Jakob, der ambivalente Ahnherr Israels: Die Jakoberzählung auf dem Weg von der Volks- zur Völkergeschichte [1 ed.] 9783666560866, 9783525560860

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Jakob, der ambivalente Ahnherr Israels: Die Jakoberzählung auf dem Weg von der Volks- zur Völkergeschichte [1 ed.]
 9783666560866, 9783525560860

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Kristin Tröndle

Jakob, der ambivalente Ahnherr Israels Die Jakoberzählung auf dem Weg von der Volks- zur Völkergeschichte

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Ismo Dunderberg, Jan Christian Gertz, Jennifer Knust, Hermut Löhr, Susanne Luther, Joachim Schaper

Band 287

Kristin Tröndle

Jakob, der ambivalente Ahnherr Israels Die Jakoberzählung auf dem Weg von der Volks- zur Völkergeschichte

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagsgestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0939 ISBN 978-3-666-56086-6

Für Korbinian

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Einleitung und Anlage der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Forschungsgeschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Die Eingangskapitel der Jakoberzählung (Gen 25,19–34; 27,1–45) . . . 35 3.1 Jakobs Streben nach der Erstgeburt – Analyse von Gen 25,19–34 . . 36 3.1.1 Kommentierte Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.1.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.1.3 Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.1.4 Literarkritik von Gen 25,19–28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.1.4.1 Priesterschriftliche Textanteile (Gen 25,19 f.26b) . . . 41 3.1.4.2 Das Gottesorakel (Gen 25,22 f.) . . . . . . . . . . . . . 42 3.1.4.3 Der Kernbestand der Exposition (Gen 25,21.24–26a.27–28) . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.1.5 Jakobs rechtmäßiger Erwerb der Erstgeburt (Gen 25,29–34) 50 3.1.5.1 Literarkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.1.5.2 Überlieferungsgeschichtliche Verortung . . . . . . . . 51 3.1.5.3 Die literarische Funktion der Linsengerichtsszene . . . 53 3.2 Jakobs Betrug um den Segen – Analyse von Gen 27,1–45 . . . . . . 58 3.2.1 Kommentierte Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.2.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.2.3 Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.2.4 Literarkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3.2.4.1 Quellenscheidung und ihre Kritik . . . . . . . . . . . . 68 3.2.4.2 Universal-völkergeschichtliche Bearbeitung der Segensworte (Gen 27,29.36b–37) . . . . . . . . . . . . 69 3.2.4.3 Edom-spezifische Bearbeitung der Segensworte (Gen 27,36a.38–40) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2.4.4 Die literarhistorische Bewertung des Erzählschlusses (Gen 27,41–45) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2.5 Funktion und Bedeutung des Segens in Gen 27,1–45 . . . . . 81 3.2.5.1 Der Segensspender: Isaaks ‫ נפׁש‬und die Rolle JHWHs 82 3.2.5.2 Die Bedeutung des „Erstgeburtssegens“ . . . . . . . . 87 3.2.6 Überlieferungsgeschichtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . 90

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Inhalt

3.3 Segensreiche Aussendung statt Flucht – ein Alternativvorschlag der Priesterschrift in Gen 25–27* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.3.1 Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.3.2 Die Funktion der Priesterschrift in Gen 25–27* . . . . . . . . 93 3.4 Die sekundäre Identifikation zwischen Edom und Esau in Gen 25–27* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4. Die Autorisierung Jakobs als legitime Nordreichsgröße durch die Bet-El-Erzählung in Gen 28,10–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.1 Kommentierte Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.3 Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.4 Literarkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.4.1 Quellenscheidung und ihre Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.4.2 Die sekundären Ortsangaben im Rahmen der Kontexteinbindung (Gen 28,10) . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.4.3 Die sekundären Verheißungselemente in der Gottesrede (Gen 28,13–14*) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4.4.4 Die Lus-Notiz (Gen 28,19b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.4.5 Jakobs Gelübde (Gen 28,20–22) als sekundäre Erweiterung . . 118 4.5 Literarhistorische Verortung des Grundbestands . . . . . . . . . . . 123 5. Jakobs Aufenthalt bei Laban (Gen 29–31) . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5.1 Jakob als betrogener Betrüger – Analyse von Gen 29,1–30 . . . . . 132 5.1.1 Kommentierte Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 5.1.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 5.1.3 Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5.1.4 Literarkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 5.1.4.1 Geografische Verortung Labans . . . . . . . . . . . . . 140 5.1.4.2 Labans Töchter als Lohn (Gen 29,15) . . . . . . . . . . 144 5.1.4.3 Das literhistorische Verhältnis von Gen 29,1–14 und Gen 29,(15)16–30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 5.1.4.4 Die beiden Mägde Silpa und Bilha . . . . . . . . . . . 153 5.1.5 Überlieferungsgeschichtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . 153 5.2 Jakobs Kinder (Gen 29,31–30,24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5.3 Die trickreiche Mehrung von Jakobs Besitz – Analyse von Gen 30,25–43 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5.3.1 Kommentierte Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5.3.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5.3.3 Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 5.3.4 Literarkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Inhalt

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5.3.4.1 Widersprüche im Rahmen der Entlassungsverhandlungen in Gen 30,25–34 . . . . . . 172 5.3.4.2 Jakobs erlisteter Reichtum . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5.3.4.3 Die Abschlussnotiz (Gen 30,43) . . . . . . . . . . . . . 178 5.3.5 Überlieferungsgeschichtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . 179 5.4 Jakobs Flucht und seine Übereinkunft mit Laban – Analyse von Gen 31,1–32,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5.4.1 Kommentierte Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5.4.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5.4.3 Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5.4.4 Literarkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5.4.4.1 Priesterschriftliche Textanteile (Gen 31,17–18*) . . . . 195 5.4.4.2 Rückkehrbefehl in Gen 31,3 . . . . . . . . . . . . . . . 197 5.4.4.3 Gottes Eintreten für Jakob (Gen 31,5b.7b–13.16.20.24–25a.29–30a.42) . . . . . . 198 5.4.4.4 Rahels Diebstahl des Terafim (Gen 31,19.25.30b.32–35.36*–37) . . . . . . . . . . . . 204 5.4.4.5 Laban, der Aramäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 5.4.4.6 Traditionsgeschichtliche Überlegungen zum rechtlichen Rahmen des Jakobdienstes . . . . . . . . . 209 5.4.4.7 Die Grundausrichtung des Gilead-Vertrags und dessen redaktionelle Bearbeitung . . . . . . . . . . . . 214 5.4.5 Die Frage nach der politischen Ausrichtung der Jakob-Laban-Erzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6. Die Schlusskapitel der Jakoberzählung (Gen 32,2–33,20) . . . . . . . . . 229 6.1 Jakobs Vorbereitung auf die Begegnung mit Esau – Analyse von Gen 32,2–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.1.1 Kommentierte Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.1.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 6.1.3 Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 6.1.4 Literarkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 6.1.4.1 Die Edom-Erweiterungen in Gen 32–33 . . . . . . . . 237 6.1.4.2 Die Mahanajim-Notiz in Gen 32,2–3 . . . . . . . . . . 239 6.1.4.3 Das Gebet Jakobs in Gen 32,10–13 . . . . . . . . . . . 245 6.1.4.4 Geschenk und Schadensbegrenzung als literarhistorisch konkurrierende Vorbereitungsmaßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 6.2 Jakob erringt eine neue Identität – Analyse von Gen 32,23–33 . . . 255 6.2.1 Kommentierte Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 6.2.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 6.2.3 Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

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Inhalt

6.2.4 Literarkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 6.2.4.1 Sekundäre Verankerung von Jakobs Frauen und Kindern (Gen 32,23bα.24a) . . . . . . . . . . . . . 261 6.2.4.2 Die ätiologische Verankerung der Speisevorschrift (Gen 32,26aβb.32b.33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 6.2.4.3 Jakobs Umbenennung (Gen 32,28–30a) als Bestandteil der Grunderzählung . . . . . . . . . . . 265 6.2.4.4 Die Gottesschau (Gen 32,31) . . . . . . . . . . . . . . 271 6.2.5 Überlieferungsgeschichtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . 274 6.3 Jakobs Versöhnung mit Esau – Analyse von Gen 33,1–20 . . . . . . 281 6.3.1 Kommentierte Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 6.3.2 Textabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 6.3.3 Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 6.3.4 Literarkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 6.3.4.1 Jakobs Familie (Gen 33,1bβ–2.6–7) . . . . . . . . . . . 290 6.3.4.2 Inkohärenzen im Zusammenhang von Gen 33,8–11 . . 292 6.3.4.3 Literarkritik zu Gen 33,17–20 . . . . . . . . . . . . . . 294 6.3.5 Die Frage nach dem Ende der Jakoberzählung . . . . . . . . . 299 6.3.5.1 Das letzte greifbare Ende des Erzählfadens in den vorpriesterlichen Textpassagen . . . . . . . . . 299 6.3.5.2 Das priesterschriftliche Ende der Versöhnungserzählung in Gen 33–36* . . . . . . . . . 308 6.4 Die vermeintliche völkergeschichtliche Ausrichtung des Grundbestandes von Gen 32,2–33,20 . . . . . . . . . . . . . . . 311 7. Jakob als Negativfolie – Ein Seitenblick auf die Rezeption der Jakoberzählung in Hos 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 8. Redaktionsgeschichtliches Fazit und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 323 8.1 Redaktionsgeschichtliche Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . 323 8.1.1 Literarhistorische Verortung des Grundbestands . . . . . . . 323 8.1.2 Sekundäre Bearbeitungen der Jakoberzählung . . . . . . . . . 331 8.2 Der literarische Umgang mit den Ambivalenzen der Jakobfigur . . 336 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Primärquellen und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

Vorwort

Die vorliegende Studie wurde im Herbst 2021 unter dem Titel „Gesegnet trotz Betrug. Ambivalenzen der Jakobfigur und deren redaktionelle Bearbeitung in der Jakoberzählung (Gen 25–33*)“ an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg als Dissertation angenommen und im Frühjahr 2022 verteidigt. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig überarbeitet. Zahlreiche Personen waren am Gelingen der Arbeit beteiligt. Ihnen gilt mein tiefster Dank – allen voran meinem Doktorvater Prof. Dr. Jan Christian Gertz. Er begleitete mich mit aller denkerischen Offenheit und den richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt. Als Assistentin an seinem Lehrstuhl hat er mir Freiheiten gewährt, ohne die diese Arbeit nicht hätte entstehen können. Einen besseren Doktorvater hätte ich mir nicht wünschen können. Darüber hinaus möchte ich Prof. Dr. Manfred Oeming für die Erstellung des Zweitgutachtens danken. Er war es, der mich zu Beginn des Studiums für das Alte Testament begeistert hat. Die Ausgrabungen in Israel werden mir lebendig im Gedächtnis bleiben und waren wichtige Pfeiler meines Interesses an alttestamentlicher Wissenschaft. Zahlreiche wichtige Rückmeldungen habe ich in der alttestamentlichen Sozietät in Heidelberg erhalten. Dort durfte ich meine Ergebnisse zur Forschung an der Jakoberzählung immer wieder zur Diskussion stellen. Das hohe fachliche Niveau, die Kollegialität und das konstruktive Miteinander waren von unschätzbarem Wert für die ersten und weiterführenden Schritte. Was für die Sozietät im Allgemeinen gilt, gilt für meine wunderbaren Kolleginnen und Kollegen an den Lehrstühlen Gertz und Oeming im Besonderen: Dr. Friederike Schücking-Jungblut, PD Dr. Friedrich-Emanuel Focken, Dr. Ann-Kathrin Knittel, Dr. Anna Krauß, Dr. Volker Grunert, David Bindrim, PD Dr. Sara Kipfer und Semra Elci. Wie viele Arbeiten, die in der Hochphase der CoronaPandemie fertiggestellt worden sind, wäre auch diese nicht ohne den unschätzbar wertvollen Einsatz der BibliotheksmitarbeiterInnen umsetzbar gewesen. Stellvertretend für ihr ganzes Team möchte ich Frau Dr. Beate Konradt dafür danken. Bei der Fertigstellung des Manuskripts haben mich viele Personen unterstützt. Den wohl umfangreichsten Einsatz verbucht mein Schwiegervater Stefan Fischer, der das Manuskript gleich zwei Mal vollständig der formalen Korrektur unterzogen hat. Für seine geduldige und genaue Arbeit bin ich von Herzen dankbar. Darüber hinaus möchte ich PD Dr. Friedrich-Emanuel Focken und Dr. Meike Röhrig für die inhaltliche Korrektur und ihre wichtigen und konstruktiven Rückmeldungen danken. In mühevoller Kleinarbeit hat Konstanze Kupski die Bibliographie korrekturgelesen. Stets begleitet hat mich darüber hinaus meine Freundin und Kommilitonin aus der Kirchengeschichte, Johanna Falkenhahn. Die gegenseitigen Einblicke in unsere Arbeiten hat mir für meine Dissertation und meinen persön-

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Vorwort

lichen Weg während dieser Zeit sehr viel bedeutet. Für einen sicheren finanziellen Rahmen bin ich den Stipendiengebern des Gerhard-von-Rad-Stipendiums sehr dankbar, ebenso wie der Landesgraduiertenförderung für die Gewährung eines Abschlussstipendiums. Ferner sei den Herausgebern der Reihe FRLANT für die Aufnahme der Arbeit und dem Verlag V&R für die Begleitung des Publikationsprozesses gedankt. Mein besonderer Dank gilt dort PD Dr. Izaak de Hulster, Christoph Spill und Laura Röthele, die mich während der Publikation geduldig und professionell begleitet haben. Neben aller fachlichen Unterstützung wäre diese Arbeit nicht ohne meine Familie und meine FreundInnen entstanden, die mich während dieser Zeit und darüber hinaus mit aller Kraft unterstützt, getragen, mir zugehört und zugesprochen und mich abgelenkt haben. Mein ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern Inge und Gerhard Tröndle. Sie haben mich mit offenem Ohr und tatkräftiger Hilfe durch mein Leben begleitet und waren und sind mir eine der wichtigsten Stützen. Gleiches gilt für meine Schwester Jeannine und mein Patenkind Jule, die an Höhe- und Tiefpunkten immer zur Stelle waren und sind. Meinen ­FreundInnen und meiner erweiterten Familie, die die Zeit während meiner Dissertation in je ganz eigener Weise reich, schön und vielfältig gemacht haben, möchte ich von ganzem Herzen Danke sagen. Sie haben mich immer wieder mit dem Leben abseits des Schreibtisches und Themen auch jenseits der Theologie bereichert und froh gemacht. Mein finaler Dank gilt den beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben, meinem Mann Korbinian und unserem Sohn Joel. Joel wurde in die Zeit zwischen der Abgabe der Dissertation und dem Rigorosum hineingeboren und hat mir diese anstrengende Phase so erträglich wie nur möglich gemacht. Sein zurWelt-Kommen öffnete mir immer wieder die Augen für das Wesentliche. Die wichtigste Stütze war und ist mir mein Mann Korbinian, der sich in meine Arbeit hineingedacht, korrekturgelesen und rückgefragt hat. Er hat mir den Rücken frei gehalten, mich bestärkt und geduldig getragen. Ihm ist dieses Buch in Liebe und großer Dankbarkeit gewidmet. Mannheim, Herbst 2022

Abkürzungen Die bibliographischen Abkürzungen richten sich nach IATG (32014). Die betreffende Literatur wird in Fußnoten mit Verfassernachname und Kurztitel angegeben. Die biblischen Eigennamen sind den Loccumer Richtlinien entnommen. Die Kürzel der Textzeugen entstammen der Ausgabe der BHQ. Weitere Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis der TRE (21994). Übrige Abkürzungen werden wie folgt gebraucht: abs. status absolutus akk. akkadisch cons. consecutivum Coh. cohortativ fem. femininum Hif. Hif ‘il Hit. Hitpa‘el Impf. Imperfekt Inf. Infinitiv insbes. insbesondere i.O. im Original Jh. bezeichnet durchweg das betreffende Jahrhundert v. Chr. mask. masculinum Nif. Nif ‘al non-P nichtpriesterschriftlich P Priesterschrift / priesterschriftlich Perf. Perfekt Pers. Person pl. Plural sg. Singular st. cons. status constructus Suff. Suffix Vv. Verse wörtl. wörtlich

1. Einleitung und Anlage der Studie

Die Jakoberzählung (Gen 25.27–35*) ist Teil der Erzelterngeschichte und mithin Teil des alttestamentlichen Narrativs über die Ursprünge des genealogisch konstituierten Volkes Israel. In der Reihe der Erzväter kommt Jakob eine herausragende Bedeutung zu, obwohl er Abraham und Isaak genealogisch nachgeordnet ist. Jakob ist die einzige alttestamentliche Figur, die in „Israel“ (Gen 32,23–33) umbenannt wird und so im engeren Sinne die Rolle des Eponyms für das Volk Israel erfüllt. Zusammen mit dem geografischen Setting der Jakoberzählung, das an einschlägigen Orten des Nordreichs haftet, entsteht der Eindruck von Jakob als identitätsstiftende Figur für die Nordreichstradition und „Israel“1. Der Jakoberzählung ist insofern ein Autoritätsanspruch eigen, der mit der Präsentation Jakobs innerhalb des Narrativs nicht ohne gewisse Hürden übereinzubringen ist. So vollzieht der Hauptprotagonist seinen Transformationsprozess vom Individuum zum Eponymen entlang des Motivs zwischenmenschlicher List. Wie lässt sich der literarische Einsatz des Betrugsmotivs in der Jakoberzählung erklären und wie ist das Verhältnis der widerstreitenden Jakobbilder – das des gesegneten Erzvaters einerseits und das des Betrügers andererseits – auf der Ebene der Textgenese zu bestimmen? Sind die beiden Jakobbilder überlieferungsgeschichtlich zu trennen oder gehören sie unweigerlich zusammen? Ein kurzer Blick in die frühe Rezeptionsgeschichte der Jakoberzählung zeugt einerseits von einem Problembewusstsein gegenüber der oben formulierten Diskrepanz und andererseits von Strategien, produktiv mit ihr umzugehen. In Hos 12 etwa lässt sich eine Rezeption der Jakobfigur als einschlägige Größe der Traditionsbildung neben Mose feststellen, allerdings als dessen Negativfolie.2 Die Jakoberzählung wird dort passagenweise für ein schuldbeladenes und betrügerisches Handlungsparadigma des Nordreichs herangezogen, das als geschichtstheologische Begründung für dessen Untergang gilt.3 Einen gegenläufigen Weg zu Hos 12 schlagen mitunter Positionen der spät- und nachbiblischen jüdischen Tradition im Umgang mit der Diskrepanz des betrügerischen Erzvaters ein. Hierbei wer 1 Während mit „Israel“ in der ursprünglichen Jakoberzählung maßgeblich das Nordreich gemeint ist, wurde Jakob unter gleichbleibender Bezeichnung später für das Südreich als Identifikationsfigur adaptiert. Vgl. zum alttestamentlichen Gebrauch des Begriffes „Israel“: Weingart, Stämmevolk. 2 Vgl. darüber hinaus die ebenfalls negative Rezeption der Jakobfigur in Jer 9,3; Jes 43,27 f.; Mal 3,6 ff. 3 Bei Hos 12 handelt es sich um einen der wenigen Texte der ohnehin dünnen inneralttestamentlichen Rezeptionsgeschichte der Jakobfigur. Vgl. zur Jakobrezeption außerhalb der Genesis: Seebass, Jakob, 329–338. Zur Jakobrezeption in den Propheten vgl. McKenzie, Jacob, 339–357.

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Einleitung und Anlage der Studie

den Bemühungen erkennbar, das in der Jakoberzählung entfaltete ambivalente Jakobbild zu glätten. Die Autoren von Obd 1,10 und Mal 1,2–5 bewerkstelligen dies etwa über eine Degradierung Esaus,4 während Jub 26,12–19 Jakobs Betrug mit himmlischer Unterstützung ausstattet.5 Die genannte Auswahl an Stimmen der frühen Rezeptionsgeschichte zeugt von einem Ringen um den Autoritätsanspruch Jakobs. In diachron ausgerichteten Arbeiten zur Jakoberzählung ist, spätestens seit Hermann Gunkel, immer wieder beobachtet worden, dass derart gelagerte Rehabilitierungsprozesse bereits in der Textgenese der Jakoberzählung selbst einsetzen.6 Doch unter welchen literarhistorisch plausiblen Voraussetzungen wurde am Jakobbild gearbeitet? Welche erzählerischen und redaktionellen Techniken und welche Argumentationsstrategien sind zu diesen Zwecken bemüht worden? Die vorliegende Untersuchung beabsichtigt, die Jakoberzählung diachron zu untersuchen. Dabei liegt ein Augenmerk auf dem innererzählerischen und fortschreibungsbedingten Umgang mit Jakobs Betrug. Die Untersuchung fußt auf der hermeneutischen Prämisse, dass die Jakoberzählung als Ergebnis ihrer Wachstumsgeschichte vorliegt und im Wesentlichen „adressatenbezogene Mitteilungsliteratur“7 darstellt. Da sich die Autoren nicht eigens als Autoren zu erkennen geben oder sich zu ihrer Darstellung verhalten, werden die in der Jakoberzählung dargestellten Ursprünge Israels nicht streng historiographisch reflektiert, sondern wollen in textpragmatischer Hinsicht im Sinne Erhard Blums Identität stiften.8 Vor diesem Hintergrund hat die Art und Weise, wie diese Identitätsstiftung innerhalb des Grundbestandes erzielt wird, eine ebenso große Bedeutung wie die redaktionellen Bearbeitungen, die entsprechende Nachjustierungen vornehmen. Im Sinne einer von den Autoren intendierten „ganzheitlichen Hermeneutik“9 ist zu erwarten, dass diese Strategien nicht eigens markiert werden, sondern sich ungekennzeichnet an den Text in Form von Gegenerzählungen oder korrigierenden 4 Obd 1,10 unterstellt Esau Gewalttat (‫ )חמס‬an Jakob; Mal 1,2–5 betont in Form eines Gottesspruchs den Hass JHWHs gegenüber Esau, im Gegensatz zu dessen Liebe gegenüber Esaus Bruder Jakob. 5 Vgl. Jub 26,18: „Und er [Isaak] erkannte ihn nicht, denn es war eine Lenkung vom Himmel, seinen Geist schwinden zu lassen.“ Zu weiteren glättenden Aspekten des Jubiläenbuches und der nachbiblischen Rezeptionsgeschichte vgl. Wahl, Jakobserzählungen der Genesis; Zakovitch, Interpretation, 116–118, Good, Art. Jacob III, 586–588. Vgl. darüber hinaus für vergleichbare Bestrebungen in der Rezeption bei Philo: Von Gemünden, Affekt; für die Rezeption bei Josephus: Feldman, Josephus’ Portrait. 6 Vgl. etwa Gunkel, Genesis, LXIII. Im Rahmen der Quellenscheidung konnte eine „­ethisch-sittlich(en) Verfeinerung“ des Jakobbildes etwa noch der Quelle E zugeschrieben werden. Vgl. Zobel, Art. Jakob, 462; Graupner, Elohist, 306–308. In einem anderen modelltheoretischen Rahmen wird dieser Punkt insbes. bei Carr, Fractures, 261 ff., berücksichtigt. 7 Blum, Historiographie, 68. 8 Vgl. Blum, Historiographie, 73. 9 Blum, Historiographie, 73.

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Eingriffen anlagerten.10 Sie lassen sich insofern nur mittels des klassischen exegetischen Instrumentariums erheben und jeweils von Fall zu Fall textpragmatisch erschließen. Das forschungsleitende Interesse der vorliegenden Untersuchung ist eng mit modelltheoretischen Fragen zur Textgenese der Jakoberzählung verbunden, die gegenwärtig nach längerer forschungsgeschichtlicher Unterbrechung wieder verstärkt diskutiert werden.11 Dies betrifft zunächst die völkergeschichtliche Grundausrichtung der Jakoberzählung, die forschungsgeschichtlich untrennbar mit der Frage nach der Bewertung des dargestellten Verhältnisses zwischen Jakob und seinem Bruder Esau einerseits sowie Jakob und seinem Onkel Laban andererseits verknüpft ist. In der Jakoberzählung nimmt das Motiv des Betrugs in der Darstellung dieser zwischenmenschlichen Beziehungen eine zentrale Rolle ein. Darüber hinaus verweist die Fragestellung auf eine eingehendere Prüfung des gegenwärtig bleibend ungeklärten literarhistorischen Binnenverhältnisses zwischen einem Jakob-Esau- und einem Jakob-Laban-Erzählkranz. Beide Erzählkränze sind durch die episodenhaft wiederkehrende Dynamik von List und Gegenlist der handelnden Protagonisten miteinander verbunden. Vor diesem Hintergrund erscheint eine häufig vollzogene Trennung der Erzählkränze problematisch. Nicht zuletzt richtet sich das Interesse der vorliegenden Untersuchung verstärkt auf die Rolle der Jakobfigur im Rahmen des Ursprungsmythos Israels – mithin auf die Kommunikationsabsicht des Textes. Insofern soll hier auch der Blick für die komplexen theologischen Elemente der Jakoberzählung geschärft werden. Jene stehen bei der gegenwärtigen völkergeschichtlichen Vereinnahmung der Erzählung in der Gefahr, entweder unberücksichtigt zu bleiben oder auf die Deutung einer politischen Parteinahme Gottes eingeengt zu werden.12 Um interessengeleiteter Selektion vorzubeugen, führt die Fragestellung der vorliegenden Studie zwangsläufig zu einer diachronen Untersuchung der Jakoberzählung in Gänze. Inwiefern sich eine vielschichtige Arbeit am Jakobbild in der Jakoberzählung nachweisen lässt, wird sich folglich an der Stringenz der Gesamtthese zur Entstehung der Jakoberzählung zu bewähren haben. Das Vorgehen der Arbeit ergibt sich aus der Fragestellung. Nach einem forschungsgeschichtlichen Überblick wird die Jakoberzählung in ihrer Entstehungsgeschichte untersucht. Als Untersuchungsgegenstand werden die betreffenden alttestamentlichen Kapitel der Jakoberzählung gewählt, die für die Thematik von zentraler Bedeutung sind (Gen 25,19–34; 27,1–46; 28,1–22; 29–33). Darüber hinausreichende, thematisch und entstehungsgeschichtlich relevante biblische Passagen (insbes. Gen 35 und 10 Vgl. Blum, Historiographie, 84. 11 Beispielhaft sei hier der kürzlich erschienene und von Benedikt Hensel herausgegebene Sammelband zur „History of the Jacob Cycle“ genannt. 12 Eine ähnliche Kritik formuliert Weingärtner, Impertinenz, 127, deren Untersuchung kurz nach Abgabe der vorliegenden Studie erschien. Ihre Beobachtungen werden punktuell berücksichtigt werden können.

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Hos 12) werden – soweit sie für die vorgegebene Thematik relevant sind – in die Untersuchung einbezogen. Um keine redaktionsgeschichtliche Prämisse der noch ausstehenden Analyse zugrunde zu legen, erfolgt die Untersuchung der Jakoberzählung entlang der Reihenfolge ihrer synchronen Darstellung in der Hebräischen Bibel. Die Ergebnisse der Analysen werden in einem redaktionsgeschichtlichen Fazit auf zweifache Weise gebündelt. Zum einen sollen grundlegende Wachstumsprozesse in eine redaktionsgeschichtliche Zusammenschau gebracht werden, zum anderen gilt es, Textstrategien im Umgang mit Jakobs Betrug abschließend zu beleuchten. Die vorliegende Arbeit will die literarhistorische Rekonstruktion der Entstehung der Jakoberzählung nicht als Selbstzweck betreiben, sondern versucht, durch die Nachzeichnung der literarhistorischen Prozesse, ihr diskursives Potenzial bezüglich zwischenmenschlicher Fragen der Moral vor dem Hintergrund vorausgesetzten Wirkens Gottes zum Sprechen zu bringen.13 Von der Erhellung dieses Prozesses wird erhofft, dass die Einsicht in die historisch eingebetteten Argumentationsstrategien und Begründungsmuster das identitätsstiftende Potenzial der Jakobfigur und das urteilsbildende Potenzial der Jakoberzählung nicht nur hinsichtlich der intendierten Adressaten jenes Ursprungsmythos’, sondern auch hinsichtlich heutiger Leserinnen und Leser, erhellen kann.

13 Zum Begriff des Diskurses im Zusammenhang des Wachstumsprozesses von Texten vgl. Gertz, Weg, 10. Vergleichbar auch Weingärtner, Impertinenz, 126.

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Für die gegenwärtig vorherrschende völkergeschichtliche Deutung der Jakob­ erzählung legten Julius Wellhausens „Prolegomena zur Geschichte Israels“ von 1878 den entscheidenden Grundstein. Nach Wellhausen stammten die Verfasser der Vätererzählungen – anders als das erzählte Milieu – nicht aus der nomadischen Zeit der Patriarchen und gäben kein reales Bild von der Abfassungszeit der Texte wieder.1 Ihre Leistung habe vielmehr darin gelegen, dass sie bestehende Verhältnisse „in die graue Vorzeit zurückprojicirten (sic.)“2. Gegenstand dieser Rückprojektion sei die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Israel und dessen umliegenden Nachbarvölkern gewesen, wofür die Autoren das Genre der Familienerzählung gewählt hätten.3 Aufgrund des zeitlichen Abstands von erzählter und erzählender Zeit und aufgrund der Aufarbeitung bestehender Völkerverhältnisse in Gestalt einer Erzählung sei es ihnen so möglich geworden, nicht nur eigene „Herzens Wünsche“ gegen die Realität bestehender Verhältnisse der Königszeit in die Erzählung zu legen,4 sondern auch, die Darstellung der bestehenden politischen Verhältnisse ideologisch zu färben: „Sympathien und Antipathien mischen sich überall ein, dabei wird durchgehens der nordisraelitische Standpunkt eingenommen“5. Vor dem Hintergrund dieser Positionierung interpretierte Wellhausen auch die Darstellung Jakobs in der Jakoberzählung: „Jakob ist realistischer gezeichnet als die beiden anderen [d. h., Abraham und Isaak]; List und Gewinnsucht zeichnen ihn aus, und diese Eigenschaften führen ihn immer zum Ziele. […] Die Erzählungen über ihn machen am wenigsten ein moralisches Gesicht, im Grunde leuchtet aus ihnen nur die helle Freude hervor über alle gelungenen Künste und Griffe des Erzschelms.“6 Um vor dem Hintergrund der völkergeschichtlichen Rückprojektion Erkenntnisse über die Abfassungszeit der Texte zu gewinnen, interessierte sich Wellhausen vor allen Dingen für die Darstellung der „Charakteristik der Völker nach ihrem 1 Die Gegenposition hierzu formulierte etwa der Archäologe William Foxwell Albright, der versuchte, die Darstellung der Erzelternerzählungen über archäologische Funde zu beweisen. Vgl. Albright, Steinzeit. Zur dezidierten Gegenposition vgl. Thompson, Historicity. 2 Wellhausen, Prolegomena, 316. 3 Wellhausen nahm an, dass den Erzählern die ethnografische Genealogie bereits zugrunde gelegen hätte. Jene habe als Gerüst gedient, um den Faden von JE dort aufzuspannen. Vgl. Wellhausen, Prolegomena, 316 f. 4 Wellhausen hat hier den auffallend unkriegerischen Frieden der Darstellung im Blick, der sich von den bestehenden politischen Verhältnissen staatlicher Zeit erheblich unterscheide. Vgl. Wellhausen, Prolegomena, 319. 5 Wellhausen, Prolegomena, 322. 6 Wellhausen, Prolegomena, 318.

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wirklichen historischen Verhältnisse zu einander, nicht nach dem leeren genealogischen, nach ihrer Gesinnung gegen einander, nicht nach ihrer Verwandtschaft“7. Dies sei „das eigentlich Fesselnde dieser Art von Sagen; auf ihrer unbewussten Transparenz, auf dem Durchscheinen der geschichtlichen Stimmung ihrer Entstehungszeit beruht ihr Reiz und ihr Leben. Je mehr wir dabei von Liebe und Hass, von Furcht und Hoffnung, von Eifersucht und Schadenfreude spüren, desto näher stehen wir den treibenden Kräften der Überlieferung der Vorzeit.“8 Wellhausen erhoffte folglich, über das im Rahmen einer Familienerzählung geschilderte Verhältnis zwischen Jakob und Esau oder Jakob und Laban auf ein entsprechend positives oder negatives politisches Verhältnis zwischen Israel und Edom oder Israel und Aram und auf diesem Weg auf die Entstehungszeit der Texte rückschließen zu können. Indes ist die angemessene Erfassung der in der Jakoberzählung jeweils vorausgesetzten „geschichtlichen Stimmung“ nicht unproblematisch. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass zahlreiche Erzählzüge der Verwandtschaftsbeziehungen durch das Genre und den Plot bedingt sind, und zum anderen aus der Disparität des erzählerischen Materials. Letzteres hatte bereits Wellhausen für die disparate Stimmungslage bemerkt, die zwischen Gen 25–27* und Gen 32–33 vor einem völkergeschichtlichen Hintergrund vorherrscht. Er musste daher einräumen, dass, „wo die historischen Motive ganz unzweideutig in der Patriarchensage sich verraten, doch nicht einfach die Wirklichkeit darin transportirt (sic.) ist.“9 Schon bei Wellhausen wird so ein Problem deutlich, das bis in gegenwärtige Forschungsdiskussionen hinein Bestand hat. Jenes liegt darin, das in einer Familienerzählung naturgemäß vielschichtige zwischenmenschliche Stimmungsbild auf eine deutliche politische Positionierung der Verfasser zurückzuführen, um daraus wiederum Erkenntnisse über das politische Verhältnis der Völker zur Abfassungszeit zu gewinnen und eine plausible Datierung der Texte abzuleiten.10 Die genannte Problematik erkannte bereits Hermann Gunkel in seinem Genesis-Kommentar von 1901: „es liegt in der Natur der Sage, dass wir die alten Begebenheiten aus ihr nicht deutlich, sondern nur wie durch einen Nebel hindurch erkennen können. Die Sage hat die historischen Erinnerungen poetisch umsponnen und ihre Umrisse verdeckt; […] Historisches und Poetisches [ist] zu einem für unsere Blicke zunächst einheitlichen Gewebe zusammengewoben worden. So kommt es, dass die Zeit der Begebenheit aus der Sage selber meistens nicht zu bestimmen ist. […] Man darf daher den Forscher, der den Sagen die historischen Anlässe zu entnehmen wünscht, dringend warnen, ja nicht pedantisch zu ver 7 Wellhausen, Prolegomena, 331. 8 Wellhausen, Prolegomena 331. 9 Wellhausen, Prolegomena, 322. 10 Zur grundsätzlichen Problematik der Einordnung alttestamentlicher Erzähltexte in „Historiographie“ oder „Dichtung“ vgl. Blum, Historiographie. Zur Schwierigkeit der Unterscheidung von biblischer Geschichte („Mythos“) und Geschichte Israels vgl. Kratz, Mythos.

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fahren und sich nicht dem Glauben hinzugeben, man könne aus den Vätersagen durch einfache Rückübersetzung ins Völkergeschichtliche ohne weiteres historische Tatsachen gewinnen.“11 Da in der Jakoberzählung die Volksnamen nicht mit den Personennamen kongruent sind, nahm Gunkel an, die Protagonisten seien erst nachträglich zu Repräsentanten ihrer Völker avanciert, wobei er nicht ausschloss, einzelne Begebenheiten der Völkerverhältnisse seien auf sie übertragen worden.12 Gunkel nahm die These der Rückprojektion nicht auf, sondern verlagerte sein Interesse in die vorquellenschriftliche, mündliche Überlieferungsgeschichte des Textmaterials. Er ging diesbezüglich von uralten kleineren Erzähleinheiten (Sagen) aus, die vormals selbständig kursiert, und sekundär zu sog. „Sagenkränzen“ vereint worden seien. Dieses Sagenmaterial könne höchst unterschiedlichen Kontexten entnommen worden sein.13 Indes kam Gunkel aufgrund der Geschlossenheit des Materials zu dem Schluss: „Solche Zusammenfügungen müssen bereits J wie E vorgelegen haben. Bei dieser komplizierten Entstehung des Ganzen hat es keinen Zweck, einzelne bestimmte Redaktorenhände unterscheiden zu wollen […] das Ganze ist schon in sehr alter Zeit ziemlich fertig gewesen.“14 Trotz seiner Annahme von Sagenkränzen, erkannte Gunkel folglich bereits die Problematik hinsichtlich einer literarischen Verteilung der Jakoberzählung auf Erzählzyklen. Gunkel hielt Jakob wie auch die übrigen Erzväterfiguren für „Gestalten der Dichtung. Der geschichtliche Wert dieser Figuren besteht in der Geschichtlichkeit der in ihren Sagen geschilderten Zustände, ihr religiös-sittlicher in den Gedanken[,] die diese Erzählungen aussprechen.“15 Für Gunkel handelte es sich bei Jakob um eine fiktive Sagenfigur, die typologisch für einen Konflikt zwischen den Zünften „Jäger“ und „Hirte“ stand, noch nicht aber für Israel. Insofern schuf Gunkel einen überlieferungsgeschichtlichen Abstand zwischen Jakobs Schelmengeschichten und dessen Funktion als Volkseponym und verortete erstere auf einer niedrigeren kulturhistorischen Entwicklungsstufe uralter Vorzeit, die mit einem zunehmend moralischeren Empfinden in kulturevolutionistischer Manier Transformationen erfahren habe: „Man kann hier unmöglich übersehen, welche Rolle 11 Gunkel, Genesis, XVIIIf. Gunkel machte insofern berechtigterweise auf die Problematik aufmerksam, dass in der Vätererzählung die Grenzen literarischer Kunstfreiheit und historischer Darstellung bereits aufgrund des Genres derart verschwimmen, dass nicht zweifelsfrei bestimmbar ist, an welchen Stellen „historische Stimmung“ durchscheint, und wenn ja, welche. 12 Vgl. Gunkel, Genesis, XVII. 13 Gunkel arbeitet diesbezüglich fünf Überlieferungskränze heraus: Jakob-Esau I (Gen 25,​ 19–34; 27); Jakob-Laban (Gen 29–32); Jakob-Esau II (Gen 32–33); Kultätiologien (Gen 28,​10–22; 32,2 f.32–33; 33,18–20; 35,1–15); Jakobs Söhne (Gen 29,31–30,24; 35,16 ff.). Zunächst seien Jakob-Esau I mit Jakob-Laban vereint, und in diesem Zuge Gen 32–33 gebildet worden. Erst im Anschluss seien die cisjordanischen Kultätiologien hinzugekommen und in einem letzten Schritt um Jakobs Söhne erweitert worden. 14 Gunkel, Genesis, 293. 15 Gunkel, Genesis, LXXX.

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List und Betrug in den Vätersagen spielen, und wie sich die ältere Zeit darüber belustigt hat und sich für uns so selber charakterisiert. Nun sehen wir an vielen Beispielen, wie eine spätere Überlieferung an diesen Geschichten Anstoß nahm, sie umdeutete oder umbildete und das Bedenkliche hinwegzuschaffen versuchte, so gut es eben ging“16. Aufgrund der überlieferungsgeschichtlichen Annahme der Kollektion von Einzelerzählungen konnte Gunkel nun einen wesentlich differenzierteren Wachstumsprozess des Textes in Erwägung ziehen, als es der Ansatz durchlaufender Quellenschichten ermöglichte. Gunkel war es nun möglich, mit korrigierenden Texteingriffen zu rechnen und setzte Vorgänge der Bearbeitung voraus, die nahe an Vorstellungen redaktionsgeschichtlicher Bearbeitung von Texten heranreichten, wenngleich er sich diese noch im Rahmen mündlicher Überlieferungs­ prozesse vorstellte. Vor dem dargestellten Hintergrund verwundert es nicht, dass Gunkels Modell für die forschungsgeschichtliche Verabschiedung vom Quellenmodell wegweisend war und ermöglichte, die Erzelternerzählungen in ihrer jeweiligen Eigenheit und Unabhängigkeit im Kleinen ebenso wahrzunehmen,17 wie die Unabhängigkeit der Erzvätererzählung in Gänze von der Exoduserzählung im Großen.18 Dennoch blieb Kritik am Gunkelschen Sagenmodell nicht aus. Trotz grundsätzlichen Festhaltens an der formgeschichtlichen Methode kritisierte Hermann Eising in „Formgeschichtliche Untersuchung der Jakobserzählung in Genesis“ von 1940 die Annahme Gunkels, aus dem vorliegenden Text die Gestalt von Einzelerzählungen rekonstruieren zu können: „Bei Einzelerzählungen, die den verschiedensten Gebieten, Zeiten und Kreisen entstammen, sollte man etwa eine große Verschiedenheit der Stoffe und des Stils erwarten, die sich aber nicht in dem erwarteten Maße findet. […] So weisen viele Einzeltatsachen in der Jakoberzählung auf eine einheitliche Idee und Gestaltung des Ganzen hin.“19 Eising setzte insofern bei der Form der Jakoberzählung in Gänze und deren schriftlichem Stadium an, wobei er den Gebrauch älterer Stoffe nicht ausschloss. Er rechnete indes damit, dass jene nicht zwingend ihre Form beibehalten haben müssten, und sah die Möglichkeit zu deren Rekonstruktion mithin kritisch. Darüber hinaus kritisierte Eising die von Gunkel vorausgesetzte methodische Prämisse, von der Kürze einer Erzählung auf deren hohes Alter rückschließen zu können. Auf diese Weise gerieten größere Komplexe unmittelbar in den Verdacht, später

16 Gunkel, Genesis, LXIII. Ähnlich führt Zakovitch, Interpretation, 101, Jakobs TricksterCharakter auf eine mündliche Überlieferung zurück. In dieser mündlichen Überlieferung habe man sich über Jakobs Schelmengeschichten noch belustigen können, während man sie in späterer Zeit für einen Erzvater als unpassend befunden habe. 17 Vgl. hierzu insbes. Blum, Komposition. Darüber hinaus Rendtorff, Problem, 22. 18 Vgl. Blum, Studien; Römer, Israels Väter; Schmid, Erzväter; Gertz, Tradition. Zur Eigenrevision der Blumschen KD-Hypothese vgl. Blum, Verbindung. 19 Eising, Untersuchung, 12.

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entstanden zu sein.20 Mit seinem Fokus auf die Form des Endtextes nahm Eising insofern die zusammenhängenden Strukturen der Jakoberzählung wahr und legte den Grundstein für spätere Erwägungen zur Jakoberzählung als ganzheitliches Gebilde. In der neueren Forschung wurde an diese Sichtweise – angeregt durch das Aufblühen der literaturwissenschaftlichen Methodik in der Exegese – von einer Reihe von Exegeten angeknüpft.21 Demgegenüber setzte Rolf Rendtorff einige Jahrzehnte später wieder bei den kleineren Einheiten an und zog in seiner Arbeit „Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch“ von 1977 die Konsequenzen aus der formgeschichtlichen Methode: „Die formgeschichtliche Methode bedeutet bei konsequenter Handhabung einen grundlegenden Neuansatz in der Frage des methodischen Zugangs zu den Texten des Pentateuch“22. Der Neuansatz, den Rendtorff nun verfolgen wollte, bestand darin, den Überlieferungsprozess von den kleineren Einheiten zu den größeren Überlieferungsblöcken nachzuzeichnen.23 Als Fallstudie dienten Rendtorff die Vätererzählungen, da sich an ihnen besonders gut „einerseits eine weitgehende Selbständigkeit eines Teils der Einzelerzählungen, andererseits eine deutlich erkennbare, zusammenfassende Gestaltung der Erzählungsstoffe zu größeren Zusammenhängen“24 nachweisen ließen. Im Falle der Jakoberzählung schloss sich Rendtorff größtenteils den Beobachtungen Gunkels an, indem er die Jakoberzählung als aus einem Jakob-Esau- und einem Jakob-Laban-Erzählkranz gestaltet erachtete, die ineinander gearbeitet worden seien. Darüber hinaus sei die Jakoberzählung durch die „Kultsagen“ in Gen 28,10–22 und Gen 32,23–33 und die Kinder Jakobs ergänzt worden. Rendtorff unterschied insofern nicht zwischen dem methodischen Rückgriff auf Gunkel und dessen konkreten überlieferungsgeschichtlichen Thesen.25 Erhard Blum griff 1984 in seiner epochemachenden Arbeit „Die Komposition der Vätergeschichte“ die Ideen Rendtorffs auf und brachte sie nach einer differenzierten Analyse der Vätererzählungen in eine literarhistorische Zusammenschau. Dabei übernahm Blum von Wellhausen die Einsicht einer völkergeschichtlichen Grundausrichtung der schriftlichen Erzählung, von Gunkel dessen überlieferungsgeschichtliche Beobachtungen zur Genese der Jakoberzählung, die Blum teilweise in ein redaktionsgeschichtliches Modell überführte. In seiner Rekonstruktion verzichtete Blum auf die Annahme von Quellen und verlagerte den vor-

20 Vgl. Eising, Untersuchung, 11. 21 Vgl. insbes. Klein, Leseprozess; Taschner, Verheißung; Hensel, Vertauschung; Syren, FirstBorn; Weingärtner, Impertinenz. Zur Pluralität der Ansätze vgl. Recker, Erzählungen. 22 Rendtorff, Problem, 11. Rendtorff nahm dabei insbesondere Beobachtungen von Noth und von Rad auf, die bei übergreifenden Pentateuchthemen ansetzten. 23 Vgl. Rendtorff, Problem, 6 f. 24 Rendtorff, Problem, 22. 25 Vgl. Rendtorff, Problem, 30.

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mals als vorquellenschriftlich bezeichneten Entstehungsprozess auf die Ebene der literarischen Genese. Hinsichtlich der Jakoberzählung setzte Blum im Anschluss an Gunkel26 bei den kleineren Erzähleinheiten an, reduzierte indes die Anzahl der erkennbaren Einzelerzählungen bzw. „Bausteine der Überlieferung“ auf Gen 28,10–19; 25,29–34; 27 und die Gilead-Erzählung (Gen 31,43–32,1).27 Blum entfernte sich insofern vom Sagen-Modell Gunkels und rechnete mit größeren Blöcken kompositioneller Funktion, die er einer Kompositionsschicht zuwies (Gen 28,20–22; 31,1–16.24.29b.38–44; 29,31 ff.; 32,2b–33,17). Jene weise die Bestrebung auf, die vorgegebenen Überlieferungen nachträglich zusammenzuarbeiten und zu prägen.28 Blum trug so den Beobachtungen synchroner Arbeiten Rechnung, die zwischenzeitlich deutlich auf die zusammenhängenden Strukturen der Jakoberzählung hingewiesen hatten.29 Eine wesentliche Modifikation der These Wellhausens bestand darin, dass Blum mit keinem Stadium der Überlieferung mehr rechnete, das noch nicht völkergeschichtlich ausgerichtet gewesen ist: „Meine These, die ich hier zur Diskussion stelle, ist nun, dass die völkergeschichtliche Bedeutung der Väterüber­ lieferung an deren Anfang steht und nicht, wie gemeinhin postuliert, einem (relativ) späten Stadium angehört.“30 Jakob stand insofern bereits seit jeher für Israel, wenngleich er in den Einzelerzählungen von Gen 25,19–34* und Gen 27 noch nicht als „Israel“ bezeichnet werde. Einzelne Bestandteile der Jakoberzählung seien insofern seit jeher völkergeschichtlich konzipiert worden. Die spezifische Darstellung Jakobs führte Blum darauf zurück, „dass diese Episoden von einem bestimmten Bild des listigen Jakob (angeregt durch seinen Namen und die JakobEsau-Überlieferung?) induziert und mit dem mehrfach durchgeführten Motiv des ‚betrogenen Betrügers‘ entfaltet wurden.“31 Blum erwog für die Herkunft des Betrugsmotivs eine Herleitung aus Jakobs Namen oder aus einer triumphalistischen Überlegenheitsdarstellung in Gen 25–27* vor einem völkergeschichtlichen Hintergrund.32 Anders als bei Wellhausen zeichne sich in Gen 25–27* kein Humor ab, sondern ein völkergeschichtliches Überlegenheitspathos Israels, an dem mittels Gen 32–33 zu einem späteren Zeitpunkt Kritik geübt worden sei. Über seine Kompositionsschicht versuchte Blum nun auch eine plausible Überlieferungsabsicht zu erheben. Die Kompositionsschicht sei zur Zeit Jerobeams I. mit dem Ziel verfasst worden, Kultorte des Nordreichs wie Bet-El und Pnuel im 26 Vgl. insbes. die Eigenaussage von Blum, Komposition, 465. 27 Vgl. Blum, Komposition, 171 f. 28 Vgl. Blum, Komposition, 168–171. 29 So etwa neben Eising, Untersuchung, auch Fokkelman, Art, und Fishbane, Text, die Blum in seinen Untersuchungen berücksichtigt und aufgreift. 30 Blum, Komposition, 481. 31 Blum, Komposition, 201. 32 Vgl. Blum, Komposition, 147.185.

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Sinne einer politischen „Programmschrift“ über den Erzvater Jakob zu legitimieren.33 In summa wurde die Jakoberzählung so zum Gründungsmythos des Volkes Israel, das die Herrschaft Jerobeams I. legitimieren sollte. Blum griff mit dem „Gründungsmythos“ einen Gedanken auf, den Albert de Pury zu diesem Zeitpunkt bereits unter anderen modelltheoretischen und inhaltlichen Vorzeichen vorgedacht hatte (s. u.). Das kompositionsgeschichtliche Modell ermöglichte es Blum, redaktionelle Prozesse im Verhältnis und in Reaktion auf vorgegebenes textliches Überlieferungsmaterial zu bestimmen und auf entstehungsgeschichtlich unterschiedlichen redaktionellen Ebenen zu verorten. Vor diesem Hintergrund konnte die von Wellhausen gerühmte „geschichtliche Stimmung“ auf vielschichtige redaktionelle Ebenen verlagert und spätere Eintragungen als politische oder theologische Kritik oder Aktualisierung an vorherigen interpretiert werden. So deutete Blum den P-Text aus Gen 35,9–15 etwa als kritische Relecture von Gen 28,10–22, und verstand Gen 32–33 als Gegenpositionierung zum älteren Jerusalemer Machtanspruch, den Gen 25–27* vor dem Hintergrund eines davidisch-salomonischen Großreichs gegenüber Edom formuliert hätten.34 Dies ermöglichte ihm, die Jakoberzählung in Einzelbestandteile zu zergliedern und unter der völkergeschichtlichen Prämisse eine genauere Datierung dieser Einzelbestandteile vorzunehmen. Die sich so vollziehende Abkehr von einer Quellenscheidung35 zog Studien nach sich, die sich nun zunehmend für die „Komposition“ des Materials interessierten.36 33 Vgl. Blum, Komposition, 180. 34 Vgl. zum letztgenannten Punkt Blum, Komposition, 190–194. Dies betrifft auch die Bewertung der P als Komposition, die partiell auf den nichtpriesterlichen Kontext reagiert, anstelle einer Quelle. Vgl. Blum, Komposition, insbes. 420–458. Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, zur Interpretation der P als Redaktion. 35 Neben Rendtorff und Blum trug maßgeblich Schmid, Jahwist, zu einer solchen Abkehr bei und wurde durch die Mehrheit der Pentateuchforschung in späterer Zeit verfestigt. Vgl. zu den grundsätzlichen Umbrüchen Gertz u. a., Abschied; Dozeman u. a., Pentateuch; Gertz u. a., Formation; Römer, Urkunden. Vgl. dagegen die Verteidigung des Modells bei den sog. „NeoDocumentarians“, vgl. hierzu etwa Baden, Composition. 36 Vgl. etwa die Arbeit von Thomas Nauerth „Untersuchung zur Komposition der Jakob­ erzählung. Auf der Suche nach der Endgestalt des Genesisbuches“ von 1997. Mit Fokus auf den „Endredaktor“ skizzierte Nauerth die Entstehung der Jakoberzählung folgendermaßen: Jene sei aus einer Zusammenstellung von Einzelerzählungen entstanden, die sich auf Gen 25,19 ff.; 29,1 ff.1, möglicherweise Gen 30,25 ff.; 31,3.17 ff.; 32,4 ff. belaufen hätten. In diesen Zusammenhang seien ebenfalls ursprüngliche Einzelerzählungen (Gen 27; 29,31 ff.) eingearbeitet worden und Teile eines anderen Erzählkranzes aufgenommen, der in Gen 28,10 ff.; 31,2.4–16; 35,2a.3.7 bestanden hätte, bevor das Material um weitere Erzählungen und die Priesterschrift erweitert worden sei (vgl. a. a. O., 283 f.). Darüber hinaus ist die Arbeit von Reinhard Gregor Kratz „Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments“ aus dem Jahr 2000 zu nennen. Kratz kehrte der Quellenscheidung den Rücken und beabsichtigte nun mit einer „Kombination von modifizierter Fragmenten- und Ergänzungshypothese“ zu operieren (vgl. a. a. O., 251). Anders als Gunkel und Andere hielt Kratz zwar an der Entstehung der Jakoberzählung aus Erzählzyklen fest, wollte allerdings eine Isaak-Esau-Erzählung (Gen 26–27) von einer Jakob-Laban-Erzählung

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Der methodische Rückgriff auf Gunkel bei der kritischen Beurteilung der Quellenscheidung zog die Übernahme seines Modells in wesentlichen Teilen nach sich. Blum erkannte zwar bereits die Schwierigkeit, Einzelerzählungen und literarisch trennbare Erzählkränze aus der Jakoberzählung zu extrahieren, hielt aber dennoch grundsätzlich am Modell Gunkels fest. Indes hatte Albert de Pury in seiner Dissertation aus dem Jahre 1975 mit dem Titel „Promesse Divine et ­Légende Cultuelle dans le Cycle des Jacob. Genèse 28 et les traditions patriarcales“ bereits entscheidende Bedenken am Gunkelschen Modell vorgebracht. Einige der vormaligen Überlegungen de Purys haben an Aktualität nicht eingebüßt, wenngleich seine Thesen grundsätzlich noch gänzlich auf den Grundfesten der Quellenscheidung ruhten. Gemäß der zu seiner Zeit aufblühenden religionsgeschichtlichen Forschung habe es sich de Pury zufolge bei Jakob um einen ursprünglichen Gründer oder Ahnherrn eines Clans gehandelt, der den Gott Bet-El als seinen Gott anerkannt habe und am Heiligtum in Bet-El sesshaft geworden sei.37 Die Jakoberzählung habe ihren Sitz im Leben an diesem Heiligtum und sei dort regelmäßig promulgiert worden.38 Unbeschadet der Zweifelhaftigkeit dieser religionsgeschichtlichen Erwägungen zum Sitz im Leben der Jakoberzählung, brachte de Pury erneut die Gestalt der Jakoberzählung in Gänze ins Gespräch. In einem Vergleich zu außerbiblischem Erzählmaterial kam de Pury für die Jakoberzählung zu dem Ergebnis, dass es sich um eine wohl komponierte zyklische Anordnung handele, die nicht auf einen mehr oder weniger zufälligen Zusammenschluss von Einzelerzählungen zurückzuführen sei. Diese „geste de Jacob“ sei durch das gängige Motiv der Abreise und Rückkehr eines Helden bestimmt, das trennen, die so verbunden worden sei, dass Esau und Jakob erst sekundär zu Brüdern geworden seien und der Segen Isaaks ursprünglich Esau gegolten habe (vgl. a. a. O., 272). Der sekundären Verbindung durch das Fluchtmotiv habe der Erzählschluss in Gen 32–33 korrespondiert, der sich an das ursprüngliche Erzählende der Jakob-Laban-Erzählung angeschlossen habe (vgl. a. a. O., 273). Schlussendlich sei das Konglomerat um die Bet-El- und die Pnuel-Erzählung ergänzt worden. Es habe sich bei der Komposition weitgehend um eine vorjahwistische Erzählung gehandelt, die jahwistisch etwa um die Segensworte in Gen 27 und die Verheißung aus Gen 28,13–15 und die Umbenennung Jakobs in Israel in 29,35 jahwistisch ergänzt worden sei. Spätestens hier habe dann auch Esau für Edom gestanden. Mithin zeichnete sich nach Kratz eine, von der jahwistischen Redaktion verursachte, „Nationalisierung des Stoffes“ ab (vgl. a. a. O., 274). In die Tendenz der Komposition ließe sich auch Levin, Jahwist einordnen, der nun von einem Jahwisten als Redaktor ausging, der die Stoffe aufnahm, verarbeitete und theologisch in seiner genuin eigenen Weise akzentuierte. 37 De Purys Vorstellung ist forschungsgeschichtlich eingebettet in die zur Abfassungszeit seiner Dissertation aufblühende religionsgeschichtliche Forschung an der Jakoberzählung, vornehmlich geprägt durch Albrecht Alt und Martin Noth und infolgedessen Eckart Otto (s. u.). Gleichwohl grenzte sich de Pury von den genannten schon dadurch ab, dass er eine Aufteilung der Jakoberzählung auf unterschiedliche überlieferungsgeschichtliche Haftpunkte nicht für möglich hielt. Vgl. de Pury, Promesse, 514 f. 38 Vgl. de Pury, Promesse, 598–605.

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sich auch in anderen Erzählungen aus dem Umfeld des ATs finden lasse. Diese Erzählung sei episodisch strukturiert und schon früh in dieser Gestalt überliefert worden.39 De Pury griff so die Kritik am Gunkelschen Modell hinsichtlich der Annahme von Einzelsagen und deren Alter auf, die bereits Eising formuliert hatte, und wertete diese nun für seine These eines Ursprungsmythos aus.40 Die These eines Ursprungsmythos hat sich bis heute gehalten, wenngleich es zu Revisionen im Detail und in deren argumentativer Begründung – nicht zuletzt durch de Pury selbst – gekommen ist (s. u.). Da de Pury eher am überlieferungsgeschichtlichen Haftpunkt und – bedingt durch die formgeschichtliche Methode – am „Sitz im Leben“ der Jakoberzählung interessiert war, spielten die Ambivalenzen der Jakobfigur in seiner Untersuchung eine untergeordnete Rolle. In extremer Ausprägung lässt sich dies in der Forschungsgeschichte vorab bei Albrecht Alt beobachten, der über seine These zum „Gott der Väter“ zu der Einschätzung gelangte, bei den Erzvätern handle es sich um ursprünglich voneinander unabhängige Offenbarungsträger und Kultstifter.41 Diese Erzväterkulte seien sekundär mit Kultorten in Verbindung gebracht worden, an denen Alt auch die entsprechenden Trägerkreise vermutete. Für Alt waren insofern neben den religionsgeschichtlichen Anhaltspunkten insbesondere die geografischen Haftpunkte der Erzählung – die erzählerischen Einzelzüge – im Gegenüber zu Gunkel – von untergeordneter Bedeutung. Die These Alts führte zu einer zunehmend geografisch basierten Zergliederung der Jakoberzählung in eine west- und eine ostjordanische Überlieferung, die von Martin Noth und zunächst auch Eckart Otto weitergeführt wurden. Dies ging im Falle Noths mit einer überlieferungsgeschichtlichen Trennung der Trickster-Figur Jakob einher, die er in der ostjordanischen Jakobüberlieferung beheimatet sah, und der kultstiftenden Figur Jakob, die er im Westjordanland beheimatete. Die in der ostjordanischen Jakobüberlieferung greifbare „Darstellung erfolgreicher menschlicher Klugheit und List und andererseits menschlicher Unbedachtsamkeit und Torheit“ zeige nach Noth – gegenläufig zu Gunkel – „eine jüngere Erzählungsart im Unterschied zu dem älteren sakralen Stil knapp gefasster Erzählungen über Gottesoffenbarungen und Gottesverheißungen an die ‚Erzväter‘.“42 Noth kam so zu dem Schluss, dass „der ostjordanische Jakob (…) gar nicht mehr eigentlich ein ‚Erzvater‘ im ursprünglichen Sinne“ sei, vielmehr handle es sich um eine „Stammespersonifikation“ im Sinne „eines die Gesamtheit und ihr Leben charakterisierende[n] Typ[s].“43 Noth trennte folglich den volkstümlichen Charakter der Jakobfigur 39 Vgl. de Pury, Promesse, 486–503. 40 Vgl. zum Rückgriff auf Eisings These (vgl. Eising, Untersuchung, 3) insbesondere de Pury, Promesse, 512–517. 41 Vgl. Alt, Gott, 47. 42 Noth, Überlieferungsgeschichte, 99. 43 Noth, Überlieferungsgeschichte, 99.

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von seiner kultischen Funktion und erachtete die Erzählstoffe nur noch als unbedeutendes Auffüllmaterial. An den Ansatz Noths schloss Eckart Otto an, der jedoch das überlieferungsgeschichtliche Primat zwischen ost- und westjordanischer Überlieferung zugunsten der ostjordanischen Überlieferung umkehrte, und versuchte, unter stärkerem Einbezug archäologischer Erkenntnisse, etwa die Datierung der Jakob-Laban-Erzählung aus der aramäischen Besiedlung Gileads abzuleiten.44 Diese Erzählungen seien durch paradigmatische Erlebnisse einer Hirtenfamilie bestimmt, die auf den Gründer einer Jakobsippe, der erst sekundär zu Israel geworden ist – und infolgedessen die Jakoberzählung auch erst zur Volksgeschichte – übertragen worden seien.45 Die genannten Ansätze von Alt, Noth und Otto verlagerten einen Großteil der Jakoberzählung erneut in vorstaatliche Zeit. Darüber hinaus trugen sie, wenngleich sie sich im Ansatz auf anderen Bahnen bewegten, der überlieferungsgeschichtlichen Auftrennung der Jakoberzählungen durch Gunkel Rechnung, indem sie die Haftpunkte stärker in den Blick nahmen. So konnten erzählerische Wanderbewegungen Jakobs als überlieferungsgeschichtliche „Wanderbewegungen“ der Jakobüberlieferungen gedeutet werden. Greifbar ist diese These auch in der gegenwärtigen kompositionsgeschichtlichen Annahme, eine Jakob-Esau-Erzählung sei mit einer Jakob-Laban-Erzählung über die Motive „Flucht“ und „Rückkehr“ verbunden worden.46 Harald Martin Wahl griff in „Die Jakobserzählungen. Studien zu ihrer mündlichen Überlieferung, Verschriftung und Historizität“ aus dem Jahr 1997 die Kritik an Gunkels Sagenvorstellung auf und brachte gegen die Tendenzen Gunkels und der religionsgeschichtlichen Forschung eine Spätdatierung des Materials ins Gespräch. Wahl verwies in seiner Arbeit auf ein methodisches Forschungsdesiderat. So wurde im Modell Gunkels gängig mit der Annahme älterer mündlicher Überlieferungen gerechnet, deren zeitlicher Abstand zu ihrer Verschriftung mitunter nicht weniger als 300 Jahre betrug. Wie Wahl unter Einbezug ethnologischer Forschungsergebnisse zeigte, war diese Annahme unhaltbar. Die Überlieferungsstoffe seien nicht nur in ihrem mündlichen Überlieferungsstadium erheblichen Veränderungen unterworfen, sondern ihre Verschriftung verändere die Texte grundlegend.47 Insofern ließe sich nicht von der schriftlichen Erzählung auf münd­liche Vorstufen der Überlieferung rückschließen. Obwohl Wahl keine vollständige Rekonstruktion der Jakoberzählung vornahm, gelangte er vor dem Hintergrund seiner Erkenntnis zu einer erheblich späteren Datierung des Materials. Der älteste Text der Jakoberzählung liege etwa mit Gen 27,1–40 vor, „der frühestens in spätvorexilischer Zeit entstanden ist.“48 Diese Erzählung sei zunächst um die Linsen 44 Vgl. Otto, Sichem, 102–108. 45 Vgl. Otto, Art. Jakob, 352 f. 46 Vgl. stellvertretend für eine Vielzahl an Auslegern Kratz, Komposition, 272 f. 47 Vgl. Wahl, Jakobserzählungen, 296–298. 48 Wahl, Jakobserzählungen, 307.

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gerichtserzählung und dann um die Geburtsgeschichte und die Bet-El-Erzählung sukzessive erweitert worden. Bei den in der Erzählung genannten Orten handle es sich – gegen Noth, Alt und Otto – nicht um überlieferungsgeschichtliche Haftpunkte der Erzählung, sondern um bedeutungsvolle Orte zur Erzählzeit.49 Für Wahl kamen episodische Erzählungen für eine sekundäre, ausschließlich für den Kontext konstruierte Fortschreibungen in Betracht, die bei Blum noch auf Einzelerzählungen zurückgeführt worden waren. Wenngleich sich Wahl von der Möglichkeit einer Rekonstruktion mündlicher Vorstufen verabschiedete, und sich die Anzahl von Einzelerzählungen aufgrund ihrer Kontextbezogenheit in der Jakoberzählung reduzierte, hat sich die Annahme von Einzelerzählungen auch in der gegenwärtigen Forschung grundsätzlich gehalten.50 Dabei ist bleibend ungeklärt, welche überlieferungsgeschichtliche Gestalt dieser postulierten Einzelstoffe im Einzelnen vorausgesetzt wird. Die Stimmen einer Spätdatierung der Jakoberzählung häuften sich in der neueren Forschung und hingen nicht unwesentlich mit der Vorstellung einer durchkonzipierten Jakoberzählung zusammen. Genannt sei hier die traditionsgeschichtlich informierte synchrone Analyse der Jakoberzählung durch Johannes Taschner aus dem Jahr 2000 „Verheißung und Erfüllung in der Jakoberzählung (Gen 25,19–33,17). Eine Analyse ihres Spannungsbogens“. Taschner vermochte die Sinnzusammenhänge der übergreifenden Jakoberzählung zu erhellen, die er vom Prinzip „Verheißung und Erfüllung“ bestimmt sah und wendete so die Gefahr einer Vereinzelung der Szenen der Jakoberzählung ab, in der mitunter diachrone Analysen infolge Gunkels standen.51 Taschner kam auf den Spuren Gerhard von Rads52 zu dem Ergebnis, dass die Jakoberzählung gegen Gunkel „keine Sammlung von urtümlichen Einzelsagen [ist], […] sondern es handelt sich um einen geschlossenen Spannungsbogen, der sich auf höchstem literarischen und theologischen Niveau mit dem Thema Segen und Versöhnung auseinandersetzt.“53 Unter stärker diachron orientierten Fragestellungen gelangt neuerdings auch Nadav Na’aman zur These einer einheitlich konzipierten Jakoberzählung und deren Spätdatierung.54 Die exegetische Diskussion um die Entstehung der Erzelterngeschichte wurde zunehmend im Rahmen einer Abkehr von der Quellenscheidung verhandelt.

49 Vgl. Wahl, Jakobserzählungen, 309. 50 Vgl. etwa Wöhrle, Art. Jacob. 51 So auch die Kritik, von Weingärtner, Impertinenz, 109. 52 Nach von Rad, Genesis, 9, habe der Jahwist die Stoffe der Vätererzählung dem Thema „Verheißung“ unterstellt und einzelne Verbindungen zwischen den Stücken geschaffen, die sich durch einen hohen theologischen Reflexionsgrad auszeichneten. 53 Taschner, Verheißung, 234. 54 Vgl. Na’aman, Jacob Story; Na’aman, Modes, 151. Na’aman rechnet indes mit einer mündlichen Vorstufe der Jakoberzählung aus dem 8. Jh., die nicht mehr rekonstruierbar sei.

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Zwar ist im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre in Untersuchungen zur Jakoberzählung noch vereinzelt daran festgehalten worden,55 doch sind diese Stimmen in der Forschung zunehmend zurückgetreten und wurden durch redaktionsgeschichtliche Modelle ersetzt.56 Vor dem Hintergrund der Entwicklungslinien verwundert nicht, dass die aufgestellten Thesen nun auch hinsichtlich der Datierungen Eigenrevisionen erfuhren. Als Bollwerk gegen etwaige Spätdatierungen gewann zudem die Jakobrezeption in Hos 12 als Nordreichstext aus dem 8. Jh. zunehmend an Bedeutung. Hos 12 wurde für einen terminus ad quem zur Entstehung der Jakoberzählung bemüht, wenngleich mittlerweile sowohl die Abhängigkeitsrichtung zwischen Hos 12 und der Jakoberzählung,57 als auch die Einheitlichkeit von Hos 12,58 kontrovers diskutiert werden. Insbesondere de Pury zog Hos 12 als terminus ad quem für die Rekonstruktion der Jakoberzählung heran und modifizierte seine Vorstellung vom Wachstumsprozess der Jakoberzählung nach den Umbrüchen in der Pentateuchforschung. Gegen den Vorschlag Blums verteidigte de Pury weiterhin die Annahme einer ganzheitlichen Jakoberzählung, da er die Prämisse von entkontextualisierten Einzelerzählungen – insbesondere im Falle von Gen 27; Gen 28,10–22 und Gen 32,23–33 – für unplausibel hielt.59 Gleichwohl modifizierte de Pury die Funktion dieser zusammenhängenden Jakoberzählung, indem er sie nun als „autonomous legend of Israel’s origins, that is, a legend that was meant to stand for itself as a founding story of Israel and that required neither a prehistory (Abraham) nor a ‚post-history‘ (Moses and the Exodus)“60 definierte. Diese verortete er – ihrer neuen Funktion gemäß – zeitlich nun nicht mehr in protoisraelitischer Vorzeit, sondern im 8. Jh. Vor dem Hintergrund der von de Pury herausgearbeiteten Funktion der Jakoberzählung als Ursprungslegende verwundert nicht, dass für ihn die Umbenennung Jakobs in „Israel“ und die Auseinandersetzung mit den Nachbarvölkern Edom und Aram konstitutive Bestandteile dieser älteren Jakoberzählung sind. Hinsichtlich der Bet-El-Erzählung und der Geburtserzählung von Jakobs Söhnen hielt de Pury Erweiterungen für möglich, deren Einarbeitung zur Zeit der Entstehung von Hos 12 indes für bereits abgeschlossen. Ein vorläufiger Schlusspunkt dieser Entstehung werde nach de Pury durch deren Verschriftung in Bet-El kurz nach dem Untergang des Nordreichs gesetzt.61

55 Vgl. Graupner, Elohist; Nentel, Jakobserzählungen. 56 Vgl. z. B. Carr, Fractures. 57 Na’aman, Jacob Story, 110–112, wertet Hos 12 als Geber-Text. Dies war zuvor bereits von William D. Whitt, Jacob Traditions, in Erwägung gezogen worden. 58 Vgl. insbes. Schott, Jakobpassagen. 59 Vgl. de Pury, Cycle de Jacob, 218. 60 De Pury, Jacob Story, 152. 61 Vgl. auch de Pury, Erzelterngeschichten, 205–209.

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Auch Blum nahm vereinzelt Modifikationen an seiner ursprünglichen These zur Entstehung der Jakoberzählung vor.62 Terminologisch löste sich Blum von Gunkels „Sagenkränzen“ und bezeichnete die Jakoberzählung nun als „­major integrated story with themes of its own“63. Indes blieb er bei der Annahme einer rekonstruierten Kompositionsschicht, der eine Jakob-Esau-Laban-Erzählung (Gen 25–31*) bereits vorgelegen habe.64 Blum bestand auch weiterhin auf einer völkergeschichtlichen Grundausrichtung der Erzählung, warnte aber – ähnlich wie Gunkel – „to ‚decode‘ these stories like allegories in order to reconstruct ancient histories“65. Die Datierung modifizierte Blum nun auf das 8. Jh. in die Zeit Jerobeams II, wobei er eine Datierung der Jakob-Esau-Laban-Erzählung in omridische Zeit noch vor den Aramäerkriegen in der zweiten Hälfte des 9. Jh. für möglich hielt.66 Unter Verweis auf die Funde in Kuntillet ‘Ajrūd verteidigte er auch im Falle Edoms eine völkergeschichtliche Grundausrichtung der Jakob-Esau-Erzählung, die er ebenfalls im Nordreich beheimatet sah. Anhand der schlaglichtartigen Darstellung der langen Forschungsgeschichte zur Jakoberzählung67 werden verschiedene Problemlagen deutlich, die im Kern auf eine Verbindung der Modelle Wellhausens und Gunkels zurückzuführen sind und die gegenwärtige Forschungslage kennzeichnen. So führte die Orientierung an Gunkels Modell zu einer Übernahme der Aufteilung der Jakoberzählung in Erzählkränze, die sich nicht problemlos mit dem vorliegenden Textmaterial und dessen postulierter Funktion als Ursprungslegende übereinbringen lässt. Gleichzeitig gilt die völkergeschichtliche Ausrichtung der Jakoberzählung als unhintergehbare Grundlage der Textentstehung, was dazu veranlasst, die Jakoberzählung in einzelne Bestandteile zu zergliedern, da sich das erzählerische Material nicht mit den bis dato bekannten historischen Gegebenheiten der Völkerverhältnisse Israel-Edom resp. Israel-Aram übereinbringen lässt. Insofern wird an die These Gunkels von mündlichen Erzählzyklen (Jakob-Esau vs. Jakob-Laban) angeknüpft,

62 Vgl. etwa Blum, Wege; Blum, Hosea 12; Blum, Jacob Tradition. Die Neuerungen Blums werden hier nicht im Einzelnen, sondern in den betreffenden Kapiteln umfassend behandelt. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die für die weitere Forschungsgeschichte zentralen Modifikationen. 63 Blum, Jacob Tradition, 182. 64 Vgl. zur Annahme einer „Groß-Erzählung“, die bereits Jakob-Esau-Laban umfasse, Wester­mann, Arten, 81. 65 Blum, Jacob Tradition, 186. 66 Vgl. Blum, Jacob Tradition, 210. 67 Die hier dargestellte Entwicklung konzentriert sich maßgeblich auf die deutschsprachige, diachron orientierte exegetische Forschung. In der nahezu uferlosen Forschungsgeschichte zur Jakoberzählung blieben daher Beiträge selbsterklärend unberücksichtigt. Dies betrifft insbesondere solche aus dem englischsprachigen, synchron orientierten Forschungsumfeld. Wo jene für die jeweiligen Analysen fruchtbar zu machen sind, werden diese an gegebener Stelle im Analyseteil berücksichtigt.

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diese allerdings auf literarische Prozesse übertragen und mit Wellhausen und Blum völkergeschichtlich unterfüttert. Die genannten Problemlagen verschieben das forschungsleitende Interesse an der Jakoberzählung gegenwärtig verstärkt auf ihren Abgleich mit archäologisch und historisch verifizierbaren Daten der Geschichte Israels. Ein solches Vorgehen ist aufgrund der greifbaren politischen Ausrichtung der Jakoberzählung ohne Frage berechtigt, birgt in ihrer derartigen Schwerpunktsetzung jedoch das Pro­ blem, dass die Jakoberzählung in Gänze für die Darstellung einer Völkergeschichte vereinnahmt und so von ihrer eigentlichen Funktion als Ursprungsmythos unwissentlich abgerückt wird. Das eigentliche Interesse gilt nicht mehr der Jakobfigur und ihrer Darstellung als Gründerfigur Israels, sondern vielmehr dem politischen Verhältnis zwischen Israel und dessen Nachbarvölkern. Insofern gerät der identitätsstiftende Aspekt der Jakobfigur für Israel und dessen Darstellung beträchtlich in den Hintergrund. Welche Rolle darin die Diskrepanz von Betrug und Segen in der Jakoberzählung für das Selbstverständnis Israels in seinem Ursprungsmythos spielt, wird gegenwärtig nahezu nicht mehr reflektiert.68 Zahlreiche Publikationen bemühen sich stattdessen in kontroverser Diskussion darum, das in der Jakoberzählung vorausgesetzte Völkerverhältnis zu entschlüsseln und darüber zu einer redaktionsgeschichtlichen Rekonstruktion und Datierung der Jakoberzählung(en) zu gelangen. Wie bereits Mitte des 20. Jh. machen sich diesbezüglich Exegese und archäologische Forschung wieder gemeinsam auf den Weg, freilich unter veränderten Prämissen.69 Einschlägig sind diesbezüglich bereits die Titel der zuletzt erschienenen Sammelbände „The Politics of the Ancestors“ aus dem Jahr 2018 und „The History of the Jacob Cycle“ von 2021.70 Während relative Einmütigkeit darüber besteht, dass es sich bei der Jakob-­LabanErzählung um das älteste Material der Jakoberzählung handle, das seinen überlieferungsgeschichtlichen Ursprung in Gilead habe,71 wird die literarhistorische Herkunft und Einheitlichkeit der Esau-Edom-Passagen der Jakoberzählung kontrovers diskutiert.72 Dabei wird der Text mitunter – wenn notwendig – den historisch plausiblen entstehungsgeschichtlichen Szenarien angepasst. Obwohl in 68 Weingärtner, Impertinenz, 109, verhält sich zu diesen Tendenzen als Korrektiv. 69 Die Bindung der Überlieferung an kultgeschichtliche und geografische Haftpunkte bei Alt und Noth führte zu einem erheblichen Interesse der Exegese an der archäologischen Forschung, wie an Otto, Sichem, ersichtlich wird. Von ihr erhoffte man, Erkenntnisse aus der Frühgeschichte Israels zu gewinnen und ging von einer Historizität der Jakobfigur aus. Ganz anders setzte Westermann durch seinen Fokus auf die Familiengeschichte an und will indes ebenso die Zeit der Väter durch die archäologische Erhebung der Gemeinschaftsform, Lebensweise und Religion der Zeit erhellt wissen. Vgl. Westermann, Genesis I/2, 23. 70 Der letztgenannte Sammelband ist eingebettet in ein größer angelegtes SNF-Forschungsprojekt „The History of the Pentateuch“, das von Archäologen und alttestamentlichen Exegeten gemeinsam verantwortet wird. Vgl. Hensel, Introduction, 1. 71 Vgl. Finkelstein / Römer, Comments, 325; Sergi, Jacob, insbes. 292–295. 72 Vgl. Frevel, Edom; Wöhrle, Jacob from Israel; Hensel, Edom; Na’aman, Jacob Story.

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gegenwärtigen Beiträgen gehäuft die Warnung Gunkels aufgenommen wird, die Erzählung sei nicht in realhistorische Völkerverhältnisse übersetzbar, ist die dann zu erhebende „geschichtliche Stimmung“, die Wellhausen rühmte, erheblichen Unsicherheiten in der Rekonstruktion unterworfen. Dies liegt schon daran, dass sich bereits von den Grundvoraussetzungen der Erzählung her nicht zweifelsfrei erheben lässt, ob sich aus Gen 32–33 oder aus Gen 29–31 etwa ein positives, negatives oder ambivalentes Verhältnis zwischen Israel und den Edomitern resp. Aramäern extrahieren lässt. Dementsprechend disparat fällt die Bewertung und die historische Einordnung aus.73 Es ist naheliegend und wird sich in den folgenden Analysen bestätigen, dass in der Jakoberzählung bereits vor dem Hintergrund der überlieferungsgeschichtlich plausiblen Szenarien keine reine Familiengeschichte vorliegt, sondern eine Volkserzählung. Zu prüfen ist indes, ob sich die greifbare Volksperspektive Israels bereits in ihrer Grundanlage mit anderen Völkern im Familienverband auseinandersetzte und diese Auseinandersetzung das narrative Gefälle maßgeblich bestimmte, oder ob nicht vielmehr Jakob bereits seit jeher als Israel vorausgesetzt ist, dessen Auseinandersetzung mit seinen Verwandten indes erst in einem zweiten Schritt völkergeschichtlich ausgedeutet worden ist.74 Sollte sich dies bewahrheiten, ergeben sich daraus Vorteile für die Erklärung der Disparität und Ambivalenz der Jakoberzählung. Zum einen ließe sich so die theologische (Selbst-) Deutungsebene Israels in der Jakoberzählung wieder stärker berücksichtigen, die sich vor dem völkergeschichtlichen Hintergrund auf eine schlichte Parteinahme Gottes für Israel begrenzt. Insofern ließe sich mit von Rad – gleichwohl unter veränderten Prämissen – folgender Zusammenhang näher beleuchten: „Was Jakob damals erlebte, in dem erkannte Israel etwas von seinem eigenen Verhältnis zu Gott wieder; und so ist der Sage eine wunderbare Transparenz eigen, und erst in dieser Eigenart ist sie zum Zeugnis von einem geschichtlichen und zugleich vollgegenwärtigen Handeln Gottes geworden.“75 Der Jakoberzählung wäre in ihrer Gesamtanlage insofern Rechnung getragen, als sie nicht nur Völkergeschichte, sondern auch das Gottesverhältnis Israels im Ursprungsmythos reflektiert. Es erscheint daher lohnend, zwischen der Jakoberzählung als Ursprungsmythos für Israel, und der Jakoberzählung als Völkergeschichte, die Israels Verhältnis zu anderen Völkern bestimmt, zu differenzieren, wenngleich 73 Vgl. hierzu exemplarisch die disparate Bewertung von Gen 32–33 zwischen Frevel und Wöhrle. Vgl. zur Kritik Hensel, Edom, 89 f. Zur Ambivalenz des Materials vgl. Dietrich, Israel, 116. 74 Dies trüge der Anmerkung Crüsemanns zum Verhältnis von Familiengeschichte und Volksgeschichte Rechnung: „Eine reine Familiengeschichte ohne nationale und politische Dimension liegt nicht vor. Das heißt nun aber andererseits nicht, dass alle Einzelzüge der Erzäh­ lungen auf das Ganze des Volkes bezogen werden könnten oder müssten“ (Crüsemann, Herrschaft, 82). 75 Von Rad, Genesis, 19.

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letztere durch erstere freilich bedingt ist. Vor diesem Hintergrund gilt es, Jakob als Identifikationsfigur für „Israel“ und dessen Darstellung in den Blick zu nehmen.76 Zum anderen ließe sich so auch die viel diskutierte Disparität von Familien­ geschichte und Volksgeschichte unter anderen Bedingungen erschließen. Dass sich die Jakoberzählung in vielen Teilen vor einem völkergeschichtlichen Hintergrund nur unbefriedigend erklären lässt und auf Alltagsprobleme innerhalb familiärer und gesellschaftlicher Strukturen verweist, ist insbesondere von Claus Westermann77 und Eckart Otto78 herausgestellt worden. Anstatt daraus gemäß der Genannten die Entstehung der Erzählungen in nomadischer Vorzeit zu verankern, ist eine andere Möglichkeit in Erwägung zu ziehen. Vor dem Hintergrund, dass wir es in der Jakoberzählung mit einer Ursprungslegende zu tun haben, zieht das Setting und die Erzählweise die Rezipienten in Alltagserfahrungen und in Beurteilungen der handelnden Protagonisten hinein, um in textpragmatischer Hinsicht die Identitätsbildung zu fördern. Insofern ließe sich das Befassen mit Alltäglichkeiten nicht durch die Zeit der Textentstehung oder deren entstehungsgeschichtlich bedingtes gesellschaftliches Milieu erklären, sondern ist entscheidend durch die Anlage der Jakoberzählung als Ursprungsmythos bedingt. Den umrissenen Horizont gilt es in den folgenden Analysen zu prüfen.

76 Eine ähnlich gelagerte Problematik erkennt Weingärtner, Impertinenz, 104 f., und will daher die Produktivität der Erzählung als Fiktion – und mithin einer ihr eigenen „erweiterte(n), bedeutungsvolle(n) Wirklichkeit“ – im Gegenüber zu deren historischer Deduktion betonen. Dieser Einwand ist zwar berechtigt und in Anbetracht gegenwärtiger Forschungstendenzen zu begrüßen, führt aber in einer harten Gegenüberstellung von Werkimmanenz vs. „Erfahrungswirklichkeit“ m. E. nicht zu einer den Texten angemessenen Lösung des Problems. Vielmehr sind beide Ebenen zusammenzudenken. 77 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 10, der bereits auf die identitätsstiftende Wirkung dieser Erzählweise hinweist. 78 Vgl. Otto, Art. Jakob, 353.

3. Die Eingangskapitel der Jakoberzählung (Gen 25,19–34; 27,1–45)

„Der Gattung nach sind die Jakobserzählungen weder Mythen noch Sagen, weder Märchen, noch Legenden. Sie sind eine aus Einzelüberlieferungen zusammen­ gesetzte, auf etliche Kleingattungen […] zurückgreifende bzw. nachträglich durch diese Texte ausgestaltete literarische Erzählung.“1 Das vorangestellte Zitat Harald M. Wahls benennt Problemkreise und forschungsgeschichtliche Entwicklungen in der Analyse der Jakoberzählung, die paradigmatisch für die literarhistorische Beurteilung von Gen 25,19–34 und Gen 27,1–45 sind. Der Konflikt zwischen Jakob und Esau bahnt sich im Rahmen zweier Akte an, die sich in ihrer inhaltlichen Ausrichtung auffallend ähneln. Trotz Zweitgeborenenstellung bringt Jakob seinen Bruder Esau zweifach listig um dessen Vormachtstellung im Familiengefüge. Während Gen 25,29–34 einen rechtmäßigen Verkauf des sog. „Erstgeburtsrechts“ durch Esau an Jakob schildert, behandelt Gen 27 die durch Trug erschlichene Übertragung eines Erstgeburtssegens auf Jakob. Die Ähnlichkeiten im jeweiligen Ergebnis der Episoden führten im Rahmen der Quellenscheidungstheorie auf eine literarische Verteilung derselben auf zwei Quellen.2 Hermann Gunkel indes sah in überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht darüber hinaus noch uralte Sagen repräsentiert,3 die sich Hirten untereinander erzählten, und die von den Autoren der jeweiligen Quellenschriften aufgegriffen worden seien. Die episodenhafte Geschlossenheit galt Gunkel als Kriterium dieser kleineren mündlichen Überlieferungseinheiten. Gegen Gunkel wird mittlerweile mehrheitlich Abstand von der Annahme rekonstruierbarer mündlicher Überlieferungen genommen. Aufgrund der berechtigten Skepsis gegenüber der Möglichkeit, mündliche Stoffe über einen längeren Zeitraum wörtlich konservieren zu können,4 ist man dazu übergegangen, schriftliche Einzelüberlieferungen anzunehmen, die für die „Komposition“ des 1 Wahl, Jakobserzählungen, 301. 2 Vgl. Wellhausen, Composition, 34. Wellhausen erkennt bereits die Problematik dieses Unterfangens. „Aber wenn dem wirklich so wäre [einer Verteilung der beiden Erzählungen auf zwei Quellen], so käme man doch mit 25,29–34 als Vorbereitung für 28,10 ss. nicht aus; es müsste nun doch auch in E ursprünglich eine Geschichte gefolgt sein, welche wie Kap. 27 den Ausbruch der Feindschaft zwischen den Brüdern enthielt und damit die Flucht Jakobs motivirte [sic!].“ Vgl. auch die Kritik von Weingärtner, Impertinenz, 92, an Graupners Annahme, der Elohist hätte keine Konflikterzählung geschildert. 3 Vgl. Gunkel, Genesis, LII. 4 Vgl. hierzu wegweisend Kirkpatrick, Old Testament; Kirkpatrick, Jakob–Esau Narratives; Wahl, Jakobserzählungen, 113–143.288; de Pury, Promesse, 473–496.

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Die Eingangskapitel der Jakoberzählung 

literarischen Gesamtwerkes verwendet und überarbeitet worden sind.5 Mithin verlagerte man das überlieferungsgeschichtliche Modell Gunkels in ein redaktionsgeschichtliches. Während Gen 25,19–34* und Gen 27,1–45* noch für ursprünglich voneinander unabhängige Überlieferungseinheiten gehalten werden konnten, ist in der neueren Forschung etwa bei Harald M. Wahl und Jakob Wöhrle eine redaktionsgeschichtliche Erklärung für den auffallenden Befund vorgeschlagen worden. In welchem redaktionsgeschichtlichen Verhältnis stehen folglich die beiden Erzählungen und welche Aussageintention lässt sich hinter ihrem Nebeneinander erkennen? Wie verhalten sich Gen 25–27* zum darauffolgenden Erzählfaden der Jakoberzählung und wie stark ist die Eingangserzählung völkergeschichtlich ausgerichtet?

3.1 Jakobs Streben nach der Erstgeburt – Analyse von Gen 25,19–34 3.1.1 Kommentierte Übersetzung6 Und dies sind die Geschlechterfolgen Isaaks, des Sohnes Abrahams: Abraham zeugte Isaak. 20Und Isaak war 40 Jahre alt, als er Rebekka, die Tochter Betuels, des Aramäers aus Paddan Aram, die Schwester Labans des Aramäers7, für sich zur Frau nahm. 21Und Isaak bat JHWH für seine Frau, denn sie war unfruchtbar. Und JHWH ließ sich von ihm bitten, und seine Frau Rebekka wurde schwanger. 22 Und die Söhne stießen sich gegenseitig8 in ihrem Inneren und sie sprach: „Wenn (das) so (ist), warum geschieht mir dies?“ Und sie ging hin, um JHWH zu befragen. 23 Und JHWH sprach zu ihr: „Zwei Völker sind in deinem Bauch. Und zwei Nationen9 werden sich von deinem Leibesinneren (an) trennen. Und eine Nation wird stärker sein als die andere Nation. Und das zahlreiche (Volk) wird dem kleinen (Volk) die19

5 Der nach Blum, Komposition, gängig gewordenen und ursprünglich von Wellhausen stammenden Formulierung „Komposition“ für die literarische Wachstumsgeschichte ist dieser Ansatz bereits inhärent. 6 Legende zu den in der Übersetzung angezeigten Bearbeitungsschichten: recte = Grundbestand der Jakoberzählung; unterstrichen = priesterschriftliche Erweiterung; kursiv = EdomErweiterung aus dem 7. Jh. Texteingriffe, die einer verständlicheren Übersetzung dienen, sind hier – wie auch in den folgenden Übersetzungen – in runden Klammern angegeben. 7 G wandelt hier – wohl aus Gründen einer vereinheitlichenden geografischen Verortung Labans – ab, indem sie Laban als Syrer aus Mesopotamien bezeichnet. 8 ‫ רצץ‬im Hit. nur an dieser Stelle (Qal = zerbrechen, knicken). Die Herkunft des Wortes von der Wurzel ‫ רצץ‬wird die ursprüngliche sein gegenüber G, die das Verb, nach Tal, Genesis, 141*, von ‫( רוץ‬Hitpol. = rennen, eilen) mit der Wurzel σκιρτάω (hüpfen, springen) herleitet. Taschner, Verheißung, 22, übersetzt im Anschluss an Crüsemann, Herrschaft, 81, und Ringgren, Art. ‫רצץ‬, ‎663, mit „misshandeln“. So auch Hagedorn, Hausmann, 139. 9 Es handelt sich um den einzigen Beleg des Lexems ‫ לאם‬neben Gen 27,29 im Pentateuch.

Jakobs Streben nach der Erstgeburt 

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nen.“ 24Und als ihre Tage erfüllt waren, um zu gebären, siehe, da waren Zwillinge in ihrem Bauch. 25Und der Erste ging hervor, rötlich, überall wie ein Mantel behaart und man nannte ihn10 Esau. 26Und anschließend ging sein Bruder hervor und seine Hand hielt die Ferse Esaus umgriffen und man nannte ihn11 Jakob; und Isaak war 60 Jahre alt, als er sie zeugte12. 27Und die Knaben wuchsen heran und es geschah, dass Esau ein jagderfahrener Mann war, ein Mann des Feldes, Jakob aber war ein ruhiger Mann, der in den Zelten blieb13. 28Und Isaak liebte Esau, denn Wildbret war nach seinem Geschmack14, Rebekka aber liebte Jakob. 29 Und Jakob kochte15 ein Gericht und Esau kam vom Feld und er war erschöpft. 30 Und Esau sprach zu Jakob: „Lass mich doch schlingen16 von dem Roten, diesem Roten, denn ich bin erschöpft!“ Deshalb nennt man ihn Edom. 31Und Jakob sprach: „Verkaufe heute doch deine Erstgeburt an mich.“ 32Und Esau sprach: „Siehe, ich bin im Begriff zu sterben, also was ist diese Erstgeburt (dann noch) für mich?“17 33Und Jakob sprach: „Schwöre mir heute!“ Und er schwor ihm und er verkaufte seine Erstgeburt an Jakob. 34Und Jakob gab Esau Brot und ein Gericht aus Linsen und er aß und er trank und er machte sich auf und ging und Esau schätzte die Erstgeburt gering.

3.1.2 Textabgrenzung In Gen 25,8 f. kommt die Abraham-Erzählung mit der Todes- und Begräbnisnotiz Abrahams zu einem Abschluss. Zuvor wird die Genealogie der Söhne Abrahams entfaltet, die aus der Heirat mit seiner zweiten Frau Ketura folgt (Gen 25,1–4). 10 G versucht durch Gebrauch des sg. die Benennung Esaus Rebekka zuzuordnen, S verwendet mask. sg. Beide Versuche sind Kontextangleichungen. 11 Hier im Gegensatz zu V. 25 zwar im sg., allerdings mit Tal, Genesis, 142*, ebenfalls unpersönlich verstanden. Smr verwendet pl., um dies zu explizieren. 12 Der Inf. st. cons. von ‫( ילד‬gebären, zeugen) ist schwierig zuzuordnen. Die Übersetzung folgt M, bei dem Isaak das Subjekt bildet. Die Lesart wird von TN gestützt, der diesbezüglich die noch deutlichere Form des Hif. verwendet. G will Rebekka zum Subjekt erheben (ὅτε ἔτεκεν αὐτοὺς Ρεβεκκα). So auch S und TO. V paraphrasiert durch Ergänzung der Kinder und Verwendung einer passivischen Verbform. Die Abweichungen von M sind mit Tal, Genesis, 142*, nicht durch eine andere Vorlage verursacht, sondern durch Klärungsbestrebungen. 13 G transformiert Jakob zu einem einfachen Mann, der in einem Haus wohnte. 14 Die wörtliche Übersetzung „in seinem Mund“ ist an dieser Stelle mit Problemen behaftet, da Unklarheiten über das Subjekt und die Bedeutung bestehen. Möglich wäre nach Tal, Genesis, 142*, analog zu antiken jüdischen Auslegern, Esau als Subjekt zu erachten, dann wäre Esau von M analog zum Kontext archaisch dargestellt. Die übrigen Textzeugen sprechen dafür, Isaak als Subjekt zu lesen. 15 ‫( זיד‬Hif.) in der Bedeutung von „kochen“ ausschließlich an dieser Stelle. In den sonstigen Belegstellen trägt das Lexem die Bedeutung „vermessen handeln“. Vgl. auch Hagedorn, Hausmann, 149 Anm. 69. 16 Hif. Impf. ‫ לעט‬nur an dieser Stelle. 17 Möglich wäre auch eine possessivische Übersetzung.

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Die Eingangskapitel der Jakoberzählung 

Die Söhne ziehen in das „Land der Söhne des Ostens“ (Gen 25,6) und verlassen folglich das Gebiet, das der Verheißungslinie vorbehalten ist. Im Anschluss erfolgt die Genealogie Ismaels, die durch die Toledot-Formel (Gen 25,12) eingeleitet und durch die Todesnotiz Ismaels, sowie Schlussbemerkungen zum Siedlungsgebiet seiner Nachkommen (Gen 25,17 f.) beendet wird. Nach Abhandlung der genealogischen Nebenlinie wird in Gen 25,19 mit Isaak nun die Hauptlinie in den Blick genommen. Im Vergleich zur geschlossenen Genealogie Ismaels eröffnet die Toledot-Notiz zu Isaak (Gen 25,19) jedoch keine Listung der Nachfahren, sondern eine narrative Entfaltung zu Isaaks Nachkommen Esau und Jakob.18 Der erste Schritt dieser Entfaltung wird in V. 20 über eine Heiratsnotiz vollzogen. Vv. 19 f. stellen einen Erzählbeginn dar und grenzen den Abschnitt deutlich nach vorne hin ab. Eine Abgrenzung von Gen 25,19–34 nach hinten ergibt sich aus der Syntax (‫)ויהי‬, aus dem plötzlichen Wechsel der Handlungsakteure (Isaak und Abimelek), und der wechselnden Szenerie (Philister, Gerar) in Gen 26,1. In Kap. 26 wird die expositorische Einleitung der Handlungsakteure Esau und Jakob und der szenisch entfaltete Verkauf des Erstgeburtsrechts nicht aufgegriffen. Die Inkohärenzen zwischen Gen 25* und Gen 26 sind offenkundig. Der Vorspann zur Gefährdung der Ahnfrau Rebekka in Gen 26 berichtet von der Behauptung Isaaks, bei Rebekka handle es sich um seine Schwester (Gen 26,7). In Gen 26 wird folglich vorausgesetzt, dass Isaak und Rebekka kinderlos geblieben sind. Gen 26 führt insofern Gen 25,19–34 nicht fort. Das Kapitel verlässt die innerfamiliäre Ebene, von Esau und Jakob ist bis einschließlich Gen 26,33 keine Rede. Erst Gen 26,34 f. nimmt die Jakob-Esau-Erzählung wieder mit der Anmerkung auf, Esau habe zur Missgunst Isaaks und Rebekkas hethitische Töchter geheiratet.19 Diese Anmerkung beschränkt sich auf eine priesterschriftliche Rahmennotiz, die in Gen 27,46 nochmals aufgegriffen wird und Jakobs Betrug um den Erstgeburtssegen umspannt.

3.1.3 Aufbau und Gliederung Gen 25,19–34 lässt sich in zwei größere Abschnitte untergliedern (Vv. 19–28; Vv. 29–34).20 Bei dem ersten Abschnitt handelt es sich der Form nach um die Exposition der Folgeerzählungen,21 die von der Entzweiung und Versöhnung 18 Es handelt sich um eine typische Technik der P, die genealogische Hauptlinie darzustellen. Der Toledot-Begriff schließt im Falle der Hauptlinie die Geschichte der Nachkommen ein, und begrenzt sich nicht wie in der Nebenlinie auf deren Listung. Vgl. etwa Blum, Profil, 45. 19 Hethiterinnen werden in P als Vorbewohner des verheißenen Landes gedacht. 20 Gegen Wahl, Jakobserzählungen, 245, der die Abschnittsgrenze aufgrund der Notiz über das Heranwachsen der Söhne nach Gen 25,26 zieht. 21 Vgl. Taschner, Verheißung, 29; von Rad, Genesis, 212; Blum, Komposition, 67 f.; Ska, Ouverture, 11.

Jakobs Streben nach der Erstgeburt 

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der Geschwister Jakob und Esau berichten. Die Episode wird durch die Vv. 19 f. eingeleitet. Jene erwähnen knapp vorbereitend die Verwandtschaftsverhältnisse des Ehepaares Isaak und Rebekka sowie das Heiratsalter Isaaks. In V. 21 setzt die Erzählung mit dem Gesuch Isaaks an JHWH ein, seiner unfruchtbaren Frau zu Fruchtbarkeit zu verhelfen. Seine Bitte wird erhört. Das Folgegeschehen erscheint insofern unter dem Vorzeichen göttlicher (JHWHs) Fügung. Der Abschnitt ist vornehmlich durch Narrativketten im Impf. cons. bestimmt. Die Prägung durch Redeabschnitte, wie sie für Vv. 29–34 typisch ist, bleibt in der Exposition auf die Vv. 22 f. begrenzt. Das dort eingeleitete und wiedergegebene Gottesorakel ist durch weitere Merkmale von der Exposition abgehoben. Die Vv. 22 f. brechen den vergleichsweise einfach gehaltenen Sprachstil der Exposition durch terminologische Komplexität auf. Daneben ragt das Orakel aufgrund völkergeschichtlich konnotierten Vokabulars deutlich aus dem Zusammenhang hervor. Die Bezeichnung ‫ בנים‬nimmt die Elternperspektive ein, wohingegen im übrigen Textbestand das Verhältnis der Brüder vornehmlich aus der Geschwisterperspektive (‫ )אחיו‬oder der Erzählerperspektive (neutrale Namensnennung) präsentiert wird. V. 24 greift auf V. 21 zurück und bündelt die Zeit der Schwangerschaft in einer kurzen Notiz, die auf das Überraschungsmoment der Zwillingsgeburt zuläuft (‫והנה‬, V. 24b). Vergleichsweise ausführlich schildern die Anschlussverse (Vv. 25 f.) demgegenüber die Geburt der Zwillinge. Der zweiteilige Gebärprozess ist durch das Verb ‫ יצא‬strukturiert, und durch die kohäsive Verbindung von ‫( הראשׁון‬V. 25a) und ‫( אחרי־כן‬V. 26) geschlossen abgerundet. Die detaillierte Schilderung der Geburt dient einerseits der Festlegung des Erstgeborenen, andererseits der ausführlichen ätiologischen Begründung der Sohnesnamen. Die jeweiligen Ätiologien sind an die Geburtserzählung rückgebunden. Die Vv. 27 f. richten sich, ihrer inhaltlichen Abfolge nach, an der Geburtenfolge von Vv. 25 f. aus und schließen insofern kohäsiv daran an. Strukturanalog sind Esau und Jakob in V. 27 jeweils durch eine zweigliedrige Beschreibung einander gegenübergestellt. Der Struktur von V. 27 entspricht die von V. 28. Wie Jakob in V. 27b, wird nun auch Rebekka in V. 28b invertiert eingeführt. Das Verb ‫( אהב‬V. 28) ordnet die jeweilige Vorliebe der Eltern den jeweiligen Söhnen zu. Der Kontrast, den diese Zuordnung zutage fördert, besteht in der unbegründeten Liebe Rebekkas zu Jakob gegenüber einer offenbar begründungsbedürftigen Liebe Isaaks zu seinem Sohn Esau. Auf diese Weise schildern die Vv. 25–28 zunächst die Benennung der Brüder, ihre Eigenarten und zuletzt die jeweilige Liebe der Eltern zu jeweils einem ihrer beiden Söhne. In der Gegenüberstellung des Brüderpaares, die bis in die Versstruktur hinein greifbar ist, deutet sich bereits deren handlungsbestimmende Entzweiung an. Die Exposition bereitet die Folgehandlung inhaltlich mehrfach vor. Die Beschreibung des äußerlichen Erscheinungsbildes und der Charakterisierung der Brüder bietet die erzählerische Voraussetzung für den Verkauf des Erstgeburts-

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rechts durch Esau (25,29–34) und den Segensbetrug (Gen 27). Für beide Erzählungen ist die örtliche Separierung der Zwillingsbrüder konstitutiv, die sich aus dem Umstand ergibt, dass es sich bei Jakob um einen ‫ אישׁ תם ישׁב אהלים‬und bei Esau um einen ‫( אישׁ שׂדה‬V. 27) handelt. Darüber hinaus stellt die Exposition Motivverkettungen her, die insbesondere für Gen 27 konstitutiv sind: das Aussehen der beiden Brüder, die Reihenfolge ihrer Geburt, ihre Charakterzüge und die jeweilige Vorliebe eines Elternteils für den jeweiligen Sohn.22 Das Motiv der Zwillingsgeburt strebt bereits dem Konflikt um die Position des Erstgeborenen entgegen, da es in diesem Fall schwierig ist, „genau zu bestimmen, wer der Erstgeborene ist.“23 V. 29 markiert gegenüber der Exposition einen Einschnitt. Der Vers leitet die folgende Erzählung über den Verkauf des Erstgeburtsrechts durch die Eröffnung einer geschlossenen Szene expositorisch ein und bildet mit Vv. 33b–34 einen Rahmen um das Handlungsgeschehen.24 Zu Beginn der Erzählung kocht Jakob (V. 29a) und Esau kommt hungrig vom Feld (V. 29b). Am Ende verkauft Esau sein Erstgeburtsrecht an Jakob (V. 33b) und Jakob verköstigt Esau (V. 34a). Das dazwischenliegende Handlungsgeschehen ist durch die Redeeinleitung ‫ ויאמר‬szenisch strukturiert. ‫( בכרה‬Erstgeburt / Erstgeburtsrecht) zeigt als neues Leitwort den Gegenstand der Forderung Jakobs an. Das Erstgeburtsrecht weiß Jakob einzufordern, und zwar mit besonderem Nachdruck (‫כיום‬, V. 31b.33a), sowie vertragsrechtlich basiert (‫מכר‬, V. 31b; ‫ׁשבע‬, V. 33a). Aus dem dargelegten Aufbau von Gen 25,19–34 ergibt sich folgende Gliederung: Exposition der Jakoberzählung (Gen 25,19–28)

Erzählung über den Verkauf des Erstgeburtsrechts (Gen 25,29–34)

19–20

Toledot Isaaks und Heiratsanzeige von Isaak und Rebekka

21

Unfruchtbarkeit Rebekkas und JHWHs Eingreifen

22–23

Gottesorakel mit völkergeschichtlicher Ausrichtung

24–26

Geburtsschilderung und jeweilige Benennung der Brüder

27

Heranwachsen der Kinder und jeweilige Charaktere

28

Vorliebe der Elternteile für jeweilige Söhne

29

Exposition der Linsengerichtsszene

30–33a

Dialog der Brüder

33b–34

Verkauf des Erstgeburtsrechts

22 Vgl. Taschner, Verheißung, 30; Blum, Komposition, 68; Wahl, Jakobserzählungen, 262. 23 Hagedorn, Hausmann, 143. Vgl. auch Niditch, Brother, 113 f.; Levin, Jahwist, 198. Dagegen Hieke, Art. Zwillinge, der das Zwillingsmotiv maßgeblich dadurch motiviert sieht, Edom und Israel in maximale Nähe zueinander zu rücken. 24 Zur rahmenden Struktur vgl. Weingärtner, Impertinenz, 143.

Jakobs Streben nach der Erstgeburt 

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3.1.4 Literarkritik von Gen 25,19–28 3.1.4.1 Priesterschriftliche Textanteile (Gen 25,19 f.26b) Deutlich liegen mit Vv. 19 f. priesterschriftliche (P) Textanteile vor. Neben der einleitenden Toledot-Formel, die V. 19 an die Toledot Ismaels aus den Vorversen angliedert und den Gesamtaufriss strukturiert, sprechen für die Zuordnung zu P die Altersangabe Isaaks bei der Heirat seiner Frau Rebekka und deren verwandtschaftliche Verbindung zu Paddan Aram, welche gleichermaßen für die P konstitutiv sind. Gen 25,26b geht wegen der Altersangabe ebenfalls allgemein anerkannt auf P zurück.25 V. 19 f. leitet wie in Gen 37,2 einen nichtpriesterlichen Textkomplex ein.26 Im non-P-Erzählfaden liegt kein eigenständiger Handlungsbeginn vor.27 Dass der Kontext im vorliegenden Fall dennoch nicht auf P aufbaut,28 P sich vielmehr an jenen anschmiegt, zeichnet sich in den Altersangaben in V. 20 und V. 26b ab. Die in den priesterschriftlichen Angaben vorausgesetzte Zeitspanne von 20 Jahren zwischen der Hochzeit der Eheleute und der Geburt der Kinder setzt die Unfruchtbarkeit Rebekkas voraus, die im non-P-Bestand notiert wird (V. 21).29 Darüber hinaus ist in der Altersangabe Isaaks von 60 Jahren, als er ‫( אתם‬sie) zeugte (V. 26b), im pluralischen Suffix die Zweizahl der Brüder vorausgesetzt.30 Wie lässt sich das Verhältnis zwischen P und non-P in Gen 25,19–28 erklären? Gen 25,21 (non-P) könnte auf den ersten Blick ursprünglich schlüssig an Gen 24,67a (non-P) angeschlossen haben.31 Allerdings sprechen die auffallende Länge, die Mischehenthematik und die Querbezüge von Gen 24 für eine späte, nachexilische Entstehung 25 Vgl. z. B. Seebass, Vätergeschichte II/2, 271; Blum, Komposition, 66 f.; Levin, Jahwist, 200; Nauerth, Untersuchungen, 61; Boecker, Isaak, 16. 26 Vgl. zur Einleitungsfunktion der P-Toledot für non-P-Texte Carr, Fractures, 97; Blum, Profil, 45 f. 27 Vgl. Van Seters, Prologue, 281; Ska, Ouverture, 13 f. 28 So Ska, Ouverture, 14, der – berechtigt – eine fehlende Einführung der Protagonisten und die ausbleibende Heiratsnotiz in non-P anführt. Diese Beobachtung klärt allerdings noch nicht die Abhängigkeitsverhältnisse der Passagen. 29 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 72 f.; Blum, Profil, 35 f. Dieses Argument wiegt schwer gegen die Annahme einer P als Quelle, bei der eine P-Geburtsnotiz zugunsten der non-P-Erzählung weggefallen sein muss. So u. a. Weimar, Studien, 181; De Pury, Umgang, 51 Anm. 40. Die im P-Bestand vorausgesetzte Unfruchtbarkeit spricht auch gegen Kratz, Komposition, 241 f., der Gen  25,19 f.24–26 insgesamt einer kontextunabhängigen P zuschreiben will. Vgl. zur Kritik Wöhrle, Fremdlinge, 73 Anm. 10. Gegen eine Zuweisung der Vv. 24–26a zu P spricht darüber hinaus, dass im übrigen P-Bestand kein Konflikt zwischen Jakob und Esau aufgegriffen wird. Vgl. dazu de Pury, Umgang, 51 Anm. 40. 30 Vgl. Blum, Komposition, 447 f.; Carr, Fractures, 96. Mit geringen Abweichungen auch Ruppert, Genesis III, 59. Darüber hinaus vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 71 f.; Ska, Ouverture, 14; Wöhrle, Master Key, 396–398; Otto, Art. Jakob, Sp. 353; Albertz, Bedeutung, 133 Anm. 6. 31 So Levin, Jahwist, 197; Wahl, Jakobserzählungen, 246.

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Die Eingangskapitel der Jakoberzählung 

des Kapitels.32 die als terminus a quo für die Exposition der Jakoberzählung ausscheidet. Darüber hinaus erwog Van Seters einen Anschluss von Gen 25,21 an Gen 25,11.33 Doch ist mit Ska, ungeachtet der literarkritischen Beurteilung des Verses, fraglich, wie ein Segen an Isaak (Gen 25,11) mit einer unmittelbar folgenden Unfruchtbarkeit Rebekkas (Gen 25,21) zu harmonisieren ist.34 Insofern wird man, ähnlich wie in Gen 37,2, mit einem zugunsten der P weggefallenen Erzählbeginn der Jakoberzählung rechnen müssen.35

3.1.4.2 Das Gottesorakel (Gen 25,22 f.) Das Gottesorakel ist deutlich zweigeteilt. V. 22 stellt die Einleitung dar, in V. 23 erfolgt daraufhin die Antwort JHWHs. V. 22 führt unvermittelt und zunächst nur implizit eine Zwillingsschwangerschaft Rebekkas ein, indem davon berichtet wird, wie sich die ‫ הבנים‬im Innern Rebekkas gegenseitig stießen. Die Bemerkung veranlasst Rebekka dazu, ein Gottesorakel über die Gründe ihrer Schwangerschaftsbeschwerden bei JHWH einzuholen. ‫ לדרשׁ את־יהוה‬fungiert dabei als terminus technicus für die Orakelbefragung.36 Das Gottesorakel erfolgt in Form einer Gottesrede (‫ )ויאמר יהוה‬in V. 23 und ist dementsprechend kunstvoll poetisch gestaltet.37 Es erklärt die Schwangerschaftsbeschwerden Rebekkas mit einem pränatalen Kräftemessen zweier Volksvertreter und verwebt so die familiengeschichtliche mit einer völkergeschichtlichen Ebene. Noch bevor das Verhältnis der beiden Brüder erzählerisch entfaltet ist, hält das Gottesorakel das Ergebnis dieses Verhältnisses in Form eines Vorausverweises (‫ )ורב יעבד צעיר‬fest und erweckt den Anschein, vaticinium ex eventu für ein historisches Kräfteverhältnis der beiden Völker zu sein. Lediglich durch das Adjektiv ‫( צעיר‬klein / jung / gering) ist die familiäre Ebene eingespielt. Die Beschreibung eines Geschwisterverhältnisses erfolgt in der Genesis für gewöhnlich durch die Verwendung des Wortpaars

32 Vgl. z. B. Blum, Komposition, 386. Abgesehen davon, dass zentrale Elemente von Gen 24 eine zusammenhängende Vätergeschichte voraussetzen (vgl. Kessler, Querverweise, 97 f.), scheint Gen 24 non-P-Texte aber auch P-Texte aufzunehmen. Vgl. nur die „bescheidene Auswahl“ bei Köckert, Abraham, 236–238. Gen 24,40 greift wohl auf Gen 17,1 (P) zurück, Gen 24,7.60 auf Gen 15,17–18; Gen 22,6–17 (nach-P). 33 Vgl. Van Seters, Prologue, 281. Mit leichter Abweichung auch Nauerth, Untersuchungen, 62, der einen Anschlussversuch von 25,21bβ an 25,11a unternimmt. Gegen Nauerth vgl. Ruppert, Genesis III, 60. 34 Vgl. Ska, Ouverture, 14. Willi-Plein, Genesis, 161, nimmt daher einen ursprünglichen Anschluss von V. 21b an V. 11 an. Für eine literarkritische Aussonderung von V. 21a liegen jedoch keine hinreichenden Gründe vor. 35 Vgl. Blum, Komposition, 67. 36 Vgl. Gunkel, Genesis, 294; Wahl, Jakobserzählungen, 248. Nach Syrén, First-Born, 82, werde im Gottesorakel womöglich die Form eines Geburtsorakels (vgl. Gen 16,11 f.) nachgeahmt. 37 Vgl. Taschner, Verheißung, 23.

Jakobs Streben nach der Erstgeburt 

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‫ בכור‬und ‫צעיר‬‎.38 ‫ רב‬schillert dagegen in seinem herkömmlichen Gebrauch vornehmlich zwischen Mengenangabe und Machtausdruck. Völker- und familiengeschichtliche Ebene sind folglich bis in den Sprachgebrauch hinein miteinander verschränkt. Spätestens V. 30b fördert im synchronen Textverlauf die Zielstellung des Gottesorakels zutage. Es soll das Kräfteverhältnis der beiden Völker Israel und Edom beschreiben. In der Forschung sind die Vv. 22 f. vielfach als Fortschreibung in Erwägung gezogen worden.39 Nicht nur formal, sondern auch inhaltlich evoziert das Gottesorakel Inkohärenzen im synchronen Lesefluss, die für ein sekundäres Element sprechen. So berichtet V. 22 von Söhnen (‫)הבנים‬, obwohl jene bis dato erzählerisch nicht eingeführt worden sind.40 Auch die Kontexteinbindung nach hinten ist brüchig. Während in V. 22 f. noch von dem Konflikt der Embryonen und der Deutung der Vorgänge durch JHWH die Rede ist, wird plötzlich von der Erfüllung der Tage „ihrer“ (Rebekkas) Niederkunft gesprochen (V. 24). Der unvorbereitete Subjektwechsel tritt offen zutage. Eine weitere Inkohärenz betrifft die Dopplung des Zwillingsthemas. Das mit ‫ והנה‬angezeigte Überraschungsmoment in V. 24 erscheint obsolet, da vor dem Hintergrund von V. 22 bereits deutlich geworden sein dürfte, dass es sich bei den ‫ הבנים‬um Zwillinge (‫תומם‬, V. 24) handelt.41 Die Dopplung des Zwillingsmotivs ist offenbar durch die sekundäre Erweiterung um das Gottesorakel bedingt. Ein Vergleich mit der Parallele in Gen 38,27 zeigt, dass eine vorherige Nennung der Zwillingsschwangerschaft dem Überraschungsmoment zuwiderlaufen muss.42 V. 24 lässt sich nicht zuletzt problemlos an V. 21 anschließen. 38 Vgl. Taschner, Verheißung, 25. Ausführlich auch Hensel, Vertauschung, 142 f. Die Vermeidung des Begriffs ‫ בכור‬hat nach Hensel, Vertauschung, 141 textpragmatische Funktion: „Wer zum Erstling von Isaaks Söhnen wird, steht ja gerade noch aus.“ Vermutlich wird der Begriff aber eher vermieden, da der Verfasser eine andere Zielstellung, nämlich nicht mehr die der Begründung der Erstgeburt, sondern die Erklärung eines Volksverhältnisses, verfolgte. Laut Hensel, Edom, 96, sei dem Gottesorakel eine Ambiguität inhärent, da zum einen Subjekt und Objekt nicht genauer definiert würden und ‫ צעיר‬Anklänge an Seir aufweise. Wie gezeigt, handelt es sich hier aber nicht um eine Anspielung auf Seir, sondern um einen gängigen Terminus in der Beschreibung eines Geschwisterverhältnisses. 39 Vgl. Hagedorn, Hausmann, 143, allerdings ab V. 22b; Westermann, Genesis 1/2, 503; Syrén, First-Born, 82–84; Levin, Jahwist, 200; Nauerth, Untersuchungen, 63; Ruppert, Genesis III, 60; Boecker, Isaak, 17; Otto, Sichem, 25 f.; Kratz, Komposition, 275, rechnet in Vv. 21–23 mit einer nach-P Erweiterung. 40 Taschner, Verheißung, 28, versucht den Umstand mit einer „Allwissenheit des Erzählers“ zu erklären. Allerdings schlägt sich in der Verwendung der Terminologie ‫בנים‬, gerade keine neutrale Erzählerperspektive nieder, sondern die Perspektive der Eltern. 41 Vgl. z. B. Ruppert, Genesis III, 60. 42 Vgl. Boecker, Isaak, 17. Im Vorlauf von Gen 28,27b wird ebenfalls nicht genannt, dass es sich bei der Schwangerschaft um eine Zwillingsschwangerschaft handelt. Taschner, Verheißung, 28, rechnet im Anschluss an Sternberg, Poetics, 243, mit einer Erzähltechnik, die mit ‫ והנה‬die Elternperspektive einnehme. Als Vergleich dieser „Erzähltechnik“ zieht Taschner Gen 29,25 hinzu, wo ebenfalls ein Überraschungsmoment des Protagonisten (Jakob) mit ‫ והנה‬eingeleitet

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Die Eingangskapitel der Jakoberzählung 

Für eine sekundäre Erweiterung spricht auch die umständliche Aufnahme des Kontextinhaltes durch das Gottesorakel. Das Gottesorakel beabsichtigt die Hierarchie zweier Volksgrößen zu beschreiben. Jene Hierarchie lässt sich allerdings nicht stringent aus dem gegenseitigen Stoßen im Innern der Mutter ableiten. Dieses Kräftemessen markiert die Konfliktbeziehung, aber noch kein Kräfteverhältnis. Rebekka reagiert auch im Nachgang nicht auf das an sie ergangene Orakel. Implizit ließe sich vor dem Hintergrund des Gottesorakels zwar Rebekkas Parteiergreifung für Jakob in Gen 27 erklären,43 jene ist allerdings bereits durch die Erwähnung ihrer Liebe zu Jakob auch ohne das Gottesorakel hinreichend begründet (V. 28).44 Der Inhalt des Gottesorakels hat zuletzt auf die gesamte Jakoberzählung keine Auswirkung.45 An keiner Stelle der Erzählung wird Esau je als Diener Jakobs beschrieben. Die fehlenden Auswirkungen auf den weiteren Erzählverlauf sprechen für eine vergleichsweise späte Erweiterung.46 Die Erweiterung politisiert in besonderer Weise die nachfolgende Schilderung des Brüderverhältnisses, indem sie eine Machtkonstellation zwischen zwei Völkern beschreibt, die durch ein göttliches Orakel verifiziert ist. Auf diese Weise wird auf der Endtextebene die entscheidende Weiche dafür gestellt, die nachfolgende Familienerzählung von Beginn an als Erzählung über die Geschichte zweier Völker zu lesen. Noch bevor der Leser den Ausgang der Erzählung kennt, wird zementiert, dass die Entwicklung des Kräfteverhältnisses der beiden Völker bereits im Keim vorherbestimmt war: Israel resp. Jakob wird sich gegenüber Edom resp. Esau als überlegen erweisen. Insofern legitimiert das Gottesorakel die Vorrangstellung Jakobs / Israels vor Esau / Edom.

ist, obwohl der Leser zuvor bereits darüber in Kenntnis gesetzt ist, dass es sich bei der Braut um Lea handelt. Die Passagen sind jedoch hinsichtlich der Erzählerperspektive insofern nicht vergleichbar, als in Gen 25,24 die Protagonistin Rebekka bereits durch das Gottesorakel über eine Zwillingsschwangerschaft unterrichtet ist. In V. 24 kann folglich nicht ihre Überraschung angezeigt sein. 43 Vgl. Taschner, Verheißung, 23, im Anschluss an Fishbane, Text, 45. 44 Rebekkas Parteiergreifung wird insofern einmal durch das Gottesorakel und einmal durch ihre Liebe zu Jakob begründet. Vgl. Nauerth, Untersuchungen, 71. Die Liebe Rebekkas bedarf keiner eingehenderen Begründung. Diese Aussageabsicht erschließt sich aus dem Gegensatz, der zur Begründungsbedürftigkeit der Liebe Isaaks zu Esau aufgemacht wird. Unter synchronen Gesichtspunkten legitimiert das Gottesorakel Rebekkas Vorgehen in Gen 27 zweifelsohne nachhaltiger. Vgl. White, Narration, 208; Silverman Kramer, Women, 230. 45 Vgl. Fokkelman, Art, 86–94; Wahl, Jakobserzählungen, 264. Im Gegensatz zur hier vertretenen These, rechnet Wahl das Gottesorakel dem Grundbestand der Exposition zu und erklärt die mangelnden Auswirkungen des Gottesorakels auf die Gesamterzählung mit einer redaktionellen Vorschaltung der Exposition vor Gen 27. 46 Gegen Blum, Komposition, 67 Anm. 2; Wahl, Jakobserzählungen, 247; Seebass, Väter­ geschichte II/2, 271 f.; Wöhrle, Koexistenz, 315.

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3.1.4.3 Der Kernbestand der Exposition (Gen 25,21.24–26a.27–28) Unter Absehung der P-Textanteile und des Gottesorakels beläuft sich der verbleibende Textbestand der Exposition auf die Vv. 21.24–26a.27–28. Prominente Motive der Exposition werden in der sich anschließenden Linsengerichts­erzählung nicht aufgenommen. Zu nennen sind die Beschreibung Esaus als ‫כלו כאדרת‬ ‫ שׂער‬in Gen 25,25 (vgl. Gen 27,11.23), Esau als ‫ אישׁ ידע ציד‬in Gen 25,27 (vgl. Gen 27,3.5) und die Vorliebe der Eltern für ihre jeweiligen Söhne in Gen 25,28. Jene haben für Vv. 29–34 keine Relevanz.47 Aufgrund der demgegenüber starken Verbindungen zu Gen 27 wäre zu überlegen, ob die Exposition ursprünglich Gen 27 vorbereitete. Formal und inhaltlich ließe sich Gen 27,1 problemlos an Gen 25,28 anschließen.48 Dagegen spräche die exklusive Verbindung zwischen der Exposition und der Linsengerichtsszene durch das Wort ‫( אדמוני‬rötlich). Dieses Motiv ist in Gen 27 ohne Funktion. Aufgrund des roten Gerichts, das Esau begehrt und ihn im Kommentar des Erzählers als Edom ausweist (Gen 25,30b), ist es jedoch prominent in der Linsengerichtsepisode vertreten. Fraglich ist indes, ob die Beschreibung Esaus als ‫אדמוני‬, fest in der Exposition verankert ist. Zunächst dienen der Verbindung von Esau und Edom in V. 25 und V. 30 zwei konkurrierende Ätiologien. Die eine wird über Esaus Aussehen (V. 25), die andere über sein Begehren des (noch unerkannten) Linsengerichts (V. 30) gewonnen. In V. 25 erfüllt weder die Beschreibung ‫ אדמוני‬noch die Beschreibung ‫ׂשער‬ konsequent ihre angelegte Funktion, Esaus Namen etymologisch herzuleiten.49 Will man mit einem Wortspiel rechnen,50 lässt ausschließlich das Adjektiv ‫ׂשער‬ (behaart) noch entfernte Anleihen an den Namen Esau erkennen. In V. 25 steht darüber hinaus eine doppelte Beschreibung Esaus einer einmaligen etymologischen Herleitung des Jakob-Namens gegenüber. Letztlich ist zudem fraglich, worauf ‫ כלו‬zu beziehen ist. Es wäre denkbar, ‫ כלו‬auf ‫ כאדרת שׂער‬zu beziehen, dann wäre wie folgt zu übersetzen: „überall wie ein Mantel behaart“. ‫ אדמוני‬könnte ohne 47 Vgl. Taschner, Verheißung, 30; Otto, Sichem, 30; Blum, Komposition, 68. 48 Vgl. bereits Gunkel, Genesis, 297. Der häufig unternommene Versuch, Gen 25,28 aus dem Zusammenhang zu scheiden (so z. B. Van Seters, Prologue, 282), lässt sich schon aufgrund der Verbindungen zu V. 27 nicht hinreichend begründen. 49 Vgl. Bartlett, Edomites, 177; Otto, Sichem, 25 f. Blum, Komposition, 72, versucht diesen Umstand dadurch zu lösen, dass „auch in anderen Texten neben dem expliziten Vorkommen eines Namens mitunter zugleich auf weitere Bezeichnungen angespielt wird, wobei der Zusammenhang zwischen den erwähnten und dem angedeuteten Namen von dem Rezipienten allein hergestellt werden muss, da er im Text nicht expliziert ist.“ Das mag so sein, allerdings zeichnet sich hier eine Asymmetrie zwischen Jakob und Esau ab, die den gleichlaufenden Versstrukturen widerspricht. 50 Vgl. Taschner, Verheißung, 27. Laut Taschner sei beim Namen Seir möglich, „dass ‫ ׂש‬und ‫ ע‬vertauscht sind und das ‫ ר‬in ein von der Schreibweise ähnliches ‫ ו‬zu ändern ist.“ Vgl. zur Überlegung Taschners auch Otto, Sichem, 25 f. Zur Gegenposition vgl. Ruppert, Genesis III, 70 f.

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Probleme dort ergänzt worden sein. Bezieht man ‫ כלו‬auf ‫אדמוני‬, dann lautete die Übersetzung: „überall rötlich, wie ein Mantel behaart“. Dieser Vergleich ist in sich nicht stimmig.51 Während die Behaarung Esaus für Gen 27 konstitutive Bedeutung hat, entbehrt das ‫אדמוני‬-Motiv in Gen 25* jeglicher Beachtung. Dieser Umstand muss auffallen, sollte eine Ausrichtung auf Edom auch ein zentrales Anliegen von Gen 27 gewesen sein. Dass die Identifikation Esaus mit Edom insbesondere über den Begriff ‫ ׂשער‬Eingang in die Erzählungen erfahren hat, liegt ohnehin aufgrund des Umstandes nahe, dass Esau in alttestamentlichen Texten eindeutiger mit Seir als mit Edom in Verbindung gebracht wird.52 Obwohl eine Sonderstellung des Adjektivs ‫ אדמוני‬nicht eindeutig zu entscheiden ist, liegt eine glossenartige Ergänzung aufgrund eines weiteren Umstandes nahe.53 So wird die Gleichsetzung von Edom und Esau insbesondere in der darauffolgenden Linsengerichtsepisode derart stark betont, dass sie zumindest der Autor von Gen ­25,29–34 im Rahmen der Exposition noch nicht hinreichend begründet sah (s. u.). Den dargelegten Ausführungen steht die gegenwärtig vorherrschende Auffassung entgegen, der Grundbestand der Exposition sei seit jeher auf Edom ausgerichtet. Neben dem Adjektiv ‫אדמוני‬, das auf Edom anspielen soll, wird mittlerweile nahezu unhinterfragt im Begriff ‫( ׂשער‬behaart) eine Anspielung auf das Siedlungsgebiet der Edomiter, Seir (‫)ׂשעיר‬, vermutet.54 Dass das Behaarungsmotiv jedoch primär unter der Absicht gewählt worden ist, Esau mit Seir in Verbindung zu bringen, ist nicht derart unanfechtbar wie gemeinhin angenommen. Zunächst handelt es sich bei den Lexemen ‫ שׂעיר‬,‫ שׂער‬und ‫ עשׂו‬um unterschiedliche Begriffe.55 Die Verbindungen sind allenfalls als lose zu bezeichnen. Verortet man das Motiv der Behaarung Esaus konsequent in seinem narrativen Kontext, markiert ‫ ׂשער‬das zentrale äußerliche Unterscheidungsmerkmal der beiden Zwillingsbrüder. Esaus Behaarung ist für den Betrug in Gen 27 von sinntragender Bedeutung und nicht auf eine Ätiologie etymologischen Interesses zu begrenzen. Es tritt der Umstand hinzu, dass außer Esau keine Figur im AT belegt 51 Vgl. bereits Otto, Sichem, 25 f.; Bartlett, Edomites, 177. Dagegen Blum, Komposition, 71 Anm. 21. 52 Edom wird daher zuweilen auch von Vertretern einer völkergeschichtlichen Ausrichtung für eine sekundäre Erweiterung zur Verbindung Seir-Esau gehalten. Vgl. Bartlett, Edomites, 178 f. Bartlett wird zuzustimmen sein, dass das Behaarungsmotiv nicht aus der Erzählung zu lösen ist, soll aber dahingehend modifiziert werden, dass das Behaarungsmotiv nicht zwingend eine völkergeschichtliche Intention verfolgt. 53 Vgl. Bartlett, Edomites, 177; Ruppert, Genesis III, 60. 54 Vgl. Blum, Komposition, 70; Wöhrle, Koexistenz, 313; Schmid, Literaturgeschichte, 69. So auch Nauerth, Untersuchungen, 67 f., der die völkergeschichtliche Bedeutung von Eodm-Seir in Gen 25* heranzieht, um den Grundbestand von Gen 25* auf einer anderen entstehungsgeschichtlichen Ebene zu verorten als Gen 27*. 55 Vgl. Bartlett, Edom, 177. Frevel, Esau, 343, will in der Entfernung der Begriffe als Beweis für die feste Verbundenheit zwischen Edom und Esau lesen.

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ist, die als „behaart“ beschrieben wird.56 Dieses exzeptionelle äußerliche Erkennungsmerkmal Esaus korreliert mit der Darstellung seiner bevorzugten Aufenthaltssphäre auf dem freien Feld, die ihm das Kolorit eines „Wilden“ verleihen. Dass jene Stilisierung beabsichtigt ist, erweist sich an der antagonistischen Darstellung zu Jakob, der als häuslich und ruhig / rechtschaffen beschrieben wird.57 Eine solche Kontrastierung wird denn auch in der LXX umgesetzt und noch verschärft, indem Jakob dort zum Bewohner eines Hauses erhoben wird. Die genannten erzählerischen Einzelzüge geben einschlägige Parallelen zur Beschreibung Gilgamesch und Enkidus aus dem Gilgamesch-Epos zu erkennen. Der Zusammenhang wurde häufig beobachtet,58 vergleichsweise selten ist der Befund allerdings konsequent für ein Verständnis der Exposition der Jakoberzählung ausgewertet worden. Ester Hamori hat in jüngerer Zeit die Verbindungen zwischen der Jakoberzählung und dem Gilgamesch-Epos erneut ausgelotet. Sowohl Jakob und Esau als auch Enkidu und Gilgamesch werden in den jeweiligen Erzählungen als gegensätzliches Paar präsentiert. Enkidu stellt den auf Gilgamesch hin geschaffenen Widerpart zu Gilgamesch dar (I, 94–100). Er wird aus Ton erschaffen und der Lebenswelt der Steppe zugeordnet (I, 101–104). Enkidu wächst dementsprechend in freier Wildnis gemeinsam mit Tieren auf (I, 109–112), frisst mit ihnen Gras und labt sich gemeinschaftlich mit ihnen an Wasserstellen. Gilgamesch ist der Stadtkönig Uruks, und repräsentiert mithin den Inbegriff zivilisierten Lebens. „The characters of Gilgamesh and Enkidu form a polarity in the Akkadian epic.“59 Das Epos verhandelt über die Protagonisten insofern auch eine Differenz zwischen Kultur und Natur. Dieser Kontrast zeichnet sich insbesondere darin ab, wie Enkidu in die Zivilisation eingegliedert wird. Durch den eine Woche andauernden Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten wird Enkidu zunächst seiner Herde und mithin der Wildnis entfremdet (I, 191–194) und durch den Verzehr von Brot und Bier in die Esskultur eingeführt (II, 44–58)60. Ein zentrales Merkmal für Enkidus Stilisierung als Wilden und dessen Transformation zum zivilen Mann stellt seine Behaarung dar, die im Gilgamesch-Epos 56 Vgl. Hagedorn, Hausmann, 143. In 2 Kön 1,8 findet sich Ähnliches noch bei Elija, allerdings nicht als Behaarung Elijas selbst. 57 Vgl. Niditch, Brother, 114 ff.; Hamori, Echoes, 633. Die Tendenz, ein gegensätzliches Brüderpaar anhand des konstruierten Antagonismus von „wild“ und „zivilisiert“ darzustellen, lässt sich auch bei Ismael und Isaak in Gen 16 beobachten. Vgl. Mobley, Wild Man, 226 f. 58 Vgl. Speiser, Genesis, 196 f.; Westermann, Genesis I/2, 505 f.; Hagedorn, Hausmann, 143; Hendel, Epic, 116 f.128–131; Hendel, Politics, 25; Hamori, Echoes, 633. Na’aman, Jacob Story, 101 ff., rechnet ebenfalls mit der Aufnahme von Motiven des Gilgamesch-Epos in der Jakob­ erzählung, will jene allerdings für eine entstehungsgeschichtliche Ansetzung der Jakoberzählung im 6. Jh. fruchtbar machen. Da das Epos jedoch nahezu durchgehend rezipiert worden ist, wird sich daraus kein relativ-chronologischer Anhaltspunkt gewinnen lassen. 59 Hendel, Epic, 117. 60 Die Zeilen 52–58 sind nur noch in Fragmenten des altbabylonischen Gilgamesch-Epos erhalten. Vgl. zur Rekonstruktion Maul, Gilgamesch-Epos, 59.

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bei der Vorstellung Enkidus breit ausgeführt wird (I, 105–109). „Zu einem Menschen“ wird Enkidu dann schlussendlich auch durch einen Barbier, der ihn rasiert und einölt (II, 52–58). Die Polarität zwischen Gilgamesch und Enkidu führt zur konfliktreichen Erstbegegnung in Form einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden Parteien, die schlussendlich in einer Freundschaft mündet (II, 111–115). Trotz der Unterschiede in den erzählerischen Details ist eine ähnliche Polarisierung von Esau und Jakob in der Exposition von Gen 25,21–28 erkennbar. Esau und Jakob sind als Zwillingsbrüder in einmalig dichter Weise einander zugeordnet (Gen 25,24–28).61 Während sich Jakob bevorzugt im Zelt aufhält, streift Esau auf dem freien Feld umher. Die wohl auffälligste Parallele ist mit dem Motiv der Behaarung gegeben, das in Gen 27,11 unmittelbar der Kontrastierung der beiden Brüder dient. Jakob ist glatt (Gen 27,11), Esau behaart (Gen 25,25; 27,11). Die Parallelen sind nicht nur auf die Motivik begrenzt, sondern weisen darüber hinaus eine verwandte Begriffsverwendung und gemeinsame Vorstellungen auf: Gilgamesch I, 101.105–10862

Gen 25,25.27a

Dann wusch Aruru sich ihre Hände, kniff Ton ab und warf ihn (herab) in die Steppe […] 105 Dicht behaart (šu’ur) ist er [Enkidu] an seinem ganzen Leibe, 106versehen mit Locken wie eine Frau. 107Seiner Haarmähne Locken sprießen so üppig hervor wie N ­ issaba selbst. 108Nicht sind ihm die Menschen und (nicht) das Kulturland bekannt. 109Mit einem Gewande bekleidet wie ­Schakkan63, 110frisst mit Gazellen er Gras.

Und der Erste ging hervor, (rötlich,) überall wie ein Mantel behaart (‫)שׂער‬ und man nannte ihn Esau. […] 27a Und Esau war ein jagderfahrener Mann, ein Mann des Feldes.

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Da sich die genannten Parallelen nicht nur auf einen Aspekt begrenzen lassen und die Behaarung Esaus im Vergleich zur Darstellung alttestamentlicher Brüderpaare ein singuläres Proprium der Exposition in Gen 25,19–28 darstellt, ist eine dem Gilgamesch-Epos entlehnte Darstellung eine plausible Erklärung für die Wahl der erzählerischen Einzelzüge, mit denen die Unterschiede der Brüder in der Exposition von Gen 25* und Gen 27 präsentiert werden. Entgegen einer primär völkergeschichtlichen Absicht hinter der Verwendung des Begriffes ‫ ׂשער‬ist insofern eine traditionsgeschichtliche Entlehnung aus dem 61 Vgl. Hamori, Echoes, 633. Abgesehen von Jakob und Esau werden nur noch Perez und Serach in Gen 38,27 als Zwillinge beschrieben. 62 Übers.: Maul, Gilgamesch-Epos. 63 In der altbabylonischen Mythologie stellt Schakkan den Gott der Herdentiere dar. Er zeichnet sich in seinem äußeren Erscheinungsbild durch seine fellartige Behaarung aus.

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Gilgamesch-Epos durchaus denkbar. Dass die Verfasser der Jakoberzählung sich auch andernorts für ihre Darstellung altorientalischen Vergleichsmaterials bedienten, konnte Koch jüngst wieder für die Bet-El-Erzählung plausibel zeigen.64 Für die Exposition in Gen 25* ist weniger an eine literarische Abhängigkeit zu denken. Vielmehr konnte das bekannte Epos als Beispiel für die kontrastierende Darstellung von Jakob und Esau kreativ aufgenommen werden.65 Dies setzt freilich voraus, dass dem Erzähler zumindest der Name Esau namentlich bereits vorgegeben war.66 Insofern kann von Esaus Behaarung im primären Textbestand des vorliegenden Abschnittes durchaus die Rede sein, ohne zwingend auf Edom-Seir anzuspielen.67 Die Glosse ‫ אדמוני‬weist in ihrer Absicht, Edom ätiologisch zu verankern, mit der Linsengerichtsszene starke Verbindungen auf. Die Linsengerichtserzählung etabliert das ‫אדמוני‬-Motiv narratologisch offensichtlich über eine Dopplung, mit der Esau ‫( מן האדם האדם הזה‬V. 30a) erbittet und am Ende ein Gericht aus Linsen erhält (V. 34a). Philologisch glückt die motivische Verkettung zwischen Edom und Esau in der Linsengerichtsszene sehr viel besser als in V. 25, denn die Verbindung von Edom zur Farbe „rot“ ist durch das Substantiv ‫ האדם‬wesentlich eindeutiger gegeben als durch das Adjektiv ‫אדמוני‬. Wie zu zeigen sein wird, ist die Linsengerichtsepisode auf einer anderen entstehungsgeschichtlichen Ebene zu verorten als die Exposition in Gen 25,21–28. Dieser Befund erhärtet die dargestellte Einschätzung, dass es sich bei ‫ אדמוני‬um eine Glosse handelt, die Esau mit Edom über Seir in Verbindung bringen will. Aus dem Dargestellten dürfte deutlich geworden sein, dass die Exposition in überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht keine selbsttragende Einzelerzählung darstellen kann.68 Ihr fehlt nicht nur ein charakteristischer Spannungshöhepunkt, sondern sie ist, ihrer Funktion gemäß, auf die Folgeereignisse ausgerichtet. Dabei sind die Verbindungslinien zu Gen 27 sehr viel stärker ausgeprägt als zu Gen 25,29–34.69

64 Vgl. Koch, Wohnstatt, 45–86. 65 Ähnlich auch Soggin, Genesis, 342 f. 66 Zur Etymologie von Jakobs Namen siehe Kap. 6.2.4, 265. 67 Gegen Gunkel, Genesis, 297; Levin, Jahwist, 199; und Frevel, Esau, 345, der sich auf die Verankerung in Gen 25,25 und 27,11.23 beruft. 68 So von Rad, Genesis, 212; Graupner, Elohist, 219. Beide gehen von der Aufnahme unterschiedlicher Überlieferungselemente aus. 69 Vgl. zu dieser Beobachtung auch Weingärtner, Impertinenz, 131 f. Zum überlieferungsgeschichtlichen Verhältnis zwischen Exposition und Gen  27 siehe Kap. 3.2.6, 90, der vorliegenden Studie.

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3.1.5 Jakobs rechtmäßiger Erwerb der Erstgeburt (Gen 25,29–34) 3.1.5.1 Literarkritik V. 29 leitet expositorisch die Linsengerichtsepisode ein. In zwei parallel aufgebauten Halbversen werden Esau und Jakob einander gegenübergestellt: Jakob kocht zuhause ein Gericht, Esau kommt erschöpft vom Feld. V. 29 setzt aufgrund der Zuordnung der Geschwister zu ihrer jeweilig bevorzugten Lebenssphäre deren Charakterisierung im vorausgehenden Abschnitt voraus. Die Episode zeichnet sich durch eine symmetrische Struktur aus, die vom Kommen und Gehen Esaus wie auch dem Kochen und Verköstigen durch Jakob gerahmt wird, und im Dialog der Brüder ihr Zentrum hat. Die Linsengerichtsepisode weist einen wohldurchdachten Aufbau auf, der sich neben der genannten Rahmung auch in der kohäsiven Verwendung der Leitworte (‫ )בכרה ;נזיד‬und den durch ‫ ויאמר‬eingeleiteten Sprecherwechseln zeigt. V. 30b ist aufgrund eines Erzählerkommentars literarkritisch auffällig, der sich von der Dialogstruktur des Abschnittes abhebt. Der Kommentar gibt mit der Einleitung ‫ על־כן‬das ätiologische Bemühen zu erkennen, Esau aufgrund seines Begehrens nach „dem Roten“ mit Edom zu verbinden. Im Falle einer Glosse wäre Esau auf diese Weise nachdrücklich mit Edom identifiziert worden.70 Angesichts des Grundbestandes ist allerdings fraglich, welches Problem die Annahme einer Glosse löst. Edom ist im Grundbestand bereits derart fest verankert, dass eine Erweiterung um V. 30b allenfalls explizierende Funktion zur bereits bestehenden Tendenz des Grundbestandes haben kann. Die Verankerung Edoms im Grundbestand zeigt sich insbesondere in V. 30a, in dem die Dopplung des Wortes ‫האדם‬ nicht für eine Dublette zu erachten ist, sondern für ein erzählerisches Mittel der Betonung.71 Der Erzählerkommentar als solcher ist auch nur vordergründig auffällig. Eine vergleichbare Erzählweise lässt sich auch in V. 34b feststellen. Im Zentrum von Gen 25,29–34 steht die Identifikation zwischen Edom und Esau, die in V. 30a durch die Alternativbezeichnung zum Linsengericht mit ‫האדם האדם הזה‬ repetitiv eingeschärft wird. V. 30b schließt mit der Explikation schlüssig an diese Grundtendenz an. Philologisch ist durch das substantivierte Adjektiv ‫ האדם‬die Entsprechung Esau = Edom deutlicher hergestellt als bei dem Adjektiv ‫ אדמוני‬in V. 25, das der Exposition erst sekundär zugewachsen sein dürfte.72

70 In der Forschung wird V. 30b mehrheitlich als Glosse bewertet. Vgl. z. B. Gunkel, Genesis, 297; Levin, Jahwist, 199; Wahl, Jakobserzählungen, 253; Nauerth, Untersuchungen, 73; Weingärtner, Impertinenz, 94. 71 Vgl. Blum, Komposition, 73 f. 72 Gegen Weingärtner, Impertinenz, 94–97.129, die eine sekundäre völkergeschichtliche Zuspitzung der Linsengerichtserzählung annimmt. Der Ausruf Esaus habe nach Weingärtner der Inszenierung einer Undefinierbarkeit des Linsengerichts gegolten. Das trifft auf der Erzählebene

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Die Episode vom Linsengericht liefert keine hinreichenden Anhaltspunkte für literarkritische Überlegungen und wird daher als einheitlich zu bewerten sein.73 Anders verhält es sich mit ihrer literarhistorischen Position im Kontext. Die Szene setzt vergleichsweise unvermittelt ein und erscheint auch aufgrund ihrer Geschlossenheit eine Sonderstellung im Gesamtzusammenhang einzunehmen. Die genannten Gründe weisen auf eine Fortschreibung hin,74 deren Intention im Folgenden zu erheben sein wird.75

3.1.5.2 Überlieferungsgeschichtliche Verortung Ausgangspunkte für die Überlegungen zur überlieferungsgeschichtlichen Verortung der Linsengerichtsepisode bilden ihre Geschlossenheit, ihre thematische Differenz zur Exposition und nicht zuletzt ihre inhaltliche „Dopplung“ mit Gen 27. Letztgenannter Befund konnte entweder durch Quellenscheidung aufgelöst,76 oder durch die Annahme beantwortet werden, in Gen 25* und Gen 27 lägen ursprünglich zwei voneinander unabhängige Einzelerzählungen vor.77 Neuer­dings wird die Episode vom Linsengericht zunehmend als literarische Bildung erachtet, die bereits in ihrem Kernbestand auf den Kontext hin angelegt ist. Den Segensbetrug Jakobs in Gen 27 durch einen vorherigen Verkauf des Erstgeburtsrechts durch Esau zu relativieren, gilt dabei als ihre kontextbezogene Zielrichtung.78 auch ohne Frage zu, doch ist damit noch nicht die Einschätzung widerlegt, dass die Betonung der Undefinierbarkeit des Gerichts gerade der Identifizierung von Esau und Edom dient. 73 Gegen Levin, Jahwist, 199, der V. 33a und V. 34b für Ergänzungen hält. V. 34b sei durch eine zusätzliche Entlastung Jakobs motiviert. Die These ist denkbar, allerdings nicht literarkritisch verifizierbar. 74 Gegen Blum, Komposition, 79, der den Zusammenhang der Exposition mit der Linsengerichtsszene bis auf die Vv. 19 f.26b und V. 30b für einheitlich hält. Blum, Jacob Tradition, 188, nimmt die Wiederholung nicht zum Anstoß für Literarkritik, sondern wertet sie als „deep structure“. Vgl. auch Carr, Fractures, 257 f.; Ska, Ouverture,16 f. Dagegen Wöhrle, Koexistenz, 310 Anm. 11, der sie berechtigt als „Fremdkörper“ bezeichnet. 75 Siehe das Folgende. 76 Zur Verteilung der Linsengerichtsszene und des Betrugs um den Erstgeburtssegen in Gen 27 auf zwei Quellen vgl. Gunkel, Genesis, 305–314; Schmidt, Jakob, 175–179. 77 Vgl. Blum, Komposition, 87 f., der lediglich für Gen 27 eine kontextuell abhängige Gestaltung in Erwägung zieht, die er allerdings letztlich ausschließt. Vgl. darüber hinaus auch Kessler, Querverweise, 110; Nauerth, Untersuchungen, 68 f.; Willi-Plein, Rebekkageschichte, 317.; Ruppert, Genesis III, 64.81. Ruppert allerdings ohne völkergeschichtliche Ausrichtung im Grundbestand. Ähnlich bereits Wellhausen, Composition, 34, der konstatiert, die beiden Erzählungen seien „blosse Varianten“ gewesen. Weingärtner, Impertinenz, 132, bewertet sie als „relativ eigenständig“, und dem Zusammenhang sekundär zugewachsen. Wie sich Weingärtner die literarhistorischen Prozesse genau vorstellt, bleibt offen. 78 Vgl. Wahl, Jakobserzählungen, 265; Seebass, Vätergeschichte II/2, 274; Levin, Jahwist, 198; Wöhrle, Koexistenz, 310 Anm. 11; Oswald, Staatstheorie, 147; Hensel, Vertauschung, 145. Schmid, Political Theologies, 21, schreibt diese Funktion dem gesamten Abschnitt Gen 25,19–34

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Gegen eine kontextunabhängige Einzelerzählung spricht zunächst die vorausgesetzte Geburtenfolge, die für den Verkauf des Erstgeburtsrechts konstitutiv ist. Da die Reihenfolge in Vv. 29–34 im Gegensatz zu Gen 27 nicht selbständig eingeführt wird, sind die Vv. 29–34 inhaltlich auf die Exposition angewiesen. Ebenso wäre die Gegenüberstellung der beiden Brüder zu Beginn der Linsengerichtsszene ohne deren gegensätzliche Charakterisierung aus Gen 25,27 voraussetzungslos.79 Isoliert betrachtet hätte die Linsengerichtsszene zudem kein ersichtliches Erzählziel, da sie auf Konsequenzen hin angelegt ist.80 Wenn der Verfasser lediglich beabsichtigt hätte, den Namen Esaus etymologisch herzuleiten, wäre die inhaltliche Gegenüberstellung zu Jakob unschlüssig, denn Jakobs Name wird in der Linsengerichtsepisode nicht thematisiert. Gegen eine Kontextunabhängigkeit sprechen letztlich auch die thematischen Beziehungen zu Gen 27. Beide Erzählungen wollen unzweifelhaft Jakob genealogisch etablieren, sodass jener die Familiengenealogie trotz seiner Zweitgeborenenstellung fortführt. Die Linsengerichtsepisode scheint sich dabei um die rechtliche Fundierung des Betruges um den Erstgeburtssegen zu bemühen, mithin erzählerisch auf jenen angewiesen zu sein. Nimmt man die Unterscheidung der Begriffsverwendung ‫ ברכה‬und ‫ בכרה‬ernst, wird gerade nicht vom selben Gegenstand ausgegangen.81 Auf eine literarische Beziehung verweisen auch die erzählerischen Einzelzüge: Jakob ist in beiden Erzählungen der häuslichen Sphäre zugeordnet, Esau befindet sich in beiden Erzählungen außer Haus, auf dem Feld oder bei der Jagd. Folglich wird die überlieferungsgeschichtliche Frage auf eine redaktionsgeschichtliche hin zu verlagern sein. Für die redaktionsgeschichtliche Verortung ist die Unterscheidung zwischen den Topoi ‫ ברכה‬und ‫ בכרה‬von tragender Bedeutung. Eine Differenzierung der Begriffe kann, des Umfanges wegen, erst an späterer Stelle erfolgen. Für das redaktionsgeschichtliche Verhältnis zwischen Gen 25* und Gen 27 ist bereits an dieser Stelle von Relevanz, dass die Linsen­ zu, der Jakobs Herrschaft über Esau sekundär legitimieren solle. Umgekehrt Otto, Art. Jakob, Sp. 353, der Gen 27 als „Midrash zu 25,27–34*“ wertet. 79 Vgl. Ska, Ouverture, 15. 80 Vgl. Wahl, Jakobserzählungen, 263; Taschner, Verheißung, 37. 81 Vgl. Wahl, Jakobserzählungen, 262 f.; Boecker, Isaak, 24: „Nicht immer ist in den Auslegungen der Geschichte deutlich genug erkannt worden, dass das Erstgeburtsrecht und der Segen, von dem in Kap. 27 die Rede ist, zwei verschiedene Dinge sind.“ Vgl. die traditionsgeschichtlichen Erwägungen unter 3.1.5.3 (S. 53 ff.). In diesen Zusammenhang gehört auch die Mahnung von Weingärtner, Impertinenz, 99, bei der Linsengerichtserzählung werde häufig das „volksetymologische Motiv […] als dominierendes Motiv, als Kompositionsmerkmal, so prominent in den Vordergrund gestellt, dass die Entfaltung des Themas, die Diskursivierung, als unwesentlich geachtet wird.“ Durch die völkergeschichtliche Vereinnahmung von Gen 27 und Gen 25,29–34 gerate die Linsengerichtserzählung in den Schatten von Gen 27. Anders als Weingärtner annimmt, muss man sich für eine Berücksichtigung der Eigenart von Gen 25,29–34 aber nicht einer völkergeschichtlichen Lesart der Linsengerichtserzählung entledigen, was kaum möglich ist, sondern es gilt, deren Eigenart und Sinn – über die völkergeschichtliche Dimension hinaus – zu beleuchten.

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gerichtsszene sehr viel weniger stringent in den Zusammenhang eingebettet ist als ihre „Dopplung“ in Gen 27. Der Kontext ist auf die Linsengerichtsepisode nicht angewiesen.82 Die Thematik des Erstgeburtsrechts wird in der Jakoberzählung insgesamt nur noch ein Mal aufgenommen (Gen 27,36a), allerdings unter der Zielstellung, Linsengerichtsepisode und Erstgeburtssegen redaktionell miteinander zu verbinden.83 Die Segensthematik in Gen 27 hingegen hat für den Gesamtzusammenhang der Jakoberzählung sinntragende Funktion und wird durch die Exposition schlüssig und stringent vorbereitet. Literarisch zeichnet sich folglich ab, dass Gen 25,29–34 von Gen 27 abhängig ist. Diesen Zusammenhang gilt es anhand der Darstellungsintention der Linsengerichtsepisode zu verifizieren.

3.1.5.3 Die literarische Funktion der Linsengerichtsszene 3.1.5.3.1 Kulturmythos versus Völkergeschichte Hermann Gunkel war der Auffassung, die Kindheitserzählung über Jakob und Esau (einschließlich der Linsengerichtsepisode) ziele auf die Gegenüberstellung zweier Kulturtypen.84 Der Hirte, repräsentiert durch Jakob, werde dem Jäger gegenüber, repräsentiert durch Esau, als überlegen dargestellt. Der zweimalige Ausruf Esaus „von dem Roten, diesem Roten!“ (V. 30) karikiere aus der Perspektive des Hirten die unüberlegte Gier des Jägers. Der Jäger lebe „von der Hand in den Mund“ und sei weniger vorsorgend als der Hirten-Typus.85 Der an Gier grenzende Hunger des Jägers ist aus Gunkels Perspektive also kaum verwunderlich. Esau werde daher in der „Sage“ als Jäger-Tölpel ausgewiesen, der für ein Essen, das er plump „schlingen“ will (‫)הלעיטני‬, nahezu dümmlich sein Erstgeburtsrecht für ein paar Linsen verkauft, die er zunächst noch nicht einmal als solche erkennt.86 „Die Sage lacht den dummen Esau aus“.87 Jakob hingegen, als Vertreter des Hirten-Typs, sei vorsorgend und wisse sich dementsprechend klug und vorausschauend zu verhalten.88

82 Vgl. Ska, Ouverture, 15. 83 Zur literarkritischen Bewertung von Gen 27,36a siehe 3.2.4, 75ff. 84 Vgl. Gunkel, Genesis, 297 f. Ähnlich auch von Rad, Genesis, 213; Westermann, Genesis I/2, 509; Noth, Überlieferungsgeschichte, 106–108; Golka, Bechorah, 133 ff. Zur Kritik an der Einschätzung von Maag, Jakob, 105, bei dem Erstgeburtsrecht handle es sich um die Übertragung des Rechts des Jägers auf spezifische Jagdgründe, vgl. Syrén, First-Born, 92 f. 85 Gunkel, Genesis, 297. 86 Vgl. Gunkel, Genesis, 297. Anders geht von Rad, Genesis, 212, davon aus, dass Esau das Gericht erkannt hat, es allerdings für eine Blutsuppe gehalten habe. Von Rad versucht auf diese Weise zu erklären, weshalb Esau in Gen 27,36 behaupten kann, er sei zwei Mal von Jakob betrogen worden. 87 Gunkel, Genesis, 299. 88 Vgl. Gunkel, Genesis, 297.

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Im Anschluss an Erhard Blum und Johannes Taschner erweist sich Gunkels kulturtypologische Deutung als nicht haltbar.89 Zu Recht fragt Taschner, weshalb „der Hirte an sich“ ausgerechnet Linsen koche.90 Gerade an der Stelle, an der die beiden Brüder einander gegenübergestellt werden, ist von Jakob als Hirten nichts Charakteristisches erkennbar.91 Diese Schlussfolgerung lässt sich nur von Esaus Jäger-Dasein her (V. 27) künstlich gewinnen, oder auf spekulativen Umwegen über Gen 27. Zuletzt kommt Esau in V. 29 lediglich vom Feld und nicht von der Jagd. Für eine Paradeerzählung über einen bestimmten Kultur-Typus reicht dieser Befund nicht aus. Die Erzählung ist nur insofern typologisch, als dass sie durch die Beschreibung der Lebensweise auf die Charakterisierungen der Protagonisten hin durchsichtig wird.92 Allerdings ließ sich aus den oben aufgezeigten Parallelen zwischen Passagen des Gilgamesch-Epos’ und der Exposition in Gen 25,19–28 durchaus ein literarisches Spiel mit den Größen „Kultur“ und „Natur“ erkennen, das für eine gegensätzliche Charakterisierung der Brüder fruchtbar gemacht worden ist. Eine karikaturistische Darstellung wäre, wenn vorhanden, dann maßgeblich auf die Linsengerichtsepisode konzentriert, die keinerlei Gegensatz zwischen den Zünften „Hirte“ und „Jäger“ erkennen lässt. Sie dient dort unzweifelhaft der Etablierung einer völkergeschichtlichen Hierarchie. 3.1.5.3.2 „Erstgeburtsrecht“ versus (Erstgeburts-)Segen Unverkennbar stehen Gen 27* und Gen 25,29–34 durch die lautmalerische Verwandtschaft der Begriffe ‫( בכרה‬Erstgeburt) und ‫( ברכה‬Segen) in Verbindung. Die beiden voneinander unterschiedenen Terminologien haben ihren gemeinsamen Nenner in der Nachfolgeregelung der Familiengenealogie. Für beide Erzählungen ist die Erstgeburtsstellung Esaus der inhaltliche Ausgangspunkt, aufgrund dessen Esau spezifische Vorzüge zu genießen scheint. In Gen 25* wird der Vorzug des „Erstgeburtsrechts“ (‫ )בכרה‬genannt, in Gen 27* soll ihm der väterliche Segen zuteilwerden. Da die Altersschwäche Isaaks den Segen veranlasst, scheint der Segen ebenfalls die familiäre Nachfolgelinie zu betreffen. Innerhalb des ATs sind verschiedene Vorstellungen mit der Erstgeburtsthematik verbunden, die hier in die Kategorien „theologisch-ideell“ und „juristisch-erbrechtlich“ aufgegliedert werden sollen. 89 Vgl. Blum, Komposition, 74 f.; Taschner, Verheißung, 35 f. So auch Levin, Jahwist, 198: Die Ähnlichkeit mit kulturätiologischen Notizen wie Gen 9,20 und Gen 10,9 seien „nur äußerlich“. Die Eigenschaften seien klar aus Gen 27 übernommen. Esaus Jagd und Jakobs Häuslichkeit beschreibe keine Berufe, sondern seien dramaturgisch notwendig. Zur Kritik neuerdings nochmals Weingärtner, Impertinenz, 97 f. 90 Vgl. Taschner, Verheißung, 35 f. 91 Vgl. Boecker, Isaak, 22 f. 92 Vgl. Blum, Komposition, 75.

Jakobs Streben nach der Erstgeburt 

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Eine theologisch begründete Sonderstellung der Erstgeburt im AT zeichnet sich insbesondere in kultischen Texten ab, in denen jeweils die Erstlinge von Früchten JHWH als Gabe zugedacht werden.93 Jene kultische Bedeutung wird theologisch für die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Israel und seinem Gott aufgegriffen.94 Die theologische Bedeutung der Erstgeburt entspricht ihrer hohen Wertschätzung.95 Auch im familiären Bereich hatte der Erstgeborene eine besondere Ehrenstellung inne, insofern jener die Familiengenealogie fortsetzt.96 Gegenläufig zu diesem nahezu naturrechtlichen Automatismus einer Sonderstellung des Erstgeborenen verlaufen nun die genealogischen Linien der Erzelternerzählung. Dort setzt nicht die Erstgeborenen-, sondern die Verheißungslinie die Hauptlinie fort. Die Bevorzugung des Jüngeren hat dabei wohl nicht den traditionsgeschichtlichen Hintergrund einer Ultimogenitur hinter sich, sondern die Aussagekraft liegt in ihrer erwählungstheologischen Bedeutung.97 Diese wird gerade am Gegenpol zu der ansonsten gängigen Bevorzugung des Erstgeborenen als Erwählung überhaupt erkennbar.98 Dennoch ist die Verheißung genealogisch gebunden. D. h., die Verheißung wird in erblichen Kategorien denkbar und garantiert so, dass durch Erbfolge auch die Verheißung innerhalb der Genealogie Israels gesichert ist, auch wenn sie sich in der Abfolge nicht am gängigen Usus orientiert. Gen 27 steht damit thematisch durch eine spezifische Auffassung von „Segen“ in Verbindung, der – entgegen der konstruierten Erwartung – nun an den jüngeren der Geschwister ergeht. Gleichwohl findet jener dort auf der Grundlage eines Betruges statt und umfasst einen menschlichen Segen, dessen Bestätigung, mithin seine erwählungstheologische Bedeutung, noch aussteht. Aufgrund des Verkaufsaktes in Gen 25,29–34 und dem Begriff ‫בכרה‬, der im AT nur selten belegt ist,99 scheint mit der bevorzugten Stellung des Erstgeborenen die juristische Ebene des Erbrechts angesprochen. Jene ist durch das Verb ‫ מכר‬und die nahezu vertragsrechtliche Aufforderung zum Verkauf markiert. Hinter dem Vorgang des Schwörens ist im vorliegenden Kontext kein theologischer Zusammen-

93 Vgl. Num 3,40–43; Ex 22,29 f.; 23,16; 34,19 f.; 13,1 f. 94 Vgl. Ex 4,22; Jer 31,9. 95 Vgl. Finsterbusch, Opfer, 41. 96 Michel, Art. Erstlinge / Erstgeburt, verweist in diesem Zusammenhang auf die Leviratsehe in Dtn 25,5 f. 97 Vgl. Henninger, Erstgeborenenrecht, 179 f.; Tsevat, Art. ‫בכור‬, Sp. 649. 98 Vgl. insbes. Hensel, Vertauschung. Dass diese Vorstellung vorausgesetzt ist, zeigt sich gerade auch in Texten, in denen sie durchbrochen wird. In Gen 43,33 f. wird die Sitzreihenfolge genannt, die sich an dem „Erstgeborenen“ orientiert. Entgegen der Erwartung seiner Bevorzugung wird nun aber der Jüngste (Benjamin) begünstigt. Weitere Ausnahmen stellen 1 Chr 5,2; 26,10 dar. Vgl. Michel, Art. Erstlinge / Erstgeburt. 99 Der Begriff ist abgesehen von vorliegendem Beleg nur noch in Gen 43,33, Dtn 21,15–17 und 1 Chr 5,12 bezeugt.

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hang verborgen, sondern der Schwur soll das Versprechen verbindlich zeichnen.100 Welche Vorstellung steht hinter der Aufforderung des Verkaufs? Mit der Erstgeborenenstellung ist nicht nur die Fortsetzung der Genealogie, sondern auch ein Vorteil im Erbfall verbunden. Einen einschlägigen Beleg hierfür bietet der in diesem Zusammenhang viel rezipierte Beleg von Dtn 21,15–17. Dort findet der Begriff der ‫ בכרה‬in Verbindung mit der Übertragung von Erbanteilen Verwendung. Innerhalb der alttestamentlichen Belege wird streng genommen lediglich an Dtn 21,15–17 deutlich, dass es sich bei dem Wort ‫ בכרה‬im Unterschied zum Erstgeborenen (‫ )בכור‬überhaupt um einen spezifisch rechtssprachlichen Terminus handelt.101 Die Textstelle ist im Kontext der sozial- und familienrechtlichen Bestimmungen des dtn. Gesetzes verortet, genauer: im darin liegenden Abschnitt über die Bestimmungen zur juristischen Stellung des Sohnes. Dtn 21,15–17 regelt den Fall einer Erbstreitigkeit, in welcher der Vater dem Sohn seiner bevorzugten Ehefrau, vor dem erstgeborenen Sohn seiner „gehassten“ Ehefrau, Erbe austeilen will. Das Gesetz verbietet jene „willkürliche“ Erbregelung des Vaters zugunsten der naturrechtlichen Bevorzugung des Erstgeborenen.102 Darüber hinaus gibt Dtn 21,15–17 Auskunft über die Anteilshöhe, die dem Erstgeborenen zustehen soll. Der Patriarch soll dem Sohn der „gehassten“ Ehefrau zwei Teile von allem austeilen, was bei ihm gefunden wird. Umstritten war und ist noch immer, welchen Anteilswert die ‫ פי ׁשנים‬umfassen. Tsevat übersetzt an dieser Stelle „das Doppelte“, worunter er das Doppelte als jeder jeweilig andere der Brüder versteht.103 Anders versteht Noth den Anteil des Erstgeborenen als zwei Drittel des gesamten Erbteils, was bedeutet, dass sich die übrigen Brüder ein Drittel des Erbes teilen müssen.104 Weitere altorientalische Vergleichstexte scheinen jedoch für die These Tsevats zu sprechen, auch wenn die Höhe des Erbes für den Erstgeborenen in den verschiedenen Texten nicht einheitlich ist.105

Generell ist über die juristische Verwendung des Begriffs ‫ בכרה‬im AT nur wenig bekannt. Ob und inwiefern das Recht des Erstgeborenen existiert hat, ist letztlich nicht gesichert.106 Aufgrund des Mindestmaßes an Übereinstimmungen von Gen 25,29–34 mit Vergleichstexten wird man jedoch davon auszugehen haben, 100 Vgl. Klein, Selbstverpflichtung, 142. 101 Ansonsten ist der Begriff ‫ בכרה‬im AT nie mit ‫משפט‬ erwähnt. Die Differenzierung zwischen dem Erstgeburtsrecht und der Stellung des Erstgeborenen erscheint mir bei Weingärtner, Impertinenz, 244 f., unterrepräsentiert. 102 Vgl. Otto, Deuteronomium, 1653; Taschner, Verheißung, 32. Wie Taschner, Verheißung, 32 Anm. 58, bereits sah, hat Tsevat die Stelle wohl missverstanden, wenn er meint, besagte Stelle bewillige dem Vater die Austeilung des Erbes an einen beliebigen Sohn. 103 Vgl. Tsevat, Art. ‫בכור‬, Sp. 648. 104 Vgl. Noth, Ursprünge, 19 f. 105 Vgl. Mendelsohn, Status, 39. 106 Vgl. Hiers, Transfer, 142 f. 155.

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dass im Hintergrund des Textes eine Kenntnis des Erbrechts, zumindest in der Form einer Übertragung von Erbanteilen, vorhanden ist. Darüber hinaus legt auch Gen 25,29–34 aufgrund des Verkaufsaktes einen materiellen Wert nahe. Die Möglichkeit der Übertragung von Erbanteilen, allerdings durch den Vater, ist darüber hinaus auf den Tafeln von Nuzi belegt.107 Der Codex Hammurabi kennt keine Bevorzugung des Erstgeborenen, allerdings besteht für den Erblasser die Möglichkeit, einem Lieblingssohn einen weiteren Erbteil zuzuerkennen.108 Die altorientalischen Vergleichstexte erweisen sich darin als von Dtn 21,15–17 unterschieden.

Ein Verkauf des Erstgeburtsrechts noch zu Lebzeiten des Vaters über die Autorität des Vaters hinweg, und noch bevor das Erbe an den Erbberechtigten übergegangen ist, wirkt reichlich konstruiert, bei allen Anknüpfungspunkten an historisch verifizierbares Recht. Die Linsengerichtsepisode hat offensichtlich reale Rechtsbestände vor Augen, setzt jene jedoch aufgrund ihres literarischen Interesses verfremdet ein, sodass keine Rückschlüsse auf ein historisches Recht daraus zu gewinnen sind.109 In Gen 25,29–34 wird insofern kein Rechtstopos realhistorisch abgebildet. Dennoch wird er in der hier konstruierten Gegenerzählung zu Gen 27 verwendet, um dem Betrug um den Segen eine vorab freiwillig geschlossene rechtliche Grundlage zu bereiten. Obwohl das juristische Erstgeburtsrecht in seiner Profanität und der Erstgeburtssegen in seiner ursprünglich theologischen Bedeutung zwei voneinander unterschiedene Vorstellungskomplexe bedienen,110 wird die juristische, die für die Jakoberzählung zugleich die unwichtigere der beiden Kategorien ist, in den Vordergrund gestellt. Welche Absicht steht hinter diesem Eingriff?

107 Vgl. TUAT.NF 1, 62 f. Die in einem Privathaus in Nuzi aufgefundene Tafel bezeugt die Nachlassregelung eines Erblassers vor Versterben bezüglich seiner Ehefrau und seinen Kindern. In Z. 13–17 wird dem ältesten Sohn sämtlicher Besitz zugesprochen, von dem der offenbar jüngere Sohn einen Anteil erhalten soll. 108 Vgl. CH § 165. Vgl. Otto, Deuteronomium, 1654; Henninger, Erstgeborenenrecht, 171; Utzschneider, Patrilinearität, 69. 109 Gegen Michel, Art. Erstlinge / Erstgeburt, der diesen Aspekt vorsichtig in Erwägung zieht. Vgl. Rüterswörden, Gesetz, 65, der zur Leviratsehe im Rutbuch bemerkt: „Prinzipiell ist festzustellen, dass erzählende Texte beinahe nie mit Rechtstexten völlig konform gehen. In der Hebräischen Bibel sind zudem Beispielerzählungen zum Recht fast immer halachischer Natur. Das heißt, dass derlei Erzählungen sogar die Intention haben, die Rechtsregelungen an spezifische Situationen anzupassen und dafür adäquat anzuwenden.“ Zum Verhältnis von Gesetz und Erzählung vgl. auch Hengstl, Rechtliche Anliegen, 149. 110 Diese Unterscheidung scheint mir bei Hensel, Vertauschung, 140, nicht trennscharf gezogen. Hensel verwendet hier den Begriff „Erstling“, möchte allerdings mit der Begriffsverwendung verdeutlichen, dass es sich dabei um mehr als nur den biologisch Erstgeborenen handelt (vgl. a. a. O., 42). Nun erweist sich jedoch gerade der Verkauf des Erstgeburtsrechts als rein profaner Akt und zeichnet sich gerade durch die fehlende erwählungstheologische Dimension aus.

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Zunächst dreht Gen 25,29–34 die Anspruchsverhältnisse auf den Segen in Gen 27* vordergründig um, wenn auch künstlich. Esaus Anrecht auf den Segen erscheint vor dem Hintergrund des rechtlichen Verkaufs zumindest fragwürdig. Von der kritischen Anfrage an die Rechtmäßigkeit des Anspruches ist weniger Isaak betroffen, der darüber nicht in Kenntnis gesetzt ist, als vielmehr Esau selbst. Diese Leserichtung sichert der Verfasser der Linsengerichtsszene vorbereitend durch die Notiz ab, Esau habe sein Erstgeburtsrecht missachtet / gering­geschätzt.111 Auf übergeordneter Ebene wird so das betrügerische Vorgehen Jakobs und Rebekkas in Gen 27 entschieden relativiert. Gleichzeitig bringt die Linsengerichtsszene durch den Verkaufsakt das Thema der Besitzverhältnisse zwischen Esau und Jakob ein, die in Gen 27 nur entfernt angespielt und erst wieder in den Schlusskapiteln der Jakoberzählung (Gen 32–33.35) thematisiert werden.

3.2 Jakobs Betrug um den Segen – Analyse von Gen 27,1–45 3.2.1 Kommentierte Übersetzung112 Und es geschah als Isaak alt geworden war und seine Augen trübe113 vom Sehen, da rief er Esau, seinen älteren Sohn, und sprach zu ihm: „Mein Sohn“ und er sprach zu ihm: „Hier bin ich“. 2Und er sprach: „Siehe nur, ich bin alt; ich kenne den Tag meines Todes nicht. 3Und nun nimm nur deine Geräte, deinen Köcher114 und deinen Bogen, und gehe hinaus aufs Feld und jage für mich ein 1

111 1 Chr 5,1–2 verbindet in einer spezifischen Interpretation von Gen 48–49 die Entziehung des „Erstgeburtsrechts“ Rubens und die Übertragung auf die Söhne Josefs mit dessen Vergehen gegen seinen Vater. 1 Chr 5 verwendet folglich ebenso eine Argumentationslinie, die bei der Übertragung des Erbrechts über die „Würde“ des Nachfolgers verläuft. Vgl. ausführlich Ederer, Erstgeburtsrecht. 112 Legende zu den in der Übersetzung angezeigten Bearbeitungsschichten: recte = Grundbestand; kursiv = Edom-Erweiterung aus dem 7. Jh.; unterstrichen = Haran-Erweiterung aus dem 7. Jh.; fettgedruckt = universal-völkergeschichtlich bedingte Erweiterung der Segensworte aus exilisch / nachexilischer Zeit. 113 Gemeint ist wohl der graue Star. Um die anatomischen Gegebenheiten sprachlich treffend abzubilden, wurde hier „trübe“ für die Übersetzung von ‫ כהה‬gewählt. Andere Ausleger übersetzen gemäß dem Vorschlag von Gesenius, Wörterbuch, 529, mit „waren erloschen“. So Seebass, Vätergeschichte II/2, 293; Ruppert, Genesis III, 129; Westermann, Genesis I/2, 525; Boecker, Isaak, 41. 114 ‫ תלי‬ist Hapaxlegomenon und bedeutet wörtlich wohl „Gehänge“, worauf die etymologische Abhängigkeit vom Verb ‫( תלה‬aufhängen, behängen) verweist. Vgl. Gesenius, Wörterbuch, 1440; Westermann, Genesis I/2, 528; Buber / Rosenzweig, Schrift („Gehäng“). Die Textzeugen sind sich uneinig, um welches Gerät es sich handelt. Die Kombination mit ‫ קשׁת‬legt die Bedeutung „Köcher“ nahe. Im Sinne von „Köcher“ wohl auch G. S und TO übersetzen interpretierend mit „dein Schwert“ und greifen so Gen 27,40 auf. Vgl. zur Diskussion Tal, Genesis, 144*.

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Wild115. 4Und bereite für mich Leckerbissen116 zu wie ich (es) liebe und bringe [sie] zu mir und ich will essen, damit ich dich segne, bevor ich sterbe.“ 5Und Rebekka hatte mitgehört als Isaak zu seinem Sohn Esau redete. Esau aber ging aufs Feld, um ein Wild zu jagen, um es zu bringen. 6 Und Rebekka sprach zu ihrem Sohn Jakob folgendermaßen: „Siehe, ich habe deinen Vater gehört, als er zu deinem Bruder Esau folgendermaßen geredet hat: 7 ‚Bringe mir Wild und bereite mir Leckerbissen zu und ich will essen, und ich will dich segnen vor JHWH, vor meinem Tod.‘ 8Und nun, mein Sohn, höre auf mich für das, was ich dir anordne117: 9Gehe nur zum Kleinvieh und nimm für mich von dort zwei gute Ziegenböckchen und ich will sie als Leckerbissen für deinen Vater zubereiten, wie er es liebt. 10Dann sollst du (sie) zu deinem Vater bringen, und er essen, damit er dich vor seinem Tod segne.“ 11Und Jakob sprach zu seiner Mutter Rebekka: „Siehe, mein Bruder Esau ist ein behaarter Mann und ich bin ein glatter Mann. 12Vielleicht wird mich mein Vater betasten und ich wäre in seinen Augen wie einer, der spottet und ich würde Fluch über mich bringen118, nicht Segen.“ 13 Und seine Mutter sprach zu ihm: „Über mich komme dein Fluch, mein Sohn! Höre doch auf mich und gehe, hole (es) mir.“ 14Und er ging, nahm (es) und brachte es seiner Mutter. Und seine Mutter bereitete Leckerbissen zu, wie es sein Vater liebte. 15Dann nahm Rebekka die kostbaren Gewänder ihres älteren Sohnes Esau, die bei ihr im Haus (waren), und sie zog sie ihrem jüngeren Sohn Jakob an. 16Und die Felle der Ziegenböcklein zog sie über seine Hände und über die Glätte seines Nackens119. 17Dann gab sie die Leckerbissen und das Brot, das sie zubereitet hatte, in die Hand ihres Sohnes Jakob. 18 Und er ging zu seinem Vater und sprach: „Mein Vater!“ und er sprach: „Hier bin ich! Wer bist du, mein Sohn?“ 19 Und Jakob sprach zu seinem Vater: „Ich bin Esau, dein Erstgeborener, ich habe getan, wie du zu mir geredet hast. Richte dich nur auf, setze dich und iss von meinem Wildbret, damit du mich segnest.“ 20Und Isaak sprach zu seinem Sohn: „Wie hast du (es) so schnell gefunden, mein Sohn?“

115 Nach Qere, hier ‫ ציד‬gelesen. Bei ‫ צידה‬könnte es sich um die Femininform handeln, die hier als nomen unitatis verwendet wird. Vgl. Tal, Genesis, 145*. 116 Nur noch bezeugt in Prov 23,3.6. Dort geht die Bedeutung ebenfalls über die reine Sättigungsspeise hinaus. 117 ‫ זוה‬ist in der Genesis ausschließlich an dieser Stelle mit einer Frau in Verbindung gebracht. Außerhalb der Genesis als Anordnung einer Frau nur noch in Rut 3,6; Est 4,5.10.17. Vgl. López, Art. ‫זוה‬, Sp. 938. 118 Smr und S nehmen an dieser Stelle eine inhaltliche Korrektur vor, indem sie Rebekka zum Subjekt erheben und mit „du wirst auf mich bringen“ übersetzen. Darin deutet sich eine Tendenz an, die auch auf der Ebene der Literarkritik deutlich wird. Jene liegt darin begründet, Jakob nachträglich zu entlasten. 119 ‫ צואר‬ist an dieser Stelle im Plural bezeugt, was ungewöhnlich, aber noch häufiger belegt ist (z. B. Gen 45,14; Gen 346,29). Smr, G, S und T glätten zur gewöhnlicheren Singularform.

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Und er sprach: „weil JHWH, dein Gott, es vor mir geschehen hat lassen120.“ 21Isaak aber sprach zu Jakob: „Tritt nur heran und ich will dich betasten, mein Sohn, ob du mein Sohn Esau bist, oder nicht.“ 22Und Jakob trat heran zu seinem Vater Isaak, und er betastete ihn und er sprach: „Die Stimme ist die Stimme Jakobs, aber die Hände sind die Hände Esaus.“ 23Und er erkannte ihn nicht, denn es waren seine Hände behaart wie die Hände seines Bruders Esau, und er segnete ihn: 24Und er sprach: „Bist du es, mein Sohn Esau?“ Und er sprach: „Ich bin es.“ 25Und er sprach: „Reiche mir an und ich will vom Wildbret meines Sohnes essen, damit ich dich segne.“ Und er reichte es ihm und er aß und er brachte ihm Wein und er trank. 26 Und es sprach sein Vater Isaak zu ihm: „Tritt nur heran und küsse mich, mein Sohn.“ 27Und er trat heran, küsste ihn, und er roch den Geruch seiner Gewänder und er segnete ihn. Und er sprach: „Siehe, der Geruch meines Sohnes ist wie der Geruch eines Feldes121, womit ihn JHWH gesegnet hat. 28Und Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Fülle an Korn und Most. 29 Sippen mögen dir dienen und sich vor dir Nationen122 beugen. Sei Herr über deine Brüder! Beugen sollen sich vor dir die Söhne deiner Mutter. Die dir fluchen, (seien) verflucht! Und die dich segnen, (seien) gesegnet!123“ 30 Und es geschah, als Isaak beendet hatte, Jakob zu segnen, da geschah es tatsächlich, dass soeben, als Jakob von dem Angesicht seines Vaters Isaak hinweggegangen war, sein Bruder von seiner Jagd kam. 31Und auch er bereitete Leckerbissen zu und brachte sie seinem Vater. Und er sprach zu seinem Vater: „Mein Vater möge sich aufrichten, und essen vom Wildbret seines Sohnes, damit du mich segnest.“ 32 Und sein Vater Isaak sprach zu ihm: „Wer bist du?“ Und er sprach: „Ich bin dein Sohn, dein Erstgeborener, Esau.“ 33Und Isaak erschrak vor großem Entsetzen bis aufs Äußerste. Und er sprach: „Wer war also er, der ein Wildbret jagte und mir brachte und ich von allem aß, bevor du kamst und ich ihn segnete? Der wird tatsächlich124 gesegnet bleiben.“ 34Als Esau die Worte seines Vaters hörte, erhob er ein großes und bitteres Geschrei bis aufs Äußerste und er sprach zu seinem Vater: „Segne mich, auch mich, mein Vater.“ 35Und er sprach: „Dein Bruder kam mit

120 Vgl. zu dieser Übersetzung Klein, Leseprozess, 105. Ähnlich unbestimmt auch Buber / Rosenzweig, Schrift: „hats mir gefügt“. Anders etwa Westermann, Genesis I/2, 527: „hat es mir begegnen lassen“. 121 Smr, G und VMss ergänzen ‫ מלא‬mit der Absicht, das Feld als volles Feld näher zu bestimmen. 122 Die G ersetzt eines der synonymen Worte (‫ )אמים‬durch ἄρχοντες (Fürst, Herrscher), der Bildsprache wegen. Vgl. auch Tal, Genesis, 146*. 123 Die Textzeugen vereinheitlichen hier entweder zum Singular (G, V, TN) oder zum Plural (S, TO) aufgrund der Diskontinuität zwischen Plural und Singular beim Subjekt und Verb in M. Aufgrund der universalen Aussage ist in der Übersetzung der Plural wiedergegeben. 124 Fokkelman, Art, 99, merkt hier richtig an, dass die englische Übersetzung von ‫ גם‬mit „indeed“ die Bedeutung wohl am besten trifft.

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Hinterlist und nahm deinen Segen.“ 36Und er sprach:125 „Deshalb nannte man ihn Jakob, weil er mich diese Male betrog? Mein Erstgeburtsrecht nahm er und siehe, nun nahm er meinen Segen.“ Und er sprach: „Hast du nicht einen Segen für mich übriggelassen?“ 37Und Isaak entgegnete und sprach zu Esau: „Siehe126 (als) Herr setzte ich ihn über dich und alle seine Brüder habe ich ihm zu Dienern gegeben und mit Korn und Most ihn ausgestattet. Und was soll ich für dich dann noch tun, mein Sohn?“ 38Und Esau sprach zu seinem Vater: „Hast du nur einen Segen, mein Vater? Segne mich, auch mich, mein Vater!“ Und Esau erhob seine Stimme und weinte. 39Und sein Vater Isaak antwortete und sprach zu ihm: „Siehe, vom Fett der Erde weg wird deine Wohnung sein und weg vom Tau des Himmels von oben. 40 Und von deinem Schwert wirst du leben und deinem Bruder sollst du dienen und es wird geschehen, sobald du umherschweifst127, wirst du sein Joch auf deinem Nacken abschütteln.“ 41 Und Esau feindete Jakob an wegen des Segens, mit dem sein Vater ihn gesegnet hatte. Und Esau sprach bei sich: „Es werden sich nähern die Tage der Trauer um meinen Vater, dann will ich meinen Bruder Jakob töten.“ 42Und es wurden Rebekka die Worte ihres älteren Sohnes Esau mitgeteilt. Und sie sandte aus und rief ihren jüngeren Sohn Jakob, und sie sprach zu ihm: „Siehe, dein Bruder Esau ist im Begriff sich an dir zu rächen, indem er dich töten will. 43Und nun mein Sohn, höre auf mich und mache dich auf, flüchte dich zu meinem Bruder Laban nach Haran. 44Und wohne bei ihm einige Tage, bis sich die Glut deines Bruders gelegt hat; 45bis sich der Zorn deines Bruders128 von dir abgewendet hat und er vergessen hat, was du ihm getan hast, und ich will (aus-)senden und dich von dort wegholen lassen. Warum soll ich euch alle beider an einem Tag beraubt werden?“

125 Die fehlende Anzeige des Subjektwechsels ist an dieser Stelle auffallend, wie sich auch an dem Versuch der Textzeugen G, S und V erkennen lässt, dieses Problem durch Ergänzung zu beheben. 126 G versteht V. 37 als Konditionalsatz: Εἰ κύριον αὐτὸν ἐποίησά σου καὶ πάντας τοὺς ἀδελφοὺς αὐτοῦ ἐποίησα αὐτοῦ οἰκέτας, σίτῳ καὶ οἴνῳ ἐστήρισα αὐτόν, σοὶ δὲ τί ποιήσω, τέκνον (Wenn ich ihn zum Herrn über dich gemacht habe, dann habe ich alle seine Brüder zu Haussklaven gemacht, …). 127 Die Herkunft des Wortes von der Wurzel ‫ רוד‬im Hif. ist ungesichert. Vgl. Tal, Genesis, 147*. ‫ רוד‬ist darüber hinaus in Hos 12,1 (schwanken), Jer 2,31 und Ps 55,3 (umherirren) bezeugt. Im Anschluss an Gunkel, Genesis, 314, mehrheitlich übersetzt im Sinne von „losreißen“, vgl. Westermann, Genesis I/2, 528 f.; Ruppert, Genesis III, 131; Boecker, Isaak, 43. Anders Seebass, Vätergeschichte II/2, 295 f. („wenn du dich ausweitest“). 128 Aufgrund der Dopplung zu V. 44 harmonisiert G an dieser Stelle nachträglich: ἕως τοῦ ἀποστρέψαι τὸν θυμὸν καὶ τὴν ὀργὴν τοῦ ἀδελφοῦ σου ἀπὸ σοῦ (bis sich Zorn und Hitzigkeit deines Bruders von dir abgewendet haben). Vgl. Westermann, Genesis I/2, 529; Blum, Kom­ position, 81.

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Die Eingangskapitel der Jakoberzählung 

3.2.2 Textabgrenzung Gen 27,1 zeigt mit ‫ ויהי‬den Beginn eines neuen Erzählfadens an.129 Das Kapitel greift auf die Figurenkonstellation von Gen 25,19–34 zurück und knüpft insofern über Gen 26 hinweg an Gen 25,19–34* an. Isaaks Altersschwäche (Gen 27,1) ist Ausgangspunkt der Erzählung und setzt eine längere Zeitspanne zwischen Gen 25,19–34 und Gen 27 voraus. Auf der Endtextebene wird diese lange Dauer mittels zweier Isaakerzählungen ausgestaltet (Gen 26,1–11; 26,12–33),130 die neben Gen 24 als einzige Darstellungen gelten können, die im engeren Sinne der Erzväterfigur Isaak zufallen. Gen 26 unterbricht den Zusammenhang von Gen 25–27 durch den Ortswechsel und die veränderte Zusammensetzung der Handlungsträger. Neben der fehlenden Erwähnung der Kinder Isaaks und Rebekkas erscheint eine Gefährdungserzählung unter der Voraussetzung der Mutterschaft Rebekkas nicht plausibel. Gen 26,34 f. ist zwar punktuell mit Gen 25,19–34 verbunden, indem das Heiratsalter Esaus dem Isaaks entspricht, erweist sich allerdings dadurch als kleinräumige Zwischenzäsur, die gemeinhin P zugerechnet wird.131 Da Gen 27 ortsungebunden ist, fügt sich das Kapitel auf der Endtextebene stimmig in die rahmende Beerscheba-Verortung (Gen 28,10; 26,33) ein. Die Textabgrenzung nach hinten erschließt sich durch einen Themenwechsel, der in Gen 27,46 seinen Anfang nimmt und bis Gen 28,9 reicht. Die für die Erzelternerzählungen vergleichsweise ausführliche P-Passage befasst sich mit der Heiratspraxis der Isaak-Söhne Esau und Jakob und greift insofern auf Gen 26,33 f. zurück. Daraus ergibt sich gleichsam eine rahmende Funktion der P-Verse für Gen 27,1–45. Während Gen 27,1–45 die Reise Jakobs zu Laban mit einer notwendigen Flucht begründet, führt P jene auf den Wunsch der Eltern nach einer endogamen Ehe Jakobs zurück.132 Die Veränderung der interszenischen Personenkonstellation wird in Gen 27 stets durch eine explizite Erwähnung des Kommens und Verlassens der Protagonisten bewerkstelligt. Dieses Prinzip verlässt Gen 27,46–28,9.133

129 Vgl. Wahl, Jakobserzählung, 256. 130 Vgl. zu dieser kompositorischen Funktion Blum, Jacob Tradition, 181. Die Annahme von Klein, Jakob, 38, Gen 26 erfülle im vorliegenden Zusammenhang die Funktion, Esaus Verhalten in der Linsengerichtsepisode aufgrund der in Gen 26 geschilderten Hungersnot abzumildern, übersteigt den Text hingegen sowohl synchron als auch diachron. 131 Vgl. insbes. Wöhrle, Fremdlinge, 74 und Anm. 12, zur betreffenden Forschungsliteratur. 132 Die genannten Differenzen sprechen auch auf synchroner Ebene dagegen, die priesterlichen Verse noch zum genannten Abschnitt hinzuzuziehen. So etwa Fokkelman Art, 98; Hensel, Vertauschung, 147; Seebass, Vätergeschichte II/2, 296 f. M. E. ergeben sich ebenso wenige Anhaltspunkte für eine Abschnittsgrenze nach V. 40. So Wahl, Jakobserzählung, 256, dessen Bewertung der Vv. 41–45 als „Brückentext“ redaktionsgeschichtlichen Erwägungen entstammen. 133 Vgl. Eising, Untersuchung, 45.

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Jakobs Betrug um den Segen 

3.2.3 Aufbau und Gliederung Das bemerkenswert umfangreiche Kap. 27 ist szenisch strukturiert und wird durch die Interaktion der Kernfamilie Isaaks bestimmt. Mit dem Wechsel der Personenkonstellationen ist das zentrale Gliederungskriterium angezeigt:134 Thematische Gliederung

Konfliktparteien135

1–5

Auftrag Isaaks an Esau den Segen vorzubereiten

Isaak und Esau

6–17

Auftrag Rebekkas an Jakob den Segen vorzubereiten Jakobs Sorge und Rebekkas Eingreifen

Rebekka und Jakob

18–29

Jakobs Gang zum Vater und Segnung Jakobs

Isaak und Jakob

30–40

Esaus Rückkehr zum Vater und Gegensegnung Esaus Isaak und Esau

41–45

Esaus Wut und Rebekkas Eingreifen

Rebekka und Jakob

Da die Gliederung vergleichsweise eindeutig ausfällt, soll im Folgenden ein Schwerpunkt auf die Strukturelemente des Abschnittes gelegt werden. Jene erhellen die hohe Kohäsion und Kohärenz des Textes. In Gen 27 treten ausschließlich je zwei Protagonisten gleichzeitig in Aktion. Rebekka und Esau nehmen im Szenenverlauf die Rolle der Nebenfiguren ein, während Isaak und Jakob als Hauptfiguren agieren. Die Interaktion zwischen Isaak und Jakob in Vv. 18–29 bildet das formale und inhaltliche Zentrum der Gesamterzählung. Die familiären Lager (Rebekka-Jakob; Isaak-Esau) kennzeichnen die Konfliktkonstellation, die mittels der Exposition aus Gen 25,19–28 vorbereitet wird. Isaak will seinen Segen an Esau weitergeben, Rebekka will Jakob protegieren. Die Konflikteskalation wird durch eine gegenpolartige Darstellung der Zwillingsbrüder sukzessive vorbereitet. Diese betrifft deren gegensätzliches Erscheinungsbild (V. 11b; V. 22b) ebenso wie deren gegensätzlichen Segen (Vv. 28 f.; Vv. 39 f.). Nicht zuletzt sind Jakobs und Esaus jeweiliges Herantreten an den Vater kunstvoll als Gegenpole gestaltet (V. 18 f.; V. 31 f.):136

134 Vgl. Eising, Untersuchung, 45; Fokkelman, Art, 98; Klein, Leseprozess, 119; Hensel, Vertauschung, 147; Nauerth, Untersuchungen, 23; Graupner, Elohist, 222; Boecker, Isaak, 1, 45. Anders Willi-Plein, Genesis, 177 f., die Abschnittsgrenzen auf der Basis der Syntax erheben will, dies jedoch m. E. bei einem Einschnitt zwischen V. 4 und 5/6 (?) nicht durchhält. Westermann, Genesis I/2, 529, orientiert sich an thematischen Gesichtspunkten und gelangt so zu einer großflächigeren Dreiteilung (Vv. 1–29; 30–40; 41–45); Otto, Sichem, 29, zu einer Zweiteilung (Vv. 1–29*; 30–45*). 135 Zur Herausarbeitung der Konfliktparteien vgl. Taschner, Verheißung, 37. 136 Vgl. zu dieser Beobachtung auch Blum, Komposition, 81 f.; Hensel, Vertauschung, 149.

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Die Eingangskapitel der Jakoberzählung 

Vv. 18–19 (Jakob)

Vv. 31–32 (Esau)

‫אָבי‬ ֖ ִ ‫וַ יָּ ֹ֥בא ֶאל־‬ ֑ ִ ‫אמר‬ ֶ ‫אָביו וַ ֣ ֹיּ‬ ‫אַתּה ְבּ ִנֽי׃‬ ֖ ָ ‫אמר ִה ֶנּ֔נִּ י ִ ֥מי‬ ֶ ‫וַ ֣ ֹיּ‬

Segens­ aufforderung

Antwort

‫אָביו אָנ ִֹכ ֙י‬ ִ֗ ‫אמר יַ ֲע ֹ֜קב ֶאל־‬ ֶ ‫וַ ֨ ֹיּ‬ ‫שׂו ְבּכ ֶ ֹ֔רָך‬ ֣ ָ ‫ֵע‬

Frage nach der Identität

Segens­ aufforderung

‫שׁר ִדּ ַ ֖בּ ְר ָתּ ֵא ָל֑י ֽקוּם־ ָנ֣א‬ ֥ ֶ ‫כַּ ֲא‬ ‫ידי ַבּ ֲע ֖בוּר‬ ֔ ִ ‫אָכ ָלה֙ ִמ ֵצּ‬ ְ ְ‫ְשׁ ָ ֗בה ו‬ ‫שָׁך׃‬ ֽ ֶ ‫ְתּ ָב ֲר ַכ֥נִּ י נַ ְפ‬

Antwort

Frage nach der Identität

‫וַ ַיּ ַ֤עשׂ גַּ ם־הוּא֙ ַמ ְט ַע ִ ֔מּים וַ יָּ ֵ ֖בא‬ ‫אָביו יָ ֻק֤ם אָ‬ ִ֗ ְ‫אמר ל‬ ֑ ִ ְ‫ל‬ ֶ ‫אָביו וַ ֣ ֹיּ‬ ַ ‫ִב ֙י וְ י‬ ‫ֹאכל ֙ ִמ ֵ ֣צּיד ְבּנֹ֔ו ַבּ ֲע ֖בוּר‬ ‫שָׁך׃‬ ֽ ֶ ‫ְתּ ָב ֲר ַכ֥נִּ י נַ ְפ‬ ‫אָביו‬ ֖ ִ ‫ִיצ ָ ֥חק‬ ְ ‫אמר ל֛ ֹו‬ ֶ ‫וַ ֥ ֹיּ‬ ‫ִמי־אָ֑ ָתּה‬ ‫שׂו׃‬ ֽ ָ ‫֕אמר ֲא ִנ֛י ִבּנְ ָך֥ ְב ֹֽכ ְר ָ֖ך ֵע‬ ֶ ‫וַ ֹיּ‬

Neben den strukturellen Entsprechungen wird ausschließlich an diesen beiden Stellen der Begriff für den umkämpften, und mit Privilegien verbundenen Status des Erstgeborenen (‫ )בכור‬genannt. Da der Begriff ausschließlich in Figurenrede erscheint, zeichnet sich darin eine bewusste Enthaltung gegenüber einem objektiven Urteil ab. Der Erzähler beschränkt sich auf die Bezeichnungen ‫הקטן‬ und ‫הגדל‬.137 Gen 27 fördert eine hohe Dichte an Imperativen und Kohortativen zutage. Besonders deutlich treten diese innerhalb der Reden Isaaks (Vv. 3–4) und Rebekkas (Vv. 8–9.13) in kettenartiger Reihung auf. Beide Reden sind stilistisch aufeinander abgestimmt, wofür die eröffnende Aufmerksamkeitspartikel ‫( ועתה‬Vv. 3.8) und die Verwendung des Kohortativs in V. 4 und V. 9 wegweisend sind. Den Imperativen folgen an mehreren Stellen unmittelbar Ketten von Impf. cons., die bereits auf der Textoberfläche eine Logik von Anweisung und Befolgung anzeigen. Beide Brüder leisten insofern primär den elterlichen Interessen Folge, was ihre Handlungsfreiheit und insofern ihre jeweilige Verantwortung für das Handlungsgeschehen schmälert. Im Falle Jakobs dienen demselben Ziel die ausladend beschriebenen Vorbereitungen, die Rebekka für die Segnung ihres Sohnes trifft (Vv. 14b–17). Diese Schwerpunktsetzung generiert beim Leser nachdrücklich ein infantiles Bild von Jakob, was durch die Näherbezeichnung der Brüder mit ‫ הקטן‬und ‫ הגדל‬noch unterstrichen wird. Insgesamt lässt sich eine betonte Passivität Jakobs in den Rebekka-Passagen feststellen, die auch im Zusammenhang von Jakobs Einwand und dessen erfolgreicher Beschwichtigung durch Rebekka greifbar wird.138 Obwohl insofern der Vorschlag nicht verwundert, Gen 27 als „Rebekkageschichte“ zu verstehen,139 steht Jakob zweifelsohne im Vordergrund des Geschehens. Die formelhafte Beschaffenheit der Anweisungen zur Segensvorbereitung: (a) Jagen eines Wilds; b) Vorbereitung feiner Speisen; c) bringen; d) essen; e) Se 137 Vgl. Taschner, Verheißung, 48; Blum, Komposition, 85; Jacob, Genesis, 560. 138 Vgl. z. B. Eising, Untersuchung, 46. 139 So Willi-Plein, Rebekkageschichte. Mit ähnlichen Erwägungen zuvor bereits Eising, Untersuchung, 46 f.

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gen; f) Zeitangabe), stellt ein festes Textelement von Gen 27 dar, das in mehreren Abschnitten refrainartig wiederholt wird.140 Den Reigen eröffnen die Vv. 3–4 in Form einer Anweisung Isaaks an Esau. Der Auftrag wird im zweiten Abschnitt zweifach aufgenommen: Zunächst in einer Wiederholung der Anweisung durch Rebekka (Vv. 6–7), sodann als eigene Aufforderung Rebekkas an Jakob (Vv. 8–10). In verkürzter Form tritt jener Refrain darüber hinaus in Vv. 18–19 in einer Jakob-Rede und in Vv. 31–32 in einer Esau-Rede bei ihrem jeweiligen Herantreten an den Vater auf. Abschließend erscheint die Wendung in Zusammenhang mit Isaak (V. 33). Die formelhafte Vorbereitung des Segens wird insofern mit jedem Protagonisten einmal verbunden. Dabei fällt auf, dass Rebekka die Aufforderung Isaaks nicht wörtlich wiedergibt, sondern in einigen Punkten davon abweicht. Die eigentümlich formulierte Segensabsicht aus V. 4 (‫ )בעבור תברכך נפשׁי‬wird von Rebekka konstant nur verkürzt wiedergegeben (‫ואברכך‬, V. 7; vgl. auch V. 10). Zudem wird der bevorstehende Todeszeitpunkt nicht mit ‫ בטרם‬eingeführt (V. 4), sondern mit ‫לפני‬, und zuletzt um die Autorität JHWHs erweitert (‫לפני יהוה‬, V. 7; vgl. auch V. 10). Da die Segensformulierung ansonsten konstant mit der ‫נפשׁ‬-Formulierung in Verbindung steht (so auch V. 19; (V. 25;) V. 31), ist einem möglichen konzeptionellen Unterschied an späterer Stelle nachzugehen. Die formelhaft wiederholten Segensvorbereitungen werden im eigentlichen Segensakt in Vv. 24–29 konsequent aufgenommen, motivisch jedoch weiter angereichert (Frage nach der Identität; Weingenuss; Kuss; Geruch). Die Vv. 18–40 bilden das Zentrum und gleichsam den Spannungshöhepunkt der Erzählung. Kleinschrittig beschreiben die Vv. 18–29 zunächst, wie Jakob an Isaak herantritt und gesegnet wird. In diesem Zusammenhang muten die Erzählerkommentare in V. 23 und V. 27a seltsam an, die vordergründig jeweils einen Segensabschluss suggerieren, obwohl der Segen im Anschluss fortgeführt wird. Bezieht man die Positionierung der Notizen ein, lässt sich allerdings ihre strukturierende Funktion für den Abschnitt kaum verkennen, der insgesamt als Segensprozess zu bestimmen ist.141 So schließt V. 23 die Nachforschungen Isaaks ab und verweist proleptisch auf den bevorstehenden Segen.142 V. 27a indes trennt den Prozess der Handlungen (Versicherung über die Identität, Mahl, Kuss) von dem eigentlichen Aussprechen der Segensworte in Vv. 28–29 ab. So wird eine drei­fache Erwähnung des Leitwortes ‫ ברך‬am Eingang (V. 23), in der Mitte (V. 27), und am Ende des Segensprozesses (V. 29) ersichtlich. Im Zuge der Handlungsschritte verdichtet sich die Intimität zwischen Segensspender und Segensempfänger stu 140 Zur Formelhaftigkeit vgl. auch Taschner, Verheißung, 39; Hensel, Vertauschung, 148. 141 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 535 f. Schwartz, Test, 697, hat in jüngerer Zeit eine parallele Struktur in V. 18b–23//24–27 aufzeigen können. Allerdings ist trotz der Parallelen in dem Geruchsvorgang nicht zwingend eine weitere Probe zu sehen, wenngleich die strukturellen Entsprechungen diesen Eindruck nahelegen. 142 Vgl. Blum, Komposition, 84; Hensel, Vertauschung, 149 f. Anm. 372; Boecker, Isaak, 44.

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Die Eingangskapitel der Jakoberzählung 

fenweise, was sprachlich durch die Häufung der Wurzel ‫ נגשׁ‬unterstrichen wird.143 Umso schwerwiegender erscheint die Lüge Jakobs, die sprachlich besonders erbarmungslos offengelegt wird: Die Renominalisierung in V. 19aα stellt den Namen „Jakob“ bei der Redeeröffnung überdeutlich seiner erlogenen Identität (Esau) gegenüber.144 Der Segensspruch über Jakob (Vv. 28–29) ist dreigeteilt und besteht aus einem agrarischen Segen, einem zweigeteilten Herrschaftssegen und einer Zusage über die Selbstwirksamkeit des Segens für den Segensempfänger. Der Verweis auf Jakobs Brüder (pl.) geht über den unmittelbaren Erzählungskontext hinaus. Einzelelemente dieses Segens werden in V. 39 f. im Gegensegen über Esau wieder aufgegriffen. Bei einer Gegenüberstellung sind gleichwohl Unterschiede erkennbar. Der agrarische Segen wird bei Esau zwar in seinen elementaren Teilen bei gleichbleibender Reihenfolge beibehalten, allerdings in dessen Gegenteil überführt (weg vom Tau des Himmels, weg von der Fettigkeit der Erde). Gleichzeitig werden hier die Segensgüter territorial gebunden, während sie beim Segen über Jakob personell gebunden sind. So bestimmt nun der Wohnort Esaus darüber, inwiefern ihm Fülle zuteilwird. Die Rückkehr Esaus leitet einen weiteren Spannungshöhepunkt der Erzählung ein. Der Betrug wird nun aufgedeckt werden. Dementsprechend kunstvoll ist sprachlich ausgestaltet, wie sich die Brüder in V. 30 gerade verpassen.145 Neben einem doppelten ‫ ויהי‬und einer Aufmerksamkeitspartikel wird eine figura etymologica zu diesen Zwecken eingesetzt. In Vv. 31–33 lassen sich maßgeblich wiederholende sprachliche Elemente feststellen, die der inhaltlichen Wiederholung des Prozesses entsprechen. Jener ist zusätzlich durch den gehäuften Gebrauch der Partikel ‫ גם‬in Verbindung mit Esau unterstrichen. Umso stärker tritt das Urteil Isaaks hervor, das den Segen des Betrügers festhält, noch bevor dessen Identität festgestellt worden ist. Besonders kunstvoll sind die jeweiligen Reaktionen Isaaks und Esaus sprachlich ausgestaltet.146 Beide erleben einen Schreckmoment von äußerster Intensität (Isaak in 33aα, Esau in 34aα). Im Falle Esaus verschafft sich jener Schreckmoment durch ein großes, bitteres Geschrei Gehör, in dem wiederum ein Wortspiel mit dem Namen „Isaak“ in Gestalt einer figura etymologica inbegriffen ist. Aufgrund der Parallelführung der Emotionen fällt die unterschiedliche Reaktion von Vater und Sohn besonders auf. Isaaks Interesse gilt als pater 143 Vgl. Albertz, Bedeutung, 138. 144 Dieser Kontrast verweist auf ein intendiertes Spannungselement und ist nicht, wie Levin, Jahwist, 212, meint, literarkritisch auszuwerten. 145 Die Struktur des Verses spricht nicht für eine Dublette (so Wellhausen, Composition, 33), sondern liegt in dem Spiel mit der Zeitstruktur und der narrativen Steigerung der Dramatik begründet. Vgl. Blum, Komposition, 83. Wahl, Jakobserzählungen, 259 f., zeigt eindrücklich, dass V. 30 in sich stringent aufgebaut ist. 146 Zur Beobachtung der parallelen Syntax vgl. Taschner, Verheißung, 43; Blum, Komposition, 82; Fokkelman, Art, 103.

Jakobs Betrug um den Segen 

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familias der Identifizierung des Betrügers, Esaus Reaktion strebt als Sohn nach seiner eigenen Segnung. Die Antwort Isaaks in V. 35b setzt unter beide Interessen einen vorläufigen Schlusspunkt:147 sie verneint implizit Esaus Frage und identifiziert gleichzeitig den Betrüger. Beide Aspekte bereiten den aggressionsgeladenen Konflikt konsequent vor. Der Abschnitt Vv. 36–40 erzielt unter handlungstragenden Gesichtspunkten keinen erkennbaren Erzählfortschritt, sondern hat deutenden Charakter.148 Die Wiederholung der Segensinhalte durch Isaak (V. 37) und der Gegensegen Esaus (Vv. 39–40) legen ein besonderes Augenmerk auf die Segensinhalte. Das Einschärfen der Segensinhalte dient einerseits dem Ziel, zu definieren, was Esau nicht zustehen soll. Andererseits wird der Segen selbst durch die rhetorischen Fragen Esaus in V. 36b und V. 38a, die sich als Klimax zueinander verhalten,149 an konkrete Inhalte gebunden und insofern gewissermaßen begrenzt. Obwohl sich dem Leser auch darüber hinausreichende Segensinhalte aufdrängen mögen, sieht Isaak seinen Segen in diesen konkreten Inhalten erschöpft. Auf diese Weise bestätigt er gleichsam den zuvor erfolgten Segen über Jakob.150 Esaus Bitten endet in V. 38a wie es in V. 34b begann (‫ )גם־אני‬und mündet in einen Gegensegen. V. 41 stößt durch den Zorn Esaus einen neuen Abschnitt an, der bis V. 45 reicht. Besieht man die Textoberflächenstruktur, zeichnet sich eine erneute Prägung des Abschnittes durch Aufmerksamkeitspartikel und Imperative ab – sprachliche Kennzeichen, die bereits zu Beginn der Erzählung die elterliche Einflussnahme prägten und hier bis in wörtliche Parallelen hinein aufgenommen werden. Ebenso kehrt die sprachliche Gegenüberstellung der beiden Brüder (‫הגדל‬, ‫ ;הקטן‬V. 42) zurück. V. 41 ist anaphorisch an das vorausgehende Geschehen angebunden. Gleichwohl bleibt offen, ob sich das Suffix von ‫ ברכו‬auf den Segen Jakobs oder den Gegensegen Esaus bezieht. Ebenso ist offengelassen, wer Rebekka von der Tötungsabsicht ihres Sohnes unterrichtet. Gewisse Inkohärenzen verursacht die Dopplung der zeitlichen Begrenzung des Aufenthaltes bei Laban in V. 44b und V. 45. In beiden Fällen tritt Rebekkas Versprechen im weiteren Verlauf der Jakoberzählung nicht ein.

147 Vgl. Blum, Komposition, 82. 148 Vgl. Eising, Untersuchung, 55, der dies allerdings für den Abschnitt Vv. 30–40 insgesamt postuliert. 149 Vgl. Taschner, Verheißung, 43. 150 Vgl. Eising, Untersuchung, 56.

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3.2.4 Literarkritik 3.2.4.1 Quellenscheidung und ihre Kritik Angesichts der detailreichen und durch Wiederholungen geprägten Gestaltung von Gen 27 muss nicht verwundern, dass das Kapitel einen beliebten Anker der Quellen-Theorie darstellte.151 Indes erkannte bereits Julius Wellhausen, dass das Unterfangen einer Quellenscheidung keineswegs problemlos durchführbar ist. Zum einen fehlte Wellhausen in Gen 27 das entscheidende „Hauptkriterium“,152 nämlich der Wechsel des „Gottesnamens“, zum anderen sah er sich insbesondere mit dem Problem konfrontiert, die Stringenz der jeweiligen Quellen nicht ungebrochen nachweisen zu können. Auch wenn sich Wellhausen schlussendlich dagegen entschied, „die Sache weiter zu verfolgen“,153 wurde der Versuch einer Quellenscheidung weiterhin unternommen.154 Einen maßgeblichen Anstoß gaben hierzu die vermeintlichen Dubletten: Wild//feine Speise; Betasten (V. 23)//riechen (V. 27); Überziehen der Felle (V. 16)//Überziehen der Kleidung (V. 15); nicht erkennen (V. 23)//erkennen (V. 35); Segen (V.23)//Segen (V.27). Dem DublettenArgument konnte mit dem Argument der Erzählstrategie überzeugend begegnet werden.155 Mithin tendiert man zunehmend zur Annahme einer einheitlichen Grundschicht und deren Fortschreibung.156 Die für die Gesamtausrichtung der Jakoberzählung folgenreichste Beurteilung – und mithin auch die am breitesten diskutierte – betrifft die redaktionsgeschichtliche Verortung der „völkergeschichtlichen“ Segenssprüche. Darüber hinaus konnte das Problem der kompositorischen Beurteilung des Endes von Gen 27 und nicht zuletzt die überlieferungsgeschichtliche Einordnung der Segenserzählung bisher nicht hinreichend geklärt werden.

151 Stellvertretend sei hier Gunkel, Genesis, 305–307, genannt. Vgl. zur älteren Forschungsgeschichte insbes. Wahl, Jakobserzählung, 256 ff.; Schmidt, Jakob, 159–161. 152 Vgl. Wellhausen, Composition, 32. 153 Vgl. Wellhausen, Composition, 33. 154 Vgl. zu neueren Abreiten Nentel, Untersuchungen, 51–72; Schmidt, Jakob; Fabry, Erstgeburt; Vermeylen, Vol. 155 Vgl. z. B. Westermann, Genesis I/2, 530 f.; Taschner, Verheißung, 50 f.; Blum, Komposition, 81–85; Wahl, Jakobserzählungen, 257–261. Vgl. besonders Volz, Elohist, 61: „An diesem prachtvollen Gebilde ist mir vor langen Jahren zum ersten mal die Unnot und das Mißliche der Quellenscheidung aufgegangen. Hier wirkt sich die Quellenscheidung künstlerisch und sachlich besonders störend aus.“ 156 Vgl. Graupner, Elohist, 221; Noth, Überlieferungsgeschichte, 30 Anm. 93; Boecker, Isaak, 45; Otto, Sichem, 28; von Rad, Genesis, 222. Levin, Jahwist, 207–215, unter der Prämisse eines nicht-jahwistischen Grundbestands und seiner jahwistischen Bearbeitung.

Jakobs Betrug um den Segen 

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3.2.4.2 Universal-völkergeschichtliche Bearbeitung der Segensworte (Gen 27,29.36b–37) Die Segensworte aus Vv. 27b–29 sind in einen zeremonieartigen Segensprozess eingebettet, der die Vv. 24–29 umfasst. Zunächst ist eine redaktionelle Erweiterung um den Segensprozess in Vv. 24–27 von vorneherein auszuschließen, da die vorbereitende Repetition des Segensverlaufes unerklärlich wäre, wenn jener bei der tatsächlichen Segenshandlung erzählerisch nicht mehr eingeholt würde.157 Die häufig als störend wahrgenommenen Erzählerkommentare in V. 23 und V. 27b, die vordergründig jeweils einen Segensabschluss formulieren, ließen sich mit einer redaktionellen Erweiterung um Vv. 24–27 ohnehin nur unzureichend erklären, da diese Annahme einen unaufmerksamen Redaktor voraussetzte.158 Darüber hinaus sind Vv. 24–27 nicht als erneuter Überprüfungsvorgang evident, da eine Feststellung der Identität nach Vv. 24–27 ausbleibt.159 Da Isaak in V. 21 seine Prüfungsabsicht offenlegt, wäre eine derartige Aufklärung des Lesers an dieser Stelle ebenfalls zu erwarten. Die Verifizierungsfrage in V. 24 gehört insofern bereits zum Segensritus, markiert aber keinen erneuten Prüfungsvorgang.160 Da mit dem Hinweis auf den Segen kein eigentlicher Handlungsschritt vorliegt,161 kommt den Segensnotizen die Funktion eines strukturierenden Textgestaltungsmittels für den Segensprozess zu.162 V. 23 grenzt die vorhergehende Identitätsprüfung von dem darauffolgenden Segensprozess ab, und stellt gleich 157 Zu einer entstehungsgeschichtlich bedingten Verdopplung der Prüfung und mithin einer Aussonderung der Vv. 24–27, vgl. Schmidt, Jakob, 163; Nentel, Jakobserzählungen, 53; Ruppert, Genesis III, 136; Eising, Untersuchung, 50.76–80. Nauerth, Untersuchungen, 39, versucht die vermeintliche Inkohärenz durch Aussonderung der Vv. 18b–23 zu bewerkstelligen. 158 Vgl. bereits Volz, Elohist, 66; sinngemäß auch Boecker, Isaak, 44. Schmidt, Jakob, 163 f., geht von einer Redaktion aus, die die beiden von ihm angenommenen Quellen aufnimmt. 159 Vgl. Blum, Komposition, 83 f. Gegen Gunkel, Genesis, 305; von Rad, Genesis, 221; Schmidt, Jakob, 169; Nentel, Untersuchungen, 55; Ruppert, Genesis III, 138; Levin, Jahwist, 211; Wahl, Jakobserzählungen, 259. Das spricht auch dagegen, dass Rebekka durch die Gewänder wissentlich eine Prüfung vorbereitet. Mit Boecker, Isaak, 47, soll durch die Bekleidung der Würde des Segensträgers Rechnung getragen werden. Levin, Jahwist, 211, empfindet das Motiv des Kleidungsgeruches als „hergeholt“. Ebenso will Eising, Untersuchung, 76, V. 15 aus dem Zusammenhang ausscheiden. Vgl. auch Nauerth, Untersuchungen, 40. Für eine solche Entscheidung liegen keine hinreichenden literarkritischen Indizien vor. 160 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 535 f. 161 Vgl. Graupner, Elohist, 224; Leuenberger, Segen, 231 f.; Boecker, Isaak, 44; Blum, Komposition, 84 f. Vgl. darüber hinaus zu alternativen Erklärungsversuchen und ihrer Widerlegung ebenfalls Blum, Komposition, 83 f. 162 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 535 ff., im Sinne einer Überleitung zum Segensprozess. So auch Klein, Jakob, 43. Gegen Noth, Überlieferungsgeschichte, 30, der in V. 23 mit einer redaktionellen Erweiterung rechnet, die sich allerdings nicht erklären ließe. Vgl. zu diesem Einwand z. B. auch Schmidt, Jakob, 162. Ebenso unwahrscheinlich auch Fokkelman, Art, 103, der annimmt, Isaak habe innegehalten und zum Segen noch einmal neu angesetzt. Aufgrund der übrigen Verwendung von ‫ ברך‬in Gen 27 ist ebenfalls der Vorschlag Jacobs, Genesis, 565,

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Die Eingangskapitel der Jakoberzählung 

sam eine proleptische Zusammenfassung des Folgegeschehens dar. V. 27b indes bildet eine kurze Zäsur zwischen dem Segensprozess und den Segensworten. Da der Segensprozess in den Vv. 24–27 fest im Grundbestand verankert ist, ist wenig wahrscheinlich, dass es sich bei den Segensworten in Gänze um Fortschreibungen handelt.163 Geben dennoch Einzelbestandteile der Segensworte Anlass zur Literarkritik? Zunächst lässt sich in Vv. 28–29 ein landwirtschaftlicher Segen (V. 28) von einem politischen Segen (V. 29) unterscheiden. Beide Teile sind aufgrund der Stilprägung durch den parallelismus membrorum poetisch gestaltet und insofern stilistisch aufeinander abgestimmt.164 Die Vv. 28–29 lassen sich in Paarungen auffächern: a) Tau des Himmels – Fett der Erde (28a)

I: Sphäre Natur: Segen als Gütergabe

b) Viel Getreide – Most (28b) a) Völker – Nationen (29aα) b) Deine Brüder – die Söhne deiner Mutter (29aβγ) c) Segen für Segnende – Fluch für ­Fluchende (29b)

II: Sphäre Volk: Segen als Herrschaftsanerkennung III: Sphäre Existenz: Segen als selbstwirksame Segensexistenz

Der Segensspruch setzt bei der Subjektperspektive und dem Empfang göttlich vermittelter Naturgüter (I) ein, um anschließend zur Volksebene der Herrschaftsanerkennung fortzuschreiten (II). Innerhalb dieser beiden Segensebenen kon­ kretisiert sich die Segenszusage jeweils vom Kategorialen (a) zum Konkreten (b) hin.165 Den Höhepunkt bildet V. 29b, in dem die Relation zum Gesegneten zum Maßstab für die Existenz anderer wird (III).166 V. 29 gibt Anlass zu literarkritischen Rückfragen. Während für den Landwirtschaftssegen noch Gott explizit als Segensmittler in Dienst genommen wird, formuliert Isaak auf der Segensebene, die die Volksvorstellung voraussetzt, den unwahrscheinlich, dass hier mit „er hieß ihn willkommen“ zu übersetzen sei. Vgl. zu den Forschungsthesen und den Gegenargumenten Blum, Komposition, 83; Taschner, Verheißung, 50; Hensel, Vertauschung, 149 f. Anm. 372. 163 Vgl. etwa Schmidt, Jakob, 43, was gegen Schmidt allerdings nicht hinreichend für ihre gänzliche Zuordnung zum Grundbestand ist. Gegen z. B. de Pury, Promesse, 340; Boecker, Isaak, 48 f.; Westermann, Genesis I/2, 531, die für eine sekundäre Erweiterung um die Segensworte in Gänze votieren. 164 Vg. Taschner, Verheißung, 45. 165 So lassen sich der Tau des Himmels und das Fett der Erde als kategoriale Bestimmungen fassen, die sich in „viel Getreide“ und „Most“ beispielhaft konkretisieren. Ebenso stellt die Herrschaft über Völker und Nationen die Oberkategorie dar, die sich im Beugen der „Brüder“ und der „Söhne deiner Mutter“ konkretisiert. 166 Vgl. Taschner, Verheißung, 46; Wehmeier, Segen, 159, der von einem „unpersönliche(n) Wirkzusammenhang“ spricht. Zu ähnlichen Strukturbeobachtungen gelangt Van Seters, Pro­ logue, 287.

Jakobs Betrug um den Segen 

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Segensinhalt als profanen Segenswunsch. Neben der fehlenden Nennung Gottes, verweist darauf die Imperativformulierung in V. 29aβ, die zudem die Reihung von Jussiven unterbricht. V. 29 verlässt insofern die Kommunikationsstruktur von V. 28. Das in V. 29 gebrauchte Vokabular unterbricht zudem deutlich das vorherrschende Leitwortgefüge von Gen 27. Die Begrifflichkeiten spielen verstärkt eine Volksebene in die Familienszenerie ein (‫)עבד ;עמים ;לאמים; גביר; חוה‬. Der Begriff ‫ לאמים‬ist in der Genesis ausschließlich in Gen 25,23 und Gen 27,29 gebraucht.167 Darüber hinaus findet er sich innerhalb des ATs vorwiegend in prophetischer Literatur und im Psalter. Die Beobachtung verweist mit Nachdruck auf eine literarische Querverbindung der beiden Verse. Wie im Zusammenhang der Analyse von Gen 25,19–34 gezeigt, handelt es sich bei dem Gottesorakel in Gen 25,23 um eine sekundäre Erweiterung. Mithin wäre Gen 27,29 gleichursprünglich mit, oder später als diese Erweiterung anzusetzen. Für eine differenziertere redaktionsgeschichtliche Bewertung von V. 29 sollen weitere Beobachtungen herangezogen werden. Das Verb ‫ חוה‬wird im AT vornehmlich in Kontexten zwischenmenschlicher Ehrerbietung Einzelner (so auch in Gen 33,3.6–7), oder im Zusammenhang mit der Anbetung Gottes durch Einzelne, oder seitens eines Kollektivs gebraucht. Als Herrschaftsanerkennung einer kollektiven Volksgröße erscheint das Verb nur in Jes 49,7 (vor Gott); 60,14 (vor Zion); Zef 2,11 (vor Gott); Ps 22,18; 72,11 (vor Gott). Aufgrund der pluralischen Formulierung ist davon auszugehen, dass Gen 27,29 über den Konflikt zwischen Jakob und Esau hinausweisen will und ebenfalls eine Volksperspektive anspricht.168 In Gen 27,29 ist die Proskynese indes in einen anderen Zusammenhang gestellt als in den genannten Texten. Zum einen wird Jakob als Einzelperson zum Objekt der Verbeugung, zum anderen wird die Volksebene in V. 29aβ mit der Formulierung „Söhne deiner Mutter“ in einen familiären Zusammenhang gestellt. Die Vorstellung vom Verbeugen von Brüdern ist im AT vornehmlich aus der Joseferzählung bekannt und dort ungleich prominent in den Traumerzählungen (Gen 37,7.9–10) sowie der korrespondierenden Wiederbegegnung zwischen Josef und seinen Brüdern (Gen 42,6; 43,26.28) vertreten. Das Motiv dient dort wohl einer volksinternen Binnenhierarchisierung. Darüber hinaus wird die Formulierung vom Niederbeugen der Söhne vor einem Kollektiv von Brüdern nur noch im Juda-Spruch von Gen 49,8 aufgegriffen.169 Gen 27,29 radikalisiert diesen Anspruch gewissermaßen auf eine Einzelperson hin. Der Vers greift zwar den Brüderkonflikt des Textumfelds auf, nutzt diesen allerdings nur als stichwortarti 167 Vgl. Leuenberger, Segen, 233 Anm. 414; Nauerth, Untersuchungen, 52. 168 Dies spricht gegen den häufig unternommenen Versuch, die „Brüder-Ebene“ des Segensspruches noch dem Grundbestand zuzurechnen. So etwa Otto, Sichem, 26 Anm. 4. Mit Wöhrle, Koexistenz, 316, und anderen ist mit „Brüdern“ in diesem Zusammenhang die Völkergeschichte gemeint. 169 In Gen 49,8 werden die Söhne als Söhne des Vaters und nicht als Söhne der Mutter, wie in Gen 27,29, näherbestimmt.

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Die Eingangskapitel der Jakoberzählung 

ges „Sprungbrett“ für die Prognose völkergeschichtlicher Zusammenhänge, die über das Verhältnis Jakob / Esau hinausreichen und einen universalen Geltungsanspruch formulieren.170 Insofern bedient sich der Redaktor Vorstellungen und Formulierungen, die sich in ihrem universalen Anspruch gut in das geistige Milieu von Texten exilisch / nachexilischer Zeit fügen (vgl. insbes. Jes 60,14). Der Universalanspruch von Gen 27,29 weist deutlich über den Anspruch von Gen 25,23 hinaus. Dies liefert einen Hinweis darauf, dass innerhalb der völkergeschichtlichen Ausrichtung in der Jakoberzählung literarhistorisch zu differenzieren und Gen 27,29 auf einer späteren literarhistorischen Stufe zu verorten sein wird als Gen 25,23. Eine Gleichursprünglichkeit der Verse ist nicht derart offenkundig, wie gemeinhin angenommen wird.171 Gen 25,23

Gen 27,29

‫וּשׁ ֵנ֣י‬ ְ ‫אמר יְ הוָ ֜ה ֗ ָלהּ ְשׁ ֵנ֤י גִֹיים [גֹוִים֙ ] ְבּ ִב ְט ֵנְ֔ך‬ ֶ ‫וַ ֨ ֹיּ‬ ָ ‫לְ ֻא ִ ֔מּים ִמ ֵמּ ַ ֖עִיְך‬ ‫ִיפּ ֵ ֑רדוּ‬ ֹ ֣ ְ‫אם֙ ִמל‬ ֹ ְ‫וּל‬ ‫אם ֶי ֱֽא ָ ֔מץ וְ ַ ֖רב יַ ֲע ֹ֥בד ָצ ִ ֽעיר‬

‫ִישׁ ַתּ ֲחוֻ [וְ ][ִי ְֽשׁ ַתּ ֲחו֤ וּ] לְ ָך֙ לְ ֻא ִ ֔מּים‬ ְ ְ‫ַי ַֽע ְב ֣דוָּך ַע ִ ֗מּים ו‬ ‫ִישׁ ַתּ ֲחוּ֥ וּ לְ ָך֖ ְבּ ֵנ֣י ִא ֶ ֑מָּך‬ ֔ ֶ ְ‫ֱה ֵו֤ה גְ ִבי ֙ר ל‬ ְ ְ‫אַחיָך ו‬ ‫א ְֹר ֶ ֣ריָך אָר֔ וּר וּֽ ְמ ָב ֲר ֶ ֖כיָך ָבּ ֽרוְּך‬

Zwei Völker sind in deinem Bauch. Und zwei Nationen werden sich von deinem Leibesinneren (an) trennen. Und eine Nation wird stärker sein als die andere Nation. Und das zahlreiche wird dem kleinen dienen.

Sippen mögen dir dienen und sich vor dir Nationen beugen. Sei Herr über deine Brüder! Beugen sollen sich vor dir die Söhne deiner Mutter. Die dir fluchen, (seien) verflucht! Und die dich segnen, (seien) gesegnet!

Zunächst wird das Kräfteverhältnis in Gen 25,23 auf die beiden Brüder eingegrenzt und zugespitzt. Die Ehrerbietung durch Verneigen, die in Gen 27,29 zentral ist, spielt in Gen 25,23 keine Rolle. Vielmehr wird die Stärke der einen Nation über die andere hervorgehoben. Darüber hinaus fällt in Gen 27,29 die Bezeichnung ‫ עמים‬auf, die statt ‫ גיים‬gewählt wird. Trotz der Unterschiede sind die beiden Verse zum einen durch die Wurzel ‫ עבד‬und zum anderen aufgrund des Lexems ‫ לאם‬stichwortartig verbunden, das ausschließlich in Gen 25,23 und Gen 27,29 im Pentateuch begegnet. Die deutliche Steigerung, der in V. 29 aufgrund des Universalanspruchs im Gegenüber zu Gen 25,23 Ausdruck verliehen wird, ließe sich insofern dadurch erklären, dass sich der Redaktor in V. 29 an Texten der o.g. EdomErweiterung orientiert, jene allerdings für sein Programm abweichend aufgreift. 170 Sinngemäß vgl. auch Seebass, Vätergeschichte II/2, 302. Levin, Jahwist, 207.213, nimmt hier einen gestuften Fortschreibungsprozess an: Beim völkergeschichtlichen Part in V. 29aα.b handle es sich um die jahwistische Redaktion, im Falle der Herrschaft über die Brüder in V. 29aβγ um eine Erweiterung, die an Judas Herrschaft über Edom interessiert sei. Gegen Levin handelt es sich allerdings bei ‫וישׁתחוו לך‬ nicht um eine Wiederaufnahme. Die Stichwortverbindung rührt von dem Umstand her, dass hier das Konzept der Verneigung der Brüder auf eine Ehrerbietung von Völkern übertragen wird. 171 Vgl. zu einer Gegenüberstellung Hensel, Vertauschung, 150, allerdings zu dem Zweck, deren Parallelen aufzuzeigen.

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Jakobs Betrug um den Segen 

Für eine sekundäre Erweiterung um V. 29 spricht auch die Selbstwirksamkeitsformel des Segens, die beachtliche Parallelen zu den vergleichsweise späten Texten in Num 24,9 und Gen 12,1–3 aufweist.172 Gen 27,29b

Gen 12,3a

ֹ ֑ ‫וּמ ַקלֶּ לְ ָך֖ אָ‬ ‫אר א ְֹר ֶ ֣ריָך אָר֔ וּר וּֽ ְמ ָב ֲר ֶ ֖כיָך ָבּ ֽרוְּך׃‬ ְ ‫וַ ֲא ָב ֲֽרכָ ה֙ ְמ ָ ֣ב ְר ֶ ֔כיָך‬ Die dir fluchen seien verflucht und die dich segnen seien gesegnet

Und ich will segnen, die dich segnen, und wer dir flucht, den werde ich verfluchen

Num 24,9b ‫אָרוּר׃‬ ֽ ‫ְמ ָב ֲר ֶכ֣יָך ָבר֔ וְּך וְ א ְֹר ֶ ֖ריָך‬ Die dich segnen sind gesegnet und die dir fluchen sind verflucht

Das literarhistorische Verhältnis der drei Texte ist schwer zu bestimmen, da Gen 27,29b mit Num 24,9b – im Unterschied zu Gen 12,3a – dasselbe Vokabular teilt; Gen 12,3a allerdings mit Num 24,9b und gegen Gen 27,29 die Reihenfolge der Elemente „Segen“ und „Fluch“ gemein hat. Aufgrund der genannten Beobachtungen und der Tatsache, dass die „völkergeschichtlichen“ Verse des dritten Bileamspruches (Vv. 7–9b) überzeugend als späte redaktionelle Ergänzungen ausgewiesen worden sind,173 wäre denkbar, dass der Bileamspruch die beiden anderen Belege rezipierend verbindet.174 Für die Beurteilung einer literarischen Abhängigkeit zwischen Gen 12,3a und Gen 27,29b ist so allerdings nichts gewonnen. Während Gen 12,3a das Eintreten Gottes um Abrahams Willen beschreibt, verkürzt Gen 27,29b den Zusammenhang zu einem Automatismus, der nicht durch Gottes Eingriff, sondern durch den Segenswunsch selbst in Gang gesetzt ist. Man könnte insofern Gen 12,3a als theologisierende Steigerung bewerten, die Gen 27,29b aufgreift.175 Dagegen ließe sich anführen, dass von Gen 27,29b – aufgrund der spezifischen Kommunikationssituation – nur eine sachte „Reminis-

172 Vgl. etwa Van Seters, Prologue, 287 f. Dagegen wendet sich Nauerth, Untersuchungen, 51, der keine Anhaltspunkte für eine diachrone Erklärung sieht. 173 Vgl. Achenbach, Vollendung, 404–478.717 f., erachtet V. 7b–9 als redaktionelle Ergänzung. Ähnlich Witte, Segen Bileams, 200, der sie als „eschatologische Erweiterungen“ beurteilt. Grundsätzlich ähnlich Bührer, Nachgeschichte, 604.606, insbes. Anm. 34, der sich allerdings gegen eine, von Witte postulierte „Segensschicht“ wendet. Eine häufig postulierte Verteilung des Bileamsegens auf die Quellen J und E (vgl. etwa Graupner, Elohist, 189) hat sich in der Forschung nicht bewährt. Vgl. zur Auseinandersetzung mit der Quellenhypothese in diesem Abschnitt insbes. Witte, Segen Bileams. 174 So etwa Witte, Segen Bileams, 211, nach dem die zu Gen 27,29 verwandte Parallele in Num 24,9b literarhistorisch von dem Jakob- und dem Abrahamsegen in Gen 12,1–3 abhängig sei. Dagegen nimmt Leuenberger, Segen, 445 Anm. 993, „eine traditionsgeschichtliche Priorität von Num 24,9 und Gen 27,29 gegenüber Gen 12,3“ an. 175 Vgl. Leuenberger, Segen, 232 Anm. 411.233, der Gen 27,29b als zum Grundbestand der dort enthaltenen älteren Segensvorstellung rechnet. Ähnlich auch Seebass, Vätergeschichte II/2, 301.

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Die Eingangskapitel der Jakoberzählung 

zenz“ an Gen 12,3a übrigbleibt,176 da der Gottessegen Abrahams auf einen profanen Segen in Gen 27 übertragen wird. Die Formulierung ist in beiden Versen jedenfalls derart ähnlich, und deren Positionierung an prominenten Stellen der jeweiligen Erzählung so auffallend, dass der voneinander unabhängige Aufgriff einer bestehenden Segensformel an beiden der besagten Stellen in überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht den Befund kaum überzeugend erklären kann.177 Besieht man die jeweiligen Formulierungen, fällt die Gleichgestaltung des Fluchspruches in Gen 27,29b (‫ )ארור ארריך‬im Gegensatz zu Gen 12,3a (‫ומקללך‬ ‫ )אאר‬auf. Bezieht man die stilistische Formelhaftigkeit der übrigen Segenselemente aus Gen 27,29 ein, ließe sich Gen 27,29b als Reminiszenz an Gen 12,3a unter der Voraussetzung denken, dass die Formulierung hier in Angleichung an den Nehmer-Text formelhaft eingeebnet worden ist. Es bleiben dennoch Unsicherheiten, die eine klare Entschlüsselung der literarhistorischen Verhältnisse verhindern. Ungeachtet dessen sind die o.g. Argumente hinreichend für die Annahme, dass V. 29 nicht zum ältesten Textbestand von Gen 27 gehört.178 Die darin enthaltene Konzeption und die Querverbindungen lassen schlussfolgern, dass die Erweiterung eine Identifizierung zwischen Esau und Edom bereits voraussetzt, allerdings mit universalem Anspruch darüber hinausweisen will. Gegen eine Aussonderung von V. 29 könnte der Rekurs von Gen 27,37 auf besagten Vers sprechen.179 Gen 27,37 greift sowohl Elemente aus Gen 27,28 als auch aus Gen 27,29 auf. Der Rückbezug auf Gen 27,29 ist durch die Begriffe ‫ אח‬,‫ גביר‬und ‫ עבד‬zweifellos gegeben, obwohl Gen 27,37 den Segensspruch aus Gen 29,28 f. frei zitiert. Der Begriff ‫ גביר‬ist im AT als Nomen ausschließlich in Gen 27,29.37 belegt. Da Gen 27,37 seinerseits weitere Inkohärenzen mit dem Kontext verursacht, stützt die genannte Querverbindung die literarkritische Entscheidung mehr noch, als dass sie jene infrage stellt. Vorab ist festzuhalten, dass sich die Antwort in V. 37 nicht von der Frage V. 36b trennen lässt, beide folglich in der literarkritischen Bewertung einander bedingen.180 Zunächst verursacht die Frage nach dem übriggelassenen Segen in Vv. 36b–37 eine Dopplung mit der Frage nach der Einzigkeit des Segens in V. 38.181 V. 38 rekurriert seinerseits nicht mehr direkt auf den Vorvers, 176 Vgl. Köckert, Jakobüberlieferung, 57, der vermutet, die Selbstwirksamkeitsformel in Gen 27,29 sei als Reminiszenz an Gen 12,3a auf der Ebene seiner Kompositionsschicht zu verorten, die die Jakob- und Abraham-erzählung verbindet. Kratz, Verheißungen, 37–54, schreibt Gen 12,1–3 das entstehungsgeschichtliche Primat unter den Verheißungstexten zu. 177 Gegen etwa Boecker, Isaak, 49, der hinter dem Segenswort insgesamt (Vv. 27b–29) den sekundären Aufgriff einer bestehenden Segensformel vermutet. 178 Vgl. u. a. Kratz, Komposition, 274; Leuenberger, Segen, 233, mit weiterer Literatur. Leuenberger beraumt für eine völkergeschichtliche Bearbeitung die Vv. 11.23a.29.37.40a an. Gegen Blum, Komposition, 70 f.; Seebass, Vätergeschichte II/2, 302; Crüsemann, Herrschaft, 84. 179 Vgl. zu diesem Argumentationsweg Seebass, Vätergeschichte II/2, 302. 180 Vgl. Leuenberger, Segen, 233. 181 Parallelen in dem Abschnitt räumt trotz grundsätzlicher Kritik an einer literarkritischen Auswertung derselben auch Blum, Komposition, 81 ein. Vgl. auch Seebass, Vätergeschichte II/2,

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sondern setzt vielmehr mit einer neuen Redeeinleitung ein.182 Darüber hinaus liegt ein literarkritisches Argument auch aus dem Grunde nahe, da V. 37 durch den Gebrauch des Plurals (Brüder) über den unmittelbaren Kontext hinausweist. Insofern liegt die Annahme einer Redaktion im Umfang von Gen 27,29.36b–37 nahe. Ihre Geschlossenheit zeigt sich darin, dass sich der dortige Gebrauch des Verbs ‫ עבד‬von den weiteren Belegen in der Jakoberzählung unterscheidet. In der Jakob-Laban-Erzählung beschreibt ‫ עבד‬den individuellen Dienst Jakobs bei Laban, der als Sklavendienst stilisiert ist. Ähnlich verhält es sich auch mit der unterwürfigen Selbstbezeichnung Jakobs als ‫ עבד‬in Gen 32–33. Dass das in Gen 27,29 vorausgesagte Verhältnis bereits auf eine Umkehrung in Gen 32–33 angelegt sei, überzeugt aufgrund des pluralischen Gebrauchs „Brüdern dienen“ nicht zweifelsfrei.183

3.2.4.3 Edom-spezifische Bearbeitung der Segensworte (Gen 27,36a.38–40) V. 36 enthält zwei Redeeinleitungen, obwohl sich die Sprechersituation nicht ändert. Die ätiologische Ausrichtung auf den Jakob-Namen in V. 36a steht zudem in Konkurrenz zur ätiologischen Herleitung in Gen 25,26. Während Jakobs Name in Gen 25,26 auf seinen Fersengriff (‫ )עקב‬zurückgeführt wird, stellt Gen 27,36a unter der Verwendung des Verbs ‫( עקב‬betrügen / beschleichen184) eine ätiologische Verbindung mit der Linsengerichtsepisode her. Da es sich bei der Linsengerichtsepisode um einen sekundären Nachtrag handelt, ist Gen 27,36a als redaktioneller Eingriff zu bewerten. Diese Einschätzung deckt sich mit seiner syntaktischen Sonderstellung. Auf kompositioneller Ebene verfolgt V. 36a das Ziel, die Linsengerichtserzählung mit dem Segensbetrug zu verbinden.185 Anlass dafür bot innertextlich vielleicht das Lexem ‫מרמה‬, das im AT 303: „V 38a […] ist nach V 37 nicht mehr sinnvoll“, allerdings fängt Seebass diesen Widerspruch ab, indem er in der Sinnlosigkeit Esaus Verzweiflungsausdruck erkennen will. 182 Anders Blum, Komposition, 82. 183 Siehe die nähere Begründung in Kap. 6.4., 311. 184 Vgl. auch die Übersetzung von Buber / Rosenzweig, Schrift. 185 Vgl. Kessler, Querverweise, 110; Boecker, Isaak, 50; Westermann, Genesis I/2, 539; Nauerth, Untersuchungen, 52. Weshalb V. 35 gemäß Levin, Jahwist, 214, noch zur Erweiterung hinzuzuziehen sein sollte, ist unerklärlich. Dagegen nimmt Blum, Komposition, 85, eine Verklammerung auf der Ebene des Grundbestandes an. Dem schließt sich Albertz, Bedeutung, 140 Anm. 38 an. Van Seters, Prologue, 283, ordnet V. 36 dem Grundbestand zu und geht davon aus, dass Gen 27 insgesamt von Gen 25* literarisch abhängt. Ähnlich Graupner, Elohist, 225, dessen Erklärung der doppelten Redeeinleitung nicht wirklich überzeugen kann. Nach Graupner gleiche Esaus Äußerung in V. 36a einem „ungerichteten Ausbruch“. Dieser sei von der Rede an den Vater abzugrenzen, damit V. 36a nicht wie ein Vorwurf an den Vater erscheine. Der Widerspruch der etymologischen Herleitungen des Jakob-Namens von Gen 27,36 und Gen 25,26 führte in der älteren Quellenscheidung noch zu einem Argument für zwei parallele Fäden. So z. B. Eissfeldt, Hexateuch-Synopse, 14.

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auch ansonsten breit belegt ist.186 Die Tatsache, dass unmittelbar zuvor eine Anspielung auf den Isaak-Namen erfolgt, könnte zusätzlich zur Positionierung dieser alternativen Ätiologie des Jakob-Namens beigetragen haben. Otto Eissfeldt schlug demgegenüber ehemals noch einen Rückverweis von Gen 27,36a auf Gen 27,33.35 vor. Esau habe gewusst, dass es sich bei dem Segen um das Erstgeburtsrecht gehandelt habe, daher spreche er nun aus, „was eben geschehen ist und ihn unmittelbar bewegt.“187 Hierfür sind jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte gegeben,188 da die beiden Topoi „Erstgeburtsrecht“ und „Erstgeburtssegen“ deutlich voneinander unterschieden sind (s. o.). Für einen Rückverweis auf Gen 25,19–34 ist der Begriff ‫ בכרה‬einschlägig, der zudem auch strukturell kunstvoll dem Segen (analog der Alliterationspaarung des Jakob-Namens) gegenübergestellt wird. Erstgeburtsrecht und Erstgeburtssegen werden auf diese Weise als zwei unterschiedliche Größen unmissverständlich kontrastiert:189 36aα

36aβ–γ

‫אמר‬ ֶ ‫וַ ֡ ֹיּ‬ ‫ֲהכִ י֩ ָק ָ ֨רא ְשׁ ֜מֹו יַ ֲע ֗ ֹקב‬ ‫ַוֽיַּ ְע ְק ֵ ֙בנִ ֙י ֶז֣ה ַפ ֲע ַ ֔מִים‬ ‫ֶאת־ ְבּכ ָֹר ִ ֣תי לָ ָ ֔קח‬ ‫וְ ִה ֵנּ֥ה‬ ‫ַע ָ ֖תּה לָ ַק ֣ח ִבּ ְר ָכ ִ ֑תי‬

Das Verb ‫ עקב‬ist im AT äußerst selten belegt. Bei einer Mehrzahl der Belege lässt sich eine Verbindung mit der Jakobtradition erkennen.190 Aufgrund der geringen Beleglage erschließen sich die Bedeutungsnuancen des Verbs nur über das Nomen.191 Das Nomen ‫( עקב‬Ferse) ist im AT wesentlich häufiger nachzuweisen und dort im Zusammenhang mit kriegerischen oder feindlichen Handlungen gängig.192 Für den Gebrauch im vorliegenden Kontext ist interessant, dass die Erbthematik in altorientalischen Textbelegen mit dem Körperteil des Fußes verbunden werden konnte, wie Malul gezeigt hat. Belege in Nuzi zeigen, dass eine Erbübertragung mit einem symbolischen Akt des im wörtlichen Sinne „in die Fußstapfen des Vor 186 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 303. 187 Eissfeldt, Hexateuch-Synopse, 14. 188 Vgl. zur kritischen Auseinandersetzung mit der Position Kessler, Querverweise, 110 Anm. 219. 189 Vgl. hierzu insbesondere Fokkelman, Art, 99. 190 Das Verb ‫ עקב‬ist im AT abgesehen von Gen 27,36a nur noch in Hos 12,4; Jer 9,3 und Ps 49,6 belegt, wobei Hos 12,4 direkt auf die Jakobtradition zurückgreift. Darüber hinaus könnte es sich auch bei Jer 9,3 um eine Anspielung auf die Jakoberzählung handeln. Vgl. Zobel, Art. ‫יעקוב‬, Sp. 755. 191 Vgl. etwa Gesenius, Wörterbuch, 1004, und die Übersetzung von Gen 27,36 bei Buber / Rosenzweig „Fersenschleicher“. 192 Gen 3,15; 49,17.19. In diesen einzigen Genesisbelegen erscheint die Ferse in Verbindung mit den hinterlistigen Angriffen einer Schlange und feindlichen, menschlichen Übergriffen. Im Sinne von Auflauern und feindlichem Ansinnen in Ps 41,10; 56,7.

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fahren Tretens“ einherging.193 Mit der Wurzel šepu (Fuß) war thematisch folglich auch Erbfolge verbunden, die nicht nur Erbgut, sondern auch Statusübertragung einschloss. Da altorientalische Rechtstexte den Verfassern alttestamentlicher Texte bekannt waren, ist es nicht unwahrscheinlich, dass mit dem Akt des Fersengreifens Jakobs Griff nach dem Status Esaus angedeutet wird.194 Insofern lässt sich ein innerer Zusammenhang zwischen der Exposition von Gen 25,19–28 und Gen 27 über die Erbthematik herstellen, die in Gen 27,36a abgewandelt wird, um die Linsengerichtserzählung einzuarbeiten. ‫ עקב‬ist hier, wie in Hos 12,4, deutlich im Sinne von „betrügen / hintergehen“ zu verstehen. Dies deutet sich in der unmittelbaren Reaktion Esaus auf den Vorwurf des ‫ מרמה‬durch Isaak an. Vordergründig steht das Urteil Esaus in V. 36a dem des Erzählers in Gen 25,34 entgegen. Dennoch scheinen sowohl die Linsengerichtserzählung als auch Gen 27,36a dieselbe Absicht zu verfolgen. Zwar zeichnet sich in Esaus Urteil eine Kritik an Jakob ab, die für den Leser nachvollziehbar ist. Aufgrund der Sprechersituation relativiert sich das Urteil über Jakob jedoch sogleich. Die Erzählerstimme wird für die literarische Einbindung der Linsengerichtserzählung gerade nicht bemüht, was einem objektiven Urteil gleichkäme. Die Schuldzuweisung seitens Esau ist bereits auf ihre Relativierung angelegt, da der Verkauf des Erstgeburtsrechts nicht betrügerisch, sondern rechtmäßig vonstatten ging, was Esau in einem Moment der Wut anzweifelt. Obwohl Jakob beschuldigt wird, setzen die Umstände, unter denen die Beschuldigung geäußert wird, Jakob beim Leser dennoch ins Recht. Angesichts des Vorwurfes Isaaks nimmt V. 36a insofern eine relativierende Position ein, die sie mit dem Verweis auf die Linsengerichtsepisode auszufüllen vermag. Gen 27,36a hat insofern neben seiner kompositorischen Funktion auch eine inhaltliche, die der Funktion der Linsengerichtserzählung selbst entspricht. Die Vv. 38–40 bilden eine formale und inhaltliche Einheit, die Isaaks „Gegensegen“195 über Esau beinhalten. Der Abschnitt ist zum Vorvers durch eine vollständig neu einsetzende Redeeinleitung abgehoben, obwohl sich die Dialogsituation nicht ändert. Inhaltlich ist der Abschnitt auf eine territoriale Trennung zwischen Jakob und Esau ausgerichtet. In V. 39 werden über die Präposition ‫ מן‬in privativer Bedeutung196 Esau spezifische Segensgüter (Fett der Erde – Tau des Himmels) abgesprochen, in deutlich konträr angelegten Rekursen auf den Segen über Jakob. Trotz Rückgriff auf V. 28 wird der Landwirtschaftssegen nun an ein spezifisches Territorium gebunden, das Esau nicht bewohnen soll.197 Diese Vorstellung steht 193 Vgl. Malul, Concept, 197. Vgl. zu den betreffenden Fragmenten aus Nuzi, Malul, Studies, 381–391. 194 Vgl. Malul, Concept, 203. 195 Die Bezeichnung greift die Formulierung Fokkelmans, Art, 101, („anti-blessing“) auf. 196 Vgl. Taschner, Verheißung, 47; Rad, Genesis, 224; Jacob, Genesis, 570. Dagegen WilliPlein, Rebekkageschichte, 320 f., die ‫ מן‬direktional (von her) verstehen will. 197 Auf den im Landwirtschaftssegen inbegriffenen Aspekt der territorialen Trennung hat kürzlich insbesondere Wöhrle, Jacob from Israel, 139 (insbes. Anm. 17), aufmerksam gemacht.

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in Kontinuität zu den Aussagen in V. 40:198 Esau wird vom Schwert leben und seinem Bruder dienen. Diese mit dem „Joch“ versinnbildlichte Unterdrückung wird er aber erst abschütteln können, wenn er „frei umherschweift“. Die Übersetzung der Wurzel ‫ רוד‬wird in der Forschung kontrovers beurteilt. Die alttestament­ lichen Belege legen eine Übersetzung mit „frei umherschweifen“ nahe, was nichts anderes bedeutet, als nicht an einem Ort verankert zu sein. Gesenius erwägt für Gen 27,40 eine Übersetzung von „wenn du dich anstrengst“. Allerdings ist diese Auffassung nicht anhand der übrigen Belege für das Verb im AT plausibilisierbar, sondern eher durch Gesenius’ Interpretation von Gen 27,40 bedingt.199 Der Zusammenhang ist wohl eher so zu verstehen, dass Esau eine Dienerschaft gegenüber dem Bruder vorausgesagt wird, wenn er sich auf dessen Territorium aufhält, und diese erst loswird, wenn er sich von dessen Territorium wegbewegt und eine Existenz jenseits landwirtschaftlicher Erträge führt. V. 40a und V. 40b entsprechen sich treffend auf der Bildebene durch das Motiv des Schwerts und des Jochs, das im AT überwiegend im Kontext politischer Unterdrückung gebraucht wird. V. 40b lässt sich insofern nicht begründet von V. 40a abtrennen.200 Neben der auffallenden Redeeinleitung unterscheiden sich Vv. 38–40 aufgrund der Motive „Schwert“ und „Joch“ deutlich von der übrigen Bildsprache der Jakoberzählung. Auch ihre inhaltliche Ausrichtung auf eine territoriale Trennung und deren Begründung scheint deutlicher als sonst politische Verhältnisse zwischen zwei Völkern im Blick zu haben. Ähnlich wie Gen 25,29–34 thematisiert auch dieser Abschnitt Besitzverhältnisse und Aufenthaltsrechte zwischen Jakob und Esau und ist durch dieselbe völkergeschichtliche Ausrichtung bedingt. Vor diesem Hintergrund ließen sich die Abschnitte derselben redaktionellen Schicht zuweisen.201 Gegen eine primär völkergeschichtliche Ausrichtung von Gen 27 spricht nicht nur der redaktionelle Charakter der politischen Segenssprüche, sondern auch, dass die stärkste Verbindung zwischen Esau und Edom durch dessen Beschreibung als „rötlich“ (Gen 25,25) in Gen 27 nicht rezipiert wird. Für eine völkergeschichtliche Verankerung wird stattdessen gängig Gen 27,11 bemüht. Vertreter, Mit Wöhrle ist diese territoriale Trennung völkergeschichtlich konnotiert. Wöhrle verkennt allerdings m. E. die Differenz zwischen dem Segen über Jakob und dem Gegensegen über Esau in dieser Sache. 198 Vgl. Kratz, Komposition, 274. 199 Vgl. Gesenius, Wörterbuch, 1223 f. 200 Gegen Blum, Komposition, 193 f.; Westermann, Genesis I/2, 540; Boecker, Isaak, 51; Levin, Jahwist, 214. Anders Leuenberger, Segen, 234, der V. 40a und V. 40b als redaktionsgeschichtlich gestufte Nachträge bewertet. Seebass, Vätergeschichte II/2, 304, rechnet V. 40 in Gänze zum Grundbestand. Im Hintergrund der Abtrennung von V. 40b stand die Auffassung eines nachträglichen vaticinium ex eventu, das einen historischen Befreiungsschlag Edoms von Israel im Blick habe. Dieser lässt sich indes schon vor dem Hintergrund der Datierung der Jakoberzählung in das 8. Jh. nicht mehr halten. Vgl. Leuenberger, Segen, 234 Anm. 419. 201 Gegen etwa Leuenberger, Segen, 234 Anm. 419, der „eine historisierende Adaption an das Ende des Jakobzyklus mit der Aussöhnung der Brüder“ aus dem 6. Jh. vermutet.

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die in Gen 27 ein politisches Verhältnis von Israel und Edom im Grundbestand verhandelt sehen, identifizieren den Hinweis auf Esaus Behaarung mitunter als impliziten Verweis auf das Gebirge Seir, während Jakobs Glätte als Hinweis auf das „Halak-Gebirge“ gelte, das in Israel liege.202 Ein Halak-Gebirge, „das gegen Seir ansteigt“, ist allerdings ausschließlich in Jos 11,17; 12,7 bezeugt. Geografisch wird es in Israels äußerstem Süden zu verorten sein.203 ‫ חלק‬ist als Eigenname hier aber nicht gesichert. Ebenso möglich ist die Übersetzung mit „kahles Gebirge“. Die Andeutung ist weder eindeutig noch angesichts der Beleglage ein einschlägiger geografischer Hinweis auf Israel.

3.2.4.4 Die literarhistorische Bewertung des Erzählschlusses (Gen 27,41–45) In der Forschung wird der Abschnitt Gen 27,41–45 mehrheitlich als sekundärer Erzählschluss zu Gen 27 beurteilt.204 Ausgangspunkt bildet zum einen die postulierte Wiederaufnahme in Vv. 41–45.205 Zum anderen begegnet man häufiger der These, der Abschnitt schaffe keinen richtigen Erzählschluss, sondern ziele bereits auf die Folgeerzählung bei Laban ab.206 Nun wäre mit diesem Verweis lediglich ein literarkritisches Argument gewonnen, wenn diese Tendenz entweder der vorausgehenden Erzählung widerspräche oder sich Störungen im Erzählduktus nachweisen ließen. Thematisch lässt sich kein Bruch erkennen, da Esaus Wut als Folge der Geschehnisse konsequent ist.207 Bereits V. 35 scheint auf diesen wunden Punkt abzuzielen, wenn Isaak Esau die Tatsachen unverblümt vor Augen stellt. Insofern ist die Flucht Jakobs nicht erst in V. 41 anvisiert, sondern bereits in V. 35. Auch unter sprachlichen Gesichtspunkten lassen sich keine stichhaltigen Gründe gegen die Ursprünglichkeit von Vv. 41–45 gewinnen. Wie in Gen 27 gängig, fasst der Erzähler das Segensgeschehen unter Verwendung des Leitwortes ‫ ברך‬sum 202 Vgl. Blum, Komposition, 71 Anm. 19, allerdings vorsichtig. Optimistischer Böhl, Wortspiele, 18 f.; Dicou, Edom, 120; Hensel, Vertauschung, 147. 203 Vgl. Blum, Komposition, 71 Anm. 19; Hensel, Vertauschung, 147 f. 204 Vgl. Wöhrle, Koexistenz, 311, im Anschluss an Noth, Überlieferungsgeschichte, 108; Westermann, Genesis I/2, 540; Seebass, Vätergeschichte II/2, 308; Kratz, Komposition, 272; Leuenberger, Segen, 234 f. Darüber hinaus für Vorformen von Gen 27 auch Blum, Komposition, 87. Ebenso Levin, Jahwist, 214, allerdings aus dem Grund, da er die Rolle Rebekkas im Betrugsverlauf für sekundär hält. Die Vv. 41–45 sind bis auf die Haran-Bearbeitung in V. 43 einheitlich. Bei V. 45 handelt es sich gegen etwa Nentel, Untersuchungen, 60, nicht um eine Dublette, sondern um ein erzählerisches Mittel der Betonung. Vgl. etwa Blum, Komposition, 81; Boecker, Isaak, 43 f. 205 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 540; Blum, Komposition, 87. 206 So z. B. Nauerth, Untersuchungen, 55. 207 Vgl. die ähnliche Kritik bei Van Seters, Prologue, 283. In dieselbe Richtung tendieren Westermann, Genesis I/2, 435; Otto, Sichem, 29 f.; de Pury, Promesse, 522; Eising, Untersuchung, 57; Taschner, Verheißung, 53, insbes. Anm 170: „Sprachliche Merkmale werden jedoch von keinem dieser Analysen als Argumente für eine derartige Abtrennung vorgebracht“.

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marisch zusammen (V. 41, vgl. Vv. 23.27).208 Ähnlich schaltet er sich in V. 41 mit einer summarischen Notiz über das vorangehende Erzählgeschehen ein, um jenes weiterzuführen. Eine literarkritisch relevante Wiederaufnahme ist mit Verweis auf die retardierenden Elemente, die in Gen 27 durchweg präsent sind, weniger wahrscheinlich. Darüber hinaus ist V. 43a sprachlich parallel zur Rede Rebekkas an Jakob aus V. 8a gestaltet und gibt insofern auch unter stilistischen Gesichtspunkten keine Unebenheit zu erkennen.209 Besonders problematisch erscheint in neuerer Zeit Wöhrles Begründung für eine Erweiterung um Vv. 41–45, da Wöhrle den redaktionellen Charakter von Vv. 41–45 auf den Widerspruch mit Gen 32–33 stützt, Gen 27,41–45 jedoch auf derselben redaktionsgeschichtlich sekundären Ebene wie Gen 32–33 verorten will.210 Die Inkohärenz, dass in Gen 32–33 nicht eintrifft, was von Rebekka vorausgesagt wird, lässt sich allerdings kaum innerhalb einer redaktionellen Schicht begründen, die um einen Ausgleich von Inkohärenzen bemüht ist. Das Thema „Flucht“ lässt sich indes weder von Laban noch von dem Versprechen Rebekkas, Jakob zurückzuholen, literarkritisch verlässlich trennen. Erwägenswert wäre eine Ergänzung um die Dauer „einige Tage“, doch müsste deren Aussage dann im Laban-Zyklus greifen, was nicht der Fall ist. Welche Ereignisse sollte man sich ohnehin in diesem zeitlich dichten Zusammenhang vorstellen? Vielmehr lässt sich die Zeitangabe als kritische Anmerkung auf den jahrelangen Aufenthalt lesen.211 Mit Wöhrle ist ein Erzählende in Gen 27,1–40 unwahrscheinlich, allerdings wird hier kaum verlässlich ein alternatives Ende einer Jakob-EsauErzählung zu rekonstruieren sein.212 Gen 27 umfasst mithin die Vv. 1–45* und ist in dieser Gestalt bereits auf die Jakob-Laban-Erzählung ausgerichtet. Die kompositionsgeschichtlich bedingte Prämisse einer Annahme von Einzelerzählungen oder entstehungsgeschichtlich bedingten Erzählzyklen ließ sich in Gen 25–27* 208 Gegen Westermann, Genesis I/2, 540, der die mit ‫על‬ eingeleitete Zusammenfassung als Argument für eine sekundäre Erweiterung anführt. 209 Vgl. auch Taschner, Verheißung, 53. 210 Vgl. Wöhrle, Koexistenz, 311 Anm. 13. 211 Insbesondere wäre hier Gen 29,20 im Blick („einzelne Tage“). Vgl. Zakovitch, Interpretation, 103. 212 So Wöhrle, Koexistenz, 312. Vgl. Weingärtner, Impertinenz, 126 f., als neuere und berechtigte Kritik an Wöhrles Versuch. Bei der „Rekonstruktion“ nicht vorhandener Texte ließe sich eine Vielzahl von Möglichkeiten denken, was sie anfällig für Spekulationen macht. Die These eines ursprünglich anderen Endes in einer anderen Version des Textes erwog bereits Gunkel, Genesis, 292, ließ jedoch von weiterführenden Spekulationen ab. Blum, Komposition, 171 f., versucht sich überlieferungsgeschichtlich zu behelfen, bleibt hinsichtlich einer klaren Entscheidung allerdings vage: „[Vv. 41 ff.] könnte nahelegen, dass die Komposition der Einzelsagen über Jakob und Esau diese zugleich mit den Jakob-Laban-Überlieferungen verknüpfte. Freilich ist aber auch ein komplizierterer Verlauf der Überlieferungsgeschichte nicht auszuschließen. […] Trotz dieser Gesichtspunkte erscheint es mir nicht möglich, ein hinreichend begründetes, am Text ausweisbares Urteil in dieser Frage zu formulieren.“ Ähnlich Carr, Fractures, 258.

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somit nicht bestätigen.213 Gen 27,41–45 stellt vielmehr eine im Grundbestand verankerte Überleitung zur Jakob-Laban-Erzählung dar.

3.2.5 Funktion und Bedeutung des Segens in Gen 27,1–45 Gen 27 berichtet von einem Segen, der sich von der Mehrzahl alttestamentlicher Segensbelege unterscheidet. Die einmalige Breite der Darstellung gibt ein intrinsisches Interesse zu erkennen, diesen Segen in seinen verschiedenen Facetten und den ihn bedingenden Umständen auszuführen. Dabei präsentieren sich der Inhalt der Segensworte und die Umstände, unter denen der Segen zustande kommt, in Gen 27 als vergleichsweise profan und gleichermaßen eigentümlich. Diese Eigentümlichkeit führte in der Forschung zu der Annahme eines hohen Alters der in Gen 27 verarbeiteten Segenskonzeption.214 Jene Annahme will auch die letzte umfassende Studie zum Thema „Segen“ von Martin Leuenberger bestätigt wissen.215 Leuenberger führt mehrere Kriterien an, die eine solche „urtümliche Segenskonstellation […], die wohl [die] älteste Segens-Konstellation des AT überhaupt bietet“216, auszeichnen. Zum einen vermutet Leuenberger in der Formulierung „damit dich meine Seele segne(t)“ den Hinweis auf ein hohes Alter, wie auch in den Segenssprüchen, bei denen er die völkergeschichtliche Ebene für einen sekundären Zusatz hält.217 Nicht wie im AT üblich, trete Gott hier als Segensspender auf, sondern Isaak nenne seine ‫ נפׁש‬als Überträgerin des Segens, wobei Isaaks ‫נפׁש‬ und die Person Isaak in Gen 27 wohl promiscue verwendet werden (vgl. V. 37).218 Leuenberger folgert daraus: „Die Seele steht in V.4.19.25.31 für Isaak selber und scheint seine segensvermittelnde Lebenskraft zu bezeichnen, über die er als leibseelische Person kurz vor seinem Tod verfügt und die er weitergeben kann. Diese situative Verortung in einer (definitiven) Abschiedssituation deutet zusätzlich an, dass eine unbedingte, irreversible, magisch-selbstwirksame und exklusiv-einmalige Übertragung der elementaren und offenbar über- bzw. transpersonalen Lebenskraft Isaaks – die ihm bisher eignete und die er nun weitergibt, selber also verliert – auf Jakob stattfindet.“219 Wie bereits in der Strukturanalyse gezeigt, stellt das gemeinsame Mahl einen elementaren Bestandteil des Segensprozesses dar. Leuenberger schlussfolgert daraus, dass „Wildbret und Wein (V.25) Isaak leib 213 Insbesondere gegen Kratz, Komposition, 272, der ausschließlich kompositionsgeschichtlich argumentiert. 214 Vgl. z. B. Levin, Jahwist, 209; von Rad, Genesis, 222. 215 Vgl. Leuenberger, Segen, 235 ff. Seine These bestätigt er hinsichtlich der Segensbelege in den Erzelternerzählungen noch einmal in Leuenberger, Segen. Altes Testament, 57–59. 216 Leuenberger, Segen, 235. 217 Vgl. Leuenberger, Segen, 235. 218 Vgl. Leuenberger, Segen, 237 f. 219 Leuenberger, Segen, 238.

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seelisch stärken und insofern (für moderne Verhältnisse) ‚magisch‘ seine Segens­ kraft mehren“220. Er sieht in Gen 27 eine „primäre Religionserfahrung“ dargestellt, die noch untheologisch konzeptualisiert sei.221 Es verwundert daher nicht, dass Leuenberger in Gen 27 auch mit einer erst auf einer späteren Stufe erfolgten „Jahweisierung“ des Textes rechnet.222

3.2.5.1 Der Segensspender: Isaaks ‫ נפׁש‬und die Rolle JHWHs Die These einer sekundären Jahweisierung trägt der Beobachtung Rechnung, dass auf der Endtextebene von Gen 27 der Segen in den inhaltlich relevanten Passagen überwiegend ohne explizite theologische Begründungsmuster auskommt und daher vordergründig in Inkohärenz zu der punktuellen und vergleichsweise unvermittelten Erwähnung JHWHs zu stehen kommt. Lässt sich insofern eine sekundäre Jahweisierung am Text verifizieren? Erstmals wird JHWH in V. 7b durch Rebekka in die Erzählung eingebracht. Rebekka zitiert dort Isaaks Auftrag an Esau aus V. 4b frei, indem sie anstatt der Formulierung ‫ בטרם אמות‬die Formulierung ‫ לפני מותי‬wählt und um die lokale Bestimmung ‫ לפני יהוה‬erweitert. Abgesehen von dem Verweis auf JHWH behält Rebekka diese Darstellung in V. 10b bei. Isaak hingegen hatte seine ‫ נפׁש‬als Segensspenderin erwähnt, die Rebekka in ihrer Version der Segensabsicht nicht aufnimmt. Die Formulierung „vor JHWH“ suggeriert eine göttliche Einflusssphäre, die in der Rede Isaaks keine Rolle spielt. Insofern entsteht der vordergründige Eindruck einer gewissen „Konkurrenz“ zwischen Isaak selbst und JHWH hinsichtlich der Autorität im Segensakt.223 Diese Konkurrenz könnte nun mit dem Verweis auf die doppelte Verwendung der Adverbiale ‫ לפני‬binnen V. 7 aufgelöst werden, insofern JHWH erst sekundär Eingang in den Zusammenhang erhalten hätte. Demzufolge hätte sich der Redaktor an der bestehenden ‫לפני‬-Formulierung orientiert, um JHWH zu ergänzen.224 Allerdings lassen sich die daraus entstehenden Folgeprobleme nicht einfach lösen. Leuenberger zieht zunächst eine Aussonderung von V. 6bf. in Erwägung,225 wobei nicht nur der Anschluss von V. 8 an V. 6 problematisch ist, sondern eine Aussonde 220 Leuenberger, Segen, 239. Vgl. darüber hinaus die etablierte Forschungsposition auch bei von Rad, Genesis, 222; Levin, Jahwist, 209, der in diesem Sinne das Wild als „Tier von vitaler Kraft“ herausstellt. 221 Vgl. zum dafür grundlegenden Ansatz Leuenbergers: Leuenberger, Segen, 77 ff. 222 Vgl. insbes. Leuenberger, Segen, 242. 223 Vgl. Taschner, Verheißung, 52. 224 So Westermann, Genesis I/2, 533; Ruppert, Genesis III, 146; Boecker, Isaak, 44 f.; Nauerth, Untersuchungen, 42; Levin, Jahwist, 207. Dagegen wendet Leuenberger, Segen, 231 Anm. 402, bereits ein, dass es sich bei der Auffassung, die Dopplung sei stilistisch nicht gelungen, um ein Geschmacksurteil handelt, das infolgedessen von einem unbegabten Redaktor ausgehen muss. 225 Vgl. Leuenberger, Segen, 230.

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rung des V. 7 generell, da jener für den Zusammenhang von tragender Bedeutung ist, wie Leuenberger selbst einräumt.226 Aus diesem Grund favorisiert er eine „isolierte Präzisierung“, bei der offenbleiben muss, weshalb eine solche Präzisierung nur hier vorgenommen worden ist und nicht ebenfalls in V. 10. Auch der Versuch Leuenbergers, eine sekundäre Jahweisierung mit parallelen außerbiblischen Belegen der EZ IIB zu beweisen, greift nicht zwingend. So ist fraglich, ob die in Gen 27,7 singulär bezeugte Formulierung „vor JHWH segnen“ tatsächlich eine „strukturell und sachlich fast identische Konstruktion“ zu der Formulierung „segnen von Seiten (‫ )ל‬JHWHs“ darstellt.227 So scheint ein Segen, der von JHWH ausgeht, doch etwas anderes zu sein als ein zwischenmenschlicher Segen, der vor JHWH, einer Zeugenschaft ähnlich, stattfindet. Schabert etwa, verweist im Zusammenhang von Gen 27,7 auf den Ausdruck einer besonderen „Tragweite“, „Feierlichkeit“ und eine mögliche „Sanktionierung durch Gott“.228

Gegen eine Präzisierung um JHWH in V. 7 spricht zum einen ihr Fehlen in V. 10, das vor dem Hintergrund einer JHWH-Präzisierung unerklärlich erscheint. Darüber hinaus fällt auf, dass Rebekka den Auftrag Isaaks auch an anderen Stellen umformuliert, was auf eine konzeptionell differente Anlage hinweist, die sich nicht nur auf eine mögliche Ergänzung JHWHs begrenzt, sondern mit den RebekkaPassagen in Gänze verbunden ist. Für eine konzeptionelle Differenz spricht, dass Jakob in V. 19 nicht die Worte seiner Mutter wiederholt, sondern denselben Bezug herstellt wie sein Vater, dessen Wortlaut er synchron besehen nicht kennt. Dass Rebekka bereits im Zusammenhang mit dem Sterbenshinweis die Adverbiale ‫ לפני‬verwendet, bereitet die Einbindung JHWHs durch die Wahl der Adverbiale sprachlich vor. Rebekka vermeidet zusätzlich, wie erwähnt, die Segensinstanz ‫ נפׁשי‬und verbindet darüber hinaus den Segensvollzug auch nicht final mit dem Essensgenuss (‫)בעבור‬, sondern ordnet jenen nur mit der Partikel ‫ ו‬bei. Der Segen findet, Rebekkas Interpretation zufolge, vor JHWH statt und hat nichts mit Isaaks Seele und dem Verzehr eines Wildbrets zu tun. JHWH ist hier insofern nicht vom Grundbestand zu lösen.229 Aufgrund der veränderten Konzeption, die sich in den Rebekka-Passagen abzeichnet, wäre deren Eliminierung aus dem Zusammenhang in Erwägung zu ziehen.230 Dies erscheint zunächst erwägenswert, denn Rebekka tritt in der Jakoberzählung ansonsten nicht mehr in Aktion. Ein sekundärer Zuwachs um die 226 Vgl. Leuenberger, Segen, 231 Anm. 404. 227 Leuenberger, Segen, 231. 228 Vgl. Scharbert, Art. ‫ברך‬, Sp. 820. 229 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 300. 230 So z. B. Levin, Jahwist, 211, der die Verse als redaktionell erachtet, in denen Rebekka initiativ handelt (Vv. 5a.6.7.8.10.15a.b.17). Etwas anders Kratz, Komposition, 272, der davon ausgeht, dass im Ursprung der Segen Esau und nicht Jakob gegolten habe. Der Segen Jakobs sei durch eine Fortschreibung von Gen 26 in Gen 27 bedingt, die eine Isaak-Esau-Erzählung mit einer Jakob-Laban-Erzählung verbinde. Insofern umfasst der Grundbestand von Gen 27 bei Kratz die Vv. 1–4.5b.18a.24–27bα.28.

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Rebekkaepisode ist jedoch nicht stringent nachzuweisen, da unklar ist, woher Jakob stattdessen die Informationen zur Segensabsicht Isaaks erhält. Zum anderen stellt das Behaarungsmotiv, das an der Rebekkaepisode hängt, ein unverzichtbares Element der Segenserzählung – als das Erkennungsmerkmal Esaus schlechthin – dar und ist über Gen 27 hinaus fest mit Gen 25* verbunden. Zuletzt nimmt Jakob Rebekkas Auftrag aus V. 6 kreativ auf indem er ‫ לפני יהוה‬zu ‫יהוה אלוהיך לפני‬ (V. 20) in seiner Notlüge spontan umformuliert. Dies weist auf einen literarischen Zusammenhang hin. Die „Konkurrenz“ zwischen Rebekkas und Isaaks Formulierung lässt sich somit nicht auf einen redaktionellen Vorgang zurückführen, sondern ist bereits auf der Ebene des Grundbestands angelegt.231 Die Erwähnung JHWHs ist auch mittels V. 20 fest in den Grundbestand von Gen 27 eingebunden. Rein formal wäre unter Absehung von V. 20 zwar ein kohäsiver Anschluss von V. 21 an V. 19 möglich,232 da sowohl V. 20 als auch V. 21 über eine ausführliche Redeeinleitung verfügen. Die Drastik der Lüge, macht es jedoch m. E. höchst zweifelhaft, dass sich eine solche Lüge ausgerechnet für die Begründung einer Jahweisierung des Zusammenhanges eignet.233 Dies ist insofern noch fraglicher, als V. 20 ein besonderes Gewicht im Rahmen dieser postulierten Redaktion zukäme. Der Redaktor würde in diesem Falle von seinem ansonsten punktuell-prägenden Stil zugunsten der Schilderung eines neuen Erzählzuges abweichen. Dies spricht m. E. deutlich gegen die Annahme einer sekundären Erweiterung um V. 20. Inhaltlich reiht sich die Nachfrage Isaaks vielmehr stringent in den Prüfungsvorgang ein. Es ist plausibel, dass sich Isaak nach dem Grund für die rasche Zubereitung erkundigt. V. 20 erfüllt – ähnlich wie die Rebekkaepisode insgesamt – das Ziel, beim Leser ein Dilemma zu verursachen: Jakobs Segnung findet auf der Grundlage eines Betrugs statt, Rebekka begeht den Betrug allerdings unter der Prämisse, dass JHWH im Segensakt gegenwärtig ist; Jakob lügt offensichtlich (V. 20), könnte allerdings aufgrund der Umstände, unter denen die Lüge zustande kommt, tatsächlich der von JHWH verifizierte Segensträger sein. Kunstvoll wird auf diese Weise JHWH bereits subtil in den Zusammenhang eingespielt, obwohl eine göttlich autorisierte Segnung erst sehr viel später stattfinden wird (Gen 32,23–33). Nicht zuletzt verursacht die Erwähnung JHWHs in V. 27b eine gewisse Reibung mit der Gottesbezeichnung Elohim, die unmittelbar im Anschluss innerhalb des Segenswortes verwendet wird. Doch auch an dieser Stelle ist die Annahme einer 231 Diese Möglichkeit räumt auch Leuenberger, Segen, 231 Anm. 405, ein. 232 Vgl. Leuenberger, Segen, 231, allerdings ohne letztgültiges Urteil: „doch spielt das hier keine Rolle“. An späterer Stelle (S. 241) erwägt Leuenberger allerdings, diesen Vers nicht der jahweisierenden Redaktion zuzuordnen. Aber auch hier ohne eindeutiges Urteil. 233 Ruppert, Genesis III, 148, spricht im Anschluss an Fokkelman, Art, 103, von einem „Missbrauch des Gottesnamens“. So auch Seebass, Vätergeschichte II/2, 301. Dagegen optimistischer Gunkel, Genesis, 311, „die alte Sage nimmt ihm das nicht besonders übel, sondern denkt: das ist gut gelogen“.

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nachträglichen, redaktionell nachweisbaren Jahweisierung nicht zwingend. Der Geruch gibt Anlass zum Segenswort, dessen Inhalte aus Isaaks Perspektive unter göttlichem Einfluss stehen. Ohne den Gottesnamen ergäbe sich der Anlass für den Segen ausschließlich aufgrund des Geruches, den Isaak mit dem Feld vergleicht. Dieser Zusammenhang erscheint obskur. Die Formelhaftigkeit des Segens weist zudem auf eine stehende Segensformel hin.234 Unter der Annahme, dass zu einer solchen Segensformel die Gottesbezeichnung Elohim gehört hat, ist folglich der abrupte Wechsel der Gottesbezeichnung zumindest erklärlich.235 Ungeachtet der punktuellen Einspielung JHWHs, die sich nicht als „diskret punktuelle Jahwisierung“236 erklären lässt, erscheint der Segen in Gen 27 aufgrund der Umstände, unter denen er zustande kommt, dennoch vergleichsweise profan. JHWH wird nie als direkter Segensspender eingeführt, sondern lediglich als entfernte Einflusssphäre angespielt.237 Insofern ist auch unter Einbezug der Passagen, die JHWH explizit thematisieren, keine direkte Konkurrenz zwischen Isaak und JHWH als Segensspender gegeben. Welche Rolle kommt Isaak im Segenszusammenhang dann zu? Leuenberger gelangt über die ‫נפׁש‬-Formulierung zu der Ansicht, Isaak gebe in Gen 27 seine „transpersonale Lebenskraft“ weiter, über die er vor seinem Tod in besonderer Weise verfüge.238 Von diesem Blickwinkel aus betrachtet ist einsichtig, dass Isaak diese Lebenskraft durch ein Mahl „magisch“ zu steigern versucht.239 Allerdings ist der Deutung Leuenbergers die Hürde in den Weg gelegt, dass Isaak nach seinem Segen nicht verstirbt und insofern die Rede von einer exklusiv-einmaligen Weitergabe der Lebenskraft mit Problemen behaftet ist. Darüber hinaus ist fraglich, ob das, was Isaak in den Segensworten verbalisiert weitergibt, tatsächlich mit einer „segensvermittelnden Lebenskraft“ stringent in Verbindung gebracht werden kann. Die Segensinhalte umfassen gerade nicht menschliche Prosperität oder das Subjekt kraftsteigernde Zusagen, sondern landwirtschaftliche Fülle und Macht. Nicht zuletzt ist die Annahme einer magisch-selbstwirksamen Übertragung insofern zu relativieren, als Gott (Elohim) in den Segensworten per se im Grundbestand (V. 28) als Zwischeninstanz enthalten ist.240 234 Vgl. z. B. Willi-Plein, Rebekkageschichte, 320. 235 Vgl. Nauerth, Untersuchungen, 53. Gegen Levin, Jahwist, 72. 236 Leuenberger, Segen, 231 f. 237 Vgl. Taschner, Verheißung, 46. 238 Vgl. Leuenberger, Segen, 238; und darüber hinaus Taschner, Verheißung, 52; Müller, Segen, 14. 239 Vgl. Leuenberger, Segen, 238. So bereits Westermann, Genesis, 536; Boeker, Isaak, 45; von Rad, Genesis, 222; Levin, Jahwist, 209. Willi-Plein, Genesis, 177. Früher auch Albertz, Segen Gottes, 95, neuerdings jedoch kritisch. Vgl. Albertz, Bedeutung, 140. Gegen ein magisches Verständnis auch Scharbert, Art. ‫ברך‬, Sp. 817. 240 Bereits der Landwirtschaftssegen beweist, dass der Segen dennoch nicht untheologisch gedacht ist. Albertz, Bedeutung, 140 f., hat in diesem Zusammenhang auch auf die Untersuchung von Schmitt, Magie, verwiesen, in der jener nachweist, dass die Magie stets göttliches

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Zur Auffassung einer segensvermittelnden Lebenskraft, über die der Mensch vor seinem Tod in besonderem Maße verfügt, gelangt Leuenberger insofern weniger über den Inhalt der Segensworte als über den Begriff der ‫נפׁש‬. Nun sind jedoch in Gen 27 Isaaks Seele und Isaak als Person promiscue verwendet. Insofern erscheint es problematisch, den Aspekt der Lebenskraft, der der ‫ נפׁש‬unbestritten zueigen ist,241 sachlich verengt der Verfügungsgewalt des Subjektes zu unterstellen, indem sie sich transpersonal übertragen, oder sich am Lebensende potenzieren ließe.242 Lässt sich die besondere ‫נפׁש‬-Formulierung in diesem Zusammenhang zumindest unter erzählerischen Gesichtspunkten als Anzeichen einer beabsichtigten „Färbung“ des Geschehens erklären? Analog zum akkadischen Wort napištu bezeichnet ‫ נפׁש‬in ursprünglicher Bedeutung „Kehle“, eingedenk der damit verbundenen körperlichen Funktionen des Atmens und Essensgenusses.243 Neben der Bedeutung „Kehle“ kann als körperliche Funktion mit ‫ נפׁש‬metonymisch auch deren Funktion von Hunger und Verlangen nach Essen / Gier verbunden sein.244 Darüber hinaus ist der Begriff im Kontext des Psalters verwendet, um Lob aufgrund erfahrener Wohltaten auszusprechen.245 In Gen 27 scheint dieser Bedeutungshorizont der ‫ נפׁש‬treffend repräsentiert und sehr viel körperlicher gedacht, als es die Annahme einer Kraftübertragung zulässt.246 Dabei spielt die kausale Verbindung zwischen der ‫ נפׁש‬und dem Wildbretgenuss eine entscheidende Rolle, dessen Betonung immer schon als Kuriosum aufgefallen ist.247 Die Intention, die hinter dieser betonten Verbindung steht, liegt weniger in einer magisch gesteigerten Kraftübertragung begründet, als vielmehr Eingreifen vorbereitet und insofern mit jener Hand in Hand geht. Folglich wäre ein magisches Segensverständnis bereits insofern nicht gegen ein „jahwistisches“ Verständnis anzuführen, noch ungeachtet, ob sich an dieser Stelle ein magisches Segensverständnis als plausibel erweist. Vgl. auch Schabert, Art. ‫ברך‬, Sp. 820. 241 Vgl. Seebass, Art. ‫נפשׁ‬,‎544: „Seelenkraft, das Sprudeln von Personalität, die alle tristesse bannende Energie“. Vgl. insbes. Janowski, næpæš, 13 Anm. 8; Müller, Lobe den Herrn, 160–171. 242 Gerade die Bedeutung von ‫ נפׁש‬als Lebenskraft zeigt eine sehr viel umfassendere Konzeption an. Wie sich anhand der Belegstellen, die Müller, Lobe den Herrn, 160–171, für dieses Bedeutungsspektrum anführt, erkennen lässt, kann die ‫ נפׁש‬weggenommen und zurückgeführt, nicht aber gesteigert werden. 243 Neben der Atemfunktion und Luftröhre auch die Speiseröhre und Gemütszustände, die damit verbunden sind, wie Gier oder Verlangen. Vgl. dazu Seebass, Art. ‫נפשׁ‬,‎ 544; Wolff, Anthropologie, 34–38; Janowski, næpæš, 21 f. Vgl. zum Gebrauch in akkadischen Texten Müller, Lobe den Herrn, 126 f. 244 Vgl. Janowski, næpæš, 22; Seebass, Art. ‫נפשׁ‬,‎544. 245 In Psalmen, die die ‫ נפׁש‬zum Segnen auffordern (Ps 103,1 f.22; 104,1.35), erweist sich die ‫ נפׁש‬vielmehr als Instanz einer überschwänglichen Lebensäußerung des ganzen Menschen. Vgl. Janowski, næpæš, 23, der sie im Zuge des „vitalen Selbst“ nennt. Vgl. dazu auch Müller, Lobe den Herrn, 230–233. 246 Vgl. auch Wolff, Anthropologie, 53, der gegen ein magisches Verständnis den pronominalen Gebrauch anführt. Darüber hinaus auch Müller, Lobe den Herrn, 242. 247 Auch sprachlich lässt sich eine Betonung des Wildbrets beobachten, das durch eine figura etymologica in Szene gesetzt wird.

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in einer Färbung des Segensaktes selbst. Die Segensabsicht Isaaks wird bereits in Gen 25,28 implizit durch die Notiz vorbereitet, Isaak bevorzuge seinen Sohn Esau, da ihm das Wildbret seines Sohnes munde. Auch in Gen 27,4a.9b wird diese besondere Vorliebe hinsichtlich der Speisen mehrmals betont (‫כאשׁר אהבתי‬, V. 4a/ ‫כאשׁר אהב‬, V. 9b). Der erzählerische Einsatz der ‫ נפׁש‬dient folglich im Verbund mit den Vorliebenotizen dazu, den Segen Isaaks an dessen Essensvorliebe zu binden.248 In dieser Art der Verbindung deutet sich insbesondere ein kritischer Zug gegenüber Esau und den Prämissen an, unter denen die Segenshandlung in Gen 27 stattfindet. Esau wird durchaus als erstgeborener Sohn eingeführt. Vor dem Hintergrund von Gen 25,28 läuft allerdings im Subtext des gesamten Segensprozesses von Gen 27 mit, dass sich diese Segensabsicht nicht der Erstgeborenenstellung, sondern einem Geschmacksurteil verdankt.249 Der betonte Genussaspekt stellt den Segen nachdrücklich unter profane Vorzeichen. Dies wird nicht zuletzt in dem erzählerisch angelegten Kontrast zu Rebekkas Eingreifen ersichtlich, die das Geschehen in einen theologischen Horizont stellt, indem sie in der Wiedergabe der Rede Isaaks JHWH ergänzt. Dass dem Zusammenhang eine solch kritische Nuance tatsächlich zukommt, kann nicht zuletzt ein Verweis auf Prov 23,1–8 und die dortige kritische Verwendung des Lexems ‫ מטעמים‬stützen.

3.2.5.2 Die Bedeutung des „Erstgeburtssegens“ In der Erzelternerzählung im Allgemeinen wie in der Jakoberzählung im Besonderen konstituiert sich das Volk Israel genealogisch. Da sich im traditionsgeschichtlichen Umfeld der Texte eine familiäre Nachfolge klassisch am Vorrecht des Erstgeborenen orientiert, ist diese Prämisse bei den Autoren als Lesererwartung vorauszusetzen. Umso bezeichnender ist, dass diese prinzipielle Orientierung am Erstgeborenen in den Erzelternerzählungen entweder nicht eigens thematisiert, oder – wie Benedikt Hensel in seiner umfassenden Studie gezeigt hat250 – bewusst durchbrochen wird. Während bei Abraham und Terach eine Logik der genealogischen Umkehrung weniger offensichtlich ist,251 offenbart sich im Falle der Ab-

248 Anders Albertz, Bedeutung, 141 f., der beobachtet, dass die ‫ נפׁש‬Isaaks nur dann erwähnt wird, wenn Segensspender und Segensempfänger konkret durch das Ritual miteinander in Beziehung treten. Wo Dritte über den Prozess berichten, werde Isaak selbst genannt. Insofern könnte sich darin eine besondere Nähe zwischen Isaak und dem Segensempfänger abzeichnen. Allerdings steht der Ansicht Albertz V. 37 entgegen, wo Isaak selbst von seiner Segnung berichtet, dort allerdings ebenfalls nicht den Begriff der ‫ נפׁש‬bemüht, was insbesondere dann naheläge, wenn er betonen will, dass er den Segensempfänger bereits „von ganzem Herzen“ gesegnet hat. 249 Vgl. zu dieser Beobachtung auch Van Seters, Prologue, 284. 250 Hensel, Vertauschung. Vgl. zu früheren Arbeiten der Forschungsgeschichte, die eine Durchbrechung dieses Prinzips ebenfalls für auffällig erachten, Hieke, Genealogien, 39 Anm. 81. 251 Hensel will „die Vertauschung des Erstgeburtssegens“ in der Genesis vielfach finden und spricht daher von einem Erzählgerüst der Genesis. Der Titel von Hensels Buch ist allerdings

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raham-Söhne nicht der erstgeborene Ismael als Repräsentant der genealogischen Hauptlinie, sondern der zweitgeborene Isaak. Ebenso verhält es sich bei Esau und Jakob sowie an späterer Stelle bei den Jakob-Söhnen. Gerade mittels der Durchbrechung dieses Prinzips, die innerhalb der Texte auch als bewusste Durchbrechung angezeigt ist, wird in den Erzelternerzählungen das Thema der göttlichen Erwählung narratologisch implementiert.252 An die Stelle einer automatischen Sukzession, die sich aus dem geburtlichen Zufall ergibt, treten der göttliche Segen und die göttliche Verheißung als bestimmende Faktoren für die Konstitution des Volkes Israel. Die Texte spielen, ähnlich wie im Falle der Unfruchtbarkeit der Erzmütter,253 insofern mit einer Durchbrechung der Lesererwartung, um einem bewussten göttlichen Eingriff narrativ den Weg zu ebnen.254 Mit Hieke zeigt sich, „dass der Segen einerseits permanenter Aktualisierung bedarf, andererseits an die Abfolge der Generationen geknüpft ist. Diese Konstellation ermöglicht es zum einen, dass Gott stets souverän und frei Gnade schenken kann, zum anderen aber auch, dass die Vermittlung des Segens unabhängig von Gebäuden und Institutionen und damit unzerstörbar ist, solange es Menschen gibt.“255 Gen 27 stellt trotz der Parallelen in diesem Zusammenhang kein idealtypisches Paradigma dar, sondern ist von seiner konzeptionellen Anlage her exzeptionell. Die narratologische Verortung in einer angedeuteten Sterbesituation (Alter, eingeschränktes Sehvermögen) und der Begriff ‫ בכור‬weisen unmissverständlich darauf hin, dass hier die Szenerie einer Erbschafssituation entworfen wird.256 An keiner anderen Stelle – von dem von Gen 27 abhängigen Text in Gen 48 einmal abgesehen – wird der profanrechtliche Zusammenhang der natürlichen Erstgeborenen-

missverständlich, da sich lediglich in Gen 27 und in Gen 48 tatsächlich ein „Erstgeburtssegen“ ausmachen lässt. In den sonstigen Erzählungen, die Hensel anführt, treffen die Themen „Erstgeburt“ und „Segen“ nicht deutlich aufeinander. Vielmehr etabliert sich der Verheißungsträger in der Genesis höchst unterschiedlich und ist auch nicht immer zwingend an eine Vertauschung der Geburtsreihenfolge gebunden. Insbesondere im Falle von Sem, Ham und Jafet wie auch im Falle Abraham, Nahor und Haran erscheint mir die Rekonstruktion von Hensel konstruiert. Dabei ist nicht ersichtlich, weshalb es sich bei der Trias nicht um die natürliche Geburtsreihenfolge handeln sollte. In gewisser Hinsicht ist richtig, dass sich in der Erzählung um Abraham und Lot Erbschaftsfragen niederschlagen, da es letztlich darum geht, ob Abraham oder sein Neffe sich das Land aneignen. Von einer direkten Vertauschung hingegen kann nicht die Rede sein. So sind die Themen „Qualifizierung des Erstlings“ und „Vertauschung der Geburtsreihenfolge“ gerade nicht in allen Erzählungen deutlich zu erkennen. Auch bei Kain und Abel wird zwar das Opfer des jüngeren Bruders anerkannt, dadurch etabliert er sich jedoch nicht gleichzeitig als Verheißungsträger. 252 Vgl. insbes. Hensel, Vertauschung, 260–263. Zuvor z. B. bereits Knoppers, Eldest Son, 125. 253 Vgl. Hensel, Vertauschung, 272–277. 254 Vgl. dazu insbes. auch Hieke, Genealogien, 257–263. 255 Hieke, Genealogien, 257. 256 Vgl. Taschner, Verheißung, 38 Anm. 91, der auf weitere alttestamentliche Texte mit ähnlichem Setting eines Erbes verweist.

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stellung derart stark eingespielt und mit dem Segen verbunden.257 Doch auch in Gen 27 stellt der in den Übersetzungen etablierte Begriff „Erstgeburtssegen“ als Titel der Erzählung einen Anachronismus dar, insofern der Segen nicht an den Erstgeborenen ergeht und die Segensabsicht in Gen 25,28 nicht durch die Erstgeborenenstellung motiviert scheint.258 Abseits der Jakoberzählung lässt sich ein „Erstgeburtssegen“ ebenfalls nicht feststellen. In der Isaakerzählung ist der göttlich vermittelte Segen nicht mit dem Thema Erstgeburt korreliert, und der Erwählung Abrahams wird mittels göttlicher Verheißung Ausdruck verliehen. Welche Funktion erfüllt der Umstand der Erstgeburt mithin in Gen 27? Und weshalb wird in Gen 27 literarisch ein „Erstgeburtssegen“ entworfen, der einen Erwählungscharakter vermissen lässt? Segen ist konzeptionell kein Phänomen, dem per se ein Ausschließlichkeitsanspruch inhärent ist, insofern er in unterschiedlichen Kontexten an mehrere Personen göttlicher- und menschlicherseits ausgesprochen werden kann.259 Da von einer magischen Kraftübertragung als vorausgesetztes Segensverständnis in Gen 27 Abstand zu nehmen ist, ist insofern rein konzeptionell ein weiterer Segen über Esau möglich. Gen 27 will diesen Segen allerdings in seiner Einmaligkeit herausstellen. Der gesundheitliche Zustand, in dem sich Isaak befindet, und die explizite Bezeichnung Esaus als Erstgeborenen, rücken den Segen aus Gen 27 zudem in den Bedeutungshorizont eines Erbes und schüren damit die Vorstellung von einem Segen, der exklusiv ist und ausschlaggebend für die Familiengenealogie. Obwohl Gen 27 die Logik einer automatischen Vorrangstellung des Erstgeborenen faktisch aufweicht, wird die Erstgeburtsthematik durch dieses Segensverständnis subtil eingespielt. Im übrigen non-P-Bestand der Erzelternerzählung bestimmt stets der göttliche Segen die Verheißungslinie. Gen 27 ist von der Idee der Erwählung insofern nicht nur aufgrund des Betrugs weit entfernt.260 Zunächst handelt es sich um einen auffallend profanen Segen, der für die theologische Legitimierung einer 257 Insofern kann Gen 27 unter traditionsgeschichtlichen Gesichtspunkten auch nur schwer als einziger Text für einen institutionalisierten Sterbebettsegensritus herangezogen werden, was in der älteren Forschung noch häufig mit Verweis auf altorientalische Vergleichstexte versucht worden ist. So z. B. Speiser, Day. Vgl. dazu auch die Kritik bei Van Seters, Prologue, 284 f. Ebenfalls bereits Eising, Untersuchung, 64: „Es ist schon fraglich, ob die eigentlich selbstverständliche Beerbung noch eines feierlichen Aktes vor dem Tode des Erblassers bedarf.“ 258 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 299, der betont, dass Isaak die Segnung freisteht. 259 Vgl. dazu insbesondere die umfassende Studie Leuenbergers, Segen. Darüber hinaus Schabert, Art. ‫ברך‬. 260 Vgl. hierzu und im Folgenden insbes. Taschner, Verheißung, 53 ff. Dagegen Carr, Βίβλος γενέσεως II, 337, der Gen 26 für das Segensverständnis von Gen 27 insofern für zentral hält, als über die dortige Parallelisierung zwischen Isaak und Abraham angezeigt werde, dass Gen 27 kein profaner Segen, sondern die Weitergabe des Abrahamsegens darstelle. Dieser Auffassung steht die redaktionsgeschichtliche Bewertung von Gen 26 in diachroner Hinsicht entgegen, ist als sekundäre Umprägung des Segensverständnisses in Gen 27 jedoch plausibel.

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Gründungserzählung kaum tauglich erscheint. Darüber hinaus fällt der Segen familiären Querelen erfolgreich zum Opfer, was ihn als verlässliche Quelle für den Fortbestand der Verheißungslinie fraglich erscheinen lässt. Unzweifelhaft bescheinigt der erfolgreiche Betrug in Verbindung mit seiner Unumkehrbarkeit Jakob einen Vorzug gegenüber seinem Bruder. Dies wird durch die Kategorie des Segens eingespielt, da im performativen Aussprechen auch eine gewisse Wirksamkeit vorausgesetzt wird, die im Falle eines Segens an der göttlichen Sphäre Anteil hat. Allerdings kann Jakob aus dem Segen aufgrund seiner daraus resultierenden Flucht zunächst keinerlei Nutzen ziehen, worin sich bereits sein Defizit abzeichnet. So greift zwar die zwischenmenschliche Segenstatsache, nicht aber die Segensvorzüge, deren Erfolgsbescheinigung der Zukunft anvertraut ist.261 Die Darstellung eines defizitären zwischenmenschlichen Segens verweist auf eine noch ausstehende eigentliche Bestätigung des Verheißungsträgers. Diese Funktion scheint die Jabbokerzählung in Gen 32,23–33 auszufüllen, die sach­ logisch Gewicht auf die Segensinstanz legt. Auch dies ist innerhalb des ATs exzeptionell. Gleichzeitig wäre Gen 32,23–33 in seiner völkergeschichtlichen Ausrichtung, die in der Umbenennung des Betrügers Jakob zu Israel greifbar wird, unvollständig, wenn nicht bereits durch Gen 27 angezeigt wäre, dass ein Segen genealogisch gebunden sein kann. Im Horizont von Gen 27 verstehen sich die Nachkommen Jakobs insofern als „Segenserben“. Indem der Autor von Gen 27 den Segen in der vorliegenden Weise in Szene setzt, versucht er eine Funktion abzudecken, die die Verheißungstexte innerhalb der Jakoberzählung auf einer späteren entstehungsgeschichtlichen Stufe vergleichsweise selbstverständlich erfüllen können, da zu diesem Zeitpunkt die genealogische Sukzession der Erzväter entweder bereits literarisch etabliert ist, oder sich eben dadurch literarisch etabliert. Ob Gen 32,23–33 tatsächlich auf derselben redaktionsgeschichtlichen Stufe zu verorten ist wie Gen 27 und ob die beiden Segensvorstellungen mithin komplementär angelegt sind, wird eine eingehende Analyse von Gen 32,23–33 zu zeigen haben. Vorsichtig mag die Tatsache, dass Rebekka bereits in Gen 27 auf JHWH verweist, die noch ausstehende theologische Verifizierung Jakobs als Verheißungsträger bereits andeuten.

3.2.6 Überlieferungsgeschichtliche Bewertung Im Grundbestand von Gen 27 (Vv. 1–28.30–35.41–45) werden alle für Gen 27 relevanten erzählerischen Voraussetzungen innerhalb der Erzählung selbst geliefert. Daher liegt der Rückschluss auf eine selbständige Einzelerzählung nicht fern.262 261 Vgl. Hensel, Vertauschung, 150. 262 Vgl. Gunkel, Genesis, 295; Ruppert, Genesis III, 140; Blum, Komposition, 86–88; Wahl, Jakobserzählungen, 287; Westermann, Genesis I/2, 530; Leuenberger, Segen, 235.

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Allerdings ist Gen 27 derart stringent mit dem Vor- und dem Folgekontext verbunden, dass die Annahme einer Einzelerzählung fraglich erscheint. Ohne die Exposition in Gen 25* ist die Segenserzählung nicht hinreichend verständlich.263 Dies betrifft zum einen die Vorliebe der Eltern für jeweils einen Sohn, die innerhalb von Gen 27 nicht weiter begründet ist. Zum anderen wird in Gen 25,19–28* die für Gen 27 bestimmende Behaarung Esaus eingeführt, und die in der Exposition verankerte Zwillingschaft verweist auf die Brisanz der Nachfolgeregelung.264 Ein Einsatz der Jakoberzählung mit Gen 27 ist ohnehin unwahrscheinlich, da das hochbetagte Alter Isaaks die Voraussetzung einer Vorgeschichte nahelegt. Insofern wird es sich bei der Exposition in Gen 25,21–28 nicht um eine sekundäre Vorschaltung handeln.265 Da sich Gen 25,29–34 als sekundär erwies und Gen 27,1–45 für den Gesamtaufriss der Jakoberzählung aufgrund der Segensthematik von tragender Bedeutung ist, ist der Grundbestand von Gen 27,1–45 als Midrasch zu Gen 25,29–34, wie Otto es vorgeschlagen hat,266 ebenso wenig plausibel. Gegen eine Einzelerzählung spricht zudem, dass Gen 27,1–45 auf eine Fortsetzung angelegt ist. Neben der augenfälligen Zukunftsausrichtung des Teil­ abschnittes Gen 27,41–45 ist jene auch in der Aussage Isaaks inbegriffen, er kenne den Tag seines Todes nicht. Der sperrige Hinweis ist nur sinnig, wenn Isaak danach nicht unmittelbar verstirbt,267 wovon am Ende von Gen 27 entsprechend nicht berichtet wird. Esaus Wut auf Jakob wird nicht erst in Gen 27,41–45 angestoßen, sondern dürfte bereits mit Gen 27,35 im Blick sein. Seit Esau um die Identität des Betrügers weiß, ist nicht mehr mit einem friedlichen Ausgang des Konfliktes zu rechnen. Ebenso kann die Zusage, Rebekka werde den Fluch auf sich nehmen, als eingeholt gelten, da sie ihren Sohn in der Jakoberzählung nicht mehr wiedersehen wird.268

263 Vgl. Blum, Jacob Tradition, 189, insbes. Anm. 21. 264 Vgl. zu den genannten Argumenten bereits Blum, Komposition, 68. 265 Gegen etwa die Erwägung von Wöhrle, Koexistenz, 310 Anm. 11, der eine sekundäre Voranstellung der Exposition in Erwägung zieht. Zuvor etwa Kratz, Komposition, 275. Zur Gegen­position vgl. Taschner, Verheißung, 53 f. 266 Vgl. Otto, Sichem, 31; Otto, Art. Jakob, Sp. 353. Ähnlich auch Nauerth, Untersuchungen, 70 ff. 283 ff. 267 Vgl. Boecker, Isaak, 46. 268 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 300.

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3.3 Segensreiche Aussendung statt Flucht – ein Alternativvorschlag der Priesterschrift in Gen 25–27* 3.3.1 Übersetzung Und dies (sind) die Geschlechterfolgen Isaaks, des Sohnes Abrahams; Abraham zeugte Isaak. 20Und es geschah, als Isaak 40 Jahre alt war, da nahm er Rebekka, die Tochter Betuels, des Aramäers aus Paddan-Aram, die Schwester Labans, des Aramäers, für sich zur Frau. […] 26bIsaak war 60 Jahre alt, als er sie zeugte. […] 26,34 Und es geschah, als Esau 40 Jahre alt war, nahm er (zur) Frau, Judit, die Tochter Beeris, des Hethiters269, und Basmat, die Tochter Elons, des Hethiters. 35Und sie waren ein bitterer Geist für Isaak und Rebekka. […] 27,46Und Rebekka sprach zu Isaak: „Ich bin meines Lebens überdrüssig angesichts der Töchter Heths. Wenn Jakob eine Frau nimmt von den Töchtern Heths wie diese von den Töchtern des Landes: Warum soll ich (dann noch) leben?“ 28,1Und Isaak rief nach Jakob und er segnete ihn und er befahl ihm und er sprach zu ihm: „Du sollst keine Frau von den Töchtern Kanaans nehmen! 2Mache dich auf, gehe nach Paddan Aram in das Haus Betuels, des Vaters deiner Mutter, und nimm für dich von dort eine Frau von den Töchtern Labans, des Bruders deiner Mutter. 3Und Gott der Allmächtige segne dich und mache dich fruchtbar und mehre dich und du sollst eine Menge von Völkern sein. 4Und er möge dir den Segen Abrahams geben, dir und deinen Nachkommen mit dir, damit du das Land deiner Fremdlingschaft besitzt, das Gott Abraham gegeben hat.“ 5Und Isaak sandte Jakob aus und er ging nach Paddan Aram zu Laban, dem Sohn Betuels des Aramäers, dem Bruder Rebekkas, der Mutter Jakobs und Esaus. 6Und Esau sah, dass Isaak Jakob gesegnet hatte und ihn nach Paddan Aram gesandt hatte, damit er sich von dort eine Frau nehme, indem er ihn segnete und ihm gegenüber geboten hatte indem er sprach: „Du sollst dir keine Frau von den Töchtern Kanaans nehmen!“ 7Und Jakob hörte auf seinen Vater und auf seine Mutter und er ging nach Paddan Aram. 8Und Esau sah, dass die Töchter Kanaans böse waren in den Augen seines Vaters Isaak. 9Und Esau ging zu Ismael und er nahm Machalat, die Tochter Ismaels, des Sohnes Abrahams, die Schwester Nebajots, über seine Frauen (hinaus) für sich zur Frau. 25,19

269 Smr, G und S verbinden die Herkunft der ersten Frau Esaus mit den Hiwitern. Die textkritische Entscheidung ist hier nicht einfach zu lösen, da im AT sowohl Hiwiter als auch Hethiter als Vorbewohner des Landes gelten. Gen 36,2–5 setzt eine Verschwägerung mit den Hiwitern voraus, wenngleich es sich ohnehin um eine offenbar andere genealogische Tradition zu Esaus Ehen handelt. Insofern soll hier zugunsten des MT entschieden werden.

Segensreiche Aussendung statt Flucht 

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3.3.2 Die Funktion der Priesterschrift in Gen 25–27* Der Umfang der priesterlichen Passagen, die mit Gen 25–27* in Zusammenhang stehen, ist nahezu unbestritten.270 Die Verse Gen 25,19 f.26b ließen sich bereits über die Toledot-Formel, die Altersangaben Isaaks in V. 20 und V. 26b sowie die Erwähnung der Herkunft Rebekkas aus Paddan Aram als priesterschriftlich identifizieren. Ähnlich eindeutig liegt der Fall bei Gen 26,34 f.; 28,1–9. Das vorrangige Interesse der P in den besagten Abschnitten gilt der Heiratspolitik der Isaak-Söhne. Umstritten ist hingegen das Verhältnis der P zu ihrem nichtpriesterlichen Kontext.271 Im synchronen Aufriss des Zusammenhanges fungiert die P in weiten Teilen als Kommentar zu Gen 27.272 So disqualifiziert sie – vorbereitend zum Segensbetrug in Gen 26,34 f. – Esau mit Verweis auf die Heirat fremdländischer Frauen als genealogischen Vorreiter in der Verheißungslinie. Ebenso verfährt P im Nachgang zu Gen 27,1–45 in Gen 27,46–28,9. Sie begründet Jakobs Reise dort nicht mit einer Flucht, sondern mit einer standesgemäßen Heiratsabsicht. Jakob wird insofern über einen implizit kritischen Bezug auf die Ehen Esaus mit dem väterlichen Segen ausgestattet und unter positiven Vorzeichen zu Laban entsandt.273 Fraglich ist, ob P seit jeher auf ihre Kommentarfunktion angelegt ist, es sich folglich um eine Redaktion handelt,274 oder ob ein Redaktor die P-Quelle zwecks dieser Funktion in den non-P-Kontext eingegliedert hat.275 Die Beurteilung ist dadurch erschwert, dass P keine offensichtlichen Inkohärenzen mit dem Kontext verursacht. P schmiegt sich sowohl szenisch als auch inhaltlich vorbehaltlos an das sie umgebende Textmaterial an. Dies gilt auch gegen das häufig eingebrachte Argument einer Dublette. Zwar begründet P die Reise Jakobs anders, doch ist diese Umakzentuierung auf der Endtextebene durchaus als additiver Erzählfortschritt für den Leser verstehbar. Gegenläufig dazu lässt sich in Gen 25,21 f.26b ohne den Kontext kein kohärenter Erzählfaden erkennen. P setzt in der vorliegenden Ge-

270 Vgl. etwa Wellhausen, Composition, 30. Vgl. stellvertretend für die jüngere Forschungsgeschichte Wöhrle, Fremdlinge, 71–75. 271 Zur Debatte vgl. insbes. Hartenstein / Schmid (Hgg.), Abschied. Darüber hinaus Gertz, Tora, 237–248; Finkelstein / Römer, Comments, 334 f. 272 Vgl. Zakovitch, Interpretation, 103 f.; Blum, Komposition, 264. 273 Vgl. Einsing, Untersuchung, 85–87; Blum, Komposition, 264; Taschner, Verheißung, 223–227; Hensel, Vertauschung, 151–153; Hieke, Genealogien, 54: „Esau grenzt sich damit selbst aus“. Boecker, Isaak, 40 f., erklärt sich die Unterbrechung von Gen 26,34 f. und Gen 27,46–28,9 so, dass durch Gen  26,34 f. Isaaks Alter in Kombination mit Gen  25,26b bei Esaus Hochzeit 100 Jahre beträgt und insofern das Alter Isaaks in Gen 27,1–45 stringent vorbereitet wird. 274 So bspw. Wöhrle, Fremdlinge, 71–75. 275 So bspw. Carr, Fractures, 88.

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stalt deutlich die Unfruchtbarkeit Rebekkas sowie die Geburt der Zwillinge voraus, womit die Anschmiegsamkeit zur Abhängigkeit avanciert.276 Gleichwohl fördert eine isolierte Betrachtung der P-Verse passagenweise ein hohes Maß an Kohärenz zu Tage. Insbesondere Gen 26,34 f.; 27,46; 28,1–9 bilden einen bruchlosen Erzählfaden.277 P entwickelt hier durchaus ein eigenständiges Programm, indem sie sowohl einen Anlass für Jakobs Abreise (die Negativauswirkungen der Heirat Esaus) liefert, als auch einen eigenständigen Segen. Darüber hinaus integriert sie Esau über die Verschwägerung mit der Nebenlinie der Ismaeliter wieder in das genealogische Bild der Vätererzählung. Gegen die Quellenbeurteilung spricht dennoch hartnäckig eine fehlende kontextunabhängige Geburtsnotiz in P. Um dieses Problem im Rahmen des Quellenmodells zu lösen, rechnet man gängig mit einem Wegfall der P-Geburtsnotiz,278 was nicht recht befriedigen will, da sie im Anschluss an Wöhrle nahezu deckungsgleich mit dem non-P-Text gewesen sein müsste.279 So reicht die Annahme einer kurzen, in P weggefallenen Notiz nicht aus, da der zeitliche Abstand zwischen Heirat und Geburt zumindest darüber hinaus eine Notiz über die Unfruchtbarkeit Rebekkas voraussetzt.280 Lässt sich auf der Grundlage der Kohärenzkriterien dem Problem nicht befriedigend beikommen, sind die Parallelen zwischen P und non-P für eine Abhängigkeit einschlägiger.281 Die initiative Rolle Rebekkas setzt sich auch im P-Faden auffallend fort, indem sie den eigentlichen Anlass zu Jakobs Aussendung gibt. In dieser Aufforderung verbergen sich bemerkenswerte sprachliche Parallelen zu 276 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 72, im Anschluss an Ska, Ouverture, 14 Anm. 13, und Westermann, Genesis I/2, 502. Darüber hinaus auch Blum, Profil, 35 f. 277 Vgl. Blum, Profil, 40; Taschner, Verheißung, 223–227. Wöhrle, Fremdlinge, 76, bestreitet eine Anschlussfähigkeit von Gen 27,46 an Gen 26,34, da eine alleinige Initiative Rebekkas in Gen 27,46 nach einer Notiz über das gemeinsame elterliche Unglück über die Ehen ihres Sohnes Esau (Gen 26,34 f.) nicht erklärbar sei. Dieses Argument überzeugt allerdings nicht restlos, da sich mit Gen 27,46 eine Änderung der Blickrichtung auf Jakob vollzieht, die durchaus eine derart formulierte Initiative Rebekkas rechtfertigt. Mitunter versuchten Vertreter einer P als Quelle Gen 27,46 aus dem Zusammenhang zu lösen. Vgl. Gunkel, Genesis, 315; Levin, Jahwist, 215; Nauerth, Untersuchungen, 28–30. Dieses Urteil speist sich jedoch aus kompositionsgeschichtlichen Erwägungen und ist angesichts der Stringenz der isolierten P-Verse nicht zu rechtfertigen. Das Gegenargument von Wöhrle, Fremdlinge, 77 f., in Gen 26,34; 27,46 und 28,1 vollziehe sich ein Identifikationsprozess zwischen den Töchtern Heths und den Töchtern des Landes mit den Töchtern Kanaans kann insofern nicht überzeugen, da Wöhrle voraussetzt, dass einem Leser die Transferleistung von den Töchtern Heths zu den Töchtern Kanaans verwehrt ist. Dies erscheint mir jedoch ein schwaches Argument insofern die Hethiter in Gen 36,2 mit den Kanaanäern identifiziert werden können. Vgl. Hensel, Vertauschung, 152 Anm. 379, mit weiteren Belegen. 278 So etwa Weimar, Aufbau, 238 f., insbes. Anm. 49; Pola, Priesterschrift, 46. 279 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 73. 280 Vgl. Wöhrle, Master Key, 398. Zu dieser Beobachtung bereits von Rad, Genesis, 212. 281 Vgl. Blum, Komposition, 264; Finkelstein / Römer, Comments, 335. Carr, Fractures, 87, wertet die szenischen Parallelen zwischen den P- und non-P-Textanteilen so aus, dass P unter der Absicht konzipiert wurde, non-P zu ersetzen.

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Gen 25,22 und Gen 27,45 (non-P), insofern es sich in allen Fällen um rhetorische Fragen Rebekkas handelt.282 Darüber hinaus stellen Gen 25,22 und Gen 27,46 beide mit ‫ אם‬eingeleitete Konditionalsätze dar, die mit ‫ למה‬weitergeführt werden. Inhaltlich mag sich in Gen 28,7 ein Rückbezug auf non-P abzeichnen,283 allerdings ist dieses Urteil nicht sicher zu gewinnen. Da der Erzähler in Gen 28,7 zu Wort kommt, ist auch möglich, dass sich jener summarisch auf Gen 27,46 rückbezieht.284 Ein Rückbezug auf die Aufforderung Rebekkas in non-P ist schon daher eher unwahrscheinlich, als P gerade eine andere Begründung für die Reise Jakobs liefern will. Dagegen sind sich wiederum Gen 28,6 und Gen 27,41 in Grundzügen nahe. In beiden Belegen wird Esau des Segens seines Vaters gewahr und unternimmt im Anschluss Schritte, um auf seine familiäre Position einzuwirken. Entgegen der Tötungsabsicht im non-P-Bestand reagiert Esau in P mit einer erneuten Heirat. Innerhalb der P steht der Hinweis auf den Segen in Gen 28,6 mit Esaus Handeln im Anschluss nur lose in Verbindung. Seine Heirat mit Mahalat zielt auf eine Revidierung des elterlichen Urteils ab, nicht jedoch auf einen Segen. Die Art und Weise der Verknüpfung von Segen und Heiratsthematik in P deutet darauf hin, dass Gen 27,1–45 dort vorausgesetzt ist. P schließt den Segen zwar andeutungsweise in den Konflikt ein, verlagert die Konfliktträchtigkeit allerdings auf die Fremdfrauenheirat, und kann so eine Verbindung mit der Segensverheißung an Abraham schaffen, die unter keinen zweifelhaften Vorzeichen mehr steht.285 Dieser Verlagerungsprozess zeichnet sich in der identischen Satzeinleitung von V.6a und 8a ab. Zuletzt verfolgt P eine ähnliche Strategie wie die redaktionell erweiternden Passagen zu Gen 25–27*, allerdings unter anderen Vorzeichen. Zu Ungunsten Esaus wird Jakob als würdiger Nachfolger etabliert. Nicht zuletzt lässt sich diese Strategie auch in der priesterschriftlichen Bet-El-Erzählung (Gen 35,9–15) erkennen. P qualifiziert hier die Bedeutung des Ortes Bet-El durch eine Gegenerzählung zum nichtpriesterlichen Kontext ab.286 Der Redaktor der Linsengerichtserzählung verfolgt im Rahmen von Gen 25* eine ganz ähnliche Strategie. P mildert die harschen Töne gegen Esau hingegen deutlich ab, die in den redaktionellen Passagen des non-P-Bestandes greifbar sind (insbes. Gen 25,34). Dafür spricht auch, dass 282 Vgl. Levin, Jahwist, 215; Westermann, Genesis I/2, 545. 283 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 78.; Blum, Komposition, 264. Mitunter wird der Abschnitt von Gen 28,6–9 als sekundäre Erweiterung zu Pg beurteilt. Vgl. Levin, Jahwist, 214; Nauerth, Untersuchungen, 29; Weimar, Aufbau, 237 Anm. 45. 284 Auch im Zusammenhang mit Gen 27 ließ sich zeigen, dass sich der Autor nicht immer sklavisch an die interszenischen Logiken hält. So spricht Jakob Isaaks Auftrag in Gen  27,19 mit anderen Worten aus, als er durch Rebekka in Gen 27,7 davon unterrichtet worden ist. Dies spricht auch gegen den Einwand Seebass, Vätergeschichte II/2, der eine Abhängigkeit bestreitet, da Esau von Rebekkas Auftrag nichts habe wissen können. 285 Vgl. Blum, Komposition, 263; Levin, Jahwist, 214. 286 Vgl. Blum, Profil, 47–49.

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P die Schilderung eines Konfliktes zwischen Jakob und Esau zugunsten eines genealogischen Verwandtschaftssystems vermeidet. Ähnlich verfährt P auch in Gen 36,6–8. Sie entledigt dort die Trennung von Jakob und Esau ihrer misstrauischen Untertöne und begründet stattdessen die getrennte Ansiedlung der Brüder in Anlehnung an die Trennung von Abraham und Lot mit deren großem Besitz. Eine Abmilderung lässt sich nicht nur im Urteil über Esau erkennen, sondern auch in einer positiveren Darstellung der Rolle Rebekkas und ihres Verhältnisses zu ihrem Ehemann.287 Gemäß ihrer Rolle in der patriarchal organisierten Familie weist Rebekka Isaak auf den Missstand hin, woraufhin Isaak seiner patriarchalen Verantwortlichkeit nachkommt. Die gemeinschaftliche Lösung mündet in einer Aussendung Jakobs. Die Fülle der Parallelen legt eine non-P-Textkenntnis der P nahe. Die zum Teil detailgetreue Reaktion des P-Textes auf den non-P-Text ist nicht mehr mit einer Bekanntheit der Tradition zu klären,288 sondern weist auf eine literarische Abhängigkeit hin. Die Beobachtungen lassen sich am einfachsten mit Blum so erklären, dass P Gen 26,34 f.; 27,46 und 28,1–9 im Hinblick auf Gen 27,1–45 und Gen 25,19–34 zusammenhängend formuliert, jedoch erst anschließend in die Erzählung eingebettet hat, um die Erzählung bewusst umakzentuieren zu können, ohne dabei die spezifischen Erzählzüge der vorgefundenen Erzählungen außer Acht zu lassen.289 Der Vorteil gegenüber der Annahme, P sei hier als Redaktion greifbar, liegt darin, den Bruch zwischen 26,34 f. einerseits und 27,46–28,9 andererseits zumindest an dieser Stelle erklären zu können.290

287 Vgl. Hensel, Vertauschung, 151 f. 288 Vgl. Schmid, Priesterschrift, 98, in berechtigter Ablehnung der Neo-Documentarians (vgl. Baden, Composition), die dies bestreiten. 289 Vgl. Blum, Studien, 264. Blum spricht hier in Bezug auf Ex 6,3 von einer „ungewöhnliche(n) Weise der Traditionsbildung“, in der die P den vorhandenen Text derart „einklammert“, dass sie als „priesterlicher Schlüssel“ fungiert und die umliegende Darstellung „verbindlich interpretiert.“ Dieser Gedanke ist in Blum, Komposition, 270, vorbereitet: „eine Redaktion, welche die Substanz der Überlieferung selbst offenbar nicht transformiert, sondern sie durch blockweise eingesetzte Reformulierungen interpretiert.“ Vgl. die zuletzt ausgeführte literargeschichtliche Synthese zur P bei Blum, Profil, 50–55. P ist Blum zufolge insofern als „Komposition“ zu begreifen, als sie sowohl eigenes Material quellenartig entwickelt und jenes gleichzeitig, einem Redaktor gleich, einarbeitet. 290 Eine letztgültige Entscheidung über die derzeit umstrittene Gestalt der P kann und soll hier nicht getroffen werden. In der Urgeschichte und der Exoduserzählung zumindest ist P als Redaktion nicht plausibel. Vgl. Wöhrle, Master Key, 401 f.; Gertz, Tradition, 391; Gertz, Tora, 237.243.

Die sekundäre Identifikation zwischen Edom und Esau

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3.4 Die sekundäre Identifikation zwischen Edom und Esau in Gen 25–27* Ungeachtet einer noch ausstehenden, eingehenderen Begründung der Datierung der Jakoberzählung, die im Zuge ihrer redaktionsgeschichtlichen Gesamtaus­ wertung am Ende der Studie vorgenommen werden soll, wird sich eine Datierung der ältesten schriftlich fixierten Jakoberzählung im 8. Jh. als plausibelster Horizont für den literarischen Befund erweisen.291 Das 8. Jh. soll hier im Vorgriff vorläufig als terminus a quo für einen in der Jakoberzählung greifbaren literarischen Rekurs auf das historische Verhältnis zwischen Edom und Israel gelten. Für das Nordreich sind im Zeitraum des 8. Jh. keine stichhaltigen Anhaltspunkte für eine intensive politische Auseinandersetzung Israels mit dem südlichen Nachbarvolk Edom gegeben.292 Dies liegt insbesondere in dem Umstand begründet, dass das Nordreich keine gemeinsame Grenze mit Edom hatte. Ausleger, die eine Datierung der Edom-Passagen ins 8. Jh. vornehmen wollen, begegnen diesem Problem mitunter über den Verweis auf Pithoi-Inschriften, die in Kuntillet ‘Ajrūd gefunden worden sind. In der dortigen Erwähnung der lokalen Gottheiten „Yhwh von Teman“ und „Yhwh von Samaria“ ließe sich ein Kulturkontakt zwischen dem Nordreich und Edom nachweisen.293 Mitunter wertet man die Funde für einen religionsgeschichtlichen „transfer’ of Yhwh from Edom to ‚Israel‘“294 aus, oder erkennt darin zumindest einen Beweis für politische und handelsbedingte Verbindungen zwischen dem Nordreich und Edom.295 Ob sich solche Schlussfolgerungen aus den Funden in Kuntillet ‘Ajrūd ziehen lassen, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Denn ohne Zweifel ist, dass gerade die Esau-Passagen in der Jakoberzählung etwaiger religionsgeschichtlicher Anknüpfungspunkte entbehren. Die Gottesverehrung spielt in den Passagen der Jakoberzählung, die von den ungleichen Brüdern Jakob und Esau handeln, schlicht keine Rolle. Mithin ist eine re 291 Anders als etwa Blum, Jacob Tradition, 208, der eine Datierung vor 722 vornimmt, hat Hensel, Edom, 99–102, neuerdings eine Datierung kurz nach dem Untergang des Nordreichs vorgeschlagen. Die Jakoberzählung sei insofern als „Selbstvergewisserungsliteratur“ zu verstehen (a. a. O., 102). Zur Datierung siehe Kap. 8.1.1, 323f. 292 Vgl. Köckert, Jakobüberlieferung, 65; Na’aman, Jacob Story, 98; Frevel, Esau, 352. 293 Vgl. etwa Schmid, Jakob, 47; Blum, Jacob Tradition, 208 f.; Hensel, Edom, 103. 294 Finkelstein / Römer, Comments, 332. Dies wiese dann auf eine gemeinsame JHWH-Ver­ ehrung durch Edom und Israel hin, die sich in der Jakoberzählung in der geschilderten Brüderlichkeit von Jakob und Esau niederschlage. Zur Kritik an einer derartigen religionsgeschichtlichen Verbindung vgl. Jeremias, Three Thesis, 153 Anm. 24.155. Zur neueren Diskussion über die Herkunft JHWHs vgl. insbes. Leuenberger, YHWH’s Provenance. 295 Vgl. etwa Hensel, Edom, 103 f.; Schmid, Political Theologies, 27. Schmid führt im Anschluss an Leuenberger, YHWH’s Provenance, als Beweis für die Religionskontakte auch das Deboralied aus Ri 5 an. Auch dort werde eine Herkunft JHWHs aus Seir / Edom propagiert, obwohl eine Nordreichsperspektive in dem Text vorliege.

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ligionsgeschichtliche Verbindung der beiden Völker als historischer Hintergrund und Movens einer Jakob-Esau-Erzählung kaum mit deren erzählerischer Anlage übereinzubringen.296 Die in Kuntillet ‘Ajrūd bezeugten Kulturkontakte zwischen Nord und Süd können zudem die vergleichsweise explizite politisierte Anlage der Esau-Edom-Passagen nicht hinreichend erklären.297 Da Edom als direkter politischer Nachbar wesentlich für das südliche Juda Relevanz hatte, liegt es für die Edom-Passagen in der Jakoberzählung nahe, darin den Niederschlag einer Südreichperspektive zu erkennen, die zeitlich nur sinnvoll nach dem Untergang des Nordreichs anzusetzen ist.298 Diese Einschätzung wird durch den Umstand gestützt, dass gerade die P-Passagen der Jakoberzählung von einem besonderen Interesse an der Gleichsetzung von Esau und Edom zeugen. Wäre bereits die Eingangserzählung in Gen 25–27* konsequent auf die Auseinandersetzung zwischen Edom und Israel hin zu lesen, müsste sich eine Jakob-Esau-Erzählung in Gen 25–27*; Gen 32–33 (Südreich) mithin von einer Jakob-Laban-Erzählung in Gen 29–31 (Nordreich) literarisch trennen lassen. Diese Auffassung wird in neueren Beiträgen zur Jakoberzählung denn auch als Konsens präsentiert.299 Dabei wesentlich unbeachtet bleibt, dass Gen 29 signifikante Quer­ verbindungen zu Gen 25–27* aufweist.300 In der noch ausstehenden Analyse zu Gen 29 wird sich eine solche Trennung nicht bewähren. Mit der Bewertung der Edom-Passagen als sekundäre Erweiterungen wird der Gesamtausrichtung des Grundbestandes der Jakoberzählung auf den Norden Rechnung getragen, die einer Einordnung des Grundbestandes der Jakoberzählung in exilisch-nachexilischer Zeit entgegensteht.301 Eine sekundäre Identifizierung Esaus mit Edom kann hingegen den literarischen Befund gut erklären.302 296 Wie sich etwa mit Hensel, Edom, 106, aus der Versöhnungserzählung in Gen 32–33 die Erinnerung an eine gemeinsame JHWH-Verehrung herauslesen lässt, erschließt sich mir nicht. Zur Kritik am Ertrag der Funde aus Kuntillet ‘Ajrūd für die Deutung der Jakob-Esau-Passagen vgl. auch Wöhrle, Jacob from Israel, 148. 297 Vgl. Wöhrle, Koexistenz, 323 Anm. 41. Gegen Blum, Jacob Tradition, 208 f. 298 Vgl. Köckert, Jakobüberlieferung, 65. Wöhrle, Jacob from Israel, 149, zieht dagegen die Edom-Belege in den Samuel- und Königebüchern heran, um zu beweisen, dass Juda im 9./8. Jh. ein verstärktes Interesse an edomitischen Gebieten aufgrund der dortigen Kupfervorkommen gehabt hätte. Gen 25–27 trage diesem Interesse durch politischen Triumphalismus Rechnung. Mit Na’aman, Jacob Story, 98, ist allerdings fraglich, ob das Nordreich, das Edom in dieser Zeit militärisch überlegen war, tatsächlich eines solchen Triumphalismus bedurft hätte. 299 Vgl. Wöhrle, Koexistenz, 307; Wöhrle, Jacob from Israel, 135–140. 300 Vgl. Blum, Komposition, 101 f.; 173: „Wie man es nun auch mit der Annahme einer eigenständigen Jakob-Laban-Geschichte halten mag, kaum zu bestreiten dürfte sein, dass der Komposition der Jakoberzählung jedenfalls eine zusammenhängende Jakob-Esau-Laban-Geschichte schon vorausging.“ Vgl. auch Blum, Jacob Tradition, 207; de Pury, Jacob Story, 154. Zur näheren Ausführung der Querverbindungen siehe Kap. 5.1.5, 153. 301 Zu einer Spätdatierung der Jakoberzählung vgl. z. B. Na’aman, Jacob Story. 302 Ähnlich Otto, Art. Jakob, Sp. 353, der von einer „Nationalisierung der Esaufigur in einer Edomschicht (25,22 f.25*.30; 27,29*39 f.; 32,4b; 33,14–17*)“ ausgeht. Dass hier mit einem ande-

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Eine weitere Problematik der gegenwärtig vorherrschenden Forschungstendenzen besteht in dem tendenzkritischen Urteil, eine negative Darstellung Esaus (Edoms) in Gen 25–27* lasse sich von einer positiven Darstellung Edoms in Gen 32–33 unterscheiden. Die Datierung der zuvor von der Jakob-Laban-Erzählung isolierten Jakob-Esau-Erzählung (Gen 25–27*.32–33*) variiert dann je nach dem, ob man das negative und zugleich positive Bild von Esau / Edom, im Rahmen eines literarhistorischen Konzepts für vereinbar hält,303 oder ob die postulierte Diskrepanz des Edombildes zwangsläufig zu einer literarhistorischen Trennung der Eingangskapitel (Gen 25–27*) von den Schlusskapiteln (Gen 32–33) führen muss.304 Wöhrle gewichtet diese vermeintliche Diskrepanz neuerdings derart stark, dass er meint, ein ursprünglich weggefallenes Ende von Gen 25–27* auf der Grundlage der Segensworte von Gen 27,28 f.39 f.* und der darauf sekundär kritisch reagierenden Kap. Gen 32–33 rekonstruieren zu können. Das heute nicht mehr literarisch greifbare Ende von Gen 25–27* habe eine dezidiert negative Sicht auf Edom eingenommen und analog zu den Segensworten aus Gen 27 die Vertreibung Esaus geschildert.305 Wöhrle versucht damit dem Problem zu begegnen, dass mit Gen 27,40 kaum ein plausibles Ende einer unabhängigen Jakob-EsauErzählung vorliegen kann. Ungeachtet der mit dem Vorgehen Wöhrles verbundenen, methodischen Schwie­rigkeiten wird man fragen müssen, ob eine Negativdarstellung Esaus den Gesamtzusammenhang der Kap. 25–27* tatsächlich treffend beschreibt. Dem Urteil Wöhrles steht entgegen, dass in einigen Erzählpassagen (hier Grundbestand) vielmehr Jakob und nicht Esau in einem zweifelhaften Licht präsentiert wird.306 Texte wie Lev 19,14 und Dtn 27,18 stellen den Umgang mit einem Blinden unter besonderen göttlichen Schutz, insofern handelt es sich bei Jakobs Vergehen nicht um eine Lappalie. Darüber hinaus wird Jakobs Verhalten explizit mit ‫מרמה‬ (Betrug) bewertet.307 Für eine triumphalistische Darstellung ist dieser Befund nicht hinreichend.308 Ob in Gen 32–33 positive Gegentendenzen der Tragweite ren Umfang jener „Schicht“ gerechnet wird, dürfte aus den vorangehenden Analysen deutlich sein und wird in den folgenden noch deutlich werden. Dennoch wird der Beobachtung Ottos grundsätzlich zugestimmt. Ähnlich auch Kratz, Komposition, 274 Anm. 59. 303 Vgl. insbes. Frevel, Esau, 357 f.; Schmid, Versöhnung, 224. 304 Vgl. Wöhrle, Koexistenz, 310 f.; Crüsemann, Herrschaft, 83; Blum, Komposition, 149–151; 168–171. Blum siedelt Gen 32–33 auf Ebene seiner K-Schicht an. 305 Vgl. Wöhrle, Koexistenz, 316 f. 306 So führt bspw. Blum, Jacob Tradition, 209, Gen 27 als mit Esau sympathisierenden Text an. 307 Diese Bewertung wird dann auch vornehmlich in prophetischen Texten aufgenommen, die eine Anklage gegen Jakob-Israel formulieren. Vgl. Jer 5,27; 9,5; Hos 12,1.8. 308 Wöhrle, Koexistenz, 322, bezeichnet sie unter dem Gesichtspunkt ihrer Entstehungs­ bedingungen noch als „recht alte“ Überlieferungen aus dem Südreich. In einem neueren Beitrag (vgl. Wöhrle, Jacob from Israel, 148) definiert er den vermuteten Entstehungshintergrund genauer. Der Triumphalismus gründe im Bestreben des Südreichs des 9./8. Jh. (vgl. die Edom-Belege in den Samuel- und Königebüchern), aufgrund der edomitischen Kupferminen, edomitische

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einer politischen Selbstunterwerfung feststellbar sind, erscheint noch zweifelhafter,309 zumal 2 Kön 24,2 diesbezüglich nur als blasser und textkritisch umstrittener Beleg für eine solche vorliegt.310 Ob historische Umstände denkbar sind, die ein dezidiert positives Edom-Bild motiviert haben könnten, ist mithin fraglich.311 Die dargestellte Problemlage zeigt die grundsätzliche Schwierigkeit, die historisch greifbaren politischen Verhältnisse zwischen Israel und Edom mit dem erzählerischen Gefälle der Jakoberzählung angemessen in Einklang zu bringen.312 Davon abgesehen, dass eine literarische Trennung zwischen Gen 25–27* und Gen 29–31 in der vorliegenden Textgestalt nur schwer zu plausibilisieren ist, lässt sich das vermeintlich positive Edom-Bild in Gen 32–33 nicht zweifelsfrei erklären.313 Wie in der literarkritischen Untersuchung gezeigt, ist eine explizit negative Einstellung gegenüber Esau in Gen 25–27* auf wenige Verse begrenzt, die sich allesamt als sekundäre Zusätze aus dem Kontext eliminieren lassen. Diese EdomPassagen stimmen nicht nur in einer gewissen Herabsetzung der Figur Esau überein, sondern führen gleichzeitig allesamt eine Identifizierung Esaus mit Edom und mithin eine völkergeschichtliche Dimension in die Erzählung ein. Esau werden in der Linsengerichtsepisode zum einen selbstverschuldet Besitzanteile gegenüber Jakob abgesprochen, und in den Segensworten von Gen 27,38–40 eine Unterlegenheit und ein Dienstverhältnis gegenüber dem Bruder vorausgesagt, solange bis er „frei umherschweift“. In diesem Stratum des Textes sind durch die Thematisierung von Besitzanteilen und territorialen Machtverhältnissen denn möglicherweise auch historische Anknüpfungspunkte für eine völkergeschichtliche AuseinGebiete zu erobern. Nach Schmid, Political Theologies, 21, wolle Gen 25,19–34 Jakobs Herrschaft über Edom legitimieren. Vgl. zur Kritik an der Annahme eines in Gen 25–27 existierenden Triumphalismus auch Hensel, Edom, 95. 309 Siehe hierzu Kap. 6.4, 311. Vgl. zur Kritik jüngst auch Weingärtner, Impertinenz, 76 Anm. 91. 310 Wöhrle, Koexistenz, 323, gründet die Annahme einer Darstellung der Selbstunterwerfung auf den historischen Hintergrund von 2 Kön 24,2. Edom sei dort als einziges Land bei einer Strafaktion gegen Juda durch die Babylonier nicht als Beteiligter genannt, womit Edom als potenzieller Verbündeter habe erscheinen können. Wöhrle gründet seine These zusätzlich auf den Edom-Beleg in Dtn 23,8, den er vorexilisch ansetzt. Auch dies ist umstritten. Vgl. etwa Hensel, Edom, 92 Anm. 196. 311 Vgl. Bartlett, Edomites, 175, in diesem Zusammenhang sehr drastisch: „at no time in history does Edom seem to had a friendly relationship with Judah.“ Jeremias, Three Theses, 150. 312 Das Problem beginnt bereits bei der gegenwärtig noch lückenhaften archäologischen Erforschung der Edomiter. Vgl. hierzu Hensel, Edom, 65. Diesem Problem versucht die zeitgenössische Forschung mit einem intensiveren Interesse an der Erforschung Edoms zu begegnen. Vgl. zu den jüngsten Bemühungen Hensel u,.a., Edom. Ein bleibendes methodisches Problem stellt die Eindeutigkeit einer Zuordnung von Tonscherbenfunden zu einer bestimmten Ethnie dar. 313 Hensel, Edom, 103–106, rechnet Gen 32–33 in seinem Grundbestand der Erstausgabe der Jakoberzählung aus dem 8. Jh. zu und wertet das positive Verhältnis der Schlusskapitel als Ausdruck einer postulierten religionsgeschichtlichen Verbindungen zwischen dem Nordreich und Edom.

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andersetzung „Israels“ mit Edom gegeben. Ist dies richtig gesehen, gehen die Texte dabei aber sehr viel differenzierter – und im Urteil weniger vernichtend – vor als die prophetischen Texte exilisch-nachexilischer Zeit. In prophetischen Texten wie Jes 34; 63,1–6; Jer 49,7–22; Ez  25,12 f.; 35,1–15; Joel 4,19; Obd 1,8–19; Mal 1,4 (daneben auch Ps 137,7; Klgl 4,21–22) wiegt die Edom-Kritik besonders stark. Die genannten Texte werden meist im Sinne des Vorwurfs einer Beteiligung Edoms an der Eroberung Jerusalems interpretiert. Dieser Vorwurf wird mittlerweile nahezu einhellig für eine literarische Fiktion nachexilischer Zeit gehalten.314 Vielmehr wird die zunehmende Einflussnahme Edoms auf das Südreich Juda in exilischer Zeit als Grund für den Edom-Hass in Erwägung gezogen.315 Ungeachtet der genauen Gründe für die drastische Ablehnung, ist der Edom-Hass, der in den nachexilischen Texten vorherrscht, kaum mit der Darstellung Esaus im Rahmen der Edom-Erweiterung der Jakoberzählung vergleichbar. Insofern liegt es nahe, hier andere historische Gegebenheiten vorauszusetzen.316 Als historischen Hintergrund für eine spannungsgeladene Beziehung zwischen Edom und Israel hat Frevel den subtil schwelenden Konflikt zwischen Juda und Edom um die Vorherrschaft im Negev zwischen dem 8. und 6.  Jh. vorgeschla­gen.317 Mit der Südwest-Ausdehnung Judas im ausgehenden 9. Jh. und der zunehmenden Präsenz Edoms im Negev im 8.–7. Jh. träfen zwei Völker aufeinander, die dem archäologischen Befund zufolge dort in einer gemischtethnischen Pufferzone koexistierten.318 Dies wird aus dem Tonscherbenbefund archäologischer Ausgra­ bungen ersichtlich.319 Die Gebietsbezeichnung „Seir“ wird dementsprechend nicht auf das edomitische Kernland östlich des Araba-Grabens zu begrenzen sein.320 314 Vgl. Bartlett, Edom, 155 f.; Bartlett, Fall, 23; Tebes, Edomite Involvement, 230; Assis, Edom, 3 f.; Ruppert, Genesis III, 74; Edelman, Edom, 6; Frevel, Geschichte Israels, 127. Dagegen z. B. Glazier-McDonalds, Edom, 28.  315 Vgl. etwa Weippert, Art. Edom, 295. 316 Vgl. Tebes, Abhor; Tebes, Edomite Involvement, 247 f.; Köckert, Jakobüberlieferung, 66. Gegen Na’aman, Jacob Story, 103 f., der die Entstehung der Jakob-Esau-Passagen nachexilisch ansetzt: „Jacob represents the community that remained in the land and was threatened by the growing power and rapid expansion of Edom / Esau.“ Der Ton in der Jakoberzählung ist wesentlich sanfter gegenüber Edom gestimmt. Vgl. auch Wöhrle, Koexistenz, 323. 317 Vgl. insbes. Frevel, Esau. Bartlett, Fall, 23, vermutete hinter der Konflikterzählung zwischen Jakob und Esau noch eine Projektion, begründet durch einen Konflikt zwischen Davididen und Edomitern in monarchischer Zeit. Vgl. auch Bartlett, Edomites, 154 f. 156. 318 Vgl. Frevel, Esau, 352 f.; Frevel, Geschichte Israels, 127. Vgl. auch Tebes, Edomite Involvement, 242. 319 Vgl. Tebes, Edomite Involvement, 241; Tebes, Southern Home, 183; Dicou, Edom, 175 f.; Bartlett, Edomites, 141. Vgl. zu edomitischem Tonscherbenmaterial in Juda im 8. Jh. SingerAvitz, Pottery. 320 Vgl. etwa Ruppert, Genesis III, 72 f.; Hensel, Edom, 67 f. Wöhrle, Art. Edom / Edomiter, zieht in Erwägung, dass das edomitische Kernland zunächst im Negev gelegen habe und erst später auf die ostjordanischen Gebiete ausgeweitet worden sei, als die Assyrer die Edomiter mit der Grenzsicherung des assyrischen Reiches betrauten. Vgl. zur Gegenposition Hensel, Edom, 70.

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Inwieweit im 8.–7. Jh. mit klaren Staatsgrenzen im südlichen Negev zu rechnen ist, ist umstritten. Relevant hingegen ist die große Bedeutung des Negev-Gebiets für den Fernhandel, die ihn zu einer begehrten Region erhebt und offenbar spätestens im 7. Jh. v. Chr. zu Konflikten zwischen Juda und Edom führte, die beide in diesem Gebiet aktiv waren.321 Die Konflikte waren offenbar ökonomischer Natur. Frevel bezeichnet das Verhältnis von Edom und Juda im Negev zwischen dem 8­ .–6. Jh. als „spannungsgeladene[…] Konvivenz“, die einen plausiblen Hintergrund für die Entstehung der Jakob-Esau-Erzählung darstellen könne.322 Interessant ist nun, dass sich die postulierte negative Darstellung Esaus / Edoms in den Eingangskapiteln auf das Gottesorakel, die Linsengerichtsepisode und Teile der Segensworte begrenzen, für die der historische Hintergrund, den Frevel vorgeschlagen hat, nicht geringe Anknüpfungspunkte bietet und die allesamt als sekundäre Erweiterungen ausgewiesen worden sind. Die Linsengerichtsepisode (Gen 25,29–34), die eine deutliche Edom-Ausrichtung aufweist, ist der Jakoberzählung in Gänze nachträglich zugewachsen.323 Gleichzeitig konnte für die Linsengerichtsepisode gezeigt werden, dass der dort gebrauchte juristische Terminus des Erstgeburtsrechts auf übertragbare Besitzanteile anspielt. Vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung um die Vorherrschaft zwischen Israel und Edom im Negev erscheint plausibel, dass der Brüderstreit zwischen Jakob und Esau um den Segen genutzt worden ist, um zum einen das Verhältnis der beiden Völker zu beschreiben und zum anderen Besitzansprüche zugunsten Jakobs / Israels zu klären. Mit der Edom-spezifischen Erweiterung durch die Linsengerichtsszene steht das Gottesorakel in Gen 25,22 f. in Zusammenhang, das seinerseits als sekundäre Erweiterung plausibilisiert werden konnte. Der Konflikt zwischen Jakob und Esau ist dort pränatal angelegt und wird zu einem Konflikt zwischen zwei Völkern transformiert. In dieser spezifischen Ausrichtung fällt auf, dass Esau in der Jakoberzählung nie als Diener Jakobs dargestellt wird. An historische Gegebenheiten ist dieses Machtverhältnis ebenfalls nicht anschlussfähig. Dieses Problem teilt das Gottesorakel mit dem „Segensspruch“ über Esau in Gen 27,38–40, bei dem es sich ebenfalls um eine Erweiterung handelt. Die Interpretation der besagten Belege als vaticinia ex eventu kann die historischen Verhältnisse nicht befriedigend ein 321 Vgl. Frevel, Esau, 354; Frevel, Geschichte Israels, 125. Vgl. zu Edom-typischer Keramik in diesem Gebiet Singer-Avitz, Pottery. Vgl. Tebes, Involvement, 241 ff., der gleichwohl stärker mit abgrenzbaren Territorien Judas und Edoms zu rechnen scheint. 322 Vgl. Frevel, Esau, 357. Zur Kritik an Frevels Position vgl. Hensel, Edom, 106. 323 Vgl. dagegen Frevel, Esau, 350, der interessanterweise eine Glosse mit ‫ אדמוני‬in Gen 25,25 für möglich hält. Er argumentiert primär mit der Edom-Verankerung in der Linsengerichtsepisode, die vornehmlich eine feste Verbindung zwischen Esau und Edom im Grundbestand herstelle: „Die Ausführungen in Gen 25,30b und Gen 32,4* machen nur explizit, was den Erzählungen vom Bruderkonflikt bereits von Beginn an inhäriert! Damit mag man einer literarkritischen Abtrennung in Gen 32,4 und Gen 25,25 zwar das Wort reden, löst das darin aufgeworfene Problem aber nicht.“

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fangen,324 da eine Überlegenheit Israels über Edom nach der Zeit des vereinten Königreiches historisch nicht nachweisbar ist. Insofern ließe sich mit Juan Manuel Tebes Folgendes in Erwägung ziehen: „The prophetical texts concerning the future primacy of Jacob over Esau (Gen 25,23; 27,40b) should be read against the troubled Judaean-Edomite history, and as such legitimizing the possession of the Negev by Judah.“325 Die Belege ließen sich vor diesem Hintergrund als politisches Wunschdenken gegen bestehende Besiedlungsverhältnisse lesen. Hat Gen 25–27 tatsächlich ein „Edom“ vor Augen, das westlich des Jordantals im Negev siedelt, muss dies auch auf den „Gegensegen“ über Esau aus Gen 27,38–40 zutreffen. Lässt sich die historische Einordnung präzisieren? Die dezidiert negativen nachexilischen Edom-Bezüge im AT lassen darauf schließen, dass die Identifikation zwischen Edom und Esau in der Jakoberzählung der harschen Verurteilung in exilischer Zeit zeitlich noch vorausgeht, mithin vorexilisch anzusetzen ist. Für die Übertragung des Brüderverhältnisses auf die politischen Gegebenheiten ist Esaus Behaarung, die ursprünglich eine andere Darstellungsintention verfolgte, nun für die Gebietsbezeichnung „Seir“ fruchtbar gemacht worden. Für ein derartiges Spannungsverhältnis, wie es die prophetischen Texte in exilisch / nachexilischer Zeit schildern, erscheint eine Brüdererzählung kaum als taugliche Grundlage für die Schilderung des Volksverhältnisses von Edom und Israel. Mithin ergäbe sich ein Zeitraum des 7. Jh. für die Entstehung der Linsengerichtsepisode und der damit verbundenen Esau-Edom-Identifikation. Die genannte Perspektive lässt sich in wenigen, jedoch nicht unerheblichen Erweiterungen innerhalb der Jakoberzählung greifen.326 Die Jakoberzählung, die immer schon eine Jakob-Esau-Laban-Erzählung umfasste,327 wurde für eine zeitbezogene Deutung des Verhältnisses zwischen Juda und Edom fruchtbar gemacht. Dementsprechend übernimmt nicht der gesamte Jakob-Esau-Erzählzyklus, sondern lediglich deren redaktionelle Überarbeitung „die eminent wichtige Funktion, Jakob im Süden zu verankern und so die Protagonisten des Nordens nach Juda zu holen.“328

324 Vgl. etwa Blum, Komposition, 194; Wahl, Jakobserzählungen, 249. Die Problematik hängt insbesondere mit der veränderten Datierung der Jakoberzählung zusammen, nach der sich eine Lossagung Edoms unter Salomo nicht mehr als plausibler Hintergrund von Gen 27,40 erklären lässt. Gegen die Davidisch-Salomonische Zeit spricht mitunter, dass Jerusalem in der Jakoberzählung nicht genannt wird. Vgl. Blum, Jacob Story, 208 Anm. 83. 325 Tebes, Southern Home, 184, im Anschluss an Bartlett, Brotherhood. 326 Teilweise werden innerhalb der Edom-Seir Passagen noch einmal entstehungsgeschichtliche Differenzierungen vorgenommen. Vgl. z. B. Tebes, Southern Home, 184. 327 Siehe insbes. Kap. 8.1.1, 323. 328 Frevel, Esau, 357. Vgl. auch Wöhrle, Koexistenz, 309 f.

4. Die Autorisierung Jakobs als legitime Nordreichsgröße durch die Bet-El-Erzählung in Gen 28,10–22

Kein anderer Erzvater ist derart eng, ausführlich und über verschiedene Phasen produktiven Textwachstums hinweg (Gen 28,10–22; Gen 35,1.6–7; Gen 35,9–15) mit dem Ort Bet-El verbunden worden wie Jakob. Während Bet-El in der Abrahamerzählung zu Beginn der Reise Abrahams lediglich notizartig erwähnt wird (Gen 12,8; 13,3), sind Jakobs Aufenthalte in Bet-El mitunter ausführlich geschildert und theologisch wie ideologisch aufgeladen. Den entstehungsgeschichtlichen Kern jener Belege dürfte die Erzählung in Gen 28,10–22 gebildet haben, auf der die weiteren aufbauen und auf die sie reagieren.1 Gegenläufig zu dieser wirkungsgeschichtlichen Prominenz ist die Erzählung über Jakobs Gottestraum in Bet-El in ihrem unmittelbaren narrativen Nahkontext vergleichsweise unspektakulär auf der Durchreise zu Laban eingebettet.2 Diese randständige Positionierung hängt mit der mehrheitlich anerkannten, sekundären Eingliederung von Gen 28,10–22 in die Jakoberzählung zusammen, die sich auch in der folgenden Analyse bestätigen wird. Ihre Prominenz verdankt die Erzählung von Gen 28,10–22 insofern nicht etwa einer narrativen Zentralstellung, sondern ihrer Bedeutung als Heiligtumsätiologie. Der zu Beginn der Erzählung noch unbestimmte Ort (‫ )מקום‬auf freiem Feld wird über eine Engel- und Gotteserscheinung im Traum als heiliger Ort qualifiziert und Jakob durch dessen Entdeckung und Benennung zum Begründer der heiligen Stätte erhoben. Während die reiche Bildwelt von Gen 28,10–22 und deren Analogien zu altorientalischen Tempeltraditionen in den vergangenen Jahren der alttestamentlichen Forschung wieder verstärkt Aufmerksamkeit erlangte, ist die folgende Untersuchung vorwiegend an der Bedeutung der redaktionsgeschichtlichen Stadien von Gen 28,10–22 für die literarische Prägung der Jakobfigur interessiert. Bezieht man den narrativen Kontext ein, wird Jakob nach seiner unrühmlichen Vorgeschichte durch Gen 28,10–22 nachhaltig Autorität verliehen. Diese Autorisierung bezieht sich nicht nur auf seine theologische Legitimierung. Sie liegt vielmehr vornehmlich darin begründet, dass Jakob, aufgrund seiner nachträglich geschaffenen Verbindung mit dem im 8. Jh. etablierten Kultort Bet-El, als Zentralfigur für das Nordreich qualifiziert wird – und mithin für die von dort stammenden Textrezipienten. Insofern stellt Gen 28,10–22 einen deutlichen Gegen

1 Siehe Kap. 6.3.5, 299. 2 Vgl. Becker, Jakob, 163.

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pol zu Gen 25–27* dar. Anhänger einer Spätdatierung von Gen 28,10–22 werten die positive Rezeption Bet-Els an dieser Stelle hingegen als Gegenangriff auf die harsche Verurteilung des Ortes in ausgewählter exilisch-prophetischer und dtr. Literatur. Dementsprechend wäre Jakob als Identifikationsgröße – mittlerweile für das Nord- und Südreich – in exilisch-nachexilischer Zeit herangezogen worden, um den Kultort Bet-El zu rehabilitieren. Eine exilisch-nachexilische Rezeption der Jakoberzählung mag auf der Endtextebene anknüpfungsfähig für eine Rehabilitierung Bet-Els gewesen sein. In dieser Funktion ist ihre redaktionsgeschichtliche Positionierung ausgerechnet nach Jakobs Betrug aus Gen 25–27* allerdings erklärungsbedürftig. Die in neuerer Zeit häufiger vorgenommene Spätdatierung der Bet-El-Erzählung wird insofern kritisch zu prüfen sein.

4.1 Kommentierte Übersetzung3 Und Jakob zog aus von Beerscheba und ging nach Haran. 11Und er stieß auf den Ort und er übernachtete dort, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm (einen) von den Steinen des Ortes und er legte ihn an sein Kopfende4 und legte sich an jenem Ort nieder. 12 Und er träumte, und siehe, eine Treppe war Richtung Erde aufgestellt und ihre Spitze reichte an den Himmel, und siehe, Boten Gottes stiegen auf ihr herauf und herab. 13Und siehe, JHWH stand auf ihr5 und er sprach: „Ich bin JHWH, der Gott Abrahams, deines Vaters, und der Gott Isaaks6, die Erde, auf der du liegst, dir will ich sie geben und deinen Nachkommen. 14Und es soll deine Nachkommenschaft wie Staub7 der Erde sein und du sollst dich ausbreiten westwärts und ostwärts und nordwärts und südwärts und es sollen gesegnet werden in dir alle Geschlechter des Erdbodens und in deinen Nachkommen. 15Und siehe, ich bin 10

3 Legende zu den in der Übersetzung angezeigten Bearbeitungsschichten: recte = Grundbestand der Bet-El-Erzählung aus dem ausgehenden 8. Jh.; Kapitälchen = Verankerung Jakobs in Beerscheba und Labans in Haran im 7. Jh.; fettgedruckt = kompositionelle Verbindung der Erzväter aus exilischer Zeit; kursiv = spät-dtr. Überarbeitung; unterstrichen = Glosse; fettgedruckt u. kursiv = nachpriesterliche Erweiterung aus spätexilisch-nachexilischer Zeit. 4 Mit Westermann, Genesis I/2, 553; Seebass, Vätergeschichte II/2, 314 f. Gegen Gunkel, Genesis, 317, legt Jakob den Stein nicht unter sich als Kopfkissen, sondern plausibler hinter seinen Kopf zum Schutz. 5 Gegen Gunkel, Genesis, 319, der das Suff. der 3. sg. mask. auf Jakob bezieht, nicht auf den Stufenaufgang und insofern „vor ihm“ (Jakob) übersetzt. Vgl. auch Ruppert, Genesis III, 173. Westermann, Genesis I/2, 549, übersetzt mit „ihm gegenüber“. 6 G ergänzt μὴ φοβοῦ und zeigt darin ihr Bemühen, sekundär an Gen 26,24 anzugleichen. 7 Einige Handschriften der G übersetzen ‫( כעפר הארץ‬Staub der Erde) ὡς ἄμμος τῆς θάλασσης (Sand des Meeres). Die Abweichung ergibt sich aus Angleichungsbestrebungen an Gen 32,13 und Gen 41,49.

Textabgrenzung 

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mit dir und werde dich beschützen, wo auch immer du hingehst,8 und ich werde dich zurückbringen zu diesem Erdboden, denn ich werde dich nicht verlassen, bis ich getan habe,9 was ich zu dir geredet habe.“ 16 Und Jakob erwachte aus seinem Schlaf und er sprach: „Fürwahr, JHWH ist an diesem Ort anwesend und ich habe es nicht gewusst. 17Und er fürchtete sich und sprach: wie furchterregend ist dieser Ort; dies ist nichts denn das Haus Gottes und dies ist das Tor des Himmels.“ 18Und Jakob machte sich am Morgen auf und er nahm den Stein, den er an sein Kopfende gelegt hatte und er stellte ihn als Mazzebe hin und er goss Öl auf ihre Spitze. 19Und er nannte jenen Ort Bet-El10, aber vormals war zuerst Luz der Name der Stadt. 20 Und Jakob gelobte ein Gelübde: „Wenn Gott mit mir ist und mich beschützt auf diesem Weg, auf dem ich gehe, und mir Brot zu essen gibt und Kleidung anzuziehen, 21und mich in Frieden zurückbringt11 in das Haus meines Vaters und JHWH (also) für mich Gott ist, 22dann soll dieser Stein, den ich als Mazzebe hingestellt habe, das Haus Gottes werden und alles, was du mir gibst – den Zehnten davon will ich dir entrichten.“

4.2 Textabgrenzung Die Bet-El-Erzählung in Gen 28,10–22 ist auf der Flucht Jakobs zu Laban verortet, wobei Jakob am Ende der Jakoberzählung auf seiner Rückreise in die Heimat nochmals über Bet-El geführt wird (Gen 35,1.6–7; 35,9–15 (P)). Die Bet-El-Erzählungen stehen allesamt mit Gottesbegegnungen oder Gottesreden in Zusammenhang, die Jakobs Ab- und Rückreise begleiten. Insofern wird Jakobs Lebensweg zum einen unter die Schirmherrschaft Gottes gestellt. Zum anderen verbindet sich Bet-El als Ort göttlicher Präsenz intensiv mit der Jakobfigur. Dem Abschnitt Gen 28,10–22 gehen unmittelbar die P-Passagen von Gen 27,46–28,9 voraus. Jene befassen sich vornehmlich mit Esaus Eheschließungen. In Gen 28,10–22 wird dieser Zusammenhang inhaltlich nicht fortgeführt. Zudem treten mit den Gottesboten und Gott selbst neue Handlungsakteure auf, während Jakobs engerer Fami 8 Bei der Übersetzung der Ellipse im hebräischen Text ergeben sich Schwierigkeiten. Die G unternimmt daher eine syntaktische Erleichterung, indem sie „Ort“ (ὁδῷ) einfügt. 9 G, V, und S, weichen aufgrund des Bestrebens ab, die Übersetzung der Ellipse zu erleichtern (πάντα; V: universa). 10 G verwendet hier Οἶκος θεοῦ, obwohl sie für gewöhnlich den Namen Bethel als Βαιτήλ zusammenschreibt. Wie auch V und die Jerusalemer Targumim liegt der Grund für die Zusammenschreibung darin, Anthropomorphismen ebenso zu vermeiden, wie eine Identifikation des Gotteshauses mit dem Garizim. Die G entscheidet sich für die Schreibweise wohl aufgrund des Kontextes (vgl. auch die Übersetzung von G in Gen 35,7). Vgl. Tal, Genesis, 108*. 11 Mit Westermann, Genesis I/2, 463, und Tal, Genesis, 149*, folgt die obige Übersetzung der transitiven Übersetzung durch G (καὶ ἀποστρέψῃ με).

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lienkreis das Handlungsgeschehen für lange Zeit verlässt. Mit „Beerscheba“ liefert Gen 28,10–22 eine Lokalisierung für die ortsungebundenen Kapitel Gen 25,19–34 und Gen 27 nach. Das geografische Setting Beerschebas ist sowohl mit der Isaakerzählung als auch mit der Abrahamerzählung verknüpft (Gen 21; 26), wird aber in der Jakoberzählung nicht wieder aufgegriffen.12 Die Zielbestimmung „Haran“ unterscheidet sich von der in Gen 28,5 (Paddan-Aram), welche für P typisch ist, meint wohl aber eine ähnliche Lokalisierung in Obermesopotamien. Durch eine Aufbruchsnotiz in Gen 28,10 wird deutlich zu einem neuen Handlungsgang angesetzt. Die Textabgrenzung nach hinten ist durch die Itinerarnotiz in Gen 29,1 markiert, die Gen 28,10–22 als geschlossene Episode kennzeichnet. Gen 29,1 erwähnt keinen Aufbruchsort, wohl aber einen Zielpunkt der Reise Jakobs, nämlich das „Land der Söhne des Ostens“. Diese Zielbestimmung steht zu jener in Gen 28,10 im Widerspruch. Ab Gen 29,1 ändern sich sowohl das geografische Setting als auch die Zusammensetzung der Handlungsträger, die nun von der Labansippe dominiert wird. Jakob gelangt mit der Ankunft bei Laban an das vorläufige Ziel seiner Flucht.

4.3 Aufbau und Gliederung Gen 28,10–22 beginnt mit einer Exposition in Vv. 10 f. und lässt sich anschließend unter inhaltlichen Gesichtspunkten grob untergliedern, in einen, mit ‫ויחלם‬ eingeleiteten Traum (Vv. 12–15), eine Traumdeutung (Vv. 16–19), die mit Jakobs Erwachen (‫ )וייקץ‬deutlich nach dessen Traum verortet wird, und ein mit entsprechender Einleitung versehenes Gelübde Jakobs (Vv. 20–22).13 Die Gliederungsabschnitte sind durch einen äußeren und einen inneren Rahmen aufeinander bezogen. Dem Übernachten Jakobs in V. 11a (‫ )וילן‬entspricht das Aufstehen (‫ )שׁכם‬am Morgen in V. 18 als äußerer Rahmen. Der innere Rahmen folgt der Logik der Zeitstruktur und besteht aus den korrespondierenden Worten ‫( חלם‬V. 12), der den Traum einleitet, und ‫( יקץ‬V. 16), der diesen beendet.14 Die 12 P verortet Isaak in Mamre / Kirjat-Arba / Hebron (Gen 35,27). 13 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 313. Vgl. Koch, Wohnstatt, 51, setzt als zweiten Gliederungsabschnitt Vv. 16–22 an. Köhlmoos, Bet-El, 236, gliedert gattungsbedingt („Traumerzählung“) noch großflächiger (Vv. 10; 11–19; 20–22). 14 Vgl. Blum, Komposition, 9. Nach Blum bildet das einander antithetisch zugeordnete Wortpaar ‫( וילן‬V. 11) und ‫( וישׁכם‬V. 18) den äußeren Rahmen, der ebenfalls in der Strukturanalogie der beiden Verse greifbar sei. So auch Koch, Wohnstatt, 47; Taschner, Verheißung, 58; Blum, Jakobs Traum, 34 f. In der Zuordnung von ‫( ויחלם‬V. 12) zu ‫( יקץ‬V. 16) stimmt die vorliegende Analyse mit Blum, Komposition, 10, überein. So auch Rendtorff, Jakob, 512. Abweichend dazu ordnet Koch, Wohnstatt, 47‎, ‫( שׁכב‬V. 11) ‫( יקץ‬V. 16) zu, aufgrund der physischen Dimension von „sich niederlegen“ und „aufstehen“. So auch Lanckau, Träume, 88.

Aufbau und Gliederung

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doppelte Rahmung stellt auf synchroner Ebene das Traumbild und die Gottesrede ins Zentrum der Erzählung. Auf weitere Strukturmerkmale verweisen die vielschichtigen Leitworte. Bereits in V. 11 werden als solche ‫( מקום‬Ort) und ‫( אבן‬Stein) eingeführt. Der in V. 11 noch unbestimmte Stein erhält in V. 18 seine Funktion als Mazzebe, die wiederum in V. 22 zum Platzhalter für ein Gotteshaus erhoben wird. In ähnlicher Weise wird der zu Beginn durch den Artikel nur bedingt bestimmte Ort (‫)מקום‬, auf den Jakob zufällig stößt,15 erst in V. 19a als Bet-El (Haus Gottes) definiert. Partizipiale Satzkonstruktionen kennzeichnen das Traumbild, das zudem durch die Aufmerksamkeitspartikel ‫ והנה‬strukturiert ist.16 Das Inventar des Traumbildes besteht zunächst aus einer Stufenrampe (‫)סלם‬, die Erde und Himmel zu verbinden scheint, sodann den darauf herauf- und herabschreitenden Gottesboten, und zuletzt JHWH, der auf17 der Stufenrampe steht. Der sukzessiven Erschließung des Traumbildes wohnt eine inhaltliche Steigerungslogik inne (StufenaufgangGottesboten-JHWH), die sich szenisch an der Erschließung des Traumbildes von der Erde zum Himmel durch Jakob orientiert – und mit Jakob auch dem Leser.18 Der Dreigliedrigkeit des visuellen Traumbildes entspricht eine Dreigliedrigkeit der Deutung durch Jakob in Vv. 16–17, die sich an den Vv. 12–13aα* zu orientieren scheint.19 Zunächst stellt Jakob fest, dass sich JHWH an diesem Ort befindet, im Weiteren, dass es sich dabei um das Haus Gottes handelt, was dem himmlischen Hofstaat entspricht, der mit den Engeln angedeutet ist,20 und dass darin auch ein Tor des Himmels vergegenwärtigt worden ist, das offenbar durch den Stufenaufgang repräsentiert werden soll.21 Jakobs Erkenntnisgewinn liegt primär in der Bedeutung des Ortes begründet, auf die umfangreiche Verheißung in der Gottesrede geht er nicht weiter ein. Das Traumbild ist durch Leitworte mit dem Kontext verknüpft. Genannt seien das Aufrichten der Mazzebe (V. 18b), die in Leitwortverbindung mit dem aufgestellten Stufenaufgang steht (‫( )מצב‬V. 12) und dem darauf stehenden (‫ )נצב‬JHWH 15 Vgl. Fokkelman, Art, 50. ‫ פגע‬erscheint in der Jakoberzählung außerdem nur noch ein Mal in Gen 32,2; vgl. z. B. auch Blum, Komposition, 13. 16 Vgl. Fokkelman, Art, 50; Seebass, Vätergeschichte II/2, 314; Koch, Wohnstatt, 55; Taschner, Verheißung, 59; Blum, Jakobs Traum, 35; Rendtorff, Jakob, 513. 17 Der Bezug von ‫ עליו‬ist grammatikalisch nicht eindeutig. S. u. 4.4, 111. 18 Vgl. Fokkelman, Art, 50 ff.; Blum, Komposition, 11; Rendtorff, Jakob, 513; Taschner, Verheißung, 59; Blum, Tradition, 198. 19 Vgl. insbes. Koch, Wohnstatt, 49; Blum, Traum, 35; Blum, Tradition, 198. 20 Neben der Funktion, Botschaften zu übermitteln, können Engel im AT auch wortlos das Gefolge Gottes repräsentieren (vgl. Ps 91,11 f.; 103,20; 104,4; 148,2; Hi 4,18). In diesem Sinne werden die Engel hier als Hofstaat zu verstehen sein. Vgl. Koch, Wohnstatt, 71 f. 21 Als traditionsgeschichtlicher Hintergrund sind häufig die Parallelen zwischen Gen 28,10– 22 und der babylonischen Tempeltheologie beobachtet worden. Vgl. z. B. Blum, Komposition, 11 Anm. 13.; Hartenstein, Wolkendunkel. Koch, Wohnstatt, 75 f., hat diesen Zusammenhang kürzlich weiter ausdifferenziert. Vgl. auch Köckert, Traumerzählung.

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(V. 13). Auf diese Weise präsentiert die Mazzebe als Versinnbildlichung eine Verbindung zwischen Himmel und Erde, wie es im Traumbild durch den Stufenaufgang dargestellt worden ist. Diese Verbindung wird ebenfalls durch das Leitwort ‫ ראשׁ‬unterstützt, durch den Stein also, den Jakob in Richtung seines Kopfes (‫ )מראשׁתיו‬legt (V. 11) und auf dessen Spitze (‫ )ראשׁה‬er Öl gießt (V. 18), sowie durch die Treppe, deren Spitze (‫ )ראשׁו‬an den Himmel reicht (V. 12).22 Der letzte Teilabschnitt umfasst die Vv. 20–22 und ist sinnvoll mit „Jakobs Gelübde“ zu überschreiben. Die Vv. 20–22 sind zum unmittelbaren Nahkontext insofern abgesetzt, als ihnen zentrale Leitwortverbindungen fehlen, oder jene nun in andere Bedeutungszusammenhänge gestellt sind. Anders als in V. 17, wo der Ort als bereits existentes Haus Gottes bezeichnet wird, soll in V. 22 erst künftig – und nun die Mazzebe – zum Haus Gottes werden. In besonderer Weise wird auf die Gottesverheißung (V. 15a) bis in wörtliche Formulierungen hinein rekurriert (‫אם־יהוה אלהים עמדי‬, V. 20). Im Vergleich zu V. 15 spitzen die Vv. 20–22 die Bewahrung Jakobs durch JHWH hinsichtlich materieller Güter zu. Die Fürsorge wird neben dem Schutz durch Bekleidung und Ernährung ergänzt. Insofern scheint Jakobs fluchtbedingte Notlage ebenso vorausgesetzt, wie sein noch ausstehender Erwerb von Reichtum bei Laban. Auf der Grundlage des Dargestellten, ergibt sich folgende Gliederung: Exposition 10 (Gen 28,10–11) 11

Aufbruchsnotiz Niederlegen Jakobs an dem (bestimmten) Ort

Jakobs Traum 12–13aα* Traumbild: Stufenrampe, Gottesboten, JHWH (Gen 28,12–15) 13aα*–15 Gottesrede: Land-, Mehrungs- und Segensverheißung Jakobs 16–17 Traumdeutung (Gen 28,16–19) 18–19 Jakobs Gelübde 20–22 (Gen 28,20–22)

Traumdeutung: Örtliche Gottespräsenz; Haus Gottes; Himmelspforte Handlungskonsequenz: Salbung einer Mazzebe; ­ enennung des Ortes B Künftige Bedeutung des Ortes als Gotteshaus unter der Bedingung von Jakobs Bewahrung

22 Vgl. insbes. Fokkelman, Art, 66 f.; Köhlmoos, Bet-El, 236; Koch, Wohnstatt, 48.

Literarkritik

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4.4 Literarkritik 4.4.1 Quellenscheidung und ihre Kritik Gen 28,10–22 galt der Quellenscheidungstheorie lange Zeit als Vorzeigebeispiel.23 Um es mit Gunkel vereinfacht auf den Punkt zu bringen: „Auf den doppelten Faden führt der doppelte Gottesname“24. Diese Sichtweise verleitete zu einer Aufteilung des Textbereiches in einen J-Strang (Vv. (10.) 13–16.19a) einerseits und einen E-Strang andererseits (Vv. 11–12.17 f.20.21a.22). Wie der Zuordnung zu entnehmen ist, war man unter diesen Voraussetzungen gezwungen, mit einem Wegfall des Beginns der E-Erzählung und mit einer nur noch fragmentarisch erhaltenen J-Erzählung zu rechnen.25 Hinzu tritt, dass in V. 16 (J) die Traumerzählung (E) vorausgesetzt wird, und sich Vv. 20–22 (E) unmissverständlich auf V. 15 (J) rückbeziehen.26 Die genannten Problemstellungen versuchte man unter der Qualifizierung des Jahwisten als Redaktor und der Einschätzung von Vv. 20–22 als spätere Erweiterung zu umgehen. Darüber hinaus wurde insgesamt Zurückhaltung gegenüber der Annahme einer elohistischen Quelle geübt.27 Neben dem Wechsel der Gottesbezeichnung ist das Argument vorgebracht worden, zwischen V. 12 und V. 13 einerseits und zwischen V. 16 und V. 17 andererseits lägen motivische Dopplungen vor, die auf einen jeweiligen Bruch schließen

23 Vgl. zur älteren Forschungsgeschichte die Besprechung bei Blum, Komposition, 19–25. Siehe auch Graupner, Elohist, 226 Anm. 312, und die ausführlichen Referenzen zu den etwaigen Ergänzungsmodellen zu Gen 28,10–22 bei Koenen, Bethel, 152 Anm. 38, sowie die Listung bei Köhlmoos, Bet-El, 233 Anm. 14.15., für die jüngere Forschungsgeschichte. 24 Gunkel, Genesis, 316. 25 Vgl. z. B. Graupner, Elohist, 231. Die fehlende Benennung Bet-Els in E wurde meist so erklärt, dass Gen 35,1 ff. (E), der mittlerweile als dtr. beeinflusster Text erkannt ist, unmittelbar an Gen 28,22 angeschlossen habe, und so die Benennung des Ortes zwar nicht in Gen 28, jedoch in Gen 35 enthalten gewesen sei. 26 Vgl. Blum, Jakobs Traum, 40 f. 27 Vgl. z. B. Westermann, Genesis I/2, 551 f., der sich gegen eine Verteilung auf zwei Quellen ausspricht. Bei Vv. 10–12.16–19, handle es sich um einen Grundbestand in Gestalt einer Jakobunabhängigen Kultorterzählung, welcher vom Jahwisten aufgenommen, auf Jakob zugespitzt und um V. 15 erweitert worden sei. Vv. 13b–14.20–22 seien ebenfalls spätere Erweiterungen. Ähnlich auch Van Seters, Prologue, 292, der Vv. 11–12.16aα.17–19a zum Grundbestand rechnet, Vv. 10.13–15.16aβ.b.20–22 als spätere, vom Jahwisten stammende Zusätze, deren Einfügung durch V. 16* bewerkstelligt worden sei. Ruppert, Genesis III, 181ff, rechnet mit einer mündlichen Grundschicht in Vv. 11.12.17.18.19a, mit einer elohistischen Bearbeitung in Vv. 10.21a und mit einer jehowistischen Drittbearbeitung in Vv. 13–16.19b.21b.22b. Den genannten Rekonstruktionen ist gemein, dass Vv. 20–22 auf einer Ebene mit Vv. 13–15(16) als Ergänzung eines Grundbestandes angesehen werden. Vgl. auch Levin, Jahwist, 216 f., jedoch in etwas anderem Umfang.

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ließen.28 Die Strukturanalyse dürfte hinreichend gezeigt haben, dass es sich entgegen dieser Vermutung nicht um motivische Dopplungen, sondern um intendierte, spannungssteigernde Stilmittel handelt.29 Unter Hinzunahme der oben genannten Querbezüge, wären „solch genaue Paßformen […] bei der Zusammenarbeitung zweier selbständiger Urkunden zu viel der Zufälle.“30 Das Argument, zwischen V. 12 und V. 13 sei literarkritisch zu scheiden, da der Gottesname wechsle, greift aus dem Grunde nicht, da ‫ אלהים‬ausschließlich mit ‫( מלאכי‬Boten) und mit ‫( בית‬Haus) in Zusammenhang genannt wird. Wie Blum gezeigt hat, wäre die Formulierung ‫ יהוה מלאכי‬im AT ohne Analogie.31 Abgesehen davon, dass die Formulierung ‫ בית אלהים‬offensichtlich bereits durch das Bestreben einer etymologischen Herleitung des bestehenden Ortsnamens Bet-El zwingend war, sei die Bezeichnung ‫ בית יהוה‬im gesamten AT ausschließlich für den Tempel in Jerusalem oder das Heiligtum in Schilo vorbehalten. Dementsprechend habe der Autor von Gen 28,10–22 keine andere Möglichkeit gehabt, als die Gottesbezeichnungen in dieser Weise zu verwenden.32 Ein weiteres zentrales Argument betraf die unklare Bezugsgröße von ‫ עליו‬in V. 13. Mit ‫עליו‬ – so die These der Quellenscheidungstheorie – könne nicht der Stufenaufgang / die Leiter gemeint sein. Demnach stehe JHWH nicht „auf ihr“, sondern „vor ihm“ (Jakob), da ansonsten ‫ על ראשׁו‬hätte erwähnt werden müssen.33 Dieses Argument kann mit Verweis auf Am 7,7 widerlegt werden.34 Hinzu kommt, dass bei einem Autor, der sich um Eindeutigkeit bemüht, bei einer Lokalisierung JHWHs vor Jakob ‫ לפני‬oder eine verwandte Formulierung zu erwarten wäre.35 Grammatikalisch kommen beide Referenzgrößen in Frage und sind daher bedenkenswert. Angesichts der doppelten Schwerpunktsetzung der Erzählung hinsichtlich der Bedeutung des Ortes als a) als Kultheiligtum und b) Begegnungsort Jakobs mit Gott, könnte diese Ambivalenz aufgrund der komplexen Baustruk 28 Auch Bestreiter einer Aufteilung des Textbereiches auf zwei Quellen mit der Tendenz zu einem redaktionsgeschichtlichen Modell wollten hier einen Bruch sehen. Vgl. dazu Westermann, Genesis I/2, 551 f.; Van Seters, Prologue, 292; Kessler, Querverweise, 111 f. Koenen, Bethel, 153, argumentiert mit der Unerklärbarkeit des Gottesnamenwechsels. Insbesondere Graupner, ­Elohist, 227 Anm. 313, führt als Argument an, dass an dieser Stelle zum alternierenden Gottesnamen inhaltliche Akzentverschiebungen hinzuträten, die die Plausibilität einer Quellenscheidung unterstützten. 29 Für eine Zusammengehörigkeit der Vv. 12 und 13 spricht darüber hinaus die zweimalige Verwendung der Wurzel ‫( נצב‬V. 12a und 13a). Vgl. dazu Blum, Jacob Tradition, 198. 30 Blum, Jakobs Traum, 41. 31 Vgl. Blum, Komposition, 20 f.; Rendtorff, Jakob, 516. 32 Vgl. Blum, Komposition, 21; Rendtorff, Jakob, 516. 33 So bereits Wellhausen, Composition, 30 f. Vgl. auch Graupner, Elohist, 227; Westermann, Genesis I/2, 554; Van Seters, Prologue, 291; Koenen, Bethel, 155. 34 Vgl. Blum, Komposition, 21; Köckert, Was träumte Jakob, 262. In Am 7,7 wird Gottes Stehen auf einer Mauer ebenfalls mit ‫ על‬ausgedrückt (‫)והנה אדני נצב על־חומת אנך‬. 35 Vgl. Koch, Wohnstatt, 84.

Literarkritik

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tur des Textes durchaus vom Autor beabsichtigt sein.36 Aufgrund der Syntax ist die Leiter als Bezugspunkt dennoch plausibler.37 Obwohl sich eine Aufteilung des Textes auf zwei Quellen aufgrund des Dargestellten verbietet, ist der Text nicht einheitlich. Während mittlerweile nahezu konsensuell nicht mehr mit einer Quellenscheidung in Gen 28,10–22 literar­ kritisch operiert wird,38 hat sich die Schwerpunktsetzung der literar- und redaktionsgeschichtlichen Diskussion auf andere Bereiche des Textes verschoben. Diese betreffen die Frage nach dem primären Umfang der Gottesrede und die redaktionsgeschichtliche Eingliederung der Bet-El-Erzählung in den Zusammenhang der Jakoberzählung.

4.4.2 Die sekundären Ortsangaben im Rahmen der Kontexteinbindung (Gen 28,10) V. 11 ist auf die Subjektnennung der Aufbruchsnotiz aus V. 10 angewiesen und stiftet der Bet-El-Erzählung ihren erzählerischen Beginn.39 Ein Vergleich zur Aufbruchsnotiz in Gen 29,1 fördert eine Wiederaufnahme zutage. Diese wird häufig so ausgewertet, dass es sich bei der Bet-El-Erzählung um eine ursprünglich unabhängige Einzelerzählung gehandelt habe, die in den Kontext mittels V. 10 eingearbeitet worden sei. Der eigenständige Erzählbeginn von Gen 28,10–22 sei dementsprechend weggefallen.40 Tatsächlich aber bestehen keine hinreichenden Gründe dafür, V. 10 in Gänze dem Grundbestand abzusprechen.41 Gen 29,1 wird das literarhistorische Primat zuzuschreiben sein, da sich das „Land der Söhne des Ostens“ aus Gen 29,1 sehr viel besser in das geografische Setting der Jakoberzählung fügt als die Ortsangabe Haran. Darüber hinaus setzt die Formulierung in Gen 29,1 „er hob seine Füße auf “ die Eile Jakobs, die aus der Notwendigkeit seiner Flucht in Gen 27 folgt, treffend fort42. Dementsprechend

36 Auch Koch, Wohnstatt, 84, zeigt in seiner Detailanalyse der Vorstellungswelt von Gen 28,10–22, dass die Formulierung eine beabsichtigte Unschärfe aufweist. Vor dem Hintergrund der Vorstellung von Bet-El als Heiligtum, das auf einer Verbindungsachse zwischen Himmel und Erde verortet wird, ist plausibel, dass das Verschmelzen der irdischen und der himmlischen Dimension eben genau so erzählerisch dargestellt wird. Vgl. darüber hinaus Köhlmoos, Bet-El, 239 Anm. 41. 37 Vgl. auch Köckert, Was träumte Jakob, 262. 38 Vgl. hingegen wieder Baden, Compostion, 49 f.233. 39 Vgl. Wahl, Jakobserzählungen, 271. 40 So Blum, Komposition, 35; Rendtorff, Jakob, 512; Becker, Jakob, 162; Köckert, Rück­ verweise, 104, insbes. Anm. 5. 41 Vgl. Koch, Wohnstatt, 54; Köhlmoos, Bet-El, 235; Wahl, Jakobserzählungen, 271; Levin, Jahwist, 217; Kratz, Komposition, 272; Nauerth, Untersuchungen, 252. 42 Vgl. Koch, Wohnstatt, 53.

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muss Gen 28,10 in Anlehnung an Gen 29,1 formuliert worden sein.43 Von der Aufbruchsnotiz in Gen 28,10 sind die zu Gen 29,1 in Konkurrenz stehenden Ortsangaben noch einmal abzuheben. In Gen 28,10 gehören die Ortsangaben von Beerscheba und Haran vermutlich zusammen und erklären sich aus einer Ergänzung, die wohl um eine Einbindung der Isaaktradition bemüht ist.44 Kratz hat für die Beerscheba-Notiz eine vorausgesetzte Verbindung zwischen der Jakob- und der Isaakerzählung vorgeschlagen (Gen 26,23 ff.), deren Verbund wiederum erst sekundär mit einer Jakob-Laban-Erzählung verknüpft worden sei.45 Wie sich noch zeigen soll, ist die Annahme zweier voneinander unabhängiger Erzählkränze innerhalb der Jakoberzählung allerdings nicht plausibel zu begründen. Wie Blum gezeigt hat, könnte die Erwähnung Beerschebas auch unabhängig von der Isaakerzählung erfolgt sein, da sich Beziehungen zwischen dem Nordreich und Beerscheba nachweisen ließen.46 Möglich ist auch eine Bearbeitung, die sich auf die Ortsangabe Beerscheba beschränkt und so punktuell die Verbindung zur Isaakerzählung sucht.47 Eine solche Verbindung erscheint insofern als die plausibelste Lösung, da es sich in Gen 28,10 um die einzige Beerscheba-Notiz der Jakoberzählung überhaupt handelt und zugleich um die erste Itinerarnotiz der Jakoberzählung. Die Ortsungebundenheit der Jakoberzählung in ihrem Beginn konnte so behoben und mit Gen 26,12–33, wie auch mit der übergreifenden Erzelterngeschichte, konsequenter in Einklang gebracht werden.48 Wie noch zu zeigen sein wird, handelt es sich hierbei indes nicht um eine isolierte Korrektur einer Ortsangabe. Die Beerscheba-Verortung hängt in Gen 28,10 bereits mit der Ortsangabe Haran zusammen.

43 Gegen Kratz, Komposition, 272, der annimmt, Gen 29,1 sei von Gen 28,10 abhängig. So auch Levin, Jahwist, 217. Ähnlich auch Becker, Jakob, 163, der davon ausgeht, dass „Haran“ in Gen 29,1 durch eine „unbestimmtere Angabe ersetzt“ worden sei. 44 Koch, Wohnstatt, 58, zieht eine Zuordnung der Ortsangabe „Haran“ zum Grundbestand in Erwägung. Der Ort sei als Zufluchtsort für Deportierte aus dem Nordreich insbesondere in neuassyrischer Zeit bekannt gewesen. Dies ist wahrscheinlich, doch ist die Angabe an dieser Stelle schon fest mit der Beerscheba-Verortung verbunden. 45 Vgl. Koch, Wohnstatt, 54, mit Verweis auf Kratz, Komposition, 270–273, der von einer primären Verbindung zwischen einer Isaak-Esau- und Jakob-Laban-Erzählung ausgeht. Ebenso nimmt Becker, Jakob, 163, eine sekundäre Verbindung zwischen Gen  24–27* einerseits und Gen 29,1–32,2a* andererseits mittels Gen 28,10 an, sieht darin allerdings bereits eine Verbindung mit der Abraham-Erzählung angezeigt. 46 Vgl. Blum, Jakobs Traum, 53 Anm. 73. 47 Vgl. Koch, Wohnstatt, 54, der sich auf Blum, Jakobs Traum, 39 f., bezieht, jene Möglichkeit allerdings nicht favorisiert. 48 Schmid, Political Theologies, 28, stellt darüber hinaus die Funktion Beerschebas als Edoms „gateway to the North“ heraus.

Literarkritik

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4.4.3 Die sekundären Verheißungselemente in der Gottesrede (Gen 28,13–14*) Das dichte Struktursystem und die Leitwortverkettungen der Erzählung fehlen in der Gottesrede weitestgehend. Darüber hinaus werden neue Themen eingeführt, die einen weiteren Kontext als die Jakoberzählung voraussetzen. Die Inhalte der Gottesrede werden im Anschluss erzählerisch nicht mehr eingeholt, obwohl eine Reaktion Jakobs auf die weitreichende Verheißung zu erwarten wäre.49 Die Gottesrede scheint insofern nicht stringent mit dem Kontext verbunden,50 was bekanntermaßen zu literarkritischen Rückfragen veranlasst. Umstritten ist der Umfang einer möglichen Erweiterung. Ein Minimalkonsens besteht darin, die Erzväterverheißung als sekundär zu bewerten. Sie wird neben weiteren Verheißungstexten als spätes Verbindungsscharnier zwischen den Erzelternerzählungen beurteilt.51 Dies führte zu der Überlegung, die gesamte Gottesrede (Vv. 13aα*–15) als Fortschreibung auszusondern.52 Dagegen spricht allerdings der alttestamentliche Befund, der keine Gotteserscheinung ohne Gottesrede bezeugt.53 Zudem 49 Vgl. Blum, Komposition, 17; Rendtorff, Jakob, 513 f.; Blum, Jakobs Traum, 36 f.; Köhlmoos, Bet-El, 234; Koch, Wohnstatt, 54. 50 Eine Ausnahme stellt der Relativsatz „die Erde, auf der du liegst“ (V. 13b) dar, der anaphorisch auf Jakobs Ruhestätte zurückgreift. Durch dieses erzählerische Mittel wird eine Verbindung zwischen der Ruhestätte Jakobs und der Landverheißung hergestellt und insofern die individuell auf Jakob fokussierte Erzählung über Bet-El als Schlaglicht einer größeren Verheißungsgeschichte präsentiert. 51 Vgl. insbesondere Köckert, Vätergott, 264 ff.; Kessler, Querverweise, 111; Blum, Komposition, 8. 152 ff. 290 f.; Schmid, Literaturgeschichte, 125 f. Vgl. zu den Parallelen innerhalb der Verheißungsaussagen von Gen 12,1–3; 13,14–17; 26,2–5; 28,13–15 Rendtorff, Problem, 59; Taschner, Verheißung, 73–76. Köckert, Jakobüberlieferung, 55–57. Gegen eine kompositorische Verknüpfungsfunktion spricht sich Levin, Väterverheißungen, 125, aus. 52 Vgl. neuerdings wieder Köckert, Rückverweise, 107 f. Köckert setzt dabei die Erweiterung um V. 15 entstehungsgeschichtlich später an als die Erweiterung um Vv. 13–14. Vgl. auch Köckert, Jakobüberlieferung, 55 Anm. 58; Schmid, Political Theologies, 19 f. Ebenso Leuenberger, Segen, 245; Nauerth, Jakoberzählungen, 248 f.; Boecker, Isaak, 64; Blum, Komposition, 158 f. Seebass, Vätergeschichte II/2, 321 f., erachten lediglich V. 15* als sekundär. Taschner, Verheißung, 76–80, kommt m.W. zu keiner eindeutigen Lösung des „Dilemmas“. Rendtorff, Jakob, 513, rechnet mit einer älteren Erweiterung um V. 15 und einer jüngeren um die Vv. 13–14. Ähnlich, jedoch unter anderen theoretischen Vorzeichen Levin, Jahwist, 216–220. Becker, Jakob, 166 f., rechnet in V. 14 mit einer Erweiterung, wie auch in V. 15 bei „ich will dich zurückbringen zu diesem Land“. 53 Vgl. Van Seters, Prologue, 291. Aus diesem Grund sieht Van Seters für den Grundbestand der Erzählung keine Gotteserscheinung vor und erachtet Vv. 13–15 gänzlich als spätere Erweiterung. Blum, Jakobs Traum, 43 f., nimmt die Einwände von Van Seters zum Anlass, seine Auffassung von 1984 zu revidieren, allerdings nimmt er dieses Argument zur Grundlage, eine Gottesrede im Grundbestand zu veranschlagen (s. u.). So auch Koch, Wohnstatt, 55. Gegen die Modifizierung Blums hat kürzlich Köckert, Was träumte Jakob, 265, Einwände erhoben. Nach Köckert sei die Unüblichkeit der fehlenden Gottesrede mit der Analogielosigkeit der Gesamt-

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erschließt sich nicht, wie Jakob JHWH ohne Selbstvorstellung erkennen können sollte (V. 16).54 Dies bedeutet, dass die Selbstvorstellung JHWHs (ohne Rekurs auf die Erzväter) aller Wahrscheinlichkeit nach dem Grundbestand zuzurechnen ist.55 Eine reine Selbstvorstellung Gottes ohne inhaltliche Zusage würde jedoch aufgrund der späteren Reaktion Jakobs wenig Sinn ergeben.56 Wie gezeigt, kommen die Vv. 13aα*–14 allerdings dafür nicht in Betracht, will man nicht die gesamte Bet-El-Erzählung in den Kontext exilisch-nachexilischer Zeit vorrücken, was sich aufgrund der Anlage von Gen 28,10–22 nicht bewährt.57 Nicht nur die Parallelen zu den übrigen Erzväterverheißungen, sondern auch die sich vom Kontext deutlich abhebenden Inhalte wie Landverheißung, Mehrung und Segensmittlerschaft, legen eine sekundäre Erweiterung nahe. Anders verhält es sich mit V. 15. Während V. 15b einen ebenfalls allgemein akzeptierten spät-dtr. Nachtrag darstellt,58 fügt sich V. 15a formal und inhaltlich treffend in den Grundbestand der Erzählung ein. Für eine Zugehörigkeit von V. 15a zum Grundbestand sprechen gleich mehrere Gründe. V. 15a befasst sich ausschließlich mit der individuellen Situation Jakobs und ist auf dessen konkrete Situation zugeschnitten, während die Vv. 13aα*–14 deutlich über jenen Kontext hinausreichen. Zwischen V. 14 und V. 15 lässt sich insofern ein Bruch erkennen. Des Weiteren fällt der zum Traumbild analoge Anschluss durch ‫ והנה‬auf. Darüber hinaus führt Koch die Beobachtung eines auffälligen Wechsels zwischen der Beszenerie abzuschwächen. Allerdings kann der Einwand nicht überzeugen, da sich das Argument auf einen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen dem Erscheinen JHWHs und dessen Mitteilung bezieht. 54 Vgl. Van Seters, Prologue, 291. Köckert, Was träumte Jakob, 265, argumentiert dagegen, dass Jakob JHWH bereits aus der Betrugsgeschichte kenne und es daher keiner Selbstvorstellung bedürfe. Anders als in Gen 27 hat es Jakob allerdings mit einer Erscheinung zu tun, die er deuten muss. Der Fall in Gen 27 ist anders gelagert, da Jakob Gott dort nur vom „Hörensagen“ kennen­ lernt. 55 Neben Blum, Jakobs Traum, 43 f., und Koch, Wohnstatt, 55 f.; Finkelstein / Römer, Comments, 323 (mit Verweis auf vergleichbare neuassyrische Gottesorakel); Blum, Jacob Tradition, 196, Anm. 39; auch Köhlmoos, Bet-El, 235. Dagegen meint Becker, Jakob, 164, die Selbst­ vorstellung JHWHs als Gott der Ahnväter sei zum primären Textbestand zu rechnen, und daher die Gesamterzählung entstehungsgeschichtlich spät einzuordnen. Levin, Väterverheißungen, 138, will eine jahwistische Ergänzung in Vv. 13a.15a.16 erkennen, die um Vv. 13b–14 erweitert worden sei. 56 Und ist auch alttestamentlich nicht belegt. Vgl. Koch, Wohnstatt, 57. 57 Siehe Kap. 4.5, 123, zur literarhistorischen Verortung der Bet-El-Erzählung. Zur Verortung in exilischer Zeit vgl. Becker, Jakob, 164. Siehe die Auseinandersetzung mit der These Beckers bei Koch, Wohnstatt, 57. Koch kritisiert berechtigterweise das Auseinanderziehen von Gottesvorstellung inklusive Erzvätertrias einerseits und Verheißungszusage andererseits, die sachlich, entgegen der These Beckers, miteinander verwoben sind. 58 Vgl. Köhlmoos, Bet-El, 234, in direkter (und richtiger) Abgrenzung zu Blum, Komposition, 158–163, der den gesamten Vers als dtr. einstuft. So auch Leuenberger, Segen, 245. Vgl. zur notwendigen Unterscheidung zwischen V. 15a und 15b neben Köhlmoos auch Koch, Wohnstatt, 55.

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zeichnung ‫( ארץ‬Vv. 13.14) und ‫( אדמה‬V. 15) an, für den es keinen ersichtlichen inhaltlichen Grund gibt. ‫ ארץ‬ist konstitutive Terminologie der Väterverheißungen, während es sich bei ‫ אדמה‬um eine primäre Bezeichnung des Textbestandes handeln könnte.59 Die Differenzierung führt zu der Einsicht, dass Jakob im Grundbestand Gottes Mitsein, Schutz und Rückführung versichert worden ist. Dies schließt ein, dass das Ende der Jakoberzählung beim Autor des Grundbestandes von Gen 28,10–22* im Blick ist. Die mit anderen Verheißungstexten in Kontinuität stehende Erweiterung um die Erzväterverheißung stellt diese zunächst noch individuell orientierte Zusage auf den Grund der Verheißungssukzession von Abraham über Isaak, zu Jakob. Sie steigert die Zusage über die Rückführung in das Land, das Jakob in V. 15a zugesagt wird, hin zu einem Besitzanspruch und schafft durch das Thema „Segen“, mit Jakob als Segensmittler, einen Kontrapunkt bzw. eine Wende. Die Bewahrungszusage wird durch die Verheißung zahlreicher Nachkommen gesteigert, die von Jakob ausgehen sollen. Die Zuwendung zu Jakob ist folglich kein individueller Akt mehr, sondern erscheint nun im Lichte der Verheißungsgeschichte. Gleichzeitig spiegelt sich in der Erweiterung auch eine Problematik der Verfügungsgewalt über den Segen. In Gen 28,10–22 sind es nicht mehr menschliche Akteure, die über den Segen verfügen, sondern Gott allein. Mit Leuenberger wird in diesem Sinne folgerichtig von einem „Komplement bzw. Korrektiv zu Kap. 27“60 zu sprechen sein.

4.4.4 Die Lus-Notiz (Gen 28,19b) Gen 28,19b gilt allgemein anerkannt als Glosse. Der Teilvers informiert darüber, dass der Ortsname Bet-Els ursprünglich einmal Lus geheißen habe.61 Neben dem glossenartigen Stil spricht für V. 19b als Erweiterung die Tatsache, dass dieser Ort, auf den Jakob in Gen 28,10 zufällig trifft und der eher einem Steinfeld zu gleichen scheint, nun als Stadt (‫ )עיר‬bezeichnet wird. Insofern zeichnet sich eine Inkohärenz zum narrativen Setting von Gen 28,10–22 ab. Wie Koch gezeigt hat, könnte es sich dabei um ein Bestreben handeln, den Ort Bet-El von seiner theologischen Bedeutung abzurücken und, entgegen seiner Charakterisierung als 59 Vgl. Koch, Wohnstatt, 55 f. Das Argument von Köckert, Was träumte Jakob, 266, Gottesreden seien auch ohne Selbstvorstellung möglich, ist noch kein Argument dagegen, dass es im Grundbestand der Bet-El-Erzählung einmal eine Selbstvorstellung JHWHs inklusive der Versicherung auf Rückführung gegeben hat. 60 Leuenberger, Segen, 249. 61 Wie Jericke, Ortsangaben, 187, zeigt, sind alle Belegstellen Lus’ mit Bet-El identisch. Daher kommt er zu dem Schluss, jener Ortsname sei promiscue zu Bet-El verwendet worden. Graupner, Elohist, 234, hält an der These fest, aufgrund von Jos 16,2 seien mit Lus und Bet-El zwei verschiedene Orte gemeint und bezeichne in einem Falle ein Heiligtum, im anderen eine Stadt.

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heiliger Ort, zu profanisieren.62 In dieser Tendenz orientiert sich der Redaktor an der Ausrichtung der Priesterschrift von Gen 35,9–15. Dementsprechend handle es sich nach Koch bei der redaktionellen Erweiterung um einen vergleichsweise späten, nach-P Eintrag.63 Die Annahme ist für Gen 28,10–22 isoliert betrachtet bestechend, allerdings kann sie den Gebrauch des Ortsnamens Lus in Gen 35,6 nicht erklären. Möglich wäre demenstprechend mit Jericke auch, dass es sich bei der Näherbestimmung Bet-Els als Lus um eine antisamaritanische Glosse handelt, die aus einer Südreichsperspektive formuliert ist. Die Glosse wendet sich dann gegen die samaritanische Vereinnahmung des Ortsnamens Lus für den Garizim und denkt Bet-El bereits als zum Südreich gehörig.64

4.4.5 Jakobs Gelübde (Gen 28,20–22) als sekundäre Erweiterung Die Renominalisierung „Jakob“ markiert in V. 20 einen deutlichen Neueinsatz und leitet zu Jakobs Gelübdeversprechen über.65 Das Gelübde in Gen 28,20–22 erscheint nach dem abschließenden V. 19a wie ein Anhang an die Bet-El-Erzählung.66 Die geprägte Wendung „ein Gelübde loben“ und der Charakter der darauffolgenden Rede Jakobs weisen jene als Gelübdeerzählung aus.67 Dieser formalen Prämisse entspricht die Inhaltsebene, die mehrere Bitten Jakobs an Gott und daran konditional gebundene Versprechen formuliert. Mithin wird auch hier das grundsätzliche Ziel eines Gelübdeversprechens deutlich, nämlich Gottes Wirken zugunsten des Gelobenden positiv zu beeinflussen.68 Die Vv. 20–22 verfolgen somit ein stringentes, formales und thematisches Programm. Ein zentrales exegetisches Problem von Vv. 20–22 liegt in der Übersetzung. Grundsätzlich wird in Vv. 20–22 die Bedingung formal klassisch mit ‫ אם‬eingeleitet und der Nachsatz mit ‫ ו‬angeschlossen.69 Allerdings ist aufgrund der mit der 62 Vgl. Koch, Wohnstatt, 59. 63 Vgl. Koch, Wohnstatt, 59. 64 Vgl. Jericke, Bet-El, 184–190. 65 Die Einleitungsformel zu Gelübdeformulierungen finden sich neben Gen 28,20 auch in Num 21,2; Ri 11,30 und 1 Sam 1,11; 2 Sam 15,8 (invertiert). An 1 Sam 1,11 wird deutlich, dass eine Renominalisierung nicht etwa als gängiges stilistisches Mittel zur Einleitung von Gelübde­ erzählungen gewertet werden kann. 66 Vgl. Blum, Komposition, 18; Kessler, Querverweise, 113. 67 Vgl. Kaiser, Art. ‫נֶ ֶדר‬, Sp. 266. Im engeren Sinne und der Gattung nach handelt es sich hier nicht um ein Gelübde, da die tragenden Gattungselemente fehlen. Man wird daher vielmehr von einer Gelübdeerzählung sprechen müssen, die den Kontext narrativ mit im Blick hat. Vgl. auch Wahl, Jakobserzählungen, 278. 68 Vgl. Kaiser, Art. ‫נֶ ֶדר‬, Sp. 263. 69 Grammatikalisch bestünden für die Ansetzung des Nachsatzes neben ‫ ו‬auch ‫ אז‬und ‫ כי‬als weitere Ausdrucksmöglichkeiten im Hebräischen. Vgl. Blum Komposition, 89 Anm. 2. Kaiser verweist in diesem Zuge auf die fehlende Anrede der Gottheit. Vgl. Kaiser, Art. ‫נֶ ֶדר‬, Sp. 267.

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Partikel ‫ ו‬verbundenen Reihung von Satzelementen unklar, was Jakob gegenüber Gott im Falle seines Beistandes gelobt. Grammatikalisch bestehen für die Ver­ ortung der Apodosis mehrere Möglichkeiten.70 Mehrheitlich wird in der Forschung die Apodosis in V. 21b angesetzt.71 Als Hauptargument dafür gelten dtr. Sprachanleihen in V. 21b, die eine Rezeption der Bundesformel (Dtn 26,16–19) nahelegten. Dies führte zu der Schlussfolgerung, V. 21b dürfe nicht konditional, sondern müsse assertorisch verstanden werden.72 Der Verweis auf die strukturellen Parallelen zu 1 Sam 1,11 sollte die genannte Aufteilung zusätzlich stützen.73 Zugleich konnte V. 21b infolgedessen als sekundäre Erweiterung bewertet werden, die ein ursprüngliches Gelübde in V. 22 in dtr. Sinne korrigiere. Diese Annahme wurde mit dem wechselnden Gottesnamen innerhalb des Verses argumentativ gestützt.74 Wurde die Apodosis hingegen in V. 21b innerhalb des Grundbestandes angesetzt, galt V. 22 mitunter als Nachtrag.75 Anlass dafür gab zum einen der innertextliche Widerspruch, der sich aus V. 22 ergibt, zum anderen dessen strukturelle Besonderheit im Gesamtaufriss des Gelübdes. Ohne Frage hebt sich V. 22 strukturell vom Kontext ab.76 Fraglich hingegen ist, ob diese Beobachtung zu einer literarkritischen Entscheidung führen muss, oder ob mit der veränderten Satzstruktur nicht auf Ebene der Vv. 20 f. lediglich die Apodosis angezeigt ist.77 Koch löst überzeugend die dargestellten literarkritischen Probleme im Rekurs auf Beobachtungen Seebass’. Die Bundesformel, die in V. 21b rezipiert wird (zum 70 Ansetzung der Apodosis a) mit der Rückführung ins Vaterhaus (V. 21), vgl. Blum, Komposition, 89; b) mit dem Gottsein JHWHs in V. 21b; c) mit der Mazzebe, die zum Gotteshaus wird in V. 22a; d) mit der Entrichtung des Zehnten in V. 22b. 71 Vgl. z. B. Gunkel, Genesis, 321; Levin, Jahwist, 219; Jacob, Genesis, 584; Blum, Komposition, 89–92; Van Seters, Prologue, 289; Taschner, Verheißung, 62 Anm. 23; Koenen, Bethel, 151; Boecker, Isaak, 63; Köhlmoos, Bet-El, 238; Leuenberger, Segen, 243. Westermann, Genesis I/2, 559 f., spricht sich dafür aus, V. 21b zwar als Apodosis zu verstehen, jedoch im Sinne des Versprechens einer kultischen Verehrung. 72 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 320. 73 Vgl. Blum, Komposition, 89 Anm. 3; Koch, Wohnstatt, 59. 74 Vgl. Blum, Komposition, 91 f. Mit Fragezeichen versehen dann bei Blum, Jakobs Traum, 54; ebenso Blum, Jacob Tradition, 199. Vgl. auch Rendtorff, Jakob, 516. 519; Köckert, Rückverweise, 106 f.; Koenen, Bethel, 156; Nentel, Untersuchungen, 114 f. Seebass, Vätergeschichte II/2, 322, erachtet V. 21b als „relecture“. Ebenso Schmid, Political Theologies, 23, der in V. 21b die sekundäre Absicht erkennen will, die darauffolgende Zehntabgabe am Heiligtum in BetEl herunterzuspielen. Gegen einen Zusatz in V. 21b votieren Levin, Jahwist, 219; Taschner, Verheißung, 82. 75 Vgl. Köhlmoos, Bet-El, 235. 76 Vgl. zu den Beobachtungen Fokkelman, Art, 75; Tita, Gelübde, 57; Seebass, Väter­ geschichte II/2, 320. 77 Blum, Komposition, 89 Anm. 3, verneint die Möglichkeit, aufgrund der Satzstruktur die Protasis-Apodosis-Konstruktion rekonstruieren zu können und führt dagegen fehlendes Vergleichsmaterial an. Sicherlich kann dieses Argument nicht alleine ausschlaggebend sein, würde es nicht durch weitere Argumente gestützt. (s. u.).

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Die Autorisierung Jakobs als legitime Nordreichsgröße

Gott sein), begegnet insbesondere in P-Texten (Gen 17,7b.8b; Ex 29,45; Lev 11,45; 22,33; 25,38; 26,45; Num 15,41; Ez 34,24), was auf eine Übertragung der Abrahamverheißung in Gen 17,7b.8b (P) auf Jakob (28,13*f.), nicht aber auf eine Rezeption der Bundesformel aus Dtn 26,17 hindeute. Jene Übertragung werde auch in spät-dtr. Texten (Dtn 29,12) greifbar.78 In Gen 17 ist die Abrahamverheißung jedoch fest mit dem Bund verwoben. Demnach ist mit Koch schlüssig, dass im Zusammenhang von Vv. 20b–21b der erste Teil der Bundesformel rezipiert wird, um neben der Verheißung bei Jakob, analog zu Abraham, auch die Bundesthematik nachzutragen, allerdings nicht in Form einer Gottesrede, sondern in Form eines Wunsches.79 Insofern wird V. 21b als integraler Bestandteil des Gelübdes und fester Teil der Protasis zu bewerten sein sowie V. 22 als dementsprechende Apodosis.80 In V. 22 wird ein Widerspruch zum vorherigen Abschnitt deutlich.81 V. 22 bezieht sich durch einen Relativsatz auf V. 18 zurück, bestimmt allerdings nicht wie zuvor in V. 17 den Ort als Haus Gottes, sondern stellt in Aussicht, dass die Mazzebe ein Gotteshaus sein bzw., bis zu dessen baulicher Realisierung, repräsentieren soll. Während in den Vv. 17–19a bereits feststeht, dass es sich um nichts anderes als das Haus Gottes handelt, wird diese Feststellung in Vv. 20–22 an die Bedingung von Jakobs Ergehen gebunden und somit hinsichtlich einer Gesamtsicht auf die Jakoberzählung gestreckt.82 Sodann ist das Haus Gottes in Vv. 17.19a mit dem Ort identifiziert, in V. 22a hingegen mit dem Stein bzw. der Mazzebe, die Jakob aufgestellt hatte. Nicht der Ort, sondern der Stein, soll das Haus Gottes sein. Das Zehntversprechen beweist, dass damit ein Tempel angedeutet ist. Die oben genannten Gründe sprechen dagegen, in V. 22 einen isolierten Nachtrag zu sehen. Mithin gibt V. 22 vielmehr den grundsätzlich redaktionellen Charakter des Gelübdes zu erkennen, der bereits durch die deutliche Abgrenzung zum vorausgehenden Kontext nahegelegt wird.83 78 Gen 17,7 weist durch die singularische Formulierung „dein Gott“, die mit Gen 28,21b übereinstimmt, jedoch ansonsten innerhalb der Rezeption der Bundesformel nicht bezeugt ist, eine literarische Verbindung zu Gen 28,21b auf. Zur Nähe von Gen 17,7 und Gen 28,21b vgl. bereits Westermann, Genesis I/2, 560. Es handelt sich folglich nicht um eine Rezeption der Bundesformel aus Dtn 26,17, wie Blum, Komposition, 90, oder etwa Köckert, Rückverweise, 107, postulieren, oder um einen Aufgriff von Jos 24, wie Levin, Jahwist, 219, oder Becker, Jakob, 167, meinen. 79 Vgl. hierzu auch Seebass, Vätergeschichte II/2, 320. 80 Vgl. Koch, Wohnstatt, 59 f. Seebass, Vätergeschichte II/2, 320. Fokkelman, Art, 75. 81 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 558 f.; Kessler, Querverweise, 113; Blum, Komposition, 23 Anm. 65; Koenen, Bethel, 156. Gegen einen Widerspruch spricht sich Nentel, Untersuchungen, 98 f., aus. Es liege keine Bezeichnung a) des Ortes und b) der Mazzebe vor, sondern die Beziehungen verwiesen auf unterschiedliche Sphären, a) die Traumwelt und b) die reale Welt. 82 Vgl. Koch, Wohnstatt, 62. 83 Vgl. Kessler, Querverweise, 113; Becker, Jakob, 176; Koenen, Bethel, 156; Levin, Jahwist, 219; Boecker, Isaak, 63. Köckert, Rückverweise, 105. Gegen Blum, Jakobs Traum, 40.54, der von einer Zugehörigkeit des Gelübdes zum Grundbestand ausgeht. So auch Blum, Jacob Tradition, 199 und Köhlmoos, Bet-El, 235, unter Ausschluss von V. 22.

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Mit der Annahme des sekundären Charakters der Vv. 20–22 erklären sich dessen voraussetzungsreichen Querbezüge. Die viergliedrige Protasis in Vv. 20 f. entspricht den Verheißungsinhalten aus V. 15 lediglich unter einer stärker an den einzelnen Erzählzügen der Jakoberzählung ausgerichteten Konkretisierung.84 Die Aufnahme der Selbstvorstellung Gottes (V. 13a) in V. 21b weist darauf hin, dass V. 21b der Verheißungsrede entstehungsgeschichtlich nachzuordnen ist.85 Ähnlich kontextbezogen ist bereits die Gattung „Gelübde“, insofern die Notsituation Jakobs vorausgesetzt ist, die sich aus Gen 27 ergibt.86 Synchron besehen erscheint Jakobs Rückkehr nach Bet-El in Gen 35,1–7* – vor dem Hintergrund von Gen 28,20–22 – als Einlösung des Gelübdes. Da Jakob dort allerdings weder einen Tempel baut, noch den Zehnten entrichtet, wird deutlich, dass Gen 35,1–7* als Einlösung des Gelübdes nicht wirklich funktioniert.87 Vielmehr soll Gen 28,20–22 nicht nur Jakobs wohlbehaltene Rückkehr und sein Bekenntnis (Gen 33,18.20) proleptisch zusammenfassen, sondern gleichsam über den unmittelbaren Kontext der Jakoberzählung als Anspruch an die Textrezipienten hinausweisen. Deutlich erkennbar ist an den Formulierungen, dass in Gen 28,20–22 mit der Zehntabgabe die Jakob-Laban-Erzählung im Blick ist, in der erzählt wird, wie Jakob zu beachtlichem Reichtum gelangt.88 Im Rückblick wird folglich Jakobs Reichtum als Reaktion Gottes auf das Gelübde verstehbar. Bei der Zehntabgabe handelt es sich um eine Abgabe, die am Heiligtum zu entrichten ist. Undeutlich ist innerhalb der alttestamentlichen Beleglage, ob es sich um eine staatliche oder kultische Abgabe handelt, wobei sich beide Dimensionen selbstredend im Falle eines Staatsheiligtums vermischen können. Nach Eckart Otto liegt 84 Vgl. Jacob, Genesis, 584. Siehe insbesondere das Schema bei Koch, Wohnstatt, 63. Koch verweist hier zusätzlich auf eine theologische Rahmung, die sich daraus ergibt, dass sich JHWH in der Verheißung als Gott Abrahams und Isaaks identifiziert und analog dazu in V. 21 JHWH als Gott Jakobs gedacht ist. Gegen Westermann, Genesis, 559, ist der Überschuss in V. 20 gegenüber V. 15 nicht durch eine typische Gelübdeformulierung, sondern durch den narrativen Kontext der Jakoberzählung zu erklären. Köckert, Was träumte Jakob, 268, vertritt eine Abhängigkeit des V. 15 vom Gelübde, da es sich in V. 15 um allgemeinere Zusagen handle. Vgl. für die Abhängigkeit der Vv. 13–15 vom Gelübde auch Schmid, Political Theologies, 19 f. 85 Vgl. etwa Koch, Wohnstatt, 63. Anders Leuenberger, Segen, 249, der eine umgekehrte Abhängigkeitsrichtung annimmt. 86 Alttestamentliche Belegstellen wie 2 Sam  15,7 ff.; 1 Sam  1,11; Num 21,1–3; Ri  11,30 f. zeugen von einer vorausgehenden, durchaus unterschiedlich gearteten Notsituation, in deren Kontext ein Gelübde abgelegt wird. Vgl. Häusel / Ostmeyer, Art. Gelübde, 196; Ede, Art. Gelübde. 87 Vgl. Kessler, Querverweise, 142 f. Bei Schenker, Gelübde, 30 f., wird Jakobs Gelübde sogar zur Klassifizierung als „Gelübde bei Heiligtumsgründungen“ herangezogen, die er folgendermaßen interpretiert: „Das Gelübde ist der menschliche Anteil an der von Gott ausgehenden Stiftung eines Tempels“ (a. a. O., 30). Dies erscheint vor dem Hintergrund der Belege sowie aus den genannten Unsicherheiten fraglich. 88 Diese Option ist plausibler als eine stillschweigende Erfüllung des Zehntgelübdes in Gen 35,1–15, die dort vorausgesetzt und nur nicht geschildert worden sei, da Gen 35* Wichtigeres zu berichten habe. So etwa Seebass, Vätergeschichte II/2, 320; Jacob, Genesis, 584.

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Die Autorisierung Jakobs als legitime Nordreichsgröße

mit Dtn 14,22–27 der erste datierbare Beleg für eine Zehntabgabe im AT vor und ist wohl in spätvorexilischer Zeit anzusetzen.89 Dass am Heiligtum in Bet-El ein Zehnt erhoben worden ist, könnte Am 4,4 belegen, ist allerdings angesichts der dünnen Quellenlage nicht gesichert. Bei dem Zehntbeleg in der Jakoberzählung wird es sich um eine Ätiologie dieser Abgabe handeln, nicht um einen historischen Basistext als Erweis für eine Zehntabgabe am Heiligtum in Bet-El. Dies zeigt sich schon darin, dass Jakob den Zehnten hier gar nicht entrichtet. Vielmehr wird an Jakobs Verhalten deutlich, in welcher Weise sich der Mensch angesichts der Bewahrung durch Gott zu verhalten hat. Übergeordnet liegt das eigentliche Interesse des Gelübdes von Gen 28,20–22 insofern darin, die Verpflichtung zur Zehntabgabe ätiologisch an Jakob rückzubinden.90

Der Reichtum, zu dem Jakob im Zuge des Aufenthaltes bei Laban gelangt, wird hier vorab als Gabe Gottes manifestiert, derer sich Jakob bewusst ist und in Form des Zehntgelübdes verpflichtet. Übergeordnet hat die Bewahrung Jakobs auf seinem Weg und die segensreiche Zuwendung durch JHWH folglich ihre Entsprechung in der Kultpraxis. Insofern ist das Gelübde nicht nur als Ätiologie zu verstehen, sondern auch als impliziter Appell an die Leserschaft. Dem Leser wird anhand von Jakobs Beispiel der Zusammenhang von Segen und Zehntabgabe vor Augen geführt. An die wohl einschlägigste Kulterzählung der Erzelternerzählung lagerte sich insofern eine ethische Forderung nach dem Zehnten an, die zwar an die Vorstellung eines Tempels, nicht aber entstehungsgeschichtlich zwingend an einen Tempelbetrieb in Bet-El als Ort der Entrichtung gebunden sein muss. Bezieht man die Querbezüge des Gelübdes ein, ist die Erweiterung ebenso gut vor dem Hintergrund der nachexilischen Zeit erklärbar, in der ein Tempelbetrieb angesichts der bevorstehenden Erneuerung des Jerusalemer Tempels in Aussicht stand und die Etablierung einer Zehntabgabe an die Figur Jakob zurückband. In die Bitte um eine bewahrende Rückführung konnten sich so auch die nach Babylon exilierten Bevölkerungsgruppen einschreiben, die einen Neubau des Jerusalemer Tempels vorbereiteten bzw. erwarteten. Ist diese Einschätzung richtig, so wurde die Heiligtumsätiologie Bet-Els für kultische Anliegen späterer Zeit fruchtbar gemacht. Die Anknüpfungsfähigkeit lag darin, dass Bet-El in nachexilischer Zeit keine reale Konkurrenz mehr für einen Jerusalemer Tempel darstellte. Gleichzeitig war der Ort derart in der Tradition verankert, dass sich die Erzählung für eine ätiologische Anlagerung anbot.91 Diese Erklärung erscheint wahrscheinlicher, denn die Erinnerung an die Zehntentrichtung an einem Heiligtum in Bet-El, die erzählerisch in der Jakoberzählung nicht mehr eingeholt wird 89 Vgl. Otto, Dtn 12,1–23,15, 1312–1317. Zu weiteren Bestimmungen von Zehntabgaben vgl. u. a. Dtn 12,6.11.17; 26,12; Lev 27,30–33; Num 18,20–32. 90 Vgl. Körting, Art. Zehnt, 489 f. 91 Insofern gegen Schmid, Political Theologies, 22, der den Jerusalemer Tempel als Grund anführt, dass das Gelübde nicht in exilischer Zeit entstanden sein könne.

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und nicht mit den oben genannten Querbezügen zu Texten aus exilischer / spätexilischer Zeit vereinbar ist. Nicht zuletzt lässt sich eine ähnlich entkontextualisierende Aktualisierung der Jakobtradition im Zusammenhang mit Jakobs Gebet aus Gen 32,10–13 feststellen.92

4.5 Literarhistorische Verortung des Grundbestands Der ermittelte Grundbestand umfasst die Vv. 10–13aα.15a.16–19a und beinhaltete zunächst die Übernachtung des fliehenden Jakob an einem unbekannten Ort. Dort hat er einen Traum, in dem ihm JHWH erscheint. Jener sagt Jakob in einer Rede sein Mitsein, seinen Schutz und die Rückführung in die Heimat zu. Jakob interpretiert den Ort infolgedessen als Wohnstätte Gottes. Als materielle und kultische Vergegenwärtigung dieser Erkenntnis stellt Jakob den Stein am nächsten Morgen als Mazzebe auf und nennt den Ort Bet-El. Der Grundbestand der ­Bet-El-Erzählung erinnert folglich an die Heiligkeit der Stätte Bet-Els als Wohnort der Gottheit und etabliert Jakob als deren Entdecker.93 Die theologisch und unter dem Aspekt der Traditionsbildung gewichtige BetEl-Erzählung wirkt indes nur lose mit dem Kontext verbunden, der sie umgibt. Gen 28,11 führt mit der Übernachtung unvermittelt einen Zeitaspekt in die Handlung ein. Jener ist für das Textumfeld unerheblich und verlangsamt die Handlung. Im unmittelbaren Folgekontext wird auf Jakobs Gottesbegegnung zudem nicht mehr rekurriert. Die geschlossene Komposition der Bet-El-Erzählung erhärtet den Eindruck, dass es sich dabei um eine sekundäre Erweiterung des Grundbestandes handelt.94 Da bereits der Grundbestand auf die Jakoberzählung als Referenzrahmen angewiesen ist, lässt sich keine unabhängige Einzelerzählung aus dem Textbestand rekonstruieren, die zunächst als hieros logos am Heiligtum in Bet-El kursiert wäre und sekundär mit Jakob verbunden worden sein soll.95 Mittlerweile besteht ein zunehmender Konsens darüber, dass die Einzelelemente

92 Zur Stelle siehe Kap. 6.1.4, 236. 93 Diese beiden Aspekte sind m. E. nicht zu trennen, sondern bedingen sich wechselseitig. 94 Die Forschungsmehrheit hält die Bet-El-Erzählung für eine Erweiterung. Vgl. Kratz, Komposition, 270.273; Van Seters, Prologue, 279; Carr, Fractures, 270; Finkelstein / Römer, Comments, 325–327; de Pury, Jacob Story, 168. Nach Wöhrle, Art. Jacob, 584, sei die Bet-El-Erzählung im Zuge der Komposition der Vätergeschichte in exilischer Zeit in die Jakoberzählung integriert worden. Von einer Erweiterung in exilischer Zeit, allerdings ohne überlieferungsgeschichtliche Vorstufen, gehen auch aus: Becker, Jakob, 180; Na’aman, Jacob Story, 100 f. 95 So noch Blum, Komposition, insbes. 25–34; Koenen, Bethel, 152.157; Hartenstein, Wolkendunkel, 156–159. Wöhrle, Art. Jacob, Sp. 582, nimmt eine unabhängige Einzelerzählung an, die bereits mit der Jakobfigur, nicht aber mit der Jakoberzählung verbunden gewesen sein soll.

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Die Autorisierung Jakobs als legitime Nordreichsgröße

von Gen 28,10–22*, die den Kultort betreffen, nicht ohne die Jakoberzählung denkbar sind.96 Welche Absicht wird mit der Konzeption und Integration der Bet-El-Erzählung in den vorliegenden Zusammenhang verfolgt? Gen 28,10–22* präsentiert sich bis in einzelne Details hinein als Kultortlegende. Dies zeigen eindrücklich Vergleiche mit altorientalischen Tempelbautexten und deren Parallelen zu Gen 28,10–22*, die in jüngerer Zeit, neben Friedhelm Hartenstein,97 insbesondere Christoph Koch98 und Matthias Köckert99 herausgearbeitet haben. Diese komplexe Vorstellungswelt kann und soll an dieser Stelle nicht erneut diskutiert werden. Für das vorliegende Interesse ist lediglich von Belang, dass Bet-El in Gen 28,10–22* als Zentrum einer Verbindungsachse zwischen Himmel und Erde und insofern als Wohnort JHWHs inszeniert wird.100 In Gen 28,10–22* wird Bet-El folglich als Kultort vorausgesetzt. Der Verfasser supponiert Bet-El zumindest noch als derart bedeutsam für die Textrezipienten, dass eine Gründungslegende erzählenswert erschien. Anhalt für die Annahme eines historischen Kultortes in Bet-El bieten zahlreiche alttestamentliche Referenzen auf den Ort, die dessen kultische Funktion voraussetzen.101 Dabei lassen sich positive bzw. neutrale Bet-El-Referenzen (z. B. Gen  28,10–22*; Gen 35,1.6*–7; Ri  20,18.26 f.; 1 Sam 10,3), moderat-kritische (Gen 35,9–15) sowie dezidiert kritische Bezugnahmen (z. B. 1 Kön 12,29 f.; Am 4,4; 5,5; 7,13) unterscheiden. In 1 Kön 12,29 f. wird geschildert, Jerobeam I. habe in Bet-El und in Dan Stierbilder unter der Absicht der Etablierung eines Staatsheiligtums aufgestellt.102 Dieses Vorgehen hat als „Sünde Jerobeams“ Eingang in die alttestamentliche Geschichtsschreibung gefunden (2 Kön 10,29) und wurde als Paradigma des Nordreichvergehens und somit auch als Begründung für dessen Untergang herangezogen (Hos 6,10; 10,5). Nach alttestamentlicher Darstellung wurde dieser Kult erst mit der Kultreform Josijas beendet (2 Kön 23,15).103

96 Vgl. Becker, Jakob, 180, obwohl dessen Datierung ins 6./5. Jh. hier nicht gefolgt wird. Vgl. darüber hinaus Koch, Wohnstatt, 66; Köckert, Was träumte Jakob, 264. Die Argumente betreffen bspw. die Notwendigkeit der Übernachtung, aber auch die göttliche Zusage, die die Bedrohungssituation aus Gen 27 mitdenkt. 97 Vgl. Hartenstein, Wolkendunkel, insbes. 156–161. 98 Vgl. Koch, Wohnstatt, 69–86. 99 Vgl. Köckert, Traumerzählung. 100 Richtungsweisendes Vergleichsmaterial liegt, neben anderen Texten, durch den babylonischen Enūma eliš vor, der die Stadt Babylon und den Marduktempel Esagil als Zentrum einer Verbindungsachse zwischen Himmel und Erde beschreibt, an deren jeweiligen Enden sich ebenfalls ein Tempel befindet. Nicht der Tempel erhält den Ehrennamen „Tor der Götter“, sondern ähnlich wie in Gen 28,10–22* der Ort. Vgl. hierzu insbes. Koch, Wohnstatt, 74–77. 101 Vgl. zur Listung der 70 Bet-El-Belege im AT Lipschits, Bethel, 234 Anm. 7. 102 Will man mit der Vorstellung eines Staatsheiligtums rechnen, wäre hierfür zudem Am 7,10–17 anzuführen. 103 Vgl. Jericke, Ortsangaben, 96.

Literarhistorische Verortung des Grundbestands

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Dem reichen alttestamentlichen Befund steht der marginale und problemgezeichnete archäologische Befund gegenüber.104 Die Problematik der archäologischen Erforschung Bet-Els liegt schon darin begründet, dass die methodische Durchführung der Grabungen von William F. Albright und James L. Kelso sowie deren Auswertung des Befundes häufig kritisiert werden: „The archeology of Bethel ist nonexistent; its archaeology a mess.“105 Darüber hinaus besteht Uneinigkeit darüber, ob der im AT angesprochene Kultort in der Stadt Bet-El / Bētīn zu suchen ist, oder auf einem Hügel außerhalb der Stadt.106 Die Annahme einer Trennung von Kultort und Stadt hat in der Gegenwart Konjunktur. Dies mag damit zusammenhängen, dass in Bet-El, das klassisch mit dem 16/17 km nördlich von Jerusalem gelegenen Bētīn identifiziert wird,107 keine Spuren eines Tempels oder Kultaktivitäten festgestellt werden konnten. Insofern ließe sich infrage stellen, ob die archäologische Erforschung des Ortes überhaupt für die Erhellung der Bedeutung des ehemaligen Heiligtums von Bet-El maßgeblich sein kann.108 Geht man von einer Gleichsetzung der Lokalisierung von Heiligtum und Stadt aus, ließe sich auf der Grundlage der archäologischen Forschung vor Ort auf die Lebendigkeit des Kultortes rückschließen. Feststellen ließen sich für Bētīn Besiedlungshöhepunkte im 2. Jtd. wie auch im 11. und 8./7. Jh.109 In der EZ IIA war Bet-El offenbar ein „relativ bescheidener Ort“.110 Aufgrund des archäologischen Befundes erscheint eine prosperierende Kultstätte, die eine gewisse Besiedlungsdichte einschließt, wenn, dann lediglich in der EZ IIB (900/926–722/700 v. Chr.) und folglich nicht unter Jerobeam I. (927/6–907 v. Chr.) denkbar.111 Die Darstellung von 1 Kön 12 wird insofern nicht als realpolitische Erzählung zu gewichten sein, sondern als literarische Rückprojektion von Jerobeam II. (787–747 v. Chr.) auf Jerobeam I.112 Hinsichtlich der Verortung und Erforschung des Kultortes versprechen Forschungen im Rahmen des New South Samaria Survey Project neue Ergebnisse. Vermutet wird ein Kultort zwei km nordöstlich von Bētīn auf einem Hügel (E. P.914), der diesbezüglich offenbar einen vielversprechenden Befund 104 Siehe zur Grabungsgeschichte Koenen, Bethel, 28–31. 105 Knauf, Impact, 307. Die Kritik an den von W. F. Albright und J. L. Kelso zwischen 1934 und 1960 durchgeführten Grabungen ist allgemein anerkannt. Siehe Finkelstein / Singer-Avitz, Bethel, 35 f., zur differenzierten Auseinandersetzung mit den Thesen Kelsos. Die älteren Monografien über Bet-El von Koenen, Bethel; Köhlmoos, Bet-El und Gomes, Sanctuary, orientieren sich noch maßgeblich an den archäologischen Ergebnissen Kelsos. 106 Vgl. hierzu Tavger, Historical-Geography, 201 Anm. 6. 107 Vgl. zur betreffenden Forschungsliteratur Lipschits, Bethel, 233 Anm. 1. 108 Vgl. dazu Lipschits, Bethel, 238. 109 Vgl. Die tabellarische Auswertung bei Finkelstein / Singer-Avitz, Bethel, 43; Jericke, Ortsangaben, 96. 110 Vgl. Berlejung, Geschichte, 135. 111 Vgl. Frevel, Geschichte Israels, 184 (gegen Koenen, Bet-El, 42–48); Finkelstein / Römer, Comments, 325 f. 112 Vgl. Frevel, Geschichte, 184; Berlejung, Geschichte, 135.

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Die Autorisierung Jakobs als legitime Nordreichsgröße

aufweist.113 Genauere archäologische Untersuchungen, die die Vermutung eines Kultortes und dessen Gebrauchs erhärten und erforschen könnten, stehen bislang noch aus. Für die Beantwortung der Frage nach der literarischen Funktion der Bet-ElErzählung in der Jakoberzählung ist man folglich auf den biblischen Befund zurückgeworfen.114 Diesbezüglich erscheint insbesondere der positive Rekurs auf Bet-El in der Jakoberzählung angesichts harscher Kritik an Bet-El in der prophetischen und dtr. Literatur bemerkenswert. In der zeitgenössischen alttestamentlichen Forschung begegnet man zwei äußerst disparaten Versuchen, diese positive Rezeption (literar-)historisch zu erklären. Die mehrheitlich vertretene Position plädiert für eine Datierung der positiven Bet-El-Rezeption von Gen 28,10–22* ins 8. Jh. Demzufolge habe sich entweder ein im Untergang befindliches Nordreich mittels des Textes seiner Tradition versichern wollen,115 oder es habe ein durch Jerobeam II. etabliertes Staatsheiligtum vor dem Untergang des Nordreichs Jakob als Gründerfigur zugeschrieben werden sollen.116 Neben dem archäologischen Befund spricht ein traditionsgeschichtliches Argument für eine Entstehung im ausgehenden 8. Jh. / beginnenden 7. Jh. Die traditionsgeschichtliche Entlehnung der Gestaltung von Gen 28,10–22* im Zusammenhang mit babylonischen Tempeltraditionen sind im 8. Jh. auch in Assyrien gut belegt.117 Die andere Forschungsrichtung spricht sich für eine exilische oder gar nachexilische Beheimatung der Bet-El-Erzählung aus, die als Gegenposition zu einer Degradierung des Ortes Bet-El in der prophetischen Literatur gedient haben soll.118 Allerdings sprechen gleich mehrere Gründe gegen die letztgenannte An 113 Vgl. zu dieser Einschätzung Lipschits, Bethel, 243. Tavger, Historical-Geography, 214, nennt neben Tierknochenfunden auch eine Vielfalt und zeitliche Streuung der Tonscherbenfunde, mitunter aus der EZ. 114 Vgl. zur Disskussion um die Diskrepanz zwischen biblischem und archäologischem Befund und dessen jeweiliger Gewichtung als Gegenposition zu Finkelstein / Singer-Avitz, Bethel: Na’aman, Archaeology. Vgl. die Reakion Finkelsteins in Finkelstein, Archaeology, und zur Kritik an Finkelsteins Methode Lipschits, Bethel, insbes. 238–241. 115 Vgl. Insbes. Koch, Wohnstatt, 58. Finkelstein / Singer-Avitz, Bethel, 44; Zu einer Datierung ins 8. Jh. vgl. auch Blum, Jacob Tradition, 208–210; Schmid, Literaturgeschichte, 68 f.; Finkelstein / Römer, Comments, 325. 116 So etwa Römer, Jeroboam I, 380 f. 117 Vgl. Koch, Wohnstatt, 77.85 f. 118 Vgl. Wahl, Jakobserzählungen, 277; Knauf, Art. Bethel, Sp. 1375–1376; Knauf, Impact, 319; Becker, Jakob, 169.180 f.; Köhlmoos, Bet-El, 241. Laut Knauf, Impact, 295, seien die Nordreichstraditionen über die Eingliederung Bet-Els als Schreiberschule und Sammlungsort für literarische Traditionen in spätbabylonischer Zeit nach Juda gelangt. Dies hält Knauf für wahrscheinlicher denn die Möglichkeit, dass Exilanten nach 720 v. Chr. verschriftete Nordreichtraditionen mit nach Juda gebracht hätten. Die Auffassung spricht allerdings gegen den archäologischen Befund. Vgl. zur Kritik daran Finkelstein / Singer-Avitz, Bethel, 44. Lipschits, Bethel, 238–241, hat sich mit der Begründung methodischer Mängel bei der Reevaluierung Bet-Els durch Finkelstein / Singer-Avitz für eine Besiedlungskontinuität Bet-Els im 7. Jh. ausgesprochen.

Literarhistorische Verortung des Grundbestands

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nahme. Zunächst liegen keine archäologischen Hinweise auf einen prosperierenden Ort Bet-El im 6. Jh. vor, wie Israel Finkelstein und Lily Singer-Aviz gezeigt haben.119 Gleicht Bet-El tatsächlich in jener Zeit eher einem bedeutungslosen Ort, ist mit Klaus Koenen anzufragen, wer an einer nachträglichen Legitimierung Interesse gehabt haben sollte.120 In dieselbe Richtung weist die Kritik an der Annahme Melanie Köhlmoos’, Gen 28,10–22* sei als frühexilische Gegenposition zur prophetischen Kritik an Bet-El zu verstehen.121 Köhlmoos erkennt in Gen 28,10–22* die Formulierung eines „Trotzdem“.122 Allerdings wird anzufragen sein, ob er­ zählerische Grundzüge des Textes tatsächlich den Charakter einer Gegenposition zu erkennen geben. Anlass gäbe V. 16, doch lässt sich Jakobs Unwissenheit besser aus dem Umstand der ätiologischen Erzählabsicht erklären, denn aus einem impliziten kritischen Verweis auf die Degradierung des Ortes. Gen 28,10–22* erweckt eher den Anschein, als sei die Prominenz Bet-Els – und zwar in positiver Bezugnahme – bereits in der Grunderzählung schlicht vorausgesetzt. Aufgrund der dargestellten Zweifel an einer Datierung der Bet-El-Erzählung in exilisch / nachexilische Zeit, wird eine Ansetzung im 8. Jh. / frühen 7. Jh. zu favorisieren sein, zumal sich für die genannte zeitliche Einordnung die gewichtigeren Gründe anführen lassen. Einschlägig für eine derartige Datierung ist weniger der Bet-El-Verweis in Hos 12,5, der häufig für die Untermauerung einer solchen historischen Verortung herangezogen wird. Hos 12 kann aufgrund der neuerdings vorgebrachten Spätdatierung der dortigen Jakobpassagen keine verlässliche Quelle einer diesbezüglichen Datierung mehr bieten.123 Finkelstein und Singer-Avitz können zeigen, dass Bet-El kurz vor dem Untergang des Nordreichs besondere Bedeutung hatte und eine rege Besiedlungsaktivität aufweist.124 Ob die Jakoberzählung kurz vor oder kurz nach dem Untergang des Nordreichs um die Bet-El-Erzählung erweitert worden ist, ist aus Gen 28,10–22* heraus nicht eindeutig zu beantworten. So wäre eine positive Erinnerung nach der politischen Katastrophe ebenso denkbar wie eine Integration des Staatsheiligtums in einen Gründungsmythos Israels über den Erzvater Jakob, welcher vor dem Untergang des Nordreichs entstanden ist. Für die erste Option sprechen zum einen das Versprechen der Rückführung Jakobs im Grundbestand, die für eine exilierte Gemeinschaft in besonderer Weise anknüpfungsfähig ist, sowie die Positionierung 119 Vgl. Finkelstein / Singer-Avitz, 44. Als Zentrum von Schreiberaktivität sei in Bet-El eher im 8. Jh. zu rechnen. Knauf, Impact, 305, führt folglich auch keine archäologischen Belege an, sondern beruft sich auf Jer 41,4 f.; Jer 48,13 f. Vgl. zur Kritik an Knauf: Köckert, Traumerzählung, 291. 120 Vgl. Koenen, Bethel, 166 Anm. 92. 121 Vgl. Köhlmoos, Bet-El, 240. 122 Köhlmoos, Bet-El, 243: „Diese theologische Haltung des „Trotzdem“ behält die Jakobs­ erzählung ebenso wie die Vätererzählung bis in ihre spätesten Stufen.“ 123 Diese Einschätzung wird in der vorliegenden Arbeit geteilt. Siehe zur eingehenderen Begründung Kap. 7, 315. 124 Finkelstein / Singer-Avitz, Bethel, 42.

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Die Autorisierung Jakobs als legitime Nordreichsgröße

der Bet-El-Erzählung im gegenwärtigen Kontext der Jakoberzählung. Offenbar vollzieht die Bet-El-Erzählung eine positive Erinnerung an die Ursprünge des populären Kultortes und autorisiert darüber den als Gründerfigur Israels nun bedeutsam gewordenen Jakob als dessen Entdecker. Bet-El ist zu dieser Zeit noch fester, positiv konnotierter Bestandteil von Traditionen, auf welche die Bewohner des Nordreichs ihre Identität gründen. In ähnlicher Weise scheint die Jakobfigur ein weiterer Fixpunkt dieses Traditionszusammenhanges zu sein. Beide Größen werden hier durch antithetische Erzählstrukturen zusammengeführt. Jakob befindet sich auf der Flucht, übernachtet heimatlos auf freiem Feld und trifft auf das „Haus Gottes“ (Bet-El). Während Jakob einen Kultort entdeckt, der dem Leser wohl bekannt ist, entdeckt der Leser den auf der Flucht autorisierten Jakob als Gründer- und Identifikationsfigur des Nordreichs, der von JHWH seines Schutzes und der Rückkehr ins Land versichert wird. Die Bet-El-Erzählung setzt darüber hinaus. theologisierende Gegenakzente zu ihrem weiteren literarischen Kontext. Die Erscheinung JHWHs und dessen Zusage an Jakob aus V. 15a wird unmittelbar nach Jakobs Betrug und vor seiner Ankunft bei Laban in den Text integriert. Die Rückführung Jakobs in das Haus seines Vaters ist infolgedessen in Gen 28,10–22* – nicht mehr wie in Gen 27* – von einer Besänftigung Esaus abhängig, sondern verdankt sich göttlicher Obhutnahme. Darüber hinaus wird die göttliche Zuwendung zu Jakob von seinem Betrug aus dem vorausgehenden Kapitel entfernt. Statt eines erschlichenen Segens gilt die göttliche Versicherung des Schutzes, die mit Zwischenmenschlichkeiten nicht in Zusammenhang zu stehen scheint. Vornehmlich soll Jakobs Lebensweg auf diese Weise theologisch substantiiert sowie vorgeprägt und Bet-El als Traditionsanker in Erinnerung gerufen werden.

5. Jakobs Aufenthalt bei Laban (Gen 29–31)

Hermann Gunkels Annahme, die Genese der Erzelternerzählungen ließe sich mit Einzelsagen erklären, die zu sogenannten „Sagenkränzen“ vereint worden seien, ist für die literarhistorische Beurteilung der Kapitel Gen 25–33* forschungsgeschichtlich bis in die heutige Zeit prägend, wenn nicht gar bestimmend. Demnach sei ein „Jakob-Esau-Erzählkranz“ (Gen 25–27*(.32–33)) mit einem davon unabhängigen „Jakob-Laban-Erzählkranz“ (Gen 29–31) sekundär vereint worden.1 Die besagte Unterscheidung hat an den jeweils starken thematisch-inhaltlichen und sprachlichen Verstrebungen der Kapitel 25*.27(32 f.) einerseits und 29–31 andererseits Anhalt. Hinzu tritt die unterschiedliche Lokalisierung des jeweiligen erzählerischen Settings. Dieser Umstand verleitet mitunter zu der Annahme, ein Jakob-Esau-Zyklus sei um einen davon unabhängigen Jakob-Laban-Zyklus gelegt, und zugunsten seiner nun rahmenden Funktion gesplittet worden.2 Darüber hinaus wird neuerdings wieder verstärkt eine unterschiedliche Entstehung der Kapitel Gen 25–27* einerseits und Gen 29–31 andererseits vertreten, deren Verbindung u. a. mittels der Kapitel Gen 32–33 bewerkstelligt worden sei.3 Kapitel 29, das dann einen unabhängigen Beginn des sog. „Jakob-Laban-Erzählkranzes“ darstellen müsste, weist allerdings sowohl unter stilistischen als auch unter motivischen Gesichtspunkten starke Verbindungen zu Gen 25*.27* auf. Insofern erscheint eine mögliche Selbständigkeit der jeweiligen Stränge eher noch für überlieferungsgeschichtliche Vorstufen plausibel.4 Bereits Gunkel räumte die Probleme mit einer trennscharfen Differenzierung zwischen den Erzählkränzen gewissermaßen ein, indem er deren Verbindung im vorliterarischen Stadium ansetzte. Infolgedessen hätte den – von Gunkel noch vorausgesetzten – Quellen J und E die Erzählung im Grundaufriss Jakob-EsauLaban bereits vorgelegen.5 Erhard Blum griff in seiner „Komposition der Väter 1 Vgl. Gunkel, Genesis, 292. 2 Vgl. Kratz, Komposition, 278; Gertz, Tora, 274; Schmid, Literaturgeschichte, 68; Weippert, Art. Edom, 297. Zur Selbständigkeit der Jakob-Laban-Erzählung vgl. auch Leuenberger, Segen, 250, wobei Leuenberger die Parallelen wahrnimmt, allerdings offenlässt, wie sich infolgedessen die Parallelverbindungen vom Grundbestand lösen lassen sollten. 3 Vgl. insbes. Wöhrle, Jacob from Israel, 135 f.; Neumann, Jacob, 36 Anm. 4. Siehe zur redaktionsgeschichtlichen Beurteilung von Gen 32–33* Kap. 6.4, 311. 4 So etwa Blum, Komposition, 173, wobei hier nur schwerlich von einer Jakob-Laban-Erzählung die Rede sein kann, da sich ihr überlieferungsgeschichtlicher Kernbestand auf eine Einzelerzählung über den Vertrag zwischen Jakob und Laban in Gilead (Gen 31,43–32,1*) begrenzt. 5 Vgl. Gunkel, Genesis, 292 f. Er schlussfolgert: „Die Anfänge des Prozesses [der Zusammenarbeitung] reichen jedenfalls in die älteste, uns erreichbare Zeit hinein; das Ganze ist schon in sehr alter Zeit ziemlich fertig gewesen“ (a. a. O., 293).

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

geschichte“ das Modell Gunkels modifiziert auf und ließ die Antwort auf die Frage nach der Existenz unabhängiger Erzählzyklen für Vorformen offen. Indes kam er zu dem Schluss, dass zumindest die „‚novellistische‘ Jakob-Laban-Erzählung“ bereits Gen 25–27* voraussetze.6 Insofern stellt sich die Frage, ob eine Beibehaltung der diskutierten Differenzierung zwischen Erzählzyklen, die forschungsgeschichtlich ohne Zweifel einen unverstellteren Blick auf die Texte jenseits durchlaufender Quellenfäden freigab, gegenwärtig noch ein hilfreiches Modell zur Klärung des Wachstumsprozesses der Jakoberzählung darstellen kann. Diese Anfrage ist insbesondere vor dem Hintergrund zeitgenössischer Forschungstendenzen dringlich.7 Wohl die gegenwärtig dominierende völkergeschichtliche Lesart der Jakoberzählung führt etwa bei Jakob Wöhrle jüngst zu einer literarhistorisch scharfen Trennung zwischen einer Jakob-Esau-Erzählung (Gen 25–27*), in der sich die Autorenschaft mit dem Verhältnis zwischen Israel und seinem Nachbarvolk Edom auseinandersetze und die aus dem Südreich stamme, und einer aus dem Nordreich stammenden Jakob-Laban-Erzählung (Gen 29–31*), in der das Verhältnis zwischen Israel und den Aramäern reflektiert werde.8 Die starke sprachliche und thematische Vernetzung der beiden Erzählblöcke, die insbesondere von synchronen Auslegern differenziert herausgearbeitet worden ist,9 wird in derartigen Analysen dementsprechend nicht berücksichtigt bzw. negiert.10 Die thematischen Kontinuitäten zeigen sich dagegen nicht nur in der Entwicklung Jakobs vom Kind zum eigenständigen Familienoberhaupt, 6 Vgl. Blum, Komposition, 173.202. Blum orientiert sich an den Beobachtungen Kesslers, Querverweise, 138 f. Kessler verortet die Verbindung der Erzählkränze ebenfalls in einem Stadium, das noch vor deren Aufnahme in die Gesamtkomposition der Jakoberzählung liegt. In jüngeren Beiträgen spricht Blum dann von einer „major integrated Story with themes of its own.“ Vgl. Blum, Jacob Tradition, 182. Zur Kritik an Blums Erwägung einer entstehungsgeschichtlich bedingten Trennung von Erzählzyklen, vgl. Carr, Fractures, 271 Anm. 111. 7 Diese Dringlichkeit wird u. a. daran deutlich, dass Weingärtner, Impertinenz, insbes. 308 f., von einem anderen methodischen Standpunkt aus und unabhängig von der vorliegenden Untersuchung zu einer ganz ähnlichen Kritik an dieser Trennung und der dazugehörigen Schlussfolgerung gelangt. 8 Vgl. Wöhrle, Koexistenz, 309–314; Wöhrle, Jacob from Israel. 9 Vgl. Fishbane, Text, 55; Sherwood, Examination, 105; Taschner, Verheißung, 89–91. Im Übrigen wurde die Zusammengehörigkeit auch von Vertretern der Neueren Urkundenhypothese betont, um die Stringenz durchlaufender Quellenfäden nachzuweisen. Vgl. diesbezüglich insbesondere de Pury, Promesse, 524 f. 10 So Wöhrle, Koexistenz, 310 Anm. 12: „So wird in den Jakob-Laban-Erzählungen an keiner Stelle auf die vorangehenden Jakob-Esau-Erzählungen Bezug genommen. Es wird etwa weder bei der Ankunft Jakobs bei seinem Onkel Laban auf die vorangehenden Ereignisse im Land verwiesen noch wird bei Jakobs Entschluss zur Rückkehr in das Land die dortige Situation – die drohende Auseinandersetzung mit Esau – reflektiert.“ Schmid, Political Theologies, 25, erkennt die Analogien hinsichtlich des Trickster-Motivs, folgert daraus aber, jenes sei von der Laban-Erzählung ausgehend in die Jakob-Esau-Erzählung gewandert. Bei Schmids Erklärung bleibt offen, wie sich dieser Prozess im Einzelnen vollzogen haben soll, und weshalb ein Autor Interesse daran gehabt haben sollte, Jakob sekundär zum Trickster zu transformieren.

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sondern auch hinsichtlich des Motivs des „betrogenen Betrügers“, das in offenkundiger Anlage zu Gen 25.27 konzipiert ist. Wöhrles völkergeschichtliche Lesart der Jakoberzählung ruht auf den Grundfesten der These Blums und kann als deren Weiterführung verstanden werden. Während Blum die Differenzierung zwischen den Themen Jakob-Esau (Israel-Edom) und Jakob-Laban (Israel-Aram) gänzlich auf die Überlieferungsgeschichte von Einzel­ erzählungen (Gen 25*.27.31*) verlagert, erkennt Wöhrle nur in Gen 25*.27* Einzelerzählungen, in Gen 29–31 hingegen einen „continous overarching plot“11. Liest man zumindest die Einzelerzählungen bereits auf der ältesten Überlieferungsstufe jeweils konsequent völkergeschichtlich, ist fraglich, inwiefern jene ohne narrative Einbettung für die Darstellung von Völkerverhältnissen überhaupt tauglich und letztlich auch überlieferungswürdig sind. Diese Frage stellt sich besonders hartnäckig gegen Blum im Falle der Labanerzählung, deren Textbasis auf den erzählerisch dürftigen Gilead-Vertrag begrenzt ist, und dies noch ungeachtet der Frage, ob sich diese Erzählungen tatsächlich als Einzelerzählungen plausibilisieren lassen. Wöhrle vermag diese Schwierigkeit gewissermaßen abzufangen, indem er die Volksgeschichte(n) zumindest im Falle der Jakob-Laban-Erzählung literarisch umfangreicher ansetzt, handelt sich damit allerdings das Problem ein, offensichtliche Querverbindungen der vorliegenden Texte negieren zu müssen, da er die überlieferungsgeschichtliche Trennung der Erzählzyklen, wie sie Blum für Vorformen annahm, nun in eine literarkritische Trennung überführt. Eine stilistische Differenz, wie sie Wöhrle für Gen 25*.27* einerseits und Gen 29–31 andererseits annimmt und überlieferungsgeschichtlich als „Einzelerzählungen vs. novellenartige Erzählung“ auswertet, ist schon daher nicht überzeugend, da es sich bei der Geburtserzählung in Gen 25,19–28* nicht um eine Einzelerzählung, sondern um eine Exposition für Gen 27 – und mithin um einen zusammenhängenden Erzählfaden – handelt.

Problematisch an der von Wöhrle als Forschungskonsens postulierten These ist nicht nur, dass sie sich am konkreten Text nicht ohne erhebliche Texteingriffe verifizieren lässt, sondern auch, dass angenommen werden müsste, zwei unterschiedliche Autoren(-kreise) hätten unabhängig voneinander die Auseinandersetzung zwischen ihrem Volk Israel und einem Nachbarvolk über das literarische Genre einer Familienerzählung schriftlich konzipiert12 und sich dafür noch ganz ähnlicher Motive für die Darstellung bedient. Diese These erweckt den Anschein, Zufälle in der Rekonstruktion überzustrapazieren.13 So liegt es denn auch nahe, dass das Modell Wöhrles, welches auf der Annahme entstehungsgeschichtlich zu unterscheidender Erzählzyklen beruht, primär aus dem Modell der Textgenese der Erzelternerzählungen gewonnen ist, und auf die Genese der Jakoberzählung 11 Wöhrle, Jacob from Israel, 137. 12 Insofern wäre zunächst traditionsgeschichtlich nach Beispielen aus dem literarischen Umfeld des ATs zu fragen, über die eine unabhängige Orientierung der Autoren an so etwas wie einem Modell „Volksgeschichte als Familiengeschichte“ plausibilisiert werden könnte. 13 Zum letztgenannten Punkt vgl. bereits Blum, Komposition, 101.

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übertragen wird. Vielmehr wird sich in der folgenden Analyse zeigen, dass sich ein Jakob-Laban-Erzählzyklus nicht methodisch kontrolliert von einem Jakob-EsauErzählzyklus trennen lässt. Dies bedeutet nicht nur, dass Gen 29–31* plausibler als konsequente Fortsetzung von Gen 25–27* zu lesen ist, sondern auch, dass sich die Annahme einzelner Überlieferungskerne in Gen 29–31* in den folgenden Textanalysen nicht bestätigen wird. Gleichzeitig stellen Gen 29–31 das Ergebnis umfangreicher redaktioneller Überarbeitungen dar. Vor diesem Hintergrund scheint die umgekehrte Einschätzung zweifelhaft, es handle sich bei der Jakob-LabanErzählung um eine vergleichsweise eigenständige novellenartige Erzählung.14

5.1 Jakob als betrogener Betrüger – Analyse von Gen 29,1–30 5.1.1 Kommentierte Übersetzung15 Da hob Jakob seine Füße und ging in das Land der Söhne des Ostens.16 2Und er sah, und siehe, ein Brunnen (war) auf dem Feld und siehe dort, es lagerten drei Kleinviehherden oberhalb von ihm, denn aus diesem Brunnen tränkte man die Herden und der Stein auf der Öffnung des Brunnens war groß17. 3Und waren dort alle Herden versammelt, rollte man den Stein von der Öffnung des Brunnens weg und tränkte das Kleinvieh, dann brachte man den Stein wieder zurück auf die Öffnung des Brunnens an seinen Ort. 4Und Jakob sprach zu ihnen: „Meine Brüder, woher seid ihr?“ Und sie antworteten: „Aus Haran sind wir.“ 5Und er sprach zu ihnen: „Kennt ihr Laban, den Sohn Nahors?“ Und sie sprachen: „Wir kennen ihn.“ 6 Und er sprach zu ihnen: „Geht es ihm gut?18“ Und sie sprachen: „(Es geht ihm) gut. Und siehe, Rahel, seine Tochter, kommt da gerade mit dem Kleinvieh.“ 7Und 1

14 So etwa Wöhrle, Jacob from Israel, 137. Zuvor bereits Coats, Strife, 95. 15 Legende zu den in der Übersetzung angezeigten Bearbeitungsschichten: recte = Grundbestand der Jakoberzählung; unterstrichen = Haran-Bearbeitung aus dem 7. Jh.; kursiv = Erweiterung zum „rechtmäßigen Erwerb“ um Jakobs Frauen (vgl. Gen 30,26); Kapitälchen = Erweiterung um die Mägde aus exilischer Zeit. 16 Die Ortsbezeichnung des MT (‫ )קדם‬stützen Smr, V, S und T. G weicht ab, indem sie πρὸς Λαβαν τὸν υἱὸν Βαθουηλ τοῦ Σύρου ἀδελφὸν δὲ Ρεβεκκας μητρὸς Ιακωβ καὶ Ησαυ (zu Laban, dem Sohn des Syrers Bathuel und Bruder von Rebekka, der Mutter von Jakob und Esau) ergänzt. G setzt Haran (Nordsyrien) als Fluchtort Jakobs voraus. Zudem will G nachträglich offenkundig die Verwandtschaftsbeziehungen vereindeutigen. 17 Das determinierte Wort ‫ אבן‬führt zu Problemen, da im vorliegenden Zusammenhang ‫אבן‬ und ‫ גדלה‬nicht eindeutig aufeinander zu beziehen sind. Smr, G und TGnz lassen den Artikel daher weg (ein großer Stein, vgl. auch Luther 2017; Westermann, Genesis I/2, 564). Die Konstruktion im MT lässt sich mittels Nominalsatz auflösen. Vgl. dazu Tal, Genesis, 149*; Elberfelder 2006; Seebass, Vätergeschichte II/2, 326; Ruppert, Genesis III, 219. MT ist insofern als ursprüngliche Lesart beizubehalten. 18 Wörtl.: „Ist ihm Friede?“

Jakob als betrogener Betrüger 

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er sprach19: „Siehe, noch steht der Tag hoch. Es ist nicht Zeit, die Herden zu sammeln. Tränkt das Kleinvieh, geht, weidet!“ 8Und sie sprachen: „Wir können nicht, bis sich alle Herden versammelt haben und man den Stein von der Öffnung des Brunnens gerollt hat und wir das Kleinvieh tränken.“ 9Und er fuhr fort mit ihnen zu reden; da kam Rahel mit den Schafen, die ihrem Vater gehörten, denn sie war eine Hirtin. 10Und es geschah, als Jakob Rahel, die Tochter Labans, des Bruders seiner Mutter sah, und das Kleinvieh Labans, des Bruders seiner Mutter, da näherte sich Jakob und rollte den Stein von der Öffnung des Brunnens weg und er tränkte das Kleinvieh Labans, des Bruders seiner Mutter. 11Und Jakob küsste Rahel und er erhob seine Stimme und weinte. 12Und Jakob20 berichtete Rahel, dass er ein Verwandter21 ihres Vaters sei und dass er der Sohn Rebekkas sei, und sie eilte und berichtete (es) ihrem Vater. 13Und es geschah, als Laban die Nachricht (über)22 Jakob, den Sohn seiner Schwester, hörte, da eilte er ihm entgegen und er umarmte ihn, und küsste ihn, und brachte ihn in sein Haus, und er berichtete Laban alle diese Dinge. 14Und Laban sprach zu ihm: „Tatsächlich, von meinem Gebein und meinem Fleisch23 bist du“; und er blieb bei ihm einen Monat lang. 15 Und Laban sprach zu Jakob: „Ist es weil du mein Verwandter bist, dass du mir unentgeltlich dienen solltest? Gib mir gegenüber bekannt: was soll dein Lohn sein?“ 16 Und Laban hatte zwei Töchter. Der Name der älteren war Lea und der Name der jüngeren war Rahel. 17Und die Augen Leas waren sanft24; Rahel aber hatte eine schöne Gestalt und ein schönes Gesicht. 18Und Jakob liebte Rahel; und er sprach: „Ich will dir sieben Jahre um Rahel, deine jüngere Tochter dienen.“ 19Und Laban sprach: „Es ist besser, ich gebe sie dir, als dass ich sie einem anderen Mann gebe. Bleibe bei mir.“ 20Und Jakob diente um Rahel sieben Jahre und sie waren in seinen Augen wie einzelne Tage, weil er sie liebte. 21Und Jakob sprach zu Laban: „Gib (mir) meine Frau, denn meine Tage sind erfüllt, und ich will zu ihr eingehen.“ 22 Und Laban versammelte alle Männer des Ortes und er veranstaltete ein Trinkgelage. 23Und es geschah am Abend, da nahm er seine Tochter Lea und brachte sie zu ihm, und er ging zu ihr ein. 24Und Laban gab ihr Silpa, seine Magd, seiner Tochter Lea zur Magd. 25Und es geschah am Morgen und siehe, es war 19 Die Textzeugen verzeichnen Probleme mit der uneinheitlichen Redeeinleitung. Smr und S ergänzen in Angleichung an Vv. 5.6 ‫להם‬, G und V ergänzen „Jakob“. Lectio difficilior spricht für MT als ursprüngliche Lesart. 20 G und V streichen nachträglich die Renominalisierung „Jakob“. Die auffällige Häufung der Namensnennung Jakobs im Rahmen der Begegnungsszene spricht allerdings für ein Stilmittel und für MT als ursprüngliche Lesart. 21 Vgl. zu dieser Übersetzung von Rad, Genesis, 233. 22 G übersetzt hier frei: Laban habe den Namen Jakobs gehört. Vgl. Tal, Genesis, 149*. 23 G gleicht hier in Abweichung von den übrigen Textzeugen an Gen 2,23 an. Die Targume (TO; TN) orientieren sich in ihrer Übersetzung an Lev 18,6; 25,49. In allen Fällen handelt es sich um sekundäre Angleichungen. 24 Mit Seebass, Vätergeschichte II/2, 327. In manchen Übersetzungen immer noch abwertend „matt“ (vgl. Elberfelder; Ruppert, Genesis III, 211), „trübe“ etc.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

Lea; und er sprach zu Laban: „Was ist das, was du mir angetan hast? Ist es nicht (so,) dass ich um Rahel bei dir gedient habe? Warum aber hast du mich (dann) verraten?“ 26Und Laban sprach: „Man tut nicht so an unserem Ort, dass man die Jüngere vor der Erstgeborenen gibt. 27Vollende diese Woche25 und wir wollen26 dir auch diese um einen Dienst geben, den du noch sieben weitere Jahre danach bei mir dienen sollst.“ 28Und Jakob tat so und er vollendete diese Woche und er gab ihm Rahel, seine Tochter, für ihn zur Frau. 29Und Laban gab seiner Tochter Rahel, seine Magd Bilha ihr zur Magd. 30Und er ging auch zu Rahel ein und er liebte auch27 Rahel, mehr als Lea. Und er diente bei ihm noch sieben weitere Jahre danach.

5.1.2 Textabgrenzung In Gen 29 münden die beiden Begründungen für Jakobs Reise aus Gen 27,43 ff. und Gen 27,46–28,9 in ihr jeweiliges Ziel. Dem Auftrag Rebekkas (Gen 27,43 ff.) Folge leistend flieht Jakob vor Esau zu seinem Onkel Laban, erreicht ihn wohlbehalten und wird zeitlich befristetes Mitglied des engeren Laban-Clans (Gen 29,14). Im P-Abschnitt von Gen 27,46–28,5 hatte Isaak – dem für P typischen Endogamiegebot gemäß – Jakob dazu beauftragt, bei Laban, dem Bruder Rebekkas, eine Braut zu werben. Rahel und Lea entsprechen noch ungeachtet des betrügerischen Zwischenfalls beide den Anforderungen an die gesuchte Braut, und so findet auch die P-Begründung für Jakobs Reise in der Hochzeit mit seinen Cousinen ihre treffende Entsprechung. Gen 29,1–30 führt den Handlungsbogen von Gen 27* stringent fort. Gen 29,1–30 ist zur vorausliegenden Bet-El-Episode (Gen 28,10–22*) aufgrund der einleitenden Itinerarnotiz klar abgegrenzt. Im Unterschied zu Gen 28,10 wird Jakobs Aufbruchsort dort nicht eigens erwähnt. Die Einleitung schließt mit der allgemein gehaltenen Formulierung ‫ וישׂא יעקב רגליו‬in Gen 29,1 lediglich locker an das Vorgeschehen an. Die Bet-El-Episode ist inhaltlich nicht aufgegriffen. Nicht zuletzt findet ein Ortswechsel Jakobs zum Land der Söhne des Ostens (V. 1) statt. Mit Rahel, Lea und Laban treten in Gen 29,1–30 nun neue Protagonisten in Aktion. Die inhaltlichen und formalen Kriterien legen einen Einschnitt vor Gen 29,1 nahe.

25 G, V und TO bezeugen hier „ihre Woche“ und wollen insofern verdeutlichen, dass es sich um die Brautwoche Leas handelt. 26 ‫ ונתנה‬wird hier als 1. pl. verstanden. Smr, G, V, S, TNGnz gleichen an den Kontext mittels Singular-Form an. Tal, Genesis, 150*, vermerkt die Möglichkeit, ‫ ונתנה‬als 3. sg. f. perf. Nif. (sie [Rahel] wird gegeben) aufzufassen. Vgl. zu dieser Übersetzung von Rad, Genesis, 233. 27 G und V lassen ‫ גם‬aus und vereinfachen so nachträglich die auffallend komplizierte, aber wohl ursprüngliche Lesart, die auch von Smr, S und T bezeugt wird.

Jakob als betrogener Betrüger 

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Die Textabgrenzung nach hinten ist durch den summarischen Verweis auf J­akobs zweite siebenjährige Dienerschaft in V. 30b begründet. V. 31 hebt demgegenüber mit ‫ וירא יהוה‬zu einem neuen Erzählgang an, der Jakobs zweite Dienstzeit erzählerisch ausgestaltet. JHWH wird nun als Handlungsakteur eingeführt, dem bisher in Gen 29,1–30 keine handlungstragende Rolle zufiel. V. 31 knüpft, einer interpretatorischen Wiederaufnahme gleich, an V. 30a an und deutet die Vorliebe Jakobs für Rahel als Hass gegenüber Lea. Jener Hass soll erklären, weshalb JHWH Lea aus Solidarität zur Fruchtbarkeit verhilft, Rahel hingegen das Schicksal der Unfruchtbarkeit mit den übrigen Erzmüttern Israels teilen muss. Ab V. 32, zu dem V. 31 überleitet, ändert sich zudem in auffälliger Weise die Erzählstruktur. Diesbezüglich sind die beiden sich refrainartig wiederholenden Formeln ‫ותהר‬ ‫ ותלך בן‬und ‫ ותקרא שׁמו‬richtungsweisend. Inhaltlich erfolgt nach Gen 29,30 ein Wechsel der agierenden Protagonisten. Die Turbulenzen der Eheschließungen Jakobs kommen mit V. 30 an ihr Ende. Laban weicht dem Gebärwettstreit seiner Töchter und findet erst wieder in Gen 30,25 Eingang in das Handlungsgeschehen. Auch Jakob fristet in Gen 29,31–30,24 ein auffallend passives Dasein. Zwischen V. 30 und V. 31 tritt insofern ein formaler und inhaltlicher Einschnitt zutage.28

5.1.3 Aufbau und Gliederung Gen 29,1–30 zerfällt deutlich in zwei Teile. Der erste Abschnitt umfasst die Vv. 1–14 und erzählt von der Ankunft Jakobs in Haran, resp. dem Land der Söhne des Ostens, wo Jakobs Onkel Laban wohnt; der zweite schildert in Vv. 16–30 den Heiratsbetrug durch Laban an Jakob.29 Der Gliederungseinschnitt zeichnet sich syntaktisch durch die NominalsatzKette in V. 16 ab, die eine überwiegende Prägung des vorausliegenden und nachfolgenden Abschnittes durch Impf. cons. kurzzeitig unterbricht. Eine klare Zuweisung von V. 15 zu einem der Gliederungsabschnitte ist erschwert. Hinsichtlich des Tempus steht V. 15 zwar in Kontinuität zu Vv. 1–14, allerdings gibt sich V. 14 neben der invertierten Syntax auch über die Angabe der Aufenthaltsdauer Jakobs 28 So die Mehrheit der Exegeten. Vgl. z. B. Eising, Untersuchung, 170; Westermann, Genesis I/2, 564; Wahl, Jakobserzählungen, 222. 29 Eine Zäsur zwischen Vv. 14 und 15 setzen auch Taschner, Verheißung, 89; Eising, Untersuchung, 170; Fokkelman, Art, 123.126; Sherwood, Examination, 24; Seebass, Vätergeschichte II/2, 329 f.; Blum, Komposition, 99; Westermann, Genesis I/2, 564; Levin, Jahwist, 221. Bereits die Vulgata verlegt den Einschnitt auf eine Trennung des V. 14 in V. 14a und V. 14b vor. V. 14b wird dort insofern als Abschnittseröffnung gelesen. So auch Wahl, Jakobserzählungen, 222 f.; Ruppert, Genesis III, 213. Gegen eine Zergliederung von V. 14 spricht die zeitliche Zäsur, die V. 14b unter den ersten Abschnitt setzt. Grammatikalisch sind darüber hinaus keine Anzeichen vorhanden, die einen Gliederungseinschnitt innerhalb von V. 14 rechtfertigen könnten. Vgl. Sherwood, Examination, 75.77. Die Unsicherheiten in der Grobgliederung sind wohl durch den im Zusammenhang irritierenden V. 15 bedingt. Vgl. die Literarkritik auf S. 144 f.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

als deutlicher Schlussakkord des ersten Abschnittes zu erkennen. Eine Zuordnung von V. 15 zu Vv. 16–30 ist ebenfalls nicht zweifelsfrei, obwohl Labans Frage als inhaltlicher Anstoß für den Folgeabschnitt aufzufassen ist. Vv. 16 f. erfüllt die Funktion einer Exposition, die eine Einheit bildet und sich von V. 15 stilistisch unterscheidet. V. 15 unterbricht außerdem als wörtliche Rede Labans die Erzählebene, die sich über V. 14 hinaus in V. 16 auf der Ebene des allwissenden Erzählers fortsetzt. Zuletzt präsentiert sich Laban in V. 15 plötzlich als Initiator eines Handlungsganges, wohingegen jener im Übrigen überwiegend den reagierenden Part innehat. V. 15 ist gegenüber den beiden Gliederungsabschnitten insofern eigentümlich isoliert. Die Leitwortebene legt nahe, V. 15 als Zwischenzäsur zu bewerten. Zum einen führt der Vers das zentrale Leitverb des Folgeabschnittes ‫עבד‬ neu ein, zum anderen bezieht er sich mit ‫ אחי אתה‬als Wiederaufnahme der Verwandtschaftsformel aus V. 14 auf den Vorabschnitt zurück.30 Darüber hinaus führt V. 15 den Begriff ‫ שׂכר‬ein, der im Mikrokontext von Gen 29,1–30 keine Funktion hat, in Gen 30–31 indes zum zentralen Leitwort avanciert. Die Familienbeziehung wandelt sich in eine Geschäftsbeziehung um.31 Die Sonderstellung von V. 15 wird im Zuge der literarkritischen Untersuchung eingehender zu diskutieren sein. Als Kriterium für die Feingliederung der Vv. 1–14 empfiehlt sich die etappenweise Annäherung Jakobs an seinen Onkel Laban, die maßgeblich durch die Personenkreise bestimmt ist, die mit Jakob interagieren (Hirten – Rahel – Laban).32 Zuvor wird der Abschnitt jedoch durch eine Exposition (Vv. 1–3) eröffnet.33 Jene beginnt mit einer Aufbruchsnotiz und nimmt den Leser im Anschluss durch ein doppeltes ‫( והנה‬V. 2) in die neue Szenerie hinein, in der sich Jakob vorfindet.34 Noch im Rahmen der Exposition wird eine Vorinformation über einen spezifischen Brunnengebrauch geliefert, auf den in V. 8 erneut verwiesen wird. Beide Male prägen Iterative den Erzählstil. Insofern rahmt die Erwähnung des Brunnengebrauchs den direkten Dialog Jakobs mit den Hirten.35 Mittels invertierter Subjektstellung wird der erste Dialoggang (Vv. 4–9) eröffnet, der zudem kohäsiv an die Exposition angeschlossen ist (‫)להם‬. Inhaltlich dient jener der Einführung Labans und Rahels. Die oben genannte Rahmung in Vv. 3.8, die den Brunnengebrauch thematisiert, könnte für einen Gliederungseinschnitt nach V. 8 sprechen, zumal in V. 9 Rahel bereits eingeführt wird.36 Die Partikel ‫ויהי‬ 30 Vgl. Blum, Komposition, 99. 31 Vgl. Coats, Strife, 86; im Anschluss an Fokkelman, Art, 127. 32 Vgl. Blum, Komposition, 99, wobei er auf eine Anwendung der Gliederungskriterien aufgrund des starken Ineinandergreifens der Szenen verzichtet. 33 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 566. 34 Vgl. Taschner, Verheißung, 86, insbes. Anm. 6, mit der entsprechenden Abgrenzung von Sherwood, Examination, 28. 35 Vgl. Sherwood, Examination, 54. 36 So etwa Gunkel, Genesis, 324; Seebass, Vätergeschichte II/2, 328; Westermann, Genesis I/2, 566.

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legt dennoch nahe, den Beginn des neuen Handlungsganges in V. 10 anzusetzen. Die Leitwortebene stützt diese Einschätzung, denn ab V. 10 ist eine verstärkte Hinwendung zu Familienbezeichnungen zu beobachten (‫[ אחי אמו‬Vv. 10aα.β.10bβ]; ‫[ אחי אביה‬V. 12aα]; ‫[ בן־רבקה‬V. 12aβ]; ‫[ בן־אחתו‬V. 13a]; ‫[ עצמי ובשׂרי‬V. 14]).37 Rahel wird in V. 9 insofern noch vor Beendung des Gesprächs zwischen Jakob und den Hirten proleptisch eingeführt, und muss als eigentliches Ziel der auffallend umständlichen Schilderung des Brunnengebrauchs in Vv. 3.8 gelten. Die Anmerkung, dass nur getränkt werden kann, wenn alle Herden versammelt sind, ist nur so zu verstehen, dass die Herde der Hirtin Rahel noch fehlt. Jakobs Rückfrage in V. 7 dient erzählerisch der Einleitung dieses Spannungshöhepunktes.38 Die Kurzabschnitte Vv. 10–12 und Vv. 13–14, die die Begegnung mit Rahel einerseits und Laban andererseits schildern, werden jeweils mittels ‫ ויהי‬eröffnet.39 Die Leitwortebene weist eine spiegelachsenartige, kunstvolle Anordnung der beiden Begegnungen auf. Während Jakob Rahel (a) küsst und berichtet (V. 12) und Rahel daraufhin zu ihrem Vater eilt (b), eilt Laban Jakob entgegen, als er von dem Bericht hört (b’), küsst ihn (a’) und führt ihn in sein Haus. Der erste Großabschnitt schließt mit der Notiz über den einmonatigen Aufenthalt Jakobs bei Laban, der für eine Zäsur sorgt und gleichzeitig auf die Zeitangaben vorausweist, die im folgenden Großabschnitt ein zentrales Erzählelement darstellen. Die kohärente Eingangsszene bereitet zentrale Themen der Jakob-Laban-Erzählung expositorisch vor.40 Die zweite Erzähleinheit (Gen 29,16–30) lässt sich entlang der Zeitetappen feingliedern. Der Abschnitt beginnt mit einer expositorischen Einführung der beiden Töchter Labans, Lea und Rahel (Vv. 16–17). An den zwei parallel aufgebauten Nominalsätzen wird deutlich, dass die Schwestern bis in die Syntax hinein als Gegensatzpaar präsentiert werden sollen. Mit V. 18 hebt sodann eine Kette von Impf. cons. an, die einen ersten Handlungsgang eröffnet, der bis V. 20 37 Vgl. grundsätzlich Taschner, Verheißung, 88, wobei er diese Tendenz bereits ab V. 6 ansetzt; Willi-Plein, Genesis, 189. 38 Interpretationen wie die von Taschner, Verheißung, 86 f., der Erzähler wolle darstellen, dass Jakob eine „Brunnenordnung“ durchbreche, halte ich bereits durch den Umstand widerlegt, dass im Anschluss kein Konflikt Jakobs mit den Hirten geschildert ist. Auch für romantische Absichten, die Jakob hinter seiner Äußerung von V. 7 unterstellt werden, liegen m. E. keine stichhaltigen Anhaltspunkte vor. Insofern mit Fokkelman, Art, 124, und gegen Taschner, Verheißung, 87. Fokkelman, Art, 124, vermutet allerdings, dass die „Brunnenordnung“ gelte, da der riesige Stein nur durch mehrere Männer weggerollt werden könne. Folglich solle der Zusammenhang Jakobs Riesenkräfte beweisen, die er für Laban aufgrund göttlicher Vorsehung aufzuwenden vermag. Vgl. zu weiteren Interpretationen, die das Brunnenmotiv in der Forschung hervorrief, Sherwood, Examination, 57. Am plausibelsten erscheint, dass das Abwarten der Herden auf eine gerechte Verteilung des Brunnenwassers zielt. 39 Anders Seebass, Vätergeschichte II/2, 328, der kaum syntaktisch rückgebunden eine Feingliederung in Vv. 9–11 und Vv. 12–14 annimmt. Ähnlich auch Nauerth, Untersuchungen, 153 Anm. 9. Westermann, Genesis I/2, 567, gliedert in Vv. 9–10; 11–12; 13–14. 40 Zum redaktionsgeschichtlichen Verhältnis von Vv. 1–14 und Vv. 16–30 s. u. 5.1.4, 148.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

reicht und die erste siebenjährige Dienstzeit Jakobs bei Laban binnen drei Versen abhandelt.41 Die Jahre, die Jakob wie „einzelne Tage“ erscheinen, schaffen bereits einen Übergang zu den kleineren Zeitetappen, in denen sich der Folgeabschnitt szenisch abspielt. V. 21 setzt mittels einer vollständigen Redeeinleitung neu ein, obwohl sich mit ‫ ים‬eine stichwortartige Verbindung zum Vorabschnitt erkennen lässt. Der Abschnitt reicht bis V. 27 und hat Labans Betrug an Jakob zum Gegenstand.42 Der Handlungsgang schließt, bevor Jakob seine zweite Dienstzeit von sieben Jahren antritt, auf die wiederum nur mittels zweier abschließender Verse übergeleitet wird. Insofern erhalten die kleinsten Zeiträume die größte erzählerische Aufmerksamkeit, während die großen Zeitetappen von sieben Jahren zunächst nur notizartig abgehandelt werden. Die Vv. 21–27 sind wiederum durch ein doppeltes ‫ ויהי‬strukturiert, dem die differenzierten Zeitangaben Abend und Morgen korrespondieren und den Handlungshöhepunkt markieren. Der Betrug wird somit in ein Vorher (Vv. 21–23) und Nachher (Vv. 25–27) unterteilt. Die Mitgabe der Magd Silpa in V. 24 erweist sich in diesem Zusammenhang als deutliche Unterbrechung. Die Abwehr des Täuschungsvorwurfs durch Laban (V. 26) greift inhaltlich V. 16 mit der Gegenüberstellung von jüngerer Tochter und erstgeborener Tochter wieder auf, wobei das verwendete Vokabular nun variiert ist. Die Bedingung, die von Laban in V. 27 für die Mitgabe seiner Tochter formuliert wird, verweist auf den Folgeabschnitt, der den Konflikt zwischen Jakob und Laban einem kurzzeitigen Ende zuführt (Vv. 28–30). Die Zäsur liegt aufgrund der Beendung des Dialogs in V. 27 nahe. V. 27 beschließt den Betrug mit einem kontrastiven Element, in dem die Hochzeitswoche mit den sieben Dienstjahren korrespondiert.43 Beide Elemente werden in Vv. 28–30 nahezu wörtlich wieder aufgenommen, was den Eindruck erhärtet, dass sich Jakob der Forderung Labans fügen muss. Diese Logik wird von V. 29 unterbrochen, als Laban durch die Mitgabe der Magd Rahels hier kurzzeitig erneut in Aktion tritt. Der Vers erweist sich allein durch die mangelnde Anschlussfähigkeit von V. 30 an V. 29 als nicht stringent eingebunden. Der Abschluss der Erzählung entspricht dem Auftakt des Handlungsganges in V. 18 aufgrund der Dauer von sieben Jahren und der Liebe Jakobs gegenüber Rahel. Der Abschnitt Gen 29,16–30 ist, wie gezeigt, über dichte Leitwortvernetzungen und wiederkehrende Erzählelemente engmaschig gestrickt. Die Zeitangaben sind einschlägig. So ist zunächst von einem Dienst Jakobs von sieben Jahren die Rede 41 Mit Westermann, Genesis I/2, 568. Anders Sherwood, Examination, 81, der auf der Grundlage inhaltlicher Kriterien einen Einschnitt nach V. 21 zieht. Ebenfalls gegen Nauerth, Untersuchungen, 154, der den Zeitsprung von sieben Jahren bereits zwischen Vv. 19 und 20 erkennen will. Allerdings setzt der Folgeabschnitt bei dem Zeitpunkt nach Ableistung der Dienstzeit an, daher ist eine Zäsur nach V. 20 plausibler. 42 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 328 f. 43 Vgl. Blum, Komposition, 99.

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(V. 18.20a), die ihm wie einzelne Tage erscheinen (V. 20b). Das Aufdecken des Betruges ist durch die Zeitangaben Abend und Morgen gegliedert (V. 23.25). Im Anschluss laufen die Zeitangaben mit der Hochzeitswoche (V. 27) und dem zweiten Dienst von sieben Jahren (Vv. 27b.30b) wieder in größeren Zeitetappen aus. Am Höhepunkt der Ereignisse sind folglich auch die Zeitangaben am differenziertesten (Vv. 23.25), wobei die Angabe des siebenjährigen Dienstes die Erzählung rahmend umspannt (Vv. 18.30) und eingedenk V. 20 ein Strukturelement des Abschnittes darstellt.44 Im Gegensatz zu Vv. 1–14 werden nun die großen Zeiträume erzählerisch stark komprimiert. Die beschriebene Abschnittsstruktur lässt sich in folgende Gliederung überführen: Ankunft Jakobs bei Laban (Gen 29,1–14)

Labans Lohnerkundigung (Gen 29,15)

1–3

Exposition: Jakobs Ankunft im Land der Söhne des Ostens

4–9

Dialog mit den Hirten

10–12

Begegnung mit Rahel

13–14

Begegnung mit Laban

15

Jakobs Eheschließungen 16–17 mit Labans Töchtern 18–20 (Gen 29,16–30) 21–27 28–30

Exposition: Einführung Leas und Rahels Vereinbarung zwischen Jakob und Laban Labans Betrug an Jakob Jakobs Dienst um Rahel

5.1.4 Literarkritik Die Weichen zur Klärung der Textgenese von Gen 29,1–30 sind von Vertretern der Quellenscheidungstheorie bereits gestellt worden und haben sich trotz des Paradigmenwechsels in der Pentateuchforschung nicht grundsätzlich geändert. Man hielt den Abschnitt entweder für überwiegend einheitlich und ordnete ihn in weiten Teilen entweder J45 oder E46 zu, oder man differenzierte literarhistorisch zwischen Vv. 1–14 und Vv. 15–30, indem man die Abschnitte unterschiedlichen Quellen zuschrieb.47 44 Vgl. zu ähnlichen Beobachtungen Sherwood, Examination, 109 f. 45 Vgl. Otto, Sichem, 47 f.; de Pury, Promesse, 519; Boecker, Isaak, 65. Neuerdings auch wieder Baden, Composition, 72. 46 Vgl. Wellhausen, Composition, 35 f.; Nentel, Jakobserzählungen, 236 f. 47 Vgl. Gunkel, Genesis, 324–329: Vv. 1–14 gehöre zu J, Vv. 15–30 zu E.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

Wenngleich mittlerweile mehrheitlich von einer Quellenzuschreibung Abstand genommen wird, bewegt sich die literarhistorische Diskussion größtenteils im Rahmen der genannten Pole. Gleichwohl haben sich die Prämissen verschoben, unter denen die Frage der Kohärenz von Gen 29,1–30 traktiert wird. Eine zen­ trale Rolle spielt dabei die überlieferungsgeschichtliche Differenzierung zwischen Gen 25–27* und Gen 29–31. Unter der Annahme, in Gen 29 beginne ein entstehungsgeschichtlich vom Jakob-Esau-Erzählzyklus unabhängiger Jakob-LabanErzählkranz, müsste sich innerhalb von Gen 29 ein selbsttragender Beginn dieses Erzählzyklus feststellen lassen. In einigen Analysen gibt sich diese Arbeitshypothese dann auch als leitendes Kriterium für die literarhistorische Binnendifferenzierung innerhalb von Gen 29,1–30 zu erkennen.48 Die motivischen und erzählerischen Analogien zwischen Gen 25–27* und Gen 29,1–30 werden dabei indes vernachlässigt, die eine literarhistorische Differenzierung zwischen den beiden Blöcken bei genauerem Hinsehen problematischer erscheinen lassen, als dies auf den ersten Blick den Anschein erwecken mag. Insofern wird ein tragfähiger und unabhängiger Beginn eines Jakob-Laban-Erzählzyklus kritisch zu prüfen sein.

5.1.4.1 Geografische Verortung Labans Die uneinheitliche Verortung Labans innerhalb der Jakoberzählung im Allgemeinen und innerhalb von Gen 29,1–30 im Besonderen erfordert eine Erklärung. Sieht man von den priesterschriftlichen Textanteilen in Gen 28,1–9 zunächst ab, die Laban in Paddan Aram49 verorten, bleibt ein Widerspruch zwischen Gen 29,1 einerseits und Gen 27,43 und Gen 28,10 andererseits bestehen, neben dem innertextlichen Widerspruch zwischen Gen 29,1 und Gen 29,4. Gen 29,1 verortet 48 So versucht Otto, Sichem, 53, den Dialog aus Gen 29,4–8 aus dem Zusammenhang zu eliminieren, um eine Unabhängigkeit von Gen 25–27* zu gewährleisten. Hinter den übrigen Versen vermutet er eine ursprüngliche Erzählung über die Öffnung des Brunnens, bei der sich Jakob und Rahel kennengelernt hätten. Dementsprechend hält er auch in V. 12 den Verweis auf Rebekka für sekundär. Die überlieferungsgeschichtlichen Prämissen leiten hier die literarkritische Bewertung. Auch bei Kratz avanciert die Hypothese zur Prämisse wie folgendes Zitat beweist: „Die drei Stränge sind über das Motiv des Streits zwischen den zwei Brüdern Jakob und Esau um das Erstgeburtsrecht verknüpft […], der die Flucht […], die Rückkehr und die Aussöhnung auslöst. […] Die Verknüpfung ist natürlich sekundär, und es fragt sich, welcher der drei Überlieferungsstränge der ursprüngliche ist. Die Entscheidung fällt nicht schwer. Die einzige Überlieferung, die Anfang und Ende hat und nichts anderes voraussetzt und also einmal selbständig existiert haben kann, ist die Erzählung von Jakob und Laban in Gen 29–31“ (Kratz, Komposition, 270). 49 Von G und V mit „Mesopotamien“ übersetzt. Die Herkunft der Ortsbezeichnung ist unklar. Der überzeugendste Vorschlag leitet den Namen vom akk. pad(d)ānu (Weg) ab, womit Paddan Aram mit „Weg nach Aram“ zu übersetzen wäre. Dementsprechend ist Nordsyrien gemeint. Der Vorschlag ist insbesondere daher überzeugend, da die Ableitung aus dem Akk. Parallelen mit der Bedeutung von Haran (ebenfalls „Weg“) aufweist und dem Gebrauch in der Jakoberzählung entspricht. Vgl. Kellenberger, Art. Paddan Aram.

Jakob als betrogener Betrüger 

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Laban nicht in Haran, sondern lässt Jakob in „das Land der Söhne des Ostens / Ostleute“ ziehen, wo jener auf Laban trifft. Die beiden Ortsangaben sind geografisch unvereinbar. Die Ortsangabe Haran weist nach Nordsyrien. Suggeriert die synchrone Erzählfolge von Gen 28,10–22* und Gen 29,1–30, Haran könne mit dem Land der Ostleute identifiziert werden, sprechen die betreffenden alttestamentlichen Belege hingegen dafür, das Land der Ostleute in dem östlich an Palästina angrenzenden Wüstengebiet zu lokalisieren.50 Einschlägig für jene Lage sind die Belege in Ri 6,3.33; 7,12, die einen militärischen Zusammenschluss zwischen Midian, Amalek und den Ostleuten erwähnen. Aus dieser militärischen Kooperation ist zu folgern, dass die genannten Völker in nachbarschaftlicher Nähe zueinander gelegen haben müssen.51 Für eine Lage der Ostleute im nordarabischen Raum spricht zudem ihre Erwähnung in Jes 11,14 in einer Reihe mit Moab, Edom und Ammon, welche sich ebenso in unmittelbarer Nachbarschaft befinden.52 Die Feindschaft zwischen den Ostleuten und Ammon, die in Ez 25,4.10 vorausgesetzt ist, untermauert eine nachbarschaftliche Beziehung der beiden Völker.53 Zuletzt werden in Jer 49,28 die Ostleute mit Kedar, einem Nordstamm Arabiens, in Verbindung gebracht. Alle genannten Belege verweisen eher auf Nordarabien, denn auf Syrien. Die Nennung der beiden Herkunftsorte Labans sind folglich nicht miteinander vereinbar.54

Die widersprüchliche Verortung Labans innerhalb des ATs verlangt folglich entweder eine literarkritische Lösung, der zufolge eine der beiden Verortungen se­ kundär dem Textbestand zugewachsen ist, oder eine traditionsgeschichtliche Lösung, nach der Laban in zwei unterschiedlichen Traditionen mit jeweils einem der Orte verbunden war und die im Zuge der textlichen Zusammenschau harmonisiert worden sind.55 Westermann versucht die Problematik redaktionsgeschichtlich zu klären, indem er Gen 29,1 und Gen 28,10 als eine ursprünglich zusammengehörige Itinerar-Angabe zusammenzieht. Demnach sei die Ortsangabe in Gen 29,1 als Richtungsangabe zu verstehen.56 Abgesehen von den syntaktischen Zweifeln, 50 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 566; Ruppert, Genesis III, 219; Kronholm, Art. 1166 ,‫;קדם‬ von Rad, Genesis, 232; Schmid, Jakob, 48. 51 Vgl. Blum, Komposition, 103; Jericke, Ortsangaben, 87 f. 52 Jericke, Ortsangaben, 188, schlussfolgert aus der Angabe, dass die benannte Textstelle eine Verortung der „Söhne des Ostens“ östlich von Edom, Moab und Ammon voraussetzt. 53 Vgl. Blum, Komposition, 165; Schmid, Political Theologies, 25 f. 54 Obwohl Taschner, Verheißung, 86 Anm. 5, beizupflichten ist, dass es sich bei ‫ בני־קדם‬um einen vergleichsweise weiten Begriff handelt, spricht die Homogenität in der Verwendung für die o.g. Verortung und somit, entgegen Taschners Kritik, für einen klaren Widerspruch im Text. Vgl. z. B. Graupner, Elohist, 242; Boecker, Isaak, 65. 55 Eine traditionsgeschichtliche Lösung, wie sie Ruppert, Genesis III, 217, annimmt, nach der Jakob in der älteren Tradition Rebekka in einer Steppe, nach der jüngeren Tradition an einem Brunnen in Haran begegnet sei, ist nicht schlüssig, da in V. 2 der Brunnen und das freie Feld konsequent aufeinander bezogen sind. 56 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 566.

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die sich an Westermanns Lösungsvorschlag ergeben,57 kann auch dann synchron nicht geklärt werden, weswegen Jakob seinen Blick in Richtung des transjordanisch gelegenen Landes der Ostleute richten sollte, wenn er sich auf dem Weg zu seinem Onkel ins nördliche Haran befindet. Um den Widerspruch aufzulösen, wurde der Vorschlag gemacht, V. 1 literarkritisch auszusondern.58 Dafür spräche, dass die Terminologie „Land der Ostleute“ im Pentateuch ausschließlich an dieser Stelle bezeugt ist. Für eine dortige redaktionelle Verortung Labans existiert jedoch keine erklärbare Intention. Darüber hinaus widersprechen einer ursprünglichen Haran-Verortung Labans die Zeitangaben zur Ankunft Jakobs und Labans in Gilead (Gen  31,22 f.).59 Besser ließe sich „Haran“ als sekundärer Zuwachs erklären, zumal die Ortsangabe in V. 4 nur locker im Text verankert ist.60 Insbesondere Blum hat überzeugend dargelegt, dass es sich bei „Haran“ innerhalb der Jakoberzählung um eine Bearbeitungsschicht handelt, die Laban sekundär in Haran lokalisieren will.61 Über die Gründe dieser Verlagerung besteht in der Forschung keine Einigkeit. Die Unsicherheit entsteht allein schon dadurch, dass in neuassyrischer Zeit zwar mit ortsansässigen Aramäern in Haran zu rechnen ist, diese politisch allerdings von den Neuassyrern dominiert werden. Insofern ist nicht deutlich, ob die Wahl des Zielortes durch die Vorstellung Labans als Aramäer bedingt ist. Darüber hinaus ist Haran als religiöses Zentrum des Mondgottes Sin überregional bekannt, womit sich auch die schlichte Bekannt 57 Mit der Lösung Westermanns ergäbe sich eine doppelte Subjektnennung Jakobs in Gen 28,10a und Gen 29,1a. 58 Vgl. z. B. Gunkel, Genesis, 324 f., stellvertretend für weitere Vertreter einer Quellenscheidungstheorie. Gunkel ordnet Gen  29,1 und Vv. 2–14 zwei unterschiedlichen Quellen zu. Die Ortsangabe „Land der Söhne des Ostens“ gehöre zu E, Haran hingegen zu J. Vgl. in jüngerer Zeit Nentel, Jakobserzählungen, 232. Levin, Jahwist, 217, erkennt in Gen 29,1 eine Wiederaufnahme von Gen 28,10, die das kompositorische Ziel verfolge, die Bet-El-Episode „an der Schnittstelle von Jakob-Esau-Kreis und Jakob-Laban-Kreis nachträglich einzubinden.“ Die so fehlende Ankunftsnotiz spricht allerdings gegen eine Aussonderung. 59 Die Ortsangabe Gilead ergibt bei einer Lokalisierung Labans im nördlichen Haran geografisch wenig Sinn, zumal eine Reise nach Haran wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen würde. Vgl. Blum, Komposition, 166; Boecker, Isaak, 66; Schmid, Political Theologies, 26. 60 Blum, Komposition, 166, nimmt an, dass hier ein ursprünglich anderer Ortsname durch „Haran“ ersetzt worden ist. Nauerth, Untersuchungen, 156 f. versucht das Problem indes durch literarkritische Aussonderung von Gen 29,2–12 zu bewerkstelligen, womit er gleichzeitig das „Problem“ lösen will, dass Rahel zwei Mal eingeführt wird. 61 Konkret bezieht sich die literarkritische Aussonderung der Haran-Anmerkungen laut Blum, Komposition, 166, im Falle von Gen 27,43 auf die Ortsangabe ‫ הרנה‬und auf den gesamten Gen 28,10. Im Falle von Gen 29,4 sei eine ursprünglich andere Ortsangabe durch Haran ersetzt worden. Die Annahme der Verlagerung der Lokalisierung Labans teilt die Forschungsmehrheit. Vgl. z. B. Otto, Sichem, 54; Schmid, Jakob, 48; Sergi, Jacob, 286 Anm. 15. Gegen Blum richtet sich Na’aman, Jacob Story, 104 ff., der Laban ursprünglich in Haran verorten will. Seebass, Väter­ geschichte II/2, 333, hält sich gegen Blum an Noth, Überlieferungsgeschichte, 217 f., und erklärt die Ortsangabe Haran aus Gen 27,41–45 und der „nationalen Tendenz der Abrahamgestalt bei J (Kap. 24)“.

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heit Harans insbesondere im 6. Jh. für eine Verlagerung der Jakoberzählung nach Haran anböte. Knauf und Schmid kombinieren die Gründe gewissermaßen und kommen zu dem Schluss, Jakobs Reise nach Haran zum Mondgott Sin als „Herr des Westens“ solle Jakob als treuen Vasallen gegenüber den Assyrern in neuassyrischer Zeit zeichnen.62 Finkelstein und Römer ziehen weniger drastisch in Erwägung, in Jakobs Verhalten werde ein empfehlenswerter Umgang mit den Assyrern promulgiert, die als Aramäer gezeichnet würden.63 Demgegenüber schließt sich Blum der Nothschen These an, Haran sei im 7./6. Jh. ein aramäisches Stadtzentrum gewesen und sei daher als Aufenthaltsort Labans gewählt worden.64 Darüber hinaus wären auch einfachere Begründungen vorstellbar, die sich zudem mit der Schlichtheit der Haran-Notizen besser vereinen ließen. Sollte sich Haran tatsächlich auch als ein Ziel der Deportation von Nordreichsbewohnern durch die Assyrer bestätigen,65 und sind dementsprechend Nordreichsbewohner in Haran ansässig, bot sich eine Verlagerung des Fluchtortes nach Haran für im Süden ansässige Nordreichsbewohner möglicherweise plausibler an als das „Land der Söhne des Ostens“. Dies könnte durch den Umstand erhärtet werden, dass sich Bet-El eher auf einem Weg zwischen Beerscheba und Haran, aber eher weniger auf einem Weg zwischen Beerscheba und dem Land der Söhne des Ostens verorten ließ. Insofern könnte auch die Einbindung der Beerscheba-Verbindung durch die Isaakerzählung im 7. Jh. mit einer Verlagerung nach Haran in dieser Zeit vonstatten gegangen sein.66 Dementsprechend lägen die Erweiterungen um die Ortsangaben in Gen 28,10 (Beerscheba und Haran) auf einer Ebene. Für eine primäre Verortung Labans im Gebiet des Landes der Ostleute spricht nicht zuletzt die Erzähllogik. So wird in V. 2 erwähnt, dass Jakob auf freiem Feld auf die Hirten trifft. Diese Notiz wirkt angesichts eines Stadtzentrums wie Haran befremdlich, obwohl sich der Ort des Brunnens in der Nähe eines Wohnortes befunden haben muss, wenn Rahel ihren Vater fußläufig erreichen kann.67 Die Aufforderung Rebekkas, Jakob solle sich zu ihrem Bruder Laban begeben (Gen 27,43), kommt in ihrem Grundbestand ohne die Ortsangabe aus, denn J­akob weiß, wo sein Verwandter wohnt, und begibt sich in Gen 29,1 infolgedessen dorthin. 62 Vgl. Knauf, Bethel, 320; Schmid, Jakob, 49. Für eine Stilisierung Jakobs als Vasall lassen sich textlich jedoch ebenso wenige Anhaltspunkte ausmachen wie für religionsgeschichtliche Anspielungen an eine Pilgerfahrt o.Ä. Darüber hinaus dürften die notizartigen und dementsprechend nur impliziten Hinweise kaum für den in der These vorausgesetzten Rezipientenkreis der Assyrer nützlich sein. 63 Vgl. Finkelstein / Römer, Comments, 322 f. 64 Vgl. Noth, Überlieferungsgeschichte, 218; Blum, Komposition, 167.1343 f. Anm. 11. 65 Vgl. Koch, Wohnstatt, 58, im Anschluss an Blum, Komposition, 343 f. Anm. 11, der dies mit Verweis auf 2 Kön 17,6 allerdings für unsicher hält. Optimistischer Na’aman, Modes, 139. 66 Köckert, Jakobüberlieferung, 65, erwägt als Hintergrund das Wissen um eine Verortung Abrahams in Haran in der nicht mehr erhaltenen vorpriesterlichen Exposition der Väter­ geschichte. 67 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 329.

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Gen 29,1 gehört somit zum Grundbestand von Gen 29,1–30.68 Obwohl der Text suggeriert, dass ein bestimmtes Volk und ein bestimmtes Gebiet anvisiert wird, liegt mit dem „Land der Söhne des Ostens“ wohl eher eine generelle Bezeichnung vor, bei der lediglich die regionale Ausrichtung angesprochen ist und weniger eine klar definierte ethnische oder geografische Größe.69 Bei der Ortsbezeichnung „Haran“ handelt es sich indes um eine sekundäre Erweiterung, die die Ortsangaben am plausibelsten hinsichtlich einer Südreichsperspektive und unter der Vorgabe einer Eingliederung der Isaak-Erzählung änderte.

5.1.4.2 Labans Töchter als Lohn (Gen 29,15) Seiner textsynchronen Funktion nach leitet Gen 29,15 von der Ankunftserzählung (Vv. 1–14) zur Heiratserzählung (Vv. 16–30) über. V. 15 erfüllt unter synchronen Gesichtspunkten insofern eine Scharnierfunktion, die bis in die Versstruktur hinein greifbar ist. Wie im Rahmen der Strukturanalyse gezeigt, bezieht sich V. 15a durch ‫ אחי אתה‬inhaltlich auf die vorausgehende Verwandtschaftsformel in Gen 29,14 zurück und weist durch ‫ ועבדתני‬auf V. 18 voraus. Gleichwohl unterbricht V. 15 eigentümlich den Zusammenhang. Während V. 16 an die Erzähler­ perspektive aus V. 14 anknüpft, sorgt V. 15 mit einer wörtlichen Rede Labans für eine Zwischenzäsur, die eine Frage formuliert, die in V. 16 nicht aufgegriffen wird. Stattdessen liefert der Erzähler ab V. 16 zunächst Hintergrundinformationen nach. Als inkohärent erweist sich zudem der Umstand, dass V. 18 zwar offenbar als nachgereichte Antwort Jakobs auf Labans Frage aus V. 15 fungieren soll, sich allerdings nicht konsequent darauf beziehen lässt. Jakob reagiert nicht auf das Lohnangebot Labans aus V. 15 (so z. B. möglich durch Abwehr wie in Gen 30,31), sondern bietet jenem an, sieben Jahre für Rahel zu dienen.70 Labans vorab geäußerter Hinweis auf Jakobs Dienst erfolgt dagegen äußerst unvermittelt. Die genannten Gründe legen die Annahme nahe, dass V. 15 sekundär in den Zusammenhang eingewoben worden ist. Stilistisch könnte zur Integration der Fortschreibung die Fragepartikel ‫ הכי‬nach dem Vorbild der Fortschreibung von Gen 27,36a bemüht worden sein. Der Abschnitt vermittelt in einer aus der heutigen Perspektive befremdlich anmutenden Selbstverständlichkeit den Anschein, als erhalte Jakob die Töchter Labans als Lohn für seine mehrjährige Arbeitsleistung. In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass sich Laban an anderer Stelle (Gen 30,28) erneut nach Jakobs Lohnforderung erkundigt.71 Da Jakob für seinen Dienst bereits Labans 68 Vgl. auch Otto, Jakob, 48. 69 Vgl. Sergi, Jacob, 286. 70 Vgl. Nauerth, Untersuchungen, 167. 71 Vgl. Levin, Jahwist, 222: „Nach Jakobs Lohnforderung fragt Laban auch in 30,28, als Jakob um seine Entlassung nachkommt. Das ist hier vorweggenommen.“

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Töchter erhalten hatte, bestünde hierfür keine Notwendigkeit. Gen 30,28 und Gen 29,15 sind durch die Wurzel ‫ שׂכר‬zudem stichwortartig miteinander verbunden. Beide Verse erfüllen darüber hinaus eine ähnliche Funktion in ihrem jeweiligen Mikrokontext. Die Aufforderung Labans, Jakob solle den Lohnpreis für seine Arbeit nennen, setzt in Gen 30,28 wie in Gen 29,15 Überlistungsakte in Gang. In Gen 30,25–43 überlistet Jakob Laban, indem er dessen Herden geschickt zu seinen Gunsten zu kreuzen weiß, in Gen 29,1–30 liegt die Initiative bei Laban, der seine beiden Töchter in seinem Interesse vertauscht. In Gen 29,1–30 ist zudem ausgerechnet Rahel Gegenstand des Betrugs, deren Name „Mutterschaf “ bedeutet und insofern nicht unironisch mit dem Hirtendienst in Verbindung steht,72 in Gen 30,25–43 sind es die gefleckten Schafe, die Jakob für sich aussondert und als Lohn erhält. Der betrügerisch ausgelöste Verhandlungsgegenstand weist insofern Wortfeldanalogien auf. Die Querverbindungen legen eine Analogisierung zwischen den beiden „Erwerbungen“ Jakobs bei Laban (Bräute, Vieh) nahe, wie sie auch im Rahmen der Lohnverhandlungen von Gen 30,25–34 greifbar sind. Da sich Gen 29,15 im Rahmen von Kap. 29 als sekundäre Erweiterung nahelegte, ist das redaktionsgeschichtliche Verhältnis zu Gen 30,25–34 gesondert zu bestimmen. Die Querverbindungen deuten indes an, dass Gen 29,15 die Funktion einer vorgezogenen Lohnverhandlung erfüllt, die entweder mit Gen 30,25–34 gleichursprünglich oder später anzusetzen ist. Welches Interesse verfolgt ein Redaktor mit dem Eingriff in Gen 29,15? Oder anders formuliert: Kann vor dem Hintergrund eines alttestamentlichen Eheverständnisses eine Eheschließung als Lohnzahlung verhandelt werden? Mit dieser Frage ist auf die traditionsgeschichtlichen Hintergründe verwiesen. Exkurs: Der traditionsgeschichtliche Zusammenhang von Jakobs Angebot gegenüber Laban Mehrere Gründe sprechen dafür, dass Jakob in V. 18 die Bereitschaft zeigt, einen im altorientalischen Umfeld bekannten und innerbiblisch gut belegten Braut­preis zu entrichten, obwohl die dafür vorgesehene Terminologie (‫)מהר‬73 an dieser Stelle nicht gebraucht wird. Im AT belaufen sich die expliziten Belegstellen von ‫ מהר‬auf Gen 34,12; Ex 22,15–16 und 1 Sam 18,25. Anhand der genannten Textbelege ist ersichtlich, dass es sich beim ‫ מהר‬um einen Geldbetrag oder eine Dienstleistung handelt, die vom zukünftigen Schwiegersohn an den Brautvater für die Tochter 72 Die Herkunft des Namens „Lea“ ist etymologisch nur schwer zu rekonstruieren. Noth, Überlieferungsgeschichte, 103 Anm. 273 und Mathys, Genesis 29,15–30, 95, übersetzen mit „Kuh“. So ebenfalls Gesenius, Wörterbuch, 589, über die Ableitung aus dem akk. lītu. Ringgren, Art. ‫לאה‬‎, 410, unternimmt eine Herleitung aus dem Hebr. ‫( לאה‬ermüden). 73 Zum ugaritischen und akkadischen Äquivalent vgl. Hillmann, Brautpreis, 11–118.

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entrichtet wird. Im Bundesbuch ist der eherechtliche Terminus im Kontext der rechtlichen Regelung zum unehelichen Beischlaf mit einer Jungfrau erwähnt (Ex 22,15–16). In diesem Falle soll der Beischläfer den erforderlichen ‫ מהר‬an den Vater entrichten, um die Jungfrau zu heiraten. Ex 22,16 legt nahe, dass die Höhe des Brautpreises für eine Jungfrau definiert und bekannt war. In Gen 34,12 ist eine ähnliche Vorstellung von einem materiell zu entrichtenden Brautpreis vorausgesetzt. Sichem bittet bei Jakob und seinen Söhnen um die Verheiratung mit Dina, derjenigen Tochter Jakobs, die von Sichem zuvor sexuell genötigt worden war. Er ist bereit, einen hohen ‫( מהר‬und Geschenk) im Nachhinein für Dina zu entrichten.74 Offenbar konnte der Brautpreis anstelle materieller Güter auch durch Dienstleistungen erstattet werden, wovon 1 Sam 18,25 zeugt.75 Saul, der Brautvater, fordert als ‫ מהר‬von David, seinem zukünftigen Schwiegersohn, hundert Philister­ vorhäute für seine Tochter Michal.76 So liegt der Brautpreis in diesem Falle wohl kaum in einem materiellen Gegenwert begründet, sondern hat den Charakter eines Kriegsdienstes.77 Weitere implizite Belegstellen wie Jos 15,16 und Ri 1,12 f. sind ebenso einschlägig für derartige Ersatzleistungszahlungen.78 Dass hinter Jakobs Dienstangebot in Gen 29,1–30 der Ersatz eines Brautpreises steht, ist nicht zuletzt aus dem Kontext heraus schlüssig erklärbar. Aufgrund seiner Flucht ist Jakob mittellos und kaum in der Lage, einen Brautpreis für Rahel zu begleichen. Zudem dient Jakob um jede der beiden Töchter dieselbe Dienstzeit von sieben Jahren, was zusätzlich auf den genannten traditionsgeschichtlichen Hintergrund verweist.79 74 Auch die Geschenke, die der Knecht Isaaks in Gen 24,22 Rebekka überreicht, sind in traditionsgeschichtlicher Hinsicht aufgrund des Kontextes (insbesondere V. 30) als Brautpreispraxis in Erwägung zu ziehen. Vgl. Fischer, Erzeltern, 82. 75 Gegen Jacob, Genesis, 589, der annimmt, dass es sich bei der Brautgabe um ein „reale[s] Ding“ handeln muss. 76 Auld, Reading, 465 sieht genau in diesem Bereich auffällige Parallelen zwischen der Davids- und der Jakoberzählung; Vgl. auch Greenstein, Formation, 172–175. 77 Der Brautpreis als Form einer Kriegsdienstleistung ist darüber hinaus implizit auch bei der Verheiratung Davids mit Merab mitgedacht (1 Sam 28,17). 78 Vgl. Otto, Ethik, 52; Lipiński, Art. 719 ,‫מ ַֹהר‬. Im Falle von Jos 15,16 und Ri 1,12 f. verspricht Kaleb für Kriegsdienstleistungen die Hand seiner Tochter Achsa. 79 In der älteren Forschung wurde erwogen, ob in Analogie zu Urkunden aus Nuzi eine sogenannte errebu-Heirat als traditionsgeschichtlicher Hintergrund für Gen 29 in Erwägung gezogen werden kann: „Bei ihr [der errebu-Ehe] tritt der Bräutigam in das Haus seines Schwiegervaters ein, wird von diesem adoptiert und damit zu seinem Sohne; er hat diesem umsonst zu dienen, solange er lebt.“ Matthys, Genesis 29,1–14, 97. Bei einer errebu-Ehe adoptiert der Schwiegervater seinen Schwiegersohn folglich, um ihn zum Erben zu machen. Für Gen 29 ist die errebu-Ehe jedoch keine plausible traditionsgeschichtliche Erklärung. In Gen 31,1 werden zum einen weitere Söhne Labans genannt, die als potenzielle Erben in Frage kommen, zum anderen versteht sich Jakob in Gen 31,39 immer noch als Bediensteter Labans und nicht als dessen adoptierter Sohn. Zuletzt fehlen Beweise dafür, dass mit der Verwandtschaftsformel in Gen 29,15 eine Adoption vorliegt. Vgl. zur Diskussion u. A. Thompson, Historicity, 269–280; Van Seters, Jacob’s Marriages; Hillmann, Brautpreis, 25 f.; Seebass, Vätergeschichte II/2, 331.

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Da die Ehe in den genannten Fällen in einer Zahlung gründet, entsteht der Eindruck, die Frau werde verkauft. Traditionsgeschichtlich lässt sich eine Brautpreispraxis allerdings gerade nicht als ein Verkaufsakt auffassen, wie insbesondere Eckart Otto nachgewiesen hat. Nach Otto ist eine Entwicklung des Eherechts aus dem Handelsrecht rechtshistorisch nicht nachweisbar.80 Wie lässt sich die Brautpreispraxis dann verstehen? Die wohl bekannteste und viel rezipierte Deutung ist diejenige, der zufolge mit dem ‫ מהר‬der Verlust der töchterlichen Arbeitsleistung aufgrund des Wegzuges in die Familie ihres Mannes kompensiert werden sollte.81 Dagegen hat sich wiederum Eckart Otto mit berechtigten Einwänden ausgesprochen, die auch auf Gen 29,1–30 zutreffen. Es lasse sich auf diese Weise nicht erklären, weshalb ein Brautpreis entrichtet wird, obwohl „die Frau noch ihrer Familie längere Zeit als Arbeitskraft zur Verfügung steht.“82 Nach Otto ersetze der materielle oder immaterielle Brautpreis vielmehr einen, in „exogamer Heiratsordnung“83 gründenden ursprünglichen Austausch von je einer Tochter und je einem Sohn zweier Familien. Aus Gründen der Praktikabilität sei jener durch einen Brautpreis ersetzt worden. Die klare Differenzierung zwischen einer Brautpreiszahlung und einer Kaufehe entspricht dem alttestamentlichen lexematischen Befund. So wird die Wurzel ‫ מכר‬in eherechtlichen Texten des ATs gerade nicht genannt. Lediglich Sklavinnen konnten im Gegensatz zu freien Frauen als Besitzgut verkauft werden.84 Die Klage der Schwestern in Gen 31,15, ihr Vater habe sie verkauft, ist folglich nicht als Kritik an einer Brautpreistradition, sondern als konkrete kritische Bewertung des Laban-Jakob-Handels gegen gängige Praxis bzw. als Vorwurf der Rechtsverdrehung zu verstehen.85 – Ende des Exkurses – Aus dem Dargestellten ist zu folgern, dass eine Brautpreiszahlung nach gängigem alttestamentlichem Verständnis keinem Kauf gleichkommt. Unter das Vorzeichen einer Kaufehe gerät das Angebot Jakobs insofern erst durch die Lohnformulierung Labans in V. 15. Mit dem Lohnbegriff wird ein Terminus eingebracht, der dem Eherecht und der Brautpreiszahlung im eigentlichen Sinne fremd ist. Jener setzt zwar absolut, dass die Töchter Labans nun in den Besitz Jakobs übergehen, stellt im Kontext von Gen 29 allerdings den Eheschluss in moralisch zweifelhafte Zu 80 Vgl. Otto, Ethik, 53: „In den Eheurkunden und in den Rechtssätzen der Rechtssatzsammlungen [wird] niemals von Kauf oder einem Kaufpreis gesprochen.“ Vgl. auch Lipiński, Art. 721 ,‫מ ַֹהר‬. Zu weiteren Deutungsversuchen vgl. Otto, Ethik, 52 f. 81 Vgl. z. B. Lipiński, Art. 719 ,‫ ;מ ַֹהר‬Boecker, Isaak, 68. 82 Otto, Ethik, 52. 83 Vgl. Otto, Ethik, 53. 84 Vgl. Plautz, Form, 312. 85 Vgl. Friedl, Polygynie.

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sammenhänge. Nach der Erweiterung um V. 15 willigt Laban nicht mehr in eine Brautpreiszahlung ein, sondern „verkauft“ seine Töchter als Lohn und erachtet das Erwirtschaftete als Arbeitsleistung, die er für sich in Anspruch nehmen kann. So lässt sich auch die Beschwerde der Laban-Töchter aus Gen 31,15 erklären, die ihrem Vater vorwerfen, sie verkauft und ihren Kaufpreis verzehrt zu haben. Aufgrund dieser Sittenwidrigkeit ihres Vaters fühlen sie sich im Gegenzug von ihren Pflichten gegenüber ihrem Vater entbunden. Die Erweiterung um V. 15 sichert insofern proleptisch Jakobs Mitnahme der Frauen moralisch ab. Jakobs Aufenthalt bei Laban vollzieht sich mithin in zwei Akten und wandelt sich von einem Familienverhältnis, das Jakobs Schutzaufenthalt begründet (V. 14), zu einem Dienstverhältnis (V. 19), das sich durch seine Heiratsabsichten ergibt. Dieses Dienstverhältnis wird die Beziehung von Jakob und Laban fortan bis zu ihrer Trennung bestimmen.

5.1.4.3 Das literhistorische Verhältnis von Gen 29,1–14 und Gen 29,(15)16–30 Die mustergültige Exposition in Vv. 16 f. erweckt den Anschein eines neuen Erzählbeginns und bietet insofern Anlass, den Zusammenhalt von Gen 29,1–30 zu überprüfen. Dazu verleitet darüber hinaus der Umstand, dass Gen 29,16–30 eine auffallende Dopplung mit Vv. 1–14 aufweist, da Rahel dort bereits erzählerisch implementiert worden ist. Die expositorische Einführung Rahels in V. 16 könnte insofern den Anschein erwecken, als wäre sie bisher unbekannt.86 Eine isolierte literarkritische Aussonderung der Vv. 16 f. scheidet als Option zur Erklärung des Befundes aus, da die Gegenüberstellung der beiden Schwestern für die Pointe des darauffolgenden „Frauentauschs“ konstitutiv ist.87 Dieser ist nur nachvollziehbar, wenn bekannt ist, dass Lea die ältere der beiden Schwestern ist. Ebenso wenig lässt sich Rahel aus Vv. 1–14 herauslösen. Dementsprechend steht eine sekundäre Vorschaltung der Vv. 1–14 vor Vv. 16–30 zur Debatte.88 Zunächst ist eine überlieferungsgeschichtliche Eigenständigkeit der Vv. 1–14 auszuschließen, da der Abschnitt deutlich expositorischen Charakter hat und über keinen selbsttragen-

86 So urteilen Gunkel, Genesis, 327; Levin, Jahwist, 221; Westermann, Genesis I/2, 565. Zur Gegenposition vgl. Blum, Komposition, 103. 87 Der Versuch von Nauerth, Untersuchungen, 158 f., V. 17 aus dem Zusammenhang zu eliminieren, schafft mehr Probleme als er löst. V. 17 ist deutlich analog zu V. 16 gestaltet. Darüber hinaus ist damit für das Problem der doppelten Exposition nichts gewonnen. 88 So schon Gunkel, Genesis, 324; Kratz, Komposition, 270. Levin, Jahwist, 221 f., hält sie für eine jahwistische Redaktion, die das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Jakob und Laban betonen soll. Ohne eine Verwandtschaft zwischen Jakob und Laban wäre allerdings wenig einsichtig, weswegen Jakob überhaupt zu Laban flüchtet. Die Betonung der Verwandtschaftsverhältnisse indes zielt ohne Frage auf Jakobs Hochzeit. Vgl. auch Neumann, Jacob, 37.

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den Handlungshöhepunkt verfügt.89 Von einer gewissen Eigenständigkeit könnte noch das Motiv der Begegnung zwischen Bräutigam und Braut an einem Brunnen zeugen, doch dient hier die Begegnung der beiden Verwandten maßgeblich dem Ziel, auf Laban hinzuführen. Zwar wird nicht zu leugnen sein, dass Rahel auf diese Weise bereits als potenzielle Braut eingeführt wird, die erzählerischen Anzeichen reichen allerdings nicht aus, um eine romantische Begegnung an einem Brunnen aus Gen 29,1–14 als überlieferungsfähigen Skopus zu generieren. Eine direkte literarische Abhängigkeit zwischen den Brautwerbungserzählungen an einem Brunnen kann ebenfalls ausgeschlossen werden.90 Wenngleich die Brunnenerzählungen in Gen 24 und Gen 29,1–30 noch die stärksten Verbindungen aufweisen, insbesondere hinsichtlich ihrer Verortung, ist die Brunnenerzählung in Gen 24* sehr viel ausladender gestaltet als jene in Gen 29,1–14. Nicht zuletzt aufgrund der mittlerweile mehrheitlich vertretenen und berechtigten Spätdatierung von Gen 24 ist zumindest davon abzusehen, dass Gen 29 von Gen 24 abhängig ist. Bei der Brautwerbung an einem Brunnen scheint es sich vielmehr um ein weit verbreitetes Motiv zu handeln, das in den Erzählungen kontextabhängig aufgegriffen wird.91 Vor dem Hintergrund der patriarchalen Gesellschaftsverhältnisse muss dies auch nicht verwundern – stellt die Tätigkeit des Tränkens und Wasserholens doch eine der wenigen Situationen bereit, in denen sich ein junges Mädchen ohne männliche Begleitung außer Haus aufhält.92 Zudem bildet der Brunnen einen zentralen Angelpunkt altorientalischen gesellschaftlichen Lebens.93 In Gen 29,1–14 wird die Brautwerbung zudem nur sehr subtil eingespielt. Dass Jakob etwa in V. 7 die Hirten zum Tränken bewegen wolle, um mit Rahel ungestört zu sein,94 oder Jakobs Liebe ihn dazu befähige, den großen Stein vom Brunnenloch zu wälzen,95 überfrachtet den Text. Auch wenn im Subtext Anknüpfungspunkte für romantisierende Deutungen gegeben sind, sind jene nicht überzustrapazieren. Dies betrifft auch den häufig angeführten Kussmoment zwischen Jakob und Rahel. Der Kuss ist für die Begegnung zwischen Verwandten in den Jakobserzählungen typisch. Das Motiv lässt sich konstant an Wendepunkten von Jakobs Weg feststellen.96 Isaak küsst (‫ )נשׁק‬Jakob vor dem Segensempfang in 89 Vgl. Nauerth, Untersuchungen, 159. Gegen Westermann, Genesis I/2, 565; Boecker, Isaak, 68, rechnet mit einer vormals eigenständigen Tradierung der beiden Abschnitte, die sekundär durch den Jahwisten miteinander vereint worden seien. 90 In der älteren Quellenscheidung wurden sie unterschiedlichen Quellen zugesprochen: Gen  24=J; Gen  29,1–14a =E. Vgl. z. B. Wellhausen, Composition, 35. Fokkelman, Art, 123 f. unternimmt den Versuch, die Erzählungen in Gen 24 und Gen 29 zu parallelisieren. Ähnlich auch Westermann, Genesis I/2, 567. Zur Kritik daran vgl. Blum, Komposition, 98 Anm.1; Ruppert, Genesis III, 214; Köckert, Jakobüberlieferung, 47. 91 Vgl. Köckert, Jakobüberlieferung, 47. 92 Vgl. Willi-Plein, Genesis, 189. 93 Vgl. Boecker, Isaak, 66. 94 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 332; Ruppert, Genesis III, 217. 95 Vgl. u. A. Scharbert, Genesis 12–50, 201; Westermann, Genesis I/2, 567. 96 Der Kuss drückt in erster Linie ein verwandtschaftliches Verhältnis aus. Vgl. hierzu auch Gen 31,28; 45,15; 50,1. Vgl. Beyse, Art. ‫נשׁק‬,‎678; Levin, Jahwist, 221; Westermann, Genesis, 567; Willi-Plein, Genesis, 190. Die verwandtschaftliche Komponente im Gegensatz zur romantischen betont auch Fokkelman, Art, 123.

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Gen 27,26 und markiert auf diese Weise die besondere verwandtschaftliche Nähe, die für den folgenden Segen relevant ist. Sodann findet bei der Erstbegegnung zwischen Jakob und seinen Verwandten Rahel (Gen 29,11) und Laban (Gen 29,12) ein Kussmoment statt, ebenso wie bei Jakobs Wiedersehen mit seinem Bruder Esau (Gen 33,4) sowie schlussendlich vor dem Segen Jakobs über seine Söhne Efraim und Manasse (Gen 48,10). Die in der Jakobserzählung zentralen verwandtschaftlichen (Wieder-)begegnungen werden durch Kussmomente erzählerisch inszeniert und bilden keine Romantik ab, sondern in besonderer Weise die verwandtschaftliche Nähe.

Vielmehr werden in Gen 29,1–14 expositorisch Themen und Personenkonstellationen vorbereitet, die für die Folgeerzählungen bestimmend sind.97 Die Einkehr Jakobs in das Haus seines Onkels Laban (Vv. 13 f.) bildet die Grundlage für die folgenden Episoden über seinen dortigen Aufenthalt. Darüber hinaus bereitet der Abschnitt Nebenmotive vor, die im weiteren Verlauf der Jakob-Laban-Erzählung zu größeren Komplexen weiterentwickelt werden. So wird bereits erwähnt, dass Laban Schafherden besitzt, die in Gen 30,25–43 zum zentralen Verhandlungsgegenstand zwischen Jakob und Laban avancieren. Zudem trifft Jakob auf Rahel – die erste Verwandte der Laban-Sippe. Insofern deutet sich bereits ihre Sonderrolle an, die ihr als bevorzugte Ehefrau Jakobs zukommen wird. Da eine überlieferungsgeschichtliche Lösung ausscheidet, bliebe noch die Option, Vv. 1–14 als redaktionelle Verlängerung nach vorne zu bewerten.98 Unter dieser Voraussetzung müsste sich ein literarischer Bruch zwischen Vv. 1–14 und Vv. 16–30 als tragfähig erweisen. Dies ist allerdings mit guten Gründen bestritten worden. V. 16 markiert zwar einen Neueinsatz, allerdings ist die erneute Einführung Rahels an dieser Stelle notwendig. Rahel soll ihrer Schwester gegenüber­ gestellt werden, womit expositionsartig auf die kommenden Ereignisse vorbereitet wird, die vom Gegensatz der beiden Schwestern bestimmt sind.99 Bei näherer Betrachtung erweisen sich Vv. 16–30 zudem ohne Vv. 1–14 als nicht überlebensfähig,100 will man auf die Annahme umfassenderen Textverlustes verzichten. Auch wenn man den Vorkontext von Gen 25–27 einbezöge, was bei Vertretern der Annahme unabhängiger Erzählzyklen ohnehin als Option ausscheidet, würde immer noch die Schilderung von Jakobs Ankunft fehlen, die in V. 18 selbstverständlich vorausgesetzt wird. Man könnte versucht sein, die Gestalt von Vv. 16 f. mit einem weggefallenen Erzählbeginn zu erklären, doch wäre dann für die Erklärung der Form von Vv. 16 f. nichts gewonnen. Für eine Zusammengehörigkeit der beiden Erzählblöcke spricht darüber hinaus, dass Jakob in Gen 29,18 weiß, bei welcher der beiden Töchter es sich um die jüngere handelt. Diese Tatsache setzt einen Aufenthalt bei Laban voraus, durch den er über die familiären Verhältnisse in 97 Vgl. Taschner, Verheißung, 88; Sherwood, Examination, 26. 98 So etwa Levin, Jahwist, 221. 99 Vgl. Blum, Komposition, 103; Graupner, Elohist, 243. 100 Vgl. Otto, Sichem, 55; Seebass, Vätergeschichte II/2, 328.

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Kenntnis gesetzt worden ist. Nicht zuletzt ist zwischen Vv. 1–14 und Vv. 16–30 kein nennenswerter Wechsel im Erzählduktus zu verzeichnen. Die Betonung familiärer Beziehungen wird aus Gen 27 fortgesetzt und bereitet an der vorliegenden Stelle die ausstehende Hochzeit vor. Die angesichts des Kontextes auffallende Gestalt von Vv. 16 f. scheint mithin durch einen anderen Umstand bedingt. Die Vv. 16 f. stellen die beiden Töchter Labans, Lea und Rahel, in jeweils zwei parallel aufgebauten Halbversen einander gegenüber. Lea ist die ältere, Rahel die jüngere, Lea diejenige mit den weichen Augen,101 Rahel die von schöner Gestalt. Ein eingehender Vergleich mit den Kindheitserzählungen von Jakob und Esau, die die Jakoberzählung in Gen 25,25–28 eröffnen, fördert bemerkenswerte strukturelle und partiell nahezu wörtliche Entsprechungen zwischen den beiden Expositionen zutage.102 So sind die Einführungen der beiden Geschwisterpaare jeweils dreigliedrig aufgebaut. Der Erzähler nennt zu Beginn deren Namen, beginnend mit der älteren Partei. In Gen 25,25–28 werden daraufhin beide Namen etymo­ logisch hergeleitet. Dieses Element bleibt in Gen 29,16–18 aus, da es sich hier nicht um eine Geburtserzählung handelt. Im Anschluss daran wird eine kontrastierende Charakterisierung der beiden Geschwister vorgenommen, die ebenfalls bei der erstgeborenen Person beginnt. Die jeweilige expositorische Einführung schließt, indem sie die Bevorzugung eines Geschwisterteils durch ein Familienmitglied 101 Die negative Belegung des Verbs kennt bereits Jub 28,5. In der älteren Forschung wurde ‫ רך‬häufig mit „matt“ übersetzt. Vgl. u. A. Gunkel, Genesis, 328: „Der alte Hebräer liebt also bei den Mädchen besonders glänzende Augen; matte Augen sind ein arger Schönheitsfehler.“ Diese Fremdzuschreibung wurde in der älteren Forschung noch unhinterfragt rezipiert (vgl. auch Procksch, Genesis, 346; Dillmann, Genesis, 335). Davon wird man sich in der Forschung deutlicher als häufig geschehen distanzieren müssen. Von Rad, Genesis, 234, „Gemeint ist wahrscheinlich das Matte und Glanzlose.“ Anlass hierfür geben die Übersetzungen der LXX mit „ἀσθενεῖϚ“ und der Vulgata mit „lippis“. I. Willi-Plein, Genesis, 190, geht davon aus, dass Lea „ein Augenleiden hatte“. Scharbert, Genesis, 202 vermutet hinter den „matten“ Augen Leas „die Enttäuschung darüber, bisher noch keinen Mann gefunden zu haben, also eine gewisse depressive Stimmung, die sie nicht anziehend macht.“ Vereinzelte Entwürfe betonen hingegen die Wortbedeutung „zart“; zur Forschungsgeschichte vgl. Gradwohl, Leas Augen. Gradwohl argumentiert für ein positives Verständnis von ‫רך‬. Hätte die Hässlichkeit betont werden sollen, wären Rahels Augen im Gegenüber als schön bezeichnet worden. (Vgl. a. a. O., 122); außerdem werde eine Schwäche der Augen wie bei Isaak für gewöhnlich mit ‫ כהה‬bezeichnet (vgl. ebd.). Vgl. zur positiven Deutung auch Jacob, Genesis, 589. Jacob zufolge gehe es um eine unterschiedliche Art von Schönheit. Jakob bevorzuge die schöne Gestalt Rahels; vgl. diesbezüglich auch Klein, Jakob, 73; Mathys, Genesis 29,15–30, 103 f. 102 Die strukturelle Analogie in der Einführung der beiden Schwestern zu der von Jakob und Esau in Gen 25, spricht gegen Nauerth, Untersuchungen, 157, der sich daran stößt, dass die beiden Schwestern „in gleicher Weise“ eingeführt werden. (ebd.) Während er V. 16, zu Recht, als unabdingbar für den Verlauf der Erzählung hält, zieht er bezüglich V. 17 andere Schlüsse. (Vgl. S. 158 f.) Die von Nauerth angeführten Widersprüche bei V. 17 halte ich jedoch für kons­ truiert. Darüber hinaus wird gerade durch die Abfolge von V. 16 und 17 die strukturelle Analogie zur Einführung von Jakob und Esau aus Gen 25* sichtbar und gibt keinen Hinweis auf redaktionelle Arbeit im Mikrokontext von Gen 29,1–30.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

benennt (25,28; 29,18a).103 Diese löst schlussendlich den geschwisterlichen Konflikt aus. In beiden Fällen verweist bereits die konträre Charakterisierung der Geschwister und die Betonung der Geburtshierarchie auf den Grund und Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen den widerstreitenden Parteien. Dreigliedriges Schema Gen 25,25–28

Gen 29,16–18

I. Namensnennung Älterer Geschwisterteil 25

16a.bα ‫מֹונ֔י כֻּ לּ֖ ֹו‬ ִ ‫אַד‬ ְ ֙‫שׁם ַהגְּ דֹלָ ה֙ לֵ ֔אָה וַ יֵּ ֵ ֤צא ָה ִראשֹׁון‬ ֤ ֵ ‫וּלְ לָ ָ ֖בן ְשׁ ֵ ֣תּי ָבנ֑ ֹות‬ ‫שׂו׃‬ ֽ ָ ‫אַדּ ֶרת ֵשׂ ָ ֑ער וַ יִּ ְק ְר ֥אוּ ְשׁ ֖מֹו ֵע‬ ֣ ֶ ְ‫כּ‬

Jüngerer Geschwisterteil

26a 16bβ ֙‫ֹחזֶ ת‬ ֙ ֶ ‫אָחיו וְ יָ ֤דֹו א‬ ִ֗ ‫וְ אַֽ ֲח ֵרי־ ֞ ֵכן יָ ָ ֣צא‬ ‫ַבּ ֲע ֵק ֣ב ֵע ָ֔שׂו וַ יִּ ְק ָ ֥רא ְשׁ ֖מֹו יַ ֲע ֑ ֹקב‬

‫שׁם ַה ְקּ ַט ָנּ֖ה ָר ֵ ֽחל‬ ֥ ֵ ְ‫ו‬

II. Charakteristika Älterer Geschwisterteil 27a 17a ‫ַוֽיִּ גְ ְדּלוּ֙ ַהנְּ ָע ִ ֔רים וַ יְ ִ ֣הי ֵע ֗ ָשׂו ִ ֛אישׁ‬ ‫י ֵ ֹ֥ד ַע ַ ֖צִיד ִ ֣אישׁ ָשׂ ֶ ֑דה‬ Jüngerer Geschwisterteil

‫וְ ֵע ֵינ֥י לֵ אָ֖ ה ַרכּ֑ ֹות‬

27b 17b ֹ ֖ ‫וְ ָר ֵחל ֙ ָ ֽהיְ ָ ֔תה יְ ַפת־‬ ‫יפת‬ ֥ ַ ִ‫תּאַר ו‬ ‫ֹשׁב א ָֹה ִלֽים׃‬ ֖ ֵ ‫וְ יַ ֲעקֹב֙ ִ ֣אישׁ ָ ֔תּם י‬ ‫ַמ ְר ֶ ֽאה‬

III. Bevorzugung Bevorzugung eines Geschwisterteils

28

‫שׂו כִּ י־ ַ ֣צִיד‬ ֖ ָ ‫ִיצ ָ ֛חק ֶאת־ ֵע‬ ְ ‫וַ יֶּ ֱא ַ ֥הב‬ ‫ְבּ ִ ֑פיו וְ ִר ְב ָק֖ה א ֶ ֹ֥ה ֶבת ֶ ֽאת־יַ ֲע ֽ ֹקב׃‬

18a

‫וַ יֶּ ֱא ַ ֥הב יַ ֲע ֖ ֹקב ֶאת־ ָר ֵ ֑חל‬

So ist bereits an dieser Stelle zu vermuten, dass sich die Zäsur in Gen 29,16 einer stilistischen Analogie in der Darstellung des Schwesternpaares zur Darstellung des Brüderpaares Jakob und Esau verdankt.104 Diese Analogie hat an gegebener Stelle auch ihren treffenden Platz, denn hier wie dort bereitet sie auf eine Vertauschungserzählung der Geschwister vor, die Züge eines Betrugs in sich trägt. Die Einschätzung deckt sich mit weiteren Beobachtungen, die nahelegen, dass Gen 29,1–30 als Gegenpol zu den Eingangskapiteln der Jakoberzählung konzipiert ist, Gen 25–27* und Gen 29,1–30 folglich in einem literarischen Abhängigkeitsverhältnis stehen.

103 In beiden Fällen mit ‫ אהב‬ausgedrückt. Darüber hinaus ist das Konfliktpotenzial, das eine Ungleichbehandlung von Geschwisterteilen nach sich zieht, auch an anderen Stellen der hebräischen Bibel belegt, vgl. z. B. Kain und Abel in Gen 4. 104 Insofern lässt sich auch der Einwand von Nauerth, Untersuchungen, 157, entkräftigen, es ließe sich nicht erklären, weshalb Rahel „in gleicher Weise wie ihre Schwester vorgestellt wird“ (kursiv i.O.).

Jakob als betrogener Betrüger 

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5.1.4.4 Die beiden Mägde Silpa und Bilha Vor den folgenden überlieferungsgeschichtlichen Überlegungen soll auf zwei Unebenheiten des Textes aufmerksam gemacht werden, die in der Forschung konstant beobachtet worden sind. Die Vv. 24.29 nennen notizartig die Mägde Silpa und Bilha, die Rahel und Lea mit in die Ehe gegeben werden. Beide Verse sind indes nicht harmonisch in das Textgefüge integriert. Zunächst kommt die Einführung der Magd Leas in V. 24 umständlich zu stehen, insofern sie den Zusammenhang von Hochzeitsnacht und Morgen unterbricht. Im Falle Bilhas ist die Erweiterung weniger deutlich erkennbar, liegt jedoch aufgrund der Renominalisierung Labans nahe. Gen 29,24.29 sind parallel gestaltet und weisen auf dieselbe Erweiterung hin. Darüber hinaus haben die Mägde in Gen 29,1–30 keinerlei Funktion, sodass in beiden Fällen mit sekundären Erweiterungen zu rechnen ist, wie es auch die Forschungsmehrheit vertritt.105 In der älteren Forschung wurde erwogen, die beiden Verse P zuzuweisen.106 Mit Blum und Anderen ist diese Zuordnung jedoch als „völlig beliebig“ abzuweisen.107 Der Vers entbehrt jeglichen theologischen und formalen Besonderheiten, die für die P typisch sind. Es lassen sich in den besagten Versen „keinerlei Verbindungen zu den sonst der priesterlichen Schicht zugewiesenen Textbereichen erkennen.“108

5.1.5 Überlieferungsgeschichtliche Bewertung In der Forschung wurde und wird mehrheitlich eine entstehungsgeschichtliche Trennung zwischen einem Jakob-Esau- und einem Jakob-Laban-Erzählzyklus vollzogen. Obwohl die Erzählzyklen ihre jeweilige erzählerische Eigenständigkeit haben, drängen sich – wie im Eingangsteil angedeutet – zahlreiche Verbindungslinien auf, die eine voneinander unabhängige Entstehung von Gen 25–27* einerseits und Gen 29–31* andererseits fraglich erscheinen lassen. Gen 29,1–30* setzt Umstände selbstverständlich voraus, die sich ohne Gen 25–27* nicht erschließen lassen. Zunächst wäre ohne den Vorspann von Gen 25–27* unklar, wer Jakob ist, von welchem Ort und aus welchem Grund er sich in ein anderes Land aufmacht. 105 Vgl. bereits Wellhausen, Composition, 35. Vgl. darüber hinaus u. A. Blum, Komposition, 104; Otto, Sichem, 55; Levin, Jahwist, 229 f.; Ruppert, Genesis III, 215; Boecker, Isaak, 68; Carr, Fractures, 263. Eising, Untersuchung, 175 f., plädiert dafür, zusätzlich V. 28b aus dem Zusammenhang zu eliminieren. Der Lösungsvorschlag begegnet dem Problem des unvermittelten Subjektwechsels zwischen Vv. 28a und b. Ebenso Nauerth, Untersuchungen, 168. Eine letztgültige Entscheidung kann in dieser Sache nicht getroffen werden. 106 Vgl. Wellhausen, Composition, 35; von Rad, Genesis, 235; Westermann, Genesis I/2, 569. 107 Vgl. Blum, Komposition, 104. Vgl. auch de Pury, Promesse, 536 Anm. 239; Otto, Sichem, 48 Anm. 2. 108 Wöhrle, Fremdlinge, 81.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

Nichts davon wird expositorisch vorbereitet. Darüber hinaus bliebe ohne Gen 29,5 ungeklärt, weshalb sich Jakob bei den Hirten ausgerechnet nach Laban erkundigt. Da Jakob in Gen 29,5 Laban lediglich als „Sohn Nahors“ bezeichnet, wird bereits supponiert, dass es sich bei Laban um den Bruder der Mutter Jakobs handelt. Dies beweist der mehrmalige Verweis auf die Verwandtschaft Rebekkas und Labans an späterer Stelle (Vv. 10.12.13), was die benannten Familienverhältnisse auch in der Jakob-Laban-Erzählung voraussetzt. Die Verwandtschaftsverhältnisse sind denn auch entscheidend, um Jakobs Hochzeit als ideale Partnerinnenwahl zu präsentieren. Eine ähnlich implizite Voraussetzung betrifft die Mittellosigkeit Jakobs, die in seinem Angebot anklingt, statt einer Brautpreiszahlung einen Hirtendienst zu verrichten.109 Gegen eine überlieferungsgeschichtliche Trennung der Erzählzyklen sprechen darüber hinaus die direkten Rückbezüge von Gen 29,1–30 auf die Vorerzählung. Nicht anders, denn als offensichtlicher Rückverweis, ist der Teilvers „und er erzählte ihm alle diese Dinge“ (Gen 29,13b) zu bewerten.110 Da Laban Jakob unmittelbar im Anschluss mit der Verwandtschaftsformel in seinen engeren Familienkreis aufnimmt, ist ein tatsächlicher Rückbezug auf Gen 27* sehr viel plausibler als ein Rekurs auf die Ereignisse am Brunnen (V. 12).111 Mit Seebass ist eine Wiederholung der Ereignisse am Brunnen zudem wenig eingängig, da Rahel bereits Laban darüber berichtet hatte.112 Nur unter der Voraussetzung, dass Laban über die Ereignisse von Gen 25–27* unterrichtet ist, lässt sich auch Labans Anspielung auf Jakobs Betrug in Gen 29,26 erklären. Die Anerkennungsbekundung Labans ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, da Laban Jakob im Anschluss ebenfalls betrügt. Dass Laban Jakob als sein Fleisch und Blut anerkennt, hat insofern eine besondere Tiefendimension. Zuletzt stehen die Zeitangaben in Gen 27,44a und Gen 29,14 deutlich in Verbindung. Die beiden Teilverse entsprechen sich wörtlich.113 Keine der genannten Rückbezüge lassen sich als sekundäre Zusätze aus ihrem Kontext begründet eliminieren. Auch in stilistischer Hinsicht sind deutliche Kontinuitäten zwischen Gen ­25–27* und Gen 29 zu verzeichnen. In Gen 29,1–30 wird auffallend häufig familiär-re-

109 Vgl. Sherwood, Examination, 26 f.; Blum, Komposition, 173. 110 Ruppert, Genesis III, 223, sieht über Gen 27 hinaus eine Rückbindung an Gen 28 gegeben. Vgl. hierzu auch Seebass, Vätergeschichte II/2, 330. 111 Zur Annahme eines Rückbezuges auf die Brunnenereignisse vgl. Blum, Komposition, 100 f.; Boecker, Isaak, 68; Eising, Untersuchung, 166 f. Eising wehrt das Verständnis ab, bei Jakobs Rede handle es sich um ein Sündenbekenntnis über seine Taten an Esau. Dass man dem Verfasser „einen Sprung in einen ganz anderen Gedankenkreis nicht zutrauen“ könne, ist allerdings ein Geschmacksurteil und vermag nicht zu überzeugen. Levin, Jahwist, 222, vermutet lediglich, Jakob habe an dieser Stelle noch einmal die Tatsache seiner Verwandtschaft mit Laban erzählt. 112 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 330. 113 Vgl. z. B. Fokkelman, Art, 128. Die Formulierung existiert im AT außerdem nur noch in Dan 11,20.

Jakob als betrogener Betrüger 

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lationales Vokabular gebraucht, das sich auch in Gen 27 als charakteristisches Stilmerkmal erwies. Man könnte nun einwenden, die Betonung familiärer Verhältnisse liege dem Genre „Brautwerbungserzählung“ ohnehin nahe. Doch die genannte Erzähltechnik ist für derartige Erzählungen wider Erwarten nicht gängig, zieht man beispielsweise die Erstbegegnung zwischen Isaak und Rebekka am Brunnen in Gen 24 zu Rate. Die auffälligste Parallele zwischen Gen 29,1–30 und seiner Vorgeschichte liegt indes im forschungsgeschichtlich konstant beobachteten Motiv des „betrogenen Betrügers“. In Gen 27* erlistet Jakob trickreich die Vorrangstellung in der genealo­ gischen Verheißungslinie, in Gen 29* wird er wiederum von seinem Onkel Laban um Rahel und damit zunächst um die von ihm anvisierte „Nachfolgelinie“ betrogen. Die literarische Beziehung der beiden Texte ist offenkundig, da die „antithetische Beziehung“114 nicht auf grobe motivische Anleihen begrenzt ist, sondern bis in die erzählerischen Einzelzüge hineinreicht.115 Der Betrug ist in beiden Fällen nur möglich, da der Betrogene aufgrund der äußeren Gegebenheiten nicht in der Lage ist, sein Gegenüber visuell zu erkennen. Isaak ist durch Blindheit verhindert, Jakob durch die Dunkelheit der Nacht. Betrüger und Betrogener stehen in einem verwandtschaftlichen und persönlich nahen Verhältnis, dem zuvor durch einen Kuss Ausdruck verliehen worden ist. In beiden Erzählungen übernimmt ein Elternteil den aktiven Part im betrügerischen Vorgehen, wobei es sich in beiden Fällen um den jeweils andersgeschlechtlichen Teil der Eltern handelt. In Gen 27 ist es Rebekka, die Jakob zum Betrug drängt, in Gen 29 „nimmt“ der patriarchal agierende Laban Lea und bringt sie zu Jakob. Die Personen, die den Betrugsakt letztlich vollziehen, bleiben somit passiv. Bei beiden Geschwisterpaaren werden ihre äußerlichen Charakteristika beschrieben und sind für den Erzählfortschritt relevant. Sowohl in Gen 27 als auch in Gen 29 ist der Betrug offensichtlich, insofern im Vorfeld getroffene Absprachen gebrochen werden. Beide Betrugsakte finden im Rahmen eines Zeremoniells von initiatorischer Bedeutung (Nachfolgesegen, Heirat) statt und in beiden Erzählungen wird der Betrug, als er erkannt wird, explizit mittels einer Stellungnahme des Betrogenen thematisiert. In beiden Fällen ist eine implizite oder explizite Norm vorausgesetzt, nach der dem / der Älteren eines Geschwisterpaares der Vorzug vor dem / der Jüngeren zu geben ist. Das Ergebnis ist jedoch in Gen 29 im Vergleich zu Gen 27 gespiegelt. Laban betrügt entgegen der Absprache, aber mit

114 Blum, Komposition, 101. 115 Vgl. jüngst auch Weingärtner, Impertinenz, 148; Zakovitch, Interpretation, 113; Dicou, Edom, 129 f.; Sherwood, Examination, 105–107, der an den Differenzen zeigt, dass Gen 29,1–30 nicht als schlichtes Gegenbild zu Gen 27 fungiert, sondern gleichsam über erzählungsspezifische Differenzen verfügt. Freilich dürfen die literarischen Verbindungen auch nicht künstlich auf die Spitze getrieben werden. So versucht Hensel, Vertauschung, 157, zu zeigen, dass die Verschleierung Leas auf die Verkleidung Jakobs mit den Tierfellen in Gen 27 anspiele. Bei der „Verkleidung“ Leas handelt es sich hingegen um ein für die Szenerie notwendiges Gewand. Wenn überhaupt, ist am ehesten noch eine Parallele darin zu erkennen, dass Rebekka in Gen 27 Jakob die Feierkleider Esaus überstreift.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

der gesellschaftlichen Norm seinen Neffen, Rahel und Jakob betrügen entgegen der Absprache und der gesellschaftlichen Norm Isaak. Sowohl in Gen 29 als auch in Gen 27 ist das Ergebnis des Betruges irreversibel und betrifft die genealogische Linie des Volkes Israel.

Über die aufgezeigten Parallelen hinaus sind konkrete strukturelle und syntaktische Interdependenzen zwischen Gen 29 und den genannten Kapiteln erkennbar. Der konkreteste inhaltliche und sprachliche Querverweis liegt, wie häufig beobachtet, in Gen 29,26 vor.116 Laban wehrt sich im besagten Vers gegen Jakobs Anklage mit der Begründung, an Labans Wohnort sei es nicht Sitte, die Jüngere (‫ )הצעירה‬vor der Erstgeborenen (‫ )הבכירה‬herzugeben. Im Vergleich zu V. 16, wo die Schwestern noch mit ‫ הגדלה‬und ‫ הקטנה‬bezeichnet worden sind, soll hier wohl ganz unmissverständlich auf die Erstgeburtsstellung angespielt werden, die offenbar ein Vorrecht auf Verheiratung impliziert. Besonders einschlägig ist, dass der Begriff ‫ בכירה‬in Gen 29 in der gleichen Weise wie in Gen 25*.27* eingeführt wird. Er erinnert unmissverständlich an Gen 25,19–34; 27*, wo Jakobs Betrug um das Erstgeburtsrecht und den Segen geschildert worden ist. Ähnlich zu Gen 27 werden die beiden Brüder zunächst als ‫ הגדל‬und ‫ הקטן‬einander gegenübergestellt. Erst in Gen 27,19.32, wo der Segensanspruch des Erstgeborenen thematisiert wird, findet der Begriff ‫ בכור‬Eingang in die Erzählung.117 Die Sitte, auf die Laban rekurriert, dürfte Jakob vor dem Hintergrund seiner Vorgeschichte nur allzu gut bekannt sein. Labans Verteidigungsversuch lässt sich folglich als Anspielung auf Jakobs Vergehen in den vorausliegenden Kapiteln auffassen. Dafür spricht auch die Verwendung derselben Wurzel für den Betrug (‫רמה‬, Verrat) in Gen 29,25b und Gen 27,35.118 In Gen 29,20b liegt zudem eine offensichtlich literarische Beziehung mit Gen 27,44a vor.119 Die beiden Teilverse entsprechen sich wörtlich in der Zeitangabe ‫ימים אחדים‬. Levin zufolge stamme Gen 29,20b von einem Redaktor, der darum bemüht sei, die einigen Tage, die Rebekka für den Aufenthalt Jakobs bei Laban anberaumt, mit den sieben Jahren seines faktischen Dienstes zu harmonisieren.120 Angesichts der ansonsten derart starken literarischen Bezüge zu Gen 27 ist hier jedoch nicht zwingend mit einem Ergänzer zu rechnen. Die Liebe Jakobs, für den die sieben Dienstjahre wie im Flug vergehen, wird bereits in V. 18 the 116 Vgl. z. B. Blum, Komposition, 101 f.; Taschner, Verheißung, 90. 117 Die Differenz in der Terminologie wird beispielsweise bei Wellhausen, Composition, 36, noch quellenkritisch ausgewertet. Dabei sei zweiteres Gegensatzpaar (‫ )בכור‬jahwistisch, ersteres elohistisch. 118 Vgl. zu dieser Entsprechung Taschner, Verheißung, 91; Fokkelman, Art, 129. Matthys, Genesis 29,15–30, 96, vermutet dahinter ein etymologisches Interesse für die Bezeichnung Labans als Aramäer. 119 Vgl. Klein, Jakob, 74; Fokkelman, Art, 128; neben dem wörtlichen Rückbezug vermutet Fokkelman, Art, 128, für die Aussage Rebekkas in 27,44b, die das Bleiben (‫ )ישׁב‬Jakobs bei Laban thematisieren, eine Entsprechung in Gen 29,14b.19b. 120 Vgl. Levin, Jahwist, 226.

Jakob als betrogener Betrüger 

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matisiert, in V. 30 noch einmal aufgegriffen und in Gen 27 durch Untertreibung bzw. Fehleinschätzung Rebekkas vorbereitet. Jene ist folglich fester Bestandteil der Erzählung. Für literarkritische Anfragen gibt V. 20b keinen Anlass. Der Erzähler versucht vielmehr, die kurzweilige Dienstzeit bei Laban mit einer knappen Formulierung abzubilden. „Auf die ersten sieben Jahre, die dem verliebten Jakob wie im Fluge vergehen, verwendet auch der Erzähler nicht mehr als zwei Sätze (V. 20).“121 Exkurs: Die Vorrangstellung der älteren vor der jüngeren Tochter bei einem weiblichen Geschwisterpaar Ist Gen 29,1–30 soeben als Gegenerzählung zu Gen 25–27* herausgestellt worden, gilt es nun, diese auch unter traditionsgeschichtlichen Gesichtspunkten zu plausibilisieren. Es stellt sich die Frage, ob die ortsübliche Gepflogenheit, auf die sich Laban in Gen 29,26 beruft, und nach der es nicht Sitte sei, die jüngere Tochter vor der älteren „herzugeben“ resp. zu verheiraten, einen tatsächlichen Anhalt an gängiger alttestamentlicher Heiratspraxis hat. Konkret gesprochen: Hat eine Vorrangstellung der erstgeborenen Schwester vor der jüngeren im Heiratsfalle in Analogie zu einem Erbvorrecht des Erstgeborenen vor dem jüngeren innerhalb eines männlichen Geschwisterpaares einen traditionsgeschichtlichen bzw. rechtshistorischen Anhalt? In Jub 28,6 f. wird als einziger Beleg dieser Sitte der von Laban thematisierte Brauch als ewiges Gesetz aufgestellt.122 In traditionsgeschichtlicher Hinsicht führt der Vers allerdings nicht weiter, da er sich literarisch deutlich auf die Jakob-Laban-Erzählung bezieht. Wenngleich im AT keine konkrete gesetzliche Regelung bekannt ist, lässt sich anhand der Textpassagen, die eine Verheiratung zweier Töchter thematisieren (vgl. Gen 19,30–38; 29; Ri 15,2; 1 Sam 18,17), durchaus eine Vorrangstellung der Erstgeborenen beobachten, die ebenfalls mit dem Titel ‫ בכירה‬in Verbindung steht. In den genannten Belegstellen wird stets die ältere vor der jüngeren Tochter entweder verheiratet, oder erhält, wie im Falle von Lots Töchtern, das Vorrecht auf die Zeugung von Nachkommen. Das jeweilige Schwesternverhältnis kann sowohl mit ‫( הגדלה‬Gen 29,16; 1 Sam 18,17; Ez 23,4) und ‫( הקטנה‬Gen 29,16; Ri 15,2; 1 Sam 14,49) beschrieben werden, als auch mit ‫בכירה‬ (Gen 19,31.33 f.37; 29,26; 1 Sam 14,49) und ‫( צעירה‬Gen 19,31.34 f.38; 29,26). Die Bezeichnung ‫ בכירה‬für die Ältere wird insbesondere in genealogischen Zusammenhängen gebraucht. So im Falle von Lots Töchtern, die zu Stammmüttern der Moabiter und Ammoniter erklärt werden (Gen 19,37 f.). Während in 1 Sam 18 zunächst die ältere Tochter (‫ )הגדלה‬Sauls, David zur Frau gegeben werden soll, erhält jener am Ende eine andere Schwester (Michal). Aus der kurzen Genealogie 121 Blum, Komposition, 99. An dieser Stelle häufig in romantisierender oder moralisierender Weise vgl. z. B. Mathys, Genesis 29,15–30, 100 f. 122 Vgl. Levin, Jahwist, 225.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

Sauls in 1 Sam 14,49 ist bekannt, dass es sich bei Merab um die ‫בכירה‬, bei Michal um die ‫ הקטנה‬handelt. Dass die ältere Schwester ausgerechnet in genealogischen Zusammenhängen als ‫ בכירה‬tituliert wird, könnte darauf hinweisen, dass auch ihr eine Vorrangstellung zukam, die der Vorrangstellung des Erstgeborenen innerhalb eines männlichen Geschwisterpaares ähnelt. Die Rangfolge bei männlichen Geschwistern ist stärker mit dem Erbgedanken verbunden, der bei weiblichen Familienmitgliedern in den Hintergrund rückt, da Frauen im Regelfall nicht erbberechtigt sind. Eine Ausnahme stellt das Erbtöchtergesetz in Num 27,1–11 dar. Allerdings werden dort die Erbanteile nicht gemäß der Geburtsreihenfolge der Schwestern verteilt, sondern darin lediglich das allgemeine erbliche Vorrecht der Töchter vor entfernteren Verwandten des Vaters festgehalten. Bei Frauen scheint die Erstgeburtsstellung im Falle der Zeugung von Nachkommen relevant zu sein. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Erstgeborenenstellung der Frau immer dann betont wird, wenn es sich um „schwesterliche Polygynien“ handelt,123 bei denen sich das Konkurrenzverhältnis hinsichtlich der Familiengenealogie potenziert. Die Hochzeit erscheint folglich als ideales „weibliches“ Äquivalent zum Betrug um die Erstgeburt unter männlichen Geschwistern. Die Vertauschung der Reihenfolge bei der Verheiratung der beiden Schwestern ist insofern mit der Vertauschung der Erstgeborenenstellung bei einem männlichen Geschwisterpaar traditionsgeschichtlich analogisierbar. Die beiden Fälle scheinen von daher literarisch als Pendant aufeinander angelegt zu sein. – Ende des Exkurses – Es dürfte deutlich geworden sein, dass mit guten Gründen eine literarische Verbindung zwischen Gen 29,1–30 und Gen 25,19–34; 27,1–44 angenommen werden kann. „Demnach setzt zumindest die vorliegende sprachliche Gestaltung der Szene, wahrscheinlich aber schon die erzählerische Entfaltung der Hochzeit Jakobs mit der Unterschiebung der falschen Braut den Kontext der Jakob-EsauGeschichte voraus.“124 Die Gegenargumente, die sich maßgeblich auf die geografische Differenz zwischen Gen 25–27 und Gen 29–31, die fehlende Nennung Esaus in Gen 29–31 und die Annahme, in Wandernotizen zeichneten sich literarhistorische Scharnierstellen ab, begrenzen lassen, sind angesichts des dargestellten Befundes zu entkräften.125 Sie ließen sich allesamt ebenso gut mittels Erzählstrategie erklären. 123 Vgl. Friedl, Polygynie, 172. Dies trifft bis in die Bildsprache hinein zu. Vgl. die Bezeichnung der Schwestern Ohala und Oholiba in Ez 23,4. 124 Blum, Komposition, 102. 125 Vgl. Kratz, Komposition, 270. Noth, Überlieferungsgeschichte, 100, will darüber hinaus eine unterschiedliche Themensetzung zwischen der Jakob-Esau und der Jakob-Laban-Erzählung erkennen.

Jakobs Kinder

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5.2 Jakobs Kinder (Gen 29,31–30,24) Eine umfassende Analyse der Erzählung über den Gebärwettstreit der Frauen Jakobs ist von einer Untersuchung des 12 Stämme-Systems in der Hebräischen Bibel nahezu nicht zu trennen. Eine solche entspricht nicht dem forschungs­leitenden Interesse der vorliegenden Arbeit und kann in dem erforderlichen Umfang an dieser Stelle nicht geleistet werden.126 Die Komplexität der Thematik liegt allein schon darin begründet, dass das AT differierende Listungen der 12 Stämme kennt, die eine Streuung über unterschiedliche literarhistorische Zusammenhänge hinweg aufweisen. Umfang, Alter und Aufbau des Systems sind in der Forschung dementsprechend umstritten.127 Da im AT gleichzeitig die Vorstellung davon, was „Israel“ ist, nicht auf das Stämme-System begrenzt bleibt, ist die Jakoberzählung als Ursprungsmythos Israels nicht zwingend auf eine Liste der 12 Stämme an­gewiesen. Insofern soll die folgende Darstellung mit einem skizzenartigen Rekonstruktionsversuch auskommen. Die Einheitlichkeit von Gen 29,31–30,24 steht in der Forschung nach wie vor zur Debatte. Während es sich bei Dina, der Tochter Leas, in V. 21 anerkanntermaßen um eine sekundäre Erweiterung handelt, die mit der Fortschreibung von Gen 34 in Verbindung steht,128 wird die Einheitlichkeit des übrigen Textmaterials kontrovers diskutiert. Aufgrund des auffallenden Gottesnamenwechsels war der Text bei Befürwortern einer Quellenverteilung auf J und E beliebt.129 In neuerer Forschung ist man dazu übergegangen, entweder eine weitgehende Einheitlich­keit des Textes anzunehmen, oder von diversen Fortschreibungsmodellen auszugehen. Neben der Ergänzung einiger Stämme – etwa in einem gestuften Fortschrei-

126 Zur umfassenden Bearbeitung des Themas vgl. die Monografie von Kristin Weingart (Weingart, Stämmevolk). Vgl. darüber hinaus Tobolowksy, Sons, insbes. 85–103; und den jüngsten Beitrag von Frevel, Jacob. 127 Für ein älteres Traditionsgut hält es nach dem Vorgange anderer jüngst auch wieder Weingart, Stämmevolk, 293 ff. Für eine jüngere Konstruktion aus der Perserzeit etwa Levin, System, 122 f.; Finkelstein / Römer, Comments, 335 f. Zu einer nachexilischen Datierung des 12 Stämme-Systems in Gen 29–30 vgl. darüber hinaus Frevel, Jacob, 177; Hensel, Edom, 99. Für Hensel hängt die Südreichperspektive der Stämmekonzeption an der literarischen Vereinung von der Jakob- mit der Abrahamerzählung. 128 Vgl. Blum, Komposition, 110, mit den diesbezüglich zentralen Argumenten. Vgl. darüber hinaus Weingart, Stämmevolk, 241 f.; Schorn, Ruben, 70; Kratz, Komposition, 271. Neben formalen Gründen spricht für eine Nachtragung Dinas, dass ihre Geburt in Gen 32,23 offensichtlich nicht vorausgesetzt wird und es sich bei Gen 34 erwiesenermaßen um einen sekundären – wohl nachpriesterlichen – Text handelt, der Gen 17 voraussetzen könnte. Vgl. etwa Schmid, Political Theologies, 20. 129 Vgl. zur Auseinandersetzung und Widerlegung Blum, Komposition, 108–110; Schorn, Ruben, 65 f.; Weingart, Stämmevolk, 237 f.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

bungsmodell130 – werden Erweiterungen im Zusammenhang mit den Namens­ ätiologien,131 aber auch Fortschreibungen im Falle der erzählenden Passagen diskutiert.132 Nicht zuletzt ist die redaktionsgeschichtliche Beurteilung der Geburtenerzählung in Gänze nicht hinreichend geklärt. Während der Grundbestand der Passage aufgrund der ihr eigenen erzählerischen Besonderheiten in den meisten diachronen Arbeiten gerne als Fortschreibung bzw. als kompositionelles Scharnier bewertet wird,133 ist sie von synchronen Auslegern mitunter als das erzählerische Zentrum der gesamten Jakoberzählung herausgestellt worden.134 Ungeachtet der skizzierten Problemstellungen, erweist sich die Passage als kontextabhängig. Eine überlieferungsgeschichtlich eigenständige Einheit ist insofern zu verneinen.135 Verortet man die Erzählung über Jakobs Hochzeiten aus Gen 29,16–30 auf der Ebene des Grundbestandes der Jakoberzählung, wie oben geschehen, ist ein Bericht über Jakobs Nachkommen zu erwarten, wenn nicht gar unentbehrlich. Die jeweiligen Notizen über den sexuellen Verkehr Jakobs mit seinen Frauen (Vv. 23.30) zielen, vor dem Hintergrund alttestamentlichen Eheverständnisses, bereits auf die Geburt von Kindern ab. Dass diese Geburten nicht eigens erwähnt, sondern nur implizit vorausgesetzt werden, ist vor dem Hintergrund der Stellung Jakobs als Volkseponym wenig plausibel. In dieser Funktion sind Nachkommen vielmehr unentbehrlich.136 Darüber hinaus hat Johannes Taschner darauf hingewiesen, dass die Hochzeitserzählung bereits auf einen Konflikt der Schwestern abziele, der gleichzeitig auch ein Pendant zum Konflikt der Brüder Jakob und Esau darstellt.137 Da Gen 29,31 stringent den Vorkontext aufgreift, indem die Zuwendung JHWHs zu Lea mit ihrer Herabstufung durch Jakob begründet wird, lässt sich kein plausibles Argument anführen, das Gen 29,31–30,24 dem Grundbestand absprechen könnte. Insofern erscheint eine Fortführung des Textes plausibler, denn die Annahme einer weggefallenen Geburtsnotiz, deren ursprüngliche Ge 130 So z. B. Levin, Jahwist, 221–231; de Pury, Cycle, 207, ohne genaue literarkritische Rekonstruktion, allerdings mit der Annahme von Vorformen, die an den jeweiligen genealogischen Stand angepasst worden seien. 131 Vgl. hierzu Schorn, Ruben, 71 f., die die Doppelätiologien bei Sebulon, Josef und Issachar zum Anlass für die Annahme einer JHWH-Bearbeitung nimmt, die den Grundbestand „überkront“ habe. 132 Vgl. Schorn, Ruben, 79; Kratz, Komposition, 270 Anm. 52.271; und die kritische Auseinandersetzung mit Kratz und Levin bei Weingart, Stämmevolk, 237–241. 133 So etwa Carr, Fractures, 263; Van Seters, Prologue, 278; Kessler, Querverweise, 114; Blum, Komposition, 170; Hensel, Edom, 99; Neumann, Jacob, 39 f. Blum weist die Gestaltung des Abschnittes seiner K-Schicht zu, da die Sortierung der Frauen in Gen 32,33; 33,1 (ebenfalls KSchicht) hier vorausgesetzt werde. Gleiches gelte für die Verankerung der Mägde in Gen 29,24.29. 134 Vgl. Fishbane, Text, 42.56; Taschner, Verheißung, 104. 135 Dies gilt auch für einzelne Bestandteile. So erwägt Seebass, Vätergeschichte II/2, 344, kaum begründbar, für die Dudaimepisode einen (wohl überlieferungsgeschichtlichen) „Rest, dem der Zusammenhang jetzt fehlt“. 136 Vgl. zu diesem Einwand de Pury, Cycle, 237. 137 Vgl. Taschner, Verheißung, 104.

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stalt nur hypothetisch erschlossen werden könnte.138 Der lückenlose Anschluss des Folgekontextes an den vorliegenden Abschnitt mit dem Verweis auf die Geburt Josefs (Gen 30,25) unterstützt diese Annahme. Wie zahlreich Jakobs Söhne in Gen 29,31–30,24 im Grundbestand gewesen sind, ist an dieser Stelle nicht detailgenau zu bestimmen, sondern ein entstehungsgeschichtlich plausibles Szenario nur in Grundzügen zu entwerfen. Zunächst bauen die ersten vier Geburten der Söhne Leas stringent aufeinander auf,139 wobei sich Levi geringfügig abhebt, da nur im Zusammenhang mit seiner Geburtsnotiz eine Nummerierung erwähnt wird und seine Namensätiologie ohne eine JHWH-Begründung erfolgt. Darüber hinaus wird die Namensbegründung wie in V. 35 mittels ‫( הפעם‬diesmal) eingeleitet, was auf eine redaktionelle Nachbildung hinweisen könnte. Allerdings wird Levi in der Zählung der Lea-Söhne von Gen 30,19 vorausgesetzt. So sind vergleichsweise sicher mindestens Ruben, Simeon und Juda, wahrscheinlich aber auch Levi, dem Grundbestand zuzuordnen. Ebenso fest ist die Geburt Josefs verankert, da aufgrund der Unfruchtbarkeit Rahels ein Spannungsbogen entworfen wird, der auf die Geburt Josefs zielt. Die literarkritische Auffälligkeit der doppelten Namensbegründung Josefs lässt sich indes kaum wegdiskutieren.140 So erscheint der implizierte Vorausverweis auf Benjamin in V. 24b nicht nur vor dem Hintergrund einer fehlenden Geburtsschilderung Benjamins als sekundärer Zusatz schlüssig, sondern auch aufgrund seines unmittelbaren syntaktischen Zusammenhangs.141 Die Antithese zwischen den beiden Namensätiologien „wegnehmen“ und „hinzufügen“ ist als Kunstgriff eines Redaktors plausibel und kein zwingendes Argument für Einheitlichkeit.142 Gegen eine Einheitlichkeit spricht vielmehr die unterschiedliche Verwendung der 138 Gegen etwa Finkelstein / Römer, Comments, 335 f.; Blum, Komposition, 170 Anm. 11, mit Rekurs auf Kessler, Querverweise, 115, und Otto, Sichem, 66. 139 Vgl. Schorn, Ruben, 68. 140 Vgl. Kratz, Komposition, 270 Anm. 52; Schorn, Ruben, 71, wenngleich gegen ihre redaktionsgeschichtliche Verortung des Teilverses. Gegen Blum, Komposition, 110 f., der annimmt, die Notiz fungiere im Grundbestand als Platzhalter für eine Geburt Benjamins, die an dieser Stelle noch nicht geschildert werden konnte, da Benjamin mit einer bestehenden Tradition des Rahelgrabes derart fest verbunden gewesen sei, dass seine Geburt erzählerisch nicht im Ausland verortet worden sein könne. Blums Auffassung kann allerdings daher nicht wirklich überzeugen, da er Gen 29,31–30,24 von Gen 35,16 ff. literarisch trennen will und für die „lebendige Tradition“ vom Rahelgrab nur noch 1 Sam 10,2 als Beleg anführen kann. Darüber hinaus scheint nicht wirklich plausibel, dass der sehr subtile Hinweis auf Benjamins Geburt ausreicht, um das System der 12 Stämme im Grundbestand zu wahren. 141 Die doppelte wörtliche Rede in V. 23 einerseits und V. 24b andererseits ist literarkritisch auffällig. Für den Erzählerkommentar in V. 24a liegt nahe, dass er ursprünglich die Funktion hatte, die Namensätiologie Josefs entweder zu beschließen oder zu eröffnen. Für erstere Option spricht, dass eine den Abschnitt beschließende Ätiologie wesentlich fester mit dem Plot des Abschnittes verwoben ist. 142 So Jacob, Genesis, 600, auf den sich Blum, Komposition,109, und Bocker, Isaak, 76, in dieser Argumentation berufen.

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Gottesbezeichnung innerhalb einer Namensätiologie. Für einen sekundären Zusatz ist zuletzt anzuführen, dass die Schilderung der Geburt Benjamins außerhalb des Textbereiches der ursprünglich selbständigen Jakoberzählung liegt.143 Ebenso handelt es sich bei der Listung der Mägde-Kinder aller Wahrscheinlichkeit nach um sekundäre Erweiterungen. In Gen 29,24.29 erwiesen sich die Einführungen von Silpa und Bilha als redaktionelle Erweiterungen. Auch im Folgekontext von Gen 29,31–30,24 werden die Mägde nur punktuell durch Notizen erwähnt, die als sekundär zu bestimmen sind. Dies ist für Gen 32,23 ebenso der Fall, wie für die Einbindung der Jakob-Frauen in Gen 33,1–7. Hinzu treten diejenigen Passagen, in denen die Mägde aus nicht ersichtlichen Gründen verschwiegen werden. So sind sie in der gesamten Erzählung über den Erwerbshandel zwischen Jakob und Laban (Gen 30,25–43) nicht erwähnt, obwohl Jakobs Frauen und Kinder Hauptgegenstand desselben sind (Gen 30,26; 31,17.43). Innerhalb von Gen 29,31–30,24 konzentrieren sich die Geburten der Mägdesöhne auf den Mittelteil der Erzählung, der von narrativen Passagen gerahmt wird. Eine Erweiterung en bloc ist insofern denkbar. Darüber hinaus ließe sich auch eine gestufte Fortschreibung um die Bilha-Söhne einerseits und die Silpa-Söhne andererseits in Erwägung ziehen, da sich die Schilderung der Geburt der SilpaSöhne als eine Kurzform der Geburtsschilderungen der Bilha-Söhne erweist, und Silpa im gesamten AT auch ansonsten nie eigenständig auftritt.144 Die Geburten Silpas unterbrechen deutlich das gängige Schema, insofern eine Notiz über ihre Schwangerschaft ausgespart wird und die Aufzählung der Geburten auf kurze Notizen begrenzt sind. Die mit Silpas Söhnen verbundenen Namensätiologien wirken redundant (Vv. 12. 13) und sind zudem sehr viel weniger stringent mit dem erzählerischen Plot verbunden. Keiner der Lea-Söhne wird mit einem Gottes­wirken in Verbindung gebracht. Zuletzt lässt sich der Anschluss an die Namensbegründung von Issachar aus V. 18aβ (dafür, dass ich meinem Mann meine Magd gegeben habe) leicht als sekundärer Zusatz erkennen. Insofern könnte mit den Silpa-Söhnen, möglicherweise aber auch schon mit den Bilha-Söhnen, eine Erweiterung des Grundbestandes vorliegen. Zumindest thematisch sind in diesem Bereich auffallende Parallelzüge zur Sara-Hagar-Erzählung zu erkennen. Grundsätzlich ist die Erwähnung der Mägde in Gen 30 allerdings nicht von ihrer Einführung in Gen 29,24.29 abhängig. Im Zusammenhang von Gen 30 wird vielfach darauf hingewiesen, dass es sich bei Bilha und Silpa um Mägde handelt und wem die beiden jeweils zuzuordnen sind. Noch schwieriger fällt es, die erzählenden Passagen von Gen 30,1 f. und Gen 30,14–16 angemessen zu beurteilen. Formal heben sich die Verse im Erzähl-

143 Siehe zum Erzählschluss der ursprünglichen Jakoberzählung Kap. 6.3.5, 299. 144 So ließe sich die Beobachtung von Schorn, Ruben, 69, dass die Kinder der Silpa weniger Bedeutung hätten als die der Bilha, durch ein Fortschreibungsmodell erklären.

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stil von ihrem Umfeld ab.145 Obwohl Rahels Kenntnisnahme ihrer Unfruchtbarkeit aus Gen 30,1 f. zu spät kommen mag, ist erzählerisch plausibel, dass Rahel erst reagiert, nachdem Lea eine Reihe Söhne geboren hat. Der kurze Zwist zwischen Rahel und Jakob läuft auf die Feststellung zu, dass Gott Rahels Mutterleib verschlossen hat, womit die Geburt Josefs am Ende der Erzählung als expliziter Eingriff Gottes stilisiert wird und insofern zusätzlich an Gewicht erhält. Die Auseinandersetzung zwischen dem Ehepaar entspricht insofern der Erzählintention. Zuletzt steht der vergleichsweise ausführliche narrative Teil der Dudaim­ episode in Vv. 14–16 zur Diskussion. Während Blum jenen Abschnitt als integralen Bestandteil der Gesamterzählung erachtet, dem gliedernde Funktion zukomme,146 lassen sich dennoch Inkohärenzen erkennen, die auf eine Fortschreibung hinweisen. Zunächst wird überraschend ein anderes erzählerisches Setting vorausgesetzt, als es in den Erzählungen um Jakob und Laban ansonsten vorliegt. Jakob wird nicht als Viehhirt, sondern als Ackerbauer vorgestellt, dessen ältester Sohn, der zudem das Kindesalter noch nicht hinter sich gelassen haben dürfte, von der Weizenernte zurückkehrt. Der Einsatz der Liebesäpfel bleibt ohne Folgen, da Rahels Schwangerschaft nicht aus deren Verzehr resultiert, sondern mit der Erhörung ihrer Bitte durch Gott begründet wird (V. 22). Ein intendierter Gegensatz zwischen dem Einsatz der Liebesäpfel und Gottes Wirken ist zwar möglich, für den Grundbestand allerdings nicht zwingend, da hierfür das kontrastive Element m. E. zu wenig im Mittelpunkt steht. Zuletzt lassen sich in Vv. 14–16 auffallende inhaltliche und sprachliche Parallelen zur Linsengerichtsepisode aus Gen 25,29–34 und der mit ihr in Zusammenhang stehenden Notiz aus Gen 27,36a feststellen,147 die kaum durch Zufälle zu erklären sind. Zunächst findet in beiden Erzählungen nach der Rückkehr eines Protagonisten vom Feld ein Handel statt, der die Erbfolgelinie betrifft. Gen 30,15 weist darüber hinaus deutliche Analogien zu Gen 27,36a auf. Esau beschwert sich in Gen 27,36a über die zweifache 145 Blum, Komposition, 106, hat im Anschluss an Eising, Untersuchung, 186 f., versucht, diese Besonderheit durch die Gliederungsfunktion der narrativen Passagen zu erklären und daraus ihre Zuweisung zum Grundbestand abzuleiten. Vgl. ebenso jüngst Weingart, Stämmevolk, 237. Dagegen hat Schorn, Ruben, 70, überzeugend vorgeschlagen, dass die Einführung der Geburt Dinas an ihrer jetzigen Stelle im Text durch die mangelnde Stringenz im Schlussteil der Erzählung bedingt ist, was sich mit den oben dargestellten Beobachtungen deckt. Dies spräche für eine sekundäre Erweiterung – zumindest um die Episode der Dudaim. Zwar mag stimmen, dass mit Weingart, Stämmevolk, 244, mittels des Handels um die Liebesäpfel die Spannung erzählerisch ausgestaltet wird, die auf die Frage zielt, ob Rahel noch Kinder gebären wird. Allerdings ist diesem Spannungsmoment bereits durch die häufigen Geburten Leas ausreichend Rechnung getragen. 146 Vgl. Blum, Komposition, 106, und im Anschluss daran Weingart, Stämmevolk, 237. 147 Vgl. Hensel, Vertauschung, 158; Klein, Jakob, 84–87; Taschner, Verheißung, 92 ff.; Fokkelman, Art, 140. Vgl. zuletzt und ausführlich Weingärtner, Impertinenz, 158–174, die Gen ­30,14–18 als intendierte Vergleichserzählung zu Gen 25,29–34 anführt. Die LiebesäpfelEpisode sei von der Linsengerichtserzählung abhängig (vgl. a. a. O., 316).

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Übervorteilung Jakobs, die in der Beschwerde Leas über Rahels doppelte Bevorzugung ihre Entsprechung findet. Analog zur Linsengerichtsepisode, in der Esau sein Erstgeburtsrecht an Jakob für ein Linsengericht erkauft, erkauft sich Lea den Beischlaf mit Jakob für die Dudaim ihres Sohnes von Rahel. Dabei nimmt die Vokabel, die vornehmlich für den Erwerb (‫שׂכר‬, Gen 30,16) gebraucht wird, ein zentrales Leitverb des Folgekontextes vorweg. Inhaltlich spannungsreich ist, dass Lea im Zuge ihres Kaufs in einer Weise vorgeht, wie sie es an späterer Stelle ihrem Vater zum Vorwurf macht (Gen 31,15). Insofern muss dem Leser Leas Kauf ähnlich illegitim erscheinen. Obwohl keine direkten Verweise zwischen der Linsengerichtserzählung und dem Handel der Frauen aus Gen 30,14–16 festzustellen sind, dürfte doch kein Zweifel daran bestehen, dass das Schwesternverhältnis das in Gen 25,29–34 dargestellte Brüderverhältnis und dessen Wertung nachklingen lässt. Die Beobachtungen zusammengenommen ließe sich für den Grundbestand vorsichtig ein Umfang von Gen 29,31–30,2.17.18*.19–20.22–24a vermuten,148 der zunächst um die Bilha- (Gen 30,3–8) und – anhand dieses Vorbildes – sodann um die Silpa-Söhne (Gen 30,9–13) erweitert worden ist. Im Anschluss wurde durch die Einfügung der Liebesäpfel-Erzählung dem im Grundbestand betonten Gotteswirken ein nicht erfolgreicher, menschlicher Versuch gegenübergestellt, die Geburtenfolge zu beeinflussen. Die Erzählung setzt eine Kenntnis der Linsengerichtsepisode aus Gen 25,29–34 voraus und wirft in dieser Analogie ein zweifelhaftes Licht auf Lea. Die davon unterschiedene Vorbereitung auf die Geburt Benjamins wie auch die Geburt Dinas stellen zusätzliche Erweiterungen dar, die spätere Texte der Jakoberzählung an dieser Stelle vorbereiten. Wie im Kontext der Exposition der Jakoberzählung in Gen 25,19–28 wird Gottes Eingreifen nur dann eingesetzt, wenn die Zeugung von Nachkommen thematisiert ist. Eine Besonderheit von Gen 29,31–30,24 liegt darin, dass Gott hier nicht Jakob bevorzugt, sondern für die benachteiligte Frau Partei ergreift. So ist die erstmalige Initiative Gottes im Grundbestand der Jakoberzählung mit einem korrigierenden Eingriff unter dem Vorzeichen der Gerechtigkeit verbunden. Die obige Rekonstruktion zeigt, dass sich innerhalb der vermuteten Wachstumsstadien des Textes keine Differenzierung zwischen einer Nord- und Südreichsperspektive erkennen lässt. Konkret gesprochen, kann keine ursprüngliche Sammlung von Nordreichstämmen literarkritisch kontrolliert festgestellt werden, auf die eine Erweiterung um die Südreichstämme aufzubauen wäre.149 Vielmehr tritt hier eine Nordreichsperspektive bereits im Grundbestand neben Stämmen auf, die dem Südreich zugeordnet werden.150 Dass es sich hier dennoch nicht in 148 Taschner, Verheißung, 104, spricht sich gegen ein gestuftes Fortschreibungsmodell aus, da keine vergleichbaren Stammeslisten des ATs weniger als 9 Stämme umfassten. 149 Vgl. zu dieser Problematik Frevel, Jacob, 164 f. 150 Die Zuordnung Rubens bleibt problematisch. Vgl. Weingart, Stämmevolk, 368.370.

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Gänze um eine Konstruktion aus dem Südreich handelt,151 ist daran erkennbar, dass Ruben und Josef die zentralen Positionen besetzen, nämlich die des Erstgeborenen und die des durch göttliches Eingreifen vermittelten Letztgeborenen. Insofern scheint Juda bereits im Grundbestand der Jakoberzählung mit in der Genealogie Jakobs eingedacht, an Bedeutung jedoch dem letztgeborenen Josef untergeordnet. Juda wird so in den Ursprungsmythos integriert, erhält aber weder in positiver noch in negativer Weise besondere Aufmerksamkeit.

5.3 Die trickreiche Mehrung von Jakobs Besitz – Analyse von Gen 30,25–43 5.3.1 Kommentierte Übersetzung152 Und es geschah, als Rahel den Josef geboren hatte, da sprach Jakob zu Laban: „Entlasse mich und ich will an meinen Ort und in mein Land gehen. 26Gib meine Frauen und meine Kinder (heraus), um die ich dir gedient habe, und ich will gehen, denn du kennst meinen Dienst, den ich dir geleistet habe.“ 27Und es sprach zu ihm Laban: „Wenn ich (doch) nur Gnade in deinen Augen gefunden habe! Ich habe durch Wahrsagerei erfahren,153 dass mich der Herr um deinetwillen154 gesegnet hat.“ 28Und er sprach155: „Benenne mir deinen Lohn und ich will (ihn) dir geben.“ 29Und er sprach zu ihm: „Du weißt wie ich dir gedient habe und was (aus) deine(m) Vieh bei mir geworden ist. 30Denn wenig war es, was dir gehörte, bevor ich kam,156 und es hat sich zu einer Menge ausgebreitet, und JHWH segnete dich nach meinem Tritt. Und nun, wann soll auch ich (einmal) für mein Haus schaffen?“ 31Und er sprach: „Was soll ich dir geben?“ Und Jakob sprach: „Überhaupt nichts sollst du 25

151 So etwa Frevel, Jacob, 166; Tobolowsky, Sons, 129. 152 Legende zu den in der Übersetzung angezeigten Bearbeitungsschichten: recte = Grundbestand der Jakoberzählung; fettgedruckt = Ergänzung um den rechtmäßigen Erwerb von Jakobs Frauen; Kapitälchen = Begründung von Labans und Jakobs Reichtum mit JHWHs Wirken; unterstrichen = korrigierende Ergänzung um die Mehrung der schwarzen Schafe. 153 Vgl. zu dieser Übersetzung von ‫ נחשׁ‬Gesenius, Wörterbuch, 806; ähnlich Westermann, Genesis I/2, 583: „durch Omen erkundet“. In abgeschwächter Form Buber / Rosenzweig, Schrift: „ich habs erahnt“; Jacob, Genesis, 601: „ich habe es erdeutet“. Dagegen Boecker, Isaak, 77, „ich bin reich geworden“. Dort hergeleitet von akk. nahašu = „reich werden“. 154 G bezeugt τῇ σῇ εἰσόδῳ (wörtlich: bei deinem Eintreten) anstatt ‫בגללך‬. Nach Tal, Genesis, 152*, könnte es sich um eine andere Vorlage handeln. ‫ בגללך‬ist ausschließlich noch in Gen 12,13; Dtn 1,37; Mi 3,12 bezeugt. Die Analogien zur Abrahamerzählung könnten darauf hinweisen, dass es sich bei MT dennoch um die ursprüngliche Lesart handelt. 155 Bei dem Verzicht von G und V auf die Redeeinleitung handelt es sich um eine Vereinfachung. Die Redeeinleitung wird von Smr, S und TOJN bezeugt und spricht für lectio difficilior probabilior. 156 Wörtl. „vor mir“.

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mir geben. Wenn du nur diese Sache für mich tust, will ich wieder dein Kleinvieh weiden,157 hüten158: 32Ich will heute an all deinem Kleinvieh vorübergehen. Nimm weg159 von dort jedes sprenklige und gefleckte Schaf, und jedes Schaf160, (das) schwarz161 (ist) unter den Lämmern und geflecktes und sprenkliges unter den Ziegen, und mein Lohn wird sich zeigen. 33Und meine Gerechtigkeit soll an einem künftigen Tag für mich sprechen, wenn du wegen meines Lohns kommst (, den ich) vor dir (erworben habe).162 Alles, was nicht sprenklig ist und gefleckt unter den Ziegen und schwarz unter den Lämmern, das gelte als gestohlen bei mir!“ 34 Und Laban sprach: „Siehe, es sei so, wie du gesagt hast!“ 35 Und er nahm an jenem Tag die gestreiften und die gefleckten Ziegenböcke und alle gesprenkelten und gefleckten Ziegen weg, alles, woran Weißes war und alles Schwarze unter den Lämmern und er gab (sie) in die Hand seiner Söhne. 36 Und er legte einen Weg von drei Tagen zwischen sich163 und Jakob164, und Jakob weidete das übrige Kleinvieh Labans. 37Und Jakob nahm165 sich frische Stäbe von

157 Die Bestimmung von Protasis und Apodosis ist im vorliegenden Konditionalsatz unklar. Die obige Übersetzung schließt sich der Mehrheit der Ausleger an, während Seebass, Vätergeschichte II/2, 350, dafür plädiert, den Dienst als eigentlichen Verhandlungsgegenstand anzusetzen: „Du sollst mir nichts geben, wenn du mir diese Sache abmachst: Ich werde wieder dein Kleinvieh hüten, ich werde wachen. Heute gehe ich durch all dein Kleinvieh …“. 158 BHS emendiert durch Löschung. Obwohl ‫ אשׁמר‬Probleme verursacht, ist das Lexem bei allen Textzeugen belegt und daher für ursprünglich zu halten. Vgl. Tal, Genesis, 152*. Vgl. auch Ruppert, Genesis III, 265. 159 Häufig in den Übersetzungen als Inf. Hif. von ‫ סור‬verstanden. Vgl. Boecker, Isaak, 77. Plausibler ist allerdings an dieser Stelle der Imp., der dieselbe Form hat. Vgl. Buber / Rosenzweig, Schrift; Ruppert, Genesis III, 264. Das Problem ist bereits bei den Textzeugen virulent. (S) und T verstehen Jakob als Subjekt beider Verben. G und V fassen beide Verben als Imperative auf. Vgl. Tal, Genesis, 152*f. 160 G lässt aufgrund eines Homoioteleuton folgenden Satzteil aus: ‫וכל־שׂה נקד וטלוא‬. 161 Die mit ‫ חום‬bezeichnete Farbgebung ist nicht genau zu bestimmen, da es sich um ein Hapaxlegomenon handelt. Obwohl sich die Bezeichnung von ‫חמם‬ (brünstig werden) ableiten ließe, liegt aufgrund der Gegenüberstellung zur Farbe „weiß“ ein Farbadjektiv nahe. Vgl. Gesenius, Wörterbuch, 330. 162 ‫ תבוא‬ist im MT schwer verständlich. Die Textzeugen belegen unterschiedliche Bezugsgrößen des Verbs. S und TON lesen 3. Pers. sg. f. mit Bezug auf „meine Gerechtigkeit“. Im Anschluss daran Jacob, Genesis, 603. Smr liest die 3. sg. m. mit dem Subjekt „mein Lohn“, ignoriert dabei allerdings die Präposition; V bezieht das Verb auf „späteren Tag“. Vgl. Tal, Genesis, 153*. Der MT ist dennoch plausibel. „Vor dir“ meint „den ich vor / bei dir erworben habe“. 163 G und Smr bezeugen den Plural, da sie das Pronomen auf die Herden aus dem vorherigen Vers beziehen. Vgl. Tal, Genesis, 153*. Es handelt sich mithin um eine freie Übersetzung und nicht um die ursprüngliche Lesart. 164 S nimmt hier eine Änderung vor und bezeugt Jakob als das Subjekt des Verses. Eine intendierte Angleichung an V. 35 liegt nahe. 165 Smr schaltet vor die Erzählung mit den Stäben den Traumbericht aus Gen 31,11–13 in geringer Abweichung von MT. Die nachträgliche Änderung versucht Jakobs Handeln mit einer theologischen Begründung zu versehen.

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Silberpappel166, Mandelbaum167 und Platane168 und er schälte von ihnen weiße Streifen ab, indem er das Weiße, das auf den Stäben war, bloßlegte169. 38Und er stellte die Stäbe, die er geschält hatte, in die Tränkrinnen, in die Wassertränken170, wohin das Kleinvieh kam, um zu trinken, vor das Kleinvieh. Und sie waren brünstig, wenn sie kamen, um zu trinken. 39Und das Kleinvieh begattete sich vor den Stäben und das Kleinvieh warf gestreifte, gefleckte und gesprenkelte. 40Und die Lämmer sonderte Jakob aus und er richtete den Blick des Kleinviehs zu den Gestreiften und allem Schwarzen unter dem Kleinvieh Labans. Und er stellte Herden für sich allein auf und stellte sie nicht bei dem Kleinvieh Labans auf. 41Und es geschah immer171, wenn das kräftige Kleinvieh brünstig war, dann legte Jakob die Stäbe vor die Augen des Kleinviehs in die Tränkrinnen, damit sie sich bei den Stäben begatteten. 42Und, wenn das Kleinvieh schwach war, legte er sie nicht hin. Und so fielen die Schwächlichen an Laban und die Kräftigen an Jakob. 43Und der Mann breitete sich172 sehr173 aus und es wurden ihm viel Kleinvieh und Mägde und Knechte und Kamele und Esel zuteil.

5.3.2 Textabgrenzung Die narrative Einleitung durch ‫ ויהי‬zeigt in Gen 30,25 den Beginn eines neuen Erzählabschnittes an. Die Vv. 23 f. aus dem vorherigen Abschnitt werden in V. 25 wieder aufgenommen, um Gen 30,25–43 ereignisgeschichtlich der Geburt Josefs anzuschließen ‫))ויהי כאשׁר ילדה רחל את־יוסף‬. V. 25 schafft so eine zeitliche Zäsur, die nach der Geburt von Jakobs jüngstem Sohn das Ende der Dienstzeit Jakobs markiert. Mit V. 25 setzt ein deutlicher Wechsel der Handlungsakteure ein. Domi-

166 Bei vielen Auslegern wird der Begriff ‫ לבנה‬im Anschluss an G als „Storaxbaum“ übersetzt. Vgl. zur Kritik an der Praktikabilität Ruppert, Genesis III, 265. Mit Ruppert wird stattdessen im Anschluss an Hos 4,13, hier die Übersetzung mit „Silberpappel“ bevorzugt. 167 ‫ לוז‬im Sinne von „Mandelbaum“ nur an dieser Stelle. Ansonsten nur noch bezeugt als alternativer Städtename Bet-Els. 168 Außerdem nur noch in Ez 31,8 belegt. 169 ‫ מחשׂף הלבן‬erscheint nach Tal, Genesis, 153*, wie eine Apposition zu ‫פצלות לבנות‬. Ähnlich wie Westermann, Genesis I/2, 483, und Gunkel, Genesis, 337, Seebass, Vätergeschichte II/2, 352, vermutet Tal hier eine Glosse. G gibt die Wendung sinngemäß wieder: „entfernte das Grüne“. 170 Smr fasst die Wassertränken als Tautologie auf und ändert daher in den Hif. Inf. ab (beim Tränken). G verbindet die beiden in einer Genitivkonstruktion „die Tränkrinnen der Wassertränken“. Vgl. Tal, Genesis, 154*. 171 G, S und T spezifizieren hier zur Zeitangabe hin. Jene ist allerdings nicht zwingend und verdankt sich bei den Textzeugen einer Vereinfachung von MT. Gegen Ruppert, Genesis III, 266. 172 Vgl. den Verweis bei Westermann, Genesis I/2, 584, auf den Gebrauch des Wortes in Gen 28,14. 173 Nach Westermann, Genesis I/2, 584, findet sich die Formulierung ‫ מאד מאד‬im AT ansonsten nur bei P.

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nierten Jakobs Frauen den vorhergehenden Abschnitt noch deutlich, rücken nun die Patriarchen Jakob und Laban als Hauptprotagonisten in den Mittelpunkt. Die listenartige Reihung der Geburten ist mit V. 24 beendet, wenngleich die zweite Erläuterung des Namens Josefs (Gen 30,24) auf die Geburt eines weiteren Sohnes vorausweist. Die Textabgrenzung nach hinten lässt sich über die summarische Abschlussnotiz in Gen 30,43 gewinnen, die Gen 30,25–42 formelhaft zusammenfasst. Der Verweis auf die Vermehrung von Jakobs Besitz schafft zudem eine erneute zeitliche Zäsur. V. 43 übersteigt das Handlungsgeschehen, insofern ein dort postulierter Gewinn von Knechten, Mägden, Kamelen und Eseln sachlich nicht an die Ereignisse aus Gen 30,25–42 rückgebunden ist. Aufgrund des Rekurses auf Jakob als „der Mann“ vermittelt V. 43 den Anschein einer entkontextualisierten Notiz. Gen 31,1 erhärtet diesen Eindruck, da der Vers den Zusammenhang von Gen 30,25–42 ohne erneute Renominalisierung fortsetzt.174

5.3.3 Aufbau und Gliederung Gen 30,25–43 lässt sich in zwei Großabschnitte untergliedern.175 Der erste Abschnitt (Vv. 25–34) beinhaltet einen Dialog zwischen Jakob und Laban über Jakobs Lohn und ist dementsprechend durch die Redeeinleitung ‫ ויאמר‬geprägt. Mit ‫ויסר‬ wird in V. 35 hingegen eine Kette von Impf. cons. begonnen, die weitestgehend stringent bis V. 43 reicht und die Umsetzung des Verhandlungsergebnisses beschreibt. Beide Gliederungsabschnitte sind nicht nur inhaltlich aufeinander bezogen, sondern auch kohäsiv aneinander angeschlossen, insofern V. 35 ohne erneute Subjektnennung den vorausliegenden Abschnitt fortführt. Aufgrund der Leitwortverkettungen lässt sich im ersten Teilabschnitt eine zweigliedrige Struktur feststellen. In Vv. 26–31a stellen ‫ עבד‬und ‫ נתן‬zentrale Leitverben dar. Die Spannung zwischen Leistung (‫ )עבד‬und Forderung (‫)נתן‬, die den zweiten Teilabschnitt (Vv. 31b–34) inhaltlich bestimmt, wird insofern auf der Leitwortebene bereits vorbereitet.176 Der erste Teilabschnitt ist kunstvoll aufgebaut:

174 Vgl. Willi-Plein, Genesis, 201. 175 Vgl. zur Grobgliederung Westermann, Genesis I/2, 585; von Rad, Genesis, 241; Taschner, Verheißung, 98; Wahl, Jakobserzählungen, 224; Klein, Jakob, 91. Fokkelman, Art, 141, unternimmt eine eigentümliche Gliederung in Vv. 25–36 und 37–43. Während die Trennung der Interaktion zwischen Laban und Jakob von dem alleinigen Handeln Jakobs sinnvoll erscheint, ist die Trennung in „words“ und „actions“ nicht klar nachzuvollziehen. Anders auch Boecker, Isaak, 77–79, der einen Gliederungseinschnitt nach V. 36 zieht. 176 Vgl. zur Feingliederung von Rad, Genesis, 241; Westermann, Genesis I/2, 585; Seebass, Vätergeschichte II/2, 348. Etwas anders als hier vorgeschlagen Ruppert, Genesis III, 266.

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Gesuch Jakobs zum Wegzug

Exposition

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Forderung Jakobs zur Herausgabe der Frauen (‫)נתן‬ Erinnerung Jakobs an seinen Dienst (‫)עבד‬

A B

27

Labans Verweis auf JHWHs Beistand um Jakobs Willen (‫)ברך‬

C

28

Labans Aufforderung zur Lohnangabe (‫)שׂכר‬ und Selbstverpflichtung Labans (‫)ואתנה‬

D

29

Erinnerung Jakobs an seinen Dienst (‫)עבד‬

B’

30

Jakobs Verweis auf JHWHs Beistand um Jakobs Willen (‫)ברך‬

C’

31a

Labans Erkundigung nach Jakobs Forderung (‫)אתן‬

A’

Die Vv. 26.31a bilden aufgrund des Leitverbs ‫ נתן‬einen spannungsvollen äußeren Rahmen (A; A’) um den ersten Teilabschnitt. Die Rahmung ist gleichzeitig mit dem Abschnittszentrum (D) verbunden. Im ersten Teil der Rahmung (A) fordert Jakob von Laban, seine Frauen und Kinder herauszugeben (‫)נתן‬. An der erneuten Erkundigung Labans in V. 31a (‫ )מה אתן‬lässt sich erkennen, dass in den dazwischenliegenden Versen Verschiebungen bezüglich des Verhandlungsgegenstandes stattgefunden haben. Die Vv. 26 und 31a stehen sich dementsprechend unversöhnlich gegenüber. Formales und inhaltliches Zentrum dieser Verschiebungen bildet der Abschnitt D, der singulär im vorliegenden Teilabschnitt den Terminus „Lohn“ erhält. An diesen Wendepunkt schmiegt sich der doppelte Hinweis Jakobs auf seinen Dienst an, der einen inneren Rahmen bildet (B; B’). V. 29 und V. 26b sind wörtlich miteinander verbunden. Während Jakob in V. 26 offenbar versucht, seiner ersten Forderung mit dem Hinweis auf seinen Dienst Nachdruck zu verleihen, zielt V. 29 bereits implizit auf die Verhandlung um die Herden (‫)מקנה‬. Ein Zwischenelement stellt der Verweis auf JHWHs Beistand dar, der zunächst durch Laban und sodann durch Jakob erfolgt (C; C’). Der Teilabschnitt ist leitwortartig mit Gen 29,15–30 verbunden (‫;עבד‬‎‫)שׂכר‬.177 Ab V. 29 versucht Jakob die Zahlungsbereitschaft Labans zu fördern, will allerdings offenbar darauf verzichten, explizite materielle Forderungen zu stellen.178 Folgerichtig leitet er unter größter Abwehr einer Lohnzahlung (V. 31b) seine zweite Forderung ein, die nun den folgenden Teilabschnitt (Vv. 31b–34) bestimmt. Anstatt der noch in V. 29 erwähnten ‫( מקנה‬Herden), zieht sich nun – aufgrund der notwendigen inhaltlichen Spezifizierung – das Leitwort ‫ צאן‬durch den Abschnitt hindurch. Gegenstand der Vv. 31b–34 ist die Abmachung zwischen Jakob und Laban, Jakob eine bestimmte Auswahl von Tieren zukommen zu lassen. Dabei 177 Vgl. Taschner, Verheißung, 98. 178 Ähnlich Eising, Untersuchung, 197, der herausstellt, dass es dem Erzähler um den Lohn Jakobs bestellt ist und nicht um eine Negativzeichnung Labans durch einen etwaigen Betrug. Vgl. zum Aspekt der „Diplomatie“ von Rad, Genesis, 242. Darüber hinaus vgl. Klein, Jakob, 92. Boecker, Isaak, 78, bezeichnet ihn als ein „Musterbeispiel eines altorientalischen Handels um eine Bezahlung.“

170

Jakobs Aufenthalt bei Laban

will Jakob keine vorhandenen Tiere von Laban für sich beanspruchen (V. 31b), sondern sich seinen Lohn durch eigene Züchtung erarbeiten. Um einer Durchmischung vorzubeugen, soll Laban die Tiere mit einer bestimmten Färbung zunächst aussondern. Die Differenzierung des Viehs in unterschiedliche Musterungen markiert bereits, dass Jakob keine Pauschalforderungen stellt. Dementsprechend entzieht die rechtliche Absicherung in V. 33 proleptisch einem drohenden Vorwurf des Diebstahls (‫ )גנב‬den Boden, der thematisch in Gen 31 virulent ist. Die Aufforderung zur Aussonderung der Tiere dient ebenfalls einer strategischen Vermeidung eines derartigen Vorwurfs. Die Vorsichtsmaßnahme in V. 32 und die ebenfalls implizite Forderung in V. 33 sind strukturell als Gegenpole zueinander entworfen, indem das Leitwort ‫ שׂכר‬und die betreffenden Viehherden in V. 32 spiegelachsenartig in V. 33 erneut erwähnt werden. Die Einwilligung ­Labans (V. 34) schließt den Verhandlungsbogen ab. Erster und zweiter Teilabschnitt sind durch das Leitwort ‫„( שׂכר‬Lohn“, Vv. 28; 32; 33) miteinander verbunden. In V. 35 ändert sich die Erzählweise durch den konstanten Gebrauch des Impf. cons. Lediglich in Vv. 41 f. ist diese Tempuskette unterbrochen. Das von Jakob Geforderte wird nun umgesetzt. Um einer Durchmischung des Viehs vorzubeugen, unterstellt Laban die von Jakob genannten Tiere seinen Söhnen und schafft einen Raum von drei Tagesreisen dazwischen. Laban versucht, mit seinem Vorgehen präventiv eine Durchmischung mit den Viehherden Jakobs zu verhindern. Die Zeitangabe von drei Tagesreisen präfiguriert die Zeitspanne zwischen Jakobs Flucht und der Benachrichtigung Labans in Gen 31,22. Nach der groben Trennung überführt Jakob durch trickreiche Züchtung nun die geforderten Tiere in seinen Besitz (Vv. 36–42). Da keine gefleckten Tiere mehr in der Herde vorhanden sind, greift Jakob zu einem Trick, indem er frische Silberpappelstäbe (‫)לבנה‬ neben weiteren Stäben zweier anderer Baumarten einritzt,179 sodass das Weiße (‫הלבן‬/‫ )לבנות‬sichtbar wird. Dem Vorgang ist eine gewisse Ironie inhärent, da hierdurch ein zweifaches Wortspiel mit Labans Namen durchgeführt wird. Nach dieser – unter biologischen Gesichtspunkten konstruierten – Vorstellung, platziert Jakob die Stäbe an dem zentralen Sammelplatz der Tiere, den Tränkrinnen. Die Tiere begatten sich vor den scheckig eingeritzten Stäben und werfen aufgrund des Blicks auf die Stäbe nun gestreifte, gesprenkelte und gefleckte Jungtiere. Einen ähnlichen Vorgang scheint Jakob mit seinem Vorgehen in V. 40 zu beabsichtigen. Dort richtet er den Blick des Kleinviehs an den gemusterten Tieren Labans aus, um über den visuellen Eindruck zu einem ähnlichen Ergebnis zu gelangen. V. 41 zeigt mittels ‫ והיה‬und aufgrund der veränderten Satzformationen einen neuen Vorgang an. Der Prozess, der mit der Notiz über die Trennung der Herden bereits abgeschlossen schien (V. 40), wird in V. 41 um eine weitere Nuance ge 179 Mandelbaum und Platane werden in der Forschung meist durchgängig als spätere Ergänzung gesehen. Vgl. z. B. Westermann, Genesis I/2, 589. Dabei ist kein Kriterium erkennbar, das eine Ausscheidung dieser Pflanzenarten rechtfertigte.

Die trickreiche Mehrung von Jakobs Besitz 

171

steigert. Die Zusammenführung der Tiere mit den Stäben findet nun nicht mehr zu dem Zweck der numerischen Steigerung, sondern unter dem Ziel einer qualitativen Steigerung statt, sodass die schwachen Tiere Laban, die starken jedoch Jakob zukommen. Obwohl V. 43 die summarische Notiz aus V. 42b gewissermaßen weiterführt, setzt sich V. 43 dennoch vom Mikrokontext ab. Jakob wird als ‫היאשׁ‬ bezeichnet, dem über das Kleinvieh hinaus nun auch Mägde, Knechte, Kamele und Esel zugeschrieben werden. Insgesamt beschreibt der Abschnitt eine Besitzmehrung Jakobs, die nun inhaltlich konsequent nach der Mehrung seiner Nachkommen in Gen 30 erfolgt.180 Jakob ist nun auf Besitz angewiesen, um für seine Familie sorgen zu können. Die beschriebene Struktur des Abschnittes führt zu folgender Grobgliederung: Exposition (Gen 30,25)

25

Absicht Jakobs, Laban zu verlassen

Vereinbarung zwischen 26–31a Jakobs erste Forderung und Vorbereitung seiner Jakob und Laban zweiten Forderung (Gen 30,26–34) 31b–34 Jakobs zweite Forderung und Labans Einwilligung Umsetzung der Abmachung (Gen 30,25–32)

Abschlussnotiz (Gen 30,43)

35–36

Einlösung der Forderung Jakobs durch Laban

37–40

Quantitative Steigerung des Viehbesitzes durch Jakobs Eingriff mit den Stäben

41–42

Qualitative Steigerung des Viehbesitzes durch Jakobs Eingriff mit den Stäben

43

Der Reichtum Jakobs / des Mannes

5.3.4 Literarkritik In Gen 30,25–43 sind von Vertretern der Quellenscheidung Varianzen festgestellt worden, die dazu veranlassten, den Text auf J und E aufzuteilen. Großteile des Abschnittes sind dabei J zugeschrieben worden. Die Varianzen betrafen den Umstand, dass einmal Jakob diejenigen Tiere aussondere, die ihm als Lohn zustehen sollen (V. 31, J), ein andermal Laban (Vv. 35 f., E). Darüber hinaus habe Laban in E den Lohn Jakobs verändert, in J nicht. Die Schwierigkeiten mit einer versgenauen Rekonstruktion der Quellen zeigt bereits die Auslegung Wellhausens.181 Insofern nahm Martin Noth Abstand von der Zergliederung des Abschnittes in Quellen und vermutete stattdessen „allerlei spätere Zusätze“ im Rahmen eines Ergänzungsmodells.182 Schon der wohldurchdachte Aufbau mag deutlich gegen 180 Vgl. Eising, Untersuchung, 192; Boecker, Isaak, 77. 181 Vgl. Wellhausen, Composition, 38–40. 182 Vgl. Noth, Überlieferungsgeschichte, 30 f. Anm. 94.

172

Jakobs Aufenthalt bei Laban

eine Mehrsträngigkeit des Textes sprechen.183 Eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit den Argumenten der Quellenscheidungstheorie hat Blum ausführlich und überzeugend dargelegt.184 Jochen Nentel versuchte dennoch erneut eine Existenz von Quellenschichten im vorliegenden Abschnitt nachzuweisen.185 Bei der Mehrheit der Exegeten wird inzwischen ein Ergänzungsmodell bevorzugt, wobei der Umfang der Bearbeitungen kontrovers beurteilt wird.186 Die oben dargelegte Strukturanalyse unterstreicht zumindest die Auffassung, dass sich retardierende Elemente auch hier in weiten Teilen einer kunstvollen Gestaltung verdanken und sich nicht durch eine Zusammenführung durchlaufender Quellenschriften erklären lassen. Dennoch sind Bearbeitungsspuren in Gen 30,25–43 deutlich erkennbar.187

5.3.4.1 Widersprüche im Rahmen der Entlassungsverhandlungen in Gen 30,25–34 In Gen 30,25–34 sind Widersprüche zwischen Jakobs Entlassungsforderung (Vv.  25–26), seiner Lohnforderung (Vv.  26.31) und der Reaktion Labans (Vv. 27.28.31) erkennbar. Der offenkundigste Widerspruch steht in Zusammenhang mit V. 26.188 Jakob fordert in V. 26 die Herausgabe seiner Frauen von Laban ein. Für jene hatte er bei Laban Dienste geleistet, um eine Brautpreiszahlung zu kompensieren, die er aufgrund seiner Mittellosigkeit nicht begleichen konnte. Laban geht auf Jakobs Forderung nicht ein, sondern erkundigt sich in V. 28 nach Jakobs Lohn und in V. 31 erneut nach dessen Forderung. In der Forschung wurde diese Auffälligkeit nicht selten damit erklärt, Laban wolle der Forderung Jakobs ausweichen bzw. sie implizit ausschlagen.189 Vielmehr legt V. 31 aber nahe, dass Laban Jakobs Forderung nach den Frauen aus V. 26 noch nicht kennt. Zum einen steht die offene Frage Labans ‫( מה אתן־לך‬V. 31) in einem harten Kontrast zu Jakobs klarer Forderung ‫( תנה את־נשׁי ואת־ילד‬V. 26). Zum anderen lässt sich Jakobs Abwehr ‫( לא תתן־לי מאומה‬V. 31) vor dem Hintergrund von V. 26 nicht erklären, in dem er sein Anliegen deutlich formuliert hatte. Bei einer wissentlichen Vermei 183 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 585. 184 Vgl. Blum, Komposition, 112ff; Vgl. darüber hinaus Carr, Fractures, 269 f. 185 Vgl. Nentel, Jakobserzählungen, 141 f. Nentel zufolge handle es sich bei Gen 30,32–34 um das Überbleibsel eines E-Fadens, das durch Ergänzung der schwarzen Schafe und der gefärbten Ziegen durch den Jehowisten mit dem J-Faden vereint worden sei, der sich in Vv. 25–31.35–43 befinde. 186 Vgl. z. B. Westermann, Genesis I/2, 585; Seebass, Vätergeschichte II/2, 353; Boecker, Isaak, 78. Zu gegensätzlichen Positionen und deren Schichtenrekonstruktionen vgl. Blum, Komposition, 112 Anm. 4. Nentel, Jakobserzählungen, 133. 187 Etwa gegen Blum, Komposition, 116, der für eine Einheitlichkeit des Abschnittes plädiert. 188 Vgl. Neumann, Jacob, 41, die das Ergebnis allerdings zugunsten eines Primats von V. 26 auswertet. 189 Vgl. z. B. Westermann, Genesis I/2, 587.

Die trickreiche Mehrung von Jakobs Besitz 

173

dungsstrategie Labans wäre darüber hinaus zu erwarten, dass Jakob seine Forderung wiederholt. Nicht zuletzt scheint Jakob mit seinem Hinweis in V. 30, nun für „sein Haus“ Sorge tragen zu wollen, die Mitführung seiner Frauen vorauszusetzen. Insofern liegt der Verdacht nahe, dass eine Ergänzung um V. 26 die Widersprüche verursachte. Die Kontexteinbindung von V. 26 stützt diese Annahme. In V. 26a erweist sich das Verb ‫ ואלכה‬als Wiederaufnahme von V. 25.190 Darüber hinaus scheint V. 26 über die Formulierung ‫כי את ידעת את־עבדתי אשׁר עבדתיך‬ künstlich den Anschluss an eine vergleichbare Formulierung aus V. 29 (‫אתה ידעת‬ ‫ )את אשׁר עבדתיך‬zu suchen. Neben der Funktion der Stichwortanbindung an V. 29 erfüllt die Formulierung in V. 26 offenkundig die Funktion, Jakobs Dienst (‫)עבד‬191 repetitiv einzuschärfen und mit einem impliziten Anrecht auf die Mitnahme der Frauen (‫כי‬, V. 26b) zu verbinden.192 Der Makrokontext spricht zusätzlich dafür, dass Jakob im Grundbestand des Abschnittes Laban nicht gesondert über die Mitnahme der Töchter (V. 26) informiert hat. Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass Laban in Gen 31,26–28 Jakob eben solches vorwirft und dessen Vorgehen mit der Entführung von Kriegsgefangenen vergleicht. Darüber hinaus reagiert Jakob auf diesen Vorwurf mit einer Begründung seiner Entscheidung (Gen 31,31). Die Begründung wäre überflüssig, hätte Jakob Laban über sein Vorhaben vorab informiert. Die Formulierung von V. 26 weist zudem Anleihen an Gen 29,21 auf. Die Erweiterung um V. 26 erfüllt im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen Jakob und Laban die Funktion, Jakobs Anrecht auf die Frauen zu betonen und Labans Vorwurf aus Gen 31,26–28 proleptisch zu entkräften. Über die literarkritische Problematik um V. 26 hinaus, ist in Gen 30,25–34 der Zusammenhang zwischen V. 27 und V. 28 auffällig. Während Laban in V. 27 Jakob implizit darum bittet, auf eine Abreise zu verzichten, schwenkt er in V. 28 plötzlich auf die Bereitschaft einer Lohnzahlung über. Laban bittet Jakob um Gnade (‫)אם־נא מצאתי חן בעיניך‬ – ähnlich wie an späterer Stelle Jakob seinen Bruder Esau (vgl. Gen 33,10.15). Diese demütige Geste ist streng genommen ohne Ziel, da sich keine konkrete Bitte anschließt. Sie unterscheidet sich zudem deutlich von dem bestimmten Auftreten Labans im vorliegenden Abschnitt. Kurzzeitig und abrupt kehrt V. 27 insofern die Kräfteverhältnisse um, indem nun Laban an-

190 Vgl. Levin, Jahwist, 235. Gegen Neumann, Jacob, 42, die Vv. 27–43 einer Ergänzungsschicht zuweist und V. 25a als Verbindungsvers wertet. Die beobachtete Wiederaufnahme lässt sich so nicht klären. Zuvor ähnlich, allerdings nur in ungefährer Eingrenzung Kratz, Komposition, 270 Anm. 53. 191 Die Häufung des Verbs im vorliegenden Vers ist zusätzlich auffallend. 192 Vgl. Levin, Jahwist, 232, der V. 29–31a und V. 26b ebenfalls verschiedenen literarischen Ebenen zuordnet. Willi-Plein, Genesis, 199, erkennt ein literarkritisches Problem, will dieses allerdings zugunsten einer Aussonderung der Vv. 27–29a beheben. Zur Kritik vgl. Eising, Untersuchung, 200, für den beide Verse logisch aufeinander aufbauen.

174

Jakobs Aufenthalt bei Laban

stelle von J­ akob die Rolle des Bittstellers einnimmt.193 Labans Sinneswandel wird in V. 27 mit dessen Einsicht erklärt, dass JHWH ihn um Jakobs Willen gesegnet habe.194 Der Verweis auf JHWH unterbricht nicht nur die bisherige Anlage des Vorkontextes, in dem JHWH lediglich zugunsten der Fruchtbarkeit der Frauen in das Geschehen eingegriffen hatte, sondern auch deutlich den vorliegenden Zusammenhang.195 Der Bruch wird durch die doppelten Redeeinleitungen von V. 27 und V. 28 verstärkt,196 von denen jene in V. 27 durch die invertierte Satzstellung auffällig ist (‫)ויאמר אליו לבן‬. Die Dialogsituation ist durch den Vorkontext bereits hinreichend geklärt (‫ויאמר יעקב אל־לבן‬, V. 25b), was nur so zu deuten ist, dass V. 27 bemüht ist, einen neuen Gedankengang in den Zusammenhang einzubringen. Bei V. 27 handelt es sich mithin um eine sekundäre Erweiterung.197 Da sich V. 27 syntaktisch von V. 26 abhebt, sind die Erweiterungen in V. 26 und V. 27 als gestufte Fortschreibungen zu bewerten. V. 27 weist Parallelen mit einschlägigen sekundären Passagen aus dem größeren Zusammenhang von Gen 31 auf, in dem Jakobs und Labans Reichtum mit dem Wirken JHWHs in Verbindung gebracht werden. Bereits vor Jakobs trickreicher Besitzmehrung wird JHWH auf diese Weise als Fürsprecher Jakobs und eigentlicher Initiator seines Reichtums vorbereitet.198 Mit dem Verweis auf den Segen JHWHs um Willen des Erzvaters setzt V. 27 nicht zuletzt Vorstellungen voraus, die ansonsten in Verheißungskon 193 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 349. 194 Dass ein Anderer den Patriarchen als Gesegneten anerkennt bzw. um Willen des Patriarchen gesegnet wird, kennt auch die Isaakerzählung (Gen 26,28 f.). Darüber hinaus auch die Joseferzählung in Gen 39,5. Vgl. Levin, Jahwist, 232. 195 Vgl. z. B. Jacob, Genesis, 602; Klein, Jakob, 92. 196 Dieses Problem versucht bereits G zu beheben. Vgl. Levin, Jahwist, 232. Westermann, Genesis I/2, 586, beurteilt sie hingegen als geschickte Gliederung. Ähnlich auch Carr, Fractures, 209 Anm. 62; Nentel, Jakobserzählungen, 134. Ruppert, Genesis III, 267, erkennt ebenfalls einen Zusatz, bezieht allerdings bei dem von ihm anberaumten Umfang der redaktionellen Erweiterung die auffallende Redeeinleitung nicht mit ein. 197 Vgl. Kessler, Querverweise, 117; Otto, Jakob, 48 Anm. 4. Grundsätzlich auch Ruppert, Genesis III, 267, allerdings mit differierenden Versangaben. Seebass, Vätergeschichte II/2, 349 f.353, zieht einen Zusatz in Erwägung, entscheidet sich mit Jacob, Genesis, 602, dann allerdings für eine im Grundbestand angelegte Ironie. V. 27 gilt bei Seebass als Beginn einer eigenständigen, von der Jakoberzählung ursprünglich unabhängigen Tradition. Vgl. darüber hinaus Klein, Jakob, 92, die eine Einbettung von V. 27 im Zusammenhang als „fast inkohärent“ bezeichnet. Ähnlich vorsichtig und ohne klares Urteil Westermann, Genesis I/2, 586, der die Huldformel als „nicht recht am Platz“ bezeichnet. 198 Eine weitere Intention von V. 27 könnte mitunter auch darin liegen, Laban mittels des Hinweises auf die Praxis der Wahrsagerei negativ zu zeichnen. Zwar werden mantische Aktivitäten in Lev 6,21 und Dtn 18,10 gesetzlich verboten und in 2 Kön 17,17 und 2 Kön 21,6 als zentrale Vergehen der betreffenden Könige aufgeführt. Gleichzeitig präsentieren sich auch Josef in Gen 44,5.15 und Bileam in Num 23,23; 24,1 als Mantiker, was wertungsfrei an besagten Textstellen genannt werden kann. Insofern ist die Deutung Kleins, Jakob, 93, die eine eindeutig negative Wertung erkennt, zu einseitig. Ganz anders von Rad, Genesis, 242: „Dies ist im Alten Testament wohl eines der seltsamsten Bekenntnisse zu Jahwe und seinem Segen, auf den selbst

Die trickreiche Mehrung von Jakobs Besitz 

175

texten der Väterverheißungen begegnen (Gen 12,1–3).199 Auf eine ähnliche Vorstellungswelt weist auch Gen 30,30 hin, der mit V. 27 in wörtlicher Verbindung steht. Die Ausbreitung zu einer Menge (‫ )פרץ לרב‬durch den Segen JHWHs erinnert an Verheißungskontexte. Gen 30,29, in dem die Herdenmehrung noch dem Verdienst Jakobs zugeschrieben wird, wird mithin in V. 30 aufgenommen, nun aber auf JHWH zurückgeführt.200 Jakobs implizite Bitte, nun auch für sein Haus Sorge tragen zu dürfen, mag darauf hinweisen, dass die sekundäre Forderung nach den Frauen aus V. 26 in den erweiternden Passagen von Vv. 27.30 bereits vorausgesetzt werden, Vv. 27.30 insofern V. 26 redaktionsgeschichtlich nachzuordnen sind. Der verbleibende Bestand der Vv. 25–34 bildet einen stringenten Zusammenhang. Nach Jakobs Forderung, ihn ziehen zu lassen (V. 25), und Labans Erkundigung nach Jakobs Lohn (V. 28), verweist Jakob trickreich auf den Reichtum, zu dem Laban durch sein Wirken gekommen ist (V. 29). Jakob bereitet so eine Zustimmung zu seiner Forderung vor, nochmals um die Herden Labans dienen zu dürfen (V. 31) und sich auf diese Weise seinen Lohn zu erwirtschaften. Jakob erwartet sich davon offenkundig mehr Ertrag als von einer einfachen Zahlung. Darüber hinaus sichert er sich durch dieses Vorgehen rechtlich ab. Während Jakob die vorherigen Jahre seinen Brautpreis bei Laban als Dienst ableistete, vermag er nun einen tatsächlichen Lohn zu erwirtschaften, mit dem er seine Familie unabhängig von Laban versorgen kann. In Gen 30,25–34 werden Labans Töchter nicht als bereits erfolgte Lohnzahlung vorausgesetzt, wie Labans Erkundigung nach Jakobs Lohn beweist. Vielmehr zeigt sich auch hier die Verbindung zwischen Jakobs Anspruch auf die Töchter einerseits und dem Thema der Lohnzahlung andererseits als künstlich (vgl. den redaktionellen Vers Gen 29,15).

5.3.4.2 Jakobs erlisteter Reichtum Die exegetischen Probleme von Gen 30,35–43 beginnen bei den Übersetzungsschwierigkeiten. Zunächst entsprechen sich die in V. 32 belegte Form von ‫ הסר‬im Inf. abs. Hif. und im Imp. Hif. Im Falle eines Inf. abs. Hif. hätte Jakob die Herden selbst aussondern wollen, wogegen Laban in V. 35 verstieße.201 Gegen diese Aufein Laban durch die dunklen Gänge des Aberglaubens gestoßen war.“ Für die Annahme einer Milderung des Selbstlobes Jakobs in V. 29, wie Ruppert, Genesis III, 272, meint, sehe ich keinen hinreichenden Anhaltspunkt. 199 Vgl. etwa Levin, Jahwist, 232. 200 Häufig wurden die Vv. V. 29*–31* einer jahwistischen Redaktion zugerechnet. Vgl. dazu Otto, Jakob, 48 Anm. 4. Literarkritisch verifizierbare Kriterien sind für diesen Textumfang allerdings nicht zu gewinnen. Mit einer jahwistischen Bearbeitung in ähnlichem Umfang wie oben beschrieben, rechnen Kratz, Komposition, 271, (Gen 30,27.29–30.43), und Levin, Jahwist, 232, (Gen 30,27.29–31a.43). 201 In diese Richtung tendieren etwa von Rad, Genesis, 241; Taschner, Verheißung, 99.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

fassung spricht inhaltlich, dass Jakob unter dieser Bedingung nicht kritisch auf das Vorgehen Labans reagiert. Darüber hinaus wird eine imperativische Übersetzung von ‫ הסר‬durch G gestützt.202 Jakob fordert Laban mithin auf, die Herden auszusondern. Dieses Vorgehen Jakobs entspricht der Tendenz des Textes, Jakob vor jeglichem Vorwurf der unrechtmäßigen Selbstbereicherung zu bewahren.203 Dies zeigt sich schon darin, dass Jakob keinen Lohn von Laban annimmt, sondern jenen durch eine neue Dienstzeit eigens erwirtschaftet. Darüber hinaus ist nicht eindeutig, wie in V. 32 die Wendung ‫ והיה שׂכרי‬zu übersetzen ist. Einige Ausleger beziehen den Ausdruck auf die von Laban auszusondernden Herden zurück, womit die genannte Wendung mit „dies sei mein Lohn“ zu übersetzen wäre. Allerdings entsteht so ein offenkundiger Widerspruch zwischen V. 32 und V. 33, indem in V. 33 die schwarzen und gefleckten Schafe nicht mehr als Lohn Jakobs genannt werden. Darüber hinaus widerspricht das weitere inhaltliche Vorgehen Jakobs und Labans dem oben genannten Verständnis. Nicht zuletzt lässt das fehlende Suffix die o.g. Übersetzung streng genommen nicht zu.204 Insofern ist ‫ והיה‬vielmehr futurisch zu übersetzen („mein Lohn wird sich zeigen / wird sein“).205 Insofern wird ‫ מהר‬auch nicht in der Weise zu verstehen sein, dass Jakob seinen Lohn „morgen“ erhält, sondern an einem künftigen Tag. Nur so wird letztlich Jakobs Ablehnung einer Lohnzahlung verständlich.206 Unter der Bedingung einer futurischen Übersetzung ist auch der Widerspruch zwischen V. 32 und V. 33 ein vermeintlicher. Jakob fordert Laban auf, im Sinne einer Sicherheitsvorkehrung mehr Tiere auszusondern, als ihm eigentlich zustehen, um jeglichen Vorwurf der Selbstbereicherung abzuwehren. Entsprechend akribisch verfährt Laban in V. 34.207 Über die genannten Tiere hinaus sondert Laban auch die gemusterten Ziegenböcke aus und generalisierend alle Tiere, an denen Weißes war. Um eine Kreuzung der Herden zu vermeiden, die Jakob einen Vorteil verschaffen könnte, schafft Laban zusätzlich den Abstand von einer Dreitagesreise zwischen Jakobs Herde und seinen Tieren. Laban bewegt sich damit noch im Rahmen der Abmachung, legt diese allerdings maximal zu seinen Gunsten aus.208

202 Vgl. Eising, Untersuchung, 195 f. 203 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 347, der die imperativische Formulierung von G und V mit derselben Absicht erklärt. 204 Vgl. z. B. Seebass, Vätergeschichte II/2, 347. 205 Gegen Nentel, Jakobserzählungen, 135, der keine überzeugenden Argumente gegen dieses Verständnis anzuführen vermag. Dass V. 32 und V. 33 hinsichtlich der Zeitangaben ein Gegensatzpaar bilden, macht noch lange nicht zwingend, V. 33 im Sinne von „morgen“ aufzufassen. 206 Vgl. Klein, Jakob, 95, die mit „damit mein Lohn werde“ übersetzt. In eine ähnliche Richtung zuvor Jacob, Genesis, 602; Eising, Untersuchung, 195; Seebass, Vätergeschichte II/2, 351; Boecker, Isaak, 79. Ausführlich auch Blum, Komposition, 114. 207 Vgl. z. B. Blum, Komposition, 115. 208 Vgl. Vrolijk, Wealth, 172: „It is probably better to speak of a balantly selfish interpretation of an ambiguous agreement than of deceit.“

Die trickreiche Mehrung von Jakobs Besitz 

177

Die verwirrende und detailreiche Schilderung der Tiere und deren Musterungen im Rahmen der Vereinbarung zwischen Jakob und Laban stellt die Exegese vor nahezu unlösbare Probleme. Während sich die Differenzen zwischen V. 32, V. 33 und V. 34 durch die kreative Variation akribischer Vorsichtsmaßnahmen erklären ließ, stößt der synchrone Erklärungsversuch spätestens mit V. 40a an seine Grenzen.209 Zunächst unterbricht Jakobs Vorgehen, das Angesicht der Tiere auszurichten, deutlich Jakobs Stäbe-Trick, den er in Vv. 39.41–42 zweistufig zugunsten einer quantitativen und qualitativen Steigerung seines Viehbesitzes anwendet. V. 40a hebt sich zusätzlich durch eine invertierte Satzstellung vom Textumfeld ab. Inhaltlich ist nicht offenkundig, welches Ziel mit dem Ausrichten der Tiere verbunden ist. Da durch den visuellen Eindruck eine Analogie zum StäbeTrick hergestellt wird, ist plausibel, dass Jakob dadurch eine bestimmte Färbung der Tiere erreichen will. Wie, wird nicht genauer erläutert.210 Darüber hinaus ist unklar, was mit der Größe ‫ צאן‬in V. 40 gemeint ist. Da mit dem Stäbe-Trick die schwarzen Lämmer nicht abgedeckt sind, die Jakob zustehen sollen, ist naheliegend, dass jene in V. 40a nachgetragen wurden. Eine generelle Ergänzung um die schwarzen Lämmer lässt sich in Vv. 32.33.34 nicht literarkritisch belegen. Da Jakob per definitionem (V. 33) kein gestreiftes und schwarzes Kleinvieh zusteht,211 ist der Zusammenhang von V. 40 f. nur insofern noch halbwegs verständlich, als Jakob erhofft, durch den Blick seiner Tiere auf die gestreiften und dunklen Tiere, die unter Jakobs Züchtung dem Laban geboren werden,212 noch eine Scheckung seiner Tiere bzw. schwarze Lämmer zu erreichen. Die Umständlichkeit lässt sich nur so erklären, dass es sich bei V. 40a um einen Nachtrag handelt,213 der versucht, die schwarzen Lämmer einzubinden, deren Mehrung in Jakobs Stäbe-Trick nicht berücksichtigt werden. Dabei mag die Erwähnung der gestreiften Tiere einem Ausgleich mit V. 35 geschuldet sein. 209 Vgl. von Rad, Genesis, 244; Jacob, Genesis, 608: „Ein sehr schwieriger Vers! Wir wissen keine befriedigende Erklärung.“ Ähnlich auch Eising, Untersuchung, 200; Seebass, Väter­ geschichte II/2, 352. Die Ergänzung eines Widders durch G versucht den Umstand zu klären. 210 Blum, Komposition, 115, interpretiert dieses Vorgehen mit dem Ziel, einen vergleichbaren Kreuzungsvorgang in Gang zu setzen. Dagegen betont Seebass, Vätergeschichte II/2, 352, die Problematiken einer praktischen Umsetzung. 211 Aus diesem Grund löst Boecker, Isaak, 80, „das gestreifte“ aus dem Zusammenhang und geht davon aus, dass in V. 40 ausschließlich von den Schafen die Rede ist. Vgl. zu dieser Lösung auch Westermann, Genesis I/2, 590. Vgl. auch Carr, Fractures, 269 Anm. 103. Ähnlich Blum, Komposition, 115, der allerdings eine unklare Übersetzung von „gestreift“ für eine Verortung der Beschreibung im Grundbestand in Anschlag bringt. 212 Da sich Labans gestreifte Tiere Dreitagesreisen weit entfernt befinden, wird es sich bei den gestreiften Tieren, die aus Jakobs Herden hervorgehen, um den Besitz Labans handeln. 213 Vgl. Ruppert, Genesis III, 268; Otto, Jakob, 48 Anm. 4. Grundsätzlich auch Levin, Jahwist, 233.236, allerdings mit anderer und in ihren Einzelheiten noch kleinschrittigeren Rekonstruktion. Ohne die kleinteilige Schichtung hier im Einzelnen zu nennen, erachtet Levin Jakobs Trick mit den Stäben ebenso wie die Züchtung nach dem Kriterium der Stärke als nachjahwistische Ergänzung. Westermann, Genesis I/2, 590, beurteilt die Vorgänge als Varianten einer Überlieferungsstufe.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

5.3.4.3 Die Abschlussnotiz (Gen 30,43) Die Verstärkung von Jakobs Gefolge (viele Knechte und Mägde), wie auch der Verweis auf Kamele und Esel in V. 43, gehen deutlich über den mikrokontextuellen Zusammenhang von Gen 29–31 hinaus.214 Das motivische Inventar erinnert an die Notiz über den Reichtum Abrahams / Abrams (Gen 12,16) im Kontext der Gefährdungserzählung215: ‫וּב ָק ֙ר‬ ָ ‫בוּרהּ ַוֽיְ ִהי־ל֤ ֹו צֹאן־‬ ֖ ִ ‫אַב ָ ֥רם ֵה‬ ֑ ָ ‫יטיב ַבּ ֲע‬ ְ ְ‫וּל‬ ֹ ‫וּשׁ ָפ ֹ֔חת וַ ֲא‬ ‫ת ֖ ֹנת וּגְ ַמ ִלּֽים‬ ְ ֙‫וַ ֲחמ ִ ֹ֔רים וַ ֲע ָב ִדים‬

Und er (der Pharao) tat Abram Gutes um ihretwillen (Sarais) und es wurden ihm Kleinvieh und Rinder und Esel und Knechte und Mägde und Eselinnen und Kamele zuteil.

Der erzählerische Einsatz von Kamelen, die dem Hirtenmilieu, in dem die Erzählung verankert ist, im Grunde fremd ist, ist durch das Bestreben bedingt, den Reichtum der Erzväter besonders ausladend auszugestalten.216 Dieser Umstand tritt verdichtet in Gen 24 zutage. Abgesehen von der Jakoberzählung werden Kamele in der Genesis nur noch in Gen 37,25 erwähnt. In der Jakoberzählung ist das Lexem ‫ גמל‬über Gen 30,43 hinaus noch in Gen 31,17.34; Gen 32,8.16 belegt und verdankt sich hier wie dort einer redaktionellen Arbeit am Grundbestand.217 Über die Parallelen mit der Notiz in der Abrahamerzählung weist Gen 30,43 darüber hinaus punktuell wörtliche Verbindungen mit einer vergleichbaren Notiz bei Isaak auf (Gen 26,12–14).218 Gen 26,12–14 ‫ִיצ ָחק֙ ָבּאָ֣ ֶרץ‬ ְ ‫וַ יִּ זְ ַ ֤רע‬‎12 ‫ַה ִ ֔הוא וַ יִּ ְמ ָ ֛צא ַבּ ָשּׁ ָנ֥ה‬ ‫ַה ִ ֖הוא ֵמאָ֣ ה ְשׁ ָע ִ ֑רים‬ ‫הוֽה׃‬ ָ ְ‫ַוֽיְ ָב ֲר ֵ ֖כהוּ י‬

Gen 30,30a.43 ִ֡ 30 Und Isaak säte in ֤‫כּי ְמ ַעט֩ ֲא ֶשׁר־ ָה ָ֨יה לְ ָך‬‎ diesem Land und ‫לְ ָפנַ י֙ וַ יִּ ְפ ֣ ֹרץ לָ ֹ֔רב‬ gewann in jenem ‫הו֛ה א ְֹתָך֖ לְ ַרגְ ִל֑י‬ ָ ְ‫וַ יְ ָב ֶ֧רְך י‬ Jahr das Hundertfache. Und der Herr segnete ihn.

„Denn wenig war es, was dir vor mir gehörte und es hat sich zu einer Menge ausgebreitet und der Herr segnete dich nach meinem Tritt.“

214 Vgl. Boecker, Isaak, 80; Levin, Jahwist, 232. Seebass, Vätergeschichte II/2, 352, will diese Problematik durch eine alleinige Aussonderung der Kamele und Esel bewerkstelligen, wohingegen V. 43 zum Grundbestand gehöre. Ähnlich auch Otto, Jakob, 62, der aus demselben Grund lediglich V. 43b aus dem Zusammenhang aussondert; Ruppert, Genesis III, 267, hält nur V. 43bβ für sekundär. 215 Vgl. z. B. Carr, Fractures, 185 f. 216 Vgl. Boecker, Isaak, 80 f.87. 217 Vgl. zur Domestizierung und Rolle von Kamelen Riede, Art. Kamele. 218 Vgl. auch Westermann, Genesis, I/2, 590; Carr, Fractures, 185 f.

Die trickreiche Mehrung von Jakobs Besitz 

‫וַ יִּ גְ ַ ֖דּל ָה ִ ֑אישׁ וַ ֵיּ֤לֶ ְך‬‎13 Und der Mann ‫ ָהלֹוְך֙ וְ גָ ֵ ֔דל ַ ֥עד ִכּֽי־גָ ַ ֖דל‬wurde reicher und ֹ ֽ ‫ ְמ‬immer reicher, bis ‫אד׃‬ er sehr reich war. ֙‫וֽיְ ִהי־ל֤ ֹו ִמ ְקנֵ ה־צֹאן‬‎ַ 14 ‫וּמ ְק ֵנ֣ה ָב ָ ֔קר וַ ֲע ֻב ָ ֖דּה‬ ִ ‫ַר ָ ֑בּה וַ יְ ַקנְ ֥אוּ א ֹ֖תֹו‬ ‫ְפּלִ ְשׁ ִ ֽתּים׃‬

Und es wurden ihm Schafherden und Rinderherden und viel Getreide zuteil. Und die Philister beneideten ihn.

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ֹ ֣ ‫וַ יִּ ְפ ֥ ֹרץ ָה ִ ֖אישׁ ְמ‬‎43 Und der Mann brei‫אד‬ ֹ ֑ ‫ ְמ‬tete sich sehr aus ‫אד‬

‫ ַוֽיְ ִהי־ל ֹ֙ו ֣ ֹצאן ַרבּ֔ ֹות‬und es wurden ihm viel Kleinvieh ‫וּשׁ ָפחֹות֙ וַ ֲע ָב ִ ֔דים וּ‬ ְ ‫ גְ ַמ ִלּ֖ים וַ ֲחמ ִ ֹֽרים׃‬und viele Mägde und Knechte und Kamele und Esel zuteil.

Abgesehen von der einschlägigen Erwähnung des „Mannes“, der Steigerungsformulierung (Gen 26,13; 39,43), und dem Verweis auf den Besitzerwerb, lassen sich Parallelen hinsichtlich der kompositionellen Positionierung der Reichtumsnotizen erkennen. Wie in Gen 26,14 gibt der übermäßige Reichtum des Erzvaters auch in der Jakoberzählung Anlass für Neid (Gen 31,1).219 Wie in Gen 26,12–14 korreliert auch in Gen 30,30.43 der Reichtum mit dem Segen JHWHs. Die Verbindungen von Gen 30,43 mit Gen 12,16 einerseits und Gen 26,12–14 andererseits weisen darauf hin, dass die Jakoberzählung wohl um eine zu Isaak und Abraham vergleichbare Reichtumsnotiz erweitert worden ist.220 Die Notiz in Gen 30,43 scheint die jeweiligen Notizen der Abraham- und der Isaakerzählung selektiv zu kombinieren und jenen insofern entstehungsgeschichtlich nachzuordnen sein. Der Gebrauch des Verbs ‫ פרץ‬verbindet V. 43 mit V. 30 stichwortartig und inhaltlich. Die Parallele zur Anordnung in Gen 26,12–14 weist zusätzlich darauf hin, dass die besagten Verse derselben redaktionellen Ebene zuzuschreiben sind.221 Die Tendenzen, Jakobs und Labans Reichtum nicht auf Jakobs Eigenverdienst – und mithin auch nicht auf Jakobs Trick – zurückzuführen, verstärken sich über Gen 30,25–43 hinaus in Gen 31 zunehmend.

5.3.5 Überlieferungsgeschichtliche Bewertung Ohne Zweifel bietet Gen 30,25–43 eine in sich geschlossene Episode mit einem einheitlichen Thema. In der älteren Forschung ist daher die überlieferungs­ geschichtliche Auffassung vertreten worden, bei Gen 30,25–43 habe es sich ur 219 Vgl. auch Klein, Jakob, 99. 220 Vgl. Boecker, Isaak, 80. Gegen Otto, Jakob, 63, und andere, die einen Teil der Notiz als Abschluss einer ursprünglichen Einzelerzählung bewerten. Aufgrund der Querverbindungen ist dieses Urteil allerdings unwahrscheinlich. 221 Vgl. Levin, Jahwist, 232, allerdings im Rahmen einer jahwistischen Redaktion in Gen 30,27.29–31a.43.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

sprünglich um eine Einzelerzählung gehandelt.222 Dagegen spricht, dass bereits die Lohnthematik einen längeren Aufenthalt Jakobs bei Laban voraussetzt. Ein kontextunabhängiger Erzählbeginn lässt sich ebenso wenig feststellen. Scheidet die Annahme einer rekonstruierbaren Einzelerzählung insofern aus,223 bliebe die Möglichkeit einer Fortschreibung, die ebenfalls vertreten wird.224 Aufgrund der dargelegten Widersprüche zwischen V. 26 und Vv. 27–43 ist von Friederike Neumann kürzlich erwogen worden, die Verhandlung um die Herden als sekundäres Element auszuschließen – und mithin von der Verhandlung um die Frauen entstehungsgeschichtlich zu trennen. Nach dieser These hätte Gen 31,2 ursprünglich unmittelbar an Gen 30,26 angeschlossen.225 Mehrere Gründe lassen an einer solchen literarkritischen Lösung zweifeln. Zunächst scheint der Anschluss zwischen Gen 31,2 und Gen 30,26 konstruiert, da Laban unter dieser Voraussetzung nicht auf die Forderung nach der Mitnahme der Töchter reagiert hätte. Hinzu tritt ein kompositionsgeschichtliches Argument. Gen 30,25–43 weist einen hohen Komplexitätsgrad und einige Bearbeitungsspuren auf, die eine längere Überlieferungsdauer voraussetzen und im Rahmen einer Fortschreibung nicht restlos überzeugen. Wie gezeigt, ist darüber hinaus zwischen dem Dienst Jakobs für einen materiellen Lohn und seinem Dienst für die Bräute unter traditionsgeschichtlichen Gesichtspunkten zu differenzieren. Dies mag Gen 30,26 zusätzlich stützen. Der Begriff ‫ שׂכר‬wird dort ebenso wenig im Zusammenhang mit den Töchtern gebraucht wie zu dem Zeitpunkt, als Jakob seine Frauen einfordert (Gen 29,21.25). Die Konkurrenz zwischen der Lohnanfrage in Gen 29,15 und Gen 30,28 lässt sich zudem nicht zugunsten von Gen 29,15 entscheiden, da sich dieser Vers als redaktionell erwies. Besser erklärt sich die Lohn-Terminologie dort mittels einer kleinräumigen Fortschreibung, die sekundär an den Handel um die Töchter angelagert worden ist. Gegen eine Fortschreibung um Gen 30,27–43 spricht darüber hinaus, dass auf Jakobs Herdenreichtum im Folgekontext mehrfach rekurriert wird und jener in Gen 29 durch Jakobs Fürsorge am Brunnen bereits vorbereitet ist. Für Jakob ist der Erwerb von Besitz entscheidend, um für seine Familie nun selbständig sorgen zu können. Inhaltlich lässt sich Gen 30,25–43 zudem stringent als Umkehrung zur Überlistung Jakobs durch Laban in Gen 29,1–30 lesen.226 Das oszillierende Betrugsmotiv setzt sich folglich an dieser Stelle im Grundbestand fort und fügt sich insofern stringent in die Erzählbewegung der Jakoberzählung ein.227 222 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 590; Ruppert, Genesis III, 267; Otto, Jakob, 62; Seebass, Vätergeschichte II/2, 353. 223 Vgl. etwa Blum, Komposition, 117. 224 Vgl. Kratz, Komposition, 270 f. Zur Position Neumanns siehe im Folgenden. 225 Vgl. Neumann, Jacob, 41. 226 Vgl. Vrolijk, Wealth, 181, der in diesem Zusammenhang allerdings den missverständlichen Begriff der lex talionis gebraucht, der im AT mit einer definierten Rechtstradition in Verbindung steht. 227 Vgl. Blum, Komposition, 116 f.

Jakobs Flucht und seine Übereinkunft mit Laban 

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5.4 Jakobs Flucht und seine Übereinkunft mit Laban – Analyse von Gen 31,1–32,1 5.4.1 Kommentierte Übersetzung228 Und er hörte die Reden der Söhne Labans: „Jakob hat alles genommen, was unserem Vater gehört, und von dem, was unserem Vater gehört, machte er diesen ganzen Reichtum.“ 2Und Jakob sah das Angesicht Labans, und siehe, es war ihm gegenüber nicht mehr wie gestern (und) vorgestern (eingestellt). 3Und JHWH sprach zu Jakob: „Kehre zurück in das Land deiner Väter229 und zu deiner Verwandtschaft und ich will mit dir sein!“ 4 Und Jakob sandte hin und er ließ Rahel und Lea rufen, (die) auf dem Feld bei seinem Kleinvieh (waren). 5Und er sprach zu ihnen: „Ich habe das Angesicht eures Vaters gesehen, dass es mir gegenüber nicht mehr wie gestern (und) vorgestern (eingestellt) ist. Aber der Gott230 meines Vaters war mit mir. 6Und ihr selbst wisst, dass ich eurem Vater nach all meiner Kraft gedient habe. 7Aber euer Vater täuschte mich und veränderte meinen Lohn zehn Mal231, aber Gott hat ihm nicht (statt) gegeben, Böses mit mir zu tun. 8Wenn er so gesprochen hat: ‚(Die) Gesprenkelten seien dein Lohn‘, dann gebar das ganze Kleinvieh gesprenkelte. Und wenn er so gesprochen hat: ‚(Die) Gestreiften seien dein Lohn‘, dann gebar das ganze Kleinvieh gestreifte. 9Und Gott entzog das Vieh232 eurem Vater und gab es mir. 10Und es geschah zu der Zeit, zu der das Kleinvieh brünstig ist, da erhob ich meine Augen und ich sah233 in einem Traum: Und siehe, die Böcke, die das Kleinvieh besprangen, 1

228 Legende zu den in der Übersetzung angezeigten Bearbeitungsschichten: recte = Grundbestand; fettgedruckt = P-Erweiterung; kursiv = Rückkehrbefehl, gleichursprünglich mit dem Grundbestand der Bet-El-Erzählung; Kapitälchen = Erweiterung um Rahels Diebstahl des Terafim aus dem 7.–6. Jh.; fett und unterstrichen = exilische Erweiterung um einen Grenzvertrag in Gilead; unterstrichen = nachpriesterliche Erweiterung, gleichursprünglich mit dem Gelübde aus Gen 28,20–22; petit = Haran-Bearbeitung aus dem 7. Jh. 229 G bezeugt hier in Anlehnung an Gen 12,1 sg. (in das Land deines Vaters). Es handelt sich mithin um eine sekundäre Angleichung. Vgl. Tal, Genesis, 155*. 230 Smr und T nehmen in Anlehnung an V. 3 eine Korrektur zugunsten des Gottesnamens JHWH vor. Ebenso in Vv. 9.16. Es liegen sekundäre Glättungen vor. 231 ‫ מנים‬ist nur hier und in V. 41 bezeugt. Daher ist die genaue Übersetzung mit Schwierigkeiten behaftet. G übersetzt mit τὸν μιοθόν μου τῶν δέκα ἄμνῶν (meinen Lohn von 10 Lämmern), in Vorbereitung auf V. 8. TSmr verweist auf eine Ableitung von ‫( מינים‬Arten). 232 G generalisiert mit „das ganze…“ (πάντα). S und TO in gegenläufiger Tendenz be­ schränken den Umfang unter Ergänzung eines privativ verstandenen ‫ מן‬und in Orientierung an Gen 30,35–43. Vgl. Tal, Genesis, 155*. 233 G übersetzt an dieser Stelle mit καί εἶδον τοῖς ὀφθαλμοῖς αὐτά ἐν τῶ ὓπνω (und ich sah sie mit meinen Augen im Schlaf). Laut Tal, Genesis, 155*, könnte die freie Übersetzung aus einer Orientierung am darauffolgenden ἴδου resultieren oder aus einer anderen Vorlage. Möglich wäre auch eine Vereindeutigung durch G, da die Reihenfolge des Aufblickens und Träumens für Missverständnisse anfällig ist.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

waren gestreift, gesprenkelt und gefleckt.234 11Und der Engel Gottes sprach zu mir im Traum: ‚Jakob‘ und ich sprach: ‚Hier bin ich!‘. 12Und er sprach: ‚Erhebe nur deine Augen und siehe all die Böcke, die das Kleinvieh bespringen, sind gestreift, gesprenkelt und gefleckt! Denn ich habe alles gesehen, was Laban dir angetan hat! 13 Ich bin der Gott (, der in) Bet-El ist235, wo du eine Mazzebe gesalbt hast, wo du mir ein Gelübde gelobt hast. Nun,236 mache dich auf, gehe weg aus diesem Land und kehre zurück in das Land deiner Verwandtschaft!237’“ 14Und Lea und Rahel antworteten und sprachen zu ihm: „Gibt es für uns noch einen Anteil und ein Erbe im Haus unseres Vaters? 15Werden wir von ihm nicht als Fremde erachtet? Denn er hat uns verkauft und er hat unseren Kaufpreis auch vollständig verzehrt. 16Denn der ganze Reichtum, den Gott von unserem Vater weggenommen hat, war für uns und unsere Söhne (bestimmt). Und nun, alles, was Gott zu dir gesagt hat, tu!“ 17 Und Jakob machte sich auf und hob seine Söhne und seine Frauen auf die Kamele. 18Und er trieb weg all sein Vieh und all seine Habe, die er erworben hatte, [das Vieh seines Eigentums, das er erworben hatte], in Paddan Aram, um zu Isaak, seinem Vater in das Land Kanaan zu gehen. 19Und Laban ging hin, um sein Kleinvieh zu scheren, da stahl Rahel den Terafim238, der ihrem Vater gehörte. 20Und Jakob stahl das Herz Labans239, des Aramäers, dass er ihm nicht mitteilte, dass er fliehen wollte. 21Und er floh und alles, was ihm gehörte, [und er machte sich auf und er passierte den Strom]240 und er richtete seine Augen auf das Gebirge Gilead. 22Und (es) wurde Laban am dritten Tag mit 234 G weitet hier den Text hinsichtlich der begattenden Männchen um Widder aus, die Weibchen ergänzt G um Ziegen. Dementsprechend auch im Folgevers. Eine Angleichung an die Bestimmungen von Gen 30,25–43 liegt nahe. 235 G übersetzt in Anlehnung an Gen 28,13–19 freier: ἐγώ εἰμι ὁ θεὸς ὁ ὀφθείς σοι ἐν τόπω θεοῦ (ich bin der Gott, der sich dir am Ort Gottes zeigte). Die Ellipse in MT bereitet Schwierigkeiten. Denkbar wäre eine Auslassung in der Verbindung ‫האל אל בית אל‬. Blum, Komposition, 189, erwägt darüber hinaus im Anschluss an Cassuto und Smend den Ausdruck als „Äquivalent zu ‫“בבית אל‬, entscheidet sich allerdings schlussendlich für die Annahme einer geprägten Wendung, die darüber hinaus auch in Gen 35,7 vorausgesetzt sei (vgl. a. a. O., 190). Die obige Übersetzung folgt Köckert, Jakobüberlieferung, 60, der den Namen als Nominalsatz übersetzt. 236 Smr, G und V ergänzen aufgrund des gängigen Usus ‫ו‬. 237 G ergänzt die Mitseinszusage aus V. 3. Es handelt sich wie bei der Korrektur des Gottesnamens in V. 9 und V. 16 um eine sekundäre Angleichung. 238 Das Lexem ‫ תרפים‬kann sowohl im sg. als auch im pl. übersetzt werden. Die Interpretation des Terafim als „Gottheit“ in V. 30 legt eine singularische Formulierung nahe. 239 Gesenius, Wörterbuch, 131, übersetzt mit „täuschen“ (vgl. auch Gen 31,26). In diesem Sinne wohl auch in 2 Sam 15,6 als einzige Stelle im AT, an der die Wendung außerhalb von Gen 31 noch belegt ist. Anders Klein, Jakob, 108. Über die anthropologische Vorstellung vom Herzen als Sitz des Verstandes erwägt sie die Bedeutung: „Jakob machte Laban rasend / brachte ihn um den Verstand“. Aufgrund der deutlichen Kontextverbindung durch ‫ גנב‬wird die wörtliche Übersetzung beibehalten. 240 Mit dem Strom ist der Euphrat gemeint, womit Labans Wohnort in Haran vorausgesetzt wird. Die Bearbeitung steht mit der Haran-Bearbeitung aus dem 7. Jh. in Zusammenhang. Die Ergänzung wird an der Wiederaufnahme von V. 17a* deutlich.

Jakobs Flucht und seine Übereinkunft mit Laban 

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geteilt, dass Jakob geflohen war. 23Und er nahm seine Brüder mit sich und er jagte hinter ihm her, einen Sieben-Tage-Weg, und er heftete sich im Gebirge Gilead an ihn. 24Und es kam Gott zu Laban, dem Aramäer, in einem Traum der Nacht. Und er sprach zu ihm: „Hüte dich davor, mit Jakob vom Guten weg zum Bösen zu reden.“ 25Und Laban holte Jakob ein und Jakob hatte sein Zelt im Gebirge aufgeschlagen, und Laban schlug (es) auf mit seinen Brüdern im Gebirge Gilead. 26 Und Laban sprach zu Jakob: „Was hast du getan, und hast mein Herz gestohlen und meine Töchter wie Kriegsgefangene weggeführt?241 27Warum hast du dich verborgen, um zu fliehen, und mich bestohlen und mich nicht benachrichtigt? Ich hätte dich ausgesandt mit Freude und mit Gesängen, mit Tamburin und mit Zither. 28Aber du hast mir nicht gestattet, meine Söhne und meine Töchter zu küssen! Nun, du hast töricht gehandelt! 29Es läge in meiner Macht, böse an euch zu handeln, aber der Gott eures Vaters hat gestern zu mir folgendermaßen geredet: ‚Hüte dich davor, mit Jakob vom Guten weg zum Bösen hin zu reden!‘ 30Und nun, du bist gewiss gegangen, weil du dich so sehr nach dem Haus deines Vaters gesehnt hast. Warum hast du meine Gottheit gestohlen?“ 31Und Jakob antwortete und er sprach zu Laban: „Denn ich fürchtete, dass ich sprach: ‚Damit du nicht deine Töchter von mir entreißt!‘ 32Der, bei dem du deinen Gott findest, soll nicht mehr leben.242 Vor unseren Brüdern untersuche nur, was bei mir ist, und nimm es dir!243“ Aber Jakob wusste nicht, dass Rahel ihn gestohlen hatte. 33 Und Laban ging in das Zelt Jakobs und in das Zelt Leas [und in das Zelt der beiden Mägde]244 und er fand (sie) nicht. Und er ging hinaus aus dem Zelt Leas und ging in das Zelt Rahels. 34Und Rahel hatte den Terafim genommen und ihn in den Kamelsattel gelegt und sie hatte sich auf ihn gesetzt. Und Laban betastete245 das ganze Zelt und er fand (ihn) nicht. 35Und sie sprach zu ihrem Vater: „Erzürne nicht, mein Herr, dass ich nicht vor deinem Angesicht aufstehen kann, denn es 241 G lässt die Formulierung „Herz stehlen“ aus und kombiniert stattdessen V. 26 f. Offenkundig handelt es sich um eine nachträgliche Vereinfachung. 242 Inhaltlich ist wohl die Todesstrafe gemeint. Vgl. etwa Klein, Jakob, 111. G lässt den gesamten Teilvers aus, vermutlich, um mit V. 33 zu harmonisieren. Vgl. Tal, Genesis, 82. 243 Der besseren Verständlichkeit wegen spitzen G und TGnz die allgemein gehaltene Formulierung auf „die dir gehören“ zu. 244 Bei der Erwähnung der Mägde handelt es sich vermutlich um eine sekundäre Erweiterung, die mit der generellen Ergänzung der Mägde in der Jakob-Laban-Erzählung zusammenhängt. An dieser Stelle ist sie anhand der unpassenden Weiterführung erkennbar, Laban sei – nachdem er sich in das Zelt der beiden Mägde begeben habe – aus dem Zelt Leas herausgekommen. Vgl. Blum, Komposition, 131; Boecker, Isaak, 90; Levin, Jahwist, 244. 245 ‫ מׁשׁש‬wird in der Genesis ausschließlich in Gen 31,34.37 und in Gen 27,12.22 gebraucht. In beiden Fällen als Spannungsmoment (Gefahr vor dem Entdeckt-werden) inszeniert. Vgl. Klein, Jakob, 112.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

geht mir nach der Weise der Frauen. Und er suchte, aber fand den Terafim nicht. 36Und es entbrannte Jakob und er stritt mit Laban und Jakob antwortete und sprach zu Laban: „Was ist mein Frevel? Was ist meine Sünde, dass du mich hitzig verfolgst? 37Dass du alle meine Sachen durchtastet hast. Was hast du gefunden von all den Sachen deines Hauses? Lege (es) hierher vor meine und deine Brüder und sie sollen entscheiden zwischen uns beiden. 38 Nun bin ich zwanzig Jahre bei dir gewesen. Deine Schafe und deine Ziegen haben nicht fehlgeboren. Und die Widder deines Kleinviehs habe ich nicht gegessen. 39 Zerrissenes habe ich dir nicht gebracht. Ich habe es gewiss ersetzt, von meiner Hand hast du es gefordert, (ob) bei Tag oder bei Nacht gestohlen. 40Es geschah mir: Bei Tag fraß mich die Hitze und die Kälte bei Nacht und es floh mein Schlaf von meinen Augen. 41Dies geschah mir 20 Jahre in deinem Haus. Ich habe dir 14 Jahre um deine beiden Töchter gedient und sechs Jahre für dein Kleinvieh, und du hast meinen Lohn 10 Mal verändert. 42Wenn nicht der Gott meines Vaters, der Gott Abrahams und der Schrecken Isaaks für mich gewesen wäre, gewiss hättest du mich mit leeren Händen gehen lassen. Meine Mühen und den Ertrag meiner Hände hat der Herr gesehen und er hat gestern Nacht entschieden.“ 43 Und Laban antwortete und sprach zu Jakob: „Die Töchter sind meine Töchter und die Söhne sind meine Söhne und das Kleinvieh ist mein Kleinvieh, und alles, was du siehst, gehört mir! Aber für meine Töchter246: Was kann ich für jene heute tun? Oder für ihre Söhne, die sie geboren haben?“ 44Und nun komm, wir wollen einen Vertrag schließen, ich und du, und es soll ein Zeuge zwischen mir und dir sein.247 246 Die verwirrende Satzkonstruktion führt in G und Smr zu Änderungen. Während in MT „für meine Töchter“ einen neuen Teilsatz eröffnet, beschließt in G und Smr das Wort den Abschnitt („gehört mir und meinen Töchtern“). Der Verweis auf einen Besitz der Töchter erscheint jedoch sachlich nicht rückbindbar. Insofern liegt eine primär syntaktisch orientierte Glättung durch G und Smr vor. 247 Zu den grammatikalischen Schwierigkeiten der Konstruktion vgl. Westermann, Gene­ sis I/2, 608. ‫( היה‬mask.) und ‫( ברית‬fem.) sind nicht aufeinander zu beziehen. In der älteren Forschung wurde daher ein Konjekturvorschlag mittels Ergänzung von „wir wollen einen Steinhaufen (mask.) errichten“ unterbreitet (vgl. BHS folgend z. B. Boecker, Isaak, 83). Da für diese Option kein textkritisch belastbarer Textzeuge angeführt werden kann, soll von dieser Lösung abgesehen werden. Die obige Übersetzung schlägt vor, ‫ היה‬auf den Prozess des Vertragsabschlusses zu beziehen, der vor einem Zeugen stattfinden soll. G zieht Teile von V. 50 vor, indem sie εἶπεν δὲ αὐτῷ Ἰδοὺ οὐθεὶς μεθ᾿ ἡμῶν ἐστιν, ἰδὲ ὁ θεὸς μάρτυς ἀνὰ μέσον ἐμοῦ καὶ σοῦ (er aber sagte zu ihm: „Siehe, keiner ist bei uns, siehe, Gott ist Zeuge zwischen mir und dir“) an dieser Stelle anschließt. Seebass, Vätergeschichte II/2, 358, hält die Version von G für den „beste[n] erreichbare[n] Text“ und schließt sich in den Vv. 44–53a maßgeblich der Version der G an. Infolge Seebass’ auch Ruppert, Genesis III, 289. Dagegen, in der G-Version eine andere Vorlage zu erkennen, votieren Eising, Untersuchung, 232 f. und Blum, Komposition, 132 Anm. 1. Beide nehmen berechtigterweise eine sekundäre Ordnung des MT durch G an. G versucht hier deutlich zu glätten, indem Gott von Beginn an als Zeuge eingeführt wird.

Jakobs Flucht und seine Übereinkunft mit Laban 

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Und Jakob nahm einen Stein und er errichtete eine Mazzebe. 46Und Laban [Jakob]248 sprach zu seinen Verwandten: „Lest Steine auf!“ Und sie nahmen Steine und sie errichteten einen Haufen und sie aßen dort auf dem Haufen249. 47Und Laban nannte ihn „Jegar Sahaduta“ (Haufen des Zeugnisses). Und Jakob nannte ihn „Gal-Ed“ (Steinhaufen-Zeuge). 48 Und Laban sprach250: „Dieser Haufen ist heute ein Zeuge zwischen mir und dir! “ Darum nennt man ihn Gal-Ed 49und Mizpah251 indem er sagte: „JHWH möge zwischen mir und dir wachen, wenn einer sich vor dem anderen verbirgt. 50 Wenn du meine Töchter unterdrückst und wenn du Frauen über meine Töchter hinaus nimmst – und niemand ist bei uns252 – siehe, dann ist Gott Zeuge zwischen mir und dir!“ 51Und Laban sprach zu Jakob: „Siehe dieser Haufen und siehe diese Mazzebe, den ich zwischen mir und dir aufgestellt habe:253 52Ein Zeuge ist dieser Haufen und eine Zeugin die Mazzebe, damit ich nicht diesen Haufen zu dir (hin) überschreite und damit du diesen Haufen und diese Mazzebe nicht zu mir in böser Absicht überschreitest. 53Der Gott Abrahams und der Gott Nahors seien Richter254 zwischen uns“ – der Gott ihres Vaters255. 45

248 Die Übersetzung folgt L, die statt „Jakob“ „Laban“ bezeugt. Vgl. auch Noth, Überlieferungsgeschichte, 31 Anm. 95; Ruppert, Genesis III, 289, mit Fragezeichen; Boecker, Isaak, 83; Blum, Komposition, 133. Dagegen votiert Westermann, Genesis I/2, 596 f. Grundsätzlich ist die vorgeschlagene Emendation berechtigt, da sich zum einen Labans Anspruch aus V. 51 besser erklären lässt. Zum anderen wird ‫ אחיו‬im umliegenden Kontext primär für Labans Gefolge gebraucht. 249 Im Unterschied zu Smr, (V), S und T, schließt G den Satz καὶ εἶπεν αὐτῷ Λαβαν Ὁ βουνὸς οὗτος μαρτυρεῖ ἀνὰ μέσον ἐμοῦ καὶ σοῦ σήμερον („und Laban sagte zu ihm: ‚Dieser Hügel ist heute Zeuge zwischen mir und dir‘) an dieser Stelle an. Sie stellt V. 48a insofern vor V. 47, wahrscheinlich, um eine bessere Integration der Benennung zu gewährleisten. Vgl. Blum, Komposition, 132 Anm. 1. 250 Während MT von Smr, V, S und T gestützt wird, nimmt G an dieser Stelle eine großräumigere Interpolation aus Vv. 51–52 vor. G bezeugt εἶπεν δὲ Λαβαν τῷ Ιακωβ Ἰδοὺ ὁ βουνὸς οὗτος καὶ ἡ στήλη αὕτη, ἣν ἔστησα ἀνὰ μέσον ἐμοῦ καὶ σοῦ, μαρτυρεῖ ὁ βουνὸς οὗτος καὶ μαρτυρεῖ ἡ στήλη αὕτη (Laban aber sprach zu Jakob: „Siehe, dieser Hügel und dieser Kultstein, den ich aufgestellt habe zwischen mir und dir, dieser Hügel ist Zeuge und dieser Kultstein ist Zeuge“). G fokussiert die Verse, die eine Zeugenschaft zum Gegenstand haben, auf die Namensätiologie und zieht daher den besagten Abschnitt vor. 251 S und T bezeugen die Schreibweise des MT, während Smr in Angleichung an V. 51 davon abweicht und ‫ והמצבה‬bezeugt. T liest das Wort als Nomen (Aussichtspunkt) und nicht als Eigennamen, wofür schon der Artikel im MT sprechen könnte (Hamizpa), vgl. Tal, Genesis, 157*. G lässt den Namen Mizpa vollständig unübersetzt und bezeugt stattdessen ὅρασις (Vision); ebenso V. 252 S, (Smr) und T unterstützen die Lesart des MT, während G umstellt: ὅρα οὐθεὶς μεθ᾿ ἡμῶν ἐστιν (siehe, dann ist keiner bei uns) und die Zeugenschaft Gottes auf V. 44 verlegt. In G erscheint die Äußerung Labans wie eine Drohung, womit sich eine intendierte Änderung nahelegt. 253 G lässt V. 51 an dieser Stelle aus und verlagert ihn auf V. 48. Seebass, Vätergeschichte II/2, 358, hält die Version der LXX für treffender. Infolgedessen auch Ruppert, Genesis III, 289. 254 MT bezeugt wie T hier den pl. Smr, G, V, S transformieren den pl. zum sg., wohl um polytheistische Tendenzen zu vermeiden. Vgl. Tal, Genesis, 157*; Ruppert, Genesis III, 289. 255 „Gott ihres Vaters“ wird neben MT von Hex, V, (S), T gestützt, während S in Anlehnung an den Kontext zum „Gott Abrahams“ transformiert. Die Angleichung verdankt sich einer theo-

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

Und Jakob schwor bei dem Schrecken seines Vaters Isaak. 54Und Jakob opferte ein Schlachtopfer auf dem Berg und er rief seine Verwandten, um Brot zu essen. Und sie aßen Brot und sie übernachteten auf dem Berg. 32,1Und Laban machte sich früh am Morgen auf und er küsste seine Söhne und seine Töchter und er segnete sie und er ging und Laban kehrte zurück an seinen Ort.

5.4.2 Textabgrenzung Die Abschnittsgrenze des Textes nach vorne ist nicht trennscharf, da V. 1 kein Subjekt hat und sich insofern syntaktisch ungebrochen an den Vorkontext anschließt.256 In Gen 31,2 wird die Subjektnennung nachgeholt.257 Gleichwohl ändert sich bereits mit dem Auftreten der Söhne Labans kurzzeitig die Zusammensetzung der Handlungsträger. Auch thematisch ist V. 1 bereits auf Gen 31,1–32,1 ausgerichtet. Sowohl V. 1 als auch V. 2 bieten Jakob einen Fluchtanlass. Während V. 1 die Missgunst gegenüber Jakob und deren Ursache explizit benennt, ist jene in V. 2 implizit aus der Mimik Labans zu erschließen, die wiederum auf der Begründung von V. 1 fußt. Die beiden Notizen verhalten sich als Steigerungen zueinander.258 Eingedenk der summarischen Abschlussnotiz in Gen 30,43 überwiegen die Argumente für einen Abschnittsbeginn in Gen 31,1. Die Textabgrenzung des vergleichsweise langen Abschnittes nach hinten stimmt nicht mit der Kapiteleinteilung vieler Übersetzungen überein, insofern die Erzählung über Jakob und Laban auf dem Gebirge Gilead noch auf Gen 32,1 ausgreift.259 Eine Parasche ist im MT indes erst nach Gen 32,4 gesetzt. Die Textabgrenzung wird im Zuge der Analyse von Gen 32 erneut zu diskutieren sein. Erst nach einer Übernachtung trennen sich Jakob und Laban am nächsten Morgen voneinander (Gen 32,1). Die Lagerungsnotiz überrascht, da mit jener Übernachtung kein Handlungsfortschritt einhergeht. Intrinsisch scheint sie bereits die TagNacht-Struktur zu etablieren, die für die Jabbokerzählung dramaturgisch relevant logischen Korrektur. Vgl. Ruppert, Genesis III, 289. G vermeidet den Ausdruck ganz. Seebass, Vätergeschichte II/2, 358, schließt sich G an. Häufig wird der Zusatz von Auslegern emendiert, da man im Sinne Alts dahinter noch einen älteren Religionstyp vermutete. Der sg. zeigt allerdings an, dass nicht unterschiedliche Götter angesprochen sind. Vielmehr spricht lectio difficilior für MT (vgl. Köckert, Vätergott, 59). Schlussendlich lässt sich „der Gott ihres Vaters“ auch als Erzählerkommentar begreifen, der – zugegeben – etwas aus dem Rahmen herausfällt. 256 Die Subjektnennung wird von G und S explizierend nachgeholt. 257 Westermann, Genesis I/2, 598, schlägt daher eine Umstellung von V. 1 und V. 2 vor. Dieses Vorgehen überzeugt methodisch nicht. 258 Vgl. Boecker, Isaak, 85. Auf die Steigerung verweist auch Westermann, Genesis I/2, 598, allerdings – wie erwähnt – in umgekehrter Reihenfolge. Seebass, Vätergeschichte II/2, 371, rechnet bei V. 1 mit einer sekundären Erweiterung. Das Dubletten-Argument wurde im Rahmen der Quellenscheidung konstant bemüht. 259 Vgl. stellvertretend für die Mehrheit der Ausleger etwa Seebass, Vätergeschichte II/2, 358.

Jakobs Flucht und seine Übereinkunft mit Laban 

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ist. Ab Gen 31,44 ändert sich zwar deutlich das Leitwortmilieu und das Thema (‫)ברית‬, allerdings lässt sich kein tieferer Einschnitt feststellen, da die betreffenden Verse sämtlich auf dieselbe wörtliche Rede Labans fallen. So führt der Vertragsschluss zwischen Jakob und Laban den Konflikt einem versöhnlichen Ende zu. Mithin ergibt sich für den Abschnitt folgender Umfang: Gen 31,1–32,1.

5.4.3 Aufbau und Gliederung Gen 31,1–32,1 präsentiert sich als schwer zu gliederndes Konglomerat verschiedener Handlungsgänge und Themenstränge. Zugunsten der Übersichtlichkeit soll eine ausführliche tabellarische Gliederung der Strukturanalyse vorangestellt werden.

A) Jakobs Flucht und der Konflikt zwischen Jakob und Laban um Jakobs Frauen (Gen 31,1–44)

I.) Exposition (Vv. 1–3)

Vv. 1–3

Fluchtanlass

II.) Jakobs Besprechung mit Lea und Rahel (Vv. 4–16)

Vv. 4–5

Begründung der Flucht gegenüber Lea und Rahel

Vv. 6–9

Rückblick auf Jakobs Dienst und Deutung der Ereignisse

Vv. 10–13

Bericht über die Traumvision

Vv. 14–16

Leas und Rahels Bruch mit Laban

III.) Jakobs Flucht Vv. 17–21 nach Gilead und seine Verfolgung Vv. 22–25 (Vv. 17–25)

Jakobs Flucht und der ­doppelte Diebstahl

IV.) Klärungsgespräch Vv. 26–30 zwischen Laban und Vv. 31–32 Jakob (Vv. 26–32)

Jakobs Anklage durch Laban

V.) Labans Ausein­ Vv. 33–35 andersetzung mit ­Jakob um den Terafim Vv. 36–37 (Vv. 33–37)

Durchsuchung der Zelte durch Laban und sein Misserfolg

VI.) Jakobs Empörung Vv. 38–42 (Vv. 38–42)

Rückblick Jakobs auf seinen Dienst

VII.) Labans Einlenken und Vorschlag zum Bundesschluss (Vv. 43–44)

Besitzansprüche Labans und Aufforderung zum Vertragsschluss

Vv. 43–44

Jakobs Verfolgung durch Laban Verteidigungsrede Jakobs und Aufforderung zur Durchsuchung der Zelte

Streit Jakobs mit Laban und Aufruf Jakobs zum Rechts­ entscheid der Labansöhne

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B) Jakobs Vertrag mit Laban (Gen 31,45–32,1)

Jakobs Aufenthalt bei Laban

VIII.) Vorbereitungen V. 45 Jakobs zum Vertragsschluss und BenenV. 46 nung des Ortes (Vv. 45–47) V. 47

Errichtung einer Mazzebe durch Jakob

IX.) Deutung des Vv. 48–49 Steinhaufens und der Mazzebe und Festlegung der Bedingungen zum Vertrags­ abschluss durch Laban V. 50 (Vv. 48–53a)

Steinhaufen als Zeuge für ein Wachen Gottes Hinweis auf den von Laban aufgestellten Haufen und ­Mazzebe (V.  51)

Vv. 50–52

Haufen und Mazzebe als Zeugen im Falle der kriegerischen Grenzüberschreitung

V. 53a

Gott Abrahams und Gott Nahors als Garanten

X.) Bekräftigung des Bundes durch Jakob und Trennung von Jakob und Laban (Vv. 53b–32,1)

Errichtung eines Steinhaufens durch Verwandte Aramäische und hebräische Benennung des Steinhaufens

Gott als Zeuge im Falle der Unterdrückung der Frauen

Vv. 53b–54a Schwur und Opfer Jakobs V. 54b

Gemeinsames Mahl und Übernachtung auf dem Berg

32,1

Abschlussnotiz

Der umfangreiche Abschnitt lässt sich in zwei Großabschnitte gliedern (A: Gen 31,1–44; B: Gen 31,45–32,1).260 Nach einem längeren Dialog wird in V. 45 mit ‫ ויקח יעקב אבן‬wieder das Handeln der Akteure aus der Erzählerperspektive in 260 Boecker, Isaak, 85, gelangt aufgrund thematischer Aspekte zu einer Dreiteilung (Vv. 1–16: Vorbereitung zur Flucht; Vv. 17–21: Auseinandersetzung zwischen Jakob und Laban; Vv. 22–32,1: positives Ende). Ähnlich Taschner, Verheißung, 108, allerdings zweiteilend (Gen 31,2–21: Dialog Jakobs mit seinen Frauen; Gen 31,22–32,1: rechtliche Auseinandersetzung zwischen Jakob und Laban). Von Rad, Genesis, 266, gliedert in drei Abschnitte (Vv. 1–16; Vv- 17–25; Vv. 26–32,1). Ebenso Graupner, Elohist, 252. Ähnlich auch Westermann, Genesis I/2, 597 f., im Detail allerdings etwas anders (Vv. 1–24; Vv. 25–42; Vv. 42–54). Härtere Einschnitte zwischen V. 25 und V. 26 halte ich ebenso wenig für sinnvoll wie einen Grobgliederungseinschnitt zwischen V. 24 und V. 25, da durchweg Laban im Blick ist und Vv. 23.25 durch die Notiz des Einholens miteinander verbunden sind. Seebass, Vätergeschichte II/2, 359, gliedert fünfteilig (Vv. 1–2: Exposition; Vv. 3–16: Trennung; Vv. 17–42: Auseinandersetzung; Vv. 43–54 Vereinbarung, Gen 32,1: Abschluss). Der Vorschlag Seebass’ ist möglich, allerdings ist V. 3 deutlich als Vorbereitungsvers für die kommenden Ereignisse und mithin als Teil der Exposition zu bewerten. Eising, Untersuchung, 203.215, gliedert in zwei Großabschnitte (Vv. 1–18: Rechtfertigung vor den Frauen; Vv. 19–32,1: Auseinandersetzung mit Laban). Inhaltlich zeigt sich aber, dass die Rechtfertigung vor den Frauen schon mit der Auseinandersetzung mit Laban verbunden ist, was eine derartige Zweiteilung nicht nahelegt.

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den Blick genommen. Insbesondere Gen 31,45–32,1 weist hinsichtlich des Leitwortgebrauchs (Mazzebe, Haufen) ein deutliches Eigengewicht auf. Formal lässt sich die Binnendifferenzierung zwischen den beiden Großabschnitten dadurch stützen, dass Abschnitt B sehr viel feingliedriger gestaltet ist als Abschnitt A. Gleichwohl sind die Abschnitte A und B thematisch untrennbar miteinander verbunden. Diesbezüglich wegweisend ist die Scharnierstelle in Vv. 43–44. Jene leitet thematisch auf den Vertragsschluss über, obwohl das bestimmende Thema von Abschnitt A, nämlich die Mitnahme der Frauen, nicht konsequent verlassen wird. So muss nicht verwundern, dass beide Großabschnitte noch an späterer Stelle über die Frage nach der Zugehörigkeit und dem Ergehen der Frauen thematisch miteinander verbunden bleiben. Die Abschnitte A und B sind durch ein Ortskontinuum (Gilead) ausgezeichnet. Dem Konflikt zwischen Jakob und Laban in Abschnitt A folgt die Konfliktlösung in Form eines Vertragsschlusses in Abschnitt B. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Teilen besteht darin, dass in A der Rekurs auf JHWHs / Gottes Handeln im Wesentlichen dazu dient, die persönliche Beziehung zu Jakob herauszuarbeiten, während in B Gott als objektiver Garant eines Vertragsschlusses herangezogen wird. Eine Feingliederung ist grundsätzlich dadurch erschwert, dass sich großflächigere Themenwechsel mitunter nicht mit den Sprecherwechseln korrelieren lassen – sich Abschnitte mithin überlappen. Nach einer kurzen Exposition in Vv. 1–3261, die Jakobs Flucht mehrfach begründet, beginnt nun der erste Handlungsgang in Vv. 4–16 (II) mit dementsprechenden Vorbereitungsmaßnahmen Jakobs. Während Jakob in Vv. 1–3 im Wesentlichen Beobachter von Ereignissen ist, greift er ab V. 4 aktiv in das Handlungsgeschehen ein (‫ )וישׁלח יעקב‬und bespricht sich mit seinen Frauen. Exposition und Teilabschnitt II sind durch eine Rahmung in V. 1 und V. 16 verbunden, indem beide Male in Form von Relativsätzen auf den Besitz Labans rekurriert wird – inhaltlich indes in antithetischer Ausrichtung.262 Aufgrund der Aufbruchsnotiz in V. 17 ist ein Abschnittsende nach V. 16 mehrheitlich anerkannt.263 Gegenstand der Unterhaltung zwischen Jakob und seinen Frauen ist eine kritische Revue der Dienstjahre bei Laban. Stichwortartig wird der Abschnitt durch den Sprachgebrauch (‫ )שׂכר ;עבד‬sowohl mit Gen 29,1–30 als auch mit Gen 30,25–43 verbunden,264 wenngleich Jakobs Darstellung erheblich von der in Gen 30 abweicht. Die dif 261 Vgl. Fokkelman, Art, 151; Ruppert, Genesis III, 291; Graupner, Elohist, 253; Westermann, Genesis I/2, 598. Anders Seebass, Vätergeschichte II/2, 359, der die Exposition auf Vv. 1–2 begrenzt. Vrolijk, Wealth, 185, bewertet Vv. 1–3 als Übergangsverse. 262 Vgl. Blum, Komposition, 121. Der Besitz wird in V. 1 durch die Söhne Labans Laban zugesprochen, in V. 16 schreiben sich Labans Töchter den Besitz selbst zu. 263 Vgl. bereits Gunkel, Genesis, 341 ff.; von Rad, Genesis, 247; Seebass, Vätergeschichte II/2, 359. Wahl, Jakobserzählungen, 225, nimmt eine andere Gliederung vor: Anstatt des Einschnittes nach V. 16 wählt Wahl ein Abschnittsende mit V. 18 und lässt den neuen Gliederungsabschnitt in V. 19 beginnen und bis V. 24 reichen. Allerdings ist nicht ersichtlich, wie sich in diesem Schema V. 25 unterbringen lässt. 264 Vgl. Fokkelman, Art, 153.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

ferenzierte Kritik an Laban durch Jakob einerseits und durch Lea und Rahel andererseits und auch die mehrmaligen Verweise auf Gottes Eingreifen zugunsten Jakobs (Vv. 3.5b.7b.9.11–13.16a) sollen dessen Fluchtabsicht und die Mitnahme seiner Frauen und des erworbenen Gutes bekräftigen. Dies wird an der wiederholten Äußerung deutlich, Gott habe Laban das Vieh entzogen (‫נצל‬, Vv. 9.16). Der Abschnitt läuft insofern logisch auf ein ausdrückliches Einverständnis der Frauen zu Jakobs Flucht und ihrer Mitnahme zu, die im darauffolgenden Abschnitt narrativ entfaltet wird. Der Abschnittsbeginn von Vv. 17–25 (III) wird nach dem Dialog Jakobs mit seinen Frauen durch die Aufbruchsnotiz ‫ ויקם‬angezeigt. Jakobs Flucht nach Gilead ist kunstvoll mit dem Nachjagen Labans verbunden. Die Verfolgung gewinnt durch die dichten Zeitangaben (Vv. 22.23) an Spannung. Das schnelle Erzähltempo (drei Tage, V. 22; Sieben-Tage-Weg, V. 23) korreliert mit den sich überstürzenden Ereignissen bei Jakobs Aufbruch.265 In Vv. 17–25 gewinnt das bereits in Gen 30,33 gebrauchte Verb ‫ גנב‬an Bedeutung, das sich an späterer Stelle als Leitverb herauskristallisieren wird.266 Den Vorwurf des Diebstahls, von dem Jakob an späterer Stelle getroffen wird, bringen Rahels Diebstahl des Terafim und Jakobs „Herzensdiebstahl“ bereits subtil in die Erzählung ein. Nach einem erneuten Verweis auf Gottes Einschreiten gegen Laban (V. 24) sorgt die eigentümliche Lagerungsnotiz zu Jakob und Laban im Gebirge Gilead für eine kurze Zäsur.267 Das Aufschlagen der Zelte bleibt für den Mikrokontext an dieser Stelle ohne Funktion. Stattdessen gewinnt das Motiv des ‫ אהל‬erst im Zusammenhang mit Labans Durchsuchung der Zelte an Bedeutung (Gen 31,33–35). Das Lexem wird dort auffallend häufig gebraucht. In Vv. 26–32 (Abschnitt IV)268 wird die Handlung durch einen Dialog zwischen Jakob und Laban vorangetrieben. Das erste Gespräch der beiden Kontrahenten eröffnet Laban in V. 26 unmittelbar, nachdem er Jakob eingeholt und sich auf Gilead niedergelassen hatte (‫)ויאמר לבן ליעקב‬. Labans Frage in V. 26 (‫)מה עשׂית‬ ähnelt in der Formulierung Jakobs Frage aus Gen 29,25 (‫ )מה־זאת אשׂית לי‬und zeigt dadurch an, dass sich nun das Täter-Opfer-Verhältnis aus Labans Sicht umgekehrt hat. Laban bezichtigt Jakob drei Mal eines Diebstahls (Vv. 26.27.30), wobei 265 Dieser Zusammenhang spricht m. E. für eine Zusammengehörigkeit von Flucht und Verfolgung innerhalb eines Gliederungsabschnittes. Gegen etwa Ruppert, Genesis III, 291, der diesen Zusammenhang auf zwei Abschnitte (Vv. 17–21; Vv. 22–25) aufteilt. Ebenso Fokkelman, Art, 162.164. 266 Vgl. Klein, Jakob, 109. 267 Vg. zur Gliederungszäsur auch Westermann, Genesis I/2, 597 f.; von Rad, Genesis, 247; Taschner, Verheißung, 123. Diese Zäsur wird unterschiedlich gedeutet. Von Westermann als Punkt der Ruhe nach der vorherigen Hektik, von Taschner als Veränderung der Rolle Jakobs: Jakob entflieht der Rolle als Verfolgter und wird durch die Zäsur zum „Verhandlungspartner“ Labans. 268 Häufig wird die Abschnittszäsur erst an späterer Stelle, etwa nach V. 43, gesetzt. Vgl. etwa Ruppert, Genesis III, 291.

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er jeweils unterschiedliches Diebesgut nennt. Die Vorwürfe Labans betreffen die Tatbestände, seine Töchter wie Kriegsgefangene abgeführt (V. 26), ihn bestohlen, ihn nicht benachrichtigt (V. 27) und ihm nicht ermöglicht zu haben, sich von seinen Töchtern zu verabschieden (V. 28). Jakob äußert sich ausschließlich zu dem Vorwurf der Mitnahme der Töchter (V. 31), während er sich in den übrigen Anklagepunkten für unschuldig befindet (V. 32a). Mit dem Ende des Dialogs in V. 32 beginnt in V. 33 nun der Durchsuchungsvorgang. V. 32b fungiert hierfür als überleitendes Spannungsmoment. Mit ‫ ויבא‬wird nun der Folgeabschnitt in Vv. 33–37 (Abschnitt V) begonnen, der Labans Durchsuchung der Zelte schildert. In V. 32a wurde mit ‫ מצא‬das Leitverb eingeführt, das den vorliegenden Abschnitt dominiert (Vv. 33.34.37).269 Laban durchsucht zwar akribisch Jakobs Zelte, bleibt dabei allerdings wegen eines Tricks von Rahel erfolglos. Die auf der Ebene des Akteurwissens so erwiesene Unrechtmäßigkeit von Labans Vorgehen veranlasst Jakob zu einer Empörungsrede, die in eine Aufforderung zum Rechtsentscheid mündet (‫יכח‬, V. 37). Thematisch ist die Suche nach dem Terafim mit V. 37 beendet und auch hinsichtlich der Leitworte ist ein Abschnittsende mit V. 37 markiert. Gleichwohl setzt Jakob seine Rede im Folgeabschnitt (Vv. 38–42, VI) fort.270 Dieser zeichnet sich durch ein verändertes Leitwortcluster und eine andere Themensetzung aus. In Vv. 38–42 (Abschnitt VI) rekapituliert Jakob seinen unverhältnismäßig harten Dienst bei Laban und beginnt insofern ein neues Thema. Während der Vorabschnitt mit einem Aufruf zum Rechtsentscheid der Brüder in V. 37 endete, der nicht durchgeführt wird, schließt V. 42 mit dem Verweis auf den Rechtsentscheid Gottes (‫יכח‬, V. 42). Die Argumentationsstrategie von Abschnitt V und Abschnitt VI unterscheidet sich. Während sich Abschnitt V auf die zwischenmenschliche Überprüfung von Beweismitteln zu einem Rechtsstreit zweier gleichberechtigter Kläger bezieht, argumentiert Abschnitt VI theologisch mit einem Eintreten Gottes für einen unrechtmäßig Übervorteilten im Rahmen ungleicher Macht­ verhältnisse. Diese Tendenz der Vv. 38–42 wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass Einzelvorkommnisse im Zusammenhang mit Jakobs Dienstzeit hier nachträglich erzählt werden, über die der Leser etwa aus Gen 29–30 nicht in Kenntnis gesetzt worden ist. Die Rekapitulation von Jakobs Dienst bildet einen inneren Rahmen um den besagten Großabschnitt A als eröffnendes (II) und abschließendes Element (VI). Beide Male wird Jakobs harter Dienst (‫ )עבד‬dem Vorwurf der zehnmaligen Lohn-

269 Anders zieht Seebass, Vätergeschichte II/2, 363, zwischen V. 35 und V. 36 einen Gliederungseinschnitt. Ebenso Fokkelman, Art, 164. 270 Ruppert, Genesis III, 291, erachtet Vv. 36–42 als zusammengehörig, da hier die Gegenklage Jakobs formuliert werde. Dies ist zwar korrekt, doch zeichnet sich ein deutlicher Einschnitt auf der Leitwortebene ab, während bis V. 37 diesbezüglich eine Einheit besteht.

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veränderung durch Laban gegenübergestellt und jeweils abschließend auf Gottes Parteiergreifung für Jakob verwiesen. In Vv. 43–44 (Abschnitt VII) wird Labans Antwort auf die Rede Jakobs formuliert. Die beiden Verse fungieren als Exposition für den Großabschnitt B.271 Die Exposition führt den vorherigen Großabschnitt kohäsiv weiter (‫ )ויען לבן‬und fasst in V. 43a Jakobs Kritikpunkte aus dem Vorabschnitt zusammen (Tiere, Frauen), um im Anschluss auf Labans Einlenken überzuleiten (V. 43b).272 Laban bleibt zwar bei der Auffassung, dass ihm alles gehöre, sorgt sich allerdings um den Verbleib seiner Töchter und deren Söhne. Diese Sorge veranlasst ihn zu dem Vorschlag, mit Jakob einen Bund vor einem Zeugen zu schließen (‫)עד‬. Die Folgehandlung ist entsprechend ihrer inhaltlichen Undurchsichtigkeit nur schwer zu gliedern. Da sich sprunghafte Themenwechsel nahezu versweise vollziehen, lassen sich flächigere Kleinabschnitte nur schwer erkennen. Zunächst erscheinen mir die vornehmlichen Handlungsträger noch das sinnvollste Gliederungskriterium zu sein. Dementsprechend ließen sich Vv. 45–47 (Abschnitt VIII)273 als einen Gliederungsabschnitt fassen. Jakob erscheint hier überwiegend als Initiator für die angemessenen Vorbereitungen des Vertragsschlusses, die in der Errichtung einer Mazzebe (V. 45), dem Aufrichten eines Steinhaufens und einem dortigen Mahl (V. 46) bestehen. Während Laban den Steinhaufen mit einem aramäischen Namen belegt, gibt ihm Jakob den hebräischen Namen Galed, der an Gilead anklingt. Die tatsächliche etymologische Fundierung erhält die Namensgebung allerdings erst im Folgeabschnitt. Die Vv. 48–53a (Abschnitt IX)274, die mit ‫ ויאמר‬eine Rede Labans eröffnen, sind ausschließlich durch Laban als Sprecher bestimmt, der in mehreren Redegängen Deutungen der Mazzebe und des Haufens vorbringt und Bedingungen des Vertragsschlusses formuliert. Laban dominiert insofern einen Großteil des Handlungsgeschehens. Der Abschnitt wird mit einer Redeeinleitung eröffnet, in der nun Laban die etymologisch schlüssige Herleitung des Haufens (Galed) formuliert (V. 48). Deutlich zieht sich das damit verbundene Leitwort (‫ )עד‬durch den Abschnitt und greift V. 44 auf.275 Allerdings werden verschiedene Größen als Zeugen angeführt (Haufen, V. 48; Gott, V. 50; Haufen und Mazzebe, V. 52). Eher sinngemäß ist mit diesem Zusammenhang die ätiologische Notiz über Mizpa (V. 49) verbunden. Auch dort wird im Falle einer Nichtanwesenheit von Zeugen Gott / JHWH als Garant der Vertragseinhaltung beansprucht, allerdings entgegen 271 Ähnlich Taschner, Verheißung, 125. 272 Boecker, Isaak, 91, beurteilt V. 43 daher als „Übergangsvers“, der mit dem Vor- und Folgekontext unverbunden sei. 273 Anders etwa Ruppert, Genesis III, 291, der einen Einschnitt erst nach V. 49 setzt. Zwar zeichnet sich in V. 50 ein Themenwechsel ab, doch lässt sich ein Einschnitt nach V. 49 aus meiner Sicht nicht hinreichend begründen. 274 Vgl. zur Aufgliederung von V. 53 Ruppert, Genesis III, 291. 275 Vgl. Taschner, Verheißung, 125.

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den vorherrschenden Leitworten in seiner Funktion als Späher (‫)צפה‬. Die zu bezeugenden Inhalte betreffen zwei Themenbereiche. Zum einen soll die Gottheit im Falle einer Unterdrückung der Frauen als Zeuge fungieren (V. 50), zum anderen greift die Zeugenschaft von Mazzebe und Haufen präventiv einer gewaltsamen Überschreitung einer Gilead-Grenze vor, für deren Garantie der Gott Abrahams und der Gott Nahors als Garant (Richter) bürgen soll (Vv. 51–53a). Da der Sprecher innerhalb des Abschnittes nicht wechselt, sorgt eine neue Redeeinleitung in V. 51 für eine kurze Zäsur. Im Folgeabschnitt (Gen 31,53b–32,1, Abschnitt X) schließt Jakob die Handlung ab, indem er mit einem Schwur in den Vertrag einwilligt (‫ )וישׁבע‬und ihn mit einem Opfer und einem Opfermahl im Kreise seiner Verwandten bekräftigt. Nach einer Übernachtungsnotiz trennt sich Laban von Jakob und erhält die Möglichkeit, seine Töchter zu küssen, was ihm zuvor nicht gestattet gewesen sein soll (V. 28). Von Jakob initiierte Mahlszenen mit den Brüdern rahmen im Großabschnitt B den Vertragsschluss. Das erste Mahl findet in V. 46 nach der Errichtung des Haufens statt, das zweite in V. 54 nach Jakobs Opfer.276

5.4.4 Literarkritik Auch in der exegetischen Erforschung von Gen 31 wurden Inkohärenzen zum Anlass genommen, den Text auf Quellen zu verteilen. Dabei erschien der Wechsel in der Gottesbezeichnung (JHWH / Elohim) im ersten Abschnitt der Erzählung besonders fruchtbar für eine Quellenzuweisung gewesen zu sein. Ein Großteil des Textbestandes wurde E zugeschrieben, während Gen 31,1.3 dem Abschluss der J-Erzählung aus Gen 30,25–43* zugeteilt worden ist.277 Unter den Anhängern dieses Modells bestehen maßgebliche Diskrepanzen bei der Zuweisung der Terafim­ episode in Vv. (30.)32–37, die sowohl J278 als auch E279 zugewiesen werden konnte. Einig ist man sich allenfalls darüber, dass Vv. 41–44 den elohistischen Quellenfaden fortführe. Als Grund für eine überwiegende Zuweisung von Gen 31* zu E ist – neben dem Gottesnamenkriterium – der Widerspruch zwischen Gen 31* (E) und Gen 30,25–43* (J) hinsichtlich der Darstellung der Dienstzeit Jakobs an 276 Die zweifache Mahlgemeinschaft dient einer erzählerischen Ausgestaltung des Vertrages und verleiht ihm einen rituellen Anstrich. Insofern führt die doppelt geschilderte Mahlgemeinschaft nicht zwingend zu der Annahme einer Dublette. So z. B. Wellhausen, Composition, 41 f. 277 Vgl. bereits Wellhausen, Composition, 37 f.; Gunkel, Genesis, 340 f. Otto, Jakob, 49, schreibt einen größeren Bestand der Fluchtschilderung J zu. Nach dem Verzicht auf die Annahme eines Elohisten, weist Levin, Jahwist, 238, seiner jahwistischen Redaktion nur noch Vv. 3.21a*.45.49.50a* zu. Bezüglich Vv. 3.49 vgl. auch Kratz, Komposition, 271. 278 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 373 f.; Graupner, Elohist, 269: „die elohistische Fassung [weiß] von Rahels Diebstahl nichts.“ Bei Ruppert, Genesis III, 314 f. = Jehowist. 279 Vgl. Gunkel, Genesis, 344; von Rad, Genesis, 247; Otto, Jakob, 50; Nentel, Jakobserzählungen, 167–170.

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geführt worden. Darüber hinaus wurde mit Querbezügen zu den vermeintlichen Quellensträngen von Gen 28,10–22* ebenso argumentiert,280 wie mit vermeintlichen Dubletten innerhalb von Gen 31.281 Grundsätzlich erweise sich Jakob im J-Text wesentlich deutlicher als Trickster, während dieser Charakterzug in E zurückgenommen werde. In E geschehe dies maßgeblich durch die dominante Rolle, die Gott dort zufalle.282 Obwohl dem sachlich zuzustimmen ist, sind die Probleme, die eine Scheidung von Quellen im vorliegenden Abschnitt verursacht, offenkundig. Die Hauptprobleme bestehen zum einen in den unüberbrückbaren Lücken innerhalb der Quellen, und zum anderen darin, dass Vv. 4–16 (E) nicht ohne den Vorkontext (J) zu verstehen sind.283 Hinsichtlich des Vertragsschlusses in Gilead war die Quellenscheidung insofern ein besonders verlockendes Erklärungsmodell, da sich eine literarhistorische Zergliederung in einen familiären und einen völkergeschichtlich relevanten Vertrag besonders gut für eine Teilung des Textes eignete.284 Dabei wurde der familiäre Vertrag (V. 50) überwiegend E zugeschrieben, der völkerrechtliche Vertrag (Vv. 51–53a) überwiegend J.285 Umstritten war die Zuordnung der Vv. 53b–32,1 zu J oder zu E. Von Vertretern einer Quellenscheidung ist gesehen worden, dass man unter dieser Bedingung zusätzlich mit ausgleichenden Notizen (Vv. 51–52a) oder Glossen (Vv. 47.49) zu rechnen hat.286 Dies zieht die Stringenz der These in Zweifel,287 was zusätzlich dadurch erhärtet wird, dass eine Zuweisung etwa zu J nahezu ohne klare Kriterien erfolgen muss.288 Eine Quellenzuweisung bewährt sich im vorliegenden Abschnitt folglich nicht.

280 So z. B. im Falle des Bezuges von V. 13 auf 28,20–22 (E); oder V. 3 auf Gen 28,15 (J). 281 Zu den Dubletten vgl. Nentel, Jakobserzählungen, 150: a) Jakobs Absicht Laban zu verlassen (30,25 f. (J) // 31,5 ff. (E)); b) Jakobs Reichtum (30,25–43 (J) // 30,32–34; 31,7–9 (E)); c) Verschlechterung des Verhältnisses (31,1 (J) // 31,2 (E)); d) Bezugnahmen auf Bet-El (31,3 (J) // 31,5.(9.).13 (E). Vgl. darüber hinaus Graupner, Elohist, 256. 282 Vgl. Nentel, Jakobserzählungen, 150–153; Graupner, Elohist, 270. 283 Vgl. Blum, Komposition, 122; Taschner, Verheißung, 131. So bliebe etwa Labans Missgunst in E ohne Anlass. Vgl. Blum, Jacob Tradition, 203. Vgl. Zur Auseinandersetzung mit der Quellenscheidung in diesem Abschnitt Carr, Fractures, 262. 284 Deren Überzeugungskraft zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sich die Differenzierungen bis in heutige Zeiten auch im Rahmen eines Fortschreibungsmodells grundsätzlich gehalten haben. 285 Vgl. etwa Gunkel, Genesis, 351; Nentel, Jakobserzählungen, 196 f.; Otto, Jakob, 50. Bei Ruppert, Genesis III, 321, handelt es sich bei Vv. 50.51.52.53 um E. Ähnlich Wellhausen, Composition, 42, der Vv. 45.51–54 E, Vv. 46.48a.50a J zuwies. Anders Seebass, Vätergeschichte II/2, 371, der nicht zwischen beiden differenziert und beide E zuordnet. 286 Vgl. Wellhausen, Composition, 41; Gunkel, Genesis, 351.353. In Abschnitt A betraf dies Vv. 10.12. Vgl. Wellhausen, Composition, 38 („unsicheren Ursprungs“). 287 Siehe zur Problematik bereits Wellhausen, Composition, 40; Gunkel, Genesis, 350. Vgl. zu den Gegenargumenten etwa Taschner, Verheißung, 135 f. 288 Vgl. ausführlicher Carr, Fractures, 261 f.

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Jakobs Flucht und seine Übereinkunft mit Laban 

5.4.4.1 Priesterschriftliche Textanteile (Gen 31,17–18*) Der marginale Einsatz der P im vorliegenden Abschnitt korreliert mit dem insgesamt spärlichen Einsatz der P in der gesamten Jakoberzählung. Umstritten ist der Umfang der P-Notiz, die gemeinhin – und zu Recht – im Umfeld von Gen 31,17–18 vermutet wird.289 Während Blum und Carr die Vv. 17–18 P zurechnen,290 hat Wöhrle gegen diese umfangreiche Zuschreibung in jüngerer Zeit Einspruch erhoben.291 Wöhrle begründet seine Widerrede mit dem fehlenden motivischen Einsatz von Kamelen in P, und dem ansonsten dort nicht belegten Sprachgebrauch von ‫נהג‬.292 Wöhrle begrenzt den Umfang der P-Notiz entsprechend auf die Notiz innerhalb von V. 18, die mit ‫ ואת־כל־רכשׁו‬beginnt.293 Zur Klärung sind diejenigen P-Notizen heranzuziehen, die mit Gen 31,17–18 deutliche Parallelen aufweisen. Dabei handelt es sich um die Wegzugsnotizen aus Gen 12,5; 13,6; 36,6 und 46,6.294 Da insbesondere Gen 12,5 und Gen 36,6 starke Parallelen aufweisen, sollen die Passagen im Folgenden verglichen werden: Elemente

Gen 12,5

Gen 31,17–18

Mitnahme der Familie

‫אַב ָרם֩ ֶאת־ ָשׂ ַ ֨רי‬ ְ ‫וַ יִּ ַקּ ֣ח‬ ‫אָחיו‬ ִ֗ ‫ִא ְשׁ ֜תֹּו וְ ֶאת־ל֣ ֹוט ֶבּן־‬

Mitnahme des Besitzes

‫שׁר‬ ָ ‫וְ ֶאת־ ָכּל־ ְר‬ ֣ ֶ ‫כוּשׁם֙ ֲא‬ ‫ָר ָ ֔כשׁוּ וְ ֶאת־ ַה ֶנּ ֶ֖פשׁ‬ ‫ֲא ֶשׁר־ ָע ֣שׂוּ ְב ָח ָ ֑רן‬

‫וְ ֶאת־ ִמ ְק ֵנ֣הוּ‬ ‫וַ יִּ נְ ַ ֣הג ֶאת־כָּ ל־ ִמ ְק ֵ֗נהוּ‬‎18 ‫שׁר‬ ֣ ֶ ‫וְ ֶאת־כָּ ל־ ְבּ ֶה ְמ ֗תֹּו וְ ֵאת֙ ָכּל־ וְ ֶאת־ ָכּל־ ְר ֻכשׁ ֹ֙ו ֲא‬ ֥ ֶ ‫ִקנְ יָ נֹ֔ו ֲא‬ ‫ָר ָ ֔כשׁ ִמ ְקנֵ ה֙ ִקנְ יָ נֹ֔ו‬ ‫שׁר ָר ַ ֖כשׁ ְבּ ֶ ֣א ֶרץ‬ ֥ ֶ ‫ֲא‬ ‫שׁר ָר ַ ֖כשׁ ְבּ ַפ ַ ֣דּן ֲאָ ֑רם‬ ‫ְכּ ָנ ַ֑ען‬

Wegzugsnotiz ‫וַ יֵּ ְצ ֗אוּ לָ לֶ ֙כֶ ת֙ אַ֣ ְר ָצה כְּ ַנ ַ֔ען‬ ‫וַ יָּ ֹ֖באוּ אַ֥ ְר ָצה כְּ ָנ ַֽען׃‬

‫אָביו‬ ֖ ִ ‫ִיצ ָ ֥חק‬ ְ ‫וַ ֵיּ֣לֶ ְך ֶאל־ ֶ ֔א ֶרץ ִמ ְפּ ֵנ֖י יַ ֲע ֥ ֹקב לָ ֛בֹוא ֶאל־‬ ‫אַ֥ ְר ָצה כְּ ָנ ַֽען׃‬ ‫אָחיו׃‬ ִֽ

‫שּׂא‬ ֛ ָ ִ‫וַ ָיּ ָ֖קם יַ ֲע ֑ ֹקב וַ יּ‬‎17 ‫שׁיו‬ ֖ ָ ָ‫ֶאת־ ָבּ ָנ֥יו וְ ֶאת־נ‬ ‫ַעל־ ַהגְּ ַמ ִלּֽים׃‬

Gen 36,6 ‫וַ יִּ ַקּ ֣ח ֵע ֡ ָשׂו ֶאת־ ֠ ָנ ָשׁיו‬ ֮‫וְ ֶאת־ ָבּ ָנ֣יו וְ ֶאת־ ְבּנ ָֹתיו‬ ֒‫וְ ֶאת־כָּ ל־נַ ְפ ֣שֹׁות ֵבּיתֹו‬

Die Mitnahme der Familie stellt in allen genannten Notizen einen integralen Bestandteil dar, was eine literarkritische Binnendifferenzierung zwischen V. 17 und V. 18* fraglich erscheinen lässt.295 Im Gegensatz zu Gen 12,5 und Gen 36,6 fällt in Gen 31,17 hingegen tatsächlich auf, dass jene Mitnahme mit dem Aufladen auf die 289 Einen Einsatz der P an besagter Stelle bestreitet Taschner, Verheißung, 135. Kritisch auch Rendtorff, Problem, 116–119, demzufolge die Erwähnung Isaaks als Lebenszeichen eine wichtige Signalwirkung erfülle. 290 Vgl. Blum, Komposition, 130; Carr, Fractures, 106. 291 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 82. 292 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 82 Anm. 37. 293 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 82. Zuvor bereits Wellhausen, Composition, 37; Boecker, Isaak, 84; Seebass, Vätergeschichte II/2, 371; Westermann, Genesis I/2, 601. 294 Vgl. auch Wöhrle, Fremdlinge, 82, mit vermutlich fehlerhafter Versangabe bei Gen 36. 295 Vgl. Blum, Jacob Tradition, 191 Anm. 26; Blum, Profil, 36 Anm. 9.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

Kamele untrennbar verbunden ist, die ansonsten in P nicht genannt werden. Unter der Voraussetzung, dass P sich hier – wie auch andernorts – in der Jakoberzählung zum non-P-Bestand als Redaktion verhält, muss dieser Umstand allerdings nicht zwingend gegen eine P-Zuordnung sprechen. Inhaltlich ergeben sich für P Anknüpfungspunkte an Rahels Verstecken des Terafim im Kamelsattel (Gen 31,34) im unmittelbaren non-P-Kontext. Auch in dem unstrittigen P-Anteil von V. 18 ist P an ihrem literarischen Umfeld orientiert. Der dort genannte Viehbesitz (‫)מקנה‬ wird bereits in Gen 30,29 erwähnt und ist darüber hinaus auch in Gen 31 im nonP-Bestand präsent (Gen 31,9).296 Trotz der großflächigeren P-Zuschreibung sind innerhalb von V. 18 Inkohärenzen im Erzählfluss erkennbar. Wöhrle, der die Auffälligkeit der doppelten Nennung des Viehbesitzes (‫ )מקנה‬zum Anlass für eine literarkritische Differenzierung nimmt,297 beruft sich primär auf terminologische Erwägungen. Allerdings sind in diesem Zusammenhang die syntaktischen Auffälligkeiten weitaus signifikanter. Wie in Gen 12,5, so ist auch in Gen 31,18 die Relativkonstruktion ‫ רכשׁו אשׁר רכשׁ‬wiederzuerkennen. Jene Wendung ist ausschließlich in Versen bezeugt, die P zugeschrieben werden (vgl. Gen 46,6).298 In V. 18 ergeben sich diesbezüglich allerdings Inkohärenzen, da das Eigentum zwei Mal mit einer ‫אשׁר‬-Konstruktion näherbestimmt wird. Dabei scheint die Wendung ‫ואת־כל־רכשׁו‬ ‫ אשׁר רכשׁ מקנה קנינו‬nachholend zu korrigieren, dass Jakob nicht sein Vieh und seine Habe, sondern lediglich das Vieh, das er rechtmäßig erworben hatte, mitführt.299 Dabei weist die – aller Wahrscheinlichkeit nach redaktionelle – Ergänzung einen P-typischen Sprachgebrauch auf. Dies legt ein Vergleich mit Gen 36,6 unmissverständlich offen.300 Die Vv. 17bf.*301 bilden einen stringenten Zusammenhang. Die Notiz präpariert die Flucht Jakobs in V. 21 und differenziert sie proleptisch aus. Dabei legt P, konzeptionell vergleichbar zur Abrahamnotiz, einen Schwerpunkt auf die Aussage, Jakob habe seinen Reichtum erworben.302 Insofern zeichnet sich in den Vv. 17bf. ein gewisses Eigengewicht ab, das vom literarischen Umfeld unterschieden ist. Auf der Ebene der Syntax ist diesbezüglich die Inversion in V. 19 richtungsweisend, die

296 Der kontextabhängige Gebrauch des Nomens ist insofern ohnehin gegeben. Eine Differenzierung der beiden Belege des Nomens ist als Beweis für eine literarische Abhängigkeit Ps von non-P insofern nicht per se zwingend. Gegen Wöhrle, Fremdlinge, 83. 297 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 82, insbes. Anm. 37. 298 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 83. 299 Vgl. zu dieser Betonung (allerdings unter synchroner Betrachtung) Vrolijk, Wealth, 195. 300 Aus ähnlichen Gründen ordnet Kratz, Komposition, 271, wohl den gesamten V. 18 als nach-P ein. 301 Bei V. 17a wird es sich um einen Teil des Grundbestandes handeln. 302 Vgl. Gen 12,5; 13,6; 31,18*; 36,6; 46,6. Siehe zu weiteren Erwägungen Wöhrle, Fremdlinge, 83 f.

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zu einem neuen Erzählgang ansetzt.303 Gleichwohl orientiert sich die P stark an ihrem non-P-Umfeld, indem sie mit der Erwähnung der Kamele auf das TerafimVersteck Rahels vorbereitet. P erweist sich hier folglich deutlich als kontext­ abhängig. Dennoch ist innerhalb der P in V. 18 literarkritisch zu differenzieren. Die Syntax weist auf eine nach-P-Ergänzung hin, die sich an P orientiert und notizartig die Differenzierung nachholt, Jakob habe lediglich das Vieh seines Eigentums mitgeführt. Damit erreicht die Ergänzung eine Freisprechung Jakobs von dem Vorwurf, er habe weitere Güter gestohlen und festigt gleichzeitig das Urteil, dass Jakob diese Herden rechtmäßig als Eigentum zustehen. Die P übernimmt – wie auch die an ihr orientierte Bearbeitung – eine kommentierende Funktion für den non-P-Abschnitt unter der Zielstellung, Jakobs Rechtschaffenheit hervorzuheben. Diese Ausrichtung korreliert mit den bisherigen Beobachtungen, die sich zu P in der Jakoberzählung feststellen ließen.

5.4.4.2 Rückkehrbefehl in Gen 31,3 Gen 31,3 wird in der Forschung überwiegend und berechtigt als sekundärer Zusatz bewertet.304 Die unvermittelt eingeführte JHWH-Rede stellt keinen Bezug zu Jakobs Fluchtanlass her. Anstatt der negativ veränderten Einstellung gegenüber Jakob soll seine Abreise nun durch einen göttlichen Auftrag zur Rückkehr begründet werden. Darüber hinaus erwähnt Jakob den Auftrag JHWHs gegenüber seinen Frauen nicht, obwohl jene Begründung nützlich wäre, um seine Frauen zu überzeugen.305 Auf eine sekundäre Erweiterung weisen auch die Querbezüge des Verses hin. V. 3 hat sprachliche Anleihen an diejenigen Verheißungselemente der Bet-El-Erzählung, die dem Grundbestand der Bet-El-Erzählung zugewiesen worden sind. JHWH (Gen 28,13) versichert Jakob seines Mitseins während einer Traumvision (Gen 28,15a). Diese Mitseinszusage ist im Vergleich zu den übrigen Väterverheißungen für die Jakoberzählung spezifisch. So ist diese über Gen 31,3 und Gen 28,15a hinaus, auch in der Protasis des Gelübdes von Gen 28,20–22 (‫ אמ־יהוה אלהים עמדי‬/ wenn Gott mit mir ist) und in Jakobs Gebet von Gen 32,10–13 (‫איטיבה עמך‬‎ […] ‫ האמר‬/ der du gesagt hast: ‚[…] ich 303 Vgl. Blum, Komposition, 128. 304 Vgl. Blum, Komposition, 121; Rendtorff, Problem, 132; Boecker, Isaak, 85; Klein, Jakob, 101; Willi-Plein, Genesis, 202; Westermann, Genesis I/2, 598 f.; Ruppert, Genesis III, 293; Levin, Jahwist, 237, als jahwistische Redaktion; von Rad, Genesis 247. Dagegen hält Seebass, Vätergeschichte II/2, 360, V. 3 für einen integralen Bestandteil der Erzählung. So auch Taschner, Verheißung, 109 Anm. 103. Taschner erachtet das Hin und Her zwischen Jakobs Bedrohung und dem Mitsein Gottes als im Grundbestand angelegt. In V. 3 sei die theologische Ebene repräsentiert. Wie sich noch zeigen soll, unterscheidet sich V. 3 allerdings von den übrigen göttlichen Mitseinszusagen in Gen 31. Anzeichen hierfür bietet bereits die singuläre Erwähnung des Gottesnamens in diesem Abschnitt. Gegen eine Zuweisung von Vv. 1.3 und V. 2 zu unterschiedlichen Quellen spricht, dass Vv. 1.2 im Rahmen einer Steigerungslogik aufeinander angelegt sind. 305 Vgl. z. B. Kessler, Querverweise, 119.

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Jakobs Aufenthalt bei Laban

will es gut sein lassen mit dir) implizit belegt.306 Bei beiden Belegen handelt es sich um spätere Erweiterungen zur ursprünglichen Jakoberzählung.307 Aufgrund des Sprachgebrauchs von ‫( ארץ אבותיך ולמולדתך‬Land deiner Väter und zu deiner Verwandtschaft) weist V. 3 darüber hinaus Verbindungen zum Auszugsbefehl an Abraham aus Gen 12,1a (‫ )מארצך וממולדתך‬auf.308 Dennoch zeichnen sich zum einen in den Formulierungen Unterschiede ab, zum anderen wird die Mitseinszusage in Gen 12,1–3 nicht aufgegriffen. Umgekehrt rezipiert Gen 31,3 noch keine Verheißungsinhalte aus Gen 12,1–3, anders als etwa die deutlich sekundären Passagen von Gen 28,13–14. Da sich die Abweichungen in Gen 31,3 von Gen 12,1–3 kaum als intendiert erklären lassen, da sie bei literarischer Abhängigkeit im vorliegenden Kontext von Gen 31 ihren sinnvollen Platz hätten, erscheint es naheliegend, Gen 31,3 redaktionsgeschichtlich früher als Gen 12,1–3 anzusetzen. Dies entspricht den Übereinstimmungen der Rückkehrzusage von Gen 31,3 mit Gen 28,15a*.309 Der Teilvers wurde dem Grundbestand der BetEl-Erzählung zugewiesen. Die genannte Entsprechung lässt den kompositorischen Rückschluss zu, dass Gen 31,3 im Zusammenhang mit Jakobs Rückreise als Pendant zur Bet-El-Erzählung ergänzt worden ist. Wie in Gen 28,10–19* setzt Gen 31,3 einen Gegenakzent zur Flucht des Erzvaters. In beiden Fällen verdanken sich die Reisen Jakobs nun der Erfüllung eines göttlichen Auftrags.310 Insbesondere die jeweiligen Zielorte werden so in ihrer Bedeutung nachhaltig aufgeladen und die dortigen Geschehnisse unter ein Bewahrungshandeln Gottes gegenüber Jakob gestellt.

5.4.4.3 Gottes Eintreten für Jakob (Gen 31,5b.7b–13.16.20.24–25a.29–30a.42) Im größeren Rahmen von Gen 31,4–16 sind erhebliche Widersprüche zu den in Gen 30,25–43 geschilderten Ereignissen erkennbar. Am offensichtlichsten ist davon die Traumvision in Gen 31,10–13 betroffen, die Jakobs Herdenreichtum – nicht wie in Gen 30,25–43 – auf dessen Züchtungserfolge zurückführt, sondern als Ergebnis eines willentlichen Eingreifens Gottes mittels buntgescheckter Böcke betrachtet. Darüber hinaus soll Laban Jakob nicht ausnahmslos alle buntgescheckten Tiere zugestanden haben (so der Fall in Gen 30,25–43), sondern er soll zwischen der spezifischen Scheckung der Tiere zu seinen Gunsten differenziert 306 Vgl. etwa Köckert, Vätergott, 319; Blum, Komposition, 152–164, der Gen  28,15; 31,3; 32,10–13 seiner D-Bearbeitung zuweist. Für dieses Urteil ergeben sich in Gen 31,3 allerdings keinerlei Anhaltspunkte, die eine Zuweisung zu einer D-Bearbeitung stützen könnte, oder die von Blum angenommene Abhängigkeitsrichtung erzwingen. 307 Zur literarkritischen Bewertung von Jakobs Gebet s. u. Kap. 6.1.4, 236. 308 Vgl. Köckert, Jakobüberlieferung, 60. 309 Vgl. Levin, Väterverheißungen, 143, allerdings als jahwistische Redaktion. 310 Vgl. Köckert, Jakobüberlieferung, 60; Boecker, Isaak, 85.

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haben (Gen 31,8). Die erheblichen Abweichungen zwischen Gen 30,25–43 und Gen 31,4–16 wurden in der älteren Forschung durch eine Verteilung auf zwei Quellen gelöst. In neueren Beiträgen wird zur Erklärung ein redaktionsgeschichtliches Modell bevorzugt.311 Eine literarkritische Lösung ist nicht nur aufgrund der erheblichen Abweichungen zu Gen 30,25–43 angeraten, sondern ist auch aufgrund der Querbezüge zur Bet-El-Erzählung in Gen 28,10–22* angezeigt. Die Engelerscheinung korrespondiert mit der Traumvision von Engeln in Gen 28,10–22*, die das Herauf- und Herabsteigen der Engel auf einer Leiter schildert. Das dort gebrauchte Wort ‫ עלה‬für das Heraufsteigen der Engel wird in dem Traumvisionsbericht in Gen 31,10.12 aufgenommen, allerdings an die Situation angepasst, indem hier Böcke auf das Kleinvieh „heraufsteigen“ (‫)עלה‬/es begatten.312 Redaktionsgeschichtlich einschlägig ist der explizite Verweis auf das entstehungsgeschichtlich spät eingeordnete Gelübde.313 Die Traumerzählung setzt mithin die Endgestalt der Bet-El-Erzählung voraus. Darüber hinaus ist literarkritisch auffällig, dass der Auftrag zum Wegzug in Gen 31,13 bereits während der Dienstzeit Jakobs veranschlagt wird, wohingegen er in Gen 31,3 erst im Anschluss daran vorgenommen wird.314 Gen 31,13 und Gen 31,3 haben wörtliche Verbindungen und legen eine literarische Beziehung der beiden Verse nahe: ‫אל־יַ ֲע ֹ֔קב‬  ֽ ֶ ֙‫יְ הוָ ה‬ ‫אמר‬ ֶ ‫וַ ֤ ֹּי‬‎31,3  Und JHWH sprach zu Jakob: ֶ ‫„ ׁ֛ש‬Kehre zurück in das Land deiner Väter und ‫אל־‬ ‫ּוב‬ ‫ע ָ ּֽמְך׃‬ ‫֖ה‬ ִ ‫וְ ֶ ֽא ְהֶי‬ ‫ֹול ְד ֶ ּ֑תָך‬ ַ ‫ּולְ מ‬ ‫ֹותיָך‬ ֖ ֶ ‫אב‬ ‫ץ‬ ֲ ‫ ֶ ֥א ֶר‬das Land deiner Verwandtschaft und ich will mit dir sein.“ ֵ ‫ק‬ ‫ה‬ ‎‎‎‫מן־ ָה ָ ֣א ֶרץ ַה ֹּז֔את‬  ִ ֙‫צא‬ ‫ּום‬ ֥ ‫ע ָּ֗ת‬‎ ַ 31,13b  „Nun, mache dich auf, zieh aus diesem Land ‫ֹול ְד ֶ ּֽתָך‬ ַ ‫מ‬ ‫אל־ ֶ ֥א ֶרץ‬ ‫ּוב‬ ֶ ‫ וְ ׁ֖ש‬und kehre zurück in das Land deiner Verwandtschaft.“

Im Rückkehrauftrag von Gen 31,13b wird die Mitseinszusage aus Gen 31,3 nicht rezipiert. Dies verwundert insbesondere aufgrund des Umstandes, dass im Rahmen der Traumschilderung auf das Gelübde in Gen 28,20–22 rekurriert wird, in dem die Mitseinszusage zentral verankert ist. Bezieht man den Kontext von Gen 31,13b ein, wird dort Gottes Sein mit Jakob auf vielfältige Weise bereits konkretisierend geschildert und in Gen 31,5 explizit erwähnt. Es liegt aus diesem Grund nahe, dass die Mitseinszusage in Gen 31,13b nicht erneut wiederholt wird. Gen 31,13 erweist sich insofern als verkürzter Rückkehrauftrag, der Gen 31,3 311 Vgl. hierzu Blum, Komposition, 123 f. Anders Westermann, Genesis I/2, 599, der die abweichende Darstellung von Gen 30 nicht als Anlass zur literarkritischen Trennung gelten lässt. Westermann versucht die Abweichung durch die Kommunikationssituation zu erklären. 312 Vgl. Vrolijk, Wealth, 187. 313 Zur redaktionsgeschichtlichen Einordnung des Gelübdes siehe Kap. 4.4, 111. 314 Vgl. Blum, Komposition, 120 Anm. 5.

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inhaltlich voraussetzt. Insofern ließe sich die Traumvision Gen 31,3 redaktionsgeschichtlich nachordnen.315 Fraglich bleibt die literarische Schichtung innerhalb der Vv. 4–16 im Einzelnen. Dabei ist das Verhältnis zwischen den Rückverweisen auf Gottes Wirken und dem Gespräch Jakobs mit seinen Frauen besonders umstritten. Bei Vv. 4–16* wird entweder a) insgesamt von einer nachholenden Erzählung auszugehen sein,316 b) lediglich die Traumvision in Vv. 10–13 einer Erweiterung zuzuschreiben sein, c) Vv. 7–13 als Fortschreibung zu beurteilen sein317 oder d) die Rekurse auf das göttliche Eingreifen als sekundär bewertet werden müssen.318 Zunächst lässt sich eine isolierte Aussonderung der Vv. 10–13 nicht plausibel begründen. Einer Differenzierung zwischen den Vv. 7–9 einerseits und Vv. 10–13 andererseits steht entgegen, dass die beiden Abschnitte inhaltlich aufeinander aufbauen. Ohne Vv. 10–13 bliebe im Dunkeln, wie Jakob zu der Deutung in Vv. 7–9 gelangt. Umgekehrt setzt V. 13 den Zusammenhang von Vv. 7–9 voraus, da die Traumvision in Vv. 10–13 die Art und Weise schildert, wie Gott gegen die unrechtmäßige Lohnänderung vorgeht, die in Vv. 7–9 geschildert wurde. Beide Abschnitte sind darüber hinaus durch die gestreiften und gesprenkelten Tiere leitwortartig miteinander verzahnt und unterscheiden sich in dieser Darstellung beide von der Darstellung in Gen 30,25–43, wo darüber hinaus schwarze Lämmer erwähnt sind. Nicht zuletzt setzen sowohl Vv. 7–9 als auch Vv. 10–13 gegen Gen 30,25–43 eine Lohnänderung Labans voraus. V. 9 erfüllt dabei deutende Überschriftfunktion für Vv. 10–13. Vv. 10–13 sind von ihrem Kontext insofern nicht zu lösen.319 Die Traumerzählung im engeren Sinne ist literarkritisch umstritten. Grundsätzlich fraglich ist, ob zwischen V. 13 und Vv. 10–12 eine literarische Schichtung erkennbar ist, oder ob die Verse gleichursprünglich sind.320 Vordergründig könnte ein Widerspruch darin bestehen, dass V. 12 einen Gottesengel erwähnt, während sich Gott in 315 Vgl. zu einer Abhängigkeit der Vv. 11–13 von V. 3 Westermann, Genesis I/2, 600. Vgl. zu einer umgekehrten redaktionsgeschichtlichen Beurteilung etwa Carr, Fractures, 213; Blum, Komposition, 299–301. 316 Vgl. z. B. Carr, Fractures, 262.; Blum, Jacob Tradition, 203 f.; Nocquet, Question, 99 f. 317 Vgl. Neumann, Jacob, 42 f. 318 Vgl. Dietrich, Israel, 120; Kratz, Komposition, 270 Anm. 53. 271, allerdings in etwas abweichendem Umfang als nachjahwistische Erweiterung: Gen  31,1.5b–13.15–16.18.24–25.29– 30a.32–42. Gegen etwa Blum, Komposition, 119; Taschner, Verheißung, 110. 319 Vgl. Köckert, Jakobüberlieferung, 61; Blum, Komposition, 120 Anm. 5; Carr, Fractures, 212. 320 Häufig werden in diesem Zuge die Vv. (10).12(a) als Zusätze bewertet. Vgl. Wellhausen, Composition, 37 f.; von Rad, Genesis, 248 f.; Kessler, Querverweise, 123; Levin, Jahwist, 255; Boecker, Isaak, 86; Seebass, Vätergeschichte II/2, 361; Ruppert, Genesis III, 295. Allerdings entbehrt Jakobs Postulat in V. 9 dann einer autoritativen Untermauerung. Mitunter wird auch V. 13 oder Teile davon als Erweiterungen in Erwägung gezogen. So hält Boecker, Isaak, 86, V. 13a für einen Zusatz; Levin, Jahwist, 242, hebt von der Erweiterung um den Traum nochmals V. 13aγ als zusätzliche Erweiterung ab. Dagegen Blum, Komposition, 118.

Jakobs Flucht und seine Übereinkunft mit Laban 

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V. 13 als Gott Bet-Els vorstellt und einen vermeintlich plötzlichen Rekurs auf das Gelübde der Bet-El-Erzählung vorbringt. Indes liegt aufgrund der Botenrede nicht zwingend ein Sprecherwechsel im eigentlichen Sinne vor. V. 13 wird als Selbstvorstellung Gottes im Munde des Engels schlüssig erklärbar.

Eine isolierte Aussonderung der Vv. 7–13 ist ebenso problembehaftet. V. 16 nimmt durch den Gebrauch der Wurzel ‫ נצל‬deutlich auf V. 9 Bezug. Darüber hinaus kann sich der Rekurs auf den Gottesauftrag in V. 16b nur auf die Aufforderung von V. 13 im Rahmen der Gottesrede rückbeziehen. Das Aufmerksamkeitsmoment ‫עתה‬ mag die Verbindung zusätzlich stützen. Insofern stünde zur Debatte, die gesamte Unterhaltung Jakobs mit seinen Frauen in Vv. 4–16 als Erweiterung in Erwägung zu ziehen. Redaktionsgeschichtlich ließe sich dies auch insofern plausibilisieren, als die redaktionelle Erweiterung dann beabsichtigte, dem Vorwurf Labans, Jakob habe die Töchter wie Kriegsgefangene weggeführt, proleptisch durch deren Zustimmung den Boden zu entziehen. Indes verweisen literarkritische Beobachtungen am Text auf eine kompliziertere Wachstumsgeschichte. Zunächst führen Vv. 4 f. inhaltlich V. 2 fort und sind stringent daran angeschlossen (‫ראה אנכי‬ ‫)את־פני אביכן‬.321 Darüber hinaus gibt sich der Verweis auf Gottes Mitsein in V. 5b, der Vv. 4–6 mit V. 3 und den Folgeversen verbindet, als redaktioneller Zusatz zu erkennen.322 Der Verweis auf Gottes Beistand in V. 5b unterbricht den argumentativen Zusammenhang von V. 5a.6 deutlich. Jakob will seine Frauen dort von der Rechtmäßigkeit einer Flucht überzeugen. Diese gründet nicht in dem Mitsein Gottes, sondern in der ungerechten Behandlung durch Laban, die auch von den Töchtern in Vv. 14 f. vorgebracht wird. V. 5b deutet indes eine konzeptionelle Verbindung mit dem Rückkehrauftrag aus V. 13 an, und weist somit auf eine Gleichursprünglichkeit der Passagen hin. Eine zu V. 5b ähnlich gelagerte Unterbrechung der Argumentationsstruktur setzt mit V. 7b ein. Beide Teilverse sind nicht nur durch den Verweis auf Gottes Eingreifen (‫)אלהים‬, sondern auch lexematisch durch ‫ עמדי‬miteinander verbunden. An beiden Stellen ergibt der Verweis auf Gottes Einstehen für Jakob im Kontext einer Fluchtbegründung keinen Sinn, will er die Dringlichkeit der Flucht betonen. Mithin handelt es sich bei Vv. 4–16 nicht in Gänze um eine Erweiterung, sondern lediglich bei denjenigen Passagen, die auf Gottes Wirken rekurrieren. Dagegen ließe sich anführen, dass V. 7a mit dem Verweis auf die zehnmalige Lohnänderung bleibend mit Gen 30,25–43 im Widerspruch steht. Jedoch ist dieser Einwand insofern zu entkräften, da der Ausdruck als stehende Wendung auch in Num 14,22 im Kontext eines Vorwurfs gebraucht wird und hier wie dort nicht

321 Vgl. Neumann, Jacob, 42. 322 Vgl. Levin, Jahwist, 242; Westermann, Genesis I/2, 599, allerdings unsicher; Willi-Plein, Genesis, 210.

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zwingend wörtlich zu verstehen ist.323 Eine „Lohnänderung“ Labans hat tatsächlich hinsichtlich der Töchter stattgefunden, doch muss aufgrund der Kommunikationssituation nicht verwundern, dass Jakob diesen Sachverhalt Lea und Rahel gegenüber nicht betont. Mittels sprachlicher und motivischer Anleihen an die Bet-El-Erzählung einerseits und einer korrigierenden Relecture von Gen 30,25–43 andererseits soll Jakobs Rechtschaffenheit, mittels der redaktionellen Verse in Gen 31,5b.7b–13.16 fundiert, und Jakobs Reichtum als Bewahrungsakt Gottes inszeniert werden.324 Diese Herleitung relativiert Jakobs trickreiche Besitzmehrung entschieden.325 Auf synchroner Ebene nimmt der Redaktor hier offenbar in Kauf, dass Jakob zur Überzeugung seiner Frauen eine andere Darstellung als in Gen 30 wählt. Allerdings ist zuzugestehen, dass der summarische Bericht von Gen 30 eine Ausschmückung der Art von Gen 31 zulässt, und keinen Schwindel Jakobs als Interpretation erzwingt.326 Literarkritische Anzeichen im Text sprechen dafür, dass es sich auch bei der zweiten Traumoffenbarung Gottes von Gen 31 um eine Erweiterung handelt. Vor der Begegnung mit Jakob warnt Gott Laban in einem Traum, böse mit Jakob zu reden (Gen 31,24). Die Querverbindung zur Erweiterung aus Gen 31,7b–13 lässt sich nicht nur an der Tatsache der Traumoffenbarung an sich erkennen, sondern V. 24 weist über ‫ רע‬eine wörtliche Querverstrebung mit Gen 31,7b auf. V. 24 konkretisiert nun, was V. 7b postuliert hatte, nämlich, dass Gott eine schlechte Behandlung Jakobs durch Laban nicht duldet. V. 24 ist auf mehrfache Weise seinem Kontext enthoben. Der Vers verursacht einen Bruch im Zeitgefüge, da von keiner Übernachtung die Rede ist und insofern der Traum Labans zeitlich in der Luft hängt. Offenkundig steht darüber hinaus das inhaltliche Verbot, böse mit Jakob zu reden, der harten Zurredestellung in Vv. 26–28 entgegen.327 Da V. 25a sichtlich darum bemüht ist, den Traum Labans einzubinden,328 wird über V. 24 hinaus auch V. 25a derselben Redaktion zuzuschreiben sein. Der deutliche Rückverweis von V. 29 auf V. 24 durch ‫ ואלהי אביכם אמשׁ אמר אלי‬gibt V. 29 ebenfalls als Erweiterung zu erkennen. Auch V. 29 sorgt mit dem Verweis auf das Verbot der Schelte für einen Widerspruch mit Vv. 26–28. Zudem unterbricht der Vers die Folge 323 Gott wirft in Num 14,22 Männern, die er aus Ägypten herausgeführt hat, vor, ihn zehnmal versucht zu haben. Vgl. Boecker, Isaak, 91. 324 Vgl. zu dieser Funktion insbesondere Kessler, Querverweise, 124 f.; Blum, Komposition, 123; Carr, Fractures, 262. Willi-Plein, Genesis, 210, vermutet dahinter die Intention eines „frommen Lesers“, der die Vätergeschichte im Lichte der Geschichte Gottes mit den Vätern sehen wolle. Dagegen Neumann, Jacob, 43. 325 Vgl. etwa Nocquet, Question, 93. 326 Diese Nuancen bleiben in der Erzählung auf der Endtextebene offen. Anders etwa Coats, Strife, 89, der hier Jakob eindeutig als Betrüger gezeichnet wissen will. 327 Vgl. Willi-Plein, Genesis, 211; Boecker, Isaak, 88; Blum, Komposition, 126. 328 Vgl. Boecker, Isaak, 88; Westermann, Genesis I/2, 602; Blum, Komposition, 125; Carr, Fractures, 263. Die genannten Exegeten gehen hier von einer Wiederaufnahme aus.

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zwischen der Frage Labans in V. 26 f. und der Antwort Jakobs in V. 31. Ein ähnlicher Widerspruch ist zwischen Vv. 30a und b zu beobachten. Der Stimmungsumschwung in V. 30a lässt sich nur durch V. 29 erklären und steht der erneuten Zurredestellung in V. 30b entgegen.329 V. 30b unterbricht ebenfalls die Folge von Frage und Antwort.330 Nicht zuletzt fügt sich V. 42 in die Ausrichtung der besagten Redaktion. V. 42 bezieht sich in der Zeitangabe (‫ )אמשׁ‬auf V. 29b zurück.331 Auch inhaltlich kommt für den in V. 42 erwähnten Gottesentscheid in Gilead nur die Traumoffenbarung an Laban überhaupt als Referenzpunkt in Frage. Der Vers ist darüber hinaus mit V. 13 verbunden. In beiden Fällen wird Gottes Parteinahme für Jakob damit begründet, dass jener seine ungerechte Behandlung gesehen (‫ )ראה‬habe. V. 42 setzt seinerseits deutlich V. 37 voraus, in dem Jakob dazu auffordert, die Laban-Söhne sollten über etwaiges Diebesgut entscheiden. Mittels V. 42 wird die Beurteilung des Geschehens der Justiz der Laban-Söhne entzogen und der Kompetenz Gottes unterstellt, der bereits zu Jakobs Gunsten entschieden hat. Aufgrund der genannten Beobachtungen liegt es nahe, dass der Zusammenhang von Jakobs Unterredung mit seinen Frauen umfassend überarbeitet worden ist und dieser bis in die späteren Passagen der Begegnung zwischen Jakob und Laban hineinreicht. Die Spuren der Überarbeitung in Vv. 5b.7b–13.16.24.29–30a.42 weisen allesamt ein übereinstimmendes Gepräge auf. So wird Gottes Eintreten für Jakob punktuell eingespielt, um zum einen Jakobs Flucht zu rechtfertigen und zum anderen seinen erwirtschafteten Reichtum als Gottesgabe zu inszenieren.332 Gottes Fürsprache manifestiert sich in dessen ausgleichender Gerechtigkeit, die sich gegen Laban richtet. Da Laban Jakob nicht rechtens behandelt hatte, ergreift Gott gegen Laban und für Jakob Partei. Diese Strategie lenkt deutlich von Jakobs List aus Gen 30,25–43 ab und stellt seinen Reichtum sowie dessen fluchtartige Mitnahme auf eine tragfähigere Basis.333 Um es mit Dietrich zu sagen: „Durch diese Einschübe werden alle Ambivalenzen aufgelöst: Jakob ist kein durchtriebener Mensch mehr, sondern ein durch und durch gottgeleiteter; wie er seine Familie und seinen Besitz gewinnt und sichert, ist nicht dubios, sondern von Gott so gewollt; der Gedanke zur Flucht ist nicht in ihm und seinen Frauen gereift, sondern ihm von Gott eingegeben worden. Und auch Laban ist kein ambi 329 Blum, Komposition, 126, erklärt den Sinneswandel Labans mit dem Bestreben, seinen Terafim wieder zu bekommen. Richtig beobachtet er, dass der eigenständige Sinneswandel durch die nachträgliche Gotteserscheinung obsolet sei, womit auf die redaktionsgeschichtlichen Verhältnisse der beiden Schichten verwiesen sei. 330 Vgl. zum sekundären Charakter von V. 30 insgesamt, allerdings ohne weitere Differenzierung Seebass, Vätergeschichte II/2, 371. 331 Vgl. Blum, Komposition, 125; Willi-Plein, Genesis, 211; Carr, Fractures, 264. 332 Auch Blum, Jacob Tradition, 204, der hier von einer erweiternden Nacherzählung en bloc ausgeht, schreibt die transformatorische Kraft hauptsächlich dem göttlichen Eingreifen zu. 333 Vgl. Carr, Fractures, 262, der diese Funktion allerdings einer Erweiterung um Vv. 4–13 insgesamt zuschreibt.

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valenter Charakter mehr – herrisch und betrügerisch, zugleich aber großzügig und versöhnlich –, sondern er ist jetzt schlicht der Gegenspieler Jakobs, dessen Bosheit von Gott niedergehalten wird.“334 Mitunter mittels zweier Träume führt der Redaktor diese Nachjustierung durch. Indem er sie gleichzeitig punktuell in eine Rede Jakobs einarbeitet, funktioniert die Bearbeitung auch auf synchroner Ebene. So wird offengelassen, ob in Gen 30 nur selektiv berichtet worden ist, oder ob Jakob diese Nacherzählung strategisch zugunsten der Überredung seiner Frauen bemüht. Kompositionell schafft die Erweiterung ein verbindendes Netz innerhalb der Jakoberzählung, das auf die Bet-El-Erzählung ausgreift und Jakobs Bewahrung und Rückführung unter den umfassenden Schutz Gottes stellt. Eine zentrale Rolle spielt dabei Jakobs materielle Versorgung, wie sich nicht nur am Hinweis auf Jakobs Herdenreichtum, sondern auch am Hinweis auf das Gelübde aus Gen 28,20–22 erkennen lässt.

5.4.4.4 Rahels Diebstahl des Terafim (Gen 31,19.25.30b.32–35.36*–37) Rahels Diebstahl des Terafim335 bildet einen deutlichen Nebenerzählstrang des Abschnittes und verfolgt kein ersichtliches Handlungsziel. Weder wird Rahels Motivation für den Diebstahl deutlich, noch ist ein Nutzen dieses Vorgehens auf der Ebene der handelnden Akteure offenkundig. Insbesondere an den Rändern der Diebstahlepisode treten Kohärenzprobleme auf, die auf eine Fortschreibung hinweisen.336 334 Dietrich, Israel, 120. 335 Bei den Terafim, die im AT häufiger belegt sind, handelt es sich um Hausgötter, die in Gestalt von Terrakottafigurinen repräsentiert werden konnten. Vgl. Schmitt, Art. Hausgott / Terafim. 336 Vgl. Kratz, Komposition, 271, allerdings im Umfang von Vv. 19b.30b.32–35. Ähnlich auch Ruppert, Genesis III, 291.293, im Umfang von Vv. 19.30b.32–36a.37; Macchi, Rencontre, 153, in Vv. 30b.32aα.32b.33aβ–34.35. Macchi, Rencontre, 158, schreibt derselben Hand Gen 30,1aβ– 2.16–18.24b; und Gen 35,2b.4.18a zu. Seebass, Vätergeschichte II/2, 371, will in Vv. 19b.30.32–37 Reste eines selbständigen Fragments erkennen, dessen Anfang weggebrochen sei. Dagegen spricht allerdings bereits die tendenziöse Darstellung des Terafim-Diebstahls, die auf den Kontext angewiesen ist. Vgl. darüber hinaus Levin, Jahwist, 244, der eine Terafim-Erweiterung annimmt, jene allerdings im Umfang von Vv. 19b.30b.32a.(b).34a.35 ansetzt. Die genannten Ausleger berücksichtigen nicht konsequent die damit in Zusammenhang stehenden Motivstränge. Blum, Komposition, 126, spricht sich für eine Zuordnung zum Grundbestand aus, da Jakob hier negativ gezeichnet werde, die „Kompositionsschicht“ allerdings das Ziel verfolge, Jakob positiv darzustellen. Noch ungeachtet der Frage, ob sich die Annahme einer „Kompositionsschicht“ angesichts des Textbefundes verifizieren lässt, ist der von Blum vorgebrachte Einwand nicht unstrittig. Von Jakobs Diebstahl wird durch den Diebstahl Rahels gerade nachdrücklich abgelenkt. Blum, Jacob Tradition, 204 Anm. 65, stellt richtig heraus, dass eine Aussonderung der Episode um den Terafim, die V. 36 an V. 30a anschließen lässt – wie es häufiger die Quellenscheidung versuchte – nicht plausibel ist. Dies liegt allerdings nicht grundsätzlich an der Terafimepisode als vielmehr an der fälschlichen literarkritischen Differenzierung der Quellenscheidung. Zum jüngsten Votum einer Aussonderung vgl. Neumann, Jacob, 43 Anm. 20.

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Die Anbindung der Diebstahlepisode nach vorne ist brüchig. Darauf weist der nur schwer nachvollziehbare inhaltliche Zusammenhang des Dialogs zwischen Jakob und Laban in Vv. 26–32 hin. Ein Anschluss von V. 30b an V. 30a erwies sich bereits als problematisch. Die Anbindung an V. 28 glückt zwar aufgrund des Tonfalls und der Stichwortanbindung an V. 27 über ‫ גנב‬besser, muss thematisch aber überraschen. Laban zeigt sich in Vv. 26–28 vornehmlich an dem Verbleib seiner Töchter interessiert. Die plötzliche Nachfrage nach der Gottheit in V. 30b lenkt so vom eigentlichen Thema ab. Dem entspricht, dass Jakob nach der Zwischenepisode mit dem Terafim nicht auf diesen rekurriert, sondern nur generell auf den Diebstahlsvorwurf in V. 37. V. 36b gibt sich zudem aufgrund der Formulierung ‫ ויען יעקב ויאמר ללבן‬als Wiederaufnahme von V. 31 zu erkennen. Dies spricht dafür, dass die Vv. 36 f. die Funktion erfüllen, die sekundäre Terafimepisode nach hinten in den Zusammenhang einzubetten. Es liegt keine Rede Labans vor, an welche die Antwort Jakobs aus V. 36b alternativ anschlussfähig wäre. Die Annahme einer sekundären Einbindung wird durch einen Bruch zwischen V. 37 und V. 38 gestützt.337 V. 32 und V. 34, die den Terafimstreit umrahmen, implementieren durch die „Brüder“ ein Rechtsforum, welches über das Ergebnis der Durchsuchung entscheiden soll. Dieser Zusammenhang wird im Anschluss nicht wieder aufgegriffen. Vielmehr lassen Vv. 38–41 die Terafimthematik vollständig fallen und knüpfen an Vv. 26–28.31 an. Nachdem Jakob über die heimliche Mitnahme der Töchter Rechenschaft abgelegt hat, begründet er in Vv. 26–28.31 nun auch die heimliche Mitnahme der Tiere. Folgt man dieser redaktionsgeschichtlichen Bewertung der Terafimepisode, müssen sich die mit ihr verbundenen Verse in Gen 31 ebenfalls als sekundäre Erweiterungen ausweisen lassen. Die Gegenprobe erhärtet diese Einschätzung. Zunächst ist hiervon V. 19 betroffen. Die Notiz über Labans Schafschur scheint nach Jakobs Aufbruch in V. 17a – streng besehen – ihren dramaturgischen Sinn zu verfehlen, wenn sie Jakobs Flucht szenisch erst ermöglichen will. Darüber hinaus wirken die Vv. 17–21 hinsichtlich der handelnden Akteure (Jakob, Laban, Rahel und Jakob) überladen. Sieht man von den P-Textanteilen ab, werden innerhalb der Vv. 17a.19–20 nicht weniger als drei Akteurwechsel vollzogen. Thematisch 337 Eine literarkritische Naht zwischen V. 37 und V. 38 ist in der quellenbasierten Forschung konstant beobachtet worden. In redaktionsgeschichtlichen Modellen wird eine literarkritische Trennung zwischen Vv. 32–37 einerseits und VV. 38–42/43 andererseits beibehalten. Allerdings ordnet die Mehrheit der Ausleger Vv. 38–42/43 den Vv. 32–37 redaktionsgeschichtlich nach. Vgl. hierzu etwa Kessler, Querverweise, 127 f.; Blum, Komposition, 124; Macchi, Rencontre, 162. Die Nachordnung wird mit einer abweichenden nachholenden Erzählung zu Gen 30* begründet analog zu Gen 31,1–16. Allerdings ließen sich Teile von Vv. 1–16 dem Grundbestand zuweisen, die an dieser Stelle wieder aufgegriffen werden. Darüber hinaus nimmt Laban in V. 43 genau in der Reihenfolge auf die von Jakob eingeklagten Gegenstände Bezug, wie sie in Vv. 38–42 entfaltet worden sind. Nicht zuletzt stehen Vv. 38–42 in keinem erkennbaren Widerspruch zu Gen 30. Die Ausführlichkeit von Jakobs Antwort ist der Szenerie geschuldet und dient als Begründung seiner Sorge von V. 31.

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befassen sich die Vv. 19 f. zudem sehr abrupt mit der Diebstahlsthematik, die erst an späterer Stelle im Text aufgegriffen wird. Die inkohärente Folge von V. 17a und V. 19 weist daraufhin, dass die Aufbruchsnotiz in V. 17a der Information über den Verbleib Labans redaktionsgeschichtlich vorausgeht. So scheint es, als solle Laban der Szenerie vornehmlich entzogen werden, damit Rahel ungestört den Terafim stehlen kann. V. 21 sucht demgegenüber offenkundig den Anschluss an V. 17a. Aufgrund der genannten Beobachtungen läge es nahe, Vv. 19 f. in Gänze als erweiterndes Element zu bewerten. Allerdings liegen Hinweise vor, die eine literarkritische Differenzierung zwischen V. 19 und V. 20 erzwingen. Zunächst unterscheidet sich V. 20 von V. 19 durch die Bezeichnung Labans als Aramäer (‫)הארמי‬. Darüber hinaus ist die Kernaussage von V. 20 undurchsichtig, denn eine Flucht fußt zwingend auf einem Aufbruch ohne Mitteilung. Das Hauptinteresse von V. 20 ist hinter der Stichwortanbindung an V. 19 über die Wendung ‫ גנב לב‬zu suchen. Jene wird im AT ausschließlich an dieser Stelle und in Gen 31,26 gebraucht. Die Diebstahlsthematik wird über V. 20 in einen immateriellen Diebstahl umgewandelt (vgl. auch V. 26) und lenkt deutlich von dem Diebstahl selbst ab.338 Sowohl V. 19339 als auch V. 20 sind mithin dem Zusammenhang redaktionell auf verschiedenen redaktionsgeschichtlichen Stufen dem Text zugewachsen. Anders als V. 19 steht V. 20 mit einer Fortschreibung in Zusammenhang, die an einer Identifizierung zwischen Laban und den Aramäern interessiert ist. Mit der Fortschreibung um den Terafimstreit stehen weitere kleinräumige Korrekturen in Zusammenhang. So knüpft V. 25 mittels ‫ וישׂג לבן את־יעקב‬an V. 23 an, um das Motiv der Zelte vorzubereiten, das für die Terafim-Erzählung konstitutiv ist. Das Aufschlagen der Zelte durch Jakob und die Laban-Sippe unterbricht in eigentümlicher Weise den Zusammenhang zwischen dem Eintreffen Labans auf Gilead und einer verbalen Auseinandersetzung zwischen Jakob und Laban. So hat das Vorgehen im unmittelbaren Anschluss auch keinerlei Konsequenzen. Hingegen schließt V. 26 deutlich an V. 23 an. Nicht zuletzt fügt sich in dieses Netz auch V. 30b, der den Rechtsstreit um den Diebstahl des Terafim einleitet. Labans Vorwurf wird von Jakob in V. 31 zunächst nicht aufgegriffen und auch nicht weiter begründet. Da Rahel den Diebstahl begangen hat, ist Labans Vorwurf ohnehin gegenstandslos.340 Welche Absicht verfolgt die Erweiterung um den Terafimstreit? Im unmittelbaren Kontext der Terafimerweiterung steht der Vorwurf im Raum, Jakob habe Laban bestohlen. Um von diesem Vorwurf abzulenken, übernimmt Rahel wohl 338 Vgl. etwa Zakovitch, Interpretation, 109 f. 339 Vgl. Boecker, Isaak, 88. Die oben genannten Ausleger begrenzen die Erweiterung auf V. 19b, doch liegt kein Grund vor, V. 19a und b auseinander zu ziehen. Aufgrund der Trennung von Jakob und Laban in Gen 30 befinden sich die beiden Kontrahenten in einer Entfernung von drei Tagesreisen. Die Schilderung der Schafschur Labans dient lediglich dem Zweck, dass sich Laban außer Haus befindet und Rahel somit den Terafim stehlen kann. 340 Vgl. Zakovitch, Interpretation, 110.

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die Trickster-Rolle Jakobs, die dem Ergänzer offenkundig unrühmlich erschien. Zum anderen wird der Vorwurf des Diebstahls der Töchter auf einen weniger problematischen Gegenstand, den Terafim, verschoben. Der Diebstahl des Terafim avanciert nahezu zum Hauptthema des Streits und lenkt vom entscheidenden Vorwurf ab.341 Nicht zuletzt bietet er den Anlass für eine Vertauschung der Rollen zwischen Jakob und Laban, indem Jakob nun vom Angeklagten auf die Seite des Klägers wechselt. Um die Rechtschaffenheit Jakobs zu untermauern, wählt der Redaktor bewusst eine Sprache, die als juristisch zu bezeichnen ist. Die Todesandrohung beweist, dass Jakob ahnungslos ist.342 Jakobs juristisches Gebaren verdeutlicht die subtile Einspielung eines Rechtsstreits, den Jakob am Ende der Episode gewinnen soll. Die Funktion der Episode um den Terafim hat Willi-Plein wie folgt treffend beschrieben: „Jakob ist nun nicht mehr in der verdächtigen Position des Flüchtlings, sondern seine zuvor geäußerten Befürchtungen sind bestätigt, seine Vorwürfe an den früheren Dienstherrn Laban gewinnen an Gewicht. Dadurch wird ein Gleichgewicht hergestellt, das den zweiseitigen Vertrag bzw. die gegenseitige Bundesverpflichtung ermöglicht.“343 Im Text sind keine Anzeichen erkennbar, die nahelegen, dass der Terafim in der vorliegenden Episode eine tiefergehende – etwa erbrechtliche – Bedeutung hat.344 Gleichwohl ist eine gewisse Polemik in der Handlung Rahels nicht zu verkennen.345 Ab­ gesehen von der relativen Chronologie, die sich aus der Redaktionsgeschichte ergibt, sind nur wenige Anhaltspunkte für eine Datierung vorhanden. Zumindest könnte der Umstand, dass der Redaktor eine zweifelhafte Darstellung der Ahnmutter des Nordreichs / Josefs in Kauf nimmt, auf eine gewisse Distanz zur Nordreichtradition hinweisen.346 Da dem Zusammenhang allerdings keine klare Bewertung gegenüber Rahels Handeln zu entnehmen ist, liegt hier kein einschlägiges Argument vor. Angesichts der auffallenden Tendenz, dass gerade in vorexilischen 341 Vgl. Vrolijk, Wealth, 202; Zakovitch, Interpretation, 109. 342 Vgl. eine ähnliche Gefährdung einer / eines nahen Verwandten kennt Ri 11,31 mit Jeftahs Gelübde und der Opferung seiner Tochter ebenso wie entfernter auch 1 Sam 14,24 ff. durch die Gefährdung Jonathans durch Saul mittels des Fluchs. 343 Willi-Plein, Genesis, 205. 344 Gegen Taschner, Verheißung, 115–123, der umfassende traditionsgeschichtliche Überlegungen zur Bedeutung des Terafim in diesem Abschnitt unternommen hat. Für die von ihm postulierte Erbschaftsfunktion fehlen im vorliegenden Text m. E. ausreichende Anhaltspunkte. Die Frage, was Rahel zu dem Diebstahl motiviert, hängt mit der umstrittenen Bedeutung der Terafim zusammen, die sich bis heute nicht hat klären lassen. Vgl. zu den möglichen Bedeutungen, Macchi, Rencontre, 155; Klein, Jakob, 107 f.; Nocquet, Question, 94 f.101–103. Die vor allen Dingen in synchronen Arbeiten vorgeschlagene Parallele zu Gen  27 (vgl. etwa Vrolijk, Wealth, 202) fußt maßgeblich auf der Bedeutung der Terafim als Erbstücke, die insofern bereits von ihrer Basis her zweifelhaft erscheint. Ebenfalls kritisch gegenüber einer Erbfunktion vgl. Fischer, Erzeltern, 80 Anm. 28. 345 Vgl. etwa Nocquet, Question, 96 f. 346 Vgl. etwa Macchi, Rencontre, 158.

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Erweiterungen aus dem Südreich Jakobs Verhalten durch das Verhalten anderer Akteure relativiert wird (vgl. etwa Gen 25*.27*), ließe sich die Erweiterung mit Vorsicht in dieses literarische Umfeld einordnen.

5.4.4.5 Laban, der Aramäer In Gen 31,20.24 wird Laban an den beiden einzigen Stellen des non-P-Textes der Jakob-Laban-Erzählung als Aramäer (‫ )הארמי‬bezeichnet. Jene Gleichsetzung wird im AT ansonsten ausschließlich in P explizit vollzogen.347 Darüber hinaus ließe sich der implizite Bezug von Hos 12,13 anführen, in dem vorausgesetzt wird, dass Jakob in das Gefilde Aram reist. Insofern verortet Hos 12,13 Laban in Aram. Wie sich noch zeigen wird, handelt es sich bei Hos 12,13 allerdings aufgrund seiner Zusammengehörigkeit mit Hos 12,14 um eine Erweiterung, die bereits die dtr. Überarbeitung der Moseerzählung voraussetzt und sich der Konkurrenz von Erzeltern- und Exoduserzählung verdankt.348 Ähnliches wird für Dtn 26,5 zu gelten haben.349 Das Gebiet, in das Jakob flieht, wird weder im Primärbestand (Land der Söhne des Ostens) noch im Sekundärbestand der Jakoberzählung (Haran) als Aram bezeichnet. Die geografische Bezeichnung „Land der Söhne des Ostens“ ist angesichts der alttestamentlichen Belege keineswegs für die Aramäer ein­schlägig, insofern sich die Terminologie nicht auf eine bestimmte Ethnie eingrenzen lässt.350 Im Zuge der Literarkritik wurde darüber hinaus gezeigt, dass Gen 31,20.24, in denen die Gleichsetzung vorgenommen wird, umständlich in ihrem Zusammenhang zu stehen kommen. Insofern liegt der Verdacht nahe, dass es sich bei der Bezeichnung Labans als Aramäer um eine Erweiterung handelt, die bereits die priesterlichen Passagen voraussetzt.351 Diese redaktionsgeschichtliche Einschätzung lässt sich aufgrund der Eingliederung der jeweiligen Verse in den Zusammenhang von Gen 31 erhärten. Die Aramäernotizen stehen in beträchtlicher

347 In Gen 25,20; 28,2.5 wird die aramäische Abstammung von Rebekka und Laban über ihren Vater Betuel, „den Aramäer“, gewonnen. Daneben wird eine Zuordnung Labans zu Aram in der Bezeichnung Paddan-Aram vorausgesetzt, die ausschließlich in P genannt wird (Gen 25,20; 28,2.5.6.7; 31,8; 33,18). 348 Siehe Kap. 7, 315. 349 Ob an dieser Stelle eine negative oder eine positive Rezeption der Erzelternerzählung erfolgt, ist in der Forschung umstritten. Zur negativen Konnotation vgl. Pury, Umgang, 61 f.; Gertz, Tradition, 285; Gertz, Stellung, 43 f.; Ebach, Fremde, 301–303. Zur Kritik an einem solchen Verständnis vgl. Berlejung, Family Ties, 370 f. (Anm. 64). 350 Vgl. Sergi, Gilead, 343, der dieses Problem benennt, es allerdings insofern zu beseitigen versucht, dass zumindest in der Jakoberzählung bei dem Land der Söhne des Ostens auf der Ebene von Blums „Kompositionsschicht“ an Aram gedacht sei. Vgl. auch Sergi, Jacob, 286. 351 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 602; Neumann, Jacob, 47 Anm. 31 (mit Fragezeichen); Nocquet, Question, 103 Anm. 62. Kritisch äußert sich Seebass, Vätergeschichte II/2, 374.

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Nähe zur P-Erweiterung von V. 18, die Labans Aufenthalt in Paddan-Aram (Obermesopotamien / Haran) voraussetzt. Allerdings lassen sich die genaueren Bestimmungen Labans als Aramäer in V. 20 und V. 24 nicht als punktuelle Glossierung verstehen, da sie keine Anzeichen aufweisen, die eine literarkritische Aussonderung von ‫ הארמי‬aus den betreffenden Versen rechtfertigen könnten. Mithin wird die Gleichsetzung gleichursprünglich mit derjenigen Redaktion sein, die Jakobs Reichtum und Erfolg auf Gottes Wirken zurückführt. Ähnlich wie in den EsauEdom-Passagen tritt eine Wertung der Geschehnisse und der Protagonisten in das Handlungsgeschehen ein, verstärkt auf derjenigen redaktionellen Ebene, in welcher die jeweiligen Protagonisten konkret mit einem Volk identifiziert werden. In diesen Passagen geht es indes vornehmlich um eine Legitimierung des Erzvaters. Wie P zeigt, konnte auf Aramäer in späteren Textbereichen des ATs durchaus positiv rekurriert werden. P führt Heiratsbeziehungen zu den Aramäern als legitime und adäquatere Alternative zur Heirat mit Kanaanäerinnen an. P scheint mit der Ortsbezeichnung Paddan Aram indes Aramäer in Obermesopotamien vorauszusetzen; ein Umstand, der mit der sekundären Verlagerung der JakobLaban-Erzählung nach Haran im non-P-Text der Jakoberzählung geografisch korreliert. Offenkundig war geografisch und politisch in exilisch-nachexilischer Zeit eine notwendige Distanz zu den Aramäern gewährleistet, die jene zu Vorzeigebündnispartnern avancieren ließ. Gerade in der Zeit des babylonischen Exils seien darüber hinaus – Berlejung zufolge – judäische Exilierte im aramäischen Umfeld Syriens und Babyloniens angesiedelt worden. Vor diesem Hintergrund konnten Aramäer als Verwandte und somit auch als adäquate Heiratsverwandtschaft verstanden werden.352

5.4.4.6 Traditionsgeschichtliche Überlegungen zum rechtlichen Rahmen des Jakobdienstes Labans Vorwürfe in Gen 31,26 f., ihn bestohlen und seine Töchter wie Kriegsgefangene abgeführt zu haben, scheinen vor dem Hintergrund der Vereinbarungen unberechtigt, die in Gen 29 und Gen 30 zwischen Jakob und Laban getroffen worden sind. Die Textgenese zeigt, dass oben ausgewiesene sekundäre Textpassagen dennoch dem Zweck dienen, Jakobs Flucht und die Mitnahme der Töchter Labans nachträglich durch die Ergänzung mildernder Umstände zu rechtfertigen, und den Vorwurf des Diebstahls gegenüber Jakob zu entkräften. Zum einen greift Gott in diesen sekundären Passagen aktiv zugunsten Jakobs in das Geschehen ein, zum anderen werden die Töchter Labans in Gen 30,26 und Gen 29,15 als „Lohn“ für Jakobs Arbeitsleistung bezeichnet und deren Zuteilung zu Jakob auf diese Weise argumentativ gestützt. Wie lässt sich dieses nachträgliche Bemühen erklären? Zur

352 Vgl. Berlejung, Nachbarn, 81.

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Klärung der Frage ist traditionsgeschichtlich zu prüfen, in welcher Rechtslage sich Jakob während seines Dienstes bei Laban befindet. Diese erscheint in Gen 29–31 ausgesprochen undurchsichtig, wenngleich Jakobs Dienst bei Laban das zentrale Thema besagter Kapitel bildet. Sachlich liegt die Unklarheit darin begründet, dass sich die Rahmenbedingungen des Dienstverhältnisses zwischen Jakob und Laban von Gen 29 zu Gen 30,25–43 zu ändern scheinen. Für Gen 29 ließ sich mittels traditionsgeschichtlicher Untersuchungen plausibilisieren, dass Jakob durch seinen Dienst bei Laban eine Brautpreiszahlung ersetzt. In Gen 30,25–43 hingegen steht Jakob ein materieller Lohn für seine Arbeitsleistung zu. Die Verhältnisse werden dadurch verkompliziert, dass einige Erzählzüge den Anschein erwecken, Jakobs Dienst bei Laban solle dem Dienstverhältnis zwischen einem Herrn und einem Sklaven nachempfunden werden. Diese, in der Forschung häufig begegnende Beobachtung, fußt auf erkennbaren Parallelen von Gen 29–31 zu alttestamentlichen Sklavenrechtsbestimmungen.353 So wird zwischen Jakob und Laban in Gen 29 lediglich eine Dienstzeit, hingegen keine definierte Tätigkeit vereinbart. Dementsprechend verpflichtet sich Jakob für sieben Dienstjahre bei Laban in umfassendem Sinne. Jakobs Mittellosigkeit und seine Existenz in der Fremde legen eine erzählerische Anlehnung an das Phänomen der Schuldsklaverei nahe, in der sich ein Mann im Falle seiner Zahlungsunfähigkeit einem anderen verkauft, um auf diese Art seine Schulden zu begleichen.354 Der Rückblick Jakobs auf die besondere Härte seines Dienstes bei Laban in Gen 31,38–41 untermalt diesen Zusammenhang. Wohl am einschlägigsten ist, dass die siebenjährige Dauer von Jakobs Dienst an atl. Bestimmungen erinnert, die eine Dienstdauer eines hebräischen Sklaven auf sechs Jahre festlegen.355 Nach dem Ende seines Dienstes fordert Jakob in Gen 30,25 seine Entlassung. Die Formulierung, die Jakob hierfür wählt (‫)שׁלחני‬, ist aus Dtn 15,12 im Kontext der Sklavenregelungen des dtn. Gesetzes bekannt und verdeutlicht das hierarchische Verhältnis der beiden Verwandten. Nach Jakobs Flucht wirft Laban Jakob insbesondere die Mitnahme seiner Töchter vor. Lässt sich dieser Vorwurf vor dem Hintergrund einer Analogie zwischen ­Jakobs Dienst und einem Sklavendienst näher erklären?

353 Zu einem Sklavenverhältnis vgl. insbes. von Rad, Genesis, 242; Klein, Jakob, 91 f. Vorsichtiger, aber unbestimmt Seebass, Vätergeschichte II/2, 349, der Jakob lediglich als unfrei bezeichnet. Ähnlich Westermann, Genesis I/2, 586; Riesener, Stamm, 112 Anm. 1. Boecker, Isaak, 78, will darin lediglich einen Ausdruck patriarchaler Verfügungsgewalt erkennen. Grundsätzlich gegen eine solche Auffassung spricht sich Jacob, Genesis, 589, aus. 354 Vgl. hierzu auch die Selbstverkaufsurkunde Emar VI 16 (TUAT.NF 1, 149 f.), nach der ein Verschuldeter zur Begleichung seiner Schuld Dienste bei seinem Herrn ableistet und darüber hinaus noch eine Frau erhält. Wenn der Sklave sich jedoch eigenständig vom Haus des Herrn lossagt, verliert er den Anspruch auf seine Frau und die Söhne (Z. 17–21). 355 Vgl. Dtn 15,12–18; Ex 21,2–11.

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Teile der Sklavengesetzgebung aus dem Bundesbuch (Ex 21,2–6) und dem dtn. Gesetz (Dtn 15,12–18) sind diesbezüglich erhellend.356 In Ex 21,2–6 wird mittels eines kasuistischen Rechtssatzes die Dauer eines Sklavendienstes auf sechs Jahre limitiert. Ein hebräischer Sklave soll im Anschluss freigelassen werden, ohne sich von seinem Herrn freikaufen zu müssen.357 Für den Fall, dass der Sklave von seinem Herrn eine Frau erhalten hat, die Kinder geboren hat, so sollen die Frau und die Kinder dem Herrn gehören und der Sklave allein ausziehen (Ex 21,4). Um bei seiner Familie bleiben zu können, hat jener von Rechtswegen her nur die Möglichkeit, sich auf Dauer seinem Herrn als Sklaven zu verpflichten. Das Bundesbuch ist insofern vornehmlich an den Rechtsfolgen für den Sklavenbesitzer interessiert.358 Dtn 15,12–18*359 revidieren die Bestimmungen zum Umgang mit Sklaven aus dem Bundesbuch vielfach zugunsten des Sklaven.360 Anders als im Bundesbuch wird – neben weiteren Abweichungen – der versklavte Hebräer als „Bruder“ bezeichnet. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Bezeichnung des Sklaven nur dann gewählt wird, wenn sich jener freiwillig auf diesen Status verpflichtet.361 Die Bruderbezeichnung führt für den Sklaven somit einen neuen Status ein, der „im Sinne eines Lohnarbeiters“362 verstanden werden kann. Die Entlassung ohne Frauen und Kinder aus dem Bundesbuch wird nach Eckart Otto explizit nicht 356 Vgl. zu den biblischen Sklavengesetzen die umfangreichen Monografien von Chirichigno, Debt-Slavery; Cardellini, „Sklaven“-Gesetze. Vgl. zu den Parallelen zwischen Gen 29–31 und alttestamentlichen Bestimmungen zum Sklavenrecht aus Dtn 15,12–18 und Lev 25, Friedl, Volk, 105–109. 357 Die Freilassung eines Sklaven kennt auch der Codex Hammurabi (CH, § 117), allerdings nach drei Jahren. Zu den Parallelen zu Texten aus Nuzi (LH § 117–119) vgl. insbes. Cirichigno, Debt-Slavery, 186–255. 358 Vgl. z. B. Albertz, Exodus II, 87. 359 Bei Dtn  15,12 handelt es sich um eine deuteronomistische Fortschreibung. Vgl. Otto, Dtn 12,1–23,15, 1365. 360 Vgl. Otto, Dtn  12,1–23,15, 1360. Vgl. zu den Verschiebungen der Kultgerichtsbarkeit Gertz, Tora, 224; Schmid, Literaturgeschichte, 105 f. Vgl. zum literarhistorischen Verhältnis zwischen Bundesbuch und dtn. Gesetz Otto, Dtn 12,1–23,15, 1360 f.; Pyschny, Strategie, 173 f. Van Seters, Law, setzt die Bestimmungen aus dem Bundesbuch entstehungsgeschichtlich später an als die aus dem dtn Gesetz und dem Heiligkeitsgesetz. Der Versuch Carmichaels, Three Laws, eine Abhängigkeit der Bestimmungen des Bundesbuches von Gen 29–30 herzuleiten, die er maßgeblich nicht aufgrund literarischer Untersuchungen gewinnt, sondern schlicht mit der narrativen Abfolge von Genesis und Exodus zu begründen versucht, ist nicht nur methodisch fragwürdig. Auf diese Weise ließe sich beispielsweise die Abweichung in der Dienstzeit des Sklaven zwischen Ex 21 und Gen 29–30 unter keinen Umständen erklären. Ohnehin ist fraglich, ob sich Gen 30 ohne die Kenntnis eines Sklavenrechts überhaupt als Anlass für einen derartigen Rechtstopos, den Mose nach Carmichael daraus gewinnen soll, anböte. Zuletzt weist Dtn  15,12 wörtliche Verbindungen mit Ex 21,2 auf. Vgl. Otto, Dtn 12,1–23,15, 1361. Ähnlich zu Carmichael auch Chirichignio, Debt-Slavery, 287 f. Zur Gegenposition gegen Carmitchael vgl. Hepner, Servitude, insebs. 208. 361 Vgl. Hepner, Servitude, 185.198. 362 Otto, Dtn 12,1–23,15, 1362.

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rezipiert, da sie eine unfreiwillige Selbstversklavung der Kinder einschlösse – eine Bestimmung, die das dtn. Gesetz verhindern wolle.363 Daran werde laut Otto ersichtlich, dass das dtn. Gesetz darum bemüht ist, die Vollsklaverei in Juda einzudämmen, was sich u. a. aus der Abwandlung des Sklavenstatus zu dem eines Tagelöhners bemerkbar mache.364 Über Ex 21 hinaus, soll der Besitzer den Sklaven bei Dienstende außerdem mit Gütern ausstatten, die ihm nach seiner Sklaverei eine Existenzgrundlage bieten. Die Ausstattung soll verhindern, dass sich der Sklave unmittelbar im Anschluss wiederum in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben muss, um sein Überleben zu sichern. Neben Kleinvieh und Erzeugnissen aus Tenne und Kelter, soll der Herr den Sklaven ausstatten „mit allem, womit der Herr, dein Gott dich gesegnet hat“ (Dtn 15,14). Abschließend wird im dtn. Gesetz darauf verwiesen, dass der Hausherr den Sklaven ohne Missgunst entlassen soll, da jener ihm das Doppelte eines Tagelöhners erwirtschaftet habe. Die Einhaltung jener Bestimmung wird belohnt mit dem Segen Gottes, „in allem, was du [der Sklavenbesitzer] tust“. Die in Aussicht gestellte segensreiche Zuwendung JHWHs zielt mit Nachdruck auf eine Handlungsmotivation des Besitzers in ethischem Sinne.365 Ein Anknüpfungspunkt von Jakobs Dienst an die o. g. Sklavenbestimmungen liegt zunächst in dessen Dienstzeit von sieben Jahren. Diese übersteigt zwar die o. g. rechtlichen Bestimmungen; allerdings ist in Gen 31,38–41 eine sechsjährige Dienstzeit Jakobs um seinen Besitz und die Bitte um Entlassung im siebten Jahr vorausgesetzt. Darüber hinaus legt die Periodisierung des Dienstes in zweimal sieben und einmal sechs Jahre einen Schwerpunkt auf die Dienstdauer. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Dauer eines sonst üblichen Sklavendienstes durch Jakobs Dienst noch übersteigert werden soll.366 Im Vergleich zu den o.g. Rechtsbestimmungen zeichnet sich eine Diskrepanz bezüglich der Zugehörigkeit der Frauen und Kinder Jakobs ab. Liest man Labans Forderung vor dem Hintergrund der Bestimmungen aus dem Bundesbuch, erscheint es unter rechtlichen Gesichtspunkten durchaus plausibel, dass er die Frauen und Kinder als sein Eigentum reklamiert.367 Dass Laban Jakobs Dienstzeit

363 Vgl. Otto, Dtn, 12,1–23,15, 1362. 364 Vgl. Otto, Dtn, 12,1–23,15, 1362. 365 Vgl. Riesener, Stamm, 126.128. Vgl. zu einem fortgeschritteneren Stadium der Theologisierung des Rechts im Dtn im Vergleich zum Bundesbuch Albertz, Theologisierung. 366 Vgl. Vrolijk, Wealth, 166; Hepner, Servitude, 194. Dies mag zum einen zeigen, dass Laban es versäumt, sich an die Bestimmungen zu halten. Andererseits könnte damit auch schlicht die Härte von Jakobs Dienst ausgedrückt sein, der gleichwohl eine Unrechtmäßigkeit zueigen ist. Hierin liegen mit Hepner Parallelen zu Josef vor, der nach 13 Jahren – folglich im sechsten Jahr einer zweiten Dienstzeit – entlassen wird. 367 Vgl. Jacob, Genesis, 601: „Aber Laban ist schwerhörig. Woran erinnert zu werden ihm nicht passt, das überhört er“. Vgl. darüber hinaus Taschner, Verheißung, 98 f.; Westermann, Genesis I/2, 586; von Rad, Genesis, 242.

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als Sklavendienst interpretiert, mag von der Aussage der Töchter in Gen 31,14 f. gestützt werden. Lea und Rahel werfen ihrem Vater vor, sie wie Fremde verkauft und ihren Kaufpreis verzehrt zu haben. Wie gezeigt, impliziert dieser Vorwurf den Rückschluss, dass Laban die Dienstzeit Jakobs nicht wie eine Brautpreiszahlung gehandhabt hatte, an der den Töchtern ein Anteil zustünde, sondern den Ertrag aus Jakobs Arbeitszeit als sein Eigentum reklamiert und insofern „verzehrt“ habe. Will Jakob sein Recht einfordern, bleibt ihm – vor dem Hintergrund der oben genannten Rechtsbestimmung – keine andere Möglichkeit, als die rechtswidrige Flucht mit seinen Frauen und Kindern.368 Dennoch sind die Rechtsbestimmungen mit den erzählerischen Gegebenheiten der Jakoberzählung nicht kongruent in Deckung zu bringen. So liegt die Besonderheit von Gen 29–30 schon darin begründet, dass Jakob seinen Dienst nur unter der vorherigen Bedingung der Herausgabe seiner Frauen abgeleistet hatte und sich freiwillig in ein sklavenähnliches Verhältnis bei Laban begab. Aufgrund der thematischen Beziehungen hat insbesondere Gershon Hepner nach literarischen Beziehungen zwischen Gen 30, Ex 21 und Dtn 15 gefragt. Er will aufgrund der Wurzel ‫ עבד‬eine literarische Bezugnahme von Gen 30,26 auf Ex 21,2–4 erkennen.369 Allerdings ist diese Verbindung wohl eher thematisch bedingt als literarisch einschlägig. Ebenso verhält es sich mit den von ihm postulierten Querverbindungen zwischen Gen 30,28 und Ex 21,5 f.370 Literarisch sind keine eindeutigen Querverweise zwischen dem Bundesbuch und Gen 30,25–43 festzustellen, die die Annahme einer literarischen Bezugnahme rechtfertigen könnten. Hinzu tritt, dass Gen 30 die rechtlichen Problematiken, die mit den Sklavenbestimmungen in Verbindung stehen, zwar anspielt, jedoch an keiner Rechtserzählung interessiert ist. Auch zu Lev 25,39–46 sind keine literarischen Verbindungen auszumachen, da sich bereits die Dienstzeit unterscheidet.

Darüber hinaus ist Jakobs Dienstverhältnis bei Laban insgesamt undurchsichtig. Laban stellt Jakob bei Abreise einen Lohn in Aussicht (Gen 30,28). Da Jakob aber bisher als Ersatz für den Brautpreis gearbeitet hat, erscheint eine Lohnzahlung unplausibel. Somit ließe sich erklären, dass Jakob sich auf dieses Angebot nicht einlässt, sondern durch eine neue Dienstzeit seinen materiellen Lohn nun gesondert erwirtschaften möchte. Sein Dienstverhältnis wandelt sich nun von einem Sklaven-ähnlichen Dienstverhältnis zu einem Dienstverhältnis, das dem eines Tagelöhners gleicht.371

368 Erwägenswert wäre darüber hinaus mit Carmichael, Three Laws, 513, dass Jakob seine dritte Dienstzeit als verheirateter Mann antritt. Insofern ist die Frage nach der Mitnahme der Frauen aus Jakobs Perspektive und möglicherweise auch aus der des Lesers gelöst. 369 Vgl. Hepner, Servitude, 195. 370 Vgl. insbes. Hepner, Servitude, 198. 371 Vgl. zur Differenzierung Riesener, Stamm, 48. Zu Anknüpfungspunkten an Lev 25,39–46 vgl. Ringgren, Art. ‫עבד‬, Sp. 995.

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Die genannten Rechtstexte zeigen Problemstellungen von Dienstverhältnissen in der Fremde, die in der Jakob-Laban-Erzählung aufgegriffen zu werden scheinen.372 Diese betreffen sowohl die problematische Rechtsstellung eines Mannes, der in der Fremde Arbeitsdienste ableistet, als auch die Fragestellung, welche Güter ihm bei seiner Entlassung zustehen. Zusammengenommen zeichnen Gen 29–31 die ausbeuterischen Verhältnisse nach, mit denen ein Geflüchteter konfrontiert ist. Dabei scheint insbesondere der Zugehörigkeit von Frauen, mit denen in der Fremde eine Ehe eingegangen worden ist, besonders großer Regelungsbedarf zugekommen zu sein. Die Jakob-Laban-Erzählung spielt die genannten Problematiken ein, ohne diese jedoch klar zu bestimmen oder der Vollständigkeit nach zu diskutieren.

5.4.4.7 Die Grundausrichtung des Gilead-Vertrags und dessen redaktionelle Bearbeitung Die vergleichsweise breite Streuung der Leitworte ‫ גל‬und ‫ עד‬in Gen 31,43–32,1 legen auf der Endtextebene das erzählerische Interesse nahe, über die Verbindung der beiden Lexeme (Gal-Ed = Steinhaufen-Zeuge) in Gen 31,43–32,1 das Gebirge Gilead ätiologisch in der Jakoberzählung zu verankern. Dennoch ist die Ätiologie des Gebirgsnamens umständlich an den eigentlichen erzählerischen Plot des besagten Textabschnittes rückgebunden. Die Komplexität des Abschnittes erhöht sich durch seine doppelte thematische Grundausrichtung von einem familiären Vertrag einerseits und einem Grenzvertrag andererseits, die relativ unverbunden nebeneinanderstehen. Die von der Quellenscheidungstheorie vorgebrachte literarkritische Differenzierung zwischen einem familiären Vertrag zum Schutz von Jakobs Frauen und einem politischen Grenzvertrag zwischen Jakob und Laban, ist von Vertretern eines Fortschreibungsmodells grundsätzlich übernommen worden,373 wenngleich sich die genauere Vorstellung von der Textgenese in den verschiedenen Auslegungen mitunter stark unterscheidet. Thematisch schließen sich ein familiärer Vertrag über die betreffenden Töchter und ein politischer Grenzvertrag nicht per se aus. Analog zu altorientalischen Hochzeitsverträgen ist es denkbar, dass zwei Volksvertreter ihre Machtverhältnisse heiratspolitisch klären.374 372 Vgl. zur Betonung der Erzählerintention Sherwood, Examination, 92 f. 373 Vgl. etwa Blum, Komposition, 135 f.; Blum, Jacob Tradition, 205 Anm. 67. Meist wird der „völkergeschichtliche“ Grenzvertrag für primär gehalten, wohingegen der Vertrag zum Schutz von Labans Töchtern sekundär angesetzt wird. Anders Westermann, Genesis I/2, 609. 374 So etwa zuletzt Neumann, Jacob, 48–52. Gegen eine literarkritische Trennung zwischen Grenzvertrag und Familienrecht vgl. bereits Taschner, Verheißung, 125. In der älteren Forschung wurden hethitische Vertragstexte als Beweis dafür eingebracht, dass Eherecht und Grenzrecht traditionsgeschichtlich durchaus zusammengehören können. Vgl. insbes. Finkelscherer, GileadVertrag, 42; im Anschluss daran Ottosson, Gilead, 45; Blum, Komposition, 135. Blum wendet

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Zur Klärung der thematischen Ausrichtung des Abschnittes empfiehlt es sich, zunächst bei den Rahmenbedingungen des Vertrages anzusetzen. Laban initiiert in V. 44 den Vertrag mit Jakob als profanen Bundesschluss. Die konstitutive Besiegelung des Vertrags erfolgt in V. 53b mit Jakobs Schwur. Dabei bleibt jedoch unklar, welchem Bestandteil des Vertrags Jakob beipflichtet – und mithin, worin der Grundbestand der Erzählung liegt. In der neueren Forschung wird mehrheitlich von einem Anschluss an Vv. 52/53a ausgegangen,375 da ein Grenzvertrag zwischen Jakob und Laban in Gilead (Vv. 51–53) gemeinhin als Grundbestand des Abschnittes gilt. Dagegen spricht indes, dass V. 52 eine beidseitige Verpflichtung formuliert, die im Anschluss nur durch Jakob eingelöst wird.376 Darüber hinaus setzt der Grenzvertrag in Vv. 51–53 die explizite Gilead-Ätiologie aus V. 48 deutlich voraus. V. 48a schafft die notwendige Verbindung zwischen der Ortsätiologie und dem Erzählplot, indem dort auf den in V. 46 errichteten Haufen (‫ )גל‬verwiesen wird, der als Zeuge fungieren soll (‫ )עד‬und im Anschluss in eine explizite Ätiologie überführt wird (‫)על־כן קרא־שׁמו‬. Eine Herleitung der Ätiologie aus V. 52 ohne Kenntnis von V. 48 eignet sich aus dem Grunde nicht, da zum einen in V. 52 eine ätiologische Herleitung fehlt und zum anderen die Reihenfolge der für den Namen Gilead konstitutiven Lexeme ‫ עד הגל‬dort vertauscht sind. Vv. 51–53 setzen die explizite Ätiologie mithin bereits voraus.377 Eine relative Selbständigkeit des Grenzvertrages – wie sie Blum für einen ungefähren Umfang von Vv. 46.51.53* erwägt378 – kann mithin ausgeschlossen werden, zumal jenem – neben dem offenkundig fehlenden Beginn – auch ein prägnanter, überlieferungswürdiger Plot fehlt. Darüber hinaus erscheint ein „Grenzabkommen zwischen den Ahnherrn von Israel und Aram, und zwar ohne nähere Lokalisierung“379, nicht überzeugend, da das primäre Interesse eines Grenzabkommens doch gerade in der Lokalisierung der Grenze gesucht werden muss, die mit der ätiologischen Erzählung definiert oder legitimiert werden soll.380 Erwies sich V. 48 für den Grenzvertrag als konstitutiv, so ergeben sich aufgrund von Inkohärenzen des Verses mit seinem vorliegenden Kontext literarkritische Anfragen. Zwischen Vv. 46–48 und V. 50 besteht ein unauflöslicher Widerspruch. Wird in Vv. 46–48 gemäß der Etymologie der Haufen als Zeuge (‫ )עד‬bezeichnet, allerdings ein, dass im vorliegenden Kontext keine Hinweise vorliegen, die eine völkergeschichtliche Interpretation des Abkommens über die Frauen Jakobs rechtfertigen könnten. Vgl. zu einer kritischen Bewertung auch Eising, Untersuchung, 230. 375 Vgl. Kratz, Komposition, 270 Anm. 54. Anders z. B. Westermann, Genesis I/2, 610, der V. 53b ebenfalls V. 50 anschließt. 376 Vgl. zu dieser Inkohärenz Neumann, Jacob, 44. Ruppert, Genesis III, 324, will das Problem durch die Annahme lösen, die Verpflichtung Labans aus einer älteren Version sei entfallen. 377 Gegen Blum, Komposition, 135, der meint, V. 48 nehme V. 51 lediglich vorweg. 378 Vgl. Blum, Komposition, 137 f. 379 Blum, Komposition, 138. 380 Vgl. Carr, Fractures, 270 Anm. 108: „whether one can reconstruct an unlocalized  (!) border tradition here is questionable.“

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wird hingegen in V. 50 Gott als Zeuge (‫ )עד‬angeführt.381 Aufgrund des Widerspruchs zwischen V. 48 und V. 50 ist offenkundig, dass die in V. 48 enthaltene Ätiologie an keinen konkreten Vertragsinhalt angebunden ist und insofern in der Luft hängt. Es wäre denkbar, dass V. 48 unmittelbar den Vertragsinhalt aus Vv. 51–53 vorbereitete, doch steht einem unmittelbaren Anschluss von V. 51 an V. 48 die doppelte Redeeinleitung entgegen. Darüber hinaus liegt in Vv. 51–53 eine deutliche Wiederaufnahme von V. 48 vor, die sich nur durch die Angliederung an einen dazwischenliegenden Textbestand erklären lässt. Die ätiologische Herleitung des Gebirgsnamens ‫ גלעד‬ist insofern umständlich in den Kontext integriert, sodass sich jene nicht als primäres Anliegen der Vertragserzählung nahelegen lässt.382 Darüber hinaus setzen einzelne Verse von Gen 31,43–32,1 die ätiologischen Komponenten offensichtlich noch nicht voraus. So wird etwa in V. 54 für das Gebirge Gilead der auch in Vv. 21.23 gebrauchte Begriff ‫ הר‬verwendet und nicht ‫גל‬, obwohl letztgenanntes Lexem für die ätiologische Herleitung sinntragend ist. Ein weiteres Argument für eine vergleichsweise späte Ansetzung des Grenz­ vertrages tritt hinzu. So gehört V. 53a zwingend zum Grenzvertrag, setzt seinerseits allerdings bereits das literarische Zusammenwachsen der Erzelternerzählungen voraus.383 Während darüber hinaus in V. 50 Gott als Zeuge für die Einhaltung 381 Dies spricht m. E. deutlich gegen die von Blum, Komposition, 137, vorgebrachte Annahme, Vv. 48–50 seien als Vorschaltung des Grenzabkommens zu verstehen. Darüber hinaus scheint die Intention einer solchen Vorschaltung doch sehr überladen. So sollen Vv. 48 f. nach Blum, Komposition, 135 f., gewählt worden sein, um die Mizpa-Ätiologie einzubinden und die Verse sogleich zugunsten der Töchter bearbeitet worden sein. Ruppert, Genesis III, 294 f., schließt sich Blum an. 382 Finkelstein / Römer, Comments, 324, gehen von einer ätiologischen Erzählung aus, die eine geografische Besonderheit in der Nähe einer Grenze israelitischer und aramäischer Gruppen in Gilead erklären wolle. Jene sei von der Idee assyrischer Kudurru-Grenzsteine beeinflusst. Bei Kudurru-Steinen handelt es sich um einzelne Steine, die eine Inschrift mit Gebietszuteilungen enthalten. Der Unterschied zu dem in Gen 31 vorgestellten Steinhaufen ist m. E. nicht zu verkennen. Insofern wäre eine Beeinflussung nur für die Errichtung der Mazzebe noch weit entfernt denkbar. 383 Bei V. 53a handelt es sich mithin nicht um nomadisches Urgestein einer Väterreligion (so Alt, Gott, 26 ff.), sondern um einen Teilvers, der bereits an einer Verbindung der Jakob- mit der Abrahamerzählung interessiert ist. Vgl. Köckert, Vätergott, 59 f. Letztlich wird eine Verbindung zwischen Laban und Jakob über die Väter Abraham und Nahor und wiederum deren Vater Terach hergestellt, wie sie in sekundären Passagen von Gen 11,27–32 erwähnt ist. Gegen Seebass, Vätergeschichte II/2, 374, der Nahor als Ortsnamen auffasst und uralte Traditionen hinter V. 53a vermutet. Anhalt für einen demgegenüber älteren Textbestand bietet V. 53b mit der seltenen Formulierung des „Schreckens Isaaks“. Vgl. zur literarkritischen Differenzierung zwischen V. 53a und b auch Carr, Fractures, 257 f. Anm. 74. Zu den verschiedenen Versuchen die Bedeutung zu eruieren, vgl. Köckert, Vätergott, 63 ff. Die Nennung Isaaks im Grundbestand macht eine unabhängige Entstehung des Jakob-Laban-Erzählzyklus von einem Jakob-Esau-Erzählzyklus noch unwahrscheinlicher. Um dies zu vermeiden, hält Köckert, Vätergott, 63, nur die Formulierung „Schrecken seines Vaters“ für ursprünglich, die Bildung mit dem Namen Isaak allerdings für sekundär.

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des Vertrages bezüglich der Frauen Jakobs bestimmt wird, sollen in Vv. 51 f. Steinhaufen und Mazzebe als Zeugen für die Einhaltung des Grenzvertrages eintreten – und zwar in Zukunft.384 Ist in V. 50 Gott als Wächter genannt, ist dessen richterliche Instanz im Falle der Nichteinhaltung selbstverständlich inbegriffen, wie etwa vergleichbare Konstellationen in Jer 20,23; 42,5 beweisen. Gottes Zeugenschaft garantiert, dass Gott auch für die Einhaltung des Vertrags Sorge trägt. Der Steinhaufen und die Mazzebe sind als Zeugen jedoch auf eine richterliche Instanz für eine gesicherte Einhaltung angewiesen – mithin auf V. 53a, in dem Gott explizit als Richter erwähnt ist. Gegen eine Zuordnung des Grenzvertrages zum Grundbestand spricht neben den genannten literarkritischen Beobachtungen, dass eine von Laban initiierte Grenzsicherung erzählerisch nicht vorbereitet wird.385 Vielmehr steht diese dem Gesamtduktus der Erzählung diametral entgegen. So befindet sich nicht Laban, sondern Jakob in einer Bedrohungssituation und müsste daher doch gerade an einem Friedensvertrag interessiert sein. Nicht zuletzt erscheint auch der Gegenstand des Grenzvertrages konstruiert. Denn es wird nicht klar benannt, ob ein Haufen auf dem Berg Gilead oder das Gebirge selbst die Grenze markieren soll. Das komplexe Gebilde ist durch weitere literarkritische Auffälligkeiten geprägt. So verdankt sich V. 47, der eine Dopplung zur etymologischen Herleitung aus V. 48 bildet, eines redaktionellen Eingriffes, der darum bemüht ist, Jakob als eigentlichen Stifter des hebräischen Gebirgsnamens zu etablieren.386 Auf dieselbe redaktionelle Hand wird wohl auch die Abänderung des Handlungsakteurs von „Laban“ zu „Jakob“ in V. 46 zurückzuführen sein.387 Beide Eingriffe zielen darauf ab, Jakobs passives Auftreten im Grundbestand zu korrigieren. Darüber hinaus hinkt die Mizpa-Ätiologie der Gilead-Ätiologie aus Vv. 46–48 deutlich nach.388 Inhaltlich bildet V. 49 ein Zwischenglied zwischen V. 50 und 384 Der Einbezug der Zeitebenen löst das Problem, dass mit der Zeugenschaft des Haufens (V. 48a) und der Zeugenschaft Gottes (V. 50) ein Gegensatz bestünde. So etwa Nentel, Jakobserzählungen, 189. 385 Vgl. Eising, Untersuchung, 230 f. 386 Vgl. Blum, Komposition, 133, im Anschluss an Wellhausen, Composition, 41. Darüber hinaus Boecker, Isaak, 92; Ruppert, Genesis III, 294; Eising, Untersuchung, 233; Westermann, Genesis I/2, 608; Levin, Jahwist, 244; Nentel, Jakobserzählungen, 189 f. Zur Gegenposition vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 369 f., der zwischen den Namen Gilead und Gal’ed unterscheiden will. 387 Vgl. hierzu bereits Wellhausen, Composition, 41. Daran anknüpfend auch Blum, Komposition, 133. Laban führt in V. 51 die Errichtung auf seine Initiative zurück. Eine einheitliche Lösung versuchen Fokkelman, Art, 190, und Ottosson, Gilead, 43, dadurch, dass sie Labans Behauptung, die nicht den Tatsachen entspricht, seinem Trickster-Charakter zusprechen. Ruppert, Genesis III, 295, hält beide Lösungen für möglich. 388 Vgl. bereits Wellhausen, Composition, 41. Gegen Blum, Komposition, 136, der meint, V. 48 komme erst mit V. 49a zu einem Ende. Das mag auf der Ebene des Endtextes durchaus stimmen, allerdings bleibt doch überaus fraglich, weshalb ein Redaktor eine derart komplizierte Konstruktion von Vv. 48 f. gewählt haben sollte, um den Ortsnamen Mizpa einzufügen. Vielmehr

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Vv. 46–48. Der Vers nutzt offenbar die durch Gilead gesetzte Geografie, um den Ort Mizpa einzubinden. Zu diesem Zweck wird V. 49 mit einer wiederholten Redeeinleitung an V. 48a rückgebunden. Zugleich klingt in V. 49 inhaltlich V. 50b an. Gegen eine Gleichursprünglichkeit von V. 50 und V. 49 spricht das fehlende Interesse von V. 50 an Mizpa.389 So wiederholt V. 50 in der jetzigen Abfolge Elemente aus V. 49, spart allerdings das zentrale Verb aus, welches für eine ätiologische Erklärung Mizpas naheliegend gewesen wäre (‫)צפה‬. Gott wird nicht als Wächter, sondern als Zeuge eingeführt. Obwohl V. 49 im jetzigen Zusammenhang als Vorbereitung auf V. 50 lesbar ist,390 müssen die unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen der beiden Verse auffallen. In V. 49 soll Gott zwischen den beiden Parteien wachen, wenn sich eine Partei vor der anderen verbirgt. Gott wird folglich als Wächter, nicht über die Abmachung selbst, sondern über die örtliche Separierung bestimmt. In dieses Bild fügt sich auch die Rezeption des Verbs ‫צפה‬, das im AT vorwiegend gebraucht wird, wenn das Bewachen / Ausspähen eines Territoriums angesprochen ist. Dem entspricht konzeptionell, dass der „Aussichtspunkt“ Mizpah territorial auf eine Lokalisierung festgelegt ist und insofern als Grenzmarkierung fungieren kann.391 Demgegenüber soll in V. 50 Gott nicht wachen, sondern vielmehr als Zeuge für den Fall angerufen werden, dass Jakob seine Frauen unbeobachtet unterdrückt. Gott wird hier folglich nicht als Wächter einer territorialen Trennung, sondern als Rechtsbeistand herangezogen.392 Phonetisch weist V. 49 aufgrund des Verbgebrauchs ‫ צפה‬eine Verbindung mit der Errichtung der Mazzebe durch Jakob in V. 45 auf.393 Diesem Vorgang scheint im gesamten Abschnitt durchweg keine tragende Funktion zuzukommen.394 Dies betrifft V. 45 ebenso wie die Passagen aus Vv. 51–53a, die die Mazzebe erwähnen. Der Grund für die Ergänzung liegt in einem ähnlichen Interesse begründet wie die redaktionelle Ergänzung von V. 47 und die redaktionelle Abänderung von V. 46. erscheint mir durch die deutliche rückbindende Redeeinleitung in V. 49 ein sekundärer Rekurs auf V. 48 vollzogen. Dessen Umständlichkeit erklärt sich dadurch, dass die allgemeine Ätiologie in V. 48b bereits vorgelegen hat, an die er nur noch über Umwege anknüpfen konnte. 389 Eine Mehrheit der Exegeten nimmt für Mizpa den Ort an, der auch in Ri 10,17; 11,11.34 angeführt wird und dort einen Kultort bezeichnet. Vgl. z. B. Boecker, Isaak, 93. Tal, Genesis, 157*, betont hingegen eine Übersetzung aufgrund des Artikels. 390 Vgl. z. B. Westermann, Genesis I/2, 608. 391 Vgl. zur Verortung und Funktion Finkelstein / Römer, Comments, 324. 392 Für eine singuläre Aussonderung des V. 49 sprachen sich insbesondere Vertreter der Quellenscheidung aus, die dafür das Argument des Gottesnamenswechsels bemühten. Vgl. z. B. Nentel, Jakobserzählungen, 190 f. 393 Vgl. etwa Blum, Komposition, 137 f. 394 Vgl. Nentel, Jakobserzählungen, 187 f.; Blum, Komposition, 138; Westermann, Genesis I/2, 608. Taschner, Verheißung, 126, hingegen nimmt an, dass „jede Partei […] ihre eigene Grenzmarkierung“ aufrichtet (Steinhaufen-Laban; Jakob-Mazzebe). Diese Option halte ich schon aus rein praktischen Gründen bei einer Grenzmarkierung für nicht zielführend.

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Allesamt haben sie die Absicht, Jakob zu einem aktiveren Part im Gilead-Vertrag zu verhelfen. Derselben Schicht gehört wohl auch V. 54abα an, der Jakob – neben der Errichtung einer Mazzebe – die Initiierung eines Opfermahls zuschreibt. Für eine Erweiterung um V. 54abα spricht, dass das Mahl aus V. 46 zum einen – anders als im Grundbestand – nun deutlich Jakob zugeschrieben wird und zum anderen als kultisches Mahl auf eine andere Basis gestellt wird.395 V. 49 liegt mit dieser Tendenz entweder auf einer Ebene oder ist ihr redaktionsgeschichtlich nochmals nachzuordnen.396 Wertet man die Beobachtungen aus, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass abgesehen von Vv. 44.50.53b.54bβ–32,1 keine Elemente aus Gen 31,45–32,1 für den Grundbestand tauglich erscheinen. So baut zwar diejenige Redaktion, die an einer aktiveren Rolle Jakobs interessiert ist (Vv. 45.46*.47), auf der Ätiologie Gileads in Vv. 46*.48 auf, allerdings spricht gegen eine Zuweisung der Vv. 46*.48 zum Grundbestand eine dort angesprochene Zeugenschaft, die nur vor dem Hintergrund eines spezifischen Vertragsinhaltes sinnig erscheint. Jene wird allerdings aufgrund der aufgezeigten Widersprüche nicht mit V. 50 auf derselben redaktionsgeschichtlichen Ebene liegen können. Plausibler erscheint, dass die Erwähnung der Zeugenschaft in V. 50 die Ätiologie Gileads an sich gezogen hat. Eine redaktionsgeschichtlich frühe Ansetzung von V. 50 ist auch daher wahrscheinlich,397 da in V. 50 die Mägde Leas und Rahels noch nicht vorausgesetzt sind.398 Nicht zuletzt setzt die Thematik des Verbleibs von Jakobs Frauen die vorausgehenden Kapitel der Jakoberzählung ungebrochen fort.399 Den Grundbestand der Gilead-Erzählung bildet mithin eine Vereinbarung zwischen Jakob und Laban in Gilead über den Verbleib von Labans Töchtern, die sekundär durch eine Ätiologie Gileads erweitert worden ist (Vv. 46.48).400 Derselben Schicht sind wohl auch die Vv. 51–53a zuzuweisen, die noch ohne die 395 Vgl. Ruppert, Genesis III, 295. 396 Dass sich die rituellen Tätigkeiten Jakobs zweifelsohne auf ein Heiligtum in Mizpa beziehen sollen, wie Blum, Komposition, 139, annimmt, erschließt sich mir nicht ohne weiteres. 397 Vgl. Neumann, Jacob, 44 Anm. 23. 398 Vgl. Blum, Komposition, 140. Insofern setzt Blum die Erweiterung der Gilead-Erzählung redaktionsgeschichtlich noch vor seiner K-Schicht an. 399 Vgl. Heintz, Récit, 174; Westermann, Genesis I/2, 609. Blum, Komposition, 135, nimmt diesen Umstand umgekehrt zum Anlass, den Vertrag über Jakobs Frauen aus dem Zusammenhang als sekundär auszuschließen. Blum gründet seine Argumentation bereits auf der keineswegs selbstverständlichen überlieferungsgeschichtlichen Prämisse, in Gen  31 sei eine Einzelerzählung über einen Grenzvertrag in Gilead zu rekonstruieren. Problematisch an dieser These ist, dass sie allein auf dem Grundsatz fußt, in Gen 31 sei der „Völkergeschichte“ das entstehungsgeschichtliche Primat zuzuschreiben. Neumann, Jacob, 50–52, versucht hingegen nach dem Vorgange anderer, den Vertrag über die Frauen „völkergeschichtlich“ zu vereinnahmen. 400 Vgl. grundsätzlich Westermann, Genesis I/2, 488, allerdings ohne dessen Dualismus zwischen Familiengeschichte und Volksgeschichte als Kriterium für die Ausweisung sekundärer Passagen zu übernehmen.

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deutlich nachklappenden Verweise auf die Mazzebe ausgekommen sind. Redaktionsgeschichtlich setzt die genannte Erweiterung ein Zusammenwachsen der Vätererzählung mit dem Verweis auf Abraham bereits voraus. Der einseitig durch Laban initiierte Vertrag ist durch eine stärkere sowie kultische Beteiligung Jakobs nachjustiert worden (Vv. 45.46*.47.49.54abα), deren Notwendigkeit sich aus der ätiologischen Funktion der Erzählung ergab. Die These einer überlieferungsgeschichtlich unabhängigen Gilead-Erzählung ließ sich nicht verifizieren. Der stärkste Einwand gegen diese mittlerweile weitestgehend anerkannte These401 liegt darin, dass eine solche Einzelerzählung nicht mehr rekonstruierbar ist.402 An dem tentativ erschlossenen Textumfang (46.51–53) ist schnell ersichtlich, dass dieser Überlieferung nicht nur ein klarer Anfang und ein klares Ende fehlt, sondern auch ein prägnanter Plot, der einen Überlieferungsgrund plausibilisieren könnte.403 Hinzu tritt der Umstand, dass verschiedene Bestandteile des ohnehin nur noch dürftig erhaltenen Umfangs den erzählerischen Kontext voraussetzen. So erscheint ein derart inhaltlich aufgestellter Vertrag nur dann sinnig, wenn vormals ein Konflikt der beiden Vertragsparteien bestand.

401 Vgl. Otto, Sichem, 53; Blum, Komposition, 138–140. Blum unternimmt so den Versuch, das Problem zu lösen, dass sich eine Grenzabsprache nicht als maßgebliches Proprium der gesamten Jakob-Laban-Erzählung feststellen lässt, er jene allerdings als entscheidenden Anker für eine völkergeschichtliche Deutung des Jakob-Laban-Zyklus benötigt. Vgl. zum überlieferungsgeschichtlichen Ursprung der Jakob-Laban-Erzählung in der Vertragserzählung Noth, Überlieferungsgeschichte, 100 f., der zudem ebenfalls von einem ursprünglichen Vertrag ausgeht, der V. 52 zum Inhalt hatte. Darüber hinaus von Rad, Genesis, 252; Ruppert, Genesis III, 294; Wöhrle, Art. Jacob, 582. Boecker, Isaak, 92, begründet seine Entscheidung mit dem Umstand, es ließen sich beim Gilead-Vertrag in der völkergeschichtlichen Ausrichtung keine sachlichen Anknüpfungspunkte an Gen 29–31 feststellen. Dies könnte allerdings ebenso gut als Argument für eine sekundäre völkerrechtliche Erweiterung geltend gemacht werden. 402 Vgl. zu dieser methodischen Problematik die Erörterung bei Nentel, Jakobserzählungen, 194 f. 403 Blum, Komposition, 135, schreibt die Vv. 51–53 der „Substanz“ dieser älteren GileadErzählung zu. Allerdings muss Blum zugeben, dass bereits die älteste greifbare Form in ihrer Gestalt schon von der Jakoberzählung beeinflusst / überformt ist. Boecker, Isaak, 92, vermutet einen Anhalt für die Überlieferung in Vv. 46.48.51–53. Blum, Jacob Tradition, 205: „Especially in the concluding pact-scene, however, any such attempt [der genauen literarhistorischen Rekonstruktion] will be nothing but tentative.“ In Grundzügen stellt Blum das Textwachstum wie folgt dar: Grundschicht: Gen  31,46.51–54; Kompositionsschicht: Gen  31,45.48–50, inklusive der Referenzen auf die Mazzebe; Spätere Zusätze: Abänderung Laban zu Jakob in Vv. 45–46 und V. 47 als gelehrte Fortschreibung.

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5.4.5 Die Frage nach der politischen Ausrichtung der Jakob-Laban-Erzählung Friederike Neumann hat anknüpfend an ältere Forschungspositionen kürzlich erneut auf die diplomatische Funktion von Heiratsverträgen zwischen Staaten hingewiesen, wie sie in altorientalischen Vergleichstexten außerhalb des ATs bezeugt sind. Vergleichbar zu derartigen Texten, in denen Verheiratungen von Herrschertöchtern belegt sind, die dazu dienten, diplomatische Beziehungen zu anderen Völkern zu knüpfen, sei der Vertrag zwischen Jakob und Laban über die Töchter Labans als politisch motivierter Hochzeitsvertrag zwischen zwei Volksvertretern zu verstehen.404 Laban, der für Aram stehe, wolle sich durch die Verheiratung seiner Töchter die Loyalität Israels sichern.405 Mit einer politischen Lesart des sog. „Hochzeitsvertrags“ sind – neben der oben gezeigten notwendigen literarkritischen Trennung zwischen der Vereinbarung über Labans Töchter und dem Grenzvertrag – mehrere Probleme verbunden.406 Zunächst steht das Setting von Gen 31,43–32,1 der Annahme eines Hochzeits­ vertrages entgegen, da die Verheiratung der Töchter bereits längere Zeit zuvor stattgefunden hat. Eine Nachverhandlung wäre zwar denkbar, doch auch dann lässt sich nicht wegdiskutieren, dass die Heirat mit den Töchtern vornehmlich durch Jakob und nicht durch Laban initiiert worden ist. Darüber hinaus leistet Jakob als Gegenleistung für seine Frauen Dienste ab, was einer diplomatisch motivierten Hochzeit entgegensteht. Eine tatsächliche Absicherung diplomatischer Beziehungen lässt sich nur dann plausibel machen, wenn ein Herrscher seine Töchter einem anderen Volksvertreter überlässt, um sich dessen Loyalität zu sichern. Laban hingegen reklamiert seine Töchter in Gen 31 vor dem Vertragsabschluss für sich und zeigt sich nicht bereit, jene freiwillig herauszugeben. Insofern scheint Laban mit dem Abkommen nicht aus politischem Kalkül zu handeln, sondern zu einer Notlösung zu greifen, welche die Existenz der Töchter und die ihrer Nachkommen absichern soll.407 In Gen 31,43–32,1 sind demnach zu wenige Anhaltspunkte für die Interpretation eines politisch motivierten Hochzeitsvertrages gegeben. Vielmehr geht es in Gen 29–31 durchweg um die Frage nach dem Anspruch auf die Töchter und nach dem rechtlichen Rahmen, der diese Ansprüche bedingt. Wie in den oben aufgezeigten traditionsgeschichtlichen Erwägungen gezeigt, hängen diese Rechtsfragen in Gen 31 zentral mit dem Verständnis des Dienstverhältnisses zwischen Jakob und Laban zusammen. 404 Vgl. Neumann, Jacob, 50–52. Zuvor bereits Finkelscherer, Gilead-Vertrag. 405 Vgl. Neumann, Jacob, 50 f. 406 Vgl. etwa auch Blum, Komposition, 135, der einen Zusammenhang zwischen einem Staats- und einem Hochzeitsvertrag „in Gen 31 nicht einmal angedeutet“ sieht. Zur Zweisträngigkeit vgl. auch Weingärnter, Impertinenz, 312. 407 Vgl. Blum, Komposition, 135.

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Lassen sich insofern – abgesehen von dem Vertrag über den Verbleib der Töchter – deutliche Anzeichen in der Jakob-Laban-Erzählung feststellen, die nahelegen, dass hier ein politisches Verhältnis zwischen Israel und den Aramäern verhandelt werden soll? Gegenwärtig wird mehrheitlich von dem Grenzvertrag zwischen Jakob und Laban in Gilead auf eine völkergeschichtliche Interpretation der Jakob-LabanErzählung in Gänze rückgeschlossen.408 Der Grenzvertrag von Gilead habe Erinnerungen an eine historische Grenze zwischen Israel und Aram-Damaskus in Gilead bewahrt. Gemeinhin wird die Grenzziehung auf eine nicht genau definierbare historische Grenze zwischen Israel und Aram in Gilead zurückgeführt, deren Ursprung in der ersten Hälfte des 9. Jh. vermutet wird.409 Dieser Rückschluss wird vornehmlich aus dem Umstand gezogen, dass es sich bei der Region Gilead in dieser Zeit um ein umstrittenes Gebiet zwischen Aram-Damaskus und Israel gehandelt hat. Gen 31,43–32,1 greife dementsprechend eine solche Grenze, oder topografische Besonderheiten in der Nähe einer solchen Grenze auf.410 Indes lässt sich aus dem Grenzvertrag nicht ohne weiteres eine territoriale, politisch motivierte Grenzziehung ableiten. Aus der Erzählung ist nur schwer zu entnehmen, ob das Gebirge Gilead selbst als eigentliche Grenze definiert, oder ob ein Steinhaufen auf dem Gebirge als Grenzmarkierung etabliert wird.411 Die Grenze ist allenfalls nur unklar bestimmt. Diese Ausgangsvoraussetzungen erscheinen für eine ätiologische Verankerung einer historischen Grenze ungünstig, die einem Legitimationsanspruch genügen oder an historische Gegebenheiten anknüpfungsfähig sein soll. Ein entscheidender Fokus des oben rekonstruierten Grenzvertrages liegt auf dem Friedensabkommen zwischen Jakob und Laban, das zwar eine territoriale Trennung einschließt, nicht aber die territoriale Trennung selbst zum Hauptgegenstand der Verhandlungen erhebt. Die Grenzziehung will vornehmlich verhindern, dass die Parteien sich einander in böser Absicht nähern. Dieses Friedensabkommen ist darüber hinaus nachhaltig darum bemüht, den Gilead-Namen und weniger die Lokalisierung der Grenze ätiologisch herzuleiten. 408 Vgl. Blum, Komposition, 135–140.198 f.; Finkelstein / Römer, Comments, 323–330; Wöhrle, Art. Jacob, 582.583 f. 409 Vgl. Sergi, Gilead, 344; Finkelstein / Römer, 322 f.; Dietrich, Israel, 121–123; Neumann, Jacob, 46 f. 410 So Finkelstein / Römer, Comments, 324. 411 Vgl. zur geografischen Problematik von Gen 31 Blum, Komposition, 194–200. Als Grundbestand erscheint mir eine „unspezifische Bedeutung von ‚Gilead‘“ (a. a. O., 197) kaum unterzubringen sein, sollte der Grundbestand zudem in einer Ätiologie bestanden haben, die darüber hinaus noch nicht einmal eine explizite Benennung des Ortes zum Gegenstand gehabt haben sollte. Finkelstein / Römer, Comments, 324 f., behelfen sich, indem sie die Entstehung der (mündlichen) Erzählung ins 11./10. Jh. verlegen, in der eine Siedlungsgrenze (noch keine politische Grenze) zwischen Israeliten und Aramäern bestanden haben soll. In welcher Weise der Nucleus der Ätiologie mit dieser Grenze in Verbindung gestanden haben soll, wird von den Autoren offengelassen.

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Am alttestamentlichen Befund lässt sich darüber hinaus zwar erkennen, dass es sich im Falle des Gebirges Gilead um ein umstrittenes Gebiet zwischen AramDamaskus und Israel gehandelt hat.412 Allerdings gilt in der Archäologie die Möglichkeit der Erhebung staatlicher Grenzen in der eisenzeitlichen Levante als umstritten.413 Die historische Existenz einer solchen Grenze zwischen Aram und Israel in dieser Region lässt sich mithin nicht zweifelsfrei verifizieren. Ob die Erzählung eine fiktive Grenzabsprache entwickelt, um etwa Gebietsansprüche Israels zu formulieren, oder eine tatsächlich existierende topografische Grenze vor Augen hat, und ob es sich dabei tatsächlich um eine Grenze zum Volk der Aramäer handeln soll, lässt sich letztlich nicht klären. Interpretiert man dennoch Gen 31,43–32,1 als einen Grenzvertrag zwischen Israel und Aram, ergeben sich erhebliche Probleme bei dessen Datierung. Dies liegt insbesondere daran, dass im AT eine deutlich negative Haltung gegenüber dem Volk der Aramäer vorherrscht,414 die einem positiven Vertrag, wie er in Gen 31 belegt ist, entgegensteht. Die alttestamentliche Einstellung zu den Aramäern wandelt sich literaturgeschichtlich greifbar erst in der Priesterschrift zum Positiven. Die historische Verortung der Gilead-Erzählung fällt in der Forschung dementsprechend disparat aus. Neumann und Blum etwa vermuten als Entstehungshintergrund der Jakob-Laban-Erzählung die „friedliche“ Epoche zwischen Israel und Aram in omridischer Zeit noch vor dem Konflikt zwischen den beiden Völkern.415 In der Forschung zur Geschichte Israels besteht weitgehender Konsens darüber, dass Israel in der ersten Hälfte des 9. Jh. unter den Omriden bedingte 412 Aus 2 Kön 13,25 lässt sich schließen, dass es für Israel zu Gebietsgewinnen in Gilead unter Joasch gekommen ist. Sollte Am 6,13 verlässlich sein, konnte auch Jerobeam II. Teile Gileads von den Aramäern zurückerobern. Vgl. Sergi, Gilead, 336 f. 413 Vgl. Sergi, Gilead, 333 f.; Sergi / de Hulster, Considerations, 8–10. Grenzziehungen hätten sich nach Sergi / de Hulster aus Zusammenschlüssen lokaler Herrscher ergeben und seien dementsprechend fluide gewesen. Zudem habe es kulturelle und soziale Interaktionen über Grenzen hinweg gegeben, was deren Erhebung aus dem archäologischen Befund erschwert. Vgl. zur Problematik auch Finkelstein, Israel, 18, indes optimistischer bezüglich der Möglichkeit von Grenzziehungen. 414 Die Mehrheit der biblischen Belege vermittelt ein negatives Bild von den Aramäern. Dies betrifft die Passagen, die Kriege mit den Aramäern zum Inhalt haben (2 Sam 8,5; 1 Kön 11,23–25; 15,16–22; 20; 22,1–38; 2 Kön 6,24–7,20; 8,28 f.; 9,14b; 10,32 f.2; 13,3–5.22–25; 14,23–28; Jes 7,1–9; Am 6,13 f.) und die kritische Sicht auf die Aramäer von Seiten der Prophetie im Rahmen der Fremdvölkersprüche (Jes 10,8 f.; 17,1–4; Jer 49,23–27; Am 1,3–5). Der Bericht über die Aramäerkriege Ahabs in 1 Kön 20.22 ist literarhistorisch umstritten. Wahrscheinlich handelt es sich nicht um einen historischen Bericht, sondern um eine dtr. Erfindung. Vgl. Vieweger, Geschichte 2, 130 f. Zum außerbiblischen Beleg für den Konflikt zwischen Israel und den Aramäern vgl. die Stele von Tel Dan. Dort rühmt sich ein aramäischer König (wohl Hasael), den König von Israel und den vom „Haus Davids“ getötet zu haben. Vgl. zur Rekonstruktion insbes. Blum, Relations, 37–46. 415 Vgl. Blum, Jacob Tradition, 210; Neumann, Jacob, 48. Finkelstein, Temples, 141 f., setzt die Erzählung sogar noch vor omridischer Zeit an, verlagert sie in diesem Zuge allerdings auf ein mündliches Stadium.

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Selbständigkeit gegenüber den Aramäern in Gilead erlangte. Ende des 9. Jh. sei es zu einer Okkupation israelitischer Gebiete im Ostjordanland gekommen, worauf die biblischen Berichte über die Konflikte mit Aram mitunter zurückgeführt werden.416 Eine relative Selbständigkeit Israels gegenüber Aram wird gemeinhin auch für das 8. Jh. unter Jerobeam II. angenommen, allerdings lässt sich zu dieser Zeit in den Texten des ATs bereits eine wesentlich kritischere Haltung gegenüber den Aramäern greifen, die sich nicht mit dem Friedensabkommen verträgt.417 Will man dennoch in der politischen Gilead-Erzählung die konfliktreichen Verhältnisse zwischen Israel und Aram im 8. Jh. abgebildet wissen,418 wäre das friedliche Grenzabkommen dann als ideale Darstellung gegen bestehende politische Verhältnisse zu lesen, oder als Abbild einer ambivalenten Völkerbeziehung zu deuten.419 Bilanziert man diese Ergebnisse, so sind die Belege für einen völkergeschichtlich ausgerichteten Grenzvertrag zwischen Israel und Aram in Gen 31,43–32,1 dünner als gemeinhin angenommen.420 Eine deutliche Identifizierung zwischen Laban und Aram lässt sich erst in literaturgeschichtlich späten Textpassagen greifen. Darüber hinaus sind die Verhältnisse in Gen 31,43–32,1 zu ungenau geschildert, als dass sie sich auf das Interesse an einer historischen Grenze zwischen Israel und Aram zurückführen ließen. Nicht zuletzt weisen die priesterschriftlichen Passagen, die Laban deutlich mit Aram identifizieren, auf eine Lokalisierung der Aramäer in Obermesopotamien hin.421 Gegen die Einschätzung Neumanns, die in den sekundären Eintragungen, die Laban als Aramäer identifizieren, eine redaktionell vorgenommene, abgrenzende Haltung gegenüber den Aramäern greifen 416 Vgl. etwa Blum, Relations, 49, der in diesem Zuge auch auf die Tel Dan Stele verweist. 417 Vgl. Lipiński, Aramaeans, 348.354.358; Blum, Relations, 50 f. Zum biblischen Bericht vgl. 2 Kön 14,25. 418 Vgl. Sergi, Gilead, 345. Vgl. zum ambivalenten biblischen Befund zu den Aramäern insbes. Dietrich, Israel, 121 ff. Gegen eine Datierung der Erzählung in die konfliktreiche Periode des 8. Jh. argumentiert Na’aman, Jacob Story, 98. 419 So etwa Dietrich, Israel, 124 f. In der Jakob-Laban-Erzählung liege laut Dietrich etwas „Paradigmatisches“. Sie zeige entgegen geschichtlich gewaltvoller Realitäten, wie ein Zusammenleben zwischen den beiden Völkern möglich sei. Zur Ambivalenz des Verhältnisses zwischen Israel und Aram in der Jakob-Laban-Erzählung vgl. Wöhrle, Jacob from Israel, 143. 420 So geht etwa auch Sergi, Gilead, 344, von einer sekundären Aramaisierung Labans aus, bei dem es sich ursprünglich um das Oberhaupt einer nomadischen Viehzüchtergruppierung in syrischen Randgebieten gehandelt habe. 421 Na’aman, Jacob Story, 105, postuliert eine erstmals exilische Gestalt der Jakoberzählung, die die Jakob-Laban-Erzählung primär in Haran verorte. Eine mündliche Erzählung habe einen Gilead-Vertrag im Ostjordanland vor Augen gehabt. Als Grund für eine Verlegung der mündlichen Erzählung nach Haran führt er an, dass es sich bei den „Aramäern“ in Obermesopotamien um exilierte Israeliten handle, die während der assyrischen Oberherrschaft dorthin verschleppt worden seien. Sergi, Gilead, 344 f., geht ebenfalls von einer Aramaisierung der Labanfigur aus, terminiert jene allerdings auf das 8. Jh.: „it seems that only in the 8th century the story received its somewhat political nature reflecting also the political borders between Aram-Damascus and Israel“ (a. a. O., 345).

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will, sprechen die jeweiligen Passagen, in denen diese Nachinterpretation vorgenommen wird. Die punktuellen Nachjustierungen sind gerade nicht in Passagen untergebracht, die Laban besonders negativ zeichneten (Gen 31,20.24). Vielmehr gruppieren sie sich um die Ankunft Jakobs in Gilead, was nahelegt, dass jene sicherstellen wollen, dass das Folgende unter der Überschrift der Auseinandersetzung zwischen Israel und den Aramäern gelesen wird. Darüber hinaus lassen sich lineare Entwicklungen von einer positiven Haltung gegenüber Aram hin zu einer negativen, wie sie die historischen Entwicklungen zwischen Israel und Aram vom 9.–8. Jh. nahelegen würden, in der Jakob-LabanErzählung nicht ohne erhebliche Einschränkungen feststellen. Nach Neumann bilde sich das im Gilead-Vertrag deutlich werdende positive Verhältnis zwischen Israel und Aram auch in der übrigen Jakob-Laban-Erzählung ab.422 Dies ist jedoch bereits aufgrund der Erzählung über den Hochzeitsbetrug in Gen 29 äußerst fraglich. Vielmehr wird Laban von Anbeginn als ambivalenter Charakter und in den überwiegenden Passagen als Kontrahent, wenn nicht gar Unterdrücker Jakobs präsentiert, indem er dessen schwache Rechtsstellung zu seinen Gunsten ausnutzt. Ebenso wenig zwingend ist die Trennung der beiden Protagonisten am Ende der Jakob-Laban-Erzählung auf eine notwendige historische Trennung der Bevölkerungsgruppen Israel und Aram zurückzuführen. Die Trennung ist zum einen durch die patriarchale Gesellschaftsordnung bestimmt, in der Jakob nun „für sein eigenes Haus“ Sorge tragen muss, und zum anderen durch den Plot der Erzählung, der eine Rückkehr Jakobs in sein Heimatland vorsieht. Liest man die Jakob-Laban-Erzählung zudem vor dem Hintergrund der Bestimmung eines Völkerverhältnisses zu den Aramäern im 9./8. Jh. bleibt fraglich, weshalb Israel ein Narrativ entwerfen oder sich zu Eigen machen sollte, in dem es sich als unterlegen und unterdrückt präsentiert, um sein Verhältnis zu einem Volk zu bestimmen, mit dem es zur Zeit der Textentstehung entweder im Konflikt über Gebietszuweisungen stand, oder eine gleichberechtigte Herrschaft in Gilead vorzuweisen hatte. Die postulierten historischen Gegebenheiten sind schlicht nicht mit den Rezeptionsangeboten übereinzubringen, die der Text im Rahmen seiner erzählerischen Einzelzüge darbietet. Lassen die Erlebnisse Jakobs im „Land der Söhne des Ostens“ auch unter Absehung einer explizit völkergeschichtlichen Lesart Rückschlüsse auf die Abfassungszeit des Textes zu? Der Grundbestand der Jakob-Laban-Erzählung setzt sich im Subtext mit den Lebensverhältnissen und dem Rechtsstatus eines mittellos Geflüchteten auseinander. Aufgrund seiner prekären Rechtsstellung muss Jakob konstant um die in der Fremde erworbenen Güter bangen. So ist Jakob beständig mit der Gefahr der Ausbeutung und dem ungeklärten Rechtsstatus seiner Frauen und Kinder konfrontiert. Jakob reflektiert diese Problematik explizit an späterer 422 Vgl. Neumann, Jacob, 49. Wöhrle, Art. Jacob, Sp. 583 f., kommt daher zu dem Schluss, die Jakob-Laban-Erzählung reflektiere das ambivalente Verhältnis der beiden Völker.

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Stelle in Gen 32,5. Dort gebraucht er für seinen Aufenthalt bei Laban das Verb ‫( גור‬als Fremdling weilen) und verweist damit auf einen problematischen Rechtsstatus, der im Bundesbuch zur gesetzlichen Verankerung des Schutzes dieser gefährdeten Gruppierung führte (Ex 22,20; 23,9).423 Bezieht man diese Themen ein, mit denen sich der Text ausführlich befasst, und berücksichtigt, dass die JakobLaban-Erzählung ohne Frage einen Nordreichskontext voraussetzt, wäre denkbar, dass in die Jakob-Laban-Erzählung der Fremdlingstatus Geflüchteter aus dem Nordreich erzählerisch eingeflossen ist, was sinnvoll nach den Ereignissen um 722 der Fall gewesen sein könnte.424 Diese Einschätzung ließe sich mit der redaktionsgeschichtlichen Bewertung der Jakob-Laban-Erzählung ebenso vereinen, wie mit der Datierung des Grundbestandes der Jakoberzählung.425 Obwohl der Leser bei der Lektüre der Jakoberzählung mit dem Ergebnis literarischer Rückgriffe auf nomadische Vorzeiten konfrontiert ist, die den Plot maßgeblich bestimmen, ist die spezifische Themensetzung, die vor dem Hintergrund nomadischer Vorzeit hier besondere Aufmerksamkeit erlangt, für die historische Einordnung der Entstehung der Jakoberzählung von Relevanz. Dabei wird vorausgesetzt, dass die tatsächlich behandelten Themen und Problemstellungen der Protagonisten für den intendierten Adressatenkreis bei der Textentstehung für anknüpfungsfähig befunden worden sein müssen. Weshalb bot sich Gilead vor dem Hintergrund dieser historischen Einordnung für die Verortung des Treffens zwischen Jakob und Laban an? Omer Sergi deutet die archäologischen Befunde in der Region als Beleg für eine enge wirtschaftliche und kulturelle Verbindung zwischen den Bevölkerungsgruppen Cis- und Trans­ jordaniens.426 Die Reiseroute, die Jakob in der Jakob-Laban-Erzählung wählt, entspricht einer Route, die von viehzüchtenden Nomaden während des Weide­ wechsels genutzt worden ist und die das ammonitische Bergland mit dem Jordantal verband.427 Mitunter auf diesen Umstand lassen sich wohl die vielfältigen kulturellen Beziehungen und Kontinuitäten zwischen den Bevölkerungsgruppen in Cis- und Transjordanien zurückführen, von denen der archäologische Befund zeugt. Ob die Wahl der Region Gilead in der Jakoberzählung daher auf einen eigentlichen Ursprung der Volksgröße Israel oder einer Jakobsippe in dieser Region zurückzuführen sein muss, und sich historisch verlässliche Beziehungen

423 Vergleichbar hierzu ist auch der Vorwurf der Töchter Labans in Gen 31,15, sie wie Fremde behandelt zu haben. 424 Vgl. Finkelstein, Migration. Zur Gegenposition, die gegen die Annahme einer größeren Flüchtlingswelle aus dem Nordreich argumentiert, vgl. etwa Knauf / Niemann, Geschichte Israels, 252 f. Jes 16,4 bezeichnet den im Südreich Zuflucht suchenden Nordreichbewohner ebenfalls als ‫גר‬. Vgl. Kellermann, Art. 984 ,‫גור‬. Kritisch Bultmann, Fremde, 213 f. 425 Siehe Kap. 8.1.1, 323. 426 Vgl. Sergi, Jacob, 290 f. 427 Vgl. Sergi, Jacob, 291–292; Sergi, Gilead, 345.

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dieser Bevölkerungsgruppen in der Jakoberzählung abbilden,428 sei dahingestellt. Offenkundig aber erschien es für einen, möglicherweise geflüchteten Nordreichsbewohner – eingedenk des erzählerisch eingebrachten Kulturmilieus von Kleinvieh züchtenden Nomaden – naheliegend, dass sich jener in das „Land der Söhne des Ostens“ begibt und auf einer bekannten Reiseroute wieder in sein Heimatland zurückkehrt. Dieser Umstand ließe sich in der Tat treffend auf die von Sergi aufgezeigten bekannten Verbindungen zurückführen. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund die sekundäre Fortschreibung um einen Grenzvertrag in Gilead in Gen 31,45–32,1 erklären? Zunächst ist möglich, dass schlicht die oben genannten Verbindungen genutzt wurden, um die Region Gilead ätiologisch an Jakob als Volkseponymen zu binden. Darüber hinaus wäre auch eine sekundäre völkergeschichtliche Zuspitzung des Friedensvertrages denkbar. Da es sich um eine exilische Bearbeitung handelt, wird auf der Grundlage der Haran-Bearbeitung vorausgesetzt, dass Laban bereits in Haran wohnhaft ist. Sollte es sich bei Haran tatsächlich um ein zeitweise aramäisches Stadtzentrum gehandelt haben, wäre schlüssig, dass Laban hier seine klare völkergeschichtliche Prägung als Aramäer erhalten hat. Die Überarbeitung des Gilead-Vertrages als Friedensabkommen ließe sich dann als eine ideale, rein literarische Konstruktion einer Grenze verstehen, die auf die Stilisierung eines friedlichen Verhältnisses mit den Aramäern in Obermesopotamien abzielt und jenes in die Vorzeit nach Gilead verlagert.429

428 Vgl. Sergi, Jacob, 294. 429 So Na’aman, Modes, 150 f.

6. Die Schlusskapitel der Jakoberzählung (Gen 32,2–33,20)

Die Schlusskapitel der Jakoberzählung (Gen 32,2–33,20) schildern in einem dreigipfligen Akt die Wiederbegegnung zwischen Jakob und Esau sowie die Versöhnung der beiden vormals verfeindeten Brüder. Durch militärisch konnotiertes Vokabular wird subtil eine Bedrohungslage in diese Wiederbegegnung nach langer Zeit eingespielt. Die so angedeutete Gewalt entlädt sich jedoch nicht in einem Krieg zwischen den Brüdern, sondern in einem Ringkampf Jakobs mit einem göttlichen Wesen am Jabbok. Jakobs Sieg im Zweikampf transformiert ihn nicht nur vom Familienbetrüger zum Volkseponymen, sondern entschärft die drohende Auseinandersetzung mit Esau proleptisch. Esau begegnet Jakob im Anschluss wider Erwarten friedlich. Hinsichtlich der redaktionsgeschichtlichen Verortung der Schlusskapitel ist in der Forschung konstant beobachtet worden, dass Gen 32–33 nicht nur die Konflikterzählung zwischen Jakob und Esau, sondern auch die Jakob-Laban-Er­ zählung, voraussetzen.1 Vor dem Hintergrund der überlieferungsgeschichtlichen Trennung zwischen Gen 25–27* und Gen 29–31 werden infolge Gunkels2 daher die betreffenden Kapitel mitunter auf eine andere Überlieferungsstufe verlagert. Die innertextlichen Gründe der redaktionsgeschichtlichen Beurteilung von Gen 32–33 beschränken sich neben der wechselnden Personenkonstellation und Lokalisierung auf einen postulierten veränderten Tonfall, den Gen 32–33 im Vergleich zu Gen 25–27* einnehme.3 Der Stimmungswechsel zwischen Gen 32–33 und Gen 25–27* scheint aber weniger aus Gründen innererzählerischer Logik irritierend, sondern vornehmlich vor dem Hintergrund eines völkergeschichtlichen Verhältnisses zwischen Edom und Israel.4 Unter der gegebenen Prämisse müssen sich die historisch 1 So ist der Konflikt zwischen Jakob und Esau unabdingbare Voraussetzung für deren Versöhnung. Darüber hinaus werden auf Jakobs Frauen und Kinder ebenso rekurriert, wie auch auf Jakobs Habe, die er bei Laban erworben hat. 2 Vgl. Gunkel, Genesis, 355. 3 Vgl. Gunkel, Genesis, 355; Kessler, Querverweise, 139; Blum, Komposition, 145–147.185 f.; Syrén, First-Born, 108; Wöhrle, Koexistenz, 317. 4 So bemängelt Crüsemann, Herrschaft, 83, eine nationale Lesart der Eingangskapitel bei rein individueller Lesart der Schlusskapitel. So etwa bei Blum, Komposition, 184. Nach Blum setzten sich die Schlusskapitel mit dem Jerusalemer Machtanspruch, der in den Eingangskapiteln formuliert worden sei, auseinander. Die Nordreichsperspektive ermögliche nun einen gelasseneren Umgang mit den Machtquerelen zwischen Edom und Israel und eine stärkere Reflexion des Segensthemas.

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Die Schlusskapitel der Jakoberzählung 

vorausgesetzten Hintergründe entweder von einem positiven zu einem negativen Völkerverhältnis geändert haben,5 oder die Völkerbeziehungen müssen konstant ambivalent sein, damit sie sich in dem diskrepanten Brüderverhältnis noch greifen lassen.6 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Gen 32–33 verschiedentlich als redaktionelle Kritik an Gen 25–27* bewertet worden ist. Wöhrle etwa liest Gen 32–33 als eine progressive Befürwortung Edoms gegen die völkergeschichtliche Beziehung, die in Gen 25–27* zwischen Edom und Israel dargestellt werde. Jene verfolge das Ziel, Edom für eine antibabylonische Koalition im 7. Jh. zu gewinnen.7 Frevel hingegen verortet Gen 25–27* und Gen 32–33 – ähnlich wie jüngst auch Hensel8 – auf einer literarischen Ebene und will darin das 7. Jh. als Anhaltspunkt für eine ambivalente Beziehung zwischen Edom und Israel für einen möglichen Entstehungshintergrund der Jakob-Esau-Erzählung erkennen.9 Neben der Überprüfung der redaktionsgeschichtlichen Stellung von Gen 32–33 im Verhältnis zur Jakoberzählung insgesamt wird mithin im Folgenden zu ermitteln sein, ob sich in Gen 32–33 hinreichende Anzeichen für eine politische Ausrichtung der Kapitel erkennen lassen. Von besonderer Relevanz ist darüber hinaus die überlieferungsgeschichtliche Bewertung der Jabbokerzählung und die literarkritische Bewertung der Umbenennung Jakobs in Israel.

6.1 Jakobs Vorbereitung auf die Begegnung mit Esau – Analyse von Gen 32,2–22 6.1.1 Kommentierte Übersetzung10 Und Jakob ging seines Weges11, da stießen Boten Gottes auf ihn. 3Und Jakob sprach, als er sie sah: „Dies ist ein Lager Gottes12.“ Und er nannte diesen Ort Mahanajim. 4 Und Jakob sandte Boten vor sich her zu seinem Bruder Esau, in das Land Seir, das Gebiet Edom. 5Und er gebot ihnen folgendermaßen: „So sollt ihr zu meinem 2

5 Vgl. etwa Crüsemann, Herrschaft, 85; Wöhrle, Koexistenz, 323. 6 Vgl. etwa Frevel, Esau. 7 Vgl. Wöhrle, Koexistenz, 323, der sich indes diesbezüglich nur auf den blassen Beleg von 2 Kön 24,2 berufen kann, aus dem ersichtlich werde, dass sich einzig Edom nicht an den Aktionen der Babylonier gegen Juda beteiligt habe. 8 Vgl. Hensel, Edom, 97. 9 Vgl. Frevel, Esau, 357 f. 10 Legende zu den in der Übersetzung angezeigten Bearbeitungsschichten: recte = Grundbestand; kursiv = Mahanajim-Erweiterung aus dem frühen 7. Jh.; unterstrichen = Edom-­ Erweiterung aus dem 7. Jh.; fettgedruckt = nach-P-Erweiterung; Kapitälchen = nachpriesterliche Erweiterung um die Geschenkthematik. 11 G scheint an Gen 33,1 sekundär angleichen zu wollen und stilisiert die Begegnung Jakobs mit den Engeln analog der Begegnung Jakobs mit Esau (vgl. Tal, Genesis, 85). 12 Gegen eine kriegerische Konnotation im Sinne von „Heerlager“ vgl. auch von Rad, Genesis, 274; Seebass, Vätergeschichte II/2, 378.

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Herrn, zu Esau, sprechen: ‚So spricht dein Diener Jakob: Bei Laban hielt ich mich als Fremder auf, und ich verweilte (dort) bis jetzt13; 6und es wurden mir Rind14 und Esel, Kleinvieh und Diener und Mägde zuteil und ich sandte hin, um meinem Herrn Nachricht zu geben, um Gnade in deinen Augen zu finden.’“ 7Und die Boten kehrten zu Jakob zurück, indem sie sprachen: „Wir sind zu deinem Bruder, zu Esau, gegangen und auch er kommt dir entgegen und vierhundert Männer mit ihm.“ 8 Jakob aber fürchtete sich sehr und es wurde ihm Angst15, und er teilte das Volk, das bei ihm war und das Kleinvieh und die Schafe und die Kamele16 in zwei Lager. 9Und er sprach: „Wenn Esau zu dem einen Lager17 kommt und es schlägt, dann wird das übriggebliebene Lager fliehen können.“ 10 Und Jakob sprach: „Der Gott meines Vaters Abraham und der Gott meines Vaters Isaak, JHWH, der zu mir geredet hat: ‚Kehre zurück in dein Land und zu deiner Verwandtschaft18 und ich will dir Gutes tun’, 11ich bin zu klein für alle Gnadentaten und für alle Treue, die du deinem Diener erwiesen hast, denn mit meinem Stab durchzog ich diesen Jordan und nun bin ich zu zwei Lagern geworden. 12Entreiße mich nur aus der Hand meines Bruders, aus der Hand Esaus, denn ich fürchte ihn, damit er nicht kommt und mich schlägt, die Mutter samt den Kindern. 13Du aber hast gesagt, ‚ich will dir gewiss Gutes tun. Und ich will deinen Samen hinlegen wie den Sand des Meeres, sodass er vor Menge nicht gezählt werden kann.‘“ 14 Und er übernachtete dort in jener Nacht und er nahm von dem, was in seine Hand gekommen war, ein Geschenk für seinen Bruder Esau. 15Zweihundert Ziegen und zwanzig Ziegenböcke, zweihundert Mutterschafe und zwanzig Widder, 16dreissig säugende Kamele und ihre Kinder, vierzig Kühe und zehn Stiere, zwanzig Eselinnen und zehn Esel. 17Und er gab sie in die Hand seiner Diener, Herde um Herde gesondert und er sprach zu seinen Dienern: „Zieht vorüber, vor mir her und Raum sollt ihr lassen zwischen den Herden. 18Und er befahl 13 Vor dem Hintergrund des Kontextes wäre auch eine Übersetzung mit „ich zögerte bis jetzt“ möglich. Klein, Leseprozess, 136 Anm. 7 erwägt die Übersetzung „verspäten“ in Anlehnung an 2 Sam 20,5. 14 Hier im Hebräischen im Singular, verstanden als Kollektivbegriff. 15 Vgl. zu dieser Übersetzung Gesenius, Wörterbuch, 1140. 16 Die Kamele werden von Smr, GMss, V, S und T gemeinsam mit dem MT bezeugt. G lässt das Wort aus. Mit Tal, Genesis, 85, wird die Version der G in textkritischer Hinsicht als sekundäre Angleichung an V. 6 zu bewerten sein. 17 Nach Tal, Genesis, 158*, ist ‫( מחנה‬mask.) im AT noch häufiger mit femininen Bezugswörtern belegt. Mithin handelt es sich bei Smr um eine sekundäre grammatische Erleichterung und nicht um die ursprüngliche Lesart. 18 Sowohl G als auch S erkennen hier Parallelen zu den Verheißungstexten in Gen 31. Während G an Gen 31,13 angleicht, orientiert sich S an Gen 31,3. Vgl. Tal, Genesis, 86. MT bezeugt mithin die ursprüngliche Lesart.

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dem ersten folgendermassen: „Wenn Esau dir begegnet, mein Bruder, und er dich folgendermassen fragt: ‚Wem gehörst du (an) und wohin gehst du und wem gehören jene vor dir (an)?‘ 19Dann sollst du sagen: Deinem Diener Jakob, ein Geschenk ist es, das gesandt wurde an meinen Herrn, an Esau und siehe, auch19 er ist hinter uns.“ 20Und er befahl sowohl dem Zweiten, als auch dem Dritten, als auch allen, die hinter den Herden hergingen folgendermassen: „Dementsprechend sollt ihr zu Esau sprechen, wenn ihr ihn antrefft.“ 21Ihr sollt auch sprechen: „Siehe, dein Diener Jakob ist hinter uns“, denn er sprach: „ich will sein Angesicht verbergen hinter dem Geschenk, das vor meinem Angesicht hergeht, und dann will ich sein Angesicht sehen, vielleicht wird er mein Angesicht erheben.“ 22Und das Geschenk zog vor seinem Angesicht vorüber und er übernachtete in jener Nacht im Lager.

6.1.2 Textabgrenzung Die Verstrebungen zwischen Gen 32–33 und dem entfernteren Erzählzusammenhang der Jakoberzählung sind am unmittelbaren Kapitelübergang von Gen 31 zu Gen 32 greifbar und erschweren eine Textabgrenzung. Nachdem Jakob und ­Laban abschließend eine Nacht auf dem Gebirge Gilead übernachten (Gen 31,54), erfolgt ihre Trennung am Folgemorgen in Gen 32,1. Insofern ragt die Abschlussnotiz der Jakob-Laban-Erzählung, die durch Labans Rückkehr „an seinen Ort“ in Gen 32,1b besiegelt wird, knapp in das Folgekapitel hinein. V. 1 ist folglich zugunsten der Sinneinheit und der auf Gen 31,54 aufbauenden Zeitstruktur noch Gen 31 zuzuordnen. Schwieriger verhält es sich mit der Beurteilung von Gen 32,2a. Klassisch wird hier im Anschluss an Isaac Leo Seeligmann das Argument eines „typischen Erzählschlusses“ bemüht.20 So bilde Vv. 1–2a einen Erzählschluss, der analog zu Gen 33,16 f. durch die syntaktische Inversion des Subjektes „Jakob“ und die inhaltliche Trennung zweier Protagonisten als solcher gekennzeichnet sei.21 V. 2a 19 G und V lassen das auffallende ‫ גם‬in diesem Zusammenhang wohl aus Gründen der syntaktischen Erleichterung aus. 20 Vgl. Seeligmann, Erzählung, 307 f. 21 Vgl. u. a. Blum, Komposition, 148, allerdings im Widerspruch zur Beurteilung bei Blum, Komposition, 140 f. (dort als Abschnittseröffnung); Westermann, Genesis I/2, 615; Nauerth, Untersuchungen, 212. Blum differenziert die Gattungsbestimmung des typischen Erzählschlusses in einem Beitrag des Jahres 2001 noch weiter aus: „Sie [die sog. Trennungsformel] markiert einen Episodenabschluss, an dem die Hauptprotagonisten abtreten und jeder seines Weges geht. Formal ist sie durch Verben wie ‫שׁוב‬/‫בוא‬/‫הלך‬, Richtungsangaben wie ‫לביתו‬/‫למקמו‬/‫לדרכו‬ Ortsname und (kontrastierende) Inversion im zweiten Glied charakterisiert. Die Verbindung mit der Ortsätiologie ist ein spezifisches Gestaltungsmittel in den beiden Belegen der Jakob­ erzählung […].“ (Blum, Wege, 232).

Jakobs Vorbereitung auf die Begegnung mit Esau 

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sei dieser Auffassung zufolge fest an V. 1 gebunden. In synchroner Hinsicht folgt daraus das Problem, dass der darauffolgende Textabschnitt, für den V. 2b als Einleitung fungiert, eines einleitenden Subjekts entbehrt.22 Plausibler erscheint daher vordergründig eine Abschnittsgrenze nach V. 3, die mit dem verseinleitenden Subjekt in V. 4 ebenso gut zu begründen ist, wie mit im MT nach V. 3 belegten Petucha.23 Allerdings tendiert die Mahanajim-Notiz in Vv. 2–3 bereits aufgrund der starken Stichwortverbindungen deutlich zum Folgeabschnitt hin.24 In synchroner Hinsicht sprechen aufgrund der thematischen Verbindungen zudem gewichtigere Gründe für einen Einschnitt nach Gen 32,1,25 zumal die Inversion des Subjekts ebenso als Anzeichen der Einleitung eines Abschnittes gewertet werden kann.26 Die Textabgrenzung nach hinten ist ebenfalls erschwert. V. 22 lässt sich allerdings aufgrund syntaktischer und inhaltlicher Gesichtspunkte dennoch als Zäsur plausibilisieren. Signal für einen Neueinsatz gibt die Aufbruchsnotiz ‫ויקם‬ in V. 23. Inhaltlich haben die Vv. 2–22 die Vorbereitungen Jakobs auf die von ihm initiierte Begegnung mit Esau zum Inhalt. Der Abschnitt wird in Gen 33,1 durch die Nennung der vierhundert Mann, mit denen Esau Jakob entgegenzieht, wieder aufgenommen und mündet in eine Begegnung der Brüder in Gen 33. Gen 32,23–33 bildet indessen eine Zwischenetappe auf dem Versöhnungsweg und schildert eine, in der Rezeptions- und Auslegungsgeschichte häufig mit dem „Kampf am Jabbok“ überschriebene, nächtliche kämpferische Auseinandersetzung Jakobs mit einem göttlichen Wesen. Die Geschlossenheit der Szenerie lebt zunächst von dem Ortswechsel in Gen 32,23 f., der mit Jakobs Verlassen der Stätte Pnuel in Gen 32,32 korrespondiert. Zudem ändert sich für kurze Zeit die Zusammensetzung der Protagonisten. Jakobs Frauen und Kinder sind im engeren Rahmen von Gen 32,2–22 bisher nicht explizit genannt worden. Für den Abschnitt der Jabbokszene versiegt insofern vorläufig der in Gen 32,2 begonnene Erzählfaden, um in Gen 33,1 durch die erneute Ausrichtung auf die konkrete Begegnung mit Esau wieder aufgenommen zu werden. Dies trifft auch auf das Wortspiel mit den 22 Vgl. u. a. Taschner, Verheißung, 140 f. 23 So z. B. Westermann, Genesis I/2, 614 f., der die Vv. 1–3 als Überleitung klassifiziert, um die typische „Erzählform [nicht zu] zerreißen“. Vgl. darüber hinaus auch Jacob, Genesis, 628, und Nauerth, Untersuchungen, 200, die beide der jüdischen Tradition des MT folgen. 24 Vgl. Klein, Leseprozess, 134. Dass in der jüdischen Tradition der Leseabschnitt ‫ויצא‬ von Gen 28,10–32,3 reicht, ist wohl auch durch die Rahmung bedingt, die sich durch die Bet-El-Episode und die Mahanajim-Notiz ergibt. In der Forschung ist diese Funktion konstant beobachtet worden. Vgl. Hensel, Vertauschung, 161 Anm. 408, mit weiterer Literatur. Wie sich an späterer Stelle zeigen wird, weist die Mahanajim-Notiz erwähnenswerte Entsprechungen zu Gen 28,10–22 auf. Dies könnte erklären, weshalb die Mahanajim-Notiz trotz thematischer Entsprechungen vom Folgeabschnitt getrennt worden ist. 25 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 378; Ruppert, Genesis III, 334; Nentel, Jakobserzählungen, 241 Anm. 639. 26 Vgl. Römer, Préparations, 183; Fokkelman, Art, 197.

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Leitworten „Lager“ (‫ )מחנה‬und „Geschenk“ (‫)מנחה‬, welche erst wieder im Rahmen von Gen 33 in Erscheinung treten. Die eigentümliche Szene steht insofern in Kontinuität zum vorausgehenden Mikrokontext, als sie – analog zur Vorbereitung der Geschenke – in der Nacht verortet wird.

6.1.3 Aufbau und Gliederung Der Abschnitt Gen 32,2–22 zerfällt in mehrere Sequenzen unterschiedlichen Umfangs, die thematisch jeweils ein gewisses Eigengewicht aufweisen. Aufgrund der Zeitangabe in V. 14 lässt sich eine gröbere Zäsur nach V. 13 feststellen.27 Formal sind Vv. 14–22 auch durch den Erzählstil vom vorausliegenden Abschnitt unterschieden, da Taten und Reden Jakobs nun durchweg ohne Subjektnennung eingeleitet werden.28 Vv. 14–22 zeichnen sich zudem aufgrund der Rahmung in V. 14 und V. 22 als Einheit aus. Die Rahmung nennt jeweils das Geschenk (‫)מנחה‬ als Hauptmotiv und die Zeitangabe der Nacht (‫ )בלילה ההוא‬als Nebenmotiv. Während die Vv. 14–22 ein vergleichsweise festes Gebilde darstellen, die Jakobs zweite größere Vorsichtsmaßnahme thematisieren, nämlich die Aussendung eines Geschenks an Esau, zerfallen Vv. 2–13 deutlich in mehrere kleinere Sequenzen. Bei der ersten kleineren Sequenz handelt es sich um die vordergründig ätiologisch motivierte Notiz zum Ort Mahanajim, die lediglich zwei Verse (Vv. 2–3) umfasst. Die Gottesboten (‫)מלאכי אלהים‬, die auf Jakob treffen, veranlassen ihn zur Deutung jener Boten als ‫( מחנה אלהים‬Gottes Lager) und daraus folgend zur Benennung des Ortes ‫מחנים‬. Nach der kurzen ätiologischen Notiz setzt der Handlungsgang mit ‫ וישלח יעקב‬neu ein. Vv. 2–3 sind mit dem Folgeabschnitt (Vv. 4–7)29 stichwortartig verbunden, in dem Jakob menschliche Boten (‫ )מלכים‬zu seinem Bruder Esau aussendet, um sich mit ihm zu versöhnen. Die Rückkehr der Boten und ihre bedrohliche Nachricht beschließen den Abschnitt. Jakobs Furcht setzt folgerichtig den Auftakt für die Vv. 8–9, in denen Jakob präventive Maßnahmen zum Schutz seines Gefolges trifft (Vv. 8–9).30 Auch dieser Abschnitt setzt mit einer vollständigen Handlungseröffnung ein, indem Jakob als Subjekt erneut genannt wird (V. 8).31 Der Kurzabschnitt führt mit „Lager“ 27 Vgl. u. a. Soggin, Genesis, 393; Wahl, Jakobserzählungen, 226. 28 Vgl. zu dieser Beobachtung schon Eising, Untersuchung, 104. 29 Vgl. Fokkelman, Art, 202; Römer, Préparations, 183, wenngleich Römers Postulat einer Strukturparallele der Vv. 4–7.8–9 zu Vv. 14–16 (–17?) und Vv. 18–21, hier nicht gefolgt wird. Gegen Klein, Leseprozess, 136, die aufgrund ihrer Strukturierung durch Redesituationen zu einem Einschnitt zwischen V. 6 und V. 7 gelangt. 30 Vgl. Fokkelman, Art, 202. 31 Seebass, Vätergeschichte II/2, 381, orientiert sich in seiner Gliederung stärker an inhaltlichen Gesichtspunkten und setzt einen gliedernden Einschnitt zwischen Vv. 6 und 7 einerseits und Vv. 8a und b andererseits. Vgl. zu einem Einschnitt zwischen V. 8a und b auch Westermann, Genesis I/2, 614. Diese Gliederung ist unter strukturellen Gesichtspunkten jedoch kaum über-

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(‫ )מחנות‬ein neues Leitwort ein. Inhaltlich soll die Aufteilung von Jakobs Gefolge auf zwei Lager die Überlebenschancen des Jakob-Gefolges im Falle eines militärischen Zusammenstoßes erhöhen. Jakobs Sicherheitsvorkehrungen sind mit V. 9 abgeschlossen.32 Während der genannte Abschnitt maßgeblich die „profan-materielle“ Vorbereitung auf die Begegnung schildert, eröffnet V. 10 mit ‫ ויאמר יעקב‬einen bis V. 13 reichenden inneren Monolog Jakobs in Gebetsform und stellt insofern eine Art „theologisch-psychische“ Vorbereitung auf das Zusammentreffen dar.33 Das Gebet ist aufgrund der direkten Gottesanrede als solches identifizierbar. Den Umfang des Abschnittes markiert die Rahmung in V. 10b und V. 13a (‫)איטיב עמך‬.34 Der Zusammenhang der Vv. 10–13 weist insbesondere aufgrund der Erwähnung Abrahams und Isaaks in V. 10 Kenntnisse eines über die Jakoberzählung hinausgehenden Kontextes auf. Auf einen weiteren Horizont verweisen darüber hinaus die Stichworte ‫ מקל‬und ‫ירדן‬, von denen der Jordan als Ortsangabe nicht unmittelbar zur Szenerie passt, und offenbar Assoziationen mit Mose oder Josua wecken sollen. Auch wenn das Gebet inhaltlich durchaus als Vorbereitungsmaßnahme Jakobs auf die Begegnung mit Esau gewertet werden kann, weist der Abschnitt keinerlei charakteristische Leitwortverbindungen mit seinem Textumfeld auf. Die Vv. 14–22 knüpfen inhaltlich an die konkreten Wiederbegegnungsvorbereitungen aus dem zweiten Teilabschnitt (Vv. 4–9) an. Anstatt der Aufteilung eines Lagers unter dem Vorzeichen der Schadensbegrenzung, präpariert Jakob nun ad positivum ein Geschenk für Esau. Der Einschnitt in V. 14 ergibt sich aus der Ortsund Zeitangabe umfassenden Notiz, Jakob übernachte ‫שׁם בלילה ההוא‬. Strukturell bildet die Notiz im Verbund mit V. 22 eine Inclusio, womit sich ein Gliederungsabschnitt in Vv. 14–22 nahelegt.35 Inhaltlich befasst sich der genannte Abschnitt mit zeugend. So spricht schon die Rahmung in V. 4 und V. 7, die sich aus der Erwähnung der ‫מלאכים‬ ergibt, für einen Einschnitt zwischen V. 7 und V. 8. Die genannte Subjektnennung ist hingegen als Strukturmerkmal sehr viel plausibler. Gleichwohl ist unstrittig, dass die Aussendung der Boten als Exposition fungiert. Da Jakobs Handeln allerdings erst nach deren Rückkehr einsetzt, spricht nichts dagegen, darüber hinaus der Exposition auch noch die Rückkehr der Boten und deren Botschaft zuzusprechen. 32 Eising, Untersuchung, 99, setzt dementsprechend erst hier einen gliedernden Einschnitt. 33 Vgl. zur psychologischen Komponente des Gebets Eising, Untersuchung, 111. 34 Vgl. Fokkelman, Art, 202. 35 Dagegen veranschlagen Andere eine Zäsur zwischen Gen  32,14a und Gen  32,14b–22. Vgl. dazu Kessler, Querverweise, 129; Seebass, Vätergeschichte II/2, 380 f.; Boecker, Isaak, 94; Nauerth, Untersuchungen, 201. Indes lässt sich V. 14b zum einen kaum als Abschnittseröffnung plausibel begründen. Zum anderen kann V. 22b als Wiederaufnahme nicht für eine derartige Struktur geltend gemacht werden (so Nauerth, Untersuchungen, 201). So stellt V. 22b gerade keinen Auftakt der Folgeerzählung dar, wie V. 23 beweist. Ganz anders die Begründung bei Römer, Préparations, 183, der eine konzentrische Struktur um das Gebet Jakobs in Vv. 10–13 erkennen will. Demnach bildeten das Lager Gottes in Vv. 2–3 und das Lager Jakobs in V. 22 eine Inclusio. Gegen die Annahme Römers spricht, dass keine analogen Formulierungen auf eine bewusst gesetzte Inclusio zwischen Vv. 2–3 einerseits und V. 22 andererseits hinweisen.

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Jakobs Vorbereitung eines Geschenkes für Esau und der Planung der Übergabe, die beide unter der Absicht Jakobs stehen, sich mit Esau wieder zu versöhnen. Im Unterschied zum ersten Abschnitt (Vv. 2–13) erfolgt, wie genannt, in Vv. 14–22 bei den jeweiligen Handlungsschritten keine erneute Subjektnennung. Die dichte Einheit des Abschnittes zeigt sich schon darin, dass das vorherrschende Leitwort ‫ מנחה‬auffallend häufig wiederholt wird. Die Aufteilung der Herden erinnert an Jakobs Sortierung in Vv. 8–9, die Beauftragung von Bediensteten an die Aussendung von Boten in Vv. 4–7. Allerdings werden die Herden nun hintereinander angeordnet und die Boten werden nun nicht als „Boten“, sondern als „Diener“ (‫ )עבד‬bezeichnet. Die genannten Strukturbeobachtungen münden in folgende Gliederung: 2–3

Mahanajim-Notiz (‫)מלאכ ;חנה‬

4–7

Aussendung und Rückkehr der Boten (‫)מלאכ‬

8–9

Verteilung des Jakob-Gefolges auf zwei Lager (‫)מחנה‬

10–13

Jakobs Gebet um Beistand

14–22

Jakobs nächtliche Vorbereitung eines Geschenks (‫ )מנחה‬für Esau und das Aussenden von Dienern (‫)עבדיו‬

6.1.4 Literarkritik Die ältere Forschung orientierte sich in ihrer literarkritischen Analyse von Gen 32,2–22 an einer Verteilung des Abschnittes auf die beiden klassischen Quellen der Quellenscheidungstheorie, J und E.36 Anlass gab diesbezüglich die doppelte Aussendung von Boten in V. 5 und V. 17 sowie weitere motivische Redundanzen, die sich für eine Verteilung auf zwei Quellen vermeintlich anboten. Während die Vv. 4–14a weitestgehend der Quelle J zugeschrieben wurden, sind für E maßgeblich die Vv. 1–3.14b–22 in Anspruch genommen worden.37 36 Vgl. z. B. Otto, Sichem, 35. Zunächst noch unter Absehung der Jabbokszene verlaufen die Parallelfäden bei Otto folgendermaßen: J (Gen 32,4–14a; 33,1–3.6 f.12–17); E (Gen 32,1–3.14b–22; 33,4 f.8–11); vgl. ebenso Scharbert, Genesis, 218; Gunkel, Genesis, 356–359; von Rad, Genesis, 257 f.; de Pury, Promesse, 526; Seebass, Vätergeschichte II/2, 377–390; Graupner, Elohist, 271–277; Ruppert, Genesis III, 333–358. Vgl. auch Nentel, Jakobserzählungen, 242.254–261, wenngleich Nentel im Gebet (Vv. 10–13) einen redaktionellen Zusatz erkennt; Levin, Jahwist, 245, rechnet mit einem jahwistischen Redaktor des Umfangs Gen  32,5–6.8b.14b.17aα.18– 19.21b–22. Ähnlich Kratz, Komposition, 274, allerdings ohne differenziertere Rekonstruktion. Zur Schwierigkeit einer Quellenscheidung im genannten Textbereich vgl. bereits Wellhausen, Composition, 43. 37 Die Zuordnung der Mahanajim-Notiz in Vv. 2–3 ist unter Vertretern der Quellenscheidung allerdings umstritten. Für eine Zugehörigkeit zu J votiert aufgrund der Verbindung zu Gen 28,10–22 nebst Anderen z. B. Westermann, Genesis I/2, 614 ff.

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Die Mahanajim-Notiz konnte indes als uralter hieros logos aufgefasst werden, der sekundär mit Jakob verbunden worden sei.38 Erhard Blum etablierte dagegen ein verändertes Bild der Genese des Textabschnittes. Blum beurteilte die Mahanajim-Notiz als eine literarische Konstruktion, die möglicherweise einen älteren traditionsgeschichtlichen Anhalt im Ort Mahanajim, nicht aber in literarischer Hinsicht einen uralten hieros logos zur Vorlage gehabt habe.39 Diese Sichtweise wird sich im Folgenden bewähren, deutet die Notiz denn auch für sich stehend nicht auf ein konkretes Heiligtum oder einen Kultort hin. Anders verhält es sich mit der motivischen Dopplung der Aussendung von Boten. Blum vermutet hier in Abwehr einer Quellenscheidung eine Erzählfolge, die durch die Nennung von Nächten strukturiert, und durch intendierte Wortspiele zwischen ‫מחנה‬, ‫חן‬, ‫מחנים‬, ‫מנחה‬, … gestaltet sei.40 Dieses Wortspiel stößt allerdings insbesondere in Gen 33 an seine Grenzen, wie Konrad Schmid herausgearbeitet hat.41 Obwohl die quellenscheidungstheoretisch motivierte Argumentation auch in der nachfolgenden literarkritischen Analyse für die Klärung der Textgenese nicht zielführend sein kann, sind durch sie hervorgebrachte Textbeobachtungen und literarkritische Argumente an dieser Stelle bedenkenswert, wenn auch unter anderen modelltheoretischen Vorzeichen. Im Folgenden werden sich Einzel­ beobachtungen für ein Fortschreibungsmodell fruchtbar machen lassen.

6.1.4.1 Die Edom-Erweiterungen in Gen 32–33 Auch in den Schlusskapiteln der Jakoberzählung sitzt die Zuordnung von Esau zu Edom nicht fest im Sattel ihres Kontextes. Formal begrenzt sich diese auf glossenartige geografische Notizen in Gen 32,4b; 33,14.16, die Edom-Seir als Wohnort Esaus voraussetzen. Die Verortung Esaus in Edom-Seir (Gen 32,4b) ist für die Schlusskapitel der Jakoberzählung nicht unproblematisch, da Jakob offensichtlich über eine Umsiedlung Esaus nach Seir unterrichtet ist, über die er, dem narrativen Gefälle zufolge, nicht in Kenntnis gesetzt sein dürfte. Auch dem Leser wird erst in den P-Versen von Gen 36,6–8 von einer Umsiedlung Esaus berichtet.42 Dieser Widerspruch ist indes literarisch auch dann gegeben, wenn man unter Seir, das auch als Edom bezeichnet werden konnte, die Region östlich und westlich der 38 Vgl. u. a. Ruppert, Genesis III, 335; von Rad, Genesis, 254; Van Seters, Prologue, 279; Seidl, Konflikt, 10. 39 Vgl. Blum, Komposition, 141 f.; vgl. hierzu auch Römer, Préparations, 188, der die Annahme einer ursprünglich unabhängigen Kultorterzählung, von der die vorliegende Notiz abhängig sein soll, als „conception très romantique de la Formgeschichte“ bezeichnet. 40 Vgl. u. a. Blum, Komposition, 142f; Römer, Préparations, 184 f.; Hensel, Vertauschung, 161. 41 Vgl. Schmid, Versöhnung, 218. Vgl. zur Kritik an einer Begründung der literarhistorischen Kohärenz auf der Basis von Wortspielen auch Nauerth, Untersuchungen, 203. 42 Vgl. zur Problematik Frevel, Esau, 345.

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Araba annimmt (und nicht auf das edomitische Hochplateau begrenzt).43 Damit wird zwar eine gewisse Nähe zwischen Seir und Beerscheba erzielt, doch bleiben a) die Ortsangaben immer noch voneinander unterschieden und findet b) die Begegnung immer noch im entfernten Norden statt und ist c) Beerscheba keineswegs zentral mit der Jakob-Erzählung, sondern eher mit der Isaakerzählung verknüpft. Wie seit Noth mehrheitlich gesehen, wiegt vor allen Dingen das geografische Problem schwer, dass Jakob ausgerechnet am nördlichsten Punkt seiner Reise mit Esau zusammentrifft, der im weit entfernten Edom-Seir wohnen soll.44 Hinzu kommt die vergleichsweise kurze Dauer zwischen der Aussendung der Boten und dem tatsächlichen Eintreffen Esaus, angesichts der genannten geografischen Distanzen. Die finale Satzstellung der Ortsangabe in Gen 32,4 untermauert die Annahme einer redaktionellen Erweiterung um V. 4b. In Gen 33,14.16 ist die Ortsangabe ebenso wenig fest verankert wie in Gen 32,4.45 In V. 16 klappt die Ortsangabe Seir nach der Notiz über die Rückkehr Esaus „auf seinen Weg“ deutlich nach. „Man geht seines Weges […] oder kehrt an seinen Ort zurück […], aber man kehrt nicht seines Weges zurück.“46 Ebenso verhält es sich mit V. 14. ‫אָחיו אַ֥ ְר ָצה ֵשׂ ִ ֖עיר ְשׂ ֵ ֥דה ֱא ֽדֹום׃‬ ֖ ָ ‫ וַ יִּ ְשׁ ֨ ַלח יַ ֲע ֤ ֹקב ַמלְ אָכִ ים֙ לְ ָפ ָנ֔יו ֶאל־ ֵע‬32,4 ֑ ִ ‫שׂו‬ ‫אכה ֲא ֶשׁר־לְ ָפנַ י֙ וּלְ ֶ ֣רגֶ ל ַהיְ לָ ִ ֔דים‬ ֤ ָ ָ‫ יַ ֲע ָבר־ ָנ֥א ֲאד ִֹנ֖י לִ ְפ ֵנ֣י ַע ְב ֑דֹּו וַ ֲא ֞ ִני ֶ ֽא ְתנָ ֲה ָל֣ה לְ ִא ִ֗טּי לְ ֶ ֨רגֶ ל ַה ְמּל‬33,14 ‫ַ ֛עד ֲא ֶשׁר־אָ ֹ֥בא ֶאל־ ֲאד ִֹנ֖י ֵשׂ ִ ֽע ָירה׃‬ ‫שׂו לְ ַד ְרכּ֖ ֹו ֵשׂ ִ ֽע ָירה׃‬ ֛ ָ ‫ וַ יָּ ָשׁב֩ ַבּיּ֨ ֹום ַה ֥הוּא ֵע‬33,16

Fraglich ist in Gen 33,14 zudem, ob das Versprechen Jakobs, Esau nach Seir nachzuziehen, vor einem völkergeschichtlichen Hintergrund (Esau=Edom / Seir) überhaupt nachvollziehbar wäre. Die P, die unstrittig eine Identifikation zwischen Edom und Esau voraussetzt, unterbreitet diesbezüglich den eleganteren und konsequenteren Vorschlag: Die Brüder müssen sich, wie Abraham und Lot, aufgrund ihrer großen Habe trennen (Gen 36,6–8). Nicht zuletzt erweist sich die Identifikation zwischen Edom und Esau in der Jakoberzählung auch aus dem Grunde als künstlich, da Esau zum einen als Eponym für Edom-Seir präsentiert wird und 43 So Frevel, Esau, 346. 44 Vgl. bereits Noth, Überlieferungsgeschichte, 104 f.; Otto, Sichem, 27; von Rad, Genesis, 221.266 f.: „Erst durch die später erfolgte Kombination Esaus mit Edom musste Esau nur zur Begrüßung seines Bruders einen so weiten Weg unter die Füße nehmen, um dann sogleich wieder in seine ferne Heimat zurückzukehren“. Die genannten Exegeten gehen allerdings alle von einer Verortung Esaus im ostjordanischen Gebirge Edom aus. Dagegen Blum, Komposition, 190 Anm. 1, kritisch. Dieses geografische Problem bleibt in den Schlusskapiteln auch dann bestehen, wenn unter Edom nicht nur das edomitische Hochplateau zu verstehen ist, sondern auch die Region des Negeb südöstlich von Beerscheba. So jüngst Frevel, Esau, 346. 45 Vgl. Otto, Sichem, 27. 46 Levin, Jahwist, 257.

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zum anderen als in Edom-Seir wohnhaft dargestellt wird. Diejenigen Passagen, die an Jakob als Eponym für Israel interessiert sind, lassen hingegen kein Interesse an territorialen Verortungen oder Trennungen erkennen. Gegen eine sekundäre Identifizierung von Esau und Edom wurde jüngst von Frevel wieder eingewandt, Seir habe durch das Behaarungsmotiv in Gen 25–27* immer schon mit Esau in Verbindung gestanden.47 Demgegenüber ließ sich zeigen, dass sich das Behaarungsmotiv dort anderer Einflüsse verdankt. Die These einer nachträglichen Identifikation zwischen Esau und Edom-Seir hält mithin einer Prüfung in Gen 32–33 stand. Die Edom-Seir-Passagen lassen sich dort mit wenigen Eingriffen als sekundäre Fortschreibungen ausweisen. Die Annahme einer sekundären Verortung Esaus in Edom-Seir innerhalb der Kap. 32–33 löst zum einen das Problem eines fehlenden Berichts über dessen Umsiedlung von seinem Heimatland nach Edom. Zum anderen lässt sich so die Inkohärenz erklären, dass die Versöhnung zwischen Esau und Jakob weit im Norden stattfindet, was mit einer Verortung Esaus im Süden und dem zeitlich eng getakteten Gefälle der Schlusskapitel nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist.48 Unter Absehung der Edomthematik im primären Textbestand tritt die negative Sicht auf Esau in den Eingangskapiteln der Jakoberzählung erst zu dem Zeitpunkt in das Erzählgeschehen ein, als jener mit Edom identifiziert worden ist. Der Grundbestand steht daher in seiner Schilderung des Brüderverhältnisses dem Grundtenor der Versöhnungserzählung in Gen 32–33 grundsätzlich nicht entgegen. Die edomitische Bearbeitung der Schlusskapitel ist offenbar daran interessiert, Esau / Edom territorial eindeutig in Edom-Seir östlich des Araba-­Grabens zu verorten. Will man der Annahme einer Existenz der Edomiter im Negev Glauben schenken, ließe sich die Bearbeitung als Spitze gegen diese historische Situation verstehen.

6.1.4.2 Die Mahanajim-Notiz in Gen 32,2–3 Die Mahanajim-Notiz (Gen 32,2–3) schildert das überraschende Zusammentreffen Jakobs mit Boten Gottes (‫ )מלאכי אלהים‬auf seinem Weg. Jakob deutet das Engelaufgebot als ‫( מחנה אלהים‬Lager Gottes) und gelangt auf diesem Wege zur Etymologie des Ortes ‫מחנים‬. Die kurze Schilderung der Begegnung ist in sich stark geschlossen, entbehrt eines jeglichen Dialoges oder einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Begegnung und bleibt insofern für den unmittelbaren und entfernteren Kontext auffallend folgenlos. An keiner Stelle wird wieder auf 47 Vgl. Frevel, Esau, 345 f. 48 So veranschlagt Seebass, Vätergeschichte II/2, 382, als realistische Reisedauer für Jakobs Boten für den Hinweg 2,5–3 Tage, womit sich für Hin- und Rückweg ca. 6 Tage ergeben. Diese Angaben entsprechen auch dann nicht dem zeitlichen Gefälle der Erzählung, wenn man für jede Übernachtungsnotiz des Kap. 32 eine einzelne Nacht annimmt.

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Jakobs Begegnung mit den Engeln rekurriert. Künstlich erscheint darüber hinaus die Deutung eines Engelaufgebotes als „Lager“, wenn jene Engel zum einen nicht weiter in Aktion treten, und zum anderen von ihnen ausgesagt wird, sie seien auf Jakob gestoßen und nicht umgekehrt. Die darin liegende Dynamik steht der Vorstellung von einem statischen Lagern entgegen. Insofern erweist sich Jakobs Deutung als unmotiviert. Die Vv. 2–3 haben notizartigen Charakter und legen eine sekundäre Erweiterung nahe, die stichwortartig mit dem Kontext in Verbindung steht (‫מחנת‬, V. 8).49 Vordergründig zeugt die Mahanajim-Notiz von dem Interesse, den Ort Mahanajim ätiologisch herzuleiten.50 Näher besehen wird jene ätiologische Zielsetzung jedoch nur umständlich verfolgt.51 Das Stichwort ‫מחנה‬, das die Grundlage der Ätiologie bilden soll, fällt erst nach einer Umdeutung der Boten Gottes, die Jakob begegnen (‫)מלאכי אלהים‬. Darüber hinaus wird für die Ätiologie nicht etwa der Dual von ‫ מחנה‬bemüht, was nicht nur von V. 8 her, sondern auch etymologisch nahe läge.52 Stattdessen erfolgt die Herleitung über ‫מחנה אלהים‬. Die Ätiologie soll insofern bewusst theologisch konnotiert werden, wobei unter dieser Ziel­ stellung offenbar Umwege in Kauf genommen wurden. Diese sind möglicherweise schon allein daher notwendig, da die Vv. 4–9 offenkundig kein ätiologisches Ziel verfolgen.53 Der Befund ist nur so zu interpretieren, dass sich der Autor der Mahanajim-Notiz den ätiologischen Anklang von Vv. 4–9 zueigen macht und dabei anstatt einer ätiologischen Herleitung über den Dual (Doppellager), eine explizit theologisch begründete Ätiologie von Mahanajim wählt. Diese verankert er in stichwortartiger Verbindung mit dem Nahkontext in der Jakoberzählung. Indessen bleibt das theologische Interesse am Ort Mahanajim begründungs­ bedürftig. Der alttestamentliche Befund ist abgesehen von Gen 32,2–3 ausschließlich auf Texte außerhalb der Genesis begrenzt, vornehmlich Jos, 2 Sam und 1 Kön.54 Dort ist Mahanajim als Ort erwähnt, an dem Ischbaal zum König über das Nordreich gesalbt wird (2 Sam 2,8), der aber auch als Rückzugsort für David bei seiner Flucht vor Abschalom (2 Sam 17,24) fungiert.55 Die übrigen Belege sind geogra­ fische Notizen. Insofern lässt sich zumindest eine gewisse politische Bedeutung 49 Vgl. bereits Noth, Überlieferungsgeschichte, 104; Wahl, Jakobserzählung, 226. 50 Mitunter wird im Hintergrund der Mahanajim-Notiz die Tradition einer Ortsnamensätiologie vermutet. Vgl. Boecker, Isaak, 95. 51 Vgl. Levin, Jahwist, 247. 52 Vgl. bereits Wellhausen, Composition, 43; Taschner, Verheißung, 141 f. 53 Gegen Römer, Préparations, 184, der Vv. 4–9 als ad hoc-Ätiologie von Mahanajim deutet. So wohl auch Willi-Plein, Genesis, 212. Ähnlich Levin, Jahwist, 247, der Vv. 4–9 als Fortschreibung wertet, die zugunsten einer besseren Erklärung des Duals korrigierend in den Text eingreife. Dem steht m. E. die Verwendung des einfachen Plurals in V. 8 entgegen. 54 Jos 13,26.30; 21,39; 2 Sam 2,8.12.29; 17,24.27; 19,33; 1 Kön 2,8; 4,14. Darüber hinaus auch 1 Chr 6,65; 11,46. 55 Vgl. u. a. Römer, Préparations, 192; Levin, Jahwist, 246 f.; Boecker, Isaak, 95; Seebass, Vätergeschichte II/2, 378 f.; Ruppert, Genesis III, 337.

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für ­Mahanajim nachweisen, eine nennenswerte theologische oder kultische Funktion für den Ort aus den alttestamentlichen Belegen jedoch nicht verifizieren.56 Ein ähnlicher Befund zeichnet sich im Bereich der Archäologie ab, wobei zu berücksichtigen ist, dass Mahanajim bis heute nicht zweifelsfrei zu lokalisieren ist. Jericke zufolge sei Mahanajim trotz des dürftigen archäologischen Befundes mit dem im Jabboktal lokalisierten Doppelhügel Tulūl ed-Dahab zu identifizieren, dessen Topografie in der Dual-Form des Namens sprachlich greifbar sein könnte.57 Jericke visiert für die Lokalisierung des Ortes Mahanajim den Doppelhügel Tulūl edDahab an. Der Befund an Tonscherben zeuge davon, dass der Ort in der Eisenzeit intensiv besiedelt war.58 Die topografischen Gegebenheiten würden somit im Dual des Wortes Mahanajim ausgedrückt, wobei das Argument, die ajim-Formulierung spreche aufgrund des Duals im Umkehrschluss für einen Doppelhügel, nicht einwandfrei sei, da auch andere Ortsnamen, die nicht zwingend dualisch verstanden werden wollen, mit derselben Formulierung endeten.59 Im Verbund mit der Lage spricht der Name zumindest für einen topografischen Anhaltspunkt. Es ist folglich durchaus möglich, dass Vv. 4–9 auf eine derartige topografische Gegebenheit anspielen. Allerdings wird der Ort Mahanajim literarisch damit eben nicht in Verbindung gebracht. Vv. 2–3 hätten demnach das Potenzial für eine Einbettung des Ortes Mahanajim aus der Erzählung von Vv. 4–9 genutzt.

Weder der alttestamentliche noch der archäologische Befund legen insofern nahe, dass die theologische Ausrichtung der Mahanajim-Notiz durch eine vormals kultische Funktion Mahanajims motiviert worden sein könnte. Vielmehr wird die Bedeutung des Ortes generell doch erheblich dadurch marginalisiert, dass dem Ort selbst in der Notiz keine gewichtige Rolle zukommt. So stoßen die Engel umherirrend dort nur zufällig auf Jakob. Insofern drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass die Form „Ätiologie“ hier nur bemüht wird, um eine Gotteserscheinung einzubinden, und nicht, wie es vordergründig näher läge, die Gotteserscheinung für die Einbindung einer Mahanajim-Ätiologie genutzt wurde. Dies lässt sich auch 56 Im Entferntesten wäre eine kultische Bedeutung noch durch den Umstand abzuleiten, dass Mahanajim als Leviten-Stadt genannt wird. Allerdings ist damit allein keine kultische Funktion des Ortes bewiesen. Gegen eine Kultorterzählung vgl. auch Seebass, Vätergeschichte II/2, 378; Boecker, Isaak, 95. Gegen Willi-Plein, Genesis, 213, die unbegründet von einem Heiligtum ausgeht. 57 Vgl. Jericke, Ortsangaben, 193. 58 Vgl. Jericke, Ortsangaben, 193. 59 So wird häufig bestritten, dass die Ortsbezeichnung Mahanajim eine Zweizahl ausdrücken soll. Vgl. bereits Eising, Untersuchung, 102f; Westermann, Genesis I/2, 616; Hutton, Mahanaim, 173. Willi-Plein, Genesis, 213, hingegen, vermutet die Dual-Form. Während Jericke den Doppelhügel mit Mahanajim identifiziert, wurde vorgeschlagen, ihn auf Mahanajim und Pnuel aufzuteilen. Dabei sei Mahanajim mit Tell edh Dhahab el-Gharbi und Pnuel mit Tell edh-Dhahab esh-Sherquieh zu identifizieren. So Ruppert, Genesis III, 337; Hutton, Mahanajim, 178. Allerdings spricht mit Jericke gegen diese Verteilung, dass in der archäologischen Forschung für Mahanajim bereits eine plausible Lokalisierung ausgemacht werden konnte.

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anhand der literarischen Querverstrebungen der kurzen Notiz plausibilisieren, die den Grund für das Interesse an einer Gottesbegegnung Jakobs zu erkennen gibt. Die kurze Notiz weist, wie häufig beobachtet, beachtliche Parallelen zur BetEl-Episode in Gen 28,10–22* auf.60 Zu den einschlägigen Beobachtungen zählen zunächst die ‫מלכי אלהים‬, die abgesehen von Gen 28,11 und Gen 32,2, nur noch einmal in 2 Chr 36,16 innerhalb des ATs stichwortartig genannt werden. Des Weiteren sticht in beiden Erzählungen der bemerkenswerte Gebrauch der Wurzel ‫ פגע‬hervor.61 Eine weitere nennenswerte Parallele zwischen den beiden Texten stellen außerdem die gleichlautenden Formulierungen zur Namensbenennung (Gen 28,19 und Gen 32,3), dar.62 Levin zieht aus dem Befund den folgerichtigen Schluss: „Es ist kaum von der Hand zu weisen, daß die Ätiologie Mahanajims nichts anderes ist als ein knapper Abklatsch der Bet-El-Ätiologie.“63 Vorsichtiger formuliert: Eine literarische Abhängigkeit der beiden Erzählungen ist offen­ kundig. Auch unter kompositorischen Gesichtspunkten erweisen sich die beiden Abschnitte als literarisches Pendant. Sie schildern die einzigen Begegnungen Jakobs mit Engeln Gottes innerhalb der Jakoberzählung, einmal auf dem Hinweg und einmal auf dem Rückweg Jakobs von seiner Reise. Da es sich bei beiden Erzählungen um Erweiterungen handelt, bilden sie eine sekundäre, theologische Klammer um die Jakob-Laban-Erzählung, die Jakobs Bewahrung in die Nähe besonderer Gottespräsenz rücken will. Die enge sprachliche Korrespondenz mit der Bet-El-Erzählung und die oben genannten Erwägungen führen zu dem Ergebnis, dass die Notiz eine litera­rische Konstruktion ist,64 die – entsprechend der Gottesbegegnung Jakobs auf dem Hinweg (Gen 28,10–22*) – eine Gottesbegegnung auf Jakobs Rückweg in die Er­zählung eingliedert.65 Zu diesem Zweck bedient sie sich einer Ätiologie als 60 Vgl. z. B. Fokkelman, Art, 198; Taschner, Verheißung, 141; Römer, Préparations, 191; Blum, Komposition, 141, Köhlmoos, Bet-El, 242. 61 Nach Boecker, Isaak, 95, seien die Erzählungen auch insofern vergleichbar, als von den Engeln keine gesonderte Botschaft ausgehe. Es sei „die durch die Engel Gottes erlebte Anwesenheit Gottes, die Jakob erfährt und die nicht näher interpretiert wird“ (ebd.). 62 Vgl. Fokkelman, Art, 197; Taschner, Verheißung, 141. 63 Levin, Jahwist, 247. 64 Vgl. Blum, Komposition, 141, der Vorformen mit Fragezeichen in Erwägung zieht. Sinngemäß auch Wahl, Jakobserzählung, 226; Römer, Préparations, 188; Taschner, Verheißung, 169. Levin, Jahwist, 247 verortet Gen 28,10–22 und 32,2–3 in einem redaktionellen ätiologischen System, das sich auch in 35,6–8*; 35,16–19* und 31,46*.48 niederschlage und mit besagten Versen auf einer literarischen Ebene als Ergänzungsschicht liege, die den noch nicht-nationalgeschichtlichen Grundbestand dann nationalistisch ergänzten. Damit überschätzt Levin m. E. das Potenzial der Mahanajim-Notiz erheblich. 65 Vgl. u. a. Römer, Préparations, 191; Soggin, Genesis, 395; Hensel, Vertauschung, 161 Anm. 408. Hensel verweist in diesem Zusammenhang auf die Besonderheit, dass in Gen 32 die Engel auf Jakob stoßen und nicht umgekehrt, wie in Gen 28. Willi-Plein, Genesis, 213, deutet die Anspielung auf Bet-El als „eine Bewusstmachung der Schuld, die ihn [Jakob] einst in die Flucht trieb.“ Etwas anders Scharbert, Genesis 12–50, 218, Jakob werde durch die Einführung

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literarisches Stilmittel, die stichwortartig am Kontext ausgerichtet ist. So angenommen, lassen sich die sprachlichen Interdependenzen von Gen 32,2–3 und Gen 28,10–22* einerseits, und Gen 32,2–3 und Gen 32,4–9 andererseits erklären. Gleichzeitig ist damit nicht entschieden, ob es sich bei der Bet-El-Erzählung und der Mahanajim-Notiz um denselben Autor handelt, oder eine Passage der anderen literarhistorisch vor- bzw. nachzuordnen ist. Für die zweite Annahme spricht, dass sich die Mahanajim-Notiz tatsächlich nur als knappe Nachbildung von Gen 28,10–22* erweist, die es keineswegs mit der literarischen Kunstfertigkeit aufnehmen kann, mit der die Bet-El-Erzählung gestaltet ist. Dieser Umstand ließe sich allerdings auch im Rahmen der Annahme einer Gleichursprünglichkeit so erklären, dass der Autor dem Kultort Bet-El ein größeres Interesse entgegenbrachte als der königlichen Residenzstadt Mahanajim. Ungeachtet des redaktionsgeschichtlichen Verhältnisses zur Bet-El-Erzählung hat die sekundäre Einbindung der Mahanajim-Notiz an dieser Stelle auch Auswirkungen auf die Interpretation des nachfolgenden Geschehens. Die Stichwortverknüpfung mit dem Folgekontext sorgt dafür, dass Jakobs Lager und das Lager Gottes angesichts einer möglicherweise unmittelbar bevorstehenden kriegerischen Auseinandersetzung assoziativ miteinander in Beziehung gesetzt werden.66 Auch der synchrone Erzählfortschritt gibt keinen Ortswechsel zu erkennen und scheint Jakobs Aufteilung in zwei Lager am Ort Mahanajim nahezulegen. Insofern weckt die Stichwortbeziehung übergeordnet die Lesererwartung, Jakob und sein Gefolge stünden hinfort unter einer direkten göttlichen Einflusssphäre. Die Erweiterung um Vv. 2–3 nimmt folglich eine Theologisierung des narrativen Erzählfadens vor, indem die Präsenz Gottes der Gefahr durch Esau entgegengestellt wird. Eine ähnliche Korrelation göttlicher und menschlicher Einflusssphären im brüderlichen Konflikt setzt sich auch im weiteren Verlauf von Gen 32/33 fort. Die Begegnung Jakobs mit dem Lager Gottes in dieser expliziten Situation stellt die Folgeerzählung unter die Erwartung, dass Gott für Jakob eintritt.67 Ist die literarische Beurteilung der Mahanajimszene so richtig und Vv. 2–3 von Vv. 4–9 abhängig, so ist offenkundig, dass es sich bei der Mahanajim-Notiz nicht

einer Gottesbegegnung „vom Vorwurf moralisch nicht ganz einwandfreier Methoden durch seine Gotteserscheinung entlaste(…)[t].“ Beide laden dem Text wohl zu viel auf. 66 Wie von Rad, Genesis, 254, richtig einwendet, gibt es hier keine Anzeichen, die Engel als „Schutzengel“ oder dergleichen zu verstehen, weil sie erstens nicht als Engel bezeichnet werden und zweitens nicht handeln. Vgl. auch Seebass, Vätergeschichte II/2, 377 f. Wenngleich auch das hebräische Lexem für „Lager“ nicht zwingend eine kriegerische Konnotation hat, wird dennoch durch den Gebrauch des Wortes in der besagten Szenerie die Gefahrensituation Jakobs eingespielt. 67 Für die Einschätzung von Taschner, Verheißung, 141, mit Gen 32,2–3 werde – aufgrund der sprachlichen Parallelisierung – die Mehrungsverheißung ins Gedächtnis gerufen, sehe ich keine Belege. Mit Leuenberger, Segen, 250, ist ausschließlich dem Gebet in 32,10–13 ein solches Moment eigen.

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um eine ursprünglich unabhängige ätiologische Einzelerzählung handeln kann.68 Sie ist zu stark auf den Kontext angelegt, zu zaghaft durchgeführt und entbehrt eines charakteristischen Spannungshöhepunktes. In ihrer jetzigen Gestalt ist sie ohnehin literarisch nicht überlebensfähig. Wie sich zeigte, ist auch eine kontextunabhängige Tradition, die hinter der Notiz stehen könnte, nicht wahrscheinlich. So ergäbe höchstens das Doppellager aus Vv. 4–9 topografische Anknüpfungspunkte für den Ort Mahanajim, die Begegnung mit den Engeln steht hingegen allen alttestamentlichen und archäologischen Befunden entgegen. Mahanajim ist hier wohl tatsächlich nur der Gottesbegegnung wegen gewählt worden, die historische Bedeutung des Ortes selbst, ist nebensächlich. Die Notiz ist für eine Datierung nur insofern durchsichtig, als Mahanajim zur Zeit der Abfassung selbst nicht mehr als Ort von besonderer Bedeutung vorauszusetzen ist.69 Die beiläufige Rolle, die dem Ort in der Mahanajim-Notiz zukommt, wäre anders wohl kaum zu erklären. Abschließend stellt sich erneut die Frage nach dem Umfang der MahanajimNotiz. Wie gezeigt, ist jene eng mit der Frage nach dem Ende des Erzählfadens von Gen 31 bzw. dessen Beginn in Gen 32 verbunden. Gegen einen Einschnitt vor V. 2 ist häufig das Argument eines typischen Erzählschlusses angeführt, und der Umfang der Mahanajim-Notiz mithin auf Vv. 2b–3 begrenzt worden. Im Rahmen einer Fortschreibung ist diese Annahme plausibel. Allerdings muss ein „typischer Erzählschluss“ kein zwingendes Argument für die literarische Einheitlichkeit von Vv. 1–2a darstellen, ist theoretisch doch ebenso mit einer sekundären Stilisierung zu rechnen.70 Ein „typischer Erzählschluss“ spricht insofern nicht zwingend für literarische Integrität, zumal sich die sekundäre Kreierung eines „typischen Erzählschlusses“ an einer weiteren, in der Jakoberzählung diesbezüglich relevanten Stelle (Gen 33,17), durch die sekundäre Einbindung einer ätiologischen Notiz erklären lässt.71 Unter dieser Bedingung wird kein Ortswechsel zwischen Gen 31 (Gilead) und den Ereignissen in Gen 32,4–9 vorauszusetzen sein.

68 Gegen Gunkel, Genesis, 355; von Rad, Genesis, 257. Westermann, Genesis I/2, 614, geht von einer ursprünglich ausführlicheren mündlichen Version aus. Ruppert, Genesis III, 335, nimmt im Hintergrund von Vv. 2b–3 eine Tradition an, von einer „geheimnisvolle[n] Begegnung eines mit Jakob gleichgesetzten Wanderers mit Himmelswesen bei Mahanajim“. Die Annahme entbehrt jeglicher Grundlage und ist auch nicht mit Rupperts impliziter Deutung zu begründen, es sei unmöglich gewesen, eine solche Erzählung ohne Pointe zu erfinden. Im Anschluss an Westermann rechnet er mit einer ursprünglich „Jos 5,13–15 vergleichbaren Erzählung“, von der im Text nur noch ein Fragment erhalten sei. Für eine in Mahanajim beheimatete Sakraltradition (vgl. a. a. O., 336) fehlen die Argumente. 69 Gegen Seebass, Vätergeschichte II/2, 379. 70 So setzt Seeligmann, Erzählung, 307 f., das Argument primär als Gegenargument zu Quellenscheidungstheoretikern ein, die eine Verteilung der Abschlussnotizen auf zwei Quellen praktizierten. 71 Siehe dazu unten.

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6.1.4.3 Das Gebet Jakobs in Gen 32,10–13 Gen 32,10–13 bilden eine geschlossene Abschnittseinheit, die sich von ihrem Kontext abhebt. Der Abschnittsbeginn ist durch die erneute Redeeinleitung in V. 10 angezeigt, was eingedenk V. 9 zu einer doppelten Sprechereinleitung führt.72 Die Vv. 10–13 weisen auch aufgrund der Querbezüge, die den Mikrokontext überschreiten, ein merklich eigenes Profil auf. Als einziges ausformuliertes Gebet, das einem Erzvater im AT in den Mund gelegt ist, hat es zusätzlich einen exzeptionellen Stand innerhalb der Vätererzählungen inne.73 Darüber hinaus gehen mit Vv. 10–13 Widersprüche mit dem Kontext einher, die literarkritische Überlegungen unumgehbar machen. Jakobs Rekurs auf eine Überquerung des Jordan ist innerhalb der Jakoberzählung bis dato ohne expliziten Anhalt. Die geografische Nähe des szenischen Rahmens zu einem Fluss ist zwar durch Gen 32,23–33 gegeben, allerdings handelt es sich dort um den Jabbok. Das Demonstrativpronomen „dieser Jordan“ steht zudem in Inkohärenz zum unmittelbaren geografischen Setting der Szenerie.74 Im weiteren Verlauf der Erzählung wird auf jenes Gebet zudem nicht mehr rekurriert.75 Insbesondere die Anrede Gottes als „Vätergott“76 (Gott Abrahams und Isaaks) in V. 10a zeigt an, dass der Verfasser einen Kontext überblickt, der über die Jakoberzählung hinausgeht. 72 Vgl. zu dieser häufigen Beobachtung u. A. Levin, Jahwist, 248; Römer, Préparations, 186. 73 Vgl. Boecker, Isaak, 97; Seidl, Konflikt, 14.  74 Vgl. z. B. Carr, Fractures, 169. 75 Vgl. Nentel, Jakobserzählungen, 247; Blum, Komposition, 154. 76 Die ursprünglich von Albrecht Alt stammende Vätergotthypothese, die in der Erzvätertrias einen in der vorsesshaften Zeit verorteten nomadischen Religionstyp sah (vgl. Alt, Gott, 20), hat sich als nicht haltbar erwiesen (vgl. Albertz, Frömmigkeit, 88; Köckert, Vätergott, 60). Albertz, Frömmigkeit, 89 f., ging zunächst noch davon aus, dass die sog. „Väterreligion“ von einer persönlichen Frömmigkeit zeuge, die sich religionsgeschichtlich vom JHWH-Kult unterscheide (vgl. Albertz, Frömmigkeit, 90 ff.). Köckert problematisierte die religionsgeschichtliche Herangehensweise an die Vätertrias und betonte deren literarische Funktion, die darin liege, die Väter­ gestalten Abraham, Isaak und Jakob durch ein literarisches Vernetzungsgefüge miteinander zu verbinden (vgl. Köckert, Vätergott, 270 f. 307 f.). Inzwischen hat sich als Konsens etabliert, dass es sich bei der JHWH-Religion und der Vätergott-Religion nicht um zwei unterschiedliche Konzepte handelt, bei der die sog. Väterreligion etwa eine religionsgeschichtliche Vorstufe darstellt, sondern die JHWH-Religion sich vielmehr einer gängigen Praxis der Familienreligion bedient, um ihr Gottesverhältnis literarisch zu veranschaulichen; in der Formulierung „Gott meines Vaters…“ ist folglich JHWH bereits mitgedacht (vgl. Gertz, Tora, 271–274. Köckert, Vätergott, 308 Anm. 21, weist auf altorientalisches Vergleichsmaterial hin, an dem sich zeigen lasse, dass mit dem Gott des NN immer schon ein bestimmter Gottesname (in diesem Fall „JHWH“) mitgedacht ist). In V. 10 geht es folglich nicht um die Zusammenarbeitung zweier religionsgeschichtlicher Konzepte, sondern um die literarische Zusammenbindung der Erzvätergestalten durch die Vätertrias. Dabei liegen die beiden Gottesanreden auf einer literarischen Ebene. Die Erwähnung JHWHs ist in 32,10–13 der Tatsache geschuldet, dass die Verse die Verheißung aus Gen 31,3 und die Zusage aus Gen 28,13 ff. zitieren (zu den Bezugstexten vgl. Köckert, Vätergott, 270; Blum, Komposition, 152 f.; Levin, Jahwist, 249; Römer, Préparations, 193 f.).

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Die genannten Beobachtungen veranlassen mehrheitlich dazu, das Gebet als redaktionelle Erweiterung zu werten.77 Mitunter wird eine Zuordnung von V. 12 zum Grundbestand in Erwägung gezogen.78 Allerdings sprechen gewichtige Gründe gegen diese Annahme.79 Strukturell besteht das Gebet aus aufeinanderfolgenden Narrativen, die unter syntaktischen Gesichtspunkten keine Brüche zu erkennen geben. Darüber hinaus erweckt das Gebet den Anschein einer wohl durchdachten Komposition, die auf vielfältige Weise das Geschick Jakobs in einen weiten theologischen Horizont stellt. Nicht anders, denn als wohl durchdacht, lässt sich zunächst die formelle und inhaltliche Rahmung des Gebets in V. 10 und V. 13 bewerten. Inhaltlich entspricht die Landverheißung in V. 10bα der Mehrungsverheißung in V. 13b. In beiden Versen wird auf bereits in der Jakoberzählung ergangene Verheißungen rekurriert (Gen 31,3; 28,14).80 Gleichzeitig ist Gott beide Male direkt adressiert, einmal mittels der Namensbezeichnungen (V. 10), einmal mittels des Personalpronomens (V. 13). In syntaktischer Hinsicht wird in chiastischer Vertauschung das „ich will dir Gutes tun“ aus V. 10bβ, in V. 13a wieder aufgenommen, wenn auch durch eine figura etymologica in gesteigerter Form. Insofern rahmt die Verheißung die inhaltliche Bitte.81 Das Gebet erweist sich auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten als stringent. In V. 12 äußert Jakob seine Furcht, Esau könne Mutter und Söhne umbringen. V. 13 erinnert daraufhin an die Mehrungsverheißung, mit der Jakob argumentiert, um das in V. 12 angesprochene Unglück zu verhindern. In ähnlicher Weise fügt sich V. 11 ins Bild. Zunächst ist V. 11b an den ersten Teilvers mit ‫ כי‬kohäsiv angebunden. Jakob erachtet folglich die in V. 11b angeführten beiden Lager als den Gnadenerweis, den er in V. 11a thematisiert. Die Not, mit der die Aufteilung

77 Vgl. zur Annahme einer Erweiterung en bloc (Vv. 10–13) bereits Gunkel, Genesis, 356 f.; Kessler, Querverweise, 131; Römer, Préparations, 186 f.; Blum, Komposition, 152 f.; Carr, ­Fractures, 168f; Nentel, Jakobserzählungen, 260; Köckert, Rückverweise, 110 f. Zum Grundbestand rechnen das Gebet: Van Seters, Prologue, 295 f., der ausschließlich ad negativum argumentiert; Seebass, Vätergeschichte II/2, 381.383, der meint, das Gebet gehöre fest zu V. 8b, da Jakob dort nur für seine Herden eintrete, nicht aber für sich und seine Familie; von Rad, Genesis, 258. 78 Vgl. Levin, Jahwist, 248 f. Levin rechnet mit einer nachjahwistischen Ergänzung in zwei Stufen: Zunächst Vv. 10–12, und in Aufnahme von V. 10, unter Anlehnung an Gen 13,16 eine anschließende Fortschreibung in Gen 32,13. Ebenfalls eine literarische Schichtung innerhalb des Gebets vermutet Westermann, Genesis I/2, 619, V. 12 gehört bei Westermann zum Grundbestand. Ähnlich auch Köckert, Vätergott, 271, im Rekurs auf Westermann; so auch Scharbert, Genesis, 219; Nauerth, Untersuchungen, 208 f.; Ruppert, Genesis, 343; Boecker, Isaak, 97. 79 Explizit gegen eine literarische Scheidung innerhalb des Gebets wendet sich auch Blum, Komposition, 153 Anm. 3. 80 Vgl. Köckert, Rückverweise, 111. 81 Vgl. Blum, Komposition, 153 Anm. 3. Vgl. zu der Beobachtung auch Fokkelman, Art, 202 f. Levin, Jahwist, 249, rechnet mit einer Redaktion in V. 13, die sich an V. 10 orientiert, sprachlich jedoch aus 13,16 entlehnt ist. Köckert, Rückverweise, 111, betonte die dtr. Sprach­ anleihen des Wortes ‫( יתב‬vgl. Dtn 8,16; 28,63; 30,5; Jos 24,20; Jer 18,10).

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der beiden Lager noch in Vv. 4–9 verbunden war, wird hier in das Gewand der Tugend gekleidet. So soll positiv auf die große Menge an Gefolge verwiesen werden, das Jakob begleitet. Demnach hat V. 11 den Charakter einer Demutsbekundung Jakobs vor der Gnade Gottes, die sich an ihm dadurch erwiesen hat, dass er mit keiner Habe, außer einem Stab, durch den Jordan gezogen sei und nun die Größe zweier Lager erreicht habe. Konsultiert man den vorherigen Erzählverlauf der Jakoberzählung – die deutlichen Anspielungen auf die Mose-Tradition zunächst noch ausgeblendet – können damit nur der Besitzerwerb und die Mehrung der Jakobsippe während seines Aufenthaltes bei Laban eine inhaltliche Referenzgröße bieten. Insofern ist der Rekurs auf eine Überquerung des Jordan auch aus dem Kontext der Jakoberzählung heraus verständlich. Überblickt man in geografischer Hinsicht seine Wanderung, so muss Jakob, um von Bet-El (Gen 28,10–22*) in das Land der Söhne des Ostens zu Laban (Gen 29) zu kommen, tatsächlich den Jordan überquert haben, auch wenn davon nicht explizit berichtet wird. Der Flucht entspricht sachlich das Motiv des Stabs. Ist diese Interpretation von V. 11 als ein angedeuteter Rückblick auf Jakobs Wanderung richtig verstanden, wird, in ähnlicher Weise wie in V. 12 und V. 13, auf eine Vermehrung Jakobs angespielt, die sich der Zuwendung Gottes verdankt. Einen harten Widerspruch zum erzählerischen Kontext bildet die Ortsangabe „dieser Jordan“. Die Wendung ‫ עבר את־הירדן הזה‬ist außer in Gen 32, noch in Dtn 3,27; 31,2; Jos 1,2; 1,11 belegt. Ausschließlich Gen 32,11 bezeugt die Wendung in der 1. Pers. sg. Mit Nachdruck weist diese Beobachtung darauf hin, dass in Gen 32,10–13 eine bewusste Anspielung auf das Exodus-Narrativ vorliegt. Richtungsweisend ist ebenso das Motiv des Stabes, das für die Erzählung vom Auszug aus Ägypten dramaturgisch elementar ist. In sprachlicher und inhaltlicher Hinsicht steht das Gebet der dtr. Tradition nahe.82 Obwohl die Fortschreibung um die Vv. 10–13 an dem weit entfernten Kontext der Mose-Tradition orientiert ist, verliert sie den vorgegebenen Mikrokontext nicht aus den Augen. So hat die Wurzel ‫עבר‬, die den Durchzug durch den Jordan thematisiert, auch in den umliegenden Versen Leitwortfunktion. Darüber hinaus wird der zum Grundbestand gehörige V. 8 in einem Zitat wieder aufgenommen und insofern der Anlass des Gebets noch einmal in direkter Rede reformuliert.

82 Vgl. Boecker, Isaak, 98; Nentel, Jakobserzählungen, 260; Carr, Fractures, 169, spricht von einem „semi-Deuteronomistic retouching“. Blum, Komposition, 152–158, vermutete hier eine D-Bearbeitungsschicht innerhalb der Jakoberzählung. Van Seters, Prologue, 296, bezweifelt diese von Blum angenommene D-Komposition. Maßgeblich führten Befürworter einer dtr. Schicht Parallelen zu den dtr. Gebeten in 2 Sam 7,18–29 und 1 Kön 3,5 ff. an. Finkelstein / Römer, Comments, 336, gehen von einer postdeuteronomistischen Ergänzung aus, die vergleichbar zu Neh 9 und Dan 9 Jakob als frommen Juden zeichnet. Vgl. zu dtr. Sprachanleihen des Gebets auch Köckert, Rückverweise, 111.

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Zuletzt könnte sich mit dem Verweis auf den Jordan auch die von Scharbert vorgeschlagene Bemühung niederschlagen, den Handlungsort in die Nähe des Jordan zu rücken, um so die letztendlich recht weite Distanz von Mahanajim und Sichem (Gen 33,18–20) zu plausibilisieren.83 Die Bezüge zur Exodustradition lassen vermuten, dass es sich bei Vv. 10–13 um eine vergleichsweise späte, d. h. in jedem Fall nach-P Erweiterung handelt. Ohne Frage setzt das Gebet die Erzvätertrias und mithin die exilische Kompilation der Erzählungen um die drei Erzväter voraus. Greifbar wird dies zusätzlich daran, dass der Redaktor in den Passagen, in denen er auf Verheißungen rekurriert, auf Material der Jakoberzählung und auf Material der Abrahamerzählung zurückgreift. Die Rekurse liegen maßgeblich in Gestalt wörtlicher oder sinngemäßer Zitate vor, wie häufig beobachtet. So zitiert V. 10a die Gottesanrede von Gen 28,13aβ bei gleichzeitiger Umpositionierung des Gottesnamens ans Versende.84 Darüber hinaus orientiert sich die Formulierung in V. 10b an Gen 31,3.85 Die Verbindung gibt sich insbesondere durch die Zusage zu erkennen, die in Gen 31,3 als Mitsein JHWHs gedacht ist und in Gen 32,10b als „dir Gutes tun“ hinsichtlich seiner konkreten Auswirkung vertieft wird.86 An dieser Stelle ist auch Jakobs Gelübde in Gen 28,21 als gedanklicher Horizont für Gen 32,10 in Erwägung zu ziehen. Jakob macht dort seine Rückkehr ‫( בשׁלום‬in Frieden) zur Bedingung für seine Anerkennung JHWHs als Elohim. Beides findet in Gen 32,10 Widerhall. Gen 32,10–13 beschränkt sich in seinen Reminiszenzen nicht auf die Jakoberzählung. Der Vergleich der Fülle an Nachkommenschaft mit dem Sand des Meeres ist der Abrahamerzählung entlehnt (Gen 22,17).87 Das in Gen 32,10–13 formulierte Gebet rekurriert folglich sekundär auf Verheißungstexte, die ihrerseits wiederum (bis auf Gen 31,3) eine zum Grundbestand sekundäre kompositorische Funktion erfüllen, nämlich die Erzvätergestalten durch Gottesreden und Verheißungstexte miteinander zu verbinden.88

83 Vgl. Scharbert, Genesis 12–50, 220. 84 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 383; Blum, Komposition, 153; Levin, Jahwist, 249. Vgl. zur Variante der Erzvätertrias auch Gen 31,42. JHWH ist zwar in Gen 32,10 syntaktisch nachgestellt, es handelt sich dennoch nicht um eine Glosse. Die scheinbar so verdoppelte Anrede Gottes erfüllt einen inhaltlichen Zweck. Während die angedeutete Erzvätertrias die Verbindung mit den übrigen Erzvätergestalten herstellt, kann mit der erneuten Anrede JHWHs ein Bezug zur konkreten Lebensgeschichte Jakobs hergestellt werden. Beide sollen hier wohl in Einklang gebracht werden. 85 Vgl. Blum, Komposition, 153; Köckert, Abraham, 60 Anm. 83. Der Rückbezug auf Gen 31,3 bedient sich zudem sprachlicher Anleihen aus Gen 12,1. Vgl. ebd. 86 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 383; Blum, Komposition, 153; Levin, Jahwist, 249; Köckert, Vätergott, 271, sieht in der Umformulierung die Intention, bereits an Jakob ergangene Verheißungen zusammen zu fassen. 87 Parallelen zur Unzählbarkeit der Nachkommen weisen auch Gen 13,16 und Gen 16,10 auf, sinngemäß auch Gen 28,14 (Staub der Erde). Insofern ist Gen 32,13, was die Kernaussage anbelangt, mit Gen 28,14 verbunden, insbesondere da ansonsten keine Mehrungsverheißung an Jakob ergeht. Vgl. Blum, Jacob Tradition, 196; Blum, Komposition, 152 f. 88 Vgl. z. B. Rendtorff, Problem, insbes. S. 57–70.

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Die aus den Querbezügen erschlossene Erkenntnis, dass es sich bei den Vv. 10–13 um eine späte Erweiterung handelt,89 mag von der Tatsache gestützt werden, dass der Plural der Wurzel ‫ חסד‬erst in literaturgeschichtlich spät einzuordnenden Texten belegt ist.90 Der Autor des Gebets scheint mithin sowohl die Erzväter- als auch die Exodustradition vor Augen zu haben und den Versuch zu unternehmen, die Verbindung der beiden ursprünglich unabhängigen Gründungserzählungen des Volkes Israel innerhalb der Jakoberzählung konkret zu verankern.91 Im Zuge des Gebets wird folglich die Exodus- und Vätertradition, konkret gesprochen, das Schilfmeerwunder und die Landnahme einerseits und die Verheißung von Nachkommenschaft und Mehrung andererseits, kompositorisch in eine Zusammenschau gebracht. Das Gebet prägt dadurch den Kontext der konkreten Wiederbegegnungsszenerie in spezifischer Weise. So zeichnet es Jakob nicht nur als Frommen,92 sondern betont Jakobs Frömmigkeit in Verbindung mit der Heilsgeschichte Israels ­(Exodus) unmittelbar vor seiner Gottesbegegnung, die ihn als Volkseponym Israels durch seine Umbenennung unzweifelhaft etabliert. Das Gebet lässt auf diese Weise Jakobs individuelle Lebensgeschichte im weiteren Horizont der Heils­geschichte Israels implizit Revue passieren. Diese theologische Tiefenschärfe verändert gleichwohl die Sicht auf Jakobs individuelle Lebensgeschichte, wie sie bisher im Narrativ dargestellt worden ist. Wie Kessler richtig beobachtet, wird jene nahezu transzendiert, jedoch in einer weitläufigeren geschichtstheologischen Ausrichtung.93 Vormals durch seinen Betrug an seinem Bruder Esau noch mittellos zur Flucht gezwungen, und seine Trennung von Laban durch die trickreiche Erweiterung seines Hab und Guts verursacht, erscheint Jakob nun ausnahmslos als Adressat der Gottesverheißung, die eben jene vormals erschlichenen Güter zum Inhalt hat. Im Licht der Heilsgeschichte des Volkes Israel erscheint die Ursache der Notsituation Jakobs (sein Betrug) nahezu unerheblich. Der zwischenmenschliche Zwist wird somit der Verheißung Gottes in seiner Bedeutung untergeordnet. Der Rezipient sieht sich nicht nur an die Erzväterverheißungen erinnert, sondern auch an die Notsituation Israels in Ägypten und die damit in Zusammenhang stehende Errettung des Volkes Israel durch Gott, die auf seiner Verheißung von Land und Nachkommenschaft fußt. Analog erwartet er nun die Errettung Jakobs aus seiner 89 Vgl. Blum, Jacob Tradition, 196 f. Blum sieht in 32,10–14 (!) eine ähnliche Tendenz wie in Gen 31,3, nämlich den Text in theologischer Hinsicht zu vertiefen. 90 ‫ חסד‬ist erst in nachexilischen Texten im Plural belegt. Vgl. Blum, Komposition, 156; Westermann, Genesis I/2, 620; Scharbert, Genesis, 219; Römer, Préparations, 187. Seebass, Vätergeschichte II/2, 385, hingegen findet hier Psalmensprache bezeugt und gibt zu bedenken, dass jene nur schwer datierbar sei. 91 Vgl. Römer, Préparations, 187. 92 Vgl. Römer / Finkelstein, Comments, 336; Blum, Jacob Tradition, 196 f., der meint, Jakob solle bereits vor der Jabbokepisode als frommer Jude gezeichnet werden. Die theologische Tiefendimension, die Blum anspricht, wird leider nicht weiter ausgeführt. 93 Vgl. Kessler, Querverweise, 130.

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Notsituation in Anspielung auf die an ihn ergangenen Verheißungszusagen. Insofern ist es dem Redaktor möglich, das Gebet als eine Art Forderung Jakobs nach Gottes Beistand zu formulieren. Die Erinnerung an die Verheißungstexte erfolgt dementsprechend genau in dem Moment, in dem die Verheißung durch Esau gefährdet wird.94 Im Umkehrschluss wird so die Versöhnungsszene maßgeblich zum Prüfstand der Verheißung. Vom Ende der Erzählung her besehen, vermittelt das Gebet dann aber den Eindruck, die Versöhnung sei eben nicht Ergebnis zwischenmenschlicher Gnade oder materieller Geschenke, sondern Ergebnis der Erinnerung Gottes an seine Heilszusage und sein Heilshandeln.95 Die Transformation der Versöhnung, weg von einer zwischenmenschlichen Deutungsebene hin zu einer theologisch-transzendenten, wird auch daran erkennbar, dass das Gebet dessen literarisches Umfeld transformatorisch aufnimmt.96 Jakob, der sich im unmittelbaren Kontext mehrmals als Knecht Esaus gebärdet, bezeichnet sich in V. 11 als Knecht Gottes. Der von Esau durch Jakob erhoffte, aber noch ausstehenden Gnade (‫( )חן‬V. 6) stehen im Gebet die Gnadenerweise (‫ )חסדים‬zur Seite, die Jakob bereits durch die Mehrung seines Gefolges unter Gottes Einfluss erfahren hat. Die ‫ מחנות‬erhalten nicht mehr den Anstrich einer negativ konnotierten Schutzmaßnahme (V. 8), sondern repräsentieren Gottes Zuwendung zu Jakob (V. 11).

6.1.4.4 Geschenk und Schadensbegrenzung als literarhistorisch konkurrierende Vorbereitungs-maßnahmen? Die Vorbereitungen Jakobs für das Zusammentreffen der verfeindeten Brüder umfassen zwei Aktionen, die in gewisser Diskontinuität zueinanderstehen. Als Jakob hört, dass Esau ihm mit 400 Mann entgegenzieht, entschließt er sich einerseits, sein Gefolge defensiv auf zwei Lager (‫ )מחנות‬aufzuteilen, um den Schaden im Falle eines Angriffs zu begrenzen (Gen 32,4–9), andererseits entsendet er offensiv Geschenke (‫ )מנחה‬an seinen Bruder, um sich mit ihm zu versöhnen (Gen 32,14–22). Die beiden Lexeme ‫ מנחה‬und ‫ מחנה‬sind zwar als Wortspiel unverkennbar, doch ist damit nicht geklärt, ob dieses Wortspiel von der Kunstfertigkeit einer literarischen Hand zeugt, oder Ergebnis eines redaktionellen Prozesses ist. Die literarkritische Trennung der beiden erzählerischen Motive wurde insbesondere von Vertretern der Quellentheorie vollzogen, wohingegen deren Kritiker einen fortschreitenden Erzählprogress im Sinne einer motivischen Steige 94 Vgl. de Pury, Promesse, 95; Blum, Komposition, 154. 95 Etwas anders Blum, Komposition, 154: „Nicht zuletzt erscheint damit das weitere Geschick Jakobs, insbesondere die Versöhnlichkeit Esaus als die Antwort Gottes auf sein demütiges Gebet.“ 96 Die Überschneidung von zwischenmenschlicher und theologischer Ebene ist in der Pnuel­szene gesteigert, zieht sich allerdings konstant durch Gen 32–33. Zu dieser Beobachtung vgl. auch Anderson, Intersection, 30–41.

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rungslogik vertraten.97 Mitunter wurde in Abwehr einer Quellenscheidung auch eine überlieferungsgeschichtliche Dublette in Erwägung gezogen,98 eine gewisse Doppelsträngigkeit der Motive folglich ins überlieferungsgeschichtliche Stadium vorverlegt. Demnach strukturiere die Zeitangabe „in jener Nacht“ (V. 14) das sich an Spannung steigernde Narrativ, indem Jakob zuerst Verteidigungsstrategien vornehme, um dann zur offensiveren Aussendung von Geschenken überzugehen. Die Befürchtung Jakobs findet konkreten Anhalt am Ausgangspunkt des Brüderkonflikts zu Beginn der Jakoberzählung, der in der Tötungsabsicht Esaus gipfelte (Gen 27,41). Wenn Jakob nun in Vv. 14–22 Esau aktiv Geschenke in Form eben jener Herden entgegensendet, die er zuvor noch bemüht war zu schützen, lässt sich kaum noch ein Widerspruch zwischen Jakobs Strategien verkennen.99 Hinzu treten Inkohärenzen zwischen V. 22 und Vv. 8 f. hinsichtlich der Verwendung des Wortes ‫מחנה‬. So ist die Angabe über Jakobs Aufenthalt in V. 22 „im Lager“ bei einer vorherigen Verteilung auf zwei Lager ungenau.100 Da die Angabe in V. 22 keinerlei nennenswerte inhaltliche Funktion erfüllt, dient die Rezeption des Wortes dort wohl ausschließlich einer nachdrücklichen Betonung des Wortspiels zwischen ‫ מחנה‬und ‫ מנחה‬und erwirkt auf diese Weise eine intensivere Kontexteinbindung des Geschenkmotivs. Die in V. 14 und V. 22 aufgrund der Zeitangabe bestehende Rahmung von einer Nacht lassen den dazwischenliegenden Abschnitt zudem auffallend abgeschlossen erscheinen.101 Die Vv. 23–33 müssen sich synchron besehen auf dieselbe Nacht 97 Vgl. Blum, Komposition, 142; Eising, Untersuchung, 105; Boecker, Isaak, 95; Römer, Préparations, 184 f.; Westermann, Genesis I/2, 614; Klein, Jakob, 127. Kessler, Querverweise, 133 f., bestreitet eine Eigenständigkeit der Vv. 4–14a und 14b–22, was ihre literarische Gestalt anbelangt. Demgegenüber wolle er jedoch nicht bestreiten, dass „überlieferungsgeschichtliche ‚Dubletten‘ vorliegen“ (S. 133); Ruppert, Genesis III, 252 ff. wendet sich gegen die klassische Wertung von 32,14b–22 als Parallelbericht, obwohl er eine Quellenscheidung durchführt; ebenso Graupner, Elohist, 274. Die Kritik an der klassischen Quellenscheidung, die hier ein Doppelmotiv annimmt, ist berechtigt. Weder liegt eine eindeutige Dopplung der Motivik vor, noch kann diese als alleiniges literarkritisches Argument genügen. Die Beobachtung paralleler Gestaltungselemente kann die Ergebnisse der literarkritischen Entscheidung allenfalls stützen. 98 Vgl. Kessler, Querverweise, 133 f. 99 Vgl. Nentel, Jakobserzählungen, 246; Nauerth, Untersuchungen, 204; Graupner, Elohist, 272; Schmid, Versöhnung. Seidl, Konflikt, 11, erkennt den Gegensatz eher innerhalb der Darstellung des strategischen Vorgehens Jakobs. In der ersten Hälfte werde er defensiv, in der zweiten Hälfte selbstbewusst und offensiv gezeichnet. Vgl. grundsätzlich zur Annahme einer thematischen Dopplung auch Levin, Jahwist, 245. Vgl. zur Eigenständigkeit der „Diskursteile“ von Vv. 4–14(a) einerseits und Vv. 14(b)–22 andererseits vgl. auch Weingärtner, Impertinenz, 263 f. 100 Vgl. Graupner, Elohist, 272; Nauerth, Untersuchungen, 210; Gunkel, Genesis, 356; Nentel, Jakobserzählungen, 247. 101 Die Zeitstruktur ist hier undurchsichtig. Einige Exegeten gehen davon aus, die Vorbereitungen Jakobs seien zur Tageszeit geschehen. Demnach bezeichneten V. 14a; V. 22; V. 23 mehrere Nächte. Vgl. dazu Wahl, Jakobserzählungen, 226; Taschner, Verheißung, 144. Dagegen spricht, dass von einem Morgen nicht die Rede ist. Von einer Nacht geht Römer, Préparations, 185 aus, der mit einer nachholenden Erzählung, ähnlich einer Abschweifung, rechnet.

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beziehen, da von keinem dazwischenliegenden Morgen berichtet wird. Insofern ist die Überfrachtung dieser Nacht mit Ereignissen unverkennbar. Zuletzt kann Römers Hinweis auf das Stilmittel einer „nachholenden Erzählung“ in Vv. 14–22102 auch eine diachrone Entscheidung zu besagten Versen stützen. Der Abschnitt ließe sich insofern durchaus plausibel als Fortschreibung er­ klären. Wurde in der Forschung in Gen 32,14–22 mit einer Erweiterung gerechnet, so wertete man V. 22 häufig als klassische Wiederaufnahme eines zum Grundbestand gehörigen V. 14a.103 Gegen diese Annahme spricht, dass V. 22 eine chiastische Spiegelung des gesamten V. 14 vornimmt, was zur Vorsicht mahnt, diesen Vers literarkritisch aufzuteilen. Hinzu kommt, dass bereits V. 14a mit dem zuvor Geschilderten in Diskontinuität steht. Die Ortsangabe ‫ שׁם‬entbehrt unter Ausschluss der Mahanajim-Notiz einer Bezugsgröße.104 Gegen die Auffassung, in V. 14a und V. 14b handle es sich um zwei Nächte, spricht die fehlende Schilderung eines Morgens.105 Insofern muss die Präparierung des Geschenks in der Nacht veranschlagt werden, was jedoch bereits inhaltlich an mangelnder Praktikabilität scheitert. Da die Zeitstruktur der Vv. 14–22 für das eigentliche Anliegen des Abschnittes hinderlich ist, lässt sich nur die Jabbokszene als Grund für deren motivischen Gebrauch in Vv. 14–22 in Erwägung ziehen. Offensichtlich ist dieser Umstand in V. 22, der sich im Verbund mit V. 14 sehr deutlich an V. 23 orientiert. Dafür spricht überdies, dass das zeitliche Gerüst, das noch in Gen 31,24 und Gen 31,54 präsent ist, nach der Jabbokszene plötzlich abbricht.106 Entgegen verbreiteter Meinung ist V. 14a für die Jabbokszene nicht unabdingbar. V. 23 führt unmissverständlich eine Nacht in die Erzählung ein, mit der das entsprechende erzählerische Inventar für den Kampf am Jabbok bereit gestellt ist.107 Dass die Wendung „jene Nacht“ trotz des Demonstrativpronomens keiner erzählerischen Vorbereitung bedarf,108 beweisen vergleichbare alttestamentliche Belege zur Wendung ‫בלילה־ההוא‬, die in den meisten der auftretenden Fälle gerade keine Vorbereitung voraussetzen, sondern einen neuen Handlungsgang einführen.109 Darüber hinaus stehen eine auffallend häufige Anzahl der Belege mit einer 102 Vgl. Römer, Préparations, 185. 103 Vgl. Wellhausen, Composition, 43 f.; Seebass, Vätergeschichte II/2, 381; Nauerth, Untersuchungen, 201; Kratz, Komposition, 273 Anm. 56; Schmid, Versöhnung, 218; Levin, Jahwist, 245. 104 Vgl. bereits Wellhausen, Kompositon, 43, der daher den Rest einer Mahanajim-Notiz postuliert, auf den sich ‫ שׁם‬bezieht. Vgl. ähnlich auch Eising, Untersuchung, 144. Zur fehlenden Bezugsgröße von ‫ שׁם‬vgl. auch Nauerth, Jakobserzählungen, 205. 105 Ein Anschluss von V. 14b an V. 14a ist nur dann hart (vgl. Graupner, Elohist, 272), wenn man mit einem nächsten Morgen rechnet, der nicht genannt wird. 106 Vgl. Eising, Untersuchung, 144. 107 Gegen Nauerth, Untersuchungen, 206, und Hensel, Vertauschung, 161, der meint, V. 23 müsse sich zwingend auf die vorausgehenden Zeitangaben rückbeziehen. 108 Gegen bspw. Nauerth, Untersuchungen, 206. 109 Vgl. Gen 26,24; Num 14,1; Jos 8,9.13; Ri 6,25.40; Jos 7,9; 2 Sam 7,4; 2 Kön 19,35; 1 Chr 17,3; 2 Chr 1,7; Est 6,1.

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Gotteserscheinung oder Gottesrede in Verbindung. Die Formulierung ist folglich der Jabbokerzählung angemessen. Insofern legt bereits die Rahmung der Vv. 14–22 nahe, dass der Abschnitt in Anlehnung an die Jabbokszene gestaltet ist. Diese Vermutung wird durch weitere Querverbindungen zwischen den beiden Abschnitten erhärtet, die zwar häufig beobachtet worden sind, meist allerdings zugunsten einer umgekehrten Abhängigkeitsrichtung fruchtbar gemacht wurden, um so die Kontextabhängigkeit der Jabbokszene zu beweisen.110 Gegen eine Abhängigkeit der Jabbokerzählung von Gen 32,14–22 spricht, dass die verbindenden Elemente sehr viel sinntragender in der Jabbokerzählung verankert sind, wohingegen sie sich in Vv. 14–22 als mitunter umständliche Stichwortanbindungen erweisen, die sich ihrerseits in ihrem unmittelbaren literarischen Umfeld dennoch nicht als sekundäre Fortschreibungen plausibel erklären lassen. Das Vorüberziehen (‫ )עבר‬der Herden in V. 22 steht deutlich in begrifflicher Verbindung mit der Notiz zu Jakobs Überquerung des Jabbok (V. 23b.24). Das Vorüberziehen der Herden an Jakob erscheint in V. 22 allein durch die Stichwortanbindung an den Folgekontext motiviert. Darüber hinaus greift die mehrfache Wiederholung des Lexems ‫ פנה‬begrifflich deutlich V. 31 vor.

Liegt in Vv. 14–22 folglich eine Fortschreibung vor, so wird ihr Profil insbesondere im Vergleich zu ihrem Kontext erkennbar, den sie aufgreift. In V. 6 werden die Tiere, die Jakob mitgeführt hat, ihrer Gattung nach genannt. Um Jakobs beachtliche Versöhnungsleistung und seinen Reichtum gleichermaßen zu demonstrieren, werden die Herden in Vv. 15 f. nach Tierart, Geschlecht und Mengenangabe genau ausdifferenziert.111 Vv. 15 f. baut insofern auf V. 6 auf. Wie auch andernorts im Zusammenhang mit sekundären Passagen der Jakoberzählung werden auch hier Kamele genannt, die Jakobs Reichtum besonders hervorheben sollen, den erzählerischen Rahmen allerdings deutlich übersteigen. Wie in Vv. 4–9 ordnet Jakob auch in V. 17 sein Gefolge. Anstelle einer Aufteilung in zwei Lager, entscheidet er sich hingegen nun für eine Reihung, in der das Geschenk präsentiert werden soll.112 110 Vgl. etwa Blum, Komposition, 143; Blum, Komplexität, 37. 111 Vgl. auch die auffallenden Parallelen zu Hi 1,3. Offenkundig soll hier Jakobs Reichtum in besonderer Weise betont werden. Das beweist nicht nur die Menge an Herden, die genannt werden, sondern auch die innerhalb einer Herde eines Kleinviehnomaden auffällige Erwähnung von Kamelen. Vgl. hierzu Ruppert, Genesis III, 354. Kamele werden zwar auch in V. 8 genannt, doch weist der textkritische Apparat auf eine Erweiterung in MT hin. Diese speist sich wahrscheinlich aus Vv. 14–22. Dass Jakob Kamele besessen hat, ist nicht nur aufgrund des erzählten Hirtenmilieus auffällig, sondern im Übrigen nur noch in drei weiteren Versen, Gen  30,43; Gen 31,17; Gen 31,34 der Jakoberzählung erwähnt, die ihrerseits ebenso darum bemüht sind, den Reichtum Jakobs sekundär zu betonen. 112 In Vv. 14–22 bleibt im Übrigen gänzlich unklar, aus welchem Lager Jakob das Geschenk zusammenstellt. Vgl. Gunkel, Genesis, 356; Nentel, Jakobserzählungen, 247. Diese Ungenauigkeit verwundert angesichts der akribischen Schilderung der Zusammenstellung des Geschenkes.

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Wieder sendet Jakob Männer aus, diesmal jedoch keine Boten, sondern Diener. In beiden Fällen trägt er ihnen die Übermittlung einer Botschaft auf. Bei der ersten Aussendung lässt er ausrichten, er erhoffe Gnade von Esau, in V. 21 erhofft er offensiver eine Versöhnung (‫)ישׂא פני‬. Auch gestalterisch sind Vv. 14–22 an Vv. 4–9 orientiert. Wie dort endet V. 21b mit einer Introspektion Jakobs.113 Zuletzt besteht auch Kontinuität in der Selbstbezeichnung Jakobs als ‫ עבד‬Esaus. Gegen eine Erweiterung um die Vv. 14–22 wurden mitunter Rückbezüge aus Gen 33 auf Gen 32,14–22 angeführt.114 Insbesondere Gen 33,8.10 sind für diese Auffassung von zentraler Bedeutung. Esau erkundigt sich in Gen 33,8 nach dem Lager, auf das er gestoßen ist, und nimmt insofern den Vorkontext wörtlich auf. Als Bezugsgröße liegen hier allerdings Vv. 4–6 sehr viel näher als Vv. 14–16, denn Esau scheint gerade nicht zu wissen, dass ihm ein Geschenk überbracht worden ist.115 Zuletzt werden in Gen 32,22 ‫ מנחה‬und ‫ מחנה‬inhaltlich deutlich voneinander unterschieden, weshalb deren synonymer Gebrauch innerhalb derselben Schicht ein bleibendes Problem darstellt. Auch Gen 32,6 lässt sich nicht für eine Verankerung der Geschenkthematik nutzen. Mit der Aufzählung von Jakobs Vorhut soll kein Geschenk angedeutet werden. Näher liegt aufgrund des Kontrastes zu den 400 Mann, dass Jakob mit der Überbringung dieser Nachricht seine friedliche Absicht beweisen möchte. Ob der Rückbezug von Gen 33,10 dem Grundbestand zuzuordnen ist und insofern mit Gunkel als Ergebnis einer spontanen Uminterpretation zu gelten hat,116 oder ob es sich bei Gen 33,10 um einen sekundären Zuwachs handelt, wird im Rahmen der literarkritischen Analyse zu Gen 33 zu klären sein. Die genannten Argumente weisen auf eine Erweiterung um die Geschenkthematik in Vv. 14–22 hin. Im Grundbestand von Vv. 4–9 rechnet Jakob ursprünglich mit einer Gefahrensituation, wohingegen Esau ihm überraschenderweise friedlich gegenübertritt. Die Erweiterung versieht Esaus freundliche Begegnung sodann mit einem Grund. Wie bereits in Gen 25,29–34 wird Esau ein primär materielles Interesse unterstellt. Jakob hingegen ist bereit, eine Wiedergutmachungsleistung beachtlichen Umfangs darzubringen.

113 Vgl. Eising, Untersuchung, 104. 114 Vgl. z. B. Blum, Komposition, 142 f. 115 Vgl. Schmid, Versöhnung, 218, insbes. Anm 22, in der er gegen Kessler, Querverweise, 130.132, argumentiert, der meint, in Gen 32,6 seien die Geschenke bereits angedeutet (vgl. dazu auch Blum, Komposition, 143), und in Gen 33,8 sei vorausgesetzt, dass die Geschenke bei Esau eingetroffen seien. Mit Schmid ist nicht erklärbar, weshalb Esau sich darauf nicht bezieht. 116 Vgl. Gunkel, Genesis, 367; Schmid, Versöhnung, 218 (insbes. Anm. 24 in Abgrenzung zu Kessler, Querverweise, 132 f.) in Anlehnung an Gunkel.

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6.2 Jakob erringt eine neue Identität – Analyse von Gen 32,23–33 6.2.1 Kommentierte Übersetzung117 Er aber machte sich auf in jener118 Nacht. Und er nahm seine beiden Frauen und seine beiden Mägde und seine elf Kinder und er durchzog die Furt des Jabbok; 24 Und er nahm sie und er ließ sie über den Fluss119 gehen und er ließ hinübergehen, was120 er hatte. 25 Und Jakob blieb allein zurück. Da rang121 ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte aufging. 26Und er sah, dass er es nicht vermochte gegen ihn (anzukommen),122 da berührte er seine Hüftpfanne123 und die Hüftpfanne Jakobs wurde verrenkt bei seinem Ringen mit ihm. 27 Da sprach er: „Entlasse mich, denn die Morgenröte ist aufgegangen.“ Und er sprach: „Ich entlasse dich nicht, außer du segnest mich.“ 28Und er sprach zu ihm: „Wie ist dein Name?“ Und er sprach: „Jakob.“ 29Und er sprach: „Nicht Jakob soll dein Name mehr genannt werden, sondern Israel, denn du hast gekämpft124 mit Gott und mit Menschen und du hast es vermocht.“ 30Jakob aber fragte und sprach: „Teile mir doch deinen Namen mit!“ Und er sprach: „Wozu fragst du nach meinem Namen?“ Und er segnete ihn dort. 23

117 Legende zu den in der Übersetzung angezeigten Bearbeitungsschichten: recte = Grundbestand; kursiv = Erweiterung um Jakobs Familie aus exilischer Zeit; fettgedruckt = nachpriesterliche ätiologische Verankerung einer jüdischen Speisevorschrift; Kapitälchen = Ätiologie Pnuels. 118 Smr und TNGnz nehmen gegen MT und TOJ durch Ergänzung des Artikels ‫ ה‬eine Angleichung an den üblichen Sprachgebrauch vor. Dabei handelt es sich nicht um die ursprüngliche Lesart. Mit Tal, Genesis, 126*, wird anzunehmen sein, dass hier, wie auch in Gen 19,33; 30,16 und 1 Sam 19,10, eine besondere Form des Demonstrativpronomens vorliegt. 119 ‫ נחל‬meint wohl eher „saisonal wasserführende Bachtäler“, nicht zwingend einen reißenden Fluss. Vgl. Schnocks, Art. Fluss / Bach / Wadi. So auch Gesenius, Wörterbuch, 802. 120 Die überwiegende Mehrzahl der Textzeugen (Smr, G, V, S, TNGnz) gleichen an den gewöhnlichen Sprachgebrauch durch Ergänzung von ‫כל‬/πάντα („alles, was er hatte“) an. MT liegt als ursprüngliche Lesart nahe, die Textzeugen weichen intendiert ab. Gegen Westermann, Genesis I/2, 625. MT ließe sich zudem dadurch erklären, dass dort die Aufteilung des Gefolges aus Gen 32,4–9 vorausgesetzt ist. 121 ‫ אבק‬ist im AT nur hier und in Gen 32,26 belegt. Jacob, Genesis, 638, vermutet ähnlich wie Gesenius, Wörterbuch, 10, eine Nebenform von ‫( חבק‬umarmen), was dem Sinngehalt von „ringen“ entspräche. So auch Pola, Form, 192. 122 Die Übersetzung von ‫ יכל‬ist problembehaftet. Gesenius, Wörterbuch, 464, schlägt „überwältigen, siegen“ vor. Hier wurde eine möglichst wörtliche Übersetzung gewählt. 123 Vgl. zur wörtlichen Übersetzung Levin, Jahwist, 68 Anm. c: „’hohle Hand des Schenkels’ als ein Körperteil, das sich von außen berühren läßt, kann nur die Darmbeinschaufel (os iliacum) in der oberen Fortsetzung des Schenkels sein, umgangssprachlich die Beckenschaufel oder die ‚Hüfte‘.“ 124 ‫ ׂשרה‬ist im AT nur noch in Hos 12,4 bezeugt, dort mit Bezug auf Gen 32,23–33.

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Und Jakob nannte den Ort Pniel125, denn: ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und mein Leben wurde gerettet.126 32Und es ging ihm die Sonne auf, als er Pnuel passierte, und er hinkte wegen seiner Hüfte. 33 Deshalb essen die Israeliten den Nerv der Hüftgegend127 nicht, der auf der Hüftpfanne liegt, bis auf diesen Tag, denn er hat die Hüftpfanne Jakobs berührt, den Nerv der Hüftgegend. 31

6.2.2 Textabgrenzung Die Jabbokerzählung wird durch eine Aufbruchsnotiz (‫ויקם‬, V. 23) und einen Ortswechsel (‫יבק‬, V. 23) eröffnet. Beide Elemente zeigen einen erzählerischen Neueinsatz an und begrenzen die Episode nach vorne.128 Gleichwohl fehlt dem Abschnitt ein einleitendes Subjekt. Insofern setzt er den Vorkontext ohne einschneidendere Zäsur fort. Die Erwähnung der Frauen, Kinder und der Habe Jakobs in Vv. 23 f. stellen darüber hinaus eine inhaltliche Verbindung zum entfernteren Erzählzusammenhang von Gen 29–30 her. Der summarische Erzählerkommentar in V. 33 beschließt die Erzählung. Jakobs Kampf wird dort als Anknüpfungspunkt für die Ätiologie einer Speisevorschrift genutzt. Der Wiederaufnahme von Gen 32,7 in Gen 33,1 fundiert die Wahl der Abschnittsgrenze. Der Abschnitt wird durch die Zeitangaben ‫( בלילה‬V. 23) und ‫( ויזרח־לו השׁמשׁ‬V. 32) eingerahmt. Der rahmenden Zeitstruktur korrespondieren die Beschreibung der Handlungs-

125 G, V und S gleichen an Gen 32,3 an, indem sie den Ort mit einem Demonstrativpronomen versehen. Dabei handelt es sich mit Smr, T und MT nicht um die ursprüngliche Version. Die Spezifizierung auf den bestimmten Ort hin hängt in Gen 32,3 mit Bet-El in Gen 28,10–22 zusammen. Darüber hinaus ist MT aufgrund der ungewöhnlichen Bezeichnung von Pnuel auffallend (‫)פניאל‬, die nur noch von TNJ bezeugt wird. Smr, σʹ, V, S, TO wandeln zugunsten der gewöhnlichen Schreibweise ‫ פנואל‬ab. Allerdings scheint die veränderte Schreibweise in V. 31 (MT) der Etymologie zu dienen. Dies legt auch G nahe, die den Namen übersetzt (Εἶδος θεοῦ = Aussehen Gottes, vgl. Kraus / Karrer, Septuaginta Deutsch). Dementsprechend wird mit MT und TNJ Pniel für die ursprüngliche Lesart gehalten. Vgl. Tal, Genesis, 158*f. 126 Die Bedeutung dieser Aussage ist unklar. Bei den meisten Auslegern wegen Ex  33,30; Ri 6,22; 13,22; Jes 6,5; Jer 30,21 adversativ übersetzt („und dennoch wurde…“). Vgl. Boecker, Isaak, 104. In der obigen Übersetzung wird mit Seebass, Vätergeschichte II/2, 396, der konsekutiven Übersetzung der Vorzug gegeben („und so wurde mein Leben gerettet…“), da der Gegensatz mit waw-Impf. zu schwach ausgedrückt erscheint. V. 31 bezieht sich implizit schon auf die Begegnung mit Esau. 127 Bei ‫ נשׁה‬handelt es sich um ein Hapax legomenon. ‫ גיד‬bedeutet wohl „Sehne“ (vgl. Ez 37,6.8; Hi 10,11; 40,17; Jes 48,4). Anatomisch gesehen ergibt eine bestimmte Sehne in der Hüftgegend allerdings keinen Sinn. Jacob, Genesis, 640 f., übersetzt mit „Spannader“, gleichbedeutend mit dem Hüftnervenstrang (nervus ischiadicus). In diesem Sinne auch die häufigsten Übersetzungen. 128 Vgl. Wahl, Jakobserzählungen, 278.

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ebene und die Erwähnung der Ortsangaben, indem Jakob in der Nacht den Jabbok überschreitet / durchzieht (‫עבר את מעבר יבק‬, V. 23) und bei Sonnenaufgang an Pnuel vorübergeht (‫עבר את־פנואל‬, V. 32a).129

6.2.3 Aufbau und Gliederung Der geschlossene Zusammenhang von Gen 32,23–33 wird durch kohärente Zeitangaben rhythmisiert und gerahmt. Der doppelte Verweis auf die Morgenröte in V. 25b und V. 27a bereitet den Sonnenaufgang in V. 32 als Zielpunkt und Abschluss der Handlung vor. V. 33 gibt sich als deutender Erzählerkommentar zu erkennen, der dem Handlungsgeschehen selbst enthoben ist.130 Die Vv. 23–33 sind mehrgliedrig gestaltet, wenngleich die Abschnittsgrenzen mitunter fließend sind und deren eindeutige Bestimmung dadurch erschwert wird. Vv. 23–24 informieren über einen Ortswechsel Jakobs samt Gefolge und fungieren als Exposition für die Erzählung.131 Die Ortsangabe „Jabbok“ (‫יבק‬, V. 23) steht mit dem Verb ‫( אבק‬V. 25b) und dem Namen Jakob (‫יעקב‬, V. 25a) paranomastisch in Verbindung. Das Wortspiel inszeniert Jakobs Namen in besonderer Weise.132 Durch die Schwerpunktsetzung auf den Namen „Jakob“ wird kunstvoll bereits die Umbenennung Jakobs in „Israel“ vorbereitet. Die Itinerarnotiz (V. 23) steht insofern mit der Umbenennung (Vv. 28 f.) in inhaltlicher Verbindung. V. 25 eröffnet mit ‫ ויותר יעקב‬einen neuen Abschnitt, der zudem durch die Einführung des unbekannten Mannes (‫ )אישׁ‬gekennzeichnet ist. Zwar wäre zugunsten eines Gliederungseinschnittes zwischen V. 25a und V. 25b anzuführen, dass die Notiz über Jakobs Alleinsein die Trennung zwischen Jakob und seinem Gefolge besiegelt und die Kampfhandlung mit V. 25b beginnt.133 Allerdings ist nicht zwingend vorauszusetzen, dass die Trennung zwischen Jakob und den Seinen in Vv. 23–25a durch das Übersetzen über den Fluss bedingt ist. V. 23b legt vielmehr nahe, dass Jakob ebenfalls über den Jabbok übersetzt und sich erst anschließend getrennt von seinem Gefolge aufhält. Dann aber ist V. 25a inhaltlich stärker auf den Folgekontext ausgerichtet. Gegen die Zergliederung von V. 25 spricht zudem der anaphorische Rückbezug auf „Jakob“ (V. 25a) durch ‫( עמו‬V. 25b). Der mithin in V. 25 einsetzende Abschnitt reicht bis V. 26. Dort lässt der Erzählerkommentar

129 Vgl. Eising, Untersuchung, 130; Blum, Komplexität, 60; Taschner, Verheißung, 151. 130 Vgl. Weimar, Beobachtungen I, 55; Seebass, Vätergeschichte II/2, 393. 131 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 626. 132 Vgl. zur Beobachtung des Wortspiels auch Taschner, Verheißung, 152; Fokkelman, Art, 210. Unverkennbar ist auch das Wortspiel, das auf eine noch weiter zurückliegende Erzählung anspielt, nämlich die Ferse in Gen 25,26. 133 Vgl. Wahl, Jakobserzählungen, 278; Seebass, Vätergeschichte II/2, 393; Eising, Untersuchung, 130: „Das Hauptstück der Scene [sic.] beginnt unmittelbar mit dem Ringen“.

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über die Hüftverletzung in V. 26b die Handlung kurzzeitig zur Ruhe kommen. Die Wendung ‫ אבק עמו‬rahmt den Abschnitt Vv. 25–26 zusätzlich ein.134 Der darauffolgende Gliederungsabschnitt ist umfangreicher anzusetzen und beläuft sich auf die Vv. 27–30. Die Abschnittseinheit lässt sich durch die Rahmung in V. 27 und V. 30 erkennen, welche aus der Aufforderung zum Segnen (‫ברכתני‬, V. 27) und der entsprechenden Folgeleistung (‫ויברך אתו‬, V. 30) besteht.135 Der Abschnittsbeginn erschließt sich aus der Redeeinleitung ‫( ויאמר‬V. 27), die einen nun einsetzenden Dialog zwischen den Kontrahenten anzeigt. Die Sprechersituation wird im genannten Abschnitt bis auf V. 30 nicht geklärt, lässt sich allerdings aufgrund der Beantwortung der Frage nach dem Namen in V. 28 rückwirkend punktuell erschließen.136 Der Dialog von Vv. 27–30 erweist sich zudem als zweigliedrig.137 Der erste Redegang umfasst die Vv. 27–29 und hat Jakobs Umbenennung zum Gegenstand. Den zweiten Redegang zeigen der Wechsel vom Gebrauch der Redeeinleitung ‫ ויאמר‬zu ‫ שׁאל‬und die Sprechernennung „Jakob“ an. Er ist inhaltlich durch die Frage nach der Identität des Mannes bestimmt (V. 30a). Die Vv. 27–29 sind durch ein fünfmaliges ‫ ויאמר‬strukturiert, ohne den jeweiligen Sprecher explizit zu nennen. Rückwirkend aus V. 28 lässt sich erschließen, dass der Fremde den Dialog mit der Aufforderung an Jakob eröffnet hatte, ihn gehen zu lassen (‫ׁשלחני‬, V. 27a). Dem entgegnet Jakob mit der wiederholten Verneinung der Forderung (‫ )לא אשׁלחך‬und knüpft die Forderung des Fremden, mit ‫כי אם‬ eingeleitet, an eine Bedingung. Die Antwort Jakobs aus V. 27b ist strukturanalog zur Rede des Mannes aus V. 29a gestaltet. In V. 29a, ebenfalls durch ‫ ויאמר‬eingeleitet, verneint der Fremde die Antwort Jakobs (‫ )לא יעקב‬und formuliert mit der Einleitung ‫ כי אם‬sein Anliegen.138 Das Ringen der beiden ist folglich bis in die Sprachstruktur hinein greifbar. Im Zentrum der beiden parallel gestalteten Reden steht innerhalb des ersten Redegangs ein kurzatmiger Dialog in V. 28, der durch eine jeweilige Redeeinleitung und eine dementsprechende Antwort in Form eines Nominalsatzes gekennzeichnet ist. Der Zentralstellung von V. 28 in struktureller Hinsicht entspricht die zentrale Bedeutung des Verses auf inhaltlicher Ebene. Die Strukturanalogien untermauern den festen Zusammenhalt der Vv. 27–29.139 V. 29 seinerseits stößt durch die generalisierende und daher in ihrer Bezugsgröße un 134 Vgl. Blum, Komplexität, 60; Fokkelman, Art, 213; Pola, Form, 191. 135 Vgl. Blum, Komplexität, 60; Fokkelman, Art, 209. 136 Zugunsten des Verständnisses haben sich die Revisoren der revidierten Lutherbibel für die Ergänzung des Namens „Jakob“ entschieden. 137 Vgl. zur Strukturierung anhand der Dialoge auch Seebass, Vätergeschichte II/2, 395. Allerdings dort dreiteilig: V. 27; 28 f.; 30. 138 Vgl. zu dieser Beobachtung Levin, Jahwist, 250, der die Strukturanalogie als „Echo“ von V. 29 auf V. 27 bezeichnet und die beiden Verse in einem redaktionsgeschichtlichen Nacheinander auswertet. 139 Gegen Ruppert, Genesis III, 364, der sich Weimar, Beobachtungen I, 65, anschließt, und versucht, V. 27 von Vv. 28–29 abzutrennen.

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klare Äußerung des Mannes, Jakob habe mit Gott und mit Menschen gekämpft, den nächsten Redegang in V. 30 an. Da sich in V. 29b Gott als Gegenüber Jakobs (nur) sachte andeutet, ist die Frage nach dem Namen des Mannes konsequent. Jakob greift in V. 30 seine Umbenennung nicht auf und fragt stattdessen nach dem Namen des Mannes. Durch das Leitwort ‫ שׁם‬steht V. 30 in deutlicher Verbindung mit V. 28 f. Der zweite Redegang ist in einem weiteren Aspekt mit dem ersten verbunden: V. 27 beginnt mit einer Aufforderung (Imp.) des Mannes (‫)שׁלחני‬, der zweite Redegang analog mit einer Aufforderung Jakobs (‫)הגידה־נא ׁשמך‬. Es liegen an diesen beiden Stellen die einzigen Imperativformen der Erzählung vor, was für einen intendierten Zusammenhang spricht.140 Der fremde Mann weist Jakobs Frage durch eine rhetorische Gegenfrage implizit als unangemessen zurück. Der ersten Bitte Jakobs kommt der Fremde allerdings nach und segnet ihn in V. 30b. Damit ist eine Verbindung zum Ausgangspunkt der Redeabschnitte in V. 27 geschaffen. Die Vv. 26 f. bilden mit den Vv. 30b–32(33) ein rahmendes Gefüge, das sich durch dichte Leitwortbeziehungen auszeichnet: Die Schilderung der Kampfereignisse und der erste Redegang in V. 26a.27 werden in umgekehrter Reihenfolge in V. 30b.32 wieder aufgenommen141: V. 26

‫ וַ יִּ ַגּ֖ע ְבּכַ ף־יְ ֵרכ֑ ו‬Verletzung der Hüftpfanne (A)

V. 27

‫אמר ַשׁלְּ ֵ ֔חנִ י‬ ֶ ‫ וַ ֣ ֹיּ‬Aufforderung, die Stätte zu verlassen (B) ‫שּׁ ַחר‬ ֑ ָ ‫ ִכּ֥י ָע ָל֖ה ַה‬Aufgehen der Morgenröte (C) ֽ ַ ‫אמ ֙ר ֹל֣ א ֲא‬ ‫שׁלֵּ ֲחָך֔ ִ ֖כּי ִאם־ ֵבּ ַרכְ ָ ֽתּנִ י׃‬ ֶ ‫ וַ ֙ ֹיּ‬Segensforderung (D)

V. 30b V. 31

V. 32

‫שׁם׃‬ ֽ ָ ‫ וַ יְ ָב ֶ֥רְך א ֹ֖תו‬Segnung (D’) ‫יאל‬ ֥ ֵ ‫וַ יִּ ְקָ ֧רא יַ ֲע ֛ ֹקב‬ ֑ ֵ ִ‫שׁם ַה ָמּ ֖קֹום ְפּנ‬ ִ ‫יתי ֱא‬ ִ ‫ִכּֽי־ ָר ִ ֤א‬ ‫ֹלהים֙ ָפּ ִנ֣ים ֶאל־ ָפּ ִנ֔ים וַ ִתּנָּ ֵ ֖צל‬ ‫שׁי׃‬ ֽ ִ ‫נַ ְפ‬ ‫ ִיּֽזְ ַ ֽרח־ל֣ ֹו ַה ֶ֔שּׁ ֶמשׁ‬Aufgehen der Sonne (C’) ‫נוּאל‬ ֥ ֶ ‫ כַּ ֲא‬Verlassen der Stätte Pnuel (B’) ֑ ֵ ‫שׁר ָע ַ ֖בר ֶאת־ ְפּ‬ ‫ וְ ֥הוּא צ ֵֹל ַ֖ע ַעל־יְ ֵרכֽ ֹו׃‬Konsequenzen der Verletzung (A’)

Die Elemente der Aufforderung zum Gehenlassen und der Verweis auf die Morgenröte (V. 27) in V. 32 korrespondieren mit dem Sonnenaufgang und der Erwähnung des tatsächlichen Verlassens der Stätte. Die Besonderheit dieser Strukturbeziehung besteht bei genauer Betrachtung in ihrer Umkehrung. So fordert in V. 27 der Mann dazu auf, ihn zu entlassen, als die Sonne aufgeht, in V. 32 wird 140 Gegen etwa Gunkel, Genesis, 259, der daraus zwecks Quellenscheidung eine Dublette macht. von Rad, Genesis, 261, erkennt den „innere[n] Zusammenhang“. 141 Vgl. zur Strukturanalyse insbesondere der diesbezüglich ausführliche Beitrag von Arneth, Gotteskämpfer, 352–360.

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von Jakob erwähnt, dass er den Ort verlässt und ihm (!) die Sonne aufgeht. Die ungewöhnliche Formulierung „ihm ging die Sonne auf “ legt nahe, dass das Ende der Erzählung antithetisch ihrem Beginn gegenübergestellt werden soll. V. 32 überbietet in mehrfacher Hinsicht die Eingangsverse. So liegt dem Aufgang der Sonne eine zeitliche Weiterentwicklung zugrunde, das Vorüberziehen an der Stätte Pnuel geht über das Verlassen des Ortes hinaus. Das erwähnte Hinken schildert die Konsequenzen der Hüftverletzung. V. 32a hat bündelnde Funktion und stellt ebenfalls eine stichwortartige Beziehung zum Auftakt der Erzählung her. Wie Jakob in V. 23.24 den Fluss Jabbok durchzieht (‫)עבר‬, zieht er nun an Pnuel vorüber (‫עבר‬, V. 32a). Die Analyse legt folgende Gliederung nahe: 23–24

Exposition: Überschreiten des Jabbok

25–26

Kampfhandlung zwischen Jakob und dem ‫אישׁ‬

27–30

Dialog zwischen Jakob und dem ‫אישׁ‬

31–32

Ätiologie Pnuels und Verlassen der Stätte

33

Speisevorschrift zum Verzehr des Hüftmuskels

6.2.4 Literarkritik Bezüglich des viel traktierten Textes der Jabbokerzählung wurden in der Forschung „alle nur erdenklichen Auslegungen […] vertreten.“142 In der älteren Forschung wurde noch der Versuch unternommen, die Erzählung auf Quellen zu verteilen, wobei die Zuschreibung der Passagen zu J und E divers ausfielen.143 Zunehmend ist von einer literarkritischen Verteilung auf zwei Quellen Abstand genommen, und bis auf wenige Zusätze mit ihrer Einheitlichkeit gerechnet worden. Jene Einheit konnte ehemals noch J zugeschrieben werden,144 wobei in der neueren Forschung auch von grundsätzlichen Anhängern dieser Annahme unterschiedliche Modelle von J vertreten werden, oder aber die Zuschreibung der Stücke divergieren, die J ergänzt, bzw. die nach J ergänzt worden sein sollen.145 Gegen-

142 Wahl, Jakobserzählungen, 278. 143 Vgl. z. B. Gunkel, Genesis, 359 f. (E: Vv. 24.25a.29.32a; J: 25a.26b.30.31.32b). Zur Kritik daran vgl. Elliger, Jakobskampf, 6; Schmidt, Kampf Jakobs, 38. Vgl. zu einem diesbezüglich ausführlichen forschungsgeschichtlichen Überblick Wahl, Jakobserzählungen, 278 f.; Arneth, Gotteskämpfer, 351 Anm. 3. 144 Vgl. z. B. von Rad, Genesis, 259, der die Erzählung nach dem Vorbild von Wellhausen, Composition, 44 f., weitestgehend zu J rechnet. Ebenso Noth, Überlieferungsgeschichte, 31 Anm. 98; Westermann, Genesis I/2, 626 f.; Otto, Sichem, 40; Elliger, Jakobskampf, 7. 145 Vgl. Nentel, Untersuchungen, 286–294; Graupner, Elohist, 277–282; Levin, Jahwist, 250 ff.; Schmidt, Kampf Jakobs, 38–56.

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stand bleibender literarkritischer Diskussionen ist zum einen die Umbenennung Jakobs in Israel, deren Zugehörigkeit zum Grundbestand in der zeitgenössischen Exegese wieder verstärkt in Zweifel gezogen wird,146 zum anderen die redaktionsgeschichtliche Verbindung der gesamten Episode mit dem Zusammenhang der Jakoberzählung.147

6.2.4.1 Sekundäre Verankerung von Jakobs Frauen und Kindern (Gen 32,23bα.24a) Die Gen 32,23–24 beschreiben vorbereitend zur Kampfesszene die Überquerung des Jabbok durch Jakob mit seinen Frauen, Kindern und seinem Hab und Gut. Indes sind Inkohärenzen im Aufriss der Exposition erkennbar, die mit der Überführung von Jakobs Familie in Zusammenhang stehen. Die Wiederaufnahme von V. 23a in V. 24a ist konstant als literarkritisches Problem erkannt worden,148 die Lösung des Problems bleibt umstritten. Der These einer Kohärenz der Vv. 23–24 steht entgegen, dass sich V. 24a durch das Verbsuffix nicht kohäsiv an V. 23b anschließen lässt.149 Insofern steht entweder V. 23b oder V. 24(a) literarkritisch zur Debatte. Gegen die These einer Erweiterung um V. 23b, die den Namen des Flusses ergänzen wollte,150 spricht, dass die Ortsangabe des Jabbok leitwortartig mit dem Namen Jakob und mithin mit dem Hauptthema des Textes in Verbindung steht.151 Darüber hinaus erscheint die plötzliche Erwähnung eines unbekannten Flusses, der zudem mit einem Artikel näherbestimmt wird, für den Grundbestand unplausibel.152 Näher liegt mithin die Annahme, dass V. 23 interpretierend durch V. 24(a) aufgegriffen wird.

146 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 88–90; Schmid, Jakob, 45. 147 Vgl. zur Annahme einer Erweiterung um Gen 32,23–33 jüngst Wöhrle, Koexistenz, 311 Anm. 14, gegen Blum, Komposition, 143–145, der die Verse für gleichursprünglich mit ihrem Kontext hält. 148 Vgl. eine der wenigen Ausnahmen Pola, Form, 192 Anm. 33, der die Rahmung in V. 32 und Vv. 23.24 durch das Verb ‫ עבר‬gegen eine literarkritische Lösung anführt. Allerdings könnte gerade der Mehrfachgebrauch von ‫ עבר‬in Vv. 23 f. gegen eine eindeutige Rahmung sprechen. 149 So Ausleger, die die Exposition in sich für einheitlich halten, auf den Gesamtabschnitt bezogen allerdings sekundär ansetzen. Erklärt wird die Erweiterung mit der sekundären Eingliederung der Jabbokszene in den Kontext. Vgl. z. B. Boecker, Isaak, 99 f. Boecker versteht V. 23 als „zusammenfassende Beschreibung des Gesamtvorgangs“, der dann ausdifferenziert wird. 150 Vgl. Wahl, Jakobserzählungen, 279. Das Wort ‫ עבר‬als „störende Wiederholung“ zwischen V. 23b und V. 24a greift aus dem Grunde nicht, da sich zwischen V. 24a und b eine noch sehr viel stärkere Wiederholung feststellen lässt, die Wahl nicht problematisiert. Die Eliminierung von V. 23 durch de Pury, Jakob am Jabbok, 31, überzeugt hinsichtlich seiner szenischen Voraussetzungen und der literarkritischen Argumentation nicht. 151 Vgl. Hermisson, Jakobs Kampf, 241 Anm. 8; Blum, Komplexität, 47. 152 Vgl. Arneth, Gotteskämpfer, 360 f., der außerdem berechtigt einwendet, dass man das Problem auch mit einer Apposition hätte beheben können.

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Nun wird hinter diesem Eingriff meist das Ziel vermutet, dass sich Jakob getrennt von seiner Familie aufhalten sollte – mithin zu dieser Erweiterung auch V. 25a hinzuzuziehen sei.153 Indes ist die Notiz über Jakobs Alleinsein im Grundbestand sinntragend, denn sie stellt die Erzählung unter die Erwartung einer Gottesbegegnung. Dies beweisen vergleichbare Texte, in denen eine EpiphanieSchilderung auf die Notiz über das Alleinsein des Hauptprotagonisten folgt (Ex 24,2; Ri 3,20; 1 Kön 11,29).154 Gegen eine Trennung zwischen Jakob und den Seinen spricht darüber hinaus, dass Jakob nicht mehr mit seiner Familie vereint wird und am Ende der Erzählung auch nicht mehr über den Fluss übersetzt. Dieser Zustand ist in Gen 33 allerdings offenkundig vorausgesetzt und hätte im Falle einer sekundären Erweiterung um die Jabbokepisode zumindest eine nachholende Notiz erwarten lassen.155 So wird man sich mit dem Umstand begnügen müssen, dass Jakobs Aufenthalt, abgesehen von dessen Separierung, nicht näher definiert wird. Diese ist auch ohne größere Distanz durch einen Fluss hinreichend vorstellbar.156 Besieht man die Notiz in V. 24 genauer, begrenzen sich die Probleme mit dem benannten Vers auf die Überführung von Jakobs Familie in V. 24a. Wegweisend erscheint, dass die Notiz in V. 24a nicht nur am Vorvers orientiert ist, sondern auch V. 24b ausdifferenzierend aufgreift (‫עבר‬, Hif.).157 Einen ähnlichen Fall, in dem die Mitnahme von Jakobs Familie schlicht vorausgesetzt wird, ist in der Jakoberzählung noch in Gen 31,21 mit ganz ähnlicher Formulierung belegt.158 Während V. 23b im sg. formuliert ist, lässt sich in V. 24a analog zu V. 23aα* feststellen, dass in beiden Fällen die Mitnahme von Jakobs Frauen und Kindern mittels ‫לקח‬ nachholend explizit genannt wird. Da es sich um die einzige Passage handelt, in der Jakobs Kinder der Zahl nach genannt werden, soll die Anzahl der Söhne betont und die Mägde im Text verankert werden. Die redaktionelle Erweiterung ist 153 Vgl. Eising, Untersuchung, 133 f., unter Einrechnung von V. 25a zur Erweiterung, trotz Zweifeln. Ähnlich, aber optimistischer Köckert, Jakobs Gegner, 175; Ruppert, Genesis III, 368; Weimar, Beobachtungen II, 7. Blum, Komplexität, 47; Blum, Komposition, 144, hingegen unter Ausschluss von V. 25a von der besagten Redaktion. Vgl. zur Erweiterung um Vv. 24–25a auch Graupner, Elohist, 279, allerdings mit der Begründung, der Redaktor wolle so den Text sekundär in seinen Kontext integrieren. 154 Vgl. Zobel, Art. ‫בדד‬, Sp. 515. 155 Fokkelman, Art, 221, versucht das Problem zu lösen, indem er in das Verlassen Pnuels eine Rückkehr Jakobs zu seiner Familie hineininterpretiert. 156 Für einen zweistufigen Prozess wie ihn Jacob, Genesis, 637, annimmt (in V. 23 sehe Jakob nach dem rechten, um in V. 24 mit seinem Gefolge überzusetzen), spricht allerdings nichts, da die Rückkehrnotiz fehlt. Vgl. zu einer ähnlichen Kritik Dietrich, Jakobs Kampf, 198 Anm. 3. 157 Vgl. zur Differenzierung zwischen V. 24a und b Westermann, Genesis I/2, 629, allerdings, ohne seine These von einer ursprünglich unabhängigen Itinerarnotiz übernehmen zu wollen. Grundsätzlich auch Levin, Jahwist, 253 f., wenngleich jener in V. 24 mit zwei Fortschreibungen rechnet. 158 Gen 31,21: „Und er floh und alles, was ihm gehörte“.

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wohl noch vor der Ergänzung von Gen 29,31–30,24 um Dina anzusetzen. Die im MT fehlende Näherbestimmung ‫ כל‬in V. 24b, die von den Textzeugen mitunter ergänzend nachgeholt wird,159 nimmt Rücksicht darauf, dass Jakob seit Gen 32,4–9 nicht mehr im Besitz seines vollständigen Hab und Guts ist.160

6.2.4.2 Die ätiologische Verankerung der Speisevorschrift (Gen 32,26aβb.32b.33) Bereits die Ergebnisse der Strukturanalyse stützen den unbestrittenen Forschungskonsens, dass es sich bei Gen 32,33 um eine redaktionelle Erweiterung handelt.161 V. 33 bezeugt einen ansonsten im AT nicht erwähnten Speisehabitus der Israeliten, den Hüftnerv eines Tieres nicht zu verzehren, der an die Jabbokerzählung ätiologisch rückgebunden werden soll (‫)על כן‬.162 Die Notiz in V. 33 ist dem szenischen Aufbau, der durch die Zeitstruktur bestimmt ist, enthoben.163 Darüber hinaus ist der Gebrauch des Lexems ‫ בני־יש̇ראל‬erst innerhalb der Joseferzählung (Gen 42,5) belegt. Nun erweist sich diese Erweiterung allerdings nur vordergründig als isoliert. Darüber hinaus wird ihr auch die Notiz über Jakobs Hinken zuzurechnen sein.164 V. 32b hebt sich aufgrund der auffallenden Verwendung des Personal­ pronomens und der Partizipialform syntaktisch von V. 32a ab. V. 32a hingegen führt die Erzählung mit dem Verweis auf den Sonnenaufgang und Jakobs Verlassen der Stätte einem schlüssigen Ende zu. Jakobs Verletzung scheint bereits durch die Ätiologie motiviert. Dieser Schluss liegt denn auch im Falle von V. 26 nahe. V. 26 verursacht – wie häufig gesehen – einen Widerspruch mit dem Kontext, insofern der Fremde Jakob zunächst verletzt, dann aber um seine Entlassung bittet. Die bisherigen Versuche, die besagte

159 S. o. zur Textkritik. 160 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 394; Graupner, Elohist, 282. 161 Vgl. Eising, Untersuchung, 127.135; Soggin, Genesis, 400; Nentel, Jakobserzählungen, 274; Köckert, Jakobs Gegner, 172; Boecker, Isaak, 99; Wahl, Jakobserzählungen, 280; Blum, Komposition, 145; Blum, Komplexität, 47; Levin, Jahwist, 254; Seebass, Vätergeschichte II/2, 398; Scharbert, Genesis, 222; Dietrich, Jakobs Kampf, 198; Weimar, Beobachtungen I, 76 f.; Nauerth, Untersuchungen, 220, mit weiterer Differenzierung zwischen V. 33a und b. Zur Gegenposition vgl. Jacob, Genesis, 644. 162 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 631; Levin, Jahwist, 254. Der Grund für den Verzehr­ verzicht ist indes unklar. Westermann, Genesis I/2, 634, erwägt als Erklärung, der Hüftnervenstrang habe womöglich zu den Fortpflanzungsorganen gezählt. Dies ist nicht ganz weit hergeholt. Die Hüfte wird als Lexem in Kriegskontexten und kultischen Kontexten verwendet, aber auch in solchen, die das Thema Fortpflanzung zum Gegenstand haben. Der Ritus des „Hand unter die Hüfte Legens“ beim Versterben einer Person ist ausschließlich mit Jakob (Gen 47,29) und Abraham (Gen 24,2) verbunden. Nachkommen werden mit dem „Hervorgehen aus der Hüfte“ umschrieben (vgl.Gen 46,26; Ri 8,30). 163 Vgl. Köckert, Jakobs Gegner, 172. 164 Vgl. Zalewski, Jakobs Kampf, 19; Otto, Jakob, 43.

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Problematik abzuschwächen, überzeugen nicht.165 Ferner greift V. 27 den in V. 25 geschilderten Zustand durch den Verweis auf die Morgenröte auf und übergeht dabei V. 26. Während V. 26b in der Forschung überwiegend als Nachtrag anerkannt ist, wird V. 26a häufig dem Grundbestand zugeschrieben.166 Insofern würde der Teilvers die in V. 26a bereits implizierten Kräfteverhältnisse explizieren.167 Dagegen spricht, dass die Folge der Hüftberührung zunächst für das Kampfesgeschehen keine Rolle spielt.168 Insofern liegt näher, Jakobs Verletzung in Gänze einer Erweiterung zuzuschreiben, die an der Ätiologie der Speisevorschrift interessiert ist. V. 26aα wäre dann dem Grundbestand zuzuschreiben, was darüber hinaus aufgrund des Umstands naheliegt, dass das dort verwendete Verb ‫ יכל‬stichwortartig mit V. 29 in Verbindung steht.169 Wie lässt sich dann aber erklären, dass ein Redaktor in V. 26b auf das Ringen in V. 25 rekurriert und nicht auf die Berührung der Hüfte aus V. 26aβ, die er bei der oben vorgeschlagenen Lösung zugunsten der Ätiologie eigens eingebracht haben müsste?170 Die Satzstellung von V. 26b legt nahe, dass auf diese Weise das Gegenüber Jakobs besonders in den Blick genommen werden soll.171 V. 33 greift diese Zielstellung denn auch auf, indem die Ätiologie des Verzehrverzichts dadurch 165 Vgl. stellvertretend Westermann, Genesis I/2, 630, der das Problem durch die Annahme löst, mit dem Berühren werde ein Stillstand angezeigt. Seebass, Vätergeschichte II/2, 395, will die Erzählfolge erklären, indem er annimmt, darin würden – wie in Gen 29,10 – Jakobs „Riesenkräfte“ vorausgesetzt. Blum, Komplexität, 51, versucht den Widerspruch abzumildern, indem er vermutet, es sei dem Autor nicht um einen Sieger gegangen. Arneth, Gotteskämpfer, 361, will in der Berührung einen „Unterwerfungsgestus“ erkennen. 166 Vgl. z. B. Wahl, Jakobserzählungen, 279; Blum, Komplexität, 51; Scharbert, Genesis, 221; Leuenberger, Segen, 255; Köckert, Jakobs Gegner, 157; Beocker, Isaak, 99; Weimar, Beobachtungen I, 72; Ruppert, Genesis III, 370. Pola, Form, 189, scheidet nur V. 26aβ aus dem Zusammenhang. 167 Vgl. Köckert, Jakobs Gegner, 175; Wahl, Jakobserzählungen, 279. Wahl verweist zusätzlich auf die narratologische Funktion von V. 26b, der die Zeit zwischen Kampf und direkter Rede strecke. Geht man von einer isolierten Erweiterung um V. 26b aus, wäre die Möglichkeit denkbar, dass im Grundbestand Jakob den Mann verletzte und nicht umgekehrt. Vgl. Gunkel, Genesis, 359; von Rad, Genesis, 260; de Pury, Jakob am Jabbok, 31 f. Zur Kritik an Gunkel siehe Jacob, Genesis, 641. 168 Vgl. zu dieser Beobachtung de Pury, Jakob am Jabbok, 31. 169 Vgl. zur vorgeschlagenen literarkritischen Lösung insgesamt auch Otto, Sichem, 42 f. 170 Vgl. zum Argument der veränderten Thematik auch Blum, Komposition, 145; Levin, Jahwist, 254; Seebass, Vätergeschichte II/2, 399; Boecker, Isaak, 99. Nauerth, Untersuchungen, 219, meint, V. 26b sei anatomisch ausgerichtet, V. 26a hingegen beziehe sich auf ein magisches Berühren (‫)נגע‬, durch das Jakobs Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt werden sollte. Für eine spezifisch magische Konnotation der Wurzel ‫ נגע‬fehlen jedoch die notwendigen Anhaltspunkte. Insofern auch gegen Fokkelman, Art, 215: „in v. 26b he had realized, with a shock (in his hip!), that indeed his adversary has supernatural, even divine, powers at his disposal.“ Und auch gegen Otto, Sichem, 43. 171 So unterscheidet sich die Nennung Jakobs in syntaktischer Objekt-Stellung von dem sonst bewussten Einsatz der Namensnennung als Handlungssubjekt. Vgl. Westermann, Genesis I/2, 630; Taschner, Verheißung, 153.

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begründet wird, dass „er“ die Hüftpfanne Jakobs berührt hatte. Das Verbot wird insofern entscheidend durch das Gegenüber Jakobs autorisiert. Allerdings nimmt die Ätiologie in V. 33 offenkundig Bezug auf die Berührung, nicht aber auf die Verrenkung, die vielmehr mit V. 32b zusammenhängt.172 Beide Probleme lassen sich lösen, wenn man den Umstand einbezieht, dass eine reine Berührung noch keine Nervverletzung verursachen kann, die für die Ätiologie konstitutiv ist, wenn der Verzehrverzicht auf den Hüftnerv begrenzt werden soll. Selbsterklärend ist bei einem Ringkampf ohnehin mit ständiger „Berührung“ zu rechnen. Erst Jakobs Verrenkung, die sich in seiner Verletzung niederschlägt, grenzt insofern das Körperteil ein, das vom Verzehr ausgenommen werden soll. Dass darauf verzichtet wird, die Verrenkung schlicht dem Mann zuzuschreiben und die Ätiologie dann folgerichtig auch damit zu begründen, hängt mit der Identität des Mannes zusammen, die vom Redaktor vorausgesetzt wird. Der disparate Befund führt m. E. zu dem Schluss, dass die Erweiterung einen Spagat unternimmt, indem sie mit der Erwähnung der Berührung die Autorität des Mannes / Gottes einbringt, dabei allerdings vermeidet, dem göttlichen Gegenüber ein Verrenken Jakobs zuzuschreiben. Die Verrenkung, die für die Eingrenzung des Körperteils allerdings unabdingbare Voraussetzung ist, wird nur passivisch rezipiert (V. 26b) und in V. 33 gar nicht mehr erwähnt. Durch diese Vermeidungsstrategie lässt sich die Differenzierung der Erzählebenen in V. 26aβ. und V. 26b innerhalb einer Schicht ebenso erklären wie die in V. 32b und V. 33. Sie gibt sich denn auch in V. 33 selbst zu erkennen, indem die Spezifizierung auf den Hüftnerv syntaktisch am Ende nur noch beigeordnet wird. Die Identität stiftende Relevanz dieser Ätiologie wird mit dem Hinken des Erzvaters für den Leser verstärkt. Auf der Handlungsebene verschiebt der redaktionelle Eingriff die Kräfteverhältnisse zugunsten von Jakobs Gegenüber, worin sich der Respekt dem fremden Mann / ​ Gott gegenüber ausdrückt, dem sich die Redaktoren offenbar verpflichtet wissen.

6.2.4.3 Jakobs Umbenennung (Gen 32,28–30a) als Bestandteil der Grunderzählung Im Zentrum der Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung des Textes steht die Umbenennung Jakobs in Israel (Gen 32,28–30a). Jene wurde und wird häufig einer sekundären Erweiterung zugeschrieben.173 Mitunter scheint für diese Ein 172 Vgl. zu diesem Problem Graupner, Elohist, 279. 173 Vgl. Gunkel, Genesis, 259; Westermann, Genesis I/2, 631; Levin, Jahwist, 250; Dietrich, Jakobs Kampf, 198; Leuenberger, Segen, 253; Scharbert, Genesis, 222; Weimar, Beobachtungen I, 75; Ruppert, Genesis III, 368 f.; Otto, Sichem, 42. Die Umbennung zum Grundbestand rechnen Eising, Untersuchung, 134; Elliger, Jakobskampf, 9; Seebass, Vätergeschichte II/2, 399; Blum, Komplexität, 49 f.; Köckert, Jakobs Gegner, 175 f. Im Anschluss an Köckert vgl. Barton, Jacob, 188; Wahl, Jakobserzählungen, 279 f. Darüber hinaus besonders eindrücklich Spieckermann, Gotteskampf, 22 Anm. 14.

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schätzung die überlieferungsgeschichtliche Beurteilung der Jabbokerzählung als kontextunabhängige Einzelerzählung und die Annahme deren sekundärer Nationalisierung leitend zu sein.174 Die literarkritischen Argumente beschränken sich indes auf Beobachtungen, deren Aussagekraft nicht überzeugt. Das wohl schwächste Argument in diesem Zusammenhang betrifft die Einschätzung, dass eine Eile des Mannes in V. 26 f. einer Zeitverzögerung der Umbenennung in Vv. 28–30a entgegenstehe.175 Dieses Argument beruht auf einer, maßgeblich in der älteren Forschung vertretenen Annahme, der Hinweis auf den Tagesanbruch sei so zu deuten, dass die „numinose Gestalt“ (der Mann) sich vor dem Tageslicht scheue und vor Tagesanbruch verschwinden müsse. Wie Köckert umfangreich dargelegt hat, sind indes keine Hinweise auf eine numinose Existenz des Mannes im Sinne eines Dämons o.Ä. im Text auszumachen.176 Die Bitte des Mannes erklärt sich aus schlichten Anlässen: a) um in erzählerischer Hinsicht so das Ende des Kampfes anzuzeigen, und b) um auf die lange Zeitspanne und mithin auf den Erschöpfungszustand hinzuweisen.177 Die Beobachtung, dass Jakob auch nach seiner Umbenennung im Text noch „Jakob“ genannt wird, scheint bemerkenswerter, gibt sich auf den zweiten Blick jedoch ebenso wenig als schlagendes Argument für eine Erweiterung um Jakobs Umbenennung zu erkennen. Blum hat diesbezüglich die entscheidenden Argumente vorgebracht. Zunächst werden „Jakob“ und „Israel“ im AT häufig promiscue gebraucht, ohne dass ein literarkritisches Argument daraus zu gewinnen wäre (vgl. Gen 37). Einschlägig ist die P-Umbenennung in Gen 35,10, nach der weiterhin der Name Jakob gebraucht wird.178 Im Falle einer Inkohärenz wäre eine sekundäre Angleichung ohnehin zu erwarten.179 Darüber hinaus stimmt die in Gen 32,29 gebrauchte Formulierung ‫לא יאמר‬ ‫ עוד כי אם‬nicht mit Formulierungen überein, die ansonsten für Umbenennungen im AT gebraucht werden. Die übrigen Belege weisen nahezu ausschließlich die Formulierung ‫ קרא שׁם‬auf (Gen 17,5.15; 35,10; 41,45; Ri 6,32; 2 Sam 12,25). Die 3. m. Impf. Nif. von ‫אמר‬, mit der die Umbenennung Jakobs versprachlicht ist, ist bemerkenswerter Weise vermehrt in prophetischer Literatur (Jes 62,4; Jer 7,32; 16,14) belegt, wo sie im Zusammenhang mit Zukunftsvisionen genannt wird, die bis dato noch nicht eingetroffen sind.180 Jakob soll in Gen 32,29 folglich nicht realiter umbenannt werden. Der Text besagt vielmehr, dass Jakob künftig „Israel“ genannt werden wird – mithin für Israel steht. Dass auf diese Weise dennoch Jakobs individuelle Lebensgeschichte auch für die Volksgeschichte transparent 174 Vgl. Kratz, Komposition, 273 f.; Kratz, Israel, 13 f.; Otto, Sichem, 42; Elliger, Jakobskampf, 12. 175 Vgl. Dietrich, Jakobs Kampf, 198; Nauerth, Untersuchungen, 217. 176 Vgl. Köckert, Jakobs Gegner. 177 Vgl. Hensel, Vertauschung, 163; Blum, Komplexität, 60; Köckert, Jakobs Gegner, 165. 178 Vgl. Blum, Jacob Tradition, 185 Anm. 13. 179 Vgl. Blum, Komplexität, 49. 180 Vgl. zu dieser Beobachtung auch Jacob, Genesis, 639.

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wird, ist selbsterklärend. Die futurische Formulierung bewahrt indes davor, die individuelle Geschichte Jakobs mit der völkergeschichtlichen Historie schlicht zu überblenden.181 Das in neuerer Zeit von Wöhrle formulierte Postulat, die Umbenennung Jakobs in Gen 32,29 sei von der P-Version der Umbenennung in Gen 35,10 abhängig,182 greift aus mehreren Gründen nicht, wie ein Vergleich der betreffenden Verse zeigt: Gen 32,29 ‫אמר‬ ֶ ‫וַ ֗ ֹיּ‬ ֥ ֵ ֵ‫ֹל֤ א יַ ֲעקֹב֙ י‬ ֔‫אָמר עֹו ֙ד ִשׁ ְמָך‬ ‫ִישׂ ָר ֵ ֑אל‬ ְ ‫ִ ֖כּי ִאם־‬ ‫תּוּכֽל׃‬ ָ ַ‫שׁים ו‬ ֖ ִ ָ‫ֹלהים וְ ִעם־ ֲאנ‬ ָ ‫ִכּֽי־ ָשׂ ִ ֧ר‬ ֛ ִ ‫ית ִעם־ ֱא‬

Gen 35,10 ‫ֹלהים ִשׁ ְמָך֣ יַ ֲע ֑ ֹקב‬ ֖ ִ ‫אמר־ל֥ ֹו ֱא‬ ֶ ‫וַ ֽ ֹיּ‬ ‫ֹֽלא־ ִָיקּ ֵרא֩ ִשׁ ְמ ָ֨ך ע֜ ֹוד יַ ֲע ֗ ֹקב‬ ‫ִיהֶי֣ה ְשׁ ֶ ֔מָך‬ ְ ‫ִ ֤כּי ִאם־‬ ְ ֙ ‫ִישׂ ָר ֵאל‬ ‫ִישׂ ָר ֵ ֽאל׃‬ ְ ‫וַ יִּ ְקָ ֥רא ֶאת־ ְשׁ ֖מֹו‬

Offenkundig geht es P wesentlich dringlicher um eine tatsächliche Umbenennung Jakobs, als dem Autor von Gen 32,29. Dafür spricht zum einen die zahlenmäßige Verteilung des Lexems ‫שׁמך‬, aber auch die syntaktische Einbettung des Namens Jakob. Während Gen 32,29 den syntaktischen Schwerpunkt auf „Jakob“ als Namen legt (‫)לא יעקב‬, dessen Jakob entledigt werden soll, setzt P syntaktisch den Fokus auf den Namen selbst (‫)לא יקרא שׁמך‬. Perspektivisch setzt Gen 32,29 folglich bei Jakob als Individuum an, was dem Kontext voll und ganz entspricht, Gen 35,11 hingegen beim Namen als übergeordnete Größe. Darüber hinaus lässt sich m. E. nicht erklären, weshalb bei der von Wöhrle vorgeschlagenen Abhängigkeitsrichtung P die Umbenennung derart nachdrücklich betonen sollte, Gen 32,29 sich dann hingegen nur lose an Gen 35,10 orientiert. Vielmehr ließe sich umgekehrt das Profil der P als Explikation von Gen 32,29 verstehen, insofern sie die Umbenennung in eine tatsächliche Umbenennung transformiert und diese explizit Gott zuschreibt. Die Anbindung der Umbenennung erfolgt dann nicht mehr im Anschluss an einen Gotteskampf, sondern wird mit einer Gotteserscheinung in Verbindung gebracht. Gen 32,29 weist dagegen kein mir ersichtliches Profil auf, das die dortigen Abweichungen in Profilierung zu P erklären könnte.183 Nicht 181 Vgl. Blum, Jacob Tradition, 185, Anm. 13; Blum, Komplexität, 50, bezeichnet sie als „eine Ätiologie der Tatsache, dass (das Volk) Israel sich ‚Israel‘ nennen kann.“ Nicht eigens betont werden muss, dass Fokkelman, Art, 215, die Sache des Textes verfehlt, wenn er meint, hier (wenn auch im übertragenen Sinne) eine „solemn ‚order of baptism‘“ erkennen zu können. 182 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 88–90, der die Umbenennung für eine nach-P-Erweiterung hält, die von Gen 35 und Gen 17 abhängig sei. Im Anschluss an Wöhrle erwägt diese Möglichkeit auch Schmid, Jakob, 45. Außerdem Soggin, Genesis, 399, allerdings in Zuordnung zu P. 183 Dagegen ließe sich einwenden, dass die Zukunftsformulierung bereits die tatsächliche Umbenennung der P in Gen 35,10 vorbereitet. Allerdings wären dann doch wohl diesbezüglich stärkere Anspielungen auf die noch ausstehende Umbenennung durch Gott zu erwarten. Gen 32,29 bringt aber Gott als Größe doch schon selbst ein und weicht gleichzeitig in der Gotteskonzeptionierung auf eine Weise von Gen 35,10 ab, die sich als Nachgestaltung von Gen 35,10 kaum erklären lässt.

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zuletzt lehrt die P-Umbenennung Abrams in Gen 17,5, die auch aufgrund der sich anschließenden Verheißung konzeptionell deutlich mit Gen 35 verwandt ist, dass P dort bemüht ist, die Umbenennung etymologisch rückzubinden und zu begründen. Dieser Umstand entfällt gerade in Gen 35,10. Insofern ist plausibel, dass P die non-P-Umbenennung Jakobs aus Gen 32,29 und deren etymologische Rückbindung zwar voraussetzt, hier allerdings bewusst nicht rezipiert. Ein weiteres, beliebtes Argument für eine nachträgliche Umbenennung Jakobs betrifft den Verbwechsel für die Bezeichnung der Kampfhandlung von ‫ אבק‬zu ‫שׂרה‬.184 Während ‫ אבק‬ein Hapaxlegomenon darstellt, ist ‫ שׂרה‬zwar abgesehen von der vorliegenden Passage noch in Hos 12,4 belegt, dort jedoch eindeutig von der Beschreibung des Gotteskampfes in Gen 32,23–33 abhängig. Für die Schilderung der Kampfhandlung werden folglich bewusst zwei wenig gebräuchliche Verben verwendet. Daraus lässt sich schließen, dass der innererzählerische Verbwechsel nicht willkürlich vollzogen ist,185 sondern – aufgrund des ätiologischen Einsatzes der jeweiligen Verben – einen inhaltlichen Transformationsprozess abbildet. Im Verb ‫( אבק‬ringen) klingt das Individuum Jakob (‫ )יעקב‬wie auch dessen betrugsbehaftete Geschichte über das Ringen um seine Vormachtstellung innerhalb der Familie an (Gen 25,26 [Gen 27,36a]); ‫( שׂרה‬streiten / kämpfen) repräsentiert den göttlich vermittelten Gegenpol. Nachdem Jakob sich bei seinem Vater den Segen erschlichen hat, erhält er hier vor der unmittelbar bevorstehenden Begegnung mit Esau den Segen Gottes und insofern die „Legitimation als Stammvater […], deren äußeres Zeichen der spätere Volksname Israel ist.“186 Der Name „Jakob“ steht dabei für das Ringen um seine Stellung an der Spitze einer Familiengeschichte, der Name „Israel“ für die (Um-)deutung der Erzählung als ein Streiten mit Gott und mit Menschen vor dem Hintergrund einer Volksgeschichte. Als Individuum wird Jakob durch die Umbenennung folglich nicht seines Betruges entledigt.187 Nicht Jakobs Name und auch nicht dessen Tat und Segen sind einer Transformation unterlegen, sondern seine (Be-)Deutung und die seiner Geschichte. Dies wird im Namenswechsel (Jakob-Israel), dem Verbwechsel (‫אבק‬ –‎ ‫ )שׂרה‬und zuletzt auch im Wechsel des szenischen Zeitraffers (Nacht – Anstieg der Morgenröte) deutlich greifbar.

184 So z. B. Otto, Sichem, 41 Anm. 2; Nauerth, Untersuchungen, 218; Wöhrle, Fremdlinge, 89; Arneth, Gotteskämpfer, 362. 185 Vgl. auch Weingärtner, Impertinenz, 121: „Gerade die Verwendung unterschiedlicher Wurzeln zwischen den Versen 25–26 und 29 spricht narratologisch für die Ursprünglichkeit des Verses. Wo eine Umbenennung stattfindet, muss ja gerade der vormals andere Name genannt sein.“ 186 Wahl, Jakobserzählungen, 281. 187 Gegen Fokkelman, Art, 216; Hensel, Vertauschung, 163: „Die Namensänderung spiegelt die innerliche Veränderung Jakobs wider, der nun mit seiner Schuld im Reinen ist.“ Diese Spannung hält sich m. E. dagegen bis zur Versöhnungsszene in Gen 33 durch.

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Die Komplementarität des vorliegenden Kapitels mit den Eingangskapiteln der Jakoberzählung ist m. E. derart stark ausgebildet, dass zweifelhaft erscheint, die Jabbokerzählung habe ein überlieferungsgeschichtliches Proprium bewahrt, das noch nicht mit der Jakoberzählung in Verbindung gestanden hat bzw. noch nicht eigens für sie konzipiert worden ist. Dies gilt für die inhaltlich anstößig erscheinende und lexematisch eigentümliche Herleitung des Israel-Namens,188 wahrscheinlich aber auch für die des Jakobnamens. Wenngleich die Etymologie des Namens „Israel“ umstritten ist, lässt sich mit Albertz plausibilisieren, dass es sich bei der ursprünglichen Herkunft des Namens um eine Bildung aus dem Impf. von ‫„( ׂשרר‬herrschen“, abgeleitet von ugar. šr = Fürst) + theophorem Element handelt („Gott herrscht“/„Gott möge sich als Herrscher erweisen“).189 Demgegenüber leitet V. 29 den Namen Israel volksetymologisch von einem Verb ‫ ׂשרה‬ab, dessen Bedeutungsgehalt nur aus dem vorliegenden Zusammenhang und Hos 12,4 f. in der Bedeutung „streiten“/„kämpfen“ erschlossen werden kann. Darüber hinaus wird Gott zum Objekt des Satznamens erhoben. Es zeichnet sich hier folglich eine bewusste Abwendung von der etymologisch „korrekten“ Ableitung ab, die sich m. E. nur durch die literarische Bedeutung der Umbenennung in der Jakoberzählung erklärt. Wahrscheinlich gilt Ähnliches für die Jakobfigur und deren Namen. Mitunter wird die Jabbokerzählung insgesamt als Umbenennungserzählung einer überlieferungsgeschichtlich bereits Israel-unabhängigen Jakobfigur gedeutet: „The story of Gen 32,23–32 is probably not older than the eights century, when Jacob became […] the ancestor of Israel, so that he had to change his name. The story focuses indeed on this new name, and the etiology of Pnuel is not necessary its main concern. It may therefore be possible that this etiology was added because of a memory of a link between the Bene Ya’aqob [kursiv i. O.] and Pnuel.“190 Löst man sich von der überlieferungsgeschichtlichen Prämisse, es hätte eine Jakoberzählung unabhängig von Jakobs Funktion als Volkseponym gegeben, oder die Jakoberzählung sei aus unterschiedlichen überlieferungsgeschichtlich zu unterscheidenden Erzählzyklen entstanden, und liest man die Jakoberzählung schon seit jeher in ihrer Gesamtanlage als Ursprungslegende konzipiert, so lässt sich die erzählerische Ausdeutung des Namens Jakob ebenfalls nicht überlieferungsgeschichtlich unabhängig, sondern schon ganz von der erzählerischen Anlage der Erzählung her erklären, die auf eine Umbenennung in Gen 32,23–33 bereits angelegt ist. 188 So Blum, Komplexität, 71 f. 189 Vgl. Albertz, Art. Israel, 370. Vgl. zu den viel diskutierten Etymologien Zobel, Art. ‫יׂשראל‬, Sp. 989 f. 190 Finkelstein / Römer, Comments, 324 Anm. 33. De Pury, Jakob am Jabbok, 33 f., nimmt zwei Sagen, eine Israelsage und eine Jakobsage an, die miteinander verbunden worden seien. Mithin gehört die Umbenennung für de Pury zwar zum Grundbestand, und die Jabbokerzählung war auch keine Einzelerzählung, sondern die sekundäre Verbindung von Jakob und Israel sei überlieferungs- oder redaktionsgeschichtlich zu erklären.

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Während die alttestamentlichen Belege zur Herkunft des Jakob-Namens jenen ausschließlich volksetymologisch herleiten (Gen 27,36a; Hos 12,4; Jer 9,3 vom Verb ‫ = עקב‬betrügen; Gen 25,26 vom Nomen ‫ = עקב‬Ferse), lässt sich der Name außerhalb des ATs häufig als männlicher Personenname der Langform Jakob-El nachweisen.191 Die Etymologie des Namens „Jakob“ wird wohl von den Autoren der Jakoberzählung nicht etymologisch „korrekt“ wiedergegeben, sondern für ihre literarischen Zwecke entwickelt. Nach gegenwärtigem Stand der Forschung zur Etymologie des Namens „Jakob“ handelt es sich ursprünglich um ein Hypokoristikon von Jakob-El, bei dem das theophore Element „El“ entfallen ist. Die Parallele zu amurritischen Personennamen Ja-aḫ-qu-ub-él („El schützt / möge schützen“) und Ja-qu-ub-An („An schützt / möge schützen“), dem ugaritischen Personennamen Jaqub-Ba’al („Baal schützt / möge schützen“) sowie dem ägyp­ tischen Ortsnamen Ja‘qub’ilu („El schützt / möge schützen“), legt nahe, dass der Name als „Satzname“ aus der Wurzel ‘qb („schützen“) gebildet ist.192 Der Namenstyp ist häufig belegt und kann als Alltagsname aufgefasst werden.193 Wenn man insofern einbezieht, dass es sich bei dem Namen „Jakob“ um einen „Allerweltsnamen“ handelt, und Jakobs Lebensgeschichte durchaus für den antiken Leser als „Allerweltserlebnisse“ lesbar sind, liegt für Gen 32,23–33 eine andere Deutung näher als die sekundäre Israelitisierung der Jakobfigur. Die ätiologische Verbindung von Jakob und Israel im Grundbestand ist dann nicht darum bemüht, einen volksetymologisch bekannten Trickster-Jakob für eine Volksgröße sekundär fruchtbar zu machen, sondern sie erzählt „Allerwelts­ erlebnisse“ eines Mannes mit einem „Allerweltsnamen“, um zu zeigen, wie ein solcher trotz betrügerischer Eigenbemühungen über Gottes Eingreifen im Segen zum Eponym für die Volksgröße „Israel“ geworden ist. Dabei mag die ursprüng­ liche und wohl allgemein bekannte Bedeutung des Namens Jakob „Gott möge schützen“ inhaltlich im Lebensweg Jakobs aufgegriffen sein, ist in ihrer etymologischen Herleitung innerhalb der Erzählung allerdings zugunsten des Erzähl­ anliegens umgeprägt worden. Insofern erfüllt Jakobs Betrug eine genuin eigene erzählerische Funktion. Ebenso wurde mit dem Namen Israel verfahren. Möglicherweise ließe sich so auch erklären, weshalb das gängige theophore Element des Namens „­Jakob“ von den Verfassern nicht aufgenommen worden ist: das

191 Vgl. Zobel, Art. ‫יעקוב‬, Sp. 755 f. Als Belege führt Zobel Texte aus dem obermesopotamischen Ašnakkum (18. Jh. v. Chr.) wie auch Texte von Kish, Funde von Tell Harmal; Skarabäen aus der Hyksos-Zeit und Listen von Thutmosis III. an. Vgl. auch Zobel, Art. Jakob / Jakobsegen I, 461–468; Wöhrle, Art. Jacob, Sp. 582. 192 Vgl. Gies, Art. Jakob; Albertz / Schmitt, Family, 246, der für eine Herkunft vom Amurritischen plädiert. Darüber hinaus Noth, Personennamen, 177 f.; Zobel, Art. ‫יעקוב‬, Sp. 756; Zobel, Art. Jakob / Jakobsegen I, 461. Zu den außeralttestamentlichen Belegen auch Gesenius, Wörterbuch, 477. 193 Vgl. Zobel, Art. ‫יעקוב‬, Sp. 756; Wahl, Jakobserzählungen, 305.

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theophore Element sollte mit dem Volksnamen, nicht mit dem Personennamen verbunden werden.194 Ist diese Annahme richtig, werden weder in Gen 25*.27* noch in Gen 32,23–33 selbständige Ätiologien für ursprünglich selbständige Volks- und / ​oder Familien- bzw. Stammesgeschichten rezipiert. Vielmehr dienen die Ätio­logien in ihrer spezifischen Ausrichtung und deren Verbindung bereits im Grundbestand dazu, ein spezifisches Eigenverständnis Israels auszudrücken, das auf nichts anderes denn auf eine Identitätsstiftung der Volksgröße Israel aus­ gerichtet ist.

6.2.4.4 Die Gottesschau (Gen 32,31) In Gen 32,31 deutet Jakob den Kampf als Gottesschau und verschärft so die theologische Bedeutungsebene der doppelbödigen Erzählung. Die in V. 31 enthaltene Ätiologie ist indes nicht stringent an das Erzählgeschehen rückgebunden, da es sich bei einer Gottesschau um einen anderen Gegenstand handelt als bei einem Gotteskampf.195 Wie in der Strukturanalyse gezeigt, ist V. 31 dem Erzählzusammenhang strukturell enthoben. Darüber hinaus erweist sich der Vers als redundanter Erzählschluss zu V. 32a.196 Weiterhin differieren ganz offensichtlich die Bezeichnungen für denselben Ort: Pniel (V. 31) und Pnuel (V. 32). Pnuel ist im AT häufiger belegt,197 bei Pniel handelt es sich um eine – bis auf den Konsonantentext von 1 Chr 8,25,198 – singuläre Bezeichnung, die offenbar durch die Erklärung in V. 31b motiviert ist und den Ortsnamen Pnuel voraussetzt. Nun wäre aufgrund der Subjektnennung zu Beginn von V. 31 und aufgrund des Wechsels zwischen V. 31a und V. 31b zur direkten Rede erwägenswert, lediglich V. 31b einer Erweiterung zuzuschreiben.199 Die veränderte Schreibweise Pnuels erwiese sich dann als geringfügige, sekundäre Angleichung an V. 31b, die durch den Redaktor jenes Teilverses erfolgte.200 Allerdings fehlte der Ortsbenennung in V. 31a dann die Ätiologie, was an deren Zielsetzung vorbeiginge.

194 Im Grunde auch Zobel, Art. Jakob / Jakobsegen I, 463, wenn er für die Übernahme des Namens „Israel“ durch eine kollektive Größe der „Jakobleute“ annimmt, das theophore Element des Jakobnamens müsse zur Voraussetzung „längst verblasst“ gewesen sein. 195 Vgl. Spieckermann, Gotteskampf, 25; Boecker, Isaak, 103. Zu dieser Einschränkung auch schon Blum, Komplexität, 51. Vorsichtig auch Taschner, Verheißung, 154. 196 Vgl. Nauerth, Untersuchungen, 217. 197 Vgl. Ri 8,8 f.17; 1 Kön 12,25. 198 Vgl. Pola, Art.  Pnuël / Pniël. 199 So etwa Wahl, Jakobserzählungen, 280. 200 Gegen eine etwa textkritische Behebung des Problems wenden sich Weimar, Beobachtungen I, 75 Anm. 72; Nauerth, Untersuchungen 217. Auch Tal, Genesis, 158*, hält die oben genannte Lösung für am naheliegendsten: „In all liekelihood, the explanation of the name of the place is motivated by etiology.“

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Das Verb ‫( נצל‬retten) wird über V. 31 hinaus nur noch einmal in Gen 32,12, im Zusammenhang mit dem Gebet Jakobs vor der Begegnung mit seinem Bruder Esau gebraucht.201 Das Gebet erfüllt die Funktion, Jakobs friedliche Begegnung mit Esau auf der Endtextebene als göttliche Rettung zu inszenieren, um die Jakob vorab gebeten hatte. In eine ähnliche Richtung tendiert auch V. 31. Der Ausdruck ‫( ראה פנים‬Angesicht sehen) ist im vorausgehenden Kontext gehäuft dann belegt, wenn die bevorstehende Begegnung mit Esau anvisiert ist. Esau und Gott sind folglich als jeweilige Gegenspieler Jakobs durch das Leitwort ‫ פנים‬miteinander verbunden und werden in Gen 33,10b konkret parallelisiert.202 Jakobs Gebet hat darüber hinaus einen hexateuchischen Großkontext vor Augen und arbeitet mit Reminiszenzen an die Exodus- und Josuaerzählung. Infolgedessen wurde es als nach-P Fortschreibung identifiziert. Ein ähnlicher Hintergrund ist auch für Gen 32,31 in Erwägung zu ziehen. Die Interaktion eines Protagonisten mit Gott ‫ פנים אל־פנים‬ist im AT ausschließlich von Mose bezeugt (vgl. Ex 33,11; Dtn 34,10).203 Darüber hinaus bot sich die Frage nach dem Namen Gottes in V. 30 nahezu als eine Steilvorlage für eine Reminiszenz an die Mose­ erzählung an, da Gott in Ex 3 Mose seinen Namen JHWH offenbart, in der Pnuel­ erzählung indes ausschließlich mit der Gottesbezeichnung Elohim / El gearbeitet wird. V. 31 wäre insofern als vergleichsweise späte, ebenfalls nach-P Notiz anzusehen, die Jakob analog zu Mose eine Gottesschau zurechnet.204 Insofern wird es sich in V. 31 in Gänze um eine Erweiterung handeln.205 V. 31 galt teilweise aufgrund des ätiologischen Gepräges als Zentrum der Gesamterzählung.206 Gegen dessen redaktionelle Aussonderung wurde argumentiert, die Ortsätiologie sei durch ‫ שׁם‬in V. 30 vorbereitet und werde von V. 32 vor-

201 Vgl. zu dieser Beobachtung auch Fokkelman, Art, 220; Köckert, Jakobs Gegner, 175 Anm. 64. Köckert erwägt daher ebenfalls eine sekundäre Erweiterung um V. 31, lässt die Entscheidung allerdings offen: „Hinsichtlich der literarischen Ursprünglichkeit von V. 31 bleiben Unsicherheiten.“ 202 Zur Strukturparallele zwischen V. 31 und 33,10b vgl. darüber hinaus Blum, Komplexität, 53 f. 203 Vgl. Weimar, Israel, 104; Pola, Form, 196. In Ri 6,22 formuliert Gideon seine Begegnung mit einem Boten Gottes „von Angesicht zu Angesicht“; in Ez 20,35 wird sie innerhalb einer Gerichtsandrohung JHWHs verwendet; in Dtn 5,4 auf ganz Israel bezogen. 204 Vgl. zu den Reminiszenzen auch Arneth, Gotteskämpfer, 364. Zur nachpriesterlichen Ansetzung von Ex 33,11 vgl. Hartenstein, Angesicht, 267 f.; Achenbach, Integration, 55, auf der Ebene einer Pentateuchredaktion, für die Gen 32,31 ebenfalls als sekundäre Vorbereitung gilt. 205 Vgl. etwa Hermisson, Jakobs Kampf, 244.249 f.; Schmidt, Kampf Jakobs, 46 f. Angesichts der genannten Argumente wirkt der Einwand Eising, Untersuchung, 126 f., schwach, V. 31 sei durch das Motiv der Furcht, das zu einer solchen Szene gehöre, stringent in den Zusammenhang eingebunden. Westermann, Genesis I/2, 633, zieht eine Erweiterung in Erwägung, die eine ursprünglich andere Ätiologie über den Jabbok verdrängt habe. Diese Schlussfolgerung erscheint spekulativ. 206 So etwa von Rad, Genesis, 263; Kratz, Komposition, 274, als Ortsätiologie Pnuels.

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ausgesetzt.207 Beide Argumente sind nicht zwingend. Die adverbiale Bestimmung ‫ שׁם‬ist ebenfalls als schlichte Markierung eines Schlusspunktes erklärbar, die ursprünglich im Verbund mit V. 32 und dem dort erwähnten Verlassen des Ortes Pnuel in Verbindung gestanden hat. Das Argument, V. 32 setze V. 31 voraus, ist bereits vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Ortsbezeichnung nicht überzeugend. Bei V. 31 handelt es sich folglich um eine Fortschreibung, die vordergründig die Absicht verfolgt, den Ort Pnuel ätiologisch zu unterfüttern und an die Jakobfigur zu binden. Ähnlich wie im Falle Mahanajims scheint allerdings nicht ein Heiligtum von Pnuel der Grund für diese ätiologische Ergänzung gewesen zu sein.208 Dafür bietet die Notiz keine hinreichenden Anzeichen. Die alttestamentlichen Belege in Ri 8,14–17 und 1 Kön 12,25 lassen vermuten, dass Pnuel historische Bedeutung hatte. Dies lässt sich grundsätzlich dadurch stützen, dass Pnuel neben Sukkot auf einer Liste des Pharaos Scheschonq I. erwähnt wird.209 Laut 1 Kön 12,25 habe Jerobeam I. Pnuel sogar als Hauptstadt installiert.210 Allerdings sind beide Verse hinsichtlich ihrer redaktionsgeschichtlichen Bewertung und mithin ihrer Datierung in der Forschung umstritten. Auch der archäologische Befund lässt eine eindeutige Verortung Pnuels und die Klärung seiner Bedeutung vermissen. Erfolgreich identifiziert werden konnte lediglich der Fluss Jabbok, womit Pnuel an dessen Unterlauf lokalisiert wird. Wird Mahanajim als Doppelhügel Tulūl-ed-Dahab aufgefasst, setzt man für Pnuel meist den Hügel Tell el-Hamme an.211 Beide Lokalisierungen sind umstritten.212 Ungeachtet der Schwierigkeiten, die mit der Suche nach Ort und Bedeutung Pnuels verbunden sind, wird man zudem eingestehen müssen, dass Pnuel in der Jabbokerzählung weder zugunsten einer politischen noch einer explizit kultischen Bedeutung rezipiert wird. In der historischen Bedeutung Pnuels 207 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 632; Blum, Komplexität, 63; Wahl, Jakobserzählungen, 281. Zum Argument des Kontextbezuges vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 398. Seebass sieht zwar – wie Nentel, Jakobserzählungen, 280 Anm. 786 – einen Widerspruch zwischen Jakobs Verletzung (V. 29) und seiner postulierten Rettung (V. 31), wertet V. 31 dann jedoch als Bezug auf den weiteren Kontext der Jakoberzählung aus: „Jakobs Leben ist in jeglicher Hinsicht gerettet.“ 208 Gegen Pola, Art. Pnuël / Pniël, mit Verweis auf die entsprechenden, hier favorisierten Gegenpositionen. Ebenfalls gegen Sergi, Art. Jabbok, 559. Vgl. zu den Problemen auch Elliger, Jakobskampf, 11, der zwar eine Heiligtumsätiologie vermutet, aber einräumt, dass er jene nicht am Text begründen kann. 209 Vgl. TUAT.NF 2, 246–271. 210 Vgl. zu den möglichen Gründen Frevel, Geschichte Israels, 181 f. 211 Vgl. Jericke, Art. Peniël. 212 Vgl. insbes. Pola, Art. Pnuël / Pniël; Frevel, Geschichte Israels, 182 f. Mitunter werden die Doppelhügel von Tulul-ed-Dahab auf Mahanajim und Pnuel verteilt, oder man setzt Pnuel mit den Tulul-ed-Dahab gleich und verortet Mahanajim auf dem Wādi Haggag (vgl. Pola, Art. Pnuël / Pniël; Finkelstein, Gilead, 148 f.). Setzt man Pnuel mit Tell-el-Hamme gleich, besteht das praktische Problem bei der archäologischen Untersuchung des Tell darin, dass Bauarbeiten im 20. Jh. den Ort umfassend überformten. Dennoch lässt sich wohl nach Funden von Einrichtungen zur Metallverarbeitung und aufgrund der Tonscherbenbefunde eine Besiedlung auch in der Eisenzeit nachweisen. Im benachbarten Tell Mganni ließen sich Reste einer späthellenistischen Festung nachweisen, die mit den Angaben in Ri 8 zu korrelieren wäre. Vgl. Jericke, Art. Peniël.

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scheint insofern nicht das literarische Proprium der Jabbokerzählung gelegen zu haben, womit nicht bestritten wird, dass die reine Nennung zumindest darauf hinweist, dass der Ort Pnuel Teil des kulturellen Gedächtnisses der Autoren gewesen ist.

Die Ätiologie Pnuels wird insofern auch hier offenbar vornehmlich bemüht, um das Gottesverhältnis Jakobs hervorzuheben. Gleichzeitig wirkt sich das Verhältnis zum Kontext auf der Endtextebene ähnlich wie bei dem Gebet von Gen 32,(10–)12 aus: Die Versöhnung zwischen Jakob und Esau wird auf diese Weise der Initiierung Gottes unterstellt (vgl. die Korrespondenz mit Gen 33,10).

6.2.5 Überlieferungsgeschichtliche Bewertung Der so rekonstruierte Grundbestand der Jabbokerzählung umfasst die Vv. 23aα*.​ 24b–26aα.27–30.32a. In überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht galt lange Zeit das Urteil Gunkels: „Ursprünglich steht die Sage ganz auf eigenen Füßen und hat mit der Jaqob-Esau-Geschichte nichts zu tun.“213 Vor dem Hintergrund der Überlegungen zum Namen „Jakob“ dürfte deutlich geworden sein, dass diese überlieferungsgeschichtliche Prämisse an dieser Stelle kritisch beurteilt wird. Die Einschätzung ist mit Blick auf das Gesamtnarrativ zu untermauern. Zunächst entbehrt die postulierte Einzelerzählung schon am vorderen Rand eines Beginns und erscheint als solche nicht tragfähig.214 Der Beginn der Episode baut stattdessen deutlich auf dem Vorkontext auf. Es treten zahlreiche Kontextbezüge hinzu, um deren Herausarbeitung sich insbesondere Eising und Blum verdient gemacht haben.215 Gleich zu Beginn ist Jakobs Hab und Gut, welches er bei Laban erworben hatte, vorausgesetzt, wenn nicht sogar die Verteilung desselben auf zwei Lager. Darüber hinaus sind sowohl die Zeitstruktur als auch die geografische Verortung fest mit dem Kontext verbunden. Das Tag-Nacht-Schema, das auch den Aufriss des vorausgehenden Kontextes bestimmt, ist für Gen 32,23–33 konstitutiv, da die Erzählung mit der Verborgenheit des fremden Mannes spielt und dabei auf die Nacht als tragendes Moment angewiesen ist.216 Ebenso stringent 213 Gunkel, Genesis, 365. Gunkel stellt sich den Prozess freilich so vor, dass der „Jahwist“ einen Jakob-Esau-Laban-Erzählkranz vorfand, in den bereits die Bet-El-Erzählung eingebettet war, die Jabbokerzählung hingegen aus einer anderen „Stoffkiste“ zog und hier mit der Jakob­ erzählung verband. Vgl. dazu auch Elliger, Jakobskampf, 14. 214 Vgl. Köckert, Jakobs Gegner, 167; Weimar, Beobachtungen I, 66 Anm. 42.; Seebass, Vätergeschichte II/2, 393. 215 Vgl. Eising, Untersuchung, 119. Vgl. insbesondere auch die Zusammenfassung der Argumente bei Blum, Komposition, 143. Darüber hinaus auch Taschner, Verheißung, 155–159.; Köckert, Jakobs Gegner, 160 ff.; Carr, Fractures, 259 ff.; Soggin, Genesis, 396. 216 Vgl. Blum, Komplexität, 54; Taschner, Verheißung, 155; Levin, Jahwist, 251. Die Vv. 14–22 stellen diesbezüglich keineswegs den einzigen Anknüpfungspunkt dar. Die Tag-Nacht-Struktur beginnt streng genommen bereits bei der Trennung zwischen Jakob und Laban in Gen ­31,​ 45–32,1, die dort, isoliert betrachtet, unmotiviert ist.

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fügen sich die Ortsangaben Jabbok und Pnuel in das Geflecht der umliegenden geografischen Angaben.217 Der Grundbestand der Jabbokerzählung präsentiert sich darüber hinaus aufgrund der ihr eigenen Segensthematik als Pendant zum zwischenmenschlichen Segen aus Gen 27.218 1.) Der zwischenmenschlich vermittelte Erstgeburtssegen (Gen 27) verifiziert sich im göttlich vermittelten Segen in Gen 32,23–33; 2.) die familiäre Vorrangstellung (Gen 27) bildet das Gegenstück zur Vorrangstellung innerhalb der Volksgeschichte, die Jakob durch seine Umbenennung zuteil wird (Gen 32); 3.) Jakobs Name ist in Gen 27 an den Betrug Jakobs ätiologisch rückgebunden, in Gen 32 durch seine „Umbenennung“ zu Israel an das Kämpfen / Streiten mit Gott; 4.) der Frage Isaaks nach dem Namen Jakobs in Gen 27 folgt seine trügerische Antwort, der Frage des Fremden nach dem Namen Jakobs in Gen 32 folgt nun seine korrekte Antwort;219 5.) Gen 27 erzielt die undurchsichtigen Verhältnisse durch die Blindheit Isaaks, Gen 32,23–33 durch die nächtliche Szenerie. Die Korrespondenzen lassen den Schluss zu, dass Gen 27 und Gen 32,23–33 aufeinander angelegt sind.

Ein zentraler, jedoch umstrittener Rückbezug liegt in V. 29b vor. Die Äußerung, Jakob habe mit Menschen gekämpft, findet weder in der Jabbokerzählung Widerhall, da dort lediglich vom Kampf mit einem Mann (sg.) berichtet ist, noch wird in der Jakoberzählung von einem Kampf mit Menschen im wörtlichen Sinne berichtet. Da die Pluralformulierung ‫ אנׁשים‬keinen konkreten Anhalt am Text hat, wurde erwogen, ‫ ועם־אנׁשים‬als Glosse zu werten. Jene verfolge die Intention, den Kampf Jakobs mit Gott abzuschwächen.220 Dieses Argument ist allerdings nicht stichhaltig, da die ätiologische Erklärung des Namens Israel auf den Erzählzusammenhang angewiesen ist. Vor V. 30 existiert kein expliziter Hinweis darauf, dass es sich bei dem Gegenüber Jakobs um Gott handeln könnte. Um folglich die Ätiologie überhaupt an die Kampferzählung rückbinden zu können und Gott auf den Plan zu bringen, ist die Erklärung des Namens Israel auf die Wurzel ‫ אישׁ‬als Verbindung zu Jakobs Gegenüber angewiesen.

Da die Wurzel ‫ אישׁ‬für das Verständnis der Umbenennung konstitutiv ist, kann ‫ אנׁשים‬keine Glosse sein, sondern muss auf den Mikrokontext der Jabbokerzählung bezogen werden. Gleichzeitig bleibt keine andere Möglichkeit, als die plurale 217 Beim Jabbok handelt es sich um einen Grenzfluss im Hochland des Ostjordanlandes. Jakob kehrt folglich mit der Überquerung des Flusses vor der entscheidenden Begegnung mit seinem Bruder aus fremden Landen nach Israel / Kanaan zurück. Vgl. Jericke, Ortsangaben, 196 f. 218 Vgl. bereits von Rad, Genesis, 264: „Die Deutung der Geschichte muss von ihrer Stellung im Ganzen der Jakobsgeschichte ausgehen, denn ihre Beziehung zu der Betrugsgeschichte ist unverkennbar.“ Vgl. darüber hinaus z. B. Blum, Komplexität, 54 f. 57 f.; Köckert, Jakobs Gegner, 171. 219 Vgl. Boecker, Isaak, 102; Willi-Plein, Genesis, 215; Hensel, Vertauschung, 163. 220 Vgl. Diebner, Interesse, 34 Anm. 11.

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Formulierung gleichsam als überkontextuellen Verweis aufzufassen – und zwar im übertragenen Sinne auf die Auseinandersetzungen Jakobs mit seiner Familie und mit Laban.221 Die Formulierung bringt folglich Mikro- und Makrokontext miteinander ins Gespräch. Eine ähnliche Problematik tritt mit dem Verweis auf das Kämpfen mit Gott zutage. Wie gezeigt wird Gott in persona ausschließlich im sekundären V. 31 direkt genannt. Die Jabbokerzählung ist als Referenzgröße für die Erklärung des Verweises auf den Gotteskampf (V. 29b) folglich nicht ausreichend. Da sich die Referenzebenen Mikro- und Makrokontext auch beim Element „Menschen“ nicht auseinanderdividieren lassen, ist bei dem Element „Gott“ ein ebenso doppel­ bödiger Verweis auf Mikro- und Makrokontext zu erwarten. Als Referenzpunkt drängt sich der Segen in Gen 27 auf, der nun durch einen göttlichen Segen konterkariert wird. Insofern werden Jakobs zwielichtige Eigenbemühungen um den Segen rückwirkend implizit als Konflikt mit Gott interpretiert.222 V. 29b hat in zweierlei Hinsicht eine zentrale Funktion. Zum einen bringt der Teilvers die ansonsten in der Jakoberzählung auffallend separierten Ebenen Gott-Mensch zusammen. Zum anderen versieht er Mikro- und Makrokontext mit einer Deutung und mündet in einer Wertung. Anlass für die Zusammenführung der Ebenen und der Deutung gibt die Transformation der Figur Jakob vom individuellen Familienbetrüger zum Volksvertreter. Angezeigt ist jene durch seine Umbenennung; seine Autorisierung erfolgt über den Segen, der auf das Urteil „du hast es vermocht“ folgt. Die Querverbindungen sind indes nicht auf den Vorkontext beschränkt, sondern gleichsam in der Folgeerzählung erkennbar. So findet der Kampf mit dem fremden Mann unmittelbar vor einer potenziell kriegerischen Auseinandersetzung mit Esau statt.223 Die Verwendung des Lexems ‫ איׁש‬muss als Spiel mit der Möglichkeit erachtet werden, dass sich hinter dem Angreifer Esau verbergen könnte.224 Die Erfolgszusage „du hast es vermocht“ in V. 29b nimmt insofern nicht nur den glücklichen Ausgang der zwischenmenschlichen Entzweiung mit Laban auf, sondern auch den positiven Ausgang der bevorstehenden Begegnung mit Esau proleptisch vorweg. Dies zeigt sich auch darin, dass Jakobs Ringen mit Gott in Gen 32,25 die Umarmung mit Esau in Gen 33,4 vorzubereiten scheint.225 221 Vgl. Blum, Komplexität, 61 f.; dagegen Spieckermann, Gotteskampf, 23, der den Sinn der Erwähnung eines Kampfes mit Menschen darin sieht, „die wahre Identität des Attackierenden so weit wie möglich zu verhüllen.“ Gegen eine auf Laban und Esau ausgerichtete Deutung vgl. auch Kessler, Querverweise, 135, der hinter V. 29b eine „superlativische, pathetische Redewendung“ vermutet. So zuvor bereits von Rad, Genesis, 261, und danach Boecker, Isaak, 103. Vertreter dieser These verweisen auf eine vergleichbare Formulierung in Ri 9,9.13. 222 Ähnlich auch Fokkelman, Art, 217. Vgl. nur Jakobs Notlüge. 223 Vgl. Barton, Jacob, 188. 224 Vgl. auch Taschner, Verheißung, 157; Hensel, Vertauschung, 167. 225 Vgl. z. B. Weimar, Israel, 98.

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Überlieferungsgeschichtlich unabhängige Propria ließen sich mithin weder für lokale Haftpunkte und deren kultische Bedeutung226 noch für eine Flussdämon­ erzählung227 oder den Israel-Namen selbst228 plausibilisieren. Nachdem die Rückfrage nach einer unabhängigen Einzelerzählung negativ beantwortet werden konnte, ist die Frage nach den redaktionsgeschichtlichen Zusammenhängen aufgeworfen. Stellt die Jabbokerzählung eine kontextabhängige Fortschreibung dar, oder verhält sie sich zu Gen 32–33 gleichursprünglich? Für eine Fortschreibung ist angeführt worden, die Erzählung unterbreche den Erzählfluss.229 Darüber hinaus ist die Beobachtung synchroner Ausleger zur strukturellen Parallelität zwischen der Jabbok- und der Bet-El-Erzählung von diachronen Auslegern230 aufgenommen und im Sinne analoger Fortschreibungen interpretiert worden.231 Die Bet-El-Erzählung und die Jabbokerzählung konnten so als zwei analoge, nächtliche Gottesbegegnungen beurteilt werden, die im ersten und dritten Glied des Tryptichons der Jakoberzählung eingefügt worden seien. Bei dieser Zuordnung mag besonders der Umstand leitend gewesen sein, dass es sich bei Pnuel möglicherweise um eine Hauptstadt, bei Bet-El ehemals um ein Reichs­heiligtum

226 Gegen Gunkel, Genesis, 365; Soggin, Genesis, 396; Ruppert, Genesis III, 370 f.; Leuenberger, Segen, 252.253 Anm. 475. Besonders ausführlich wieder Nentel, Jakobserzählungen, 275–283. Knauf, Art. Pnuel, 1103; Levin, Jahwist, 251; Schmidt, Kampf Jakobs, 39; Recker, Erzählungen, 64–69, mit einem Haftpunkt am Jabbok. Ähnlich auch Kratz, Komposition, 273 f. Im Rekurs auf Kratz wohl auch Wöhrle, Koexistenz, 311 Anm. 14. Die Unsicherheiten über den möglichen Lokalhaftpunkt zeigen, dass die Erzählung keine klaren Tendenzen für einen solchen aufweist. Die Geografie hat erzählerische Funktion. Ebenfalls sekundär, allerdings ohne weitere überlieferungsgeschichtliche Differenzierung, erachten die Jabbokerzählung Gertz, Tora, 275; Van Seters, Prologue, 279. 227 Vgl. Blum, Komplexität; Köckert, Jakobs Gegner. Vgl. darüber hinaus Wahl, Jakobs­ erzählungen, 285, der plausibel mit der Aufnahme mythischen Materials rechnet, das motivisch in der Erzählung verarbeitet worden ist, nicht aber mit einem unabhängigen Einzelmythos über Jakobs Kampf mit einem Flussdämon o.Ä. Eine Ausnahme bilden in neuerer Zeit z. B. Zalewski, Jakobs Kampf; Nentel, Jakobserzählungen, 281 f.; Arneth, Gotteskämpfer, 363. Vgl. zu einer „Zwischenlösung“, in der ursprünglichen Erzählung habe ein Mann mit einem göttlichen Wesen (El) gekämpft und diese Erzählung sei sekundär auf Jakob übertragen worden Dietrich / Link, Seiten Gottes, 67: „Auf diese Weise wurde der Zug des Grimmig-Angriffslustigen in das Gottesbild Israels integriert.“ 228 So etwa Blum, Komposition, 145. 229 Vgl. Kratz, Israel, 13 insbes. Anm. 47: „Die Szene ist ziemlich ungeschickt zwischen der Übernachtung in 32,14a.22 und dem Aufheben der Augen in 33,1 eingeschoben“. Als mehrstufig gewachsene Fortschreibung z. B. bei Nauerth, Untersuchungen, 214–221; als zu Gen 28,10–22 analoge Fortschreibung vgl. Becker, Jakob, 179 f. 230 Vgl. insbes. Fishbane, Composition, 15–38; Taschner, Verheißung, 155 f. Aber auch Blum, Jacob Tradition, 182. 231 Vgl. z. B. Kratz, Komposition, 273 Anm. 56; Westermann, Genesis I/2, 627; Becker, Jakob, 181 f. Interessant ist, dass bereits Gunkel die beiden Erzählungen auf überlieferungsgeschichtlich unterschiedlichen Stufen verortet. Dabei wird die Jabbokerzählung auf einen einschneidenderen Gestaltungswillen des Jahwisten zurückgeführt als die Bet-El-Erzählung.

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des Nordreichs gehandelt haben könnte.232 Das Urteil einer Erweiterung mag für die Bet-El-Erzählung zutreffen, ist für die Jabbokerzählung allerdings – ins­ besondere hinsichtlich des Postulats der kompositorischen Entsprechung und der daraus abgeleiteten entstehungsgeschichtlichen Beurteilung – nicht überzeugend. So handelt es sich bei der Bet-El-Erzählung um eine völlig anders geartete Gottesbegegnung, die zudem einen tatsächlichen Fokus auf den Ort selbst legt. Bei der Jabbokerzählung erscheint der Ort selbst vergleichsweise irrelevant, und auch die Gottesbegegnung ist sehr viel undurchsichtiger beschrieben als die der Bet-El-Erzählung. Darüber hinaus weisen die beiden Erzählungen keine einschlägigen literarischen Querverbindungen auf.233 Dies ist insbesondere dann augenscheinlich, wenn man zum Vergleich die offensichtlichen Querverbindungen zwischen der Bet-El-Erzählung und der Mahanajim-Notiz heranzieht. Ist die Annahme einer sekundären Entlehnung der Mahanajim-Notiz aus der Bet-El-Erzählung richtig, ist offenkundig, dass der Redaktor, der die Mahanajim-Notiz in deutlicher Anlehnung an die Bet-El-Erzählung gestaltete und einführte, die Jabbokerzählung wohl kaum als funktionierendes Pendant zur Bet-El-Erzählung gelesen, oder überhaupt damit in Verbindung gebracht haben kann. Insofern wurde in der Forschung auch die Gegenposition vertreten, nämlich, dass eine Unterbrechung die synchrone Funktion der Episode korrekt beschreibt, als literarhistorisches Urteil jedoch kaum greift. Für diese Auffassung ist die mangelnde Anschlussfähigkeit von Gen 33 an Gen 32 zentral, wenn die Jabbokerzählung fehlte. Darüber hinaus lässt sich an weiteren Beobachtungen zeigen, dass das Textumfeld der Jabbokerzählung erzählerisch auf jene angewiesen ist und vice versa.234

232 Vgl. Blum, Komposition, 176–182. 233 Gegen Dietrich, Jakobs Kampf, 204. Dietrich sieht Parallelen in folgenden Punkten: a) dass beide Erzählungen geheimnisvoll anmuten, b) dass Jakob „durch die Gottesbegegnung tief erschüttert“ wird (diese Erschütterung lässt sich in Gen 32,23–33 m. E. nicht nachweisen), c) dass Gott Jakob etwas Gutes will. Wie an Dietrich, Jakobs Kampf, 204, ersichtlich wird, handelt es sich bei den Parallelen zwischen Gen 28,10–22 und Gen 32,23–33 eher um allgemeine Elemente. Die zentralen Punkte bleiben eine Gottesbegegnung bei Nacht. Doch handelt es sich in Gen 28,10–22 um eine Traumvision und nicht um einen körperlichen Kampf. Die beiden Erzählungen weisen einen gänzlich voneinander unterschiedenen Charakter auf. Insofern auch gegen Taschner, Verheißung, 155 f.; Fishbane, Text, 54. Köhlmoos, Bet-El, 242, will die Bet-ElErzählung in Gen 28,10–22 als aus Gen 32,2–3 (Mahanajim) und Gen 32,23–33 (Jabbok) heraus entstanden wissen. Für Gen 32,23–33 lassen sich, wie erwähnt, dafür keine einschlägigen Anhaltspunkte ausmachen. 234 Vgl. z. B. Weimar, Israel, 86; Blum, Komposition, 143; Blum, Jacob Tradition, 205 ff.; Schmid, Versöhnung, 215, der die Bezüge von Gen 33,1–11 auf die Jabbokerzählung besonders deutlich herausarbeitet. Vgl. auch Köhlmoss, Bet-El, 241 f.; Eising, Untersuchung, 135 f.; Weimar, Beobachtungen I, 66 Anm. 42. In den Einzelanalysen anders, jedoch im Gesamtergebnis gleich: Seebass, Vätergeschichte II/2, 401; Willi-Plein, Genesis, 212; Carr, Fractures, 256 f.

Jakob erringt eine neue Identität 

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In der obigen Analyse zu Gen 32,2–22 hat sich der Abschnitt Vv. 14–22 als eine, von der Jabbokerzählung abhängige, sekundäre Erweiterung ausweisen lassen. Jene erweitert die Grunderzählung um ein Geschenk für Esau, das durch die Verwendung kultischer Sprache zudem Anleihen an ein Opfer aufweist235 und die Versöhnungsbereitschaft Esaus so darstellen will, als sei sie durch die Geschenke bedingt. Das Gebet Jakobs in Gen 32,10–13 erwies sich ebenfalls als späte Erweiterung. Insofern gilt es, eine Anschlussfähigkeit von Gen 32,23–33* an Gen 32,9 zu prüfen. Der rekonstruierte Grundbestand von Gen 32,23–33 schließt nicht nur schlüssig an den Vorkontext an, sondern wird von jenem vorbereitet. Die Vv. 8–9 schildern, wie Jakob sein Gefolge auf zwei Lager aufteilt, um bei einem militärischen Zusammenstoß mit Esau das Ausmaß des Vernichtungszugs zu minimieren. Gegenstand der Aktion ist Jakobs Vieh und „das Volk, das bei ihm war“. Daraufhin macht sich Jakob in V. 23b auf den Weg und durchzieht den Jabbok. In V. 24b wird erwähnt, dass Jakob überführte, was er hatte. Dabei verzichtet der MT im Gegensatz zu anderen Textzeugen gerade auf die Näherbestimmung „alles“, was nahelegt, dass die Aufteilung von Jakobs Lager hier vorausgesetzt ist.236 In Kontinuität zum Vorkontext wird die Mitnahme von Jakobs Familie auch in Gen 32,23–33* nicht eigens hervorgehoben. Sieht man von dem Gebet in Gen 32,10–13 und der Geschenkthematik in Vv. 14–22 ab, stehen die Vorbereitungen Jakobs zudem ganz im Zeichen eines bevorstehenden Krieges mit Esau. Jakobs eigener Aufbruch in Gen 32,23–33 korrespondiert der Flucht, die er dem übriggebliebenen Gefolge ermöglichen will. Nach Jakobs Fluchtversuch ringt plötzlich ein Mann mit ihm, der sich erst sukzessive als göttliches Gegenüber zu erkennen gibt. Dass hier zunächst vom Leser Esau als Gegner erwartet wird, kann als intendiertes Spannungsmoment gelten und speist die Ausgangslage des Brüderkonflikts aus Gen 25–27* subtil in den Kontext ein. Der Vorkontext bereitet die Jabbokerzählung folglich vor und bildet mit ihr einen schlüssigen Zusammenhang. Ähnliches lässt sich auch für den Folgekontext zeigen. Der Grundbestand der Jabbokerzählung endet mit Jakobs Vorüberziehen an Pnuel (Gen 32,32a). Gen 33,1 schließt daran schlüssig an, da der Erzählfaden schlicht weitergeführt wird. Das ist keineswegs selbstverständlich, wie die Gegenprobe beweist. Ordnet man, wie häufig geschehen, Vv. 14–22 dem Grundbestand zu und geht gleichzeitig von einer Fortschreibung um die Jabbokerzählung aus, so müsste Gen 33,1 an Gen 32,22 anschlussfähig sein. Diese Annahme ist wenig plausibel, da Gen 33,1 nach der Notiz, Jakob übernachte im Lager (Gen 32,22), zu plötzlich kommt.237

235 Vgl. zu diesem Aspekt auch Weingärtner, Impertinenz, 274. 236 Ähnlich Seebass, Vätergeschichte II/2, 394. 237 Vgl. zur Problematik dieses Anschlusses auch Arneth, Gotteskämpfer, 353.

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Vor dem Hintergrund des hier vertretenen Grundbestands ist des Weiteren ein Anschluss von Gen 33,1 an Gen 32,9 zu prüfen. Bei dieser Ereignisfolge hätte Jakob von Esau überrascht werden müssen, was aufgrund des erst kurz zuvor geschilderten Eintreffens der Boten unwahrscheinlich ist, aber nicht unmöglich. Gleichwohl ist der Verweis auf die 400 Mann in Gen 33,1 umgekehrt nur schlüssig, wenn die Jabbokepisode als erzählerisch intendierte „Unterbrechung“ mitgedacht ist.238 Weitere Beobachtungen lassen darauf schließen, dass die Folgeerzählung in Gen 33 die Jabbokerzählung voraussetzt. Die Wendung ‫( ויהבקהו‬er umarmte ihn, Gen 33,4) weist Anklänge an die Wurzel ‫ אבק‬aus dem Vorkontext auf.239 Auf Gott wird zudem im Folgekontext gleich mehrmals verwiesen. Insbesondere Gen 33,11 scheint auf Gen 32,29 Bezug zu nehmen. Ist Gen 32,29 korrekt als Deutung der Jakoberzählung insgesamt interpretiert, kann Jakob nun in seinem Hab und Gut die Zuwendung Gottes erkennen. Nicht zuletzt ist die Altarbenennung Jakobs in Gen 33,20 nur vor dem Hintergrund der Jabbokerzählung schlüssig. Stringent erfolgt sie erst nach der Versöhnung mit Esau, in der sich Gottes Zuwendung tatsächlich als wirksam bestätigte. Die genannten Beobachtungen legen nahe, dass es sich bei der Jabbokerzählung nicht um eine kontextabhängige Fortschreibung handeln kann, da ihr Vor- und Nachkontext literarisch auf sie angewiesen sind. Um es mit Köckert zu sagen: „ [es] gibt […] nach Amputation der Szene keinen auch nur einigermaßen befriedigenden Übergang von Gen 32 nach 33.“240 Die einseitige Fokussierung der Forschung auf die Anstößigkeit der Jabbokerzählung hat deren gesamtkompositorisch zentrale Funktion für die Jakoberzählung zuweilen verschleiert.241 Bestimmendes Thema des Grundbestandes ist eine Deutung der Jakoberzählung insgesamt. Der Kampf fungiert dabei als Sinnbild, das aufgrund seiner Konsequenzen die bisherige Leserichtung der Jakoberzählung transformiert. Transformatorische Kraft hat dabei zum einen die implizite Umdeutung der trickreichen Bemühungen Jakobs um die Vormachtstellung vor Esau (und Laban) als „Kampf mit Menschen“; wie auch die implizierte Interpretation seiner Eigenbemühungen um den Segen als „Kampf mit Gott“. V. 29b vermag die ansonsten in der Jakoberzählung strikt getrennten Ebenen Gott-Mensch, MenschMensch miteinander in einem Urteil („du hast es vermocht“) zu vereinen. Während Jakobs zwischenmenschliche Segensbemühungen in einer Flucht mündeten, in der sich der beachtlich profan gehaltene Segen aus Gen 27 als nicht wirksam erwies, erringt er nun den Segen von Seiten Gottes her, der in eine friedliche 238 Mit der erzählerischen Notwendigkeit einer Unterbrechung zwischen Gen 32 (Vorbereitung auf die Begegnung) und Gen 33 (Begegnung) argumentiert auch Eising, Untersuchung, 136, allerdings auf der Grundlage der hier als sekundär ausgewiesenen Geschenkthematik. Im Anschluss an Eising auch Köckert, Jakobs Gegner, 168. 239 Vgl. Schmid, Versöhnung, 215. 240 Köckert, Jakobs Gegner, 168. 241 Vgl. zu dieser Interpretation der Forschungsgeschichte Blum, Komplexität, 43 f.

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Begegnung mit Esau mündet.242 Der entscheidende Fokus der Erzählung liegt folglich auf der Frage, wie sich zwischenmenschlicher und göttlicher Segen zueinander verhalten und der zwischenmenschliche Konflikt zu Gottes Wirken. Die entscheidende Antwort liegt in Jakobs Umbenennung. Jene begründet Jakob als Erzvater eines Volkes und lässt so – und nur so – ein anderes Licht auf die Jakoberzählung fallen. Der Handlungsverlauf der Jakoberzählung erschließt sich somit als ein zunächst menschlicher Kampf um eine menschliche Vormachtstellung in einer Familie, die nur aufgrund ihrer göttlichen Verifizierung auch zur Begründung einer Volksgeschichte werden kann. Die Vormachtstellung ist in ihrer völkergeschichtlichen Dimension weder durch juristisch etablierte Automatismen zu erreichen noch durch menschlichen Betrug.243 Liest man die Jabbokerzählung auf diese Weise, ist sie als gesamtkomposi­ torischer Zentraltext kaum noch zu verkennen. Die für die Jakoberzählung zentrale Segensthematik wird hier ihrem Höhepunkt zugeführt.244 Insofern ist Gen 32,23–33 mit dem Grundbestand des Kontextes gleichursprünglich, hat unmittelbar an Gen 32,9 angeschlossen und wurde durch Gen 33,1 weitergeführt.

6.3 Jakobs Versöhnung mit Esau – Analyse von Gen 33,1–20 6.3.1 Kommentierte Übersetzung245 Und Jakob erhob seine Augen und er sah, und siehe, Esau kam, und mit ihm vierhundert Mann; und er verteilte die Kinder auf Lea und auf Rahel und auf die beiden Mägde. 2Und er stellte die Mägde und ihre Kinder zuvorderst hin und Lea und ihre Kinder zuletzt246 und Rahel und Josef zuletzt. 3Er aber ging vor ihnen her und warf sich sieben Mal zur Erde nieder, bis er sich seinem Bruder genähert hatte. 1

242 Vgl. auch Taschner, Verheißung, 190. Insofern steht Gen 32,23–33 dem Segen aus Gen 27 tatsächlich kritisch gegenüber. 243 So z. B. Hensel, Vertauschung, 163. 244 Vgl. Spieckermann, Gotteskampf, 28. 245 Legende zu den in der Übersetzung angezeigten Bearbeitungsschichten: recte = Grundbestand; fettgedruckt = Edom-Erweiterung aus dem 7. Jh.; kursiv und unterstrichen = Erweiterung um die Familie Jakobs aus exilischer Zeit; unterstrichen = Sukkot-Notiz; Kapitälchen = P-Erweiterung; kursiv = nachpriesterliche Stilisierung von Jakobs Geschenk als Opfer; kursiv und fettgedruckt = nachpriesterliche Hexateuch-Bearbeitung. 246 G, V und S korrigieren aufgrund der Reihung durch die Positionsbestimmung „dahinter“. Gleichwohl ist ebenfalls denkbar, dass Lea und Rahel mit ihren jeweiligen Kindern an dieselbe Position gestellt werden. Vgl. dazu Willi-Plein, Genesis, 220. Dagegen rechnet Westermann, Genesis I/2, 637, mit einer Dittographie. Seebass, Vätergeschichte II/2, 404, übersetzt in beiden Fällen mit „dahinter“. Die Lesart der genannten Textzeugen setzt mit Tal, Genesis, 159*, eine Wertung voraus. Daher soll hier dem MT sowie Smr und T gefolgt werden.

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Aber Esau eilte ihm entgegen und er umarmte ihn und er fiel ihm um den Hals und er küsste ihn247 und sie weinten. 5Und er erhob seine Augen und er sah die Frauen und die Kinder und er sprach: Wer sind jene (bei) dir? Und er sprach: „Die Kinder, derer sich Gott deinem Diener gnädig erwiesen hat.“ 6 Und es näherten sich die Mägde, sie und ihre Kinder und warfen sich nieder. 7 Und es näherte sich auch Lea und ihre Kinder und sie warfen sich nieder und danach näherten sich Josef und Rahel248 und sie warfen sich nieder. 8 Und er sprach: Was wolltest du denn mit diesem ganzen Lager249, dem ich begegnet bin? Und er sprach: „Ich wollte Gnade finden in den Augen meines Herrn.“ 9 Und Esau sprach: „Ich habe viel, mein Bruder, es sei dir, was dir gehört.“ 10Und Jakob sprach: „Nicht doch, wenn ich doch Gnade in deinen Augen gefunden habe, dann sollst du mein Geschenk von meiner Hand annehmen, denn deshalb habe ich dein Angesicht gesehen wie man das Angesicht Gottes sieht und du hattest Wohlgefallen an mir. 11Dann nimm nur meinen Segen, der dir gebracht worden ist250, denn Gott hat sich meiner als gnädig erwiesen, deshalb gehört mir alles.“ Und er drang in ihn und er nahm. 12 Und er sprach: „Lass uns aufbrechen und losgehen und ich will vor dir hergehen251.“ 13Und er sprach zu ihm: „Mein Herr weiß, dass die Kinder zart sind und Kleinvieh und Rinder, die meiner Obhut anvertraut sind,252 (noch) säugen; und wenn man sie einen Tag heftig antriebe253, dann stürbe das ganze Kleinvieh. 14 Mein Herr soll nur vor seinem Diener vorübergehen, ich aber will dir gemäch4

247 Die Bedeutung der puncta extraordinata ist umstritten. Ein Wortspiel zwischen ‫ נשׁק‬und ‫ נשׁך‬veranlasste wohl TJ zu der Deutung, Esau habe Jakob gebissen. Tal, Genesis, 159*, schlägt vor, die puncta extraordinata im vorliegenden Kontext als Hinweis auf die deplatzierte Satzstellung des Wortes zu verstehen. Mit G sei für die Masoreten offenbar einsichtiger gewesen, „küssen“ neben „umarmen“ zu nennen, wie es auch in Gen 29,12 der Fall ist. 248 Rahel und Josef werden in G und S vertauscht, mit der Intention, an V. 2 anzugleichen. Gleichwohl könnte sich dahinter auch das Bemühen verbergen, Josefs Sonderstellung noch pointierter herauszustellen. 249 Die Syntax des Satzes bereitet Übersetzungsprobleme. Hier mit Boecker, Isaak, 105, und Westermann, Genesis I/2, 636. Wörtl.: „Was ist dir dieses ganze Lager?“ 250 Die passivische Verbform, die MT und T bezeugen, wird von Smr, G, V und S, in die 1. Pers. sg. (Hif. ‫ )בוא‬transformiert. Tal, Genesis, 160*, erwägt eine gemeinsame Vorlage, die im unvokalisierten Text ein finales ‫ י‬bezeugte. Gleichwohl lässt sich die aktive Formulierung als intendierte Änderung erklären, insofern sie Jakob als aktiven Segensspender stilisiert. Die passivische Formulierung des MT soll insofern beibehalten werden. 251 Als Übersetzung von ‫ נגד‬ist ebenfalls „dir gegenüber“ möglich. 252 ‫ עלי‬ist in der Übersetzung schwer abzubilden. Blum, Wege, 227, schlägt „darauf muss ich Rücksicht nehmen“ vor. Ruppert, Genesis III, 392, „meiner Obsorge (anvertraut)“. Westermann, Genesis I/2, 637, „ich muss für […] sorgen.“ 253 In der 3. Pers. pl. Perf. Qal mit Suff. nur hier bezeugt. Aus den übrigen Belegstellen von ‫( דפק‬Hld 5,2; Ri 19,22) ist eine Bedeutung in Richtung „klopfen“ gemäß dem Klopfen an einer Tür zu erschließen. Smr, G, V, S, TOJ bezeugen gegen MT und TN die 1 Pers. sg. Die Version des MT ließe sich zwar als intendierte Änderung erklären, die davon ausgeht, dass Jakob die Tiere nicht selbst angetrieben hat. Doch ist das unsicher. Daher hier mit MT.

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lich nachziehen254 nach dem Gang der Arbeit255, die vor mir liegt, und nach dem Schritttempo der Kinder, bis ich zu meinem Herrn komme, nach Seir.“ 15 Und Esau sprach: „Ich will von dem Volk bei dir lassen, das bei mir ist.“ Und er sprach: „Wozu? Möge ich doch Gnade in den Augen meines Herrn finden.256“ 16 Und Esau kehrte an jenem Tag auf seinen Weg zurück nach Seir. 17 Jakob aber brach nach Sukkot auf und er baute sich ein Haus und seinem Vieh machte er Hütten, deshalb nennt man den Namen des Ortes Sukkot. 18 Und Jakob kam wohlbehalten257 in die Stadt Sichem, die im Land Kanaan liegt, als er aus Paddan Aram kam und er lagerte vor der Stadt. 19Und er kaufte ein Stück Feld, dort, wo er sein Zelt aufgespannt hatte, von den Söhnen Hamors, des Vaters Sichems, für hundert Kesita. 20Und er stellte dort einen Altar auf und er nannte258 ihn „ein Mächtiger ist der Gott Israels“.259

6.3.2 Textabgrenzung In Gen 33,1 wird mit der szeneneinleitenden Formulierung ‫ וישׂא יעקב עיניו‬ein neuer Handlungsbogen eröffnet. Da Esau als Handlungsakteur in das Erzählgeschehen eintritt und Jakobs Frauen und Kinder erneut erwähnt werden, ändert sich mit Gen 33,1 die Personenkonstellation. Während Gen 32,32a notiert, Jakob habe Pnuel verlassen, lokalisiert Gen 33 die Ereignisse nicht. Esaus Herannahen lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Wiederbegegnung der Brüder. Gen 33,1 baut sichtlich auf den Vorkontext auf. So wird die Erwähnung von Esaus 254 In der 1. Pers. sg. Coh. Hit. von ‫ נהל‬nur an dieser Stelle. 255 TSmr versteht ‫ המלאכה‬als ‫( המהכלה‬Reise / Gang). So wohl auch die Übersetzung der G mit τῆς πορεύσεως. Mit Blum, Wege, 228, wohl „eine durch ‫ לרגל‬induzierte Verlesung“. Blum übersetzt an dieser Stelle mit „Geschäft“. Tal, Genesis, 160*, erwägt eine „ancient tradition of interpretation“. 256 Das Verständnis des Teilverses bereitet Übersetzungsprobleme, wie auch G und V beweisen, die infolgedessen freier übersetzen. Smr und T legen statt einer ängstlichen, eine dankbare Abweisung des Angebots nahe. Vgl. Tal, Genesis, 160*. 257 G und S verstehen ‫ שׁלם‬als Ortsbezeichnung. So auch Jdt 4,4. Die Verbindung könnte aus einer Identifikation von Salem mit dem vier km östlich von Sichem gelegenen Ort Sālim herrühren. Vgl. Jericke, Art. Salem. Das Verständnis von ‫ שׁלם‬an dieser Stelle ist Gegenstand weitreichender Diskussionen. Die Übersetzung folgt V, T und Smr, die das Lexem als Adverb (wohlbehalten) auffassen. Vgl. Tal, Genesis, 161*. 258 G korrigiert gegen Smr, S und MT den Sinn des Verses, da G die Benennung eines Altars ungewöhnlich erscheint. Bei G wird nicht der Altar benannt, sondern Jakob ruft unter Ausschluss von ‫ לו‬dort den Gott Israels an. Nach Blum, Wege, 228, ist die Übersetzung von G allerdings nicht stimmig, da ‫ קרא אל‬immer ein spezifisches Gebetsanliegen impliziere. Ähnlich wie G auch TN und V. TO und TJ, die über G hinaus den Text zugunsten von Jakobs Gläubigkeit auslegen, um das Problem zu umgehen. Vgl. Tal, Genesis, 161*. 259 Vgl. zur Übersetzung Boecker, Isaak, 111; Blum, Wege, 233. An Blum anschließend auch Köckert, Jakobüberlieferung, 53 Anm. 51. El bildet nicht das Subjekt, sondern das Prädikat des Satzes. „Israel“ ist als Selbstbezeichnung Jakobs aufzufassen (s. u.).

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Begleitung durch 400 Mann aus Gen 32,7 unter Variierung der Syntax wieder aufgenommen.260 Gen 33,1 führt den in Gen 32 begonnenen Handlungsbogen lückenlos fort, was durch die fehlende Itinerarnotiz zusätzlich verstärkt wird. Jakobs Verneigungen vor seinem Bruder (Gen 33,3) setzen seine körperliche Unversehrtheit voraus. Der Umstand erklärt sich aus einer sekundären Erweiterung um Jakobs Verletzung in Gen 32,23–33. Die Textabgrenzung nach hinten ist ungleich problematischer. Vordergründig läge eine Abschnittsgrenze nach V. 17 nahe, da die Korrespondenz zwischen Esaus und Jakobs Wegzug einen Erzählschluss schafft und Jakobs Ansiedlung in Sukkot eine tiefe zeitliche Zäsur markiert.261 Daraus entsteht indes die Schwierigkeit, die Vv. 18–20 angemessen zuordnen zu können. Die einheitliche Lokalisierung in Sichem sorgt für eine gewisse Geschlossenheit der Verse, allerdings präsentieren sich Vv. 18–20 unter inhaltlichen Gesichtspunkten nicht als ein in sich ruhender Erzählzusammenhang, da ein Handlungsbogen fehlt.262 Eine Zuordnung zu Gen 34,1 ist mit Problemen behaftet, denn der Abschnittsbeginn ist dort durch die Einführung Dinas, der Tochter Jakobs, deutlich als Neueinsatz markiert. Darüber hinaus werden die Kinder Jakobs in Gen 34 als Erwachsene vorausgesetzt, was durch Gen 33,18–20 ebenso wenig vorbereitet wird wie die konkrete Konfliktthematik zwischen Hamor und Jakob.263 Auch die Abschnittsmarkierungen des MT erleichtern die Schwierigkeiten der Textabgrenzung nicht, denn MT setzt sowohl nach V. 17 als auch nach V. 20 Setuma. Da Jakobs Reise auf der Endtextebene erst mit Gen 34,1 zu einer erzählerisch ausgeführten zeitlichen Unterbrechung kommt, soll die Abschnittsgrenze an dieser Stelle nach V. 20 gezogen werden. Inhaltlich ist diese Entscheidung insofern berechtigt, da Vv. 18–20 die Präsentation Jakobs als Nomaden fortführen, kein Wechsel auf der Ebene der Handlungsakteure zu verzeichnen ist und mit ‫( שׁלם‬V. 18) – wie auch mit der Altarbenennung in V. 20 (Israel) – auf den vorausliegenden Kontext (Gen 32,23–33) Bezug genommen wird. Bereits V. 17 setzt eine notizartige Reihung von Aufenthaltsorten Jakobs in Gang, die mit dem Altarbau in Sichem (V. 20) zu einem vorläufigen Ruhepunkt gelangt.

260 Gen 32,7: ‫ ;וארבע־מאות אישׁ עמו‬Gen 33,1: ‫ועמו ארבע מאות אישׁ‬. 261 Vgl. z. B. Seebass, Vätergeschichte II/2, 405; Nauerth, Untersuchungen, 199; Wahl, Jakobserzählungen, 227; Blum, Komposition, 148; Klein, Leseprozess, 135. 262 Vgl. Taschner, Verheißung, 168: „Die Verse 33,18–20 stehen […] in einer merkwürdigen Stellung zwischen Eingebundensein und Isoliertheit zum übrigen Handlungsverlauf.“ 263 Vgl. Blum, Wege, 234. Gegen Ausleger, die besagte Verse als redaktionelle Brücke werten. Vgl. etwa Gunkel, Genesis, 368.

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6.3.3 Aufbau und Gliederung Gen 33,1–20 hat die Geschehnisse um die Wiederbegegnung zwischen Jakob und Esau zum Gegenstand. Der Abschnitt ist großflächig in die Begegnung der Brüder (33,1–11) und deren Trennung (33,12–20) zu unterteilen.264 Die beiden Großabschnitte lassen sich wiederum in mehrere Kurzabschnitte gliedern. Der erste Kurzabschnitt (Vv. 1–3) hat expositorische Funktion und schildert die Vorbereitungsmaßnahmen für Jakobs Begegnung mit Esau.265 Jakob verteilt angesichts der Gefahrensituation zunächst die Kinder auf die jeweiligen Frauen und bringt sie anschließend entsprechend gruppiert in Stellung. Jakobs präventive Verteilungsstrategie ist aus Gen 32,8 bekannt (‫)חצה‬,266 die Reihung in Gen 33,2 rekurriert auf das Vorgehen Jakobs bei der Präsentation der Geschenke in Gen 32,14–22 (‫אהרי‬,‎ ‫)הראשׁון‬. Aufgrund Jakobs unterschiedlichen taktischen Vorgehens in den beiden Referenztexten verwundert es nicht, dass in der Forschung Dissens darüber besteht, worin die Aussageabsicht der Verteilung der Jakobfamilie besteht. Die Mehrheitsmeinung nimmt, dem Rekurs auf Gen 32,8 gemäß, eine Schutzmaßnahme an,267 wohingegen Westermann eine „feierliche[] Aufstellung“268 vermutet. Aufgrund der besonderen Situation wird Ersteres zutreffend sein. Die Reihenfolge, in der die Jakobfamilie arrangiert wird, folgt von Gen 29* her besehen einer unbestreitbaren Prioritätenlogik. Rahel und Josef, denen Jakobs besondere Liebe gilt, werden als Letzte und Josef als einziges der Kinder namentlich genannt. V. 3 greift im Rahmen der Demutsgeste Jakobs gegenüber Esau (V. 3) mit ‫עבר‬ ein Leitverb der Abschnitte Gen 32,14–22; 32,23–33* auf.269 Zudem weisen die Verben ‫נשׁק‬,‎‫ נגשׁ‬und ‫ שׁחה‬auf Querbezüge zu Gen 27,21–27.29 hin.270 Der Vorgang des siebenmaligen Verbeugens spielt eine, aus dem altorientalischen Umfeld bekannte Geste ein, mit der sich ein Vasall seinem Herrn nähert.271 Jakobs Geste korreliert mit dem vorherrschenden Demutsvokabular der Gesamtszenerie (‫אדני‬, ‫)עבד‬.272 Synchron besehen trifft hinsichtlich der Herrschaftsverhältnisse 264 Vgl. z. B. Schmid, Versöhnung, 219 f.; Hensel, Vertauschung, 169. 265 Seebass, Vätergeschichte II/2, 406, begrenzt die Exposition auf V. 1a und fasst die Vv. 1b–8 unter dem Stichwort „Verwicklungen“ zusammen. 266 Vgl. Fokkelman, Art, 223; Taschner, Verheißung, 159 f. 267 Vgl. etwa Fokkelman, Art, 223; Taschner, Verheißung, 160. 268 Westermann, Genesis I/2, 639. 269 Dass der Erzählfortschritt auf Jakobs selbstloses Vorangehen ziele, wie Taschner, Verheißung, 160, im Anschluss an Fokkelman, Art, 223, meint, halte ich für überzeichnet. Vgl. auch die Kritik bei Boecker, Isaak, 107, der sich in ähnlicher Weise gegen Gunkel wendet. 270 Vgl. Fokkelman, Art, 223; Taschner, Verheißung, 160 f. 271 Vgl. die viel rezipierte Parallele in den Amarna-Briefen (EA 286,3; 289,3; 292,5–7). 272 Bridge, Slave, versucht unter Anwendung des Konzepts der „Politeness Theory“ zu zeigen, dass die Wahl der Sprache nicht auf die Stilisierung einer Vasallitätsgeste zurückzuführen ist, sondern als Höflichkeitsgebaren unter ranggleichen Partnern fungiert, um eigene Ziele zu erreichen.

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zwischen den Brüdern gewissermaßen Umgekehrtes ein, als in den Segensworten von Gen 27,29.40 verheißen.273 Auch die materielle Segensabsage an Esau (Gen 27,39) scheint sich am Ende nicht zu bewahrheiten: Esau hat auch ohne Erstgeburtssegen genug materielle Güter (‫)רב‬. Mittels Subjektwechsel und einer Kette von Impf. cons. deutet sich in V. 4 der Beginn eines neuen Abschnittes an, der bis V. 5 reicht.274 Nachdem Jakob mit seinen Vorbereitungsmaßnahmen ausführlich in den Blick genommen worden ist, wird nun Esaus Reaktion fokussiert. Die kurzatmige Verbfolge, die inhaltlich eine rasche Intimitätssteigerung zwischen den Kontrahenten vor Augen führt (umarmen, um den Hals fallen, küssen), ist dementsprechend weitgehend an dem Handlungssubjekt Esau ausgerichtet. Die friedliche Begegnung seitens Esaus sorgt für Überraschung, da sie der furchtsamen Stimmung, die in Vv. 1–3 seitens Jakobs noch vorherrschte, kontrastiv gegenübersteht. Während sich Jakob unter Verbeugungen seinem Bruder nur vorsichtig nähert (‫נגשׁ‬, V. 3), eilt ihm jener entgegen (‫רוץ‬, V. 4).275 Darüber hinaus wird, wie durchgängig beobachtet, die Formulierung ‫ וישׂא יעקב עיניו‬aus V. 1 in V. 5 wieder aufgenommen (‫)וישׂא את־עיניו‬.276 Während in V. 1 Jakob das 400 Mann starke Gefolge Esaus erblickt, sichtet Esau in V. 5 Jakobs Gefolge, seine Familie. Esaus bedrohliche Truppe wird insofern der Familie Jakobs als Gegenpol gegenübergestellt und auf diese Weise Jakobs Unterlegenheit und Friedfertigkeit nachhaltig in Szene gesetzt. Aufgrund der Strukturparallelen wird eine Verbindung zwischen dem ersten und zweiten Teilabschnitt deutlich. Sie besteht in einem inneren Rahmen (Vv. 3.4) und einem äußeren (Vv. 1.5), von dem V. 2 geringfügig enthoben ist.277 Gleichzeitig ist mit der Deutung der Kinder Jakobs als Gottesgabe (V. 5b) auf Gen 29,31–30,24 angespielt.278 Mit dem Subjektwechsel in V. 6 tritt nun Jakobs Familie durch Verbeugungen und Annäherungen an Esau gestaffelt in Aktion. Dabei wird die Aufstellungsreihenfolge aus V. 2 berücksichtigt und unter Gebrauch ähnlichen Vokabulars zu 273 Vgl. Blum, Komposition, 146; Schmid, Versöhnung, 216. 274 Andere Exegeten setzen einen Gliederungseinschnitt nach V. 4. Vgl. Taschner, Verheißung, 159; Hensel, Vertauschung, 169; Fokkelman, Art, 224: „The Text shows how the brothers look to eacht other“. Die angeführten Exegeten begründen die Entscheidung mit einem Perspektivwechsel im Sinne Fokkelmans. Allerdings ist bereits mit V. 4 Esau der aktive Part in der Handlung zugeschrieben. Aufgrund der oben genannten Gründe ist daher ein Gliederungseinschnitt, der sich an den o.g. Kriterien orientiert, m. E. plausibler. 275 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 639. 276 Vgl. z. B. Hensel, Vertauschung, 169; Taschner, Verheißung, 159. 277 Die herausgestellte Struktur spricht gegen eine literarkritische Trennung von Vv. 1 ff. und Vv. 4 f., wie sie vornehmlich von Vertretern der Quellenscheidung vertreten worden ist. Vgl. bspw. Graupner, Elohist, 283. 278 Gegen Kessler, Querverweise, 134, der eine deutliche Querverbindung ablehnt. Da die stärkste Verbindung von Gottes Eingreifen mit den ersten vier Söhnen Jakobs gegeben ist, welche ohne Zweifel dem Grundbestand zuzurechnen sind, ist ein Rekurs auch bei der Annahme von Gen 29,31–30,24 als gewachsenen Text plausibel.

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V. 3 das Vorgehen der Familie an dem Vorbild Jakobs ausgerichtet.279 Das Demuts­ gebaren der Jakobfamilie hat keine unmittelbaren Konsequenzen. Vv. 6 f. bildet darüber hinaus mit V. 2 eine mit dem Kontext lose verbundene Klammer um den Handlungshöhepunkt.280 V. 8 leitet einen weiteren Teilabschnitt ein (Vv. 8–11), der in Form eines zweiten Redeganges auf ein „Lager“ Jakobs Bezug nimmt und insofern einen Themenwechsel markiert.281 Unter Aufnahme der Formulierung der ersten Redeeröffnung in V. 5bβ (‫)מי לך‬, erkundigt sich Esau nach „diesem ganzen Lager, dem ich begegnet bin“ (V. 8). Stichwortartig wird mittels ‫ מחנה‬auf Gen 32,4–9 angespielt.282 Es folgt eine Verhandlung über nicht weiter explizierte Güter, die Esau von Jakob übermittelt werden sollen. Folgerichtig beschließt das Verb ‫ ויקח‬den Abschnitt mit deren Annahme durch Esau (V. 11). Der Verhandlungsgegenstand wird indes mit unterschiedlichen Terminologien belegt (‫[ מחנה‬V. 8]; ‫[ מנחה‬V. 10]; ‫[ ברכה‬V. 11]). Daher bleibt im Dunkeln, auf welchen Gegenstand sich die Begriffe konkret beziehen. Auf der Grundlage des Dialoges kann deren Gehalt nicht eindeutig bestimmt werden, da die Protagonisten interpretierend darauf Bezug nehmen. Während V. 10 mittels ‫ מנחה‬auf Gen 32,14–22 Bezug nimmt,283 rezipiert V. 11 mit ‫ ברכה‬ein Leitwort von Gen 27; 32,23–33.284 Auf die Problematik wird im Zuge der Literarkritik näher einzugehen sein. Die Aufforderung Jakobs, das Geschenk anzunehmen, wird mittels eines Konditionalsatzes formuliert, der in V. 10 einsetzt und in V. 10aβ und in V. 11 eine doppelte Weiterführung erfährt. In beiden Fällen ist die Apodosis mit einer Be 279 Der Prozess von Verbeugen und Nähern ist indes im Vergleich zu V. 3 hier ebenso vertauscht wie die Reihenfolge von Rahel und Josef aus V. 2. Vgl. Nauerth, Untersuchungen, 202; Taschner, Verheißung, 162. 280 Vgl. zur rahmenden Funktion Westermann, Genesis I/2, 638; Nauerth, Untersuchungen, 202. Schmid, Versöhnung, 220, will Vv. 6 f. als Zentrum erkennen, das von V. 5 und Vv. 8–11 gerahmt wird. Die Problematik der „Asymmetrie des zweimaligen Wortwechsels in V. 8–11 gegenüber dem einmaligen in V. 4“ wird von Schmid eigens angesprochen. Sein Gegenargument, dieses Problem werde durch V. 4 kompensiert, überzeugt nicht restlos. 281 Vgl. zum Gliederungseinschnitt Kessler, Querverweise, 132; Klein, Leseprozess, 142; Schmid, Versöhnung, 220; Westermann, Genesis I/2, 639. Gegen Seebass, Vätergeschichte II/2, 406 der einen Gliederungseinschnitt nach V. 8 setzt. Dagegen spricht, dass V. 9 nicht als Redeeröffnung verstanden werden kann, sondern Esau deutlich auf V. 8 reagiert, inhaltlich und szenisch insofern ein Zusammenhang besteht. 282 Kessler, Querverweise, 132, bestreitet gegen Gunkel, Genesis, 367, und von Rad, Genesis, 286, einen Rückbezug auf Gen  32,4–14 und schlägt stattdessen einen Rückbezug auf Gen 32,14b–22 vor, da Esau die Geschenke, die nun alle bei ihm eingetroffen seien, als „Lager“ zusammenfasst. Ähnlich Fokkelman, Art, 224 f. Der Text bietet dafür indes keine Indizien. 283 Vgl. Kessler, Querverweise, 133. 284 Hensel, Vertauschung, 171, rechnet in Gen 33,11b, mit einer Anspielung auf Gen 27,35.36, da ‫ ברכה‬und ‫ לקח‬in Verbindung abgesehen von Gen 33,11b nur an diesen beiden Stellen genannt wird. Da sich Gen 27,36a als redaktioneller Eingriff erwiesen hat, muss an dieser Stelle ein Rückbezug auf Gen 27,35 vorliegen (s. u.).

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gründung versehen, die jeweils durch ‫ כי‬eingeleitet ist.285 Jakobs Argumentation basiert zentral auf dem Leitwort ‫חן‬/‎‫חנן‬: Da Gott sich Jakob gegenüber als gnädig erwiesen hat (vgl. auch V. 5), hat er „alles“ und kann auf einen Teil seines (Segens-) Gutes getrost verzichten. ‫ ברכה‬wird hier zwar in einem materiellen Bedeutungsgehalt rezipiert,286 weist allerdings dennoch über sich hinaus. Jakob ist gegenüber Esau eine gesteigerte Fülle zugeschrieben (‫כל‬, V. 9), aufgrund derer er sich begnadet sieht, obwohl Esau – wohl nicht ohne Kritik an Gen 27287 – bezeugen kann, er habe viel (‫רב‬, V. 9a). Sowohl in V. 5 als auch in V. 8 mündet die Frage Esaus (‫ )מי לך‬in Jakobs Verweis auf die Gnade Gottes. Während jene sich bereits bewahrheitet zu haben scheint, besiegelt Esau seine Gnade gegenüber Jakob letztgültig erst mit V. 11 (‫)לקח‬ – vor dem Hintergrund der Bedingung, die Jakob in V. 10 formuliert hatte (‫)לקח‬. V. 10b ist der Leitwortebene des Abschnittes aufgrund des Nomens ‫ פנים‬und des Wechsels von ‫ חן‬zu ‫ רצה‬geringfügig enthoben288 und weist sprachliche Anleihen an Gen 32,31 auf.289 Nach dem Abschnittsende in V. 11, das durch ‫ ויקח‬angezeigt ist, hebt V. 12 zu einem neuen Dialog an, der gleichwohl den vorausliegenden Abschnitt ohne erneute Subjektnennung nahtlos fortführt. Inhaltlich ist der bis V. 16 reichende Großabschnitt am treffendsten mit dem Stichwort „Trennungsverhandlungen“ zu überschreiben. Während das Demutsvokabular im vorherigen Abschnitt aufgrund der aktiven Rolle Jakobs zurückgetreten war,290 wird jenes an dieser Stelle wieder verstärkt eingespielt. Insofern ist erneut eine deutlich distanziertere Stimmung in das Erzählgeschehen eingebracht. Mit ‫ עבר‬und ‫ לפני‬werden Leitworte der Exposition wie auch von Gen 32 wieder aufgenommen. Während im vorausliegenden Abschnitt Jakob die Verhandlung führte, übernimmt nun Esau diese Rolle. Er schlägt vor, Jakob zu begleiten, was Jakob mit Rücksicht auf sein Gefolge unter dem Versprechen ablehnt (Vv. 13–14), Esau nachzuziehen. Die Erwähnung von Jakobs Kindern und seinen Schafen und Rindern setzt Gen 30–31 voraus. Mittels der Redeeinleitung und der Subjektnennung in V. 15 wird Esau ein neuer Überzeugungsversuch zugeschrieben, der erneut auf eine Widerrede Jakobs 285 Vgl. auch die graphische Darstellung bei Hensel, Vertauschung, 170. 286 ‫ ברכה‬kann im alttestamentlichen Sprachgebrauch auch als Gabe verstanden werden. Vgl. Jos 15,19; 1 Sam 25,27; 30,26; 2 Kön 1,15; 18,31. Vgl. zu dieser Bemerkung auch Hensel, Vertauschung, 171 Anm. 452. 287 Vgl. auch Taschner, Verheißung, 161: Jakob verdanke seinen Status Gottes Gnade und nicht dem Isaak-segen. So auch Schmid, Versöhnung, 216, der darin eine „Kritik an einem solchen magischen Segensverständnis“ erkennt. 288 ‫ רצה‬wird überwiegend in kultischen Kontexten gebraucht und bezeichnet ursprünglich die göttliche Annahme eines Opfers. Vgl. Klein, Jakob, 149. 289 Gegen Kessler, Querverweise, 135, der dies bestreitet. 290 Das Demutsvokabular tritt genau genommen in dem Moment zurück, in dem Esau Jakob in V. 9 erstmals als Bruder anspricht.

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stößt. V. 15b ist über die Formulierung ‫ אמצא־חן בעיני אדני‬mit V. 10 verbunden und soll auf vergleichbare Weise Esau zur Zustimmung bewegen. Die Akzeptanz gegenüber den Einwänden Jakobs wird mit dem Wegzug Esaus besiegelt (V. 16). V. 17 stellt eine eigenartige Zwischenzäsur dar und ist unter dem Gesichtspunkt der Gliederung nicht zweifelsfrei zuzuordnen.291 Einerseits liegt aufgrund der syntaktischen Inversion des Subjektes Jakob ein zu V. 16 analoger Erzählschluss nahe.292 Andererseits steht V. 17 als notizartige Wegstation mit den Folgeversen stilistisch in Verbindung.293 V. 17 widerspricht inhaltlich einerseits dem Versprechen Jakobs aus dem Vorkontext, Esau nach Seir nachzuziehen, bereitet andererseits allerdings ebenso wenig die Folgehandlung stringent vor, da sich Jakob hier im Gegensatz zu Vv. 18–20 fest ansiedelt. Die Problemanzeige verweist auf eine literarkritische Lösung an späterer Stelle. V. 18 setzt mit einer Renominalisierung „Jakob“ und einer neuen Wegstation „Sichem“ ein. Jakobs Besitz erweitert sich nun um den Erwerb eines Stückes Land. Die Erwähnung Hamors ist perspektivisch bereits an der Folgeerzählung ausgerichtet. Im Adverb ‫( שׁלם‬wohlbehalten) greift der Abschnitt gleichzeitig die Bewahrung Jakobs in der friedlichen Wiederbegegnung mit Esau rückwärtig auf. Der Abschnitt schließt in V. 20 mit dem Bau und der Benennung eines Altars, der mit „Israel“ einen Bezug zur Jabbokerzählung herstellt. Aus den dargestellten Strukturbeziehungen ergibt sich folgende Gliederung:294 Wiederbegegnung 1–3 zwischen Jakob und Esau 4–5 (Gen 33,1–11)

Vorbereitungen Jakobs auf die Wiederbegegnung mit Esau, Proskynese Jakobs Freundliche Begegnung mit Esau und Verweis auf Jakobs Familie

6–7

Proskynese der Jakob-Familie

8–11

Verhandlungen über Güterübermittlung

Trennungs­ verhandlungen (Gen 33,12–16)

12–14

Esaus Vorschlag zum gemeinsamen Weiterziehen und Jakobs Ablehnung

15–16

Esaus Vorschlag zur Begleitung durch Truppen und Jakobs erfolgreiche Ablehnung

Wegnotizen zu ­Jakobs Reise (Gen 33,17–20)

17

Jakobs Ansiedlung in Sukkot

18–20

Jakobs Ankunft in Sichem (Grundstückskauf und Altarbau)

291 Vgl. die Gliederung bei Seebass, Vätergeschichte II/2, 406. Eising, Untersuchung, 137, wertet V. 16 als Abschnittsende. 292 Stellvertretend für die Mehrheitsmeinung sei hier Blum, Komposition, 147–149, genannt. 293 Vgl. Boecker, Isaak, 106.109. 294 Vgl. zur Grobgliederung Boecker, Isaak, 105 f.

290

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6.3.4 Literarkritik Die oben thematisierte Problematik um die Abschnittsgrenze und die Zuordnung der Vv. 18–20 wurde im Zuge der Quellenscheidung mit einer Verteilung auf zwei Quellen gelöst. Wellhausen schrieb Gen 33,1–17 dem Jahwisten zu, rechnete allerdings mit elohistischen Einsprengseln (Gen 33,5.10.11).295 Gen 33,18–20 galt als E-Bestand. Jakobs Aufenthalt in Sichem wurde in diesem Zuge als Alternative zu seinem Aufenthalt in Bet-El in Gen 35,1–4.7 (J) gelesen.296 Bei genauerer Betrachtung fällt die Zuordnung zu den Quellenschriften bei unterschiedlichen Exegeten jedoch höchst disparat aus.297 Daher verwundert es kaum, dass eine Quellenscheidung im vorliegenden Abschnitt zusehends in Zweifel gezogen worden ist.298 Eine literarkritische Trennung zwischen Gen 33,1–17 einerseits und Gen 33,18–20 andererseits wird bleibend praktiziert, allerdings im Zusammenhang mit Fortschreibungs- oder überlieferungsgeschichtlichen Modellen vertreten.

6.3.4.1 Jakobs Familie (Gen 33,1bβ–2.6–7) Durch die Erwähnung von Jakobs Familie ist eine Querverbindung zu Passagen geschaffen, die im Zuge vorausgehender Analysen als sekundäre Erweiterungen bestimmt worden sind. Im vorliegenden Kontext betrifft dies die Erwähnung der (beiden) Mägde in Vv. 1bβ.2a.6. Die literarkritischen Argumente für eine sekundäre Erweiterung sind im vorliegenden Textabschnitt nicht offenkundig.299 Die Erweiterung um die Mägde lässt sich dennoch erkennen. In V. 1b wird die Verteilung der Kinder auf Lea und Rahel genannt. Das für die Darstellung verwendete Verb ‫ חצה‬spielt auf die Verteilung von Jakobs Gefolge auf zwei Lager in Gen 32,4–9 an.300 Streng genommen wird Jakobs Vorgehen nur unter der 295 Vgl. Wellhausen, Composition, 45; Gunkel, Genesis, 365. Zur Zuordnung zu J vgl. auch Boecker, Isaak, 106, allerdings unter Verzicht auf E-Einsprengsel. 296 Vgl. de Pury, Promesse, 529. Otto, Sichem, 67, hingegen ordnet beide Sichem-Notizen E zu. Vgl. zur umstrittenen Zuordnung der Vv. 18–20 Graupner, Elohist, 288 Anm. 586. 297 Vgl. Gunkel, Genesis, 368. Anders Seebass, Vätergeschichte II/2, der den Grundbestand für E anberaumt (1–3.5–7.11–17), die Einsprengsel für J (4.8–10). Otto, Sichem, 67, ordnet Vv. 18–20* weitestgehend E zu, Nentel, Jakobserzählungen, 263, hingegen schließt sich Noth, Überlieferungsgeschichte, 31.38 an, und definiert Gen 33,4–5.8–11 als „elohistische Schicht“. Die verbleibenden Verse schreibt er dem Jahwisten zu. So auch Graupner, Elohist, 283 f. Einer solchen Quellenzuweisung spricht schon entgegen, dass Vv. 6–7 nur vor dem Hintergrund von Vv. 4–5 verständlich sind. Darüber hinaus fehlt J im Rahmen dieser These eine Versöhnung zwischen Jakob und Esau. 298 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 638; Kessler, Querverweise, 129 ff.; Blum, Komposition, 142. 299 Vgl. zu dieser Problematik auch Nauerth, Untersuchungen, 215, der dennoch für eine literarkritische Entscheidung in dieser Sache votiert. 300 Vgl. z. B. Graupner, Elohist, 283.

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Analogie zu Gen 32,4–9 auch in Gen 33,1 als Schutzmaßnahme ersichtlich, da die Verteilungsaktion in Gen 33 nicht begründet wird. Aufgrund der deutlichen Querverbindung wird anzunehmen sein, dass Jakob seine Kinder auch hier strategisch auf zwei Parteien aufteilt, um einem Teil seiner Nachkommen im Falle eines Angriffs durch Esau die Flucht zu ermöglichen und so den Erhalt seiner Nachkommen zu sichern. Mit den Mägden wird entgegen dieser Analogie eine dritte Partei geschaffen. Insofern tritt weniger die Schutzmaßnahme als die Hierarchie des Gefolges in den Vordergrund. V. 2 verfolgt das deutliche Ziel, Frauen und Kinder zugunsten der Sonderstellung Josefs zu hierarchisieren.301 Da sich eine besondere Vorliebe für Josef nicht unmittelbar aus Gen 29,31–30,24 ableiten lässt, spielt die Erweiterung um eine Schutzmaßnahme für Jakobs geliebte Frau Rahel eine Vorrangstellung Josefs vor seinen anderen Brüdern subtil ein. Im Gegenzug dazu werden im Grundbestand von Gen 33,1–20 Jakobs Kinder gemeinsam als Gnadenerweis Gottes bezeichnet (vgl. auch Gen 35,5), was einigen der Geburtsnotizen aus Gen 29,31–30,24 entspricht. Die Vv. 1*–2 bereiten Vv. 6–7 über die Aufstellungsreihenfolge vor. Die Verse sind ihrerseits geringfügig dem Zusammenhang enthoben. Esau reagiert im Anschluss an die Annäherung von Jakobs Familie trotz expliziter Nachfrage nicht mehr auf jene.302 Das dreimalige ‫ וישׁתחוו‬separiert nachdrücklich die jeweiligen Parteien und schärft beim Leser die Hierarchisierung innerhalb der Familie ein, in der Josef ebenfalls eine Sonderstellung zukommt. Zu diesem Zweck werden nun auch wieder die Frauen Jakobs genannt, auf die Jakob in V. 5 nicht eingegangen war. Zwar ist die Vorgehensweise an V. 3 orientiert, unterscheidet sich allerdings auch in konzeptionellen Punkten. Zum einen werden die Elemente von „Nähern“ und „Beugen“ vertauscht, sodann wird auf die Vasallitätsgeste für die Frauen verzichtet.303 Vv. 6–7 liegen insofern ebenfalls als Erweiterung nahe.304 Sowohl 301 Westermann, Genesis I/2, 639, wertet die Geste dementsprechend als „Ergebenheits­ bezeugung“. 302 Vgl. etwa Graupner, Elohist, 283. So ist für die gesamte Szenerie die Funktionslosigkeit der Frauen und Kinder Jakobs beobachtet worden. Vgl. Eising, Untersuchung, 137: „Als Nebenpersonen haben ihre Glieder aber keine wirkliche Bedeutung für die eigentliche Handlung. Ihr Tun […] könnte auch fehlen, ohne die Handlung als solche zu beeinträchtigen.“ 303 Ähnlich Nauerth, Untersuchungen, 215. Der konzeptionelle Unterschied zwischen V. 3 und V. 6 wird interessanterweise bereits in deutschen Übersetzungen greifbar. Vgl. z. B. die Elberfelder Bibel, die in V. 3 mit „er warf sich nieder“, in V. 6 mit „und sie verneigten sich“ übersetzt. 304 Ähnlich, allerdings unter der Annahme einer großräumigeren Erweiterung (Vv. ­1b–3.5–7) Levin, Jahwist, 257 f. Ebenso Kratz, Komposition, 273 Anm. 57. Gegen die genannten Rekons­ truktionsversuche spricht, dass von der gesamten Versöhnungserzählung im Grundbestand nur noch Gen 33,1a.4 übrigbleibt, womit fraglich ist, ob ein solches Ende noch erzählenswert gewesen sein kann. Seebass, Vätergeschichte II/2, 409, erwägt eine Erweiterung um Vv. 1b–2.5–7, die das Zusammentreffen zweier ostjordanischer Heerführer zu einer Familiengeschichte umakzentuierten. Dagegen spricht schon die Anrede Esaus gegenüber Jakob mit „mein Bruder“, die sich nicht methodisch fundiert aus dem Zusammenhang lösen lässt.

292

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in V. 2 als auch in Vv. 6–7 steht zudem die gesonderte Erwähnung Josefs im luftleeren Raum. Sie wird weder von Jakob selbst aufgegriffen, noch von Esau, noch spielt sie im Vor- oder Folgekontext eine Rolle. Interessant ist, dass das in Vv. 7–8 gebrauchte Verb ‫( חוה‬niederwerfen, verneigen) nicht prominent in der Jakoberzählung, sondern gehäuft in der Joseferzählung belegt ist – dort in Kontexten, in denen sich die Brüder vor Josef verneigen.305

6.3.4.2 Inkohärenzen im Zusammenhang von Gen 33,8–11 Im Rahmen der Analyse zum Aufbau von Gen 33,1–20 wurde bereits auf die Undurchsichtigkeit verwiesen, mit der sich der Leser im Redegang von Gen 33,8–11 konfrontiert sieht. Jene liegt darin begründet, dass beide Protagonisten ihre Verhandlungsabsichten nicht offenlegen und nur subtil kommunizieren. Hinzu tritt der Gebrauch von Leitbegriffen aus der Vorerzählung, welche dort anders konnotiert sind. Zunächst beantwortet Jakob Esaus Nachfrage nach dem „Lager“ nicht explizit mit einer Vorsichtsmaßnahme, was vor dem Hintergrund von Gen 32,4–9 den Stichwortbezügen entspräche, sondern spricht verschleiernd von der Absicht, damit Gnade vor Esau gefunden haben zu wollen. Wie lassen sich die disparaten Rekurse entschlüsseln? In der Forschung wurde in Erwägung gezogen, dass Jakob in Gen 32,4–9 bereits das „Lager“ als Geschenk angeboten hatte.306 Demzufolge würde Jakob in Gen 33,8 die Hoffnung auf Gnadenersuch in der Erinnerung an die überbrachten Geschenke begründet sehen. Diese Deutungsmöglichkeit bewährt sich allerdings nicht, da in Gen 32,4–9 hierfür jegliche Anzeichen fehlen. Jakob spricht an dieser Stelle gerade nicht von „viel Vieh“ o.Ä. Anzeichen, die auf ein konkretes Angebot hinweisen, sucht man vergebens. Vielmehr lässt sich Jakobs Mitteilung an Esau dort als Beteuerung einer friedlichen Annäherung verstehen. Diese Einschätzung wird durch den Aufbau des Abschnittes gestützt (s. o.). Insofern liegt die Option näher, dass Jakob in Gen 33,8b auf seine Position aus Gen 32,6b wörtlich zurückgreift307 und mithin eine Begnadigung des unbewaffneten Gefolges erhofft. Der Auffassung, Esau verweise bereits mit seiner Frage in Gen 33,8a auf die Geschenke in Gen 32,14–22, stehen nicht nur die Leitwortbezüge entgegen, sondern auch die Tatsache, dass sich die Fragepartikel ‫( מי‬wer / was) nur schwer auf die gestaffelt überbrachten Geschenke beziehen lässt.308 Der Text wäre durch diesen exegetischen Glättungsversuch darüber hinaus eines entscheidenden Spannungs 305 Vgl. Gen 37,7; 42,6; 43,26.28. Für Josef selbst ist dies in Gen 48,12 bezeugt. 306 Vgl. z. B. Blum, Komposition, 143, im Rekurs auf Kessler, Querverweise, 130. 307 Vgl. zu dieser Beobachtung Levin, Jahwist, 256. 308 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 407. Gegen Westermann, Genesis I/2, 640. Vgl. zum Gebrauch der Wendung ‫ ל‬+ ‫ מי‬+ Suff. nur noch in Gen 19,12; Jes 22,16; 52,5; Ps 73,25, die allerdings zur Erhellung des Verständnisses im vorliegenden Zusammenhang nicht aussagekräftig sind.

Jakobs Versöhnung mit Esau 

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moments beraubt. So legt der friedlich gesinnte Esau doch gewissermaßen den Finger in die Wunde des Konflikts, wenn er nach dem Lager fragt, das bildlich für Jakobs Sorge vor einer kriegerischen Auseinandersetzung steht. Der Bezug von Esaus Frage wäre dann so zu verstehen, dass er auf das von Jakob zurückgelassene Lager (Gen 32,9) rekurriert (‫)פגשׁ‬.309 Erst als der nichtsahnende Esau Jakobs Antwort als Geschenkübergabe interpretiert, steigt Jakob auf diese willkommene und weniger konfliktträchtige Deutungsmöglichkeit ein (Vv. 10 f.). Die Vv. 10 f. widmen sich einem Verhandlungsdialog zwischen Jakob und Esau über Güter, die Jakob Esau zukommen lassen möchte. Die Komplexität des Zusammenhanges besteht in den Unklarheiten darüber, welche Güter Esau von Jakob genau überbracht werden sollen (Geschenke / Segen), und wie diese Übergabe inhaltlich mit dem Versöhnungsprozess in Beziehung steht. Zunächst ist auffällig, dass Jakob den Eintritt der Versöhnung gleich an zwei Bedingungen knüpft. Der in V. 10aα eröffnete Konditionalsatz wird in V. 10aβ und in V. 11 im Rahmen einer doppelten Apodosis weitergeführt. Jene ist jeweils mit einer Begründung (‫ )כי‬versehen. Die Protasis hat den Gnadenerweis Esaus zum Gegenstand, der sich anhand zweier Aktionen bewahrheiten soll: Zum einen in der Annahme von Geschenken (‫מנחה‬, V. 10), zum anderen in der Annahme von Segen(sgütern) (‫ברכה‬, V. 11). Die Dopplung von ‫( מנחה‬V. 10) und ‫( ברכה‬V. 11) ist häufig als literarkritisch auffällig bewertet worden.310 Rein sachlich besteht zwischen den beiden Begriffen kein Widerspruch. Die Gegenstände wären im Rahmen einer Steigerungslogik des Textes durchaus verständlich. Ihre inhaltliche Redundanz gewinnt allerdings aufgrund anderer einschlägiger Gründe an literarkritischer Signifikanz. Im Zusammenhang von V. 10 fordert Jakob Esau auf, seine Geschenke anzunehmen, da er „deshalb“ (‫ )כי על־כן‬Esaus Angesicht wie das Angesicht Gottes gesehen, und Esau ihn wohlgefällig angenommen (‫ )רצה‬habe. Der Konditionalsatz wird mit der Begründung ‫ כי על־כן‬abgeschlossen und nimmt das Ergebnis vorweg, für das Jakob in V. 10aα die Bedingung formuliert hatte, und das in V. 11b erst eintritt: Esau hat Jakob freundlich angesehen. Der in der Genesis singuläre Beleg für das Verb ‫ רצה‬I (Wohlgefallen haben an) unterbricht an dieser Stelle das Leitwortgefüge, das im übrigen Textbestand auf dem Gebrauch der Begriffe ‫חן‬ und ‫ חנן‬ruht. Darüber hinaus weist die Mehrzahl der Konditionalsätze, die in der hebräischen Bibel mit ‫ אם־נא מצאתי חן בעיניך‬die Protasis einleiten, eine Einleitung

309 Gegen Nauerth, Untersuchungen, 213. 310 Vgl. Seebass, Vätergeschichte II/2, 409, der das Problem mittels Quellenverteilung lösen will. Zum Versuch Hensels, dem Problem mittels Emendierung von ‫ ברכה‬beizukommen, vgl. Hensel, Edom, 92–94. Nauerth, Untersuchungen, 214, führt zwar einige der o.g. Beobachtungen an, wertet sie hingegen anders aus und kommt zu einer mir nicht plausibel erscheinenden Eliminierung der Vv. 9–10. V. 9 und V. 11 widersprechen sich nicht, sondern sind als intendierte Steigerung notwendig aufeinander bezogen.

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der Apodosis mit X + ‫ נא‬auf.311 Insofern führt nicht V. 10aβ, sondern V. 11 den Konditionalsatz in gängiger Weise weiter. V. 10b wird in vielen Auslegungen aufgrund der Querverbindungen zu Gen 32,31 als Erweiterung in Erwägung gezogen.312 Die genannten Beobachtungen weisen darüber hinaus darauf hin, dass auch V. 10aβ, konkret gesprochen, die erste Apodosis der genannten Redaktion zuzuordnen ist.313 Die beiden Versteile eint zudem ein kultischer Sprachgebrauch (‫ רצה‬,‫ מנחה‬,‫)ראה פני אלהים‬.314 Die dargelegten Indizien sprechen dafür, dass es sich bei Vv. 10aβb um eine redaktionelle Erweiterung handelt und stützt demnach die literarkritische Einschätzung zu Gen 32,14–22. Mit der Übergabe des Segens bzw. der Segensgüter liegt insofern die eigentliche Aussageabsicht des Textes in seinem Grundbestand vor. Dies liegt auch aufgrund des Umstandes nahe, dass in der Jakoberzählung ausschließlich in Gen 33,11 und in Gen 27,35 (Gen 27,36a) das Nomen ‫ ברכה‬verwendet wird und darüber hinaus in den genannten Belegen mit dem Verb ‫ לקח‬in Verbindung steht.315 Dies fördert eine intendierte Verbindung zutage, zumal Gen 27,35 zweifelsohne dem Grundbestand von Gen 27 angehört. Die Intention dieses Querverweises liegt wohl weniger in der Absicht zu einer Rückgabe des Segens begründet. Vielmehr wird der materielle Aspekt des Segens, wie er in Gen 27 vorherrscht, in seiner Bedeutung relativiert. Der Segen in Gen 27 wird auf die Bedeutung von Segensgütern begrenzt, von denen Jakob nach seinem immateriellen Segen aus Gen 32,23–33 nun getrost abgeben kann, weil er sich umfassend gesegnet weiß. Die Übergabe sorgt zwar vordergründig für materielle Entschädigung, ist in ihrer Bedeutung für Jakob aber gesunken.

6.3.4.3 Literarkritik zu Gen 33,17–20 Der Konditionalsatz, mit dem die Stadt Sichem in V. 18a näherbestimmt wird, weist auf eine priesterschriftliche Herkunft hin. Inhaltlich dient die Erweiterung dem Ziel, Jakobs Rückkehr in sein Heimatland deutlich zu markieren.316 Für eine Zuordnung zu P ist insbesondere der Sprachgebrauch wegweisend. Die Wendung ‫ ארץ כנען‬ist innerhalb der Jakoberzählung ausschließlich in P-Material 311 Vgl. Gen 18,3; 47,29; 50,4; Ex 33,13; 34,9. Davon abweichend Ri 6,17; 1 Sam 27,5 und der abgebrochen wirkende Vers in Gen 30,27. 312 Vgl. grundsätzlich Levin, Jahwist, 258; Schmid, Genesis 33,1–11, 214. 313 Dagegen deutet Seebass, Vätergeschichte II/2, 408, die beiden Aufforderungen Jakobs als Hendiadyoin. 314 Vgl. z. B. Willi-Plein, Genesis, 221. 315 Vgl. Hensel, Vertauschung, 171. 316 Vgl. bereits Gunkel, Genesis, 368; von Rad, Genesis, 267; Seebass, Vätergeschichte II/2, 416; Blum, Wege, 237; Wöhrle, Fremdlinge, 84. Levin, Jahwsit, 263, verortet ihn auf der Ebene der Endredaktion.

Jakobs Versöhnung mit Esau 

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(Gen 35,6*; 36,5) belegt. Auf eine ebenfalls priesterschriftliche Herkunft verweist die Bezeichnung für den Herkunftsort Labans, ‫פדן ארם‬.317 Über den Sprachgebrauch hinaus, überspringt V. 18aβ die gesamten Ereignisse von Gen 32–33* und knüpft an den Aufenthaltsort Jakobs bei Laban an. Die P-Notiz greift ihr Textumfeld folglich nur selektiv auf, und ist aufgrund des Relativsatzes gleichzeitig syntaktisch auf den Kontext angewiesen. Darüber hinaus wird mittels der Ortsangaben auch auf den vorausliegenden P-Vers (Gen 31,18) rekurriert. Die Umsetzung der Ergänzung weist Parallelen mit der P-Bearbeitung von Gen 35,6 auf. Auch dort schmiegt sich P an den Kontext an, um mit der Näherbestimmung Bet-Els noch einmal Jakobs Ankunft in Kanaan zu markieren und zeitgleich den profanen Namen Bet-Els (Lus) zu erwähnen.318 Wertet man P als Quelle, wird Gen 33,18aα wohl als nach-P Ergänzung im P-Stil zu bewerten sein.319 Rechnet man mit dem Modell der P als Redaktion / Komposition, ist eine Kommentierung des Kontextes durch P schlüssig.320 Auch Gen 33,19 ist nahezu einmütig und berechtigt in der Forschung als sekundäre Erweiterung ausgewiesen worden. Diesbezüglich einschlägig ist zunächst der Umstand, dass Sichem hier als Personenname und nicht – wie im unmittelbaren Mikrokontext – als Ortsname rezipiert wird.321 Darüber hinaus weist der Vers einschlägige Querverbindungen zu Jos 24,32a auf, wo Josefs Grablegung geschildert ist. Gen 33,19 scheint diesen Zusammenhang hier bereits vorzubereiten. Landkauf und Grablegung sind noch deutlicher im Paralleltext von Gen 23 (P) über den Kauf der Höhle Machpela als Familiengrab durch Abraham innerhalb eines Textes zusammengeführt. „Die Notiz [V. 19] liest sich wie ein abgekürztes Gegenstück zu Gen 23“322. Eine literarische Verbindung ist auch hier naheliegend, da die Lage des Feldes vor der Stadt mit der Nennung des Kaufpreises korrespondiert.323 Insofern wird V. 19 am ehesten als Produkt einer nachpriesterlichen Hexateuch-Bearbeitung zu werten sein, die aufgrund ihrer Querverbindungen zu Jos 24 als „postdeuteronomistisch“ zu klassifizieren ist.324 Als Vorbereitung von Gen 34 kann V. 19 nicht gedient haben.325 So weist schon das Angebot Hamors, ­Jakob in Sichem siedeln zu lassen (Gen 34,10), darauf hin, dass der Landkauf Jakobs dort noch nicht vorausgesetzt ist. Auch der Auszug Dinas zu den Töch 317 Vgl. Gen 25,25, als Herkunftsort Rebekkas; Gen 31,18*, als Ort, an dem Jakob seinen Viehbesitz erwirbt; Gen 35,9, als Reisenotiz vor der Bet-El-Erzählung; Gen 35,26, als Geburtsort der Kinder Jakobs. 318 So die Mehrheit der Ausleger. Anders Becker, Jakob, 171 f., der mit einer Ankunft Jakobs in Lus im Grundbestand rechnet und mit einer sekundären Übertragung des Ortes auf Bet-El. 319 Vgl. Levin, Jahwist, 263; Carr, Fractures, 107 Anm. 58; Weimar, Studien, 242 Anm. 59. 320 Vgl. Blum, Wege, 237; Wöhrle, Fremdlinge, 84, insbes. Anm. 43. 321 Vgl. zu der Beobachtung bereits Gunkel, Genesis, 368. 322 Levin, Jahwist, 264. 323 Vgl. Blum, Wege, 235. 324 Vgl. Blum, Wege, 238; Blum, Knoten, 194 ff. 325 So jüngst wieder Hensel, Bonds, 401 Anm. 23.

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tern des Landes (Gen 34,1) greift nicht auf eine Situation zurück, in der Jakob und seine Familie unmittelbar vor der Stadt Sichem lagern. V. 19 greift zwar die Protagonisten aus Gen 34 auf, hat allerdings einen eminent anderen Horizont und ist der Erweiterung des Textbestandes um Gen 34 entstehungsgeschichtlich nachzuordnen. Nicht nur aufgrund der ganz ähnlichen Verortung des Feldstücks wie in Gen 23, wird zur Erweiterung in V. 19 auch V. 18b hinzuzuziehen sein.326 Die Angabe in V. 19 ist auf V. 18 angewiesen, da sich „wo er sein Zelt aufgespannt hatte“ auf Jakobs Lagern vor der Stadt rückbezieht. Da sich V. 20 nicht im Rahmen einer Erweiterung um V. 19 erklären lässt,327 ist ein Bezug der Lokalpartikel ‫ שׁם‬aus V. 20 auf die Ortsangabe Sichem (V. 18*) plausibler, denn als Bezug auf einen unbestimmten Ort vor der Stadt.328 Eine grundsätzliche Inkohärenz bleibt im verbleibenden Textbestand indes bestehen. Jakob wird Gen 33,17 zufolge in Sukkot sesshaft, wohingegen er in V. 18aα1 sein Nomadendasein aufnimmt und nach Sichem weiterzieht. Die Inkohärenz wird in der Forschung meist so erklärt, dass Gen 33,17 das ursprüngliche Ende einer (erweiterten) Jakoberzählung gebildet habe.329 Bei den Wegnotizen von Gen 33,18–20 und Gen 35 hätte es sich dementsprechend um – ihrerseits mitunter wiederum entstehungsgeschichtlich gestufte – Nachträge gehandelt.330 Dieser Einschätzung steht für Gen 33,18–20* allerdings entgegen, dass die „wohlbehaltene“ Ankunft Jakobs in Sichem die Versöhnungserzählung stringent fortführt und die Benennung des erbauten Altars in Gen 33,20 im Horizont von Gen 32,23–33* einen unverkennbaren Bekenntnischarakter aufweist. Bei dem Teilabschnitt handelt es sich folglich nicht um eine Reihung schlichter Wegnotizen, sondern ihnen ist ein theologisches Programm inhärent: In Jakobs Bewahrung und Versöhnung mit seinem Bruder hat sich Gott als wirkmächtiger Gott Jakobs erwiesen. 326 Vgl. Blum, Wege, 234. 327 Vgl. Köckert, Vätergott, 84. 328 Vgl. zum Zusammenhang von V. 18*.20 z. B. Becker, Jakob, 177. 329 Vgl. zur ursprünglichen Auffassung Blums mit einem Erzählende in Gen 33,17, Blum, Komposition, 147–149. In Blum, Wege, 236, geht jener von einer Jakoberzählung aus, die mit Wegnotizen geendet hat. Dagegen Hensel, Bonds, 401 Anm. 23, jüngst wieder mit einem ursprünglichen Ende in Gen 33,17. 330 Vgl. Westermann, Genesis I/2, 642 f.; Becker, Jakob, 161. 177; Köckert, Jakobüberlieferung, 66, der die Verse 33,18aαb gemeinsam mit 35,1.6a*.7 als Kompositionsschicht einer Verbindung von Abraham- und Jakobzyklus sieht; Boecker, Isaak, 106. Blum, Komposition, 62; 204–209, differenziert zwischen Vv. 18.20 einerseits und V. 19 andererseits und erkennt hinter V. 18.20 eine ursprünglich selbständige Überlieferung. Bei Vv. 18.20 handle es sich gemeinsam mit Gen 35,6 f.8.16–19 f. um eine Aneinanderreihung ätiologischer Notizen, die an die Jakoberzählung angehängt worden seien. Seebass, Vätergeschichte II/2, 416, geht von einer quellenbedingten Inkohärenz aus (Zuordnung der Vv. 18–20* zu E) und will abgesehen von P keine weiteren literarkritischen Differenzierungen in Vv. 18–20 vornehmen.

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Die Übersetzung und Bezüge von V. 18 sind in der Forschung umstritten. Weitestgehend hat sich das Verständnis von ‫ שׁלם‬berechtigt als adverbiale Bestimmung durchgesetzt,331 obwohl dessen syntaktische Positionierung in der Mitte und nicht am Ende des Verses unbefriedigend bleibt und das besagte Adverb ansonsten im AT nicht mehr auf Menschen bezogen wird.332 Eine Beziehung zu Gen 34,21 bleibt insofern verwehrt, da sich der Gebrauch des Adverbs in diesen Versen von dem Gebrauch in Gen 33,18 unterscheidet.333 Auch die Annahme einer glossenartigen, nachträglichen Anspielung auf Jerusalem334 bewährt sich nicht.335

Darüber hinaus setzt Gen 33,18 scheinbar selbstverständlich voraus, dass Jakob seine Reise fortsetzt (‫)ויבא‬, wohingegen vergleichbare Notizen in Gen 35 Jakobs Aufbrechen schon nach kurzen Aufenthalten eigens als solches markieren (‫ויסע‬/‫ויסעו‬, Gen 35,5.16.21). Insofern reagiert V. 18 weder implizit noch explizit auf die zeitliche Zäsur, die V. 17 schafft. Dies muss bei der Annahme einer Fortschreibung ebenso verwundern wie bei der Annahme einer Gleichursprünglichkeit von V. 17 und V. 18.  Als ursprüngliches Ende eines Ursprungsmythos Israels erscheint Gen 33,17 zudem nicht plausibel, da die Ortsangabe Sukkot diesbezüglich kaum aussagekräftig ist. In der zeitgenössischen archäologischen Forschung wird Sukkot meist mit dem im Jabboktal gelegenen Tell Deir Alla identifiziert.336 Die biblischen Belege in Ri 8,4 ff. legen eine westlich von Pnuel gelegene Lokalisierung Sukkots nahe. Sukkot liegt mithin auf der Wegstrecke nach Sichem, dessen Lokalisierung unstrittig ist, und markiert Jakobs letzte Station vor dem Einzug ins Westjordanland (vgl. zur Verwendung des Namens Sukkot für das Jordantal Ps 60,8; 108,8). Die topografischen Gegebenheiten der genannten Orte legen deren Verbindung durch eine Route nahe. Diese stützt die genannte Lokalisierung Sukkots.337 Auf der Höhe von Tell Deir Alla beginnt das Wādī Far’ā, das vom Ostjordanland aus gesehen einen gangbaren Weg nach Sichem bietet.338 Der archäologische Befund weist für Tell Deir Alla im 9./8. Jh. v. Chr. eine Gruppe von Räumen auf, die aufgrund des Fundes der Bileam-Inschrift auf einem der Wände mitunter für eine Schreiberschule gehalten werden. Dennoch ist deren Interpretation 331 Vgl. etwa Boecker, Isaak, 109; Blum, Wege, 232 f. 332 Vgl. zu diesen Einwänden Westermann, Genesis I/2, 634; Nauerth, Untersuchungen, 109 f. 333 Gegen Nauerth, Untersuchungen, 110. 334 So Blum, Komposition, 208. 335 Vgl. Blum, Wege, 235. 336 Die Identifizierung fußt neben der Lokalisierung in den biblischen Belegen auf der Identifizierung Sukkots mit Dar’elā im Jerusalemer Talmud. Alternativ wird eine Identifizierung mit Tell el-Aḫṣaṣ aufgrund der Übersetzung des arabischen Begriffes ins Hebräische mit Sukkot (Hütten) in Erwägung gezogen, der sich 1,5 km nördlich von Tell Deir Alla befindet. Bisher wurde der Ort nicht umfassend archäologisch untersucht, weswegen der Deutung Jerickes mit der Mehrheitsmeinung der Vorzug gegeben werden soll. 337 Vgl. Jericke, Art. Sukkot, Jordantal. 338 Vgl. Jericke, Art. Sukkot (Ort).

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nicht restlos geklärt. Jericke zufolge könnten die schlichten Räume für die volks­ etymologische Interpretation in Gen 33,17 den Anstoß gegeben haben.339 Allerdings hat es sich bei den Räumlichkeiten aufgrund der Inschrift wohl nicht um Stallungen gehandelt. Für eine herausragende militärische oder politische Funktion Sukkots spricht der Befund ohnehin nicht.

Ein ursprüngliches Ende der Jakoberzählung in Gen 33,17 bleibt mitunter auch daher unbefriedigend, da Jakob Esau verspricht, ihm gemächlich nachzuziehen. Vor diesem Hintergrund hätte bei einem Ende in V. 17 Jakob Esau erneut getäuscht und eine tatsächliche Versöhnung der Brüder stünde auf tönernen Füßen.340 Angesichts dieser doch drastischen Lüge, erscheint V. 17 als Ende der Gesamt­erzählung auffallend unspektakulär. Darüber hinaus hat Blum selbst bemerkt, dass die Erwähnung von Jakobs Unversehrtheit (V. 18) nach einer friedlichen Ansiedlung in Sukkot (V. 17) im Grunde zu spät kommt.341 Der Befund weist gegen die Mehrheitsmeinung mit einigem Nachdruck auf eine Erweiterung um V. 17 hin.342 Da sich auch in der Bewertung der M ­ ahanajimNotiz aus Gen 32,2–3 das Argument eines typischen Erzählschlusses nicht als Kriterium literarischer Einheitlichkeit bewährte, wird dieses Argument auch hier den Gegenargumenten unterzuordnen sein.343 V. 17 ist am ehesten als ätiologische Notiz zu werten, die in syntaktischer und inhaltlicher Anlehnung an den Kontext (invertiertes Subjekt, Schutz der Herden) und analog der Formulierung vergleichbarer Notizen aus Gen 35 (‫ )נסע‬den Ort Sukkot als Wegstation Jakobs ergänzte. Als Antwort auf die Frage, weshalb Jakob speziell mit Sukkot in Verbindung gebracht werden sollte, sind verschiedene Optionen denkbar. So könnte sich eine durch die Ansiedlung bedingte zeitliche Zäsur angeboten haben, die das Heranwachsen der Jakobkinder vor der in Gen 34 vorausgesetzten Situation ermöglicht.344 Ebenso möglich wäre, dass sich der Ort geografisch im Umfeld der Ortsangaben Pnuel und Sichem vor dem Hintergrund einer bekannten Reisestrecke für eine ätiologische Verbindung mit Jakob anbot.345 Darüber hinaus weist gerade Ri 8,4 ff. darauf hin, dass auf dieser Reiseroute neben Sukkot auch 339 Vgl. Jericke, Art. Sukkot (Ort). 340 Vergleichsweise drastisch Ruppert, Genesis III, 404: „Jakob, der nur seinen eigenen Vorteil auf Kosten des Bruders gesucht hat, bleibt Esaus überwältigende Versöhnungsbereitschaft ein Rätsel“. Im Sinne eines Tricks auch Boecker, Isaak, 106. 341 Vgl. Blum, Wege, 233, der versucht, das Problem mit einer beabsichtigten Assonanz zwischen ‫ שכם‬und ‫ שלם‬zu beheben, die m. E. nicht recht zu überzeugen vermag. 342 Vgl. bereits Gunkel, Genesis, 368; von Rad, Genesis, 267; Levin, Jahwist, 257; Boecker, Isaak, 108 f.; Nauerth, Untersuchungen, 221, allerdings nur für Bestandteile von V. 17, die die Ortsangabe Sukkot betreffen. 343 Gegen etwa Nauerth, Untersuchungen, 199, dem das stilistische Merkmal als Hauptargument seiner Literarkritik dient. 344 Vgl. von Rad, Genesis, 289; Seebass, Vätergeschichte II/2, 416. 345 Vgl. Levin, Jahwist, 257, der darüber hinaus die Sukkot-Notiz auch durch die Ortsangaben in Gen 35,6.20 beeinflusst sieht.

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Mahanajim verortet worden ist.346 Da sich die Mahanajim-Notiz als sekundäre Erweiterung hat ausweisen lassen, die mit der Einbindung der Bet-El-Erzählung in Verbindung steht, liegt für die Sukkot-Notiz nahe, dass sie dieser entstehungsgeschichtlich nachzuordnen ist.

6.3.5 Die Frage nach dem Ende der Jakoberzählung 6.3.5.1 Das letzte greifbare Ende des Erzählfadens in den vorpriesterlichen Textpassagen Gen 33,17 ließ sich in der oben dargestellten Analyse nicht als plausibles Ende der Jakoberzählung verifizieren. Abzüglich der o.g. Erweiterungen beläuft sich das letzte greifbare Ende im Grundbestand auf Gen 33,18*.20.347 Gen 33,20 fungiert aus dem Grunde nicht als Vorbereitung von Gen 34, da in Gen 34 nicht mehr auf den Altarbau rekurriert wird.348 Obwohl Jakobs Altarbenennung einen bekenntnisartigen Höhepunkt der Gesamterzählung darstellt, ist aufgrund seines Versprechens, Esau nachzuziehen, kritisch zu prüfen, ob Gen 33,20 tatsächlich das ursprüngliche Ende der Versöhnung gebildet haben kann.349 Jakobs Weg wird auf synchroner Ebene in Gen 35 fortgesetzt und unter einer diachronen Betrachtung nur mittels der priesterschriftlichen Passagen einem versöhnlichen Ende zugeführt. Für die Beurteilung der aufgeworfenen Fragestellung ist der non-P-Textbereich von Gen 35 zu berücksichtigen, der sich auf Gen 35,1–8.16–22a beläuft. Vorab sind Textbestandteile von Gen 35 auszuschließen, die aufgrund ihres deutlich redaktionellen Profils nicht für einen Abschluss einer ursprünglichen Jakoberzählung in Frage kommen. Bei Gen 35,2–4(5) handelt es sich um einen nachpriesterlichen, hexateuch-redaktionellen Nachtrag,350 der Jakob analog zu Jos 24,23 eine Entsagung fremder Götter zuschreibt.351 Der Abschnitt greift hinsichtlich der Formulierung deutlich auf die Bet-El-Notiz des non-P-Fadens zurück (Gen 35,6 f.), rekurriert inhaltlich allerdings auf einen größeren Kontext. Mit dem 346 Vgl. Nauerth, Untersuchungen, 221. 347 In der älteren Forschung wurde Gen 33,20 häufig noch als ein Ende der jahwistischen Jakoberzählung beurteilt. Vgl. de Pury, Promesse, 562 f. 348 Dies spricht nachdrücklich gegen die weit verbreitete These einer vorbereitenden Funktion von Gen 33,18–20 für Gen 34. So etwa Graupner, Elohist, 287; Wahl, Jakobserzählungen, 227; Nauerth, Untersuchungen, 110; Boecker, Isaak, 109 f. 349 Westermann, Genesis I/2, 642, nimmt wie viele Ausleger an, hinter Jakobs Versprechen stehe eine Höflichkeitsfloskel, hingegen keine feste Absicht. 350 Vgl. Köckert, Rückverweise, 113 („spezifisch dtr. ist an Gen 35,2–4 nichts“), im Unterschied zu Blum, Komposition, 45–61, der die Redaktion mit der dtr. Tradition in Verbindung sieht. Becker, Jakob, 170, bestimmt den Charakter von Vv. 2–4 als spätdeuteronomistisch in dem Sinne, dass besagte Verse zwar dtr. beeinflusst, allerdings „zeitlich und theologisch längst darüber hinausgewachsen sind.“ 351 Vgl. etwa Blum, Komposition, 40.

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Verweis auf die Gebetserhörung ist auf Gen 32,10–13 angespielt352 und möglicherweise auch auf Jakobs Gelübde in Gen 28,20–22.353 Gen 35,5 lässt sich als Verbindungsvers zu dem seinerseits deutlich sekundären Kapitel 34 erklären. Der Vers vermittelt zwischen Jakobs militärischer Auseinandersetzung mit Sichem und seinem ungestörten Weiterziehen in Gen 35. Im Falle von Gen 35,5 wäre über eine zusätzliche Erweiterungsstufe nachzudenken.354 Zusammengenommen bilden Vv. 2–5 eine (möglicherweise gestufte) redaktionelle Erweiterung, die bereits durch den abrupten Singular-Plural-Wechsel zwischen dem Kleinabschnitt und seinen Rahmenversen als solche angezeigt ist.355 Weiterhin weist die Begräbnisnotiz Deboras, der Amme Rebekkas (Gen 35,8) auf eine Erweiterung hin. Inhaltlich verfolgt sie ein ätiologisches Interesse an einer Eiche unterhalb Bet-Els. Die Einführung der Amme Rebekkas kommt unvermittelt und hat für den weiteren Textverlauf keine Konsequenzen.356 Debora ist nur an dieser Stelle innerhalb der Erzelterngeschichte erwähnt, eine namenlose Amme Rebekkas in dem seinerseits späten Text von Gen 24,59. Boecker verweist auf Ri 4,5, wo die Prophetin Debora mit einer Palme unterhalb Bet-Els in Verbindung gebracht wird.357 So ließe sich erklären, dass die Tradition um eine Verbindung zwischen einer Figur Debora und einem Baum unterhalb Bet-Els mit Jakob in Verbindung gebracht werden sollte. Nebenbei stärkt die Notiz die Verbindung zur Isaakerzählung in Gen 24.358 Schwieriger verhält es sich mit einer Beurteilung der Schilderung von Rahels Tod und Benjamins Geburt auf dem Weg nach Efrata (Gen 35,16–20). Eine Reaktion Jakobs auf Rahels Tod bleibt aus und auch die Geburt Benjamins erscheint gezwungen in den Zusammenhang integriert. Mit der Notiz wird wohl ein in der Tradition verankertes Rahelgrab verbunden sein, allerdings lässt sich über deren Alter und die Lokalisation nur schwer eine verifizierbare Aussage treffen.359 Auch 352 Vgl. Levin, Jahwist, 262. 353 Vgl. Köckert, Rückverweise, 114 („der mit mir war auf meinem Weg, den ich gegangen bin“). 354 Vgl. Köckert, Rückverweise, 112 (insbes. Anm. 30), im Unterschied zu Blum, Komposition, 39. Darüber hinaus vgl. Becker, Jakob, 170, der allerdings für eine entstehungsgeschichtliche Nachordnung nur für Teile von V. 5 plädiert. 355 Vgl. zum redaktionellen Charakter von Vv. 2–5 Becker, Jakob, 170; Wöhrle, Fremdlinge, 86. 356 Gegen Wöhrle, Fremdlinge, 87; Boecker, Isaak, 126; Köhlmoos, Bet-El, 251; Kratz, Komposition, 273, die den Vers dem Grundbestand zurechnen. 357 Vgl. Boecker, Isaak, 126 f. 358 Blum, Komposition, 62.207, erwägt hier wie auch in Gen 35,16–20 selbständige Überlieferungen. Dies ist allerdings nur hinsichtlich der möglicherweise verarbeiteten Traditionen, nicht aber hinsichtlich ihrer literarischen Gestalt als Einzelüberlieferungen o.Ä. plausibel. 359 Umstritten ist, ob Efrat / Efrata im nördlich von Jerusalem gelegenen Stammesgebiet Benjamins zu suchen ist (so 1 Sam 10,2; Jer 31,15; auch die Belege in Gen 35 weisen aufgrund des geografischen Settings auf diese Lokalisierung hin) oder mit dem südlichen Betlehem zu identifizieren ist (so Gen 35,19; 48,7; Jos 15,59; Rut 4,11). Innerhalb von Gen 35,19 ließe sich

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die ausbleibende Reaktion Jakobs auf den Tod seiner geliebten Frau, unterstützt die Einschätzung einer Erweiterung.360 Als Ende der Jakoberzählung scheint Gen 35,16–20 schon aus dem Grunde unwahrscheinlich, da Benjamin auch in den Segenssprüchen von Gen 49 nur eine untergeordnete Rolle zukommt. Da die Genealogie der P Benjamin als Sohn Rahels voraussetzt, handelt es sich in Gen 35,8 und Gen 35,16–20 aller Wahrscheinlichkeit nach um vorpriesterliche Erweiterungen.361 Gleichwohl ist grundsätzlich nicht auszuschließen, dass P die Geburt Benajmins selbständig einführt und Gen 35,16–20 anschließend darauf reagiert. Wenn man von der Annahme einer Verlagerung der Geburt Benjamins von Gen 29–30 nach Gen 35 absehen will, verlagert P wohl bewusst Benjamins Geburt in die Zeit von Jakobs Aufenthalt bei Laban zurück, um so die Einheit des Stämmesystems zu gewährleisten.362 Aufgrund der Verwandtschaft von Gen 35,8.16–20 in den Formulierungen, werden besagte Verse einer literarhistorischen Ebene zuzuschreiben sein. Wohl aus geografischer Notwendigkeit heraus unterbricht P die Folge von Gen 35,8.16–20, um die Bet-El-Erzählung unterzubringen. Gen 35,21–22a erweist sich ebenfalls als deutlich sekundäre Notiz.363 Sie hat keine Konsequenzen und ist an einer Degradierung des erstgeborenen Ruben interessiert.364 Gegen einen ursprünglichen Anschluss von Gen 49 an diese Zwischensequenz spricht, dass unerklärlich bleibt, weswegen sich P (Gen 35,22b–29) ausgerechnet an dieser Stelle selbst unterbrechend eingepasst haben soll oder redaktionell eingepasst wurde. Umgekehrt lässt sich Gen 35,21–22a als Reaktion auf die folgende priesterliche Genealogie erklären, die Ruben als Erstgeborenen hervorhebt,365 und ist übergeordnet an einer Hierarchisierung innerhalb des Stämmesystems interessiert. Ein priesterlicher Bezug ist auch darin gegeben, dass hier die einzige Passage vorliegt, die Jakobs Umbenennung in Israel aus den P-Versen des Textumfeldes konsequent aufgreift. Das Lexem ‫( פילגׁש‬Nebenfrau) wird als Bezeichnung für die Mägde Jakobs ansonsten in der Jakoberzählung nie

mit einer judäischen Glosse rechnen, die ein nördliches Efrata ins südliche Betlehem verlagerte. Vgl. Koenen, Art. Efrata / Efrat; Blum, Komposition, 208; oder aufgrund der Königsverheißung in Gen  35,11 eine Verbindung mit dem Königtum Davids herstellen will. Vgl. dazu Jericke, Art. Efrata. Vgl. zur Annahme einer ergänzenden Glosse in V. 19b Levin, Jahwist, 262; Boecker, Isaak, 128. 360 Vgl. Blum, Komposition, 207, 208 f. 361 Finkelstein / Römer, Comments, 336, bewerten den Abschnitt als nach-P. 362 Vgl. Boecker, Isaak, 130. Gen 48,7 lässt sich vor diesem Hintergrund m. E. nur als nachpriesterliche Harmonisierungsnotiz sinnvoll verstehen, auch wenn sie in den Zusammenhang schlüssiger eingebracht ist, als ihr häufig unterstellt wird. 363 Vgl. Blum, Komposition, 205. 364 Vgl. etwa Carr, Fractures, 252. 365 Vgl. grundsätzlich auch Levin, Jahwist, 264; Kratz, Komposition, 278 (allerdings nur für V. 22a).

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gebraucht und hat wohl bereits die Abrahamerzählung im Blick (Gen 25,6).366 In Gen 49,3 besteht ein deutlicher Rückbezug auf Gen 35,21–22a, allerdings verfolgt die Degradierung Rubens eine dezidierte Südreichsperspektive, die auf eine Bevorzugung Judas abzielt. Wie auch beim Rückbezug auf Gen 34 in den Stammessprüchen über Simeon und Levi sollen sie allesamt Juda eine begründete Vormachtstellung in der Genealogie sichern. Insofern wird eine Gegenposition zu der Vormachtstellung Josefs geschaffen, der im ausführlichen Josefspruch Ausdruck verliehen ist. Bei Gen 49,3–12 handelt es sich mithin um ein zusammengehöriges Textstück, das entweder literarhistorisch von dem übrigen Textbestand von Gen 49 zu unterscheiden ist,367 oder mit den verbleibenden Versen gemeinsam ein spätes Gebilde darstellt. Dies spricht m. E. auch dagegen, Gen 49 als ursprüngliches Ende der Jakoberzählung zu erachten, das – von seiner ursprünglichen Positionierung hinter Gen 35,21–22a – nun durch die P an das Ende der Joseferzählung versetzt worden sei, wie jüngst von Wöhrle im Anschluss an Leuen­berger vorgeschlagen worden ist.368 Als ursprüngliches Ende einer Nord­ reichserzählung erscheint die Fokussierung auf Juda in Gen 49,3–12 kaum plausibel, ganz zu schweigen von der inneren Inkohärenz, dass Juda hier in Konkurrenz zu Josef im Josefspruch (Vv. 22–26) tritt. Eher noch könnte der Josefspruch, der zudem einzig in Gen 49 als „Segen“ bezeichnet wird, entweder ursprünglich an die Joseferzählung angeschlossen haben, oder gemeinsam mit weiteren Segenssprüchen als Ende einer Jakob-Josef-Erzählung hinten angestellt worden sein. P hätte den Segensspruch über Josef dann im Segensspruch von Gen 48,3–6(7) unter der Hineinnahme von Efraim und Manasse in das Stämmesystem auf- und proleptisch vorweggenommen. Insgesamt eint die diskutierten Schlusspassagen

366 Vgl. darüber hinaus in der Genesis nur noch in den späten Texten von Gen  22,24; Gen 36,12. 367 Vgl. zur Differenzierung zwischen Gen 49,3–12 und dem Rest des Kapitels Carr, Fractu­ res, 251. Der Befund könnte darauf hindeuten, dass der Josefspruch den Anlass für eine Rezeption des 12-Stämme-Systems in Gen  49 gegeben hat. Inwiefern sich dieser Fortschreibungs­ prozess in Gen 49 konkret gestaltet hat, kann hier nicht geklärt werden, stellt die genannte These allerdings unter Vorbehalt. Die Gegenpositionierung der Vv. 3–12 zum Josefspruch scheint mir indes unstrittig und lässt sich m. E. auch deshalb nur literarkritisch klären, da Vv. 3–12 im Gegensatz zu den übrigen Stämmen die Reihenfolge aus Gen 29,30–30,23 einhalten, eine klare Zielstellung verfolgen, und späte Texte der Jakoberzählung rezipieren. Denkbar wäre unter der Annahme einer Stammesliste o.Ä. hinter Gen 49, dass die judazentrierte Redaktion die Segenssprüche über die ersten Söhne ersetzt hat. Einigermaßen farblos gestalten sich die „Segenssprüche“ über die übrigen Söhne, die auch im Entferntesten keine Segenssprüche darstellen, sondern eine Deutung der jeweiligen Stämme vornehmen. 368 Vgl. Grundsätzlich Leuenberger, Segen, 245–247; für diese Funktion der P vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 93.96.123–128. Dagegen etwa Schöpflin, Jakob, 511 f., die einen Anschluss von Gen 49,24b.25.26 an Gen 48,15 f. (ursprünglich in Anrede an Josef) in Erwägung zieht. Kratz, Komposition, 274, erkennt in Gen 35,21 „ein zugegebenermaßen wenig spektakuläres Ende“ der Jakoberzählung.

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von Gen 35 geografisch eine Südreichsperspektive, die sich aus einer sekundären Südreichsadaption der Jakoberzählung erklären lässt.369 Der übrige Textbestand, der für ein Ende der non-P-Jakoberzählung in Frage kommt, beläuft sich mithin auf Gen 35,1.6*–7.370 Jakob wird in V. 1 von Gott dazu beauftragt, in Bet-El einen Altar zu bauen. Der erzählerische Rückblick auf Jakobs Flucht wird in V. 6 variiert aufgegriffen.371 Jakob leistet dem Auftrag Gottes in Vv. 6 f. Folge und erbaut in Bet-El einen Altar. Der Auftrag Gottes setzt un­vermittelt ein und unterscheidet sich deutlich vom erzählerischen Gefälle in Gen 33,1–20*. Dies widerstrebt der Möglichkeit, dass Gen 35,1 einmal stringent an Gen 33* angeschlossen hat.372 Offenkundig setzt die Rückkehr nach Bet-El in Gen 35,1.6–7 die Einbindung der Bet-El-Erzählung aus Gen 28,10–19 schon voraus, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass Jakob der Stätte (dem Altar?) einen geringfügig anderen Namen gibt – eine doppelte Benennung folglich vermieden wird.373 Die Bet-El-Notiz ist ähnlich eingeführt wie die Sichem-Notiz.374 Handelt es sich bei Gen 35,1.6–7 um eine redaktionelle Erweiterung, liegt nahe, dass sie an der Formulierung der Notiz über den Altarbau in Sichem ausgerichtet ist. Dies deutet sich in der Gleichformulierung der Wandernotiz ebenso an, wie sachlich in dem Altarbau. Auch die Benennung des Altars fällt ganz ähnlich aus. So wird Jakobs Weg im non-P-Textbereich nun nicht mit einem Altarbau in Sichem, sondern mit einem in Bet-El beendet, was durchaus als Intention einer Erweiterung plausibel ist, die mit Gen 28,10–19 in Verbindung steht.375 Fraglich ist, ob Gen 35,1.6–7 und Gen 28,10–19 derselben Schicht zuzuweisen, oder Gen ­35,1.6–7 literarhistorisch Gen 28,10–19 nachzuordnen ist. Für die zweite Option spricht, dass Gen 35,1.6–7 mit der Wendung ‫ בברחו מפני אחיו‬bereits den Kontext der Einbindung von Gen 28,10–19 mit voraussetzt.376 Gleichwohl wird sie noch vor der 369 Vgl. Jericke, Bet-El, 184 Anm. 36. Anm. 37. 370 Vgl. Köckert, Rückverweise, 113. Anders Becker, Jakob, 172 f., der Lus als Ortsangabe für Primärbestand hält und eine Rückführung über Bet-El für sekundär. Dementsprechend sei die Jakoberzählung mit den Begräbnisnotizen über Debora und Rahel ausgelaufen. Albrecht Alt vermutete, in Gen 35,1 ff. habe sich eine Wallfahrt von Sichem nach Bet-El literarisch niedergeschlagen. Dahinter liegt die Vorstellung, dass ein Heiligtum in Sichem, an dem auch die Jakoberzählung einst verortet gewesen sei, von der Bedeutung Bet-Els verdrängt worden sei. Vgl. Noth, Überlieferungsgeschichte, 88; Otto, Sichem, 81. Vgl. dazu im Einzelnen Becker, Jakob, 159 f. 371 Eine sekundäre Vorordnung von V. 1 wäre ebenfalls denkbar, insofern die Gottesrede aus V. 1 in Vv. 6 f. nicht mehr aufgegriffen wird. 372 Gegen Köckert, Jakobüberlieferung, 53. 373 Vgl. Boecker, Isaak, 126; Blum, Komposition, 63. Der Name wäre dann als Beiname zu verstehen. So auch Köckert, Rückverweise, 114, im Anschluss an Blum. 374 Vgl. Blum, Komposition, 61. 375 Vgl. als offene Frage bei Blum, Wege, 236. 376 Vgl. Kessler, Querverweise, 137 f.

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Erweiterung der Bet-El-Erzählung um das Gelübde in Gen 28,20–22 anzusetzen sein. Jakob erbaut hier kein Gotteshaus, sondern einen Altar und entrichtet auch nicht den Zehnten.377 Bei Gen 35,1.6–7 handelt es sich folglich ebenso wenig um ein plausibles primäres Ende der Jakoberzählung. Die Notiz trägt vielmehr nach der Erweiterung der Jakoberzählung um die Bet-El-Erzählung in Gen 28,10–19 eine Rückkehr nach Bet-El nach und schmälert so den Altarbau Jakobs in Sichem in seiner Bedeutung.378 Plausibel ließe sich insofern auch erklären, weshalb sich die BetEl-Notiz in ihrer Formulierung an der Notiz über den Altarbau in Sichem orientiert.379 Bei Gen 35,1.6*–7 handelt es sich um eine vorpriesterliche Erweiterung, denn P setzt voraus, dass sich Jakob in Bet-El befindet.380 Die Erweiterung hat auf die Sichem-Notiz, die sie aufgreift, allerdings rückgewirkt. Dies lässt sich an einem häufig beobachteten Problem zeigen. Der Gebrauch des Verbs ‫ נצב‬wird im AT ausschließlich in Verbindung mit Mazzeben gebraucht und legt nahe, dass hier im Zuge des Textwachstums eine kleinräumige Korrektur vorgenommen wurde, die eine ursprüngliche Mazzebe in den Bau eines Altars umwandelte.381 Da diese „Korrektur“ ausschließlich hier und nicht an weiteren Stellen vorgenommen wurde, welche eine Mazzebe erwähnen, liegt eine grundsätzliche Kritik an ­Mazzeben weniger nahe.382 Vielmehr ließe sich die ausschließliche „Korrektur“ an dieser Stelle mit einer sekundären Erweiterung um Gen 35,1.6–7 im Sinne einer Harmonisierung erklären. Da Jakob in Gen 35,1.6–7 einen Altar errichtet, so hat er dann wohl auch in Sichem einen Altar aufgestellt. Durch die Korrektur wird der Zusammenhalt der Erzählfolge von Gen 33–35* gestärkt.383

377 Vgl. z. B. Boecker, Isaak, 122; Blum, Komposition, 37 f. Zur Gegenposition vgl. Graupner, Elohist, 292. Köckert, Rückverweise, 113, erkennt hier ebenfalls eine Einlösung des Gelübdes. Der fehlende Rekurs auf die Verzehntung sei insofern zu verschmerzen, da „das gelobte Heilig­ tum mit dem Altarbau in seiner wichtigsten kultpraktischen Funktion aufgenommen wird“ (a. a. O., 113 Anm. 37). 378 Köhlmoos, Bet-El, 262, und Becker, Jakob, 171, deuten Gen 35,2–4 in ähnlichem Sinne als versteckte Polemik gegen Sichem zugunsten Bet-Els, da die fremden Götter in Sichem gelagert, nicht aber zerstört werden. 379 Insofern handelt es sich um eine literarkritische Abhängigkeit und nicht um zwei Altarbenennungen, die auf Quellenschriften verteilt werden könnten. So etwa de Pury, Promesse, 563. 380 Vgl. Köckert, Rückverweise, 113. 381 Vgl. bereits Gunkel, Genesis, 369. 382 Vgl. zu diesem Einwand Boecker, Isaak, 111, der berechtigt auf eine fehlende Korrektur in Gen 28,10–22 hinweist. 383 Becker, Jakob, 177 schlägt stattdessen im Nachgange Levins vor, dass mittels der eigentümlichen Formulierung in V. 20 Jakobs Altarbauten und Mazzebenaufstellungen in einer Formulierung vereint werden sollen. V. 20 wäre demnach eine späte Zusammenschau unterschiedlicher Texte. M. E. erweist sich dies als Überstrapazierung von V. 20, der selbst eine ganz andere Zielstellung verfolgt.

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Das letzte greifbare Ende der Jakoberzählung liegt mithin in Gen 33,18*–20.384 Dagegen wurde angeführt, V. 18* beziehe sich aufgrund des lexematischen Gebrauchs der Wurzel ‫ שׁלם‬auf das Gelübde in Gen 28,20–22 und stelle demnach eine vergleichsweise junge Notiz dar.385 Eine inhaltliche Verbindung der Passagen ist unverkennbar, doch zeigt schon die unterschiedliche Formulierung, dass hier keine Gleichursprünglichkeit gegeben ist.386 Das Abhängigkeitsverhältnis der Verse ist darüber hinaus nicht offenkundig. Da Gen 28,20–22 auf unter­ schiedliche Schlussnotizen aus Gen 33–35* zurückgreift, liegt nahe, dass das Gelübde auf die besagten Texte reagiert, mithin von ihnen abhängig ist. Die Bezüge von Gen 28,20–22 gehen über die rezipierten Zusammenhänge von Gen 35,1.6–7 hinaus. Der Gebrauch der Wurzel ‫ שׁלם‬steht in Gen 33,18* zunächst nur mit dem Ort Sichem in Verbindung. Jakobs Rückkehr in sein Vaterhaus (Gen 28,20–22) wird erzählerisch hingegen nicht entfaltet. Das Gelübde greift insofern die Schlussnotiz von Gen 33,18*.20 interpretierend auf und bringt sie nun mit Bet-El in Verbindung. Dieses Vorgehen lässt sich durch die Vorlage erklären, die der Redaktor von Gen 28,20–22 im größeren Zusammenhang von Gen 33*.35* vor Augen hatte. Eine vordergründig plausible Vorbereitung von Gen 33,18–20 auf Jos 24,26b,387 der über Josuas Aufrichten eines Steins in Sichem berichtet, hält einer Prüfung ebenfalls nicht Stand. Jos 24,26b greift die angeführte Ortsangabe ebenso wenig auf, wie die Funktion des Steins (Mazzebe / Altar). Die Funktion des Steins deckt sich in Jos 24,26b eher noch mit der Funktion des aufgerichteten Grenzsteins zwischen Jakob und Laban in Gilead. Wie in den weiteren Wegnotizen geschehen, wird auch in Gen 33,20 nicht dem Ort oder dem Altar selbst eine besondere Bedeutung verliehen; er wird auch nicht ätiologisch gedeutet. Die Altarbaunotiz dient primär der Deutung der Jakoberzählung und des Jakobweges. Gegen eine Zurechnung von Gen 33,18*.20 zum Grundbestand von Gen 33 könnten die vordergründig damit vergleichbaren Altarbaunotizen bei Abraham in Gen 12,6–8; 13,18; 21,33; 26,23 ff. sprechen.388 Bei einem Vergleich zeichnen sich allerdings deutliche Unterschiede ab. In der Abrahamerzählung sind sie konzeptionell als Zeichen der Inbesitznahme des Landes tief verankert. In der Jakoberzählung erfüllt die Notiz keine solche Funktion, zumal es sich, wie gezeigt, in Gen 33,20 im Grundbestand um eine Mazzebe und nicht um einen Altar gehandelt hat. Darüber hinaus benennt Abraham die Altäre im Unterschied zu 384 Vgl. Finkelstein / Römer, Comments, 327 f. 385 So z. B. Levin, Jahwist, 262; Blum, Wege, 232 f.; Becker, Jakob, 177. Dagegen vgl. Blum, Komposition, 205. 386 Vgl. Blum, Komposition, 206. 387 So Levin, Jahwist, 262. 388 Vgl. etwa die Kritik Van Seters, Prologue, 272 Anm. 28, an Blum, Komposition, 331 ff., der die jeweiligen Notizen bei Jakob (Gen 33,18–20*; 35,1–7) von denen bei Abraham unter­ scheidet.

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Gen 33,20 nicht.389 Gleichwohl ergibt sich auf der Endtextebene der Erweiterungen das Bild, dass auch Jakob in Verbindung mit ätiologischen Notizen, die hinsichtlich ihrer geografischen Verortung gestreut sind, das Land in Besitz nimmt.390 Mit V. 20 liegen folglich keine Rückbezüge auf Texte vor, die sich in den vorangehenden Analysen als redaktionell erwiesen. Begründungsbedürftig bleibt, weshalb in Gen 33,20 der Ort Sichem für einen Altarbau und die Proklamation des Israelnamens gewählt wird, und, ob in Gen 33,20 ein überzeugendes Erzählende der Jakoberzählung im Grundbestand erhalten ist. Anders als Sukkot, Mahanajim und Pnuel ist die Lokalisierung Sichems in der Forschung unstrittig. Dies ist auf die historisch-kulturelle und politische Bedeutsamkeit des Ortes zurückzuführen, die sich in archäologischen Funden ebenso niederschlägt wie auch in verschiedenen Textbelegen innerhalb und außerhalb des ATs. Sichem wird mit Tell Balāṭa identifiziert, der sich nahe der heutigen palästinensischen Hauptstadt Nablus befindet. Sichem ist nicht mit der Stadt Nablus zu identifizieren, sondern in einem Außenbezirk südlich der Stadt zu verorten, worauf Eusebius ebenso hinweist wie die Madeba-Karte.391 Sichem befand sich mithin an einem strategisch bedeutsamen Knotenpunkt der Nord-Süd-Achse einerseits und einer Verbindung zum Jordantal andererseits.392 Auf die Bedeutsamkeit insbesondere im 2. und 1. Jtsd. weisen bereits die Ächtungstexte aus dem 19./18. Jh. v. Chr. und die Belege in den Amarnabriefen hin.393 In Sichem ließ sich bei Grabungen eine um 1650 v. Chr. errichtete, acht Meter hohe Stadtmauer feststellen wie auch Reste eines Migdaltempels, mit einer Ansammlung von Mazzeben, die auf eine strategisch und kulturell große Bedeutung des Ortes hinweisen.394 Im 9. Jh. wurde die vormals zerstörte Stadtmauer repariert, der archäologische Befund weist in dieser Zeit allerdings nicht auf einen Tempel- oder Kultbetrieb hin.395 Nach alttestamentlichem Bericht wurde Jerobeam I. in 1 Kön 12 dort als König über die Nordreichsstämme erhoben. Sichem gilt dem Bericht zufolge als Residenzstadt vor dessen Verlagerung nach Pnuel; Bet-El als Ort, an dem Jerobeam I. ein Heiligtum errichtet. Die Blütezeit der Stadt aus dem 2. und 1. Jtsd. wird außerdem in Ri  9 aufgegriffen, allerdings hier vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse um die assyrische Eroberung im 8. Jh.396 Eine historische Erinnerung von ebenso großer zeitlicher Distanz aus ist insofern auch für die Jakoberzählung plausibel.

389 Die Abrahamnotiz aus Gen 12,6 ist sekundär an Gen 33,20 orientiert. Vgl. etwa Achenbach, Integration, 54. 390 Vgl. Blum, Wege, 236. 391 Vgl. Jericke, Art. Sichem; Fritz, Art. Sichem, Sp. 245. 392 Boecker, Isaak, 110, bezeichnet Sichem als „unbestrittene(s) Zentrum Mittelpalästinas“. 393 Vgl. zu den Ächtungstexten HTAT, 38; zu den Belegen in den Amarnabriefen EA 289, 23/ HTAT, 141 f. Grundsätzlich vgl. Jericke, Art. Sichem. 394 Vgl. Wimmer, Art. Sichem. 395 Vgl. Jericke, Art. Sichem. 396 Vgl. Jericke, Art. Sichem.

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Da Sichem von historisch wichtiger Bedeutung für das Nordreich gewesen ist, dürfte vor dem Hintergrund eines Ursprungsmythos nicht verwundern, dass Jakob sein Bekenntnis an diesem Ort ausspricht. Darüber hinaus markiert Sichem den ersten Aufenthaltsort Jakobs im Westjordanland und erscheint in Jakobs bekenntnisartiger Altarbenennung „ein Mächtiger (‫ )אל‬ist der Gott Israels“ stringent als Beweis seiner wohlbehaltenen Rückführung aufgegriffen. Dabei ist hier vorausgesetzt, dass sich das Bekenntnis nicht etwa auf ein religionsgeschichtlich bedeutsames Bekenntnis Israels zu der kanaanäischen Gottheit „El“ bezieht,397 sondern nach Jakobs Umbenennung mit „Israel“ dessen Selbstbezeichnung meint und mit „El“ als Prädikat auf Gottes Wirkmächtigkeit verwiesen ist.398 Eine religionsgeschichtliche Erinnerung an eine El-Verehrung „Israels“ wäre zwar denkbar, allerdings steht dieser Auffassung m. E. die doch eher dürftige Gestalt der Notiz entgegen. Für Jakobs Altar- / Mazzebenbau in Sichem ließen sich als Anlass unterschiedliche Szenarien denken. Es könnte damit eine Erinnerung an einen Altar / eine Mazzebe mit demselben Namen in der Jakoberzählung konserviert worden sein.399 Bezieht man jedoch den archäologischen Befund ein, könnte sich in Gen 33,20 auch schlicht die Kenntnis einer kultischen Bedeutung Sichems und möglicherweise auch die Erinnerung an die dortige Ansammlung von Mazzeben niedergeschlagen haben, die hier im Sinne der Erzählung als Jakobbekenntnis reflektiert wird. Dass sich in der Notiz eine Erinnerung an die Bedeutsamkeit des Ortes niederschlägt, erscheint mir plausibler als die Annahme einer traditionsgeschichtlichen Verbindung zwischen einer Jakobsippe und dem Ort Sichem.400 Für letztere Annahme sind die Anhaltspunkte, die der Text bietet, zu dünn. Die Beobachtungen zusammengenommen, wäre es folglich durchaus plausibel, dass die Jakoberzählung in ihrem Grundbestand in Gen 33,20 endete. Gleichwohl bestünde weiterhin das Problem, dass Jakob sein Versprechen gegenüber Esau nicht eingelöst hätte, und insofern ein Erzählstrang ungelöst bliebe. Als weitere Möglichkeit ist daher denkbar, dass eine Wiedervereinung der Brüder zugunsten der ausführlichen priesterlichen Passagen entfallen ist. Diesem Gedanken soll im Zuge der Untersuchung der P-Passagen nachgegangen werden.

397 So nebst vielen weiteren Auslegern Boecker, Isaak, 111; Finkelstein / Römer, Comments, 328, im Sinne einer Erinnerung an eine El-Verehrung des Jakob-Clans in Pnuel, Bet-El und Sichem; Jeremias, Three Theses, 145. Zur kritischen Auseinandersetzung vgl. Köckert, Vätergott, 84–87. 398 Vgl. Blum, Komposition, 206 f.; Blum, Wege, 233, mit dem wichtigen Hinweis, dass eine Gottheit „El“ in der gesamten Vorerzählung nicht herausgestellt wird, obwohl das betreffende Lexem genannt wird. Unter Revision seiner früheren These vgl. auch Köckert, Jakobüberlie­ ferung, 53. 399 Vgl. Blum, Wege, 237. 400 So etwa Otto, Art. Sichem, Sp. 1295 f.; Finkelstein / Römer, Comments, 327 f.

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6.3.5.2 Das priesterschriftliche Ende der Versöhnungserzählung in Gen 33–36* Offenkundig ist ein plausibles Ende des Brüderkonfliktes nur noch in den priesterschriftlichen Passagen der Jakoberzählung erhalten. P erzählt entgegen ihrem sonstigen punktuell eingreifenden Stil hier auffallend ausladend. Der Bestand der P beläuft sich nahezu anerkannt auf die Passagen in Gen 35,9–15.22b–29.401 Darüber hinaus erwiesen sich die Näherbestimmungen Sichems und Bet-Els als im Land Kanaan liegend (Gen 33,18a*; 35,6*) ebenfalls als P- Notizen. Sie entsprechen dem Interesse der P an territorialen Grenzen und Ordnung. P greift in ihren umfassenderen Textpassagen zentrale Gottesbegegnungen Jakobs interpretierend auf und verschränkt sie miteinander. In Gen 35,9 knüpft P an den non-P-Faden an, indem sie erwähnt, Gott sei Jakob auf der Rückreise aus Paddan Aram „noch einmal“ (‫ )עוד‬erschienen. Da im unmittelbaren Kontext die Segnung durch Gott genannt wird, ist schlüssig, dass P hier auf die Jabbokerzählung reagiert,402 die nun durch P in zweierlei Hinsicht korrigiert wird: Zum einen wird deutlich genannt, dass Gott Jakob segnete, zum anderen setzt P eine zu Abraham vergleichbare Umbenennung um, die ihren Namen und ihre Bedeutung auch verdient: sie wird eindeutig von Gott vorgenommen und mit einer Verheißung versehen. Die Jabbokerzählung wird dabei übergangen und nur die Umbenennung Jakobs selektiv aufgegriffen. Angesichts des Profils, das sich in den P-Passagen im Übrigen zeigte, wird auch hier mit einem wissentlichen Verzicht auf eine Rezeption der Jabbokerzählung durch P zu rechnen sein.

401 Vgl. bereits Wellhausen, Composition, 49; Finkelstein / Römer, Comments, 334. Für Gen 35,10 wird in der Forschung mitunter eine nachpriesterliche Ergänzung in Erwägung gezogen. So Seebass, Vätergeschichte II/2, 445; Becker, Jakob 173–175. Allerdings sprechen die exakten Parallelen zur Umbennung in Gen 17,5.15 gegen eine nachpriesterliche Erweiterung. Vgl. Blum, Komposition, 266; Boecker, Isaak, 127; Köhlmoos, Bet-El, 252 Anm. 104; Wöhrle, Fremdlinge, 89. Wöhrles Erklärungsversuch für den Umstand, dass P nicht den Namen „Israel“ rezipiert, sondern den Namen „Jakob“ auch nach der Umbenennung beibehält, erscheint allerdings weniger plausibel. So sondert Wöhrle, Fremdlinge, 89 f., die Umbenennung Jakobs aus Gen 32,29 aus dem non-P-Bestand aus, geht allerdings davon aus, dass Gen 35,21, in dem eine Umbenennung Jakobs implizit vorausgesetzt ist, zum Grundbestand gehört. Dementsprechend hätte P die implizit vorausgesetzte Umbenennung nachgeholt. Dies löst allerdings das Problem nicht, da nicht erklärt wird, weshalb P in den P-Passagen den Namen „Jakob“ beibehält. P scheint sich vielmehr hier an der Tendenz des Grundbestandes zu orientieren, der auch nach Jakobs „Umbenennung“ weiterhin den Namen „Jakob“ gebraucht. Auch für Vv. 14–15 wird aufgrund des Leitwortgepräges eine nach-P-Ergänzung vermutet. Vgl. etwa Wöhrle, Fremdlinge, 91, allerdings liegt der für P ungewöhnliche Sprachgebrauch in der Polemik des P-Textes begründet (s. o.). Levin, Jahwist, 264, erwägt für die Genealogie in Vv. 22b–26 eine nachendredaktionelle Ergänzung aufgrund der vermeintlich fehlerhaften Positionierung. 402 Vgl. de Pury, Umgang, 57.

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P bindet Jakobs Umbenennung stattdessen mit in ihre Bet-El-Ezählung ein.403 Damit wird aber gerade nicht der Ort Bet-El aufgewertet, wie vordergründig naheliegen könnte. In ihrer Version der Bet-El-Erzählung schwächt P den bedeutungsbeladenen Text von Gen 28,10–19 vielmehr dahingehend ab, dass Bet-El nun nicht mehr als kultische Wohnstätte Gottes proklamiert wird, sondern von Bet-El nur noch der profane Ort übrigbleibt, den Gott wieder verlässt, nachdem er Jakobs Verheißung überbracht hatte.404 Es wird deutlich, dass P hier auf den nonP-Textbestand Bezug nimmt. Nach der Korrektur der Bet-El-Erzählung fasst P die genealogische Liste über die Söhne Jakobs zusammen. Deutlich ist die Erzählung über den Gebärwettstreit von Gen 29–30 und womöglich auch die Schilderung der Geburt Benjamins vorausgesetzt. Nach der genealogischen Liste begibt sich Jakob zu Isaak nach Hebron und begräbt diesen nach dessen Tod gemeinsam mit seinem Bruder. Die Todes- und Begräbnis-Notiz entspricht in der Formulierung der P-Notiz des Abrahambegräbnisses aus Gen 25,7–9.405 Im P-Bestand hält Jakob folglich sein Versprechen ein, Esau nachzufolgen. Anstatt Beerscheba erwähnt die P hier für den Aufenthaltsort Isaaks Mamre und Hebron. Esaus Wegzug nach Seir (Gen 33,16) aus dem non-P-Bestand greift P indes nicht auf, sondern veranschlagt jenen erst nach dem gemeinsamen Begräbnis Isaaks durch die beiden Brüder (Gen 36,6–8). Die Trennung zwischen den Brüdern vollzieht sich nach dem Vorbild der Trennung von Abraham und Lot in Gen 13,1–10 (P). Aufgrund ihrer jeweilig reichen Habe können die Brüder aus Platzgründen nicht beiein­ ander wohnen. 403 Diese Erklärung erweist sich für den Zusammenhang als plausibler, als ein Rückbezug auf Gen 35,1, zumal der Vers nicht dem Grundbestand zuzuschreiben ist. Gegen Wöhrle, Fremdlinge, 90 f. Darüber hinaus ist zwar im P-Text formal greifbar, dass sich P hier auf zwei unterschiedliche Gottesbegegnungen Jakobs bezieht, selbst verbindet sie diese aber zu einer. Gegen etwa Gunkel, Genesis, 384–387, und de Pury, Promesse, 530–559. 404 Vgl. zu dieser Deutung Blum, Komposition, 267 f.; Blum, Profil, 48; Köckert, Rückverweise, 112; Koch, Wohnstatt, 224 f.; Schmid, Political Theologies, 17. Zur Gegenposition in neuerer Zeit vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 91, der hinter Gen  35,14–15 eine nach-P-Bearbeitung vermutet, die mit Gen 28,10–22 harmonisieren will. Dagegen sprechen hingegen die deutlichen Differenzen, die wohl kaum als Harmonisierungsversuche erklärbar sind. Alternative Versuche, Gen 35,9–15 auf zwei Gottesbegegnungen aufzuteilen (a) Gen 35,6a.11–15; b) Gen 35,9 f., [vgl. etwa de Pury, Umgang, 46 f.], die nachträglich ineinander gearbeitet worden sind, bewähren sich nicht. De Pury versucht so zwar das Problem zu erklären, dass die Bet-El-Reminiszenz von P weit entfernt von der eigentlichen non-P-Bet-El-Erzählung zu stehen kommt. Allerdings ist dieser Platz, wie Blum, Jacob Tradition, 192, herausgestellt hat, bereits für die Verheißung in Gen 28,1–9 reserviert, was de Pury nicht berücksichtigt. Für unwahrscheinlich muss auch der Vorschlag von Becker, Jakob, 175, gelten, der Gen 35,11–13 als Grundbestand wertet, der im Blick auf Jakobs Gottesbegegnungen (Vv. 9–10.13b–15) überarbeitet worden sei. Die Beweisführung besagter Exegeten zeigt, dass die Vorschläge weniger Ergebnis innertextlicher Inkohärenzen sind, als Ergebnis eines Versuchs, P als selbständige Quelle zu beweisen. Der Text selbst spricht entschieden gegen eine Zergliederung des Abschnittes. 405 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 94.

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Die Verbindung zwischen Esau und Edom ist in der Jakoberzählung am deutlichsten in den P-Passagen vollzogen. Dieses völkergeschichtliche Interesse an Esau ist auch in den nachpriesterlichen Passagen innerhalb der genealogischen Listen zu Edom in Gen 36 aufrechterhalten. Dabei ist für P die Vorstellung eines friedlichen Nebeneinanders der beiden Völker leitend, das aus einer friedlichen territorialen Trennung resultiert.406 Gegenüber der Auffassung einer bewussten Gegenpositionierung der P gegenüber einer kritischen Haltung zu Esau / Edom im Grundbestand der Jakoberzählung ist m. E. dennoch Vorsicht geboten. Die kommentierende Funktion, die P für Gen 27 einnimmt, gibt durchaus eine kritische Haltung gegenüber Esau zu erkennen. Zudem lässt sich gerade in den Schlusskapiteln mangels vergleichbarer non-P-Grundlage ein solches Urteil nicht sicher gewinnen. P greift das Brüderverhältnis als Völkerverhältnis auf und stärkt Edom als Nebenlinie in der Genealogie Israels, nicht mehr und nicht weniger. P betont die Identifizierung zwischen Esau und Edom / Seir in den priesterlichen Passagen (‫הא אדאם‬/das ist Edom, Gen 36,1.8.9.19) nachdrücklich. Die Betonung ist im Vergleich zur Genealogie Ismaels (Gen 25,12–18) auffallend und erweckt den Anschein als befände P sie im Grundbestand der Jakoberzählung nicht ausreichend ausgeführt. Da P sich gerade im Edom-Bild nicht als Gegenposition zum Grundbestand des vorhandenen Textes plausibilisieren lässt, da die Versöhnungserzählung des nonP-Bestandes vergleichsweise wertneutral geschildert wird, soll von Spekulationen über ein ursprüngliches Ende der Jakoberzählung und dessen Inhalt – etwa über den priesterlichen Textbestand – an dieser Stelle Abstand genommen werden. Dessen Rekonstruktion verschließt sich den methodisch gangbaren Möglichkeiten. Aufs Ganze gesehen ist zumindest bemerkenswert, dass P Anfang und Abschluss der Jakoberzählung bildet, was die kompositorische Möglichkeit plausibel erscheinen lässt, dass P die Ränder der Jakoberzählung ersetzt oder hinsichtlich des Schlusses der Jakoberzählung geschaffen hat – vorausgesetzt, es handelte sich bei Gen 33,20 um das ursprüngliche Ende der Jakoberzählung. Die Darstellung hat gezeigt, dass ein schlüssiges Ende der Jakoberzählung nicht mehr zu gewinnen ist. Dabei ist mit einem zugunsten der P weggefallenen Versöhnungsende, das die beiden Brüder noch nicht territorial getrennt hat, ebenso zu rechnen, wie mit der Möglichkeit, dass die Rückkehr zu Esau am Ende tatsächlich offengelassen wird und die Erzählung mit den beiden Kultgründungen oder einer der beiden Kultgründungen geendet hat. In diesem Falle hätte P in ähnlicher Weise wie am Beginn das Ende der Jakoberzählung ersetzt.

406 Vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 205.

Die vermeintliche völkergeschichtliche Ausrichtung des Grundbestandes 

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6.4 Die vermeintliche völkergeschichtliche Ausrichtung des Grundbestandes von Gen 32,2–33,20 Die vorangehende Analyse ergab für Gen 32,2–33,20 folgenden Grundbestand: Gen 32,4a.5–9*.23*.24b-26aα.27–30.32a; 33,1*.3–5.8–10aα.11–16*.18aα*.20. Entsprechend der Entzweiung der Brüder in Gen 25–27* wird nun ihre Versöhnung geschildert. Der Grundbestand von Gen 32–33 setzt insofern bereits konzeptionell die Eingangskapitel der Jakoberzählung (Gen 25.27) voraus. Darüber hinaus wird die Jakob-Laban-Erzählung supponiert. Neben der expliziten Erwähnung Labans in Gen 32,5 werden Jakobs Frauen und Kinder wie auch seine bei Laban erworbene Habe genannt (Gen 32,6.23; 33,5.11). Besieht man die Gesamtanlage des Textes, fällt deren starke theologische Prägung ins Auge. Durch erzählerische Überblendungen wird die geglückte Versöhnung Jakobs als Gnade Gottes inszeniert. Der Höhe- und Wendepunkt im Versöhnungsgeschehen liegt in Jakobs Gottesbegegnung in Gen 32,23–33, die Jakobs Geschick nun positiv beeinflusst. Diese bildet die Peripetie des Zusammenhanges. Esau zeigt sich im Anschluss daran nicht mehr bedrohlich, sondern wider Erwarten versöhnlich; Jakob bezeichnet seine Kinder und seine Habe erst nach der Jabbokerzählung als Gabe und Gnade Gottes. Darüber hinaus kann Jakob, nach dem von Gott her errungenen Segen, nun Segensgüter an Esau abtreten. Der in seiner Existenz transformierte Jakob / Israel kann auf der Grundlage seiner Bewahrung abschließend Gott als mächtigen Gott Israels anerkennen (Gen 33,20). Bezieht man insofern die Vorgeschichte der Begegnung ein, wird man eingestehen müssen, dass die positive Reaktion Esaus nicht zwingend einer positiven Darstellung Esaus im eigentlichen Sinne dient. Was im Zuge der Begegnung tatsächlich dargestellt wird, ist vielmehr der Kontrast zwischen Esaus Bedrohlichkeit und seiner freundlichen Zuwendung. Diese zielt näherhin auf die Inszenierung einer Bewahrung Jakobs durch Gott, die in Gen 33,20 ihr entsprechendes Echo findet. Insofern erscheint eine politische Lesart der Schlusskapitel erschwert, die sich auf eine Gegenposition zur politischen Ausrichtung von Gen 25–27* gründet. Als weiteres Argument für diese völkergeschichtliche Lesart dient das häufige Postulat, in Gen 32–33 finde eine Umkehrung der Segensworte aus Gen 27 statt. Wie in Gen 27,29 ein Dienst gegenüber Jakob vorausgesagt werde, so „diene“ J­ akob am Ende Esau.407 Dieses Argument trifft allerdings auch dann nicht zweifelsfrei zu, wenn man die Segensworte aus Gen 27 dem Grundbestand der Erzählung zuschreibt. In Gen 32–33 wird kein Dienst Jakobs gegenüber Esau inszeniert und 407 Gleiches betrifft das dafür ebenfalls häufig in Anschlag gebrachte Gottesorakel aus Gen 25,23. Vgl. Blum, Komposition, 146 („in gewagter Antithese“); Dicou, Edom, 142; Taschner, Verheißung, 160 f.; Schmid, Versöhnung, 216; Wöhrle, Koexistenz, 317; Wöhrle, Jacob from Israel, 143 f.

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in den Segensworten wird nicht Esau ein Niederbeugen vor Jakob voraus­gesagt, sondern Völkern und Nationen.408 Die so deutlich zu Tage tretende Inkongruenz unterstützt vielmehr die Einschätzung, dass die politischen Segensworte Elemente des Jakobschlusses konterkarierend aufnehmen und in ihrem universalen und zukunftsweisenden Anspruch die Edom-Schicht schon voraussetzen. Die Verbeugung Jakobs ist in Gen 32–33 zudem ganz aus der traditionsgeschichtlich beeinflussten Nachahmung höfischen Zeremoniells, wenn nicht gar einer Vasallitätsgeste, erklärbar und setzt insofern Gen 27 nicht notwendig als Gegenfolie voraus.409 Der Einsatz von Demutsvokabular spricht zudem nicht für einen realen sozialen Status Esaus als „Herrn“. Vielmehr wird in Gen 32–33 Jakobs Unterwerfungsgeste erzählerisch als „Versöhnungsstrategie“ eingesetzt. Nach dem erfolgreich errungenen, entscheidenden Segen kann sich Jakob nun getrost einer solchen Geste bedienen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Jakob geht gerade keine Koalition mit Esau ein, in der er sich unterwirft, sondern entscheidet sich für die Fortsetzung eigener Wege. Insofern dient der erzählerische Einsatz einer Vasallitätsgeste weder der Darstellung eines realhistorischen Vasallenverhältnisses zwischen Israel und Edom, das es nach heutigem Kenntnisstand nicht gegeben hat, noch ist sie Zeugnis einer literarischen Gegenpositionierung zu einem Unterwerfungsaufruf der Segensworte aus Gen 27, die eine politische „Annäherung“ Judas an Edom während der babylonischen Bedrohung unterstützen sollte, wie Wöhrle es jüngst vorgeschlagen hat.410 Noch ungeachtet der Tatsache, dass sich die Segensworte in Gen 27 in ihrer politischen Ausrichtung als sekundär erwiesen, ist auch über die fehlende Rückbindung an den Text von Gen 32–33 hinaus kaum zu erklären, weshalb Autoren in einer wenig stabilen politischen Großwetterlage eine derart drastische Selbstunterwerfung inszenieren sollten, die weder nach innen noch nach außen411 sinnvolle politische Signale setzen kann. Insofern ist fraglich, ob sich eine politische Lesart von Gen 32–33 als grundsätzliches Anliegen des Textes bewährt. Dafür könnte die territoriale Trennung der Brüder sprechen, die nahezu zwingend auf eine territoriale Zuordnung der Völker Edom und Israel hinwiese.412 Allerdings wurde bereits angemerkt, dass sich eine Auseinandersetzung mit Edom nur von einer Südreichsperspektive her denken lässt, die sich in Gen 32–33 gerade nicht mit den geografischen Angaben deckt. Zudem wird für Jakob / Israel in Gen 32–33 kein Ort genannt, der eine 408 Vgl. etwa Maag, Jakob, 418–420; Nentel, Jakobserzählungen, 271. 409 Vgl. zum höfischen Zeremoniell in Gen 32–33 Janowski, Sühne, 96 f. Wöhrle, Koexistenz, 318, führt neben den in der Forschung häufig diesbezüglich rezipierten Amarnabriefen die Darstellung Jehus auf dem Schwarzen Obelisken des 9. Jh. an. Das Niederwerfen eines Vasallen gegenüber seinem König sei mit Keel / Uehlinger, Assyrerkönig, 391–420, keine gängige Geste, sondern deute eine „freiwillige Selbstunterwerfung“ an. 410 So Wöhrle, Koexistenz, 324; Wöhrle, Jacob from Israel, 143 f.149 f. 411 Wöhrle lässt die Adressatenkreise in diesem Zusammenhang undiskutiert. 412 Vgl. z. B. Crüsemann, Herrschaft, 83.

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Grenzziehung zu Edom plausibel erklären könnte. Hinzu tritt das grundsätzliche Problem, dass diese „versöhnliche Trennung“ mit dem häufig vertretenen Ende in V. 17 wiederum auf einer Täuschung Jakobs fußen würde und insofern kaum als paradigmatischer Aufruf zur „Versöhnung“ und Solidarisierung mit den Edomitern tauglich erscheint.413 Nicht zuletzt trifft Jakob am Ende der Erzählung keine Aussagen, die konkret eine Ebene des Politischen tangieren. Sein Versprechen, Esau nachzuziehen, erscheint vor dem Hintergrund einer völkergeschichtlichen Lesart erklärungsbedürftig. Die vorläufige Ausrede Jakobs zielt stattdessen – wie in der oben vorgestellten literarkritischen Analyse gezeigt – auf ein ganz anderes Ziel. Gen 33,20 bildet den theologischen Höhepunkt der Jakoberzählung schlechthin, da deren theologische Dimension und das individuelle Geschick Jakobs hier deutend in der Form eines Bekenntnisses zusammengeführt werden. Die Trennung von Esau ist für ein derartiges Bekenntnis zwingende Voraussetzung, da sich für Jakob gerade in der Bewahrung vor Esau Gottes Wirksamkeit zeigte. Das hätte er weder in Gegenwart von Esau, noch in Gegenwart von dessen Männern bezeugen können. Jakob selbst könnte mit dem Verweis auf den „Gang meiner Arbeit (Gen 33,14) bereits verschleiernd darauf angespielt haben. Jakobs Versprechen, Esau nachzuziehen, bleibt insofern im letztvorhandenen Grundbestand offen und wurde – vorbehaltlich der Möglichkeit, dass es in einem weggefallenen Ende eingelöst worden ist – nach dem Höhepunkt von Gen 33,20 nicht mehr geschildert. Aufgrund der genannten Argumente greift die Charakterisierung von Gen 32–33 als politisch motivierte Gegenerzählung zu Gen 25–27* nicht. Ebenso wenig lässt sich eine speziell andere Art und Weise des Erzählens nachweisen, die eine redaktionsgeschichtliche Abtrennung vom übrigen Grundbestand der Jakoberzählung rechtfertigen könnte.414 Gen 32–33 stehen in der hier rekonstruierten Form vielmehr in auffallender Kontinuität zur Eingangserzählung. Diese Einschätzung trägt zudem dem Umstand Rechnung, dass Gen 25 und 27 abseits von Gen 32–33 ohne erkennbares Erzählziel blieben und mit und gegen Blum ziellose „Torsi“ darstellen würden.415 Die Veränderung des Brüderverhältnisses zwischen den Eingangs- und Schlusskapiteln lässt sich schlüssig durch den „Plot der Erzählung“ (Entzweiung – Versöhnung) erklären.416

413 So schlussfolgert Graupner, Elohist, 285, für den von ihm für jahwistisch gehaltenen Textbereich der Schlusskapitel drastisch: „Jakob bleibt selbst in der Situation der Versöhnung mit Esau der, der er war, Jakob, der Lügner, Lüge seine Lebensstrategie – und [der Jahwist] löst das Paradox, daß sich Gottes Verheißung in Jakobs Machenschaften verwirklicht, nicht auf “. 414 Vgl. Eising, Untersuchung, 161. 415 Vgl. Blum, Komposition, 174, der dies allerdings damit verneint, dass die jeweiligen Segenssprüche in Gen 27 bereits ein Urteil über den Konflikt fällten. 416 Vgl. Schmid, Versöhnung, 217; Hensel, Edom, 90.96. Hensel geht indes davon aus, dass Gen 25.27 und Gen 32–33 um Gen 29–31 herumkomponiert worden seien.

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Für ein ursprüngliches Ende des Grundbestandes der Jakoberzählung spricht darüber hinaus, dass mit Pnuel und Sichem gerade Orte genannt werden, die für das Nordreich von Relevanz waren und die in der Forschung konstant und berechtigt Eckpfeiler einer Datierung der Jakoberzählung ins 8. Jh. bildeten.417 Gen 32,4 lässt sich zudem nicht nur syntaktisch, sondern auch inhaltlich problemlos und stringent an den Grundbestand der Jakob-Laban-Erzählung anschließen und steht mit dieser in gleichursprünglicher Verbindung.418 So präfiguriert die Versöhnung zwischen Laban und Jakob die zwischen Esau und Jakob. Nicht zuletzt wird in Gen 32–33 das für die Jakoberzählung zentrale Thema des Segens bis in vergleichbare Formulierungen hinein aufgegriffen. So liegt, wie Leuenberger gezeigt hat, in Gen 33,11 ff. eine nominale Segensformulierung vor, die so (abgesehen von Gen 28,4, P) nur noch in Gen 27 belegt ist und, hier wie dort, einen „zwischenmenschlichen Segensvorgang“ abbildet.419 In diesem spezifischen Punkt des Segens erweisen sich die Schlusskapitel dann tatsächlich auch als Umprägung; allerdings als eine, auf die Gen 25–27* bereits konzeptionell angelegt ist. So gelten in Gen 32–33 nicht mehr die materiellen Segensinhalte als entscheidend, die Jakob vielmehr an Esau übergeben kann, sondern die Segensinstanz. Es geht folglich nicht um eine Rückgabe des Segens an Esau,420 sondern darum, dass die Bedeutung des Segens in den Schlusskapiteln an die theologische Verifizierung des Segensträgers gebunden wird, der nun der Erzvater Israels ist. Aufgrund der Gnade Gottes hat Jakob „alles“ und ist nicht mehr an seinen Besitz gebunden, sondern kann ihn verschenken. Gleichwohl führt das nicht zu einer Negierung des Segens aus Gen 27, sondern in seiner marginalisierten Form wird dieser nun auch Esau zuteil.421 In der konkreten Anspielung auf den Segen wird implizit eine Trennung zwischen göttlicher Erwählung und menschlichem Segen gezogen. Insofern ist durchaus von einer – innerhalb der Grundschicht vorgenommenen – Korrektur von Gen 27 zu sprechen.422

417 Vgl. etwa Blum, Komposition, 175–186. 418 So häufig Vertreter der Quellenscheidung, allerdings unter anderen modelltheoretischen Voraussetzungen als hier angenommen. Vgl. etwa Graupner, Elohist, 171–173; de Pury, Promesse, 519 ff. 419 Vgl. Leuenberger, Segen, 257 f. 420 So Fokkelman, Art, 227; Hensel, Vertauschung, 171; Westermann, Genesis, 646. Einschränkender Ruppert, Genesis, 404: „Jakob teilt somit gleichsam den von Gott empfangenen Segen mit seinem Bruder, ja er drängt ihm diesen auf, sicher ein Versuch der Wiedergutmachung“; Klein, Jakob, 145.147. 421 Vgl. Leuenberger, Segen, 259. 422 Vgl. Leuenberger, Segen, 259.

7. Jakob als Negativfolie – Ein Seitenblick auf die Rezeption der Jakoberzählung in Hos 12

Aufgrund der intensiven Rezeption der Jakoberzählung in Hos 12 und einer Datierung des prophetischen Kapitels ins 8. Jh., wurde Hos 12 immer wieder als Evidenz für eine Datierung der Jakoberzählung herangezogen.1 Das 8. Jh. galt insofern als terminus ad quem, zu dem die in Hos 12 rezipierten Jakobstoffe als bekannt vorauszusetzen seien. Hos 12 nimmt in weiten Teilen eine Gerichtsansage gegen das Nordreich / Efraim vor. Efraims Bündnispolitik mit Ägypten und Assur (Hos 12,2), seine trüge­ rische ökonomische Überheblichkeit (Hos 12,9) und seine selbstsicheren Verfehlungen im kultischen Bereich (Hos 12,12) stehen ebenso wie seine Ignoranz gegenüber der Botschaft der Propheten (Hos 12,11) unter der Überschrift von Lüge und Betrug gegenüber Gott (Hos 12,1) und führen zum Vergeltungsbeschluss „seines Herrn“ (Hos 12,15). Als historischer Hintergrund der prophetischen Passagen gelten die Jahre zwischen 732–722 v. Chr. als weitestgehend anerkannt.2 Zum einen wird in Hos 12,12 wohl der Verlust Gileads an die Assyrer vorauszusetzen sein, zum anderen spielt Hos 12,2 an „das vergebliche Lavieren Israels zwischen den beiden Großmächten Ägypten und Assyrien in den Jahren vor seinem Untergang (722 v. Chr.)“3 an. Der an Efraim gerichtete Vorwurf des Betruges bot sich offenkundig für eine intensive literarische Reminiszenz an die Jakoberzählung an, die in Hos 12 durch mehrfache Rückverweise vorgenommen wird. Jene Jakobpassagen von Hos 12 sind gleichmäßig über das prophetische Kapitel verteilt und mitunter thematisch mit denjenigen Passagen verbunden, die Efraim adressieren.4 Grundsätzlich umstritten ist neben zahlreichen exegetischen Einzelproblemen, ob es sich bei 1 Dabei wird meist eine Abhängigkeit Hoseas von der Jakobtradition angenommen. Vgl. etwa Finkelstein / Römer, Comments, 321 f.; de Pury, Jacob Story, 59–62; Carr, Fractures, 266 Anm. 95. Na’aman, Jacob Story, nimmt ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis an. Zuvor wurde diese von Whitt, Jacob Traditions, vertreten. Vgl. zur berechtigten Kritik zuletzt Köckert, Rückverweise, 118 Anm. 63: „Indes dürfe es keinem noch so erfindungsreichen Kopf gelingen, aus jenen änigmatischen Sätzen Hos 12,4–5.7.13 die Jakobüberlieferung herauszuspinnen.“ 2 Vgl. Blum, Hosea 12, 306 f.; Köckert, Rückverweise, 123 f. 3 Schott, Jakobpassagen, 13. 4 So könnte man etwa eine Verbindung zwischen dem Betrugsvorwurf an Efraim in Vv. 1–2 und der Rezeption der Jakoberzählung in V. 3–4 erkennen oder eine Verbindung zwischen dem Hinweis auf das Reden durch Propheten in V. 11 und dem Hinweis auf den rettenden Propheten (Mose) in V. 14.

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Hos 12 um einen literarhistorisch weitgehend einheitlichen Text handelt5 oder ob die Jakobpassagen von den Efraimpassagen literarhistorisch zu trennen sind. Im letztgenannten Fall ist wiederum umstritten, ob eine der Passagen redaktionell auf der anderen aufbaut6 oder ob sich Hos 12 als Ergebnis einer Zusammenführung zweier Quellenschichten7 (Efraimschicht vs. Jakobschicht) verdankt. Im Folgenden kann das hochumstrittene Kapitel nicht umfassend analysiert werden. Vielmehr sollen zunächst Grundzüge der gegenwärtigen Forschungsdiskussion dargestellt werden, die für eine Beurteilung der Jakobrezeption relevant sind. Anschließend erfolgen Erwägungen zur Intention der Rekurse auf die Jakoberzählung und die Jakobfigur in Hos 12. Eine einheitliche Konzeptionierung von Hos 12, wie sie insbesondere von Erhard Blum8 und Albert de Pury9 vertreten worden ist, wird in der Forschung neuerdings und mit guten Gründen einer umfassenden Kritik unterzogen. So bewerten Jakob Wöhrle10, Martin Schott11 und Matthias Köckert12 gerade die Jakobpassagen als Erweiterungen, die früher mehrheitlich als Grundbestand von Hos 12 galten. Die genannten Exegeten führen für diese Einschätzung gewichtige Gründe an: Zunächst bestehen berechtigte Zweifel gegenüber einer Aussonderung der Vv. 1–2,13 die im Ursprung das Problem einer doppelten Redeeinleitung in Vv. 1–2 und V. 3 beheben sollte. Hos 12,1–2.8–12.15 sind durch das Leitwort ‫ מרמה‬dicht miteinander verbunden, das bezeichnenderweise nicht in den Jakob­ passagen aufgegriffen wird.14 Darüber hinaus weisen Vv. 1–2 und Vv. 8–12 inhaltliche Verbindungen auf, indem im Rahmen eines Gerichtswortes in Vv. 1–2 zunächst der politische Betrug und in Vv. 8 f. der ökonomische Betrug Efraims geschildert wird.15 Die beiden Elemente sind deutlich aufeinander abgestimmt. Hinzu tritt der Umstand, dass sich Vv. 8–12 ohne Probleme, und aufgrund des fehlenden Subjekts in V. 8, umso notwendiger an Vv. 1–2 anschließen lassen.16 Für eine Gleichursprünglichkeit der Jakob- und Efraimpassagen argumentierte Blum, dass in den Efraimpassagen ihrerseits Reminiszenzen an die Jakoberzählung enthalten seien, wenngleich Jakob dort nicht namentlich erwähnt sei. 5 Vgl. Blum, Hosea 12, 312; de Pury, Cycle de Jacob, 227–235. 6 Zum literarhistorischen Primat der Jakobpassagen vgl. Vielhauer, Werden, 178. Zu dem literarhistorischen Primat der Efraimpassagen siehe unten. 7 Vgl. Pfeiffer, Heiligtum, 68–100. 8 Vgl. Blum, Hosea 12, 312: „eine dicht gewirkte Textur, aus der sich kein Faden herauslösen lässt“. 9 Stellvertretend für die zahlreichen Beiträge de Purys zu Hos 12, vgl. de Pury, Osée 12. 10 Vgl. Wöhrle, Jacob. 11 Vgl. Schott, Jakobpassagen. 12 Vgl. Köckert, Rückverweise. 13 So etwa Blum, Hosea 12, 299, der diese Entscheidung unerklärt lässt. 14 Vgl. Wöhrle, Jacob, 1002; Schott, Jakobpassagen, 6 f.; Köckert, Rückverweise, 115 f. 15 Vgl. Wöhrle, Jacob, 1001; Schott, Jakobpassagen, 7. 16 Vgl. Schott, Jakobpassagen, 9; Köckert, Rückverweise, 116.

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Besieht man die postulierten Bezüge „Erwerb“17, „Zelt“18 und „Gilead“19, wird man jedoch eingestehen müssen, dass es sich dabei nicht um einschlägige Bezugnahmen handelt und ihr kontextueller Gebrauch in Hos 12 – sieht man von den Jakobpassagen einmal ab – keine einschlägigen Hinweise auf eine Anspielung auf die Jakoberzählung bieten.20 Um es mit Köckert zu formulieren: „Nachdem aber einmal jene Efraim-Komposition mit den Jakobpassagen bereichert war, konnten findige Leser auch in mancherlei Einzelheiten der Efraim-Komposition ‚Jakobisches‘ herauslesen, was sie – mit der ‚Jakob-Brille‘ auf ihrer Nase – erst in sie hineingesehen hatten.“21 Einschlägig wäre ausschließlich der Gebrauch des Wortes ‫מרמה‬, das auch in Gen 27,35 von zentraler Bedeutung ist. Allerdings belegt die häufige Verwendung des Lexems im AT einen vergleichsweise gängigen Gebrauch, sodass auch hier keine einschlägige Verbindung geltend zu machen ist. Anhand der Rezeption der Jakoberzählung in Hos 12 wird auf der Endtextebene ersichtlich, dass die Jakobpassagen dort unter dem Ziel eingesetzt werden, Jakobs Verhalten dem politischen Verhalten Efraims / Judas als negatives Spiegelbild vor Augen zu halten. Insofern gewinnt Efraims / Judas Wesen durch Jakob und seinen Werdegang einen Urgrund. Jakob wird hier zweifelsohne als Identifikationsfigur rezipiert. Gleichzeitig lässt sich in überwiegenden Teilen der Jakobpassagen eine einseitig negative Rezeption der Jakoberzählung feststellen, was sich aus der Argumentationsstrategie erklären lässt, Efraim / Juda anhand von Jakob ihres verderbten Wesens überführen zu wollen. Jakob wird so in Teilen der Jakobpassagen von Hos 12 zum „Typos“ des Betrügers degradiert.22 Interessant ist, dass Jakobs Betrug nicht als spezifisches politisches Handeln kritisiert wird – etwa als Betrug an Edom o.Ä. – sondern als amoralische Grundkategorie bestimmt wird, die sich auch in Wesenszügen Efraims / Judas Bahn bricht. Blum schreibt diese typisierende Funktion der Jakobpassagen lediglich einer Gegenüberstellung zwischen Jakob und Efraim zu. Da eine Emendierung von „Juda“ zu „Israel“ in V. 3 wegen V. 1b (Juda) und fehlender textkritischer Anhaltspunkte allerdings schwerlich zu begründen ist,23 liegt demgegenüber die Annahme näher, dass die Jakobpassagen erst eine Judaperspektive in Hos 12,1b.3–7.13 f.

17 Vgl. Blum, Hosea 12, 304. Blum erkennt in der „Prahlrede“ Efraims (Hos 12,9) einen Hinweis auf Jakobs Besitzerwerb. Vgl. ebenso de Pury, Osée 12, 193 f. 18 Blum, Hosea 12, 305, will in Hos 12,10b eine Anspielung auf Jakob als „Zelthocker“ erkennen. Vgl. zu diesen und den im folgenden angeführten postulierten Reminiszenzen auch Finkelstein / Römer, Comments, 321 f. 19 „Gilead“ werde laut Blum, Hosea 12, 307, in Hos 12,12 nur gebraucht, um im Folgevers auf Jakob hinweisen zu können. Vgl. ähnlich de Pury, Osée 12, 198. 20 Vgl. Schott, Jakobpassagen, 17. Eindrücklich auch Köckert, Rückverweise, 118. 21 Köckert, Rückverweise, 118. 22 Zur Typosfunktion Jakobs vgl. Blum, Hosea 12, 303. 23 So ursprünglich der Versuch von Blum, Hosea 12, 297 Anm 30. Vgl. zur Kritik daran Köckert, Rückverweise, 116.

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eintragen.24 Im Folgenden soll genauer in den Blick genommen werden, welche Bruchstücke der Jakoberzählung in Hos 12 rezipiert werden und welche argumentative Strategie mit ihrer Auswahl, Lesart und ihrer Rezeption in Hos 12 im Einzelnen verfolgt wird. Jakob wird erstmals in Hos 12,3 namentlich genannt. Synonym zum vorausgesagten Rechtsstreit Gottes mit Juda wird über Jakob vorhergesagt, Gott werde Jakobs Wege und Taten „auf ihn zurücklenken“ bzw. „vergelten“.25 Der im Grundbestand vorherrschende Vorwurf gegen Efraim wird über die dem Nord- und Südreich gemeinsame Identifikationsfigur „Jakob“ auf Juda hin aktualisiert.26 Für Juda kann so auf eine erneute Aufzählung konkreter Vergehen verzichtet werden. Juda wird stattdessen in eine Kontinuität mit Jakob gestellt, dessen Handeln als Schuldaufweis für Juda gilt. Der Grund des Rechtsstreites Gottes mit Juda wird insofern anhand von Jakobs Handeln begründet und näher ausgeführt, was eine Wertung über Jakobs Handeln in der Jakoberzählung impliziert. V. 4 kritisiert Jakobs postulierte Streitsucht, die sich im Kampf gegen seinen Bruder bereits im Mutterleib Bahn bricht und sich – der Darstellung Hoseas zufolge nahezu zwangsläufig – im Kampf mit Gott im Mannesalter fortsetzt. Als Referenztexte werden die beiden Erzählungen der Jakoberzählung in den Blick genommen, die Jakobs Namen etymologisch deuten bzw. umdeuten.27 Aus den beiden Anklagepunkten folgt in Hos 12 der Urteilsspruch der Vergeltung. Hinsichtlich des ersten Anklagepunktes bleibt unklar, wie das Verb ‫ עקב‬in diesem Zusammenhang zu übersetzen ist. Das Verb ist in der Genesis ausschließlich in Gen 27,36a belegt und meint dort „betrügen“ / „hintergehen“.28 Da diese Bedeutung im vorgeburtlichen Kontext inhaltliche Verständnisschwierigkeiten ver­ ursacht, übersetzt Blum mit „treten“.29 Die Übersetzung Blums trifft zwar die physiologischen Möglichkeiten besser und greift sinngemäß auch das Gottesorakel aus Gen  25,22 f. auf, allerdings liegt aufgrund des Betrugsvorwurfes an Efraim im Nahkontext von Hos 12 näher, dass der Redaktor von Kap. 12 hier ein Hintergehen im Blick hat, das er ins pränatale Stadium vorverlegen will, um so die Grundverderbtheit Jakobs zu maximieren.30 Die Referenzgröße bildet wohl Jakobs Streiten

24 Vgl. Schott, Jakobpassagen, 18; Köckert, Rückverweise, 116. 25 Hos 12,3 greift für Jakob einen Gedanken auf, der in Hos 12,15 hinsichtlich Efraim geäußert wird. 26 Vgl. Schott, Jakobpassagen, 18. 27 Vgl. Pfeiffer, Heiligtum, 82. 28 Vgl. darüber hinaus Jer 9,3, dort allerdings in Anlehnung an die Jakoberzählung in derselben Bedeutung. 29 Vgl. Blum, Hosea 12, 299 Anm. 40. Blum wehrt sich gegen Ausleger, die eine freie Übersetzung mit „an der Ferse packen“ wählen und entscheidet sich demgegenüber für eine Ableitung aus dem Syrischen. 30 Vgl. Schott, Jakobpassagen, 11 Anm. 49, der den rabbinischen Sprachgebrauch von „an jmds. Stelle treten“/„folgen“ als Argument anführt, aus dem sich dann die Bedeutung von „hin-

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mit seinem Bruder im Mutterleib, das im Zuge des Gottesorakels von Gen 25,22 f. thematisiert wird. Allerdings verschiebt der Redaktor aus Hos 12 die Verantwortlichkeit auf die Seite Jakobs und scheint so auch Jakobs Griff nach Esaus Ferse aus Gen 25,24 dafür fruchtbar zu machen.31 Dass Hos 12,4 die göttliche Zusage an Jakob konterkariere,32 stimmt sachlich nicht ganz, denn auch Hosea nimmt eine Überlegenheit Jakobs an. Allerdings bewertet Hos 12,4 die Art und Weise, wie Jakob zu dieser Überlegenheit gelangt, als unlauteres Mittel.33 V. 4b rekurriert mit dem Gebrauch des Verbs ‫ שׂרה‬explizit auf die Jabbok­ erzählung (Gen 32,23–33). Das Verb hat dort sinntragende Funktion für die Umbenennung Jakobs (Herleitung über ‫ )עקב‬in Israel (Herleitung über ‫)שׂרה‬. Hos 12,4 zusammengenommen greift die etymologisch entscheidenden Verben aus Gen 32,29 treffend auf. Während in Gen 32,29 Jakobs Kampfgeist allerdings positiv honoriert wird, lastet Hosea ihm dieses Vorgehen an.34 Der unterstellte Kampf mit Gott in Hos 12,4 kann dabei als Verschärfung von Gen 32,23–33 aufgefasst werden, da dort eine derart drastische und klare Formulierung eines Kämpfens mit Gott vermieden wird. Die Jabbokerzählung, die in der Jakoberzählung die Funktion erfüllt, Jakob vom Betrüger zum würdigen Eponymen eines Volkes zu transformieren, wird in Hos 12 ihrer transformatorischen Kraft beraubt. Damit bleibt das Bild von einem durch und durch streitsüchtigen Erzvater, der nicht nur gegen seinen Bruder vorgeht, sondern auch vor Gott nicht zurückschreckt und – wie im Falle Judas und Efraims – Anlass zur Vergeltung gibt. Hos 12,4 geht insofern vergleichsweise frei mit den Gebertexten um und überspitzt ihre ursprüngliche Aussageabsicht. In Vv. 5–7 wird die kritische Rezeption der Jakoberzählung zugunsten einer positiven kurzweilig unterbrochen. In Vv. 5–7 zeichnet sich insofern ein deutlich anderes Gefälle als in den übrigen Jakobpassagen ab, die auf eine Gerichtsbegründung gegenüber Juda zusteuern. Der Bruch lässt sich am plausibelsten mit einem anderen literarhistorischen Setting erklären, in dem die Vv. 5–7 verfasst worden sind.35 V. 5a rekurriert zwar ebenfalls auf die Jabbokerzählung, schwächt allerdings die Drastik von V. 4 mit Verweis auf den Gottesengel deutlich ab. Jakobs Bitte um den Segen aus Gen 32,27b wird als „Weinen“ und „Flehen“ interpretiert. tergehen“ ableiten ließe. Vgl. auch Pfeiffer, Heiligtum, 82 f., allerdings als Reminiszenz an Jakobs Griff nach Esaus Ferse. 31 Vgl. Wöhrle, Jacob, 1002. 32 So etwa Schott, Jakobpassagen, 19. 33 Gegen Pfeiffer, Heiligtum, 83, der Hos  12,4 als Einblendung der Heilsperspektive aus Gen 25,22 f. und insofern als Anspielung auf Jakobs Erwählung liest. Eine solche Lesart verbietet m. E. der kontextuelle Zusammenhang von Hos 12 in seiner schuldaufweisenden Funktion. 34 In ‫ אֹון‬ist bereits ‫ ָאוֶ ן‬angedeutet. Vgl. Pfeiffer, Heiligtum, 84. 35 Vgl. Schott, Jakobpassagen, 9.21–24. Pfeiffer, Heiligtum, 98, verortet sie auf derselben Ebene wie die übrigen Jakobpassagen und bewertet den Gesamtzusammenhang der Jakobpassagen als Diskurs über die Tauglichkeit der Jakobfigur für die Hoffnung auf Restitution.

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Dadurch kehrt sich subtil die Überlegenheit um, die noch in der Kampferzählung von Gen 32,23–33 zugunsten Jakobs festgestellt worden ist.36 V. 5b nimmt auf Jakobs Aufenthalt in Bet-El Bezug, der als heilsverheißende Erinnerung rezipiert wird. Subjekt und Objekt sind in dem Teilvers unklar – und mithin auch, ob die Zusage in V. 7 an Jakob adressiert ist37 oder ob sich hier ein Adressatenwechsel hin zu den Textrezipienten („uns“, V. 5b) vollzieht. V. 7 legt die letztgenannte Lesart nahe.38 Darüber hinaus ist unklar, auf welche der beiden Bet-El-Erzählungen an dieser Stelle Bezug genommen wird. Der Sprachgebrauch jedenfalls weist auf eine Kenntnis des P-Textes aus Gen 35,9–15 als „Ort, an dem Gott mit ihm geredet hatte“ hin, der zum Hoffnungsort für die Adressaten in Dienst genommen wird.39 In derselben Weise ist die Rückkehrzusage in V. 7 als Aussicht für die Textrezipienten zu verstehen. Jene verfügt über Anleihen an die Verheißung aus Gen 28,15. Im Lichte der Bet-El-Zusage an Jakob, Gott werde ihn in sein Vaterhaus zurückführen und dem Eintreffen dieses Versprechens, wird die Jakoberzählung hier als beispielhafte und begründete Hoffnung auf die Rückkehr der Textrezipienten herangezogen. Die Rezeption priesterlicher Texte lässt an einen exilisch / nachexilischen Kontext denken.40 Ähnlich wie anhand der Rezeption der Jakoberzählung in P wird auch hier deutlich, dass die Jakobtradition insbesondere in exilischer Zeit positiv und identitätsstiftend rezipiert werden konnte. Die Vv. 13–14 knüpfen an die Darstellung Jakobs als Negativbeispiel an. Der Kurzabschnitt rezipiert nicht nur Jakobs Flucht nach Haran aus Gen 29, sondern konstruiert den dienenden Jakob bei Laban als Gegenbild zu dem aus dem Dienst Israels in Ägypten herausführenden Mose. Neben den etymologischen Bezugnahmen auf die Jakobfigur, könnte hier auf Jakobs genealogische Bedeutung 36 Gegen Pfeiffer, Heiligtum, 87 f., der den Engel als Subjekt des Flehens und Bittens erachtet. 37 Vgl. Wöhrle, Jacob, 1005. 38 Vgl. Pfeiffer, Heiligtum, 79; Schott, Jakobpassagen, 23 f.; Köckert, Rückverweise, 122. 39 Vgl. Pfeiffer, Heiligtum, 78; Wöhrle, Jacob, 1003. Wöhrles Sprachargument ist überzeugender als seine Argumentation über die Reihenfolge der Erzählungen. So nimmt er an, eine Reminiszenz an die Bet-El-Erzählung im Anschluss an eine Reminiszenz an die Jabbokerzählung verlange aufgrund der Reihenfolge nach einem Rekurs auf die Bet-El-Erzählung von Gen 35. Fraglich ist, ob dadurch die Möglichkeiten, die einem Redaktor zuzutrauen sind, nicht zu stark begrenzt werden. Der non-P-Bet-El-Text aus Gen 35 lässt sich als Referenzgröße ausschließen, da hier keine direkte Gottesbegegnung stattfindet. Vgl. ebenfalls Wöhrle, Jacob, 1004 Anm. 22. Vgl. darüber hinaus Schott, Jakobpassagen, 22. Gegen priesterliche Sprachanleihen in Hos 12,5 richtet sich explizit Römer, Jeroboam I, 379. Mit Römer wird der Gebrauch der Wurzel ‫ דבר‬die Beweislast für eine literarische Abhängigkeit nicht allein tragen können. Allerdings erscheint die spezifische Rezeption der Bet-El-Erzählung wie auch die Analogisierung zwischen den Adressaten und Jakob – gegen Römer – dennoch für eine solche Anspielung zu sprechen. Dass die Wurzel in Hos 12 nicht gebraucht wird, um den Namen des Heiligtums zu erklären, muss ebenfalls nicht verwundern. Hos 12 geht zum einen selektiv mit den Gebertexten um, zum anderen formuliert Hos 12 eine Zukunftshoffnung der Adressaten, die eben nicht auf die Namensätiologie des Ortes zielt, sondern auf ihre Verlässlichkeit. 40 Vgl. Pfeiffer, Heiligtum, 79–81.

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hingewiesen sein.41 Dass die beiden Figuren einander als Bild und Gegenbild gegenübergestellt werden, bewahrheitet sich insbesondere an dem Gebrauch des Verbs ‫שׁמר‬. Während Jakob Schafe hütete, hütet der Prophet (Mose) das Volk. Anders als in Vv. 5–7 wird hier folglich erneut negativ auf die Jakoberzählung rekurriert. Mose wird als berufener Prophet genannt (in Anlehnung an V. 11), der – im Gegenüber zu Jakobs Knechtschaft – in die Befreiung führt. Vv. 13–14 weisen aufgrund der Bezeichnung „Aram“ ebenfalls auf P-Sprachgebrauch hin, da im Übrigen in Gen 29 nur von Haran oder dem Land der Söhne des Ostens die Rede ist. Darüber hinaus ist die Mosetradition in ihrer dtr. überarbeiteten Gestalt bekannt, da Mose ausschließlich in dtr. überarbeiteten Texten als Prophet bezeichnet wird.42 Die Jakobrezeptionen bewegen sich durchweg auf einer späteren entstehungsgeschichtlichen Stufe als die Efraimpassagen und geben einen zeitlich fort­ geschrittenen Umgang mit der Jakobtradition zu erkennen. Sie können insofern nicht länger als Stütze für die Datierung der rezipierten Bestandteile ins 8. Jh. herangezogen werden. Vielmehr handelt es sich dabei um Reminiszenzen aus exilisch / nachexilischer Zeit.43 Hos 12 zeigt eine interessante Variation von Möglichkeiten auf, die Jakoberzählung zu rezipieren: a) als Schuldaufweis und Erklärung für den Untergang des Nord- und Südreichs und b) als Hoffnungszeichen der göttlichen Zusage zur Rückkehr. In der positiven wie auch in der negativen Rezeption wird menschliches Tun und Ergehen in den betreffenden Hoseapassagen durch moralisches Verhalten oder Fehlverhalten zueinander in Beziehung gesetzt. Damit unterscheidet sich der Umgang mit Jakobs Betrug kategorial von den Bearbeitungen innerhalb der Jakoberzählung, die sehr viel hintergründiger und über die Ebene der Figuren in das Jakob-Bild eingreifen. In Hos 12 basiert in beiden Fällen die Argumentation auf der unumstößlichen Grundlage, dass es sich bei Jakob um eine ambivalente Identifikationsfigur handelt. Die genannte Varianz im Jakobbild entspricht den Ambivalenzen der Jakoberzählung und greift sie produktiv für die Geschichtsdeutung Israels auf.

41 Vgl. de Pury, Oseé 12, 200–202; Pfeiffer, Heiligtum, 93, im Rekurs auf de Pury. Allerdings ist fraglich, weshalb nicht konkret auf die Geburten rekurriert wird. Möglich wäre, dass ein Rekurs auf die Geburtserzählung in diesem Zusammenhang verwehrt ist, da Jakob dort nicht als Handlungsträger auftritt. 42 Vgl. Köckert, Rückverweise, 125. 43 Vgl. Schott, Jakobpassagen, 25 f.; Köckert, Rückverweise, 119 („allenfalls aus dem 6., vielleicht aber erst aus dem 5. Jh. v. Chr.“). Gegen Blum, Hosea 12; Schmitt, Kampf, 173.

8. Redaktionsgeschichtliches Fazit und Ergebnisse 8.1 Redaktionsgeschichtliche Zusammenschau 8.1.1 Literarhistorische Verortung des Grundbestands Entgegen gängiger Forschungsmeinung lässt die vorliegende Gestalt der Jakoberzählung nicht auf eine Kompilation unabhängiger Erzählzyklen, oder literarisch greifbarer Einzelerzählungen rückschließen. Es handelt sich bei der letztmöglich rekonstruierbaren Form der Jakoberzählung um ein einheitlich strukturiertes Gesamtwerk, das redaktionell mehrfach bearbeitet worden ist.1 Dies zeigt sich im Einzelnen an den durchlaufenden Themen und Motiven (Segen und Betrug, Erstgeburt, Besitz, Dienstverhältnis), die Gen 25*.27.32–33 sowohl untereinander als auch mit Gen 29–31 thematisch und leitwortartig verschränken. Die genannten Themen und Motive sind intentional und „Zyklen“-übergreifend auf 1 Zur Konzeption der Jakoberzählung als einheitlich gestaltetes Werk vgl. insbes. de Pury, Promesse, 512–517; Carr, Fractures, 256–271; Taschner, Verheißung, 234; Na’aman, Jacob Story, 114.118 f. Zu demselben Urteil gelangte kürzlich Weingärtner, Impertinenz, insbes. 303–305. Zur Kritik an diesem Ansatz vgl. Wöhrle, Jacob from Israel, 135–137. Seine Gegenargumente können indes nicht überzeugen. 1.) Wöhrle argumentiert mit einem Genrewechsel zwischen der Jakob-Esau-Erzählung einerseits und der Jakob-Laban-Erzählung andererseits. Die Jakob-EsauErzählung bestehe aus kleineren Einheiten, wohingegen die Jakob-Laban-Erzählung eine Großerzählung darstelle (vgl. zu diesem Postulat bereits Westermann, Arten, 75). Dieses Urteil trifft insbesondere auf den Charakter der Jakob-Esau-Erzählung nicht zweifelsohne zu. Gen 25,19–28 hat kein literarisches Eigengewicht, sondern fungiert als Exposition für Gen 27. Gen 27 ist wiederum auf eine Vorgeschichte angewiesen. Von einer Einzelerzählung wird im Falle von Gen 27 insofern ebenso wenig ausgegangen werden können wie bei der Linsengerichtserzählung in Gen 25,29–34, die sich als Fortschreibung erwies, wovon im Übrigen auch Wöhrle ausgeht (s. o.). Die Charakterisierung der Jakob-Laban-Erzählung als einen „continuous overarching Plot“ (a. a. O., 137) ist treffender, verwundert aber bei den von Wöhrle vorausgesetzten Prämissen. So wird im Falle des Gileadvertrages häufig von einer Einzeltradition ausgegangen (vgl. nicht zuletzt Wöhrle, Art. Jacob, 582) und ein erheblicher Umfang der Jakob-Laban-Erzählung auf Fortschreibungen zurückgeführt (vgl. Neumann, Jacob). Eine stilistische Differenz zu Gen 25–27* lässt sich auch aus dem Grunde nicht erkennen, da Gen 29–31 durchaus ebenfalls über Erzählungen mit einem gewissen Eigengewicht verfügt. So etwa die Erzählung um die Verheiratung der Töchter und Jakobs Hirtentrick. Literarisch zeichnet sich der Zusammengang geradewegs durch ein episodisches Erzählen aus. 2.) Ein zweites Argument Wöhrles baut auf der erkennbar unterschiedlichen völkergeschichtlichen Konzeption zwischen Gen 25–27* und Gen 29–31* auf. Während in der Jakob-Esau-Erzählung Esau mit Edom gleichgesetzt werde, sei in der JakobLaban-Erzählung Laban hingegen nur als Mitglied des Volkes der Aramäer dargestellt. Diese richtige Beobachtung spricht – gegen Wöhrle – vielmehr für eine sekundäre Anlagerung der völkergeschichtlichen Dimension an die Jakoberzählung, die mit den vorfindlichen literarischen Gegebenheiten kooperieren musste.

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einander angelegt, und lassen sich nicht voneinander isolieren. Die literarische Ausgestaltung der Themenstränge zeichnet sich durch deutliche Querverstrebungen aus, die substanziell bis in den Aufriss ganzer Episoden hineinreichen (vgl. Gen 29,1–30). Der Grundbestand der Jakoberzählung (Gen 25,19–28; 27,1–45*; Gen 29,1–33,20*) stellt mithin keine Anthologie dar, sondern präsentiert sich als episodisch strukturierte Erzählung. Aufgrund der Personenkonstellation und der Geografie der Erzählung ist ihr Aufriss als Tryptichon mit einem Mittelteil und zwei Seitenteilen zu beschreiben.2 Der Inhalt wird entlang eines gängigen Erzählschemas verhandelt. Nach der Flucht eines Helden und dessen langjährigem Aufenthalt in der Fremde, währenddessen er eine eigene Familie gründet und zu Reichtum gelangt, kehrt dieser wieder in sein Heimatland zurück. Vergleichbare Konzeptionen des erzählerischen Plots sind etwa für die Joseferzählung und für die ägyptische Sinuheerzählung beobachtet worden.3 In neuerer Zeit wurde die Sinuheerzählung insbesondere als Vergleichsmaterial für die Joseferzählung herangezogen.4 Vor allen Dingen aber lassen sich beachtliche Parallelen zwischen der Sinuheerzählung und der Jakoberzählung feststellen. Ohne eine literarische Abhängigkeit in diesem Rahmen verifizieren zu können, sei auf augenscheinliche motivische Verbindungen verwiesen, die weiterer Untersuchungen bedürften:5 Sinuhe flüchtet sich in östliche Regionen (Kedem, § 8)6 und wird dort von einem fremden Herrscher aufgenommen, dem er sein Schicksal berichtet (§ 9). Er kommt dort nach mehrjährigem Aufenthalt zu Reichtum und wird mit der ältesten Tochter des Herrschers verheiratet, woraus Kinder hervorgehen (§ 15–16). Sinuhe führt seinen Aufenthalt in der Fremde auf Gottes Wirken zurück (§ 9,12). Nach einem Zweikampf mit einem Fremden (§ 18), steht er einen kriegerischen Kampf durch, aus dem er als Sieger hervorgeht (§ 20–21). Bei seiner Rückkehr nach Ägypten fürchtet er den Tod und nähert sich daher unterwürfig dem König (§ 34), der ihm wider Erwarten friedlich und überaus freundlich begegnet (§ 35–40).7 2 Vgl. de Pury, Jacob Story, 152. 3 Vgl. etwa Greenstein, Fugitive Hero Narrative Pattern, 22–26, der weitere Vergleichstexte nennt. Ob sich hier tatsächlich ein schematisierbares „Pattern“ abzeichnet, sei dahingestellt. Zum Reisemotiv als Paradigma ägyptischer Literatur vgl. Moers, Welten, 167–283, insbes. 251–263. Na’aman, Modes, 142 f., zieht Parallelen zur Erzählung über Idrimis Flucht, die indes nicht einschlägig erscheinen. Eine ausführliche Befragung der Jakoberzählung auf Parallelen zu ähnlich strukturierten Erzählungen der Weltliteratur unternahm de Pury, Promesse, 486–502. De Pury gelangte zu dem überzeugenden Ergebnis, dass die Jakoberzählung in die Kategorie der zyklischen Erzählungen gehöre. Für jene sei ein Spannungshöhepunkt ebenso klassisch wie der Umstand, dass es sich um ein Heldenepos und nicht um eine reine Familienerzählung handle. 4 Vgl. Blum / Weingart, Joseph Story, 513–516. Vgl. Zur Kritik an den von Blum und Weingart aufgezeigten Parallelen Schipper, Egyptian Background, 7–13. 5 Vgl. grundsätzlich Bárta, Sinuhe. 6 Vgl. TUAT III/5, 887–911. 7 Sollten sich die Parallelen als einschlägig erweisen, was an dieser Stelle nicht im erforderlichen Umfang geprüft werden kann, wäre ein überzeugendes Argument dafür gewonnen, dass Gen 32–33 mit den dort geschilderten Erzählungen über Jakobs Kampf am Jabbok und der friedlichen Versöhnung mit Esau (// Sinuhe, § 18–40) ursprünglich und seit jeher mit der Jakob-

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Mit der Mehrheitsmeinung handelt es sich bei der Jakoberzählung um eine ätiologische Erzählung über die Ursprünge Israels, die ihren literarischen Ursprung entweder im geografischen und politischen Nordreich hat, oder die im Umfeld von Autoren und Tradenten beheimatet ist, die ihre Identität auf das Nordreich zurückführen. Diese Einschätzung fußt auf der Grundlage, dass im Grundbestand der Jakoberzählung auf zweifache Weise eine geografisch gebundene Identität konstruiert wird. Zum einen führt die Jakoberzählung die Existenz des Volkes Israel auf eine Gründerfigur zurück, die den betreffenden Volksnamen erhält und Nachkommen zeugt, zu denen Josef zählt.8 Zum anderen wird diese Gründerfigur mit einschlägigen Orten des Nordreichs in Verbindung gebracht, insofern deren Benennung oder historische Bedeutung an die Jakobfigur rückgebunden werden.9 Das Gottesverhältnis Israels wird über Jakobs Gottesverhältnis mitverhandelt, und ist fester Bestandteil dieses konstruierten Ursprungsmythos. So erfolgt die Geburt von Jakobs Nachkommen durch willentliches göttliches Eingreifen (Gen 29,31–30,24*). Jakob wird darüber hinaus durch die erfolgreiche Bestreitung eines Kampfes göttlich als Israel verifiziert und gesegnet (Gen 32,23–33*). Nicht zuletzt wird der Gott Israels am Ende der Erzählung von Seiten Jakobs / Israels aufgrund seiner Bewahrung als wirkmächtiger Gott bekannt (Gen 33,20). Auf diese Weise vermittelt die Jakoberzählung nicht nur die Ursprünge Israels, sondern auch, wie und wodurch sich Israel der Wirkmächtigkeit seines Gottes gewahr wurde, nämlich durch Schutz, materielle Fürsorge, Kampf und Segen. Eine in der zeitgenössischen Forschung mehrheitlich vorausgesetzte völkergeschichtliche Grundausrichtung der Jakoberzählung ließ sich anhand der Analysen der vorliegenden Studie nicht bestätigen.10 So erwiesen sich die etwaigen EdomBezüge der Jakoberzählung entweder als sekundär, oder deren Elemente, die gemeinhin für eine Edom-Deutung vereinnahmt werden, ließen sich plausibler auf traditionsgeschichtliche Anleihen an das Gilgamesch-Epos zurückführen. Da es sich bei der expliziten Identifizierung von Laban und Aram (Gen 31,20.24) um nachpriesterliche Nachträge handelt, Laban im Land der Ostleute / Haran verortet wird und auch der Gilead-Vertrag sich nicht als ältester Baustein der Jakob-Laban-Erzählung ausweisen ließ, ist die Aufarbeitung eines politischen Verhältnisses zwischen Aram und Israel als Intention der Jakob-Laban-Erzählung alles in Laban-Erzählung (Gen 29–31 // Sinuhe § 9–16) verbunden war, in der über Jakobs Hochzeiten, Reichtum und Nachkommen berichtet wird. 8 Josef steht häufig als Symbol für das Nordreich, das auch als „Haus Josefs“ bezeichnet werden konnte. Vgl. Blum, Komposition, 183.490 Anm.71; Carr, Fractures, 265. 9 Vgl. Wellhausen, Prolegomena, 322; Blum, Jacob Tradition, 208; Carr, Formation, 473; ausführlich Carr, Fractures, 264–268. Vgl. zur Gegenposition und einer Datierung der Jakoberzählung in das 6. Jh. im Südreich maßgeblich Wahl, Jakobserzählungen, 287 f.302–310; Na’aman, Modes, 138–140. 10 Gegen Blum, Komposition, 481, und infolgedessen die Mehrheit der gegenwärtigen Ausleger. Zur Kritik daran jüngst auch Weingärtner, Impertinenz, 311.314 f.

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allem ebenso wenig stichhaltig. Dies betrifft auch die häufig dafür in Anschlag gebrachte Wahl der Region Gilead als Ort des Zusammentreffens von Jakob und Laban am Ende der Erzählung. Da Jakob hier einen Reiseweg beschreitet, der für den Weidewechsel kleinviehzüchtender Nomaden in dieser Region gängig war,11 ließ sich die Wahl der Region ebenso durch bekannte Reiserouten erklären. Dabei könnten vorausgesetzte Verbindungen Israels mit dort ansässigen Bevölkerungsgruppen mitgedacht sein, indes liegen im Grundbestand der Jakob-Laban-Erzählung keine einschlägigen Hinweise vor, dass es sich dabei um die politische Größe Aram / Aram-Damaskus gehandelt haben muss. Der Grundbestand der Jakob-Laban-Erzählung lässt sich aufgrund ihrer erzählerischen Einzelzüge nicht auf das Bestreben einer politischen Verhältnisbestimmung zurückführen. So wird in Gen 29–31 in allen Einzelheiten ein asymmetrisches Dienstverhältnis zwischen Jakob und Laban ausgemalt. Eine derart unterlegene Darstellung Israels gegenüber Aram, die in einem friedlichen Grenzvertrag münden soll, ist in keine Epoche der israelitisch-aramäischen Beziehungen in Gilead plausibel einzuordnen.12 Die Jakob-Laban-Erzählung lässt in ihrer detailreichen Reflexion über den Rechtsstatus eines Geflüchteten in der Fremde eine Problematik der Lebenswirklichkeit erkennen, die wohl auch den Autoren der Jakoberzählung bekannt war. Gegen die Annahme einer erst nachträglich vorgenommenen völkergeschichtlichen Identifikation zwischen Jakob und Israel13 erhärtete sich, dass Jakob in der Jakoberzählung seit jeher für Israel steht und sein Geschick im Laufe der Erzählung unter dieser Überschrift verhandelt wird. In Jakobs Geschick wird mithin seit jeher Israels Ursprung und Identität aufgearbeitet.14 Die Jabbokerzählung (Gen 32,23–33*), inklusive der Umbenennung Jakobs,15 stellt weder eine isolierbare Einzelerzählung, noch eine redaktionelle Erweiterung dar, sondern einen Zentraltext der ursprünglichen Jakoberzählung. Als kompositionelles Pendant zu Gen 27* transformiert die Jabbokerzählung den genealogisch gebundenen materiellen Segen aus Gen 27 zu einem immateriellen, von Gott autorisierten Segen, auf den sich nun die Identität des Volkes gründen kann. „Segen“ erhält nun die Funktion eines Identitätsmerkmals, dessen sich die „Segenserben“ nicht nur durch materielle Güter, sondern vor allen Dingen durch ihre Identitätszugehörigkeit zu Israel, versichert wissen können. 11 Vgl. hierzu insbes. Sergi, Jacob, 292–295. 12 Dies gilt für das frühe 9. Jh., als Israel Aram überlegen war, ebenso wie für die konfliktreiche Periode der beiden Staaten im 8. Jh. 13 Vgl. etwa Otto, Art. Jakob, 352–354. Na’aman, Modes, 151; Finkelstein / Römer, Comments, insbes. 323 ff., gehen von vormals mündlichen Überlieferungsstufen der Jakoberzählung aus, die Jakob als Clanführer, noch nicht aber als „Israel“ verstanden. 14 Mit einer reinen Familienerzählung ist die Grundausrichtung der Jakoberzählung insofern nicht ausreichend beschrieben. So etwa Weingärtner, Impertinenz, 315, die einen familiär ausgerichteten Erzählstrang von „Diskursen“ trennen will, die sich sekundär an den Grundbestand angelagert hätten und einen stärker „institutionellen Rahmen“ voraussetzten. 15 Gegen Wöhrle, Fremdlinge, 88–90.

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Die Darstellung der Charaktere in der Jakoberzählung und die Zwiespältigkeit ihres zwischenmenschlichen Interagierens ließen sich nicht auf bestimmbare Stadien historisch vorauszusetzender politischer Beziehungen zwischen Israel und Aram einerseits und Israel und Edom andererseits zurückführen. Dies liegt mitunter auch daran, dass im Grundbestand der Jakoberzählung keine deutlich erkennbaren Tendenzen vorliegen, die eine literarhistorische Differenzierung zwischen einem „positiven“ oder einem „negativen“ Verhältnis zwischen Jakob und Esau / Laban und Israel nahelegten. Positive und negative Tendenzen in den zwischenmenschlichen Beziehungen überschneiden sich bereits im Grundbestand beständig und sind entscheidend durch den Plot der Erzählung bestimmt. Am ehesten ließe sich noch eine Klassifizierung als „ambivalent“ vornehmen. Indes ist diese wenig einschlägig für eine erkennbare Positionierung des Verfassers gegenüber einer historisch vorausgesetzten spezifischen politischen Groß­wetterlage. Vor allen Dingen die Ambivalenz Jakobs / Israels selbst lässt eine vornehmlich politische Grundausrichtung der Jakoberzählung problematisch erscheinen.16 Vor dem Hintergrund der Kommunikationsabsicht des Textes als identitätsstiftender Ursprungsmythos erscheint es mir jedenfalls kaum plausibel, dass diese Erzählung bestrebt gewesen ist, einen politisch selbstkritischen Impetus zu tradieren.17 Die im Grundbestand deutlich inszenierte Ambiguität der Jakobfigur ließe sich auf zweierlei Weise erklären.18 Entweder wurde das Betrugsmotiv aus bestehender Tradition übernommen,19 oder es wurde bewusst als erzählerisches Mittel eingesetzt. Bei dem ersten Vorschlag wäre das Problem allenfalls in die Überlieferungsgeschichte verschoben, insofern fraglich bliebe, weswegen Traditionen über Jakob als Betrüger für ein Ursprungsmythos Israels ausgewählt worden sein sollten. Darüber hinaus ließen sich keine erkennbaren Einzeltraditionen aus dem Zusammenhang extrahieren, die auf eine überlieferungsgeschichtliche Übernahme rückschließen ließen. Insofern ist von einer bewussten Inszenierung des Betrugsmotivs auszugehen. Diese Einschätzung liegt nicht nur aufgrund der

16 So auch Weingärtner, Impertinenz, 314: „Es ist eine Beobachtung, dass volkspolitische oder kultgemeindliche Deutungen jede Ambivalenz übertünchen.“ 17 So zuletzt z. B. Wöhrle, Jacob from Israel, 143 f., der in Gen 32–33 eine Kritik an der ehemaligen heroischen Haltung gegenüber Edom in Gen 25–27 erkennen will. Wöhrle führt hier die Deutung von Crüsemann, Herrschaft, 85–87, weiter. 18 Williams, Deception, 224, stellt die Beantwortung der Frage nach dem Grund für die Präsenz der Betrugsmotivik in Überlieferungen der Genesis berechtigt als Forschungsdesiderat heraus. 19 So erwägt Blum, Komposition, 201, etwa die Herkunft des Betrugsmotivs aus Jakobs Namen, während etwa Gunkel, Genesis, LXIII, von einer überlieferungsgeschichtlichen Vorstufe ausgeht, in der Jakob noch nicht für Israel stand, und insofern eine schwankhafte Seite Jakobs noch zu dulden war. Na’aman, Modes, 152 f., erklärt die Herkunft des Betrugsmotivs aus der kritischen Haltung von Hos 12 und spricht ihm mithin eine positive Funktion für die Erzählung ab.

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Häufigkeit nahe, in der das Betrugsmotiv in der Jakoberzählung eingespielt wird, sondern auch an seiner Funktion als Motor der Geschehnisse. Die Jakoberzählung zeugt von einem bemerkenswerten Interesse an zwischenmenschlichem Interagieren, an den damit zusammenhängenden juristischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und am Handeln der Akteure selbst sowie den Handlungsfolgen und Konfliktszenarien, die sich in der Lebenswelt der Rezipienten beheimaten lassen. Das Betrugsmotiv fordert in diesem komplexen Zusammenhang die Rezipienten zur Positionierung heraus, da sie ihnen aufgrund fehlender wertender Erzählerkommentare nicht abgenommen wird. Die Jakoberzählung inszeniert diese zwischenmenschlichen Konflikte in weiten Teilen, die sich weder mittel- noch unmittelbar in politischen oder theologischen Erklärungen20 auflösen lassen. Indem die Rezipienten auf diese Weise in die Geschehnisse verstrickt werden, tragen die inszenierten Ambivalenzen zur Identifikation mit den Figuren und über diesen Prozess zur Identifizierung mit der Erzählung als Ursprungsmythos bei. Ein entscheidender Grund für die Darstellung Jakobs als Trickster dürfte auch in der Nahbarkeit liegen, die der Held auf diese Weise gewinnt. Bei Jakob handelt es sich nicht um einen glatten Heroen, sondern um eine Figur, die Alltäglichkeiten kennt und auf diese Weise zur Identifikation einlädt. Dieses Phänomen ist nicht nur aus der griechischen Literatur,21 sondern ebenso von Gestalten älterer Erzähltraditionen aus dem AT, etwa von David,22 bekannt. Nicht zuletzt wird durch das Betrugsmotiv die theologische Ebene der Jakoberzählung in besonderer Weise offenkundig. Das Motiv wird als defizitäre Gegenfolie zu Gottes erwählendem Handeln eingesetzt. Am Ende des Identifizierungsprozesses, den die Jakoberzählung entschieden zu fördern versucht, steht die Gewissheit, dass Israel wie Jakob zwar angefochten wurde, aber mit Stärke und Gütern ausgestattet ist und sich des Mitseins Gottes „dennoch“ versichert sein kann. Dieser theologische Aspekt, der im Bereich persönlicher Frömmigkeit anzusiedeln wäre, wird aufgrund der Identifikation zwischen Jakob und Israel auf die Volksgröße – und mithin auf ein Kollektiv – übertragbar.23 Die Bewahrung der Figur des Tricksters versichert die

20 Dieser Punkt scheint mir der Betonung notwendig. So wird hier nicht selten auf der Grundlage des Gottesorakels und der Bet-El-Erzählung Jakobs Lebensweg einem Prädestinationsgedanken untergeordnet und die benannten Ambivalenzen unter einer göttlichen Absicht marginalisiert bzw. eingeebnet. Vgl. hierzu beispielhaft von Rad, Genesis, 214 f. 21 Vgl. Etwa Grethlein, Odyssee, 271 f. Grethlein kommt über die Analyse von Homers Odyssee dort zu folgendem Schluss: Die „Wirkung von Geschichten (hängt) nicht nur von der Kunst des Erzählers ab, sondern auch vom Verhältnis des Publikums zu seinem Stoff. Je näher oder ähnlicher der Rezipient den Akteuren ist, umso mehr gewinnen ihre Erfahrungen an Eindringlichkeit. Zugleich darf das Erzählte nicht zu nah an die Lebenswelt des Zuhörers herankommen, denn das würde die ästhetische Distanz gefährden.“ 22 Vgl. hierzu Barton, Ethics, 19–36. 23 Vgl. Carr, Fractures, 267 f.

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Rezipienten ihrer eigenen Sicherheit in ihrer angefochtenen Existenz.24 Diese Kommunikationsabsicht ist in die Erwägungen zur literarhistorischen Verortung der Jakoberzählung miteinzubeziehen. Da politisch und religiös relevante Orte des Nordreichs erzählerisch nicht politisch begründet oder fundiert werden, und die Jakoberzählung gänzlich einer Königsgestalt oder Gegebenheiten entbehrt, die mit der Königszeit in Verbindung stehen, ist die Jakoberzählung weniger im Kontext der Konsolidierung einer politischen Größe „Israel“ unter Jerobeam II. vorstellbar.25 Obwohl sich dieser Mangel noch aus dem Bestreben erklären ließe, den Plot in graue Vorzeiten zu verlagern, erscheint spätestens der Mangel an heroischen Zügen der Jakobfigur für die Bestimmung der Jakoberzählung als staatlich initiierten Gründungsmythos problematisch. Stimmt man darüber hinaus zu, dass es eines gewissen tertium comparationis zwischen der literarisch entfalteten Lebenswelt und derjenigen der intendierten Adressaten bedarf, erscheint mir der Plot als ein Mittel der Identitätsbildung von Autoren und Rezipienten plausibler, die sich als Nordreichsbewohner verstehen und sich zeitnah zum politischen Untergang des Nordreichs in einer Identitätskrise befinden.26 Die Wahrnehmung des Nordreichs in der Jakoberzählung als „von außen“, die Verortung eines Großteils der Erzählung außerhalb des Landes,27 Erfahrungen der Knechtschaft und rechtliche Fragen, die insbesondere im Zusammenhang mit Aufenthalten in der Fremde stehen (Zugehörigkeit dort geheirateter Frauen und von erworbenem Besitz; Trennung; Orientierung an familiären Organisationsstrukturen), sprechen eher für eine Ansetzung im ausgehenden 8. Jh., kurz nach der Eroberung des Nordreichs durch die Assyrer (722–720 v. Chr.), denn davor.28 Vor diesem Hintergrund gewinnt denn auch das Trickstermotiv, das offenkundig zugunsten der Identitätsbildung der Text­ 24 Vgl. Niditch, Prelude, XV: „Trickster narratives help us to cope with the insurmountable and uncontrollable forces in our own lives, personifying and in a sense containing the chaos that always threatens.“ 25 So die Mehrheit der Ausleger. Vgl. Carr, Fractures, 266 f.; Schmid, Jeroboam II, 378–381; Blum, Jacob Tradition, 210. Da die fehlende Königsgestalt vor dem Untergang des Nordreichs erklärungsbedürftig bleibt, versucht sich Schmid, Literaturgeschichte, 69, mit der Annahme zu behelfen, die Jakoberzählung entstamme nicht dem Königshof, sondern sei am Bet-Eler Heiligtum entstanden. 26 Vgl. Hensel, Edom, 102. Zuvor zieht Koch, Wohnstatt, 58, diese Option in Erwägung, indem er konstatiert: „Eine Geschichte, die die ins Wanken geratene Identität mit Hilfe von traditionsreichen Orten und Gestalten zu stabilisieren vermochte, ergibt in einer solchen Krisenzeit Sinn.“ 27 Dies wird durch den Umstand gestützt, dass insbesondere das in der Jakoberzählung konstruierte Heimatland Jakobs im Grundbestand genauerer geografischer Angaben entbehrt. 28 Vgl. etwa zuletzt Hensel, Edom, 99–102, der in diesem Zuge von „Selbstvergewisserungsliteratur“ spricht, allerdings von den Samaritanern als den Trägerkreisen der Jakoberzählung ausgeht. Na’aman, Modes, 138, zieht die exilische Existenz Jakobs als Argument für die Verortung der Jakoberzählung während der babylonischen Exilszeit heran. Die geografische Fokussierung auf das Nordreich lässt sich so nicht erklären.

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rezipienten bemüht worden ist, noch einmal an Kontur. Eine Identitätsbildung über einen, die Ordnung durchbrechenden Trickster-Charakter lässt sich treffender aus der Position einer niedrigeren gesellschaftlichen Stellung heraus erklären – zumal in der Jakoberzählung konkrete, gewissermaßen gesellschaftlich automatisierte Privilegien (der Vorzug der Erstgeburt) auf den Kopf gestellt werden. Insofern ließen sich ins Südreich geflüchtete Nordreichbewohner nicht mehr als Tradentenkreise einer in der Blütezeit des Nordreichs entstandenen Jakobüberlieferung bestimmen, sondern als deren Autoren zur Zeit des politischen Identitätsverlustes. Zwar bietet die Regierungszeit Jerobeams II. besonders günstige Bedingungen zur Produktion eines derart umfassenden Werkes wie der Jakoberzählung,29 doch ist ab dem 8. Jh. mit zeitlicher Verzögerung auch im Südreich mit einer florierenden Schreiberaktivität zu rechnen.30 Nicht zuletzt werden die familiären Strukturen, die vor dem Hintergrund des politischen Niedergangs des Nordreichs die verbleibende Referenzgröße für die Vorstellung von Gemeinschaft bilden, in der Jakoberzählung als Grundlage für jenen Ursprungsmythos gewählt, der Identifikation und „Selbstvergewisserung“31 sichern soll.32 Dabei wird der Aufenthalt in der Fremde als Übergangsstation erfahren und Gott im Ursprungsmythos als Größe bestimmt, die Mitsein und Bewahrung in der Fremde verspricht – trotz aller mitunter selbstverschuldeten Widrigkeiten. Die Verfasser der Jakoberzählung ließen sich folglich in das historische Umfeld der politischen Umbrüche Ende des 8. Jh. außerhalb des Nordreichs einordnen. Die Autoren wissen sich noch in dessen Erbe stehend und schaffen eine Ursprungserzählung in der Fremde, die nach einer Zeit der Knechtschaft Hoffnung auf Rückkehr zulässt. Diejenigen Passagen, die in Hos 12 auf die Jakoberzählung rekurrieren und häufig für eine Datierung der Jakoberzählung im 8. Jh. oder davor angeführt worden sind, erwiesen sich als exilisch-nachexilische Erweiterungen, die zwar Aussagen über die Rezeption der Jakoberzählung, nicht aber über deren Alter, zulassen.33

29 Vgl. Carr, Fractures, 266. 30 Vgl. Carr, Schrift, 189. Carr gewinnt diese Einschätzung aus der steigenden Anzahl an epigraphischen Belegen aus dem Südreich, wie Khirbet el-Qôm, der Siloa-Inschrift und den Arad-Ostraka. Vgl. auch Finkelstein / Römer, Comments, 333. 31 Hensel, Edom, 102. 32 Vgl. zu Erwägungen der Funktion familiärer Strukturen als Ersatz weggefallener staatlicher Strukturen – dort allerdings für die exilische Epoche – Schmid, Erzväter, 120; Taschner, Verheißung, 197. 33 Vgl. insbes. Schott, Jakobpassagen.

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8.1.2 Sekundäre Bearbeitungen der Jakoberzählung Zeitnah zur Erstverschriftung der Jakoberzählung setzten Bearbeitungen ein, die dessen Funktion als Ursprungsmythos zusehends verstärkten.34 Dies geschah durch die Erweiterungen um die Ätiologien zu Bet-El (Gen 28,10–19*), Mahanajim (Gen 32,2–3) und Sukkot (Gen 33,17), die Jakob nachdrücklich mit Orten des Nordreichs von ehemaliger institutioneller Bedeutung in Verbindung brachten. Im Zuge der Erweiterung um die Bet-El-Erzählung (Gen 28,10–19*) wurde zudem – mittels Erinnerung an den bedeutsamen Heiligtumsort Bet-El – eine Theologisierung der Jakoberzählung erreicht, die Jakobs Geschick unter göttliche Führung stellte. Mit der Erweiterung um Gen 28,10–19 stehen – wohl entstehungsgeschichtlich gestuft – weitere nichtpriesterliche sekundäre Bet-ElReminiszenzen in Verbindung (Gen 32,2–3; Gen 35,1.6–7), die Jakobs Hin- und Rückreise nun begleiten sollten. Jakobs individuelles Geschick wurde somit an entscheidenden Weichen durch dementsprechende sekundäre Gotteserscheinungen einer göttlichen Bewahrung unterstellt. Die Mitseinszusage der Bet-El-Erzählung (Gen 28,15*), die dem Grundbestand von Gen 28,10–19 zuzurechnen ist, konkretisierte diesen Aspekt durch eine Gottesrede, die in Gen 31,3 aufgegriffen wurde. In Gen 28,10–19* und den mit ihr in Verbindung stehenden Erweiterungen ist die Erinnerung an den Kultort Bet-El noch spürbar lebendig. Dies lässt in überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht nicht zwingend darauf schließen, dass die Jakoberzählung am Heiligtum in Bet-El verschriftet worden sein muss.35 Der sekundäre Charakter der Bet-El-Referenzen steht einer solchen Annahme eher entgegen. Möglicherweise lässt sich der Schwerpunkt auf den Ort Bet-El auf der ersten Überarbeitungsstufe der Jakoberzählung nach 722 v. Chr. durch die geografische Lage Bet-Els erklären. Bet-El war in der Grenzregion zum Südreich gelegen und könnte Geflüchteten aus dem Nordreich nach 722 v. Chr. Zuflucht geboten haben.36 Der Ort blieb folglich nach dem Untergang des Nordreichs weiterhin relevant. Die positive Bezugnahme auf Bet-El in den Reminiszenzen der Jakoberzählung verweist auf einen terminus ante quem vor der Zerstörung des Ortes durch Josija (2 Kön 23,15) im Rahmen der josijanischen Reform von 622 v. Chr. Insofern ergibt sich für die Bet-El-Erweiterungen ein entstehungsgeschichtlicher Rahmen für die erste Hälfte des 7. Jh. 34 In der folgenden Rekonstruktion lässt sich möglicherweise differenzierter greifen, was Weingärtner, Impertinenz, 318, tentativ und summarisch für die Entstehungsgeschichte der Jakoberzählung im Sinne einer Zweisträngigkeit schlussfolgerte: „stärker individuell, familiärheilstheologische Redeweisen [d. h. Grundbestand] sind umlagert von Diskursen, die eine stärker institutionell, sozio-ökonomische Ordnung entfalten.“ 35 So die Mehrheit der Ausleger. Vgl. z. B. Finkelstein / Römer, Comments, 229 f. 36 So etwa Koch, Wohnstatt, 58, im Anschluss an Finkelstein / Singer-Avitz.

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Folgt man der Rekonstruktion weiter, wurde die Jakoberzählung von Geflüchteten aus dem Nordreich zeitnah nach dessen Untergang im Südreich verfasst. Während sich die Autoren noch gänzlich als Nordreichbewohner verstanden, setzte erst mit einigem zeitlichen Abstand eine Adaption der Jakoberzählung für die Gegebenheiten im südlichen Juda und die Inanspruchnahme Jakobs für ein Narrativ des Südreichs ein.37 Die Integration der Jakoberzählung in judäische Umgebung ging mit einer Politisierung dieses Narrativs einher. Wohl infolgedessen lässt sich erstmals ein wachsender Rechtfertigungsdruck bezüglich der Rechtschaffenheit der Jakobfigur in den Texten der Jakoberzählung feststellen. Die konfliktreiche Brüderbeziehung zwischen Jakob und Esau bot im 7. Jh. eine geeignete Vorlage für eine Adaption auf die politischen Verhältnisse im Südreich, in dem Edomiter und Judäer im Negev zwar gemischtethnisch zusammenlebten, dies aber wohl von einigen Querelen begleitet wurde.38 Möglicherweise beeinflusst durch die Bezeichnung Esaus als „behaart“ fand nun eine Identifizierung Esaus mit Edom statt, die offenkundig zeitgleich Nachjustierungen innerhalb der Jakoberzählung veranlasste. Am deutlichsten betrifft dies die Regelung der pränatalen Machtverhältnisse der Brüder resp. Völker, die im Gottesorakel zugunsten Jakobs prädestinatorisch festgehalten wurden (Gen 25,22 f.). Darüber hinaus sind die Besitzverhältnisse und die Vormachtstellung durch die Linsengerichtserzählung von Gen 25,29–34 zugunsten Jakobs entschieden worden. Jakobs Segensbetrug aus Gen 27 wurde dadurch zudem rechtlich abgesichert und gleichzeitig Esau für ein Erbe explizit disqualifiziert (Gen 25,34). Ähnlich der rechtlichen Unterfütterung der Besitzverhältnisse gerieten nun auch deutliche territoriale Ansprüche in den Segen von Gen 27 (Vv. 36a.38–40). Diesem Umstand entspricht wiederum die nachträgliche Tendenz, Esau in den Schlusskapiteln fern von Juda in Seir zu verorten (Gen 32,4b*; 33,14*.16*). Auf einen wachsenden Rechtfertigungsdruck lässt sich auch die Erweiterung um Rahels Diebstahl des Terafim (Gen 31,19.25.30.32–35.36*–37) zurückführen, der die Funktion erfüllt, von dem Diebstahlsvorwurf, der in Gen 31 gegen Jakob erhoben wird, abzulenken und durch die Anwendung von juristischem Sprachgebrauch zu entkräften. Veranlasst wurde diese Erweiterung wohl durch einen unklaren Rechtsstatus von Jakob selbst sowie von seinen Frauen. Es liegen keine hinreichenden Anzeichen vor, die eine Zuordnung der Terafimerweiterung zur Edom-Schicht zuließen. Allerdings könnte sowohl die redaktionsgeschichtliche Stellung der Terafimepisode als auch deren Argumentationsmuster zumindest in eine vergleichbare Epoche der Textentstehung verweisen. 37 Die im Folgenden dargestellten literarischen Prozesse sind deutlich von späteren redaktionellen Passagen zu unterscheiden, die die Jakoberzählung gänzlich für eine Südreichperspektive vereinnahmen und die Vormachtstellung Judas innerhalb des Stämmesystems betonen (vgl. etwa Gen 34; 35,21–22a; 49*). 38 Vgl. Frevel, Esau, 352 f.

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Mit der Verankerung der Jakobfigur im Süden lässt sich darüber hinaus die sekundäre Festlegung von Jakobs Herkunftsort auf Beerscheba in Verbindung bringen. Die Verortung Jakobs im weit südlich gelegenen Beerscheba ist durch eine Vereinung mit der dort ansässigen Isaaktradition und der kompositionellen Eingliederung von Gen 26 in die Jakoberzählung zu erklären.39 In der Jakoberzählung begegnet die Ortsangabe „Beerscheba“ in Verbindung mit der Bestimmung des Fluchtziels „Haran“ (Gen 28,10). Die Verlagerung Jakobs in den Süden ging insofern mit einer Verlagerung des Wohnortes Labans, vom „Land der Söhne des Ostens“ nach Obermesopotamien, einher. Die Ortsangaben trugen vor dem Hintergrund der geografischen Lage Bet-Els zu einer gelungeneren Eingliederung der Bet-El-Erzählung in die Jakoberzählung bei. Darüber hinaus ließ sich die geografische Verlagerung Labans nach Haran, die punktuell an weiteren Stellen der Jakoberzählung (Gen 27,43; 29,4; 31,21*) vorgenommen wird, mit der Verbindung zu dort ansässigen Bevölkerungsgruppen erklären. Vor dem Hintergrund, dass die Assyrer bei ihrer Eroberung des Nordreichs Teile der Bevölkerung nach Haran deportierten (2 Kön 17,6)40 und der Tatsache, dass es sich bei den Trägergruppen der Jakoberzählung vornehmlich um ehemalige Nordreichsbewohner handelte, erschien eine Verlagerung Labans nach Obermesopotamien naheliegend gewesen zu sein. Für die Haran-Bearbeitung ließ sich eine Einordnung in das 7. Jh. bestätigen. Die Erweiterung könnte zusätzlich zu den Verbindungen der Bevölkerungsgruppen mit der Prominenz dieses Ortes im 7. Jh. in Zusammenhang stehen. Dieser Zeitraum deckt sich mit der Annahme einer vorexilischen Vereinung der Jakoberzählung mit der Isaaktradition in Gen 26.41 Die Erweiterung der Jakoberzählung um Orte im Südreich zog ein wachsendes Interesse an genealogischen und geografischen Fragen hinsichtlich eines Nordund Südreich umspannenden „Israel“ nach sich. Dieses Interesse wirkte sich in der sukzessiven Ausweitung des Stämmesystems von Gen 29,31–30,24 und der damit in Verbindung stehenden Ergänzung um die Mägde (Gen 29,24.29; 32,23bα.24a; 33,1bβ–2.6 f.) aus. Der Ausbau der genealogischen Identitätsbestimmung verweist auf eine Ergänzung um die betreffenden Passagen in exilischer Zeit.42 Ein 39 Der Kern der Isaak-Tradition liegt wohl in denjenigen Passagen, die noch keine Verbindung zur Abrahamerzählung aufweisen, nämlich Gen 26,14–25. Während Am 7,9.16 auf einen Ursprung der Isaak-Tradition im Nordreich hinweist, spricht sich etwa Römer, Art. Isaac (Patriarch), 262–265, für eine ursprüngliche Verbindung zwischen Isaak und Beerscheba aus. Bei den Amos-Belegen handle es sich um sekundäre Erweiterungen. Für eine ursprüngliche Zuordnung von Gen 27 zu einer Isaaktradition vgl. Kratz, Komposition, 272. 40 Vgl. Na’aman, Modes, 139. Vgl. zur Stelle Sano, Deportationspraxis, 211. 41 Vgl. etwa Gertz, Tora, 274. Anders Albertz, Art. Isaak I, 293, der im Anschluss an Blum, Komposition, 339, von einem Einschub von Gen 26 in exilischer Zeit ausgeht, als Abrahamund Jakobüberlieferungen miteinander verbunden wurden. Zu Gen 26 als Kompositionsstück zwischen Abraham- und Jakobüberlieferung vgl. auch Carr, Fractures, 205. 42 Vgl. Frevel, Jacob, 177; Hensel, Edom, 99; Hieke, Genealogien, 300. Zur identitätsstiftenden Funktion einer Familiengeschichte vgl. Albertz, Exilszeit, 191 f.

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weiteres Element der exilischen Bearbeitungsstufe bestand in der Verbindung der drei Erzvätergestalten über die Verheißungstexte (Gen 28,13–14*), die nun verstärkt die Thematik des Landbesitzes in den Blick nahmen und damit eine Hoffnungsperspektive für die Exilierten eröffnete.43 In diesen Zusammenhang ließen sich auch die Erweiterungen im Rahmen der Segensworte einordnen, die Jakob deutlich für Juda vereinnahmen und als universale Autorität in der Nachfolge Abrahams promulgieren. Der Grenzvertrag um Gilead setzt ein Zusammenwachsen der Erzvätergestalten bereits voraus und schließt den zwischenmenschlichen Konflikt – ähnlich wie Abrahams Vertrag mit Abimelech in Gen 21,22–34 und Isaaks Vertrag mit Abimelech in Gen 26,26–33 – durch einen Friedensvertrag ab.44 Der Gileadvertrag ist darüber hinaus an der ätiologischen Verbindung zwischen Gilead und Jakob ausgerichtet und setzt die Verortung Labans in Haran voraus. In frühnachexilischer Zeit (Ende 6. Jh.) begann die Priesterschrift das Material der Jakoberzählung zu überarbeiten.45 P nimmt hier Züge einer Redaktion an, indem sie deutlich auf den Kontext reagiert.46 Vereinnahmt durch das Perserreich vereindeutigt P die Identifizierung von Esau und Laban mit den jeweiligen Völkern Edom und Aram und glättet polemische Tendenzen der Jakoberzählung, die gegen die betreffenden Völker ausgerichtet sind. P will die genannten Völker deutlich – wenngleich friedlich – von Israel geschieden wissen. Ob hier eine wissentliche Integration Edoms in das Volk Israel aufgrund der Existenz von Edomitern im später idumäischen Gebiet Judas (Hensel),47 oder eine ökumenische Weltsicht der P vorauszusetzen ist, die nicht auf den Edomiterhass exilisch-nachexilischer Texte eingehen will, und den Konflikt stattdessen ganz auf Heiratsbelange eingrenzt (Schmid),48 sei dahingestellt. Die P nimmt zudem korrigierend Stellung zum non-P-Bestand, indem sie auf jenen mit Gegenpositionierungen reagiert. So greift P nicht nur durch eine Rahmung von Gen 27 in das Verständnis der Segenserzählung von Gen 27 ein, um Esau für ein rechtmäßiges Erbe aufgrund seiner Fremdfrauenheiraten herabzuwürdigen (Gen 26,34 f.; 27,46–28,9), sondern 43 Finkelstein / Römer, Comments, 332 f., nehmen indes eine vorexilische Vereinung der Vätererzählungen an, die für die Fiktion einer „vereinten Monarchie“ von Nord- und Südreich notwendig wurde, um Südreichs- und Nordreichstraditionen gleichermaßen unter sich vereinen zu können. Demgegenüber Köckert, Jakobüberlieferung, 66, der für eine vorpriesterschriftliche, aber exilische Datierung einer Vereinung von Abraham- und Jakoberzählung plädiert. Vgl. hierzu auch Schmid, Literaturgeschichte, 128 f.; Carr, Formation, 286–289. 44 Der Versuch von Na’aman, Modes, 152, eine politische Nordostgrenze mit den Aramäern in Haran zu konstatieren, ist vor dem Hintergrund der vorausgesetzten exilischen Verhältnisse nicht schlüssig. 45 Zur exilisch-nachexilischen Datierung der P vgl. Gertz, Tora, 244 f.; Wöhrle, Fremdlinge, 160–163. Zur entsprechenden Forschungsliteratur der Kontroverse um eine exilische oder nachexilische Datierung der P vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 163 Anm. 12. 46 Vgl. zuletzt Wöhrle, Fremdlinge. 47 Vgl. Hensel, Edom, 111–118. 48 Vgl. Schmid, Jakob, 57–65.

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schafft auch eine gegenakzentuierende Erzählung zum bedeutungsgeladenen BetEl-Text aus Gen 28,10–22* in Gen 35,9–15. Anstatt einer auf Misstrauen basierenden Trennung zwischen Jakob und Esau im Grundbestand, trennen sich die Brüder in P aufgrund ihrer großen Habe und begraben gemeinsam ihren Vater (Gen 36,6–8). Aufgrund der priesterlichen Überarbeitung und der Verbindung von Erzväter- und Exoduserzählung durch P in nachexilischer Zeit49 erlangte die Jakoberzählung in ihrer Rezeption als Ursprungsmythos erneut Aufmerksamkeit. Dieser schlug sich in nachpriesterlichen Erweiterungen der Jakoberzählung nieder. In diese Reihe ist auch das Gelübde Jakobs aus Gen 28,20–22 einzuordnen. Hierin wird Jakobs Geschick auf eine Bewahrung durch Gott zurückgeführt, welche wiederum in seinem Versprechen begründet liegt, im Falle der Bewahrung „den Zehnten an Gott“ zu entrichten. Die Sprache des Gelübdes verweist auf eine Orientierung am priesterschriftlichen Bund Gottes mit Abraham aus Gen 17. Seine kultische Ausrichtung ließ sich dadurch erklären, dass die Zehntverpflichtung auf die prominente Identifikationsfigur Jakob zurückgeführt und mithin autorisiert werden sollte. Vor diesem Hintergrund ließ sich die Erweiterung am ehesten auf diejenige Epoche zurückführen, zu der die Thematik der Inbetriebnahme eines neuen Tempels in Jerusalem virulent war. Die redaktionelle Ergänzung lagerte sich insofern wohl im späten 6. Jh. an die Bet-El-Erzählung an. Dies war in der Perserzeit insofern problemlos möglich, da Bet-El hier kein Konkurrenzheiligtum für Jerusalem mehr darstellte. In diesem Zuge wurde Gen 30–31* intensiv um Elemente erweitert, die das fürsorgende Eingreifen Gottes für Jakob betonten und jeglichen Reichtum auf Gottes Wirken zurückführten. Neben dem gesteigerten Interesse an dem umfassenden und durch Gott erwirkten Besitz des Erzvaters50 – das sich nebenbei bemerkt auch in den priesterlichen Passagen erkennen lässt (vgl. etwa Gen 31,17–18*) – häuften sich in nachexilischer Zeit die kultischen Elemente in den Bearbeitungen. In diese Kategorie lässt sich u. a. die Pnuel-Ätiologie von Gen 32,31 gemeinsam mit Gen 33,10* einordnen, in denen das höfische Vokabular der Grunderzählung um kultische Züge erweitert worden ist. Darüber hinaus wurden Analogien zur Gottesnähe Moses geschaffen, indem auch Jakob Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen haben soll. Damit in Verbindung steht die Erweiterung um Jakobs ausladend geschildertes Geschenk aus Gen 32,14–22, das den Charakter eines Opfers hat und durch das er Esau mit sich versöhnen will. Aufgrund der Parallelisierung zwischen dem Angesicht Esaus und dem Angesicht Gottes sind hier 49 Zur priesterschriftlichen Vereinung von Väter- und Exoduserzählung vgl. z. B. Schmid, Erzväter; Gertz, Tradition, Gertz, Abraham; Blum, Verbindung. 50 Mit Weingärtner, Impertinenz, 309, werden sich diejenigen Passagen, die den Erzählzusammenhang im weitesten Sinne ökonomisieren, nicht einer Überlieferungsschicht zuordnen lassen, sondern sind vor dem Hintergrund unterschiedlicher literarhistorischer Zusammenhänge Gegenstand des „Diskurses“.

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sühnetheologische Vorstellungen nicht auszuschließen. Kurze Zeit später wurde der Text um Jakobs Gebet aus Gen 32,10–13 erweitert, das dtr. Züge aufweist und die Reminiszenzen an die Moseerzählung verstärkte.

8.2 Der literarische Umgang mit den Ambivalenzen der Jakobfigur Sowohl im Grundbestand der Jakoberzählung als auch in ihren sekundären Passagen ließen sich Erzählstrategien erkennen, die dem Ziel dienen, das Bild in besonderer Weise zu beeinflussen, das der Leser von Jakob gewinnen soll. Die Ambivalenz zwischen Segen und Betrug, die sich als Konstante durch die Jakoberzählung zieht, kristallisierte sich in der diachronen Analyse als zentraler Referenzpunkt für die Auseinandersetzung mit der Figur Jakob heraus. In der Jakoberzählung lassen sich deutlich Tendenzen erkennen, die diese Ambivalenz entweder inszenieren, oder aufzulösen versuchen.51 Da das Betrugsmotiv ohne Frage dem Grundbestand der Jakoberzählung zuzurechnen ist, mag nicht verwundern, dass sich moralisch glättende Tendenzen vor allen Dingen in den sekundären Passagen der Jakoberzählung niederschlugen. Doch bereits die Grunderzählung lässt Jakobs Schuld am Betrug mittels verschiedener erzählerischer Techniken von Beginn an als diskutabel erscheinen. Sowohl die Inszenierung der Ambivalenzen als auch die Glättungsbestrebungen, die sich um Jakobs moralische Integrität bemühen, sind in ihrer Gestalt und ihrer literarischen Umsetzung vom vorgegebenen Rahmen der Gattung „Erzählung“ abhängig. Da sich die Autoren in der Jakoberzählung nicht etwa auf ihre Autorität als Autoren berufen, müssen sich die jeweiligen Begründungsmuster in die Erzählung einpassen und mithin selbst zu Elementen der Erzählung werden, um den Leser zu überzeugen. Daraus entsteht eine narrative Komplexität, die in keine einlinige „Moral der Geschicht“ zu überführen ist, sondern ein Geflecht an Begründungsmustern hervorbringt.52 Was Jonas Grethlein für Homers Odyssee aus dem Blickwinkel griechischer Literaturwissenschaft beobachtet, trifft auch auf die Jakoberzählung zu: „Sie [die Odyssee] bietet zwar keine einfachen Antworten darauf, welches Handeln gerecht und was genau die Rolle der Götter ist, aber sie beleuchtet diese Fragen mit einer Tiefenschärfe, die eine 51 Zakovitch, Interpretation, hat diese Dynamiken in die Kategorien „condemning Jacob“ und „justifying Jacob“ aufgegliedert. 52 Auf diesen Umstand wird der Reichtum alttestamentlicher Erzähltexte für eine Ethik des ATs zurückgeführt. Die Besonderheit der Erzählung schärft die Sinne für das Partikulare, Alltägliche, und übt so in Moral ein. Vgl. zur Diskussion etwa Barton, Ethics, 19–36. Im Anschluss an die wegweisenden Beobachtungen von Nussbaum, Fragility. Darüber hinaus Becker, Ethik, insbes. 239. Im Kern mag damit auch das Textphänomen angesprochen sein, das Weingärtner, Impertinenz, 80, als religiösen, poetischen Diskurs der Texte versteht – hier freilich ohne besonderen Fokus auf die moralische Dimension der Texte: „Diese Welt [des Textes] wird diskursiviert jenseits von didaktisch-informativen Diskursen, die aufgrund ihrer Objekthaftigkeit riskieren manipulativ zu sein.“

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philosophische Abhandlung schwerlich erreichen kann.“53 In der Jakoberzählung ist ein Reichtum an möglichen Begründungsmustern überliefert, auf die im Folgenden abschließend schlaglichtartig hingewiesen werden soll. Die Jakoberzählung kommt bis auf Gen 25,30b gänzlich ohne wertende Erzählerkommentare aus.54 Die Prägung der Rezipientenmeinung wird insofern nicht durch explizite Urteile erreicht, sondern durch die spezifische Ausgestaltung der erzählerischen Umstände, die eine Beurteilung des Geschehens bedingen. Hinsichtlich der Umsetzung lassen sich in der Jakoberzählung diesbezüglich verschiedene narrative Methoden und unterschiedliche Begründungsmuster feststellen. Ein Großteil der im Folgenden dargestellten narrativen Instrumente sind nicht als typisch redaktionelle oder typisch primärtextuelle Methoden klassifizierbar. Ein Spezifikum der redaktionellen Erweiterungen liegt lediglich darin, dass sie vor anderen historischen Gegebenheiten oder einer veränderten theologischen Schwerpunktsetzung „argumentieren“, und sich unter technischen Gesichtspunkten in das vorliegende Material einpassen müssen. Mitunter kann dadurch der Eindruck einer kommentierenden Funktion entstehen. Die Komplexität des Jakobbildes wird zunächst durch komplementär aufeinander angelegte Gegenepisoden erhöht. Auf der Ebene des Grundbestandes der Jakoberzählung ist hier vor allen Dingen Gen 29,1–30 im Verhältnis zu Gen 27 zur Sprache zu bringen. Laban gibt Jakob entgegen ihrer Abmachung nicht seine jüngere, sondern seine ältere Tochter zur Frau und hintergeht Jakob. Indem Laban mit einer ortsüblichen Sitte argumentiert, die ältere Tochter nicht vor der jüngeren verheiraten zu können, entlarvt er Jakob seines sittenwidrigen Vergehens aus Gen 27, sich als Zweitgeborener eigenmächtig an die Spitze der Familiengenealogie gestellt zu haben. In Gen 29,25 spricht Jakob mit seinem Vorwurf des Betrugs (‫ )רמיתני‬somit implizit das Urteil über seinen eigenen Verstoß (vgl. Gen 27,35, ‫)מרמה‬.55 Darüber hinaus reflektiert das Motiv des betrogenen Betrügers einen Zusammenhang zwischen Jakobs Handeln und seinem Geschick. Es stellt damit implizit eine Logik ausgleichender Gerechtigkeit zur Debatte, die sich im Falle des Verheißungsträgers Jakob verstärkt in der Frage zuspitzt, welche Rolle JHWH in diesem Zusammenhang zukommt.56 Mittels Stichwortverknüpfung stellt der Autor hier 53 Grethlein, Odyssee, 273. 54 Diese Zurückhaltung reicht in Gen 25–27* bis in den Umstand hinein, dass der Begriff für den umkämpften Gegenstand der ‫ בכורה‬ausschließlich in Figurenrede, nicht aber in Erzählerkommentaren gebraucht wird. 55 Vgl. Fishbane, Text, 55; Taschner, Verheißung, 91; Fokkelman, Art, 129: „Like a boomerang the word mirma (27.35) comes back to him […] and fells him“. 56 Drastisch in diesem Zusammenhang Fokkelman, Art, 133: „The hybris and highhandedness with which Jacob works at his destiny, to become ruler, have their own faultlessly measured nemesis. The crime receives its own, absolutely fitting punishment.“ Gleichwohl bedient sich Laban zur Erhaltung der Sitte selbst eines Betrugs. Nach Weingärtner, Impertinenz, 78, zeige sich darin „ex negativo, wie sich ein imperativisch-heteronom verstandener präskriptiver Diskurs“

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eine Verbindung zwischen Gen 29,1–30 und Gen 27 her und lässt die Erzählungen sich gegenseitig beleuchten.57 Auf diese Weise wird ein Reflexionsfeld über die Konsequenzen von Jakobs Handeln eröffnet. Das zweifelhafte Bild Jakobs aus den vorausgehenden Kapiteln wird deutlich hin zu einem bemitleidenswerten Mann im Bußgewand verschoben, dem die Sympathie des Lesers gilt und ihn trotz – oder gerade aufgrund – seines eigenen Leids moralisch rehabilitiert und integer erscheinen lässt. Dies gilt nicht zuletzt, da das grundmenschliche Gerechtigkeitsempfinden beim Leser befriedet wird. In dem Zusammenhang wird gänzlich auf theologische Begründungsmuster verzichtet und mithin der Urheber dieser ausgleichenden Gerechtigkeit offengelassen.58 Auf der Ebene der sekundären Erweiterungen lässt sich als Beispiel für eine komplementär angelegte Gegenerzählung die Linsengerichtserzählung (Gen 25,29–34) anführen. In einer Notsituation verkauft Esau sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht an seinen Bruder Jakob. Die Linsengerichtserzählung zielt offenkundig darauf ab, die Grundlage für die Beurteilung des Segensbetrugs aus Gen 27 proleptisch zu verändern. Sie suggeriert eine rechtmäßige Übertragung der Erstgeburt auf Jakob, noch bevor jener den Betrug durchgeführt hat.59 Unter dieser Absicht wird in Gen 25,29–34 ein Rechtstopos bemüht, der in keinem erkennbaren traditionsgeschichtlichen Zusammenhang mit dem Erstgeburtssegen aus Gen 27 steht. Eine Verbindung wird auch hier primär über eine Stichwortanbindung (‫ )בכור‬hergestellt. Darüber hinaus arbeitet der Redaktor von Gen 25,29–34 mit einem expliziten Erzählerkommentar, der Esau für eine rechtmäßige Erbfolge vorweg disqualifiziert. Esaus Leichtsinn, mit dem er sein Erstgeburtsrecht verkauft, ist – der Logik von Gen 25,34 zufolge – Ausdruck seiner Missachtung des Erstgeburtsrechts.60 Vom Ende der Erzählung her gelesen, war Esau folglich seit jeher der Ehrenstellung eines Erstgeborenen nicht würdig. Im kompositionellen forme. Darüber hinaus geht es m. E. hier nicht nur um die Aneignung der Sitte durch Jakob und dessen Einsicht, sondern darum, dass die Einhaltung der Sitte selbst nicht zwingend moralisch integer sein muss  – und insofern zwischen heteronomer „Sitte“ und ihrer kontextualisierten Anwendung zu unterscheiden ist. 57 Zakovitch, Looking Glass, 139, hat diese Form wechselseitigen Beleuchtens zweier Erzählungen „reflection stories“ genannt. Vgl. hierzu auch die ausführliche Auswertung von Weingärtner, Impertinenz, 149–158, die in diesem Zusammenhang und im Rückgriff auf Zakovitch auch auf die urteilsbildende Funktion solcher Erzählungen verweist. 58 Anders Ruppert, Genesis III, 232: „Und so ist schließlich doch hinter so einem weltlichen Geschehen Gottes Geschichtslenkung zu erkennen.“ Deutlicher noch Anderson, Trickster, 101: „JHWH is not beyond availing himself of deception in the interest of moving toward fulfillment.“ 59 Vgl. Hensel, Vertauschung, 149; Dietrich, Israel, 127. 60 Vgl. Hensel, Vertauschung, 144. Dies entspricht der Art und Weise wie Esaus Auftreten in Gen 25,29–34 insgesamt gezeichnet wird. So etwa greifbar in der drastischen Wortwahl, die sein Begehren gegenüber dem Linsengericht ausdrückt (‫)לעט‬. Vgl. Albertz, Bedeutung, 134: „Sein [Esaus] Heißhunger fegt alle Esskultur hinweg, er reduziert das Essen auf eine quasi animalische Nahrungsaufnahme.“ Vgl. auch Jacob, Genesis, 534. Anders Taschner, Verheißung, 33, der ‫לעט‬ mit „essen lassen“ übersetzt.

Der literarische Umgang mit den Ambivalenzen der Jakobfigur

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Zusammenhang mit Gen 27 fällt auf, dass dieses Urteil in der Leserrezeption nahezu zwangsläufig auch auf die Betrugserzählung übertragen wird, obwohl es sich hier um einen anderen Sachverhalt handelt. Durch die redaktionelle Gegenüberstellung der Linsengerichtsszene und des Segensbetrugs wird folglich eine Denkrichtung vorgegeben, die zu einer analogen Beurteilung beider Geschehen beiträgt. Eine weitere Methode, das Bild der Jakobfigur zu beeinflussen, liegt in der Verlagerung moralisch problematischen Handelns auf andere Akteure der Erzählung. Am offenkundigsten ist diese Strategie, wenn Jakobs unredliches Handeln durch die Konfrontation mit einem ebenfalls problematischen Handeln eines anderen Akteurs abgemildert wird. Dabei müssen die Vergehen in keinem unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang stehen. Vielmehr wird durch die Bildung eines zusätzlichen Erzählstrangs von den moralisch fragwürdigen Handlungen Jakobs abgelenkt. Diese Strategie ist sowohl auf der Ebene des Grundbestandes als auch auf der Ebene der sekundären Erweiterungen erkennbar. Beispielhaft lässt sich dieses Vorgehen in Gen 31,38–41 greifen. Jakobs heimliche Flucht vor Laban wird hier implizit durch den Vorwurf an Laban gerechtfertigt, er habe Jakob ausgebeutet. Gen 31,38–41 ergänzt zu diesem Zweck auf der Ebene des Grundbestandes in einer Art Rückblende Erlebnisse Jakobs, welche zuvor nicht geschildert worden sind. Als weiteres Beispiel im Bereich der sekundären Erweiterungen ließe sich die Terafimerzählung nennen. Der Vorwurf des Diebstahls, der an Jakob gerichtet ist, wird auf Rahel abgeleitet, die Labans Terafim gestohlen haben soll. Zu diesem Zweck wurde ein gänzlich neuer sekundärer Erzählstrang entwickelt, der nicht nur von Jakobs Diebstahl mit völlig anderem Inhalt ablenken und die reine Thematik des Diebstahls auf Rahel verlagern soll, sondern auch darum bemüht ist, Jakob, der den Terafim nicht gestohlen hat, in eine überlegene Verhandlungsposition zu manövrieren. Nicht zuletzt ist die oben genannte Strategie partiell auch in den priesterlichen Passagen der Jakoberzählung zu erkennen. Die P heftet sich rahmend an Gen 27 an und unterstellt Esau dort die Heirat fremder Frauen. Insofern wird Esau schon aufgrund seiner falschen Eheentscheidung für den Erstgeburtssegen in Gen 27 disqualifiziert. Gleichzeitig ergeben sich daraus mildernde Umstände für den Betrug Jakobs, da Esau hinfort nicht mehr für die Fortführung der Verheißungslinie in Frage zu kommen scheint. In gewissem Sinne gehört zum akteurbezogenen Eingreifen in die Erzählung auch die Rehabilitierung Jakobs durch Gottes Parteinahme, welche in der Jakoberzählung besonders vielschichtig vollzogen wird. Forschungsgeschichtlich hatte wohl das Geburtsorakel aus Gen 25,22 f. für die Deutung der Jakoberzählung die weitreichendsten Konsequenzen, welches dem Volk Jakobs pränatal eine Überlegenheit gegenüber dem Volk Esaus zuschreibt. Die Tatsache, dass niemand anderes als JHWH selbst Aufschluss über das Kräftemessen der Brüder gibt, verleiht dem Gottesorakel den Charakter einer zwangsläufigen Entwicklung und folgerichtig eines Akts bewusster göttlicher Vorsehung im Zuge seines Heilsplans. Infolgedes-

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Redaktionsgeschichtliches Fazit und Ergebnisse

sen erscheinen die Protagonisten lediglich als ausführende Instanzen,61 was ihre zwielichtigen Bemühungen, Jakob im Folgekontext zu einer Vormachtstellung zu verhelfen, entschieden relativiert. Zitiert sei von Rad: „Hier wird mit einem Gotteshandeln gerechnet, das souverän das zweideutigste Menschen­handeln unter sich verklammert und seinen Plänen einordnet. Der Schuldbefleckte wird zum Träger der Verheißung. Sicher zeichnet der Erzähler ein mächtiges Gemälde der seltsamsten Schuldverstrickungen; aber sein Blick auf das von Gott Geplante und Durchgesetzte macht ihn so gelassen gegenüber der Frage nach dem jeweiligen persönlichen Schuldanteil der einzelnen Personen und nach deren subjektiven Motiven.“62 Insofern wird bevorzugt in synchronen Analysen Rebekkas Verhalten in Gen 27 als Erfüllung des Gottesorakels verstanden.63 Dennoch scheinen die Konsequenzen des Betrugs deutlich zu zeigen, dass der Zweck die Mittel nicht heiligt.64 Es mag zwar mit von Rad die Deutung der Jakoberzählung richtig sein, dass Gott unter noch so menschlich zweifelhaften Bedingungen bereit ist, sein Heilshandeln durchzuführen. Dieser Umstand ist aber nicht gleichzusetzen mit einem Heilswirken, das sich zweifelhaftem Handeln bedient. Dieses nämlich zeitigt in der Jakoberzählung seine ganz eigenen aufgezeigten Konsequenzen.

61 Vgl. zu dieser Beobachtung auch Weingärtner, Impertinenz, 75. 62 Von Rad, Genesis, 225. 63 Vgl. White, Narration, 208; Silverman Kramer, Women, 230; Klein, Leseprozess, 113. Anderson, Trickster, 77. Anderson, Trickster, 86, leitet aus dem Gottesorakel („trickster oracle“) eine Darstellung JHWHs als Trickster in der Jakoberzählung ab: „God the trickster selects Jacob because it is he, not Esau, who is trickster from the very beginning.“ Der Text ist m. E. allerdings missverstanden, sollte dort der Eindruck erweckt werden, durch Trickster-Verhalten erlange man den Segen. Andersons Deutung ist schon von daher kaum textgemäß, da JHWH insgesamt eine marginale Rolle im Geschehensverlauf zukommt. 64 Hensel, Vertauschung, 152; Fokkelman, Art, 120.

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Bibelstellenregister Genesis Gen 12,1 Gen 12,1–3 Gen 12,3a Gen 12,5 Gen 12,6–8 Gen 12,8 Gen 12,16 Gen 13,1–10 Gen 13,3 Gen 13,6 Gen 13,18 Gen 17 Gen 17,5 Gen 17,15 Gen 19,30–38 Gen 19,31 Gen 19,33f. Gen 19,34f. Gen 19,37 Gen 19,37f. Gen 19,38 Gen 21 Gen 21,22–34 Gen 21,33 Gen 22,17 Gen 23 Gen 24 Gen 24,59 Gen 24,67 Gen 25* Gen 25,6 Gen 25,7–9 Gen 25,11 Gen 25,12 Gen 25,12–18 Gen 25,19–28 Gen 25,19–34 Gen 25,19(f.) Gen 25,21 Gen 25,21–28 Gen 25,22

198 73, 175, 198 73, 74 195, 196 305 105 178, 179 309 105 195 305 120 266, 268 266 157 157 157 157 157 157 157 108 334 305 248 295, 296 41, 62, 149, 155, 178, 300 300 41 38, 46, 48, 49, 51, 52, 54, 84, 91, 95, 129, 131, 156, 208, 271, 323 38, 302 309 42 38 310 48, 54, 63, 77, 91, 131, 164, 324 17, 24, 35, 36, 38, 40, 62, 71, 76, 96, 108, 156, 158 38, 93 41, 42 48, 49, 91 95

Gen 25,22f. Gen 25,23 Gen 25,24 Gen 25,24–28 Gen 25,25 Gen 25,25–28 Gen 25,26 Gen 25,26b Gen 25–27

Gen 25,27 Gen 25,28 Gen 25,29–34 Gen 25,30b Gen 25–31* Gen 25–33* Gen 25,34 Gen 26 Gen 26,1 Gen 26,1–11 Gen 26,7 Gen 26,12–14 Gen 26,12–33 Gen 26,13 Gen 26,14 Gen 26,23ff. Gen 26,26–33 Gen 26,33 Gen 26,34f. Gen 27

Gen 27,1

102, 318, 319, 332, 339 71, 72, 103 319 48 45, 48, 78 151 75, 268, 270 41, 93 20, 24, 25, 36, 62, 80, 93, 95, 98, 99, 100, 103, 106, 129, 130, 132, 140, 150, 152, 153, 154, 157, 158, 229, 230, 239, 279, 311, 313, 314 45, 52 45, 87, 89 24, 35, 46, 49, 50, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 78, 91, 102, 163, 164, 254, 332, 338 45, 337 31 129 77, 95, 332, 338 38, 62, 108, 333 38 62 38 178, 179 62, 114 179 179 114, 305 334 38, 62 38, 62, 93, 94, 96, 334 24, 30, 35, 40, 44, 45, 46, 48, 49, 52, 53, 54, 55, 57, 58, 62, 63, 64, 65, 68, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 84, 86, 87, 88, 89, 90, 108, 113, 121, 128, 131, 151, 154, 155, 156, 157, 275, 276, 280, 287, 288, 294, 310, 311, 312, 314, 323, 326, 332, 334, 337, 338, 339, 340 45, 62

360 Gen 27,1–40 Gen 27,1–45

Bibelstellenregister

28, 80 35, 36, 62, 91, 93, 95, 96, 324 Gen 27,3 45 Gen 27,5 45 Gen 27,7 83 Gen 27,11 45, 48, 78 Gen 27,19 156 Gen 27,23 45 Gen 27,26 150 Gen 27,28 74 Gen 27,28f. 99 Gen 27,29 71, 72, 73, 74, 75, 286, 311 Gen 27,32 156 Gen 27,33 76 Gen 27,35 76, 91, 156, 294, 317, 337 Gen 27,36a 53, 75, 76, 77, 144, 163, 268, 270, 318, 332 Gen 27,36b–37 75 Gen 27,37 74 Gen 27,38–40 100, 102, 103, 332 Gen 27,39f. 99 Gen 27,40 78, 99, 286 Gen 27,41 95, 251 Gen 27,41–45 79, 80, 81, 91 Gen 27,43 140, 143, 333 Gen 27,43ff. 134 Gen 27,44a 154, 156 Gen 27,45 95 Gen 27,46 38, 62, 94, 95, 96 Gen 27,46–28,5 134 Gen 27,46–28,9 62, 93, 96, 107, 134, 334 Gen 28,1–9 94, 96, 140 Gen 28,4 314 Gen 28,5 108 Gen 28,6 95 Gen 28,7 95 Gen 28,9 62 Gen 28,10 62, 108, 114, 117, 134, 140, 141, 143, 333 Gen 28,10–19 24, 198, 303, 304, 309, 331 Gen 28,10–22 23, 25, 30, 105, 106, 107, 108, 111, 112, 113, 116, 117, 118 Gen 28,10–22* 124, 126, 127, 128, 134, 141, 194, 199, 242, 243, 247, 335 Gen 28,11 123, 242 Gen 28,13 120, 197, 248 Gen 28,13–14 198, 334 Gen 28,14 246

Gen 28,15 Gen 28,19 Gen 28,19b Gen 28,20–22

197, 198, 320, 331 242 117 24, 118, 121, 122, 197, 199, 204, 300, 304, 305, 335 Gen 29 98, 129, 134, 140, 155, 156, 209, 210, 320, 321 Gen 29,1 108, 113, 114, 134, 140, 141, 143, 144 Gen 29,1–14 149, 150 Gen 29,1–30 134, 135, 136, 139, 140, 141, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 152, 153, 154, 155, 157, 158, 180, 189, 324, 337, 338 Gen 29,1–33,20 324 Gen 29,4 140, 333 Gen 29,5 154 Gen 29,14 134, 144, 154 Gen 29,15 144, 145, 175, 180, 209 Gen 29,16–18 151 Gen 29,16–30 137, 138, 148, 160 Gen 29,20b 156 Gen 29,21 173, 180 Gen 29,24.29 153, 162, 333 Gen 29,25 156, 180, 190, 337 Gen 29,26 154, 156, 157 Gen 29,28f. 74 Gen 29–30 191, 213, 256, 301, 309 Gen 29,30 135 Gen 29–31 33, 98, 100, 129, 130, 131, 132, 140, 153, 158, 178, 210, 214, 221, 229, 323, 326 Gen 29,31 160 Gen 29,31–30,24 135, 159, 160, 161, 162, 164, 263, 286, 291, 325, 333 Gen 29–33 17 Gen 30 162, 202, 204, 209, 213 Gen 30,1f. 162, 163 Gen 30,14–16 162, 164 Gen 30,15 163 Gen 30,24 168 Gen 30,25 161, 167 Gen 30,25–34 145, 172, 173, 175 Gen 30,25–43 145, 150, 162, 167, 168, 171, 172, 179, 180, 189, 193, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 210, 213 Gen 30,26 162, 180, 209, 213

Bibelstellenregister Gen 30,27–43 Gen 30,28 Gen 30,29 Gen 30,30 Gen 30–31 Gen 30,31 Gen 30,33 Gen 30,35–43 Gen 30,43 Gen 31

180 144, 145, 180, 213 175, 196 175, 179 136, 288, 335 144 190 175 168, 178, 179, 186 170, 174, 179, 193, 194, 196, 202, 205, 208, 221, 223, 232, 244, 332 Gen 31,1 168, 179, 186, 193 Gen 31,1–32,1 186, 187 Gen 31,1–44 188 Gen 31,2 180, 186 Gen 31,3 193, 197, 198, 199, 200, 246, 248, 331 Gen 31,4–16 198, 199 Gen 31,5 199, 202 Gen 31,7b–13 202 Gen 31,8 199 Gen 31,9 196 Gen 31,10 199 Gen 31,10–13 198 Gen 31,12 199 Gen 31,13 199 Gen 31,15 147, 148, 164 Gen 31,17 162, 178, 195 Gen 31,17–18 195, 335 Gen 31,18 196, 295 Gen 31,19 332 Gen 31,20.24 208, 225, 325 Gen 31,21 262, 333 Gen 31,24 252 Gen 31,25 332 Gen 31,26 206 Gen 31,26–28 173 Gen 31,30 332 Gen 31,31 173 Gen 31,32–35 332 Gen 31,34 178, 196 Gen 31,36–37 332 Gen 31,38–41 210, 212, 339 Gen 31,43 162 Gen 31,43–32,1 24, 214, 216, 221, 222, 223, 224 Gen 31,45–32,1 188, 189, 219, 227 Gen 31,54 232, 252 Gen 32,1 186, 232, 233 Gen 32,2 232, 233, 242

Gen 32,2–3 Gen 32,2–22 Gen 32,2–33,20 Gen 32,2b–33,17 Gen 32,3 Gen 32,4 Gen 32,4–9

361

239, 240, 243, 298, 331 233, 234, 236, 279 229, 311 24 242 186, 237, 238, 314, 332 243, 244, 250, 263, 287, 290, 291, 292 Gen 32,5 311 Gen 32,6 254, 292, 311 Gen 32,7 256, 284 Gen 32,8 178, 285 Gen 32,9 279, 280, 281, 293 Gen 32,10 248 Gen 32,10–13 123, 197, 245, 247, 248, 279, 300, 336 Gen 32,11 247 Gen 32,12 272 Gen 32,14–22 250, 251, 252, 253, 254, 285, 287, 292, 294, 335 Gen 32,16 178 Gen 32,22 254, 279 Gen 32,23 162, 311 Gen 32,23–24 261 Gen 32,23.24 333 Gen 32,23–33 15, 23, 30, 84, 90, 233, 245, 257, 268, 269, 270, 271, 274, 275, 279, 281, 284, 294, 296, 311, 319, 320, 325, 326 Gen 32,25 276 Gen 32,27b 319 Gen 32,28–30a 265 Gen 32,29 266, 267, 268, 280, 319 Gen 32,31 271, 272, 288, 294, 335 Gen 32,32 233, 279, 283 Gen 32–33 20, 24, 25, 33, 58, 75, 80, 98, 99, 100, 129, 229, 230, 232, 239, 277, 295, 311, 312, 313, 314, 323 Gen 32,33 263 Gen 33 233, 237 Gen 33,1 233, 256, 279, 280, 281, 283, 284, 291 Gen 33,1–2.6–7 333 Gen 33,1–7 162 Gen 33,1–17 290 Gen 33,1–20 285, 291, 292, 303 Gen 33,2 285 Gen 33,3 71 Gen 33,4 150, 276, 280

362 Gen 33,5.11 Gen 33,6–7 Gen 33,8 Gen 33,8–11 Gen 33,10 Gen 33,11 Gen 33,14 Gen 33,14.16 Gen 33,16 Gen 33,17 Gen 33,18 Gen 33,18–20 Gen 33,19 Gen 33,20 Gen 33–35* Gen 33–35*a Gen 34 Gen 34,1 Gen 34,10 Gen 34,12 Gen 34,21 Gen 35 Gen 35,1 Gen 35,1.6–7 Gen 35,1–7 Gen 35,1–8 Gen 35,2–5 Gen 35,5 Gen 35,6 Gen 35,8 Gen 35,9 Gen 35,9–15 Gen 35,10 Gen 35,11 Gen 35,16 Gen 35,16–20 Gen 35,16–22a Gen 35,21 Gen 35,21–22a Gen 35,22b–29 Gen 36,1 Gen 36,5 Gen 36,6 Gen 36,6–8 Gen 37,2

Bibelstellenregister 311 71 254, 292 292 173, 254, 272, 274, 335 280, 294 238, 313 237, 238, 332 309 244, 296, 297, 298, 299, 331 121, 295, 297, 299, 305, 308 248, 284, 290, 296, 305 295 121, 280, 296, 299, 305, 306, 307, 310, 311, 313, 325 304 305 159, 284, 295, 296, 298, 299, 300, 302 284, 296 295 145, 146 297 297, 298, 299, 300, 303 303 105, 107, 124, 303, 304, 305, 331 121 299 299 291, 297, 300 118, 295, 308 300, 301 308 25, 95, 105, 107, 118, 124, 308, 320, 335 266, 267, 268 267 297 300, 301 299 297 301, 302 301, 308 310 295 195, 196 96, 237, 238, 309, 335 41, 42

Gen 37,7 Gen 37,9–10 Gen 37,25 Gen 38,27 Gen 39,43 Gen 41,45 Gen 42,5 Gen 42,6 Gen 43,26.28 Gen 46,6 Gen 48 Gen 48,3–6 Gen 48,10 Gen 49 Gen 49,3 Gen 49,3–12 Gen 49,8

71 71 178 43 179 266 263 71 71 195, 196 88 302 150 301, 302 302 302 71

Exodus Ex 21,2–4 Ex 21,2–6 Ex 21,4 Ex 22,15–16 Ex 22,16 Ex 22,20 Ex 23,9 Ex 24,2 Ex 29,45 Ex 33,11

213 211 211 145, 146 146 226 226 262 120 272

Leviticus Lev 11,45 Lev 19,14 Lev 22,33 Lev 25,38 Lev 25,39–46 Lev 26,45

120 99 120 120 213 120

Numeri Num 14,22 Num 15,41 Num 24,9 Num 27,1–11

201 120 73 158

Deuteronomium Dtn 3,27 Dtn 14,22–27 Dtn 15,12 Dtn 15,12–18 Dtn 15,14 Dtn 21,15–17

247 122 210 211 212 56, 57

363

Bibelstellenregister Dtn 26,5 Dtn 26,16–19 Dtn 26,17 Dtn 27,18 Dtn 29,12 Dtn 31,2 Dtn 34,10

208 119 120 99 120 247 272

Josua Jos 1,2 Jos 1,11 Jos 11,17 Jos 12,7 Jos 15,16 Jos 24 Jos 24,23 Jos 24,26b Jos 24,32a

247 247 79 79 146 295 299 305 295

Richter Ri 1,12f. Ri 3,20 Ri 4,5 Ri 6,3 Ri 6,32 Ri 6,33 Ri 7,12 Ri 8,4ff. Ri 8,14–17 Ri 9 Ri 15,2 Ri 20,18.26f.

146 262 300 141 266 141 141 297, 298 273 306 157 124

1 Samuel 1 Sam 1,11 1 Sam 10,3 1 Sam 14,49 1 Sam 18 1 Sam 18,17 1 Sam 18,25

119 124 157, 158 157 157 145, 146

2 Samuel 2 Sam 2,8 2 Sam 12,25 2 Sam 17,24

240 266 240

1 Könige 1 Kön 11,29 1 Kön 12 1 Kön 12,25 1 Kön 12,29f.

262 125, 306 273 124

2 Könige 2 Kön 10,29 2 Kön 17,6 2 Kön 23,15 2 Kön 24,2

124 333 124, 331 100

Jesaja Jes 11,14 Jes 34 Jes 49,7 Jes 60,14 Jes 62,4 Jes 63,1–6

141 101 71 71, 72 266 101

Jeremia Jer 7,32 Jer 9,3 Jer 16,14 Jer 20,23 Jer 42,5 Jer 49,7–22 Jer 49,28

266 270 266 217 217 101 141

Ezechiel Ez 23,4 Ez 25,4.10 Ez 25,12f. Ez 34,24 Ez 35,1–15

157 141 101 120 101

Hosea Hos 6,10 Hos 10,5 Hos 12 Hos 12,1 Hos 12,1–2 Hos 12,2 Hos 12,3 Hos 12,4 Hos 12,5 Hos 12,8–12 Hos 12,9 Hos 12,11 Hos 12,12 Hos 12,13 Hos 12,14 Hos 12,15

124 124 15, 18, 30, 127, 315, 316, 317, 318, 319, 321, 330 315, 317 316 315 318 77, 268, 270, 319 127 316 315 315 315 208 208 315, 316

Joel Joel 4,19

101

364

Bibelstellenregister

Amos Am 4,4 Am 5,5 Am 7,7 Am 7,13

122, 124 124 112 124

Obadja Obd 1,8–19 Obd 1,10

Ps 72,11 Ps 108,8 Ps 137,7

71 297 101

Proverbien Prov 23,1–8

87

101 16

Klagelieder Klgl 4,21–22

101

Zefanja Zef 2,11

71

1 Chronik 1 Chr 8,25

271

Maleachi Mal 1,2–5 Mal 1,4

16 101

2 Chronik 2 Chr 36,16

242

Psalmen Ps 22,18 Ps 60,8

71 297

Jubiläenbuch Jub 26,12–19 Jub 28,6f.

16 157