Isokrates’ Panathenaikos [Reprint 2021 ed.] 9783112482926, 9783112482919

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Isokrates’ Panathenaikos [Reprint 2021 ed.]
 9783112482926, 9783112482919

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BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG Philologisch-historische Band

Klasse

101 • Heft

FRIEDRICH

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ZUCKER

ISOKRATES' PANATHENAIKOS

1954

AKADEMIE-VERLAG•BERLIN

Vorgelegt in der Gesamtsitzung vom 10. Mai 1954 Manuskript eingeliefert am 10. Mai 1954 Druckfertig erklart am 22. November 1951

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin W 8, Mohrenstraße 39 Veröffentlicht unter der Lizenznummer 1217 des Amtes f ü r Literatur u. Verlagswesen der Deutschen Demokratischen Republik Satz und Druck der Buchdruckerei F. Mitzlaff KG., Rudolstadt V/14/7 — 706 Bestell- und Verlagsnummer 2026/101/7 Preis: DM 1,50 Printed in Germany

Der Panathenaikos, den Isokrates nach seinen eigenen Angaben im Alter von 94 Jahren — 342 v. Chr. — begonnen und, nach Vollendung der ersten Hälfte 1 durch Krankheit zu langer Unterbrechung gezwungen, erst drei Jahre darnach — i. J. 339 — endgültig abgeschlossen und publiziert hat, ist eine der seltsamsten Schriften des griechisch-römischen Altertums, von einer Seltsamkeit, zu deren Kennzeichnung man sich nicht bei Ivo B R U N S ' Urteil beruhigen kann, das aus der Zeit vor der modernen Auffassung des Isokrates stammt: 'ein Unikum an Stillosigkeit' (D. literar. Porträt d. Griechen im 5. u. 4. Jh.v.Chr., S. 526). Entscheidende Aufklärung des Inhalts und der Form ist zwar weithin erzielt worden, am meisten durch die ausgezeichnete durchgehende Interpretation von P A U L W E N D L A N D 2 , aber als Ganzes hat die Schrift, die, wie mir scheint, seit längerer Zeit etwas außerhalb des Interesses gestanden hat3, bei verschiedenartigen Auffassungen keine sichere Beurteilung gefunden. Ich glaube, ein möglichst deutliches Herausarbeiten aller Seltsam1 In der endgültig abgeschlossenen Schrift, wie sie uns vorliegt, entspricht sie dem ersten der drei Hauptteile samt Proömium. 2 Nachr. Gött. Gesellsch. d. Wiss., Philol.-hist. Kl., 1910, S. 137 ff. 3

I n den wenigen Sätzen, die W . JAEGER, Paideia I I I (1947) 170. 225 d e m

Panathenaikos widmet, bezieht er sich nur auf den zweiten Hauptteil. — D i e v o n FRITZ R . WÜST, P h i l i p p I I . v o n Makedonien und Griechenland (1938)

171, Anm. 1 angekündigte Behandlung des Panathenaikos, des, wie er mit Recht sagt, cin so vielem noch ungedeuteten Werkes' (S. 171 Text), ist meines Wissens nicht erschienen. Ich benutze die Gelegenheit, ein starkes Versehen zu berichtigen, das WÜST, S. 172 mit Anm. 4 unterlaufen ist: panath. 260 richtet sich nicht an König Philipp, wie W. meint, sondern dem Isokrates sagt sein ehemaliger Schüler Unsterblichkeit voraus! — Auch Bd. I V der Isokratesausgabe von G. Mathieu [u. a.], auf deren notice man gespannt wäre, ist noch nicht erschienen, wie mir M. HOMBERT auf Anfrage freundlichst bestätigt. 1*

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keiten kann zu einer Grundlage verhelfen, von der aus weiterzukommen ist, und außerdem hoffe ich, einiges nicht Beachtete ins Licht setzen und anderes besserem Verständnis zuführen zu können. Das erfordert zunächst eine gedrängte Wiedergabe des Inhaltes. Doch müssen wir uns vorher in einer die bedeutungsvollen Momente heraushebenden Übersicht über die Zeitverhältnisse der Entstehung klar werden, d. h. über die Beziehungen zwischen König Philipp II. von Makedonien und den griechischen Staaten, vor allem Athen, von dem entscheidenden Jahr 346 ab bis 342, und über das Verhalten des Isokrates zu den politischen Vorgängen dieser Jahre bis zum Beginn seiner Arbeit am Panathenaikos. Diese Übersicht dient uns auch später als eine der Voraussetzungen für die Erörterung der Probleme 1 . I n überragender Machtstellung stand Philipp da, als im Frühsommer 346 zwischen ihm und seinen Verbündeten und andererseits den Athenern und ihren Verbündeten Friede geschlossen worden war: alle seine Eroberungen waren anerkannt, in Griechenland selbst hatte er die Vorherrschaft in Thessalien, wo makedonische Besatzungen lagen ; noch im Monat des Friedensschlusses konnte er nach Mittelgriechenland übergreifen durch die Bezwingung der Phoker, deren feste Plätze makedonische Besatzungen erhielten ; und durch die Aufnahme in den Amphiktionenrat war der König Mitglied der griechischen Staatengemeinschaft' geworden. In diesem Augenblick wandte sich Isokrates mit einem offenen Sendschreiben an Philipp und forderte ihn auf, die griechischen Staaten zu einem gemeinsamen Eroberungskrieg gegen die Perser zu vereinigen 2 und die Führung in diesem Krieg zu über1

H. BENGTSON, Griech. Geschichte (1950) 298 ff. WÜST, a. O. 36 ff. 86 ff.

P. CLOCHÉ, La politique étrangère d'Athènes de 404 à 338 av. J . - C . (1934) 243—289. 2 Jedoch nicht staatsrechtlich zu einigen, was WILCKEN, Sitz.-Ber. Akad. Berl. 1929 ('Philipp II. von Makedonien und die panhellenische Idee'), S. 313 gegenüber verbreitetem Irrtum klargelegt hat.

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nehmen. I m Jahre 380 h a t t e Isokrates zum ersten Male im Panegyrikos das panhellenische Programm vor dem griechischen Volk vertreten, das von seinem Lehrer Gorgias verkündet worden war: Beseitigung des Haders und der Bruderkämpfe zwischen den Staaten und Stämmen und Nationalkrieg gegen die Perser; es kam dabei Isokrates vor allem auch auf Behebung des wirtschaftlichen und sozialen Elends in Griechenland an durch Landgewinnung und Zugang zu dem wirtschaftlichen Reichtum Kleinasiens. Bald mußte er einsehen, daß die Griechen von sich aus nicht zu einer Versöhnung untereinander kommen würden und so auch eine Führung Athens im Krieg, wie er sie nach Erwägung gemeinsamer Führung Athens und Spartas in den Vordergrund gerückt hatte, nicht möglich sein werde. Nacheinander trug er die Führung Jason von Pherai und Dionysios I. von Sizilien an, die beide kurz danach starben 1 . Von Philipp endlich durfte Isokrates, dem es freilich nicht aufging, daß der König dabei nur in makedonischem Interesse handeln konnte, die Erfüllung des panhellenischen Programms erwarten. Inwieweit Philipp in der Tat später Anregungen des Publizisten aufnahm, h a t gegenüber übertriebenen Vorstellungen U L R I C H W I L C K E N , a. 0 . 291 ff. in eindringender Untersuchung geklärt; doch das liegt außerhalb der Grenzen unserer Aufgabe. Die Einwirkung des Sendschreibens auf die öffentliche Meinung, die nichts anderes als eine Förderung der Pläne Philipps bedeutete, darf nicht unterschätzt werden. Die Einsicht aber, daß die ständig wachsende Macht Philipps letzten Endes die Freiheit der griechischen Staaten bedrohte, 1

Die Aufforderung an König Archidamos III. von Sparta hält BELOCH, Griech. Geschichte III 2 1, 523 mit Anm. 3 auf Grund des 9. Briefes des Isokrates fest. G. MATHIETJ, Les idees politiques d'Isocrate (1925) 107 ff. erörtert die Frage, die sich dadurch ergibt, daß nur der Anfang erhalten ist, verteidigt aber dessen Echtheit., GISELA SCHMITZ-KAHUMANN zeigt, daß der Brief ein vermutlich in der Schule des Isokrates zu Übungszwecken in Anlehnung an den 'Philippos' verfaßtes Proömium ist, in der von W. JAEGER angeregten Schrift 'Das Beispiel der Geschichte im politischen Denken des Isokrates' ( 1 9 3 9 ) 123 f f . ( P h i l o l o g u s , S u p p l . 3 1 , 4 ) .

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mußte diejenigen, die wie Demosthenes in leidenschaftlichem Patriotismus und seine Gesinnungsgenossen die ererbte Selbständigkeit nicht preisgeben wollten, dazu treiben, der weiteren Ausdehnung der Macht des Makedonenkönigs entgegenzutreten. Immer wieder in den auf den philokrateischen Frieden folgenden Jahren versuchte Philipp zu einer Verständigung mit Athen zu gelangen — was hier im einzelnen nicht verfolgt werden kann — und immer wieder würde es, bei gelegentlichem Nachgeben, von Demosthenes hintertrieben, der in steigendem Maß die Politik Athens beherrschte. In einem wohl im Frühsommer 344 geschriebenen Brief1 erörtert Isokrates das Verhältnis zwischen dem König und Athen, und indem er die antimakedonischen Bestrebungen zu eliminieren sucht2, erklärt er, kein Staat könne den Griechen und Philipp größere Dienste erweisen als Athen. Dieses Jahr eröffnete Philipp die Möglichkeit, auf die Verhältnisse im Peloponnes Einfluß zu gewinnen. Sparta versuchte nämlich, an seinen alten Ansprüchen festhaltend, mit Absichten auf Messene und Megalopolis hervorzutreten, vom verbündeten Athen unterstützt. Infolge dieser Haltung konnte Demosthenes nichts Greifbares erreichen, als er im Spätsommer auf einer Gesandtschaftsreise im Peloponnes gegen Philipp agitierte. Dieser hatte von Sparta Verzicht auf Messene gefordert und schickte den Gegnern Spartas Geld und Truppen. Entscheidend würden die Vorgänge der ersten Hälfte des Jahres 342. Im Januar brachte Demosthenes als Gesandter im Peloponnes Bündnisse mit Achaia, Argos, Messene und Megalopolis zustande. Sparta, dadurch aufgebracht, hielt sich, trotz seiner Gegnerschaft gegen Philipp, von allen Einigungsbestrebungen zurück. Da nun die eben genannten peloponne1

Datierung nach W Ü S T , a. O . 5 5 f. Die Echtheit dieses Briefes (ep. 2 ) zuerst von E D . MEYER, Kl. Schriften II, 101 ff. nachgewiesen; er und CLOCHE, a. O. 247, datieren auf August/September. 2 Daß Isokrates anscheinend nur mit einer augenblicklichen Verhetzung rechne, wie W Ü S T , S . 5 6 meint, dürfte sehr zweifelhaft sein.

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sischen Staaten, außer Achaia, andererseits mit Philipp verbündet blieben, und da dieser im Frühjahr mit neuen Angeboten a n Athen herantrat, konnte für Isokrates und seine Gesinnungsgenossen eine Zeitlang die Aussicht auf das Zustandekommen eines großen Bundes mit Philipp bestehen. Es ist aber irreführend, wenn es nach der Formulierung von WENDLAND, a. 0 . 1 7 4 , und M Ü N S C H E R , K E I X ( 1 9 1 6 ) 2 2 1 7 ff. so aussieht, als ob Isokrates den ersten Hauptteil des Panathenaikos in dieser Aussicht abgefaßt hätte. Denn wenn er auch, wie wir gleich sehen werden, im ersten Halbjahr zu schreiben anfing und vielleicht auch schon den größeren Teil des ersten Hauptteils fertiggestellt hatte, so mußte er im Fortgang der Arbeit seine Hoffnung aufgegeben haben: Philipps Angebote waren abgelehnt worden, wie die Rede über Halonnesos zeigt, und im J u n i begann Philipp die Fortsetzung der Eroberung Thrakiens. Somit sind wir in der Entstehungszeit des ersten Hauptteils 1 des Panathenaikos angelangt. Der Titel und die Angabe im Proömium § 17, daß kurz vor den großen Panathenäen (Juli/August) ein Mitglied der Schule des Aristoteles Angriffe gegen Isokrates richtete, f ü h r t darauf, daß Isokrates die Schrift zu jenem Fest publizieren wollte, aber nicht vollenden konnte, vielleicht zunächst aufgehalten durch die Abwehr der bezeichneten Angriffe, die er im Proömium unternahm. Die Vollendung des ersten Hauptteils und der Beginn der Krankheit, der die Fortsetzung unterbrach, müssen nach seiner Angabe in dasselbe J a h r fallen 2 . Wir treten 1

I m Grunde ist das Ganze zwischen Proömium und Beginn der Unterredungen mit den Schülern (§ 42—199) als erster Hauptteil zu bezeichnen, da es Lobpreis Athens und Herabsetzung Spartas zum Inhalt hat. Aber die zeitliche Unterbrechung nach § 107 und die Themaveränderung innerhalb der angegebenen Einheit erlauben es, auch der einfacheren Bezeichnung wegen, drei Hauptteile anzusetzen. 2 Ich folge hier der Auffassung von WENBLAKD, a. 0 . 138 f. Drerup, Ausgabe p. CLVIII, glaubt, die Angabe in § 17 habe mit dem Titel des Werkes nichts zu tun.

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n u n m e h r in die D a r l e g u n g des I n h a l t s ein. D a s P r o ö m i u m reicht bis § 41. N a c h Charakterisierung seiner eigenen S c h r i f t s t e l l e r n n a c h F o r m u n d I n h a l t , die ein W i r k e n z u m W o h l A t h e n s u n d d e r H e l l e n e n z u m Ziel g e h a b t h a t , gegenüber a n d e r e n schriftstellerischen R i c h t u n g e n , gibt I s o k r a t e s als T h e m a a n d e n P r e i s der T a t e n u n d L e i s t u n g e n A t h e n s u n d der Vollkommenh e i t der Vorfahren 1 , w o r a n er sofort die E r k l ä r u n g a n s c h l i e ß t , sich ü b e r sich selbst ä u ß e r n zu wollen u n d ü b e r die böswillige H e r a b s e t z u n g u n d die a u s U n k e n n t n i s e n t s p r u n g e n e Verkenn u n g , die i h m w i d e r f a h r e n ist. E r stellt die glücklichen Mom e n t e seines Daseins f e s t , beklagt sich a b e r ü b e r die Schwächen seiner willensmäßigen u n d geistigen V e r a n l a g u n g u n d seines A u f t r e t e n s . Doch e r k l ä r t er, die Schwächen ü b e r w u n d e n z u h a b e n u n d stellt sein V e r h a l t e n i n Gegensatz zu d e m der gtirogeg, der W o r t f ü h r e r der P o l i t i k in der Volksversammlung. D i e Feindseligkeit der Menge f ü h r t er auf die Gegnerschaft d e r v o n i h m als R i v a l e n B e t r a c h t e t e n z u r ü c k , deren einer sich v o r k u r z e m zu d e m Vorwurf verstiegen h a t , ' I s o k r a t e s lasse k e i n e geistigen B e s t r e b u n g e n a u ß e r seinen eigenen L e h r e n gelten. Die Verteidigung auf diesen letzten Vorwurf beschränk e n d , gibt er eine a u s f ü h r l i c h e Definition der TiEnmdsv/xevoi, w o r i n er die jiaideia, d a s Ziel seines eigenen U n t e r r i c h t s , ü b e r wiegend in moralischem Sinn v e r s t e h t 2 . E s w i r d g u t sein, u m n a c h h e r die H a n d f ü r die eigentlichen P r o b l e m e frei z u h a b e n , gleich hier zu u n t e r b r e c h e n u n d u n t e r Beiseitelassen der schon i m m e r d i s k u t i e r t e n E i n z e l f r a g e n des a u c h viel g e t a d e l t e n P r o ö m i u m s , insbesondere der i n t e r e s s a n t e n F r a g e n n a c h d e n v o n I s o k r a t e s g e m e i n t e n Gegnern 3 , g r u n d sätzlich z u erörtern, wie A u s f ü h r u n g e n ü b e r persönliche A n 1

Wiederholung des Themas §24. 35, betont 112. Zur Forderung, die Unfreundlichkeit anderer zu ertragen, vgl. meine Ausführungen über adtxeTo&ai emozao&ai, Rhein. Mus. 92 (1943/44) 215, wo die Stelle herangezogen ist. » Literatur bei M Ü N S C H E R , RE IX (1916) 2217. 2

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gelegenheiten des Verfassers in Werken zu beurteilen sind, die sich in Fragen allgemeinsten Interesses an die große Öffentlichkeit wenden. Ich glaube, diesem Grundsätzlichen etwas mehr Worte widmen zu sollen. Durch das panhellenische Programm, das Isokrates, wie wir gehört haben, im Panegyrikos des Jahres 380 verkündet, will er die ganze Existenz seines Volkes auf einen anderen Boden stellen. Aber in § 3/4 bezeichnet er sein Unterfangen ausdrücklich als ein Konkurrenzunternehmen, um andere, die über dasselbe Thema geredet haben, völlig in den Schatten zu stellen, und unter der ausdrücklichen Erklärung, in eigener Sache sprechen zu wollen, fordert er § 12/13 auf, ihn zu verlachen, wenn er in Erfüllung seiner Aufgabe versagt habe. Im Proömium des 'Philippos' von beträchtlicher Ausdehnung (§ 1—29) berichtet er über seine Absichten und Überlegungen hinsichtlich der jüngsten Ereignisse, dann über seine Bedenken, über dasselbe Thema zu reden wie im Panegyrikos, der die größte Bewunderung gefunden habe. § 1 7 — 2 3 enthalten Einwendungen einiger seiner früheren Schüler in direkter Rede und die Mitteilung über sein Verhalten gegenüber den Bedenken. Es macht nicht etwa einen Unterschied, daß die Schrift an eine einzelne Person gerichtet ist, denn sie ist ja von vornherein veröffentlicht und für Einwirkung auf die Öffentlichkeit zugleich bestimmt. Im Falle dieses Proömiums ist übrigens zuzugeben, daß es bei allem Vordrängen der Person des Verfassers auf die politische Aktualität konzentriert ist. Im Panathenaikos ist nun allerdings der große Umfang des Proömiums, mancher inhaltliche Zug und der Ton durch die maßlose Eitelkeit und Selbstüberschätzung und die durch das Alter 1 noch verstärkte Weitschweifigkeit des Isokrates mitbestimmt. Zum Grundsätzlichen wäre aber zunächst auf die richtige Bemerkung von WENDLAND, a. O. 1 4 2 f. zu verweisen, 1 Das Argument des Alters wird man bei der Erklärung der Schwierigkeiten des Panathenaikos nur mit größter Vorsieht verwenden und nach Möglichkeit ausschalten.

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daß der Publizist, der die öffentliche Meinung mit Erfolg beeinflussen will, seiner Stellung sicher sein muß und Angriffe nicht einfach ignorieren kann. Und jener Angriff aus dem Lykeion war, wie wiederum W E N D L A N D mit Recht bemerkt hat, in der Tat höchst bedrohlich für Isokrates, denn mit der Behauptung, er lasse keine geistigen Bestrebungen außer seinen eigenen Lehren gelten, war die Lehrtätigkeit, die er 40 Jahre ausgeübt hatte, getroffen, und er mußte sich verteidigen, freilich macht diese Verteidigung nur die Hälfte des Proömiums aus. Man darf diese Proömien mit der Ausbreitung persönlicher Angelegenheiten des Verfassers meiner Meinung nach nicht isoliert betrachten. I n der Sophistik, aus der ja Isokrates hervorgegangen ist, spielte von Anfang an der auch durch materielle Interessen bestimmte Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Vertretern eine wichtige Rolle. Und ich glaube, man muß sie auch, abgesehen von den besonderen durch den Lehrbetrieb beeinflußten Verhältnissen der Sophistik und der besonderen Lage der politischen Publizistik, aus der agonalen Grundlage des griechischen Lebens verstehen — ich hoffe, keinen Mißbrauch mit diesem Begriff zu treiben; man muß sich etwa a n die persönlichen Auseinandersetzungen der Dichter der alten attischen Komödie im astrophischen Teil der Parabase, stellenweise auch schon in den Prologen, erinnern, und auch in der neuen Komödie fehlt dergleichen nicht. Das alles ist 'Stil', nicht nur jeweils besonders veranlaßte Expektoration. Näher, auch zeitlich näher, liegt. es, bei den Proömien des Isokrates an die einer anderen Gattung zu erinnern: Theopomp gab im ersten, persönlichen Teil des Proömiums seiner 0dinmxd allerdings, wie Jacoby im Kommentar zu frgm. 24—27 sagt, 'in der damals aufkommenden breiteren Weise den Nachweis der Befähigung', aber, wenn durch die Knappheit des Exzerpts bei Photios (frgm. 25) der Ton auch verschärft erscheinen mag, so ist er doch stark durch das Konkurrenzhafte bestimmt, und Dionysios von Halikarnaß mißbilligt die öiaßolai des Anaximenes und des Theopomp in den Proömien ihrer Geschichts-

Isokrates' Panatlienaikos

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werke. U n d was Isokrates selbst betrifft, so muß m a n ihm zugestehen, daß er eine Macht in der öffentlichen Meinung darstellte u n d a l s Künstler der Sprache das größte Ansehen genoß u n d so wohl Gehör beanspruchen d u r f t e f ü r die Angelegenheiten seiner eigenen Person. Auch innerhalb seiner Darlegungen meldet er sich wiederholt persönlich 1 , so mit einer Art pedantisch wirkender Selbstbetrachtung (§ 95/96), daß er sich geringerer Milde als zu Beginn der Abfassung der Schrift bewußt sei, größerer K ü h n h e i t , als in seiner N a t u r liege, u n d des Verlangens, mehr an Stoff vorzubringen, u n d § 108 ff. 2 kommt wieder Konkurrenzkampf u n d Eitelkeit zum Vorschein; den minderwertigen Lobrednern Spartas habe er den Preis des spartanischen Verhaltens gegenüber den übrigen Griechen durch seine vorausgehenden Ausführungen unmöglich gemacht. Wir fahren nunmehr in der Wiedergabe des Inhalts fort. I n nochmaliger Ankündigung des Themas, der Lobpreisung der Verdienste Athens u m die Gesamtheit der Griechen, b e t o n t Isokrates, dieses eyxcojuiov, das früher Bestandteile innerhalb verschiedener seiner Schriften ausmachte, sei jetzt der Gegenstand, u n d die Veranlassung dazu gäben Angriffe gegen Athen, womit offenbar feindselige Publizistik gemeint ist, ferner das Ungenügende von Schriften gleichen Gegenstandes u n d endlich sein Alter. Nach dem Grundsatz, der f ü r die Durchführung von enaivoi gilt, nämlich Vergleichung mit Vergleichungswürdigem, wird durchgehend Sparta Athen gegenübergestellt, durchgehend Athen erhoben und Sparta allen Ruhmes entkleidet 3 . Gemäß den Grundsätzen der Geschichtsbehandlung in rhetorischen Themen u n d in der Publizistik 4 wird der geschichtliche Stoff geschichtswidrig rücksichtslos f ü r den augen1

Vgl. unten S. 15. Daß an dieser Stelle die nach langer Krankheit aufgenommene Fortsetzung beginnt, kommt im Augenblick nicht in Betracht. 3 Siehe Gisela Schmitz-Kahijviann, a. O. 37. 59 f. und pass. 4

« Wendland, a. O. 161. 172.

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blicklichen Zweck zurechtgemacht, es wird rücksichtslos verallgemeinert, übertrieben, verschwiegen. Selbstverständlich k a n n es sich f ü r u n s nicht d a r u m handeln, das entstandene Zerrbild der griechischen Geschichte zu widerlegen, sondern es ist als gegeben hinzunehmen. Aber eine der F r a g e n , die wir später a n den T e x t stellen, wird sein, ob dieses Geschichtsbild wirklich dem beabsichtigten Zweck dienen kann. A u s der sagenhaften Vorzeit u n d a u s der Geschichte Griechenlands bis zum Königsfrieden von 387 werden die Verdienste der Athener u m die anderen Griechen, andererseits die Herrschsucht der Spartaner, die Gewalttätigkeit ihrer Vorherrschaft, die U n t e r d r ü c k u n g der anderen Griechen u n d die H a l t u n g gegenüber dem Perserkönig herausgestellt. I n der Behandlung der Leistungen der beiden S t a a t e n im Xerxeskrieg wird Thermopylä ü b e r h a u p t nicht e r w ä h n t ; wie anders h a t t e er paneg. 90. 92., Phil. 148 davon geredet! Die Vorwürfe gegen die Seeh e r r s c h a f t der Athener, m i t denen sich Isokrates wiederholt in verschiedenem Sinn b e f a ß t h a t , werden als geringfügig bezeichnet gegenüber den gegen S p a r t a s Vorherrschaft erhobenen Anklagen. Die E r ö r t e r u n g der Behandlung, die Argos, der S t a d t Agamemnons, durch Sparta widerfahren ist, gibt Veranlassung zu einem eyxcbjuiov Agamemnons (§ 72—83), der ganz Griechenland zum K a m p f gegen die B a r b a r e n vereinigt h a t : m a n h a t längst erkannt 1 , d a ß hier Isokrates i n der Gestalt des Königs der Sage Philipp von Makedonien zur E r f ü l l u n g der Aufgabe a u f r u f t , deren Verwirklichung durch die Griechen selbst, wie es Isokrates ursprünglich gefordert h a t t e , sich als unmöglich erwiesen u n d f ü r die er Philipp schon vier J a h r e vorher zu gewinnen versucht h a t t e . K u r z nach der vorhin erwähnten persönlichen Auslassung schließt der erste, im J a h r e 242 vollendete H a u p t t e i l . 1

Schon von B L A S S vermutet (Beredsamk. II 2 , 321); s. weiter H. W E R S DÖRFER, D. onegíl,ovoiv3 (OJOTE ejiaiV)o °rl T