitliche Sozialordnung beschränke sich nicht nur auf die Bildung der Koalitionen und ihre innere Organisation, sondern sie erfasse auch die Mittel, mit denen die freie Vereinbarung der Arbeitsbedingungen erreicht werden solle, jedenfalls im Sinne von Institutsgarantien: den Tarifvertrag, die Betriebsvereinbarung, das freiwillige Schlichtungswesen und den legitimen Arbeitskampf. Möge der Gesetzgeber diese Institute auch im einzelnen näher regeln können, so dürfe er doch nicht diese Rechtsinstitute als solche - in ihrem Wesensgehalt - antasten oder gar völlig beseitigen und durch staatliche Lenkungsmaßnahmen ersetzen. Besonders wichtig sei, daß die nach dem Grundgesetz für notwendig zu erachtende Synthese von Freiheitsprinzip und Sozialstaatsprinzip zu dem Ergebnis führe, daß der Staat die Gestaltung der Arbeitsbedingungen primär der sozial eigenverantwortlichen Tätigkeit der Koalitionen überlassen müsse und durch eigene Maßnahmen erst dann eingreifen dürfe, wenn das sozialverpflichtete Verhalten auf freiwilliger Grundlage versage und die Ziele des sozialen Rechtsstaats ernstlich gefährdet würden. Nipperdey spricht in diesem Zusammenhang vom

32

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen

"Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Handelns". An späterer Stelle des zitierten Grundrisses (S. 166) greift Nipperdey das Thema erneut auf: Nur die das Wesen der Koalition ausmachende Gesamtrichtung der Betätigungsfreiheit sei durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Hierzu gehörten die Tariffähigkeit, die Schlichtungsfähigkeit, das Recht zum Arbeitskampf sowie die allgemeine Wahrnehmung der sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder. Die Einzelziele und ihre Mittel würden hingegen vom Schutz der Koalitionsfreiheit nicht mit umfaßt und müßten sich daher im Rahmen der allgemeinen Gesetze, insbesondere auch im Rahmen des in Art. 2 Abs. 1 GG gemachten dreifachen Vorbehalts der Rechte anderer, des Sittengesetzes und der verfassungsmäßigen Ordnung halten. Eine sehr geraffte und prägnante Darstellung der Rechtslage nach dem neuesten Stande der Einsicht in die Problematik hat Wilhelm Reuß29 mit folgenden Ausführungen geliefert: "Die Anerkennung der historisch entwickelten Koalitionsfreiheit als selbständiges Grundrecht durch das GG bedeutet eine institutionelle Garantie, d. h. eine Unantastbarkeit des Kernbereichs, die eine Anpassung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Rechts- und Sozialstaats und eine nähere gesetzliche Regelung zur Schaffung einer ,sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens' (BVerfGE 4, 96 ff., 107) nicht ausschließt. Die institutionelle Garantie erstreckt sich auf die Gewährung eines staatsfreien autonomen Bereichs, dessen Umfang und Träger durch die Rechtsordnung in den Grenzen der überkommenen und übernommenen allgemeinen Grundvorstellungen nach sachadäquaten Gesichtspunkten bestimmt werden. Die Rechtsordnung kann also im Interesse einer ,sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens' Differenzierungen nach Träger und sachlichem Bereich vornehmen. Es gibt auch in der Tat weder einen einheitlichen Typ der Koalition, noch einen einheitlichen Umfang der Rechte, die sich aus der Koalitionsfreiheit ergeben."

Der Bericht aus dem vorliegenden Schrifttum soll damit abgeschlossen werden. Den Zugang zu weiteren Quellen vermitteln die zitierten Autoren in reicher Fülle. Aus neuster Zeit ist noch auf die Beiträge von Kunze und G. A. Bulla zu verweisen30 • Der Verfasser dieser AusWilhelm Reuß, a.a.O. S. 146; in anderen Wendungen wiederholend S. !54. Otto Kunze, BB 1964, 1311 (1313 ff.). G. A. Bulla, Soziale Selbstverantwortung der Sozialpartner als Rechtsprinzip, in: Festschrift für Nipperdey (1965) Bd. II S. 79 ff. mit sehr eindringlichen Darlegungen. 29

30

IV. Die Grenzen der Betätigungsfreiheit der Koalitionen im allgemeinen 33

arbeitung kann ferner auf eigene einschlägige Veröffentlichungen Bezug nehmen31 • Das Gesamtergebnis läßt sich unter Beiseitelassung hier nicht interessierender Varianten in den Meinungen der Vertreter der Arbeitsremtswissenschaft dahin zusammenfassen, daß nach allgemeiner Meinung der staatliche Gesetzgeber die Befugnis hat, die Betätigungsfreiheit der Koalitionen zu begrenzen. Dabei darf er allerdings den Kernbereim dieser in der Koalitionsfreiheit beschlossenen Betätigungsfreiheit nicht antasten. Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise der Gesetzgeber der Betätigungsfreiheit Grenzen zu setzen vermag, ist zwar in den zitierten Beiträgen der Rechtsprechung und des Schrifttums schon mehrfach angeklungen, bedarf aber noch weiterer Überprüfung. Dabei kann der Bereich staatlicher Repressivmaßnahmen gegen Akte, die Verstöße gegen Strafgesetze darstellen oder die verfassungsmäßige Ordnung angreifen, gegen verfassungswidrige politische Streiks32 und gegen illegitime Kampfmaßnahmen als im Prinzip unproblematisch und überdies als nicht zum Thema gehörig beiseite bleiben.

31 Werner Weber, Die Sozialpartner in der Verfassungsordnung, in: Göttinger Festsmr. f. d. OLG Celle (1961) S. 239 ff.; Derselbe, Unzulässige Besmränkungen der Tariffreiheit, BB 1964, 764 ff. 32 Zur Problematik des politismen Streiks Werner Weber, Die Sozialpartner in der Verfassungsordnung a.a.O. S. 245 und die dort Zitierten, darunter Fritz Siebrecht, Das Remt im Arbeitskampf, jetzt in der 3. Auf!. 1964 S. 55 ff.; ferner Wilfried Wedler, Das Grundremtauf Streik (Göttinger Diss. 1964 S. 33 ff.).

3 Wemer Weber

V. Die Begrenzbarkeit der Tarifautonomie im einzelnen 1. Dem Gesetzgeber bieten sich, prinzipiell betrachtet, drei Möglichkeiten, den Aktionsbereich der Tarifautonomie einzuschränken: einmal, indem er einen der Tarifautonomie an sich zugänglichen Gegenstand selbst normiert, zum andern indem er in Tarifvertragsgesetzen, Schlichtungsordnungen oder ähnlichen das Funktionieren der Tarifautonomie regulierenden Normen das freie Verhandeln der Tarifparteien und den Gebrauch von Mitteln des Arbeitskampfes einhegt, und drittens, indem er die Betätigung der Tarifautonomie zeitlich oder gegenständlich durch direkten Gesetzesbefehl unterbindet. Die äußerste Grenze, bis zu der diese Einschränkungen verfassungsrechtlich gehen können, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 18. November 1954 dahin bezeichnet, daß ein "Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung" in jedem Falle gewahrt bleiben muß. Aber das ist, wie aus neuerer Einsicht, insbesondere aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Problemen der Grundrechtsauslegung ergänzend festgestellt werden muß, nicht die einzige, sondern wirklich nur die äußerste verfassungsrechtliche Grenze. Denn die Tarifautonomie ist als Auswirkung der Koalitionsfreiheit nicht prinzipiell darauf angelegt, beschränkt zu werden, sondern umgekehrt darauf, ihre freiheitliche, d. h. die gesellschaftliche Eigenverantwortung der Koalitionen aktivierende Funktion wirklich zu entfalten. Ihre Akzente liegen also auf der verfassungsrechtlichen Gewährleistung, auf der Freiheit und Eigenverantwortlichkeit und nicht auf der Einschränkung. Die Lage ist bei ihr ähnlich wie bei Art. 2 Abs. 1 GG, wo die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Grundrechtssatz statuiert, wenn auch zugleich an Vorbehalte, vor allem an die aus der verfassungsmäßigen Ordnung sich ergebenden

V. Die Begrenzbarkeit der Tarifautonomie im einzelnen

35

Grenzen geknüpft ist; sie ist ferner ähnlich wie bei den Grundsätzen, die vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 12 Abs. 1 GG entwi