Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat: Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag [1 ed.] 9783428509317, 9783428109319

Fragen von "Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat" eröffnen ein Themenspektrum, das gleichermaßen vielfä

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Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat: Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag [1 ed.]
 9783428509317, 9783428109319

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Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer · Alexander Hollerbach · Josef Isensee Joseph Listi · Wolfgang Loschelder · Hans Maier · Paul Mikat Stefan Muckel · Wolfgang Rüfner · Christian Starck

Band 42

Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag

Herausgegeben von Stefan Muckel

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 3-428-10931-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort A m 8. September 2003 vollendete Wolf gang Rüfner sein 70. Lebensjahr. Dieser Geburtstag könnte als Anlass für Festschriften der unterschiedlichsten thematischen Ausrichtung zu Ehren des Jubilars dienen. Der Blick auf seine zahlreichen Veröffentlichungen legt es gleichermaßen nahe, sein Schaffen i m verfassungsrechtlichen Kontext, i m Verwaltungsrecht und in der Verwaltungsrechtsgeschichte, vor allem aber auch i m Sozialrecht zu würdigen. Gleichwohl werden mit der vorliegenden Festschrift seine Leistungen auf dem Gebiet des Staatskirchenrechts in den Vordergrund gestellt. Das hängt zunächst damit zusammen, dass die Festschrift zu einer Zeit erstellt und überreicht wird, in der Wolfgang Rüfner als Geschäftsführender Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands die Arbeit an staatskirchenrechtlichen Fragen zu seiner zentralen Aufgabe gemacht hat. In seinem staatskirchenrechtlichen Wirken werden zudem verschiedene Wesenszüge deutlich, die für Wolf gang Rüfner von denjenigen, die mit ihm Kontakt haben, als besonders prägend empfunden werden mögen. Einerseits fest verwurzelt i m katholischen Glauben, verlässt ihn andererseits nie die Fähigkeit zu wissenschaftlich kritischer Reflexion. Sie führt ihn, wie er selbst in Würdigung seines akademischen Lehrers Ulrich Scheuner aus Anlass von dessen 70. Geburtstag formuliert hat, zum „Sinn für Maß und Mitte". Der Kirche hat er schon früh wertvolle Dienste durch seine Beteiligung an wichtigen Verfahren vor den Gerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht sowie durch beratende Tätigkeit geleistet. In Anerkennung seiner Verdienste wurde ihm das Komturkreuz des päpstlichen Gregoriusordens überreicht. Seine jetzige Aufgabe am Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands steht in der Kontinuität dieses Wirkens. Seine staatskirchenrechtlichen und kirchenrechtlichen Überlegungen führen häufig zum Brückenschlag zwischen den zahlreichen Aspekten seines wissenschaftlichen Wirkens. Hier seien nur die vielfältigen Veröffentlichungen zu sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen mit kirchlichem Bezug erwähnt, ebenso die Beiträge zum kirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht und zur Zuständigkeit staatlicher Gerichte in kirchlichen Angelegenheiten i m Handbuch des Staatskirchenrechts. Wolfgang Rüfner entstammt der Familie des Professors der Philosophie Vinzenz Rüfner. Er wird am 8. September 1933 in Hanau am Main geboren. Seine Schulzeit verbringt er in Bamberg, wo er am Humanistischen Neuen Gymnasium i m Juli 1952 die Reifeprüfung ablegt. Das Hochschulstudium beginnt er i m Wintersemester 1952/53 an der Universität Würzburg als Student der Philosophie. Nach einem Studienortwechsel nach Bonn im Sommersemester 1953 nimmt er dort i m Winter-

Vorwort

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semester 1953/54 neben dem Philosophiestudium das Studium der Rechtswissenschaften auf. I m Jahre 1957 legt er sein Erstes Juristisches Staatsexamen ab und tritt i m gleichen Jahr in den Referendardienst des Landes Nordrhein-Westfalen ein. I m Mai 1961 legt er sein Doktorexamen ab, mit einer Arbeit unter dem Titel „Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842", die 1962 erscheint. Nach dem Zweiten Juristischen Staatsexamen i m Jahre 1961 nimmt er zum November des gleichen Jahres die Aufgaben eines Wissenschaftlichen Assistenten am Institut für Völkerrecht der Universität Bonn wahr, an dem er im Juni 1962 zum Wissenschaftlichen Assistenten ernannt wird. A m 15. M a i 1966 wird er an der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn auf Grund der von Ulrich Scheuner betreuten Schrift „Formen öffentlicher Verwaltung i m Bereich der Wirtschaft" habilitiert und erhält die Lehrbefugnis für Staats- und Verwaltungsrecht. I m Sommersemester 1967 führt ihn ein Lehrauftrag für deutsches öffentliches Recht an die Universität Lausanne. Es folgt eine Lehrstuhlvertretung an der Universität Saarbrücken i m Wintersemester 1967/68. Er erhält Rufe nach Innsbruck, Graz und Kiel und folgt schließlich dem Ruf an die Universität Kiel. A m 30. Oktober 1969 wird Wolf gang Rüfner zum ordentlichen Professor an der Juristischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel ernannt. In den Jahren 1975 bis 1977 ist er Dekan seiner Fakultät und folgt i m Jahre 1979 einem Ruf an die Universität des Saarlandes. In Saarbrücken erreicht ihn im Jahre 1984 ein Ruf an die Universität zu Köln auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Kirchenrecht. Zum 1. A p r i l 1985 wird er zum Direktor des Instituts für Kirchenrecht und rheinische Kirchenrechtsgeschichte der Universität zu Köln ernannt. Schon kurz nach seiner Berufung wählt ihn die Rechtswissenschaftliche Fakultät zum Dekan. Dieses A m t bekleidet er von 1986 bis 1988, somit auch in der mit besonderen Belastungen verbundenen Zeit der 600-Jahr-Feier der Kölner Universität. Nach seiner Emeritierung i m Herbst 1998 schließlich wird Wolf gang Rüfner in der Nachfolge von Joseph Listi zum Geschäftsführenden Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands berufen. Hier arbeitet er seither hauptamtlich an Fragen von „Kirche und Religion i m sozialen Rechtsstaat". Gleichwohl ist er als Autor rechtswissenschaftlicher Beiträge auf den verschiedenen Gebieten des Öffentlichen Rechts, als Gutachter sowie Sachverständiger bei komplexen Rechtsproblemen und als Vortragsredner bei Fachtagungen nach wie vor viel gefragt. Sein wissenschaftliches Werk ist durchaus noch nicht vollendet. Der 70. Geburtstag ist deshalb nicht mehr als ein Anlass, ihm in Hochachtung und Dankbarkeit diese Festschrift zu überreichen. Köln, i m April 2003

Stefan Muckel

Inhaltsverzeichnis

Peter Axer Die Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche

13

Manfred Baldus Katholische Freie Schulen im Kontext der europäischen Rechtsangleichung Axel Freiherr

33

von Campenhausen

Rechtsprobleme der Grundrechtsförderung jüdischer Gemeinden durch staatliche Leistungen

67

Gerhard Czermak Öffentliche Schule, Religion und Weltanschauung in Geschichte und Gegenwart der Bundesrepublik Deutschland. Eine Rückschau unter dem Aspekt der individuellen Religionsfreiheit und Neutralität

79

Otto Depenheuer Auf der Suche nach der verlorenen Einheit. Carl Ernst Jarcke und die religiöse Fundierung von Recht und Staat

111

Johannes Dietlein Das Feiertagsrecht in Zeiten des religiösen Wandels

131

Christoph Grabenwarter Die korporative Religionsfreiheit nach der Menschenrechtskonvention

147

Felix Hammer Kirchenbauten in Staatseigentum unter dem Grundgesetz und kirchliche Veränderungs- und Umgestaltungswünsche hieran

159

Peter Hanau Neue Wege zur Verbindung von Flexibilität und Sicherheit in der Beschäftigung

177

Martin Heckel Thesen zum Staat-Kirche-Verhältnis im Kulturverfassungsrecht

189

Inhaltsverzeichnis

8 Jochen Heide

Zuwendungs- und Testierverbote gemäß § 14 Heimgesetz

217

Ansgar Hense Das Schicksal der Kirchenglocken im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Eine rechtshistorische Reminiszenz und zugleich ein Beitrag zum Rechtsstatus der sog. Leihglocken als aktuelles Rechtsproblem des Öffentlichen Sachenrechts 227 Christian Hillgruber Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und die Jurisdiktionsgewalt des Staates

297

Stephan Hobe Die Verbürgung der Religionsfreiheit in der EU-Grundrechtecharta Wolfram

317

Höfling

Kopernikanische Wende rückwärts? Zur neueren Grundrechtsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts 329 Alexander Hollerbach Zum staatskirchenrechtlichen Diskurs im deutschen Katholizismus der Nachkriegszeit 341 Josef Isensee Private islamische Bekenntnisschulen. Zur Ausnahme vom Verfassungsprinzip der für alle gemeinsamen Grundschule 355 Josef Jurina Der Status von Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Alltag

381

Burkhard Kämper Eingetragene Lebenspartnerschaft und kirchlicher Dienst

401

Karl-Hermann Kästner Entscheidungsmaßstäbe und Prüfungsbefugnis kirchlicher Gerichte in den evangelischen Kirchen 423 Paul Kirchhof Die Kirchensteuer in der Entwicklung des staatlichen Steuerrechts Winfried

443

Kluth

Der Preis der Gewissensfreiheit im weltanschaulich pluralen Leistungsstaat. Eine exemplarische Untersuchung im Bereich des Gesundheitswesens 459

Inhaltsverzeichnis Martin Kriele Die Kirchen und die Menschenwürde

481

Joachim Lang Staatsloyalität kirchensteuerberechtigter Religionsgemeinschaften

497

Christoph Link Grundrechtsschutz für Sozialversicherungsträger? Aktuelle Anmerkungen zu einem alten Problem 511 Wolfgang Loschelder Der Kampf um das Berufsbeamtentum - zum wievielten Mal? Anmerkungen zur Bewußtseinslage des grundgesetzlichen Gemeinwesens 535 Heiner Marré Der Islam in Deutschland - Historische, politische und rechtliche Überlegungen zu einem komplexen Thema 553 Stefan Muckel Der Heilige Stuhl und die Säkularisation in Deutschland

579

Janbernd Oebbecke Das „islamische Kopftuch" als Symbol

593

Heinz-Joachim Pabst Fallpauschalengesetz und Spielräume kirchlicher Krankenhäuser

607

Dietrich Pirson Zur Mitwirkung von Laien an kirchlichen Entscheidungen

627

Helmuth Pree Der Grundlagenvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel (1993) im Kontext der neueren Konkordate 639 Ulrich Preis /Stefan Greiner Religiöse Symbole und Arbeitsrecht

653

Wilhelm Rees Der Kirchenbegriff in katholischem und evangelischem Verständnis - Verbindendes und Trennendes aus kanonistischer Sicht 681

10

Inhaltsverzeichnis

Ludwig Renck Wissenschaftsfreiheit und theologische Fakultäten

711

Reinhard Richardi Die Dienstgemeinschaft als Grundprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts

727

Gerhard Robbers Das europäische Volk, die Kirchen und die Demokratie. Eine Skizze

743

Ralf Roger Die Aberkennung des Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften im Lichte der Schutzpflichtlehre 749 Wolfgang Rombach Versicherungspflicht und Versicherungsfreiheit für Mitglieder geistlicher Gemeinschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung 779 Hartmut Schiedermair Pisa und die Folgen. Eine Anmerkung zum Bildungs- und Kulturauftrag der Schule . 799 Karl Eugen Schlief Zukunft kirchlicher Finanzen unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen

809

Christian Starck Die Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche 2000

821

Dieter Strauch 750 Jahre kleiner Schied (17. April 1252-17. April 2002)

837

Peter J. Tettinger Anmerkungen zu aktuellen Akzentuierungen staatlichen Rechtsschutzes in kirchlichen Angelegenheiten 887 Gregor Thüsing Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte des Arbeitnehmers

901

Reiner Tillmanns Kirchensteuer kein Mittel zur Entfaltung grundrechtlicher Religionsfreiheit. Zum Verhältnis des Art. 4 GG zu Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV 919

Inhaltsverzeichnis Heinrich de Wall Der Gleichheitssatz im Kirchensteuerrecht - zum Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. 8. 2002 945 Hermann Weber Die „Anerkennung" von Religionsgemeinschaften durch Verleihung von Körperschaftsrechten in Deutschland 959 Jörg Winter Zum Amts Verständnis der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche

975

Diana Zacharias Schutz vor religiösen Symbolen durch Art. 4 GG? Ein Beitrag zu den negativen religiösen Freiheitsrechten 987 Hans F. Zacher Eine „Predigt aus dem Alltag"

1009

Wissenschaftliche Bibliografie Wolfgang Rüfners bis Februar 2003

1019

Verzeichnis der Autoren

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Die Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche Von Peter Axer

Die Kirchensteuer ist die ergiebigste und wichtigste Finanzquelle der Kirchen 1 . Ausdrücklich gewährt das Grundgesetz den als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Religionsgemeinschaften das Recht, aufgrund bürgerlicher Steuerlisten nach Maßgabe landesrechtlicher Vorschriften Steuern zu erheben. Insoweit stellt die Kirchensteuer ein finanzverfassungsrechtliches Unikat dar, als die Steuerhoheit nicht vom Staat selbst, sondern von außerstaatlichen, gesellschaftlichen Kooperationen wahrgenommen wird 2 . In der Praxis wird die Kirchensteuer heute als Annexsteuer zur Einkommensteuer erhoben, regelmäßig in Höhe von 8 oder 9% der geschuldeten Einkommensteuer. Selbst wenn andere Ausgestaltungen der Kirchensteuer möglich sind, etwa als Zuschlag zum Grundsteuermeßbetrag oder als Kirchgeld nach festen oder gestaffelten Beträgen, stammen über 98% des Kirchensteueraufkommens aus der in Abhängigkeit zum Einkommen erhobenen Kirchensteuer. Der Einzug der Kirchensteuer vom Einkommen erfolgt - mit Ausnahme Bayerns, wo eigene Kirchensteuerämter existieren 3 - durch die staatlichen Finanzämter. Schon dieses, verfassungsrechtlich nicht gebotene, aber zulässige Verfahren 4 weist auf die engen Verbindungen zwischen Staat und Kirche bei der Steuerer1 Zur Bedeutung der Kirchensteuer für die katholische Kirche: Wolfgang Rüfner, Kirchensteuer, in: Axel v. Campenhausen / Ilona Riedel-Spangenberger/Reinhold Seibott (Hg.), Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 2, 2002, S. 520 ff.; allgemein: Felix Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002, S. 78 ff. - Zur Kirchenfinanzierung in Deutschland: Josef Isensee, Die Finanzquellen der Kirchen im deutschen Staatskirchenrecht, JuS 1980, S. 94 ff.; Heiner Marré, Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart, 3. Aufl. 1991, S. 31 ff.; jüngst: Klaus Blaschke, Die Kirchenfinanzierung in Deutschland, ZevKR 47 (2002), S. 395 ff.; Carsten Frerk, Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland, 2002. 2 Trotz des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sind die Kirchen nicht in die Staatsorganisation eingebunden und nehmen keine Staatsaufgaben wahr (BVerfGE 18, 385 (386); 42, 312 (332 f.); 66, 1 (19 f.)); sie stehen vielmehr dem Staat als Teil der Gesellschaft gegenüber (BVerfGE 102, 370 (387)). 3 Art. 17 BayKirchStG. Vgl. dazu Heiner Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Joseph Listi/Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1994, S. 1101 (1136). 4 Wolf gang Rüfner, Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Kirchensteuer, NJW 1971, S. 15 (18); vgl. auch:. BVerfGE 44, 103 (103 f.); BayVerfGH, JZ 1968, S. 179 ff.; Axel

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Peter Axer

hebung hin, die bereits i m Grundgesetz angelegt sind, wenn es den Kirchen erlaubt, ihre Steuer „aufgrund bürgerlicher Steuerlisten" und „nach Maßgabe des Landesrechts" zu erheben. Aufgrund des schon verfassungsrechtlich vorgesehenen Zusammenwirkens von Staat und Kirche bei der Kirchensteuererhebung gehört die Kirchensteuer zu den „res mixtae", zu den „gemeinsamen Angelegenheiten" von Staat und Kirche 5 .

I. Kirchensteuer in der Kritik Das Zusammenwirken von Staat und Kirche gerade bei der Kirchensteuer stößt allerdings auf heftige K r i t i k 6 . Diese speist sich zum einen aus einer laizistischen Haltung, nach der die Kirchensteuer nur als ein Beispiel für einen Verstoß gegen das strikt verstandene Gebot der Trennung von Staat und Kirche dient; zum anderen gründet sie aber auch in Bedenken, die sich speziell und ausschließlich gegen die Kirchensteuer als Finanzierungsform richten, ohne damit gleich das gesamte System des deutschen Staatskirchenrechts, wie es zur Zeit praktiziert wird, in Frage stellen zu wollen. Bei der Kirchensteuer verbinden sich Fundamental- und Detailkritik. Die Kirchensteuer gilt als unzeitgemäßes, der Epoche vergangenen Staatskirchentums entstammendes Relikt, das die überkommene Verbindung von Thron und Altar aufrecht erhalte, obwohl das Grundgesetz die Trennung von Staat und Kirche verlange und den Staat zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichte 7 . Nach Ansicht seiner Kritiker handelt es sich bei der Kirchensteuer um ein überholtes Privileg, das gleichheitswidrig nur den als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Religionsgemeinschaften gewährt werde. Vor dem Hintergrund, daß immer weniger Bürger einer steuerberechtigten Kirche angehören, lasse v. Campenhausen, in: Hermann v. Mangoldt/ Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. 3, 4. Aufl. 2001, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 291; Dirk Ehlers, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2002, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 24. 5 Ständige Rechtsprechung. Vgl. nur: BVerfGE 19, 206 (217); 73, 388 (399). - Zum Begriff der gemeinsamen Angelegenheiten Dirk Ehlers, Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, ZevKR 32 (1987), S. 158 (171 ff.). 6

Darstellung der Kritik etwa bei: Axel v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl. 1996, S. 270 ff.; Norbert Feldhoff, Kirchensteuer in der Diskussion, 1996, S. 9 ff., 49 ff.; Christoph Link, Kirchensteuer, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl. 1987, Sp. 1695 (1703 ff.); Ulrich Scheuner, Kirchensteuer und Verfassung, ZRP 1969, S. 195 ff.; Hermann Weber, Kirchenfinanzierung im religionsneutralen Staat, NVwZ 2002, S. 1443 (1454 f.), jeweils mit weiteren Nachweisen. - Kritik an der Kirchenfinanzierung insgesamt jüngst etwa bei Christian Sailer, Die staatliche Finanzierung der Kirchen und das Grundgesetz, ZRP 2001, S. 80 ff. 7 Markus Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten im Verhältnis von Staat und Kirchen unter dem Grundgesetz, 1993, S. 212 ff., sieht die verfassungsrechtliche Regelung über die Kirchensteuer als verfassungswidriges Verfassungsrecht an. Dagegen zu Recht etwa: Bernd Jeand'Heur/Stefan Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rn. 262; Weber (Fn. 6), S. 1443 (1446 f.).

Die Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche

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sich die Privilegierung nicht mehr rechtfertigen. Zwar sei nicht zu übersehen, daß die Kirchen auch zahlreiche soziale, caritative und kulturelle Aufgaben wahrnehmen, doch erfordere dies nicht den Kirchensteuerzwang. Eine Finanzierung dieser Aufgaben könne auch durch eine allgemeine Kultussteuer erfolgen, wie sie derzeit in Italien oder Spanien erhoben wird. In diesen Ländern können Steuerpflichtige einen Teil ihrer ohnehin geschuldeten Einkommensteuer - in Italien 0,8%, in Spanien etwa 0,5% - durch eine entsprechende Angabe in ihrer Steuererklärung entweder kirchlichen oder anderen, vom Staat festgelegten sozialen oder kulturellen Zwecken widmen 8 . Fehlt eine Erklärung, wem die Kultussteuer zufließen soll, wird beispielsweise in Italien diese i m Verhältnis der Beträge aufgeteilt, für die eine Zweckbindung vorgenommen wurde 9 . In Anlehnung an die Kultussteuer wird in Deutschland das Modell einer „bürgerschaftlichen Kultursteuer" als „Reformmodell für die Gemeinwohlfinanzierung in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft" diskutiert. Aufgrund eines weitgehend singulären Charakters der deutschen Kirchensteuer in Europa obwohl vergleichbare Gestaltungen in einzelnen Schweizer Kantonen sowie in einigen nordeuropäischen Ländern existieren 1 0 - soll sich das als anachronistisch bezeichnete deutsche Kirchensteuersystem auf Dauer sowieso nicht mehr halten lassen. Schon deshalb sei es notwendig, offensiv über ein fortschrittliches, in Europa bereits praktiziertes System der Kultussteuer nachzudenken, das der Selbstverantwortung mündiger Bürger eher gerecht werde als die Kirchensteuer 11 . Skepsis gegenüber der Kirchensteuer besteht auch in den Kirchen selbst. Neben der grundsätzlichen Frage, ob sich die Kirchensteuer überhaupt mit dem Postulat christlicher Armut vereinbaren läßt 1 2 , erheben sich Bedenken i m Hinblick auf den mit dem Instrument der Steuer verbundenen Zwang. Die mit Zwangsmaßnahmen belegte Pflicht zur Geldleistung wird als mit dem Wesen der Kirche unvereinbar empfunden 1 3 . Das bürokratisch-anonyme Einzugsverfahren, das „lautlose Staatsinkasso" durch die Finanzämter, widerspreche einer mitgliedschaftlich-persönlichen, seelsorgerischen Bindung an die Kirche 1 4 .

8 Dazu Hammer {Fn. 1), S. 113 f. 9 Hammer (Fn. 1), S. 113 f. 10 Überblick über die Kirchenfinanzierung im Ausland bei: Hammer (Fn. 1), S. 90 ff.; Eugen Kleindienst / Josef Binder, Das Finanzwesen der katholischen Kirche in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, BayVBl. 1999, S. 197 ff.; Marré (Fn. 3), S. 1106 ff.; ders., Die Systeme der Kirchenfinanzierung in Ländern der Europäischen Union und in den USA, ZevKR 42 (1997), S. 338 ff. 11 Weber (Fn. 6), NVwZ 2002, S. 1443 (1454 f.). 12

Dazu: Peter Neuner, Thesen zum Problem der Kirchensteuer aus dogmatisch ekklesiologischer Sicht, in: Friedrich Fahr (Hg.), Kirchensteuer, 1996, S. 143 ff., der auf Lukas 6, 20-26 und die Armutsbewegungen des Mittelalters verweist. Vgl. auch: Feldhoff (Fn. 6) S. 62 ff. 13 Vgl. dazu Gerhard Robbers, Förderung der Kirchen durch den Staat, in: Joseph Listi/ Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 1994, S. 867 (887 f.).

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II. Die Kirchensteuer vor den Gerichten Angesichts der vielfältigen Kritik an der Kirchensteuer, die kontinuierlich seit den Anfangstagen der Bundesrepublik geäußert wird und in letzter Zeit wieder deutlich zunimmt, überrascht es nicht, daß Fragen der Kirchensteuer und des Zusammenwirkens von Staat und Kirche ein Dauerthema der Rechtsprechung sind. Obwohl das Bundesverfassungsgericht bereits in mehreren Entscheidungen aus dem Jahre 1965 über die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen und die Kirchensteuererhebung in einer glaubensverschiedenen Ehe sich grundsätzlich zur Kirchensteuer äußerte 15 , führte dies zu keiner juristischen Beruhigung der Thematik. Bis heute finden sich zahlreiche, zumeist auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) gestützte Klagen gegen die Kirchensteuer. So hatte sich der Bayerische Verfassungsgerichtshof mit der Popularklage eines Kirchenmitglieds gegen die gesetzliche Pflicht zur Kirchensteuerzahlung zu befassen, die damit begründet wurde, daß die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche als Voraussetzung der Steuerpflicht nicht freiwillig sei, sondern auf „massiven persönlichen Beeinträchtigungen durch Druck oder Zwang" beruhe 1 6 : Schon der Eintritt in die Kirche durch Taufe erfolge nicht aufgrund freien Willensentschlusses, sondern in vielen Fällen nur wegen einer von der Kirche hervorgerufenen Angst um das Seelenheil des Kindes. Ein Austritt käme für die meisten Mitglieder nicht in Betracht, weil dies eine schwere Sünde sei, die mit Höllenstrafen geahndet werde, und gesellschaftlicher Druck von einem Austritt abhalte. Daher müsse es zumindest zulässig sein, nur i m Hinblick auf die Kirchensteuerpflicht aus der Kirche auszutreten, i m übrigen aber Mitglied der Kirche zu bleiben. Zu Recht weist der Bayerische Verfassungsgerichtshof das Vorbringen zurück, weil das staatliche Recht einen Kirchenaustritt vorsieht und mit dem Austritt auch die Kirchensteuerpflicht erlischt. Durch die gesetzlich geregelte Möglichkeit, mit Wirkung für den Bereich des staatlichen Rechts aus der Kirche auszutreten, hat der Staat das vor allem aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit von Verfassungs wegen Gebotene getan, um eine für den einzelnen mit seinem Glauben und Gewissen nicht mehr zu vereinbarende Kirchensteuerpflicht zu vermeiden 1 7 . Die vom Antragsteller genannten Motive und Beweggründe, die jemanden zur Taufe bewegen oder von einem Austritt abhalten, entziehen sich dagegen ebenso staatlicher Regelung wie die kirchenrechtlichen Folgen eines Austritts 1 8 .

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Vgl. dazu Feldhoff (Fn. 6), S. 53 ff. BVerfGE 19, 206 ff.; 19, 226 ff.; 19, 248 ff.; 19, 253 ff.; 19, 268 ff.; 19, 282 ff. NVwZ 2001, S. 916 f. BVerfGE 19, 206 (216); 30, 415 (421 f.), 44, 37 (59).

18 Zum Kirchenaustritt und seinen Rechtswirkungen nach kanonischem Recht Joseph Listi, Die Erklärung des Kirchenaustritts, in: Joseph Listi / Heribert Schmitz (Hg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. 1999, S. 209 ff.

Die Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche

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Im Rahmen des Prozesses hatte der Antragsteller zuvor schon einen Befangenheitsantrag gegen die Richter gestellt 1 9 , weil sie der katholischen Kirche angehörten und der Katechismus der katholischen Kirche sie verpflichte, den innerkirchlichen Postulaten und Geboten Folge zu leisten. Als Mitglied der katholischen Kirche seien die Richter gehalten, die Finanzierung auf der bisherigen Grundlage weiter zu sichern und könnten nicht unbefangen entscheiden. Der Befangenheitsantrag blieb zu Recht erfolglos, weil die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft für sich allein regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen kann. Große Aufmerksamkeit erfuhr jüngst wegen seiner erheblichen praktischen und rechtlichen Konsequenzen ein Nichtannahmebeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. August 2002 zur Problematik unterschiedlicher Kirchensteuerhebesätze in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche 20 . Während in Hamburg der Hebesatz für Mitglieder der Landeskirche 8% betrug, mußten in Schleswig-Holstein 9% von der Einkommensteuerschuld an die Landeskirche abgeführt werden. Die Klage eines schleswig-holsteinischen Kirchenmitglieds gegen die seiner Ansicht nach gleichheitswidrige Heranziehung zur Kirchensteuer wies das V G Schleswig a b 2 1 , während das O V G Schleswig ihr stattgab und eine Revision nicht zuließ 2 2 . Die dagegen von der Landeskirche beim Bundesverwaltungsgericht erhobene Nichtzulassungsbeschwerde 23 blieb erfolglos, ebenso die beim Bundesverfassungsgericht eingelegte Verfassungsbeschwerde. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annahm, bedarf der auffallend lang und detailliert begründete Beschluß näherer Betrachtung, spricht er doch über den entschiedenen Fall hinaus grundlegende Probleme der Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche an.

III. Die Kirchensteuer als Thema von staatlichem und kirchlichem Recht 7. Kirchensteuererhebung aufgrund verfassungsrechtlicher Beleihung Die Kirchensteuererhebung beruht auf staatlichen und auf kirchlichen Regelungen. Staatliches und kirchliches Recht stehen bei der Kirchensteuererhebung nebeneinander und sind aufeinander bezogen: Ohne staatliche Regelung kann eine Kirchensteuer ebensowenig erhoben werden wie bei Fehlen kirchlicher Vorschriften. „Magna Charta" 2 4 des kirchlichen Besteuerungsrechts ist insoweit die durch 19 NVwZ 2001, S. 917. 20 NVwZ 2002, S. 1496 ff. 21

Zu diesem Urteil Josef Jurina, Neue Gerichtsentscheidungen zum Kirchensteuerrecht, KuR 1999, S. 111 (112 f.). 22 OVG Schleswig, NordÖR 2000, S. 358 ff. 2 3 NVwZ 2001, S. 826. 2 Muckel

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Art. 140 in das Grundgesetz inkorporierte Vorschrift des Art. 137 Abs. 6 WRV, die - wie alle in das Grundgesetz aufgenommenen Regelungen des Weimarer Kirchenkompromisses - als „vollgültiges Verfassungsrecht" gegenüber den anderen Artikeln des Grundgesetzes nicht auf einer Stufe minderen Rangs steht 2 5 . Nach Art. 137 Abs. 6 W R V sind die als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Religionsgemeinschaften berechtigt, auf Grund bürgerlicher Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben. Ohne eine entsprechende verfassungsrechtliche Beleihung 2 6 mit Steuerhoheit könnten die Kirchen keine Kirchensteuer erheben. Ihnen wäre es nur möglich, Mitgliedsbeiträge zur Deckung ihrer Kosten einzufordern, wie es das kirchliche Recht auch vorsieht. Nach c. 1260 Codex Iuris Canonici besitzt die katholische Kirche „das angeborene Recht, von den Christgläubigen das zu verlangen, was für die ihr eigenen Zwecke notwendig ist", und die „Christgläubigen" sind gemäß c. 222 § 1 Codex Iuris Canonici „verpflichtet, der Kirche für die erforderlichen Ausgaben Beiträge zu leisten, damit ihr zur Verfügung steht, was für den Gottesdienst, für die apostolischen Werke und für die der Caritas sowie für den angemessenen Unterhalt der in ihrem Dienst Stehenden notwendig ist". I m evangelischen Kirchenrecht regelt § 4 Abs. 2 Kirchenmitgliedschaftsgesetz der E K D entsprechend die Pflicht der Kirchenmitglieder, „den Dienst der Kirche durch Leistung gesetzlich geordneter kirchlicher Abgaben mitzutragen und zu fördern". Aus verfassungsrechtlicher Sicht sind die Festsetzung und Erhebung dieser Mitgliedsbeiträge Ausfluß des durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts und i m Rahmen der Schranke der allgemeinen Gesetze zulässig. Davon zu unterscheiden ist die Befugnis der Kirchen, mit hoheitlicher Befehlsund Zwangsgewalt Kirchensteuern zu erheben. Während Mitgliedsbeiträge i m Streitfall von den Kirchen i m Klagewege einzufordern sind, können sie nicht gezahlte Kirchensteuer durch Verwaltungszwang selbst beitreiben. Das vom Staat verliehene Recht zur Steuererhebung ist i m Unterschied zur kirchenrechtlichen Beitragspflicht allerdings keine eigene Angelegenheit der Kirchen und - entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluß zu den Hebesätz e n 2 7 - daher vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nicht erfaßt, sondern allein 24 Joseph Listi , in: Josef Isensee/ Wolfgang Rüfner i. V. m. Wilhelm Rees (Hg.), Kirche im freiheitlichen Staat, Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, 2. Hbd., 1996, S. 733 (734). 2 5 BVerfGE 19, 206 (219). 26 Nach Dirk Ehlers, Rechts- und Amtshilfe, in: Joseph Listi / Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, S. 1117 (1125), soll keine Beleihung mit Staatsgewalt „im üblichen Sinne" vorliegen, weil die „Übertragung des Steuerrechts nicht (primär) staatlichen, sondern kirchlichen Zwecken dient". Vgl. auch BVerfG 102, 370 ff., wonach die Kirchen „die ihnen übertragene Hoheitsgewalt nicht wie Beliehene - zur Erfüllung staatlicher Aufgaben einsetzen, sondern zu eigenen Zwecken". - Doch nehmen die Kirchen mit der Ausübung der genuin staatlichen Besteuerungsgewalt eine Staatsfunktion wahr und handeln somit, selbst wenn die Einnahmen „nur" kirchlichen Zwecken zukommen, als Beliehene.

Die Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche

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Folge und Ergebnis der verfassungsrechtlichen Beleihung mit Steuerhoheit 28 . Dies bedeutet, daß sich die Kirchen, soweit der Staat die Kirchensteuer beschränkende Regelungen trifft, nicht auf eine Verletzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 137 Abs. 3 WRV) berufen können. Die Befugnis zur Kirchensteuererhebung gründet zudem nicht bereits in der Gewährleistung des Körperschaftsstatus durch Art. 137 Abs. 5 WRV. Zwar wird regelmäßig das Besteuerungsrecht als ein maßgebliches, mit dem Körperschaftsstatus verbundenes und aus ihm folgendes Kooperationsrecht angesehen, doch resultiert aus dem Körperschaftsstatus nicht wesensmäßig und zwangsläufig ein Recht zur Steuererhebung. Dafür bedarf es einer besonderen Regelung, wie sie das Grundgesetz in Art. 137 Abs. 6 W R V trifft. Dort knüpft es zwar an den Körperschaftsstatus an und sieht in ihm eine Voraussetzung für die Kirchensteuererhebung, doch handelt es sich insoweit nicht um eine rein deklaratorische Normierung. Vielmehr verleiht erst die Vorschrift des Art. 137 Abs. 6 W R V den als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften das Recht, Kirchensteuer zu erheben. In der Anknüpfung an den Körperschaftsstatus als Voraussetzung für die Steuerhoheit liegt ebensowenig wie in der Anbindung des Körperschaftsstatus an besondere Voraussetzungen 29 ein Gleichheitsverstoß oder eine Verletzung der staatlichen Pflicht zu religiös-weltanschaulicher Neutralität 3 0 . Bei der Kirchensteuer handelt es sich um „Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft", somit um eine Steuer i m Sinne von § 3 A O 3 1 . Als Mitgliedssteuer konzipiert, unterliegen ihr nach den Kirchensteuergesetzen nur diejenigen Personen, die freiwillig gemäß den Vorschriften innerkirchlichen Rechts - regelmäßig durch Taufe und durch Wohnsitznahme 32 - Mitglied einer steuerberechtigten Kirche sind 3 3 . Beendet wer27 Das Bundesverfassungsgericht zieht dort als Prüfungsmaßstab Art. 137 Abs. 3 WRV heran (NVwZ 2001, S. 1497). 28 Art. 137 Abs. 6 WRV gewährt als Übertragung hoheitlicher Befugnis den Kirchen „kein Grundrecht im Sinne des Grundgesetzes" (BVerfGE 19, 206 [218]). 29 Zu den geschriebenen und nicht ausdrücklich genannten Voraussetzungen statt vieler: BVerfGE 102, 370 ff.; BVerwGE 105, 117 ff.; Axel v. Campenhausen, Körperschaftsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften, ZevKR 46 (2001), S. 165 ff.; Christian Hillgruber, Der Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften, NVwZ 2001, S. 1347 ff.; Stefan Muckel, Körperschaftsrecht für die Zeugen Jehovas?, Jura 2001, S. 456 ff.; Gerhard Robbers, Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus im Staatskirchenrecht, in: FS Martin Heckel, 1999, S. 411 ff. 30 Vgl. BVerfGE 19, 129 (133 ff.); Christian Hillgruber, Staat und Religion, DVB1. 1999, S. 1155 (1174).

v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 4), Art. 140 GG/137 WRV Rn. 271; Hammer (Fn. 1), S. 143 ff.; Jeand'Heur/Korioth (Fn. 7), Rn. 264. 32 Zu den Voraussetzungen der Kirchenmitgliedschaft nach kanonischem Recht Peter Krämer, Die Zugehörigkeit zur Kirche, in: Joseph Listi / Heribert Schmitz (Hg.), Handbuch des 2*

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den kann die Kirchensteuerpflicht durch Kirchenaustritt. Der gegenüber dem Staat und nur mit Wirkung für den staatlichen Bereich zu erklärende Austritt bezieht sich auf die Mitgliedschaft als Grundlage der Steuerpflicht und kann schon deshalb nicht modifiziert auf einzelne Konsequenzen der Mitgliedschaft, etwa die Steuerpflicht, beschränkt werden 3 4 . Trotz der nach staatlichem Recht bestehenden Möglichkeit eines Austritts, durch den der Bürger sich der Kirchensteuer entziehen kann, behält diese ihre Steuerqualität 35 . Der die Steuer kennzeichnende Zwangscharakter bleibt bestehen, denn die Kirchensteuer ist weiterhin durchsetzbar, sofern - wie bei jeder Steuer - die Tatbestands Voraussetzungen - bei der Kirchensteuer: die Mitgliedschaft - vorliegen.

2. Die historischen Grundlagen der Kirchensteuer Die verfassungsrechtliche Befugnis zur Kirchensteuererhebung ist Ergebnis und Folge einer langen historischen Entwicklung 3 6 , die ihren Ausgangspunkt in einer kirchlichen, später, unter Pippin und Karl dem Großen als Ausgleich für die Säkularisation von Kirchengut auch reichsrechtlich anerkannten Zwangsabgabe hat, dem sog. Zehnt. Der unter Berufung auf das Dritte Buch Moses 3 7 erhobene Zehnt verlor jedoch in der historischen Entwicklung immer mehr seinen rein kirchlichen Charakter und wurde zu einer auch weltlichen Abgabe. Die Finanzierung und Unterhaltung der Kirchen erfolgte in der Folgezeit abgesehen von Naturalabgaben, Hand- und Spanndiensten (sog. Fronen) oder Spenden hauptsächlich durch den Landesherren - insbesondere vor dem Hintergrund des landesherrlichen Kirchenregiments - sowie durch das kirchliche Eigenvermögen. Gerade i m Hinblick auf die Finanzierung aus eigenem Vermögen stellte der Reichsdeputationshauptschluß von 1803 besonders für die katholische Kirche eine Zäsur dar, die maßgeblich zur Entwicklung der Kirchensteuer heutiger Prägung führte. Der Reichsdeputations-

katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. 1999, S. 200 ff.; vgl. allgemein auch: Heinrich List, Kirchensteuer, BB 1997, S. 17 (19 f.); Jörg Winter, Staatskirchenrecht, 2001, S. 151 ff. 33 BVerfGE 30, 415 (422 ff.). 34 Isensee (Fn. 1), S. 94 (99); Marré (Fn. 3), S. 1123 f.; anders dagegen Hartmut Maurer, Staatsrecht I, 2. Aufl. 2001, § 21 Rn. 18. 35 Α. Α. Β FH, NVwZ 2001, S. 766 (767); vgl. dazu aber auch VGH Kassel, NVwZ 1995, S. 815: „Selbst wenn Verfassungs- und Gesetzgeber sich staatsrechtlich, finanzwissenschaftlich oder abgabenrechtlich ungenau ausgedrückt haben sollten, so ist doch eindeutig klar, welche Art von Abgabenerhebung sie den Kirchen ... ermöglichen wollten". 36 Dazu grundlegend Friedrich Giese, Deutsches Kirchensteuerrecht, 1910, S. 9 ff.; vgl. auch: Hans Liermann, Abgaben, kirchliche, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 1, 1977, S. 329 ff.; Heiner Marré /Paul Hoffacker, Das Kirchensteuerrecht im Land Nordrhein-Westfalen, 1969, S. 15 ff.; Paul Mikat, Grundfragen des Kirchensteuerrechts unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen, in: Gedächtnisschrift Hans Peters, 1967, S. 328 (329 ff.). 37 3. Mos. 27, 30.

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hauptschluß ordnete einerseits die Säkularisation von Kirchengut an und entzog damit den Kirchen Vermögen, andererseits wurde den Landesherren die Verantwortung für eine den kirchlichen Bedürfnissen entsprechende Finanzausstattung übertragen. Von den damit verbundenen Finanzierungspflichten versuchten sich die Landesherren i m Laufe des 19. Jahrhunderts durch Einführung der Kirchensteuer zu entlasten 38 . Die Initiative zur Kirchensteuer ging somit vom Staat aus, der beginnend mit den Kirchensteuergesetzen in Lippe 1827, Oldenburg 1831 und Sachsen 1838 den Kirchen die Möglichkeit eröffnete, ihren Finanzbedarf durch Besteuerung ihrer Mitglieder zu decken. Lag die Kirchensteuer damit ursprünglich i m staatlichen Interesse, so wuchs in der Folgezeit das Interesse der Kirchen an ihrer Beibehaltung, selbst in der Katholischen Kirche, die sich anfangs skeptisch und zögernd verhalten hatte, unter anderem deshalb, weil sie in der bei einem Kirchensteuersystem unvermeidlichen Verwaltungsorganisation mit Laienbeteiligung eine Gefahr für die hierarchische Kirchenorganisation sah 3 9 . Die Kirchensteuer erwies sich historisch als wichtiger Schritt auf dem Weg zur Verselbständigung der Kirchen, indem sie den Kirchen eine autonome Finanzquelle garantierte und Unabhängigkeit vom Staat, aber auch von privaten Großspendern - oder wie es in der verfassunggebenden Weimarer Nationalversammlung als Begründung für die Kirchensteuer hieß: vom „Einfluß des Großkapitals" 4 0 - sicherte. A n die Stelle staatlicher und privater Fremdfinanzierung trat die kirchliche Eigenfinanzierung. Insoweit hat der Vorwurf, die Kirchensteuer setze alte Verflechtungen von Staat und Kirche fort, keine Grundlage, diente die Kirchensteuer doch gerade der Autonomie der Kirchen. Des weiteren belegt die historische Entwicklung deutlich das staatliche Interesse an der Kirchensteuer, befreit sie ihn doch von Kosten, die er sonst selbst tragen müßte.

3. Kirchensteuer aufgrund bürgerlicher Steuerlisten nach Maßgabe des Landesrechts Das vom Grundgesetz den Kirchen verliehene Besteuerungsrecht besteht aufgrund bürgerlicher Steuerlisten. Bürgerliche Steuerlisten, d. h. amtliche Zusammenstellungen der Veranlagungsergebnisse zu den Reichs-, Landes- und Gemeindesteuern, werden heute nicht mehr erstellt. Doch ist dies verfassungsrechtlich unbedenklich, solange der Staat vergleichbare geeignete Leistungen zur Realisierung 38 Dazu: Heiner Marré, Die Kirchenfinanzierung in Deutschland vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 85 (1999), S. 448 ff. 39 v. Campenhausen (Fn. 6), S. 258; zu weiteren Gründen Siegfried Marx, Die Kirchensteuer und die Freiheit der Kirche, KuR 1995, S. 31 (33 f.). 40 So der Abgeordnete Quarck (SPD) in: Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 336, S. 199. Vgl. dazu auch: Feldhoff (Fn. 6), S. 55 ff.; Marx (Fn. 39), KuR 1995, S. 31 (35).

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einer effektiven Kirchensteuererhebung erbringt 4 1 . Zweck der Norm ist nicht die Erstellung von bürgerlichen Steuerlisten, sondern die Bereitstellung der erforderlichen Informationen und Daten durch den Staat als Grundlage und Voraussetzung der Kirchensteuererhebung. Indem das Grundgesetz den als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Religionsgemeinschaften das Besteuerungsrecht weiterhin nur „nach Maßgabe des Landesrechts" gewährt, weist es den Ländern einen Auftrag zur Regelung der Kirchensteuer z u 4 2 . Die Kirchensteuer ist damit Sache der Länder, nicht des Bundes. In den Landeskirchensteuergesetzen findet sich dann auch die von Verfassungs wegen erforderliche gesetzliche Ermächtigung für die Kirchensteuer, ohne die eine Kirchensteuererhebung durch die Kirchen verfassungswidrig wäre 4 3 . Inhaltlich stimmen die Landeskirchensteuergesetze weitgehend überein. Sie treffen Regelungen über die möglichen Erhebungsformen, den Rechtsweg bei Klagen gegen Kirchensteuerbescheide oder die Möglichkeit des Einzugs durch die Finanzämter, verweisen aber i m Übrigen oftmals auf kirchliche Vorschriften und belassen den Kirchen einen Ausgestaltungsspielraum 44 . Die Kirchensteuergesetze legen somit nur einen Rahmen fest, in dem die Kirchen ihre Vorstellungen verwirklichen können. Das Bundesverfassungsgericht gewährt den Ländern dabei allerdings ausdrücklich auch weiter gehende Regelungsbefugnisse. Nach Ansicht des Gerichts i m Hebesatzbeschluß dürfen die Länder die Kirchensteuererhebung in allen Einzelheiten regeln und das überkommene Besteuerungsrecht ändern, insbesondere auch einschränken; verwehrt ist es ihnen lediglich, es abzuschaffen und auszuhöhlen45. Das weite verfassungsgerichtliche Verständnis ist mit der grundgesetzlichen Entscheidung, den Kirchen das Besteuerungsrecht zu verleihen und eine Kirchensteuer zuzulassen, unvereinbar. Von einer Kirchensteuer i. S. d. Art. 137 Abs. 6 WRV kann nur gesprochen werden, wenn die Kirchen nicht nur über das „ O b " einer Besteuerung ihrer Mitglieder entscheiden können, sondern auch über das „ W i e " . Unzulässig wäre es daher, wenn die Landeskirchensteuergesetze die Höhe der Kirchensteuer, das Einzugsverfahren durch die Finanzämter oder eine einzige Form der Kirchensteuererhebung verpflichtend vorschrieben. Den Kirchen muß ein ausreichender Gestaltungsspielraum verbleiben, der die Kirchensteuer als ihr Produkt erscheinen läßt. Daher müssen die Kirchensteuergesetze von Verfassungs wegen einer substantiellen Ausgestaltung durch die Kirchen zugänglich sein. 41 Martin Morlok, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. III, 2000, Art. 140 Rn. 106. 42 BVerfG, NVwZ 2002, S. 1496 (1498). 43 Vgl. BVerfGE 19, 248 (251 f.). 44 Ute Suhrbier-Hahn, Das Kirchensteuerrecht, 1999, S. 7 ff., die darauf hinweist, daß mit Ausnahme Bayerns - sämtliche Landesgesetzgeber sich darauf beschränken, allgemeine Grundsätze aufzustellen und die Einzelregelungen den steuerberechtigten Kirchen zu überlassen. 45 BVerfGE 19, 206 (218); vgl. auch BVerfG, NVwZ 2002, S. 1496 (1497).

Die Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche 4. Die kirchlichen

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Regelungen

I m Rahmen der landesgesetzlichen Normen regeln die Kirchen selbst in Form von Kirchensteuerordnungen bzw. Kirchensteuerbeschlüssen die Steuererhebung. Aus Sicht des katholischen Kirchenrechts hat die Steuererhebung allerdings universalkirchlich eher einen Sonder- und Ausnahmecharakter und ist gegenüber den Beiträgen, den subventiones rogatae 4 6 , als außerordentliches Recht zu qualifizieren. C. 1263 Codex Iuris Canonici erlaubt dem Diözesanbischof nur, die ihm unterstehenden kirchlichen juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit einer maßvollen, ihrem Einkommen entsprechenden Steuer zu belegen. Darüber hinaus kann er natürliche und andere juristische Personen zu einer außerordentlichen und maßvollen Abgabe nur i m Falle eines schweren Notstands heranziehen. Doch enthält der Codex Iuris Canonici neben diesen, das Besteuerungsrecht begrenzenden Vorschriften in C.1263 einen erst in letzter Minute auf Betreiben der Deutschen Bischofskonferenz eingefügten, als „clausula teutonica" bezeichneten Vorbehalt zugunsten des Partikularrechts, der vor allem dazu dienen soll, die deutsche Kirchensteuer kirchenrechtlich zu legitimieren 4 7 . Selbst wenn dieser Vorbehalt kirchenrechtlich nicht zwingend notwendig war, weil das deutsche Kirchensteuersystem konkordatär abgesichert i s t 4 8 und nach dem Konkordats vorbehält in c. 3 Codex Iuris Canonici auch vom Codex abweichende Konkordate fortgelten 4 9 , wird damit ausdrücklich die Zulässigkeit des deutschen Kirchensteuersystems als partikularrechtliche Regelung kirchenrechtlich anerkannt 5 0 . Kirchensteuerordnungen und -beschlüsse regeln unter anderem die Art der Kirchensteuererhebung, die Verwaltung der Kirchensteuer und den Hebesatz, der die Höhe der Kirchensteuer von der Einkommensteuerschuld bestimmt. Sie bedürfen der staatlichen Genehmigung bzw. - wie es etwa in Nordrhein-Westfalen heißt der staatlichen Anerkennung 5 1 . Die Genehmigung oder Anerkennung steht allerdings nicht i m Belieben des Staates, sondern kann sich nur auf die Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht, insbesondere den Kirchensteuergesetzen, erstrecken. Verwehrt ist es dem Staat insbesonders, sich über die Genehmigung in innerkirch-

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6 C. 1262 Codex Iuris Canonici.

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Vgl. dazu Alexander Hollerbach, Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, in: Joseph Listi / Heribert Schmitz (Hg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. 1999, S. 1078 (1080 f.). 48 Nachweise bei Hammer (Fn. 1), S. 127 mit Fn. 23. 49 Vgl. zum Konkordatsvorbehalt Joseph Listi, in: ders. (Hg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1987, S. 3 ff. 50 Vgl. dazu: Feldhoff (Fn. 6), S. 53; Hollerbach (Fn. 47), S. 1080 f.

51 Zu den Genehmigungsvorbehalten: Hammer (Fn. 1), S. 407 ff.; speziell zur Bedeutung der Anerkennung: Heiner Marré, Zum Wesen des gegenwärtigen kirchlichen Besteuerungsrechts, in: Gedächtnisschrift für Hans Peters, 1967, S. 302 (320). - Die Genehmigung kann keine Rechtsverstöße „erlauben" oder „heilen". Vgl. OVG Schleswig, NordÖR 2000, S. 358 (360).

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liehe Angelegenheiten einzumischen und etwa die Verwendung des Kirchensteuer zu prüfen oder die Höhe des Hebesatzes zu bestimmen. Die in Ausübung der verfassungsrechtlich verliehenen Steuerhoheit erlassenen Kirchensteuerordnungen und -beschlüsse sind öffentlich-rechtliche Vorschriften. Von ihrem Rang her handelt es sich trotz der gerade in der evangelischen Kirche häufigen Bezeichnung als Kirchengesetze um untergesetzliche, einer Satzung vergleichbare Vorschriften, die das Bundesverfassungsgericht i m Hebesatzbeschluß zutreffend als autonomes Satzungsrecht qualifiziert 5 2 . Kirchensteuerordnungen und -beschlüsse unterliegen der staatlichen Gerichtsbarkeit und können inzident i m Rahmen einer Klage gegen den Kirchensteuerbescheid von den nach Landesrecht zuständigen staatlichen Gerichten - dies sind von Land zu Land verschieden die Finanz- oder die Verwaltungsgerichte 53 - überprüft werden. Bei der Kirchensteuererhebung sind die Kirchen an Grundrechte gebunden, weil sie insoweit Hoheitsgewalt ausüben. Zwar sind die Kirchen grundsätzlich Träger von Grundrechten 54 , doch folgt daraus nicht, daß sich ihre Grundrechtsberechtigung umfassend und abschließend auf sämtliche Tätigkeiten erstreckt. Wenn und soweit die Kirchen wie bei der Steuererhebung Hoheitsgewalt wahrnehmen, sind sie Adressat der Grundrechte und grundrechtsgebunden, weil sie Staatsgewalt im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG ausüben. Zu Recht mißt das Bundesverfassungsgericht daher die unterschiedlichen Kirchensteuerhebesätze in Hamburg und SchleswigHolstein am Maßstab des Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 Abs. 1 GG).

5. Vereinbarkeit

unterschiedlicher

Hebesätze mit Art. 3 Abs. 1 GG?

Ein Gleichheitsverstoß durch verschiedene Hebesätze kann nur vorliegen, wenn Unterschiede innerhalb einer steuerberechtigten Körperschaft, d. h. in einer Diözese oder in einer Landeskirche 5 5 , bestehen. Werden dagegen unterschiedliche Hebesätze von verschiedenen Kirchen festgesetzt, verstößt dies nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot, weil es einen Hoheitsträger nur für den Bereich seiner eigenen Zuständigkeit zur Gleichbehandlung verpflichtet 5 6 . Dies bedeutet, daß in einem Bundesland wie i m Bundesgebiet insgesamt durchaus unterschiedliche Hebesätze ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zulässig sind, wenn mehrere steuerberechtigte Kirchen existieren 57 . 52 BVerfG, NVwZ 2002, S. 1496 (1497); zustimmend: Matthias Gehm, Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit bei der Erhebung von Kirchensteuer, NVwZ 2002, S. 1475 (1476). 53 Übersicht bei: Hammer (Fn. 1), S. 494 ff.; Suhrbier-Hahn (Fn. 44), S. 186 ff. 54 Vgl. nur: BVerfGE 102, 370 (387). 55 Zum Kreis der steuerberechtigten Körperschaften Suhrbier-Hahn (Fn. 44), S. 27 ff. 56 BVerfG, NVwZ 2002, S. 1496 (1498). 57 Problematisch kann dies allerdings werden, wenn die Landeskirchensteuergesetze eine Abstimmung zwischen den steuerberechtigten Kirchen als Voraussetzung für die Verwaltung

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Im Fall der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche bestanden allerdings in einer Kirche unterschiedliche Hebesätze. Der Grund dafür lag i m Zusammenschluß mehrerer evangelischer Kirchen mit verschiedenen Hebesätzen i m Jahre 1977 zur Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche 58 . Doch selbst wenn verschiedene Hebesätze bei einer Neugliederung für eine Übergangsund Anpassungszeit zulässig sein können, ist dem Oberverwaltungsgericht Schleswig darin zuzustimmen, daß nach über 17 Jahren die Übergangszeit abgelaufen ist und eine Ungleichbehandlung nicht mehr unter Hinweis auf Anpassungsschwierigkeiten gerechtfertigt werden kann 5 9 . Den Gleichbehandlungsgrundsatz, der, i m Steuerrecht als Gebot der Steuergerechtigkeit verstanden, eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit fordert 6 0 , versteht das Bundesverfassungsgericht als „Leitlinie" für den kirchlichen Steuergesetzgeber, wenn dieser - wie allgemein üblich - die Kirchensteuer in Anbindung an die Einkommensteuer erhebt 6 1 . Da die Kirchen bei der Besteuerung Hoheitsgewalt ausüben und wie der Staat an Grundrechte gebunden sind, kann mit dem Begriff „Leitlinie" keine abgeschwächte Bindung der Kirchen an das Gleichbehandlungsgebot gemeint sein. Doch - und insoweit macht der Begriff der Leitlinie Sinn - sind die Kirchen nicht verpflichtet, aus Gründen des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots die Regelungen des staatlichen Einkommensteuerrechts spiegelbildlich auf die Kirchensteuer zu übertragen 62 . Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der Kirchensteuer aus dem Blickwinkel des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist zu berücksichtigen, daß die Kirchensteuer allein von den Kirchenmitgliedern und nicht vom gesamten Staatsvolk erhoben wird und sie von Verfassungs wegen nicht als Annexsteuer zur Einkommensteuer konzipiert sein muß. Ist aber die Kirche schon nicht zur Anbindung der Kirchensteuer an die Einkommensteuer verpflichtet, so kann sie anderen Grundsätzen folgen und von den Regelungen des Einkommensteuerrechts abweichen. Zulässig ist eine Steuerfestsetzung nach eigenen Tarifen oder die Erhebung einer, das von Verfassungs wegen steuerfreie Existenzminimum 6 3 beachtenden Mindestkirchensteuer von jedem M i t g l i e d 6 4 , was angesichts der Kirchensteuerfreiheit von rund zwei durch die Finanzämter verlangen. Doch ist dies keine Frage des Gleichbehandlungsgrundsatzes, sondern „nur" ein Problem, das Angebot staatlicher Verwaltung in Anspruch nehmen zu können. - Vgl. BVerfG, NVwZ 2002, S. 1496 (1498): Danach rechtfertigt das Interesse an einer Inanspruchnahme der Finanzämter nicht die Ungleichbehandlung im Falle von Hamburg und Schleswig-Holstein. 58 Schleswig-Holstein, Eutin, Lübeck, Evangelisch-Lutherische Kirche im Hamburgischen Staate sowie der Kirchenkreis Harburg der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover. 59 OVG Schleswig, NordÖR 2000, S. 358 (360). 60 Statt vieler: Klaus Tipke/Joachim Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 4 Rn. 81 ff., m. w. N. 61 BVerfG, NVwZ 2002, S. 1496 (1498). 62 Vgl. BVerwG, NJW 1989, S. 1747 (1748). 63 BVerfGE 99, 246 (260).

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Dritteln aller Kirchenmitglieder schon aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung geboten wäre 6 5 . Keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz stellt ferner die von vielen kritisch beäugte und kirchenpolitisch durchaus heikle Kappung der Kirchensteuer bei Kirchenmitgliedern mit höherem Einkommen dar. Durch die Kappung wird die Kirchensteuer auf enen bestimmten Prozentsatz des Einkommens - zumeist zwischen 3% und 4% - begrenzt 6 6 . Ihre Rechtfertigung findet die Kappung in der Ausschaltung der durch den Progressionssteuersatz bewirkten Einkommensumverteilungseffekte, die bei der Kirchensteuer keine Relevanz haben können, wenn und weil Einkommensumverteilung keine kirchliche Aufgabe sein s o l l 6 7 . Unter den Auspizien des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist für die Kirchensteuererhebung von entscheidender Bedeutung, ob die steuerberechtigte Kirche i m Hinblick auf ihr Kirchenvolk die von ihr selbst aufgestellten Regelungen beachtet und insoweit dem aus dem Gleichheitssatz folgenden Gebot der gleichmäßigen, systemgerechten Besteuerung genügt 6 8 . I m Fall der Nordelbischen EvangelischLutherischen Landeskirche bestand für diese bereits nach ihrem eigenen Verfassungsrecht die Pflicht, die unterschiedlichen Hebesätze in Hamburg und Schleswig-Holstein zu beseitigen 69 , so daß schon deshalb mangels einer, die eigenen Vorgaben beachtenden, systemgerechten Besteuerung ein Gleichbehandlungsverstoß vorliegt. Ungleichbehandlungen durch unterschiedliche Hebesätze können, entgegen der Ansicht der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche, nicht durch ein unterschiedliches, in Hamburg gegenüber Schleswig-Holstein höheres allgemeines Einkommensniveau gerechtfertigt werden. Das Abstellen auf das allgemeine Einkommensniveau bedeutet ein Abweichen von dem die Besteuerung prägenden Maßstab der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, da das allgemeine Einkommensniveau in einem Bundesland mit der Leistungsfähigkeit des Einzelnen in keinem Zusammenhang steht. Überdies wird das Leistungsfähigkeitsprinzip schon i m Grundsatz verkannt, wenn in Schleswig-Holstein als dem

64 Bedenken dagegen bei Hammer (Fn. 1), S. 360 ff., der eine Mindestkirchensteuerschuld bei fehlender Einkommensteuerschuld nur unter engen Voraussetzungen zulassen will (S. 361 f.). - Wie hier, eine Mindestkirchensteuer für zulässig haltend: Alexander Hollerbach, Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisation, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 139 Rn. 53. 65 Zahl nach Matthias Gehm/Rudolf Titzck, Urteilsanmerkung, BuW 2001, S. 15 (16). 66 Zur Kappung: Jörg Giloy/Walter König, Kirchensteuerrecht in der Praxis, 1993, S. 94 ff.; Hammer (Fn. 1), S. 362 ff. - Kritik an der Kappung etwa bei Rudolf Titzck, Gleichheitssatz und Kirchensteuerrecht, NordÖR 2000, S. 280 (283). 67 Ferdinand Kirchhof, Verwerfungen der Kirchenzuschlagsteuern wegen des Maßstabs der Einkommensteuer, in: FS Martin Heckel, 1999, S. 373 (376). 68 Vgl. BVerwG, NVwZ 2001, S. 926. 69 Art. 111 der Verfassung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. Vgl. dazu auch: BVerwG, NVwZ 2001, S. 926; Titzck (Fn. 66), NordÖR 2000, S. 280 (282).

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Land mit dem niedrigeren Durchschnittseinkommen der höhere Steuersatz g i l t 7 0 . Daß schließlich eine Anpassung des hamburgischen Hebesatzes an den höheren in Schleswig-Holstein zu vermehrten Kirchenaustritten in Hamburg führen kann, ist ebenfalls kein sachlicher Grund für eine steuerliche Ungleichbehandlung 71 . Die (mögliche) Nichtdurchsetzbarkeit eines höheren Hebesatzes in Hamburg rechtfertigt es nicht, den höheren Hebesatz in Schleswig-Holstein aufrechtzuhalten und in Hamburg den niederen beizubehalten. Unterschiedliche Hebesätze in SchleswigHolstein und Hamburg sind somit verfassungswidrig. Ob das Ergebnis allerdings bei allen Mitgliedern der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Zufriedenheit auslöst, erscheint zweifelhaft, denn die Kirche zog aus den Prozessen die Konsequenz, nunmehr einheitlich einen höheren Hebesatz von 9% festzusetzen.

6. Kirchensteuereinzug

im Lohnsteuerabzugsverfahren?

Ebenfalls aus grundrechtlicher Perspektive hatten sich die Gerichte in letzter Zeit vermehrt mit der Mitwirkung des Arbeitgebers beim Kirchensteuereinzug i m Lohnsteuerabzugsverfahren und der Pflicht des Arbeitnehmers, auf der Lohnsteuerkarte seine Konfession anzugeben, auseinanderzusetzen 72 . Angesprochen sind insoweit Fragen der Religionsfreiheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Kirchensteuererhebung i m Lohnsteuerabzugsverfahren ist Konsequenz der Verwaltung der Kirchensteuer durch die staatlichen Finanzämter 73 . Die Besteuerung i m Lohnsteuerabzugsverfahren verpflichtet den Arbeitgeber, entsprechend den Angamo OVG Schleswig, NordÖR 2000, S. 358 (360). 71 OVG Schleswig, NordÖR 2000, S. 358 (360). - Kein sachlicher Grund sind ebenfalls unterschiedliche Rechtswegzuständigkeiten, wie sie vom Bundesverwaltungsgericht (NJW 1989, S. 1747 (1748 f.)) zur Rechtfertigung für ein unterschiedliches Kirchgeld in glaubensverschiedenen Ehen (besonderes Kirchgeld) in Hamburg und in Schleswig-Holstein angeführt werden (zum besonderen Kirchgeld: Hans Ulrich Anke, Vom Besonderen Kirchgeld in Württemberg und andernorts, ZevKR 46 (2001), S. 191 ff.; Diana Zacharias, Besonderes Kirchgeld, KuR 2002, S. 33 ff.). Daß die Landeskirche ihre im Hinblick auf die Kirchengeldregelung gegenüber dem Bundesfinanzhof abweichende Rechtsauffassung wegen der in Hamburg gegebenen Zuständigkeit der Finanzgerichte nicht wird durchsetzen können, rechtfertigt es nicht, die Kirchengeldberechnung in Hamburg abzuändern und in Schleswig-Holstein aufgrund der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu belassen. 72 Vgl. dazu BVerfG, NVwZ 2001, S. 909. - Kritisch dagegen: Johannes Wasmuth/Gernot Schiller, Verfassungsrechtliche Problematik der Inpflichtnahme von Arbeitnehmern und Arbeitgebern beim Kirchenlohnsteuereinzug, NVwZ 2001, S. 857 ff. - Zum Problem der Kirchensteuererhebung bei der pauschalierten Lohnsteuer: Dieter Birk /Christian Jahndorf, Kirchensteuerpflicht trotz fehlender Kirchenmitgliedschaft?, StuW 1995, S. 103 ff.; Hammer (Fn. 1), S. 379 ff.; Christian Meyer, Die Rechtsprechung zur Kirchensteuererhebung in Fällen der Lohnsteuerpauschalierung, in: FS Joseph Listi, 1999, S. 699 ff.; zur Frage der Vereinbarkeit der Berücksichtigung des Kirchensteuerhebesatzes bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes BVerfGE 90, 226 (236 ff.). 73 Für die Verwaltung erstatten die Kirchen die Kosten in Höhe von 2,5% bis 4% des Kirchensteueraufkommens. Vgl. dazu Suhrbier-Hahn (Fn. 44), S. 96.

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ben auf der Lohnsteuerkarte die Kirchensteuer mit dem am Ort der Betriebsstätte 74 geltenden Hebesatz einzubehalten und abzuführen. In der Verpflichtung des einer anderen oder gar keiner Kirche angehörenden Arbeitgebers, die Kirchensteuer einzuziehen, liegt kein Verstoß gegen die durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG geschützte negative Religionsfreiheit 7 5 . Der Arbeitgeber wird insoweit nicht für die jeweils steuerberechtigte Kirche tätig, sondern vom Staat zur Erledigung einer staatlichen Aufgabe, nämlich dem Lohnsteuereinzug, in Dienst genommen 7 6 . Seine Mitwirkungspflicht resultiert nicht aus einem Rechtsverhältnis, das ihn unmittelbar mit der jeweiligen Kirche verbindet; vielmehr erfüllt er eine staatliche, gesetzlich begründete Pflicht. Insoweit stellen sich allenfalls allgemeine, nicht speziell auf die Religionsfreiheit bezogene verfassungsrechtliche Fragen nach dem zulässigen Umfang der Indienstnahme Privater beim Steuereinzug, insbesondere i m Hinblick auf die Berufsfreiheit 77 . Problematischer ist dagegen die Pflicht des Arbeitnehmers, seine Konfession durch Eintrag auf der Lohnsteuerkarte gegenüber dem Arbeitgeber zu offenbaren. Die Pflicht, seine Konfession i m Rahmen der Kirchensteuererhebung gegenüber Dritten anzugeben, könnte zukünftig noch in einer anderen Richtung erhebliche Bedeutung erlangen. I m Rahmen einer geplanten Reform der Zinsbesteuerung durch eine Abgeltungssteuer wird diskutiert, daß die Banken einen Teil der Zinserträge direkt an das Finanzamt überweisen. In der Einkommensteuererklärung tauchen aufgrund der Abgeltungssteuer die Zinserträge als Einkommen nicht mehr auf, so daß sich die Einkommensteuer und damit die Kirchensteuer verringert. Damit die Kirchen nicht zum „großen Verlierer" der Reform werden 7 8 , wird vorgeschlagen, die Anleger sollten künftig bei ihrer Bank ihre Konfession angeben, so daß dort neben der geplanten Abgeltungssteuer von 25% auf Zinserträge ein in seiner Höhe bislang noch nicht festgelegter Betrag für die Kirchen „abgezweigt" werden könne 7 9 . Die Religionsfreiheit umfaßt die Freiheit, „auszusprechen und auch zu verschweigen, daß was man glaubt oder nicht glaubt" 8 0 . Das Grundrecht schützt somit 74

Zum Betriebsstättenprinzip Marré (Fn. 3), S. 1139 f. 5 Rüfner (Fn. 4), NJW 1971, S. 15 (19); vgl. auch: BVerfGE 44, 103 (104); Matthias Gehm, Das Kirchensteuersystem in der Bundesrepublik Deutschland, StuW 1999, S. 243 (250 f.); Winter (Fn. 32), S. 149. 7

76 Das Bundesverfassungsgericht (E 19, 226 (240)) bezeichnet den Arbeitgeber als „Hilfsorgan der staatlichen Finanzverwaltung" und sieht ihn als „Beauftragter des Steuerfiskus" an. 77 Vgl. dazu: Rüdiger Breuer, Die staatliche Berufsregelung und Wirtschaftslenkung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 148 Rn. 28. 78 Zum Ausgleich von Kirchensteuerausfällen durch die Steuersenkungsgesetze aus dem Jahr 2000 Gerd Stuhrmann, Die abschließende Steuergesetzgebung des Jahres 2000, NJW 2001, S. 705 (706). 79 F.A.Z. vom 20. Dezember 2002. 8 0 BVerfGE 12, 1 (4).

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davor, seine Konfessionszugehörigkeit bekanntgeben zu müssen, ein Recht, das in Art. 136 Abs. 3 S. 1 W R V besonders hervorgehoben w i r d 8 1 . Danach ist niemand verpflichtet, seine religiöse Überzeugung - und damit seine Konfessionszugehörigk e i t 8 2 - zu offenbaren. Allerdings haben Behörden von Verfassungs wegen das Recht, nach der Zugehörigkeit zu fragen, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete staatliche Erhebung dies erfordert 83 . Arbeitgeber und Banken lassen sich jedoch bei ihrer Indienstnahme i m Rahmen des Steuereinzugs nicht als Behörden qualifizieren; sie sind keine Beliehenen 8 4 . Doch ist das grundgesetzlich gewährleistete Recht, seine religiöse Überzeugung zu verschweigen, nicht schrankenlos gewährleistet. Eine Schranke folgt aus der verfassungsrechtlichen, in Art. 137 Abs. 6 WRV enthaltenen Gewährleistung einer geordneten, effektiven und realisierbaren Besteuerung durch die Kirchen 8 5 . Wenn und soweit es für eine ordnungsgemäße Besteuerung erforderlich ist, seine Konfessionsangehörigkeit gegenüber Dritten zu offenbaren, ist ein Eingriff in die Religionsfreiheit gerechtfertigt. Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht jüngst in einem Nichtannahmebeschluß 86 in der Pflicht, auf einer Lohnsteuerkarte das Fehlen der Mitgliedschaft in einer steuerberechtigten Kirche durch Striche kenntlich zu machen, keine Verletzung von Grundrechten eines Arbeitnehmers gesehen. Vor diesem Hintergrund ist auch eine Offenbarungspflicht gegenüber Banken i m Rahmen einer Abgeltungssteuer auf Zinserträge zulässig, wenn dies als Folge der Abgeltungssteuer für eine ordnungsgemäße Kirchensteuererhebung notwendig ist.

IV. Die Kirchensteuer - Auslaufmodell oder Finanzierungsinstrument der Zukunft? Ist die Kirchensteuer somit in ihrer heute praktizierten Form grundsätzlich mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit vereinbar und ihre Erhebung verfassungsrechtlich zulässig, so bleiben trotzdem Fragen i m Hinblick auf die Kirchensteuer offen. Eine dieser Fragen betrifft ihre Anbindung an die Einkommensteuer als Maßstabssteuer im „Huckepacksystem" 8 7 , wenn die Steuerpolitik neu ausgerichtet wird und dadurch das Einkommensteueraufkommen sinkt, weil etwa eine Verlage81 Zum Verhältnis von Art. 4 Abs. 1, 2 GG zu Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 WRV: BVerfGE 30, 415 (426); Stefan Muckel, in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: 2002, Art. 4 Rn. 25. 82 Α. A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/ Klein /Starck (Fn. 4), Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 295. 83 Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV. 84

Zur Indienstnahme Privater bei der Lohnsteuer Breuer (Fn. 77), § 148 Rn. 28. 85 BVerfGE 44, 37 (57). 86 BVerfG, NVwZ 2001, S. 909; vgl. auch BVerfGE 49, 375 (376); BFHE 116, 485 (487 ff.). 87

Begriff bei v. Campenhausen (Fn. 6), S. 264.

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Peter Axer

rung zugunsten indirekter Steuern stattfindet oder bei der Einkommensteuerberechnung kirchenfremde Ziele berücksichtigt werden 8 8 . Ob insoweit ein aus der Charakterisierung der Kirchensteuer als gemeinsamer Angelegenheit von Staat und Kirche gewonnener Mitgestaltungsanspruch der Kirchen bei der Einkommensteuer einen (rechtlichen) Ausweg aus dem Dilemma darstellt 8 9 , erscheint problematisch, denn allein die Kirchensteuer und nicht die Einkommensteuer ist eine gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche 9 0 . Vielmehr sind in diesem Zusammenhang die Kirchen daran zu erinnern, daß es ihnen unbenommen bleibt, eine andere Berechnung der Kirchensteuer zu wählen und einen eigenen Kirchensteuertarif zu entwickeln, um auf diese Weise sich aus der „Annexsteuerfalle" 9 1 zu befreien und Widersprüche zwischen staatlicher Steuerpolitik und kirchlichen Interessen aufzulösen. Die Qualifizierung der Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche bedeutetet nicht, daß die Kirchen keine eigenständigen Entscheidungsbefugnisse besitzen. Eine weitere Frage betrifft den Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die deutsche Kirchensteuer. Zwar dürfte dieser nicht so groß sein wie von einigen erhofft und von manchen befürchtet, weil mit gezielten europarechtlichen Regelungen für die Kirchensteuer als direkter Steuer in absehbarer Zeit nicht zu rechnen i s t 9 2 . Doch hat gerade der Erlaß der Datenschutzrichtlinie gezeigt, daß auch die Kirchensteuer vom europäischen Recht betroffen und in ihren Grundlagen gefährdet sein kann, wenn etwa die Erhebung von Daten über die Religionszugehörigkeit ohne eine Bereichsausnahme zugunsten der Kirchen - wie es noch i m Entwurf der Richtlinie vorgesehen war - beschränkt worden wäre 9 3 . Hinzu kommt, daß durch den Hinweis auf einen weitgehend singulären Charakter der deutschen Kirchensteuer i m europäischen Vergleich die Legitimität der Kirchensteuer in Frage gestellt w i r d 9 4 . Doch ist es gerade in diesem Zusammenhang geboten, die Vor-

88 Dazu etwa: Jörg Giloy, Neukonzeption einer Kirchensteuer vom Einkommen, DStZ 1999, S. 472 ff.; F. Kirchhof (Fn. 67), in: FS Heckel, S. 373 ff.; Paul Kirchhof Die Einkommensteuer als Maßstab für die Kirchensteuer, DStZ 1986, S. 25 ff.; Karl Eugen Schief Die Steuerreform und die Kirchen, in: FS Joseph Listi, 1999, S. 679 ff. S9 Zu einem solchen Mitgestaltungsanspruch P. Kirchhof (Fn. 88), DStZ 1986, S. 25 (27 f.); ders., Die Kirchensteuer im System des deutschen Staatsrechts, in: Friedrich Fahr (Hg.), Kirchensteuer, 1996, S. 53 (68 f.). 90 Giloy (Fn. 88), DStZ 1999, S. 472 (473); Weber (Fn. 6), NVwZ 2002, S. 1443 (1452); siehe auch Hammer (Fn. 1), S. 224 f. mit Fn. 235.

91 Begriff bei Giloy (Fn. 88), DStZ 1999, S. 472 (473). 92 Hammer (Fn. 1), S. 413 ff., 419; Hermann Weber, Geltungsbereiche des primären und sekundären Europarechts für die Kirchen, ZevKR 47 (2002), S. 221 (232 ff.); siehe auch Christian Starck, Das deutsche Kirchensteuerrecht und die Europäische Integration, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 1427 ff. 93 Vgl. Dieter Lorenz, Die Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes in ihren Auswirkungen auf die Kirchen, DVB1. 2001, S. 428 ff.; Weber (Fn. 92), ZevKR 2002, S. 221 (230 ff.); zum Entwurf der Datenschutzrichtlinie Starck (Fn. 92), in: FS Everling, S. 1433 ff. 94 Dazu Weber (Fn. 6), NVwZ 2002, S. 1443 (1454).

Die Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche

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teile des deutschen Systems gegenüber einer allgemeinen, mit Art. 137 Abs. 6 W R V nicht zu vereinbarenden - und daher verfassungswidrigen - Kultussteuer 95 herauszustellen und die Zulässigkeit einer autonomen, nationalstaatlichen Ausgestaltung der Staat-Kirchen Beziehung als Teil der nationalen Identität i.S.v. Art. 6 E U V vor dem Hintergrund der Erklärung Nr. 11 zur Schlußakte des Vertrages von Amsterdam, wonach die Europäische Union den Status, den die Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und ihn nicht beeinträchtigt 9 6 , in den Vordergrund zu rücken. Als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche hat sich die deutsche Kirchensteuer sowohl für den Staat als auch für die Kirchen als vorteilhaft erwiesen und bewährt. Nach wie vor gilt die von Friedrich Giese in seiner Bonner Habilitationsschrift zum Deutschen Kirchensteuerrecht bereits 1910 getroffene Feststellung, daß „die Materie, obwohl dem oft sehr strittigen Grenzgebiet von staatlichem und kirchlichem Recht entnommen, doch keine Kampfesmaterie zwischen beiden Mächten" i s t 9 7 . Ungeachtet mancher schwieriger Detailfragen zeigt sich - so Wolfgang Rüfner 98 - , „daß gegen das gegenwärtige Kirchensteuerrecht durchgreifende Bedenken nicht bestehen".

95 Zu weiteren verfassungsrechtlichen Bedenken Hammer (Fn. 1), S. 115 ff.; vgl. auch Feldhoff (Fn. 6), S. 44 ff. 96 Zur Bedeutung dieser Erklärung und den Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Staatskirchenrecht: Christoph Grabenwarter, Die Kirchen in der Europäischen Union - am Beispiel von Diskriminierungsverboten in Beschäftigung und Beruf, in: ders./ Norbert Lüdecke (Hg.), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, 2002, S. 60 ff.; Markus Heintzen, Die Kirchen im Recht der Europäischen Union, in: FS Joseph Listi, 1999, S. 29 ff.; Rudolf Streinz, Auswirkungen des Europarechts auf das deutsche Staatskirchenrecht, in: Essener Gespräche 31 (1997), S. 53 ff.; Marcel Vachek, Das Religionsrecht der Europäischen Union im Spannungsfeld zwischen mitgliedstaatlichen Kompetenzreservaten und Art. 9 EMRK, 2000; Heinrich de Wall, Neue Entwicklungen im Europäischen Staatskirchenrecht, ZevKR 47 (2002), S. 205 ff.; Weber (Fn. 92), ZevKR 47 (2002), S. 221 ff. 97 (Fn. 36), S. 3. 98 (Fn. 4), S. 19.

Katholische Freie Schulen im Kontext der europäischen Rechtsangleichung Von Manfred Baldus

I. Aktuelle europarechtspolitische Diskussion M i t der am 7. Dezember 2000 vom Europäischen Rat in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union 1 erscheinen Privatschulfreiheit und Elternrecht erstmals ausdrücklich i m primären Gemeinschaftsrecht. Gemäß Art. 14 Abs. 3 EuGrRCh werden i m Rahmen des Rechts auf Bildung die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten (freedom to found educational establishments) unter Achtung der demokratischen Grundsätze sowie das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht der Kinder entsprechend ihren eignen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, nach den einzelstaatlichen Gesetzen, die ihre Ausübung regeln, geachtet 2 . Die zurückhaltende, auf soft law 3 hindeutende Umschreibung des Verbindlichkeitsgrades der Gewährleistung („werden geachtet", „shall be respected ", „sont respectés ") entspricht dem in der gegenwärtigen Phase eher deklaratorischen Charakter der Charta, da sie noch keine förmliche Rechtsverbindlichkeit erlangt hat 4 . Inzwischen ist die Ar-

Abschluß des Manuskripts zum 28. 2. 2003. • ABl. EG Nr. C 364 v. 18. 12. 2000. Zur historischen Herleitung vgl. zuletzt Riedel-Spangenberger, Ilona, Europäische Grundrechtstraditionen, in: FS für Carl Gerold Fürst, hg. von Hartmut Zapp u. a., Frankfurt M. 2003, S. 135 - 153. 2 In den Beratungen des Entwurfs der Charta war die Aufnahme einer Bestimmung über die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten umstritten, weil Art. 149 (ex 126) EG-V die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für Lehrinhalte und Gestaltung des Bildungssystems festschreibt. Gegen die ursprüngliche Entwurfsfassung (Abs. 2: „Die Gründung von Lehranstalten ist frei") wurde ferner eingewandt, daß das erforderliche Maß staatlicher Aufsicht (etwa bei der Gründung von Schulen durch Sekten etc.) nicht sichergestellt sei. Die Erhaltung der Klausel beruht im wesentlichen auf der (schon durch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 1. 4. 1984 zur Freiheit der Erziehung in der Europäischen Gemeinschaft [ABl. Nr. C 104/69 v. 16. 4. 1984] vorgezeichneten) Verknüpfung mit dem Elternrecht aus Art. 2 des Zusatzprotokolls zur EMRK und auf der ausdrücklichen Inbezugnahme des mitgliedstaatlichen Bildungsrechts. Die Vorschläge zu Art. 16 (endgültig Art. 14) sind abrufbar unter fundamental, rights® consilium, eu .int CHARTE 4332/00. 3 Zu dem aus dem Völkerrecht u. internationalen Recht stammenden Begriff soft law vgl. u. a. Ehricke, Ulrich, „Soft law" - Aspekte einer neuen Rechtsquelle, in: NJW 1989, S, 1906- 1908; Vitzthum, Wolfgang Graf, Völkerrecht, 1997, S. 45, 97. 3 Muckel

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Manfred Baldus

beitsgruppe I I („Einbeziehung der Charta/Beitritt zur EMRK") des seit März 2002 tagenden „ Konvents zur Zukunft der Europäischen Union " damit befaßt, die Einbindung der Charta in das vorhandene Vertragssystem oder einen neuen europäischen Grundlagen(Verfassungs-)vertrag zu beraten 5 : ein weiterer Schritt in die Richtung auf vollgültiges Verfassungsrecht 6. In dieser für den künftigen Kurs der Union richtungweisenden Lage haben die Kirchen der Privatschulfrage - etwa i m sog. Forum des Europäischen Konvents bislang nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. So sucht man vergeblich in der Stellungnahme der Konferenz Europäischer Kirchen ( K E K ) vom 11.6. 2002 7 , der Erklärung der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (ComECE) vom 21. 5. 2002 8 , der Stellungnahme des Exekutivausschusses der Leuenberger Kirchengemeinschaft vom 24. 6. 2002 9 und der Gemeinsamen Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zum Europäischen Konvent vom 7. 6. 2 0 0 2 1 0 einen Hinweis auf das Freie Schulwesen, obgleich die großen christlichen Kirchen in der Schule stets eines ihrer wichtigsten Aufgabenfelder erkannt haben, die Katholische Kirche der größte Privatschulträger in der Europäischen Union i s t 1 1 und die Schule als wesentlicher

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Vgl. Magiera, Siegfried, Die Grundrechtecharta der Europäischen Union, in: DÖV 2000, S. 1017-1026 (1019 f.); Triebet, Matthias, Die Rechtswirkungen der Europäischen Grundrechtecharta, in: NJ 2002, S. 232-234. 5 Vgl. Art. 5 Abs. 1 Entwurf der Artikel eines Vertrages über eine Verfassung für Europa (CONV 528/03); Lutz-Bachmann, Matthias, Plädoyer für eine europäische Verfassung, in: StdZ 2000, S. 181 - 190 (S. 189 f. insbesondere im Blick auf die Kultur- und Hochschulpolitik in Europa); Cromme, Franz, Verfassungs vertrag der Europäischen Union, in: DÖV 2002, S. 593-600 (600); Scholz, Rupert, Wege zur Europäischen Verfassung, in: ZG 2002, S. 1-13. 6 Zu europarechtlichen Perspektiven des Bildungsrechts vgl. Berggreen-Merkel, Ingeborg, Aufbau eines Europäischen Bildungssystems, in: RdJB 2001, S. 133-150; Caspar, Johannes, Die EU-Charta der Grundrechte und das Bildungsrecht, in: RdJB 2001, S. 165-180; Fechner, Frank, Kultur und Bildung im Europarecht, in: RdJB 1996, S. 35-47; Fürst, Andreas, Die bildungspolitische Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt a.M. 1999; Jach, Frank-Rüdiger, Freie Schulen in Europa, in: Erziehungskunst 57 (1993) S. 1071 -1088; ders., Schulverfassung und Bürgergesellschaft in Europa, Berlin 1999; Martinez López-Muniz, José Luis, Politica de educación, de formación profesional y de juventud, in : Calonge Velâsquez, A. (Coord.), Politicas Comunitarias, Valladolid 2002, S. 320-353; Ruhs, Christian, Der Europäische Bildungsraum - Ein Fall für den Europäischen Gerichtshof?, in: ÖJZ 1998, 404-410; Seidel, Gerd/Beck, Alexander, Rechtliche Aspekte der Bildungspolitik der EG, in: Jura 1997, S. 393-400; Timmermann, Heiner (Hrsg.), Bildung in der Europäischen Union, Berlin 1995; Witte, Bruno De (Hrsg.), European Community Law of Education, Baden-Baden 1989. ι Abgedruckt in: epd-Dokumentation 32/2002, S. 15-19. 8 Abgedruckt in: epd-Dokumentation 32/2002, S. 20-23; ähnlich die Schwerpunkte kirchlicher Wünsche an die EU-Verfassung in dem Gespräch mit ComECE-Generalsekretär Noël Treanor, in: HK 2003, S. 70-74. 9 Abgedruckt in: epd-Dokumentation 32/2002, S. S. 24/25. 10 Abgedruckt in: epd-Dokumentation 32/2002, S. S. 26/27.

Katholische Freie Schulen im Kontext der europäischen Rechtsangleichung

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Prüfstein des Staat-Kirche-Verhältnisses gilt. Immerhin sind inzwischen aus dem verbandlichen Bereich zehn Schulträger-, Eltern- und Lehrerverbände Freier Schulen, darunter zwei protestantische und ein katholischer (Comité Européen pour l'Enseignement Catholique [ CEEC 7), gemeinsam tätig geworden. Übereinstimmend in ihrem Interesse an der Förderung der Unterrichtsfreiheit in Europa, haben sie am 2. April 2002 dem Konvent, der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten eine „ Joint Declaration by the European Confederations of private and independent Teaching" 12 vorgelegt. Nun gehört das Recht der kirchlichen (Freien, privaten) Schulen gewiß nicht zu den klassischen Themen des europäischen Staatskirchenrechts 13 wie (aus deutscher Sicht) der Datenschutz und das Meldewesen, die Kirchenfinanzierung, das Arbeitsund Arbeitszeitrecht, der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen 1 4 und die karitative Betätigung der Religionsgemeinschaften. Gleichwohl sind die praktischen Auswirkungen europarechtlicher Grundsätze - etwa der Freizügigkeit und des Diskriminierungsverbots - auch hier erkennbar. Überdies sind die Schulen ein wesentliches Medium des Gemeinschaftsbewußtseins 15 in diesem neuartigen, auf Integration der Mitgliedstaaten angelegten Staatenverbund 16 . Ein schulisches Engagement 11

Mehr als 10 Mio Schüler (=15% der gesamten Schülerschaft) besuchen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union katholische Freie Schulen; letztere nehmen einen Sektor von etwa 85% des privaten Schulwesens ein; vgl. Jach, Schulverfassung (s. Anm. 6), S. 88. 12 Brüssel 2. 4. 2002, noch keine (Internet-) Quelle. 13 Vgl. hierzu jüngst im Überblick Weber, Hermann, Geltungsbereiche des primären und sekundären Europarechts für die Kirchen, in: ZevKR 47 (2002), S. 221-247 (230 ff. m.w.H.). Aus der Fülle der deutschsprachigen Literatur zu europarechtlichen Bezügen des Staatskirchenrechts vgl aus jüngerer Zeit Heintzen, Markus, Die Kirchen im Recht der Europäischen Union, in: FS für Joseph Listi, hg. von Josef Isensee u. a., Berlin 1999, S. 29-47; Kämper, Burkhard/Schlagheck, Michael (Hrsg.), Zwischen nationaler Identität und europäischer Harmonisierung: zur Grundspannung des Verhältnisses von Gesellschaft, Staat und Kirche in Europa, Berlin 2002; Lecheler, Helmut, Ansätze zu einem „Unions-Kirchen-Recht" in der Europäischen Union, in: FS für Walter Leisner, hg. von Josef Isensee u. a., Berlin 1999, S. 39-51; Robbers, Gerhard (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, BadenBaden 1995 (Übersetzungen in Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch); Rüfner, Wolfgang, Staatskirchenrechtliche Überlegungen zu Status und Finanzierung der Kirchen im vereinten Europa, in: FS zum 180jährigen Bestehen des Carl-Heymanns-Verlages, hg. von Jörn Ipsen u. a., Köln 1995, S. 485-498;Ufa//, Heinrich de, Europäisches Staatskirchenrecht, in: ZevKR 45 (2000), S. 157-172. 14 Vgl. Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Europa, Dokumentation des Symposions v. 13.-15. 4. 1991 in Rom, hg. v. Sekretariat der Dt. Bischofskonferenz, Bonn 1991 (Arbeitshilfen H. 91); Ohlemacher, Jörg, Religiöse Bildung in Europa und europäische Bildungspolitik, in: BThZ 17 (2000), S. 238-261. 15 Vgl. Bever, Sigrun, Die Rolle des Bildungsrechts im Prozeß der europäischen Integration, Bochum 1987, S. S. 3 - 6 ; Vorsmann, Norbert, Perspektiven für das schulische Lernfeld „Europa", in: engagement 1996, S. 22-36; Vorsmann, Norbert / Wittenbruch, Wilhelm, Schulen auf Europa-Kurs, Bad Heilbrunn 1997; Wittenbruch, Wilhelm, Schule und Europa, in: engagement 1996, S. 3-21. 16 Zur Deutung der Europäischen Union als ein gegenüber den klassischen Formen des Staats- und Völkerrechts neuartiges Gebilde vgl. BVerfGE 89, 155 (189, 195). 3*

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Manfred Baldus

für die europäische Idee, das sich auch in Lehrplänen niederschlägt, bewirkt mindestens tendenziell einen Abbau vorhandener Integrationshemmnisse i m nationalen Schulrecht und damit eine die Binnengrenzen überschreitende Öffnung der Schulsysteme und Bildungsprogramme, einen institutionalisierten Diskurs und Austausch, eine Konvertierbarkeit der Abschlüsse und schließlich eine inhaltliche Annäherung der den Prüfungen vorausliegenden Curricula 1 7 . Zunächst hat - wegen des Ursprungs der Europäischen Union als Wirtschaftsgemeinschaft - die berufliche Bildung i m Blickfeld des Europarechts gestanden. Schon bald wurde aber erkennbar, daß die Union auf eine Förderung von Integration auch i m Bereich der allgemeinen Bildung nicht verzichten kann. Allerdings blieb die Trennung der beiden Bildungsbereiche noch in Art. 149, 150 (ex 126, 127) EG-V (Fassung des Amsterdam-Vertrages 1997) aufrechterhalten. Dies wird beim heutigen Entwicklungsstand der Integration als künstlich angesehen, so daß sich die Tendenz zu einer Gesamtschau 18 anbahnt, verbunden mit einer Stärkung der Handlungsinstrumente der Union. So plädiert eine Nichtregierungsorganisatio n 1 9 auf dem bereits erwähnten Forum des Europäischen Konvents für eine konkurrierende Zuständigkeit der Union i m Bildungswesen, durch die mitgliedstaatliche Maßnahmen (Koordinierung, Beziehung zu Drittstaaten, Fördermaßnahmen) unter Beachtung ihrer Verantwortung für Inhalte und Gestaltung des Bildungswesens, ihrer Sprachen und Kulturen unterstützt und ergänzt werden. Dabei soll vor allem in Anbetracht des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 EG-V) - die Gesetzgebung auf eine Rahmenkompetenz beschränkt sein. Auch als Zielvorgaben sind solche Vorstellungen von der Realität zwar noch weit entfernt, sie machen aber rechtspolitische Optionen deutlich, die aus der praktischen Bedarfslage in der zusammenwachsenden Gemeinschaft hervorgehen. In diesen rechtspolitischen Prozeß sind die kirchlichen (Freien) Schulen einbezogen, weil sie - wie in Deutschland schon von Verfassungs wegen (Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG) - nicht hinter dem öffentlichen Schulwesen zurückstehen dürfen. Die katholischen Schulen folgen damit zugleich einem Gebot des universalen kirchlichen Rechts. Nach c. 806 § 2 CIC 1983 haben die Schulleiter unter der Aufsicht des Ortsbischofs dafür zu sorgen, daß die Ausbildung nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht hervorragend ist, sondern auch mindestens dem Niveau der übrigen Schulen der Region (pari saltern gradu ac in aliis scholis regionis) entspricht. Was für alle katholische Schulen in den Ländern der Europäischen Union 17 Vgl. jüngst EU-Parlament u. Rat, Empfehlung 2001 /166/EG v. 12. 2. 2001 (http://europa.eu.int/abc/doc/off/bull /de/200101 /pl04016.htm) zur europäischen Zusammenarbeit bei der Bewertung der Qualität von Schulbildung. 18 Zur Einheitlichkeit des (weit gefaßten) europarechtlichen Bildungsbegriffs, der auch private Bildungseinrichtungen einschließt, vgl. Oppermann, Thomas, Europarecht, 2. Aufl., München 1999, Rz. 1905. ,9 Vgl. ζ. B. Europäisches Forum für die Freiheit des Bildungswesens (EFFE), Beitrag an den Europäischen Konvent zur Bildungspolitik vom 5. 4. 2002, www.europa.eu.int/futurum / forum_convention / doc.

Katholische Freie Schulen im Kontext der europäischen Rechtsangleichung

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nach den Vorgaben des gemeinkirchlichen Rechts, insbesondere der cc. 7 9 3 - 8 0 6 CIC 1983, gilt, hat daher eo ipso eine integrative und damit europäische Komponente. Dies hat freilich die Vielfalt der Erscheinungsformen, die durch nationalstaatliche, vor allem staatskirchenrechtliche Entwicklungen geprägt sind, nicht gehindert. Derzeit befindet sich die Union über mehrere Stufen in Beitrittsverhandlungen mit Staaten des ehemaligen Ostblocks (zunächst Estland, Polen, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Lettland, Litauen und Slowakei, später Bulgarien und Rumänien), aber auch Malta und Zypern. Die Lage der Privatschule mindestens i m Verfassungsrecht dieser Länder sollte ein Streiflicht wert sein, um Anhaltspunkte für mögliche europarechtliche Auswirkungen zu erkennen. Die Entwicklungschance des Freien Schulwesens in europäischen Dimensionen wird davon bestimmt sein, ob es gelingt, eine Alternativität zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Schulen so weit zu konsolidieren, daß die Wahlmöglichkeit der Erziehungsberechtigten, die finanzielle Ausstattung der Träger und die Gleichwertigkeit der Lehrprogramme, der Qualifikation der Lehrkräfte und der Anerkennung von Abschlüssen gesichert erscheinen. A u f solche Merkmale des allgemeinbildenden (Pflicht-) Schulwesens, wie sie i m deutschen Schulrecht für die sog. Ersatzschule (Art. 7 Abs. 4 Satz 2 - 4 GG) entwickelt worden sind, ist der nachfolgende, aus Raumgründen knappe Länderbericht über Schulen in katholischer Trägerschaft zugeschnitten.

II. Übersicht zur Rechtslage des katholischen Freien Schulwesens in Europa 1. Verfassungs-

und konkordatsrechtliche

Grundlagen

Von den 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union kennen nur vier keine privatschulrechtlichen Normen auf Verfassungsebene, nämlich Frankreich, Luxemburg, Schweden und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland. Dies beruht weniger auf schulpolitischen Gründen als auf historischen Umständen wie dem Fehlen einer Verfassungsurkunde oder eines verfassungsrechtlichen Regelungsbedarfs. Allein die französische Verfassung läßt, indem sie die „Organisation des öffentlichen, unentgeltlichen und laizistischen Unterrichts auf allen Stufen" als Staatspflicht postuliert 2 0 , einen Vorbehalt gegenüber einem weltanschaulich orientierten Privatschulwesen erkennen 21 . I m Gegensatz hierzu stellen Belgien 2 2 , Dänemark 2 3 , Irland 2 4 , die Niederlande 2 5 und Spanien 2 6 die Unterrichts20 Vgl. Präambel Verfassung der französischen Republik vom 27. 10. 1946, bestätigt durch Präambel der Verfassung der Republik Frankreich vom 4. 10. 1958. 21 Ein Beschluß des Verfassungsrats v. 23. 11. 1977 (Bull. S. 5530) stellt allerdings klar, daß die genannte Bestimmung weder das Vorhandensein nichtstaatlichen Unterrichts noch dessen staatliche Subventionierung auf gesetzlicher Grundlage ausschließt. 22 Art. 24 § 1 Abs. 1 Verf. 1994.

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freiheit, bisweilen als Teil des elterlichen Erziehungsrechts verstanden 27 , an die Spitze ihres Verfassungsschulrechts. Ein Verbot der staatlichen Pflichtschule für alle kennt nur das irische Verfassungsrecht 28 . I m übrigen erfolgt - wie in Deutschland 2 9 - die Gewährleistung von Privatschulfreiheit auf Verfassungsebene meist unter dem Vorbehalt näherer gesetzlicher Regelung, insbesondere staatlicher Aufsicht und Standards für Lehrkräfte und Lehrpläne 3 0 . Vielfach erkennt bereits der Verfassungsgesetzgeber das Desiderat einer Privatschulfinanzierung; die hierfür aufgestellten Grundsätze reichen von einem Gleichbehandlungsgebot für staatliche und Freie Schulen 3 1 , allgemeine Förderungsklauseln zu Gunsten des Freien Schulwesens, ζ. T. verbunden mit bestimmten Förderungsprinzipien 32 , bis zur Verweisung auf näheres Landesrecht 33 . Die Hälfte der zwölf EU-Beitrittskandidaten (Bulgarien, Estland, Polen, Rumänien, Slowakei, Z y p e r n ) 3 4 gewährleistet i m Verfassungsrecht ebenfalls die Errichtungsfreiheit für nichtstaatliche Schulen. 23 Art. 76 Satz 2 Verfassung des Königreichs Dänemark v. 5. 6. 1953 stellt Eltern, die selbst dafür sorgen, daß die Kinder einen Unterricht erhalten, der den im allgemeinen an den Volksschulunterricht gestellten Anforderungen entspricht, von der Verpflichtung frei, die Kinder in der (wohl als öffentlich vorausgesetzten) Volksschule unterrichten zu lassen. Damit ist mittelbar auch Privatschulfreiheit gewährleistet. 24 Art. 42 Abs. 2 u. 3 Verf. 1937. 2 5 Art. 23 Abs. 2 Verf. 1983. 2 6 Art. 27 Abs. 1 u. 6 Verf. 1978. 27 Vgl. für Belgien Art. 24 § 1 Abs. 2 Verf. 1994, für Dänemark § 76 Verf. 1963, für Irland Art. 42 Abs. 1 u. 2 Verf. 1937. 2 8 Art. 42 Abs. 3 Verf. 1937. 29 Art. 7 Abs. 4 GG, Art. 134 BayLV, 30 Abs. 6 Bbg.LV, 29 Brem.LV, 61 Hess.LV, 4 Abs. 3 u. 4 Nds.LV, 8 Abs. 4 NW.LV, 30 RPf.LV, 28 Saar.LV, 102 Abs. 3 Sächs.LV, 28 SaAnh.LV, 26 Thür.LV. 30 Vgl. für Finnland § 82 Abs. 1 Regierungsform 1919; für Griechenland Art. 16 Abs. 8 Verf. 1975, für Italien Art. 33 Abs. 3 u. 4 Verf. 1948, für Österreich Art. 14 Abs. 7 B-VG 1929, 17 Abs. 5 StGG 1867; für Portugal Art. 43 Abs. 4, 75 Abs. 2 Verf. 1976, für Spanien Art. 27 Abs. 6 Verf. 1978 (Achtung der Prinzipien der Verfassung). 31 So für den Grundschulunterricht in den Niederlanden gemäß Art. 23 Abs. 7 Verf. 1983. 32 Vgl. für Belgien Art. 24 § 4 Verf. 1994; für Deutschland Art. 30 Abs. 6 Bbg.LV, 4 Abs. 3 Nds.LV, 8 Abs. 4 NW.LV, 30 Abs. 3 RhldPf.LV, 28 Abs. 3 u. 4 Saar.LV, 28 Abs. 2 SaAnh.LV, 26 Abs. 2 Thür.LV; für Irland Art. 42 Abs. 4 Verf. 1937; für die Niederlande Art. 23 Abs. 5 u. 6 Verf. 1983. 33 Vgl. für die Niederlande Art. 23 Abs. 7 Verf. 1983 (bzgl. weiterführender Schulen); für Spanien Art. 27 Abs. 9 Verf. 1978. 34 Die nachfolgend zitierten Verfassungen der EU-Beitrittskandidaten sind in englischer Sprache jeweils nach neuestem Stand abrufbar unter http://uni-wuerzburg.de/law, ebd. ICLRegister. Bulgarien: Art. 53 Abs. 5 Verf. 1991; Estland: Art. 37 Abs. 2 Verf. 1992; Rumänien: Art. 32 Abs. 5 Verf. 1991; Zypern: Art. 20 Nr. 1 Verf. 1960; Polen: Art. 70 Abs. 3 Verf. 1997 (Parents shall have the right to choose schools other than public for their children. Citizens and institutions shall have the right to establish primary and secondary schools and institu-

Katholische Freie Schulen im Kontext der europäischen Rechtsangleichung

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Die Anerkennung der Privatschulfreiheit bedeutet zugleich eine Absage an ein institutionelles Schulmonopol des Staates. Das staatliche Recht eröffnet damit, wenn auch in nationalrechtlich unterschiedlichem Umfange, die Konkurrenz öffentlicher und Freier Schulträger. Die katholische Freien Schulen erfahren einen zusätzlichen staatskirchenrechtlichen Schutz durch das Grundrecht der (korporativen / kollektiven) Religionsfreih e i t 3 5 und, soweit die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten hierzu Regelungen treffen, das Selbstordnungsrecht der Religionsgemeinschaften in eigenen Angelegenheiten 36 . Erziehung und Bildung der Jugend ist - unbeschadet konkurrierender Ansprüche des Staates - seit jeher ein Betätigungsfeld der Kirche 3 7 . Aus den Dom- und Klosterschulen ist das abendländische Bildungswesen hervorgegangen 3 8 . Erst die päpstliche und kaiserliche Privilegierung, die mit dem zur Verleihung des ius ubique docendi berechtigenden Promotionsrecht verbunden war, hat den seit dem 12. Jahrhundert aufblühenden Universitäten ihr globales Aktionsfeld

tions of higher education and educational development institutions. The conditions for establishing and operating non-public schools, the participation of public authorities in their financing, as well as the principles of educational supervision of such schools and educational development institutions, shall be specified by statute); Slowakei: Art. 42 Abs. 3 Verf. 1992. 35 Vgl. für Belgien Art. 19 Verf. 1994; für Dänemark Art. 67 Verf. 1953; für Deutschland Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG, 2 Abs. 1 BW.LV, 107 Abs. 1 u. 2 BayLV, 13 Abs. 1 Bbg.LV, 4 Brem.LV, 9 Hess.LV, 5 Abs. 3 MV.LV, 3 Abs. 3 Nds.LV, 4 Abs. 1 NW.LV, 8 Abs. 1 RHPf.LV, 4 Abs. 1 Saar.LV,, 19 Sächs.LV, 9 Abs. 1 u. 2 SaAnh.LV, 39 Thür.LV; für Finnland § 9 Abs. 2 Regierungsform; für Frankreich Präambel Verf, 1958 i.V.m. Art. 10 Erklärung d. Menschenu. Bürgerrechte 1789; für Griechenland Art. 13 Verf. 1975; für Irland Art. 44 Abs. 2 Verf. 1937; für Italien Art. 8 Abs. 1, 19 Verf. 1948; für Luxemburg Art. 19 Verf. 1868; für die Niederlande Art. 6 Verf. 1978; für Österreich Art. 149 Abs. 1 B-VG 1920, 14 StGG 1867; für Portugal Art. 41 Abs. 1 Verf. 1976; für Schweden Kap. 2 §§ 1 Nr. 6, 2 Verf. 1975; für Spanien Art. 16 Verf. 1978. EU-Beitrittskandidaten: Bulgarien Art. 13 Abs. 1 Verf. 1991; Estland Art. 40 Verf. 1992; Lettland Art. 98 Verf. 1998; Litauen Art. 26 Verf. 1992; Malta Sect. 40 Verf. 1996; Polen Art. 53 Verf. 1997; Rumänien Art. 29 Verf. 1991; Slowakei Art. 24 Verf. 1992; Slowenien Art. 7 Abs. 2, 41 Verf. 2000; Ungarn Art. 60 Verf. 1997; Zypern Art. 18 Verf. 1960. 36 Vgl. für Deutschland Art. 140 GG, 137 Abs. 3 WRV, 4, 5 BW.LV, 142 Abs. 3 BayLV, 36 Abs. 2 Bbg.LV, 59 Abs. 2 Brem.LV, 49 Hess.LV, 9 MV.LV, 19 Abs. 2 NW.LV, 41 Abs. 2 RhPf.LV, 35 Abs. 2 Saar.LV, 109 Abs. 2 u. 4 Sächs.LV, 32 Abs. 2 u. 5 SaAnh.LV, 40 Thür.LV; für Irland Art. 44 Nr. 5 Verf. 1937; für Italien Art. 7 Abs. 1 Verf. 1948; für Österreich Art. 149 Abs. 1 B-VG 1920, 15 StGG 1867; für Portugal Art. 41 Abs. 4 Verf. 1976. EUBeitrittskandidaten: Polen (Art. 25 Abs. 2 Verf. 1997), Slowakei (Art. 24 Abs. 3 Verf. 1992). 37 Vgl. Loschelder, Wolfgang, Kirchen als Schulträger, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Joseph Listi u. Dietrich Pirson, 2. Aufl., Bd. 2, Berlin 1995, S. 514 f., 521 f. 38 Unter den bildungsgeschichtlichen Studien immer noch hervorragend Paulsen , Friedrich, Das deutsche Bildungswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung, Leipzig 1906; ders., Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, 2 Bde, Leipzig 1919/1921; Nachdruck Berlin 1965; aus dem neueren Schrifttum Schieffer, Rudolf (Hrsg.), Kirche und Bildung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2001.

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bereitet 3 9 . Auch heute beansprucht die katholische Kirche in c. 800 § 1 CIC das Recht, Schulen jedweden Wissenszweiges, jedweder Art und Stufe zu gründen und zu leiten 4 0 . Solche Schulen sind „nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen ( . . . ) , ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen." 4 1 Hierunter fallen Schulen in der Trägerschaft von Institutionen der verfaßten Kirche oder rechtlich selbständiger Verbände, d. h. Schulen der Diözese, einer Pfarrgemeinde, eines Ordensverbands, eines von solchen Körperschaften gebildeten Schulwerks, einer kirchlichen Schulstiftung oder eines Schulvereins. Indizien für die Einbindung der Schule in das kirchliche Schulrecht können neben ihrer Bezeichnung als „katholisch" (c. 803 § 3 CIC) das Ausmaß der institutionellen Verbindung mit der verfaßten Kirc h e 4 2 oder die Art des vom Träger satzungsgemäß verfolgten Ziels sein 4 3 .

2. Kurzbericht zur Rechtslage der katholischen Schulen in den EU-Mitgliedstaaten 44,45 a) Belgien Beherrschendes Prinzip in diesem Land, das bis in die jüngere Vergangenheit durch Sprachen- und Schulkampf erschüttert wurde, ist die Erziehungsfreiheit; diese wird als Unterrichtsfreiheit und als Elternrecht auf freie Schulwahl verstanden 39 Vgl. Roellecke, Gerd, Geschichte des deutschen Hochschulwesens, in: Flämig, Christian, u. a. (Hrsg.), Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 1, 2. Aufl., Berlin 1996, S. 3 - 3 6 (5-11 m. w. N.) 40 Die Grundlage bildet c. 794 § 1 CIC über Erziehungspflicht und -recht der Kirche als originäre, heilsmittlerische Aufgabe. 4 1 BVerfGE 46, 73 = KirchE 16, 189. 42 Ζ. B. die satzungsgemäße Mitgliedschaft kirchlicher Amtsträger in Leitungsorganen des Schulträgers. 43 Vgl. auch Baldus, Manfred, Katholische Freie Schulen im staatlichen und kirchlichen Recht, Köln 2001 (Pädagogik und Freie Schule, H. 58), S. 8 f. 44 Der nachfolgende Länderbericht beruht neben den vom Verf. eingezogenen Informationen auf folgenden Quellen: Europäisches Parlament/Rechtsausschuß, Arbeitsdokument zur Freiheit der Erziehung in der Gemeinschaft (Dok. 1 -585/81) v. 20. 12. 1982 (Berichterstatter: Rudolf Luster)·, Glenn, Charles/Groof Jan de, Finding the Right Balance - Freedom, Autonomy and Accountability in Education, Utrecht 2002, S. 43-125; Jach, Schulverfassung (s. Anm. 6), S. 137-478. Länderberichte allgemein zum Schulrecht erscheinen auch im European Journal for Education Law and Policy (seit 1997). Für Übersichten sei generell verwiesen auf das „Informationsnetz zum Bildungswesen in Europa (EURYDICE)" unter http://www.eurydice.org/D0cMmewi5·: Private education in the European Union (insbesondere Länderübersichten und Executive Summary [mit Längsschnitten wie Gesetzgebung, Gleichwertigkeit von Lehrplänen und Abschlüssen, Staatszuschüsse, Schulgeld etc.]), dort allerdings keine detaillierten Informationen über das kath. Freie Schulwesen. Diese ergeben sich ζ. T. aus den jährlichen Länderberichten im European Journal for Church and State Research (EJChSt). Auskünfte über die Finanzierung katholischer Schulen vermittelt der

Katholische Freie Schulen im Kontext der europäischen R e c h t s a n g l e i c h u n g 4 1 (Art. 24 § 1 Verf. 1994). Eine hoheitliche Regulierung des Freien Schulwesens, das traditionell vor allem mit katholischen Schulen i m Sekundarbereich weit über 60% der Schülerschaft versorgt 4 6 , erfolgt über rechtliche Konditionen, nach denen Zeugnisse und Abschlüsse anerkannt und öffentliche Zuschüsse geleistet werden. Die Zuständigkeit hierfür liegt bei der durch die Muttersprache (Flämisch, Französisch, Deutsch) bestimmten sog. Gemeinschaft (communauté , gemeenschap), die hierfür auf der Grundlage des sog. Schulpakts von 1958 und des gesamtstaatlichen Schulgesetzes vom 29. 5. 1959 jeweils eigene Regelungen getroffen hat. Abgesehen von der Bindung an die Sprache und die Privatschulaufsicht, beschränken sich diese Vorgaben auf Mindeststandards und Leitlinien, die von den Freien Trägern als allgemein verbindliche Grenzen bei der autonomen, vorwiegend auf verbandlicher Ebene 4 7 erfolgenden Konzeption der Schulorganisation, der Unterrichtsmethode und des Curriculums zu beachten sind. Sind diese Bedingungen erfüllt, dann entsprechen die Grundsätze der Finanzierung durch die Gemeinschaft in etwa denjenigen öffentlicher Schulen, allerdings werden die Ressourcen der Freien Schulen als schwächer beurteilt. Die Lehrkräfte sind zwar Bedienstete des Trägers, erhalten ihre Bezüge aber aus der Staatskasse. Finanziert werden auch sonstige laufende Kosten (nach Pro-Kopf-Quote) und Investitionen teils direkt, teils durch Deckungszusage. Die Erhebung von Schulgeld ist i m Schulpflichtbereich untersagt (Art. 24 § 3 Verf. 1994). Das Recht freier Auswahl der Schüler und Lehrkräfte gestattet jedenfalls eine Berücksichtigung der durch den Charakter der Schule bestimmten Kriterien (ζ. B. Konfession, pädagogisches Konzept, getrennte Erziehung der Geschlechter [letzteres str.]). So wird die Aufnahme muslimischer Schüler in katholische Schulen nicht grundsätzlich abgelehnt, ein entsprechender Religionsunterricht aber nur ausnahmsweise angeboten.

Bericht des Comité Européen pour V Enseignement Catholique (CEEC), Results of a survey carried out in the CEEC member countries: The financing of Catholic Education, 1999/2000, Brüssel. Die Angaben über den Schüleranteil kath. Privatschulen 2000/2001 gehen auf Erhebungen des CEEC zurück und erfassen alle Formen kath. Schulen. Die erreichbaren Statistiken sind oft von begrenzter Aussagekraft, weil sie nur den Privatschüleranteil allgemein oder an kath. Schulen ausweisen, so daß die signifikant unterschiedliche Verteilung auf Schulformen und Schulstufen (z. B. meist überdurchschnittlich hoher Anteil der kath. Schulen auf der Sekundarstufe) unberücksichtigt bleibt. 45 In Westeuropa bestehen außerhalb des EU-Bereichs in folgenden Staaten katholische Freie Schulen (in Klammern: Schulen / Schülerzahl / Anteil an der Gesamtschülerzahl): Norwegen (3/950/0,17%), Schweiz (95/15.000/1,60%), Quelle: CEEC (s. oben Anm. 44), ferner in Kroatien (10/1.430/< 1%) u. Bosnien/Herzegowina (11 /1.831 /