Isokrates' Enkomion auf Helena: Ein Kommentar 3525252382, 9783525252383

Im Enkomion auf Helena hat Isokrates für Helena, die vielfach als Verursacherin des Trojanischen Krieges angeprangert wo

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Isokrates' Enkomion auf Helena: Ein Kommentar
 3525252382, 9783525252383

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VaR

Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von

Albrecht Dihle, Siegmar Döpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Hugh Lloyd-Jones, Günther Patzig, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 139

Vandenhoeck & Ruprecht

Sandra Zajonz

Isokrates’ Enkomion auf Helena Ein Kommentar

Vandenhoeck & Ruprecht

Verantwortlicher Herausgeber: Christoph Riedweg

Die Deutsche Bibliothek -- CIP-Einheitsaufnahme Zajonz, Sandra:

Isokrates’ Enkomion auf Helena : ein Kommentar / Sandra Zajonz. — Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 2002 (Hypomnemata ; Bd. 139) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2000

ISBN 3-525-25238-2

© 2002, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Internet: http://www.vandenhoeck-ruprecht.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany.

Druck: Hubert & Co., Göttingen. Umschlagkonzeption: Markus Eidt, Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorbemerkung

sess eene tne tenti toten e tette tentent renentntnns 7

Einführung ................ sss

iisse eene nente ttnte tenen tnteten entente sen entn teen teen t enn 9

L

Die Gestalt Helenas in der Literatur vor Isokrates ......................... 11

I.

Die Helena des Isokrates. Aufbau, Inhalt und Argumentation .... 20

II.

Die Helena des Isokrates. Das Problem ihrer Deutung ................. 1. Das Proömium als Interpretationsvorgabe für den Hauptteil ..................... sse a) Die Helena als politisches Manifest ................ nee b) Die Helena als Lob der Schönheit... c) Die Helena als Lob der Beredsamkeit

37 38 38 40

................................. 47

2. Der Hauptteil als praktische Realisierung der im Proömium formulierten Theorie .................. sse 49 3. Der Hauptteil als Interpretationsvorgabe für das Proómium .................. esses entente ttn 51 IV.

Datierung ..........

esses

eneentntn toten toto tostntn toten trennen esen into niente 58

V.

Überlieferung 1...

ρμρννμνννων 60

1.

Der Urbinas (T) ............uuesssssssssesesnenenneeenensnnnnnesnennenn 60

2. Die Vulgathandschriften (BAIIN) ................. sese 3. Bewertung der Handschriften .................... sss 4. Papyri ρον

61 62 64

VL

Die Lesarten der Handschriften II und N ...................... sess

65

VIL.

Abweichungen von Drerups Text...

75

6

Inhalt

Übersetzung und Erläuterungen .................

sss

ttennntennttenntces 77

Proómium (δῷ 1-15) ....uesenesseessssenessenesenoenenenanenennnenenenenenenennnnnennnnnenennenennn 79 Helenas göttliche Abstammung ($8 16-17) .................... sse Helena und Theseus (88 18-38) .............. sesenta Helena und Paris (88 39-48) ............ esee ον νοννονονννόνονν Der Trojanische Krieg ($8 49—53) .................. sse Das Lob der Schönheit ($8 54-60) .................. esses Die Taten der vergóttlichten Helena ($8 61-65) ................................

147 156 213 238 253 274

Epilog (88 66—69) «ρος

290

Verzeichnis abgekürzt zitierter Literatur ........................

Register |...

sse

302

eee esisssetentntent nte tenente tetro tt tntt tote tans s tatem ente sen tn tnena 311

ΘΙ 2. Personen und Sachen ................... sese

eet

ἘΞ rtis

311 342

Vorbemerkung

Im Unterschied zu manch anderen Bereichen der klassischen griechischen Literatur sind die Werke der attischen Redner -- von relativ wenigen Ausnahmen wie z.B. Hermann Wankels monumentaler Arbeit zur Kranzrede des Demosthenes einmal abgesehen - insgesamt spärlich kommentiert. So liegen selbst zu den großen politischen Reden des Isokrates, eines herausragenden Vertreters der griechischen Beredsamkeit, bislang nur recht knappe sprachliche Erläuterungen vor, die Ende des 19. Jahrhunderts für

den Schulgebrauch konzipiert wurden. Kleinere Reden blieben fast gänzlich unbeachtet. Zu diesen kleineren Reden des Isokrates zählt auch sein Enkomion auf Helena. Der Mangel an einer durchgängigen und umfassenden Kommentierung wird hier besonders schmerzlich spürbar, da die Gesamtdeutung der Rede schwierig und bis heute umstritten ist. Nicht selten haben sich irrtümliche Auffassungen dadurch ergeben, daß die Argumentation auf sprachlichen Mißverständnissen aufgebaut oder die Betrachtung auf Teilaspekte verengt wurde, ohne daß man sich deren spezifischer Funktion im Zusammenhang der Rede hinreichend bewußt war. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, die Diskussion über die Helena des Isokrates auf eine gesichertere Basis zu stellen. Im ersten Teil wird — auf der Grundlage der nachfolgenden Kommentierung der Blick auf die Rede als ganze gerichtet: Auf ihre Einordnung in die Tradition des Helena-Stoffes folgt eine zusammenhängende Analyse von Inhalt und Aufbau der Rede, schließlich werden die verschiedenen Ansätze zur Gesamtdeutung

vorgestellt, diskutiert, bewertet und um

einen

eigenen Lösungsvorschlag ergänzt. Den zweiten Teil bildet die fortlaufende sprachliche, sachliche und gedankliche Einzelkommentierung. Um das Textverständnis auch in den nicht ausdrücklich erklärten Details deutlich zu machen, ist dem Kommentar zu den jeweiligen Paragraphen statt einer Inhaltsparaphrase eine möglichst wortgetreue Übersetzung vor-

angestellt.* * Der Arbeit liegt der Text der Isokrates-Ausgabe von E. Drerup zugrunde, die in dieser Ausgabe nicht enthaltenen Reden des Isokrates werden nach Benseler/Blass zitiert; bei Werken des Isokrates wird in der Regel der Autorname nicht angegeben. — Kurzzitate (bei Werken, die mehr als einmal zitiert werden) verweisen auf das Litera-

8

Vorbemerkung

Der vorliegende Kommentar ist die um die Berücksichtigung der Handschriften II und N erweiterte und geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2000 von der Philosophischen Fakultät zu Köln angenommen wurde. Herrn Professor Dr. Michael Gronewald, der die Mühe des Korreferats auf sich genommen hat, verdanke ich zahlreiche wertvolle Hinweise; ebenso Herrn PD Dr. Stephan Schröder, der vor allem in der Anfangsphase verschiedene Einzelprobleme geduldig mit mir erörtert und mich so vor manchem Fehler bewahrt hat. Herr Dr. Thomas Gärtner war so freundlich, die

Druckfassung der Arbeit noch einmal kritisch durchzusehen. Hilfreiche Anregungen erhielt ich ferner von Herrn Professor Dr. Christoph Riedweg, der das Manuskript mit großer Sorgfalt gelesen hat. Ihm und den anderen Herausgebern danke ich für die Aufnahme des Kommentars in die Reihe »Hypomnemata«. Von den zuständigen Mitarbeitern der Biblioteca Medicea Laurenziana (Florenz) und der Bibliothéque Nationale de France (Paris) wurden mir rasch und unbürokratisch Mikrofilme des Laurentianus 58,5 bzw. des Pari-

sinus gr. 2932 zur Verfügung gestellt. Mathias Laubenheimer und Oliver Verlage haben sich klaglos bereitgefunden, mich beim Korrekturlesen zu unterstützen. Die Fehler, die aller An-

strengung zum Trotz übersehen wurden, gehen selbstverständlich allein zu meinen Lasten. Mein ganz besonderer Dank gilt schließlich Herrn Professor Dr. Bernd Manuwald,

der das Entstehen dieser Arbeit mit ermunterndem Zuspruch,

präzisem fachlichen Rat und unendlicher Hilfsbereitschaft gefördert hat.

Köln, im Februar 2001

S.Z.

turverzeichnis. - Zur Abkürzung antiker Autorennamen und Werktitel vgl. Der Neue Pauly (Bd. III, pp. XXXVI-XLIV), zur Abkürzung von Zeitschriftentiteln L'année philologique.

I.

Die Gestalt Helenas in der Literatur vor Isokrates

Mit Helena macht Isokrates eine der schillerndsten Frauengestalten der antiken Mythologie zum Gegenstand seines Enkomions. Von den Spartanern als Göttin verehrt,! tritt uns Helena in der Literatur als eine Frau entgegen, in der sich göttliche Schönheit und menschliche Schwäche in verhängnisvoller Weise vereinen: Indem sie, betört von den Reizen des orien-

talischen Gastfreundes Paris, ihren Gatten Menelaos verläßt und dem Geliebten nach Troja folgt, gibt sie den Anlaß zum Trojanischen Krieg, der während seiner zehnjährigen Dauer unzählige Opfer fordert. Damit fällt ein Schatten auf ihre Person, der sich in den literarischen Bearbeitungen des

Mythos über die Jahrhunderte hin zunehmend verdunkelt.? Ein noch recht wohlwollendes Helena-Bild ist in den Homerischen Epen gezeichnet. In der /lias wird Helena zwar mehrfach als »Streitobjekt« des Trojanischen Krieges erwähnt (vgl. u.a. 2,161.177; 3,128), der Vorwurf der Kriegsschuld ist daraus aber nicht abzuleiten. Priamos spricht sie sogar ausdrücklich von Schuld frei (3,164f. »Du bist mir nicht schuld, die Götter

sind mir schuld, die den tränenreichen Krieg mit den Achaiern gegen mich erregt haben«?), und die Schlußszene des 3. Buches läßt sich als Versuch 1 Vgl. Komm. zu $61 ἀθανασίας ἔτυχεν. 2 Es kann an dieser Stelle nur ein auf das Wesentliche reduzierter Überblick gegeben werden. Zu ausführlichen Behandlungen des komplexen Themas vgl. die Monographien von H. Homeyer, Die spartanische Helena und der Trojanische Krieg,

Wiesbaden 1977; L.B. Ghali-Kahil, Les enlévements et le retour d'Héléne dans les textes et les documents figurés, Paris 1955; J.-L. Backes, Le mythe d'Héléne, Clermont-Ferrand 1984; G.B. Schmid, Die Beurteilung der Helena in der frühgriechischen Literatur, Freiburg i. Br. 1982 und M. Becker, Helena. Ihr Wesen und ihre

Wandlungen im klassischen Altertum, Straßburg 1939; weitere Literatur bei Homeyer ] Anm.

1. Vgl. auch R. Kannicht (Hrsg.), Euripides. Helena, Heidelberg

1969, Bd. 1,

21-77. 3 οὔ τί μοι αἰτίη ἐσσί, θεοί νύ μοι αἴτιοί εἰσιν, / oí μοι ἐφώρμησαν πόλεμον πολύδακρυν

᾿Αχαιῶν.

A. Schmitt (Selbständigkeit und Abhängigkeit menschlichen

Handelns bei Homer, Stuttgart 1990), der in der Bewertung von Helenas Eigenverantwortlichkeit insgesamt zu einem etwas anderen Ergebnis kommt, sieht diese Äußerung durch Helenas Selbstanklagen entkräftet (89). Daß Helena ihr Handeln rückblickend als verhängnisvoll erkennt und daher als falsch empfindet, bedeutet aber nicht notwendig, daß sie damals nach freiem Willen eine andere Entscheidung

hätte treffen können (vgl. auch Il. 6,349, wo Helena selbst das Geschehen auf göttlichen Ratschluß zurückführt). Der von Schmitt (ebd.) angestellte Vergleich mit Phaidra, die sich in ähnlicher Situation der Macht der Aphrodite durch Selbstmord

12

Einführung

interpretieren, den inneren Konflikt Helenas vor der Fahrt nach Troja zu

spiegeln und ihr damaliges Handeln als eine außerhalb der freien Willensentscheidung liegende schicksalhafte Notwendigkeit zu erklären.* Gleichwohl wird Helena selbst von Schuldgefühlen gequält (vgl. 3,172-176; 6,

344-358) und setzt den Haß ihrer Umwelt als gewiß voraus (von den Dioskuren 3,241f. »Nun aber sind sie nicht bereit, sich in die Schlacht der Männer zu stürzen, aus Furcht vor der großen Schande und Schmach, die mir anhaftet«;? von Menelaos 3,403f. »Weil Menelaos nach dem Sieg über den edlen Alexandros mich Verhaßte heimführen will ...«;6 von den Tro-

janern 24,774 »Denn im weiten Troja habe ich keinen anderen, der gütig und freundlich ist, sondern alle erschaudern vor mir«?). Diese Erwartungen

finden aber innerhalb des Epos keine objektive Bestätigung. Auf griechischer Seite läßt sich lediglich Achill in seiner Trauer um Patroklos zu einer Beschimpfung der Helena hinreißen (19,325 »Um der abscheulichen Helena willen kämpfe ich gegen die Trojaner«®), der ausgewogene Kommentar der trojanischen Greise berücksichtigt die Ambivalenz der Figur, verrát aber zugleich, daß der Glanz von Helenas Schönheit durch das von ihr verursachte Unheil überschattet wird: »Es ist nicht zu tadeln, daß die Tro-

janer und die wohlbeschienten Achaier für eine solche Frau lange Zeit Leiden auf sich nehmen: Stark gleicht sie den unsterblichen Góttinnen im

Phaidra, die sich in áhnlicher Situation der Macht der Aphrodite durch Selbstmord entziehe, ist nicht sehr glücklich, da, um nur diesen einen Punkt zu nennen, Phaidra in ihrem ursprünglichen Selbstmordplan ja gerade scheitert und der schließlich durchgeführte Selbstmord wesentlich durch die inzwischen eingetretene Situation (und

nicht mehr durch den Widerstand gegen Aphrodite) motiviert ist. Die Möglichkeit, sich als Mensch dem Willen einer Gottheit zu widersetzen, wird durch Phaidras Beispiel

nicht bewiesen,

da sie durch

ihr Handeln

den

übergeordneten

Plan

der

Aphrodite, Hippolytos zu bestrafen, nicht vereitelt, sondern im Gegenteil befórdert. 4 Vgl. O. Lendle, Paris, Helena und Aphrodite. Zur Interpretation des 3. Gesanges der Ilias, A&A 14, 1968, 71. Eine explizite Antwort auf die Frage, ob Helena Paris freiwillig oder unter Zwang gefolgt ist, wird in der Ilias nicht gegeben; vgl. M. Reichel, Die homerische Helenagestalt aus motivgeschichtlicher und motivverglei-

chender Sicht, in: Euphrosyne. Studies in Ancient Epic and its Legacy in Honour of Dimitris N. Maronitis, ed. by J.N. Kazaris u. A. Rengakos, Stuttgart 1999, 291—307,

hier 292ff. _ 5 νῦν avt οὐκ ἐθέλουσι μάχην καταδύμεναι ἀνδρῶν, / αἴσχεα δειδιότες xoi ὀνείδεα πόλλ᾽ ἅ μοί ἐστιν. 6 οὕνεκα δὴ νῦν δῖον ᾿Αλέξανδρον Μενέλαος / νικήσας ἐθέλει στυγερὴν ἐμὲ οἴκαδ᾽ ἄγεσθαι .... 7 οὐ γάρ τίς μοι ἔτ᾽ ἄλλος ἐνὶ Τροίῃ εὐρείῃ / ἤπιος οὐδὲ φίλος, πάντες δέ με πεφρίκασιν. 8 εἵνεκα ῥιγεδανῆς Ἑλένης Τρωσὶν πολεμίζω.

Die Gestalt Helenas in der Literatur vor Isokrates

13

Aussehen; aber auch als eine solche soll sie mit den Schiffen heimfahren und nicht uns und unseren Söhnen zum Unheil hierbleiben.«? (3,156-160). Feindselige Äußerungen gegen Helena finden sich auch in der Odyssee; vgl. 11,436-439 (Odysseus zu Agamemnon) »Nein! hat das Geschlecht des Atreus der weit umblickende Zeus wahrhaftig doch über die Maßen von Anfang an mit Haß verfolgt durch Weiberränke! Da sind wegen Helena in Mengen wir dahingegangen, und dir hat Klytaimnestra den bösen Anschlag bereitet, während du ferne warst!«!0 und 14,68f. (gesprochen von Eumaios) »Wäre doch die Sippschaft der Helena knielings zugrunde gegangen, da sie die Knie vieler Männer löste!«!! Ihnen stehen jedoch die verständnisvollen Worte der Penelope gegenüber, die Helena von böser Absicht und persönlicher Schuld freispricht: 23,218-24 »Auch die Argeierin Helena, die Zeusentsproßte, hätte sich nicht mit dem fremden Manne

vereint in Liebe und Lager, wenn sie gewußt hätte, daß die kriegerischen Söhne der Achaier sie wieder nach Haus in das liebe Vaterland führen würden. Doch ein Gott, wahrhaftig! erregte sie, daß sie das schmählich Werk verübte, und sie hatte sich das traurige Verderben nicht vorher in den Sinn

gelegt, von dem von Anbeginn her auch über uns der Jammer gekommen ist.«!? Einen positiven Eindruck hinterläßt das Auftreten der Helena als geachtete Gattin des Menelaos und aufmerksame Gastgeberin im vierten Buch; ein leichter Schatten fällt allerdings auf sie, wenn Menelaos — freilich ohne Vorwurf — von ihrem allein durch die Geistesgegenwart des Odysseus gescheiterten Versuch erzählt, die im Trojanischen Pferd verborgenen Griechen durch die Nachahmung der Stimmen ihrer Frauen hervorzulocken (Od. 4,274—89).

In den Homerischen Epen gilt Helena also als Ursache des Trojanischen Krieges sowie der mit ihm verbundenen Leiden, und das moralisch Makel-

9 οὐ νέμεσις Τρῶας καὶ ἐὐκνήμιδας ᾿Αχαιοὺς / τοιῇδ᾽ ἀμφὶ γυναικὶ πολὺν χρόνον ἄλγεα πάσχειν' / αἰνῶς ἀθανάθῃσι θεῇς εἰς ὦπα ἔοικεν’ / ἀλλὰ καὶ ὧς τοίη περ ἐοῦσ᾽ ἐν νηυσὶ νεέσθω, / und’ ἡμῖν τεκέεσσί τ᾽ ὀπίσσω πῆμα λίποιτο. 10 ὦ πόποι, ἡ μάλα δὴ γόνον ᾿Ατρέος εὐρύοπα Ζεὺς ἐκπάγλως fix6npe. γυναικείας διὰ βουλὰς / ἐξ ἀρχῆς; ἀ Ἑλένης μὲν ἀπωλόμεθ᾽ εἵνεκα πολλοί, / σοὶ δὲ Κλυταιμνήστρη δόλον ἤρτυε τηλόθ᾽ ἐόντι. Die Übersetzung dieser und der weiteren Odyssee-Stellen folgt W. Schadewaldt, Homer. Die Odyssee, Hamburg 1958. 11 ... ὡς ὥφελλ᾽ Ἑλένης ἀπὸ φῦλον ὀλέσθαι / πρόχνυ, ἐπεὶ πολλῶν ἀνδρῶν ὑπὸ γούνατ᾽ ἔλυσε. 12 οὐδέ κεν ᾿Αργείη Ἑλένη, Διὸς ἐκγεγαυῖα, / ἀνδρὶ παρ᾽ ἀλλοδαπῷ ἐμίγη φιλότητι καὶ εὐνῇ, / εἰ ἤδη, ὅ μιν αὖτις ἀρήιοι dies ᾿Αχαιῶν / ἀξέμεναι olkóvóe φίλην ἐς& πατρίδ᾽ ἔμελλον. / τὴν δ᾽ ἤτοι ῥέξαι θεὸς ὥρορεν ὁ ἔργον ἀεικές᾽ Ι τὴν δ᾽ ἄτην οὐ πρόσθεν ἑῷ ἐγκάτθετο θυμῷ / λυγρήν, ἐξ ἧς πρῶτα καὶ ἡμέας ἵκετο πένθος. Die entlastende Tendenz dieser Aussage Reichel (wie Anm. 4) 294,

wird nicht hinreichend berücksichtigt von

14

Einführung

hafte ihres Handelns wird durchaus empfunden. Die Verantwortung für das Geschehen wird jedoch nicht ausdrücklich ihr persönlich zugewiesen, sondern die Möglichkeit, daß sie ohnmächtig dem Einfluß der Götter unterlag, wird zumindest zur Diskussion gestellt.

Genaueren Aufschluß über die bei Homer nur angedeuteten »hóheren« göttlichen Interessen geben die Kyprien (frg. 1 Bernabé = frg. 1 Davies): Die eigentliche Ursache des Trojanischen Krieges ist dort der Beschluß des Zeus, die Erde von der Überbevölkerung zu befreien. Zu diesem Zwecke wurde der Schönheitswettstreit der Göttinnen provoziert, der über das Pa-

risurteil zum Krieg führte. Helena ist somit nur eine Figur im Spiel der Götter; sie fungiert als unmittelbares Instrument der Aphrodite und als mittelbares Instrument des Zeus. Ein Opfer der Aphrodite ist Helena auch bei Hesiod, die Motivation ist allerdings eine andere. Im Zusammenhang mit der Version des Stesichoros, Aphrodite habe zur Bestrafung des Tyndareos, der ihr zu opfern vergessen hatte, bewirkt, daß dessen Töchter zweimal und dreimal heirateten und ihre Männer verließen (frg. 223 Davies),!3 zitiert der Scholiast zu Eur. Or. 249 (1 123,8-21 Schwartz = frg. 176 M.-W.) Verse des Hesiod, denen zufolge

Aphrodite die Töchter des Tyndareos aus Neid auf ihre Schönheit in schlechten Ruf brachte.!4 Indem Hesiod diesen schlechten Ruf als gottgegeben erklärt, setzt er ihn als gegeben voraus, während sich in den Homerischen Epen noch die Frage stellte, ob nicht die Zurückführung des Geschehens auf den unumstößlichen Beschluß der Götter Helena exkulpieren und somit ihren Ruf retten kónnte. In der frühen Lyrik begegnen fast alle Facetten der Helena-Gestalt. Ibykos (frg. S 151,4 Davies) und Theognis (1232f.) sehen Helena in homeri-

scher Tradition als wehrlose Erfüllungsgehilfin des góttlichen Willens, bei Sappho (frgg. 16 u. 23 Voigt) begegnet sie vornehmlich als ein Sinnbild der Schónheit und Liebe. Einen neuen Akzent setzt Alkaios, der ohne entschuldigenden Verweis auf höhere Mächte das von Helena verursachte Leid schildert (frgg. 42 u. 283 Voigt). Auch Stesichoros muß Helena heftig geschmäht haben. Der genaue Wortlaut des Gedichts, für das er der Sage nach mit Blindheit gestraft wurde und das ihn zur sog. »Palinodie« zwang, 13 οὕνεκα Τυνδάρεος / ῥέζων ποκὰ πᾶσι θεοῖς μόνας λάθετ᾽ ἠπιοδώρου / Κύπριδος: κείνα δὲ Τυνδαρέου κόρας / χολωσαμένα διγάμους τε xoi τριγάμους ἐτίθει / καὶ λιπεσάνορας. 14 .. τῆισιν δὲ φιλομμειδὴς ᾿Αφροδίτη / ἠγάσθη προσιδοῦσα, κακῆι δέ σφ᾽ ἔμβαλε φήμηι. / Τιμάνδρη μὲν ἔπειτ᾽ "Eyeuov προλιποῦσ᾽ ἐβεβήκει, ἵκετο δ᾽ ἐς Φυλῆα φίλον μακάρεσσι Heoioıv' / ὡς δὲ Κλυταιμήστρη (προλ)λιποῦσ᾽ ᾿Αγαμέμνονα δῖον / Αἰγίσθωι παρέλεκτο καὶ εἵλετο χείρον᾽ ἀκοίτην᾽ / ὡς δ᾽ Ελένη ἤισχυνε λέχος ξανθοῦ Μενελάου.

Die Gestalt Helenas in der Literatur vor Isokrates

15

ist nicht überliefert; möglicherweise folgte es der in frg. 223 Davies (vgl. oben, Anm. 13) erkennbaren Tendenz, Helenas moralische Verfehlungen an den Pranger zu stellen. Daß Stesichoros in der Palinodie zu der recht radikalen »Korrektur« des Mythos Zuflucht nahm, nicht Helena selbst, son-

dern ein Trugbild sei Paris nach Troja gefolgt (frg. 193 Davies), läßt darauf schließen, daß er eine Rehabilitierung der Helena nur durch die Leugnung und nicht durch eine Rechtfertigung ihrer Tat für möglich hielt. Im Agamemnon des Aischylos dominieren deutlich die harten Anklagen gegen die Kriegsverursacherin Helena; vgl. bes. die vielzitierten Chorverse 681-691 »Wer gab einst, so völlig der Wahrheit entsprechend ... der mit dem Speer gefreiten und von zwei Seiten umkämpften Helena den Namen? Da sie in Übereinstimmung damit schiffezerstörend, männervernichtend, städtezerstörend ... ausfuhr ...«!5; ferner 404—411, bes. 407f.; 799—804;

1455-1461. In der Geschichtsschreibung weist Herodot den Weg zu einer rationalistischeren Betrachtung des Mythos

und läßt, wenn

auch nur im Referat

der persischen Position, den Gedanken an eine Eigenverantwortung der Helena anklingen; vgl. 1,4,2 »Frauen zu rauben hielten sie zwar für die Sache ungerechter Männer, sich aber, wenn sie geraubt worden waren, Mühe zu geben, sie zu rächen, für die Sache Unverständiger, um die Ge-

raubten kein Aufhebens zu machen, hingegen für die Sache Verständiger. Denn offenbar würden sie doch nicht geraubt werden, wenn sie nicht selbst wollten.«!6 Den entscheidenden Beitrag zur Verdüsterung des Helena-Bildes dürfte Euripides geleistet haben. In den 415 aufgeführten Troerinnen betont

Poseidon im Prolog, daß Helena zu Recht (ἐνδίκως) den Status einer Kriegsgefangenen habe (35); Hekabe beschimpft sie als die verhaßte Gattin des Menelaos, als Schande für Kastor und als Unzierde für den Eurotas, schließlich als Mörderin des Priamos (131-137); Kassandra erklärt die Ehebrecherin der von Agamemnon erbrachten Opfer für unwürdig, da sie nicht mit Gewalt geraubt worden sei, sondern es selbst so gewollt habe (370-374); Andromache spricht die heftigsten Verwünschungen gegen sie aus (766-773 »SproB des Tyndareos, niemals bist du eine Tochter des Zeus, sondern ich behaupte, daß du vielen Vätern entstammst: Zuerst dem

15 τίς nor’ ὠνόμαζεν ὧδ᾽ / ἐς τὸ πᾶν ἐτητύμως / ... τὰν / δορίγαμβρον ἀμφινεικῆ / 8' Ἑλέναν; ἐπεὶ πρεπόντως / ἑλέναυς, ἕλανδρος, ἑλέ- / πτολις ... / .... ἔπλευσε.

16 τὸ μέν νυν ἁρπάζειν γυναῖκας ἀνδρῶν ἀδίκων νομίζειν ἔργον εἶναι, τὸ δὲ ἁρπασθεισέων σπουδὴν ποιήσασθαι τιμωρέειν ἀνοήτων, τὸ δὲ μηδεμίαν ὥρην ἔχειν ἁρπασθεισέων σωφρόνων: δῆλα γὰρ δὴ ὅτι, εἰ μὴ αὐταὶ ἐβούλοντο, οὐκ ἂν ἡρπάζοντο.

16

Einführung

Verbrechen, dann dem Neid und dem Mord und dem Tod und allen Übeln,

die die Erde nährt. Denn niemals glaube ich, daß Zeus dich hervorgebracht hat, dich, das Verderben für viele Barbaren und Griechen. Mögest du zugrundegehen; denn durch deine wunderschönen Augen hast du schändlich das glorreiche Land der Phryger vernichtet.«17); der Chor macht sie für die Kriegstoten verantwortlich (780f.); Menelaos bemüht sich zu versichern, nicht um der Helena willen in den Krieg gezogen zu sein (864ff.), und verkündet, er wolle sie, deren Namen

er nicht einmal mehr ausspre-

chen mag (869f.), in der Heimat hinrichten lassen (876-879) -- ein Entschluß, der auf die ungeteilte Zustimmung des Heeres stoDe (901f.). Um die Hinrichtung abzuwenden, hält Helena, prunkvoll gekleidet (vgl. 1022f.), der zum Zeichen der Trauer kurzgeschorenen (vgl. 141f.), mit Staub beschmutzten (vgl. 462-468) Hekabe entgegentretend, eine Verteidigungsrede, in der sie zunáchst die Schuld am Untergang Trojas Hekabe, die Paris gebar, und Priamos, der ihn nicht tótete, zuweist (919— 22). Sie selbst sei eher zu ehren als zu bestrafen, da ihre Schónheit

Griechenland die Freiheit gesichert habe: Hátte sich námlich Paris nicht für sie entschieden, wäre ihm entweder durch Athene die Herrschaft über Hellas oder durch Hera die Herrschaft über Asien und Europa zuteil geworden (924-37). Die Schwäche, Paris nach Troja gefolgt zu sein, entschuldigt Helena mit der überwältigenden Macht der Aphrodite, der selbst Zeus nicht zu widerstehen vermóge (938—50). Nach dem Tod des Paris habe sie versucht, aus Troja zu fliehen, sei aber jedesmal von den Mauer-

wächtern ertappt worden (951-958). Diese Argumentation ist kaum geeignet, das vernichtende Urteil über Helena zu relativieren:!$ Für den Untergang Trojas die Erzeuger des Paris verantwortlich zu machen, den Ruhm, Griechenland gerettet zu haben, hingegen allein für sich zu beanspruchen, ist ein leicht durchschaubarer Sophismus, die Berufung auf die Kraft der Aphrodite war zu einer »Standardausrede« geworden, die bezeichnenderweise der ἄδικος λόγος in den Wolken des Aristophanes empfiehlt,!9 und 17 ὦ Τυνδάρειον&ἔρνος, οὔποτ᾽ εἶ Διός, / πολλῶν δὲ πατέρων φημί o ἐκπεφυκέναι, / ᾿Αλάστορος μὲν πρῶτον, εἶτα δὲ Φθόνου / Φόνου τε Θανάτου θ᾽ ὅσα τε γῆ τρέφει κακά. / οὐ γάρ ποτ᾽ αὐχῶ Ζῆνά γ᾽ ἐκφῦσαί σ᾽ ἐγώ, / πολλοῖσι κῆρα βαρβάροις Ἕλλησί τε. / ὄλοιο’ καλλίστων γὰρ ὀμμάτων ἄπο / αἰσχρῶς τὰ κλεινὰ πεδί᾽ ἀπώλεσας Φρυγῶν. 18 Anders M. Lloyd, The Helen Scene in Euripides’ Trojan Women, CQ 34 (1984) 303-313; Bedenken gegen Lloyds Auffassung erhebt in einigen wesentlichen

Punkten

B. Manuwald,

Die »Troerinnen