Internationales Steuerrecht [5 ed.] 9783504387846

„Der Schaumburg“, ist das hochkarätige Standardhandbuch und bildet das stets an Komplexität gewinnende Internationale St

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German Pages 1366 Year 2022

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Internationales Steuerrecht [5 ed.]
 9783504387846

Table of contents :
Vorwort zur 5. Auflage
Vorwort zur 1. Auflage
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis
Gesamtliteraturverzeichnis
1. Teil Einführende Grundlagen
Kapitel 1 Begriff des Internationalen Steuerrechts
Kapitel 2 Normengruppen im System des Internationalen Steuerrechts
Kapitel 3 Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts
Kapitel 4 Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote im Internationalen Steuerrecht
Kapitel 5 Internationaler Steuerwettbewerb
2. Teil Außensteuerrecht
Kapitel 6 Einkommensteuer
Kapitel 7 Körperschaftsteuer
Kapitel 8 Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer
Kapitel 9 Gewerbesteuer
Kapitel 10 Umsatzsteuer
Kapitel 11 Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern
Kapitel 12 Internationales Investmentsteuerrecht
Kapitel 13 Hinzurechnungsbesteuerung
Kapitel 14 Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen
3. Teil Doppelbesteuerungsrecht
Kapitel 15 Begriff der Doppelbesteuerung
Kapitel 16 Ursachen der Doppelbesteuerung
Kapitel 17 Vermeidung der Doppelbesteuerung
Kapitel 18 Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
Kapitel 19 Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)
4. Teil Übergreifende Themen
Kapitel 20 Internationales Umwandlungssteuerrecht
Kapitel 21 Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung
Kapitel 22 Grenzüberschreitende Sachaufklärung
Stichwortverzeichnis

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Schaumburg Internationales Steuerrecht

Internationales Steuerrecht Außensteuerrecht Doppelbesteuerungsrecht herausgegeben von

Prof. Dr. Harald Schaumburg Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn Honorarprofessor an der Universität zu Köln

5., völlig überarbeitete Auflage

2023

bearbeitet von Dr. Arne von Freeden, LL.M. Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht, Hamburg Lehrbeauftragter an der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Dr. Nils Häck Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn Lehrbeauftragter an der Universität Mannheim Dr. Florian Oppel, LL.M. Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht und Fachberater für Int. Steuerrecht, Köln Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Dr. Michael Puls Rechtsanwalt, Steuerberater, Düsseldorf Lehrbeauftragter an der Universität Augsburg Prof. Dr. Harald Schaumburg Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn Honorarprofessor an der Universität zu Köln Prof. Dr. Matthias Valta Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Geschäftsführender Direktor des Instituts für Unternehmenssteuerrecht, Düsseldorf

Zitierempfehlung: Bearbeiter in in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl. 2023, Rz. 1.1 ff.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-26024-8 ©2023 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Druckerei C.H.Beck, Nördlingen Printed in Germany

Vorwort zur 5. Auflage Nach nunmehr guten 5 Jahren erscheint bereits die 5. Auflage dieses Handbuchs, das erstmalig im Jahre 1993 veröffentlicht wurde. Seit der 1. Auflage kommt es mir insbesondere darauf an, das Internationale Steuerrecht mit seinen normübergreifenden Zusammenhängen darzustellen und hierbei die verfassungsrechtlichen, europarechtlichen und völkerrechtlichen Bezüge aufzuzeigen. Es geht auch darum, die dem Internationalen Steuerrecht zu Grunde liegenden Wertungen für die Rechtsanwendung nutzbar zu machen. Allerdings hat sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die deutsche Steuergesetzgebung orientiert sich zunehmend an multilateralen Vereinbarungen. Der Weg zu einer Weltsteuerordnung oder gar zu einem Weltsteuerrecht ist geebnet. Im Vordergrund steht hierbei die koordinierte Bekämpfung aggressiver Steuergestaltungen. Die vorstehend nur grob skizzierte Entwicklung des Internationalen Steuerrechts wird insbesondere in den Kapiteln 3 F und 5 D dargestellt. Im Übrigen wurden u.a. folgende Änderungen und Neuregelungen des innerstaatlichen Rechts – die größtenteils maßgeblich durch die multilateralen Vereinbarungen bedingt sind und insbesondere durch das ATAD-UmsG v. 25.6.2021 und das AbzStEntModG v. 2.6.2021 Eingang in die deutschen Gesetze gefunden haben – berücksichtigt: die Lizenzschranke (§ 4i EStG), die Hybridschranke (§ 4k EStG), die Ent- und Verstrickung (§ 4 Abs. 1 Sätze 3, 9 EStG, § 12 KStG), die Verrechnungspreisbildung (§§ 1, 1a AStG), die grundlegenden Reformen der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG) und der Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) sowie die internationalen Auswirkungen des Optionsmodells für Personengesellschaften (§ 1a KStG). Die 5. Auflage beruht wiederum auf dem großen Engagement der Herren Dr. Arne von Freeden und Dr. Nils Häck. Das Autorenteam wurde zudem verstärkt durch die Herren Dr. Florian Oppel, Dr. Michael Puls und Prof. Dr. Matthias Valta. Ohne ihre Beiträge wäre das Erscheinen der Neuauflage zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich gewesen. Bonn, im November 2022

Harald Schaumburg

VII

Vorwort zur 1. Auflage Das Steuerrecht ist weit davon entfernt, als Gerechtigkeitsordnung verstanden zu werden. Als Massenfallrecht entzieht es sich weitgehend rationaler Klarheit und Einsichtigkeit. Nicht konzeptionelle, an den Grundrechten orientierte Wertungsmaßstäbe regieren das Steuerrecht, sondern durchweg auf Aufkommensmaximierung gerichtete Regellosigkeit. Dies gilt in besonderem Maße für das Internationale Steuerrecht, das mit seinen Teilrechtsgebieten Außensteuerrecht und Doppelbesteuerungsrecht in mehreren Steuergesetzen normativ verankert und damit unterschiedlichen Wertungen unterworfen ist. Ein derartiger Befund ist an sich keine Ermutigung, ein Buch zu schreiben, das es sich unter anderem zum Anliegen gemacht hat, die Wertungen des Internationalen Steuerrechts sichtbar zu machen. Mein akademischer Lehrer Klaus Tipke hat mich ermuntert, ein solches Buch dennoch zu verfassen und hierbei meine Erfahrungen als Lehrbeauftragter und als insbesondere auf dem Gebiet des Internationalen Steuerrechts tätiger Berater einzubringen. Hervorgegangen ist dieses Buch aus meinen Vorlesungsskripten „Außensteuerrecht“ und „Doppelbesteuerungsrecht“, die ich seit Jahren begleitend zu meinen Vorlesungen „Grundzüge des Internationalen Steuerrechts“ an der Universität zu Köln herausgebe. Die äußere Stoffanordnung habe ich beibehalten. Sie entspricht dem didaktischen Konzept meiner Vorlesungen. Das Buch wendet sich sowohl an den mit Internationalem Steuerrecht befaßten Praktiker als auch an jene, die sich mit diesem Rechtsgebiet oder Teilbereichen hieraus vertraut machen wollen. Es ist mir darauf angekommen, das internationale Steuerrecht mit seinen normübergreifenden Zusammenhängen darzustellen und hierbei die verfassungsrechtlichen, europarechtlichen und völkerrechtlichen Bezüge aufzuzeigen. Die enorme Stoffülle machte es erforderlich, eine Themenauswahl zu treffen und die Ausführungen auf das Wesentliche zu beschränken, ohne die insbesondere für grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen wichtigen Einzelheiten allzusehr zu vernachlässigen. Soweit erklärende und problematisierende Kurzdarstellungen angebracht waren, sind diese im laufenden Text durch einen hellgrauen Hintergrund besonders gekennzeichnet. Es war nicht einfach, als Partner einer aus Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern bestehenden Kanzlei die Zeit für das Schreiben dieses Buches zu finden. Das Buch wäre nicht zustande gekommen, hätte meine Ehefrau meine Arbeiten hieran nicht über Jahre hinweg mit Verständnis und fachlich kompetentem Rat begleitet. Dieses Buch sei ihr daher in Dankbarkeit gewidmet. Bonn, im Januar 1993

VIII

Harald Schaumburg

Inhaltsübersicht Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden Sie zu Beginn der einzelnen Kapitel. Seite

Vorwort zur 5. Auflage . . . Vorwort zur 1. Auflage . . . Abkürzungsverzeichnis . . . Gesamtliteraturverzeichnis

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. VII . VIII . XV . XXXI

1. Teil Einführende Grundlagen Rz.

Seite

Kapitel 1 Begriff des Internationalen Steuerrechts (Schaumburg) . . . . . . . .

1.1

1

Kapitel 2 Normengruppen im System des Internationalen Steuerrechts (Schaumburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.1

5

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2.1 2.3 2.10 2.21 2.24

6 6 9 11 12

Kapitel 3 Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts . . . . . . . . . . . .

3.1

14

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3.1 3.4 3.15 3.20 3.45 3.150

16 17 20 23 35 66

Kapitel 4 Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote im Internationalen Steuerrecht (Schaumburg) . . . . . . . . . . . . . . . .

4.1

80

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4.1 4.4 4.12 4.37 4.43a

80 81 87 103 105

.... ....

4.46 4.49

108 109

A. B. C. D. E.

A. B. C. D. E. F.

A. B. C. D. E. F.

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kollisionsbegründende und kollisionsauflösende Normen . Normen zur Vermeidung von Einkünfteverlagerungen . . . Grenzüberschreitende wirtschaftslenkende Normen . . . . . Vereinfachungszwecknormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Überblick (Schaumburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Völkerrechtliche Normen (Schaumburg) . . . . . . . . . Supranationale Normen (Unionsrecht) (Schaumburg) Zur Normenhierarchie (Schaumburg) . . . . . . . . . . . Europäisches Steuerrecht (Schaumburg) . . . . . . . . . . „Weltsteuerrecht“ (Valta) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichheitssatz des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EU-Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EWR-Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . WTO-Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskriminierungsverbote nach dem Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. DBA-Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX

Inhaltsübersicht Rz.

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Kapitel 5 Internationaler Steuerwettbewerb (Valta) . . . . . . . . . . . . . . . .

5.1

118

A. Steuern als Standortfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Unfairer Steuerwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.1 5.5 5.9

119 122 124

6.1

155

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6.1 6.9 6.122 6.312 6.370

157 160 221 301 319

Kapitel 7 Körperschaftsteuer (von Freeden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.1

351

A. Unbeschränkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Beschränkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht . . . . . .

7.1 7.19 7.43

351 364 374

Kapitel 8 Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer (von Freeden) . . . . . . . . . . . .

8.1

384

. . . .

8.1 8.8 8.31 8.53

384 386 397 404

Kapitel 9 Gewerbesteuer (von Freeden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.1

409

. . . . . .

9.1 9.3 9.11 9.12 9.14a 9.15

410 411 412 413 418 418

Kapitel 10 Umsatzsteuer (Schaumburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.1

419

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Steuerobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Steuersubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.1 10.7 10.132

419 422 469

2. Teil Außensteuerrecht Kapitel 6 Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. B. C. D. E.

A. B. C. D.

A. B. C. D. E. F.

X

Anknüpfungspunkte für die Besteuerung (Schaumburg) . Unbeschränkte Steuerpflicht (Schaumburg) . . . . . . . . . Beschränkte Steuerpflicht (Valta) . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterte beschränkte Steuerpflicht (Valta) . . . . . . . . Entstrickung und Verstrickung (Schaumburg) . . . . . . .

Anknüpfungspunkte für die Besteuerung Unbeschränkte Steuerpflicht . . . . . . . . . Beschränkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . Erweiterte beschränkte Steuerpflicht . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuersubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewerbeertrag und Gewerbesteuermessbetrag Höhe der Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . Pauschbetragsfestsetzung . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsübersicht Rz.

Seite

Kapitel 11 Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern (Schaumburg) . . . . .

11.1

476

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Besondere Verkehrsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Besondere Verbrauchsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.1 11.6 11.40

476 478 494

Kapitel 12 Internationales Investmentsteuerrecht (von Freeden) . . . . . . . .

12.1

517

. . . .

12.1 12.3 12.6 12.29

519 519 520 526

Kapitel 13 Hinzurechnungsbesteuerung (Oppel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.1

535

. 13.1 . 13.13 . 13.21 . 13.50 . 13.78 . 13.176

536 543 545 556 564 598

A. B. C. D.

A. B. C. D. E. F.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . Besteuerung von Publikumsfonds . . . . . . Besteuerung von Spezial-Investmentfonds

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Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . Persönliche Tatbestandsvoraussetzungen . . . Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 14 Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen (Oppel) . . .

14.1

619

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14.1 14.7 14.12 14.15 14.27 14.34 14.37

620 624 627 628 632 634 635

Kapitel 15 Begriff der Doppelbesteuerung (Schaumburg) . . . . . . . . . . . . .

15.1

637

Kapitel 16 Ursachen der Doppelbesteuerung (Schaumburg) . . . . . . . . . . .

16.1

642

Kapitel 17 Vermeidung der Doppelbesteuerung (Schaumburg) . . . . . . . . .

17.1

645

17.1 17.16 17.40 17.42

646 653 661 662

A. B. C. D. E. F. G.

Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstand der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . Hinzurechnungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . Escape-Klausel § 15 Abs. 6 AStG . . . . . . . . . . Einkünfteermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behandlung bei den Hinzurechnungsadressaten

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3. Teil Doppelbesteuerungsrecht

A. B. C. D.

Gründe für die Vermeidung der Doppelbesteuerung . . . . Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung . . . . . Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung . . . Maßnahmen zur Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung

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XI

Inhaltsübersicht Rz.

Seite

18.1

665

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18.1 18.143 18.215 18.243

666 709 734 741

Kapitel 19 Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) (Schaumburg/Häck) . . . . . . . . . . .

19.1

747

. . . . . . . . . . . . .

19.1 19.12 19.19 19.24 19.29 19.49 19.124 19.169 19.184 19.189 19.194 19.211 19.512

749 753 759 762 764 772 808 825 833 834 836 842 948

Kapitel 20 Internationales Umwandlungssteuerrecht (Häck) . . . . . . . . . .

20.1

975

Kapitel 18 Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Schaumburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. B. C. D.

Einkommensteuer Körperschaftsteuer Gewerbesteuer . . . Erbschaftsteuer . .

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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Multinationale Entwicklung . . . . . . . . . . C. Abschluss und Wirksamwerden von DBA . D. Änderungen und Erlöschen von DBA . . . E. Anwendung von DBA . . . . . . . . . . . . . . F. Auslegung von DBA . . . . . . . . . . . . . . . G. Steuerumgehung bei DBA . . . . . . . . . . . H. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . I. Räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . J. Sachlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . K. Steuerberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . L. Verteilung der Steuergüter . . . . . . . . . . . M. Vermeidung der Doppelbesteuerung . . . .

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4. Teil Übergreifende Themen

A. B. C. D.

. . . .

20.1 977 20.26 993 20.75 1025 20.139 1070

Kapitel 21 Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung . . . . . . . . . .

21.1 1088

A. B. C. D.

XII

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug Grenzüberschreitende Umwandlungen . . . . . . . Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug

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Grundlagen (Schaumburg/Puls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten (Schaumburg/Puls) . . . . . . Einkünftezuordnung bei Personengesellschaften (Schaumburg/Puls) Einkünftezuordnung bei Kapitalgesellschaften (Puls) . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

21.1 21.16 21.114 21.136

1089 1096 1143 1157

Inhaltsübersicht Rz.

Seite

Kapitel 22 Grenzüberschreitende Sachaufklärung (Schaumburg/Oppel) . . . .

22.1 1228

A. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Internationaler Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22.1 1228 22.7 1232 22.55 1253

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1289

XIII

Abkürzungsverzeichnis a.A. AB abl. ABl. EG ABl. EU Abs. Abschn. abw. AbzStEntModG AcP a.E. AEAO AEUV a.F. AfA AG AhiRL aHZB AIG AktG AlkopopStG AlkStG allg. Alt. a.M. amtl. Anh. Anm. AO AOA AöR APA Art. ASA AStG ATAD ATR Aufl. ausf. ausl. AuslInvG AVR AWD

andere(r) Ansicht Ausführungsbestimmung(en) ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (bis Januar 2003) Amtsblatt der Europäischen Union (ab Februar 2003) Absatz Abschnitt abweichend Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz) Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) am Ende Anwendungserlass zur Abgabenordnung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Absetzung für Abnutzung Aktiengesellschaft; auch „Die Aktiengesellschaft“ (Zeitschrift) Amtshilfe-Richtlinie anzusetzender Hinzurechnungsbetrag Auslandsinvestitionsgesetz Aktiengesetz Alkopopsteuergesetz Alkoholsteuergesetz allgemein Alternative anderer Meinung amtlich Anhang Anmerkung Abgabenordnung Authorised OECD Approach Archiv für öffentliches Recht (Zeitschrift) Advanced Pricing Agreement(s) Artikel Archiv für Schweizerisches Abgabenrecht (Zeitschrift) Außensteuergesetz Anti Tax Avoidance Directive Advance Tax Rulings Auflage ausführlich ausländisch Auslandsinvestmentgesetz Archiv für Völkerrecht (Zeitschrift) Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (Zeitschrift)

XV

Abkürzungsverzeichnis

AWG Az.

Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen

Bad.Württ. BaFin BAnz. BAO BayObLG BayVBl BayVerfGH BB BBG BBK

Baden-Württemberg Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesanzeiger Bundesabgabenordnung (Österreich) Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Bayerischer Verfassungsgerichtshof Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz Buchführung, Bilanz, Kostenrechnung, Zeitschrift für das gesamte Rechnungswesen Band Bundesminister der Finanzen Bundesverband der Deutschen Industrie Begründung Beitreibungsrichtlinie Bemerkung(en) Base Erosion and Profit Shifting Bergmannsprämiengesetz Berlinförderungsgesetz besonders Beschluss bestritten betreffend Bewertungsgesetz Bundesamt für Finanzen Bundesfinanzhof Entscheidungssammlung des BFH Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Zeitschrift) Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Zeitschrift) Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I oder II Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Biersteuergesetz Verordnung zur Durchführung des Biersteuergesetzes Bulletin for International Fiscal Documentation Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG – StromStG Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger, Internationales Steuerrecht

Bd. BdF BDI Begr. BeitrRL Bem. BEPS BergPG BerlinFG bes. Beschl. bestr. betr. BewG BfF BFH BFHE BFH/NV BFuP BG BGB BGBl. BGE BGH BGHSt BGHZ BierStG BierStV BIFD BilMoG B/J/S B/K/K/R

XVI

Abkürzungsverzeichnis

B/K/L/M/R

BZSt bzw.

Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge, Kommentar zum Außensteuerrecht Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Wirtschaft Betriebsprüfung Betriebsprüfungsordnung Branch Profits Tax Bundesrat Drucksachen des Bundesrates Gesetz über das Branntweinmonopol Bundessozialgericht Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung Beispiel beispielsweise Bundessteuerberaterkammer Bundessteuerblatt (Teil I oder II) Bundestag Drucksache(n) des Bundestages British Tax Review (Zeitschrift) Buchstabe Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeszentralamt für Steuern beziehungsweise

CbCR CCN C-Corp CDFI CGI CFC CIR Corp CSI CV

Country-by-Country-Reporting Common Communication Network Subchapter C Corporation Cahiers de Droit Fiscal International Général des impôts Controlled Foreign Companies Code des impôts sur les revenus Corporation Common System Interface Commanditaire Vennootschap

DB DBA DBW DDR DepotG DE-VG DFGT

Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) Deutsche Demokratische Republik Depotgesetz Deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen Deutscher Finanzgerichtstag (Tagungsband)

BMF BMWi Bp BpO BPT BR BR-Drucks. BranntwMonG BSG BsGaV Bsp. bspw. BStBK BStBl. BT BT-Drucks. BTR Buchst. BVerfG BVerfGE B/W BVerfGG BVerwG BVerwGE

XVII

Abkürzungsverzeichnis

dgl. d.h. d.i. DIHT Diss. DJT DK DNotZ Dok. DÖV D/P/M D/P/P/M Drucks. DStG DStJG DStR DStRE DStZ DStZ A und B DSWR dt. DV (DVO) DVBl. DVR E EAG EAS EC EDV EFG EF-VO e.G. EG EGAHiG EGAO EGBGB EGHGB EGKS EGV Einf. Einl. einschl. EK EMCS EMRK XVIII

dergleichen das heißt das ist Deutscher Industrie- und Handelstag Dissertation Deutscher Juristentag Der Konzern (Zeitschrift) Deutsche Notar-Zeitschrift Dokument, Dokumentation Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer Dötsch/Patt/Pung/Möhlenbrock, Umwandlungsteuerrecht Drucksache Deutsche Steuergewerkschaft Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. (Tagungsbände) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung (seit 1980) Deutsche Steuer-Zeitung Ausgabe A (bis 1979) und B (bis 1979) Datenverarbeitung in Steuer, Wirtschaft und Recht (Zeitschrift) deutsch Durchführungsverordnung Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau (Zeitschrift) (Gesetzes-)Entwurf Europäische Atomgemeinschaft Express-Antwort-Service des BMF (Österreich) Tax Review European Communities Tax Review (Zeitschrift) Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungssammlung der Finanzgerichte (Zeitschrift) Verordnung über die Eingangsabgabenfreiheit von Waren im persönlichen Gepäck der Reisenden eingetragene Genossenschaft Europäische Gemeinschaft EG-Amtshilfegesetz Einführungsgesetz zur Abgabenordung Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Amsterdam Einführung Einleitung einschließlich (verwendbares) Eigenkapital Excise Movement and Control System Europäische Menschenrechtskonvention

Abkürzungsverzeichnis

EnergieStG EnergieStV Entsch. entspr. EntwHStG EntwLStG EP ErbSt ErbStG Erl. E/S ESt EStB EStDV EStG EStH EStR EStZ ET EU EUAHiG EUBeitrG EuGH EuGHE EuGH-URep EuR EU-SchU EUStBV EuStZ EuZW e.V. evtl. EWG EWGV EWIV EWIV-AG

EWR EWRA EWS

Energiesteuergesetz Verordnung zur Durchführung des Energiesteuergesetzes Entscheidung entsprechend Entwicklungshilfe-Steuergesetz Entwicklungsländer-Steuergesetz Europäisches Parlament Erbschaftsteuer Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz Erlass Erle/Sauter, Körperschaftsteuergesetz Einkommensteuer Einkommensteuerberater (Zeitschrift) Einkommensteuer-Durchführungsverordnung Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Hinweise Einkommensteuer-Richtlinien Europäische Steuer-Zeitung European Taxation (Zeitschrift) Europäische Union EU-Amtshilfegesetz EU-Beitreibungsgesetz Europäischer Gerichtshof Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs EuGH-Umsatzsteuerreport Europarecht (Zeitschrift) Europäisches Schiedsübereinkommen (Schiedsverfahrenskonvention) Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung Europäische Steuerzeitung Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) eingetragener Verein eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG-Vertrag Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Verordnung über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift)

f. FA FamRZ FATCA FATCA-USA-UmsV FeuerschStG

folgende (eine Seite) Finanzamt Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Foreign Tax Account Compliance Act FATCA-USA-Umsetzungsverordnung Feuerschutzsteuergesetz

EWIV-VO

XIX

Abkürzungsverzeichnis

ff. FG FGO Fifo FiMaNoG Fin.Arch. FinMin. FinSen. FinVerw. F/D F/G FKAustG Fn. FN-IdW FR FRL FS FuSt FVerlV FVG F/W/B/S F/W/K

fortfolgende (mehrere Seiten) Finanzgericht; Festgabe Finanzgerichtsordnung First in – first out Finanzmarktnovellierungsgesetz Finanzarchiv (Zeitschrift) Finanzministerium Finanzsenator Finanzverwaltung Frotscher/Drüen, KStG-Kommentar Frotscher/Geurts, EStG-Kommentar Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz Fußnote Fachnachrichten des Instituts der Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift) Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Fusions-Richtlinie Festschrift Finanzen und Steuern Funktionsverlagerungsverordnung Gesetz über die Finanzverwaltung Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland – Schweiz

G GA GATS GATT GAufzV GbR gem. GemVO GenG GewArch. GewStDV GewStG GewStR GG ggf. GKG G/K/G/K GKKB gl.A. GloBE GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GoB GoS

Gesetz Generalanwalt General Agreement on Trade and Services General Agreement on Tarifs and Trade Gewinnaufzeichnungsverordnung Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes gemäß Gemeinnützigkeitsverordnung Genossenschaftsgesetz Gewerbearchiv (Zeitschrift) Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage gleicher Ansicht Global Anti-Base Erosion Proposal Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betr. die GmbH GmbH-Rundschau (Zeitschrift) GmbH-Steuerberater (Zeitschrift) Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Grundsätze ordnungsmäßiger Speicherbuchführung

XX

Abkürzungsverzeichnis

Gr. GRCh GrEStG GrS GS GS GSVP GuV GVBl. GVG GWR

Gruppe Charta der Grundrechte der EU Grunderwerbsteuergesetz Großer Senat Gesetzessammlung Gedächtnisschrift Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union Gewinn- und Verlustrechnung Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

H Halbs., HS HB Hdb. Hess. HFA HFA des IdW HFR HGB HGrG H/H H/H/R

Hifo H/K/G/R h.L. H/M/B h.M. Hrsg. HZB

Hinweis(e) Halbsatz Handelsbilanz Handbuch Hessen Hauptfachausschuss Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Handelsgesetzbuch Haushaltsgrundsätzegesetz Haase/Hruschka, Umwandlungsteuergesetz Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung Highest in – first out Haun/Kahle/Goebel/Reiser, Außensteuerrecht herrschende Lehre Haritz/Menner/Bilitewski, Umwandlungsteuergesetz herrschende Meinung Herausgeber, herausgegeben Hinzurechnungsbetrag

i.A. IAS IBFD i.d.F. i.d.R. i.d.S. IdW i.E. i.e.S. IFA IFRS IGH i.H.v. IIR

im Allgemeinen International Accounting Standard International Bureau of Fiscal Documentation in der Fassung in der Regel in dem Sinne Institut der Wirtschaftsprüfer im Einzelnen im engeren Sinne International Fiscal Association International Financial Reporting Standard Internationaler Gerichtshof in Höhe von Income Inclusion Rule

H/H/Sp

XXI

Abkürzungsverzeichnis

Inc. INF InfAustAbk inl. insb. InsO Inst.FuSt intern. Intertax InvG InvStG InvZulG IPO IPR IPrax IRC IRG IRS i.S. ISR IStGH IStR ITA ITJ ITPJ i.V. IWB i.w.S.

Incorporated Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift) Informationsaustauschabkommen inländisch insbesondere Insolvenzordnung Institut „Finanzen und Steuern“ international International Tax Review (Zeitschrift) Investmentgesetz Investmentsteuergesetz Investitionszulagengesetz Initial Public Offering Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Internal Revenue Code Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Internal Revenue Service im Sinne Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift) Internationaler Strafgerichtshof Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) Income Tax Act The international Tax Journal (Zeitschrift) International Transfer Pricing Journal (Zeitschrift) in Verbindung Internationale Wirtschafts-Briefe im weiteren Sinne

JA Jb. JbFStR JBl. Jg. JöR JStG Jura JuS JZ

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Jahrbuch Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Juristische Blätter (Zeitschrift) Jahrgang Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahressteuergesetz Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift)

KaffeeStG KAG Kap. KapErhStG

Kaffeesteuergesetz Kommunalabgabengesetz Kapitel Gesetz über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln Kapitalertragsteuer Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung Kapp/Ebeling, Erbschaftsteuergesetz, Kommentar Kommentierte Finanzrechtsprechung

KapErtrSt KapErtrStDV K/E KFR XXII

Abkürzungsverzeichnis

KF-VO Kfz. KG KGaA Kj. KöMoG KÖSDI KraftStG krit. K/S/M KSt KStDV KStG KStR KStZ KWG

Kleinsendungs-Einfuhrfreimengen-Verordnung Kraftfahrzeug Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kalenderjahr Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) Kraftfahrzeugsteuergesetz kritisch Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz Körperschaftsteuer Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Richtlinien Kommunale Steuer-Zeitschrift Gesetz über das Kreditwesen

LB L/B/P LG Lifo li.Sp. lit. Ltd. LLC L/L/H LLLP LLP LoB LP L/S LStDV lt. LuF LuftVStG

Lehrbuch Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht Landgericht Last in – first out linke Spalte Buchstabe Private Company Limited by Shares, Limited Limited Liability Company Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung Limited Liability Limited Partnership Limited Liability Partnership Limitation of Benefit Limited Partnership Lenski/Steinberg, GewStG-Kommentar Lohnsteuer-Durchführungsverordnung laut Land- und Forstwirtschaft Luftverkehrsteuergesetz

MA m. Anm. m.a.W. MCCA

Musterabkommen mit Anmerkung(en) mit anderen Worten Multilateral Competent Authority Agreement on the Exchange of Country-by-Country Reports Multilateral Convention on Mutual Administrative Assistance in Tax Matters Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) MwSt-Informations-Austausch-System Mineralölsteuergesetz Million(en) Multilateral Convention Multilaterales Instrument

MCMAA MDR MIAS MinöStG Mio. MLC MLI

XXIII

Abkürzungsverzeichnis

m.R. MoMiG

MRK MTR MüKo M/W m.w.N. MwSt MwStSystRL MwSt-ZVO MZK

mit Recht Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen Menschenrechtskonvention Mutter-Tochter-Richtlinie Münchner Kommentar Moench/Weinmann, ErbStG mit weiteren Nachweisen Mehrwertsteuer Mehrwertsteuersystemrichtlinie Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung Modernisierter Zollkodex

Nds. n.F. NJW NL Nr. nrkr. NRW, NW NSt NV NVwZ NW NWB NZG

Niedersachsen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Niederlande Nummer nichtrechtskräftig Nordrhein-Westfalen Neues Steuerrecht von A-Z (Zeitschrift) Namenloze Vennootschap (Niederlande) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen Neue Wirtschafts-Briefe Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

o.Ä. OECD OECD-MA

oder Ähnliches Organization for Economic Cooperation and Development OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen OECD-Musterkommentar Transfer Pricing Guidelines der OECD Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (Vorgängerorganisation der OECD) Oberfinanzdirektion(en) Oberster Finanzgerichtshof oben genannt offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht schweizerisches Obligationenrecht Geschäfte ohne Rechnung One-Stop-Shop Österreichische Steuerzeitung Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Entscheidungen des preuß. OVG in Staatssteuersachen

MoRaKG

OECD-MK OECD-TPG OEEC OFD OFH o.g. OHG OLG OR OR-Geschäfte OSS ÖStZ OVG OVGE OVGSt XXIV

Abkürzungsverzeichnis

OWiG ÖZöffR, ÖZöR

Ordnungswidrigkeitengesetz Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht

p.a. PartGG PIStB Pkw plc Preuß./(pr.) Prot.

per annum Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Praxis Internationale Steuerberatung (Zeitschrift) Personenkraftwagen Public Limited Company preußisch Protokoll

R RabelsZ

R/H/N R/H/vL RIW RJF R/K/L rkr. RL Rs. Rspr. RStBl. RT RWP Rz.

Richtlinie Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Zeitschrift) Reichsabgabenordnung Rechnungsabgrenzungsposten Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz Rechtsverordnung Referentenentwurf Regierungsbegründung Real Estate Investment Trust Rennwett- und Lotteriesteuergesetz rechte Spalte Revision Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgesetzblatt Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, Umwandlungssteuergesetz Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Revue des Jurisprudence Fiscale (Zeitschrift) Reiß/Kraeusel/Langer, Umsatzsteuergesetz rechtskräftig Richtlinie Rechtssache Rechtsprechung Reichssteuerblatt Reichstag Rechts- und Wirtschafts-Praxis (Zeitschrift) Randziffer

s. S. S.A. Sàrl

siehe Seite Société anonyme; Sociéta a accomandita Société à responsabilité limitée

RAO RAP R/D RechtsVO RefE Reg.-Begr. REIT RennwLottG re.Sp. Rev. RFH RFHE RGBl. RGSt. RGZ

XXV

Abkürzungsverzeichnis

SC SCA SCE SCE-VO SchaumwZwStG Schl.-Holst. Schr. S-Corp S/D SE sec. SEED SEStEG

SE-VO S/F sfr. SGB SGG S/H/S SICAF SICAR-Status SICAV S/K/K Slg. SNC S/R s.o. sog. SolZG Sp. SP SpA SparPG SrC SRÜ st. St ST StÄndG StandOG StAnpG StB Stbg StbJb StbKongrRep StBp StEK XXVI

Sociedad en comandita Société en Commandite par Actions Societas Cooperativa Europaea, Europäische Genossenschaft Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft Schaumweinsteuer- und Zwischenerzeugnissteuergesetz Schleswig-Holstein Schreiben Subchapter S Corporation Schönfeld/Ditz, DBA-Kommentar Societas Europaea, Europäische Aktiengesellschaft, Europa-AG section System for Exchange of Excise Data Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Schnitger/Fehrenbacher, KStG-Kommentar Schweizer Franken Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Schmitt/Hörtnagl/Stratz, Umwandlungsteuergesetz Société d’investissement à capital fixe Société d’investissement en capital à risque Société d’investissement à capital variable Strunk/Kaminski/Köhler, AStG und OECD-MA Amtliche Sammlung der EuGH-Entscheidungen Société en nom collectif Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz siehe oben so genannt Solidaritätszuschlagsgesetz Spalte Schlussprotokoll Societa per Azioni Sparprämiengesetz Sociedad regular colecitva Seerechtsübereinkommen ständig Steuer Der Schweizer Treuhänder (Zeitschrift) Steueränderungsgesetz Standortsicherungsgesetz Steueranpassungsgesetz Der Steuerberater (Zeitschrift) Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuerberater-Jahrbuch Steuerberaterkongress-Report (Zeitschrift seit 1977) Die steuerliche Betriebsprüfung (Zeitschrift) Felix/Carlé, Steuererlasse in Karteiform, Loseblatt und CD-ROM

Abkürzungsverzeichnis

SteuerHBekG SteuerHBekV StEUVUmsG StGB StJ StLex StPO StQ str. StR StRev. StRK StromStG StSäumG StStud STTR StuB StuW stv. StVergAbG StVj. StWa s.u. SWI TabStG TabStV T/G/J TIEA

Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz Steuerhinterziehungsbekämpfungs-Verordnung Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften Strafgesetzbuch Steuerjournal (Zeitschrift) Steuer-Lexikon Strafprozessordnung Quintessenz des Steuerrechts (Zeitschrift) strittig Steuerrecht Steuer-Revue (Zeitschrift) Steuerrechtskartei Stromsteuergesetz Steuersäumnisgesetz Steuer und Studium (Zeitschrift) Subject tu Tax Rule Steuern und Bilanzen (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) stellvertretend Steuervergünstigungsabbaugesetz Steuerliche Vierteljahresschrift (Zeitschrift) Steuer-Warte (Zeitschrift) siehe unten Steuer & Wirtschaft International (Zeitschrift)

Tz.

Tabaksteuergesetz Verordnung zur Durchführung des Tabaksteuergesetzes Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuergesetz Tax Information Exchange Agreement (Informationsaustauschabkommen) Tipke/Kruse, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung Tax Law Review (Zeitschrift) Tax Management Transfer Pricing (Zeitschrift) Tax Notes International (Zeitschrift) Transactional net margin method Tax Planning International Review (Zeitschrift) Telekommunikations-, Rundfunk-, Fernseh- und elektronische Dienstleistungen Textziffer

u. u.a. u.a.m. u.Ä. Übers. Ubg udgl. UmwG

und und andere, unter anderem und andere(s) mehr und Ähnliches Übersicht Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) und dergleichen Umwandlungsgesetz

T/K TLR TMTP TNI TNMM TPIR TRFE-Leistungen

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

UmwR UmwStG UN UR UrhG Urt. USA USt UStDV UStG USt-IdNr. UStKongrBericht UStR usw. UTPR u.U. UVR UWG UZK

Umwandlungsrecht Umwandlungssteuergesetz United Nations Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) Urheberrechtsgesetz Urteil Vereinigte Staaten von Amerika Umsatzsteuer Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung Umsatzsteuergesetz Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Umsatzsteuerkongress-Bericht Umsatzsteuer-Richtlinien und so weiter Undertaxed Payment Rule unter Umständen Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (Zeitschrift) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Unionszollkodex

v. VAG VAT V/B/E v.E. VerbrStSystRL VerbrSt-ZVO VermBG VersR

vom, von Versicherungsaufsichtsgesetz Value added Tax Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise verdeckte Einlage Verbrauchsteuersystemrichtlinie Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung Vermögensbildungsgesetz Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Versicherungsteuergesetz Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verfügung verdeckte Gewinnausschüttung Verwaltungsgerichtshof vergleiche vom Hundert Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht (Zeitschrift) Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen Verordnung Volume Vorbemerkung Verschmelzungs-Richtlinie Vermögensteuer Vermögensteuer-Durchführungsverordnung Vermögensteuergesetz Verbrauchsteuersystem-Richtlinie Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit

VersRAI VersStG VerwArch. Vfg. vGA VGH vgl. v.H. VJSchrStFR V/L VO Vol. Vorb. VRL VSt VStDV VStG VStSystRL VVaG XXVIII

Abkürzungsverzeichnis

VVDStRL VWG BsGa VwGO VwVfG VwZG

Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungszustellungsgesetz

W/A/D W/B

Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen Wohnungseigentumsgesetz Wirtschaftliche Beratung (Zeitschrift) Wirtschaft und Recht in Osteuropa (Zeitschrift) Wirtschaftswissenschaftliches Studium (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wirtschaftsverwaltung (Zeitschrift) Wilms/Jochum, Erbschaftsteuergesetz, Kommentar Wirtschaftsjahr Gesetz zur Förderung von Wagniskapitalbeteiligungen Wiener Vertragsrechtskonvention Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht Welthandelsorganisation WTO-Übereinkommen Wiener Übereinkommen für Diplomaten Wiener Übereinkommen für Konsuln Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Wiener Konvention über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen und zwischen internationalen Organisationen

WEG WiB WiRO WiSt wistra WiVerw W/J Wj. WKBG WKV WM W/M WPg W/R/S WTO WTOÜ WÜD WÜK WÜRV WVK

ZaöRV z.B. ZBstA ZErb ZEV ZfB ZfbF ZfgK ZfV ZfZ ZG ZGB ZGR ZHR Ziff. ZiLiRL

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zinsbesteuerungsabkommen Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Betriebswirtschaft Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Völkerrecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern Zollgesetz Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zins- und Lizenz-Richtlinie XXIX

Abkürzungsverzeichnis

ZiRL ZIP zit. ZIV ZK ZPO ZRP z.T. zutr. ZVglRWiss

XXX

Zinsrichtlinie Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis zitiert, Zitat Zinsinformationsverordnung Zollkodex Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil zutreffend Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft einschließlich des Rechts der Entwicklungsländer und der ethnologischen Rechtsforschung

Gesamtliteraturverzeichnis Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Stuttgart 2010 Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen, 2. Aufl., Herne/Berlin 1996 Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Wien 2019 Birk, Handbuch des Europäischen Steuer- und Abgabenrechts, Herne/Berlin 1995 Birk/Ehlers, Rechtsfragen des europäischen Steuer-, Außenwirtschafts- und Zollrechts, Köln 1995 Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, Loseblatt, Köln Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, München Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG, StromStG, Loseblatt, München Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl., München 2018 Bordewin/Brandt, EStG, Kommentar, Loseblatt, Heidelberg Bott/Walter, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Bonn Brähler, Internationales Steuerrecht, 8. Aufl., Wiesbaden 2014 Bunjes, Umsatzsteuergesetz, 21. Aufl., München 2022 Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl., München 2022 Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatt, München Debatin/Endres, Das neue Doppelbesteuerungsabkommen USA/Bundesrepublik Deutschland, München 1990 Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Kommentar, 3. Aufl., München 2022 Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Kommentar, Loseblatt, Stuttgart Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA Deutschland – USA, München 2009 Erle/Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., Heidelberg 2010 Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann, Internationales Erbrecht, Loseblatt, München Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 5. Aufl., Berlin 2005 Fischer/Köck, Allgemeines Völkerrecht, 6. Aufl., Wien 2007 Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl., München 2008 Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Köln Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland – Schweiz, Kommentar, Loseblatt, Köln Friedrich/Soyk, Kommentar zu den Energiesteuern, Loseblatt, Freiburg Frotscher, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl., München 2020 Frotscher/Drüen, Körperschaft-, Gewerbe- und Umwandlungssteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Freiburg Frotscher/Geurts, Einkommensteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Freiburg Fuhrmann, Außensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., Herne 2017 Gambke/Flick, Versicherungssteuergesetz Kommentar, 4. Aufl., Köln 1996 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 6. Aufl., München 2013 Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 6. Aufl., München 2017 Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., München 2021 XXXI

Gesamtliteraturverzeichnis

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Gesamtliteraturverzeichnis

Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Loseblatt, Köln Kühn/von Wedelstädt, Abgabenordnung mit Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 22. Aufl., Stuttgart 2018 Lademann, EStG, Kommentar, Loseblatt, Stuttgart Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Köln Lenz/Borchardt, EU-Verträge, 6. Aufl., Köln 2012 Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Stuttgart Locher, Einführung in das Internationale Steuerrecht der Schweiz, 4. Aufl., Bern 2019 Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 3. Aufl., München 2017 Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, Baden-Baden 2008 Lüdicke/Sistermann, Unternehmenssteuerrecht, 2. Aufl., München 2018 Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 6. Aufl., Köln 2020 Lutter, Umwandlungsgesetz, Kommentar, 6. Aufl., Köln 2019 Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 20. Aufl., Köln 2020 Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl., Köln 2015 Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, München Medert/Axer/Voß, Versicherungsteuergesetz Kommentar, 2. Aufl., Karlsruhe 2020 Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 18. Aufl., München 2021 Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Loseblatt, Herne Moench/Weinmann, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, München Möhlenkamp/Milewski, EnergieStG, StromStG, 2. Aufl., München 2020 Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl., Köln 2018 Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 11: Internationales Wirtschaftsrecht, 8. Aufl., München 2020 Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, München 2019 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 8. Aufl., München 2018 Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl., Tübingen 2011 Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2013 Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl., Köln 2019 Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Köln Reiß/Kraeusel/Langer, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Bonn Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, Umwandlungsteuergesetz, 3. Aufl., Kommentar, Köln 2019 Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, Köln 2015 Runge/Ebling/Baranowski, Die Anwendung des Außensteuergesetzes, Heidelberg 1974 Sachs, Grundgesetz, 9. Aufl., München 2021 Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020 Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Aufl., Köln 2021 Schaumburg/Rödder, Unternehmenssteuerreform 2008, München 2007 Scheffler, Internationale betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 3. Aufl., München 2011 Schmidt, Einkommensteuergesetz, 41. Aufl., München 2022 Schmidt, Versicherungsteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl., Bonn 2021 Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 4. Aufl., Köln 2020

XXXIII

Gesamtliteraturverzeichnis

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XXXIV

1. Teil Einführende Grundlagen

Kapitel 1 Begriff des Internationalen Steuerrechts

Literatur: Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger, Internationales Steuerrecht, Wien 2015; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl. München 2020, Rz. 27 f.; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, 5. Aufl. Heidelberg 2017, Rz. 17 f.; Isay, Internationales Finanzrecht, Stuttgart/Berlin 1934; Liedtke, Gibt es ein Internationales Steuerrecht?, DB 1977, 1208; Mössner, Der Begriff des Internationalen Steuerrechts in der neueren Literatur, ÖZöffR 1974, 255; Schön, Die Auslegung europäischen Steuerrechts, Köln 1993; Schöne, Internationales Steuerrecht und Außensteuerrecht, FR 1976, 32; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, Amsterdam 1936 (Neudruck Köln 1967), 548; Teichner, Internationales Steuerrecht, Stuttgart 1967; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm – Eine Untersuchung über die Grundfragen des sog. Internationalen Verwaltungs- und Steuerrechts, Frankfurt/Berlin 1965; Vogel, Internationales Steuerrecht, DStZ 1997, 269.

Was eigentlich unter Internationalem Steuerrecht zu verstehen ist, welche Begriffsbildungen maßgeblich sein sollen und ob es ein Internationales Steuerrecht überhaupt gibt, ist umstritten. Es wird die Meinung vertreten, das Internationale Steuerrecht umfasse nur jene Normen, die der Quelle nach völkerrechtlicher Natur seien, wodurch der Begriff recht eng gefasst wird und nur auf die Herkunft des Rechts bezogen ist.1 Es wird aber auch die Ansicht vertreten, dass zum Internationalen Steuerrecht alle Normen gehörten, die auslandsbezogene Sachverhalte erfassten.2 Letztlich findet sich aber auch die Meinung, dass zum Internationalen Steuerrecht lediglich Kollisionsnormen bzw. Konfliktregeln gehörten, also Rechtsnormen, die die Steuerhoheiten gegeneinander abgrenzten.3

1.1

Die kontroverse Diskussion um die Findung nach dem „richtigen“ Begriff gibt es bereits seitdem man sich überhaupt mit Internationalem Steuerrecht4 beschäftigt. Die unterschiedlichen Begriffsbildungen sind letztlich darauf zurückzuführen, dass an den Begriff selbst von Anfang an die unterschiedlichsten Anforderungen gestellt wurden.

1.2

Isay bezeichnet als Internationales Finanzrecht den Inbegriff der Konfliktregeln auf internationalem finanzrechtlichen Gebiet, also den Inbegriff der Regeln, durch welche der Anwendungsbereich der Steuergesetze umgrenzt wird. Er unterscheidet das „positive“ und das „reine“ Internationale Finanzrecht. Unter dem positiven Internationalen Finanzrecht versteht er die Gesetze, durch welche der einzelne Staat seine Finanzgewalt selbst umgrenzt. Danach gibt es ein jeweils national geprägtes Internationales Finanzrecht. Das reine Internationale Finanzrecht soll diejenigen Rechtssätze umfassen, die die Grenzen aufzeigen, die die staatliche Finanzgewalt

1.3

1 Debatin in Wassermeyer, DBA, Systematik I, Rz. 2 (2000). 2 Mössner, ÖZöffR 1974, 255 (277); Schöne, FR 1976, 32 ff. 3 Isay, Internationales Finanzrecht, 1 ff.; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 1 ff.; Teichner, Internationales Steuerrecht, 5. 4 In der älteren Literatur durchweg als Internationales Finanzrecht bezeichnet.

Schaumburg | 1

Kap. 1 Rz. 1.3 | Begriff des Internationalen Steuerrechts

nicht überschreiten dürfe.1 Die vorstehende Auffassung von Isay macht deutlich, dass der Begriff Internationales Finanzrecht auf Konfliktregeln, also auf solche Rechtssätze beschränkt wird, die die staatliche Finanzgewalt umgrenzen. Demgegenüber geht Spitaler davon aus, dass als Internationales Finanzrecht nur die von allen oder fast allen Staaten übernommenen Rechtsregeln verstanden werden könnten, die für diese Staaten verpflichtendes Recht wären. Ein derart allgemeines Internationales Finanzrecht, das materiell-rechtliche Konfliktregeln enthielte und von der Quelle her Völkerrecht wäre, gebe es tatsächlich aber nicht.2 Als Internationales Finanzrecht wird demnach nur jenes Recht aufgefasst, das Konfliktregeln enthält und allgemein für alle oder jedenfalls für mehrere Staaten verbindlich ist. Ein so verstandenes Internationales Finanz-(Steuer-)recht gibt es auch heute noch nicht.3 Bühler bezeichnet als Internationales Steuerrecht das Recht der Abgrenzung der Steuergewalten. Soweit diese Kollisionsnormen dem Völkerrecht zu entnehmen seien, handele es sich um Internationales Steuerrecht im engeren Sinne. Im weiteren Sinne umfasse das Internationale Steuerrecht indessen auch nationale Kollisionsnormen.4 Auch hier erfährt der Begriff des Internationalen Steuerrechts eine gegenständliche Einschränkung dahingehend, dass nur Kollisionsnormen erfasst werden.

1.4

An den Begriff des Internationalen Steuerrechts sind Systemanforderungen gestellt worden, die dieser von vornherein nicht zu erfüllen vermochte. Das Steuerrecht ist nämlich, soweit es internationale Bezüge hat, nicht einheitlich kodifiziert und ohne systematische Konzeption. Daher kann das Internationale Steuerrecht nicht als Systembegriff verstanden werden, sondern allenfalls als Ordnungsbegriff.5 Die Begriffsvielfalt bedarf daher keiner näheren Darstellung. Der Streit um den „richtigen“ Begriff des Internationalen Steuerrechts ist letztlich unfruchtbar. Aus dem Begriff als solchem lassen sich nämlich keine Prinzipien, keine Orientierungsmaßstäbe für die Anwendung der in Betracht kommenden Normen gewinnen. Der Begriff des Internationalen Steuerrechts hat daher letztlich Bedeutung nur für die Verständigung. Wenn daher im Folgenden vom Internationalen Steuerrecht die Rede ist, so sind damit jene Normen angesprochen, die auslandsbezogene Sachverhalte erfassen. Angesprochen sind insbesondere inländische Sachverhalte mit Auslandsbezug, grenzüberschreitende Sachverhalte sowie ausländische Sachverhalte mit Inlandsbezug.6 Es kann sich um Normen handeln, die der Quelle nach entweder nationales oder internationales Recht sind. Der Begriff des Internationalen Steuerrechts lässt sich auf einer weiteren Stufe in zwei weitere Ordnungsbegriffe dahingehend aufteilen, dass sich all jene Normen, die der Vermeidung der Doppelbesteuerung dienen, als Doppelbesteuerungsrecht und alle übrigen Normen als Außensteuerrecht bezeichnen lassen.

1.5

Im Hinblick darauf, dass das Internationale Steuerrecht die Gesamtheit der Rechtsvorschriften umfasst, die sich auf Auslandssachverhalte, insbesondere grenzüberschreitende Sachverhalte beziehen,7 bedarf es stets eines Bezuges zu einer bestimmten Rechtsordnung, so dass jeder

1 2 3 4 5 6 7

Isay, Internationales Finanzrecht, 17 f. Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 550. Liedtke, DB 1977, 1208 (1214). Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 1 ff. Wassermeyer in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 6. Vgl. zum parallelen Begriff des Internationalen Umwandlungssteuerrechts Rz. 20.4. Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 3; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 3; Vogel, DStZ 1997, 269 (269); Seer in Tipke/Lang24, Rz. 1.83; Frotscher, Internationales Steuerrecht5, Rz. 27;

2 | Schaumburg

Begriff des Internationalen Steuerrechts | Rz. 1.8 Kap. 1

Staat sein eigenes Internationales Steuerrecht hat. Im Vordergrund steht hier das Internationale Steuerrecht Deutschlands.1 Völkerrecht und Internationales Steuerrecht befinden sich auf völlig verschiedenen Begriffsebenen. Das Völkerrecht ist neben den förmlichen Gesetzen, Rechtsverordnungen, autonomen Satzungen, Gewohnheitsrecht und supranationalem Recht eine Rechtsquelle, und zwar auch eine des Steuerrechts (Rz. 3.1 ff.). Demgegenüber erfasst das Internationale Steuerrecht ein Rechtsgebiet, dem die unterschiedlichsten Rechtsquellen, Rechtsnormen oder Rechtssätze zugrunde liegen. So schöpft das Internationale Steuerrecht u.a. auch aus supranationalem Recht (Unionsrecht) und aus völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere Doppelbesteuerungsabkommen (Rz. 3.6 ff., 3.15 ff.).

1.6

Das auf primäres und sekundäres Unionsrecht sowie auf sonstige europarechtliche Rechtsquellen zurückzuführende Steuerrecht wird auch als Europäisches Steuerrecht (Rz. 3.44 ff.) bezeichnet.2 Von Bedeutung sind neben dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) selbst vor allem EU-Verordnungen und EU-Richtlinien steuerrechtlichen Inhalts sowie diejenigen steuerrechtlichen Normen nationalen Rechts, durch die EU-Richtlinien umgesetzt worden sind (Rz. 3.61 ff.). Zu den Rechtsquellen des Europäischen Steuerrechts zählen ferner nur für einzelne Mitgliedstaaten oder Unionsbürger verbindliche Beschlüsse (Art. 288 AEUV), die für das Steuerrecht allerdings kaum Bedeutung haben (Rz. 3.47). Hierzu gehören schließlich auch völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten, die der Ratifikation durch die nationalen Parlamente bedürfen.3 Die Identifizierung Europäischen Steuerrechts ist insbesondere unter zwei Gesichtspunkten von Bedeutung: Soweit etwa eine EU-Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Steuerrecht umgesetzt worden ist, erzeugt sie für den Bürger unmittelbar geltendes Recht mit der Folge, dass sich dieser gegenüber dem Mitgliedstaat, der die Richtlinie nicht fristgemäß oder ordnungsgemäß umgesetzt hat, unter bestimmten Voraussetzungen auf die Richtlinienregelung berufen kann (Rz. 3.46). Im Übrigen ist das auf der Grundlage von EU-Richtlinien harmonisierte Steuerrecht stets richtlinienkonform auszulegen (Rz. 3.54 ff.).

1.7

Im Hinblick darauf, dass das Steuerstrafrecht Blankettstrafnormen4 enthält, in deren Rahmen auf die blankettausfüllenden Normen auch des Internationalen Steuerrechts zugrückzugreifen ist, hat insoweit auch das Internationale Steuerstrafrecht Bedeutung.5 Neben diesem Bezug zum Internationalen Steuerrecht umfasst das Internationale Steuerstrafrecht u.a. auch folgen-

1.8

1 2 3 4

5

Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht4, Rz. 13; Kanduth-Kristen in Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger, Internationales Steuerrecht, Rz. II/1. Weitere gebräuchliche Untergliederungen bei einzelnen Steuerarten: Internationales Umwandlungssteuerrecht (vgl. Rz. 20.4 ff.); Internationales Umsatzsteuerrecht (vgl. Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.392 ff.). Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 1.2; vgl. auch Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 4.1 ff.; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 1 f. Auf dem Gebiet des Steuerrechts ist hier insbesondere die Schiedsverfahrenskonvention zu erwähnen (90/436/EWG, ABl. EG Nr. L 225, 10 v. 20.8.1990; Änderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG Nr. C 202/1 v. 16.7.1999; Ergänzung ABl. EU Nr. C 160, 11 v. 30.6.2005); hierzu Rz. 3.79 ff. BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201 (208); BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (282); v. 7.11.2001 – 5 StR 295/01, BGHSt 47, 138 (141); zur Kritik (normatives Verständnis) z.B. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 20 ff. Zu Begrifflichkeiten vgl. Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 1.1 ff.

Schaumburg | 3

Kap. 1 Rz. 1.8 | Begriff des Internationalen Steuerrechts

de Rechtsgebiete: Internationales Strafanwendungsrecht1, Internationales Steuerstrafverfahren2 sowie Internationale Amts- und Rechtshilfe in Steuer- und Steuerstrafsachen.3

1.9

In zunehmendem Maße werden unter dem Dach der OECD weltweit internationale Steuerreformen angestoßen. Da die OECD nicht selbst unmittelbar Recht setzen kann, bedarf es letztlich stets der Umsetzung in nationales Steuerrecht.4 Daher gibt es insoweit kein Weltsteuerrecht – nachstehend in Kapitel 3 F daher auch nur als „Weltsteuerrecht“ bezeichnet –, wohl aber eine Weltsteuerordnung. Zu dieser Weltsteuerordnung gehört seit langem das OECDMusterabkommen (Rz. 19.14 f.) und seit einiger Zeit das sog. BEPS-Projekt (Rz. 5.17 ff.). Angereichert werden soll die Weltsteuerordnung durch eine globale Mindeststeuer für Unternehmen ab 750 Millionen Euro Jahresumsatz i.H.v. 15 % und eine Digitalsteuer für Unternehmen, die mehr als 20 Milliarden Dollar pro Jahr umsetzen (Rz. 5.43 ff., 5.58 ff.).

1 Peters in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 3.1 ff. 2 Peters in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 6.1 ff. 3 Schaumburg/Peters in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 8.1 ff., 9.1 ff., 10.1 ff. 4 Auch über den „Umweg“ von EU-Richtlinien.

4 | Schaumburg

Kapitel 2 Normengruppen im System des Internationalen Steuerrechts

A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 B. Kollisionsbegründende und kollisionsauflösende Normen . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 C. Normen zur Vermeidung von Einkünfteverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10

D. Grenzüberschreitende wirtschaftslenkende Normen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.21 E. Vereinfachungszwecknormen . . . . . . . 2.24

Literatur: Kommentare zu Art. 107 AEUV; von Beckerath, Der Durchgriff im Außensteuerrecht, Berlin 1978; Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, Köln 1983; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964; Bürger, Steuerflucht, Berlin/Wien/Zürich 2006; Burmester, Grundlagen internationaler Regelungskumulation und -kollision, unter besonderer Berücksichtigung des Steuerrechts, Baden-Baden 1993; Crezelius, Beschränkte Steuerpflicht und Gestaltungsmissbrauch, DB 1984, 530; Croxatto, Die Begrenzung der staatlichen Steuerhoheit durch internationales Gewohnheitsrecht, StuW 1964, 879; Eichhorn, Das „Steuerfluchtgesetz“ im Streitgespräch, DB 1971, 447; Endriss, Wohnsitz- oder Ursprungsprinzip?, Köln 1967, 6; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 5. Aufl. Berlin 2005; Flick, Vereinbarkeit des Steuerfluchtgesetzes mit Doppelbesteuerungsabkommen, BB 1971, 250; Frenz/Roth, Steuer- und Abgabenbefreiungen als Beihilfe, DStZ 2006, 465; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl. München 2020; Großfeld, Basisgesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Tübingen 1974; Hey, Erscheinungsformen steuerlicher Wirtschaftspolitik, DStJG 39 (2016), S. 11 ff.; Kamps/Fraedrich, Verfassungsrechtliche Bedenken bei der rückwirkenden Änderung des Investitionszulagengesetzes aufgrund von Entscheidungen der EU, FR 2005, 969; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. München 2000; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Köln 1987/88; Mössner, Die internationale Steuerflucht, in Hansmeyer (Hrsg.), Staatsfinanzierung im Wandel, Berlin 1983, 817; Müller, Die völkerrechtliche Zulässigkeit der Erstreckung der deutschen Steuerhoheit auf ausländische Tochtergesellschaften, Diss. München 1969; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 8. Aufl., München 2018; Ritter, Brauchen wir ein neues Steuerfluchtgesetz?, BB 1987, 65; Schaumburg, Internationale Minderbesteuerung in Festschrift Frotscher, Freiburg 2013, S. 503; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020; Schmid, Die internationale Steuerflucht, Zürich/Sankt Gallen 1961; Stober, Rechtliche Rahmenbedingungen der Wirtschaftsförderung, BB 1996, 1845; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, 2. Aufl. Köln 2000; Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021; Verdross, Völkerrecht, 5 Aufl. Wien 1964, 319; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, – Eine Untersuchung über die Grundfragen des sog. Internationalen Verwaltungs- und Steuerrechts, Frankfurt/ Bern 1965; Vogel, Theorie und Praxis im Internationalen Steuerrecht, DStR 1968, 428; Vogel, Steuergerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit, DStZ A 1975, 404; Vogel, Die Abschichtung von Rechtsfolgen im Steuerrecht, StuW 1977, 97; Wassermeyer, Noch einmal verschärftes Steuerfluchtgesetz, DStR 1972, 519; Weber-Fas, Völkerrecht und Steuerhoheit, RIW 1979, 585; de Weerth, Keine Bestandskraft des Steuerbescheids bei Verstoß gegen das EU-Beihilfeverbot?, IStR 2010, 172; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, Tübingen 2005.

Schaumburg | 5

Kap. 2 Rz. 2.1 | Normengruppen im System des Internationalen Steuerrechts

A. Überblick 2.1

Das Internationale Steuerrecht ist nicht einheitlich kodifiziert, es ist kein monistisches System mit einer einheitlichen Grundwertung und sich daraus ergebenden Einzelwertungen.1 Das Internationale Steuerrecht besteht vielmehr aus einem Rechtsstoff, der in mehreren Steuergesetzen mit unterschiedlichen Grundwertungen angesiedelt ist. Bei einem derart pluralistischen System können daher nur für einzelne Normen bestimmte Wertungen aufgedeckt werden.2 Insoweit unterscheidet sich das Internationale Steuerrecht nicht vom übrigen Steuerrecht. Hier wird im System der steuergesetzlichen Normengruppen durchweg zwischen Fiskalzwecknormen, Sozialzwecknormen und Vereinfachungszwecknormen unterschieden.3 Während die auf Einnahmeerzielung der öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen gerichteten Fiskalzwecknormen auch das Internationale Steuerrecht beherrschen, spielen Sozialzwecknormen und Vereinfachungszwecknormen dort nur eine untergeordnete Rolle. Zu den Fiskalzwecknormen, die sich insbesondere am Leistungsfähigkeitsprinzip zu orientieren haben,4 zählen nicht nur die steuerbelastenden, sondern auch die steuerentlastenden Normen, etwa diejenigen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Rz. 2.4 ff.). Sozialzwecknormen sind ebenfalls dual ausgerichtet: Sie schaffen nicht nur Steuerentlastungen, sondern auch Steuersonderbelastungen.5 Zu diesen Steuersonderbelastungen gehören im Bereich des Internationalen Steuerrechts z.B. die Verlustausgleichsbeschränkungen des § 2a Abs. 1 und 2 EStG (Rz. 6.69 ff.). Soweit Sozialzwecknormen Steuerentlastungen bewirken, sind hiermit im besonderen Maße sachlich eigentlich nicht zum Steuerrecht gehörende wirtschaftslenkende Normen6 angesprochen (Rz. 2.21 ff.). Vereinfachungszwecknormen, die sowohl Fiskalzweck- als auch Sozialzwecknormen vereinfachen können,7 haben im Internationalen Steuerrecht insbesondere im Bereich des Außensteuergesetzes Bedeutung erlangt (Rz. 2.24 f.).

2.2

Dieses vorstehende in der Steuerrechtswissenschaft weitgehend akzeptierte steuergesetzliche Normensystem gilt uneingeschränkt auch für das Internationale Steuerrecht. Wegen der im Internationalen Steuerrecht stark ausgeprägten Wertungspluralität bedarf es innerhalb der vorgenannten drei Normengruppen allerdings einer weiteren Differenzierung und Präzisierung. Im Hinblick darauf lassen sich folgende Normengruppen bilden:

B. Kollisionsbegründende und kollisionsauflösende Normen 2.3

Kollisions- oder konfliktbegründend sind alle Normen, durch die eine Doppelbesteuerung verursacht wird. Kollisions- und konfliktauflösend oder auch nur -begrenzend wirken demgegenüber diejenigen Normen, die die Doppelbesteuerung ganz oder zum Teil aufheben.8 1 2 3 4 5 6 7 8

Zum sog. inneren System Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 67 ff. Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 67 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.9 ff. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 73 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.19 ff. Hierzu insbesondere Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 77, 479 ff.; zum Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht Rz. 4.9 f. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 78; Vogel, DStZ A 1975, 404 (414). Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 79; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 68; Vogel, StuW 1977, 97 (99). Insofern stehen sie nicht selbständig neben den Fiskalzweck- und Sozialzwecknormen; hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 80. Die hier verwendeten Begriffe kollisionsbegründende und kollisionsauflösende Normen haben nichts mit den Kollisionsnormen (Kollisionsrecht) im Sinne des Internationalen Privatrechts zu tun.

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B. Kollisionsbegründende und kollisionsauflösende Normen | Rz. 2.5 Kap. 2

Die Kollisionsbegründung erfolgt im Bereich der Subjektsteuern (z.B. Einkommen- und Körperschaftsteuer) durch das internationale Nebeneinander von unbeschränkter Steuerpflicht durch Erfassung des Welteinkommens in Anknüpfung an Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Ort der Geschäftsleitung und beschränkter Steuerpflicht durch Erfassung des inländischen Einkommens. Bei Doppelwohnsitz oder Mehrfachwohnsitz kommt es zu einer Kollisionsbegründung auch durch ein Nebeneinander von unbeschränkter Steuerpflicht in mehreren Staaten. Schließlich ist eine Kollision auch durch eine verschiedenartig ausgeprägte beschränkte Steuerpflicht in mehreren Staaten möglich. Eine Kollisionsauflösung ist die Folge von Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf bilateraler (Doppelbesteuerungsabkommen) und unilateraler Ebene (z.B. § 34c EStG).

2.4

Das System kollisionsbegründender und kollisionsauflösender Normen1 beruht auf einer Wechselwirkung zwischen dem fehlenden völkerrechtlichen Verbot einer Doppelbesteuerung und dem in Deutschland grundrechtlich abgesicherten Leistungsfähigkeitsprinzip.2 Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zählt zwar für jeden Staat das Verbot, die Steuerpflicht aufgrund seiner Steuergesetze ohne jegliche räumliche oder persönliche Schranken auszudehnen, so dass nur solche Sachverhalte der einseitigen Regelung eines Staates unterworfen sind, die eine tatsächliche Anknüpfung (genuine link) zum regelnden Staat aufweisen.3 Ein derartiger genuine link ist bislang auf Ebene des nationalen Steuerrechts und auf Abkommensebene ganz überwiegend als physische Präsenz4 ausgestaltet. Da indessen in zunehmendem Maße internationale Markteinkommen auch ohne physische Präsenz in den einzelnen Staaten erzielt werden,5 geht die Tendenz dahin, den Steuerzugriff auf jene Staaten auszudehnen, in denen die Kunden von grenzüberschreitenden Dienstleistungen ansässig sind.6 Damit wird deutlich, dass dieser völkerrechtlich verbindliche Grundsatz (genuine link) so vage ist, dass er eine Doppelbesteuerung oder eine Minderbesteuerung nicht unterbindet. Jeder Staat darf frei bestimmen, ob und inwieweit (Steuer-)Ausländer innerhalb seines Gebietes sowie ausländische Einkünfte und Vermögenswerte von Staatsangehörigen und (Steuer-)Inländern zur Steuer herangezogen werden sollen. Ein völkerrechtliches Verbot der Doppelbesteuerung/Minderbesteuerung gibt es daher nicht.7

2.5

1 Hierzu auch Seer in Tipke/Lang24, Rz. 1.90 ff. 2 Hierzu z.B. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 488 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.40 ff., 3.121 ff. 3 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (369); BVerfG v. 14.5.1968 – 2 BvR 544/63, BVerfGE 23, 288 (309 f.); BFH v. 26.4.1963 – III 237/58 U, BStBl. III 1963, 413; v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; v. 16.12.1964 – II 154/61, BStBl. III 1965, 134; v. 30.10.1975 – I 50/ 71, BStBl. II 1974, 107; v. 24.1.2001 – I 100/99, BFH/NV 2001, 1402; v. 27.2.2006 – III 170/05, BFH/NV 2006, 1090; v. 31.5.2006 – II 66/04, BStBl. II 2007, 49; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 11; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, D Rz. 10; Frotscher, Internationales Steuerrecht5, Rz. 45; Müller, Deutsche Steuerhoheit und ausländische Tochtergesellschaften, 121; Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, 144; Vogel, DStR 1968, 428 ff.; Weber-Fas, RIW 1979, 585 ff.; Crezelius, DB 1984, 530 (533); Croxatto, StuW 1964, 879 (880, 882). 4 Wohnsitz (§ 8 AO), gewöhnlicher Aufenthalt (§ 9 AO), Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO), Sitz (§ 11 AO) und Betriebsstätte (§ 12 AO). 5 Beispiele: Internetbasierte Dienstleistungen von Google, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft. 6 Zu diesem neuen „Weltsteuerrecht“ Rz. 3.150 ff. 7 BFH v. 14.2.1975 – VI R 210/72, BStBl. II 1975, 497; v. 31.5.2006 – II R 66/04, BStBl. II 2007, 49 (51 f.) = FR 2007, 302; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, D Rz. 10; Burmester, Internationale Regelungskumulation und -kollision, 277; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 13; Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, 351 f.

Schaumburg | 7

Kap. 2 Rz. 2.6 | Normengruppen im System des Internationalen Steuerrechts

2.6

Es ist deshalb erklärlich, dass durchweg alle Staaten als Wohnsitzstaat oder Quellenstaat im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht das Welteinkommen/-vermögen und im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht das Inlandseinkommen/-vermögen weitgehend lückenlos erfassen. Damit kollidiert zwangsläufig die Wohnsitzbesteuerung in dem einen Staat mit der Quellenbesteuerung in dem anderen Staat. Eine derartige Doppelbesteuerung verletzt das Leistungsfähigkeitsprinzip, nach dem jeder nur entsprechend seiner Leistungsfähigkeit Steuern zu zahlen hat. Dieses allgemein im Steuerrecht geltende Fundamentalprinzip1 gebietet eine Vermeidung der Doppelbesteuerung (Rz. 17.8 ff.).

2.7

Hierzu dienen die kollisionsauflösenden Normen, die auf bilateraler Ebene im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen das Steuergut zwischen dem Wohnsitzstaat und dem Quellenstaat aufteilen (Zuteilungs- oder Aufteilungsnormen) und sowohl auf bilateraler als auch auf unilateraler Ebene insbesondere im Rahmen innerstaatlicher Rechtsnormen, z.B. durch Steueranrechnung, zu einem vollständigen oder partiellen Steuerverzicht des Wohnsitzstaates führen.

2.8

Das System kollisionsbegründender und kollisionsauflösender Normen ist ein tragendes Prinzip des Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- und Erbschaftsteuergesetzes. Nur hier gilt das Universalitätsprinzip in dem Sinne, dass im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht Welteinkommen und Weltvermögen erfasst werden. Im Gewerbesteuer- und Umsatzsteuergesetz gibt es dagegen das Wechselspiel von kollisionsbegründenden und kollisionsauflösenden Normen grundsätzlich nicht, weil hier nicht das Universalitätsprinzip, sondern das Territorialitätsprinzip maßgeblich ist. Der Gewerbesteuer unterliegen nämlich lediglich im Inland betriebene Gewerbebetriebe (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG) und der Umsatzsteuer lediglich im Inland ausgeführte Umsätze (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG).

2.9

Zu einer Kollision der Steuerpflichten in verschiedenen Staaten kann es aber auch unter der Geltung des Territorialitätsprinzips kommen. Dies gilt sowohl im Bereich der beschränkten Steuerpflicht als auch bei der Gewerbesteuer und Umsatzsteuer. So knüpft etwa eine beschränkte Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit alternativ an eine Ausübung und Verwertung im Inland an. Damit kann die beschränkte Steuerpflicht des Landes, in dem die selbständige Arbeit ausgeübt wird, mit derjenigen des Landes kollidieren, in dem die selbständige Arbeit verwertet wird. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG ist Steuergegenstand ein Gewerbebetrieb im Inland. Zu diesem Gewerbebetrieb zählt allerdings auch der Gewerbeertrag aus ausländischen Einkunftsquellen, soweit sie nicht dortigen Betriebsstätten zuzuordnen sind. In den vorgenannten Fällen wird die Doppelbesteuerung nur partiell vermieden bzw. gemildert (z.B. § 50 Abs. 3 EStG; § 9 Nr. 7 GewStG). Umsatzsteuerbar sind nur sonstige Leistungen, die im Inland erbracht werden. Der Ort der sonstigen Leistung bestimmt sich vor allem nach § 3a UStG. Die dort genannten Anknüpfungspunkte sind nur innerhalb der EU harmonisiert, so dass es im Verhältnis zu Drittstaaten zu einer doppelten umsatzsteuerlichen Erfassung ein und derselben sonstigen Leistung kommen kann. Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sind hier nicht vorgesehen.

1 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 478 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.40 ff.

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C. Normen zur Vermeidung von Einkünfteverlagerungen | Rz. 2.15 Kap. 2

C. Normen zur Vermeidung von Einkünfteverlagerungen Auf internationaler Ebene bewirken grenzüberschreitende Einkünfteverlagerungen in aller Regel eine Erhöhung des Steueraufkommens des einen Staates zu Lasten des anderen Staates. Im Hinblick darauf haben viele Staaten ein Normeninstrumentarium entwickelt, um zu ihren Lasten gegenwärtig und in die Zukunft wirkende Einkünfteverlagerungen zu verhindern. Diese Vermeidungsnormen haben systematisch unterschiedliche Ansätze und unterscheiden sich insbesondere in ihren Rechtsfolgen danach, ob die Einkünfteverlagerungen in Hochsteueroder/und in Niedrigsteuerländer erfolgen. Die Vermeidungsnormen sind sowohl im Außensteuerrecht als auch im Doppelbesteuerungsrecht angesiedelt.

2.10

Einkünfteverlagerungen sowohl in Hochsteuerländer als auch in Niedrigsteuerländer werden im Außensteuerrecht insbesondere durch §§ 4 Abs. 1 Sätze 3 u. 4, 16 Abs. 3a EStG, § 12 Abs. 1, 3 KStG (Steuerentstrickung), § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte Gewinnausschüttung), § 1 AStG (Berichtigung von Einkünften) und § 6 AStG (Wegzugsbesteuerung) vermieden. Es handelt sich hierbei um unilaterale Vermeidungsnormen des Außensteuerrechts, die lediglich einseitig wirken und keine Rücksicht darauf nehmen, ob die betreffenden Einkünfte in dem begünstigten Staat besteuert werden. Zu den bilateralen Vermeidungsnormen gehört Art. 7 OECD-MA, der im Unterschied zu den unilateralen Vermeidungsnormen zweiseitiger Natur ist und damit zugleich der zwischenstaatlichen Einkünfteabgrenzung dient. Die Vermeidung der Einkünfteverlagerung ist hier freilich nur Nebenzweck; Primärwertung des Art. 7 OECDMA ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung zugunsten des betreffenden Steuerpflichtigen (Rz. 19.52, 19.230 ff.).

2.11

Zu den Normen zur Vermeidung von Einkünfteverlagerungen zugunsten von Niedrigsteuerländern zählen vor allem die §§ 2 bis 5 AStG (erweiterte beschränkte Steuerpflicht), §§ 7 bis 14 AStG (Hinzurechnungsbesteuerung), § 15 AStG (Besteuerung bei ausländischen Familienstiftungen) sowie § 42 AO (Steuerumgehung).

2.12

Bei den §§ 2 bis 5 AStG geht es allerdings nicht nur um die Erfassung von Einkünfte-(Vermögens-)verlagerungen von der Bundesrepublik Deutschland in einen anderen Staat, sondern auch darum, bei den von der unbeschränkten in die beschränkte Steuerpflicht überwechselnden Personen die Besteuerungslücken des § 49 Abs. 1 EStG zu schließen, um damit die Besteuerung bestimmter Einkünfte und Vermögen nicht allein dem Wohnsitzstaat zu überlassen. Es ist daher sachgerecht, auch diesen Normenkomplex zu den Normen zur Vermeidung von Einkünfte-(Vermögens-)verlagerungen zu zählen.1

2.13

Demgegenüber gehören die §§ 7 bis 14, 15 AStG zum eigentlichen Kernstück der Vermeidungsnormen. Im Wesentlichen bewirken sie, dass von ausländischen Kapitalgesellschaften/ Familienstiftungen erzielte Einkünfte unter bestimmten Voraussetzungen dem inländischen Anteilseigner/Stifter oder Bezugs- oder Anfallsberechtigten als eigene Einkünfte zugerechnet werden.

2.14

§ 42 AO richtet sich im außensteuerlichen Kontext vor allem gegen Einkünfteverlagerungen auf ausländische Basisgesellschaften. Stellt sich die Geschäftsbeziehung zu einer derartigen Basisgesellschaft als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts dar, so wird die Steuer

2.15

1 Hierzu gehört auch § 2 Abs. 1 Nr. 1b ErbStG (erweiterte unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht).

Schaumburg | 9

Kap. 2 Rz. 2.15 | Normengruppen im System des Internationalen Steuerrechts

so erhoben, wie wenn die ausländische Basisgesellschaft in die betreffende Geschäftsbeziehung nicht eingeschaltet worden wäre.1

2.16

Die §§ 7 bis 14, 15 AStG und § 42 AO werden mitunter auch als Normen verstanden, die sich gegen die Steuerflucht richten. Einen allgemein anerkannten Begriff der Steuerflucht gibt es zwar nicht,2 mit diesem Phänomen wird aber zumeist das Problem der Ausnutzung von Steuerbelastungsdifferenzen zwischen international verschiedenen Steuerhoheiten durch Verlagerung vorhandener oder künftiger Steuersubstanz in Verbindung gebracht.3

2.17

Es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, den Begriff Steuerflucht sehr weit zu ziehen und über die §§ 7 bis 14, 15 AStG und § 42 AO hinaus verschiedene Normengruppen wertungsmäßig als Normen zur Bekämpfung der Steuerflucht, als Steuerfluchtnormen, zusammenzufassen.4 So wurde etwa das Außensteuergesetz insbesondere in seiner Anfangsphase insgesamt als Steuerfluchtgesetz bezeichnet5 mit der Folge, dass sämtliche Normen dieses Gesetzes einer einheitlichen Wertung unterstellt wurden.6 Ein derartiges einheitliches Steuerfluchtrecht ist im Außensteuergesetz indessen nicht normiert.

2.18

Wer etwa seinen Wohnsitz aus dienstlichen Gründen von Deutschland nach Brasilien verlegt, wer in die USA auswandert oder sich auf Dauer an der Costa Brava niederlässt, mag zwar der Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG unterliegen, als Steuerflüchtling wird man ihn aber nicht bezeichnen können. Wer in die Schweiz verzieht, um dort einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, kann der erweiterten beschränkten Einkommensteuerpflicht unterliegen, eine Steuerflucht hat er damit aber nicht begangen. Wer schließlich in der Schweiz an einer Dienstleistungsgesellschaft wesentlich beteiligt ist, die europaweit mit eigenem Personal tätig ist, mag der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7–14 AStG) unterliegen, weil er etwa selbst als Subunternehmer Aufträge für die Dienstleistungsgesellschaft ausgeführt hat (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 5a AStG); mit Steuerflucht hat dies aber nichts zu tun.

2.19

Da der Begriff der Steuerflucht sehr unbestimmt ist, auf unterschiedlichen Vorstellungen über die Akzeptanz steuervermeidender Gestaltungen beruht und dabei nicht selten von reiner Gefühlsjurisprudenz getragen ist, vermag er für die Rechtsanwendung wenig zu leisten.

2.20

Auf die Vermeidung von Einkünfteverlagerung gerichtete Normen haben auch im Doppelbesteuerungsrecht Verbreitung gefunden. Zu diesen Vermeidungsnormen zählt u.a. § 50d Abs. 3 EStG7. Durch diese Treaty-Shopping-Klausel soll insbesondere die missbräuchliche Inanspruchnahme einer Quellensteuerreduktion nach Maßgabe der Doppelbesteuerungsabkommen und

1 Zu Einzelheiten Rz. 13.25 f.; zu § 50d Abs. 3 EStG als Sondernorm zu § 42 AO siehe Rz. 19.160 ff. 2 Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 169; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, B Rz. 34; Seer in Tipke/Lang24, Rz. 6.29; Mössner, Die internationale Steuerflucht, 817 ff.; umfassend Bürger, Steuerflucht, 1 ff. 3 So z.B. von Schmid, Die internationale Steuerflucht, 4; Endriss, Wohnsitz- oder Ursprungsprinzip?, 6. 4 Vgl. etwa Seer in Tipke/Lang24, Rz. 1.89, 6.29. 5 Flick, BB 1971, 250 f.; Eichhorn, DB 1971, 447 ff.; Wassermeyer, DStR 1972, 519 ff.; Ritter, BB 1987, 65 ff. 6 So früher Fischer/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre3, 45 ff. 7 § 50d Abs. 3 EStG a.F. war mit Unionsrecht nicht vereinbar; EuGH v. 14.6.2018 – C-440/17, ECLI: EU:C:2018:437 = ISR 2018, 450 – GS; vgl. die modifizierte Anwendungsregelung in BMF v. 4.4.2018 – IV B 3-S 2411/07/10016-14, BStBl. I 2018, 589 sowie die durch das AbzStEntModG geschaffene Neuregelung.

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D. Grenzüberschreitende wirtschaftslenkende Normen | Rz. 2.22 Kap. 2

des § 43b EStG vermieden werden. Dies geschieht dadurch, dass die Zwischenschaltung von ausländischen Gesellschaften steuerlich nicht anerkannt wird, soweit Personen an ihnen beteiligt sind, denen die Steuerentlastung (Quellensteuerreduktion) nicht zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar selbst erzielten, und die Einkunftsquelle keinen wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit der betreffenden ausländischen Gesellschaft aufweist. Diese Missbrauchsvorschrift, die eine normative Konkretisierung des § 42 AO darstellt, zielt insbesondere auf Holdinggesellschaften und sog. Künstler- und Sportlergesellschaften ab (Rz. 19.160 ff.). Auf der gleichen Systemlinie liegt § 20 Abs. 1 AStG, der im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung von der Rechtsfolge her darauf gerichtet ist, die Abschirmwirkung von DBA zu beseitigen (Rz. 13.200). Damit korrespondiert § 20 Abs. 2 AStG, wonach bei ausländischen Betriebsstätteneinkünften mit Kapitalanlagecharakter in Abweichung von den bilateralen Regelungen der DBA die Doppelbesteuerung nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung vermieden wird (Rz. 19.544). Entsprechendes gilt für Subject-to-tax-Klauseln (z.B. § 50d Abs. 8 EStG), Switch-over-Klauseln (z.B. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG) und internationale Korrespondenzklauseln (z.B. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG), die sämtlich auch auf die Vermeidung einer internationalen Minderbesteuerung1 gerichtet sind (Rz. 18.26, 19.523 ff.).

D. Grenzüberschreitende wirtschaftslenkende Normen Die Steuergesetze enthalten nicht nur die vorgenannten Fiskalzwecknormen, sondern auch Sozialzwecknormen,2 insbesondere wirtschaftslenkende Normen.3 Das gilt auch für den Bereich des Internationalen Steuerrechts. Vergünstigungs- oder Förderziele werden freilich nicht immer klar erkennbar. Grenzüberschreitende wirtschaftslenkende Normen enthielten insbesondere das im Wesentlichen bis 1981 geltende Entwicklungsländersteuergesetz und das mit Wirkung ab 1990 aufgehobene Auslandsinvestitionsgesetz, das steuerliche Hemmnisse beseitigen wollte, die sich bei Investitionen im Ausland störend auswirken. Der zum Außensteuerrecht zählende und im Kern ab 1999 aufgehobene § 2a Abs. 3 EStG stellt(e) ebenso wie die 1999 eingeführte Tonnagebesteuerung für die internationale Handelsschifffahrt gem. § 5a EStG auf diesen Gesichtspunkt ab. Wirtschaftslenkenden Charakter haben schließlich im Bereich des Doppelbesteuerungsrechts der bis 1999 geltende § 26 Abs. 3 KStG (EntwicklungsländerSchachtelprivileg) sowie Regelungen in einigen Doppelbesteuerungsabkommen über den sog. tax matching credit und tax sparing credit, die die Anrechnung fiktiver Steuern zum Gegenstand haben (Rz. 19.566 f.).

2.21

Obwohl grenzüberschreitende wirtschaftslenkende Normen auf wirtschaftliche Lenkung oder soziale Gestaltung, nicht aber auf gerechte, gleichmäßige Steuerlastenverteilung gerichtet sind mit der Folge, dass auf derartige Lenkungsnormen das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht ohne weiteres wie auf Fiskalzwecknormen anwendbar ist,4 dürfen sich deren Vergünstigungseffekte nicht ungezielt entfalten. Lenkungsnormen müssen sich vielmehr an den Grundsätzen der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit messen lassen.5 Wird den vorgenannten Grundsätzen nicht entsprochen, erweisen sich die für die Lenkungsnormen gesetzten norma-

2.22

1 Hierzu Schaumburg in FS Frotscher, S. 503 ff. 2 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.21 f.; 3.131 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 77 ff. 3 Umfassend hierzu Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem nationalen Steuersystem, 1 ff.; ferner im Überblick Hey in Tipke/Lang24, Rz. 19.1 ff.; Hey, DStJG 39 (2016), 11 (28 ff.). 4 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 340, 495 f. 5 Zu Einzelheiten Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 340 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 19.70 ff.

Schaumburg | 11

Kap. 2 Rz. 2.22 | Normengruppen im System des Internationalen Steuerrechts

tiven Maßstäbe als nicht sachgerecht, so wird die materielle Gleichheit und damit der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt.1

2.23

Wirtschaftslenkende Normen müssen sich schließlich auch an Art. 107 AEUV messen lassen. Hiernach sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen grundsätzlich verboten. Zu diesen Beihilfen zählen alle Maßnahmen, die die Wettbewerbslage bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige verbessern.2 Das gilt auch für steuerliche Vergünstigungen,3 und zwar dann, wenn sie selektiv wirken und nicht unmittelbar Folge der Grund- und Leitprinzipien des Steuersystems sind.4 Angesprochen sind damit neben gezielten Steuerbefreiungen und -vergünstigungen insbesondere auch Investitionszulagen. Derartige Beihilfen sind gem. Art. 108 Abs. 3 AEUV der Kommission zu melden (Notifizierungsverfahren). Kommt die Kommission nach einer Vorprüfung zu dem Ergebnis, dass ein Vorhaben als Beihilfe mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar ist, wird das Prüfverfahren eingeleitet.5 Während dieser Zeit darf die betreffende wirtschaftslenkende Norm nicht angewendet und die Beihilfe nicht gewährt werden.6 Eine rechtswidrige Beihilfe muss zurück gefordert werden,7 so dass insoweit Vertrauensschutz grundsätzlich nicht gewährt wird.8

E. Vereinfachungszwecknormen 2.24

Vereinfachungszwecknormen dienen der technisch-ökonomischen Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens9 und sind auch im Bereich des Internationalen Steuerrechts zu finden. Zu diesen Vereinfachungszwecknormen gehören im Außensteuerrecht insbesondere § 9 AStG und im Doppelbesteuerungsrecht etwa § 34c Abs. 5 EStG.

1 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 345, 347 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 19.76 ff.; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, 346 ff. 2 Cremer in Calliess/Ruffert5, Art. 107 AEUV Rz. 10 ff.; Classen in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 21 Rz. 6 ff. 3 Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 9.4 ff. 4 EuGH v. 2.7.1974 – C-173/73, ECLI:EU:C:1974:471, Slg. 1974, 709 – Kommission ./. Italien; EuGH v. 15.12.2005 – C-148/04, ECLI:EU:C:2005:774, Slg. 2006, I-7115 – Azoren. 5 Vgl. den Kurzüberblick bei Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 28.47. 6 Dieses Schicksal haben z.B. die Investitionszulage nach dem InvZulG 1991 und die steuerfreie Rücklage nach § 6 Fördergebietsgesetz erlitten; vgl. ferner „Sanierungsklausel“ in § 8c Abs. 1a KStG durch Beschluss der Kommission v. 26.1.2011 – 2011/527/EU, ABl. EU Nr. L 235, 26 und die erfolglose Klage beim EuG (EuG v. 4.2.2016 – T-287/11, EU:T:2016:60 – Heitkamp/KOM; nachfolgend vom EuGH v. 28.6.2018 – C-203/156, ECLI:EU:C:2018:505 – P-Andres (Heitkamp) aufgehoben und Beschluss der KOM für nichtig erklärt worden; ferner EuGH v. 28.6.2018 – C-208/16 P, ECLI:EU:C:2018:506, EuZW 2018, 686 – Deutschland ./. KOM. 7 Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 28.48. 8 Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 28.47 f.; Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 361 ff.; ferner Kamps/Fraedrich, FR 2005, 969 ff.; de Weerth, IStR 2010, 172 ff. 9 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 80; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.23 f.

12 | Schaumburg

E. Vereinfachungszwecknormen | Rz. 2.25 Kap. 2

Vereinfachungszwecknormen finden ihre Berechtigung durchweg darin, dass sich die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur im Rahmen praktischer Verwirklichungsmöglichkeiten durchsetzen lässt.1 Dies gilt z.B. für die in den § 9 AStG geregelten Freigrenzen, die auch den Zweck haben, die Finanzverwaltung von unsinniger Hinzurechnungsbesteuerung arbeitsmäßig zu entlasten. Indessen gilt auch hier: Für die Vereinfachung muss ein erkennbares Bedürfnis bestehen.2 Die in § 34c Abs. 5 EStG verankerte Steuerpauschalierung für ausländische Einkünfte ist unter dem vorgenannten Gesichtspunkt nicht beanstandet worden.3

1 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 349; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.145 ff. 2 BVerfG v. 6.11.1985 – 1 BvL 47/83, BVerfGE 71, 146 (157). 3 BVerfG v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75, BStBl. II 1978, 548 (552); zu Einzelheiten Rz. 18.136 ff.

Schaumburg | 13

2.25

Kapitel 3 Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

A. B. I. II. III. IV. C. D. I. II. III. IV. E. I. II.

III.

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Völkerrechtliche Normen Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . Supranationale Normen (Unionsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Normenhierarchie Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . Der Rang völkerrechtlicher Verträge Rang supranationaler Normen (Unionsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäisches Steuerrecht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslegungsgrundsätze 1. Auslegung des Unionsrechts . . . 2. Unionsrechtskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stand der Harmonisierung 1. Zölle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Direkte Steuern a) Harmonisierungskompetenz b) Fusionsrichtlinie . . . . . . . . . c) Mutter-Tochter-Richtlinie . . d) Zins- und LizenzgebührenRichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . e) ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Bilanzrichtlinien . . . . . . . . . 3. Indirekte Steuern a) Harmonisierungsauftrag . . b) Umsatzsteuer-Richtlinien und MehrwertsteuersystemRichtlinie . . . . . . . . . . . . . . .

3.1 3.4 3.6 3.11 3.14 3.15 3.20 3.22 3.23 3.27

F. I. II.

3.45 3.56 3.60 3.62a 3.63 3.66 3.70 3.74 3.77 3.78a

III.

3.87

V.

IV.

c) Verbrauchsteuer-Richtlinien/ Systemrichtlinie . . . . . . . . . 3.97 4. Steuerverfahrensrecht a) Harmonisierungskompetenz 3.102 b) Amtshilferichtlinie . . . . . . . 3.104 c) Beitreibungsrichtlinie . . . . . 3.107 d) Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung . . . . . . . 3.111 e) Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung . . . . . . . 3.113 f) Schiedsverfahrenskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . 3.115 g) Streitbeilegungs-Richtlinie . 3.116 „Weltsteuerrecht“ Das Bedürfnis nach Institutionalisierung auf globaler Ebene . . . . . . . 3.150 Ansätze für einen „Weltsteuergesetzgeber“ 1. Die Rolle des OECD-Musterabkommens und seines Kommentars . . . . . . . . . . . . . . . . 3.154 2. Steuerliches Völkergewohnheitsrecht durch ständige Abkommenspraxis? . . . . . . . . . . . . . . . . 3.161 3. Das Global Forum on Transparency and Exchange of Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.163 4. Das Inclusive Framework on BEPS und das Multilaterale Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.165 Ansätze für eine „Weltsteuerverwaltung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.169 Ansätze für eine „Weltsteuergerichtsbarkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . 3.177 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.182

3.90

Literatur: Kommentare zu Art. 267, 288, 290 AEUV; §§ 2, 4 AO; Art. 6 EUV; Art. 25, 31, 59, 80 GG; Art. 28 OECD-MA; Auer, Neues zu Umfang und Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung, NJW 2007, 1106; Bayer, Das Völkerrecht in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, StuW 1981, 61; Bleckmann, Zu den Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs, NJW 1982, 1177; Bleckmann/Pieper, Die Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, RIW 1993, 969; Böcking/ Herold/Wiederhold, Modernisierung des HGB in Richtung IAS/IFRS, DK 2003, 394; Calliess/Ruffert,

14 | Schaumburg

Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts | Kap. 3 EUV/AEUV, 6. Aufl. München 2020; Classen, Zur Bedeutung von EWG-Richtlinien für Privatpersonen, EuZW 1993, 83; Cordewener, Juristische Auslegungsmethoden im Europäischen Mehrwertsteuerrecht, UR 2006, 673; Cordewener/Schnitger, Europarechtliche Vorgaben für die Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung im Wege der Anrechnungsmethode, StuW 2006, 50; Croxatto, Die Begrenzung der staatlichen Steuerhoheit durch internationales Gewohnheitsrecht, StuW 1964, 879; Dolfen, Nacherhebung, Erstattung und Erlass von Abgaben nach dem neuen Zollkodex, EuZW 1993, 754; Epiney, Unmittelbare Anwendbarkeit und objektive Wirkung von Richtlinien, DVBl. 1996, 409; Fischer, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Steuerberatung in Deutschland, DStR 1993, 1928; Friedrich, Zollkodex und Abgabenordnung, StuW 1995, 15; Frotscher, Zur Zulässigkeit des „Treaty Override“, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 678; Frotscher, Treaty Override – causa finita?, IStR 2016, 561; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 6. Aufl. München 2013; Gosch, Über das Treaty Overriding, IStR 2008, 413; Götz, Europäische Gesetzgebung durch Richtlinien – Zusammenwirken von Gemeinschaft und Staat, NJW 1992, 1849; Grabitz, Das Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht, DStJG 11 (1988), 33; Häde, Das Bundesverfassungsgericht und der Vertrag von Maastricht, BB 1993, 2457; Herdegen, Europarecht, 22. Aufl. München 2020; Herdegen, Völkerrecht, 19. Aufl. München 2020; Herlinghaus, Bedeutung und Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts, Bonn 1997; Hirsch, Europäischer Gerichtshof und Bundesverfassungsgericht – Kooperation oder Konfrontation, NJW 1996, 2457; Hobe/Fremuth, Europarecht, 10. Aufl. München 2020; Hofmann, Zurück zu Solange II! Zum Bananenmarktordnungs-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, in Cremer/Giegerich/Richter/Zimmermann (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit, FS für Helmut Steinberger, Berlin u.a. 2002, 1207; Hummel, Anmerkung zum Beschluss des BVerfG vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 335; Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl. München 2018; Jarass, Haftung für die Verletzung von EU-Recht durch nationale Organe und Amtsträger, NJW 1994, 881; Jarass, Voraussetzungen der innerstaatlichen Wirkung des EG-Rechts, NJW 1990, 2420; Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Aufl. München 2020; Kirchhof, Besteuerung nach Gesetz, in Drenseck/Seer (Hrsg.), FS für Kruse, Köln 2001, 17; Kußmaul/Schwarz, Steuerrechtliche Grundlagen zum Phänomen des treaty overriding – gerichtliche Äußerungen und Würdigung, Ubg 2016, 464; Lang, Rechtsquellen und Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, DStJG 36 (2013), 7; Lehner, Treaty Override ist nicht verfassungswidrig – Anmerkung zum Beschluss des BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2015, 217; Leisner, Abkommensbruch durch Außensteuerrecht?, RIW 1993, 1013; Mager, Die staatengerichtete Entscheidung als supranationale Handlungsform, EuR 2001, 661; Meilicke, Zur Bedeutung der richtlinienkonformen Auslegung für das deutsche Steuerrecht, BB 1992, 969; Michel, Zur Geltung und Wirksamkeit von Normen des Völkergewohnheitsrechts, Diss. Marburg 1990; Moran, Die Haftung der EG-Mitgliedstaaten für legislatives Unrecht, IStR 1993, 573; Müller, Die völkerrechtliche Zulässigkeit der Erstreckung der deutschen Steuerhoheit auf ausländische Tochtergesellschaften, Diss. München 1969; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, Berlin 2000; Musil, Spielräume des deutschen Gesetzgebers bei der Verhütung grenzüberschreitender Steuerumgehung, RIW 2006, 287; Musil, Treaty Override nach der Entscheidung des BVerfG, FR 2016, 297; Nettesheim, Die Bananenmarkt-Entscheidung des EuGH: Europarecht und nationaler Mindestgrundrechtsstandard, Jura 2001, 686; Oppermann/ Classen/Nettesheim, Europarecht, 8. Aufl. München 2018; Ossenbühl, Gesetz und Recht – Die Rechtsquellen im demokratischen Rechtsstaat, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. Heidelberg 2007, § 100 Rz. 1 ff.; Payandeh, Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit, NJW 2016, 1279; Pechstein, Die Anerkennung der rein objektiven unmittelbaren Richtlinienwirkung, EWS 1996, 261; Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. Tübingen 2011; Pieper, Mitgliedstaatliche Haftung für die Nichtbeachtung von Gemeinschaftsrecht, NJW 1992, 2454; Rabe, Europäische Gesetzgebung – das unbekannte Wesen, NJW 1993, 1; Roth, Die richtlinienkonforme Auslegung, EWS 2005, 385; Rust, Rechtsfolgen EG-rechtswidriger Normen, IStR 2009, 382; Rust/Reimer, Treaty Override im deutschen Internationalen Steuerrecht, IStR 2005, 843; Sachs, Grundgesetz, 9. Aufl. München 2021; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2020; Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz, 4. Aufl. Köln 2018; Schön, Die Auslegung europäischen Steuerrechts, Köln 1993, 35; Schönfeld, Doppelbesteuerung und EG-Recht, StuW 2006, 79; Seer, Grenzen der Zulässigkeit eines treaty overridings am Beispiel der Switch-over-Klausel des § 20 AStG, IStR 1997, 481; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 7. Aufl. Köln/Berlin/

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Kap. 3 Rz. 3.1 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts Bonn/München 2000; Shannon, Die DBA der USA, München 1987; Spetzler, Wirkung und Einfluss des Rechts der Europäischen Gemeinschaft auf das nationale Steuerrecht, DB 1993, 553; Stein/v. Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. München 2017; Stöber, Zur verfassungs- und europarechtlichen (Un-)Zulässigkeit von Treaty Overrides, DStR 2016, 1889; Streck/Olgemöller, Das Recht der Europäischen Gemeinschaft und seine Durchsetzung in der Steuerberaterpraxis, DStR 1993, 417; Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. München 2018; Streinz, Staatshaftung für die Verletzungen primären Gemeinschaftsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, EuZW 1993, 599; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, 2. Aufl. Köln 2000; Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021; Vedder, Einwirkungen des Europarechts auf das innerstaatliche Recht und auf internationale Verträge der Mitgliedstaaten: die Regelung der Doppelbesteuerung, in Lehner/Thömmes u.a., Europarecht und Internationales Steuerrecht, München 1994, 1; Verdross, Entstehungsweisen und Geltungsgrund des universellen völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts, ZaöRV 29 (1969), 635; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. Berlin 1984 (Neudruck 2010); Vogel, Abkommensbindung und Missbrauchsabwehr, in Cagianut/Vallender (Hrsg.), Steuerrecht, Ausgewählte Probleme am Ende des 20. Jahrhunderts, FS für Höhn, Bern/ Stuttgart/Wien 1995, 461; Vogel, Theorie und Praxis im Internationalen Steuerrecht, DStR 1968, 428; Vogel, Völkerrechtliche Verträge und innerstaatliche Gesetzgebung, IStR 2005, 29; Wassermeyer, Die Vermeidung der Doppelbesteuerung im Europäischen Binnenmarkt, DStJG 19 (1996), 151; WeberFas, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, Tübingen 1982; Weber-Fas, Völkerrecht und Steuerhoheit, RIW 1979, 585.

A. Überblick 3.1

Die Besteuerung ist nur zulässig, sofern und soweit sie durch Gesetz angeordnet ist.

3.2

Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung1 hat seine Wurzeln sowohl im Verfassungsrecht als auch in einfachen Gesetzen. Abgeleitet wird es aus Art. 2 Abs. 1 GG, wonach die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere die ökonomische Handlungsfreiheit nur durch Gesetz eingeschränkt werden darf. Zur Handlungsfreiheit gehört auch das Grundrecht des Bürgers, nur aufgrund solcher Rechtsvorschriften zu Steuern herangezogen zu werden, die formell und materiell verfassungsgemäß sind und deshalb zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören.2 Verfassungsrechtliche Grundlage ist im Übrigen Art. 20 Abs. 3 GG, wonach die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist. Schließlich ergibt sich das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung auch aus der Abgabenordnung selbst; so aus § 3 Abs. 1 AO, wonach Steuern Geldleistungen sind, die allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; ferner aus § 38 AO, wonach die Entstehung des Steueranspruchs die Verwirklichung eines gesetzlichen Steuertatbestandes voraussetzt.3

3.3

Gesetz ist jede Rechtsnorm (§ 4 AO). Im Hinblick darauf, dass, entsprechend dem hier verwendeten Begriff des Internationalen Steuerrechts, hierzu alle Rechtsnormen gehören, die 1 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 118 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.230. 2 BVerfG v. 3.12.1958 – 1 BvR 488/57, BVerfGE 9, 3 (11); v. 14.12.1965 – 1 BvR 413/60, 1 BvR 416/ 60, BVerfGE 19, 206 (215 ff.); 226 (241); 242 (247); 248 (251); 253 (257); 268 (273); v. 13.12.1966 – 1 BvR 512/65, BVerfGE 21, 1 (3); v. 27.7.1971 – 2 BvF 1/68, 2 BvR 702/68, BVerfGE 31, 314 (333 f.). 3 Zu weiteren Einzelheiten Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 118 ff.; ferner P. Kirchhof in FS Kruse, 17 ff.

16 | Schaumburg

B. Völkerrechtliche Normen | Rz. 3.8 Kap. 3

auslandsbezogene Sachverhalte erfassen, sind Rechtsnormen betroffen, die der Quelle nach entweder nationales oder internationales Recht sind. Zu diesen Rechtsnormen zählen: Förmliche Gesetze, Rechtsverordnungen, autonome Satzungen, völkerrechtliche Normen und supranationale Normen.1 Im Internationalen Steuerrecht haben die völkerrechtlichen Normen und die supranationalen Normen (Unionsrecht) eine besondere Bedeutung.

B. Völkerrechtliche Normen I. Einführung Zu den Völkerrechtsnormen zählen völkerrechtliche Verträge, das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Kulturvölker.

3.4

Die drei vorgenannten völkerrechtlichen Rechtsquellen werden allgemein dem Art. 38 Abs. 1 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs2 entnommen. Das IGH-Statut3 enthält als weitere Entscheidungsmaßstäbe richterliche Entscheidungen des IGH und anerkannte Lehrmeinungen. Indessen handelt es sich hierbei nicht um Rechtsnormen, sondern lediglich um Hilfsmittel zur Feststellung bereits existierender Völkerrechtsnormen.4

3.5

II. Völkerrechtliche Verträge Der völkerrechtliche Vertrag ist eine Willenseinigung zwischen Völkerrechtssubjekten, deren Gegenstand die Begründung oder Änderung völkerrechtlicher Rechte und Pflichten ist.5 Als Vertragsparteien können entweder zwei Völkerrechtssubjekte (bilaterale Verträge) oder mehrere Völkerrechtssubjekte (multilaterale Verträge) beteiligt sein.

3.6

Der Abschluss völkerrechtlicher Verträge erfolgt in aller Regel in einem mehrphasigen Verfahren. Hierbei ist wesentlich, dass an der Festlegung des Vertragstextes und der Herbeiführung seiner Verbindlichkeit verschiedene Organe der Vertragsparteien beteiligt sind. Zwischen dem Abschluss der Vertragsverhandlungen und der Erklärung, die dem Vertrag völkerrechtliche Verbindlichkeit verleiht, liegt nach dem Recht Deutschlands das parlamentarische Verfahren.

3.7

Nach den Regeln des Grundgesetzes lassen sich folgende Phasen unterscheiden:6

3.8

– Vertragsverhandlungen durch Vertreter, die eine Verhandlungsvollmacht des Bundespräsidenten haben, der nach Art. 59 Abs. 1 GG den Bund völkerrechtlich vertritt und allein befugt ist, völkerrechtliche Verträge abzuschließen. – Annahme des Vertragstextes durch Zustimmung der Unterhändler.

1 Zu den Steuerrechtsnormen im Einzelnen Tipke, Die Steuerrechtsordnung2, Band I, 73 ff.; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 5.1 ff. 2 BGBl. II 1973, 505; zum IGH Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 948 ff.; Epping in Ipsen, Völkerrecht7, § 59 Rz. 36 ff. 3 Art. 38 Abs. 12 IGH-Statut. 4 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 78. 5 Zum Begriff Herdegen, Völkerrecht20, § 15 Rz. 1 ff. 6 Zu Einzelheiten Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 451 ff.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 50 ff.; Heintschel von Heinegg in Ipsen, Völkerrecht7, § 13 Rz. 8 ff.

Schaumburg | 17

Kap. 3 Rz. 3.8 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

– Authentifizierung und damit endgültige Festlegung des Vertragstextes regelmäßig durch Paraphierung, d.h. Unterzeichnung des Vertragstextes durch die Unterhändler und ggf. zusätzliche Unterzeichnung durch jeweils ein Regierungsmitglied. Diese Paraphierung begründet keine völkerrechtliche Verpflichtung zur Annahme des Vertrages, sondern verpflichtet nur den Vertrag in angemessener Zeit dem Parlament zur Entscheidung vorzulegen. – Die Bundesregierung fasst den Beschluss, den Vertrag im Bundestag zwecks Zustimmung durch Gesetz (Zustimmungsgesetz) einzubringen. Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag (Art. 59 Abs. 2 GG) wird im Bundestag verabschiedet; der Bundesrat hat gegebenenfalls zuzustimmen (Art. 78 GG). – Die Ratifikation erfolgt durch den Bundespräsidenten. Durch Unterzeichnung der Ratifikationsurkunde wird erklärt, dass Deutschland den in dieser Urkunde wiedergegebenen Text vertragsgemäß einzuhalten gewillt ist und sich damit nunmehr völkerrechtlich für gebunden hält. – Schließlich erfolgt ein Austausch der Ratifikationsurkunden. Erst dadurch wird der Vertragspartner formell vom Willen des anderen ratifizierenden Staates in Kenntnis gesetzt, dass der Vertrag nunmehr völkerrechtlich verbindlich sein soll. Mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden beginnt also erst die völkerrechtliche Verbindlichkeit. Bei multilateralen Verträgen tritt die Verbindlichkeit erst zum Zeitpunkt der Hinterlegung der Ratifikationserklärung bei einer bestimmten Stelle ein.

3.9

Zu den bilateralen Völkerrechtsverträgen mit steuerrechtlichem Inhalt gehören insbesondere die DBA, Abkommen auf dem Gebiet der Rechts- und Amtshilfe und des Auskunftsaustauschs (InfAust) sowie Verträge mit verschiedenen Bündnispartnern und sonstige zwischenstaatliche Vereinbarungen.1 Hierzu gehören z.B. das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA über die von der Bundesrepublik Deutschland zu gewährenden Abgabenvergünstigungen für die von den USA im Interesse der gemeinsamen Verteidigung geleisteten Ausgaben vom 15.10.1954, ratifiziert durch das Offshore-Steuergesetz vom 18.8.1955,2 sowie das NATO-Truppenstatut vom 19.6.1951 und das Zusatzabkommen hierzu vom 3.8.1959.3

3.10

Zu den multilateralen Völkerrechtsverträgen mit steuerrechtlichem Inhalt zählen das Wiener Übereinkommen vom 18.4.1961 über die diplomatischen Beziehungen (WÜD),4 welches am 11.12.1964 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten ist,5 ferner das Wiener Übereinkommen vom 24.4.1963 über konsularische Beziehungen (WÜK),6 das für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 7.10.1971 gilt7 sowie die auf der Grundlage des Art. 293 EG a.F. ergangene sog. Schiedsverfahrenskonvention.8 Von Bedeutung ist zudem das der multi-

1 Hierzu der Überblick im BStBl. I 2022, 147. 2 BGBl. II 1955, 821, zuletzt geändert durch Gesetz v. 24.6.1976, BGBl. I 1975, 1509; DVO v. 23.3.1964, BGBl. I 1964, 224. 3 BGBl. II 1961, 1218. 4 BGBl. II 1964, 957. 5 BGBl. II 1965, 147. 6 BGBl. II 1969, 1585. 7 BGBl. II 1971, 1285; zu weiteren Einzelheiten zum WÜD und WÜK Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 11; Engelschalk in V/L7, Art. 28 OECD-MA Rz. 5 ff. 8 90/436/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG Nr. L 225, 10 v. 20.8.1990; Änderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG Nr. C 202/1 v. 16.7.1999; Ergänzung ABl. EU Nr. C 160, 11 v. 30.6.2005; siehe ferner Rz. 3.79 ff., 19.114 ff.

18 | Schaumburg

B. Völkerrechtliche Normen | Rz. 3.12 Kap. 3

lateralen Änderung von DBA dienende MLI,1 das nach Verabschiedung des entsprechenden Zustimmungsgesetzes (Art. 59 Abs. 2 GG) und anschließender Ratifikation (Art. 27 Abs. 2 MLI) am ersten Tag des Monats in Kraft treten wird, der drei Kalendermonaten nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden bei der OECD folgt (Art. 34 Abs. 2 MLI).2 Nicht zu den völkerrechtlichen Verträgen zählen völkerrechtliche Verwaltungsabkommen, die selbst keinen Rechtsnormcharakter aufweisen.3 Sie regeln entweder bloße zwischenstaatliche Verwaltungsangelegenheiten4 oder materiell-rechtliche Gegenstände von bilateraler oder unilateraler Bedeutung.5 Zu den Verwaltungsabkommen mit steuerrechtlichem Bezug zählen u.a. die im Rahmen der Schiedsverfahrenskonvention6 getroffenen Entscheidungen im sog. Einigungsverfahren (Rz. 19.123) sowie die auf Abkommensebene (Art. 25 OECD-MA) vorgesehenen auf die Beteiligung von Auslegungskonflikten gerichteten Verständigungs-, Konsultationsund Schiedsverfahren (Rz. 19.88 ff.).7

3.10a

III. Völkergewohnheitsrecht Völkergewohnheitsrecht ist eine allgemeine ständige Übung der Staaten, die von der Überzeugung der beteiligten Staaten getragen ist, dass eine Rechtspflicht zu deren Befolgen besteht.8 Unter das Völkergewohnheitsrecht fallen insbesondere die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die gem. Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts sind, den übrigen Gesetzen vorgehen und Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen.

3.11

Art. 25 GG lässt offen, aus welcher völkerrechtlichen Rechtsquelle die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gespeist werden. Der Wortlaut der Bestimmung, der insoweit keine Einschränkung enthält, deutet darauf hin, dass sowohl Gewohnheitsrecht, Vertragsrecht als auch allgemeine Rechtsgrundsätze zu diesen Rechtsquellen gehören. Indessen ergibt sich aus dem Verhältnis von Art. 25 GG einerseits zu Art. 59 Abs. 2 GG andererseits, dass völkerrechtliche Verträge als Rechtsquellen für die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ausscheiden. Für die Einbeziehung von Völkervertragsrecht enthält nämlich Art. 59 Abs. 2 GG eine dem Art. 25 GG vorgehende Sonderregelung dahingehend, dass völkerrechtliche Verträge grundsätzlich durch die entsprechenden Vertragsgesetze zu innerstaatlichem Recht werden und damit lediglich Gesetzesrang haben9 mit der Folge, dass innerstaatliches Recht völkerrechtliche Verträge über-

3.12

1 Multilateral Instrument; vgl. zu Einzelheiten Rz. 19.18a. 2 Zur formalen Umsetzung des MLI vgl. Schönfeld/Häck in S/D, DBA2, Systematik Rz. 89; Drüen in Wassermeyer, vor Art. 1 OECD-MA Rz. 179; vgl. Gesetz zu dem Mehrseitigen Übereinkommen v. 24.11.2016 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung v. 22.11.2020, BGBl. II 2020, 946; das MLI ist für Deutschland am 1.4.2021 in Kraft getreten (vgl. Rz. 19.18a). 3 Hiezu Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 6. 4 Administrative Verwaltungsabkommen. 5 Normative Verwaltungsabkommen. 6 Schiedsverfahrenskonvention 90/436/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 10, Änderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG 1999 Nr. C 2020. 7 Vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 23.35. 8 Vgl. Art. 38 Abs. 16 IGH-Statut; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 122 ff.; Dörr in Ipsen, Völkerrecht7, § 19 Rz. 2 ff.; Herdegen, Völkerrecht20, § 16 Rz. 1 ff.; zu den wichtigsten Theorien, die zum Entstehen und zur rechtlichen Geltung von Völkergewohnheitsrecht vertreten werden Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 346 ff.; Verdross, ZaöRV 29 (1969), 635 ff. 9 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (316 f.); BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Herdegen in Maunz/Dürig, Art. 25

Schaumburg | 19

Kap. 3 Rz. 3.12 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

spielt (Treaty-Overriding).1 Im Hinblick darauf hat etwa die EMRK im Unterschied zur Rechtslage in anderen Staaten2 in Deutschland nur einfachgesetzlichen Rang.3

3.13

Als steuerrechtliches Völkergewohnheitsrecht4 hat sich das Verbot für jeden Staat herausgebildet, die Steuerpflicht aufgrund seiner Steuergesetze ohne jegliche räumliche oder persönliche Schranke auszudehnen. Hiernach dürfen also nur solche Sachverhalte der einseitigen steuerrechtlichen Regelung eines Staates unterworfen werden, die eine tatsächliche Anknüpfung zum regelnden Staat aufweisen (genuine link).5

IV. Allgemeine Rechtsgrundsätze 3.14

Unter den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Kulturvölker versteht man die übereinstimmenden Grundsätze, die sich aus dem innerstaatlichen Recht der Staaten entnehmen und auf internationale Sachverhalte übertragen lassen.6 Für das Internationale Steuerrecht sind jene allgemeinen Rechtsgrundsätze von Bedeutung, die allgemeine rechtslogische Regeln beinhalten. Hierzu gehören die Sätze „lex posterior derogat legi priori“, „lex specialis derogat legi generali“ sowie einige allgemeine Grundsätze materieller Natur, wie das Verbot des Rechtsmissbrauchs sowie der Grundsatz von Treu und Glauben.7

C. Supranationale Normen (Unionsrecht) 3.15

Supranationale Normen sind Rechtsnormen, die von zwischenstaatlichen Organisationen erlassen werden und die zu ihrer Wirksamkeit keiner Transformation in innerstaatliches Recht bedürfen; Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gilt insoweit nicht.8 Derartige supranationale Normen beinhaltet das europäische Unionsrecht (Europarecht), das sich aus den sog. Integrationsverträgen9 ableitet. Von besonderer Bedeutung ist hierbei das Primärrecht (EUV/AEUV), dessen Bestimmungen unmittelbar anwendbar sind, soweit sie unbedingt sind und aufgrund ihrer

1 2 3 4 5

6 7 8 9

GG Rz. 20; Jarass in Jarass/Pieroth15, Art. 59 GG Rz. 19; Streinz in Sachs8, Art. 59 GG Rz. 63; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 5; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 168 f. BVerfG v. 5.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191; hierzu unten Rz. 3.24. Österreich, Schweiz, Frankreich, Spanien. Vgl. zu den damit verbundenen Problemen Gerards, Die Europäische Menschenrechtskonvention im Konstitutionalisierungsprozess einer gemeinsamen Grundrechtsordnung, 2007, 132 ff. Hierzu Croxatto, StuW 1964, 879 ff. BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (369); v. 14.5.1968 – 2 BvR 544/63, BVerfGE 23, 288 (309 f.); BFH v. 26.4.1963 – III 237/58 U, BStBl. III 1963, 413; v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 781 f.; Vogel, DStR 1968, 428 ff.; Weber-Fas, RIW 1979, 585 ff. Vgl. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 383; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 89 ff.; Dörr in Ipsen, Völkerrecht7, § 20 Rz. 1 ff. Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 163; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 89. Vgl. zum Folgenden Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 3.1 ff. Ursprünglich EG-Vertrag; überarbeitet durch den am 7.2.1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag); Zustimmungsgesetz v. 28.12.1992, BGBl. II 1992, 1251; durch den Vertrag von Amsterdam v. 2.10.1997; Zustimmungsgesetz BGBl. II 1998, 387; durch den Vertrag von Nizza v. 26.2.2001, Zustimmungsgesetz BGBl. II 2001, 1667; und durch den Vertrag von Lissabon v. 13.12.2007, Zustimmungsgesetz BGBl. II 2008, 1038; im Überblick Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 2.1 ff.

20 | Schaumburg

C. Supranationale Normen (Unionsrecht) | Rz. 3.17 Kap. 3

inhaltlichen Bestimmtheit keiner weiteren Umsetzung bedürfen.1 Das Sekundärrecht wird auf der Grundlage von Primärrecht2 gesetzt, z.B. durch Verordnungen und Richtlinien. Während die Verordnungen sich an jedermann richten und im gesamten Unionsbereich unmittelbar geltendes Recht darstellen (Art. 288 Abs. 2 AEUV), sind Adressaten der Richtlinien lediglich die Mitgliedstaaten. Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV ist jede Richtlinie für den Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Eine EU-Verordnung muss nicht mehr in nationales Recht umgesetzt werden, sodass sie insoweit unmittelbare Rechtsnormqualität hat.3 Sie ist unmittelbar verbindlich sowohl für Personen des Privatrechtes als auch für alle staatlichen Stellen.4 EU-Richtlinien sind demgegenüber grundsätzlich kein für den Unionsbürger unmittelbar wirkendes Recht. Etwas anderes gilt nur, wenn eine EU-Richtlinie von einem Mitgliedstaat nicht, nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden ist: Sie erzeugt – soweit sie hinreichend bestimmt und unbedingt ist – für den Bürger unmittelbar geltendes Recht mit der Folge, dass sich dieser gegenüber dem Mitgliedstaat, der die Richtlinie nicht fristgemäß oder ordnungsgemäß umgesetzt hat, unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall auf die Richtlinienregelung zu seinen Gunsten berufen kann.5 EU-Verordnungen spielen im Bereich des Steuerrechts nur eine geringe Rolle.6

3.16

Neben den EU-Verordnungen und EU-Richtlinien zählen auch noch Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen zum Sekundärrecht.7 Während Beschlüsse durchweg rechtsverbindliche Einzelfallregelungen sind,8 erzeugen Empfehlungen und Stellungnahmen keine verbindliche Wirkung.9 Im Steuerrecht haben Empfehlungen nur geringe Bedeutung erlangt. Entscheidungen steuerrechtlichen Inhalts sind ebenfalls bisher nur vereinzelt ergangen.10

3.17

1 Grundlegend EuGH v. 5.2.1963 – C-26/62, ECLI:EU:C:1963:1, Slg. 1963, 1 ff. (24 ff.) – van Gend & Loos. 2 Hierzu Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 23; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 64. 3 Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 58; Hobe/Fremuth, Europarecht10, § 10 Rz. 26; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 75. 4 Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 57; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 78 ff. 5 EuGH v. 5.2.1981 – C-154/80, ECLI:EU:C:1981:38, Slg. 1981, I-445 – Genossenschaft; EuGH v. 2.2.1984 – C-70/83, ECLI:EU:C:1984:71, Slg. 1984, I-1075 – Kloppenburg; EuGH v. 26.2.1986 – C-152/84, ECLI:EU:C:1986:84, Slg. 1986, I-723 – Marshall; EuGH v. 27.6.1989 – C-50/88, ECLI: EU:C:1989:262, Slg. 1989, I-1925 – Kühne; EuGH v. 25.5.1993 – C-193/91, ECLI:EU:C:1993:203. Slg. 1993, I-2615 – Mohsche; vgl. auch Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht2, Rz. 3.11. 6 Vgl. MWSt-ZusammenarbeitsVO -VO (EU) Nr. 904/2010 v. 7.10.2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, ABl. EU 2010 Nr. L 268, 1. 7 Hierzu die Übersicht bei Ruffert in Calliess/Ruffert6, Art. 288 AEUV Rz. 15; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 113 ff. 8 Art. 288 Abs. 4 AEUV; hierzu Mager, EuR 2001, 661 ff. 9 Sog. soft law; hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht2, Rz. 3.241. 10 Z.B. die Entscheidung des Rates 90/640/EWG v. 3.12.1990, ABl. EG Nr. L 349, 19, aufgrund deren Deutschland ermächtigt wurde, abweichend von der 6. EG-Richtlinie für Umsätze an die sowjetischen Truppen bis zu deren Abzug Steuerbefreiungen auszusprechen (UR 1991, 41).

Schaumburg | 21

Kap. 3 Rz. 3.18 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

3.18

Neben Primärrecht und Sekundärrecht als Hauptquellen des Unionsrechts ist das sog. Tertiärrecht von Bedeutung, das aufgrund sekundärrechtlicher Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen von Kommission und Rat erlassen wird (Art. 290 AEUV). Es handelt sich hierbei um delegierte Rechtsakte, die materielles Recht darstellen und damit verbindlich sind.1 Zum Tertiärrecht zählen auch Durchführungsrechtsakte, die auf Grundlage der an die Kommission und in bestimmten Fällen an den Rat adressierte Ermächtigung, „nicht wesentliche“ Vorschriften des Sekundärrechts zu ergänzen oder zu ändern sowie Durchführungsbestimmungen zum Sekundärrecht zu erlassen (Art. 291 Abs. 2 AEUV).2 Weitere Ermächtigungen sind in den Richtlinien enthalten. Im Bereich des Steuerrechts sind die vom Rat erlassene MwStDV3 auf Grundlage von Art. 397 MwStSystRL4 sowie die beiden Durchführungsverordnungen der Kommission zur Amtshilfe5 und zur Beitreibungsrichtlinie6 von Bedeutung. Darüber hinaus ist im Zollrecht z.B. der UZK als Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates erlassen worden.7 Delegierte Rechtsakte gibt es bislang im Steuerrecht nicht.8

3.19

Der dem vorgenannten sekundären Unionsrecht als primäres Unionsrecht zugrunde liegende AEUV erzeugt partiell ebenfalls unmittelbar geltendes Recht, soweit dessen Bestimmungen selfexecuting sind.9 Zu den Bestimmungen, die dem Unionsbürger subjektive Rechte verleihen, gehören im Steuerrecht insbesondere die die Grundfreiheiten – Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. AEUV), Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. AEUV), Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV), Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV), Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) – regelnden Normen des AEUV. Zum primären Unionsrecht zählen neben dem AEUV selbst z.B. auch der EURATOM-Vertrag, die entsprechenden Beitrittsverträge, Änderungen und Ergänzungen der Verträge, das Unionsgewohnheitsrecht, die Charta der Grundrechte der EU (GRCh)10 sowie die geschriebenen und ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze der Union.11

1 Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 290 AEUV Rz. 19. 2 Hierzu im Überblick Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 31; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 19 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 3.15 ff. 3 VO(EU) Nr. 282/2011 v. 15.3.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 77,1. 4 RL 2006/112/EG v. 28.11.2006, ABl. EU 2006 Nr. L 347, 1. 5 Durchführungsverordnung (EU) 2015/2378 v. 15.12.2015, ABl. EU 2011 Nr. L 302, 16. 6 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1189/2011 v. 15.12.2015, ABl. EU 2011 Nr. L 302, 16. 7 VO (EU) Nr. 952/2013 v. 9.10.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 269,1. 8 Im Zollrecht dagegen z.B. die delegierte VO (EU) 2015/2446 v. 28.7.2015, ABl. EU 2015 Nr. L 343, 1 (VZK-DA). 9 Grundlegend EuGH v. 5.2.1963 – C-26/62, ECLI:EU:C:1963:1, Slg. 1963, 1 ff. (24 ff.) – van Gend & Loos; Herdegen, Europarecht22, § 8 Rz. 13. 10 Vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV; Kingreen in Calliess/Ruffert6, Art. 6 EUV Rz. 12. 11 Solche sind: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Grundsatz des Verwaltungsschutzes, Grundsatz der Rechtssicherheit, Grundsatz des Verbots von Rückwirkungen belastender Rechtsakte, Grundsatz des rechtlichen Gehörs; vgl. hierzu die Hinweise bei Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7, § 9 Rz. 31 ff.

22 | Schaumburg

D. Zur Normenhierarchie | Rz. 3.22 Kap. 3

D. Zur Normenhierarchie I. Überblick Das Normengefüge des Internationalen Steuerrechts stellt sich als eine gegliederte Rechtsordnung dar, innerhalb derer eine Normenhierarchie besteht, die den einzelnen Rechtsnormen eine bestimmte Rangstufung zuweist.1 Ein derartiger Stufenbau2 der Rechtsordnung gewährleistet im Grundsatz, dass bei Wertungswidersprüchen, also bei Normenkollisionen, die höher angesiedelte Rechtsquelle der nachfolgenden vorgeht. Hiernach wird im Ergebnis zugleich die für die Einheit der Rechtsordnung maßgebliche Widerspruchsfreiheit sichergestellt.3 Eine Normenhierarchie ist nur zwischen völkerrechtlichen und innerstaatlichen sowie innerhalb innerstaatlicher Normen feststellbar. Eine Normenhierarchie innerhalb völkerrechtlicher Normen gibt es aus der Sicht des Völkerrechts im Grundsatz nicht, sodass Völkergewohnheitsrecht, völkerrechtliche Verträge und allgemeine Rechtsgrundsätze prinzipiell gleichrangig nebeneinanderstehen.4

3.20

Auf der Ebene der vorgenannten völkerrechtlichen Normen werden Konflikte allerdings durch die allgemeinen, Konflikt vermeidenden Rechtsanwendungsregeln vermieden. So geht stets der besondere Rechtssatz dem allgemeinen (lex specialis derogat legi generali) und der spätere Rechtssatz dem früheren vor (lex posterior derogat legi priori). Für die völkerrechtliche Praxis hat das die bedeutsame Folge, dass ein völkerrechtlicher Vertrag regelmäßig völkerrechtliches Gewohnheitsrecht als spezielleres Recht verdrängt.5 Das gilt insbesondere dann, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag ausdrücklich oder inzidenter bestehendes völkerrechtliches Gewohnheitsrecht kodifiziert.6

3.21

II. Der Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts Nach Art. 25 Satz 2 GG gehen „allgemeine Regeln des Völkerrechts“, zu denen Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze zählen,7 den „Gesetzen“ vor. Diese Bestimmung verankert den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts vor Bundesgesetzen oder Landesgesetzen. Im Falle der Kollision ist daher Bundes- und Landesrecht unanwendbar.8 Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind aber nicht mit Überverfassungsrang ausgestattet. Dies ergibt sich aus Art. 79 Abs. 3 GG, in dem Art. 25 GG nicht unter jenen Artikeln aufgeführt ist, die durch das Grundgesetz nicht geändert werden dürfen. Schließlich sieht Art. 100 Abs. 2 GG keine Kontrolle des Verfassungsrechts anhand allgemeiner Regeln des Völ1 Vgl. zu Folgendem Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.1 ff. 2 Zur Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung im Überblick Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre³, 305 ff. 3 Zur Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung im Überblick Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre³, 305 ff. 4 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 413 f.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 159; Dörr in Ipsen, Völkerrecht7, § 19 Rz. 39; da die allgemeinen Rechtsgrundsätze zumeist wenig konkret sind, kommen sie insoweit nur subsidiär und zur Lückenausfüllung völkerrechtlicher Verträge zur Anwendung; hierzu Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 165 f.; Herdegen, Völkerrecht19, § 17 Rz. 5. 5 Zu Einzelheiten Dörr in Ipsen, Völkerrecht7, § 19 Rz. 41 ff.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 153 f., 159. 6 So etwa durch das IStGH-Statut. 7 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 195 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 159 f. 8 Streinz in Sachs9, Art. 25 GG Rz. 93.

Schaumburg | 23

3.22

Kap. 3 Rz. 3.22 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

kerrechts vor. Allgemeine Regeln des Völkerrechts können daher nach Art. 25 GG nur insoweit Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung sein, als sie nicht dem Verfassungsrecht widersprechen. Das Verfassungsrecht hat somit gegenüber den allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Vorrang.1 Die allgemeinen völkerrechtlichen Regeln sind daher im Rang zwischen den formellen Gesetzen und dem Grundgesetz angesiedelt.2

III. Der Rang völkerrechtlicher Verträge 3.23

Völkerrechtliche Verträge stehen, da Art. 25 GG nicht gilt, durch Zustimmungsgesetz3 gem. Art. 59 Abs. 2 GG im Rang von Bundesgesetzen.4 Das gilt auch für völkerrechtliche Verträge auf dem Gebiet des Steuerrechts, und zwar auch dann, wenn sie allgemein geltende Rechtsgrundsätze enthalten. So hat z.B. die EMRK durch einfachgesetzliche Transformation5 lediglich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes6, obwohl Art. 6 Abs. 3 EUV die in der EMRK verankerten Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts qualifiziert. Insoweit handelt es sich nämlich lediglich um eine unionsrechtliche Rechtserkenntnisquelle und nicht etwa um eine Rechtsquelle mit der Folge, dass sie in der Normenhierarchie nicht in das mit Vorrang ausgestattete Unionsrecht aufsteigt.7 Das Grundgesetz geht in seiner prinzipiellen, insbesondere sich aus Art. 25 GG ergebenden Völkerrechtsfreundlichkeit nicht so weit, die Einhaltung bestehender völkerrechtlicher Verträge durch eine Bindung des Gesetzgebers an das ihnen entsprechende Recht zu sichern.8 Es überlässt vielmehr die Erfüllung der bestehenden völkerrechtlichen Vertragspflichten der Verantwortung des Gesetzgebers. Solange also nicht völkerrechtliche Verträge durch Zustimmungsgesetz Bestandteile der innerstaatlichen Rechtsordnung geworden sind (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG), stellen sie keine Rechtsnormen dar. Insbesondere führt auch der völkerrechtlich anerkannte Grundsatz „pacta sunt servanda“ nicht dazu, dass ein völkerrechtlicher Vertrag, dem nicht durch ein förmliches Gesetz gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zugestimmt wurde, als in innerstaatliches Recht überführt gilt.9

1 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); v. 7.4.1965 – 2 BvR 227/64, BVerfGE 18, 441 (448); v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318); BFH v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Herdegen in Maunz/Dürig, Art. 25 GG Rz. 7, 42 f. 2 Herdegen in Maunz/Dürig, Art. 25 GG Rz. 78; Streinz in Sachs9, Art. 25 GG Rz. 88; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 159 f.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 201. 3 Zur Vollzugstheorie vs. Transformationstheorie Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 28 m.w.N. 4 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (316 f.); BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; v. 13.7.1994 – I R 120/93, BStBl. II 1995, 129; v. 17.5.1995 – I B 183/94, BStBl. II 1995, 781; v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191 Rz. 33; Herdegen in Maunz/Dürig, Art. 25 GG Rz. 43; Streinz in Sachs9, Art. 59 GG Rz. 63; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 5. 5 Gesetz v. 7.8.1952, BGBl. II 1952, 685, 953; BGBl. II 1954, 14. 6 BVerfG v. 29.5.1990 – 2 BvR 254/88, BVerfGE 82, 106 (120); v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307, 316 f.; v. 25.9.2009 – 2 BvR 1113/06, HFR 2010, 69. 7 Kingreen in Calliess/Ruffert6, Art. 6 EUV Rz. 7; Geiger in Geiger/Khan/Kotzur6, Art. 6 EUV Rz. 26; zur Rechtsquelle wird die EMRK erst durch den gem. Art. 6 Abs. 2 EUV vorgesehenen Beitritt der EU; vgl. hierzu Kerkmann-Wittzack, DÖV 2005, 152 ff. (153). 8 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (362 f.); v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (177 f.). 9 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191 Rz. 47; BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 5; Seer, IStR 1997, 481 (483).

24 | Schaumburg

D. Zur Normenhierarchie | Rz. 3.24 Kap. 3

Im Hinblick darauf ist etwa § 2 Abs. 1 AO, der den Vorrang völkerrechtlicher Vereinbarungen, insbesondere von DBA, vor Steuergesetzen normiert, weitgehend leerläufig. § 2 Abs. 1 AO kann als einfaches Bundesgesetz die Rangregel des Art. 59 Abs. 2 GG nicht suspendieren.1 Die Regelung des § 2 Abs. 1 AO hätte – um konstitutive Wirkung entfalten zu können – mit qualifizierter Mehrheit (Art. 79 Abs. 2 GG) in das Grundgesetz zu Art. 25 GG eingeführt werden müssen.2 § 2 Abs. 1 AO hat daher allenfalls deklaratorische Bedeutung.3 Indessen beruht diese nicht darauf, dass völkerrechtliche Verträge eingehalten werden müssen. Zwar ist der Satz „pacta sunt servanda“ eine grundlegende Bestimmung des Völkergewohnheitsrechts und zugleich eine allgemeine Regel des Völkerrechts,4 hierdurch werden die Normen der völkerrechtlichen Verträge selbst aber noch nicht in allgemeine Regeln des Völkerrechts mit Vorrang vor dem anderen innerstaatlichen Recht umgewandelt.5 Die deklaratorische Bedeutung des § 2 Abs. 1 AO lässt sich lediglich unter dem Gesichtspunkt einer völkerrechtsfreundlichen Auslegungsregel feststellen. Aus Art. 25 GG ergibt sich nämlich die grundsätzliche Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes6 mit der Folge, dass nationale Gesetze nach Möglichkeit so auszulegen sind, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht entsteht.7 Das ändert aber nichts daran, dass entsprechend dem Lex-posterior-Grundsatz nachfolgendes ranggleiches innerstaatliches Recht ältere völkervertragliche Regelungen im Umfang des Widerspruchs außer Kraft setzt, es sei denn, die ältere Regelung ist spezieller als die jüngere.8 In diesem Zusammenhang entfaltet § 2 Abs. 1 AO dadurch Bedeutung, dass er dem Lexspecialis-Grundsatz gegenüber dem Lex-posterior-Grundsatz Vorrang einräumt,9 so dass insoweit die (normtechnische) Spezialität insbesondere von DBA geklärt ist. Dieses Spezialverhältnis kann allerdings – verfassungsrechtlich zulässig –10 durch ein innerstaatliches Gesetz suspendiert werden (Treaty-Override), soweit ein dahingehender Gesetzesbefehl hinreichend deutlich wird.11 Das ist in all jenen Fällen so, in denen sich der Gesetzgeber der Formulierung „ungeachtet des Abkommens“ bedient. Ist das nicht der Fall, bleibt es dabei, dass der völkerrechtliche Vertrag als spezielleres Recht entsprechend § 2 Abs. 1 AO Vorrang hat. Das gilt unabhängig davon, ob das betreffende innerstaatliche Recht vor oder nach dem völkerrechtlichen Vertrag geschaffen worden ist.12 Enthält allerdings das abweichende innerstaatliche Recht eine Treaty-Overriding-Klausel („ungeachtet des Abkommens“), wird das innerstaatliche Recht gegenüber dem völkerrechtlichen Vertrag zum spezielleren Recht, und zwar auch gegenüber 1 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Rz. 48. 2 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 1a; Seer, IStR 1997, 481 (484); zur Rechtslage im Ausland Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 203 ff. 3 Schwenke in FG Wassermeyer, Kap. 4 Rz. 13; kritisch unter dem Gesichtspunkt der Normenwahrheit Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 6a. 4 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (178); BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; vgl. auch Art. 26 WÜRV. 5 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (177 f.); v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1; BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4. 6 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (362); v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (17); v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317). 7 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191 Rz. 71. 8 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191 Rz. 50; hierzu Lehner, IStR 2016, 217; Frotscher, IStR 2016, 561; Hummel, IStR 2016, 335. 9 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 6b. 10 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191. 11 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191 Rz. 50, 72; Nettesheim in Maunz/Dürig, Art. 59 GG Rz. 187; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 6b. 12 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 6b; Frotscher, IStR 2016, 561 (562).

Schaumburg | 25

3.24

Kap. 3 Rz. 3.24 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

späteren völkervertraglichen Regeln.1 Jede andere Auslegung der Treaty-Overriding-Klausel würde zu einem Höchstmaß an Rechtsunsicherheit führen.2 Im Hinblick darauf sollte die Formulierung aus Gründen der Klarstellung lauten: „ungeachtet gegenwärtiger und zukünftiger Abkommen“. Treaty-Overriding-Gesetze als Eingriffe des nationalen Gesetzgebers in geltende völkerrechtliche Verträge,3 etwa DBA, stellen völkerrechtswidrige Vertragsverletzungen dar,4 die gem. Art. 60 WÜRV zu einer Kündigung oder einseitigen Beendigung des Vertrags durch den anderen Vertragspartner führen können.5 Eine Verletzung des AEUV ist indessen nicht gegeben.6

3.25

Ein derartiges Treaty-Overriding ist in der internationalen Vertragspraxis von DBA nicht selten anzutreffen. Es wird zunehmend auch durch den deutschen Gesetzgeber insofern betrieben, als in einzelne Normen von DBA eingegriffen wird. Auch wenn derartige Vertragsverstöße7 nach innerstaatlichem deutschen Recht zulässig sind,8 führen sie doch zu einer Störung der auf der Grundlage bi- und multilateraler Verträge angelegten internationalen Zusammenarbeit, die gerade von Deutschland z.B. im Bereich des internationalen Auskunftsaustauschs seit Jahren forciert wird (Rz. 22.55 ff.). Im Übrigen bedeutet es einen Affront gegenüber jenen Vertragsstaaten, denen aus Gründen ihres nationalen Rechts ein Treaty-Overriding versagt bleibt9 und somit vertragstreu bleiben müssen. Im Hinblick darauf sollte ein Treaty-Overriding ultima ratio bleiben.10

3.26

Da völkerrechtlichen Verwaltungsabkommen kein Rechtsnormcharakter zukommt (Rz. 3.10a), sind sie nicht Glied der Normenhierarchie. Daran ändert auch § 2 Abs. 2 AO nichts. § 2 Abs. 2 AO enthält zwar eine an das BMF adressierte Verordnungsermächtigung, um mit ausländischen Steuerverwaltungen getroffene Konsultationsvereinbarungen (Art. 25 Abs. 3 OECD-MA) im Wege einer Rechtsverordnung Rechtsnormenqualität zu verleihen, eine solche Transformation in höherrangiges (formelles) Gesetzesrecht (Zustimmungsgesetz) ist aber nicht möglich.11 Das gilt auch für die in § 2 Abs. 3 AO enthaltende Verordnungsermächtigung für Abkommensänderungen und -erweiterungen. So kann etwa der Übergang der in

1 BFH v. 25.5.2016 – I R 64/13, DStR 2016, 2087; Schwarz, Treaty overriding und § 50d EStG, 287 f.; Frotscher, IStR 2016, 561 (565 ff.); Trinks/Frau, IWB 2016, 308 (311); Kempermann, ISR 2016, 360 (362); a.A. Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 6b; Gosch, DB 2016, M5; Stöber, DStR 2016, 1889 (1893). 2 Zu Einzelheiten Frotscher, IStR 2016, 561 (565 ff.). 3 Gesetzestechnisch handelt es sich um die Aufhebung oder inhaltliche Änderung des Zustimmungsgesetzes; vgl. BFH v. 13.7.1994 – I R 120/93, BStBl. II 1995, 129; BFH v. 17.5.1995 – I B 183/94, BStBl. II 1995, 781; Anm. F.W., IStR 1995, 483, aus der Sicht des Völkerrechts handelt es sich um einen Vertragsbruch. 4 Musil, RIW 2006, 287 (288). 5 Vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191 Rz. 63; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 197; Vogel in FS Höhn, 1995, S. 461 ff. 6 EuGH v. 6.12.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, Slg. 2007, I-10454; anders für den Fall, dass der Lex-posterior-Grundsatz Geltung behält: Stöber, DStR 2016, 1889 (1893). 7 Zu Fällen des Treaty overriding Frotscher in FS Schaumburg, 2009, S. 687 ff.; Gosch, IStR 2008, 413 ff. 8 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191. 9 So z.B. in Frankreich, Niederlande, Luxemburg, Schweiz. 10 Vgl. Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 5b; Lehner, IStR 2016, 217 (219); Musil, FR 2015, 297 (302); Payandeh, NJW 2016, 1279 (1281). 11 BFH v. 10.6.2015 – I R 79/13, BStBl. II 2016, 326 = ISR 2016, 10; zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 43 f.; Schönfeld/Häck in S/D, DBA2, Systematik Rz. 1.17.

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D. Zur Normenhierarchie | Rz. 3.28 Kap. 3

den DBA vorgesehenen Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 AO) nicht durch Notifikation und anschließender Rechtsverordnung bewirkt werden. Hierfür bedürfte es schon eines im Verhältnis zum Zustimmungsgesetz ranggleichen Gesetzes.1 Die gleichen verfassungsrechtlichen Vorbehalte greifen auch gegenüber der in § 2 Abs. 3 Nr. 2 AO im Wege der Rechtsverordnung vorgesehenen Erweiterung des Kassenstaatsprinzips durch.2

IV. Rang supranationaler Normen (Unionsrecht) Der Rang supranationaler Normen3 innerhalb der Normenhierarchie4 des Internationalen Steuerrechts hängt im Wesentlichen davon ab, welche Wirkung den supranationalen Normen zukommt.5 Handelt es sich um Normen, die sich von ihrem Inhalt her an die einzelnen Staaten wenden und diese Staaten lediglich verpflichten, etwa durch staatliche Akte ihre innerstaatliche Gesetzgebung in bestimmter Weise zu ergänzen oder zu ändern,6 so schaffen diese Normen durchweg nicht unmittelbar auch gegenüber dem Bürger anwendbares Recht,7 sind also non self executing.8 Bei diesen Normen stellt sich die Frage nach dem Rangverhältnis grundsätzlich nicht.9 Innerstaatliche Normen, die aufgrund einer derartig verpflichtenden supranationalen Norm erlassen werden, haben im innerstaatlichen Recht hinsichtlich Dauer und Grad ihrer Wirksamkeit keine bevorzugte Stellung gegenüber gleichartigen innerstaatlichen Normen.10

3.27

Die Bestimmungen des EUV und des AEUV beanspruchen allerdings unmittelbare Geltung, soweit sie den Unionsbürgern subjektive Rechte verleihen.11 In Art. 288 Abs. 2 AEUV ist zudem die unmittelbare Wirkung von EU-Verordnungen normiert. Eine vergleichbare Regelung für EU-Richtlinien findet sich nicht. Hieraus folgt indessen nicht, dass EU-Richtlinien keine den EU-Verordnungen vergleichbare verbindliche Wirkung erzielen können. So ist eine EU-Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden

3.28

1 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 43 f.; Schönfeld/Häck in S/D, DBA2, Systematik Rz. 1.18. 2 Oellerich in Gosch, § 2 AO Rz. 122; Schönfeld/Häck in S/D, DBA2, Systematik Rz. 1.18; a.A. Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 43l f. 3 Zum Unionsrecht als supranationales Recht Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 38. 4 Zur Normenhierarchie innerhalb des Unionsrechts und im Verhältnis zum nationalen Recht Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.1 ff. 5 Zu den einzelnen Normengruppen des EU-Rechts Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 19 ff.; Hobe/Fremuth, Europarecht10, § 10 Rz. 1 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 218 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 3.1 ff. 6 Art. 288 Abs. 3 AEUV für EU-Richtlinien. 7 Die EuGH-Judikatur verwendet den Begriff „unmittelbare Wirkung“; zu weiteren terminologischen Differenzierungen Grabitz, DStJG 11 (1988), 33 (38 f.). 8 Hierzu Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 185 ff., 203 speziell zu EU-Richtlinien. 9 Bei Verstoß gegen die Umsetzungspflicht erzeugen EU-Richtlinien indessen unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Wirkung mit der Folge, dass sie sodann Teil der Normenhierarchie werden; zu Einzelheiten Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 101 ff.; ferner nachfolgend Rz. 3.36 ff. 10 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, Rz. 1721; Götz, NJW 1992, 1849 (1852). 11 So z.B. die Grundfreiheiten; vgl. Classen in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 22 Rz. 7 ff.

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Kap. 3 Rz. 3.28 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

Ziels verbindlich. Sie überlässt den nationalen Gesetzgebungsorganen lediglich die Wahl der Form und der Mittel.1 Die Mitgliedstaaten sind daher nicht berechtigt, von EU-Richtlinien einseitig abzuweichen und auf den von den EU-Richtlinien geregelten Gebieten mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften anderen Inhalts zu erlassen.2 Bei entsprechenden Verstößen kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) einleiten.

3.29

Solange die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist,3 entfaltet die EU-Richtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung für den Unionsbürger. Das Gleiche gilt, sobald die Richtlinie in vollem Umfang ordnungsgemäß umgesetzt wurde. In diesem Fall gehen die unmittelbaren Wirkungen von den seitens des jeweiligen Mitgliedstaates erlassenen Umsetzungsmaßnahmen aus.4 Insoweit erlangen EU-Richtlinien keinen formellen Rang im nationalen Recht. Sie sind damit grundsätzlich auch nicht Glied der Normenhierarchie.

3.30

Solange indessen eine EU-Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden ist, kann sich jeder Bürger auf diese EU-Richtlinie zu seinen Gunsten5 berufen, sofern die Bestimmungen in der EU-Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen und sie zu ihrer Anwendung keines Ausführungsaktes mehr bedürfen.6 In diesem Fall erlangt die EU-Richtlinie eine gegenüber dem nationalen Recht mit Vorrang7 ausgestattete unmittelbare Wirkung, sodass einzelnen Bürgern nicht entgegengehalten werden kann, die EU-Richtlinie sei noch nicht oder abweichend umgesetzt worden.8 Eine unmittelbare Richtlinienwirkung kommt unter den vorgenannten Voraussetzungen allerdings dann nicht in Betracht, wenn subjektiv-öffentliche Rechte von Unionsbürgern keine Rolle

1 Art. 288 Abs. 3 AEUV. 2 Sog. negative Sperrwirkung oder Stand-still-Effekt; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 98; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 219; Schaumburg in Schaumburg/ Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.58. 3 Während der Umsetzung dürfen keine Vorschriften erlassen werden, die geeignet sind, die Erreichung des in der betreffenden Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich infrage zu stellen; EuGH v. 18.12.1997 – C-129/96, ECLI:EU:C:1997:628, Slg. 1997, I-7411 – Wallonie; v. 22.11.2005 – C144/04, ECLI:EU:C:2005:709, Slg. 2005, I–9981 – Mangold; vgl. hierzu Schroeder in Streinz³, Art. 288 AEUV Rz. 68; Frenz, EWS 2011, 33 ff. 4 EuGH v. 19.1.1982 – C-8/81, ECLI:EU:C:1982:7, Slg. 1982, 53 (70) – Becker. 5 Eine unmittelbare Wirkung zulasten des Unionsbürgers ist ausgeschlossen, EuGH v. 12.5.1987 – C-372/374/85, ECLI:EU:C:1987:222, Slg. 1987, I-2141 – Traen; EuGH v. 8.10.1987 – C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431, Slg. 1987, 3982 – Kolpinhuis; EuGH v. 3.5.2005 – C-387/02, ECLI:EU:C: 2005:270, Slg. 2005, I-3565 – Berlusconi u.a.; Rechtsgrund: die unmittelbare Wirkung ist eine Sanktion gegenüber dem Mitgliedsstaat, der aus der fehlenden oder fehlerhaften Richtlinienumsetzung keinen Vorteil erlangen soll; zu weiteren Einzelheiten insbesondere bei EU-Richtlinien mit Doppelwirkung, Classen, EuZW 1993, 83 ff. 6 EuGH v. 5.2.1981 – C-154/80, ECLI:EU:C:1981:38, Slg. 1981, I-445 – Genossenschaft; EuGH v. 25.5.1993 – C-193/91, ECLI:EU:C:1993:203, Slg. 1993, I-2615 – Mohsche; zu Einzelheiten Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 147; Schroeder in Streinz³, Art. 288 AEUV Rz. 93. 7 EuGH v. 22.2.1984 – C-70/83, ECLI:EU:C:1984:71, Slg. 1984, 1075 – Kloppenburg; EuGH v. 26.2.1986 – C-152/84, ECLI:EU:C:1986:84, Slg. 1986, 723 – Marshall; EuGH v. 14.7.1988 – C-207/ 87, ECLI:EU:C:1988:409, Slg. 1988, 4433 – Weissgerber; aus der Rspr. des BFH: BFH v. 11.10.2012 – V R 9/10, BStBl. II 2014, 279 = UR 2013, 56; v. 24.10.2013 – V R 17/13, BStBl. II 2015, 513 = MwStR 2014, 166. 8 Vgl. aus dem Mehrwertsteuerrecht BFH v. 24.10.2013 – V R 17/13, BStBl. II 2015, 513 = MwStR 2014, 166.; Heuermann, StuW 2018, 123 (124 ff.).

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D. Zur Normenhierarchie | Rz. 3.33 Kap. 3

spielen.1 Die unmittelbare Wirkung der Richtlinien beruht damit letztlich auf Rechtsschutzgesichtspunkten zugunsten des einzelnen Bürgers (Mindestgarantie) und Sanktionsaspekten zulasten der Mitgliedstaaten,2 die in Entschädigungsansprüchen geschädigter Bürger gegen den betreffenden Mitgliedstaat (Staatshaftung) einmünden können.3 Normativ ergibt sich das Recht des Unionsbürgers, sich auf die unmittelbare Wirkung der EURichtlinie zu berufen, aus Art. 288 Abs. 3 AEUV i.V.m. Art. 4 Abs. 3 EUV. Hieraus folgt, dass z.B. die Finanzverwaltung verpflichtet ist, die Vorschriften der Richtlinie ggf. entgegen den damit nicht im Einklang stehenden nationalen Rechtsvorschriften zugunsten des Bürgers anzuwenden.4

3.31

Die innerstaatlichen Gerichte haben bei der Auslegung der nationalen Durchführungsregelungen auf den Inhalt der EU-Richtlinien abzustellen,5 und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung nicht vorliegen.6 Diese Verpflichtung findet ihre Schranken allerdings in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil des Unionsrechts sind und zwar insbesondere in dem Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot.7

3.32

Im Verhältnis zu den nationalen Gerichten hat der EuGH die abschließende Entscheidungsbefugnis über die Auslegung des AEUV und über die Gültigkeit und die Auslegung der EURichtlinien (Art. 267 AEUV). Dagegen entscheidet der EuGH weder über nationales Recht noch über die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht.8 Indessen überprüft grundsätzlich (s. Rz. 3.42 f.) aber auch nicht das BVerfG die Vereinbarkeit des Unionsrechts mit den Grundrechten des Grundgesetzes.9 Deshalb werden innerstaatliche Rechtsvorschriften, die EU-Richtlinien umsetzen, nicht an den Grundrechten gemessen, wenn das Unionsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt.10

3.33

1 EuGH v. 11.8.1995 – C-431/92, ECLI:EU:C:1995:260, Slg. 1995, I-2189/2220 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; zur objektiven unmittelbaren Richtlinienwirkung Epiney, DVBl. 1996, 409 ff.; Pechstein, EWS 1996, 261 ff. 2 Ausführlich hierzu Jarass, NJW 1990, 2420 (2422). 3 EuGH v. 19.11.1991 – C-6/90 und C-9/90, ECLI:EU:C:1991:428, Slg. 1991, I-5403 bei Richtlinienverstoß – Francovich; EuGH v. 30.9.2003 – C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513, Slg. 2003, I-10239 – Köbler; EuGH v. 5.3.1996 – C-46/93 und C-48/93, ECLI:EU:C:1996:79, Slg. 1996, I-1029 bei Grundfreiheitsverstoß – Brasserie du Pêcheur; vgl. auch EuGH v. 12.12.2006 – C-446/04, ECLI: EU:C:2006:774, Slg. 2006, I-11753 – Test Claimants in the FII Group Litigation; EuGH v. 23.4.2008 – C-201/05, ECLI:EU:C:2008:239, HFR 2008, 985 – Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation; BGH v. 24.10.1996 – III ZR 127/91, EuZW 1996, 761; hierzu im Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 28.37 ff. 4 EuGH v. 22.6.1989 – C-103/88, ECLI:EU:C:1989:256, Slg. 1989, I-1839 – Fratelli Constanzo; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 3.11. 5 BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (242 ff.); EuGH v. 8.10.1987 – C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431, Slg. 1987, 3969 (3982) – Kolpinghuis. 6 EuGH v. 10.4.1984 – C-14/83, ECLI:EU:C:1984:153, Slg. 1984, 1891 – Colson; EuGH v. 8.10.1987 – C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431, Slg. 1987, 3969 (3986) – Kolpinghuis; EuGH v. 20.9.1988 – C31/87, ECLI:EU:C:1988:422, Slg. 1988, 4635 (4662) – Beentjes; BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/ 85, BVerfGE 75, 223 (237 ff.); BFH v. 28.9.1988 – X R 6/82, BStBl. II 1989, 122; v. 20.1.1988 – X R 48/81, BStBl. II 1988, 557; v. 11.3.1988 – V R 30/84, BStBl. II 1988, 643. 7 EuGH v. 8.10.1987 – C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431, Slg. 1987, 3969 (3982) – Kolpinghuis. 8 EuGH v. 3.10.1985 – C-249/84, ECLI:EU:C:1985:393, Slg. 1985, 3250 – Profant. 9 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339; v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147; hierzu Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 15 ff. 10 BVerfG v. 4.10.2011 – 1 BvL 3/08, BFH/NV 2011, 2220.

Schaumburg | 29

Kap. 3 Rz. 3.34 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

3.34

Ist die Frage der Gültigkeit oder Auslegung von EU-Richtlinien entscheidungserheblich, können die nationalen Instanzgerichte diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen (Art. 267 Abs. 2 AEUV). Das Vorlageverfahren wird durch einen Vorlagebeschluss des Gerichts eingeleitet.1 Letztinstanzliche Gerichte sind gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, es sei denn, die richtige Anwendung des Unionsrechts ist derart offenkundig, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel verbleibt.2

3.35

Die letztinstanzlichen deutschen Gerichte machen inzwischen3 von der Vorlage an den EuGH regen Gebrauch.4 Dies beruht letztlich darauf, dass der EuGH gesetzlicher Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist5 und eine Verletzung der Vorlagepflicht zur Folge hätte, dass dem Kläger der gesetzliche Richter entzogen würde, was im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gerügt werden könnte.6 Dem Gebot, vorrangig auf Unionsrecht abzustellen, wird in der Gerichtspraxis schließlich auch im Rahmen der Auslegung entsprochen. Denn alle Normen, die einen europarechtlichen Bezug aufweisen, insbesondere die aufgrund einer Richtlinie ergangen sind, sind in Orientierung an die Grundfreiheiten7 unionsrechtskonform (Rz. 3.60 ff.), also primärrechtskonform und/oder richtlinienkonform (Rz. 3.61 f.) auszulegen. Die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung8 trifft nicht nur die Gerichte9 und die Verwaltung,10 sie ist auch Beraterpflicht.11

3.36

Soweit supranationale Normen unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Recht beanspruchen, also die Bestimmungen des AEUV, soweit sie den Unionsbürgern –wie etwa die Grundfreiheiten – subjektive Rechte verleihen – EU-Verordnungen und nicht fristgemäß oder ordnungsgemäß umgesetzte EU-Richtlinien – ergibt sich die entsprechende Rangregel aus

1 Zum Vorlageverfahren Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 267 AEUV Rz. 13 ff.; im Überblick Pechstein, EU-Prozessrecht4, Rz. 740; Seer in T/K, EuR Rz. 30 ff.; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 5.8. 2 EuGH v. 6.10.1982 – C-283/81, ECLI:EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415 – C.I.L.F.I.T.; hierzu Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 267 AEUV Rz. 51 ff. („acte claire“); Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 5.19; vgl. auch BFH v. 10.1.2007 – I R 87/03, BStBl. II 2008, 22; v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731; v. 19.12.2012 – I R 73/11, BStBl. II 2013, 392; v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771. 3 Kritisch zur früheren Gerichtspraxis Meilicke, BB 1992, 969 (969); Spetzler, DB 1993, 553 (554 f.). 4 Das gilt allerdings nicht in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 69, 114 FGO); vgl. BFH v. 30.12.1996 – I B 61/96, BStBl. II 1997, 466; v. 17.12.1997 – I B 108/97, BStBl. II 1998, 558; v. 5.2.2001 – I B 140/00, BStBl. II 2001, 598, v. 29.11.2007 – I B 181/07, BStBl. II 2008, 195; hierzu Seer in T/K, § 69 FGO Rz. 99. 5 EuGH v. 6.10.1982 – C-283/81, ECLI:EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415 – C.I.L.F.I.T.; BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (336 ff.); v. 31.5.1990 – 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 (194 ff.). 6 BVerfG v. 9.1.2001 – 1 BvR 1036/99, NJW 2001, 1267; v. 9.2.2010 – 2 BvR 1178/07, NJW 2010, 2419; hierzu Hendricks in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, Rz. 7.29 ff. 7 Insbesondere Art. 49, 54 AEUV (Niederlassungsfreiheit); Art. 57 AEUV (Dienstleistungsfreiheit); Art. 63 AEUV (Kapitalverkehrsfreiheit). 8 Zur unionsrechtskonformen Auslegung im einzelnen Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.9 ff. 9 EuGH v. 6.10.1982 – C-283/81, ECLI:EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415 – C.I.L.F.I.T.; EuGH v. 8.10.1987 – C-80/86, ECLI:EU:C:1987:431, Slg. 1987, 3969 (3982) – Kolpinhuis. 10 EuGH v. 22.6.1989 – C-103/88, ECLI:EU:C:1989:256, Slg. 1989, I-1839 – Fratelli Constanze. 11 Meilicke, BB 1992, 969 (974); Streck/Olgemöller, DStR 1993, 417 ff.; Fischer, DStR 1993, 1928 ff.

30 | Schaumburg

D. Zur Normenhierarchie | Rz. 3.38 Kap. 3

Art. 23 Abs. 1 GG.1 Diese Bestimmung besagt nicht nur, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten zulässig ist, sondern auch, dass Normen der Organe der zwischenstaatlichen Einrichtungen vom ursprünglich ausschließlichen Hoheitsträger anzuerkennen sind und kraft dieser Anerkennung entgegenstehendes nationales Recht überlagern und verdrängen.2 Das gilt auch gegenüber völkerrechtlichen Verträgen und allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die nach Maßgabe des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bzw. gem. Art. 25 GG Bestandteil der nationalen Rechtsordnung sind. Da sich das Unionsrecht ohnehin an den allgemeinen Regeln des Völkerrechts orientiert und zudem auch im Lichte des Völkerrechts auszulegen ist,3 kommt diesem Rangverhältnis keine besondere Bedeutung zu.4 Obwohl weder das GG noch der EUV und der AEUV (eindeutige) Regelungen über etwaige Normenkollisionen zwischen Unionsrecht und (deutschem) nationalem Recht enthalten, ist der Vorrang des Unionsrechts heute5 im Grundsatz unstreitig.6 Aus europarechtlicher Sicht folgt die Vorrangstellung des Unionsrechts aus der Notwendigkeit, die insbesondere in Art. 4 Abs. 3 EUV angeführten Vertragsziele zu erreichen und die Diskriminierungsverbote (Art. 18 AEUV) durchzusetzen.7 Neben dieser teleologischen Begründung ergibt sich die Vorrangstellung des Unionsrechts mittelbar auch aus Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV, wonach Verordnungen als Sekundärrecht verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat Geltung haben. Diese Regelung ginge ins Leere, wenn sie durch nationales Recht überspielt werden könnte, wodurch die EU ihre Rechtsgrundlage verlöre.8

3.37

Im Falle der Kollision von Unionsrecht und nationalem Recht9 gilt daher Folgendes: Das Unionsrecht hat stets Vorrang vor dem nationalen Recht und zwar unabhängig davon, ob es sich hierbei um Bundes-, Landes- oder Kommunalrecht handelt.10 Hierbei spielt es keine Rolle, welchen Rang die betreffende Norm innerhalb der Normenhierarchie des Unionsrechts einnimmt. Ebenso wenig ist von Bedeutung, auf welcher Rangstufe die kollidierenden Normen des nationalen Rechts angesiedelt sind.11 Das bedeutet, dass Primär-, Sekundär- und Tertiär-

3.38

1 Art. 23 Abs. 1 GG ist lex specialis zu Art. 24 Abs. 1 GG; zur Funktion des Art. 23 (Art. 24) GG Grabitz in DStJG 11 (1988), S. 33 (39 f.). 2 BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (174); v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (375); v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (242 f.); v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/ 92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (182 ff.). 3 EuGH v. 14.7.1998 – C-284/95, ECLI:EU:C:1998:352, Slg. 1998, I-4301 – Safety Hi-Tech. 4 Vgl. die Hinweise bei Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 152 ff. 5 Vgl. zu den früheren Kontroversen Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 47 f. 6 Vgl. die Nachweise bei Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 4 ff. 7 Vgl. EuGH v. 15.7.1964 – C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66, Slg. 1964, 1215 – Costa/ENEL. 8 EuGH v. 15.7.1964 – C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66, Slg. 1964, 1215 (1269 f.) – Costa/ENEL; seitdem ständige Rechtsprechung des EuGH, z.B. EuGH v. 17.12.1970 – C-11/70, ECLI:EU:C:1970:114, Slg. 1970, 1125 (1135) – Internationale Handelsgesellschaft; EuGH v. 9.3.1978 – C-106/77, ECLI: EU:C:1978:49, Slg. 1978, 629 (643 f.) – Simmenthal; EuGH v. 11.1.2000 – C-285/98, ECLI:EU:C: 2000:2, Slg. 2000, I-69 – Kreil. 9 Zur Rangabstufung als Kollisionsregel Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 33; Funke, DÖV 2007, 733. 10 EuGH v. 29.4.1999 – C-224/97, ECLI:EU:C:1999:212, Slg. 1999, I-2517 – Ciola. 11 Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 52; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 34.

Schaumburg | 31

Kap. 3 Rz. 3.38 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

recht1 gleichermaßen im Grundsatz Vorrang gegenüber dem jeweiligen nationalen Verfassungsrecht beanspruchen.2 Hieraus folgt z.B., dass die Vereinbarkeit einer steuerrechtlichen Norm mit dem GG keiner Prüfung bedarf, wenn sie schon (vorrangig) wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht unangewendet bleibt.3 Im Übrigen unterbleibt eine Prüfung in den Fällen, in denen Unionsrecht (z.B. Richtlinien) in deutsches Recht umgesetzt worden ist, ohne dass dem deutschen Gesetzgeber ein Umsetzungsspielraum eingeräumt wurde.4 Dementsprechend sind Rechtsvorschriften des deutschen Gesetzgebers, die im Rahmen eines verbliebenen Umsetzungsspielraums ergangen sind, der verfassungsrechtlichen Kontrolle zugänglich.5

3.39

Der Vorrang des Unionsrechts gilt auch in den Fällen, in denen kollidierendes nationales Recht zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft getreten ist.6 Eine dem Unionsrecht widersprechende Rechtsnorm des nationalen Rechts ist nicht etwa nichtig, sondern unanwendbar, soweit die Kollision reicht.7 Dieser Anwendungsvorrang des Unionsrechts gilt ohne weiteres und unmittelbar mit der Folge, dass sie von Legislative, Exekutive und Judikative gleichermaßen beachtet werden muss.8 Ein Verwerfungsmonopol gibt es daher insoweit nicht.9

3.40

Wie jede Rechtsordnung ist auch das Unionsrecht durch eine Normenhierarchie wie folgt geprägt:10 Auf der obersten Hierarchiestufe steht das (primäre) Unionsvertragsrecht – EUV, AEUV, EAGV – einschließlich aller Erklärungen, Protokolle und sonstiger Anhänge.11 Darüber hinaus zählt hierzu über Art. 6 Abs. 1 EUV auch die GrCh.12 Auf der nächsten Stufe ist das ungeschriebene primäre Unionsrecht angesiedelt, und zwar das Gewohnheitsrecht und 1 Zu diesen Rechtsquellen Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 3.1 ff. 2 EuGH v. 17.12.1970 – -11/70, ECLI:EU:C:1970:114, Slg. 1970, 1125 Rz. 3 – Internationale Handelsgesellschaft; EuGH v. 13.12.1979 – C-44/79, ECLI:EU:C:1979:290, Slg. 1979, 3727 Rz. 14 – Hauser; BVerfG v. 19.7.2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 (94); v. 21.6.2016 – 2 BvR 2728/ 13 u.a., RIW 2016, 519 Rz. 118; Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 44; Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 52. 3 BVerfG v. 4.10.2011 – 1 BvL 3/08, BVerfGE 129, 186; BFH v. 6.3.2013 – I R 14/07, BStBl. II 2015, 349, FR 2013, 867 m. Anm. Nöcker = ISR 2013, 287 m. Anm. Quilitzsch = GmbHR 2013, 875 m. Anm. Haritz/Werneburg = IStR 2013, 638. 4 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (387); v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147 (162 ff.); 13.3.2007 – 1 BvF 1/05, BVerfGE 118, 79 (95); v. 11.3.3008 – 1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1 (15); v. 14.10.2008 – 1 BvF 4/05, BVerfGE 122, 1 (20). 5 BVerfG v. 14.10.2008 – 1 BvF 4/05, BVerfGE 122, 1 (20); v. 19.7.2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 (90 f.). 6 Die Lex-posterior-Regel gilt also nicht; hierzu Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 52. 7 EuGH v. 9.3.1978 – C-106/77, ECLI:EU:C:1978:49, Slg. 1978, 629 – Simmenthal; EuGH v. 11.7.1989 – C-170/77, Slg. 1989, 2305 – Ford Espana; EuGH v. 13.3.1997 – C-358/95, ECLI:EU:C: 1997:149, Slg. 1997, I-1431 – Morellato; EuGH v. 22.10.1998 – C-10-22/97, Slg. 1998, I-6307 – IN.CO.GE.; Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 53. 8 EuGH v. 12.6.1990 – C-8/88, ECLI:EU:C:1990:241, Slg. 1990, I-2321 – Deutschland ./. KOM; EuGH v. 22.6.1989 – C-103/88, ECLI:EU:C:1989:256, Slg. 1989, 1839 – Costanzo. 9 EuGH v. 4.6.1992 – C-13/91 und 113/91, ECLI:EU:C:1992:247, Slg. 1992, I-3617 – Debus; Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 52 f. 10 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.6 ff. 11 Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 226; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 39; Hobe/Fremuth, Europarecht10, § 10 Rz. 6 ff. 12 Schorkopf in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 6 EUV Rz. 28; Hobe/Fremuth, Europarecht10, § 10 Rz. 15.

32 | Schaumburg

D. Zur Normenhierarchie | Rz. 3.42 Kap. 3

die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts.1 Im Rang zwischen Primär- und Sekundärrecht sind schließlich die von der Union im Rahmen ihrer auswärtigen Kompetenz abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge (Art. 216 Abs. 2 AEUV) angesiedelt.2 Zur dritten Hierarchiestufe zählt das Sekundärrecht, also Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse.3 Auf der untersten Stufe befindet sich das Tertiärrecht, also Rechtsakte, die nicht auf der Grundlage der Verträge, sondern auf der Grundlage von Sekundärrecht erlassen wurden (Art. 290, 291 AEUV).4 Der Vorrang des Unionsrechts wird von den Mitgliedstaaten in ihren nationalen Rechtsordnungen nachvollzogen und damit im Ergebnis anerkannt.5 Das gilt auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 GG auch für das deutsche Recht.6 Vorbehalte zum Vorrang des Unionsrechts gelten allerdings im Verhältnis zum deutschen Verfassungsrecht, und zwar unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtschutzes, der Einhaltung der Kompetenzgrenzen und des Schutzes der Verfassungsidentität.7

3.41

Hierzu folgende Einzelheiten:8 Unter dem Gesichtspunkt des vom GG verbürgten Grundrechtschutzes übt das BVerfG eine Grundrechtskontrolle dahingehend aus, ob das Unionsrecht mit den im GG verankerten Grundrechten vereinbar ist und daher in Deutschland zur Anwendung kommen darf. Während das BVerfG9 zunächst davon ausging, das Unionsrecht sei an den deutschen Grundrechten zu messen, solange das Unionsvertragsrecht keinen dem Grundrechtskatalog entsprechenden Katalog von Grundrechten enthält,10 hat das BVerfG zu einem späteren Zeitpunkt11 entschieden, dass es seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von Sekundär- und Tertiärrecht nicht mehr ausüben werde, weil der vom Unionsvertragsrecht garantierte Grundrechtschutz dem deutschen Grundrechtstandard entspreche, so dass insoweit Vorlagen (Art. 100 Abs. 1 GG) sowie Verfassungsbeschwerden unzulässig seien.12 Demgegenüber wurde danach vorübergehend die Grundrechtskontrolle jedenfalls gegenüber dem Sekundärrecht in weiteren Entscheidungen des BVerfG wieder aktiviert mit der Folge, dass das BVerfG die Vereinbarkeit eines nationalen Gesetzes mit dem GG z.B. auch dann überprüft,

3.42

1 Diese werden durch geschriebenes Primärrecht derogiert; so etwa die allgemeinen Rechtsgrundsätze durch die GrCh; hierzu Schorkopf in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 6 EUV Rz. 56; vgl. im Übrigen Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 37. 2 EuGH v. 10.1.2006 – C-344/04, ECLI:EU:C:2006:10, Rz. 35 – IATA u. ELFAA; EuGH v. 10.9.1996 – C-61/94, ECLI:EU:C:1990:241, Slg. 1996, I-3989 Rz. 52 – KOM ./. Deutschland; Mögele in Streinz3, Art. 216 AEUV Rz. 59. 3 Schroeder in Streinz3 Art. 288 AEUV Rz. 24; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht9, § 10 Rz. 39. 4 Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 290 AEUV Rz. 56; Gellermann in Streinz3, Art. 290 AEUV Rz. 3. 5 Vgl. hierzu die Übersicht bei Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 10 Rz. 28 ff. 6 BVerfG v. 18.10.1967 – 1 BvR 248/63 u. 216/67, BVerfGE 22, 293 (296); v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/ 69, BVerfGE 31, 145. 7 Vgl. Streinz in Sachs9, Art. 23 GG Rz. 42; Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 56. 8 Ausführlich Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 57 ff. 9 BVerfG v. 29.5.1974 – 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271 (Solange I). 10 BVerfG v. 29.5.1974 – 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271 (285). 11 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (Solange II). 12 Hierzu Ipsen, EuR 1987, 1 ff.; Fedder, NJW 1987, 526; Stein in FS Zeidler, Bd. II, 1987, 1711 ff.; vgl. auch BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 = UR 1987, 355 m. Anm. Weiss.

Schaumburg | 33

Kap. 3 Rz. 3.42 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

wenn zugleich Zweifel an der Vereinbarkeit des Gesetzes mit Sekundärrecht bestehen.1 Im Hinblick darauf, dass der Wesensgehalt der Grundrechte durch die Rechtsprechung des EuGH auf der Grundlage des Unionsvertragsrechts generell verbürgt ist, erfolgt allerdings nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung des BVerfG2 keine Grundrechtskontrolle mehr, weil der unabdingbar gebotene Grundrechtschutz auf Unionsebene gewährleistet ist.

3.43

Hinsichtlich der Einhaltung der Kompetenzgrenzen erfolgt seitens des BVerfG eine Ultravires-Kontrolle3, denn Sekundärrecht kann nur dann einen Vorrang beanspruchen, wenn es auf Grund einer ausdrücklichen im Unionsvertragsrecht enthaltenen Ermächtigung erlassen worden ist.4 Im Hinblick darauf, dass unionsrechtlich für etwa ausbrechende Rechtsakte das Verwerfungsmonopol beim EuGH liegt,5 wird das BVerfG allerdings nur dann tätig werden, wenn der Verstoß gegen das Kompetenzgefüge offensichtlich ist und zudem erheblich ins Gewicht fällt.6 Das BVerfG wird unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Verfassungsidentität ferner dann tätig (Identitätskontrolle), wenn durch den fortschreitenden Integrationsprozess die deutsche Verfassungsidentität ausgehöhlt wird.7

3.44

Im nationalen (deutschen) Recht ergibt sich die Normenhierarchie aus den Art. 20, 70 ff., 93, 100 GG, wonach dem Grundgesetz selbst die höchste Rangstufe zukommt.8 Auf Grund dieser Vorrangstellung ergibt sich, dass dem Grundgesetz widersprechende, auf den nachfolgenden Stufen angesiedelte Rechtsnormen entweder nichtig oder aber anzugleichen sind,9 wobei dem BVerfG das alleinige Verwerfungsmonopol zukommt, soweit es sich um nachkonstitutionelle Gesetze handelt.10 Diese Rangstufe bedeutet zugleich, dass dem Grundgesetz nachfolgende Rechtsnormen im Zweifel verfassungskonform auszulegen11 und etwaige Lücken in Übereinstimmung mit der Verfassung zu schließen sind.12 Auf der nächsten Stufe sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts angesiedelt, die gem. Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts sind, dem Bundesgesetz und den Landesgesetzen aber vorgehen (Art. 25 Satz 2 GG). Im Falle der

1 BVerfG v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13, BVerfGE 148, 40 Rz. 22. 2 BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147 (Bananenmarkt); v. 13.3.2007 – 1 BvF 1/05, BVerfGE 118, 79. 3 Zu den Voraussetzungen zuletzt BVerfG v. 5.5.2020 – 2 BvR 859/15 u.a., BVerfGE 154, 17 Rz. 110 ff. (PSPP-Programm der EZB). 4 BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155 (Maastricht); v. 21.6.2016 – 2 BvR 2728/13 u.a., RIW 2016, 519 Rz. 121, 152; v. 5.5.2020 – 2 BvR 859/15 u.a., BVerfGE 154, 17 Rz. 110. 5 EuGH v. 22.10.1987 – C-314/85, ECLI:EU:C:1987:452, Slg. 1987, 4199 – Foto-Frost. 6 BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 (304) (Honeywell); v. 14.1.2014 – 2 BvR 2728/13, BVerfGE 135, 317 (OMT); v. 5.5.2020 – 2 BvR 859/15 u.a., BVerfGE 154, 17 Rz. 113 (PSPP-Programm der EZB). 7 BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2, 5/08 u.a., BVerfGE 123, 267 (Lissabon); v. 7.11.2011 – 2 BvR 987, 1485, 1099/10, BVerfGE 129, 124 (EFSF); v. 18.3.2014 – 2 BvR 1390/12 u.a., BVerfGE 135, 317 (ESM); v. 15.12.2015 – 2 BvR 2735/14, BVerfGE 140, 317 (Identitätskontrolle I); v. 21.6.2016 – 2 BvR 2728/13 u.a., RIW 2016, 519 Rz. 121, 139. 8 Zu Rangabstufungen innerhalb des Grundgesetzes selbst vgl. Sachs in Sachs9, Art. 20 GG Rz. 5, Art. 79 Rz. 28. 9 Zu den verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten des BVerfG Graßhof in Umbach/Clemens/Dollinger, § 78 BVerfG Rz. 32 ff.; Seer in T/K, VerfRS Rz. 56 ff. 10 Seer in T/K, VerfRS Rz. 14; für VO i.S. des Art. 80 GG gilt das nicht; vgl. Seer in T/K, VerfRS Rz. 15 m.w.N. 11 Zur verfassungskonformen Auslegung Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 238 ff. 12 Hierzu Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 355, 359.

34 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.44 Kap. 3

Kollision ist daher Bundes- und Landesrecht unanwendbar.1 Da das Verfassungsrecht gegenüber den allgemeinen Regeln des Völkerrechts Vorrang hat,2 sind diese daher im Rang zwischen den formellen Gesetzen und dem Grundgesetz angesiedelt.3 Auf der nächsten Stufe sind die formellen Gesetze des Bundesrechts angesiedelt. Hierzu gehören auch Vertragsgesetze (Art. 59 Abs. 2 GG), die im Zusammenhang mit Doppelbesteuerungsabkommen im Steuerrecht eine besondere Bedeutung haben.4 Die formellen Gesetze des Bundes sind demgegenüber mit höherem Rang ausgestattet als die auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen (Art. 80 GG).5 Ein Vorrang von Bundesgesetzen einschließlich der vom Bund erlassenen Rechtsverordnungen vor Landesrecht besteht insoweit, als Bundesrecht und Landesrecht einander widersprechen (Art. 31 GG).6 Den beiden nachgeordnet sind schließlich autonome Satzungen, insbesondere Gemeinderecht (Art. 28 Abs. 2 GG).7

E. Europäisches Steuerrecht Literatur: Kommentare zu § 4 AO; Art. 234, 267, 290, 288 AEUV; Art. 6 EUV; § 50g EStG; Art. 11, 27 OECD-MA; Ahmann, Die Bilanzrichtlinie und die steuerliche Gewinnermittlung – Eine Zwangsehe?, in Raupach/Uelner (Hrsg.), Ertragsbesteuerung, FS für Schmidt, München 1993, 269; Beermann, Das Verbraucher-Binnenmarktgesetz, DStZ 1993, 257, 291; Beisse, Grundsatzfragen der Auslegung des neuen Bilanzrechts, BB 1990, 2007; Birk (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Steuer- und Abgabenrechts, Herne/Berlin 1995; Birk/Ehlers, Rechtsfragen des europäischen Steuer-, Außenwirtschaftsund Zollrechts, Köln 1995; Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch (Loseblatt); Bleckmann, Probleme der Auslegung europäischer Richtlinien, ZGR 1992, 364; Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 2. Aufl. München 2011; Buerstedde, Juristische Methodik des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Baden-Baden 2006; Clausen, Das neue Rechnungslegungsrecht der Kreditinstitute, DB 1991, 1129; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, Köln 2002; Dänzer-Vanotti, Die richtlinienkonforme Auslegung deutschen Rechts hat keinen rechtlichen Vorrang, RIW 1991, 754; Dänzer-Vanotti, Methodenstreit um die den EG-Richtlinien konforme Auslegung, DB 1994, 1052; Dänzer-Vanotti, Richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung, StVj 1991, 1; Dauses/Ludwigs, Handbuch EU-Wirtschaftsrecht (Loseblatt); Dautzenberg, Unternehmensbesteuerung im EG-Binnenmarkt, Lohmar/Köln 1997; Dederichs, Die Methodik des EuGH, Baden-Baden 2004; Dörr, Praxisfragen zur Umsetzung der Zins- und Lizenzrichtlinie in § 50g EStG, IStR 2005, 109; Di Fabio, Richtlinienkonformität als ranghöchstes Normauslegungsprinzip?, NJW 1990, 947; Fantozzi, Besteuerung von Gesellschaften – Die Entwicklung der Harmonisierung der direkten Steuern innerhalb der EG, in Beisse u.a. (Hrsg.), FS für Beusch, Berlin/New York 1993, 167; Frenz, Demokratiebegründete nationale Mitwirkungsrechte und Aufgabenreservate, EWS 2009, 345; Friedrich, Zollkodex und Abgabenordnung, StuW 1995, 15; Frotscher, Treaty Override – causa finita?, IStR 2016, 561; Gei1 Streinz in Sachs9, Art. 25 GG Rz. 93. 2 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); v. 7.4.1965 – 2 BvR 227/64, BVerfGE 18, 441 (448); v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318); BFH v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Herdegen in Maunz/Dürig, Art. 25 GG Rz. 78. 3 Herdegen in Maunz/Dürig, Art. 25 GG Rz. 78; Jarass in Jarass/Pieroth16, Art. 25 GG Rz. 18; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 152 f.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 201. 4 Zum Rang von DBA als einfache Bundesgesetze BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191 Rz. 33 ff. 5 Remmert in Maunz/Dürig, Art. 80 GG Rz. 57, 132; Kment in Jarass/Pieroth16 Art. 80 GG Rz. 19; Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 41, 51 ff. 6 Korioth in Maunz/Dürig, Art. 31 GG Rz. 19 ff.; Huber in Sachs8, Art. 31 GG Rz. 18 ff.; Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 42. 7 Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 41, 75 ff.

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Kap. 3 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts ger, Grundgesetz und Völkerrecht, 6. Aufl. München 2013; Groh, Bilanzrecht vor dem EuGH, DStR 1996, 1206; Hahn, Gemeinschaftsrecht und Recht der direkten Steuern, DStZ 2005, 435; Hennrichs, Zinsschranke, Eigenkapitalvergleich und IFRS, DB 2007, 2101; Herber, Hat der deutsche Richter das Bilanzrichtliniengesetz an den ihm zugrunde liegenden EG-Richtlinien zu messen?, in Knobbe-Keuk/ Klein/Moxter (Hrsg.), Handels- und Steuerrecht, FS für Döllerer, München 1988, 225; Herdegen, Völkerrecht, 20. Aufl. München 2020; Herdegen, Europarecht, 22. Aufl. München 2020; Herzig, Europäisierung und Internationalisierung der steuerlichen Gewinnermittlung, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 751; Herzig, Besteuerung der Unternehmen in Europa – Harmonisierung im Wettbewerb der Systeme, DStJG 19 (1996), 121; Herzig/Dautzenberg, Auswirkungen der Internationalisierung der Rechnungslegung auf die Steuerbilanz, BFuP 1998, 27; Herzog, Leitlinien und Entwicklungstendenzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Steuerfragen, StbJb 1985/86, 27; Hey, Wettbewerb der Rechtsordnungen oder Europäisierung des Steuerrechts?, in Reimer, E. u.a. (Hrsg.), Europäisches Gesellschafts- und Steuerrecht. Grundlagen – Entwicklungen – Verbindungslinien, Münchener Schriften zum Internationalen Steuerrecht, Bd. 27, München 2007, 295; Hobe/Fremuth, Europarecht, 8. Aufl. München 2020 Holoubeck/Lang, Verfahren der Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden in Europa, Wien 2012; Hummel, Anmerkung zum Beschluss des BVerfG vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 335; Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl. München 2018; Jarass, Richtlinienkonforme bzw. 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Richtlinie, UR 1989, 268; Schlienkamp, EG-Richtlinie vom 19.10.1992 zur Annäherung der Mehrwertsteuersätze, UR 1993, 3; Schön, Steuerliche Einkünfteermittlung, Maßgeblichkeitsprinzip und Europäisches Bilanzrecht, in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/Schaumburg (Hrsg.) Unternehmen/ Steuern, FS für Flick, Köln 1997, 573; Schön, Der „Wettbewerb“ der europäischen Steuerordnungen als Rechtsproblem, DStJG 23 (2000), 191; Schön, Gemeinschaftskonforme Auslegung und Fortbildung des nationalen Steuerrechts – unter Einschluss des Vorlageverfahrens nach Art. 177 EGV, DStJG 19 (1996), 167; Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, StbJb 2003/ 2004, 27; Schulz, Zinsschranke und IFRS – Geklärte, ungeklärte und neue Fragen nach dem Anwendungserlass vom 4.7.2008, DB 2008, 2043; Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. Baden-Baden 2015; Spengel, Gewinnermittlung und Bemessungsgrundlage als eigentliches Problem des Steuer-

36 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.46 Kap. 3 wettbewerbs?, in Reimer, E. u.a. (Hrsg.), Europäisches Gesellschafts- und Steuerrecht. Grundlagen – Entwicklungen – Verbindungslinien, Münchener Schriften zum Internationalen Steuerrecht, Bd. 27, München 2007, 253; Spetzler, Die richtlinienkonforme. Auslegung als vorrangige Methode steuerjuristischer Hermeneutik, RIW 1991, 579; Terra/Wattel, European Tax Law, 7. Aufl. Amsterdam 2019; Tipke, Die Steuerrechtsordnung Band I, III, 2. Aufl. Köln 2003/2012; Tipke/Lang; Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021; Stein/v. Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. München 2017; Vanistendael, Europäischer Gerichtshof und seine Rolle als oberster Richter in steuerrechtlichen Streitigkeiten, in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/Schaumburg (Hrsg.) Unternehmen/Steuern, FS für Flick, Köln 1997, 1021; Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. Berlin 1984 (Neudruck 2010); Vogel, Harmonisierung des Internationalen Steuerrechts in Europa als Alternative zur Harmonisierung des (materiellen) Körperschaftsteuerrechts, StuW 1993, 380; Voß, Europäisches und nationales Steuerrecht, StuW 1993, 155; Wachweger, Die erste und die zweite Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuer, UR 1967, 123; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. München 2016; Wernsmann, Steuerrecht, in Schulze/ Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. Baden-Baden 2015; de Weerth, Bilanzrecht und Europarecht, RIW 1996, 763; Wiedow, in Lehner/Thömmes u.a.; Europarecht und Internationales Steuerrecht, München 1994, 45; Widmann, Die Entwicklung der Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt – Fehlentwicklungen und Perspektiven, DStJG 19 (1996), 219.

I. Einführung Das Europäische Steuerrecht umfasst insbesondere das auf primäres und sekundäres Unionsrecht sowie auf sonstige europarechtliche Rechtsquellen zurückzuführende und im Übrigen durch Unionsrecht beeinflusste Steuerrecht.1 Hierzu gehören vor allem die die Grundfreiheiten regelnden Normen des AEUV, EU-Verordnungen, EU-Richtlinien, völkerrechtliche Vereinbarungen und Entscheidungen steuerlichen Inhalts sowie das nationale Steuerrecht, soweit es EU-Richtlinien umsetzt.

3.45

Die vier in Art. 26 Abs. 2 AEUV verankerten Grundfreiheiten sind die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. AEUV), die Personenfreizügigkeit, und zwar die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) und die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV). Die vorgenannten Grundfreiheiten sind binnenmarktfinal, das bedeutet, dass sie nach ihrer Zielrichtung einen freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen, von Personen und Kapital über die Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten hinweg gewährleisten. Damit errichten sie eine Schrankenwirkung gegenüber nationalen Vorschriften, soweit diese z.B. den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr behindern. Im Bereich der direkten Steuern hat der EuGH in besonderer Weise die Grundfreiheiten (Art. 26 Abs. 2 AEUV) aktiviert und dabei tiefe Spuren im deutschen Steuerrecht hinterlassen.2 Nur einige Beispiele: Neufassung des § 1 Abs. 3 EStG und Einführung des § 1a EStG, wonach im Rahmen der sog. erweiterten unbeschränkten Einkommensteuerpflicht beschränkt steuerpflichtige Unionsbürger das Ehegattensplitting in Anspruch nehmen können, wenn sie ihr Einkommen ganz oder fast ausschließlich in Deutschland erzielen und ihr Familienwohnsitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat liegt (Rz. 6.49);3 Begrenzung der Verlustaus-

3.46

1 Zum Begriff im Einzelnen Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 1.1 ff.; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht2, § 1 Rz. 1 f.; Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einf. Rz. 13; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 4.1. 2 Hierzu Schön, StbJb. 2003/2004, 27 ff.; Rödder, DStR 2004, 1629 ff.; Schaumburg, DB 2005, 1129 ff. 3 Als Folge von EuGH v. 14.2.1995 – C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31, Slg. 1995, I-225 = FR 1995, 224 m. Anm. Waterkamp-Faupel – Schumacker; EuGH v. 11.8.1995 – C-80/94, ECLI:EU:C:1995:271, Slg. 1995, I-2493 – Wielockx; ferner EuGH v. 25.1.2007 – C-329/05, ECLI:EU:C:2007:57, Slg. 2007, I-1107 – Meindl, wonach §§ 1 Abs. 3, 1a Abs. 1 EStG wiederum neu gefasst wurden.

Schaumburg | 37

Kap. 3 Rz. 3.46 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

gleichsbeschränkung (§ 2a EStG) auf Drittstaateneinkünfte (§ 2a Abs. 1 EStG) (Rz. 6.75);1 Einschränkung der Hinzurechnungsbesteuerung bei Beteiligung an EU-Kapitalgesellschaften (§ 8 Abs. 2 AStG) (Rz. 13.140 ff.);2 Einschränkung der Wegzugsbesteuerung bei Wegzug in EU-/ EWR-Staaten (§ 6 Abs. 5 AStG a.F.) (Rz. 6.434).3

3.47

Die auf Vorschlag der Kommission (Art. 293 Abs. 1 AEUV) vom EU-Parlament und vom EU-Rat gemeinsam erlassenen Verordnungen sind unmittelbar in jedem Mitgliedstaat anwendbar (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Es bedarf insoweit keiner Umsetzung in nationales Recht.4 Die Verordnungen werden daher unmittelbar Bestandteil der in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsordnungen.5 Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit6 besteht die Verpflichtung, mit Inkrafttreten der Verordnung (Art. 297 AEUV) etwa entgegenstehendes innerstaatliches Recht aufzuheben oder zu ändern, obwohl dieses ohnehin wegen des Vorrangs der Verordnungen suspendiert ist.7 Die Änderung kollidierender nationaler Bestimmungen hat so zu erfolgen, dass sich hierdurch keine bloße Normwiederholung im Sinne einer nationalen Parallelgesetzgebung ergibt.8 Während das voll harmonisierte Zollrecht durch Verordnungen geregelt ist,9 sind im Bereich des Steuerrechts lediglich die beiden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und der Verbrauchssteuern ergangenen Zusammenarbeitsverordnungen10 von Bedeutung.

3.48

Richtlinien sind für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, wobei jedoch den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und der Mittel überlassen bleibt (Art. 288 Abs. 3 AEUV). Im Unterschied zu Verordnungen schaffen Richtlinien kein unmittelbar geltendes Recht in dem jeweiligen Mitgliedstaat, sondern bedürfen hierfür grundsätzlich der Umsetzung in nationales Recht. Im Hinblick darauf, dass Richtlinien lediglich hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, stellen sie in erster Linie ein Instrument der Rechtsangleichung dar und sind damit im Unterschied zu Verordnungen nur auf eine Mindestharmonisierung des betroffenen Rechts gerichtet. Richtlinien enthalten indessen nicht selten umfassende Detailregelungen, so dass insoweit den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung kein nennenswerter Spielraum mehr verbleibt. Damit ist im Ergebnis kein

1 Zurückzuführen auf EuGH v. 29.3.2007 – C-347/04, ECLI:EU:C:2007:194, Slg. 2007, I-2647 = GmbHR 2007, 494 m. Anm. Rehm/Nagler – Rewe Zentral Finanz. 2 Reaktion auf EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995 = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert = FR 2006, 987 m. Anm. Lieber – Cadbury Schweppes. 3 Folge von EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138, Slg. 2004, I-2409 = GmbHR 2004, 504 m. Anm. Meilicke – Hughes de Lasteyrie du Saillant. 4 EuGH v. 31.1.1978 – C-94/77, ECLI:EU:C:1978:17, Slg. 1978, 99 Rz. 22, 27 – Zerbone; Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 101. 5 Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 58. 6 Es handelt sich hierbei um eine durch Art. 6 EUV geschützte rechtsstaatliche Garantie; zu Einzelheiten Mayer in Grabitz/Hilf/Nettesheim, nach Art. 6 EUV Rz. 85 ff. 7 EuGH v. 20.3.1986 – C-72/85, ECLI:EU:C:1986, Slg. 1986, 1219 – KOM ./. Niederlande; EuGH v. 26.4.1988 – C-74/86, ECLI:EU:C:1988:198, Slg. 1988, 2139 Rz. 10 – KOM ./: Deutschland. 8 Zum Normwiederholungsverbot EuGH v. 10.10.1973 – C-34/73, ECLI:EU:C:1973:101, Slg. 1973, 981 Rz. 9 – Variola; Schroeder in Streinz3, Art. 280 AEUV Rz. 58. 9 Zollkodex der Union (UZK) VO (EU) Nr. 952/2013 v. 9.10.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 269, 1; Gemeinsamer Zolltarif (GZT): VO (EWG) Nr. 2658/87 v. 23.7.1987, ABl. EG 1987 Nr. L 256, 1 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den gemeinsamen Zolltarif. 10 MwSt-ZVO: VO (EU) Nr. 904/2010 v. 7.10.2010, ABl. EU 2010 Nr. L 268, 1; VerbrauchSt-ZVO: VO (EU) Nr. 389/2012 v. 2.5.2012, ABl. EU 2012 Nr. L 121, 1; hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 25.97 ff.

38 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.49 Kap. 3

Unterschied zu den auf Vollharmonisierung (Rechtsvereinheitlichung) gerichteten Verordnungen gegeben.1 Die an die Mitgliedstaaten gerichteten und mit Vorrang gegenüber dem nationalen Recht (vgl. hierzu Rz. 3.28 ff.) ausgestatteten Richtlinien sind fristgemäß und zielkonform umzusetzen. Diese Verpflichtung ergibt sich nicht nur aus der betreffenden Richtlinie selbst, sondern auch aus Art. 288 Abs. 3 AEUV und aus Art. 4 Abs. 3 EUV (Unionstreue).2 Wird dieser Umsetzungsverpflichtung nicht entsprochen, kann dies die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258, 259 AEUV)3 zur Folge haben.4 Darüber hinaus hat der betreffende Mitgliedstaat wegen fehlender oder fehlerhafter Richtlinienumsetzung ggf. Schadensersatz zu leisten (Art. 340 AEUV).5 Schließlich eröffnet sich für den einzelnen Bürger die Möglichkeit, sich unmittelbar auf eine Richtlinie zu berufen, soweit diese hinreichend genau und von keinen weiteren Bedingungen abhängig ist (hierzu Rz. 3.30). In diesem Fall können sich etwa Steuerpflichtige unmittelbar auf einzelne Regelungen in den Richtlinien berufen.6 Voraussetzung für die unmittelbare Wirkung von nicht oder nur fehlerhaft umgesetzten Richtlinien7 ist, dass die betreffenden Richtlinienbestimmungen hinreichend genau formuliert und inhaltlich unbedingt sind.8 Das bedeutet einerseits, dass die Richtlinienbestimmungen so konkret formuliert sind,9 dass auf ihrer Grundlage überhaupt Entscheidungen getroffen werden können,10 und andererseits die Richtlinienbestimmungen nicht mit einem Vorbehalt oder einer Bedingung, die bei der Umsetzung Wahlmöglichkeiten eröffnet, versehen sind.11 Sind die Richtlinien1 Zu dieser Rechtsentwicklung Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 54; Ruffert in Calliess/Ruffert6, Art. 288 AEUV Rz. 25. 2 EuGH v. 10.4.1984 – C-14/83, ECLI:EU:C:1984:153, Slg. 1984, 1891 Rz. 26 – von Colson Kamann; EuGH v. 20.9.1988 – C-31/87, ECLI:EU:C:1988:422, Slg. 1988, 4635 Rz. 39 – Beentjes; EuGH v. 13.11.1990 – C-106/89, ECLI:EU:C:1990:395, Slg. 1990, I-4135 Rz. 8 – Marleasing; EuGH v. 27.6.2000 – C-240-244/98, ECLI:EU:C:2000:346, Slg. 2000, I-4941 Rz. 30 – Océano; Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 62 f. 3 Ggf. auch Verhängung eines Zwangsgeldes (§ 260 Abs. 2 AEUV); vgl. hierzu EuGH v. 4.7.2000 – C-387/97, ECLI:EU:C:2000:356, Slg. 2000, I-5047 – KOM ./. Griechenland; Karpenstein, EuZW 2000, 537. 4 Hierzu Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 27.26. 5 EuGH v. 19.11.1991 – Rs. C-6/90, 9/90 – Francovich, Slg. 1991, I-5357 Rz. 31: Nichtumsetzung; v. 26.3.1996 – Rs. C-392/93 – British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631 Rz. 40: Fehlerhafte Umsetzung. 6 EuGH v. 4.12.1974 – C-41/74, ECLI:EU:C:1974:133, Slg. 1974, 1337 Rz. 12 – van Doyn; EuGH v. 5.4.1979 – C-148/78, ECLI:EU:C:1979:110, Slg. 1979, 1629 Rz. 18 ff. – Ratti; EuGH v. 19.1.1982 – C-8/81, ECLI:EU:C:1982:7, Slg. 1982, 53 Rz. 21 – Becker; es handelt sich hierbei um eine auf Art. 19 Abs. 1 AEUV beruhende Rechtsfortbildung, die vom BVerfG (v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 = UR 1987, 355 m. Anm. Weiss, 241 ff.) akzeptiert worden ist; hierzu Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 87. 7 Zu diesen beiden Fallkonstellationen EuGH v. 22.6.1989 – C-103/88, ECLI:EU:C:1989:256, Slg. 1989, 1861 Rz. 29 – Costanzo. 8 EuGH v. 4.12.1974 – C-41/74, ECLI:EU:C:1974:133, Slg. 1974, 1337 Rz. 12 – van Duyn; EuGH v. 5.4.1979 – C-148/78, ECLI:EU:C:1979:110, Slg. 1979, 1629 Rz. 18 – Ratti; EuGH v. 19.1.1982 – C8/81, ECLI:EU:C:1982:7, Slg. 1982, 53 Rz. 25 – Becker. 9 Unbestimmte Rechtsbegriffe sind wegen der Möglichkeit der Vorabentscheidung durch den EuGH (Art. 267 AEUV) unschädlich. 10 Zu Einzelheiten Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 147; Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 93. 11 Zu Einzelheiten Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 146; Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 94.

Schaumburg | 39

3.49

Kap. 3 Rz. 3.49 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

bestimmungen unter diesem Gesichtspunkt unmittelbar wirksam, gilt dies indessen stets nur zugunsten des Steuerpflichtigen.1 Die unmittelbare Wirkung nicht oder nur fehlerhaft umgesetzter Richtlinien führt dazu, dass kollidierendes nationales Recht zurücktritt mit der Folge, dass stattdessen die betreffende Richtlinienbestimmung anzuwenden ist.2 Diese unmittelbare Richtlinienwirkung ist von den Verwaltungsbehörden und den Gerichten ohne weiteres zu beachten, allerdings nur, soweit z.B. Steuerbescheide überhaupt noch geändert werden können. Das ist in aller Regel nicht der Fall, wenn die maßgeblichen Rechtsbehelfsfristen abgelaufen und Steuerbescheide daher bestandskräftig geworden sind.3

3.50

Während die Einwirkung der Richtlinien auf die Umsatzsteuer – MwStSystRL4 – und auf die Verbrauchsteuern – VerbStSystRL5 – im Sinne einer Vollharmonisierung sehr weitgehend sind, haben die Richtlinien zu den direkten Steuern nur eine begrenzte Bedeutung. Es geht hierbei insbesondere um die Fusionsrichtlinie,6 die sich mit der Steuerneutralität von grenzüberschreitenden Umwandlungsvorgängen befasst (hierzu im Einzelnen Rz. 3.66 ff.), die Mutter-Tochter-Richtlinie,7 wonach die Hindernisse beseitigt werden sollen, die für grenzüberschreitende Dividendenzahlungen von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft an eine im anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft aus der Besteuerung im Quellen- und im Ansässigkeitsstaat resultieren können (hierzu im Einzelnen Rz. 3.70 ff.), die Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie,8 auf Grund deren Zins- und Lizenzgebührenzahlungen zwischen verbundenen Unternehmen von der Besteuerung an der Quelle befreit werden (hier-

1 Steuerliche oder steuerstrafrechtliche Nachteile sind also ausgeschlossen; EuGH v. 11.6.1987 – C14/86, ECLI:EU:C:1987:275, Slg. 1987, 2545 Rz. 19 – Pretore di Salò; EuGH v. 8.10.1987 – C-80/ 86, ECLI:EU:C:1987:431, Slg. 1987, 3969 Rz. 9 f., 13 – Kolpinghuis; EuGH v. 26.9.1996 – C-168/95, ECLI:EU:C:1996:363, Slg. 1996, I-4705 Rz. 3 f. – Arcaro; EuGH v. 3.5.2005 – C-387/02, ECLI:EU: C:2005:270, Slg. 2005, I-3565 Rz. 74– Berlusconi u.a.; Rechtsgrund: Die unmittelbare Wirkung ist eine Sanktion gegenüber dem Mitgliedstaat, der aus der fehlenden oder fehlerhaften Richtlinienumsetzung keinen Vorteil haben soll; vgl. auch Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 100. 2 Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 166; Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 91 ff.; vgl. aus dem MwStR BFH v. 24.10.2013 – V R 17/13, BStBl. II 2015, 513. 3 Vgl. BFH v. 16.9.2010 – V R 57/09, BStBl. II 2011, 151; v. 23.11.2006 – V R 67/05, BStBl. II 2007, 436; das entgegenstehende Urteil des EuGH v. 25.7.1991 – C-208/90, ECLI:EU:C:1991:333, Slg. 1991, I-4269 Rz. 23 – Emmottbetrifft einen Einzelfall; vgl. im Einzelnen Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht2, Rz. 28.27. 4 RL 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. 2006 Nr. L 347, 1; vgl. den Überblick bei Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 19.1 ff. 5 RL 2008/118/EG v. 16.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. 9, 12; vgl. den Überblick bei Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 20.1 ff. 6 Richtlinie 2009/133/EG des Rates v. 19.10.2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen sowie die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ABl. EU 2009 Nr. L 310, 34; hierzu Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht2, Rz. 16.1 ff. 7 Richtlinie 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8, hierzu Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 14.1 ff. 8 RL 2003/49/EG, ABl. EG 2003 Nr. L 157, 1; hierzu Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 15.1 ff.

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E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.52 Kap. 3

zu im Einzelnen Rz. 3.74 ff., die inzwischen aufgehobene Zinsrichtlinie,1 die das Ziel hatte, die Besteuerung im Unionsgebiet sicherzustellen sowie die Amtshilferichtlinie2 und die Beitreibungsrichtlinie3 (hierzu Rz. 3.104 ff.). Neben Verordnungen und Richtlinien zählen auch Beschlüsse zu den verbindlichen Rechtsakten der EU (Art. 288 Abs. 4 AEUV). Sie sind nicht auf Rechtsvereinheitlichung oder Rechtsangleichung gerichtet,4 es geht vielmehr um die Regelung in bestimmten Einzelfällen. Die Reichweite einer derart verbindlichen Regelung hängt davon ab, ob es sich um einen adressatenlosen Beschluss oder um einen solchen handelt, der sich an einen bestimmten Adressaten richtet (Art. 288 Abs. 4 Satz 2 AEUV).5 Adressatenlose Beschlüsse erzeugen unmittelbare Bindungswirkung nur für die Union und ihre Einrichtungen.6 Es handelt sich insoweit um eine Regelung mit Rechtsnormcharakter nur im Binnenbereich der EU. Die Mitgliedstaaten sind lediglich auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Loyalitätspflicht gehalten, die verwaltungsmäßige Umsetzung der Beschlüsse zu fördern.7 Eine Auswirkung erlangen derartige Beschlüsse in den Fällen, in denen der Verpflichtung von Unionsorganen Rechte von Unionsbürgern gegenüberstehen mit der Folge, dass diese die Rechte unmittelbar selbst geltend machen können.8 Soweit sich Beschlüsse an bestimmte Adressaten richten (bis 2009 als Entscheidungen bezeichnet), hängt die Reichweite der Bindungswirkung davon ab, wer der Adressat ist. Sind es die Mitgliedstaaten (staatengerichtete Beschlüsse)9, erzeugen die Beschlüsse Rechtswirkungen, die mit Richtlinien vergleichbar sind, soweit sie ebenso in dem im Art. 289 Abs. 1 AEUV verankerten Gesetzgebungsverfahren – Verabschiedung durch das Europäische Parlament und den Rat auf Vorschlag der Kommission – entspricht.10 Richten sich die Beschlüsse an Unionsbürger (individual gerichtete Beschlüsse)11, kommt der Beschluss im Ergebnis der Wirkung eines Verwaltungsaktes gleich.12 Beschlüsse haben bislang im Steuerrecht keine Bedeutung erlangt.13

3.51

Rechtsnormcharakter haben die zum Tertiärrecht gehörenden delegierten Rechtsakte (Art. 290 AEUV) und Durchführungsrechtsakte (Art. 291 Abs. 2 AEUV). In beiden Fällen handelt es

3.52

1 RL 2003/48/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 38, zuletzt geändert durch RL 2006/98/EG v. 20.11.2006, ABl. EU 2006 Nr. L 363, 19; aufgehoben am 10.11.2015 durch den ECOFIN-Rat auf Vorschlag der EU-Kommission zum 31.12.2015 (RL 2015/2060, ABl. EU Nr. L 201, 1). 2 ABl. EU 2011 Nr. L 64,1; hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 25.15 ff. 3 ABl. EU 2010 Nr. L 84, 1; hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 25.61 ff. 4 So nur die Zielrichtung von Verordnungen und Richtlinien. 5 Zur unterschiedlichen Terminologie Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 172. 6 Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 119. 7 EuGH v. 30.5.1989 – C-242/87, ECLI:EU:C:1989:217, Slg. 1989, 1425 Rz. 11, 19 – KOM ./. Rat. 8 EuGH v. 30.4.1996 – C-58/94, ECLI:EU:C:1996:171, Slg. 1996, I-2169 Rz. 38 – Niederlande ./. Rat. 9 Vgl. zur Terminologie Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 122. 10 Hierzu Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 122. 11 Zur Terminologie Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 122. 12 Ruffert in Calliess/Ruffert6, Art. 288 AEUV Rz. 91, Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 174; hiergegen ist Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV gegeben. 13 Vgl. allerdings z.B. die Entscheidung des Rates 90/640/EWG v. 3.12.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 349, 19, aufgrund deren Deutschland ermächtigt wurde, abweichend von der 6. EG-Richtlinie für Umsätze an die sowjetischen Truppen bis zu deren Abzug Steuerbefreiungen auszusprechen (UR 1991, 41).

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Kap. 3 Rz. 3.52 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

sich um eine unmittelbar verbindliche exekutive Rechtsetzung der Kommission und ggf. auch des Rates auf Grund einer in einem legislativen Gesetzgebungsakt verankerten Ermächtigung.

3.53

Während es im Steuerrecht delegierte Rechtsakte (Art. 290 AEUV) bislang nicht gibt, zählt zu den Durchführungsrechtsakten (Art. 291 Abs. 2 AEUV) die vom Rat erlassene MwStDV1 auf Grundlage von Art. 397 MwStSystRL.2 Darüber hinaus ist im Zollrecht z.B. der UZK als Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates erlassen worden.3

3.54

Europäisches Steuerrecht stützt sich auch auf die von der EU selbst abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge sowie auf solche zwischen den Mitgliedstaaten, die auf die Initiative der EU zurückgehen. Schließlich sind auch die von der EU und den Mitgliedstaaten einerseits und Drittstaaten andererseits abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge (gemischte Verträge)4 von Bedeutung. Die von der EU abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge binden sowohl die Organe der Union als auch die Mitgliedstaaten (Art. 216 Abs. 2 AEUV). Diese unionsrechtliche Pflicht ist zwingend und kann nicht etwa im Rahmen eines sog. Treaty-Overriding überspielt werden.5 Kommt ein Mitgliedstaat der Verpflichtung aus einem von der EU abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrag entgegen Art. 216 Abs. 2 AEUV nicht nach, ist daher ein Vertragsverletzungsverfahren seitens der Kommission (Art. 258 AEUV) die Folge.6 Im Bereich des Steuerrechts haben bislang insbesondere die mit Drittstaaten abgeschlossenen Freizügigkeitsabkommen Bedeutung erlangt: Sie dehnen die Grundfreiheiten auch auf Unionsbürger aus, die in solchen Drittstaaten ansässig sind.7 Zu den völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten, die auf Initiative der EU abgeschlossen wurden, zählt die Schiedsverfahrenskonvention8 und zu den gemischten Verträgen das EWR-Abkommen.9

3.55

Empfehlungen und Stellungnahmen sind offizielle Äußerungen der Organe der EU, die nicht verbindlich und damit dem sog. soft law zuzurechnen sind (Art. 288 UAbs. 5 AEUV). Sie begründen keine Rechte und sind somit auch nicht unmittelbar anwendbar.10 Sie sind allerdings rechtlich durchaus von Bedeutung, etwa als Prozessvoraussetzung vor dem EuGH (Art. 258, 259, 265 Abs. 2 AEUV) oder im Gesetzgebungsverfahren (Art. 242 AEUV). Darüber hinaus entsteht eine Selbstbindung des betreffenden Organs in dem Sinne, dass sein Handeln nicht ohne weiteres im Widerspruch zur eigenen Stellungnahme oder Empfehlung ste-

1 VO (EU) Nr. 282/2011 v. 15.3.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 77, 1; geändert durch VO (EU) Nr. 967/ 2012 v. 9.10.2012, ABl. Nr. L 290, 1 und VO (EU) Nr. 1042/2013 v. 7.10.2013, ABl. Nr. L 284, 1. 2 RL 2006/112/EG v. 28.11.2006, ABl. EU 2006, Nr. L 347, 1; bei ABl. EU 2007 Nr. L 335, 60. 3 VO (EU) Nr. 952/2013 v. 9.10.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 269, 1. 4 Hierzu Mögele in Streinz³, Art. 2016 AEUV Rz. 42 f. 5 Anders bei DBA gem. BVerfG v. 5.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191; hierzu Rz. 3.24 f. 6 Vgl. EuGH v. 19.3.2002 – C-13/00, ECLI:EU:C:2002:184, Slg. 2002, I-2943 – KOM ./. Irland. 7 Vgl. im Verhältnis zur Schweiz EuGH v. 28.2.2013 – C-425/11, ECLI:EU:C:2013:121 = IStR 2013, 353 – Ettwein; hierzu auch Sunde, IStR 2013, 568 ff.; ferner EuGH v. 21.9.2016 – C-478/15, ECLI: EU:C:2016:705 – Radgen, und EUGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138, DStR 2019, 425 – Wächtler. 8 Übereinkommen 90/436/EWG über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen v. 23.7.1990, ABl. 1990 Nr. L 225, 10 (Schiedsverfahrenskonvention v. 23.7.1990, BStBl. I 1993, 819); zu Einzelheiten Rz. 19.114 ff. 9 ABl. EG 1994 Nr. L 1. 10 EuGH v. 13.12.1989 – C-322/88, ECLI:EU:C:1989:646, Slg. 1989, 4407 Rz. 18 – Grimaldi.

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E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.56 Kap. 3

hen darf.1 Während Empfehlungen auf Rechtsangleichung gerichtet sind,2 sind Stellungnahmen unverbindliche Meinungsäußerungen, die zumeist in den sachpolitischen Bereichen Bedeutung erlangen, in denen insbesondere die Kommission zuständig ist. Darüber hinaus zählen zum soft law auch Entschließungen, Mitteilungen, Leitlinien, Erklärungen usw. Diese haben in der Vergangenheit im Bereich sowohl der indirekten als auch der direkten Steuern Bedeutung erlangt.3

II. Auslegungsgrundsätze 1. Auslegung des Unionsrechts Die Auslegung insbesondere des primären und sekundären Unionsrechts durch die Unionsorgane und die Mitgliedstaaten gewinnt in den Fällen eine besondere Bedeutung, in denen es um die unmittelbare Anwendung von EU-Verordnungen (Rz. 3.15) und – ausnahmsweise – EU-Richtlinien (Rz. 3.15) oder um die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geht.4 In diesen Fällen steht dem EuGH für das Unionsrecht eine letztinstanzliche Auslegungsbefugnis zu.5 Darüber hinaus ist er auch zuständig für die Auslegung der von der EU abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge und sog. gemischter Abkommen, soweit Teilbereiche betroffen sind, die in die Zuständigkeit der EU fallen.6 Diese Auslegungsbefugnis stützt sich auf Art. 19 EUV, wonach der EuGH die Aufgabe hat, das reibungslose Zusammenwirken der Unionsrechtsordnung mit den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu gewährleisten. Diese Aufgabe erfüllt der EuGH im Wesentlichen auf der Grundlage von Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV).7 Hiernach sind insbesondere die FG berechtigt (Art. 267 Abs. 2 AEUV) und der BFH verpflichtet (Art. 267 Abs. 3 AEUV), entscheidungserhebliche Auslegungsfragen8 vorzulegen, soweit diesbezügliche vernünftige Zweifel bestehen.9 Die Vorlagepflicht entfällt daher insbesondere, wenn zu der europarechtlich relevanten Frage bereits eine

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 128, 133. Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 130; Ruffert in Calliess/Ruffert6, Art. 288 AEUV Rz. 95. Vgl. die Aufzählung bei Kofler in FS BFH, 699, 707 ff. Zu Einzelheiten Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.1 ff. EuGH v. 7.1.2003 – C-306/99, ECLI:EU:C:2003:3, Slg. 2003, I-1 – BIAO; Pechstein/Drechsler in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 7 Rz. 14; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 28.5 ff. EuGH v. 7.10.2004 – C-239/03, ECLI:EU:C:2004:598, Slg. 2004, I-9325 – KOM ./. Frankreich; Pechstein/Drechsler in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 7 Rz. 14. Hierzu Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 5.8 ff. Hierzu EuGH v. 23.3.1982 – C- 102/81, ECLI:EU:C:1982:107, Slg. 1982, 1095 – Nordsee; EuGH v. 6.10.1981 – C-246/80, ECLI:EU:C:1981:218, Slg. 1981, 2311 – Broekmeulen. Die richtige Anwendung des Unionsrechts darf also nicht offenkundig sein; sog. acte clair-Doktrin; EuGH v. 6.10.1982 – C-283/81, ECLI:EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415 Rz. 13 ff. – C.I.L.F.I.T.; EuGH v. 19.2005 – C-495/03, ECLI:EU:C:2005:552, Slg 2005, I-8151 Rz. 33 – Intermodal Transports.; EuGH v. 6.12.2005 – C-461/03, ECLI:EU:C:2005:742, Slg. 2005, I-10513 Rz. 16 – Gaston Schul; vgl. auch BFH v. 10.1.2007 – I R 87/03, BStBl. II 2008, 22; v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731; zuletzt BFH v. 12.7.2011 – VII R 10/13, BFHE 234, 83; v. 19.12.2012 – I R 73/11, BFHE 240, 99 = BStBl. II 2013, 392 = ISR 2013, 191 m. Anm. Oellerich; v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771 = GmbHR 2013, 1057 m. Anm. Roser = ISR 2013, 347 m. Anm. Andresen; v. 31.7.2013 – I R 31/12, BFH/NV 2014, 185; v. 31.7.2013 – I R 82/12, BFHE 243, 180; v. 25.10.2016 – I R 54/14, BStBl. II 2017, 1216; v. 28.6.2017 – XI R 23/14, BFH/NV 2017, 1561; v. 19.7.2017 – I R 87/15, BStBl. II 2020, 237 = DStR 2018, 67; vgl. hierzu Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 5.19.

Schaumburg | 43

3.56

Kap. 3 Rz. 3.56 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt.1 Hierbei beschränkt sich der EuGH auf die Auslegung des primären und sekundären Unionsrechts selbst; er prüft weder das nationale Recht2 noch dessen Vereinbarkeit mit Unionsrecht.3

3.57

Die Auslegung durch den EuGH insbesondere im Bereich des Europäischen Steuerrechts ist nach Maßgabe des Art. 19 EUV im Wesentlichen auf die Entwicklung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen und die Durchsetzung der Grundfreiheiten gerichtet.4 Diese auf die Wahrung der Rechtseinheit innerhalb der EU ausgerichtete Auslegung verbietet grundsätzlich einen Rückgriff auf die Begriffswelt des jeweiligen nationalen Rechts.5 Auf der Grundlage dieser unionsautonomen Auslegung6 hat sich eine eigene unionsrechtliche Begriffswelt entwickelt, die im primären und sekundären Unionsrecht alleinige Anwendung und im harmonisierten nationalen Steuerrecht im Rahmen unionsrechtskonformer Auslegung7 besondere Beachtung beansprucht.

3.58

Die Auslegungsmethodik des EuGH8 beruht zwar auf einem pragmatischen Ansatz, so dass eine Einbindung in eine bestimmte europäische Rechtstradition kaum feststellbar ist,9 sie ist aber doch in Teilen geprägt durch die französische Doktrin, wonach auch jenseits des möglichen Wortverständnisses Auslegung möglich ist.10 Im Hinblick darauf wird seitens des EuGH nicht durchgängig zwischen Auslegung einerseits und Rechtsfortbildung andererseits unterschieden11 mit der Folge, dass eine Lückenschließung12 auch mit Mitteln der Auslegung er-

1 Hierzu der Überblick bei Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 5.19. 2 EuGH v. 17.12.1970 – C-11/70, ECLI:EU:C:1970:114, Slg. 1970, 1125 – Internationale Handelsgesellschaft; EuGH v. 13.12.1979 – C-44/79, ECLI:EU:C:1979:290, Slg. 1979, 3727 – Hauer ./. Land Rheinland-Pfalz. 3 EuGH v. 3.10.1985 – C-249/84, ECLI:EU:C:1985:393, Slg. 1985, 3237 (3250) – Profant; vgl. hierzu Seer in T/K, EuRS Rz. 10. 4 EuGH v. 6.10.1982 – C-283/81, ECLI:EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415 Rz. 20 – C.I.L.F.I.T.; EuGH v. 15.7.1982 – C-270/81, ECLI:EU:C:1982:281, Slg. 1982, 2771 (2784) – Rickmers-Linie; EuGH v. 23.3.1982 – C- 53/81, ECLI:EU:C:1982:105, Slg. 1982, 1035 (1048) – Levin; Pechstein/Drechsler in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 7 Rz. 27. 5 EuGH v. 13.12.1979 – C-44/79, ECLI:EU:C:1979:290, Slg. 1979, 3727 (3743 f.) – Hauer; EuGH v. 3.10.1985 – C-249/84, ECLI:EU:C:1985:393, Slg. 1985, 3237 (3256 ff.) – Profant; EuGH v. 10.1.1990 – C-115/88, ECLI:EU:C:1990:3, Slg. 1990, 27 ff. – Reichert; zu weiteren Einzelheiten Pieper in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-WirtschaftsR, B. I Rz. 60 ff. 6 EuGH v. 18.1.1984 – C-327/82, ECLI:EU:C:1984:11, Slg. 1984, 107 Rz. 11 – EGKO ./. Produktshop; Riesenhuber in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 10 Rz. 4 ff. 7 Zur unionsrechtskonformen Auslegung Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.9 ff. 8 Hierzu Stotz in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 22 Rz. 1 ff.; Dederichs, Die Methodik des EuGH; Buerstedde, Juristische Methodik des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 28 ff. 9 Vgl. hierzu Baldus in Riesenhuber, Europäische Methoenlehre3, § 3 Rz. 102 ff. 10 Krech, Die Theorie der allgemeinen Rechtsgrundsätze im französischen öffentlichen Recht, 102 ff., Anzwiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 39; Walter, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 55 ff.; zu weiteren Einzelheiten Vanistendael in FS Flick, 1021 (1028 ff.). 11 Vgl. nur Borchardt in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 15 Rz. 3; der EuGH respektiert zugleich aber auch den möglichen Wortsinn als Grenze der Auslegung; zur Bedeutung des Wortlauts in der Rechtsprechung des EuGH Pieper in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-WirtschaftsR. B. I Rz. 11 ff.; Neuner in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 12 Rz. 11 ff. 12 Zur Anwendung der sog. „implied-powers-Lehre“ durch den EuGH Oppermann in Oppermann/ Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 11 Rz. 11; Hobe/Fremuth, Europarecht10, § 6 Rz. 59 ff.

44 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.59 Kap. 3

folgt.1 Diese dynamische Auslegung2 muss sich freilich noch in dem Rahmen halten, der durch das Transformationsgesetz gem. Art. 23 (24) GG an die Union bei der Ratifikation der Unionsverträge übertragen worden ist.3 Das BVerfG hat in seiner Maastricht-Entscheidung4 im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung5 bestätigt, es sei berechtigt zu prüfen, ob Einrichtungen oder Organe der EU das Primärrecht der Union in einer Weise handhaben oder fortbilden, die vom deutschen Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt ist.6 Diesen Vorbehalt hat das BVerfG in seinem Lissabon-Urteil7 und danach8 bekräftigt. Das BVerfG hat sich hierbei ausdrücklich die Feststellung vorbehalten, ggf. den auf unzulässige Rechtsfortbildung beruhenden Rechtsakten der Union die Bindungswirkung für deutsche Organe zu nehmen.9 Angesprochen ist damit auch die Rechtsprechung des EuGH.10 Im Hinblick darauf, dass das BVerfG sich bislang ggü. der Rechtsfortbildung insbesondere im Steuerrecht tolerant gezeigt hat,11 wird das BVerfG wohl kaum je in die Lage kommen, die Rechtsprechung des EuGH wegen unzulässiger Rechtsfortbildung im Steuerrecht unmittelbar oder mittelbar für unverbindlich zu erklären.12 Der EuGH bewegt sich weit gehend im Rahmen der klassischen Auslegungskanones der Wortauslegung, der teleologischen, systematischen und historischen Auslegung.13 Der Wortauslegung des Unionsrechts sind allerdings von vornherein schon deshalb Grenzen gesetzt, weil es keinen einheitlichen Wortlaut gibt, vielmehr jede Sprachfassung gleichermaßen verbindlich ist (Art. 55 EUV, Art. 358 AEU).14 In der Rechtsprechung des EuGH ist die teleologi1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

13 14

Hobe/Fremuth, Europarecht10, § 10 Rz. 52 ff. Hierzu Bleckmann, NJW 1982, 1177 ff.; Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 (976). Kirchhof, JZ 1989, 452 (454); Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 (970). BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 ff. BVerfG v. 23.6.1981 – 2 BvR 1107/77, 2 BvR 1124/77, 2 BvR 195/79, BVerfGE 58, 1 (30 f.); v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (235, 242). BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (182 ff.). BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267. BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 (304); v. 14.1.2014 – 2 BvR 2728/13 u.a., EWG 2014, 270; v. 18.3.2014 – 2 BvR 1390/12 u.a., EWS 2014, 273; zuletzt v. 21.6.2016 – 2 BvR 2728/13 u.a., RIW 2016, 519 Rz. 130. Hierzu Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 (976); Häde, BB 1993, 2457 (2462); Frenz, EWS 2009, 345 ff. Vgl. Borchardt in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 15 Rz. 27; Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 (970). Hierzu Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 360 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 182 ff.; Herzog, StbJb 1985/86, 27 (41 ff.). So hat das BVerfG mit Beschlüssen v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, UR 1987, 355 und v. 4.11.1987 – 2 BvR 763/85, UR 1988, 25 die Rechtsfortbildung des EuGH zur unmittelbaren Wirkung von EU-Richtlinien gebilligt; vgl. zuletzt auch BVerfG v. 21.6.2016 – 2 BvR 2728/13 u.a., RIW 2016, 519 Rz. 161; anders dagegen BVerfG v. 5.5.2020 – 2 BvR 859/15 u.a.; BVerfGE 154, 17 Rz. 110 ff. (PSPP-Programm der EZB) im Rahmen der Ultra-Vires-Kontrolle (vgl. Rz. 3.43). Stotz in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 22 Rz. 11 ff.; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.1 ff.; Pieper in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-WirtschaftsR, B. I Rz. 5 ff.; Vanistendael in FS Flick, 1021 (1028 ff.). EuGH v. 12.11.1969 – C-29/69, ECLI:EU:C:1969:57, Slg. 1969, 419 (424 f.) – Stauder; EuGH v. 27.10.1977 – C-30/77, ECLI:EU:C:1977:172, Slg. 1977, 1999 (2009 ff.) – Bouchereau; EuGH v. 28.3.1985 – C-100/84, ECLI:EU:C:1985:155, Slg. 1985, 1169 (1181 ff.) – Kommission ./. GB; BVerfG v. 21.6.2016 – 2 BvR 2728/13 u.a., RIW 2016, 519 Rz. 159; zu weiteren Einzelheiten Stotz in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 22 Rz. 12 ff.; Borchardt in Schulze/Zuleeg/Kadel-

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3.59

Kap. 3 Rz. 3.59 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

sche Auslegung dominierend.1 Orientierungsmaßstäbe sind hierbei insbesondere die Ziele des AEUV sowie die spezifischen Zielsetzungen der einzelnen Vertragsnormen bzw. der Normen des sekundären Unionsrechts, wobei jede Norm so auszulegen ist, dass sie ihre volle Wirkung entfaltet.2 Während der EuGH im Rahmen der teleologischen Auslegung des primären Unionsrechts nur selten auf die in der Präambel und in Art. 3 EUV verankerten Ziele und Aufgaben abstellt,3 vielmehr die Ziele der Einzelbestimmungen des AEUV in den Vordergrund rückt, ist die teleologische Auslegung des Sekundärrechts insbesondere an den in den Begründungserwägungen der Präambeln der Rechtsakte des Ministerrats oder der Kommission zum Ausdruck kommenden Ziele ausgerichtet.4 Darüber hinaus geht es im Rahmen der teleologischen Auslegung auch darum, das Sekundärrecht vertragskonform, d.h. in Übereinstimmung mit dem AEUV, auszulegen (primärrechtskonforme Auslegung).5 Die teleologische Auslegung der steuerrechtlichen Normen des Unionsrechts orientiert sich in erster Linie an dem Ziel der Entwicklung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen und der Durchsetzung der Grundfreiheiten.6

2. Unionsrechtskonforme Auslegung 3.60

Die in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Unionstreue bindet Legislative, Exekutive und Judikative gleichermaßen.7 Diese auf die Durchsetzung des Unionsrechts gerichtete Verpflichtung bedeutet für die Exekutive und die Judikative, die Auslegung des nationalen Rechts insbesondere an dem primären und sekundären Unionsrecht auszurichten (unionsrechtskonforme Auslegung).8 Im Hinblick darauf ist zwischen primärrechts- und richtlinienkonformer Auslegung zu unterscheiden.

1 2

3 4 5 6 7 8

bach, Europarecht3, § 15 Rz. 34 ff.; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.3; Schön, Die Auslegung europäischen Steuerrechts, 50 ff.; z.T. a.A. Pechstein/Drechsler in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 7 Rz. 21. Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 9 Rz. 176 ff.; Stotz in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 22 Rz. 15; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.5; Schön, DStJG 19 (1996), 67 (173 f.). Grundsatz des „effet utile“; EuGH v. 6.10.1970 – C-9/70, ECLI:EU:C:1970:78, Slg. 1970, 825 – Grad; EuGH v. 8.3.2007 – C-44/06, ECLI:EU:C:2007:153, Slg. 2007, I-2077 Rz. 28 – Gerlach; EuGH v. 18.7.2007 – C-119/05, ECLI:EU:C:2007:434, Slg. 2007, I-6199 Rz. 61 – Lucchine; EuGH v. 21.10.2015 – C-215/15, ECLI:EU:C:2015:710, Rz. 45 – Gogova; Stotz in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 22 Rz. 16; Borchardt in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 15 Rz. 47; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.5; Schön, Die Auslegung des europäischen Steuerrechts, 53. Nachweise bei Pieper in Dauses/Ludwigs Hdb. EU-WirtschaftsR, B. I Rz. 34 ff. Stotz in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 22 Rz. 17; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.5. EuGH v. 25.11.1986, Rs. 201-202/85 – Kleusen, Slg. 1986, 3477; v. 28.9.1994 – Rs. C-7/93 – Beune, Slg. 1994, I, 4471 (4523); Pieper in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-WirtschaftsR, B. I Rz. 43; Stotz in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre3, § 22 Rz. 20 f. EuGH v. 9.10.1980 – C-823/79, ECLI:EU:C:1980:230, Slg. 1980, 2773 (2780) – Carciati; EuGH v. 3.10.1985 – C-249/84, ECLI:EU:C:1985:393, Slg. 1985, 3237 (3255 ff.) – Profant; Schön, Die Auslegung europäischen Steuerrechts, 47. EuGH v. 5.10.1994 – C-165/91, ECLI:EU:C:1994:359, Slg. 1994, I-4661 Rz. 32 ff. – van Munster; EuGH v. 26.9.2000 – C-262/97, ECLI:EU:C:2000:492, Slg. 2000, I-7321 Rz. 38 ff. – Engelbrecht; vgl. auch Rust in FS BFH, 801 (802 ff.). EuGH v. 22.6.1989 – C-103/88, ECLI:EU:C:1989:256, Slg. 1989, 1839 (1870 f.) – Fratelli Costanzo; EuGH v. 13.11.1990 – C-106/89, ECLI:EU:C:1990:395, Slg. 1990, 4135 ff. – Marleasing; Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 240; Schön, Die Auslegung europäischen Steuerrechts, 38 ff.

46 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.62 Kap. 3

Die primärrechtskonforme Auslegung ist keine spezifische Auslegungsmethode, so dass der für die Auslegung des Steuerrechts maßgebliche Auslegungskanon uneingeschränkt Geltung hat.1 Die primärrechtskonforme Auslegung bewegt sich somit im Rahmen der durch die allgemeine Methodenlehre gezogenen Grenzen2 mit der Folge, dass auch insoweit der mögliche Wortlaut die Grenze der Auslegung bildet.3 Die primärrechtskonforme Auslegung greift daher im Rahmen des möglichen Wortsinns nur dann ein, wenn die verschiedenen Auslegungsmethoden eine (abweichende) Deutung zulassen.4 Damit wird im Ergebnis dem Vorrang des Primärrechts entsprochen und zudem verhindert, dass die dem Primärrecht widersprechende Rechtsnorm unanwendbar ist.5 Um die Unanwendbarkeit einer dem Primärrecht widersprechenden Norm zu vermeiden, ist es ausnahmsweise zulässig, über die Wortlautgrenze hinaus im Wege normerhaltender Reduktion dem Primärrecht Rechnung zu tragen, soweit dies dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers entspricht.6 Eine normerhaltende Reduktion von dem Primärrecht widersprechenden Rechtsnormen hat vor allem Bedeutung im Zusammenhang mit der Umsetzung von EuGH-Urteilen.7

3.61

Die richtlinienkonforme Auslegung8 gilt ohne weiteres für in nationales Recht umgesetzte Richtlinien.9 Demgegenüber ist eine solche Auslegung bestehenden nationalen Rechts vor Ablauf der Umsetzungsfrist nicht verpflichtend,10 es sei denn, die erkennbaren gesetzgeberischen Maßnahmen zielen darauf ab, die Richtlinien nicht oder nicht richtig umzusetzen.11 Schließlich besteht auch keine unionsrechtliche Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung in den Fällen überschießender Umsetzung, wenn etwa aus Gründen der Gleichbehandlung von einer

3.62

1 Vgl. Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 246; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.51 ff. 2 BFH v. 8.9.2010 – XI R 40/08, BStBl. II 2011, 661; Schaumburg in Schaumburg, Europäisches Steuerecht2, Rz. 4.50 f.; zu Einzelheiten Pechstein/Drechsler in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre³, § 7 Rz. 13 ff.; Rust in FS BFH, 801 (809 f.). 3 Tipke, Die Steuerrechtsordnung III, 1624 ff.; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 5.58; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 13.7 ff. 4 Vgl. Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 246. 5 Zum Vorrang der primärrechtskonformen Auslegung EuGH v. 4.2.1988 – C-157/86, ECLI:EU:C: 1988:62, Slg. 1988, I-673 Rz. 11 – Murphy; EuGH v. 10.2.2000 – C-270/97, ECLI:EU:C:2000:76, Slg. 2000, I-929 Rz. 62 – Deutsche Post u.a.; EuGH v. 26.9.2000 – C-262/97, ECLI:EU:C:2000:492, Slg. 2000, I-7321 Rz. 38 ff. – Engelbrecht; EuGH v. 22.6.2010 – C-188/10, ECLI:EU:C:2010:363, Slg. 2010, I-5667 Rz. 50 – Melki u.a. 6 Aus der Rechtsprechung des BFH: BFH v. 20.9.2006 – I R 113/03, BFH/NV 2007, 220; v. 20.12.2006 – I R 94/02, BFHE 216, 269; v. 13.6.2006 – I R 78/04, BFHE 215, 82; v. 24.4.2007 – I R 39/04, BStBl. II 2008, 95; v. 22.7.2008 – I R 101/02, BFH/NV 2008, 1747; v. 18.12.2013 – I R 71/ 10, BFH/NV 2014, 759. 7 Vgl. nur M. Lang in FS Lang, 1003 ff. (1008 ff.). 8 In der Rspr. des EuGH und der Mitgliedstaaten als Grundsatz anerkannt; vgl. die Hinweise bei Ruffert in Calliess/Ruffert6, Art. 288 AEUV Rz. 77. 9 EuGH v. 16.12.1993 – C-334/92, ECLI:EU:C:1993:945, Slg. 1993, I-6911 – Wagner Miret; EuGH v. 11.7.1996 – C-71/94, ECLI:EU:C:1996:286, Slg. 1996, I-3603 – Eurim-Pharm; EuGH v. 22.9.1998 – C-185/97, ECLI:EU:C:1998:424, Slg. 1998, I-5199 – Coote. 10 EuGH v. 4.7.2006 – C-212/04, ECLI:EU:C:2006:443, Slg. 2006, I-6067 Rz. 115 – Adeneler; Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rz. 133; Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 115; sie ist aber nach nationalem Recht durchaus zulässig; BGH v. 5.2.1998 – I ZR 211/95, NJW 1998, 2208. 11 Zu diesem Sonderfall EuGH v. 18.12.1997 – C-129/96, ECLI:EU:C:1997:628, Slg. 1997, I-7411 Rz. 40 ff. – Inter-Environnement.

Schaumburg | 47

Kap. 3 Rz. 3.62 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

Richtlinie nicht erfasste Regelungsbereiche dem Richtlinienrecht angepasst werden.1 Die richtlinienkonforme Auslegung ist keine originäre Auslegungsmethode,2 so dass der allgemein gültige Auslegungskanon auch hier zur Anwendung kommt. Das hat u.a. zur Folge, dass sich im Grundsatz die richtlinienkonforme Auslegung nur im Rahmen des maßgeblichen Wortlauts bewegen darf.3 Damit kommt der richtlinienkonformen Auslegung gegenüber den nationalen Auslegungskriterien kein Vorrang zu.4 Sie greift somit im Rahmen des möglichen Wortsinns nur dann ein, wenn die verschiedenen Auslegungsmethoden eine (abweichende) Deutung zulassen.5 Soweit allerdings eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung nach nationalem Recht möglich ist (z.B. teleologische Reduktion), gilt dies auch für die richtlinienkonforme Auslegung.6

III. Stand der Harmonisierung 1. Zölle 3.62a

Zölle unterliegen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der EU (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a AEUV). Hiervon hat die EU zuletzt mit dem für alle Mitgliedstaaten allgemein verbindlichen Zollkodex der Union (UZK) Gebrauch gemacht. Der UZK ist als Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates ergangen.7 Ergänzende und konkretisierende Vorschriften enthalten die Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446 (UZK-DA),8 die Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 (UZK-IA)9 und die Delegierte Verordnung (EU) 2016/341 (UZKTDA).10 Zu den Vorschriften des materiellen Zollrechts gehört auch die Verordnung über den Gemeinsamen Zolltarif (GZT-VO),11 deren Änderungen Jahr für Jahr von der Kommission in Form einer Verordnung veröffentlicht werden.12

3.62b

Im Hinblick auf die vorstehend nur beispielhaft aufgeführte Regelungen des materiellen Zollrechts13 handelt es sich um eine Vollharmonisierung, von der lediglich Vorschriften über die Organisation der Zollverwaltung, einschließlich der Zuständigkeitsregelungen,14 sowie Vor1 Ruffert in Calliess/Ruffert6, Art. 288 AEUV Rz. 83; Brandner, Die überschießende Umsetzung von Richlinien, 91 ff.; Mansel in FS Canaris, 809 ff. (832); vgl auch (differenzierend) Habersack/ Mayer in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre³, § 14 Rz. 20 ff. 2 Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 246. 3 Schroeder in Streinz3, Art. 288 AEUV Rz. 113. 4 Vgl. zum Streitstand Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 242 ff. 5 Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 246. 6 Schroeder in Streinz3, Art. 288 Rz. 113. 7 VO (EU) Nr. 952/2013, ABl. EU 2013 Nr. 269, 1; berichtigt durch ABl. EU 2016 Nr. L 267, 2; geändert durch VO (EU) 2016/2339 v. 14.12.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 69/32. 8 Verordnung (EU) 2015/2446 v. 28.7.2015, ABl. EU 2015 Nr. L 343, 1; geändert durch Delegierte Verordnung (EU) 2016/341 v. 17.12.2015, ABl. EU 2016 Nr. L 69, 1 und durch Delegierte Verordnung (EU) 2016, 651 v. 5.4.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 111, 1. 9 Verordnung (EU) 2015/2447 v. 24.11.2015, ABl. EU 2015 Nr. L 87, 67; geändert durch Durchführungsverordnung (EU) 2017/989 v. 8.6.2017, ABl. EU 2017 Nr. L 149, 19. 10 Verordnung (EU) 2016/341 v. 17.12.2015, ABl. EU 2016 Nr. L 69, 1. 11 VO (EWG) Nr. 2658/87 über den die zolltarifliche und statistische Normenklatur sowie den gemeinsamen Zolltarif ABl. EG 1987 Nr. L 256. 12 VO zur Änderung des Anhang I (Art. 12 GZT-VO); für 2017: VO (EU) 2016/1821, ABl. EU 2016 Nr. L 294, 1. 13 Vgl. hierzu auch den Überblick bei Witte in Witte, UZK8, Einführung Rz. 23 ff. und bei Lux in Dorsch, Zollrecht, Einf. Rz. 1 ff. 14 Vgl. im deutschen Recht § 17 ZollVG, §§ 7, 24, 25 ZollV, §§ 23-29, 208, 244 Abs. 1 AO, FVG.

48 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.63 Kap. 3

schriften über die Zwangsvollstreckung,1 über das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht,2 über den Verspätungszuschlag3 sowie über die Verzinsung4 dem jeweiligen nationalen Recht vorbehalten sind. Bei Anwendung des UZK sind auch die von der Union abgeschlossenen und für die Mitgliedstaaten bindenden völkerrechtlichen Verträge (Art. 216 Abs. 2 AEUV) zu beachten. Hierzu gehören u.a. die WTO-Übereinkommen sowie besondere mit Drittstaaten vereinbarte Zollunionen, Freihandelsabkommen und zollrechtliche Abkommen.5

3.62c

2. Direkte Steuern a) Harmonisierungskompetenz Im Gegensatz zu den Zöllen und indirekten Steuern ist die Harmonisierung der direkten Steuern in der EU weniger weit fortgeschritten. Die Gründe hierfür liegen insbesondere im Fehlen einer eindeutigen Harmonisierungskompetenz der EU. Während Art. 3 Abs. 1 Buchst. a AEUV die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für Zölle und Art. 113 AEUV eine autonome Rechtsgrundlage für die Harmonisierung der indirekten Steuern6 enthält, kann die Harmonisierung der direkten Steuern nur auf die allgemeine Ermächtigung in Art. 115 AEUV gestützt werden.7 Art. 116 AEUV, der eine Harmonisierung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten nur bei einer spezifischen und besonders erheblichen Wettbewerbsverzerrung vorsieht, scheidet als Rechtsgrundlage für eine Harmonisierung der direkten Steuern aus.8 Art. 115 AEUV ermächtigt indessen nicht ohne jede Voraussetzung zu einer Harmonisierung der direkten Steuern. Die Ermächtigung steht nämlich unter dem Vorbehalt der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 3 EUV) und der Erforderlichkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV). Das bedeutet einerseits, dass die Union9 in Bereichen, für die sie nicht von vornherein ausschließlich zuständig ist, nur tätig werden darf, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend und besser als auf der Unionsebene erreicht werden können. Andererseits bedeutet dies, dass die Maßnahmen zur Erreichung der angestrebten Ziele geeignet und erforderlich sein müssen, so dass, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende Maßnahme zu wählen ist (Verhältnismäßigkeitsprinzip).10 Damit bleibt für den Bereich der direkten Steuern das Konzept der Vollharmonisierung versagt mit der Folge, dass die EU weiterhin durch einen Wettbewerb der Steuersysteme geprägt ist (Rz. 5.1 ff.). Das gilt insbesondere für die unterschiedlichen Körper-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Im deutschen Recht: §§ 249 ff. AO. Im deutschen Recht: §§ 369 – 412 AO, §§ 31, 31a ZollVG, § 30 ZollV. Im deutschen Recht: § 152 AO. Im deutschen Recht: §§ 235 – 237 AO. Vgl. die Nachweise bei Herrmann in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 28 AEUV Rz. 24 f., 28, 30 f. Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 1.9 ff.; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, Rz. A 2, 7. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 1.18 ff. Derartige Wettbewerbsverzerrungen sind hierfür bislang nicht festgestellt worden; vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 1.20. Zum Subsidiaritätsprinzip Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 11.12 ff. Hierzu Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 11 Rz. 33; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht2, Rz. 11.13.

Schaumburg | 49

3.63

Kap. 3 Rz. 3.63 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

schaftsteuersysteme innerhalb der EU, die eine grenzüberschreitende Tätigkeit der Unternehmen wesentlich erschweren.1

3.64

Aufgrund der strikten Anwendung der europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten2 durch die Rechtsprechung des EuGH ist bereits vor Jahren ein Prozess der stillen Harmonisierung eingeleitet worden,3 der im Ergebnis auf der Vorrangstellung der Grundfreiheiten (Primärrecht) gegenüber dem nationalen Steuerrecht beruht. Diese Grundfreiheiten hat der EuGH seit vielen Jahren in besonderer Weise aktiviert. Seinen insbesondere im Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) ergehenden Auslegungs- und Gültigkeitsurteilen kommt eine erga omnes-Wirkung zu, so dass eine Bindung für alle Gerichte und Verwaltungsbehörden bei Anwendungen derjenigen Vorschriften besteht, die Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens waren.4 Diese Bindung trifft darüber hinaus auch den jeweiligen Steuergesetzgeber, so dass Gesetze entsprechend der Doktrin des Vorrangs der Grundfreiheiten ggü. der Steuersouveränität der EU-Staaten5 nachfolgend6 geändert werden müssen.7 Seitdem haben zahlreiche Entscheidungen in die deutsche Steuersouveränität mit folgenschweren fiskalischen Wirkungen eingegriffen.8 Diese beruhen nicht zuletzt darauf, dass die Urteile des EuGH, die für sich Verbindlichkeit beanspruchen,9 durchweg zeitlich zurückwirken.10

1 Der aus dem Jahre 1975 stammende Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung der Körperschaftsteuersysteme (ABl. 253 v. 5.11.1975) wurde 1990 zurückgezogen, und die Empfehlungen des Ruding-Komitees (DB 1992, Beilage 5) wurden nicht umgesetzt; zu weitergehenden Entwicklungen insbesondere zu einer EU-weiten konsolidierten Besteuerung Spengel in Reimer u.a., Europäischen Gesellschafts- und Steuerrecht, 253 (276 ff.); Herzig in FS Schaumburg, S. 751 (758 ff.); Rödder in FS Herzig, S. 349 (359 ff.); speziell zum ATAD und zum GKKB Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 17, 1 ff. u. 18.1 ff. 2 Verkürzt: Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 ff. AEUV); Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV); Niederlassungsfreiheit für Unternehmer (Art. 49 ff. AEUV) bzw. die Freizügigkeit für Arbeitnehmer (Art. 45 ff. AEUV) sowie die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV). 3 Hierzu auch Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 25 ff.; Schön, StbJb 2003/2004, 27 ff.; Rödder, DStR 2004, 1629 ff.; Hey in Reimer u.a., Europäisches Gesellschafts- und Steuerrecht, 295 (305 ff.). 4 EuGH v. 17.2.2005 – C-453/02, 462/02, ECLI:EU:C:2005:92, Slg. 2005, I-1131 Rz. 41 – Linneweber; EuGH v. 22.10.1998 – C-10/97 – C-22/97, ECLI:EU:C:1998:498, Slg. 1998, I-6307 Rz. 23 – IN. CO.GE; EuGH v. 27.3.1980 – C-61/79, ECLI:EU:C:1980:100, Slg. 1980, 1205 Rz. 16 – Denkavit italiana; Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 267 AEUV Rz. 104; Ehricke in Streinz3, Art. 267 AEUV Rz. 72; Seer in T/K, AO/FGO, EuRS Rz. 48. 5 Seit EuGH v. 7.5.1985 – C-18/84, ECLI:EU:C:1985:175, Slg. 1985, 1339 – Kommission ./. Frankreich; hierzu die Einzelanalyse von Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 386 ff. 6 Vgl. zu Beispielen Ismer in H/H/R, Einf. ESt Rz. 490 ff. 7 Rechtsgrundlage Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV; zu dieser Loyalitätspflicht Streinz in Streinz3, Art. 4 EUV Rz. 31 ff. 8 Nur beispielhaft: EuGH v. 14.2.1995 – C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31, Slg. 1995, I-225 – Schumacker; EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1993:439, Slg. 1999, I-6161 – Saint Gobain; EuGH v. 26.10.1999 – C-294/97, ECLI:EU:C:1999:524, Slg. 1999, I-7447 – Eurowings; EuGH v. 12.12.2002 – C-324/00, ECLI:EU:C:2002:749, Slg. 2002, I-11779 – Lankhorst-Hohorst. 9 EuGH v. 6.10.1982 – C-283/71, Slg. 1982, 3415 – C.I.L.F.I.T.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 28.3 ff. 10 Zur unbegrenzten Rückwirkung EuGH v. 3.10.2002 – C-347/00, ECLI:EU:C:2002:560, Slg. 2002, I-8191 – Barreira Pérez; EuGH v. 17.2.2005 – C-435/02 u. C-462/02, ECLI:EU:C:2004:552, Slg. 2005, I-1131 – Linneweber und Akritidis; zur begrenzten Rückwirkung aus Vertrauensschutzgrün-

50 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.67 Kap. 3

Die Harmonisierung der direkten Steuern erschöpft sich weitgehend in einigen EU-Richtlinien, die vor allem darauf gerichtet sind, die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten zu gewährleisten. Allerdings gehen auch von dem in Art. 107 f. AEUV verankerten (steuerlichen) Beihilfeverbot gewisse Harmonisierungseffekte aus. Hiernach ist nämlich eine wettbewerbsverfälschende Unterstützung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige durch staatliche Beihilfen, zu denen auch Steuervergünstigungen gehören, verboten.1

3.65

b) Fusionsrichtlinie Mit der Fusionsrichtlinie2 wird eine wesentliche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) (Rz. 4.29) beseitigt. Hierdurch wird im Wesentlichen die Steuerneutralität von grenzüberschreitenden Umstrukturierungen sowie der Sitzverlegung von SE und SCE gewährleistet,3 was letztlich eine Europäisierung des Umwandlungssteuerrechts bedeutet.

3.66

So ergibt sich unmittelbar aus der Fusionsrichtlinie, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen sowie die grenzüberschreitende Sitzverlegung von SE/SCE keine Besteuerung etwa zu realisierender stiller Reserven auslösen dürfen. Diese Steuerneutralität ist sowohl auf Gesellschaftsebene für die einbringende und übernehmende Gesellschaft (Art. 4 Abs. 1, 7 FRL) als auch auf Gesellschafterebene (Art. 8 FRL) verbindlich.4 Das gilt indessen nur unter dem Vorbehalt, dass der Staat, in dem die übertragende Gesellschaft ansässig ist, keinen Verlust an Besteuerungssubstrat erleidet (Art. 4 Abs. 4 FRL). Im Hinblick darauf erstreckt sich die Steuerneutralität der Umwandlung nur auf dasjenige Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft, das nach der Umwandlung tatsächlich zu einer Betriebsstätte in dem Mitgliedstaat der übertragenden Gesellschaft gehört und zur Erzielung des steuerpflichtigen Ergebnisses beiträgt (Art. 4 Abs. 2 Buchst. b FRL). Eine entsprechende Regelung ist für die Sitzverlegung einer SE/SCE vorgesehen (Art. 12 Abs. 1 FRL). Danach darf die Sitzverlegung einer SE/SCE ebenfalls keine Besteuerung auslösen, soweit nach der Sitzverlegung die betreffenden Wirtschaftsgüter unverändert einer Betriebsstätte im Wegzugsstaat zuzuordnen sind. Für Wirtschaftsgüter, die wegzugsbedingt einer Betriebsstätte im Wegzugsstaat nicht mehr zuzuordnen sind, erfolgt eine Besteuerung stiller Reserven. Schließlich steht die vorstehende Europäisierung auch unter Missbrauchsvorbehalt (Art. 15 Abs. 1 FRL).

3.67

1

2

3 4

den EuGH v. 6.3.2007 – C-292/04, ECLI:EU:C:2007:132, Slg. 2007, I-1872 – Meilicke; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 28.9, 28.11, 28.20. Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 9.1 ff.; Beispiel: Die Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG wurde von der Kommission nicht genehmigt und (Beschluss der Kommission v. 26.1.2011 – 2011/275/EU, ABl. EU 2011 Nr. L 235, 26) ist deshalb nicht in Kraft getreten; die Vorschrift wurde aber rückwirkend ab dem VZ 2008 wieder in Kraft gesetzt (§ 34 Abs. 693 KStG) nachdem u.a. der EuGH v. 28.6.2018 – C-203/16, ECLI:EU:C:2018:505, IStR 2018, 552 den Beschluss der Kommission für nichtig erklärt hatte. RL 2009/133/EG v. 19.10.2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ABl. EU 2009 L 310, 34; vgl. zu Einzelheiten Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 16.1 ff. Zum Internationalen Umwandlungssteuerrecht Rz. 20.1 ff. Bei der übernehmenden Gesellschaft ist hierfür eine Mindestbeteiligung von 10 % an der einbringenden Gesellschaft erforderlich (Art. 7 Abs. 3 FRL).

Schaumburg | 51

Kap. 3 Rz. 3.68 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

3.68

Von der Reichweite der Fusionsrichtlinie sind lediglich bestimmte EU-Kapitalgesellschaften erfasst,1 so dass hiernach etwa die Einbringung eines Teilbetriebs einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft besteuert werden darf.2 Zudem gilt die Fusionsrichtlinie auch für EWR-Gesellschaften.3

3.69

Die Fusionsrichtlinie hat derzeit lediglich eine begrenzte Wirkung, weil für grenzüberschreitende Fusionen und Spaltungen die handelsrechtlichen Voraussetzungen (noch) nicht vollständig gegeben sind. Entsprechende Rechtsgrundlagen gibt es insoweit lediglich für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (§§ 122a ff. UmwG). Schließlich sieht auch die SE-VO4 und die SCE-VO5 die Gründung einer SE/SCE durch grenzüberschreitende Verschmelzung vor, wobei insoweit lediglich eine Verschmelzung durch Aufnahme oder durch Neugründung möglich ist. c) Mutter-Tochter-Richtlinie

3.70

Die Mutter-Tochter-Richtlinie6 ist darauf gerichtet, innerhalb der Union die Mehrfachbesteuerung von Dividenden zwischen Kapitalgesellschaften7 zu vermeiden.8 Diese Mehrfachbesteuerung wird auf der Ebene der Muttergesellschaft dadurch vermieden, dass einerseits die Quellensteuern bei der ausschüttenden Tochtergesellschaft nicht erhoben (Art. 5 Abs. 1 MTR) und andererseits die Ausschüttungen bei der Muttergesellschaft von der Steuer freigestellt werden oder aber eine indirekte Steueranrechnung ermöglicht wird (Art. 4 Abs. 1 MTR). Diese Maßnahmen bedeuten einen ersten Einstieg in die Schaffung binnenmarktähnlicher Verhältnisse und damit zugleich in ein europäisches Konzernsteuerrecht, durch das steuerliche Behinderungen gegen europaweite Zusammenschlüsse von Konzernen beseitigt werden sollen.9

3.71

Die Mutter-Tochter-Richtlinie ist durch § 43b EStG, § 8b Abs. 1, 9 KStG und § 9 Nr. 7 Satz 1 Halbs. 2 GewStG in nationales Recht umgesetzt worden. Im Übrigen wird den Vorgaben der Mutter-Tochter-Richtlinie auf Ebene der Muttergesellschaft insbesondere durch § 8b Abs. 1 KStG entsprochen.

3.72

Die Quellensteuerreduktion auf Null setzt nach der Mutter-Tochter-Richtlinie bei einer Mindestbeteiligungsquote von 10 % ein (§ 43b Abs. 2 EStG). Darüber hinaus wird die Nichterhe-

1 Nach dem Anhang I. Teil A zu Art. 3 der FRL gehören hierzu in Deutschland die AG, GmbH, die KGaA, der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft sowie Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. 2 Nach deutschem Steuerrecht ergibt sich indessen die Steuerneutralität ggf. gem. § 20 Abs. 1 UmwStG. 3 Vgl. EuGH v. 19.7.2012 – C-48/11, ECLI:EU:C:2012:485 – A. 4 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 v. 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294. 5 Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 über das Statut der Europäischen Gemeinschaft (SEC) v. 22.7.2003, ABl. EU Nr. L 207. 6 RL 2011/96/EU v. 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8; zuletzt geändert durch RL (EU) 2015/121 v. 27.1.2015, ABl. EU 2015 Nr. L 21,1; zu Einzelheiten Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 14.1 ff. 7 Der Kreis der erfassten Kapitalgesellschaften entspricht dem der Fusionsrichtlinie, siehe Rz. 3.63. 8 Es geht hierbei um die Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung; vgl. Rz. 15.3, 18.143. 9 Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 14.3 f.

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E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.74 Kap. 3

bung der Quellensteuer (Kapitalertragsteuer) von einer Mindestbeteiligungsdauer abhängig gemacht, wonach die Beteiligung an einer Tochtergesellschaft mindestens ununterbrochen zwölf Monate bestehen muss (§ 43b Abs. 2 Satz 4 EStG). Dieser Regelung entspricht auch § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG, wonach für die Steuerbefreiung bei der die Ausschüttung empfangenden Muttergesellschaft eine Mindestbeteiligungsquote von 10 v.H. seit Beginn des Kalenderjahres erforderlich ist (Rz. 18.157 f.). Darüber hinaus steht die Steuerfreistellung unter dem Vorbehalt, dass die Dividenden bei der ausschüttenden Tochtergesellschaft nicht zu einem steuerlichen Abzug geführt haben (Art. 4 Abs. 1 Buchst. a MTR).1 Diese internationale Korrespondenzklausel ist in § 8b Abs. 1 Sätze 2–4 KStG verankert (Rz. 18.150 f.). Schließlich sind die Mitgliedstaaten ermächtigt, korrespondierend zur Steuerfreistellung der Dividenden ein Abzugsverbot für Beteiligungsaufwendungen vorzusehen, wobei mit der Beteiligung zusammenhängende Verwaltungskosten pauschal mit bis zu 5 v.H. der Dividenden vom Abzug ausgeschlossen werden dürfen (Art. 4 Abs. 2 MTR). Diesen Vorgaben entspricht § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG (Rz. 18.164 ff.). Die Mutter-Tochter-Richtlinie enthält eine gegen das „Richtlinienshopping“ gerichtete Missbrauchsklausel (Art. 1 Abs. 2 MTR). Hiernach ist es den Mitgliedstaaten über die Regelungen der Mindestbeteiligungsdauer hinaus freigestellt, einen weiteren Missbrauchstatbestand zu normieren. Von dieser Ermächtigung hat der deutsche Gesetzgeber durch § 50d Abs. 3 EStG Gebrauch gemacht (Rz. 19.160 ff.).

3.73

d) Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie Die Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie2 regelt die Steuerbefreiung für Zinsen und Lizenzgebühren in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner ansässig ist (Art. 1 Abs. 1 ZiLiRL).3 Diese Freistellung, die im Wesentlichen Quellensteuern betrifft, ist darauf gerichtet, Finanzbeziehungen zwischen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten in der EU nicht gegenüber gleichartigen Beziehungen zwischen Unternehmen ein und desselben Mitgliedstaates steuerlich zu benachteiligen. Im Kern geht es um die Vermeidung der Doppelbesteuerung, die nur bei einem grenzüberschreitenden Zins- oder Lizenztransfer entstehen kann.4 Im Hinblick auf die vorgenannte Zielsetzung entfaltet die Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie allerdings nur eine begrenzte Wirkung. Soweit es Zinsen anbelangt, unterliegen diese ohnehin nur in den Fällen, in denen die zugrunde liegenden Forderungen dinglich gesichert sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa EStG), der beschränkten Steuerpflicht. Darüber hinaus hat Deutschland abkommensrechtlich weitgehend auf die Erhebung der Quellensteuer verzichtet.5 Lizenzgebühren unterliegen zwar der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2, 3, 6 und 9 EStG), für die ein Quellensteuerabzug vorgesehen ist (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG), abkommensrechtlich ist Deutschland aber auch hier zumeist die Quellensteuerbefugnis genommen.6 Damit hat die Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie, die durch §§ 50g, 50h EStG umgesetzt worden ist, keine große praktische Bedeutung. Sie bestätigt im Kern nur das, was sich ohnehin aus dem nationalen bzw. dem Abkommensrecht ergibt. Darüber hinaus ist die Reichweite der

1 Vgl. zu dieser Neuregelung der MTR Haase, IStR 2014, 650; Kahlenberg, StuB 2014, 647. 2 RL 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 1, 49; zuletzt geändert durch RL 2013/13/EU, ABl. EU 2013 Nr. L 141, 30. 3 Zu Einzelheiten Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 15.1 ff. 4 Erwägungsgründe 1 und 2 der ZiLiRL. 5 Hierzu die Abkommensübersicht bei Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 48. 6 Hierzu die Abkommensübersicht bei Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 29.

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3.74

Kap. 3 Rz. 3.74 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie auch dadurch begrenzt, dass sie den steuerlichen Abzug beim Vergütungsschuldner nicht regelt.1

3.75

Von der Reichweite der Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie werden nur miteinander verbundene Unternehmen, soweit es sich hierbei um Kapitalgesellschaften handelt, erfasst (§ 50g Abs. 3 Nr. 5 EStG). Zu den Kapitalgesellschaften gehören die AG, die GmbH und die KGaA (Art. 3 ZiLiRL). Verbundene Unternehmen sind solche, die vertikal oder horizontal miteinander verbunden sind, wobei auf eine Mindestbeteiligungsquote von 25 % abgestellt wird (§ 50g Abs. 3 Nr. 5 EStG). Eine Mindestbesitzzeit wird nicht gefordert.

3.76

Die Steuerbefreiung steht unter Missbrauchsvorbehalt (Art. 5 ZiLiRL), der in § 50g Abs. 4 EStG dahingehend konkretisiert wird, dass eine Steuerbefreiung ausscheidet, wenn der hauptsächliche Beweggrund oder einer der hauptsächlichen Beweggründe für Geschäftsvorfälle die Steuervermeidung oder der Missbrauch sind. Darüber hinaus bleibt auch § 50d Abs. 3 EStG anwendbar (§ 50g Abs. 4 Satz 2 EStG).2 e) ATAD

3.77

Die ATAD3 beruht auf den Vorgaben des BEPS-Projektes (Rz. 5.17 ff.) von OECD und EU und dient der Bekämpfung von unfairem Steuerwettbewerb und aggressiver Steuerplanung.4 Sie ist als Richtlinie in zwei Stufen verabschiedet worden.5 Die ATAD enthält nach Umsetzung in nationales Recht6 für Steuerpflichtige durchweg nachteilige Regelungen, z.B. – Wegzugsbesteuerung – Anti-Missbrauchsregelungen – Hinzurechnungsbesteuerung – Eingrenzung hybrider Gestaltungen.

3.78

Das vorstehende Regelungskonzept der ATAD zielt lediglich auf einen Mindestschutz des jeweiligen nationalen Steueraufkommens ab, so dass die Mitgliedsländer auch strengere Abwehrregelungen implementieren dürfen.7 Die Umsetzung erfolgte durch das ATADUmsG.8

1 EuGH v. 21.7.2011 – C-397/09, ECLI:EU:C:2011:499, Slg. 2011, I-6455 – Scheuten Solar; BFH v. 7.12.2011 – I R 30/08, BStBl. II 2012, 507; vgl. zu § 8 Nr. 1 GewStG Rz. 9.13, zu § 4h EStG Rz. 6.106a ff. und zu § 4j EStG Rz. 6.113 ff. 2 Zu weiteren Einzelheiten Rehfeld in H/H/R, § 50g EStG Rz. 1 ff.; Wagner in Brandis/Heuermann, § 50g EStG Rz. 1 ff.; Dörr, IStR 2005, 109 ff.; ferner Rz. 19.160 ff. 3 Anti Tax Avoidance Directive. 4 Zu Einzelheiten Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht2, Rz. 17.1 ff. 5 Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 12.7.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1; Richtlinie (EU) 2017/952 v. 29.5.2017, ABl. EU 2017 Nr. L 144, 1. 6 ATADUmsG v. 26.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 7 Hierzu Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht2, Rz. 17.31 ff. 8 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035.

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E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.78b Kap. 3

f) Bilanzrichtlinien Die Bilanzrichtlinien,1 die den Jahresabschluss von Unternehmen betreffen, haben zwar keinen spezifisch-steuerrechtlichen Inhalt, über das in § 5 Abs. 1 EStG verankerte Maßgeblichkeitsprinzip,2 wirken sie aber auf das deutsche Steuerrecht dadurch ein,3 dass § 5 Abs. 1 EStG Bezug nimmt auf die Vorschriften des 3. Buches des Handelsgesetzbuches, die die Regelungen über die für alle Kaufleute geltenden GOB enthalten. Ihnen liegt wiederum die Jahresabschlussrichtlinie (Bilanzrichtlinie) zugrunde.4 Die Bilanzrichtlinie enthält Regelungen über die Rechnungslegung, Publizität und Prüfung von Kapitalgesellschaften. Ziel der Bilanzrichtlinie ist die Schaffung eines einheitlichen europäischen Bilanzrechts für Kapitalgesellschaften. Sie enthält darüber hinaus Vorschriften über den Jahresabschluss von Konzernen. Vorläufer waren die 4.5 und 7.6 Richtlinie, deren Regelungen weitgehend durch die Jahresabschlussrichtlinie7 übernommen worden sind.

3.78a

Die drei vorgenannten Bilanzrichtlinien sind beginnend mit dem Bilanzrichtliniengesetz8 zum 1.1.1986 in nationales deutsches Recht umgesetzt worden. Darüber hinaus wurde mit Wirkung zum 1.1.1991 auch die EU-Richtlinie über den Jahresabschluss von Banken9 durch das Bilanzrichtliniengesetz10 in nationales Recht umgesetzt.11 Die dort enthaltenen Vorschriften haben nicht nur Bedeutung für den Jahresabschluss von Banken, sondern allgemein für das

3.78b

1 Früher Bilanzrichtlinie (4. Richtlinie), Konzernbilanzrichtlinie (7. Richtlinie); nunmehr Jahresabschlussrichtlinie (Bilanzrichtlinie) – RL 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 26.6.2013, ABl. EU 2013Nr. L 182, 19 ff. 2 Zur Reichweite des Maßgeblichkeitsprinzips vgl. Anzinger in H/H/R, § 5 EStG Rz. 160 ff.; Hennrichs in Tipke/Lang24, Rz. 9.93 ff. 3 Anzinger in H/H/R, § 5 EStG Rz. 43 ff.; Reddig in Kirchhof/Seer21, § 5 EStG Rz. 9 ff.; Wassermeyer in FS Lutter, S. 1633 (1636 f.); Schön in FS Flick, S. 573 (579 ff.); de Weerth, RIW 1996, 763 (765); Groh, DStR 1996, 1206 (1209). 4 Diese mittelbare Wirkung des Unionsrechts begründet bereits insoweit die Prüfungskompetenz des EuGH; vgl. EuGH v. 27.6.1996 – C-234/94, ECLI:EU:C:1996:252, Slg. 1996, I-3133 – Tomberger; EuGH v. 14.9.1999 – C-275/97, ECLI:EU:C:1999:406, Slg. 1999, I-5331 – DE + ES; EuGH v. 7.1.2003 – C-306/99, ECLI:EU:C:2003:3, Slg. 2003, I-1 – BIAO; EuGH v. 3.10.2013 – C-322/12, ECLI:EU:C: 2013:632, IStR 2014, 24 – GIMLE; diese Frage ist allerdings immer noch streitig; zum Meinungsstand Krumm in Brandis/Heuermann, § 5 EStG Rz. 99; Hennrichs in Tipke/Lang24, Rz. 9.60 ff. 5 Vierte EU-Richtlinie, 78/660/EWG v. 25.7.1978 zur Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über Form und Inhalt des Jahresabschlusses und des Lageberichts von AG, KGaA und GmbH, ABl. EG Nr. L 220, 11. 6 Siebte EU-Richtlinie, 83/349/EWG zur Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über die Konzernrechnungslegung von AG, KGaA und GmbH v. 13.6.1983, ABl. EG Nr. L 193, 1. 7 RL 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der RL 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der RL 78/660/EWG und 83/349/EWG, ABl. EU 2013 Nr. L 182, 19; Umsetzung durch Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) v. 17.7.2015, BGBl. I 2015, 1245; mit Wirkung ab 31.12.2015. 8 V. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355. 9 86/635/EWG, ABl. EG Nr. 1 372, 1. 10 V. 30.11.1990, BGBl. I 1990, 2570. 11 Ergänzend hierzu erging die Richtlinie 89/117/EWG des Rates über die Pflichten der in einem Mitgliedstaat eingerichteten Zweigniederlassungen von Kreditinstituten und Finanzinstituten mit Sitz außerhalb dieses Mitgliedstaates zur Offenlegung von Jahresabschlussunterlagen v. 13.2.1989 (ABl. EG 1989 Nr. L 44, 40); in deutsches Recht durch VO über die Rechnungslegung der Kreditinstitute v. 10.2.1992, BGBl. I 1992, 203, umgesetzt.

Schaumburg | 55

Kap. 3 Rz. 3.78b | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

Bilanzrecht.1 Schließlich enthält auch die Versicherungsbilanzrichtlinie2 Regelungen mit Auswirkungen auf das Bilanzsteuerrecht.

3.78c

Für das Steuerrecht hat insbesondere die 4. Richtlinie und sodann die Jahresabschlussrichtlinie weitreichende Bedeutung. So enthalten der 1. Abschn. des 3. Buches des Handelsgesetzbuches (§§ 238 ff. HGB) für alle Kaufleute geltende Rechnungslegungsvorschriften und der zweite Abschnitt des 3. Buches des Handelsgesetzbuches (§§ 264 ff. HGB) ergänzende Vorschriften speziell für Kapitalgesellschaften.

3.78d

Soweit die §§ 238 ff. und §§ 264 ff. HGB Regelungen zu den GOB enthalten, sind diese im Ergebnis im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 EStG einheitlich für alle Kaufleute richtlinienkonform auszulegen.3 Das gilt allerdings nicht für den in § 264 Abs. 2 HGB normierten Grundsatz des true and fair view, der mit dem Steuerbilanzrecht unvereinbar ist.4

3.78e

Die IFRS-Verordnung5 gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der EU (Art. 11 IFRS-VO). Hiernach sind kapitalmarktorientierte Unternehmen verpflichtet, ihren Konzernabschluss nach den IFRS aufzustellen (Art. 4 IFRS-VO). Für nicht börsennotierte Gesellschaften besteht die Option zur Anwendung der IFRS (Art. 5 IFRS-VO), wobei freilich den Mitgliedstaaten die Möglichkeit verbleibt, nach Maßgabe des nationalen Rechts entweder IFRS vorzuschreiben oder aber als Wahlrecht zuzulassen. Dieses Wahlrecht ergibt sich aus § 315a Abs. 2 HGB. Die IFRS haben allerdings keine Geltung für Einzelabschlüsse, und zwar auch soweit es sich um kapitalmarktorientierte Unternehmen handelt. Insoweit verbleibt es dabei, dass der nach dem Bilanzrecht des Handelsgesetzbuches aufzustellende Einzelabschluss allein Bedeutung hat für den Maßgeblichkeitsgrundsatz gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG.6 Der nach IFRS aufzustellende Konzernabschluss hat demgegenüber Bedeutung im Zusammenhang mit der Anwendung der Zinsschranke (§ 4h Abs. 2 Buchst. c) EStG).7

3.79–3.86

Einstweilen frei.

3. Indirekte Steuern a) Harmonisierungsauftrag

3.87

Für die indirekten Steuern8 enthält der AEUV einen eindeutigen Harmonisierungsauftrag: Art. 113 AEUV verpflichtet die Organe der Union im Interesse des gemeinsamen Marktes zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern, die Verbrauchsabgaben und sonstigen indirekten Steuern, soweit dies für die Errichtung und das Funktionieren des Bin1 Hierzu Clausen, DB 1991, 1129 ff.; Prahl, WPg 1991, 401 ff. (438 ff.). 2 91/674/EWG v. 19.12.1991, ABl. EG 1991 Nr. L 374, 7; in deutsches Recht umgesetzt durch Gesetz (VersRiLiG) v. 24.6.1994, BGBl. I 1994, 1377. 3 Vgl. EuGH v. 14.9.1999 –C 275/97, ECLI:EU:C:1999:406, Slg. 1999, I-5331 – DE + ES; EuGH v. 7.1.2003 –C 306/99, ECLI:EU:C:2003:3, Slg. 2003, I-1 Rz. 90 – BIAO, die entsprechende Vorabentscheidungsverfahren als zulässig ansehen; ferner BFH v. 15.9.2004 – I R 5/04, BStBl. II 2009, 100; v. 8.11.2000 – I R 6/96, BStBl. 2001, 570; im Schrifttum ist diese Frage umstritten, vgl. den Überblick bei Anzinger in H/H/R, § 5 EStG Rz. 44. 4 Anzinger in H/H/R, § 5 EStG Rz. 45; Hennrichs in Tipke/Lang24, Rz. 9.60. 5 Vom 19.7.2002, ABl. EG 2002 Nr. L 243, 1. 6 Vgl. Anzinger in H/H/R, § 5 EStG Rz. 49. 7 Vgl. hierzu Hick in H/H/R, § 4h EStG Rz. 60; Schulz, DB 2008, 2043 ff.; Hennrichs, DB 2007, 2101 ff. 8 Zum Begriff Hey in Tipke/Lang24, Rz. 7.20.

56 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.89 Kap. 3

nenmarktes und die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen notwendig ist (Harmonisierungszwang). Diese Harmonisierung ist auf die Verwirklichung des Binnenmarktes gerichtet, so wie er seine Definition in Art. 26 Abs. 2 AEUV gefunden hat. Danach umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist. Neben dieser geforderten Binnenmarktzielsetzung können im Zuge der Harmonisierung der indirekten Steuern auch Nebenziele verfolgt werden, zu denen insbesondere gesundheits-, verbraucher-, umweltschutz- oder sozial- bzw. wirtschaftspolitische Ziele gehören.1 Die Harmonisierung der indirekten Steuern hat zum größten Integrationsfortschritt seit Gründung der EG (EU) geführt: Seit 1.1.1993 gilt innerhalb der EU ein weitgehend harmonisiertes System indirekter Steuern, wobei freilich die Harmonisierungsintensität unterschiedlich ausgeprägt ist.2 Während für die Umsatzsteuer – abgesehen von den unterschiedlichen Steuersätzen (Art. 96 ff. MwStSystRL)3 – eine Vollharmonisierung erreicht ist,4 hat die EU für den Bereich der Verbrauchsteuern5 von ihrer Gesetzgebungskompetenz (Art. 113 AEUV) noch nicht vollständig Gebrauch gemacht, so dass in Deutschland unverändert nicht harmonisierte Verbrauchsteuern – Kaffeesteuer, Alkopopsteuer – erhoben werden.6

3.88

Im Hinblick auf den sich unmittelbar aus dem AEUV ergebenden Harmonisierungszwang für die indirekten Steuern und den weit fortgeschrittenen Harmonisierungsstand hat das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung des in nationales Recht umgesetzten Unionsrechts besondere Bedeutung. Soweit eine richtlinienkonforme Auslegung nicht mehr möglich ist, kann sich der Unionsbürger, soweit das umgesetzte Recht von der zugrunde liegenden EU-Richtlinie abweicht, unmittelbar auf die EU-Richtlinie berufen, soweit deren Bestimmungen hinreichend genau und unbedingt sind.7 Diese Voraussetzungen werden von der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL),8 in die die verschiedenen Umsatzsteuer-Richtlinien mit Wirkung ab 1.1.2008 eingegangen sind, erfüllt.

3.89

1 EuGH v. 5.10.2000 – C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Slg. 2000, I-8419 Rz. 88 (Gesundheitsschutz) – Deutschland ./. Parlament und Rat; EuGH v. 13.5.1957 – C-233/94, ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-2405 Rz. 10, 16 (Verbraucherschutz) – Deutschland ./. Parlament und Rat; EuGH v. 11.6.1991 – C-300/89, ECLI:EU:C:1991:244, Slg. 1991, I-2867 Rz. 22 (Umweltschutz) – KOM ./. Rat; EuGH v. 9.10.2001 – C-377/98, ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2000, I-7079 Rz. 28 (Stärkung industrieller Entwicklung und wissenschaftlicher Forschung) – Niederlande ./. Parlament und Rat; hierzu Kamann in Streinz2, Art. 113 AEUV Rz. 9. 2 Hierzu Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht2, Rz. 10.10 ff. 3 Hierzu Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 19.189 ff. 4 Das Ziel des Übergangs von Bestimmungsland- zum Ursprungslandsystem wurde faktisch aufgegeben; vgl. Mitteilung der KOM v. 6.12.2011 zur Zukunft der Mehrwertsteuer, KOM (2011) 851 endg., 5 f. 5 Zu internationalen Aspekten Rz. 11.40 ff. 6 Das KernbrennstoffsteuerG wurde wegen Verstoßes gegen Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG für nichtig erklärt; BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, ZfZ 2017, 182. 7 Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.60. 8 Richtlinie 2006/112/EG v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. EU 2006, Nr. L 347, 1.

Schaumburg | 57

Kap. 3 Rz. 3.90 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

b) Umsatzsteuer-Richtlinien und Mehrwertsteuersystem-Richtlinie

3.90

Die Harmonisierung der Umsatzsteuer ist in mehreren Stufen erfolgt.1 Auf der ersten Stufe wurde durch die 1. und 2. Umsatzsteuer-Richtlinie2 die Grundlage für das gemeinschaftliche Mehrwertsteuersystem geschaffen. Dieses Mehrwertsteuersystem, das in seinen Grundzügen auch heute noch Geltung hat, ist auf Wettbewerbsgleichheit in dem Sinne gerichtet, dass gleichartige Waren innerhalb der Union unabhängig von der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich behandelt werden.3 Die 2. Umsatzsteuer-Richtlinie, die Vorschriften über die Ausgestaltung der nationalen Umsatzsteuergesetze4 enthielt, wurde durch das UStG 1967/ 19735 in deutsches Steuerrecht umgesetzt und somit zugleich Grundlage für die weitreichende deutsche Mehrwertsteuer-Reform.6

3.91

Während die 3. bis 5. Umsatzsteuer-Richtlinie7 lediglich Fristen für die Einführung des einheitlichen Mehrwertsteuersystems verlängerten, erfolgte ein weiterer wesentlicher Harmonisierungsschritt durch die 6. Umsatzsteuer-Richtlinie.8 Mit dieser 6. Umsatzsteuer-Richtlinie wurde die zweite Stufe der Umsatzsteuer-Harmonisierung erreicht. Sie verfolgte wirtschaftspolitische, binnenmarktpolitische und finanzpolitische Ziele.9 In wirtschaftspolitischer Hinsicht ging es um die Herstellung eines wettbewerbsneutralen Umsatzsteuer-Systems. Unter binnenmarktpolitischen Gesichtspunkten stand die Ermöglichung eines exakten Grenzausgleichs – steuerbefreite Ausfuhr einerseits und Einfuhrumsatzsteuer andererseits – und finanzpolitisch die Schaffung einer einheitlichen Umsatzsteuer-Bemessungsgrundlage als Ausgangspunkt für die Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten an die Union im Vordergrund.

3.92

Die 6. Umsatzsteuer-Richtlinie wurde von dem Grundsatz getragen, dass unabhängig von der Zahl der Umsätze auf Gegenstände und Dienstleistungen eine allgemeine zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen proportionale Verbrauchsteuer erhoben werden sollte.10 Dieser Grundsatz erfuhr zahlreiche Konkretisierungen im Bereich der Steuerbarkeit, Steuerfreiheit und des Vorsteuerabzugs.11

3.93

Die 8. Umsatzsteuer-Richtlinie12 verankerte die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, einem nicht im Inland, aber in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen die Umsatzsteuer als Vorsteuer in einem besonderen Verfahren zu erstatten.13 Die 9. Umsatzsteuer-Richtlinie14

1 Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 19.1. 2 1. Umsatzsteuer-Richtlinie EWG-67/227/EWG v. 11.4.1967, ABl. EG 1967 Nr. L 71, 1301; 2. Umsatzsteuer-Richtlinie EWG-67/228/EWG v. 14.4.1967, ABl. EG 1967 Nr. L 71. 3 So die Begründungserwägungen der 1. Umsatzsteuer-Richtlinie. 4 Hierzu Wachweger, UR 1967, 123 ff. 5 BGBl. I 1967, 545 = BStBl. I 1973, 545. 6 Hierzu der Überblick von Stadie in R/D, Einführung Rz. 38 ff. 7 3. Umsatzsteuer-Richtlinie EWG-69/463 EWG, ABl. 1969 Nr. L 320, 34; 4. Umsatzsteuer-Richtlinie EWG-71/401 EWG, ABl. EG 1971 Nr. L 283, 41; 5. Umsatzsteuer-Richtlinie EWG-72/250 EWG, ABl. EG 1972 Nr. L 162, 18. 8 EWG-77/388/EWG v. 17.5.1977, ABl. EG 1977 Nr. L 145, 1; vgl. hierzu Dobratz in Schaumburg/ Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 19.3. 9 Voß, StuW 1993, 155 (158). 10 EuGH v. 3.3.1988 – C-252/86, ECLI:EU:C:1988:112, Slg. 1988, 1343 – Bergandi. 11 Hierzu Stadie in R/D, Einf. Rz. 54 ff. 12 EWG v. 6.12.1979, 79/1072/EWG, ABl. EG 1979 Nr. L 331, 11. 13 Vgl. §§ 59–61 UStDV 1980. 14 EWG v. 26.6.1978, 78/583/EWG, ABl. EG 1978 Nr. L 194, 16.

58 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.96 Kap. 3

beschränkte sich darauf, die Frist für die Umsetzung der 6. Umsatzsteuer-Richtlinie bis zum 1.1.19791 zu verlängern. Die 10. Umsatzsteuer-Richtlinie2 regelte den Ort der sonstigen Leistung bei der Vermietung beweglicher körperlicher Gegenstände, durch die § 3a UStG 1980 entsprechend angepasst wurde.3 Während die 11., 13., 15. und 17. Umsatzsteuer-Richtlinie4 Regelungen enthalten, die entweder für Deutschland überhaupt nicht oder nur von geringer Bedeutung waren, betraf die 18. Umsatzsteuer-Richtlinie5 Regelungen, die im deutschen Umsatzsteuerrecht zum 1.1.1990 zu Änderungen im Bereich der Umsatzsteuerbefreiungen geführt haben.6

3.94

Während die nachfolgenden Umsatzsteuer-Richtlinien keine besondere Bedeutung hatten, wurde mit der wichtigen sog. Ergänzungs-Richtlinie (Binnenmarktrichtlinie) die dritte Stufe der Umsatzsteuer-Harmonisierung eingeleitet. Zu dieser Binnenmarktrichtlinie erging schließlich auch eine Änderungsrichtlinie zur Annäherung der Mehrwertsteuersätze.7 Auf dieser Grundlage wurde in Deutschland das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz8 und die 9. Verordnung zur Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung9 erlassen.

3.95

Die Binnenmarktrichtlinie wurde in der Folgezeit durch verschiedene Richtlinien10 geändert und ergänzt, ohne dass hierdurch das Grundsystem der 6. Umsatzsteuer-Richtlinie eine wesentliche Änderung erfuhr. Das gilt auch für die seit 2008 geltende Mehrwertsteuersystem-Richtlinie,11 die im Wesentlichen lediglich eine Neukodifizierung der 6. Umsatzsteuer-Richtlinie und der nachfolgenden Richtlinien darstellt.12 Im Hinblick darauf, dass durch die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen vorgenommen wurden, gilt die bisherige Auslegung seitens des EuGH zur 6. Umsatzsteuer-Richtlinie unverändert.13 Zum für die Umsatzsteuer maßgeblichen Harmonisierungspaket gehört auch die in Anwendung von Art. 291 Abs. 2 AEUV aufgrund der Ermächtigung in Art. 397 MwStSystRL seitens

1 Deutschland konnte allerdings auch diese Frist nicht einhalten; die Umsetzung der 6. Umsatzsteuer-Richtlinie gelang erst mit Inkrafttreten des UStG 1980 v. 26.11.1979, BGBl. I 1979, 1953. Ein zwischenzeitlich von der EU-Kommission eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren beim EuGH wurde hierdurch erledigt. 2 EWG v. 31.7.1984, 84/386/EWG, ABl. EG 1984 Nr. L 208, 58. 3 Durch das Steuerbereinigungsgesetz 1985 v. 14.12.1985, BGBl. I 1985, 1493. 4 11. USt-Richtlinie, EWG v. 26.3.1980, 80/368/EWG, ABl. EG 1980 Nr. L, 41; 13. USt-Richtlinie, EWG v. 17.11.1983, 86/560/EWG, ABl. EG 1983 Nr. L 326, 40; 15. USt-Richtlinie EWG v. 19.12.1983, 83/648/EWG, ABl. EG 1983 Nr. L 360, 49; 17. USt-Richtlinie EWG v. 16.7.1985, 85/ 362/EWG, ABl. EG 1985 Nr. L 192, 20. 5 EWG v. 18.7.1989, 89/465/EWG, ABl. EG 1989 Nr. L 226, 21. 6 Hierzu Schlienkamp, UR 1989, 268 ff. 7 V. 19.10.1992, 92/77 EWG, ABl. EG Nr. L 316, 1; hierzu Schlienkamp, UR 1993, 3 ff. 8 V. 25.8.1992, BGBl. I 1992, 1548. 9 V. 3.12.1992, BGBl. I 1992, 1982. 10 Hierzu die Übersicht bei Stadie in R/D, Einf. Rz. 58 ff. 11 RL 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem v. 28.11.2006, ABl. 2006 Nr. L 347, 1; zuletzt geändert durch RL 2013/61/EU v. 17.12.2013, ABl. 2013 Nr. L 353, 5. 12 Nach Wernsmann in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 30 Rz. 28 die vierte Stufe der USt-Harmonisierung. 13 Reiß in R/K/L, Einführung UStG Rz. 124; Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 19.9.

Schaumburg | 59

3.96

Kap. 3 Rz. 3.96 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

des Rates erlassene MwStDVO.1 Von Bedeutung ist ferner die MwStBefreiungsRL,2 die MwStErstattungsRL3 sowie die MwStZVO (Rz. 22.82 ff.).4 c) Verbrauchsteuer-Richtlinien/Systemrichtlinie

3.97

Ebenso wie die Umsatzsteuer-Richtlinien sind auch die Verbrauchsteuer-Richtlinien darauf gerichtet, durch Schaffung eines Binnenmarktes Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.5 Die hierfür maßgeblichen Verbrauchsteuer-Richtlinien6 sind überwiegend im Jahre 1992 ergangen, allerdings ergänzt um die Energiesteuerrichtlinie 20037 und die Systemrichtlinie 2009.8

1 VO (EU) Nr. 282/2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem v. 15.3.2011, ABl. 2011 Nr. L 77, 1; geändert durch VO (EU) Nr. 967/2012 v. 9.10.2012, ABl. EU 2013 Nr. L 290, 1 und VO (EU) Nr. 1042/2013 v. 7.10.2013, ABl. Nr. L 284, 1. 2 Richtlinie 2009/132/EG zur Festlegung des Anwendungsbereichs von Art. 143 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112/EG hinsichtlich der Mehrwertsteuerbefreiung bestimmter endgültiger Einfuhren von Gegenständen v. 19.10.2009, ABl. 2009 Nr. L 292, 5. 3 Richtlinie 2008/9/EG zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gem. der Richtlinie 2006/ 112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige v. 12.2.2008, ABl. 2008 Nr. L 44, 23. 4 V. 7.10.2010, ABl. 2010 Nr. L 268; zuletzt geändert durch VO (EU) 2018/1541, ABl. EU 2018 Nr. L 259, 1. 5 Zu den Harmonisierungszielen und zu den einzelnen Harmonisierungsschritten Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 201, 20.6 f.; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, Rz. A 1. 6 RL 92/12/EWG des Rates v. 25.2.1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABl. EG 1992 Nr. L 76, 1 (System RL bis 15.1.2009); RL 92/78/EWG des Rates v. 19.10.1992 zur Änderung der Richtlinien 72/464/EWG und 79/32/EWG über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer, ABl. EG 1992 Nr. L 316, 5; RL92/79/EWG des Rates v. 19.10.1992 zur Annäherung der Verbrauchsteuern auf Zigaretten, ABl. EG 1992 Nr. L 316, 8; RL 92/80/EWG des Rates v. 10.10.1992 zur Annäherung der Verbrauchsteuern auf andere Tabakwaren als Zigaretten, ABl. EG 1992 Nr. L 316, 10; RL 92/ 83/EWG des Rates v. 19.10.1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke, ABl. EG 1992 Nr. L 316, 21 (Struktur RL); RL 92/84/EWG des Rates v. 19.10.1992 über die Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke, ABl. EG 1992 Nr. L 316, 29 (Satz RL); RL 92/81/EWG des Rates v. 19.10.1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle, ABl. EG 1992 Nr. L 316, 12; RL 92/82/ EWG des Rates v. 19.10.1992 zur Annäherung der Verbrauchsteuersätze für Mineralöle, ABl. EG 1992 Nr. L 316, 19; RL 92/108 des Rates v. 14.12.1992 zur Änderung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABl. EG 1992 Nr. L 390, 124; vgl. auch den Kurzüberblick über die SystemRL, StrukturRL und SatzRL bei Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, B 9 ff. 7 RL 2003/96/EG v. 27.10.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 283, 51; hierzu im Überblick Jatzke in Bongartz/ Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG, StromStG, EnergieStRL Rz. 14 ff. 8 RL 2008/118/EG v. 16.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. 9, 12 mit Wirkung ab 16.1.2009; hierzu SchröerSchallenberg/Bongartz, ZfZ 2009, 161 ff.; zur Systemrichtlinie im Überblick Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 20.1; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, C 1 ff.

60 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.100 Kap. 3

Auf der Grundlage dieses ersten Richtlinienpaketes ist das deutsche Verbrauchsteuerrecht durch das Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz1 angepasst worden.2 Hierdurch sind mit Wirkung zum 1.1.1993 die Steuergrenzen und Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten beseitigt worden, so dass seitdem im innergemeinschaftlichen Verkehr an den Binnengrenzen der Union Verbrauchsteuern nicht mehr erhoben werden. Mithin werden die Besteuerung bei der Einfuhr und die Steuerbefreiung bei der Ausfuhr grundsätzlich auf den Warenverkehr mit Drittländern beschränkt.

3.98

Das Verbrauchsteuer-Richtlinienpaket harmonisiert die wichtigsten Verbrauchsteuern der Union, also die Verbrauchsteuern auf Mineralöl, Strom, Tabak, Alkohol und alkoholhaltige Getränke. Darüber hinaus bleibt den Mitgliedstaaten allerdings die Möglichkeit, andere Verbrauchsteuern national einzuführen oder bereits bestehende beizubehalten, sofern diese keine Grenzformalitäten verursachen. Aufgrund des Richtlinienpaketes soll für die Verbrauchsteuern auf Dauer das Bestimmungslandprinzip beibehalten werden. Das bedeutet, dass im Grundsatz die Steuer erst bei Abgabe zum Verbrauch entsteht. Die Herstellung, Verarbeitung und der Besitz verbrauchsteuerpflichtiger Waren in Herstellungsbetrieben und anderen Steuerlagern erfolgt wie der anschließende Versand im innergemeinschaftlichen Warenverkehr unter Steueraussetzung, die erst mit der Abgabe an den Endverbraucher beendet wird. Abweichend hiervon gilt im nichtkommerziellen innergemeinschaftlichen Reiseverkehr das Ursprungslandprinzip, wonach Waren, die private Verbraucher zum eigenen Bedarf aus einem Mitgliedstaat in den anderen Mitgliedstaat überführen, nur in dem Mitgliedstaat besteuert werden, in dem sie erworben werden (Art. 32 Abs. 1 VerbrauchStSystRL).3

3.99

Neben der grundlegenden VerbrauchStSystRL und der hierzu ergangenen DVO4 sind auch die sog. Strukturrichtlinien für bestimmte Verbrauchsteuern maßgeblich.5 Hierzu zählen die TabakStRL,6 die AlkoholStRL7 und die Energie- und StromStRL.8 Schließlich dient die Ver-

3.100

1 Gesetz zur Anpassung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen an das Gemeinschaftsrecht sowie zur Änderung anderer Gesetze (Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz vom 21.12.1992, BGBl. I 1992, 2150 = BStBl. I 1993, 96. 2 Einzelheiten zum Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz, Rendels, DStR 1993, 114 ff.; Beermann, DStZ 1993, 227 ff., 291 ff. 3 Hierzu Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 20.17 ff.; Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht2, E 19. 4 Vgl. etwa VO (EG) Nr. 684/2009 zur Durchführung der Richtlinie 2008/118/EG in Bezug auf die EDV-gestützten Verfahren für die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung v. 24.7.2009, ABl. EU 2009 Nr. L 197, 24, zuletzt geändert durch DVO (EU) Nr. 76/2014 v. 28.1.2014, ABl. 2014 Nr. L 26, 4; es handelt sich um eine DVO i.S.v. Art. 291 Abs. 2 AEUV mit Ermächtigungsgrundlage in Art. 21 VerbrauchStSystRL. 5 Zu diesen Strukturrichtlinien vgl. Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, B17 f. 6 Richtlinie 2011/64/EU über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren v. 21.6.2011, ABl. 2011 Nr. L 176, 24; vgl. hierzu Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, Rz. E 1 ff. 7 Richtlinie 92/83/EWG zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke v. 19.10.1992, ABl. 1992 Nr. L 316, 21; vgl. hierzu Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, Rz. D 1 ff. 8 RL 2003/96/EG zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom v. 27.10.2003, ABl. 2003 Nr. L 283, 51; vgl. hierzu Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, Rz. F 9 ff.

Schaumburg | 61

Kap. 3 Rz. 3.100 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

brauchStZVO dem grenzüberschreitenden Informationsaustausch insbesondere für Zwecke der Bekämpfung der Verbrauchsteuerhinterziehung (vgl. Rz. 22.82 ff.).1

3.101

Auf der Grundlage der vorgenannten Richtlinien und Verordnungen sind in Deutschland folgende Verbrauchsteuern angepasst worden: Alkoholsteuer, Schaumweinsteuer inklusive Steuer auf Zwischenerzeugnisse,2 Biersteuer, Energie- und Stromsteuer sowie die Tabaksteuer.3

4. Steuerverfahrensrecht a) Harmonisierungskompetenz

3.102

Es entspricht dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1, 2 EUV), dass die EU zum Vollzug des von ihr selbst gesetzten Rechts nur dann berechtigt ist, wenn sie hierfür eine Gesetzgebungskompetenz hat.4 Diese Gesetzgebungskompetenz verbleibt daher bei den Mitgliedstaaten, soweit sie diese nicht ganz oder teilweise auf die EU übertragen haben (Art. 4 Abs. 1 EUV). Das ist nur ausnahmsweise der Fall.5 Für den Bereich des Steuerrechts obliegt der Vollzug insbesondere des Primär- und Sekundärrechts im Grundsatz jedenfalls den Mitgliedstaaten. Die hierfür maßgeblichen steuerlichen Verfahrensvorschriften sind innerstaatliches Recht und die Verwaltungsbehörden sind solche der Mitgliedstaaten.

3.103

Dieser Verfahrensautonomie sind allerdings Schranken gesetzt. So hat sich etwa das deutsche Steuerverfahrensrecht am Äquivalenz- und Effektivitätsgebot (Art. 4 Abs. 3 EUV) zu orientieren, wonach u.a. alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Verpflichtungen, die sich aus dem EUV/AEUV oder aus Handlungen der Union ergeben, zu erfüllen.6 Darüber hinaus ist die EU ermächtigt, im Rahmen der sich aus Art. 115 AEUV für direkte Steuern und aus Art. 113 AEUV für indirekte Steuern ergebenden Annexkompetenz7, Verfahrensregeln zu schaffen, um die einheitliche Durchsetzung des Unionsrechts zu gewährleisten.8 Auf dieser Grundlage wurden die Amtshilferichtlinie, die Beitreibungsrichtlinie, die MehrwertsteuerZusammenarbeitsverordnung, die Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung sowie die Streitbeilegungs-Richtlinie (Rz. 19.113a ff.) erlassen. Einen Sonderfall betrifft die Schiedsverfahrenskonvention (Rz. 19.114 ff.), die als multilateraler völkerrechtlicher Vertrag auf Grundlage des Art. 293 EG a.F. abgeschlossen wurde.

1 VO (EU) Nr. 389/2012 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 2073/2004 v. 2.5.2012, ABl. EU 2012 Nr. L 121, 1, geändert durch VO (EU) Nr. 517/2013 v. 13.5.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 158, 1. 2 Zwar ist unionsrechtlich eine Weinsteuer vorgesehen, wegen eines Mindeststeuersatzes von 0 € bleibt es den Mitgliedstaaten im Ergebnis überlassen, ob eine Weinsteuer erhoben wird; Deutschland hat von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht und erhebt keine Weinsteuer. 3 Vgl. die Überblicksdarstellungen bei Schröer-Schallenberg und Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, G10 – K118; ferner zu internationalen Aspekten Rz. 11.40 ff. 4 Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 11.1 ff. 5 Z.B. Kartellaufsicht (Art. 105 AEUV), Beihilfekontrolle (Art. 108 AEUV). 6 Hierzu Wernsmann in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 20 Rz. 134. 7 Grundlage ist die auch im Unionsrecht anerkannte sog. implied-powers-Doktrin, wonach die unionsrechtliche Gesetzgebungskompetenz u.a. auf notwendige Durchführungsmaßnahmen erweitert wird; vgl. hierzu im Überblick König in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 2 Rz. 8. 8 Hierzu Gundel in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 3 Rz. 110.

62 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.107 Kap. 3

b) Amtshilferichtlinie Die Amtshilferichtlinie (EU-AHiRL)1 ist darauf gerichtet, den grenzüberschreitenden Informationsaustausch zwischen den Verwaltungsbehörden durch einheitlich geltende Regeln zu erleichtern, um hierdurch das Funktionieren der nationalen Steuersysteme sicherzustellen.2 Dieser grenzüberschreitende Informationsaustausch erfolgt auf der Grundlage von Ersuchensauskünften, automatischen und Spontanauskünften (Rz. 22.80 ff.).3

3.104

Der persönliche Anwendungsbereich der EU-AHiRL ist sehr weit gefasst. Es geht nicht nur um die steuerlichen Angelegenheiten von Unionsbürgern, sondern um alle Informationen, die für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Steuerrechts der Mitgliedstaaten „voraussichtlich“ erheblich sind (Art. 1 Abs. 1 EU-AHiRL). Angesprochen sind damit vor allem Sachverhalte im Zusammenhang mit unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht natürlicher und juristischer Personen. Erfasst sind hiermit zugleich auch Fragen der Einkünfteermittlung und der Zuordnung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern zu Mitunternehmerschaften und Betriebsstätten sowie ganz allgemein solche der Gewinnverlagerung in Staaten mit vorteilhaften Steuersystemen.

3.105

In sachlicher Hinsicht erfasst die EU-AHiRL alle Steuern unabhängig davon, ob sie von einem oder für einen Mitgliedstaat bzw. von oder für Gebiets- oder verwaltungsmäßige Gliederungseinheiten eines Mitgliedstaates einschließlich lokaler Behörden erhoben werden (Art. 2 Abs. 1 EU-AHiRL). Dem Anwendungsbereich der EU-AHiRL unterliegt nicht der Informationsaustausch betreffend die Umsatzsteuern, einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer, Zölle und die harmonisierten Verbrauchsteuern4 (Art. 2 Abs. 2 EU-AHiRL). Im Ergebnis ist damit aus deutscher Sicht ein grenzüberschreitender Informationsaustausch als Grundlage der EU-AHiRL insbesondere für die ESt, KSt, GewSt und ErbSt möglich (vgl. zu Einzelheiten Rz. 22.80 ff.).

3.106

c) Beitreibungsrichtlinie Die Beitreibungsrichtlinie (EU-BeitrRL)5 regelt die zwischenstaatliche Amtshilfe bei der Steuererhebung (Vollstreckungshilfe). Sie ist eine Ergänzung zur EU-AHiRL, die die zwischenstaatliche Amtshilfe im Rahmen des steuerlichen Festsetzungsverfahrens einschließlich des Ermittlungsverfahrens ermöglicht. Es geht also im Wesentlichen um die Vollstreckung, also die Geltendmachung des Steueranspruchs seitens der Steuerbehörden der Mitgliedstaaten und damit um die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten (Rz. 4 der Erwägungsgründe zur EUBeitrRL). Zugleich dient die gegenseitige Unterstützung insbesondere bei der Vollstreckung

1 RL 2011/16/EU des Rates v. 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, ABl. EU 2011 Nr. L 64, 1; geändert durch RL 2014/107/EU v. 9.12.2014, ABl. EU 2014 Nr. L 359, 1; in Deutschland umgesetzt durch das EUAHiG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 2 Vgl. Rz. 1 der Erwägungsgründe der EU-AHiRL. 3 Art. 5, 8, 9 EU-AHiRL; vgl. hierzu Schaumburg in Schaumburg, Europäisches Steuerecht2, Rz. 15.15 ff. 4 Die in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG v. 16.12.2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12), geändert durch die Richtlinie 2010/12/EU (ABl. EU 2010 Nr. L 50, 1) genannt werden. 5 RL 2010/24/EU v. 16.3.2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstigen Maßnahmen, ABl. EU 2010 Nr. L 84, 1.

Schaumburg | 63

3.107

Kap. 3 Rz. 3.107 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes (Rz. 1 der Erwägungsgründe zur EUBeitrRL).1

3.108

Rechtsgrundlagen für die Inanspruchnahme von Vollstreckungshilfe im EU-Ausland sind § 117 AO2 und § 10 EU-BeitrG und für die Gewährung von Vollstreckungshilfe Art. 10 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1 EU-BeitrRL und § 9 Abs. 1 EU-BeitrG. Die Verpflichtung zur Gewährung von Vollstreckungshilfe in der EU enthält die EU-BeitrRL, die EU-BeitrDVO3 sowie der an die Mitgliedstaaten gerichtete EU-BeitrDbeschl.4

3.109

Im Hinblick darauf, dass die EU-BeitrRL vor allem den finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten gerecht werden soll, ist der persönliche Anwendungsbereich weit gefasst. Das bedeutet, dass insbesondere Beitreibungsersuchen auch für Forderungen gegen Schuldner möglich sind, die nicht in einem anderen Mitgliedstaat ansässig und nicht Unionsbürger sind.

3.110

In sachlicher Hinsicht erfasst die EU-BeitrRL Forderungen, die in den Mitgliedstaaten entstanden sind (Art. 2 Abs. 1 EU-BeitrRL, § 1 Abs. 1 Satz 1 EU-BeitrG). Damit ist etwa ein Vollstreckungsersuchen wegen in Drittstaaten entstandener Forderungen ausgeschlossen. Zu den unter die EU-BeitrRL fallenden Forderungen gehören Steuern und Abgaben5 aller Art, die von einem oder für einen Mitgliedstaat oder für die EU erhoben werden (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EU-BeitrRL, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a und b EU-BeitrG). d) Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung

3.111

Die Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung (MwSt-ZVO)6 und die in diesem Zusammenhang bedeutsamen VO-EU 79/20127 und VO-EU 815/20128 dienen ganz allgemein dem grenzüberschreitenden Informationsaustausch und in besonderer Weise der Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs.9 Im Vordergrund steht hier die Steuerhinterziehung bei innergemeinschaftlichen Umsätzen (Rz. 22.82 ff.), die insbesondere durch betrügerische Umsatzsteuerkarusselle begangen wird.10 Der Anwendungsbereich der MwSt-ZVO erstreckt sich auf das Unionsgebiet; das bedeutet, dass die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch alle steuerbaren Umsätze betrifft unabhängig davon, ob die betreffenden Unternehmer11 im Uni-

1 2 3 4 5 6 7

8

9 10 11

Vgl. hierzu auch Schaumburg in Schaumburg, Europäisches Steuerecht2, Rz. 25.61 ff. Czakert in Schönfeld/Ditz2, Art. 27 OECD-MA Rz. 20. Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1189/2011 v. 18.11.2011, ABl. 2011 Nr. L 302, 16. Durchführungsbeschluss der Kommission v. 18.11.2011, KOM (2011), 8193. Im Wesentlichen Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nr. 20 und 21 UZK. VO (EU) Nr. 904/2010 v. 7.10.2010, ABl. EU 2010 Nr. L 268, 1. DV (EU) Nr. 79/2012 der Kommission zur Regelung der Durchführung bestimmter Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer vom 31.1.2012, ABl. EU 2012 Nr. L 29, 13. DV (EU) Nr. 815/2012 der Kommission v. 13.9.2012 mit Durchführungsbestimmungen zur VOEU Nr. 904/2010 des Rates hinsichtlich der Sonderregelungen für gebietsfremde Steuerpflichtige, die Telekommunikationsdienstleistungen, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen oder elektronische Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige erbringen, ABl. EU 2012 Nr. L 249, 3. Erwägungsgründe Nr. 2–4 MwSt-ZVO und Erwägungsgründe Nr. 1 und 9 VerbrSt-ZVO; hierzu Schaumburg in Schaumburg, Europäisches Steuerecht2, Rz. 25.99 ff. Erwägungsgründe Nr. 11, 18 MwSt-ZVO; zu Umsatzsteuerkarussellen vgl. Adick in Schaumburg/ Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 18.41 ff. In der Terminologie der MwStSystRL „Steuerpflichtige“.

64 | Schaumburg

E. Europäisches Steuerrecht | Rz. 3.115 Kap. 3

onsgebiet ansässig sind oder nicht. Im Hinblick darauf tauschen die Mitgliedstaaten auch Informationen aus, die sie aus Drittstaaten erhalten (Art. 50 Abs. 1 MwSt-ZVO). Darüber hinaus geben sie auch Informationen an Drittstaaten weiter, die sie von anderen Mitgliedstaaten erhalten haben, sofern der andere Mitgliedstaat dieser Weitergabe zugestimmt hat und im Verhältnis zum Drittstaat die Gegenseitigkeit1 gewährleistet ist (Art. 50 Abs. 2 MwSt-ZVO). Die MwSt-ZVO regelt folgende Arten des Informationsaustauschs: Ersuchensauskünfte (Art. 7 ff. MwSt-ZVO), automatische Auskünfte (Art. 13 ff. MwSt-ZVO) und Spontanauskünfte (Art. 15 MwSt-ZVO).

3.112

e) Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung Neben dem Informationsaustausch geht es bei der Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung (VerbrSt-ZVO)2 auch um die Bekämpfung der Steuerhinterziehung bei grenzüberschreitender Beförderung unter Steueraussetzung.3

3.113

Vom Regelungsbereich der VerbrSt-ZVO werden alle harmonisierten Verbrauchsteuern erfasst (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Nr. 16 VerbrSt-ZVO). Zu diesen Verbrauchsteuern gehören Steuern auf Energieerzeugnisse und elektrischen Strom, Alkohol und alkoholische Getränke sowie auf Tabakwaren (Art. 1 Abs. 1 VerbrStSystRL); aus deutscher Sicht sind das Energiesteuern, Stromsteuern, Bier- und Alkoholsteuer sowie Tabaksteuer. Nicht erfasst sind dagegen die Alkopopund Kaffeesteuer. Der Informationsaustausch erfolgt zwar nur zwischen den Mitgliedstaaten, er erfasst aber auch Informationen aus Drittstaaten, soweit dies auf Grund besonderer Amtshilfevereinbarungen zugelassen ist (Art. 32 VerbrSt-ZVO). Neben Ersuchensauskünften sind auch automatische und Spontanauskünfte vorgesehen (Rz. 22.82 ff.).

3.114

f) Schiedsverfahrenskonvention Auf der Grundlage des Art. 293 EG a.F. haben die EU-Staaten das Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen4 abgeschlossen. Diese sog. Schiedsverfahrenskonvention (Rz. 19.114 ff.)5 ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag,6 der nach Hinterlegung aller Ratifikationsurkunden7 zum 1.1.1995 in Kraft getreten ist. Ihr steht der höhere Rang des Europarechts (Rz. 3.27 ff.) nicht zu.8

1 Zum Gegenseitigkeitsprinzip Seer in Holoubek/Lang, Verfahren der Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden in Europa, 85 (96 f.). 2 VO (EU) Nr. 389/2012 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2073/2004 v. 2.5.2012, ABl. EU 2012 Nr. L 121, 1. 3 Erwägungsgründe Nr. 7 VerbrSt-ZVO; hierzu auch Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 25.119 ff. 4 Schiedsverfahrenskonvention (90/436/EWG) v. 23.7.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 10; Änderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG 1999 Nr. C 202,1; Ergänzung ABl. EU 2005 Nr. C 160, 11. 5 Auch Schiedsabkommen oder Schiedsübereinkommen genannt; vgl. zu Einzelheiten auch Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 23.1 ff. 6 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 23.1. 7 Art. 18 der Schiedsverfahrenskonvention. 8 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 23.1.

Schaumburg | 65

3.115

Kap. 3 Rz. 3.116 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

g) Streitbeilegungs-Richtlinie

3.116

Die Streitbeilegungs-RL1 ist darauf gerichtet, Doppelbesteuerungen innerhalb der EU zu vermeiden. Es geht hierbei um die Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten wegen divergierender Auslegung und Anwendung insbesondere von Doppelbesteuerungsabkommen (Art. 1). Das in der StreitbeilegungsRL geregelte Verfahren verfolgt damit die gleiche Zielrichtung wie die Schiedsverfahrenskovention (Rz. 19.114 ff.) und die in den DBA geregelten Verständigungs- und Schiedsverfahren (Rz. 19.94 ff., 19.110 ff.). Dass auf Unionsbasis ein zusätzliches Streitbeilegungsinstrument geschaffen wurde, hängt auch damit zusammen, dass die Doppelbesteuerung unionsrechtlich nicht verboten ist.2 Damit stehen dem Steuerpflichtigen drei Verfahrenswege zur Verfügung, zwischen denen er wählen kann.3 Wird allerdings der Weg der Beschwerde nach der StreitbeilegungsRL gewählt, werden etwaige Verfahren nach der EU-Schiedsverfahrenskonvention oder der DBA sofort beendet (Art. 3). Parallele Verfahren sind somit ausgeschlossen.4 Die Streitbeilegungs-Richtlinie ist durch das EU-DBA-SBG5 umgesetzt worden.6

3.117–3.149

Einstweilen frei.

F. „Weltsteuerrecht“ Literatur: Avi-Yonah, International Tax as International Law, 2007; Baistrocchi, The Use and Interpretation of Tax Treaties in the Emerging World: Theory and Implication, British Tax Review 2008, 352; von Bogdandy/Dann, International Composite Administration: Conceptualizing Multi-Level and Network Aspects in the Exercise of International Public Authority, German Law Journal 2008, 2014 (2015 ff); Czakert, Generalthema 2 und Seminar D: Der internationale Informationsaustausch und die grenzüberschreitende Kooperation der Steuerverwaltungen, IStR 2013, 596; Chayes/Chayes, The new sovereignty, 1995; Doehring, Völkerrecht, 2004; Ismer/Piotrowski, Internationale Streitbeilegung in Steuersachen und innerstaatliches Verfassungsrecht: Auf zu gerichtsförmigen Verfahren!, IStR 2019, 845; Gosch, Über die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, ISR 2013, 87; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 2018; Kreienbaum/Fehling, Das Inclusive Framework on BEPS – ein neuer Akteur in der internationalen Steuerpolitik, IStR 2017, 929; Lampert, Die dynamische Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Beachtung des Kommentars zum OECDMusterabkommen, IStR 2012, 513; Lappas/Ruckes, Die praktische Umsetzung von FATCA in Deutschland, IStR 2013, 929; Pijl, The OECD Commentary as a Source of International Law and the Role of the Judiciary, European Taxation 2006, 216; Mellinghoff, Heranziehung von OECD-Musterabkommen und -Musterkommentar, in W. Wassermeyer (Hrsg.), Doppelbesteuerung: Festgabe zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, S. 35; Reimer, Meilenstein des BEPS-Programms: Das Multilaterale Übereinkommen zur Umsetzung der DBA-relevanten Maßnahmen, IStR 2017, 1; Scholze, Internationale steuerliche Kooperation mit Entwicklungs- und Schwellenstaaten, IWB 2020, 762; Strotkemper, Das Spannungsverhältnis zwischen Schiedsverfahren in Steuersachen und einem Internationalen Steuergerichtshof: Möglichkeiten zur Verbesserung der Streitbeilegung im Internationalen Steuerrecht, 2017;Tausend/Jung, OECD: ICAP 2.0 – Neue Teilnehmer und neuer Prozess, IStR-LB 2019, 49; Valta, Entgrenzung im Steuerrecht, Jahrbuch des Öffentlichen Rechts 2022, 715; Valta/Stendel, Dyna-

1 Richtlinie (EU) 2017/1852 v. 10.10.2017, ABl. EU 2017 Nr. L 265, 1. 2 EuGH v. 12.2.2009 – C-67/08, ECLI:EU:C:2009:92 Rz. 28 – Block; vgl hierzu Kokott, ISR 2019, 429 (430); ferner unten Rz. 17.4 ff. 3 Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 24.36. 4 Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 24.38. 5 BGBl. I 2019, 2103; BStBl. I 2020, 3. 6 Vgl. hierzu auch das Merkblatt v. 27.8.2021, BStBl. I 2021, 1495.

66 | Schaumburg und Valta

F. „Weltsteuerrecht“ | Rz. 3.153 Kap. 3 mik des Völkervertragsrechts und Treaty Override – Perspektiven des offenen Verfassungsstaats, StuW 2019, 340; Valta, Das internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014; Ward, The Role of the Commentaries on the OECD Model in the Tax Treaty Interpretation Process, Bulletin for International Taxation 2006, 97; Zimmerl, Joint Tax Audits als Ausgangspunkt zur Effektuierung des Verständigungsverfahrens, 2022.

I. Das Bedürfnis nach Institutionalisierung auf globaler Ebene Im Binnenmarkt der Europäischen Union gab und gibt es wie gezeigt ein Bedürfnis nach Harmonisierung auch der direkten Steuern mit Blick auf grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit. Durch die positive Harmonisierung können zum einen Hemmnisse reduziert werden, insbesondere die Gefahr von Doppelbelastungen oder Zusatzaufwand durch Quellensteuern. Zum anderen kann ein institutioneller Rahmen für die Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen und Mindeststandards für die Missbrauchsvermeidung geschaffen werden. Soll ein gleichheitsgerechter Steuervollzug auf internationaler Ebene gesichert werden, dürfen beide Aspekte nicht zu sehr auseinanderfallen.

3.150

Durch die Mobilitätsteigerung, die mit der Globalisierung, Liberalisierung und der Reduktion von Quellenbesteuerung verbunden war, kam es auch auf globaler Ebene zu einer gewissen Entgrenzung mobiler Eliten und multinationaler Unternehmen.1 Fehlende einheitliche Standards bei der Missbrauchsvermeidung und fehlende Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen ermöglichten Gewinnverlagerungen und damit ein Auseinanderfallen von Wertschöpfung und Besteuerung. Dies wiederum führte dazu, dass aus dem Standortwettbewerb ein steuerlicher Unterbietungswettbewerb wurde (siehe näher Rz. 5.10). Die Staaten konnten ihren Steueranspruch nicht mehr hierarchisch gegenüber den multinationalen Unternehmen durchsetzen und diese konnten die Staaten mit deren Mithilfe gegeneinander ausspielen. Die Entstehung von multinationalen Unternehmen und hochmobilen, gleichsam kosmopolitischen Eliten führte zu einem institutionellen Ungleichgewicht zu Lasten der national gebliebenen Steuerverwaltungen.

3.151

Dieses Ungleichgewicht wurde seit der letzten Dekade durch ein Zusammenwirken der nationalen Steuerverwaltungen auszugleichen versucht. Es gib zwar keinen „Weltstaat“, aber doch ein Zusammenwirken der Staaten im Sinne einer multinationalen Standardsetzung und Verbundverwaltung, welche den multinationalen Unternehmen institutionell wieder auf Augenhöhe begegnen soll. Den wichtigsten institutionellen Rahmen bildete und bildet weiterhin das von der G20 und der OECD initiierte Inclusive Framework on Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), zuletzt mit Hinblick auf Global Anti-Base Erosion Model Rules (GlobE) zur Besteuerung der Digitalwirtschaft (sog. Pillar I) und zur Mindestbesteuerung (sog. Pillar II) (Rz. 5.46 ff.).2

3.152

Dieses Wiedererstarken der Steuerstaaten in ihrem kartellartigen Zusammenschluss birgt allerdings auch die Gefahr des Überschießens. Sind die Informationspflichten- und der -austausch, sind die harmonisierten Missbrauchsnormen noch verhältnismäßig und rechtssicher handhabbar? Nicht ohne Grund hat die OECD selbst das Thema „tax certainty“ mit auf die

3.153

1 Dazu Valta, Entgrenzung im Steuerrecht, Jahrbuch des Öffentlichen Rechts 2022, S. 715. 2 OECD v. 20.12.2021, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two), abrufbar unter: https://www.oecd.org/tax/beps/tax-challen ges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy-global-anti-base-erosion-model-rules-pillartwo.htm (zuletzt abgerufen: 15.1.2022).

Valta | 67

Kap. 3 Rz. 3.153 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

Agenda des BEPS-Projektes gesetzt, sodass auch die Streitbeilegung verbessert werden soll. Wie sieht es mit der demokratischen Legitimation aus? Werden die Vereinbarungen auf internationaler Ebene noch demokratisch hinreichend an die nationalen demokratischen Prozesse rückgebunden? Im Folgenden sollen die bestehenden und sich entwickelnden Ansätze für einen Weltsteuergesetzgeber, eine Weltsteuerverwaltung und eine Weltsteuergerichtsbarkeit beleuchtet werden.

II. Ansätze für einen „Weltsteuergesetzgeber“ 1. Die Rolle des OECD-Musterabkommens und seines Kommentars 3.154

Bereits vor dem BEPS-Projekt hat die OECD über ihr Musterabkommen und ihre Musterkommentierung seit jeher in gewissem Maße die Rolle eines Weltsteuergesetzgebers übernommen. Die Pionierarbeit des Völkerbundes wurde vorerst nicht von den Vereinten Nationen fortgesetzt und die OEEC, die später in OECD umbenannt wurde, konnte in diese Lücke vorstoßen. Als Club der Industriestaaten nahm sie das ansässigkeitsstaatsfreundliche Völkerbunds-Muster von London 1940, und nicht das quellenstaatsfreundlichere Muster von Mexico City 1943 zur Grundlage ihres seit 1963 kontinuierlich weiterentwickelten Musterabkommens. Das OECD-Musterabkommen trat daraufhin einen Siegeszug durch die Abkommenspraxis an und wurde in seinen Strukturen bestimmend.

3.155

Ausschlaggebend dafür waren zwei wichtige Aspekte: Zum einen handelt es sich bei den Musterabkommen um einen Netzwerkmarkt – die Wahl des OECD-Musterabkommens führte zu positiven Externalitäten, je mehr Staaten sich ihrer bedienten.1 Eingefahrene und bekannte Strukturen und Begrifflichkeiten und eine Dreiecksfunktionalität im Abkommensnetzwerk belasteten jedes Abweichen mit hohen Transaktionskosten. Radikale Gegenentwürfe wie das Anden-Musterabkommen konnten kein Fuß fassen und auch die in den 1980er Jahren wieder beginnenden Aktivitäten der Vereinten Nationen beschränkten sich in der Folgen auf Modifikationen des OECD-Musters.2 Zum anderen erlangte die OECD ein faktisches Monopol auf die technische Expertise. Das Zusammenwirken der spezialisierten Vertreter der Steuerverwaltungen der Industriestaaten und der Spezialisten des OECD-Sekretariates ermöglichte eine hohe technische Qualität, die von einzelnen Staaten kaum zu erreichen war. Entwicklungsund Schwellenländer haben häufig keine äquivalente Expertise in ihren Steuerverwaltungen zur Verfügung.

3.156

Geronnener Ausdruck dieser Vorteile ist der OECD-Kommentar. Die ausführlichen Erläuterungen mit ihren Begriffsdefinitionen bilden eine überragend wichtige und konkurrenzlose Rechtserkenntisquelle für die autonome Abkommensauslegung (Rz. 19.57). Auch wenn der Kommentar selbst von seiner Unverbindlichkeit ausgeht,3 leitet er doch faktisch die kunstgerechte Auslegung des Abkommens an, gleich unter welcher Alternative des Art. 31 WÜRV man dies fasst (Rz. 19.76). Plastisch ist die Formulierung von der „international tax language“, die über das Forum der OECD und das Medium des Kommentars gebildet und gepflegt wird.4 Darüber hinaus lassen sich über die „Observations“ der Mitgliedstaaten sogar völkerrechtliche Bindungswirkungen herleiten: sie bilden eine Staatenpraxis, die völkerrechtlich als Ausle-

1 Baistrocchi, British Tax Review 2008, 352 ff. 2 Baistrocchi, British Tax Review 2008, 352, 384; Valta, Das internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 395 f. 3 OECD-Kommentar, Introduction, Rz. 29. 4 Lehner in Vogel/Lehner7, Grundlagen Rz. 108.

68 | Valta

F. „Weltsteuerrecht“ | Rz. 3.158 Kap. 3

gungserklärungen oder Vertrauenstatbestand („estoppel“, Verbot widersprüchlichen Verhaltens) völkerrechtliche Bindungen erzeugen.1 Insofern besteht völkerrechtlich auch die Grundlage für eine dynamische Auslegung anhand des jeweils neuesten OECD-Kommentars.2 Im Rahmen des OECD-Musterabkommens und des offiziellen OECD-Kommentars findet somit bereits eine institutionalisierte und dynamische Form der Rechtssetzung und Rechtskonkretisierung durch Verständigung über die autonome Auslegung statt. Es wird im Ausgangspunkt unverbindliches, aber dennoch wirkmächtiges „soft law“ erzeugt, das zudem auch Grundlage für völkerrechtliche Bindungen sein kann. Der faktische und rechtliche Einfluss des OECD-Kommentars wird oftmals und nachvollziehbar kritisiert. Es wird auf die fehlende demokratische Legitimation der OECD und der Vertreter der nationalen Steuerverwaltungen hingewiesen.3 Gosch hat dies pointiert auf den Punkt gebracht, dass im OECD-Kommentar nur die Meinungsäußerungen der beteiligten Fisci zu sehen seien, welche jedenfalls die Justiz nicht binde.4 Eine dynamische Anwendung des OECD-Musterkommentars wird überwiegend abgelehnt, da dieser nicht über das Zustimmungsgesetz zum jeweiligen bilateralen DBA legitimiert werde.5

3.157

Diese Kritik würdigt jedoch nicht hinreichend, dass die Änderungen des OECD-Kommentars immerhin von dem vom Bundeskabinett nominierten deutschen OECD-Botschafter mitbeschlossen werden und im Rahmen der Außenkompetenz der Exekutive eine gesamtstaatliche Zurechnung zu Deutschland damit zumindest formal gegeben ist. Dass völkerrechtliche Verträge durch die Staatenpraxis verändert werden können und so zu „Verträgen auf Rädern“6 werden, ist völkerrechtlich weder neu noch unüblich, ebenso die Dominanz der Exekutive in auswärtigen Fragen. Das deutsche Zustimmungsgesetz gibt zwar den Rechtsanwendungsbefehl, führt aber zu keiner Versteinerung und Abkopplung vom Völkerrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat solche Veränderungen in einer Entscheidung zum neuen strategischen Grundkonzept der NATO nach Ende des kalten Krieges in einer – wenn auch knappen Entscheidung – auch gebilligt.7 Fortentwicklungen und Abänderungen sind nach der weiteren Rechtsprechungslinie im Rahmen der völkerrechtlichen Praxis auch verfassungsrechtlich durch das Zustimmungsgesetz gedeckt, solange der Ermächtigungsrahmen bestehend aus den Strukturentscheidungen und dem im Vertrag festgelegten politischen Programm nicht verlassen wird.8 Ob sich eine solche europarechtsinspirierte Programmierungslogik auf alle völkerrechtlichen Verträge übertragen lässt, ist jedoch zweifelhaft.9 Bei Doppelbesteuerungsabkommen wäre insoweit auch zu differenzieren, da ältere unmodifizierte Verträge als Abkommenszweck nur die Vermeidung der Doppelbesteuerung und nicht auch die Vermeidung der Doppelnichtbesteuerung und/oder der Missbrauchsbekämpfung als Zweck enthalten können.

3.158

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Valta/Stendel, StuW 2019, 340 (345). So auch Lampert, IStR 2012, 513 (516 ff.). Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 1 Rz. 31. Gosch, ISR 2013, 87 (92); ähnlich Mellinghoff in Festgabe Wassermeyer 2015, S. 35 ff.; gegen eine Bindungswirkung BFH v. 25.11.2015 – I R 50/14, BStBl. II 2017, 247 = FR 2016, 861 m. Anm. Wassermeyer, Rz. 31; BFH v. 10.6.2015 – I R 79/13, BStBl. II 2016, 326 = FR 2016, 341, Rz. 24 m.w.N. Lehner in Vogel/Lehner7, Grundlagen Rz. 127; BFH v. 25.11.2015 – I R 50/14, BStBl. II 2017, 247, Rz. 31. So kritisch das Sondervotum in BVerfG v. 12.7.1994 – 2 BvE 3/92, 2 BvE 5/93, 2 BvE 7/93, 2 BvE 8/93, BVerfGE 90, 286 (373). BVerfG v. 12.7.1994 – 2 BvE 3/92, 5/93, 7/93, 8/93, BVerfGE 90, 286. BVerfG v. 22.11.2001 – 2 BvE 6/99, BVerfGE 104, 151 (210) (in Bezug auf den NATO-Vertrag); BVerfG v. 3.7.2007 – 2 BvE 2/07, BVerfGE 118, 244 (260). Vgl. Nettesheim in Maunz/Dürig, Art. 59 GG Rz. 135.

Valta | 69

Kap. 3 Rz. 3.158 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

Schließlich ist die Hierarchie der Zwecke in der zu suchenden „Programmierungslogik“ unklar: Darf unter dem Zweck der Vermeidung von Doppelnichtbesteuerung die Gefahr einer Doppelbesteuerung in Kauf genommen werden? Wie soll der konturarme Zweck der Missbrauchsbekämpfung operationalisiert werden? Schließlich wäre zu erwägen, ob wiederum nach Vorbild der Integrationsverantwortungs-Rechtsprechung des BVerfG zur Europäischen Union1 eine Beteiligung des Parlamentes gefordert werden müsste, wenn der deutsche Vertreter bei der OECD über die Staatenpraxis die Abkommenslage in qualifizierter Weise ändert – was freilich ebenfalls schwer abzugrenzen wäre.

3.159

Neben die innerstaatliche Kritik an der Wirkmacht des OECD-Kommentars tritt auch die Kritik anderer Staaten, insbesondere von Schwellen- und Entwicklungsländern. Zwar sind diese mangels Zustimmung oder Äußerung zum Kommentar2 nicht rechtlich, sondern nur faktisch gebunden. Die Tatsache, dass die OECD als Club der Industriestaaten (und ehemaligen Kolonialstaaten) das Steuervölkerrecht faktisch dominiert, wird nachvollziehbar als schwer erträglich angesehen. Die Aktivitäten der Vereinten Nationen bieten hier ab den 1980er-Jahren und verstärkt auch in jüngerer Zeit ein Gegengewicht, das sich aufgrund der oben beschriebenen Prägekraft der OECD-Rechtsprechung aber nur auf Modifikationen beschränkt. Staaten, die große, essentielle Investitionsziele sind wie China oder Indien, können in bestimmtem Umfang eigene Regeln durchsetzen. Die OECD selbst bemüht sich um eine gewisse Inklusion auch von Nicht-Mitgliedern in ihrer Arbeit, indem diese als Beobachter aktiv an der Arbeit teilnehmen und Änderungen mitdiskutieren können. Generell sorgt die fehlende „Weltsteuergerichtsbarkeit“ und die Skepsis nationaler Gerichte gegenüber dem OECD-Kommentar dafür, dass sich Steuerpflichtige nicht immer auf die völkerrechtlichen Normen berufen können.

3.160

Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die OECD mit ihrem Musterkommentar ein langjähriges Forum für faktische und auch völkerrechtliche Normsetzung bietet, welches in gewissem Maße die Rolle eines „Weltsteuergesetzgebers“ einnimmt. Eine rechtliche Bindungswirkung trifft jedoch auf mehrheitliche Ablehnung und die Durchsetzung auf innerstaatlicher Ebene ist prekär – aber dies ist im Völkerrecht nicht unüblich. Daneben besteht eine faktische Bindungswirkung, da ein Abweichen von den Grundstrukturen des OECD-Musters und der darin verkörperten Expertise hohe Opportunitätskosten mit sich bringen und die Netzwerkfunktionalität beeinträchtigen würde. Die Legitimität der OECD selbst für diese Rolle ist unzureichend. Neben die Output-Legitimation einer hohen technischen Qualität ihrer Produkte treten Bemühungen, auch Nichtmitglieder einzubeziehen und so ihre Input-Legitimation zu erhöhen (s. dazu auch Rz. 3.163 ff.).

2. Steuerliches Völkergewohnheitsrecht durch ständige Abkommenspraxis? 3.161

Avi-Yonah folgert aus dem weltweiten Erfolg der Doppelbesteuerungsabkommen und ihres dank der Musterabkommen harmonisierten Inhalts, dass sich gewisse Grundzüge ständiger Abkommenspraxis zu Völkergewohnheitsrecht verdichtet haben.3 Für die Annahme von Völkergewohnheitsrecht bedarf es einer „consuetudo“ und einer „opinio juris sive necessitatis“ der Staaten, also des regelmäßigen Abschlusses entsprechender Vertragsbestimmungen aus der Annahme rechtlicher Verpflichtung.4 Fraglich ist jedoch, ob eine hinreichende einheitliche 1 BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2, 5/08, 2 BvR 1010, 1022, 1259/08, 182/09, BVerfGE 123, 267(351). 2 Nichtmitglieder können allerdings „Positions” im Anhang zum Kommentar erklären, die auch Vertrauenstatbestände setzen können. 3 Avi-Yonah, International Tax as International Law, 2007, S. 5 (187 f.). 4 Vgl. Graf Vitzthum, in Graf Vitzthum/Proelß8, Rz. 131; Doering, Völkerrecht2, Rz. 287.

70 | Valta

F. „Weltsteuerrecht“ | Rz. 3.163 Kap. 3

Übung aller Staaten vorliegt, da insbesondere Entwicklungsländer nur kleine Abkommensnetze unterhalten und es teils nicht unerhebliche Unterschiede im Inhalt der Abkommen gibt.1 Zudem ist zweifelhaft, dass die Staaten aus der Annahme einer rechtlichen Verpflichtung handeln. Wieso sollten Verträge ausgehandelt und abgeschlossen werden, wenn das Ergebnis bereits gewohnheitsrechtlich gilt? Bei Annahme einer rechtlichen Verpflichtung wären die Verträge deklaratorisch. Zudem liegt die Stärke der konsensualen Vertragsform gerade darin, dass auf die spezifischen Interessen und Bedürfnisse beider Parteien eingegangen werden kann. Das Völkergewohnheitsrecht kann damit nur die Grundzüge und Rahmenvorgaben eines Minimalkonsenses enthalten, wie er beispielweise in den gemeinsamen Grundlagen des OECD- und des UN-Musterabkommens sichtbar wird. Die konkreten Verteilungsentscheidungen sind hingegen aus gutem Grund in einer gewissen Bandbreite Verhandlungssache und als solche von vorneherein einer inhaltlichen Festlegung entzogen. Avi-Yonah geht auf die aufgeworfenen Kritikpunkte letztlich dadurch ein, dass er nur die Grundstruktur der Verteilungsentscheidungen in den Rang von Völkergewohnheitsrecht erheben möchte: eine Besteuerung der aktiven Einkünfte im Quellenstaat und eine der passiven Einkünfte im Ansässigkeitsstaat.2 Dies lässt viele relevante Fragen offen (Erfolgsabgrenzung, Methodenwahl, zweitrangige Besteuerung im Ansässigkeitsstaat, Quellenbesteuerung bei passiven Einkünften, Pflicht der streng-territorial besteuernden Staaten eine Ansässigkeitsbesteuerung einzuführen?). Spart man diese Fragen aus, hat der entstehende Gewohnheitsrechtssatz letztlich kaum Regelungswirkung, bezieht man diese aber ein, wird der faktische Konsens überschritten und die Annahme einer „opinio juris“ hinfällig.

3.162

3. Das Global Forum on Transparency and Exchange of Information Ein wichtiger Meilenstein bei dem Unterfangen, die global wirkende Normsetzung auf breitere Grundlage zu stellen, war und ist das Global Forum on Tax Transparency and Exchange of Information. Anlass waren die Bemühungen zur Abschaffung des Bankgeheimnisses Ende der 2000er-Jahre.3 Die Entwendung und der Verkauf von Bankkundendaten aus Ländern mit fortbestehendem Bankgeheimnis zeigten öffentlich auf, dass unter Berufung auf das Bankgeheimnis der internationale Informationsaustausch nicht hinreichend effektiv ausgestaltet war und somit Gelegenheit zur grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung gab. Hinzu kam der steigende Finanzierungsbedarf der Staaten im Rahmen der Finanz- und Schuldenkrise. Erst der politische Druck der USA einschließlich des Einsatzes der US-Strafjustiz gegen beteiligte Banken führten dazu, dass die verbleibenden Bankgeheimnisstaaten in Europa ihren Widerstand aufgaben. Die USA führten mit dem FATCA-Gesetz Compliance-Pflichten ausländischer Banken ein, die dazu führen, dass diese steuerlich relevante Kontodaten US-amerikanischer Staatsbürger automatisch in die USA übermitteln.4 Dieser unilaterale Vorstoß wurde sodann im Rahmen der OECD und der G20 internationalisiert: aus dem US-amerikanischen FATCA wurde ein kompatibler internationaler Standard abgeleitet, um den Informationsaustausch auch zwischen anderen Staaten nutzen zu können. Im Rahmen der EU fand er Umsetzung in Art. 8a der Amtshilferichtlinie.

1 Vgl. hierzu Ward, Bulletin for International Taxation 2006, S. 97, (100); Pijl, European Taxation 2006, S. 216, (220 f.). 2 Avi-Yonah, International Tax as International Law, 2007, S. 5 (187 f.). 3 Überblick bei Czakert, IStR 2013, 596 ff. 4 Lappas/Ruckes, IStR 2013, 929 ff.

Valta | 71

3.163

Kap. 3 Rz. 3.164 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

3.164

Aus institutioneller Sicht ist bemerkenswert, dass hier die G20 als informelles Forum der zwanzig Staaten mit der größten Wirtschaftskraft einschließlich der großen Schwellenländer die Arbeit der OECD ergänzen und ihr Legitimität verleihen. Die Maßnahmen beruhen auf einem unilateralen US-amerikanischen Vorstoß, der letztlich mit der Androhung wirtschaftlicher Sanktionen und dem Recht des wirtschaftlich Stärkeren durchgesetzt wurde. Das Überführen in einen internationalen, inklusiven Prozess sollte zum einen bewirken, dass auch andere Staaten in den Vorteil des Informationsaustauschs kommen und zum anderen dessen weltweite Durchsetzung legitimieren wie erreichen. Interessant ist hierbei insbesondere der Prozess des „peer review“: Die beteiligten Staaten entsenden gegenseitig Kommissionen und beurteilen die Einhaltung der vereinbarten Transparenzstandards. Nicht mehr nur das große Industrieland sagt dem kleinen Entwicklungsland, was zu tun ist, sondern auch umgekehrt. Zugleich wird damit der im Völkerrecht verbreitete „review & assessment“-Ansatz zur Sicherung der Compliance der Staaten genutzt. Anstatt den Staaten offen hierarchisch zu begegnen, wird die kooperative Hilfe bei der Umsetzung in den Vordergrund gestellt.1 Auch wenn man diesen Verfahren eher symbolische Wirkungen zuerkennen mag, fördern sie die Legitimität und die weltweite Durchsetzung.

4. Das Inclusive Framework on BEPS und das Multilaterale Instrument 3.165

2012 begann mit dem BEPS-Projekt gegen Gewinnverlagerungen ein weiterer Institutionalisierungsschub. Wiederum begann dieser mit einem öffentlichen Skandal, der die Besteuerung in den Mittelpunkt der politischen Aufmerksamkeit rückte: Enthüllungen über die Steuergestaltungsmodelle großer multinationaler Unternehmen wie Google, Apple oder Facebook, die mitunter zu nur einstelligen Steuerbelastungen führten. Zugleich hatte sich der Druck auf die Staaten verschärft, in Folge der Finanz- und Staatsschuldenkrise die Steuereinnahmen stabil zu halten oder zu erhöhen. Der beginnende Normsetzungsprozess ging wiederum von den G20 aus, die im Juni 2012 in Los Cabos aufgrund der guten Erfahrungen im Rahmen des Global Forum on Transparency die OECD mit der Ausarbeitung eines Maßnahmenkatalogs beauftragte.2 In einer Rekordzeit wurden bis 2015 fünfzehn Maßnahmen mit zwischenzeitlichen Diskussionsentwürfen und Anhörungen ausgearbeitet und von der G20 und den OECDMitgliedern beschlossen. Das Forum dieser Arbeiten bildete wiederum der Fiskalausschuss (CFA) der OECD, der jedoch bereits zu Beginn für die G20-Mitglieder und dann schrittweise für weitere Staaten geöffnet wurde. Dieser erweiterte Fiskalausschuss wurde dann nach Vorlage der Abschlussberichte Ende 2015 Anfang 2016 in das Inclusive Framework on BEPS überführt,3 dem mittlerweile 141 Mitgliedsstaaten angehören. Dieses dient wie das Global Forum on Tax Transparency der Legitimierung und weltweiten Durchsetzung der Standards. Zugleich bildet es auch ein Forum für deren Ergänzung hinsichtlich der noch offenen Fragen, wie zum Beispiel im Rahmen der Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft (Rz. 5.41). Insofern wurde das bewährte Format des Global Forum weiterentwickelt zu einem politischen Normsetzungsnetzwerk.

3.166

Eine weitere institutionelle Innovation4 bildet das im Rahmen des Inclusive Frameworks entwickelte und umgesetzte Multilaterale Instrument: ein völkerrechtlicher multilateraler Vertrag zur Änderung der bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen basierend auf BEPS Akti1 2 3 4

Chayes/Chayes, The new sovereignty, 1995, S. 229 ff. Kreienbaum/Fehling, IStR 2017, 929. Kreienbaum/Fehling, IStR 2017, 930. „Rechts- und insbesondere dogmengeschichtlich … ein Jahrhundertereignis“, Reimer, IStR 2017, 1 (6).

72 | Valta

F. „Weltsteuerrecht“ | Rz. 3.170 Kap. 3

onspunkten 14 und 15. Waren die Standards zur Verbesserung des Informationsaustauschs des Global Forums durch nationale Maßnahmen, beschränkter Änderungen von Abkommen oder Abschluss spezialisierter Abkommen lösbar, enthielt der BEPS-Aktionsplan vielfältige, teils alternative und das Abkommensgleichgewicht stärker betreffende Änderungen im Abkommensrecht. Eine bilaterale Umsetzung der Beschlüsse hätte ausführlichere Abkommensverhandlungen zwischen den jeweiligen Mitgliedsstaaten erfordert. Da es nur wenige qualifizierte Verhandler gibt, hätte der Prozess mehrere Jahre gedauert, in denen das politische Moment möglicherweise verloren geht. Zugleich wäre damit ein institutioneller Wechsel von der Hierarchie eines „Weltsteuergesetzgebers“ durch Zusammenschluss und Selbstbindung der Staaten zur Reziprozität bilateraler Verhandlungen verbunden gewesen, welcher die weltweite Umsetzung der Mindeststandards in Frage gestellt hätte. Das multilaterale Instrument bewältigt die Balance zwischen einheitlichen Mindeststandards und Options- und Auswahlrechten der Staaten durch einen mehrstufigen Prozess.1 Die Signatarstaaten können ihre jeweiligen Präferenzen für ein bestimmtes Regelungsmodell notifizieren, die in einem zweiten Schritt verglichen werden. Nur wenn eine beidseitige Übereinstimmung erreicht wird, kommt es zu einer entsprechenden Änderung des Abkommens.

3.167

Das multilaterale Instrument bietet schließlich die völkerrechtliche Grundlage, um die Arbeit des Inclusive Framework on BEPS zu verrechtlichen und über das multilaterale Instrument weitere und andere Änderungen im internationalen Steuerrecht vorzunehmen.2 Art. 31 MLI konstituiert eine Konferenz der Vertragsparteien, welche mit Unterstützung der OECD für die Auslegung (Art. 32 Abs. 2 MLI) und Fortentwicklung des Abkommens (Art. 33 Abs. 2 MLI) zuständig ist. Jede Vertragspartei kann eine Einberufung ersuchen und eine Konferenz ist anzuberaumen, wenn ein Drittel der Vertragsparteien sich dem Ersuchen anschließt.

3.168

III. Ansätze für eine „Weltsteuerverwaltung“ Im Ausgangspunkt stehen den multinationalen Unternehmen mit ihren Konzernsteuerabteilungen verschiedene nationale Steuerverwaltungen gegenüber, die entsprechend der völkerrechtlichen Grenzen der Souveränität nicht ohne Weiteres im Ausland vollziehend tätig werden können. Darin liegt eine Informationsasymmetrie zu Gunsten des Steuerpflichtigen, welche den gleichheitsgerechten Vollzug gefährdet. Verschärft wird diese Asymmetrie bei Steuerverwaltungen von Entwicklungs- und Schwellenländern, die häufig nicht über genügend spezialisiertes Personal verfügen. Um diese Asymmetrie zu kompensieren, erzwingt das Recht zum einen eine Kooperation des Steuerpflichtigen und zum anderen erfolgt eine zunehmende Kooperation der Finanzverwaltungen untereinander.

3.169

Das internationale Steuerrecht kennt seit jeher Regelungen, welche eine Kooperation des Steuerpflichtigen mit der Finanzverwaltung erzwingen sollen. Hierzu zählen verfahrensrechtliche Regelungen, welche die im Ausland ohne Kooperation unmögliche, Amtsermittlungspflicht der Finanzverwaltung zu Gunsten einer Beibringungspflicht durch den Steuerpflichtigen einschränken. Dazu zählt aber auch das Design des materiellen Rechts. Die Welteinkommensbesteuerung im Ansässigkeitsstaat und die Anrechnung von Quellensteuern dort dienen auch dem besseren Steuervollzug.3 Der Ansässigkeitsstaat hat im Zweifel den besten

3.170

1 Reimer, IStR 2017, 1 (2 ff.). 2 Reimer, IStR 2017, 1 (6). 3 Valta, Das internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 206.

Valta | 73

Kap. 3 Rz. 3.170 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

Ermittlungs- und Vollstreckungszugriff auf den Steuerpflichtigen, da sich auf seinem Territorium regelmäßig Wohnsitz oder Unternehmenssitz befinden. Zugleich geben Quellenabzugssteuern in den Quellenstaaten dem Steuerpflichtigen einen Anreiz, die ausländischen Einkünfte im Ansässigkeitsstaat anzugeben. In ähnlicher Weise dienen die Quellenabzugssteuern auch den Quellenstaaten als Anreiz, dass der Steuerpflichtige im Quellenstaat Informationen zur Geltendmachung von Erstattungsansprüchen beibringt. Das Nebeneinander von Ansässigkeits- und Quellensteuer hat auch eine informationsökonomische Funktion, freilich um den Preis der Gefahr der Doppelbesteuerung.

3.171

Die informationsökonomische Ausgestaltung des materiellen Rechts hat mit der korrespondierenden Besteuerung ein neues Niveau erreicht. Die korrespondierende Besteuerung knüpft die rechtliche Behandlung in einem Staat an die rechtliche Behandlung in einem anderen Staat. Anders gewendet: Die Rechtsfolge in Staat A wird zum Tatbestandsmerkmal in Staat B. Damit können Fälle ungewollter Doppelnichtbesteuerung oder Minderbesteuerung vermieden werden, die aus unterschiedlichen Qualifikationen in den Staaten entstehen. Bei diesen hybriden Gestaltungen werden entweder Rechtssubjekte oder Verträge unterschiedlich steuerlich qualifiziert. So kann Staat A eine mezzanine Finanzierung als Darlehen ansehen und Staat B als Eigenkapital. Dies kann zu einer Minderbesteuerung führen: Staat A gewährt einen Abzug von der Bemessungsgrundlage, Staat B stellt die Zahlung hingegen voll oder teilweise frei, da er von einer Vorbelastung ausgeht. Ein anderes Beispiel: Staat C sieht eine Gesellschaft mit ausländischen Gesellschaftern als transparent an und besteuert diese nicht, Gesellschafterstaat D wiederum sieht diese als intransparent an und verzichtet ganz oder teilweise auf die Besteuerung der Gesellschafter. Bei einer korrespondierenden Besteuerung würde beispielsweise Staat B der Einschätzung in Staat A folgen und die (Teil-)freistellung aufgrund der Bemessungsgrundlagenminderung im anderen Staat verweigern. Ähnliches könnte für Staat D vorgesehen werden, der die (Teil-)freistellung aufgrund der fehlenden Vorbelastung verweigern könnte. Informationsökonomisch erfolgt ein Austausch und eine Abstimmung nicht über Sachverhalte, sondern über Rechtsfolgen. Dadurch, dass der Steuerpflichtige nachweisen muss, dass keine abweichende Rechtsfolge im anderen Staat gezogen wurde, um Freistellung oder Abzug zu erhalten, ist er in der Beibringungspflicht.

3.172

Die Abstimmung der steuerlichen Rechtsfolgen durch den Austausch nicht nur von Sachverhalten, sondern auch von Rechtsfolgen ist ein wichtiger Schritt hin zu einer echten „weltsteuerlichen“ Verbundverwaltung. Mit Verbundverwaltung wird das europa- und völkerrechtliche Phänomen bezeichnet, dass staatliche und internationale Bürokratien routiniert zusammenwirken, da sie nur im Zusammenspiel das Vollzugsziel erreichen, insbesondere indem internationale Bürokratien Informationen und Standards einbringen und nationale Behörden ihre Legitimation und Eingriffsbefugnisse.1 Kritisch ist jedoch zu sehen, dass die Informationsökonomie bislang hauptsächlich auf den Schultern des Steuerpflichtigen abgeladen wird: einheitliche Bescheinigungen oder gleich ein automatischer Austausch von digitalen Bescheinigungen, einheitliche IDs für Einheiten und Verträge würden schneller Rechtssicherheit gewähren. Erste Ansätze hierzu gibt es im europäischen Umsatzsteuerrecht durch die unionsweiten UStID-Nrn., die auch von Steuerpflichtigen über Datenbanken geprüft werden können und dann Vertrauensschutz begründen.

3.173

Dies führt zur generellen Verbesserung des Informationsaustauschs. Die Informationsasymmetrien wurden durch eine Erweiterung des Informationsaustauschs um verbindliche Zusagen (Art. 8a RL 2011/16), das sogenannte Country-by-Country-Reporting (Art. 8aa RL 2011/ 1 von Bogdandy/Dann, German Law Journal 2008, S. 2014 (2015 ff.).

74 | Valta

F. „Weltsteuerrecht“ | Rz. 3.175 Kap. 3

16), als auch die Anzeigepflicht und den Austausch von Informationen zu Steuergestaltungen (Art. 8ab RL 2011/16) weiter reduziert. Das Country-by-Country-Reporting zwingt multinationale Unternehmen zur Bereitstellung einer einheitlichen und in sich stimmigen Datengrundlage gegenüber den Finanzverwaltungen, bei denen steuerlich relevante Daten bereits nach Ländern aufgeschlüsselt werden. Diese einheitliche Datengrundlage vermindert das Risiko von Gewinnverschiebungen durch selektive Informationsweitergaben oder unbeabsichtigte Asymmetrien. Der Austausch von verbindlichen Zusagen, insbesondere Advance Pricing Agreements zu Verrechnungspreisen, verhindert ein gegenseitiges Ausspielen von Finanzverwaltungen oder auch verdeckte Steuersubventionen von Finanzverwaltungen durch abweichende Festsetzung von Verrechnungspreisen.1 Auch hier werden Rechtsfolgen ausgetauscht. Die Anzeigepflicht von Steuergestaltungen und der Austausch der Erkenntnisse dient ebenfalls dem Abbau von Informationsasymmetrien und erlaubt den Finanzverwaltungen eine abgestimmte und schnelle Reaktion. Sofern dann in der Praxis auch tatsächlich eine schnelle und einheitliche Reaktion erfolgt, mag manches Gestaltungsmodell mangels hinreichender Amortisationszeit bis zur Lückenschließung gar nicht mehr unternommen werden. Hier muss die Finanzverwaltung dann aber entsprechend Ressourcen bereithalten, um die Daten tatsächlich effektiv nutzen zu können. Gerade angesichts der sehr weitgehenden Anzeigepflichten ist eine stete Evaluation und eine Rückführung als ineffektiv erwiesener Anzeigepflichten aus Verhältnismäßigkeitsgründen notwendig. Schließlich ist zu kritisieren, dass die informationsökonomischen Verbesserungen bisher einseitig zu Gunsten der Finanzverwaltungen gehen. Ein weitgehender automatischer Informationsaustauch sollte auch ebenbürtig zur Verhinderung von Doppelbesteuerung gehen und auch dem Steuerpflichtigen schnelle Rechtssicherheit geben. Zu begrüßen sind daher neue Formen der internationalen Zusammenarbeit unter Einbeziehung des Steuerpflichtigen wie bei joint audits (gemeinsamen Betriebsprüfungen) oder ICAP (Internationales Compliance Assurance Programm – Internationale Zusammenarbeit bei der Compliance). Bei joint audits führen zwei oder mehr Steuerverwaltungen Betriebsprüfungen bestimmter Unternehmen oder Sachverhalte gleichzeitig und gemeinsam in gegenseitiger Abstimmung durch.2 In der weitreichendsten Variante führen gemischte Betriebsprüferteams aus mehreren Staaten die Prüfung und Besprechung mit dem Steuerpflichtigen durch. Compliance Assurance-Programme verstetigen die Zusammenarbeit und den partnerschaftlichen Ansatz, indem die Steuerpflichtigen nicht nur einer dauerhaften Behördenkontrolle und nachgewiesener interner Eigenkontrolle unterworfen werden, sondern Ihnen ein entsprechendes Vertrauen und die Möglichkeit zur schnellen rechtssicheren gemeinsamen Beurteilung von Risiken gegeben werden.3

3.174

Mit joint audits und dauerhaften Compliance Assurance-Programmen werden nicht nur Informationsasymmetrien und unterschiedliche rechtliche Würdigungen verhindert, sondern es wird dem Steuerpflichtigen schnell allseitige Rechtssicherheit vermittelt. Denn die Informationsasymmetrien wirken nicht nur zu Gunsten, sondern auch zu Lasten der Steuerpflichtigen. Diese haben keinen einheitlichen Ansprechpartner, sondern müssen parallel mit mehreren Steuerverwaltungen verhandeln, die gerade in Verrechnungspreisfragen auch robuste Aufkommensinteressen haben. Dies kann schnell dazu führen, dass mehr Anteile beansprucht

3.175

1 Vgl. eine Beihilfe allerdings ablehnend EuG v. 24.9.2019 – T-760/15, T-636/16, ECLI:EU:T:2019: 669 – Starbucks. 2 Zimmerl, Joint Tax Audits als Ausgangspunkt zur Effektuierung des Verständigungsverfahrens, 2022, passim. 3 Tausend/Jung, IStR-LB 2019, 49.

Valta | 75

Kap. 3 Rz. 3.175 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

werden, als da sind, und so eine Doppelbesteuerung und längere Rechtsunsicherheit, bis diese Doppelbesteuerung über Verständigungs- und Schiedsverfahren aufgelöst werden können, entsteht. Eine Rechtsgrundlage für joint audits mit gemischten Teams besteht bisher freilich nur im Europarecht und diese intensive Form der Verwaltungszusammenarbeit ist auch nur bei ähnlichen rechtsstaatsbezogenen Verwaltungskulturen möglich, die im Moment nur im Rahmen der Europäischen Union gesichert erscheinen.

3.176

Die beschriebenen Techniken steuerlicher Verbundverwaltung und Kooperation mit dem Steuerpflichtigen setzen voraus, dass in jeder nationalen Steuerverwaltung hinreichend international erfahrenes und qualifiziertes Personal vorhanden ist. Vor diesem Hintergrund gehört zum Aufbau und zur Stärkung einer Weltsteuerverwaltung auch das capacity building zu Gunsten von Steuerverwaltungen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die bereits oben erwähnten Institutionen des Global Forum on Tax Transparency und des Inclusive Framework on BEPS beinhalten daher auch zu Recht Maßnahmen zur Stärkung der Steuerverwaltung in Entwicklungs- und Schwellenländern, damit diese überhaupt zur Umsetzung dieser Standards befähigt sind. In diesem Umfeld sind auch entwicklungspolitisch motivierte Projekte wie die „Platform for collaboration on tax“1 und auch persönliche Verbindungen schaffende Netzwerke wie die „Tax inspectors without borders“2 zu nennen.

IV. Ansätze für eine „Weltsteuergerichtsbarkeit“ 3.177

Im Bereich der dritten Gewalt, der verbindlichen Letztentscheidung, sind die Ansätze für eine „Weltsteuergerichtsbarkeit“ noch am Beginn.3 Zwar besteht die Möglichkeit, nationalen Rechtsschutz gegen die jeweiligen nationalen Steuerbescheide zu erhalten. Eine einheitliche Entscheidung ist damit jedoch nicht garantiert, vielmehr können durch unterschiedliche Auslegungen Doppelbesteuerung und Doppelnichtbesteuerung rechtskräftig werden. Die Gefahr abweichender Gerichtsentscheidungen wird durch den OECD-Musterkommentar als Rechtserkenntnisquelle autonomer Auslegung und durch den Grundsatz der Entscheidungsharmonie,4 nach dem sich Gerichte mit der Rechtsprechung im anderen Land beschäftigen und möglichst Abweichungen von dieser vermeiden sollen, etwas gemildert. Ein Rechtsweg zu einer einheitlichen Instanz, einem echten „Weltsteuergericht“ fehlt bislang.

3.178

Als unvollkommener Ersatz für die fehlende einheitliche Entscheidungsinstanz dient das Verständigungsverfahren in Art. 25 Abs. 1 und 2 OECD-MA. Es bleibt jedoch hinter einem gerichtlichen Verfahren in mehrerlei Hinsicht zurück. Beide Finanzverwaltungen trifft nur eine Bemühens- und keine Einigungspflicht.5 Die Verhandlungen finden ohne den Steuerpflichtigen und hinter verschlossenen Türen statt, die gefundenen Ergebnisse werden nicht begründet. Immerhin wird der Steuerpflichtige im Einigungsfall von der Doppelbesteuerung entlastet, möglicherweise aber dennoch höher belastet als nach der von ihm als richtig angesehenen Abkommensauslegung.

1 https://www.tax-platform.org/ (zuletzt abgerufen: 11.1.2022). 2 http://www.tiwb.org/ (zuletzt abgerufen: 11.1.2022); Scholze, IWB 2020, 762 (765 f.). 3 Siehe dazu Strotkemper, Das Spannungsverhältnis zwischen Schiedsverfahren in Steuersachen und einem Internationalen Steuergerichtshof: Möglichkeiten zur Verbesserung der Streitbeilegung im Internationalen Steuerrecht, 2017, passim. 4 Vgl. Lehner in Vogel/Lehner7, Grundlagen Rz. 127. 5 Ausnahme: Art. 4(2)(d) OECD MA.

76 | Valta

F. „Weltsteuerrecht“ | Rz. 3.181 Kap. 3

Ein großer Fortschritt stellt die Einführung eines obligatorischen Schiedsverfahrens durch Art. 25 Abs. 5 OECD-MA dar. Soweit die Staaten diese Norm umsetzen, müssen die Finanzverwaltungen auf Antrag des Steuerpflichtigen ein Verständigungsverfahren in ein Schiedsverfahren überführen, wenn zwei Jahre nach Erhalt aller notwenigen Sachverhaltsinformationen keine Einigung gefunden werden konnte. Mit dieser Regelung wird eine echte Einigungspflicht und mit der Frist eine gewisse Beschleunigung erreicht. Diese Lösung bleibt aber auch weiterhin in mehrerlei Hinsicht hinter gerichtlichen Verfahren zurück. Der Steuerpflichtige ist weiterhin nicht Partei des Schiedsverfahrens, das für ihn eine Black-Box bleibt. Die Schiedskommission wird jeweils ad hoc zusammengestellt, so dass sich kein Konsistenzbemühen durch Spruchkörper bilden kann. Die Entscheidungsfindung kann je nach Ausgestaltung zwischen den Staaten auf die sogenannte „baseball arbitration“ / „final offer arbitration“ beschränkt bleiben, nach dem die Schiedskommission nicht die „richtige Entscheidung“ selbst aussprechen kann, sondern nur die „bessere“ von den von den Staaten vorgeschlagene Lösung wählen kann („Pendelschlichtung“).1 Selbst wenn die Schiedskommission den Fall in vollem Maße selbst entscheidet, ist eine Veröffentlichung der von der Kommission begründeten Entscheidung nur mit Zustimmung beider Staaten möglich und ihr soll ausdrücklich kein „Präzedenzwert“ zukommen.2

3.179

Schiedsgerichte können durchaus eine wichtige Rolle bei der Bildung von Staatenpraxis und der Grundlegung einer Dogmatik spielen und tun es im Völkerrecht und internationalen Wirtschaftsrecht. Voraussetzung ist jedoch die Veröffentlichung der Entscheidungen und ein Bemühen der Schiedsrichter um Konsistenz, die insbesondere dann erreicht wird, wenn es nicht nur ad-hoc Schiedskommissionen, sondern ständige Schiedsgerichte gibt. Diese Voraussetzungen sind auf internationaler Ebene noch nicht erfüllt. Eine weitere Schwäche des Schiedsverfahrens besteht darin, dass es auf einem fortgesetzten behördlichen Verständigungsverfahren beruht und daher in vielen Ländern nicht eingeleitet werden kann, wenn nationale Urteile eine entgegenstehende Rechtskraft entfalten (vgl. Art. 25 Abs. 5 S. 2 OECD-MA).3 Die Entscheidungen werden auch nicht umgesetzt, wenn der Steuerpflichtige nicht auf Rechtmittel verzichtet.4

3.180

Im Rahmen der Europäischen Union wurden mit der neuen EU-Streitbeilegungsrichtlinie (SBLR) bereits weitere Fortschritte in Richtung einer internationalen Steuergerichtsbarkeit gemacht. Die Wege zur Einleitung des Schiedsverfahrens, aber auch das Schiedsverfahren selbst wird hier relativ kurzen Fristen unterworfen, um eine zügige Klärung zu erreichen. Der Steuerpflichtige muss im Schiedsverfahren angehört werden und hat auch einen Anspruch darauf (Art. 13 Abs. 2 SBRL). Damit wird er in das Verfahren als Beteiligter einbezogen und kann es stärker beeinflussen. Die ad hoc aus einem Pool nominierter unabhängiger Experten zusammengestellte Schiedskommission, der sogenannte „beratende Ausschuss“, muss binnen sechs, jedenfalls höchstens neun Monaten (Art. 14 SBRL) eine begründete, eigenständige Entscheidung in der Sache treffen (Art. 18 SBRL). Alternativ können die Staaten ohne Einflussmöglichkeit des Steuerpflichtigen jedoch auch für eine alternative Streitbeilegung optieren, in der zur oben beschriebenen „baseball arbitration“ gewechselt und auch das Anhörungsrecht des

3.181

1 Vgl. Art. 4 des Sample Mutual Agreement on Arbitration, Anhang zum OECD-Kommentar zu Art. 25. 2 Vgl. Art. 5 des Sample Mutual Agreement on Arbitration, Anhang zum OECD-Kommentar zu Art. 25. 3 Kritisch und zu den auch in Deutschland trotz § 175a AO bestehenden Problemen Ismer/Piotrowski, IStR 2019, 845 (847 ff.). 4 OECD-Kommentar zu Art. 25, Rz. 76.

Valta | 77

Kap. 3 Rz. 3.181 | Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechts

Steuerpflichtigen ausgeschlossen werden kann. Auch die Zusammensetzung des Schiedsgerichts kann geändert werden, so ist hier auch die Einsetzung eines ständigen Gremiums denkbar. Die alternative Streitbeilegung bietet daher sowohl die Möglichkeit für „Rückschritte“ in Richtung OECD-Standard, aber auch für einen weiteren „Fortschritt“, die Beteiligung des Steuerpflichtigen, eigene begründete und veröffentlichte Sachentscheidung mit ständigen Spruchkörpern vereint.1 Kommt dies alles zusammen, sind die Voraussetzungen für eine „internationale Steuergerichtsbarkeit“ gegeben, die über die Einzelfallentscheidung hinaus eine dogmatikbildende Funktion übernehmen kann. Freilich bleiben Unterschiede zur nationalen Gerichtsbarkeit, so können die Steuerverwaltungen von der Entscheidung abweichen, sofern sie die Doppelbesteuerung auf andere Weise beseitigen (Art. 15 Abs. 2 SBLR).

V. Fazit 3.182

Das „Weltsteuerrecht“ beschreibt Mechanismen multinationaler Normsetzung, Verbundverwaltung und erste Ansätze internationaler (Schieds-)gerichtsbarkeit im Steuerrecht. Die Staatengemeinschaft oder zumindest eine weit überwiegende Anzahl an Staaten hat nun auch im Steuerrecht erste Ansätze multinationaler Institutionalisierung erreicht. Bereits die OECD hat eine wichtige Rolle als faktischer und teilweise sogar rechtlicher Normsetzer. Die „Legitimierung“ durch die G20 – als solche freilich nur ein politischer Zusammenschluss – und die Öffnung über das Global Forum on Transparency sowie das Inclusive Framework on BEPS, hat die geöffnete OECD die Rolle eines „Weltsteuergesetzgebers“ übernommen.

3.183

Die Entwicklung eines Weltsteuerrechts ist wichtig, um einen hierarchischen Steuervollzug gegenüber multinationalen, globalen Unternehmen sicherstellen zu können. Ein Zusammenwirken der Staaten für eine gemeinsame Normsetzung, eine Verbundverwaltung und erste Ansätze für eine internationale Gerichtsbarkeit mildern die Asymmetrien zwischen multinationalen Unternehmen und einzelnen Staaten. Die hierarchische Standardsetzung verhindert eine Regelungsarbitrage und ein gegenseitiges Ausspielen der Staaten im Standortwettbewerb. Die Verbundverwaltung verhindert Vollzugsdefizite durch Informationsasymmetrien, was aber nicht nur zu Lasten, sondern auch zu Gunsten der Steuerpflichtigen gehen sollte. Der Informationsaustausch sollte daher nicht nur zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung genutzt werden, sondern auch zur Sicherstellung der Aufwandsberücksichtigung und der Beseitigung übermäßiger Doppelbesteuerung.

3.184

Diese Wirkmacht der OECD und der internationalen Normsetzungsverbünde ist nicht unkritisch: bei allem Bemühen um legitimierende Inklusion haben die OECD-Mitglieder und die OECD-Technokratie einen erheblichen Einfluss, der über die einzelnen nationalen demokratischen Prozesse nur unvollkommen kontrolliert wird. Hat der Steuerpflichtige dadurch bereits eine nur eingeschränkte Voice-Option, fällt durch die kartellartige annährend weltweite Durchsetzung auch die Exit-Option weg. Hierbei handelt es sich um ein allgemeines Problem internationaler Normsetzung.

3.185

Die partielle Harmonisierung des Steuerrechts bringt schließlich auch Rechtschutzprobleme mit sich. Zwar gibt es erste Ansätze für eine internationale (Schieds-)gerichtsbarkeit für die Auslegung der Abkommen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung. Im Übrigen werden aber weiter die nationalen oder supranationalen Gerichte für den Rechtsschutz und auch den Schutz der Grundrechte zuständig sein. Die internationalen Normen werden an den nationalen Gleichheitsgewährleistungen und nationalen Verhältnismäßigkeitsaspekten gemessen. Damit 1 Ismer/Piotrowski, IStR 2019, 845 (848 f.).

78 | Valta

F. „Weltsteuerrecht“ | Rz. 3.187 Kap. 3

wird zum einen die Gefahr einer überschießenden internationalen Regulierung durch gerichtliche Kontrolle begegnet. Zum anderen droht eine Aushöhlung der gesetzten Standards, wenn diese auf nationaler Ebene durch Gerichte unterschiedlich verfassungskonform ausgelegt werden. Ein eigenständiger Grundrechtsschutz als Voraussetzung für eine einheitliche Auslegung besteht im Gegensatz zur Europäischen Union nicht. Und selbst dann und so auch im Bereich der Umsetzung der Vorgaben durch EU-Richtlinien besteht das Problem, dass der Gleichheitssatz im Steuerrecht stark systembezogen ist. Ohne ein europäisches oder gar global gesetzgeberisch definiertes Leistungsfähigkeitsverständnis ist der Gleichheitsschutz eingeschränkt. Wie soll beispielsweise die Zulässigkeit der Zinsschranke international einheitlich beurteilt werden, wenn es keine international einheitliche Regel gibt, dass Zinsaufwand abgezogen werden können muss? In diesem Sinne sollten nicht nur Missbrauchsabwehrvorschriften, sondern auch die Bemessungsgrundlage in gewisser Hinsicht harmonisiert werden. Pläne wie die Gemeinsame Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage oder gar die Konsolidierte Gemeinsame Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage, die auf europäischer Ebene bisher keinen Erfolgt hatten, wären idealerweise auch auf internationaler Ebene voranzutreiben. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Erleichterung für die Unternehmen, es würde auch die rechtsstaatliche Kontrolle des Weltsteuerrechts wesentlich verbessern.

3.186

Mangels einheitlichem Grundrechtsschutz und mangels einheitlicher Definition von Leistungsfähigkeit ist die Rechtsprechung gefordert, eine Balance zwischen notwendiger grundrechtlicher Kontrolle und Völkerrechtsfreundlichkeit zu finden, welche die Bedeutung eines einheitlichen Mindeststandards für den gleichheitsgerechten, hierarchischen Vollzug gegenüber internationalen Unternehmen berücksichtigt. Die multinationalen Unternehmen dürfen dem Zusammenschluss der Staaten nicht schutzlos ausgeliefert sein. Der Zusammenschluss darf auch nicht in einer Weise gefährdet werden, dass sich die Staaten wiederum über die Differenzen einen steuerlichen Unterbietungswettbewerb liefern. Wenn multinationale Unternehmen und hochmobile Eliten dauerhaft nur wenig oder keine Steuern zahlen und keiner effektiven staatlichen Erfassung unterliegen, untergräbt das mit der Gleichheit der Besteuerung deren wesentliche Legitimationsgrundlage. In der Folge sind Legitimation und Funktionalität der Staatlichkeit insgesamt gefährdet. Vor diesem Hintergrund sind auch gewisse Abstriche bei der demokratischen Legitimation der internationalen Normsetzungsprozesse hinzunehmen, da andernfalls die demokratische Legitimation auf der Ebene des Nationalstaates gefährdet wird.

3.187

Valta | 79

Kapitel 4 Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote im Internationalen Steuerrecht

Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Gleichheitssatz des Grundgesetzes . 4.4 EU-Diskriminierungsverbote Diskriminierungsverbote und Freizügigkeitsrechte . . . . . . . . . . . . . 4.12 II. Grundfreiheiten 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.16 2. Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.18 3. Die einzelnen Grundfreiheiten a) Warenverkehrsfreiheit . . . . 4.21 b) Arbeitnehmerfreizügigkeit . 4.23 c) Niederlassungsfreiheit . . . . 4.25 d) Dienstleistungsfreiheit . . . . 4.30 e) Kapitalverkehrsfreiheit . . . . 4.33 D. EWR-Diskriminierungsverbote . . . 4.37 E. WTO-Diskriminierungsverbote . . . 4.43a A. B. C. I.

F. Diskriminierungsverbote nach dem Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. DBA-Diskriminierungsverbote I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbot der Staatsangehörigkeitsdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verbot der Diskriminierung von Staatenlosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verbot der Betriebsstättendiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verbot der Schuldnerdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verbot der Diskriminierung von Kapital- und Personengesellschaften mit ausländischer Beteiligung . . . .

4.46 4.49 4.51 4.56 4.57 4.61

4.64

Literatur: Adonnino, Diskriminierungsverbote im internationalen Steuerrecht, CDFI LXXVIIIb (1993), 131; Bachmann, Diskriminierungsverbote im internationalen Steuerrecht, RIW 1993, 322; Mössner/Strobl, Diskriminierungsverbote im internationalen Steuerrecht, CDFI LXXVIIIb (1993), 443; van Raad, Non-discrimination in International Tax Law, Deventer 1986; Rust, Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote im Internationalen Steuerrecht, DStJG 36 (2013), 71; Stein/ von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. München 2017.

A. Rechtsgrundlagen 4.1

Es gibt keine allgemeine völkerrechtliche Regel, die in allen Staaten den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verbürgt. Anerkannt ist lediglich ein allgemeines völkerrechtliches Diskriminierungsverbot für den Bereich der elementaren Menschenrechte.1 Es handelt sich hierbei um eine Ausprägung des völkerrechtlichen Fremdenrechts.2 Dieses völkerrechtliche Fremdenrecht gewährt Ausländern lediglich einen Mindeststandard an Rechten, etwa Rechtsfähigkeit, Schutz vor entschädigungsloser Enteignung sowie bestimmte Freiheitsrechte.3 Dieser Mindeststandard schützt aber nicht vor Ungleichbehandlung mit Inländern und damit auch nicht vor steuerlicher Benachteiligung.

1 Nachweise bei Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 11. 2 Hierzu der Überblick bei Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 575 ff. 3 Hierzu Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 580.

80 | Schaumburg

B. Gleichheitssatz des Grundgesetzes | Rz. 4.3 Kap. 4

Im Internationalen Steuerrecht wirkende Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote ergeben sich daher allein entweder aus den Normen des jeweiligen innerstaatlichen Rechts, insbesondere des Verfassungsrechts,1 des supranationalen Rechts, insbesondere des EU-Rechts,2 oder aus völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere Rechtsschutz- und Rechtshilfeabkommen,3 Doppelbesteuerungsabkommen4 und dem EWR-Abkommen.5

4.2

Die vorstehenden Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote haben im internationalen Kontext eine unterschiedliche Reichweite: Während Diskriminierungsverbote, etwa die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten (z.B. Art. 49 AEUV) und das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 24 OECD-MA), vor allem die Benachteiligung von Steuerausländern gegenüber Steuerinländern verbieten, schließen sie aber nicht die Bevorzugung des derart geschützten Personenkreises aus. Dem gegenüber wendet sich das Gleichbehandlungsgebot (etwa Art. 3 Abs. 1 GG) gleichermaßen gegen steuerliche Benachteiligung und Bevorzugung, umfasst also sowohl ein Diskriminierungs- als auch ein Privilegierungsverbot. Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote stehen selbständig nebeneinander, so dass die dem persönlichen Schutzbereich dieser Normen unterstellten natürlichen und zumeist juristischen Personen Schutz nach Art der Meistbegünstigung beanspruchen können.6 Für Steuerpflichtige, die der Besteuerung in Deutschland unterliegen, stehen daher der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), die EU-Diskriminierungsverbote (Art. 18, 45, 49, 56, 63 AEUV), die EWR-Diskriminierungsverbote (Art. 28, 31, 36, 41, 58 EWR-Abkommen), die WTO-Diskriminierungsverbote (z.B. Art. III Abs. 1 GATT-Vertrag) und die in Doppelbesteuerungsabkommen verankerten Diskriminierungsverbote (Art. 24 OECD-MA) im Vordergrund.

4.3

B. Gleichheitssatz des Grundgesetzes Literatur: Kommentare zu Art. 3 Abs. 1 GG und § 3 AO; Arndt, Gleichheit im Steuerrecht, NVwZ 1988, 787; Birk, Gleichheit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, StuW 1989, 212; Birk, Das Gebot des gleichmäßigen Steuervollzugs und dessen Sanktionierung, StuW 2004, 277; Desens, Die Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips als Maßstab der Steuernomen in der Rechtsprechung des BVerfG, StuW 2016, 240; Drüen, Unternehmensbesteuerung und Verfassung im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG, DStR 2010, 513; Eckhoff, „Steuergerechtigkeit“ als verfassungsrechtliches und steuerpolitisches Argument, StuW 2016, 207; Eichberger, Der Gleichheitssatz im Steuerrecht in FS RFH/BFH, Köln 2018, 501; Elschen, Entscheidungsneutralität, Allokationseffizienz und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, StuW 1991, 99; Englisch, Folgerichtiges Steuerrecht als Verfassungsgebot in Tipke/Seer/Hey/Englisch, Gestaltung der Steuerrechtsordnung, FS für Jochen Lang, Köln 2010, 167; Friauf, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Gesetzgebung, DStJG 12 (1989), 3; Gosch, Vielerlei Gleichheiten – Das Steuerrecht im Spannungsfeld von bilateralen, supranationalen und verfassungsrechtlichen Anforderungen, DStR 2007, 1553; Hesse, Der Gleichheitssatz in der neueren Verfassungsentwicklung, AöR 109, 174; Hey, Der Gleichheitssatz im Steuerrecht, FR 2020, 578; Hey, Vollzugsdefizit bei Kapitaleinkommen: Rechtschutzkonsequenzen und Reformoptionen, DB 2004, 724; Hey, Zur Geltung des Gebots der Folgerichtigkeit im Unternehmenssteuerrecht, DStR 2009, 2561; Hey 1 2 3 4 5 6

Etwa aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Etwa aus Art. 18, 45, 49, 56, 63 AEUV. Z.B. Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag mit den USA von 1956, BGBl. II 1956, 487. Z.B. Art. 24 OECD-MA. Vom 2.5.1992, BGBl. I 1993, 266, 1294; Bekanntmachung v. 14.10.1993, BGBl. I 1993, 1666. Weitere spezielle Diskriminierungsverbote ergeben sich z.B. aus Art. 13 und 14 GATT, Art. 4 EGKS-Vertrag sowie aus Handelsabkommen.

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Kap. 4 Rz. 4.4 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, Rz. 3.110; Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit, Stuttgart 2000; Jahndorf, Folgerichtigkeit im Steuerrecht als Verfassungsgebot, StuW 2016, 256; G. Kirchhof in H/H/R, Einf. ESt Rz. 260; Kirchhof, Steuergleichheit, StuW 1984, 297; Kirchhof, Die freiheitsrechtliche Struktur der Steuerrechtsordnung, StuW 2006, 3; Kirchhof, Allgemeiner Gleichheitssatz in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VIII, 3. Aufl. Heidelberg 2010, § 189; Kischel, Gleichheitssatz und Steuerrecht in Mellinghoff/Palm, Gleichheit im Verfassungsstaat, Heidelberg 2009, 175; Klein, Gleichheitssatz im Steuerrecht, Köln 1966; Kruse, Über die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, StuW 1990, 332; Lang, Die gleichheitsrechtliche Verwirklichung der Steuerrechtsordnung, StuW 2006, 22; Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3; Lang, Steuergerechtigkeit und Globalisierung, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 45; Lang, Steuergerechtigkeit, StuW 2016, 101; Maaß, Die neuere Rechtsprechung des BFH zum allgemeinen Gleichheitssatz – ein Neuansatz?, NVwZ 1988, 14; Matteotti, Steuergerechtigkeit und Rechtsfortbildung, Bern 2007; Mellinghoff, Der Beitrag der Rechtsprechung zur Systematisierung des Steuerrechts am Beispiel des Gebots der Folgerichtigkeit, Ubg 2012, 369; Ossenbühl, Die gerechte Steuerlast, Heidelberg/Löwen 1972; Pezzer, Gleichmäßiger Gesetzesvollzug in der Steuerrechtsordnung, StuW 2007, 101; Rodi, Faktische Nichtbesteuerung und Gleichheitssatz, NJW 1990, 3246; Sachs, Die Auswirkungen des allgemeinen Gleichheitssatzes auf das Steuerrecht in der Rechtsprechung des BVerfG, StVj 1994, 75; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schaumburg/ Schaumburg, Steuergerechtigkeit in der Zeit, StuW 2013, 61; Schoch, Der Gleichheitssatz, DVBl. 1988, 863; Seiler, Das Steuerrecht als Ausgangspunkt aktueller Fortentwicklung der Gleichheitsdogmatik, JZ 2004, 481; Spindler, Der Bundesfinanzhof und das Bundesverfassungsgericht im Zusammenwirken für ein verfassungskonformes Steuerrecht, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 169; Steichen, Der Gleichheitssatz im Europäischen Steuerrecht in Burmester/Endres, Außensteuerrecht, Doppelbesteuerungsabkommen und EU-Recht im Spannungsverhältnis, FS Debatin, München 1997, 417; Stoll, Das Sachgesetzlichkeitsprinzip als Ausformung des Gleichheitssatzes, ÖStZ 1989, 188; Tipke, Anwendung des Gleichheitssatzes im Steuerrecht – Methode oder irrationale Spekulation –, BB 1973, 157; Tipke, Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis, Köln 1981; Tipke, Über Steuerreform und Steuergerechtigkeit, in Fürst/Herzog/Umbach (Hrsg.), FS für Zeidler I, Berlin/New York 1987, 717; Tipke, Die Methode der Anwendung des Gleichheitssatzes unter besonderer Berücksichtigung des Steuerrechts, in Doralt/Gassner/Lechner/Ruppe/Tanzer/ Werndl (Hrsg.), Steuern im Rechtsstaat, FS für Stoll, Wien 1990, 229; Tipke, Vom Konglomerat herkömmlicher Steuern zum System gerechter Steuern, BB 1994, 437; Tipke, Steuerrechtsprechung/Steuergesetz/Steuerreform, in Kirchhof/Jakob/Beermann (Hrsg.), Über Deklarieren und Verifizieren, FS für Offerhaus, Köln 1999, 819; Tipke, Steuergerechtigkeit unter besonderer Berücksichtigung des Folgerichtigkeitsgebots, StuW 2007, 201; Tipke, Mehr oder weniger Entscheidungsspielraum für den Steuergesetzgeber?, JZ 2009, 533; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, 2. Aufl. Köln 2000, 282; Vogel, Der ausländische Aktionär in den Gesetzentwürfen zur Körperschaftsteuerreform, München 1973, 24; Vogel, Der Verlust des Rechtsgedankens im Steuerrecht, DStJG 12 (1989), 123; Vogel, Über „Besteuerungsrechte“ und über das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Kirchhof/Offerhaus/Schöberle (Hrsg.), Steuerrecht/Verfassungsrecht/Finanzpolitik, FS für Klein, Köln 1994, 361; Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, Heidelberg/Hamburg 1980; Wernsmann, Das gleichheitswidrige Steuergesetz – Rechtsfragen und Rechtsschutz, Berlin 2000.

4.4

In Deutschland bildet der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG den zentralen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab für Steuergesetze.1 Aus dem generellen Charakter des Art. 3 Abs. 1 GG, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, folgt das Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.

4.5

Der Gleichheitssatz hat in der Rechtsprechung des BVerfG eine unterschiedliche Interpretation erfahren. Überwiegend wird der Gleichheitssatz als Willkürverbot verstanden. Die „Will1 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.110; Kirchhof, StuW 1984, 297 ff.; Friauf, DStJG 12 (1989), 3 (27).

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B. Gleichheitssatz des Grundgesetzes | Rz. 4.7 Kap. 4

kür“-Formel des BVerfG lautet: Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Ungleichbehandlung nicht finden lässt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss.1 In anderen Entscheidungen entnimmt das BVerfG dem Gleichheitssatz das Gebot der Gerechtigkeit und stellt darauf ab, ob für eine am Gerechtigkeitsdenken orientierte Betrachtungsweise die tatsächlichen Ungleichheiten in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam sind, dass der Gesetzgeber sie bei einer Regelung beachten muss.2 Schließlich verwendet das BVerfG eine „neue“ Formel, nach der der Gleichheitssatz vor allem dann verletzt ist, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.3 Den vorstehenden Formeln entspricht eine abgestufte Dichte der verfassungsrechtlichen Prüfung, die sich letztlich an der unterschiedlichen Weite des gesetzgeberischen Spielraums orientiert. Hieraus folgt: Bei Regelungen, die Personengruppen verschieden behandeln oder sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken, wendet das BVerfG die „neue Formel“ an.4 Liegt keine dieser Voraussetzungen vor, kommt nur die Willkürformel in Betracht.5

4.6

Unabhängig von der Verwendung der einen oder anderen Formel, gesteht das BVerfG dem Gesetzgeber stets eine weite Beurteilungs- und Gestaltungsfreiheit zu, die sich u.a. auch von finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen oder steuertechnischen Erwägungen leiten lassen dürfe.6 Darüber hinaus räumt das BVerfG dem Gesetzgeber das Recht ein, sich bei der Ausgestaltung seiner Normen generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen zu bedienen.7 Damit hat der Gesetzgeber zwar insbesondere bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum,8 einmal getroffene Belastungsentscheidungen sind dann aber folgerichtig im

4.7

1 Ständige Rechtsprechung des BVerfG; hierzu die Übersicht bei Drüen in T/K, § 3 AO Rz. 45; zu dieser Rechtsprechung Hesse, AöR 109, 174 ff.; der Rechtsprechung des BVerfG folgt auch der BFH z.B. BFH v. 12.12.1990 – I R 43/89, BStBl. II 1991, 427; v. 15.1.1993 – VI R 32/92, BStBl. II 1993, 356. 2 Zu dieser „Gerechtigkeits“-Formel die Entscheidungsübersicht bei Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.124; zur Kritik Drüen in T/K, § 3 AO Rz. 42, der darauf hinweist, dass Gerechtigkeit nicht aus dem Gleichheitssatz folge, sondern umgekehrt der Gleichheitssatz einen Ausfluss der Gerechtigkeit darstelle; vgl. zur Steuergerechtigkeit Eckhoff, StuW 2016, 207 ff.; Lang, StuW 2016, 101 ff.; Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61 ff. 3 Diese „neue“ Formel wird verwendet seit BVerfG v. 7.10.1980 – 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72 (88); hierzu die Rechtsprechungsübersicht bei Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.124; zu dieser „neuen“ Formel im Einzelnen Maaß, NVwZ 1988, 14 ff.; der BFH verwendet diese neue Formel ebenfalls, z.B. BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136. 4 BVerfG v. 26.1.1993 – 1 BvL 38/92, 1 BvL 40/92, 1 BvL 43/92, BVerfGE 88, 87 (96 f.); weitere Rechtsprechungsnachweise bei Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.124. 5 Hierzu BVerfG v. 8.6.1993 – 1 BvL 20/85, BStBl. II 1994, 59. 6 Z.B. BVerfG v. 29.11.1989 – 1 BvR 1402/87, 1 BvR 1528/87, BStBl. II 1990, 479; ihm folgend der BFH, z.B. BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136. 7 BVerfG v. 31.5.1988 – 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214 (226 f.); auch hier folgt der BFH, z.B. BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136. 8 BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (136), 165 (172); v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, 27 (47); v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 (30 f.).

Schaumburg | 83

Kap. 4 Rz. 4.7 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

Sinne einer Belastungsgleichheit umzusetzen.1 Dieses Folgerichtigkeitsgebot bedeutet, dass vom Gesetzgeber selbst gesetzte Wertungen und Sachgesetzlichkeiten system- und wertungskonsequent normativ vollzogen werden müssen.2 Zu dieser System- und Wertungskonsequenz gehört auch die Ableitung von Folgeprinzipien aus Primärprinzipien, etwa des Nettoprinzips aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip.3

4.7a

Das Gewicht des gleichheitsrechtlichen Gebots der Folgerichtigkeit beschränkt sich allerdings auf zentrale Fragen gerechter Belastungsverteilung.4 Auf dieser 3. Stufe der Prüfungsabfolge bleibt damit insbesondere die Richtigkeitskontrolle komplexer dogmatischer Streitfragen versagt5 mit der Folge, dass insoweit lediglich eine Willkürkontrolle erfolgt.6

4.8

Die Besteuerungsgleichheit hat als ihre Komponenten die an den (deutschen) Gesetzgeber7 gerichtete Pflicht zur Rechtsetzungsgleichheit sowie die – insbesondere die Finanzverwaltung betreffende – Pflicht zur Rechtsanwendungsgleichheit.8 Daraus folgt, dass das materielle Steuergesetz stets in ein normatives Umfeld eingebettet sein muss, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet.9 Ist das nicht der Fall, handelt es sich also um ein dem Gesetzgeber zurechenbares strukturelles Vollzugsdefizit, führt die gleichheitswidrige Verwaltungspraxis zur Verfassungswidrigkeit der betreffenden Rechtsnorm selbst.10 Derartige Vollzugsdefizite sind insbesondere in der Normenwelt des Internationalen Steuerrechts zu beklagen.11

4.9

Der dem Gesetzgeber bis in die 1980er Jahre vom BVerfG eingeräumte weite Gestaltungsspielraum12 hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass der Gleichheitssatz zum Formalprinzip entwertet und seiner Korrektivfunktion weitgehend entkleidet wurde.13 Es hatte den Steuergesetzgeber aus der Disziplin entlassen, Steuergesetze aufgrund einer einheitlichen systematischen Konzeption möglichst frei von Wertungswidersprüchen zu schaffen. Die in der Vergan1 Zu dieser zweistufigen Prüfung des Gleichheitssatzes Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.125; Hey, DStR 2009, 2561 (2562 ff.). 2 BVerfG v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (271); v. 6.3.2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (125); v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98 u.a., BVerfGE 107, 27 (46 f.); v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (180); v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1(30); v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/ 07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 (231); v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00 BVerfGE 123, 111 (120); v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191 Rz. 96; ferner Kirchhof, StuW 2006, 14 ff.; Lang, StuW 2007, 3 ff.; Tipke, StuW 2007, 201 (205 ff.); Mellinghoff, Ubg 2012, 239 ff.; Jahndorf, StuW 2016, 256 (259 ff.). 3 Von Tipke, JZ 2009, 533 (535) als vertikale Folgerichtigkeit bezeichnet. 4 BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123). 5 BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (123). 6 Zur Kritik vgl. nur Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.125; Hennrichs in FS Lang, 2010, 237 (244); Englisch in FS Lang, 2010, 167 (197 f.); Drüen in FS Spindler, 2011, 29 (42); Hüttemann in FS Spindler, 2011, 627 (629). 7 Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG in den Grenzen der jeweiligen Steuergesetzgebungskompetenz. 8 Hey in Tipke/Lang, Rz. 3.111 ff.; Spindler in FS Schaumburg, 169 (175 f.). 9 BVerfG v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BStBl. II 1991, 654 (665); v. 9.3.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 (112 ff.); hierzu Tipke in FS Offerhaus, 819 ff.; Birk, StuW 2004, 277; Hey, DB 2004, 724 ff.; Pezzer, StuW 2007, 101 ff. 10 BVerfG v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (272). 11 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.115; Waldhoff, StuW 2013, 121 (132 ff.). 12 Hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.100; Tipke, JZ 2009, 533 (533 f.); Friauf, DStJG 12 (1989), 3 (27); Schoch, DVBl. 1988, 863 (881 f.). 13 Kruse, Steuerrecht, Bd. I, 45 f.; Friauf, DStJG 12 (1989), 3 (27); Tipke in FS Zeidler I, 717 (731).

84 | Schaumburg

B. Gleichheitssatz des Grundgesetzes | Rz. 4.10 Kap. 4

genheit auf der formal-rechtsstaatlichen Gewaltenteilung beruhende richterliche Zurückhaltung (judicial self-restraint) verliert insbesondere dann ihre Legitimation, wenn der Gesetzgeber die der Gerechtigkeitsfunktion des Gleichheitssatzes dienende System- und Wertungskonsequenz durchbricht.1 In diesem Fall ist das BVerfG zu einem judikativen Eingriff (judicial activism) aufgerufen, den es in zunehmendem Maße auch vornimmt.2 Hierbei sind eine Ausrichtung am Leistungsfähigkeitsprinzip3 als dem für Art. 3 Abs. 1 GG maßgeblichen Vergleichsmaßstab4 und eine Einengung der gesetzgeberischen Gestaltungsspielräume, die eine Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips nur in Ausnahmefällen zulässt,5 erforderlich. Dies gilt nicht nur für den Binnenbereich einzelner Steuergesetze, nicht nur für einzelne Normen und Normenkomplexe, sondern auch für Steuergesetze in ihrer Gesamtheit, und zwar auch insoweit, als die betreffenden Steuern in Art. 106 GG genannt sind.6 Das steuerrechtliche Gleichheitsgebot lautet daher: Steuerpflichtige, die gleich leistungsfähig sind, müssen gleich hohe Steuern zahlen (horizontale Gleichheit). Steuerpflichtige, die unterschiedlich leistungsfähig sind, müssen, entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit, unterschiedlich hohe Steuern zahlen (vertikale Gleichheit). Das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit als systemtragendes Gleichheitsgebot7 erlangt im Internationalen Steuerrecht besondere Bedeutung.8 Der Steuergesetzgeber hat sich gerade bei den Normen des Außensteuerrechts und des Doppelbesteuerungsrechts von wirtschaftspolitischen Erwägungen leiten lassen, so dass das Normengefüge des Internationalen Steuerrechts nicht nur aus am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierten Finanzzwecknormen, sondern auch aus wirtschaftslenkenden Normen besteht, die das Leistungsfähigkeits-

1 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.100. 2 So eindrucksvoll geschehen z.B. durch die beiden Beschlüsse des BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/ 91, BVerfGE 93, 121, 165 ff. zur VSt und ErbSt, durch den Erbschaftsteuerbeschluss v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 ff., durch das Urteil zur Pendlerpauschale v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 123, 211 ff. und zur Erbschaftsteuer v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50. 3 Fähigkeit, Steuerleistungen erbringen zu können (Zahlungsfähigkeit); hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 479 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.40 ff.; kritisch zuletzt Kempny, StuW 2021, 85 ff. 4 Im Grundsatz wird das Leistungsfähigkeitsprinzip vom BVerfG als Verfassungsprinzip anerkannt; z.B. BVerfG v. 23.11.1976 – 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108 (120); v. 11.10.1977 – 1 BvR 343/73, 1 BvR 83/74, 1 BvR 183/75, 1 BvR 428/75, BVerfGE 47, 1 (29); v. 3.11.1982 – 1 BvR 620/78, 1 BvR 1335/78, 1 BvR 1104/79, 1 BvR 363/80, BVerfGE 61, 319 (343 f.); v. 22.2.1984 – 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214 (222 ff.); v. 4.10.1984 – 1 BvR 789/79, BVerfGE 67, 290 (296 ff.); v. 17.10.1984 – 1 BvR 527/80, 1 BvR 528/81, 1 BvR 441/82, BVerfGE 68, 143 (152 f.); v. 28.11.1984 – 1 BvR 1157/82, BVerfGE 68, 287 (310); v. 10.2.1987 – 1 BvL 18/81, 1 BvL 20/82, BVerfGE 74, 182 (199 f.); v. 29.5.1990 – 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60 (86); v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/ 89, BVerfGE 84, 239 (269 ff.); v. 30.9.1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (95); v. 6.3.2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (125); v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, 27 (46 f.); v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 (30); v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 (231); v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191 Rz. 96; vgl. hierzu auch den Überblick von Desens, StuW 2016, 240 ff. 5 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 329 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.128 ff. 6 Zu weiteren Einzelheiten Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 298 ff.; 201 ff.; 483 ff.; Tipke, BB 1994, 437 ff.; Tipke, StuW 2007, 207 f. 7 So die treffende Formulierung von Friauf, DStJG 12 (1989), 3 (28). 8 Hierzu Vogel in FS Klein, 361 (364 ff.); Schaumburg in FS Tipke, 125 (128 ff.) Lang in FS Schaumburg, 45 ff.

Schaumburg | 85

4.10

Kap. 4 Rz. 4.10 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

prinzip durchbrechen.1 Die Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips durch Lenkungsnormen2 im Internationalen Steuerrecht hat die Rechtsprechung allerdings durchweg nicht als einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG betrachtet.3 Auch die kollisionsbegründenden und kollisionsauflösenden Normen (Rz. 2.3 ff.) sind am Leistungsfähigkeitsprinzip zu messen. Die bestehenden Besteuerungsunterschiede zwischen unbeschränkter Steuerpflicht einerseits und beschränkter Steuerpflicht andererseits, insbesondere die nur eingeschränkte Berücksichtigung des Leistungsfähigkeitsprinzips im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht, sind seitens der Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG indessen nicht als willkürlich angesehen worden.4 Schließlich haben sich auch die Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gegenüber dem Leistungsfähigkeitsprinzip als systemtragendem Gleichheitsgebot zu legitimieren. Das gilt umso mehr, als die Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht bloße Klugheitsregeln sind. Sie sind vielmehr die Kehrseite der mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu vereinbarenden Besteuerung des Welteinkommens/-vermögens (Rz. 6.53 ff.) und entsprechen damit selbst dem Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (Rz. 17.8 ff.).

4.11

Die Reichweite des allgemeinen Gleichheitssatzes ist freilich begrenzt. Grundrechtsträger sind nach Art. 3 Abs. 1 GG zwar alle natürlichen Personen ohne Rücksicht auf ihre Ansässigkeit und ihre Staatsangehörigkeit,5 gem. Art. 19 Abs. 3 GG können aber nur inländische juristische Personen, also solche, die nach deutschem Recht errichtet worden sind, Grundrechtsschutz beanspruchen.6 Zu den Normadressaten des Art. 3 Abs. 1 GG gehören daher nicht nach ausländischem Recht errichtete juristische Personen.7 Für sie besteht insoweit ein Grundrechtsdefizit, das lediglich durch die Diskriminierungsverbote des AEUV und der Doppelbesteuerungsabkommen ausgeglichen werden kann, mit der Folge, dass etwa in anderen EU-Staaten ansässige Kapitalgesellschaften trotz der Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG Verfassungsbeschwerde erheben können.8 Schließlich endet die steuerliche Gleichmäßigkeit an der Grenze der für die Gesetzgebung zuständigen Gebietskörperschaften,9 so dass der allgemeine Gleich-

1 Hierzu Elschen, StuW 1991, 99 (112). 2 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 336 ff., 525. 3 So BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136 zu dem von ihm als Lenkungsnorm eingestuften § 2a EStG, der ein partielles Verlustausgleichsverbot enthält und damit das sich aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip ergebende Nettoprinzip durchbricht; im Einzelnen hierzu Rz. 6.72 ff. 4 Ständige Rechtsprechung des BFH, s. BFH v. 11.8.1961 – VI 30/60 U, BStBl. III 1961, 486; v. 13.8.1963 – VI 96/62 U, BStBl. III 1963, 486; v. 14.2.1975 – VI R 210/72, BStBl. II 1975, 497; ebenso BVerfG v. 24.9.1965 – 1 BvR 228/65, BVerfGE 19, 119; v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BVerfGE 43, 1; v. 9.2.2010 – 2 BvR 1178/07 – 1. Kammer des 2. Senats – NJW 2010, 2419 (2420); v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191 Rz. 98. 5 BVerfG v. 14.2.1968 – 1 BvR 628/66, BVerfGE 23, 98 (104); v. 23.3.1971 – 2 BvL 17/69, BVerfGE 30, 392 (412); v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BStBl. II 1977, 190; Nußberger in Sachs9, Art. 3 GG Rz. 69. 6 BVerfG v. 1.3.1967 – 1 BvR 46/66, BVerfGE 21, 207 (208 f.); v. 19.3.1968 – 1 BvR 554/65, BVerfGE 23, 229 (236); zu Einzelheiten Sachs in Sachs9, Art. 19 GG Rz. 57 ff. 7 Ein objektiv-verfassungsrechtliches Verbot sachlich nicht begründeter Ungleichbehandlung aufgrund des Demokratieprinzips und des Rechtsstaatsprinzips auch für ausländische juristische Personen postuliert Vogel, Der ausländische Aktionär in den Gesetzentwürfen zur Körperschaftsteuerreform, 24 f.; Vogel, DStJG 12 (1989), 123 (141). 8 BVerfG v. 19.7.2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 (98); Sachs in Sachs9, Art. 19 GG Rz. 55. 9 BVerfG v. 25.2.1960 – 1 BvL 8/55, BVerfGE 10, 340 (372); v. 2.5.1961 – 1 BvR 203/53, BVerfGE 12, 319 (324); v. 14.4.1964 – 2 BvR 69/62, BVerfGE 17, 319 (331); v. 21.12.1966 – 1 BvR 33/64, BVerfGE 21, 54 (68); v. 29.10.1969 – 1 BvR 65/68, BVerfGE 27, 175 (179); v. 23.2.1972 – 2 BvL 36/71, BVerfGE 32, 346 (460).

86 | Schaumburg

C. EU-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.11 Kap. 4

heitssatz nicht dadurch verletzt werden kann, dass Bürger in ausländischen Staaten höhere oder niedrigere Steuern zahlen als Bürger in Deutschland. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vermag daher nur eine begrenzte Wirkkraft zu erzeugen.

C. EU-Diskriminierungsverbote Literatur: Kommentare zu Art. 28, 30, 45, 49, 56, 63, 110 AEUV; Art. 6, 18 EUV; Art. 20, 51, 53 GrCh; Balke, Steuerliche Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten und freier Warenverkehr im Europäischen Binnenmarkt, Baden-Baden 1997; Behrens, Die Konvergenz der wirtschaftlichen Freiheiten des EWG-Vertrages, EuR 1992, 145; Bode, Diskriminierungsverbote im Vertrag über die EWG, Göttingen 1968; Canenbley, Das Diskriminierungsverbot in den Wettbewerbsregeln des Vertrags zur Begründung der EWG, Berlin 1970; Cordewener, Deutsche Unternehmensbesteuerung und europäische Grundfreiheiten – Grundzüge des materiellen und formellen Rechtsschutzsystems der EG, DStR 2004, 6; Cordewener, Europäische Grundfreiheit und nationales Steuerrecht – „Konvergenz“ des Gemeinschaftsrechts und „Kohärenz“ der direkten Steuern in der Rechtsprechung des EuGH, Köln 2002; Cordewener, Der sachliche, persönliche und territoriale Anwendungsbereich der Grundfreiheiten, DStJG 41 (2018), 195; Cordewener/Kofler/Schindler, Free Movement of Capital, Third Country Relationships and National Tax Law: An Emerging Issue bevor the EJC, ET 2007, 107, 371; Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatt, München; Dautzenberg, Der Vertrag von Maastricht, das neue Grundrecht auf allgemeine Freizügigkeit und die beschränkte Steuerpflicht der natürlichen Personen, BB 1993, 1563; Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, Berlin 2003; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, Tübingen 2008; Englisch, Grundfreiheiten: Vergleichbarkeit, Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeit DStJG 41 (2018), 273; Everling, Das Niederlassungsrecht im gemeinsamen Markt, Berlin/Frankfurt 1963; Fontana, Direct Investments and Third Countries, ET 2007, 431; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. München 2015; Füller, Grundlagen und inhaltliche Reichweite der Warenverkehrsfreiheiten nach dem EG-Vertrag, Baden-Baden 1999; Hahn, Erläuterungen und legislatorische Überlegungen zur EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Cadbury Schweppes, DStZ 2007, 201; Hobe/Fremuth, Europarecht, 10. Aufl., München 2020; Hüttemann/Helios, Gemeinnützige Zweckverfolgung im Ausland nach der „Stauffer“-Entscheidung des EuGH, DB 2006, 2481; Ismer in H/H/R, Einf. ESt Rz. 430; Jachmann, Die Entscheidung des EuGH im Fall Stauffer – Nationale Gemeinnützigkeit in Europa, BB 2006, 2607; Jarass, Die Niederlassungsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft, RIW 1993, 1; Jarass, EU-Grundrechte, München 2005; Kaefer/Saß, Beschränkte Steuerpflicht und Diskriminierungsverbot im Licht des EuGH-Urteils vom 14.2.1995, DB 1995, 642; Knobbe-Keuk, Freizügigkeit und direkte Besteuerung, EuZW 1995, 167; König, Das Problem der Inländerdiskriminierung, AöR 1993, 591; Kramer, Beschränkte Steuerpflicht und Europarecht, RIW 1996, 951; Kofler, Europäischer Grundrechtsschutz im Steuerrecht, DStJG 41 (2018), 125; Kokott, Das Steuerecht der Europäischen Union, München 2018, § 3 Rz. 261 ff.; Kumpf/ Roth, Wahlbesteuerung für beschränkt Einkommensteuerpflichtige?, StuW 1996, 259; Lechner/Staringer/Tumpel, Kapitalverkehrsfreiheit und Steuerrecht, Wien 2000; Lehner, Grundfreiheiten im Steuerrecht der EU-Staaten, München 2002; Lehner, Bedeutung der Grundrechte-Charta der Europäischen Union für das nationale Steuerrecht der Mitgliedstaaten, IStR 2016, 265; Lehner, Grundfreiheiten im Steuerrecht der EU-Staaten, München 2000; Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, München 2019; Nowack, Vereinbarkeit der Vorschriften über die Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger mit den Personenverkehrsfreiheiten des EWG-Vertrages, Herne/Berlin 1994; Ohler, Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit, Berlin/Heidelberg 2002; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 8. Aufl., München 2018; Richter, Die französische Wegzugsbesteuerung auf dem EuGH-Prüfstand, IStR 2003, 157; Roth, Die Niederlassungsfreiheit zwischen Beschränkungs- und Diskriminierungsverbot, in Schön (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, Köln 1997, 729; Saß, Gleichbehandlung von beschränkt Steuerpflichtigen mit unbeschränkt Steuerpflichtigen aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, StuW 1988, 362; Schaumburg, Besteuerung von Einkommen, DStJG 24 (2001), 225; Schaumburg, Außensteuerrecht und europäische Grundfreiheiten, DB 2005, 1129; Schaumburg, Zuzug von Unternehmen, DK 2005, 347; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Köln 2020;

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Kap. 4 Rz. 4.12 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote Schaumburg/Schaumburg, Steuerliche Leistungsfähigkeit und europäische Grundfreiheiten im Internationalen Steuerrecht, StuW 2005, 306; Schnitger, Die Grenzen der Einwirkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages auf das Ertragsteuerrecht, Düsseldorf 2006; Schön, Die beschränkte Steuerpflicht zwischen europäischem Gemeinschaftsrecht und deutschem Verfassungsrecht, IStR 1995, 119; Schön, Europäische Kapitalverkehrsfreiheit und nationales Steuerrecht, in Schön (Hrsg.), Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, Köln 1997, 743; Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, StbJb 2003/2004, 27; Schön, Aktuelle Fragen zum Europäischen Gesellschafts- und Steuerrecht, JbFSt 2008/2009, 29; Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. Baden-Baden 2015; Thömmes, Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung steuerlicher Diskriminierungen nach EG-Recht, in Schön (Hrsg.), Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, Köln 1997, 795; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. München 2016; Wiebe, Das Verbot der Erhebung von Abgabenzoll gleicher Wirkungen in Abgrenzung zu anderen Regelungen des EG-Vertrags, Frankfurt/M. 1999.

I. Diskriminierungsverbote und Freizügigkeitsrechte 4.12

Zu den Grundlagenentscheidungen der EU gehören die Chartagrundrechte (Art. 6 Abs. 1 EUV) und die Unionsgrundrechte (Art. 6 Abs. 3 EUV), die weitgehend identisch sind mit den in den einzelnen Verfassungen der Mitgliedstaaten verankerten Grundrechten und wie diese auch Diskriminierungsverbote enthalten. Aus der Sicht der Mitgliedstaaten als Verpflichtungsadressaten bei der Durchführung von Unionsrecht (Art. 51 GrCh) folgt hieraus eine Doppelbindung an die unionalen und nationalen Grundrechte,1 wobei allerdings das BVerfG entsprechend seiner selbststatuierten verfassungsrechtlichen Vorbehalte (Rz. 3.41 ff.)2 seine „Reservekompetenz“ nicht wahrnehmen wird, solange das Schutzniveau der unionalen Grundrechte mindestens den Grundrechten des GG entspricht.3 Der EuGH hat zwar in zahlreichen Fällen die Unionsgrundrechte (Art. 6 Abs. 3 EUV) zur Anwendung gebracht,4 im Steuerrecht haben sie ebenso wie die Grundrechtecharta (Art. 20 GrCh) aber noch keinen nachhaltigen Niederschlag gefunden.5 Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass soweit es sich um grenzüberschreitende Vorgänge handelt, nur die Grundfreiheiten (Art. 26 Abs. 2 AEUV) herangezogen werden.6 Das gilt auch im Verhältnis zu den in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Grundrechten, die über Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts zu berücksichtigen sind.7 Insoweit besteht nur ein subsidiärer Grundrechtschutz (Art. 13, 35 EMRK), da diese nur einen Mindeststandard gewähren und somit die Anwendung der unionalen Grundrechte, der Grundfreiheiten und der nationalen Grundrechte nicht einschränken (Art. 53 EMRK).8

1 Streinz/Michl in Streinz3, Art. 51 GrCh Rz. 8. 2 Ferner Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.21 ff. 3 Davon ist im Hinblick auf die Meistbegünstigungsklausel des Art. 53 GrCH auszugehen; vgl. hierzu Streinz/Michl in Streinz3, Art. 53 GrCH Rz. 3 f. 4 Hierzu der Überblick bei Streinz/Michl in Streinz3, Art. 6 EUV Rz. 29 ff. 5 Es handelt sich in erster Linie um die Gewährleistung subjektiver Rechte (z.B. Zugang zu Gerichten, rechtliches Gehör usw.); hierzu Kofler, DStJG 41 (2018), 125 (131 ff., 146 ff.); ferner im Zusammenhang mit der StreitbeilegungsRL (Rz. 3.116, 19.113a) Kokott, ISR 2019, 429 (431 ff.). 6 Vgl. zum Konkurrenzverhältnis Pache in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 10 Rz. 51. 7 Kingreen in Calliess/Ruffert6, Art. 6 EUV Rz. 5; Kraus in Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap 3. Rz. 66.6. 8 Vgl. BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (329); v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rz. 90.

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C. EU-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.14 Kap. 4

Über die im EUV im Rahmen der unionalen Grundrechte verankerten Diskriminierungsverbote hinaus, verbietet der AEUV jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 Abs. 1 AEUV).1 Unter dieses Diskriminierungsverbot fallen auch sog. versteckte Diskriminierungen, bei denen benachteiligende Regelungen zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, die betreffenden Tatbestände jedoch ausschließlich oder regelmäßig nur von ausländischen Staatsangehörigen erfüllt werden.2 Dieses Diskriminierungsverbot gilt nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für juristische Personen, insbesondere für nach dem Recht eines Mitgliedstaates errichtete Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung3 oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der EU haben (Art. 54, 62 AEUV).4

4.13

Das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 Abs. 1 AEUV) ist eine besondere Ausformung des zu den Grundprinzipien des Unionsrechts zählenden allgemeinen Gleichheitssatzes. In seinem Anwendungsbereich wird Art. 18 Abs. 1 AEUV allerdings durch die speziell geregelten europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten verdrängt,5 so dass Art. 18 AEUV im Steuerrecht keine besondere Bedeutung erlangt.6 Die Grundfreiheiten wiederum wirken ebenso wie das in Art. 18 AEUV verankerte Diskriminierungsverbot grundsätzlich nur grenzüberschreitend, so dass rein innerstaatliche Sachverhalte durch sie nicht geschützt werden.7 Diesen Schutz vermögen nur die Verfassungen der Mitgliedstaaten selbst zu leisten (z.B. Art. 3 Abs. 1 GG), wodurch eine unmittelbare Verknüpfung von europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverboten bewirkt wird. Daher gilt: Normen des nationalen Steuerrechts, die dem EU-Diskriminierungsverbot in dem Sinne entsprechen, dass sie die übrigen Unionsbürger den inländischen Staatsangehörigen für Zwecke der Besteuerung gleichstellen, entfalten über Art. 3 Abs. 1 GG, der ohne Rücksicht auf die

4.14

1 Im Sinne von „Staatszugehörigkeit“, so dass neben natürlichen Personen auch juristische Personen erfasst werden; so EuGH v. 10.2.1994 – C-398/92, ECLI:EU:C:1994:52, Slg. 1994, I-474 – Hatrex; EuGH v. 26.9.1996 – C-43/95, ECLI:EU:C:1996:357, Slg. 1996, I-4661 – Data Celecta; a.A. noch BFH v. 31.10.1990 – II R 176/87, BStBl. II 1991, 161 und OLG Düsseldorf v. 10.2.1993 – 15 U 146/ 92, EuZW 1993, 326. 2 EuGH v. 12.2.1974 – C-152/73, ECLI:EU:C:1974:13, Slg. 1974, 153 (161 ff.) – Sotgiu; EuGH v. 8.5.1990 – C-175/88, ECLI:EU:C:1990:186, Slg. 1991, I-1779 ff. – Biehl; EuGH v. 13.7.1993 – C330/91, ECLI:EU:C:1993:303, Slg. 1993, I-4017 ff. – Commerzbank; ferner von Bogdandy in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 18 AEUV Rz. 15; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 118 ff. (143 ff.). 3 Im Sinne eines Ortes der Geschäftsleitung (§ 10 AO); hierzu Saß, StuW 1988, 362 (363). 4 EuGH v. 20.10.1993 – C-272/92, ECLI:EU:C:1993:848, Slg. 1993, I-5185 ff. – Spolti; EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95, ECLI:EU:C:1997:239, Slg. 1997, I-2471 ff. – Futura/Singer; von Bogdandy in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 18 AEUV Rz. 29. 5 EuGH v. 10.12.1991 – C-179/90, ECLI:EU:C:1991:464, Slg. 1991, I-5889 – Genova; EuGH v. 14.7.1994 – C-279/92, Slg. 1994, I-3453 ff. – Peralta; EuGH v. 12.4.1994 – C-1/93, ECLI:EU:C: 1994:127, Slg. 1994, I-1137 ff. – Halliburton; EuGH v. 12.5.1998 – C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221, Slg. 1998, I-2823 ff. – Gilly; EuGH v. 12.7.2005 – C-403/03, ECLI:EU:C:2005:446, Slg. 2005, I6421 ff. – Schempp; Pache in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 10 Rz. 49. 6 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.26; Cordewener, DStR 2004, 6 (9). 7 EuGH v. 24.10.1978 – C-15/78, ECLI:EU:C:1978:184, Slg. 1978, 1971 ff. – Koestler; EuGH v. 6.11.1984 – C-182/83, ECLI:EU:C:1984:335, Slg. 1984, 3677 ff. – Tearon; EuGH v. 26.1.1993 – C112/91, ECLI:EU:C:1993:27, Slg. 1993, I-463 – Werner; Pache in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 10 Rz. 12 ff.

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Kap. 4 Rz. 4.14 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

Staatsangehörigkeit wirkt,1 eine Schutzwirkung zugunsten von Staatsangehörigen anderer Staaten.2 So verstößt etwa § 1a EStG, der bestimmte familienstandsbezogene Steuerermäßigungen nur Unionsbürgern und Staatsangehörigen von EWR-Staaten3 einräumt, gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Rz. 6.51).

4.15

Über das in Art. 18 Abs. 1 AEUV verankerte allgemeine Diskriminierungsverbot hinaus enthält Art. 21 AEUV auch ein allgemeines Freizügigkeitsrecht, das gegenüber allen Mitgliedstaaten nicht nur als bloßes Diskriminierungsverbot,4 sondern auch als unmittelbar geltendes Beschränkungsverbot wirkt, so dass es sich gleichermaßen an den Bestimmungs- und Herkunftsstaat richtet.5 Hiernach hat jeder Unionsbürger das Recht, sich innerhalb des Unionsgebietes frei zu bewegen und aufzuhalten. Art. 21 AEUV stellt das Bewegungs- und Aufenthaltsrecht jedoch unter weitgehenden Vorbehalt: Jede andere Vorschrift des AEUV sowie entsprechende Bestimmungen in einer Verordnung oder Richtlinie gehen vor. Angesprochen sind hiermit vor allem die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten, die den wirtschaftlich motivierten Aufenthalt betreffen. Art. 21 AEUV regelt damit im Ergebnis den privat motivierten Aufenthalt in dem Sinne, dass es jedem Mitgliedstaat verboten ist, die Einreise und den Verbleib eines Unionsbürgers zu erschweren und die Ausreise eines eigenen Bürgers in einen anderen Staat zu behindern.6 Im Hinblick auf die vorrangig zur Anwendung kommenden europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten hat Art. 21 AEUV im Bereich des Steuerrechts nur eine begrenzte Reichweite.7

II. Grundfreiheiten 1. Bedeutung 4.16

Die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten, von denen für den Bereich der indirekten Steuern die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. AEUV) und für den Bereich der direkten Steuern die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) Bedeutung haben, verlangen unter dem Gesichtspunkt der Inländergleichbehandlung,8 dass jeder ausländische EU-Bürger im Ergebnis wie ein inländischer Staatsbürger behandelt wird.

1 BVerfG v. 14.2.1968 – 1 BvR 628/66, BVerfGE 23, 98 (104); BVerfG v. 23.3.1971 – 2 BvL 17/69, BVerfGE 30, 409 (412); BVerfG v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BStBl. II 1977, 190; Nußberger in Sachs8, Art. 3 GG Rz. 69. 2 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.72; Schaumburg, DB 2005, 1129 (1134); Kumpf/Roth, StuW 1996, 259 (262 f.); a.A. die h.M. z.B. Schön, IStR 1995, 119 (123 f.); Knobbe-Keuk, EuZW 1995, 167 (168); Kaefer/Saß, DB 1995, 642 (648). 3 Zu EWR-Diskriminierungsverboten Rz. 4.41 ff. 4 Magiera in Streinz3, Art. 21 AEUV Rz. 16. 5 Magiera in Streinz3, Art. 21 AEUV Rz. 14; zu Einzelheiten Dautzenberg, BB 1993, 1563 (1565 f.); Richter, IStR 2003, 157 (159). 6 Vgl. hierzu die Freizügigkeitsrichtlinie RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. EU 2004 Nr. L 229, 35. 7 Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Art. 21 AEUV Rz. 24; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.28; ferner die Aufzählung bei Schnitger, Die Grenzen der Einwirkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages auf das Ertragsteuerrecht, 62 f. 8 Es wird auch der Begriff der „Inländerbehandlung“ verwendet; gemeint ist die Gleichbehandlung mit Inländern.

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C. EU-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.17 Kap. 4

Mit dieser vor allem die Mitgliedstaaten treffenden Verpflichtung korrespondiert das subjektive Recht jedes Unionsbürgers mit der Durchsetzung dieser Verpflichtung.1 Den entsprechenden Rechtsschutz gewährleisten die nationalen Gerichte, die nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen haben und ggf. zur Vorlage an den EuGH verpflichtet sind.2 Die Kehrseite des Gleichbehandlungsgebots sind die normativ verankerten allgemeinen und speziellen Diskriminierungsverbote, zu denen insbesondere die Grundfreiheiten gehören.3 Diese sind zum zentralen Orientierungspunkt in der Rechtsprechung des EuGH geworden, soweit es um die steuerliche Benachteiligung von EU-Steuerausländern geht. Da die Normen des deutschen Steuerrechts indessen nur ausnahmsweise an die Staatsangehörigkeit anknüpfen,4 stehen sog. versteckte Diskriminierungen5 im Vordergrund. Da hierdurch nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen betroffen sind, erstreckt sich der Schutzbereich der Grundfreiheiten, soweit es nicht um die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) geht, auch auf nach dem Recht eines Mitgliedstaats errichtete juristische Personen, insbesondere Kapitalgesellschaften und darüber hinaus auch auf nichtrechtsfähige Gesellschaften. Die Grundfreiheiten können auch von Staatsangehörigen der EWR-Staaten (Island, Liechtenstein, Norwegen) in Anspruch genommen werden. Dies beruht auf dem zwischen der EU und deren Mitgliedstaaten einerseits und den (früheren) EFTA-Vertragsparteien andererseits auf der Grundlage des Art. 310 EG-Vertrags6 abgeschlossenen und zum 1.1.1994 in Kraft getretenen Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen).7 Angehörige von Drittstaaten haben somit grundsätzlich keinen Zugang zu dem von den Grundfreiheiten ausgehenden Schutzbereich.8 Etwas anderes gilt allerdings für die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV), auf die sich ausnahmsweise auch Angehörige von Drittstaaten berufen können, soweit sie in der EU investieren.9 Die in Art. 26 Abs. 2 AEUV verankerten Grundfreiheiten sind vom EuGH über das eigentliche Diskriminierungsverbot im Sinne einer Inländergleichbehandlung hinaus zu einem Beschränkungsverbot dahingehend entwickelt worden,10 dass auch Inländer unter die Schutz-

1 Streinz in Streinz3, Art. 18 AEUV Rz. 10; Epiney in Calliess/Ruffert6, Art. 18 AEUV Rz. 41; Lenz in Lenz/Borchardt5, Art. 18 AEUV Rz. 1. 2 Zu Einzelheiten Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht2, Rz. 27.1 ff. 3 Die Grundfreiheiten gehen dem in Art. 18 AEUV verankerten allgemeinen Diskriminierungsverbot vor; vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.27. 4 Z.B. § 2 Abs. 1 AStG, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG. 5 Seit EuGH v. 16.2.1978 – C-61/77, ECLI:EU:C:1978:29, Slg. 1978, 417 f. – Seefischerei; vgl. zum Steuerrecht z.B. EuGH v. 14.2.1995 – C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31, Slg. 1995, I-249 – Schumacker; EuGH v. 27.6.1996 – C-107/94, ECLI:EU:C:1996:251, Slg. 1996, I-3113 – Asscher. 6 Heute Art. 217 AEUV. 7 ABl. EG 1994 Nr. L 1. 8 Das gilt auch für Staatsangehörige von Drittstaaten, die mit der EU Assoziierungsabkommen abgeschlossen haben; Besonderheiten gelten allerdings im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit; vgl. hierzu das Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz (ABl. 2002 Nr. L 144, 6; Rz. 4.46 ff.); hierzu EuGH v. 28.2.2013 – C-425/11, ECLI:EU:C:2013:121, IStR 2013, 353 – Ettwein. 9 Hierzu Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.99. 10 Nur beispielhaft: EuGH v. 12.12.2002 – C-385/00, ECLI:EU:C:2002:750, Slg. 2002, I-11838 = FR 2003, 141 m. Anm. Schnitger zur Arbeitnehmerfreizügigkeit – de Groot; EuGH v. 13.4.2000 – C251/98, ECLI:EU:C:2000:205, Slg. 2000, I-2850 zur Niederlassungsfreiheit – Baars; EuGH v. 6.6.2000 – C-35/98, ECLI:EU:C:2000:294, Slg. 2000, I-4113 = FR 2000, 720 m. Anm. Dautzenberg zur Kapitalverkehrsfreiheit – Verkooijen; zu dieser Entwicklung Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 104 ff.

Schaumburg | 91

4.17

Kap. 4 Rz. 4.17 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

wirkung der Grundfreiheiten fallen, soweit sie grenzüberschreitend oder im EU-Ausland tätig sind.1

2. Schranken 4.18

Die im AEUV verankerten Grundfreiheiten sind dahingehend eingeschränkt, dass unter bestimmten Voraussetzungen Eingriffe seitens der Mitgliedstaaten in die Grundfreiheiten gerechtfertigt sein können.2 Neben den im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten ausdrücklich normierten (geschriebenen) Rechtfertigungsgründen3 sind die vom EuGH in seiner langjährigen Rechtsprechung4 entwickelten ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe von besonderer Bedeutung. Das gilt vor allem für den Bereich des Steuerrechts.5 Diese „ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe“ sind „zwingende Erfordernisse“, also solche aus „zwingenden Gründen des Allgemeinwohls“,6 die allerdings nur bei versteckten Diskriminierungen und bei Verstößen gegen das Beschränkungsverbot zur Anwendung kommen.7 Die hiermit verbundenen Schranken müssen ihrerseits stets dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, also zur Erreichung des jeweiligen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen8 sein.9 Zu den Schranken-Schranken, also gegen Rechtfertigungsgründe selbst gerichtete Schranken, zählen schließlich die unionalen Grundrechte.10

4.19

Ob ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten gegeben ist, prüft der EuGH in der Regel auf unterschiedlichen Ebenen, und zwar auf der Tatbestandsebene und der Rechtfertigungsebene, wobei die Wahrung der Verhältnismäßigkeit zumeist als ausgekoppelter abschließender Prüfungsschritt erfolgt.11 Auf der Tatbestandsebene geht es darum, ob die betreffenden Normen gegen das Diskriminierungsverbot oder gegen das Beschränkungsverbot verstoßen. Wenn das der Fall ist, wird auf der Rechtfertigungsebene geprüft, ob dieser Verstoß gerechtfertigt ist oder nicht. Im Wesentlichen wird im Bereich des Steuerrechts eine etwaige Rechtfertigung wie folgt geprüft:12 1. Legitime Rechtfertigungsgründe, die sowohl geschriebene als auch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe umfassen; 2. Verhältnismäßigkeit in dem Sinne, dass die beschränkende Steuernorm im Hinblick auf das zu erreichende Ziel geeignet ist und nicht

1 Hierzu der Überblick bei Kokott in Lehner, Grundfreiheiten im Steuerrecht der EU-Staaten, 1 ff.; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 288 ff. 2 Vgl. nur Pache in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 10 Rz. 52 ff. 3 Art. 36, 45 Abs. 3, 52, Art. 62 i.V.m. Art. 52, 64 Abs. 1, Art. 65 Abs. 1 AEUV; vgl. hierzu die Übersicht bei Pache in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 10 Rz. 53. 4 Seit EuGH v. 20.2.1979 – C-120/78, ECLI:EU:C:1979:42, Slg. 1979, 649 – Rewe-Zentral AG. 5 Zu Einzelheiten Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.199 ff. 6 EuGH v. 20.2.1979 – C-120/78, ECLI:EU:C:1979:42, Slg. 1979, 649 Rz. 8 – Rewe-Zentral AG. 7 Vgl. Wernsmann in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 30 Rz. 113; Ehlers in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiten4, § 7 Rz. 118. 8 Die Angemessenheit wird vom EuGH zumeist nicht gesondert geprüft; vgl. Pache in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 10 Rz. 57. 9 Hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht,2 Rz. 7.205 f.; Wernsmann in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 30 Rz. 120. 10 Pache in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 10 Rz. 58; zu Einzelheiten Kofler, DStJG 41 (2018), 125 (154 ff.). 11 Hierzu Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.50 ff. 12 Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.199 ff.

92 | Schaumburg

C. EU-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.19 Kap. 4

über das hierfür erforderliche Ziel hinausgeht und 3. zudem folgerichtig ausgestaltet ist. In Orientierung an die spezifischen Erfordernisse des Steuerrechts hat sich ein eigenständiges Rechtfertigungskonzept entwickelt, das sich in einen Negativ- und in einen Positiv-Katalog1 aufteilen lässt.2 Zunächst zum Positiv-Katalog:3 – angemessene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten;4 – Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung/-missbrauch, wobei missbräuchliche Gestaltungen nur solche sind, die rein künstlich sind und jeder wirtschaftlichen Realität entbehren und nur dem Zweck dienen, Steuern zu sparen;5 – steuerliche Kontrolle im Sinne der Sicherstellung der nationalen Besteuerung;6 – Verhinderung steuermindernder Doppelentlastungen;7

1 Hierzu Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 931 ff. 2 Zu Einzelheiten Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.208 ff.; Thömmes in Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, 795 (818 ff.); Reimer in Lehner, Grundfreiheiten im Steuerrecht der EU-Staaten, 39 (59 ff.); Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 926 ff. 3 Hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.223 ff.; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 926 ff. 4 Z.B. EuGH v. 12.5.1998 – C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221, Slg. 1998, I-2823 ff. – Gilly; EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763, Slg. 2005, I-10866 ff. – Marks & Spencer; EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995 ff. – Cadbury Schweppes; EuGH v. 29.3.2007 – C-347/04, ECLI:EU:C:2007:194, Slg. 2007, I-2647 – Rewe Zentralfinanz; EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278, Slg. 2008, I-3601 Rz. 30 ff. – Lidl Belgium; EuGH v. 18.7.2007 – C-231/05, ECLI:EU:C:2007:439, Slg. 2007, I-6373 Rz. 56 – Oy AA; in den vorgenannten Fällen zunächst zusammen mit dem Rechtfertigungsgrund „Verhinderung von Steuerumgehung“; aber auch isoliert etwa EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08, ECLI:EU:C:2010:89, Slg. 2010, I-1215 Rz. 28 – X-Holding; EuGH v. 10.2.2011 – C-436/08, ECLI:EU:C:2011:61, Slg. 2011, I-305 Rz. 121 – Haribo; EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 Rz. 46 = ISR 2014, 98 ff. m. Anm. Zwirner – DMC; zu dieser unklaren Rechtsprechungslinie Mitschke, IStR 2013, 37 ff. (40); Musil/Schulz, DStR 2013, 2205 ff. (2210); vgl. auch die Analyse der Rspr. bei Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.224. 5 Z.B. EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138, Slg. 2004, I-2431 ff. – Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763, Slg. 2005, I-10866 ff. – Marks & Spencer; EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995 ff. – Cadbury Schweppes; EuGH v. 29.3.2007 – C-347/04, ECLI:EU:C:2007:194, Slg. 2007, I-2647 – Rewe Zentralfinanz; EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26, Slg. 2010, I-487 Rz. 65 – SGI; EuGH v. 28.10.2010 – C-72/09, ECLI:EU:C:2010:645, Slg. 2010, I-10659 Rz. 33 – Rimbaud; EuGH v. 6.6.2013 – C-383/10, ECLI:EU:C:2013:364, ABl.EU 2013, Nr. C 225, 2, Rz. 51 – KOM ./. Belgien: hierzu ausführlich Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.248 ff. 6 EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95, ECLI:EU:C:1997:239, Slg. 1997, I-2492 ff. – Futura Singer; EuGH v. 14.9.2006 – C-386/04, ECLI:EU:C:2006:568, Slg. 2006, I-8203 ff. – Stauffer; hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.289 ff. 7 EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763, Slg. 2005, I-10866 ff. – Marks & Spencer; EuGH v. 29.3.2007 – C-347/04, ECLI:EU:C:2007:194, Slg. 2007, I-2647 – Rewe Zentralfinanz; EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278, Slg. 2008, I-3601 – Lidl Belgium; hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.269 ff.

Schaumburg | 93

Kap. 4 Rz. 4.19 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

– Kohärenz1 des Steuersystems.2 Zu den nicht anerkannten Rechtfertigungsgründen gehören (Negativ-Katalog):3 – fehlende Harmonisierung;4 – Steuermindereinnahmen;5 – Erschwernisse bei der Sachaufklärung6 und beim Steuervollzug;7 – Vorteilsausgleich, wonach ein in einem Mitgliedstaat gewährter Steuervorteil dem anderen Mitgliedstaat nicht das Recht zu einer Höherbesteuerung gibt;8 – Nachteilsausgleich, wonach Nachteile für Gebietsfremde im selben Mitgliedstaat Vorteilen gegenüberstehen;9 – Wirtschaftsförderung.10

4.20

Schließlich ist die europarechtliche Prüfung darauf gerichtet, ob die Regelung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Diese Prüfung setzt dann ein, wenn die betreffende Regelung, die zu einer Einschränkung der Grundfreiheiten führt, durch Verfolgung eines legitimen Zieles gerechtfertigt ist. Die betreffende Regelung muss zur Erreichung dieses Ziels überhaupt 1 Systematischer Zusammenhang verschiedener Regelungen, die in einer Wechselwirkung stehen, wobei zunächst auf ein und denselben Steuerpflichtigen abgestellt wurde (EuGH v. 13.4.2000 – C-251/98, ECLI:EU:C:2000:205, Slg. 2000, I-2787 ff. Rz. 40 – Baars); nunmehr aber personenübergreifende Betrachtung seit EuGH v. 7.9.2004 – C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484, Slg. 2004, I-7498 Rz. 42 ff. – Manninen; vgl. auch EuGH v. 7.11.2013 – C-322/11, ECLI:EU:C:2013:716, Rz. 66 = ISR 2013, 425 m. Anm. Müller – K; zu Einzelheiten Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.279 ff. 2 Z.B. EuGH v. 28.1.1992 – C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35, Slg. 1992, I-249 Rz. 21 ff. – Bachmann; EuGH v. 6.6.2000 – C-35/98, ECLI:EU:C:2000:294, Slg. 2000, I-4113 ff. – Verkooijen; EuGH v. 18.9.2003 – C-168/01, ECLI:EU:C:2003:479, Slg. 2003, I-9430 ff. – Bosal Holding; EuGH v. 7.9.2004 – C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484, Slg. 2004, I-7498 ff. – Manninen. 3 Hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.208 ff. 4 EuGH v. 28.1.1986 – C-270/83, ECLI:EU:C:1986:37, Slg. 1986, 285 – Avoir Fiscal; EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95, ECLI:EU:C:1997:239, Slg. 1997, I-2492 ff. – Futura Singer. 5 Z.B. EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438, Slg. 1999, I-6181 ff. – Saint-Gobain; EuGH v. 6.6.2000 – C-35/98, ECLI:EU:C:2000:294, Slg. 2000, I-4113 ff. – Verkooijen; EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995 ff. – Cadbury Schweppes; EuGH v. 15.7.2004 – C-315/02, ECLI:EU:C:2004:446, Slg. 2004, I-07063 Rz. 49 – Lenz; EuGH v. 16.10.2011 – C-10/10, ECLI:EU:C:2011:399, Rz. 40 – KOM ./. Österreich; Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.209. 6 EuGH v. 28.1.1992 – C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35, Slg. 1992, I-249 ff. – Bachmann. 7 EuGH v. 15.7.2004 – C-315/02, ECLI:EU:C:2004:446, Slg. 2004, I-07063, Rz. 48 – Lenz; EuGH v. 1.7.2000 – C-233/09, ECLI:EU:C:2010:397, Slg 2010, I-6649, Rz. 60 – Dijkmann. 8 EuGH v. 26.10.1999 – C-294/97, ECLI:EU:C:1999:524, Slg. 1999, I-7463 ff. – Eurowings; EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995 ff. – Cadbury-Schweppes; EuGH v. 29.3.2007 – C-347/04, ECLI:EU:C:2007:194, Slg. 2007, I-2647 – Rewe Zentralfinanz; vgl. hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.275 ff. 9 EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438, Slg. 1999, I-6181 Rz. 50 ff. – Saint Gobain; EuGH v. 6.6.2000 – C-35/98, ECLI:EU:C:2000:294, Slg. 2000, I-4113 Rz. 61 – Verkooijen; EuGH v. 15.7.2004 – C-315/02, ECLI:EU:C:2004:446, Slg. 2004, I-07063 Rz. 43 – Lenz. 10 EuGH v. 6.6.2000 – C-35/98, ECLI:EU:C:2000:294, Slg. 2000, I-4113 ff. – Verkooijen; EuGH v. 12.6.2003 – C-234/01, ECLI:EU:C:2003:340, Slg. 2003, I-5945 ff. – Gerritse; hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.213 ff.

94 | Schaumburg

C. EU-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.22 Kap. 4

geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist, so dass stets nur das mildeste Mittel eingesetzt werden darf.1

3. Die einzelnen Grundfreiheiten a) Warenverkehrsfreiheit Die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. AEUV) bildet den Kern des Binnenmarktes, dessen Funktionsfähigkeit im Wesentlichen darauf beruht, dass Ein- und Ausfuhrzölle oder Abgaben gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten sind (Art. 30 AEUV).2 Zu den Abgaben mit zollgleicher Wirkung gehören einseitige staatliche Abgaben, die auf eine Ware aus Anlass eines Grenzübertritts erhoben werden, so z.B. Gebühren für bestimmte Genehmigungen oder Untersuchungen anlässlich des Grenzübertritts.3 Inländische Abgaben steuerlicher Art, die auch grenzüberschreitende Belastungswirkungen erzeugen, fallen im Grundsatz nicht unter den Anwendungsbereich der Art. 28 ff. AEUV, sondern werden allenfalls von Art. 110 AEUV erfasst4 mit der Folge, dass sie nicht das absolute Erhebungsverbot, sondern nur das im Art. 110 AEUV verankerte Diskriminierungsverbot trifft.5 Soweit es sich freilich um eine Steuer handelt, die gezielt auf die Belastung von aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Waren abzielt, es sich also um eine Umgehung des Verbots von Einfuhrzöllen (Art. 30 AEUV) handelt, greifen die Art. 28 ff. AEUV ein.6 Die Warenverkehrsfreiheit entfaltet somit für den Bereich der direkten und indirekten Steuern keine besonderen Schutzwirkungen.

4.21

Die Art. 28 ff. AEUV werden indessen durch Art. 110 f. AEUV ergänzt. Hier sind folgende Diskriminierungsverbote geregelt: Gemäß Art. 110 Abs. 1 AEUV dürfen Mitgliedstaaten auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art erheben als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben.7 Zu den vorgenannten Abgaben zählen neben indirekten Steuern8 auch

4.22

1 EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95, ECLI:EU:C:1997:239, Slg. 1997, I-2471 – Futura/Singer; EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138, Slg. 2004, I-2409 – Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763, Slg. 2005, I-10866 – Marks & Spencer; hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.229 ff. 2 Zu Einzelheiten Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 6.1 ff. 3 Vgl. die Übersicht zur EuGH-Rspr. bei Herrmann in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 30 AEUV Rz. 12, 17. 4 Exklusivitätsverhältnis: EuGH v. 18.6.1975 – C-94/74, ECLI:EU:C:1975:81, Slg. 1975, 699 Rz. 10, 13 – IGAV; EuGH v. 15.6.2006 – C-393/04 u. C-41/05, ECLI:EU:C:2006:403, Slg. 2006, I-5293 Rz. 50 – Air Liquide; Schön, EuR 2001, 216 (219). 5 EuGH v. 8.7.1965 – C-10/65, ECLI:EU:C:1965:75, Slg. 1965, 642 – von Fonzi; EuGH v. 28.1.1981 – C-32/80, ECLI:EU:C:1981:20, Slg. 1981, 251 Rz. 14 – Kortmann; EuGH v. 15.6.2006 – C-393/04 u. C-41/05, ECLI:EU:C:2006:403, Slg. 2006, I-5293 Rz. 56 – Air Liquide; Kamann in Streinz3, Art. 110 AEUV Rz. 18. 6 EuGH v. 22.4.1999 – C-109/98, ECLI:EU:C:1999:199, Slg. 1999, I-2237 – CRT France International; vgl. hierzu Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.63 f.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, 691 f.; Balke, Steuerliche Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten und freier Warenverkehr im Europäischen Binnenmarkt, 153 ff. 7 Zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen im Überblick mit Nachweisen aus der EuGH-Rechtsprechung Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 35 Rz. 30 ff. 8 EuGH v. 2.4.1998 – C-213/96, ECLI:EU:C:1998:155, Slg. 1998, I-1777 ff. – Outokumpu Oy (Verbrauchsteuer auf eingeführte Elektrizität); EuGH v. 20.9.2007 – C-74/06, ECLI:EU:C:2007:534, Slg. 2007, I-7585 – KOM ./. Griechenland (Besteuerung eingeführter Gebrauchtwagen); weitere Beispiele bei Kamann in Streinz3, Art. 110 AEUV Rz. 15.

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Kap. 4 Rz. 4.22 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

produktbezogene Beiträge und Gebühren.1 Art. 110 Abs. 2 AEUV untersagt den Mitgliedstaaten, auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten Abgaben zu erheben, die geeignet sind, andere Produktionen mittelbar zu schützen (Protektionsverbot).2 Obwohl sich der Wortlaut des Art. 110 AEUV nur auf die Einfuhr von Waren bezieht, hat der EuGH das Diskriminierungsverbot auch auf Ausfuhren in andere Mitgliedstaaten ausgedehnt, um so eine vollkommene Wettbewerbsneutralität zu gewährleisten.3 Art. 111 AEUV verbietet schließlich, dass bei der Ausfuhr in einem Mitgliedstaat die Rückvergütung für inländische Abgaben, zu denen auch direkte und indirekte Steuern gehören, höher ist als die auf die ausgeführten Waren mittelbar oder unmittelbar erhobenen inländischen Abgaben.4 b) Arbeitnehmerfreizügigkeit

4.23

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. AEUV) gehört zusammen mit der Niederlassungsfreiheit für Selbständige (Art. 49 ff. AEUV) zu den personenbezogenen Grundfreiheiten, die die Freiheit des Personenverkehrs innerhalb der Union gewährleisten sollen.5 Kern der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist das in Art. 45 Abs. 2 AEUV verankerte Gebot der Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit hat auf Grundlage der in Art. 40 EGV6 eingeräumten Ermächtigung ihre sekundärrechtliche Konkretisierung durch verschiedene Rechtsverordnungen erfahren. Hierzu gehören insbesondere die beiden Freizügigkeitsverordnungen,7 die die Einzelheiten über das Reise- und Aufenthaltsrecht der Unionsbürger regeln,8 sowie die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen.9 Unter den Schutzbereich des Art. 45 AEUV fallen zwar im Grundsatz nur Unionsbürger und Staatsbürger der EWR-Staaten sowie deren Familienangehörige,10 soweit sie in EU-/EWR-Staaten ansässig sind, auf Grund verschiedener völkerrechtlicher Verträge werden unter bestimmten Voraussetzungen aber auch Drittstaatenangehörige und in Drittstaaten ansässige EU-/EWR-Staatsangehörige einbezogen. Hierzu gehört etwa das zwischen der EU und der Schweiz abgeschlossene Freizügigkeitsabkommen (Rz. 4.46 ff.).11 1 EuGH v. 22.3.1977 – C-78/76, ECLI:EU:C:1977:52, Slg. 1977, 595 – Absatzfonds; EuGH v. 25.1.1977 – C-46/76, ECLI:EU:C:1977:6, Slg. 1977, 5 – Bauhuis/Niederlande. 2 Zu Einzelheiten mit Nachweisen aus der EuGH-Rechtsprechung Kamann in Streinz3, Art. 110 AEUV Rz. 26 ff. 3 EuGH v. 27.2.1980 – C-168/78, ECLI:EU:C:1980:51, Slg. 1980, 347 (359) – KOM ./. Frankreich; EuGH v. 29.6.1978 – C-142/78, ECLI:EU:C:1979:233, Slg. 1978, 1543 Rz. 21, 27 – Statens Kontrol; EuGH v. 22.5.2003 – C-355/00, ECLI:EU:C:2003:298, Slg. 2003, I-5263 Rz. 45 – Freskot. 4 Einzelheiten bei Kamann in Streinz3, Art. 111 AEUV Rz. 1 ff. 5 Zu Einzelheiten Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.66 ff. 6 Heute Art. 46 AEUV. 7 VO 1612/68 v. 15.10.1968, ABl. EG 1968 Nr. L 257, 2 und VO 883/2004 v. 29.4.2004, ABl. EG 2004 Nr. L 166, 1. 8 Hierzu Pache in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 10 Rz. 124 ff. 9 ABl. EU 2005 Nr. L 255, 22; hierzu Pache in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht3, § 10 Rz. 128. 10 UnionsbürgerRL v. 29.4.2004, RL 2004/38, ABl. EU 2004 Nr. L 158, 77. 11 ABl. EG 2002 Nr. L 114, 6 = BGBl. II 2001, 810; vgl. hierzu EuGH v. 28.2.2013 – C-425/11, ECLI: EU:C:2013:121, BStBl. II 2013, 896 – Ettwein, wonach auch in der Schweiz ansässige Unionsbürger und EWR-Staatsangehörige § 1a EStG beanspruchen können; vgl. zur Umsetzung BMF v. 16.9.2013 – IV C 3-S 1325/11/10014 – DOK2013/0855952, BStBl. I 2013, 1325; vgl. ferner EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138, DStR 2019, 425 – Wächtler, zur Wegzugsbesteuerung.

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C. EU-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.25 Kap. 4

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist in besonderer Weise durch steuerliche Regelungen dann betroffen, wenn beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer im Vergleich zu unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern benachteiligt werden (Diskriminierungsverbot).1 Das Beschränkungsverbot ist demgegenüber tangiert, soweit die in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit im Wohnsitzstaat zu steuerlichen Nachteilen führen.2

4.24

c) Niederlassungsfreiheit Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) betrifft die Freizügigkeit selbständiger Unternehmer und gehört somit zum Kernbereich der personenbezogenen Grundfreiheiten.3 Sie ist für das Unternehmensteuerrecht diejenige Grundfreiheit, an der sich europaweit die entsprechende Normenwelt zu orientieren hat. Von der Reichweite der Niederlassungsfreiheit werden natürliche Personen erfasst, soweit diese Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind (Art. 49 Abs. 1 AEUV). Im Falle der sog. primären Niederlassung (Art. 49 Abs. 1 Satz 1 AEUV) ist hierbei ohne Bedeutung, ob die Unionsbürger ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innerhalb oder außerhalb der EU haben. Für den Fall der sekundären Niederlassung, etwa bei Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften (Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV), ist demgegenüber die Ansässigkeit in einem der Mitgliedstaaten erforderlich.4 Geschützt werden ferner rechtsfähige und nichtrechtsfähige Gesellschaften, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet worden sind und entweder ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der EU haben (Art. 54 Abs. 1 AEUV), ohne dass es darauf ankommt, ob die Gesellschafter eine EU-Staatsangehörigkeit aufweisen.5 Damit können im Ergebnis auch Drittstaatenangehörige mittelbar die Schutzwirkung der Niederlassungsfreiheit in Anspruch nehmen. Drittstaatenangehörige werden schließlich von den Schutzwirkungen der Niederlassungsfreiheit auch in den Fällen erfasst, in denen sie etwa als Familienangehörige von Unionsbürgern in einen Mitgliedstaat einreisen und sich dort aufhalten (Recht auf Einreise und Aufenthalt).6

1 Aus der Rechtsprechung des EuGH: EuGH v. 28.1.1992 – C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35, Slg. 1992, I-276 – Bachmann; EuGH v. 14.2.1995 – C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31, Slg. 1995, I-249 = FR 1995, 224 m. Anm. Waterkamp-Faupel – Schumacker; EuGH v. 27.6.1996 – C-107/94, ECLI:EU:C:1996: 251, Slg. 1996, I-3113 = FR 1996, 666 m. Anm. Waterkamp-Faupel – Asscher; EuGH v. 12.5.1998 – C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221, Slg. 1998, I-2823 = FR 1998, 847 m. Anm. Dautzenberg – Gilly; EuGH v. 14.9.1999 – C-391/97, ECLI:EU:C:1999:049, Slg. 1999, I-5478 = FR 1999, 1076 m. Anm. Stapperfend – Gschwind; EuGH v. 1.7.2004 – C-169/03, ECLI:EU:C:2004:403, Slg. 2004, I-6458 – Wallentin; EuGH v. 21.2.2006 – C-152/03, ECLI:EU:C:2006:123, Slg. 2006, I-1737 – Ritter Coulais; vgl. hierzu auch die Analyse der vorgenannten Urteile bei Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 480 ff. 2 Aus der Rechtsprechung des EuGH: EuGH v. 8.5.1990 – C-175/88, ECLI:EU:C:1990:186, Slg. 1990, I-1789 – Biehl; EuGH v. 12.12.2002 – C-385/00, ECLI:EU:C:2002:750, Slg. 2002, I-11838 = FR 2003, 141 m. Anm. Schnitger – de Groot; vgl. hierzu auch die Analyse der Rspr. bei Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 422 ff. 3 Vgl. hierzu Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.71 ff. 4 Zu Einzelheiten Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 49 AEUV Rz. 11, 56 ff. 5 EuGH v. 25.7.1991 – C-221/89, ECLI:EU:C:1991:320, Slg. 1991, I-3905 – Factortame; Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 49 AEUV Rz. 16. 6 EuGH v. 7.7.1992 – C-370/90, ECLI:EU:C:1992:296, Slg. 1992, I-4265 – Singh; ein umfassender Schutz gewährleistet die sog. UnionsbürgerRL v. 29.4.2004, RL 2004/38, ABl. EU 2004 Nr. L 158, 77.

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4.25

Kap. 4 Rz. 4.26 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

4.26

Die Niederlassungsfreiheit umfasst insbesondere die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates (Art. 49 Abs. 2 AEUV). Damit ist der Schutzbereich sehr weit gezogen, so dass im Ergebnis jedwede unternehmerische Tätigkeit, gleich in welcher Rechtsform, erfasst wird.1

4.27

Wie die übrigen Grundfreiheiten erfährt die Niederlassungsfreiheit ihre spezifische Ausprägung im Diskriminierungsverbot und Beschränkungsverbot.

4.28

Im Steuerrecht2 verstoßen gegen das Diskriminierungsverbot vor allem jene Normen, die den Zuzug von Unternehmen3 direkt oder indirekt erschweren sowie im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht im Vergleich zur unbeschränkten Steuerpflicht eine steuerliche Höherbelastung vorsehen. Angesprochen ist insbesondere eine steuerliche Benachteiligung von Unionsbürgern und EU-Kapitalgesellschaften mit Betriebsstätteneinkünften im EU-Ausland.4 Entsprechendes gilt für Tochtergesellschaften, die der beschränkten Steuerpflicht unterliegen.5 Schließlich ist auch eine Benachteiligung in den Fällen untersagt, in denen im betreffenden EU-Staat weder eine Betriebsstätte noch eine Tochtergesellschaft unterhalten wird.6

4.29

Ein Verstoß gegen das Beschränkungsverbot ist stets dann gegeben, wenn die Tätigkeit in einem anderen EU-Staat insbesondere durch steuerliche Vorschriften behindert oder weniger attraktiv wird und hierdurch eine Erschwerung des Marktzugangs die Folge ist. Im Vorder-

1 Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 49 AEUV Rz. 16 ff. m.w.N. insbesondere aus der Rspr. des EuGH. 2 Vgl. die Checkliste potentiell EU-rechtswidriger Normen des deutschen direkten Steuerrechts bei Kessler/Spengel, DB 2021, Beilage Nr. 1 zu Heft 5. 3 Aus der Rechtsprechung: EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Slg. 1999, I-1459 = FR 1999, 449 m. Anm. Dautzenberg – Centros; EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002: 632, Slg. 2002, I-9919 – Überseering; EuGH v. 30.1.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, Slg. 2003, I-10155 = GmbHR 2003, 1260 m. Anm. Meilicke (Gründungstheorie statt Sitztheorie) – Inspire Art. 4 Aus der Rechtsprechung: EuGH v. 28.1.1986 – C-270/83, ECLI:EU:C:1986:37, Slg. 1986, 285 – Avoir Fiscal (keine Körperschaftsteuer-Anrechnung für inländische Betriebstätten ausländischer Kapitalgesellschaften); EuGH v. 13.7.1993 – C-330/91, ECLI:EU:C:1993:303, Slg. 1993, I-4038 – Commerzbank (Steuerzuschläge nur bei inländischen Betriebstätten ausländischer Kapitalgesellschaften); EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95, ECLI:EU:C:1997:239, Slg. 1997, I-2492 = FR 1997, 567 m. Anm. Dautzenberg (Erfordernis einer im Inland geführten Buchführung) – Futura/Singer; EuGH v. 29.4.1999 – C-311/97, ECLI:EU:C:1999:216, Slg. 1999, I-2651 = FR 1999, 822 m. Anm. Dautzenberg (höherer Steuertarif bei beschränkter Steuerpflicht) – Royal Bank of Scotland; EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438, Slg. 1999, I-6181 (kein Schachtelprivileg für ausländische Gesellschaften mit inländischen Betriebstätten) – Saint-Gobain; EuGH v. 23.2.2006 – C-253/03, ECLI: EU:C:2006:129, Slg. 2006, I-1861 (höherer Steuertarif bei beschränkter Steuerpflicht) – CLT-UFA; vgl zu praktischen Anwendungsfällen ferner Musil in Musil/Weber-Grellet, Europäischen Steuerrecht, Art. 49 AEUV Rz. 135 ff. 5 Aus der Rechtsprechung EuGH v. 12.12.2002 – C-324/00, ECLI:EU:C:2002:749, Slg. 2002, I-11802 (Unterkapitalisierungsregelung nur für beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner) – Langhorst-Hohorst; EuGH v. 13.3.2007 – C-524/04, ECLI:EU:C:2007:161, Slg. 2007, I-2107 (Unterkapitalisierungsregeln nur bei beschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern) – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation. 6 EuGH v. 12.4.1994 – C-1/93, ECLI:EU:C:1994:127, Slg. 1994, I-1151 (Grunderwerbsteuer) – Halliburton; EuGH v. 14.9.2006 – C-386/04, ECLI:EU:C:2006:568, Slg. 2006, I-8203 (keine Steuerbefreiung für ausländische gemeinnützige Rechtsträger) – Stauffer.

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C. EU-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.29 Kap. 4

grund steht hierbei der grenzüberschreitende Wegzug von Kapital- und Personengesellschaften oder aber von maßgeblich beteiligten Gesellschaftern.1 Die Niederlassungsfreiheit hat freilich besondere Bedeutung für die grenzüberschreitende Konzernbesteuerung, und zwar im Zusammenhang mit der Besteuerung von Dividenden aus dem EU-Ausland,2 der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung3 und Umstrukturierung,4 der Gruppenbesteuerung,5 der Hinzurechnungsbesteuerung6 und der Konzernverrechnungspreise.7

1 Aus der Rechtsprechung: EuGH v. 27.9.1988 – C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456, Slg. 1988, I-5505 (wegzugsbedingte Liquidationsbesteuerung) – Daily Mail; EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU: C:2004:138, Slg. 2004, I-2431 = GmbHR 2004, 504 m. Anm. Meilicke (Wegzugsbesteuerung auf Gesellschafterebene)– Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 7.9.2006 – C-470/04, ECLI:EU:C: 2006:525, EuGH 2006, I-7409 (Wegzugsbesteuerung auf Gesellschafterebene) – N; EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, NJW 2009, 569 (Liquidationsbesteuerung bei formwahrendem Wegzug) – Cartesio; EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 = EWS 2012, 375 (Liquidationsbesteuerung bei formwechselndem Wegzug) – VALE; EuGH v. 29.11.2011 – C371/10, ECLI:EU:C:2011:785, EWS 2012, 38 = FR 2012, 25 m. Anm. Musil – National Grid Indus; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521 = ISR 2012, 60 m. Anm. Müller – KOM ./. Portugal; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264 = ISR 2013, 225 m. Anm. Müller (Wegzugsbesteuerung auf Gesellschaftsebene) – KOM ./. Spanien. 2 EuGH v. 8.3.2001 – C-397/98 und C-410/98, ECLI:EU:C:2001:134, Slg. 2001, I-1760 (Körperschaftsteuervorauszahlung nur bei ausländischen Dividenden) – Metallgesellschaft/Hoechst; EuGH v. 18.9.2003 – C-168/01, ECLI:EU:C:2003:479, Slg. 2003, I-9430 (keine Berücksichtigung von Finanzierungsaufwendungen im Zusammenhang mit ausländischen Dividenden) – Bosal Holding; EuGH v. 12.12.2006 – C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774, Slg. 2006, I-1173 (Steuerpflicht nur von Auslandsdividenden) – Test Claimants in the FI Group Litigation; EuGH v. 23.2.2006 – C-471/04, ECLI:EU:C:2006:143, Slg. 2006, I-2107= GmbHR 2006, 435 m. Anm. Roser (keine Finanzierungskosten bei ausländischen Dividenden) – Keller Holding. 3 Aus der Rechtsprechung: EuGH v. 16.7.1998 – C-265/96, Slg. 1998, I-4711 (keine Verlustverrechnung bei ausländischen Betriebsstätten) – ICI; EuGH v. 14.12.2000 – C-141/99, ECLI:EU:C:2000: 696, Slg. 2000, I-11632 (keine Verlustverrechnung bei ausländischen Betriebsstätten) – AMID; EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763, Slg. 2005, I-10866 (kein grenzüberschreitender Verlustausgleich) – Marks & Spencer; EuGH v. 28.3.2007 – C-347/04, ECLI:EU:C:2007:194, Slg. 2007, I-2647 = GmbHR 2007, 494 m. Anm. Rehm/Nagler (keine verlustberücksichtigende Teilwertabschreibung) – REWE-Zentralfinanz; EuGH v. 21.2.2013 – C-123/11, ECLI:EU:C:2013:84, IStR 2013, 239 – A Oy; EuGH v. 7.11.2013 – C-322/11, ECLI:EU:C:2013:716, IStR 2013, 913 – K; EuGH v. 17.7.2014 – C-48/19, ECLI:EU:C:2020:169, RIW 2014, 617 (Berücksichtigung finaler Verluste nur unter engen Voraussetzungen) – Nordea,; EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C: 2015:829 – BStBl. II 2016, 362 (keine Berücksichtigung finaler Verluste) – Timac Agro; EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424, IStR 2019, 502 (Berücksichtigung finaler Verluste unter engen Voraussetzungen) – Bevola; vgl. zuletzt (erneuter) Vorlagebeschluss des BFH v. 6.11.2019 – I R 32/18, BFH/NV 2021, 150. 4 Aus der Rechtsprechung EuGH v. 21.11.2002 – C-436/00, ECLI:EU:C:2002:704, Slg. 2002, I-10847= FR 2003, 84 m. Anm. Schnitger (keine steuerneutrale Umstrukturierung bei ausländischen Beteiligungen) – X & Y. 5 Aus der Rechtsprechung: EuGH v. 18.11.1999 – C-200/98, ECLI:EU:C:1999:566, FR 2000, 62, Slg. 1999, I-8276 (keine Einschränkung der Gruppenbesteuerung im Falle ausländischer Beteiligungen) – XAB und YAB. 6 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995 = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert = FR 2006, 987 m. Anm. Lieber – Cadbury Schweppes; EuGH v. 23.4.2008 – C-201/ 05, ECLI:EU:C:2008:239 – CFC and Dividend Group Litigation. 7 EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 – SGI; EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI: EU:C:2018:366 – Hornbach-Baumarkt.

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Kap. 4 Rz. 4.30 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

d) Dienstleistungsfreiheit

4.30

Die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) ist darauf gerichtet, den ungehinderten Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten.1 Geschützt ist lediglich der grenzüberschreitende Dienstleistungsverkehr, so dass Empfänger und Erbringer der Dienstleistung in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sein müssen. Erfasst werden insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten, darüber hinaus aber auch die Tätigkeiten des Reise- und Baugewerbes ebenso wie die Vermietung und das Leasing, der Gesamtbereich der Finanzdienstleistungen, Börsengeschäfte, Beratungs-, Vermittlungs- und Werbetätigkeiten.2 In Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) werden nur solche Leistungen erfasst, die seitens des Auftragnehmers selbständig gegen Entgelt erbracht werden.3

4.31

Geschützt wird die aktive und passive Dienstleistungsfreiheit. Die aktive Dienstleistungsfreiheit betrifft den Fall, dass die Dienstleistungen, die im Land des Empfängers erbracht werden, etwa die Durchführung von Bauprojekten und freiberuflichen Leistungen vor Ort,4 wobei durch Art. 57 Abs. 3 AEUV auch ein vorübergehendes Aufenthalts- und Tätigkeitsrecht als Begleitrecht gewährleistet wird. Die passive Dienstleistungsfreiheit betrifft den Fall, dass der Dienstleistungsempfänger die Dienstleistung in dem anderen Mitgliedstaat, in dem der Erbringer der Dienstleistung ansässig ist, in Anspruch nimmt, also beispielsweise die Leistungen der Hotels, Krankenhäuser und der Ärzte.5 Schließlich wird auch die sog. Korrespondenzdienstleistungsfreiheit geschützt, die gegeben ist, wenn sowohl der Dienstleistungsempfänger als auch der Dienstleistungserbringer in ihrem jeweiligen EU-Ansässigkeitsstaat verbleiben und nur die Dienstleistung grenzüberschreitend erbracht wird.6 Hierzu gehören insbesondere die Bank- und Versicherungsdienstleistungen sowie die Leistungen von Hörfunk und Fernsehen.7 Von den Schutzwirkungen der Dienstleistungsfreiheit werden auch Gesellschaften erfasst (Art. 56, 52 i.V.m. Art. 54 AEUV). Die Dienstleistungsfreiheit wird konkretisiert durch die Dienstleistungs-Richtlinie8 und durch die Entsende-Richtlinie.9

1 Zu Einzelheiten Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.82 ff. 2 So die Aufzählung von Ludwigs in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, E. 1 Rz. 154; vgl. auch die Übersicht aus der Rspr. des EuGH bei Randelshofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 56/57 AEUV Rz. 48. 3 Zur Abgrenzung Randelshofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 56/57 AEUV Rz. 40 u. Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 45 AEUV Rz. 69 ff. 4 Ludwigs in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, E. 1 Rz. 152. 5 Ludwigs in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, E. 1 Rz. 154. 6 Hierzu Randelshofer/Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 56/57 AEUV Rz. 54. 7 Classen in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 25 Rz. 10. 8 RL 206/123/EG v. 12.12.2006, ABl. EU 2006 Nr. L 376, 36. 9 RL 96/71 v. 16.12.1996, ABl. EG 1997 Nr. L 18, 1; Einzelheiten zu diesen beiden Richtlinien bei Classen in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 25 Rz. 23 ff.

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C. EU-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.34 Kap. 4

Die Dienstleistungsfreiheit schützt wie die übrigen Grundfreiheiten auch vor steuerlicher Benachteiligung, und zwar als Diskriminierungsverbot1 und als Beschränkungsverbot.2

4.32

e) Kapitalverkehrsfreiheit Die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV) gewährleistet den freien Kapital- und Zahlungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten.3 Diese somit nicht auf den EU-Bereich beschränkte Kapitalverkehrsfreiheit ist unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion.4 Dass die Kapitalverkehrsfreiheit auch im Verhältnis zu Drittstaaten Geltung hat, entspricht der Notwendigkeit, den Euro als eine internationale Handels-, Investitions- und Reservewährung über den eigentlichen Währungsraum weltweit zu implementieren und so auch eine weltweite Liberalisierung des Kapital- und Zahlungsverkehrs zu befördern.5 Es handelt sich somit eigentlich um eine internationale Kapitalverkehrsfreiheit, die alle Kapitalbewegungen zwischen den EUStaaten und dem Verhältnis zu Drittstaaten unabhängig von einer Staatsangehörigkeit der Begünstigten und der Herkunft der Mittel begünstigt.6 Dieses primärrechtliche Gebot, dass freilich wie bei den übrigen Grundfreiheiten nicht für den reinen innerstaatlichen Kapital- und Zahlungsverkehr gilt, ist unmittelbar verbindlich und kann somit von jeder Person mit Wohnsitz, Sitz oder Niederlassung in einem Mitgliedstaat oder Drittstaat in Anspruch genommen werden.7

4.33

Entsprechend der Zielsetzung ist der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit sehr weit gezogen,8 so dass auch gesellschafts- und steuerrechtliche Regelungen, durch die grenzüberschreitende Investitionen beeinträchtigt werden, betroffen sind. Diese weitgehenden Schutzwirkungen werden freilich dadurch eingeschränkt, dass die Kapitalverkehrsfreiheit gegenüber der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit zurücktritt, soweit sich die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit als zwangsläufige Folge der Beschränkung der vorgenannten Grundfrei-

4.34

1 Aus der Rechtsprechung: EuGH v. 28.1.1992 – C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35, EuGH 1992, I-276 (Steuerliche Abziehbarkeit nur von Beiträgen an inländische Versicherung) – Bachmann; EuGH v. 12.6.2003 – C-234/01, ECLI:EU:C:2003:340, Slg. 2003, I-5945 (kein Abzug von Betriebsausgaben bei beschränkter Steuerpflicht) – Gerritse; EuGH v. 3.10.2006 – C-290/04, ECLI:EU:C:2006:630, Slg. 2006, I-9461 (kein Betriebsausgabenabzug beim Steuerabzugsverfahren) – Scorpio; EuGH v. 15.2.2007 – C-345/04, ECLI:EU:C:2007:96, Slg. 2007, I-1425 (nur teilweise Berücksichtigung von Betriebsausgaben bei beschränkter Steuerpflicht) – Centro Equestre; vgl. ferner die Rechtsprechungsübersicht bei Cordewener, DStJG 41 (2018), 195 (217 ff.). 2 Z.B. EuGH v. 26.10.1999 – C-294/97, ECLI:EU:C:1999:524, Slg. 1999, I-7463 = FR 1999, 1327 m. Anm. Dautzenberg (gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Mieten an ausländische Leasinggeber) – Eurowings. 3 Vgl. Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.87 ff. 4 Hierzu Ress/Ukrow in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 63 AEUV Rz. 7 ff.; im Überblick Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 30 Rz. 1 ff. 5 EuGH v. 20.5.2008 – C-194/06, ECLI:EU:C:2008:289, Slg. 2008, I-3747 Rz. 7 – Orange European Smallcap Fund; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht8, § 30 Rz. 12. 6 Follak in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, F.II Rz. 5. 7 EuGH v. 14.12.1995 – C-163/94, ECLI:EU:C:1995:451, Slg. 1995, I-4821 – Sanz de Lera; EuGH v. 18.12.2007 – C-101/05, ECLI:EU:C:2007:804, Slg. 2007, I-11568 – A; EuGH v. 4.6.2009 – C-439/07 u. C-499/07, ECLI:EU:C:2009:339, IStR 2009, 494 – KBC Bank; Ress/Ukrow in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 63 AEUV Rz. 102; Follak in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, F.II Rz. 5. 8 EuGH v. 17.9.2009 – C-182/08, ECLI:EU:C:2009:559, Slg. 2009, I-8591 – Glaxo Welcome.

Schaumburg | 101

Kap. 4 Rz. 4.34 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

heiten darstellt.1 Im Bereich des Unternehmenssteuerrechts ist der Vorrang der Niederlassungsfreiheit im Hinblick auf Beteiligungsverhältnisse von besonderer Bedeutung. Hiernach greifen die Schutzwirkungen der Niederlassungsfreiheit ein, wenn die Beteiligung es ihrem Inhaber ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der betreffenden Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen. Demgegenüber sind sog. Portfolioinvestitionen, also solche, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, dem Regelungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit unterworfen.2 Maßgeblich hierfür ist die Zielsetzung der betreffenden Steuernorm,3 wobei (typisierend) bei einer Beteiligung von jedenfalls 10 %4 von einer unter die Schutzwirkungen der Kapitalverkehrsfreiheit fallenden Beteiligung auszugehen ist.5

4.35

Für die Kapitalverkehrsfreiheit ergibt sich eine Besonderheit dadurch, dass Art. 64 Abs. 1 AEUV im Ergebnis auf Drittstaaten bezogene Beschränkungen aus dem Anwendungsbereich ausnimmt, soweit diese Beschränkungen auf Grund einzelstaatlicher oder unionsrechtlicher Regelungen bereits zum 31.12.1993 bestanden und diese in der Folgezeit hinsichtlich ihrer Tragweite nicht ausgeweitet wurden.6 Von dieser Stand-Still-Klausel7 wird aber nur der Kapitalverkehr im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien,

1 EuGH v. 23.2.2006 – C-513/03, ECLI:EU:C:2006:131, Slg. 2006, I-1981 – van Hilten-van der Heijten; EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7959 = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert = FR 2006, 987 m. Anm. Lieber – Cadburry Schweppes; EuGH v. 3.10.2006 – C-452/04, ECLI:EU:C:2006:631, Slg. 2006, I-9521 – Fidium Finanz; EuGH v. 13.3.2007 – C-524/ 04, ECLI:EU:C:2007:161, Slg. 2007, I-2107 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation; EuGH v. 10.5.2007 – C-492/04, ECLI:EU:C:2007:273, Slg. 2007, I-3775 = FR 2007, 692 m. Anm. Prinz = GmbHR 2007, 773 m. Anm. Rehm/Nagler – Lasertec; vgl. auch Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.87 ff. 2 EuGH v. 17.9.2009 – C-182/08, ECLI:EU:C:2009:559, Slg. 2009, I-8591 Rz. 36 ff. – Glaxo Wellcome; EuGH v. 19.7.2012 – C-31/11, ECLI:EU:C:2012:481 = ISR 2012, 23 m. Anm. Steger = DStR 2012, 1508 Rz. 17 ff. – Scheunemann; EuGH v. 21.11.2001 – C-436/00, ECLI:EU:C:2002:704, Slg. 2002, I-10829 Rz. 66 ff. – X &Y; EuGH v. 12.12.2006 – C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774, Slg. 2006, I-11753 Rz. 37 f. – Test Claimants in the FII Group Litigation; eine andere Abgrenzung ergibt sich ggf. nach EuGH v. 3.10.2013 – C-282/12, ECLI:EU:C:2013:629 = ISR 2013, 376 m. Anm. Müller, m. Anm. Schwenke, ISR 2013, 380 – Itelcar. 3 Vgl. EuGH v. 13.11.2012 – C-35/11, ECLI:EU:C:2012:707, ISR 2013, 18 rz. 90 ff. m. Anm. Henze – Test Claimants in the FII Group Litigation II; EuGH v. 28.3.2013 – C-168/11, ECLI:EU:C:2013: 117, DStR 2013, 518 Rz. 23 ff. – Beker und Beker; EuGH v. 11.9.2014 – C-47/12, ECLI:EU:C:2014: 2200, ISR 2014, 337 Rz. 30 m. Anm. Spies – Kronos International; BFH v. 29.8.2012 – I R 7/12, BFH/NV 2013, 158 Rz. 11 = ISR 2013, 13 m. Anm. Quilitzsch; v. 12.10.2016 – I R 80/14, BFH/NV 2017, 636 Rz. 39 f. 4 Qualifizierte Mindestbeteiligungsquote gem. § 8b Abs. 4 KStG. 5 BFH v. 29.8.2012 – I R 7/12, BFH/NV 2013, 158 Rz. 11 = ISR 2013, 13 m. Anm. Quilitzsch; v. 6.3.2013 – I R 14/07, BFH/NV 2013, 1325 Rz. 14 = ISR 2013, 287 m. Anm. Quilitzsch; dagegen auf die Kapitalverkehrsfreiheit auch bei einer Beteiligung von ≥ 10 % auf den Einzelfall abstellend EuGH v. 11.9.2014 – C-47/12, ECLI:EU:C:2014:2200 = ISR 2014, 337 m. Anm. Spies – Kronos International; vgl. auch EuGH v. 3.10.2013 – C-282/12, ECLI:EU:C:2013:629 Rz. 22 = ISR 2013, 376 m. Anm. Müller, m. Anm. Schwenke, ISR 2013, 380 – Itelcar; BFH v. 24.7.-2018 – I R 75/16, BFH/ NV 2019, 241; auf < 25 % abstellend Schönfeld, IStR 2019, 397 (398). 6 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17, ECLI:EU:C:2019:136, RIW 2019, 2346 zu § 7 Abs. 6 AStG – X GmbH. 7 Hierzu Bannes/Holle, StuW 2017, 112 ff.

102 | Schaumburg

D. EWR-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.37 Kap. 4

mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten1 erfasst. In der Praxis der EuGH-Rechtsprechung hat die Kapitalverkehrsfreiheit für das Steuerrecht unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbotes2 und des Beschränkungsverbotes3 gleichermaßen Bedeutung.4

4.36

D. EWR-Diskriminierungsverbote Literatur: Achatz, Die steuerlichen Auswirkungen des EWR-Abkommens, SWI 1993, 23; Cordewener, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum; eine unerkannte Baustelle des deutschen Steuerrechts, FR 2005, 236; Cordewener, Seminar A: Der Einfluss von EU-Nichtdiskriminierungsregeln auf Nicht-EU-Staaten, IStR 2008, 536; Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatt, München; Dürrschmidt/Wobst, Anmerkung zu EFTA-Gerichtshof, Urt. v. 3.10.2012 – Rs. E15/11, Arcade Brilling, IStR 2013, 2024; Friedrich, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, DB 1994, 313; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020; Streit, Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, NJW 1994, 555; Tumpel, EWR-Diskriminierungsverbote und direkte Steuern, ecolex 1992, 583, 655; Weber, Der assoziationsrechtliche Status Drittstaatsangehöriger in der Europäischen Union, Frankfurt u.a. 1997.

Das zwischen der EG (EU) und deren Mitgliedstaaten einerseits und den damaligen EFTAVertragsparteien5 andererseits auf der Grundlage des Art. 310 EGV a.F. abgeschlossene und zum 1.1.1994 in Kraft getretene Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR),6 1 Hierzu EuGH v. 21.5.2015 – C-560/13, ECLI:EU:C:2015:347 – Wagner-Raith. 2 EuGH v. 5.7.2005 – C-376/03, ECLI:EU:C:2005:424, Slg. 2005, I-5852 (keine Vermögensteuerfreibeträge für Nichtansässige) – D.; EuGH v. 14.9.2006 – C-386/04, ECLI:EU:C:2006:568, Slg. 2006, I-8203 (keine Gemeinnützigkeit für inländische Einkünfte) – Stauffer; EuGH v. 3.10.2006 – C-290/ 04, ECLI:EU:C:2006:630, Slg. 2006, I-9461 (kein Betriebsausgabenabzug im Steuerabzugsverfahren) – Scorpio; EuGH v. 13.3.2007 – C-524/04, ECLI:EU:C:2007:161, Slg. 2007, I-2107 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation; EuGH v. 17.10.2013 – C-181/12, ECLI:EU:C:2013:662 = ErbStB 2014, 32 = ISR 2013, 294 m. Anm. Felten – Welte; EuGH v. 4.9.2014 – C-211/13, ECLI:EU:C:2014: 2148, IStR 2014, 68 (geringere Erbschaftsteuerfreibeträge für Nichtansässige) – KOM/Deutschland; EuGH v. 24.2.2015 – C-559/13, ECLI:CU:C:2015:109 = BStBl. II 2015, 1071 (Abzug von Versorgungsleistungen) – Grünewald. 3 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7959 = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert = FR 2006, 987 m. Anm. Lieber (Hinzurechnungsbesteuerung) – Cadbury Schweppes; EuGH v. 23.2.2006 – C-471/04, ECLI:EU:C:2006:143, Slg. 2006, I-2107 = GmbHR 2006, 435 m. Anm. Roser (Abzug von Finanzierungskosten) – Keller Holding; EuGH v. 6.6.2000 – C-35/98, ECLI: EU:C:2000:294, EuGH 2000, I-4113 = FR 2000, 720 m. Anm. Dautzenberg (keine Steuerfreistellung von Auslandsdividenden) – Verkooijen; EuGH v. 15.7.2004 – C-242/03, ECLI:EU:C:2004:465, Slg. 2004, I-7391 (kein Abzug von Kosten für den Erwerb von Auslandsanteilen) – Weidert & Paulus; EuGH v. 21.11.2002 – C-436/00, ECLI:EU:C:2002:704, Slg. 2002, I-10847 = FR 2003, 84 m. Anm. Schnitger (keine steuerneutrale Umstrukturierung bei ausländischen Beteiligungen) – X & Y; EuGH v. 18.11.1999 – C-200/98, ECLI:EU:C:1999:566, Slg. 1999, I-8276 (keine Einschränkung der Gruppenbesteuerung im Falle ausländischer Beteiligung) – X AB und Y AB; EuGH v. 28.2.2013 – C-168/11, ECLI:EU:C:2013:117, DStR 2013, 518 (zu geringer Anrechnungshöchstbetrag) – Beker und Beker. 4 Vgl. hierzu M. Lang, StuW 2011, 209. 5 Österreich, Finnland, Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweden; Österreich, Finnland und Schweden sind zwischenzeitlich der EU beigetreten. 6 ABl. EG 1994 Nr. L 1 v. 3.1.1994.

Schaumburg | 103

4.37

Kap. 4 Rz. 4.37 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

das auf die Schaffung binnenmarktähnlicher Verhältnisse abzielt, bewirkt, dass die Grundfreiheiten des EU-Binnenmarkts auch zwischen den EWR-Vertragsparteien gelten.1 Diese Grundfreiheiten haben für EWR-Sachverhalte eine besondere Bedeutung, weil in Norwegen, Island und Liechtenstein das Sekundärrecht der EU nicht gilt, so dass insoweit nur ein eingeschränkter Schutzbereich wirksam wird. Das EWR-Abkommen ist als gemischter Vertrag2 in der Normenhierarchie des Unionsrechts zwischen Primär- und Sekundarrecht angesiedelt3 und somit gegenüber dem jeweiligen nationalen Recht vorrangig.4

4.38

Kern des EWR-Abkommens sind neben der in Teil II verankerten Warenverkehrsfreiheit5 die in Teil III aufgeführten Diskriminierungsverbote, die sich sowohl vom Aufbau als auch vom Inhalt her stark an den entsprechenden Vorschriften des AEUV (Titel III) orientieren. Diese Diskriminierungsverbote beruhen auf dem in Art. 4 EWR6 verankerten allgemeinen Diskriminierungsverbot, wonach jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verboten ist. Dementsprechend werden Arbeitnehmer mit Staatsangehörigkeit von Norwegen, Island und Liechtenstein in EU-Ländern durch das in Art. 28 EWR geregelte Diskriminierungsverbot geschützt.7 Damit haben diese Arbeitnehmer Anspruch auf Freizügigkeit auch in der EU und sind somit etwa bezüglich der Aufenthaltserlaubnis Angehörigen der EU-Mitgliedstaaten gleichgestellt.8 Aus diesem Diskriminierungsverbot folgt weiter, dass die Freizügigkeit auch mittelbar nicht durch steuerliche Vorschriften eingeschränkt werden darf.9

4.39

Von besonderer Bedeutung ist die in Art. 31 EWR verankerte Niederlassungsfreiheit, die ebenfalls sowohl natürliche als auch juristische Personen betrifft (Art. 34 EWR) und von Staatsangehörigen von Norwegen, Island und Liechtenstein in den EU-Staaten in Anspruch genommen werden kann.10 Damit besteht ein Gleichlauf zwischen Art. 31 EWR und Art. 49 AEUV11 dem normativ durchweg dadurch entsprochen wird, dass europäisierte Regelungen nicht nur für EU-Staaten, sondern auch für (sonstige) EWR-Staaten Anwendung finden.

4.40

Mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot korrespondiert die Dienstleistungsfreiheit der Selbständigen (Art. 36 EWR). Auch diese Dienstleistungsfreiheit,12 die sowohl von natürlichen 1 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 2.32; Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.7. 2 Hierzu Hummer in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-WirtschaftsR, K. III Rz. 83, 90. 3 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.12 4 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.19. 5 Hierzu Hummer/Pribas in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-WirtschaftsR, K III Rz. 156 ff. 6 Entspricht Art. 18 AEUV; vgl. Rz. 4.13 ff. 7 Entspricht Art. 45 AEUV; vgl. Rz. 4.23 f. 8 So die Konkretisierung in Art. 34 Nr. 2 EWR-AusführungsG v. 27.4.1993, BGBl. I 1993, 512; zu Einzelheiten Hummer/Pribas in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-WirtschafsR, K III Rz. 202 ff. 9 Aus der Rspr. des EuGH: EuGH v. 23.2.2006 – C-471/04, ECLI:EU:C:2006:143, Slg. 2006, I-2107– Keller Holding; EuGH v. 25.10.2012 – C-387/11, ECLI:EU:C:2012:670 Rz. 88 – KOM/Belgien; aus der Rspr. des EFTA-Gerichtshofs; EFTA v. 23.11.2004 – E-1/04 – Fokus Bank, IStR 2005, 55; v. 7.5.2008 – E-7/07 – Seabrokers, IStR 2009, 315; v. 3.10.2012 – E-15/11 – Arcade Drilling, IStR 2013, 195; hierzu Dürrschmidt/Wobst, IStR 2013, 2024. 10 Zu Einzelheiten Hummer/Pribas in Dauses/Ludwigs, EU-WirtschaftsR, K. III Rz. 209 ff. 11 Weil das Sekundärrecht der EU im Verhältnis zu Norwegen, Island und Liechtenstein keine Anwendung findet (Ausnahme: Art. 7 Abs. 2 VO 1612/68 v. 15.10.1968, ABl. EG 1968 Nr. L 257, 2 – Wanderarbeitnehmer), spielen bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten gegeben ist, insbesondere die EU-Richtlinie (z.B. Fusionsrichtlinie, Amtshilferichtlinie) auf der Rechtfertigungsebene keine Rolle. 12 Hummer/Pribas in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-WirtschaftsR, K. III Rz. 215 ff.

104 | Schaumburg

E. WTO-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.43 Kap. 4

als auch von juristischen Personen beansprucht werden kann (Art. 39, 34 EWR), darf nicht durch nachteilige steuerliche Vorschriften behindert werden. Diese in Anlehnung an Art. 56 AEUV verankerte Dienstleistungsfreiheit gilt indessen nicht uneingeschränkt für den Verkehrsbereich. Hierfür greift lediglich ein allgemeines Diskriminierungsverbot ein (Art. 48 EWR). Schließlich wird von der Reichweite der EWR-Diskriminierungsverbote auch der Kapitalverkehr erfasst (Art. 40 EWR).1

4.41

Im Hinblick darauf, dass die EWR-Diskriminierungsverbote nach dem Vorbild der EU-Diskriminierungsverbote ausgestaltet sind, ergibt sich eine weitgehend parallele Anwendungspraxis, die durchweg auch im Steuerrecht normativ verankert ist. So gelten etwa die an den Grundfreiheiten des AEUV orientierten Sonderregelungen gleichermaßen auch für den (sonstigen) EWR-Bereich.2 Im Übrigen wird für Zwecke der einheitlichen Anwendung des EWR-Abkommens auf die EuGH-Rechtsprechung zurückgegriffen.3 Gemäß Art. 105 EWR hat es nämlich der Gemeinsame EWR-Ausschuss übernommen, die Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung zu verfolgen und erforderlichenfalls Maßnahmen vorzuschlagen, wie EuGH-Entscheidungen Rechnung zu tragen ist. Darüber hinaus sieht Art. 107 EWR auch vor, den Gerichten der EWRStaaten zu erlauben, den EuGH um die Auslegung einer EWR-Bestimmung zu ersuchen. Wird von dieser Ermächtigung nicht Gebrauch gemacht, entscheiden also die entsprechenden nationalen Gerichte der EWR-Staaten autonom über die Anwendung des EWR-Abkommens, so kann bei Divergenzen der Gemeinsame EWR-Ausschuss angerufen werden, der dann wiederum seinerseits den EuGH um eine Entscheidung ersuchen kann (Art. 111 EWR).

4.42

Wegen weiterer Einzelheiten der EWR-Diskriminierungsverbote wird auf die vorstehenden Ausführungen zu den EU-Diskriminierungsverboten verwiesen (Rz. 4.12 ff.).

4.43

E. WTO-Diskriminierungsverbote Literatur: Ecker/Koppensteiner, Anwendbarkeit des WTO-Abkommen auf direkte und indirekte Steuern, SWI 2009, 142; Fischer-Zernin, Regeln des internationalen Steuerrechts in zwischenzeitlichen Handelsabkommen – dargestellt am Beispiel der FCN-Verträge und des GATT-Vertrages, RIW 1988, 286 ff.; Fischer-Zernin, Internationale Ertragsteuern und Welthandelsordnung (GATT/WTO), Köln 1996; Hilf/Oeter, WTO-Recht, 3. Aufl., Baden-Baden 2022; Hilf/Petersmann, GATT und Europäische Gemeinschaft, Baden-Baden 1986; Hilpold, Die Neuregelung der Schutzmaßnahmen im GATT/ WTO-Recht und ihr Einfluss auf „Grauzonenmaßnahmen“, ZaöRV 55 (1995), 89 ff.; Hobe, Europarecht, 9. Aufl., München 2017; Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl., München 2018; Lang/Herding/Hofbauer, WTO and Direct Taxation, Wien 2005; Paemen/Bensch, From the GATT to the WTO: The European Community in the Uruguay Round, Leuven 1995; Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, München 2003; Robra, Welthandelsrechtliche Aspekte der internationalen Besteuerung aus europäischer Perspektive, Halle 2005; Rust, Rahmenbedingungen des Internationalen Wirtschaftsrechts, DStJG 39 (2016), 119; Schön, WTO und Steuerrecht, RIW 2004, 50 ff.; Trottmann, Ertragsteuerrecht, Warenverkehr und In-

1 Hummer/Pribas in Dauses/Ludwigs, Hdb. EU-WirtschaftsR, K. III Rz. 221 ff. 2 Beispiele: § 1a, § 2a, Abs. 2a Satz 2, § 10 Abs. 2 Nr. 2 buchst. a Doppelbuchst. aa, § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1,3, § 35a Abs. 4 Satz 2, § 50 Abs. 2 Satz 7, § 50a Abs. 3 Satz 2 EStG; § 5 Abs. 2 Nr. 2, § 8b Abs. 7 Satz 3, § 9 Abs. 1 Nr. 2c, § 12 Abs. 3, § 14 Abs. 1 Satz 1, § 97 Satz 1, § 32 Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a, b. 3 Vgl. die Urteile des EFTA-Gerichtshofs v. 23.11.2004 – E-1/04 – Fokus, IStR 2005, 55 zur Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 40 EWR) und v. 7.5.2008 – E-7/07 – Seabrokers, IStR 2009, 315 zur Niederlassungsfreiheit (Art. 31 EWR).

Schaumburg | 105

Kap. 4 Rz. 4.43a | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote ländergleichbehandlung vor der Welthandelsorganisation (WTO), IStR 2004, 6612 ff.; Vogelgesang, Steuerfragen im „General Agreement on Trade in Services“, IStR 1993, 1 ff.

4.43a

Unter dem Dach der WTO1 als eine internationale Organisation, die bemüht ist, die Funktionsfähigkeit des weltweiten Handels zu gewährleisten,2 sind folgende Abkommen angesiedelt: GATT3, GATS4, TRIPS5 und SCM6. Den vorgenannten Abkommen ist das Gebot der Inländergleichbehandlung gemeinsam. Die Kehrseite des Gleichbehandlungsgebots ist in dem hier interessierenden Zusammenhang das Diskriminierungsverbot.7 Damit sind auch Steuern den Schrankenwirkungen der Diskriminierungsverbote ausgesetzt.

4.44

Das GATT-Abkommen (GATT)8 ist ein gemischter Vertrag,9 der unter dem Dach des WTOÜbereinkommens10 (WTO) in Anlage 1 auch für die EU als integrierender Bestandteil des Unionsrechts verbindlich ist (Art. 216 Abs. 2 AEUV).11 Innerhalb der für das Unionsrecht maßgeblichen Normenhierarchie12 kommt dem GATT eine Stellung zwischen Primär- und Sekundärrecht zu13 mit der Folge eines Vorrangs gegenüber dem jeweiligen nationalen Recht.14 Indessen: Der EuGH hat dem GATT aufgrund der „Flexibilität“ seiner Bestimmungen keine unmittelbare Wirkung zuerkannt, so dass sich der einzelne Unionsbürger hierauf nicht berufen kann, sondern nur auf die jeweiligen Umsetzungsakte.15 Die Regelungen des GATT-Abkommens sind auch steuerlich von Bedeutung. Es enthält zwar keine spezifisch steuerrechtlichen Regelungen, die auf die Beseitigung von Import- und Exportbarrieren gerichtet sind, seine Normen16 entfalten aber steuerliche Schrankenwirkungen gegen Steuern, sofern durch deren Erhebung die vorgenannten Zielsetzungen des GATT berührt werden.17 Im Hinblick auf diese Zielsetzungen ist im GATT der Grundsatz der Inländergleichbehandlung verankert,

1 World Trade Organisation; Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) v. 15.4.1994, BGBl. II 1994, 1625; die EU ist als Rechtsnachfolgerin der EG Mitglied der WTO (Art. XI Abs. 1 WTOÜ). 2 Zum „besorgniserregenden“ Zustand der WTO vgl. nur Fuchs, EuZW 2021, 193 (195 ff.). 3 General Agreement on Tariffs and Trade. 4 General Agreement on Trade in Services. 5 Agreement on Trade-Melated Aspects of Intellectual Property Rights. 6 Agreement on Subsidies an contervailing Measures. 7 Oeter in Ipsen, Völkerrecht7, 972. 8 Das GATT (General Agreement on Tarifs and Trade) in der Fassung nach Abschluss der sog. Uruguay-Verhandlungsrunde und der Änderungen und Ergänzungen von Marrakesch wurde mit Zustimmungsgesetz vom 8.7.1994 in deutsches Recht umgesetzt (BGBl. II 1994, 1438) und ist mit Wirkung zum 1.1.1995 in Kraft getreten (BGBl. II 1995, 456); ABl. 1994 Nr. L 336, 11. 9 Oeter in Ipsen, Völkerrecht7, § 48 Rz. 50; Hobe/Fremuth, Europarecht10, § 10 Rz. 89. 10 World Trade Organisation. 11 EuGH v. 30.4.1974 – C-181/73, Slg. 1974, 449 (460) – Haegemann. 12 Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.6 ff. 13 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.13. 14 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.18 ff. 15 EuGH v. 12.12.1972 – C-21/72, ECLI:EU:C:1972:115, Slg. 1972, 1219 Rz. 1 ff. – International Fruit Company; EuGH v. 16.3.1983 – C-267/81, ECLI:EU:C:1983:78, Slg. 1983, 801 Rz. 21 ff. – SPI u. SAMI; EuGH v. 5.10.1994 – C-280/93, ECLI:EU:C:1994:367, Slg. 1994, I-4973 Rz. 9 – Bananenmarktordnung; zur Kritik an dieser Rspr. Hobe/Fremuth, Europarecht10, § 10 Rz. 91 f. m.w.N. 16 Vgl. hierzu den Überblick bei Oeter in Ipsen, Völkerrecht7, § 45 Rz. 30 ff. 17 Oeter in Ipsen, Völkerrecht7, § 49 Rz. 40; Fischer-Zernin, Internationale Ertragsteuern und Welthandelsordnung (GATT/WTO), 14.

106 | Schaumburg

E. WTO-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.45a Kap. 4

wonach eingeführte Waren weder direkt noch indirekt höheren Abgaben oder sonstigen Belastungen unterworfen sein dürfen als gleichartige inländische Waren (Art. III Abs. 1, 2 GATT). Zu den einfuhrbehindernden Abgaben gehören neben den indirekten Steuern1 auch direkte Steuern, insbesondere Ertragsteuern, soweit diese sich auf die Preise der eingeführten Waren auswirken (Art. III Abs. 4 GATT).2 Im Allgemeinen gilt zwar, dass Ertragsteuern als direkte Steuern nicht auf Überwälzung angelegt sind,3 tatsächlich lassen sich aber in Abhängigkeit von der jeweiligen Wettbewerbslage Abwälzungseffekte auch bei Ertragsteuern feststellen, so dass auch hierdurch der Preis von Importwaren beeinflusst wird.4 Damit erfasst das in Art. III GATT verankerte steuerobjektbezogene Diskriminierungsverbot sowohl das Verbot der direkten Benachteiligung von Importwaren durch höhere Verkehr- und Verbrauchsteuern als auch das Verbot der indirekten Benachteiligung durch höhere Ertragsteuern. Hiernach darf etwa die Einfuhrumsatzsteuer auf die Einfuhr von Waren nicht höher sein als die Umsatzsteuer auf die im Inland gelieferten Waren.5 Besondere Bedeutung hat das GATT-Diskriminierungsverbot für Verbrauchsteuern: Eingeführte Waren dürfen unter keinen Umständen mit höheren Verbrauchsteuern belastet werden als inländische Waren.6 Für den Bereich der Ertragsteuern geht es darum, dass bei feststellbaren Abwälzungseffekten Gewinne aus Importgeschäften steuerlich nicht höher belastet werden dürfen als Gewinne aus Inlandsgeschäften. Im Hinblick darauf steht die Hinzurechnungsbesteuerung für nicht aktiv tätige ausländische Einkaufsgesellschaften (Rz. 13.117 ff.) ebenso auf dem Prüfstand7 wie die im Ausland nicht selten anzutreffende Liefergewinnbesteuerung (Rz. 18.123). Ebenso wie das GATT enthält auch das allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS)8 ein Diskriminierungsverbot, das darauf gerichtet ist, eine zu hohe oder gar doppelte Besteuerung von Gewinnen aus grenzüberschreitenden Dienstleistungen zu vermeiden (Art. XVII GATS).9 Betroffen hierdurch sind insbesondere grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen und Versicherungen, soweit diese im Schuldnerland einer auf Bruttobasis erhobenen Quellensteuer unterliegen.10

4.45

Beim TRIPS-Vertrag geht es insbesondere um den Schutz geistigen Eigentums, die Förderung der technischen Innovation sowie die Weitergabe und Verbreitung technischen Wissens. In

4.45a

1 Hierzu gehören die Umsatzsteuer sowie die Verbrauch- und Verkehrsteuern. 2 Fischer-Zernin, Internationale Ertragsteuern und Welthandelsordnung (GATT/WTO), 18; Trottmann, IStR 2004, 661 (665 f.); Schön, RIW 2004, 50 (54). 3 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 7.20. 4 Vgl. hierzu die Nachweise bei Fischer-Zernin, Internationale Ertragsteuern und Welthandelsordnung (GATT/WTO), 18 ff. 5 Die in § 12 UStG sowohl für die Lieferung als auch für die Einfuhr von Waren gleichermaßen geltenden Steuersätze sind daher GATT-konform. 6 Da die im Einzelnen geltenden Verbrauchsteuersätze nicht zwischen eingeführter Ware und Inlandsware differenzieren, sind die deutschen Verbrauchsteuersätze GATT-konform. 7 Zu Einzelheiten Fischer-Zernin, Internationale Ertragsteuern und Welthandelsordnung (GATT/ WTO), 38 ff. 8 Das GATS (General Agreement on Trade and Services) in der Fassung der Uruguay-Runde, BGBl. II 1994, 1473, 1643; ABl. EG 1994 Nr. L 336, 191; es handelt sich um einen gemischten Vertrag; die Rechtswirkungen entsprechen dem des GATT; vgl. hierzu den Überblick bei Oeter in Ipsen, Völkerrecht7, § 49 Rz. 78 ff. 9 Fischer-Zernin, Internationale Ertragsteuern und Welthandelsordnung (GATT/WTO), 81 ff.; Vogelgesang, IStR 1993, 1 ff. 10 Fischer-Zernin, Internationale Ertragsteuern und Welthandelsordnung (GATT/WTO), 84 f.

Schaumburg | 107

Kap. 4 Rz. 4.45a | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

den Schutzbereich fallen auch indirekte und direkte Steuern. Eine Bedeutung haben die betreffenden Schutzregelungen für Steuern bislang aber noch nicht erlangt.1

4.45b

Der SCM-Vertrag regelt die Zulässigkeit von Subventionen. Hiernach können sowohl direkte als auch indirekte Steuern unter den Anwendungsbereich des SCM-Vertrages fallen. Zu den verbotenen Subventionen gehören insbesondere die Nichterhöhung von Steuern einerseits und die Steuerbeihilfe andererseits.2

F. Diskriminierungsverbote nach dem Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz Literatur: Kommentare zu § 1a EStG; Beiser, Die Freizügigkeit zwischen der EU und der Schweiz: Versteinerung, Aushöhlung oder dynamische Auslegung – eine kritische Sicht der Rspr. des BFH, IStR 2012, 303; Benesch, Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft, Tübingen 2007; Breitenmoser/Weyeneth, Die Abkommen zwischen der Schweiz und der EU, EuZW 2012, 854; von Brocke, Erweiterung der Schumacher-Grundsätze gegenüber der Schweiz, IWB 2013, 226; Cloer/Vogel, Ausdehnung der Schumacker-Rspr. auch auf Schweizer Grenzgänger, DB 2013, 531; Dölker, Anbindung der Schweiz an das Steuerrecht der EU; Kapitalverkehrsfreiheit, Freizügigkeitsabkommen, BEPS und Anti Tax Avoidance Package, BB 2019, 726 ff.; Haslehner, Die Anwendung von EG-Grundfreiheiten im Verhältnis zur Schweiz, SWI 2007, 221; Ismer in H/H/R, Einf. ESt Rz. 555 ff.; Jung, Die Niederlassungsfreiheit von Schweizer Gesellschaften bei Sitzwahl und Sitzverlegung im Europäischen Wirtschaftsraum, EuZW 2012, 863; Kahil-Wolff/Mosters, Das Abkommen über die Freizügigkeit EG – Schweiz, EuZW 2001, 5; Maier, Die steuerlichen Implikationen der Mobilitätsgarantien des Freizügigkeitsabkommen Schweiz-EU, Baden-Baden 2013; Reimer in Schaumburg/ Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020, Rz. 7.12 ff.; Sunde, Entfalten die Grundfreiheiten ihre steuerlichen Auswirkungen auch im Verhältnis zur Schweiz? Besprechung des EuGH-Urteils v. 28.2.2013 – C-425/11, IStR 2013, 568; Weimar, Aktuelle Entwicklungen bei der grenzüberschreitenden Familienbesteuerung, ISR 2014, 1.

4.46

Das zwischen der EG (EU) und den Mitgliedstaaten einerseits und der Schweiz andererseits abgeschlossene Freizügigkeitsabkommen3 ist als sog. gemischter Vertrag integrierender Bestandteil des Unionsrechts4 und somit für die Union selbst und die Mitgliedstaaten verbindlich (Art. 216 Abs. 2 AEUV) mit der Folge eines Vorrangs gegenüber dem jeweiligen nationalen Recht.5

4.47

Dieser Vorrang kommt insbesondere den im Freizügigkeitsabkommen verankerten Diskriminierungsverboten zu. Diese haben allerdings nur eine begrenzte Reichweite. Gem. Art. 2 FZA ist nämlich nur eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit verboten und das auch nur im Zusammenhang mit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern (Art. 9 Abs. 2 FZA), von Selbständigen (Art. 15 Abs. 1 FZA) und von Dienstleistungserbringern (Art. 19 FZA).6 Hie-

1 2 3 4

Vgl. Ecker/Koppensteiner, SWI 2009, 142 (146). Ecker/Koppensteiner, SWI 2009, 142 (147). ABl. EG 2002 Nr. L 114, 6; abgekürzt im Folgenden FZA. In der Normenhierarchie zwischen Primär- und Sekundärrecht angesiedelt; vgl. hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.13. 5 BFH v. 7.9.2011 – I B 157/10, IStR 2012 Rz. 31; vgl. allgemein zum Vorrang des Unionsrechts Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.18 ff. 6 EuGH v. 15.7.2010 – C-70/09, ECLI:EU:C:2010:430, Slg. 2010, I-7233, Rz. 39 – Hengartner/Gasser; BFH v. 9.5.2012 – X R 43/10, BFH/NV 2012, 1947 Rz. 31 f.

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G. DBA-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.48 Kap. 4

raus folgt, dass z.B. Schulgeldzahlungen an eine schweizerische Privatschule über den Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG hinaus nicht als Sonderausgaben berücksichtigungsfähig sind, weil nach dem Freizügigkeitsabkommen nur Dienstleitungserbringer, nicht aber der Empfänger von Dienstleistungen geschützt werden.1 Dem gegenüber fallen selbständige Grenzgänger mit Wohnsitz in der Schweiz und Tätigkeitsort in einem EU-/EWR-Staat unter den Schutzbereich des Freizügigkeitsabkommens, so dass ihnen aus deutscher Sicht die Vergünstigungen des § 1a Abs. 1 EStG (Rz. 6.47 ff.) zu gewähren sind.2 Das gilt nicht nur für EU-/EWRStaatsangehörige, sondern auch für Staatsangehörige der Schweiz.3 Eine weitere Einschränkung des Anwendungsbereiches des Freizügigkeitsabkommens ergibt sich aus der in Art. 16 Abs. 2 FZA verankerten Stand-Still-Regelung, wonach für die Anwendung des Freizügigkeitsabkommens Begriffe des Unionsrechts nur insoweit herangezogen werden, als diese auf der vor dem 21.6.19994 ergangenen Rechtsprechung des EuGH beruhen. Die nach diesem Zeitpunkt ergangene EuGH-Rechtsprechung ist nur zu berücksichtigen, wenn dies von dem im Freizügigkeitsabkommen vorgesehenen Gemischten Ausschuss beschlossen wird.5 Dies gilt gleichermaßen für die Anwendung in der Schweiz als auch in den EU-/EWRStaaten.6 Die Stand-Still-Regelung (Art. 16 Abs. 2 FZA) schließt nur die Berücksichtigung nachfolgender7 neuer Rechtsprechung des EuGH aus. Das gilt indessen nicht für neue Urteile des EuGH, die auf der bisherigen Linie seiner Rechtsprechung liegen.8

G. DBA-Diskriminierungsverbote Literatur: Kommentare zu Art. 24 OECD-MA; Avery Jones, The non-discrimination article in tax treaties, ET 1991, 310; Böckli, Die Verweigerung der Steuergutschrift gegenüber Steuerausländern nach der deutschen Körperschaftsteuerreform 1977 aus der Sicht eines Vertragsstaates, StuW 1979, 1; Bohnert, US-Steuerreform und deutsch-amerikanisches Doppelbesteuerungsabkommen, RIW 1987, 37; Debatin, Das Verbot steuerlicher Diskriminierung, DStZ A 1970, 129; Ebenroth/Willburger, Die Organträgerfähigkeit US-amerikanischer Kapitalgesellschaften im deutschen Körperschaftsteuerrecht, RIW 1995, Beilage 3, 1; Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, Heidelberg 1988; Fekar/Schnitger, Art. 24 Abs. 1 OECD-MA als Eintrittsklausel zur mittelbaren und unmittelbaren Anwendung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages für Drittstaaten, SWI 2002, 76; Görlich, Ausländerdiskriminierung im Körperschaftsteuerrecht, FR 1978, 367; Gosch, Vielerlei Gleichheiten – Das Steuerrecht im Spannungsfeld von bilateralen, supranationalen und verfassungsrechtlichen Anforderungen,

1 BFH v. 9.5.2012 – X R 43/10, BFH/NV 2012, 1947 Rz. 33. 2 EuGH v. 28.2.2013 – C-425/11, ECLI:EU:C:2013:121 = BStBl. II 2013, 896 – Ettwein; BMF v. 16.9.2013 – IV C 3-S 1325/11/10014 – DOK2013/0855952, BStBl. I 2013, 1325; vgl. auch EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138, DStR 2019, 425 zur Wegzugsbesteuerung – Wächtler; anders wenn die unterschiedliche Behandlung auf DBA-Vorschriften – Art. 4 Abs. 4 Satz 1 DBASchweiz (überdachende Besteuerung) – beruht; EuGH v. 19.11.2015 – C 241/14, ECLI:EU:C:2015: 766 = EuZW 2016, 108 mit Anm. Wassermeyer – Bukovansky. 3 Reimer/Weimar in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 1a EStG Rz. B 33; Weimar, ISR 2014, 1 ff. (6); von Brocke, IWB 2013, 225 (228); Cloer/Vogel, DB 2013, 1141 (1144); Lüdicke, IStR 2013, 928. 4 Zeitpunkt der Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommens. 5 BFH v. 7.9.2011 – I B 157/10, BStBl. II 2012, 590 Rz. 33. 6 BFH v. 7.9.2011 – I B 157/10, BStBl. II 2012, 590 Rz. 34. 7 Es handelt sich insoweit um eine statische Verweisung; Kokott in FS Sternberger, 771 (783); Lang/ Lüdicke/Reich, IStR 2008, 709 (714). 8 Ismer in H/H/R, Einf. ESt Rz. 560; Kahl-Wolff/Mosters, EuZW 2001, 5 (7); noch weitergehend im Sinne einer dynamischen Verweisung Beiser, IStR 2012, 303.

Schaumburg | 109

4.48

Kap. 4 Rz. 4.49 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote DStR 2007, 1553; Hageböke/Käbisch, Zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs des UmwStG i.d.F. SEStEG-E auf Grund der Diskriminierungsverbote in Art. 24 OECD-MA, IStR 2006, 849; Hahn, DBA- und EG-rechtliche Diskriminierungsverbote, BB 2005, 521; Hintzen, Die Diskriminierungsvorschrift der Doppelbesteuerungsabkommen und ihre Verbesserung, DB 1976, 2226; IFA, Non-discrimination rules in international taxation, LXXIXb (1993); Jacob, Betriebsstättendiskriminierung – eine neues altes Problem, IStR 2002, 735; M. Lang, Betriebsstättendiskriminierungsverbot und Verlustvortrag für beschränkt Steuerpflichtige, SWI 1990, 34; Lang/Schuch/Staringer, Die Diskriminierungsverbote im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2006; Lehner, Der Einfluss des Europarechts auf die Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2001, 329; Loukota, Das DBA-Diskriminierungsverbot, SWI 2005, 56; Meilicke, Ausländer-Diskriminierung bei der stillen Gesellschaft, FR 1980, 105; van Raad, Non discrimination in International Tax Law, Deventer 1986, 141; Raupach, Diskriminierungsverbot und Gleichbehandlungsklausel in Doppelbesteuerungsabkommen, AWD 1966, 85; Rust, Ermöglichen Diskriminierungsverbote eine Organschaft über die Grenze?, IStR 2003, 658;Rust, Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote im Internationalen Steuerrecht, DStJG 36 (2013), 71; Saß, Zur Auslegung der in Doppelbesteuerungsabkommen übernommenen OECD-Klausel über die Nichtdiskriminierung von Betriebsstätten, AWD 1965, 106; Schänzle, Abkommensrechtliches Diskriminierungsverbot in Festgabe für Wassermeyer, München 2015, 495; Schaumburg, Diskriminierungsverbote von Staatsangehörigen in Festgabe für Wassermeyer, München 2015, 121; Schaumburg/ Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020;Vogel, Das Verbot der Betriebsstättendiskriminierung im Körperschaftsteuerrecht, AWD 1970, 349.

I. Einführung 4.49

Die Doppelbesteuerungsabkommen normieren durchweg auf Gegenseitigkeit angelegte Diskriminierungsverbote.1 Die DBA-Diskriminierungsverbote, die absolut wirken und keinen Rechtfertigungsgründen zugänglich sind,2 beziehen sich auf Staatsangehörige (Art. 24 Abs. 1, 2 OECD-MA) und Betriebsstätten von Unternehmen des anderen Vertragsstaates (Art. 24 Abs. 3 OECD-MA), auf die Geltendmachung von Schulden und Betriebsausgaben, soweit Gläubiger oder Empfänger derselben im anderen Vertragsstaat ansässig sind (Art. 24 Abs. 4 OECD-MA) und auf Kapital- und Personengesellschaften (Art. 24 Abs. 5 OECD-MA). Die vorstehenden Regelungen, die selbständig nebeneinander anwendbar sind,3 gelten für die Anwendung des jeweiligen innerstaatlichen Steuerrechts4 und grundsätzlich für alle Steuern, auch soweit sie nicht unter den Anwendungsbereich der Abkommen fallen.5 Sind neben Art. 24 Abs. 1 OECDMA zugleich auch die Voraussetzungen anderer Diskriminierungsverbote erfüllt,6 kann der

1 Art. 24 OECD-MA; einige deutsche DBA enthalten hiervon abweichend keine oder nur abgeschwächte Diskriminierungsverbote; hierzu die Abkommensübersicht bei Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 61, 63. 2 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 4; BFH v. 10.3.2005 – II R 51/03, BFH/NV 2005, 1500; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 26, Hageböke in S/K/K, Art. 24 OECDMA Rz. 6. 3 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 6, 165a; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 25. 4 Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 2 f.; Hageböke in S/K/K, Art. 24 OECD-MA Rz. 10. 5 Art. 24 Abs. 6 OECD-MA; in einigen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen gilt das Diskriminierungsverbot indessen nur für die unter das Abkommen fallenden Steuern; hierzu die Abkommensübersicht bei Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 166, 168 f. 6 Z.B. die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten (hierzu Rz. 4.12 ff.) und nach dem Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (BGBl. II 1965, 488).

110 | Schaumburg

G. DBA-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.51 Kap. 4

Steuerpflichtige dasjenige für sich beanspruchen, das für ihn den größeren Schutz gewährt.1 Das bedeutet, dass im jeweiligen Aufnahmestaat2 an die Stelle der diskriminierenden Regelungen die für eigene Staatsangehörige (Steuerinländer) geltenden Regelungen zur Anwendung kommen.3 Im Hinblick darauf, dass jedes einzelne Doppelbesteuerungsabkommen einen in sich geschlossenen Regelungskreis enthält (Rz. 19.49 ff.), ist die Anwendung der in Art. 24 OECD-MA verankerten Diskriminierungsverbote auf den Binnenbereich des jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommens begrenzt. Hieraus folgt, dass sich grundsätzlich Angehörige4 dritter Staaten hierauf nicht berufen können.5 Das gilt sowohl im Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG)6 als auch bei Anwendung der europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten (Art. 26 Abs. 2 AEUV).7 Aus europarechtlicher Sicht gilt: Die die Grundfreiheiten regelnden Normen (Art. 28, 45, 49, 56, 63 AEUV) sind zwar gegenüber den Normen der Doppelbesteuerungsabkommen mit Vorrang ausgestattet,8 eine etwaige Ungleichbehandlung ist aber wegen der den Mitgliedstaaten überlassenen Aufteilung und Abgrenzung ihrer Besteuerungsbefugnisse gerechtfertigt,9 so dass eine relevante Diskriminierung nicht gegeben ist.10

4.50

II. Verbot der Staatsangehörigkeitsdiskriminierung Staatsangehörige eines Vertragsstaates dürfen in dem anderen Vertragsstaat aus Gründen der Staatsangehörigkeit steuerlich nicht schlechter gestellt werden. Da die Besteuerung international grundsätzlich nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an die Ansässigkeit, etwa Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO), anknüpft, spielt die Staatsangehörigkeitsdiskriminierung in der Abkommenspraxis keine große Rolle.11 Die Nichtansässigkeit ist damit im Rahmen des abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbotes kein Diskriminierungsmerkmal, und zwar selbst dann nicht, wenn es sich hierbei zumeist um fremde Staats-

1 Hierzu Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 18; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 13 ff. 2 Die Diskriminierungsverbote des Art. 24 OECD-MA richten sich nur gegen den Aufnahmestaat, also in sog. Inbound-Fällen; vgl. Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 10. 3 BFH v. 22.4.1998 – I R 54/96, IStR 1998, 504; Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 2. 4 Ausnahmen: „Most Favoured Nation“-Klauseln; vgl. hierzu die Übersicht bei Rädler in FS Debatin, 335 (337). 5 BFH v. 15.9.1971 – I R 202/67, BStBl. II 1972, 281; v. 14.3.1989 – I R 20/87, BStBl. II 1989, 649; v. 19.12.2003 – I R 22/02, BStBl. II 2004, 560; v. 8.5.2005 – V B 123/03, BStBl. II 2005, 585; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 6, 27; Lehner, IStR 2001, 329 (336). 6 Begrenzung auf das jeweilige Doppelbesteuerungsabkommen; vgl. BVerfG v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BVerfGE 43,1; v. 9.2.2010 – 2 BvR 1178/07, IStR 2010, 327; BFH v. 10.1.2012 – I R 66/ 09, BFH/NV 2012, 1056 Rz. 26; Schaumburg in FS Frotscher, 503 (509). 7 BFH v. 30.3.2011 – I R 63/10, BFH/NV 2011, 1428 Rz. 24. 8 Das gilt jedenfalls für nach dem 1.1.1958 (Inkrafttreten des EWG-Vertrages) abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen; vgl. zu den einzelnen Differenzierungen Oellerich in Schaumburg/ Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.183 ff. 9 Zu Einzelheiten Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.224 ff. 10 Zu dieser partiellen grundfreiheitlichen Immunisierung der DBA Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 122; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.190. 11 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 49; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECDMA Rz. 14.

Schaumburg | 111

4.51

Kap. 4 Rz. 4.51 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

angehörige1 handelt. Verboten ist daher nur eine Diskriminierung, die ausschließlich auf der Staatsangehörigkeit beruht.2 Eine versteckte Diskriminierung ist daher ebenso erlaubt wie eine indirekte Diskriminierung.3 Hierin unterscheidet sich das DBA-Diskriminierungsverbot von den EU-Diskriminierungsverboten.4 Hiervon ausgehend stellt die steuerliche Differenzierung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht keinen Verstoß gegen das Verbot der Staatsangehörigkeitsdiskriminierung5 dar.6 Innerhalb der Gruppen der unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Personen dürfen freilich fremde Staatsangehörige nicht benachteiligt werden.7

4.52

Das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot schützt nur fremde Staatsangehörige, so dass eigene Staatsangehörige, etwa im Rahmen der erweiterten beschränkten Steuerpflicht (§§ 2 bis 5 AStG), im Vergleich zu fremden Staatsangehörigen steuerlich benachteiligt werden dürfen.8 Da der Diskriminierungsschutz zugunsten der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten ohne Rücksicht darauf wirkt, wo diese ansässig sind,9 werden auch in Drittstaaten ansässige Staatsangehörige geschützt.10

4.53

Soweit Vorschriften des deutschen Steuerrechts (ausnahmsweise) Staatsangehörigen des jeweils anderen Vertragsstaates z.B. Steuervergünstigungen vorenthalten,11 haben diese einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Das gilt auch in den Fällen, in denen die Steuervergünstigungen nicht nur deutschen, sondern in Orientierung an die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten auch anderen EU-/EWR-Staatsangehörigen gewährt werden. Insoweit wirken die Grundfreiheiten über Art. 24 Abs. 1 OECD-MA im Ergebnis auch zugunsten von Staatsangehörigen dritter Vertragsstaaten (Rz. 4.14).12 1 Der Diskriminierungsschutz wird gem. Art. 24 Abs. 2 OECD-MA auch auf Staatenlose erstreckt; in deutschen DBA ist das nicht die Regel; hierzu die Abkommensübersicht bei Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 82. 2 BFH v. 19.11.2003 – I R 22/02, BStBl. II 2004, 560; v. 17.12.2004 – I R 20/04, BFH/NV 2005, 892; v. 30.3.2011 – I R 63/10, BStBl. II 2011, 747; Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 49; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 16. 3 BFH v. 30.4.1975 – I R 41/73, BStBl. II 1975, 706; Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 5; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 2e; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 60. 4 Zum Verbot der versteckten EU-Diskriminierung Rz. 4.13. 5 Art. 24 Abs. 1, 2 OECD-MA. 6 BFH v. 20.1.1959 – I 112/57 S, BStBl. III 1959, 133; v. 16.8.1963 – VI 96/62 U, BStBl. III 1963, 486; v. 5.2.1965 – VI 334/63 U, BStBl. III 1965, 352; v. 8.1.1969 – I 158/64, BStBl. II 1969, 466; v. 18.4.1975 – III B 24/74, BStBl. II 1975, 595; v. 4.6.1975 – I R 250/73, BStBl. II 1975, 708. 7 BFH v. 18.4.1975 – III B 24/74, BStBl. II 1975, 595; v. 20.10.1976 – I R 224/74, BStBl. II 1977, 175; Rust in V/L7 Art. 24 OECD-MA Rz. 51. 8 Schaumburg in FG Wassermeyer, 121 (123); diese Ungleichbehandlung ist allerdings an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen; hierzu im Einzelnen Rz. 6.323. 9 Art. 24 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA; bei einigen deutschen DBA wird dagegen die Ansässigkeit in dem einen oder anderen Vertragsstaat gefordert; hierzu die Abkommensübersicht bei Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 61. 10 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 40; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECDMA Rz. 1; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 50. 11 Z.B. §§ 1a Abs. 1, 50 Abs. 2 Satz 7 EStG, § 6 Abs. 5 AStG, die nicht für Angehörige von Drittstaaten gelten. 12 So im Ergebnis Dommes/Metzler in Lang/Schuch/Staringer, Die Diskriminierungsverbote im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2006, 93 (133 f.); Schaumburg in FG Wassermeyer, 121 (124); Gosch, DStR 2007, 1553 (1560); Fekar/Schnitger, SWI 2002, 76 (85); Loukota, SWI

112 | Schaumburg

G. DBA-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.56 Kap. 4

Das Verbot der Staatsangehörigkeitsdiskriminierung betrifft im Hinblick auf die Definition in Art. 3 Abs. 1 Buchst. g OECD-MA nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen und Personengesellschaften. Während bei natürlichen Personen auf das jeweilige Staatsangehörigkeitsrecht des anderen Vertragsstaates abgestellt wird,1 ist bei juristischen Personen das Errichtungsstatut maßgeblich, so dass insbesondere die steuerliche Schlechterstellung von Kapitalgesellschaften untersagt ist, die nach ausländischem Recht errichtet worden sind.2 Bei Personengesellschaften wird ebenfalls auf das Errichtungsstatut abgestellt, wobei sich der abkommensrechtliche Diskriminierungsschutz nur insoweit auswirken kann, als Personengesellschaften selbst unmittelbar steuerrechtsfähig sind.3

4.54

Das Diskriminierungsverbot verbietet es nicht nur, Staatsangehörigen anderer Vertragsstaaten höhere Steuern als den eigenen Staatsangehörigen aufzuerlegen, sondern gebietet es auch, den Staatsangehörigen anderer Vertragsstaaten alle Vorteile – Steuerbefreiungen, Steuervergünstigungen und Steuerermäßigungen – zukommen zu lassen, die eigenen Staatsangehörigen gewährt werden.4 Das gilt auch für die Anwendung von Drittstaatenabkommen.5 Inhaltlich bezieht sich das Verbot der Staatsangehörigkeitsdiskriminierung grundsätzlich nicht nur auf das Steuerschuldverhältnis, sondern erfasst das gesamte steuerliche Pflichtenverhältnis.6 Daher müssen etwa steuerliche Wirtschaftslenkungsmaßnahmen des nationalen Rechts auch zugunsten fremder Staatsangehöriger wirken.7

4.55

III. Verbot der Diskriminierung von Staatenlosen Art. 24 Abs. 2 OECD-MA verbietet den Vertragsstaaten dort ansässige Staatenlose8 allein wegen ihrer Staatenlosigkeit steuerlich ungünstiger zu behandeln als ihre eigenen Staatsangehörigen. Da das deutsche Steuerrecht durchweg nicht an die Staatsangehörigkeit anknüpft,9 spielt Art. 24 Abs. 2 OECD-MA in der Praxis nur eine sehr geringe Rolle.10 Von der Schutzwirkung des Diskriminierungsverbotes werden nur natürliche Personen erfasst und auch nur

1 2

3 4 5 6 7 8 9 10

2005, 55 (57 f.); a.A. BFH v. 3.9.2020 – I R 80/16, BStBl. II 2021, 237 = ISR 2021, 132 = DStR 2020, 2853 (keine gleichen Verhältnisse); Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 69; Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 49 (teleologische Reduktion). In Deutschland Art. 116 GG. Art. 24 Abs. 1 OECD-MA verbietet nur eine Differenzierung nach dem Errichtungsstatut nicht aber nach dem Sitz bzw. dem verlegten Verwaltungssitz; BFH v. 18.4.1975 – III B 24/74, BStBl. II 1975, 595; v. 3.8.1983 – II R 20/80, BStBl. II 1984, 9; zu Einzelheiten Rust in V/L7, Art. 24 OECDMA Rz. 55 ff.; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 17. Hier kann allerdings das spezielle Verbot der Diskriminierung von Kapital- und Personengesellschaften (Art. 24 Abs. 5 OECD-MA) eingreifen; Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 143. BFH v. 14.3.1989 – I R 20/87, BStBl. II 1989, 649. BFH v. 14.3.1989 – I R 20/87, BStBl. II 1989, 649; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 23; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 68. Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 45; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECDMA Rz. 20; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 64. BFH v. 18.12.1981 – VI R 97/81, BStBl. II 1982, 256. Zur Rechtstellung dieses Personenkreises Epping in Ipsen, Völkerrecht7, § 7 Rz. 110 ff. Ausnahmen z.B. §§ 1 Abs. 2, 1a Abs. 1, 50 Abs. 2 S. 7, 50 Abs. 3 S. 2 EStG, §§ 2 Abs. 1, 6 Abs. 5AStG, § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. b ErbStG. Der Diskriminierungsschutz für Staatenlose ist ohnehin nur in wenigen deutschen Abkommen verankert; vgl. die Abkommensübersicht bei Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 82.

Schaumburg | 113

4.56

Kap. 4 Rz. 4.56 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

dann, wenn sie in einem der Vertragsstaaten ansässig sind.1 Eine dem Art. 24 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA entsprechende Regelung enthält Art. 24 Abs. 2 OECD-MA nicht, mit der Folge, dass Staatenlose vor steuerlicher Diskriminierung in beiden Vertragsstaaten geschützt werden,2 wobei im Ergebnis nur eine Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen im jeweils besteuernden Staat verlangt wird.3 Eine steuerliche Benachteiligung gegenüber Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaats oder von Drittstaaten ist hiernach nicht verboten.4

IV. Verbot der Betriebsstättendiskriminierung 4.57

Die in der Praxis wichtigste Ausprägung des abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbotes ist das Verbot, die Besteuerung von Betriebsstätten eines im anderen Vertragsstaat ansässigen Unternehmens ungünstiger zu gestalten als die Besteuerung eigener Unternehmen (Art. 24 Abs. 3 OECD-MA). Da Betriebsstätten keine eigenständigen Steuersubjekte sind, werden aus deutscher Sicht nicht etwa Betriebsstätten selbst, sondern ausländische Unternehmen geschützt, soweit sie im Inland Betriebsstätten unterhalten und hiermit der Besteuerung unterliegen.5 Für die Tätigkeit dieser Betriebsstätten (Art. 5 OECD-MA) hat daher jeder Vertragsstaat für ausländische Unternehmen die gleichen steuerlichen Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten wie für die entsprechende Tätigkeit einheimischer Unternehmen.6

4.58

Der Diskriminierungsschutz gilt zugunsten der Betriebsstätten unabhängig davon, ob diese von einem Einzelunternehmen, einer Kapitalgesellschaft oder einer Personengesellschaft des anderen Vertragsstaates betrieben werden.7 Für Personengesellschaften gilt das jedoch nur dann, wenn sie selbst abkommensberechtigt sind, anderenfalls gelten die Gesellschafter als Träger der Betriebsstätte. In diesem Fall können die Gesellschafter den Diskriminierungsschutz für ihre Betriebsstätte beanspruchen, wenn sie in dem anderen Vertragsstaat ansässig sind.8

4.59

Die Feststellung der Diskriminierung verlangt einen hypothetischen Vergleich zwischen der inländischen Betriebsstättenbesteuerung des ausländischen Unternehmens und der Besteuerung eines Unternehmens des Betriebsstättenstaats.9 Gegen das Verbot der Betriebsstättendiskriminierung wird nur dann verstoßen, wenn die finanzielle Belastung (Gesamtsteuerbelas-

1 Die Frage der Ansässigkeit beurteilt sich nach Art. 4 Abs. 1 OECD-MA; vgl. hierzu Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 79. 2 Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 39. 3 Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 81. 4 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 79; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 81. 5 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 88; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECDMA Rz. 46; Hageböke in S/K/K, Art. 24 OECD-MA Rz. 65; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 88. 6 Zu einigen Besonderheiten in der deutschen Abkommenspraxis Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 115 ff. 7 Seit OECD-MA 2000 werden auch freiberuflich oder sonst selbständig tätige Steuerpflichtige erfasst; vgl. Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 89. 8 BFH v. 8.1.1969 – I 158/64, BStBl. II 1969, 466; Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 90; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 42; zur Abkommensberechtigung von Personengesellschaften im Einzelnen Rz. 19.177 ff. 9 Hierzu im Einzelnen Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 95, 103 ff.; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 46; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 91 ff.

114 | Schaumburg

G. DBA-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.61 Kap. 4

tung)1 des ausländischen Unternehmens hinsichtlich seiner inländischen Betriebsstätte höher ist.2 Abzustellen ist daher allein auf die Geldzahlungslast3 mit der Folge, dass verfahrensrechtliche Diskriminierungen zulässig sind. Ein Steuerabzug an der Quelle ist daher, für sich betrachtet, keine Diskriminierung,4 es sei denn, dass die Steuerpflicht durch den Steuerabzug auf Bruttobasis abgegolten ist und hierdurch eine höhere Steuerlast entsteht.5 Verboten sind aber Sonderbelastungen. Im Hinblick darauf sind spezielle Betriebsstättensteuern, wenn sie zu einer höheren Steuerbelastung führen, unzulässig.6 Die Reichweite des Verbots der Betriebsstättendiskriminierung7 wird dadurch eingeschränkt, dass Steuervorteile, die ihren Rechtsgrund in persönlichen Verhältnissen des im anderen Vertragsstaat ansässigen Unternehmers haben, nicht gewährt werden müssen (Art. 24 Abs. 4 Satz 2 OECD-MA).8 Diese Einschränkung, die lediglich für die Besteuerung natürlicher Personen gilt,9 wird von der deutschen Rechtsprechung allgemein in dem Sinne verstanden, dass sich das Diskriminierungsverbot im Ergebnis nur auf betriebsbezogene Besteuerungsmerkmale erstreckt.10 Die generelle Ausklammerung nicht betriebsbezogener Besteuerungsmerkmale aus dem für Betriebsstätten geltenden abkommensrechtlichen Diskriminierungsschutz ist indessen durch den Wortlaut der Doppelbesteuerungsabkommen nicht geboten.11

4.60

V. Verbot der Schuldnerdiskriminierung Das abkommensrechtliche Schuldnerdiskriminierungsverbot erfasst die Diskriminierung, die sich daraus ergibt, dass in manchen Ländern Zinsen, Lizenzgebühren und andere Entgelte uneingeschränkt steuerlich abgezogen werden dürfen, wenn der Empfänger eine dort ansässige Person ist, während der Abzug bei nicht ansässigen Empfängern eingeschränkt oder unzulässig ist (Art. 24 Abs. 4 OECD-MA).

1 BFH v. 14.9.1994 – I B 40/94, IStR 1995, 78. 2 Auf die Besteuerung der Anteilseigner ausländischer Unternehmen kommt es nicht an; vgl. Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 111. 3 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 95; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECDMA Rz. 49. 4 BFH v. 14.9.1994 – I B 40/94, IStR 1995, 78; Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 95. 5 Wegen § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht relevant. 6 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 98; in der deutschen Abkommenspraxis wird allerdings einigen Vertragsstaaten die Erhebung einer branch profits tax ausdrücklich vorbehalten; Nachweise bei Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 98. 7 Vgl. hierzu den Rechtsprechungsüberblick bei Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 111 ff. 8 § 50 Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach bei inländischen Betriebsstätteneinkünften für Zwecke der Berechnung des Steuertarifs eine Erhöhung um den Grundfreibetrag erfolgt, verstößt daher nicht gegen das Betriebsstättendiskriminierungsverbot; vgl. Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 96. 9 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 100. 10 BFH v. 8.1.1969 – I 158/64, BStBl. II 1969, 466; v. 13.1.1970 – I 32/65, BStBl. II 1970, 790; v. 30.10.1973 – I R 38/70, BStBl. II 1974, 255. 11 Im Einzelnen hierzu Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 100; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 51; Hageböke in S/K/K, Art. 24 OECD-MA Rz. 77.

Schaumburg | 115

4.61

Kap. 4 Rz. 4.62 | Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote

4.62

Dieses Diskriminierungsverbot1 ist gegen den jeweiligen Ansässigkeitsstaat gerichtet. Geschützt werden somit unmittelbar inländische2 Unternehmen:3 Sie sollen keine steuerlichen Nachteile dadurch erleiden, dass sie mit in anderen Vertragsstaaten ansässigen Personen Geschäfte betreiben.4 Damit erstreckt sich der Schutzbereich mittelbar auch auf Steuerausländer. Zinsen, Lizenzgebühren und andere Entgelte, die an sie als Gegenleistung für eine von ihnen erbrachte Leistung gezahlt werden, sollen vom inländischen Schuldner ebenso steuerlich abgezogen werden können wie entsprechende Zahlungen an inländische Gläubiger.

4.63

Das Schuldnerdiskriminierungsverbot gilt für Zinsen (Art. 11 Abs. 3 OECD-MA),5 Lizenzgebühren (Art. 12 Abs. 2 OECD-MA)6 und andere Entgelte, zu denen Zahlungen und nicht in Geld bestehende Gegenleistungen gehören.7 Die Reichweite von Art. 24 Abs. 4 OECD-MA ist allerdings begrenzt: Zwischen verbundenen Unternehmen greift Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und zwischen in besonderen Beziehungen stehenden Personen Art. 11 Abs. 6, 12 Abs. 4 OECDMA ein.8 Im Ergebnis kommt Art. 24 Abs. 4 OECD-MA in diesen Fällen auf den angemessenen Teil der Zins- oder Lizenzzahlungen zur Anwendung.9 Bei Zahlungen an nicht verbundene Unternehmen und an nicht in besonderen Beziehungen stehende Personen hat Art. 24 Abs. 4 OECD-MA dagegen eine uneingeschränkt eigenständige Bedeutung.10

VI. Verbot der Diskriminierung von Kapital- und Personengesellschaften mit ausländischer Beteiligung 4.64

Art. 24 Abs. 5 OECD-MA untersagt, ansässige Unternehmen steuerlich zu benachteiligen, nur weil deren Kapital ganz oder teilweise unmittelbar oder mittelbar in ausländischen Händen liegt (Gesellschafterdiskriminierungsverbot). Dieses Diskriminierungsverbot, das sich nur auf die Besteuerung des Unternehmens, nicht aber auf die der Gesellschafter bezieht,11 ist gegen den Ansässigkeitsstaat gerichtet und erfasst Kapital- und Personengesellschaften gleichermaßen.12 Vom Schutzbereich des Diskriminierungsverbotes wird das gesamte steuerliche Pflicht-

1 Es ist erst in den neueren deutschen DBA verankert; hierzu die Abkommensübersicht bei Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 138. 2 Abzustellen ist auf die Ansässigkeit gem. Art. 4 Abs. 1 OECD-MA, so dass auch Fälle der Doppelansässigkeit erfasst werden; vgl. Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 131. 3 I.S.v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c, h OECD-MA, so dass Land- und Forstwirte sowie Privatpersonen also nicht geschützt werden. 4 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 129; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 62; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 127; Hageböke in S/K/K, Art. 24 OEC-MA Rz. 77. 5 Vgl. Rz. 19.356 ff. 6 Vgl. Rz. 19.369 ff. 7 Zur weiten Auslegung Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 128; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 65; Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 133; Hageböke in S/K/K, Art. 24 OECD-MA Rz. 89. 8 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 125. 9 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 126. 10 Hierzu Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 125 mit weiteren Einzelheiten. 11 BFH v. 20.2.1974 – I R 8/71, BStBl. II 1974, 616; Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 146; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 86. 12 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 145; Hageböke in S/K/K, Art. 24 OECD-MA Rz. 103; a.A. Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 89; offen gelassen von BFH v. 19.11.2003 – I R 22/02, BStBl. II 2004, 560.

116 | Schaumburg

G. DBA-Diskriminierungsverbote | Rz. 4.66 Kap. 4

verhältnis erfasst, wobei besondere Berichts- und Kontrollpflichten zwecks Angemessenheitsprüfung von Verrechnungspreisen keine Diskriminierung bedeuten.1 Der Diskriminierungsschutz zugunsten der inländischen Unternehmen setzt nur dann ein, wenn die Diskriminierung darauf beruht, dass ausländische Gesellschafter beteiligt sind. Die Beteiligung von Steuerausländern muss also der auslösende Umstand für die steuerliche Schlechterstellung sein. Im Hinblick darauf kann etwa die Nichtanerkennung grenzüberschreitender Organschaften2 und die steuerliche Benachteiligung grenzüberschreitender Umstrukturierungen3 von Art. 24 Abs. 5 OECD-MA erfasst werden. Dass es hierbei ggf. zu einer internationalen Minderbesteuerung (Keinmalbesteuerung) kommen kann, spielt keine Rolle.4 Um diese weitreichende Wirkung zu vermeiden, ist Deutschland dazu übergegangen, durch Protokoll zu Art. 24 OECD-MA klarzustellen, dass das Diskriminierungsverbot nicht die Zulassung einer grenzüberschreitenden Organschaft erzwingt.5

4.65

Das Verbot der Diskriminierung von Kapital- und Personengesellschaften mit ausländischer Beteiligung ist nicht in allen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen verankert. Einige enthalten entweder überhaupt kein derartiges Diskriminierungsverbot oder aber nur sog. Meistbegünstigungsklauseln, die lediglich einen eingeschränkten Diskriminierungsschutz gewähren.6

4.66

1 So jedenfalls OECD-Kommentar zu Art. 24 Rz. 80. 2 BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BStBl. II 2012, 106 zur gewerbesteuerlichen Organschaft (§ 2 Abs. 2 GewStG); Nichtanwendungserlass: BMF v. 27.12.2011 – IV C 2-S 2770/11/10002 – DOK2011/ 0965132, BStBl. I 2012, 119; zu Einzelheiten Rz. 7.14 ff. 3 Hageböke/Käbisch, IStR 2006, 849 ff.; vgl. ferner Rz. 20.75 ff. 4 BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BStBl. II 2012, 106. 5 Vgl. zur deutschen Verhandlungsgrundlage (Art. 23 DE-VG, Protokoll Nr. 6); Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 24 OECD-MA Rz. 111; vgl. ferner die Abkommensübersicht bei Bruns in Schönfeld/Ditz2, Art. 24 OECD-MA Rz. 180 ff.; vgl. zur grenzüberschreitenden Organschaft Rz. 7.14 ff. 6 Hierzu die Abkommensübersicht bei Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 156 ff.

Schaumburg | 117

Kapitel 5 Internationaler Steuerwettbewerb

Steuern als Standortfaktor . . . . . . . . Rechtliche Rahmenbedingungen Steuersouveränität der Staaten . . . . . Handlungsfreiheit der Steuerbürger Unfairer Steuerwettbewerb Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatliche Maßnahmen 1. Spielraum des Gesetzgebers . . . . . 2. Einzelmaßnahmen . . . . . . . . . . . . III. Das BEPS-Projekt 1. Erste Phase: Bekämpfung von Gewinnverlagerungen durch BEPSAktionsplan 2013 – 2018 a) Hintergrund . . . . . . . . . . . . . b) Aktionspunkte aa) Überblick . . . . . . . . . . . . bb) Besteuerung der digitalen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . cc) Hybride Gestaltungen . . dd) Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . ee) Zinsabzug . . . . . . . . . . . . ff) Schädliche Steuerpraktiken . . . . . . . . . . . . gg) Abkommensmissbrauch hh) Betriebsstätten . . . . . . . . ii) Verrechnungspreise . . . . jj) Offenlegung . . . . . . . . . . A. B. I. II. C. I. II.

5.1 5.5 5.6 5.9 5.11 5.14

5.17 5.20 5.22 5.23 5.24 5.25 5.26 5.29 5.31 5.32 5.36

kk) Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . 5.37 ll) Verständigungs- und Schiedsverfahren . . . . . . 5.38 2. Zweite Phase: Neuverteilung von Besteuerungszugriffen und Verminderung des Wettbewerbsdrucks durch Mindestbesteuerung (GloBE) seit 2016 a) Entwicklungs- und Umsetzungsgeschichte . . . . . . . . . . 5.40 b) Pillar 1: Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft aa) Überblick . . . . . . . . . . . . 5.43 bb) Formelaufteilung – Amount A . . . . . . . . . . . 5.44 cc) Vereinfachung des Fremdvergleichs in Richtung Gewinnvergleich – Amount B . . . . . . . . . . . 5.51 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . 5.55 c) Pillar 2: Globale Mindestbesteuerung aa) Überblick . . . . . . . . . . . . 5.58 bb) Anwendungsbereich . . . 5.61 cc) Regelungstechnik . . . . . . 5.64 dd) Ermittlung der effektiven Steuerbelastung . . . . . . . 5.69 ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . 5.75

Literatur: Kommentare zu DBA und zu § 42 AO; Baajiens/Breuer, Niederlande: Steuerliche Impulse für Forschung und Entwicklung: Die „Innovatiebox“ und flankierende Regelungen, BB 2010, 2932; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, Köln 2002; Dobratz, Grundfreiheiten und steuerliche Wirtschaftspolitik, DStJG 39 (2016), 145; Drüen, Unternehmerfreiheit und Steuerumgehung, StuW 2008, 154; Fehling, Das BEPS-Projekt auf der Zielgeraden – was bedeutet dies für Deutschland?, FR 2015, 817; Fehling, Post-BEPS: Wie geht es nach den BEPS-Empfehlungen weiter?, IWB 2016, 160; Fuest, Ökonomische Prinzipien gerechter und effizienter Besteuerung DStJG 37 (2014), 65; Englisch, Zulässigkeiten und Grenzen steuerverschärfender Rechtsfortbildung, StuW 2015, 302; Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011; Hey, Steuerplanung in FS Kirchhof, Heidelberg 2013, § 153; Hey, Erscheinungsformen steuerlicher Wirtschaftspolitik, DStJG 39 (2016), 11; Homburg, Competition and Coordination in International Capital Income Taxation, Finanzarchiv 56 (1999), 1; Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl. München 2018; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. München 2016, 885 ff.; Kirchhof, Mittel staatlichen Handelns in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl., Heidelberg 2007, § 99 Rz. 1 ff.; Kreienbaum, Aktuelle steuerpolitischen Entwicklungen, WPg 2014, 493; Lang, Steuergerechtigkeit und Glo-

118 | Valta

A. Steuern als Standortfaktor | Rz. 5.1 Kap. 5 balisierung in Spindler/Tipke/Rödder, Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 45; Lehner, Wettbewerb der Steuersysteme im Spiegel europäischer und US-amerikanischer Steuerpolitik, StuW 1998, 159; Mellinghoff, Anforderungen an ein zukunftsfähiges Steuerrecht, Stbg 2007, 549; Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 6. Aufl. Köln 2020; Moneteith, Steuergestaltung mit Lizenzboxen, StuB 2014, 883; Müller/Sureth/Läufer, Mögliche Fallstricke einer Optimierung unternehmerischer Investitionsentscheidungen auf der Grundlage der Konzernsteuerquote, WPg 2010, 1028; Nussbaum, Steuerliche Bedingungen von Investitionen, DStJG 39 (2016), 263; Oestreicher, Internationale Steuerplanung, Herne/Berlin 2005; Pinkernell, Steuerliche Bedingungen von Forschung und Entwicklung, DStJG 39 (2016), 369; Rodi, Internationaler Steuerwettbewerb, StuW 2008, 327; Rödder, Deutsche Unternehmensbesteuerung im Visier des EuGH, DStR 2004, 1629; Runge, Schädlicher Steuerwettbewerb in der Europäischen Union und in den OECD-Ländern in Festschrift Rädler, München 1999, 558; Runge, Wettbewerb nationaler Steuerrechte in Festschrift Flick, Köln 1997, 957; Schaumburg, Steuerwettbewerb: Systematischer Überblick über die Gründe und die Auswirkungen des internationalen Steuerwettbewerbs, ISR 2016, 371; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2020; Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Aufl. Köln 2021; Schön in Becker/Schön, Steuer- und Sozialstaat im europäischen Systemwettbewerb, Tübingen 2005, 41; Schön, Internationales Steuerrecht in FS Kirchhof, Band II, Heidelberg 2013, § 150; Schön, Der „Wettbewerb“ der europäischen Steuerordnung als Rechtsproblem, in DStJG 23 (2000), 191; Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Steuerrecht, StbJb 2003/2004, 27 ff.; Spengel/Olbert, Die Berücksichtigung von Steuern in internationalen Investitionsentscheidungen – Stand der Wissenschaft und Praxiseinblicke, Ubg 2016, 285; Spengel, Neutralitätskonzepte und Anreizwirkungen im Internationalen Steuerrecht, DStJG 36 (2013), 39; Spengel, Konzernsteuerquoten im internationalen Vergleich – Bestimmungsfaktoren und Implikationen für die Steuerpflichtigen in Oestreicher, Internationale Steuerplanung, Herne/Berlin 2005, 89 ff.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. München 2017; Sureth/Halberstadt/Bischoff, Der Einfluss von Internationalisierung, Vermögens-. und Kapitalstruktur auf die Konzernsteuerquote im Branchenvergleich, StuW 2009, 50; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, 2. Aufl. Köln 2000; Tipke/Lang; Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021; Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 76 ff; Valta, Patentboxen und IP-Boxen – eine verbotene Beihilfe?, StuW 2015, 257; Valta, Grenzüberschreitende Leistungsfähigkeit multinationaler Unternehmen im EU-Recht, ISR 2020, 189; Valta/Stendel, Dynamik des Völkervertragsrechts und Treaty Override – Perspektiven des offenen Verfassungsstaats, StuW 2019, 340.

A. Steuern als Standortfaktor Die Globalisierung und die Liberalisierung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs haben zu einem Standortwettbewerb zwischen den Staaten geführt. Internationale Investitionsentscheidungen werden neben anderen Standortfaktoren1 auch durch Steuern beeinflusst.2 Das gilt vor allem für international operierende Kapitalgesellschaften, für die die tarifliche Körperschaftsteuerbelastung international sehr stark divergiert. Das maßgebliche Steuergefälle reicht hier von knapp 10 %3 bis über 30 %, in Ausnahmefällen sogar über 40 %.4 Dem gegenüber beträgt die entsprechende Steuerbelastung in Deutschland unter Einbeziehung des Solidaritätszuschlages und der Gewerbesteuer im Durchschnitt 30,2 %5 und erreicht in der Spitze

1 Z.B. Kostenstruktur, qualifizierte Arbeitnehmerschaft, Infrastruktur, Kundennähe, Rechtssicherheit, staatliche Ansiedlungshilfen; vgl. hierzu Nussbaum, DStJG 39 (2016), 263 (266 ff.). 2 Hierzu zuletzt Spengel/Olbert, Ubg. 2016, 285; Nussbaum, DStJG 39 (2016), 263 (268 ff.). 3 Z.B. Ungarn, Bulgarien. 4 Indien für nichtansässige Gesellschaften (ca. 43 %). 5 Bei einem Hebesatz der Gewerbesteuer i.H.v. 440 %.

Valta | 119

5.1

Kap. 5 Rz. 5.1 | Internationaler Steuerwettbewerb

36,2 %.1 Unter steuerlichen Gesichtspunkten werden Investitionsentscheidungen indessen nicht nur durch die körperschaftsteuerliche Tarifbelastung beeinflusst, sondern auch durch Gesichtspunkte der Steuerbemessungsgrundlage und der Effizienz der uni- und bilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Schließlich spielen in der Praxis auch die gezielte steuerliche Begünstigung von Holdingeinkünften2 sowie von Lizenzeinkünften3 eine besondere Rolle.

5.2

Die unterschiedlichen steuerlichen Bedingungen werfen die Frage nach der Allokationsneutralität der Besteuerung auf, der internationalen Steuerneutralität.4 Welche Steuerbelastung soll maßgeblich sein bei einer grenzüberschreitenden und damit zwei Steuersysteme berührenden Investition? Im Zusammenhang mit der Vermeidung der Doppelbesteuerung (Rz. 17.1 ff.) werden im Wesentlichen mit der Kapitalexport- und Kapitalimportneutralität (Rz. 17.20 ff.) zwei zum Teil gegensätzliche Konzepte (nebeneinander) verwirklicht. Soweit unilateral oder bilateral das Anrechnungsverfahren als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung eingreift, ist im Ausgangspunkt gewährleistet, dass in- und ausländische Gewinne gleichermaßen belastet werden. Es liegt eine Kapitalexportneutralität aus Sicht des Ansässigkeitsstaats vor. Dieser Neutralitätseffekt wird indes nur dann erreicht, wenn die ausländische Steuerbelastung nicht höher ist als die inländische (Rz. 17.29 ff.) und zudem ausländische Tochtergesellschaften, die die entsprechenden Investitionen auf dem ausländischen Markt vornehmen, Gewinne nicht thesaurieren.5 Das gilt auch im Anwendungsbereich des deutschen Körperschaftsteuerrechts, es sei denn, die ausländische Tochterkapitalgesellschaft erzielt niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb. In diesem Fall sorgt die Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG) in Durchbrechung des Trennungsprinzips dafür, dass die Zwischeneinkünfte im Inland einer kapitalexportneutralen Besteuerung zugeführt werden (Rz. 13.1 ff.). Dem gegenüber bewirkt die auf unilateraler und bilateraler Ebene verankerte auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung ausgerichtete Steuerfreistellung eine kapitalimportneutrale Besteuerung aus Perspektive des Quellenstaates, weil insoweit das ausländische Steuerniveau die steuerliche Definitivbelastung für die betreffenden Auslandsinvestitionen darstellt. Dadurch besteht eine steuerliche Konkurrenzgleichheit im Quellenstaat mit dort ansässigen Unternehmen. Ist die ausländische Steuerbelastung niedriger, werden hierdurch aber aus Perspektive des Ansässigkeitsstaates Investitionen in das betreffende Ausland gelenkt. Derartige Anreizeffekte werden über Aktivitätsklauseln auf, aus deutscher Sicht, überhaupt im Wettbewerb stehende „aktive“ Tätigkeiten beschränkt und bei drohender Doppelnichtbesteuerung oder Niedrigbesteuerung durch Subject-to-tax-, Switch-over- oder Korrespondenzklauseln (Rz. 18.149 f.) suspendiert (Rz. 5.15).

5.2a

Ökonomisch gesehen ist die Kapitalexportneutralität durch die Anrechnungsmethode grundsätzlich vorzugswürdig.6 Wie bereits beschrieben wird diese durch Anrechnungsüberhänge bei hohen Quellensteuern aber oftmals nicht erreicht. Zudem wird die Besteuerung im Quellenstaat als Standortfaktor quasi ausgeschaltet. Dies ist insbesondere aus Sicht von Schwellen-

1 Bei einem Hebesatz der Gewerbesteuer i.H.v. 580 %. 2 Hierzu die Länderübersicht bei Schaden/Polatzky in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 6. Aufl. Köln 2020, Rz. 17.1 ff. 3 Vgl. zur Rechtslage in den Niederlanden Baaijens/Breuer, BB 2010, 2932; zu sog. Patent- und Lizenzboxen Monteith, StuB 2014, 883; Valta, StuW 2015, 257. 4 Zu den Konzepten internationaler Steuerneutralität Spengel, DStJG 36 (2013), 39 (44 ff.); Lehner, StuW 1998, 159 (164 ff.). 5 Hierzu Spengel, DStJG 36 (2013), 39 (48). 6 Homburg, Finanzarchiv 56 (1999), 1 ff.; Spengel, in Achatz, Internationales Steuerrecht, DStJG Bd. 36, 2013, 39 (47, 51).

120 | Valta

A. Steuern als Standortfaktor | Rz. 5.3 Kap. 5

und Entwicklungsländern misslich, denen damit nicht nur eine steuerliche Standortpolitik versagt wird, sondern die auch keine Möglichkeit haben, möglicherweise schlechtere Infrastruktur durch niedrigere Steuern abzubilden. Wenn trotz der Nutzung der Infrastruktur eines Entwicklungs- und Schwellenlandes im Ergebnis der steuerliche „Preis“ des Industrielandes zu zahlen ist, drohen auch anspruchslose Investitionen in Industrieländern angesiedelt zu werden, obwohl sie im Entwicklungsland effizienter umgesetzt werden könnten. Die Kapitalimportneutralität der Freistellungsmethode lässt hingegen außer Acht, dass nicht nur der Quellenstaat, sondern auch der Ansässigkeitsstaat, an der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit beteiligt ist. Die Welteinkommensbesteuerung im Ansässigkeitsstaat ist ein wichtiges Korrektiv um sicherzustellen, dass die Besteuerung insgesamt leistungsfähigkeitsund damit gleichheitsgerecht ist. Der Standortwettbewerb zwischen den Staaten mit Steuern als einer von mehreren Standortfaktoren sorgt im Ausgangspunkt für Allokationseffizienz und eine demokratische Exit-Option. Unternehmen mit geringen Anforderungen an den Standort können einen Staat als Standort wählen, der schlechte oder besondere Standortbedingungen mit niedrigen Steuern kompensiert. Unternehmen mit hohen Anforderungen sind auf die Staaten mit guter Infrastruktur angewiesen, die diese mit höheren Steuern finanzieren. Im Ergebnis wird einer Überproduktion öffentlicher Güter vorgebeugt. Der Standortwettbewerb ermöglicht eine „Abstimmung mit den Füßen“: Können Unternehmen mit ihren wirtschaftspolitischen Bedürfnissen weder Gehör noch Mehrheiten finden, können sie unter Inkaufnahme von Opportunitätskosten wegziehen. Voraussetzung für einen effizienten Standortwettbewerb ist jedoch der Konnex zwischen Steuerbelastung und Nutzung von durch die Belastung finanzierten Staatleistungen. Die OECD umschreibt dies mit der Maxime der Besteuerung am Ort der Wertschöpfung. Die Steuer muss gleichheitsgerecht erhoben werden und damit für den Steuerpflichtigen unausweichlich sein. Aus dem effizienten Standortwettbewerb wird daher ein schädlicher isolierter Steuerwettbewerb, wenn die Nutzung von Staatsleistungen nicht mehr an die gleiche Besteuerung im entsprechenden Land gebunden ist. Das ist der Fall, wenn die Infrastruktur im Hochsteuerland genutzt wird, dort aber entweder nur ein privilegierter Steuersatz zu zahlen ist oder die Besteuerung über Gewinnverlagerungen ebenfalls in einem Niedrigsteuerland erfolgt. Dies ist insbesondere auch eine Folge der unterschiedlichen Mobilität der zum Einsatz kommenden Produktionsfaktoren. Im Hinblick darauf sind Real- und Geldkapital ebenso wie immaterielle Wirtschaftsgüter (Patente, Marken und Know-how) als mobile Besteuerungsgüter in besonderer Weise geeignet, das internationale Steuergefälle zu nutzen. Wird für derart mobile Einkünfte die Doppelbesteuerung durch Freistellung vermieden und werden möglicherweise niedrigere Steuersätze angeboten, erfolgt insoweit im Vergleich zu immobilen Einkünften aus Boden und Arbeit eine privilegierte Besteuerung.1 Diese mobilitätsbedingten Verzerrungen führen letztlich dazu, dass staatliche Umverteilungen vor allem durch indirekte Steuern und darüber hinaus durch direkte Steuern auf immobile Einkünfte finanziert werden müssen.2

1 Hierzu Valta, Das internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 174 ff.; Schön, DStJG 23 (2000), 192 (202). 2 Hierzu Valta, Das internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 175 f.

Valta | 121

5.3

Kap. 5 Rz. 5.4 | Internationaler Steuerwettbewerb

5.4

Den Einfluss der Steuern auf internationale Investitionsentscheidungen zurückzudrängen oder zumindest eine Besteuerung am Ort der Wertschöpfung sicherzustellen und damit zugleich den zwischenstaatlichen Steuerwettbewerb zu reduzieren, liegt insbesondere im Interesse hoch besteuernder Staaten. Im Hinblick darauf sind die entsprechenden Bemühungen einerseits auf internationale Kooperation und zum anderen auf eine restriktive nationale Steuergesetzgebung angelegt. Die hierfür maßgeblichen rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben sich im Verhältnis zu anderen Staaten aus dem Völkerrecht und im Verhältnis zu den eigenen Steuerbürgern aus dem jeweiligen Verfassungsrecht.

B. Rechtliche Rahmenbedingungen I. Steuersouveränität der Staaten 5.5

Die Entscheidung über die Einführung und Abschaffung von Steuern, über die Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage des Tarifs und des Verfahrens obliegt im Grundsatz allein der staatlichen Gesetzgebung. Der Vollzug ist Aufgabe der Finanzverwaltung. Das gilt auch, soweit sich die gesetzgeberischen Maßnahmen und das Verwaltungshandeln gegen die Steuerinteressen anderer Staaten richten.1 Insoweit handelt der Staat nach innen hin autonom2 und im Verhältnis zu anderen Staaten souverän.3 Hieraus folgt, dass die jeweilige innerstaatliche Rechtsordnung grundsätzlich abgeschirmt ist gegenüber anderen Staaten,4 so dass die unmittelbare Einwirkung etwa der Völkergemeinschaft auf das innerstaatliche Steuerrecht grundsätzlich versagt bleibt.5 Eingriffe und Beschränkungen der Steuersouveränität aufgrund völkerrechtlicher Verträge sind jedoch ohne weiteres zulässig und auch üblich. Hierzu gehören etwa der mit Vorrang gegenüber dem innerstaatlichen Recht ausgestaltete Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) (Rz. 3.27 ff.) und die Doppelbesteuerungsabkommen6 (Rz. 19.1 ff.). Das BEPSProjekt (Rz. 5.17 ff.) ist hingegen im Ausgangspunkt rechtlich unverbindlich. Es handelt sich lediglich um sogenanntes „soft law“, das sich unmittelbar an die beteiligten Staaten wendet7 und nur darauf gerichtet ist, dass jeweilige nationale Steuerrecht und insbesondere die Doppelbesteuerungsabkommen durch gesetzgeberische Maßnahmen zu ändern.8 Das multilaterale Instrument, mit dem die Änderungen an den Doppelbesteuerungsabkommen in einem multilateralen Vertrag und mehrstufigen Verfahren koordiniert vorgenommen wurden, ist für die Signatarstaaten wiederum verbindlich.

1 Zur „beggar your neighbour“-Politik, die durch das BEPS-Projekt beendet werden soll, Fehling, FR 2015, 817 (822). 2 Kirchhof in HStR V3, § 99 Rz. 36; Valta, Das internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 52 f., 72 f.; das Autonomieprinzip hat auch innerhalb der EU Geltung; vgl. hierzu Dobratz, DStJG 39 (2016), 145 (148 f.). 3 Zur (äußeren) Souveränität der Staaten: Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 511 ff.; Epping in Ipsen, Völkerrecht7, § 7 Rz. 138. 4 Der internationale Anpassungsdruck ist allerdings beachtlich; vgl. hierzu Lang in FS Schaumburg, 45 (50). 5 Vgl. zu diesem Interventionsverbot Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 631 ff. 6 DBA sind allerdings einem Treaty-Overriding ausgesetzt; BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191; vgl. Rz. 3.24 f. 7 Vgl. Fehling, FR 2015, 817 (818); Kreienbaum, WPg 2014, 493 (495 f.). 8 Fehling, IWB 2016, 160 (161).

122 | Valta

B. Rechtliche Rahmenbedingungen | Rz. 5.8 Kap. 5

II. Handlungsfreiheit der Steuerbürger Es gehört zur allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), etwa als Unternehmer im In- oder Ausland zu investieren1 oder sein Unternehmen und seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in das Ausland zu verlegen.2 Diese Handlungsfreiheit gilt auch in den Fällen, in denen die vorstehenden Maßnahmen steuerlich motiviert sind.

5.6

Freiheitsrechtlich abgesichert (Art. 12, 14, 2 Abs. 1 GG) – freilich nur innerhalb der geltenden Gesetze – ist auch die internationale Steuerplanung.3 Hiernach steht es jedem Steuerpflichtigen frei, Gestaltungen so zu wählen, dass sie eine möglichst geringe Steuerbelastung auslösen.4 Dies schließt auch die Freiheit ein, die Steuer gänzlich zu vermeiden.5 In diesem Sinne kann von einer Freiheit zur Steuerplanung und Steuergestaltung gesprochen werden. Es handelt sich jedoch nicht um eine eigene grundrechtliche Gewährleistung oder eine Wertentscheidung des Grundgesetzes. Das Grundgesetz geht von einer Steuerstaatlichkeit und damit von einer effektiven Besteuerung aus. Die Planungs- und Gestaltungsfreiheit ist lediglich Reflex daraus, dass in die allgemeine Handlungsfreiheit und die anderen Grundrechte nur auf verfassungsgemäßer gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden darf. Der Steuerpflichtige darf sich daher auf die Grenzen steuerlicher Tatbestände berufen und deren Erfüllung zu vermeiden suchen, er darf die Grenzen auch austesten. Aus dem Verfassungsrecht folgt aber nicht, dass die steuerlichen Tatbestände besonders eng am Wortlaut auszulegen seien oder es ein Analogieverbot zu Lasten des Steuerpflichtigen gebe.6 Die Steuervermeidung als solche kann daher auch nicht strafbar sein und zwar auch dann nicht, wenn es sich um einen Fall der Steuerumgehung (§ 42 AO) handelt.7 Die Schwelle zur strafbaren Steuerhinterziehung ist erst dann überschritten, wenn der unabhängig vom eigenen Verständnis steuerrelevante Sachverhalt nicht vollständig gegenüber den Finanzbehörden offengelegt wird.

5.7

Internationale Steuerplanung ist für international operierende Unternehmen eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit.8 Die Effizienz der Steuerplanung wird u.a. abgebildet in der

5.8

1 BVerfG v. 16.5.1961 – 2 BvF 1/60, BVerfGE 12, 341 (347); v. 28.1.1970 – 1 BvL 4/67, BVerfGE 27, 375 (384); v. 14.10.1970 – 1 BvR 306/68, BVerfGE 29, 260 (266 f.); v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77 u.a., BVerfGE 50, 290 (366); v. 19.10.1983 – 2 BvR 298/81, BVerfGE 65, 196 (210 f.); Rixen in Sachs9, Art. 2 GG Rz. 54. 2 Auf Art. 2 Abs. 1 GG stützend, BVerfG, v. 14.5.1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 (245); dagegen auf Art. 11 GG stützende Pagenkopf in Sachs9, Art. 11 GG Rz. 29. 3 Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 3. 4 BVerfG v. 14.4.1959 – 1 BvL 23, 34, 57, BVerfGE 9, 237 (249 f.); BFH v. 16.1.1996 – IX R 13/92, BStBl. II 1996, 214; v. 14.9.1995 – IX R 54/93, BStBl. II 1996, 158; v. 23.10.1996 – IX R 39/99, BStBl. II 1998, 90; v. 19.10.1999 – IX R 39/99, BStBl. II 2000, 224; v. 18.3.2004 – III R 25/02, BStBl. II 2004, 787 (791); v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14 (16); v. 29.8.2007 – IX R 17/07; BStBl. II 2008, 502; v. 17.3.2010 – IV R 25/08, BStBl. II 2010, 622; Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 3; Mellinghoff, Stbg. 2007, 559. 5 Drüen, StuW 2008, 156. 6 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 5.81; vertiefend Englisch, StuW 2015, 302. 7 BFH v. 1.2.1983 – VIII R 30/80, BStBl. II 1983, 534; v. 17.3.1994 – V R 123/91, BFH/NV 1995, 274 (275); BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137; BFH v. 21.5.1999 – VII B 37/99, BFH/ NV 1999, 1496; Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 6; Seer in Tipke/Lang24, Rz. 23.25; Peters in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 11.44 ff. 8 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 887; Grotherr in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 26.

Valta | 123

Kap. 5 Rz. 5.8 | Internationaler Steuerwettbewerb

Konzernsteuerquote,1 die bei kapitalmarktorientierten Unternehmen als Kennzahl im Jahresabschluss veröffentlicht wird.2 Eine sehr niedrige Steuerquote kann sich jedoch auch zu einem Reputationsrisiko entwickeln, da die Öffentlichkeit mittlerweile für das Problem von Gewinnverlagerungen und Steuervermeidung sensibilisiert ist. Zudem muss immer abgewogen werden, ob die Senkung der Steuerquote im Verhältnis steht zu dem Risiko, dass Rechtssicherheit erst nach langjährigen Gerichtsverfahren oder gar internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren erreicht wird.

C. Unfairer Steuerwettbewerb I. Grundlagen 5.9

Die Steuerausfälle durch auf Gewinnverlagerung und Gewinnvermeidung gerichtete internationale Steuergestaltungen wurden vor den Maßnahmen im Rahmen des BEPS-Projekts (siehe dazu sogleich Rz. 5.17 ff.) auf 4 bis 10 % des weltweiten Körperschaftsteueraufkommens geschätzt, d.h. zwischen 100 und 240 Mrd. USD pro Jahr.3 Die Mindereinnahmen beruhen im Wesentlichen auf der „Aushöhlung“ steuerlicher Bemessungsgrundlagen (base erosion) und der Gewinnverlagerung in niedrig besteuernde Länder (profit shifting). Soweit insbesondere die grenzüberschreitenden Gewinnverlagerungen veranlasst werden durch gezielte Steuererleichterungen für gebietsfremde Unternehmen und Personen, wird dieser Steuerwettbewerb als „schädlich“ oder „unfair“ kritisiert.4 Zu diesen „schädlichen“ oder „unfairen“ Steuervergünstigungen zählen vor allem die sogenannten Patent- und Lizenzboxen.5

5.10

Der „unfaire“ Steuerwettbewerb führt zu Verwerfungen im zwischenstaatlichen Steueraufkommen und widerspricht der Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Staaten.6 Die damit einhergehenden Steuergestaltungen führen dazu, dass die betreffenden Staaten nicht diejenigen Besteuerungsanteile geltend machen können, die eigentlich der Inanspruchnahme ihrer staatlichen Gesamtleistungen entsprechen (Globaläquivalenz).7 Zugleich wird aber auch die individuelle Steuergerechtigkeit tangiert, weil das internationale Steuergefälle nur im Rahmen mobiler Einkünfte genutzt werden kann, so dass durchweg Steuerpflichtige mit Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit und Einkünften aus Vermietung und Verpachtung von Immobilien

1 Hierzu Spengel, in Oestreicher, Internationale Steuerplanung, 89 ff.; Lühn, Gestaltbarkeit der Konzernsteuerquote im Rahmen der internationalen Konzernsteuerplanung in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 153 ff.; Sureth/Halberstadt/Bischoff, StuW 2009, 50; Müller/Sureth/Läufer, WPg 2010, 1028. 2 Vgl. hierzu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 885 ff.; Lühn in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 153 ff. 3 OECD-Measuring and monitoring BEPS, Action 11: 2015 Final report, 79. 4 Zur Differenzierung zwischen fairem und unfairem Steuerwettbewerb Hey in Tipke/Lang24, Rz. 7.68 f.; Schön in FS Kirchhof, § 50 Rz. 17; Valta, Das internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 174 ff; Schön, DStJG 23 (2000), 191 (206 f.). 5 Hierzu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 150 ff. 6 Valta, Das internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 45, 178; Schön, DStJG 23 (2000), 191 (201 f.); vgl. auch Rz. 6.57. 7 Valta, Das internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 22 ff., 178.

124 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.11 Kap. 5

steuerlich im Nachteil sind.1 Im Hinblick darauf ist es legitim, wenn die betreffenden Staaten jeweils gesondert oder gemeinsam normative Maßnahmen ergreifen, um den „unfairen“ Steuerwettbewerb zu begrenzen.

II. Staatliche Maßnahmen 1. Spielraum des Gesetzgebers Es entspricht zwar der Fiskalautonomie des Staates, das Steuerrecht normativ zu gestalten (Rz. 5.5), hierbei ist er aber rechtsstaatlich gebunden2 und unterliegt vor allem den Schrankenwirkungen des Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). Hiernach ergibt sich insbesondere eine Bindung an formale und materielle Rechtsstaatlichkeit.3 Von besonderer Bedeutung ist die Befolgung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG),4 so dass die (normativen) Maßnahmen gegen den „unfairen“ Steuerwettbewerb sich stets am Gleichheitssatz messen lassen müssen. Darüber hinaus gelten auch die Eingriffsschranken, die insbesondere durch das im Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)5 begründete Rückwirkungsverbot6 und Übermaßverbot,7 dem aus Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG abgeleiteten Verbot der Erdrosselungssteuer,8 der Berufsfreiheit (Art. 12 GG)9 und durch das Prinzip eigentumsschonender Besteuerung (Art. 14 GG)10 konkretisiert wird. Des Weiteren ergibt sich eine Bindung an das unionsrechtliche Primärrecht, insbesondere an die Grundfreiheiten als unmittelbar geltendes Recht (Rz. 3.28) sowie an die EU-Richtlinien (Rz. 3.28 ff.). Ferner ist auch das unionsrechtliche Beihilfenrecht11 von Bedeutung. Schließlich sind auch die Schrankenwirkungen völkerrechtlicher Verträge (Rz. 3.23 ff.) zu beachten. Hierzu gehören insbesondere die Regelungen der Doppelbesteuerungsabkommen (Rz. 19.1 ff.) und verschiedener Freundschafts- und Freizügigkeitsabkommen (Rz. 4.46 ff.), die durchweg verbindliche Diskriminierungsverbote enthalten. Indessen entfalten insbesondere Doppelbesteuerungsabkommen nur eine eingeschränkte Bindungswirkung.12 Das bedeutet, dass abweichendes innerstaatliches Recht begründet oder geändert werden kann, falls dies zur Beseitigung eines „unfairen“ Wettbewerbs erforderlich ist („Treaty-Override“).13 Nicht jede gesetzliche Abweichung von einem Doppelbesteuerungsabkommen ist zudem per se völkerrechtswidrig, da die Auslegung von Abkommen durch die Staatenpraxis beeinflusst wird und die innerstaatliche Auslegung durch die Gerichte nicht im-

1 Valta, Das internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 174 ff.; Schön, DStJG 23 (2000), 191 ff. (202). 2 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I2, 105; Kirchhof in HStR V3, § 99 Rz. 36; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.9 ff. 3 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I2, 105; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.93 f. 4 Zu Einzelheiten Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.110 ff.; ferner Rz. 4.4 ff. 5 Zu den Elementen des Rechtsstaatsprinzips im Überblick Sachs in Sachs9, Art. 20 GG Rz. 77 ff. 6 Hierzu der Überblick bei Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.260 ff.; aus der Rspr. vor allem BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 14/02 u.a. BVerfGE 127, 1; v. 7.7.2010 – 2 BvL 1/03 u.a., BVerfGE 127, 31; v. 7.7.2010 – 2 BvR 748/05 u.a., BVerfGE 127, 61. 7 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I2, 205 ff., 417 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.180 ff. 8 Drüen in T/K, § 3 AO Rz. 17; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.184. 9 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.188. 10 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.189 ff. 11 Hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 9.1 ff. 12 Ein Treaty-Overriding ist vom BVerfG für verfassungsgemäß gehalten worden; BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359 (zu § 50d Abs. 8 EStG). 13 Zur Kritik an dieses Treaty-Overriding Rz. 3.24 f.

Valta | 125

5.11

Kap. 5 Rz. 5.11 | Internationaler Steuerwettbewerb

mer die völkerrechtliche Rechtslage abbilden muss.1 Anderenfalls sind bilaterale Verhandlungen zur Änderung der Doppelbesteuerungsabkommen geboten oder aber es werden die entsprechenden normativen Maßnahmen im Rahmen eines multilateralen Abkommens getroffen, die zielgerichtet als spezielleres Recht bereits geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen verdrängen.2 Schließlich geht es auch um die im WTO/GATT (Rz. 4.44) und im GATS (Rz. 4.45) verankerten Diskriminierungsverbote.

5.12

Die Vorgaben des Unionsrechts zur Verwirklichung des Binnenmarktes sind im Hinblick auf den internationalen Steuerwettbewerb ambivalent.3 Eine Angleichung der Steuersysteme wurde bislang nur für die indirekten Steuern im Sinne einer weitgehenden Harmonisierung vollzogen. Die entsprechende Gesetzgebungskompetenz, die von der Sache her einen Harmonisierungsauftrag darstellt, ergibt sich aus Art. 113 AEUV. Dem gegenüber fehlt es für den Bereich der direkten Steuern, insbesondere für die Ertragsteuern, an einer entsprechenden ausdrücklichen Gesetzgebungskompetenz für die Union. Im Hinblick darauf ist eine Rechtsangleichung auf der Grundlage der allgemeinen Harmonisierungsvorschriften (Art. 115, 116 AEUV) möglich, die vom EuGH aber weit ausgelegt werden und daher keine absehbaren Harmonisierungshindernisse bilden. Praktisch bedeutsamer ist das Einstimmigkeitserfordernis für den Erlass von Harmonisierungsrichtlinien, welches faktisch ein Vetorecht für vom Steuerwettbewerb profitierende Staaten darstellt. Für die Ertragsteuern ist damit insoweit das Konzept der Vollharmonisierung (einstweilen) versagt geblieben mit der Folge, dass die EU weiterhin durch einen Steuerwettbewerb geprägt ist. Dieser Wettbewerb wird indessen durch die Fusions-Richtlinie (Rz. 3.66 ff.), die Mutter-Tochter-Richtlinie (Rz. 3.70 ff.), die Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie (Rz. 3.74 ff.) sowie die Steuervermeidungsabwehr-Richtlinie (ATAD) (Rz. 5.21), die sämtlich in nationales Recht umgesetzt worden sind, beeinflusst. Die Wirkung der Richtlinien ist jedoch unterschiedlich. Die Abschaffung von Quellensteuern durch die Mutter-Tochter-Richtlinie und die Zins-Lizenzgebühren-Richtlinie ohne zugleich eingeführte entsprechende Missbrauchsabwehrvorschriften, hat Gewinnverlagerungen innerhalb der EU und aus der EU hinaus gefördert. Können Gewinne innerhalb des Binnenmarktes einfach verlagert werden, genügt eine Schwachstelle oder standortpolitisch bewusst offen gehaltene Lücke im Recht eines Mitgliedsstaates, um durch diese Gewinne aus der ganzen Union in Drittstaaten zu verlagern. Mit der im Kontext des BEPS-Projektes (Rz. 5.17 ff.) ergangenen ATAD-Richtlinie und neueren Vorhaben wie der Unshell-Richtlinie zur Außerachtlassung substanzarmer Zweckgesellschaften verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Bekämpfung unfairen Steuerwettbewerbs. Neben der „positiven“ Harmonisierung“ durch Richtlinien ist vor Jahren durch wichtige EuGH-Entscheidungen zur Anwendung der Grundfreiheiten ein Prozess der „stillen“ oder „negativen“ Harmonisierung eingeleitet worden.4 Diese „negative“ Harmonisierung beruht auf der Doktrin des Vorrangs der Grundfreiheiten gegenüber der Steuersouveränität der Mitgliedstaaten (Rz. 3.36 ff., Rz. 3.64), was dazu geführt hat, dass zahlreiche Entscheidungen des EuGH in das deutsche Steuerrecht umgesetzt worden sind und zu einer europaweiten Rechtsanglei-

1 2 3 4

Valta/Stendel, StuW 2019, 340 (342 ff.). Voraussetzung ist die Identität der Vertragspartner. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 1.4. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 2.10; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 25 ff.; Schön, StbJb 2003/2004, 27 ff.; Rödder, DStR 2004, 1629 ff.

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C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.14 Kap. 5

chung geführt haben.1 Diese Harmonisierung ist jedoch in dem Sinne „negativ“, als dass die Grundfreiheiten nur Diskriminierungen und Beschränkungen verbieten, jedoch im Grundsatz keine Maßstäbe für positive Politikentscheidungen bieten, auch wenn der EuGH bisweilen – kompetenziell kritisch – als Ersatzrichtliniengeber tätig wird (z.B. mit Blick auf die Rechtsprechung zu finalen Verlusten).2 Die in Art. 107 f. AEUV verankerte Beihilfenkontrolle3 reguliert den Steuerwettbewerb ebenfalls. Denn das Beihilfenverbot ist gegen staatliche Beihilfen zugunsten bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige gerichtet, soweit sie wettbewerbsverfälschend sind und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.4 Zu diesen verbotenen Beihilfen zählen auch Steuervergünstigungen für Unternehmen.5 Die Beihilfekontrolle trägt damit zur Verhinderung eines „unfairen“ (schädlichen) Steuerwettbewerbs bei und zwingt die Mitgliedstaaten insoweit zu einer Angleichung ihrer Steuersysteme frei von wettbewerbsverfälschenden Steuervergünstigungen.6 Aber auch diese Harmonisierung ist letztlich eine „negative“; Referenzpunkt ist das jeweils geltende nationale Recht. Die Beihilfenkontrolle kann beispielsweise erfassen, wenn bestimmte Unternehmen eine Vorzugsbehandlung („Selektivität“) durch auf sie zugeschnittene Regelungen oder entsprechende verbindliche Auskünfte erhalten, was aber erst einmal in hinreichender Deutlichkeit nachgewiesen werden muss. Zu einer generellen Reform des nationalen Rechts oder einer Angleichung an per se unverbindliche internationale Standards, wie die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien, kann sie aber nicht verpflichten.

5.13

2. Einzelmaßnahmen Im deutschen Steuerrecht sind auf uni- und bilateraler Ebene zahlreiche Normen verankert, die gegen den internationalen Steuerwettbewerb gerichtet sind, soweit sich dieser zu Lasten des deutschen Steueraufkommens auswirkt. Den in Betracht kommenden Normen und Normenkomplexen liegt keine in sich geschlossene Konzeption zugrunde, so dass sie nur singulär wirken. Im Hinblick darauf haben sie sich in besonderer Weise gegenüber dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und den unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten7 zu rechtfertigen.8 Bei den in Betracht kommenden Normen geht es im internationalen Kontext insbesondere darum, – den Verlust deutschen Steuersubstrats, – die Steuerflucht in Niedrigsteuerländer, 1 Vgl. nur § 6 Abs. 5 AStG (Wegzugsbesteuerung als Folge von EuGH vom 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138 = Slg. 2004, I-2409 – Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 7.9.2006 – C470/04, ECLI:EU:C:2006:525 = Slg. 2006, I-7445 – N und § 8 Abs. 2 AStG (Hinzurechnungsbesteuerung aufgrund EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 = Slg. 2006, I-7995 – Cadbury Schweppes). 2 Valta, ISR 2020, 189 (199). 3 Für den EWR-Bereich gilt Art. 61 EWRA und spezielle im Verhältnis zur Schweiz Art. 23 des Freihandelsabkommens EU-Schweiz; zu Einzelheiten Rz. 4.46 ff. 4 Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 9.1. 5 Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 9.4 m.w.N. aus der Rspr. des EuGH. 6 Schön, DStJG 23 (2000), 191 (214 ff.). 7 Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 AEUV), Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), Dienstleistungsfreiheit (Art. 46 AEUV) und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV). 8 Zu den entsprechenden Diskriminierungsverboten vgl. Rz. 4.1 ff.

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5.14

Kap. 5 Rz. 5.14 | Internationaler Steuerwettbewerb

– eine internationale Minderbesteuerung und – Steuerumgehung zu verhindern.

5.15

Hierzu der nachfolgende Überblick: – Entstrickungsbesteuerung, der im Inland gebildete stillen Reserven eines Wirtschaftsguts, die im Falle des Ausschlusses oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts auch ohne Realisierungsakt der Besteuerung unterliegen (Rz. 6.381 ff.). Die entsprechenden Entstrickungsklauseln sind verankert für Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens in §§ 4 Abs. 1 Sätze 3 u. 4, 4g, 16 Abs. 3a, 36 Abs. 5, 50i Abs. 1 EStG1 und § 12 KStG und für das Privatvermögen in § 17 Abs. 5 EStG. Darüber hinaus enthält auch das Umwandlungssteuergesetz (§§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, 24 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UmwStG) Entstrickungsklauseln, aufgrund deren eine steuerneutrale Umwandlung grundsätzlich nur möglich ist, wenn deutsches Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (Rz. 20.14 f.). – Wegzugsbesteuerung, aufgrund derer der Vermögenszuwachs privat gehaltener Kapitalanteile (§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht gem. § 6 AStG der Einkommensteuer unterliegt (Rz. 6.406 ff.). – Erweitert beschränkte Steuerpflicht (§§ 2, 4 AStG), die dazu führt, dass bei einem Wohnsitzwechsel in niedrig besteuernde Gebiete für weitere zehn Jahre nach dem Wegzug erweiterte Inlandseinkünfte und der entsprechend zugrundeliegende Erwerb der Einkommenund Erbschaftsteuer unterworfen sind (Rz. 6.312 ff.). – Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7–14 AStG), die darauf gerichtet ist, die Abschirmwirkung niedrig besteuerter ausländischer Kapitalgesellschaften mit Einkünften aus passivem Erwerb zu beseitigen und deren Gewinne bei inländischen Anteilseignern als (fiktive) Dividenden steuerlich zu erfassen (Rz. 13.1 ff.). – Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG) mit der Folge, dass Einkünfte einer ausländischen Familienstiftung dem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter oder sonst unbeschränkt steuerpflichtigen Destinatären als eigene Einkünfte zugerechnet werden (Rz. 14.1 ff.). – Missbrauchsbesteuerung (§ 42 AO), wonach bei einer Steuerumgehung der Steueranspruch so entsteht, wie er ohne die missbräuchliche Gestaltung zum Zwecke der Steuervermeidung, etwa durch Einschaltung von Basisgesellschaften, entstanden wäre (Rz. 13.33 ff.). – Grenzüberschreitende Einkünftekorrektur, die u.a. auf Grundlage verdeckter Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG), verdeckter Einlage (§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG) oder gem. § 1 AStG bei unangemessenen Verrechnungspreisen eingreift (Rz. 21.1 ff.). – Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG), die bewirkt, dass betrieblich veranlasste Zinsaufwendungen, und zwar auch solche für in das Ausland gezahlte Zinsen, nur bis zur Höhe des Zinsertrags und, soweit sie diese übersteigen, nur bis zur Höhe von 30 % eines modifizierten Betriebsergebnisses (verrechenbares EBITDA) abziehbar sind (Rz. 6.117 ff.). – Internationale Korrespondenzklauseln, die eine Verknüpfung von steuerabzugsfähigen Ausgaben in dem einen Staat mit zu versteuernden Einnahmen in dem anderen Staat her-

1 In der Fassung des AHRL-ÄndUmsG.

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C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.15 Kap. 5

stellen, um so insbesondere auf Abkommensebene1 oder im nationalen Steuerrecht (§§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d Satz 2, 4i, 4j, 4k, 32d Abs. 2 Nr. 4, 50d Abs. 8–10 EStG, §§ 8 Abs. 3 Satz 4, 8b Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG) eine internationale Minderbesteuerung zu vermeiden (Rz. 18.149 f.).2 – Subject-to-Tax-Klauseln, die bestimmen, dass die an sich nach Abkommensrecht gebotene Freistellung nur gewährt wird, wenn im anderen Staat eine Besteuerung erfolgt, so dass auch hierdurch eine internationale Minderbesteuerung vermieden wird (Rz. 15.8, 19.522 f.).3 – Remittance-Base-Klauseln, wonach im Quellenstaat eine Freistellung oder eine Steuerermäßigung davon abhängig gemacht wird, dass die Einkünfte in dem anderen Vertragsstaat bezogen werden und zusätzlich dort der Besteuerung unterliegen (Rz. 19.349).4 – Switch-over-Klauseln (Umschaltklauseln), aufgrund deren der Ansässigkeitsstaat für Zwecke der Vermeidung der Doppelbesteuerung auf Abkommensebene5 oder nach nationalem Recht (§ 50d Abs. 9 EStG, § 20 Abs. 2 AStG) von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode überwechselt, wenn anderenfalls eine Minderbesteuerung erfolgt (Rz. 19.140, 19.525). – Beneficiary-Klauseln, die sicherstellen, dass Abkommensvorteile, insbesondere die Reduzierung von Quellensteuern oder deren Nichterhebung im Quellenstaat nur den Nutzungsberechtigten, also jenen zu Gute kommen, die nicht nur ein formales Recht auf die Einkünfte haben, sondern tatsächlich über die Einkünfte verfügen können (Rz. 19.139, 19.347).6 – Grundstücksklauseln (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA), wonach Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Grundstücksgesellschaften vom Belegenheitsstaat besteuert werden dürfen, um so Immobilieninvestoren die Möglichkeit zu nehmen, durch Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft die Besteuerung im Belegenheitsstaat zu vermeiden (Rz. 19.143, 19.396 f.). – Künstlerverleihklauseln (Art. 17 Abs. 2 OECD-MA), die bewirken, dass Personen, denen Einkünfte aus der Tätigkeit als Künstler oder Sportler zufließen, obwohl sie selbst nicht als Künstler oder Sportler auftreten, der Besteuerung in dem Staat unterliegen, in dem die künstlerische oder sportliche Tätigkeit ausgeübt wird (Rz. 19.142, 19.458). – Arbeitnehmerüberlassungsklauseln (z.B. Art. 15 Abs. 3 DBA-Österreich), aufgrund derer sowohl der Tätigkeitsstaat als auch der Ansässigkeitsstaat besteuern dürfen, wobei der Ansässigkeitsstaat die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung vermeidet (Rz. 19.144). – Aktivitätsklauseln (z.B. Art. 24 Abs. 1 Buchst. a und b DBA-Schweiz), die für die Anwendung der Freistellungsmethode insbesondere bei Betriebsstätteneinkünften voraussetzen, dass im Quellenstaat tatsächlich eine aktive Wirtschaftstätigkeit ausgeübt wird (Rz. 19.515 f., 19.544, 19.550). – Treaty-Shopping-Klauseln gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme der Quellensteuerreduktion nach Maßgabe der Doppelbesteuerungsabkommen und der Mutter-Tochter-

1 Vgl. etwa Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 3 DBA-Österreich. 2 Die in §§ 1 Abs. 5 Satz 8 AStG verankerte Korrespondenzklausel dient dagegen der Vermeidung der Doppelbesteuerung; § 4i EStG i.d.F. des AHRL-ÄndUmsG betrifft Sonderbetriebsausgaben. 3 Vgl. zur Abkommensübersicht Ismer in V/L7, Art. 23A, Art. 23B OECD-MA Rz. 16 ff.; Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 20 ff. 4 Vgl. zur Abkommensübersicht Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 18 ff. 5 Vgl. zur Abkommensübersicht Ismer in V/L7, Art. 23A, Art. 23B OECD-MA Rz. 16. 6 Vgl. zur Abkommensübersicht Tischbirek/Ismer in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 26 f.

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Kap. 5 Rz. 5.15 | Internationaler Steuerwettbewerb

Richtlinie (§ 43b EStG) gem. § 50d Abs. 3 EStG und entsprechend die sog. LoB-Klauseln1 der Doppelbesteuerungsabkommen mit der Folge, dass die (künstliche) Zwischenschaltung von Gesellschaften steuerlich nicht anerkannt wird, soweit Personen an ihnen beteiligt sind, denen die Steuerentlastung (Quellensteuerreduktion) nicht zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar selbst erzielten (Rz. 19.127, 19.160 ff.). – Länderbezogene „Steueroasen“-Abwehrklauseln im Steueroasenabwehrgesetz nach den Vorgaben der Schwarzen Liste der Europäischen Union. Diese Normen haben zwei Funktionen. Zum einen gehen sie davon aus, dass in der „Steueroase“ keine effektive Besteuerung stattfindet, so dass – im Ansatz folgerichtig – die Normen des deutschen Steuerrechts suspendiert werden, die eine solche ausländische Besteuerung voraussetzen und deren Ausbleiben zu einer Minderbesteuerung führt. Die Verschärfung des deutschen Steuerzugriffs ist jedoch so weitgehend, dass das Steueroasenabwehrgesetz zum anderen auch einen Sanktionscharakter hat. Länder werden als Steueroasen gekennzeichnet, die an sich unverbindliche internationale Standards nicht umsetzen. Die Europäische Kommission hat es im Zusammenspiel mit dem Bundesfinanzministerium über die entsprechende Bezugnahme auf die „Schwarze Liste“ und einer Verordnungsermächtigung in der Hand, die Durchsetzung dieser Standards gegenüber einzelnen Ländern zu erzwingen zu suchen.

5.16

Die Bekämpfung des „unfairen“ internationalen Steuerwettbewerbs setzt eine entsprechende Informationsbeschaffung für die beteiligten Finanzbehörden voraus. Von besonderer Bedeutung ist hierbei der automatische Auskunftsverkehr auf der Grundlage der Amtshilferichtlinie, der Auskunftsklauseln der Doppelbesteuerungsabkommen (Art. 26 OECD-MA), der Informationsaustauschabkommen sowie weiterer völkerrechtlicher Vereinbarungen (Rz. 22.55 ff.). Soweit es um die Mitwirkung der Steuerpflichtigen an der Sachaufklärung geht, spielen die besonderen und gesteigerten Mitwirkungspflichten eine bedeutsame Rolle (Rz. 22.19 ff.).

III. Das BEPS-Projekt Literatur: Ackermann/Greil, BEPS-Aktion 10 – Entwurf zu Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung, IWB 2015, 3; Baaijens/Breuer, Niederlande: Steuerliche Impulse für Forschung und Entwicklung: Die „Innovatiebox“ und flankierende Regelungen, BB 2010, 2932; Bannes/Cloer, BEPS Aktionsplan 4: Begrenzung des Abzugs von Zinsen und anderen finanziellen Aufwendungen, BB 2016, 1815; Bannes/Cloer, BEPS Aktionsplan 3: Stärkung der Hinzurechnungsbesteuerung, BB 2016, 1565; Ban/Niehus/Pestl, BEPS-Aktionspunkt 7: Auswirkungen auf die unternehmerische Tätigkeit international agierender Unternehmen, DB 2016, 2136; Becker, Der OECD-Bericht zu Maßnahme 5 des BEPS-Aktionsplans, IStR 2014, 704; Becker/Loose, EU-Kommission präsentiert Vorschlag für eine Anti-BEPS-Richtlinie, IStR 2016, 153; Bendlinger, Hilfsbetriebsstätten in BEPS-Action 7, SWI 2016, 188; Benz/Böhmer, Der aktuelle Stand der steuerpolitischen Vorhaben der G20, IStR 2015, 380; Benz/Böhmer, Das BEPS-Projekt der OECD/G20: Vorlage der abschließenden Berichte zu den Aktionspunkten, DB 2015, 2535; Benz/Böhmer, Das Anti Tax Avoidance Package (ATA-Paket) der EU-Kommission zur Umsetzung der BEPS-Maßnahmen in der EU, DB 2016, 307; Benz/Eilers, Empfehlungen zur Umsetzung der Maßnahmen zum BEPS-Projekt von OECD/G20 in Deutschland, IStR-Beihefter zu Heft 4/ 2016, 307; Böhmer, Base Erosion and Profit Shifting in Wassermeyer/Andresen/Ditz, BetriebsstättenHandbuch, 2. Aufl. Köln 2018, Rz. 14.1 ff.; Czakert, Der Informationsaustausch zu Tax Rulings, IStR 2016, 985; Ditz/Pinkernell/Quilitzsch, BEPS-Reformvorschläge zu Lizenzgebühren und Verrechnungspreisen bei immateriellen Wirtschaftsgütern aus Sicht der Beratungspraxis, IStR 2014, 45; Ditz/Quilitzsch, Erweiterung der Offenlegungspflichten durch Country by Country Reporting, DStR 2014, 127; Dorenkamp, Konzernbeliebigkeit beim internationalen Zinsabzug?, StuW 2015, 345; Eilers/Hennig, BEPS: Hinzurechnungsbesteuerung – BEPS und neue Rechtsentwicklungen, ISR 2015, 422; Elbert/ 1 Limitation on Benefits-Klausel (z.B. Art. 28 DBA-USA, Art. 29 OECD-MA).

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C. Unfairer Steuerwettbewerb | Kap. 5 Münch, Low Value-Adding Services – Diskussionsentwurf zur Modifikation des Kapitel VII der OECD-Leitlinien – Im Westen nichts Neues?, IStR 2015, 341; Esakova/Rapp, Stellungnahme des Inclusive Framework on BEPS bezüglich des Zwei-Säulen-Ansatzes: Inhalt und erste Würdigung, DStR 2021, 2047; Fehling, Das BEPS-Projekt auf der Zielgeraden – was bedeutet dies für Deutschland?, FR 2015, 817; Fehling, Neues zu den Herausforderungen für die Besteuerung der Digitalen Wirtschaft – Der Abschlussbericht zu Maßnahme 1 des BEPS-Aktionsplans liegt vor, IStR 2015, 797; Fehling, PostBEPS: Wie geht es nach den BEPS-Empfehlungen weiter?, IWB 2016, 160; Fehling/Rieck, Effektive Mindestbesteuerung in der EU – der Richtlinienentwurf zur Umsetzung der GloBE-Regelungen, IStR 2022, 51; Geberth, Gutachten des wissenschaftlichen Diensts des EU-Rates zum öffentlichen Countryby-Country-Reporting, GmbHR 2016, R380; Greinert/Metzner, Die Bedeutung von Risiken bei der Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise – Diskussionsentwurf bei der OECD zu den Maßnahmen 8, 9 und 10 des BEPS-Aktionsplans, Ubg 2015, 60; Groß, Verrechnungspreisdokumentation, DB Beilage zu Heft 47/2014, 10; Grotherr, Analyse und Auswirkungen des geplanten spontanen Informationsaustausches (OECD/G20) über steuerbegünstigende Vorabzusagen („Tax Rulings“), RIW 2016, 179; Hagemann/Kahlenberg, Der OECD-Abschlussbericht zur BEPS-Aktion 3 – Designing Effective Controlled Foreign Company Rules, Ubg 2016, 15; Herzig, CCCTB und BEPS – Rivalen oder Partner, in Lüdicke/Mellinghoff/Rödder (Hrsg.), Nationale und Internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, FS für Gosch, München 2016, 151; Jochimsen/Zinowsky, BEPS und der Weg der Europäischen Union – Anmerkungen zum ersten Entwurf einer Europäischen Richtlinie gegen Steuervermeidungsansätze, ISR 2016, 106; Kahle/Baschnagel/Kindich, Aktuelle Aspekte der Ertragsbesteuerung von Server-Betriebsstätten, FR 2016, 193; Kahle/Schulz, BEPS-1-Gesetz: Einführung einer dreistufigen Verrechnungspreisdokumentation, DStZ 2016, 819; Krauß, EU-BEPS – Aktionsplan für eine faire und effiziente Unternehmensbesteuerung in der EU, IStR 2016, 59; Kreienbaum, OECD/G20-Staaten schließen BEPS-Aktionsplan erfolgreich ab, IStR 2015, 753; Kreienbaum, Die Abkommenspolitik als wirtschaftspolitisches Instrument, in Kaeser (Hrsg.), Festglossar: 75 Begriffe des DBA-Rechts zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, München 2015, 49; Kroppen, Neues zur Betriebsstätte unter Berücksichtigung der Vorschläge der OECD vom 31.10.2014 und vom 15.5.2015, in Lüdicke/Mellinghoff/Rödder (Hrsg.), Nationale und Internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, FS für Gosch, München 2016, 221; Krüger, Das „intangible“ als neuer Begriff in der Verrechnungspreisbestimmung – eine Einordnung nach Maßnahme 8 des BEPS-Aktionsplans, DStZ 2016, 64; Lemm, Besteuerung von künstlicher Intelligenz und deren Implikationen auf die Besteuerung der Digitalwirtschaft, Diss. Düsseldorf, 2022; Linn, Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie der EUAnpassungsbedarf in der Hinzurechnungsbesteuerung, IStR 2016, 645; Lück, BEPS-Abschlussberichte der OECD/G20 im Überblick, IWB 2015, 758; Lück, Der Referentenentwurf des BMF zur Bekämpfung von BEPS, IWB 2016, 478; Lüdicke/Oppel, Der Vorschlag der EU-Kommission einer Anti-BEPSRichtlinie – ein erster Überblick, BB 2016, 351; Lüdicke/Oppel, Kommissions-Entwurf einer AntiBEPS-Richtlinie: Grundlegende Änderungen und Verschärfungen des deutschen Rechts, DB 2016, 549; Monteith, Steuergestaltung mit Lizenzboxen, StuB 2014, 883; Mückl/München, Automatischer Informationsaustausch über grenzüberschreitende Steuervorbescheide und Vorabverständigungsvereinbarungen, BB 2015, 2775; Müller/Wohlhöfler, Neue Richtlinienvorschläge zur Unternehmensbesteuerung in der EU, IWB 2016, 200; Naumann/Groß, Verrechnungspreisaspekte immaterieller Werte – der OECD-Bericht zu Maßnahme 8 des BEPS Action Plan, IStR 2014, 906; Nientimp/Stein/Schwarz, Neuer OECD Dreiklang für Verrechnungspreisdokumentationen – Standortbestimmung nach dem Anti BEPS-Umsetzungsgesetz-E, Ubg 2016, 299; Music/Schlie/Schulz, Die Besteuerung der digitalen Wirtschaft – BEPS, in Blumenberg/Crezelius/Gosch/Schüppen (Hrsg.), Festschrift für Haarmann, Düsseldorf 2015, 713; Oppel, BEPS in Europa: (Schein-)Harmonisierung der Missbrauchsabwehr durch neue Richtlinie 2016/1164 mit Nebenwirkungen, IStR 2016, 797; Oppel, Das BEPS-Projekt der OECD/G20 – Kerninhalte der Abschlussberichte und Auswirkungen auf das deutsche (internationale) Steuerrecht, SteuK 2016, 53; Pamperl, OECD-Deliverable zu BEPS-Action 6: Abkommensberechtigung doppelt ansässiger Gesellschaften in Gefahr?, SWI 2014, 502; Piltz, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS): die ganze Wahrheit?, IStR 2013, 681; Piltz, BEPS und das staatliche Interesse, IStR 2015, 529; Pinkernell, Ein Musterfall zur internationalen Steuerminimierung durch US-Konzerne, StuW 2012, 369; Pinkernell, Das Steueroasen-Dilemma der amerikanischen IT-Konzerne, IStR 2013, 180; Pinkernell, Internationale Steuergestaltung im Electronic Commerce, IFSt-Schrift Nr. 494 (2014); Pinkernell, EU: Bericht

Valta | 131

Kap. 5 Rz. 5.17 | Internationaler Steuerwettbewerb der Expertengruppe zur Besteuerung der „Digital Economy“, IStR-LB 2014, 57; Pinkernell, OECD/ G20: Diskussionsentwurf zu Maßnahme Nr. 3 des BEPS-Aktionsplans (Hinzurechnungsbesteuerung), IStR-LB 2015, 45; Pinkernell/Ditz, Die Zwei-Säulen-Lösung zur Reform des internationalen Steuerrechts vom Oktober 2021, ISR 2021, 449; Pross/Radmanesh, Der Aktionsplan der OECD/G20 zu Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) – Richtschnur für eine Überarbeitung der internationalen Besteuerungsregelungen in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Festgaben, 2015, Nr. 72, S. 535; Puls/Heravi, „Mandatory Disclosure Rules“ für grenzüberschreitende Steuergestaltungen: Wohin will die OECD?, ISR 2015, 284; Rasch/Mank/Tomson, Die finale Fassung des neuen OECD Kapitels zur Dokumentation und zum „Country-by-Country Reporting“ – Neue Herausforderungen für Unternehmen, IStR 2015, 424; Reimer, Das Multilaterale Übereinkommen (BEPS-Maßnahme Nr. 15) als Instrument einer flexiblen Anpassung der bestehenden DBA, IStR 2015, 1; Richter/Hontheim, Double Irish with a Dutch Sandwich: Pikante Steuergestaltung der US-Konzerne – Zugleich Anm. zu den Gegensteuerungsmaßnahmen supranationaler Organisationen, DB 2013, 1260; Rieck/Fehling, Effektive Mindestbesteuerung in der EU – der Richtlinienentwurf zur Umsetzung der GloBE-Regelung, IStR 2022, 51; Roeder/Fellner, Base Erosion and Profit Shifting: Immaterielle Vermögenswerte und die OECD – Zusammenfassung des Arbeitsstands des Kapitels VI und erste Analyse aus deutscher Sicht, ISR 2014, 428; Roeder, Weltweite Mindestbesteuerung multinationaler Unternehmen?, StuW 2020, 35; Schaumburg, Internationale Minderbesteuerung, in Lüdicke/Mössner/Hummel (Hrsg.), Das Steuerrecht der Unternehmen, Festschrift für Gerrit Frotscher, Freiburg/München 2013, 503; Schnitger, Der Entwurf des AHRL-ÄndUmsG, IStR 2016, 637; Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, Anmerkungen zu den Vorgaben für die Hinzurechnungsbesteuerung nach der sog. „Anti-BEPS-Richtlinie“, IStR 2016, 960; Schön, Internationale Steuerpolitik zwischen Steuerwettbewerb, Steuerkoordinierung und dem Kampf gegen Steuervermeidung, IStR 2022, 181 ff.; Schönfeld, Neue Entwicklungen zur Betriebsstätte im Internationalen Steuerrecht; Betriebsstättenbegriff, DStJG 36 (2013), 233; Schwarz, Pillar Two – Es ist soweit, die finalen Regelungen zur weltweiten Mindestbesteuerung sind da!, IStR 2022, 37; Seer, Grenzen steuerlicher Transparenz multinational tätiger Unternehmen, IWB 2016; 6; Spengel/Nusser, Aktueller Stand des OECD-BEPS-Projekts und mögliche Konsequenzen für die Konzernbesteuerung, Der Konzern 2015, 9; Staats, Zur „Begrenzung der Gewinnverkürzung durch Abzug von Zins- oder sonstigen finanziellen Aufwendungen“ – Der OECD-Bericht zu Maßnahme 4 des BEPS-Aktionsplans, IStR 2016, 135; Staringer, BEPS – Was kommt jetzt auf uns zu?, SWI 2015, 575; Teichert, BEPS-Aktionsplan 6: Verhinderung von Abkommensmissbrauch, IWB 2015, 642; Valta, Base Erosion and Profit Shifting: Die jüngsten Diskussionsentwürfe der OECD zum BEPS-Projekt (Teil 1), ISR 2014, 176; Valta, Base Erosion and Profit Shifting: Die jüngsten Diskussionsentwürfe der OECD zum BEPS-Projekt (Teil 2): Herausforderungen der digitalisierten Wirtschaft, ISR 2014, 214; Wagemann, Verschärfungen des Betriebsstättenbegriffs nach OECD-MA, IWB 2016, 14; Waldens/Sprenger, Hat der Kommissionär/Handelsvertreter im Konzern ausgedient?, DB 2016, 2125; Watrin/Thomsen/Weiß, Die BEPS-Maßnahmenberichte und ihre aktuelle Umsetzung, DStZ 2016, 400; Zech, Umsetzung des BEPS-Aktionsplans 13 und des CbCR in deutsches Recht, IWB 2015, 924; Zöller/Steffens, Der EU-Richtlinienentwurf zur Umsetzung der globalen Mindeststeuer (GloBE) – Funktionsweise und Praxisimplikationen, ISR 2022, 118.

1. Erste Phase: Bekämpfung von Gewinnverlagerungen durch BEPSAktionsplan 2013 – 2018 a) Hintergrund

5.17

Im Gefolge der intensiven Medienberichterstattung und der sich daran anschließenden Diskussion im politischen Raum über bestimmte Steuerpraktiken, insbesondere global agierender US-amerikanischer Konzerne,1 wurde das Problem der Aushöhlung steuerlicher Bemessungsgrundlagen und der Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländern (Base Erosion and Profit 1 Zu den von diesen Unternehmen gewählten Gestaltungen Pinkernell, StuW 2012, 369; Pinkernell, IStR-LB 2013, 59; Pinkernell, IfSt-Schrift Nr. 494 (2014); Richter/Hontheim, DB 2013, 1260.

132 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.18a Kap. 5

Shifting, BEPS)1 von den G20-Staaten und der OECD thematisiert. Auf deren Initiative benannte der Steuerausschuss der OECD im Rahmen eines Aktionsplans im Jahre 2013 insgesamt 15 Maßnahmen, mit denen die Staaten den Steuervermeidungsstrategien Einhalt gebieten könnten.2 Am 5.10.2015 wurden sodann die 15 Aktionspunkte, zumeist in endgültiger Fassung, bekannt gemacht.3 Während dieser Zeit hat die Europäische Kommission ebenfalls einen Aktionsplan für eine faire und effiziente Unternehmensbesteuerung in der EU veröffentlicht.4 Im Vordergrund stehen hier fünf Aktionspunkte,5 und zwar – gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), – Besteuerung am Ort der Wertschöpfung und Sicherstellung einer effektiven Besteuerung, – Verbesserung steuerlicher Rahmenbedingungen für Unternehmen, – Schaffung von Transparenz und – Verbesserung der Koordination zwischen den Mitgliedstaaten. Dieser Aktionsplan der Europäischen Kommission zielt darauf ab, einerseits die Arbeit zur GKKB wiederzubeleben6 und andererseits eine Grundlage für ein gemeinsames Vorgehen gegen den „unfairen“ Steuerwettbewerb zu gewährleisten. Der BEPS-Aktionsplan der OECD vom 5.10.20157 ist zwar von den G-20-Finanzministern am 27.2.2016 gebilligt worden, er hat aber hierdurch noch keine rechtliche Verbindlichkeit erlangt. Es handelt sich vielmehr um eine Empfehlung (Soft law).8 Rechtsnormcharakter erlangen die einzelnen Aktionspunkte erst durch Umsetzung in nationales Recht, entweder durch Ergänzung der nationalen steuerrechtlichen Vorschriften, oder auf Grundlage bilateraler oder multilateraler völkerrechtlicher Vereinbarungen (z.B. Doppelbesteuerungsabkommen) oder auf Grundlage von EU-Richtlinien.

5.18

Auf völkerrechtliche Ebene wurden die Änderung in den Doppelbesteuerungsabkommen nach entsprechenden Vorarbeiten (siehe Rz. 5.39) in einem multilateralen Abkommen umgesetzt. Das „Mehrseitige Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung“, kurz Multilaterales Instrument (MLI), wurde am 7.6.2017 durch 68 Staaten einschließlich Deutschlands unterzeichnet. Es beinhaltet gewisse Mindeststandards, wie die Aufnahme der Vermeidung der Nichtbesteuerung als Zweck von Doppelbesteuerungsabkommen (Art. 6 MLI), eine generelle Missbrauchsabwehrklausel ähnlich dem § 42 AO (sogenannter Principal-Purpose-Test des

5.18a

1 Base Erosion and Profit Shifting, Aushöhlung steuerlicher Bemessungsgrundlagen („base erosion“) und der Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer („profit shifting“). 2 OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, 2013. 3 Zu Einzelheiten Benz/Böhmer, DB 2015, 2535; Oppel, SteuK 2016, 53. 4 Anti Tax Avoidance Directive – ATAD; nunmehr RL 2016/1164 v. 12.7.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1 (Anti-BEPS-RL). 5 Zu Einzelheiten Krauß, IStR 2016, 59. 6 Vgl. Herzig in FS Gosch, S. 151. 7 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame KSt-Bemessungsgrundlage (COM [2016] 685 final [GKB]) und Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame konsolidierte KSt-Bemessungsgrundlage (COM [2006] 683 final [GKKB]); vgl. hierzu im Überblick Benz/ Böhmer, DB 2016, 2800; ferner Fehling, FR 2015, 817; Staringer, SWI 2015, 575; Benz/Böhmer, DB 2015, 2535; Lück, IWB 2015, 758; Watrin/Thomsen/Weiß, DStZ 2016, 400. 8 Fehling, IWB 2016, 160 (161).

Valta | 133

Kap. 5 Rz. 5.18a | Internationaler Steuerwettbewerb

Art. 7 MLI) sowie eine verbesserte Streitbeilegung (Art. 16 MLI). Darüber hinaus finden sich freiwillige Maßnahmen, die durch korrespondierende Notifikation zweier Staaten in bilaterale DBA aufgenommen werden, so zu hybriden Gestaltungen (Aktionspunkt 2), Limitation of benefit-Regeln (Aktionspunkt 6), der Verhinderung der künstlichen Umgehung des Status als Betriebsstätte (Aktionspunkt 7) und der weiteren Verbesserung der Effizienz von Streitbeilegungsmechanismen (Aktionspunkt 14).

5.18b

Die Umsetzung in das deutsche nationale Rechte erfolgt zweistufig: Zunächst ist durch das Umsetzungsgesetz zum Multilateralen Instrument und die Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde bei der OECD am 18.12.2020 das MLI in Deutschland zum 1.4.2021 in Kraft getreten. Der Anwendungsbereich ist auf vierzehn Abkommen geschrumpft (darunter z.B. Österreich, Spanien, Italien, Japan und Türkei), nachdem in vielen Fällen eine bilaterale Umsetzung durch Änderungsprotokolle vorgenommen wurde (z.B. Dänemark, Estland, Irland, Großbritannien). Die Änderung der vierzehn Abkommen durch das MLI bedürfen in Deutschland jeweils noch eines Zustimmungsgesetzes, damit die Umsetzung der konkreten Änderungen durch das MLI erfolgt. Deutschland hat sich in materiell-rechtlicher Hinsicht neben der Präambel zum Abkommen (Art. 6 MLI) und den zuvor genannten Mindeststandards der Art. 7, 16 für die Umsetzung von Art. 8 (DBA-Schachtelprivileg), Art. 9 (Missbrauchsvermeidung bei Grundstücksgesellschaften), Art. 10 (Missbrauchsvermeidung bei Betriebsstätten in Drittstaaten), Art. 13 (Relativierung der Betriebsstätten-Ausnahmetatbestände) und Art. 18 ff./Teil VI (Schiedsverfahren) entschieden. Aber auch diese Regelungen sehen weitere Optionsrechte vor: Bei Art. 13 MLI hat man sich für Option A (Relativierung des Ausnahmekatalogs) entschieden, sodass künftig alle in der Vorschrift aufgeführten Tätigkeiten explizit von vorbereitender Art oder Hilfstätigkeiten sein müssen. Zudem hat Deutschland für Art. 9 Abs. 4 MLI optiert; die Grundvermögensklausel wird daher auch im Rahmen von Anteilsveräußerung berücksichtigt. Was Teil VI (Schiedsverfahren) betrifft, so wurden diverse Vorbehalte gegen die Anwendbarkeit (insb. bei drohender Doppelnichtbesteuerung oder zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben) erklärt. Zudem wird die Durchführungsfrist eines Verständigungsverfahrens auf 3 Jahre verlängert. Ein Schiedsverfahren wird bei einer fehlenden Bindung des anderen Staates an die Geheimhaltungsklausel nicht durchgeführt und es besteht die Möglichkeit einer vom Schiedsspruch abweichenden Verständigung. Die von Deutschland, durch die Erklärung von Vorbehalten, gänzlich abgewählten Inhalte sind hingegen Art. 3 MLI (Transparente Rechtsträger), Art. 4 MLI (Rechtsträger mit doppelter Ansässigkeit), Art. 11 MLI („Saving Clause“), Art. 12 MLI (Künstliche Umgehung von Betriebsstätten durch Kommissionärsmodelle), Art. 13 Abs. 4 MLI (Anti-Fragmentierungs-Regelung), Art. 14 MLI (Aufteilung von Verträgen) und Art. 15 MLI (Begriff der mit einem Unternehmen eng verbundenen Person). Da eine im MLI enthaltene Regelung nur dann seine Wirkung entfaltet, sofern beide betroffenen Vertragsstaaten insoweit übereinstimmende bzw. kompatible Erklärungen abgegeben haben, schmilzt der konkrete Anwendungsbereich noch weiter zusammen.

5.18c

Auf europäischer Ebene erfolgte die Umsetzung der Harmonisierungspflichten des nationalen Rechts über eine Anti-BEPS-Richtlinie1, die bis zum 31.12.2018 in nationales Recht umgesetzt werden musste (Art. 11 Anti-BEPS-RL).2 Geregelt werden aus der Sicht der EU-Kommission

1 RL (EU) 2016/1164 des Rates v. 12.7.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1. 2 Vgl. hierzu Oppel, IStR 2016, 797.

134 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.21 Kap. 5

besonders wichtige Handlungsfelder, die weitgehend mit dem BEPS-Aktionsplan der OECD identisch sind, und zwar – Beschränkung des Zinsabzugs (Art. 4), – Wegzugs- und Entstrickungsbesteuerung (Art. 5), – allgemeine Missbrauchsvermeidungsregeln (Art. 6), – Hinzurechnungsbesteuerung (Art. 7 u. 8) und – hybride Gestaltungen (Art. 9).1 Darüber hinaus ist auch die EU-Amtshilferichtlinie (Rz. 3.104 ff.) dahingehend ergänzt worden,2 dass nunmehr multinationale Unternehmen für Zwecke der Besteuerung zur Erstellung länderbezogener Berichte verpflichtet sind, wobei die entsprechenden Informationen sodann automatisch zwischen den Mitgliedstaaten ausgetauscht werden (Country-by-Country-Reporting – CbCR). Die Umsetzung in nationales Recht ist durch § 138a AO mit Wirkung ab dem Wirtschaftsjahr 2016/2017 erfolgt.3

5.19

b) Aktionspunkte aa) Überblick

5.20

Der BEPS-Aktionsplan verfolgt im Wesentlichen drei Ziele, und zwar – Kohärenz der verschiedenen nationalstaatlichen Steuersysteme, um so „unfairen“ Steuerwettbewerb zu verringern, – Substanz als Anknüpfungspunkt für die Besteuerung und – transparente Unternehmensbesteuerung.4 Die einzelnen Aktionspunkte sind den vorgenannten Zielsetzungen zugeordnet, ohne dass hier eine eindeutige Abgrenzung möglich ist.5 Eine unterschiedliche Zuordnung ergibt sich aus der Sicht der OECD auch hinsichtlich der Verbindlichkeit der Umsetzung. So werden einzelne Aktionspunkte im Sinne eines Mindeststandards qualifiziert (Aktionspunkte 5, 6, 13 und 14) und weitere Aktionspunkte lediglich als Programmsätze aufgefasst, aufgrund deren davon ausgegangen wird, dass die betreffenden Staaten ihr Steuerrecht in überschaubarer Zeit einander angleichen (Aktionspunkte 2, 4, 7 sowie 8–10). Im Übrigen handelt es sich lediglich um unverbindliche Empfehlungen, für die kein Umsetzungszwang besteht (Aktionspunkte 3 und 12). Ob die Umsetzung in innerstaatliches Recht durch nationale Gesetzgebung, auf Grundlage insbesondere von Doppelbesteuerungsabkommen oder von multilateralen völkerrechtlichen Verträgen gelingt, hängt im Wesentlichen davon ab, wie viele Staaten sich tatsächlich an der normativen Umsetzung beteiligen.6 1 Vgl. zum vorangegangenen Vorschlag der EU-Kommission den Überblick bei Lüdicke/Oppel, BB 2016, 351 und DB 2016, 549; Jochimsen/Zinowsky, ISR 2016, 106; Müller/Wohlhöfler, IWB 2016, 200; Krauß, IStR 2016, 59; zur Richtlinie selbst Oppel, IStR 2016, 797. 2 RL (EU) 2016/881 des Rates v. 25.5.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 146, 8. 3 Art. 3 EGAO § 31 (AHRL-ÄndUmsG). 4 OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting, 2013, 13 f. 5 Vgl. Benz/Böhmer, IStR 2015, 380 (381). 6 Zu den Zweifeln hinsichtlich der USA Pilz, IStR 2015, 529.

Valta | 135

5.21

Kap. 5 Rz. 5.22 | Internationaler Steuerwettbewerb

bb) Besteuerung der digitalen Wirtschaft

5.22

Unternehmen der digitalen Wirtschaft sind im Hinblick auf die von Ihnen gehaltenen Wirtschaftsgüter in der Lage, steuerliche Anknüpfungspunkte etwa durch Betriebsstätten im Quellenstaat zu vermeiden.1 Dieser Steuervermeidung mangels physischer Präsenz (Betriebsstätte), die insbesondere beim Cloud-Computing möglich ist, lässt sich dadurch begegnen, dass im jeweiligen nationalen Steuerrecht (etwa im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht) sowie auf Abkommensebene mit einer „digitalen Präsenz“ ein weiterer Steueranknüpfungspunkt geschaffen wird (Aktionspunkt 1).2 Darüber hinaus kommt auch eine Quellensteuer in Betracht, die auf Zahlungen für online erworbene Waren oder Dienstleistungen im Quellenstaat erhoben werden.3 Neben diesen möglichen spezifischen Maßnahmen bietet sich eine Erweiterung der Hinzurechnungsbesteuerung dahingehend an, dass auch nachgeschaltete Zwischengesellschaften in anderen Niedrigsteuerländern4 erfasst werden.5 Im Rahmen der ersten Phase des BEPS-Projektes konnte keine politische Einigung erzielt werden. Aus dem offen gebliebenen Aktionspunkt 1 entwickelte sich dann die zweite Phase von BEPS, die aus zwei Säulen besteht: einem neuen Besteuerungsrecht von Marktstaaten und Modifikationen der Verrechnungspreisgrundsätze (Pillar 1, siehe unten Rz. 5.43) sowie eine weltweite Mindestbesteuerung für Gewinne, die typischerweise durch die Digitalisierung erzielt wurden (Pillar 2, siehe unten Rz. 5.58) cc) Hybride Gestaltungen

5.23

Steuervorteile hybrider Gestaltungen beruhen im Wesentlichen auf Qualifikationskonflikten von zwei oder mehreren Staaten. Sie beziehen sich sowohl auf Gesellschaften als auch auf Finanzinstrumente. Soweit es um Gesellschaften geht, sind vor allen Dingen doppelt ansässige Gesellschaften und hybride Gesellschaftsformen angesprochen, die in dem einen Staat als steuerlich transparent und im anderen Staat als intransparent behandelt werden.6 Bei hybriden Finanzinstrumenten geht es darum, dass die Vergütungen für das hingegebene Kapital in dem einen Staat als Zinsen und damit als Betriebsausgaben und in dem anderen Staat als (steuerfreie) Dividenden qualifiziert werden (Rz. 18.150). Als Folge dieser Qualifikationskonflikte kann es zu einem Betriebsausgabenabzug in dem einen und zu einer Freistellung in dem anderen Staat oder zu einer doppelten Freistellung bzw. Anrechnung kommen. Soweit es um doppelt ansässige Gesellschaften geht, wird empfohlen (Aktionspunkt 2),7 anstelle der bisher geltenden Tie-Breaker-Rule (Rz. 18.194 ff.) ein Verständigungsverfahren vorzusehen, aufgrund

1 Vgl. hierzu nur Pinkernell, IfSt-Schrift Nr. 494 (2014), 114 ff. 2 OECD- Adressing the tax challenges of the digital economy, Action 1: 2015 final report; hierzu Fehling, IStR 2015, 797 (799 ff.); Oppel, SteuK 2016, 53 (54 f.); Bannes/Cloer, BB 2015, 1431; Kahle/Baschnagel/Kindich, FR 2016, 193 (197 f.). 3 Fehling, IStR 2015, 797 (800); kritisch hierzu: Muciz/Schlie/Schulz in FS Haarmann, S. 713 (729). 4 Vgl. hierzu Rz. 13.223 ff. 5 Zu der entsprechenden Lücke in der US-Hinzurechnungsbesteuerung Pinkernell, IStR 2013, 180 (185); ob die USA zu dieser Lückenschließung bereit sind, ist mehr als zweifelhaft; vgl. hierzu Piltz, IStR 2015, 529 ff.; Oppel, SteuK 2016, 53 (55). 6 Zum Problem bei Personengesellschaften vgl. Rz. 21.119. 7 OECD, Neutralising the effects of hybrid mismatch arrangements, Action 2: 2015 final report; vgl. Art. 10 der Anti Tax Avoidance Directive RL 2016/1164 v. 12.7.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1 (Anti-BEPS-RL); inzwischen hat die Kommission eine Richtlinie des Rates zur Änderung der RL (EU) 2016/1164 bzgl. hybrider Gestaltungen mit Drittländern vorgeschlagen (COM [2016], 687 final).

136 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.25 Kap. 5

dessen die Ansässigkeit in dem einen oder dem anderen Staat bestimmt werden soll.1 Für die übrigen Fälle werden internationale Korrespondenzklauseln als angemessen angesehen, um so eine internationale Minderbesteuerung zu verhindern.2 Aus deutscher Sicht wurden neben den bereits bestehenden internationalen Korrespondenzklauseln (Rz. 5.15) auch solche notwendig, die den Abzug als Betriebsausgabe versagen (§ 4i, k EStG).3 dd) Hinzurechnungsbesteuerung Die Hinzurechnungsbesteuerung ist darauf gerichtet, die Abschirmwirkung niedrig besteuerter Kapitalgesellschaften im Ausland aufzuheben. Die in diesem Zusammenhang seitens der OECD unterbreiteten Vorschläge (Aktionspunkt 3)4 sowie die Vorgaben der Anti-BEPS-RL (Art. 7) stimmen weitgehend mit der in den §§ 7–13 AStG verankerten Hinzurechnungsbesteuerung (Rz. 13.1 ff.) überein,5 bleiben hinter dieser in einigen Punkten sogar zurück.6 Änderungen sind allerdings geboten bei der neuen Definition der nahestehenden Personen (§ 1 Abs. 2 AStG), dem Aktivitätskatalog (§ 8 Abs. 1 AStG), bei der Definition der Niedrigbesteuerung (§ 8 Abs. 3 AStG) und bei der Steueranrechnung (§ 12 Abs. 1 AStG).7

5.24

ee) Zinsabzug Im Hinblick darauf, dass gerade bei grenzüberschreitenden Konzernen aufgrund der garantierten Finanzierungsfreiheit8 mittels konzerninterner Darlehen nicht selten der Gewinn von Hoch- in Niedrigsteuerländer gelenkt wird, wird eine sogenannte fixed-ratio-Regelung für richtig gehalten (Aktionspunkt 4).9 Hiernach soll der Zinsabzug in einem Korridor von 10– 30 % des EBITDA10 der Gesellschaft begrenzt werden.11 Darüber hinaus wird auch eine sogenannte Group-ratio-Regelung vorgeschlagen, so dass ein Konzernunternehmen Zinsaufwand geltend machen kann, auch soweit es die eigene EBITDA-Quote, nicht aber die des gesamten Konzern übersteigt.12 Aus deutscher Sicht besteht auch unter Berücksichtigung der Vorgaben

1 Vgl. hierzu Pamperl, SWI 2014, 502. 2 Vgl. Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 14.22 ff. 3 Vgl. hierzu den Entwurf eines § 4 Abs. 5a EStG aus dem Jahre 2014, nunmehr § 4i EStG (AHRLÄndUmsG) für Sonderbetriebsausgaben; zur Kritik an den dem Individualsteuerprinzip nicht entsprechenden Korrespondenzklauseln Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.24; Schaumburg in FS Frotscher, 503 (514 ff.). 4 OECD, Designing effective controlled foreign company rules, Action 3: 2015 final report; vgl. hierzu Bannes/Cloer, BB 2016, 1565; Hagemann/Kahlenberg, Ubg 2016, 15. 5 Eilers/Hennig, ISR 2015, 422 (428); Pinkernell, IStR-LB 2015, 45 (46). 6 Hierzu Eilers/Hennig, ISR 2015, 422 (428); Linn, IStR 2016, 645 (647 ff.). 7 Vgl. zu Art. 8 u. 9 der Anti Tax Avoidance Directive RL 2016/1164 v. 12.7.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1 (Anti-BEPS-RL); hierzu der Überblick von Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960. 8 Zur Finanzierungsfreiheit BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532; wegen Verstoßes gegen das objektive Nettoprinzip wird § 4h EStG für verfassungswidrig gehalten von BFH v. 14.2015 – I R 20/15, DStR 2016, 301 (Vorlagebeschluss zum BVerfG, dortiges Az.: 2 BvL 1/16). 9 OECD, Limiting base erosion involving interest deductions and other financial payments, Action 4: 2015 final report. 10 Earnings before interest, tax depreciation and amortization. 11 Dorenkamp, StuW 2015, 345 (352); dort auch zur Kritik an diesem Korridor. 12 Staats, IStR 2016, 135 (139).

Valta | 137

5.25

Kap. 5 Rz. 5.25 | Internationaler Steuerwettbewerb

der Anti-BEPS-RL (Art. 4) angesichts der Grundlagenregelung in § 4h EStG im Ergebnis kein Anpassungsbedarf.1 ff) Schädliche Steuerpraktiken

5.26

Die Bekämpfung „schädlicher“ Steuerpraktiken ist vor allem gegen den „schädlichen“ (unfairen) Steuerwettbewerb gerichtet, wobei in Abgrenzung zu zulässigen steuerlichen Lenkungsnormen2 die Qualifikation als schädliche Regelung aufgrund bestimmter Kriterien vorgenommen wird (Aktionspunkt 5).3 Abgestellt wird hierbei stets auf die Niedrig- oder Nichtbesteuerung der Einkünfte und eines weiteren Kriteriums, wie etwa Suspendierung internationaler Verrechnungspreisgrundsätze oder aber Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte im Ansässigkeitsstaat.4 Angesprochen sind hiermit insbesondere die sogenannten Patent- und Lizenzboxen,5 die von Gesetzes wegen eine niedrige Sonderbesteuerung für Lizenzeinnahmen vorsehen.6 Derartige Vergünstigungen sollen zukünftig7 nicht mehr gewährt werden dürfen. Akzeptiert werden Steuervergünstigungen nur soweit die Forschungs- oder Entwicklungstätigkeit selbst durchgeführt wird. Im Hinblick darauf wird die Steuerbegünstigung von der Höhe der Ausgaben für Forschung und Entwicklung abhängig gemacht, wobei Aufwendungen für grenzüberschreitende Auftragsforschung innerhalb des Konzerns nicht berücksichtigungsfähig sind.8

5.27

Zu den schädlichen Steuerpraktiken werden auch Rulings gezählt, aufgrund deren die betreffenden Steuerverwaltungen ein bestimmtes Verwaltungshandeln zusagen.9 Derartige Rulings werden einem verpflichtenden spontanen Informationsaustausch unterzogen, soweit sie sich auf die Gewährung bestimmter Steuervergünstigungen10 beziehen.11

5.28

Die Umsetzung erfolgt auf Grundlage der geänderten EU-Amtshilferichtlinie (Rz. 3.104 ff.) durch Anpassung des EU-Amtshilfegesetzes12 und darüber hinaus durch entsprechende Ergänzung der in den Doppelbesteuerungsabkommen verankerten Auskunftsklauseln (Art. 26 OECD-MA)13 der Informationsaustauschabkommen (Rz. 22.29 ff.) oder auf Grundlage multilateraler völkerrechtlicher Vereinbarungen, zu denen das bereits in deutsches Recht umgesetzte MCAA14 gehört (Rz. 22.135).

1 Dorenkamp, StuW 2015, 345 (352); Bannes/Cloer, BB 2016, 1815; vgl. Art. 4 der Anti Tax Avoidance Direktive RL 2016/1164 v. 12.7.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1 (Anti-BEPS-RL). 2 Zur Rechtfertigung von Lenkungsnormen Hey in Tipke/Lang24, Rz. 19.70 ff. 3 OECD, Countering harmful tax practices more effectively, taking into account transparency and substance, Action 5: 2015 final report. 4 Zu Einzelheiten Becker, IStR 2014, 704 (706). 5 Z.B. in den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Großbritannien. 6 Zu den Patent- und Lizenzboxen in den Niederlanden Baaijens/Breuer, BB 2010, 2932 und in Luxemburg Koijk, TNI 2013, 291; vgl. hierzu ferner Monteith, StuB 2014, 883. 7 Ab 1.7.2016; allerdings besteht eine Übergangsregelung für sogenannte Altfälle. 8 Zu Einzelheiten Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 14.62 ff. 9 In Deutschland Verbindliche Zusage und APA (Rz. 19.104 ff.); Grotherr, RIW 2015, 179 (181). 10 Vgl. hierzu die Hinweise bei Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 14.67. 11 Zu Einzelheiten Grotherr, RIW 2015, 179; Mückl/München, BB 2016, 2775; Czakert, IStR 2016, 985. 12 Vgl. § 7 Abs. 3–14 EU-AHiG. 13 Hierzu Rz. 22.85. 14 Multilateral Competent Authority Agreement.

138 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.31 Kap. 5

gg) Abkommensmissbrauch Es geht hier um die Vermeidung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen (Rz. 19.124 ff.). Derartige insbesondere gegen ein Treaty-Shopping (Rz. 19.127 ff.) gerichtete Maßnahmen sollen vor allem auf Abkommensebene angesiedelt werden (Aktionspunkt 6).1 Angesprochen sind damit sogenannte LOB-Klauseln,2 die Abkommensvorteile, etwa reduzierte Quellensteuersätze, nur berechtigten Personen einräumen.3 Im Hinblick darauf werden insbesondere zwischengeschaltete Holdinggesellschaften nur dann unschädlich sein, wenn sie geschäftsleitend tätig sind und zugleich konzerninterne Dienstleistungen erbringen.4

5.29

Die Umsetzung der OECD-Vorschläge hat in erster Linie durch Ergänzung der Doppelbesteuerungsabkommen zu erfolgen. Davon unabhängig sind auch entsprechende unilaterale Regelungen möglich, wobei deren Anwendung durch entsprechende auf Abkommensebene verankerte LOB-Klauseln nicht ausgeschlossen ist (Rz. 5.15).5 Da § 50d Abs. 3 EStG bereits eine vergleichbare Regelung enthält (Rz. 19.160 ff.), ist aus deutscher Sicht insoweit kein Handlungsbedarf gegeben.

5.30

hh) Betriebsstätten Um die Besteuerung im Quellenstaat auszuweiten (im Interesse vor allem der Entwicklungsund Schwellenländer), wird eine Aufweichung des Betriebsstättenbegriffs für erforderlich gehalten (Aktionspunkt 7).6 So soll insbesondere der in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA verankerte Katalog der Betriebsstättenausnahmen eingeschränkt werden. Betroffen sind hierdurch insbesondere internetbasierte Unternehmen, z.B. Online-Versandhändler, die aufgrund der angedachten Maßnahmen mit der Lagerung und Auslieferung der Waren und der sonstigen Aktivitäten im Quellenstaat zukünftig einen steuerlichen Anknüpfungspunkt bieten werden.7 Darüber hinaus soll es auch bei Kommissionärstrukturen künftig nicht mehr darauf ankommen, ob dem Kommissionär, wie einem Vertreter, eine formale Vollmacht erteilt wurde. Dem entsprechend soll Art. 5 Abs. 5 OECD-MA (Rz. 19.241 ff., 21.100 ff.) entsprechend geändert werden mit der Folge, dass es ausreichend ist, dass der Kommissionär eine maßgebliche Rolle für den Abschluss des Vertrages spielt.8

1 OECD, Preventing the granting of treaty benefits in inappropriate circumstances, Action 6: 2015 final reports. 2 Limitation on Benefit. 3 Zu den LOB-Klauseln in Art. 28 DBA-USA vgl. Wolff in Wassermeyer, Art. 28 D-USA Rz. 1 ff.; ferner Teichert, IWB 2015, 642 (643 ff.). 4 Entsprechend § 50d Abs. 3 EStG. 5 Valta, ISR 2014, 176 (182). 6 OECD, Preventing the artificial avoidence of permanent establishment status, Action 7: 2015 final report; vgl. hierzu Schönfeld, DStJG 36 (2013), 233 (239); Wagemann, IWB 2016, 14; Bendlinger, SWI 2016, 188; Ban/Niehus/Pestl, DB 2016, 2136; zur Kritik aus deutscher Sicht Kreienbaum in FG Wassermeyer, 49 (54). 7 Hierzu Bendlinger, SWI 2016, 188 (189 f.). 8 Vgl. hierzu Wagemann, IWB 2016, 14 (17 f.); Waldens/Sprenger, DB 2016, 2125; Bendlinger, IStR 2016, 914 (916).

Valta | 139

5.31

Kap. 5 Rz. 5.32 | Internationaler Steuerwettbewerb

ii) Verrechnungspreise

5.32

Es geht im Wesentlichen um die Verrechnungspreise bei immateriellen Wirtschaftsgütern (Aktionspunkt 8), für Leistungen kapitalintensiver und funktionsarmer Unternehmen (Aktionspunkt 9) und für konzerninterne Dienstleistungen (Aktionspunkt 10).1

5.33

Soweit es immaterielle Wirtschaftsgüter (Intangibles) betrifft,2 soll der Fremdvergleichsgrundsatz in Orientierung an die Wertschöpfung angewendet werden. Das bedeutet, dass die Inhaberschaft alleine noch nicht bewirkt, dass dem Inhaber auch die Erträge zuzuordnen sind. Abgestellt wird in diesem Zusammenhang vielmehr auf die ausgeübten Funktionen, genutzten Wirtschaftsgüter und die übernommenen Risiken.3 Als Indizien sind hierfür maßgeblich der Personal- und Kapitaleinsatz.4 Im Falle der Veräußerung von immateriellen Wirtschaftsgütern sollen Unsicherheiten in der Bewertung durch Preisanpassungsklauseln ausgeglichen werden, wenn auch unabhängige Unternehmen solche vereinbart hätten.5

5.34

Der für die Verrechnungspreisbestimmung maßgebliche Fremdvergleich orientiert sich bei kapitalintensiven und funktionsarmen Unternehmen an den von Ihnen übernommenen Risiken. Abzustellen ist hierbei auf die entsprechende vertragliche Gestaltung sowie auf die Personal- und Kapitalausstattung. Hieraus folgt, dass etwa Finanzierungsgesellschaften, die keine weitergehenden Risiken übernehmen, ein Entgelt nur für die Finanzierungsfunktion beanspruchen können.

5.35

Für konzerninterne Dienstleistungen,6 etwa für Buchhaltung, Rechnungswesen, Personalwesen, Recht und Steuern, soll sich der Fremdvergleich an den Kosten orientieren, die für die Erbringung dieser Dienstleistungen angefallen sind. Entsprechend der auf die einzelnen Konzerngesellschaften entfallenden Anteile wird sodann ein Gewinnaufschlag von 5 % für angemessen gehalten.7 jj) Offenlegung

5.36

Es werden Regelungen vorgeschlagen, die die Offenlegung8 (aggressiver) Steuerplanungsmodelle gegenüber den Finanzbehörden vorschreiben (Aktionspunkt 12).9 Diese Offenlegung dient der Transparenz und soll die Steuerverwaltungen frühzeitig über entsprechende (grenzüberschreitende) Gestaltungsmodelle informieren. Als zu dieser Offenlegung verpflichtete Personen kommen die betreffenden Steuerpflichtigen sowie die Vermarkter, also insbesondere Rechtsanwälte, Steuerberater oder sonstige Berater in Betracht.10 Die Steuermodelle, insbeson-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

OECD, Aligning transfer pricing outcomes with value creation, Actions 8-10: 2015 Final reports. Beispiele: Patente, Know how, Geschäftsgeheimnisse, Warenzeichen, Handelsnamen, Marken. Krüger, DStZ 2016, 64 (74); Naumann/Groß, IStR 2014, 906 (910). Greinert/Metzner, Ubg 2014, 307 (312); Roeder/Fellner, ISR 2014, 428 (434). Dies entspricht in etwa der in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG verankerten Preisanpassungsklausel (Rz. 21.202). Vgl. Ackermann/Greil, IWB 2015, 3; Elbert/Münch, IStR 2015, 341. Hierzu Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 14.106. Der Aktionspunkt 11 – OECD, Measuring and monitoring BEPS, Action 11: 2015 final report – betreffend Statistik wird hier nicht dargestellt; zu Einzelheiten vgl. Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 14.108 ff. OECD, mandatory disclosure rules, Action 12: 2015 final report; vgl. § 138a AO (AHRL-ÄndUmsG). Puls/Heravi, ISR 2015, 284.

140 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.37 Kap. 5

dere hybride Gestaltungen sollen von den Vermarktern gegenüber den Finanzbehörden bereits zu dem Zeitpunkt offengelegt werden, zu dem sie für Zwecke der konkreten Umsetzung verfügbar sind. Soweit Steuerpflichtige zur Offenlegung verpflichtet sind, ist der Zeitpunkt der Umsetzung maßgeblich.1 Schließlich ist auch vorgesehen, dass die Angehörigen der nationalen Finanzverwaltungen in den Stand versetzt werden, sich über die offen gelegten Gestaltungsmodelle auszutauschen.2 Der Aktionspunkt 12 wurde 2018 durch die Einfügung der Art. 8 ff. und des Anhang IV in die EU-Amtshilferichtlinie sowie durch §§ 138 d-h AO und § 7 Abs. 13 und 14 EU-Amtshilfegesetz umgesetzt. Die Bestimmtheit des Tatbestands und die Verhältnismäßigkeit der Anzeigepflicht und des Datenaustauschs sind umstritten und bedürfen Nachsteuerungen durch die Verwaltungspraxis. Generell wird die Anzeigepflicht aber eine präventive Wirkung entfalten und ist daher auch verfassungsrechtlich rechtfertigbar. Steuergestaltungen können durch die Anzeigepflicht schneller durch die Finanzbehörden entdeckt und die Verwaltungspraxis sowie bei Bedarf die Gesetzeslage können angepasst werden. Sinkt dadurch die Verwertungsdauer eines neu entwickelten Gestaltungsmodells, werden die Entwicklung und der Vertrieb solcher Modelle durch spezialisierte Berater weniger attraktiv und die Anzahl solcher Gestaltungsmodelle dürfte sinken. Voraussetzung ist jedoch, dass die Finanzverwaltung die erhobenen Daten auch wirklich zeitnah nutzt und nicht wie im Fall des Cum/Ex-Modells Jahre zwischen Kenntniserlangung und endgültiger Schließung vergehen. kk) Verrechnungspreisdokumentation Um die Transparenz in der internationalen Unternehmensbesteuerung sicherzustellen3, ist eine dreiteilige Verrechnungspreisdokumentation vorgesehen (Aktionspunkt 13)4, und zwar eine Stammdokumentation (master file), eine detaillierte Verrechnungspreisdokumentation (local file) sowie eine länderbezogene Aufstellung bestimmter Konzernkennzahlen (Countryby-Country-Reporting – CbCR). Während die Stammdokumentation Informationen über den Organisationsaufbau, wirtschaftliche Tätigkeiten, immaterielle Wirtschaftsgüter, konzerninterne Finanzaktivitäten und Finanzanlagen enthalten soll, geht es bei der detaillierten Verrechnungspreisdokumentation (local file) um Informationen darüber, ob die kaufmännischen und finanziellen Beziehungen dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen.5 Die Stammdokumentation ist von der betreffenden Konzernobergesellschaft und die detaillierte Verrechnungspreisdokumentation von jeder Konzerngesellschaft abzugeben. Das Country-by-Country-Reporting verpflichtet international agierende Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 750 Mio. US-Dollar länderbezogene Angaben insbesondere über Gewinne vor Steuern, zu zahlende Steuern, Anzahl der Mitarbeiter, Grundkapital, Rücklagen und Wirtschaftsgüter bereit zu stellen.6 Die so der zuständigen Finanzbehörde übermittelten Informationen sollen sodann im Wege des automatischen Informationsaustauschs den Finanzbehörden anderer Staaten zur Verfügung gestellt werden.7 Die Umsetzung erfolgt aus deutscher Sicht insbesondere

1 Hierzu Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 14.116. 2 Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 14.120. 3 Es geht um die Informationsbeschaffung zugunsten der beteiligten Finanzbehörden; vgl. Naumann/Groß, IStR 2014, 792 (793). 4 OECD, Transfer pricing documentation and country-by-country reporting, Action 13: 2015 Final report. 5 Groß, DB, Beilage zu Heft 47/2014, 10 (11). 6 Zur Kritk an diesem Country-by-Country-Reporting Piltz, IStR 2015, 529 (531). 7 Zu Fragen des Steuergeheimnisses Seer, IWB 2016, 6 (13).

Valta | 141

5.37

Kap. 5 Rz. 5.37 | Internationaler Steuerwettbewerb

durch Änderung von § 90 Abs. 3 AO und durch § 138a AO1 und zudem durch Ergänzung oder Änderung der betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen und Informationsaustauschabkommen. Darüber hinaus ist der entsprechende Informationsaustausch auch auf Grundlage des MCAA2 sowie nach Maßgabe der EU-Amtshilferichtlinie möglich.3 ll) Verständigungs- und Schiedsverfahren

5.38

Während die Aktionspunkte 1–13 sämtlich auf die Vermeidung einer internationalen Minderbesteuerung gerichtet sind, geht es im Aktionspunkt 14 darum, die Streitbeilegungsmechanismen im Rahmen von Verständigungs- und Schiedsverfahren zu verbessern. Im Vordergrund steht, den Zugang zu Verständigungsverfahren in Orientierung an Art. 25 Abs. 1–3 OECDMA zu erleichtern und dies insbesondere bei Verrechnungspreisstreitigkeiten zu gewährleisten. Das bedeutet, dass auch bei Einigungen im Rahmen von Betriebsprüfungen Verständigungsverfahren noch möglich bleiben.4 Darüber hinaus soll auch gewährleistet werden, dass der Steuerpflichtige wählen kann, in welchem Staat er das Verständigungsverfahren einleiten möchte. Von besonderer Bedeutung ist, dass die Verständigungsverfahren in Zukunft zeitnah, d.h. innerhalb von 24 Monaten, beendet werden. Darüber hinaus sollen noch obligatorische Schiedsverfahren durchgeführt werden können.5

5.39

In Aktionspunkt 15 wurden schließlich die Grundlagen für das multilaterale Instrument erarbeitet, ein multilaterales Abkommen, mit dem Änderungen des OECD-MA in vielen bestehenden DBA gleichzeitig umgesetzt wurden. (siehe dazu oben Rz. 5.18a f.).6

2. Zweite Phase: Neuverteilung von Besteuerungszugriffen und Verminderung des Wettbewerbsdrucks durch Mindestbesteuerung (GloBE) seit 2016 a) Entwicklungs- und Umsetzungsgeschichte

5.40

Die Maßnahme Nr. 1 zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft des ursprünglichen BEPS-Aktionsplans unterschied sich von den anderen Maßnahmen dadurch, dass sie nicht lediglich Gewinnverlagerungen bekämpfen sollte, sondern ganz grundlegend das System der internationalen Besteuerung in Frage stellte und von Erwartungen an geänderte Zuordnungen von Besteuerungsrechten getragen war. Es fand sich auch im Rahmen des Abschlussberichts 2015 kein Konsens, so dass die Arbeiten im Rahmen des Inclusive Framework on BEPS durch die Task Force Digital Economy (TFDE) weitergeführt werden sollten, zuerst mit einem Zeithorizont bis 2020. Nach einem Zwischenbericht 2018 wurde 2019 mit einem Public Consultation Document eine Zweisäulenstruktur eingeführt, die zwischen „Pillar 1“ („Säule 1“) und

1 Vgl. AHRL-ÄndUmsG; hierzu Schnitger, IStR 2016, 637; Lück, IWB 2016, 478; Zech, IWB 2015, 924; Kahle/Schulz, DStZ 2016, 819. 2 Multilateral Competent Authority Agreement on the Exchange of Country-by-Country Reports; vgl. Rz. 22.41. 3 Hierzu Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 14.128. 4 Vgl. zur derzeitigen Rechtslage Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA, Rz. 100. 5 Böhmer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 14.133. 6 Zu Einzelheiten Reimer, IStR 2015, 1 ff.; die OECD hatte sodann den Text einer „Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Related Measures to Prevent BEPS“ vorgelegt, die ab 31.12.2016 unterzeichnet werden konnte; hierzu Geberth, GmbHR 2016, R380 (382).

142 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.43 Kap. 5

„Pillar 2“ („Säule 2“) unterscheidet.1 „Pillar 1“ war dem Ziel der Anpassung und Neuverteilung von Besteuerungsrechten gewidmet, während durch „Pillar 2“ wiederum das Problem von Gewinnverlagerungen, eigentlich aber der dadurch entstehende Unterbietungswettbewerb selbst, in den Fokus genommen wird. Am 8.10.2021 haben 137 Mitgliedsstaaten, denen sich bis Drucklegung alle weiteren Mitgliedsstaaten angeschlossen haben, den Zweisäulen-Plan angenommen und einen Maßnahmenplan für dessen Umsetzung beschlossen.2 Die Änderungen der Besteuerungsrechte der Säule 1 führt hinsichtlich des sogenannten Amount A zu Änderungen der Doppelbesteuerungsabkommen und bedarf wie bereits die erste Phase von BEPS eines multilateralen Umsetzungsvertrages, hier als Multilateral Convention (MLC) bezeichnet. Im Februar 2022 wurde ein Diskussionsentwurf zu Amount A veröffentlicht mit offenen Fragen zum Nexus und den Revenue Sourcing Rules. Die ursprünglich vorgesehene Unterzeichnung des MLC noch im Sommer 2022 erscheint daher unwahrscheinlich. Das MLC wird zugleich die Staaten verpflichten, eingeführte Steuern auf digitale Dienstleistungen aufzuheben und von einer Neueinführung abzusehen. Die Änderungen hinsichtlich Amount B müssen noch weiter ausgearbeitet werden, hier sind die endgültigen Empfehlungen für Ende 2022 vorgesehen.

5.41

Hinsichtlich der zweiten Säule zur globalen Mindestbesteuerung erfolgte die weitere Ausarbeitung der entsprechenden Abkommensregelung bis Ende 2021, welche bis Mitte 2022 durch ein multilaterales Instrument umgesetzt werden soll. Für Ende 2022 ist schließlich ein „implementation framework“, Rahmenvorgaben und Empfehlungen für die Umsetzung der Mindestbesteuerung geplant, das Verfahrensroutinen wie die Erklärungspflichten und multilaterale Kontrollen definieren soll.

5.42

b) Pillar 1: Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft aa) Überblick Die Regelungen des Pillar 1 enthalten einen Kompromiss, um die Aufkommensbegehrlichkeiten von Quellenstaaten bei aufgrund der Digitalisierung hochprofitablen Geschäftsmodellen zu befriedigen, ohne – wie gerade von Entwicklungs- und Schwellenländern immer wieder gefordert – die Balance des internationalen Steuersystems generell in Richtung „mehr Quellenbesteuerung“ zu drehen. Dieser Kompromiss besteht aus zwei Teilen. Im Rahmen des sogenannten Amount A wird für bestimmte hochprofitable multinationale Unternehmen ein neuer steuerlicher Anknüpfungspunkt für Absatzmarktstaaten geschaffen, denen im Wege einer letztlich formelhaften Gewinnaufteilung ein Anteil an dem durch die Digitalisierung erwirtschafteten Mehrgewinn zugesprochen wird. Im Rahmen des Amount B wird im Rahmen der bestehenden steuerlichen Anknüpfungspunkte von Quellen- und Ansässigkeitsstaaten die Gewinnabgrenzung modifiziert, um diese zum einen zu vereinfachen und zum anderen um Gewinnverlagerungen über die Bepreisung von Routinetätigkeiten einzuschränken.

1 OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy – Public Consultation Document, 2019. 2 OECD v. 8.10.2021, Statement on a two Pillar solution, abrufbar unter: https://www.oecd.org/tax/ beps/statement-on-a-two-pillar-solution-to-address-the-tax-challenges-arising-from-the-digitalisa tion-of-the-economy-october-2021.pdf (zuletzt abgerufen am 16.1.2022).

Valta | 143

5.43

Kap. 5 Rz. 5.44 | Internationaler Steuerwettbewerb

bb) Formelaufteilung – Amount A

5.44

Die Ermittlung, ob ein Besteuerungsrecht aus dem Amount A besteht, ist mehrstufig und komplex. Zuerst muss die multinationale Unternehmensgruppe einen globalen Umsatz von mehr als 20 Mrd. Euro und eine durchschnittliche Vorsteuerprofitabilität von mehr als 10 % aufweisen. Damit sollen anfangs nur 100 Unternehmen weltweit betroffen sein.1 Die Umsatzschwelle soll jedoch auf 10 Mrd. Euro gesenkt werden und damit die Anzahl erheblich erhöht werden, wenn eine Prüfung nach 7 Jahren ergibt, dass die neue steuerliche Anknüpfung erfolgreich und rechtssicher implementiert wurde. Rohstoff- und regulierte Finanzunternehmen sind ausgenommen. Obsolet sind zudem früher erwogene qualitative Kriterien, die nach automatisierten oder verbraucherorientierten Geschäftsmodellen fragten (automated digital services oder consumer facing businesses), was schwierige Abgrenzungsprobleme und fortwährenden Anpassungsbedarf bei sich ändernden Geschäftsmodellen erspart.2

5.45

Ein Staat ist nur dann zu einem Besteuerungsanteil berechtigt, wenn die Unternehmensgruppe Erlöse von mindestens 1 Mio. Euro in diesem Staat erzielt, wobei bei kleinen Volkswirtschaften (< 40 Mrd. Euro BIP) bereits Erlöse von mehr als 250.000 Euro genügen. Diese deminimis-Schwellen sollen die Compliance-Kosten für Unternehmen geringhalten und verhindern, dass die Unternehmensgruppe auch minimale Geschäftstätigkeiten überwachen muss.

5.46

Die berechtigten Marktstaaten erhalten von erfassten Unternehmensgruppen sodann 25 % des „Übergewinns“, also des konsolidierten Vorsteuergewinns, soweit dieser 10 % des Umsatzes übersteigt. Die Annahme dahinter ist, dass eine Profitabilität von mehr als 25 % nicht nur im Ansässigkeitsstaat oder den Quellenstaaten erwirtschaftet sein kann, sondern auch auf Wertschöpfungsbeiträgen beruhen muss, die ihren Grund in den Marktstaaten haben. Die Aufteilung dieses Übergewinns zwischen den Marktstaaten erfolgt nach Quellenregeln, welche an den Endverbrauch der Güter- und Dienstleistungen anknüpfen. Hier sind die endgültigen Details noch unklar, unter anderem sehen die früheren „Blueprints“ den Anknüpfungspunkt in folgenden Fällen grundsätzlich: bei Online-Werbung als den Echtzeit-Standort des Empfängers, bei der Nutzung von Geodaten als den Echtzeit-Standort des Nutzers, bei sonstigen Daten als dessen Ansässigkeit, beim Verlauf digitaler Inhalte als die Ansässigkeit des Käufers, bei der Lieferung von Gütern als den Bestimmungsort sowie bei Dienstleistungen als den Ort der Ausführung sowie bei Online-Dienstleistung als die Ansässigkeit des Dienstleistungsempfängers.3

5.47

Die Besteuerung greift auf den konsolidierten Gewinn zu, so dass eine entsprechende konsolidierte Bemessungsgrundlage für die gesamte Unternehmensgruppe genutzt werden muss. Amount A ist eine globale Formelaufteilung des Gewinns und stellt damit eine Ausnahme vom sonst vorherrschenden separate entity approach dar, der jede Unternehmenseinheit als unabhängig ansieht oder fingiert und dann Verrechnungspreise zu bestimmen versucht. Entsprechend kann die Gewinnermittlung der einzelnen Einheiten nicht genutzt werden. Eine eigenständige Gewinnermittlung auf Ebene der Unternehmensgruppe ist notwendig. Als Ausgangspunkt dient der handelsrechtliche konsolidierte Konzernabschluss in IFRS oder einem IFRS gleichwertigen nationalen Rechnungslegungsstandard. Schreibt der Staat der höchsten Muttereinheit eine andere Konzernrechnungslegung vor, kann auch diese grundsätzlich ge-

1 Esakova/Rapp, DStR 2021, 2047 (2048). 2 Esakova/Rapp, DStR 2021, 2047 (2048). 3 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, 2020, Rz. 226 ff.

144 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.50 Kap. 5

nutzt werden, wenn dadurch keine Verzerrungen hervorgerufen werden.1 Diese handelsrechtliche Konzernbilanz wird sodann steuerlich modifiziert, u.a. durch die Freistellung von Dividendeneinkünften und Veräußerungsgewinnen sowie den üblichen Abzugsbeschränkungen im Rahmen der Körperschaftsbesteuerung.2 Hinzu kommt ein Verlustvortrag. Die Formelaufteilung des Amount A geschieht wie dargestellt auf Basis der Unternehmensgruppe und damit losgelöst von der üblichen Gewinnaufteilung nach selbständigen oder als selbständig fingierten Einheiten auf Fremdvergleichsbasis. Die Unternehmensgruppe als solche ist herkömmlicherweise auch kein eigenständiges Steuersubjekt. Diese Friktionen erfordern komplexe Anpassungsmaßnahmen. Erstens soll verhindert werden, dass Marktstaaten doppelt profitieren, indem ihnen neben den herkömmlichen Fremdvergleichsgewinnanteilen noch Amount A-Formelgewinnanteile zugeteilt werden. Dazu soll eine „marketing and distribution profits safe harbour“-Regelung dienen, die den Formelgewinnanteil in Staaten mit hohen Vertriebsgewinnen ganz oder teilweise kürzt.

5.48

Zweitens entsteht durch das Nebeneinander der Systeme eine Doppelbesteuerung, die es zu kompensieren gilt. Da die Gruppe als solche jedoch kein eigenständiges Steuersubjekt ist, muss die Amount-A-Steuerschuld zuerst auf Einheiten aufgeteilt werden. Dazu müssen die Unternehmenseinheiten identifiziert werden, denen der Restgewinn und damit auch der „Übergewinn“ nach Fremdvergleichsgrundsätzen zugeteilt wurde. Dies wird in zentralisierten Unternehmensgruppen regelmäßig die „Konzernmutter“ sein, es kann aber auch mehrere Einheiten, z.B. Finanzierungs- und Lizenzierungsgesellschaften, geben, welche die Restgewinne erhalten. Die identifizierten Gesellschaften müssen dann die Amount-A-Steuerschuld tragen und haben aber zugleich Anspruch auf Ausgleich der Doppelbesteuerung. Eine von der OECD erwogene Lösung ist die Freistellung des Amount-A-Betrags im Rahmen der Besteuerung nach Fremdvergleichsgrundsätzen, was aber zu Besteuerungslücken und einer niedrigeren Besteuerung als nach Fremdvergleichsgrundsätzen führen kann. Bei der Alternative der Anrechnungsmethode besteht das Problem, wie die anrechenbare Amount-A-Steuerschuld zu bestimmen ist. Da die Besteuerungsanteile an verschiedene Marktstaaten, welche die Anknüpfungsmerkmale erfüllen, gehen, sind verschiedene Steuerbelastungen entweder in komplexer Weise anteilig in Rechnung zu stellen (jurisdiction by jurisdiction-approach) oder der Durchschnitt der Steuerbelastungen der Marktstaaten zu ermitteln (blended cap), was eine Verrechnung der Besteuerungsanteile von Hoch- und Niedrigsteuerländern ermöglichen würde. Letzteres wäre im Vergleich zu den üblichen Anrechnungsregeln ein „Rückschritt“ vor Einführung der per countrylimitation, kann aber angesichts des Charakters als Gruppenbesteuerung auch als gerechtfertigt angesehen werden.

5.49

Auch wenn die neue Fassung des Pillar 1 mit der reinen Anknüpfung nach „Überprofitabilität“ etwas vereinfacht wurde, bleibt eine hohe Komplexität durch das Nebeneinander des einheitenbezogenen Fremdvergleichs- und des gruppenbezogenen Formelaufteilungssystems, das wiederum auf Einheiten zurückgeführt und zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in Ausgleich gebracht werden muss. Eine rechtsichere Umsetzung ist daher nur bei einer engen Abstimmung der berechtigten Marktstaaten und der Ansässigkeitsstaaten der die Steuer schuldenden Einheiten möglich. Das Inclusive Framework verspricht obligatorische und bindende

5.50

1 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, 2020, Rz. 407 f. 2 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, 2020, Rz. 409.

Valta | 145

Kap. 5 Rz. 5.50 | Internationaler Steuerwettbewerb

Konfliktvermeidungs- und -lösungsprozesse,1 wobei es Erleichterungen für Entwicklungsländer geben soll, die bisher nur wenige Verständigungsverfahren hatten. Zudem soll die Compliance für die Unternehmensgruppen dadurch vereinfacht werden, dass die Gruppe in Absprache mit den Finanzverwaltungen eine Einheit für Zwecke des Amount A als zentralen Ansprechpartner vorsehen kann, der die Erklärungspflichten für alle Schuldnereinheiten erfüllt.2 Dieser soll regelmäßig im Ansässigkeitsstaat der Konzernmutter sein, deren Finanzverwaltung sodann die Federführung übernimmt. Die Rolle können ersatzweise aber auch andere sich dazu bereiterklärende Steuerverwaltungen übernehmen.3 Der Schritt zu einer echten Steuerschuldnerschaft der Unternehmensgruppe wird jedoch nicht gegangen. cc) Vereinfachung des Fremdvergleichs in Richtung Gewinnvergleich – Amount B

5.51

Unter dem Etikett „Amount B“ wird eine Modifikation und Vereinfachung der geltenden Verrechnungspreisgrundsätze angestrebt. Hintergrund sind streitanfällige Unsicherheiten darüber, wie Routine-Handels- und Vertriebsfunktionen auf Kostenaufschlagsbasis von unternehmerischen Einheiten abgegrenzt werden, die einen Anteil am Restgewinn erhalten. Ein engerer Ansatz soll für diese Routine-Handels- und Vertriebsfunktionen eine Standardvergütung vorgeben, welche nur beim Nachweis abweichender Fremdvergleichspreise wiederlegt werden soll.4 Weitere Ansätze sollen auch Kommissionärs- und „sales agent“-Strukturen miterfassen.5

5.52

Die Routine-Handels- und Vertriebsfunktionen sollen durch Positiv- und Negativlisten der zugordneten Funktionen, Vermögensgegenstände und Risiken6 in zweierlei Richtung abgegrenzt werden. Nach „unten“ von unselbständigen Routine-Unterstützungstätigkeiten für Handel- und Vertrieb, die entsprechend nach allgemeinen Fremdvergleichsgrundsätzen zu entgelten sind, nach oben von unternehmerischen Tätigkeiten, die einen Anteil am Restgewinn vermitteln.7 Als Kennzeichen solcher unternehmerischen Tätigkeiten und damit letztlich als Schwelle zur Beteiligung am Restgewinn werden u.a. erwogen: bei den Funktionen die Schaffung und Pflege eigener Vertriebs-Immaterialgüter, strategische Verkaufs- und Vertriebsentscheidungen durch u.a. eigene Preisbildung, eigene Anteile an der Produktentwicklung, NichtRoutine-Werbung; bei den Vermögensgegenständen die Inhaberschaft der Vertriebs-Immaterialgüterrechte, z.B. lokaler Marken, und schließlich die sich aus dieser Freiheit ergebenen Risiken, die entsprechend nicht durch Aktivitäten, Vorgaben oder Zusicherungen anderer Einheiten begrenzt sind und daher auch vom Risikoprofil der Gruppe abweichen können.

1 Diese dürften sich an den Vorarbeiten orientieren: OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, 2020, Rz. 728 ff. 2 OECD v. 8.10.2021, Statement on a two Pillar solution, S. 3, abrufbar unter: https://www.oecd.org/ tax/beps/statement-on-a-two-pillar-solution-to-address-the-tax-challenges-arising-from-the-digitali sation-of-the-economy-october-2021.pdf (zuletzt abgerufen am 16.1.2022). 3 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, 2020, Rz. 717 ff. 4 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, 2020, Rz. 654. 5 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, 2020, Rz. 655. 6 Vorschläge in OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, 2020, Rz. 668 ff. 7 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, 2020, Rz. 666.

146 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.57 Kap. 5

Qualifiziert sich die Handels- und Vertriebstätigkeit für „Amount B“, soll der Verrechnungspreis nach der transaktionsbasierten Nettomargenmethode (TNMM) bestimmt werden, wobei zur Vereinfachung eine bestimmte Nettomarge vorgegeben ist, die sich aus den Verkaufsrenditen oder anderen Renditezahlen bestimmt. Unterschiedliche Renditen je nach Region und Branche kommen in Betracht. Bei Öffnung des Amount B für Kommissionäre und Handelsvertreter wäre für diese zudem eine geringere Rendite anzusetzen.1

5.53

Viele Fragen der Ausgestaltung des Amount B sind noch offen und sollen bis Ende 2022 geklärt werden. Erfolgten eine Einigung und einheitliche Umsetzung in der Praxis, wird ein wesentlicher Teil der Verrechnungspreisbestimmung vereinfacht und durch die einheitlichen Standards die Gefahr von Streitigkeiten und Doppelbesteuerung vermindert. Auch wenn der Amount B im Gegensatz zu Amount A weiterhin am Fremdvergleich orientiert ist, ist die Anbindung je nach Ausgestaltung stark gelockert. Am Ende des Konkretisierungsprozesses könnte ein relativ schematischer Gewinnvergleich stehen, der auf stark typisierten branchen- und regionsbezogenen Standardrenditen beruht. Der individuelle Markterfolg des Unternehmens gerät außer Blick und damit droht eine Sollgewinnbesteuerung, welche die wirtschaftliche Realität nicht immer wiederspiegelt und möglicherweise Ausgleichszahlungen zwischen den Unternehmenseinheiten erfordert.

5.54

dd) Fazit Ein erstes Zwischenfazit der Bemühungen um eine Neuverteilung der Besteuerungsrechte angesichts der Digitalisierung fällt gemischt aus. Es ist – weiteren Erfolg vorausgesetzt – den großen Industriestaaten als klassischen Ansässigkeitsstaaten gelungen, eine allgemeine Renaissance der Quellenbesteuerung aus Anlass der Digitalisierung abzuwehren. Die Alternativregelungen in Art. 12A und 12B UN-MA – welche Quellenabzugssteuern für technische und digitale Dienstleistungen vorsehen – aber auch unilaterale Digitalsteuern haben bei erfolgreicher Umsetzung des Pillar 1 keine große Zukunft. Das hat den Vorteil, dass damit eine Ausweitung der Bruttobesteuerung und erhöhte Gefahren von Anrechnungsüberhängen vermieden werden. Allerdings wird damit auch eine relativ einfach zu vollziehende Besteuerungsform verhindert, deren negative Effekte bei einer dauerhaften Beschränkung auf niedrige Abzugssätze in den DBA begrenzt hätte werden können.

5.55

Amount A und Amount B lassen sich aber auch als Eingeständnis lesen, dass die Strategie der OECD, für die Gewinnabgrenzung nur auf Verrechnungspreisgrundsätze zu setzen, gescheitert ist. Hat das OECD-MA 2008 und 2010 mit dem Authentic OECD Approach noch das Ende sogenannter indirekter Gewinnaufteilungsmethoden bei den Betriebsstätten durchsetzen wollen, haben Änderungen der Verrechnungspreisrichtlinien viele konzeptionelle Mühen auf die Fassung und Bewertung des schwer einzeln Fass- und Bewertbaren gelegt, kommt es nun zu einer Teil-Renaissance formelhafter und standardisierter Gewinnaufteilungen.

5.56

Die Teilrenaissance führt zu einem Nebeneinander von zwei Systemen: dem transaktionsbezogenen Fremdvergleich und gewinnmargenbezogenen globalen Formelaufteilungen (Amount A) sowie dem Zwitter einer gewinnmargenbasierten Transaktionsbepreisung (Amount B). Inseln des Einfacheren im Komplizierten abzugrenzen und das Nebeneinander beider Systeme zu gewährleisten, erhöht die Kompliziertheit wiederum. Mit Vereinfachung lässt sich das neue System daher kaum rechtfertigen, im Mittelpunkt stehen doch die Interessen an zusätzlichen

5.57

1 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, 2020, Rz. 689 ff.

Valta | 147

Kap. 5 Rz. 5.57 | Internationaler Steuerwettbewerb

Besteuerungszugriffen für Marktstaaten. Dieses Motiv hat in den Irrrungen und Wirrungen über die Abgrenzung einer Digitalwirtschaft, digitalisierter Geschäftsmodelle, besonders verbraucherbezogener Geschäftsmodelle in der jüngsten Anknüpfung an besonders profitable Geschäftsmodelle den vielleicht ehrlichsten Ausdruck gefunden. Ob dieses Aufkommensinteresse nicht doch in einfacherer und bei maßvollen Abzugsätzen nicht auch verträglicherer Weise durch Abzugssteuern auf bestimmte Dienstleistungen hätte erhoben werden können, diese Frage lässt sich berechtigt stellen. Auch andere Ansätze versprechen hier mit weniger Aufwand zielgerichtete Korrekturen, z.B. die Erfassung des Zahlens mit Daten über die Umsatzsteuer.1 c) Pillar 2: Globale Mindestbesteuerung aa) Überblick

5.58

Pillar 2 bezeichnet eine globale Mindestbesteuerung für übermäßige Gewinne, welche den Unterbietungswettbewerb begrenzen soll. Sie besteht aus zwei korrespondierenden Vorschriften, die im nationalen Recht umgesetzt werden müssen: der Income Inclusion Rule (IIR), einer besonderen Hinzurechnungsbesteuerung, die Parallelen zur US-GILTI-Regelung hat, sowie der flankierenden Undertaxed Payment Rule (UTPR), die ein Abzugsverbot für Zahlungen vorsieht, die nicht der Hinzurechnung unterfallen. Hinzu kommt im Abkommensrecht eine Subject to Tax Rule (STTR), die nicht wie sonst üblich den Ansässigkeitsstaat, sondern hier den Quellenstaat zu einer beschränkten Quellenbesteuerung ermächtigt, sofern Zahlungen an nahestehende Personen in deren Ansässigkeitsstaat unterhalb einer Mindestrate besteuert werden. Diese STTR-Quellensteuer soll im Ansässigkeitsstaat des Empfängers anrechenbar sein.

5.59

Das Regelungspaket gilt als „common approach“ des Inclusive Frameworks mit einer differenzierten Umsetzungsverpflichtung. Mitglieder des Inclusive Frameworks müssen die Mindestbesteuerung nicht umsetzten, wenn sie es aber tun, muss die Umsetzung im Einklang mit den Modellregeln und den beschlossenen Erläuterungen stehen. Mitglieder, welche die Mindestbesteuerung nicht derart aktiv umsetzen, müssen zumindest die Anwendung der Mindestbesteuerung einschließlich Reihenfolge der Regeln und Safe-Harbour-Regeln akzeptieren.

5.60

Die EU-Kommission legte am 21.12.2021 bereits einen Richtlinienentwurf zur Umsetzung der Mindestbesteuerung vor.2 Der Richtlinienentwurf setzt die Model Rules qualifiziert um und geht an einigen Stellen noch über diese hinaus. So soll die IIR im Gegensatz zur Model Rule auch auf die UPE und inländische Konzerneinheiten im Land der UPE angewandt werden, während die Model Rules Niedrigbesteuerung im Land der UPE durch eine Anwendung der UTPR auf die anderen Konzerneinheiten abdecken wollen.3 Damit soll eine Anwendung der Grundfreiheiten und eine entsprechende Rechtfertigungsprüfung vermieden werden.4 Unterschiede in der Bemessungsgrundlage von UTPR und IIR sorgen freilich für Anpassungsbedarf.5

1 Lemm, Besteuerung von künstlicher Intelligenz und deren Implikationen auf die Besteuerung der Digitalwirtschaft, Diss. Düsseldorf, 2022. 2 COM(2021) 823 final. 3 Rieck/Fehling, IStR 2022, 51 (52). 4 Rieck/Fehling, IStR 2022, 51 (52). 5 Rieck/Fehling, IStR 2022, 51 (53).

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C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.64 Kap. 5

bb) Anwendungsbereich Die Mindestbesteuerung soll auf multinationale Unternehmensgruppen anwendbar sein, welche die Umsatzschwelle von 750 Mio. Euro, die bereits beim Country by Country-Reporting genutzt wird, in mindestens zwei der vorangegangenen vier Wirtschaftsjahre überschritten haben.1 Den Ansässigkeitsstaaten der Konzernmütter soll es aber auch unterhalb der Schwelle optional möglich sein, die Mindestbesteuerung anzuwenden. Nicht anwendbar soll die Mindestbesteuerung sein, wenn die oberste Konzernmutter eine staatliche Einheit, internationale Organisation, gemeinnützige Organisation oder Pensions-/Investitionsfonds ist.2 Hier wird entweder wegen fehlender Privatnützigkeit oder besonderer Regulierung kein Bedarf für eine Mindestbesteuerung gesehen.

5.61

Aufgrund der Komplexität und des hohen Vollzugs- und Complianceaufwandes sind Ausnahmen („carve out“) geplant. So sollen Einkommen von der Mindestbesteuerung freigestellt werden, die nicht 8 % der Buchwerte und 10 % Lohnkosten übersteigen, wobei diese Werte über einen Zeitraum von zehn Jahre auf jeweils 5 % abgeschmolzen werden sollen. Hintergrund dieser Regelung ist, dass ähnlich wie bei Pillar 1 nur Unternehmen mit „Übergewinnen“ erfasst werden sollen, die typischerweise aufgrund digitalisierter Geschäftsmodelle entstehen. Eine „de minimis”-Regel soll Rechtsordnungen ausnehmen, in denen die Umsätze 10 Mio. Euro und die Gewinne 1 Mio. Euro nicht übersteigen. Einkünfte aus internationaler Schifffahrt i.S.d. Art. 8 OECD-MA sollen ebenfalls ausgenommen sein.

5.62

Schließlich sind weitere Ausnahmen unter der Bezeichnung „safe harbour“ geplant, die letztlich einer Aktivitätsklausel entsprechen, wie sie bei der Hinzurechnungsbesteuerung und bei der Freistellungsmethode im Abkommensrecht üblich sind. Angesichts der dort bekannten Schwierigkeiten, zwischen „aktiven” und „passiven” Tätigkeiten zu unterscheiden und dem damit verbundenen Gestaltungspotential, lässt sich an der rechtspolitischen Klugheit einer solchen Ausnahme zweifeln, auch wenn sie die Akzeptanz der Mindestbesteuerung befördern dürfte. Eine solche Ausnahme akzentuiert auch die Einordnung der Mindestbesteuerung als Vorfeldmaßnahme der Missbrauchsvermeidung: nicht jeglichem Unterbietungswettbewerb soll ein Boden eingezogen werden, sondern nur bei besonders mobilen und leicht verlagerbaren passiven Einkünften.

5.63

cc) Regelungstechnik Die erste Regel ist die Income Inclusion Rule (IIR), eine Hinzurechnungsbesteuerung. Die oberste Konzernmutter, die Ultimate Parent Entity (UPE) muss die Zusatzsteuer aller direkten oder indirekten Gruppeneinheiten entrichten (Art. 2.1.1). Die Zusatzsteuer bemisst sich aus der Differenz zwischen der aufgrund der einheitlichen Bemessungsgrundlage errechneten nationalen Steuerbelastung und der Mindeststeuerrate von 15 % multipliziert mit dem „Übergewinn“ („excess profit“). Der Übergewinn ist das gesamte Nettoeinkommen, das nicht auf hinreichend „Substanz“ (Buchwerte, Lohnkosten) basiert, also insbesondere aus Immaterialgütern herrührt. Hinzu kommt eine zusätzliche laufende Zusatzsteuer („Additional Current Top-up Tax“) für den Fall, dass Zusatzsteuerfestsetzungen der Vorjahre korrigiert werden müssen. Abgezogen werden können qualifizierte nationale Mindestbesteuerungsregime.

1 OECD, Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two), 2021, Article 1.1. 2 OECD, Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two), 2021, Article 1.5.

Valta | 149

5.64

Kap. 5 Rz. 5.64 | Internationaler Steuerwettbewerb

Die gesamte Zusatzsteuer einer Jurisdiktion ist damit: (Zusatzsteuer aus Differenz effektiver Besteuerung und Mindeststeuersatz 15 % x nicht substanzbasierter Übergewinn) + zusätzlich laufende Zusatzsteuer bei Korrekturen der Vorjahre – evtl. nationaler Mindeststeuer. Die gesamte Zusatzsteuer einer Jurisdiktion wird sodann auf die einzelnen, in ihr belegenen, Unternehmenseinheiten entsprechend ihres Anteils am GlobE-Einkommen verteilt.

5.65

Die zweite Regel ist die sogenannte Undertaxed Payments Rule (UTPR), die als Auffanglösung die Income Inclusion Rule ersetzt, wenn die UPE in ihrem Ansässigkeitsstaat nicht einer Zusatzsteuer unterliegt (2.5. Model Rule). Die Zusatzsteuer wird dann in den Staaten anderer Unternehmenseinheiten entweder in Form einer Abzugsbeschränkung ähnlich der Zins- und Lizenzgebührenschranke oder einer äquivalenten Quellensteuer erhoben. Die Verteilung der Zusatzsteuer auf die einzelnen Jurisdiktionen wird dadurch erschwert, dass die zentralen Informationen über den Konzerngewinn und seine Verteilung nicht mehr verfügbar sind. Hier greifen die Model Rules zu einer jeweils hälftigen Verteilung nach dem Verhältnis der Mitarbeiter und der Nettobuchwerte.

5.66

Aufgrund der Komplexität und des weiteren Konkretisierungsbedarfs dieser dezentralen Steuererhebung beginnt die Anwendung der UTPR mit fünf Jahren Aufschub. Auch Unternehmensgruppen die erst nach Inkrafttreten in den Anwendungsbereich der Zusatzbesteuerung fallen, erhalten einen fünfjährigen Aufschub, sofern sie in höchstens sechs Jurisdiktionen Unternehmenseinheiten haben und die Netto-Buchwerte der materiellen Wirtschaftsgüter außerhalb der Referenz-Jurisdiktion (die Jurisdiktion mit den höchsten steuerlichen Netto-Buchwerten) 50 Mio. Euro nicht übersteigen.

5.67

Der UTPR ähnelt der dritten Komponente der Mindestbesteuerung, der sogenannten Subject to tax rule (STTR). Sie sieht ein Quellenbesteuerungsrecht für Entwicklungsländer auf Zinsen, Lizenzzahlungen und bestimmte weitere Zahlungen1 an nahestehende Personen vor, die anfällig für Gewinnverlagerungen sind. Sie dient als Zugeständnis und flankierende Maßnahmen für Mitglieder des Inclusive Frameworks, welche die Mindestbesteuerung als Entwicklungsländer nicht aktiv mit IIR/UTPR umsetzen, sondern sie nur passiv dulden und unterstützen. Ihnen wird die Möglichkeit eröffnet, auf einfache Weise über Quellensteuern auf Zahlungen in das niedrigbesteuernde Ausland eine Mindestbesteuerung sicherzustellen und zugleich einen Aufkommensanteil an Stelle der IIR-/UTPR-Aufteilung zu erhalten. Die Quellenbesteuerung erfolgt unabhängig von IIR/UTPR und geht deren Regeln vor, so dass die Anwendung der STTR dazu führen kann, dass eine hinreichende Mindestbesteuerung vorliegt und IIR/ UTPR nicht mehr anwendbar sind.

5.68

Technisch soll die STTR so funktionieren, dass ein Entwicklungsland, das Mitglied des IF ist, von einem anderen IF-Mitglied die Einräumung eines entsprechenden Quellensteuerrechtes in bilateralen DBA-Verhandlungen verlangen können soll, wenn die nominelle Steuerbelastung weniger als 9 % beträgt. Eine Feststellung der effektiven Besteuerung wie bei der IIR/ UTPR kommt hier zur Komplexitätsreduktion nicht zur Anwendung. Eine STTR Model Rule soll Anfang 2022 entwickelt werden und dann zeitnah über ein neues Multilaterales Instrument in den Abkommensbestand eingefügt werden.

1 Vgl. OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 591 ff.

150 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.72 Kap. 5

dd) Ermittlung der effektiven Steuerbelastung Die Mindestbesteuerungsschwelle wurde auf eine effektive Belastung von 15 % festgelegt. Dieser Wert ist einerseits recht hoch, wenn man die teils niedrigeren bestehenden Körperschaftssteuersätze, auch in der EU, betrachtet. Andererseits unterstreicht er, dass damit dem Unterbietungswettbewerb in der Unternehmensbesteuerung nur ein Boden bereitet werden soll und das Belastungsniveau nicht auf das Niveau vor der Globalisierung zurückgeführt wird. Da die Bemessungsgrundlage zur Gegenfinanzierung der Tarifsenkungen verbreitert wurde, sind die nominalen Steuersätze der Vergangenheit und der Gegenwart auch nicht ohne Weiteres vergleichbar.

5.69

Eine besondere Herausforderung stellt das Tatbestandsmerkmal der effektiven Steuerbelastung (ETR) dar. Die Regeln können nicht an die nominale Steuerbelastung anknüpfen, da diese durch Unterschiede in der Bemessungsgrundlage nicht vergleichbar sind. Es bedarf daher eines einheitlichen Maßstabs der effektiven Steuerbelastung, die für jede Steuerrechtsordnung ermittelt werden muss.

5.70

Ausgangspunkt ist eine einheitliche Bemessungsgrundlage auf Grundlage einer modifizierten Handelsbilanz, auf die sodann die jeweiligen Steuersätze angewendet werden (GloBE-Einkommen). Art. 3.1.2. der Model Rules stellt auf das Nettoeinkommen, das bei der Aufstellung des Konzernabschlusses noch vor der Konsolidierung für die Unternehmenseinheit ermittelt wird, ab. Nach Art. 10.1.1. sind neben IFRS unter anderem auch die Rechnungslegungsstandards aller EU-Staaten inkl. Deutschlands zulässig, wobei eine Abweichung von mehr als 75 Mio. Euro vom IFRS-Standard Anpassungen erfordern kann (Art. 10.1.1. Material Competitive Distortion). Deutsche Unternehmensgruppen im Anwendungsbereich werden eine IFRS-Rechnungslegung unterhalten (vgl. § 315e HGB).

5.71

Diese Bemessungsgrundlage muss sodann aber mehrfach modifiziert werden (Art. 3.2.1 Model Rules). Dies gilt insbesondere für gruppeninterne Dividendenausschüttungen, die für steuerliche Zwecke häufig freigestellt sind.1 Eine Mehrfacherfassung führt zu einer zu breiten Bemessungsgrundlage, was in der Folge dazu führt, dass die effektive Steuerbelastung zu niedrig berechnet wird und Hinzurechnungsbesteuerung und Abzugsbeschränkungen ungerechtfertigterweise ausgelöst werden. Gruppeninterne Anschaffungs- und Veräußerungsvorgänge können ähnliche Effekte auslösen. Werden handelsrechtlich bei der erworbenen Einheit stille Reserven realisiert, kommt es regelmäßig zu Mehrabschreibungen gegenüber der steuerlichen Gewinnermittlung, der noch die Buchwerte zu Grunde gelegt werden. Im Ergebnis wird die Bemessungsgrundlage für Zwecke der Mindestbesteuerung zu schmal, was wiederum dazu führt, dass die effektive Steuerbelastung zu hoch angesetzt wird und Hinzurechnungsbesteuerung und Abzugsbeschränkungen nicht wie geboten auslösen. In der Konsequenz müssen für Zwecke der Mindestbesteuerung auch bei handelsrechtlicher Realisierung weiterhin die Buchwerte genutzt werden (stock gain exclusion rule).2 Beteiligungen an Personengesellschaften sollen über eine transparente Zurechnung erfasst werden.3 Dies sind nur einige Beispiele für die Schwierigkeiten, die effektive Steuerbelastung der einzelnen Unternehmenseinheiten ab-

5.72

1 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 128 f. 2 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 195. 3 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 186.

Valta | 151

Kap. 5 Rz. 5.72 | Internationaler Steuerwettbewerb

zugrenzen. Die Lösungsansätze der OECD nehmen einen großen Teil der 2020 veröffentlichten „Blaupause“ und der 2021 veröffentlichten Model Rules ein.1

5.73

Steht die Bemessungsgrundlage fest, kann für sie eine Mindeststeuerbelastung ermittelt werden. Für den Vergleich mit der nationalen Steuerbelastung müssen sodann jedoch alle für die Vergleichsberechnung einzubeziehenden Steuerarten ermittelt werden (man denke an die deutsche Gewerbesteuer), auch um eine Umgehung der Mindestbesteuerung durch kreative Steuererfindungen der Staaten zu verhindern.2 Die Model Rules gehen nun ebenfalls wie bei der Bemessungsgrundlage von der Finanzbuchhaltung aus: alle in der Finanzbuchhaltung erfassten Steuerzahlungen der Unternehmenseinheit bilden die Grundlage und werden sodann ergänzt um Steuern auf ausgeschüttete Gewinne, fiktive Gewinnausschüttungen, betriebsfremde Aufwendungen, die im Rahmen eines zulässigen Ausschüttungssteuersystems erhoben werden, Steuern, die statt einer allgemein anwendbaren Körperschaftsteuer erhoben werden, und Steuern, die im Zusammenhang mit einbehaltenen Gewinnen (Gewinnrücklagen) und dem Eigenkapital eines Unternehmens erhoben werden, sowie Steuern, die auf multiplen Komponenten von Einkommen und Eigenkapital basieren. Differenzen zwischen der Handels- und der Steuerbilanz sollen nun doch statt dem in den Blue-Prints geplanten Vortragssystem über latente Steuern abgebildet werden (Art. 4.4. Model Rules): Alternativ kann auch eine GloBE-Verlustwahl vorgenommen werden (Art. 4.5. Model Rules), bei der für jede Jurisdiktion der Netto-GloBE-Verlust nach der einheitlichen Bemessungsgrundlage ermittelt wird und mit dem Mindeststeuersatz von 15 % multipliziert den Betrag der aktiven latenten Steuer ergibt. Dieser Betrag wird jährlich neu fortgeschrieben und muss bei positivem Netto-GlobeEinkommen entsprechend reduziert werden.

5.74

Steht somit die summierte Gesamtsteuerbelastung aller Unternehmenseinheiten in einer Jurisdiktion fest, kann sie durch das summierte ermittelte Nettoeinkommen auf der IFRS-äquivalenten Bemessungsgrundlage dividiert werden. Die Vergleichsberechnung findet also nicht unternehmenseinheitenscharf, sondern nur jurisdiktionenscharf statt („jurisdictional blending“). ee) Fazit

5.75

Die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung ist im Ausgangspunkt eine überzeugende Idee. Sie lässt sich als konsequente Fortführung der Welteinkommensbesteuerung im Ansässigkeitsstaat verstehen, welche die Abschirmwirkung juristischer Personen durchbricht, um eine zeitnahe Mindestbesteuerung der Gewinne sicherzustellen. Das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip ist steuerlich nicht zwingend, eine teil-transparente Besteuerung kann rechtspolitisch vorzugswürdig sein. Durch die Mindestbesteuerung werden Anreize verhindert, Gewinne in niedrigbesteuernden Staaten zu verlagern und dort zwischenzulagern oder für Gestaltungen anzusammeln.

5.76

Die von der OECD entwickelte Ausgestaltung ist jedoch sehr komplex. Es wird letztlich ein paralleles Besteuerungssystem geschaffen, das mit harmonisierten Steuerbilanzen die effektive Besteuerung ermittelt und Zusatzsteuern bemisst, die wiederum zwischen den Einheiten aufgeteilt werden müssen. Zugleich ist die Zusatzbesteuerung auf Übergewinne und passive Ein1 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 154-285; OECD Model Rules, 2021, Art. 3.2-3.5. 2 Vgl. zu den verschiedenen Aspekten OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 127 ff.

152 | Valta

C. Unfairer Steuerwettbewerb | Rz. 5.77 Kap. 5

künfte beschränkt, was den Anwendungsbereich von einer generellen Besteuerungsuntergrenze auf eine Vorfeldmaßnahme der Missbrauchsabwehr beschränkt. Lohnt sich der Aufwand für ein dann doch beschränktes Ziel? Zumal die IIR durch die noch komplexere UTPR flankiert werden muss. Das feinsinnig-komplexe System aus IIR und UTPR kontrastiert schließlich mit der eher holzschnittartig-einfachen Quellenbesteuerung der STTR, die für Entwicklungsländer eine Alternative bietet. Diese Gleichzeitigkeit wirft die Frage auf, ob es nicht auch einen Mittelweg gegeben hätte. Schließlich sorgt die Einführung eines neuen parallelen Zusatz-Besteuerungssystems für Redundanzen. Funktional überschneidet es sich mit der Hinzurechnungsbesteuerung, die in der ersten Phase von BEPS harmonisiert wurde. Dennoch sind BEPS 1-Hinzurechnungsbesteuerung und BEPS 2-Zusatzbesteuerung nebeneinander anwendbar. In der Konsequenz müssen Unternehmenseinheiten bis zu vier Bilanzen erstellen: erstens die Handelsbilanz nach lokalen GoB, zweitens die lokale Steuerbilanz, drittens die Steuerbilanz für die Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Recht des Gesellschafterstaates (z.B. nach deutschem Recht § 10 Abs. 3 AStG), viertens die GLoBE-Bilanz für die Mindestbesteuerung mit internationalen Rechnungslegungsstandards als Ausgangspunkt, modifiziert durch die Model Rules und die EURichtlinie zu deren Umsetzung.1 Rechtspolitisch könnte hier entweder die der IIR unterliegende Einheit von der Hinzurechnungsbesteuerung ausgenommen werden oder die IIR auf sämtliche Kapitalgesellschaften erstreckt werden und dann für diese auf die Hinzurechnungsbesteuerung verzichtet werden.2 Bei letzterer Lösung würde freilich mit dem Hinzurechnungsbetrag dessen Gewerbesteuerpflicht entfallen, die allerdings mit Blick auf die Territorialität der Gewerbesteuer zweifelhaft ist.3

1 Schön, IStR 2022, 181 (190). 2 Schön, IStR 2022, 181 (190); Roeder, StuW 2020, 35 (42 ff.). 3 Schön, IStR 2022, 181 (190).

Valta | 153

5.77

2. Teil Außensteuerrecht

Kapitel 6 Einkommensteuer

A. Anknüpfungspunkte für die Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Unbeschränkte Steuerpflicht I. Wohnsitzprinzip . . . . . . . . . . . . . . II. Wohnsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gewöhnlicher Aufenthalt . . . . . . . IV. Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sonderregelungen 1. Allgemeine Hinweise . . . . . . . 2. NATO-Truppenstatut . . . . . . . 3. EU-Bedienstete . . . . . . . . . . . . 4. UN-Bedienstete . . . . . . . . . . . . 5. Diplomaten und Konsuln . . . . VI. Erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fingierte unbeschränkte Steuerpflicht 1. Europarechtliche Grundlagen . 2. Unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG . . . . . . . . 3. Familienstandsbezogene Steuerermäßigungen . . . . . . . . VIII. Besteuerung des Welteinkommens (Welteinkommensprinzip) . . . . . . IX. Durchbrechungen des Welteinkommensprinzips 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslandsbezogene Steuerbefreiungen a) Steuerfreistellung durch DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teileinkünfteverfahren . . . c) Steuerfreiheit nach vorangegangener Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . d) Steuerermäßigung für Auslandstätigkeiten . . . . . . 3. Auslandsbezogene Verlustausgleichsbeschränkungen a) Verluste bei DBA . . . . . . . .

6.1 6.9 6.12 6.20 6.28

X.

6.33a 6.34 6.36 6.36b 6.36d 6.37

6.40 6.43 6.47 6.53

6.60a

C. I. II. III.

6.61 6.63 6.67 6.69

IV.

b) Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 2a Abs. 1 und 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.72 4. Auslandsbezogene Ausgabenabzugsbeschränkungen (Überblick) . . . . . . . . . . . . . . . 6.88a Umfang der Besteuerung 1. Steuerbare Einkünfte . . . . . . . 6.89 2. Zeitliche Zuordnung . . . . . . . . 6.91 3. Persönliche Zurechnung . . . . . 6.93 4. Einkunftsartenzuordnung . . . 6.94 5. Einkünfteermittlung a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . 6.98 b) Zweistufige Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . 6.100 c) Bewertungsfragen d) Pauschale Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . 6.102 e) Betriebsausgabenabzugsbeschränkungen aa) Zinsschranke . . . . . . . . 6.106a bb) Abzugsverbot für Sonderbetriebsausgaben . . 6.111 cc) Lizenzschranke . . . . . . 6.113 dd) Hybrid-Schranke . . . . 6.115 Beschränkte Steuerpflicht Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.122 Territorialitätsprinzip . . . . . . . . . 6.126 Objektsteuercharakter 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 6.129 2. Durchbrechung des Nettoprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.132 3. Verstoß gegen das AusländerDiskriminierungsverbot . . . . . 6.146 Qualifizierung der inländischen Einkünfte 1. Inlandsbezogene Qualifikationsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . 6.150 2. Isolierende Betrachtungsweise 6.153

6.71a

Schaumburg/Valta | 155

Kap. 6 | Einkommensteuer V. Einkunftsarten 1. Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft . . . . . . . . . . . . 6.158 2. Einkünfte aus Gewerbebetrieb a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 6.160 b) Betriebsstätte . . . . . . . . . . . 6.163 c) Ständiger Vertreter . . . . . . 6.176 d) Beförderung mit Seeschiffen oder Luftfahrzeugen . . . . . 6.182 e) Internationale Betriebsgemeinschaften oder PoolAbkommen . . . . . . . . . . . . 6.188 f) Darbietungen . . . . . . . . . . 6.191 g) Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . 6.205 h) Vermietung und Verpachtung sowie Veräußerung von unbeweglichem Vermögen, Sachinbegriffen und Rechten . . . . . . . . . . . 6.213 i) Vermittlung von Berufssportlern . . . . . . . . . . . . . . 6.219 3. Einkünfte aus selbständiger Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.223 4. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . 6.231 5. Einkünfte aus Kapitalvermögen 6.242 6. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung . . . . . . . . . . . . . . 6.249 7. Sonstige Einkünfte . . . . . . . . . 6.259 VI. Korrespondierende Besteuerung bei hybriden Personenmehrheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.266a VII. Veranlagung und Steuerabzug 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 6.267 2. Veranlagung . . . . . . . . . . . . . . 6.270 3. Steuerabzug a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . 6.281 b) Ausnahmen vom Steuerabzug mit Abgeltungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . 6.283 c) Steuerabzug auf Bruttobasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.291 d) Steuerabzug auf Nettobasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.295 e) Steuerabzug auf Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.299 f) Abzugsverfahren . . . . . . . . 6.301 g) Erstattungsverfahren . . . . . 6.304 h) Freistellungs- und Verschonungsverfahren . . . . . . . . . 6.306

156 | Schaumburg/Valta

D. I. II.

III.

IV.

V.

E. I. II. III. IV.

V. VI.

4. Steuererlass/Pauschbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterte beschränkte Steuerpflicht Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche Voraussetzungen 1. Deutsche Staatsangehörigkeit 2. Frühere unbeschränkte Steuerpflicht im Inland . . . . . . . . . . 3. Ansässigkeit im Ausland . . . . 4. Niedrigbesteuerung . . . . . . . . Sachliche Voraussetzungen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbare Inlandsinteressen 3. Mittelbare Inlandsinteressen . Rechtsfolgen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung nichtausländischer Einkünfte . . . . . . . . . . . 3. Vollprogression und Mindeststeuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurechnung bei zwischengeschalteten Auslandsgesellschaften 1. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand der Zurechnung . 3. Zurechnungsempfänger . . . . . 4. Steueranrechnung . . . . . . . . . Entstrickung und Verstrickung Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . Steuerentstrickung . . . . . . . . . . . . Steuerverstrickuung . . . . . . . . . . . Gewinnrealisierung durch Steuerentstrickung 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite der Steuerentstrickung . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuerentstrickung im Betriebsvermögen a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . b) Ausnahme (§ 50i Abs. 1 EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Steuerentstrickung im Privatvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerfolgen der Steuerverstrickung . . . . . . . . . . . . . . . . . Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG 1. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konzeptionelle Mängel . . . . .

6.310

6.312 6.321 6.324 6.326 6.328 6.336 6.338 6.348 6.350 6.351 6.357

6.363 6.365 6.366 6.369 6.370 6.372 6.380

6.381 6.383

6.385 6.391 6.399 6.402

6.406 6.407

A. Anknüpfungspunkte für die Besteuerung | Rz. 6.2 Kap. 6 3. Haupttatbestand . . . . . . . . . . . 4. Ergänzungstatbestände . . . . . . 5. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . .

6.411 6.416 6.423

6. Vorübergehende Abwesenheit 7. Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.430 6.433

Literatur: Kommentare zu § 1 EStG; von Beckerath, Der Durchgriff im Außensteuerrecht, Berlin 1978; Beil, Der Belastungsgrund des steuerstaatlichen Synallagmas, Frankfurt/M. u.a., 2001; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964, 130 ff.; 161 ff.; Burmester, Grundlagen internationaler Regelungskumulation und -kollision, unter besonderer Berücksichtigung des Steuerrechts, Baden-Baden 1993, 228 ff., 276 ff.; Endriss, Wohnsitz- oder Ursprungsprinzip, Köln 1967; Großfeld, Basisgesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Tübingen 1974; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. München 2000; Kroschel, Die Federal Income Tax der Vereinigten Staaten von Amerika, 1999; Kußmaul/Ruiner, Verfassungsrechtliche Grundlagen, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der Steuerpflicht bei natürlichen Personen in der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, StuW 2009, 80; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Köln 1981/88; Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien (Loseblatt); Müller, Die völkerrechtliche Zulässigkeit der Erstreckung der deutschen Steuerhoheit auf ausländische Tochtergesellschaften, Diss. München 1969; Scheffler, Besteuerung der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit, München 1995, 49 ff.; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, Amsterdam 1936 (Neudruck Köln 1967), 219 ff., 256 ff., 328 ff.; Stein/v. Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. München 2017; Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021; Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm – Eine Untersuchung über die Grundfragen des sog. Internationalen Verwaltungs- und Steuerrechts, Frankfurt/Berlin 1965; Weber-Fas, Grundzüge des allgemeinen Steuerrechts der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1979; Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, Hamburg 1991.:

A. Anknüpfungspunkte für die Besteuerung Es gehört zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, dass jeder Staat eine Steuerpflicht aufgrund seiner Steuergesetze nur dann begründen darf, wenn es hierfür persönliche oder räumliche Anknüpfungspunkte (genuine link) gibt.1

6.1

Für den Bereich der Steuern vom Einkommen ist es international üblich die persönliche Beziehung zum besteuernden Staat als Anknüpfungspunkt für die unbeschränkte Steuerpflicht und die räumliche Beziehung zum besteuernden Staat als Anknüpfungspunkt für die beschränkte Steuerpflicht zu wählen. Im Bereich der unbeschränkten Steuerpflicht wird wie in Deutschland durchweg in der Staatenpraxis auf den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnsitzprinzip) und in Ausnahmefällen auf die Staatsangehörigkeit (Nationalitätsprinzip) abgestellt. Das Wohnsitzprinzip (Ansässigkeitsprinzip) und Nationalitätsprinzip kennzeichnen die Umschreibung des Steuersubjekts.2 Mit diesen korrespondiert auf der Seite des

6.2

1 BFH v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; v. 16.12.1964 – II 154/61 U, BStBl. III 1965, 134; Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. A 464 ff.; Lehner in V/L7; Grundlagen Rz. 11; Weber-Fas, Grundzüge des allgemeinen Steuerrechts der Bundesrepublik Deutschland, 61 (64); Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, 82 ff.; von Beckerath, Der Durchgriff im Außensteuerrecht, 143; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, 78 f.; Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 47. 2 Hierzu allgemein Seer in Tipke/Lang24, Rz. 6.30 ff.

Schaumburg | 157

Kap. 6 Rz. 6.2 | Einkommensteuer

Steuerobjekts1 zumeist das Welteinkommensprinzip (Universalitätsprinzip, Totalitätsprinzip oder Globalprinzip) und in Ausnahmefällen das Quellenprinzip (Territorialitätsprinzip). Bei beschränkter Steuerpflicht wird demgegenüber stets das Quellenprinzip (Territorialitätsprinzip) verwirklicht.

6.3

Der Begriff des Territorialitätsprinzips ist doppeldeutig. Soweit nämlich bei der Anknüpfung am Steuersubjekt Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt als territoriale Merkmale maßgeblich sind, wird zwecks Abgrenzung zum Nationalitätsprinzip der Begriff subjektives Territorialitätsprinzip verwendet. Auf der Ebene des Steuerobjekts findet dieser Begriff seine Parallele im sog. objektiven Territorialitätsprinzip, wodurch im Gegensatz zum Universalitätsprinzip eine Anknüpfung nur an inländische Steuerquellen gekennzeichnet wird.2

6.4

Die vorgenannten steuersubjekt- und steuerobjektbezogenen Anknüpfungsmerkmale sind in den verschiedenen Staaten unterschiedlich ausgeprägt. So hat insbesondere das Territorialitätsprinzip weltweit Weiterungen derart erfahren, dass nicht nur inländische, sondern im Ergebnis auch ausländische Einkunftsquellen erfasst werden.

6.5

Im Bereich der Besteuerung von (inländischen) Betriebsstätteneinkünften wird auf einer ersten Stufe zunächst auf das Territorialitätsprinzip dahingehend abgestellt, dass die beschränkte Steuerpflicht das Vorhandensein einer inländischen Betriebsstätte voraussetzt. Auf einer zweiten Stufe im Rahmen der Einkünfteermittlung der Betriebsstätte gilt sodann nicht mehr das Territorialitätsprinzip, sondern die sachliche – nicht räumliche – Zuordnung von Einkünften mit der Folge, dass auch ausländische Einkunftsquellen erfasst werden. Auch bei den übrigen der beschränkten Steuerpflicht unterworfenen Einkünften ist die territoriale Anknüpfung weit gezogen. So werden gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG auch Einkünfte aus einer im Ausland ausgeübten selbständigen oder nichtselbständigen Arbeit erfasst, wenn sie im Inland verwertet wird oder worden ist.3

6.6

Im Bereich der unbeschränkten Steuerpflicht steht international – so auch in Deutschland – die Anknüpfung an den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt (Ansässigkeit) sowie an die Staatsangehörigkeit im Vordergrund. Die Anknüpfung an Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnsitzprinzip) findet ihre Rechtfertigung darin, dass grundsätzlich die staatlichen Leistungen allen Bewohnern zugänglich gemacht werden und diese ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit die verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitsgewährleistungen in Anspruch nehmen können.4 Eine kumulative oder alternative Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit lässt sich unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Gewährleistung – Wahlrecht, diplomatischer Auslandsschutz – ebenfalls rechtfertigen.5 Im Hinblick darauf ist die Gewichtung in den einzelnen Staaten unterschiedlich.6 1 Hierzu allgemein Seer in Tipke/Lang24, Rz. 6.36 ff.; umfassend Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 34 ff. 2 Vgl. den Diskussionsbeitrag von Mössner, DStJG 8 (1985), 122. 3 Noch weitergehend § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c EStG, wonach die ausländische Tätigkeit eines Geschäftsführers, Prokuristen oder eines Vorstandsmitglieds einer Gesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland auch ohne Verwertung im Inland erfasst wird; vgl. hierzu Rz. 6.237. 4 Vgl. nur Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 195 f. m.w.N. 5 Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 196 m.w.N. 6 Zum internationalen Vergleich Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. A 246 ff.; vgl. auch die Länderdarstellungen bei Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien.

158 | Schaumburg

A. Anknüpfungspunkte für die Besteuerung | Rz. 6.7 Kap. 6

Die USA knüpfen die unbeschränkte Steuerpflicht sowohl an die Ansässigkeit als auch an die Staatsangehörigkeit an. Im Vordergrund steht die Staatsangehörigkeit (Nationalitätsprinzip). Darüber hinaus werden im Rahmen des Ansässigkeitsprinzips jene Personen erfasst, die entweder im Besitz einer Daueraufenthaltsgenehmigung der USA sind (permanent residency permit, sog. greencard)1 oder sich im laufenden und in den beiden vergangenen Kalenderjahren – berechnet nach einem bestimmten Schlüssel – insgesamt mindestens 183 Tage in den USA aufgehalten haben, wobei auf das laufende Kalenderjahr eine Aufenthaltsfrist von mindestens 31 Tagen entfallen muss (substantial presence).2 In Kanada knüpft die unbeschränkte Steuerpflicht in erster Linie an den gewöhnlichen Aufenthalt an. Erfasst werden „resident persons“, also jene Personen, die sich insgesamt mindestens 183 Tage in dem betreffenden Steuerjahr in Kanada aufgehalten haben.3 Die unbeschränkte Steuerpflicht in Großbritannien setzt bei einer natürlichen Person eine residence bzw. eine ordinarily residence oder ein domicile voraus. Die residence knüpft an den Wohnsitz im Inland an, es sei denn, trotz Wohnsitzes wird im Ausland eine vollberufliche Tätigkeit ausgeübt. Auch bei einem Aufenthalt von mehr als 183 Tagen im Steuerjahr oder während durchschnittlich mindestens drei Monaten pro Jahr innerhalb der letzten drei aufeinander folgenden Jahre liegt ein Wohnsitz in Großbritannien vor. Mit gewissen Beschränkungen modifiziert steuerpflichtig ist, wer in Großbritannien zwar „ansässig“, aber nicht „gewöhnlich ansässig“ (ordinarily resident) ist, also nicht beabsichtigt, auf Dauer im Inland zu leben oder eine Wohnung zu unterhalten. Er kann erst nach weiteren zwei oder drei Jahren unter gewissen Voraussetzungen der vollen unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen.4 Wer zwar eine residence in Großbritannien hat, aber kein domicile, unterliegt ebenfalls Modifizierungen der unbeschränkten Steuerpflicht, wobei das domicile daran anknüpft, ob jemand Großbritannien als seine Heimat betrachtet. Nach den Grundsätzen des „domicile of origin“ hat der Steuerpflichtige sein domicile am Wohnsitzstaat des Vaters bzw. der Mutter.5 Unter die unbeschränkte Steuerpflicht in Frankreich fallen nicht nur Personen, die dort ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben, sondern auch jene, die dort einer selbständigen oder unselbständigen und nicht nur nebenberuflich ausgeübten Tätigkeit nachgehen, oder deren Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen in Frankreich liegt, ohne dort einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zu haben.6 Damit sind in Frankreich die Anknüpfungspunkte für die unbeschränkte Steuerpflicht sehr weit gezogen. In der Schweiz werden von der unbeschränkten Steuerpflicht Personen erfasst, die dort ihren Wohnsitz haben, sich dort für mindestens 30 Tage aufhalten und eine Erwerbstätigkeit ausüben, oder sich, ohne eine Erwerbstätigkeit auszuüben, mindestens 90 Tage in der Schweiz aufhalten.7 1 Maywald/Miethe in Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, USA Rz. 32. 2 Sog. Substantial presence test; Maywald/Miethe in Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, USA Rz. 36; Kroschel, Die Federal Income Tax der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 48; vgl. auch Kußmaul/Ruiner, StuW 2009, 80 (81 ff.). 3 Maywald in Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Kanada Rz. 34. 4 Zu den Einzelheiten Altmann in Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Großbritannien Rz. 22 ff. 5 Altmann in Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Großbritannien Rz. 23. 6 Hellio/Cadet/Fermine in Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Frankreich Rz. 49. 7 Kolb in Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Schweiz Rz. 22; Kubaile/Suter/Jakob, Der Steuer- und Investitionsstandort Schweiz2, 18.

Schaumburg | 159

6.7

Kap. 6 Rz. 6.7 | Einkommensteuer

Japan hat ein ähnliches Steuerregime wie Großbritannien: Personen, die den Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse in Japan haben oder sich dort seit mindestens einem Jahr aufhalten, sind unbeschränkt steuerpflichtig. Ausländer, die nicht beabsichtigen, in Japan ansässig zu werden, und innerhalb der letzten zehn Jahre tatsächlich nicht länger als fünf Jahre ansässig geworden sind, unterliegen einer modifizierten unbeschränkten Steuerpflicht dahingehend, dass nur die inländischen Einkünfte und die von ihnen ins Inland transferierten ausländischen Einkünfte der Besteuerung unterliegen.1

6.8

Die in der internationalen Staatenpraxis gängige Differenzierung zwischen Universalitätsprinzip bei unbeschränkter Steuerpflicht und Territorialitätsprinzip bei beschränkter Steuerpflicht gilt vor allem bei einigen lateinamerikanischen Staaten nicht, deren Einkommensteuerrecht noch vom Territorialitätsprinzip geprägt ist.2

B. Unbeschränkte Steuerpflicht I. Wohnsitzprinzip Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 1 bis 3 EStG; Bayer, Der Stufenbau des Steuertatbestandes, FR 1985, 337; Bayer/Müller, Das Einkommen – der Steuergegenstand des Einkommensteuerrechts?, BB 1978, 1; Gnazzo in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, München 1985, 57 ff.; Huemer, Die unbeschränkte Steuerpflicht natürlicher Personen, Wien 1996; Valdés Costa in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, München 1985, 43 ff.

6.9

Das Einkommensteuergesetz folgt dem international üblichen Wohnsitzprinzip, indem es die unbeschränkte Steuerpflicht an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt anknüpft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG).

6.10

Das derzeit geltende Wohnsitzprinzip mit der ausschließlichen Anknüpfung an Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt wurde erst durch das Einkommensteuergesetz 19253 verwirklicht. Bis dahin galt daneben auch das Nationalitätsprinzip. Dieses Nationalitätsprinzip wurde begründet im preußischen Einkommensteuergesetz von 1891, in dem die unbeschränkte Steuerpflicht ausschließlich an die preußische Staatsangehörigkeit anknüpfte.4 Mit dem Einkommensteuergesetz 19205 wurde das Nationalitätsprinzip durch das Wohnsitzprinzip dahingehend modifiziert, dass unbeschränkt steuerpflichtig alle Deutschen waren, sofern sie sich nicht länger als zwei Jahre im Ausland aufhielten, sowie Ausländer, soweit sie sich ständig oder länger als sechs Monate im Inland aufhielten.

6.11

Mit dem in § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG normierten Wohnsitzprinzip wird das Steuersubjekt, die persönliche Seite des Steuertatbestandes geregelt. Demgegenüber bestimmt § 2 EStG das Steuerobjekt, die sachlichen Voraussetzungen des Steuertatbestandes.6 Dieser dualistische Steuer1 Arnold in Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien, Japan Rz. 19 f. 2 Z.B. in Bolivien, Costa Rica, Uruguay; hierzu Valdés Costa in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 43 ff.; Gnazzo in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 57 ff. 3 Einkommensteuergesetz 1925 v. 10.6.1925, RGBl. I 1925, 189. 4 Hinweise bei Clausen in H/H/R, Dok. Rz. 3. 5 Vom 29.3.1920, RGBl. 1920, 359. 6 Zur „Lehre vom Einkommensteuertatbestand“ Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 17, 51; Waldhoff in FS Spindler, 853 ff.

160 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.13 Kap. 6

tatbestand, der um die Elemente der Zurechnung – Verknüpfung zwischen Steuersubjekt und Steuerobjekt – und des Steuertarifs ergänzt wird,1 gilt nur bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht. Für die beschränkte Steuerpflicht wird demgegenüber durch § 1 Abs. 4 EStG ein monistischer Steuertatbestand dadurch statuiert, dass Steuerausländer nur dann beschränkt steuerpflichtig sind, wenn sie inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielen. Hiernach kann nur diejenige natürliche Person Steuersubjekt sein, der ein Steuerobjekt zugerechnet werden kann. Im Hinblick darauf haben die Begriffe der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht vor allem Bedeutung für das Steuerobjekt. Die Anknüpfung an Wohnsitz (§ 8 AO) und gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) hat nicht nur Bedeutung für die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG), sondern auch für die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Darüber hinaus entscheiden im Anwendungsbereich des EStG Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt auch über den Anspruch auf Kindergeld (§§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 6 EStG) sowie über die subjektbezogene Steuerentstrickung etwa im Falle des Wegzuges (z.B. §§ 4 Abs. 1 Sätze 3 u. 4, 50i Abs. 1 Satz 1 EStG, § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG und schließlich auf Abkommensebene über die Ansässigkeit und damit zugleich über die Abkommensberechtigung (Art. 4 Abs. 1 OECD-MA).

6.11a

II. Wohnsitz Literatur: Kommentare zu § 8 AO, § 1 EStG; Birkholz, Der Wohnsitz, seine Begründung, seine Aufgabe und deren Bedeutung im Rahmen des Steuerrechts, DStZ A 1979, 247 ff.; Debatin, Der doppelte Wohnsitz im Internationalen Steuerrecht, AWD 1966, 313 ff.; E. Becker, Wohnsitz, StuW 1939, 553 ff.; Esser, Die Wohnsitzregelung im deutschen Steuerrecht, RIW 1976, 513 ff.; Flick/Flick-Pistorius, Zur Frage des steuerlichen (Studenten-) Wohnsitzes, DStR 1989, 623 ff.; Greven, Der Wohnsitz natürlicher Personen nach deutschem Steuerrecht, Diss. Basel 1955; Heining, Der Wohnsitz im Internationalen Steuerrecht, JbFSt 1967/68, 37 ff.; Lederer, Doppelter Wohnsitz natürlicher Personen im Internationalen Steuerrecht, RIW/AWD 1981, 463 ff.; Lohmeyer, Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt im Steuerrecht, DVStR 1975, 21 ff.; Paus, Zeitliche Mindestanforderungen bei der Begründung eines Wohnsitzes im Inland und bei der Förderung von Ferienwohnungen, DStZ 1989, 283 ff.; Strickrodt, Auslandswohnsitz und Ausländereigenschaft als Besteuerungsmerkmale, DStR 1966, 99 ff.; Tanzer, Der Ansässigkeits-(Wohnsitz-)begriff im international-nachbarschaftlichen Vergleich (Österreich-DeutschlandSchweiz) in Festschrift Loukota, Wien 2005, 521 ff.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO).

6.12

Mit § 8 AO hat sich das Steuerrecht einen spezifischen Wohnsitzbegriff geschaffen, der sich etwa von den §§ 7 und 8 BGB dadurch unterscheidet, dass er nicht auf subjektive Umstände, sondern allein auf die tatsächliche Gestaltung abstellt.2 Im Hinblick darauf kommt es auch nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige einen Wohnsitz begründen oder aufheben wollte. Manifestiert sich der Wille des Steuerpflichtigen indessen nach außen, etwa durch An- und Ab-

6.13

1 Hierzu im Überblick Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 17. 2 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; v. 24.7.1996 – I R 74/95, BStBl. II 1997, 132; v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; v. 21.3.2003 – III B 123/02, BFH/NV 2003, 944; v. 22.8.2007 – III R 89/06, BFH/NV 2008, 351; v. 8.5.2014 – III R 21/12, BStBl. II 2015, 135 Rz. 16; v. 25.9.2014 – III R 10/14, BStBl. II 2015, 655 Rz. 14; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 2; Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. B 87; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 62.

Schaumburg | 161

Kap. 6 Rz. 6.13 | Einkommensteuer

meldung des Wohnsitzes bei der Ordnungsbehörde, kann insoweit ein dahingehender Indikator für den Wohnsitz gegeben sein.1

6.14

Der Wohnsitzbegriff setzt eine Wohnung voraus. Es müssen also zum Wohnen geeignete Räumlichkeiten vorhanden sein, die allerdings nicht bestimmten Anforderungen entsprechen müssen. Daher spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob die Räumlichkeiten angemessen oder gar standesgemäß sind.2 Somit kommen als Wohnung in Betracht: Baracken, Hotelzimmer bei Dauernutzung, Wochenendhäuser, Jagdhäuser, Gartenhäuschen in einer Laubenkolonie, Wohnwagen bei Dauermiete auf einem Campingplatz.3 Ebenso ist es ohne Bedeutung, ob die Räumlichkeiten möbliert sind oder nicht.4

6.15

Der Wohnsitzbegriff verlangt ferner ein Innehaben der Wohnung. Ein Innehaben ist zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige über die Wohnung tatsächlich verfügen kann, und zwar aufgrund eigener oder abgeleiteter Verfügungsmacht.5 Eine jedenfalls abgeleitete Verfügungsmacht ist insbesondere in den Fällen eines Familienwohnsitzes anzunehmen, wenn der Betreffende bei sich bietender Gelegenheit dorthin immer wieder zurückkehrt, um dort mit der Familie zu wohnen.6 Im Hinblick darauf ist im Zweifel davon auszugehen, dass etwa auswärts arbeitende Ehegatten und an einem anderen Studienort studierende Kinder ihren Wohnsitz dort haben, wo die Familie ihren Wohnsitz hat.7 Eine derartige Verfügungsmacht ist indessen grundsätzlich zu verneinen, wenn sich jemand lediglich zu Besuchszwecken bei einer anderen Person, auch wenn es sich hierbei um Verwandte handelt, oder in einem Hotel aufhält.8

6.16

Für den Wohnsitzbegriff kommt es auch auf die Umstände des Innehabens an. Diese müssen darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt wird. Wesentlich ist somit, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist.9 Es wird also nicht auf die tatsächliche Nutzung abgestellt. So reicht es bei Abwesenheit des Wohnungsinhabers aus, wenn die

1 RFH v. 25.4.1933, RStBl. 1933, 1075; v. 17.11.1938, RStBl. 1938, 1122; BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; AEAO zu § 8 Rz. 1.2 Satz 4. 2 BFH v. 10.4.2013 – I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909 Rz. 14; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 5; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 63. 3 So die Aufzählung bei Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 5 und Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 63 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 4 Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 63. 5 BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294; v. 10.4.2013 – I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909 Rz. 15; v. 13.11.2013 – I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046 Rz. 10. 6 BFH v. 29.10.1959 – IV 129/58 S, BStBl. III 1960, 61; v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146 (1148); v. 30.10.2002 – VIII R 86/00, BFH/NV 2003, 464; v. 15.5.2009 – III B 209/08, BFH/ NV 2009, 1630. 7 Zu Ehegatten BFH v. 6.2.1985 – I R 23/82, BStBl. II 1985, 331; v. 2.11.1994 – I B 110/94, BFH/NV 1995, 753; zu Studenten BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294; zu weiteren Einzelheiten Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 65 ff.; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 7, 10 ff. 8 Zu Einzelheiten Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 6, 6a, 6b. 9 BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956; v. 22.4.1994 – III R 22/92, BStBl. II 1994, 887; v. 17.5.1995 – I R 8/94, BStBl. II 1996, 2; v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294, v. 28.1.2004 – I R 56/02, BFH/NV 2004, 917; v. 22.8.2007 – III R 89/06, BFH/NV 2008, 351; zu Einzelaspekten der Prognoseentscheidung Tiede in H/H/R, § 1 EStG, Rz. 68.

162 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.19 Kap. 6

Wohnung so ausgestattet ist, dass er jederzeit zurückkehren und sich hierin aufhalten kann.1 In diesem Fall entfällt der inländische Wohnsitz erst dann, wenn erkennbare Umstände eintreten, dass der Steuerpflichtige nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wird.2 Wird z.B. die Wohnung während der Abwesenheit vermietet, entfällt die von § 8 AO vorausgesetzte Verfügungsmacht über diese Wohnung, es sei denn, es handelt sich nur um eine vorübergehende Unterbrechung der Verfügungsmacht.3 In Anlehnung an § 9 Satz 2 AO kann ein Zeitraum von nicht mehr als sechs Monaten noch als vorübergehend angesehen werden.4 Ob die Umstände auf ein Beibehalten und Benutzen der Wohnung schließen lassen, beurteilt sich nach der Lebenserfahrung.5 Hiernach werden Räumlichkeiten, die eine den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Bleibe darstellen,6 ebenso für ein Beibehalten und Benutzen sprechen7 wie regelmäßige Aufenthalte des Steuerpflichtigen dortselbst.8

6.17

Das Innehaben einer Wohnung unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass der Steuerpflichtige sie beibehalten und benutzen wird, drückt schließlich ein Zeitmoment aus. Das bedeutet, dass die Umstände dafürsprechen müssen, dass die Wohnung nicht nur vorübergehend benutzt wird. Da § 8 AO keine konkrete Zeitregelung enthält, kann auch insoweit auf die Sechsmonatsfrist des § 9 Satz 2 AO zurückgegriffen werden.9

6.18

Im Hinblick auf die vorgenannten Begriffsmerkmale kann ein Steuerpflichtiger durchaus mehrere Wohnsitze gleichzeitig haben.10

6.19

III. Gewöhnlicher Aufenthalt Literatur: Kommentare zu § 9 AO und § 1 EStG; Deppe, Zur Vorhersehbarkeit von Entscheidungen zum gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO), StuW 1982, 332 ff.; Hartmann, Der gewöhnliche Aufenthalt im Steuerrecht, DB 1974, 2427 ff.; Heinemann, Eintritt der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 14 Abs. 1 Satz 2 StAnpG, FR 1964, 26; Land, Zur Frage der unbeschränkten Steuerpflicht in Sonderfällen, DStZ 1980, 472 ff.; Löffler/Stadler, Der gewöhnliche Aufenthalt (§ 9 AO) des weggezogenen „aktiven Gesellschafters“, IStR 2008, 832.

1 BFH v. 17.5.1995 – I R 8/94, BStBl. II 1996, 2; weitere Einzelheiten bei Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 9 ff. 2 BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146; v. 5.5.2014 – III B 150/13, BFH/NV 2014, 1208, Rz. 11. 3 BFH v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 949; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 70. 4 BFH v. 22.8.2007 – III R 89/06, BFH/NV 2008, 351; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 68. 5 BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; Drüen in T/K, § 8 AO Rz. 9. 6 Zu den Voraussetzungen einer Wohnung Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 63. 7 BFH v. 24.4.1964 – VI 236/62 U, BStBl. III 1964, 462; v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; v. 23.10.1985 – I R 274/82, BStBl. II 1986, 133; v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447. 8 BFH v. 4.6.1964 – IV 29/64 U, BStBl. III 1964, 535; v. 6.3.1968 – I 38/65, BStBl. II 1968, 439; v. 26.2.1986 – II R 200/82, BFH/NV 1987, 301; v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; v. 22.4.1994 – III R 22/92, BStBl. II 1994, 887. 9 BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956; BFH v. 22.8.2007 – III R 89/06, BFH/NV 2008, 351; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 68. 10 BFH v. 24.10.1969 – IV 290/64, BStBl. II 1970, 109; v. 10.8.1983 – I R 241/82, BStBl. II 1984, 11; v. 26.2.1986 – II R 200/82, BFH/NV 1987, 301; v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294; v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; v. 28.1.2004 – I R 56/02, BFH/NV 2004, 917.

Schaumburg | 163

Kap. 6 Rz. 6.20 | Einkommensteuer

6.20

Gemäß § 9 Satz 1 AO hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Damit knüpft der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ebenso wie der Wohnsitzbegriff an äußere Merkmale an. Auf einen entsprechenden Willen des Steuerpflichtigen kommt es nicht an.1 Daher kann auch ein Zwangsaufenthalt, etwa im Gefängnis2 oder im Krankenhaus,3 zu einem gewöhnlichen Aufenthalt führen.

6.21

§ 9 Satz 1 AO verlangt einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt. Hierfür ist eine körperliche Anwesenheit für einen längeren Zeitraum an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Gebiet erforderlich.4 Hieraus folgt, dass auch ein wechselnder Aufenthalt an verschiedenen Orten im Bundesgebiet nach § 9 Satz 1 AO einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen kann.5

6.22

Im Wege des Umkehrschlusses aus § 9 Satz 2 AO ergibt sich, dass eine Aufenthaltsdauer von mehr als sechs Monaten nicht erforderlich ist, um einen gewöhnlichen Aufenthalt nach Maßgabe des § 9 Satz 1 AO zu begründen. In diesem Fall muss aber erkennbar gewesen sein, dass der Steuerpflichtige sich ursprünglich länger als sechs Monate im Inland aufhalten wollte.6 Im Hinblick darauf wird in der Besteuerungspraxis bei einer kürzeren Aufenthaltsdauer ein gewöhnlicher Aufenthalt nur ausnahmsweise angenommen werden können.7

6.23

Die Umstände des Aufenthalts müssen erkennen lassen, dass sich die betreffende Person nicht nur vorübergehend im Inland aufhält. Diese Voraussetzung ist insbesondere nicht bei Personen erfüllt, die im Inland eine Tätigkeit ausüben und täglich in ihre im Ausland gelegene Wohnung zurückkehren. Daher ist ein gewöhnlicher Aufenthalt bei ausländischen Grenzgängern stets zu verneinen.8 Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Arbeitnehmer oder um selbständige Unternehmer handelt.9 Wer allerdings regelmäßig an Arbeitstagen am inländischen Arbeits-/Geschäftsort übernachtet und sich nur am Wochenende bzw. an Feiertagen und im Urlaub zu seinem ausländischen Wohnsitz begibt, hat jedenfalls einen inländischen gewöhnlichen Aufenthalt.10

6.24

Im Hinblick darauf, dass die Begriffsmerkmale vorübergehender Aufenthalt und Begleitumstände des Aufenthalts sehr unscharf sind, enthält § 9 Satz 2 AO die Bestimmung, dass als gewöhnlicher Aufenthalt im Inland stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ist. Sobald die Sechsmonatsfrist

1 2 3 4 5 6 7 8

9 10

Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 2; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 74. RFH v. 19.10.1940, RFHE 49, 186; BFH v. 14.11.1986 – VI B 97/86, BFH/NV 1987, 262. BFH v. 23.7.1971 – III R 60/70, BStBl. II 1971, 758; hier greift aber ggf. § 9 Satz 3 AO ein. BFH v. 3.8.1977 – I R 210/75, BStBl. II 1978, 118; v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956. Musil in H/H/Sp, § 9 AO Rz. 19; Drüen in T/K § 9 Rz. 5; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 74; für Zwecke der unbeschränkten Steuerpflicht wird das gesamte Inland als „Gebiet“ angenommen. BFH v. 3.8.1977 – I R 210/75, BStBl. II 1978, 118; v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956; v. 27.4.1995 – II 57/93, BFH/NV 1995, 967, Rz. 16. Vgl. AEAO zu § 9 Rz. 1 BFH v. 10.5.1989 – I R 50/85, BStBl. II 1989, 755; v. 25.1.1989 – I R 205/82, BStBl. II 1990, 687; v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944; v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; v. 10.8.1983 – I R 241/82, BStBl. II 1984, 11; v. 5.2.1965 – VI 334/63 U, BStBl. III 1965, 352; v. 9.2.1966 – I 244/63, BStBl. III 1966, 522; v. 1.3.1963 – VI 119/61 U, BStBl. III 1963, 212; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 74 m.w.N. BFH v. 6.2.1985 – I R 23/82, BStBl. II 1985, 331; Deppe, StuW 1982, 332 (443); AEAO zu § 9 Rz. 2. BFH v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944; AEAO zu § 9 Rz. 2.

164 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.27 Kap. 6

überschritten ist, wird der gewöhnliche Aufenthalt auf den Beginn zurückbezogen. § 9 Satz 2 AO regelt, dass kurzfristige Unterbrechungen, etwa zu Urlaubszwecken, unberücksichtigt bleiben mit der Folge, dass sie einerseits nicht zu einer Neuberechnung der Sechsmonatsfrist führen und andererseits bei der Berechnung der Sechsmonatsfrist nicht mit einzubeziehen sind.1 Die Sechsmonatsfrist2 muss nicht zur Gänze in ein Kalenderjahr fallen.3 Aus § 9 Sätze 1 und 2 AO folgt, dass ein Steuerpflichtiger gleichzeitig nicht mehrere gewöhnliche Aufenthalte haben kann.4

6.25

§ 9 Satz 3 AO ist eine Sondervorschrift im Verhältnis zu § 9 Satz 2 AO, so dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht anzunehmen ist, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken erfolgt und nicht länger als ein Jahr dauert. Damit wird die Sechsmonatsfrist für die vorgenannten Zwecke auf ein Jahr ausgedehnt. In derartigen Fällen kann gleichwohl aber ein gewöhnlicher Aufenthalt nach Maßgabe des § 9 Satz 1 AO begründet werden.

6.26

Da sich weder aus den §§ 8 und 9 AO noch aus § 1 Abs. 1 EStG eine Regelung über die Konkurrenz zwischen Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt entnehmen lässt, stehen beide Anknüpfungsmerkmale für die unbeschränkte Steuerpflicht selbständig nebeneinander.5 Gleichwohl wird in der Besteuerungspraxis primär auf den Wohnsitz abgestellt.6

6.27

IV. Inland Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 1 EStG; Behrendt/Wischott/Krüger, Praxisfragen zu deutschen Besteuerungsrechten im Zusammenhang mit Offshore-Windparks in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone, BB 2012, 1827; Bode, Grundsatzfragen einer beschränkten Steuerpflicht der im deutschen Kontinentalsockelbereich der Nordsee tätig gewordenen Steuerausländer, DB 1976, 405; Frowein, Verfassungsrechtliche Probleme um den deutschen Festlandsockel, ZaöRV 25 (1965), 1; Hawlitschek, Gedanken zur geplanten (vermeintlichen) Erweiterung des Inlandsbegriffs für die Ertragsteuern, IStR 2015, 413; Hille/Hermann, Besteuerung von Offshore-Anlagen, RdE 2008, 237; Hillert, Steuerliche Behandlung des Festlandsockels, FR 1974, 266; Kölble, Bundesstaat und Festlandsockel, DÖV 1964, 217; Kübler, Klärung der allgemeinen Hoheitsverhältnisse auf dem Bodensee?, DÖV 1976, 184; Kurz, Der Bodensee – steuerrechtliches Inland der Bundesrepublik?, DStR 1975, 461; Lang, Zum Inlandsbegriff des EStG 1975, StuW 1974, 293; Maciejewski/Theilen, Steuern an ihren Grenzen: Der (erweiterte) Inlandsbegriff im deutschen Ertragsteuerrecht und seine völkerrechtlichen Bezüge, IStR 2013, 846; Maciejewski/Theilen, Von vermeintlichen Klarstellungen und zunehmenden Besteuerungsrechten: Der reformierte erweiterte Inlandsbegriff, IStR 2016, 401; Petry, Die Ertragsbesteuerung auf dem deutschen Festlandsockel und in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone, Lohmar 2008; Rudolf, Deutsch-luxemburgisches Kondominium, AVR 24 (1986), 301; Schenk, Brauchen wir ein Bodensee-Statut?, BayVBl. 1979, 428; Schmidt, Neue „Inland“- und „Ausland“-Begriffe im Steuerrecht, DB 1977, 2016; Scholtz, Festlandsockel – Land- und Forstwirtschaft – Modernisierungsaufwand – beschränkte Steuerpflicht – Erfindervergünstigungen, DStZ A 1974, 241; Schröer, Staatliche Gebietshoheit und die verfassungsrechtlichen Verhältnisse am deutschen Festlandsockel, RIW 1978, 507;

1 Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 10, 11. 2 Berechnung nach §§ 187 ff. BGB. 3 BFH v. 19.8.1981 – I R 51/78, BStBl. II 1982, 452; v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001, Rz. 13; Deppe, StuW 1982, 332 ff. 4 BFH v. 9.2.1966 – I 244/63, BStBl. III 1966, 522; v. 10.8.1983 – I R 241/82, BStBl. II 1984, 11; Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 3. 5 Drüen in T/K, § 9 AO Rz. 1. 6 Vgl. etwa BFH v. 28.8.1968 – I B 7/68, BStBl. II 1968, 819; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 73.

Schaumburg | 165

Kap. 6 Rz. 6.28 | Einkommensteuer Schweiger, Staatsgremium Bodensee und IGH-Statut, BayVBl. 1995, 65; Waldhoff/Engler, Die Küste im deutschen Ertragsteuerrecht – am Beispiel der Besteuerung von Offshore-Energieerzeugung, FR 2012, 254; Weber/Hammler/Kleinschmidt, Grundlegende ertrag- und umsatzsteuerliche Aspekte bei der Errichtung und dem Betrieb von Onshore- sowie Offshore-Windkraftanlagen, BB 2012, 1836; Wengler, Der Inlandsbegriff im deutschen Recht mit besonderer Berücksichtigung des Personenstandsrechts, Saarbrücken 1986.

6.28

Das Einkommensteuergesetz enthält keine Definition des Inlandsbegriffs. Der Verzicht auf eine derartige Definition ist politisch motiviert,1 hat seit der Wiedervereinigung aber keine Bedeutung mehr.

6.29

Mangels einer besonderen gesetzlichen Regelung ist das Inland i.S.d. Einkommensteuergesetzes identisch mit dem Geltungsbereich des Grundgesetzes, so dass das Inland das Hoheitsgebiet Deutschlands erfasst.2 Zum Inland gehören daher auch die (früheren) Zollfrei- und Zollausschlussgebiete,3 nicht dagegen die ehemaligen deutschen Ostgebiete,4 sudetendeutschen Gebiete5 und die Zollanschlussgebiete.6

6.30

Zum Inland gem. § 1 Abs. 1 EStG zählt auch das Küstenmeer. Es handelt sich dabei um den an die Küste Deutschlands grenzenden Meeresstreifen, über den sich die territoriale Souveränität Deutschlands erstreckt. Diese erfasst auch den Luftraum über dem Küstenmeer sowie dessen Meeresboden und Meeresgrund.7 Die für die Küstenstaaten maßgebliche Küstenmeerbreite beträgt 12 Seemeilen.8

6.31

Zum Inland gehört auch der Luftraum oberhalb des Staatsgebietes,9 so dass Luftfahrzeuge, solange sie sich im deutschen Luftraum aufhalten oder völkerrechtliches Niemandsland überfliegen, ebenfalls zum Inland gehören.10 Zum Inland zählen auch Schiffe unter inländischer Flagge11 in deutschen Gewässern oder auf hoher See,12 nicht jedoch in ausländischen Gewässern.13

1 Lang, StuW 1974, 293 ff., 304 ff. (304). 2 Das deutsch-luxemburgische Kondominium über Mosel, Sauer und Our gehört zum Gebiet beider Staaten (vgl. Rudolf, AVR 24 [1986], 301 ff.) und ist somit ebenso Inland wie die zwischen dem deutschen Ufer und der Seemitte gelegenen Teile des Bodensees (RFH v. 1.6.1934 – VA 186/33, RStBl. 1934, 1445) entsprechend der sog. Realteilungstheorie; vgl. Kübler, DÖV 1976, 184 ff.; Kurz, DStR 1975, 461 ff.; Schenk, BayVBl. 1979, 428 ff.; Schweiger, BayVBl 1995, 65 ff. 3 BFH v. 13.4.1989 – IV R 196/85, BStBl. II 1989, 614 (zur Exklave Büsingen); vgl. auch BVerfG v. 22.7.1991 – 1 BvR 829/89, HFR 1992, 424: keine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. 4 Vgl. BVerfG v. 31.7.1973 – 2 BvF 1/73, BVerfGE 36, 1. 5 BFH v. 3.3.1978 – VI R 195/75, BStBl. II 1978, 372. 6 Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. B 29; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 57. 7 Art. 2 Abs. 2 SRÜ (BGBl. II 1994, 1798). 8 Art. 3 SRÜ (BGBl. II 1994, 1798) i.V.m. der Proklamation des BReg v. 11.11.1994 (BGBl. I 1994, 3428). 9 BFH v. 14.12.1988 – I R 148/87, BStBl. II 1989, 319; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, 664 f.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 282; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht6, 258; Epping in Ipsen, Völkerrecht7, § 7 Rz. 5. 10 BFH v. 14.12.1988 – I R 148/87, BStBl. II 1989, 319; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 57; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 6. 11 FlaggenrechtsG v. 8.2.1951 (BGBl. I 1951, 79) i.d.F. v. 6.6.1995 (BGBl. I 1995, 778). 12 BFH v. 13.2.1974 – I R 2/71, BStBl. II 1974, 361; v. 12.11.1986 – I R 38/83, BStBl. II 1987, 377; v. 19.3.1997 – I R 237/96, IStR 1997, 374. 13 BFH v. 5.10.1977 – I R 250/75, BStBl. II 1978, 50; zu Einzelheiten Maciejewski/Theilen, IStR 2013, 846 (849 f.).

166 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.33 Kap. 6

Eine Erweiterung des Inlandsbegriffs enthält § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 u. 2 EStG durch Einbeziehung des der Bundesrepublik Deutschland zustehenden Anteils an der ausschließlichen Wirtschaftszone und am Festlandssockel. Die Erweiterung entspricht der durch Art. 55 ff. SRÜ eingeräumten funktional beschränkten Regelungskompetenz für diese Gebiete.1 Im Hinblick darauf gehören die ausschließliche Wirtschaftszone und der Festlandssockel, die geografisch deckungsgleich sind, nicht generell zum Inland, sondern nur mit bestimmten tätigkeits- und zweckbezogenen Einschränkungen. Hiernach gehören zum Inland der Deutschland zustehende Anteil an der ausschließlichen Wirtschaftszone (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG) nur, soweit dort

6.32

– lebende und nicht lebende natürlichen Ressourcen der Gewässer über dem Meeresboden und seines Untergrunds erforscht, ausgebeutet, erhalten oder bewirtschaftet werden, – Tätigkeiten zur (wirtschaftlichen) Erforschung oder Ausbeutung der ausschließlichen Wirtschaftszone ausgeübt werden, wie bspw. die Energieerzeugung aus Wasser, Strömung und Wind oder – künstliche Inseln errichtet oder genutzt werden und Anlagen und Bauwerke für die vorgenannten Zwecke errichtet oder genutzt werden und am Festlandssockel, soweit dort – dessen natürliche Ressourcen erforscht oder ausgebeutet werden; natürliche Ressourcen in diesem Sinne sind die mineralischen und sonstigen nicht lebenden Ressourcen des Meeresbodens und seines Untergrunds sowie die zu den sesshaften Arten gehörenden Lebewesen, die im nutzbaren Stadium entweder unbeweglich auf oder unter dem Meeresboden verbleiben oder sich nur in ständigem körperlichen Kontakt mit dem Meeresboden oder seinem Untergrund fortbewegen können; oder – künstliche Inseln errichtet oder genutzt werden und Anlagen und Bauwerke für die vorgenannten Zwecke errichtet oder genutzt werden. Die vorgenannten tätigkeits- und zweckbezogenen Einschränkungen des Inlandsbegriffs sind mit der der unbeschränkten Steuerpflicht als Konzeption zugrunde liegenden Trennung von Steuersubjekt und Steuerobjekt2 unvereinbar.3 Zudem widerspricht es dem Welteinkommensprinzip und damit auch zugleich dem Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn nur bestimmte Einkünfte aus bestimmten Tätigkeiten der unbeschränkten Steuerpflicht unterworfen werden. Damit hat der unrichtig platzierte § 1 Abs. 1 Satz 2 EStG keine unmittelbare Bedeutung für die unbeschränkte Steuerpflicht,4 sondern lediglich für die beschränkte Steuerpflicht, so dass

1 Vgl. Proklamation der Bundesrepublik Deutschland über die Errichtung einer ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee und in der Ostsee v. 25.11.1994 (BGBl. II 1994, 3769) sowie über die Erforschung und Ausbeutung des deutschen Festlandssockels v. 20.1.1964, BGBl. II 1964, 104. 2 Vgl. nur Hey in H/H/R, Einf. ESt Rz. 610 ff.; Seer in T/L24, Rz. 6.27 ff. 3 Anders bei beschränkter Steuerpflicht, wonach gem. § 1 Abs. 4 EStG ebenfalls eine Verkoppelung von Steuersubjekt und Steuerobjekt statuiert ist (Rz. 6.122). 4 Behrend/Wischott/Krüger, BB 2012, 1827 (1829); Hawlitschek, IStR 2015, 413 (416 ff.), der allerdings für Inseln, Anlagen und Bauwerke in Anlehnung an Art. 60 Abs. 2, 80 SRÜ die ausschließlich Hoheitsrechte verleiht, zum „originären Hoheitsgebiet“ und damit zum Inland (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) zählt; gl.A. Rauch in Brandis/Heuermann, § 1 EStG Rz. 138a; a.A. Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 104; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 6 f.; Lehner/Waldhoff, in K/S/M, § 1 EStG Rz. B 39; Teller, in L/B/P, § 1 EStG Rz. 66; Hille/Herrmann, RDE 2008, 237 (242); Waldhoff/Engler, FR 2012, 254 (259); Maciejewski/Theilen, IStR 2013, 846 (847); die vorstehende Streitfrage hat derzeit keine (große) praktische Bedeutung.

Schaumburg | 167

6.33

Kap. 6 Rz. 6.33 | Einkommensteuer

etwa die Einkünfte aus der Erforschung oder Ausbeutung von Naturschätzen des Festlandsockels zu den inländischen Einkünften i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG zählen.1

V. Sonderregelungen 1. Allgemeine Hinweise 6.33a

Deutschland hat eine Vielzahl multilateraler und bilateraler Vereinbarungen über Steuerbefreiungen abgeschlossen, die vor allem die Einkommensteuer betreffen.2 Begünstigt sind hierdurch insbesondere in Deutschland tätige Bedienstete internationaler Organisationen. Hierzu zählen – Organisationen und Einrichtungen der Verteidigung, Friedenssicherung und Rüstungskontrolle, – die Vereinten Nationen (UN) und andere zivile Weltorganisationen und -einrichtungen, – Europäische Organisationen und Einrichtungen.3 Schließlich werden Steuerbefreiungen auch Personen gewährt, die im zwischenstaatlichen Bereich im (politischen) Interesse der beteiligten Staaten tätig werden.4

6.33b

Die vorgenannten Steuerbefreiungen sind durchweg zweckorientiert und folgen keinem einheitlichen Muster. Sie sind entweder als persönliche oder/und als sachliche (objektive) Steuerbefreiung ausgestaltet.5 Von der Reichweite der Steuerbefreiungen werden ganz überwiegend Personen mit Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichem Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland erfasst, wobei es sich entweder um Fiskalzweckbefreiungen6 oder um weitergehende Ausnahmen von der unbeschränkten Steuerpflicht handelt.

6.33c

Von besonderer Bedeutung sind die Regelungen nach dem NATO-Truppenstatut, für EUund UN-Bedienstete sowie für Diplomaten und Konsuln.

2. NATO-Truppenstatut Literatur: Kommentare zu § 1 EStG; App, Zur inländischen Einkommensteuerpflicht von zivilen Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte, DStZ 1984, 90; Endfellner/Bornhofer, Die Einkommensbesteuerung von EU-Beamten und sonstigen Bediensteten, SWI 2005, 32; Feuerstein/Michel, Einkommensteuerpflicht bei NATO-Beschäftigungsverhältnissen, DB 1993, 1211; Fremer, Beschränkte Einkommensteuerpflicht für Mitglieder der Stationierungsstreitkräfte des zivilen Gefolges und deren Angehörige, Stbg. 1983, 79; Ränsch/Scheunemann, Unbeschränkte Steuerpflicht technischer Fachkräfte der US-Armee, IStR 2004, 871; Streck, Steuerpflicht und Steuerbefreiungen von Diplomaten, Konsuln, NATO-Truppenmitgliedern und ihnen gleichgestellten Personen, StuW 1973, 119.

6.34

Art. X Abs. 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut,7 das als spezielleres Recht dem EStG vorgeht (Rz. 3.24), enthält eine Einschränkung der für die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. nur Rauch in Brandis/Heuermann, § 1 EStG Rz. 134 ff. Hierzu die Übersicht in BMF v. 18.3.2013 – IV B 4-S 1311/07/10039, BStBl. I 2013, 404. BMF v. 18.3.2013 – IV B 4-S 1311/07/10039, BStBl. I 2013, 404, Teil A-C. BMF v. 18.3.2013 – IV B 4-S 1311/07/10039, BStBl. I 2013, 404, Teil D und E. Zur Abgrenzung Hey in T/L24, Rz. 8.137 ff. Hierzu Hey in T/L24, Rz. 8.138 BGBl. II 1961, 1190; BGBl. II 1963; nachstehend werden nur die wichtigsten Rechtsgrundlagen benannt und kurz erläutert.

168 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.36 Kap. 6

(§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) maßgeblichen Anknüpfung an den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt. Art. X Abs. 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut fingiert nämlich, dass Mitglieder fremder NATO-Truppen und deren ziviles Gefolge sowie technische Fachkräfte,1 soweit sie nicht deutsche Staatsangehörige sind,2 keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründen, wenn sie sich ausschließlich3 in dieser Eigenschaft in Deutschland aufhalten.4 Davon kann ausgegangen werden, wenn erkennbar ist, dass die betreffende Person nach Dienstbeendigung in den Heimatstaat zurückkehren wird.5 Die Ausnahme von der unbeschränkten Steuerpflicht bezieht sich aber nur auf die Zeitabschnitte, in denen die Anwesenheit im Inland ihren Grund allein in der Mitgliedschaft bei einer Truppe oder dem zivilen Gefolge oder als technische Fachkraft hat.6 Als Rechtsfolge dieser Fiktion ergibt sich, dass der vorstehend genannte Personenkreis mit seinen inländischen Einkünften (§ 49 Abs. 1 EStG) lediglich beschränkt steuerpflichtig ist, wobei die Truppenbezüge gem. Art. X Abs. 1 Satz 2 NATO-Truppenstatut steuerbefreit sind.7 Da nach dem NATO-Truppenstatut die Steuerbefreiung nicht unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer steht, scheidet ein Progressionsvorbehalt aus (§ 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 4 EStG).8 Entsprechendes gilt für Angehörige der Truppenmitglieder und des zivilen Gefolges (Art. 68 Abs. 4 des ZA zum NATO-Truppenstatut).9

6.35

3. EU-Bedienstete Literatur: Kommentare zu § 1 EStG und § 2 AO; Klinke, Diener, Dienen und Verdienen: Der EGBeamte und die direkten Steuern, IStR 1995, 217; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020, Rz. 22.1 ff.; Kofler, Besteuerung der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, ecolex 2002, 530; Kußmaul/Nothof, Die Besteuerung nach dem Nato-Truppenstatut und seinem Zusatzabkommen, IStR 2018, 491; Neyer, Einkommensteuerliche Behandlung der Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank, BB 2013, 1244; Nissen, Sonderausgabenabzug für Bausparverträge, Wohnungsbauprämien und Sparprämien, DStZ A 1974, 155; Schotten, Besoldung, Besteuerung und Versorgung von EG-Beamten, IWB, F. 11, Europäische Gemeinschaften, Gr. 1, 77.

Nach Art. 13 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union (ProtVB)10 sind die Bediensteten der EU, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Euro-

1 Vgl. Zusatzabkommen (ZA) zum NATO-Truppenstatut v. 3.8.1959 (BGBl. II 1961, 1218). 2 Art. X Abs. 4 Nato-Truppenstatut; Art. 68 Abs. 4 ZA. 3 Hierzu BFH v. 22.2.2006 – I R 19/05, juris; v. 26.4.1991 – III R 104/89, BFH/NV 1992, 373; weitere Nachweise bei Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 35; Rauch in Brandis/Heuermann, § 1 EStG Rz. 173. 4 Vgl. BFH v. 2.10.2008 – VI B 132/07, BFH/NV 2009, 21; BFH v. 21.9.2015 – I R 72/14, ISR 2016, 43 m. Anm. Becht = BFH/NV 2016, 28; BFH v. 18.9.2012 – I B 10/12, BFH/NV 2013, 27: Rückkehrabsicht in den Ausgangs- oder Heimatstaat. 5 BFH v. 28.2.2008 – VIII B, BFH/NV 2009, 973; v. 23.10.1009 – III B 162/08, BFH/NV 2010, 630. 6 BFH v. 16.9.1970 – I R 2/69, BStBl. II 1970, 869; v. 19.5.1971 – I R 55/69, BStBl. II 1971, 659; v. 24.2.1988 – I R 69/84, BStBl. II 1989, 290; v. 24.2.1988 – I R 121/84, BFH/NV 1988, 632; v. 24.1.1990 – I B 58/89, BFH/NV 1990, 488; v. 26.4.1991 – III R 104/89, BFH/NV 1992, 373. 7 Vgl. zu weiteren Einzelheiten Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 35; Rauch in Brandis/Heuermann, § 1 EStG Rz. 175 f. 8 Vgl. Kuhn in H/H/R, § 32b EStG Rz. 38. 9 Vom 3.8.1959, BGBl. II 1961, 1218. 10 Vom 8.4.1965, BGBl. II 1965, 1482 in der Fassung des Vertrages von Amsterdam vom 2.10.1997, geändert durch Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007, BGBl. II 2007, 1038; zuletzt geänderte Fassung: ABl. EU 2010 Nr. C 83, 266.

Schaumburg | 169

6.36

Kap. 6 Rz. 6.36 | Einkommensteuer

päischen Investitionsbank (EIB), die sich lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienste der EU im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates als desjenigen Staates niederlassen, in dem sie zur Zeit des Dienstantritts ihren steuerlichen Wohnsitz haben, in beiden Staaten so zu behandeln, als hätten sie ihren früheren Wohnsitz beibehalten, sofern sich dieser in einem Mitgliedstaat der Union befindet.1 Diese Vorschrift gilt für alle Behörden der EU. Die vorstehenden supranationalen Bestimmungen2 fingieren die unbeschränkte Steuerpflicht und die abkommensrechtliche Ansässigkeit im Entsendestaat ohne Rücksicht darauf, ob dort ein Wohnsitz oder ein gewöhnlicher Aufenthalt aufrechterhalten worden ist.3 Demnach bleiben etwa deutsche EU-Beamte in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, wenn sie zur Ausübung ihrer Diensttätigkeit ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat nehmen.4 Diese Fiktion gilt auch für die Ehegatten bzw. Lebenspartner (§ 2 Abs. 8 EStG) der betreffenden EUBediensteten, soweit sie keine eigene Berufstätigkeit ausüben, sowie für die Kinder, soweit sie unter der Aufsicht der vorbezeichneten Personen stehen und von ihnen unterhalten werden. Im umgekehrten Fall, also bei Begründung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts zum Dienstantritt im Inland, ist keine unbeschränkte Steuerpflicht gegeben, so dass auch abkommensrechtlich die Ansässigkeit im Entsendestaat verbleibt.5 Als Rechtsfolge hiervon werden die Beamten und Bediensteten im Aufnahmestaat beschränkt steuerpflichtig,6 wobei sie nach Art. 12 Abs. 2 des vorgenannten Protokolls von innerstaatlichen Steuern auf ihre Dienstbezüge befreit werden.7 Die EU erhebt entsprechend Art. 12 Abs. 1 des Protokolls auf die Bezüge eine eigene Steuer.8

6.36a

Die vorstehende Steuerbefreiung gilt nicht nur für EU-Bedienstete,9 sondern aufgrund besonderer Unionsrechtsakte auch für weitere Personen und Personengruppen etwa für die Mitglieder des EuGH und des EUG und für die Generalanwälte.10 Von der Reichweite der Steuerbefreiung werden allerdings nur die Bezüge selbst, nicht aber übrige Einkünfte erfasst.11 Schließlich bestehen nach Maßgabe besonderer Regelungen auch Steuerbefreiungen für Bezüge von Beamten des Europarats und Bediensteten des Europäischen Patentamtes.12

4. UN-Bedienstete Literatur: Kommentare zu § 1 EStG und § 2 AO; Debatin, Zur deutschen unbeschränkten Steuerpflicht für UNO-Bedienstete, FR 1981, 580; Richter, Die Besteuerung der Altersbezüge von UN-Bediensteten in Deutschland, IStR 2007, 202.

1 Hierzu Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 22.3. 2 Es handelt sich um mit Vorrang ggü. dem nationalen Recht ausgestattetes primäres Unionsrecht; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 22.1; vgl. Klinke, IStR 1995, 217 (217). 3 Zu weiteren Einzelheiten Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. C 119 ff.; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 22.1; Klinke, IStR 1995, 217 ff. 4 Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 38; Rauch in Brandis/Heuermann, § 1 EStG Rz. 191. 5 Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 38; Neyer, BB 2013, 1244 (1245). 6 Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 22.18. 7 Hierzu Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. C 119 ff.; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 22.11 ff.: Steuerbefreiung ohne Progressionsvorbehalt. 8 Zu Einzelheiten Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 22.6 ff. 9 Vgl. die Aufzählung bei Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 22.4. 10 Zu Einzelheiten Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 22.5. 11 Hierzu Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 22.16 ff. 12 Hierzu Tiede in H/H/R, § 1 EStG, Rz. 39.

170 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.36e Kap. 6

Nach Art. V Abschn. 18b des Übereinkommens über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen1 sind UNO-Bedienstete von allen Steuern auf ihre von der UNO gezahlten Bezüge befreit.2 Da die Steuerbefreiung nicht unter einem weitergehen Vorbehalt gestellt ist, scheidet insoweit auch ein Progressionsvorbehalt aus (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 4 EStG).3 Über die vorstehende Steuerbefreiung für UNO-Bedienstete hinaus, enthalten verschiedene völkerrechtliche Vereinbarungen auch Steuerbefreiungen für Bedienstete anderer Organisationen der UN.4 Auch hier greift ein Progressionsvorbehalt nicht ein.

6.36b

Die vorstehenden Steuerbefreiungen gelten für unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtiger UN-Bedienstete gleichermaßen.

6.36c

5. Diplomaten und Konsuln Literatur: Kommentare zu § 1,3 Nr. 29 EStG, § 2 AO und Art. 28 OECD-MA; Heintzen, Die Befreiung ausländischer Diplomaten von deutscher Besteuerung, AVR 45 (2007), 455; Jütte, einkommensteuerliche Behandlung von Mitgliedern ausländischer Missionen und Vertretungen, IStR 1995, 85; Lang, Grundsätzliches zur Interpretation völkerrechtlicher Abkommen im Steuerrecht, dargestellt an dem Beispiel der Frage, ob der Diplomat einer ausländischen Mission beschränkt einkommensteuerpflichtig ist, StuW 1975, 285; Streck, Steuerpflicht und Steuerbefreiungen von Diplomaten, Konsuln, NATO-Truppenmitgliedern und ihren gleichgestellten Personen, StuW 1973, 119; Streck, Steuerpflicht der Diplomaten, FR 1975, 261.

Das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD)5 und das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK)6 enthalten u.a. Regelungen über die sog. fiskalische Immunität, wonach Diplomaten und Konsuln sowie Konsularbeamte, Verwaltungs- und technisches Personal und ihre zum Haushalt gehörenden Angehörigen im Empfangsstaat lediglich wie beschränkt Steuerpflichtige besteuert werden. WÜD und WÜK sind multilaterale völkerrechtliche Verträge, die allgemeine Regeln des Völkerrechts i.S.v. Art. 25 GG kodifizieren mit der Folge, dass sie als Völkergewohnheitsrecht (Rz. 3.11) auch für Diplomaten und Konsuln zur Anwendung kommen, deren Entsendestaaten dem WÜD und WÜK nicht beigetreten sind.7 Im Hinblick darauf gehen WÜD und WÜK uneingeschränkt den deutschen Steuergesetzen vor (Rz. 3.22).

6.36d

Von der Sache her handelt es sich um eine partielle Steuerbefreiung, die im Ergebnis lediglich die ESt auf die Gehälter und Bezüge betrifft.8 Voraussetzung ist indessen, dass der vorgenannte Personenkreis nicht die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates hat oder dort ständig ansässig ist.9 § 3 Nr. 29 EStG, der eine entsprechende Steuerbefreiung ausspricht, ist damit im

6.36e

1 Es handelt sich um einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag, der durch Beitritt Deutschlands durch Gesetz v. 16.8.1980, BGBl. II 1980, 941 als spezielles Recht dem § 1 EStG vorgeht; vgl. Rz. 3.23. 2 Für Altersbezüge gilt die Steuerbefreiung nicht; vgl. Richter, IStR 2007, 202. 3 Vgl. hierzu Kuhn in H/H/R, § 32b EStG Rz. 38. 4 Hierzu der Überblick bei Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 39. 5 Ges. v. 6.8.1964, BGBl. II 1964, 957; v. 13.2.1965, BGBl. II 1965, 147. 6 Ges. v. 26.8.1969, BGBl. II 1969, 1585; v. 30.11.1971, BGBl. II 1971, 1285. 7 Hierzu Heintze in Ipsen, Vökerrecht7, § 24 Rz. 3 f.; Lehner in V/L7, DBA, Grundlagen Rz. 46, 105; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 13, 19; Musil in H/H/Sp, § 2 AO Rz. 102 f. 8 Vgl zu Einzelheiten Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 37. 9 Zum Begriff der ständigen Ansässigkeit Meinert in S/D², Art. 28 Rz. 27; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 37.

Schaumburg | 171

Kap. 6 Rz. 6.36e | Einkommensteuer

Ergebnis weitgehend deklaratorisch.1 Mit den übrigen nicht von der Steuerimmunität erfassten Einkünften sind die Diplomaten und Konsuln sowie der im Übrigen begünstigte Personenkreis als beschränkt Steuerpflichtige (§ 1 Abs. 4 EStG) mit ihren inländischen Einkünften steuerpflichtig.2

VI. Erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht Literatur: Kommentare zu §§ 1 Abs. 2; 1a Abs. 2; 3 Nr. 29 EStG; Bauer, Die Besteuerung der Auslandslehrer, FR 1988, 425; Hellwig, Vom Unwesen der „einkommensteuerpflichtigen Einkünfte“ und „einkommensteuerpflichtigen Einnahmen“ oder „gut gemeint ist nicht immer gut“, DB 1987, 2379; Keßler, Neue Regelungen zur unbeschränkten und beschränkten Einkommensteuerpflicht im Steuerbereinigungsgesetz 1986, BB 1986, 1890; Keßler, Unbeschränkte Einkommensteuerpflicht bei Diplomaten mit Ehegatten der Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates ohne eigene Einkünfte, FR 1987, 141; Lang, Zum Inlandsbegriff des EStG 1975, StuW 1974, 293; Rieger, Ehe, Familie, und die (Verfassungs-)Widrigkeiten des Einkommensteuerrechts, Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1992; Rodi, Das Kassenstaatsprinzip im nationalen und internationalen Steuerrecht, RIW 1992, 484; Stenten, Die „Neufassung“ des § 1 Abs. 2 EStG, Inf. 1983, 518; Streck, Steuerpflicht der Diplomaten, FR 1975, 261.

6.37

Nach § 1 Abs. 2 EStG wird für einen bestimmten Personenkreis die unbeschränkte Steuerpflicht fingiert.3 Es ist insoweit keine selbständige Form der Steuerpflicht gegeben,4 so dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 EStG die unbeschränkte Steuerpflicht als allgemeine Rechtsfolge gilt.5 Daraus folgt weiter, dass alle Vorschriften, die an die unbeschränkte Steuerpflicht anknüpfen, automatisch auch die Fälle des § 1 Abs. 2 EStG erfassen. Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen geht § 1 Abs. 2 EStG dem § 1 Abs. 1 EStG vor.6

6.38

Nach § 1 Abs. 2 EStG sind deutsche Staatsangehörige unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, die im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, die aber zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts7 in einem Dienstverhältnis stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG). Es muss sich also stets um Arbeitslohn aus einem mit einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts bestehenden Dienstverhältnis8 handeln.9 Die Zahlung aus einer inländischen öffentlichen Kasse für ein mit einem ausländischen Rechtsträger

1 Bergkemper in H/H/R, § 3 Nr. 29 EStG Rz. 1. 2 BFH v. 13.11.1996 – I R 119/95, BFH/NV 1997, 664; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 37; Wassermeyer, Art. 28 OECD-MA Rz. 10, 16; Abschn. 3.29 Nr. 2 EStR; für unbeschränkte Steuerpflicht Meinert in S/D², Art. 28 OECD-MA Rz. 46; Engelschalk in V/L7, Art. 28 OECD-MA Rz. 16. 3 Regelungstechnisch dagegen nicht als Fiktion wertend Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. C 2; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 180. 4 Lang, StuW 1974, 293 ff., 304 ff. (304). 5 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 9; Heinicke in Schmidt41, § 1 EStG Rz. 37. 6 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 9. 7 Hierzu gehören Gebietskörperschaften (Gemeinden, Kreise, Länder, Bund), Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (z.B. staatliche Universitäten, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften); zu weiteren Einzelheiten Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 157. 8 Beamte, Angestellte, Arbeiter. 9 Hierzu zählt nicht das Goethe-Institut; BFH v. 22.2.2006 – I R 60/05; BStBl. II 2007, 106.

172 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.39 Kap. 6

bestehendes Dienstverhältnis reicht daher nicht aus.1 In die erweiterte unbeschränkte Einkommensteuerpflicht werden auch die zum Haushalt der öffentlich Bediensteten gehörenden Angehörigen (§ 15 AO) einbezogen, sofern sie ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder keine Einkünfte oder ausschließlich im Inland steuerpflichtige Einkünfte beziehen.2 Die erweiterte unbeschränkte Einkommensteuerpflicht setzt voraus, dass der öffentlich Bedienstete bzw. seine Angehörigen in dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, lediglich in einem der beschränkten Einkommensteuerpflicht ähnlichen Umfang zur Besteuerung herangezogen werden (§ 1 Abs. 2 Satz 2 EStG). Damit sollen eine doppelte unbeschränkte Steuerpflicht und die damit verbundenen steuerlichen Vergünstigungen vermieden werden.3 Ob diese Voraussetzung gegeben ist, beurteilt sich ohne Berücksichtigung von DBA4 abstrakt nach dem hierfür maßgeblichen ausländischen Steuerrecht ohne Rücksicht darauf, ob die Betroffenen dort tatsächlich Steuern zahlen.5 Diese Vorschrift will für den genannten Personenkreis, der in aller Regel wenig Einfluss auf den Ort der Arbeitsausübung hat, einerseits den Nachteil einer sowohl im Inland als auch im Ausland die persönliche Leistungsfähigkeit nur unzureichend berücksichtigenden beschränkten Steuerpflicht vermeiden,6 andererseits aber auch Besteuerungslücken schließen, die dadurch entstehen können, dass Personen trotz ihrer an sich im Ausland gegebenen unbeschränkten Steuerpflicht zu keiner umfassenden Besteuerung herangezogen werden.7 Eine derart eingeschränkte Besteuerung ergibt sich insbesondere aufgrund des Wiener Übereinkommens für diplomatische Beziehungen (WÜD)8 und des Wiener Übereinkommens für konsularische Beziehungen (WÜK).9 Nach diesen beiden multilateralen völkerrechtlichen Verträgen, die völkerrechtliches Gewohnheitsrecht kodifizieren, werden Diplomaten und Berufskonsuln des Entsendestaates im Empfangsstaat lediglich mit den dort erzielten Einkünften nach Art der beschränkten Steuerpflicht einer Besteuerung unterworfen, allerdings mit der Besonderheit, dass die Bezüge für ihre Tätigkeit im Empfangsstaat von jeglicher Besteuerung freigestellt werden (Rz. 6.36d). Ohne § 1 Abs. 2 EStG könnten diese Bezüge sowie die Einkünfte aus Drittstaaten keiner umfassenden Besteuerung im Rahmen einer unbeschränkten Steuerpflicht unterworfen werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist § 1 Abs. 2 EStG als Spiegelbild völkerrechtlicher Steuerprivilegien zu verstehen.10 Im Übrigen gelten die Rechtsfolgen gem. § 1a Abs. 2 EStG (Rz. 6.47 ff.).

1 BFH v. 2.3.1988 – I R 96/84, BStBl. II 1988, 768; v. 14.11.1986 – VI R 209/82, BStBl. II 1989, 351; v. 4.12.1991 – I R 38/91, BStBl. II 1992, 548; v. 12.10.1995 – I R 39/95, BStBl. II 1996, 87; zu Besonderheiten für Auslandslehrer BMF v. 13.10.1994 – IV B 4 - S 2102 - 20/94, BStBl. I 1994, 853 (USA); v. 17.6.1996 – IV B 4 - S 2102 - 35/96, BStBl. I 1996, 688 (Ecuador/Kolumbien); v. 20.9.1999 – IV B 4 - S 1301 USA - 81/99, BStBl. I 1999, 844 (DBA-USA). 2 Zu den einzelnen Fallvarianten Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 166. 3 BFH v. 5.9.2001 – I R 88/00, BFH/NV 2002, 623; v. 19.9.2013 – V R 9/12, BStBl. II 2014, 715, Rz. 16. 4 BFH v. 5.9.2001 – I R 88/00, BFH/NV 2002, 623. 5 Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 174; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 11. 6 Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. C 5; Eicher in L/B/P, § 1 EStG Rz. 79. 7 BFH v. 5.9.2001 – I R 88/00, BFH/NV 2002, 623; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 9. 8 Vom 18.4.1961, BGBl. II 1964, 957. 9 Vom 24.4.1963, BGBl. II 1969, 1585, BGBl. II 1971, 1285. 10 BFH v. 18.12.1968 – III 199/64, BStBl. II 1969, 355, v. 18.12.1968 – III R 169/66, BStBl. II 1969, 360; Streck, FR 1975, 261 ff.

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6.39

Kap. 6 Rz. 6.40 | Einkommensteuer

VII. Fingierte unbeschränkte Steuerpflicht Literatur: Kommentare zu §§ 1 Abs. 3, 1a EStG; Böhmer, Zusammenveranlagung von Ehegatten mit Wohnsitz Ausland – aktuelle Rechtsprechung zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht, SteuK 2015, 274; von Brocke, Erweiterung der Schumacker-Grundsätze gegenüber der Schweiz, IWB 2013, 226; Grosse, Die Voraussetzungen und Rechtsfragen der beschränkten und der (fiktiven) unbeschränkten Steuerpflicht, DStR 2003, 10; Grosse, Die Wahl der Steuerpflichtigen nach dem Jahressteuergesetz 1996, IStR, 105; Grosse/Ludert, Beschränkte vs. fiktive unbeschränkte Steuerpflicht, IStR 1999, 737; Kaefer/Kaefer, Ausländische Einkünfte und erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht, IStR 2006, 37; KnobbeKeuk, Freizügigkeit und direkte Besteuerung, EuZW 1995, 167; Kudert/Glowienka, Grenzpendlerbesteuerung – Eine Analyse der Option beschränkt einkommensteuerpflichtiger Arbeitnehmer aus dem Europäischen Wirtschaftsraum, StuW 2010, 278; Kumpf/Roth, Wahlbesteuerung für beschränkt Einkommensteuerpflichtige?, StuW 1996, 259; Lüdicke, Merkwürdigkeiten bei der Umsetzung des Schumacker-Urteils des EuGH, IStR 1996, 111; Melkonyan/Mroz, Maßgeblichkeit des deutschen Steuerrechts für die Wesentlichkeitsgrenzen nach § 1 Abs. 3 i.V.m. § 1a Abs. 1 EStG, zu BFH v. 1.10.2014 – I R 18/13, IWB 2015, 227; Müller, Das „Schumacker“-Urteil des EuGH und seine Auswirkungen auf die beschränkte Steuerpflicht, DStR 1995, DStR 1995, 585; Rädler, Analysis of the european Court of justice’s Schumacker-Decision, TNI 1995, 1683; Schaumburg, Außensteuerrecht und europäische Grundfreiheiten, DB 2005, 1129; Schaumburg, Besteuerung von Einkommen, DStJG 24 (2001), 225; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht,2. Aufl., Köln 2020, Rz. 8.3 ff.; Schaumburg/Schaumburg, Steuerliche Leistungsfähigkeit und europäische Grundfreiheiten im Internationalen Steuerrecht, StuW 2005, 306; Schön, Die beschränkte Steuerpflicht zwischen europäischem Gemeinschaftsrecht und deutschem Verfassungsrecht, IStR 1995, 119; Schmidt/Heß, Die Fortentwicklung der Schumacker-Rechtsprechung durch das Urteil des EuGH v. 9.2.2017 in der Rechtssache X, C-283/15, IStR 2017, 549; Schulze zur Wiesche, Die Besteuerung von unbeschränkt Steuerpflichtigen und beschränkt Steuerpflichtigen nach dem Jahressteuergesetz 1996, IStR 1996, 105; Tiedtke/Langheim, Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der beschränkten und der (fiktiven) unbeschränkten Steuerpflicht, DStZ 2003, 10; Waterkamp, Ehegattenveranlagung und Freizügigkeit in der Europäischen Gemeinschaft, Köln 1993.

1. Europarechtliche Grundlagen 6.40

Die im Normengefüge der §§ 1 Abs. 3 und 1a EStG verankerte fingierte unbeschränkte Einkommensteuerpflicht ist darauf gerichtet, unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt steuerpflichtige Personen in Ausrichtung auf die persönliche Leistungsfähigkeit unbeschränkt steuerpflichtigen Personen ganz oder teilweise gleichzustellen. Erfasst werden vor allem Grenzpendler,1 deren personen- und familienbezogene Verhältnisse wegen des internationalen Gefüges von unbeschränkter Steuerpflicht einerseits und beschränkter Steuerpflicht andererseits im Ausgangspunkt keine Berücksichtigung finden: Im Wohnsitzstaat kommt die persönliche (subjektive) Leistungsfähigkeit2 im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht steuerlich nicht zur Geltung, weil bei Anwendung von DBA entweder keine oder nur geringe Einkünfte zu versteuern sind, und im Tätigkeitsstaat bleibt die Berücksichtigung der subjektiven Leistungsfähigkeit im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht von Rechts wegen versagt.3 Diese fehlen-

1 Grenzpendler, die im Inland eine Tätigkeit ausüben und täglich in ihre im Ausland gelegene Wohnung zurückkehren, begründen im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt; BFH v. 10.5.1989 – I R 50/85, BStBl. II 1989, 755; v. 25.1.1989 – I R 205/82, BStBl. II 1990, 687; v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944; v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701. 2 Private Abzüge (§ 2 Abs. 4, 5 EStG), existenznotwendiger Lebensbedarf, Unterhaltsleistungen; vgl. hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.70 ff. 3 Vgl. nur § 50 Abs. 1 EStG.

174 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.41 Kap. 6

de Orientierung der Besteuerung an der subjektiven Leistungsfähigkeit hat der EuGH1 für unvereinbar mit dem Freizügigkeitsrecht für Arbeitnehmer in der EU (Art. 45 AEUV) für den Fall erklärt, dass beschränkt steuerpflichtige Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten ihr Einkommen ganz oder fast ausschließlich aus nichtselbständiger Tätigkeit in Deutschland erzielen. Diese Entscheidung des EuGH zum europarechtlichen Diskriminierungsverbot (Rz. 4.12 ff.) liegt auf der Linie der zeitlich nachfolgenden Rechtsprechung des EuGH,2 wonach eine unterschiedliche Steuerbelastung von Inländern und übrigen Unionsbürgern gegen die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten verstößt. Diese Rechtsprechung hat zu einer Erweiterung dahingehend geführt, dass bei der Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung beschränkt steuerpflichtiger Personen gegeben ist, auch die steuerlichen Entlastungselemente im Wohnsitzstaat einzubeziehen sind. Im Hinblick darauf ist aus der Sicht des Quellenstaates grenzüberschreitend auch die (ausländische) Leistungsfähigkeit im Wohnsitzstaat zu berücksichtigen. Das widerspricht dem bislang im Internationalen Steuerrecht durchweg geltenden Prinzip, wonach es allein Aufgabe des Wohnsitzstaates ist, für Zwecke der Besteuerung auch die ausländische (subjektive) Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen (Rz. 6.129 ff.). Die hiergegen gerichteten Schranken der unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten haben letztlich dazu geführt, dass grenzüberschreitend auch die ausländische objektive Leistungsfähigkeit in den Blick zu nehmen ist.3 § 1 Abs. 3 EStG enthält die Grundregelung, nach der auf Antrag natürliche Personen, soweit sie inländische Einkünfte (§ 49 EStG) haben, als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden, obwohl sie im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Diese fiktive unbeschränkte Steuerpflicht gilt nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Sätze 2 bis 6 EStG (Rz. 6.43 ff.). Für diesen Personenkreis sowie darüber hinaus aber auch für unbeschränkt steuerpflichtige Personen gem. § 1 Abs. 1 EStG und auch für erweitert unbeschränkt steuerpflichtige Personen gem. § 1 Abs. 2 EStG gelten besondere familienbezogene Regelungen, die sich im Einzelnen aus § 1a Abs. 1 und 2 EStG ergeben. Hiernach ist wie folgt zu differenzieren: – Natürliche Personen ohne EU-/EWR-Staatsangehörigkeit, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, werden zwar auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt (§ 1 Abs. 3 Satz 1 EStG), die familienbezogenen Sonderregelungen des § 1a Abs. 1, 2 EStG bleiben ihnen aber verschlossen, so dass weder ein tarifliches Ehegattensplitting (§§ 26, 32a Abs. 5 EStG) noch ein Realsplitting (§§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 22 Nr. 1a EStG) in Anspruch genommen werden kann. – Natürliche Personen mit EU-/EWR-Staatsangehörigkeit, die entweder gem. § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig oder gem. § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig gelten oder gem. § 1 Abs. 2 EStG als Angehörige des öffentlichen Dienstes mit Dienstort im Ausland erweitert unbeschränkt steuerpflichtig sind, können die familienbezogenen Sonderregelungen des § 1a EStG in Anspruch nehmen, d.h. insbesondere das tarifliche Ehegattensplitting (§§ 26, 32a Abs. 5 EStG) und das Realsplitting (§§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 22 1 EuGH v. 14.2.1995 – C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31, Slg. 1995, I-249 – Schumacker; hierzu die Besprechungen von Kaefer/Saß, DB 1995, 642 ff.; Rädler, DB 1995, 793 ff., Rädler, TNI 1995, 1683 ff.; Schön, IStR 1995, 119 ff. 2 Vgl. nur EuGH v. 11.8.1995 – C-80/94, ECLI:EU:C:1995:271, Slg. 1995, I-2493 – Wielockx; EuGH v. 14.9.1999 – C-391/97, ECLI:EU:C:1999:409, Slg. 1999, I-5451 – Gschwind; EuGH v. 16.5.2000 – C-87/99, ECLI:EU:C:2000:251, Slg. 2000, I-3337– Zurstrassen. 3 Vgl. nur EuGH v. 22.11.2018 – C-575, 17, ECLI:EU:C:2018:943, Rz. 27, 79 – Sofina; hierzu Kofler in FS Lüdicke, 2019, 389 (404); Schaumburg, ISR 2021, 135 ff. (143 f.).

Schaumburg | 175

6.41

Kap. 6 Rz. 6.41 | Einkommensteuer

Nr. 1a EStG) und zwar auch dann, wenn der Ehegatte bzw. der geschiedene oder getrennt lebende Ehegatte nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist.

6.42

Wenn auch die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht darauf gerichtet ist, beschränkt steuerpflichtige Personen im Hinblick auf ihre persönliche Leistungsfähigkeit unbeschränkt steuerpflichtigen Personen ganz oder teilweise gleichzustellen, so ist die Reichweite der §§ 1 Abs. 3, 1a EStG dennoch begrenzt: Im Unterschied zur normalen (§ 1 Abs. 1 EStG) und erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) werden nicht etwa das Welteinkommen, sondern lediglich die inländischen Einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 EStG (Rz. 6.150) erfasst,1 die ggf. auch dem Steuerabzug gem. § 50a EStG unterliegen (§ 1 Abs. 3 Satz 6 EStG). Die ausländischen Einkünfte bleiben freilich nicht völlig unberücksichtigt, sondern werden im Wege des Progressionsvorbehalts gem. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG erfasst.2 Die in §§ 1 Abs. 3, 1a EStG verankerte Fiktion gilt schließlich nicht auf der Ebene von DBA mit der Folge, dass die Ansässigkeit einer Person (Art. 4 OECD-MA) und damit die Frage, welcher Staat Wohnsitzstaat ist, losgelöst von den §§ 1 Abs. 3, 1a EStG zu entscheiden ist.3

2. Unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG 6.43

Natürliche Personen, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, sind auf Antrag4 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln, soweit sie inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG beziehen5 und ihre Einkünfte6 mindestens zu 90 %7 der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG8 nicht übersteigen, wobei der vorgenannte Betrag zu kürzen ist, soweit dies nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates notwendig und angemessen ist (§ 1 Abs. 3 Satz 2 EStG).9 Bei der Berechnung, ob die vorgenannten Grenzen erreicht bzw. überschritten sind, gelten zwei Be-

1 Aus diesem Grunde bedarf es auch einer begrifflichen Unterscheidung zwischen § 1 Abs. 2 EStG (erweiterte unbeschränkte Einkommensteuerpflicht) und §§ 1 Abs. 3; 1a EStG (fingierte unbeschränkte Steuerpflicht). 2 Berücksichtigt wird auch ein negativer Progressionsvorbehalt. 3 BFH v. 20.9.2006 – I R 13/02, IStR 2007, 148; v. 2.9.2009 – I R 90/08 IStR 2009, 817; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 15; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 297. 4 Der Antrag kann bis zur Bestandskraft des Steuerbescheids und bei Anfechtung spätestens in der (letzten) mündlichen Verhandlung beim FG (BFH v. 19.10.2010 – I R 109/09, BStBl. II 2011, 443) aber nicht mehr im Revisionsverfahren gestellt werden (BFH v. 13.8.1997 – I R 65/95, BStBl. II 1998, 21). 5 Der Antrag kann immer nur für alle erzielten Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG gestellt werden; Tiede in H/H/R, § 1 EStG, Rz. 255. 6 Zu ermitteln nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts. 7 Diese 90 %-Grenze (relative Wesentlichkeitsgrenze) ist durch den EuGH v. 14.9.1999 – C- 391/97, ECLI:EU:C:1999:409, BStBl. II 1999, 841 – Gschwind akzeptiert worden; vgl. auch BFH v. 15.5.2002 – I R 40/01, BStBl. II 2002, 660; v. 13.11.2002 – I R 67/01, BStBl. II 2003, 587; unabhängig von der 90 %-Grenze ist indessen der Tätigkeitsstaat, also Deutschland, im Rahmen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht stets zur anteiligen Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse verpflichtet; EuGH v. 9.2.2017 – C-283/15, ECLI:EU:C:2017:102 Rz. 43, 48 – X; hierzu Ismer in H/H/R, Einf. ESt Rz. 490; Schmidt-Heß, IStR 2017, 549; Henze, ISR 2017, 127. 8 Im Jahr 2021: 9.744 Euro und im Jahr 2022: 9.985 Euro (absolute Wesentlichkeitsgrenze). 9 Nach BT-Drucks. 12/6476, 12 soll die Kürzung entsprechend den Regelungen zu §§ 32 Abs. 6 Satz 4, 33a Abs. 1 Satz 5, Abs. 2 Satz 3 EStG erfolgen; hierzu die Ländergruppeneinteilung gem. BMF v. 20.10.2016 – IV C 8-S 2285/07/10005:016, BStBl. I 2016, 1183.

176 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.45 Kap. 6

sonderheiten: Zu den nicht der inländischen Besteuerung unterliegenden Einkünften zählen die nicht unter § 49 Abs. 1 EStG fallenden Einkünfte, also insbesondere ausländische Einkünfte, sowie inländische Einkünfte, soweit diese nach dem in Betracht kommenden DBA ausschließlich im Ansässigkeitsstaat zu besteuern sind,1 und solche Einkünfte, die abkommensrechtlich der Höhe nach nur beschränkt, etwa durch eine Quellensteuer, besteuert werden dürfen (§ 1 Abs. 3 Satz 3 EStG).2 Dem gegenüber bleiben nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, dort also nicht steuerbar oder steuerfrei sind, insgesamt außer Ansatz, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind (§ 1 Abs. 3 Satz 4 EStG).3 Beide in § 1 Abs. 3 Sätze 3 und 4 EStG verankerten Sonderregelungen entsprechen weder verfassungsrechtlichen noch europarechtlichen Vorgaben. Soweit bei der Berechnung der in § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG bezeichneten Einkunftsgrenzen zum Nachteil des Steuerpflichtigen diejenigen inländischen Einkünfte nicht einbezogen werden, die aufgrund eines DBA in Deutschland nicht oder nur der Höhe nach beschränkt besteuert werden dürfen, führt diese Nichtberücksichtigung im Ergebnis zu einer Ungleichbehandlung und damit zu einem Verstoß gegen die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten und gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Da diese inländischen Einkünfte gem. § 1 Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG unberücksichtigt bleiben, wird für Personen, die in Staaten ansässig sind, mit denen Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, der Zugang zur fingierten unbeschränkten Steuerpflicht erschwert, ohne dass hierfür einleuchtende Gründe erkennbar wären.4 Soweit zum Vorteil des Steuerpflichtigen bei der vorgenannten Berechnung die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte unter den in § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG genannten Voraussetzungen nicht zu berücksichtigen sind, verbleibt es in den Fällen bei einer Ungleichbehandlung im Vergleich zu einem unbeschränkt Steuerpflichtigen in vergleichbarer Lage, wenn in EU-/EWR-Fällen im Ergebnis gleichwohl die subjektive Leistungsfähigkeit in keinem anderen Staat Berücksichtigung findet.5

6.44

Die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte muss durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen werden (§ 1 Abs. 3 Satz 5 EStG). Dieses Nachweiserfordernis setzt voraus, dass überhaupt Einkünfte vorhanden sind, die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen. Hat der Steuerpflichtige keine anderweitigen Einkünfte, ist er gleichwohl zur Vorlage einer Bescheinigung verpflichtet.6

6.45

1 BFH v. 20.8.2003 – I R 72/02, BFH/NV 2004, 321, Rz. 175; Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 278; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 20; Lüdicke, IStR 1996, 111 (112). 2 § 1 Abs. 3 Satz 3 EStG bezieht sich somit nur auf den unmittelbar vorangehenden Satz 2; BFH v. 13.11.2002 – I R 67/01, BStBl. II 2003, 587; v. 16.11.2015 – I R 62/13, BStBl. II 2016, 201 mit Hinweis darauf, dass § 2 Abs. 5b EStG nicht für die Prüfung der Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG gilt; die Anrechnung ausl. Steuer gem. § 34c Abs. 1 EStG fällt nicht unter § 1 Abs. 3 Satz 3 EStG; vgl. Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 278; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 20. 3 Umsetzung der Entscheidung des EuGH v. 25.1.2007 – C-329/05, ECLI:EU:C:2007:57, Slg. 2007, I1107 – Meindl durch das JStG 2008 (BStBl. I 2008, 3150). 4 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 20; Lüdicke, IStR 1996, 111 (112). 5 Insoweit ist die Entscheidung des EuGH v. 25.1.2007 – C-329/05, ECLI:EU:C:2007:57, Slg. 2007, I1107 – Meindl durch das JStG 2008 (BGBl. I 2008, 3150) nur unzureichend umgesetzt worden; vgl. hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8.5. 6 Sog. „Nullbescheinigung“; BFH v. 8.9.2010 – I R 80/09, BStBl. II 2011, 447, Rz. 19.

Schaumburg | 177

Kap. 6 Rz. 6.46 | Einkommensteuer

6.46

Wird zur unbeschränkten Steuerpflicht optiert, ergibt sich als Rechtsfolge, dass insbesondere die für beschränkt Steuerpflichtige geltende Sonderregelung des § 50 EStG weit gehend suspendiert wird. Es bleibt allerdings beim nicht abgeltend wirkenden Steuerabzug nach § 50a EStG (§ 1 Abs. 3 Satz 6 EStG),1 wodurch insbesondere Berufssportler und Künstler betroffen sind. Im Übrigen gelten im Zuge der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 3 EStG die für die unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 1 EStG maßgeblichen Vorschriften,2 soweit nicht ausnahmsweise etwas anderes bestimmt ist. So werden etwa die unter § 1 Abs. 3 EStG fallenden Personen aus der Ehegattenbesteuerung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG) grundsätzlich ausgeschlossen, so dass die Gewährung des Splitting-Tarifs insoweit nicht in Betracht kommt.3 Dementsprechend ist bei Arbeitnehmern, die zur fingierten unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) optieren, für Zwecke des Lohnsteuerabzugs grundsätzlich die Steuerklasse I anzuwenden (§ 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG).4

3. Familienstandsbezogene Steuerermäßigungen 6.47

§ 1a EStG eröffnet dem dort näher bezeichneten Personenkreis5 bestimmte familien- und personenbezogene Steuerentlastungen, die im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 1 EStG, der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 2 EStG und der fingierten unbeschränkten Einkommensteuerpflicht gem. § 1 Abs. 3 EStG insbesondere deshalb nicht in Anspruch genommen werden können, weil etwa der Ehegatte nicht im Inland ansässig ist oder nicht die deutsche Staatsangehörigkeit6 besitzt.

6.48

§ 1a Abs. 1 EStG erfasst Unionsbürger7 sowie EWR-Staatsangehörige,8 die gem. § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig sind und die nach § 1 Abs. 3 EStG auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln sind.

6.49

Für die Geltendmachung der von § 1a Abs. 1 EStG erfassten familienstandsbezogenen Steuerermäßigungen ist erforderlich, dass der Empfänger der Zahlung oder Leistung in einem EUoder EWR-Staat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und die Zahlung beim Empfänger durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird (§ 1a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b EStG). Zu den vorgenannten Steuerermäßigungen gehören – als Sonderausgaben gem. § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG abzugsfähige Unterhaltsleistungen an geschiedene oder dauernd getrennt lebende Ehegatten/Lebenspartner (Realsplitting); – abzugsfähige auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende lebenslange und wiederkehrende Versorgungsleistungen (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG);

1 Anrechnung im Rahmen der Veranlagung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG; ab 2017 § 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG); vgl. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 24. 2 So z.B. der Progressionsvorbehalt, der sich auch auf die ausländischen Einkünfte erstreckt (§ 32b Abs. 1 Nr. 5 EStG); Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 297; Kaefer, BB 1995. 1615 (1619); Lüdicke, IStR 1996, 111 (112); a.A. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1 EStG Rz. 27. 3 Ausnahme: § 1a EStG; vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. 4 Ausnahme: § 1a EStG; vgl. § 38b Abs. 1 Satz 3 EStG. 5 Kritisch zu der durch §§ 1 Abs. 3; 1a EStG begründeten Mehrklassengesellschaft Schulze zur Wiesche, IStR 1996, 105 (109 f.); Kumpf/Roth, StuW 1996, 259 (262 f.). 6 Vgl. § 1 Abs. 2 EStG. 7 Also auch deutsche Staatsangehörige. 8 Staatsangehörige von Island, Norwegen und Liechtenstein.

178 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.51 Kap. 6

– Ausgleichszahlungen zur Vermeidung eines Versorgungsausgleichs (§ 10 Abs. 1a Nr. 3 EStG); – Ausgleichszahlungen im Rahmen des Versorgungsausgleichs, soweit die ihnen zugrunde liegenden Einnahmen bei der ausgleichspflichtigen Person der Besteuerung unterliegen (§ 10 Abs. 1a Nr. 4 EStG); – die Anwendung des Splitting-Tarifs (§ 32a Abs. 5 EStG) bei Zusammenveranlagung auf Antrag, wenn der nicht dauernd getrennt lebende, nicht unbeschränkt steuerpflichtige Ehegatte/Lebenspartner seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen EU-/EWR-Staat hat, und die von den Ehegatten/Lebenspartnern insgesamt bezogenen Einkünfte mindestens zu 90 % der inländischen Besteuerung unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den doppelten Grundfreibetrag im Kalenderjahr nicht übersteigen1 und dies durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG).2 Die vorstehenden familienstandsbezogenen Steuerermäßigungen kommen im Ergebnis insbesondere Arbeitnehmern aus EU-/EWR-Staaten zugute, deren Familien weiterhin im Heimatland leben. Ausgeschlossen sind demgegenüber Personen aus Drittstaaten.

6.50

§ 1a Abs. 1 EStG entspricht zwar weitgehend dem europarechtlichen Diskriminierungsverbot,3 eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und des abkommensrechtlichen Staatsangehörigkeitsdiskriminierungsverbot (Art. 24 Abs. 1 OECD-MA) besteht aber dennoch: Die familienstandsbezogenen Steuerermäßigungen, insbesondere die Gewährung des Splitting-Tarifs, bleiben jenen Personen vorenthalten, die nicht Unionsbürger sind oder nicht die Staatsangehörigkeit eines EWR-Staates haben; sie können ferner nicht von Unionsbürgern und Staatsangehörigen von EWR-Staaten in Anspruch genommen werden, wenn sie nicht dort auch ansässig sind. So kann etwa ein Gastarbeiter aus Portugal, dessen Familie im Heimatland lebt unter den in § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG genannten Voraussetzungen im Rahmen der Zusammenveranlagung den Splitting-Tarif in Anspruch nehmen, während demgegenüber etwa einem Gastarbeiter aus der Türkei die vorstehende Vergünstigung versagt bleibt. Es sind keine Gründe erkennbar, die eine derartige Differenzierung rechtfertigen könnten. Die Staatsangehörigkeit ist jedenfalls ein derartiger Differenzierungsgrund4 nicht.5

6.51

Damit gilt: Soweit § 1a Abs. 1 EStG dem europarechtlichen Diskriminierungsverbot (Rz. 4.12 ff.) entspricht, hat er wegen der hiervon ausgehenden Drittwirkung auf Staatsange-

1 Ob die maßgeblichen Einkunftsgrenzen eingehalten sind, ist im Rahmen einer einstufigen Prüfung zu beurteilen, wonach die Einkünfte zusammenzurechnen sind und der Grundfreibetrag zu verdoppeln ist; BFH v. 6.5.2015 – I R 16/14, ISR 2016, 14 m. Anm. Weiss = BStBl. II 2015, 957. 2 Vgl. hierzu die Übersicht bei Tiede in H/H/R, § 1a EStG Rz. 30. 3 Zu den EU- und EWR-Diskriminierungsverboten Rz. 4.12 ff. 4 Gemäß Art. 3 Abs. 3 GG gehört zwar die Staatsangehörigkeit ebenso wie die Ansässigkeit nicht zu den verbotenen Differenzierungskriterien, damit erübrigt sich aber noch nicht das nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Rechtfertigungsargument; hierzu Rz. 4.11, 4.14. 5 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.64 ff, 8.5 ff.; Kumpf/Roth, StuW 1996, 259 (262 f.); kritisch auch Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1a EStG Rz. 5; anders dagegen z.B. BVerfG v. 20.3.1979 – 1 BvR 111/74, 1 BvR 283/78, BVerfGE 51, 1 (30); v. 23.1.1990 – 1 BvR 306/86, BVerfGE 81, 208 (224 f.) und die h.M. in der Literatur z.B. Stapperfend in H/H/R, Vor §§ 1, 1a EStG Rz. 32.

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Kap. 6 Rz. 6.51 | Einkommensteuer

hörige anderer Staaten, auch dem verfassungsrechtlichen und abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbot zu entsprechen.1

6.52

§ 1a Abs. 2 EStG erfasst schließlich erweitert unbeschränkt steuerpflichtige Personen (§ 1 Abs. 2 EStG) sowie der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht unterliegende Personen (§ 1 Abs. 3 EStG), wenn alle vorgenannten Personen an einem ausländischen Dienstort tätig sind und deren Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG) nicht übersteigen.2 Als Rechtsfolge ergibt sich, dass in beiden vorgenannten Fallgruppen das Splitting auch dann in Anspruch genommen werden kann, wenn der Ehegatte/Lebenspartner selbst nicht gem. § 1 Abs. 1, 2 EStG unbeschränkt steuerpflichtig ist.3 Voraussetzung ist allerdings, dass der Ehegatte/Lebenspartner Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Staat des ausländischen Dienstorts hat.4

VIII. Besteuerung des Welteinkommens (Welteinkommensprinzip) Literatur: Kommentare zu § 2 EStG; Beil, Der Belastungsgrund des steuerstaatlichen Synallagmas, Zur Zulässigkeit des Welteinkommensprinzips im deutschen internationalen Einkommensteuerrecht, Frankfurt 2001; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964, 165; Debatin, Konzeptionen zur Steuerpflicht, FR 1969, 277; Endriss, Ist die Unterscheidung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht noch zeitgemäß?, FR 1968; 338; Endriss, Wohnsitz- oder Ursprungsprinzip?, Köln 1967; Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, München 1985; Fleischmann, Auslandsverluste – Stiefkinder unseres Steuerrechts?, DStR 1983, 191; Flick, Recht und Gerechtigkeit im Internationalen Steuerrecht, FR 1961, 171; Friauf, Steuergleichheit, Systemgerechtigkeit und Dispositionssicherheit als Prämissen einer rechtsstaatlichen Einkommensbesteuerung, StuW 1985, 308; Lehner/Reimer, Quelle vs. Ansässigkeit – Wie sind die grundlegenden Verteilungsprinzipien des Internationalen Steuerrechts austariert?, IStR 2005, 542 ff.; Lornson, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei Einkommenund Körperschaftsteuer, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1987; Morgenthaler, Beschränkte Steuerpflicht und Gleichheitssatz, IStR 1993, 258; Mössner, Welteinkommensprinzip, in Tipke/Bozza, Besteuerung von Einkommen, Köln 2000, 253; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schulze-Brachmann, Totalitäts- oder Territorialitätsprinzip, StuW 1964, 589; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, Amsterdam 1936 (Neudruck Köln 1967); Tipke in Deutsche Landesreferate zum öffentlichen Recht und Völkerrecht, XI. Internationaler Kongress für Rechtsvergleichung, 1982, 211; Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 45 ff.; Vogel in Vogel/Ellis u.a., Steueroasen und Außensteuergesetz, München 1981, 125; Vogel, Which Method Should the European Community Adopt for the

1 Hierzu allgemein Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 4.71 ff.; speziell zu § 1a Abs. 1 EStG Rauch in Brandis/Heuermann, § 1a Rz. 3.25 ff.; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1a EStG Rz. 3; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.7; Schaumburg in FG Wassermeyer, 121 (125 f.); Lüdicke, IStR 2017, 289; Geyer/Ullmann, IStR 2019, 908. 2 Für die Frage, ob Ehegatten/Lebenspartner die maßgeblichen Einkunftsgrenzen für das Wahlrecht zur Zusammenveranlagung in Fällen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) wahren, ist im Rahmen einer einstufigen Prüfung nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG auf die Einkünfte beider Ehegatten/Lebenspartner abzustellen und der Grundfreibetrag zu verdoppeln; BFH v. 6.5.2015 – I R 16/14, ISR 2016, 14 m. Anm. Weiss = BStBl. II 2015, 957. 3 Vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG. 4 Hierzu Tiede in H/H/R, § 1a EStG Rz. 60.

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B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.55 Kap. 6 Avoidance of Double Taxation?, BIFD 2002, 4 (6); Vogel, Neuere Befürworter des Quellenprinzips (Territorialitätsprinzips) in den Vereinigten Staaten, in Kleineidam (Hrsg.), FS für L. Fischer, Berlin 1999, 1007; Vogel, Die Besteuerung von Auslandseinkünften, DStJG 8 (1985), 3; Vogel, Worldwide vs. source taxation of income, Intertax 1988, 216; 319; 393; Vogel, Perfektionismus im Steuerrecht, StuW 1980, 206; Vogel, Über „Besteuerungsrechte“ und über das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in FS für Klein, Köln 1994, 361; Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, Hamburg 1991.

Bei unbeschränkter (§ 1 Abs. 1 EStG) und erweiterter unbeschränkter Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) wird als Steuerobjekt das durch den Rahmen der sieben Einkunftsarten abgesteckte Welteinkommen erfasst. Dieses Welteinkommensprinzip (Totalitätsprinzip, Universalitätsprinzip oder Globalprinzip) hat zwar keine ausdrückliche Regelung in den §§ 1 oder 2 EStG erfahren, es ergibt sich aber als Rückschluss aus den §§ 1 Abs. 4; 2a; 34c; 34d und 49 EStG.

6.53

Dass unbeschränkt steuerpflichtige Personen mit ihrem Welteinkommen zur Einkommensteuer herangezogen werden, wird zu den Grundsatzaussagen des § 2 EStG über die Einkommensteuer gezählt1 und daher durchweg als (normkonzipierendes) Prinzip verstanden.2 Demgegenüber wird die Auffassung vertreten, in dem Begriff „Welteinkommensprinzip“ komme lediglich das Bestreben zum Ausdruck, das Erfassen des weltweiten Einkommens auf den Nenner eines Prinzips zu bringen,3 tatsächlich handele es sich nur um einen bloßen Programmsatz, der in der Rechtswirklichkeit weitgehend eingeschränkt worden sei.4

6.54

Das Welteinkommensprinzip ist indessen mehr als ein (unverbindlicher) bloßer Programmsatz. Es ist zwar nicht unmittelbar in einem Rechtssatz niedergelegt, es liegt dem Einkommensteuergesetz aber als Zweckgedanke zugrunde und wirkt damit als normkonzipierendes Prinzip,5 das im Wege der Induktion aus dem Einkommensteuergesetz, und zwar aus den §§ 1 Abs. 4; 2a; 34c; 34d und 49 EStG gewonnen werden kann. Das Welteinkommensprinzip beruht damit zwar nur auf einfach-gesetzlicher Grundlage,6 es entfaltet aber unter dem Gesichtspunkt der Folgerichtigkeit (Rz. 4.7 ff.) besondere Bedeutung. Vom Welteinkommensprinzip kann daher nur abgewichen werden, wenn es hierfür rechtfertigende Gründe gibt. Diese Gründe müssen sich an den Grundrechten, insbesondere an Art. 3 Abs. 1 GG, messen lassen (Rz. 4.4). Die Besteuerung des Welteinkommens im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Das Welteinkommensprinzip hat in der Staatenpraxis erst in diesem Jahrhundert das bis dahin allgemein geltende Quellenprinzip (Territorialitätsprinzip) verdrängt. Es gehörte zuvor zu den finanzwissenschaftlichen Ordnungsprinzipien, in einem anderen Land erzielte Einkünfte im Wohnsitzstaat nicht zu besteuern.7 Das Quellenprinzip (Territorialitätsprinzip) war früher vor allen Dingen in Lateinamerika verbreitet.8 Es wird in der

1 Z.B. Kirchhof in K/S/M, § 2 EStG Rz. A 81 ff. 2 Z.B. BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136; Kirchhof in K/S/M, § 2 EStG Rz. A 145; Menck in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 28 (34 f.); Friauf, StuW 1985, 308 (313); Fleischmann, DStR 1983, 191 (193); Schaumburg in FS Tipke, 125 (132). 3 So etwa der BFH v. 26.3.1991 – IX R 162/85, BStBl. II 1991, 704 unter Hinweis auf Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 165. 4 BFH v. 26.3.1991 – IX R 162/85, BStBl. II 1991, 704. 5 Hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.7; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 67 ff. 6 BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136. 7 Flick in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 93 f. 8 Z.B. in Argentinien bis 1998; in Uruguay, Bolivien und Costa Rica noch heute (Rz. 6.8).

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6.55

Kap. 6 Rz. 6.55 | Einkommensteuer

Staatenpraxis allerdings häufig modifiziert. Dies gilt insbesondere für die Besteuerung von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren sowie von Entgelten für die Leistung von Diensten bzw. die technische Assistenz. Hier wird das Territorialitätsprinzip nicht selten durch ein System steuerlicher Anreize für den Kapital- und Technologietransfer überlagert, soweit er für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der betreffenden Staaten für erforderlich gehalten wird.1

6.56

Das Welteinkommensprinzip im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht wird von der herrschenden Meinung seit jeher gebilligt2 und überwiegend damit gerechtfertigt, dass der Bezieher der Einkünfte bei unbeschränkter Steuerpflicht im staatlichen Hoheitsgebiet einen Schwerpunkt seiner Lebensführung oder seiner Geschäftstätigkeit habe.3 Dieser nutzentheoretisch orientierten Begründung, die im Kern von der Vermutung ausgeht, dass die in einem Land Ansässigen auch die staatlichen Leistungen dieses Landes (Wohnsitzstaat) in Anspruch nehmen,4 aber gerade deshalb nicht die Erfassung des Welteinkommens zu rechtfertigen vermag,5 steht ideengeschichtlich die opfertheoretische Fundierung des Welteinkommensprinzips gegenüber, wonach allein der Wohnsitzstaat die Besteuerung des weltweiten Einkommens zu beanspruchen habe.6 Zugleich entspreche die Besteuerung des Welteinkommens dem Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Die steuerliche Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen, die allein über seinen Steuerbeitrag zu entscheiden habe, schließe es aus, inländisches und ausländisches Einkommen ungleich zu behandeln7 und Besteuerungslücken zu nutzen.8 Von den Befürwortern des Welteinkommensprinzips wird zugleich aber auch das Quellenprinzip bei beschränkter Steuerpflicht gebilligt, weil die Inlandseinkünfte mit der inländischen Volkswirtschaft so eng verknüpft seien, dass der Quellenstaat auf die Besteuerung nicht verzichten könne.9 Damit wird im Ergebnis ein die Doppelbesteuerung auslösendes Nebeneinander von Welteinkommensprinzip und Quellenprinzip hingenommen.

6.57

Für das Quellenprinzip (Territorialitätsprinzip) wird demgegenüber angeführt, nur hierdurch sei systematisch eine Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung möglich. Im Übrigen müsse unter dem Gesichtspunkt internationaler Gerechtigkeit demjenigen Staat der Vorrang

1 Zur Staatenpraxis Lateinamerikas Costa in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 43 (51 ff.). 2 Z.B. von Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 219 ff., 256 ff., 328 ff.; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 130 ff.; 161 ff.; Debatin, BB 1960, 1015; Debatin, FR 1969, 277; Menck in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 28 (33 ff.); für ein strenges Territorialitätsprinzip dagegen Beil, Der Belastungsgrund des steuerstaatlichen Synallagmas, Zur Zulässigkeit des Welteinkommensprinzips im deutschen internationalen Steuerrecht, Frankfurt a.M. u.a. 2001, 126 ff.; vgl. zu den Entwicklungslinien Lehner/Reimer, IStR 2005, 542 (542). 3 Debatin, BB 1960, 1015 ff.; Debatin, FR 1969, 277 ff.; ähnlich BFH v. 14.4.1993 – I R 29/92, BStBl. II 1994, 27. 4 So z.B. die Begründung des BFH v. 14.4.1993 – I R 29/92, BStBl. II 1994, 27. 5 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 617. 6 Zu Einzelheiten Vogel in FS Klein, 361 (368). 7 Menck in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 28 (33); Debatin, FR 1969, 277 ff. 8 Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 200 ff. 9 Debatin, BB 1960, 1015 (1015); Debatin, FR 1969, 277 ff.; ähnlich BFH v. 14.4.1993 – I R 29/92, BStBl. II 1994, 27.

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B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.58 Kap. 6

für die Besteuerung zukommen, in dessen Gebiet die Erträge erwirtschaftet würden.1 Die Welteinkommensbesteuerung sei protektionistisch. Sie benachteilige insbesondere die Staaten mit ungünstigen Investitionsbedingungen.2 Das Quellenprinzip erfahre seine Rechtfertigung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Nutzentheorie, wonach sich die Besteuerung als Gegenleistung für die vom Staat gewährten öffentlichen Güter verstehe. Der Quellenstaat sei es nämlich, der durch Erbringung öffentlicher Leistungen die Erzielung von Einkünften ermögliche.3 Dieser nutzentheoretische Aspekt trage auch zur gerechten Verteilung der Steuergüter unter mehreren Staaten (Verteilungsgerechtigkeit)4 bei. Insbesondere das Nebeneinander von Welteinkommensprinzip bei unbeschränkter Steuerpflicht und Quellenprinzip bei beschränkter Steuerpflicht stelle eine Prinzipienuntreue dar und führe zu einem Affront gegenüber allen Staaten, die sich auf eine Besteuerung allein auf der Grundlage des Quellenprinzips beschränkten und damit im Kern die internationale Doppelbesteuerung schon durch die Eingrenzung der Steuerpflicht vermieden hätten.5 Die bislang weitgehend opfer- und nutzentheoretisch ausgerichtete Diskussion um die Frage, ob dem Welteinkommens- oder dem Territorialitätsprinzip der Vorzug zu geben sei, lässt eine eindeutige Orientierung am Leistungsfähigkeitsprinzip vermissen. Das Leistungsfähigkeitsprinzip verlangt keineswegs die unterschiedslose Erfassung des weltweiten Einkommens.6 Da das Leistungsfähigkeitsprinzip auch auf die Verwirklichung der Wettbewerbsneutralität gerichtet ist,7 lässt sich aus den bei der Erzielung aus- und inländischer Einkommensteile geltenden unterschiedlichen Rahmen- und Standortbedingungen auch eine unterschiedliche steuerliche Leistungsfähigkeit ableiten. Ist etwa der im Auslandsgeschäft tätige Steuerpflichtige den im Ausland geltenden wirtschaftlichen, gesellschafts- und rechtspolitischen Verhältnissen unmittelbar und nachhaltig ausgesetzt, so ist es sachgerecht, die dortigen steuerlichen Belastungswirkungen zum alleinigen Maßstab für die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu erheben.8 Im Hinblick darauf, dass bei Geltung des Territorialitätsprinzips im Gegensatz zum Welteinkommensprinzip nicht die weltweite Leistungsfähigkeit (Gesamtleistungsfähigkeit) steuerlich erfasst wird, ist die Unterscheidung zwischen in- und ausländischer Leistungsfähigkeit er-

1 Kirchhof in FS Lang, 451 (475). 2 Vogel in Vogel/Ellis u.a., Steueroasen und Außensteuergesetze, 125 ff.; Vogel, StuW 1980, 206 (211 f.). 3 Vogel DStJG 8 (1985), (20 ff.); ähnlich Kirchhof in K/S/M, § 2 EStG Rz. A 146; Kirchhof in FS Lang, 451 (475). 4 Vogel, DStJG 8 (1985), 3 (20 ff.). 5 Flick in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 93 (96 ff.); Schulze-Brachmann, StuW 1964, 589 ff.; Tipke in Deutsche Landesreferate zum öffentlichen Recht und Völkerrecht, XI. Internationaler Kongress für Rechtsvergleichung, 211 (218 f.); Endriss, Wohnsitz- oder Ursprungsprinzip?, 67 ff., 78 ff.; Endriss, FR 1968; 338 ff.; Vogel, StuW 1980, 206 (211 ff.); Vogel in Vogel/Ellis u.a., Steueroasen und Außensteuergesetz, 125 (127 ff.); Vogel, DStJG (1985), 3 (17 ff.), Vogel, Intertax 1988, 216 ff.; 319 ff.; 393 ff.; kritisch ggü. dem Welteinkommensprinzip ferner Kirchhof in K/S/M, § 2 EStG Rz. A 146; Kirchhof in FS Lang, 451 (475). 6 Zum Einkommen als am meisten geeigneter Maßstab steuerlicher Leistungsfähigkeit Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 619 ff. 7 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band III, 1285. 8 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 18 ff.; Lornson, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei Einkommen- und Körperschaftsteuer, 42 ff.; Schaumburg in FS Tipke, 125 (131).

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6.58

Kap. 6 Rz. 6.58 | Einkommensteuer

forderlich.1 Damit ist neben dem Welteinkommensprinzip auch das Territorialitätsprinzip eine Konkretisierungsmöglichkeit des Leistungsfähigkeitsprinzips.2

6.59

Daraus ergibt sich: Der Gesetzgeber kann sich für das Welteinkommensprinzip oder für das Territorialitätsprinzip, aber auch für das Welteinkommensprinzip und das Territorialitätsprinzip entscheiden, beide Prinzipien also miteinander kombinieren.3 Das ist sowohl unter verfassungsrechtlichen als auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten grundsätzlich akzeptabel.4 Die einmal getroffene Wertentscheidung muss er allerdings dann auch folgerichtig durchhalten (zum Gebot der Folgerichtigkeit Rz. 4.7).

6.60

Wenn auch das Welteinkommensprinzip und das Territorialitätsprinzip mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbar sind, so ist doch dem Territorialitätsprinzip der Vorzug zu geben.5 Das im Einkommensteuergesetz verankerte Welteinkommensprinzip ist nämlich das Ergebnis fiskalischer Zweckmäßigkeitsüberlegungen, nicht aber ein an der Gerechtigkeit ggü. dem Steuerpflichtigen und den beteiligten Staaten orientiertes Prinzip. Insoweit ist das Welteinkommensprinzip nicht sachgerecht. Es eröffnet den Zugriff auf Einkünfte, die nach der eigenen Wertung des Einkommensteuergesetzes (§ 49 Abs. 1 EStG) den Quellenstaaten zuzuordnen sind. Wenn es nämlich richtig ist, dass der Quellenstaat wegen der engen Verbindung mit der inländischen Volkswirtschaft auf die Besteuerung sämtlicher Einkünfte aus seinen inländischen Quellen nicht verzichten könne,6 so muss das für jeden Staat gelten, wenn nicht Prinzipienuntreue zur Grundlage der Besteuerungskonzeption werden soll. Im Hinblick darauf muss ein Staat, der für sich die Besteuerung inländischer Quellen in Anspruch nimmt, anderen Staaten auch deren Quellen für Zwecke der Besteuerung überlassen. Diese auf Gegenseitigkeit und Verteilungsgerechtigkeit angelegte internationale Steuerabgrenzung7 wird durch das Welteinkommensprinzip gestört. Schließlich sind die das Welteinkommensprinzip tragenden Normen des

1 Lornson, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 44; Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, 98 ff.; Vogel, DStJG 8 (1985), 3 (28 ff.); Schaumburg in FS Tipke, 125 (131). 2 Im Einzelnen Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, 90 ff.; Vogel, DStJG 8 (1985), 3 (23 ff.); Vogel, Intertax 1988, 216 ff., 310 ff., 393 ff.; Schaumburg in FS Tipke, 125 (131). 3 Im Internationalen Steuerrecht ist dies auch geschehen; Beispiel: Unbeschränkte und beschränkte Steuerpflicht. 4 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8.8. 5 Ebenso Endriss, Wohnsitz- oder Ursprungsprinzip?, 67 ff., 78 ff.; Endriss, FR 1968, 388 ff.; Flick in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 93 (93 f.); Schulze-Brachmann, StuW 1964, 589 ff.; Tipke in Deutsche Landesreferate zum öffentlichen Recht und Völkerrecht, XI. Internationaler Kongress für Rechtsvergleichung, 211 (218 f.); Vogel, StuW 1980, 206 (211 f.); Vogel in Vogel/Ellis u.a., Steueroasen und Außensteuergesetz, 125 (127 ff.); Vogel, DStJG 8 (1985), 28 ff.; Vogel, Intertax 1988, 216 ff., 319 ff., 393 ff.; Vogel, BIFD 2002, 4 (6); Vogel in FS L. Fischer, 1007 ff.; Schaumburg in FS Tipke, 125 (131); Morgenthaler, IStR 1993, 258 (260); Morgenthaler, IStR 2000, 289 (292 ff.); Beil, Der Belastungsgrund des steuerstaatlichen Synallagmas, Zur Zulässigkeit des Welteinkommensprinzips im deutschen internationalem Steuerrecht, Frankfurt a.M. u.a. 2001, 126 ff.; kritisch ggü. dem Welteinkommensprinzip ferner Kirchhof in K/S/M, § 2 EStG Rz. A 146; Kirchhof in FS Lang, 451 (475). 6 Debatin, BB 1960, 1015 (1015); Debatin, FR 1969, 277 f. 7 Hierzu Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 23 ff.; Tipke, Steuergerechtigkeit, 120; Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, 105 ff.; ausführlich Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014, 45 ff.

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B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.60a Kap. 6

Einkommensteuergesetzes als kollisionsbegründende Normen bereits in ihrer rechtlichen Grundausrichtung auf eine die Gleichmäßigkeit der Besteuerung verletzende Doppelbesteuerung angelegt. Zwar wird diese Doppelbesteuerung entweder durch DBA oder unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (§ 34c EStG) ganz oder zum Teil vermieden bzw. aufgehoben, es ist aber sachgerechter, diese Doppelbesteuerung von vornherein zu verhindern. Eine am Territorialitätsprinzip ausgerichtete Besteuerung wird freilich nur dann eine Doppelbesteuerung vermeiden können, wenn das Territorialitätsprinzip frei von Widersprüchen ist. Hierzu bedürfte es eines internationalen Konsensus aller Staaten. Ein weltweit geltendes Territorialitätsprinzip müsste als eine in sich geschlossene Gerechtigkeitsordnung begriffen werden, innerhalb derer für alle Staaten gleiche oder vergleichbare territoriale Anknüpfungspunkte für die Quellenbesteuerung Geltung haben müssten. Das Territorialitätsprinzip hat indessen international keine Chance sich durchzusetzen. Insbesondere die reichen – zumeist hochbesteuernden – Staaten werden das Welteinkommensprinzip schon aus fiskalischen Gründen nicht aufgeben.

IX. Durchbrechungen des Welteinkommensprinzips 1. Grundsätze Das dem EStG im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht als Konzeption zugrunde liegende Welteinkommensprinzip verlangt in Orientierung am systemtragenden Leistungsfähigkeitsprinzip (Rz. 6.58) die vollständige Erfassung der durch die sieben Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 EStG) vorgegebenen weltweiten Einnahmen einerseits und die Besteuerung (nur) des Nettoeinkommens andererseits. Auslandsbezogene Steuerbefreiungen bedürfen stets einer besonderen Rechtfertigung, soweit hierdurch die Begünstigten nicht entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit belastet werden.1 Tatbestandstechnisch2 bedeutet das, dass bei der Errechnung des Gesamtbetrags der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) insbesondere Verluste, Betriebsausgaben und Werbungskosten (objektives Nettoprinzip)3 und sodann auf den nächstbeiden Stufen bis zum zu versteuernden Einkommen vor allem Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen und Kinderfreibeträge (subjektives Nettoprinzip)4 steuermindernd abgesetzt werden können. Das BVerfG hat bislang nur dem subjektiven Nettoprinzip Verfassungsrang5 zugewiesen6. Das einfach rechtliche objektive Nettoprinzip gehört aber schon zu den Grundentscheidungen des Einkommensteuerrechts, so dass Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidungen eines besonderen sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen.7 Hierbei reichen rein fiskalische Zwecke, insbesondere Haus1 Zu verfassungsrechtlichen Rechtfertigung Hey in T/L24, Rz. 19.74 ff. 2 Vgl. die Gliederung in R 2 EStG. 3 Hierzu im Überblick Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II²,763 ff.; G. Kirchhof in H/H/R, Einf. ESt Rz. 295 ff.; Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 503 ff. 4 Hierzu im Überblick, Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II²,784 ff.; G. Kirchhof in H/H/R, Einf. ESt Rz. 280 ff. 5 Verfassungsrechtlicher Maßstab ist vor allem der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). 6 BVerfG v. 2.10.1969 – 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58 (64); v. 23.1.1990 – 1 BvL 4/87 u.a., BVerfGE 81, 228 (236); v. 29.5.1990 – 1 BvL 20/184 u.a., BVerfGE 82, 60 (86); v. 25.9.1992 – 2 BvL 5/91 u.a.; BVerfGE 87, 153 (169); v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98 u.a., BVerfGE 107, 27 (48); v. 16.3.2005 – 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268 (281); v. 13.2.2008 – 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125 (154). 7 BVerfG v. 11.11.1998 – 2 BvL 10/05, BVerfGE 99, 280 (290); v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98 u.a., BVerfGE 107, 27 (48); v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (234); v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/100, BVerfGE 123, 111 (121); v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (280); v. 12.10.2010 – 1 BvL 1/10, BVerfGE 127, 227 (248); v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 Rz. 104.

Schaumburg | 185

6.60a

Kap. 6 Rz. 6.60a | Einkommensteuer

haltserwägungen, nicht aus.1 Im Hinblick darauf haben sich die nachfolgenden Ausnahmen vom Welteinkommensprinzip gegenüber dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip zu legitimieren. Im grenzüberschreitenden Kontext geht es hierbei vor allem um die verfassungsrechtlich verbürgte steuerliche Anknüpfung an das Nettoeinkommen.

2. Auslandsbezogene Steuerbefreiungen a) Steuerfreistellung durch DBA Literatur: Kommentare zu Art. 23 OECD-MA; Dörfler/Heurung/Adrian, Korrespondenzprinzip bei verdeckter Einlage und verdeckter Ausschüttung, DStR 2007, 514; Dötsch/Pung, JStG 2007: Die Änderungen des KStG und des GewStG, DB 2007, 11; Kahler, Die Freistellungsmethode in deutschen Doppelbesteuerungsabkommen und die Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag, Frankfurt/M. 2007; Lieber, Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz, FR 2002, 139; Linn, Vermeintliche oder tatsächliche Rechtskontinuität in der Rechtsprechung des EuGH, IStR 2016, 103; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, Baden-Baden 2008; Mössner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – Vorzüge, Nachteile, aktuelle Probleme, DStJG 8 (1985), 135; Mössner, Beschränkungen des Verlustausgleichs und Verlustabzugs, DStJG 17 (1994), 231; Pohl/Raupach, Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen nach dem JStG 2007, FR 2007, 210; Schaumburg, Das Nettoprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Tipke/Seer/Hey/Englisch, Gestaltung der Steuerrechtsordnung, Festschrift für J. Lang, Köln 2010, 1099; Schön, Zum Entwurf eines Steuersenkungsgesetzes, StuW 2000, 151; Strnad, Das Korrespondenzprinzip in § 8, § 8b KStG gemäß JStG 2007, GmbHR 2006, 1321; Wassermeyer, Außensteuerrechtliche Probleme der Unternehmensbesteuerung, DStJG 25 (2002), 103.

6.61

Soweit auf der Ebene von DBA (Rz. 19.1 ff.) die Doppelbesteuerung dadurch vermieden wird, dass im Ausland erzielte Einkünfte von deutscher Steuer freigestellt werden (Freistellungsmethode; Art. 23A Abs. 1 OECD-MA), handelt es sich um eine Durchbrechung des auf der Ebene des Einkommensteuergesetzes konzipierten Welteinkommensprinzips. Die Steuerfreistellung hat entsprechend der abkommensrechtlichen Terminologie im Wohnsitzstaat dadurch zu erfolgen, dass die betreffenden Einkünfte von der Besteuerung auszunehmen sind. Wie dies technisch nach innerstaatlichem Recht umzusetzen ist, regeln die in Betracht kommenden DBA nicht. Eine umfassende Regelung enthält auch das EStG nicht. Im Hinblick darauf gilt folgendes: Die Reichweite der (sachlichen) Steuerbefreiung2 richtet sich allein nach Abkommensrecht, wobei die Berücksichtigung im Rahmen eines Progressionsvorbehalts dem innerstaatlichen Recht (§ 32b EStG) vorbehalten bleibt. Soweit sich die abkommensrechtliche Freistellung nur auf die Einnahmen (Bruttobeträge)3 bezieht, entspricht sie im Ergebnis der in § 3c EStG getroffenen Regelung4 mit der Folge, dass für Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten das Abzugsverbot des § 3c Abs. 1 EStG gilt. Umfasst die Freistellung dagegen die Einkünfte im Sinne von Nettobeträgen,5 fehlt eine entsprechende Regelung im innerstaatlichen Recht. Aus deutscher Sicht bedeutet das, dass in beiden Fallgruppen die in Betracht kommenden Einkünfte grundsätzlich nicht in das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs. 5 EStG) eingehen und somit 1 BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (237); v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 Rz. 104; v. 10.4.2018 – 1 BvL 11/14 u.a., BVerfG 148, 147 Rz. 132 ff.; v. 19.11.2019 – 2 BvL 22/14 u.a., BVerfGE 152, 274 Rz. 100. 2 BFH v. 14.3.1989 – I R 20/87, BStBl. II 1989, 649; v. 1.10.1992 – I B 42/92, I B 43/92, I B 42/92, I B 43/92, BFH/NV 1993, 156. 3 So bei den Einkünften i.S. der Art. 10, 11, 12, 15, 16, 18, 19 und 20 OECD-MA. 4 Bis 1975 galt hierfür § 3 Nr. 41 EStG; vgl. auch Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECDMA Rz. 52. 5 So bei den Einkünften i.S. des Art. 6, 7, 8, 13, 14 a.F. und 17 OECD-MA.

186 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.63 Kap. 6

nicht zur Bemessungsgrundlage gehören.1 Damit sind sie – abgesehen vom Progressionsvorbehalt – der inländischen Besteuerung uneingeschränkt entzogen, und zwar so, als wenn die Einkünfte überhaupt nicht vorhanden wären.2 Durch die vorgenannte Freistellungsmethode wird damit das Welteinkommensprinzip (Totalitätsprinzip) auf das Quellenprinzip (Territorialitätsprinzip) zurückgeführt. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung auf bilateraler Ebene durch Steuerfreistellung ist damit die Kehrseite der Besteuerung des Welteinkommens und unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit geboten (Rz. 17.1 ff.).3 In den von Deutschland abgeschlossenen DBA spielt die Freistellungsmethode insbesondere bei Betriebsstätteneinkünften (Betriebsstättenprinzip), Einkünften aus unbeweglichem Vermögen (Belegenheitsprinzip) und bei den Einkünften aus unselbständiger Arbeit (Arbeitsortprinzip) eine dominierende Rolle (Rz. 19.521 ff.). Im Übrigen gilt durchweg die Anrechnungsmethode, die im Grundsatz das Welteinkommensprinzip auch auf der Ebene der DBA aufrechterhält (Rz. 19.552 ff.).

6.62

b) Teileinkünfteverfahren Literatur: Vgl. die Übersicht vor Rz. 18.20.

§ 3 Nr. 40 EStG regelt die Steuerbefreiung (40 %) der mit Körperschaftsteuer vorbelasteten Einnahmen des Anteilseigners. Es handelt sich insoweit um ein Teileinnahmeverfahren mit dem das in § 3c Abs. 2 EStG geregelte Teilabzugsverfahren korrespondiert. Der Umfang der Steuerfreistellung auf Gesellschafterebene orientiert sich im Grundsatz an der Körperschaftsteuerbelastung auf Gesellschaftsebene. Damit wird die Kapitalgesellschaft als Belastungsebene stets einbezogen, ohne dass hierdurch das maßgebliche Trennungsprinzip aufgehoben wird.4 Das Teileinkünfteverfahren erfasst im Wesentlichen Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen (§ 3 Nr. 40 Buchst. a EStG) und Dividenden (§ 3 Nr. 40 Buchst. d EStG), allerdings nur insoweit, als es sich um betriebliche Einkünfte handelt (§ 3 Nr. 40 Satz 2 EStG).5 Die partielle Steuerbefreiung insbesondere von Veräußerungsgewinnen und Dividenden ist kein Steuerprivileg,6 sondern im Kern nur eine Technik zur Vermeidung von Mehrfachbelastungen desselben Einkommens bei unterschiedlichen Steuersubjekten.7 Da das Teileinkünfteverfahren u.a. auch für die Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an ausländischen Gesellschaften und für aus dem Ausland stammende Dividenden Anwendung findet, ist § 3 Nr. 40 EStG im internationalen Kontext auch auf die Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung gerichtet (Rz. 18.20 ff.). Insoweit wird unilateral partiell die Freistellungsmethode umgesetzt, wodurch das Welteinkommensprinzip suspendiert wird. Da § 3 Nr. 40 EStG nur eine partielle Steuerbefreiung einräumt und damit im Übrigen das Welteinkommensprinzip aufrechterhalten bleibt, können etwaige Quellensteuern nach Maßgabe des § 34c Abs. 1 EStG (Rz. 18.49 ff.) nicht nur teilweise, sondern im Rahmen der Höchstbeträge im vollem Umfange zur Anrechnung gebracht werden.

1 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 42. 2 BVerfG v. 10.3.1971 – 2 BvL 3/68, BStBl. II 1973, 431; BFH v. 3.11.1982 – I R 39/80, BStBl. II 1983, 182. 3 Das gilt ebenso für die Anrechnungsmethode (Rz. 17.29 ff.) 4 Zu Einzelheiten Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 7. 5 Für die Besteuerung privater Einkünfte gilt die Abgeltungsteuer gem. § 32d EStG. 6 BFH v. 19.6.2007 – VIII R 69/05, BStBl. II 2008, 551; Schön, StuW 2008, 151 (154). 7 BFH v. 19.6.2007 – VIII R 69/05, BStBl. II 2008, 551; Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 7.

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6.63

Kap. 6 Rz. 6.64 | Einkommensteuer

6.64

Obwohl die teilweise Steuerfreistellung grundsätzlich nicht davon abhängt, ob und ggf. in welcher Höhe auf Gesellschaftsebene eine körperschaftsteuerliche Vorbelastung gegeben ist, enthält § 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 2 EStG eine materielle Korrespondenz dahingehend, dass die partielle Steuerfreistellung nur dann eingreift, wenn das Einkommen der leistenden Körperschaft hierdurch nicht gemindert wurde. Das Teileinkünfteverfahren ist insbesondere in den Fällen ausgeschlossen, in denen etwa ein überhöhtes Gehalt eines Gesellschaftergeschäftsführers bei der leistenden Körperschaft bestandskräftig als Betriebsausgabe erfasst wurde. Derart verdeckt ausgeschüttete Gewinne sind beim Gesellschafter somit in voller Höhe zu besteuern. Diese Ausnahmeregelung betrifft vor allem Sachverhalte mit Auslandsbezug, wodurch sog. weiße Einkünfte vermieden werden sollen.1

6.65

Die korrespondierende Besteuerung, die dem deutschen Steuerrecht weitgehend fremd ist,2 stellt eine Ausnahme zu dem dem Einkommensteuergesetz zugrunde liegenden Konzept der Individualbesteuerung3 dar. Das bedeutet, dass im Grundsatz nur auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen abzustellen ist, so dass allein dessen Verhältnisse für Zwecke der Besteuerung maßgeblich sind.4 Von diesem Konzept der Individualbesteuerung darf unter dem Gesichtspunkt des gleichheitsrechtlichen Folgerichtigkeitsgebots (Rz. 4.7) nur dann abgewichen werden, wenn es hierfür besondere sachliche Gründe gibt. Diese sind hier darin zu sehen, dass die (partielle) Steuerfreistellung für bestimmte Bezüge (Dividenden), ihre Rechtfertigung in der steuerlichen Vorbelastung der leistenden (ausländischen) Körperschaft haben. Im Hinblick darauf ist § 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 2 EStG systemkonsequent angelegt und mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.5

6.66

Die korrespondierende Besteuerung gilt allerdings nicht bei sog. Dreieckssachverhalten, in denen die verdeckte Gewinnausschüttung das Einkommen einer dem Anteilseigner nahestehenden Person erhöht hat und diese Steuerfestsetzung nicht mehr gem. § 32a KStG geändert werden kann (§ 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 4 EStG). Da die Anwendung des § 32a KStG insbesondere bei einer im Ausland ansässigen nahestehenden Person6 ausgeschlossen ist, sind hier im Wesentlichen grenzüberschreitende Sachverhalte betroffen. Zu weiteren Einzelheiten Rz. 18.20 ff.

6.66a

§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d Satz 3 EStG7 enthält eine sog. Hybrid-Klausel, die darauf abzielt, grenzüberschreitende Besteuerungsinkongruenzen zu verhindern.8

1 Pohl/Raupach, FR 2007, 210 ff.; Dötsch/Pung, DB 2007, 11 ff.; Schaumburg in FS Frotscher, 503 ff. (514 ff.). 2 Vgl. die Hinweise bei Schaumburg in FS Frotscher, 503 ff. (514 ff.). 3 Abgeleitet aus § 2 Abs. 1 EStG; BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608; Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. A6; Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 15. 4 Hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.22 ff.; ein allgemeines Korrespondenzgebot gibt es daher nicht; BFH v. 6.6.2012 – I R 6/11, BFH/NV 2012, 1905 Rz. 23 = ISR 2012, 91 m. Anm. Kammeter. 5 Hierzu Schaumburg in FS Frotscher, 503 ff. (514 ff.). 6 Hier kann auf § 1 Abs. 2 AStG abgestellt werden; vgl. Pohl/Raupach, FR 2007, 210 (216); Strnad, GmbHR 2006, 1321 (1322), a.A. Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 135. 7 Eingefügt durch das ATADUmsG v. 25.6.2021 (BGBl. I 2021, 2035) und erstmals anwendbar auf Beträge, die nach dem 31.12.2019 zufließen. 8 Die Vorschrift entspricht § 8b Abs. 1 Satz 3 KStG; hierzu Rz. 18.150.

188 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.69 Kap. 6

c) Steuerfreiheit nach vorangegangener Hinzurechnungsbesteuerung Literatur: Vgl. die Übersicht vor Rz. 18.20.

§ 3 Nr. 41 EStG in der bis 2021 geltenden Fassung enthält eine Steuerbefreiung für Gewinnausschüttungen und Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen, soweit die entsprechenden Gewinne in der Vergangenheit bereits der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7–14 AStG) unterlegen haben. Damit soll folgende Doppelbesteuerung vermieden werden: Soweit in der Vergangenheit niedrigbesteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb ausländischer Kapitalgesellschaften beim Anteilseigner1 als Hinzurechnungsbetrag angesetzt wurde (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AStG), erfolgte bei ihm eine Besteuerung als fiktive Dividende (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG), für die das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG) nicht in Anspruch genommen werden konnte (§ 10 Abs. 2 Satz 3 AStG).2 Bei einer nachfolgenden3 tatsächlichen Ausschüttung/Veräußerung käme es zu einer nochmaligen Besteuerung, die im Grundsatz durch § 3 Nr. 41 Buchst. a u. b EStG vermieden wird. Die Steuerbefreiung ist allerdings zeitlich limitiert auf sieben Jahre nach dem Ansatz des jeweiligen Hinzurechnungsbetrags.4

6.67

Im Ergebnis führt die Steuerfreistellung gem. § 3 Nr. 41 EStG zu einer Durchbrechung des Welteinkommensprinzips, die indessen wegen der bereits vorangegangenen steuerlichen Erfassung des Hinzurechnungsbetrags systembedingt ist. Mit der Steuerfreistellung für Gewinnausschüttungen korrespondiert § 3c Abs. 2 EStG, wonach die mit den Einnahmen in Zusammenhang stehenden Aufwendungen einer Abzugsbeschränkung ausgesetzt sind.5 Trotz Steuerfreistellung ermöglicht § 12 Abs. 3 AStG a.F. die Anrechnung ausländischer Quellensteuern.

6.68

Mit Einführung des durch das ATADUmsG neu gefassten § 11 AStG wird die Vermeidung der Doppelbelastung im Ausschüttungs- bzw. Veräußerungsfall durch Berücksichtigung eines Kürzungsbetrages gewährleistet (hierzu Rz. 13.206). Im Hinblick darauf ist § 3 Nr. 41 EStG letztmals für den Veranlagungszeitraum 2021 anzuwenden (§ 52 Abs. 4 S. 15 EStG).

6.68a

d) Steuerermäßigung für Auslandstätigkeiten Literatur: Vgl. die Übersicht vor Rz. 18.124.

§ 34c Abs. 5 EStG enthält für die obersten Finanzbehörden der Länder und für die von ihnen beauftragten Finanzbehörden eine Ermächtigung, mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ganz oder zum Teil zu erlassen oder zu pauschalieren, wenn es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig oder die Steueranrechnung besonders schwierig ist. Auf dieser Grundlage ist der in der Besteuerungspraxis bedeutsame Auslandstätigkeitserlass6 ergangen, der für die Einkünfte aus im Ausland ausgeübter nichtselbständiger Arbeit einen Steuererlass für bestimmte gleichge1 Die Regelung gilt auch für Kapitalgesellschaften, so dass § 8b KStG zur Gänze verdrängt wird; Intemann in H/H/R, § 3 EStG; Schönfeld in F/W/B/S, § 3 Nr. 41 EStG Rz. 60; R 8.1 KStR; offen gelassen von BFH v. 26.4.2017 – I R 84/15, BStBl. II 2018, 492. 2 Für Kapitalgesellschaften wird § 8b Abs. 1 KStG ebenfalls suspendiert. 3 Vorabausschüttungen sind also nicht begünstigt (Rz. 18.43). 4 Diese zeitliche Limitierung ist nicht gerechtfertigt; vgl. zur Kritik Gläser/Birk, ISR 2015, 231. 5 Kritisch hierzu Schönfeld in F/W/B/S, § 3 Nr. 41 EStG Rz. 22; Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 41 EStG Rz. 15; Lieber, FR 2002, 139 (142 f.); Wassermeyer, DStJG 25 (2002), 103 (107 ff.). 6 BMF v. 31.10.1983 – IV B 6 - S 2293 - 50/83, BStBl. I 1983, 470; Neuregelung durch BMF v. 10.6.2022 – IV C 5 - S - 2293/19/10012:001, BStBl. I 2022, 997; vgl. hierzu Bleschik, EStB 2022,

Schaumburg | 189

6.69

Kap. 6 Rz. 6.69 | Einkommensteuer

lagerte Fälle aus volkswirtschaftlichen Gründen ausspricht, soweit keine DBA eingreifen. Nach dem Auslandstätigkeitserlass werden Einkünfte aus im Ausland ausgeübter nichtselbständiger Tätigkeit von der deutschen Besteuerung freigestellt, soweit die Auslandstätigkeit mindestens drei Monate beträgt und im Zusammenhang steht mit dem Anlagenbau, dem Aufsuchen oder der Gewinnung von Bodenschätzen, mit Consulting sowie der deutschen öffentlichen Entwicklungshilfe im Rahmen der technischen oder finanziellen Zusammenarbeit.1 Die Steuerfreistellung setzt eine ausländische Besteuerung von 10 % voraus und steht unter Progressionsvorbehalt.

6.70

Als volkswirtschaftliche Gründe werden allgemein angeführt die Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen, die insbesondere im Bereich des internationalen Anlagenbaus gegenüber ausländischen Konkurrenten mit geringeren Lohnkosten benachteiligt seien.2 Indessen sind es weniger die Ziele der Exportförderung, die im Vordergrund stehen; es sind vielmehr finanzielle Anreize zur Motivierung von inländischen Arbeitnehmern, die wohl kaum für Auslandseinsätze zu gewinnen wären, wenn sie für ihre Auslandseinkünfte hohe (deutsche) Steuern zahlen müssten. Im Hinblick darauf hat der Auslandstätigkeitserlass subventionierenden Charakter.

6.71

Die Steuerfreistellung aufgrund des Auslandstätigkeitserlasses führt zu einer Durchbrechung des Welteinkommensprinzips. Konzeptionell entsprechen die durch den Auslandstätigkeitserlass getroffenen Regelungen, die der Vermeidung der (virtuellen) Doppelbesteuerung dienen, der Freistellungsmethode, wie sie auf der Ebene der DBA, insbesondere bei Betriebsstätteneinkünften (Betriebsstättenprinzip) und Einkünften aus unbeweglichem Vermögen (Belegenheitsprinzip) durchaus üblich ist. Im innerstaatlichen Recht ist sie dagegen die Ausnahme.3 Zu weiteren Einzelheiten Rz. 18.132 ff.

3. Auslandsbezogene Verlustausgleichsbeschränkungen a) Verluste bei DBA Literatur: Kommentare zu Art. 23 OECD-MA; Eisenbarth/Hufeld, Die grenzüberschreitende Verlustverrechung in der Konsolidierungsphase, Das Verfahren „X Holding“ und die Grenzen der negativen Integration, IStR 2010, 309; Heckerodt, Finale Betriebsstättenverluste: Kein Mythos, sondern Realität!, Das Finalitätskriterium als tertium comparationis, IStR 2019, 171; Hey, Finale Verluste im nationalen und europäischen Recht, in Lüdicke/Mellinghoff/Rödder (Hrsg.), Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, FS für Gosch, München 2016, 161; Homburg, Die unheimliche Nummer Sechs – Eine Entscheidung zum Ausgleich grenzüberschreitender Konzernverluste, IStR 2010, 246; Kögel, Finale Verluste: Einige Verfahrensprobleme und ein Lösungsvorschlag, in Lüdicke/ Mellinghoff/Rödder (Hrsg.), Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, FS für Gosch, München 2016, 205; Kopec/Wellmann, Kein Finale für die finalen Verluste – Berücksichtigung von definitiven Betriebsstättenverlusten nach dem EuGH-Urteil Bevola, ISR 2019, 7; Niemann/Dosos, Verrechnung von „finalen“ Auslandsverlusten – auch nach „Timac Agro“!, DStR 2016, 1057; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020, Rz. 8.102 ff.; Panzer/Gebert, Ausnahmsweise Abzugs tatsächlicher finaler Verluste einer EU-Tochtergesellschaft bei

346; zur Vereinbarkeit der Altregelung mit Unionsrecht; vgl. EuGH-Vorlage des BFH v. 13.7.2021 – I R 2018, DStRE 2022, 146. 1 Zur Vereinbarkeit der Altregelung (BMF v. 31.10.1983 – IV B 6 - 52293 - 50/83, BStBl. I 1983, 470) mit Unionsrecht vgl. EuGH-Vorlage des BFH v. 13.7.2021 – I R 2018, DStRE 2022, 146. 2 Reinhart, DB 1983, 2246 (2247). 3 Vgl. zur Freistellungsmethode im innerstaatlichen Recht Schaumburg in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 269 ff.

190 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.71a Kap. 6 der inländischen Muttergesellschaft? – Eine Betrachtung vor dem Hintergrund der jüngsten Rechtsprechung des BFH –, IStR 2010, 781; Schlücke, Finale Verluste und kein Ende – Zugleich Besprechung der Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 10.1.2019 in den Rechtssachen C-607/17 (Memira Holding) und C-60B/17 (Holmen), ISR 2019, 132; Schnitger/Berliner, Die Anwendung der deutschen Organschaft bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, IStR 2011, 753; Schnitger, EuGH in der RS. Timac Agro zu finalen ausländischen Betriebsstättenverlusten – War es das bei der Freistellungsmethode? IStR 2016, 72; Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA-Kommentar, 2. Aufl., Köln 2019, Systematik Rz. 141 ff.; Schumacher, Das EuGH-Urteil Timac Agro – Was bleibt von der Rechtsfigur der finalen Verluste übrig?, IStR 2016, 473; Schulz-Trieglaff, Der BFH und finale Verluste bei ausländischen Tochtergesellschaften: das falsche Vergleichspaar, Anmerkung zum Urteil des BFH v. 9.11.2010 – I R 16/10, IStR 2011, 244; Schulz-Trieglaff, Abzug von „finalen“ Verlusten – klare Antworten, IWB 2022, 398; Stöber, grenzüberschreitende Organschaft im Lichte abkommensrechtlicher Diskriminierungsverbote und der Niederlassungsfreiheit BB 2011, 1943.

Die auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung auf Abkommensebene abzielende Freistellungsmethode bewirkt, dass die von ihr erfassten Einkünfte der Besteuerung durch den Quellenstaat verbleiben und von der Besteuerung im Wohnsitzstaat auszunehmen sind (Rz. 19.521 ff.). Zu diesen Einkünften zählen aus deutscher Sicht nicht nur positive Einkünfte, sondern auch Verluste, so dass zusätzliche negative Einkünfte – abgesehen von einem negativen Progressionsvorbehalt – im Inland grundsätzlich unberücksichtigt bleiben (sog. Symmetriethese).1 Die Nichtberücksichtigung derartiger Verluste unterliegt allerdings den unionsrechtlichen Schrankenwirkungen für den Fall, dass die Verluste sich im anderen EU/EWR-Staat nicht ausgewirkt haben (finale Verluste). Nachdem der EuGH die Nichtberücksichtigung finaler Verluste2 im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft bzw. des Unternehmens mit der Niederlassungsfreiheit für unvereinbar erklärt hat,3 ist zu einem späteren Zeitpunkt der symmetrische Ausschluss finaler Verluste für unionsrechtskonform akzeptiert worden,4 um sodann wiederum die Möglichkeit der Nutzung finaler Verluste zu eröffnen.5 Im Hinblick auf diese mäandrierende Rechtsprechung des EuGH hat der BFH die vorstehende Rechtsfrage dem EuGH erneut zur Vorabentscheidung vorgelegt.6 Es geht hierbei im Wesentlichen darum,

1 Ständige Rspr. z.B. BFH v. 22.9.2015 – I B 83/14, BFH/NV 2016, 375; v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFH/ NV 2014, 963; v. 9.6.2010 – I R 107/09, BFH/NV 2010, 1744; v. 3.2.2010 – I R 23/09, BStBl. II 2010, 593; v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630; v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; v. 29.11.2006 – I R 45/05, BStBl. II 2007, 398. 2 Ob und ggf. in welcher Höhe (ausländische) Verluste bestehen, richtet sich grundsätzlich nach den Einkünfteermittlungsvorschriften des deutschen Steuerrechts; EuGH v. 21.2.2013 – C-123/11, ECLI:EU:C:2013/83 – A; BFH v. 9.6.2010 – I R 3/09, BStBl. II 2010, 593; v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. 2009, 630; v. 29.1.12008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; v. 29.11.2006 – I R 45/05, BStBl. II 2007, 398. 3 EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763, Slg. 2005, I-10837 (Mutter-/Tochtergesellschaft) – Marks & Spencer; EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06, ECLI:EU:C:2015:829, BStBl. II 2016, 362 (Stammhaus/Betriebsstätte) – Lidl Belgium; Berücksichtigung im Finalisierungsjahr; BFH v. 9.1.2010 – I R 16/10, BFH/NV 2011, 524. 4 EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829, BStBl. II 2016, 362 (Stammhaus/Betriebsstätte) – Timac Agro Deutschland. 5 EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 (Stammhaus/Betriebsstätte) – Bevola und Jens W. Trock; auf der gleichen Linie EuGH v. 22.11.2018 – C-575/17, ECLI:EU:C:2018:943 – Sofina. 6 BFH v. 6.11.2019 – I R 32/18, FR 2020, 1150; Schlussanträge des Generalanwalts Collins v. 10.3.2022 in der EuGH-Rs. C-538/20 „W“, IStR 2022, 240; hierzu Schulz-Trieglaff, IWB 2022, 398.

Schaumburg | 191

6.71a

Kap. 6 Rz. 6.71a | Einkommensteuer

ob die Grundfreiheiten grenzüberschreitend auch die Berücksichtigung der ausländischen objektiven Leistungsfähigkeit gewährleisten.1 Vgl. zu Einzelheiten (Rz. 6.40). b) Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 2a Abs. 1 und 2 EStG Literatur: Kommentare zu § 2a Abs. 1 und 2 EStG; Baumgärtel/Perlet in Maßbaum/Meyer-Scharenberg/Perlet, Die deutsche Unternehmensbesteuerung im europäischen Binnenmarkt, Frankfurt 1994; von Brocke, Lidl Belgium und die praktischen Folgen, DStR 2008, 2201; Fleischmann, Auslandsverluste – Stiefkinder unseres Steuerrechts?, DStR 1983, 191 (193); Friauf, Steuergleichheit, Systemgerechtigkeit und Dispositionssicherheit als Prämissen einer rechtsstaatlichen Einkommensbesteuerung – zur verfassungsrechtlichen Problematik des § 2a EStG, StuW 1985, 308 ff.; Goebel/Schmidt, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung und das JStG 2009 – Anwendung des Progressionsvorbehalts bei Einkünften aus gewerblichen EU-/EWR- und Drittstaats-Betriebsstätten, IStR 2009, 620; Goertzen, Verfassungswidrige Beschränkung der Verlustverrechnung bei Auslandsbezug, EWS 1992, 93; Grützner, Berücksichtigung der Ergebnisse ausländischer Betriebsstätten in Organschaftsfällen iS der §§ 14, 17 KStG, GmbHR 1995, 502; Henkel, Zur Stellung des § 2a im Einkommensteuerrecht und im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Münster 1988; Hey, Können ausländische Verluste aus Vermietung trotz Freistellung nach DBA und § 2a EStG berücksichtigt werden?, RIW 2003, 557; Krabbe, Steuerliche Behandlung ausländischer Verluste nach § 2a EStG, RIW/AWD 1983 42; Kröner, Verrechnungsbeschränkte Verluste im Ertragsteuerrecht, Wiesbaden 1986; Krömker, Beschränkung des negativen Progressionsvorbehalts durch § 2a EStG, EStB 2011, 214; Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3; Loritz/Wagner, § 2a EStG und Europäische Gemeinschaft- und Verfassungsrechtliche und europarechtliche Fragen, BB 2001, 2266; Manke, Angeklagt: § 2a EStG – Plädoyer für und an den Gesetzgeber, DStZ 1984, 241; Rädler, Abzugsfähigkeit von Auslandsverlusten, FR 1983, 337 ff.; Rehm/Nagler, Zur Frage der Zulässigkeit der Einschränkung des steuerlichen Ausgleichs von Verlusten der Muttergesellschaft aus Abschreibungen auf Beteiligungswerte von EU-Tochtergesellschaften, GmbHR 2007, 500; Schaumburg, Besteuerung von Einkommen, DStJG 24 (2001), 225; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schaumburg, Das Nettoprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Tipke/Seer/Hey/Englisch (Hrsg.), Gestaltung der Steuerrechtsordnung, FS für Lang, Köln 2010; Schaumburg/Schaumburg, Steuerliche Leistungsfähigkeit und europäische Grundfreiheiten im Internationalen Steuerrecht, StuW 2005, 306; Scholten/Griemla, Beteiligungsstrukturen im Problemfeld des § 2a EStG – Der mehrstufige Kombinationsfall, IStR 2007, 306, 346, 615; Strobl/Schäfer, Berücksichtigung von Auslandsverlusten bei atypisch stiller Gesellschaft, IStR 1993, 206; Tipke, Hütet das Nettoprinzip!, in Kirchhof/Schmidt/Schön/Vogel (Hrsg.), Steuer- und Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl, FS für Raupach, Köln 2006, 177; Tipke, Bezüge und Abzüge im Einkommensteuerrecht, StuW 1980, 1; Tipke, Das Nettoprinzip – Angriff und Abwehr, dargestellt am Beispiel des Werkstorprinzips, BB 2007, 1525; Verfürth, Verlustausgleichsverbote im Einkommensteuerrecht, Diss. Köln 2002; Vogel, Besteuerung fiktiver Einkünfte, in Wendt/Höfling/Karpen/Oldiges (Hrsg.), FS für Friauf, Heidelberg 1996, 825; Weigell, Die Beschränkung des Ausgleichs ausländischer Verluste durch den neuen § 2a EStG, Gelsenkirchen 1986; Weinreich, Probleme des Verlustausgleichs über die Grenze, Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1994.

6.72

Aus dem Welteinkommensprinzip folgt, dass im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht nicht nur im Ausland erzielte positive, sondern auch dort erzielte negative Einkünfte in das zu versteuernde Einkommen eingehen müssen. Die Berücksichtigung sowohl positiver als auch negativer Einkünfte folgt aus § 2 Abs. 2 EStG, wonach prinzipiell nur Rein- oder Nettoein-

1 So ausdrücklich EuGH v. 22.11.2108 – C-575/17, ECLI:EU:C:2019-943, Rz. 53 – Sofina; vgl. hierzu Kofler in FS Lüdicke, 2019, 389 ff.; Schaumburg, ISR 2021, 135 (143 f.).

192 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.75 Kap. 6

künfte der Einkommensteuer unterliegen.1 Hierdurch wird das objektive Nettoprinzip2 positioniert, wonach im Grundsatz die uneingeschränkte Berücksichtigung von Erwerbsaufwendungen und damit zugleich auch von Verlusten geboten ist.3 Im Hinblick darauf sind auch negative Einkünfte aus dem Ausland grundsätzlich in den horizontalen und vertikalen Verlustausgleich einzubeziehen.4 Diese uneingeschränkte Verlustberücksichtigung als Ausprägung des objektiven Nettoprinzips führt zu einer legislativen Bindung auf Grund des gleichheitsrechtlichen Folgerichtigkeitsgebots; Ausnahmen von der Verlustberücksichtigung bedürfen daher eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes (Rz. 6.61). Durch den Verlustausgleich gem. § 2 Abs. 1 bis 3 EStG können bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte positive und negative Einkünfte eines Jahres verrechnet werden. Hierbei sind zunächst negative Einkünfte einer Einkunftsart mit positiven Einkünften derselben Einkunftsart auszugleichen (horizontaler Verlustausgleich). Sodann werden die verbleibenden positiven und negativen Einkünfte verschiedener Einkunftsarten ausgeglichen (vertikaler Verlustausgleich).5 Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, sind nach § 10d EStG durch Verlustabzug (Verlustvortrag/Verlustrücktrag) zu berücksichtigen (interperiodischer Verlustausgleich).6

6.73

§ 2a Abs. 1 und 2 EStG stellt eine Durchbrechung sowohl des Welteinkommensprinzips als auch des Nettoprinzips dar. Diese Vorschrift untersagt nämlich einen Verlustausgleich zwischen positiven inländischen Einkünften und negativen ausländischen Einkünften aus

6.74

– einer in einem Drittstaat belegenen land- und forstwirtschaftlichen oder gewerblichen Betriebsstätte (§ 2a Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG), – der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter und aus partiarischen Darlehen, wenn der Schuldner Wohnsitz, Sitz oder Geschäftsleitung in einem Drittstaat hat (§ 2a Abs. 1 Nr. 5 EStG), – der Vermietung oder der Verpachtung unbeweglichen Vermögens oder von Sachinbegriffen, wenn diese in einem Drittstaat belegen sind (§ 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a EStG). Darüber hinaus unterliegen auch inländische negative Einkünfte (Gewinnminderungen), soweit sie durch in einem Drittstaat veranlassten Aufwand entstanden sind, der Verlustausgleichsbeschränkung des § 2a EStG. Es handelt sich hierbei um negative Einkünfte aus – Anteilen an einer Drittstaaten-Körperschaft (§ 2a Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG) oder an einer nicht in einem Drittstaat ansässigen Zwischengesellschaft (§ 2a Abs. 1 Nr. 7 EStG), – der entgeltlichen Überlassung von Schiffen, wenn diese ausschließlich oder fast ausschließlich in Drittstaaten eingesetzt worden sind, es sei denn, es handelt sich um eine ausgerüstete Überlassung von einem Vercharterer oder um die Überlassung an nicht in Drittstaaten

1 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.54 ff.; Tipke, StuW 1980, 1 ff. 2 Zum normkonzipierenden Charakter des Nettoprinzips Kirchhof in K/S/M, § 2 EStG Rz. A 127; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 762 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.54; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 60 ff., 183 ff. 3 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.54 ff.; Lang, StuW 2007, 3 ff.; Tipke in FS Raupach, 177 ff.; Tipke, BB 2007, 1525 ff. 4 Schaumburg in FS Lang, 1099 ff. (1105 ff.); Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61 ff. (64 ff.). 5 Zum horizontalen und vertikalen Verlustausgleich im Einzelnen Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.60 ff. 6 Zu den Ausnahmen (Verlustverrechnungsbeschränkungen) vgl. Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.65 ff.

Schaumburg | 193

6.75

Kap. 6 Rz. 6.75 | Einkommensteuer

ansässige Ausrüster oder um eine nur vorübergehende Überlassung an in Drittstaaten ansässige Ausrüster (§ 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b EStG), – der Teilwertabschreibung oder Übertragung von in Drittstaaten belegenem unbeweglichen Vermögen oder der vorgenannten Schiffe (§ 2a Abs. 1 Nr. 6c EStG).

6.76

Derartige negative Einkünfte dürfen mit Ausnahme der in § 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b EStG genannten Fälle nur mit positiven Einkünften der jeweils selben Art aus demselben Staat ausgeglichen werden (per country limitation). Soweit ein solcher Ausgleich im Veranlagungszeitraum nicht möglich ist, dürfen die positiven Einkünfte der jeweils selben Art, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus demselben Staat erzielt, gemindert werden. Ein Verlustvor- und -rücktrag nach § 10d EStG ist ausgeschlossen. Verluste aus Anteilen an einer nicht in einem Drittstaat ansässigen Zwischengesellschaft (§ 2a Abs. 1 Nr. 7 EStG) unterliegen einer erweiterten Verlustausgleichsbeschränkung insoweit, als sie nur mit positiven Einkünften aufgrund von Tatbeständen der jeweils selben Art aus demselben Staat ausgeglichen werden dürfen.

6.77

§ 2a Abs. 1 EStG schränkt den Verlustausgleich auf allen drei Ebenen ein, so dass neben dem horizontalen und vertikalen Verlustausgleich (§ 2a Abs. 1 Satz 1 EStG) auch der interperiodische Verlustausgleich betroffen ist (§ 2a Abs. 1 Satz 3 EStG).1 Die Verlustausgleichsbeschränkung des § 2a EStG setzt bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte an und beeinflusst somit das zu versteuernde Einkommen, das nicht nur Steuerbemessungsgrundlage, sondern auch Bemessungsgrundlage für die Höhe des Steuersatzes (Steuersatz-Einkommen) ist.2 Hieraus folgt, dass § 2a Abs. 1 EStG auch zu einer Versagung der Progressionsmilderung durch Verluste führt. Dies gilt auch in jenen Fällen, in denen DBA einen (negativen) Progressionsvorbehalt vorsehen. Die Einbeziehung ausländischer Einkünfte in die Ermittlung des Steuersatz-Einkommens beruht nämlich allein auf deutschem Einkommensteuerrecht, das der Gesetzgeber ohne weiteres ändern kann. Der abkommensrechtliche Progressionsvorbehalt lässt diese Einbeziehung lediglich zu, hat insoweit also nur deklaratorische Wirkung. Damit schließt § 2a Abs. 1 EStG einen negativen Progressionsvorbehalt auch in Abkommensfällen aus,3 wobei dieser für den EU-/EWR-Bereich ohnehin ausgeschlossen ist (§ 32b Abs. 1 Satz 2 EStG).

6.78

Die vorgenannte Verlustausgleichsbeschränkung gilt im Hinblick insbesondere auf die unionsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) nicht in EU-/EWR-Fällen,4 soweit die hierdurch betroffenen Staaten Amtshilfe gewähren (§ 2a Abs. 2a Satz 2 EStG). Unter dem Gesichtspunkt der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV)5 sind aber auch Verluste aus

1 Vogel in K/S/M, § 2a EStG Rz. A 11, B 111. 2 Z.B. BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136; v. 12.12.1990 – I R 127/88, BFH/NV 1992, 104, v. 13.5.1993 – IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100 v. 12.1.2011 – I R 35/10, BStBl. II 2011, 494. Hierdurch kommt es im Ergebnis zu einer das Leistungsfähigkeitsprinzip verletzenden Besteuerung von fiktiven Einkünften; hierzu Vogel in FS Friauf, 825 (829 f.). 3 BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136; v. 13.5.1993 – IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100; v. 17.11.1999 – I R 7/99, BStBl. II 2000, 605; v. 12.1.2011 – I R 35/10, BStBl. II 2011, 494; v. 10.8.2011 – I R 45/10, BStBl. II 2012, 118; Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 2a EStG Rz. 8, 89 f. 4 EuGH v. 29.3.2007 – C-347/04, ECLI:EU:C:2007:194, Slg. 2007, I-2647 – Rewe Zentralfinanz. 5 Zum Verhältnis Niederlassungsfreiheit/Kapitalverkehrsfreiheit vgl. Rz. 4.34.

194 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.80 Kap. 6

Drittstaaten zu berücksichtigen,1 soweit im Einzelfall2 nicht die sog. Stand-Still-Klausel (Art. 64 AEUV) eingreift,3 wonach die bereits am 31.12.1993 existierenden Verlustausgleichsbeschränkungen des § 2a Abs. 1 AStG europarechtlich abgesegnet werden.4 Darüber hinaus wird sie für negative Einkünfte (Gewinnminderungen) aus bestimmten aktiven Tätigkeiten wieder aufgehoben (§ 2a Abs. 2 EStG). § 2a Abs. 1 EStG führt im Ergebnis dazu, dass für bestimmte ausländische und im Ausland veranlasste inländische Einkünfte, soweit sie positiv sind, das Welteinkommensprinzip, und, soweit sie auf Dauer negativ sind, das Territorialitätsprinzip gilt. Diese Durchbrechung sowohl des Welteinkommensprinzips5 als auch des objektiven Nettoprinzips hat die höchstrichterliche Rechtsprechung6 nicht als einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gewertet. Die Regelung in § 2a Abs. 1 und 2 EStG sei nicht grob sachwidrig. Es hätten sachbezogene Gründe bestanden, um zwischen Inlands- und bestimmten Auslandseinkünften zu unterscheiden. Dem Gesetzgeber sei es nämlich darum gegangen, unerwünschte Steuerersparnismöglichkeiten, die sich aus Verlustzuweisungsmodellen ergeben hätten, zu verhindern. Dass über dieses Ziel hinaus auch „gute“ Auslandsverluste durch die Regelung des § 2a Abs. 1 und 2 EStG betroffen würden, sei als Typisierung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.7

6.79

Mit dieser Rechtsprechung, die durch das BVerfG gedeckt ist,8 wird Art. 3 Abs. 1 GG weitgehend seiner individualrechtlichen Korrektivfunktion entkleidet und zum Formalprinzip entwertet. Eine auf bloße Verlusterzielung und damit auf Steuerersparnis ausgerichtete Tätigkeit mag zwar den Gesetzgeber berechtigen, ein Verlustausgleichs- und Verlustabzugsverbot zu statuieren, dies rechtfertigt indessen keine typisierenden Regelungen zu Lasten einer Mehrheit, deren Tätigkeit nicht auf Verlusterzielung ausgerichtet ist. Dies gilt umso mehr, als durch den Diskriminierungsrahmen des § 2a Abs. 1 EStG nicht nur Drittstaaten-Verluste, sondern auch in Drittstaaten veranlasste inländische Verluste betroffen sind, die mit unerwünschten ausländischen Verlustzuweisungsmodellen nichts zu tun haben. Darüber hinaus vermag § 2a Abs. 1 und 2 EStG eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung zwischen in- und ausländischen Verlusten ohnehin nicht zu erklären; was letztlich auch dazu geführt hat, dass § 2a Abs. 1 EStG i.d.F. vor dem JStG 2009 unionsrechtlich nicht haltbar war.9 Wegen der Konver-

6.80

1 Aufgrund des inzwischen weitreichenden Informationsaustauschs auch mit Drittstaaten besteht kein Grund, den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit generell einzuschränken; so aber Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 15. 2 Abzustellen ist auf den jeweiligen Tatbestand des § 2a Abs. 1 EStG. 3 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8.9. 4 Vgl. zur Stand-Still-Klausel Bannes/Holle, StuW 2017, 112. 5 Der BFH v. 26.3.1991 – IX R 162/85, BStBl. II 1991, 704 erkennt hierin keinen Systembruch. 6 Z.B. BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136; v. 12.12.1990 – I R 127/88, BFH/NV 1991, 820; v. 26.3.1991 – IX R 162/85, BStBl. II 1991, 704; v. 5.9.1991 – IV R 40/90, BStBl. II 1992, 192; v. 13.5.1993 – IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100; v. 29.5.2001 – VIII R 43/00, BFH/NV 2002, 14. 7 Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wird demgegenüber angenommen z.B. von Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 2; Hufeld in G. Kirchhof/Kulosa/Ratschow, § 2a EStG Rz. 69 ff.; Kaminski in Korn, § 2a EStG Rz. 16.1; Weigell, Die Beschränkung des Ausgleichs ausländischer Verluste durch den neuen § 2a EStG, 172; Friauf, StuW 1985, 308 ff.; Rädler, FR 1983, 337 ff.; Fleischmann, DStR 1983, 191 (193); Schaumburg in FS Tipke, 125 (133); Schaumburg, DStJG 24 (2001), 225 (245); Prokisch, DStJG 28 (2005), 229 (234); Kessler in Lehner, Verluste im nationalen und internationalen Steuerrecht, 2004, 83 ff. (109 ff.). 8 Z.B. BVerfG v. 31.5.1988 – 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214 (226 ff.); v. 27.3.1998 – 2 BvR 1986/93, 2 BvR 2058/92, 2 BvR 220/92, IStR 1998, 344, 376. 9 EuGH v. 29.3.2007 – C-347/04, ECLI:EU:C:2007:194, Slg. 2007, I-2647 – Rewe Zentralfinanz.

Schaumburg | 195

Kap. 6 Rz. 6.80 | Einkommensteuer

genz der Gleichheitsrechte1 gilt dies auch für Art. 3 Abs. 1 GG insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Folgerichtigkeit, der Ausnahmen nur bei besonderen, sachlich rechtfertigenden Gründen zulässt,2 die hier nicht gegeben sind.3

6.81

Dem § 2a Abs. 1 und 2 EStG liegt keine einheitliche Konzeption zugrunde. Die Auswahl der in dem Diskriminierungskatalog erfassten Verluste (Gewinnminderungen) erscheint willkürlich.

6.82

Zu den beschränkt ausgleichsfähigen Verlusten4 im Einzelnen:

6.83

– Verluste aus einer in einem Drittstaat belegenen land- und forstwirtschaftlichen Betriebsstätte5 (§ 2a Abs. 1 Nr. 1 EStG) unterfallen uneingeschränkt der Verlustausgleichsbeschränkung, und zwar unabhängig davon, unter welche Einkunftsart diese Verluste fallen.6 Nach der gesetzgeberischen Motivation sollten vor allem konzeptionell verlustbringende Tierfarmen – etwa in Paraguay – getroffen werden; tatsächlich werden aber generell Verluste aus Land- und Forstwirtschaft der Ausgleichsbeschränkung unterworfen, obwohl die Land- und Forstwirtschaft nach den Wertungen des deutschen Einkommensteuerrechts durchweg als besonders förderungswürdig angesehen wird. So werden land- und forstwirtschaftliche Einkünfte einerseits etwa durch den Freibetrag nach § 13 Abs. 3 EStG und durch die Gewinnermittlung nach § 13a EStG privilegiert und gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 AStG als „gute“ Einkünfte eingestuft, andererseits aber durch § 2a Abs. 1 Nr. 1 EStG als „böse“ Einkünfte diskriminiert. Dieser Wertungswiderspruch ist nicht auflösbar.7 Schließlich verstößt es gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass von der Reichweite der Aktivitätsklausel des § 2a Abs. 2 EStG landund forstwirtschaftliche Verluste nicht erfasst werden.8 Sind die (negativen) Einkünfte aus land- und forstwirtschaftlichen Betriebsstätten in Drittstaaten aufgrund von DBA freigestellt (Belegenheitsprinzip), können die ausländischen Verluste ohnehin nicht mit inländischen (positiven) Einkünften ausgeglichen werden, weil die abkommensrechtliche Freistellung bewirkt, dass sowohl positive als auch negative Einkünfte aus der Bemessungsgrundlage auszunehmen sind (Rz. 6.88 f.). Insoweit wirkt sich § 2a Abs. 1 Nr. 1 EStG nur auf den negativen Progressionsvorbehalt aus.

1 Hierzu Schaumburg/Schaumburg, StuW 2005, 306 (307 f.). 2 Vgl. BVerfG v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, 27 (48); v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (180 f.); v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/ 08, BVerfGE 122, 210; v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (121); v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/ 09, BVerfGE 126, 268 (278); v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224 (245); v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/19, BVerfGE 145, 106 Rz. 104. 3 Dass die in Betracht kommenden Gründe unzureichend sind, hat der EuGH v. 29.3.2007 – C-347/ 04, ECLI:EU:C:2007:194, Slg. 2007, I-2647 – Rewe Zentralfinanz eindrucksvoll belegt. 4 Die negativen Einkünfte aus Drittstaaten sind nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln; BFH v. 22.5.1991 – I R 32/90, BStBl. II 1992, 94; Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 2a EStG Rz. 24; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 12. 5 Der Begriff der Betriebsstätte ergibt sich aus § 12 AO. 6 Für die Einkünftequalifikation gilt die isolierende Betrachtungsweise, so dass die Subsidiaritätsklauseln (§§ 20 Abs. 2; 21 Abs. 3 EStG) suspendiert sind; BFH v. 13.5.1993 – IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100; v. 17.11.1999 – I R 7/99, BStBl. II 2000, 605; v. 31.3.2004 – I R 71/03, BStBl. II 2004, 742. 7 A.A. BFH v. 13.5.1993 – IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100. 8 A.A. BFH v. 12.12.1990 – I R 127/88, BFH/NV 1992, 104; v. 13.5.1993 – IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100.

196 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.84 Kap. 6

– Verluste aus einer in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte (§ 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG),1 zu der auch die Beteiligung an einer ausländischen Personengesellschaft zählt, soweit diese im Ausland eine Betriebsstätte unterhält,2 unterliegen nur dann der Verlustausgleichsbeschränkung, wenn ihnen Tätigkeiten zugrunde liegen, die in § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG nicht als förderungswürdig anerkannt werden. Aufgrund der vorgenannten Aktivitätsklausel sind danach begünstigt die Herstellung oder Lieferung von Waren, außer Waffen, die Gewinnung von Bodenschätzen sowie sonstige gewerbliche Leistungen, soweit diese nicht in der Errichtung oder in dem Betrieb von Fremdenverkehrseinrichtungen oder in der Vermietung oder der Verpachtung von Wirtschaftsgütern einschließlich der Überlassung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen bestehen. Als gewerbliche Leistungen gelten auch die unmittelbare Beteiligung von mindestens einem Viertel an einer ausländischen Kapitalgesellschaft sowie die mit dem Halten dieser Beteiligung im Zusammenhang stehende Finanzierung, vorausgesetzt, die ausländische Kapitalgesellschaft übt die vorgenannten aktiven Tätigkeiten entweder selbst oder etwa über ihre nachgeschalteten Kapitalgesellschaften aus.3 Damit werden unter den vorgenannten Voraussetzungen auch bestimmte Holdingfunktionen aus dem Diskriminierungsrahmen des § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgenommen.4 § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG enthält Plausibilitätsdefizite. So ist nicht erkennbar, warum bestimmte Verluste aus ausländischen gewerblichen Betriebsstätten der Verlustausgleichsbeschränkung unterworfen sind, Verluste aus einer entsprechenden Tätigkeit von ständigen Vertretern dagegen nicht.5 In beiden Fällen handelt es sich um ausländische Einkünfte, für die die aus § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG erkennbare Wertung gleichermaßen zutrifft. Einen Wertungswiderspruch bedeutet es auch, dass durch § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG in den Fällen der mittelbar ausgeübten aktiven Tätigkeit der ausländischen Betriebsstätte nur unmittelbare Beteiligungen von mindestens einem Viertel aus dem Diskriminierungsrahmen des § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgenommen werden. Diskriminiert bleiben daher stets im ausländischen Betriebsvermögen gehaltene Kapitalbeteiligungen von weniger als einem Viertel. Im Hinblick auf die sich aus § 8 Abs. 1 Nr. 8 u. 9 AStG ergebenden Wertungen sind die in § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG getroffenen Regelungen insoweit unverständlich. Schließlich ergibt sich aus § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auch keine Beschränkung in dem Sinne, dass passive Betriebsstättenverluste nicht mit aktiven Betriebsstättengewinnen in demselben Staat verrechnet werden dürfen.6 Sind die Betriebsstätteneinkünfte aufgrund von DBA im Inland freigestellt (Betriebsstättenprinzip), führt dies grundsätzlich zur Nichtberücksichtigung entsprechender Verluste (sog 1 Maßgeblich ist der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO (BFH v. 17.11.1999 – I R 7/99, BStBl. II 2000, 605); für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und in der Folge von Einkünften gelten ebenfalls (nur) die Grundsätze des deutschen Steuerrechts; vgl. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 18. 2 Z.B. BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; zu Besonderheiten im Zusammenhang mit einer atypisch stillen Gesellschaft Strobl/Schäfer, IStR 1993, 206 ff. 3 Zum Aktivitätskatalog des § 2a Abs. 2 EStG im Einzelnen Herkenroth/Striegel, H/H/R, § 2a EStG Rz. 100 ff. 4 Für den Aktivitätstest wird letztlich auf die letzte Beteiligungsstufe abgestellt; Baumgärtel/Perlet in Maßbaum/Meyer-Scharenberg/Perlet, Die deutsche Unternehmensbesteuerung im europäischen Binnenmarkt, 740; Scholten/Griemla, IStR 2007, 346 (350 ff.). 5 Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 2a EStG Rz. 30. 6 Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 2a EStG Rz. 77; Heinicke in Schmidt41, § 2a EStG Rz. 41; Moser, DStZ 2021, 277; a.A. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a Rz. 40, 42; Wagner in Brandis/Heuermann, § 2a EStG Rz. 140; R 2a Abs. 2 Satz 2 EStR.

Schaumburg | 197

6.84

Kap. 6 Rz. 6.84 | Einkommensteuer

Symmetriethese).1 Insoweit hat § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG lediglich Bedeutung für den negativen Progressionsvorbehalt, falls dieser nicht ohnehin ausgeschlossen ist (§ 32b Abs. 1 Satz 2 EStG).

6.85

Verluste bzw. Gewinnminderungen aufgrund einer Teilwertabschreibung (§ 2a Abs. 1 Nr. 3a EStG), aus der Veräußerung oder Entnahme von zu einem Betriebsvermögen gehörenden Anteilen an Drittstaaten-Körperschaften oder aus der Auflösung oder der Herabsetzung des Kapitals einer derartigen Körperschaft (§ 2a Abs. 1 Nr. 3b EStG) unterliegen nur dann nicht der Verlustausgleichsbeschränkung, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die ausländische Körperschaft entweder seit ihrer Gründung oder während der letzten fünf Jahre und in dem maßgeblichen Veranlagungszeitraum selbst eine aktive Tätigkeit i.S.d. § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG ausgeübt hat (§ 2a Abs. 2 Satz 2 EStG). § 2a Abs. 1 Nr. 3 EStG soll der Gleichstellung von Betriebsstätten einerseits und Tochtergesellschaften andererseits in dem Sinne dienen, dass mittelbare Verluste ebenso der Verlustausgleichsbeschränkung unterworfen sind wie unmittelbare Verluste.2 Die vorstehende Verlustausgleichsbeschränkung gilt gem. § 2a Abs. 1 Nr. 4 EStG für unter § 17 EStG fallende Anteile an Drittstaaten-Kapitalgesellschaften sinngemäß.3 Mit dieser „Gleichstellung“ ist der Gesetzgeber allerdings weit über das Ziel hinausgegangen, so dass § 2a Abs. 1 Nr. 3 EStG auf einer höheren Diskriminierungsebene angesiedelt ist als § 2a Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG. So sind etwa Gewinnminderungen aufgrund von Teilwertabschreibungen bloß vermögensverwaltender Tochtergesellschaften der Verlustausgleichsbeschränkung stets unterworfen, während unmittelbare Verluste aus vermögensverwaltender Tätigkeit im Ausland, abgesehen von § 2a Abs. 1 Nr. 5 EStG und von Vermietung und Verpachtung unbeweglichen Vermögens oder von Sachinbegriffen (§ 2a Abs. 1 Nr. 6 EStG), nicht diskriminiert sind.4 Da Gewinne aus der Veräußerung und dieser gleichgestellten Vorgängen auf Abkommensebene grundsätzlich dem jeweiligen Wohnsitzstaat zur Besteuerung zugewiesen sind, hat § 2a Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG auch bei Anwendung von DBA uneingeschränkt Bedeutung.5 Einschränkungen ergeben sich allerdings unter dem Gesichtspunkt der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) in den Fällen, in denen die sog. Stand-Still-Klausel (Art. 64 AEUV) nicht eingreift.6

6.86

– Aus dem Bereich der Kapitaleinkünfte werden gem. § 2a Abs. 1 Nr. 5 EStG lediglich Verluste aus stillen Gesellschaften7 und partiarischen Darlehen der Verlustausgleichsbeschränkung unterworfen. Eine Ausnahme hiervon sieht die Aktivitätsklausel des § 2a Abs. 2 EStG nicht vor. Mit der Einbeziehung der vorgenannten Verlustkategorien in den Regelungsbereich des § 2a Abs. 1 EStG verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, ein Ausweichen ausländischer Verlust-

1 2 3 4

Herkenroth/Striegel in H/H/R § 2a EStG Rz. 8; vgl. ferner Rz. 6.88 f. Vogel in K/S/M, § 2a EStG Rz. B 25. Zu Einzelheiten Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 24. § 2a Abs. 1 Nr. 3 EStG wird für verfassungswidrig gehalten z.B. von Goertzen, EWS 1992, 93 (96 ff.). 5 Im Übrigen gelten §§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG und § 8b Abs. 3 KStG ohnehin. 6 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8.10 f. 7 Erfasst werden nur typisch stille Beteiligungen; atypisch stille Beteiligungen fallen unter § 2a Abs. 1 Nr. 2 EStG; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 26.

198 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.87 Kap. 6

konstruktionen auf stille Gesellschaften zu unterbinden.1 Die partiarischen Darlehen wurden wegen der Schwierigkeit der Abgrenzung ggü. der stillen Beteiligung miterfasst.2 Dass stille Beteiligungen an in Drittstaaten ansässigen Handelsgesellschaften ausnahmslos wirtschaftlich als nicht sinnvoll qualifiziert werden, geht weit über die Zielsetzung des § 2a Abs. 1 und 2 EStG hinaus. So ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen die Aktivitätsklausel des § 2a Abs. 2 EStG nicht auch stille Beteiligungen erfasst. Wegen dieser fehlenden Differenzierung sind Verluste aus stillen Beteiligungen im Gegensatz zu solchen aus mitunternehmerischen Beteiligungen an in Drittstaaten ansässigen Personengesellschaften selbst dann nicht mit positiven inländischen Einkünften ausgleichsfähig, wenn das ausländische Handelsgewerbe, an dem die stille Beteiligung besteht, eine aktive Tätigkeit i.S.d. § 2a Abs. 2 EStG ausübt.3 Die Einbeziehung partiarischer Darlehen ist ohnehin ungerechtfertigt, weil es hier nur zu Verlusten kommen kann, wenn die Werbungskosten die Einnahmen übersteigen: Hierdurch wird das objektive Nettoprinzip verletzt mit der Folge, dass im Ergebnis Roheinnahmen der Besteuerung unterworfen werden.4 Da Einkünfte aus stillen Beteiligungen und aus partiarischen Darlehen auf Abkommensebene der Besteuerung durch den Wohnsitzstaat zugeordnet sind, ergeben sich durch DBA keine Einschränkungen für die Anwendung des § 2a Abs. 1 EStG. Soweit typisch stille Beteiligungen und partiarische Darlehen nicht als Direktinvestitionen oder als Finanzdienstleistungen zu qualifizieren sind, greift die sog. Stand-Still-Klausel (Art. 64 AEUV) nicht ein, so dass die Verlustausgleichsbeschränkung an der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) zu messen ist.5 – Neben Verlusten aus der Vermietung oder Verpachtung von in Drittstaaten belegenem unbeweglichen Vermögen und Sachinbegriffen (§ 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a EStG) werden in die Verlustausgleichsbeschränkung auch Verluste aus der entgeltlichen Überlassung von Schiffen einbezogen, wenn diese ausschließlich oder fast ausschließlich in Drittstaaten eingesetzt worden sind, es sei denn, es handelt sich um eine ausgerüstete Überlassung von einem Vercharterer oder um die Überlassung an nicht in Drittstaaten ansässige Ausrüster (§ 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b EStG). Darüber hinaus werden auch Verluste aus einer Teilwertabschreibung oder aus der Übertragung von im Betriebsvermögen gehaltenem vorbezeichneten Grundbesitz oder zu einem Betriebsvermögen gehörenden Schiffen erfasst (§ 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. c EStG).6 § 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a EStG verdankt seine Entstehung dem seinerzeitigen Angebot steuersparender ausländischer Bauherren- und Leasingmodelle,7 die nicht zuletzt aber gerade deshalb steuerlich Bedeutung gewannen, weil Deutschland in Abkehr vom traditionellen Abkommensmuster in den DBA mit der Schweiz und mit Spanien die Steueranrechnung als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung durchgesetzt hatte. Erst dadurch konnten Verluste aus Immobilieninvestitionen in diesen Ländern im Inland steuerlich geltend gemacht werden. § 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a EStG stellt sich insoweit als ein Korrektiv zu den vorgenannten DBA dar.8 Gemessen an dem von § 2a Abs. 1 Nr. 6 EStG verfolgten

1 2 3 4 5 6 7 8

Hierzu Vogel in K/S/M, § 2a EStG Rz. B 50; Krabbe, RIW 1983, 42. Vgl. den Hinweis bei Vogel in K/S/M, § 2a EStG Rz. B 50. Zur Kritik auch Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 26; Kaminski in Korn, § 2a EStG Rz. 45. Zur Kritik Vogel in K/S/M, § 2a EStG Rz. B 50 ff., 72 ff. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 15. Zu Einzelheiten Vogel in K/S/M, § 2a Est Rz. B 60 ff.; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 28 ff. Krabbe, RIW/AWD 1983, 42 (44); Manke, DStZ 1984, 241 ff. Hierzu im Einzelnen Flick in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 93 (100).

Schaumburg | 199

6.87

Kap. 6 Rz. 6.87 | Einkommensteuer

Zweck ist schließlich unklar, aus welchen Gründen die Vermietung von Sachinbegriffen, nicht aber die Vermietung einzelner Sachen im Ausland in die Verlustausgleichsbeschränkung einbezogen ist. Soweit aufgrund von DBA Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen im Wohnsitzstaat freigestellt sind, hat § 2a Abs. 1 Nr. 6 EStG nur Bedeutung für den negativen Progressionsvorbehalt, soweit dieser nicht ohnehin ausgeschlossen ist (§ 32b Abs. 1 Satz 2 EStG). Im Übrigen sind gegen die Verlustausgleichsbeschränkungen des § 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a EStG die Schrankenwirkungen der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) gerichtet, soweit nicht die sog. Stand-Still-Klausel (Art. 64 AEUV) eingreift.1 In den Fällen des § 2a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b EStG kommt dagegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) wegen des Vorrangs der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 (AEUV) zur Anwendung.

6.88

– § 2a Abs. 1 Nr. 7 EStG erweitert die Verlustausgleichsbeschränkung auf Verluste aus einer Teilwertabschreibung, aus der Veräußerung oder Entnahme eines Anteils sowie aus der Auflösung oder Herabsetzung des Kapitals an einer nicht in einem Drittstaat ansässigen Zwischengesellschaft, soweit die Verluste auf Tätigkeiten zurückzuführen sind, die unter den Katalog des § 2a Abs. 1 Nr. 1 bis 6 EStG fallen. Durch diese Regelung soll eine Umgehung der Verlustausgleichsbeschränkung durch Zwischenschaltung insbesondere inländischer Körperschaften vermieden werden.2

4. Auslandsbezogene Ausgabenabzugsbeschränkungen (Überblick) 6.88a

Folgende auslandsbezogene Ausgabenabzugsbeschränkungen sind von Bedeutung: – Schmiergelder Insbesondere Betriebsausgaben sind gem. § 160 AO regelmäßig nicht abziehbar, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Empfänger genau zu benennen (§ 160 AO). Ein vergleichbares Ausgabenabzugsverbot enthält § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG. Angesprochen sind in beiden Fällen vor allem grenzüberschreitende Schmiergeldzahlungen. Zu Einzelheiten Rz. 22.49. – Tonnagebesteuerung Das Ausgabenabzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 11 EStG zielt auf die Verhinderung von Steuervorteilen ab, die durch Aufspaltung des Gewinns aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr (pauschalierte Besteuerung der Betriebsgesellschaft gem. § 5a EStG) einerseits und einer Besitzgesellschaft (Normalbesteuerung) andererseits entstehen können. Zu Einzelheiten Rz. 6.102 ff. – Zinsschranke Die in § 4h EStG verankerte Zinsschranke will verhindern, dass international tätige Unternehmen mittels grenzüberschreitender Fremdkapitalfinanzierung seitens ausländischer nachgeschalteter Gesellschaften in Deutschland erwirtschaftete Erträge in das Ausland transferieren. Zu Einzelheiten Rz. 6.106a.

1 Vgl. hierzu im Einzelnen Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8.12. 2 Zu Einzelheiten Vogel in K/SM, § 2a EStG Rz. B 75 ff.

200 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.90 Kap. 6

– Abzugsverbot für Sonderbetriebsausgaben Nach § 4i EStG ist ein Abzug von Sonderbetriebsausgaben im Rahmen der inländischen Gewinnermittlung bei Mitunternehmerschaften ausgeschlossen, falls sich die Aufwendungen im Ausland steuermindernd ausgewirkt haben. Zu Einzelheiten Rz. 6.111 ff. – Lizenzschranke § 4j EStG enthält ein partielles Ausgabenabzugsverbot für Lizenzgebühren, die (grenzüberschreitend) an nahestehende Personen gezahlt werden, die im Ausland einer von der Regelbesteuerung abweichenden niedrigen Besteuerung unterliegen. Zu Einzelheiten Rz. 6.113 ff. – Hybrid-Schranke Durch § 4k EStG wird vor allem der Betriebsausgabenabzug für bestimmte Aufwendungen im Zusammenhang mit hybriden Gestaltungen versagt, sofern entsprechende Erträge beim (ausländischen) Gläubiger nicht besteuert werden. Zu Einzelheiten Rz. 6.115 ff.

X. Umfang der Besteuerung 1. Steuerbare Einkünfte Literatur: Kommentare zu § 2 Abs. 1 EStG; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, Rz. 8.121 ff.; Birk, Einkommen, Einkünftearten und Einkünfteermittlung, DStJG 32 (2011), 11; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Köln 1981/88, 258 ff.; Pferdmenges, Einkünfteerzielungsabsicht, Düsseldorf 1990; Escher, Steuerliche Liebhaberei und Subjektbezug, Aachen 2005; Falkner, Die Einkünfteerzielungsabsicht als subjektives Besteuerungsmerkmal, Frankfurt a.M. 2009; Urban, Die Einkünfteerzielungsabsicht in der Systematik des Einkommensteuergesetzes, Baden-Baden 2010; Toifl, Der subjektive Tatbestand im Steuer- und Steuerstrafrecht, Wien 2010; Kirchhof/Pezzer/ Dötsch/Schön/Sieker/Weber-Grellet, Subjektive Tatbestandsmerkmale im Steuerrecht, DStR 2007, Beil. 39; Waldhoff, Struktur und Funktion des Steuertatbestandes in Mellinghoff/Schön/Viskorf (Hrsg.), FS Wolfgang Spindler, Köln 2011, 853.

Die dem Welteinkommensprinzip entsprechende weltweite Besteuerung erfasst in- und ausländische Einkünfte gleichermaßen, soweit sie während der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt werden oder erzielt worden sind (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EStG).1 Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass überhaupt steuerbare Einkünfte i.S.d. in § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG aufgeführten sieben Einkunftsarten vorliegen. Hierzu gehören nicht diejenigen Einkünfte, die nicht unter den abschließend aufgezählten Einkünftekatalog (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EStG) fallen (objektiv nicht steuerbare Einkünfte) sowie solche, bei denen eine Einkünfteerzielungsabsicht zu verneinen ist (subjektiv nicht steuerbare Einkünfte).2

6.89

Eine derartige Einkünfteerzielungsabsicht fehlt insbesondere in den Fällen der Liebhaberei,3 wozu nicht nur durch private Neigung geprägte Tätigkeiten, sondern auch berufliche Tätigkeiten gehören, wenn sie bei objektiver Betrachtung zur Erzielung eines Totalgewinns/-überschuss ungeeignet sind.4 Für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft und selb-

6.90

1 Zu den Durchbrechungen des Welteinkommensprinzips Rz. 6.61 ff. 2 Zu Einzelheiten Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 79 f.; 345 ff. 3 Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 346 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.133 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 663 ff. 4 Grundlegend BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751; zu Einzelheiten mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 380 ff.

Schaumburg | 201

Kap. 6 Rz. 6.90 | Einkommensteuer

ständiger Arbeit (Gewinneinkünfte) sind hierbei in erster Linie die Vorschriften über den Bestandsvergleich (§§ 4, 5 EStG) maßgebend und für die Überschusseinkünfte die Vorschriften über den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§§ 8, 9, 11 EStG). Unberücksichtigt bleiben dabei objektiv nicht steuerbare Einkünfte, die also bereits ihrer Art nach nicht unter die sieben Einkunftsarten fallen. Einzubeziehen sind dagegen aber ausländische Einkünfte, und zwar auch dann, wenn sie aufgrund Abkommensrechts steuerfrei sind.1

2. Zeitliche Zuordnung Literatur: Kommentare zu § 2 Abs. 2 EStG; Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, § 9 Rz. 400 ff.; Gosch, Die Zeit im Abkommensrecht, in Festgabe Wassermeyer, München 2015, 209; Gosch, Über die Zeit im Abkommensrecht, IStR 2015, 709 ff.

6.91

Es werden nur diejenigen unter die sieben Einkommensarten fallenden Einkünfte erfasst, die während der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt werden oder erzielt worden sind. Entsprechend dem Dualismus der Einkunftsarten (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 EStG), der dem Einkommensteuergesetz als Konzeption zugrunde liegt, ist hierbei zwischen Gewinneinkünften und Überschusseinkünften zu unterscheiden: Bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (§§ 4 Abs. 1, 5 EStG) richtet sich der Zeitpunkt der Einkünfteerzielung nach dem Realisationsprinzip und dem Imparitätsprinzip als den Prinzipien der Gewinn- und Verlustrealisierung.2 Bei Überschusseinkünften und bei der Gewinnermittlung durch Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) gilt dagegen im Grundsatz das Zu- und Abflussprinzip (§ 11 EStG).

6.92

Im internationalen Kontext ist allerdings nicht die bloß rechtstechnische Anknüpfung an Zufluss und Abfluss, sondern die Orientierung am Veranlassungsprinzip geboten. Für die zeitliche Zuordnung ist daher allein von Bedeutung, wann die den Einkünften zugrunde liegende Erwerbstätigkeit erfolgt ist, also die betreffenden, steuerbegründeten Tatbestandsmerkmale verwirklicht worden sind.3 Das in § 11 EStG verankerte Zu- und Abflussprinzip vermag dem gegenüber das Veranlassungsprinzip nicht zu verdrängen.4 Diese Grundsätze führen dazu, dass etwa nachträgliche Vergütungen für eine früher im Ausland ausgeübte nicht selbständige Tätigkeit eines früher nur im Ausland unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmers im Inland nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, wenn diese nachträglichen Vergütungen zu einem Zeitpunkt nach Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland (Zuzug) zufließen. Diese für die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht maßgebliche Zeitzuordnung entspricht auch derjenigen, die im Rahmen der beschränkten Einkommensteuerpflicht Geltung hat (Rz. 6.151).5

1 Zur Einbeziehung auch steuerfreier Einkünfte generell Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 515; zur abkommensrechtlichen Freistellungsmethode Rz. 19.521 ff. 2 Vgl. hierzu Hennrichs in Tipke/Lang24, Rz. 9.400 ff. 3 Vgl. BFH v. 20.9.2006 – I R 59/05, BStBl. II 2007, 756; Gosch, IStR 2015, 709 (712); zum Abkommensrecht BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, ISR 2014, 273 m. Anm. Haase = BStBl. II 2014, 703; v. 20.5.2015 – I R 75/14, BFH/NV 2015, 1687. 4 BFH v. 20.9.2006 – I R 59/05, BStBl. II 2007, 756 (758); Gosch, IStR 2015, 709 (714); Gosch in FG Wassermeyer, 209 (218); a.A. Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 82. 5 Zur Zeitzuordnung bei in- und ausländischen Betriebsstätteneinkünften Rz. 21.95 ff.

202 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.93 Kap. 6

3. Persönliche Zurechnung Literatur: Kommentare zu § 2 Abs. 1 EStG; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, Rz. 8.150 ff.; Stadie, Die persönliche Zurechnung von Einkünften, Berlin 1983; Tipke, Die Übertragung von Einkunftsquellen im Steuerrecht, DStJG, Band 1 (1978); L. Schmidt, Subjektive Zurechnung von Einkünften, StbJb 1980/81, 115 ff.

Ebenso wie für die zeitliche Zuordnung ist auch für die persönliche Zurechnung von Einkünften § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG die maßgebliche Rechtsgrundlage. Danach sind die Einkünfte der Person zuzurechnen, die sie erzielt. In Orientierung an dem auch insoweit geltenden Veranlassungsprinzip ist hierbei darauf abzustellen, wer die maßgeblichen Einkünfte erwirtschaftet.1 Im Zusammenhang mit der Vermeidung grenzüberschreitender Einkünfteverlagerungen haben vor allem folgende (Sonder-)Regelungen Bedeutung: – Steuerumgehung (§ 42 AO): Werden unangemessene rechtliche Gestaltungen, etwa durch Zwischenschaltung ausländischer Basisgesellschaften, gewählt, um hierdurch einen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil zu beanspruchen, entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (§ 42 Abs. 1 Satz 3 AO). Diese Rechtsfolge kann bei Einschaltung ausländischer Basisgesellschaften zu einer anderweitigen persönlichen Zurechnung zu den hinter diesen Gesellschaften stehenden natürlichen oder juristischen Personen führen (Rz. 13.23 ff.).2 – Erweitert beschränkte Einkommensteuerpflicht: Sind erweitert beschränkt Steuerpflichtige (§ 2 AStG) an im Ausland zwischengeschalteten Kapitalgesellschaften (Zwischengesellschaften; vgl. Rz. 13.4) beteiligt, werden deren Einkünfte den erweitert beschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern zugerechnet (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AStG; vgl. Rz. 6.363 ff.) – Familienstiftungen: Einkünfte ausländischer Familienstiftungen werden dem Stifter, wenn er unbeschränkt steuerpflichtig ist, sonst den unbeschränkt steuerpflichtigen Personen, die bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind, entsprechend ihrem Anteil zugerechnet (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AStG; vgl. Rz. 14.1 ff.).

4. Einkunftsartenzuordnung Literatur: Kommentare zu § 2 Abs. 1, 15 Abs. 2 EStG; Bachmann, Die internationale Betriebsaufspaltung, Frankfurt a.M. 2004; Becker/Gümbel, Betriebsaufspaltung über die Grenze, in FS Schmidt, München 1993, 483; v. Beckerath, Einkunftsarten, in Festschrift Kirchhof, Heidelberg 2013, II § 171; Dehmer, Betriebsaufspaltung, 3. Aufl. München 2015, § 9; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Köln 2021, Rz. 8.400 ff.; Kaligin, Die Betriebsaufspaltung, 9. Aufl. Berlin 2015, 277 ff.; Söffing/Micker, Die Betriebsaufspaltung, 5. Aufl. Herne 2013; Söffing/Thonemann, Gewerblicher Grundstückshandel und private Veräußerungsgeschäfte mit Grundstücken, 3. Aufl. Herne 2011; Schmidt-Liebig, Gewerbliche und private Grundstücksgeschäfte, 4. Aufl. Bielefeld 2002; Tipke, Steuerliche Ungleichbehandlung durch einkunfts- und vermögensartdifferente Bemessungsgrundlagenermittlung und Sachverhaltsverifizierung, in FS Kruse 2011, 215; Wernsmann, Einkunftsartenabgrenzung, in FS BFH, Köln 2018, 1229; Zugmaier, Einkünftequalifikation im Einkommensteuerrecht bei Einzelpersonen, StuW 1998, 334.

1 Zu Einzelheiten Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 100 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.150 ff. 2 Zum Konkurrenzverhältnis zu § 7 AStG Rz. 13.36 ff.

Schaumburg | 203

6.93

Kap. 6 Rz. 6.94 | Einkommensteuer

6.94

Die steuerlichen Belastungswirkungen hängen im Wesentlichen davon ab, welchen Einkunftsarten die vom Steuerpflichtigen erzielten Einkünfte zuzuordnen sind.1 Die Einkunftsartenzuordnung bedingt stets eine Abgrenzung zwischen den sieben Einkunftsarten. Abzustellen ist hierbei allein auf die im Einkommensteuergesetz verankerten Regelungen, die allerdings auf Abkommensebene keine Bedeutung haben (Rz. 19.211 ff.). Zu den im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht geltenden Regelungen gehören u.a. § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG, wonach Einkünfte aus Gewerbebetrieb nur dann vorliegen, wenn die zugrunde liegende Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft, noch als Ausübung eines freien Berufs, noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist. Darüber hinaus führt die Anwendung der Subsidiaritätsregeln in §§ 20 Abs. 8, 21 Abs. 3, 22 Nr. 3 EStG dazu, dass die Zuordnung zu den Gewinneinkunftsarten Vorrang hat.2

6.95

Für die Zuordnung zu einer der sieben Einkunftsarten spielt es keine Rolle, ob die betreffenden Einkünfte im In- oder Ausland erzielt worden sind. Das hat in den Fällen einer grenzüberschreitenden Betriebsaufspaltung mit inländischem Besitzunternehmen und ausländischer Betriebsgesellschaft zur Folge, dass nach den allgemeinen Grundsätzen3 Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) gegeben sind, wobei es nicht darauf ankommt, ob die ausländische Betriebsgesellschaft eine Betriebsstätte im Inland unterhält.4

6.96

Ausländische Besteuerungsmerkmale sind auch für die Entscheidung heranzuziehen, ob ein gewerblicher Grundstückshandel vorliegt.5 In dem hierfür maßgeblichen Anwendungsbereich der Drei-Objekt-Grenzen6 sind auch ausländische Grundstücke als Zählobjekte7 zu berücksichtigen.8

6.97

Entsprechendes gilt auch für den Wertpapierhandel, soweit der Steuerpflichtige nach außen wie ein Händler auftritt9 bzw. die Tätigkeit dem Bild eines Wertpapierhandelsunternehmens oder eines Finanzunternehmens vergleichbar ist.10 Ob die hierfür maßgeblichen Kriterien11 im In- oder Ausland gegeben sind, ist auch hier ohne Bedeutung.

1 Zur Relevanz der Einkunftsartenzuordnung Seer in Kirchhof/Seer21, § 2 EStG Rz. 39 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.401. 2 Im Rahmen der beschränkten Einkommensteuerpflicht werden die Subsidiaritätsklauseln aufgrund der sogenannten isolierenden Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) allerdings suspendiert (Rz. 6.153 ff.). 3 Hierzu Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 800 ff. 4 Gluth in H/H/R, § 15 Rz. 785; Kaligin, Die Betriebsaufspaltung9, 280; Bachmann, Die Internationale Betriebsaufspaltung, Frankfurt/Main 2004, 187; Becker/Günkel in FS Schmidt, München 1993, 483 (485); Kaligin, WPg 1983, 457. 5 Zu Einzelheiten Buge in H/H/R, § 15 EStG Rz. 1120 ff.; Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 47 ff. 6 Grundlegend BFH v. 9.12.1986 – VIII R 317/82, BStBl. II 1988, 244; v. 10.12.2001 – GrS 1/98, BStBl. II 2002, 291; BMF v. 26.3.2004 – IV A 6 - S 2240 - 46/04, BStBl. I 2004, 434, Tz. 5. 7 Zur Objektzählung im Einzelnen Buge in H/H/R, § 15 EStG Rz. 1132. 8 Buge in H/H/R, § 15 EStG Rz. 1132; Krumm in Kirchhof/Seer21, § 15 EStG Rz. 120; Schmidt-Liebig, Gewerbliche und private Grundstücksgeschäfte4, Rz. 507, 510; OFD München v. 13.7.1993, DB 1993, 1647; ob ggf. ein DBA eingreift, spielt für die Zuordnung zu gewerblichen Einkünften (§ 15 Abs. 2 EStG) keine Rolle. 9 BFH v. 20.12.2000 – X R 1/97, BStBl. II 2001, 706; Buge in H/H/R, § 15 EStG Rz. 1171; Krumm in Kirchhof/Seer21, § 15 EStG Rz. 131a. 10 BFH v. 20.12.2000 – X R 1/97, BStBl. II 2001, 706. 11 BFH v. 20.12.2000 – X R 1/97, BStBl. II 2001, 706.

204 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.98 Kap. 6

Soweit es um die Qualifikation der Gewinnanteile von Personengesellschaften als gewerbliche Einkünfte geht, gelten § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG sowie die in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG (sog. Abfärberegelung)1 und § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG (gewerbliche Prägung)2 verankerten Grundsätze auch für ausländische Personengesellschaften.3

6.97a

5. Einkünfteermittlung Literatur: Kommentare zu §§ 2 Abs. 2, 3c, 5a, 4h, 4i, 4j, 4k, 6, 13a EStG und § 1 AStG; Bohn, Zinsschranke und Alternativmodelle zur Beschränkung des steuerlichen Zinsabzugs, Wiesbaden 2009; Gosch, Die Zeit im Abkommensrecht, in Festgabe Wassermeyer, München 2015, 2090; Gosch, Über die Zeit im Abkommensrecht, IStR 2015, 709 ff.; Groh, Teilwertabschreibungen auf Auslandsbeteiligungen – Sicht der Rechtsprechung, in Piltz/Schaumburg, Aufwand und Verluste bei internationalen Steuersachvorbehalten, Köln 1999, 87 ff.; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24., Aufl. Köln 2021, Rz. 8.180 ff.; Hey, Einkünfteermittlung, DStJG 34 (2011); Heyes, Ursachen, Rahmenbedingungen und neue Rechtfertigungsansätze zur Zinsschranke, Berlin 2014; Hoffmann, Zinsschranke, Stuttgart 2008; Ismer, Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Zinsschranke, FR 2014, 777; Kaminski, Überlegungen zu den internationalen Aspekten der Zinsschranke, IStR 2011, 783; Körner, Offene Praxisfragen im Umgang mit der Zinsschranke, Ubg 2011, 610; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Köln 1987/88, 273 ff.; Lambrecht, Ermittlung der Einkünfte, in Festschrift Kirchhof, Heidelberg 2013, II, § 170; Martinen, Die Tonnagesteuer, Frankfurt a.M. 2010; Piltz in Piltz/Schaumburg, Aufwand und Verluste bei internationalen Steuersachverhalten, Köln 1999, 101; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, 682 ff., 718 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen Köln 2014, Rz. 2.4.

a) Grundsätze Die erst im Gefolge der persönlichen Zurechnung und der Einkunftsartenzuordnung mögliche Einkünfteermittlung ist durch einen Dualismus geprägt:4 Gewinneinkünfte (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG), die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit umfassen sowie Überschusseinkünfte (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG), die Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung, Verpachtung und sonstige Einkünfte betreffen. Darüber hinaus ist eine pauschalierende Einkünfteermittlung für Einkünfte aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr (§ 5a EStG) sowie für kleinere Betriebe der Land- und Forstwirtschaft (§ 13a EStG) vorgesehen. Die nach den vorstehenden Regeln zu ermittelnden Einkünfte gelten unterschiedslos für in- und ausländische Einkünfte, so dass etwa ausländische Einkünfte für Zwecke des ausländischen Steuerrechts nach Maßgabe der dort maßgeblichen Regeln und für Zwecke der Besteuerung im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland nach den Grundsätzen des deutschen Steuerrechts zu ermitteln sind.

1 Hierzu Stapperfend in H/H/R, § 15 EStG Rz. 1422. 2 Hierzu Stapperfend in H/H/R, § 15 EStG Rz. 1436. 3 BFH v. 31.5.1993 – I R 74/93, BStBl. II 1993, 683; v. 17.12.1994 – I R 34/97, BStBl. II 1998, 296 (zur ausl. Personengesellschaft); v. 4.4.2007 – I R 110/05, BStBl. II 2007, 521; Stapperfend in H/H/R, § 15 EStG Rz. 1435 m.w.N. 4 Gebilligt durch das BVerfG v. 9.7.1969 – 2 BvL 20/65, BVerfGE 26, 302 (zu § 23 EStG); v. 7.10.1969 – 2 BvL 3/66 u. 2 BvR 701/66, BVerfGE 27, 111, (zu § 17 EStG); v. 11.5.1970 – 1 BvL 17/67, BVerfGE 28, 227 (zu Land- und Forstwirtschaft); dagegen Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 718 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.187 ff.

Schaumburg | 205

6.98

Kap. 6 Rz. 6.99 | Einkommensteuer

6.99

Im Rahmen der Einkünfteermittlung sind entsprechend dem normübergreifenden Veranlassungsprinzip Erwerbsbezüge und Erwerbsaufwendungen zu erfassen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese inlands- oder auslandsbezogen sind.1 Aus dem Veranlassungsprinzip ergibt sich insbesondere, dass vorab entstandene und nachträgliche Erwerbsaufwendungen gleichermaßen zu erfassen sind.2 b) Zweistufige Gewinnermittlung

6.100

Im internationalen Kontext ist der Betriebsvermögensvergleich (§§ 4 Abs. 1, 5 EStG) für Unternehmer von besonderer Bedeutung.3 In Ausrichtung an die normativ vorgegebene Systematik des Betriebsvermögensvergleichs erfolgt die Gewinnermittlung zweistufig.4 Auf der ersten Stufe ist der Unterschiedsbetrag zu ermitteln, der sodann auf der zweiten Stufe durch Hinzurechnungen und Kürzungen zum maßgeblichen Gewinn führt. Auf der ersten Gewinnermittlungsstufe wird nur der steuerbare Gewinn erfasst. Hierzu gehören nicht jene Gewinne, für die eine Gewinnerzielungsabsicht nicht feststellbar ist (Rz. 6.89 f.) sowie Entstrickungsgewinne, die grundsätzlich erst auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe zu berücksichtigen sind (Rz. 6.385 ff.).

6.101

Auf der ersten Gewinnermittlungsstufe werden vor allem Innentransaktionen betreffende (fingierte) Gewinne nicht erfasst. Angesprochen ist damit § 1 Abs. 5 AStG, der eine beschränkte Reichweite hat und lediglich als Einkünftekorrektur auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe zu berücksichtigen ist.5 Auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe sind neben Korrekturbeträgen nach§ 1 Abs. 1 AStG, auf der ersten Stufe nicht berücksichtigte Entnahmen und schließlich auch nicht abziehbare Erwerbsaufwendungen hinzuzurechnen, soweit sie zuvor auf der ersten Gewinnermittlungsstufe als Betriebsausgaben bereits abgezogen worden sind. Hierzu gehören unter anderem Betriebsausgaben, deren Empfänger nicht benannt worden sind (§ 160 AO), was im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr von besonderer Bedeutung ist (Rz. 22.46 ff.). Zu den auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe zu berücksichtigenden, nicht abziehbaren Erwerbsaufwendungen gehören auch Betriebsausgaben, die im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit abkommensrechtlich steuerfreien Einnahmen stehen (§ 3c Abs. 1 EStG).6 Hierzu zählen u.a. auch Betriebsausgaben im wirtschaftlichen Zusammenhang mit gem. § 3 Nr. 40 EStG dem Teileinkünfteverfahren (vgl. Rz. 6.63 ff.) unterliegenden Einnahmen (§ 3c Abs. 2 EStG). Nicht abziehbar und damit ebenfalls auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe hinzuzurechnen sind Schmier- und Bestechungsgelder (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG), und zwar auch in den Fällen der Bestechungen mit Auslandsbezug.7

1 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.205, 8.213, 8.230 ff.; dort auch zum Gleichlauf von Betriebsausgaben einerseits und Werbungskosten andererseits. 2 Vgl. hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.233 f.; zu vorab entstandenen und nachträglichen Aufwendungen im Zusammenhang mit ausländischen DBA-Betriebsstätten Rz. 21.95 ff. 3 Die Einnahmeüberschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG spielt in der Praxis insoweit keine große Rolle. 4 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 69/01, BStBl. II 2003, 329; v. 10.7.2002 – I R 37/01, BStBl. II 2003, 418; zu Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 64 ff.; Wassermeyer in W/B, Rz. 2.4; ferner Rz. 21.3 ff. 5 Gosch, IStR 2015, 709 (713); Gosch in FG Wassermeyer, 209 (216); Schwenke in FS Gosch, 377 (385); Schaumburg, ISR 2013, 197 (198); weitere Einzelheiten in Rz. 21.67. 6 Bei Freistellung von Einkünften gilt § 3c Abs. 1 EStG nicht; Desens in H/H/R, § 3c EStG Rz. 33. 7 Hierzu im Einzelnen Peters in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 13.8 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2 Rz. 16.218 ff.

206 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.103 Kap. 6

6.101a

c) Bewertungsfragen Im internationalen Kontext haben auch Bewertungsfragen Bedeutung. Das gilt insbesondere im Zusammenhang mit der Anschaffung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die bilanziell grundsätzlich mit den Anschaffungskosten anzusetzen sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG). Erfolgt die Anschaffung in Fremdwährung ist für die Umrechnung1 auf den Wechselkurs im Anschaffungszeitpunkt abzustellen.2 Maßgeblich ist der Devisenkassamittelkurs zum Anschaffungszeitpunkt.3 Diese Bewertungsgrundsätze gelten auch für Anteile an ausländischen Tochterkapitalgesellschaften.4 Es kommt hierbei allerdings bei voraussichtlich dauernden Wertminderungen der Ansatz mit dem niedrigeren Teilwert in Betracht (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG). Für Anteile an ausländischen Tochterkapitalgesellschaften kann eine derartige Teilwertabschreibung, soweit sie nicht aufgrund von Sonderregelungen ohnehin ganz oder teilweise ausgeschlossen ist,5 nicht schon allein auf einen gesunkenen Kurs der ausländischen Währung gestützt werden.6 Eine Teilwertabschreibung ist danach erst zulässig, wenn auch der innere Wert der Beteiligung – Ertragslage und -aussichten, Vermögenswert und die funktionale und wirtschaftliche Bedeutung des Beteiligungsunternehmens – gesunken ist.7 Darüber hinaus ist eine Teilwertabschreibung auch nur dann zulässig, wenn es sich nicht um Anlaufverluste – bei einer ausländischen Tochterkapitalgesellschaft fünf Jahre –8 handelt, es sei denn der Erwerb oder die Neugründung der ausländischen Tochterkapitalgesellschaft war eine Fehlmaßnahme.9 d) Pauschale Gewinnermittlung In Abweichung von der im Grundsatz vorgegebenen zweistufigen Gewinnermittlung enthalten § 5a EStG (Tonnagegewinnermittlung) und § 13a EStG (Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen) Sonderregelungen, die auch bei Auslandsbeziehungen von Bedeutung sind.

6.102

§ 5a Abs. 1 EStG lässt anstelle der Ermittlung des Gewinns nach §§ 4 Abs. 1, 5 EStG auf Antrag die (pauschale) Ermittlung des Gewinns, soweit er auf den Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr entfällt, nach der im Betrieb geführten Tonnage zu (sog. Tonnagesteuer). Es handelt sich hierbei um eine besondere Gewinnermittlungsart, die für den Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr zur Anwendung kommt. Diese Sonderregelung

6.103

1 Der handelsrechtliche Jahresabschluss ist in Euro aufzustellen (§ 244 HGB). 2 BFH v. 16.12.1977 – III R 92/75, BStBl. II 1978, 233; v. 9.8.1989 – I B 118 /88, BStBl. II 1990, 175; v. 6.11.1997 – III R 190/94, BStBl. II 1998, 123. 3 § 256a HGB; vgl. hierzu Richter in H/H/R, § 6 EStG Rz. 31. 4 Richter in H/H/R, § 6 EStG Rz. 36. 5 Z.B. gem. § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG; Rz. 6.85 und § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG. 6 Kulosa in Schmidt41, § 6 EStG Rz. 287. 7 BFH v. 27.7.1988 – I R 104/84, BStBl. II 1989, 274; v. 9.3.2000 – X B 106/99, BFH/NV 2000, 1194; v. 6.11.2003 – IV R 10/01, BStBl. II 2004, 416; v. 28.4.2004 – I R 20/03, BFH/NV 2005, 19; v. 4.2.2014 – I R 52/12, BFH/NV 2014, 1016. 8 BFH v. 27.7.1988 – I R 104/84, BStBl. II 1989, 274; Richter in H/H/R, § 6 EStG Rz. 542. 9 In einem derartigen Fall ist eine vorzeitige Teilwertabschreibung zulässig; Richter in H/H/R, § 6 EStG Rz. 542; Groh in Piltz/Schaumburg, Aufwand und Verluste bei internationalen Steuersachverhalten, Köln 1999, 87 (89 ff.); zum Ganzen auch Piltz in Piltz/Schaumburg, Aufwand und Verluste bei internationalen Steuersachverhalten, Köln 1999, 101.

Schaumburg | 207

Kap. 6 Rz. 6.103 | Einkommensteuer

ist als Lenkungsnorm mit Subventionscharakter1 darauf gerichtet, den Schifffahrtsstandort Deutschland zu sichern, zumal verschiedene EU-Staaten sowie Drittstaaten vergleichbare Tonnagesteuersysteme haben.2 Insoweit beinhaltet § 5a EStG ein spezielles für den internationalen Steuerwettbewerb (Rz. 5.1 ff.) relevantes Steuerregime.3

6.104

Die mit § 5a EStG verfolgten lenkungspolitischen Maßnahmen führen zwar zu einer begünstigenden Ungleichbehandlung gegenüber anderen Gewerbetreibenden, angesichts der (großzügigen) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts4 erscheint die Sonderregelung aber gerechtfertigt.5 Darüber hinaus ist die Regelung mit den europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten (Rz. 4.16 ff.) vereinbar6 und verstößt auch nicht gegen das europarechtliche Beihilfeverbot.7 Im Hinblick auf die mit § 5a EStG verfolgten Lenkungsziele sind nur Gewerbebetriebe mit Geschäftsleitung im Inland begünstigt, soweit auch die Bereederung im Inland erfolgt (§ 5a Abs. 1 Satz 1 EStG).8 Soweit die Tatbestandsvoraussetzungen der Tonnagegewinnermittlung erfüllt sind, verdrängt diese den Betriebsvermögensvergleich vollen Umfangs, suspendiert also die erste und zweite Gewinnermittlungsstufe (Rz. 6.100)9 sowie bei Personengesellschaften auch den Sonderbilanzbereich (§ 5a Abs. 4a Satz 3 EStG).10

6.105

Die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittssätzen (§ 13a EStG) ist ein typisierter Betriebsvermögensvergleich,11 in dessen Rahmen wegen der pauschalisierenden Wirkung grundsätzlich alle Aufwendungen abgegolten sind.12 Dem entsprechend können auch keine Verluste und auch keine fehlende Einkünfteerzielungsabsicht geltend gemacht werden.13 Die den kleineren Land- und Forstwirten vorbehaltende Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen gilt für in- und ausländische Einkünfte gleichermaßen, so dass der Gewinn des ausländischen Betriebs eines unbeschränkt Steuerpflichtigen, soweit die Voraussetzungen im Übrigen gegeben sind, nach Durchschnittssätzen zu ermitteln ist.14

6.106

Im Hinblick auf die mit der Ermittlung des Gewinns nach Durchschnittsätzen verbundene geringe Gewinnerfassungsquote ist ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gegeben.15 Da die Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen auch auf Auslandsbetriebe

1 Vgl. BFH v. 21.10.2010 – IV R 23/08, BStBl. II 2011, 277 Rz. 29; v. 26.9.2013 – IV R 46/10, BStBl. II 2014, 253, Tz. 19; Barche in H/H/R, § 5a EStG Rz. 3; Schindler in Kirchhof/Seer21, § 5a EStG Rz. 1. 2 Vgl. hierzu den Überblick bei Martinen, Die Tonnagesteuer, Frankfurt a.M. 2010, 84 ff. 3 Hierzu Ismer, FR 2014, 777. 4 Vgl. nur BVerfG v. 21.06.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 Rz. 71 ff. 5 BFH v. 26.9.2013 – IV R 46/10, BStBl. II 2014, 253, Rz. 19; Seeger in Schmidt41, § 5a EStG Rz. 3; Barche in H/H/R, § 5a EStG Rz. 6 m.w.N. 6 Hierzu Barche in H/H/R, § 5a EStG Rz. 7 m.w.N. 7 Vgl. BGBl. I 1998, 4023 (Genehmigungsschreiben der Kommission); zum Beihilfeverbot Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 9.1 ff. 8 Zu Einzelheiten Barche in H/H/R, § 5a EStG Rz. 21, 25. 9 Barche in H/H/R, § 5a EStG Rz. 31; BMF v. 24.3.2000 – IV C 6 - S 1900 - 22/00, BStBl. I 2000, 453. 10 Barche in H/H/R, § 5a EStG Rz. 80; Schindler in Kirchhof/Seer21, § 5a EStG Rz. 6. 11 Kanzler in H/H/R, § 13a EStG Rz. 4; Kube in Kirchhof/Seer21, § 13a EStG Rz. 1. 12 Kanzler in H/H/R, § 13a EStG Rz. 1; Kulosa in Schmidt41, § 13a EStG Rz. 23. 13 BFH v. 24.7.1986 – IV R 137/84, BStBl. II 1986, 808; v. 1.12.1988 – IV R 72/87, BStBl. II 1989, 234; Kanzler in H/H/R, § 13a EStG Rz. 4. 14 Kanzler in H/H/R, § 13a EStG Rz. 9; Kulosa in Schmidt41, § 13a EStG Rz. 3; BMF v. 22.10.2015 – IV C 7 - S 2149/15/10002 – DOK 2015/0942805, BStBl. I, 2015, 795, Tz. 1. 15 Kanzler in H/H/R, § 13a EStG Rz. 5; Kube in Kirchhof/Seer21, § 13a EStG Rz. 1; Kulosa in Schmidt41, § 13a EStG Rz. 2; Hiller in Lademann, § 13a EStG Rz. 19, 127 ff.

208 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.106a Kap. 6

und Inlandsbetriebe beschränkt steuerpflichtiger Land- und Forstwirte anzuwenden ist, liegt dagegen kein Verstoß gegen die unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten (Rz. 4.21 ff.) vor.1 Ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Beihilfeverbot ist ebenfalls nicht gegeben.2 e) Betriebsausgabenabzugsbeschränkungen aa) Zinsschranke Literatur: Kommentare zu § 4h EStG und § 8a KStG; Kaminski, Überlegungen zu den internationalen Aspekten der Zinsschranke, IStR 2011, 783; Jehlin, Die Zinsschranke als Instrument zur Missbrauchsvermeidung und Steigerung der Eigenkapitalausstattung, Diss., Berlin 2013; Heuermann, Steuerinnovation im Wandel: Einige Thesen zur Zinsschranke und ihrer Verfassungsmäßigkeit, DStR 2013, 1; Staats, Zur Verfassungskonformität der Zinsschranke, Ubg 2014, 52; Ismer, Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Zinsschranke, FR 2014, 777; Glahe, Zinsschranke und Verfassungsrecht, Ubg 2015, 454; Valta/Gerbracht, Perspektiven eines Europäischen Leistungsfähigkeitsprinzip am Beispiel der Zinsschranke, StuW 2019, 18; Weggenmann/Claß, Die Zinsschrankenregelung auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, BB 2016, 1075.

Betrieblich veranlasste Schuldzinsen sind Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG).3 Ob sie notwendig, angemessen, üblich oder zweckmäßig sind, ist für den Abzug grundsätzlich ohne Bedeutung.4 Im internationalen Kontext sind gegen den Betriebsausgabenabzug allerdings Schranken gesetzt.5 Hierzu gehört insbesondere die in § 4h EStG (§ 8a KStG) verankerte Zinsschranke, die in- und ausländische Sachverhalte gleichermaßen erfasst. Sie richtet sich gegen eine übermäßige Fremdkapitalfinanzierung und soll vor allem verhindern, dass international tätige Unternehmen mittels grenzüberschreitender Fremdkapitalfinanzierung seitens ausländischer nachgeschalteter Gesellschaften in Deutschland erwirtschaftete Erträge ins Ausland transferieren.6 Angesprochen sind damit in erster Linie in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften geführte Konzerne, die an im Ausland ansässige dem Konzern zugehörige Unternehmen Zinsen für aufgenommene Darlehen zu zahlen haben (sog. asymmetrische Finanzierungsstrukturen). Damit soll letztlich zwecks Sicherung des deutschen Steueraufkommens eine übermäßige (grenzüberschreitende) Fremdfinanzierung unterbunden werden. Von der Zinsschranke werden schließlich auch ausländische Konzerne getroffen, die sich über ihre deutschen Tochtergesellschaften auf dem Kapitalmarkt verschulden und über die gezahlten Zinsen die Steuerbemessungsgrundlage in Deutschland verringern.7 § 4h EStG ist damit als eine Regelung der Missbrauchsvermeidung konzipiert,8 die für Einzelunternehmer und Gesellschafter von gewerblich tätigen oder geprägten Personengesellschaften sowie über § 8a KStG für Körperschaften gleichermaßen gilt. Die Zinsschranke geht allerdings weit darüber hinaus. Sie findet Anwendung für in- und ausländische Gewinneinkünfte aller Unternehmensformen und für jede Art von Fremdfinanzierung.9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Kanzler in H/H/R, § 13a EStG Rz. 6. Vgl. zum Beihilfeverbot Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 9.1 ff. Zur betrieblichen Veranlassung Stapperfend in H/H/R, § 4 EStG Rz. 790 ff; Wacker, BB 2018, 2519. Loschelder in Schmidt41, § 4 Rz. 483. Vgl. zur Angemessenheit von grenzüberschreitend gezahlten Zinsen Rz. 21.229 ff. BT-Drucks. 16/4841, 57. BT-Drucks. 16/4841, 31. BFH v 14.10.2015 – I R 20/15, BStBl. II 2019, 1240 Rz. 29, Hick in H/H/R, § 4h EStG Rz. 14. Loschelder in Schmidt41, § 4h EStG Rz. 1.

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6.106a

Kap. 6 Rz. 6.107 | Einkommensteuer

6.107

Die Zinsschranke hat folgende Grundstruktur:1 Die den Zinsertrag übersteigenden Zinsaufwendungen eines Betriebs (Zinssaldo) können nur bis zu einem Anteil von 30 % des um den Zinssaldo sowie die Abschreibung erhöhten Gewinns (EBITDA)2 abgezogen werden (§ 4h Abs. 1 Satz 1 EStG). Die diesen Wert übersteigenden Zinsen können sodann im Wege eines Zinsvortrags in die Folgeperioden vorgetragen werden (§ 4h Abs. 1 Satz 2 EStG). Von dem vorgenannten Betriebsausgabenabzugsverbot enthält § 4h Abs. 2 Satz 1 EStG (Escape-Klausel) drei Ausnahmen. Danach sind die Zinsen abzugsfähig, wenn erstens der Zinssaldo die Freigrenze von 3 Mio. Euro nicht übersteigt (§ 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. a EStG), zweitens der Betrieb nicht oder nur anteilsmäßig zu einem Konzern gehört (§ 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG) oder drittens bei konzernzugehörigen Betrieben, deren Eigenkapitalquote am Schluss des vorangegangenen Abschlussstichtags diejenige des Konzerns um nicht mehr als zwei Prozentpunkte unterschreiten (§ 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. c EStG). Hiervon enthält § 8a Abs. 2, 3 KStG eine Rückausnahme, aufgrund derer die Zinsschranke dennoch eingreift, wenn die Vergütungen an wesentlich beteiligte Anteilseigner, diesen nahe bestehenden Personen oder gegenüber diesen zum Rückgriff berechtigte Dritte mehr als 10 % des Zinssaldos ausmachen (Rz. 7.11).

6.108

Die Zinsschranke stellt auf die Zinsaufwendungen eines Betriebs ab. Da ein Einzelunternehmer mehrere Betriebe unterhalten kann,3 ist für jeden Betrieb gesondert die Zinsschranke zu ermitteln, so dass die Betriebe insoweit (partielle) Gewinnermittlungsobjekte sind.4 Dies gilt für in- und ausländische Betriebe gleichermaßen,5 wobei inländische und ausländische Betriebsstätten eines inländischen Einzelunternehmers keine Betriebe, sondern Teile eines Betriebs sind.6 Hieraus folgt, dass etwa im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht die Zinsschrankenregelung den inländischen Betrieb unter Einschluss der diesem zuzuordnenden ausländischen Betriebsstätte erfasst.7 Da im Verhältnis zwischen inländischem Betrieb und ausländischer Betriebsstätte Rechtsbeziehungen ausgeschlossen sind (Rz. 21.39), findet für etwaige Innentransaktionen § 4h EStG keine Anwendung.8 Daran ändert auch die in § 1 Abs. 5 AStG enthaltene für Betriebsstätten geltende Selbstständigkeitsfiktion nichts, da diese nur für Zwecke der Einkünftekorrektur im Rahmen des § 1 AStG Geltung hat (Rz. 21.66 f.).

6.109

Eine Besonderheit ergibt sich für Organschaften, wonach der Organkreis für Zwecke der Zinsschranke als ein einheitlicher Betrieb fingiert wird (§ 15 Abs. 1 und 3 KStG). Das gilt im Grundsatz auch für eine grenzüberschreitende Organschaft9, wenn etwa die Organgesellschaft den 1 Vgl. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15, BStBl. II 2017, 1240 Rz. 10 ff. 2 Earnings before interests, taxes, depreciation and amortization. 3 BFH v. 9.8.1989 – X R 130/87, BStBl. II 1989, 901; Hick in H/H/R, § 4h EStG Rz. 25; BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742 - a/07/10001 – DOK 2008/0336202, BStBl. I 2008, 718, Rz. 3; Körperschaften und Personengesellschaften unterhalten dagegen stets nur einen Betrieb; vgl. BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742-a/07/10001 – DOK 2008/0336202, BStBl. I 2008, 718, Rz. 8. 4 Loschelder in Schmidt41, § 4h EStG Rz. 8; Schaden/Käshammer, BB 2007, 2317 (2319). 5 Daher grundsätzlich kein Verstoß gegen die Grundfreiheiten; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8.135 m.w.N. 6 Hick in H/H/R, § 4h EStG Rz. 26; Loschelder in Schmidt41, § 4h EStG Rz. 8; Seiler in Kirchhof/ Seer21, § 4h EStG Rz. 14; BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742-a/07/10001 – DOK 2008/0336202, BStBl. I 2008, 718, Rz. 9. 7 Hick in H/H/R, § 4h EStG Rz. 26; Loschelder in Schmidt41, § 4h EStG Rz. 8. 8 Hick in H/H/R, § 4h EStG Rz. 26. 9 Dass ausländische Tochtergesellschaften nicht einbezogen sind, verstößt nicht gegen die Grundfreiheiten; EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08, ECLI:EU:C:2010:89, Slg. 2010, I-1215 – X Holding; BFH v. 7.12.2011 – I R 30/08, BStBl. II 2012, 507; vgl. Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.133.

210 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.110 Kap. 6

Ort der Geschäftsleitung im Inland und den Sitz im EU-/EWR-Bereich hat (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG).1 Der betrieblich veranlasste Zinsabzug gehört zum Kernbereich des objektiven Nettoprinzips.2 Das BVerfG hat bislang nur dem subjektiven Nettoprinzip Verfassungsrang3 zugestanden.4 Ob das auch für das objektive Nettoprinzip gilt, ist unentschieden.5 Indessen: Schon das einfachrechtliche objektive Nettoprinzip gehört zu den Grundentscheidungen des Einkommenund Körperschaftsteuerrechts, so dass Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidungen eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen.6 Rein fiskalische Zwecke, insbesondere Haushaltserwägungen, vermögen hierbei unter keinen Umständen eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips zu rechtfertigend.7 Die vorstehenden Grundsätze gelten auch in den Fällen, in denen der Betriebsausgabenabzug – wie aufgrund von § 4h EStG – nur zeitlich gestreckt zugelassen wird, soweit er später keine steuerliche Berücksichtigung findet.8 Diese ist aufgrund der technischen Ausgestaltung der Zinsschranke nicht gewährleistet. Die der Zinsschranke unterliegenden Zinsaufwendungen können zwar ohne zeitliche Begrenzung vorgetragen werden (§ 4h Abs. 1 Satz 5 EStG), dieser Zinsvortrag erhöht aber in den Folgejahren den Zinsaufwand (§ 4h Abs. 1 Satz 6 EStG), so dass der Zinsvortrag faktisch in ein Zinsabzugsverbot einmünden kann. Im Hinblick darauf hat der BFH die in § 4h EStG getroffene Regelung für verfassungswidrig gehalten.9 Dass § 4h EStG sich gegenüber deutschem Verfassungsrecht zu legitimieren hat, scheitert nicht an dem mit Vorrang10 ausgestalteten Art. 4 ATAD,11 der die Zins-

1 Zur grenzüberschreitenden Organschaft Rz. 7.14 ff. 2 Vgl. zum Nettoprinzip nur BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (234); BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (280); Hey in H/H/R, Einf. ESt Rz. 44; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II², S. 762 ff.; Lang, Die Bemessungsgrundlage oder Einkommensteuer, S. 60 ff. 183 ff. 3 Verfassungsrechtlicher Maßstab ist vor allem der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). 4 BVerfG v. 2.10.1969 – 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58 (64); BVerfG v. 23.1.1990 – 1 BvL 4/87 u.a., BVerfGE 81, 228 (236); BVerfG v. 29.5.1990 – 1 BvL 20/184 u.a., BVerfGE 82, 60 (86); BVerfG v. 25.9.1992 – 2 BvL 5/91 u.a., BVerfGE 87, 153 (169); BVerfGE 112, 268 (281); BVerfG v. 13.2.2008 – 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125 (154). 5 Zuletzt BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07 u.a., BVerfGE 122, 210 (234); BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (280); BVerfG v. 15.2.2016 – 1 BvL 8/12, BStBl. II 2016, 557 Rz. 33. 6 BVerfGE v. 11.11.1998 – 2 BvL 10/05, BVerfGE 99, 280 (290); BVerfG v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98 u.a., BVerfGE 107, 27 (48); BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (234); BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/100, BVerfGE 123, 111 (121); BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 26, 268 (280); BVerfG v. 12.10.2010 – 1 BvL 1/10, BVerfGE 127, 227 (248); BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 Rz. 104. 7 BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (237); BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 Rz. 104; BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvL 11/14 u.a., BVerfG 148, 147 Rz. 132 ff; BVerfG v. 1911.2019 – 2 BvL 22/14 u.a., BVerfGE 152, 274 Rz. 100. 8 So z.B. BFH v. 26.8.2010 – I B 49/10, BFH/NV 2010, 2356; BFH v. 22.8.2012 – I R 9/11, DStR 2012, 2435 (2438); BFH v. 20.9.2012 – IV 36/10, DStR 2012, 2481; BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15, BStBl. II 2017, 1240 Rz. 16 ff. 9 BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15, BStBl. II 2017, 1240 zu § 8a KStG i.V.m. § 4h EStG (Vorlageschluss; Az. BVerfG 2 BvL 1/16). 10 Hierzu Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht², Rz. 17.15. 11 ATAD – Anti Tax Avoidance-Richtlinie; RL (EU) 2016/1164 v. 12.7.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1; RL (EU) 2017/952 v. 29.5.2017 zur Änderung der RL (EU) 2016/1164, ABl. EU 2017 Nr. 44,1.

Schaumburg | 211

6.110

Kap. 6 Rz. 6.110 | Einkommensteuer

schranke auf unionsrechtlicher Ebene regelt. Dies deshalb nicht, weil die Vorgaben der ATAD lediglich für Körperschaften gelten (Art. 1 Abs. 1 ATAD).1 Im Übrigen ergeben sich aus unionsrechtlicher Sicht keine Besonderheiten: § 4h EStG gilt für in- und ausländische (grenzüberschreitende) Sachverhalte gleichermaßen. Mit dieser Gleichstellung hat der Gesetzgeber zwar die Unionsrechtskonformität hergestellt,2 dafür aber wegen der überschießenden Wirkung bei Inlandsfällen § 4h EStG der verfassungsrechtlichen Verwerfung ausgesetzt.3 bb) Abzugsverbot für Sonderbetriebsausgaben Literatur: Kommentare zu § 4i EStG; Bergmann, Double dip ade – Erste Einordnung des neuen § 4i EStG, FR 2017, 126; Ettinger, § 4h und 4i – nah beieinander und einander doch so fern?, DStR 2019, 548; Kahle/Braun, Zur Beschränkung des Abzugs von Sonderbetriebsausgaben nach § 4i EStG, DStZ 2018, 381; Kudert/Kahlenberg, Bekämpfung von Besteuerungslücken auf Kosten der Rechtssicherheit – Anfrage an den Gesetzgeber zur Reformierung des § 4i EStG, StuW 2017, 344; Nielsen/Westermann, Das Sonderbetriebsausgabenabzugsverbot des § 4i EStG im Lichter einer unionsrechtlichen Auslegung, FR 2018, 1035; Prinz, Verfehlte finanzierungsbezogene Abwehrgesetzgebung zu grenzüberschreitenden Mitunternehmerschaften, DB 2018, 1615; Rüsch, Die Konkurrenz von § 4k zu § 4h und § 4i, IStR 2021, 380; Schnitger, Weitere Maßnahmen zur BEPS-Gesetzgebung in Deutschland, IStR 2017, 214.

6.111

§ 4i EStG enthält ein Abzugsverbot für Sonderbetriebsausgaben bei grenzüberschreitenden Beteiligungsstrukturen an in- und ausländischen Mitunternehmerschaften.4 Damit soll ein doppelter Abzug im In- und Ausland verhindert werden.5 Dass ein derartiger Doppelabzug überhaupt möglich ist, beruht auf Besonderheiten der deutschen Mitunternehmerbesteuerung (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Hiernach sind die gewerblichen Einkünfte eines Mitunternehmers im Rahmen einer zweistufigen Gewinnermittlung zu errechnen. Auf der zweiten Stufe sind Aufwendungen des Mitunternehmers zu berücksichtigen, die wirtschaftlich durch die Beteiligung an der Mitunternehmerschaft verursacht sind (Sonderbetriebsausgaben).6 Die zweistufige Gewinnermittlung gilt grenzüberschreitend für in- und ausländische Mitunternehmerschaften gleichermaßen.7 Im Hinblick darauf werden von der Reichweite des § 4i EStG im wesentlichen (Sonder-)Betriebsausgaben erfasst, die im Zusammenhang mit der Finanzierung in-

1 Das kann zu einer gespaltenen Grundrechtskontrolle führen; vgl. Valta/Gerbracht, StuW 2019, 118 (121 ff.). 2 Seiler in Kirchhof/Seer21, § 4h EStG Rz. 6; Frotscher in Frotscher/Geurts, § 4h EStG Rz. 6a; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8.130; unter Hinweis auf die gesetzgeberische Zielsetzung dagegen einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) bzw. Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 50 AEUV) bejahend Loschelder in Schmidt41, § 4h EStG Rz. 4. 3 Zu diesem legislativen Dilemma Seiler in Kirchhof/Seer21, § 4h EStG Rz. 6. 4 § 4i EStG hat Vorrang gegenüber § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG, § 4h EStG, § 4k EStG sowie gegenüber § 50d Abs. 10 EStG und § 15 Abs. 3 EStG; vgl. hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4i EStG Rz. 4. 5 Einzelheiten zum Zweck der Regelung Martini in K/S/M, § 4i EStG Rz. A 1 ff.; Hick in H/H/R, § 4i EStG Rz. 1; Wacker in Schmidt41, § 4i EStG Rz. 1 6 Zu dieser zweistufigen Gewinnermittlung Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 401; Hennrichs in T/L24, Rz. 10.100 ff. 7 Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 173; Klein in H/H/R, § 15 EStG Rz. 15.

212 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.112 Kap. 6

ländischer Mitunternehmerschaften durch ausländische Mitunternehmer1 und ausländischer Mitunternehmerschaften durch inländische Mitunternehmer2 stehen. Das inländische Abzugsverbot trifft unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Mitunternehmer ohne Rücksicht darauf, ob sie unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind.3 Das Abzugsverbot korrespondiert hierbei mit der Minderung der Steuerbemessungsgrundlage im Ausland.4 Hierfür reicht es aus, dass im Ausland ein Verlustvortrag begründet oder erhöht wird.5 Eine zeitliche Korrespondenz ist nicht erforderlich, so dass etwa auch ein nachträglicher Betriebsausgabenabzug im Ausland zu einer Versagung des inländischen Abzugs von Sonderbetriebsausgaben führt.6 Da § 4i Satz 1 EStG auch keine persönliche Korrespondenz verlangt, reicht es aus, dass die Betriebsausgaben im Ausland überhaupt abzugsfähig sind.7 Das Abzugsverbot entfällt, wenn das steuerliche Ergebnis sowohl im Inland als auch im Ausland der Besteuerung unterliegt (§ 4i Satz 2 EStG). Der doppelte Abzug der Sonderbetriebsausgaben wird somit akzeptiert, soweit auch die betreffenden Erträge im In- und Ausland besteuert werden.8

6.111a

Soweit das Abzugsverbot die nämlichen (Sonder-)Betriebsausgaben beim nämlichen Mitunternehmer betrifft, ist ein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip und damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht gegeben; denn Betriebsausgaben, die die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nur einmal gemindert haben, können auch nur einmal steuerlich berücksichtigt werden.9 Dieses Prinzip des Einmalabzugs gilt auch grenzüberschreitend.10 Aus unionsrechtlicher Sicht ist kein Verstoß gegen die Grundfreiheiten gegeben.11 Es fehlt schon an der steuerlichen Benachteiligung von Steuerausländern im Vergleich zu Steuerinländern, denen ein Doppelabzug versagt bleibt. Insoweit befinden sich Steuerausländer mit ihren inländischen Einkunftsquellen in keiner vergleichbaren Situation mit Steuerinländern.12 Damit ist ein Verstoß schon auf der ersten Prüfungsstufe zu verneinen, so dass eine weitere Prüfung, ob Rechtfertigungsgründe vorliegen, eigentlich obsolet ist. Indessen ist der EuGH zunehmend dazu überge-

6.112

1 Beispiel: Ausl. KapGes als Mitunternehmerin einer inländischen PersGes refinanziert ihre Einlage durch ein Darlehen mit der Folge, dass die Zinsen im Inland als Sonderbetriebsausgaben bei der PersGes und im Ausland als Betriebsausgaben bei der KapGes berücksichtigt werden (BT-Drucks. 18/10506, 84). 2 Beispiel: Inl. Mitunternehmer einer ausländischen PersGes mit Betriebsstätte im Inland refinanziert Anteil an einer KapGes im inl. Sonderbetriebsvermögen, deren Dividende abzgl. Refinanzierungsaufwand auch im Ausland besteuert wird (Bsp. bei Wacker in Schmidt41, § 4i EStG Rz. 1). 3 Entsprechend § 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG. 4 Hick in H/H/R, § 4i EStG Rz. 25; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4i EStG Rz. 6. 5 Wacker in Schmidt41, § 4i EStG Rz. 13; Hick in H/H/R, § 4i EStG Rz. 25. 6 Ggf. Änderung bereits ergangener Feststellungsbescheide gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. 7 Erfasst werden damit z.B. hybride Personengesellschaften, die nach ausl. Recht als Kapitalgesellschaften gelten, Wacker in Schmidt41, § 4i EStG Rz. 13; Hick in H/H/R, § 4i EStG Rz. 25; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4i EStG Rz. 6. 8 Zu Einzelheiten Hick in H/H/R, § 4i EStG Rz. 40 ff. 9 Vgl. BFH v. 23.11.1978 – IV R 20/75, BStBl. II 1979, 143; v. 28.4.2020 – IX R 14/19, BStBl. II 2020, 545. 10 Martini in K/S/M, § 4i EStG Rz. A 12; Wacker in Schmidt41, § 4i EStG Rz. 6; Hick in H/H/R, § 4i EStG Rz. 6; Pohl in Brandis/Heuermann, § 4i EStG Rz. 9. 11 In Betracht kommt hier insbesondere die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV). 12 Zur Vergleichbarkeit ausführlich Reimer in Schaumburg/Englisch2, Rz. 7.128 ff.

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Kap. 6 Rz. 6.112 | Einkommensteuer

gangen, die Vergleichbarkeit als Teilelement der Rechtfertigung zu untersuchen.1 Ausgehend davon zeigt sich kein anderes Ergebnis: Ein etwaiger Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit ist unter dem Gesichtspunkt der Wahrung einer angemessenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten2 gerechtfertigt.3 Im Übrigen liegt § 4i EStG auch auf der Linie von ATAD 2.4 cc) Lizenzschranke Literatur: Kommentare zu § 4j EStG; Brandt, Vereinbarkeit der sog. Lizenzschranke mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und mit den unionsrechtlichen Grundfreiheiten, DB 2017, 1483; Ditz/Quilitzsch, Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen – die Einführung einer Lizenzschranke in § 4j EStG, DStR 2017, 1561; Eisbach, Aktuelle Anwendungsfragen zur Linzenzschranke (§ 4j EStG), IStR 2022; Greinert/Siebing, Jüngste Entwicklungen zu § 4j EStG angesichts BMF-Schreiben v. 5.1.2022 und 6.1.2022, ISR 2022, 85; Grotherr, Abzugverbot für Lizenzzahlungen an nahestehende Unternehmen bei Nutzung von steuerschädlichen IP-Boxen („Lizenzschranke“), Ubg 2017, 233; Hagemann/Kahlenberg, Grenzüberschreitende Lizenzschranke – (Teil)Abzugsbegrenzung von Aufwendungen für Rechteüberlassungen durch § 4j EStG, ISR 2017, 413; Hagemann/Kahlenberg, Die Lizenzschranke (§ 4j EStG) aus verfassungs- und unionsrechtlicher Sicht, FR 2017, 1125; Lüdicke, Wogegen richtet sich die Lizenzschranke?, DB 2017, 1482; van Lück/Niemeyer, Die Lizenzschranke in § 4j EStG, IWB 2017, 440; Kühlsacher, Die neue Lizenzschranke aus unionsrechtlicher Sicht, DStZ 2017, 829; Schnitger, Unionsrechtliche Würdigung der Lizenzschranke gem. § 4j EStG – Grundfreiheitliche Grenzen bei der Umsetzung des BEPS-Projektes – DB 2019, 147.

6.113

§ 4j EStG enthält ein partielles Betriebsausgabenabzugsverbot5 für an nahestehende Personen (§ 1 Abs. 2 AStG) gezahlte Lizenzgebühren,6 sofern diese beim Gläubiger einer niedrigen Vorzugsbesteuerung unterliegen. Es handelt sich insoweit um einen offenen Tatbestand. Erfasst werden aber nur im Ausland ansässige Gläubiger, weil es eine inländische präferenzielle Niedrigbesteuerung derzeit nicht gibt. Das Betriebsausgabenabzugsverbot trifft daher ausschließlich grenzüberschreitende Lizenzzahlungen,7 die im Ausland aufgrund privilegierender Sonderregelungen8 einer niedrigen Besteuerung (< 25 %) unterliegen.9 Die Ermittlung der nicht 1 Vgl. nur EuGH v. 13.11.2019 – C-641/17, ECLI:EU:C:2019:960, Rz. 62 ff. – College Pension Plan oft British Columbia; weitere Hinweise bei Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 4.86 ff. 2 Hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch2, Rz. 7.2254 ff. 3 Martini in K/S/M, § 4i EStG Rz. A 21; Wacker in Schmidt41, § 4i EStG Rz. 9; Hick in H/H/R, § 4i EStG Rz. 6; Stahl in Lademann, § 4i EStG Rz. 43; für eine Unionsrechtswidrigkeit z.B. Oellerich in Schaumburg/Englisch2, Rz. 8.140; Schnitger, IStR 2017, 214 (219); zweifelnd Gosch in Kirchhof/ Seer21, § 4i EStG Rz. 2. 4 Richtlinie (EU) 2017/952 v. 29.5.2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern, ABl. EU 2017 Nr. L 144, 1; vgl. hierzu Fehling in Schaumburg/ Englisch2, Rz. 17.122. 5 § 4j EStG gilt über § 9 Abs. 5 Satz 2 EStG auch für Überschusseinkünfte, etwa für vermögensverwaltende Personengesellschaften, vgl. Greinert/Siebing in F/W/B/S, § 4i EStG Rz. 13. 6 Im Sinne von Aufwendungen als Oberbegriff für Ausgaben und Aufwand soweit hiermit ein Wertabfluss verbunden ist, BFH v. 10.10.2017 – X R 33/16, BStBl. II 2018, 185 Rz. 23; Loschelder, in Schmidt41, § 4j EStG Rz. 7; Hagemann/Kahlenberg, in H/H/R, § 4j EStG Rz. 15. 7 Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 19; Loschelder in Schmidt41, § 4j EStG Rz. 6. 8 Z.B. „Lizenzboxen“, „IP-Boxen“, „Patentboxen“. 9 Maßgebliche Bezugsgröße sind die Bruttoeinnahmen (§ 4j Abs. 2 Satz 2 EStG) und die tatsächlich erhobene und abgeführte Steuer; vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100.

214 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.114 Kap. 6

abzugsfähigen Betriebsausgaben richtet sich nach § 4j Abs. 3 Satz 2 EStG, wonach der Ausgabenabzug in dem Maße steigt, wie sich die ausländische Steuerbelastung beim Lizenzgeber der 25 %-Grenze nähert. Die in § 4j EStG geregelte Lizenzschranke richtet sich gegen den (ausländischen) unfairen Steuerwettbewerb1 und ist regelungstechnisch als intersubjektive (internationale) Korrespondenzklausel ausgestaltet.2 Der Betriebsausgabenabzug der gezahlten Lizenzgebühren wird im Ergebnis von den steuerlichen Verhältnissen des Lizenzgläubigers abhängig gemacht. Um die Lizenzschranke auch grenzüberschreitend abzusichern, enthält § 4j Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG ein Treaty-Override (Rz. 3.24 f.). Es geht hierbei insbesondere darum, in Abkommensfällen die von Art. 9 OECD-MA ausgehende Sperrwirkung (Rz. 19.294 f.) zu neutralisieren.3 Schließlich richtet sich das Treaty-Override auch gegen das in Art. 24 Abs. 4 OECD-MA verankerte Diskriminierungsverbot, wonach grenzüberschreitende Lizenzgebühren unter den gleichen Bedingungen zum steuerlichen Abzug zuzulassen sind wie Zahlungen im rein nationalen Fall.4 Zwecks Vermeidung von Umgehungsgestaltungen enthält § 4j Abs. 1 Satz 2 EStG eine Tatbestandserweiterung dahingehend, dass auch Lizenz-Ketten erfasst werden.5 Im Übrigen gelten auch Betriebsstätten als Schuldner oder Gläubiger (§ 4j Abs. 1 Satz 3 EStG). Diese Fiktion hat allerdings nur eine begrenzte Reichweite, so dass fiktive Lizenzzahlungen gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 BsGaV hiervon nicht erfasst werden.6

6.113a

Entsprechend der Zielrichtung des § 4j EStG soll der Betriebsausgabenabzug nicht beschränkt werden, wenn der (ausländische) Lizenzgläubiger die (ausländische) Steuervergünstigungen für Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen in Anspruch nimmt, die zur Entstehung von geistigem Eigentum beigetragen haben, und zwar auch dann, wenn es sich um Auftragsforschung handelt. Im Hinblick darauf enthält § 4j Abs. 1 Satz 4 EStG unter Verweisung auf den sog. Nexus Approach der OECD7 eine Ausnahme vom partiellen Betriebsausgabenabzugsverbot.8 Eine Ausnahme enthält schließlich auch § 4j Abs. 1 Satz 5 EStG, um eine Doppelbelastung mit der Hinzurechnungsbesteuerung (Rz. 13.1 ff.) zu vermeiden. Die Lizenzschranke verstößt gegen das objektive Nettoprinzip und ist ebenso wie die Zinsschranke (Rz. 6.106a) unvereinbar mit der durch Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen Besteuerung nach Maßgaben der finanziellen Leistungsfähigkeit.9 Der Zweck von § 4j EStG – Bekämpfung von

1 BR-Drucks. 59/17, 4; BT-Drucks. 18/11239; es handelt sich nicht um eine spezialgesetzliche Missbrauchsvermeidungsvorschrift. 2 Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 18. 3 Die Sperrwirkung ist inzwischen vom BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; v. 9.6.2012 – I R 32/17, BFH/NV 2022, 49 und zuletzt v. 13.1.2022 – I R 15/21, BFH/NV 2022, 831 verneint worden; vgl. hierzu im Einzelnen Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 14. 4 Art. 24 OECD enthält allerdings kein Verbot der mittelbaren Diskriminierung (Art. 24 OECDMK Rz. 1); vgl. zu Einzelheiten Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 14; Grotherr, Ubg 2017, 233 (245); Schnitger, IStR 2017, 214 (221); Holle/Wein, FR 2017, 217 (219). 5 Hierzu Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 27; Grotherr, Ubg 2017, 233 (236); Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1564); Schnitger, IStR 2017, 214 (222). 6 Kein Wertabfluss: Loschelder in Schmidt41, § 4j EStG Rz. 7; Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 32; Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1563); Benz/Böhmer, DB 2017, 206 ff. (207). 7 Kapitel 4 des Abschlussberichtes 2015 zu Aktionspunkt 5, OECD (2016); zu schädlichen Regelungen, die dem Nexus-Ansatz nicht entsprechen BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103;. 8 Zu Einzelheiten Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 35 m.w.N. 9 Vgl hierzu Rz. 4.9.

Schaumburg | 215

6.114

Kap. 6 Rz. 6.114 | Einkommensteuer

Gewinnverlagerungen und unfairem Steuerwettbewerb – ist im Hinblick auf die tatbestandliche Ausgestaltung der Vorschrift kein ausreichend sachlicher Grund für die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips.1 Hierzu die folgenden Hinweise: – Der Betriebsausgabenabzug beim inländischen Lizenznehmer hängt allein von den steuerlichen Verhältnissen des ausländischen Lizenzgebers und vom abstrakten ausländischen Steuerrecht ab, worauf der Lizenznehmer keinen Einfluss hat. In Abkehr von dem Konzept der Individualbesteuerung2, welches dem Einkommensteuergesetz zugrunde liegt, wird an die Tatbestandsverwirklichung des ausländischen Lizenzgebers angeknüpft und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des inländischen Lizenznehmers ausgeblendet, wobei diesem nicht einmal die Möglichkeit eines Lizenzvortrages eingeräumt wird.3 Das (partielle) Betriebsausgabenabzugsverbot ist daher stets endgültig, ohne dass der Lizenznehmer dies verhindern kann.4 – Es geht auch nicht um Missbrauchsabwehr mit dem Ziel (deutsches) Steuersubstrat zu sichern.5 Dies deshalb nicht, weil in den Fällen der Übertragung von immateriellen Wirtschaftsgütern auf eine ausländische Gesellschaft, deutsches Steueraufkommen durch Steuerentstrickung (Rz. 6.372 ff.) abgesichert ist und danach Lizenzgebühren dem Verrechnungspreisregime (Rz. 21.237 ff.) ausgesetzt sind. Im Ergebnis handelt es sich um eine (deutsche) kompensatorische Besteuerung beim inländischen Lizenznehmer in Höhe der Steuern, die nach den eigenen Vorgaben des deutschen Gesetzgebers (faire Besteuerung) der ausländische Fiskus eigentlich vom dort ansässigen Lizenzgeber erheben müsste.

6.114a

Die Lizenzschranke führt schließlich auch zu einem Eingriff in den Schutzbereich der Grundfreiheiten. § 4j EStG ist hierbei entweder am Maßstab der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) oder aber bei wirtschaftlicher Integration im anderen Mitgliedsstaat an dem der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) zu prüfen:6 Das partielle nur grenzüberschreitend wirkende Betriebsausgabenabzugsverbot ist unter dem Gesichtspunkt der Missbrauchsabwehr nicht gerechtfertigt.7 Es wirkt nicht zielgenau8 und greift unabhängig von irgendwelchen Gestaltungsmaßnahmen des betroffenen inländischen Lizenznehmers ein, ohne dass dieser die Möglichkeit eines Substanznachweises hätte.9 Schließlich sind auch nicht die Voraussetzungen der Recht1 Vgl. nur Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4i EStG Rz. 2; Loschelder in Schmidt41, § 4j EStG Rz. 4; Greinert/Siebing in F/W/B/S, § 4j EStG Rz. 29 ff.; Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 4 mit zahlreichen Naachweisen aus der Literatur (h.M.). 2 Abgeleitet von § 2 Abs. 1 EStG; BFH v. 17.12.2007 – Gr S 2/04, BStBl. II 2008, 608; Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 62. 3 Anders bei der Zinsschranke (§ 4h Abs. 4 EStG). 4 Zu den verschärften verfassungsrechtlichen Anforderungen an den rechtfertigenden Sachgrund in derartigen Fällen; BVerfG v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07, BVerfGE 129, 49 (69); v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 Rz. 122; v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 Rz. 105; hierzu Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 4; Loschelder in Schmidt41, § 4j EStG Rz. 4; Reddig in K/S/M, § 4j EStG Rz. A 49 f.; Lüdicke, DB 2017; Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1566). 5 So aber BR-Drucks. 59/14, 4; BT-Drucks. 18/11233, 9: „faire Besteuerung“. 6 Zur Abgrenzung vgl. Randelzhofer/Forsthoff in G/H/N, Art. 56/57 AEUV Rz. 41 ff. 7 Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 5; Gosch in Kirchhof/Seer21 § 4j EStG Rz. 2; Loschelder in Schmidt41, § 4j EStG Rz. 4; Oellerich in Schaumburg/Englisch², Rz. 8.143; Pinkernell, IStR 2018, 249 (255). 8 Zu diesem Erfordernis Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 7.258. 9 Vgl. zu Einzelheiten Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 5; Greinert/Siebing in F/W/B/S, § 4j EStG Rz. 40 ff.

216 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.115 Kap. 6

fertigung durch Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse und durch steuerliche Kohärenz gegeben.1 dd) Hybrid-Schranke Literatur: Kommentare zu § 4k EStG; Benz/Böhmer, ATAD-UmsG: Der Gesetzentwurf zur Vermeidung steuerlich hybrider Gestaltungen, DK 2020, 240; Ehlermann/Link, Die Anty-Hybrid-Regel des § 4k EStG – Ausgewählte Anwendungs- und Auslegungsfragen im Inbound-Kontext, ISR 2021, 219; Greinert/Siebing, Hybride Gestaltungen – Ein krit. Überblick über § 4k, Ubg 2020, 589; Greinert/Siebing, Inkrafttreten des § 4k EStG – Änderungen im Vergleich zu § 4k EStG-E und weitere gesetzgeberische Neuerung in diesem Kontext, Ubg 2021, 525; Grotherr, Keine Mitteilungspflicht gem. §§ 138d ff. AO für hybride Gestaltungen, IWB 2020, 729; Grotherr, ATAD-Umsetzungsgesetz: Anwendungs- und Auslegungsfragen zum neuen Betriebsausgabenabzugsverbot gemäß § 4k EStG-E bei hybriden Gestaltungen, IStR 20, 773; Kahlenberg/Radmanesch, Einführung von Anti-Hybrid-Regelungen durch das ATAD-Umsetzungsgesetz, IWB 2021, 497; Kraft/Kockrow, Dreidimensionale Betrachtung der Anti-Hybrid und CFC-Regeln, IWB 2021, 570; Kußmaul/Müller/Berens, Verschärfung des Betriebsausgabenabzugs bei sog. Besteuerungsinkongruenzen – Entwurf eines § 4k EStG i.R.d. ATADUmsG, ISR 2020, 399; Loose, Entwurf von Anti-Hybrid-Regeln durch das ATAD-Umsetzungsgesetz, PIStB 2020, 73; Rüsch, Bevorstehendes Durcheinander an korrespondierenden Besteuerungstatbeständen durch den geplanten § 4k EStG für die Erfassung hybrider Gestaltungen, DStZ 2020, 275; Rüsch, Die Konkurrenz von § 4k EStG für die Erfassung hybrider Gestaltungen, DStZ 2020, 275; Rüsch, Die Konkurrenz von § 4k EStG zu § 4h und § 4i EStG, IStR, 2021, 380; Schnitger/Oskamp, Versagung des Betriebsausgabenabzugs bei Besteuerungsinkongruenzen nach § 4k EStG-E, IStR 2020, 909 (Teil I) und 960 (Teil II); Schnitger/Oskamp/Kockrow, Importierte Besteuerungsinkongruenzen gemäß § 4k Abs. 5 EStG, IStR 2021, 701; Schnitger/Posch, Die Dual-Inclusion-Income-Ausnahme des § 4k Abs. 4 Satz 3 EStG -E bei konzerninternen Leistungsbeziehungen, ISR 2021, 187; Schrenk/Steiner/Ullmann, Erweiterung des materiellen Korrespondenzprinzips durch § 4k Abs. 1 EStG, DStZ 2021, 165; Schnitger/Haselmann, Die Anwendung des § 4k EStG und die erweiterten Mitwirkungspflichten, ISR 2022, 13; Zinowsky, Die Vernunft als Maßstab findet Eingang in das Einkommensteuerrecht – Erläuterung der Bestimmungen zur Abwehr hybrider Gestaltungen nach § 4k EStG, IStR 2021, 500; Zinowsky/Jochimsen, ATAD II – Ausweitung der Abwehrmaßnahmen gegen steuerlich hybride Gestaltungen auf Drittlandsfälle, ISR 2017, 325.

Die in § 4k EStG geregelte Betriebsausgabenbegrenzung2 dient vor allem der Abwehr von grenzüberschreitend angelegten hybriden Gestaltungen im Zusammenhang mit der Übertragung von Kapitalvermögen soweit diese zu einer internationalen Minderbesteuerung führen.3 Zielsetzung ist damit im Ergebnis bei derartigen Besteuerungsinkongruenzen eine Einmalbesteuerung sicherzustellen.4

1 Hierzu im einzelnen Hagemann/Kahlenberg in H/H/R, § 4j EStG Rz. 5; Greinert/Siebing in F/W/ B/S, § 4j EStG Rz. 44 ff. 2 Eingefügt durch das ATADUmsG v. 25.6.2021, BGBl. I 2035 mit Wirkung ab 1.1.2020 (§ 52 Abs. 8c EStG); die Regelung gilt über § 9 Abs. 5 Satz 2 EStG auch für Überschusseinkünfte und gem. § 8 Abs. 1 KStG auch für Körperschaftsteuersubjekte. 3 Eine derartige Minderbesteuerung beruht vor allem auf doppelt abzugsfähigen Betriebsausgaben oder doppelt steuerfreien Betriebseinnahmen; hierzu Kahlenberg, IStR 2019, 636 ff.; Jacobsen, DStZ 2021, 792 (796). 4 Loschelder in Schmidt41, § 4k EStG Rz. 1; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 5.

Schaumburg | 217

6.115

Kap. 6 Rz. 6.115 | Einkommensteuer

§ 4k EStG enthält drei Regelungsbereiche: – Nichtabzugsfähigkeit von Betriebsausgaben im Inland, soweit die den Aufwendungen entsprechenden Erträge beim ausländischen Gläubiger keiner Besteuerung unterliegen (§ 4k Abs. 1-3 EStG)1; – Versagung des Betriebsausgabenabzugs im Inland, soweit der nämliche Aufwand auch im Ausland steuerlich berücksichtigt wird (§ 4k Abs. 4 EStG)2; – Versagung des Betriebsausgabenabzugs im Inland, soweit den mit den inländischen Aufwendungen unmittelbar oder mittelbar korrespondierenden Erträgen im Ausland hybride Aufwendungen gegenüberstehen, deren Abzug im Ausland bei entsprechender Anwendung des § 4k Abs. 1-5 EStG zu versagen wäre (§ 4k Abs. 5 EStG).3 Mit dieser Hybrid-Schranke setzt sich § 4k Abs. 1-5 EStG über das Abkommensrecht hinweg, was freilich durch die Treaty-Override-Klausel in § 4k Abs. 7 EStG legitimiert werden soll.4

6.116

Entsprechend dem Rechtscharakter des § 4k EStG als internationale Korrespondenzklausel, die darauf gerichtet ist, eine internationale Minderbesteuerung sowohl bei ein und demselben als auch bei verschiedenen Steuerpflichtigen zu vermeiden, ergeben sich zwangsläufig zahlreiche Überschneidungen mit anderen Vorschriften, die eine ähnliche Zielrichtung wie § 4k EStG verfolgen. Hier gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln.5 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der stufenweise Anwendungsvorrang der einzelnen Regelungen innerhalb des § 4k EStG: Die Absätze 1 bis 5 sind in einer abschmelzenden Prüfungsreihenfolge6 aufgebaut, so dass die Prüfung mit § 4k Abs. 1 EStG beginnt und, soweit dieser keine Anwendung findet, mit den nachfolgenden Absätzen in der Reihe fortgesetzt wird.7

6.116a

In persönlicher Hinsicht ist der Anwendungsbereich gem. § 4k Abs. 6 EStG beschränkt auf: – Leistungsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG (Rz. 21.167 ff.), – anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte (Rz. 21.92 ff.) und – strukturierte Gestaltungen, die insbesondere gegeben sind, wenn die Minderbesteuerung ganz oder teilweise in die vertraglichen Vereinbarungen eingerechnet wurde (§ 4k Abs. 6 S. 3 EStG) nicht aber dann, wenn nach den äußeren Umständen „vernünftigerweise“ nicht davon auszugehen ist, dass dem betreffenden Steuerpflichtigen der mit der Gestaltung verbundene Steuervorteil nicht bekannt war und er zudem nachweist, dass er an dem steuerlichen Vorteil nicht beteiligt wurde.8 1 2 3 4 5

Deduction / No-Inclusion (D/NI). Double Deduction. Imported hybrid mismatch. Hierzu kritisch Tchverniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 88. Zum Verhältnis zu anderen Vorschriften vgl. Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 13 ff.; Gosch in Kirchhof/Seer21 § 4k EStG Rz. 3. 6 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 3. 7 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 3; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 8. 8 Zur Kritik an dieser kaum subsumtionsfähigen Regelung Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 4; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 34f.; Grotherr, IStR 2020, 773 /783); Zinowsky, IStR 2021, 500 (501).

218 | Schaumburg

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.118a Kap. 6

In sachlicher Hinsicht geht es in § 4k Abs. 1 EStG um die Abzugsbeschränkung bei hybriden Kapitaleinkünften und hybriden Übertragungen. Angesprochen sind hiermit insbesondere Qualifikations- und Zurechnungskonflikte (Rz. 19.79 ff.) im Zusammenhang mit Hybriddarlehen, typisch stillen Beteiligungen, Wandelanleihen, Genussrechten und Wertpapierleihgeschäften,1 soweit hierdurch eine internationale Minderbesteuerung ausgelöst wird.2 Abgestellt wird hierbei auch auf die Verhältnisse späterer Besteuerungszeiträume, in denen die intertemporäre Besteuerungsinkongruenz beseitigt wird und die entsprechenden Zahlungsbedingungen einem Fremdvergleich standhalten (§ 4k Abs. 1 Satz 2 EStG).3

6.117

§ 4k Abs. 2 Satz 1 EStG sieht eine Abzugsbeschränkung vor, soweit die Minderbesteuerung4 darauf beruht, dass den inländischen Aufwendungen aufgrund einer vom inländischen Recht abweichenden steuerlichen Behandlung des Steuerpflichtigen keine entsprechenden Erträge im Ausland gegenüberstehen.5 Entsprechendes gilt, wenn die Minderbesteuerung aufgrund einer vom inländischen Recht abweichenden steuerlichen Beurteilung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen i.S.v. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ASTG zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (Rz. 21.92 ff.) eintritt.

6.118

§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG betrifft den Fall, dass eine vermögensverwaltende Personengesellschaft im Ausland als intransparent und im Inland als transparent behandelt wird mit der Rechtsfolge einer aus deutscher Sicht gebotenen Bruchteilsbetrachtung (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO). Dies kann bei Gesellschafterdarlehen dazu führen, dass gezahlte Zinsen im Ausland abzugsfähige Aufwendungen sind, ohne dass beim inländischen Gesellschafter korrespondierende Erträge gegenüberstehen.6 Im Hinblick darauf wird die Bruchteilsbetrachtung außer Ansatz gelassen, so dass die ausländische Gesellschaft als intransparent behandelt wird und die entsprechenden Erträge beim inländischen Gesellschafter der Besteuerung unterworfen werden.7 § 4k Abs. 2 Satz 3 EStG enthält schließlich eine Ausnahme zu § 4k Abs. 2 Satz 1 EStG für den Fall, dass die mit den Aufwendungen korrespondierenden Erträge bei ein und demselben Steuerpflichtigen doppelt berücksichtigt werden.8

6.118a

1 Vgl. Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 36 ff.; Greinert/Siebing, Ubg 2020, 589 (292); Kahlenberg/Radmanesch, IWB 2021, 497 (498). 2 Es reicht bereits eine geringere ausländische Besteuerung als nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts aus; hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 7; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 46; Benz/Böhmer, DK 2020, 240 (242); Kußmaul/Müller/Berenz, ISR 2020, 399 (403); Rüsch, DStZ 2020, 274 (278); Schnitger/Oskamp, IStR 2020, 909 (911). 3 Diese Regelung ist lediglich deklaratorisch, weil bei temporärer Divergenz ein Qualifikationskonflikt und damit der Grundtatbestand des § 4k Abs. 1 Satz 1 EStG schon gar nicht gegeben ist; vgl. Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 49; Schrenk/Steiner/Ullmann, DStZ 2021, 165 (173). 4 Im Sinne einer Nichtbesteuerung, so dass eine auch nur geringe Besteuerung in irgendeinem Staat ausreicht; hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 10; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 57; Schnitger/Oskamp, IStR 2020, 909 (916). 5 Aufwendungen sowie die korrespondierenden Erträge sind mangels einer anderweitigen gesetzlichen Regelung nach deutschem Recht zu ermitteln; vgl. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 10; Loschelder in Schmidt41, § 4k EStG Rz. 19. 6 Vgl. BR-Drucks. 245/21, 38; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 58; Benz/Böhmer, DK 2020, 240 (244). 7 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 11; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 58. 8 Zu Einzelheiten vgl. Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 60 ff.

Schaumburg | 219

Kap. 6 Rz. 6.119 | Einkommensteuer

6.119

§ 4k Abs. 3 EStG enthält im Verhältnis zu § 4k Abs. 1 und 2 EStG einen Auffangtatbestand,1 der im Ergebnis umgekehrt hybride Rechtsträger erfasst, also solche, die im Staat ihrer Errichtung als transparent und im Staat der Anteilseigner als intransparent qualifiziert werden.2 Versagt wird hiernach der Betriebsausgabenabzug soweit die mit den Aufwendungen korrespondierenden Erträge im Ausland keiner Besteuerung unterliegen und diese Nichtbesteuerung ausschließlich auf eine vom deutschen Recht abweichende steuerliche Zurechnung oder Zuordnung zurückzuführen ist.3

6.120

Ziel des § 4k Abs. 4 EStG ist es, die doppelte/mehrfache Berücksichtigung von Aufwendungen4 in mehreren Staaten zu verhindern.5 Worauf diese Doppel-/Mehrfachberücksichtigung beruht, spielt keine Rolle, so dass neben grenzüberschreitend wirkenden Qualifikationskonflikten z.B. auch fiktive Betriebsausgaben mit Subventionscharakter erfasst werden.6 Die Abzugsbeschränkung nach § 4k Abs. 4 Satz 1 EStG greift bei unbeschränkt Steuerpflichtigen auch in den Fällen ein, in denen im Ausland aufgrund entsprechender Regelungen der Abzug eingeschränkt wird.7 Ausnahmen hiervon ergeben sich nach Maßgabe von § 4k Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 EStG, wenn die Aufwandsberücksichtigung im anderen Staat bei einem mittelbaren oder unmittelbaren Gesellschafter einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft (§ 1 KStG) versagt wird oder aber soweit mit den Aufwendungen korrespondierende Erträge im Inland und im anderen Staat tatsächlich besteuert werden (§ 4k Abs. 4 Satz 3 EStG).8 Schließlich bleibt der Aufwandsabzug bei unbeschränkt Steuerpflichtigen erhalten, bei denen in Outbound-Fällen die Doppelbesteuerung durch Anrechnung oder Abzug der ausländischen Steuer gem. § 34c EStG, § 26 KStG (Rz. 18.49 ff.) vermieden wird (§ 4k Abs. 4 Satz 4 EStG).9

6.121

§ 4k Abs. 5 EStG enthält schließlich eine Abzugsbeschränkung für sog. importierte Besteuerungsinkongruenzen, die bei entsprechender Anwendung von § 4k Abs. 1-4 EStG eigentlich im Ausland hätten sanktioniert werden müssen10 Voraussetzung ist, dass die im Ausland unterbliebene Beseitigung der Besteuerungsinkongruenz aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarungen in das Inland transferiert wird.11 Im Hinblick auf diese Zielsetzung wird in § 4k Abs. 5 Satz 2

1 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 14; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 65f; Kußmaul/Müller/Berenz, ISR 2020, 399 (405). 2 Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 66; Zinowsky, IStR 2021, 500 (506). 3 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 14; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 67; Schnitger/Oskamp, IStR 2020, 960 (962). 4 Hierfür ist deutsche Recht maßgeblich; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 16. 5 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 15; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 71. 6 Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 71. 7 Zu dieser „Vorfahrtsregelung“ Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 16 f.; Grotherr, IWB 2020, 729 (739); Kahlenberg/Radmanesch, IWB 2021, 497 (504). 8 Hierzu Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 79 ff. 9 Insoweit geht im Inland kein Besteuerungssubstrat verloren; vgl zu Ausnahmen hiervon Schnitger/Oskamp, IStR 2020, 960 (963). 10 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 4k EStG Rz. 18; Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 84; Greinert/Siebing, Ubg 2021, 525 (527). 11 Zu Einzelheiten Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 85 mit einem Beispiel entsprchend BR-Drucks. 245/21, 43; Schnitger/Oskamp, IStR 2021, 701 (702); Greinert/Siebing, Ubg. 2021, 525 (527).

220 | Schaumburg

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.121 Kap. 6

EStG klargestellt, dass das Abzugsverbot nicht eingreift, wenn die Besteuerungsinkongruenz bereits anderweitig1 beseitigt wird.2

C. Beschränkte Steuerpflicht Literatur: Kommentare zu §§ 1 Abs. 4 und 49 EStG; Albeseder/Baumgartner/Weiler, Zur Besteuerung der Grenzgänger zwischen Deutschland/Österreich/Schweiz mit Hinweis auf andere Länder, DStR 1988, 491; Arndt, Entwicklungstendenzen der beschränkten Steuerpflicht im deutschen und amerikanischen Einkommensteuerrecht, StuW 1990, 354; Bayer, Die unbeschränkte und die beschränkte Einkommensteuer – ein Vergleich, in FS für Mosler, Berlin/Heidelberg/New York 1983, 59; Bayer, Die unbeschränkte und die beschränkte Einkommenssteuer – ein Vergleich. Zugleich ein Beitrag zu den Grundlagen des deutschen Internationalen Einkommensteuerrechts in FS für Moseler, Heidelberg 1982, 59; Berkes, Die beschränkte Steuerpflicht der Arbeitnehmer im System des Einkommensteuergesetzes, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1991; Blochmann, Das Reichsgesetz wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870, Annalen des Deutschen Reichs 1887, 774; Eckert, Die beschränkte Steuerpflicht, Diss. Bonn 1995; Ege, Beschränkte Steuerpflicht – Systematik und aktuelle Entwicklungen, DStR 2010, 1205; Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, Heidelberg 1988; Englisch, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, Beihefter zu DStR 34 2009, 92; Fischer (Hrsg.), Besteuerung wirtschaftlicher Aktivitäten von Ausländern in Deutschland, Köln 1995; Flick in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 93; Gassner/Lang/Lechner/Schuck/Staringer, Die beschränkte Steuerpflicht im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, Wien 2004; Gosch, Die Zeit im Abkommensrecht, FG Wassermeyer, München 2015, 209; Gosch, Vielerlei Gleichheiten – Das Steuerrecht im Spannungsfeld von bilateralen, supranationalen und verfassungsrechtlichen Anforderungen, DStR 2007, 1553; Grams, Zum Rechtscharakter der Steuererhebung nach § 50a Abs. 4 EstG, DB 1996, 907; Haarmann (Hrsg.), Die beschränkte Steuerpflicht, Köln 1993; Hey, Das Territorialitätsprinzip als theoretische Grundlage der beschränkten Steuerpflicht – isolierende Betrachtungsweise und Objektsteuercharakter als konkrete Ausprägungen, IWB 2004, Fach 3, Gr. 1, 2003; Jüptner, Leistungsfähigkeit und Veranlassung, Heidelberg 2017; Kumpf/Roth, Wahlbesteuerung für beschränkt Einkommensteuerpflichtige?, StuW 1996, 259; Labermeier, Die Ertragsbesteuerung des Electronic-Commerce im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht, Frankfurt am Main u.a. 2001; Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommenssteuer, Köln 1988; Lehner, Die verfassungsrechtliche Verankerung des objektiven Nettoprinzips, DStR 2009, 185; Lehner/Reimer, Quelle vs. Ansässigkeit – Wie sind die grundlegenden Verteilungsprinzipien des Internationalen Steuerrechts austariert?, IstR 2005, 542; Liedtke, „Beschränkte Steuerpflicht“ – Ein Grundlagenbegriff oder ein Fremdbegriff (Fremdkörper) im Steuerrecht?, DB 1985, 671; Lüdicke, Aktuelle Fragen zur beschränkten Steuerpflicht, in Schaumburg/Wassermeyer/Lüdicke (Hrsg.), Internationales Steuerrecht – Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts; Außensteuergesetz, Beschränkte Steuerpflicht, Bonn/Berlin 2002, 97 ff.; Preuninger, Rechtsprobleme des Funktionswandels deutscher Doppelbesteuerungsabkommen, Mannheim 1980; Lüdicke, Probleme der Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger im Inland, DStR 2008, Beihefter zu Heft 17, 25; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, Herne/ Berlin 1991; Menck in Engelschalk/Flick u.a, Steuern auf ausländische Einkünfte, München 1985, 28; Morgenthaler, Beschränkte Steuerpflicht und Gleichheitssatz, IstR 1993, 258; Mössner, Isolierende Betrachtungsweise – Essay einer dogmatischen Klärung, in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Unternehmen – Steuern, FS für Flick, Köln 1997, 939; Mössner in Haarmann, Die beschränkte Steuerpflicht, Köln 1993, 110; Nowack, Vereinbarkeit der Vorschriften über die Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger mit den Personenverkehrsfreiheiten des EWG-Vertrages, Herne/Berlin

1 Beim Gläubiger, dem weiteren Gläubiger oder einer anderen Person. 2 Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4k EStG Rz. 87 mit Hinweis auf Doppelbesteuerung.

Schaumburg und Valta | 221

Kap. 6 Rz. 6.122 | Einkommensteuer 1994; Schaumburg, Besteuerung von Einkommen, DStJG 24 (2001), 225; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schaumbug, Das Nettoprinzip im Internationalen Steuerrecht, in FS für Lang, Köln 2010, 1099; Schaumburg, Systemdefizite im internationalen Steuerrecht, StuW 2000, 369; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020; Schaumburg/Schaumburg, Steuerliche Leistungsfähigkeit und europäische Grundfreiheiten im Internationalen Steuerrecht, StuW 2005, 306; Schrettl, Rechtsfragen der beschränkten Steuerpflicht, Dargestellt anhand der Besteuerung gewerblich tätiger beschränkt steuerpflichtiger Künstler, Sportler und Artisten, Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1994; Selling, Vergütung von Körperschaftsteuer aufgrund von Billigkeit?, FR 1987, 245; Tipke, Das Bundesverfassungsgericht zum Nettoprinzip, StuW 1974, 84; Tipke, Das Nettoprinzip- Angriff und Abwehr, dargestellt am Beispiel des Werkstorprinzips, BB 2007, 1525; Tipke, Die Steuerrechtsordnung Band 2, Köln 2000; Tipke, Verteidigung des Nettoprinzips, DB 2008, 263; Tipke, Steuergerechtigkeit, Köln 1981; Uelner, Zur Konkretisierung des subjektiven Nettoprinzips im Einkommensteuerrecht, in FS für Schmidt, München 1993, 21; Valta, Renaissance der Grenze im Steuerrecht, JÖR NF 70 (2022), 715; Wassermeyer, Die beschränkte Steuerpflicht, DStJG 8 (1985), 49; Wassermeyer in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl., Köln 2018, Rz. 5.3; Zwick, Die Einkommensbesteuerung von Grenzgängern, Herne/Berlin 1986.

I. Überblick 6.122

Natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind, soweit nicht die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) oder die fingierte unbeschränkte Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 3; 1a EStG) gegeben ist, beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn und soweit sie inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielen. Im Unterschied zu den Regelungen über die unbeschränkte Steuerpflicht ist systematisch eine klare Trennung zwischen Steuersubjekt und Steuerobjekt nicht möglich, weil gem. § 1 Abs. 4 EStG die beschränkte Steuerpflicht nur dann gegeben ist, wenn zugleich inländische Einkünfte bezogen werden.1

6.123

§ 49 Abs. 1 EStG führt im Einzelnen auf, welche inländischen Einkünfte der beschränkten Einkommensteuerpflicht unterliegen. Der Einkünftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG knüpft zwar an die Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG an, ebenso ist das Verhältnis der in § 49 Abs. 1 EStG aufgeführten Einkünfte zueinander nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 13 ff. EStG zu beurteilen, die Einkünftequalifikation selbst erfolgt aber nach den besonderen Gesetzmäßigkeiten der in § 49 Abs. 2 EStG verankerten isolierenden Betrachtungsweise.

6.124

§ 49 Abs. 3 EStG enthält eine unwiderlegliche Gewinnvermutung für beschränkt steuerpflichtige Schifffahrt- und Luftfahrtunternehmen. § 49 Abs. 4 EStG stellt schließlich Schifffahrtund Luftfahrteinkünfte ausländischer Unternehmen unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit von der deutschen beschränkten Steuerpflicht frei.

6.125

Während § 49 EStG Regelungen über die beschränkte Steuerpflicht dem Grunde nach enthält, handelt es sich bei den §§ 50 und 50a EStG insbesondere um technische Vorschriften, die der Ermittlung der inländischen Einkünfte und der Durchführung der Besteuerung dienen. Auf der Grundlage der Ermächtigungsvorschrift in § 50a Abs. 6 EStG sind die §§ 73a, 73c bis 73g EStDV ergangen.

1 Hierzu Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 5; Mössner in FS Flick, 939 (948 f.).

222 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.128 Kap. 6

II. Territorialitätsprinzip Die beschränkte Steuerpflicht verwirklicht mit dem Quellenprinzip ein enges Territorialitätsprinzip (Rz. 6.55 f.).1 Damit hat der Gesetzgeber für Steuerausländer die Anknüpfungspunkte für die Besteuerung im Grundsatz auf konkrete inländische Einkunftsquellen beschränkt.2 Der unbeschränkten Steuerpflicht liegt hingegen mit der Besteuerung des Welteinkommens an der Ansässigkeit ein weites Verständnis der Territorialität zu Grunde: allein die Ansässigkeit des Steuerpflichtigen stellt den territorialen Bezug her, da diese typischerweise einen abstrakten Bezug zur Einkunftserwirtschaftung hat. Ansässigkeits- und Quellenbesteuerung, beschränkte und unbeschränkte Steuerpflichten, wirken im Ergebnis zusammen. Die konkreten Quellenzuordnungen der beschränkten Steuerpflicht genießen einen gewissen Vorrang, da die Quellenbesteuerung zu Lasten der Ansässigkeitsbesteuerung angerechnet wird oder gar auf letztere durch bedingte Freistellung verzichtet wird.

6.126

Mit dem Begriff beschränkte Steuerpflicht sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass Steuerausländer nicht wie Steuerinländer uneingeschränkt der inländischen Steuerpflicht unterliegen, sondern dass diese nur eingeschränkt, nämlich nicht mit dem Welteinkommen, sondern lediglich mit den inländischen Einkünften der Besteuerung unterworfen sein sollen.3 Alternativ und etwas anschaulicher könnte man auch von einer begrenzten Steuerpflicht sprechen, die sich in den deutschen territorialen Grenzen hält, im Gegensatz zur entgrenzten Besteuerung des Welteinkommens.4

6.127

Die beschränkte Steuerpflicht als rechtstechnische Umschreibung des Territorialitätsprinzips findet erstmals Erwähnung in den „Motiven“ zum Gesetz wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb des Norddeutschen Bundes vom 14.2.1870 aus dem das spätere Reichdoppelsteuergesetz hervorging.5 Das Reichsdoppelsteuergesetzenthielt Regelungen, in welchen Staaten eigene Staatsangehörige mit ihrem Gesamteinkommen und in welchen Staaten sie nur mit ihrem inländischen Einkommen steuerpflichtig sind. Eine dem heutigen § 1 Abs. 4 EStG entsprechende gesetzliche Regelung findet sich erstmals im Einkommensteuergesetz 19206 und in erweiterter Form im Einkommensteuergesetz 1925.7 Die Grundstruktur ist seitdem unverändert geblieben.8 Das Territorialitätsprinzip basiert auf den völkerrechtlichen Grundsätzen territorialer Souveränität und ist als Rechtsprinzip im Internationalen Steuerrecht anerkannt (Rz. 6.55 ff.). Im Hinblick darauf, dass dem Völkerrecht kein Rechtssatz zu entnehmen ist, der ein Verbot der Doppelbesteuerung beinhaltet, (Rz. 2.5) gibt es auch keinen konkreten Besteuerungsrahmen, innerhalb dessen sich das Territorialitätsprinzip zu verwirklichen hätte. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts enthalten lediglich ein Verbot, die Steuerpflicht aufgrund der Steuer-

1 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.27; Preuninger, Rechtsprobleme des Funktionswandels deutscher Doppelbesteuerungsabkommen, 15; Morgenthaler, IStR 1993, 258 (260 f.); Schaumburg in FS Tipke, 125 (128 ff.). 2 Zur Universalisierung der beschränkten Steuerpflicht vgl. Lehner/Reimer, IStR 2005, 542 (544). 3 Zur Entwicklung des Begriffs Berkes, Die beschränkte Steuerpflicht der Arbeitnehmer im System des Einkommensteuergesetzes, 12 ff.; Liedtke, DB 1985, 671 ff. 4 Valta, JÖR NF 70 (2022), 715 f. 5 Abgedruckt bei Blochmann, Annalen des Deutschen Reichs, 1887, 774 (718). 6 EStG v. 29.3.1920, RGBl. I 1920, 359. 7 EStG 1925 v. 10.8.1925, RGBl. I 1925, 189. 8 Kritisch zu dieser „sträflichen Vernachlässigung“ Flick in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 93 (101).

Valta | 223

6.128

Kap. 6 Rz. 6.128 | Einkommensteuer

gesetze ohne jeglichen räumlichen oder persönlichen sachlichen Bezug auszudehnen (Rz. 2.5, 3.13). Dieses Gebot eines sachlichen Anknüpfungsmoments oder Nexus wird in der Diskussion häufig auch als genuine link bezeichnet. Das Erfordernis eines genuine link ist völkerrechtlich in der Res. Nottebohm allerdings in Bezug auf diplomatischen Schutz entwickelt worden und daher für das Steuerrecht zumindest völkerrechtlich nicht zwingend. Das Gebot einer sachlichen Anknüpfung ist im Ergebnis eine völkerrechtliche Minimalschranke, mit der die in § 49 Abs. 1 EStG normierten Anknüpfungspunkte nicht kollidieren,1 auch wenn dies jüngst bei der Besteuerung allein kraft Registereintrag in Zweifel gezogen wurde.

III. Objektsteuercharakter 1. Allgemeines 6.129

Die beschränkte Steuerpflicht ist dadurch gekennzeichnet, dass im Unterschied zur unbeschränkten Steuerpflicht die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen weitgehend unberücksichtigt bleiben, wodurch sie einen objektsteuerähnlichen Charakter erhält.2 Dieser Objektsteuercharakter gründet sich insbesondere darauf, dass etwa – Sonderausgaben (§§ 10, 10a EStG) nicht abzugsfähig sind (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG)3, – der Pauschbetrag für Sonderausgaben (§ 10c EStG),4 der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG), die Kinderfreibeträge des § 32 EStG, das Splittingprivileg des § 32a Abs. 6 EStG, die Abzüge wegen außergewöhnlicher Belastung (§§ 33 und 33a EStG) sowie die Pauschbeträge für Behinderte, Hinterbliebene und Pflegepersonen (§ 33b EStG) und die Steuerermäßigungen wegen haushaltsnaher Beschäftigungsverhältnisse sowie für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen und Handwerkerleistungen (§ 35a EStG) nicht berücksichtigt werden (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG), – der Freibetrag gem. § 16 Abs. 4 EStG nicht in Betracht kommt (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG), – Einkünfte, die dem abgeltenden Steuerabzug unterliegen, weder beim Verlustausgleich mit anderen Einkunftsarten noch beim Verlustabzug berücksichtigt werden dürfen (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG), – der Splittingtarif grundsätzlich5 nicht zur Anwendung kommt (vgl. §§ 26 Abs. 1, 32a Abs. 5 EStG) und bei Anwendung des Grundtarifs das zu versteuernde Einkommen um den Grundfreibetrag erhöht wird (§ 50 Abs. 1 Satz 2 EStG), – die Bildung eines steuerlichen Ausgleichspostens gem. § 4g EStG ausgeschlossen ist und schließlich,

1 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 12; Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 ff. 2 BFH v. 27.7.2011 – I R 32/10, BStBl. II 2014, 513; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 1; Strunk in Korn, § 49 EStG Rz. 1; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 1; Berkes, Die beschränkte Steuerpflicht der Arbeitnehmer im System des Einkommensteuergesetzes, 16 ff.; Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 82 f. 3 In Umsetzung des EuGH-Urteils v. 24.2.2015 – C-559/13, ECLI:EU:C:2015:109 – Grünewald ist § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG dahingehend geändert worden, dass zukünftig Versorgungsleistungen unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG abzugsfähig sind (AHRL-ÄndUmsG); gem. § 52 Abs. 46 Satz 1 EStGE ab 2017. 4 Für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer gelten allerdings die in § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG bezeichneten Ausnahmen. 5 Ausnahme: §§ 1 Abs. 3, 1a Abs. 1 EStG.

224 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.132 Kap. 6

– die Einkommensteuer für steuerabzugspflichtige Einkünfte im Grundsatz1 mit dem Steuerabzug abgegolten ist (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG). Im Hinblick auf die vorgenannten, die steuerliche Leistungsfähigkeit beschränkt steuerpflichtiger Personen nicht berücksichtigenden Einschränkungen wird die Ansicht vertreten, insoweit handele es sich nicht mehr um eine Einkommensteuer, sondern um eine Objekt- und Nicht-Personensteuer.2 Dies wird auch damit erklärt, dass bei der beschränkten Steuerpflicht nicht der Steuerpflichtige selbst sondern nur gleichsam isoliert dessen Einkunftsquelle eine Berührung mit dem deutschen Staatsgebiet aufweist. Indessen stehen die Regelungen über die beschränkte Einkommensteuerpflicht nicht außerhalb des Einkommensteuergesetzes, werden Merkmale, die die steuerliche Leistungsfähigkeit indizieren, wenn auch nur rudimentär, berücksichtigt. Dies gilt insbesondere bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 50 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 EStG). Schließlich kommt, soweit eine Veranlagung erfolgt, auch der progressiv ausgestaltete Steuertarif (Grundtabelle) zur Anwendung. Daher ist die Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger, soweit sie nicht ohnehin gem. §§ 1 Abs. 3; 1a EStG wie unbeschränkt Steuerpflichtige behandelt werden, (Rz. 6.40 ff.) jedenfalls im Ansatz am Prinzip der Leistungsfähigkeit ausgerichtet,3 die Einkommensteuer deshalb auch insoweit eine Personensteuer.4 Schließlich ist das Ergänzungsverhältnis von Welteinkommensbesteuerung im Ansässigkeitsstaat und Quellenbesteuerung im Quellenstaat zu beachten, dass sich in der Staatenpraxis ausgebildet hatte: die fehlende Aufwandsberücksichtigung im Quellenstaat wird teilweise im Ansässigkeitsstaat nachgeholt. Allerdings ist die faktische Arbeitsteilung zwischen Quellen- und Ansässigkeitsstaat lückenhaft. Durch Bruttobesteuerung im Quellenstaat drohen Anrechnungsüberhänge, welche keinen Spielraum mehr für den Ansässigkeitsstaat lassen. Ein verlässliches Recht auf einmalige Aufwandsberücksichtigung fehlt.

6.130

Der Objektsteuercharakter ist bei den einzelnen Einkunftsarten unterschiedlich stark ausgeprägt. Besonders auffällig ist er bei den steuerabzugspflichtigen Einkünften, bei denen die Steuer grundsätzlich5 durch den Steuerabzug abgegolten ist (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG). Hier wird die Steuer durchweg6 auf Einnahmen erhoben. Insoweit erfolgt also eine Bruttobesteuerung.

6.131

2. Durchbrechung des Nettoprinzips Die auf dem Nettoprinzip beruhende Nettobesteuerung gehört zu den primären Grundwertungen des Einkommensteuergesetzes. Denn nur durch die Nettobesteuerung kann die Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit verwirklicht werden. Das Leistungsfähigkeitsprinzip verlangt für Zwecke der Besteuerung eine Reduzierung des Bruttobetrages der Einnahmen um die Aufwendungen, die zur Erzielung der Einnahmen gemacht werden (erwerbssichernde Aufwendungen), sowie die von dem Steuerpflichtigen getätigten Ausgaben zur Ab-

1 Ausnahmen in § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG. 2 So schon Strutz, Handbuch des Reichssteuerrechts, 310; in neuerer Zeit Bayer in FS Mosler, 59 (69 f.). 3 BVerfG v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BVerfGE 43, 1; v. 24.2.1989 – 1 BvR 519/87, StRK, EStG 1975, § 36b R. 2a; BFH v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (55); Arndt, StuW 1990, 354 (365). 4 BFH v. 20.1.1959 – I 112/57 S, BStBl. III 1959, 133; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 1; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 1. 5 Ausnahme: § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG. 6 Ausnahme: § 50a Abs. 3 EStG.

Valta | 225

6.132

Kap. 6 Rz. 6.132 | Einkommensteuer

deckung von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen (existenzsichernde Aufwendungen). Das Nettoprinzip ist daher mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip untrennbar verbunden.1

6.133

Rechtlich verankert ist dieses Nettoprinzip unmittelbar in § 2 Abs. 2 EStG, wonach nur Reineinkünfte der Einkommensteuer unterliegen.2 Der Grundsatz, dass die Bruttoeinnahmen um erwerbssichernde Aufwendungen (objektives Nettoprinzip) und existenzsichernde Aufwendungen (subjektives Nettoprinzip)3 zu kürzen sind, wird im Bereich der beschränkten Steuerpflicht mehrfach durchbrochen.

6.134

Das objektive Nettoprinzip, das die Maßgröße objektiver Leistungsfähigkeit betrifft,4 gilt nicht für jene beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte, die dem Steuerabzug (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG) unterliegen, ohne dass die Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG, insbesondere die Möglichkeit zur Veranlagung, gegeben sind. Hier ist die Einkommensteuer durch den Steuerabzug abgegolten. Das gilt insbesondere für Lizenzvergütungen, die gem. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG dem Steuerabzug unterliegen. Diese Abgeltungswirkung führt zu einer Bruttobesteuerung, weil die Steuer dabei nicht von den Einkünften, sondern von den Einnahmen ohne Berücksichtigung von Betriebsausgaben und Werbungskosten erhoben wird. Etwas anderes gilt nur für EU-/EWR-Staatsangehörige für die Einkünfte, die durch im Inland ausgeübte künstlerische, sportliche, artistische, unterhaltende oder ähnliche Darbietungen oder aus deren inländischer Verwertung erzielt werden sowie für Aufsichtsratsvergütungen. Hier erfolgt entweder eine abgeltende Quellenbesteuerung auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG) oder aber eine Nettobesteuerung im Rahmen einer auf Antrag durchzuführenden Veranlagung (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 Satz 7 EStG).

6.135

Das subjektive Nettoprinzip, das sich auf die Maßgröße subjektiver Leistungsfähigkeit bezieht,5 wird im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht unabhängig von der Einkunftsart insbesondere dadurch eingeschränkt, dass gem. § 50 Abs. 1 EStG z.B. Sonderausgaben (§ 10 EStG) und Abzüge wegen außergewöhnlicher Belastung (§§ 33, 33a EStG) sowie weitere Steuerer-

1 BVerfG v. 3.11.1982 – 1 BvR 620/78, 1 BvR 1335/78, 1 BvR 1104/79, 1 BvR 363/80, BVerfGE 61, 320 (343 f.); v. 22.2.1984 – 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, 223; v. 23.1.1990 – 1 BvL 4/87, 1 BvL 5/ 87, 1 BvL 6/87, 1 BvL 7/87, BStBl. II 1990, 483 (486); v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210; v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (279); Hey/Kirchhof/Ismer in H/H/R, Einf. ESt Rz. 44; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 762 ff.; Tipke, Steuergerechtigkeit, 95 f.; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 60 ff., 183 ff.; Lang, StuW 2007, 3 ff.; Jüptner, Leistungsfähigkeit und Veranlassung, 12 f.; Tipke, StuW 1974, 84 ff.; Tipke, DB 2008, 263 ff.; Tipke, BB 2007, 1525 ff.; Uelner in FS Schmidt, 21 (24); Schaumburg in FS Tipke, 125 (134); vgl. auch die Beiträge in DStR 2009, Beihefter zu Heft 34, 77 ff. 2 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.54 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 762 ff.; zur verfassungsrechtlichen Verankerung Lehner, DStR 2009, 185 ff. und Englisch, DStR 2009, Beihefter zu Heft 34, 92 ff. 3 Zur Trennung in subjektives und objektives Nettoprinzip Kirchhof in K/S/M, § 2 EStG Rz. A 126 f.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.42 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 762 ff., 785 ff. 4 Das BVerfG (z.B. BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210/234); v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (121) hat den Verfassungsrang des objektiven Nettoprinzips bislang offengelassen. 5 Dem subjektiven Nettoprinzip hat das BVerfG (zuletzt BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/ 07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 und v. 13.2.2008 – 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125) Verfassungsrang eingeräumt.

226 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.138 Kap. 6

mäßigungen entweder überhaupt nicht oder nur unter ganz engen Voraussetzungen berücksichtigt werden können (Rz. 6.273 ff.). Da bei beschränkter Steuerpflicht im Gegensatz zur unbeschränkten Steuerpflicht das objektive Nettoprinzip und das subjektive Nettoprinzip sowie der Splittingtarif (§ 32a Abs. 5 EStG) nur eingeschränkt berücksichtigt werden,1 haben sich Rechtsprechung und Literatur mit der Frage beschäftigt, ob insoweit nicht ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt.

6.136

Seitens der Rechtsprechung des BVerfG und des BFH wird eine Verletzung des Gleichheitssatzes allgemein verneint. Das BVerfG hat sich bislang nur in wenigen Entscheidungen2 hierzu geäußert. So hat es den Quellensteuerabzug mit Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG) damit gerechtfertigt, dass er eine ausreichende Gewähr für eine wirksame Steuererhebung biete und damit dem objektsteuerartigen Charakter der Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen Rechnung trage. Im Übrigen sei die Quellensteuer der Höhe nach limitiert, wodurch eine geringere Steuerbelastung als bei unbeschränkt steuerpflichtigen Personen entstehen könne.3 Die Nichtberücksichtigung der persönlichen Verhältnisse bei beschränkt steuerpflichtigen Personen wird schließlich damit gerechtfertigt, dass es allein Aufgabe des Ansässigkeitsstaates sei, die persönliche Leistungsfähigkeit dieses Personenkreises zu berücksichtigen.4 Davon abgesehen, werde dem Leistungsfähigkeitsprinzip ohnehin schon dadurch entsprochen, dass beschränkt Steuerpflichtige nicht mit ihrem gesamten Einkommen in Deutschland zur Einkommensteuer herangezogen würden.5 Der BFH hat in seinen Entscheidungen grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG mit der Begründung verneint, dass aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht eine ungleiche Behandlung zu rechtfertigen sei. Eine Ungleichbehandlung rechtfertige sich insbesondere deshalb, weil nur im Falle unbeschränkter Steuerpflicht sämtliche Einkünfte des Steuerpflichtigen der Besteuerung in Deutschland unterlägen.6

6.137

In der Literatur wird die Ungleichbehandlung im Wesentlichen mit dem Objektsteuercharakter der beschränkten Steuerpflicht gerechtfertigt.7

6.138

1 Ausnahme: §§ 1 Abs. 3, 1a Abs. 1 EStG. 2 Vgl. etwa BVerfG v. 24.9.1965 – 1 BvR 228/65, BVerfGE 19, 119; v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BVerfGE 43, 1; v. 5.9.1975 – 1 BvR 219/75, HFR 1975, 540; v. 24.2.1989 – 1 BvR 519/87, StRK EStG 1975, § 36b R. 2a. 3 BVerfG v. 24.9.1965 – 1 BvR 228/65, BVerfGE 19, 119. 4 BVerfG v. 24.9.1965 – 1 BvR 228/65, BVerfGE 19, 119. 5 BVerfG v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BVerfGE 43, 1; weitergehend die Analyse der Entscheidungen des BVerfG bei Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, S. 77 ff. 6 BFH v. 20.1.1959 – I 112/57 S, BStBl. III 1959, 133; v. 16.8.1963 – VI 96/62 U, BStBl. III 1963, 486; v. 14.2.1975 – VI R 210/72, BStBl. II 1975, 497; v. 10.10.1973 – I R 162/71, BStBl. II 1974, 30; v. 5.2.1965 – VI 334/63 U, BStBl. III 1965, 352; v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; einschränkend aber BFH v. 12.5.1992 – I B 90/91, BFH/NV 1992, 736; vgl. auch den Überblick bei Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 6. 7 Tiede in H/H/R, § 1 EStG Rz. 345; Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 87; differenzierend Strunk in Korn, § 50 EStG Rz. 10; Wassermeyer, DStJG 8 (1995), 49 (64 ff.); kritisch Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 3.

Valta | 227

Kap. 6 Rz. 6.139 | Einkommensteuer

6.139

Art. 3 Abs. 1 GG, auf den sich auch beschränkt Steuerpflichtige berufen können,1 verlangt im Grundsatz eine Gleichbehandlung zwischen unbeschränkt steuerpflichtigen und beschränkt steuerpflichtigen Personen, sofern zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen können.2 Derartige Rechtfertigungsgründe gibt es für die Ungleichbehandlung von unbeschränkter Steuerpflicht einerseits und beschränkter Steuerpflicht andererseits nicht. Im Einzelnen:

6.140

Die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips und damit die Normierung der Bruttobesteuerung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht wird u.a. damit gerechtfertigt, dass bei in das Ausland fließenden Einnahmen die Anwendung des Quellenabzugsverfahrens für eine wirksame Steuererhebung unabdingbar sei.3 Damit wird unterstellt, dass der Quellensteuerabzug von Bruttoeinnahmen zur Vermeidung der Steuerhinterziehung beitrage.4 Die Vermeidung der Steuerhinterziehung mag zwar einen Quellensteuerabzug von den Bruttoeinnahmen erforderlich machen, erklärt aber nicht die differenzierende Behandlung zwischen unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Personen. Denn auch bei unbeschränkt steuerpflichtigen Personen ist unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung der Steuerhinterziehung bei Kapitalerträgen der Steuerabzug an der Quelle normiert (§ 43 EStG). Schließlich beruht die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips nicht auf der Quellenbesteuerung, die auch auf Nettobasis erfolgen kann,5 sondern allein auf der Abgeltungswirkung bei auf Bruttobasis vorgenommener Quellenbesteuerung (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG). Es ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen der Gesichtspunkt der Vermeidung der Steuerhinterziehung den Gesetzgeber daran hindern könnte, quellensteuerpflichtige Einkünfte insgesamt in das Veranlagungsverfahren beschränkt steuerpflichtiger Personen einzubeziehen und unter Berücksichtigung von Betriebsausgaben und Werbungskosten sowie unter Anrechnung der Quellensteuer einer individuellen Steuerbelastung zuzuführen.6 § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG eröffnet das Veranlagungsverfahren indessen nur für bestimmte Einkünfte und z.T. nur für einen bestimmten Personenkreis. Nicht erfasst werden hiervon etwa Dividenden und Lizenzgebühren. Die Kapitalertragsteuer (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG) bzw. die Quellensteuer (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG) wirken definitiv, soweit sie nicht in einer inländischen Betriebsstätte anfallen (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG).7

6.141

Zur Rechtfertigung für die Bruttobesteuerung sind auch Gründe der Verwaltungsvereinfachung angeführt worden.8 Eine Bruttobesteuerung wird zwar eine Vereinfachung für die Fi-

1 BVerfG v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BVerfGE 43, 1; BFH v. 4.2.1987 – I R 252/83, BStBl. II 1987, 682. 2 Nach der herkömmlichen Rechtsprechung des BVerfG ist der Gleichheitssatz allgemein dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstig einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung nicht finden lässt, so z.B. BVerfG v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BVerfGE, 42, 374, 388; v. 20.3.1979 – 1 BvR 111/74, 1 BvR 283/78, BVerfGE 51, 1, 23; zur „Willkür“-Formel Rz. 4.5. 3 BVerfG v. 24.9.1965 – 1 BvR 228/65; BVerfGE 19, 119. 4 Zu diesem Argument eingehend Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 9 f., 78. 5 Vgl. § 50a Abs. 3 EStG. 6 Hierzu Schaumburg in FS Tipke, 125 (136). 7 In diesem Fall entfällt für Dividenden auch die Abgeltungsteuer (§§ 32d Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 8 EStG), so dass entsprechende Betriebsausgaben geltend gemacht werden können. 8 So die Begründung zu § 50 Abs. 4 Satz 1 EStG 1934, RStBl. I 1935, 33 (60); weitere Rechtfertigungsversuche bei Menck in Engelschalk/Flick u.a., Steuern auf ausländische Einkünfte, 28 (30 ff.).

228 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.144 Kap. 6

nanzverwaltung und eine Reduzierung der Verwaltungskosten bedeuten,1 wenn die finanziellen Lasten des Quellensteuerabzugs vom Staat überwälzt werden; dieses Argument vermag aber nicht die Differenzierung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht zu begründen.2 Mit diesem Argument ließe sich nämlich auch eine durchgängige Bruttobesteuerung bei unbeschränkter Steuerpflicht rechtfertigen, die indessen nur für bestimmte Einkünfte aus Kapitalvermögen vorgesehen ist (§ 32d EStG). Wie wenig durchgreifend schließlich das Argument der Verwaltungsvereinfachung ist, zeigt sich auch daran, dass nicht sämtliche von § 49 Abs. 1 EStG erfassten Einkünfte der Abgeltungswirkung unterworfen sind (§ 50 Abs. 2 Satz 2) und etwa im Rahmen der erweiterten beschränkten Einkommensteuerpflicht die Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG aufgehoben ist (§ 2 Abs. 5 Satz 2 AStG).3 Soweit die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips und die daraus folgende Bruttobesteuerung bestimmter Einkünfte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht ferner damit gerechtfertigt wird, es sei nicht Aufgabe des Quellenstaates, die Besteuerung an der individuellen Leistungsfähigkeit auszurichten,4 ist dieses Argument im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG ebenfalls nicht stichhaltig, da der allgemeine Gleichheitssatz auch für beschränkt steuerpflichtige Personen gilt. Es wird zwar überwiegend die Ansicht vertreten, dass ausschließlich der Wohnsitzstaat für die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zuständig sei,5 dies vermag aber allenfalls die Nichtberücksichtigung von Ausgaben zu rechtfertigen, die in keinem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Einnahmen im Quellenstaat stehen.6 Ausgaben aber, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit Einnahmen im Quellenstaat stehen, mindern dagegen die Leistungsfähigkeit auch im Quellenstaat und müssen daher berücksichtigt werden,7 und zwar entweder durch eine abgeltende Quellenbesteuerung auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG) oder/und durch Einbeziehung in eine steuerliche Veranlagung (§ 50 Abs. 2 Satz 2 EStG).

6.142

Eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) ergibt sich aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt der unterschiedlichen Besteuerung von unbeschränkt Steuerpflichtigen einerseits und beschränkt Steuerpflichtigen andererseits. Gleichheitswidrig ist vielmehr auch die steuerlich unterschiedliche Behandlung innerhalb der Gruppe der beschränkt Steuerpflichtigen, für die teils das Nettoprinzip und teils das Bruttoprinzip gilt.8

6.143

Die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips mit der Folge der Bruttobesteuerung, die in Einzelfällen auch zu einer die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) verletzenden konfiskatorisch wirkenden Besteuerung führen kann, verstößt daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist verfassungswidrig. Insoweit gilt das sich aus § 2 Abs. 2 EStG ergebende Konzept der Besteuerung von Reineinkünften auch für die beschränkte Steuerpflicht. Hiergegen verstößt die Bruttobesteue-

6.144

1 2 3 4 5 6 7 8

Hierzu Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 7 f., 50 ff. Hierzu Mössner in Haarmann, Die beschränkte Steuerpflicht, 110 (124 f.). Hierzu Schaumburg in FS Tipke, 125 (136). So BVerfG v. 24.9.1965 – 1 BvR 228/65, BVerfGE 19, 119; BFH v. 25.3.1986 – IX R 4/83, BStBl. II 1986, 603. Z.B. BFH v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701. Z.B. Sonderausgaben und Ausgaben für außergewöhnliche Belastung. Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 80; Mössner in Haarmann, Die beschränkte Steuerpflicht, 110 (123 f.). Zu diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Bedenken Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 50 ff., 91 ff.; Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (66).

Valta | 229

Kap. 6 Rz. 6.144 | Einkommensteuer

rung (§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG).1 Um dem Gleichheitssatz zu entsprechen, sollten, damit ein Minimalprogramm inländischer Leistungsfähigkeit berücksichtigt wird, die abzugspflichtigen Einkünfte über die in § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG genannten Fälle hinaus wenigstens auf Antrag veranlagt und damit von der Bruttobesteuerung auf die Nettobesteuerung überführt werden können.2

6.145

Die Durchbrechung des subjektiven Nettoprinzips, also die Nichtberücksichtigung von Familienlasten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen sowie die Nichtgewährung des Splitting-Tarifs, ist demgegenüber dadurch gerechtfertigt, dass im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nicht das Welteinkommen der Besteuerung unterliegt. Familienlasten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen stehen in keinem Zusammenhang mit bestimmten Einkünften, sie sind vielmehr personenbezogen und daher auf die Erfassung der Gesamtleistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet. Die Gesamtleistungsfähigkeit wird aber entscheidend bestimmt durch das Welteinkommen, welches der Steuerpflichtige in einem Besteuerungszeitraum erzielt. Ebenso stellt auch der Splitting-Tarif auf die Gesamtleistungsfähigkeit ab und steht damit in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Welteinkommensprinzip. Würden im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht derartige personenbezogene Aufwendungen berücksichtigt und der Splitting-Tarif gewährt, käme es unter Umständen zu einer Doppelberücksichtigung, falls der Wohnsitzstaat derartige die individuelle Leistungsfähigkeit indizierende Umstände ebenfalls berücksichtigt. Aus der Sicht des Art. 3 Abs. 1 GG, wäre dies nicht zu rechtfertigen.3 Die Durchbrechung des subjektiven Nettoprinzips führt damit grundsätzlich nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.4 Erzielt der Steuerpflichtige im Wohnsitzstaat allerdings keine oder nur geringe positive Einkünfte, scheidet unter Umständen eine leistungsfähigkeitsorientierte Besteuerung gänzlich aus, wenn im Quellenstaat erzielte Einkünfte aufgrund eines DBA nur dem Quellenstaat zur Besteuerung zugewiesen sind oder aber im Ansässigkeitsstaat negative Einkünfte erzielt werden, die die im Quellenstaat erzielten positiven Einkünfte ausgleichen. In beiden Fällen verbleibt es im Ergebnis bei einer die persönliche Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigenden Besteuerung im Quellenstaat. Hierdurch hervorgerufene Ungleichbehandlungen hat der Einkommensteuergesetzgeber für einen eng umgrenzten Kreis von Steuerpflichtigen durch eine fingierte unbeschränkte Steuerpflicht beseitigt (§§ 1 Abs. 3; 1a EStG; Rz. 6.43 ff.). Eine an der Leistungsfähigkeit orientierte Besteuerung verlangt indessen eine Ausdehnung der fingierten unbeschränkten Steuerpflicht unter Einbeziehung der personen- und familienbezogenen Vergünstigungen des § 1a EStG auf alle im Ausland lebenden Personen und deren Ehegatten, wenn deren Einkünfte überwiegend5 aus inländischen Einkünften bestehen.6 In diesen Fällen ist daher eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG

1 Hierzu Schaumburg in FS Tipke, 125 (137); Schaumburg, DStJG 24 (2001), 225 (276 ff.); Schaumburg, StuW 2000, 369 (371 f.); Schaumburg in FS Lang, 1099 (1111 ff.); zu verfassungsrechtlichen Bedenken ferner Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 60 ff.; Berkes, Die beschränkte Steuerpflicht der Arbeitnehmer im System des Einkommensteuergesetzes, 35 f., 39 ff.; Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 75 ff.; Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (66). 2 Eine derart umfassende gesetzgeberische Maßnahme zur Beseitigung der Ungleichbehandlung ist einem dem gleichen Ziel dienenden Erlass gem. § 227 AO vorzuziehen; hierzu Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (65). 3 Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (63 f.). 4 Vgl. BFH v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; der grundsätzlich ebenso einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 14 GG verneint. 5 Schwellenwert gem. § 1 Abs. 3 EStG: 90 %. 6 Schaumburg in FS Tipke, 125 (139); Kumpf/Roth, StuW 1996, 259 (265); Schaumburg/Schaumburg, StuW 2005, 306 (315).

230 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.148 Kap. 6

verstoßende Ungleichbehandlung und eine mit Art. 14 GG nicht zu vereinbarende konfiskatorisch wirkende Besteuerung durch Steuererlass (§ 227 AO) zu vermeiden.1 Maßstab hierfür ist diejenige Steuer, die bei unbeschränkter Steuerpflicht hätte gezahlt werden müssen.2 Dieser verfassungsrechtlich gebotene Steuererlass kommt in der Besteuerungspraxis vor allem Einpendlern (Grenzgängern) ohne EU-/EWR-Staatsangehörigkeit zugute, die ausschließlich in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgehen und täglich in ihre in einem Drittstaat gelegene Wohnung zurückkehren.3

3. Verstoß gegen das Ausländer-Diskriminierungsverbot Der AEUV verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 Abs. 1 AEUV). Dieses EU-Diskriminierungsverbot erstreckt sich auf alle offenen und versteckten Diskriminierungen, erfasst damit auch benachteiligende Regelungen, die zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, deren Tatbestände jedoch ausschließlich oder regelmäßig nur von ausländischen Staatsangehörigen erfüllt werden (Rz. 4.13).

6.146

Eine Ausprägung dieses allgemeinen Diskriminierungsverbotes ist insbesondere die in Art. 49 AEUV gewährleistete Niederlassungsfreiheit für die Unionsbürger zur Ausübung eines Berufs, die nicht nur ein Willkürverbot, sondern darüber hinaus eine strikte Inländergleichbehandlung gebietet (Rz. 4.25 ff.). Dieses Gleichbehandlungsgebot räumt jedem Unionsbürger das Recht ein, sich auch gegenüber nationalen steuerrechtlichen Regelungen auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen.

6.147

Da die §§ 49 und 50 EStG tatbestandlich nicht an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, ist ein Verstoß gegen das Verbot offener Diskriminierung nicht gegeben. Die §§ 49, 50, 50a EStG beinhalten aber auch nicht eine versteckte Diskriminierung, soweit diese spezifischen für beschränkt steuerpflichtige Personen geltenden Vorschriften im Rahmen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 3; 1a EStG) eine der unbeschränkten Steuerpflicht angenäherte Besteuerung sicherstellen,4 die Möglichkeit einer Veranlagung (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5, Satz 7 EStG, Rz. 6.289) oder eines Steuerabzugs auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG; Rz. 6.295) einräumen. Da die vorgenannten Regelungen nicht nur für Unionsbürger, sondern auch für Angehörige von EWR-Staaten gelten, wird zugleich dem EWR-Diskriminierungsverbot (Rz. 6.295 ff.) entsprochen. Im Übrigen wird allerdings gegen die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten verstoßen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf den Steuerabzug auf Brutto-

6.148

1 BVerfG v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BVerfGE 43, 1 (12); BFH v. 4.2.1987 – I R 252/83, BStBl. II 1987, 682; v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944; v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; v. 25.1.1989 – I R 205/82, BStBl. II 1990, 687; v. 12.5.1992 – I B 90/91, BFH/NV 1992, 736; Berkes, Die beschränkte Steuerpflicht der Arbeitnehmer im System des Einkommensteuergesetzes, 29 ff.; 42 f.; Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (64). 2 BFH v. 4.2.1987 – I R 252/83, BStBl. II 1987, 682; v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944; v. 25.1.1989 – I R 205/82, BStBl. II 1990, 687; Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (64); Selling, FR 1987, 245 ff. 3 Hierzu Zwick, Die Einkommensbesteuerung von Grenzgängern; Albeseder/Baumgartner/Weiler, DStR 1988, 491 ff.; im Verhältnis zur Schweiz erfolgt die Gleichstellung mit EU-/EWR-Staatsangehörigen (teilweise) durch das Freizügigkeitsabkommen ABl. EG 2002 Nr. L 114, 6; vgl. hierzu EuGH v. 28.2.2013 – C-425/11, ECLI:EU:C:2013:121 = BStBl. II 2013, 896 – Ettwein; umgesetzt durch BMF v. 16.9.2013 – IV C 3 – S 1325/11/10014 – DOK 2013/0855952, BStBl. I 2013, 1325; vgl. Rz. 4.46 ff. 4 Zu §§ 1 Abs. 3, 1a EStG siehe Rz. 6.40 ff. und zu § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG siehe Rz. 6.283 ff.

Valta | 231

Kap. 6 Rz. 6.148 | Einkommensteuer

basis bei Lizenzvergütungen, für die weder ein Veranlagungswahlrecht noch ein Steuerabzug auf Nettobasis vorgesehen ist (§§ 50a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3; 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG).1

6.149

Ein Ausländerdiskriminierungsverbot enthalten auch die von Deutschland abgeschlossenen DBA (Art. 24 OECD-MA). Dieses bilaterale Diskriminierungsverbot untersagt bei der Besteuerung eine Differenzierung aufgrund der Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen (Rz. 4.51 ff.). Rechtlich zulässig dagegen sind die steuerlichen Differenzierungen, die insbesondere an die Ansässigkeit des Steuerpflichtigen anknüpfen.2 Da die nachteiligen Wirkungen der beschränkten Steuerpflicht durchweg Folge der Ansässigkeit, nicht jedoch der Staatsangehörigkeit sind, ist das bilaterale Diskriminierungsverbot grundsätzlich nicht verletzt.3 Gegen das abkommensrechtliche Staatsangehörigkeitsdiskriminierungsverbot wird allerdings im Anwendungsbereich der fingierten unbeschränkten und beschränkten Einkommensteuerpflicht in folgenden Fällen verstoßen: § 1a Abs. 1 EStG gewährt nur EU-/EWR-Staatsangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen familienbezogene Vergünstigungen, die Drittstaatsangehörigen bei sonst gleichen Verhältnissen aus Gründen der Gleichbehandlung ebenfalls zu gewähren sind.4 Entsprechendes gilt im Anwendungsbereich von § 50 Abs. 2 Satz 7 EStG, wonach im Rahmen der beschränkten Einkommensteuerpflicht lediglich EU-/EWR-Staatsangehörigen die Möglichkeit eröffnet wird, einen Antrag auf Veranlagung zu stellen, um so der Abgeltungswirkung des Steuerabzugs (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG) zu entgehen. Hier haben aus Gründen der sich aus Art. 24 Abs. 1 OECD-MA ergebenden Gleichbehandlungsverpflichtung Drittstaatsangehörige ebenfalls Anspruch auf Durchführung einer Veranlagung, falls sie im EU-/EWR-Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.5 Diese Gleichbehandlungsverpflichtung kommt auch im Zusammenhang mit § 50a Abs. 3 EStG zur Geltung. Sie führt dazu, dass Drittstaatsangehörigen unter den gleichen Voraussetzungen wie EU-/EWR-Staatsangehörigen der Zugang zum Steuerabzug auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG) zu gewähren ist.6 Soweit das bilaterale Diskriminierungsverbot sich auf die Besteuerung von Betriebsstätten erstreckt,7 ist ein Verstoß hiergegen nicht zu erkennen, weil nach der Konzeption der §§ 49 und 50 EStG Betriebsstätteneinkünfte grundsätzlich nicht höher belastet sind als vergleichbare inländische Unternehmen im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht.8 Das gilt insbesondere im Hinblick auf Art. 24 Abs. 3 Satz 2 OECD-MA, wonach beim maßgeblichen Belastungsvergleich persönliche Steuervorteile unberücksichtigt bleiben, so dass im Ergebnis allein betriebsbezogene Besteuerungsmerkmale einzubeziehen sind.9

1 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.41. 2 Eine versteckte Diskriminierung ist daher nicht verboten; vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 4.51. 3 Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 53 f.; Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 101 f. 4 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 1a EStG Rz. 3; Gosch, DStR 2007, 1553 ff. (1560); Schaumburg in FG Wassermeyer Rz. 121 (125). 5 Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 12; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50 EStG Rz. 24; Schaumburg in FG Wassermeyer, Rz. 121 (125). 6 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50a EStG Rz. 22; Schaumburg in FG Wassermeyer, Rz. 121 (125). 7 Art. 24 Abs. 3 OECD-MA; zu Einzelheiten Rz. 4.57 ff. 8 Vgl. Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 104; Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 102. 9 BFH v. 8.1.1969 – I 158/64, BStBl. II 1969, 466; v. 13.1.1970 – I 32/65, BStBl. II 1970, 790; v. 30.10.1973 – I R 38/70, BStBl. II 1974, 255; vgl. ferner Rz. 4.60.

232 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.151 Kap. 6

IV. Qualifizierung der inländischen Einkünfte Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 2 EStG; Bilsdorfer, Die sogenannte isolierende Betrachtungsweise, RIW/AWD 1983, 850; Böhmer, Nachträgliche Einkünfte einer aufgegebenen Auslandsbetriebsstätte, insbesondere Besteuerungsrecht für den Ertrag aus der Auflösung einer Rückstellung, IStR 2015, 883; Coenen, Die isolierende Betrachtungsweise nach § 49 Abs. 2 EStG, Diss. Münster 2004; Crezelius, Die isolierende Betrachtungsweise, insbesondere die grenzüberschreitende Betriebsaufspaltung, in Haarmann (Hrsg.), Die beschränkte Steuerpflicht, Köln 1993, 75; Crezelius, Die isolierende Betrachtungsweise, insbesondere die grenzüberschreitende Betriebsaufspaltung, StVj 1992, 322; Gosch, Altes und Neues, Bekanntes und weniger Bekanntes zur sog. isolierenden Betrachtungsweise, in Gocke/ Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Wassermeyer, 263; Kumpf/Roth, Einzelfragen der Ergebniszuordnung nach den neuen Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen, DB 2000, 787; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, Herne/Berlin 1991, 162; Mössner, Isolierende Betrachtungsweise – Essay einer dogmatischen Klärung, in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/ Schaumburg (Hrsg.), Unternehmen – Steuern, FS für Flick, Köln 1997, 939; Morgenthaler, Die „isolierende Betrachtungsweise“ im internationalen Einkommensteuerrecht, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, FS Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 277 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020, Rz. 8.34 (europarechtliche Aspekte); Walter, Die sog. „isolierende Betrachtungsweise“ bei der Bestimmung der inländischen Einkünfte und des Inlandsvermögens der Ausländer, Diss. Heidelberg 1977; Wassermeyer, Das Besteuerungsrecht für nachträgliche Einkünfte im internationalen Steuerrecht, IStR 2010, 46; Wassermeyer, Die beschränkte Steuerpflicht, DStJG 8 (1985).

1. Inlandsbezogene Qualifikationsmerkmale Der Einkünftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG knüpft grundsätzlich an die Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG an. Die Verweisungen auf die §§ 13 bis 23 EStG bedeuten, dass zugleich alle Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschriften erfüllt sein müssen. Insoweit hat § 49 Abs. 1 EStG keine konstitutive Bedeutung, sondern wiederholt nur das, was bereits in § 2 Abs. 1 EStG dadurch zum Ausdruck kommt, dass die dort bezeichneten Einkünfte, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt, der Einkommensteuer unterliegen.1

6.150

Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 13 bis 23 EStG werden gem. § 49 Abs. 1 EStG allerdings um jene Tatbestandsmerkmale erweitert, die die vorgenannten Einkünfte als inländische Einkünfte qualifizieren2 und diese von übrigen Einkünften abgrenzen.3 Die Bedeutung des § 49 Abs. 1 EStG erschöpft sich mithin darin, den Inlandsbezug der in den §§ 13 bis 23 EStG

6.151

1 BFH v. 20.2.1974 – I R 217/71, BStBl. II 1974, 511; v. 12.11.1986 – I R 192/85, BStBl. II 1987, 383; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 5; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 11; Mössner in FS Flick, 939 (948); Gosch in FS Wassermeyer, 263 (268); dementsprechend gelten für die Einkünfteermittlung im Grundsatz keine Besonderheiten, wobei sich freilich die Einkünfteermittlung nur auf die inländischen Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) bezieht; vgl. BFH v. 17.12.1997 – I R 95/96, BStBl. II 1998, 260; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 2. 2 Die im nachfolgenden verwendeten Begriffe „Qualifizierung“ oder „Qualifikation“, die dem Internationalen Privatrecht entstammen und dort nur Bedeutung im Zusammenhang mit Kollisionsnormen erlangen, haben auch die Begriffswelt des Internationalen Steuerrechts erobert und hierbei unterschiedliche Deutungen erfahren (vgl. hierzu Lehner in V/L7, DBA, Grundlagen Rz. 96b ff.). Diese Begriffe stehen hier für „Einordnung“ oder „Bestimmung“. 3 BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663.

Valta | 233

Kap. 6 Rz. 6.151 | Einkommensteuer

genannten Einkunftsarten herzustellen.1 Es gelten daher im Grundsatz die allgemeinen durch das Veranlassungsprinzip2 geprägten Zuordnungsregeln, wonach betrieblich/beruflich veranlasste Aufwendungen/Ausgaben Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind (§ 50 Abs. 1 Satz 1 EStG). Im Hinblick darauf kommt es nicht darauf an, ob die Betriebsausgaben oder Werbungskosten in den Zeitraum der beschränkten Steuerpflicht fallen. Entscheidend ist allein, ob sie durch unter § 49 Abs. 1 EStG fallende Tätigkeiten oder Rechtsverhältnisse veranlasst sind.3 Für nachträgliche Einnahmen ergibt sich dies allgemein schon aus § 24 Nr. 1 und 2 EStG4 sowie speziell aus § 49 Abs. 1 Nr. 3 und 4 Buchst. a EStG5 und § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG.6 Das bedeutet, dass etwa nachträgliche Betriebseinnahmen aus einer in einem vorangegangenen Veranlagungszeitraum im Inland aufgelösten Betriebsstätte von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erfasst werden.7 Aus diesem Grund sind auch vorweggenommene und nachträgliche Betriebsausgaben und Werbungskosten im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht zu berücksichtigen.8 Voraussetzung ist allerdings, dass der in § 49 Abs. 1 EStG verlangte für die Qualifizierung als inländische Einkünfte maßgebliche Objektbezug auch tatsächlich gegeben ist.9 Dass die (vergeblichen) Aufwendungen angefallen sind, um diesen Objektbezug herzustellen, reicht nicht aus.10 Die vorgenannten Grundsätze gelten uneingeschränkt auch für Überschusseinkünfte (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Das für § 49 Abs. 1 EStG maßgebliche Veranlassungsprinzip wird nämlich durch das Zu- und Abflussprinzip (§ 11 Abs. 1 u. 2 EStG) nicht verdrängt,11 weil letzteres als bloß technisches Prinzip nur über das „Wann“, nicht aber auch über das „Ob“ der Besteuerung entscheidet.12

6.152

Die den Inlandsbezug herstellenden Qualifikationsmerkmale des § 49 Abs. 1 EStG werden häufig dafür kritisiert, dass sie keine einheitliche gesetzgeberische Wertung enthalten. Die

1 BFH v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (61 f.). 2 Hierzu im Überblick Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.213 ff. 3 Loschelder in Schmidt41, § 50 EStG Rz. 9; § 50 Rz. 9; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 4147 f.; Roth in H/H/R, § 49 EStG Rz. 53; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 107a; a.A. BFH v. 17.4.1996 – I R 78/95, BStBl. II 1996, 571, wonach bei Überschusseinkünften (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG) auf das Zu- und Abflussprinzip (§ 11 EStG) abgestellt wird. 4 Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 15; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 107. 5 Wortlaut: „… worden ist.“ 6 Entschädigungen für die Auflösung eines (früheren) Dienstverhältnisses; vgl. hierzu auch § 50d Abs. 12 EStG idF des AHRL-ÄndUmsG. 7 BFH v. 15.7.1964 – I 415/61 U, BStBl. III 1964, 551; v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019, Rz. 23; vgl. auch BFH v. 20.5.2015 – I R 75/14, ISR 2015, 416 m. Anm. Böhmer = IStR 2015, 883; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 15; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 53; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 4147 f.; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 107; Kumpf/Roth, DB 2000, 787; vgl. auch Rz. 21.95 ff. 8 BFH v. 28.3.1984 – I R 191/79, BStBl. II 1984, 664; v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 Rz. 23; v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703, Tz. 20; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 127; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 53; so für die unter § 49 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG nicht aber für die unter § 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG fallenden Einkünfte Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 5.3; vgl. auch Rz. 21.95 ff. 9 Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 4111 f., 4129 f.; unter abkommensrechtlichen Gesichtspunkten ebenso; vgl. Rz. 19.264 ff. 10 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 53; a.A. BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, ISR 2014, 273 m. Anm. Haase = BFH/NV 2014, 1297 Rz. 21; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 107a. 11 BFH v. 20.9.2006 – I R 59/05, BStBl. II 2007, 756 unter II.3.; Gosch in FG Wassermeyer, 209 (218). 12 BFH v. 20.9.2006 – I R 59/05, BStBl. II 2007, 756 unter II.3; Krüger in Schmidt41, § 11 EStG Rz. 1; vgl. zur unbeschränkten Steuerpflicht Rz. 6.102.

234 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.152 Kap. 6

Verwirklichung des Territorialitätsprinzips ist in der Tat bei den einzelnen Einkunftsarten unterschiedlich ausgeprägt. Tatsächlich kommt bei den territorial gebundenen Einkünften, etwa den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG), aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG) und betriebsstättenbezogenen Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), das Belegenheits- und das Betriebsstättenprinzip zur Anwendung, bei weniger territorial gebundenen Einkünften, etwa den Einkünften aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG), das Arbeitsort- und Verwertungsortprinzip oder andere Gesichtspunkte im Vordergrund. Darüber hinaus bestehen aber auch erhebliche Besteuerungslücken bei den territorial nicht gebundenen Einkünften, etwa bei Zinseinkünften und den Einkünften aus Gewerbebetrieb, z.B. aus der Tätigkeit als Vertreter, Makler oder Unternehmensberater, soweit diese Personen für ihre Tätigkeit keine Betriebsstätte unterhalten. Die fehlende Besteuerung derartiger nichtinländischer Einkünfte kann zu erheblichen Wettbewerbsverfälschungen führen, zumal dann, wenn im betreffenden Ansässigkeitsstaat nur eine geringe Steuer erhoben wird. So zutreffend der kritische Befund ist und rechtspolitischer Reformbedarf nahe liegt, sollten an den Katalog des § 49 Abs. 1 EStG keine übermäßigen Systematisierungserwartungen gestellt werden. Die Quellenbesteuerung in Deutschland muss im Zusammenspiel mit der Welteinkommensbesteuerung im Ansässigkeitsstaat des Steuerausländers gesehen werden. Dort findet im Rahmen der Welteinkommensbesteuerung regelmäßig eine systematische und umfassende Erfassung der Einkünfte auch aus Deutschland statt. Die Frage der beschränkten Steuerpflicht ist daher vor allem eine Frage der horizontalen Aufteilung der Besteuerung zwischen den Staaten und nur nachrangig eine Frage der Beeinflussung der Gesamtsteuerbelastung, wenn auch Quellenabzugssteuern ein wichtiges Mittel zur Sicherstellung einer Einmalmindestbesteuerung sein können. Die Reichweite der beschränkten Steuerpflicht unterliegt daher vielfältigen Opportunitätserwägungen, welche grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen überhaupt effizient und effektiv erfasst werden können. Ein Verzicht auf eine Quellenbesteuerung reduziert die Gefahr einer Doppelbesteuerung sowie den Compliance-Aufwand und erhöht die Attraktivität von Inbound-Investitionen. Diese Opportunitätserwägungen finden ihre Fortsetzung im Rahmen der Doppelbesteuerungsabkommen, welche die Reichweite der beschränkten Steuerpflicht eingrenzen. Umgekehrt erfolgt die Ausgestaltung des § 49 Abs. 1 EStG auch mit Blick auf die Doppelbesteuerungsabkommen: werden alle in den Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland zugewiesenen Besteuerungsrechte überhaupt mit einem entsprechenden deutschen Besteuerungszugriff ausgefüllt? Hat Deutschland genügend Verhandlungsmasse im Sinne von Besteuerungszugriffen, auf die zur Erhaltung von Zugeständnissen verzichtet werden kann? Schließlich sollte der Vergleich des Katalogs des § 49 Abs. 1 EStG mit dem des § 34d EStG deren unterschiedliche Funktionen reflektieren. Während § 49 Abs. 1 EStG die deutschen Opportunitätserwägungen für die Quellenbesteuerung abbildet, zeigt § 34d EStG welche entsprechenden Erwägungen man in der Rolle des Ansässigkeitsstaats gegenüber einem anderen Quellenstaat zu akzeptieren bereit ist. Die Kataloge müssen daher nicht spiegelbildlich sein. Es dient der Förderung sowohl von Inbound-Investitionen als auch von Outbound-Investitionen, wenn einerseits der Katalog des § 49 Abs. 1 EStG – jeweils begrenzt durch die DBA – nicht zu breit ist, andererseits aber auch breite Quellenbesteuerungszugriffe über § 34d EStG einer Entlastung von der Doppelbesteuerung durch Anrechnung nach § 34c EStG sowie § 26 KStG zugeführt werden. Doppelerfassungen sind daher kein redaktionelles oder systematisches Versagen, sondern Ausdruck rechtspolitischer Entscheidungen. Wird etwa eine selbständige Tätigkeit im Inland ausgeübt, im Ausland aber verwertet, so handelt es sich um inländische Einkünfte (§ 49 Valta | 235

Kap. 6 Rz. 6.152 | Einkommensteuer

Abs. 1 Nr. 3 EStG) und zugleich um ausländische Einkünfte (§ 34d Nr. 3 EStG). Für Deutschland wird aber je nach Rolle als Quellen- oder Ansässigkeitsstaat immer nur eine Vorschrift relevant: als Quellenstaat würde es die Besteuerung der Ausübung beanspruchen, als Ansässigkeitsstaat die Quellenbesteuerung der Verwertung anrechnen.

2. Isolierende Betrachtungsweise 6.153

Gemäß § 49 Abs. 2 EStG bleiben im Ausland gegebene Besteuerungsmerkmale (Sachverhaltselemente)1 außer Betracht, soweit bei ihrer Berücksichtigung inländische Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG nicht angenommen werden könnten.

6.154

§ 49 Abs. 2 EStG räumt den im Inland verwirklichten Sachverhaltselementen die Priorität für die Bestimmung der Einkunftsart ein. Ausländische Sachverhaltselemente scheiden bei der Bestimmung der Einkunftsart aus, soweit ihre Berücksichtigung eine nach den Verhältnissen im Inland begründete Steuerpflicht ausschließen würde.2 Für die Bestimmung der Einkunftsart stehen daher die inlandsbezogenen Qualifikationsmerkmale im Vordergrund. Im Hinblick darauf spielen insbesondere die Subsidiaritätsregeln der Einkunftsarten (§§ 20 Abs. 8; 21 Abs. 3; 22 Nr. 1 Satz 1; 22 Nr. 3 Satz 1; 23 Abs. 2 EStG) keine Rolle, soweit ein auslandsbezogenes Qualifikationsmerkmal hierfür bestimmend wäre.3 Erzielt etwa ein ausländischer Gewerbetreibender Einkünfte für die Hingabe eines Darlehens, das durch inländischen Grundbesitz besichert ist (Hypothekenzinsen) und zu seinem ausländischen Betriebsvermögen gehört, so handelt es sich ohne Rücksicht auf die Subsidiaritätsklausel des § 20 Abs. 8 EStG stets um Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa EStG).

6.155

Die in § 49 Abs. 2 EStG verankerte isolierende Betrachtungsweise suspendiert für Zwecke der Bestimmung der Einkunftsarten (§ 49 Abs. 1 EStG) im Ergebnis damit die Subsidiaritätsregeln der Einkunftsarten zugunsten ihrer objektiven Bestimmung, soweit die Merkmale der vorrangigen Einkunftsart nicht im Inland, sondern im Ausland verwirklicht sind.4 Danach bleiben solche Auslandsverhältnisse außer Betracht, die bei einer isolierten inländischen Betrachtungsweise ihrem Wesen nach gegebene Inlandseinkünfte der Inlandsbesteuerung aufgrund der vorgenannten Subsidiaritätsklauseln entziehen würden.5 Darüber hinaus greift die isolierende Betrachtungsweise auch in jenen Fällen ein, in denen keine besonderen Subsidiaritätsklauseln normiert sind, sich die Subsidiarität vielmehr aus der Gesetzessystematik ergibt, wie etwa die Subsidiarität des § 17 EStG ggü. den §§ 15 und 16 EStG.6 Einschränkungen ergeben sich allerdings durch die vor allem in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d u. f., Nr. 3 und 4 Buchst. a EStG enthaltenen Sonderregelungen, durch die die isolierende Betrachtungsweise in der Praxis an Bedeutung verloren hat.7 1 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1220; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. K 266. 2 BFH v. 1.12.1982 – I B 11/82, BStBl. II 1983, 367; v. 7.11.2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 133; kritisch zu der hierdurch vorgegebenen zweistufigen Subsumtionstechnik Crezelius, StVj 1992, 312 (325 f.). 3 BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550. 4 BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. K9; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 103. 5 BFH v. 1.12.1982 – I B 11/82, BStBl. II 1983, 367; v. 20.6.1984 – I R 283/81, BStBl. II 1984, 828; v. 6.2.1985 – I R 87/84, BFH/NV 1985, 104; v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550; zu weiteren Einzelheiten Gosch in FS Wassermeyer, 263 (270 ff.). 6 Zu diesem Verhältnis Gosch in Kirchhof/Seer21, § 17 EStG Rz. 7. 7 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 103; zum Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG hinsichtlich dieser Sonderregelungen Morgenthaler in FS Krawitz, 275 ff. (292).

236 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.157 Kap. 6

Eine weitergehende Bedeutung hat § 49 Abs. 2 EStG nicht. Daher bietet § 49 Abs. 2 EStG keine Legitimationsgrundlage für eine Fiktion nicht vorhandener oder für die Einbeziehung inländischer Besteuerungsmerkmale.1 Im Hinblick darauf müssen etwa im Ausland verwirklichte Sachverhaltsmerkmale stets insoweit mit einbezogen werden, als dies für die Entscheidung, ob überhaupt eine und gegebenenfalls welche Einkunftsart vorliegt, erforderlich ist. Das gilt insbesondere in jenen Fällen, in denen es um die Frage der Einkünfteerzielungsabsicht2 geht und darüber hinaus die Einkunftsart nicht losgelöst vom Steuersubjekt bestimmt werden kann.3 Im Hinblick darauf können insbesondere ausländische Kapitalgesellschaften4 keine Einkünfte aus der ihrer Art nach selbständigen Arbeit erzielen.5

6.156

Soweit § 49 Abs. 2 EStG die Subsidiaritätsklauseln im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und bei den sonstigen Einkünften aufhebt (§§ 49 Abs. 1 Nr. 5 bis 9; 20 Abs. 3; 21 Abs. 8; 22 Nr. 1 Satz 1; 22 Nr. 3 Satz 1; 23 Abs. 2 EStG), bewirkt die isolierende Betrachtungsweise eine Umqualifizierung von Gewinnermittlungseinkunftsarten, insbesondere Einkünften aus Gewerbebetrieb, in Überschusseinkunftsarten der vorgenannten Art.6 Daraus folgt zugleich, dass die Überschusseinkünfte so zu versteuern sind, wie es der Fall wäre, wenn sie außerhalb eines land- und forstwirtschaftlichen oder gewerblichen Betriebs oder außerhalb der Einkünfte aus selbständiger Arbeit angefallen wären, wodurch auch § 11 Abs. 1 EStG sowie die spezifischen Überschussermittlungsvorschriften der betreffenden Einkunftsart zur Anwendung kommen.7

6.157

V. Einkunftsarten 1. Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG; Crezelius, Die isolierende Betrachtungsweise, insbesondere die grenzüberschreitende Betriebsaufspaltung, StVj 1992, 322; Debatin, Die Land- und Forstwirtschaft im Spiegel des Internationalen Steuerrechts, DB 1988, 1; Pinkernell, Internationale Steuergestaltung im Electronic Commerce, ifst-Schrift Nr. 494 (2014), 24.

1 BFH v. 7.11.2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861. 2 BFH v. 7.11.2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861 v. 2.2.2010 – I B 912/09, BFH/NV 2010, 878; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1230; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. K 9 ff.; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 11; Frotscher in Frotscher, § 49 EStG Rz. 428; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 852; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.34 (europarechtliche Aspekte); a.A. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 104, der nur auf die im Inland verwirklichten Sachverhaltselemente abstellt. 3 Hierzu Crezelius, StVj 1992, 322 (328, 330). 4 Über §§ 2 Nr. 1; 8 Abs. 1 KStG gilt § 49 EStG auch für beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Steuersubjekte. 5 BFH v. 4.3.1970 – I R 140/66, BStBl. II 1970, 428; v. 23.5.1973 – I R 163/71, BStBl. II 1974, 287; v. 20.2.1974 – I R 217/71, BStBl. II 1974, 511; v. 20.6.1984 – I R 283/81, BStBl. II 1984, 828. 6 Diese Umqualifizierung gilt nicht für Zwecke der Anwendung von DBA; BFH v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1205. 7 BFH v. 28.3.1984 – I R 129/79, BStBl. II 1984, 620; v. 6.2.1985 – I R 87/84, BFH/NV 1985, 104; v. 30.8.1989 – I 39/89, BFH/NV 1990, 161; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1210; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. K 367 f.; a.A. Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (61 f.), der annimmt, die Bedeutung der isolierenden Betrachtungsweise erschöpfe sich darin, die maßgeblichen territorialen Anknüpfungspunkte für die beschränkte Steuerpflicht zu bestimmen, ohne dass eine Umqualifizierung der Einkunftsart erfolge.

Valta | 237

Kap. 6 Rz. 6.158 | Einkommensteuer

6.158

Zu den inländischen Einkünften zählen gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG die Einkünfte aus einer im Inland betriebenen Land- und Forstwirtschaft (§§ 13 und 14 EStG) und damit der planmäßigen Nutzung der natürlichen Kräfte des inländischen Bodens zur Erzeugung von Pflanzen und Tieren (Urproduktion), sowie der Verwertung der dadurch selbst gewonnenen Erzeugnisse.1 Land- und Forstwirtschaft wird im Inland betrieben, wenn sich die bewirtschafteten Grundstücke im Inland befinden, und zwar unabhängig davon, wo die Betriebsleitung ihren Sitz hat, ob im Inland eine Betriebsstätte gegeben ist (das ist bei selbst bewirtschafteten Flächen der Fall, nicht aber bei verpachteten)2 oder ob die Land- und Forstwirtschaft von aus dem Ausland entsandten Personen betrieben wird.3 Damit knüpft § 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG an das international übliche Belegenheitsprinzip an,4 das auf der Ebene von DBA dem Belegenheitsstaat durchweg die Besteuerungsbefugnis zuteilt. Für die Qualifizierung als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft gelten die allgemeinen Grundsätze, so etwa im Fall gemischter Tätigkeiten und bei Betriebsverpachtung und Betriebsaufgabe.5 Zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft gehören auch die Gewinne aus der Veräußerung eines Betriebs, Teilbetriebs oder eines Anteils an einem Betrieb oder Teilbetrieb (§ 14 EStG), ferner auch insoweit, als die Einkünfte von Pächtern, Nießbrauchern oder sonstigen Nutzungsberechtigten erzielt werden.6

6.159

Da für Einkünfte aus grundstücksbezogener Land- und Forstwirtschaft auch in den DBA das Belegenheitsprinzip verankert ist, wird die Besteuerung durch ein DBA weder ausgeschlossen noch eingeschränkt (Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 OECD-MA; vgl. Rz. 19.219 ff., 19.381 ff.).

2. Einkünfte aus Gewerbebetrieb a) Allgemeines

6.160

Nach Maßgabe des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG führt nicht jegliche gewerbliche Betätigung im Inland zur Begründung der beschränkten Steuerpflicht. Anknüpfungspunkte für die beschränkte Steuerpflicht sind vielmehr bestimmte, in den Buchstaben a bis g aufgeführte sachliche und persönliche oder sich auf bestimmte Tätigkeiten oder Vorgänge beziehende Merkmale im Inland, und zwar eine inländische Betriebsstätte oder ein für das Inland bestellter ständiger Vertreter, Beförderungsvorgänge mit Seeschiffen und Luftfahrzeugen zwischen inländischen und von inländischen zu ausländischen Häfen, nicht selbst durchgeführte Beförderungen oder Beförderungsleistungen im Rahmen einer internationalen Betriebsgemeinschaft oder eines Poolabkommens, künstlerische, sportliche, artistische, unterhaltende oder ähnliche Darbietungen oder deren Verwertung im Inland sowie Gewinne aus der Veräußerung von bestimmten Anteilen an einer inländischen Kapitalgesellschaft und von unbeweglichem Vermögen, Sachinbegriffen und bestimmten Rechten. Nicht erfasst werden Warenlieferungen und gewerbliche Dienstleistungen in das Inland, soweit sie neben der Inlandsansässigkeit des Leistungsempfängers als Direktgeschäfte kein weiteres inländisches Anknüpfungsmerkmal aufweisen. Das führt dazu, dass etwa ausländische E-Commerce-Unternehmen den deutschen Markt durch auslän-

1 BFH v. 31.3.1955 – IV 134/54 U, BStBl. III 1955, 619; v. 26.2.1976 – VIII R 15/73, BStBl. II 1976, 492; v. 16.11.1978 – IV R 191/74, BStBl. II 1979, 246-248. 2 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 8; vgl. auch BFH v. 2.4.2014 – I R 68/12, ISR 2014, 274 m. Anm. Krain = BFH/NV 2014, 1248. 3 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 133; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 8; vgl. auch BFH v. 17.12.1997 – I R 95/96, BStBl. II 1998, 260, dort auch zur Anwendung des § 13a EStG. 4 Bärschet al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 133; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. C 12, 20. 5 Zu Einzelheiten Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1245. 6 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 134; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. C 14.

238 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.162 Kap. 6

dische Vertriebskapitalgesellschaften bedienen.1 Durch solche und ähnliche Geschäftsmodelle lässt sich eine deutsche Besteuerung weitgehend vermeiden.2 Nach Aktionspunkt 1 des BEPSAktionsplanes wird mit einer „digitalen Präsenz“ ein weiterer Anknüpfungspunkt für die Besteuerung im Inland vorgeschlagen (Rz. 5.22), nach den neuesten Plänen der zweiten Phase von BEPS sollen die Marktstaaten im Rahmen des Pillar 1 im Rahmen des sogenannten „Amount A“ einen Besteuerungsanteil erhalten (Rz. 5.46 ff.). Die Lückenhaftigkeit der beschränkten Steuerpflicht beruht darauf, dass den für die Besteuerung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb gewählten Anknüpfungspunkten keine einheitliche gesetzgeberische Konzeption zugrunde liegt, sondern von vielfältigen Opportunitätserwägungen über Effizienz, Effektivität und Auswirkungen im Standortwettbewerb geprägt sind. So wird zwar an das international anerkannte Betriebsstättenprinzip angeknüpft, aber in wichtigen Fällen auch andere Anknüpfungsmomente genutzt. So werden die Einkünfte eines Berufssportlers für seine im Inland ausgeübte Tätigkeit, soweit diese als Darbietung zu qualifizieren ist, der beschränkten Steuerpflicht unterworfen, während etwa die im Inland ausgeübte gewerbliche Tätigkeit eines Unternehmensberaters3 oder eines unabhängigen Handelsvertreters, soweit diese keine inländischen Betriebsstätten unterhalten, der beschränkten Steuerpflicht nicht unterliegen.

6.161

Hier spiegeln sich letztlich aber auch Wertungen der Praxis der Doppelbesteuerungsabkommen wider: während für Sportler nach Art. 17 OECD-MA auch abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht besteht, ist dies bei Unternehmensberatern und unabhängigen Vertretern in Abwesenheit einer Betriebsstätte abkommensrechtlich regelmäßig nicht der Fall. Die Ungleichbehandlung lässt sich damit auch vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen: der Gesetzgeber kann einerseits inländische Besteuerungszugriffe vorsehen, um Verhandlungsmasse für die Abkommensverhandlungen vorzusehen, er kann aber auch andererseits auf inländische Besteuerungszugriffe verzichten, um Nicht-DBA-Staaten mit DBA-Staaten gleichzustellen. Auch die Betriebsstätte ist letztlich eine für sich willkürlich gezogene Grenze, deren fortwährende Sachgerechtigkeit mit der zunehmenden Digitalisierung immer mehr in Frage gestellt wird. So unbefriedigend es im Streben nach Systemgerechtigkeit ist: § 49 Abs. 1 EStG ist nicht der Ort für die verfassungsrechtlich überwachte Entfaltung von Systementscheidungen, sondern für rechtspolitische und durch die Staatenpraxis informierte rechtsvergleichende Kritik.

6.162

b) Betriebsstätte Literatur: Kommentare zu § 12 AO und zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; Andresen in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl., Köln 2018, Rz. 2.78; Bendlinger/Remberg/ Kuckhoff, Betriebsstättenbesteuerung im Großanlagenbau – Ein Unternehmen und steuerlich doch mehrere?, IStR 2002, 40; Buciek, „Unterbetriebsstätte“ und Außensteuerrecht, in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Unternehmen – Steuern, FS für Flick, Köln 1997, 647; Buciek, Fristberechnung bei Montagebetriebsstätten – die neue Entwicklung der BFH-Rechtsprechung, IStR 1999, 629; Buciek, Aktuelle Entwicklungen zur Betriebsstättenbesteuerung, DStZ 2003, 139; Cortez/Reiser, Betriebsstättenbegriff im Wandel – zur veränderten Bedeutung des Kriteriums der Verfügungsmacht, IStR 2013, 6; Diehl, Zweigniederlassungen ausländischer Banken, Rechtsfragen und Besteuerung, Frankfurt 1978; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004; Ditz in Was1 Hierzu Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494 (2014), 24 ff. 2 Ausführlich Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494 (2014), 24 ff. 3 BFH v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166; vgl. auch BFH v. 28.6.2006 – I R 92/05, BStBl. II 2007, 100; v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922; v. 22.4.2009 – I B 196/08, BFH/NV 2009, 1588; ein bloßes Tätigwerden in den Räumlichkeiten des Vertragspartners reicht nicht.

Valta | 239

Kap. 6 Rz. 6.163 | Einkommensteuer sermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl., Köln 2018, Rz. 10.181; Ditz/Quilitzsch, Aktuelle Entwicklungen im Hinblick auf die Definition der Betriebsstätte, FR 2012, 493; Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagenbaus, Herne 1993; Feuerbaum, In- und ausländische Besteuerung von Bauausführungen und Montagen deutscher Unternehmen im Ausland, Herne/Berlin 1987; Gebbers, Zur Besteuerung der internationalen Betriebsaufspaltung durch Grundstücksvermietung, RIW 1984, 711; Günkel/Kussel, Betriebsaufspaltung mit ausländischer Besitzgesellschaft, FR 1980, 553; Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, Neuwied/ Kriftel 2000; Helling, Die Vertreterbetriebsstätte im Internationalen Steuerrecht, Hamburg 2009; Hemmelrath, Die Ermittlung des Betriebsstättengewinns im Internationalen Steuerrecht, München 1982; Holler/Heerspink, Betriebsstättenbegründung durch Errichtung eines Verkaufsservers im Internet?, BB 1998; 771; Kahle/Baschnagel/Kindisch, Aktuelle Aspekte der Ertragbesteuerung von Server-Betriebsstätten, FR 2016, 193; Kahle/Ziegler, Betriebsstättenbegriff – Grundlagen und aktuelle Entwicklungen, DStZ 2009, 834; Kaligin, Betriebsaufspaltung über die Grenze, WPg 1983, 457; Kaminski, Aktuelle Entwicklungen bei der Betriebsstättenbesteuerung, Stbg 2012, 354; Kessler/Peter, Weiterentwicklung des Betriebsstättenbegriffs, BB 2000, 1545; Kolck, Der Betriebsstättenbegriff im nationalen und internationalen Steuerrecht, Diss. Münster 1974; Kramer, Grenzüberschreitende Sondervergütungen und beschränkte Steuerpflicht, IStR 2014, 21; Kramer, Die Frage nach der Relevanz einer Betriebsstätte im Wohnsitzstaat für die Besteuerung im Quellenstaat, IStR 2004, 672; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, Köln 1982; Loukota, Antwort des Verfassers von EAS. 2670 auf Wassermeyer, IStR 2006, 273, IStR 2006, 274; Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 2. Aufl., München 2011; Merkert, Die steuerliche Problematik der Bauausführungen als Betriebsstätte, DB 1968, 1239; Mersmann, Ertragsbesteuerung inländischer Betriebsstätten und Tochtergesellschaften ausländischer Kapitalgesellschaften, Heidelberg 1966; Mick/Dyckmanns in Mössner et al., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rz. 8.189 ff.; Mössner, Neuere Entwicklungen beim Betriebsstättenbegriff in Kirchhof/Lehner/Raupach/Rodi, Staaten und Steuern, FS für K. Vogel, Heidelberg 2000, 945 ff.; Mössner in Mössner et al., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Köln 2018; Mutscher, Die Kapitalstruktur von Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, Bielefeld 1997; Piltz, Betriebsaufspaltung über die Grenze?, DB 1981, 2044; Piltz/Schaumburg, Internationale Betriebsstättenbesteuerung, Köln 2001; Pinkernell, Internationale Steuergestaltung im Electronic Commerce, ifstSchrift Nr. 494 (2014), 24; Schieber, Die Besteuerung von Auslandsbetriebsstätten, Köln 1979; Portner, Betriebsstätte, IStR 1998, 554; Schweizer, Die Betriebstätteneigenschaft von Bauausführungen und ihre gewerbesteuerliche Behandlung, München 1966; Storck, Ausländische Betriebsstätten im Ertrag- und Vermögenssteuerrecht, Frankfurt am Main 1980; Puls, Die Betriebsstätte im Abgaben- und Abkommensrecht, Köln/Berlin/München 2005; Rautenstrauch/Binger, Dienstleistungsbetriebsstätten – Zukunft oder bereits Realität?, Ubg 2009, 619; Remberg, Anmerkungen zu den OECD-Überlegungen zur Betriebsstättenbesteuerung aus der Sicht des Anlagenbaus, IStR 2006, 545; Riemenschneider, Zum Seminar H: Betriebsstättenfragen in Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Rohrleitungen, IStR 2002, 561; Roth in Lüdicke, Zurechnung von Wirtschaftsgütern im Internationalen Steuerrecht, 87; Schauhoff, Der Umfang der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht bei gewerblich tätigen Handelsvertretern, Unternehmensberatern, Fotomodellen, Sportlern und anderen umherreisenden Unternehmern, IStR 1995, 108 (110); Tappe, Steuerliche Betriebsstätten in der Cloud – Neuere technische Entwicklungen im Bereich des E-Commerce als Herausforderung für den ertragsteuerlichen Betriebsstättenbegriff, IStR 2011, 870; Wassermeyer, Die Betriebsstätte – ein in vieler Hinsicht unbekanntes Wesen, in Drenseck/Seer (Hrsg.), FS für Kruse, Köln 2001, 590; Wassermeyer, Umwandlungen in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl., Köln 2018, Rz. 10.1; Wassermeyer, Qualifikationskonflikt bei doppelstöckigen Mitunternehmerschaften, IStR 2006, 273; Ziegler, Der Betriebsstättenbegriff, DStZ 2009, 834.

6.163

Die Betriebsstätte ist der primäre Anknüpfungspunkt für die Besteuerung inländischer Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Hiernach sind beschränkt einkommensteuerpflichtig Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17 EStG), für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird. Insoweit wird auf das international übliche Betriebsstättenprinzip zurückgegriffen. Dieses Betriebsstättenprinzip ist durchweg auch in den deutschen DBA verankert (vgl. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA). Soweit der abkommensrechtliche Betriebsstät240 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.166 Kap. 6

tenbegriff (Art. 5 OECD-MA) indessen enger ist als der des § 12 AO, wird die beschränkte Steuerpflicht auf Abkommensebene eingegrenzt (Rz. 19.241 ff.). Der Begriff der Betriebsstätte ergibt sich aus § 12 AO, wonach eine Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage ist, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient.

6.164

Als Betriebsstätten sind insbesondere anzusehen:

6.165

– die Stätte der Geschäftsleitung, – Zweigniederlassungen, – Geschäftsstellen, – Fabrikations- oder Werkstätten, – Warenlager, – Ein- oder Verkaufsstellen, – Bergwerke, Steinbrüche oder andere stehende, örtlich fortschreitende oder schwimmende Stätten der Gewinnung von Bodenschätzen, – Bauausführungen oder Montagen, auch örtlich fortschreitende oder schwimmende, wenn die einzelne Bauausführung oder Montage oder eine von mehreren zeitlich nebeneinander bestehenden Bauausführungen oder Montagen oder mehrere ohne Unterbrechung aufeinander folgende Bauausführungen oder Montagen länger als sechs Monate dauern. Geht man von der Grunddefinition des § 12 Satz 1 AO aus, so umfasst der Begriff der „festen“ Geschäftseinrichtung drei Grundvoraussetzungen. Neben einer räumlichen (örtliche Festigkeit) und zeitlichen Komponente (zeitliche Dauerhaftigkeit) muss der Unternehmer selbst über die Einrichtung verfügen können.1 Die Geschäftseinrichtung (§ 12 Satz 1 AO) muss fest sein im Sinne einer örtlichen Lokalisierung, nicht aber etwa im Sinne einer festen Verbindung mit der Erdoberfläche,2 so dass auch Marktstände3 sowie fahrbare Verkaufsstätten mit bestimmten Standplätzen, Server,4 unterirdische Gasspeicher5 sowie unterirdisch verlaufende Rohrleitungen6 Betriebsstätten sein können.7

1 Musil in H/H/Sp, § 12 AO Rz. 10; BFH v. 20.12.2017 – I R 98/15, BFHE 260, 169 mit Hinweis auf StRSpr. 2 BFH v. 9.10.1974 – I R 128/73, BStBl. II 1975, 203; v. 8.3.1988 – VIII R 270/81, BFH/NV 1988, 735; v. 18.9.1991 – XI R 34/90, BStBl. II 1992, 90; v. 29.11.2000 – I R 38/99, BStBl. II 2001, 374; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 196; Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 146. 3 BFH v. 9.10.1974 – I R 128/73, BStBl. II 1975, 203; v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148; v. 17.9.2003 – I R 12/02, BStBl. II 2004, 396 bei einem auf Dauer zugewiesenen Platz; Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 147. 4 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 86/01, BStBl. II 2002, 683; Musil in H/H/Sp, § 12 AO Rz. 43 ff.; Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494 (2014), 29. 5 FG Hamburg v. 1.10.2004 – VI 181/02, EFG 2005, 804. 6 BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12. 7 Der Einsatz von Personal ist bei vollautomatisierten Anlagen ausnahmsweise also nicht erforderlich; vgl. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12; v. 25.5.2000 – III R 20/97, BStBl. II 2001, 365; Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 20; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 200 Valta/Lemm in

Valta | 241

6.166

Kap. 6 Rz. 6.166 | Einkommensteuer

Die Festigkeit muss nicht nur eine räumlich, sondern auch eine gewisse zeitliche Qualität haben. Dies wird von der Rechtsprechung daraus abgeleitet, dass zum „Dienen“ für das Unternehmen eine gewisse Nachhaltigkeit der Betriebsstätte vorhanden sein muss.1 Gesetzlich typisiert wird für Bauausführungen und Montagen eine 6-Monatsfrist zur Begründung einer Betriebsstätte gemäß § 12 Nr. 8 AO vorgeschrieben. Die Geschäftseinrichtung oder Anlage muss ferner in der Verfügungsmacht des Unternehmers stehen.2 Dieses Tatbestandsmerkmal lässt sich auf die „Festigkeit“ sowie auf „dem Unternehmen dienen“ stützen. Eigentum ist nicht erforderlich, es reichen vielmehr gemietete oder gepachtete Räumlichkeiten aus,3 wofür nicht mehr als eine Mitverfügungsmacht verlangt wird.4 Die Verfügungsgewalt darf allerdings nicht nur von ganz vorübergehender Natur sein.5 Die Verfügungsmacht des Gewerbetreibenden muss aufgrund einer nicht ohne weiteres entziehbaren Rechtsposition bestehen,6 wobei es ausnahmsweise auch genügt, dass eine Verfügungsmacht aus tatsächlichen Gründen besteht und diese nicht bestritten wird.7 Daher ist eine Verfügungsmacht nicht gegeben, wenn das Gewerbe in Räumlichkeiten eines anderen Unternehmens ausgeübt wird, in denen hierfür Arbeitsplätze von Fall zu Fall zugewiesen werden.8

6.167

Die in der Verfügungsgewalt des Unternehmers stehende feste Geschäftseinrichtung muss schließlich dem Geschäftsgegenstand in dem Sinne dienen, dass sie zu unmittelbaren unternehmerischen Zwecken benutzt wird.9 Daran fehlt es, wenn es sich bloß um einen Gegenstand der Geschäftstätigkeit handelt.10 Daher ist etwa das vermietete inländische Grundstück, das

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5

6 7 8 9 10

K/S/M, § 49 EStG Rz. D 146 ff.; Buciek, DStZ 2003, 142; a.A. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 13; Portner, IStR 1998, 554 ff.; Riemenschneider, IStR 2002, 561 ff. BFH v. 28.8.1986 – V R 20/79, BStBl. II 1987, 162; v. 17.9.2003 – I R 12/02, BStBl. II 2004, 396. BFH v. 18.3.1976 – IV R 168/72, BStBl. II 1976, 365; v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166; v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462; v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12; v. 23.5.2002 – III R 8/00, BStBl. II 2002, 512; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 201; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 13; a.A. Wassermeyer in FS Kruse, 590 (595 f.). BFH v. 30.1.1974 – I R 87/72, BStBl. II 1974, 327; v. 18.3.1976 – IV R 168/72, BStBl. II 1976, 365; Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 12 m.w.N. BFH v. 10.5.1961 – IV 155/60 U, BStBl. III 1961, 317, Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 12 m.w.N. bloße Mitbenutzungsmöglichkeit reicht dagegen nicht, so dass etwa in Fällen nicht ausschließlicher Nutzung eines inländischen Servers eines inländischen Webhosters durch ausländische Unternehmen eine Betriebsstätte nicht begründet wird; vgl. zu Einzelheiten Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494 (2014), 31 ff.; BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 983; v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462. BFH v. 10.5.1961 – IV 155/60 U, BStBl. III 1961, 317; v. 9.3.1962, BStBl. III 1962, 227; v. 5.10.1977 – I R 250/75, BStBl. II 1978, 205; v. 7.3.1979 – I R 145/76, BStBl. II 1979, 527; v. 17.3.1982 – I R 189/79, BStBl. II 1982, 624; v. 28.8.1986 – V R 20/79, BStBl. II 1987, 162; v. 29.4.1987 – I R 118/ 83, BFH/NV 1988, 122; v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166. BFH v. 30.1.1974 – I R 87/72, BStBl. II 1974, 327; v. 17.3.1982 – I R 189/79, BStBl. II 1982, 624; v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166. BFH v. 30.1.1974 – I R 87/72, BStBl. II 1974, 327; v. 18.3.1976 – IV R 168/72, BStBl. II 1976, 365; v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 13. BFH v. 18.3.1976 – IV R 168/72, BStBl. II 1976, 365; v. 7.3.1979 – I R 145/76, BStBl. II 1979, 527; v. 17.3.1982 – I R 189/79, BStBl. II 1982, 624; v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166; v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 201. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12. BFH v. 2.3.1990 – III R 24/85, BStBl. II 1990, 756; v. 13.9.2000 – X R 174/96, BStBl. II 2001, 734; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 201.

242 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.168 Kap. 6

zu einem ausländischen Betriebsvermögen gehört, noch keine Betriebsstätte.1 Das gilt auch, wenn der beschränkt Steuerpflichtige seinen Grundbesitz an eine von ihm beherrschte inländische Kapitalgesellschaft vermietet, also bei einer grenzüberschreitenden Betriebsaufspaltung.2 Als unternehmerische Tätigkeiten sind auch nebensächliche oder bloße Hilfs- oder Vorbereitungstätigkeiten anzusehen, wenn sie dem Gewerbebetrieb als solchem unmittelbar dienen, und zwar selbst dann, wenn diese Tätigkeiten nur Kosten verursachen sollten.3 Einrichtungen, etwa Erholungsheime, die dem Unternehmen nur mittelbar dienen, sind daher keine Betriebsstätten.4 Gegenüber dem Grundtatbestand des § 12 Satz 1 AO enthält § 12 Satz 2 AO eine Definitionserweiterung in dem Sinne, dass jedenfalls die dort aufgeführten an Tätigkeiten anknüpfenden Betriebsstätten nicht zugleich auch eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage sein müssen.5 So setzen insbesondere die im Positivkatalog des § 12 Satz 2 AO genannten örtlich fortschreitenden oder schwimmenden Stätten zur Gewinnung von Bodenschätzen, die Stätte der Geschäftsleitung und Bauausführungen oder Montagen, auch örtlich fortschreitende, wenn sie länger als sechs Monate dauern, keine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraus.6 Hieraus ergibt sich z.B., dass es einen Gewerbebetrieb ohne Stätte der Geschäftsleitung und damit ohne Betriebsstätte nicht gibt,7 die sich in Ermangelung eines anderen Ortes im Zweifel am Wohnsitz des Gewerbetreibenden befindet.8

1 BFH v. 29.11.1960 – I B 222/59 U, BStBl. III 1961, 52; v. 6.7.1978 – IV R 24/73, BStBl. II 1979, 18; v. 10.2.1988 – VIII R 159/84, BStBl. II 1988, 653; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 201; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 25; Wassermeyer in FS Kruse, 590 (593). 2 BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 25; Piltz, DB 1981, 2044 ff.; Gebbers, RIW 1984, 711 ff.; Günkel/Kussel, FR 1980, 553 ff.; Kaligin, WPg. 1983, 457 ff. 3 BFH v. 10.5.1961 – IV 155/60 U, BStBl. III 1961, 317; Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 170. 4 BFH v. 16.6.1959 – I B 214/58 U, BStBl. III 1959, 349; v. 29.11.1960 – I B 222/59 U, BStBl. III 1961, 52; v. 7.3.1979 – I R 145/76, BStBl. II 1979, 527; v. 10.2.1988 – VIII R 159/84, BStBl. II 1988, 653; Roth in H/H/R, § 49 EStG Rz. 201; Mössner in Mössner et al., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 2.114; a.A. Kruse in T/K, § 12 AO Rz. 22; Buciek in Beermann/Gosch, § 12 AO Rz. 23Wassermeyer in FS Kruse, 590 (598). 5 BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148; v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694; v. 17.9.2003 – I R 12/02, BStBl. II 2004, 396; Kruse in T/K, § 12 AO Rz. 23; Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 175; a.A. Bärsch et al. In H/H/R, § 49 EStG Rz. 205. 6 BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148, v. 17.9.2003 – I R 12/02, BStBl. II 2004, 396, wonach Verkaufsstellen (§ 12 Satz 2 Nr. 6 AO) dagegen wiederum eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage erfordern. 7 BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148; v. 19.11.2003 – I R 3/02, BStBl. II 2004, 932; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672; v. 12.6.2013 – I R 47/12, BStBl. II 2014, 770; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 13; Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 10.1; Wassermeyer, IStR 2004, 676 f.; a.A. Kramer, IStR 2004, 672; Kramer, IStR 2014, 21. 8 BFH v. 17.2.1955 – IV 77/53 S, BStBl. III 1955, 100; v. 11.7.1960 – V 182/58 U, BStBl. III 1960, 376; v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 13; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, 58; speziell für Berufssportler: Schauhoff, IStR 1995, 108 (110).

Valta | 243

6.168

Kap. 6 Rz. 6.169 | Einkommensteuer

6.169

Von den im Positivkatalog des § 12 Satz 2 AO aufgeführten Beispielsfällen1 haben Bauausführungen und Montagen in der internationalen Besteuerungspraxis besondere Bedeutung.2 Zu den Bauausführungen zählen alle zur Fertigstellung oder zum Abbruch eines Bauwerks erforderlichen Arbeiten einschließlich der Bauplanung und Bauüberwachung sowie Baunebentätigkeiten (z.B. Gerüsterstellung), soweit diese von dem betreffenden Bauunternehmer selbst oder teilweise von Subunternehmern ausgeführt werden.3 Überträgt der Generalunternehmer die gesamte Bautätigkeit einschließlich Bauplanung und Bauleitung auf Subunternehmer, wird hierdurch zwar dem Subunternehmer, nicht aber dem Generalunternehmer eine Betriebsstätte vermittelt.4 Die isolierte Bauplanung und Bauleitung ist demgegenüber keine eine Betriebsstätte bildende Bauausführung.5

6.170

Ob Bauausführungen an einem bestimmten Ort oder örtlich fortschreitend ausgeführt werden, spielt keine Rolle. Daher sind die Verlegung von Leitungsrohren (Pipelinebau), Schienen, Hochspannungsleitungen ebenso Bauausführungen wie Arbeiten auf oder von am Meeresboden verankerten Bohrinseln und Schwimmbaggern.6 Zu den Montagen zählen insbesondere die Aufstellung von Stahlgerüsten oder Produktionseinrichtungen7 sowie das Zusammenfügen oder der Umbau vorgefertigter Einzelteile in jedem Stadium der Produktion,8 nicht dagegen bloße Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten.9

6.171

Bauausführungen und Montagen erfüllen erst dann die Voraussetzungen für eine Betriebsstätte, wenn sie länger als sechs Monate bestehen. In diesem Fall ist die Betriebsstätteneigenschaft von Anfang an als begründet anzusehen, und zwar auch dann, wenn die Bauausführungen oder Montagen nach den ursprünglichen Planungen den Zeitraum von sechs Monaten nicht überschreiten sollten.10 Die maßgebliche Sechs-Monats-Frist beginnt nicht erst mit der Auf1 Einzelheiten hierzu bei Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 24 ff.; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten, 36 ff. 2 Spezialliteratur (Monographien): Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten, 38 f.; 153 ff.; Mersmann, Die Ertragsbesteuerung inländischer Betriebsstätten und Tochtergesellschaften ausländischer Kapitalgesellschaften, 50 f., 66 ff.; Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagenbaus2; Schieber, Die Besteuerung von Auslandsbetriebsstätten, 57 ff.; Storck, Ausländische Betriebsstätten im Ertrag- und Vermögensteuerrecht, 169 ff.; Schweizer, Die Betriebsstätteneigenschaft von Bauausführungen und ihre gewerbesteuerliche Behandlung. 3 BFH v. 13.11.1962 – I B 224/61 U, BStBl. III 1963, 71; v. 10.12.1998 – V R 49/97, BFH/NV 1999, 839; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.3; Bärsch et al. In H/H/R, § 49 EStG Rz. 214; Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 10.181; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, 37 ff. 4 Bärsch et al. In H/H/R, § 49 EStG Rz. 215; Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 167; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.2 Satz 3; zur Kritik Bendlinger/ Remberg/Kuckhoff, IStR 2002, 40 (42). 5 BFH v. 30.10.1956 – I B 71/56 U, BStBl. III 1957, 8; v. 13.11.1962 – I B 224/61 U, BStBl. III 1963, 71; FG München v. 18.3.1975 – II 154/71, EFG 1975, 442; Musil in H/H/Sp, § 12 AO Rz. 36; Merkert, DB 1968, 1239 ff. 6 Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 34; zu weiteren Beispielen Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 2321. 7 BFH v. 7.3.1979 – I R 145/76, BStBl. II 1979, 527. 8 Weitere Beispiele bei Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 325. 9 BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 983; v. 13.11.1990 – VIII R 152/86, BStBl. II 1991, 94; v. 20.1.1993 – I B 106/92, BFH/NV 1993, 404; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.1 Abs. 2; Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 32; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 325 „Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten“; a.A. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 212. 10 BFH v. 30.10.1956 – I B 71/56 U, BStBl. III 1957, 8.

244 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.172 Kap. 6

nahme der eigentlichen Bau- und Montagetätigkeiten, sondern bereits mit den Vorbereitungsbzw. Nebenarbeiten,1 etwa mit der Errichtung von Baubuden,2 und endet entsprechend mit dem Abschluss von Nebentätigkeiten, etwa dem Probelauf einer aufgestellten Maschinenanlage.3 Übliche Arbeitsunterbrechungen, z.B. arbeitsfreie Wochenenden sowie Urlaubszeiten, werden ebenso mitgezählt wie sonstige kurzfristige anderweitige Arbeitsunterbrechungen.4 Längerfristige baubedingte Arbeitsunterbrechungen sowie unvorhergesehene Verzögerungen, etwa infolge von Streiks oder Natureinflüssen oder wegen mangelnder Mitwirkung des Auftraggebers hemmen dagegen die Frist.5 Für Zwecke der Sechs-Monats-Frist werden zeitlich nebeneinander bestehende sowie zeitlich ohne Unterbrechung aufeinander folgende Bauausführungen und Montagen bei wirtschaftlicher und geografischer Einheit6 zusammengerechnet.7 Wegen weiterer Einzelheiten des Betriebsstättenbegriffs wird auf die in der Literatur aufgeführten Betriebsstätten-ABCs verwiesen.8 Durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG werden die in der inländischen Betriebsstätte erwirtschafteten bzw. die durch sie erzielten Gewinne erfasst.9 Dies setzt eine Zuordnung der der Betriebsstätte dienenden Wirtschaftsgüter voraus, wobei grundsätzlich unerheblich ist, ob diese Wirtschaftsgüter im Inland oder im Ausland belegen sind.10 Maßgeblich für die Zuordnung sind die in § 1 Abs. 5 AStG verankerten AOA-Regeln und subsidiär die allgemeingültigen Grundsätze des Veranlassungszusammenhangs (Rz. 21.66 f.). Im Ergebnis wird eine weitgehende Konvergenz der Ergebnisabgrenzung zwischen Unternehmensgruppen und Einheitsunternehmen erreicht. In beiden Fällen werden transaktionsbasierte bzw. transaktionsorientierte Einzelverrechnungspreise gebildet bzw. als Korrektiv vorgegeben. Dieser Sachzusammenhang dürfte auch für die Normierung in § 1 AStG anstatt des systematisch vorzugswürdigen § 50 EStG11 ausschlaggebend gewesen sein. Nicht vergessen werden darf dabei, dass ein gewichtiger Unterschied zwischen Unternehmensgruppen und dem Einheitsunternehmen fortbesteht: bei Unternehmensgruppen bestehen Transaktionen, die lediglich auf Missbrauch kontrolliert werden müssen, innerhalb von Einheitsunternehmen müssen hingegen fiktive Transaktionen zwischen den Betriebsstätten in einem vorgelagerten Schritt konstruiert werden. Zunächst wird als erster Schritt die Betriebsstätte als selbstständiges und unabhängiges Unternehmen fingiert (§ 1 Abs. 5 Satz 2 AStG), indem ihr Funktionen samt entsprechend dazugehöriger Kapital- und Risikoausstattung zugeordnet werden (§ 1 Abs. 5 Satz 3 AStG). Anschließend werden dann in einem zweiten Schritt Geschäfte zwischen den Betriebsstätten zu fremdvergleichskonformen Preisen fingiert. 1 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EstG Rz. 218; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.1 Abs. 4, 5. 2 Schieber, Die Besteuerung von Auslandsbetriebsstätten, 61. 3 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694; Kruse in T/K, § 12 AO Rz. 37; Buciek, IStR 1999, 629. 4 Frist: 14 Tage; vgl. BFH v. 8.2.1979 – IV R 56/76, BStBl. II 1979, 479; v. 21.10.1981 – I R 21/78, BStBl. II 1982, 241; H 2.9 (2) GewStR. 5 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.3.1 Abs. 6; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 218. 6 Vgl. zu Einzelheiten Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 219. 7 Musil in H/H/Sp, § 12 AO Rz. 201. 8 Etwa bei Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 325; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 201. 9 Zu Einzelheiten der Betriebsstättengewinnermittlung Rz. 21.16 ff. 10 Hierzu Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 2.78; Roth in Lüdicke, Zurechnung von Wirtschaftsgütern im Internationalen Steuerrecht, 87 ff. 11 Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 110; Wassermeyer, IStR 2012, 277 (278).

Valta | 245

6.172

Kap. 6 Rz. 6.173 | Einkommensteuer

6.173

Da eine inländische Personengesellschaft nach deutschem Einkommensteuerrecht kein Steuersubjekt ist, Steuersubjekte vielmehr die Mitunternehmer sind, ist die Stätte der Geschäftsleitung zugleich gemeinsame Betriebsstätte dieser Mitunternehmer. Daneben kann die Personengesellschaft weitere in- und ausländische Betriebsstätten unterhalten, die den Mitunternehmern als eigene Betriebsstätten zuzurechnen sind.1 Schließlich kann darüber hinaus auch jeder einzelne Mitunternehmer eine eigene, nicht von der Personengesellschaft vermittelte Betriebsstätte unterhalten, soweit er von dort aus etwa Geschäftsbeziehungen mit der Mitunternehmerschaft abwickelt.2 Wegen der Einzelheiten zur Gewinnzuordnung und zur Gewinnermittlung vgl. Rz. 21.114 ff.

6.174

Zum Betriebsstättengewinn gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe der Betriebsstätte selbst. Entsprechendes gilt für die Veräußerung von Anteilen an inländischen Personengesellschaften durch beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter.3 Scheiden anlässlich der Veräußerung dieser Anteile Wirtschaftsgüter aus dem Sonderbetriebsvermögen aus oder wird das gesamte Sonderbetriebsvermögen des beschränkt Steuerpflichtigen aufgelöst, so zählt der nach den Grundsätzen der Betriebsaufgabe zu berechnende Gewinn aus der Auflösung der stillen Reserven zum Betriebsstättengewinn.4 Wegen der Einzelheiten zur Gewinnzuordnung, für die die AOA-Regeln nicht gelten, und zur Ermittlung des Betriebsstättengewinns vgl. Rz. 21.37 ff.

6.175

Die den ausländischen Betriebsstätten inländischer Personengesellschaften zuzurechnenden Gewinne stellen allerdings keine beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte aus Gewerbebetrieb dar, weil sie in keiner inländischen Betriebsstätte angefallen sind. Soweit daher beschränkt steuerpflichtige Personen an einer inländischen Personengesellschaft beteiligt sind, müssen die ausländischen Betriebsstättengewinne aus der beschränkten Steuerpflicht ausgenommen werden.5 c) Ständiger Vertreter Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; Buciek, Kann ein Organ einer Kapitalgesellschaft deren „ständiger Vertreter“ sein?, in FS Wassermeyer, München 2005, 289 ff.; Gebbers, Der „ständige Vertreter“ bei Grundstücksvermietung oder -verpachtung, StBp. 1989, 78; Helling, Die Vertreterbetriebsstätte im Internationalen Steuerrecht, Hamburg 2009; Heussner, Vertreterbetriebsstätte einer ausländischen Kapitalgesellschaft, IStR 2004, 161; Höpfner, Freiberufler als ständige Vertreter im Sinne des § 13 AO, Aachen 2009; Kumpf, Betriebsstätte: Prinzip und Definition, in Haarmann, Die beschränkte Steuerpflicht, 27 ff.; Kunze, Der Begriff der Betriebsstätte und des ständigen Vertreters, Diss. Mannheim 1963; Leisner-Egensperger, Grenzen gesetzlicher Regelungen zum Internationalen Steuerrecht – Am Beispiel des „Ständigen Vertreters“ bei beschränkter Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 4, 49 EStG, § 13 AO), IStR 2012, 889; Märkle, Steuervereinfachung durch die Verwaltung, in FS für Meyding, Heidelberg 1994, 117; Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume, Baden-Baden 1992; Sieker, Ist einer Vertreterbetriebsstätte ein Gewinn zuzurechnen?, BB 1996, 981; Vogel, Verwal-

1 BFH v. 29.1.1964 – I 153/61 S, BStBl. III 1964, 165; v. 11.3.1988 – V R 30/84, BStBl. II 1988, 643; v. 13.9.1989 – I R 117/87, BStBl. II 1990, 57; v. 17.10.1990 – I R 16/89, BStBl. II 1991, 211; v. 18.12.2002 – I R 92/01, BFH/NV 2003, 964; Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 7.4. 2 Hierzu Wassermeyer, IStR 2006, 273 ff.; Loukota, IStR 2006, 274 ff. 3 Einzelheiten bei Mick/Dyckmanns in Mössner et al., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 8.189 ff. 4 BFH v. 18.5.1983 – I R 5/82, BStBl. II 1983, 771. 5 BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 28; hierzu auch Buciek in FS Flick, 647 ff.

246 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.178 Kap. 6 tungsvorschriften zur Vereinfachung der Sachverhaltsermittlung und „normkonkretisierende“ Verwaltungsvorschriften, in FS für Thieme, Köln/Berlin/Bonn/München 1993, 605; Wassermeyer, Kritische Anmerkungen zur Vertreterbetriebsstätte, SWI 2010, 505.

Für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17 EStG) ergibt sich aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG neben der inländischen Betriebsstätte in der Person eines für den Gewerbebetrieb im Inland bestellten ständigen Vertreters ein weiteres Anknüpfungsmerkmal. Soweit ein derartiger ständiger Vertreter im Rahmen einer dem ausländischen Unternehmen zuzurechnenden festen Geschäftseinrichtung tätig wird, folgt die beschränkte Steuerpflicht der Einkünfte aus Gewerbebetrieb schon aufgrund des Vorliegens einer inländischen Betriebsstätte.1 Das personale Anknüpfungsmerkmal des ständigen Vertreters tritt in diesem Fall zurück.2

6.176

Ein ständiger Vertreter ist nach § 13 AO eine Person, die nachhaltig3 die Geschäfte eines Unternehmers besorgt und dabei dessen Sachweisungen unterliegt. Beispiele gem. § 13 Satz 2 AO:4 Abschluss oder Vermittlung von Verträgen, Einholung von Aufträgen oder die Unterhaltung eines Bestandes von Gütern oder Waren, von dem Auslieferungen vorgenommen werden.

6.177

Als Vertreter kommen sowohl natürliche als auch juristische Personen sowie Personengesellschaften in Betracht.5 Es können Angestellte, selbständige Gewerbetreibende oder Tochtergesellschaften sein. Sie müssen nur mit der Besorgung von Geschäften betraut sein, womit in erster Linie Handelsvertreter, Agenten, Kommissionäre, Spediteure, Bankiers und Pächter gemeint sind, letztere allerdings nur insoweit, als sie die Geschäfte des Verpächters besorgen.6 Nicht erforderlich ist, dass die Geschäftsbesorgung auf der Grundlage rechtsgeschäftlichen Handelns (§§ 164 ff. BGB) erfolgt,7 ausreichend ist vielmehr eine tatsächliche wirtschaftliche Repräsentanz8 in dem Sinne, dass der Vertreter anstelle des Unternehmers9 Handlungen vornimmt, die in dessen Betrieb fallen.10 Hieraus ergibt sich eine nur begrenzte Reichweite des für inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb maßgeblichen personalen Anknüpfungsmerkmals: Der

6.178

1 Die Gewerbesteuer knüpft an eine inländische Betriebsstätte, nicht aber an einen inländischen ständigen Vertreter an (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). 2 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 230; Mössner in Mössner et al., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 2.158. 3 Hierbei ist auf einen Zeitraum von 6 Monaten abzustellen; vgl. BFH v. 3.8.2005 – I R 87/04, BStBl. II 2006, 220; Buciek in Beermann/Gosch, § 13 AO Rz. 4; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 14; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 30; Kumpf in Haarmann, Die beschränkte Steuerpflicht, 27 (42); Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 211 f. 4 Die Voraussetzungen von § 13 Satz 1 AO müssen erfüllt sein; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 235. 5 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 231. 6 BFH v. 12.4.1978 – I R 136/77, BStBl. II 1978, 494; v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 14. 7 BFH v. 12.4.1978 – I R 136/77, BStBl. II 1978, 494; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 232; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 14; offen gelassen durch BFH v. 18.12.1990 – X R 82/89, BStBl. II 1991, 395. 8 Gebbers, StBp. 1989, 78 (79); Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 206. 9 Der Unternehmer selbst sowie Organmitglieder können daher nicht Vertreter i.S. von § 13 AO sein; BFH v. 18.12.1990 – X R 82/89, BStBl. II 1991, 395 (als Unternehmer selbst); Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 206; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 232, Drüen in T/K, § 13 AO Rz. 3; Gersch in Klein13, § 13 AO Rz. 2; a.A. Buciek in FS Wassermeyer, 289; offenlassend BFH v. 3.8.2005 – I R 87/04, BStBl. II 2006, 220 (als gesetzlicher Vertreter der ausländischen Kapitalgesellschaft). 10 BFH v. 27.11.1963 – I 335/60 U, BStBl. III 1964, 76; v. 18.12.1990 – X R 82/89, BStBl. II 1991, 395.

Valta | 247

Kap. 6 Rz. 6.178 | Einkommensteuer

anstelle des ausländischen Unternehmers (Geschäftsherrn) handelnde ständige Vertreter vermittelt diesem nur insoweit inländische Einkünfte, als dieser bei eigenem Tätigwerden ebenfalls inländische Einkünfte erzielte. Inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind danach nur dann gegeben, wenn der ständige Vertreter im Inland eine Betriebsstätte oder eine feste Einrichtung unterhält und die Einkünfte durch das Tätigwerden in dieser Betriebsstätte veranlasst sind.1 Unterhält daher der ständige Vertreter eine Betriebsstätte im Ausland, so führen die von dort aus für den ausländischen Unternehmer vorgenommenen Geschäftsbesorgungen im Inland oder Ausland zu keinen inländischen Einkünften.2

6.179

Voraussetzung ist ferner die Weisungsgebundenheit des ständigen Vertreters. Diese ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass dieser seinerseits selbständiger Unternehmer ist und die weisungsgebundenen Tätigkeiten etwa aufgrund eines Geschäftsbesorgungsverhältnisses (§§ 662, 675 BGB) in den Rahmen seines eigenen selbständigen Gewerbebetriebs fallen.3 Damit ist der Begriff des ständigen Vertreters weiter gefasst als dies international üblich und in den DBA Deutschlands – dort verwendeter Begriff: abhängiger Vertreter – verankert ist. Im Hinblick darauf hat die Finanzverwaltung auf der Grundlage des § 50 Abs. 4 EStG (vor 2009: § 50 Abs. 7 EStG) in R. 49.1 Abs. 1 Sätze 2 u. 3 EStR für jene Fälle einen Steuerverzicht ausgesprochen, in denen der ständige Vertreter ein Kommissionär oder Makler ist, der Geschäftsbeziehungen für das ausländische Unternehmen im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit4 unterhält, soweit die Besteuerung nicht ohnehin durch ein DBA ausgeschlossen ist. Entsprechendes gilt auch, wenn der ständige Vertreter ein Handelsvertreter (§ 84 HGB) ist, der weder eine allgemeine Vollmacht zu Vertragsverhandlungen und Vertragsabschlüssen für das ausländische Unternehmen besitzt noch über ein Warenlager dieses Unternehmens verfügt, von dem er regelmäßig Bestellungen für das Unternehmen ausführt.5

6.180

Es ist nicht erkennbar, welche volkswirtschaftlichen Gründe für diesen einseitigen Steuerverzicht gem. § 50 Abs. 4 EStG maßgeblich sein sollen. Eine Legitimation erfährt R 49 Abs. 1 EStR jedoch als exekutive Typisierungsvorschrift:6 Soweit selbständige Handelsvertreter, Kommissionäre und Makler mit ihren Einkünften aus der Geschäftsbesorgung für ausländische Unternehmer unmittelbar selbst der Besteuerung im Inland unterliegen, verbleiben aufgrund des Tätigwerdens des ständigen Vertreters keine dem ausländischen Unternehmer zuzurechnenden inländischen Einkünfte7 mit der Folge, dass aus Gründen typisierender Vereinfachung auf die steuerliche Erfassung der gewerblichen Inlandseinkünfte des ausländischen Unternehmers verzichtet werden darf. Im Gesamtergebnis ist die Besteuerung daher trotz des Verzichtes noch gesetzeskonform, so dass die vom BFH in der Entscheidung zum Sanierungserlass hervorgehobene Pflicht der Verwaltung zum Gesetzesvollzug8 nicht berührt ist.

1 BFH v. 18.12.1990 – X R 82/89, BStBl. II 1991, 395; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 30; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 307; a.A. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 14; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 226. 2 Lüdicke in Lademann, § 49 EStG 307; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 14. 3 BFH v. 28.6.1972 – I R 35/70, BStBl. II 1972, 785; Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 215; Drüen in T/K, § 13 AO Rz. 5 ff. 4 Abzustellen ist auf den branchenüblichen Geschäftsbereich, BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238. 5 Hierzu Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 305. 6 Hierzu Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 87 ff.; Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume, 451 ff.; Vogel in FS Thieme, 605 ff.; Märkle in FS Meyding, 117 ff. 7 Angemessenheit der Entgelte unterstellt; vgl. hierzu Sieker, BB 1996, 981 ff.; ferner Rz. 21.100 ff. 8 BFH v. 8.2.2017 – GrS 1/15, BStBl. II 2017 393.

248 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.183 Kap. 6

Im Hinblick darauf, dass auf Abkommensebene die Tätigkeit von abhängigen Vertretern das Betriebsstättenprinzip vermittelt (Art. 5 Abs. 4 OECD-MA) und der Abkommensbegriff „abhängiger Vertreter“ enger ist als der Begriff des ständigen Vertreters (§ 13 AO), wird die Besteuerung durch Abkommensvorschriften durchweg entsprechend eingegrenzt. Wegen der Einzelheiten zur Ermittlung des der Vertreterbetriebsstätte zuzurechnenden Gewinns vgl. unter Rz. 21.100 ff.

6.181

d) Beförderung mit Seeschiffen oder Luftfahrzeugen Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG; Brons, Nationale und internationale Besteuerung der Seeschifffahrt, Bielefeld 1990; Dahm, Die Besteuerung von Handelsschiffen im internationalen Verkehr, Hamburg 2001; Hilger, Besteuerung der internationalen Seeschifffahrt, Frankfurt/M. 2007; Ritter, Neugestaltung der beschränkten Steuerpflicht für ausländische Schifffahrt- und Luftfahrtunternehmen, DStZ A 1971, 16.

Zu den inländischen Einkünften aus Gewerbebetrieb zählen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG auch Einkünfte, die durch den Betrieb eigener oder gecharterter Seeschiffe oder Luftfahrzeuge aus Beförderungen zwischen inländischen und von inländischen zu ausländischen Häfen erzielt werden. Eingeschlossen sind Einkünfte aus anderen, mit den steuerpflichtigen Beförderungen zusammenhängenden Beförderungsleistungen, die sich auf das Inland erstrecken. Es handelt sich dabei insbesondere um Zubringertransporte und Anschlussbeförderungen. Damit ist neben der Betriebsstätte und dem ständigen Vertreter für die inländischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb ein dritter Anknüpfungspunkt, nämlich der Beförderungsvorgang, gewählt worden.1

6.182

Die Anknüpfung an konkrete Beförderungsvorgänge anstatt an eine Betriebsstätte ist notwendig, da Schiff- und Luftfahrtsunternehmen regelmäßig keine Betriebsstätten unterhalten und in der Folge nur im Ansässigkeitsstaat besteuert würden. Eine Anknüpfung an konkrete Beförderungen ist daher im Ausgangspunkt sachgerecht und auch aus Gleichheitsgründen gerechtfertigt.2 Zugleich ist die Abgrenzung nach konkreten Beförderungsvorgängen für Finanzverwaltung wie Steuerpflichtigen aufwändig und wenig effizient. Ein einzelner Anflug, ein einzelnes Anlaufen löst die beschränkte Steuerpflicht aus, was schwer zu überwachen ist und ein Hemmnis für den Verkehr darstellt. Aus diesem Grunde sieht Art. 8 OECD-MA auch eine reine Ansässigkeitsbesteuerung am Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung vor und es bestehen mitunter auch entsprechende Regelungen in Sonderabkommen betreffend Einkünfte und Vermögen von Schifffahrt- und Luftfahrtunternehmen.3 Sofern eine entsprechende zweiseitige Regelung fehlt, gewährt § 49 Abs. 4 EStG unilateral eine Steuerbefreiung auf Gegenseitigkeit, sofern auch der andere Staat tatsächlich auf die Besteuerung inländischer Schifffahrt- und Luftfahrtunternehmen verzichtet und das Bundesverkehrsministerium dies für verkehrspolitisch unbedenklich erklärt hat (§ 49 Abs. 4 Satz 2 EStG).4 Die deutsche Regelung dient daher

6.183

1 Die Anknüpfung gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst a EStG (Betriebsstätte/ständiger Vertreter) geht vor; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 413. 2 Kritisch Brons, Nationale und internationale Besteuerung der Seeschifffahrt, 214. 3 Übersicht über den Abkommensstand zum 1.1.2016 in BStBl. I 2016, 80. 4 Hierzu im Einzelnen Lieber in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1400 ff.; die verkehrspolitische Unbedenklichkeit dient dem Zweck, die Steuerfreistellung für „billige“ Flaggen zu verhindern; vgl. Strunk in Korn, § 49 EStG Rz. 142.

Valta | 249

Kap. 6 Rz. 6.183 | Einkommensteuer

auch als Verhandlungsmasse für den Abschluss entsprechender Abkommen1 oder zumindest als Anreiz an andere Staaten für einen Besteuerungsverzicht.

6.184

§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erfasst Einkünfte aus Beförderungen, die durch den Betrieb eigener oder gecharterter Seeschiffe oder Luftfahrzeuge erzielt werden. In Abgrenzung zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG müssen die Beförderungsleistungen vom ausländischen Unternehmen selbst erbracht werden.2 Erfasst werden lediglich die Einkünfte aus Beförderungen zwischen inländischen Häfen und von inländischen zu ausländischen Häfen. Einkünfte aus Beförderungen von einem ausländischen zu einem inländischen Hafen sind dagegen ebenso wenig inländische Einkünfte wie Einkünfte aus Beförderungen von einem inländischen Hafen auf die freie See.3 Schließlich werden auch Einkünfte aus Beförderungen innerhalb eines inländischen Hafens nicht erfasst.4 Dagegen rechnet zu den inländischen Beförderungseinkünften bei einer einheitlichen Beförderung von einem ausländischen Hafen zu einem anderen ausländischen Hafen über einen inländischen Hafen der Teilgewinn, der auf die Beförderung vom inländischen zum ausländischen Zielhafen entfällt.5

6.185

Für Beförderungseinkünfte gilt, soweit diese unter § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG oder unter § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG fallen, eine unwiderlegbare Gewinnvermutung i.H.v. 5 % der vereinbarten Entgelte (§ 49 Abs. 3 EStG),6 es sei denn, das deutsche Besteuerungsrecht wird durch ein DBA auch der Höhe nach nicht eingeschränkt (§ 49 Abs. 3 Satz 3 EStG).7

6.186

Die in § 49 Abs. 3 EStG verankerte unwiderlegbare Gewinnvermutung ist zwar aus Gründen der Vereinfachung der Gewinnermittlung und im Hinblick auf internationale Gepflogenheiten geschaffen worden;8 diese Gründe vermögen aber nicht die Unwiderlegbarkeit der Gewinnfiktion zu rechtfertigen, wenn der Gewinn tatsächlich geringer oder gar ein Verlust entstanden ist. Insbesondere ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen etwa gerade bei den durch eine inländische Betriebsstätte erzielten Beförderungseinkünften die Gewinnfiktion Geltung haben soll, während die übrigen Betriebsstätteneinkünfte nach Maßgabe der handels- und steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften einzeln zu ermitteln sind. Die Gewinnfiktion des § 49 Abs. 3 EStG ist daher mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), auf den sich ausländische juristische Personen aber nur in EU-Fällen berufen können9 und der europarechtlich

1 Hierzu Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1400; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 109. 2 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 431; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 414; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 37. 3 Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 13; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 451; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 419. 4 Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 13; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 419; a.A. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 448. 5 BFH v. 2.3.1988 – I R 57/84, BStBl. II 1988, 596; Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 25; a.A. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 449. 6 Die spezielle Gewinnermittlungsregelung des § 49 Abs. 3 EStG geht der des § 5a EStG (Rz. 6.113 f.) vor; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 413. 7 Erfasst werden hierdurch insbesondere Beförderungen im inländischen Verkehr durch ausländische Luftfahrtunternehmen für die als Regel das Betriebsstättenprinzip gilt; hierzu Reimer in Brandis/ Heuermann, § 49 EStG Rz. 326. 8 Hierzu Ritter, DStZ A 1971, 16 (18); FG Hamburg v. 20.7.1999 – II 299/97, EFG 1999, 1230. 9 BVerfG v. 19.7.2011 − 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78; ablehnend für Drittstaatsfall: FG Hamburg v. 20.7.1999 – II 299/97, EFG 1999, 1230, bestätigt durch BFH v. 24.1.2001 – I R 81/99, BStBl. 2001, 290.

250 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.189 Kap. 6

verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV)1 unvereinbar.2 Im Betriebsstättenfall wird zudem das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 24 OECD-MA) verletzt.3 Nach den von Deutschland abgeschlossenen DBA steht die Besteuerung aus dem Betrieb von Seeschiffen und Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr dem Staat zu, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet (Art. 8 OECD-MA; Rz. 19.280 ff.). Damit wird der Steueranspruch gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG insoweit ausgeschlossen.

6.187

e) Internationale Betriebsgemeinschaften oder Pool-Abkommen Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG; vgl. im Übrigen die Literatur zu d).

Nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch solche, die von einem Unternehmen im Rahmen einer internationalen Betriebsgemeinschaft oder eines Pool-Abkommens, bei denen ein Unternehmen mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland die Beförderung durchführt, aus Beförderungen und Beförderungsleistungen zwischen inländischen und von inländischen zu ausländischen Häfen erzielt werden. Internationale Betriebsgemeinschaften im Sinne eines Pool-Abkommens sind alle Formen der Zusammenarbeit, bei denen Beförderungen im Innenverhältnis auf gemeinsame Rechnung durchgeführt werden, z.B. wenn sich mehrere Luftfahrtunternehmen eine Route mit ihren Flügen teilen indem eines die jeweilige Beförderungsleistung erbringt, das andere oder die anderen jedoch an den Einnahmen bzw. Gewinnen teilhaben.4 Vorschlag: Internationale Betriebsgemeinschaften innerhalb eines Pool-Abkommens sind alle Formen der Zusammenarbeit, bei denen Beförderungen im Innenverhältnis auf gemeinsame Rechnung durchgeführt werden, z.B., wenn sich mehrere Luftfahrtunternehmen eine Route mit ihren Flügen teilen indem eines die jeweilige Beförderungsleistung erbringt, das andere oder die anderen jedoch an den Einnahmen bzw. Gewinnen teilhaben. Durch diese Regelung werden über § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG hinaus ausländische Unternehmen erfasst, die, ohne selbst im Inland Beförderungen durchzuführen oder im Inland über eine Betriebsstätte oder einen ständigen Vertreter zu verfügen, an Beförderungsleistungen i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG durch ihre Mitgliedschaft in einer internationalen Betriebsgemeinschaft oder an einem Pool partizipieren.5

6.188

Die Pool-Einkünfte werden der beschränkten Steuerpflicht nur dann unterworfen, wenn ein inländisches Unternehmen die Beförderung mit Inlandsbezug durchführt. Diese Einschränkung ist systemwidrig: soweit das Gesetz für die beschränkte Steuerpflicht an inländische Beförderungsvorgänge anknüpft, kann es für die Besteuerung der Pool-Einkünfte eigentlich

6.189

1 Wegen § 49 Abs. 3 Satz 3 EStG (keine 5 %-Besteuerung bei DBA-Freistellung) spielt die Niederlassungsfreiheit praktisch keine Rolle. 2 Gosch in Kirchhhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 20; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1302; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. L 6; Brons, Nationale und internationale Besteuerung der Seeschifffahrt, 216; Hilger, Besteuerung der internationalen Seeschifffahrt, 55 f.; zu weiteren Ungereimtheiten des § 49 Abs. 3 EStG Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 432 ff. a.A. FG Hamburg v. 20.7.1999 – II 299/97, EFG 1999, 1230, das als zweifelhaftes obiter dictum in Härtefällen eine Korrektur durch Billigkeitsmaßnahmen zulassen will. 3 BFH v. 22.4.1998 – I R 54/96, BFHE 186, 89 = IStR 1998, 504. 4 Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 148 5 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 472.

Valta | 251

Kap. 6 Rz. 6.189 | Einkommensteuer

nicht darauf ankommen, ob die Beförderung von inländischen oder ausländischen Unternehmen durchgeführt wird.1 Wegen dieser Tatbestandseingrenzung bleiben daher die Einkünfte ausländischer Pool-Unternehmen unversteuert, wenn die Beförderung von einem ausländischen Unternehmen durchgeführt wird.2

6.190

Die Vorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG hat in der Praxis allerdings keine sehr große Bedeutung, weil nach den maßgeblichen Vorschriften der DBA (Art. 7 und 8 OECDMA) die Besteuerung ohnehin nicht Deutschland zugeteilt ist und im Übrigen die auf Gegenseitigkeit beruhende Befreiung nach § 49 Abs. 4 EStG die Besteuerung auf jene Fälle reduziert, in denen eine entsprechende Gegenseitigkeitsregelung nicht besteht. Damit wird letztlich sichtbar, dass es auch in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG vor allem darum geht, die Bereitschaft anderer Staaten zu wecken, deutschen Unternehmen im Rahmen der Gegenseitigkeit Steuerbefreiung einzuräumen.3 f) Darbietungen Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG; Burgstaller/Schuch, Beschränkt steuerpflichtige Schriftsteller, Vortragende, Künstler, Architekten, Sportler, Artisten und Mitwirkende an Unterhaltungsdarbietungen, in Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer, Die beschränkte Steuerpflicht im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, Wien 2004, 127 ff.; Graf, Abkommensrechtliche Behandlung von Vergütungen für die Überlassung von Live-Fernsehübertragungsrechten, BB 2009, 1572; Grams, Besteuerung von beschränkt steuerpflichtigen Künstlern, Herne/Berlin 1999; Grossmann, Die Besteuerung des Künstlers und Sportlers im internationalen Verhältnis, Bern/Stuttgart/ Wien 1992; Haarmann, Aktuelle Brennpunkte der Künstlerbesteuerung, in Kleineidam (Hrsg.), Unternehmenspolitik und Internationale Besteuerung, FS für Lutz Fischer, Berlin 1999, 589 ff.; HahnJoecks, Zur Problematik der Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler, Baden-Baden 1999; Heuer, Die Besteuerung der Kunst, Köln 1982; Holthaus, Steuerabzug bei Darbietungseinkünften, IWB 2011, 68; Kudert/Jarzynska, Die Besteuerung von grenzüberschreitend tätigen Künstlern, Sportlern, Artisten und Entertainern, 2012, 380 ff.; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, Herne/Berlin 1991; Mody, Die deutsche Besteuerung international tätiger Künstler und Sportler, Baden-Baden 1994; Mody, Problembereiche der Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Künstler und Sportler, in Kleineidam (Hrsg.), Unternehmenspolitik und Internationale Besteuerung, FS für Lutz Fischer, Berlin 1999, 769 ff.; Nacke, Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Künstler und Sportler, IWB 2011, 607; Pinkernell, Cloud Computing – Besteuerung des grenzüberschreitenden B2B- und B2C-Geschäfts, Ubg 2012, 331; Reisch/ Reinhardt/Urbanke, Probleme bei der Besteuerung von Amateursportlern aus nationaler und internationaler Sicht, DB 1988, 359; Sandler, The Taxation of International Entertainers and Athletes, The Hague 1995; Schauhoff, Inländische Einkünfte im Ausland wohnender Sportler, IStR 1993, 363; Schauhoff, Quellensteuerabzug bei Zahlungen an beschränkt steuerpflichtige Künstler und Sportler, IStR 1997, 5; Schauhoff/Cordewener/Schlotter, Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler in der EU, München 2008; Schauhoff/Idler, Änderung der BFH-Rechtsprechung zur Besteuerung von Werbeverträgen mit beschränkt Steuerpflichtigen, IStR 2008, 341; Schlotter, Konkurrenz von Steuerabzugstatbeständen in der beschränkten Steuerpflicht am Beispiel von Vergütungen für Fernsehübertragungsrechte an Sportveranstaltungen, FR 2010, 651; Schrettl, Rechtsfragen der beschränkten Steuerpflicht, dargestellt anhand der Besteuerung gewerblich tätiger beschränkt steuerpflichtiger Künstler, Sportler und Artisten, Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Wien 1994; Stuhrmann, Die Änderungen durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 im Bereich der Einkommensteuer, DStZ 1986, 92.

1 Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 149; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 486f.; Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 25. 2 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 486. 3 Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 21.

252 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.193 Kap. 6

Durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG werden in die inländischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb die Einkünfte einbezogen, die durch künstlerische, sportliche, artistische, unterhaltende oder ähnliche Darbietungen im Inland oder durch Verwertung im Inland erzielt werden, einschließlich der Einkünfte aus anderen mit diesen Leistungen zusammenhängenden Leistungen, unabhängig davon, wem die Einnahmen zufließen. Voraussetzung ist, dass diese Einkünfte nicht bereits als inländische Einkünfte aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG) zu qualifizieren sind. Es müssen also alle Tatbestandsmerkmale des § 15 EStG – z.B. Gewinnerzielungsabsicht1 – erfüllt sein.2 Unter den Regelungsbereich des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG fallen damit vor allem ausländische Berufssportler, Eis-Revuen, Tourneetheater und Zirkusunternehmen sowie sog. Künstlerverleihgesellschaften und Konzertdirektionen gewerblich organisierte Orchester, Schauspiel- und Opernunternehmen, sofern die Darbietungen bei physischer Anwesenheit der Berufssportler, Künstler usw. im Inland oder aber im Falle inländischer Verwertung auch im Ausland erfolgen3 und der vorgenannte Personenkreis im Inland weder eine Betriebsstätte,4 etwa durch ein ständiges Trainingslager,5 noch einen ständigen Vertreter, etwa durch einen Manager,6 unterhält.7

6.191

Unter den Regelungsbereich des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG fallen damit bestimmte Gewerbetreibende, die im Inland weder eine Betriebsstätte noch einen ständigen Vertreter haben, weil an bestimmte Tätigkeiten oder Verwertungstatbestände angeknüpft wird.8

6.192

Indessen ist diese steuerliche Anknüpfung in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG nur unvollkommen, weil nur ganz bestimmte Tätigkeiten einzelner Berufsgruppen erfasst werden. Für die durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG vorgenommene gesetzliche Differenzierung muss der Grund wiederum in den Opportunitätserwägungen des Gesetzgebers gesucht werden. Darbietungen von Künstlern und Sportlern zeichnen sich regelmäßig durch eine hohe Wertschöpfung bei nur geringem zeitlichem Aufenthalt aus. Eine Betriebsstätte besteht gleichwohl regelmäßig nicht, dafür können lokale Veranstalter für den Steuereinbehalt genutzt werden. Im Abkommensrecht sieht Art. 17 OECD-MA eine entsprechendes Besteuerungsrecht vor, welches Deutschland ausfüllen kann. Dass Einkünfte eines Unternehmensberaters, Kommissionärs oder Handelsvertreters, soweit diese Personen im Inland keine Betriebsstätte unterhalten oder keinen ständigen Vertreter bestellt haben, hingegen von der beschränkten Steuerpflicht ausgenommen sind,9 lässt sich angesichts des Bedeutungsverlusts der Betriebsstätte aufgrund der Digitalisierung immer weniger rechtfertigen. Freilich darf der Gesetzgeber auch hier einen Blick auf die Entwicklung des Abkommensrechts und die allgemeine Staatenpraxis werfen und ist nicht verpflichtet Alleingänge zu starten, die mangels abkommensrechtlicher Unterle-

6.193

1 BFH v. 7.11.2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 517; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 24; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 39. 2 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 Rz. 516; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 36. 3 Zum Ort der Darbietung Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 538 ff. 4 Die Zuordnung der Einkünfte zu einer ausländischen (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte ist dagegen ohne Bedeutung; vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. D 1365 ff. 5 BFH v. 17.2.1955 – IV 77/53 S, BStBl. III 1955, 100. 6 Schauhoff, IStR 1993, 363 (364). 7 In diesen Fällen käme § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in Betracht; BFH v. 2.2.1994 – I B 143/93, BFH/NV 1994, 864; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 505. 8 Hierdurch sollen sonst verbleibende Besteuerungslücken geschlossen werden; vgl. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 23. 9 Hierzu auch Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 503.

Valta | 253

Kap. 6 Rz. 6.193 | Einkommensteuer

gung absehbar ineffektiv sind oder mangels Akzeptanz bei der Anrechnung im Ansässigkeitsstaat Doppelbesteuerung hervorruft.

6.194

Der beschränkten Steuerpflicht werden Einkünfte unterworfen, die durch künstlerische, sportliche, artistische, unterhaltende oder ähnliche Darbietungen oder deren Verwertung im Inland erzielt werden. Da § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG nicht an Einkünfte anknüpft, die aus den vorgenannten Tätigkeiten bzw. deren Verwertung erzielt werden, fallen unter den Regelungsbereich dieser Vorschrift nicht nur diejenigen Personen, die die entsprechende Tätigkeit selbst ausüben, etwa Berufssportler, sondern auch diejenigen, die diese Tätigkeit zur Verfügung stellen.1 Damit unterliegen der beschränkten Steuerpflicht insbesondere auch Konzertdirektionen und Unternehmen, die Berufssportler und Künstler vermarkten.2 § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG führt in diesen Fällen zu einer Doppelanknüpfung3 und damit nicht selten zu einer gleichheitswidrigen Überbesteuerung, soweit die vorgenannten Einkünfte gem. §§ 50 Abs. 2 Satz 1; 50a Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 EStG einer Bruttobesteuerung unterliegen,4 ohne dass ein Quellensteuerabzug auf Nettobasis oder eine Veranlagung in Betracht kommt.5 Diese Überbesteuerung, die vor allem Drittstaatenangehörige trifft, ist dann besonders gravierend, wenn sowohl das Unternehmen, das die Darbietung erbringt, als auch die selbständig oder unselbständig tätigen Personen, die im Rahmen dieser Darbietungen tatsächlich selbst tätig werden, mit ihren Einkünften dem Steuerabzug an der Quelle unterliegen und der Steuerabzug Abgeltungswirkung hat (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG). In diesen Fällen liegt die Besteuerung regelmäßig weit höher als bei unbeschränkter Steuerpflicht. Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG ist daher in Härtefällen ein Steuererlass gem. §§ 163, 227 AO und § 50 Abs. 4 EStG geboten,6 soweit eine Überbesteuerung nicht ohnehin schon dadurch vermieden wird, dass von einem Steuerabzug auf der zweiten Stufe abgesehen wird (§ 50a Abs. 4 EStG).7

6.195

Das wesentliche inlandsbezogene Qualifikationsmerkmal ist die Darbietung als die Zugänglichmachung der Tätigkeit oder des Ergebnisses der Tätigkeit zu einem Publikum.8 Die Tätigkeit ist somit darauf gerichtet, etwas aufzuführen, vorzuführen, zu zeigen oder zu Gehör zu bringen, wie etwa in Ausstellungen, Konzerten, Theateraufführungen, Shows, Turnieren und Wettkämpfen.9 Erfasst werden nicht nur unmittelbare persönliche Auftritte vor einem Publikum, sondern auch nichtöffentliche Auftritte sowie Live-Aufnahmen, die über Rundfunk-, Film- und Fernsehaufzeichnungen ausgestrahlt werden.10 Da ein Zugänglichmachen von Er1 BFH v. 2.2.1994 – I B 143/93, BFH/NV 1994, 864; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 521; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 469; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 23, 31. 2 Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 203 ff.; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 23: „rent-a-star-company“. 3 Hierzu Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 234. 4 Zum Problem der Bruttobesteuerung Rz. 6.132 ff. 5 Vgl. § 50a Abs. 3 u. § 50 Abs. 2 Satz 7 EStG, die nur für EU-/EWR-Staatsbürger gelten. 6 Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 262 ff. 7 Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 60. 8 Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 186 f. 9 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002, BStBl. I 2010, 1350 Rz. 17; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 521. 10 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 538; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 156; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 186 f.

254 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.197 Kap. 6

gebnissen genügt, bedarf es keiner persönlichen Aktivitätsentfaltung, so dass auch eine Ausstellung von Kunstwerken genügt.1 Künstlerische Darbietungen sind solche, durch die eine eigenschöpferische Leistung dargestellt wird, welche eine gewisse Gestaltungshöhe erreicht.2 Als darbietende Künstler werden vor allem Bühnen-, Film-, Rundfunk- und Fernsehkünstler, Tänzer, Musiker und Dirigenten erfasst. Nicht zu den darbietenden Künstlern gehören schaffende Künstler wie Maler, Komponisten, Fotografen, Regisseure, Schriftsteller und Kunsthandwerker, soweit sie nicht ihre Werke, etwa durch eine kuratierte Ausstellung, Performance, Dichterlesung und dergleichen, darbieten.3 Diese Unterscheidung kann sehr feinsinnig sein: so hat der BFH 2018 entschieden, dass ein Lichtdesigner einer Lasershow auch darbietend tätig sein kann, wenn er die Lichtershow nicht nur vorfertigt und lediglich an örtliche Gegebenheiten anpasst, sondern im Sinne eines „Performance-Künstlers“ live vor Ort schafft.4 Da unter § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb fallen, werden folglich in erster Linie die Einkünfte aus künstlerischen Darbietungen ausländischer Künstlerverleihunternehmen und Konzertdirektionen erfasst. Die künstlerische Darbietung erfolgt durch Künstler, die diese Unternehmen als Vertragspartner den inländischen Veranstaltern zur Verfügung stellen. Ob die betreffenden Künstler im Inland oder Ausland ansässig sind, spielt keine Rolle.5

6.196

Mit den sportlichen Darbietungen6 in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG sind in erster Linie nicht Amateursportler, sondern Berufssportler angesprochen, weil diese eine gewerbliche Tätigkeit ausüben. Da aber auch Amateursportler für ihre Auftritte nicht selten Startgelder erhalten, die über den bloßen Aufwandsersatz hinausgehen und somit eine Gewinnerzielungsabsicht indizieren, werden in zunehmendem Maße auch sog. Amateursportler unter die Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG fallen.7 Erfasst werden auch sportliche Darbietungen durch Sportler, die durch ausländische Promotion-Unternehmen und Vermittlungsunternehmen inländischen Veranstaltern zur Verfügung gestellt werden. Dementsprechend unterliegen auch die Einkünfte ausländischer Profifußballvereine für Gastspiele ihrer Mannschaften im Inland der Besteuerung aufgrund sportlicher Darbietungen gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG.8 Nicht erfasst werden dagegen die Einkünfte, die durch Werbespots, Interviews, Mode-

6.197

1 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002, BStBl. I 2010, 1350 Rz. 17; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 523; Valta/Lemm in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 36; a.A. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 24. 2 BFH v. 11.7.1991 – I R 33/90, BStBl. II 1992, 353; v. 11.7.1991 – I R 102/90, BStBl. II 1992, 413; v. 2.12.1980 – VIII R 32/75, BStBl. II 1981, 170. 3 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 25; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 526; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 189. 4 BFH v. 11.07.2018 – I R 44/16, BFHE 262, 354 = FR 2020 234. 5 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 525; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 190. 6 Rein geistige Tätigkeiten wie Schach und andere Brettspiele gehören nicht dazu; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 530; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 158; a.A. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 26. 7 Zu weiteren Einzelheiten Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 191 ff.; Reisch/Reinhardt/Urbanke, DB 1988, 359 ff. 8 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 532; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 26.

Valta | 255

Kap. 6 Rz. 6.197 | Einkommensteuer

rationen, Fotoanzeigen und aufgrund von Ausrüsterverträgen erzielt werden,1 es sei denn, die zu erbringenden Leistungen stellen sich als bloße Nebenleistungen der sportlichen Darbietung dar.2 Diese Dienstleistungen fallen ggf. aber unter § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG oder aber als Vermarktung des Namens, des Bildes und etwa der Unterschrift unter § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG.3

6.198

Zu den artistischen Darbietungen gehören vor allen Dingen die Darbietungen von Akrobaten, Trick- und Zauberkünstlern, Dompteuren und Clowns in einem Zirkus, einer Revue oder einer Show.4

6.199

Die Erfassung auch von unterhaltenden Darbietungen (seit 2009) bedeutet eine Erweiterung insbesondere zu den künstlerischen und sportlichen Darbietungen mit dem Ziel, das gesamte Show- und Unterhaltungsgeschäft unabhängig von der Gestaltungshöhe zu erfassen:5 Zu den inländischen Einkünften zählen auch Vergütungen, die Künstler und Sportler für ihre Auftritte z.B. auf Benefizveranstaltungen mit Unterhaltungscharakter erhalten, ohne hierbei selbst in künstlerischer oder sportlicher Hinsicht tätig zu sein, ferner Moderatoren und aktive Teilnehmer an Talkshows.6 Hierdurch wird der durch Art. 17 OECD-MA gesteckte Besteuerungsrahmen ausgeschöpft.7

6.200

Ähnliche Darbietungen sind solche, die sich nicht ohne weiteres unter die vorgenannten Katalog-Darbietungen einordnen lassen, mit diesen aber vergleichbar sind. Damit werden Darbietungen erfasst, die nicht die Gestaltungshöhe künstlerischer Darbietungen erreichen8 und zudem nicht unterhaltend sind.9 Damit werden im Ergebnis nur Fälle erfasst, in denen etwa prominente Persönlichkeiten gegen Entgelt bei Einweihungsfeiern oder sonstigen Anlässen ohne weitere Aktivitäten bloß anwesend sind.10 Da die Katalogdarbietungen den Rahmen für die Auslegung des Begriffs „ähnliche Darbietungen“ stecken, ist dieser Begriff – wie auch die Parallele zu den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG im Katalog benannten „ähnlichen Berufen“ zeigt – hinreichend konkretisiert, so dass der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung entsprochen wird.11

1 BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672; v. 7.9.2011 – I B157/10, BStBl. II 2012, 590 Rz. 19; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 533 ff.; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 26; Schauhoff/Idler, IStR 2008, 341 ff.; BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/1000 – DOK 2010/08615492, BStBl. I 2010, 1350, Tz. 94. 2 BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672. 3 BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672 in Abweichung von BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550; Schauhoff/Idler, IStR 2008, 341 (342 ff.). 4 Zur Abgrenzung gegenüber sportlichen und künstlerischen Darbietungen Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 193 f. 5 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 535 dort auch zur mangelnden Bestimmbarkeit des Steuertatbestandes. 6 Vgl. zu Einzelfällen: Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 535. 7 Vgl. hierzu Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 22; ferner Rz. 19.453 ff. 8 Zum Begriff der künstlerischen Tätigkeit umfassend Heuer, Die Besteuerung der Kunst, 131 ff.; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 9 ff. 9 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 29. 10 Hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 29. 11 BFH v. 17.10.2007 – I R 81, 82/06, I R 81/06, I R 82/06, BFH/NV 2008, 356; Gosch in Kirchhof/ Seer21, § 49 EStG Rz. 28.

256 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.202 Kap. 6

Neben der Darbietung ist in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG die Verwertung als weiteres inlandsqualifizierendes Anknüpfungsmerkmal genannt. Erfasst werden die Einkünfte, die durch die Verwertung von Inlands- und Auslandsdarbietungen im Inland erzielt werden,1 wobei die Darbietung von einer anderen Person als dem Darbietenden verwertet werden kann.2 Im Hinblick darauf, dass Verwertung einer Darbietung deren Vermarktung3 im Sinne einer finanziellen Nutzbarmachtung etwa durch Einräumung oder Überlassung von Rechten ist,4 wird der Inlandsbezug in aller Regel durch den inländischen Vertragspartner des Übertragenden hergestellt.5 Im Übrigen reicht jede Inlandsnutzung von in- und ausländischen Darbietungen aus,6 so dass etwa das Musik-Streaming im Internet durch inländische Kunden den Verwertungstatbestand erfüllt.7

6.201

§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG erfasst schließlich auch Einkünfte aus anderen mit den Katalogleistungen und ihnen ähnlichen Leistungen zusammenhängenden Leistungen. Von einer mit diesen Leistungen zusammenhängenden Leistung kann nur gesprochen werden, wenn ein sachlicher und personeller Zusammenhang mit den Hauptleistungen besteht.8 Aufgrund dieser Regelung soll eine Besteuerung auch dann gewährleistet sein, wenn die zu erbringenden Leistungen in mehreren Verträgen vereinbart werden. Es muss sich dabei stets um Leistungen handeln, die der wegen der Darbietung oder der Verwertung beschränkt Steuerpflichtige selbst erbringt, so dass etwa Nebenleistungen dritter Personen nicht erfasst werden.9 Angesprochen sind damit vor allem Nebenleistungen bei der Organisation ganzer Veranstaltungen im Inland, etwa die medizinische und technische Betreuung bei Sportveranstaltungen10 oder die Gestellung der Bühnen- Ton- und Bildtechnik bei Konzerten.11 Nicht erfasst werden demgegenüber aktive Werbeleistungen, wenn sie unabhängig von einzelnen Veranstaltungen zu erbringen sind. Die Einkünfte hieraus unterliegen, soweit hierfür weder eine Betriebsstätte noch ein ständiger Vertreter unterhalten wird, der beschränkten Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG.12

6.202

1 Hierzu Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 539; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 24. 2 BFH v. 17.12.1997 – I R 18/97, BStBl. II 1998, 440; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 24. 3 Es muss ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang zu der Darbietung bestehen; BFH v. 16.5.2001 – I 64/99, BStBl. II 2003, 641; v. 4.3.2009 – I R 6/07, BStBl. II 2009, 625. 4 BFH v. 4.3.2009 – I R 6/07, BStBl. II 2009, 625. 5 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 542, Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 376, der auf die Nutzung im Inland abstellt; vgl. auch BFH v. 4.3.2009 – I R 6/07, BStBl. II 2009, 625. 6 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 24. 7 Zu Einzelheiten Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494 (2014), 47 ff.; Pinkernell, Ubg 2012, 331 (335 f.); zu den strafrechtlichen Implikationen bei einer derart uferlosen Inlandsanknüpfung Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 16.299 ff. 8 BFH v. 28.7.2010 – I R 93/09, BFH/NV 2010, 2263; v. 16.11.2011 – I R 65/10, BFH/NV 2012, 924. 9 BFH v. 16.5.2001 – I R 64/99, BStBl. II 2003, 641; v. 17.11.2004 – I R 20/04, BFH/NV 2005, 892; v. 28.7.2010 – I R 93/09, BFH/NV 2010, 2263; v. 16.11.2011 – I R 65/10, BFH/NV 2012, 924 (Leistungen „aus einer Hand“); Frotscher in Frotscher/Geurts, § 49 EStG Rz. 59; Gosch in Kirchhof/ Seer21, § 49 EStG Rz. 30; Schauhoff, IStR 1997, 5 (9). 10 Weitere Einzelheiten bei Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 205 ff. 11 Zu weiteren Einzelheiten Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 549; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 43. 12 BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672 in Abweichung von BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550; Schauhoff/Idler, IStR 2008, 341 ff.

Valta | 257

Kap. 6 Rz. 6.203 | Einkommensteuer

6.203

Nach der ausdrücklichen Regelung im letzten Halbsatz des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG spielt es keine Rolle, ob die Einkünfte aus Darbietungen oder der Verwertung dem Darbietenden oder dem Verwertenden selbst oder dritten Personen zufließen. Diese Vorschrift ist darauf gerichtet, mögliche Vertragsgestaltungen beschränkt steuerpflichtiger Personen, die etwa durch Einschaltung von Vermarktungs-, Künstlerverleih- und Promotionsgesellschaften zum Fehlen der beschränkten Steuerpflicht geführt hätten, zu vereiteln.1 Tatsächlich ist sie aber weitgehend ohne Bedeutung,2 weil der Grundtatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG ohnehin schon zu einer Besteuerungslücken ausfüllenden Doppelanknüpfung führt.3

6.204

Nach den Regelungen der DBA4 bleibt die Besteuerung von Einkünften aus dem Auftreten von Künstlern, Sportlern und Artisten Deutschland als Quellenstaat vorbehalten. Die Besteuerungsbefugnis entfällt allerdings für Unternehmenseinkünfte aus Hilfstätigkeiten, die mit der Darbietung zusammenhängen, also z.B. aus kaufmännischen oder technischen Leistungen oder auch aus Vermittlungstätigkeiten. Schließlich ist auch die Besteuerung aufgrund des Verwertungstatbestandes in aller Regel ausgeschlossen.5 g) Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG; Buciek, Das kapitalersetzende Darlehen im Steuerrecht, Stbg 2000, 109; Nitzschke, Veräußerung direkt gehaltener Beteiligungen an Kapitalgesellschaften durch beschränkt Körperschaftsteuerpflichtige – Führt § 8b Abs. 3 KStG zur partiellen Besteuerung eines Veräußerungsgewinns?, IStR 2012, 125; Wacker, Vermögensverwaltende Gesamthand und Bruchteilsbetrachtung – eine Zwischenbilanz, DStR 2005, 2014; Widmann, Auswirkungen der beschränkten Steuerpflicht und der Doppelbesteuerungsabkommen bei Umwandlungen, in Gocke/ Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Franz Wassermeyer, München 2005, 581 ff.

6.205

Erfasst werden neben den Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalanteilen i.S.v. § 17 EStG (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG) auch Anteilsveräußerungsgewinne nach vorangegangener grenzüberschreitender Verschmelzung (§ 13 Abs. 2 UmwStG), grenzüberschreitendem Anteilstausch (§ 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG) oder Sitzverlegung innerhalb der EU (§ 17 Abs. 5 Satz 2 EStG), soweit die betreffenden Kapitalanteile hierbei nicht mit dem gemeinen Wert angesetzt wurden (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb).

6.206

Während die Gewinne aus der Veräußerung eines Betriebes, Teilbetriebes und damit auch einer Betriebsstätte bereits gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegen, werden die Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen6 Kapitalgesellschaften (§ 17 EStG) durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG erfasst.

6.207

Gehören die Kapitalanteile zum Betriebsvermögen eines inländischen Betriebes (Betriebsstätte), so sind die Veräußerungsgewinne dem § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zuzuordnen. Inso-

1 Stuhrmann, DStZ 1986, 92 (97). 2 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 556; Lüdicke in Lademann § 49 EStG Rz. 480; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 31; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 212 f. 3 Vgl. zu europarechtlichen Aspekten Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 6.194. 4 Art. 17 OECD-MA. 5 Hierzu im Einzelnen Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 170; ferner Rz. 19.453 ff. 6 Ort der Geschäftsleitung oder Sitz im Inland.

258 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.209 Kap. 6

weit gilt die sich aus der allgemeinen Gesetzessystematik ergebende Subsidiarität des § 17 EStG ggü. den §§ 4 und 5 EStG.1 § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG greift daher nur dann ein, wenn die Anteile nicht zu einem inländischen Betriebsvermögen gehören. Ob die Anteile zu einem ausländischen Betriebsvermögen gehören, ist im Hinblick auf die isolierende Betrachtungsweise, die die Subsidiarität des § 17 EStG ggü. den §§ 4 und 5 EStG suspendiert, (Rz. 6.154) ohne Bedeutung.2 Soweit Anteilsveräußerungsgewinne dem Regelungsbereich des § 20 Abs. 2 EStG unterfallen,3 greift § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. d EStG i.V.m. § 43 Abs. 1 Nr. 9 EStG ein.4 Gehören die Kapitalanteile zu einem in- oder ausländischen Gesamthandsvermögen ohne Betriebsvermögen, so ist die Veräußerung der Anteile am Gesamthandsvermögen zugleich eine anteilige Veräußerung der im Gesamthandsvermögen gehaltenen Kapitalanteile,5 so dass die §§ 17 und 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG eingreifen.6 Entsprechendes gilt, wenn die Gesamthandsgemeinschaft ohne Betriebsvermögen die zum Gesamthandsvermögen gehörenden Kapitalanteile veräußert.7 Gehören die Kapitalanteile zu einem ausländischen Gesamthandsvermögen mit nur ausländischem Betriebsvermögen, greifen in Anwendung der isolierenden Betrachtungsweise (Rz. 6.153 ff.) ebenfalls die §§ 17 und 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG ein.8

6.208

Da § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG auf § 17 EStG insgesamt verweist, werden nicht nur die Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen erfasst, sondern auch Gewinne (Verluste) aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft, aus der Herabsetzung und Rückzahlung ihres Nennkapitals und die Ausschüttung oder Zurückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG, soweit die Rückzahlung nicht als Gewinnanteil (Dividende) gilt (§ 17 Abs. 4 EStG).9 Das Gleiche gilt auch für verdeckte Einlagen von Kapitalanteilen.10 Zu den von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG erfassten Veräußerungsvorgängen gehört auch der Tausch von Kapitalanteilen soweit die Steuerneutralität sich nicht aus § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG oder aus anderen Vorschriften des UmwStG ergibt11 sowie die der Veräußerung gleich gestellte Verlegung des Sitzes und des Ortes der Geschäftsleitung bei Beschränkung oder Ausschluss des deutschen Besteuerungsrecht (§ 17 Abs. 5 Satz 1 EStG). Schließlich werden auch Übernahmegewinne, die im Zuge der Umwandlung von Kapital- in Personengesellschaften durch die auch für beschränkt Steuerpflichtige geltende Einlagefiktion des § 5 Abs. 2 UmwStG entstehen, von der Reichweite des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG erfasst.12 Eine Sonderregelung gilt für sog. sperrfristverhaftete Anteile

6.209

1 Hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 7; Buciek, Stbg 2000, 109 (118). 2 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 577; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 48; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 35. 3 Gem. § 20 Abs. 8 EStG geht § 17 EStG und damit auch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG vor. 4 Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 48. 5 BFH v. 19.3.1996 – VIII R 15/94, BStBl. II 1996, 312; v. 18.5.2005 – VIII R 34/01, BStBl. II 2005, 857; Wacker, DStR 2005, 2014 (2016). 6 Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 48. 7 Bruchteilsbetrachtung gem. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO; vgl. BFH v. 9.5.2000 – VIII R 41/99, BStBl. II 2000, 686; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 35. 8 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 577; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 35. 9 Zu Einzelheiten Levedag in Schmidt41, § 17 EStG Rz. 211 ff. 10 § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG. 11 Zum Internationalen Umwandlungssteuerrecht Rz. 20.1 ff. 12 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 35a; Schmitt in S/H/S7, § 5 UmwStG Rz. 30.

Valta | 259

Kap. 6 Rz. 6.209 | Einkommensteuer

(§ 22 Abs. 2 UmwStG): Werden sie innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist durch den übernehmenden Rechtsträger oder dessen Rechtsnachfolger veräußert oder liegt ein der Veräußerung gleich gestellter Vorgang (§ 22 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Abs. 1 Satz 6 UmwStG) vor, wird der Gewinn aus der Einbringung rückwirkend im Veranlagungszeitraum des Einbringungszeitpunktes besteuert (Einbringungsgewinn II). War der Einbringende zu diesem Zeitpunkt mit den eingebrachten Anteilen beschränkt steuerpflichtig, greift rückwirkend im Anwendungsbereich des § 17 EStG § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG ein.1

6.210

§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG enthält eine Tatbestandserweiterung in den Fällen der Hinausverschmelzung (§ 13 Abs. 2 UmwStG), der grenzüberschreitenden Anteilseinbringung (§ 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG) und des grenzüberschreitenden Wegzugs einer Kapitalgesellschaft in einen anderen EU-Staat (§ 17 Abs. 5 Satz 2 EStG), soweit der Buchwert angesetzt worden ist. Sie ermöglicht bei späterer Veräußerung eine Nachversteuerung auch dann, wenn der Veräußerer im maßgeblichen Zeitpunkt nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Diese Nachversteuerung erfolgt, soweit die Steuerneutralität auf Art. 8 FRL beruht, unbeschadet entgegenstehender DBA (§§ 13 Abs. 2 Nr. 2, 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG, § 17 Abs. 5 Satz 2 EStG).2 Es handelt sich um folgende Fälle:

6.211

Unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 UmwStG führt die Hinausverschmelzung insbesondere in EU- Staaten (§§ 122a ff. UmwG) auf Gesellschafterebene bei Buchwertfortführungen zu keiner Gewinnrealisierung, wenn Art. 8 FRL zur Anwendung kommt (Rz. 20.89 ff.). Die Steuerneutralität wird dadurch ermöglicht, dass bei beschränkt steuerpflichtigen Personen § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG die beschränkte Steuerpflicht auf die Gewinne aus der (späteren) Veräußerung der durch die Hinausverschmelzung erworbenen Anteile an der ausländischen Kapitalgesellschaft erstreckt. § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG erfasst die grenzüberschreitende Anteilseinbringung (Anteilstausch, soweit sie EU-Kapitalgesellschaften betrifft). Hiernach ist die grenzüberschreitende Anteilseinbringung (Anteilstausch) unter den Voraussetzungen des Art. 8 FRL auf Antrag steuerneutral durchzuführen, allerdings mit der Maßgabe, dass die Gewinne aus einer späteren Veräußerung der erhaltenen Anteile ungeachtet etwa entgegenstehender abkommensrechtlicher Regelungen in Deutschland so zu besteuern sind, wie die Veräußerung der Anteile der erworbenen Gesellschaft zu besteuern gewesen wäre (Rz. 20.92). Die Sicherstellung dieser Besteuerung erfolgt durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG.

6.212

Gemäß § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG steht zwar die grenzüberschreitende Sitzverlegung einer Kapitalgesellschaft deren Veräußerung gleich. Das gilt aber nicht in den Fällen einer Sitzverlegung einer Kapitalgesellschaft in einen anderen EU-Mitgliedstaat mit der Folge, dass insoweit auf eine Besteuerung verzichtet wird. Werden indessen zu einem späteren Zeitpunkt die Anteile an der weggezogenen Kapitalgesellschaft veräußert, ist der Veräußerungsgewinn ungeachtet etwaiger entgegenstehender Abkommensbestimmungen so zu besteuern, wie die Veräußerung dieser Anteile ohne Wegzug der Kapitalgesellschaft zu besteuern gewesen wäre (§ 17 Abs. 5 Satz 3 EStG i.V.m. Art. 8 FRL). Auch diese Besteuerung wird bei beschränkter Steuerpflicht durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG sichergestellt.

1 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 35a; Schmitt in S/H/S7, § 22 UmwStG Rz. 127 f. 2 Hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 36; vgl. zum Treaty-Overriding Rz. 3.24 f.

260 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.213 Kap. 6

h) Vermietung und Verpachtung sowie Veräußerung von unbeweglichem Vermögen, Sachinbegriffen und Rechten Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG; Bornheim, Einbeziehung ausländischer Grundstücksverkäufe in gewerblichen Grundstückshandel?, DStR 1998, 1773; Bron, Betriebsbegriff und beschränkte Steuerpflicht im Rahmen der Zinsschrankenregelung der §§ 4h und 8a KStG, IStR 2008, 14; Bron, Geänderte Besteuerung von gewerblichen Immobilieneinkünften beschränkt Steuerpflichtiger, DB 2009, 591; Gläser/Birk, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung beschränkt Steuerpflichtiger – Anmerkungen zum BMF-Schreiben vom 16.5.2011, BStBl. I 2011, 530, IStR 2011, 762; Hendricks, § 49 Abs. 1 Nr. 2f EStG – Anwendungsbereich und Einkunftsermittlung, IStR 1997, 229; Huschke/Hartwig, Das geplante Jahressteuergesetz 2009: Auswirkungen auf Vermietungseinkünfte beschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften, IStR 2008, 745; Lieber/Wagner, Inbound-Investitionen in deutsches Immobilienvermögen aus steuerlicher Sicht, Ubg 2012, 229; Lüdicke, Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz: Die Besteuerung gewerblicher Veräußerungsgewinne beschränkt Steuerpflichtiger, DB 1994, 952; Mensching, Neufassung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG durch das Jahressteuergesetz 2009, DStR 209, 96; Töben/Lohbeck/Fischer, Aktuelle steuerliche Fragen im Zusammenhang mit Inbound-Investitionen in deutsches Grundvermögen, FR 2009, 151; Wassermeyer, Gesetzliche Neuregelung der Vermietung inländischen Grundbesitzes in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG, IStR 2009, 238; Altenburg, Besteuerung rein ausländischer Lizenzzahlungen – Begründung einer beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 f) und Nr. 6 EStG, IStR 2020, 561; Frey/Schmid/Schwarz, Schranken der Besteuerung extraterritorialer Lizenzeinkünfte, IStR 21, 427 (Teil 1) und IStR 21, 464 (Teil 2); Martini, Vergütungen i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG für die zeitlich befristete Überlassung sowie Veräußerung von Rechten, die in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen sind – Anmerkung zum BMF-Schreiben vom 11.2.2021 aus Richtersicht, Ubg 21, 230; Rasch/Richter/Keppeler, Inländische Abzugsteuern bei extraterritorialen Lizenzvergütungen – Hinweise im BMF-Schreiben v. 11.2.2021 zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage, ISR 21, 122; Schönfeld/Korff/Ellenrieder, Update zu den Registerfällen anlässlich des BMF-Schreibens v. 11.2.2021, IStR 21, 299.

§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG enthält zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG insoweit eine Tatbestandserweiterung, als zu den beschränkt steuerpflichtigen Einkünften aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17 EStG) die Gewinne aus der Vermietung und Verpachtung und aus der Veräußerung von inländischem unbeweglichem Vermögen, Sachinbegriffen oder bestimmten Rechten auch insoweit zählen, als hierfür weder eine Betriebsstätte noch ein ständiger Vertreter unterhalten wird.1 Diese Vorschrift ist in erster Linie darauf gerichtet, Einkünfte aus Gewerbebetrieb als qualifizierende Gewinne lückenlos zu erfassen und hierbei die Gewinne aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Veräußerung gleich zu behandeln. Um auch die Besteuerung insbesondere ausländischer Immobilienkapitalgesellschaften2 sicherzustellen, enthält § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb Satz 3 EStG eine den § 49 Abs. 2 EStG3 verdrängende4 Gewerblichkeitsfiktion5 für Gewinne aus der Veräußerung von Grundstücken.6 Über die vorgenannten Gewinne aus der Veräußerung von inländischen Immobilien hinaus werden aber

1 § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG geht also vor; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 40. 2 Deren Buchführungspflicht gem. § 141 AO ist ernstlich zweifelhaft; BFH v. 15.10.2015 – I B 93/15, ISR 2016, 47 m. Anm. Richter/John = GmbHR 2016, 34. 3 Isolierende Betrachtungsweise. 4 Bornheim, DStR 1998, 1773 (1777 f.). 5 Kritisch zur Verankerung dieser Norm in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb Satz 3 EStG Lüdicke in Lademann, Vor § 49 EStG Rz. 6. 6 Die Gewerblichkeitsfiktion betrifft nicht auch Betriebsstätten, so dass sie ohne Auswirkung auf die GewSt ist; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 39; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 54.

Valta | 261

6.213

Kap. 6 Rz. 6.213 | Einkommensteuer

auch die Gewinne aus der Veräußerung von Sachinbegriffen und bestimmten Rechten erfasst, womit letztlich unternehmerische Liefergewinne (Direktgeschäfte) auch ohne die international übliche Anknüpfung an eine Betriebsstätte oder an einen ständigen Vertreter der Besteuerung unterworfen werden.1 Da Deutschland die Besteuerungsbefugnis dieser abkommensrechtlich als Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) zu qualifizierenden Veräußerungsgewinne in Abkommensfällen genommen ist, hat diese Regelung in der Praxis nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung.

6.214

Zum unbeweglichen Vermögen gehören Grundstücke, Gebäude, Gebäudeteile, Schiffe, soweit sie in einem inländischen Schiffsregister eingetragen sind, sowie grundstücksgleiche Rechte, etwa Erbbaurechte und Mineralgewinnungsrechte, ferner Wohnungseigentum nach dem WEG sowie in die inländische Luftfahrzeugrolle eingetragene Luftfahrzeuge,2 und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Wirtschaftsgüter vor ihrer Veräußerung vermietet oder verpachtet wurden.3 Zu den Sachinbegriffen4 gehören solche Wirtschaftsgüter, die funktional und technisch so aufeinander abgestimmt sind, dass sie eine wirtschaftliche Einheit bilden, etwa eine Wohnungseinrichtung, der Maschinenpark oder eine Großrechenanlage.5 Zu den Rechten zählen schließlich insbesondere in- und ausländische schriftstellerische, künstlerische und gewerbliche Urheberrechte (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 3 EStG), und zwar auch als verbrauchende Rechtsüberlassung wie z.B. die erschöpfende Nutzung zu Werbezwecken anlässlich einer Sportveranstaltung (Bandenwerbung).6 Die Gewinne aus der Vermietung und Verpachtung sowie der Veräußerung der vorgenannten Wirtschaftsgüter unterliegen allerdings nur dann der beschränkten Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG, wenn hierfür bestimmte inlandsbezogene Anknüpfungsmerkmale erfüllt sind. Hiernach wird im Grundsatz auf die Belegenheit des unbeweglichen Vermögens, der Sachinbegriffe und der Rechte abgestellt (Belegenheitsprinzip). Daneben ist die Eintragung in ein öffentliches Buch oder Register maßgeblich. Schließlich knüpft die Besteuerung auch an die Verwertung in einer inländischen Betriebsstätte oder in einer anderen Einrichtung an. Die Anknüpfung der beschränkten Steuerpflicht allein an die Eintragung in einem inländischen öffentlichen Buch und Register wird vielfach als „extraterritorale Besteuerung“ kritisiert. Angeführt werden Fälle, bei denen ein ausländischer Vergütungsschuldner an einen ausländischen Vergütungsgläubiger zahlt und somit kein Zahlungsstrom und daher auch keine Wertschöpfung in Deutschland stattfindet.7 Hingewiesen wird auf die anderen Anknüpfungstatbestände, historische Materialien sowie finanzgerichtliche Rechtsprechung, die implizit oder explizit von einer Zahlung aus Deutschland heraus und damit einem „Herauswirtschaften“ ausgehen, welches allein mit der beschränkten Steuerpflicht erfasst werden soll.8 Schließlich werden Bedenken geltend gemacht, dass die rein-ausländischen Zahlungen einem strukturellen Vollzugsdefizit unterlägen. Der Gesetzgeber hat sich trotz der Kritik und zwischenzeitli-

1 Zur Kritik Lüdicke, DB 1994, 952 (952). 2 BFH v. 2.5.2000 – IX R 71/96, BStBl. II 2000, 467. 3 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 621 f.; Lüdicke in Lademann, Vor § 49 EStG Rz. 9; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 650; Hendricks, IStR 1997, 229 (229 f.). 4 Vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 2 EStG. 5 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 621. 6 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 621; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 41. 7 Altenburg, IStR 2020, 561 (562); Frey/Schmid/Schwarz, IStR 2021, 427. 8 Altenburg, IStR 2020, 561 (565).

262 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.214 Kap. 6

chem Erwägen1 nicht für eine Streichung entschieden und das BMF hat zwei Schreiben zur Anwendung veröffentlicht.2 Bei der Kritik ist zu differenzieren. Systematische und teleologische Gründe erweisen sich als nicht durchgreifend. Das Nebeneinander von Registereintragung und Verwertung als Anknüpfungspunkte zeigt, dass ersteres nicht letzteres voraussetzen kann. Eine systematische oder teleologische Reduktion scheidet daher aus.3 Entgegen der Bezeichnung als extraterritorialer Besteuerung liegt eine solche und damit ein Völkerrechtsverstoß nicht vor, da die Registereintragung das erforderliche „hinreichende sachgerechte Anknüpfungsmoment“4 für die Besteuerung bietet.5 Deutschland bietet über die Eintragung dem Recht seinen rechtlichen Schutz, so dass bei Verletzungen gegen deutsche Patente, Marken etc. im Inland Rechtschutz gesucht werden kann. Wenn ein solches Recht überlassen wird, und sei es zwischen zwei ausländischen Unternehmen, so hat Deutschland einen sachlichen Anknüpfungspunkt, so geringfügig er ist, und darf völkerrechtlich ein Besteuerungsrecht geltend machen. Aus dem oftmals zitierten genuine link-Erfordernis der IGH-Entscheidung Nottebohm6 lässt sich keine höhere „Mindestschwelle“ ableiten, da sich die Entscheidung auf die Gewährung diplomatischen Schutzes bezieht und somit nur eingeschränkt verallgemeinerbar ist. Das BVerfG hat 1983 festgestellt, dass von Völkerrechts wegen nur ein „Mindestmaß an Einsichtigkeit“ für Anknüpfungsmoment und Sachnähe genügt.7 Andere Lesarten der Entscheidung in der Literatur heben beispielhafte Konkretisierungen dieses Grundmaßstabs isoliert heraus und erscheinen insofern selektiv. So kommt es einer Petitio Principii gleich, wenn das Erfordernis eines inländischen Abgabentatbestandes mit dem Vorliegen einer Verwertung gleichgesetzt wird.8 Auch die Erwähnung eines „abgabenrechtlich erheblichen Erfolgs im Inland“ ist uneindeutig,9 zumal dieser alternativ und nicht kumulativ zu einer Tatbestandsverwirklichung aufgeführt wird und letztlich durchaus ein, wenn auch sehr kleiner, Erfolg Deutschland zugeordnet werden kann. Ein weiterer Kritikpunkt an der Regelung sind die Vollzugsschwierigkeiten bei rein ausländischen Vertragspartnern und die sich dadurch ergebende Gefahr eines strukturellen Vollzugsdefizits. Die Anforderungen an ein strukturelles Defizit sind jedoch hoch.10 Die im inländischen Register vorhandenen Rechte und ihre Inhaber sind grundsätzlich ermittelbar und darauf basierende Anfragen nicht ohne Weiteres als „ins Blaue hinein“ unzulässig.11 Im Ergebnis bleibt es aber bei rechtspolitischer Kritik: die Anknüpfung allein an das Register sorgt für einen hohen Compliance- und Vollzugsaufwand mit typischerweise überschaubarem Ergebnis, da eine reine Schutzgewährung ohne gleichzeitige Verwertung eher die Ausnahme ist und auch in diesen Fällen der abgrenzbare Gewinnanteil gering ist.12

1 Ref-E AbzStEntModG v. 19.11.2020, S. 10, Tz. 8 zu § 49 sowie S. 14, Tz. 16 c. 2 BMF v. 6.11.2020 – IV C 5 - S 2300/19/10016: 006, BStBl. I 2020, 1060; v. 11.2.2021 – IV B 8 - S 2300/19/10016:007, BStBl. I 2021, 301. 3 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 86a. 4 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 457/78, BVerfGE 63, 343 (369). 5 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 41. 6 IGH v. 6.4.1955 „Nottebohm“ (Liechtenstein vs. Guatemala), ICJ Reports 1955, 4, 23 7 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 457/78, BVerfGE 63, 343 (369). 8 Frey/Schmid/Schwarz, IStR 2021, 427 (432). 9 A.A. Altenburg, IStR 2020, 561 (565). 10 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 86a. 11 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 86a; a.A. Frey/Schmid/Schwarz, IStR 2021, 464 (465 f.). 12 Altenburg, IStR 2020, 561 (565).

Valta | 263

Kap. 6 Rz. 6.215 | Einkommensteuer

6.215

§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG setzt voraus, dass die Veräußerungsgewinne den Einkünften aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17 EStG) zuzuordnen sind. Während die Gewerblichkeit für ausländische Körperschaften gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb Satz 3 EStG fingiert wird, muss die Veräußerung durch natürliche Personen oder durch Personengesellschaften, soweit an ihnen natürliche Personen beteiligt sind, nach allgemeinen Grundsätzen eine gewerbliche Tätigkeit sein.1 So ist die Gewerblichkeit etwa dann gegeben, wenn unbebaute und bebaute Grundstücke wiederholt innerhalb eines überschaubaren Zeitraums veräußert werden.2 Hierbei beurteilt sich die Gewerblichkeit sowohl nach in- als auch nach ausländischen Merkmalen mit der Folge, dass etwa bei der für die Abgrenzung zwischen Vermögensverwaltung einerseits und gewerblichem Grundstückshandel andererseits maßgeblichen sog. Drei-Objekte-Grenze3 auch Grundstücksverkäufe im Ausland zu berücksichtigen sind.4

6.216

§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG hat eine begrenzte Reichweite, weil nur die Gewinne aus der Vermietung und Verpachtung sowie der Veräußerung der dort bezeichneten Wirtschaftsgüter der Besteuerung unterworfen sind. So zählen etwa zu der Veräußerung im Sinne der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums5 zwar auch Übertragungen aufgrund von Kauf, Tausch, gemischten Schenkungen und Einbringungen in Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten, ferner auch die zeitlich unbefristete und verbrauchende Überlassung von Rechten;6 nicht dazu zählen mangels Entgeltlichkeit aber die Einbringung in eine vermögensverwaltende Personengesellschaft, soweit dem Einbringenden die Beteiligung auch nach der Übertragung zuzurechnen ist (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO),7 und die verdeckte Einlage der vorbezeichneten Wirtschaftsgüter in eine Kapitalgesellschaft.8

6.217

Da § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG keine eigenständige Regelung darüber enthält, wie die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie der Veräußerungsgewinn zu ermitteln sind, gelten die allgemeinen für die Einkünfte aus Gewerbetrieb maßgeblichen Grundsätze (§§ 4 ff. EStG).9 Hieraus folgt: Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sind entweder durch Einnahme-Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) oder durch Betriebsvermögensvergleich (§§ 4

1 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 615, 617; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 43. 2 Zum gewerblichen Grundstückshandel Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 47 ff.; BMF v. 26.3.2004 – IV A 6 - S 2240 – 46/04, BStBl. I 2004, 434. 3 BMF v. 26.3.2004 – IV A 6 - S 2240 – 46/04, BStBl. I 2004, 434, Tz. 5 ff. 4 § 49 Abs. 2 EStG (isolierende Betrachtungsweise) greift hier nicht ein, weil ausländische Besteuerungsmerkmale nur insoweit ausscheiden, als bei ihrer Berücksichtigung inländische Einkünfte nicht angenommen werden könnten (Rz. 6.155 f.); im Ergebnis ebenso Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 615; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 43, Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 119. 5 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 81/00, BStBl. II 2004, 344; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 620; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 42; Hinweis: Die Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft steht den betreffenden Wirtschaftsgütern gleich – bruchteilsmäßiger Durchgriff – (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG in der ab VZ 2017 geltenden Fassung). 6 Zu Einzelheiten Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 620. 7 BFH v. 6.10.2004 – IX R 68/01, BStBl. II 2005, 324; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 620. 8 BFH v. 5.6.2002 – I R 81/00, BStBl. II 2004, 344; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. E 656; im Gegensatz zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG fehlt in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG eine dem § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG entsprechende Regelung; vgl. im Übrigen den Negativkatalog bei Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 620 und Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 42. 9 BFH v. 5.6.2002 – I R 81/00, BStBl. II 2004, 344; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 633; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 45.

264 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.219 Kap. 6

Abs. 1, 5 EStG) zu ermitteln, wobei die spezifisch betriebsbezogenen Gewinnermittlungsvorschriften (z.B. § 4h EStG) außer Betracht bleiben, weil § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG zwar gewerbliche Einkünfte, nicht aber einen Betrieb fingiert.1 Mangels Fiktion einer Betriebsstätte kommt auch die Übertragung stiller Reserven nach §§ 6b, c EStG nicht in Betracht.2 Veräußerungsgewinn ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungs- oder Herstellungskosten3 abzgl. der in Anspruch genommenen AfA übersteigt.4 Der so ermittelte Veräußerungsgewinn ist für den beschränkt Steuerpflichtigen im Zuge einer Veranlagung der Besteuerung zuzuführen. Besonderheiten im Besteuerungsverfahren gibt es insoweit nicht. Insbesondere greift der Steuerabzug gem. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht ein, da diese Vorschrift nur für die Nutzungsüberlassung des Rechts auf Nutzung von Rechten, insbesondere von Urheberrechten und gewerblichen Schutzrechten, nicht aber für die Veräußerung5 derselben eingreift. Nach den Regeln der DBA bleibt die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Grundvermögen Deutschland als Belegenheitsstaat vorbehalten (Art. 13 Abs. 1 OECD-MA; Rz. 19.381 ff.). Da allerdings Schiffe und Luftfahrzeuge abkommensrechtlich nicht als unbewegliches Vermögen gelten (Art. 13 Abs. 1; Art. 6 Abs. 2 OECD-MA), entfällt insoweit im Ergebnis die Besteuerung gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG (Art. 13 Abs. 2, 3; Art. 23A OECD-MA). Das gilt auch für die Gewinne aus der Veräußerung der übrigen in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG genannten Wirtschaftsgüter (Art. 13 Abs. 2; Art. 23A OECD-MA).

6.218

i) Vermittlung von Berufssportlern Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g EStG; Gradl, Steuern und Sport – Besteuerungsfragen bei Profisportlern, IWB 2014, 489; Haase/Brändel, Rechtsübertragung versus Nutzungsüberlassung – Steuerabzug bei Spielerleihe und Spielertransfer, IWB 2010, 795; Holthaus, Hin und Her beim Spielertransfer, PIStB 2011, 130; Kraft, Die Gelegenheitsverschaffung zur Vertragsverpflichtung von Berufssportlern im Inland, IStR 2011, 486; Schlotter/Degenhart, Besteuerung von Transferentschädigungen und Entgelten für Spielerleihen nach dem JStG 2010, IStR 2011, 457.

§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g EStG ist eine selektive Ergänzung im Katalog der inländischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Hiernach unterliegen Einkünfte, die aus der Verschaffung der Gelegenheit erzielt werden, einen Berufssportler als solchen im Inland vertraglich zu verpflichten, der beschränkten Einkommensteuerpflicht. Es geht um die Erfassung aus Transfergeschäften im Profi-Sportbereich, ohne dass hierfür eine inländische Anknüpfung im Rahmen einer Betriebsstätte oder eines ständigen Vertreters gegeben ist. Im Hinblick darauf ist § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g EStG subsidiär.6 Diese auf die Schließung von Lücken gerichtete Sonderregelung beruht auf der Rechtsprechung des BFH7, wonach das ausländischen Vereinen gezahlte

1 Ebenso Gosch, in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 46; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 59; Huschke/Hartwig, IStR 2008, 745 (749); Bron, IStR 2008, 14 (18). 2 FG München v. 30.4.2019 – 6 K 1185/18, EFG 2019, 1315. 3 Bei vor dem 1.1.1994 angeschafften Wirtschaftsgütern ist auf den Teilwert zu diesem Zeitpunkt abzustellen; BFH v. 5.6.2002 – I R 81/00, BStBl. II 2004, 344; v. 22.8.2006 – I R 6/06, BFH/NV 2007, 127. 4 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 45. 5 Nutzungsüberlassung und Überlassung des Rechts auf Nutzung ist nicht Veräußerung; vgl. BFH v. 16.5.2001 – I R 64/99, BStBl. II 2003, 641; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 48. 6 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 637a. 7 BFH v. 27.5.2009 – I R 86/07, BStBl. II 2010, 120.

Valta | 265

6.219

Kap. 6 Rz. 6.219 | Einkommensteuer

Entgelt für den Transfer und die Leihe von Berufssportlern (Profi-Fußball) nicht unter den Einkünftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG, insbesondere nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG fällt.

6.220

Der weitgehende Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g EStG erfasst jedwedes Entgelt für die dem inländischen Verein verschaffte Gelegenheit, eine neue Spielererlaubnis für den Sportler zu erhalten sowie eine entsprechende vertragliche Bindung mit dem Sportler einzugehen.1 Wer das Entgelt an wen zahlt, ist unerheblich.2 Da es bloß auf die Verschaffung der Gelegenheit zur Verpflichtung ankommt, spielt es auch keine Rolle, ob der betreffende ausländische Spieler tatsächlich verpflichtet wird.3 Nicht erfasst werden dagegen Entgelte, die darüber hinaus und zwar im Zusammenhang mit der Spielerleihe oder dem Spielertransfer, aber für eine andere Leistung entrichtet werden. Dazu gehören Handgelder an den ausländischen Berufssportler4 sowie Entgelte für Spielerberater5 oder für Spielervermittler.6

6.221

Der für die beschränkte Steuerpflicht erforderliche Inlandsbezug wird durch die vertragliche Verpflichtung im Inland hergestellt. Gemeint ist damit die vertragliche Verpflichtung des Berufssportlers, für einen inländischen Sportverein/Veranstalter zu spielen bzw. aufzutreten. Auf den Ort des Vertragsabschlusses selbst kommt es daher nicht an.7

6.222

Soweit die Freigrenze von 10.000 Euro pro Transfergeschäft überschritten ist, sind die Einkünfte insgesamt der beschränkten Steuerpflicht zu unterwerfen. Die Besteuerung selbst erfolgt im Falle der Spielerleihe im Hinblick über den begrenzten Zeitraum der Verpflichtung im Wege des Steuerabzugs (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG) und im Falle eines (endgültigen) Spielertransfers im Rahmen der Veranlagung.8 Die praktische Bedeutung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g EStG ist im Hinblick auf die Schrankenwirkungen der DBA begrenzt, weil insbesondere Art. 17 OECDMA (Künstler und Sportler) sowie Art. 12 OECD-MA (Lizenzgebühren) nicht einschlägig sind und Art. 7 OECD-MA (Unternehmensgewinne) nicht eingreift, weil in aller Regel im Inland weder eine Betriebsstätte noch ein ständiger Vertreter unterhalten wird.9

3. Einkünfte aus selbständiger Arbeit Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG; Görl, Die freien Berufe im Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, München 1983; Grams, Besteuerung von beschränkt steuerpflichtigen Künstlern, Herne/Berlin 1999; Grossmann, Die Besteuerung des Künstlers und Sportlers im internationalen Verhältnis, Bern/Stuttgart/Wien 1992; Lüdicke, Probleme der Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger im Inland, DStR 2008 Beihefter zu Heft 17, 1; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 638a. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 638, 638a. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 638a; Frotscher in Frotscher/Geurts, § 49 EStG Rz. 215b. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 638a; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 197. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 638a; Schlotter/Degenhart, IStR 2011, 457 (461); a.A. Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 65; Kraft, IStR 2011, 486 (488). Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 638a; a.A. Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 65. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 638b; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 64; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 197; a.A. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 49d; Schlotter/Degenhart, IStR 2011, 457 (462). Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 637c; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 68; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 200; Schlotter/Degenhart, IStR 2011, 457 (462 f). Vgl. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 637b; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 49f; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 67; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 190; Schlotter/Degenhart, IStR 2011, 457 (463 f.).

266 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.224 Kap. 6 Herne/Berlin 1991; Mody, Die deutsche Besteuerung international tätiger Künstler und Sportler, Baden-Baden 1994; Schauhoff/Cordewener/Schlotter, Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler in der EU, München 2008; Thulfaut, Die Besteuerung international tätiger Anwaltssozietäten, Frankfurt/ M. 2005; Wübbelsmann, Die beschränkte Steuerpflicht der Freiberufler, Köln/München 2008.

Die beschränkte Einkommensteuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG knüpft bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG)1 an die Ausübung und an die Verwertung sowie an eine feste Einrichtung und Betriebsstätte im Inland an. Während die feste Einrichtung eine gleichwertige Schwelle wie die Betriebsstätte darstellt, sorgen die Anknüpfung an die bloße Ausübung und Verwertung dafür, dass im Grundsatz freiberufliche Tätigkeiten im Inland lückenlos erfasst werden.

6.223

Damit wird erneut deutlich, dass die inlandsqualifizierten Anknüpfungsmerkmale bei den einzelnen Einkunftsarten im Rahmen des § 49 Abs. 1 EStG keiner einheitlichen Konzeption, sondern verschiedenen Opportunitätserwägungen folgen. Dennoch zeigt der Vergleich von gewerblicher und selbständiger Tätigkeit besonders deutlich Brüche auf. Warum soll ein gewerblich tätiger Unternehmensberater für seine Beratungstätigkeit im Inland mangels Betriebsstätte nicht beschränkt steuerpflichtig sein, während der freiberuflich tätige Steuerberater für seine vergleichbare Tätigkeit im Inland gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG allein durch Ausübung zur Steuer herangezogen wird? Die Ungleichbehandlung zwischen beschränkt steuerpflichtigen Gewerbetreibenden einerseits und Freiberuflern andererseits wird noch durch den Verwertungstatbestand in § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG verschärft. Abgesehen von dem in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG normierten Verwertungstatbestand bei Darbietungen, gibt es hierfür im Bereich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb keine Parallele. So fällt unter den Verwertungstatbestand etwa die Veräußerung von Berichten über im Ausland erstellte Marktanalysen im Inland durch freiberufliche Berater2 oder der Verkauf im Ausland gemalter Bilder im Inland durch Künstler.3 Dem Verwertungstatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG entspräche es, wenn der Verkauf im Ausland produzierter Güter im Inland bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb ebenfalls der beschränkten Steuerpflicht unterworfen würde.

6.224

Im Gegensatz zur Differenzierung zwischen gewerblichen Darbietungen, Schiff- und Luftfahrtseinkünften und allgemeinen gewerblichen Einkünften lässt sich die Ungleichbehandlung hier auch nicht mit Verweis auf die internationale Abkommenspraxis rechtfertigen. Zwar gibt es vereinzelt besondere Abkommensregelungen für Dienstleistungen, z.B. Dienstleistungsbetriebsstätten mit abgesenkten Festigkeitserfordernissen, und sogenannte technische Dienstleistungen. Die abkommensrechtlichen Regelungen erfassen aber gewerbliche wie selbständige Dienstleistungen, so dass sie die Differenzierung zwischen den Einkunftsarten nicht rechtfertigen. Eine gleichheitsgerechte Regelung würde daher auch gewerbliche Dienstleistungen bei Ausübung und Verwertung in Deutschland erfassen. Für diese gleichheitswidrige Differenzierung gibt es keinen rechtfertigenden Grund, so dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gegeben ist.4 In DBA-Konstellationen, in denen keine besonderen Dienstleistungsregeln bestehen und damit in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle neutralisiert die abkommensrechtlich

1 Alle Tatbestandsmerkmale des § 18 EStG müssen erfüllt sein. 2 BFH v. 12.11.1986 – I R 69/83, BStBl. II 1987, 379. 3 BFH v. 12.11.1986 – I R 268/83, BStBl. II 1987, 372; v. 20.7.1988 – I R 174/85, BStBl. II 1989, 87; OFD Frankfurt v. 19.2.2004, DB 2004, 1016. 4 Hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 50; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 72; Lüdicke, DStR 2008, Beihefter zu Heft 17, 1 (27).

Valta | 267

Kap. 6 Rz. 6.224 | Einkommensteuer

einheitliche Betriebsstätten- oder feste Einrichtung-Schwelle jedoch die in § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG anglegte Ungleichbehandlung.

6.225

Das Anknüpfungsmerkmal Ausübung verlangt grundsätzlich eine persönliche Tätigkeit im Inland.1 Neben diesen aktiven Leistungen fallen auch passive Leistungen unter den Ausübungstatbestand. Hierzu zählt etwa das Unterlassen einer Konkurrenztätigkeit. Diese Leistungen werden dort erbracht, wo der Leistende sich aufhält bzw. dort, wo keine Konkurrenz entfaltet werden darf.2 Dies setzt regelmäßig eine physische Anwesenheit des Steuerpflichtigen im Inland voraus, wobei allerdings die Eigenarten der betreffenden Tätigkeit zu berücksichtigen sind.3 Daher wird eine selbständige Arbeit im Inland auch dann ausgeübt, wenn hier zwar der Steuerpflichtige nicht selbst, für ihn aber angestellte Mitarbeiter oder freiberufliche Partner tätig sind.4 Eine nachhaltige Tätigkeit im Inland ist nicht erforderlich.5 Bei Künstlern oder Schriftstellern ist hierbei auf die eigentliche schöpferische Leistung abzustellen.6 Bei Erfindern kommt es darauf an, von wo aus diese ihre Erfinderideen planmäßig verwirklichen bzw. ihre Rechte aus den von ihnen abgeschlossenen Lizenzverträgen geltend machen.7 Bei Rechtsanwälten und Steuerberatern ist schließlich darauf abzustellen, wo etwa die Prozessvertretung oder die Beratung erfolgt.8 Wird die selbständige Arbeit nur zum Teil im Inland ausgeübt, sind die Einkünfte entsprechend aufzuteilen, so dass bei teilweiser Ausübung im Inland ggf. eine Aufteilung der Entgelte zu erfolgen hat.9

6.226

Verwertung setzt einen über die eigentliche Leistung hinausgehenden Vorgang voraus, ein körperliches oder geistiges Produkt, das der Steuerpflichtige selbst (Personengleichheit) dem Inland zuführt.10 Hierunter fallen vor allen Dingen Vorgänge, die durch § 15 UrhG erfasst sind, wonach der Urheber das ausschließliche Recht hat, sein Werk in körperlicher Form insbesondere zu verwerten, d.h. zu vervielfältigen, zu verbreiten und auszustellen. Um überhaupt eine Abgrenzung zwischen Tätigkeit einerseits und Verwertung andererseits zu ermöglichen, kann unter Verwerten nur ein Nutzbarmachen gemeint sein, welches an einem Ort geschieht, der von dem der Tätigkeit abweicht.11 Anderenfalls hätte es des Anknüpfungsmerkmals der Verwertung neben der Ausübung nicht bedurft.

1 BFH v. 12.11.1986 – I R 268/83, BStBl. II 1987, 372; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 57. 2 BFH v. 9.9.1970 – I R 19/69, BStBl. II 1970, 867; v. 9.11.1977 – I R 254/75, BStBl. II 1978, 195; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 51; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 Rz. 203. 3 BFH v. 12.11.1986 – I R 268/83, BStBl. II 1987, 372; v. 11.4.1990 – I R 82/86, BFH/NV 1991, 143; Übermittlung per Videokonferenz oder sonstiger elektronischer Medien ins Inland reicht nicht aus; hierzu Strunk in Korn, § 49 EStG Rz. 166. 4 BFH v. 27.6.1985 – I R 22/81, BFH/NV 1985, 17; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 545. 5 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 670. 6 BFH v. 28.2.1973 – I R 145/70, BStBl. II 1973, 660; v. 12.11.1986 – I R 268/83, BStBl. II 1987, 372; v. 15.2.1990 – IV R 13/89, BStBl. II 1990, 621; zu weiteren Einzelheiten Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 90 ff. 7 BFH v. 20.11.1974 – I R 1/73, BFHE 114, 530; v. 13.10.1976 – I R 261/70, BStBl. II 1977, 76; v. 11.4.1990 – I R 82/86, BFH/NV 1991, 143. 8 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 672, dort auch zu weiteren Einzelfällen. 9 BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 73. 10 BFH v. 12.11.1986 – I R 38/83, BStBl. II 1987, 377, 379; v. 12.11.1986 – I R 69/83, BStBl. II 1987, 379; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 53. 11 BFH v. 12.11.1986 – I R 38/83, BStBl. II 1987, 377, 379, 381, 383; v. 5.11.1992 – I R 41/92, BStBl. II 1993, 407.

268 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.230 Kap. 6

Das Anknüpfungsmerkmal der Ausübung stellt den Grundtatbestand dar, wohingegen das Anknüpfungsmerkmal der Verwertung zurücktritt, so dass der Verwertungstatbestand auf die Fälle beschränkt ist, in denen das Anknüpfungsmerkmal der Ausübung im Inland nicht erfüllt ist.1 Im Ergebnis greift der Verwertungstatbestand daher nur dann ein, wenn eine im Ausland ausgeübte Tätigkeit durch eine zusätzliche Handlung im Inland verwertet wird. Das ist dann stets der Fall, wenn durch die im Ausland ausgeübte Tätigkeit ein selbständig verwertbares Recht geschaffen wird, das im Inland nutzbar gemacht wird. Hierzu gehören neben Urheberrechten auch Patente und Know-how.2 So erfolgt etwa die Verwertung von Erfindungen durch Lizenzvergabe an einen inländischen Lizenznehmer3 und die Verwertung schriftstellerischer Tätigkeit durch Überlassung der Autorenrechte an einen inländischen Verlag.4 Die Quellensteuer bei inländischer Tätigkeit und bei inländischer Verwertung im Zusammenhang mit künstlerischen, sportlichen, artistischen, unterhaltenden oder ähnlichen Darbietungen sowie bei Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von Rechten beträgt 15 % der Einnahmen (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG) und in den Fällen des Steuerabzugs auf Nettobasis 30 bzw. 15 % (§ 50a Abs. 3 EStG).

6.227

Die Anknüpfung an eine im Inland unterhaltene feste Einrichtung5 oder Betriebsstätte (§ 12 Satz 1 AO) zielt im Wesentlichen auf grenzüberschreitend tätige, freiberufliche Personengesellschaften6 ab, wodurch die ausländischen Gesellschafter mit ihren auf die inländische feste Einrichtung oder Betriebsstätte entfallenden Gewinnanteilen der beschränkten Steuerpflicht unabhängig davon unterworfen werden, ob sie auch selbst im Inland persönlich tätig sind.7

6.228

Zu den inländischen Einkünften aus selbständiger Arbeit gehören auch Gewinne aus der Veräußerung von Betriebsvermögen sowie Gewinne aus der Veräußerung oder Aufgabe des der selbständigen Arbeit dienenden Betriebes.8 Schließlich fallen auch nachträglich erzielte Einkünfte unter § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG.9

6.229

Auf der Ebene von DBA wird die beschränkte Steuerpflicht weitgehend eingeschränkt, weil diese durchweg nicht auf die Verwertung abstellen und zudem die bloße Tätigkeit nicht ausreichen lassen, sondern vielmehr eine dem Steuerpflichtigen regelmäßig zur Verfügung stehende Einrichtung (Betriebsstätte) verlangen.10

6.230

1 BFH v. 12.11.1986 – I R 268/83, BStBl. II 1987, 372; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 685; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 54. 2 Zur Verwertung der Arbeit von Künstlern und Berufssportlern im Einzelnen Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 105 ff. 3 BFH v. 13.10.1976 – I R 21/70, BStBl. II 1977, 76; R 49.2 EStR. 4 Vgl. BFH v. 20.7.1988 – I R 174/85, BStBl. II 1989, 87; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 681, dort auch zu weiteren Einzelfällen. 5 Im Sinne von Art. 14 OECD-MA a.F.; zu Einzelheiten Rz. 19.404 ff. 6 Bei ausländischen Personengesellschaften ist die Qualifikation aus deutscher Sicht maßgeblich (Typenvergleich); vgl. hierzu Rz. 21.114 ff. 7 Sog. Betriebsstättenmodelle; vgl. BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751; v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703; BT-Drucks. 15/1798, 5 f.; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 693; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 50; anders zu Art. 14 DBA-USA BFH v. 25.11.2015 – I R 50/14, ISR 2016, 198 m. Anm. Richter/Kater = BFH/NV 2016, 977 (Ausübungsmodell). 8 BFH v. 12.10.1978 – I R 69/75, BStBl. II 1979, 64; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 52. 9 BFH v. 12.10.1978 – I R 69/75, BStBl. II 1979, 64; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 52; Haiß in H/H/R, § 49 EStG Rz. 677, 682. 10 Art. 14 OECD-MA a.F.; Art. 7 OECD-MA 2000; zu Einzelheiten Rz. 19.412 ff.

Valta | 269

Kap. 6 Rz. 6.231 | Einkommensteuer

4. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG; Anger/Wagemann, Steuerliche Behandlung des Arbeitslohns nach den Doppelbesteuerungsabkommen, IWB 2015, 49; Berkes, Die beschränkte Steuerpflicht der Arbeitnehmer im System des Einkommensteuergesetzes, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1991; Grossmann, Die Besteuerung des Künstlers und Sportlers im internationalen Verhältnis, Bern/ Stuttgart/Wien 1992; Gümbel, Die Besteuerung von Abfindungen an beschränkt Steuerpflichtige, IStR 2009, 889; Kölbl/Roß-Kirsch, Abfindungen bei Aufhebungsverträgen im In- und Ausland, IWB 2014, 711; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, Herne/Berlin 1991; Neyer, Erweiterung des Umfangs der beschränkten Steuerpflicht: § 49 Abs. 1 Nr. 4d EStG n.F., IStR 2004, 403; Neyer, Die bezahlte Untätigkeit im internationalen Steuerrecht, IStR 2001, 587; Neyer/Schlepper, Deutsche Besteuerung von Entlassungsentschädigungen beim international mobilen Arbeitnehmer, FR 2011, 648; Portner, Die Besteuerung von Abfindungen auf der Grundlage des DBA mit Belgien und den Niederlanden, IStR 2008, 584; Schauhoff/Cordewener/Schlotter, Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler in der EU, München 2008; Schwerdtfeger, Änderung der beschränkten Steuerpflicht für Geschäftsführer, Vorstände und Prokuristen im Rahmen des Steueränderungsgesetzes 2001, IStR 2002, 361; Steinhäuser, Internationale Aspekte der Besteuerung von Arbeitnehmererfindungen, Baden-Baden 2004; Steinhäuser, Die Besteuerung der Einkünfte leitender Angestellter nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c EStG, FR 2003, 652; Urbahns, Die Besteuerung der Arbeitslöhne von Bordpersonal auf Schiffen und Flugzeugen, NWB 2013, 3749; Valta/Stendel, Dynamik des Völkerrechts und Treaty Override – Perspektiven des offenen Verfassungsstaats, StuW 2019, 340; Vetter/Lühn, Einführung eines neuen Besteuerungstatbestandes im Bereich der beschränkten Einkommensteuerpflicht – § 49 Abs. 1 Nr. 4e EStG, RIW 2007, 300; Wiek, Arbeitnehmerentsendung zwischen Deutschland und den Niederlanden, Hamburg 2008.

6.231

Die beschränkte Steuerpflicht knüpft bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit an die Merkmale der Ausübung oder der Verwertung im Inland, der Zahlung aus inländischen öffentlichen Kassen, der Tätigkeit als Geschäftsführer, Prokurist oder Vorstandsmitglied einer Gesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland, der Auflösung eines Dienstverhältnisses, soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben und der an Bord eines im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeugs ausgeübten Tätigkeit, soweit das Luftfahrzeug von einem Unternehmen mit Geschäftsleitung im Inland betrieben wird, an. Die Anknüpfungsmerkmale Ausübung und Verwertung in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG sind mit denen in § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG identisch. Im Hinblick darauf gelten die dortigen Ausführungen (Rz. 6.223) entsprechend. Regelmäßig wird der für das Anknüpfungsmerkmal Ausübung maßgebliche Tätigkeitsort durch den Ort der Arbeitsausübung fixiert. Der ist in aller Regel dort, wo sich die betreffende Person physisch aufhält und die Berufstätigkeit persönlich ausübt.1 Wird die Tätigkeit sowohl im Inland als auch im Ausland ausgeübt, ist der hierfür gezahlte Arbeitslohn nach Veranlassungsgesichtspunkten im Zweifel nach Maßgabe der im In- und Ausland geleisteten Arbeitstagen aufzuteilen.2 Das gilt auch dann, wenn die Tätigkeit etwa im Inland nur kurzfristig bzw. vorübergehend ist.3 Krankheits- oder urlaubsbedingte Unterbrechungen sind der inländischen Tätigkeit zuzuordnen, soweit ein Veranlassungszusammenhang (z.B. Arbeitsunfall) hiermit gegeben ist.4 Die Ausübung nichtselbständiger Arbeit kann auch passiver Natur sein. Hierzu zählen etwa das Zurverfü-

1 BFH v. 21.1.1983 – VI R 87/79, BStBl. II 1983, 224; v. 29.1.1986 – I R 22/85, BStBl. II 1986, 479; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 740. 2 Zu Einzelheiten Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 795. 3 BFH v. 29.1.1986 – I R 22/85, BStBl. II 1986, 479; v. 14.12.1988 – I R 148/87, BStBl. II 1989, 319; v. 27.11.1992 – VI R 95/90, BFH/NV 1993, 365; v. 7.5.1993 – VI R 98/92, BFH/NV 1994, 91. 4 Hierzu mit z.T. a.A. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 737.

270 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.235 Kap. 6

gungstehen und Bereithalten sowie das Einhalten eines Wettbewerbsverbots.1 Diese passiven Leistungen werden dort erbracht, wo der Leistende sich aufhält bzw. dort, wo keine Tätigkeit bei einem Wettbewerber ausgeübt werden darf.2 Zu den unter den Ausübungstatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG fallenden Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören auch Einkünfte für eine früher im Inland ausgeübte Tätigkeit (nachträgliche Einkünfte),3 insbesondere betriebliche Altersruhegelder4, nachträglich gezahlte Tantiemen5 und Erfindervergütungen.6 Einnahmen aus der Ausübung von stock options zählen ebenfalls zu den inländischen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, soweit sie hierauf zeitanteilig entfallen.7

6.232

Aus im öffentlichen Interesse liegenden wettbewerbs-, kultur- oder sportpolitischen Gründen kann die Einkommensteuer gem. § 50 Abs. 4 EStG ganz oder zum Teil erlassen oder in einem Pauschalbetrag festgesetzt werden.8

6.233

Der für das Anknüpfungsmerkmal Verwertung maßgebliche Ort ist dort, wo der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt.9 Da der Arbeitnehmer stets allein als Verwerter in Betracht kommt, ist auf andere Personen nicht abzustellen.10 Der Verwertungstatbestand ist ggü. dem Ausübungstatbestand subsidiär.11 Hieraus folgt, dass die Verwertung im Inland als Anknüpfungsmerkmal für die beschränkte Steuerpflicht nur dann in Betracht kommt, wenn die nichtselbständige Arbeit im Ausland ausgeübt wird. Erfasst werden damit etwa die ausländischen Tätigkeiten von Auslandskorrespondenten und Bildberichterstattern, soweit deren Berichte im inländischen Fernsehen ausgestrahlt oder in inländischen Zeitungen oder Zeitschriften abgedruckt werden.12

6.234

Die Besteuerung aufgrund der Verwertung der Arbeit im Inland ist durch verschiedene Verwaltungsanweisungen auf der Grundlage des § 50 Abs. 4 EStG (Billigkeitsmaßnahmen) stark eingeschränkt worden. So ergibt sich aus dem sog. Auslandstätigkeitserlass,13 dass unter bestimmten Voraussetzungen bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern auch ohne Nachweis einer entsprechenden ausländischen Steuerbelastung Steuerbefreiung eintritt. Diese Billigkeitsmaßnahmen sind vor dem Hintergrund des kollisionsbegründenden Charakters des Verwertungstatbestandes des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG zu sehen. Im Hinblick darauf, dass international, vor allem auf der Ebene von DBA, bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit allein die Tätigkeit als Anknüpfungsmerkmal Bedeutung hat (Arbeitsortprinzip; Rz. 19.424 ff.), wird aus Gründen der Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ergebnis der Verwertungstatbestand weitgehend eliminiert.

6.235

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 735. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 740 m.w.N. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 746; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 64. BFH v. 18.2.1954 – IV 174/53 U, BStBl. III 1954, 130. BFH v. 27.1.1972 – I R 37/70, BStBl. II 1972, 459. BFH v. 21.10.2009 – I R 70/08, BFH/NV 2010, 350. Auf den Zuflusszeitpunkt kommt es nicht an; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 746. Vgl. H 50 EStH; Beispiele bei Reimer in Brandis/Heuermann, § 50 EStG Rz. 127 ff. BFH v. 12.11.1986 – I R 38/83, BStBl. II 1987, 377; v. 12.11.1986 – I R 69/93, BStBl. II 1987, 379. BFH v. 12.11.1986 – I R 38/83, BStBl. II 1987, 377; v. 12.11.1986 – I R 69/93, BStBl. II 1987, 379. BFH v. 12.11.1986 – I R 268/83, BStBl. II 1987, 372. Zu weiteren Einzelfällen Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 751. BMF v. 31.10.1983 – IV B 6 - S 2293 – 50/83, BStBl. I 1983, 470; hierzu auch Rz. 6.96 ff.

Valta | 271

Kap. 6 Rz. 6.236 | Einkommensteuer

6.236

Als drittes inlandsbezogenes Anknüpfungsmerkmal enthält § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG die öffentlichen Kassen. Danach gehören zu den beschränkt steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch Einkünfte, die aus inländischen öffentlichen Kassen1 einschließlich der Kassen des Bundeseisenbahnvermögens2 und der Deutschen Bundesbank mit Rücksicht auf ein gegenwärtiges oder früheres Dienstverhältnis gewährt werden, ohne dass ein unmittelbarer Zahlungsanspruch ggü. der inländischen öffentlichen Kasse bestehen muss.3 Dieses Anknüpfungsmerkmal entspricht weit gehend dem sog. öffentlichen Kassenprinzip, das international allgemein üblich ist. Es folgt dem Grundgedanken, dass kein Staat gezwungen sein soll, die zu Lasten seines Haushalts gezahlten Beträge aus seiner eigenen Besteuerungshoheit zu entlassen. Dieses Kassenprinzip ist auch in Art. 19 OEDC-MA verankert, wonach im Grundsatz die Besteuerung dem Kassenstaat vorbehalten bleibt (Kassenstaatsprinzip). Voraussetzung ist zumindest aber,4 dass der Kassenstaat zugleich auch Dienstherr ist, was § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG nicht verlangt. Für diese Fälle fingiert § 50d Abs. 7 EStG ein Dienstverhältnis, um so die beschränkte Steuerpflicht auch in Abkommensfällen aufrecht zu erhalten. Je nach Abkommensregelung handelt es sich dabei teilweise um ein zulässiges Treaty-Override.5

6.237

Vierter Anknüpfungspunkt ist die Tätigkeit als Geschäftsführer, Prokurist oder Vorstandsmitglied einer Gesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c EStG). Geschäftsführer von Personengesellschaften werden aufgrund der Selbstorganschaft im Ergebnis nicht erfasst, da sie zugleich auch Gesellschafter sind und ihre Einkünfte als Sondervergütungen i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht als nichtselbständige Arbeit zu qualifizieren sind.6 Ob die (gegenwärtige oder nachträgliche) Vergütung unmittelbar von der inländischen Gesellschaft selbst oder aber etwa von einer ausländischen Konzernobergesellschaft gezahlt wird, spielt keine Rolle.7

6.238

Fünfter Anknüpfungspunkt ist die Auflösung eines Dienstverhältnisses, soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG). Erfasst werden Entlassungsentschädigungen i.S.v. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Voraussetzung ist, dass die Einkünfte aus der vorangegangenen nichtselbständigen Tätigkeit der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht unterlegen haben, wobei unerheblich ist, ob die vorangegangene Besteuerung abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen ausgesetzt war.8 Erfasst werden damit im Wesentlichen diejenigen Fälle, in denen ein Arbeitnehmer, bevor er aus seinem Dienstverhältnis ausscheidet, seinen Wohnsitz in das Ausland verlegt, um danach die Entlassungsentschädigung zu vereinnahmen. War dagegen der betreffende Arbeitnehmer durchgängig im Ausland ansässig und erhält er eine Entlassungsent-

1 Hierzu die Übersicht bei Bergkemper in H/H/R, § 3 Nr. 12 EStG Rz. 13. 2 Vergütungen an Nichtbeamte, die unmittelbar seitens der Deutsche Bahn AG gewährt werden, fallen nicht hierunter. 3 Erfasst werden insbesondere Bedienstete des Goethe-Instituts und des akademischen Austauschdienstes; vgl. BFH v. 14.11.1986 – VI R 209/82, BStBl. II 1989, 351; v. 13.8.1997 – I R 65/95, BStBl. II 1998, 21; zu weiteren Einzelheiten Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 761. 4 Vgl. die Abkommensübersicht bei Dürrschmidt in V/L7, Art. 19 OECD-MA Rz. 36. 5 Wagner in Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rz. 101. 6 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 779; Wied in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 227; Strunk in Korn, § 49 EStG Rz. 178. 7 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 67. 8 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 69; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 787; a.A. Neyer, IStR 2004, 403 (404).

272 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.240 Kap. 6

schädigung, die sowohl seine vorangegangene nichtselbständige Tätigkeit im Inland als auch diejenige im Ausland erfasst, hat eine entsprechende Aufteilung zu erfolgen.1 Das letzte Anknüpfungsmerkmal betrifft die Tätigkeit an Bord eines im internationalen Luftverkehr eingesetzten, durch ein Unternehmen mit inländischer Geschäftsleitung betriebenen Luftfahrzeugs (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e EStG). Diese Regelung erfasst im Wesentlichen die Einkünfte ausländischen Bordpersonals von Flugzeugen inländischer Luftfahrtunternehmen. Die beschränkte Steuerpflicht erstreckt sich hierbei auch auf diejenigen Einkünfte des Bordpersonals, die anteilig auf das Ausland entfallen. Ohne diese weit gehende Regelung entstünden sog. weiße Einkünfte (Rz. 15.10), weil gem. Art. 15 Abs. 3 OECD-MA das Besteuerungsrecht für Einkünfte des Bordpersonals unabhängig vom Ausübungsort allein dem Staat zusteht, in dem sich der Ort der Geschäftsleitung des Luftfahrtunternehmens befindet.2 Eine entsprechende Arbeitsortfiktion für Schiffspersonal, deren Vergütungen ebenfalls dem Art. 15 Abs. 3 OECD-MA unterfallen, fehlt indessen.3

6.239

Die Zuteilungsnormen der DBA stellen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit lediglich auf die Anknüpfungsmerkmale der Tätigkeit und der öffentlichen Kasse ab. Die Besteuerung aufgrund der Verwertung, der Tätigkeit als Geschäftsführer, Prokurist oder Vorstandsmitglied und der Auflösung eines Dienstverhältnisses im Inland (Abfindungen) ist nach den DBA wegen des allgemein geltenden Arbeitsortsprinzips (Rz. 19.424 ff.) zumeist ausgeschlossen. Hinsichtlich der Tätigkeit ergibt sich allerdings insoweit eine Einschränkung, als beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer, die im Inland tätig werden, sich hier jedoch nur vorübergehend, höchstens 183 Tage im Kalenderjahr, aufhalten, aus der Besteuerung ausgenommen werden, wenn die Vergütung von einem Arbeitgeber ihres Wohnsitzstaates gezahlt und nicht von einer inländischen Betriebsstätte dieses Arbeitgebers getragen wird (sog. 183Tage-Klausel). Eine weitere Einschränkung ergibt sich aufgrund einiger mit Nachbarstaaten abgeschlossener DBA wonach Arbeitsbezüge von Grenzgängern nur im Wohnsitzstaat besteuert werden dürfen (Rz. 19.445 f.). Die sich aus dem abkommensrechtlichen Kassenstaatsprinzip ergebenden Einschränkungen werden freilich, soweit Lohn aus einer öffentlichen Kasse gezahlt wird, ohne dass die öffentliche Hand auch Dienstherr ist, durch die Treaty-Overriding-Klausel4 des § 50d Abs. 7 EStG suspendiert. Soweit es um Abfindungen für den Verlust des (inländischen) Arbeitsplatzes geht, regeln einige Konsultationsvereinbarungen, dass deutsches Besteuerungsrecht entgegen Art. 15 Abs. 1 OECD-MA aufrecht erhalten bleibt.5 Der Bundesfinanzhof nahm an, dass die auf Grundlage der Ermächtigungsnorm des § 2 Abs. 2 AO ergangenen Umsetzungs-Verordnungen nichtig waren, weil sie in der Normenhierachie unterhalb von formellen Gesetzen6 stehend diese zu ändern suchten.7 Der Gesetzgeber reagierte mit der gesetzlichen Regelung des § 50d Abs. 12 EStG, der das völkerrechtliche Verständnis des

6.240

1 Zu Einzelheiten Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 787. 2 Hierzu Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 790; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 70; Vetter/Lühn, RIW 2007, 300 ff.; zu Art. 15 Abs. 3 OECD-MA vgl. Rz. 19.439 ff. 3 Eine Analogie scheidet aus; vgl. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 70. 4 Wagner in Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rz. 101; zum Treaty-Overriding s. auch Rz. 3.24 f. 5 Vgl. die Nachweise bei Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 72. 6 Hierzu zählen auch die DBA(-Vertragsgesetze). 7 BFH v. 10.6.2015 – I R 79/13, ISR 2016, 10 m. Anm. Kempermann = BStBl. II 2016, 326, Tz. 20 ff.; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 43e ff.; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 72; zum vergleichbaren Problem bewirkt die ab 2017 geltende Ermächtigung in § 2 Abs. 3 Nr. 1 AO (AHRL-ÄndUmsG), aufgrund deren durch Erlass von Rechtsverordnungen in Abkommensfällen unter bestimmten Voraussetzungen von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode übergewechselt werden darf.

Valta | 273

Kap. 6 Rz. 6.240 | Einkommensteuer

BFH korrigiert. Darin liegt gerade bei Vorliegen von Konsultationsvereinbarungen nur ein unechter, formaler Treaty-Override, da die Korrektur im Einklang mit der Völkerrechtslage steht.1

6.241

Bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern ist die Einkommensteuer im Grundsatz durch den Steuerabzug abgegolten (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies gilt allerdings insbesondere nicht in dem Fall, in dem ein Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer gestellt wird (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG), der allerdings nur EU-/EWR-Staatsangehörigen möglich ist (§ 50 Abs. 2 Satz 7 EStG). Arbeitnehmer aus Drittstaaten sind daher insoweit benachteiligt, als ihnen das an die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit orientierte subjektive und objektive Nettoprinzip vorenthalten bleibt (Rz. 6.132 ff.). Die steuerliche Benachteiligung dieser beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Rz. 6.136 ff.). Zwecks Milderung der Steuernachteile sind daher Billigkeitsmaßnahmen geboten (§§ 163, 227 AO).2

5. Einkünfte aus Kapitalvermögen Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG; Ackermann, Beschränkte Steuerpflicht bei Einkünften aus Kapitalvermögen, IWB 2015, 270; Haase/Dorn, Beschränkte Steuerpflicht bei inländischer Besicherung ohne Inlandsbeteiligte – Zweifelsfragen und Anwendungsgrundsätze, IStR 2012, 180; Helios/Hierstetter, Aktuelle Praxisfälle der Kapitalertragsteuer im nationalen und internationalen Konzernsteuerrecht, Ubg 2012, 505; Helios/Klein, Steuerrechtliche Behandlung der Veräußerung von Dividendenansprüchen durch Steuerausländer – oder: Änderung von Steuergesetzen durch BMF-Schreiben?, FR 2014, 110; Micker, Die Abgeltungsteuer bei Auslandssachverhalten, IWB 2010, 480; Schönfeld/Bergmann, Grundbesitzbesicherte Darlehen im Internationalen Steuerrecht – einige Merkwürdigkeiten rund um § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG, IStR 2014, 254; Sieker, Zur Bestimmung der Quelle von Zinseinnahmen, IStR 1993, 413; Wiese/Berner, Veräußerung von Dividendenansprüchen durch Steuerausländer an Dritte im Lichte des BMF-Schreibens vom 26.7.2013, DStR 2013, 2674.

6.242

§ 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG enthält für bestimmte Einkünfte aus Kapitalvermögen unterschiedliche inlandsbezogene Anknüpfungsmerkmale. Erfasst werden im Wesentlichen die Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 EStG sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch die Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen i.S.v. § 20 Abs. 2 EStG und von Anteilen an Investmentfonds i.S.v. § 16 Abs. 1 Nr. 3 InvstG 2016. Die Einkünfte aus Diskontbeträgen von Wechseln und Anweisungen einschließlich der Schatzwechsel (§ 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG) sind von der beschränkten Steuerpflicht gänzlich ausgenommen. Obwohl § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG nicht ausdrücklich auf § 20 Abs. 8 EStG Bezug nimmt, gilt die dort für die Einkünfte aus Kapitalvermögen verankerte Subsidiaritätsklausel grundsätzlich auch für die Einkünftequalifzierung gem. § 49 Abs. 1 EStG. Diese Subsidiaritätsklausel wird durch § 49 Abs. 2 EStG (isolierende Betrachtungsweise) nur hinsichtlich der ausländischen Bestimmungsmerkmale der Einkunftsart suspendiert (Rz. 6.153). Hieraus folgt: Wenn sich die Zuordnung der Kapitaleinkünfte zu einer anderen Einkunftsart aus ausländischen Bestimmungsmerkmalen – z.B. ausländischer Gewerbebetrieb – ergibt, bleiben diese außer Betracht (§ 49 Abs. 2 EStG), so dass § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG eingreift. Gehören die Kapitaleinkünfte dagegen aufgrund inländischer Bestimmungsmerkmale – z.B. inländische gewerbliche Betriebsstätte – zu einer anderen Einkunftsart, so sind nicht Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG),

1 Zu den verschiedenen Perspektiven: Wagner in Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rz. 145; allgemein zu „echten“ und „unechten“ Treaty-Overrides Valta/Stendel, StuW 2019, 340 (348). 2 Vgl. BFH v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; FG Köln v. 10.1.1991 – 5 K 2381/89, DStR 1991, 740.

274 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.244 Kap. 6

sondern wegen § 20 Abs. 8 EStG Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG), Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG), Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG) oder Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG) gegeben. Diese Zuordnung hat etwa zur Folge, dass Zinsen, die in einer inländischen Betriebsstätte anfallen (Einkünfte aus Gewerbebetrieb), der beschränkten Steuerpflicht unterliegen, während Zinsen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen mangels Inlandsanknüpfung grundsätzlich nicht steuerpflichtig sind. Zu den von § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG erfassten Einkünften gehören Beteiligungserträge (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a EStG) bis 2017 Investmenterträge (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. b EStG; Rz. 12.80), Zinsen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. c EStG) und Erträge aus Tafelgeschäften (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. d EStG). Der maßgebliche Inlandsbezug ist hierbei unterschiedlich ausgestaltet.

6.243

Primäres Anknüpfungsmerkmal für die in § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG erfassten Beteiligungserträge (z.B. Dividenden) ist die inländische Ansässigkeit des Schuldners. Abgestellt wird dabei auf Wohnsitz (§ 8 AO), Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder Sitz (§ 11 AO) im Inland, und zwar zu dem Zeitpunkt, in dem die Einkünfte zu erfassen sind.1 Das gilt gleichermaßen für Gewinnanteile (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG),2 Bezüge aus Kapitalherabsetzung und Auflösung (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG), Einnahmen aus (typisch) stiller Gesellschaft3 und partiarischen Darlehen (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG), Erträge aus Versicherungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG), Einnahmen aus Leistungen bestimmter Körperschaftsteuersubjekte (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG) und schließlich kraft Sonderregelung auch für Erträge aus bestimmten Tafelgeschäften, die über eine inländische Zahlstelle abgewickelt werden (§ 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG). Eine weitere Sonderregelung enthält § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a 2. Halbs. EStG, wonach ebenfalls auf den inländischen Schuldner der Erträge abgestellt wird. Angesprochen sind hiermit Erträge aus Wandelanleihen und Gewinnobligationen, die an sich als Erträge aus sonstigen Forderungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) in den Regelungsbereich des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. c Doppelbuchst. aa EStG fallen.4 Für Investmenterträge (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. b EStG) ergeben sich keine besonderen inlandsbezogenen Qualifikationsmerkmale, so dass wegen der Verweisung auf § 7 InvStG 2004 bis einschließlich 2017 (§ 52 Abs. 45a EStG) im Ergebnis Dividenden und Dividendensurrogate inländischer Kapitalgesellschaften, ausgeschüttete und ausschüttungsgleiche Erträge eines inländischen Investmentfonds aus Vermietung und Verpachtung von inländischen Grundstücken oder grundstücksgleichen Rechten sowie Gewinne aus der Veräußerung derselben erfasst werden.5 Für Zinsen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. c EStG) wird der erforderliche Inlandsbezug dadurch hergestellt, dass das be-

6.244

1 BFH v. 28.3.1984 – I R 129/79, BStBl. II 1984, 620; v. 6.2.1985 – I R 87/84, BFH/NV 1985, 104. 2 Einschließlich Bezügen aus beteiligungsähnlichen Genussrechten; vgl. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 822; Ackermann, IWB 2015, 270 (271). 3 Der Gewinnanteil des stillen Gesellschafters fließt auch dann zu, wenn es wegen der Wiederauffüllung der durch Verluste geminderten Einlage zu keiner Auszahlung kommt; BFH v. 24.1.1990 – I R 55/85, BStBl. II 1991, 147; kritisch hierzu Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 668. 4 § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a 2. Halbs. EStG geht also vor; BFH v. 13.7.2021 – I R 6/18, BStBl. II 2022, 24; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 74; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 665; Ackermann, IWB 2015, 270 (272); a.A. Klein/Link in H/H/R, § 49 EStG Rz. 833; differenzierend bis/nach VZ 2020 Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 259. 5 Zu Einzelheiten Klein/Link in H/H/R, § 49 EStG Rz. 541 f.; ferner Rz. 12.55 ff.; zu der ab 2018 geltenden Regelung, nach der eine beschränkte Steuerpflicht wegen Besteuerung auf Fondsebene entfällt, Rz. 12.80.

Valta | 275

Kap. 6 Rz. 6.244 | Einkommensteuer

treffende Kapitalvermögen durch inländischen Grundbesitz, grundstücksgleiche Rechte oder durch in ein inländisches Schiffsregister eingetragene Schiffe gesichert ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa EStG). Das gilt nicht für bestimmte Zinsen aus Anleihen und Forderungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. c Doppelbuchst. aa Satz 2 EStG).1 Nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. bb EStG werden auch nicht beteiligungsähnliche Genussrechte erfasst, ohne dass hierfür ein Inlandsbezug benannt wird. Im Hinblick auf die Gesamtausrichtung des § 49 Abs. 1 EStG (inländische Einkünfte) ist eine teleologische Reduktion dahingehend geboten, dass auf den inländischen Schuldner abzustellen ist.2 Tafelgeschäfte (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. d EStG) führen nur dann zu inländischen Einkünften, wenn die Kapitalerträge von inländischen Zahlstellen ausgezahlt oder gutgeschrieben werden, wobei vorausgesetzt wird, dass die Wertpapiere weder vom inländischen Schuldner noch vom inländischen Kreditinstitut verwahrt werden.3

6.245

Zu einigen Besonderheiten: Zu den von § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a EStG erfassten Beteiligungserträgen gehören auch gesetzlich fingierte Einnahmen. Hieraus folgt, dass etwa die im Rahmen der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft bestehenden offenen Rücklagen, soweit sie keine Einlagen darstellen, bei den ausländischen Anteilseignern des übertragenden Rechtsträgers mit Ablauf des steuerlichen Übertragungsstichtages als Beteiligungserträge gem. § 5 UmwStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG als zugeflossen gelten und somit dem Regelungsbereich des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a EStG unterfallen.4 Dagegen fallen Gewinne aus der Veräußerung von Dividendenansprüchen nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a EStG, weil die Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung an die Stelle der Dividendenbesteuerung tritt, falls die Besteuerung tatsächlich erfolgt ist (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG).5 Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst a EStG gehören wegen der Bezugnahme auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ferner nicht Ausschüttungen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto der Kapitalgesellschaft i.S.d. § 27 KStG (Rz. 7.37 ff.) als verwendet gelten (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG) und generell ab 2018 sowie bis 2017 kraft besonderer gesetzlicher Anordnung auch nicht ausgeschüttete sowie ausschüttungsgleiche Erträge und Zwischengewinne aus Investmentanteilen (§ 2 InvStG 2004). Diese Investmenterträge werden aber bis 2017 partiell von § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b EStG erfasst, und zwar insoweit, als es sich um inländische Dividenden (§ 7 Abs. 3 InvStG 2004) und um bestimmte Tafelgeschäfte (§ 7 Abs. 1, 2 und 4 InvStG 2004 i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG) handelt (Rz. 12.55 ff.). So weit in den übrigen Fällen eine Kapitalertragsteuer einbehalten wurde, ist diese auf Antrag des beschränkt steuerpflichtigen Gläubigers zu erstatten (§ 7 Abs. 6 InvStG 2004). § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa EStG erfasst Zinsen aus Hypotheken (§ 1113 BGB) und Grundschulden (§ 1192 BGB) sowie Renten aus Rentenschulden (§ 1199 Abs. 1 BGB) als Einkünfte gem. § 20 Abs. 1 Nr. 5 EStG und Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen als Einkünfte gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG,6 soweit das Kapitalvermögen im Inland dinglich gesichert ist. Die dingliche Sicherheit

1 Zu Einzelheiten Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 847. 2 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 850; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 80; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 101. 3 Hierzu Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 857, 860. 4 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 74. 5 Diese Regelung gilt ab VZ 2014; vgl. zur Kontroverse vorangegangener VZ Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 822; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 74 m.w.N. 6 Für Wandelanleihen und Gewinnobligationen gilt die Sondervorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a Halbs. 2 EStG.

276 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.248 Kap. 6

des Kapitalvermögens,1 die zu dem Zeitpunkt bestehen muss, in dem die Einkünfte zu erfassen sind,2 kann auch bloß mittelbarer Natur sein, so dass etwa die treuhänderische Verwahrung von Hypotheken- oder Grundschuldbriefen zugunsten des Darlehensgebers ausreicht.3 Im Ergebnis sind damit Zinseinkünfte, etwa aus Sparbüchern und Festgeldanlagen, beschränkt steuerpflichtiger Personen aus der Besteuerung ausgenommen.4 Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG findet § 20 Abs. 3 EStG entsprechende Anwendung mit der Folge, dass auch bestimmte Ersatz- oder Zusatzbezüge wie etwa Damnum, Disagio und Zahlungen auf Grund von Versicherungsklauseln sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch Einnahmen aus der Veräußerung von Dividenden bzw. Zinsscheinen den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzurechnen sind. Voraussetzung ist also stets, dass der Schuldner im Inland ansässig ist.

6.246

Soweit von den Kapitalerträgen, insbesondere von Dividenden, die Steuer nach § 43 EStG im Wege des Steuerabzugs als Kapitalertragsteuer (Abgeltungsteuer) erhoben wird, tritt gem. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG im Grundsatz Abgeltungswirkung ein.5 Da in diesem Fall Werbungskosten zum steuerlichen Abzug nicht zugelassen sind,6 kann eine die steuerliche Leistungsfähigkeit verletzende Überbesteuerung eintreten. Betroffen sind auch ausländische Aktionäre, die ihren inländischen, in einem ausländischen Betriebsvermögen gehaltenen Wertpapierbesitz fremdfinanziert haben. Dem gegenüber kommt für inländische Aktionäre in vergleichbarer Lage das Nettoprinzip zur Geltung. Diese die ausländischen Aktionäre benachteiligende Besteuerung führt zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten (Rz. 6.146 ff., 6.285). Entsprechendes gilt für private Kapitalerträge, soweit die spezifisch für beschränkt Steuerpflichtige maßgebliche Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG über die Abgeltungswirkung des § 43 Abs. 5 EStG hinausgeht. Von Bedeutung sind hier die in § 43 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 32d Abs. 2 EStG geregelten Ausnahmen, die zu einer Besteuerung auf Nettobasis7 führen, die beschränkt Steuerpflichtigen vorenthalten bleibt.8

6.247

Auf der Ebene der DBA wird die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht weitgehend eingeschränkt. Für Dividenden ist das Besteuerungsrecht grundsätzlich dem Wohnsitzstaat des Dividendenempfängers zugeteilt (Rz. 19.324 ff.), wobei allerdings der Quellenstaat in beschränktem Umfang berechtigt ist, eine Quellensteuer zu erheben (Art. 10 OECD-MA). Die DBA sehen für Deutschland als Quellen-

6.248

1 Auf die dingliche Sicherung der Erträge kommt es nicht an; BFH v. 28.3.1984 – I R 129/79, BStBl. II 1984, 620. 2 BFH v. 28.3.1984 – I R 129/79, BStBl. II 1984, 620; v. 6.2.1985 – I R 87/84, BFH/NV 1985, 104. 3 BFH v. 13.4.1994 – I R 97/93, BStBl. II194, 743; v. 17.11.1999 – I R 11/99, BStBl. II 2001, 822; v. 20.1.1999 – IR 69/97, BStBl. II 1999, 514; zu weiteren Einzelheiten Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 847. 4 Eine gleichwohl erhobene Abgeltungsteuer ist im Rahmen des Erstattungsverfahrens nach § 44b Abs. 5 EStG oder auf formlosen Antrag hin durch das Betriebsstättenfinanzamt des Abzugsschuldners (auszahlende Stelle) zu erstatten; vgl. BMF v. 9.10.2012 – IV C 1 - S 2252/10/10013 – DOK 2011/0948384, BStBl. I 2012, 953, Tz. 307 ff. 5 Die Abgeltungswirkung gem. § 43 Abs. 5 EStG ist gegenüber derjenigen gem. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG subsidiär; vgl. Kube in K/S/M, § 50 EStG Rz. E 15. 6 Zur Bruttobesteuerung Rz. 6.134. 7 Der besondere Steuertarif gem. § 32d Abs. 1 EStG kommt zwar in diesen Fällen nicht in Betracht, was bei fremdfinanzierten Kapitalanlagen aber vorteilhaft sein kann. 8 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.4.

Valta | 277

Kap. 6 Rz. 6.248 | Einkommensteuer

staat regelmäßig Quellensteuersätze i.H.v. 5 bis 15 % und in Ausnahmefällen von 25 % vor. Für Zinsen liegt das Besteuerungsrecht ebenfalls beim Wohnsitzstaat des Gläubigers. Daneben darf der Quellenstaat aber noch eine Quellensteuer bis zu 10 %, in Ausnahmefällen bis zu 25 %, des Bruttobetrages der Zinsen erheben (Art. 11 OECD-MA). In den von Deutschland abgeschlossenen DBA hat Deutschland weitgehend auf die Quellensteuerbefugnis für Zinsen verzichtet (Rz. 19.365), so dass die ohnehin nur partiell bestehende beschränkte Steuerpflicht auf Zinseinkünfte insoweit leerläuft.

6. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG; Böhl/Schmidt-Nuschke/Böttcher, Besteuerung von Vermietungseinkünften aus Direktinvestitionen in Deutschland, IStR 2008, 651; Ditz/Pinkernell/Quilitzsch, BEPS-Reformvorschläge zu Lizenzgebühren und Verrechnungspreisen bei immateriellen Wirtschaftsgütern aus Sicht der Beratungspraxis, IStR 2014, 45; Holthaus, Beschränkte Steuerpflicht: Aktuelle Entwicklungen beim Steuerabzug für Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige nach § 50a EStG, ISR 2013, 2556; Kahle/Schultz, Besteuerung von Inbound-Investitionen – Ermittlung der inländischen Einkünfte und Durchführung der Besteuerung nach dem Jahressteuergesetz 2009, RIW 2009, 140; Lüdicke, Probleme der Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger im Inland, DStR 2008, Beihefter zu Heft 17, 25; Schultz, Immobilieninvestitionen durch Steuerausländer – Inbound Real Estate Investments, StbJb. 2009/2011, 179; Töben/Lohbeck/Fischer, Aktuelle steuerliche Fragen im Zusammenhang mit Inbound-Investitionen in deutsches Grundvermögen FR 2009, 151.

6.249

Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG unterliegen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG), soweit sie nicht zu den Einkünften i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 EStG gehören, der beschränkten Steuerpflicht, wenn das unbewegliche Vermögen, die Sachinbegriffe oder Rechte im Inland belegen oder in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen sind oder in einer inländischen Betriebsstätte oder in einer anderen Einrichtung verwertet werden.

6.250

Aus der vorgenannten Subsidiaritätsklausel folgt vor allem, dass Einkünfte, die im Grundsatz sowohl § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG als auch § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG zugeordnet werden können, vorrangig unter die erstgenannte Vorschrift fallen.1 Dies gilt auch im Übrigen, wenn unbewegliches Vermögen Betriebsvermögen einer inländischen Betriebsstätte ist. Die Subsidiaritätsklausel führt im Ergebnis dazu, dass die Vermietung und Verpachtung von unbeweglichem Vermögen, von Sachinbegriffen oder von Rechten unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und f EStG stets als inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren sind.

6.251

§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG knüpft an die in § 21 EStG aufgeführten Einkunftsgruppen an, so dass Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung unbeweglichen Vermögens und von Sachinbegriffen, der zeitlich begrenzten Überlassung von Rechten und der Veräußerung von Mietund Pachtungsforderungen erfasst werden.

6.252

§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG enthält drei verschiedene inlandsbezogene Anknüpfungsmerkmale. Im Grundsatz wird auf die Belegenheit des unbeweglichen Vermögens, der Sachinbegriffe und der Rechte abgestellt (Belegenheitsprinzip). Daneben ist die Eintragung in ein öffentliches Buch oder Register maßgeblich. Schließlich knüpft die Besteuerung auch an die Verwertung in einer inländischen Betriebsstätte oder in einer anderen Einrichtung an.

1 Hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 84.

278 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.256 Kap. 6

Das inlandsbezogene Qualifikationsmerkmal Belegenheit betrifft unbewegliches Vermögen, Sachinbegriffe und Miet- und Pachtzinsforderungen.1 Bei unbeweglichem Vermögen und bei Rechten wird der Inlandsbezug (zusätzlich)2 durch Eintragung in ein öffentliches Buch oder ein Register hergestellt. Hierzu zählen das Grundbuch, Schiffsregister, Patent- und Sortenschutzrolle, Muster- und Markenregister. Für wen das unbewegliche Vermögen, Sachinbegriffe oder Rechte eingetragen sind, spielt keine Rolle.3

6.253

Der Verwertungstatbestand, der etwa bei der Nutzung einer Vertriebslizenz4 oder von Rezepturen für Medikamente5 in Betracht kommt, ist erfüllt bei jeder Nutzung der überlassenen Sachen und Rechte, etwa durch Nutzen, Benutzen oder Gebrauchen im Rahmen eigener Tätigkeit durch den Berechtigten.6

6.254

Die Verwertung muss in einer inländischen Betriebsstätte oder in einer anderen Einrichtung eines in- oder ausländischen Unternehmens erfolgen.7 Bei der Verwertung in einer eigenen Betriebsstätte oder anderen Einrichtung des Berechtigten selbst, werden in aller Regel Einkünfte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG gegeben sein.8 Das in Ergänzung zur Betriebsstätte (§ 12 AO) geschaffene Tatbestandsmerkmal andere Einrichtung ist als eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage zu verstehen, die nur deshalb nicht als Betriebsstätte anzusehen ist, weil sie nicht der Tätigkeit eines Unternehmens dient, z.B. Einrichtungen von öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten.9

6.255

Soweit es um die zeitlich begrenzte Überlassung von Rechten (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 EStG) geht, gelten folgende Besonderheiten: Erfasst werden Rechte unabhängig davon, ob sie schuldrechtlicher oder dinglicher Natur,10 originär oder derivativ erworben11 sind.12 Eine zeitlich begrenzte Überlassung setzt grundsätzlich voraus, dass die zugrunde liegende Vereinbarung kündbar ist.13 Hierbei kommt es im Ergebnis darauf an, dass das Recht nicht in das Vermögen des Nutzenden übergeht.14 Davon kann selbst dann ausgegangen werden, wenn bei Abschluss des Vertrages ungewiss ist, ob und wann die Überlassung zur Nutzung endet.15 Eine zeitlich begrenzte Überlassung lässt sich jedoch nicht schon daraus ableiten, dass die überlassenen Rechte selbst etwa nach dem Patent- und Markengesetz zeitlich begrenzt sind.16 Soweit Rechte nicht zeitlich begrenzt überlassen, sondern endgültig veräußert werden, greift § 49 Abs. 1 Nr. 6

6.256

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 941; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 86. Betrifft vor allem Grundstücke. Vgl. hierzu Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 943; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 86a. BFH v. 23.5.1973 – I R 163/71, BStBl. II 1974, 287. BFH v. 5.11.1992 – I R 41/92, BStBl. II 1993, 407. BFH v. 23.5.1973 – I R 163/71, BStBl. II 1974, 287, vgl. auch BFH v. 12.11.1986 – I R 38/83, BStBl. II 1987, 377; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 752. Wer Eigentümer ist, spielt keine Rolle; vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 41/92, BStBl. II 1993, 407. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 955. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 954; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 86. BFH v. 7.12.1977 – I R 54/75, BStBl. II 1978, 355; v. 23.5.1979 – I R 163/77, BStBl. II 1979, 757; v. 1.12.1982 – 1 B 11/82, BStBl. II 1983, 367. BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398. Hierzu Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 931. BFH v. 27.2.2002 – I R 62/01, BFH/NV 2002, 1142; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672. BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398; v. 27.5.2009 – I R 86/07, BStBl. II 2010, 120; BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/1000 – DOK 2010/08615492, BStBl. I 2010, 1350, Tz. 23. BFH v. 7.12.1977 – I R 54/75, BStBl. II 1978, 355. Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 932; Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 113.

Valta | 279

Kap. 6 Rz. 6.256 | Einkommensteuer

EStG also nicht ein.1 Das gilt auch, wenn sich der Wert während der Überlassung wirtschaftlich erschöpft oder verbraucht.2 In diesen Fällen kommt eine beschränkte Steuerpflicht nur gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG in Betracht (Rz. 6.214). Soweit allerdings Know-how zeitlich unbegrenzt überlassen wird, unterliegen Know-how-Gebühren jedenfalls der subsidiär eingreifenden Vorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG.3 Die zur Besteuerung von Lizenzgebühren unterbreiteten BEPS-Vorschläge betreffen in erster Linie bestimmte in einigen Ländern gewährte Steuervergünstigungen, die im Zusammenhang mit der deutschen beschränkten Steuerpflicht keine Bedeutung haben (Rz. 5.26 ff.).4

6.257

Während im Falle der Vermietung und Verpachtung von unbeweglichem Vermögen und Sachinbegriffen für Zwecke der Besteuerung eine Veranlagung erfolgt, ist die Besteuerung bei der Überlassung von Rechten durch den Steuerabzug (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG) i.H.v. 15 % der Einnahmen abgegolten (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ein Steuerabzug auf Nettobasis ist insoweit ebenso wenig vorgesehen, wie eine Veranlagung auf Antrag.5 Diese die steuerliche Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigende Bruttobesteuerung (Rz. 6.132 ff.) führt zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 49 AEUV, wenn mit diesen Einnahmen Werbungskosten im Zusammenhang stehen, die steuerlich keine Berücksichtigung finden können (Rz. 6.136 ff.; 6.146 ff.).

6.258

Die beschränkte Steuerpflicht der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unbeweglichen Vermögens wird nach den DBA grundsätzlich nicht eingeschränkt, da auch insoweit durchweg das Belegenheitsprinzip gilt (Art. 6 OECD-MA; vgl. Rz. 19.219 ff.). Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von Sachinbegriffen sind auf der Ebene der DBA mangels inländischer Betriebsstätte als andere Einkünfte (Art. 21 OECD-MA)6 und die Nutzungsüberlassung von Rechten als Lizenzeinkünfte (Art. 12 OECD-MA) zu qualifizieren mit der Folge, dass im Grundsatz die Besteuerung ausschließlich dem Wohnsitzstaat zugewiesen ist. Eine Quellensteuerbefugnis ergibt sich für Deutschland grundsätzlich nicht.

7. Sonstige Einkünfte Literatur: Kommentare zu § 49 Abs. 1 Nr. 7 bis 10 EStG; Decker/Looser, Die Auswirkungen der Doppelbesteuerungsabkommen und des Alterseinkünftegesetzes auf die zwischenstaatliche Besteuerung von Renten, IStR 2009, 652; Ditz/Pinkernell/Quilitzsch, BEPS-Reformvorschläge zu Lizenzgebühren und Verrechnungspreisen bei immateriellen Wirtschaftsgütern aus Sicht der Beratungspraxis, IStR 2014, 45; Haberland, Beschränkt steuerpflichtige Einkünfte aus der Nutzung beweglicher Sachen im Inland, DStR 2012, 1115; Lohr, Die Besteuerung von Politikern, DStR 1997, 1230; Lüdicke, Probleme der Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger im Inland, DStR 2008, Beihefter zu Heft 17, 25; Pinkernell, Internationale Steuergestaltung im Electronic Commerce, ifSt-Schrift, Nr. 494 (2014).

1 BFH v. 16.5.2001 – I R 64/99, BFH/NV 2002, 94; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 72; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 85; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 284. 2 BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550; v. 16.5.2001 – I R 64/99, BStBl. II 2003, 641; v. 27.2.1975 – III R 64/74, BStBl. II 1976, 529; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 85; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 284. 3 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 85. 4 Vgl. zu Einzelheiten Ditz/Pinkernell/Quilitzsch, IStR 2014, 45. 5 Vgl. §§ 50a Abs. 3, 50 Abs. 2 Satz 2 EStG. 6 In zahlreichen deutschen DBA werden sie von Art. 12 OECD-MA erfasst („Nutzung von Ausrüstungen“); vgl. die Abkommensübersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L7, Art. 12 Rz. 79.

280 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.262 Kap. 6

Die sonstigen Einkünfte i.S.d. § 22 EStG sind in § 49 Abs. 1 Nr. 7 bis 10 EStG erfasst. Die inlandsbezogenen Qualifikationsmerkmale sind sehr unterschiedlich und lassen keine einheitliche Konzeption erkennen. Die Folge ist eine nur sehr lückenhafte Erfassung der sonstigen Einkünfte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht, wodurch eine gleichheitswidrige Besteuerung und damit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG indiziert ist. Erfasst werden Leibrenten und andere Leistungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG), Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG), Abgeordnetenbezüge (§ 49 Abs. 1 Nr. 8a EStG), bestimmte sonstige Einkünfte (§ 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG) und Leistungen aus Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 10 EStG), wobei nur selektiv an die in § 22 EStG aufgeführten Einkunftsgruppen angeknüpft wird.1

6.259

§ 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG betrifft Leibrenten und andere Leistungen (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG), die von den inländischen gesetzlichen Rentenversicherungsträgern, inländischen landwirtschaftlichen Alterskassen, inländischen berufsständischen Versorgungseinrichtungen, inländischen Versicherungsunternehmen oder sonstigen inländischen Zahlstellen gewährt werden. Entsprechendes gilt für Leibrenten und andere Leistungen ausländischer Zahlstellen, wenn die den Leistungen zugrunde liegenden Beiträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG ganz oder teilweise bei der Ermittlung der Sonderausgaben berücksichtigt wurden. Hierdurch soll im Ergebnis sichergestellt werden, dass Rentenleistungen, für die zu Lasten des deutschen Steueraufkommens in der Vergangenheit Beiträge geleistet worden sind, auch dann versteuert werden können, wenn die Leistungsempfänger bei Rentenbezug nicht mehr in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind.2 Abkommensrechtlich hat allerdings grundsätzlich der jeweilige Ansässigkeitsstaat das alleinige Besteuerungsrecht (Art. 18 OECD-MA; Rz. 19.459 ff.), wobei in der deutschen Abkommenspraxis häufig besondere Kassenstaatsklauseln auch für die Sozialversicherung vereinbart werden.3 Die Besteuerung erfolgt im Wege der Veranlagung.4

6.260

§ 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG erfasst private Veräußerungsgeschäfte (§ 22 Nr. 2 EStG), soweit es sich um inländische Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte handelt. In Abgrenzung zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e, f EStG werden nur solche Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte erfasst, die keiner inländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind und auch nicht Gegenstand eines gewerblichen Grundstückshandels sind.5 Entsprechendes gilt für Erträge aus Investmentanteilen, die aus den vorgenannten privaten Veräußerungsgeschäften stammen (§ 15 Abs. 2 Satz 2 InvStG 2004; Rz. 12.59). Von der Reichweite der privaten Veräußerungsgeschäfte wird wegen der über § 22 Nr. 2 EStG zu beachtenden Verweisung auf § 23 EStG auch die Veräußerungsfiktion des § 23 Abs. 1 Satz 5 EStG erfasst, so dass auch der Tausch sowie Einbringungsvorgänge6 eine beschränkte Steuerpflicht auslösen können. Die Besteuerung erfolgt durch Veranlagung. Sie wird durch DBA nicht eingeschränkt, weil die Besteuerung insoweit regelmäßig dem Belegenheitsstaat zusteht (Art. 13 Abs. 1 OECD-MA, vgl. Rz. 19.381 ff.).

6.261

§ 49 Abs. 1 Nr. 8a EStG betrifft die in § 22 Nr. 4 EStG genannten Abgeordnetenbezüge, die im Wege der Veranlagung besteuert werden. Die beschränkte Steuerpflicht wird durch DBA

6.262

1 2 3 4

Vgl. hierzu die Übersicht bei Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1000. Zu diesem Förderstaatsprinzip Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 90a. Vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer/Ruß in V/L7, Art. 18 OECD-MA Rz. 52. Zentrale Zuständigkeit beim FA Neubrandenburg (§ 19 Abs. 6 AO i.V.m. der EStZustV); hierzu BFH v. 20.8.2014 – I R 43/12, BFH/NHV 2015, 306 Rz. 18 ff.; Stahl, ISR 2013, 8 (11). 5 Insoweit ist § 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG subsidiär; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1015. 6 Hierzu Levedag in Schmidt41, § 23 EStG Rz. 50 ff.

Valta | 281

Kap. 6 Rz. 6.262 | Einkommensteuer

allerdings weitgehend eingeschränkt, weil die Besteuerung nur dem Wohnsitzstaat zusteht (Art. 21 OECD-MA; vgl. Rz. 19.473 ff.).

6.263

§ 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasst beschränkt steuerpflichtige Entgelte aus inländischen unterhaltenden Darbietungen, aus der Nutzung beweglicher Sachen im Inland sowie aus der Überlassung von Know-how. Damit werden nicht alle der in § 22 Nr. 3 EStG aufgeführten Leistungen erfasst. § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG greift nur dann ein, wenn die angesprochenen Einkünfte nicht unter eine andere Einkunftsart fallen. Insoweit hat § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG den Charakter einer Auffangklausel,1 die allerdings dadurch modifiziert wird, dass § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG bestimmt, dass die sonstigen Einkünfte i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG auch dann zu den inländischen Einkünften gehören, wenn sie bei Anwendung der Subsidiaritätsklausel des § 22 Nr. 3 EStG einer anderen Einkunftsart zuzurechnen wären. Da zugleich der Vorrang der unter § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 EStG fallenden Einkunftsarten normiert ist, zielt diese Bestimmung insbesondere darauf ab, Vergütungen für die Überlassung von Know-how zu erfassen, die, ohne dass eine Betriebsstätte oder ein ständiger Vertreter gegeben ist, aufgrund der inländischen Bestimmungsmerkmale als sonst nicht unter § 49 Abs. 1 EStG fallende Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren wären.2 Unter die erste Alternative des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG – inländische unterhaltende Darbietungen3 – fallen Auftritte von Künstlern usw. in Talkshows, soweit es sich nicht um gewerbliche Einkünfte handelt, für die § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG eingreift.4 Voraussetzung ist die physische Anwesenheit des Betreffenden im Inland.5 Die zweite Alternative erfasst insbesondere das Mobilien-Leasing von Einzelgegenständen6 durch ausländische Leasinggeber an inländische Leasingnehmer. Erfasst wird nur eine Nutzungsüberlassung im Inland,7 nicht aber eine Veräußerung,8 so dass etwa der Verkauf digitaler Produkte, wie z.B. Standardsoftware, nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG fällt.9 Das Gleiche gilt, wenn sich aus dem zugrunde liegenden Vertragsverhältnis nicht die Nutzung einer beweglichen Sache, sondern eine (technische) Dienstleistung ergibt.10 Die dritte Alternative des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG – Überlassung von Know-how zur Nutzung im Inland11 – betrifft jene Know-how-Gebühren, die mangels Betriebsstätte keine Einkünfte nach § 49 Nr. 2 Buchst. a EStG, mangels Anwendbarkeit der isolierenden Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) keine Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG12 und mangels zeitlicher Begrenzung der Überlassung auch keine Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 6

1 Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 126; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 805; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 307. 2 Zu dieser Lückenschließfunktion Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1050, 1053; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 94. 3 Anknüpfung nur an die Ausübung, nicht aber an die Verwertung. 4 § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG ist insoweit also subsidiär; Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1053. 5 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1100; BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/1000 – DOK 2010/08615492, BStBl. I 2010, 1350, Tz. 18. 6 Die zeitweilige Gebrauchsüberlassung von Sachgesamtheiten und Immobilien fällt unter § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG. 7 Abgestellt wird auf die „tatsächliche“ Nutzung im Inland; BFH v. 10.4.2013 – I R 22/12, ISR 2013, 349 m. Anm. Holthaus = BStBl. II 2013, 728. 8 Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 122. 9 Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494, 61. 10 Vgl. BFH v. 27.2.2000 – I R 130/97, IStR 2000, 438; vgl. auch Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494, 61 zu Cloud-Computing-Verträgen. 11 Erfasst wird auch die frühere Nutzung im Inland. 12 BFH v. 20.2.1974 – I R 217/71, BStBl. II 1974, 511.

282 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.266 Kap. 6

EStG sind.1 § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasst Entgelte für die Überlassung von Know-how nur insoweit, als sie gezahlt werden für die Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von gewerblichen, technischen, wissenschaftlichen oder ähnlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten. Hierzu zählen Pläne, Muster und Verfahren, nicht aber Autorenrechte i.S.d. § 15 UrhG2 und Vertriebsrechte.3 Die Nutzung setzt keinen Erfolg voraus, so dass der Inlandsbezug nicht entfällt, wenn das Know-How nicht die erforderlichen Eigenschaften für den inländischen Verwendungszweck hat.4 Da § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG keine Erweiterung des § 22 Nr. 3 EStG bedeutet, werden hiervon generell keine Veräußerungsvorgänge erfasst.5 Die Besteuerung der dem § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG unterliegenden Einkünfte aus inländischen Darbietungen erfolgt grundsätzlich durch Steuerabzug i.H.v. 15 % (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG). Für EU-/EWR-Staatsangehörige kann allerdings unter bestimmten Voraussetzungen ein Steuerabzug auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG) oder auf Antrag eine Veranlagung (§ 50 Abs. 2 Satz 7 EStG) erfolgen (vgl. Rz. 6.288 f.). Bei den Einkünften aus Know-how ist das dagegen nicht vorgesehen, so dass im Hinblick auf die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG) Werbungskosten nicht berücksichtigungsfähig sind. Dies kann zu einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 49 AEUV verstoßenden Überbesteuerung führen (Rz. 6.136 ff., 6.140 ff.). Bei den Einkünften aus der Nutzung beweglicher Sachen erfolgt dagegen die Besteuerung im Wege der Veranlagung, so dass insoweit wiederum das Nettoprinzip (Rz. 6.132 ff.) zur Geltung kommt.

6.264

Die unter § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG fallenden sonstigen Einkünfte aus inländischen Darbietungen und aus der Überlassung von Know-how werden auf Abkommensebene durchweg als Lizenzgebühren qualifiziert, für die das Besteuerungsrecht grundsätzlich beim Wohnsitzstaat liegt (Art. 12 OECD-MA). Als Quellenstaat steht Deutschland eine Quellensteuerbefugnis nur in Ausnahmefällen zu (Rz. 19.376 f.). Die Einkünfte aus der Nutzung beweglicher Sachen unterliegen dem Anwendungsbereich von Art. 21 OECD-MA, so dass insoweit im Ergebnis nur der Wohnsitzstaat besteuern darf (Rz. 19.473 ff.).

6.265

Soweit schließlich Leistungen ausländischer Zahlstellen aus Altersvorsorgeverträgen, Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen (§ 22 Nr. 5 EStG) auf Beiträgen des Arbeitgebers beruhen, die zu Lasten des deutschen Steueraufkommens beim Begünstigten steuerfrei geblieben sind oder nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG ganz oder teilweise bei der Ermittlung der Sonderausgaben berücksichtigt wurden, unterliegen diese gem. § 49 Abs. 1 Nr. 10 EStG ohne weiteren Inlandsbezug6 der beschränkten Steuerpflicht (Korrespondenzprinzip). Betroffen sind wie bei § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG sog. Auslandsrentner.7 Bei Leistungen inländischer Zahlstellen kommt es allerdings nicht darauf an, ob steuerliche Vergünstigungen vorangegangen sind.8 Die Besteuerung erfolgt im Wege der Veranlagung, wobei in Abkommensfällen Deutschland gem. Art. 18 OECD-MA regelmäßig das Besteuerungsrecht genommen ist (Rz. 19.459 ff.).

6.266

1 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 94; Lüdicke in Lademann, § 49 EStG Rz. 811; Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 311. 2 BFH v. 20.7.1988 – I R 174/85, BStBl. II 1989, 87. 3 BFH v. 27.7.1988 – I R 130/84, BStBl. II 1989, 101; weitere Beispiele bei Loschelder in Schmidt41, § 49 EStG Rz. 125. 4 BFH v. 13.10.2021 – I R 18/18, IStR 2022, 362 = Ubg 2022, 322. 5 BFH v. 20.7.1988 – I R 61/85, BStBl. II 1989, 99. 6 Das für § 49 Abs. 1 EStG maßgebliche Territorialitätsprinzip (Rz. 6.126 ff.) wird damit durchbrochen. 7 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 95. 8 Bärsch et al. in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1150.

Valta | 283

Kap. 6 Rz. 6.266a | Einkommensteuer

VI. Korrespondierende Besteuerung bei hybriden Personenmehrheiten 6.266a

Durch das ATAD-Umsetzungsgesetz wird der Katalog des § 49 Abs. 1 EStG mit der Nr. 11 mit Wirkung ab 2022 um eine Vorschrift ergänzt, die im Gegensatz zu den anderen Nummern nicht auf eine bestimmte Einkunftsart, sondern auf hybride Personenmehrheiten als solche bezogen ist. Hybride Personenmehrheiten sind Personengesellschaften und Gemeinschaften, die in einem grenzüberschreitenden Sachverhalt von den beteiligten Staaten unterschiedlich steuerlich behandelt werden, was zu einer Doppelnichtbesteuerung führen kann. § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG erfasst den Fall von Einkünften einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft oder Gemeinschaft, die weder in Deutschland nach § 49 Abs. 1 Nr. 1-10 EStG noch im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter oder Gemeinschafter besteuert werden. Die Hybridität der Personenmehrheit erfolgt durch die unterschiedliche steuerliche Einordnung und Behandlung: Deutschland als Gesellschaftsstaat geht von einer Besteuerung im Gesellschafterstaat aus, der Gesellschafterstaat hingegen von einer Besteuerung im Gesellschaftsstaat. Zur Vermeidung einer Doppelnichtbesteuerung wird die Regelungstechnik der korrespondierenden Besteuerung genutzt: die steuerliche Behandlung im Gesellschaftsstaat Deutschland wird von der steuerlichen Behandlung im Gesellschafterstaat abhängig gemacht. Besteuert der Gesellschafterstaat nicht im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht des Gesellschafters, so besteuert Deutschland als Quellenstaat.

6.266b

§ 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG betrifft die Konstellation des sogenannten „umgekehrt hybriden Rechtsträgers“, deren Begegnung in Art. 9a ATAD unionsrechtlich vorgeschrieben ist.1 Art. 9a ATAD sieht jedoch eine Ansässigkeitsfiktion im Gesellschaftsstaat vor, während § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG das gleiche Ergebnis mit der Konstruktion eine beschränkte Steuerpflicht zu erreichen sucht.2 Da mangels gegenteiliger Vorschriften eine Veranlagung und damit eine Nettobesteuerung vorgesehen ist, sollte darin kein Verstoß gegen die ATAD-Richtlinie liegen.

6.266c

Erfasst sind nach deutschem Recht geründete Personengesellschaften (GbR, oHG, KG, PartG, EWIV, Baureederei, Partenreederei) einschließlich reiner Innengesellschaften (z.B. stille Gesellschaft) sowie Gemeinschaften (z.B. Erbengemeinschaft), die nicht nach § 1a KStG optiert haben.3 Erforderlich ist ein Inlandsbezug durch Sitz (§ 10 AO) oder Geschäftsleitung (§ 11 AO) oder Eintragung ihres Gesellschaftsstatus als solchen in ein Register (Handelsregister, nicht aber z.B. Grundbuch oder Patent- oder Markenregister) im Inland (§ 1 Abs. 1 Satz 1 f. EStG).4 Die Anknüpfung an die Registereintragung ist zwar ein dünnes Anknüpfungsmoment, genügt aber jedenfalls unter Einbeziehung des Missbrauchvermeidungszweckes und der nur subsidiären Anwendung dem völkerrechtlichen Erfordernis einer sachlichen Anknüpfung.5 Die beschränkte Steuerpflicht betrifft aber nicht die Gesellschaft oder Gemeinschaft, sondern ihre Beteiligten.

6.266d

Grundvoraussetzung für die korrespondierende beschränkte Steuerpflicht ist die Nichtbesteuerung am Wohnsitz (§ 8 AO) oder ständigen Aufenthalt (§ 9 AO) der Beteiligten (§ 49 Abs. 1 Nr. 11 Satz 1 Buchst. a EStG). Zudem darf nicht bereits nach den § 49 Abs. 1 Nr. 1–10 EStG eine beschränkte Steuerpflicht bestehen (§ 49 Abs. 1 Nr. 11 Satz 1 Buchst. b EStG). Unklar ist, ob die beschränkte Steuerpflicht bei derselben natürlichen Person eintreten muss, die

1 2 3 4 5

Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 102a. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 102a. Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 317a. Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 317b. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 102f.

284 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.267 Kap. 6

als Beteiligte nach § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG in Betracht kommt.1 Dafür spricht aber die Auffangfunktion zur Vermeidung einer Doppelnichtbesteuerung in der Person des Beteiligten, die bei anderen Personen nicht mit gleicher Sicherheit wahrgenommen wird. Schließlich darf keine Besteuerung in einem anderen Land stattgefunden haben (§ 49 Abs. 1 Nr. 11 Satz 1 Buchst. c EStG). Alle drei Merkmale sind aufgrund des einführenden „soweit“ für jeden Einkunftsbestandteil zu prüfen („itemization“).2 Die beschränkte Steuerpflicht trifft nach § 49 Abs. 1 Nr. 11 Satz 2 EStG nur Mehrheitsbeteiligte, wobei verbundene Personen nach § 1 Abs. 2 AStG zugerechnet werden, sofern sie nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen. Beschränkt steuerpflichtig sind damit nur nichtansässige beherrschende Beteiligte, auch wenn die Beherrschung durch mehrere Nichtansässige hergestellt werden kann. Der Beteiligungsbegriff ist sehr weit und setzt keine Gesellschafterstellung voraus.3

6.266e

Der weite Tatbestand ist sodann wieder in Fällen eingeschränkt, in denen die beidseitige Nichtbesteuerung gewollt wird. Altersvermögensfonds (§ 53 InvStG – unionsrechtlich vorgeschrieben durch Art. 9a Abs. 2 ATAD4), aber auch allgemeine Konstellationen, in denen auch das deutsche Steuerrecht von einer Steuerfreiheit im Gesellschafterstaat ausgeht und damit keine hybride Gestaltung vorliegt, sind nach § 49 Abs. 1 Nr. 11 Satz 3 EStG wieder ausgenommen. Dies ist mit Blick auf den Missbrauchsabwehrzweck konsequent:5 Steuerpflichtige sollen nicht Disparitäten zwischen zwei Steuerrechtsordnungen mit dem Ziel einer beiderseits unbeabsichtigten doppelten Nichtbesteuerung ausnutzen können. Eine beidseitig vorgesehene Nichtbesteuerung liegt dagegen in der Autonomie der Staaten und deren Nutzung stellt keinen Missbrauch dar.

6.266f

Da ein korrespondierendes Quellenbesteuerungsrecht in der Abkommenspraxis bisher nicht vorgesehen ist, bedarf es zur Effektuierung nach § 49 Abs. 1 Nr. 11 Satz 4 EStG eines TreatyOverride. Dieser ist nach der BVerfG-Rechtsprechung zulässig und wird auch nicht durch spätere Abkommen wieder überschrieben, da § 49 Abs. 1 Nr. 11 Satz 4 EStG immer spezieller ist, sofern in den Abkommen kein ausdrücklicher „Treaty-Override-Override“ enthalten ist. Es besteht auch keine Pflicht, eine entsprechende abkommensrechtliche Regelung bei Neuverhandlungen vorzusehen.6 Aufgrund seiner beschränkten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Abkommensverhandlungen der Bundesregierung ist der Bundestag insoweit sinnvollerweise nicht gebunden.7

6.266g

VII. Veranlagung und Steuerabzug 1. Überblick Bei beschränkt Steuerpflichtigen wird die Einkommensteuer entweder im Rahmen einer Veranlagung oder durch Steuerabzug an der Quelle erhoben. Soweit die Einkommensteuer durch

1 2 3 4 5 6 7

Dafür Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 317e. Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 317f. Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 317g. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 49 EStG Rz. 102e. Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 318. A.A. Reimer in Brandis/Heuermann, § 49 EStG Rz. 319. Zu einer Einwirkungspflicht des Bundestags auf die Bundesregierung Valta/Stendel, StuW 2019, 340 (354).

Valta | 285

6.267

Kap. 6 Rz. 6.267 | Einkommensteuer

den Steuerabzug an der Quelle abgegolten ist (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG),1 besteht zwischen Steuerveranlagung einerseits und Steuerabzug andererseits insoweit ein Ausschließungsverhältnis.

6.268

Eine Steuerveranlagung kommt nur dann in Betracht, wenn – ein Steuerabzug an der Quelle nicht vorgesehen ist, – die dem Steuerabzug unterliegenden Einkünfte solche eines inländischen Betriebs sind (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG), – sich später herausstellt, dass die Voraussetzungen der erweiterten unbeschränkten (§ 1 Abs. 2 EStG) oder fingierten unbeschränkten Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 3; 1a EStG) nicht vorlagen (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG), – im Kalenderjahr sowohl eine beschränkte als auch eine unbeschränkte Steuerpflicht bestanden hat, so dass die während der beschränkten Steuerpflicht erzielten Einkünfte in eine Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht einzubeziehen sind (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG), – als Lohnsteuerabzugsmerkmal ein Freibetrag (§ 39a Abs. 4 EStG) für Werbungskosten (§ 9 EStG), Spenden (§ 10b EStG), bestimmte wie Sonderausgaben abziehbare Kosten (§§ 10e, 10i EStG) eingetragen wurden sowie für den Freibetrag oder den Hinzurechnungsbetrag gem. § 39a Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. a EStG), – eine Veranlagung beantragt wurde für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG) und für Einkünfte i.S.d. § 50a Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 EStG (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG), soweit die Antragsteller Staatsangehörige eines EU/EWR-Staates sind und dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 50 Abs. 2 Satz 7 EStG)2 oder – ein Steuerabzug auf Anordnung des Finanzamtes erfolgt (§ 50a Abs. 7 Satz 4 EStG).

6.269

Der Steuerabzug ergibt sich bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aus den §§ 38 EStG, bei den Einkünften aus Kapitalvermögen aus § 43 EStG, bei den Einkünften aus künstlerischen, sportlichen, artistischen, unterhaltenden und ähnlichen Darbietungen im Inland sowie aus deren Verwertung im Inland aus § 50a Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG, bei den Einkünften aus Rechtsüberlassungen (Lizenz- oder Know-how-Gebühren) aus § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG und bei Aufsichtsratsvergütungen aus § 50a Abs. 1 Nr. 4 EStG. Die Höhe des Steuerabzugs ist für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in § 39b EStG und für die Einkünfte aus Kapitalvermögen in den §§ 32d, 43, 43a und 43b EStG geregelt. Für Aufsichtsratsvergütungen ist ein Steuerabzug i.H.v. 30 % (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG) vorgesehen; bei den übrigen nach § 50a EStG steuerabzugspflichtigen Einkünften beträgt der Steuersatz 15 % der Einnahmen (§ 50a Abs. 2 Satz 2 EStG) und bei dem gem. § 50a Abs. 3 EStG vorgesehenen Steuerabzug auf Netto-

1 Eine Abgeltungswirkung ergibt sich auch aus § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG (Abgeltungsteuer). 2 Die Beschränkung der Antragsveranlagung auf EU-/EWR-Staatsagehörige verstößt sowohl gegen Art. 3 Abs. 1 GG als auch gegen die abkommensrechtlichen Staatsangehörigkeitsdiskriminierungsverbote (Art. 24 OECD-MA); vgl. zu dem zuletzt genannten Aspekt Kumpf/Roth, StuW 1996, 259 (263); Gosch, DStR 2007, 1553 (1560); Schaumburg in FG Wassermeyer, Rz. 121 (124).

286 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.271 Kap. 6

basis 30 % bei natürlichen Personen und 15 % bei Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen (§ 50a Abs. 3 Satz 4 EStG).1

2. Veranlagung Literatur: Kommentare zu § 50 EStG; Cordewener, Das EuGH-Urteil „Gerritse“ und seine Umsetzung durch das BMF-Schreiben v. 3.11.2003 – Steine statt Brot für die Besteuerungspraxis, IStR 2004, 109; Hidien/Holthaus, Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer ab 2009, PiStB 2009, 108; Holthaus, Praxisprobleme bei der ab 2009 geänderten Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Künstler und Sportler, IStR 2010, 23; Krumm, Bedeutung des „Korrespondenzprinzips“ für die unionsrechtliche Rechtfertigung des § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG, IWB 2014, 13; Lüdicke, Probleme der Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger, DStR 2008, Beihefter zu Heft 17, 25; Schnitger, Das Ende der Bruttobesteuerung beschränkt Steuerpflichtiger, FR 2003, 745; Seer, Die beschränkte Steuerpflicht aus dem Blickwinkel des Gemeinschaftsrechts, IWB 2004, Fach 11, Gr. 2, 573; Thiemann, Pflichtveranlagung ausländischer Arbeitnehmer neu geregelt – Kommentar, NWB 2010, 2353; Tiedtke/Langheim, Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der beschränkten und der (fiktiven) unbeschränkten Steuerpflicht, DStZ 2003, 10; Tiedtke/Möllmann, Spendenabzug und Europarecht, IStR 2007, 837.

Im Grundsatz wird das zu versteuernde Einkommen bei beschränkt steuerpflichtigen Personen nach den gleichen Regeln ermittelt wie bei unbeschränkt Steuerpflichtigen. Die Unterschiede bestehen darin, dass bei beschränkt steuerpflichtigen Personen lediglich diejenigen Einkünfte angesetzt werden, die § 49 Abs. 1 EStG aufzählt, steuerabzugspflichtige Einkünfte auszuscheiden sind, soweit die Abgeltungswirkung gem. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG eingreift,2 und schließlich bestimmte in § 50 EStG näher aufgeführte Vorschriften nicht oder nur eingeschränkt zur Anwendung kommen.

6.270

Betriebsausgaben und Werbungskosten sind nach § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG grundsätzlich abziehbar, soweit sie in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit inländischen Einkünften stehen (§ 50 Abs. 1 Satz 1 EStG), ohne Rücksicht darauf, ob diese im In- oder Ausland,3 vorab oder nachträglich4 angefallen sind. Da ein unmittelbarer Zusammenhang nicht verlangt wird, gilt für die Betriebsausgaben und Werbungskosten ganz allgemein das Veranlassungsprinzip.5 Für die Einkünfteermittlung gelten darüber hinaus die allgemeinen Grundsätze. Im Hinblick darauf kommen insbesondere auch die Abzugsverbote für Betriebsausgaben und Werbungskosten zur Anwendung.6 Schließlich gelten auch besondere Einschränkungen bei den Werbungskosten für Pauschbeträge, die nur zeitanteilig beansprucht werden können, wenn die Einkünfte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG nicht während eines vollen Kalenderjahres oder Kalendermonats zugeflossen sind (§ 50 Abs. 1 Satz 5 EStG) und bei der Bildung eines Ausgleichs-

6.271

1 Zum Dualismus von Nettobesteuerung und Bruttobesteuerung und seinen verfassungsrechtlichen Implikationen vgl. Rz. 6.136 ff. 2 Ob tatsächlich ein Steuerabzug vorgenommen wurde, spielt grundsätzlich keine Rolle; BFH v. 26.4.1978 – I R 97/76, BStBl. II 1978, 628; v. 5.12.1990 – I R 19/89, BFH/NV 1991, 805; v. 4.5.1993 – I B 39/93, BFH/NV 1993, 727. 3 BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140. 4 Vgl. Rz. 6.101 ff., 6.151, 21.95 ff.; dort auch zu vergeblichen Aufwendungen, die nicht berücksichtigungsfähig sind; anders BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703. 5 Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 38 ff.; Loschelder in Schmidt41, § 50 EStG Rz. 7. 6 Vgl. hierzu die Aufzählung bei Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 35; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50 EStG Rz. 4.

Valta | 287

Kap. 6 Rz. 6.271 | Einkommensteuer

postens bei Entstrickungsentnahme gem. § 4g EStG, der für beschränkt Steuerpflichtige nicht zur Anwendung kommt.1

6.272

§ 50 EStG schränkt zwar den Verlustausgleich nicht ein, ein Verlustausgleichsverbot ergibt sich allerdings für steuerabzugspflichtige Einkünfte mit Abgeltungswirkung, wonach derartige positive Einkünfte nicht mit (Veranlagungs-)Verlusten ausgeglichen werden dürfen. Dieses Verlustausgleichsverbot gilt auch in die umgekehrte Richtung, so dass positive Veranlagungseinkünfte auch nicht mit negativen steuerabzugspflichtigen Einkünften ausgeglichen werden dürfen. Dieser Ausschluss des Verlustausgleichs in beiden Richtungen ist eine Folge der Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG.2

6.273

Sonderausgaben (§§ 10, 10a EStG) sind grundsätzlich nicht abzugsfähig, so dass auch die Pauschbeträge nach § 10c EStG entfallen (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG).3 Eine Besonderheit gilt für Arbeitnehmer, denen der Pauschbetrag nach § 10c EStG gewährt wird (§ 50 Abs. 1 Satz 4 EStG). Im Übrigen können beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer Altersvorsorgebeiträge (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) sowie Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG) abziehen, wobei allerdings der Höchstbetrag gem. § 10 Abs. 3 EStG zur Anwendung kommt (§ 50 Abs. 1 Satz 4 EStG). Der Spendenabzug gem. § 10b EStG und § 34g EStG, der Verlustabzug (§ 10d EStG) sowie die Anwendung der §§ 10f bis 10h EStG sind im Übrigen wie bei unbeschränkt steuerpflichtigen Personen zulässig. Hieraus folgt, dass bei einem Wechsel zur unbeschränkten Steuerpflicht und umgekehrt der Verlustabzug erhalten bleibt.

6.274

Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG), Kinderfreibeträge (§ 32 EStG) sowie das erweiterte Splitting (§ 32a Abs. 6 EStG) kommen demgegenüber nicht zur Anwendung (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG).

6.275

Außergewöhnliche Belastungen (§§ 33, 33a, 33b EStG) sowie Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse (§ 35a EStG) sind gem. § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG ebenfalls nicht berücksichtigungsfähig.

6.276

Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG ist schließlich auch der erhöhte Veräußerungsfreibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG nicht abziehbar.

6.277

Die Steuer für beschränkt steuerpflichtige Personen ist grundsätzlich4 nach der Grundtabelle (§ 32a Abs. 1 EStG) zu berechnen (§ 50 Abs. 1 Satz 2 EStG),5 wobei das zu versteuernde Einkommen um den Grundfreibetrag des § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG, der das Existenzminimum freistellen soll, zu erhöhen ist.6 Dies wirkt sich nur auf den Steuersatz aus und führt im

1 Zur Kritik hieran vgl. Rz. 6.388. 2 Vgl. BFH v. 10.4.1975 – I R 261/72, BStBl. II 1975, 586; v. 3.11.1982 – I R 3/79, BStBl. II 1983, 259; v. 12.11.1986 – I R 222/82, BStBl. II 1987, 256, Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50 EStG Rz. 9; Reimer in Brandis/Heuermann, § 50 EStG Rz. 42. 3 In Umsetzung des EuGH-Urteils v. 24.2.2015 – C-559/13, ECLI:EU:C:2015:109 – Grünewald ist § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG dahingehend geändert worden, dass ab 2017 Versorgungsleistungen unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG abzugsfähig sind (AHRL-ÄndUmsG). 4 Ausnahme: In den Fällen fiktiver unbeschränkter Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) gilt gem. § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG ggf. der Splittingtarif. 5 Zuzüglich Solidaritätszuschlag; vgl. BFH v. 30.8.1995 – I R 10/95, BStBl. II 1995, 868. 6 Das gilt nicht für Arbeitnehmer mit Einkünften gem. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG (§ 50 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 EStG).

288 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.280 Kap. 6

Ergebnis nicht zur Besteuerung tatsächlich nicht erzielter Einkünfte.1 Die Nichtberücksichtigung des Grundfreibetrages beim anzuwendenden Steuersatz sowie die Anwendung nur der Grundtabelle entspricht zwar dem Grundsatz, dass der Ansässigkeitsstaat, nicht aber der Quellenstatt gehalten ist, die persönliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigten (Rz. 17.12, 18.51), in den Fällen aber, in denen beschränkt Steuerpflichtige im Ansässigkeitsstaat keine oder nur ganz geringe Einkünfte erzielen, kann die persönliche Leistungsfähigkeit dort nicht berücksichtigt werden. Da diese Sachlage bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern typischerweise gegeben ist, enthält § 50 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 EStG eine Sonderregelung, wonach der Grundfreibetrag teilweise2 zugestanden wird. Diese Besonderheit gilt für EU-/EWR- und Drittstaatsangehörige gleichermaßen. Dem gegenüber wird in den vorgenannten Fällen der Splittingtarif im Rahmen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nur EU-/EWR-Staatsangehörigen, nicht aber Drittstaatsangehörigen gewährt (§§ 1 Abs. 3, 1a EStG). Die Nichtanwendung des Splittingtarifs ist zwar seitens der deutschen Rechtsprechung nicht als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG3 angesehen worden, wenn diese Personen ausschließlich oder fast ausschließlich ihre Einkünfte im Inland beziehen (Konstellation der EuGH-Rechtssache Schumacker)4. Unionsbürger und EWR-Staatsangehörige dürfen aber in Umsetzung besagter EuGH-Entscheidung gem. §§ 1 Abs. 3; 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG ausnahmsweise den Splittingtarif in Anspruch nehmen. Ein verfassungsrechtlicher Gleichbehandlungsanspruch von Drittstaatssachverhalten mit Unionssachverhalten besteht nicht, da die unionsrechtlichen Vorgaben Deutschland nicht unter Art. 3 Abs. 1 GG zuzurechnen sind und jedenfalls das Verfassungsrecht keine einseitige Erstreckung des Unionsrechts erfordert. Zur Vermeidung von Härten kommt jedoch ein Steuererlass gem. §§ 163, 227 AO in Betracht.5

6.278

§ 50 Abs. 3 EStG sieht zum Zwecke der Vermeidung der Doppelbesteuerung ausnahmsweise auch bei beschränkter Steuerpflicht die Anrechnung ausländischer Steuern auf die deutsche Einkommensteuer oder den Abzug ausländischer Steuern bei der Ermittlung der Einkünfte vor (§ 34c Abs. 1 bis 3 EStG). Das gilt auch in den Fällen, in denen ein DBA zur Anwendung kommt.6 Steueranrechnung und Steuerabzug (Rz. 18.49 ff., 18.118 ff.) kommen allerdings nur in Betracht bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit, für die im Inland ein Betrieb unterhalten wird, und zwar nur für jene aus dem Ausland stammenden Einkünfte, die im Quellenstaat beim beschränkt Steuerpflichtigen nicht nach den Maßstäben der unbeschränkten Steuerpflicht erfasst werden.7

6.279

Die Anrechnung durch Deutschland in der Rolle des Quellenstaates verwundert auf den ersten Blick, da die Vermeidung der Doppelbesteuerung allgemein als Aufgabe des Ansässigkeitsstaates aufgefasst wird (Rz. 17.12, 18.51). Die Anrechnung ist aber auch bei der beschränkten Steuerpflicht in bestimmten Fällen notwendig, da in den Bereich der Gewinneinkünfte auch Einkunftsquellen einbezogen werden, die nicht in Deutschland, sondern im Ausland belegen

6.280

1 Infolge der Gegenkorrekturen in § 32a Abs. 1 Sätze 3 u. 4 bzw. Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 u. 5 EStG; vgl. die Beispiele bei Loschelder in Schmidt41, § 50 EStG Rz. 11. 2 Nur insoweit als der Grundfreibetrag die Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG abzüglich der abziehbaren Aufwendungen nach § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG übersteigt; vgl. hierzu Gosch in Kirchhof/ Seer21, § 50 EStG Rz. 14. 3 BVerfG v. 11.12.1969 – 1 BvR 154/69, StRK, EStG, § 50 R. 21; BFH v. 5.2.1965 – VI 334/63 U, BStBl. II 1965, 352. 4 EuGH v. 14.2.1995 – C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31 – Finanzamt Köln-Altstadt/Schumacker. 5 BFH v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; v. 25.1.1989 – I R 205/82, BStBl. II 1990, 687. 6 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50 EStG Rz. 28. 7 Zu den einzelnen Voraussetzungen Reimer in Brandis/Heuermann, § 50 EStG Rz. 118.

Valta | 289

Kap. 6 Rz. 6.280 | Einkommensteuer

sind. Es kommt zu einem Dreieckssachverhalt mit mehreren Quellenstaaten. Gehören etwa Kapitalanteile an ausländischen Gesellschaften zum inländischen Betriebsvermögen eines in einem Drittland ansässigen Steuerausländers, so zählen diese Dividendeneinkünfte zu den Gewinneinkünften gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG. Damit kollidiert die beschränkte Steuerpflicht in Deutschland als Betriebsstättenstaat mit der beschränkten Steuerpflicht im Staat des Schuldners der Dividenden, dem Quellenstaat. Damit zeigt sich, dass die inlandsbezogenen Qualifikationsmerkmale des § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG kollisionsbegründend sind. Durch die Zuordnung zum inländischen Betriebsvermögen wird der Kreis der Inlandseinkünfte über die inländischen Quellen hinaus gezogen. Eine rechtspolitische Alternative wäre es, die inländischen Einkünfte auf inländische Einkunftsquellen zu beschränken und auf die Einbeziehung etwa von Zinsen und Dividenden aus ausländischen Quellen in die inländischen Betriebsstätteneinkünfte zu verzichten.1

3. Steuerabzug Literatur: Kommentare zu §§ 50 Abs. 2 und 50a EStG; Berkes, Die beschränkte Steuerpflicht der Arbeitnehmer im System des Einkommensteuergesetzes, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1991, 107 ff.; Cordewener, Europäische Vorgaben für die Verfahrensrechte von Steuerausländern – Formell-rechtliche Implikationen der „Fokus Bank“-Entscheidung des EFTA-Gerichtshofs, IStR 2006, 158; Cordewener, Das EuGH-Urteil „Gerritse“ und seine Umsetzung durch das BMF-Schreiben v. 3.11.2003 – Steine statt Brot für die Besteuerungspraxis!, IStR 2004, 109; Cordewener/Grams/Molenaar, Neues aus Luxemburg zur Abzugsbesteuerung nach § 50a EStG – Erste Erkenntnisse aus dem EuGH-Urteil vom 3.10.2006 (C-290/04, „FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH“), IStR 2006, 739; Delcker, Der Sicherstellungsbescheid nach § 50a Abs. 7 EStG bei beschränkt Steuerpflichtigen, RIW 1985, 472 ff.; Dörr, Inhalt und Wirkungen einer Steueranmeldung gemäß § 73e EStDV 1997 – Prüfungsmaßstab der Drittanfechtung durch den Vergütungsgläubiger, BB 2008, 599; Drüen, Inanspruchnahme Dritter für den Steuervollzug, DStJG 31 (2008), 167; Ehlig, Möglichkeiten des Rechtsschutzes im Rahmen des Steuerabzugs nach § 50a EStG bei inländischen Darbietungen ausländischer Künstler und Sportler, DStZ 2011, 647; Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, Heidelberg 1988; Felten, Abzugsteuerpflicht bei Werbeleistungen eines ausländischen Motorsport-Rennteams, EStB 2012, 448; Gosch, Vielerlei Gleichheiten – Das Steuerrecht im Spannungsfeld von bilateralen, supranationalen und verfassungsrechtlichen Anforderungen, DStR 2007, 1553; Gradl, Steuern und Sport – Besteuerungsfragen bei Profisportlern, IWB 2014, 489; Grams, Besteuerung von beschränkt steuerpflichtigen Künstlern, Herne/Berlin 1999; Haarmann/Fuhrmann, Konsequenzen aus der EU-Rechtswidrigkeit der abgeltenden Abzugsbesteuerung auf Bruttobasis für beschränkt Steuerpflichtige innerhalb der Europäischen Union, IStR 2003, 558; Hahn-Joecks, Zur Problematik der Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler, Baden-Baden 1999; Hartmann, Neuregelung des Steuerabzugs bei Honorarzahlungen an beschränkt steuerpflichtige Künstler durch das JStG 2009, DB 2009, 197; Hey, Steuern verwalten durch Banken, FR 1998, 497; Hidien, Mehrwertsteuerschuldnerschaft qualifizierter Leistungsempfänger für Eingangsleistungen gemäß § 13b UStG, RIW 2002, 208; Holthaus, Geänderter Steuerabzug nach § 50a EStG ab 2009 – Großmaß an Entlastung und Vereinfachung mit kleinen Tücken, DStZ 2008, 741; Holthaus, Besteuerung ausländischer Künstler in der aktuellen deutschen Finanzamtspraxis – Wie könnte man Steine statt Brot verdauen?, IStR 2008, 95; Holthaus, Beschränkte Steuerpflicht: Aktuelle Entwicklungen beim Steuerabzug für Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige nach § 50a EStG, ISR 2013, 256; Holthaus, Aktuelle Streitpunkte zur Bemessung des Steuerabzugs nach § 50a EStG, IWB 2013, 303; Jahn, JStG 2009 – Neuregelung des Steuerabzugs bei beschränkt Steuerpflichtigen nach § 50a EStG, PIStB 2008, 143; Kahle, StÄndG 2001 – Auswirkung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (§ 13b Abs. 2 UStG n.F.) auf den Steuerabzug nach § 50a EStG, DB 2002, 13; Kahle/ Schulz, Besteuerung von Inbound-Investitionen – Ermittlung der inländischen Einkünfte und Durch-

1 Zu den unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vgl. im Einzelnen Rz. 18.1 ff.

290 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.282 Kap. 6 führung der Besteuerung nach dem Jahressteuergesetz 2009, RIW 2009, 140; Lieven, Ausländische Werkvertragsunternehmen und der Steuerabzug nach § 50a VII EStG, IStR 1996, 153; Lüdicke, StÄndG 2001: Unbeabsichtigte Auswirkungen des „Reverse Charge“-Verfahrens nach § 13b UStG auf den Steuerabzug nach § 50a EStG, IStR 2002, 18; Lüdicke, Die mangelnde Abstimmung von Steuerabzug nach § 50a i.d.F. des JStG 2009 und beschränkter Steuerpflicht, IStR 2009, 2006; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, Herne/Berlin 1991, 216 ff.; Mody, Die deutsche Besteuerung international tätiger Künstler und Sportler, Baden-Baden 1994; Müller, Zweifelsfragen bei der Anordnung des Steuerabzugs gem. § 50a Abs. 7 EStG, DB 1984, 2221; Müller, Weiterentwicklung der Scorpio-Rechtsprechung – Abzugssteuern grundsätzlich unionsrechtskonform, IWB 2012, 843; Nacke, Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Künstler und Sportler, NWB 2011, 607; Petersen, Quellensteuer bei Überlassung von Standardsoftware, IStR 2013, 896; Rüping, Anpassung des Steuerrechts an Recht und Rechtsprechung der Europäischen Union durch Änderung der §§ 50, 50a EStG im Entwurf des Jahressteuergesetzes 2009, IStR 2008, 575; Schalast, Das Abzugsverfahren für Einkünfte beschränkt Steuerpflichtiger – Verhältnis von DBA und innerstaatlichem Verfahrensrecht, FR 1990, 212; Schauhoff, Endlich Rechtssicherheit bei der Besteuerung von Werbeverträgen mit beschränkt Steuerpflichtigen – Grundsatzurteil zum Quellensteuerabzug, IStR 2004, 706; Schauhoff/Cordewener/Schlotter, Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler in der EU, München 2008; Schaumburg, Diskriminierungsverbote von Staatsangehörigen, in FG Wassermeyer, München 2015; Schlotter, Konkurrenz von Steuerabzugstatbeständen in der beschränkten Steuerpflicht am Beispiel von Vergütungen für Fernsehübertragungsrecht an Sportveranstaltungen, FR 2010, 651; Schnitger, Das Ende der Bruttobesteuerung beschränkt Steuerpflichtiger, FR 2003, 745; Streck, Die Anordnung eines Steuerabzugs für beschränkt Steuerpflichtige nach § 50a Abs. 7 des EStG, BB 1984, 846; Trzaskalik, Die Steuererhebungspflichten Dritter, DStJG 12 (1989), 157; Unterbusch, Zur Frage der Rückwirkung des § 50a Abs. 7 EStG, DB 1985, 302 ff.; Wassermeyer, Stellungnahme zu dem vorstehenden Beitrag von Kramer über die Frage nach der Relevanz einer Betriebsstätte im Wohnsitzstaat für die Besteuerung im Quellenstaat, IStR 2004, 676.

a) Grundsätze Für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn, vom Kapitalertrag oder dem Steuerabzug gem. § 50a EStG unterliegen, greift gem. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG grundsätzlich die Abgeltungswirkung ein.1 Ein Abzug von Werbungskosten oder Betriebsausgaben kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht (Bruttobesteuerung). Mit Ausnahme insbesondere von Lizenzvergütungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG) können allerdings im Zusammenhang mit gem. § 50a Abs. 1 EStG steuerabzugspflichtigen Vergütungen unter bestimmten Voraussetzungen Werbungskosten und Betriebsausgaben bereits im Abzugsverfahren geltend gemacht werden (§ 50a Abs. 3 EStG, Rz. 6.295 ff.), so dass insoweit ein Steuerabzug auf Nettobasis erfolgt. Die Abgeltungswirkung und damit ein Steuerabzug auf Bruttobasis scheidet schließlich auch in den in § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG genannten Fällen aus (Rz. 6.283 ff.).

6.281

Die Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG führt in den Fällen zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten, in denen den inländischen Einnahmen Betriebsausgaben oder Werbungskosten in erheblichem Umfang gegenüberstehen, (Rz. 6.290) ohne dass die Möglichkeit eines Steuerabzugs auf Nettobasis oder einer Steuerveranlagung besteht.2 Betroffen sind hierdurch insbesondere die Vergütungen für die Nutzung oder für die Überlassung von Urheberrechten usw., die gem. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG einer Abzugsteuer von 15 % (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG) unterliegen. Im Gegensatz zu den ebenfalls

6.282

1 Ausnahmen: § 50 Abs. 2 Satz 2; § 50a Abs. 7 Satz 4 EStG. 2 Zu europarechtlichen Aspekten vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.8 f.

Valta | 291

Kap. 6 Rz. 6.282 | Einkommensteuer

abzugsteuerpflichtigen Einkünften aus der Ausübung oder Verwertung einer im Inland ausgeübten Tätigkeit als Künstler, Berufssportler usw. (§ 50a Abs. 1 Nr. 1 EStG) bleibt den vorbezeichneten Vergütungen ein Steuerabzug auf Nettobasis oder eine Einbeziehung in eine Steuerveranlagung und damit eine Berücksichtigung von Betriebsausgaben oder Werbungskosten versagt. Im Hinblick darauf ist ein Steuererlass (§§ 163, 227 AO) geboten.1 b) Ausnahmen vom Steuerabzug mit Abgeltungswirkung

6.283

§ 50 Abs. 2 Satz 2 EStG enthält folgende Ausnahmen vom Steuerabzug mit Abgeltungswirkung:

6.284

Fallen die Einnahmen im Rahmen eines inländischen Betriebes an, sind diese im Rahmen einer Veranlagung unter Berücksichtigung von Betriebsausgaben und Werbungskosten zu erfassen (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG). Das bedeutet, dass eine etwa einbehaltene Kapitalertragsteuer (§ 43 Abs. 4 EStG), Quellensteuer (§ 50a EStG) oder eine Steuer auf Bauleistungen (§§ 48 ff. EStG) zur Anrechnung zu bringen sind.2 Soweit es die Quellensteuer gem. § 50a EStG anbelangt, entfällt letztlich die Abgeltungswirkung auch in den Fällen der erweitert beschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 5 Satz 2 AStG, Rz. 6.357 ff.) sowie für Erträge aus inländischen SpezialInvestmentfonds (§ 15 Abs. 2 Satz 5 InvStG 2004; Rz. 12.59). Die Anknüpfung an einen inländischen Betrieb führt dazu, dass für alle einem Steuerabzug unterliegenden Betriebseinnahmen unabhängig davon, ob sie zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft oder selbständiger Arbeit gehören,3 die Abgeltungswirkung entfällt. Von der Reichweite des § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG werden Betriebe und Betriebsstätten (§ 12 AO)4 und bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch ständige Vertreter (§ 13 AO)5 erfasst.

6.285

Dass die zur Bruttobesteuerung führende Abgeltungswirkung in dem hier interessierenden Zusammenhang nur dann suspendiert wird, wenn die dem Steuerabzug unterliegenden Einkünfte im Rahmen eines inländischen Betriebs anfallen, ist mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und mit den europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten unvereinbar. Es ist jedenfalls kein rechtfertigender Grund erkennbar, die Abgeltungswirkung und damit die nachteilige Bruttobesteuerung in den übrigen Fällen, soweit nicht weitere Ausnahmen vorgesehen sind (Rz. 6.286 ff.), aufrecht zu erhalten. Die hiermit verbundenen Verwerfungen führen in der Praxis zu Gestaltungszwängen, insbesondere in den Fällen, in denen Lizenzvergütungen dem Steuerabzug gem. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliegen. Um hier etwa Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen als Betriebsausgaben im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht zum steuerlichen Abzug zu bringen, besteht für beschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger die Notwendigkeit, die Rechte z.B. in eine inländische Betriebsstätte einzubringen, um so der Abgeltungswirkung zu entgehen.

1 Vgl. BVerfG v. 5.9.1975 – 1 BvR 219/75, StRK, EStG § 42 R. 12; BFH v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; v. 25.1.1989 – I R 205/82, BStBl. II 1990, 687. 2 Rechtsgrundlagen: §§ 36 Abs. 2 Nr. 2, 48c, 50a Abs. 7 Satz 4 EStG. 3 Hierzu Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 220; Strunk in Korn, § 50 EStG Rz. 47; Loschelder in Schmidt41, § 50 EStG Rz. 28. 4 Art. 5 OECD-MA spielt keine Rolle. 5 Das ergibt sich aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; vgl. BFH v. 12.4.1978 – I R 136/77, BStBl. II 1978, 494; v. 23.10.1991 – I R 86/89, BStBl. II 1992, 185; Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 221; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50 EStG Rz. 19a; Strunk in Korn, § 50 EStG Rz. 41.

292 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.289 Kap. 6

Die Abgeltungswirkung entfällt ferner dann, wenn nachträglich festgestellt wird, dass die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 2, 3; § 1a EStG) nicht vorgelegen haben (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG). Diese Ausnahme betrifft insbesondere beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer, bei denen die Lohnsteuer zu Unrecht im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht gem. §§ 39b, 39c EStG etwa unter Berücksichtigung des Splitting-Tarifs einbehalten wurde. In diesen Fällen wird durch § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG die Möglichkeit eröffnet, nachträglich eine Veranlagung auf der Grundlage der beschränkten Steuerpflicht durchzuführen und dementsprechend die Lohnsteuer nachzufordern (§ 39 Abs. 7 Satz 4 EStG). § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG ist keine Korrekturvorschrift; die Rechtsfolgen sind allein auf die Beseitigung der Abgeltungswirkung gerichtet.1

6.286

Eine weitere Ausnahme von der Abgeltungswirkung ist beim Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht vorgesehen, um so entsprechend § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG sicherzustellen, dass die während der beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielten inländischen Einkünfte in einer Veranlagung zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht einbezogen werden können (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG).

6.287

Die Abgeltungswirkung wird schließlich auch in den Fällen beseitigt, in denen für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer für Werbungskosten oder Sonderausgaben als Lohnsteuerabzugsmerkmal ein Freibetrag nach § 39a Abs. 4 EStG gebildet worden ist (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. a EStG). Neben dieser Arbeitnehmerpflichtveranlagung wird auf Antrag nur für in einem EU-/EWR-Staat ansässige EU-/EWR-Staatsangehörige (§ 50 Abs. 2 Satz 7 EStG) ein Veranlagungsverfahren ohne weitere Voraussetzungen (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG) durchgeführt mit der Folge, dass die Abgeltungswirkung entfällt (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG).2 Eine Erstreckung des Veranlagungswahlrechts auf Drittstaatsfälle wäre rechtspolitisch sinnvoll, ist abkommens- und verfassungsrechtlich aber nicht zwingend. Im Sinne der abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbote liegen bei EU- und Nicht-EU-Sachverhalte nicht die „gleichen Verhältnisse“ vor und es wird auch keine Meistbegünstigung erfordert.3 Auch unter Art. 3 Abs. 1 GG ist eine Erstreckung von EU-Recht auf Drittstaaten nicht zwingend. Es besteht schon eine beschränkte Aufwandsberücksichtigung von Erwerbsaufwand im Abzugsverfahren,4 eine weitergehende Berücksichtigung hinge von dem Maße der im Drittstaat möglichen Amts- und Beitreibungshilfe ab und der Abstimmung mit der Aufwandsberücksichtigung im Ansässigkeitsstaat.5

6.288

Über die vorgenannten Fälle hinaus wird schließlich ganz allgemein für bestimmte gem. § 50a Abs. 1 EStG steuerabzugspflichtige Einkünfte auf Antrag eine Veranlagung durch das Bundeszentralamt für Steuern durchgeführt (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5, Abs. 2 Satz 8 EStG) mit der Folge, dass insoweit die Abgeltungswirkung ebenfalls suspendiert wird. Die Reichweite ist allerdings in zweifacher Hinsicht begrenzt: Von der Antragsveranlagung sind in persönlicher Hinsicht

6.289

1 Loschelder in Schmidt41, § 50 EStG Rz. 32; durch die Bezugnahme auf § 39 Abs. 7 EStG (Rechtsgrundverweisung) ist auch eine Lohnsteuernachforderung möglich; vgl. BFH v. 23.9.2008 – I R 65/07, BStBl. II 2009, 666. 2 Wegen der Beschränkung auf EU-/EWR-Staatsangehörige ist ein Verstoß gegen die abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbote (Art. 24 OECD-MA) gegeben; vgl. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50 EStG Rz. 24; Gosch, DStR 2007, 1553 (1560); Schaumburg in FG Wassermeyer, 121 (126); einen Verstoß gegen Art. 24 OECD-MA dagegen verneinend Rust in V/L7, Art. 24 OECD-MA Rz. 54. 3 BFH v. 3.9.2020 – I R 80/16, BStBl II 2021, 237 = ISR 2021,132. 4 BFH v. 3.9.2020 – I R 80/16, BStBl II 2021, 237 = ISR 2021, 132. 5 FG Baden-Württemberg v. 7.6.2016 – 6 K 1213/14, EFG 2016, 1980.

Valta | 293

Kap. 6 Rz. 6.289 | Einkommensteuer

von vorneherein alle Drittstaatsangehörige und solche EU-/EWR-Staatsbürger ausgeschlossen, die im EU-/EWR-Gebiet weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 50 Abs. 2 Satz 7 EStG) und in sachlicher Hinsicht z.B. Lizenzvergütungen, soweit diese unter § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG fallen.

6.290

Aus welchen Gründen beschränkt Steuerpflichtige für dem Steuerabzug gem. § 50a EStG unterliegende Lizenzvergütungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG) keine Veranlagung zur Einkommensteuer beantragen können, erschließt sich nicht. Für die vorgenannten Einkünfte eröffnet sich aber auch nicht die Möglichkeit eines Steuerabzugs auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 Satz 1 EStG) mit der Folge, dass eine Bruttobesteuerung nur dann vermieden werden kann, wenn die Lizenzvergütungen im Rahmen eines inländischen Betriebs vereinnahmt werden (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG). Diese Diskriminierung von beschränkt steuerpflichtigen Gläubigern von Lizenzvergütungen ist mit Art. 3 Abs. 1 GG ebenso unvereinbar wie mit den europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten.1 c) Steuerabzug auf Bruttobasis

6.291

Im Hinblick darauf, dass der Steuerabzug grundsätzlich auf Bruttobasis erfolgt,2 bewirkt die sich aus § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG ergebende Abgeltungswirkung eine definitive Bruttobesteuerung, soweit nicht die Ausnahmen gem. § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG gegeben sind (Rz. 6.283 ff.) oder aber ein Steuerabzug auf Nettobasis eingreift (Rz. 6.295 ff.). Ein Steuerabzug auf Bruttobasis ist im Ergebnis allerdings zwingend für alle Lizenzvergütungen unabhängig davon, wo der beschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger ansässig ist (§ 50a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 EStG), für sämtliche dem Steuerabzug gem. § 50a EStG unterliegende Vergütungen an Drittstaatenangehörige (§ 50a Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 EStG) sowie entsprechende Vergütungen an EU-/EWRStaatsangehörige, die in Drittstaaten ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 50a Abs. 3 Satz 2, Alt. 2 EStG). Werden die vorstehenden Vergütungen nicht im Rahmen eines inländischen Betriebs vereinnahmt (§ 50 Abs. 2 Satz 2 EStG) ist die Bruttobesteuerung infolge der Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG) definitiv.

6.292

Soweit in sachlicher Hinsicht Lizenzvergütungen und in persönlicher Hinsicht Drittstaatenangehörige und in Drittstaaten ansässige EU-/EWR-Staatsangehörige in den durch die Bruttobesteuerung gezogenen Diskriminierungsrahmen fallen, ist ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gegeben. Die hierfür maßgebliche Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit erlaubt eine derartige Diskriminierung nicht. Jedenfalls ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen eine höhere Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Personen nur deshalb geboten sein sollte, weil sie Drittstaatenangehörige oder als EU-/EWR-Staatsbürger in Drittstaaten ansässig sind. Die Diskriminierung des vorgenannten Personenkreises ist nicht nur mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip unvereinbar, sondern entspricht darüber hinaus auch nicht der dem Einkommensteuergesetz zugrunde liegenden Konzeption, wonach die Besteuerung unabhängig von der Staatsangehörigkeit erfolgt (Rz. 6.9 ff.).

6.293

Der Steuerabzug auf Bruttobasis erfährt allerdings insoweit eine Modifikation, als vom Vergütungsschuldner ersetzte oder übernommene Reisekosten unter bestimmten Voraussetzungen nicht zu den dem Steuerabzug unterliegenden Einnahmen gehören (§ 50a Abs. 2 Satz 2 EStG). Voraussetzung ist, dass die Fahrt- und Übernachtungsauslagen die tatsächlichen Kosten und die Vergütung für die Verpflegungsmehraufwendungen die Pauschbeträge gem. § 4 1 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.8ff. 2 §§ 39b Abs. 2; § 43a Abs. 2 Satz 1; § 50a Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG.

294 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.295 Kap. 6

Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG nicht übersteigen.1 Demgegenüber gehört zu den maßgeblichen Einnahmen auch die Umsatzsteuer,2 es sei denn, sie wird im Rahmen des sog. Reverse-ChargeVerfahrens (§ 13b UStG) vom Vergütungsschuldner als inländischem Leistungsempfänger getragen.3 Der Steuerabzug beträgt in den Fällen des § 50a Abs. 1 Nr. 1–3 EStG grundsätzlich 15 % und im Übrigen für Aufsichtsratvergütungen 30 % der Einnahmen (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG). Bei den Einnahmen aus Darbietungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 1 EStG) greift eine Bagatellgrenze ein, wonach vom Steuerabzug abgesehen wird, wenn die Einnahmen je Darbietung Euro 250 nicht übersteigen (§ 50a Abs. 2 Satz 3 EStG). Das gilt auch dann, wenn mehrere Darbietungen von ein und demselben Veranstalter organisiert werden.4

6.294

d) Steuerabzug auf Nettobasis Für beschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger, die EU-/EWR-Staatsbürger sind und in einem EU-/EWR-Staat auch ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, eröffnet sich die Möglichkeit eines Steuerabzugs auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG).5 Dieser Steuerabzug auf Nettobasis ist indessen für Lizenzvergütungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG) ausgeschlossen.6 Der Steuerabzug auf Nettobasis führt dazu, dass der Vergütungsschuldner den Steuerabzug unter Berücksichtigung nachgewiesener Werbungskosten oder Betriebsausgaben vornimmt. Voraussetzung ist, dass die Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Einnahmen stehen.7 Angesprochen sind damit etwa bei künstlerischen Darbietungen insbesondere Reise-, Transport- und Unterkunftskosten sowie Aufwendungen etwa für Ton- und Lichtanlagen und Bühne, nicht aber allgemeine Personal- und Verwaltungskosten.8 Ein bloßer Veranlassungszusammenhang reicht somit nicht aus.9 Darüber hinaus müssen die Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben dem Vergütungsschuldner von einem beschränkt Steuerpflichtigen in einer für das Bundeszentralamt für Steuern nachprüfbaren Form nachgewiesen werden.10 Ein Nachweis ist allerdings entbehrlich, wenn die in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben oder Werbungskosten vom Vergütungsschuldner übernommen worden sind (§ 50a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 EStG).11 In diesem Fall ist lediglich die Staatsangehörigkeit des Gläubigers zu dokumen1 Zu Einzelheiten Holthaus DStZ 2008, 741 (744). 2 BFH v. 24.4.2007 – I R 39/04, BStBl. II 2008, 95; v. 5.5.2010 – I R 104/08, BFH/NV 2010, 1814; v. 5.5.2010 – I R 105/08, BFH/NV 2010, 2043. 3 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/1000 – DOK 2010/08615492, BStBl. I 2010, 1350, Tz. 45; Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 17; Lüdicke, IStR 2002, 18 ff.; kritisch hierzu Hidien, RIW 2002, 208 ff.; Kahle, DB 2002, 13 ff. 4 Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 18; BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/1000 – DOK 2010/08615492, BStBl. I 2010, 1350, Tz. 55. 5 Zurückzuführen auf das Urteil des EuGH v. 15.2.2007 – C-345/04, ECLI:EU:C:2007:96 = Slg. 2007, I-1442 – Centro Equestre. 6 Zu dieser nicht einsichtigen Differenzierung Rz. 6.290. 7 BFH v. 27.7.2011 – I R 32/10, BStBl. II 2014, 513 Rz. 17; v. 27.7.2011 – I R 56/10, BFH/NV 2012, 181 Rz. 11; BMF v. 17.6.2014, BStBl. I 2014, 887; Reimer in Brandis/Heuermann, § 50a EStG Rz. 71. 8 Hierzu Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 23; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50a EStG Rz. 23; Cordewener/Grams/Molenaar, IStR 2006, 739 (741); Hartmann DB 2009, 197 (199). 9 Vgl. BFH v. 24.4.2007 – I R 93/03, BStBl. II 2008, 132. 10 Zu Einzelheiten § 73d EStDV. 11 § 73d Abs. 1 Satz 3 EStDV; vgl. Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 24.

Valta | 295

6.295

Kap. 6 Rz. 6.295 | Einkommensteuer

tieren.1 Liegen die vorgenannten Voraussetzungen nicht vor, kann der Vergütungsschuldner bei einem zu geringen Steuerabzug als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden (§ 50a Abs. 5 Satz 4 EStG, § 73g EStDV).

6.296

Mit dem Steuerabzug auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 Satz 1 EStG) wird dem Vergütungsschuldner ein erheblicher Prüfungs- und Verwaltungsaufwand auferlegt. Er hat nicht nur die Staatsangehörigkeit und Ansässigkeit des Vergütungsgläubigers festzustellen und zu überprüfen, sondern auch die Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben insbesondere hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Zusammenhangs mit den Vergütungen. So gesehen ist der Vergütungsschuldner zwangsverpflichteter Gehilfe des Staates, der insoweit als Steuereinnehmer für diesen mit der Folge der möglichen Inanspruchnahme als Haftender tätig ist.2 Diese weit reichende Indienstnahme mit dem damit verbundenen Haftungsrisiko, die sowohl verfassungsrechtlich3 als auch europarechtlich4 problematisch ist, wird dadurch abgemildert, dass die Vergütungsgläubiger unter bestimmten Voraussetzungen unabhängig vom Steuerabzug auf Nettobasis einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer stellen können (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG, Rz. 6.289 f.) und darüber hinaus ohnehin vom Vergütungsschuldner ersetzte oder übernommene Reisekosten von den dem Steuerabzug unterliegenden Einnahmen in Abzug gebracht werden können (§ 50a Abs. 2 Satz 2 EStG, Rz. 6.293).

6.297

Im Hinblick auf den Steuerabzug auf Nettobasis beträgt der Steuerabzug 30 %, wenn der Gläubiger der Vergütung eine natürliche Person ist und 15 %, wenn es sich insoweit um eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse handelt (§ 50a Abs. 3 Satz 4 EStG). Dieser im Vergleich zum Steuerabzug auf Bruttobasis höhere Steuersatz rechtfertigt sich vor dem Hintergrund, dass beim Steuerabzug auf Bruttobasis bereits ein pauschaler Betriebsausgabenabzug in Form des verminderten Steuersatzes von 15 % Berücksichtigung findet, so dass eine doppelte Berücksichtigung von Werbungskosten oder Betriebsausgaben vermieden wird.5

6.298

Eine Besonderheit enthält § 50a Abs. 4 EStG für den Fall des mehrstufigen Steuerabzugs. Danach soll ein sog. Kaskadeneffekt vermieden werden, der dadurch eintreten kann, dass auf jeder Vergütungsstufe erneut ein Steuerabzug vorzunehmen ist. Im Hinblick darauf kann ein Vergütungsgläubiger, der seinerseits Vergütungsschuldner ist, von einem nochmaligen Einbehalt und der Anmeldung des Steuerabzugs absehen, wenn auf seine Vergütungen bereits ein Steuerabzug nach § 50a Abs. 2 EStG vorgenommen wurde. Das gilt freilich dann nicht, wenn für die Einnahmen auf der vorangegangenen Stufe vom Vergütungsschuldner im Nachgang eine vollständige oder teilweise Erstattung auf Grund Abkommensrechts beantragt wird (§ 50d Abs. 1 EStG), eine Veranlagung nach § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG oder ein Steuerabzug auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG) erfolgt.6 Im Ergebnis wird damit sichergestellt, dass ein Kaska-

1 Hierzu Maßbaum in H/H/R, § 50a EStG Rz. 108. 2 Zur Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme des Unternehmers zur Erhebung von Steuern: BVerfG v. 16.3.1971 – 2 BvL 17/69, BVerfGE 30, 392; v. 29.11.1967 – 1 BvR 175/66, BVerfGE 22, 380; Hey, FR 1998, 497 ff.; Trzaskalik, DStJG 12 (1989), 157 (163); Drüen, DStJG 31 (2008), 167 (180 ff.). 3 Hierzu die Nachweise in der vorstehenden Fußnote. 4 Nach EuGH v. 3.10.2006 – C-290/04, ECLI:EU:C:2006:630 = BStBl. II 2007, 352 – Scorpio, ist die Mitteilung von Werbungskosten und Betriebsausgaben ausreichend; hierzu Holthaus, IStR 2008, 95 (97); Hartmann, DB 2009, 197 (200). 5 Hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50a EStG Rz. 26; Kahle/Schulz, RIW 2009, 140 (146); zu europarechtlichen Bedenken Holthaus, IWB 2011, 369 (372). 6 Zu weiteren Einzelheiten Jahn, PIStB 2008, 143 (146); Holthaus, DStR 2008, 741 (745).

296 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.301 Kap. 6

deneffekt nur dann vermieden wird, wenn der Steuerabzug auf der vorangegangenen Stufe auf Bruttobasis erfolgt ist.1 e) Steuerabzug auf Anordnung § 50a Abs. 7 EStG gestattet es dem Finanzamt in weiteren Fällen, zur Sicherstellung des Steueranspruchs einen Steuerabzug zu verlangen.2 Voraussetzung ist, dass der Steuerabzug unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung des Steueranspruchs zweckmäßig ist. Das ist von vornherein nicht der Fall, wenn abkommensrechtlich überhaupt kein deutsches Besteuerungsrecht besteht.3 Die als Verwaltungsakt4 zu qualifizierende Abzugsanordnung, die im pflichtgemäßen Ermessen des für den Vergütungsgläubiger zuständigen Finanzamtes (§§ 19 Abs. 2; 20 Abs. 2 AO) steht, darf sich nur auf Einnahmen beziehen, die durch das konkrete Rechtsverhältnis zwischen Vergütungsgläubiger und -schuldner veranlasst sind, so dass ein Steuerabzug für anderweitige Einnahmen außer Betracht bleibt.5 Der Steuerabzug beträgt 25 %, bei Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen 15 %.6 Es kann indessen ein unter 25 % liegender Satz angeordnet werden, wenn aus Sicht des Finanzamtes erkennbar ist,7 dass die geschuldete Einkommensteuer letztlich niedriger ist (§ 50a Abs. 7 Satz 2 EStG).

6.299

Steuerschuldner ist der beschränkt Steuerpflichtige als Vergütungsgläubiger. Der Schuldner der Vergütungen kann allerdings als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden. Insoweit entspricht die Rechtslage derjenigen beim Lohnsteuer- und Kapitalertragsteuerabzug. Dementsprechend entsteht die Abzugsteuer, abweichend von § 38 AO, im Zeitpunkt des Zufließens, grundsätzlich also bei Auszahlung der Vergütungen (§ 50a Abs. 7 Satz 3 EStG; § 73c EStDV). Zu diesem Zeitpunkt ist auch der Steuerabzug vorzunehmen (§ 73e EStDV).8

6.300

f) Abzugsverfahren Der Steuerabzug ist in allen Fällen zu dem Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem die betreffenden Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn, vom Kapitalertrag oder von den Vergütungen gem. § 50a Abs. 1 EStG unterliegen, zufließen (§§ 38 Abs. 2 Satz 2, 44 Abs. 1 Satz 2, 50a Abs. 5 Satz 1, 50a Abs. 7 Satz 3 EStG). Für Vergütungen i.S.d. § 50a Abs. 1 EStG wird dies durch § 73c EStDV für die Fälle der Zahlung, Verrechnung und Gutschrift konkretisiert. Bestehen aus der Sicht des Vergütungsschuldners Zweifel, ob der Vergütungsgläubiger beschränkt steuerpflichtig ist, muss der Steuerabzug dennoch vorgenommen werden, es sei denn der Gläubiger weist durch eine Bescheinigung des für ihn zuständigen Finanzamtes nach, dass er unbeschränkt steuerpflichtig ist (§ 73e Satz 6 EStDV). Soweit in Abkommensfällen die Abzugsteuer

1 Vgl. Reimer in Brandis/Heuermann, § 50a EStG Rz. 109; Rüping, IStR 2008, 575 (578); Kahle/ Schulz, RIW 2009, 140 (145). 2 Zu Einzelheiten Maßbaum in H/H/R, § 50a EStG Rz. 180 ff.; Streck, BB 1984, 846 ff.; Müller, DB 1984, 2221 ff.; Unterbusch, DB 1985, 302 ff.; Delcker, RIW 1985, 472 ff.; Lieven, IStR 1996, 153 ff. 3 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50a EStG Rz. 41; Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 43; Maßbaum in H/H/R, § 50a EStG Rz. 198; Reimer in Brandis/Heuermann, § 50a EStG Rz. 143. 4 Vom Abzugsverpflichteten und vom Steuerschuldner mit dem Einspruch anfechtbar; BFH v. 24.3.1999 – I B 113/98, BFH/NV 1999, 1314; Reimer in Brandis/Heuermann, § 50a EStG Rz. 153 f. 5 Reimer in Brandis/Heuermann, § 50a EStG Rz. 142a; Streck, BB 1984, 846 (846); a.A. Müller, DB 1984, 2221 (2221). 6 Keine Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 7 Satz 4 EStG). 7 Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung. 8 Ausnahmen gelten für die Gema und ähnliche Rechtsträger gem. § 73f EStDV.

Valta | 297

6.301

Kap. 6 Rz. 6.301 | Einkommensteuer

entfällt oder der Höhe nach reduziert ist, darf der Steuerabzug nur dann unterbleiben oder nach einem geringeren Steuersatz vorgenommen werden, wenn eine diesbezügliche Bescheinigung des Bundeszentralamtes für Steuern vorliegt (§ 50d Abs. 2 EStG).

6.302

Die Anmeldung der Abzugsteuer auf Vergütungen (§ 50a Abs. 1 EStG) ist bis zum 10. des Monats, der dem Kalendervierteljahr folgt, in dem die Vergütung ausgezahlt wurde, ggü. dem Bundeszentralamt für Steuern vorzunehmen (§ 73e Satz 2 EStDV). Innerhalb dieser Frist muss auch die Abzugsteuer an das Bundeszentralamt für Steuern abgeführt werden (§ 50a Abs. 5 Satz 3 EStG, § 73e Satz 1 EStDV). Wenn der Vergütungsschuldner die Abzugsteuer nicht oder nicht vollständig einbehält und abführt, haftet er, und zwar sowohl in den Fällen des Steuerabzugs auf Bruttobasis (§ 50a Abs. 2 EStG) als auch beim Steuerabzug auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG). Die Inanspruchnahme als Haftender (§ 50a Abs. 5 Satz 4 EStG), die unionsrechtlich unbedenklich ist,1 erfolgt im Grundsatz durch Haftungsbescheid (§ 73g EStDV). Die Inanspruchnahme des Vergütungsschuldners kann auf Grundlage des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO allerdings auch durch einen Nacherhebungsbescheid2 oder bei schriftlichem Anerkenntnis oder bei erfolgter Anmeldung auch ohne Bescheid (§ 73g Abs. 2 EStDV, § 167 Abs. 1 Satz 3 AO) erfolgen.3 Hierbei sind keine besonderen Ermessenserwägungen anzustellen.4 Hat allerdings der Vergütungsschuldner die Abzugsteuer nicht oder nicht vollständig einbehalten und abgeführt, kann auch der beschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger durch Nachforderungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 50a Abs. 5 Satz 5 EStG; § 73g Abs. 1 Alt. 2 EStDV). Ob der Vergütungsschuldner oder der Vergütungsgläubiger in Anspruch genommen wird, liegt im Ermessen des Bundeszentralamts für Steuern, wobei freilich die Inanspruchnahme des Vergütungsgläubigers durch Nachforderungsbescheid ermessensfehlerhaft ist, wenn die Abzugsteuer seitens des Vergütungsschuldners zwar einbehalten, aber nicht an das Bundeszentralamt für Steuern abgeführt wurde.5

6.303

Im Hinblick darauf, dass die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 AO), kann diese durch Einspruch und Klage angefochten werden, und zwar entweder durch den Vergütungsschuldner, wenn dieser das Bestehen seiner Steuerentrichtungsschuld überprüfen lassen will6 oder durch den beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubiger, um die Abzugsverpflichtung des Vergütungsschuldners überprüfen zu lassen.7 Unter den gleichen Voraussetzungen kann auch die Aussetzung der Vollziehung beantragt werden.8 Gegen den Haftungsbescheid kann ebenfalls neben dem als Haftungsschuldner in Anspruch genommenen Vergütungsschuldner der Vergütungsgläubiger mit Einspruch und Klage vorgehen.9 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BFH v. 22.8.2007 – I R 46/02, BStBl. II 2008, 190. Wahlrecht; vgl. BFH v. 19.12.2012 – I R 81/11, BFH/NV 2013, 698. Hierzu Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 35. BFH v. 19.12.2012 – I R 81/11, BFH/NV 2013, 698; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50a EStG Rz. 45; Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 35; Reimer in Brandis/Heuermann, § 50a EStG Rz. 131; a.A. Drüen, DB 2005, 299 (305 ff.). Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 38. BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50a EStG Rz. 39; Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 40; Schauhoff, IStR 2004, 706 (708 f.); Wassermeyer, IStR 2004, 709. BFH v. 7.11.2007 – I R 19/04, BStBl. II 2008, 228; v. 13.8.1997 – I B 30/97, BStBl. II 1997, 700; Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 40; Dörr, BB 2008, 599; zur Kritik Cordewener IStR 2006, 158 (161 f.). Vgl. hierzu BFH v. 13.8.1997 – I B 30/97, BStBl. II 1997, 700. BFH v. 24.4.2007 – I R 39/04, BStBl. II 2008, 95; Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 40.

298 | Valta

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.305 Kap. 6

g) Erstattungsverfahren Der Steuerabzug ist im Grundsatz unabhängig davon durchzuführen, ob sich nach Maßgabe des nationalen Rechts oder nach Abkommensrecht ein niedrigerer Steuersatz oder gar eine Steuerfreistellung ergibt. Diese in § 50c Abs. 1 Satz 1 EStG1 verankerte und im Ausgangspunkt unbedingt wirkende Abzugsverpflichtung dient der jedenfalls vorläufigen Sicherung des Steueraufkommens2 und als Hebel, um den Gläubiger der Kapitalerträge oder Vergütung zum Nachweis seiner Entlastungsberechtigung in einem Erstattungs- oder Freistellungsverfahren zwingen zu können. Die Vereinbarkeit mit dem Abkommensrecht ergibt sich teils aus den Abkommen selbst, teils aus der Staatenpraxis, welche solche Regelungen akzeptiert.3 Eine Kombination aus Einbehaltung und Erstattung hat auch der EUGH im Hinblick auf die Entlastungspflichten aus EU-Richtlinien (Mutter-Tochter-Richtlinie, Zins-Lizenzgebühren-RL) akzeptiert.4 Zumindest mit Blick auf die EU mit ihrem weitreichenden Informationsaustausch und der Beitreibungshilfe ist aber durchaus fraglich, ob nicht eine reine Anzeige- statt einer Abzugspflicht ein für die Steueraufsicht genauso wirksames, aber für Vergütungsschuldner wie -gläubiger doch weniger belastendes Mittel wäre.

6.304

Von der Einbehaltungspflicht ist im Wesentlichen die Kapitalertragsteuer (§§ 43 ff. EStG) für Dividenden und die Quellensteuer gem. § 50a EStG auf Lizenzvergütungen betroffen. In diesen Fällen ist der Gläubiger der Kapitalerträge oder der Vergütungen darauf angewiesen, entsprechende ggf. der Verzinsung unterliegende Erstattungsansprüche5 ggü. dem Bundeszentralamt für Steuern zu stellen (§ 50c Abs. 3 EStG). Die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Abzugsteuer erfolgt nur auf Antrag des Vergütungsgläubigers (§ 50c Abs. 3 Satz 1, 2 EStG) und setzt eine Steuerentlastung gem. §§ 43b, 50g EStG oder nach Abkommensrecht voraus, wobei die Ansässigkeit des Vergütungsgläubigers im Ausland durch eine Bestätigung der dort zuständigen Steuerbehörde nachzuweisen ist (§ 50c Abs. 5 Satz 2 EStG).6 Die Erstattung erfolgt schließlich nur unter den Voraussetzungen des § 50j EStG, so dass vom Gläubiger der Kapitalerträge u.a. nachzuweisen ist, dass er während der Mindestbehaltensdauer von 45 Tagen vor und nach der Fälligkeit der Kapitalerträge ununterbrochen unwiderruflicher Eigentümer der zugrunde liegenden Anteile oder Genussscheine war. Die Frist für den Antrag auf Erstattung beträgt vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Kapitalerträge bzw. Vergütungen bezogen wurden (§ 50c Abs. 3 Satz 2 1. Halbs. EStG), sie endet aber nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer (§ 50c Abs. 3 Satz 2 2. Halbs. EStG).7 Wurde die Abzugsteuer ohne Rechtsgrund einbehalten und abgeführt, hat der beschränkt steuerpflichtige Gläubiger gem. § 37 Abs. 2 AO einen gegen das Bundeszentralamt für Steuern gerichteten Erstattungsanspruch.8 Dieser Erstattungsanspruch, der ausgenommen in den Fäl-

1 I.d.F. nach dem AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 259. Zuvor befand sich die Regelung in § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG. 2 Vgl. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 1. 3 Näher Lohbeck in V/L7, Vor Art. 10-12 OECD-MA Rz. 58 ff. 4 EuGH v. 18.10.2012 – C-498/10, ECLI:EU:C:2012:635 = IStR 2013, 26 – X NV. 5 § 50c Abs. 4 EStG in Fällen von § 50g EStG. 6 Bei ausländischen Kapitalgesellschaften als Erstattungsberechtigte sind vor allem die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG zu erfüllen; hierzu Rz. 19.160 ff. 7 Zu dieser Ablaufhemmung Klein/Hagena in H/H/R, § 50d EStG Rz. 23; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50c EStG Rz. 29. 8 Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 41.

Valta | 299

6.305

Kap. 6 Rz. 6.305 | Einkommensteuer

len von § 50g EStG (§ 50c Abs. 4 EStG) keiner Verzinsung nach § 233 AO unterliegt,1 besteht auch in den Fällen, in denen die Steueranmeldung nicht angefochten wurde.2 h) Freistellungs- und Verschonungsverfahren

6.306

Ein Steuerabzug kann ausnahmsweise in den Fällen des Freistellungsverfahrens ganz oder teilweise unterbleiben (§ 50c Abs. 2EStG). Das Freistellungsverfahren gilt vor allem für Vergütungen gem. § 50a Abs. 1 EStG (Rz. 6.281) für Dividenden gem. §§ 43b EStG oder außerhalb der EU in Abkommensfällen (§ 50c Abs. 2 Satz 1 Nr. 1EStG), sowie für Zinsen3 und Lizenzgebühren gem. § 50g EStG, die von einem inländischen Unternehmen etwa an ein verbundenes EU-Unternehmen gezahlt werden.

6.307

Die Freistellung erfolgt nur auf Antrag des Vergütungsgläubigers beim Bundeszentralamt für Steuern (§ 50c Abs. 2 Satz 1 EStG). Voraussetzung hierfür ist die Vorlage einer Ansässigkeitsbestätigung der betreffenden Steuerbehörde des ausländischen Ansässigkeitsstaates (§ 50d Abs. 4 EStG). Wird die Freistellungsbescheinigung erteilt, so beinhaltet sie, je nach Rechtsgrund der Zahlung an den Vergütungsgläubiger, entweder eine Einmalfreistellung oder eine Dauerfreistellung, wobei diese mindestens ein Jahr und längstens drei Jahre Gültigkeit hat (§ 50d Abs. 2 Satz 4 EStG). Die Geltungsdauer beginnt allerdings frühestens an dem Tag, an dem der Antrag beim Bundeszentralamt für Steuern eingeht (§ 50c Abs. 2 Satz 4 EStG), so dass eine Freistellung für bereits vorher erhaltene Kapitalerträge bzw. Vergütungen ausgeschlossen ist. Die Freistellung, die unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt und von Auflagen oder Bedingungen abhängig gemacht werden kann (§ 50c Abs. 2 Satz 4 2. Halbs. EStG), ist ein begünstigender Verwaltungsakt, der gem. §§ 130, 131 AO geändert werden kann und bei dessen Ablehnung der Einspruch (§ 347 Abs. 1 Nr. 1 AO) und sodann Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) gegeben ist.4 Vorläufiger Rechtsschutz wird über die einstweilige Anordnung gewährt (§ 114 FGO).5

6.308

Wird dagegen eine Freistellungsbescheinigung aufgehoben oder geändert, ist nach dem Einspruch Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) und als vorläufiger Rechtsschutz die Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) gegeben.6 Da der Vergütungsschuldner wegen möglicher Haftungsschuld durch die Verweigerung der Freistellungsbescheinigung in seinen Rechten verletzt sein kann, ist er neben dem Vergütungsgläubiger rechtsbehelfsbefugt.7

6.309

In Fällen geringer steuerlicher Bedeutung kann im Rahmen des Verschonungsverfahrens vom Steuerabzug Abstand genommen werden (§ 50c Abs. 2 Nr. 2 EStG). Angesprochen hierdurch sind jährliche Gesamtzahlungen eines Schuldners bis zu Euro 5 000,8 allerdings nur soweit es sich um Vergütungen gem. § 50a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG (Lizenzgebühren) handelt (§ 50d 1 BFH v. 18.9.2007 – I R 15/05, BStBl. II 2008, 332. 2 Die Steueranmeldung ist keine Steuerfestsetzung gegen den Vergütungsgläubiger; vgl. BFH v. 7.11.2007 – I R 19/04, BStBl. II 2008, 228; Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 41. 3 Zinsen für grundpfandrechtlich geschuldete Forderungen gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c, Doppelbuchst. aa EStG. 4 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50c EStG Rz. 20. 5 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50c EStG Rz. 20. 6 BFH v. 13.4.1994 – I B 212/93, BStBl. II 1994, 835; v. 13.8.1997 – I B 30/97, BStBl. II 1997, 700; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50c EStG Rz. 20. 7 BFH v. 4.3.2009 – I R 6/07, BFH/NV 2009, 1195; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50c EStG Rz. 20; Loschelder in Schmidt41, § 50d EStG Rz. 21. 8 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50c EStG Rz. 21.

300 | Valta

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.311 Kap. 6

Abs. 5 Satz 1 EStG). Im Unterschied zum vorherigen Kontrollmeldeverfahren nach § 50d Abs. 5 EStG a.F. ist weder ein vorheriger Verschonungsantrag noch eine Zustimmung des BZSt notwendig, es muss jedoch für Kontrollzwecke wie auch bei der Freistellung eine Steueranmeldung vorgenommen werden (§ 50c Abs. 2 Satz 2 EStG).

4. Steuererlass/Pauschbesteuerung Literatur: Kommentare zu § 50 Abs. 4 EStG; Anzinger, Steuerbefreiung der FIFA anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland durch Ministererlass, FR 2006, 857; Balzerkiewicz/Voigt, Kriterien eines Steuererlasses nach § 50 Abs. 7 EStG bei Sportereignissen unter Berücksichtigung der Gleichbehandlung verschiedener Sportarten, BB 2005, 302; Holthaus, Befreiung von der Abzugssteuer nach § 50a EStG bei öffentlich geförderten ausländischen Kulturvereinigungen – Praxisprobleme und aktuelle Weisungslage, IStR 2003, 120; Siefert, Die Besteuerung bei der Entsendung von Arbeitskräften in das Ausland, Frankfurt 1985.

Gemäß § 50 Abs. 4 EStG kann die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen ganz oder zum Teil erlassen oder in einem Pauschbetrag festgesetzt werden, wenn dies im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Ein derartiges öffentliches Interesse besteht insbesondere an ausländischen Veranstaltungen international bedeutsamer kultureller und sportlicher Ereignisse, um deren Ausrichtung ein internationaler Wettbewerb stattfindet, oder an inländischen Auftritten ausländischer Kulturvereinigungen, wenn ihr Auftritt wesentlich aus öffentlichen Mitteln gefördert wird (§ 50 Abs. 4 Nr. 1 u. 2 EStG).1 Über die entsprechenden Billigkeitsmaßnahmen hat die Finanzverwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 5 AO),2 wobei die Zustimmung des Bundesfinanzministeriums erforderlich ist.

6.310

Im Hinblick darauf, dass § 50 Abs. 4 EStG keine abschließende Regelung enthält, handelt es sich im Ergebnis um eine Generalklausel, die aber dennoch als hinreichend bestimmt und begrenzt angesehen werden kann.3 Auf § 50 Abs. 4 EStG beruht u.a. die Steuerfreistellung für Einkünfte aus der Verwertung nichtselbständiger Arbeit im Inland4 sowie für solche im Zusammenhang mit inländischen Sportereignissen.5

6.311

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht Literatur: Kommentare zu § 2 AStG; Ackert/Riedel/Riedl/Trost, Der Wegzug einer natürlichen Person nach Gibraltar, ISR 2014, 73; Angermann/Anger, Der neue Erlass zum Außensteuergesetz – Erweitert beschränkte Steuerpflicht bei Wohnsitz in Großbritannien?, IStR 2005, 439; Baranowski in Runge/Ebling/Baranowski, Die Anwendung des Außensteuergesetzes, Heidelberg 1974, 25; Dautzenberg, Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht des AStG und der EG-Vertrag, IStR 1997, 39; Debatin, Leitsätze für ein Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen, DStZ A 1971, 89; Flick, Miss1 Das gilt etwa für Orchester, nicht aber für solistisch besetzte Ensembles; BFH v. 7.3.2007 – I R 98/ 05, BStBl. II 2008, 186. 2 Antragsberechtigt ist nur der Vergütungsgläubiger; BFH v. 30.5.2007 – I B 124/06, BFH/NV 2007, 1905. 3 BFH v. 7.3.2007 – I R 98/05, BStBl. II 2008, 186; zweifelnd Anzinger, FR 2006, 857. 4 BMF v. 31.10.1983 – IV B 6 - S 2293 – 50/83, BStBl. I 1983, 470 (Auslandstätigkeitserlass). 5 Vfg. OFD Münster v. 10.2.2006, DStR 2006, 376 (Fußball-WM 2006); BMF v. 20.3.2008, BStBl. I 2008, 538 (europäische Vereinswettbewerbe); vgl. ferner die Beispiele bei Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 500; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50 EStG Rz. 31.

Valta | 301

Kap. 6 Rz. 6.312 | Einkommensteuer brauchsgesetzgebung contra Steuerumgehung, in Kirchhof/Offerhaus/Schöberle (Hrsg.), Steuerrecht – Verfassungsrecht – Finanzpolitik, FS für Klein, Köln 1994, 329; Gosch, Altes und Neues, Bekanntes und weniger Bekanntes zur sog. Isolierenden Betrachtungsweise, in FS Wassermeyer, München 2005; Haase, Erweiterte beschränkte Steuerpflicht nach § 2 AStG und Abgeltungsteuer, BB 2008, 2555; Haase/Dorn, Vorteile der erweitert beschränkten Steuerpflicht im Sinne des § 2 AStG?, IStR 2013, 909; Haase/Kluger, Nochmals: Steuerliche Wahlrechte bei DBA-Dreieckssachverhalten, BB 2010, 1823; Hellwig, Ausgewählte Fragen zur erweitert beschränkten Steuerpflicht, DStZ A 1974, 4; Korn/Stahl, Steuervorteile durch Wohnungsverlegung ins Ausland?, KÖSDI 1995, 10263; Kreile, Zum Außensteuergesetz, BB 1972, 929; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, Köln 1982; Kußmaul/Cloß, Die sachlichen Voraussetzungen des § 2 AStG, StuB 2010, 501; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, Herne/Berlin 1991; Mössner, Verlustverrechnung bei Zusammentreffen von beschränkter und erweitert beschränkter Steuerpflicht, FR 1980, 277; Pohl, Generalthema II: Die steuerliche Behandlung des Wohnsitzwechsels natürlicher Personen, IStR 2002, 541; Salditt, Steuerlast und Wanderlust, StuW 1972, 16; Schauhoff, Der Umfang der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht bei gewerblich tätigen Handelsvertretern, Unternehmensberatern, Fotomodellen, Sportlern und anderen umherreisenden Unternehmen, IStR 1995, 108; Schaumburg in Krause/Schaumburg/Wassermeyer, Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten, Bonn 1996, 23; Schaumburg, Systemdefizite im internationalen Steuerrecht, StuW 2000, 369; Stahl, Die Reichweite der erweiterten beschränkten Steuerpflicht, Berlin 2013; Telkamp, Der Außensteuergesetz-Entwurf, StuW 1972, 97; Wassermeyer, 25 Jahre Außensteuergesetz, in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Unternehmen – Steuern, FS für Flick, Köln 1997, 1057; Wassermeyer, Die beschränkte Steuerpflicht, DStJG 8 (1985), 49; Wassermeyer, Die Fortentwicklung der Besteuerung von Auslandsbeziehungen, IStR 2001, 113; Wassermeyer, Stellungnahme zu dem vorstehenden Beitrag von Kramer über die Frage nach der Relevanz einer Betriebsstätte im Wohnsitzstaat für die Besteuerung im Quellenstaat, IStR 2004, 676.

I. Überblick 6.312

Neben der unbeschränkten, erweiterten unbeschränkten, fingierten unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht regelt § 2 AStG die sog. erweiterte beschränkte Steuerpflicht, die noch durch die Umgehungsvorschrift des § 5 Abs. 1 AStG ergänzt wird. Durch § 2 AStG wird die beschränkte Steuerpflicht (§§ 49 und 50 EStG) insbesondere dahingehend erweitert, dass nicht nur die in § 49 Abs. 1 EStG enumerativ aufgeführten Inlandseinkünfte, sondern in Abgrenzung zu § 34d EStG alle nichtausländischen Einkünfte (sog. erweiterte Inlandseinkünfte) erfasst und einer Vollprogression unterworfen werden und die für die abzugspflichtigen Einkünfte gem. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG vorgesehene Abgeltungswirkung aufgehoben wird. Diese erweiterte beschränkte Steuerpflicht gilt für natürliche Personen, die in ein Niedrigsteuerland weggezogen sind und in den letzten zehn Jahren davor insgesamt fünf Jahre lang als deutsche Staatsangehörige unbeschränkt steuerpflichtig waren und sachlich noch bestimmte wirtschaftliche Inlandsinteressen beibehalten haben. Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht wird sodann für weitere zehn Jahre aufrechterhalten. Es verbleibt allerdings bei der normalen beschränkten Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 4 und 49 EStG) für diejenigen Veranlagungszeiträume, in denen die Inlandseinkünfte und erweiterten Inlandseinkünfte insgesamt nicht mehr als 16 500 Euro betragen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 AStG).

6.313

Die Bezeichnung als „erweiterte beschränkte Steuerpflicht“ umschreibt, dass § 2 Abs. 1 AStG eine Zwischenstufe zwischen der objektbezogenen Quellenbesteuerung der beschränkten Steuerpflicht und der Welteinkommensbesteuerung der unbeschränkten Steuerpflicht darstellt. Da sie aber gerade nicht von einer positiven Quellenzuordnung ausgeht, sondern vereinfacht vom Welteinkommen abzüglich der anerkannten ausländischen potentiellen Quellenzuordnungen und dazu grundsätzlich eine Vollprogression anhand der weltweiten Leistungsfähigkeit vorsieht, steht sie inhaltlich der unbeschränkten Steuerpflicht näher als der Be302 | Valta

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.318 Kap. 6

schränkten. Sie ist eine Ansässigkeitsbesteuerung im weitesten Sinne, bei der die weggefallene Ansässigkeit durch die deutsche Staatsangehörigkeit und fortbestehende qualifizierte wirtschaftliche Bezüge ersetzt wird. Das praktische Bedürfnis und die systematische Rechtfertigung für diese „eingeschränkte, nachwirkende Ansässigkeitsbesteuerung“ ist unklar. Die tatsächliche Verlagerung der Ansässigkeit ist kein Missbrauch, so dass § 2 Abs. 1 AStG keine Missbrauchsvorschrift im engeren Sinne darstellt.1 Die Annahme des Fehlens einer hinreichenden Ansässigkeitsbesteuerung im niedrigbesteuernden neuen Ansässigkeitsstaat legt eine gewisse Kompensationfunktion nahe,2 welche § 2 Abs. 1 AStG mit seinen Einschränkungen und der Befristung nicht voll erfüllen kann.3 § 2 AStG ist eine gegen Einkünfteverlagerungen gerichtete Norm (Rz. 2.12). Mit ihr wird das politische Ziel verfolgt, dem Wegzug in Niedrigsteuerländer die steuerlichen Anreize zu nehmen.4 In der Gesetzesbegründung5 heißt es hierzu:

6.314

„Wer seinen Wohnsitz in niedrig besteuernde Länder verlegt, aber wesentliche Wirtschaftsinteressen im deutschen Inland beibehält, soll auch nach der Wohnsitzverlegung mit seinem deutschen Einkommen und deutschen Vermögen zu einer Besteuerung herangezogen werden, wie sie der im Inland Verbliebene unter gleichen Bedingungen zu tragen hat (§§ 2 bis 5 AStG). Der Entwurf erweitert deshalb bei diesem Personenkreis für die ersten zehn Jahre nach der Wohnsitzverlegung die jeden Steuerausländer treffende beschränkte Steuerpflicht.“

6.315

Damit wird deutlich, dass der deutsche Gesetzgeber die sich auf der Grundlage der normalen beschränkten Steuerpflicht ergebenden inländischen Besteuerungsmöglichkeiten als unzureichend empfand. Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht gem. § 2 AStG ist eine Folge der von uneinheitlichen Opportunitätserwägungen geprägten §§ 49, 50 und 50a EStG.6

6.316

Durch die Erweiterung des Katalogs des § 49 EStG und die Einführung von Nettobesteuerungselementen in § 50 EStG hat sich die Bedeutung des § 2 AStG verringert, so dass angesichts des zahlenmäßig sehr engen Personenkreises7 die Effizienzfrage zu stellen ist. Als Alternative kommt die weitere Reform der §§ 49, 50, und 50a EStG in Betracht.8

6.317

Im Hinblick darauf, dass der Wegziehende nach dem Wegzug im Ergebnis steuerlich nicht anders belastet wird als derjenige, der im Inland verblieben ist,9 ergibt sich hierdurch noch kein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) oder Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV).10 Dass der Wegziehende im ausländischen Zuzugsstaat einer weitergehenden (höheren) Besteuerung (zusätzlich) unterliegt, ist angesichts der fehlenden Harmonisierung

6.318

1 2 3 4 5 6 7

Telkamp, StuW 1972, 97 (103 ff.); Salditt, StuW 1972, 16 (19); Flick in FS Klein, 329 (327). So Debatin, DStZ A 1971, 89 (95); Kreile, BB 1972, 929 (931). Dazu Salditt, StuW 1972, 16 (18). Vgl. nur Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 13 m.w.N. Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. VI/3537. Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (75). Das zusätzliche Steueraufkommen aufgrund dieser Vorschrift ist gering; vgl. Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 13; Kaiser in Haase, § 2 AStG Rz. 13. 8 Hierzu Pohl, IStR 2002, 541 (543); Stahl, Die Reichweite der erweiterten beschränkten Steuerpflicht, 2013, S. 236 ff. 9 Vgl. die in § 2 Abs. 6 AStG geregelte Belastungsobergrenze (Rz. 6.361). 10 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 22; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.42.

Valta | 303

Kap. 6 Rz. 6.318 | Einkommensteuer

bei den direkten Steuern unionsrechtlich hinzunehmen.1 Die Abhängigkeit der erweiterten beschränkten Steuerpflicht von der Steuerbelastung im Zuzugsstaat ist ebenfalls mit dem Unionsrecht vereinbar.2 Denn nach der Rechtsprechung des EuGH sind nur Ungleichbehandlungen zwischen verbleibenden und wegziehenden Steuerpflichtigen erfasst („vertikale Vergleichbarkeit“), nicht sicher jedoch Vergleiche zwischen verschiedenen Wegzüglern („horizontale Vergleichbarkeit“).3 Letzteres würde das Beschränkungsverbot zu einem Meistbegünstigungsgrundsatz erweitern. Würde der EuGH eine horizontale Vergleichbarkeit annehmen, gäbe es allerdings keine Rechtfertigung. Reine Steuersatzunterschiede genügen nicht,4 ein Missbrauch lässt sich im Wegzug alleine nicht typisierend annehmen.5

6.319

Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht unterliegt ebenso wie die beschränkte Steuerpflicht den Schrankenwirkungen der DBA.6 Daher läuft die erweiterte beschränkte Steuerpflicht insbesondere bei Gewinnen aus der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen, im Inland verwerteter selbständiger und unselbständiger Tätigkeit sowie für Zins- und Lizenzeinkünfte durchweg ins Leere, weil die ausschließliche Besteuerung in diesen Fällen im Ergebnis zumeist dem Wohnsitzstaat zugewiesen ist. Die durch § 2 Abs. 5 AStG normierte Vollprogression wird demgegenüber abkommensrechtlich nicht eingeschränkt, weil insoweit allein nationales Recht maßgeblich ist.7

6.320

Besonderheiten ergeben sich z.B. aufgrund des DBA-Schweiz.8 Hiernach entfallen weitgehend die Abkommensschranken, wenn in Deutschland beschränkt und erweitert beschränkt steuerpflichtige Personen in der Schweiz als Wohnsitzstaat nicht mit allen aus Deutschland stammenden Einkünften den allgemein erhobenen schweizerischen Steuern unterliegen (Art. 4 Abs. 6 DBA-Schweiz). Darüber hinaus bleibt die beschränkte und erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht im Jahr des Wegzugs und in den folgenden fünf Jahren, ungeachtet der sich für Deutschland als Quellenstaat ergebenden Abkommensschranken, aufrechterhalten (Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz). Die Doppelbesteuerung wird in diesen Fällen durch Steueranrechnung seitens Deutschlands vermieden.

II. Persönliche Voraussetzungen 1. Deutsche Staatsangehörigkeit 6.321

Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht betrifft nur natürliche Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Einer vergleichbaren Vorschrift für juristische Personen, insbesondere Kapitalgesellschaften, bedarf es nicht, weil vergleichbare juristische Personen mit Sitz im Inland bei Verlegung des Orts der Geschäftsleitung ins Ausland unbeschränkt steuerpflichtig bleiben. Ein Überwechseln in die beschränkte Steuerpflicht ist identitätswahrend nur ausnahmsweise 1 Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.42 m.w.N. 2 A.A. Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 24; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.42 jeweils m.w.N. 3 Lampert in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 2 AStG Rz. 34. 4 EuGH 26.10.1999 – C-294/97 Eurowings, Slg. 1999, I-7447, Rn. 43; Wassermeyer, IStR 2001, 113 (114). 5 Lampert in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 2 AStG Rz. 36. 6 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 33. 7 BFH v. 15.5.2002 – I R 40/01, BStBl. II 2002, 660; v. 19.12.2001 – I R 63/00, BStBl. II 2003, 202; vgl. auch Rz. 6.358. 8 Zum DBA-Italien und DBA-Großbritannien Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 37 f.; Kaiser in Haase, § 2 AStG Rz. 23 ff.

304 | Valta

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.325 Kap. 6

möglich,1 wobei eine Gewinnrealisierung nur insoweit zu vermeiden ist, als stille Reserven in einer inländischen Betriebsstätte verhaftet bleiben (vgl. § 12 Abs. 1 KStG). § 2 Abs. 1 AStG macht die erweiterte beschränkte Steuerpflicht von der deutschen Staatsangehörigkeit abhängig,2 die innerhalb eines Zehnjahreszeitraums vor der Auswanderung mindestens fünf Jahre lang gemeinsam mit der unbeschränkten Steuerpflicht vorgelegen haben muss.

6.322

Da im Grundsatz3 weder die unbeschränkte noch die beschränkte Steuerpflicht an die Staatsangehörigkeit anknüpft, ist die Erstreckung der erweiterten beschränkten Steuerpflicht nur auf deutsche Staatsangehörige auf den ersten Blick sachfremd. Soll sich die Besteuerung an der Leistungsfähigkeit orientieren, so ist nicht erkennbar, unter welchen Gesichtspunkten es gerechtfertigt sein könnte, deutsche Staatsangehörige unter sonst gleichen Bedingungen schärfer zu besteuern als Ausländer.4 Das BVerfG5 hat in § 2 AStG insoweit dennoch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt, weil die Nichtbesteuerung von Ausländern auf der sachgerechten und darum den Willkürvorwurf ausschließenden Erwägung beruhe, Ausländer nicht von der Rückwanderung in ihre Heimat abzuhalten. Hinzu kommt der Blick auf das Völkerrecht: die deutsche Staatsangehörigkeit ersetzt die weggefallene Ansässigkeit als sachlichen Anknüpfungspunkt für alle Einkünfte, bei denen nicht zugleich ein territorialer Quellenbezug zu Deutschland besteht.

6.323

2. Frühere unbeschränkte Steuerpflicht im Inland Von der erweiterten beschränkten Steuerpflicht werden nur deutsche Staatsangehörige erfasst, die in den letzten zehn Jahren vor dem Ende ihrer unbeschränkten Steuerpflicht insgesamt mindestens fünf Jahre lang unbeschränkt steuerpflichtig waren. § 2 Abs. 1 AStG verweist wegen der unbeschränkten Steuerpflicht lediglich auf § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG, so dass die Fälle, in denen die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) und die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) endet oder in dem maßgeblichen Zehnjahreszeitraum bestand, nicht erfasst werden.6

6.324

Die in § 2 Abs. 1 AStG angesprochene Zehnjahresfrist und Fünfjahresfrist berechnen sich nicht nach Veranlagungszeiträumen, sondern nach tatsächlicher Zeit gem. § 108 AO i.V.m. §§ 187 ff. BGB.7 Die Fünfjahresfrist verlangt keinen ununterbrochenen Zeitraum, in dem der Auswanderer Deutscher oder unbeschränkt steuerpflichtig war. Die fünfjährige unbeschränkte Steuerpflicht kann sich vielmehr aus mehreren zeitlichen Teilstücken zusammensetzen.8

6.325

1 Z.B. gem. § 8 Abs. 1 SE-VO und § 7 Abs. 1 SCE-VO; zum identitätswahrenden, formwechselnden Wegzug vgl. EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 = NJW 2009, 569 – Cartesio; v. 12.7.2012 – C-278/10, ECLI:EU:C:2011:165 = EWS 2012, 334 – VALE; zu Einzelheiten Rz. 7.45 ff. 2 Ob daneben der Wegziehende noch eine weitere Staatsangehörigkeit hat, spielt keine Rolle; Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 48 m.w.N. 3 Ausnahmen: z.B. §§ 1a; 50 Abs. 2 Satz 7; 50a Abs. 3 Satz 2 EStG. 4 Zu Einzelheiten Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 28 ff., 42; Schaumburg, StuW 2000, 369 (372 f.). 5 BVerfG v. 14.5.1986 – 2 BvL 2/83, BStBl. II 1986, 628 (643). 6 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 45, 51; Kraft in Kraft, § 2 AStG Rz. 32; Kaiser in Haase, § 2 AStG Rz. 57. 7 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 45, 51; Steierberg in Fuhrmann3, § 2 AStG Rz. 64. 8 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 53.

Valta | 305

Kap. 6 Rz. 6.326 | Einkommensteuer

3. Ansässigkeit im Ausland 6.326

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AStG greift die erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht nur ein, wenn der Wegzügler in einem ausländischen Gebiet ansässig ist, in dem er mit seinem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung unterliegt, oder in keinem ausländischen Staat ansässig ist. Ansässig ist eine Person in einem niedrig besteuernden Gebiet dann, wenn sie dort die nachdem dortigen Recht notwendigen Voraussetzungen erfüllt, also in Deutschland regelmäßig Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt, aber auch ähnliche Merkmale, zu denen es in Deutschland keine Entsprechung gibt.1 Nach dem Zweck der Norm ist es entscheidend, dass das Zuzugsland tatsächlich die Rolle eines Ansässigkeitsstaates mit Welteinkommensbesteuerung einnimmt, so dass auch eine Anknüpfung nur an die Staatsangehörigkeit wie im USamerikanischen Recht genügt.2 Nicht vorausgesetzt ist, dass die Ansässigkeit im Niedrigsteuerland sich unmittelbar an die unbeschränkte Steuerpflicht im Inland anschließt. Erforderlich ist lediglich die Ansässigkeit in einem Niedrigsteuerland innerhalb eines Zehnjahreszeitraums nach dem Ende der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht.3 Obwohl § 2 Abs. 1 Nr. 1 AStG darauf abstellt, dass der Wegzügler (auch) in einem Niedrigsteuerland ansässig ist, ist diese Vorschrift einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Rechtsfolgen nur dann eintreten, wenn der Wegzügler nur in einem Niedrigsteuerland ansässig wird. Unterliegt nämlich der Wegzügler aufgrund eines mehrfachen Wohnsitzes mit seinem gesamten Welteinkommen der Besteuerung in einem Hochsteuerland, entfällt jeglicher Grund für die erweiterte beschränkte Steuerpflicht.4 Abkommensrechtliche „Tie-breaker“-Regelungen nach Art. 4 Abs. 2 OECD-MA sind jedoch zu berücksichtigen, so dass nur abkommensrechtlich relevante Ansässigkeiten zu berücksichtigen sind.5 Dies gilt jedoch nicht, wenn eine Mitansässigkeit in Deutschland beibehalten wird – dann liegt trotz abkommensrechtlicher Zuordnung zum Ausland kein „Ende der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG vor.6 Über § 2 Abs. 1 Nr. 1 AStG werden schließlich sog. Umherziehende erfasst, also Personen, die weder im Inland noch im Ausland Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründen.7

6.327

Die Beweislast für die Annahme der Ansässigkeit in einem Niedrigsteuerland trifft nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen die Finanzverwaltung.8

1 BMF v. 14.12.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.2.1; Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 16. 2 Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 16; Kaiser in Haase, § 2 AStG Rz. 64; a.A. Zimmermann/Könemann in Strunk/Kaminski/Köhler § 2 AStG Rz. 50; Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 5. 3 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 72; Kraft in Kraft, § 2 AStG Rz. 37. 4 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 60; Kraft in Kraft, § 2 AStG Rz. 38; BMF v. 14.12.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.2.1; Steierberg in Fuhrmann3, § 2 AStG Rz. 69; Haase/Kluger, BB 2010, 1823. 5 Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 17. 6 Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 17; Kraft in Kraft, § 2 AStG Rz. 38. 7 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 62; Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 18. 8 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 62; Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 18; Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 54; Kraft in Kraft, § 2 AStG Rz. 39; a.A. BMF v. 14.12.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.2.1.

306 | Valta

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.330 Kap. 6

4. Niedrigbesteuerung Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht tritt im Wesentlichen ein, wenn die natürliche Person in einem ausländischen Gebiet ansässig ist, in dem sie nur einer niedrigen Besteuerung unterliegt. In welchen ausländischen Gebieten eine niedrige Besteuerung vorliegt, ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG grundsätzlich abstrakt anhand eines generellen Einkommensteuerbelastungsvergleichs einer unverheirateten natürlichen Person mit steuerpflichtigen Einkünften von 77.000 Euro zu ermitteln. Ergibt dieser unabhängig von den Verhältnissen der konkret zu besteuernden Person anzustellende Vergleich, dass die fiktive Einkommensteuer in dem ausländischen Gebiet mehr als ein Drittel geringer ist als die Belastung einer im Inland ansässigen natürlichen Person, so spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die zu besteuernde Person im ausländischen Gebiet einer niedrigen Besteuerung unterliegt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG). Die Niedrigbesteuerung liegt ferner dann vor, wenn die betroffene natürliche Person in dem ausländischen Gebiet eine Vorzugsbesteuerung in Anspruch nehmen kann (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG). Auch diese Vermutung kann widerlegt werden.

6.328

Die erste Alternative in § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG stellt auf einen abstrakten Belastungsvergleich ab. Dabei wird auf die Steuerbelastungsquote einer unverheirateten natürlichen Person mit einem steuerpflichtigen Einkommen1 von 77 000 Euro abgestellt. Verglichen wird die Einkommensteuer,2 die für diese Person in dem ausländischen Wohnsitzstaat zu erheben wäre, mit der Einkommensteuer,3 die bei inländischer unbeschränkter Steuerpflicht erhoben werden müsste. Im Hinblick darauf, dass der Steueranspruch erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht (§ 36 Abs. 1 EStG), ist für die Umrechnung der ausländischen Währung in EURO der Kurs zum Ende des Veranlagungszeitraums maßgebend.4

6.329

Der vom Gesetz geforderte abstrakte Belastungsvergleich, der darauf abstellt, ob bei einem steuerpflichtigen Einkommen von 77.000 Euro die im ausländischen Gebiet erhobene Einkommensteuer um mehr als ein Drittel geringer ist als die deutsche Einkommensteuer, ist mit Unsicherheiten verbunden, die aber durch Auslegung gelöst werden können.5 Dass der Begriff der ausländischen Einkommensteuer weit gefasst wird, im Inland dagegen eng, ergibt sich aus dem systematischen Bezug zu § 1 Abs. 1 EStG beim optionalen konkreten Belastungsvergleich. Sofern der Grundfreibetrag im Ausland nicht über den Tarif abgebildet wird, ist er von den 77.000 Euro abzuziehen.6 Verschiedene Schedulen im Ausland wie im Inland (§ 32d EStG) bleiben nach Historie und Systematik außer Ansatz: gemeint ist der generelle, progressive Steuersatz nach § 32a EStG.7 Daran änderte die Einführung des § 32d EStG nichts, da auch

6.330

1 Im Sinne von „zu versteuerndes Einkommen“; Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 166. 2 Sie muss im Gegensatz zu der Regelung in § 34c Abs. 1 EStG mit der deutschen Einkommensteuer nicht vergleichbar sein; Steierberg in Fuhrmann3, § 2 AStG Rz. 75; Hahn in Lademann, § 2 AStG Rz. 70; a.A. Kraft in Kraft, § 2 AStG Rz. 52; Kaiser in Haase3, § 2 AStG Rz. 71. 3 Zuschlagsteuern und Kirchensteuer gehören nicht zur deutschen Einkommensteuer; BFH v. 30.11.1988 – I R 84/85, BStBl. II 1989, 365; Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 21; a.A. Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 163. 4 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 169; nach BMF v. 14.12.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.2.2 Nr. 1 ist dagegen auf den Wechselkurs zu Beginn des Jahres und auf Antrag des Steuerpflichtigen auf den Durchschnittskurs abzustellen. 5 Teilweise wird eine Verfassungswidrigkeit wegen Unbestimmtheit vertreten: Zimmermann/Könemann in Strunk/Kaminski/Köhler, § 2 AStG Rz. 99.2. 6 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 167. 7 Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 15; a.A. und für einen gesonderten Vergleich jeder Schedule Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 179; für eine Abstellung nur auf § 32d EStG

Valta | 307

Kap. 6 Rz. 6.330 | Einkommensteuer

schon zuvor Schedulen ausländischer Steuerrechtsordnungen unberücksichtigt geblieben sind.1 Zudem werden schedulare Vorzugstarife bereits nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG erfasst.2

6.331

In der zweiten Alternative (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG) ist eine Niedrigbesteuerung dann gegeben, wenn die Einkommensteuerbelastung des betreffenden Steuerpflichtigen in dem ausländischen Wohnsitzstaat aufgrund einer ggü. der allgemeinen Besteuerung eingeräumten Vorzugsbesteuerung erheblich gemindert sein kann. Eine derartige Vorzugsbesteuerung liegt dann vor, wenn der Steuerpflichtige im Ausland ganz oder zu einem wesentlichen Teil von den dortigen Steuern freigestellt werden kann, wenn insbesondere Auslandseinkünfte nicht oder nur unter begünstigenden Sonderbedingungen der Steuer unterworfen sein können3 oder wenn die Besteuerung durch besondere steuerliche Abmachungen (Steuerverträge) ermäßigt werden kann.4

6.332

Ob die Vorzugsbesteuerung von dem Steuerpflichtigen tatsächlich in Anspruch genommen wird, ist unerheblich.5 Voraussetzung ist allerdings, dass die Vorzugsbesteuerung, soweit sie in Anspruch genommen werden kann,6 zu einer erheblichen Steuerminderung führt. Wann eine Steuerminderung erheblich ist, sagt das Gesetz nicht.7 In Orientierung an § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG liegt es nahe, ebenfalls von einer relativen Grenze von einem Drittel auszugehen.8

6.333

Die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AStG ergebende Vermutung der Niedrigbesteuerung kann durch den Steuerpflichtigen dadurch widerlegt werden, dass er den Nachweis erbringt, dass die von seinem Einkommen insgesamt zu entrichtenden (in- und ausländischen) Steuern mindestens zwei Drittel der Einkommensteuer betragen, die er bei unbeschränkter Steuerpflicht im Inland zu entrichten hätte. Der Nachweis dieser Zwei-Drittel-Belastung erfolgt durch einen konkreten Belastungsvergleich im Rahmen einer Schattenveranlagung. Bemessungsgrundlage für die Vergleichsberechnung ist das Einkommen. Soweit es um die im Ausland hierauf entrichteten Steuern geht, ist auf das Einkommen i.S. des betreffenden ausländischen Steuerrechts abzustellen.9 Daher sind auch ausländische Steuern auf Einkunftsarten, die in Deutschland nicht der Einkommensbesteuerung unterliegen, in den Vergleich mit einzubeziehen.10

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Zimmermann/Könemann in Strunk/Kaminski/Köhler § 2 AStG Rz. 99.3 – maßgeblich wäre nach beiden abweichenden Ansätzen nur noch der 25 % Satz. Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 15; a.A. Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 176. Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 15. So z.B. nach Ansicht der FinVerw die remittance-base-Besteuerung in Großbritannien; vgl. BMF v. 14.12.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.2.2 a.E.; a.A. Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 223.1. Zu Einzelheiten Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 223. Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 224. Die Vorzugsbesteuerung darf für den betreffenden Steuerpflichtigen daher nicht ausgeschlossen sein; Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 224; Steierberg in Fuhrmann3, § 2 AStG Rz. 77; Schönwetter in H/K/G/R, § 2 AStG Rz. 43. Zu diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Bedenken Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 108, 111. Vgl. hierzu Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 111. Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 197; Schönwetter in H/K/G/R, § 2 AStG Rz. 50. Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 113.

308 | Valta

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.337 Kap. 6

Für die Vergleichsberechnung sind neben der deutschen Einkommensteuer1 – nicht aber Ergänzungsabgabe (Solidaritätszuschlag)2 und Kirchensteuer – auch die im Wohnsitzstaat und in Drittstaaten zu entrichtenden3 ausländischen Steuern vom Einkommen zu berücksichtigen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie der deutschen Einkommensteuer entsprechen. Entscheidend ist nur, dass sie ebenfalls das Einkommen als Bemessungsgrundlage haben. Daher kommen sowohl Gemeinde- und Ländersteuern4 als auch ausländische Kirchensteuern, soweit sie vom Einkommen erhoben werden, in Betracht.5 Im Rahmen der Vergleichsberechnung sind bei Ermittlung der bei unbeschränkter Steuerpflicht zu entrichtenden deutschen Einkommensteuer Entlastungen zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung aufgrund von DBA und gem. § 34c EStG6 zu berücksichtigen.7

6.334

Im Rahmen der Schattenveranlagung ist die betroffene natürliche Person so zu stellen, wie wenn sie im Inland unbeschränkt steuerpflichtig wäre. Dies bedeutet, dass die im Ausland bestehenden persönlichen Verhältnisse auch bei der Ermittlung der konkreten inländischen Steuerlastquote zu berücksichtigen sind. Daher kommt auch der Splittingtarif zur Anwendung, wenn etwa Eheleute im Ausland zusammenleben.8

6.335

III. Sachliche Voraussetzungen 1. Überblick Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht setzt nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AStG voraus, dass der Wegzügler wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland hat. Der Begriff der wesentlichen wirtschaftlichen Interessen im Inland wird in den Abs. 3 und 4 dieser Vorschrift näher umschrieben. Die in § 2 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 AStG aufgeführten Alternativen betreffen die unmittelbaren wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen, während in § 2 Abs. 4 i.V.m. § 5 AStG auch mittelbare wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen genannt werden. Die Alternativen des § 2 Abs. 3 und 4 AStG stellen nicht darauf ab, ob die wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen bereits zum Zeitpunkt des Wegzuges bestanden haben oder erst später begründet werden.

6.336

Eine Rechtfertigung für die erweiterte beschränkte Steuerpflicht gibt es allenfalls dann, wenn der Wegziehende bereits zu der Zeit seiner unbeschränkten Steuerpflicht im Inland wesentliche wirtschaftliche Interessen hatte. Hat ein Steuerpflichtiger bis zum Zeitpunkt seines Wegzuges überhaupt keine steuerpflichtigen Einkünfte bezogen, so ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen später innerhalb des Zehnjahreszeitraums nach dem Wegzug bezogene Inlandseinkünfte der erweiterten beschränkten Steuerpflicht unterworfen werden sollen. Als ge-

6.337

1 Hierzu gehört auch die (abgeltende) Kapitalertragsteuer (§ 32d Abs. 1, 4 EStG). 2 BFH v. 30.11.1988 – I R 84/85, BStBl. II 1989, 365; a.A. Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 212, der, um Verzerrungen im Belastungsvergleich zu vermeiden, den Solidaritätszuschlag einbeziehen will. 3 Auf die tatsächlich entrichteten Steuern kommt es nicht an; Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 198: Steierberg in Fuhrmann3, § 2 AStG Rz. 78; a.A. Hahn in Lademann, § 2 AStG Rz. 80. 4 BFH v. 30.11.1988 – I R 84/85, BStBl. II 1989, 365. 5 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 196; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.2.4 Nr. 1. 6 BFH v. 26.11.1986 – I R 78/81, BStBl. II 1987, 363. 7 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.2.4 Nr. 2; dort (Tz. 2.2.4 a.E.) auch zu einer Vereinfachungsregelung; Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 211. 8 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 204; Schönwetter in H/K/G/R, § 2 AStG Rz. 50; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/044, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.2.4 Nr. 2.

Valta | 309

Kap. 6 Rz. 6.337 | Einkommensteuer

gen Einkünfteverlagerungen in Niedrigsteuerländer gerichtete Norm geht § 2 Abs. 3 und 4 AStG damit vom Wortlaut her weit über seinen Sinn und Zweck hinaus.1

2. Unmittelbare Inlandsinteressen 6.338

§ 2 Abs. 3 AStG beschreibt drei (alternative) Fälle unmittelbarer wesentlicher wirtschaftlicher Inlandsinteressen, nämlich: – Unternehmer- bzw. Mitunternehmerschaft eines inländischen Gewerbebetriebs oder das Halten einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zu Beginn des Veranlagungszeitraums (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG), – nichtausländische Einkünfte, soweit sie mehr als 30 % der Gesamteinkünfte oder 62.000 Euro übersteigen (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 AStG) und – nichtausländisches Vermögen, soweit dieses zu Beginn des Veranlagungszeitraums mehr als 30 % des Gesamtvermögens oder 154.000 Euro übersteigt (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 AStG).

6.339

Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG hat jeder Unternehmer und Mitunternehmer, der im Inland einen Gewerbebetrieb unterhält oder an einem solchen beteiligt ist, stets unmittelbare wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen. Erfasst werden damit im Ergebnis vor allem inländische Betriebsstätten,2 wobei über § 2 Abs. 1 Satz 3 AStG3 eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte in den Fällen fingiert wird, in denen Einkünfte weder durch eine ausländische Betriebsstätte noch durch einen im Ausland tätigen ständigen Vertreter erzielt werden.4

6.340

Diese Sonderregelung verfehlt indessen ihre ohnehin nur auf § 2 AStG beschränkte Wirkung,5 weil sie nicht ausschließt, dass die betreffenden gewerblichen Einkünfte z.B. einer ausländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzurechnen sind. Eine derartige ggf. auch substanzschwache Geschäftsleitungsbetriebsstätte besteht im Zweifel am ausländischen Wohnsitz des Steuerpflichtigen.6 Angesprochen sind vor allem Einkünfte aus der Persönlichkeitsvermarktung etwa von Sportlern und Fotomodellen im Ausland.7 § 2 Abs. 1 Satz 3 AStG läuft somit leer.8

6.341

Für Kommanditisten gilt eine Sonderregelung, wonach diese erst dann wesentliche Inlandsinteressen haben, wenn auf sie zu Beginn des Veranlagungszeitraums mehr als 25 % der Ein-

1 Vgl. hierzu auch den schriftlichen Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. VI/3537, wonach die erweiterte beschränkte Steuerpflicht ihre Rechtfertigung darin finden soll, dass jemand seinen Wohnsitz in ein Niedrigsteuerland verlegt, aber wesentliche Wirtschaftsinteressen im Inland beibehält. 2 Ein ständiger Vertreter (§ 13 AO) im Inland genügt nicht. 3 Diese Regelung gilt erstmals ab Veranlagungszeitraum 2009; vgl. § 21 Abs. 18 Satz 1 AStG. 4 Nichtanwendungsregelung zu BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672, wonach § 2 AStG für Werbeeinnahmen eines Berufssportlers, der in ein niedrig besteuerndes Gebiet verzogen war, verneint wurde, weil diese dem Wohnsitz als Betriebsstätte zuzuordnen waren. 5 § 2 Abs. 1 Satz 3 AStG gilt z.B. nicht für Zwecke der Ent- und Verstrickung. 6 BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672, wonach es betriebsstättenlose Einkünfte aus Gewerbebetrieb (floating income) nicht gibt. 7 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 144. 8 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 144; Stahl, Die Reichweite der erweiterten beschränkten Steuerpflicht nach § 2 AStG, Berlin 2013, 123; in der Praxis sind die Gestaltungen vorsorglich ohnehin darauf gerichtet, eine ausländische Betriebsstätte zu begründen.

310 | Valta

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.345 Kap. 6

künfte i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG aus der Gesellschaft entfallen.1 Die Verweisung auf § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG führt dazu, dass sämtliche Vorabvergütungen wie Geschäftsführergehälter, Honorare, Zinsen, Mietzahlungen usw. bei der Berechnung des Gewinns der Kommanditgesellschaft und des Gewinnanteils des betroffenen Gesellschafters2 mit einzubeziehen sind. Unmittelbare wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen sind gem. § 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG ferner dann gegeben, wenn ein Steuerpflichtiger eine Beteiligung i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG an einer inländischen Kapitalgesellschaft hält. Mangels besonderer gesetzlicher Regelung sind als inländische Kapitalgesellschaften solche anzusehen, deren Sitz oder Ort der Geschäftsleitung im Inland belegen ist.3

6.342

Die Anknüpfung nur an Kapitalgesellschaften mit inländischem Sitz oder Ort der Geschäftsleitung ist sachfremd und stellt im Vergleich zu den übrigen Alternativen des § 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG einen Wertungswiderspruch dar. Wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen werden nämlich auch durch inländische Betriebsstätten eines ausländischen Unternehmens, das dem Weggezogenen als Unternehmer oder Mitunternehmer gehört, vermittelt. Im Hinblick darauf ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen nicht vorliegen sollen, wenn etwa der Weggezogene wesentlich an einer ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt ist, die ihre Einkünfte durch inländische Betriebsstätten erwirtschaftet.

6.343

Schließlich ist ein Wertungswiderspruch auch darin zu erblicken, dass für Kommanditisten auf eine Beteiligung von mehr als 25 % an den Einkünften, für Anteilseigner an Kapitalgesellschaften dagegen auf eine Beteiligung von (nur) mindestens 1 % am Vermögen abgestellt wird. Mit der Anknüpfung an die Einkünfte sollte bei Kommanditisten einer Umgehungsmöglichkeit vorgebeugt werden, Kommanditbeteiligungen unter 25 % mit übermäßigen Gewinnanteilen auszustatten. Diese Umgehungsmöglichkeit ist indessen bei Kapitalgesellschaften, insbesondere bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, ebenfalls möglich.4 Die Beteiligungsgrenzen waren ursprünglich einheitlich und haben sich durch den dynamischen Verweis auf § 17 EStG auseinanderentwickelt.5 Im Kontext des § 2 AStG macht der Unterschied in den Beteiligungshöhen keinen Sinn, der verwiesene § 17 EStG geht über die Erfassung „unternehmerischer“ Beteiligungen weit hinaus.6

6.344

Da in § 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG lediglich Einzelunternehmen, Mitunternehmerschaften und Beteiligungen an Kapitalgesellschaften angesprochen sind, vermitteln andere Körperschaften und Vermögensmassen, etwa Genossenschaften, Vereine und Stiftungen, keine wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen. Auch diese Einschränkung ist sachfremd.

6.345

1 Diese Regelung gilt auch für an einer Kommanditgesellschaft mittelbar Beteiligte (z.B. atypisch still Beteiligte); Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 266 mit Nachweisen auch zur Gegenmeinung. 2 Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 132. 3 Kraft in Kraft, § 2 AStG Rz. 83; Hahn in Lademann, § 2 AStG Rz. 135; a.A. Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 272, der auf Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland abstellt. 4 § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG; zu Einzelheiten Verse in Scholz11, § 29 GmbHG Rz. 74; eine disquotale Ausschüttung ist grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen; BFH v. 19.8.1999 – I R 77/96, BStBl. II 2001, 43; v. 28.6.2006 – I R 97/05, BFH/NV 2006, 2207; einschränkend dagegen BMF v. 7.12.2000, BStBl. I 2001, 47. 5 Die Absenkung der für § 17 Abs. 1 EStG maßgeblichen Beteiligungsgrenzen erfolgte in zwei Stufen durch das StEntlG 1999/2000/20002 und durch das StSenkG. 6 Hierzu Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 270.

Valta | 311

Kap. 6 Rz. 6.346 | Einkommensteuer

6.346

In der zweiten Alternative knüpfen wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen an die Höhe der nichtausländischen Einkünfte (erweiterte Inlandseinkünfte) an (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 AStG).1 Damit sind jene Einkünfte angesprochen, die in § 34d EStG nicht genannt sind, d.h. die inländischen Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG und zusätzlich die Einkünfte, die nicht nach § 34d EStG ausländisch sind.2

6.347

Die dritte Alternative stellt auf die Höhe des Vermögens ab, dessen Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nichtausländische Einkünfte wären (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 AStG). Es handelt sich hierbei um das sog. erweiterte Inlandsvermögen, das über das Inlandsvermögen gem. § 121 BewG hinausgeht.3

3. Mittelbare Inlandsinteressen 6.348

§ 2 Abs. 4 AStG erfasst den Fall, dass ein Steuerpflichtiger wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen mittelbar hat. Angesprochen ist damit, dass ein Steuerpflichtiger unter den Voraussetzungen des § 5 AStG an einer ausländischen Gesellschaft beteiligt ist, die ihrerseits unmittelbare wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland gem. § 2 Abs. 3 AStG hat. Aus der Verweisung auf § 5 AStG folgt, dass die ausländische Gesellschaft die Qualifikation einer Zwischengesellschaft i.S.v. § 7 AStG haben muss. Es muss sich also um eine ausländische Kapitalgesellschaft handeln, die mit ihren Einkünften aus passivem Erwerb (vgl. § 8 Abs. 1 und 2 AStG) einer niedrigen Besteuerung (§ 8 Abs. 3 AStG) unterliegt (Rz. 13.153 ff.). Damit vermitteln lediglich derartige (ausländische) Zwischengesellschaften, nicht aber übrige ausländische Kapitalgesellschaften, wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen. Den Anteilseignern werden die wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen aber nur nach Maßgabe ihrer Beteiligungsquote an der Zwischengesellschaft zugerechnet. Hierbei sind die in § 2 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 AStG genannten Grenzen, bei deren Überschreitung wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen vorliegen, in der Person eines jeden Anteilseigners an der Zwischengesellschaft zu erfüllen.4

6.349

Die Regelung des § 2 Abs. 4 AStG, aufgrund deren wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen von (ausländischen) Zwischengesellschaften zugerechnet werden, ist systemwidrig und wäre überflüssig, wenn § 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen nicht nur bei Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften regelte. Sachgerecht wäre es nämlich, wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen auch bei Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften anzunehmen, falls diese ihrerseits wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen haben, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Zwischengesellschaften handelt oder nicht. Im Hinblick darauf käme es auch zu keinem Wertungswiderspruch dahingehend, dass bei einer unmittelbaren Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft von weniger als 1 % unmittelbare wirtschaftliche Inlandsinteressen (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG, § 17 Abs. 1 EStG) zu verneinen und bei einer solchen Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft (§§ 2 Abs. 4, 7 Abs. 6 Satz 3 AStG) dagegen mittelbare wirtschaftliche Inlandsinteressen zu bejahen sind.5

1 Zur Ermittlung der relevanten Einkünfte Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 284. 2 BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.3.2 i.V.m. Tz. 2.5.0.1; Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 282; Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 35; a.A. Hahn in Lademann § 2 AStG Rz. 138. 3 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 294. 4 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 305; Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 144. 5 Kritisch hierzu auch Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 145 und Kaiser in Haase3, § 2 AStG Rz. 137, wonach § 2 Abs. 4 AStG teleologisch im Sinne einer Mindestbeteiligung von

312 | Valta

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.353 Kap. 6

IV. Rechtsfolgen 1. Überblick § 2 Abs. 1 AStG begründet die erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht auf die Dauer von zehn Jahren. Da das Jahr des Wegzuges bei der Berechnung der Zehnjahresfrist nicht mitgerechnet wird, kann die erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht sich auf längstens elf Jahre erstrecken. Außer durch Zeitablauf endet die erweiterte beschränkte Steuerpflicht ggf. vor Ablauf dieser zehn Jahre, wenn der Steuerpflichtige

6.350

– seinen Wohnsitz aus dem Niedrigsteuerland in ein Hochsteuerland verlegt, – die wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen aufgibt oder – eine Niedrigbesteuerung durch höhere ausländische Steuern oder niedrigere inländische Steuern oder durch Änderung von Währungsparitäten wegfällt.1 Rechtsfolge der erweiterten beschränkten Steuerpflicht ist darüber hinaus die steuerliche Erfassung von erweiterten Inlandseinkünften sowie eine modifizierte Anwendung des § 50 EStG.

2. Besteuerung nichtausländischer Einkünfte § 2 Abs. 1 AStG ordnet an, dass erweitert beschränkt steuerpflichtige Personen über die normale beschränkte Steuerpflicht i.S. des Einkommensteuergesetzes hinaus beschränkt einkommensteuerpflichtig sind mit allen Einkünften, die nicht ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG sind. Da es Einkünfte gibt, die sowohl inländische i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG als auch solche i.S.d. § 34d EStG sind,2 ist zweifelhaft, welche Einkünfte tatsächlich unter § 2 Abs. 1 AStG fallen.

6.351

Überwiegend wird davon ausgegangen, § 2 Abs. 1 AStG erfasse die inländischen Einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 EStG und zusätzlich noch die nichtausländischen Einkünfte nach § 34d EStG.3 Demgegenüber wird die Ansicht vertreten, § 2 Abs. 1 AStG betreffe jene Einkünfte nicht, die einerseits inländische i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG und andererseits ausländische i.S.d. § 34d EStG seien. § 2 Abs. 1 AStG erstrecke sich nämlich nach seinem Wortlaut nur auf nichtausländische Einkünfte.4

6.352

Die Bedeutung der Frage, ob die erweiterte beschränkte Steuerpflicht sich auch auf Einkünfte erstreckt, die zugleich als inländische i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG und als ausländische i.S.d. § 34d EStG zu qualifizieren sind, reduziert sich im Wesentlichen auf die Fälle, in denen doppelt qualifizierte Einkünfte vorliegen. Im Hinblick darauf, dass § 2 Abs. 5 AStG die dort genannten Rechtsfolgen der erweiterten beschränkten Steuerpflicht auf sämtliche Einkünfte anwendet, ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit § 2 AStG konzeptionell auf der beschränkten Steuerpflicht

6.353

1 2 3

4

1 % zu reduzieren ist; anders dagegen im Hinblick auf § 2 Abs. 3 Nr. 3 AStG; Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 306. Im Einzelnen Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 72 ff.; Kraft in Kraft, § 2 AStG Rz. 110. Beispiel: Im Ausland ausgeübte, aber im Inland verwertete selbständige Arbeit (§ 34d Nr. 3 EStG und § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG). BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672; Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 80; Hahn in Lademann, § 2 AStG Rz. 7; Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 40; Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 60 ff.; Kaiser in Haase3, § 2 AStG Rz. 156; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.5.0.1. Gosch in FS Wassermeyer, 263 (286).

Valta | 313

Kap. 6 Rz. 6.353 | Einkommensteuer

gem. § 49 Abs. 1 EStG aufbauen und diese ausschließlich erweitern wollte. Es wäre unverständlich, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 AStG und die Rechtsfolgen des § 2 Abs. 5 AStG nicht die gleichen Einkünfte beträfen. Unter den Regelungsbereich des § 2 Abs. 1 AStG fallen daher uneingeschränkt die inländischen Einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 EStG.

6.354

Davon ausgehend, dass § 2 AStG auch den gesamten Einkünftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG umfasst, werden darüber hinaus zusätzlich insbesondere noch folgende nicht ausländische Einkünfte, erfasst, die – nicht ganz treffend – auch erweiterte Inlandseinkünfte genannt werden:1 1. Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die a) weder einer inländischen noch einer ausländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind oder b) aus Bürgschafts- und Avalprovisionen erzielt werden, deren Schuldner unbeschränkt steuerpflichtig ist; 2. Einkünfte aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, die zum Anlagevermögen eines ausländischen Betriebs gehören und im Inland belegen sind; hierzu gehört auch ein nicht schon unter § 17 EStG fallender Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland hat; 3. Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 EStG, wenn der Schuldner unbeschränkt steuerpflichtig ist und es sich nicht um ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d Nr. 6 EStG handelt; hierunter fallen z.B. Zinsen, die von Inländern auf Schuldscheindarlehen an erweitert beschränkt Steuerpflichtige gezahlt werden, wenn diese Darlehen nicht durch ausländischen Grundbesitz gesichert sind; 4. Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung von beweglichem Vermögen im Inland, sofern dieses nicht zu einem im Ausland belegenen Sachinbegriff gehört; 5. Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen i.S.d. § 22 Nr. 1 EStG, wenn der Verpflichtete unbeschränkt steuerpflichtig ist oder seinen Sitz im Inland hat; 6. Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 22 Nr. 2 EStG, wenn die veräußerten Wirtschaftsgüter nicht im Ausland belegen sind; 7. Einkünfte aus Leistungen, wenn der zur Vergütung der Leistung Verpflichtete unbeschränkt steuerpflichtig ist oder seinen Sitz im Inland hat; 8. andere Einkünfte, die das deutsche Steuerrecht (§§ 49 und 34d EStG) weder dem Inland noch dem Ausland zurechnet (z.B. Erträge aus beweglichen Sachen, die nicht zum Anlagevermögen eines ausländischen Betriebs gehören); 9. Einkünfte, die dem Steuerpflichtigen nach §§ 5, 15 AStG zuzurechnen sind.

6.355

§ 2 Abs. 1 Satz 1 AStG hat, wie der vorgenannte Katalog zeigt, nur eine begrenzte Reichweite, weil von den über die in § 49 Abs. 1 EStG genannten Einkünften hinaus von den erweiterten Inlandseinkünften Einkünfte aus Gewerbebetrieb regelmäßig deshalb nicht erfasst werden, weil ein weggezogener Gewerbetreibender im Ausland eine Betriebsstätte unterhält, die sich 1 Auszugsweise Wiedergabe des BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.5.0.1; zu Einzelheiten Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 97 ff.; Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 66 ff.

314 | Valta

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.359 Kap. 6

im Zweifel an seinem (ausländischen) Wohnsitz befindet.1 Dies gilt insbesondere für ins Ausland weggezogene Berufssportler.2 Im Hinblick auf vermeintliche Besteuerungslücken und die Ausgestaltung als „eingeschränkte, nachwirkende Ansässigkeitsbesteuerung“ (Rz. 6.314) enthält § 2 Abs. 1 Satz 2 AStG insoweit eine Fiktion, als Einkünfte, die funktional keiner konkreten ausländischen Betriebsstätte oder keinem im Ausland tätigen ständigen Vertreter zugerechnet werden können, einer bei Ansässigkeit sonst ebenfalls angenommenen inländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zugerechnet werden.3 Im Hinblick auf den eingeschränkten Anwendungsbereich von § 1 Abs. 5 AStG als Einkünftekorrekturnorm gelten für die Einkünftezurechnung die Grundsätze des Veranlassungszusammenhangs und nicht etwa die AOA-Regeln (Rz. 21.66 f.). Für die Ermittlung der erweiterten Inlandseinkünfte kommen die allgemeinen Vorschriften des EStG zur Anwendung, so dass auch negative Einkünfte im Rahmen der erweiterten beschränkten Steuerpflicht zu berücksichtigen sind. Soweit nicht anderweitig ein Verlustausgleich ausgeschlossen ist, kommt er auch im Bereich der erweiterten Inlandseinkünfte in Betracht. Damit ist auch ein Ausgleich von Verlusten bei Einkünften, die zusätzlich der erweiterten beschränkten Steuerpflicht unterliegen, mit positiven Einkünften i.S.v. § 49 Abs. 1 EStG zulässig.4

6.356

3. Vollprogression und Mindeststeuer § 2 Abs. 5 AStG normiert, abweichend von der normalen beschränkten Steuerpflicht, dass die erweiterten Inlandseinkünfte unter Progressionsvorbehalt stehen und die Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht gilt.

6.357

Für die erweiterten Inlandseinkünfte kommt der Steuersatz zur Anwendung, der sich für sämtliche Einkünfte des Steuerpflichtigen ergibt. Nicht erfasst werden dabei Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem besonderen Steuersatz des § 32d Abs. 1 EStG (25 %) unterliegen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 AStG). Im Hinblick auf diesen Progressionsvorbehalt hat der Wegzügler, obwohl er mit seinem Welteinkommen nicht mehr der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, für Zwecke des Progressionsvorbehaltes sein gesamtes Welteinkommen offen zu legen.5

6.358

Ein solcher Progressionsvorbehalt erstaunt, da er üblicherweise der unbeschränkten Steuerpflicht für die Besteuerung des Welteinkommens vorbehalten ist. Ansätze wie die frühere fragmentierte Besteuerung in den Niederlanden zeigen aber, dass auch im Rahmen einer be-

6.359

1 Betriebsstättenlose gewerbliche Einkünfte (floating income) gibt es nicht; BFH v. 10.5.1961 – IV 155/60 U, BStBl. III 1961, 317; v. 18.10.1962 – IV 319/60 U, BStBl. III 1963, 38; v. 28.7.1993 – I R 15/ 93, BStBl. II 1994, 148; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672; Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 10.1; Wassermeyer, IStR 2004, 676; Schauhoff, IStR 1995, 108 (110 f.). 2 BFH v. 17.2.1955 – IV 77/53 S, BStBl. III 1955, 100; v. 11.7.1960 – V 182/58 U, BStBl. III 1960, 376; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, 150; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, 58; Schauhoff, IStR 1995, 108 (110); Korn/Stahl, KÖSDI 1995, 10263 (10267). 3 Insoweit Nichtanwendungsgesetz zu BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672. 4 BFH v. 3.11.1982 – I R 3/79, BStBl. II 1983, 259; Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 87; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.5.1.2. 5 Der Progressionsvorbehalt wird durch Doppelbesteuerungsabkommen nicht eingeschränkt; BFH v. 15.5.2002 – I R 40/01, BStBl. II 2002, 660; v. 19.12.2001 – I 63/00, BStBl. II 2003, 302; vgl. Rz. 19.534 f.

Valta | 315

Kap. 6 Rz. 6.359 | Einkommensteuer

schränkten Steuerpflicht die weltweite Leistungsfähigkeit zu erfassen gesucht werden kann. Der Dualismus von Welteinkommensbesteuerung im Ansässigkeitsstaat und Quellenbesteuerung im Quellenstaat ist nicht zwingend, der Unterschied nicht kategorial, sondern eher pragmatische Arbeitsteilung der Praxis. Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht des § 2 AStG lässt sich mit ihrer typisierenden Erfassung des Zwischenraums zwischen den in- und ausländischen Quellen auch eher als beschränkte Welteinkommensbesteuerung, denn als erweiterte Quellenbesteuerung verstehen. Rechtspolitisch ist die Sinnhaftigkeit jedoch fraglich, zumal nach Wegzug mangels Ansässigkeit des Steuerpflichtigen die Verifikation der weltweiten Gesamtleistungsfähigkeit aufwändig und schwierig ist. Die geplante Mindestbesteuerung des OECD Pillar 2-Projektes (Rz. 5.61 ff.) erscheint bei allem auch dort erforderlichen Aufwand als vorzugswürdiges Instrument, steuergetriebene Ansässigkeitsverlagerungen zu reduzieren.

6.360

§ 2 Abs. 5 Satz 2 AStG ordnet an, dass auf Einkünfte, die der Kapitalertragsteuer oder der Quellensteuer gem. § 50a EStG unterliegen, § 50 Abs. 2 EStG nicht zur Anwendung kommt. Hiermit wird die Abgeltungswirkung beseitigt mit der Folge, dass insoweit uneingeschränkt das Nettoprinzip gilt.1 Im Rahmen der erweiterten beschränkten Steuerpflicht sind daher etwa Lizenzvergütungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG) im Rahmen eines steuerlichen Veranlagungsverfahrens zu erfassen, wobei im Jahr des Wegzugs nur eine Veranlagung zur Einkommensteuer durchgeführt werden muss (§ 2 Abs. 7 Satz 3 EStG).2

6.361

Da die erweiterte beschränkte Steuerpflicht die vermeintlichen Steuervergünstigungen des § 49 EStG durch Erfassung der nichtausländischen Einkünfte und Suspendierung der Abgeltungswirkung beseitigen will, stellt die Steuer, die im Rahmen der normalen beschränkten Steuerpflicht zu erheben wäre, im Ausgangspunkt die Untergrenze dar. Dies folgt insbesondere auch aus § 2 Abs. 6 AStG, wonach die im Rahmen der erweiterten beschränkten Steuerpflicht zusätzlich zu entrichtende Steuer auf diejenige Steuer begrenzt ist, die im Rahmen unbeschränkter Steuerpflicht zu erheben wäre. Damit bildet die bei unbeschränkter Steuerpflicht zu erhebende Steuer die Obergrenze, soweit diese die durch die normale beschränkte Steuerpflicht im Grundsatz fixierte Untergrenze überschreitet. Mit anderen Worten: Die bei unbeschränkter Steuerpflicht zu erhebende Steuer darf nur dann überschritten werden, wenn die bei normaler beschränkter Steuerpflicht zu erhebende Steuer höher liegt.3

6.362

Für die Berechnung der beiden vorgenannten Grenzen sind gegebenenfalls zwei Schattenveranlagungen durchzuführen. Die eine Schattenveranlagung betrifft die beschränkte Steuerpflicht, soweit nicht die Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG eingreift, und die zweite Schattenveranlagung erfolgt auf der Grundlage der unbeschränkten Steuerpflicht, wobei für Zwecke des Tarifs (§§ 32 ff. EStG) zugunsten des Steuerpflichtigen die ausländischen Verhältnisse auf das Inland zu projizieren sind mit der Folge, dass etwa für eine im Ausland verheiratete erweitert beschränkt steuerpflichtige Person der Splittingtarif anzusetzen ist.4

1 § 32d EStG (Abgeltungsteuer) bleibt aber anwendbar (§ 2 Abs. 5 Satz 3 AStG i.V.m. § 43 Abs. 5 EStG). 2 Hierzu Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 153. 3 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 348; Kaiser in Haase3, § 2 AStG Rz. 204. 4 Kaiser in Haase3, § 2 AStG Rz. 203; Zimmermann/Könemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 162; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.6.2.

316 | Valta

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 6.366 Kap. 6

V. Zurechnung bei zwischengeschalteten Auslandsgesellschaften 1. Zielsetzung § 5 AStG erfasst als Ergänzung zu § 2 AStG auch jene Fälle, in denen erweitert beschränkt steuerpflichtige Personen ihre wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen nicht unmittelbar, sondern mittelbar über zwischengeschaltete Auslandsgesellschaften (§ 7 AStG) halten. In diesem Falle sind die erweiterten Inlandseinkünfte der zwischengeschalteten Auslandsgesellschaft wie Einkünfte des erweitert beschränkt steuerpflichtigen Anteilseigners selbst bei diesem zu versteuern. Insoweit will § 5 AStG die Umgehung der erweitert beschränkten Steuerpflicht verhindern und erweitert beschränkt steuerpflichtige Personen so stellen, wie sie stünden, wenn die Vermögenswerte nicht auf die zwischengeschaltete Gesellschaft übertragen worden wären.1

6.363

Trotz dieser Zielsetzung spielt es nach dem Wortlaut dieser Vorschrift keine Rolle, ob der erweitert beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner an der ausländischen Gesellschaft bereits bei seinem Wegzug beteiligt war oder ob er diese Beteiligung erst später erworben hat.2 Durch die Verweisung auf die für die Hinzurechnungsbesteuerung maßgeblichen Vorschriften der §§ 7, 8 und 14 AStG bewirkt § 5 AStG auch eine Ergänzung zu den §§ 7 ff. AStG insoweit, als erweitert beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner den unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern gleichgestellt werden.3 Bei der Verweisung geht es konkret darum, die der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegenden Einkünfte zu umschreiben. Im Übrigen unterscheidet sich die Zurechnung gem. § 5 AStG von der Hinzurechnung der §§ 7 ff. AStG grundlegend. Die Zurechnung der von der zwischengeschalteten Auslandsgesellschaft erzielten Einkünfte auf den erweitert beschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner entspricht der Zurechnung nach Art eines Treuhandverhältnisses.4

6.364

2. Gegenstand der Zurechnung Zugerechnet werden diejenigen erweiterten Inlandseinkünfte der zwischengeschalteten Auslandsgesellschaft, mit denen erweitert beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner bei unbeschränkter Steuerpflicht nach den §§ 7, 8 und 14 AStG steuerpflichtig wären. Gegenstand der Zurechnung sind damit Zwischeneinkünfte, also niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb (§ 8 AStG) (Rz. 13.76 ff.). Die Zurechnung erfasst auch die Zwischeneinkünfte nachgeschalteter Auslandsgesellschaften. Die Zurechnung beschränkt sich dabei ebenfalls nur auf jene Zwischeneinkünfte, die erweiterte Inlandseinkünfte sind.5

6.365

3. Zurechnungsempfänger Die Zurechnungsbesteuerung im Rahmen des § 5 AStG setzt beim erweitert beschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner an. Eine Beteiligungsgrenze ist nicht angegeben. Der Wortlaut „al-

1 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 301; Rundshagen in S/K/K, Art. 5 AStG Rz. 1, 13; Kraft in Kraft, § 5 AStG Rz. 2, 16. 2 Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 116; Lampert in Brandis/Heuermann, § 5 AStG Rz. 7; Steierberg in Fuhrmann3, § 5 AStG Rz. 28. 3 Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 66. 4 Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 172; Rundshagen in S/K/K, Art. 5 AStG Rz. 1. 5 Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 171; Rundshagen in S/K/K, § 5 AStG Rz. 40 a.A. Kaiser in Haase3, § 5 AStG Rz. 41.

Valta | 317

6.366

Kap. 6 Rz. 6.366 | Einkommensteuer

lein oder zusammen mit anderen unbeschränkt Steuerpflichtigen“ ist systematisch und teleologisch nicht so zu interpretieren, dass es eine 100 %-Inländerbeherrschung der Zwischengesellschaft bedarf.1 Es müssen aber die Beteiligungsanforderungen der §§ 7 Abs. 3-5 und 1 Abs. 2 AStG erfüllt sein.2 Es muss sich hierbei um eine natürliche Person handeln, die in den letzten zehn Jahren vor der Auswanderung als Deutscher insgesamt mindestens fünf Jahre nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war. Darüber hinaus muss der Anteilseigner in einem ausländischen Gebiet ansässig sein, in dem er mit seinem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung gem. § 2 Abs. 2 AStG unterliegt.

6.367

Im Hinblick darauf ist die Niedrigbesteuerung zweifach festzustellen, nämlich einmal in Umsetzung der EU ATAD-Richtlinie bei der Qualifizierung der erweiterten Inlandseinkünfte als Zwischeneinkünfte gem. § 8 AStG3 und ein weiteres Mal beim Anrechnungsempfänger hinsichtlich seiner Qualifizierung als erweitert beschränkt steuerpflichtige Person gem. § 2 AStG.4

6.368

Die zuzurechnenden Zwischeneinkünfte, soweit sie nichtausländische Einkünfte (erweiterte Inlandseinkünfte) sind, werden jeweils mit Ablauf des für ihre Ermittlung maßgebenden Wirtschaftsjahres der zwischengeschalteten Auslandsgesellschaft dem Zurechnungsempfänger zugerechnet.5 Diese Zurechnung erfolgt allerdings nur nach Maßgabe der Beteiligung des erweitert beschränkt steuerpflichtigen Anteilseigners am Kapital der zwischengeschalteten Auslandsgesellschaft.6

4. Steueranrechnung 6.369

Obwohl § 5 AStG nicht auf die für die Hinzurechnungsbesteuerung maßgebliche Steueranrechnung (§ 12 AStG) verweist, ist auch im Rahmen der Zurechnungsbesteuerung nach Maßgabe des § 5 AStG eine Steueranrechnung möglich, anderenfalls entstünde eine mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip nicht zu vereinbarende Übermaßbesteuerung, die darin besteht, dass die zugerechneten Einkünfte sowohl bei der ausländischen Gesellschaft als auch bei der erweitert beschränkt steuerpflichtigen Person als Zurechnungsempfängerin der Besteuerung unterliegen.7 Die Möglichkeit der Vermeidung einer derartigen Übermaßbesteuerung ergibt sich aus § 2 Abs. 6 AStG, wonach die Einkommensteuer bei unbeschränkter Steuerpflicht die Obergrenze der Gesamtbelastung bildet (Rz. 6.361).8 Da im Falle der unbeschränkten Steuerpflicht für die hinzugerechneten Einkünfte im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung eine Steueranrechnung gem. § 12 Abs. 1 AStG möglich wäre (Rz. 13.210 ff.), führt das im Ergebnis dazu, dass die von der zwischengeschalteten Auslandsgesellschaft gezahlten in- und auslän-

1 2 3 4 5

Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 6a. Lampert in Brandis/Heuermann, § 2 AStG Rz. 6a. Niedrigbesteuerung gem. § 8 Abs. 3 AStG. Niedrigbesteuerung gem. § 2 Abs. 2 AStG. Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 181; Lampert in Brandis/Heuermann, § 5 AStG Rz. 10; Kraft in Kraft, § 5 AStG Rz. 67; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 5.1.1.2. 6 Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 182. 7 Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 177; Rundshagen in S/K/K, Art. 5 AStG Rz. 12; Kaiser in Haase3, § 5 AStG Rz. 52. 8 Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 177; Kaiser in Haase3, § 5 AStG Rz. 51 f.

318 | Valta

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.371 Kap. 6

dischen Steuern angerechnet werden können.1 Das gilt auch in Fällen nachträglicher Ausschüttungen auf Grundlage von § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG.2

E. Entstrickung und Verstrickung Literatur: Kommentare zu § 1 EStG; von Beckerath, Der Durchgriff im Außensteuerrecht, Berlin 1978; Beil, Der Belastungsgrund des steuerstaatlichen Synallagmas, Frankfurt/M. u.a., 2001; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964, 130 ff.; 161 ff.; Burmester, Grundlagen internationaler Regelungskumulation und -kollision, unter besonderer Berücksichtigung des Steuerrechts, Baden-Baden 1993, 228 ff., 276 ff.; Endriss, Wohnsitz- oder Ursprungsprinzip, Köln 1967; Großfeld, Basisgesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Tübingen 1974; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. München 2000; Kroschel, Die Federal Income Tax der Vereinigten Staaten von Amerika, 1999; Kußmaul/Ruiner, Verfassungsrechtliche Grundlagen, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der Steuerpflicht bei natürlichen Personen in der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, StuW 2009, 80; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Köln 1981/88; Mennel/Förster, Steuern in Europa, Amerika und Asien (Loseblatt); Müller, Die völkerrechtliche Zulässigkeit der Erstreckung der deutschen Steuerhoheit auf ausländische Tochtergesellschaften, Diss. München 1969; Scheffler, Besteuerung der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit, München 1995, 49 ff.; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, Amsterdam 1936 (Neudruck Köln 1967), 219 ff., 256 ff., 328 ff.; Stein/v. Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. München 2017; Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021; Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, Tübingen 2014; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm – Eine Untersuchung über die Grundfragen des sog. Internationalen Verwaltungs- und Steuerrechts, Frankfurt/Berlin 1965; Weber-Fas, Grundzüge des allgemeinen Steuerrechts der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1979; Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, Hamburg 1991.

I. Allgemeine Hinweise Entstrickung und Verstrickung sind keine im EStG oder KStG verwendeten rechtstechnischen Begriffe.3 Sie beschreiben Vorgänge, aufgrund deren deutsches Besteuerungsrecht entweder beschränkt oder verstärkt wird.4 Soweit deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird, kommt es zu einer Entstrickungsbesteuerung. Die Verstrickung führt demgegenüber zu keiner unmittelbaren Steuerentlastung, sie bewirkt allerdings erhöhte Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten bei den betreffenden Wirtschaftsgütern.

6.370

Im Hinblick auf die steuerlichen Auswirkungen sind allgemein die Begriffe Steuerentstrickung/ Steuerverstrickung bzw. Ent-/Verstrickungsbesteuerung gebräuchlich. Im Falle des grenzüberschreitenden Wohnsitzwechsels natürlicher Personen geht es zudem um die Wegzugsbesteuerung.

6.371

1 Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 177; Schulz in Lademann, § 5 AStG Rz. 57; dagegen für eine Anrechnung (nur von inländischen Steuern) gem. § 36 Abs. 2 EStG Lampert in Brandis/Heuermann, § 5 AStG Rz. 11; Kraft in Kraft, § 5 AStG Rz. 68 ff.; Steierberg in Fuhrmann3, § 5 AStG Rz. 36; Kaiser in Haase3, § 5 AStG Rz. 53; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 5.1.1.3. 2 Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 178. 3 Vgl. allerdings nunmehr die Überschrift zu § 12 KStG. 4 Auch im Sinne von ausgeschlossen oder begründet.

Valta und Schaumburg | 319

Kap. 6 Rz. 6.372 | Einkommensteuer

II. Steuerentstrickung 6.372

Im Hinblick darauf, dass allein im Rahmen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht das Welteinkommensprinzip (Rz. 6.53 ff.) zur Geltung kommt, kann jedes Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht, etwa durch Aufgabe des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, zu einem Ausschluss oder zu einer Beschränkung1 des deutschen Besteuerungsrechts führen. Bleibt keine beschränkte oder erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht aufrechterhalten, scheidet der Steuerpflichtige aus der deutschen Steuerhoheit vollends aus. Dieses vollständige oder teilweise Ausscheiden aus der deutschen Steuerhoheit (Steuerentstrickung) hat zur Folge, dass – sofern keine Sonderregelungen eingreifen – etwaige während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern gebildeten stillen Reserven der deutschen Besteuerung entzogen werden. Ein Ausscheiden aus der deutschen Steuerhoheit erfolgt auch dann, wenn der Steuerpflichtige seine unbeschränkte Steuerpflicht im Inland zwar aufrechterhält, durch Begründung einer weiteren unbeschränkten Steuerpflicht im Ausland nach einem DBA dort aber als ansässig gilt (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA; vgl. Rz. 19.194 ff.) mit der Folge, dass abkommensrechtlich Deutschland die Eigenschaft als Wohnsitzstaat und damit die Befugnis zur uneingeschränkten Besteuerung des Welteinkommens grundsätzlich verliert.

6.373

Eine Steuerentstrickung tritt auch dann ein, wenn der Steuerpflichtige durch Wohnsitzwechsel in das Ausland bewirkt, dass die beschränkte Steuerpflicht durch ein DBA eingeschränkt wird. Schließlich ist eine Steuerentstrickung auch durch Ausscheiden aus der erweiterten beschränkten Steuerpflicht infolge eines Wohnsitzwechsels des Steuerpflichtigen denkbar.

6.374

Neben den vorgenannten Fällen, in denen der Steuerpflichtige etwa durch Wegzug aus der deutschen Steuerhoheit ausscheidet (subjektbezogene Steuerentstrickung), sind auch jene Fälle von Bedeutung, in denen ein Besteuerungsgegenstand aus der deutschen Steuerhoheit ausscheidet (objektbezogene Steuerentstrickung). Hierbei geht es vor allem um die Überführung eines Wirtschaftsgutes von einem inländischen Betrieb auf eine ausländische Betriebsstätte, deren Gewinn für Zwecke der Besteuerung abkommensrechtlich dem Betriebsstättenstaat zugewiesen ist (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA; vgl. Rz. 19.229 ff.).

6.375

Eine Steuerentstrickung kommt daher insbesondere in folgenden Fällen in Betracht:2

6.376

Subjektbezogene Steuerentstrickung – Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht im Ausland unter Aufrechterhaltung der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland (Doppelwohnsitz), soweit nach einem DBA der andere Staat als Ansässigkeitsstaat (Wohnsitzstaat) gilt; – Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht (z.B. durch Wegzug) und Überwechseln zur beschränkten Steuerpflicht; – Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht ohne Begründung der beschränkten Steuerpflicht; – Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht in einem anderen Staat unter Aufrechterhaltung der bisherigen beschränkten Steuerpflicht im Inland, soweit nach einem DBA Deutsch-

1 Z.B. infolge Anrechnung ausländischer Steuern (§ 34c EStG). 2 Vgl. auch Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487 (2013), 26; Schaumburg in Krause/Schaumburg/Wassermeyer, Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten, 23 (39 f.).

320 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.379 Kap. 6

land die Befugnis zur Besteuerung inländischer Einkünfte verliert (z.B. Wohnsitzwechsel von einem Nicht-DBA-Staat in einen DBA-Staat); – Beendigung der erweiterten beschränkten Steuerpflicht (z.B. durch Wegzug von einem Niedrigsteuerland in ein Hochsteuerland); – Beendigung der Hinzurechnungsbesteuerung (z.B. durch Sitzverlegung der ausländischen Kapitalgesellschaft von einem Niedrigsteuerland in ein Hochsteuerland).

6.377

Objektbezogene Steuerentstrickung – Überführung von Wirtschaftsgütern auf eine ausländische Betriebsstätte, soweit nach einem DBA die Betriebsstättenbesteuerung in Deutschland entfällt; – Überführung von Grundstückszubehör in das Ausland, soweit nach einem DBA die Besteuerung der Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen für Deutschland nicht gegeben ist; – Überführung von Wirtschaftsgütern von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte, soweit hierdurch inländische Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) nicht mehr vorliegen (z.B. bei Beteiligung beschränkt steuerpflichtiger Personen an einer inländischen Mitunternehmerschaft1); – Erfüllung abkommensrechtlicher Aktivitätserfordernisse mit der Folge des Wechsels von einer Anrechnungs- zu einer Freistellungsbetriebsstätte. Den vorgenannten Fallgruppen ist gemeinsam, dass das deutsche Besteuerungsrecht entweder ausgeschlossen oder beschränkt sein kann. Dies gilt vor allem für die Besteuerung des Vermögenszuwachses, soweit dieser während einer Zeit erfolgt ist, in der im Rahmen der unbeschränkten, beschränkten oder erweiterten beschränkten Steuerpflicht eine Besteuerung durch Deutschland gewährleistet war. Die hierdurch ausgelöste (aktive) Steuerentstrickung beruht ausnahmslos auf Handlungen des Steuerpflichtigen selbst. Darüber hinaus kann es zu einer Beschränkung oder zu einem Ausschluss des Besteuerungsrechts durch einen in- oder ausländischen Gesetzgeber kommen, ohne dass es auf irgendwelche Handlungen des Steuerpflichtigen ankommt. Eine derartige (passive) Steuerentstrickung kann z.B. in folgenden Fällen eintreten:2

6.378

– Abschluss oder Änderung eines DBA, – Heraufsetzung des Steuersatzes im Ausland oder/und Absenkung des maßgeblichen Niedrigsteuersatzes im Inland (z.B. § 8 Abs. 5 AStG) für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung oder – Austritt aus der EU (z.B. Brexit) mit der Folge, dass die zugunsten von EU-/EWR-Staatsangehörigen wirkenden Grundfreiheiten entfallen.3 Im Kern geht es bei der Steuerentstrickung um die Sicherstellung der stillen Reserven für Zwecke der Besteuerung. Im Hinblick darauf sind Wirtschaftsgüter (§ 4 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 1. Alt. EStG), Teilbetreibe und Betriebe (§ 16 Abs. 3a EStG) betroffen. Darüber hinaus geht es

1 BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663. 2 Vgl. Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 487 (2013), 26, Ditz/Rupp, ISR 2021, 413 (418) f. 3 Vgl. nur Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht² Rz. 8.228 mit Verweis auf die Regelungen im Brexit – StBG (BGBl. I 2019, 357).

Schaumburg | 321

6.379

Kap. 6 Rz. 6.379 | Einkommensteuer

aber auch um die Sicherstellung der Besteuerung laufender Einkünfte aus der (grenzüberschreitenden) Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern (§ 4 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 2. Alt. EStG).1

III. Steuerverstrickuung 6.380

Der Wechsel von der beschränkten in die unbeschränkte Steuerpflicht, etwa bei Aufgabe des ausländischen und Begründung eines inländischen Wohnsitzes, führt grundsätzlich2 auch zu einem für die Besteuerung maßgeblichen Wechsel vom Territorialitätsprinzip in das Universalitätsprinzip mit der Folge, dass die inländische Besteuerung nunmehr das Welteinkommen erfasst. Dieses Eintreten in die unbeschränkte Steuerpflicht (Steuerverstrickung) hat zur Folge, dass – sofern keine Sonderregelungen eingreifen – etwaige während der Zeit vor Beginn der unbeschränkten Steuerpflicht im Ausland im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern gebildete stille Reserven nunmehr von der deutschen Besteuerung erfasst werden.3 Eine Steuerverstrickung tritt auch dann ein, wenn der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz im Ausland zwar aufrechterhält, durch Begründung eines weiteren inländischen Wohnsitzes nach dem maßgeblichen DBA (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA; vgl. Rz. 19.204 ff.) hier aber als ansässig gilt, so dass eine etwa bislang bestehende Beschränkung deutschen Besteuerungsrechts zum Fortfall kommt. Eine Steuerverstrickung ist schließlich auch in den Fällen denkbar, in denen durch Wohnsitzwechsel im Ausland eine bislang bestehende Einschränkung der beschränkten oder erweiterten beschränkten Steuerpflicht entfällt. Im Übrigen gelten die für die Steuerentstrickung maßgeblichen Grundsätze vice versa auch für die Steuerverstrickung,4 so dass auch insoweit zwischen subjektbezogener und objektbezogener Steuerverstrickung zu unterscheiden ist.

IV. Gewinnrealisierung durch Steuerentstrickung Literatur: Kommentare zu §§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4; 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1; 4g; 16 Abs. 3a, 36 Abs. 5 EStG; Beutel/Rehberg, National Grid Indus – Schlusspunkt der Diskussion oder Quell neuer Kontroverse zur Enstrickungsbesteuerung?, IStR 2012, 94; Böhmer/Schewe/Schlücke, Neujustierung der Grenzen des deutschen Besteuerungsrechts durch das ATAD-UmsG und das KöMoG; Burmester, Probleme der Gewinn- und Verlustrealisierung, Baden-Baden 1986, 53; 93; Desens, Paradigmenwechsel in der Entstrickungsbesteuerung?, DStR 2022, 1588; Desens, Der Leistungsfähigkeitsgedanke und die Entstrickung im Spiegel der europäischen Freizügigkeitsrechte, FR 2022, 681; Diebold, Steuerverstrickung und Steuerentstrickung im Normengefüge des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts, Diss. Augsburg 1984; Ditz, Aufgabe der finalen Entnahmetheorie – Analyse des BFH-Urteils vom 17.7.2008 und seiner Konsequenzen, IStR 2009, 115; Ditz/Rupp, Entstrickung und Verstrickung: Aktuelle Fragen und ATADUmsG, ISR 2021, 413; Hagemann/Link, Ent- und Verstrickung nach dem ATAD-Umsetzungsgesetz – Änderungen im EStG und KStG, IWB 23021, 471; Heckenroth/Schulz, Das Verhältnis von § 6 AStG zu den Entstrickungsregelungen des EStG und des KStG, ISR 2018, 229; Hoffmann, Aufgabe der

1 Die Entstrickungsregelungen gehen der in § 1 Abs. 4 u. 5 AStG verankerten AOA-Regelung über die Einkünftekorrektur vor; Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 2817; Schnitger, IStR 2012, 633 (638); Kahle, DStR 2012, 691 (698); Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (41); Schaumburg, ISR 2013, 197 (198 f.); vgl. Rz. 21.67. 2 Ausnahme: Wechsel von der beschränkten zur fingierten unbeschränkten Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 3; 1a EStG). 3 Die vorstehenden Grundsätze gelten auch dann, wenn vorher keine beschränkte Steuerpflicht gegeben war. 4 Das gilt allerdings nicht für die Nutzungsentstrickung, der keine Nutzungsverstrickung gegenübersteht; vgl. hierzu Schnitger, IFSt-Schrift Nr. 487 (2013), 26.

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E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.381 Kap. 6 Theorie der finalen Entnahme in der BFH-Rechtsprechung, DB 2008, 2286; Hruschka, Die Ent- und Verstrickung stiller Reserven nach dem SEStEG, StuB 2006, 584; Kahle in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht, 4. Aufl., Herne 2021, Rz. 2963 ff.; Kahle/Beinert, Zur Diskussion um die Europarechtswidrigkeit der Entstrickungstatbestände nach Verder LabTec, FR 2015, 585; Kessens, Die Besteuerung der grenzüberschreitenden Überführung von Wirtschaftsgütern, Frankfurt/M. 2009; Kessler/ Huck, Grenzüberschreitender Transfer von Betriebsvermögen StuW 2005, 193; Kessler/Philipp, Rechtssache National Grid Indus BV – Ende oder Bestätigung der Entstrickungsbesteuerung?, DStR 2012, 267; Kessler/Spychalski, Die Tatbestandsvoraussetzungen einer passiven Entstrickung bei Änderung bilateraler Verträge – Kann rein innerstaatliches Handeln die Aufdeckung stiller Reserven implizieren? IStR 2019, 193; Koch, Bilanzierung und Gewinnrealisierung bei Einbringung einer 100%igen Beteiligung in eine ausländische Betriebsstätte, BB 2008, 2450; Köhler, Der Wegzug von Unternehmen und Unternehmensteilen in die EU, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 813; Körner, Europarechtliches Verbot der Sofortbesteuerung stiller Reserven beim Transfer ins EU-Ausland, IStR 2012; Körner, Ent- und Verstrickung, IStR 2009, 741; Kraft/ Ungemach, Deutsche Entstrickungsregelungen im Bereich des Betriebsvermögens, DStZ 2020, 440; Linn, Das EuGH-Urteil in der Rs. DMC und der Vorlagebeschluss des FG Düsseldorf – Ende der Diskussion um die Wegzugssteuer?, IStR 2014, 136; Mitschke, Nochmals: Aufgabe der „finalen Entnahmetheorie“ – Nachlese zum BFH-Urteil – I R 77/06, FR 2008, 1149, FR 2009, 326; Mitschke, Zur gesetzlichen Entstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, DB 2009, 1376; Mitschke, Konkretisierung der gesetzlichen Entstrickungsregelungen und Kodifizierung der finalen Betriebsaufgabetheorie durch das Jahressteuergesetz 2010, Ubg 2011, 328; Mitschke, Schlussurteil zu Verder LabTec: Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 S. 3 und 4 EStG ist rechtmäßig und unionsrechtskonform, IStR 2016, 126; Mitschke, National Grid Indus – Ein Pyrrhussieg für die Gegner der Sofortbesteuerung?, IStR 2012, 6; Müller-Gatermann, Das SEStEG im Überblick-Entstrickung und Verstrickung sowie neues Umwandlungssteuerrecht, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 939; Musil, Die Ergänzung des Entstrickungstatbestands durch § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG – Herrscht nun endlich Klarheit?, FR 2011, 545; Pach-Hanssenheimb, Die Verstrickung von Wirtschaftsgütern in die deutsche Steuerhoheit, Baden-Baden 1991; Rödder/Schumacher, Das SEStEG – Überblick über die endgültige Fassung und die Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf, DStR 2007, 369; Roser, Überführung von Wirtschaftsgütern ins Ausland – eine Grundsatzentscheidung mit vielen Fragen, DStR 2008, 2389; Schaumburg, Die neue Dogmatik der internationalen Steuerentstrickung, StbJb 2008/2009, 193; Schneider/Oepen, Finale Entnahme, Sicherstellung stiller Reserven und Entstrickung, FR 2009, 22; Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, Berlin 2013; Statzkowski, Das Prinzip der Gewinnverwirklichung durch Steuerentstrickung im deutschen Steuerrecht, Diss. Berlin 1986; Sydow, Neues bei der Exit-Tax: EuGH erklärt Fünftelungsregelung zur Besteuerung stiller Reserven und Bankgarantien für unionsrechtskonform, DB 2014, 265; Wassermeyer, Verliert Deutschland im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte das Besteuerungsrecht?, DB 2006, 1176; Weiser, Das arm’s length-Prinzip beim Güter- und Leistungstransfer zwischen Stammhaus und Betriebsstätten im Gemeinschaftsrecht, DB 2008, 2724; Werra/Teiche, Das SEStBeglG aus der Sicht international tätiger Unternehmen DB 2006, 1455; Wilke, Entstrickungsbesteuerung nach der „ATAD“Umsetzung, IStR 2020, 366.

1. Überblick Das inländische Steueraufkommen ist in den Fällen der Steuerentstrickung weitgehend normativ gesichert. Im Vordergrund steht hierbei die Regelung des § 4 Abs. 1 Sätze 3 u. 4 EStG, wonach in den Fällen, in denen hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird, eine (fiktive) Entnahme zum gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 Abs. 1 EStG) angenommen wird. Soweit es hiernach zu einer Gewinnrealisierung der Wirtschaftsgüter kommt, kann ein Ausgleichsposten mit der Maßgabe gebildet werden, dass dieser im Wirtschaftsjahr der Bildung und in den vier folgenden Wirtschaftsjahren jeweils zu 1/5 gewinnerhöhend aufzulösen ist (§ 4g Abs. 2 Satz 1 EStG). Angesprochen sind hierdurch insSchaumburg | 323

6.381

Kap. 6 Rz. 6.381 | Einkommensteuer

besondere Fälle des grenzüberschreitenden Betriebsvermögenstransfers von einem inländischen Stammhaus auf eine ausländische Betriebsstätte. Ergänzend hierzu wird allerdings auch die Betriebs- bzw. Teilbetriebsverlegung sowie der Wegzug eines Einzelunternehmens oder einer Mitunternehmerschaft insgesamt erfasst (§ 16 Abs. 3a EStG), wobei die auf den Aufgabegewinn entfallende Steuer in EU-/EWR-Fällen in fünf gleichen Jahresraten entrichtet werden kann (§ 36 Abs. 5 EStG).1 Schließlich gibt es auch eine entsprechende Regelung für den Wegzug von Kapitalgesellschaften (§ 12 Abs. 1 KStG), wobei die hieran anknüpfenden Rechtsfolgen auf Gesellschafterebene in § 17 Abs. 5 EStG normiert sind (Rz. 7.45 ff.). Sobald natürliche Personen wegziehen, kommt für im Privatvermögen gehaltene Kapitalgesellschaftsanteile die Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG in Betracht (Rz. 6.406 ff.). Im Übrigen sind Entstrickungsregelungen z.B. in § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG, § 12 Abs. 1 KStG und im UmwStG2 enthalten.

6.382

Konzeptionell liegt der im Einkommensteuergesetz verankerten Entstrickungsdogmatik die in der Vergangenheit von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Lehre von der finalen Entnahme zugrunde, wonach zwar allgemein eine Gewinnrealisierung durch Steuerentstrickung verneint,3 durch extensive Auslegung des Entnahmetatbestands (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG) oder gar dessen analoge Anwendung sowie durch extensive Auslegung des Betriebsaufgabebegriffs (§ 16 Abs. 3 EStG) im Ergebnis aber die Gewinnrealisierung durch Steuerentstrickung zum allgemeinen Rechtsprinzip erhoben wurde.4 Der BFH hat seine frühere Rechtsprechung zur Theorie der finalen Entnahme5 und der finalen Betriebsaufgabe6 indessen in den Jahren 20087 und 20098 aufgegeben.9 Der BFH stützt die Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme im Wesentlichen darauf, dass das Gesetz hierfür keine hinreichende Grundlage habe. Für eine Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG setze das Gesetz nämlich voraus, dass das Entnahmeobjekt für betriebsfremde Zwecke entnommen werde. Dies sei aber etwa bei der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte des gleichen Unternehmens nicht der Fall, da der bestehende betriebliche Funktionszusammenhang nicht gelöst werde. Schließlich, so der BFH, gehe auch bei einem grenzüberschreitenden Betriebsver-

1 Da § 16 Abs. 3a EStG sich tatbestandlich nur auf den Gewerbebetrieb bezieht, wird der Wegzug eines Mitunternehmers nur von § 4 Abs. 1 Satz 3 u. 4 EStG erfasst. 2 §§ 3 Abs. 2 Nr. 2; 9, 11 Abs. 2 Nr. 2, 13 Abs. 2 Nr. 1, 15 Abs. 1 i.V.m. 11 Abs. 2 Nr. 2, 15 Abs. 1 i.V.m. 13 Abs. 2, 16 i.V.m. 3 Abs. 2 Nr. 2, 20 Abs. 2 Nr. 3, 21 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1, 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG; zu diesen Entstrickungsklauseln Schaumburg in FS Herzig, 711 ff. 3 BFH v. 16.7.1969 – I 266/65, BStBl. II 1970, 175; v. 10.2.1972 – I R 205/66, BStBl. II 1972, 455; v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246. 4 Theorie der finalen Entnahme: BFH v. 16.7.1969 – I 266/65, BStBl. II 1970, 175; v. 28.4.1971 – I R 55/66, BStBl. II 1971, 630; v. 30.5.1972 – VIII R 111/69, BStBl. II 1972, 760; v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1983, 113; v. 19.2.1998 – IV R 38/97, BStBl. II 1998, 509; im Urteil v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246 hat der BFH eine Gewinnrealisierung durch Steuerentstrickung allerdings für den Fall verneint, dass ein DBA im Nachhinein abgeschlossen wird und dadurch stille Reserven zuvor in das Ausland überführter Wirtschaftsgüter aus der inländischen Besteuerung ausscheiden. 5 BFH v. 16.7.1969 – I 266/65, BStBl. II 1970, 175; v. 30.5.1972 – VIII R 111/69, BStBl. II 1972, 760; v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246; v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1983, 113; v. 19.2.1998 – IV R 38/97, BStBl. II 1998, 509. 6 BFH v. 28.4.1971 – I R 55/66, BStBl. II 1971, 630; v. 13.10.1976 – I R 261/70, BStBl. II 1977, 76; v. 28.3.1984 – I R 191/79, BStBl. II 1984, 664. 7 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; Nichtanwendungserlass: BMF v. 20.5.2009 – IV C 6-S 2134/07/10005, BStBl. I 2009, 671. 8 BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 103. 9 Hierzu Koch, BB 2008, 2450; Weiser, DB 2008, 2724 ff.; Roser, DStR 2008, 2389 ff.

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E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.383 Kap. 6

mögenstransfer der steuerliche Zugriff auf die stillen Reserven ohnehin nicht verloren, wenn abkommensrechtlich ausländische Betriebsstättengewinne freigestellt würden. Nach Art. 13 Abs. 2 OECD-MA könnten zwar Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Betriebsstättenvermögens im Betriebsstättenstaat versteuert werden, bei Geltung der Freistellungsmethode (Art. 23A OECD-MA) gehe der inländische Besteuerungszugriff auf diese Veräußerungsgewinne aber nur in jenem Umfang verloren, in dem das Vermögen der Betriebsstätte auch tatsächlich zuzuordnen sei und in dem die realisierten Gewinne durch jene Betriebsstätte erwirtschaftet würden. Daher sei abkommensrechtlich eine Aufteilung künftiger Veräußerungsgewinne zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nach Verursachungsbeiträgen geboten.1 Ausgehend davon ist den Entstrickungsregeln des Ertragsteuerrechts zu einem großen Teil die Grundlage entzogen.2 Daran ändert auch § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG nichts, der lediglich ein Regelbeispiel aufzählt, ohne konstitutiv festzuschreiben, dass sämtliche in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG geregelten Fälle stets zu einem Ausschluss oder zu einer Beschränkung deutschen Besteuerungsrechts führen.3 Das bedeutet, dass auch bei einem Zuordnungswechsel von Wirtschaftsgütern zu einer ausländischen Betriebsstätte stets die Grundvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG gegeben sein müssen.4 Gleichwohl wird im Folgenden von der Teleologie ausgegangen, die durch § 4 Abs. 3 Satz 4 EStG zum Ausdruck kommt.

2. Reichweite der Steuerentstrickung Da allgemein als Steuerentstrickung vor allem solche Vorgänge bezeichnet werden, auf Grund derer die in Wirtschaftsgütern gebildeten stillen Reserven der Besteuerung ganz oder teilweise entzogen werden, ohne dass eine die Gewinnrealisierung auslösende Außentransaktion gegeben ist, sind gleichermaßen Betriebs- und Privatvermögen, Steuersubjekte und –objekte, Vorgänge im In- und Ausland sowie schließlich auch grenzüberschreitende Vorgänge betroffen. Darüber hinaus wird von der Reichweite der Steuerentstrickung auch der bloße subjekt- und objektbezogene Statuswechsel etwa durch Abschluss oder Änderung von DBA erfasst (passive Entstrickung). Schließlich ist die Steuerentstrickung kein Spezifikum des Einkommen- oder Körperschaftsteuerrechts und des Umwandlungssteuerrechts, sondern auch im Rahmen der Gewerbesteuer und der Erbschaftsteuer von Bedeutung. Dort fehlen aber diesbezügliche Regelungen. Im Hinblick darauf müssten entsprechende normative Entstrickungsregelungen sachlogisch sämtliche Wirtschaftsgüter mit stillen Reserven erfassen, und zwar für jede Steuerart gesondert und unabhängig voneinander. Ein derartiges Entstrickungsprinzip5 müsste, um sich ggü. dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG legitimieren zu können, kon-

1 Die Begründung zur Aufgabe der finalen Betriebsaufgabe ist weitgehend gleichlautend. 2 Vgl. hierzu die (damalige) Diskussion zu dem Urteil des BFH v. 17.7.2008 mit z.T. abweichenden Meinungen z.B. Schneider/Oepen, FR 2009, 22 ff.; Hoffmann, DB 2008, 2286 ff.; Ditz, IStR 2009, 115 ff. Mitschke, FR 2009, 326 ff.; Blöchle, IStR 2009, 645 ff.; Göbel/Ungemach/Jacobs, DStZ 2009, 531 ff.; Kahle/Franke, IStR 2009, 406 ff.; Körner, IStR 2009, 741 ff.; Prinz, IStR 2009, 807 ff.; Schönfeld, IStR 2010, 133 ff.; Mitschke, IStR 2010, 95 ff. 3 Schnitger, IFSt-Schrift Nr. 487 (2013), 25; Gosch IWB 2012, 779 (785 f.); Lendewig/Jaschke, StuB 2011, 90 (94); Kessler/Philipps, DStR 2012, 267 (270); Schaumburg, ISR 2013, 197 (200); a.A. Musil in H/H/R, 4 EStG Rz. 240; Frotscher/Watrin in Frotscher/Geurts, § 4 EStG Rz. 375g; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 229 ff. 4 Das ist z.B. bei inländischen Grundstücken, die auf eine ausländische Betriebsstätte überführt werden, nicht der Fall (Art. 6 Abs. 2, 4 i.V.m. Art. 23A Abs. 1 OECD-MA). 5 Hierzu Hennrichs in Tipke/Lang24, Rz. 9.450 ff.

Schaumburg | 325

6.383

Kap. 6 Rz. 6.383 | Einkommensteuer

sequent umgesetzt sein und als sachgerechte Wertentscheidung folgerichtig durchgehalten werden.1

6.384

Die dem Einkommensteuergesetz zugrunde liegende Entstrickungskonzeption erfasst indessen nur die subjekt- und objektbezogene Steuerentstrickung im Betriebsvermögensbereich (§§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4; 16 Abs. 3a EStG) sowie die wegzugsbedingte Steuerentstrickung im Zusammenhang mit im Privatvermögen gehaltenen Anteilen i.S.v. § 17 EStG (§ 6 AStG). Vergleichbare Vorgänge im Privatvermögensbereich lösen demgegenüber keine entsprechenden Steuerfolgen aus. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen natürliche Personen wegzugsbedingt aus der unbeschränkten Steuerpflicht ausscheiden und hierdurch der Steuerzugriff für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen etwa an ausländischen Kapitalgesellschaften (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) mangels beschränkter Steuerpflicht oder abkommensrechtlich dem deutschen Steuerzugriff entzogen werden. Nicht erfasst werden auch Vorgänge, auf Grund derer der Gewerbesteuerzugriff entfällt, so etwa beim Strukturwandel, wenn etwa ein Gewerbebetrieb zu einem landwirtschaftlichen oder freiberuflichen Betrieb wird.2 Schließlich ist für gewerbesteuerliche Zwecke eine Steuerentstrickung auch dann nicht vorgesehen, wenn ein Betrieb im Inland von einer Hochsteuer- in eine Niedrigsteuergemeinde verlegt wird. Entsprechendes gilt für den Wegzug von einem Niedrig- in ein Hochsteuerland, wenn hierdurch eine Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 bis 13 AStG.) entfällt. An eine Steuerentstrickung anknüpfende Steuerfolgen werden schließlich auch nicht dadurch ausgelöst, dass wegzugsbedingt ausländisches Vermögen und bei Anwendung von DBA auch Inlandsvermögen aus dem deutschen Erbschaftsteuerzugriff ausscheiden. Da im Wesentlichen nur die Steuerentstrickung im Betriebsvermögensbereich normativ verankert ist, ist der Steuerentstrickung mithin eine umfassende Gesamtkonzeption versagt geblieben. Damit gibt es eine in sich geschlossene Entstrickungskonzeption nur für den Betriebsvermögensbereich für Zwecke der Einkommenund Körperschaftsteuer, wobei es allerdings wegen der unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen zu erheblichen Verwerfungen kommt. So ist die Entnahme von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens, etwa Waren, mit dem Teilwert anzusetzen (§§ 4 Abs. 1 Satz 2, 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Halbs. 1 EStG), während für einen vergleichbaren grenzüberschreitenden Betriebsvermögenstransfer der gemeine Wert maßgeblich ist (§§ 4 Abs. 1 Satz 3, 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Halbs. 2 EStG) mit der Folge, dass nur im zweiten Fall (fiktive Entnahme) ein etwaiger Produktions- und Liefergewinn der Besteuerung zuzuführen ist.

3. Steuerentstrickung im Betriebsvermögen a) Grundsätze

6.385

Die Steuerentstrickung im Betriebsvermögensbereich ist eine Ausnahme vom Realisationsprinzip, welches dem Bilanzsteuerrecht konzeptionell zugrunde liegt. Nach diesem Realisationsprinzip dürfen nur realisierte Gewinne ausgewiesen werden, so dass bloße Wertsteigerungen der Vermögensgegenstände nicht erfasst werden.3 Das Realisationsprinzip, das zu den 1 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 327 ff. 2 Die Rechtsprechung lehnt hier eine Betriebsaufgabe (Totalentnahme) ab; so BFH v. 7.10.1974 – GrS 1/73, BStBl. II 1975, 168; v. 9.12.1986 – VIII R 26/80, BStBl. II 1987, 342; v. 12.3.1992 – IV R 29/91, BStBl. II 1993, 36; hierzu Seer in Kirchhof/Seer21, § 16 EStG Rz. 185; vgl. auch BMF v. 11.11.2011 – IV C 2-S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 3.18, wonach der Ausschluss bzw. die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts sich ausschließlich auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer bezieht. 3 Vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbs. HGB; hierzu Prinz in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht4, Rz. 400 ff.

326 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.386 Kap. 6

materiellen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung bei der Bilanzierung gehört, ist in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG1 verankert, wonach der für die Ermittlung des Gewinns maßgebliche Betriebsvermögensvergleich von den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung abhängig gemacht wird. Damit wird für das Bilanzsteuerrecht das handelsrechtliche System ordnungsmäßiger Buchführung und damit zugleich auch das Realisationsprinzip rezipiert. Dieses Realisationsprinzip, das eine Konkretisierung des Vorsichtsprinzips2 ist, bedeutet, dass eine Gewinnrealisierung nicht schon bei bloßer Wertsteigerung, sondern erst dann eintritt, wenn eine Außentransaktion erfolgt, wenn etwa der Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung gegenüber Dritten erbringt. Dieses Realisationsprinzip ist aber nicht mehr als ein Grundsatz mit wichtigen steuerspezifischen Ausnahmen. Hierzu gehört insbesondere § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG, wonach auch ohne Transaktion eine steuerliche Abrechnung der stillen Reserven zu dem Zeitpunkt ermöglicht wird, zu dem die Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung entfällt oder beschränkt wird. Von der in § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG verankerten Entstrickungsregelung werden der Ausschluss und die Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsgutes erfasst. Angesprochen ist damit vor allem der grenzüberschreitende Betriebsvermögenstransfer etwa vom inländischen Stammhaus auf eine ausländische Betriebsstätte, deren Gewinne abkommensrechtlich freigestellt sind oder eine Anrechnung ausländischer Steuern auslösen. Da nicht auf die Veräußerung, sondern bereits auf die vorgelagerte Überführung abgestellt wird, knüpft § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG die Rechtsfolge im Ergebnis an die abstrakte Gefährdung3 des deutschen Besteuerungsrechts an.4 Im Rahmen der (aktiven) Entstrickung wird neben einem grenzüberschreitenden auch ein ausländischer Betriebsvermögenstransfer erfasst, wenn etwa ein Wirtschaftsgut von einer sog. Anrechnungs- auf eine Freistellungsbetriebsstätte überführt wird.5 Schließlich können die Entstrickungsfolgen auch ausgelöst werden, wenn etwa ein Gewerbetreibender, der in einem ausländischen Staat, mit dem Deutschland kein DBA abgeschlossen hat, wegzugsbedingt aus der unbeschränkten Steuerpflicht ausscheidet.6 Entsprechendes gilt bei einem Wegzug eines an einer ausländischen Personengesellschaft beteiligten Mitunternehmers. Anknüpfungspunkt für die in § 4 Abs. 1 Sätze 3 u. 4 EStG geregelte Entstrickungsbesteuerung sind stets Wirtschaftsgüter, soweit die Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung derselben ausgeschlossen oder beschränkt wird. Worauf der Ausschluss oder die Beschränkung beruht, spielt nach dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG keine Rolle. Damit werden auch Fälle der passiven Entstrickung erfasst.7 Angesprochen ist damit vor allem der Ausschluss oder die Beschränkung deutschen

1 Über § 8 Abs. 1 KStG gilt diese Vorschrift auch für Kapitalgesellschaften. 2 Ableitung aus § 252 Abs. 1 und 4 HGB. 3 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 228; Loschelder in Schmidt41, § 4 EStG Rz. 244; Wassermeyer, DB 2006, 1176 (1176). 4 Eine derartige Gefährdung ist indessen nach der Rspr. des BFH bei einer ausländischen Freistellungsbetriebsstätte nicht gegeben, da im Veräußerungsfall die im Inland gebildeten stillen Reserven auch abkommensrechtlich für Zwecke der deutschen Besteuerung erhalten bleiben; BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464. 5 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 230; Wied in Brandis/Heuermann, § 4 EStG Rz. 486c. 6 Vgl. zu den Fallkonstellationen der subjektbezogenen Steuerentstrickung Rz. 6.376. 7 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 230; Loschelder in Schmidt41, § 4 EStG Rz. 244; Herbort/Sendke, IStR 2014, 449; Hosp/Langer, IWB 2013, 15; BMF v. 26.10.2018 – V B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl. I 2018, 1104; davon ausgehend auch Ziff. 4 Protokoll DBA-Liechtenstein (BGBl. II 2012, 1462), a.A. Bron, IStR 2014, 918; kritisch auch Kessler/Spychalski, IStR 2019, 193; Kudert/Kahlenberg, FR 2019, 250 (251).

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Kap. 6 Rz. 6.386 | Einkommensteuer

Besteuerungsrechts durch Abschluss oder Änderung eines DBA.1 Eine wirtschaftsgutbezogene Entstrickungsbesteuerung setzt ferner dann ein, wenn z.B. der gesamte Betrieb oder Teilbetrieb in das Ausland verlegt wird oder der Unternehmer unter „Mitnahme“ seines Betriebs oder Teilbetriebs dorthin verzieht (§ 16 Abs. 3a EStG). Die Steuerentstrickung erfolgt als fiktive Entnahme (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 u. 4 EStG) zum gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG). Hierdurch wird im Ergebnis sichergestellt, dass im Unterschied zur „normalen“ Entnahme, die mit dem Teilwert anzusetzen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 1 EStG), auch die in Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens enthaltenen stillen Reserven erfasst werden.2 Im Falle der fiktiven Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3a EStG) ermittelt sich der Aufgabegewinn auf der Grundlage des gemeinen Werts aller Wirtschaftsgüter (§ 16 Abs. 3 Satz 7 i.V.m. § 16 Abs. 2 EStG), wobei im Gegensatz zur „echten“ Betriebsaufgabe im Hinblick auf die Weiterführung des Betriebes oder Teilbetriebs auch der Geschäftswert einzubeziehen ist.3 Die vorgenannten Grundsätze gelten auch bei einer Realteilung,4 soweit Wirtschaftsgüter danach einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind (§ 16 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG).

6.387

Die in § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) verankerte Entstrickungsregelung5 erfasst nicht nur die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte als Hauptanwendungsfall, sondern auch eine entsprechende Nutzungsüberlassung. Angesprochen sind damit insbesondere diejenigen Fälle, in denen etwa das inländische Stammhaus der ausländischen Betriebsstätte materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlässt, ohne dass dadurch eine Zuordnung dieser Wirtschaftsgüter zum ausländischen Betriebsstättenvermögen und damit ein grenzüberschreitender Betriebsvermögenstransfer erfolgt. Soweit hierfür der gemeine Wert anzusetzen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG), bezieht sich dieser auf den Nutzungswert und nicht etwa auf das betreffende Wirtschaftsgut selbst.6 Ob ein Wirtschaftsgut auf eine ausländische Betriebsstätte überführt oder dieser lediglich zur Nutzung überlassen worden ist, entscheidet sich nach Veranlassungsgesichtspunkten, wobei allgemein davon ausgegangen wird, dass ein Wirtschaftsgut entweder nur dem Stammhaus oder nur der Betriebsstätte zuzuordnen ist.7 In Orientierung an diesen Grundsatz ist eine Überführung auf eine ausländische Betriebsstätte dann gegeben, wenn das betreffende Wirtschaftsgut ausschließlich und auf Dauer von der ausländischen Betriebsstätte genutzt wird.8 Wird dagegen das Wirtschaftsgut der ausländischen Betriebsstätte nur vorübergehend oder nicht ausschließlich zur Nutzung überlassen, ist eine überführungsbedingte Entstrickung ausgeschlos1 Vgl. hierzu die Sonderregelung in Ziff. 4 des Protokolls zum DBA-Liechtenstein (BStBl. I 2013, 503), die von der Anwendung des § 4 Abs. 1 Sätze 3. u. 4 EStG ausgeht und hierfür eine dem § 4g EStG vergleichbare Steuerstreckung enthält; ferner § 4g Abs. 6 EStG und § 36 Abs. 5 Satz 4 EStG. 2 Kulosa in Schmidt41, § 6 EStG Rz. 515. 3 Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771; v. 16.6.2004 – X R 34/03, BStBl. II 2005, 378; Kulosa in H/H/R, § 16 EStG Rz. 583; 630. 4 Zum Begriff Wacker in Schmidt41, § 16 EStG Rz. 530. 5 Diese geht dem § 1 Abs. 4 und 5 AStG insoweit vor; vgl. Schnitger, IStR 2012, 633 ff. (638); Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 ff. (41); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198 f.); vgl. auch Rz. 21.67. 6 Bode in Kirchhof/Seer21, § 4 EStG Rz. 107; Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 232; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 ff. (1485); anders Werra/Teiche, DB 2006, 1456 ff. (1457 f.); Förster, DB 2007, 72 ff. (75 f.). 7 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 2.4; v. 25.8.2009 – IV B 5 S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888; für eine anteilige Zuordnung dagegen z.B. Part I OECD -Betriebsstättenbericht 2010 Rz. 72; Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch², Rz. 5.21 ff. 8 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 278; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 327; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 294; Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 ff. (102).

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E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.388a Kap. 6

sen, sodass die stillen Reserven des betreffenden Wirtschaftsgutes selbst nicht realisiert werden. Möglich ist daher nur eine nutzungsbedingte Entstrickung, für die als gemeiner Wert (Nutzungswert) der kapitalisierte Barwert der zukünftigen Nutzungsvergütungen anzusetzen ist.1 Die vorgenannte nutzungsbedingte Entstrickungsregelung wird nicht durch § 1 Abs. 5 AStG2 verdrängt, weil die dort verankerte Einkünftekorrektur wegen des in Bezug genommenen § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG3 lediglich subsidiär zur Anwendung kommt.4 Die mit der Steuerentstrickung verbundene Gewinnrealisierung ist konzeptionell auf eine Sofortbesteuerung gerichtet, für die allerdings in bestimmten Fallkonstellationen eine Steuerstreckung vorgesehen ist. Die hierfür maßgeblichen Regelungen (§§ 4g, 36 Abs. 5 EStG)5 gewährleisten, dass für die fingierte Entnahme (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 u. 4 EStG) auf Antrag in Höhe des Entstrickungsgewinns zwecks Vermeidung einer sofortigen Gewinnerhöhung ein über fünf Jahre gewinnerhöhend aufzulösender Ausgleichsposten gebildet werden kann. Das gilt gleichermaßen in Fällen der aktiven und passiven Entstrickung von Wirtschaftsgütern des Anlage- und Umlaufvermögens, der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht sowie in Bezug auf EU- und EWR-Staaten,6 sofern durch diese Staaten Amtshilfe i.S.d. AmtshilfeRL (Rz. 22.80) und Unterstützung bei der Beitreibung i.S.d. BeitreibungsRL (Rz. 22.81) geleistet wird (§ 4g Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 36 Abs. 5 Satz 1 EStG). Der Ausgleichsposten, der im Regelfall im Jahr der Bildung und in den vier folgenden Wirtschaftsjahren gewinnerhöhend aufzulösen ist (§ 4g Abs. 2 Satz 1 EStG), muss allerdings in vollem Umfang in den in § 4g Abs. 2 Satz 2 EStG genannten Fällen vorzeitig aufgelöst werden. Es geht hierbei um die in § 36 Abs. 5 Satz 4 EStG7 aufgeführten zwingenden Auflösungsgründe und um die Fälle, in denen der künftige Steueranspruch bei der Auflösung des Ausgleichsposten gefährdet erscheint und eine geforderte Sicherheitsleistung verweigert wird.

6.388

Für die fingierte Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3a EStG) kann gem. § 36 Abs. 5 EStG auf Antrag die auf den Aufgabegewinn und den Gewinn aufgrund des Wechsels der Gewinnermittlungsart8 festgesetzte Steuer in fünf gleichen Jahresraten zinslos entrichtet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die betreffenden Wirtschaftsgüter einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen in einem anderen EU-/EWR-Staat zuzuordnen sind. Schließlich verlangt § 36 Abs. 5 Satz 1 EStG als Voraussetzung für die Steuerstreckung, dass der andere Staat Amtshilfe entsprechend

6.388a

1 Vgl. Brüninghaus in V/B/E, Hdb. der Verrechnungspreise5, K Rz. 220 f.; Frotscher in Frotscher/ Drüen, § 12 KStG Rz. 52: jährlicher Nutzungsbetrag; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 370: Summe der erzielbaren Vergütungen. 2 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. 3 „Unbeschadet anderer Vorschriften“; Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (74 ff.); Engelen/Quilitzsch, FR 2021, 145 (147 f.); Köhler, ISR 2020, 380 (381 ff.); Schnitger, IStR vgl. Rz. 21.137. 4 Schnitger, IStR 2012, 633 ff. (638); Kahle, DStZ 2012, 691 ff. (698); Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 ff. (41); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198 f.); a.A. nunmehr BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), BFH/NV 2020, 1308; zur Kritik an dieser Entscheidung Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (74 ff.); Köhler, ISR 2020, 380 (381 ff.); Schnitger, IStR 2020, 821 (824 ff.); vgl. auch die nachfolgenden Entscheidungen die BFH v. 27.11.2019 bestätigen; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, BFH/NV 2022, 49; v. 13.1.2022 – I R 15/21, BFH/NV 2022, 831. 5 In der Fassung des ATADUmsG v. 25.6.2021, 2035; in allen noch offenen Fällen anzuwenden (§ 52 Abs. 8 Satz 1 EStG). 6 Die Restriktionen nach alter Rechtslage sind somit weitgehend entfallen; vgl. Ditz/Rupp, ISR 2021, 413 (414 f.); Entstrickungsgewinne in Fällen der Nutzungsüberlassung sind allerdings unverändert nicht erfasst. 7 § 4g Abs. 2 Satz 2 EStG verweist hierauf. 8 Vgl. zur Berechnung Lammers in H/H/R, § 36 EStG Rz. 68.

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Kap. 6 Rz. 6.388a | Einkommensteuer

der EU-AHiRL und gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung i.S.d. EU-BeitrRL leistet. Die aufgrund der gewährten Ratenzahlung noch nicht entrichtete Steuer ist allerdings innerhalb eines Monats fällig, wenn eines der in § 36 Abs. 5 Satz 4 EStG aufgeführten schädlichen Ereignisse eingetreten ist. Entsprechendes gilt, wenn der zuständigen Finanzbehörde nicht jährlich mit der Steuererklärung oder, sofern keine Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung besteht, zum 31. Juli anzeigt wird, dass die Voraussetzungen für die Ratenzahlung weiterhin erfüllt sind.

6.389

§§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, 16 Abs. 3a EStG verstoßen nicht gegen die unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten, insbesondere nicht gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV),1 obwohl vergleichbare Vorgänge im Inland keine Besteuerung auslösen. Die deutsche Entstrickungsbesteuerung ist nämlich im Hinblick auf die unionsrechtlich den Mitgliedstaaten zugestandene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse2 gerechtfertigt und angesichts der in §§ 4g Abs. 2, 36 Abs. 5 EStG geregelten fünfjährigen Steuerstreckung im Grundsatz auch verhältnismäßig.3 Indessen gilt diese den Fiskalinteressen der EU-Staaten sehr entgegenkommende Rechtsprechung des EuGH nicht ohne weiteres für eine subjektbezogene Steuerentstrickung in den Fällen, in denen z.B. dem Betriebsvermögen zuzuordnende Anteile an Kapitalgesellschaften durch Wegzug des Steuerpflichtigen aus dem deutschen Steuerzugriff ausscheiden oder zu einer Beschränkung des Besteuerungsrechts führen.4 Insoweit ist auch ein Verstoß gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfähigkeitsprinzip gegeben.

6.390

Die gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzende entstrickungsbedingte Entnahme (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 u. 4 EStG) gilt ausnahmsweise nicht, wenn eine SE oder SCE ihren Sitz verlegen und hierdurch die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der SE/ SCE wegzugsbedingt nicht mehr oder nur noch beschränkt besteuert werden können (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG). Betroffen ist hier insbesondere der Wegzug in EU-Staaten, denen zuzugsbedingt abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung der Anteile mit der Folge der Anrechnung in Deutschland zufällt.5 Diese Ausnahme von der Entnahmefiktion, die auf Art. 10d Abs. 1 FRL beruht, führt dazu, dass die Anteile weiterhin steuerverstrickt bleiben. Werden die Anteile an der weggezogenen SE/SCE später veräußert, so ist ein etwaiger Veräußerungsgewinn gem. § 15 Abs. 1a EStG ungeachtet abkommensrechtlicher Schranken 1 So im Ergebnis für vergleichbare Fälle EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 = ISR 2014, 136 m. Anm. Müller = BFH/NV 2014, 478 – DMC; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI: EU:C:2015:331 = ISR 2015, 259 m. Anm. Müller = FR 2015, 600 – Verder Lab Tec. 2 Zu diesem Rechtfertigungsgrund erstmals EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 = Slg. 2005, I-10837 Rz. 45 – Marks & Spencer; vgl. zu Einzelheiten Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 7.224 ff. 3 EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 = ISR 2014, 96 m. Anm. Zwirner = BFH/NV 2014, 478 – DMC; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331 = ISR 2015, 259 m. Anm. Müller = FR 2015, 600 – Verder Lab Tec; anders noch EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C: 2011:785 = Slg. 2011, I-12273, Rz. 68 – National Grid Indus; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU: C:2012:521 = ISR 2012, 60 m. Anm. Müller = IStR 2012, 763 – Kommission/Portugal; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264 = ISR 2013, 225 m. Anm. Müller – Kommission/Spanien; der von einer Stundung bis zur tatsächlichen Realisation und EuGH v. 18.7.2013 – C-261/11, ECLI: EU:C:2013:480 = ISR 2013, 311 m. Anm. Müller – Kommission/Dänemark, der eine Ausnahme von der Gewinnrealisation nur bei der Verbringung von Einzelwirtschaftsgütern für geboten hält. 4 Vgl. nur EuGH v. 26.2.2019 – C.581/17, ECLI:EU:C:2019:138 – ISR 2019, 436 m. Anm. Hummel – Wächtler; Schönfeld in FS Lüdicke, 567 (570); insoweit gilt EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU: C:2004:138 = Slg. 2004, I-2409 – Lasteryie du Saillant, aufgrund dessen kein Grund besteht, zwischen Kapitalanteilen im Privat- und Betriebsvermögen zu differenzieren. 5 Vgl. Art. 13 Abs. 3, 23 Abs. 1 Buchst. b DBA-Tschechien.

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E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.391 Kap. 6

zu versteuern1 und zwar auch hinsichtlich der erst nach dem Wegzug gebildeten stillen Reserven.2 b) Ausnahme (§ 50i Abs. 1 EStG) Literatur: Kommentare zu § 50i EStG; Bilitewski/Schifferdecker, Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Wegzugsbesteurung natürlicher Personen in Drittstaaten, Ubg 2013, 559; Bodden, Familienpersonengesellschaften im Spannungsfeld zwischen § 50i EStG und § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG – Steuergefahren beim Wegzug von Gesellschaftern, KÖSDI 2015, 19249; Brombach-Krüger, Entschärfung des § 50i EStG?, IStR 2016, 407; Häck, Wegzugsbesteuerung bei Vererbung und Schenkung von Kapitalgesellschaftsanteilen im steuerlichen Privat- und Betriebsvermögen, IStR 2015, 267; Liekenbrock, „Steuerfreie“ Entstrickung oder § 50i EStG? – Besteuerung von Personengesellschaften mit ausländischen Gesellschaftern nach dem AmtshilfeRLUmsG, IStR 13, 690; Lüdicke, Gedanken zu § 50i EStG, FR 2015, 128; Pohl, Die „vermögensverwaltende“ Personengesellschaft im Abkommensrecht – Rechtsänderungen durch den neuen § 50i EStG, IStR 2013, 669; Prinz, Der neue § 50i EStG: grenzüberschreitende „Gepräge-KG“ zur Verhinderung einer Wegzugsbesteuerung – Gestaltungsüberlegungen nach Verabschiedung des AmtshilfeRLUmsG, DB 13, 1378; Salzmann, Weitere Treaty Overrides aufgrund des AmtshilfeRLUmsG, IWB 2012, 405; Strothenke, Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Wiederverstrickung durch § 50i Abs. 1 EStG, StuB 2016, 187.

§ 50i Abs. 1 EStG3 enthält eine Ausnahme von der im Übrigen gesetzlich vorgeschriebenen Entstrickung von Wirtschaftsgütern im Betriebsvermögen für den Fall, dass Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens oder Anteile an Kapitalgesellschaften i.S.d. § 17 EStG vor dem 29.6.2013 (Stichtag) in das Betriebsvermögen einer gewerblich geprägten oder in den vermögensverwaltenden Bereich einer gewerblich infizierten Personengesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 EStG übertragen oder überführt worden sind (§ 50i Abs. 1 Satz 1 EStG). Der Übertragung oder Überführung von Anteilen i.S.d. § 17 EStG werden bestimmte Fälle des § 20 UmwStG gleichgestellt (§ 50i Abs. 1 Satz 2 EStG). Das bedeutet z.B., dass bei einer Beteiligung an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) eine Entstrickung beim Wegzug eines Mitunternehmers unterbleibt. Stattdessen wird die spätere (nach dem Wegzug eintretende) tatsächliche Gewinnrealisierung (Veräußerung, Entnahme) ungeachtet abkommensrechtlicher Schrankenwirkungen (Treaty-Overriding, Rz. 3.24 f.) der deutschen Besteuerung unterworfen. Diese Sonderregelung beruht darauf, dass die Finanzverwaltung4 in der Vergangenheit eine wegzugsbedingte Entstrickung in der Annahme verneint hat, dass in den vorgenannten Fällen auch nach dem Wegzug das deutsche Besteuerungsrecht an den stillen Reserven und den laufenden Gewinnen uneingeschränkt erhalten bleibe.5 Es handelte sich damit insbesondere um Fälle, in denen der Steuerpflichtige vor dem Wegzug Kapitalgesellschaftsanteile i.S.d. § 17 EStG in eine gewerblich geprägte Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) im Wege etwa einer verdeckten Sacheinlage steuerneutral eingebracht hatte. Die Finanzverwaltung ging dabei davon aus, dass auch nach dem Wegzug Deutschland das uneingeschränkte Besteuerungsrecht sowohl hinsichtlich der als Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) zu qualifizieren1 Dieses Treaty-Overriding (Rz. 3.24 f.) entspricht den Vorgaben von Art. 10 Abs. 2 FRL. 2 Kritisch hierzu Stapperfend in H/H/R, § 15 EStG Rz. 971; Bode in Kirchhof/Seer21, § 4 EStG Rz. 109; Förster, DB 2007, 72 (75 f.); Frotscher, IStR 2006, 65 (68). 3 § 50i Abs. 2 EStG betrifft im Wesentlichen (internationales) Umwandlungssteuerrecht und wird daher unter Rz. 20.8 erörtert. 4 BMF v. 11.7.2011 – IV C 6 - S 2178/09/10001 – DOK 2011/0524044, BStBl. I 2011, 713, Abschn. 2b. 5 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 3.1, nunmehr anders BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.3.

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6.391

Kap. 6 Rz. 6.391 | Einkommensteuer

den laufenden Einkünfte als auch hinsichtlich der Veräußerungsgewinne (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA) habe.1 Diese seit jeher bestrittene Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. im Einzelnen Rz. 19.234 ff.) stand im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH.2 Hiernach schlägt die maßgebliche Gewerblichkeitsfiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG nicht auf das Abkommensrecht durch mit der Folge, dass unabhängig davon Einkünfte aus vermögensverwaltenden Tätigkeiten gewerblich geprägter Personengesellschaften keine Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA), sondern z.B. Einkünfte aus Dividenden (Art. 10 OECD-MA) oder Zinsen (Art. 11 OECD-MA) sind, für die Deutschland kein uneingeschränktes Besteuerungsrecht hat. Mit § 50i Abs. 1 EStG wird dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprochen und zugleich für alle vor dem 29.6.2013 bewirkten Übertragungs- und Überführungsvorgängen (§ 50i Abs. 1 Nr. 1 EStG) normativer Vertrauensschutz gewährt. Zugleich werden aber die stillen Reserven und die entsprechenden laufenden Einkünfte für Zwecke der deutschen Besteuerung durch ein Treaty-Overriding (Rz. 3.24 f.) „gerettet“. Zu einigen Einzelheiten:

6.392

Von § 50i Abs. 1 EStG werden natürliche Personen und Körperschaften gleichermaßen erfasst,3 allerdings nur insoweit, als sie in einem anderen Vertragsstaat ansässig sind.4 Zu welchem Zeitpunkt vor dem 1.1.20175 die Ansässigkeit in dem anderen Vertragsstaat begründet worden ist, spielt für die Anwendung des § 50i Abs. 1 EStG keine Rolle, so dass unter dem insoweit zu Gunsten des Steuerpflichtigen ausgehenden Vertrauensschutz alle Wegzugsfälle vor diesem Zeitpunkt erfasst werden.6 Hieraus folgt, dass § 50i Abs. 1 EStG bis zum 31.12.2016 als lex specialis eine Sperrwirkung gegenüber den allgemeinen Entstrickungsnormen (§§ 4 Abs. 1 Sätze 3 u. 4, 16 Abs. 3a EStG, § 12 KStG) entfaltet.7 Erforderlich ist allerdings, dass zum Zeitpunkt der Veräußerung oder der Entnahme der Wirtschaftsgüter bzw. Kapitalanteile die abkommensrechtliche Ansässigkeit des Steuerpflichtigen (Art. 4 OECD-MA) gegeben ist.8 In Betracht hierfür kommt nur ein Zeitpunkt nach dem 29.6.2013 (§ 52 Abs. 48 Satz 1 EStG).

6.393

Von der Reichweite des § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG werden nur steuerneutrale Übertragungs- und Überführungsvorgänge in Personengesellschaften i.S.d. § 15 Abs. 3 EStG erfasst. Angesprochen sind damit gewerblich infizierte und gewerblich geprägte Personengesellschaften (§ 15 Abs. 3 Nr. 1, 2 EStG).9 Nicht erfasst werden daher originär gewerblich tätige Personengesellschaften

1 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 3.1, nunmehr anders BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.3. 2 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754; v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156; v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760; v. 24.8.2011 – I R 46/10, BStBl. II 2014, 764. 3 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50i EStG Rz. 3; Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 56. 4 Zur Ansässigkeit vgl. Rz. 19.170 ff. 5 Diese zeitliche Limitierung ergibt sich aus § 50i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG; so dass § 50i EStG nur auf Sachverhalte anwendbar ist, bei denen der Ausschluss/Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts vor dem 1.1.2017 eingetreten ist. 6 Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 56, 58; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.3.3.1. 7 Rehfeld in H/H/R, § 50i EStG Rz. 6; Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 49; Hinweis: § 6 AStG (Rz. 6.406 ff.) kommt ebenfalls nicht zur Anwendung, weil die dort verankerte Wegzugsbesteuerung nur Anteile im Privatvermögen (§ 17 EStG) betrifft. 8 Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 58; Pohl in Brandis/Heuermann, § 50i EStG, Rz. 26; Bodden in Korn, § 50i EStG Rz. 18. 9 Zu diesen Mitunternehmerschaften im Einzelnen Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 200 ff., 211 ff.

332 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.396 Kap. 6

(§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG) und sog. Zebragesellschaften,1 für die der in § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG in Bezug genommene § 15 Abs. 3 EStG keine Anwendung findet.2 Gegenstand der Übertragung und Überführung sind neben Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens vor allem Kapitalgesellschaftsanteile i.S.d. § 17 EStG (§ 50i Abs. 1 Satz 1 EStG). Hierzu gehören nicht einbringungsgeborene Anteile i.S.d. § 21 UmwStG a.F. und sperrfristverhaftete Anteile i.S.v. § 22 UmwStG.3 Soweit die Anwendung des § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG davon abhängt, dass die Überführungs- und Übertragungsvorgänge vor dem 29.6.2013 steuerneutral erfolgt sind, werden in Orientierung an den Sinn und Zweck dieser Vorschrift auch Fälle erfasst, in denen nur Zwischenwerte der Besteuerung zu Grunde gelegt worden sind.4

6.394

Die Rechtsfolgen des § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG knüpfen an die Veräußerung der Entnahme der Wirtschaftsgüter oder der Kapitalgesellschaftsanteile i.S.d. § 17 EStG nach dem 29.6.2013 (§ 52 Abs. 48 Satz 1 EStG) an. Dabei geht es darum, einerseits eine Entstrickung auf Grund allgemeiner Entstrickungsnormen (§§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, 16 Abs. 3a EStG, § 12 Abs. 1 KStG) zu verhindern und andererseits eine Besteuerung des Veräußerungs- oder Entnahmegewinns ungeachtet entgegenstehender Bestimmungen eines DBA (Treaty-Overriding) zu gewährleisten. Da es sich im Ergebnis um eine nachgeholte Entstrickungsbesteuerung handelt, sind ebenso wie bei §§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, 16 Abs. 3a EStG und § 12 Abs. 1 KStG auch Veräußerungsund Entnahmeverluste zu berücksichtigen.5

6.395

Der Grundtatbestand des § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG wird in Satz 2 dahingehend ergänzt, dass bestimmte Einbringungsvorgänge nach § 20 UmwStG als Übertragung bzw. Überführung von Anteilen i.S.d. § 17 EStG fingiert werden. Als Übertragung oder Überführung von Anteilen i.S.d. § 17 EStG in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft gilt unter bestimmten Voraussetzungen auch die Gewährung neuer Anteile an die einbringende Personengesellschaft im Zuge der Einbringung in eine Kapitalgesellschaft. Voraussetzung ist, dass der Einbringungszeitpunkt vor dem 29.6.2013 liegt und die Personengesellschaft nach der Einbringung als Personengesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 EStG fortbesteht. Gemeint ist damit z.B. der Fall, dass eine originär gewerblich tätige GmbH & Co. KG im Rahmen einer Ausgliederung ihren gesamten Geschäftsbetrieb zu Buchwerten in eine inländische GmbH gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten einbringt (§ 20 Abs. 1 UmwStG) und danach nur noch als gewerblich geprägte Personengesellschaft fortbesteht.6

6.396

1 Vermögensverwaltend tätige Personengesellschaften, an denen natürliche Personen und Kapitalgesellschaften beteiligt sind; vgl. Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 201. 2 Vgl. Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 73, 75; Bäuml in Frotscher/Geurts, § 50i EStG Rz. 57. 3 Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 63 f. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BFH (BFH v. 10.11.1992 – VIII R 40/89, BStBl. II 1994, 222; v. 17.10.2001 – I R 111/00, BFH/NV 2002, 628; v. 24.6.2008 – IX R 58/05, BStBl. II 2008, 872), die vom lex specialis-Charakter zu § 17 EStG ausgeht; a.A. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.3.3. 4 BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.3.3.2. 5 Insoweit zählt zum Gewinn „auch ein negativer Gewinn“ (Verluste); Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 101; Pohl in Brandis/Heuermann, § 50i EStG Rz. 31; Bodden in Korn, § 50i EStG Rz. 36; Bäuml in Frotscher/Geurts, § 50i EStG Rz. 40; Prinz, DB 2013, 1378 (1381); a.A. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50i EStG Rz. 22. 6 Vgl. das Beispiel in Rz. 2.3.3.2 des BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/ 0599097, BStBl. I 2014, 1258; zu weiteren Einzelheiten Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 105 ff.; Bäuml in Frotscher/Geurts, § 50i EStG Rz. 60a ff.

Schaumburg | 333

Kap. 6 Rz. 6.397 | Einkommensteuer

6.397

Eine Erweiterung des Grundtatbestandes enthält ferner § 50i Abs. 1 Satz 3 EStG, wonach über die stillen Reserven hinaus auch die laufenden Einkünfte ungeachtet der DBA (Treaty-Overriding) der Besteuerung unterworfen werden. Infolge der Verknüpfung mit dem Grundtatbestand in § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG unterliegen die laufenden Einkünfte der Besteuerung nur so lange, wie überhaupt steuerneutral transferiertes Betriebsvermögen und Anteile i.S.v. § 17 EStG noch im Betriebsvermögen der gewerblich infizierten oder gewerblich geprägten Personengesellschaft vorhanden sind.1

6.398

§ 50i Abs. 1 Satz 4 EStG erstreckt den Anwendungsbereich schließlich auf Fälle der Betriebsaufspaltung. Hiernach gelten § 50i Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG sinngemäß, wenn Wirtschaftsgüter vor dem 29.6.2013 Betriebsvermögen eines Einzelunternehmens oder einer Personengesellschaft geworden sind, „die deswegen Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen, weil der Steuerpflichtige sowohl im überlassenen Betrieb als auch im nutzenden Betrieb allein oder zusammen mit anderen Gesellschaftern einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen durchsetzen kann und dem nutzenden Betrieb eine wesentliche Betriebsgrundlage zur Nutzung überlässt.“2 Die Erstreckung des § 50i Abs. 1 EStG auf die Betriebsaufspaltung ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BFH verständlich, wonach die Tätigkeit des (inländischen) Besitzunternehmens keine Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) auslöst und zugleich auch mit der Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern keine Betriebsstätte (Art. 5 OECD-MA) vermittelt wird.3 Im Hinblick darauf ist die steuerliche Ausgangslage nicht anders als bei gewerblich infizierten und gewerblich geprägten Personengesellschaften mit der Folge, dass auch hier in Anwendung des § 50i Abs. 1 Satz 1 EStG die maßgeblichen Rechtsfolgen eintreten.4

4. Steuerentstrickung im Privatvermögen 6.399

Für dem Privatvermögen zuzuordnende Wirtschaftsgüter ist eine Steuerentstrickung nur für Anteile i.S.v. § 17 EStG normativ geregelt, und zwar in § 17 Abs. 5 EStG im Falle des Wegzugs der Kapitalgesellschaft, an der die Anteile gehalten werden, und in § 6 AStG bei Wegzug des Anteilseigners. Weitere steuerrelevante Entstrickungsfälle, etwa für Anteile i.S.v. § 20 Abs. 2 EStG oder für die von § 23 EStG erfassten Vermögenswerten, sind ungeregelt geblieben, ohne dass hierfür eine Begründung ersichtlich ist.5

6.400

Die in § 17 Abs. 5 EStG verankerte Entstrickungsregelung knüpft an den (identitätswahrenden) Wegzug von Kapitalgesellschaften an, an denen der Anteilseigner entsprechend beteiligt ist. Es handelt sich insoweit um den Fall einer (aktiven) objektbezogenen Steuerentstrickung (Rz. 6.377). Im Ergebnis wird damit sichergestellt, dass die stillen Reserven beim Wegzug der Kapitalgesellschaft nicht nur auf Gesellschafts-, sondern auch auf Gesellschafterebene steuerlich erfasst werden. Der Anwendungsbereich des § 17 Abs. 5 EStG ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen die Kapitalgesellschaft wegzugsbedingt nicht aufgelöst wird, weil anderen-

1 Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 120; Loschelder in Schmidt41, § 50i EStG Rz. 7; Pohl in Brandis/Heuermann, § 50i EStG Rz. 36; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.3.3.5. 2 Das Gesetz enthält insoweit erstmals eine gesetzliche Definition der Betriebsaufspaltung. 3 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760; vgl. auch Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 136. 4 Zu Einzelheiten Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 136 ff. 5 Diese selektive Entstrickungsbesteuerung entspricht nicht dem Folgerichtigkeitsgebot und verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. Rz. 4.7).

334 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.402 Kap. 6

falls bereits § 17 Abs. 4 EStG eingreift.1 Von Bedeutung ist daher vor allem der (simultane) Wegzug von SE und SCE, für den § 17 Abs. 5 Satz 2 EStG eine Sonderregelung2 bereit hält, und die Verlagerung der Geschäftsleitung einer nach ausländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft in das Ausland. Zu einigen Einzelheiten3: Verlegt eine SE oder SCE Sitz und Ort der Geschäftsleitung in einen anderen EU-Staat unterbleibt zwar zunächst eine Entstrickungsbesteuerung, die Besteuerung wird aber ungeachtet der Bestimmungen eines DBA4 bei tatsächlicher Veräußerung nachgeholt (§§ 17 Abs. 5 Satz 3; 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG), wobei in Orientierung an Sinn und Zweck dieser Vorschrift nur die bis zum Wegzug gelegten stillen Reserven zu erfassen sind.5 Soweit Doppelbesteuerungsabkommen eingreifen, hat § 17 Abs. 5 EStG bei Ansässigkeit des Anteilseigners im Inland keine große Bedeutung, weil entsprechend Art. 13 Abs. 5 OECD-MA das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates grundsätzlich nicht eingeschränkt ist.6 Ist sie eingeschränkt,7 ist ein fiktiver Veräußerungsgewinn der Besteuerung zu unterwerfen, wobei § 17 Abs. 5 Satz 2 EStG in den Fällen bloß isolierter Verlegung des Orts der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft8 vom Inland in das (EU-)Ausland keinen Besteuerungsaufschub gewährt. Ein in der Praxis bedeutsamer Fall ist schließlich die subjektbezogene Steuerentstrickung für Anteile i.S.v. § 6 AStG. Zu dieser Wegzugbesteuerung Rz. 6.406 ff.

6.401

V. Steuerfolgen der Steuerverstrickung Literatur: Kommentare zu §§ 4 Abs. 1 Satz 8, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG; Böhmer/Wegener, Zum Verhältnis der Verstrickung zu sonstigen Vorschriften des nationalen Rechts, Ubg 2015, 69; Böhmer/Schewe/ Schlücke, Neujustierung der Grenzen des deutschen Beteuerungsrechts durch das ATAD-UmsG und das KöMoG, FR 2021, 765; Diebold, Steuerverstrickung und Steuerentstrickung im Normengefüge von Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, Diss. Augsburg 1984; Ditz/Rupp, Entstrickung und Verstrickung: Aktuelle Fragen und ATADUmsG, ISR 2021, 413; Hagemann/Link, Ent- und Verstrickung nach dem ATAD-Umsetzungsgesetz, IWB 2021, 471; Hruschka, Die Ent- und Verstrickung stiller Reserven nach dem SEStEG, StuB 2006, 574; Kudert, geplante Änderungen bei der Ent- und Verstrickungsbesteuerung, PlStB 2020, 95; Lindauer/Kutschka, Verstrickung von Beteiligungen an deutschen Immobiliengesellschaften durch Einfügung der Grundbesitzklausel gem. Art. 13 Abs. 4 OECD-MA in deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, BB 2016, 668; Pach-Hanssenheimb, Die Verstrickung von Wirtschaftsgütern in die deutsche Steuerhoheit, Baden-Baden 1991; Jochimsen/Kraft, Entstrickung und Verstrickung von Sonderbetriebsvermögen außerhalb des § 50i EStG im Outbound-Kontext – illustriert anhand von Fallstudien, FR 2015, 629; Töben/Reckwartdt, Entstrickung und Verstrickung privater Anteile an Kapitalgesellschaften, FR 2007, 159.

Ebenso wie für die Gewinnrealisierung durch Steuerentstrickung gibt es auch für die Steuerverstrickung im Betriebsvermögen eine allgemein geltende Regelung, wonach einer Einlage die Begründung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräuße-

Schmidt in H/H/R, § 17 EStG Rz. 350; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 17 EStG Rz. 145. Umsetzung von Art. 10d Abs. 2 FRL. Vgl. im Übrigen Rz. 7.45 ff. Treaty-Overriding; vgl. Rz. 3.24 f. Schmidt in H/H/R, § 17 EStG Rz. 353; zu unionsrechtlichen Problemen Gosch in Kirchhof/Seer21, § 17 EStG Rz. 143; Vogt in Brandis/Heuermann, § 17 EStG Rz. 895. 6 Vgl. Abkommensübersicht bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 225. 7 Etwa gem. Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechien, Art. 13 Abs. 3 DBA-Zypern oder generell bei Immobiliengesellschaften (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA). 8 Betrifft nicht SE und SCE. 1 2 3 4 5

Schaumburg | 335

6.402

Kap. 6 Rz. 6.402 | Einkommensteuer

rung eines Wirtschaftsguts gleichsteht (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG). Aktive und passive Steuerverstrickung werden damit gleichermaßen erfasst.1 Bemessungsgrundlage ist auch hier der gemeine Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Aus der Sicht des deutschen Steuerrechts geht es darum, steuerliche Doppelerfassungen zu vermeiden. Angesprochen ist hiermit insbesondere der Import stiller Reserven: Werden etwa Wirtschaftsgüter von einer ausländischen Betriebsstätte, die in einem Land belegen ist, mit dem Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, das die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steuerfreistellung vorsieht (Freistellungsbetriebsstätte), auf das inländische Stammhaus übertragen und anschließend veräußert, so werden die im Ausland außerhalb der deutschen Besteuerung2 gebildeten stillen Reserven der deutschen Besteuerung nicht unterworfen, weil für die transferierten Wirtschaftsgüter eine Eingangsbewertung zum gemeinen Wert vorgeschrieben ist (§§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 i.V.m. 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Die für die Steuerent- und Steuerverstrickung maßgeblichen Regelungen sind insoweit kongruent, als eine fiktive Einlage zum gemeinen Wert nicht nur bei Begründung, sondern auch bei Stärkung des deutschen Besteuerungsrechts angenommen wird (§ 4 Abs. 1 Satz 3, Halbs. 2, Satz 9 EStG).3 Im Hinblick darauf bedient sich das Gesetz (auf Antrag) folgender Regelungstechnik: Die Stärkung des deutschen Besteuerungsrechts infolge der grenzüberschreitenden Überführung von Wirtschaftsgütern in das Inland führt zunächst zu einer fingierten Entnahme aus dem Betriebsvermögen, wobei nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG bei entsprechender Entstrickungsbesteuerung im anderen Staat4 eine Wertverknüpfung erfolgt, die allerdings auf den gemeinen Wert begrenzt ist. Danach gelten die überführten Wirtschaftsgüter als in das inländische Betriebsvermögen eingelegt.5 Hieraus folgt, dass in den Fällen, in denen im ausländischen Staat keine Entstrickungsbeteuerung erfolgt, stets die Buchwerte fortzuführen sind. Die vorgenannte Regelungstechnik gilt vor allem für Wirtschaftsgüter, die von einer ausländischen Betriebsstätte, für deren Einkünfte die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung vermieden wird (Anrechnungsbetriebsstätte), auf das inländische Stammhaus eines unbeschränkt Steuerpflichtigen überführt werden. Im Unterschied zur Steuerentstrickung erstreckt sich die Steuerverstrickung allerdings nicht auf Nutzungen.6 Das führt im Ergebnis zu einer nicht vermeidbaren Doppelbesteuerung, da auch § 1 Abs. 4 u. 5 AStG keine Korrektur zugunsten des Steuerpflichtigen zulässt (Rz. 21.67). Wird ein ganzer Betrieb oder Teilbetrieb in das Inland verlegt, greift § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, Satz 9 EStG ebenfalls ein.7 Der Ansatz erfolgt hierbei mit dem gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG), in dessen Rahmen auch ein Firmenwert zu berücksichtigen ist.8

6.403

Eine die Steuerverstrickung im Privatvermögen betreffende Regelung enthält § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG, wonach verhindert werden soll, dass Deutschland den vor einem Zuzug entstandenen, bereits im Ausland besteuerten, Wertzuwachs ein weiteres Mal besteuert. Die steuer-

1 Zur passiven Steuerentstrickung vgl. Rz. 6.386. 2 Abkommensrechtliche Freistellung aufgrund des Betriebsstättenprinzips (Art. 7 Abs. 1 OECDMA); vgl. zu Einzelheiten Rz. 19.543 f. 3 In der Fassung des ATADUmsG (anwendbar für nach dem 31.12.2019 endende Wirtschaftsjahre; § 52 Abs. 6 Satz 1 EStG). 4 Die ausländische Entstrickungssteuer kann ggf. gem. § 34c EStG angerecht werden; vgl. Ditz/Rupp, ISR 2021, 413 (417); Hagemann/Link, IWB 2021, 471 (476). 5 Vgl. hierzu Ditz/Rupp, ISR 2021, 413 (416 f.); Kudert, PIStB 2020, 95 (98); Hagemann/Link, IWB 2021, 471 (475). 6 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 322; Wied in Brandis/Heuermann, § 4 EStG Rz. 513; Loschelder in Schmidt41, § 4 Rz. 254. 7 Eine dem § 16 Abs. 3a EStG entsprechende (Sonder-)Vorschrift gibt es nicht. 8 Eckstein in H/H/R, § 6 EStG Rz. 891; Kulosa in Schmidt41, § 6 EStG Rz. 631.

336 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.405 Kap. 6

liche Doppelerfassung wird dadurch vermieden, dass für Zwecke der Veräußerungsgewinnbesteuerung nicht die Anschaffungskosten, sondern derjenige Wert zugrunde gelegt wird, den der Wegzugsstaat bei der Berechnung einer der Steuer nach § 6 AStG vergleichbaren Steuer angesetzt hat. Der Anwendungsbereich dieser Verstrickungsnorm ist indessen dadurch eingeschränkt, das höchstens der gemeine Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Zuzugs nach Deutschland angesetzt wird.1 Sofern daher der Wegzugsstaat tatsächlich einen höheren als den gemeinen Wert ansetzt, kommt es zu einer partiellen steuerlichen Doppelerfassung. Eine Wertaufstockung bis zur Höhe des gemeinen Werts unterbleibt schließlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige nur vorübergehend von Deutschland abwesend ist und sodann wieder nach Deutschland zuzieht (§ 17 Abs. 2 Satz 4 EStG).2 Die in § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG enthaltene Verstrickungsklausel ist in mehrfacher Hinsicht lückenhaft und im Vergleich zu § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG mit Wertungswidersprüchen durchsetzt. So wird nur die durch den Zuzug des Anteilseigners bedingte Steuerverstrickung erfasst. Damit ist der Grundfall angesprochen, dass der Anteilseigner von der beschränkten in die unbeschränkte Steuerpflicht überwechselt. Nicht erfasst werden Doppelwohnsitzfälle, in denen der Anteilseigner seit jeher unbeschränkt steuerpflichtig ist, die Anteile an einer inländischen Kapitalgesellschaft zu einem späteren Zeitpunkt erwirbt und danach erst in Deutschland im abkommensrechtlichen Sinne ansässig wird (vgl. Art. 4 OECD-MA). Obwohl deutsches Besteuerungsrecht erst durch die abkommensrechtliche Ansässigkeit begründet wird, scheidet die Anwendung des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG deshalb aus, weil die Anteile nicht bereits im Zeitpunkt der unbeschränkten Steuerpflicht dem Anteilseigner zuzurechnen waren. Die Anwendung des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG scheidet schließlich auch dann aus, wenn der Anteilseigner von einem ausländischen Staat, mit dem Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, in einen anderen Staat, mit dem kein DBA besteht, umzieht.3 Dieser umzugsbedingte Fortfall der abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen, wonach nur dem Ansässigkeitsstaat die Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen zustehen (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA), führt zu einer inländischen Steuerverstrickung, soweit die Anteile an der inländischen Kapitalgesellschaft gehalten werden. Die Anwendung des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG versagt schließlich auch in den Fällen, in denen nicht der Anteilseigner, sondern die ausländische Kapitalgesellschaft aus dem Ausland zuzieht und der Anteilseigner etwa in einem Staat ansässig ist, mit dem Deutschland kein DBA abgeschlossen hat. Obwohl hierdurch erst zuzugsbedingt die beschränkte Steuerpflicht begründet wird, werden von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG auch die Vermögenszuwächse steuerlich erfasst, die außerhalb der beschränkten Steuerpflicht entstanden sind. Soweit in den vorgenannten und in anderen Fällen das dem Einkommensteuergesetz zugrunde liegende Verstrickungskonzept nicht konsequent umgesetzt worden ist, ist für Zwecke der Vermeidung der steuerlichen Doppelbelastung ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten (§§ 163, 227 AO).

6.404

Auf die Vermeidung der doppelten Erfassung stiller Reserven gerichtete Verstrickungsnormen gibt es auch auf bilateraler Ebene, wonach etwa in Fällen des Zuzugs und anschließender Veräußerung wesentlicher Beteiligungen an Kapitalgesellschaften4 bei der Ermittlung des Veräu-

6.405

1 Das gilt natürlich nicht, wenn die tatsächlichen Anschaffungskosten höher waren; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 17 Rz. 81. 2 Hinweis auf § 6 Abs. 3 AStG; hierzu Rz. 6.430 ff. 3 Vgl. Schmidt in H/H/R, § 17 EStG Rz. 231. 4 Hier gilt das Wohnsitzstaatsprinzip (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA).

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Kap. 6 Rz. 6.405 | Einkommensteuer

ßerungsgewinns als Anschaffungskosten der Betrag zugrunde zu legen ist, den der Wegzugsstaat im Zeitpunkt des Wegzugs als Erlös angenommen hat.1

VI. Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG Literatur: Kommentare zu § 6 AStG; Arlt, Die Anknüpfung der Vermögenszuwachsbesteuerung an die Beendigung der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG, IStR 2008, 216; Bartsch/Nürnberg, Wegzugsbesteuerung bei Übersiedlung in die Schweiz, Ubg 2018, 645; Baßler, Die Bedeutung des § 6 AStG bei der Planung der Unternehmensnachfrage, FR 2008, 218; Baßler, Wer ist Steuerpflichtiger in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG?, IStR 2013, 22; Blumenberg/Lechner, Die Zukunft der Entstrickungs- und Wegzugsbesteuerung in Blumenberg/Crezelius/Gosch/Schüppen (Hrsg.), FS Haarmann, 2015, S. 351; Bösken, Die Unionsrechtskonformität der Wegzugsbesteuerung in § 6 AStG nach der Reform durch das ATAD-Umsetzungsgesetz (§ 6 AStG), Ubg 2021, 589; Bron/Seidel, Mögliche Inlandsbesteuerung aufgrund der Abschaffung der Besteuerung nach dem Aufwand (Pauschalbesteuerung) in der Schweiz – Zugleich Überlegungen zum Verhältnis der Nebentatbestände zum Grundtatbestand des § 6 AStG, IStR 2009, 312; Deininger/Lang, Wegzug aus steuerlichen Gründen, 2. Aufl. Bonn 2009; Dörfler/Ribbrock, Grenzüberschreitende Verluste, Wegzugsbesteuerung sowie Koordinierung von steuerlichen Regelungen im Binnenmarkt – eine Bestandsaufnahme, BB 2008, 304; Endres/ Freiling, Wegzugsbesteuerung bei Wohnsitzverlagerung, PIStB 2009, 72; Göttsche, Wohnsitzverlagerung natürlicher Personen im Ausland, 1997; Gebhardt, Neuregelung der Wegzugsbesteuerung, EStB 2007, 148; Häck/Oertel, Künftige Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG i.d.F. des ATAD-UmsG, ISR 2021, 286; Häck, Wegzugsbesteuerung bei Vererbung und Schenkung von Kapitalgesellschaftsanteilen im steuerlichen Privat- und Betriebsvermögen, IStR 2015, 267; Häck, Der EuGH und die Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen (§ 6 AStG), ISR 2018, 189; Haun/Schneider, Entwurf zu § 6 AStG und Beteiligung an Immobilienkapitalgesellschaften, IWB 2020, 214; Hecht/Gallert, Ungeklärte Rechtsfragen der Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG, BB 2009, 2396; Heurung/Ferdinand/Kremer, Reform der Wegzugsbesteuerung, IStR 2020, 90; Hörnicke/Quilitzsch, Die Wegzugsbesteuerung idF als RefE-ATADUmsG im Lichte der jüngeren Rechtsprechung, ISR 2020, 152; Huber, Wegzugsbesteuerung: Verlustrealisierung im Zeitpunkt des Wegzugs?, IWB 2015, 392; Kahlenberg, Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Wegzugsbesteuerung (§ 6 ASTG), IStR 2020, 378; Keilen/Kölbl, Auswirkungen des Referentenentwurfs zum ATADUmsG auf die Wegzugsbesteuerung, IStR 2020, 171; Keller, Die Fortentwicklung der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG, Frankfurt/M. 2006; Klein/Rippert, Die Entstrickungsbesteuerung von Kapitalgesellschaftsanteilen im Privatvermögen, IWB 2018, 457; Kraft, Die reformierte Wegzugsbesteuerung, IWB 2022, 553; Kraft/Schmidt, Die Wegzugsbesteuerung im kritischen Spiegel jüngerer Entwicklungen, RIW 2011, 758; Krawitz/Kalbitzer, Der internationale Erbund Schenkungsfall als Auslöser der Wegzugsbesteuerung, in Festschrift Schaumburg, 2009, 835; Krumm, Einkommensteuerrechtliche Wertzuwachsbesteuerung bei grenzüberschreitender Vererbung von Kapitalgesellschaftsanteilen des Privatvermögens, FR 2012, 509 (Teil I), FR 2012, 624 (Teil II); Kühn/Weiss, Die geplante Reform der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG, IWB 2020, 46; Linn/Pignot, Neues zur Wegzugsbesteuerung, Jüngere Entscheidungen und neue Perspektiven, IWB 2018, 114; Loritz/Sessig, Europarechtliche Schranken für die Verzinsung von Steuerforderungen beim Widerruf nach § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG, IStR 2013, 288; Lüdicke/Reich/M. Lang, Beteiligungen im Privatvermögen: Die Besteuerung des Wegzugs aus Österreich und Deutschland in die Schweiz – Teil I, IStR 2008, 673; Mitschke, Nochmals: Das EuGH-Urteil in der RS DMC – Ende der Diskussion um die Wegzugsteuer? IStR 2014, 216; Moritz, Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 AStG – Keine Berücksichtigung fiktiver Veräußerungsverluste, DB 2017, 2578; Müller, Die Wegzugsbesteuerung in der steuerlichen Beratungspraxis, IWB 2021, 930; Oppel, Überblick über § 6 AStG n.F. – unionsrechtliche Einordnung und Vermeidungsstrategien, IWB 2021, 508; Ostertun/Reimer, Wegzugsbesteuerung Wegzugsberatung, München 2007; Paus, Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG – dürfen Verluste außer Ansatz bleiben?, DStZ 2017, 893; Richter/Escher, Deutsche Wegzugsbesteuerung bei natürlichen Personen nach dem SEStEG im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, FR 2007, 674; Salzmann, Verschärfte Wegzugsbesteuerung nach

1 Z.B. Art. 13 Abs. 5 DBA-Schweiz; DBA-Italien, Protokoll Nr. 12.

338 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.407 Kap. 6 § 6 AStG nF – Rückwirkung auf vor dem 1.1.2022 verwirklichte Sachverhalte?, IStR 2021, 759; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, in FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schindler, Hughes de Lasteyrie du Saillant als Ende der (deutschen) Wegzugsbesteuerung, IStR 2004, 300; Schnitger, Verstoß der Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) und weiterer Entstrickungsnormen des deutschen Ertragsteuerrechts gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrages, IStR 2005, 493; Schön, Wegzugsbesteuerung und EGRecht, JbFfSt 2004/05, S. 72; Schönfeld, Keine Wegzugbesteuerung bei Wegzug mit einer Beteiligung an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft, IStR 2011, 142; Schönfeld, Der Wegzug in die Schweiz im neuen Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht (Teil 1), FR 2017, 69; Schönfeld/Erdem, Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG n.F. und EU-Recht, StuW 2022, 70; Schönfeld/Häck, § 6 AStG und beschränkte Steuerpflicht, IStR 2012, 582; Söffing/Bron, Die Wegzugsbesteuerung im Verhältnis zur Schweiz unter Berücksichtigung des Freizügigkeitsabkommens, RIW 2009, 358; Thömmes/Linn, Verzinsung und Sicherheitsleistung bei aufgeschobener Fälligkeit von Steuern im Wegzugsfall, IStR 2012, 282; Töben/Reckwardt, Entstrickung und Verstrickung privater Anteile an Kapitalgesellschaften – Änderungen durch das SEStEG, FR 2007, 159; Toifl, Die Wegzugsbesteuerung, Wien 1996; Wacker, Wegzug und Entstrickung, in Lang (Hrsg.), Europäisches Steuerrecht, DStJG 2017 (41), S. 423; Wassermeyer, Merkwürdigkeiten bei der Wegzugsbesteuerung, IStR 2007, 833; Wassermeyer, Wegzug ins Ausland und seine ertragsteuerlichen Folgen, in Höppner/Piltz/Wassermeyer, Die Besteuerung nach dem Wegzug ins Ausland, Bonn 1997, 7; Wassermeyer, Der Meinungsstreit um die Wegzugsbesteuerung im Sinne des § 6 AStG, IStR 2013, 1; Wassermeyer, Die Wegzugsbesteuerung als Problem der Steuerreform, in Festschrift Solms, 173; Wilke, Sofortige Besteuerung des Wertzuwachses bei Wegzug in die Schweiz ist unverhältnismäßig, PIStB 2019, 91; Zimmermann, Das unionsrechtliche Stundungsangebot und seine Auswirkungen auf § 6 AStG, IStR 2021, 352.

1. Zielsetzung § 6 AStG stellt die Besteuerung derjenigen stillen Reserven sicher, die in Anteilen an einer inoder ausländischen Kapitalgesellschaft i.S.d. § 17 EStG angefallen sind. Die Sicherstellung der Besteuerung der stillen Reserven erfolgt dadurch, dass das in § 17 EStG für die Gewinnrealisierung vorausgesetzte primäre Tatbestandsmerkmal der Veräußerung durch Tatbestandsmerkmale ersetzt wird, die an das Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht anknüpfen. Die durch § 6 AStG begründete Besteuerung des Vermögenszuwachses wird in seinem Haupttatbestand (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG) dadurch erfüllt, dass der betroffene Steuerpflichtige Deutschland verlässt. Diese Wegzugsbesteuerung, die eine subjektbezogene Steuerentstrickung erfasst, ist damit der letzte Akt innerhalb der unbeschränkten Steuerpflicht.1

6.406

2. Konzeptionelle Mängel Die Regelung des § 6 AStG ist sehr unvollkommen und lässt keine einheitliche Konzeption erkennen.2 Erfasst werden nämlich lediglich die stillen Reserven in privat gehaltenen Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG, nicht aber solche, die unter § 20 Abs. 2 EStG fallen. Diese bloß partielle Erfassung stiller Reserven im Rahmen der subjektbezogenen Steuerentstrickung ist nicht plausibel. So ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen lediglich die stillen Reserven von unter § 17 EStG fallenden Beteiligungen erfasst werden, zumal die Gewinne aus der Veräußerung von unter § 17 EStG und § 20 Abs. 2 EStG fallenden Kapitalanteilen gleichermaßen der unbe-

1 BFH v. 23.9.2008 – I B 92/08, BStBl. II 2009, 524; Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 35; Häck/Oertel, ISR 2021, 286 (290). 2 Das gilt auch für die ab dem Veranlagungszeitraum 2022 (§ 21 Abs. 3 AStG) geltende aufgrund des ATADUmsG v. 25.6.2021 (BStBl. I 2021, 2035) reformierte Neufassung des § 6 AStG.

Schaumburg | 339

6.407

Kap. 6 Rz. 6.407 | Einkommensteuer

schränkten und beschränkten Steuerpflicht1 unterfallen. An der gesetzgeberischen Wertung gemessen, ist diese tatbestandsmäßige Einschränkung des § 6 AStG unverständlich. Vor dem Hintergrund des lückenhaften § 49 Abs. 1 EStG (Rz. 6.160 f.) hätte es schließlich nahe gelegen, über § 6 AStG auch die stillen Reserven anderer aus der deutschen Steuerhoheit ausscheidender Wirtschaftsgüter zu besteuern. § 6 AStG knüpft ferner nicht an den Wegfall der sich aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG ergebenden Besteuerungsbefugnis an, der dadurch eintreten kann, dass ein an einer deutschen Kapitalgesellschaft beteiligter beschränkt Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz von einem ausländischen Staat, mit dem kein DBA besteht, in einen anderen ausländischen Staat verlegt, der aufgrund eines DBA die ausschließliche Befugnis zur Besteuerung der Veräußerungsgewinne erhält. Die Beendigung der erweiterten beschränkten Steuerpflicht (§ 2 AStG) führt gem. § 6 AStG ebenfalls zu keiner steuerlichen Erfassung der inländischen Vermögenszuwächse. Durch § 6 AStG wird schließlich auch nicht die Besteuerung derjenigen stillen Reserven sichergestellt, die durch Ausscheiden aus der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 bis 13 AStG) für die deutsche Besteuerung verloren gehen.

6.408

Die bloß singuläre Erfassung bestimmter stiller Reserven aufgrund des § 6 AStG führt zu einer steuerlichen Benachteiligung derjenigen Steuerpflichtigen, die Beteiligungen i.S.v. § 17 EStG an in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften halten. Für diese Ungleichbehandlung ist kein rechtfertigender Grund erkennbar, so dass zugleich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt.2 Die gleichheitswidrige Besteuerung wird durch § 6 AStG noch dadurch verschärft, dass dessen Tatbestände mitunter weit über das gesetzgeberische Ziel hinausgehen. So erfolgt eine Wegzugsbesteuerung auch dann, wenn die Besteuerung durch Deutschland wegzugsbedingt überhaupt nicht eingeschränkt wird. Verlegt etwa ein Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz in ein Land, mit dem Deutschland kein DBA abgeschlossen hat, verbleibt es bei der steuerlichen Erfassung der Veräußerungsgewinne durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG. Die Wegzugsbesteuerung ist daher unter dem Gesichtspunkt einer ultima ratio-Besteuerung nur gerechtfertigt, wenn die Besteuerungsbefugnis Deutschlands durch ein DBA genommen wird.3 Schließlich führt die Wegzugsbesteuerung in der Fassung des ATADUmsG4 zudem zu einer Übermaßbesteuerung5 in den Fällen, in denen nach Wegzug die Kapitalanteile an Wert verlieren und ein etwaiger Veräußerungserlös nicht ausreicht, die Wegzugssteuer zu entrichten.6 Um dem Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu entsprechen, ist in Orientierung an die für § 17 EStG geltenden Grundsätze der nachträglichen Kaufpreisanpassungen7 ein Erlass aus Billigkeitsgründen (§§ 163, 227 AO) geboten.8

1 § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG einerseits und § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. d EStG andererseits. 2 Vgl. Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 153; Strunk/Kaminski in S/K/K, § 6 AStG Rz. 31. 3 Zur Rechtfertigung im Einzelnen Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 155 f.; Schaumburg in FS Tipke, 125 (141 f.); Schaumburg/Schaumburg, StuW 2005, 306 (312); dagegen BFH v. 8.12.2021 – I R 30/ 19, BFH/NV 2022, 756: Ausschluss oder Beschränkung des nationalen Besteuerungsrecht ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. 4 Anwendbar ab. 1.1.2022 (§ 21 Abs. 3 AStG). 5 Zum Verbot der sog. Erdrosselungssteuer BVerfG v. 25.9.1992 – 2 BvL 5/91, BVerfGE 87, 153. 6 Vgl. hierzu Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 154 m.w.N. 7 BFH v. 13.10.2015 – IX R 43/14, BStBl. II 2016, 212; v. 19.7.1993 – GrS 1/92, BStBl. II 1993, 894. 8 Vgl. Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 154; Schnitger, IFSt-Schrift Nr. 487 (2013), 106 ff.; Wassermeyer in GS Krüger, S. 287 (292 f.).

340 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.409 Kap. 6

Die bisherige Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG a.F.) ist im Wesentlichen mit den europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten vereinbar.1 Dies gilt in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung2 insbesondere im Hinblick auf die in § 6 Abs. 5 AStG vorgesehene Möglichkeit, bei EU-/ EWR-Sachverhalten die im Zeitpunkt des Wegzugs festgesetzte Steuer bis zur Realisierung eines Veräußerungsgewinns zinslos und ohne Verpflichtung zur Sicherheitsleistung zu stunden. Damit wird in § 6 AStG a.F. den Vorgaben der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung entsprochen.3 Die mit der Neuregelung4 verbundene Verschärfung des § 6 AStG5 hält sich weitgehend noch im Rahmen der sich in den letzten Jahren geänderten Rechtsprechung des EuGH,6 wonach für den Betriebsvermögensbereich der mit der Entstrickungs- bzw. Wegzugsbesteuerung verbundene Eingriff in die Grundfreiheiten (Rz. 4.16 ff.) unter dem Gesichtspunkt der Aufteilung der Besteuerungsrechte gerechtfertigt und auch verhältnismäßig ist, wenn die Steuerzahlung über fünf Jahre gestreckt wird.7 Der Gesetzgeber ist auf Grundlage der geänderten EuGHRspr.8 davon ausgegangen, dass die vorgenannten Grundsätze auch für den Privatvermögensbereich (§ 6 AStG) Geltung haben.9 Indessen ist die zum Privatvermögensbereich ergangene EuGH-Rechtsprechung10 unverändert maßgeblich. Die auf dieser Grundlage unionsrechtlich legitimierte Altfassung des § 6 AStG entspricht in besonderer Weise dem im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Rz. 4.19). Konkret: Im Vergleich zu dem in der Neufassung verankerten Ratenzahlungskonzept (§ 6 Abs. 4 AStG) führt die bisherige Stundungslösung (§ 6 Abs. 5 AStG a.F.) zu einer geringeren Eingriffstiefe und ist somit weniger grundfreiheitsbeschränkend. § 6 AStG in der ab dem 1.1.2022 geltenden Fassung ist insoweit mit den unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten unvereinbar.11

1 Zur Altregelung: BFH v. 23.9.2008 – I B 92/08, BStBl. II 2009, 524; v. 25.8.2009 – I R 88, 89/07, BFH/NV 2009, 2047; Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 165 (differenzierend); Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 13 f.; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 8.81; Prinz, GmbHR 2007, 966 (967); Dörfler/Ribbrock, BB 2008, 304 (309). 2 § 21 Abs. 3 AStG. 3 EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138 – Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGh v. 7.9.2006 – C-470/04, ECLI:EU:C:2006:525 – N; EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019: 138 – Wächtler. 4 Geltung ab 12.1.2022 (§ 21 Abs. 3 AStG). 5 Die Änderungen hätten aufgrund der ATAD keineswegs erfolgen müssen; vgl. hierzu nur Oppel, IWB 2021, 508 (509). 6 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 = Slg. 201, I-12273 – National Grid Indus; EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 = DStR 2014, 193 – DMC; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331 = DStR 2015, 1166 – Verder Lab Tec. 7 Vgl. hierzu und zugleich zur Kritik an dieser Rechtsprechung Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht², Rz. 7.228 ff.; Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 166 ff. 8 Hierzu zählt auch die Entscheidung des EuGH v. 21.12.2016 – C-503/14, ECLI:EU:C:2016:979 – Kommission/Portugal. 9 Regierungsbegründung zum ATADUmsG betreffend § 6 AStG; ferner schon zuvor Dobratz, ISR 2014, 198 (200); Benecke in Lüdicke, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 45 (2016), 129. 10 EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138 Rz. 6 – Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 7.9.2006 – C-470/04; ECLI:EU:C:2006:525 – N; EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C: 2019:138 – Wächtler (zum FZA Schweiz). 11 Vgl. zu Einzelheiten Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 161 ff.; Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 15; ferner Oppel, IWB 2021, 508 (510, 516 ff.); Kraft, EuZW 2022, 585 f.

Schaumburg | 341

6.409

Kap. 6 Rz. 6.410 | Einkommensteuer

6.410

Die Wegzugsbesteuerung1 verstößt mittelbar gegen die Zuteilungsregeln der DBA. Zwar unterscheidet sich die Wegzugsbesteuerung als Wertzuwachsbesteuerung, die nicht realisierte Gewinne erfasst, von ihrer tatbestandlichen Anknüpfung her von der Versteuerung tatsächlicher Veräußerungsgewinne; dies ändert aber nichts an der Verpflichtung, auch die vorweggenommene Besteuerung der Veräußerungsgewinne nach den Grundsätzen des konkret anzuwendenden DBA zu behandeln. In beiden Fällen geht es nämlich um die Besteuerung des Vermögenszuwachses. Die Wegzugsbesteuerung ist daher in jenen Fällen abkommenswidrig, in denen die DBA das Besteuerungsrecht für Veräußerungsgewinne dem (neuen) Wohnsitzstaat auch insoweit zuteilen, als die entsprechenden Wertzuwächse unter dem Regime des (alten) Wohnsitzstaates entstanden sind (Treaty-Overriding).2 Dieses Nebeneinander von inländischer Wegzugsbesteuerung einerseits und Versteuerung tatsächlicher Veräußerungsgewinne im Ausland andererseits führt zu einer doppelten Besteuerung ein und desselben Wertzuwachses.3 Eine Doppelbesteuerung ist in diesen Fällen durch Verständigungsverfahren (Art. 25 OECDMA; vgl. Rz. 19.88 ff.) zu vermeiden.4 Anders ist die Rechtslage in den Fällen, in denen auf Abkommensebene sog. Wegzugsklauseln im Ergebnis eine Aufteilung des Besteuerungsrechts zwischen Wegzugs- und Zuzugsstaat bewirken.5

3. Haupttatbestand 6.411

Von der Reichweite der Wegzugsbesteuerung werden nur unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen erfasst, soweit sie innerhalb der letzten zwölf Jahre vor dem Wegzug oder den übrigen in § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG genannten Tatbeständen sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig i.S.d. § 1 Abs. 1 EStG gewesen sind (§ 6 Abs. 2 Satz 1 AStG). Der Wegzugsbesteuerung unterliegen damit weder Kapitalgesellschaften noch Mitunternehmerschaften. Bei Kapitalgesellschaften erfolgt die Wegzugsbesteuerung über § 12 KStG (Rz. 7.45 ff.). Wird eine Mitunternehmerschaft in das Ausland verlagert, erfolgt eine Steuerentstrickung durch fiktive Betriebsaufgabe gem. § 16 Abs. 3a EStG (Rz. 6.388a).

6.411a

Voraussetzung ist, dass durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes die unbeschränkte Steuerpflicht endet. Ohne Bedeutung ist hierbei die Staatsangehörigkeit der wegziehenden Person und ob dieser „Wegzug“ in ein Hoch- oder Niedrigsteuerland, in einen EU-/EWR-Staat, in einen Drittstaat oder in ein Land erfolgt, mit dem ein DBA abgeschlossen worden ist oder nicht. Eine Ausnahme hiervon enthält allerdings § 6 Abs. 5 AStG a.F. Hiernach konnte die dort vorgesehene Steuerstundung nur von EU-/EWR-Staatsangehörigen bei Wegzug in einen EU-/EWR-Staat in Anspruch genommen werden.6

6.412

Da die Rechtsfolgen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG an die Beendigung der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht infolge der Aufgabe des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltes anknüpfen, entfällt eine Wegzugsbesteuerung in den Fällen, in denen nach Wegzug auf Antrag die unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 3 EStG7 aufrechterhalten bleibt. Wird für den nachfolgenden Veranlagungszeitraum der Antrag nicht erneut gestellt oder liegen die

1 2 3 4 5 6

Gleichermaßen in der Alt- und Neufassung. Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 75 ff.; Kraft in Kraft2, § 6 AStG Rz. 46 ff. Zu europarechtlichen Bedenken insoweit Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 173. Müller-Gosoge in Haase3, § 6 AStG Rz. 29. Nachweise bei Müller-Gosoge in Haase3, § 6 AStG Rz. 25. Auf zum 31.12.2021 noch laufende Stundungen ist die Altregelung weiterhin anzuwenden (§ 21 Abs. 3 Satz 1 AStG). 7 Zur fingierten unbeschränkten Steuerpflicht Rz. 6.40 ff.

342 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.416 Kap. 6

Voraussetzungen hierfür nicht vor, endet die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nicht durch Wegzug, so dass eine Wegzugsbesteuerung allenfalls aufgrund von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG in Betracht kommt. Einstweilen frei.

6.413

Natürliche Personen werden nur dann von der Wegzugsbesteuerung erfasst, wenn sie oder bei ganz oder teilweise unentgeltlichem Erwerb der Rechtsvorgänger (§ 6 Abs. 2 AStG) innerhalb der letzten zwölf Jahre vor dem Wegzug oder den gleichgestellten Tatbeständen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-3 AStG) mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 EStG) gewesen sind.1 Erst diese Siebenjahresfrist rechtfertigt die Besteuerung der Vermögensmehrungen infolge einer nachhaltigen, persönlichen und wirtschaftlichen Eingliederung des Steuerpflichtigen in die deutsche Volkswirtschaft.2

6.414

Unterbrechungen dieser Siebenjahresfrist etwa durch zwischenzeitlichen Wegzug ins Ausland spielen im Hinblick auf den Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 1 AStG keine Rolle. Hier reicht es aus, dass die Siebenjahresfrist innerhalb des maßgeblichen zwölfjährigen Beobachtungszeitraums durch bloße Addition der Zeiten der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG erreicht wird.3 Hierdurch kann es zu einer Besteuerung von Vermögenszuwächsen kommen, die während einer Zeit entstanden sind, in der der Steuerpflichtige im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtig war. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Unterbrechung mehrere Jahre bestanden hat: von einer nachhaltigen persönlichen und wirtschaftlichen Eingliederung des Steuerpflichtigen in die deutsche Volkswirtschaft kann dann keine Rede mehr sein, so dass die Berechnung der Siebenjahresfrist bei Zuzug von neuem beginnt.4 Insoweit geht der Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 1 AStG über seinen Sinn und Zweck hinaus. § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG greift schließlich auch dann ein, wenn der Steuerpflichtige nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland der unbeschränkten Steuerpflicht unterlag, und zwar auch dann, wenn er dort nach den Regelungen des in Betracht kommenden DBA in dem anderen Staat den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hatte.5

6.415

4. Ergänzungstatbestände Der Grundtatbestand der Wegzugsbesteuerung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), nämlich Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht infolge der Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes, wird gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 u. 3 AStG unter den dort näher beschriebenen Voraussetzungen um weitere Tatbestände ergänzt, und zwar durch – unentgeltliche Anteilsübertragung auf nicht unbeschränkt steuerpflichtige Personen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG) und

1 Eine erweitert unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) sowie eine fiktive unbeschränkte Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 3, 1a EStG) reichen also nicht aus; Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 35. 2 Debatin, DStZ (A) 1970, 89 (97) zur ursprünglichen Zehnjahresfrist. 3 Vgl. zu Einzelheiten der Zeitraumberechnung Kraft, IWB 2022, 553. 4 Teleologische Reduktion; vgl. Häck in F/W/B/S, § 6 AStG a.F. Rz. 241; Kraft in Kraft², § 6 AStG Rz. 241; Müller-Gosoge in Haase3, § 6 AStG Rz. 37; Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 38; Strunk/Kaminski in S/K/K, § 6 AStG a.F. Rz. 51 ff. 5 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG a.F. Rz. 238; Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 35; Gropp in Lademann, § 6 AStG a.F. Rz. 20; Arlt, IStR 2008, 216 (217 ff.).

Schaumburg | 343

6.416

Kap. 6 Rz. 6.416 | Einkommensteuer

– Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts am Veräußerungsgewinn in übrigen Fällen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG). Während im Haupttatbestand die fingierte Veräußerung auf den Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht festgelegt wird, ist diese in den beiden Ersatztatbeständen der Zeitpunkt der Übertragung bzw. der Zeitpunkt, zu dem der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts eintritt (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AStG).

6.417

§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AStG erfasst die Übertragung von Kapitalanteilen durch unentgeltliches Rechtsgeschäft unter Lebenden oder durch Erwerb von Todeswegen auf nicht unbeschränkt steuerpflichtige Personen. Handelt es sich um ein teilentgeltliches Rechtsgeschäft, etwa um eine gemischte Schenkung, ist der Vorgang in einen voll entgeltlichen und einen voll unentgeltlichen Teil aufzuspalten1 mit der Folge, dass einerseits unmittelbar § 17 Abs. 1 Satz 1 Abs. 2 Satz 1 EStG und andererseits § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AStG zur Anwendung kommt.2

6.418

Der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AStG bleibt hinter dem Sinn und Zweck des § 6 AStG insoweit zurück, als lediglich die Übertragung auf nicht unbeschränkt steuerpflichtige Erwerber erfasst wird. Unter dem Gesichtspunkt der Gewinnrealisierung durch Steuerentstrickung hätte hier auch die Übertragung auf unbeschränkt steuerpflichtige Erwerber erfasst werden müssen, soweit diese aufgrund eines DBA (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA; vgl. Rz. 19.202 ff.) in einem anderen Land als ansässig gelten und hierdurch Deutschland die Besteuerungsbefugnis verloren geht. Im Hinblick darauf verbleibt nur die Anwendung des in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG verankerten Auffangtatbestandes.3

6.419

Entsprechend der unentgeltlichen Übertragung durch Rechtsgeschäft ist bei der Übertragung durch Erwerb von Todes wegen auf den Erblasser als maßgeblichen Steuerpflichtigen abzustellen mit der Folge, dass die gem. § 45 AO übergehende Steuerschuld als Nachlassverbindlichkeit bei der Erbschaftsteuer berücksichtigt werden kann (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG).4 Zwecks Vermeidung einer Doppelbelastung von Einkommensteuer einerseits und Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) andererseits sieht § 35b EStG vor, dass im Falle des Erwerbs von Todes wegen die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt werden kann (Rz. 18.138 ff.). Dies gilt auch für den Fall, dass ausländische Erbschaftsteuer zu entrichten ist (Rz. 18.139 f.). Soweit beim Erwerb von Todes wegen im Nachlass befindliche Kapitalanteile zunächst auf einen nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Erben und sodann im Rahmen eines Vermächtnisses, einer Erbauseinandersetzung oder aufgrund einer Teilungsanordnung auf unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Personen übergehen, ist in Orientierung an der teleologischen Ausrichtung des § 6 AStG für Zwecke der Besteuerung nur auf den Letzterwerber abzustellen.5

1 BFH v. 17.7.1980 – IV R 15/76, BStBl. II 1981, 11; Häck in F/W/B/S, § 6 AStG a.F. Rz. 283; Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 55; Hecht in Fuhrmann³, § 6 AStG Rz. 21; Krawitz/Kalbitzer in FS Schaumburg, S. 835 (839). 2 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG a.F. Rz. 283; Kraft in Kraft², § 6 AStG Rz. 351. 3 Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 35; Oppel, IWB 2021, 508 (512). 4 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG a.F. Rz. 273; Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 52; Krawitz/ Kalbitzer in FS Schaumburg, 835 (841); Baßler, FR 2008, 851 (852); Wassermeyer, IStR 2008, 833 (834). 5 Entsprechende Billigkeitsregelungen der Finanzverwaltung sind geboten; zu Einzelheiten MüllerGosoge in Haase3, § 6 AStG Rz. 87 ff.; Baßler, FR 2008, 851 (854); vgl. auch Häck in F/W/B/S, § 6 AStG a.F. Rz. 290 ff.; dort auch zur Vor- und Nacherbschaft.

344 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.425 Kap. 6

§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG enthält einen Auffangtatbestand,1 wonach der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile einer Anteilsveräußerung gleichstehen.2 Erfasst wird hierdurch insbesondere der Fall des Doppelwohnsitzes, soweit der Steuerpflichtige nach einem DBA in dem anderen Staat als ansässig gilt (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA).3 Dieser Tatbestand ist deshalb von Bedeutung, weil nach den von Deutschland abgeschlossenen DBA in Fällen des Doppelwohnsitzes durchweg nur der Staat die Besteuerungsbefugnis hat, in dem der Steuerpflichtige als ansässig gilt (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG greift schließlich auch dann ein, wenn die Ansässigkeit in dem anderen Staat erst durch den der Wohnsitzbegründung nachfolgenden Abschluss eines DBA mit diesem Staat begründet wird.4

6.420

Die Wegzugsbesteuerung (Vermögenszuwachsbesteuerung) erstreckt sich gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG auch auf die Einlage von Kapitalanteilen aus dem Privatvermögen5 in einen ausländischen Betrieb oder eine ausländische Betriebsstätte,6 wenn das Besteuerungsrecht Deutschlands für Veräußerungsgewinne nach einem DBA ausgeschlossen wird (Art. 13 Abs. 2 OECDMA).

6.421

Einstweilen frei.

6.422

5. Rechtsfolge Als Rechtsfolge schreibt § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG vor, dass auf Anteile an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft oder optierenden Gesellschaft i.S.v. § 1a KStG § 17 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht des Anteilseigners auch ohne Veräußerung anzuwenden ist, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 17 EStG erfüllt sind.

6.423

Im Rahmen der Wegzugsbesteuerung wird die Rechtsfolge auf Anteile i.S.v. § 17 EStG beschränkt. Dies setzt eine Mindestbeteiligung von unmittelbar oder mittelbar 1 % zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre voraus (§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG).7 Nicht erfasst werden damit Kapitalanteile, die eine Beteiligung von weniger als 1 % vermitteln mit der Folge, dass wegzugsbedingt eine Besteuerung unterbleibt, obwohl der Gewinn aus der Veräußerung dieser Anteile gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG der Besteuerung unterliegt. Soweit es sich um Anteile an ausländischen Rechtsträgern handelt, entscheidet der Typenvergleich (Rz. 7.7), ob eine Kapitalgesellschaft i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gegeben ist. Anteile oder beteiligungsähnliche Rechte an Genossenschaften und an einer SCE werden gem. § 17 Abs. 7 EStG ebenfalls erfasst; nicht dagegen solche an Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit, Vereinen, Stiftungen und nicht optierenden Personengesellschaften.

6.424

Die Rechtsfolge des § 17 EStG betrifft nur solche Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht zu einem Betriebsvermögen gehören. Im Falle einer GmbH & Co. KG scheiden damit die zum

6.425

Anwendung „vorbehaltlich der Nummern 1 und 2“. Zu Auslegungsproblemen Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 59 ff. Vgl. zu dieser tie-breaker-rule Rz. 19.202 ff. Vgl. zur passiven Entstrickung Rz. 6.386. Es muss sich immer um Anteile gem. § 17 EStG handeln; für die Überführung aus dem Betriebsvermögen gilt § 4 Abs. 1 Satz 3 u. 4 und für die Übertragung (verdeckte Einlage) auf eine Kapitalgesellschaft § 17 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 EStG. 6 Es gilt die Betriebsstättendefinition des § 12 AO. 7 Ausnahme: steuerverstrickte Anteile gem. § 17 Abs. 6 EStG. 1 2 3 4 5

Schaumburg | 345

Kap. 6 Rz. 6.425 | Einkommensteuer

Sonderbetriebsvermögen der KG gehörenden Anteile der Komplementär-GmbH aus der Wegzugsbesteuerung ebenso aus1 wie einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 Abs. 1 UmwStG a.F., für die allerdings eine Besteuerung stiller Reserven gem. § 21 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG a.F. in Betracht kommt (§ 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 UmwStG).2 Für der Sperrfrist gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG unterliegende Kapitalanteile, die dem Anwendungsbereich des § 17 EStG und damit auch dem des § 6 AStG ohne Rücksicht auf eine Mindestbeteiligung unterliegen (§ 17 Abs. 6 EStG), wird außerhalb des Anwendungsbereichs des § 6 AStG zudem eine rückwirkende Besteuerung eines Einbringungsgewinns ausgelöst, wenn etwa wegzugsbedingt der Einbringende oder sein Rechtsnachfolger nicht mehr die persönlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG erfüllt.3

6.426

Da § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG nicht nur eine Rechtsfolgenverweisung, sondern auch eine Rechtsgrundverweisung enthält, müssen neben den Tatbestandsmerkmalen des § 6 AStG selbst auch diejenigen des § 17 EStG erfüllt sein. In Abweichung von § 17 EStG ist bei der Berechnung des fiktiven Veräußerungsgewinns aber nicht der Veräußerungspreis, sondern der gemeine Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Wegzugs zu berücksichtigen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG). Der gemeine Wert ist auf der Grundlage des § 11 BewG zu ermitteln. Für nicht notierte Kapitalanteile ist der gemeine Wert vorrangig aus Verkäufen unter fremden Dritten abzuleiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen; anderenfalls ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Hierbei kommt auch die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens (§§ 11 Abs. 2 Satz 2, 199 ff. BewG) in Betracht. Dem gemeinen Wert zum Zeitpunkt des Wegzugs sind die Anschaffungskosten der Anteile gegenüberzustellen, es sei denn der betroffene Steuerpflichtige hat die Anteile an der Kapitalgesellschaft schon bei Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht besessen. In diesem Fall ist auf den im Wegzugsstaat steuerlich festgestellten Wegzugswert, höchstens auf den gemeinen Wert im Zeitpunkt der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht abzustellen, wenn der bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Vermögenszuwachs auf Grund gesetzlicher Bestimmungen des Wegzugsstaats dort einer Wegzugsbesteuerung unterlegen hat (§ 17 Abs. 2 Satz 3 EStG). Diese Regelung macht deutlich, dass diejenigen Vermögenszuwächse außer Betracht bleiben sollen, die während einer Zeit entstanden sind, zu der der Steuerpflichtige nicht unbeschränkt steuerpflichtig war. Indessen ist auch diese Regelung unvollkommen, weil alle Vermögensmehrungen bei Auslandsaufenthalten, die zeitlich nach der erstmaligen Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht liegen, miterfasst werden. Gerechtfertigt wäre es, lediglich den Teil des Wertzuwachses zu erfassen, der in der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht entstanden ist (Rz. 6.410).4

6.427

Der fiktive Veräußerungsgewinn unterliegt gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG i.V.m. § 17 Abs. 2 EStG der Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren (§§ 3 Nr. 40 Buchst. c, 3c Abs. 2 EStG).5 Ein Veräußerungsverlust ist im Rahmen des § 6 AStG nicht zu berücksichtigen. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG, dafür aber aus anderen für die Auslegung bedeutsamen Anhaltspunkten. So zeigt die zum Gesetz selbst

1 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG a.F. Rz. 244. 2 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG a.F. Rz. 251; Müller-Gosoge in Haase3, § 6 AStG Rz. 48; Baßler, FR 2008, 218. 3 Zu Einzelheiten Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 50 ff.; Stangl in R/H/vL2, § 22 UmwStG Rz. 127 ff.; 175. 4 Zu Einzelheiten Arlt, IStR 2008, 216 (217 ff.). 5 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 388; Strunk/Kaminski in S/K/K, § 6 AStG Rz. 55; Kraft in Kraft2, § 6 AStG Rz. 310.

346 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.430 Kap. 6

gehörende Überschrift zu § 6 AStG, dass nur der Vermögenszuwachs besteuert werden soll. § 6 Abs. 1 Satz 3 AStG regelt allerdings, dass im Falle der fiktiven Veräußerung nach Maßgabe von § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG die entstrickten Kapitalanteile als zum gemeinen Wert angeschafft gelten. Die Aufstockung der Anschaffungskosten erfolgt aber nur, soweit die auf den Vermögenszuwachs geschuldete Steuer auch tatsächlich entrichtet worden ist.1 Dadurch wird eine Doppelbelastung in den Fällen vermieden, in denen nach Wegzug die Anteile etwa im Rahmen der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG) veräußert werden. Ergibt sich hierdurch ein negativer Betrag, so ist dieser im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht einem Verlustausgleich bzw. -abzug zugänglich.2 Diese Regelung greift freilich dann nicht ein, wenn aufgrund eines DBA Deutschland die Besteuerungsbefugnis genommen wird (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). In diesen Fällen kann eine Doppelbesteuerung nur durch ein Verständigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA) vermieden werden.3 Im Hinblick darauf, dass § 6 AStG erkennbar auf die Erfassung nur von Wertzuwächsen, also von Veräußerungsgewinnen gerichtet ist,4 ergeben sich Wertungswidersprüche zu der im Übrigen im Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz verankerten Entstrickungskonzeption. Hierbei geht es nämlich nicht nur um die Sicherstellung stiller Reserven für Zwecke der Besteuerung im Falle des Wegzugs, sondern auch um die Abgrenzung der Besteuerungsrechte zwischen den verschiedenen Staaten. Aus diesem Grunde erlaubt etwa § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG bei einem grenzüberschreitenden Betriebsvermögenstransfer auch die Realisation von Verlusten. Insoweit ist die dem Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz zugrunde liegende Entstrickungskonzeption konsequent zu Ende gedacht. Dass Veräußerungsverluste im Rahmen der Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG nicht berücksichtigt werden, führt in den Fällen zu steuerlichen Verwerfungen, in denen der Zuzugsstaat im Rahmen der dortigen Veräußerungsgewinnbesteuerung nicht auf die historischen Anschaffungskosten, sondern auf den ggf. niedrigeren Zuzugswert abstellt. Von dieser Konstellation geht der Gesetzgeber indessen im Falle des Zuzugs nach Deutschland nicht aus, weil gem. § 17 Abs. 2 Sätze 3 und 4 EStG der Wegzugswert nur dann anzusetzen ist, wenn dieser die historischen Anschaffungskosten übersteigt. De lege ferenda ist, um Asymmetrien zu vermeiden, daher eine gleichlaufende Änderung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG einerseits und des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG andererseits dahingehend geboten, dass auch Wertminderungen steuerlich berücksichtigt bzw. erfasst werden.5

6.428

Einstweilen frei.

6.429

6. Vorübergehende Abwesenheit Entsprechend der Zielsetzung des § 6 AStG, die während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht entstandenen Vermögenszuwächse für Zwecke der deutschen Besteuerung zu sichern, bedarf es dann keiner Wegzugsbesteuerung, wenn das Ausscheiden aus der unbeschränkten

1 Die spätere Entrichtung der geschuldeten Steuer stellt für einen späteren Veräußerungsvorgang ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 AO dar. 2 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 Sondernummer 1/2004, 3, Rz. 6.1.4.2. 3 Zahlreiche deutsche DBA zu Art. 13 enthalten allerdings eine die Doppelbesteuerung ausschließende sog. Wegzugsklausel mit und ohne Wertverknüpfung; vgl. hierzu die Übersicht bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 282 ff. 4 BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, BStBl. II 2017, 1194; v. 28.2.1990 – I R 43/86, BStBl. 1990 II 615; a.A. Häck in F/W/B/S, § 6 AStG a.F. Rz. 399; Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 69. 5 Das ist im Rahmen der Neuregelung nicht geschehen.

Schaumburg | 347

6.430

Kap. 6 Rz. 6.430 | Einkommensteuer

Steuerpflicht lediglich vorübergehend ist. Aus diesem Grunde ist in der in § 6 Abs. 3 AStG enthaltenen Rückkehrerregelung vorgesehen, dass bei einer bloß vorübergehenden Abwesenheit von nicht mehr als sieben Jahren der Steueranspruch unter bestimmten Voraussetzungen entfällt. Die vorgenannte Siebenjahresfrist kann um höchstens fünf Jahre verlängert werden, wenn die Absicht zur Rückkehr unverändert fortbesteht. Hieraus ist zu folgern, dass auch bei einer Rückkehr innerhalb der ersten sieben Jahre nach Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht eine Rückkehrabsicht bestanden haben muss.1 Die tatsächliche Rückkehr innerhalb von sieben Jahren nach Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht indiziert indessen die gesetzlich vorausgesetzte Rückkehrabsicht.2 Soweit § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG den Wegfall des Steueranspruchs anordnet, greift die Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ein,3 so dass der Steuerbescheid entsprechend zu ändern ist.4 Die Verzinsung richtet sich hierbei nach § 233a Abs. 2 AO.

6.430a

Der Steueranspruch entfällt allerdings nicht, soweit einer der folgenden in § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1-3 AStG aufgeführten schädlichen Tatbestände verwirklicht werden: – Veräußerung5, Übertragung der Anteile oder deren Einlage in ein Betriebsvermögen6, – Gewinnausschüttungen und Einlagenrückgewähr von insgesamt mehr als einem Viertel des gemeinen Wertes bei Wegzug, – Wiederbegründung des deutschen Besteuerungsrechts bei Rückkehr in geringerem Umfang als bei Wegzug. Die vorstehende Rückkehrerregelung zielt darauf ab, während der vorübergehenden Abwesenheit des Wegzüglers auftretende Steuerlücken zu vermeiden. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen nach Wegzug substanzielle Gewinnausschüttungen erfolgen, die den gemeinen Wert der Anteile und damit den deutschen Steuerzugriff auf spätere Veräußerungsgewinne nach Rückkehr schmälern. Voraussetzung ist allerdings, dass die zwischenzeitlichen Gewinnausschüttungen nicht der deutschen Besteuerung unterliegen.7 Dementsprechend ist eine Einlagenrückgewähr auch nur insoweit schädlich als sie keine Einnahme i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 u. 2 EStG darstellt, sie also etwa als Nennkapitalrückzahlung, Rückzahlung aus dem steuerlichen Einlagekonto oder Rückzahlung aus einer handelsrechtlichen Kapitalrücklage zu qualifizieren ist.8

1 Vertreter dieser subjektiven Theorie sind Gropp in Lademann, § 6 AStG Rz. 67; BMF v. 2.12.1994 – IV C 7 - S 1340 - 20/94, BStBl. I 1995 (Sondernummer 1), 3, Rz. 6.4.1; a.A. Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 442; Kraft in Kraft², § 6 AStG Rz. 435; Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 73; Müller-Gosoge in Haase3, § 6 AStG Rz. 141 (eingeschränkte objektive Theorie), wonach für die siebenjährige Rückkehrfrist allein auf die Rückkehr (objektiv) und für die Verlängerungsfrist auf zwölf Jahre auf die Glaubhaftmachung der Rückkehr (subjektiv) abgestellt wird. 2 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 6.4.1. 3 Häck in F/W/B/S, § 6 AStG a.F. Rz. 446; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Rz. 6.4.1. 4 Für einen vorläufigen Steuerbescheid gilt die Änderungsvorschrift des § 165 Abs. 2 AO. 5 Hierzu zählen auch verdeckte Einlage und Anteilstausch. 6 Soweit die Einlage auch in inländisches Betriebsvermögen als schädlich qualifiziert wird, ist die Regelung überschießend, weil die Einlage stets mit den Anschaffungskosten anzusetzen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b EStG) und somit der deutsche Steuerzugriff erhalten bleibt; vgl. hierzu Oppel, IWB 2021, 508 (514). 7 Insoweit ist eine teleologische Reduktion geboten. 8 Vgl. die Regierungsbegründung zu § 6 Abs. 3 Satz 1-3 AStG i.d.F. des ATADUmsG.

348 | Schaumburg

E. Entstrickung und Verstrickung | Rz. 6.444 Kap. 6

Die siebenjährige Rückkehrfrist kann auf Antrag seitens des für die Besteuerung zuständigen Finanzamts (§ 19 AO) um höchstens weitere fünf Jahre verlängert werden, wenn die Rückkehrabsicht unverändert fort besteht (§ 6 Abs. 3 Satz 3 AStG). Es handelt sich hierbei um eine Ermessensentscheidung, die mit dem Einspruch (§ 348 AO) anfechtbar ist.

6.431

Einstweilen frei.

6.432

7. Stundung Die Wegzugsbesteuerung knüpft an einen fingierten Veräußerungsgewinn an und berücksichtigt damit nicht die steuerliche Leistungsfähigkeit. § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG sieht daher folgerichtig in dieser Besteuerung eine sachliche Härte mit der Folge, dass auf Antrag des Steuerpflichtigen die auf den fiktiven Veräußerungsgewinn geschuldete Einkommensteuer für einen Zeitraum von sieben Jahren in gleichen Teilbeträgen zinslos zu stunden ist. Dem Antrag ist in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung stattzugeben (§ 6 Abs. 4 Satz 2 AStG). Die vorstehende Regelung ist zwar als Ermessenvorschrift ausgestaltet, im Ergebnis besteht aber ein Anspruch auf zinslose Stundung,1 und zwar im Hinblick auf die unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten (Rz. 4.166 ff.) ohne Ratenzahlung und ohne Sicherheitsleistung. Damit gelten die Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH2 im Sinne der zinslosen Stundung ohne Sicherheitsleistung unverändert fort.3

6.433

Nach Maßgabe des Wortlauts von § 6 Abs. 4 Satz 5 AStG ist die noch nicht entrichtete Steuer innerhalb eines Monats fällig, wenn

6.434

– die Jahresrate nicht fristgerecht entrichtet wird, – Mitwirkungspflichten (§ 6 Abs. 5 AStG) nicht erfüllt werden, – der Steuerpflichtige Insolvenz anmeldet oder soweit – die Anteile veräußert oder übertragen werden oder soweit – Gewinnausschüttungen oder eine Einlagenrückgewähr erfolgen und soweit deren gemeiner Wert insgesamt mehr als ein Viertel des gemeinen Werts der Kapitalanteile im Wegzugsfall beträgt. Die vorstehenden Fälligkeitsregelungen sind z.T. übermäßig und mit dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip4 unvereinbar.5 Einstweilen frei.

6.435– 6.443

Um sicherzustellen, dass die Finanzbehörden zeitnah die in Betracht kommenden Widerrufsgründe in Erfahrung bringen, enthält § 6 Abs. 5 AStG umfangreiche Mitteilungspflichten. Hier1 Ermessensreduzierung auf Null; vgl. Regierungsbegründung zu § 6 Abs. 4 AStG i.d.F. des ATADUmsG. 2 EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138 – Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 7.9.2006 – C 470/04, ECLI:EU:C:2006:525 – N; EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019: 138 – Wächtler (zum FZA Schweiz). 3 Dagegen ohne Ausnahme nur gegen Sicherheitsleistung Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 100; Kraft, Ubg 2021, 582 (584) m.w.N. 4 Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als für das Steuerrecht bedeutsamer allgemeiner Rechtsgrundsatz Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 12.16. 5 Oppel, IWB 2021, 508 (516).

Schaumburg | 349

6.444

Kap. 6 Rz. 6.444 | Einkommensteuer

nach ist der wegziehende Steuerpflichtige oder sein Gesamtrechtsnachfolger verpflichtet, nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck die Verwirklichung einen der Widerrufsgründe mitzuteilen (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG). Darüber hinaus hat er auch bis zum Ablauf des 31. Juli jeden Jahres schriftlich seine am Ende des Vorjahres geltende Anschrift mitzuteilen und zu bestätigen, dass die Kapitalanteile ihm oder im Fall der unentgeltlichen Rechtsnachfolge unter Lebenden seinem Rechtsnachfolger weiterhin zuzurechnen sind. Wird die vorgenannte Mitteilungspflicht verletzt, kann die Finanzbehörde die Stundung widerrufen (§ 6 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 AStG).1

1 Zu den strafrechtlichen Folgen Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 15.29 ff.

350 | Schaumburg

Kapitel 7 Körperschaftsteuer

A. I. II. III. IV. V. VI. VII.

B. I. II. III. IV.

Unbeschränkte Steuerpflicht Wohnsitzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Sitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Subjektqualifikation . . . . . . . . . . . . . 7.7 Besteuerung des Welteinkommens (Welteinkommensprinzip) . . . . . . . 7.8 Besonderheiten 1. Zinsschranke . . . . . . . . . . . . . . . . 7.9 2. Hybrid-Schranke . . . . . . . . . . . . . 7.13a 3. Grenzüberschreitende Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.14 Beschränkte Steuerpflicht Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.19 Steuersubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.23 Inländische Einkünfte . . . . . . . . . . . 7.26 Veranlagung und Steuerabzug 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.30 2. Steuerabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.32 3. Erstattung und Freistellung . . . . 7.36

V. Besonderheiten 1. Grenzüberschreitende Einlagenrückgewähr a) Einlagenrückgewähr durch EU-Körperschaft oder EUPersonenvereinigung . . . . . . b) Einlagenrückgewähr durch Drittstaaten-Körperschaft oder Drittstaaten-Personenvereinigung . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzüberschreitende Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wegzug von Kapitalgesellschaften 1. Rechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . 2. Steuerliche Folgen . . . . . . . . . . . III. Zuzug von Kapitalgesellschaften 1. Rechtliche Vorgaben und steuerliche Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . 2. Steuerverstrickung . . . . . . . . . . .

7.37

7.41 7.42

7.43 7.45 7.48

7.62 7.64

A. Unbeschränkte Steuerpflicht I. Wohnsitzprinzip Literatur: Kommentare zu § 1 KStG; Mössner in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Kapitel 2 Rz. 2.63 ff.

Ebenso wie das Einkommensteuergesetz folgt auch das Körperschaftsteuergesetz dem international üblichen Wohnsitzprinzip, wonach die unbeschränkte Steuerpflicht an den Ort der Geschäftsleitung oder an den Sitz (Satzungssitz) anknüpft (§ 1 Abs. 1 KStG). Während das sich an tatsächlichen Verhältnissen orientierende Anknüpfungsmerkmal der Geschäftsleitung mit dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt natürlicher Personen vergleichbar ist, wird mit dem Sitz an ein Merkmal in rein rechtlicher Hinsicht angeknüpft. Es entspricht der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen.

II. Geschäftsleitung Literatur: Kommentare zu § 10 AO und § 1 KStG; Felix, Der Ort der Geschäftsleitung im Steuerrecht, DStR 1962/63, 421; Förster, Internationale Aspekte der Option zur Körperschaftsteuerpflicht

von Freeden | 351

7.1

Kap. 7 Rz. 7.2 | Körperschaftsteuer von Personenhandelsgesellschaften (Teil I), IStR 2022, 109; Kessler/Müller, Ort der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft nach nationalem und DBA-Recht – Bestandsaufnahme und aktuelle Entwicklungen, IStR 2003, 361; Knobbe-Keuk, Umzug von Gesellschaften in Europa, ZHR 1990, 325; Lechner, Ort der Geschäftsleitung von inländisch beherrschten ausländischen Gesellschaften, in FS für Stoll, Wien 1990, 395; Mössner in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 2.66 ff.; Neher, Widersprechen sich Finanzgerichtsbarkeit und Zivilgerichte in der Frage des Orts der Geschäftsführung ausländischer GmbH-Geschäftsführer?, GmbHR 1980, 64; Raupach, Globalisierung – unternehmensrechtliche und unternehmenssteuerrechtliche Probleme bei übergreifenden Märkten, JbFSt 1994/95, 419; Schaumburg/Schloßmacher, Gesellschaftsrechtliche und steuerrechtliche Fragen polyzentrischer und virtueller Unternehmen, in Lutter/Scholz/Sigle (Hrsg.), FS für Peltzer, Köln 2001, 389; Schröder, Gesellschafter und Ort der Geschäftsleitung, StBp. 1980, 97; Töben/Deitel, Private Equity und Ort der Geschäftsleitung, IStR 2022, 145; Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, Zum Optionsmodell nach dem Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts – oder: eventus varios res nova semper habet, DStR-Beih 2021, 3.

7.2

Nach der Legaldefinition des § 10 AO ist Geschäftsleitung der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Das ist der Ort, wo der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird.1 Bei einer an mehreren Orten tätigen Geschäftsführung ist der gem. § 10 AO maßgebliche Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung da, wo sich die in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet.2 Sind kaufmännische und technische Leitung getrennt, ist auf den Ort der kaufmännischen Leitung abzustellen.3 Gibt es mehrere Orte der kaufmännischen Leitung, ist derjenige Ort maßgeblich, an dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Im Hinblick auf den Wortlaut des § 10 AO „Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“ gibt es somit stets nur einen einzigen Ort der Geschäftsleitung,4 der sich allerdings gerade bei polyzentrischen Unternehmen in der Praxis nur sehr schwer bestimmen lässt.5 Es kommt allein darauf an, wo die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einigem Gewicht angeordnet werden.6 Das ist regelmäßig der Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftsführungstätigkeit entfalten, d.h., an dem sie die tatsächlichen organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornehmen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt (sog. Tagesgeschäfte).7 Unbeachtlich ist mithin, wo die abgegebenen Willenserklärungen wirksam werden oder die angeordneten Maßnahmen auszuführen sind.8 Der Ort der nach außen hin erkennbaren Verwaltung muss daher örtlich nicht identisch sein mit dem Ort der geschäftlichen Oberleitung, der im Zweifel dort ist, wo sich das Büro des Geschäftsführers oder Vorstandes befindet.9 Nimmt der Geschäftsführer (Vorstand) seine Geschäfte von seiner Wohnung aus

1 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622. 2 BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 3 BFH v. 3.8.1977 – I R 128/75, BStBl. II 1977, 857; v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554. 4 Diese in der Praxis wenig bedeutsame Frage ist allerdings streitig; vgl. hierzu den Überblick bei Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 9 5 Hierzu Raupach, JbFSt 1994/1995, 419 f.; Schaumburg/Schloßmacher in FS Peltzer, 389 ff. 6 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; v. 21.9.1989 – V R 55/84, BFH/NV 1990, 353; v. 21.9.1989 – V R 32/88, BFH/NV 1990, 688; v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 7 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; v. 3.7.1997 – IV R 58/95, BStBl. II 1998, 86; v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622. 8 Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 2a; Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 47. 9 BFH v. 29.4.1987 – X R 16/81, BFH/NV 1988, 64; v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437.

352 | von Freeden

A. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.3 Kap. 7

wahr, ist dort der Ort der Geschäftsleitung.1 Bei einer optierten (Personen-)Gesellschaft, die für Zwecke des Ertragsteuerrechts als Kapitalgesellschaft gilt (§ 1a KStG), ist gleichfalls auf den Ort der geschäftlichen Oberleitung abzustellen. Dieser kann bei den Gesellschaftern (offene Handelsgesellschaft; persönlich haftender Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft) oder bei der Geschäftsführung der Komplementär-Kapitalgesellschaft (z.B. GmbH & Co. KG; AG & Co. KG) liegen. Handelt es sich bei der Komplementär-Gesellschaft um eine Kapitalgesellschaft mit (Satzungs-)Sitz im Ausland (z.B. Auslandskapitalgesellschaft & Co. KG2), deren Tagesgeschäfte im Inland umgesetzt werden (Geschäftsführer handelt und lebt z.B. in Hamburg), ist – neben der optierten (Personen-) Gesellschaft – auch die ausländische Komplementär-Gesellschaft im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Entsprechend kann auch der Ort der geschäftlichen Oberleitung einer Personengesellschaft mit Sitz im Ausland, die nach § 1a KStG als Kapitalgesellschaft im Inland gilt, im Inland liegen (z.B. Geschäftsführer der Komplementär-Gesellschaft handelt und lebt in Hamburg).3 Die Ausübung von gesellschaftsrechtlichem Einfluss auf die Geschäftsführer, etwa im Rahmen derjenigen Befugnisse, die dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft (§ 111 AktG) oder den Gesellschaftern einer GmbH (§ 46 GmbHG) zustehen, hat auf den Ort der Geschäftsleitung grundsätzlich keinen Einfluss.4 Dies gilt u.E. auch für die Tätigkeit der Mitglieder des Verwaltungsrats einer SE, soweit dieser tatsächlich nur überwachenden Charakter mit Blick auf die geschäftsführenden Direktoren hat. Die Einwirkung auf die Geschäftsführung muss vielmehr über die fallweise Beeinflussung hinausgehen und sich auf den täglichen Geschäftsablauf erstrecken. Daher befindet sich bei Organgesellschaften der Ort der Geschäftsleitung nur dann am Ort der Geschäftsleitung des Organträgers, wenn die Organgesellschaft nach Art einer Betriebsabteilung des Organträgers geführt wird.5 Die bloße Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, etwa durch Holdinggesellschaften,6 ist demgegenüber für § 10 AO ebenso wenig von Bedeutung wie der einheitliche Betätigungswille bei Betriebsaufspaltungen.7 Nicht selten werden bei im Ausland domizilierenden Gesellschaften ohne eigenen Geschäftsbetrieb die Geschäfte von den im Inland ansässigen Gesellschaftern oder durch von ihnen bestimmte Personen vom Inland aus dadurch geführt, dass sie über ihre gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten hinaus die tatsächliche Geschäftsführung an sich ziehen. Daher stehen insbesondere „ausländische“ Briefkastengesellschaften, Basisgesellschaften (Rz. 13.27 ff.) und Holdinggesellschaften aus der Sicht der deutschen Finanzverwaltung in besonderem Maße im Verdacht, im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig zu sein.8

1 RFH v. 3.7.1934, RStBl. 1934, 1078; BFH v. 13.7.2006 – IV R 25/05, BStBl. II 2006, 804; Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 2 m.w.N. 2 Der Nutzung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland als Komplementär einer optierten Kommanditgesellschaft können z.B. außersteuerliche Motive zu Grunde liegen. 3 Für die Ausübung der Option des § 1a KStG ist ein Sitz oder Ort der Geschäftsleitung im Inland nicht erforderlich; BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Tz. 4; Förster, IStR 2022, 109 (110). 4 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175; im Einzelnen Schröder, StBp. 1980, 97 ff. 5 BFH v. 26.5.1970, BStBl. II 1970, 759; Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 6. 6 Hierzu Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 10; Lechner in FS Stoll, Wien 1990, 395 (400). 7 BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175; Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 8 m.w.N. 8 Zu steuerstrafrechtlichen Implikationen in diesem Zusammenhang Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 16.45 ff.

von Freeden | 353

7.3

Kap. 7 Rz. 7.4 | Körperschaftsteuer

III. Sitz Literatur: Kommentare zu § 11 AO und § 1 KStG; Bärsch/Spengel/Fischer/Stutzenberger, Internationale Unternehmensbesteuerung nach dem Brexit, DB 2019, 1978; Geyer/Ullmann, Ertragsteuerliche Auswirkungen des Brexits auf britische Limiteds mit Verwaltungssitz in Deutschland, DStR 2019, 305; Levedag, Beschluss mit Anmerkung, Beteiligtenfähigkeit einer britischen Limited BFH – I B 31/21, GmbHR 2022, 487; Schneider/Stoffels, Steuerfragen des Brexit, Ubg 2019, 1; Seeger, Die Folgen des „Brexit“ für die britische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, DStR 2016, 1817.

7.4

Gemäß § 11 AO hat eine juristische Person ihren Sitz1 an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist (statutarischer Sitz).2 Angeknüpft wird damit an ein juristisches Merkmal. Insoweit entspricht der Sitz juristischer Personen dem zivilrechtlichen, nicht aber dem steuerrechtlichen Wohnsitz natürlicher Personen.3

7.5

Geschäftsleitung und Sitz stehen als Anknüpfungspunkte für die unbeschränkte Steuerpflicht4 nach § 1 Abs. 1 KStG gleichrangig nebeneinander.

IV. Inland 7.6

Ebenso wenig wie das Einkommensteuergesetz enthält auch das Körperschaftsteuergesetz einen eigenständigen Inlandsbegriff (vgl. § 1 Abs. 3 KStG). Es gelten die allgemeinen Grundsätze (Rz. 6.28 ff.).

V. Subjektqualifikation Literatur: Kommentare zu §§ 1, 1a und 3 KStG; Böhmer/Schewe, Das BMF-Schreiben zur Option zur Körperschaftsbesteuerung, FR 2022, 69; Debatin, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, Hamburg 1990; Großmann, Doppelt ansässige Kapitalgesellschaften im Internationalen Steuerrecht, München 1995; Hausmann/Raupach u.a., Steuergestaltung durch doppelt ansässige Gesellschaften?, München 1988; Höft, Identitätswahrende Verwaltungssitzverlegung, Köln/Berlin/Bonn/ München 1992; IFA, Anerkennung der steuerlichen Rechtsfähigkeit ausländischer Unternehmen, CDFI LXXIIIa, Deventer 1988; Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, Köln 2005; Mössner in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. Köln 2018, Rz. 2.53 ff.; Neuhaus, Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl. Tübingen 1976; Panthen, Der „Sitz“-Begriff im internationalen Gesellschaftsrecht, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1988; Röder, Ein frischer Blick auf den Typenvergleich: Gestiegene gesellschaftsrechtliche Komplexität erfordert radikale Vereinfachung. IStR 2021, 795; Runge, Die steuerliche Ansässigkeit von Gesellschaften, Hamburg 1987; Schaumburg, Zuzug und Wegzug von Kapitalgesellschaften im Steuerrecht, in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, Köln 2005, 403 Schnitger, Fragestellungen zur steuerlichen Behandlung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften, IStR 2013, 82; Schnittker, Gesellschafts- und steuer1 Der zivilrechtliche Begriff Verwaltungssitz ist der Ort, an dem die Geschäftsführungsentscheidungen umgesetzt werden; BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, NJW 1986, 2194 (entspricht eher dem steuerlichen Begriff der Geschäftsleitung); BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BStBl. II 1992, 972; Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 47, 51; Knobbe-Keuk, ZHR 1990, 325 (355). 2 §§ 5 und 278 AktG, § 4a GmbHG, § 6 GenG, § 18 VAG, §§ 24, 57 und 80 BGB. 3 Eine britische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland ist weiterhin nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG unbeschränkt steuerpflichtig und auch i.S.v. § 57 FGO beteiligungsfähig; BFH v. 13.10.2021 – I B 31/21, DStR 2022, 250; Levedag, GmbHR 2022, 487; s. auch Bärsch/Spengel/Fischer/Stutzenberger, DB 2019, 1978; Geyer/Ullmann, DStR 2019, 305; Schneider/Stoffels, Ubg 2019, 1; Seeger, DStR 2016, 1817. 4 R 1.1 KStR 2022.

354 | von Freeden

A. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.7 Kap. 7 rechtliche Behandlung einer englischen United Liability Partnership mit Verwaltungssitz in Deutschland, Diss. Köln 2006; Staringer, Besteuerung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften, Wien 1999; Stein, Doppelt ansässige Kapitalgesellschaften, Lohmar/Köln 2007; Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, Zum Optionsmodell nach dem Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts – oder: eventus varios res nova semper habet, DStR-Beih 2021, 3.

Die Einordnung von nach inländischem Recht errichteten Körperschaften in § 1 Abs. 1 KStG bereitet keine Schwierigkeiten, weil diese Vorschrift eine Aufzählung insbesondere aller Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) enthält und zudem über § 1 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 KStG weitere Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen erfasst und somit keine Regelungslücke lässt.1 Anders ist es indessen mit der Subjektqualifikation2 von nach ausländischem Recht errichteten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen. Hier gilt im Grundsatz folgendes: Sind nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften3 mit Ort der Geschäftsleitung im Inland körperschaftlich strukturiert und mit den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG genannten Gesellschaften deutschen Rechts vergleichbar,4 sind sie als Kapitalgesellschaft i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG5 unbeschränkt steuerpflichtig. Sind sie dagegen mit Personengesellschaften deutschen Rechts vergleichbar, unterliegen im Grundsatz nicht die Gesellschaften selbst, sondern ihre Gesellschafter der Besteuerung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Etwas anderes gilt in diesem Fall nur dann, wenn die ausländische (Personen-)Gesellschaft zwar mit einer Personengesellschaft deutschen Rechts vergleichbar ist, jedoch für ertragsteuerliche Zwecke auf Grund der Optionsausübung als Kapitalgesellschaft gilt (optierte Gesellschaft, § 1a KStG).6 Nach ausländischem Recht errichtete Gesellschaften sind daher, soweit sie körperschaftlich strukturiert sind, stets Körperschaftsteuersubjekte und damit unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, wenn sie im Inland den Ort ihrer Geschäftsleitung haben. Damit entspricht § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG der europarechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV), wie sie für den Zuzug von Kapitalgesellschaften durch die Rechtsprechung des EuGH7 konkretisiert worden ist. Die Qualifikation als Körperschaftsteuersubjekt hat unabhängig davon zu erfolgen, ob nach den Regeln des internationalen Gesellschafts-

1 R 1.1 Abs. 1 KStR 2022. 2 Der Begriff „Qualifikation“ stammt zwar aus dem Internationalen Privatrecht, wo er im Zusammenhang mit Kollisionsnormen Bedeutung erlangt (vgl. Neuhaus, Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts2, 351 ff.); er hat aber auch das Internationale Steuerrecht mit allerdings unterschiedlichen Begriffsdeutungen (vgl. Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 96b ff.) erobert. Dieser Begriff steht hier im Sinne von „Einordnung“ oder „Bestimmung“. 3 Der Klammerzusatz in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG enthält eine nicht abschließende Aufzählung von Kapitalgesellschaften („insbesondere“). 4 Zu den einzelnen Merkmalen des maßgeblichen Typenvergleichs BFH v. 1.7.1992 – I R 6/92, BStBl. II 1993, 222; v. 17.5.2000 – I R 19/98, BStBl. II 2000, 619; v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/ NV 2002, 1411; v. 20.8.2008 – I R 39/07, BStBl. II 2009, 234; BMF v. 19.3.2004 – IV B 4 - S 1301 USA – 22/04, BStBl. I 2004, 411 (zur LLC). 5 Vgl. BFH v. 15.7.1998 – I B 134/97, BFH/NV 1999, 372; v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; v. 29.1.2003 – I R 6/99, BFH/NV 2003, 969; Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 107; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 11.31; Schaumburg in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 403 (411 ff.). 6 Voraussetzung für eine Optionsausübung durch eine ausländische Personengesellschaft ist, dass die Gesellschaft auch nach ausländischem Steuerrecht für Ertragsteuerzwecke als Körperschaft behandelt wird; BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Tz. 3. 7 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 = Slg. 1999, I-1459 – Centros; v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 = Slg. 2002, I-9919 – Überseering; v. 30.1.2003 – C-167/01, ECLI: EU:C:2003:512 = Slg. 2003, I-10155 – Inspire Art.

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7.7

Kap. 7 Rz. 7.7 | Körperschaftsteuer

rechts die Sitz- oder Gründungstheorie zur Anwendung kommt.1 Damit ist auch unerheblich, ob die ausländische Gesellschaft aus der Sicht des deutschen internationalen Privatrechts Rechtsfähigkeit hat oder nicht. Entscheidend ist allein, ob die ausländische Gesellschaft nach Maßgabe des ausländischen Rechts die Rechtsfähigkeit besitzt.2 Die vorstehenden Grundsätze gelten, da § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG insoweit nicht differenziert, auch für in Drittstaaten errichtete Rechtsträger mit der Folge, dass diese auch dann Körperschaftsteuersubjekte sind, wenn ihnen nach Maßgabe des deutschen internationalen Privatrechts in Orientierung an die Sitztheorie die Rechtsfähigkeit versagt wird.3 Diese Grundsätze finden Anwendung nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern auch für die in § 1 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 KStG aufgeführten Rechtsträger. So unterliegen dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 2 KStG nicht nur rechtsfähige und nicht rechtsfähige Genossenschaften deutschen Rechts,4 sondern auch nach ausländischem Recht errichtete Genossenschaften, wenn sie ihrer Struktur nach einer Genossenschaft deutschen Rechts entsprechen. Auch rechtsfähige Vereine und rechtsfähige privatrechtliche Stiftungen ausländischen Rechts können gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sein, sofern sie im Inland ihre Geschäftsleitung haben. Entsprechendes gilt schließlich auch für nicht rechtsfähige Vereine und nicht rechtsfähige Stiftungen ausländischen Rechts. Sie werden von § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG erfasst, wenn sie mit den entsprechenden Rechtsträgern deutschen Rechts vergleichbar sind. Dies gilt in besonderer Weise für ausländisches Zweckvermögen, etwa Trusts,5 sofern die vom Trust erzielten Einkünfte nicht dem Stiftungs- oder Treugeber zuzurechnen sind.6

VI. Besteuerung des Welteinkommens (Welteinkommensprinzip) 7.8

Die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht ist ebenso wie die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht auf die Besteuerung des Welteinkommens gerichtet.7 Gemäß § 8 Abs. 1 KStG gilt insoweit auch die Grundlagennorm des § 2 Abs. 1 EStG.8 Wegen dieser Verweisung kommen auch diejenigen Vorschriften zur Anwendung, die zu einer Durchbrechung des Welteinkommensprinzips führen (Rz. 6.60a). Nicht anwendbar sind lediglich solche Vorschriften, die speziell auf die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens natürlicher Personen ausgerichtet sind oder aber auf die persönlichen Verhältnisse dieser Personen abstellen.9

1 Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 107; Kalbfleisch in Bott/Walter, § 1 KStG Rz. 45; Hey in Tipke/ Lang24, Rz. 11.31; Schaumburg in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 403 (411 ff.). 2 Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 109; anderenfalls erfolgt die Subsumtion ggf. unter § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG. 3 So etwa von in der Schweiz errichteten Kapitalgesellschaften; vgl. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/ 06, ZIP 2008, 2411 (Trabrennbahn). 4 Namentlich Erwerbs- und Erzeugergenossenschaften; hierzu Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 75. 5 Vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 6 Lampert in Gosch4, § 1 KStG Rz. 92. 7 Die EU-Kommission schlägt vor, die körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage in der EU zu vereinheitlichen (Richtlinie über eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, Vorschlag der EU-Kommission v. 25.10.2016, BR-Drucks. 640/16 v. 27.10.2016). 8 Vgl. BFH v. 15.7.1987 – I R 280/81, BStBl. II 1988, 75. 9 Hierzu Roser in Gosch4, § 8 KStG Rz. 18.

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A. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.10 Kap. 7

VII. Besonderheiten 1. Zinsschranke Literatur: Kommentare zu § 8a KStG; Eilers, Fremdfinanzierung im Unternehmen nach der Unternehmenssteuerreform 2008, FR 2007, 733; Eilers/Seibold, Währungsabsicherung und Zinsschranke, FR 2021, 241; Kaminski, Überlegungen zu den internationalen Aspekten der Zinsschranke, IStR 2011, 783; Kessler/Benke, Besteuerung von Aufwand – überschießende Steuerwirkungen der Zinsschranke bei Holding-Gesellschaften?, DB 2019, 2367; Köhler/Hahne, BMF-Schreiben zur Anwendung der steuerlichen Zinsschranke und zur Gesellschafter-Fremdfinanzierung bei Kapitalgesellschaften – Wichtige Verwaltungsregelungen, strittige Punkte und offene Fragen nach dem BMF-Schreiben vom 4.7.2008, IV C 7 – S 2742-a/07/10001, DStR 2008, 1505; München/Mückl, Die Vereinbarkeit der Zinsschranke mit dem Grundgesetz – Eine verfassungsrechtliche Bestandsaufnahme und Würdigung im Zuge des BFH-Beschlusses vom 18.12.2013, DStR 2014, 1469; Musil/Schulz, Grenzüberschreitende Einkünfteverlagerungen in verbundenen Unternehmen und europarechtliche Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten, DStR 2013, 2205; Niehus/Wilke, Die Besteuerung der Kapitalgesellschaften, 5. Auflage, Stuttgart 2018; Schön, Zurück in die Zukunft? Gesellschafter-Fremdfinanzierung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, IStR 2009, 882; Staats, Zur „Begrenzung der Gewinnverkürzung durch Abzug von Zins- oder sonstigen finanziellen Aufwendungen“ – Der OECD-Bericht zu Maßnahme 4 des BEPS-Aktionsplans, IStR 2016, 135; Weggenmann/Claß, Die Zinsschrankenregelung auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, BB 2016, 1175.

Die Grundregel zur Zinsschranke ist § 4h EStG1 (siehe dazu Rz. 6.106a ff.). § 8a Abs. 1 KStG ergänzt § 4h EStG für körperschaftsteuerliche Zwecke, dabei gilt § 4h EStG für Körperschaften, soweit § 8a KStG keine abweichenden Regelungen trifft.2 Die verfassungsrechtlichen Bedenken zur Zinsschrankenregelung des § 4h EStG gelten auch hinsichtlich § 8a KStG (Rz. 6.108).3 § 8a KStG ist auf unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Körperschaften, die rechtsformbedingt oder tatsächlich über einen (Zinsschranken-)Betrieb verfügen, anwendbar.4 Dabei ist die in- oder ausländische Betriebsstätte einer Körperschaft nicht per se ein eigenständiger (Zinsschranken-)Betrieb.5 Vom Anwendungsbereich umfasst sind nur Zinseinkünfte, die der inländischen Besteuerung unterliegen. Somit wird eine Abzugsfähigkeit des Zinsaufwands, der einer ausländischen DBA-Freistellungsbetriebsstätte zuzurechnen ist, nicht von der Zinsschranke begrenzt.6 Die Zinsschranke ist auch auf ausländische Körperschaften mit Überschusseinkünften (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG) anwendbar (§ 8a Abs. 1 Satz 4 KStG). Hierbei handelt es sich insbesondere um beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften, die aufgrund der isolierenden Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) als ausländische Objektgesellschaften mit unbeweglichem inländischem Vermögen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG) erzielen und nicht über einen eigenen (Zinsschranken-)Betrieb verfügen.

7.9

Die Zinsschrankengrundregel des § 4h EStG (Rz. 6.107) wird durch § 8a KStG wie folgt modifiziert:

7.10

1 R 8.1 Abs. 1 KStR 2022. 2 Prinz in H/H/R, § 8a KStG, Rz. 8. 3 Zur Frage der Unionsrechtswidrigkeit z.B. Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.130 ff.; Weggenmann/Claß, BB 2016, 1175; siehe auch den Vorlagebeschluss des FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17. 4 Prinz in H/H/R, § 8a KStG, Rz. 11 5 Prinz in H/H/R, § 8a KStG, Rz. 7. 6 Prinz in H/H/R, § 8a KStG, Rz. 11.

von Freeden | 357

Kap. 7 Rz. 7.11 | Körperschaftsteuer

7.11

Bei der Berechnung des EBITDA1 tritt anstelle des maßgeblichen Gewinns (vgl. § 4h Abs. 1 Satz 2 EStG) das maßgebliche Einkommen der Körperschaft (§ 8a Abs. 1 Satz 1 KStG).2 Das körperschaftsteuerliche Einkommen ist das nach den Vorschriften des EStG und KStG ermittelte Einkommen (ohne Anwendung von § 4h, § 10d EStG und § 9 Abs. 1 Nr. 2 KStG). Die Abziehbarkeit des Nettozinsaufwands ist im Ergebnis auf eine Höchstgrenze von 30 % des EBITDA begrenzt. Der Vortrag des nicht verbrauchten EBITDA (EBITDA-Vortrag) und des nicht abzugsfähigen Zinsaufwands (Zinsvortrag) ist möglich. Allerdings geht ein bestehender Zinsvortrag bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 8c KStG unter (§ 4h Abs. 1 Satz 5 EStG). Dabei ist die Stille-Reserven-Klausel des § 8c Abs. 1 Satz 6 ff. KStG zwar auf den Zinsvortrag anwendbar, so dass bei Vorliegen (steuerpflichtiger) stiller Reserven bei der Zinsvortrags-Körperschaft in entsprechender Höhe ein Untergang des Zinsvortrags vermeidbar ist. Allerdings sind nur die stillen Reserven zu berücksichtigen, die den Betrag der nicht genutzten KSt- und GewSt-Verluste der Körperschaft übersteigen (§ 8a Abs. 1 Satz 3 KStG3). Dieser gesetzlichen Begrenzung liegt zugrunde, dass es sich bei dem Zinsvortrag um einen „Aufwandsposten“ handelt, der einen nicht genutzten Verlust (bei Nutzung des Zinsvortrags in zukünftigen Jahren) erhöht.

7.12

Die Ausnahmeregelung für konzernungebundene Unternehmen (§ 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG), wonach die Zinsschranke nicht auf Unternehmen, die keinem Konzern angehören, anwendbar ist, gilt grundsätzlich auch für Körperschaften. Voraussetzung für eine Anwendung ist allerdings, dass der Betrag einer Fremdkapitalvergütung, die (ggf.) an – einen zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital beteiligten Anteilseigner, – eine diesem nahestehende Person (§ 1 Abs. 2 AStG) oder – einen Dritten, der auf den vorgenannten Personenkreis zurückgreifen kann, geleistet wird, nicht mehr als 10 % des Nettozinsaufwands4 beträgt (§ 8a Abs. 2 KStG; nachweispflichtig ist die Körperschaft).

7.13

Die Ausnahmeregelung für Betriebe, bei denen die Voraussetzungen des Eigenkapitalvergleichs vorliegen (§ 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. c EStG), gilt grundsätzlich auch für Körperschaften. Allerdings verschärft § 8a KStG auch insoweit eine Anwendung der Ausnahmeregelung (§ 8a Abs. 3 KStG). Ein Eigenkapitalvergleich ist nur möglich, wenn die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt sind (Rz. 7.12). Dabei wird jedoch eine weltweite Gesamtkonzernbetrachtung zugrunde gelegt, d.h., alle in- und ausländischen Konzerngesellschaften sind in die Prüfung einzubeziehen.5 Nur wenn die Körperschaft einen Nachweis erbringen kann, dass die

1 Earnings before interest, taxes, depreciation and amortisation; steuerliches Betriebsergebnis. 2 § 8a Abs. 1 Satz 1, 2 KStG. 3 Die Regelungen zum Verlustabzug bei Körperschaften sind durch § 8d KStG (i.d.F. des Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften) ergänzt worden. Danach kommt es bei Vorliegen der Voraussetzung von § 8c Abs. 1 KStG nicht zu einem Verlustuntergang, wenn der Geschäftsbetrieb der Körperschaft für eine gesetzlich bestimmte Zeit unverändert fortgeführt wird (§ 8d Abs. 1 KStG) und keine gesetzlich definierten schädlichen Transaktionen vorliegen (§ 8d Abs. 2 KStG). Für einen Zinsvortrag sind stille Reserven i.S.d. § 8c Abs. 1 Satz 7 KStG nur zu berücksichtigen, soweit sie – wie bisher – die nach § 8c Abs. 1 Satz 6 und § 8d Abs. 2 Satz 1 KStG abziehbaren, nicht genutzten Verluste übersteigen (§ 8a Abs. 1 Satz 3 KStG). 4 Betrag der Zinsaufwendungen der Körperschaft i.S.d. § 4h Abs. 3 EStG abzüglich der Zinserträge. 5 Hierzu weiterführend Prinz in H/H/R, § 8a KStG Rz. 25, 27.

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A. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.13a Kap. 7

10 %-Voraussetzung bei sämtlichen Konzerngesellschaften erfüllt ist, findet der Eigenkapitalvergleich Anwendung. In der Besteuerungspraxis ist eine Nachweiserbringung zumindest in Groß-Konzernfällen kaum darstellbar (und von der Finanzverwaltung auch kaum überprüfbar). Dies gilt insbesondere dann, wenn einzelne Konzerngesellschaften ihren Sitz in Regionen haben, in denen eine Fremdkapitalvergütung aus religiösen Gründen nicht in Form einer Zinszahlung (die als solche auch im Rechnungswesen abgebildet wird) erfolgt. Lediglich in „KleinKonzernfällen“ (z.B. mehrstufige Immobilien-Erwerbsstrukturen unter Nutzung von Fremdkapital) ist eine Nachweiserbringung realistisch.

2. Hybrid-Schranke Literatur: Kommentare zu § 4k EStG; Ehlermann/Link, Die Anti-Hybrid-Regel des § 4k EStG – Ausgewählte Anwendungs- und Auslegungsfragen im Inbound-Kontex, ISR 2021, 319; Grotherr, Das neue Betriebsausgabenabzugsverbot bei hybriden Gestaltungen gem. § 4k EStG-E, Ubg 2020, 377; Grotherr, ATAD-Umsetzungsgesetz: Anwendungs- und Auslegungsfragen zum neuen Betriebsausgabenabzugsverbot gemäß § 4k EStG-E bei hybriden Gestaltungen, IStR 2020, 773; Rüsch, Die Konkurrenz von § 4k EStG zu § 4h und § 4i EStG, IStR 2021, 380; Schnitger/Oskamp, Versagung des Betriebsausgabenabzugs bei Besteuerungsinkongruenzen nach § 4k EStG-E (Teil I), IStR 2020, 909; Schnitger/Oskamp, Versagung des Betriebsausgabenabzugs bei Besteuerungsinkongruenzen nach § 4k EStG-E (Teil II), IStR 2020, 960; Schnitger/Oskamp/Kockrow, Importierte Besteuerungsinkongruenzen gemäß § 4k Abs. 5 EStG – Janz schön kompliziert …, IStR 2021, 701; Schnitger/Haselmann, Die Anwendung des § 4k EStG und die erweiterten Mitwirkungspflichten, ISR 2022, 13; Schrenk/Steiner/Ullmann, Erweiterung des materiellen Korrespondenzprinzips durch § 4k Abs. 1 EStG, DStZ 2021, 165.

Die Aufwendungen einer Kapitalgesellschaft sind bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen für steuerliche Zwecke nicht zu berücksichtigen, wenn die korrespondierenden Erträge beim Zahlungsempfänger mit Sitz im Ausland nicht einkommenserhöhend sind (§ 4k EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG; sog. Besteuerungsinkongruenz).1 Ziel der Regelung von § 4k EStG ist, die Entstehung eines „Steuervorteils“ aus einer unterschiedlichen Behandlung von Aufwendungen und Erträgen nach deutschem und ausländischem Steuerrecht zu vermeiden (hybride Finanzinstrumente2, hybride Gesellschaften3). Die Anwendung der Regelung kann nicht durch ein Doppelbesteuerungsabkommen eingeschränkt werden (§ 4k Abs. 7 EStG).4 Vom Regelungsbereich umfasst sind die folgenden personellen Beziehungen (§ 4k Abs. 6 EStG): – Nahestehende Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG (§ 4k Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 EStG). Nach § 4k Abs. 6 Satz 2 EStG werden dabei einer Personen die durch abgestimmtes Verhalten mit einer anderen Person zusammenwirkt, die Stimm- und Gewinnbezugsrechte der anderen Person zugerechnet.5 – Kapitalgesellschaft und Betriebsstätte (§ 4k Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 EStG).6 1 R 8.1 Abs. 1 Nr. 1 KStR 2022; Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 8; Mann in BeckOK EStG, § 4k Rz. 100 f. 2 Unter hybriden Finanzinstrumenten werden Finanzierungsformen verstanden, die von unterschiedlichen Staaten unterschiedlich behandelt werden (bspw. in einem Staat als Fremdkapital [Zinsaufwand] und in einem anderen als Eigenkapital [Dividenden]). 3 Hybride Rechtsträger sind solche Gesellschaften, die von unterschiedlichen Staaten unterschiedlich behandelt werden (bspw. in einem Staat als Körperschaft und in einem anderen als Personengesellschaft). 4 Mann in BeckOK EStG, § 4k Rz. 91; Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 5, 22. 5 Mann in BeckOK EStG, § 4k Rz. 126 ff.; Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 4. 6 Mann in BeckOK EStG, § 4k Rz. 147 ff.; Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 4.

von Freeden | 359

7.13a

Kap. 7 Rz. 7.13a | Körperschaftsteuer

– Vertragliche Beziehung zwischen Kapitalgesellschaft und einer anderen Person, wobei ein steuerlicher Vorteil bei der vertraglichen Gestaltung zu Gunsten der Beteiligten berücksichtigt wurde (§ 4k Abs. 6 Satz 1 Alt. 3 EStG; sog. strukturierte Gestaltung).1 Derartige Gestaltungen sind anzunehmen, wenn der steuerliche Vorteil bei der vertraglichen Vereinbarung mit eingerechnet wurde (§ 4k Abs. 6 Satz 3 Alt. 1)2 oder die Beteiligten aufgrund der Bedingungen und Umstände der Vereinbarung einen solchen Vorteil erwarten konnten (§ 4k Abs. 6 Satz 3 Alt. 2 EStG)3. Eine Anwendung der Norm scheidet aus, wenn nach den Umständen nicht davon auszugehen ist, dass dem Steuerpflichtigen der Vorteil bekannt war (§ 4k Abs. 6 Satz 4 Halbs. 1 EStG)4 und dieser nachweist, dass er an dem Vorteil nicht beteiligt wurde (§ 4k Abs. 6 Satz 4 Halbs. 2 EStG)5.

7.13b

Bei Vorliegen der personellen Beziehungen kann ein Betriebsausgabenabzug beschränkt sein, wenn einer der folgenden Besteuerungsinkongruenz-Sachverhalte erfüllt ist: – Deduction-/Noninclusion-Inkongruenzen6 (§ 4k Abs. 1–3 EStG) beruhen darauf, dass Aufwendungen auf Seiten des Schuldners dem Betriebsausgabenabzug unterliegen, die Erträge auf Seiten des Gläubigers jedoch nicht (oder nicht vollumfänglich) besteuert werden. § 4k Abs. 1 EStG bezieht sich dabei auf hybride Finanzinstrumente, § 4k Abs. 2 bis 3 EStG erfasst hybride Gesellschaften und Betriebsstätten.7 Die Abzugsbeschränkung erfasst im Ergebnis nur den Anteil, der dem Verhältnis der Steuervergünstigung zu einer hypothetischen Besteuerung unter gleichen Bedingungen entspricht (§ 4k Abs. 1 EStG)8 bzw. nur insoweit die Erträge keiner tatsächlichen Besteuerung unterliegen (§ 4k Abs. 2, 3 EStG)9. – Double-Deduction-Inkongruenzen10 (§ 4k Abs. 4 EStG) führen dazu, dass Aufwendungen bei zwei Rechtsträgern in verschiedenen Staaten abzugsfähig sind, die korrespondierenden doppelten Erträge jedoch keiner Besteuerung unterliegen.11 Die Aufwendungen werden nur soweit vom Abzug ausgeschlossen, soweit sie im anderen Staat berücksichtigt werden.12

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

11 12

Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 4. Mann in BeckOK EStG, § 4k Rz. 158 ff. Mann in BeckOK EStG, § 4k Rz. 168 ff. Mann in BeckOK EStG, § 4k Rz. 180 ff. Mann in BeckOK EStG, § 4k Rz. 186 ff. Beispiel: Auslands-Kapitalgesellschaft gewährt Hybrid-Darlehen an eine Inlands-GmbH, wobei für deutsche Steuerzwecke Zinsen vorliegen, für ausländische Steuerzwecke steuerfreie Dividenden. Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 1; kritisch zu § 4k Abs. 1 EStG Schrenk/Steiner/Ullmann, DStZ 2021, 165. Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 76; Schrenk/Steier/Ullmann, DStZ 2021, 165. Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 95, 126. Beispiel: Kapitalgesellschaft A, ansässig in Staat A, ist alleinige Gesellschafterin der Gesellschaft B. Gesellschaft B ist in Deutschland ansässig und wird dort als Kapitalgesellschaft (z.B. GmbH) angesehen. Sie hat ein Bankdarlehen aufgenommen und leistet dafür Zinszahlungen. B wird in Staat B als eigenständiges Steuersubjekt (GmbH) behandelt, der Zinsaufwand mindert ihr Einkommen. Staat A stuft B jedoch als transparentes Steuersubjekt (z.B. als KG oder OHG) ein und rechnet den Zinsaufwand A zu. Die Zinsen wirken somit in beiden Staaten steuermindernd. Mann in BeckOK EStG, § 4k Rz. 91; Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 2. Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 154.

360 | von Freeden

A. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.13c Kap. 7

– Importierte Besteuerungsinkongruenzen1 (§ 4k Abs. 5 EStG) kennzeichnen sich dadurch, dass eine Besteuerungsinkongruenz zwischen zwei Staaten entstanden ist und ein dritter Staat über die Transaktion an dieser Inkongruenz beteiligt wird. Der Betriebsausgabenabzug ist nur soweit ausgeschlossen, als er in einem anderen Staat nicht versagt wurde.2 Keine tatbestandmäßige Besteuerungsinkongruenz liegt u.E. vor, wenn eine inländische Organträger-Personengesellschaft, deren Gesellschafter unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen sind, über eine Organgesellschaft (mittelbar) an einer ausländischen Personengesellschaft mit Sitz in einem DBA-Staat beteiligt ist (sog. Mittelstands- oder Organschaftsstruktur für Outbound-Investitionen). Die Beteiligung der Organgesellschaft an der ausländischen Personengesellschaft (z.B. Produktionsbetrieb) begründet eine (Freistellungs-)Betriebsstätte der Organgesellschaft im Ausland. Nach ausländischem Steuerrecht ist die Organgesellschaft (im Ausland) beschränkt steuerpflichtig. Sofern der ausländische Staat mit Blick auf die Rechtsform der Organgesellschaft den ausländischen Körperschaftsteuersatz (z.B. 25 %) – und nicht mit Blick auf die natürlichen Personen (Gesellschafter der Organträger-Personengesellschaft), denen das Einkommen der Organgesellschaft nach § 14 KStG zuzurechnen ist, den ausländischen Einkommensteuersatz (z.B. 40 %) – anwendet könnte man zwar vom Vorliegen einer Hybridstruktur sprechen (ausländischer Staat besteuert Gewinn einer Kapitalgesellschaft [Körperschaftsteuer]; Deutschland besteuert im Ergebnis den Gewinn auf Ebene der natürlichen Personen als Gesellschafter der transparenten Organträger-Personengesellschaft und der „transparenten“ Organgesellschaft [Einkommensteuer]). Ein Besteuerungsinkongruenz-Sachverhalt i.S.v. § 4k EStG liegt in diesem Fall jedoch nicht vor, da sämtliche Aufwendungen und Erträge der Betriebsstätte und des Organkreises Gegenstand einer Besteuerung im Ausland sind und kein doppelter Betriebsausgabenabzug vorliegt.

3. Grenzüberschreitende Organschaft Literatur: Kommentare zu §§ 14 ff. KStG; Bochmann/Bron, Die nächste Stufe der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts: Vom MoPeG zum KöMoG – Steuerliche Skizze und gesellschaftsrechtliche Einordnung, NZG, 2021, 613; Böhmer/Schewe, Das BMF-Schreiben zur Option zur Körperschaftsbesteuerung, FR 2022, 69; Breuninger, Grundlagen internationaler Organschaft, in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Auflage, Köln 2019, Rz. 25.1 ff.; Brocke/Müller, Die Auswirkungen des SCA Group Holding-Urteils auf das deutsche Steuerrecht, DStR 2014, 2106; Cloer/Kahlenberg, Gruppenbesteuerung in der EU im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, SteuK 2014, 511; Frotscher, Grenzüberschreitende Organschaft – wo stehen wir?, IStR 2011, 697; Hoene, Der grenzüberschreitende Gewinnabführungsvertrag, IStR 2012, 462; Jäschke, Die Option zur Körperschaftsbesteuerung gem. § 1a KStG und die ertragsteuerliche Organschaft, GmbHR 2022, 627; Jochimsen/Zinowsky, DBA-Schachtelprivileg und Gewerbesteuer im Organschaftsfall, DStR 2015, 1999; Jochimsen/Zinowsky, Körperschaftsteuerliche Behandlung von Dividendenerträgen im Fall von Organträgerpersonengesellschaften, DStR 2016, 285; Kessler/Arnold, National begrenzte Organschaft, IStR 2016, 226; Krüger/Epe, Gesellschaftsrechtliche Fragen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Auflage, Köln 2019, Rz. 26.1 ff.; Liekenbrock, Kann eine optierende Personengesellschaft Organgesellschaft sein?, DB 2021, 2111; Maack/ Kersten, Finale Verluste von EU-Tochtergesellschaften: Der GAV als unüberwindbare Hürde für die

1 Beispiel: Wie bei der Deduction-/Noninclusion-Inkongruenz. Der Darlehensbetrag wird jedoch einer Tochtergesellschaft in einem Drittstaat zur Verfügung gestellt und so in diesen „importiert“. Im Drittstaat wird Zinsaufwand geltend gemacht, der korrespondierende Zinsertrag entspricht dem (abzugsfähigen) Finanzierungaufwand für die vorgeschaltete Muttergesellschaft. Die Inkongruenz besteht infolgedessen zwischen der ausländischen Gesellschaft, die das Darlehen an die deutsche GmbH gegeben hat und der Tochtergesellschaft im Drittstaat. 2 Pohl in Brandis/Heuermann, § 4k EStG Rz. 172.

von Freeden | 361

7.13c

Kap. 7 Rz. 7.14 | Körperschaftsteuer grenzüberschreitende körperschaftsteuerliche Organschaft? – Zugleich Anmerkungen zu FG Schleswig-Holstein v. 13.3.2019 – 1 K 218/15, DStR 2019, 2281; Rödder/Schönfeld, Abschied (auslandsbeherrschter) inländischer Kapitalgesellschaften von der deutschen Ertragsteuerpflicht? – Erste Anmerkungen zum überraschenden Urteil des BFH v. 9.2.2011 (I R 54, 55/10), DStR 2011, 762; Rödder/ Schumacher, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (Teil II), DStR 2001, 1685; Schnitger, Urteil des EuGH in der Rs. SCA als Katalysator für eine deutsche Organschaftsreform – jetzt geht’s los?, IStR 2014, 587; Schönfeld, Praxisfragen der grenzüberschreitenden Organschaft – dargestellt anhand von Fallbeispielen, IStR 2012, 368; Stangl/Winter, Organschaft 2013/2014, München 2014.

7.14

Eine körperschaftsteuerliche Organschaft zwischen einem Organträger und einer Organgesellschaft hat eine Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft zum Organträger zur Folge, d.h., Organträgereinkommen und Organeinkommen werden für Besteuerungszwecke saldiert (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Organträger kann jedes in- oder ausländische gewerbliche Unternehmen sein (z.B. Personen- oder Kapitalgesellschaft; optierte [Personen-]Gesellschaft1).2 Voraussetzung ist allerdings, dass die Beteiligung des Organträgers einer inländischen Betriebsstätte des Organträgers nach nationalem Steuerrecht3 und nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (funktional) zuzurechnen sein muss (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 6 ff. KStG). Danach ist die Errichtung einer Organschaft zwischen der inländischen Betriebsstätte einer ausländischen Kapitalgesellschaft und einer inländischen Organgesellschaft möglich. Das zugerechnete Organeinkommen ist in diesem Fall Gegenstand der inländischen Betriebsstätteneinkünfte.4 Organgesellschaft kann jede Körperschaft mit Geschäftsleitung im Inland und (Satzungs-)Sitz in einem EU- oder EWR-Staat sein (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG)5, wobei optierte (Personen-)Gesellschaften (§ 1a KStG) nach Auffassung der Finanzverwaltung hiervon ausgenommen sein sollen6. Eine aus dem EU- oder EWR-Ausland „zugezogene“ Kapitalgesellschaft (Geschäftsleitung im Inland, Satzungssitz im EU-/EWR-Staat) kann danach Organgesellschaft sein. Die Inlandsanknüpfung hinsichtlich der Geschäftsleitung hat zur Folge, dass die (ausländische) Kapitalgesellschaft unbeschränkt steuerpflichtig ist. Eine in der EU/ dem EWR gegründete Körperschaft mit Geschäftsleitung im Ausland kann nicht Organgesellschaft sein (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). In diesem Fall fehlt es am Vorliegen einer inländischen Geschäftsleitung. Diese „Ausklammerung“ einer EU/EWR-Körperschaft (mit Geschäftsleitung im Ausland und Satzungssitz in Deutschland) ist ein Verstoß gegen Unionsrecht.7

7.15

Eine grenzüberschreitende Organschaft liegt vor, wenn es sich bei dem Organträger und/ oder der Organgesellschaft um eine ausländische Gesellschaft handelt (z.B. ausländische Kapi1 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Tz. 55; Jäschke, GmbHR 2022, 627. 2 Eingeführt als Reaktion auf die Entscheidung des BFH (BFH v. 9.2.2011 – I R 54/10, I R 55/10, BStBl. II 2012, 106) bei Diskriminierungsverbot von DBA; R 14.3 KStR 2022. 3 R 14.3 KStR 2022. 4 Kolbe in H/H/R, § 14 KStG, Rz. 197; Prinz in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 1.55. 5 Hintergrund der Abschaffung des doppelten Inlandsbezugs für eine Organgesellschaft war ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission, durch das eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit beanstandet wurde (Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2008/4909). Der Gesetzgeber änderte das Organschaftsrecht durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.2013, BGBl. I 2013, 285. 6 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 56; a.A. z.B. Bochmann/Bron, NZG 2021, 613; Böhmer/Schewe, FR 2022, 69; Liekenbrock, DB 2021, 2111. 7 Z.B. Frotscher in Frotscher/Drüen, § 14 KStG Rz. 191; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.121.

362 | von Freeden

A. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.17 Kap. 7

talgesellschaft mit Inlandsbetriebsstätte ist Organträger, GmbH ist Organgesellschaft; z.B. GmbH ist Organträger, französische S.A. mit inländischer Geschäftsleitung ist Organgesellschaft). Die steuerlichen Wirkungen der Organschaft bleiben gleichwohl auf das Inland beschränkt, eine grenzüberschreitende Einkommenssaldierung erfolgt nicht. Eine internationale Saldierung der Einkommen der Konzerngesellschaften, die sie in verschiedenen Staaten erzielt haben, ist nach bestehendem Organschaftsrecht ebenfalls ausgeschlossen.1 Bei der inländischen Besteuerung des Organkreises werden zwecks Vermeidung einer mehrfachen Verlustnutzung negative Einkünfte nicht einbezogen, wenn sie bereits bei der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person nach ausländischem Recht berücksichtigt werden (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG). Durch diese Regelung soll ein „Verlustimport“ durch Errichtung einer grenzüberschreitenden Organschaft vermieden werden (z.B. scheidet die Berücksichtigung des Verlusts einer Organgesellschaft mit Satzungssitz in Frankreich und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland aus, wenn der Verlust bereits nach französischem Steuerrecht berücksichtigt wird).

7.16

In der Besteuerungspraxis sind bei der Errichtung einer grenzüberschreitenden Organschaft das Erfordernis des Abschlusses eines grenzüberschreitenden Gewinnabführungsvertrags (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG)2 und dessen registerrechtliche Eintragung zwar problembehaftet, ein wirksamer Abschluss ist aber möglich. Denn die Möglichkeit, einen ausländischen Rechtsträger unternehmensvertraglich zu verpflichten, richtet sich ausschließlich nach ausländischem (Gesellschafts-)Recht.3 Das ausländische Recht ist für die Organgesellschaft als Schuldnerin der vertragstypischen Verpflichtung einschlägig, so dass international-kollisionsrechtlich nicht an deutsches Gesellschaftsrecht anzuknüpfen ist. Problematisch ist dabei, dass den meisten Rechtsordnungen im EU-/EWR-Raum Gewinnabführungsverträge nicht bekannt sind.4 Derzeit umfassen innerhalb der EU ausschließlich das portugiesische, österreichische und slowenische Recht Regelungen zu einem Gewinnabführungsvertrag.5 Dem Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags6 können gesellschaftsrechtliche Grundwertungen des ausländischen Rechts entgegenstehen, die in jedem Einzelfall vor Abschluss des Vertrags zu prüfen sind (z.B. könnte der Vertrag einen unzulässigen Eingriff in Gewinnbezugsrechte der Gesellschafter oder in Gläubigerschutzvorschriften begründen; ggf. löst der Vertrag Haftungsfolgen für Organe der Gesellschaft aus). Ein Verstoß gegen ausländische Rechtsvorschriften kann eine Unwirksamkeit des Gewinnabführungsvertrags (nach ausländischem Recht) zur Folge haben, die zu einem Wegfall der steuerlichen Organschaftsvoraussetzungen führt. Eine unzutreffende Rechtsanwendung im Ausland hätte insoweit Auswirkungen auf die inländische Organschaft. Unklar ist, ob für einen grenzüberschreitenden Gewinnabführungsvertrag ein Zustimmungs-

7.17

1 Cloer/Kahlenberg, SteuK 2014, 511; Kessler/Arnold, IStR 2016, 226; Schnitger, IStR 2014, 587. 2 Nach Auffassung von Oellerich (in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.126 m.w.N.) handelt es sich bei dem organschaftsrechtlichen Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrags um eine Verletzung der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit. Dieser Verstoß lasse sich dadurch vermeiden, dass der Gesetzgeber statt eines Unternehmensvertrags eine entsprechende schuldrechtliche Regelung als Organschaftsvoraussetzung zulässt. Ein solcher grenzüberschreitender „einfacher“ schuldrechtlicher Vertrag wäre nicht mit den Anerkennungsfragen eines Unternehmensvertrags behaftet; vgl. dazu auch Schönfeld, IStR 2012, 368. 3 Stangl/Winter, Organschaft 2013/2014, Rz. A115. 4 Stangl/Winter, Organschaft 2013/2014, Rz. A115. 5 Kritisch z.B. Cloer/Kahlenberg, SteuK 2014, 513; Prinz in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 1.54. 6 R 14.5 KStR 2022.

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Kap. 7 Rz. 7.17 | Körperschaftsteuer

beschluss des Organträgers (§ 293 Abs. 2 AktG) und eine Eintragung im Handelsregister (§ 294 AktG) erforderlich sind.1 Gegen eine Anwendbarkeit der deutschen Regelungen spricht, dass nach kollisionsrechtlichen Grundsätzen das ausländische Recht für den Vertrag insgesamt, also für beide Vertragsparteien, gleichermaßen gilt. Danach wäre ein „formloser“ Vertragsschluss möglich.2 Nach einer anderen Auffassung ist § 293 Abs. 2 AktG auch dann anwendbar, wenn das ausländische Recht entsprechende Voraussetzungen nicht kennt.3 Deshalb sollte in der Praxis aus Vorsichtsgründen ein Zustimmungsbeschluss des Organträgers eingeholt werden. Für den Fall, dass dem ausländischen Recht ein Gewinnabführungsvertrag nicht bekannt ist, stellt sich die Frage, ob auch ein „einfacher“ schuldrechtlicher Vertrag für die Errichtung einer ertragsteuerlichen Organschaft ausreichend sein könnte. Bei Zugrundelegung einer rechtskräftigen Entscheidung des FG Niedersachsen4 und einer rechtskräftigen Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz5 dürfte dies ausreichend sein. Der schuldrechtliche Vertrag muss allerdings die Voraussetzungen erfüllen, die § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG an einen Gewinnabführungsvertrag stellt (Abschluss auf mindestens fünf Jahre; Durchführung des Vertrags).6 Offen ist, ob auch der BFH das Vorliegen einer (grenzüberschreitenden) ertragsteuerlichen Organschaft auf der Grundlage einer (nur) schuldrechtlichen Regelung anerkennen wird.

7.18

Das Erfordernis, den Vertrag in ein ausländisches Register einzutragen, kann sich aus ausländischem Recht ergeben. Eine Eintragung in das deutsche Handelsregister (für die Organgesellschaft) scheidet aus, da die Gesellschaft ihren Satzungssitz im Rahmen einer grenzüberschreitenden Organschaft im Ausland hat.

B. Beschränkte Steuerpflicht Literatur: Kommentare zu § 2 KStG; Crezelius, Organschaft und Ausland, in FS für Beusch, Berlin/ New York 1993, 153; Eckert, Besteuerung von Dividenden an Steuerausländer, IStR 2003, 406; Grotherr, Organschaftsfragen bei Auslandsbeziehungen, in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/Schaumburg, (Hrsg.) Unternehmen/Steuern, FS für Flick, Köln 1997, 757; Hawlitschek, Die isolierende Betrachtungsweise und ihr Anwendungsbereich, IStR 2016, 177; Herzig/Dautzenberg, Die Einwirkungen des EG-Rechts auf das deutsche Unternehmenssteuerrecht, DB 1997, 8; Kessler, Internationale Organschaft in Dänemark, IStR 1993, 303; Ley, Besteuerung ausländischer Kapitalgesellschaften, Betriebsstätten und Personengesellschaften, KÖSDI 1995, 10414; Lüdicke, Grenzüberschreitende Beteiligungsund Zinserträge, DStJG 30 (2007), 289; Lühn, Kapitalertragsteuerabzug bei beschränkt Körperschaftsteuerpflichtigen, PIStB 2009, 321; Müth/Simon, Die pandemiebedingte Gefahr der Begründung einer Betriebsstätte, DStR 2022, 744; Rust, Anforderungen an eine EG-rechtskonforme Dividendenbesteuerung, DStR 2009, 2568; Schaumburg in Herzig, Organschaft, Stuttgart 2003, 419; Schlütter, Personengesellschaft oder Körperschaft?, DStJG 8 (1985), 215; Schönfeld, Ausgewählte internationale Aspekte der neuen Regelungen über die Kapitalertragsteuer, IStR 2007, 850; Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, Zum Optionsmodell nach dem Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts – oder: eventus varios res nova semper habet, DStR-Beih 2021, 3.

1 2 3 4 5 6

Stangl/Winter, Organschaft 2013/2014, Rz. A121. Bärwaldt/Schabacker, AG 1998, 182 (187). Kindler in MünchKommBGB Bd. 138, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 685. FG Nds. v. 11.2.2010 – 6 K 406/08, DStRE 2010, 474 ff. FG Rh.-Pf. v. 17.3.2010 – 1 K 2406/07, DStRE 2010, 802. Siehe dazu auch A. Krüger/Epe in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 26.22.

364 | von Freeden

B. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.22 Kap. 7

I. Allgemeines Im Gegensatz zum Einkommensteuerrecht wird im Körperschaftsteuerrecht nach Maßgabe des § 2 KStG zwischen zwei Gruppen beschränkter Steuerpflicht unterschieden1, nämlich zwischen

7.19

– Körperschaften2, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben (§ 2 Nr. 1 KStG) und – sonstigen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind (§ 2 Nr. 2 KStG). Lediglich die erste Fallgruppe bildet eine Parallele zu der in § 1 Abs. 4 EStG normierten beschränkten Einkommensteuerpflicht. Ebenso wie in § 1 Abs. 4 EStG sind auch in § 2 Nr. 1 KStG Steuersubjekt und Steuerobjekt miteinander verkoppelt, so dass eine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht nur dann gegeben ist, wenn zugleich inländische Einkünfte bezogen werden (Rz. 7.26 ff.).3

7.20

Soweit das Körperschaftsteuergesetz selbst keine Einschränkungen enthält, sind dessen Normen unterschiedslos sowohl im Rahmen der unbeschränkten als auch der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht anzuwenden. Zu den bedeutsamen Ausnahmen zählt insbesondere § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG, wonach die in § 5 Abs. 1 KStG genannten Steuerbefreiungen für beschränkt Körperschaftsteuerpflichtige i.S.v. § 2 Nr. 1 KStG nicht anzuwenden sind.4

7.21

§ 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG bedeutet keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, weil Art. 3 Abs. 1 GG keine Anwendung auf nach ausländischem Recht errichtete juristische Personen findet.5 § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG verstößt auch nicht gegen das in den DBA verankerte Diskriminierungsverbot (Art. 24 Abs. 1 OECD-MA), wonach die Besteuerung der Staatsangehörigen des anderen Staates nicht anders oder belastender sein darf als die Besteuerung der eigenen Staatsangehörigen unter gleichen Verhältnissen. Das sich aus dem Diskriminierungsverbot ableitende Gleichbehandlungsgebot erstreckt sich zwar auch auf Steuerbefreiungen, Steuervergünstigungen und Steuerermäßigungen,6 es findet seine Einschränkung aber in dem Vergleichsmaßstab gleicher Verhältnisse, so dass letztlich das bilaterale Diskriminierungsverbot deshalb nicht tangiert ist, weil die steuerliche Differenzierung ausschließlich an die Ansässigkeit der Körperschaftsteuersubjekte anknüpft.7 Indessen ist ein Verstoß gegen die europarechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) gegeben (Rz. 4.12 ff.). Denn § 5 Abs. 2

7.22

1 R 2 KStR 2022. 2 Eine optierte (Personen-)Gesellschaft gilt als Kapitalgesellschaft (§ 1a KStG). Deshalb ist die optierte Gesellschaft eine Körperschaft i.S.v. § 2 Nr. 1 KStG; Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih 2021, 3, 36. 3 R 2 KStR 2022. 4 Ausnahme § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG für in EU-/EWR-Staaten ansässige Rechtsträger, die gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen. 5 BVerfG v. 1.3.1967 – 1 BvR 46/66, BVerfGE 21, 207 (209); BFH v. 20.10.1976 – I R 224/74, BStBl. II 1977, 175; v. 3.8.1983 – II R 20/80, BStBl. II 1984, 9; zu Einzelheiten Remmert in Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 19 Abs. 3 GG Rz. 88 ff.; zur Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde durch EU-Kapitalgesellschaften von Bogdandy in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 18 AEUV Rz. 48; Remmert in Dürig/ Herzog/Scholz, Art. 19 Abs. 3 GG Rz. 92 ff. 6 BFH v. 14.3.1989 – I R 20/87, BStBl. II 1989, 649. 7 BFH v. 20.10.1976 – I R 224/74, BStBl. II 1977, 175; Frotscher in Frotscher/Drüen, § 5 KStG Rz. 352.

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Kap. 7 Rz. 7.22 | Körperschaftsteuer

Nr. 2 KStG geht ausschließlich zulasten von nach ausländischem Recht errichteten Körperschaftsteuersubjekten. Da der Gesetzgeber gewöhnlich eine Korrektur europarechtswidriger Normen erst dann und nur insoweit vornimmt, als er durch eine Entscheidung des EuGH hierzu genötigt wird, ist bislang allein § 5 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 2 Nr. 2 KStG an das Europarecht angepasst worden.1

II. Steuersubjekte 7.23

Im Gegensatz zu § 1 Abs. 1 KStG erstreckt sich § 2 Nr. 1 KStG auf alle Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen. Damit ist der Kreis der Steuersubjekte weit gezogen, so dass alle ausländischen juristischen Personen des öffentlichen oder privaten Rechts sowie die ausländischen nichtrechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen2 erfasst werden. Da § 2 Nr. 1 KStG auch nichtrechtsfähige Personenvereinigungen in seinen Regelungsbereich einbezieht, kommt es für Zwecke der beschränkten Steuerpflicht nicht darauf an, ob das ausländische Rechtsgebilde nach Maßgabe des deutschen Internationalen Privatrechts Rechtsfähigkeit genießt.3 Daher kann eine körperschaftlich verfasste Gesellschaft ausländischen Rechts stets der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegen.4

7.24

Ausländische nichtrechtsfähige Personenvereinigungen fallen nur dann unter den Regelungskreis des § 2 Nr. 1 KStG, wenn deren Einkommen nicht mittelbar bei den Gesellschaftern zur Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer heranzuziehen ist (§ 3 Abs. 1 KStG). Für ausländische Personenhandelsgesellschaften folgt hieraus, dass diese nur dann beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind, wenn sie aufgrund eines Typenvergleichs5 einer Körperschaft entsprechen6 oder wegen Optionsausübung nach § 1a KStG als Kapitalgesellschaft gelten7.

7.25

Da gem. § 2 Nr. 1 KStG nur solche Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben, kommen letztlich nur nach ausländischem Recht errichtete Körperschaften (einschließlich nach ausländischem Recht errichteter optierter [Personen-]Gesellschaften) für die beschränkte Steuerpflicht in Betracht.

III. Inländische Einkünfte 7.26

Da § 2 Nr. 1 KStG keine Aussage darüber trifft, was als inländische Einkünfte der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegt, gilt über § 8 Abs. 1 KStG der in § 49 Abs. 1 EStG enthalte-

1 Anpassung an EuGH v. 14.9.2006 – C-386/04, ECLI:EU:C:2006:568 = Slg. I-2006, 8203 – Stauffer. 2 Hierzu zählen unter bestimmten Voraussetzungen auch Trusts; BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727. 3 Sitz- oder Gründungstheorie spielen hier also von vorneherein keine Rolle. 4 Vgl. hierzu den Überblick über die von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle bei Pfirrmann in Gosch4, § 2 KStG Rz. 18. 5 Hierzu im Einzelnen Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht2, Rz. 4.5 ff. 6 Aufgrund dieses Typenvergleiches sind insbesondere die Personenhandelsgesellschaften des romanischen Rechtskreises nicht beschränkt körperschaftsteuerpflichtig; vgl. hierzu den Überblick bei Witt in H/H/R, § 2 KStG Rz. 42. 7 Zur Optionsausübung einer Personengesellschaft mit Sitz im Ausland: BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Tz. 4 f., 14.

366 | von Freeden

B. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.27 Kap. 7

ne Einkünftekatalog auch für die beschränkte Körperschaftsteuerpflicht.1 Nicht zur Anwendung kommt allerdings § 8 Abs. 2 KStG mit der Folge, dass nicht unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Rechtsträger grundsätzlich alle Arten von Einkünften erzielen können.2 Steuerlich erhebliche Einkünfte sind allerdings nur dann gegeben, wenn die entsprechende Tätigkeit mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommen wird.3 Daher sind für die Qualifizierung der inländischen Einkünfte im Rahmen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht die gleichen Grundsätze wie bei der beschränkten Einkommensteuerpflicht anzuwenden. Das gilt insbesondere für die sich aus § 49 Abs. 2 EStG ergebende isolierende Betrachtungsweise, wonach im Ausland gegebene Besteuerungsmerkmale (Tatbestandsmerkmale) außer Betracht bleiben, soweit bei ihrer Berücksichtigung inländische Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) nicht angenommen werden könnten (Rz. 6.153 ff.).4 Die Reichweite des § 49 Abs. 2 EStG ist indessen beschränkt, weil in jenen Fällen, in denen die Einkunftsart nicht losgelöst vom Steuersubjekt bestimmt werden kann, auf im Ausland verwirklichte Tatbestandsmerkmale zurückgegriffen werden muss. Das gilt insbesondere für Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG), aus nichtselbständiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG), aus Leistungen gesetzlicher Rentenversicherungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG) und für Abgeordnetenbezüge (§ 49 Abs. 1 Nr. 8a EStG). Derartige Einkünfte können von Körperschaften ihrer Art nach nicht erzielt werden.5 Im Hinblick darauf, dass § 8 Abs. 2 KStG keine Anwendung findet, kann ein Körperschaftsteuersubjekt im Rahmen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht ohne weiteres Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§§ 2 Nr. 1; 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielen, soweit keine Liebhaberei gegeben ist. Im Vordergrund steht in der Praxis die Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Die in § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG genannten Anknüpfungsmerkmale kommen hierbei uneingeschränkt auch für Körperschaftsteuersubjekte zur Anwendung. Dies gilt auch für § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, soweit das ausländische Körperschaftsteuersubjekt als Vergütungsgläubiger (Künstlerverleihgesellschaft) für künstlerische, sportliche, artistische, unterhaltende und ähnliche Darbietungen eingeschaltet ist.6 Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften führen auch für ausländische Körperschaftsteuersubjekte zu Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG),7 wobei wegen der Bezugnahme auf § 17 EStG auch die dort genannten Veräußerungsersatztatbestände erfasst werden. Darüber hinaus erstreckt sich die beschränkte Körperschaftsteuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG) auch auf Kapitalanteile, die im Zuge einer Verschmelzung i.S.d. § 13 Abs. 1 UmwStG erworben 1 BFH v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462; v. 13.11.2002 – I R 90/01, BStBl. II 2003, 249; zu den inländischen Einkünften im Einzelnen R 2 KStR 2022. 2 Hierzu Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 67. 3 Insoweit können beschränkt körperschaftpflichtige im Unterschied zu unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Rechtsträgern, soweit letztere unter § 8 Abs. 2 KStG fallen, „Liebhaberei“ haben; BFH v. 7.11.2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861; v. 19.11.2003 – I R 33/02, BFH/NV 2004, 445; Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 67, 71; Roser in Gosch4, § 8 KStG Rz. 71; die Rechtslage bei unbeschränkter Körperschaftsteuerpflicht ist allerdings streitig; zur Frage, ob § 8 Abs. 2 KStG eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung enthält Hey in Tipke/Lang24, Rz. 11.37 m.w.N. 4 Hierzu Hawlitschek, IStR 2016, 177 (181). 5 BFH v. 30.11.1966 – I 215/64, BStBl. III 1967, 400; v. 4.3.1970 – I R 140/66, BStBl. II 1970, 428; v. 7.7.1971 – I R 41/70, BStBl. II 1971, 771; v. 23.5.1973 – I R 163/71, BStBl. II 1974, 287; v. 20.2.1974 – I R 217/71, BStBl. II 1974, 511; v. 1.12.1982 – I R 238/81, BStBl. II 1983, 213; v. 20.6.1984 – I R 283/81, BStBl. II 1984, 828. 6 BFH v. 2.2.1994 – I B 143/93, BFH/NV 1994, 864; zu Einzelheiten Siegers in D/P/M, § 2 KStG Rz. 45 ff. 7 BFH v. 13.12.1961 – I 209/60 U, BStBl. III 1962, 85; Clausen in H/H/R, § 49 EStG Rz. 1246.

von Freeden | 367

7.27

Kap. 7 Rz. 7.27 | Körperschaftsteuer

wurden. Voraussetzung ist, dass für die seinerzeit hingegebenen Anteile auf Antrag der Buchwert zum Ansatz kam (§ 13 Abs. 2 UmwStG). Erfasst werden ferner Kapitalanteile, die nach einem Anteilstausch i.S.d. § 21 UmwStG der nachgelagerten Besteuerung gem. § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG1 oder nach einem identitätswahrenden Wegzug in einen EU-Staat der nachgelagerten Besteuerung gem. § 17 Abs. 5 Satz 3 EStG (Rz. 6.210 ff.) unterworfen sind. Den vorgenannten Fällen ist gemeinsam, dass es sich um eine nachgelagerte Besteuerung handelt, die auch Anteile an ausländischen Kapitalgesellschaften erfasst.2

7.28

Der beschränkten Steuerpflicht werden als Einkünfte aus Gewerbebetrieb auch Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung oder aus der Veräußerung von inländischem unbeweglichem Vermögen, Sachinbegriffen oder Rechten unterworfen, wenn sie von einer ausländischen Körperschaft erzielt werden, die einer inländischen Körperschaft i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG vergleichbar ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG).3

7.29

Beschränkt steuerpflichtige Körperschaftsteuersubjekte können zwar keine Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit sowie keine Abgeordnetenbezüge erzielen, etwas anderes gilt aber für Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG)4 und insbesondere für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG), die an keine natürlichen Personen vorbehaltene Tätigkeitsmerkmale anknüpfen.

IV. Veranlagung und Steuerabzug 1. Überblick 7.30

Bei beschränkt steuerpflichtigen Körperschaftsteuersubjekten wird die Körperschaftsteuer entweder im Rahmen einer Veranlagung durch Steuerbescheid festgesetzt oder durch Steuerabzug an der Quelle erhoben. Soweit das Körperschaftsteuergesetz selbst keine speziellen Vorschriften enthält, gelten über § 31 Abs. 1 KStG die entsprechenden Vorschriften des Einkommensteuergesetzes. Das gilt insbesondere für die für beschränkt Steuerpflichtige geltenden Vorschriften der §§ 50 und 50a EStG.5 Insoweit kann hier auf die für die beschränkte Einkommensteuerpflicht geltenden Ausführungen verwiesen werden (Rz. 6.267 ff.).

7.31

Das Körperschaftsteuergesetz enthält allerdings für beschränkt steuerpflichtige Körperschaftsteuersubjekte Sondervorschriften über den Steuerabzug vom Kapitalertrag und den Steuersatz.

2. Steuerabzug 7.32

Abweichend von den in §§ 43, 43a Abs. 1 EStG genannten Kapitalertragsteuersätzen, die für die Dividenden 25 % betragen, ergeben sich für beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften Reduktionen auf zwei unterschiedlichen Ebenen: Auf Abkommensebene wird die Quellensteuerbefugnis der Höhe nach durchweg auf 5 %, 10 % oder 15 % begrenzt (Art. 10 Abs. 2 OECDMA),6 so dass unter den Voraussetzungen des § 50c Abs. 2 EStG (Freistellungsverfahren) von 1 2 3 4 5 6

Betroffen sind EU-Kapitalanteile gem. Art. 8 EG-FusionsRL. Hierzu Siegers in D/P/M, § 2 KStG Rz. 48a. Zum Typenvergleich Rz. 7.24. Vgl. RFH v. 7.2.1929, RStBl. 1929, 193. Das gilt auch für § 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG; hierzu Loschelder in Schmidt41, § 50a EStG Rz. 12. Vgl. zur deutschen Abkommenspraxis die Abkommensübersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7; Art. 10 OECD-MA Rz. 67.

368 | von Freeden

B. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.33 Kap. 7

vornherein nur die reduzierte Kapitalertragsteuer einzubehalten ist. Gemäß § 43b Abs. 1 Satz 1 EStG wird die Kapitalertragsteuer nicht erhoben,1 wenn Gläubigerin eine beschränkt körperschaftsteuerpflichtige EU-Muttergesellschaft2 ist, die im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG) nachweislich seit mindestens zwölf Monaten ununterbrochen mindestens zu 10 % unmittelbar am Nennkapital der ausschüttenden unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft (Tochtergesellschaft) beteiligt ist (§ 43b Abs. 2 EStG). Wird der vorgenannte Beteiligungszeitraum erst nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer vollendet, ist die einbehaltene Kapitalertragsteuer zu erstatten (§ 43b Abs. 2 Satz 5 EStG). Im Hinblick darauf, dass die Kapitalertragsteuer 25 %, der tarifliche Steuersatz aber nur 15 % (§ 23 Abs. 1 KStG) beträgt, erfolgt gem. § 44a Abs. 9 EStG eine Erstattung von Kapitalertragsteuer in Höhe von 2/5, um so eine Gleichbehandlung mit unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Rechtsträgern zu gewährleisten.3 Hierbei finden die Vorschriften des § 50c Abs. 3 und 5 EStG und § 50d Abs. 3 EStG entsprechende Anwendung (Rz. 19.160 ff.). Gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG wird die Körperschaftsteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug unterliegen, im Falle der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht grundsätzlich durch den Steuerabzug abgegolten. Diese Abgeltungswirkung (Rz. 6.281 ff.) gilt dann nicht, wenn die abzugspflichtigen Einkünfte in einem inländischen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb angefallen sind (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). Darüber hinaus entfällt gem. § 32 Abs. 2 KStG die Abgeltungswirkung auch in weiteren vier Fällen: – § 32 Abs. 2 Nr. 1 KStG betrifft den Fall, dass während eines Kalenderjahres sowohl unbeschränkte Steuerpflicht als auch beschränkte Steuerpflicht gegeben ist. Dies hat zur Folge, dass die während der beschränkten Steuerpflicht erzielten steuerabzugspflichtigen Einkünfte in einer Veranlagung zur unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht mit der Maßgabe einzubeziehen sind, dass die einbehaltenen Abzugsteuern zur Anrechnung kommen.4 – Gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 2 KStG entfällt die Abgeltungswirkung, wenn der Gläubiger der in § 50a Abs. 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 EStG genannten Vergütungen eine Veranlagung zur Körperschaftsteuer beantragt. Dieses Veranlagungswahlrecht gilt nur für EU-/EWR-Körperschaften, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung sich innerhalb des Gebietes der EU/EWR befinden (§ 32 Abs. 4 KStG). Diese Regelung entspricht dem § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG (Rz. 6.289). – Die Abgeltungswirkung entfällt gem. § 32 Abs. 2 Nr. 3 KStG ferner dann, wenn die beschränkt steuerpflichtige Körperschaft als Gläubigerin von steuerabzugspflichtigen Beträgen selbst in Anspruch genommen werden könnte. Angesprochen werden hiermit insbesondere § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG, wonach ausnahmsweise der Gläubiger der Kapitalerträge in Anspruch genommen werden kann, und § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG, wenn der Vergütungsschuldner den Steuerabzug nicht vorschriftsmäßig vorgenommen hat.5

1 Die Freistellung steht allerdings unter Missbrauchsvorbehalt (§ 50d Abs. 3 EStG); zu Einzelheiten Rz. 19.160 ff. 2 Gesellschaften i.S. des Art. 2 der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8, vgl. Anlage 4 zum EStG. 3 Hierzu Schönfeld, IStR 2007, 850 ff. 4 Diese Regelung entspricht der des § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG. 5 Zu Einzelheiten Siegers in D/P/M, § 32 KStG Rz. 37 ff.

von Freeden | 369

7.33

Kap. 7 Rz. 7.33 | Körperschaftsteuer

– Schließlich betrifft § 32 Abs. 2 Nr. 4 KStG die Fälle, in denen die Körperschaft gem. § 38 Abs. 2 KStG nach dem Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren während eines Übergangszeitraums Ausschüttungen vornimmt.1 Hierdurch wird gewährleistet, dass die in § 38 Abs. 2 KStG geregelte ausschüttungsbedingte Körperschaftsteuererhöhung während des Übergangszeitraums weiterhin möglich bleibt.

7.34

In den Fällen, in denen bei Dividenden ein Kapitalertragsteuerabzug mit Abgeltungswirkung verbleibt, ergibt sich eine Regelungsdivergenz zwischen § 8b Abs. 1 KStG und § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG. Gemäß § 8b Abs. 1 KStG sind nämlich Dividenden bei der Ermittlung der Einkünfte der dividendenempfangenden beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft2 außer Ansatz zu lassen, wobei gem. § 8b Abs. 5 KStG 5 % der Einnahmen als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben fingiert werden. Ungeachtet dieser (partiellen) Freistellung ist von den Dividenden ein Kapitalertragsteuerabzug vorzunehmen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG), für den im Grundsatz die Abgeltungswirkung (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG) eingreift. Eine Erstattung einbehaltener Kapitalertragsteuer ist für diesen Fall nur im Geltungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG), nicht aber im Verhältnis zu Drittstaaten vorgesehen. Bei einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft als Dividendenbezieherin könnte demgegenüber die Kapitalertragsteuer auf die Körperschaftsteuer angerechnet werden (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG), so dass insoweit eine geringere steuerliche Belastung gegeben ist. Im Hinblick auf diese Verwerfung,3 die letztlich auf der systemwidrigen Abgeltungswirkung beruht (Rz. 6.282), ist ein Steuererlass aus Billigkeitsgründen (§§ 163, 227 AO) geboten.4 Auf Streubesitzdividenden ist § 43b EStG hingegen nicht anwendbar.5 Seit der Geltung des neu eingefügten § 8b Abs. 4 KStG bleiben Streubesitzdividenden weder für unbeschränkt noch für beschränkt Steuerpflichtige bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz, so dass insofern keine Diskriminierung beschränkt Steuerpflichtiger mehr gegeben ist.6

7.35

Soweit die Körperschaftsteuer durch den Steuerabzug nicht abgegolten ist, gilt gem. § 23 Abs. 1 KStG für beschränkt steuerpflichtige Körperschaftsteuersubjekte einheitlich ein tariflicher Steuersatz von 15 %.7

3. Erstattung und Freistellung 7.36

Der Steuerabzug erfolgt im Grundsatz unabhängig davon, ob nach Maßgabe des nationalen Rechts oder des Abkommensrechts ein niedrigerer Steuersatz oder gar eine Steuerfreistellung eingreift (Rz. 6.304). In Abweichung hiervon ergibt sich für den Gläubiger von Kapitalerträgen oder Vergütungen nur die Möglichkeit, im Nachhinein die vollständige oder teilweise Erstattung einbehaltener und abgeführter Abzugsteuer oder im Vorhinein eine entsprechende Frei-

1 Hierzu Siegers in D/P/M, § 32 KStG Rz. 46 ff. 2 § 8b Abs. 1 KStG gilt auch im Falle der beschränkten Steuerpflicht; vgl. Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 10. 3 Lüdicke, DStJG 30 (2007), 289 (304 ff.). 4 Lühn, PIStB 2009, 321 (323). 5 Zur Unionsrechtswidrigkeit der Rechtslage vor Einführung des § 8b Abs. 4 KStG EuGH v. 20.10.2011 – C-284/09, ECLI:EU:C:2011:670 = Slg. 2011, I-9879 = DStR 2011, 2038 – Kommission/Deutschland; BFH v. 11.1.2012 – I R 25/10, BFHE 236, 318 = DStR 2012, 742. 6 § 32 Abs. 5 KStG sieht bis zur Anwendung des § 8b Abs. 4 KStG eine Erstattung der KapESt für EU/ EWR-Gesellschaften vor, vgl. hierzu Rengers in Brandis/Heuermann, § 8b KStG Rz. 182 m.w.N. 7 Zuzüglich Solidaritätszuschlag.

370 | von Freeden

B. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.36 Kap. 7

stellung zu beantragen (§ 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 50c Abs. 1 bis 5 EStG1; Rz. 6.304). Sowohl Erstattung als auch Freistellung sind u.a. nur unter den für ausländische Kapitalgesellschaften maßgeblichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG zulässig.2 Nach dieser auf Missbrauchsverhinderung3 gerichteten Vorschrift werden Erstattung und Freistellung von Abzugsteuern versagt, soweit an der antragstellenden Auslandsgesellschaft Personen beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht im wesentlichen Zusammenhang mit eigener Wirtschaftstätigkeit4 stammen (§ 50d Abs. 3 Satz 1 EStG), sowie – die Gesellschaft nicht nachweisen kann, dass keiner der Hauptzwecke ihrer Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist und – es sich bei der Gesellschaft nicht um eine börsennotierte Kapitalgesellschaft handelt (§ 50d Abs. 3 Satz 2 EStG). Nach § 50d Abs. 14 EStG entfällt für Gläubiger von Kapitalerträgen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG sowie aus Anteilen an einer optierten Gesellschaft i.S.d. § 1a KStG ungeachtet von Bestimmungen in einem Doppelbesteuerungsabkommen der Anspruch auf Entlastung von der Kapitalertragsteuer, wenn die Kapitalerträge im anderen Staat aufgrund einer vom deutschen Recht abweichenden steuerlichen Behandlung der optierenden Gesellschaft nicht der Besteuerung unterliegen. Gleiches gilt für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer optierenden Gesellschaft.

V. Besonderheiten 1. Grenzüberschreitende Einlagenrückgewähr Literatur: Kommentare zu § 27 KStG; Baumgartner, „Alles beim Alten?“ – Die Rechtsprechung des BFH zur Einlagenrückgewähr durch Drittstaatengesellschaften, DStR 2019, 2393; Endert, Zur Möglichkeit der Einlagenrückgewähr von ausländischen Körperschaften, IStR 2017, 185; Große, Das steuerliche Einlagenkonto – § 27 KStG, SteuK 2013, 67; Häberer, Alle Jahre wieder? – Die Antragstellung nach § 27 Abs. 8 KStG, DStZ 2010, 840; Kahlenberg, Einlagenrückgewähr auch für Drittstaatengewähr, NWB 2020, 2167; Käshammer/Schmohl/Schuhmann, Einlagenrückgewähr durch eine Drittstaatengesellschaft – Ausgewählte Praxisüberlegungen, IStR 2019, 858; Peschke/Herrmann, Steuerrechtliche Behandlung der Einlagenrückgewähr bei Gesellschaften aus Drittstaaten jetzt vor dem BFH, IStR 2014, 371; Rödder/Schumacher, Das kommende SEStEG – Teil I: Die geplanten Änderungen des EStG, KStG und AStG – Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften, DStR 2006, 1481; Schönfeld, Die spanische Ferienimmobilie – quo vadis?, FR 2015, 156; Sedemund, Zweifelsfragen im Rahmen von § 27 Abs. 8 KStG, IStR 2009, 579; Sedemund, Zuständigkeits- und Verfahrensfragen bei Leistungen ausländischer Kapitalgesellschaften an inländischen Anteilseigner, IStR 2010, 270.

1 Durch das AbzStEntModG wurden die Regelungen zur Entlastung vom Steuerabzug außerhalb des Veranlagungsverfahrens von § 50d EStG nach § 50c EStG überführt (Gesetz v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259). 2 Vgl. zu den übrigen Voraussetzungen Rz. 6.301 ff. 3 Rule-/Directive-Shopping; hierzu Rz. 19.160 ff. 4 Das Erzielen der Einkünfte, deren Weiterleitung an beteiligte oder begünstigte Personen sowie eine Tätigkeit, soweit sie mit einem für den Geschäftszweck nicht angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb ausgeübt wird, gelten nicht als Wirtschaftstätigkeit (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG).

von Freeden | 371

Kap. 7 Rz. 7.37 | Körperschaftsteuer

a) Einlagenrückgewähr durch EU-Körperschaft oder EU-Personenvereinigung

7.37

Eine Einlagenrückgewähr von einer Körperschaft an ihre Anteilseigner hat Rechtsfolgen auf Anteilseignerebene und auf Gesellschaftsebene. Auf Ebene des Anteilseigners ist der Betrag der Einlagenrückgewähr mit den Anschaffungskosten bzw. dem Buchwert der Anteile an der Körperschaft zu verrechnen (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG; Rz. 7.40). Eine Besteuerung des ausgeschütteten Betrags erfolgt insoweit nicht. Soweit der Betrag die Anschaffungskosten bzw. den Buchwert übersteigt, liegt für Steuerzwecke eine Veräußerung vor, die nach allgemeinen Grundsätzen besteuert wird. Die steuerliche Behandlung auf Ebene der Körperschaft ist in § 27 KStG geregelt. Die Vorschrift zum steuerlichen Einlagekonto erfasst grundsätzlich nur unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften. Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn eine ausländische Körperschaft durch Zuzug während eines Kalenderjahrs unbeschränkt steuerpflichtig wird.1

7.38

Eine grenzüberschreitende Einlagenrückgewähr liegt vor, wenn eine ausländische Körperschaft oder Personenvereinigung, die nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist, Einlagen an einen Anteilseigner mit Wohnsitz im Inland „auskehrt“. Um eine Ungleichbehandlung von in der EU ansässigen Körperschaften, die im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind, mit unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften zu vermeiden, sieht § 27 KStG die Möglichkeit vor, den Bestand der steuerlichen Einlagen der ausländischen Körperschaft „anlassbezogen“ festzustellen (§ 27 Abs. 8 Satz 1 KStG). Eine Feststellung erfolgt lediglich für das Wirtschaftsjahr des Antrags, eine fortlaufende Feststellung des Einlagenbestands erfolgt nicht.2 Die Tatsache, dass § 27 Abs. 8 Satz 1 KStG nach seinem Wortlaut nicht für Körperschaften mit Sitz in den Staaten des EWR anwendbar ist, dürfte ein Redaktionsversehen darstellen. Unter Zugrundelegung eines unionsrechtlichen Verständnisses und nach Auffassung des EuGH sind Staaten des EWR im Hinblick auf die Ausübung der Grundfreiheiten keine Drittstaaten und müssten demnach auch in den Anwendungsbereich der Norm einbezogen werden.3

7.39

Der Betrag der Einlagenrückgewähr ist von der Körperschaft oder Personenvereinigung zu ermitteln und im Rahmen der Antragstellung darzulegen. Der Antrag ist im Wirtschaftsjahr zu stellen, das dem Jahr der Leistung der Einlage folgt. Die Ermittlung des Einlagekontobestands ist in der Besteuerungspraxis regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da zu diesem Zweck die „Steuerhistorie“ der ausschüttenden Körperschaft oder Personenvereinigung herangezogen werden muss. Ein inländischer Anteilseigner sollte – sofern im Einzelfall darstellbar – eine entsprechende jährliche Dokumentation der geleisteten Einlagen bzw. die Fortentwicklung eines (gedanklichen) Einlagekontos bei der EU-Kapitalgesellschaft anregen. Der Betrag der Einlagenrückgewähr ist gesondert festzustellen.

7.40

Auf Ebene des Anlegers ist der (gesondert festgestellte) Betrag der Einlagenrückgewähr mit den Anschaffungskosten bzw. dem Buchwert der Anteile an der Körperschaft (ertragsteuerneu-

1 Zur Berechnung des Anfangsbestands und der Darstellung von Zu- und Abgängen des steuerlichen Einlagenkontos Große, SteuK 2013, 67. 2 § 27 Abs. 8 Satz 3 KStG; weiterführend: Große, SteuK 2013, 67 (70). 3 EuGH v. 23.9.2003 – C-452/01, ECLI:EU:C:2003:493 = Slg. 2003, I-9743 – Ospelt und Schlössle Weissenberg. Daher sprechen sich Dötsch in D/P/M, § 27 KStG Rz. 266 ff. m.w.N. und Sedemund, IStR 2010, 271, für eine analoge Anwendung auf Gesellschaften aus diesen Staaten aus. Die Finanzverwaltung hält die Anwendung des § 27 Abs. 8 KStG auf Gesellschaften aus EWR-Staaten nunmehr für vertretbar, soweit eine gegenseitige Unterstützung i.S.d. Richtlinie 77/799/EWG durch den jeweiligen EWR-Staat geleistet wird.

372 | von Freeden

B. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 7.41 Kap. 7

tral) zu verrechnen (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Soweit der Betrag die Anschaffungskosten bzw. den Buchwert übersteigt, liegt für Steuerzwecke eine Veräußerung vor. b) Einlagenrückgewähr durch Drittstaaten-Körperschaft oder DrittstaatenPersonenvereinigung Eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat ist nach dem Wortlaut der Vorschrift zwar nicht vom Anwendungsbereich des § 27 Abs. 8 KStG erfasst. Allerdings kann im Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) nach herrschender Auffassung in der Literatur1 und der Rechtsprechung des BFH2 auch die Ausschüttung einer Drittstaaten-Kapitalgesellschaft als Einlagenrückgewähr zu qualifizieren sein. Danach gehören nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG Bezüge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen, soweit sie aus Ausschüttungen einer Körperschaft stammen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG als verwendet gelten. Da der Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG lediglich sinngemäß auf die Regelungen des § 27 KStG verweist und dieser die Einlagenrückgewähr bei einer in einem Drittstaat ansässigen Kapitalgesellschaft nicht ausdrücklich ausschließt, ist die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG trotz des einschränkenden Wortlauts von § 27 Abs. 1 KStG (im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft) und § 27 Abs. 8 KStG (in einem anderen Mitgliedstaat der EU unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft) auch bei Drittstaaten-Kapitalgesellschaften grundsätzlich möglich. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung im Jahr 2022 angeschlossen.3 Dabei findet nach der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung die gesetzliche Verwendungsreihenfolge, wonach zunächst ein ausschüttbarer Gewinn der Kapitalgesellschaft als für die Ausschüttung verwendet gilt (§ 27 Abs. 1 Satz 3 und 5 KStG), Anwendung (eine Nennkapitalrückzahlung richtet sich nach § 7 Abs. 2 KapErhG4).5 Die Höhe des ausschüttbaren Gewinns der Auslandsgesellschaft ist nach ausländischem Handels- und Gesellschaftsrecht zu ermitteln. Eine „Überleitungsrechnung“ vom ausländischen in das inländische Handelsbilanz- oder Steuerrecht ist nicht erforderlich.6 In der Besteuerungspraxis sind vom Anteilseigner Nachweise gegenüber der deutschen Finanzverwaltung zu erbringen, aus denen das Vorliegen einer Einlagenrückgewähr folgt (u.a. Nachweis über die unbeschränkte Steuerpflicht der ausschüttenden Kapitalgesellschaft oder Personenvereinigung in einem Drittstaat für den beantragten Zeitraum, Höhe der Beteiligung des inländischen Anteilseigners, Beschlüsse und Nachweise über die geleistete Ausschüttung, ausländische Bilanz der Drittstaaten-Kapitalgesellschaft).7

1 Z.B. Sedemund, IStR 2010, 270 (274); Schönfeld, FR 2015, 156 (158); Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 27 KStG Rz. 220; Endert in Frotscher/Drüen, § 27 KStG Rz. 283; Oellerich in Brandis/Heuermann, § 27 KStG Rz. 81; Mössner in Mössner/Seeger/Oellerich, § 27 KStG Rz. 281. 2 BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, BStBl. II 2022, 263; v. 10.4.2019 – I R 15/16, BStBl. II 2022, 266. 3 BMF v. 21.4.2022 – IV C 2-S 2836/20/10001:002, FMNR202200892, BStBl. I 2022, 647. Die Entscheidungen des BFH v. 13.7.2016 (VIII R 47/13, BStBl. II 2022, 263) und v. 10.4.2019 (I R 15/16, BStBl. II 2022, 266) wurden im Jahr 2022 von der Finanzverwaltung im Bundessteuerblatt veröffentlicht. 4 BMF v. 21.4.2022 – IV C 2-S 2836/20/10001:002, FMNR202200892, BStBl. I 2022, 647. 5 BFH v. 10.4.2019 – I R 15/16, BStBl. II 2022, 266; BMF v. 21.4.2022 – IV C 2-S 2836/20/10001:002, FMNR202200892, BStBl. I 2022, 647. 6 BMF v. 21.4.2022 – IV C 2-S 2836/20/10001:002, FMNR202200892, BStBl. I 2022, 647. 7 BMF v. 21.4.2022 – IV C 2-S 2836/20/10001:002, FMNR202200892, BStBl. I 2022, 647.

von Freeden | 373

7.41

Kap. 7 Rz. 7.41 | Körperschaftsteuer

Auf Anteilseigener-Ebene ist der Betrag einer Einlagenrückgewähr einer Drittstaaten-Kapitalgesellschaft – wie im Fall einer Inlandsgesellschaft oder einer EU/EWR-Gesellschaft – mit den Anschaffungskosten bzw. dem Beteiligungsbuchwert zu verrechnen.

2. Grenzüberschreitende Organschaft 7.42

Eine beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft1 kann Organträger in einer körperschaftsteuerlichen Organschaft sein (Rz. 7.14). Eine Organgesellschaft ist aufgrund ihrer Geschäftsleitung im Inland stets unbeschränkt steuerpflichtig (Rz. 7.14).

C. Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht Literatur: Kommentare zu §§ 11, 12 Abs. 1, 3 KStG; Aßmann, Rückwirkung bei Absenkung der Beteiligungsgrenze des § 17 EStG?, DStR 2006, 1115; Balthasar, Die Reservenbesteuerung bei der Verlegung juristischer Personen, Bern/Frankfurt 1973; Benecke/Schnitger, Neuregelungen des UmwStG und der Entstrickungsnormen durch das SEStEG, IStR 2006, 765; Blumenberg, Steuerfragen im Zusammenhang mit der Sitzverlegung der Europäischen Gesellschaft, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 559; Breuninger, Die „Zentralfunktion des Stammhauses“ bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 587; Dötsch/Pung, SEStEG: Die Änderungen des UmwStG, DB 2006, 2704; Eckl, Wechsel von beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht bei Kapitalgesellschaften, Frankfurt a.M.; Eyles, Das Niederlassungsrecht der Kapitalgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden 1990; Förster, Internationale Aspekte der Option zur Körperschaftsteuerpflicht von Personenhandelsgesellschaften (Teil II), IStR 2022, 157; Frobenius, „Cartesio“: Partielle Wegzugsfreiheit für Gesellschaften in Europa, DStR 2009, 487; Frotscher, Zur Vereinbarkeit der „Betriebsstättenbedingung“ bei Sitzverlegung und grenzüberschreitender Umwandlung mit den Grundfreiheiten, IStR 2006, 65; Gottschalk, Beschränkung für schweizerische Aktiengesellschaften mit Sitz in Deutschland gelten fort, ZIP 2009, 948; Hey, Personalstatut und Steuerrecht, DK 2004, 577; Hilgert/Illmer Wiederauferstehung der Sitztheorie?, NZG 2009, 94; Hofmeister, Sind die Rechtsfolgen des § 12 Abs. 1 KStG mit Art. 43, 48 EG-Vertrag vereinbar?, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Wassermeyer, München 2005, 437; Jung, Die Verlegung der Geschäftsleitung und des Sitzes deutscher Kapitalgesellschaften oder von Betriebsstätten ins Ausland, Diss. Mannheim 1968; Kessler/Huck, Steuerliche Aspekte der Gründung und Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, DK 2006, 352; Kessler/Huck/Obser/Schmalz, Wegzug von Kapitalgesellschaften, DStZ 2004, 813; Knobbe-Keuk, Der Wechsel von der beschränkten zur unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht und vice versa, StuW 1990, 372; Knobbe-Keuk, Wegzug und Einbringung von Unternehmen zwischen Niederlassungsfreiheit, Fusionsrichtlinie und nationalem Steuerrecht, DB 1991, 298; Köhler, Der Wegzug von Unternehmen und Unternehmensteilen in die EU, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 813; Paefgen, Cartesio: Niederlassungsfreiheit minderer Güte, WM 2009, 529; Prinz, Deutschland, ein Auswanderungsland?, JbFSt 2007/2008, 416; Rödder, Gründung und Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft (SE), DStR 2005, 893; Rödder, Steuerorientierte Überlegungen beim Wegzug und Zuzug von Unternehmen, Ubg. 2009, 597; Roth in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaft in Deutschland, Köln 2005, 379; Rein, Entstrickungs- und Doppelbesteuerungsrisiken von SBV durch Optionsausübung nach § 1a KStG im Inbound-Fall, IStR 2022, 130; Rennar, Entstrickung durch Verlegung einer Kapitalgesellschaft in ein Drittland – Körperschaftsteuerbefreiung im Blickpunkt, IWB 2019, 196; Schaumburg, Der Wegzug von Unternehmen in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaft-

1 Als Kapitalgesellschaft gilt für Ertragsteuerzwecke auch eine optierte (Personen-)Gesellschaft (§ 1a KStG). Diese kann auch Organträger sein; BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. 2021 I, 2212, Tz. 55; Jäschke, GmbHR 2022, 627.

374 | von Freeden

C. Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht | Rz. 7.44 Kap. 7 steuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Wassermeyer, München 2005, 411; Schaumburg, Grenzüberschreitende Umwandlungen (II), GmbHR 1996, 585; Schaumburg, Zuzug und Wegzug von Kapitalgesellschaften im Steuerrecht, in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, Köln 2005, 403; Schaumburg, Zuzug von Unternehmen, DK 2005, 347; Schnitger/Krüger, Optionsmodell nach § 1a KStG: Ausgewählte Auslegungsfragen bei Umwandlungen unter Beteiligung von optierten Gesellschaften, DB 2022, 418; Schön/Schindler in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SEKommentar. 2. Auflage, Köln 2015, Steuerrecht; Teichmann, Cartesio – Die Freiheit zum formwechselnden Wegzug, ZIP 2009, 393; Zapf, Eine kritische Analyse des neuen § 1a KStG i. d. F. des Finanzausschusses vom 21.5.2021, BB 2021, 2775; Zimmer/Naendrup, Das Cartesio-Urteil des EuGH: Rück- oder Fortschritt für das internationale Gesellschaftsrecht?, NJW 2009, 545; Zisowski, Grenzüberschreitender Umzug von Kapitalgesellschaften, Heidelberg 1994.

I. Überblick Der Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht betrifft im Kern den grenzüberschreitenden Wegzug und Zuzug von Körperschaftsteuersubjekten,1 womit zugleich Rechtsfragen der Steuerentstrickung (geregelt in § 12 Abs. 1 KStG) und Steuerverstrickung angesprochen werden (Rz. 6.372 ff.). Steuerentstrickung und Steuerverstrickung können allerdings auch ohne Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht ausgelöst werden. Es geht hierbei vor allem um Fälle der objektbezogenen Steuerentstrickung und Steuerverstrickung, in denen etwa Wirtschaftsgüter grenzüberschreitend von einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft auf ihre ausländische Betriebsstätte überführt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf Rz. 6.381 ff. verwiesen. Darüber hinaus geht es auch um Fälle des Wegzugs und des Zuzugs. Verlegt etwa eine Kapitalgesellschaft unter Beibehaltung des inländischen Satzungsitzes ihre Geschäftsleitung in das Ausland, bleibt die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht aufrechterhalten. In Abkommensfällen erfolgt dennoch wegzugsbedingt in aller Regel ein Wechsel in der Abkommensberechtigung (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) mit der Folge, dass das deutsche Besteuerungsrecht eingeschränkt oder gar völlig aufgehoben wird, so dass auch insoweit ein Fall der Steuerentstrickung gegeben ist. Der Wegzug und Zuzug von Kapitalgesellschaften betrifft somit gleichermaßen die isolierte und simultane Verlegung von Geschäftsleitung und Satzungssitz.

7.43

Über die vorgenannten Differenzierungen hinaus kommt es auch darauf an, ob der Wegzug und Zuzug einer Kapitalgesellschaft in oder aus einem EU-/EWR-Staat bzw. in oder aus einem Drittstaat erfolgt. In diesem Zusammenhang ist unter dem Gesichtspunkt des Internationalen Privatrechts auch weiterhin von Bedeutung, inwieweit in dem einen oder anderen Staat die Sitz- oder Gründungstheorie2 zur Anwendung kommen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt es beim Wegzug auch darauf an, ob dieser formwahrend, also unter Beibehaltung des anwendbaren Rechts, oder aber formwechselnd, also unter Änderung des anwendbaren Rechts, erfolgt. Hiernach beurteilt sich, ob der Wegzug oder Zuzug von Kapitalgesellschaften rechtlich überhaupt möglich ist.

7.44

1 Nachfolgend geht es nur noch um Kapitalgesellschaften. 2 Rechtsstellung und Rechtsverhältnis der Gesellschaft richten sich bei der Sitztheorie nach dem Recht am Ort des Verwaltungssitzes und bei der Gründungstheorie nach dem Recht des Gründungsorts.

von Freeden | 375

Kap. 7 Rz. 7.45 | Körperschaftsteuer

II. Wegzug von Kapitalgesellschaften 1. Rechtliche Vorgaben 7.45

Eine grenzüberschreitende Sitzverlegung im Sinne der Verlegung des Satzungssitzes und des Ortes der Geschäftsleitung ist nach derzeit geltendem nationalen Recht als identitätswahrender Wegzug nur bei der SE (Art. 8 Abs. 1 SE-VO)1 und der SCE (Art. 7 Abs. 1 SCE-VO)2 mit der Maßgabe möglich, dass Sitz und Hauptverwaltung3 in ein und demselben Mitgliedstaat liegen müssen (Art. 7 SE-VO, Art. 6 SCE-VO). In allen anderen Kapitalgesellschaftsfällen ist der Wegzug durch Verlegung des Satzungssitzes derzeit zwar nach nationalem Recht rechtstechnisch ausgeschlossen,4 auf Grund europarechtlicher Vorgaben für den Fall des formwechselnden Wegzugs aber geboten.5 Demgegenüber ist die Verlegung des Verwaltungssitzes (Ort der Geschäftsleitung) unter Beibehaltung des inländischen Satzungssitzes in das Ausland6 nach nationalem Recht möglich,7 was allerdings europarechtlich nicht zwingend ist.8 Dieses Problemfeld des Internationalen Privatrechts hat im Ausgangspunkt für das Steuerrecht indessen keine Bedeutung: So sind etwa nach ausländischem Recht errichtete Körperschaften der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht auch dann unterworfen, wenn sie den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG), also ohne Rücksicht darauf, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung9 eine derart zuziehende Gesellschaft nach Maßgabe der unverändert geltenden Sitztheorie als nichtrechtsfähige Personenvereinigung zu qualifizieren ist. Die steuerlichen Folgen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften ergeben sich mithin losgelöst davon, durch welche Doktrin das internationale Privatrecht des einen oder anderen Staates beherrscht wird. Dies gilt u.E. auch mit Blick auf eine zuziehende Personengesellschaft, die nach ausländischem Recht der Körperschaftsteuer unterliegt und für deutsche Ertragsteuerzwecke in Folge einer Optionsausübung als Kapitalgesellschaft gilt (§ 1a KStG). Eine Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung der ausländischen optierten (Personen-)Gesellschaft (Rz. 7.2) vom Ausland in das Inland hat eine unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht der optierten Gesellschaft im Inland zur Folge (doppelt-ansässige optierte Gesellschaft).

7.46

Die steuerlichen Rechtsfolgen des Wegzugs einer Kapitalgesellschaft sind in § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 KStG geregelt. Die dort verankerten Entstrickungsregelungen erfassen u.a. die Verlegung des Satzungssitzes und des Verwaltungssitzes (Ort der Geschäftsleitung)10 einer SE (SCE) in das EU-Ausland sowie im Übrigen die Verlegung des Orts der Geschäftsleitung in das Ausland durch nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften. In beiden Fallvarianten scheiden die betreffenden Kapitalgesellschaften aus der unbeschränkten Körper-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Societas Europaea = Europäische Aktiengesellschaft = Europa-AG. Societas Cooperativa Europaea = Europäische Genossenschaft. Entspricht in etwa Satzungssitz und Ort der Geschäftsleitung (§§ 10, 11 AO). OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, NZG 2007, 915; hierzu Leuering, ZRP 2008, 73 ff.; Bollacher, RIW 2008, 200 ff. EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 = Slg. 2008, I-9641 = NJW 2009, 569 (obiter dictum) – Cartesio. EU/EWR-Bereich und Drittstaaten. Vgl. § 5 AktG, § 4a GmbHG. EuGH v. 27.9.1988 – C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456 = Slg. 1988, 5483 – Daily Mail; v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 = Slg. 2008, I-9641 = NJW 2009, 569 – Cartesio. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411 (Trabrennbahn). Zu den Unterschieden zwischen Verwaltungssitz und Ort der Geschäftsleitung Schön in Lutter/ Hommelhoff/Teichmann2, SE-Kommentar, Teil D Rz. 70 ff.

376 | von Freeden

C. Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht | Rz. 7.48 Kap. 7

schaftsteuerpflicht aus. Die Verlegung des Satzungssitzes einer Kapitalgesellschaft in das Ausland ist dagegen, soweit es sich nicht um eine SE handelt, nach nationalem Recht im Grundsatz (noch) ausgeschlossen. Sie führt stets zur Auflösung1 mit der Folge, dass bei entsprechender Umsetzung nicht § 12 Abs. 1 KStG, sondern eine Liquidationsbesteuerung gem. § 11 KStG2 eingreift. Etwas anderes gilt für den formwechselnden Wegzug, der ohne Auflösung grundsätzlich3 durch die europarechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) gewährleistet wird.4 Von § 12 Abs. 1 KStG wird auch der Fall erfasst, dass eine Kapitalgesellschaft unter Beibehaltung des inländischen Satzungssitzes ihre Geschäftsleitung in das Ausland verlegt und hierdurch bei Anwendung von DBA nunmehr abkommensrechtlich als im Ausland ansässig gilt (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Der Wegzug einer Kapitalgesellschaft hat rechtsfolgenseitig die Aufdeckung stiller Reserven auf Gesellschaftsebene zur Folge, soweit das inländische Besteuerungsrecht an Wirtschaftsgütern ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 12 Abs. 1 Satz 2 KStG). Dies ist z.B. der Fall, wenn im Rahmen des Wegzugs einer Kapitalgesellschaft ein Wirtschaftsgut von einer Inlandsin eine Auslandsbetriebsstätte überführt wird. Bleiben die Wirtschaftsgüter der Gesellschaft nach dem Wegzug Vermögen einer Inlandsbetriebsstätte (z.B. im Inland belegene Produktionsstätte), erfolgt keine Besteuerung. Der Wegzug einer Kapitalgesellschaft hat keine Liquidationsbesteuerung zur Folge.5

7.47

2. Steuerliche Folgen Bei Wegzug einer Kapitalgesellschaft erfolgt keine Liquidationsbesteuerung6, sondern nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 KStG auf Gesellschaftsebene eine wirtschaftsgutbezogene Gewinnrealisierung (Entstrickung): Wird wegzugsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung und der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt, gilt dies als Veräußerung oder Überlassung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert. Erfasst wird durch die vorstehende Entstrickungsregelung nicht nur der Wegzug, der zum Ausscheiden aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht führt, sondern auch der Wegzug unter Beibehaltung der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Damit ergeben sich drei Fallgruppen: 1. Verlegung des Satzungssitzes und des Orts der Geschäftsleitung einer SE (SCE), 2. die Verlegung des Orts der Geschäftsleitung einer nach ausländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft in einen anderen EU-/EWR-Staat und

1 Hierzu Roth in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaft in Deutschland, 379 (395, 399). 2 R 11 KStR 2022. 3 Ausnahme: Vorbehalt der Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls; EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 = Slg. 2008, I-9641 = NJW 2009, 569 – Cartesio; zur Frage des Gläubigerschutzes und der Mitbestimmung Kindler, NZG 2009, 493 ff. 4 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 = Slg. 2008, I-9641 = NJW 2009, 569 – Cartesio; hierzu Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (547); Frobenius, DStR 2009, 487 (488); Teichmann, ZIP 2009, 393 (402); Paefgen, WM 2009, 529 (532). 5 § 12 Abs. 3 KStG wurde in Folge der Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs des UmwStG für Körperschaften auf Staaten außerhalb der EU/EWR mit Wirkung für den Veranlagungszeitraum 2022 aufgehoben (Gesetz v. 25.6.2021, BGBl. I, 2050; letztmalige Anwendung für den Veranlagungszeitraum 2021, § 34 Abs. 1 KStG). 6 § 12 Abs. 3 KStG a.F. wurde aufgehoben, siehe Fn. 159.

von Freeden | 377

7.48

Kap. 7 Rz. 7.48 | Körperschaftsteuer

3. die Verlegung der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft mit Satzungssitz in Deutschland.

7.49

Das deutsche Besteuerungsrecht wird auf Gesellschaftsebene weder ausgeschlossen noch beschränkt, soweit Wirtschaftsgüter unverändert dem inländischen Betriebsstättenvermögen der wegziehenden Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind. Hierbei spielt es keine Rolle, ob ein DBA eingreift oder nicht. Dies gilt nicht, wenn Wirtschaftsgüter auf Grund der Zentralfunktion der nunmehr im Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft dem ausländischen Betriebsvermögen derselben zuzuordnen sind. Davon sind insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter sowie Beteiligungen an nachgeschalteten Kapitalgesellschaften betroffen.1 Im Ergebnis führt das dazu, dass eine gem. § 12 Abs. 1 KStG gebotene Steuerentstrickung nur dann unterbleibt, wenn die Wirtschaftsgüter unverändert inländisches Betriebsstättenvermögen bilden. In Abkommensfällen ist hierbei auf den abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriff (Art. 5 Abs. 1 OECD-MA) abzustellen, weil sich allein hiernach entscheidet, ob ein deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird.2 Das bedeutet zugleich, dass in den vorgenannten Fällen für die Zuordnung der Wirtschaftsgüter zum Betriebsstättenvermögen allein die abkommensrechtlichen Zuordnungskriterien maßgeblich sind.3

7.50

Soweit Wirtschaftsgüter einem ausländischen Betriebsstättenvermögen zuzuordnen sind, ergeben sich wegzugsbedingt keine Veränderungen, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter bereits vor dem Wegzug abkommensrechtlich durch Anwendung der Freistellungsmethode der deutschen Besteuerung entzogen waren. In den übrigen Fällen, also etwa dann, wenn überhaupt kein DBA eingreift oder aber vor dem Wegzug die Doppelbesteuerung durch Anrechnung vermieden wurde,4 entfällt das deutsche Besteuerungsrecht durch den Wegzug. Das gilt nicht nur in den Fällen, in denen die wegziehende Kapitalgesellschaft aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht ausscheidet, sondern auch dann, wenn wegen Verbleibens des Satzungssitzes im Inland die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht zwar aufrechterhalten bleibt, die abkommensrechtliche Ansässigkeit aber in den anderen Staat wechselt.5 Darüber hinaus erfolgt schließlich auch eine Gewinnrealisierung, wenn Wirtschaftsgüter anlässlich des Wegzugs aus einem inländischen in ein ausländisches Betriebsstättenvermögen verbracht werden.6

7.51

Die auf Grund der Anwendung des § 12 Abs. 1 KStG entstehende Gewinnrealisierung unterliegt uneingeschränkt der Körperschaftsteuer. Bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen kann der Gewinn durch Bildung eines (passiven) Ausgleichspostens auf mehrere Wirtschaftsjahre verteilt werden (§ 12 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 4g EStG7). Diese Technik zur Belastungsmilderung soll nach den vom EuGH aufgestellten Maßstäben europarechtskonform sein, eine Steuerstundung bis zum Zeitpunkt der Veräußerung des Wirtschaftsgutes soll europarechtlich 1 BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4, 2.6.1 (c); zu Einzelheiten Ritzer in R/H/vL3, UmwStG, Anh. 6 Rz. 105 ff. 2 Ritzer in R/H/vL3, UmwStG, Anh. 6 Rz. 101 ff. 3 Zu diesen Zuordnungskriterien Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 240 f. 4 Insbesondere auf Grund bilateraler Aktivitätsklauseln oder wegen § 20 Abs. 2 AStG oder § 50d Abs. 9 EStG. 5 Art. 4 Abs. 3 OECD-MA; zu Einzelheiten Lehner in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 241 ff. 6 Ritzer in R/H/vL3, UmwStG, Anh. 6 Rz. 116; durch Ergänzung des § 12 Abs. 1 KStG im Rahmen des JStG 2010 um Satz 2 wurde die finale Entnahme (vgl. Rz. 6.382) normativ abgesichert. 7 Geändert durch ATADUmsG v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. § 4g EStG n.F. ist auf alle offenen Fälle anzuwenden.

378 | von Freeden

C. Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht | Rz. 7.52 Kap. 7

nicht geboten sein.1 Für eine Ausgleichspostenbildung müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein (§ 4g Abs. 1 EStG n.F.): – Die Kapitalgesellschaft muss unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sein. – Das Wirtschaftsgut bzw. die Wirtschaftsgüter müssen dem Anlage- oder Umlaufvermögen zuzurechnen sein. Das Anlagevermögen umfasst die Gegenstände, die dazu bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb der Unternehmung zu dienen (§ 247 Abs. 2 HGB). Die Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens umfassen die Wirtschaftsgüter, die nicht dazu bestimmt sind, dem Betrieb auf Dauer zu dienen (z.B. Vorräte, Forderungen). – Das Wirtschaftsgut muss einer EU- oder EWR-Betriebsstätte der Kapitalgesellschaft zugeordnet werden. – Die Gesellschaft beantragt die Ausgleichspostenbildung. Der Antrag bedarf keiner besonderen Form und gilt als gestellt, wenn eine bei dem zuständigen Finanzamt eingereichte Steuerbilanz die Abbildung eines Ausgleichspostens enthält.2 Der Ausgleichsposten ist für jedes WG getrennt auszuweisen. Die erfolgte Ausübung des Wahlrechts ist unwiderruflich. Der Ausgleichsposten ist grundsätzlich im Wirtschaftsjahr der Bildung und in den vier folgenden Wirtschaftsjahren zu jeweils einem Fünftel gewinnerhöhend aufzulösen (§ 4g Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Posten ist ausnahmsweise sofort gewinnerhöhend aufzulösen, wenn ein „schädlicher“ Sachverhalt verwirklicht wird (§ 4g Abs. 2 Halbs. 1 EStG i.V.m. § 36 Abs. 5 Satz 4 EStG). Dies sind z.B. die Veräußerung des Wirtschaftsgutes, die Verlagerung des Wirtschaftsgutes in das Nicht-EU-/EWR-Ausland, die verdeckte Einlage des Wirtschaftsgutes in eine Kapitalgesellschaft, das Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland/EU-/EWR-Ausland, die Begründung der Ansässigkeit in einem Nicht-EU-/EWR-Staat, Insolvenzanmeldung, Abwicklung und Pflichtverletzung bei Ratenzahlung.3 Auf Gesellschafterebene ergeben sich durch den Wegzug der Kapitalgesellschaft folgende Rechtsfolgen: Gehören die Anteile an der wegziehenden Kapitalgesellschaft zum inländischen Betriebsstättenvermögen eines unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters, erfolgt eine Gewinnrealisierung gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG in aller Regel deshalb nicht, weil in Abkommensfällen das deutsche Besteuerungsrecht weder ausgeschlossen noch beschränkt wird (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen abkommensrechtlich auch der Ansässigkeitsstaat die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der wegziehenden Kapitalgesellschaft versteuern darf und Deutschland die entsprechende ausländische Steuer zur Anrechnung bringen muss.4 Greift kein DBA ein, wird das deutsche Besteuerungsrecht wegen der gebotenen Anrechnung ausländischer Steuern (§ 34c Abs. 1 EStG; § 26 Abs. 1 KStG) ebenfalls beschränkt. Gehören die Anteile an der wegziehenden Kapitalgesellschaft zu einem ausländischen Betriebsstättenvermögen, ergeben sich keine Änderungen, wenn bereits vor dem Wegzug abkommensrechtlich die Doppelbesteuerung durch Anwendung der Freistellungsmethode vermieden wurde (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA). Das deutsche Besteuerungsrecht wird demgegenüber beschränkt, wenn abkommensrechtlich die Doppelbesteuerung durch Anrechnung vermieden wird,5 oder überhaupt kein DBA eingreift.

1 2 3 4 5

Dazu z.B. Gosch, IWB 2014, 183 (187); Kahle/Beinert, FR 2015, 585 ff.; Sydow, DB 2014, 265 (268). Briesemeister in Littmann/Bitz/Pust, § 4g EStG Rz. 44. Briesemeister in Littmann/Bitz/Pust, § 4g EStG Rz. 71 ff. Z.B. im Fall von Tschechien, der Slowakei und Zypern. Z.B. im Fall von Tschechien, der Slowakei und Zypern.

von Freeden | 379

7.52

Kap. 7 Rz. 7.53 | Körperschaftsteuer

7.53

Sind die Anteile an der wegziehenden Kapitalgesellschaft dem inländischen Betriebsstättenvermögen eines beschränkt Steuerpflichtigen zuzuordnen, so behält Deutschland in aller Regel sein Besteuerungsrecht (Art. 13 Abs. 2, 21 OECD-MA), es sei denn, es erfolgt wegzugsbedingt ein Zuordnungswechsel der Anteile an der wegziehenden Kapitalgesellschaft vom inländischen zu einem ausländischen Betriebsstättenvermögen. Greift kein DBA ein, wird das deutsche Besteuerungsrecht beschränkt, soweit nach Wegzug nunmehr eine Anrechnung ausländischer Steuern gem. § 50 Abs. 3 EStG zu erfolgen hat.

7.54

Handelt es sich bei der wegziehenden Kapitalgesellschaft um eine SE (SCE), unterbleibt auf Gesellschafterebene auf Grund der Sondervorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG (§ 12 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG) in Umsetzung des Art. 10d Abs. 1 FRL eine wegzugsbedingte Gewinnrealisierung im Betriebsvermögen des Gesellschafters. Im Falle einer späteren Veräußerung der Anteile schreibt für diesen Fall § 15 Abs. 1a EStG (§ 12 Abs. 1 KStG i.V.m. § 15 Abs. 1a EStG) vor, dass der Gewinn aus der späteren Veräußerung der weggezogenen SE (SCE) ungeachtet etwaiger DBA so zu besteuern ist, wie die Veräußerung zu besteuern gewesen wäre, wenn keine Sitzverlegung stattgefunden hätte. Dieses Treaty-Overriding (Rz. 3.24) führt im Ergebnis dazu, dass auch diejenigen stillen Reserven der deutschen Besteuerung unterworfen sind, die während der Ansässigkeit der weggezogenen SE (SCE) im Ausland entstanden sind.1

7.55

Gehören die Anteile zum Privatvermögen eines unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters, greift gem. § 17 Abs. 5 EStG eine Veräußerungsgewinnbesteuerung ein, wenn wegzugsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile ausgeschlossen oder beschränkt wird.2 Das ist in Abkommensfällen in aller Regel kein Problem, weil im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht die Besteuerung der Veräußerungsgewinne im Grundsatz3 ohne Beschränkung durch DBA gewährleistet ist. Anders ist dies in den Fällen, in denen keine DBA eingreifen. Denn insoweit ist Deutschland nach § 34c i.V.m. § 34d Nr. 4 Buchst. b EStG zu einer Anrechnung der ausländischen Steuer verpflichtet, so dass der deutsche Steuer(rechts)anspruch im Ergebnis der Höhe nach beschränkt wird. Bei beschränkter Steuerpflicht ergibt sich in Abkommensfällen durch den Wegzug ganz überwiegend4 keine Veränderung, weil auch bereits zuvor das Besteuerungsrecht ausschließlich beim Wohnsitzstaat des Gesellschafters lag (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Greift kein DBA ein, fällt wegzugsbedingt der Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der wegziehenden Kapitalgesellschaft aus der beschränkten Steuerpflicht heraus (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG). Ist nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze eine Veräußerungsgewinnbesteuerung gem. § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG geboten, wird diese allerdings durch § 17 Abs. 5 Satz 2 EStG suspendiert, wenn die Kapitalgesellschaft5 in einen anderen EU-/EWRStaat verzieht.

7.56

Im Falle der späteren Veräußerung ist der hieraus erzielte Gewinn allerdings ungeachtet der Anwendung von DBA so zu besteuern, wie die Veräußerung dieser Anteile zu besteuern gewesen wäre, wenn eine Sitzverlegung nicht stattgefunden hätte (§ 17 Abs. 5 Satz 3 EStG).6 Diese

1 Ritzer in R/H/vL3, UmwStG, Anh. 6 Rz. 134 ff., dort auch zu europarechtlichen Zweifeln. 2 Zu Einzelheiten Schön in Lutter/Hommelhoff/Teichmann2, SE-Kommentar, Teil D Rz. 122 ff. 3 Art. 13 Abs. 2 OECD-MA; Ausnahmen: Tschechien, Slowakei und Zypern mit Anrechnungsverpflichtung des Wohnsitzstaats. 4 Ausnahmen: Tschechien, Slowakei und Zypern. 5 Nicht nur SE/SCE. 6 Zur Zulässigkeit eines Treaty-Overriding BVerfG 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 5a f.; Gosch, IStR 2008, 418; Rz. 3.24 f.

380 | von Freeden

C. Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht | Rz. 7.64 Kap. 7

Sonderregelung gilt auch für beschränkt Steuerpflichtige, deren Besteuerung aus der Veräußerung der Anteile an der weggezogenen Kapitalgesellschaft durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG abgesichert wird. Einstweilen frei.

7.57– 7.61

III. Zuzug von Kapitalgesellschaften 1. Rechtliche Vorgaben und steuerliche Rechtsfolgen Gesetzlich geregelt ist nur der Zuzug einer SE (Art. 7 SE-VO) und einer SCE (Art. 6 SCE-VO) innerhalb der EU. Es handelt sich hierbei um einen simultanen Zuzug. Das bedeutet, dass sowohl Satzung- und Verwaltungssitz (Ort der Geschäftsleitung) sich stets in ein und demselben Mitgliedsstaat befinden müssen. Da es keine weitergehenden europaweit geltenden Regelungen gibt,1 kommt es für die rechtliche Möglichkeit eines Zuzugs aus der Sicht Deutschlands als Zuzugsstaat auf das zur Anwendung kommende Internationale Privatrecht (Gesellschaftsstatut) an. Hiernach gilt: Verlegt eine nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft den Verwaltungssitz (Ort der Geschäftsleitung) in das Inland, verliert die Gesellschaft die Rechtsfähigkeit, weil diese die Eintragung ins deutsche Handelsregister voraussetzt, was für Kapitalgesellschaften ausländischen Rechts (noch) ausgeschlossen ist. Eine ursprünglich rechtsfähige Kapitalgesellschaft ausländischen Rechts mutiert daher durch Zuzug zu einer nicht rechtsfähigen Personenvereinigung.2 Für den Zuzug aus EU-/EWR-Staaten gilt indessen in Orientierung an der europarechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) im Ergebnis die Gründungstheorie mit der Folge, dass die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der zuziehenden Gesellschaft im Zuzugsstaat gewährt werden muss.3

7.62

Die durch das Gesellschaftsstatut geprägten rechtlichen Vorgaben spielen indessen für die Steuersubjektqualifikation zuziehender, nach ausländischem Recht errichteter Kapitalgesellschaften keine Rolle, weil auch derartige Gesellschaften von § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG ohne Rücksicht darauf erfasst werden, ob sie im Inland Rechtsfähigkeit erlangt haben oder nicht. Entscheidend ist allein, dass die nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft auf Grund des maßgeblichen Typenvergleichs (Rz. 7.7) einer deutschen Kapitalgesellschaft entspricht.

7.63

2. Steuerverstrickung Durch den Zuzug einer nach ausländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft, etwa einer SE, wird die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht begründet, womit zugleich in Abkommensfällen auch die Ansässigkeit wechselt (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA).4 Der Wechsel in die

1 Vgl. allerdings den Vorentwurf für eine gesellschaftsrechtliche Sitzverlegungsrichtlinie, ZIP 1997, 1721 ff.; ZIP 1999, 157. 2 So BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411 (Trabrennbahn); hierzu Hilgert/Illmer NZG 2009, 94 ff.; Gottschalk, ZIP 2009, 948 ff. 3 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 = Slg. 1999, I-1459 – Centros; v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 = Slg. 2002, I-9919 – Überseering; v. 30.1.2003 – C-167/01, ECLI: EU:C:2003:512 = Slg. 2003, I-10155 – Inspire Art; die vorgenannten Fälle betreffen nur den Zuzug einer unter dem Recht der Gründungstheorie errichteten Gesellschaft; im Ergebnis dürfte aber nichts anderes gelten für den Zuzug einer unter dem Recht der Sitztheorie errichteten Gesellschaft; hierzu Schaumburg in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 403 (413); Schaumburg, DK 2005, 347 (349); Hey, DK 2004, 577 (582). 4 Im Folgenden werden die Steuerfolgen auch auf Gesellschafterebene behandelt.

von Freeden | 381

7.64

Kap. 7 Rz. 7.64 | Körperschaftsteuer

unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht erfüllt keinen Steuertatbestand.1 Es bleibt insbesondere bei der steuerlichen Identität der zuziehenden Kapitalgesellschaft, weil § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG Kapitalgesellschaften unabhängig davon, ob sie nach in- oder ausländischem Recht errichtet sind, erfasst. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die zuziehende Kapitalgesellschaft zuzugsbedingt die Rechtsfähigkeit verliert. Ergibt sich auf Grund des maßgeblichen Typenvergleichs, dass die ausländische Gesellschaft vor ihrem Zuzug als Kapitalgesellschaft zu qualifizieren ist, ändert sich an diesem Befund durch den Zuzug nichts. Somit tritt kein steuerlicher Rechtsträgerwechsel ein mit der Folge, dass insoweit auch eine Gewinnrealisierung unterbleibt.2 Entsprechendes gilt auch in den Fällen, in denen zuzugsbedingt zwar keine unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht, abkommensrechtlich aber eine inländische Ansässigkeit (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) begründet wird. Es handelt sich hierbei um nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaften, die den Ort der Geschäftsleitung vom Ausland in das Inland verlegen. Auch in diesem Fall löst der Zuzug keine inländische Besteuerung aus.

7.65

Zuzugsbedingte Auswirkungen ergeben sich allerdings hinsichtlich der Zugangsbewertung des von der zuziehenden Kapitalgesellschaft gehaltenen Betriebsvermögens: Gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 8 2. Halbs. EStG steht die Begründung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts einer Einlage gleich mit der Folge, dass insoweit die nunmehr verstrickten Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Diese fiktive Einlage gilt nicht nur für den Transfer von Wirtschaftsgütern vom Ausland in das Inland, sondern auch für den Zuzug einer Kapitalgesellschaft.3 Der gemeine Wert ist hierbei sowohl für materielle als auch für immaterielle Wirtschaftsgüter einschließlich des Geschäftswerts anzusetzen.4 Die Zugangsbewertung zum gemeinen Wert greift auch in dem Fall ein, in dem eine nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaft den Ort der Geschäftsleitung vom Ausland in das Inland verlegt und hierdurch abkommensrechtlich im Inland ansässig wird (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Zuzugsbedingt wird hierdurch nämlich ebenfalls deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Veräußerung des von der zuziehenden Kapitalgesellschaft gehaltenen Betriebsvermögens begründet.

7.66

Eine fiktive Einlage (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 8 2. Halbs. EStG)5 ist indessen in allen Fällen nur insoweit gegeben, als nicht bereits vor dem Zuzug die Gewinne aus der Veräußerung von der zuziehenden Kapitalgesellschaft gehaltenen Wirtschaftsgüter der Besteuerung unterlagen. Angesprochen sind hiermit Wirtschaftsgüter, die einer inländischen Betriebsstätte bereits vor dem Zuzug zuzuordnen waren. Die Steuerverstrickung greift daher insbesondere dann ein, wenn bislang dem ausländischen Betriebsvermögen zuzuordnende Wirtschaftsgüter nunmehr dem inländischen Betriebsvermögen der zuziehenden Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind.6 Darüber hinaus setzt eine Steuerverstrickung auch für solche Wirtschaftsgüter der zuziehenden Kapitalgesellschaft ein, die zu einem ausländischen Betriebsstättenvermögen gehören, wenn die Gewinne aus der Veräußerung der betreffenden Wirtschaftsgüter abkommensrechtlich nicht von deutscher Steuer freizustellen sind (Art. 7 Abs. 1, 13 Abs. 2 OECD-MA).

1 Schulz/Petersen, DStR 2002, 1508 (1513). 2 Hierzu Schaumburg, DK 2005, 341 (351). 3 Blumenberg, IStR 2009, 549 (551); Benecke/Schnitger, IStR 2006, 765 (766); Dötsch/Pung, DB 2006, 2648 (2651). 4 § 5 Abs. 2 EStG i.V.m. § 248 Abs. 2 HGB gilt hier wegen des Vorrangs der Regeln über die Einlagen nicht (§ 5 Abs. 6 EStG). 5 R 8.1 KStR 2022. 6 Ritzer in R/H/vL3, UmwStG, Anh. 6 Rz. 145.

382 | von Freeden

C. Wechsel zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht | Rz. 7.68 Kap. 7

Wenn der Zuzug einer Kapitalgesellschaft zur Folge hat, dass ein Wirtschaftsgut von einer ausländischen Anrechnungsbetriebsstätte einer inländischen Betriebsstätte zugerechnet wird und deshalb eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts wegfällt, kann die Gesellschaft antragsabhängig einen „Zuzugsgewinn“ realisieren (§ 12 Abs. 1 Satz 3 KStG).1 Ziel von § 12 Abs. 1 Satz 3 KStG ist, das Risiko einer Doppelbesteuerung durch Schaffung von „Steueranrechnungsvolumen“ für eine Steueranrechnung nach DBA und § 26 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 bis 3 und 5 bis 7 EStG zu vermeiden.2 Das Risiko einer Doppelbesteuerung würde sich realisieren, wenn die Verlagerung des Wirtschaftsguts Gegenstand einer Entstrickungsbesteuerung im Ausland ist und die ausländische Steuer – mangels korrespondierender deutscher Steuerschuld – nicht angerechnet werden könnte. Bei einer späteren Veräußerung des Wirtschaftsguts wäre der Gewinnermittlung für inländische Steuerzwecke der steuerliche Buchwert zu Grunde zu legen, sodass sich (bei Außerachtlassung von Abschreibungen, Wertminderungen etc.) erneut ein (Veräußerungs-)Gewinn mit Steuerbelastung ergäbe. Dieser Effekt wird vermieden, wenn die Gesellschaft bei Überführung des Wirtschaftsgutes einen Antrag nach § 12 Abs. 1 Satz 3 KStG auf „Veräußerungsfiktion“ stellt. Das Wirtschaftsgut gilt in diesem Fall als zu dem Wert veräußert und wieder angeschafft, den der andere Staat im Rahmen seiner Entstrickungsbesteuerung zugrunde gelegt hat, höchstens den gemeinen Wert. Die ausländische Steuer kann in diesem Fall nach DBA und § 26 KStG i.V.m. § 34c EStG auf die deutsche Steuer, die sich in Folge des Gewinns aus der fiktiven Veräußerung ergibt, angerechnet werden.

7.66a

Gehören die Anteile an der zuziehenden Kapitalgesellschaft zu einem inländischen Betriebsstättenvermögen des Gesellschafters, sind die Anteile zum gemeinen Wert anzusetzen, falls zuzugsbedingt deutsches Besteuerungsrecht begründet wird (§§ 4 Abs. 1 Satz 8; 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG; § 8 Abs. 1 KStG).3 Eine derartige Verstrickung wird in der Praxis nur selten vorkommen, etwa dann, wenn mit dem Zuzug der Kapitalgesellschaft auch ein Zuordnungswechsel der Anteile von einem ausländischen zu einem inländischen Betriebsstättenvermögen des Gesellschafters verbunden ist, soweit vor dem Zuzug abkommensrechtlich die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile der deutschen Besteuerung entzogen waren (Art. 7 Abs. 1, 13 Abs. 2 OECD-MA). Sind die Anteile Privatvermögen des Gesellschafters, unterbleibt mangels gesetzlicher Regelung4 ein Ansatz mit dem gemeinen Wert. Betroffen sind hierdurch insbesondere beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter im Falle des Zuzugs einer nach ausländischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft: Greift kein DBA ein, sind die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile uneingeschränkt der beschränkten Steuerpflicht unterworfen, wobei für die Berechnung des Veräußerungsgewinns auf die historischen Anschaffungskosten abzustellen ist (§§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa; 17 Abs. 1, 2 EStG).

7.67

Im Hinblick auf die dem EStG nunmehr zugrunde liegende Verstrickungskonzeption handelt es sich um eine Regelungslücke, die durch analoge Anwendung des § 17 Abs. 2 Sätze 3 ff. EStG zu schließen ist, mit der Folge, dass in den vorgenannten Fällen der gemeine Wert anzusetzen ist.5

7.68

1 § 12 Abs. 1 Satz 3 wurde durch das ATADUmsG v. 25.6.2021 eingefügt (BGBl. I 2021, 2035). 2 Vgl. Berechnungsbeispiele zu den entsprechenden EStG-Vorschriften, Ditz/Rupp, ISR 2021, 413 (415). 3 Ritzer in R/H/vL3, UmwStG, Anh. 6 Rz. 146 f. 4 § 17 Abs. 2 Satz 3 ff. EStG betrifft nur den Zuzug des Gesellschafters. 5 Vgl. auch Vogt in Brandis/Heuermann, § 17 EStG Rz. 749; Aßmann, DStR 2006, 1115 (1119).

von Freeden | 383

Kapitel 8 Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

A. Anknüpfungspunkte für die Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Unbeschränkte Steuerpflicht I. Persönliche Steueranknüpfung . . . . . II. Objektsqualifikation . . . . . . . . . . . . . III. Erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht 1. Abwanderer . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslandsbedienstete . . . . . . . . . . . IV. Besteuerung des Weltvermögens (Weltvermögensprinzip) . . . . . . . . . . C. Beschränkte Steuerpflicht I. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . II. Inlandsvermögen 1. Numerus clausus . . . . . . . . . . . . . 2. Qualifizierung des Inlandsvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die einzelnen Vermögensgruppen a) Inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen . . b) Inländisches Grundvermögen c) Inländisches Betriebsvermögen . . . . . . . . . . . . . . .

8.1 8.8 8.14

8.22 8.25 8.26 8.31 8.32 8.33

8.34 8.35

D. I. II. III. IV. V.

d) Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften . . . . . . e) Patente, Gebrauchsmuster und Topographien . . . . . . . . f) Wirtschaftsgüter, die einem inländischen gewerblichen Betrieb überlassen sind . . . . g) Grundpfandrechtlich gesicherte Forderungen . . . . h) Forderungen aus stiller Beteiligung und partiarischem Darlehen . . . . . . . . . . . . . . . . i) Nutzungsrechte am Inlandsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermittlung und Bewertung des Inlandsvermögens . . . . . . . . . . . . Erweiterte beschränkte Steuerpflicht Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurechnung bei zwischengeschalteten Auslandsgesellschaften . . . . . . . . Niedrigbesteuerung . . . . . . . . . . . . . .

8.38 8.41 8.42 8.43 8.46 8.49 8.50 8.53 8.59 8.62 8.65 8.66

8.36

A. Anknüpfungspunkte für die Besteuerung Literatur: Birnbaum, Leistungsfähigkeitsprinzip und ErbStG, Berlin 2007; Crezelius, Erbschaftsteuerrecht und Erbschaftsteuerpolitik, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 403; Crezelius, Verhältnis der Erbschaftsteuer zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, DStJG 22 (1999), 73; Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, Herne/ Berlin 1979, 26; Erkis, Die Neuregelung des Verschonungssystems für Betriebsvermögen im ErbStG – Vorgaben des BVerfG-Urteils v. 17.12.2014 umgesetzt?, DStR 2016, 1441; Geck, Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer, DNotZ 2019, 805; Goodmann, Internationale Doppelbesteuerung bei Erbschaften und Schenkungen, CDFI LXXb (1985), 115; Jesse, Liegen die Einkommensteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer auf „verschiedenen Ebenen“?, Berlin 1992; Mellinghoff, Das Verhältnis der Erbschaftsteuer zur Einkommen- und Körperschaftsteuer – Zur Vermeidung steuerlicher Mehrfachbelastungen, DStJG 22 (1999) 127; Nachreiner, Verfassungswidrigkeit des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes wegen Verstoßes gegen Art. 14 GG, ZEV 2005, 1; Schindhelm, Grundfragen des Internationalen Erbschaftsteuerrechts, ZEV 1997, 8; Seer, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz nun erneut auf dem Prüfstand des BVerfG!, GmbHR 2002, 873; Seer, Die Erbschaft- und Schenkungsteuer im System der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, GmbHR 2009, 225; Zitzelsberger, Über Einheitswerte, Verkehrswerte, Ertragswerte und andere Werte im Steuerrecht, in Kley/Sünner/Willemsen (Hrsg.), FS für Ritter, Köln 1997, 661.

384 | von Freeden

A. Anknüpfungspunkte für die Besteuerung | Rz. 8.4 Kap. 8

Die allgemeine Regel des Völkerrechts, dass jeder eine Steuerpflicht aufgrund seiner Steuergesetze nur dann begründen darf, wenn es hierfür persönliche oder räumliche Anknüpfungspunkte gibt,1 gilt nicht nur für die Steuern vom Einkommen, sondern auch für die deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuer, die von ihrer Belastungswirkung her die Typenmerkmale zweier Steuerarten in sich vereinigt: Sie ist eine Steuer auf das Einkommen,2 weil sie die Bereicherung des Erben besteuert; sie ist eine Steuer auf das Vermögen, weil sie anlässlich des Vermögensübergangs die Vermögenssubstanz besteuert.3 Diese besondere steuersystematische Qualifikation beruht darauf, dass durch § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ErbStG der Vermögensanfall, der sich von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden vollzieht, besteuert wird und durch § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG in Zeitabständen das Vermögen von Familienstiftungen und Familienvereinen erfasst wird.4 Unter dem Gesichtspunkt des Vermögensanfalls ist es gerechtfertigt, die deutsche Erbschaftsteuer als Erbanfallsteuer zu bezeichnen,5 die ihre Legitimation aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip herleitet.6

8.1

Die meisten Staaten erheben Erbanfallsteuern, das heißt, sie besteuern jeden Erben eines Erblassers selbständig, wobei überwiegend an den Wohnort und/oder die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird. Demgegenüber ist die Erbschaftsteuer etwa in den USA und in Großbritannien als Nachlasssteuer ausgeprägt, bei der sich die Steuer am Reinvermögen des Erblassers orientiert.

8.2

Die gesetzliche Ausgestaltung als Erbanfallsteuer artikuliert sich im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht in zwei persönlichen Anknüpfungspunkten: Es sind der Erblasser/Schenker sowie der Erwerber, soweit es sich um Inländer handelt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).

8.3

Diese doppelte Anknüpfung widerspricht dem Charakter der Erbschaftsteuer als Erbanfallsteuer. Hiernach wird nicht wie bei der Nachlasssteuer die Nachlassmasse als solche besteuert, sondern der Vermögensanfall beim einzelnen Erwerber. Dieser Vermögensanfall führt beim Erwerber zu einer Erhöhung seiner steuerlichen Leistungsfähigkeit, die die Erfassung des Vermögenstransfers durch Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) rechtfertigt.7 Im Hinblick darauf

8.4

1 BFH v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; v. 16.12.1964 – II 154/61 U, BStBl. III 1965, 134; zu Einzelheiten Rz. 3.13. 2 Im Sinne eines Reinvermögenszugangs. 3 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 7.38 ff.; für Steuer vom Einkommen: Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 872 ff.; Seer in Tipke/Lang24, Rz. 15.1 ff.; Gottschalk in T/G/J/G, Einführung ErbStG Rz. 34 ff.; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, Einführung ErbStG Rz. 3 f.; für Substanzsteuer aus der Sicht des übertragenen Vermögens Seer, GmbHR 2002, 873 (874); für Verkehrsteuer: BFH v. 22.9.1982 – II R 61/80, BStBl. II 1983, 179; v. 7.11.2007 – II R 28/06, BStBl. II 2008, 258; für Sollertragsteuer: Zitzelsberger in FS Ritter, 661 (665); für entsprechende Ausgestaltung de lege ferenda Nachreiner, ZEV 2005, 1 (5 ff.). 4 Jesse, Liegen die Einkommensteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer auf „verschiedenen Ebenen“?, 44. 5 Seer in Tipke/Lang24, Rz. 15.2; Gottschalk in T/G/J/G, Einführung ErbStG Rz. 2; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 1 ErbStG Rz. 9; Schindhelm, ZEV 1997, 8 (10), Crezelius, DStJG 22 (1999), 73 (103). 6 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 873; Viskorf in V/S/W6, Einf. ErbStG Rz. 2 f., 31 f.; Meincke, DStJG 22 (1999), 39 (40 ff.); Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, 26; Crezelius in FS Tipke, 403 (405); ausführlich hierzu Birnbaum, Leistungsfähigkeitsprinzip und ErbStG; Mellinghoff, DStJG 22 (1999) 127 (135); Seer, GmbHR 2009, 225 ff. 7 BVerfG v. 15.5.1984 – 1 BvR 464/81, 1 BvR 605/81, 1 BvR 427/82, 1 BvR 440/82, BStBl. II 1984, 608; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 873 f.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 7.40.

von Freeden | 385

Kap. 8 Rz. 8.4 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

ist es nicht sachgerecht, für Zwecke der Besteuerung auch an die Verhältnisse des Erblassers anzuknüpfen1 und zudem den Schenker, dessen Leistungsfähigkeit sich durch die Schenkung mindert, zur Schenkungsteuer heranzuziehen. Die Heranziehung auch des Schenkers ist rein fiskalisch motiviert.2

8.5

Ist Steuerobjekt nicht der Vermögensanfall (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ErbStG), sondern das Vermögen von Familienstiftungen und Familienvereinen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG), wird nur an die Stiftung bzw. an den Verein angeknüpft. Insoweit ist die Erbschaftsteuer keine Erbanfallsteuer, sondern eine in periodischen Abständen zu erhebende Steuer auf das Vermögen.3 Diese Ersatzerbschaftsteuer steht außerhalb der grundlegenden Besteuerungskonzeption des Erbschaftsteuergesetzes und führt damit zwar zu einem Systembruch, nicht aber zu dessen Verfassungswidrigkeit.4

8.6

Sind die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG) gegeben, wird grundsätzlich der weltweite Vermögensanfall bzw. das weltweite Vermögen der Besteuerung unterworfen. Hierdurch verwirklicht sich das Welteinkommens-/Weltvermögensprinzip (Rz. 6.53 ff., 8.8). Einschränkungen ergeben sich lediglich aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen.5

8.7

Sind Erblasser/Schenker und Erwerber keine Inländer, kommt im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nur eine räumliche Anknüpfung für die Besteuerung in Betracht. Diese setzt voraus, dass der Vermögensanfall in Inlandsvermögen i.S.v. § 121 BewG besteht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Insoweit wird das Territorialitätsprinzip verwirklicht (Rz. 6.2 f.). Für das Steuerobjekt „Vermögen“ von Familienstiftungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) ist eine bloß räumliche Steueranknüpfung nicht vorgesehen, so dass es eine beschränkte Ersatzerbschaftsteuerpflicht nicht gibt.6 Diese Tatsache kann Motiv für einen Steuerpflichtigen sein, eine ausländische Familienstiftung (z.B. Liechtenstein, Österreich) einzusetzen, statt eine inländische Familienstiftung zu nutzen.

B. Unbeschränkte Steuerpflicht Literatur: Kommentare zu § 2 ErbStG; Albrecht, Die steuerliche Behandlung deutsch-englischer Erbfälle, Köln/Berlin/Bonn/München 1992; Arlt, Internationale Erbschaft- und Schenkungsteuerplanung, Herne/Berlin 2001; Baumgartner/Gassner/Schick, Besteuerung von grenzüberschreitenden Schenkungen, DStR 1989, 619; Boochs, Erbschaft- und Schenkungsteuer bei Auslandsbeziehungen, DVR 1987, 178; Boochs, Fragen der internationalen Erbschaft- und Schenkungsteuer, UVR 1994, 264; Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, Herne/Berlin 1979; Demuth, Schenkungsteuerbarkeit bei Vermögensübertragung auf eine Auslandsstifung in Abhängigkeit zur Übertragung der 1 2 3 4

Schindhelm, ZEV 1997, 8 (10). Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 878; Seer in Tipke/Lang24, Rz. 15.42. Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, Einf. ErbStG Rz. 1; Seer in Tipke/Lang24, Rz. 15.34. BVerfG v. 8.3.1983 – 2 BvL 27/81, BStBl. II 1983, 779; BFH v. 10.12.1997 – II R 25/94, BStBl. II 1998, 114; zur Kritik Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 1 ErbStG Rz. 15 f.; Seer in Tipke/Lang24, Rz. 15.35. 5 Erbschaftsteuerabkommen bzw. sog. große DBA, die auch die Erbschaftsteuer umfassen, hat Deutschland abgeschlossen mit Schweden und Dänemark; kleine Abkommen bestehen mit Griechenland, der Schweiz, Frankreich und den USA. 6 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 4, 18; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 46.

386 | von Freeden

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.8 Kap. 8 Verfügungsmacht, BB 2007, 2388; Ettinger, Erbschaft- und Schenkungsteuer beim Wegzug ins Ausland und danach, ZErb 2006, 41; Fischer, Erbschaftsteuerplanung bei Auslandsanlagen, BB 1984, 1033; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl. München 2008; Piltz, Schenken und Vererben über die Grenze, in Höppner/Piltz/Wassermeyer, Die Besteuerung nach dem Wegzug in das Ausland, Bonn 1997, 83 ff.; Flick/von Oertzen, Internationales Privatrecht und Internationales Steuerrecht in der Praxis der Erbfolgeregelung, IStR 1995, 558; Fonrouge, Die territoriellen Unterschiede auf dem Gebiet der Erbschaft- und Vermögensteuer, CDFI LIII/2 (1968), 54; Fraberger, Nationale und internationale Unternehmensnachfolge: Steuergestaltung beim Schenken und Vererben, Wien 2001; Geck, Erb- und schenkungsteuerpflichtige Erwerbe mit Auslandsberührung, ZEV 1995, 249; Goodmann, Internationale Doppelbesteuerung bei Erbschaften und Schenkungen, CDFI LXXb (1985), 115; Hartmann, Peanuts; ein Beitrag zur Schneider-Pleite aus schenkungsteuerlicher Sicht, UVR 1996, 39; Höninger, Internationale Doppelbesteuerung im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, Frankfurt/M. 2003; Hübner, Das Erbschaftsteuerreformgesetz - ein erster Überblick, Ubg 2009, 1; Jesse, Liegen die Einkommensteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer auf „verschiedenen Ebenen“?, Berlin 1992; Jülicher, Internationales Erbschaftsteuerrecht am Beispiel des ErbStG, ZErb 2003, 204; Jülicher, Ausländische Familienstiftungen und Trusts – Chancen und Risiken durch die neue BFH-Rechtsprechung, ZErb 2007, 361; Jülicher, Praxisprobleme im internationalen Erbschaftsteuerrecht, BB 2014, 1367; Kaminski, Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei internationalen Erbschaftsteuerfällen, Stbg 2013, 10; Kaminski, Doppelbesteuerung in der Erbschaftsteuer, ErbR 2016, 183; Kamps, Unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht, ErbR 2020, 626; Kamps, Wegzug und Beendigungen der deutschen Erbschaftsteuerpflicht, ErbR 2020, 855; Klein, Typologie des Erbschaftsteuergesetzes bei Auslandserwerben, FR 2001, 118; Klein, Ausländische Zivilrechtsformen im deutschen Erbschaftsteuerrecht, Köln, 2000; Laubrock, Nachlass und Erbschaft in den USA, München 1986; Lethaus, Internationale Doppelbesteuerung bei Erbschaften und Schenkungen, CDFI LXXb (1985) 227; Möller, Erbschaftsteuergesetz und ausländisches Erbrecht, Diss. Göttingen 1970; Müller-Etienne, Die Europarechtswidrigkeit des Erbschaftsteuerrechts, Baden-Baden 2003; Noll, Die persönliche Erbschaftsteuerpflicht im Überblick, DStZ 1995, 713; von Oertzen, Aktuelle Stiftungsstrukturen, BB 2019, 2647; Real, International-Privatrechtliches zum Erbschaftsteuergesetz, RIW 1996, 54; Schaumburg, Problemfelder im internationalen Erbschaftsteuerrecht, RIW 2001, 161; Scheffler/Zinser, Internationale Doppelbesteuerung bei der Erbschaftsteuer, StuW 2005, 216; Schienke-Ohletz/Kühn, Die steuerlichen Folgen beim Ausscheiden aus Truststrukturen, ZEV 2015, 150; Schindhelm, Grundfragen des Internationalen Erbschaftsteuerrechts, ZEV 1997, 8; Schindhelm/Stein, Der Trust im deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht nach dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, FR 1999, 880; Schmidt/Cortez, Überblick über das internationale deutsche Erbschaftsteuerrecht, PiStB 2015, 167; von Oertzen, Praktische Handhabung eines Erbrechtsfalls mit Auslandsberührung, ZEV 1995, 167; Wachter, Österreich: Änderungen des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts durch das Abgabenänderungsgesetz 2004, ZErb 2005, 104; Wacker, Internationale Besteuerung von Schenkungs- und Erbfällen, IStR 1998, 33; Wacker/Dann, Grenzüberschreitende Schenkungen und Erbschaften, StKongrRep. 1989, 439; Watrin/Kappenberg, Internationale Besteuerung von Vermögensnachfolgen, ZEV 2011, 105; Weber/Zürcher, Keine Schenkungsteuerbarkeit der Übertragung von Vermögen auf eine liechtensteinische Familienstiftung als (unechte) Treuhänderin, DStR 2008, 803.

I. Persönliche Steueranknüpfung Die unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist im Gegensatz zum Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz nicht steuersubjektbezogen, sondern regelt die Reichweite der Erbschaftsteuer in dem Sinne, dass der weltweite Vermögensanfall (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ErbStG) der Besteuerung unterworfen wird (Weltvermögensprinzip), wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.1 Unbeschränkt steuerpflichtig sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG damit nicht die in § 20 ErbStG genannten Steuersubjekte, sondern die in § 1 Abs. 1

1 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 1.

von Freeden | 387

8.8

Kap. 8 Rz. 8.8 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

Nr. 1 bis 3 ErbStG aufgeführten Steuerobjekte (Steuergegenstände).1 Demgegenüber ist die unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG subjektbezogen: Unbeschränkt steuerpflichtig sind Familienstiftung und Familienverein; beide Steuersubjekte unterliegen der Erbschaftsteuer (§ 20 Abs. 1 ErbStG) mit der Folge, dass ihr gesamtes Weltvermögen der Erbschaftsteuer unterworfen wird.2

8.9

In der internationalen Staatenpraxis gilt für die Erbschaftsteuer nur ausnahmsweise das Territorialitätsprinzip. Überwiegend steht das Weltvermögensprinzip/Welteinkommensprinzip im Vordergrund, wobei einige Staaten im Ausland belegenes unbewegliches Vermögen aus der Besteuerung ausnehmen.3 Diejenigen Staaten, die Erbschaftsteuern (Nachlasssteuern) erheben, verfügen auch über eine Schenkungsteuer, um die Aushöhlung der Besteuerung von Erbschaften durch Schenkungen zu Lebzeiten zu verhindern. Im Hinblick darauf ist die Schenkungsteuer zumeist in das jeweilige Erbschaftsteuersystem integriert.4 Auch hier gilt überwiegend das Weltvermögensprinzip/Welteinkommensprinzip.5

8.10

Die unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG setzt voraus, dass an den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ErbStG bezeichneten Vermögensübergängen ein Inländer beteiligt ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) oder das Vermögen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) einer inländischen Familienstiftung oder einem inländischen Familienverein gehört (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Als Inländer gelten natürliche Personen mit Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichem Aufenthalt (§ 9 AO)6 sowie nichtnatürliche Personen mit Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder Sitz (§ 11 AO)7 im Inland (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a und d ErbStG).8 Damit verwirklicht das Erbschaftsteuergesetz im Rahmen der persönlichen Anknüpfung das Wohnsitzprinzip (Rz. 6.9).

8.11

Im Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz ist das Wohnsitzprinzip steuersubjektbezogen, da nur im Inland ansässige natürliche und nichtnatürliche Personen der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen. Im Unterschied hierzu kommt es bei den in § 20 ErbStG aufgeführten Steuersubjekten – Erwerber, Schenker, Beschwerter, Familienstiftung und Familienverein – nicht darauf an, wo sie ansässig sind.

8.12

In den Fällen der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b und c ErbStG) (Rz. 8.22 ff.) orientiert sich das Erbschaftsteuergesetz schließlich an der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen, so dass insoweit ausnahmsweise das Nationalitätsprinzip (Rz. 8.24) verwirklicht wird.

8.13

Soweit § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. d ErbStG auf Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen abstellt, entstehen keine Qualifikationsprobleme. Die in der vorgenannten Vorschrift aufgeführten Rechtsgebilde knüpfen nämlich nicht an Rechtsformen des deut-

1 Hierzu Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 9. 2 Das Weltvermögensprinzip für Familienstiftungen und Familienvereine ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, aber aus dem Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 18. 3 Vgl. Goodmann, CDFI LXXb (1985), 115 (122). 4 Vgl. Goodmann, CDFI LXXb (1985), 115 (163). 5 Das Territorialitätsprinzip umfasst zumeist lediglich inländisches unbewegliches Vermögen, vgl. Goodmann, CDFI LXXb (1985), 115 (164). 6 Zu Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt Rz. 6.9 ff. 7 Zum Ort der Geschäftsleitung und Sitz Rz. 7.2 ff. 8 Der Inlandsbegriff in § 2 Abs. 2 ErbStG entspricht dem des § 1 Abs. 1 Satz 2 EStG; hierzu Rz. 6.28 ff.

388 | von Freeden

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.15 Kap. 8

schen Rechts an, so dass auch ausländische Rechtsformen erfasst werden. Aus deutscher Sicht zählen hierzu auch juristische Personen, insbesondere Körperschaften des öffentlichen Rechts und Kapitalgesellschaften.1 Nicht erfasst werden dagegen nichtrechtsfähige Personenvereinigungen, insbesondere Personenhandelsgesellschaften (OHG, KG; auch optierte Personenhandelsgesellschaften2) und Gesellschaften des bürgerlichen Rechts: Erwerber sind die jeweiligen Gesellschafter als Träger der gesamthänderischen Rechte und Pflichten.3

II. Objektsqualifikation Die in § 1 Abs. 1 ErbStG genannten Erwerbe bilden das Steuerobjekt, nämlich

8.14

– der Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), – Schenkungen unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), – Zweckzuwendungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), – das Vermögen von Familienstiftungen und Familienvereinen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Die Tatbestände des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ErbStG werden durch andere Vorschriften konkretisiert, und zwar für die Erwerbe von Todes wegen in den §§ 3 bis 6 ErbStG, für die Schenkungen unter Lebenden in §§ 5, 7 ErbStG und für Zweckzuwendungen in § 8 ErbStG. Von besonderer Bedeutung sind die §§ 3 und 7 ErbStG, die einen abschließenden Katalog der steuerpflichtigen Erwerbsvorgänge enthalten.4 Soweit beide Vorschriften unmittelbar auf das Bürgerliche Gesetzbuch Bezug nehmen oder aber sich der Begriffswelt des Bürgerlichen Gesetzbuches bedienen, übernehmen sie auch dessen Vorverständnis.5 Das gilt generell für das Erbschaftsteuergesetz: Es ist grundsätzlich bürgerlich-rechtlich geprägt6 und somit an das deutsche Zivilrecht gebunden.7 Die Bindung an deutsches Zivilrecht führt aber nicht dazu, dass 1 BFH v. 25.10.1995 – II R 67/93, BStBl. II 1996, 160; v. 19.6.1996 – II R 83/92, BStBl. II 1996, 616; v. 7.11.2007 – II R 28/06, BStBl. II 2008, 258: Empfänger der einer Kapitalgesellschaft gemachten Zuwendung ist die Kapitalgesellschaft selbst, so dass die als Folge der Zuwendung eintretende Erhöhung des Wertes der Kapitalanteile keine Zuwendung an den Gesellschafter ist; handelt es sich um eine Leistung des Gesellschafters mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis (causa societas), ist insoweit allerdings keine freigebige Zuwendung gegeben; BFH v. 17.10.2007 – II R 63/05, BStBl. II 2008, 381 (verdeckte Einlage) und vice versa BFH v. 7.11.2007 – II R 28/06, BStBl. II 2008, 258 (verdeckte Gewinnausschüttung); v. 30.1.2013 – II R 6/12, BStBl. II 2013, 930; Nichtanwendungserlass (gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder) v. 5.6.2013, BStBl. I 2013, 1465. 2 Eine optierte Personenhandelsgesellschaft gilt nur ertragsteuerlich als Kapitalgesellschaft, erbschaftsteuerlich hat die Option keine Wirkung (§ 1a KStG). 3 BFH v. 14.9.1994 – II R 95/92, BStBl. II 1995, 81; v. 15.7.1998 – II R 82/96, BStBl. II 1998, 630; anders noch BFH v. 7.12.1988 – II R 150/85, BStBl. II 1989, 237; und wie nunmehr schon früher der BFH v. 22.6.1960 – II 256/57 U, BStBl. III 1960, 358; zu diesem Zick-Zack-Kurs Hartmann, UVR 1996, 39 (44); zu Einzelheiten Gebel in T/G/J/G, § 7 ErbStG Rz. 185, 263, dort auch zur neueren Rechtsentwicklung wegen der (partiellen) Rechtsfähigkeit der GbR und der Partnerschaftsgesellschaft. 4 BFH v. 6.3.1991 – II R 69/87, BStBl. II 1991, 412; Jülicher in T/G/J/G, § 1 ErbStG Rz. 4; Hannes/ Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 3 ErbStG Rz. 6 f. 5 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, Einführung ErbStG Rz. 13 und § 2 ErbStG Rz. 5; Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, 36 f. 6 BFH v. 26.11.1986 – II R 190/81, BStBl. II 1987, 175; v. 25.1.2001 – II R 39/98, BFH/NV 2001, 908; v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; v. 16.1.2008 – II R 10/06, BStBl. II 2008, 631. 7 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, Einführung ErbStG Rz. 13 und § 2 ErbStG Rz. 5.

von Freeden | 389

8.15

Kap. 8 Rz. 8.15 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

etwa Erwerbsvorgänge, die sich nach ausländischem Recht vollziehen, nicht unter das deutsche Erbschaftsteuergesetz fallen. Die insoweit maßgeblichen §§ 3 und 7 ErbStG enthalten zwar eine abschließende Aufzählung von Erwerben nach Maßgabe des deutschen Zivilrechts, die Erfassungsbreite der Steuerobjekte wird aber nicht durch die konkretisierenden Tatbestände der §§ 3 und 7 ErbStG, sondern durch die Grundtatbestände des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG bestimmt. Die dort aufgeführten Tatbestände enthalten keinen spezifischen Bezug zum deutschen Zivilrecht. Sie erfassen daher auch Erwerbsvorgänge, die dem Regime eines ausländischen Rechts unterworfen sind. Im Hinblick darauf enthalten die §§ 3 und 7 ErbStG eine erschöpfende Aufzählung nur für die dem deutschen Zivilrecht unterliegenden Erwerbsvorgänge.

8.16

Diese Auslegung1 ist nicht nur mit dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG und der systematischen Stellung der §§ 3 und 7 ErbStG vereinbar, sondern auch durch Sinn und Zweck des Erbschaftsteuergesetzes geboten: Erbschaft- und Schenkungsteuer wollen die steuerliche Leistungsfähigkeit erfassen, die in dem transferierten Vermögensbestand zum Ausdruck kommt.2 Im Hinblick darauf ist es belanglos, nach welchem Recht die Erwerbsvorgänge vollzogen werden.3 Die Erfassung von ausländischem Recht unterliegenden Erwerbsvorgängen entspricht schließlich auch dem gesetzgeberischen Plan. Andernfalls liefen insbesondere die Regeln über die beschränkte Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG, Rz. 8.31), die an die Tatbestände des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ErbStG anknüpfen, weitgehend ins Leere. Das gilt jedenfalls insoweit, als die an den beschränkt steuerpflichtigen Erwerbsvorgängen beteiligten Personen die ausländische Staatsangehörigkeit haben und deshalb ausschließlich ausländisches Recht zur Anwendung kommt.4

8.17

Bei Erwerbsvorgängen mit Auslandsberührung gilt daher Folgendes:5 Die Regeln des internationalen Erbrechts bestimmen, welche Rechtsordnung bei der Entscheidung einer erbrechtlichen Frage anzuwenden ist.6 – Für Erbfälle vor dem 17.8.2015 (Inkrafttreten der Erbrechtsverordnung7) bestimmte die Grundregel des Art. 25 Abs. 1 EGBGB a.F. als Erbstatut sowohl für Inländer als auch für

1 Im Ergebnis unstreitig: BFH v. 12.5.1970 – II 52/64, BStBl. II 1972, 462; v. 28.2.1979 – II R 165/74, BStBl. II 1979, 438; v. 7.5.1986 – II R 137/79, BStBl. II 1986, 615; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 5, § 3 ErbStG Rz. 35; Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, 64 ff. 2 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 872 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 7.40 f.; Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, 26; Crezelius in FS Tipke, 403 (405); vgl. auch BVerfG v. 15.5.1984 – 1 BvR 464/81, 1 BvR 605/81, 1 BvR 427/82, 1 BvR 440/82, BStBl. II 1984, 608. 3 Hierzu Noll in Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall2, Rz. 1246; Schaumburg, RIW 2001, 161 (163). 4 Entsprechend Art. 25 Abs. 1 EGBGB. 5 Ausführlich mit weiterführenden Hinweisen Wachter in Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall2, Rz. 78 ff. 6 Dutta in MüKo8, Art. 25 EGBGB Rz. 2 ff.; zur praktischen Vorgehensweise Piltz in Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall2, Rz. 16 f. 7 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, EU-ErbVO, ABl. EU 2012, L 201/107; Dutta in MüKo8, Art. 25 EGBGB Rz. 7.

390 | von Freeden

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.17 Kap. 8

Ausländer das sich nach der Staatsangehörigkeit bestimmende Heimatrecht des Erblassers. Für deutsche Staatsangehörige fand daher stets materielles deutsches Erbrecht Anwendung, und zwar auch im Fall der Doppelstaatsangehörigkeit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB a.F.).1 Von dieser Grundregel machte Art. 25 Abs. 2 EGBGB a.F. eine Ausnahme insoweit, als der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen für im Inland belegenes unbewegliches Vermögen deutsches Recht als Recht des Belegenheitsstaats wählen konnte.2 Eine weitere Ausnahme enthielt Art. 3 Abs. 3 EGBGB a.F.: Nicht das durch die Staatsangehörigkeit vorgegebene Heimatrecht, sondern das Belegenheitsrecht galt, wenn es für den betreffenden Vermögensgegenstand besondere Vorschriften im Belegenheitsstaat etwa dahingehend gab, dass Grundstücke nur nach Maßgabe ihres Zivilrechts vererbt werden.3 Das deutsche Internationale Privatrecht akzeptierte dies mit der Folge, dass es insoweit stets zu einer Nachlassspaltung kam.4 Die Schenkung von Todes wegen unterlag, soweit sie beim Tod des Schenkers noch nicht vollzogen war, ebenfalls dem Erbstatut.5 – Für Erbfälle nach dem 16.8.2015 gilt die Europäische Erbrechtsverordnung.6 Die Verordnung gilt seit dem 17.8.2015 in den Mitgliedsländern der EU (mit Ausnahme von Dänemark und Irland sowie von Großbritannien bis 2020). Nach der Erbrechtsverordnung unterliegt die Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staats, in dem die/der Verstorbene zum Zeitpunkt des Todes den (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 21 EU-ErbVO). Dies gilt einheitlich für den gesamten Nachlass, es wird nicht zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterschieden. Allerdings besteht die Möglichkeit, eine Rechtswahl zugunsten des deutschen Erbrechts zu treffen (Art. 22 EU-ErbVO). Diese Rechtswahl kann im Rahmen der Verfügung von Todes wegen erfolgen (z.B. Bestimmung im Testament oder Erbvertrag). Soweit der Erbfall nicht in den Anwendungsbereich der Erbrechtsverordnung fällt, gelten nach Art. 25 EGBGB die Vorschriften des Kapitels III. dieser Verordnung entsprechend (Recht des Aufenthaltsstaats, falls keine abweichende Rechtswahl). Für Schenkungen unter Lebenden sowie für Schenkungen von Todes wegen, die beim Tode des Schenkers bereits vollzogen sind, kommt demgegenüber das Schuldstatut (Schenkungsstatut) zur Anwendung, so dass die Parteien wählen können, welchem Recht sie den Schenkungsvertrag unterstellen wollen (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO7). Unterbleibt eine derartige Rechtswahl, unterliegt der Schenkungsvertrag gemäß Art. 4 Rom I-VO bei beweglichen Sachen (z.B. Ge-

1 Für das formelle Erbrecht gelten Art. 26 EGBGB sowie das Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht v. 5.10.1961 (BGBl. II 1965, 1145); Lorenz in BeckOK, BGB, Art. 25 EGBGB a.F. Rz. 15 ff. 2 Zu Einzelheiten Lorenz in BeckOK, BGB, Art. 25 EGBGB a.F. Rz. 18 ff. 3 So in Belgien, Frankreich, Großbritannien. 4 Zu Einzelheiten Lorenz in BeckOK, BGB, Art. 25 EGBGB a.F. Rz. 53 ff.; Wachter in Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall2, Rz. 219 ff. 5 Lorenz in BeckOK, BGB, Art. 25 EGBGB a.F. Rz. 42; Wachter in Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall2, Rz. 167. 6 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, EU-ErbVO, ABl. EU 2012, L 201/107; dazu z.B. Vollmer, ZErb 2012, 227 ff. 7 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I).

von Freeden | 391

Kap. 8 Rz. 8.17 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

sellschaftsanteile) dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Schenkers und bei Grundstücken dem Belegenheitsrecht.

8.18

Unterliegen hiernach die Erwerbsvorgänge des § 1 Abs. 1 ErbStG nach den Regeln des Internationalen Privatrechts ausländischem Recht, ist eine zweistufige Objektsqualifikation vorzunehmen.1 Auf einer ersten Stufe ist durch Vergleich zu prüfen, ob die ausländischen Privatrechtsinstitute den in § 1 Abs. 1 ErbStG genannten und in den §§ 3 bis 8 ErbStG nach Maßgabe des deutschen Zivilrechts näher beschriebenen Erwerbsvorgängen entsprechen. Ist das zu bejahen, steht einer Subsumtion unter § 1 Abs. 1 ErbStG nichts im Wege. Ist ein entsprechendes deutsches Privatrechtsinstitut in den §§ 3 bis 8 ErbStG nicht feststellbar, so hat auf einer zweiten Stufe eine Anpassung der Rechtsposition, die der Erwerber durch den Erwerbsvorgang erlangt hat, an das deutsche (Erb-)Recht zu erfolgen. Hierbei ist auf die wirtschaftliche Bedeutung der durch das ausländische Recht dem Erwerber eingeräumten Rechtsposition abzustellen. Ergibt sich eine unter diesem Gesichtspunkt vergleichbare deutsche Rechtsposition, ist diese maßgeblich, wenn der zugrunde liegende Erwerbsvorgang unter § 1 Abs. 1 ErbStG fällt. Die vorstehende Zweistufenprüfung ist allerdings in den Fällen nicht erforderlich, in denen bereits von Gesetzes wegen unmittelbar oder mittelbar eine Qualifikation vorgenommen wird. So wird etwa eine Vermögensübertragung auf einen Trust, den es nach deutschem Recht nicht gibt, als Schenkung unter Lebenden eingestuft (§§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2; 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 ErbStG), wobei der Erwerb bei Auflösung dieser Vermögensmasse noch einmal der Besteuerung unterworfen wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG).2 Das gilt aber nur dann, wenn die Vermögensübertragung auf den Trust wirksam erfolgt ist und nicht bloß ein Treuhandverhältnis begründet wird, bei dem sich der Trustgründer als Treugeber alle maßgeblichen Verwaltungsrechte vorbehält.3

8.19

Gibt es mehrere vergleichbare deutsche Rechtspositionen, denen die ausländische Rechtsposition gleichermaßen zugeordnet werden kann, ist diejenige deutsche Rechtsposition maßgeblich, die zur mildesten Besteuerung führt.4

8.20

Die vorstehenden Grundsätze haben nicht nur Bedeutung für die Einordnung der nach ausländischem Recht vollzogenen Erwerbsvorgänge, sondern für alle Rechtsinstitute ausländischen Rechts, insbesondere solche des ausländischen Ehe- und Güterrechts.5

8.21

Durch die zweistufige Objektqualifikation6 kommt es im Ergebnis zu einer Besteuerungsdivergenz zwischen in- und ausländischem Recht unterliegenden Vermögenstransfers: Inländischem Recht unterliegende Vermögenstransfers werden nur innerhalb der Reichweite des in1 BFH v. 12.5.1970 – II 52/64, BStBl. II 1972, 462; v. 7.5.1986 – II R 137/79, BStBl. II 1986, 615; vgl. hierzu auch Klein, FR 2001, 118 (123 ff.). 2 Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen Schindhelm/Stein, FR 1999, 880 (885); zu weiteren Einzelheiten Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 128 ff. 3 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; Jülicher, ZErb 2007, 361 ff.; Demuth, BB 2007, 2388 ff.; Weber/Zürcher, DStR 2008, 803 ff.; zu steuerstrafrechtlichen Implikationen in diesem Zusammenhang Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 17.31 ff. 4 BFH v. 7.5.1986 – II R 137/79, BStBl. II 1986, 615; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 6f.; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 92 ff. mit Hinweisen zu Einzelfällen; Lethaus, CDFI LXXb (1985) 227 (240 f.). 5 Lethaus, CDFI LXXb (1985) 227 (240); zum Verwandtschaftsverhältnis und ausländischem Güterstand Noll in Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall2, Rz. 1265 f., 1324 ff. 6 Diese zweistufige Objektsqualifikation entspricht kaum noch dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung; zur Kritik Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher

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B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.24 Kap. 8

ländischen (deutschen) Zivilrechts der Erbschaft- und Schenkungsteuer unterworfen. Demgegenüber erfolgt die Besteuerung ausländischem Recht unterliegender Vermögenstransfers nicht allein in dem vom jeweiligen ausländischen Zivilrecht vorgegebenen Rahmen, sondern auch in Orientierung an der durch das ausländische Zivilrecht vermittelten wirtschaftlichen Bedeutung.1

III. Erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht 1. Abwanderer Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG tritt die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht auch dann ein, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer (§ 9 ErbStG) Personen sind, die sich als deutsche Staatsangehörige, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben, nicht länger als fünf Jahre lang dauernd im Ausland aufhalten. Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass die deutsche Erbschaftsteuer durch lediglich vorübergehende Wohnsitzverlegung in das Ausland umgangen werden kann.2

8.22

Im Hinblick darauf kann § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG zu den Normen zur Vermeidung von Vermögensverlagerungen gezählt werden.3 § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG kommt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn sowohl der Erblasser (Schenker) als auch der Erwerber im Inland keinen Wohnsitz haben.

8.23

Die Regel des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG ist unscharf formuliert und deshalb Auslegungszweifeln ausgesetzt. Die erweiterte unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht tritt nämlich nach dem Wortlaut dieser Vorschrift auch dann ein, wenn der deutsche Staatsangehörige innerhalb des Fünfjahreszeitraums im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt aufgegeben hat, ohne hier je einen Wohnsitz gehabt zu haben. Es hat daher nicht an Versuchen gefehlt, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG einschränkend dahingehend auszulegen, dass die erweiterte unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht nur bei Wohnsitzaufgabe eingreife.4 Eine derartige einschränkende Auslegung ist indessen nicht gerechtfertigt, weil dem § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG der Grundsatz zu entnehmen ist, dass der gewöhnliche Aufenthalt neben dem Wohnsitz als gleichwertiger Anknüpfungspunkt besteht.

8.24

§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG ist schließlich auch deshalb unscharf formuliert, weil entgegen seinem Wortlaut die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht trotz fehlenden inländischen Wohnsitzes dann nicht eingreift, wenn innerhalb des Fünfjahreszeitraums im Inland ein gewöhnlicher Aufenthalt unterhalten wird.5 Da weder die unbeschränkte noch die beschränkte Erbschaftsteuerpflicht an die Staatsangehörigkeit anknüpft, ist die Erstreckung der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht nur auf

1 2 3 4 5

Sicht, 63; ausführlich Klein, Ausländische Zivilrechtsformen im deutschen Erbschaftsteuerrecht, Rz. 124 ff. Hieraus leitet Klein, Ausländische Zivilrechtsformen im deutschen Erbschaftsteuerrecht, Rz. 227 ff. einen Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV ab. So die Begründung der Regierungsvorlage zum 2. Steuerreformgesetz, BR-Drucks. 140/72. Zur Normentypologie Rz. 2.1 ff. Vgl. etwa Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 21; Weinmann in Moench/Weinmann, § 2 ErbStG Rz. 12; zweifelnd Meßbacher-Hönsch in Wilms/Jochum, § 2 ErbStG Rz. 80 ff. In diesem Fall ist unbeschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG gegeben.

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Kap. 8 Rz. 8.24 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

deutsche Staatsangehörige sachfremd. Soll sich die Erbschaftsbesteuerung tatsächlich an der Leistungsfähigkeit orientieren, ist nicht erkennbar, unter welchen Gesichtspunkten es gerechtfertigt sein könnte, deutsche Staatsangehörige unter sonst gleichen Bedingungen schärfer zu besteuern als Ausländer. Insoweit verstößt die Ungleichbehandlung gegen Art. 3 Abs. 1 GG.1 Schließlich ist auch ein Verstoß gegen die europarechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV) und Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) gegeben, weil der ausgewanderte deutsche Staatsangehörige nunmehr mit seinem gesamten Weltvermögen der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowohl im Zuzugsstaat im Rahmen der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht als auch in Deutschland als Wegzugsstaat der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht unterliegt. Durch diese Doppelbelastung von Erbschaft- und Schenkungsteuer wird sich mancher grenzüberschreitende Umzug als Steuerfalle erweisen, zumal die auf eine Vermeidung der Doppelbesteuerung gerichteten unilateralen und bilateralen Normen nur sehr unvollkommen sind.2 Zwar hat der EuGH3 entschieden, dass eine derart erweiterte unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht im Grundsatz nicht gegen die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten verstößt, wenn die Doppelbesteuerung durch ein System von Steuergutschriften vermieden werden könne. Im Hinblick auf die geringe Zahl der deutschen Erbschaftsteuerabkommen und die eine Doppelbesteuerung nur partiell vermeidende Regelung des § 21 ErbStG (Rz. 18.243 ff.), ist indessen die Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht gewährleistet, so dass § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG insoweit europarechtswidrig ist.4

2. Auslandsbedienstete 8.25

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. c ErbStG gelten als Inländer auch deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland, die in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Körperschaft des öffentlichen Rechts stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen. Voraussetzung ist ferner, dass der Wohnsitzstaat nur eine nach den Grundsätzen der beschränkten Steuerpflicht entsprechende Erbschaftsteuer erhebt. Sind diese Voraussetzungen gegeben, erstreckt sich die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht auch auf die zum Haushalt gehörenden Angehörigen, soweit diese die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die Vorschrift greift erst nach Ablauf von fünf Jahren nach Aufgabe des letzten inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes5 ein, weil zuvor die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG vorrangig ist.6

1 Seer in Tipke/Lang24, Rz. 15.43; Höninger, Internationale Doppelbesteuerung im Wirtschaft- und Schenkungsteuerrecht, 126 ff.; Müller-Etienne, Die Europarechtswidrigkeit des Erbschaftsteuerrechts, Baden-Baden 2003, 156 ff. 2 Hierzu Schaumburg, RIW 2001, 161 (165); Wachter, ZErb 2005, 104 (108 f.). 3 EuGH v. 23.2.2006 – C-513/03, ECLI:EU:C:2006:131 = Slg. 2006, I-1957 – van Hilten. 4 Seer in Tipke/Lang24, Rz. 15.43; vgl. allerdings EuGH v. 12.2.2009 – C-67/08, ECLI:EU:C:2009:92 = Slg. 2009, I-883 = FR 2009, 294 – Block; im Hinblick darauf hält auch Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 25, die Regelung für unionsrechtlich nicht angreifbar; ebenso Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.62 f. 5 Nach h.M. kommt es auf den inländischen gewöhnlichen Aufenthalt nicht an; hierzu Rz. 8.24. 6 Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 28.

394 | von Freeden

B. Unbeschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.27 Kap. 8

IV. Besteuerung des Weltvermögens (Weltvermögensprinzip) Die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht gilt für den gesamten Vermögensanfall (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Es kommt daher grundsätzlich nicht darauf an, ob es sich um Inlands- oder um Auslandsvermögen handelt (Weltvermögensprinzip).1 Der Umfang des Vermögensanfalls ist indessen unterschiedlich. Ist der Erblasser ein Inländer, so sind sämtliche Erwerbe aus seinem Nachlass und alle sonstigen Vermögensanfälle, die nach § 3 ErbStG als von ihm zugewendet gelten, steuerpflichtig.2 Entsprechendes gilt für die Schenkung unter Lebenden: Hier sind die unentgeltlichen Zuwendungen nach § 7 ErbStG in vollem Umfang steuerpflichtig. Sofern der Erwerb im Ausland mit einer der deutschen Steuer entsprechenden Erbschaftsteuer belastet wird, ist – sofern nicht ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden ist – auf Antrag die festgesetzte, gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch unterliegende ausländische Steuer insoweit auf die deutsche Steuer anzurechnen, als das Auslandsvermögen auch der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt (§ 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG; Rz. 18.243 ff.).

8.26

Soweit § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG den gesamten Vermögensanfall in die unbeschränkte Steuerpflicht einbezieht, ist damit das Nettovermögen gemeint. Dieses Nettoprinzip3 artikuliert sich insbesondere in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG, wonach für Zwecke der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs auf die Bereicherung, d.h. auf das Bruttovermögen unter Berücksichtigung der gesetzlich zugelassenen Abzugsposten4 sowie der dort genannten Befreiungen und Freibeträge,5 abzustellen ist.6 Zu den in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG7 genannten Befreiungen und Freibeträgen gehören insbesondere die für Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftliches Vermögen und für Beteiligungen an Kapitalgesellschaften vorgesehenen Vergünstigungen, die einen Bewertungsabschlag (max. 30 %) bei Vorliegen bestimmter gesellschaftsvertraglicher Voraussetzungen8 (§ 13a Abs. 9 ErbStG), einen Verschonungsabschlag9 (§ 13a Abs. 1 bzw. Abs. 10 ErbStG) und jenseits dessen Reichweite einen degressiv ausgestalteten Abzugsbetrag von höchstens 150 000 Euro (§ 13a Abs. 2 ErbStG) umfassen. Der Verschonungsabschlag be-

8.27

1 Für Diplomaten und Konsuln ergeben sich Einschränkungen des Welteinkommens-/Weltvermögensprinzips aufgrund des WÜD und WÜK; vgl. zu Einzelheiten Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 87 ff. 2 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 17. 3 Hierzu Seer in Tipke/Lang24, Rz. 15.124. 4 Nach Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 10 ErbStG Rz. 2 „Nettobetrag I“. 5 Nach Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 10 ErbStG Rz. 2 „Nettobetrag II“. 6 Damit wird zugleich der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) entsprochen; vgl. EuGH v. 11.12.2003 – C-364/01, ECLI:EU:C:2003:665 = Slg. 2003, I-15013 – Barbier; v. 11.9.2008 – C-11/ 07, ECLI:EU:C:2008:489 = Slg. 2008, I-6845 = IStR 2008, 697 – Eckelkamp; v. 11.9.2008 – C-43/07, ECLI:EU:C:2008:490 = Slg. 2008, I-6887 = IStR 2008, 700 – Arens-Sikken. 7 Nachfolgend in der Fassung des Gesetzes „zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ v. 4.11.2016, BGBl. I 2016, 2464/ BStBl. I 2016, 1202 (Inkrafttreten ab 1.7.2016); heute i.d.F. des „Jahressteuergesetzes 2020“ v. 21.12.2020 BGBl. I 2020, 3096 (Inkrafttreten ab 29.12.2020). 8 Entnahme- oder Ausschüttungsbeschränkung auf höchstens 37,5 % des Nettogewinns; Verfügungsbeschränkung zugunsten Mitgesellschafter, Angehöriger (§ 15 AO) oder Familienstiftung; Abfindungsanspruch unterhalb des gemeinen Werts für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters. 9 Der Verschonungsabschlag i.H.v. 85 % (Regelverschonung) oder 100 % (Optionsverschonung) ist bei einem Erwerb über 26 Mio. Euro auf Antrag zwar nutzbar (§ 13c Abs. 1 ErbStG). Allerdings verringert sich der Verschonungsabschlag um jeweils einen Prozentpunkt für jede volle 750.000 Euro, die der Wert des begünstigten Vermögens den Betrag von 26 Mio. Euro übersteigt. Ab einem Erwerb von 90 Mio. Euro wird kein Verschonungsabschlag mehr gewährt (§ 13c Abs. 1 ErbStG).

von Freeden | 395

Kap. 8 Rz. 8.27 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

zieht sich nur auf begünstigungsfähiges Vermögen (§ 13b ErbStG), wozu nur inländisches und in EU-/EWR-Staaten belegenes Vermögen gehört (§ 13b Abs. 1 Nr. 1–3 ErbStG).1 Drittstaatenvermögen ist somit von vornherein der Begünstigung entzogen, es sei denn es wird mittelbar über begünstigungsfähige Bewertungseinheiten des § 13b Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 ErbStG gehalten.2 Das gilt insbesondere für Anteile an Kapitalgesellschaften in Drittstaaten, die durch Einbringung in EU-/EWR-Kapitalgesellschaften oder durch Zuzug in den Begünstigungsrahmen gelangen können. Das begünstigungsfähige Vermögen ist grundsätzlich nur in Höhe des Teils begünstigt, der kein schädliches Verwaltungsvermögen ist (sog. begünstigtes Vermögen, vgl. § 13b Abs. 2 ErbStG). Überschreitet der Erwerb von begünstigtem Vermögen die Grenze von 26 Mio. Euro, kommt ein Erlass der Steuer, die auf das begünstigte Vermögen entfällt, in Betracht, wenn der Erwerber persönlich nicht in der Lage ist, die Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen3 zu begleichen (§ 28a ErbStG).

8.28

Ist nur der Erwerber, etwa der Erbe oder der Beschenkte, ein Inländer, so erstreckt sich die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht nicht auf den gesamten Vermögensanfall, sondern nur auf das Vermögen, das von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden auf den inländischen Erwerber übergeht. Diese Eingrenzung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 ErbStG, sie ist aber nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift geboten. Die persönlichen Anknüpfungspunkte des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bestimmen die Reichweite der unbeschränkten Steuerpflicht nämlich nur in dem Sinne, dass das bei den dort genannten inländischen Erwerbern weltweit anfallende Vermögen der Erbschaftsteuer zu unterwerfen ist (Rz. 8.8). Das bei ausländischen Erwerbern anfallende Vermögen unterliegt dagegen nicht der unbeschränkten Steuerpflicht, wenn Erblasser oder Schenker keine Inländer sind.4

8.29

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG tritt die in § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG geregelte Ersatzerbschaftsteuerpflicht nur ein, wenn die Stiftung oder der Verein ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben. Über die Reichweite dieser Ersatzerbschaftsteuerpflicht, also darüber, ob neben dem Inlandsvermögen auch Auslandsvermögen erfasst wird, trifft das Gesetz keine ausdrückliche Regelung. Da indessen inländischer Sitz und Ort der Geschäftsleitung die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht markieren und hierfür grundsätzlich das Weltvermögensprinzip gilt, ist § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG in Abgrenzung zu § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG im Sinne einer unbeschränkten Ersatzerbschaftsteuerpflicht auszulegen, so dass auch ausländisches Vermögen erfasst wird.5

8.30

Im Hinblick darauf, dass die Erbschaft-/Schenkungsteuer den Vermögenstransfer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ErbStG) belastet6 und entsprechend ihrem Charakter als Erbanfallsteuer (Rz. 8.1) 1 Damit wird im Ergebnis europarechtlichen Vorgaben entsprochen; vgl. EuGH v. 25.10.2007 – C464/05, ECLI:EU:C:2007:631 = Slg. 2007, I-9344 – Geurts und Vogten; v. 17.1.2008 – C-256/06, ECLI:EU:C:2008:20 = Slg. 2008, I-140 – Jäger. 2 Jülicher in T/G/J/G, § 13b ErbStG Rz. 67 ff.; Hübner, Ubg 2009, 1 (8); von Oertzen, JbFStR 2008/ 09, 97 (189). 3 Zum verfügbaren Vermögen gehören 50 % des im Rahmen des Vermögensübergangs erworbenen und des dem Erwerber bereits gehörenden nichtbegünstigten Vermögens (§ 28a Abs. 2 ErbStG). 4 Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 7; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 17. 5 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 18; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 46; zu steuerstrafrechtlichen Implikationen in diesem Zusammenhang Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 17.31 ff. 6 BVerfG v. 15.5.1984 – 1 BvR 464/81, 1 BvR 605/81, 1 BvR 427/82, 1 BvR 440/82, BStBl. II 1984, 608.

396 | von Freeden

C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.30 Kap. 8

die Bereicherung beim Erbwerber zur Maßgröße steuerlicher Leistungsfähigkeit erhebt (§ 10 Abs. 1 ErbStG),1 ist es nicht sachgerecht, dass in den Fällen, in denen die Erwerber Ausländer sind, die unbeschränkte Steuerpflicht eingreift. Eine derart weitreichende Steueranknüpfung ist zwar völkerrechtlich zulässig (Rz. 3.13), mit der Konzeption der Erbschaftsteuer als Erbanfallsteuer aber unvereinbar.2

C. Beschränkte Steuerpflicht Literatur: Kommentare zu § 2 ErbStG und § 121 BewG; Baßler, Beschränkte Erbschaftsteuerpflicht beim Erwerb von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften, ZEV 2014, 469; Boochs, Erbschaftund Schenkungsteuer bei Auslandsbeziehungen, DVR 1987, 178; Boochs, Fragen der internationalen Erbschaft- und Schenkungsteuer, UVR 1994, 264; Busch, Deutsches Erbschaftsteuerrecht im Lichte der europäischen Grundfreiheiten, IStR 2002, 448; Dautzenberg, Die Bedeutung des EG-Vertrages für die Erbschaftsteuer, EWS 1998, 86; Dürrschmidt, Antrag auf Behandlung als unbeschränkt steuerpflichtig nach § 2 Abs. 3 Satz 1 ErbStG im System des deutschen Internationalen Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts, IStR 2012, 410; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl. München 2008; Fraberger, Nationale und internationale Unternehmensnachfolge; Steuergestaltung beim Schenken und Vererben, Wien 2001, Groß-Bölting, Probleme der beschränkten Steuerpflicht im Erbschaftsteuerrecht, Köln 1997; Halaczinsky, Gestaltungen zur Steuerminderung bei der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht unter Berücksichtigung des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes, UVR 2017, 249: Huschke/Kaminskiy, Gestaltungsmöglichkeiten und Anwendungsprobleme im Zusammenhang mit den persönlichen Freibeträgen bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht, IStR 2018, 345; Jochum, Barbiers Erben – das Europarecht erreicht die Erbschaftsteuer, ZErb 2004, 253; Kamps, Unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht, ErbR 2020, 707; Noll, Die persönliche Erbschaftsteuerpflicht im Überblick, DStZ 1995, 713; von Oertzen/Stein, Erbschaftsteuerplanung bei beschränkt Steuerpflichtigen in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung 3. Aufl. 2011, 2003; von Oertzen/Schienke, Die Besteuerung deutsch-französischer Erbfälle nach Inkrafttreten des ErbSt-DBA zwischen Deutschland und Frankreich, ZEV 2007, 406; Piltz, Schenken und Vererben über die Grenze, in Höppner/Piltz/Wassermeyer, Die Besteuerung nach dem Wegzug ins Ausland, Bonn 1997, 83; Piltz, Der gemeine Wert von Unternehmen und Anteilen im neuen ErbStG, Ubg 2009, 13; Pochhammer, Beschränkte Erbschaftsteuerpflicht auf mittelbare Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften, BB 1978, 1664; Reich/ Voß, Grundzüge des deutschen internationalen Erbschaftsteuerrecht, in Süß, Erbrecht in Europa, 4. Aufl. Berlin 2020, 225; Schamburg, Erbschaftsteuerrechtliche Berechnung des Zugewinns bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht, DB 1986, 1948; Schaumburg, Problemfelder im Internationalen Erbschaftsteuerrecht, RIW 2001, 161; Schnitger, Geltung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages im deutschen internationalen Erbschaftsteuerrecht, FR 2004, 185; Stein, Beschränkte Erbschaftsteuerpflicht unter dem DBA-Griechenland – Besonderheiten und Praxisfälle, IStR 2021, 712; Tumpel, Die europarechtlichen Vorgaben für eine Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer, SWI 2000, 27; Uterhark/John, Beschränkte Erbschaftsteuerpflicht: Die nahestehende Person i.S.d. § 121 Nr. 4 BewG – ein Phantom?, FR 2013, 412; Vogel, Die Grenzen der Steuerhoheit im Bereich der Erbschaft- und Vermögensteuern, CDFI LIII/2 [1968], 142; Wachter, Beschränkte Erbschaftsteuerpflicht, ErbStB 2004, 25; Wachter, Das Erbschaftsteuerrecht auf dem Prüfstand des Europäischen Gerichtshofs, DStR 2004, 540; Wachter, Internationale Erbfälle und Anteile an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, GmbHR 2005, 407; Wachter, Gewerbliche Schutz- und Urheberrechte, Prüfung der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht mit Gestaltungshinweisen, ErbStB 2004, 119; Wachter, Beschränkte ErbSt-Pflicht: Grundstücksvermächtnis als Inlandsvermögen, DB 2019, 2214; Watrin, Erbschaftsteuerplanung internationaler Familienunternehmen, Düsseldorf 1997; Weiss, Behandlung ausländischer grundstücksver-

1 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 7.40. 2 Vgl. auch Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 17; Seer in Tipke/Lang24, Rz. 15.35.

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Kap. 8 Rz. 8.31 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer waltender Gesellschaften ab VZ 2009, GmbH-StB 2018, 52; Werz, Gestaltungsmöglichkeiten bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht in FS für Spiegelberger, Bonn 2009, 584.

I. Allgemeine Hinweise 8.31

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG tritt die beschränkte Erbschaftsteuerpflicht in allen Fällen ein, in denen weder der Erblasser (Schenker) noch der Erwerber Inländer sind. Es handelt sich damit um eine Auffangvorschrift, die im Hinblick auf die für die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht maßgebliche Doppelanknüpfung an Erblasser (Schenker) und Erwerber und die zeitliche Ausdehnung durch die erweiterte unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht in der Praxis keine sehr große Bedeutung hat. Die beschränkte Steuerpflicht erstreckt sich zudem nur auf den Vermögensanfall, der Inlandsvermögen i.S.d. § 121 BewG betrifft.

II. Inlandsvermögen 1. Numerus clausus 8.32

§ 121 BewG enthält einen numerus clausus derjenigen Vermögensgegenstände, die zum Inlandsvermögen zählen. Vermögensgegenstände, die dort nicht aufgeführt sind, etwa Bankoder Sparguthaben und Wertpapierdepots bei inländischen Kreditinstituten, nicht dinglich gesicherte Forderungen gegen inländische Schuldner, gehören somit nicht zum Inlandsvermögen. Daher sind auch der auf Geldzahlung gerichtete Pflichtteilsanspruch, selbst wenn er gegen einen inländischen Erben gerichtet ist, sowie ein Geldvermächtnis, auch wenn es aus einem Nachlass zu entrichten ist, der nur aus Inlandsvermögen besteht, nicht beschränkt erbschaftsteuerpflichtig.1 Für Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften wird § 121 Nr. 4 BewG (Mindestbeteiligung des Erblassers bzw. Schenkers i.H.v. 10 %) allerdings durch § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG (Zusammenrechnung von Teilübertragungen i.H.v. jeweils weniger als 10 %) erweitert (Rz. 8.41).

2. Qualifizierung des Inlandsvermögens 8.33

§ 121 BewG enthält einen Katalog von Vermögensgruppen, der in etwa dem in § 49 Abs. 1 EStG aufgeführten Einkünftekatalog entspricht.2 Obwohl das Bewertungsgesetz für die Qualifizierung von Inlandsvermögen keine ausdrückliche Bestimmung enthält, wird seitens der Rechtsprechung gleichwohl eine dem § 49 Abs. 2 EStG entsprechende allgemeingültige isolierende Betrachtungsweise angenommen.3 Welcher der in § 121 BewG aufgezählten Vermögensarten Wirtschaftsgüter zuzuordnen sind, ist daher danach zu entscheiden, wie sich diese Wirtschaftsgüter vom Inland aus gesehen darstellen.4 Bei der Qualifizierung dieser Wirtschaftsgüter ist auf die Begriffe und Maßstäbe des deutschen Rechts abzustellen. Ausländische Rechtsinstitute sind den vergleichbaren deutschen Rechtsinstituten gleichzustellen.5

1 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 2 ErbStG Rz. 20 ff.; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 67; Eisele in Kapp/Ebeling, § 2 ErbStG Rz. 52. 2 Die Parallelität von § 49 Abs. 1 EStG und § 121 Abs. 2 BewG ist unter dem Gesichtspunkt, dass die Erbschaftsteuer auch eine Steuer auf das Einkommen ist, durchaus konsequent, vgl. hierzu Vogel, CDFI LIII/2 (1968), 142 (160). 3 BFH v. 2.9.1953 – III 105/53 S, BStBl. III 1953, 324; v. 20.1.1959 – I 112/57 S, BStBl. III 1959, 133; v. 30.1.1981 – III R 116/79, BStBl. II 1981, 560; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 49. 4 Noll in Flick/Piltz, Der internationale Erbfall2, Rz. 1285. 5 BFH v. 20.7.1960 – II 262/57 U, BStBl. III 1960, 385; vgl. hierzu auch Rz. 8.17 f.

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C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.36 Kap. 8

3. Die einzelnen Vermögensgruppen a) Inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen Das inländische land- und forstwirtschaftliche Vermögen (§ 121 Nr. 1 BewG) umfasst die im Inland belegenen Betriebe der Land- und Forstwirtschaft. Entscheidend ist die Belegenheit des Vermögens. Dagegen ist es ohne Bedeutung, wo sich der Sitz der Leitung befindet, ob der Erblasser (Schenker) das land- und forstwirtschaftliche Vermögen selbst bewirtschaftet oder ob dieses zwecks Bewirtschaftung einem anderen überlassen wird. Erstreckt sich das land- und forstwirtschaftliche Vermögen sowohl auf das Inland als auch auf das Ausland, so gehört nur der inländische Teil zum Inlandsvermögen. Das land- und forstwirtschaftliche Vermögen ist mit dem gemeinen Wert (Wirtschaftswert) anzusetzen (§ 12 Abs. 3 ErbStG i.V.m. §§ 157 Abs. 2; 162 Abs. 1 BewG).

8.34

b) Inländisches Grundvermögen Zum inländischen Grundvermögen gehören gem. § 121 Nr. 2 BewG die im Inland belegenen Grundstücke (§ 70 BewG). Hierzu zählen neben Grund und Boden, Gebäuden, sonstigen Bestandteilen und Zubehör auch das Erbbaurecht und das Wohnungseigentum sowie Gebäude auf fremdem Grund und Boden (§§ 68 Abs. 1 und 70 Abs. 3 BewG). Die zum Inlandsvermögen gehörenden Grundstücke sind mit dem gemeinen Wert anzusetzen (§ 12 Abs. 3 ErbStG i.V.m. §§ 157 Abs. 3; 177 BewG), und zwar auf der Grundlage von Bodenrichtwerten für unbebaute Grundstücke (§§ 178 f. BewG) und dem Vergleichswertverfahren (§§ 182 Abs. 2, 183 BewG), dem Ertragswertverfahren (§§ 182 Abs. 3, 184–188 BewG) oder dem Sachwertverfahren (§§ 182 Abs. 4, 189 bis 191 BewG) für bebaute Grundstücke. Von § 121 Nr. 2 BewG werden auch Anteile an einer Grundstücksgemeinschaft und einer Personengesellschaft erfasst, soweit diese, etwa als geschlossener Immobilienfonds, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung inländischen Grundbesitzes erzielen.1 Die für Grundvermögen maßgeblichen Verschonungsregelungen gem. §§ 13 Abs. 1 Nr. 4a–4c; 13d Abs. 1 ErbStG gelten auch für beschränkt Steuerpflichtige.

8.35

c) Inländisches Betriebsvermögen Als inländisches Betriebsvermögen gilt das Vermögen, das einem im Inland betriebenen Gewerbe dient, wenn hierfür im Inland eine Betriebsstätte (§ 12 AO) unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter (§ 13 AO) bestellt ist (§ 121 Nr. 3 BewG). Im Hinblick darauf, dass eine freiberufliche Tätigkeit gem. § 96 BewG wie ein Gewerbebetrieb behandelt wird, kommt auch das einer freiberuflichen Tätigkeit dienende Vermögen als inländisches Betriebsvermögen in Betracht. Voraussetzung ist allerdings in beiden Fällen, dass sich im Inland eine Betriebsstätte befindet oder ein ständiger Vertreter aufhält. Ob eine inländische Betriebsstätte gegeben oder ein ständiger Vertreter im Inland tätig ist, bedarf zwar im Besteuerungsverfahren für die Erbschaft-/Schenkungsteuer einer selbständigen Entscheidung,2 darüber wird aber bereits meistens zuvor im Zusammenhang mit der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer entschieden, so dass die hierfür getroffenen Entscheidungen im Regelfall zu übernehmen sind. Wegen der Einzelheiten kann daher auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden (Rz. 6.150).

1 Wachter, ErbStB 2004, 25 (27); von Oertzen/Schienke, ZEV 2007, 406 (409). 2 R E 2.2 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 2019.

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8.36

Kap. 8 Rz. 8.37 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

8.37

Für die Zugehörigkeit zum inländischen Betriebsvermögen ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob sich die Wirtschaftsgüter im Inland oder Ausland befinden;1 entscheidend ist allein die wirtschaftliche Zuordnung zum inländischen Betriebsvermögen2 insbesondere zu einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmers oder zu einer inländischen Personengesellschaft3 mit im Ausland ansässigen Gesellschaftern. Dies gilt auch für im Ausland befindliche Wirtschaftsgüter einer inländischen Personengesellschaft, falls nicht diese Wirtschaftsgüter einer ausländischen Betriebsstätte dieser Personengesellschaft zuzuordnen sind.4 Für das inländische Betriebsvermögen ist der gemeine Wert anzusetzen (§ 12 Abs. 5 ErbStG i.V.m. §§ 109; 11 Abs. 2 BewG), und zwar in aller Regel auf der Grundlage des Ertragswertes, wobei auch das vereinfachte Ertragswertverfahren zur Anwendung kommen kann (§§ 199 ff. BewG).5 d) Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften

8.38

Zum Inlandsvermögen gehört die Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft, wenn sie mindestens 1/10 des Nennkapitals ausmacht (§ 121 Nr. 4 BewG). § 121 Nr. 4 BewG ist subsidiär gegenüber § 121 Nr. 3 BewG mit der Folge, dass etwa Aktien und GmbH-Anteile, die zu einer inländischen Betriebsstätte gehören, dem Inlandsvermögen als Betriebsvermögen zuzuordnen sind.6 Für Zwecke der Mindestbeteiligungsgrenze werden allerdings auch die in einer inländischen Betriebsstätte gehaltenen Anteile mit eingerechnet.7

8.39

Der für die Beteiligungsquote maßgebende Zeitpunkt ist der Bewertungsstichtag. Für Zwecke der Beteiligungsquote sind neben mittelbaren Beteiligungen auch die Beteiligungen nahestehender Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG (Rz. 21.167 ff.) mit einzubeziehen.8 Damit kann durch eine innerkonzernliche Aufspaltung der Beteiligungen die maßgebliche Beteiligungsgrenze (1/10) nicht unterschritten werden. Nicht zu berücksichtigen sein sollte dagegen ein (schenkung- oder erbschaftsteuerlicher) Poolvertrag i.S.v. § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG, so dass für die Bestimmung der Beteiligungsgrenze nicht auf die Höhe der insgesamt gepoolten Beteiligung (in der Regel mehr als 25 %) abzustellen ist. Ein Poolvertrag erfüllt nicht die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 AStG, die Mitglieder eines Pools werden aufgrund des Poolvertrags nicht zu nahestehenden Personen.

1 RFH v. 19.4.1934, RStBl. 1934, 738; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 54; Viskorf in V/S/W6, § 121 BewG Rz. 11. 2 BFH v. 10.4.1987 – VI R 94/86, BStBl. II 1987, 500. 3 Erfasst wird auch Sonderbetriebsvermögen; hierzu Wachter, GmbHR 2005, 407 (423). 4 BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663; demgegenüber soll nach dem Erlass FinMin. NW v. 2.3.1979, DB 1979, 769 der auf das gesamte Auslandsvermögen entfallende Anteil des beschränkt Steuerpflichtigen an der Personengesellschaft auch dann nicht zu seinem Inlandsvermögen gehören, wenn das Auslandsvermögen einer ausländischen Betriebsstätte nicht zuzuordnen ist; ebenso Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 54; Noll in Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall2, Rz. 1290. 5 Zu Einzelheiten Piltz, Ubg 2009, 13 ff.; Eisele in Rössler/Troll, § 121 BewG Rz. 17 f. 6 Eisele in Rössler/Troll, § 121 BewG Rz. 23. 7 Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 57; R E 2.2 Abs. 3 Satz 4 ErbStR 2019. 8 Die mittelbaren Beteiligungen unterliegen selbst demgegenüber nicht der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht; Noll in Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall2, Rz. 1292; Pochhammer, BB 1978, 1664 ff.; FinMin Baden-Württemberg v. 24.7.1997, DB 1997, 1595; R E 2.2 Abs. 3 Satz 5 ErbStR 2019.

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C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.42 Kap. 8

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG ist es für die Qualifikation als Inlandsvermögen gem. § 121 Nr. 4 BewG ausreichend, wenn nur der Erblasser (Schenker) zur Zeit des Erwerbs mit zumindest 10 % an der inländischen Kapitalgesellschaft beteiligt war. Unerheblich ist daher, in welchem Umfang der Erwerber vor und nach der Zuwendung beteiligt ist.1 Darüber hinaus ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 ErbStG der Teilerwerb einer Beteiligung, die zum Zeitpunkt des Erwerbs weniger als 10 % beträgt, als Erwerb von Inlandsvermögen zu werten, wenn der Erblasser/Schenker zu einem früheren Zeitpunkt eine Beteiligung von mehr als 10 % hatte und einen Teil dieser Beteiligung bereits früher dem Erwerber zugewendet hatte. Damit wird auch der sukzessive Transfer von Vermögen der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht unterworfen. Andernfalls könnte durch Aufspaltung der Beteiligung und sukzessiven Transfer die Steuerpflicht unterlaufen werden.2 Die Bewertung erfolgt, soweit kein Börsenkurs feststellbar ist (§ 11 Abs. 1 BewG), zum gemeinen Wert (§§ 109 Abs. 2; 11 Abs. 2 BewG), und zwar entweder abgeleitet aus Verkaufspreisen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG) oder auf der Grundlage des Ertragswertes, wobei auch das vereinfachte Ertragswertverfahren zur Anwendung kommen kann (§§ 199 ff. BewG).3

8.40

e) Patente, Gebrauchsmuster und Topographien Erfindungen, Gebrauchsmuster und Topographien, die nicht zu einem inländischen Betriebsvermögen gehören, sind Inlandsvermögen gem. § 121 Nr. 5 BewG, wenn sie in ein inländisches Buch oder Register eingetragen sind.4 Es ist hierbei ohne Bedeutung, ob die Erfindungen usw. im Inland, im Ausland oder überhaupt verwertet werden.5 Die Bewertung erfolgt zum gemeinen Wert (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG), wobei für in Lizenz vergebene Rechte auf die kapitalisierte Gegenleistung abzustellen ist.6

8.41

f) Wirtschaftsgüter, die einem inländischen gewerblichen Betrieb überlassen sind Gemäß § 121 Nr. 6 BewG zählen zum Inlandsvermögen auch alle Wirtschaftsgüter, die einem inländischen Gewerbebetrieb überlassen sind, soweit diese nicht schon selbst als inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen, inländisches Grundvermögen oder als Erfindungen und Gebrauchsmuster zum Inlandsvermögen gehören.7 Erfasst werden vor allem vermietete und verpachtete Wirtschaftsgüter sowie in Lizenz vergebene Erfindungen, Gebrauchsmuster, Know-how und Marken, ohne dass es auf die Dauer der Überlassung ankommt.8 Nicht unter § 121 Nr. 6 BewG fällt die Verpachtung eines inländischen Gewerbebetriebs im Ganzen durch einen beschränkt Steuerpflichtigen, da ein verpachteter Gewerbebetrieb inländisches Betriebsvermögen des Verpächters gem. § 121 Nr. 3 BewG darstellt.9 Im Hinblick darauf greift § 121 Nr. 6 BewG auch dann nicht ein, wenn zu einem inländischen Betriebsvermögen gehörende

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 59. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 ErbStG ist missglückt; hierzu Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 60. Zu Einzelheiten Piltz, Ubg 2009, 13 ff. Fallen diese Rechte unter § 121 Nr. 3 oder 6 BewG, ist eine Eintragung in ein inländisches Register nicht erforderlich; BFH v. 29.1.1965 – III 121/62 U, BStBl. III 1965, 219; Viskorf in V/S/W6, § 121 BewG Rz. 20. Willmann in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 121 BewG Rz. 38. Vgl. R B 9.4 ErbStR 2019. Die Zuordnung zu § 121 Nr. 1, 2 und 5 BewG geht somit vor. BFH v. 19.9.1959 – III 201/58 U, BStBl. III 1959, 476. Eisele in Rössler/Troll, § 121 BewG Rz. 34.

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8.42

Kap. 8 Rz. 8.42 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

Wirtschaftsgüter vermietet werden.1 Der für die Bewertung maßgebliche gemeine Wert (§ 2 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG) orientiert sich im Falle der Lizenzvergabe gegen wiederkehrende Zahlungen an der kapitalisierten Gegenleistung (Basiszinssatz zzgl. eines Zuschlags von 4,5 %).2 g) Grundpfandrechtlich gesicherte Forderungen

8.43

Als Inlandsvermögen gelten Hypotheken, Grundschulden, Rentenschulden und andere Forderungen oder Rechte, wenn sie durch inländischen Grundbesitz oder inländische grundstücksgleiche Rechte oder durch Schiffe, die in ein inländisches Schiffsregister eingetragen sind, unmittelbar oder mittelbar gesichert sind (§ 121 Nr. 7 BewG). Von § 121 Nr. 7 BewG werden nicht nur Kapitalforderungen, sondern alle Forderungen und Rechte erfasst, die als Betriebsvermögen in Betracht kommen können.3 Ohne Bedeutung ist, wer Schuldner der gesicherten Forderung ist, so dass auch eine gegen einen Ausländer gerichtete Forderung Inlandsvermögen darstellt, wenn sie durch inländischen Grundbesitz abgesichert ist.4

8.44

Mangels dinglicher Sicherung sind etwa Sparbuch- und Festgeldforderungen kein Inlandsvermögen. Insoweit entspricht die in § 121 Nr. 7 BewG getroffene Regelung dem § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa EStG.5

8.45

Eine unmittelbare Absicherung der Forderungen und Rechte ist dann gegeben, wenn der Grundbesitz, die grundstücksgleichen Rechte oder die Schiffe für die Forderungen oder das Recht haften. Eine mittelbare Absicherung liegt vor, wenn der Gläubiger anderweitig die Möglichkeit hat, Befriedigung aus dem Grundbesitz, den grundstücksgleichen Rechten oder Schiffen zu erlangen. Zu dieser mittelbaren Absicherung gehört die Sicherung durch Verpfändung von Hypotheken oder Grundschulden,6 die treuhänderische Verwaltung von Grundschuldoder Hypothekenbriefen zugunsten des ausländischen Gläubigers,7 die Vormerkung zur Sicherung eines Anspruchs auf Eintragung einer Hypothek8 oder die Eintragungsbewilligung für eine Hypothek, ohne dass hiervon Gebrauch gemacht wird.9 Gemäß § 121 Nr. 7 Satz 2 BewG sind ausdrücklich ausgenommen Anleihen und Forderungen, über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind. Die Bewertung erfolgt mit dem Nennwert, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 12 ff. BewG). h) Forderungen aus stiller Beteiligung und partiarischem Darlehen

8.46

Zum Inlandsvermögen gehören gem. § 121 Nr. 8 BewG die typische stille Beteiligung und die Forderung aus partiarischem Darlehen, wenn der Schuldner unbeschränkt steuerpflichtig ist. Obwohl § 121 Nr. 8 BewG lediglich die stille Beteiligung an einem Handelsgewerbe erwähnt, zählt die stille Beteiligung nur dann zum Inlandsvermögen, wenn das Handelsgewerbe selbst

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BFH v. 4.3.1970 – I R 140/66, BStBl. II 1970, 428. Vgl. R B 9.4 ErbStR 2019. RFH v. 23.4.1936, RStBl. 1936, 618. RFH v. 4.9.1934, RStBl. 1934, 1244. Zur lückenhaften Erfassung dieser Einkünfte Rz. 6.129. BFH v. 13.4.1994 – I R 97/93, BStBl. II 1994, 743. RFH v. 8.11.1934, RStBl. 1935, 582; BFH v. 13.4.1994 – I R 97/93, BStBl. II 1994, 743. BFH v. 12.8.1964 – II 125/62 U, BStBl. II 1964, 647. BFH v. 17.2.1961 – VI 76/59 U, BStBl. III 1961, 161.

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C. Beschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.50 Kap. 8

auch im Inland betrieben wird. Die Forderung des typisch stillen Gesellschafters auf Auszahlung des Gewinnanteils gehört nicht zum Inlandsvermögen, es sei denn, der Gewinnanteil wird seinem Privat- oder Darlehenskonto derart gutgeschrieben, dass der stille Gesellschafter auch mit den stehen gelassenen Gewinnen am Ergebnis des Handelsgewerbes beteiligt wird.1 Im Gegensatz zur typisch stillen Beteiligung zählt die atypisch stille Beteiligung nicht zum Inlandsvermögen i.S.v. § 121 Nr. 8 BewG.2 Sie stellt Betriebsvermögen gem. § 121 Nr. 3 BewG dar.3 Die typisch stille Beteiligung ist als Kapitalforderung mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen abweichenden Bewertungsansatz gebieten (§ 12 BewG).4 Entsprechendes gilt für die Bewertung partiarischer Darlehen.

8.47

In § 121 Nr. 8 BewG wird das partiarische Darlehen der typischen stillen Beteiligung gleichgestellt.5

8.48

i) Nutzungsrechte am Inlandsvermögen Nutzungsrechte, die einem beschränkt Steuerpflichtigen an den nach § 121 Nr. 1 bis 8 BewG als Inlandsvermögen in Betracht kommenden Vermögensgegenständen zustehen, zählen ebenfalls zum Inlandsvermögen (§ 121 Nr. 9 BewG). Zu diesen Nutzungsrechten gehören sowohl dingliche als auch obligatorische Rechte, insbesondere der Nießbrauch an Grundstücken und an Beteiligungen. Letzteres gilt freilich nur dann, wenn die Beteiligung etwa an einer Kapitalgesellschaft mindestens 10 % beträgt, weil diese nur dann unter § 121 Nr. 4 BewG fallen kann. Auf den Umfang des Nießbrauchs selbst kommt es dagegen nicht an.6 Die Bewertung richtet sich nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13 ff. BewG mit dem Kapitalwert.

8.49

4. Ermittlung und Bewertung des Inlandsvermögens Bei beschränkter Steuerpflicht sind Schulden und Lasten bei Feststellung der Bereicherung gem. § 10 Abs. 6 Satz 2 ErbStG nur insoweit abziehbar, als sie mit den steuerpflichtigen Vermögensgegenständen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Ein solcher Zusammenhang ist gegeben, wenn die Entstehung der Schuld oder Last ursächlich und unmittelbar auf Vorgängen beruht, die den belasteten Vermögensgegenstand betreffen.7 Damit wird auch im Bereich der beschränken Steuerpflicht im Grundsatz das Nettoprinzip sichergestellt. Dies ist in 1 BFH v. 17.10.1975 – III R 66–67/74, III R 66/74, III R 67/74, BStBl. II 1976, 275. 2 BFH v. 29.10.1969 – I R 80/67, BStBl. II 1970, 180; R E 2.2 Abs. 5 Satz 1 ErbStR 2019. 3 Sowohl der typisch stille Gesellschafter als auch der atypisch stille Gesellschafter sind zwar im Rahmen einer Innengesellschaft an einem fremden Unternehmen beteiligt, anders als der typisch stille Gesellschafter ist aber der atypisch stille Gesellschafter nicht nur am laufenden Gewinn, sondern auch an den stillen Reserven des Vermögens beteiligt, so dass er bei Liquidation der Gesellschaft nicht nur einen Anspruch auf Rückzahlung der nominalen Einlage, sondern Anspruch auf ein auch die stillen Reserven umfassendes Auseinandersetzungsguthaben hat, vgl. im Einzelnen Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 341. 4 BFH v. 7.5.1971 – III R 7/69, BStBl. II 1971, 642; R B 12.4 ErbStR 2019. 5 Partiarische Darlehen sind Darlehen, deren Verzinsung sich ebenfalls nach dem Gewinn richtet; sie werden auch im Einkommensteuerrecht gem. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG gleichbehandelt. 6 Eisele in Rössler/Troll, § 121 BewG Rz. 45. 7 RFH v. 14.11.1935, RStBl. 1935, 1465; v. 13.11.1964 – III 336/61, HFR 1965, 449; v. 17.12.1965 – III 342/60 U, BStBl. III 1966, 483; v. 28.1.1972 – III R 4/71, BStBl. II 1972, 416; v. 30.7.1997 – II R 9/95, BStBl. II 1997, 635; Gebel in T/G/J/G, § 10 ErbStG Rz. 247, 254 f.

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8.50

Kap. 8 Rz. 8.50 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

Orientierung an die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten, insbesondere an die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV), auch geboten.1 Soweit Schulden und Lasten nicht in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einzelnen Vermögensgegenständen des Erwerbs stehen, sind sie anteilig allen Vermögensgegenständen des Erwerbs zuzurechnen.

8.51

Während die sachlichen Steuerbefreiungen des § 13 ErbStG sowie die Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen (§§ 13a Abs. 1, 10 i.V.m. § 13b Abs. 2 ErbStG; einschließlich der Bedürftigkeitsprüfung mit Steuererlass nach § 28a ErbStG, Rz. 8.27) und für Grundvermögen (§ 13d Abs. 1 ErbStG) grundsätzlich auch bei beschränkter Steuerpflicht gewährt werden,2 sind die persönlichen Freibeträge der §§ 16 Abs. 1, 17 ErbStG nur eingeschränkt auf die beschränkte Steuerpflicht anwendbar. Nach § 16 Abs. 2 ErbStG3 wird der Freibetrag um einen Teilbetrag erniedrigt. Dieser Teilbetrag entspricht dem Verhältnis der Summe der Werte des in demselben Zeitpunkt erworbenen, nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Vermögens und derjenigen, nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Vermögensvorteile, die innerhalb von zehn Jahren von derselben Person angefallen sind, zum Wert des Vermögens, das insgesamt innerhalb von zehn Jahren von derselben Person angefallenen ist. Die früheren Erwerbe sind mit ihrem früheren Wert anzusetzen.4 Der Versorgungsfreibetrag wird hingegen gemäß § 17 Abs. 2 ErbStG vollständig gewährt unter der Voraussetzung, dass der ehemalige Ansässigkeitsstaat des Erblassers bzw. der aktuelle Ansässigkeitsstaat des Erwerbers Amtshilfe leistet.

8.52

Einstweilen frei.

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht Literatur: Kommentare zu § 4 AStG; Ettinger, Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer beim Wegzug ins Ausland und danach, ZERb 2006, 41; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl. München 2008; Kamps, Wegzug und Besteuerung der deutschen Erbschaftsteuerpflicht, ErbR 2020, 855; Kau, Erbschaftsteuerliche Aspekte des Außensteuerrechts, UVR 2001, 13; Königer, Die Verschonungsbedarfsprüfung des § 28a ErbStG bei (erweitert) beschränkter Steuerpflicht, ZEV 2017, 556; Kußmaul/ Cloß, Die erweiterte beschränkte Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht des § 4 AStG, StuB 2010, 704; Noll, Die persönliche Erbschaftsteuerpflicht im Überblick, DStZ 1995, 713; Schaumburg, Problemfelder im Internationalen Erbschaftsteuerrecht, RIW 2001, 161.

1 EuGH v. 11.12.2003 – C-364/01, ECLI:EU:C:2003:665 = Slg. 2003, I-15013 – Barbier; v. 11.9.2008 – C-11/07, ECLI:EU:C:2008:489 = Slg. 2008, I-6845 = IStR 2008, 697 – Eckelkamp; v. 11.9.2008 – C-43/07, ECLI:EU:C:2008:490 = Slg. 2008, I-6887 = IStR 2008, 700 – Arens-Sikken; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.70. 2 Jülicher in T/G/J/G, § 13 ErbStG Rz. 1; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 13 ErbStG Rz. 1. 3 Anwendbar auf Erwerbe, für die die Steuer nach dem 24.6.2017 entsteht (§ 37 Abs. 14 ErbStG); zur Unionrechtskonformität der Neuregelung: EuGH v. 21.12.2021 – C-394/20, ECLI:EU:C:2021: 1044 – Finanzamt V. 4 Beispiel: A und sein Sohn B haben ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Italien und sind keine deutschen Staatsbürger. B erbt eine Wohnung in Deutschland (Wert EUR 200.000) und eine Wohnung in Italien (Wert EUR 600.000). Der Freibetrag von EUR 400.000 verringert sich nach der folgenden Berechnung: 1. EUR 600.000 / EUR 800.000 = 75 %, 2. EUR 400.000 x 75 % = EUR 300.000, 3. EUR 400.000 ./. EUR 300.000 = 100.000 (verbleibender Freibetrag).

404 | von Freeden

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.57 Kap. 8

I. Allgemeines Neben der unbeschränkten, erweiterten unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht regelt § 4 AStG die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht, die noch durch die Umgehungsvorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 2 AStG ergänzt wird.

8.53

Durch § 4 Abs. 1 AStG wird die beschränkte Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) über die in § 121 BewG genannten Wirtschaftsgüter hinaus auf alle Vermögenswerte ausgedehnt, deren Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht zu den ausländischen Einkünften i.S.d. § 34c Abs. 1 EStG gehören. Die erweiterte beschränkte Steuerpflicht, die auf den Erblasser oder Schenker abstellt, setzt voraus, dass weder Erblasser (Schenker) noch Erwerber Inländer sind. Die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht betrifft ausgewanderte natürliche Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit unter den gleichen Voraussetzungen wie bei der erweiterten beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AStG; Rz. 6.312 ff.).

8.54

§ 4 AStG ist eine gegen Vermögensverlagerungen gerichtete Norm (Rz. 2.12). Mit ihr wird das Ziel verfolgt, der Auswanderung in Niedrigsteuerländer die steuerlichen Anreize zu nehmen. Auch gemessen an dieser Zielsetzung ist die Beschränkung des § 4 AStG auf wegziehende deutsche Staatsangehörige sachfremd. Sie führt zu einer im Vergleich zu Ausländern benachteiligenden Höherbesteuerung, die mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist.1 Darüber hinaus ist ein Verstoß gegen die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten gegeben.2

8.55

Die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht ist sowohl der unbeschränkten als auch der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht gegenüber subsidiär.3 Soweit es daher zu Überschneidungen zwischen der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht einerseits und der erweiterten beschränkten Erbschaftsteuerpflicht andererseits kommt, tritt die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht zurück. Ist also der Erblasser (Schenker) deutscher Staatsangehöriger, wird im Regelfall die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht nur für die Zeit zwischen Ablauf der Fünfjahresfrist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG und Ablauf des Zehnjahreszeitraums nach § 2 Abs. 1 AStG eingreifen, sofern auch die Erwerber nicht Inländer sind und für den Erwerb im Ausland nicht eine entsprechende Steuer in Höhe von mindestens 30 % der deutschen Erbschaftsteuer zu entrichten ist (§ 4 Abs. 2 AStG).4

8.56

Die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht unterliegt den Schrankenwirkungen der Doppelbesteuerungsabkommen, wonach die aufgrund der erweiterten beschränkten Erbschaftsteuerpflicht zusätzlich zu versteuernden Vermögenswerte der Besteuerung durch den Wohnsitzstaat des Erblassers zugewiesen sind.5 Darüber hinaus ist die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 AStG davon abhängig, dass § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG Anwendung findet. Es entfällt daher die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht auch dann, wenn die erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht infolge eingreifender Doppelbesteuerungsabkommen entfällt.6

8.57

1 Ettinger in Haase3, § 4 AStG Rz. 23. 2 Vgl. EuGH v. 11.12.2003 – C-364/01, ECLI:EU:C:2003:665 = Slg. 2003, I-15013 – Barbier; nach EuGH v. 23.2.2006 – C-513/03, ECLI:EU:C:2006:131 = Slg. 2006, I-1957 – van Hilten ist ein Verstoß eher zweifelhaft, so Zimmermann/Klinkertz in S/K/K, § 4 AStG Rz. 22. 3 Viskorf in V/S/W6, § 2 ErbStG Rz. 38; Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 7. 4 Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 7, 8; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 80 f. 5 Vgl. Art. 7 OECD-MA (betreffend Nachlässe und Erbschaften); zu den einzelnen DBA im Überblick Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 205 ff.; ferner Rz. 19.499. 6 Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 17.

von Freeden | 405

Kap. 8 Rz. 8.58 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

8.58

Im Hinblick auf diese doppelte Schrankenwirkung spielt die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht in der Praxis keine bedeutende Rolle.

II. Voraussetzungen 8.59

§ 4 Abs. 1 Satz 1 AStG enthält eine Anknüpfung an die Tatbestandsmerkmale des für die erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht maßgebenden § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG. Eine erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht setzt demnach insbesondere Folgendes voraus: – Der Erblasser oder Schenker muss eine natürliche Person (gewesen) sein, die in den letzten zehn Jahren vor der Auswanderung als Deutscher insgesamt mindestens fünf Jahre lang unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war; – der Erblasser oder Schenker muss(te) in einem ausländischen Gebiet ansässig sein, in dem er mit seinem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung von Einkommen (§ 2 Abs. 2 AStG) unterliegt (unterlag); – der Erblasser oder Schenker muss(te) unmittelbar oder mittelbar wesentliche wirtschaftliche Interessen (§ 2 Abs. 3 und 4 AStG) im Inland haben.

8.60

Die tatbestandliche Anknüpfung der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht ausschließlich an die Verhältnisse des Erblassers (Schenkers) ist nicht plausibel. Soll nämlich über § 4 AStG der Auswanderung in Niedrigsteuerländer der Anreiz genommen werden, hätten die in § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG aufgeführten Tatbestandsmerkmale alternativ auch auf den Erwerber bezogen werden müssen. Durch die einseitige Anknüpfung an den Erblasser (Schenker) wird zudem die im Erbschaftsteuergesetz selbst statuierte Sachgesetzlichkeit dahingehend durchbrochen, dass ohne erkennbaren Rechtsgrund von der Doppelanknüpfung Erblasser (Schenker)/ Erwerber abgewichen wird.

8.61

Die für die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen müssen im Zeitpunkt des Erbfalles (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) bzw. der Ausführung der Zuwendung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) erfüllt sein. Die Verweisung in § 4 Abs. 1 AStG auf die zeitraumbezogenen Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG bedeutet, dass der Zeitpunkt des Erbfalles bzw. der Ausführung der Schenkung in einen Zeitraum fallen muss, für den eine erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht eingreift.1

III. Rechtsfolgen 8.62

Von der erweiterten beschränkten Erbschaftsteuerpflicht wird auch das erweiterte Inlandsvermögen erfasst. Hierunter fällt das gesamte Vermögen, dessen Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i.S.d. § 34c Abs. 1 EStG wären (Rz. 6.351 ff.). Da gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 AStG die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht die normal beschränkte Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) voraussetzt, unterliegt erweitertes Inlandsvermögen dem § 4 AStG nur dann, wenn der Erblasser (Schenker) auch Inlandsvermögen i.S.v. § 121 BewG hat(te).2

1 Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 37; Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 80. 2 Kraft in Kraft2, § 4 AStG Rz. 60 f; a.A. Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 46.

406 | von Freeden

D. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht | Rz. 8.65 Kap. 8

Über das Inlandsvermögen gem. § 121 BewG hinaus wird daher noch das folgende erweiterte Inlandsvermögen erfasst:1

8.63

1. Kapitalforderungen gegen Schuldner im Inland; 2. Spareinlagen und Bankguthaben bei Geldinstituten im Inland; 3. Aktien und Anteile an Kapitalgesellschaften, Investmentfonds und offenen Immobilienfonds sowie Geschäftsguthaben bei Genossenschaften im Inland; 4. Ansprüche auf Renten und andere wiederkehrende Leistungen gegen Schuldner im Inland sowie Nießbrauchs- und Nutzungsrechte an Vermögensgegenständen im Inland; 5. Erfindungen und Urheberrechte, die im Inland verwertet werden; 6. Versicherungsansprüche gegen Versicherungsunternehmen im Inland; 7. bewegliche Wirtschaftsgüter, die sich im Inland befinden; 8. Vermögen, dessen Erträge nach § 5 AStG der erweiterten beschränkten Steuerpflicht unterliegen; 9. Vermögen, das nach § 15 AStG dem erweitert beschränkt Steuerpflichtigen zuzurechnen ist. § 4 AStG enthält zwar keine Regelungen über die Bemessungsgrundlage, Wertermittlung, Steuerbefreiungen usw.; aus dem Charakter der erweiterten beschränkten Steuerpflicht als Ergänzung zur normal beschränkten Erbschaftsteuerpflicht folgt aber, dass alle für die beschränkte Erbschaftsteuerpflicht geltenden Vorschriften auch im Rahmen der erweiterten beschränkten Erbschaftsteuerpflicht zur Anwendung kommen.2 Das bedeutet, dass in Anwendung des § 10 Abs. 6 Satz 2 ErbStG Schulden und Lasten nur insoweit abzugsfähig sind, als sie mit den der erweiterten beschränkten Erbschaftsteuerpflicht unterliegenden Vermögensgegenständen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Kommt es infolge des Abzugs von Schulden und Lasten zu einem negativen erweiterten Inlandsvermögen, so ist ein Ausgleich mit positivem Inlandsvermögen i.S.v. § 121 BewG möglich. Diese Verrechnungsmöglichkeit gilt auch für den Fall, dass das erweiterte Inlandsvermögen positiv und das übrige Inlandsvermögen (§ 121 BewG) negativ ist.3 Auch für die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht nach § 4 AStG besteht das Antragsrecht nach § 2 Abs. 3 ErbStG.4

8.64

IV. Zurechnung bei zwischengeschalteten Auslandsgesellschaften § 5 AStG erfasst als Ergänzung zu § 4 AStG auch jene Fälle, in denen bei erweiterter beschränkter Erbschaftsteuerpflicht der Erblasser (Schenker) seine wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen nicht unmittelbar, sondern mittelbar über zwischengeschaltete Auslandsgesellschaften hielt (hält). In diesem Fall ist das erweiterte Inlandsvermögen der zwischen-

1 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3, Tz. 4.1.1. 2 Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 7. 3 Kraft in Kraft2, § 4 AStG Rz. 83; Zimmermann/Klinkertz in S/K/K, § 4 AStG Rz. 37; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3, Tz. 4.1.2 Satz 2. 4 Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 15.3.2012 – S 3801, BStBl. I 2012, 328, Tz. 1.

von Freeden | 407

8.65

Kap. 8 Rz. 8.65 | Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer

geschalteten Auslandsgesellschaft im Ergebnis wie eigenes Vermögen (Betriebsvermögen) des Erblassers (Schenkers) zu behandeln.1

V. Niedrigbesteuerung 8.66

Die erweiterte beschränkte Erbschaftsteuerpflicht greift dann nicht ein, wenn der Erwerb, soweit er nach § 4 AStG über § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG hinaus erbschaftsteuerpflichtig wäre, im Ausland mit einer der deutschen Erbschaftsteuer entsprechenden Steuer belegt worden ist, die mindestens 30 % der nach § 4 Abs. 1 ErbStG anfallenden Erbschaftsteuer beträgt (§ 4 Abs. 2 AStG). Dass eine Niedrigbesteuerung nicht vorliegt, obliegt der Beweislast des Steuerpflichtigen. Der entsprechende Gegenbeweis bezieht sich nur auf die auf dem erweiterten Inlandsvermögen lastende ausländische Erbschaftsteuer.2

1 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3, Tz. 5.1.2; Einzelheiten hierzu bei Schönfeld in F/W/B/S, § 5 AStG Rz. 201. 2 Vgl. zu Einzelheiten der Belastungsberechnung Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 96 ff.; Kraft in Kraft2, § 4 AStG Rz. 110 ff.

408 | von Freeden

Kapitel 9 Gewerbesteuer

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuersubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewerbeertrag und Gewerbesteuermessbetrag I. Gewinn aus Gewerbebetrieb . . . . . . .

A. B. C. D.

9.1 9.3 9.11

II. III. E. F.

Hinzurechnungen . . . . . . . . . . . . . . . 9.13 Kürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.14 Höhe der Gewerbesteuer . . . . . . . . . 9.14a Pauschbetragsfestsetzung . . . . . . . . 9.15

9.12

Literatur: Kommentare zu §§ 2; 8; 9 GewStG; Adrian, Gewerbesteuerliche Behandlung von Dividenden bei Organschaft, BB 2015, 1113; Behrens, Keine sog. Organschaft über die Grenze aufgrund des DBA-Diskriminierungsverbots, BB 2012, 485; Burmester, Begriff und Funktion des Steuergutes im Steuerrecht, StuW 1993, 221; Ernst, Das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg – Irrungen und Wirrungen in nationalen und grenzüberschreitenden Konstellationen, Ubg 2010, 494; Fritsch, Volle „Schachtelprivilegierung“ im gewerbesteuerrechtlichen Organkreis infolge sog. Bruttomethode, SteuK 2015, 238; Geils/Haase, Bankentgelte im Lichte der Gewerbesteuer und der Zinsschranke, DStR 2016, 273; Glaser, Die Zukunft der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Zinszahlungen im unionsrechtlichen Spannungsfeld von Grundfreiheiten und GKKB, FR 2011, 981; Haverkamp, Betriebsaufspaltung über die Grenze – Ein Steuersparmodell?, IStR 2008, 165; Höring, Hinzurechnung eines negativen Aktiengewinns gem. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG ohne Saldierung mit positiven Aktiengewinnen, DStZ 2016, 512; Jochimsen/Zinowsky, DBA-Schachtelprivileg und Gewerbesteuer im Organschaftsfall, DStR 2015, 1999; Kohlhaas, Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen gem. § 8 Nr. 1e GewStG bei kurzfristiger Anmietung? Anmerkung zum Urteil des Nds. FG v. 26.5.2011 – 10 K 290/10, FR 2011, 800; Kollruss, Gewerbesteuerliche Kürzung bei Ausschüttungen ausländischer Gesellschaften – Grundlegende Dogmatik und Folgerungen, IStR 2021, 34; Leidel/Conrady, Anwendungsschreiben der Finanzverwaltung zum steuerlichen Optionsmodell für Personengesellschaften, BB 2022, 663; Lieber/Wagner, InboundInvestitionen in deutsches Immobilienvermögen aus steuerlicher Sicht, Ubg 2012, 229; Lieber, Volle Schachtelprivilegierung im gewerbesteuerrechtlichen Organkreis infolge sog. Bruttomethode, jurisPRSteuerR 23/2015 Anm. 5; Märtens, Negative Hinzurechnung der Verlustübernahme eines stillen Gesellschafters, jurisPR-SteuerR 25/2016 Anm. 5; Micker, Die Anrechnung ausländischer Steuer auf die Gewerbesteuer, ISR 2021, 428; Osten, Die gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Aufwand bei echtem Factoring und Forfaiting ist verfassungswidrig, DStR 2016, 1145; Petrak/Karrenbrock: BVerfG v. 15.2.2016: Unzulässigkeit der Vorlage des FG Hamburg bezüglich der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Zinsen, Mieten und Pachten – Roma locuta – causa finita?, DStR 2016, 1790; Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, 2013; Rödder/Schumacher, Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz: Wesentliche Änderungen des verkündeten Gesetzes gegenüber dem Regierungsentwurf, DStR 2002, 105; Ruf, Die Betriebsaufspaltung über die Grenze, IStR 2006, 232; Scheffler, Gewerbesteuer: Hinzurechnungsbesteuerung, grenzüberschreitende Verlustverrechnung und Betriebsstättenbegriff: Gewerbesteuer erschwert eine Problemlösung, ISR 2017, 63; Schnädter, Die grundlegenden Wertungen des Gewerbesteuerrechts, Frankfurt/M. 1996; Schiffers, Negative Hinzurechnung der Verlustübernahme eines stillen Gesellschafters, DStZ 2016, 509; Schmidt/Boller, Gewerbesteuerfalle – Streubesitzbeteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften, PIStB 2008, 270; Schnädter, Die Belastungen durch die Gewerbesteuer und Möglichkeiten, sie zu vermeiden – Zugleich ein systematischer Überblick über das Gewerbesteuerrecht, BB 1988, 313; Schwetlik, Schachtelstrafe im Organkreis, EStB 2015, 195; Spek/Schumacher, Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer – jetzt auch in der Praxis!?, Ubg 2021, 340-346; Thomer/Hölkemeier/Lucks, Anwendung der erweiterten Gewerbesteuerkürzung auf Grundstücksunternehmen bei Veräußerung einer vermieteten Immobilie

von Freeden | 409

Kap. 9 Rz. 9.1 | Gewerbesteuer mitsamt der mitvermieteten Betriebsvorrichtung aufgrund der Neuregelung des § 9 Nr. 1 S. 3 GewStG, BB 2021, 2455; Tietze, Sanierungsgewinn und Gewerbesteuer, DStR 2016, 1306; Weiss, Gewerbesteuerlicher Verlustabzug bei Einbringung eines inländischen Betriebsstättenvermögens – Zugleich Anmerkung zum Urteil des FG Köln v. 27.10.2021 – 3 K 2815/16, IStR 2022, 301; Wendt, Zur Vereinbarkeit der Gewerbesteuer mit dem Gleichheitssatz und dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, BB 1987, 1257; Zitzelsberger, Grundlagen der Gewerbesteuer, Köln 1990.

A. Einleitung 9.1

Nach der ursprünglichen Konzeption des Gesetzgebers1 beruht die Erhebung der Gewerbesteuer auf dem sog. Äquivalenzprinzip. Danach soll die Gewerbesteuer zur Minderung der finanziellen Lasten der Gemeinde beitragen, die ihr durch Gewerbebetriebe unmittelbar oder mittelbar entstehen.2 Aus diesem dem Gewerbesteuergesetz zugrunde liegenden Äquivalenzprinzip3 folgt die örtliche Anknüpfung an das Gebiet einer bestimmten (inländischen) Gemeinde, in der ein Gewerbebetrieb unterhalten wird (§§ 4 und 35a Abs. 3 GewStG).4 Da nur inländische Gemeinden begünstigt sind, beschränkt sich die Gewerbesteuer auf das Inland.5 Im Gegensatz zur Einkommen-, Körperschaft- und Erbschaftsteuer verwirklicht damit die Gewerbesteuer als Objektsteuer6 weitgehend das Territorialitätsprinzip. Im Hinblick darauf nimmt das Gewerbesteuergesetz grundsätzlich auch keine Differenzierung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht vor.7

9.2

Da aufgrund ihres Objektsteuercharakters im Rahmen der Gewerbesteuer die persönliche Leistungsfähigkeit weitgehend außer Betracht bleibt,8 steht im Gewerbesteuergesetz das Steuerobjekt im Vordergrund. Das Steuersubjekt bezeichnet lediglich denjenigen, der die Gewerbesteuer zu entrichten hat.9

1 Vgl. Begründung zum Gewerbesteuergesetz 1936, RStBl. 1937, 696; ferner BT-Drucks. VI/3418, 51; zu Einzelheiten Zitzelsberger, Grundlagen der Gewerbesteuer, 146 ff. 2 Erschließung von Baugelände, Schaffung von Verkehrsflächen und Parkplätzen, Finanzierung des Nahverkehrs, von Feuerschutz, Schulen, Krankenhäusern, Sport- und Erholungsstätten, kulturellen Einrichtungen. 3 BVerfG v. 13.5.1969 – 1 BvR 25/65, BVerfGE 26, 1; BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; vgl. zur Kritik Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 1132 ff.; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 1 GewStG Rz. 11; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 12.3 m.w.N.; Wendt, BB 1987, 1257 ff.; Jochum, StuB 2005, 254 ff. 4 Ausnahme: § 7 Sätze 7 und 8 GewStG i.d.F. des AHRL-ÄndUmsG, wonach ausländische niedrig besteuerte Betriebsstättengewinne aus passivem Erwerb als inländische Betriebsstättengewinne fingiert werden. 5 Zur Inlandsbesteuerung im Einzelnen Keß in L/S, § 2 GewStG Rz. 21, 2820 ff. 6 Güroff in Glanegger/Güroff10, § 1 GewStG Rz. 14; Sarrazin in L/S, § 1 GewStG Rz. 8f.; Einzelheiten bei Zitzelsberger, Grundlagen der Gewerbesteuer, 106 ff. 7 Ausnahme: § 2 Abs. 6 GewStG. 8 Hierzu im Einzelnen Zitzelsberger, Grundlagen der Gewerbesteuer, 159 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 1155 f. 9 Sarrazin in L/S, § 2 GewStG Rz. 30f.; vgl. zu den Begriffen Steuersubjekt und Steuerobjekt Seer in Tipke/Lang24, Rz. 6.30 ff.

410 | von Freeden

B. Steuerobjekt | Rz. 9.8 Kap. 9

B. Steuerobjekt Obwohl die Gewerbesteuer vor allem die Erträge von gewerblichen Unternehmen als Besteuerungsgut1 erfasst, ist Steuerobjekt das gewerbliche Unternehmen, der Gewerbebetrieb2 selbst. Betroffen sind daher lediglich der stehende Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG) und der Reisegewerbebetrieb (§ 35a GewStG), soweit sie im Inland betrieben werden.

9.3

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ist unter einem Gewerbebetrieb ein gewerbliches Unternehmen i.S.d. Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Hierdurch sind rechtsformunabhängige Gewerbebetriebe angesprochen, für die die allgemeine Legaldefinition des § 15 Abs. 2 EStG einschlägig ist.3 Darüber hinaus werden aber auch die nur teilweise gewerblich tätigen Personengesellschaften (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) und die gewerblich geprägten Personengesellschaften (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) erfasst. Deren Einkünfte unterliegen stets in vollem Umfang der Gewerbesteuer.

9.4

Von § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG werden neben den Personengesellschaften deutschen Rechts auch Personengesellschaften ausländischen Rechts erfasst, soweit sie im Inland eine Betriebsstätte unterhalten und in ihrer rechtlichen Grundstruktur einer Personengesellschaft inländischen Rechts entsprechen.4

9.5

Für die rechtsformabhängigen Gewerbebetriebe findet § 2 Abs. 2 GewStG Anwendung, wonach als Gewerbebetriebe stets und in vollem Umfang die Tätigkeiten der dort näher bezeichneten Kapitalgesellschaften gelten. Die optierte (Personen-)Gesellschaft (§ 1a KStG) und ihre Gesellschafter werden gewerbesteuerlich wie eine Kapitalgesellschaft bzw. die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft behandelt (§ 2 Abs. 8 GewStG). Zu den rechtsformabhängigen Gewerbebetrieben gehören gem. § 2 Abs. 3 GewStG auch sonstige juristische Personen des privaten Rechts und nichtrechtsfähige Vereinigungen, soweit sie einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten.

9.6

Als rechtsformabhängige Gewerbebetriebe typisiert § 2 Abs. 2 GewStG die Tätigkeit von Kapitalgesellschaften, wobei ebenso wie durch § 1 Abs. 1 KStG auch Kapitalgesellschaften ausländischen Rechts erfasst werden.5

9.7

Ein Gewerbebetrieb wird im Inland betrieben, soweit für ihn im Inland oder auf einem in einem inländischen Schiffsregister eingetragenen Kauffahrteischiff eine (gewerbliche) Betriebsstätte6 unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Ob im Rahmen der inländischen Betriebsstätte eine gewerbliche Tätigkeit ausgeübt wird, beurteilt sich unter Einbeziehung der im Ausland verwirklichten Tätigkeitsmerkmale. Die isolierende Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2

9.8

1 Zum Begriff Seer in Tipke/Lang24, Rz. 6.36; Burmester, StuW 1993, 221 ff. 2 § 2 Abs. 1 und § 35a GewStG. 3 Güroff in Glanegger/Güroff10, § 2 GewStG Rz. 7; Drüen in Brandis/Heuermann, § 2 GewStG Rz. 76. 4 RFH v. 4.4.1939, RStBl. 1939, 854; BFH v. 28.3.1979 – I R 81/76, BStBl. II 1979, 447; v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 2 GewStG Rz. 26; vgl. zu dem erforderlichen Typenvergleich Rz. 7.7. 5 Vgl. den Klammerzusatz in § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG „insbesondere …“; BFH v. 28.3.1979 – I R 81/76, BStBl. II 1979, 447; v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 2 GewStG Rz. 466; Keß in L/S, § 2 GewStG Rz. 3005; Drüen in Brandis/Heuermann, § 2 GewStG Rz. 120; vgl. im Übrigen Rz. 7.7. 6 § 12 AO; ein ständiger Vertreter (§ 13 AO) reicht also nicht aus.

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Kap. 9 Rz. 9.8 | Gewerbesteuer

EStG) gilt im Gewerbesteuerrecht nicht.1 Die Gewerblichkeit kann auch aufgrund einer grenzüberschreitenden Betriebsaufspaltung begründet werden.2 Der Gewerbesteuer unterliegen derartige gewerbliche Einkünfte nur dann, wenn für den Gewerbebetrieb, etwa für das ausländische Besitz- oder Betriebsunternehmen, im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird.3

9.9

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG gilt im Falle einer Organschaft die Organgesellschaft als Betriebsstätte des Organträgers. Voraussetzung ist, dass die für die körperschaftsteuerliche Organschaft maßgeblichen Merkmale (§§ 14, 17 KStG) gegeben sind. Ein Gewinnabführungsvertrag ist daher für die Anerkennung einer gewerbesteuerlichen Organschaft erforderlich. Eine gewerbesteuerliche Organschaft ist unter den vorgenannten Voraussetzungen somit auch mit einem ausländischen Organträger möglich, wenn der Organträger über eine Betriebsstätte im Inland verfügt (die körperschaftsteuerlichen Voraussetzungen für eine [grenzüberschreitende] Organschaft gelten entsprechend, Rz. 7.14 ff.). Organgesellschaft kann eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem EU- oder EWR-Staat sein, deren Geschäftsleitung im Inland ist (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG, Rz. 7.14).4

9.10

Ebenso wie das Einkommensteuergesetz enthält auch das Gewerbesteuergesetz keinen eigenständigen Inlandsbegriff. § 2 Abs. 7 GewStG entspricht dem § 1 Abs. 1 Satz 2 EStG und erschöpft sich darin, unter den dort näher beschriebenen Voraussetzungen die Deutschland zustehenden Anteile am Festlandsockel und an der ausschließlichen Wirtschaftszone dem Inland zuzuordnen, um diese sodann gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 GewStG zu gemeindefreien Gebieten zu erklären.

C. Steuersubjekt 9.11

Steuersubjekt (Steuerschuldner) ist der Unternehmer, für dessen Rechnung ein Gewerbe tatsächlich betrieben wird (§ 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewStG). Ist die Tätigkeit einer Personengesellschaft ein Gewerbebetrieb, so ist Steuerschuldnerin die Gesellschaft (§ 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Ob der Unternehmer im Inland oder Ausland ansässig ist, spielt keine Rolle. Soweit der maßgebliche Unternehmer eine juristische Person ist, kommt es auch nicht darauf an, ob diese nach inländischem oder nach ausländischem Recht errichtet worden ist.5 Wird das Gewerbe in der Rechtsform einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) mit Sitz im Gemeinschaftsgebiet betrieben, sind deren Mitglieder6 Gesamtschuldner (§ 5 Abs. 1 Satz 4 GewStG).

1 BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983 77; Drüen in Brandis/Heuermann, § 2 GewStG Rz. 120; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 2 GewStG Rz. 466. 2 Nöcker in L/S, § 2 GewStG Rz. 1271; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 2 GewStG Rz. 375; zu weiteren Einzelheiten Ruf, IStR 2006, 232 ff.; Haverkamp, IStR 2008, 165 ff. 3 Nöcker in L/S, § 2 GewStG Rz. 1271; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 2 GewStG Rz. 375. 4 Güroff in Glanegger/Güroff10, § 2 GewStG Rz. 498. 5 Vgl. zu entsprechenden Qualifikationsfragen im Körperschaftsteuerrecht Rz. 7.7. 6 Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 v. 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), ABl. EG Nr. L 199 v. 31.7.1985, 1 (EWIV-VO).

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D. Gewerbeertrag und Gewerbesteuermessbetrag | Rz. 9.12 Kap. 9

D. Gewerbeertrag und Gewerbesteuermessbetrag I. Gewinn aus Gewerbebetrieb Grundlage für die Ermittlung der Gewerbesteuer ist der Gewerbeertrag (§ 7 GewStG) zuzüglich Hinzurechnungen (§ 8 GewStG) und abzüglich Kürzungen (§ 9 GewStG). Erste Stufe für die Berechnung des Gewerbeertrags ist der nach den Vorschriften des Einkommensteuer-/ Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb (§ 7 GewStG). Eine besondere Entstrickungsbesteuerung existiert nicht, so dass eine isolierte gewerbesteuerliche Entstrickung keine Auswirkungen auf den Gewerbeertrag hat.1 Eine Verrechnungspreiskorrektur nach § 1 AStG schlägt über § 7 GewStG auf den Gewerbeertrag ebenso durch2 wie Betriebsausgabenabzugsverbote (z.B. Abzugsverbot für Sonderbetriebsausgaben gem. § 4i EStG, Aufwendungen für Rechteüberlassung gem. § 4j EStG, Abzugsbeschränkung bei Besteuerungsinkongruenz gem. § 4k EStG). § 7 GewStG enthält einige für die Ermittlung des Gewerbeertrags maßgebliche international-steuerliche Modifikationen: – § 50d Abs. 10 EStG ist bei der Ermittlung des Gewerbeertrags entsprechend anzuwenden (§ 7 Satz 6 GewStG; Rz. 21.120 f.). Dies hat zur Folge, dass Sondervergütungen, soweit abkommensrechtlich keine ausdrückliche Regelung gegeben ist, als Unternehmensgewinne zu qualifizieren sind mit der Folge, dass diese insoweit auch in den Gewerbeertrag einzubeziehen sind. – Ein Hinzurechnungsbetrag nach § 10 AStG (Rz. 13.182 ff.) ist bei der Ermittlung des Gewerbeertrags als Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte zu berücksichtigen (§ 7 Satz 7 GewStG3). Bei der Regelung handelt es sich um ein „Nichtanwendungsgesetz“ hinsichtlich der Entscheidung des BFH vom 11.3.2015.4 Der BFH hatte entschieden, dass der Hinzurechnungsbetrag zum Gewinn des Gewerbebetriebs gehört, allerdings der ausländischen Betriebsstätte zuzurechnen ist. Danach war der Betrag nach § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG zu kürzen (Rz. 9.14). Die Gesetzesergänzung schließt diese Sichtweise aus. – Einkünfte aus einer niedrig besteuerten Betriebsstätte nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG (Rz. 19.518, 19.544) werden unter Durchbrechung des Territorialprinzips in die Ermittlung des Gewerbeertrags einbezogen (§ 7 Satz 8 GewStG5). Diese Einkünfte sollen als in einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen erzielt gelten. Damit werden Fälle erfasst, in denen der Steuerpflichtige Zwischeneinkünfte nicht über eine ausländische Zwischengesellschaft, sondern unmittelbar über eine ausländische Betriebsstätte erzielt, und die Zwischeneinkünfte im Inland einer Besteuerung unterlägen, wenn sie über eine Zwischengesellschaft erzielt würden. Diese Fiktion gilt unabhängig davon, ob die Betriebsstätte in einem Staat liegt, mit dem ein DBA abgeschlossen ist oder nicht, oder das DBA unmittelbar die Anrechnungsmethode statt der Freistellungmethode anordnet. Die Einkünfte werden ausnahmsweise nicht einbezogen, wenn eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit nachgewiesen werden kann (§ 7 Satz 9 GewStG i.V.m. § 8 Abs. 2 AStG). Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um eine EU- oder EWR-Betriebsstätte handelt (§ 7 Satz 9 GewStG i.V.m. § 8 Abs. 3 AStG) sowie, dass der Betriebsstättenstaat im Wege des zwischenstaatlichen Infor-

1 Von Freeden in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 18.5. 2 Badetz in Hallerbach/Nacke/Rehfeld, § 7 GewStG Rz. 98; Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 65; Selder in Glanegger/Güroff10, § 7 GewStG Rz. 12. 3 In der Fassung des AHRL-ÄndUmsG mit Wirkung ab 2017. 4 BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1049. 5 In der Fassung des AHRL-ÄndUmsG mit Wirkung ab 2017.

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9.12

Kap. 9 Rz. 9.12 | Gewerbesteuer

mationsaustausches Auskünfte erteilt, die zur Durchführung der Besteuerung erforderlich sind (§ 7 Satz 9 GewStG i.V.m. § 8 Abs. 4 AStG).

II. Hinzurechnungen 9.13

Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb werden die folgenden in § 8 GewStG genannten Beträge hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt sind: – Finanzierungsaufwendungen (§ 8 Nr. 1 GewStG). Aufwendungen für Kredit- und Darlehenszinsen (Buchst. a)1, Renten und dauernde Lasten (Buchst. b)2, Gewinnanteile eines stillen Gesellschafters (Buchst. c)3, (anteilig) Miet- und Pachtzinsen4 (auch bei kurzfristiger Anmietung5 und Zurückvermietung6) sowie Leasingraten für bewegliche und unbewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (Buchst. d und e)7 und (anteilig) bestimmte Lizenzzahlungen8 (Buchst. f) erhöhen den Gewerbeertrag nach Maßgabe von § 8 Nr. 1 GewStG. Dies gilt auch, wenn sich der Sitz des Empfängers im Ausland befindet, also eine grenzüberschreitende Zahlung vorliegt. Die Ausnahmeregelung, wonach eine Hinzurechnung von Finanzierungsaufwendungen beim inländischen Gewerbebetrieb unterbleibt, wenn zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner eine gewerbesteuerliche Organschaft besteht,9 ist in einem grenzüberschreitenden Sachverhalt nicht nutzbar, da eine „echte“ grenzüberschreitende Organschaft (mit zwischenstaatlicher Ergebnisverrechnung) nach bestehendem Recht nicht darstellbar ist (Rz. 7.14 ff.). – Gewinne eines persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (§ 8 Nr. 4 GewStG). Der Gewinnanteil, der von einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) an einen persönlich haftenden Gesellschafter gezahlt wird, mindert ihren körperschaftsteuerlichen (und gewerbesteuerlichen) Gewinn (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG i.V.m. § 7 Satz 1 GewStG). – Dividenden (§ 8 Nr. 5 GewStG). Der nach § 3 Nr. 40 EStG oder § 8b Abs. 1 KStG steuerfreie Teil einer Dividende ist dem Gewinn hinzuzurechnen. Das Teileinkünfteverfahren und § 8b KStG schlagen somit nicht auf die Besteuerung einer Gewinn- bzw. Dividendenausschüttung mit Gewerbesteuer durch, es sei denn, die Voraussetzungen des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs (§ 9 Nr. 2a, 7 GewStG) sind erfüllt (im Einzelnen Rz. 18.221 ff.).

1 Vgl. R 8.1 Abs. 1 GewStR 2009. Die Hinzurechnung ist kein Verstoß gegen die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie oder die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit, BFH v. 7.12.2011 – I R 30/08, DStR 2012, 509; vgl. dazu Glaser, FR 2011, 981. 2 Vgl. R 8.1 Abs. 2 GewStR 2009. 3 Vgl. R 8.1 Abs. 3 GewStR 2009. 4 Vgl. R 8.1 Abs. 4 GewStR 2009. Nach Auffassung des FG Hamburg ist die Hinzurechnung bestimmter Finanzierungentgelte sowie von Miet- und Pachtzinsen aufgrund eines Verstoßes gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip verfassungswidrig; durch Beschluss des BVerfG v. 15.2.2016 – 1 BvL 8/12 wurde die Unzulässigkeit der entsprechenden Vorlage (Vorlagebeschluss v. 29.2.2012 – 1 K 138/10, BB 2012, 737) festgestellt. 5 FG Nds. v. 26.5.2011 – 10 K 290/10, EFG 2011, 2101 (Az. des BFH: IV R 24/11); Kohlhaas, FR 2011, 800. 6 BFH v. 4.6.2014 – I R 70/12, BStBl. II 2015, 289. 7 Miet- und Pachtzinsen für Elektro- und Hybridfahrzeuge sind nur hälftig hinzuzurechnen, § 8 Nr. 1 Buchst. d GewStG. 8 Vgl. R 8.1 Abs. 5 GewStR 2009. 9 R 7.1 Abs. 5 Satz 3 GewStR 2009.

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D. Gewerbeertrag und Gewerbesteuermessbetrag | Rz. 9.14 Kap. 9

– Verluste aus einer Mitunternehmerschaft (§ 8 Nr. 8 GewStG). Der Verlust aus der Beteiligung des Gewerbebetriebs an einer Mitunternehmerschaft, der den Gewinn des Gewerbebetriebs gemindert hat, ist dem Gewinn wieder hinzuzurechnen.1 Die Regelung erfasst auch Beteiligungen an ausländischen Mitunternehmerschaften. Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen sowie Pensionsfonds sind nicht vom Anwendungsbereich der Regelung umfasst (§ 8 Nr. 8 Satz 2). – Spenden und Mitgliedsbeiträge (§ 8 Nr. 9 GewStG). Bestimmte Spenden und Mitgliedsbeiträge2 sind dem Gewerbebetrieb hinzuzurechnen. Die Regelung dient der Gleichstellung von Körperschaften mit Gewerbebetrieben, natürlichen Personen oder Personengesellschaften.3 – Ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibungen (§ 8 Nr. 10 GewStG). Der Aufwand aus einer Teilwertabschreibung auf eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist hinzuzurechnen,4 wenn die Transaktion auf eine Gewinnausschüttung oder -abführung der Kapitalgesellschaft zurückzuführen ist, die in den Anwendungsbereich des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs (§ 9 Nr. 2a, Nr. 7 oder Nr. 8 GewStG) fällt.5 Die Regelung erfasst auch eine Beteiligung an ausländischen Kapitalgesellschaften. Entsprechendes gilt für den Aufwand aus einer Veräußerung oder Entnahme der Beteiligung, aus einer Auflösung der Kapitalgesellschaft oder einer Herabsetzung ihres Kapitals. – Ausländische Steuern (§ 8 Nr. 12 GewStG). Nach § 34c Abs. 2 EStG sind ausländische Steuern, die auf ausländische Einkünfte entfallen, auf Antrag bei der Einkünfteermittlung abzuziehen. Wenn die Steuer nicht der deutschen Einkommensteuer entspricht oder nicht in dem Staat erhoben wird, aus dem die Einkünfte stammen, kommt ein Steuerabzug nach § 34c Abs. 3 EStG in Betracht. Sofern die abgezogene ausländische Steuer auf Gewinne entfällt, die bei der Ermittlung des Gewerbeertrags außer Ansatz gelassen oder nach § 9 GewStG gekürzt worden sind, ist sie für Gewerbesteuerzwecke hinzuzurechnen. § 8 Nr. 12 GewStG verhindert somit, dass die auf einen steuerfreien Gewinn entfallende ausländische Steuer zu einer Minderung des Gewerbeertrags führt.6

III. Kürzungen Von der Summe aus Gewinn und Hinzurechnungen sind folgende Beträge nach § 9 GewStG zu kürzen: – Einheitswert des Grundbesitzes (§ 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG). Nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG ist der Gewinn um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehörenden und nicht von der Grundsteuer befreiten Grundbesitzes zu kürzen (Bemessungsgrundlage sind 140 % des auf den Wertverhältnissen vom 1.1.1964 beruhenden Einheitswerts, § 121a BewG).

1 2 3 4

Vgl. R 8.4 GewStR 2009. Vgl. R 8.5 GewStR 2009. Güroff in Glanegger/Güroff10, § 8 Nr. 9 GewStG Rz. 1; Kratzsch in L/S, § 8 Nr. 9 GewStG Rz. 5. Sofern die Transaktion bereits nach § 8b Abs. 3 KStG keine Gewinnminderung beim Steuerpflichtigen zur Folge hat, findet § 8 Nr. 10 GewStG keine Anwendung. 5 Vgl. R 8.6 GewStR 2009. 6 Vgl. BT-Drucks. 12/1108, 69.

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9.14

Kap. 9 Rz. 9.14 | Gewerbesteuer

– Erweiterte Kürzung für Grundbesitz (§ 9 Nr. 1 Sätze 2–6 GewStG). Bei einem gewerblichen Unternehmen, das ausschließlich1 eigenen Grundbesitz2 verwaltet und nutzt, ist bei der Ermittlung des Gewerbeertrags der auf die Verwaltung und Nutzung entfallende Gewinn zu kürzen.3 Dadurch kann bei einem Immobilienunternehmen die Belastung mit Gewerbesteuer vermieden werden. In der Besteuerungspraxis empfiehlt es sich zu prüfen, ob für eine Investition in Grundbesitz statt eines deutschen Immobilienunternehmens mit inländischem Gewerbebetrieb (und „komplizierter“ Anwendung des § 9 Nr. 1 Sätze 2 bis 6 GewStG) auch die Nutzung einer ausländischen Gesellschaft ohne inländischen Gewerbebetrieb (und somit ohne Gewerbesteuerbelastung) in Betracht kommt. Gewinne aus einer Mitunternehmerschaft (§ 9 Nr. 2 GewStG).4 Der Gewinn aus einer Beteiligung an einer in- oder ausländischen Mitunternehmerschaft erhöht den Gewerbeertrag des Mitunternehmers. Um eine zweifache Besteuerung dieses Gewinnanteils bei der Mitunternehmerschaft und beim Gesellschafter zu vermeiden, ist der Gewinnanteil bei der Ermittlung des Gewerbeertrags des Gesellschafters zu kürzen, es sei denn, es handelt sich um niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG (§ 9 Nr. 2 Satz 2 GewStG i.V.m. § 7 Sätze 7, 8 GewStG).5 Die Vorschrift findet allerdings keine Anwendung, wenn der Gewinnanteil aus einer ausländischen Mitunternehmerschaft (mit ausländischer Betriebsstätte) bereits nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung aus der deutschen Bemessungsgrundlage auszuscheiden ist (vgl. Art. 7 OECD-MA). – Gewinne aus inländischen Kapitalgesellschaften (§ 9 Nr. 2a GewStG). Die Ausschüttung aus einer Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft erhöht den gewerbesteuerpflichtigen Gewinn nicht, wenn die Voraussetzungen einer Schachtelbeteiligung nach § 9 Nr. 2a GewStG vorliegen (im Einzelnen Rz. 18.232 ff.).6 Die Kürzung gilt allerdings nicht hinsichtlich der nicht abziehbaren Betriebsausgaben, die im Zusammenhang mit der Dividende stehen (z.B. nicht abziehbare Betriebsausgabe nach § 8b Abs. 5 KStG), so dass es insoweit bei einer Gewerbesteuerbelastung bleibt. Durch § 7a GewStG7 soll bestimmt werden, dass es insoweit auch bei einer „Nicht-Kürzung“ bleibt, wenn die Kapitalgesellschaft, an die eine Dividende ausgeschüttet wird, Organgesellschaft ist. Die Regelung stellt somit ein „Nichtanwendungsgesetz“ hinsichtlich der Entscheidung des BFH vom 17.12.20148 dar. Das Gericht hatte entschieden, dass es bei Bezug einer Schachteldividende über eine Organgesellschaft im Organkreis nicht zur Anwendung von § 8b Abs. 5 KStG kommt.

1 Neben der Verwaltung eigenen Grundbesitzes sind bestimmte Tätigkeiten bzw. Einnahmen bei Einhaltung bestimmter Grenzen unschädlich. Dies sind die Errichtung und Veräußerung von Eigentumswohnungen, die Erzielung von Einnahmen aus der Lieferung von Strom im Zusammenhang mit dem Betrieb von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (§ 3 Nr. 21 EEG) oder aus dem Betrieb von Ladestationen für Elektrofahrzeuge und -fahrrädernahmen und Einnahmen aus anderen unmittelbaren Vertragsbeziehungen mit den Mietern des Grundbesitzes. 2 Zum Begriff des eigenen Grundbesitzes, vgl. H 9.2 Abs. 2 GewStR 2009 unter „Eigener Grundbesitz“. 3 Vgl. R 9.2 GewStR 2009. 4 Die Vorschrift gilt nicht für Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen sowie Pensionsfonds (§ 9 Nr. 2 Satz 3 GewStG). 5 In der Fassung des AHRL-ÄndUmsG mit Wirkung ab 2017. 6 Vgl. R 9.3 GewStR 2009. Für Fallbeispiele zur Anwendung der Vorschrift bei Umwandlungen, Ernst, Ubg 2010, 494. 7 In der Fassung des AHRL-ÄndUmsG mit Wirkung ab 2017. 8 BFH v. 17.12.2014 – I R 39/14, BStBl. II 2015, 1052.

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D. Gewerbeertrag und Gewerbesteuermessbetrag | Rz. 9.14 Kap. 9

– Gewinne eines persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (§ 9 Nr. 2b GewStG). Der auf einen persönlich haftenden Gesellschafter entfallende Gewinn einer Kommanditgesellschaft auf Aktien erhöht den Gewerbeertrag des persönlich haftenden Gesellschafters, wenn dieser selbst einen Gewerbebetrieb unterhält (sofern keine Gewerbesteuerpflicht besteht, findet die Vorschrift keine Anwendung1). Durch eine Kürzung nach § 9 Nr. 2b GewStG wird eine Doppelbesteuerung vermieden. – Gewinne aus ausländischer Betriebsstätte (§ 9 Nr. 3 GewStG). Der Gewinn eines inländischen Gewerbebetriebs, der auf eine ausländische Betriebsstätte2 entfällt, ist nicht Gegenstand der Gewerbesteuer.3 Da ausländische Betriebsstättengewinne4 nach der Formulierung des § 7 GewStG Gegenstand der Bemessungsgrundlage wären, soll die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 3 GewStG erforderlich sein. Die Vorschrift „läuft leer“, wenn der Gewinn bereits nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung aus der Bemessungsgrundlage auszuscheiden ist. Bei Vorliegen eines Betriebsstättenverlusts ist der Verlust bei der Ermittlung des Gewerbeertrags hinzuzurechnen.5 – Spenden und Mitgliedsbeiträge (§ 9 Nr. 5 GewStG). Die Vorschrift stellt das Gegenstück zu § 8 Nr. 9 GewStG dar und ermöglicht einen gleichlaufenden Spenden- und Mitgliedsbeitragsabzug für Einkommen- und Körperschaftsteuersubjekte.6 – Gewinne aus ausländischen Kapitalgesellschaften (§ 9 Nr. 7 GewStG). Voraussetzung ist, dass die Beteiligung an der ausländischen Kapitalgesellschaft zu Beginn des Erhebungszeitraums, also zu Beginn des Kalenderjahres in dem die Gewinnausschüttung der ausländischen Gesellschaft erfolgt ist, 15 % beträgt. Die Kürzung gilt nicht hinsichtlich der nicht abziehbaren Betriebsausgaben, die im Zusammenhang mit der Dividende stehen (z.B. nicht abziehbare Betriebsausgabe nach § 8b Abs. 5 KStG), so dass es insoweit bei einer Gewerbesteuerbelastung bleibt (im Einzelnen Rz. 18.232 ff.). – Gewinne aus Anteilen an einer Gesellschaft mit Sitz in einem Abkommensstaat (§ 9 Nr. 8 GewStG).7 Bei Vorliegen der Voraussetzungen eines abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs kann die Dividende einer (ausschüttenden) Tochterkapitalgesellschaft ohne Gewerbesteuerbelastung vereinnahmt werden (Rz. 19.545 ff.). Die Regelung stellt sicher, dass ein abkommensrechtliches Schachtelprivileg unabhängig von der Höhe der nach dem Abkommen erforderlichen Mindestbeteiligung (z.B. mindestens 25 %) auf die Gewerbesteuer durchschlägt.8 Voraussetzung ist eine Beteiligung i.H.v. mindestens 15 %, eine ggf. niedrigere Mindestbeteiligung nach Abkommen hat Vorrang.

1 Rehfeld in Hallerbach/Nacke/Rehfeld, § 9 Nr. 2b GewStG Rz. 1, 26 f.; Roser in L/S, § 9 Nr. 2b GewStG Rz. 5 ff.; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 9 Nr. 2b GewStG Rz. 1. 2 Der Begriff „Betriebsstätte“ bestimmt sich nicht abkommensrechtlich, sondern nach innerstaatlichem Recht; BFH. v. 20.7.2016 – I R 50/15, IStR 2016, 2457. 3 Der auf die ausländische Betriebsstätte entfallende Gewinn ist nach der direkten Methode zu ermitteln, H 9.4 GewStH 2016. 4 § 9 Nr. 3 Sätze 2–5 GewStG bestimmen „typisierend“ die Höhe des Gewinnanteils eines Seeschifffahrtunternehmens, der auf eine ausländische Betriebsstätte entfällt. 5 H 9.4 GewStH 2016. Aus steuergestalterischer Sicht sollte im Verlustfall – soweit darstellbar – die Errichtung einer Betriebsstätte im Ausland vermieden werden, vgl. Schnädter, BB 1988, 313 (319). 6 Gosch in Brandis/Heuermann, § 9 GewStG Rz. 236. 7 Die Vorschrift findet keine Anwendung bei Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen sowie Pensionsfonds auf Gewinne aus Anteilen, die den Kapitalanlagen zuzurechnen sind (§ 9 Nr. 8 Satz 4 GewStG). 8 Vgl. Ernst, Ubg 2010, 494 (503); Schmidt/Boller, PIStB 2008, 270 (275).

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Kap. 9 Rz. 9.14a | Gewerbesteuer

E. Höhe der Gewerbesteuer 9.14a

Unter Zugrundlegung des maßgebenden Gewerbeertrags (ggf. nach Berücksichtigung eines Freibetrags) und der gesetzlichen Steuermesszahl von 3,5 % (§ 11 Abs. 1 GewStG) ergibt sich der Gewerbesteuermessbetrag (§ 11, § 14 ff. GewStG). Die Höhe der Steuer ermittelt sich aus Anwendung des Hebesatzes, der von der zuständigen Gemeinde festgelegt wird (z.B. 400 %), auf den Gewerbesteuermessbetrag.1

9.14b

Die Gewerbesteuer wird unter Berücksichtigung bestimmter Grenzen auf die Einkommensteuerschuld natürlicher Personen als Einzelunternehmer oder Mitunternehmer angerechnet, sodass eine Doppelbelastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer vermieden bzw. gemindert wird (§ 35 EStG). Eine Anrechnung auf die (Körperschaft-)Steuerschuld von Kapitalgesellschaften ist ausgeschlossen.

F. Pauschbetragsfestsetzung 9.15

Soweit die Einkommensteuer oder die Körperschaftsteuer in einem Pauschbetrag2 festgesetzt wird, kann unter den gleichen Voraussetzungen auch der Steuermessbetrag für Zwecke der Gewerbesteuer in einem Pauschbetrag festgesetzt werden. § 15 GewStG ist daher keine eigenständige Grundlage zur Pauschalierung des Steuermessbetrages. Er setzt vielmehr eine entsprechende pauschale Festsetzung der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer voraus. In Betracht kommt insbesondere die Anwendung des § 50 Abs. 4 EStG, der auch für Zwecke der Körperschaftsteuer (§ 8 KStG) für beschränkt steuerpflichtige Personen eine Steuerfestsetzung in einem Pauschbetrag zulässt, wenn dies im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Soweit die Pauschbetragsfestsetzung für Zwecke der Gewerbesteuer an § 34c Abs. 5 EStG und die §§ 8 Abs. 1 und 26 Abs. 2 KStG anknüpft, geht es um eine Maßnahme zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Rz. 18.132 ff.).

1 Beispiel: Hebesatz 400 % * Gewerbesteuermessbetrag EUR 5.000 = Gewerbesteuer EUR 20.000. 2 §§ 34c Abs. 5; 50 Abs. 4 EStG; § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 50 Abs. 4 EStG.

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Kapitel 10 Umsatzsteuer

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Steuerobjekt Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7 Steuerbare Umsätze 1. Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8 2. Lieferungen im Inland . . . . . . . 10.11 3. Gegenstandsentnahmen . . . . . . 10.29 4. Personalzuwendungen . . . . . . . 10.32 5. Unentgeltliche Lieferungen . . . . 10.33 6. Sonstige Leistungen im Inland . 10.34 7. Nutzungsentnahmen . . . . . . . . . 10.61 8. Dienstleistungsentnahmen . . . . 10.62 9. Einfuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.63 10. Innergemeinschaftlicher Erwerb 10.67 III. Steuerfreie Exportumsätze 1. Bestimmungslandprinzip . . . . . 10.80 2. Ausfuhrlieferungen . . . . . . . . . . 10.83 3. Lohnveredelung an Gegenständen der Ausfuhr . . . . . . . . . 10.91 4. Innergemeinschaftliche Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . 10.96 5. Konsignationslager . . . . . . . . . . 10.104a 6. Umsätze für die Seeschifffahrt und für die Luftfahrt . . . . . . . . . 10.105 A. B. I. II.

7. Grenzüberschreitende Beförderungen . . . . . . . . . . . . . 10.106 8. Lieferung mittels elektronischer Schnittstelle . . . . . . . . . . . 10.112a 9. Vermittlung von Exportumsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.113 10. Leistungen im Eisenbahnverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.116 11. Lieferung eingeführter Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.117 12. Fährverkehr mit Helgoland . . . 10.118 13. Abgabe von Speisen und Getränken auf Seeschiffen . . . . 10.119 14. Leistungen an NATO- und EU-Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . 10.120 15. Leistungen an Diplomaten und zwischenstaatliche Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . 10.121 IV. Steuerfreier innergemeinschaftlicher Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.122 V. Steuerfreie Einfuhr . . . . . . . . . . . . . . 10.124 C. Steuersubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.132

A. Einführung Literatur: Achatz/Tumpel, Umsatzsteuer und Internationales Steuerrecht, Wien 2012; Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020, Rz. 19.1 ff.; Englisch, Die territoriale Zuordnung von Umsätzen, DStJG 32 (2009), 165; Englisch, Grundzüge des Internationalen Umsatzsteuerecht in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, Rz. 17.392 ff.; Filtzinger, Umsatzsteuerreform, § 186 Rz. 1 ff. in Kurze/Mellinghoff/Morgenthaler/Palm/Puhl/Seiler, Leitgedanken des Rechts, FS für P. Kirchhof, Heidelberg 2013; Ismer/Artinger, Internationale Doppelbesteuerungen im Mehrwertsteuerrecht: Ursachen und mögliche Lösungen, MwStR 2018, 12; P. Kirchhof, Entwicklungsmöglichkeiten der Umsatzsteuer im Rahmen von Verfassungs- und Europarecht, UR 2002, 541; Kußmaul/ Naumann/Granat, Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte, UStB 2021, 51; Langer, Das endgültige Mehrwertsteuersystem nach dem Ursprungslandprinzip – ein ewiger Traum vom „echten“ umsatzsteuerlichen Binnenmarkt, in Kirchhof/Nieskens (Hrsg.), FS für Reiß, Köln 2008, 245; Lohse, Der Neutralitätsgrundsatz im Mehrwertsteuerrecht in Achatz/Tumpel, EuGH-Rechtsprechung und Umsatzsteuerpraxis, Wien 2011, 47; Menner, Die Umsatzsteuer-Harmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft, Köln 1992; Möller, Ursprungs- und Bestimmungslandprinzip, FinArch. 27, 387; Reiß, Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer und seine Bedeutung für die Auslegung des Umsatzsteuergesetzes, DStJG 13 (1990), 3; Neeser, Von der Versandhandelsregelung zum Fernverkauf, UVR 2021, 296; Hu-

Schaumburg | 419

Kap. 10 Rz. 10.1 | Umsatzsteuer schens, Änderungen des Umsatzsteuerrechts durch das Jahressteuergesetz 202, 45, 73; Ramb, Umsetzung der zweiten Stufe des MwSt-Digitalpakets durch das IStG 2020, NWB 2021, 1405; Reiß, Zukunft der Umsatzsteuer Deutschlands in Europa, USt-Kongress-Bericht 2007, 13; Reiß, Der Verbraucher als Steuerträger der Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt, in FS Klaus Tipke, 1995, 433; Reiß, Steuergerechtigkeit und Umsatzbesteuerung im Europäischen Binnenmarkt, in FS J. Lang, 2011, 861; Reiß, Die harmonisierte Umsatzsteuer im nationalen Wirtschaftsverkehr – Widersprüche, Lücken und Harmonisierungsbedarf, DStJG 32 (2009), 9; Ruppe, Internationale Probleme auf dem Gebiet der Umsatzbesteuerung, CDFI LXVIIIb (1983), 15; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehrund Verbrauchsteuerrecht, in Kirchhof/Nieskens (Hrsg.), FS für Reiß, Köln 2008, 25; Söhn, Die Umsatzsteuer als Verkehrsteuer und/oder Verbrauchsteuer, StuW 1975, 1; Söhn, Die Umsatzsteuer als indirekte, allgemeine Verbrauchsteuer, StuW 1996, 165; Tipke, Die Umsatzsteuer im Steuersystem, UR 1972, 2; Sterzinger, Umsetzung der zweiten Stufe des MwSt-Digitalpakets, UStB 2020, 288; Tipke, Das Folgerichtigkeitsgebot im Verbrauch- und Verkehrsteuerrecht, in FS Reiß, 2008,9; Tipke, Über Umsatzsteuer-Gerechtigkeit, StuW 1992, 103; Tumpel, Prinzipien, Systemschwächen und Reformbedarf bei der Umsatzbesteuerung des internationalen Güter- und Dienstleistungsverkehrs, DStJG 21 (2009), 53; Tumpel, Mehrwertsteuer im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, Wien 1997; Wäger, Digitalpaket-Neuregelungen zum 1.7.2021 für den Bereich der Lieferungen, UStB 2021, 76; Wäger, Einfuhrfernverkauf ab dem 12.7.2021, ZfZ 2021, 176; Widmann, Das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz, UR 1992, 249; Widmann, Die Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop) – ein Beitrag zur Vollendung des umsatzsteuerlichen Binnenmarktes?, in FS für Reiß, Köln 2008, 321; Widmann, Umsatzsteuer, § 183 Rz. 1 ff. in Kurze/Mellinghoff/Morgenthaler/Palm/Puhl/Seiler, Leitgedanken des Rechts, FS für P. Kirchhof, Heidelberg 2013; Widmann, Vollzugsdefizite und Vollzugslasten im Umsatzsteuerecht, DStJG 21 (2009), 103; Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, Frankfurt a.M. 2015; Widmann, Jahressteuergesetz 2020: Die umsatzsteuerlichen Änderungen, MwStR 2021, 6.

10.1

Anknüpfend an die gesetzestechnische Ausgestaltung, ist die Umsatzsteuer zwar eine Verkehrsteuer; von ihrer Funktion, von der Belastungswirkung her steht aber ihr Verbrauchsteuercharakter im Vordergrund, so dass sich hieran auch die Auslegung zu orientieren hat.1 Erfasst werden soll die steuerliche Leistungsfähigkeit, die darin besteht, dass der Verbraucher Leistungen an sich erbringen lässt, dafür etwas aufwendet, also Einkommen verwendet.2 Belastet wird der private Verbraucher. Das ergibt sich aus dem System tragenden Prinzip, dass der Unternehmer, bedingt durch den Vorsteuerabzug gem. § 15 UStG und die gesetzlich intendierte Überwälzung der Steuer auf den Verbraucher grundsätzlich keine Umsatzsteuer zu tragen hat und die Besteuerung des Letztverbrauchs (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1b UStG) sichergestellt ist.3

10.2

Der verbrauchsteuerlichen Intention des Umsatzsteuergesetzes entspricht es, die Besteuerung den Schrankenwirkungen des Territorialitätsprinzips zu unterwerfen. Die steuerliche Leistungsfähigkeit kommt nämlich nur dort zum Ausdruck, wo der Verbraucher privat etwas aufwendet, um sich Lieferungen oder sonstige Leistungen erbringen zu lassen. Diesem Grundsatz folgt durchweg die internationale Steuerpraxis auch dadurch, dass allgemein das Bestim-

1 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 975 ff.; Stadie in R/D, Einf. Rz. 101 ff.; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.10; Reiß in R/K/L, Einf. UStG Rz. 43 ff.; DStJG 13 (1990), 3 ff.; so auch die Rspr. des EuGH, z.B. EuGH v. 3.10.2006 – C-475/03, ECLI:EU:C:2006:629 = Slg. 2006, I-9373 – Banca popolare die Cremona; EuGH v. 7.10.2010 – C-53/09, ECLI:EU:C:2010:590 = Slg. 2010, I-9187 unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL – Loyalty Management; des BVerfG, z.B. BVerfG v. 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101, 132 (139); v. 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151 (155); v. 10.12.1999 – 2 BvR 1820/92, UR 2000, 72 und des BFH, z.B. BFH v. 12.1.2006 – V R 3/04, BStBl. II 2006, 479; v. 22.7.2010 – V R 4/09, BStBl. II 2013, 590 Rz. 39. 2 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 981 ff.; Stadie in R/D, Einf. Rz. 143; Englisch in Tipke/ Lang24, Rz. 17.11; Reiß, DStJG 13 (1990), 3 (19 ff.); Schaumburg in FS Reiß, 25 (33 ff.). 3 Hierzu Stadie in R/D, Einf. Rz. 125 ff.

420 | Schaumburg

A. Einführung | Rz. 10.4 Kap. 10

mungslandprinzip Geltung hat.1 Danach soll die Steuerbelastung desjenigen Landes maßgeblich sein, in dem der private Verbrauch erfolgt, also Einkommen verwendet wird. Das Besteuerungsgut der Umsatzsteuer ist daher der private Verbrauch (Einkommensverwendung) im Bestimmungsland. Das Bestimmungslandprinzip hat sich zwar für den internationalen Warenhandel (Lieferungen) aufgrund einheitlicher territorialer Anknüpfungspunkte weltweit durchgesetzt. Das gilt aber nicht gleichermaßen für Dienstleistungen (sonstige Leistungen), weil hierfür die für die Steuerbarkeit maßgeblichen Ortsbestimmungen mitunter stark divergieren. Die Folge hiervon ist, eine nicht vermeidbare internationale Doppelbesteuerung oder doppelte Nichtbesteuerung (Minderbesteuerung),2 und zwar auch innerhalb der EU: Trotz Anwendung harmonisierten Rechts (Rz. 3.87 ff.) ist eine unterschiedliche Umsetzung und Auslegung in den einzelnen Vertragsstaaten nicht ausgeschlossen.3 Zwecks Sicherung des Steueraufkommens sind daher im UStG Sonderregelungen für den eCommerce und den Versandhandel implementiert worden.4 Das gilt insbesondere für die ab 1.7.2021 anzuwendenden besonderen Besteuerungsverfahren wie etwa den One-Stop-Shop (OSS) für sonstige Leistungen nach § 3a Abs. 5 UStG von Drittlandsunternehmen (§ 18i UStG), für innergemeinschaftliche Fernverkäufe; Lieferungen über eine elektronische Schnittstelle nach § 3 Abs. 3a UStG und sonstige Leistungen nach § 3a Abs. 5 UStG durch EU-Unternehmer (§ 18j UStG) sowie Fernverkäufe von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen bis EUR 150 (§ 18k UStG).5

10.3

Das Bestimmungslandprinzip verfolgt zugleich das Ziel, sowohl Auslands- als auch Inlandswaren umsatzsteuerlich gleich zu belasten, womit zugleich dem Gebot der Wettbewerbsneutralität der Besteuerung6 entsprochen wird.7 Dies bedingt einen exakten Steuerausgleich im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr. Bei gleichzeitiger Befreiung der Ausfuhr und ausfuhrähnlicher Vorgänge (innergemeinschaftliche Lieferungen) wird die Exportware über den Vorsteuerabzug im Ursprungsland entlastet. Dem steht eine entsprechende Belastung bei der Einfuhr (dem Erwerb) durch eine Einfuhrumsatzsteuer (Erwerbsteuer) im Bestimmungsland gegenüber (Steuerausgleich), die der Höhe nach der allgemeinen Umsatzsteuer entspricht. Diese für grenzüberschreitende Warenlieferungen maßgebliche zweistufige Steuertechnik – Steuerbarkeit und Steuerfreiheit – entspricht für grenzüberschreitende sonstige Leistungen einer Einstufenlösung, wodurch das Bestimmungslandprinzip durch „Verlegung“ des Ortes der sonstigen Leistung (§ 3a Abs. 2 UStG) in das Land des Verbrauchs (Rz. 10.41) bereits auf der ersten Stufe entschieden wird.8

10.4

1 Stadie in R/D, Einf. Rz. 736; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.394; Möller, FinArch. 27, 387 ff. 2 Die Doppelbesteuerungsabkommen erstrecken sich nicht auf Umsatzsteuern (vgl. Rz. 19.192). 3 Zur Doppelbesteuerung auf dem Gebiet des Umsatzsteuerrechts Stadie in R/D, Einf. Rz. 730 ff.; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.400 f.; Tumpel, DStJG 32 (2009), 53 (73 ff.); Ismer/Artinger, MwStR 2018, 12. 4 JStG 2020 v. 21.12.2020, BGBl. I 2020, 3096; zum sog. Digitalpaket vgl. den Überblick bei Wäger, UStB 2021, 76; Sterzinger, UStB 2020, 288; Huschens, UVR 2020, 73; Joost/Oldenburg, MwStR 2020, 773, 8223, 849; Becker/Michelutti/Rieg, Praxisprobleme Digitalpaket, MwStR 2022, 495. 5 Import-One-Stop-Shop (IOSS); vgl. hierzu auch die Sonderregelung in § 21a UStG. 6 Europarechtlich fundiert z.B. in Art. 110 AEUV für den Warenhandel; hierzu Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 6.7, 6.21. 7 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.395; Reiß in FS Tipke, 433 (441 f.); Englisch, DStJG 32 (2009), 165 (169 ff.). 8 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.399.

Schaumburg | 421

Kap. 10 Rz. 10.5 | Umsatzsteuer

10.5

Das Bestimmungslandprinzip entscheidet im Grundsatz schließlich auch die Frage, welchem Staat das Steueraufkommen aus der Umsatzsteuer zusteht: Es ist der Staat, in dem der Letztverbrauch stattfindet.1 Diesem Prinzip wird im harmonisierten Umsatzsteuerrecht der EU durchweg Rechnung getragen, insbesondere durch Steuerbefreiung der Ausfuhr in Drittlandsgebiete, Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen, eine Einfuhrumsatzsteuer auf Einfuhren aus dem Drittlandsgebiet, Erhebung einer Steuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb (Erwerbsteuer) sowie durch die weitgehende Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung in das Bestimmungsland.2

10.6

Nach dem Ursprungslandprinzip erfolgt die Besteuerung demgegenüber in dem Staat, in dem der leistende Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Beim Warenexport wird hierbei grundsätzlich keine Steuerentlastung gewährt, so dass auf dem Verbrauchermarkt Inlandsund Auslandswaren unterschiedlich mit Umsatzsteuer belastet sind. Wegen der hierdurch eintretenden Wettbewerbsverzerrungen hat das Ursprungslandprinzip keine nennenswerte Bedeutung erlangt. Im UStG spielt es aus Praktikabilitätsgründen lediglich beim Erwerb von Waren durch Privatpersonen eine Rolle (Rz. 10.130).3 Das Ursprungslandprinzip eignet sich allenfalls im Verhältnis zwischen Staaten mit annähernd gleichen Umsatzsteuersystemen und Steuersätzen.4 Im Hinblick darauf hat das Ursprungslandprinzip überhaupt nur dann die Chance, das tragende Prinzip des gemeinsamen europäischen Umsatzsteuersystems zu werden, wenn die Steuersätze angeglichen werden.5

B. Steuerobjekt I. Übersicht 10.7

Steuerobjekt der Umsatzsteuer sind die in § 1 Abs. 1 UStG näher bezeichneten steuerbaren Umsätze, die, soweit keine Steuerbefreiung eingreift, steuerpflichtig sind. Zu den steuerbaren Umsätzen gehören – Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG), – die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG) und – der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG).

Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.395; Reiß in FS Tipke 433 (439 f.). Stadie in R/D, Einf. Rz. 735. Vgl. auch Stadie in R/D, Einf. Rz. 738. Hierzu Menner, Die Umsatzsteuer-Harmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft, 78 ff.; Widmann, UR 1992, 249 (250). 5 Da die EU-Staaten sich bislang auf die Modalitäten eines am Ursprungslandprinzip orientierten neuen Umsatzsteuersystems nicht haben verständigen können, verbleibt es bis auf weiteres bei der Übergangsregelung; vgl. die Selbstverlängerungsklausel des Art. 402 MwStSystRL; die Kommission hat das Vorhaben – Umstellung auf das Ursprungslandprinzip – inzwischen aufgegeben; vgl. Mitteilung der Kommission v. 6.12.2011, KOM (2011) 851 endg., Rz. 4.1.

1 2 3 4

422 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.10 Kap. 10

II. Steuerbare Umsätze 1. Inland Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 2, 2a UStG; Ammann, Zum Status der deutschen Freihäfen nach dem Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz und der 6. EG-Richtlinie zur Umsatzsteuer, UR 1993, 48; Anton, Die Freizone des Kontrolltyps II, ZfZ 2002, 223; Lange, Das umsatzsteuerrechtliche Inland, DStZ 1994, 301; Lange; Europarechtliche Bedenken gegen den räumlichen Anwendungsbereich des deutschen Umsatzsteuergesetzes, DStZ 1996, 133; Lange, Das umsatzsteuerrechtliche Inland – Rechtsänderungen zum 1.1.1994, DStZ 1994, 301; Müller, Umsatzsteuer 1980, StbJb 1979/80, 97; Raudszus, Lieferungen und Leistungen bei Freihafenbezug, UStB 2002, 384; Schlienkamp, Umsatzsteuerliche Auswirkungen der Ausweitung des deutschen Küstenmeeres zum 1.1.1995, UR 1995, 1; Schwarze, Umstellungsfragen bei In- und Auslandsbeziehung infolge des Umsatzsteuergesetzes 1980, JbFSt 1979/80, 93; Slotty-Harms/Busch/Pittelkow, Umsatzbesteuerung im Freihafen – Folgewirkungen des § 1 Abs. 3 UStG, UVR 2014, 93.

Die in § 1 Abs. 1 UStG bezeichneten Umsätze unterliegen der Umsatzsteuer nur dann, wenn sie im Inland bewirkt werden (steuerbare Umsätze).1 Abgestellt wird hierbei auf den Ort der Lieferung,2 der sonstigen Leistung,3 der Einfuhr4 und des innergemeinschaftlichen Erwerbs.5

10.8

Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 UStG entspricht das Inland dem Gebiet Deutschlands6 mit Ausnahme der Gemeinde Büsingen (Hochrhein),7 der Insel Helgoland,8 der Freihäfen (Bremerhaven, Cuxhaven),9 der Gewässer und Watten zwischen der Hoheitsgrenze und der jeweiligen Strandlinie10 sowie der deutschen Schiffe und der deutschen Luftfahrzeuge in Gebieten, die zu keinem Zollgebiet gehören.11 Botschaften, Gesandtschaften und Konsulate anderer Staaten gehören selbst bei bestehender Exterritorialität ebenso zum Inland wie Einrichtungen, die von ausländischen Truppen unterhalten werden.12 Zum Inland gehört auch der Transitbereich deutscher Flughäfen.13

10.9

Nicht zum Inland gehören die österreichischen Gebiete Mittelberg und Jungholz in Tirol. Da diese Gebiete aber dem deutschen Zollgebiet angeschlossen sind, bestimmt § 1 Abs. 1 Nr. 4

10.10

1 2 3 4 5 6

7 8 9 10 11 12 13

Vgl. Art. 2 Abs. 1 MwStSystRL. §§ 3 Abs. 5a bis 8; §§ 3c, 3e, 3g und § 1 Abs. 3 UStG. §§ 3a, 3b, 3f und § 1 Abs. 3 UStG, §§ 2–7 UStDV, § 25 Abs. 1 Satz 4 UStG. § 21 Abs. 2 UStG. § 3d UStG. Das Gebiet Deutschlands (Territorium) umfasst das Landgebiet, das Seegebiet innerhalb der 12Meilen-Zone (Küstenmeer) sowie den Untergrund unter beiden und den Luftraum darüber; die 12-Meilen-Zone gilt aufgrund der Proklamation der Bundesregierung vom 11.11.1994 (BGBl. I 1994, 3428) ab 1.1.1995; hierzu Einzelheiten bei Schlienkamp, UR 1995, 1 ff. Vgl. den Vertrag mit der schweizerischen Eidgenossenschaft über die Einbeziehung der Gemeinde Büsingen in das schweizerische Zollgebiet v. 23.11.1964, BGBl. II 1967, 2030, in Kraft getreten am 4.10.1967, BGBl. II 1967, 2336; Büsingen zählt nicht zum Zollgebiet der EU (Art. 4 Abs. 1 UZK). Helgoland gehört nicht zum Zollgebiet der EU (Art. 4 Abs. 1 UZK). Die Freihäfen sind Freizonen des Kontrolltyps I nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ZollVG; zu Einzelheiten Lange, DStZ 1994, 301 (303); Birkenfeld, DStZ 1996, 193 ff. Die äußere Grenze wird durch die 12-Meilen-Zone gezogen; zu weiteren Einzelheiten Erdbrügger in Wäger2,§ 1 Rz. 297 ff.; Schlienkamp, UR 1995, 1 ff. Schiffe und Luftfahrzeuge, die sich auf Hoher See oder über dessen Luftraum befinden, gehören ohnehin nicht zum Staatsgebiet; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 281. Vgl. Abschn. 1.9 Abs. 1 Satz 3 u. 4 UStAE. BFH v. 3.11.2005 – V R 63/02, BStBl. II 2006, 337.

Schaumburg | 423

Kap. 10 Rz. 10.10 | Umsatzsteuer

UStG, dass die Einfuhr aus dem Drittlandsgebiet in diese Gebiete der deutschen Einfuhrumsatzsteuer unterliegen.1 Im Hinblick auf die im UStG getroffene Differenzierung zwischen Gemeinschaftsgebiet und Drittlandsgebiet enthält § 1 Abs. 2a UStG eine Aufzählung der zum Gemeinschaftsgebiet gehörenden Mitgliedstaaten einschließlich einiger für sie geltenden Besonderheiten.2

2. Lieferungen im Inland Literatur: Kommentare zu § 3 Abs. 1, 1a, 5a bis 8 und §§ 3c, 3e, 3g; § 1 Abs. 3 UStG; Amann, Lieferortbestimmung bei innergemeinschaftlichen Transportlieferungen, UR 2001, 287; Bustorff, Lieferortbestimmung im liberalisierten Stromhandel, UR 2002, 349; Fritsch, Umsatzsteuerliche Behandlung von Reihengeschäften und innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften ab 1.1.1997, UR 1997, 41; Fröschl, Deutsche Umsatzbesteuerung im Kondominat – der Bodensee als mögliches Beispiel, IStR 2003, 597; Frye, Ort und Zeitpunkt der Beförderungs- oder Versendungslieferung – Für eine andere Auslegung des § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG, UR 2013, 889; Giesberts, Eigentumsübertragung, Verschaffung der Verfügungsmacht und Lieferung, UR 1976, 61; Gries/Stößel, Neuregelung des Reihengeschäfts? – Vorschläge an den Gesetzgeber durch das BMF und den BDI, Ubg 2016, 351; Hassa, Unionsrechtliche Vorgaben für die Zuordnung der Warenbewegung bei Reihengeschäften, UR 2016, 493; Hassa, Die umsatzsteuerliche Behandlung von Reihengeschäften, Baden-Baden 2016; Heinrichshofen, Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 21.2.2018, C-628/16, UR 2018, 282; Heuermann, Von Reihen und Dreiecken im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, UR 1998, 9; Heuermann, Reihengeschäfte im unionalen Mehrwertsteuerrecht, DStR 2018, 2078; Hiller, Die Verschaffung der Verfügungsmacht – ein Mysterium? UR 2018, 582; Hiller, Die Transportverantwortung im Reihengeschäft ab 2020 – Worauf kommt es an?, MwStR 2020, 476; Hölzer, Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 3.6.2010, C-237/09, UR 2010, 624; Hummel, Verschaffung der Verfügungsmacht im Umsatzsteuerrecht, UR 2007, 757; Hummel, Umsatzsteuerrechtliche Risiken im grenzüberschreitenden Stromhandel, UR 2012, 584; Huschens, Änderungen des Umsatzsteuerrechts durch das Jahressteuergesetz 2020, UVR 2021, 45, 73; Lampert, Ort der Lieferung bei Versendung oder Beförderung des Gegenstandes an den Abnehmer (§ 3 Abs. 7 UStG), UR 1969, 178; Lippross, Lieferung beim Versendungskauf – Zur Auslegung des § 3 Abs. 7 UStG, DStR 1992, 566; Lippross, Verfügungsmacht und Sachgefahr, UR 2008, 495; Nieskens, Praxisbaustelle grenzüberschreitende Reihengeschäfte – inwieweit können subjektive Kriterien die Zuordnung der Warenbewegung beeinflussen?, UR 2018, 261; Nieskens, Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 19.12.2018, C-414/ 17, UR 2019, 101; Nieskens, Beurteilung eines grenzüberschreitenden Reihengeschäfts nach unionsrechtlichen Kriterien, UR 2020, 392; Reiß, Innergemeinschaftliches Reihengeschäft, UR 2015, 733; Salder, Umsatzsteuerliche und zollrechtliche Folgen der Auflösung des Freihafens Hamburg, DStR 2012, 2422; Siebert/Fässler, Umsatzbesteuerung auf dem Bodensee, UStB 2005, 155; Streit, Anmerkungen zu den Urteilen des BFH zu Reihengeschäften, UStB 2015, 257; Szabó/Tausch, Der Einzug des Reihengeschäfts in das Unionsrecht, UVR 2019, 9; Tehler, § 3 Abs. 7 UStG – Bloße Fiktion für den Lieferort, UVR 1991, 359; Vellen, Umsatzbesteuerung der Lieferungen von Gas und Elektrizität, UR 2005, 133; Wäger, Grenzüberschreitender Gas- und Elektrizitätshandel, UStB 2004, 424; Weber, Der Ort der Lieferung von Gas und Elektrizität nach der Änderung des UStG durch das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz, DStZ 2005, 109; Widmann, Ort der Lieferung und der sonstigen Leistung unter Berücksichtigung der Regelungen innerhalb und außerhalb der europäischen Gemeinschaften, DStJG 13 (1990), 119.

10.11

§ 3 Abs. 1 UStG bezeichnet als Lieferungen Leistungen eines Unternehmers, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Der unter der Kurzformel „Verschaf-

1 Vgl. Abschn. 1.9 Abs. 2 UStAE. 2 Vgl. die Aufzählung in Abschn. 1.10 Abs. 1 UStAE.

424 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.12b Kap. 10

fung der Verfügungsmacht“ allgemein verwendete Lieferbegriff ist dann erfüllt, wenn der Abnehmer wie ein Eigentümer über den Liefergegenstand verfügen kann.1 Hieraus folgt, dass ein bloßes innerbetriebliches Verbringen von Gegenständen, also deren Transport innerhalb des Unternehmensbereichs, etwa vom Produktionsbetrieb zum Lager, grundsätzlich keine Lieferung gem. § 3 Abs. 1 UStG ist.2 Ausnahmen hiervon enthält § 3 Abs. 1a UStG,3 wonach das Verbringen eines Gegenstandes aus dem Inland (§ 1 Abs. 2 UStG) in das übrige Gemeinschaftsgebiet (§ 1 Abs. 2a UStG) durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung, als Lieferung gegen Entgelt fingiert wird.4 In diesem Fall gilt der Unternehmer im Ausgangsmitgliedsstaat als Lieferer und im Bestimmungsmitgliedsstaat als Erwerber.5 Diese Fiktion dient der Sicherung des Steueraufkommens. Sie bewirkt, dass das Verbringen als innergemeinschaftliche Lieferung bei Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG) zwar steuerfrei ist (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a Abs. 2 UStG), dafür aber im anderen Mitgliedstaat als innergemeinschaftlicher Erwerb der Umsatzsteuer unterliegt (vgl. § 1a Abs. 2 UStG). Damit erfolgt in dem anderen Mitgliedstaat ein Heraufschleusen auf das dortige Steuerniveau, wodurch im Ergebnis das Bestimmungslandprinzip verwirklicht wird.6 Aufgrund der in § 6b UStG verankerten Konsignationslagerregelung ist allerdings ein innergemeinschaftlicher Erwerb nicht gegeben (§ 1a Abs. 2a UStG).7

10.12

§ 3 Abs. 3a Sätze 1 und 2 UStG8 enthält eine Sonderregelung für bestimmte Warenlieferungen durch Unternehmer über eine elektronische Schnittstelle9, wonach deren Betreiber als Steuerschuldner der für diese Lieferungen anfallende Umsatzsteuer gelten.

10.12a

Es handelt sich um eine Lieferkettefiktion: Obwohl die Betreiber einer elektronischen Schnittstelle zivilrechtlich nicht in die Lieferungen eingebunden sind, wird eine Lieferung des liefernden Unternehmers an ihn sowie eine Lieferung von ihm an den Endkunden angenommen.10 Diese Fiktion gilt für Lieferungen von Gegenständen durch einen nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer an einen Nichtunternehmer (§ 3 Abs. 3a Satz 1 UStG) sowie für die Unterstützung von Fernverkäufen von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens EUR 150 (§ 3 Abs. 3a Satz 2 UStG).11 1 Einzelheiten bei Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 431 ff.; Fritsch in R/K/L, § 3 UStG Rz. 116 ff.; entspricht Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL aus der Rspr. des EuGH: EuGH v. 6.2.2003 – C-185/01, ECLI: EU:C:2003:73 = BStBl. II 2004, 573 – Auto Lease Holland; EuGH v. 15.12.2005 – C-63/04, ECLI: EU:C:2005:773 = Slg. 2005, I-11087 – Centralan. 2 Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 431 ff.; Wäger in Wäger2, § 3 UStG Rz. 7 ff.; anders in den Fällen grenzüberschreitende Organschaft; vgl. EuGH v. 17.9.2014 – C-7/13, ECLI:EU:C:2014:2225 = DStRE 2015, 354 – Skandia America; EuGH v. 11.3.2021 – C-812/19, ECLI:EU:C:2021:196 = IStR 2021, 399 – Danske Bank. 3 Vgl. Art. 17 MwStSystRL. 4 Zu Einzelheiten Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 790 ff.; Abschn. 1a.2 UStAE. 5 Vgl. Abschn. 1a.2 Abs. 1 Satz 3 UStAE. 6 Hierzu Wäger in Wäger2, § 3 UStG Rz. 58 ff. 7 Zu Einzelheiten Rz. 10.104a. 8 I.d.F. des JStG 2020 v. 21.12.2020, BGBl. I 2020, 3096 mit Wirkung ab 1.7.2021 (§ 27 Abs. 34 Satz 1 UStG); vgl. Art. 14a MwStSystRL. 9 Elektronische Marktplätze, Plattformen, Portale und vergleichbare elektronische Handelsplätze (Abschn. 3.18 Abs. 3 UStAE). 10 Zu dieser Fiktion Brandl in Bunjes21, § 3 UStG Rz. 165a; Wäger, UStB 2021, 76 (78 ff.). 11 Vgl. zu Einzelheiten Abschn. 3.18 UStAE mit zahlreichen Beispielen.

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10.12b

Kap. 10 Rz. 10.12b | Umsatzsteuer

Die vorstehende Lieferkettenfiktion dient im Ergebnis der Sicherung der Steuereinnahmen der EU-Mitgliedstaaten.1 Im Hinblick darauf hat die in § 25e UStG enthaltene Haftungsregelung keine besondere Bedeutung mehr.2

10.13

Lieferungen sind nur dann steuerbar, wenn sie im Inland ausgeführt werden (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Der Ort der Lieferung richtet sich gem. § 3 Abs. 5a UStG, vorbehaltlich der §§ 3c, 3e und 3g UStG, nach § 3 Abs. 6 bis 8 UStG. Im Verhältnis zu den anderen Vorschriften enthält § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG die für die Ortsbestimmung maßgebliche Grundregel. Der Lieferort ist nach dieser Grundregel3 dort, wo sich der Gegenstand der Lieferung zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet.4

10.14

Von der systematischen Grundregel des § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG gibt es folgende Abweichungen:

10.15

Bei Beförderungs- und Versendungslieferungen wird gem. § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG5 der Lieferzeitpunkt auf den Beginn der Beförderung bzw. die Übergabe des Liefergegenstandes an den mit der Beförderung oder deren Besorgung Beauftragten (Versendung) verlegt. Da nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG6 für den Ort der Lieferung der Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht maßgeblich ist, wird im Ergebnis nach § 3 Abs. 6 UStG der Lieferort dorthin verlagert, wo sich der Liefergegenstand zu Beginn der Beförderung bzw. bei Übergabe an den Beauftragten befindet. Das gilt aber nur dann, wenn der Abnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits feststeht7 und zudem der Gegenstand nach dem Transport an seinem Bestimmungsort nicht noch einer die Marktgängigkeit verändernde Behandlung unterzogen wird.8

10.16

Durch § 3 Abs. 6 UStG werden insbesondere folgende Vorgänge erfasst: Befördert der liefernde Unternehmer selbst den Gegenstand der Lieferung an den Abnehmer, so gilt die Lieferung mit dem Beginn der Beförderung als ausgeführt (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG). Befördern ist jede Fortbewegung eines Gegenstandes (§ 3 Abs. 6 Satz 2 UStG), auch mit eigener Kraft.9 Eine Beförderung durch den liefernden Unternehmer liegt auch dann vor, wenn sein unselbständiger

1 Brandl in Bunjes21, § 3 UStG Rz. 165e; zu weiteren Einzelheiten vgl. Oldiges/Mateer, DStR 2021, 2377; Wäger, UStB 2021, 76 (78 ff.); Ramb, NWB 2021, 1475. 2 Brandl in Bunjes21, § 3 UStG Rz. 165p. 3 Flückiger in S/W/R, § 3 Abs. 5a UStG Rz. 8.10; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.403; dagegen § 3 Abs. 6 UStG als Grundregel ansehend Heuermann in S/R, § 3 UStG Rz. 452. 4 In den wichtigsten Fällen des Beförderns und Versendens (Transportlieferungen) ist der Ort der Lieferung dort, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes an den Abnehmer beginnt (§ 3 Abs. 6 UStG); § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG gilt daher nur für Lieferbeziehungen, denen keine Warenbewegung zugrunde liegt (ruhende Lieferungen), so dass § 3 Abs. 6 UStG in der Praxis den Regelfall und § 3 Abs. 7 UStG den Ausnahmefall normiert; hierzu Fritsch in R/K/L, § 3 UStG Rz. 437 f. 5 Art. 32 UAbs. 1 MwStSystRL. 6 Vgl. Art. 31 MwStSystRL. 7 BFH v. 12.9.1991 – V R 118/87, BStBl. II 1991, 937; v. 6.12.2007 – V R 24/05, BStBl. II 2009, 490; der Abnehmer muss aber im Frachtbrief nicht namentlich genannt werden, es reicht vielmehr aus, wenn sich aus den Umständen, insbesondere aus Unterlagen mit hinreichender Sicherheit leicht und einwandfrei ableiten lässt, dass der Abnehmer zum maßgeblichen Zeitpunkt festgestanden hat; so BFH v. 30.7.2008 – XI R 67/07, BStBl. II 2009, 552; zu Einzelheiten Abschn. 3.12 Abs. 3 UStAE. 8 Vgl. Abschn. 3.12 Abs. 4 UStAE: z.B. Montagelieferungen. 9 BFH v. 20.12.2006 – V R 11/06, BStBl. II 2007, 424; Abschn. 3.12 Abs. 2 Satz 2 UStAE.

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B. Steuerobjekt | Rz. 10.18 Kap. 10

Erfüllungsgehilfe den Gegenstand der Lieferung befördert.1 Versendet der Unternehmer den Gegenstand der Lieferung an den Abnehmer, so gilt die Lieferung mit der Übergabe des Gegenstandes an den Beauftragten als ausgeführt (§ 3 Abs. 6 Satz 4 UStG). Versenden liegt vor, wenn jemand die Beförderung eines Gegenstandes durch einen selbständigen Beauftragten ausführen oder besorgen lässt (§ 3 Abs. 6 Satz 3 UStG). Die Fiktion des § 3 Abs. 6 UStG hat besondere praktische Bedeutung für den Export und Import, weil diese überwiegend im Wege der Beförderung oder Versendung2 erfolgen. Die Fiktion des § 3 Abs. 6 UStG bewirkt nämlich nicht nur eine Verlegung des Orts der Lieferung auf den Ort des Beginns der Beförderung und der Versendung, sondern bestimmt damit zugleich auch den Zeitpunkt der Lieferung.3 Hierdurch ergibt sich für den Exporteur der praktische Vorteil, dass er nicht von einem ausländischen Finanzamt zur Umsatzsteuer herangezogen wird. Für den Importeur ergibt sich hierdurch kein Nachteil, weil sich dieser, soweit er die Einfuhrumsatzsteuer oder die Erwerbsteuer als Vorsteuer abziehen kann, ebenfalls nur an das für ihn zuständige inländische Finanzamt zu wenden hat.4

10.17

Für Reihengeschäfte5 bestimmt § 3 Abs. 6a Satz 1 UStG, dass die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes stets nur einer der mehreren Lieferungen zuzuordnen ist. Entsprechend der durch § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG einerseits und § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG andererseits gesetzlich vorgegebenen Differenzierung zwischen Transport und Lieferung (warenbewegte Lieferung) und ruhenden Lieferungen, gibt es mithin bei einem Reihengeschäft stets nur eine Beförderungs- oder Versendungslieferung, deren Ort sich nach § 3 Abs. 6 UStG bestimmt.6 Bei den übrigen Lieferungen des Reihengeschäfts bestimmt sich der Ort der Lieferung für die vorangehenden und nachfolgenden Lieferungen nach § 3 Abs. 7 UStG. Gemäß § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG gelten hierbei die der Transportlieferung vorangehenden (ruhenden) Lieferungen als dort ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung beginnt. Für nachfolgende (ruhende) Lieferungen wird gem. § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 2 UStG der Ort der Lieferung auf den Ort festgelegt, an dem die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes endet. Verbleibt dieser im Inland, ergeben sich hieraus keine Besonderheiten. Anders ist dies allerdings im grenzüberschreitenden Kontext.7 Denn nur bewegte Lieferungen können steuerfreie Ausfuhrlieferungen (Rz. 10.83 ff.), innergemeinschaftliche Lieferungen (Rz. 10.96 ff.) bzw. Einfuhren (Rz. 10.124 ff.) oder innergemeinschaftliche Erwerbe (Rz. 10.67 ff.) sein. Soweit es um die Steuerbefreiung geht, kann daher bei Reihengeschäften höchstens eine der Lieferungen steuerfrei sein.8 In der im grenzüberschreitenden Kontext typischen Drei-Parteien-Konstellation ist vor allem der Fall problematisch, in dem der Zwischenhändler die Beförderung oder Versendung aus dem Liefer- in den Bestimmungsmitgliedstaat unmittelbar vom Erstlieferer zum Letzterwerber durchführt. Hier-

10.18

1 Abschn. 3.12 Abs. 2 Satz 1 UStAE. 2 Einzelheiten zu den Begriffen bei Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 2350 ff., 2360 ff. 3 BFH v. 6.12.2007 – V R 24/05, BStBl. II 2009, 490; Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 2461; Abschn. 3.13 Abs. 7 UStAE. 4 Hierzu Widmann, DStJG 13 (1990), 119 (128 f.). 5 Als Reihengeschäft bezeichnet man Geschäfte, bei denen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Liefergeschäfte abschließen und diese Geschäfte dadurch erfüllt werden, dass der Gegenstand unmittelbar vom ersten zur Lieferung verpflichteten Unternehmer an den letzten Abnehmer in der Reihe gelangt (§ 3 Abs. 6a Satz 1 UStG). 6 Diese Regelung entspricht Art. 36a MwStSystRL. 7 BFH v. 11.8.2011 – V R 3/10, UR 2011, 909. 8 EuGH v. 6.4.2006 – C-245/04, ECLI:EU:C:2006:232 = Slg. 2006, I-3227 – EMAG; EuGH v. 16.12.2010 – C-430/09, ECLI:EU:C:2010:786 = Slg. 2010, I-13335 – Euro-Tyre; Abschn. 3.14, Abs. 2 Satz 3 UStAE; Burgmaier in Wäger2, § 25b UStG Rz. 2 ff.

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Kap. 10 Rz. 10.18 | Umsatzsteuer

für stellt § 3 Abs. 6a Satz 4 UStG die Vermutung auf, dass die Lieferung an den Zwischenerwerber die bewegte Lieferung (Transportlieferung) ist mit der Folge, dass der Erstlieferant hierfür z.B. die Steuerbefreiung (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6 UStG) in Anspruch nehmen kann. Diese Vermutung kann durch den Nachweis widerlegt werden, dass der Zwischenerwerber nicht als Abnehmer, sondern als Lieferant transportiert.1 Hierbei ist darauf abzustellen, ob der Enderwerber bereits im Abgangsmitgliedsstaat eine eigentümergleiche Verfügungsmacht erlangt hat.2 Soweit es sich um ein innergemeinschaftliches Reihengeschäft handelt, entscheiden die Zuordnungsregeln des § 3 Abs. 6a Sätze 1–5, Abs. 7 Satz 2 UStG (Art. 36a Abs. 1, 2 MwStSystRL)3 darüber, wer von den am Reihengeschäft Beteiligten die Steuerbefreiung in dem einen Mitgliedstaat und den Erwerbstatbestand in dem anderen Mitgliedstaat erfüllt.4 Entsprechendes gilt für das Ausfuhrreihengeschäft (§ 3 Abs. 6a Sätze 1–4, Abs. 7 Satz 2 UStG)5 und das Einfuhrreihengeschäft (§ 3 Abs. 6a Sätze 1-4, 7, Abs. 7 Satz 2 UStG).6

10.19

Eine Vereinfachungsregelung für grenzüberschreitende Reihengeschäfte (Rz. 10.87) enthält § 25b UStG.7 Hiernach wird bei innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften (Rz. 10.79a) im Ergebnis die Steuerschuld für die Lieferung des Zwischenlieferanten auf seinen Abnehmer verlagert (§ 25b Abs. 2 UStG), der Erwerb des Zwischenlieferanten nicht besteuert, aber als versteuert fingiert (§ 25b Abs. 3 UStG) und beim letzten Abnehmer der Vorsteuerabzug in Höhe der von ihm geschuldeten Umsatzsteuer zugelassen (§ 25b Abs. 5 UStG).8 Diese Vereinfachungsregelung dient dem Ziel, insbesondere den Zwischenlieferanten von Registrierungs- und Erklärungspflichten im Mitgliedstaat des Erwerbs zu entlasten.9 § 25b UStG hat allerdings nur eine begrenzte Reichweite, weil grundsätzlich nur Dreiecksgeschäfte, also Reihengeschäfte mit nicht mehr als drei Beteiligten10 erfasst werden und vorausgesetzt wird, dass der Liefergegenstand vom ersten Lieferanten oder dem Zwischenlieferanten befördert oder versendet wird und die beteiligten Unternehmer in verschiedenen Mitgliedstaaten steuerlich registriert11 sind, wobei der Zwischenlieferant nicht im Bestimmungsland ansässig sein darf (§ 25b Abs. 2 Nr. 2 UStG). Schließlich findet § 25b UStG nur dann Anwendung, wenn die Warenbewegung im

1 Hiernach besteht faktisch ein Wahlrecht; vgl. Brandl in Bunjes21, § 3 UStG Rz. 209. 2 EuGH v. 27.9.2012 – C-587/10, ECLI:EU:C:2012:592 = UR 2012, 832 – VSTR; BFH v. 28.5.2013 – XI R 11/09, BFH/NV 2013, 1524; v. 25.2.2015 – XI R 15/14, BFH/NV 2015, 772; v. 25.2.2015 – XI R 30/13, BFH/NV 2015, 769; die Finanzverwaltung stellt demgegenüber letztlich darauf ab, ob der Zwischenerwerber unter einer USt-IdNr. des Abgangsmitgliedstaats auftritt (Abschn. 3.14 Abs. 7 Satz 3, Abs. 10 Sätze 1 und 2 UStAE); zu strafrechtlichen Implikationen bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 18.36. 3 EU-einheitliche Regelungen seit 1.1.2020. 4 Zu weiteren Fallkonstellationen Wäger in Wäger2, § 3 UStG Rz. 400 ff.; vgl. auch die Beispiele in 3.14 UStAE. 5 Hierzu Wäger in Wäger2, § 3 UStG Rz. 417 ff. 6 Hierzu Wäger in Wäger2, § 3 UStG Rz. 431 ff. 7 Art. 42, 141, 197 u. 256 MwStSystRL. 8 Hierzu im Überblick Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.429. 9 Robisch in Bunjes21, § 25b UStG Rz. 6; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.429. 10 So der Wortlaut, der allerdings die Anwendung bei mehr als drei hintereinandergeschalteten Beteiligten am Ende der Lieferkette nicht ausschließt, vgl. auch Abschn. 25b.1 Abs. 2 Satz 2 UStAE; Burgmaier in Wäger2, § 25b UStG Rz. 64 ff.; Robisch in Bunjes21, § 25b UStG Rz. 5. 11 Durch Erteilung einer USt-IdNr.; Abschn. 25b.1 Abs. 3 UStAE.

428 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.22 Kap. 10

Inland endet oder der Gegenstand von einem anderen Mitgliedstaat in einen weiteren Mitgliedstaat gelangt und der Erwerber eine deutsche USt-IdNr. verwendet.1 Soweit bei der Einfuhr aus dem Drittlandsgebiet in das Inland der Lieferer oder sein Beauftragter (z.B. Spediteur) Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist,2 wird gem. § 3 Abs. 8 UStG3 bei Beförderungs- und Versendungsgeschäften der Ort der Lieferung in das Inland verlegt. § 3 Abs. 8 UStG geht dem § 3 Abs. 6 UStG als speziellere Regelung vor.4

10.20

Da sich der Ort der Lieferung im Rahmen des § 3 Abs. 8 UStG danach richtet, ob der Lieferer die Einfuhrumsatzsteuer schuldet, ergeben sich für die Beteiligten entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten. Vereinbaren nämlich die Vertragspartner, dass die Lieferung verzollt und versteuert erfolgen soll, so liegt der Lieferort bei Beförderungs- und Versendungsgeschäften gem. § 3 Abs. 8 UStG im Einfuhrland (Inland). Der Lieferer kann daher selbst die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen. Der Ort der Lieferung bestimmt sich auch dann nach § 3 Abs. 8 UStG, wenn der Lieferer als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer diese tatsächlich nicht abgeführt hat5 oder die Einfuhrumsatzsteuer wegen Steuerfreiheit nicht erhoben worden ist.6 Wird demgegenüber unverzollt und unversteuert geliefert, so liegt bei Beförderungs- und Versendungsgeschäften der Lieferort gem. § 3 Abs. 7 und 6 UStG im Lieferland (Drittland). In diesem Falle ist der Abnehmer zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigt.7

10.21

Die vom Gesetz eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten sind für den jeweiligen privaten Endverbraucher im Bestimmungsland so lange belastungsneutral, wie die Einfuhrumsatzsteuer durch den Importeur als Vorsteuer abgezogen werden kann. Ist dies indessen nicht der Fall, weil etwa die Lieferung unverzollt und unversteuert erfolgt und der Abnehmer als privater Endverbraucher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, können sich systemwidrige Belastungsdivergenzen ergeben. Sie beruhen darauf, dass das Entgelt (§ 10 Abs. 1 UStG) als Bemessungsgrundlage für die Lieferung nicht stets identisch ist mit der für die Einfuhrumsatzsteuer maßgeblichen Bemessungsgrundlage, dem Zollwert (§ 11 Abs. 1 UStG). Diese systemwidrigen Belastungsdivergenzen werden allerdings im Rahmen der für den nicht kommerziellen Reiseverkehr und für Kleinsendungen geltenden Vorschriften8 abgemildert.9 Für den innergemeinschaftlichen Fernverkauf mit privaten Endverbrauchern und bestimmten anderen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Abnehmern wird durch § 3c Abs. 1 UStG10 der Ort der Lieferung in das Bestimmungsland verlegt (Empfängerort). Entgegen § 3

1 Robisch in Bunjes21, § 25b UStG Rz. 9. 2 Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist die Person, die im eigenen Namen eine Zollanmeldung abgibt oder in deren Namen eine Zollanmeldung abgegeben wird; BFH v. 29.1.2015 – V R 5/14, BStBl. II 2015, 567; zu den Erfordernissen einer wirksamen direkten Vertretung gegenüber den Zollbehörden BFH v. 16.6.2015 – XI R 17/13, UR 2015, 830. 3 Art. 32 Abs. 2 MwStSystRL. 4 Wäger in Wäger2, § 3 UStG Rz. 492; Brandl in Bunjes21, § 3 UStG Rz. 226. 5 EuGH v. 29.3.2012 – C-414/10, ECLI:EU:C:2012:183 = DStR 2012, 697, Rz. 27 – Veleclair. 6 BFH v. 29.1.2015 – V R 5/14, BStBl. II 2015, 567; Abschn. 3.13 Abs. 1 Sätze 1–4 UStAE. 7 Vgl. hierzu die Beispiele in Abschn. 3.13 Abs. 2 UStAE. 8 Vgl. § 5 Abs. 2 u. 3 UStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Einreise-Freimengen-Verordnung (EF-VO); Wertgrenzen 300 Euro; für Flug- und Seereisende 430 Euro; für Reisende unter 15 Jahren 175 Euro (§ 2 Abs. 1 Nr. EF-VO) und § 1 Abs. 1 Kleinsendungs-Einfuhrfreimengen-Verordnung (KF-VO; Wertgrenze: 45 Euro). 9 Vgl. hierzu BFH v. 21.3.2007 – V R 32/05, BStBl. II 2008, 153. 10 Art. 33 bis 35 MwStSystRL.

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10.22

Kap. 10 Rz. 10.22 | Umsatzsteuer

Abs. 7 und 6 UStG wird für die Ortsbestimmung damit nicht auf den Beginn, sondern auf das Ende der Beförderung oder Versendung abgestellt. Diese Ortsbestimmung betrifft die Fälle, in denen der Lieferer Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versendet und der Abnehmer einen innergemeinschaftlichen Erwerb (§§ 1 Abs. 1 Nr. 5; 1a UStG) nicht zu versteuern hat. Diese von der Grundregel (§ 3 Abs. 7 Satz 1 UStG) abweichende Ortsbestimmung ist darauf gerichtet, vor allem Versandhändlern, die ihre Waren aus Mitgliedsländern versenden, in denen der Steuersatz niedriger als im Bestimmungsland ist, die hierdurch bedingten Wettbewerbsvorteile zu nehmen.

10.23

Voraussetzung für den Ort der Lieferung im Bestimmungsland ist, dass die Beförderung oder Versendung vom liefernden Unternehmer veranlasst wird. Wird der Gegenstand der Lieferung dagegen vom Abnehmer abgeholt oder lässt er ihn von einem Dritten abholen, richtet sich der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 6 UStG. Empfänger der Lieferungen dürfen nur solche Personen sein, die in § 3c Abs. 1 Satz 3 UStG aufgeführt sind. Zu diesem Personenkreis gehören insbesondere Nichtunternehmer (§ 3a Abs. 5 Satz 1 UStG) sowie nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer (§ 1a Abs. 3 Nr. 1 UStG), die weder die Erwerbsschwelle von EUR 10.000 (§ 3c Abs. 4 Satz 1 UStG) überschreiten noch auf ihre Anwendung verzichten.1 Die vorstehenden Voraussetzungen gelten nicht uneingeschränkt für alle innergemeinschaftlichen Fernverkäufe. Ausgenommen sind die Lieferung neuer Fahrzeuge, Montagelieferungen, differenzbesteuerte Lieferungen sowie die Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer (§ 3c Abs. 5 UStG).

10.24

Einstweilen frei.

10.25

Lieferungen von Gegenständen oder die Ausführung von Restaurationsleistungen2 während einer Beförderung innerhalb des Gemeinschaftsgebiets an Bord eines Schiffes, in einem Luftfahrzeug oder in einer Eisenbahn gelten als am Abgangsort des jeweiligen Beförderungsmittels erbracht (§ 3e Abs. 1 UStG).3 Damit wird in Abweichung von § 3 Abs. 7 und 6 UStG der Ort der Lieferung sowie der Ort der sonstigen Leistung zurückverlegt mit der Folge, dass für die vorbezeichneten Leistungen während einer Beförderung nicht mehrere Steuererklärungen in mehreren Mitgliedstaaten abzugeben sind, womit zugleich ein Besteuerungskonflikt zwischen den Mitgliedstaaten vermieden wird.4 Eine Personenbeförderung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes ist dann gegeben, wenn sowohl Abgangs- als auch Ankunftsort in der Gemeinschaft liegen und kein Zwischenaufenthalt außerhalb des Gemeinschaftsgebietes erfolgt oder wenn die Beförderung im Drittlandsgebiet beginnt oder endet und hierbei sowohl Abgangsals auch Ankunftsort, bei denen Reisende ein- und aussteigen können, im Gemeinschaftsgebiet liegen (§ 3e Abs. 2 UStG).

10.26

Für die Lieferung von Gas oder Elektrizität, Wärme- oder Kältenetze an Wiederverkäufer wird gem. § 3g Abs. 1 Satz 1 UStG5 als Ort der Lieferung der Ort fingiert, wo der Abnehmer sein Unternehmen betreibt (Empfängerort). Es ist allerdings der Ort der Betriebsstätte des Abnehmers maßgeblich, wenn an diese die Lieferung ausgeführt wird (§ 3g Abs. 1 Satz 2 1 Bei Beendigung der Beförderung oder Versendung in einen anderen Mitgliedsstaat ist die dort festgesetzte Erwerbsschwelle maßgeblich. 2 Hierzu zählt auch die Zusatzverpflegung an Bord von Flugzeugen; BFH v. 27.2.2014 – V R 14/13, BFH/NV 2014, 1168. 3 Art. 37, 57 MwStSystRL. 4 Vgl. EuGH v. 15.9.2005 – C-58/04, ECLI:EU:C:2005:553 = BStBl. II 2007, 150 Rz. 22 – Köhler; Sternberg in Wäger2, § 3e UStG Rz. 2. 5 Art. 38, 39 MwStSystRL.

430 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.29 Kap. 10

UStG). Für Lieferungen an Nichtunternehmer und Unternehmer für den eigenen Verbrauch ist demgegenüber auf den Verbrauchsort abzustellen, also darauf, wo sich der Zähler des Abnehmers befindet (§ 3g Abs. 2 UStG).1 Aus dieser speziellen Ortsregelung folgt, dass insoweit weder Ausfuhrlieferungen (§ 6 UStG) noch innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 6a UStG) vorliegen (§ 3g Abs. 3 UStG).2 Damit wird im Ergebnis die Wettbewerbsneutralität bei Energielieferungen gewährleistet.3 Lieferungen in den Freihäfen und Küstengewässern,4 die zum Ausland zählen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 UStG), sind insbesondere gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 und 4 UStG wie steuerbare Lieferungen im Inland zu behandeln, so dass insoweit die Ortsbestimmung des § 3 Abs. 7 UStG verdrängt wird.5

10.27

Diese Fiktion dient dem Ziel, Endverbraucherumsätze in den vorgenannten Gebieten steuerlich zu belasten.6 Erfasst werden vor allem die zum Gebrauch oder Verbrauch bestimmten Liefergegenstände (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Alt. 1 UStG), etwa die Lieferung von Speisen und Getränken auf Fährschiffen oder der Verkauf von Tabakwaren aus Automaten in Freihäfen,7 und von Schiffsausrüstungsgegenständen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Alt. 2 UStG)8 sowie Liefergegenstände, die sich im Zeitpunkt der Lieferung in einem zollamtlich bewilligten Freihafen-Veredelungsverkehr oder an einer zollamtlich zugelassenen Freihafenlagerung befinden (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a UStG), und Gegenstände, die sich einfuhrumsatzsteuerrechtlich im freien Verkehr befinden (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b UStG).9

10.28

3. Gegenstandsentnahmen Nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG10 wird einer Lieferung gegen Entgelt die Entnahme eines Gegenstandes aus dem Unternehmen für Zwecke außerhalb des Unternehmens gleichgestellt. Diese Fiktion, die sich sowohl auf die Lieferung als auch auf die Entgeltlichkeit bezieht, dient der Sicherstellung der Besteuerung des Letztverbrauchs, womit zugleich dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer entsprochen wird.11 Wie sich aus § 3 Abs. 1b Satz 2 UStG ergibt, ist die Regelung darauf angelegt, einen vorgenommenen Vorsteuerabzug zu neutralisieren.12 Um die Gleichstellung mit einer Lieferung gegen Entgelt zu gewährleisten, wird die tatbestandliche Reichweite der Gegenstandsentnahme durch § 3 Abs. 1 UStG begrenzt, so dass eine Gegenstandsentnahme nur vorliegt, wenn bei einer entsprechenden Leistung gegenüber einem anderen eine Lieferung gegeben wäre.13 Die Reichweite der Gegenstandsentnahme wird zugleich

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Abschn. 3g.1 Abs. 5 Satz 2 UStAE. Vgl. Abschn. 3g.1 Abs. 6 Satz 2 UStAE. Hierzu Nieskens, UR 2005, 57 (58). Es handelt sich hierbei um die Gewässer und Watten zwischen der Hoheitsgrenze und der jeweiligen Strandlinie (§ 1 Abs. 3 Satz 1 UStG). Martin in S/R, § 3 UStG Rz. 502 f. Hierzu im Einzelnen Nieskens in R/D, § 1 UStG Rz. 108, 1484, 1532. Vgl. Abschn. 1.11 UStAE. Einzelheiten bei Nieskens in R/D, § 1 UStG Rz. 1504 ff. Vgl. Abschn. 1.12 UStAE. Art. 16 MwStSystRL. Wäger in Wäger2, § 3 UStG Rz. 78; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.153. EuGH v. 8.3.2001 – C-415/98, ECLI:EU:C:2001:136 = Slg. 2001, I-1831, Rz. 42 ff. – Bakcsi; Wäger in Wäger2, § 3 UStG Rz. 80; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.154. Hierzu Fritsch in R/K/L, § 3 UStG Rz. 322.20; Abschn. 3.3 Abs. 5 Satz1 UStAE.

Schaumburg | 431

10.29

Kap. 10 Rz. 10.29 | Umsatzsteuer

aber auch begrenzt durch § 3 Abs. 1b Satz 2 UStG, so dass nur vorsteuerentlastete Gegenstände erfasst werden.

10.30

§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG setzt eine Entnahme für Zwecke außerhalb des Unternehmens voraus. Betroffen hierdurch sind nicht nur natürliche Personen, sondern auch Personengesellschaften, Kapitalgesellschaften und juristische Personen des öffentlichen Rechts, denn auch diese können Zwecke verfolgen, die außerhalb des Unternehmens liegen, so etwa die Zuwendung von bislang im Unternehmen genutzten Gegenständen an Anteilseigner für deren privaten Bedarf.1

10.31

Für den Ort der Gegenstandsentnahme gibt es keine besondere Regelung,2 so dass die für entgeltliche Leistungen geltenden Ortsregelungen entsprechend anzuwenden sind.3

4. Personalzuwendungen 10.32

Nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2 UStG wird bei einer unentgeltlichen Zuwendung eines Gegenstandes durch einen Unternehmer an sein Personal für dessen privaten Bedarf die Entgeltlichkeit der Lieferung fingiert, soweit keine Aufmerksamkeit vorliegt. Damit wird, wie sich aus § 3 Abs. 1b Satz 2 UStG ergibt, ein etwa zuvor vorgenommener Vorsteuerabzug neutralisiert4 und zugleich ein unversteuerter Endverbrauch vermieden.5 Im Hinblick darauf kommt § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2 UStG von vorneherein nicht in Betracht, wenn bereits beim Leistungsbezug wegen der beabsichtigten unentgeltlichen Wertabgabe an das Personal der Vorsteuerabzug zu versagen war.6 Der Anwendungsbereich ist in der Praxis begrenzt, weil einerseits ohnehin Entgeltlichkeit anzunehmen ist, wenn die Gegenleistung in der anteiligen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers liegt, und andererseits bloße Aufmerksamkeiten, womit geringwertige Geschenke gemeint sind,7 von der Vorschrift nicht erfasst werden. Schließlich entfällt auch eine Besteuerung in den Fällen, in denen die über bloße Aufmerksamkeiten hinausgehenden Zuwendungen an Arbeitnehmer der Ausführung entgeltlicher Umsätze dienen, womit im Wesentlichen die Überlassung von Dienstkleidung und Arbeitsmitteln gemeint ist.8 Der Ort dieser unentgeltlichen Lieferung richtet sich nach den allgemeinen für entgeltliche Leistungen geltenden Ortsregelungen.9

5. Unentgeltliche Lieferungen 10.33

§ 3 Abs. 1b Nr. 3 UStG erfasst schließlich auch andere unentgeltliche Zuwendungen von Gegenständen, ausgenommen Geschenke von geringem Wert und Warenmuster für Zwecke des Unternehmens. Auch hier geht es darum, den zuvor geltend gemachten Vorsteuerabzug zu 1 BFH v. 10.3.1994 – V R 91/91, BFH/NV 1995, 451; Fritsch in R/K/L, § 3 UStG Rz. 322.24; Abschn. 3.2 Abs. 1 Satz 2 UStAE. 2 § 3f UStG ist mit Wirkung zum 18.12.2019 durch Gesetz v. 12.12.2019 (BGBl. I 2019, 2451) entfallen. 3 Zur Kritik Wäger in Wäger2, § 3 UStG Rz. 90 ff. 4 Hierzu Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 1308. 5 Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 1308; zur Kritik Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.157. 6 BFH v. 9.10.2010 – V R 17/10, BStBl. II 2012, 53 betr. Betriebsausflug, soweit keine Aufmerksamkeit (Grenze 110 Euro) vorliegt. 7 Abschn. 1.8 Abs. 3 Satz 2 UStAE (Wert: 60 Euro). 8 Vgl. die Aufstellung in Abschn. 1.8 Abs. 4 Satz 3 UStAE. 9 § 3f UStG ist mit Wirkung zum 18.12.2019 durch Gesetz v. 12.12.2019 (BGBl. I 2019, 2451) entfallen.

432 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.34 Kap. 10

neutralisieren (§ 3 Abs. 1b Satz 2 UStG).1 Maßgeblich sind hier ebenfalls die allgemeinen Ortsregelungen.

6. Sonstige Leistungen im Inland Literatur: Kommentare zu § 3a UStG; Ammann, Feststellung des umsatzsteuerlichen Leistungsortes bei der Vermietung von international eingesetzten Güterbeförderungsmitteln, UR 2008, 175; Becker, BMF-Schreiben vom 18.12.2012 zum Leistungsort bei grundstücksbezogenen Dienstleistungen, UStB 2013, 84; Dahm/Hamacher, Vermögensverwaltung und Umsatzsteuer, UR 2012, 817; Golke, Grenzüberschreitende Grundstücksumsätze UStB 2011, 106; Erdbrügger, Änderung der EU-Umsatzsteuervorschriften für den E-Commerce ab 2019 bzw. 2021, DStR 2018, 593; Feil/Weigl/Rothballer, Neureglung der Ortsbestimmung bei an Nichtunternehmer elektronisch erbrachten Dienstleistungen, BB 2014, 2072; Grambeck, Eigenhandel mit Eintrittskarten, UR 2009, 220; Grambeck, Leistungsort für Güterbeförderungsleistungen im Drittland, UStB 2012, 133; Grebel/Raudszus, Aktuelles zu Umsätzen im Zusammenhang mit Grundstücken, UStB 2018, 277; Hamm, Vermögensverwaltung mit Wertpapieren und Umsatzsteuer, DStR 2012, 1691; Heinrichshofen, Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zum Ort von Veranstaltungsleistungen: Deutschland als Niedrigsteuerland für bestimmte Veranstaltungen?, UVR 2019, 285; Jansen, Neue Ortsregelungen für sonstige Leistungen ab 2010, UR 2008, 837; Jansen, Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück, UR 2013, 693; Keese, Ort der sonstigen Leistung für Fahrzeugüberlassungen an Nichtunternehmer im Ausland ab 2013, UR 2013, 706; Kemper, Bestimmung des Leistungsorts am Beispiel der auf elektronischem Weg erbrachten sonstigen Leistungen, UR 2015, 649; Kirchhof, Entwicklungsmöglichkeiten der Umsatzsteuer im Rahmen von Verfassungs- und Europarecht, UR 2002, 541; Korf, Welcher Umsatz bestimmt den Ort der Vermittlungsleistung?, UVR 2009, 153; Kußmaul/Naumann, Grenzüberschreitende elektronische Dienstleistungen in der Umsatzsteuer – Kritische Betrachtung der geltenden B2C-Regelungen, MwStR 2016, 565; Menner, Die Umsatzsteuer-Harmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft, Köln 1992; Monfort, JStG 2009: Der neue Ort der sonstigen Leistung ab 2010, DStR 2008, 297; Neeser, Sitz des Leistungsempfängers, UR 2008, 774; Neeser, Ausgewählte Praxisprobleme nach der Neuregelung zum Ort der sonstigen Leistung, UVR 2010, 375; Nieskens, Gemeinschafterrechtliche Neuregelungen zum Ort der sonstigen Leistung, UR 2008, 677; Nieskens, Status, Eigenschaft und Ort des Dienstleistungsempfängers, DB 2011, 1470; Spilker, Umsatzsteuerliche Behandlung von Beratungsleistungen im Zusammenhang mit Veräußerung und Erwerb von Grundstücken, UR 2010, 473; Sterzinger, Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken, UStB 2013, 156; Stöbner/Gach, Umsatzsteuerliche Rechtsentwicklungen bei Messen, DStR 2012, 11; Szymczak, Umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Leistungen von Rechtsberatern und Testamentsvollstreckern, UStB 2019, 248; Weimann, Neuregelung des Leistungsortes für kulturelle künstlerische u.ä. Leistungen sowie Messen und Ausstellungen, UStB 2011, 166; Widmann, Ort der Lieferung und der sonstigen Leistung unter Berücksichtigung der Regelungen innerhalb und außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, DStJG 13 (1990), 119.

Sonstige Leistungen sind gem. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG2 Leistungen, die keine Lieferungen sind. Der wirtschaftliche Schwerpunkt der sonstigen Leistung besteht im Gegensatz zur Lieferung nicht in der Zuwendung eines Gegenstandes, sondern in der Erbringung einer Dienstleistung, in einer Nutzungsüberlassung oder in der Übertragung eines Rechtes. Die sonstige Leistung kann auch in einem Unterlassen oder im Dulden einer Handlung oder eines Zustandes bestehen (§ 3 Abs. 9 Satz 2 UStG).

1 Zur Kritik an dieser Regelung Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.158; vgl. zur Ortsbestimmung Rz. 10.32. 2 Art. 24 Abs. 1 u. Art. 25 Buchst. b MwStSystRL.

Schaumburg | 433

10.34

Kap. 10 Rz. 10.35 | Umsatzsteuer

10.35

Sonstige Leistungen sind nur dann steuerbar, wenn sie im Inland erbracht werden. Das auch für sonstige Leistungen im Grundsatz maßgebliche Bestimmungslandprinzip wird im Unterschied zu Lieferungen nicht durch eine zweistufige Steuertechnik – Steuerbarkeit und Steuerfreiheit – umgesetzt, sondern allein durch die in § 3a Abs. 2 UStG verankerten Ortsbestimmungen. Insbesondere § 3a Abs. 2 UStG1 geht hierbei typisierend davon aus, dass bei einer an einen Unternehmer erbrachten sonstige Leistungen die Inanspruchnahme derselben dort erfolgt, wo der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Soweit das Bestimmungslandprinzip in § 3a UStG nach Maßgabe der MwStSystRL umgesetzt worden ist, ergeben sich innerhalb der EU wegen der weitgehenden Harmonisierung keine besonderen Abgrenzungsschwierigkeiten. Im Verhältnis zu Drittstaaten kommt es dagegen zu einer Doppelbesteuerung oder doppelten Nichtbesteuerung (Minderbesteuerung) mit der Folge von Wettbewerbsverzerrungen.2

10.36

Da mit einer konsequenten Umsetzung des Bestimmungslandprinzips bei der Feststellung und Durchsetzung der Steueransprüche Vollzugsdefizite bestehen,3 enthält § 3a UStG bedeutsame Abweichungen von dem an sich gebotenen Bestimmungslandprinzip. So verwirklicht § 3a Abs. 1 UStG für sonstige Leistungen unmittelbar für Zwecke des Endverbrauchs das Herkunftslandprinzip, während für sonstige Leistungen an Unternehmer für Zwecke des Unternehmens das Bestimmungslandprinzip (Empfängerortprinzip) zur Geltung kommt. Abweichend von diesen Grundregeln enthält § 3a Abs. 3 UStG unterschiedliche Ortsbestimmungen. Insgesamt enthält der für die Bestimmung des Orts der sonstigen Leistung maßgebliche § 3a UStG eine kasuistische Regelung, wonach abzustellen ist, auf den – Unternehmensort (§ 3a Abs. 1 UStG), – Empfängerort (§ 3a Abs. 2, 4, 5 UStG), – Grundstücksort (§ 3a Abs. 3 Nr. 1 UStG), – Übergabeort (§ 3a Abs. 3 Nr. 2 UStG), – Tätigkeitsort (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 UStG), – Umsatzort (§ 3a Abs. 3 Nr. 4 UStG) und den – Nutzungsort (§ 3a Abs. 6, 7, 8 UStG).

10.37

Darüber hinaus enthalten Sonderregelungen weitere Bestimmungsorte, insbesondere den – Beförderungsort (§ 3b Abs. 1 UStG), – Erbringungsort (§ 3b Abs. 2 UStG), – Abgangsort (§§ 3b Abs. 3; 3e UStG) und den – Unternehmensort (§ 25 Abs. 1 UStG).

10.38

§ 3a Abs. 1 UStG stellt für den Ort der sonstigen Leistung als gesetzliche Grundregel auf den Unternehmensort ab. Danach ist grundsätzlich derjenige Ort maßgebend, von dem aus das Unternehmen betrieben wird (§ 3a Abs. 1 Satz 1 UStG). Das Unternehmen wird dort betrie-

1 Zu den unionsrechtlichen Grundlagen Heinrichshofen in Wäger2, § 3a UStG Rz. 16. 2 Zu den Bemühungen der OECD, weltweit die Ortsbestimmung für grenzüberschreitende Dienstleistungen zu vereinheitlichen s. OECD, International VAT/GST Guide Lines 2016; vgl. hierzu Lamensch, Intertax 2016, 360. 3 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.431.

434 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.41 Kap. 10

ben, wo der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit ist (Art. 44 Satz 1 MwStSystRL), also dort, wo die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung des Unternehmens getroffen werden (Art. 10 Abs. 2 MwStDVO).1 Der Unternehmensort ist daher regelmäßig mit dem Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO; Rz. 7.2 f.) identisch.2 Bei natürlichen Personen ist das im Zweifel der Wohnsitz (§ 8 AO) oder der gewöhnliche Aufenthalt (§ 9 AO).3 Wird die sonstige Leistung von einer Betriebsstätte ausgeführt, so gilt die Betriebsstätte4 als Ort der sonstigen Leistung (§ 3a Abs. 1 Satz 2 UStG). Wird eine (teilbare) sonstige Leistung sowohl an dem Ort, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt (Sitzort), als auch von einer Betriebsstätte ausgeführt, so ist der Leistungsort nach dem Ort zu bestimmen, an dem die sonstige Leistung überwiegend erbracht wird,5 wobei im Zweifel die Zuordnung zum Sitzort Vorrang hat.6 Das Unternehmensortprinzip ist lediglich subsidiärer Natur7 und fungiert nur als Auffangnorm bei denjenigen sonstigen Leistungen gegenüber Nichtunternehmern, für die es keine gesonderte Regelung gibt. Es gilt insbesondere für Leistungen von Reiseleitern, Testamentsvollstreckern und Notaren.8

10.39

Das Unternehmensortprinzip des § 3a Abs. 1 UStG ist systemwidrig, weil es dem Ursprungslandprinzip nicht aber dem Bestimmungslandprinzip entspricht. Dieses Bestimmungslandprinzip gilt nicht nur für Lieferungen, sondern auch für sonstige Leistungen. Danach soll der private Endverbraucher in Höhe der im Bestimmungsland geltenden Umsatzsteuer belastet werden.9 Da das Umsatzsteuergesetz für grenzüberschreitende sonstige Leistungen grundsätzlich keinen Steuerausgleich vorsieht, der Export sonstiger Leistungen demnach nicht steuerfrei ist, hätte dem Bestimmungslandprinzip allein das Empfängerortprinzip, wie es in § 3a Abs. 2, 4 und 5 UStG seinen Niederschlag gefunden hat, entsprochen. Wegen der in den einzelnen Ländern unterschiedlich bestehenden Umsatzsteuersätze kommt es daher zu Belastungsdivergenzen sowie im Verhältnis zu Drittlandsgebieten u.U. auch zu Doppelbesteuerungen und damit zu Wettbewerbsverzerrungen.10

10.40

Der Empfängerort gilt für sonstige Leistungen, die an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt werden (§ 3a Abs. 2 UStG). Für die Ortsbestimmung wird auf den Ort abgestellt, an dem der Empfänger der sonstigen Leistung sein Unternehmen betreibt (§ 3a Abs. 2 Satz 1 UStG). Wird die sonstige Leistung an die Betriebsstätte11 eines Unternehmens erbracht,

10.41

1 2 3 4

5 6 7 8 9 10 11

Vgl. Abschn. 3a.1 Abs. 1 Sätze 4 ff. UStAE. Wäger in S/R, § 3a UStG Rz. 58. Vgl. Abschn. 3.1a Abs. 1 Sätze 8,9 UStAE. Nicht i.S. von § 12 AO, sondern in Orientierung an Art. 45 Satz 2 MwstSystRL (Art. 11 MwStDVO) im Sinne einer festen („aktiven“) Niederlassung (Art. 11 Abs. 2 MwStDVO); Heinrichshofen in Wäger2, § 3a UStG Rz. 56; Korn in Bunjes21, § 3a UStG Rz. 14; Monfort, UR 2012, 341 (347 f.); vgl. auch Abschn. 3a.1 Abs. 3 UStAE. Vgl. Abschn. 3a.1 Abs. 2 Satz 4 UStAE. Korn in Bunjes21, § 3a UStG Rz. 9. §§ 3a Abs. 2 bis 8; 3b, 3e UStG gehen vor; Heinrichshofen in Wäger2, § 3a UStG Rz. 35. Vgl. die Aufzählung in Abschn. 3a.1 Abs. 4 UStAE. Unter Verbrauchsteuergesichtspunkten ist daher eine Differenzierung zwischen Lieferung und sonstiger Leistung insoweit nicht gerechtfertigt; hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 990; Kirchhof, UR 2002, 541 (545). Hierzu Stadie in R/D, § 3a UStG Rz. 12. Nicht i.S. von § 12 AO, sondern in Orientierung an Art. 44 Satz 2 MwStSystRL im Sinne einer festen („passiven“) Niederlassung (Art. 11 Abs. 1 MwStDVO); vgl. Korn in Bunjes21, § 3a UStG Rz. 10 f.; Monfort, UR 2012, 341 (348).

Schaumburg | 435

Kap. 10 Rz. 10.41 | Umsatzsteuer

so ist stattdessen der Ort der Betriebsstätte maßgebend (§ 3a Abs. 2 Satz 2 UStG). Auch hier hat im Zweifel die Zuordnung zum Unternehmensort Vorrang (Rz. 10.38 ff.).1 Entsprechendes gilt bei sonstigen Leistungen an eine ausschließlich nicht unternehmerisch tätige juristische Person, der eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt worden ist (§ 3a Abs. 2 Satz 3 UStG). Die vorstehende auf den Empfängerort abstellende Regelung hat nur Bedeutung für grenzüberschreitende sonstige Leistungen, wenn also Leistende und Leistungsempfänger in verschiedenen Staaten ihr Unternehmen betreiben. In diesem Fall ist die sonstige Leistung im Staat des Leistenden nicht steuerbar. § 3a Abs. 2 UStG gilt vorbehaltlich der Abs. 3 bis 8 und der §§ 3b und 3e UStG. Mit der Empfängerort-Regelung in § 3a Abs. 2 UStG korrespondieren die gemeinschaftsweit geltenden Regelungen über die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers,2 so dass der Leistende die Steuer im Bestimmungsland nicht berechnen und abführen muss. Damit wird im Gemeinschaftsgebiet das Bestimmungslandprinzip konsequent umgesetzt.3 § 3a Abs. 2 UStG hat insoweit eine begrenzte Reichweite, als der Empfängerort nur dann zur Geltung kommt, wenn die sonstige Leistung an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Dies setzt voraus, dass der leistende (inländische) Unternehmer Kenntnis von der Unternehmereigenschaft des Empfängers erhält. Im Zweifel wird hierfür die Vorlage einer durch das Bundeszentralamt für Steuern gem. § 18e Nr. 1 UStG bestätigten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ausreichen.4 Wird eine derart bestätigte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet, kann auch davon ausgegangen werden, dass die sonstigen Leistungen für den unternehmerischen Bereich des betreffenden Leistungsempfängers bezogen werden (Art. 18 Abs. 1, 19 MwStDVO).5 Betreibt der Leistungsempfänger sein Unternehmen im Drittlandsgebiet, kann der Unternehmernachweis durch eine Unternehmerbescheinigung der zuständigen Behörde des anderen Staates oder bei fehlender Bescheinigung anderweitig erbracht werden.6

10.42

Für gegenüber Unternehmern erbrachten Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen sowie elektronisch erbrachten Dienstleistungen enthält Art. 24a MwStDVO7 eine Vermutungsregelung,8 wonach als Empfängerort der Ort gilt, an dem der Leistungsempfänger die Leistung in Anspruch nimmt. Es geht dabei darum, dass der Leistungsempfänger an bestimmten Orten – Telefonzellen, Kiosk-Telefonen, WLAN-Hot-Spots, Internetcafés, Restaurants oder Hotellobbys – physisch anwesend sein muss, damit ihm der Leistende die vorgenannten Dienstleistungen überhaupt erbringen kann (Art. 24a Abs. 1 MwStDVO).9 Im Ergebnis entspricht damit der (fingierte) Empfängerort dem Erbringungsort.10 Werden die vorgenannten Leistungen allerdings an Bord eines Schiffs, eines Flugzeugs oder in einer Eisenbahn während des innerhalb des Gemeinschaftsgebiets stattfindenden Teils einer Personenbeförderung (§ 3e Abs. 2 UStG) erbracht, gilt abweichend von § 3a Abs. 2 UStG der Abgangsort

1 EuGH v. 16.10.2014 – C-605/12, ECLI:EU:C:2014:2298 = DStR 2014, 2169 – Welmory; vgl. zur Kritik Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.436. 2 Art. 196 MwStSystRL; vgl. § 13b Abs. 1, 2 Nr. 1, 5, 7 UStG. 3 Stadie in R/D, § 3a UStG Rz. 121. 4 Insoweit besteht Vertrauensschutz; Abschn. 3a.2 Abs. 9 Sätze 4 u. 5 UStAE. 5 Korn in Bunjes21, § 3a UStG Rz. 35; vgl. Abschn. 3a.2 Abs. 9 Sätze 4 u. 5 UStAE. 6 Vgl. Abschn. 3a.2 Abs. 11 UStAE. 7 Gilt ab 1.1.2015. 8 Die Vermutung kann widerlegt werden (Art. 24d–f MwStDVO). 9 Vgl. Abschn. 3a.2 Abs. 5a Satz 1 UStAE. 10 Heinrichshofen in Wäger2, § 3a UStG Rz. 68.

436 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.45 Kap. 10

des jeweiligen Beförderungsmittels im Gemeinschaftsgebiet als Ort der sonstigen Leistung (Art. 24a Abs. 2 MwStDVO).1 Der Empfängerort ist auch maßgeblich für die in § 3a Abs. 4 UStG genannten Katalogleistungen,2 die an in einem Drittlandsgebiet ansässige Leistungsempfänger erbracht werden, die keine Unternehmer sind, die die Leistung für ihr Unternehmen beziehen, und keine nicht unternehmerischen juristischen Personen mit USt-IdNr. sind. Insoweit wird also im Unterschied zu gegenüber im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Nichtunternehmern erbrachten sonstigen Leistungen, für die über die Anknüpfung an den Unternehmensort (§ 3a Abs. 1 UStG) das Ursprungslandprinzip gilt (Rz. 10.40), das Bestimmungslandprinzip verwirklicht. Ob der Empfänger Nichtunternehmer und zudem im Drittlandsgebiet ansässig ist, hat der leistende Unternehmer aus den ihm zugänglichen Informationen abzuleiten. Dabei reicht es aus, wenn ihm die vorstehenden Eigenschaften durch entsprechende Zusicherungen des Empfängers bestätigt werden. Darüber hinaus gehende Nachforschungspflichten bestehen nicht.3

10.43

Die in § 3a Abs. 4 Satz 2 UStG aufgeführten Katalogleistungen4 haben in der Praxis eine nur eingeschränkte Bedeutung, weil es sich überwiegend um sonstige Leistungen handelt, die typischerweise gegenüber Unternehmen erbracht werden und zudenen § 3a Abs. 3 UStG vorrangig ist.5 Im Hinblick darauf ist § 3a Abs. 4 UStG im Wesentlichen relevant für freiberufliche Leistungen (§ 3a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 UStG), Bank- und Finanzdienstleistungen (§ 3a Abs. 4 Satz 2 Nr. 6 UStG) und für die Vermietung von Beförderungsmitteln (§ 3a Abs. 4 Satz 2 Nr. 10 UStG).

10.44

Der Empfängerort gilt schließlich auch für die Erbringung von Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen sowie für elektronisch erbrachte Dienstleistungen (TRFELeistungen)6 an Nichtunternehmer, also Personen, die keine Unternehmer sind, die die Leistung für ihr Unternehmen beziehen, keine nichtunternehmerische juristische Personen mit USt-IdNr. und keine nur teilweise unternehmerisch tätige Person sind, die die Leistung für den privaten Bedarf des Personals oder der Gesellschafter beziehen (§ 3a Abs. 5 Satz 1 UStG). Diese Sonderregelung7 zielt darauf ab, die Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der unterschiedlichen Steuersätze insbesondere für elektronisch erbrachte Dienstleistungen8 innerhalb der EU zu vermeiden.9 Während der leistende Unternehmer von einem nichtunternehmerischen Leistungsbezug ausgehen kann, wenn ihm der Leistungsempfänger keine USt-IdNr. mitteilt (Art. 18 Abs. 2 UAbs. 2 MwStDVO),10 stehen dem leistenden Unternehmer für die Ansässigkeit des Leistungsempfängers verschiedene Vermutungsregelungen zur Verfügung, die die Umsetzung des Empfängerortsprinzips erleichtern (Art. 24a, 24b MwStDVO).11 Der Empfängerort ist allerdings dann nicht maßgeblich, wenn der ausländische Unternehmer nur in einem Mitglied-

10.45

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Abschn. 3a.2 Abs. 5a Satz 2 UStAE. Zu Einzelheiten Abschn. 3a.9 UStAE Hierzu Stadie in R/D, § 3a UStG Rz. 488. Vgl. im Einzelnen Abschn. 3a.9 UStAE. Korn in Bunjes21, § 3a UStG Rz. 82. Vgl. zu Einzelheiten dieser sonstigen Leistungen Abschn. 3a.10, 3a.11 und 3a.12 UStAE. Der unternehmerische Leistungsbezug wird von § 3a Abs. 2 UStG erfasst. Z.B. Download von Software, Multimediadateien, E-Books; vgl. auch BFH v. 1.6.2016 – X I R 29/ 14, BStBl. II 2016, 905. 9 Geltung ab 1.1.2015 auf Grundlage von Art. 58 MwStSystRL; vgl. hierzu Kußmaul/Naumann, MwStR 2016, 565 ff. 10 Vgl. Abschn. 3a.9a Abs. 1 Satz 2 UStAE. 11 Vgl. zu den einzelnen Fallgruppen Abschn. 3a.9a Abs. 3–5 UStAE.

Schaumburg | 437

Kap. 10 Rz. 10.45 | Umsatzsteuer

staat ansässig ist und sämtliche Entgelte seiner im gesamten übrigen Gemeinschaftsgebiet erbrachten TRFE-Leistungen und aus innergemeinschaftlichen Fernverkäufen nach § 3c Abs. 1 Sätze 2, 3 UStG insgesamt EUR 10.000 im vorangegangenen Kalenderjahr nicht überschritten haben und im laufenden Kalenderjahr nicht überschreitet (§ 3a Abs. 5 Satz 3 UStG). Diese Bagatellregelung soll im Inland nicht registrierte ausländische Unternehmer vom administrativen Mehraufwand verschonen.1

10.46

Da die Leistungsempfänger der in § 3a Abs. 5 UStG genannten sonstigen Leistungen (TRFELeistungen) keine Unternehmer sind, scheidet die Anwendung von § 13b Abs. 5 UStG (Reverse-Charge-Verfahren) mit der Folge aus, dass für die leistenden Unternehmer an sich das übliche Besteuerungsverfahren Geltung hätte. Um hierfür das Steueraufkommen gleichermaßen zu sichern und zudem das Verfahren zu vereinfachen, sind für Drittlandsunternehmer und für in der EU ansässige Unternehmer besondere Besteuerungsverfahren vorgesehen. Hiernach können Drittlandsunternehmer, die ausschließlich TRFE-Leistungen an in der EU ansässige Nichtunternehmer erbringen, das sog. One-Stop-Shop (OSS)-Verfahren (§ 18i UStG) in Anspruch nehmen,2 so dass sie im Ergebnis die betreffenden Umsätze nur in einem EU-Staat zu erklären haben,3 wobei die Vorsteuerbeträge nur im Vergütungsverfahren (§ 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV) geltend gemacht werden dürfen (§ 16 Abs. 1a Satz 3 UStG).4 Eine vergleichbare Regelung5 gilt auch für leistende EU-Unternehmer: Die USt für sonstige Leistungen mit Leistungsort in anderen EU-Staaten können in dem EU-Staat erklärt werden, in dem der leistende Unternehmer ansässig ist (§ 18j UStG).6 Dieses besondere Besteuerungsverfahren kann für nach dem 30.6.2021 innerhalb eines Mitgliedstaates ausgeführte Lieferungen durch Schnittstellenbetreiber (§ 3 Abs. 3a Satz 1 UStG), für innergemeinschaftliche Fernverkäufe (§ 3c Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG) und schließlich für sonstige Leistungen an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Nichtunternehmer (§ 3a Abs. 5 Satz 1 UStG) in Anspruch genommen werden.7

10.47

Der Grundstücksort gem. § 3a Abs. 3 Nr. 1 UStG ist maßgeblich für sonstige Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück8 (Belegenheitsprinzip), wobei ein hinreichend direkter Zusammenhang erforderlich ist,9 so dass das Grundstück selbst Gegenstand der sonstigen Leistung sein muss.10 Die anderen Ortsbestimmungen des § 3a Abs. 1 und 2 UStG treten demgegenüber zurück. Unter das Belegenheitsprinzip fallen z.B. die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken, die sonstigen Leistungen von Grundstücksmaklern und -sachverstän1 Heinrichshofen in Wäger2, § 3a UStG Rz. 304. 2 § 18i UStG findet Anwendung auf Drittlandsunternehmer, die nach dem 30.6.2021 sonstige Leistungen an Empfänger nach § 3a Abs. 5 Satz 1 UStG erbringen; für den Zeitraum davor greift § 18 Abs. 4c UStG ein (JStG 2020 v. 21.12.2020, BGBl. I 2020, 3096). 3 Einzelheiten zu diesem Verfahren Abschn. 18.7a UStAE. 4 Vgl. Abschn. 18.7a Abs. 8 UStAE. 5 Sog. One-Stop-Shop-Verfahren (OSS) gem. § 18j UStG mit Wirkung für Umsätze, die nach dem 30.6.2021 ausgeführt werden. 6 Zu Einzelheiten Abschn. 18.7b UStAE. 7 Vgl. hierzu die Übersicht bei Heidner in Bunjes21, § 18j UStG Rz. 2 ff. 8 Der Grundstücksbegriff ist funktional und nicht bürgerlich-rechtlich zu verstehen, EuGH v. 16.1.2003 – C-315/00, ECLI:EU:C:2003:23 = UR 2003, 86 – Maierhofer; Wäger in S/R, § 3a UStG Rz. 103 f.; Abschn. 3a.3 Abs. 2 Satz 3 UStAE. 9 Art. 31a MwStDVO; EuGH v. 3.9.2009 – C-37/08, ECLI:EU:C:2009:507 = Slg. 2009, I-74533, Rz. 36 – RCI; BFH v. 8.9.2011 – V R 42/10, BStBl. II 2012, 248 Rz. 30; zu Einzelheiten Wäger in S/R, § 3a UStG Rz. 105 ff. 10 Vgl. Abschn. 3a.3 Abs. 3a UStAE.

438 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.49 Kap. 10

digen, Architekten, Gärtnern und Gebäudereinigern.1 Hierzu zählen ferner Leistungen bei der Errichtung eines Windparks in Zusammenhang mit einem ausdrücklich bestimmten Grundstück2 und die Überlassung von Standflächen auf Messen und Ausstellungen.3 Im Gegensatz zum Unternehmensortprinzip entspricht das Belegenheitsprinzip des § 3a Abs. 3 Nr. 1 UStG dem Bestimmungslandprinzip. Damit wird zugleich die Wettbewerbsneutralität gewahrt, so dass es einerlei ist, ob im Zusammenhang mit einem Grundstück sonstige Leistungen aus dem Inland oder aus dem Ausland in Anspruch genommen werden. Es besteht freilich die Gefahr der Nichtbesteuerung, wenn der leistende Unternehmer im Ausland ansässig und der Leistungsempfänger Nichtunternehmer ist, so dass insoweit dessen Steuerschuldnerschaft gem. § 13b UStG ausscheidet.4 Allerdings kann in den vorgenannten Fällen der ausländische Unternehmer ab 1.7.2021 vom besonderen Besteuerungsverfahren des One-StopShop (OSS) Gebrauch machen.5

10.48

Für die kurzfristige Vermietung eines Beförderungsmittels ist der Übergabeort der maßgebliche Ort der sonstigen Leistungen (§ 3a Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 UStG). Das ist der Ort, an dem das Beförderungsmittel dem Mieter tatsächlich zur Verfügung gestellt wird, ohne dass es darauf ankommt, wo das Beförderungsmittel letztendlich genutzt wird. Zu den in Betracht kommenden Beförderungsmitteln gehören nur solche, deren Hauptzweck auf die Beförderung von Personen und Gütern zu Lande, zu Wasser oder in der Luft gerichtet ist und die sich auch tatsächlich fortbewegen (Art. 38 Abs. 1 MwStDVO). Angesprochen sind damit etwa Fahrzeuganhänger, Eisenbahnwaggons, Segelboote, Ruderboote, nicht aber etwa Bagger, Planierraupen usw.6 Von der Reichweite des § 3a Abs. 3 Nr. 2 UStG wird auch die Vermietung von Beförderungsmitteln erfasst, soweit in diesem Zusammenhang zusätzlich auch Personal gestellt wird, wenn dieses den Weisungen des Mieters (Leistungsempfängers) zu folgen verpflichtet ist. Hierzu zählt etwa die Vercharterung einer Segel- oder Motorjacht mit Besatzung. Demgegenüber liegt allerdings eine Beförderungsleistung, deren Ort sich nach § 3b UStG bestimmt, vor, wenn der Vermieter (Vercharterer) vertraglich eine bestimmte Beförderung schuldet und hierfür auch die Verantwortung übernimmt.7 Unter § 3a Abs. 3 Nr. 2 UStG fällt schließlich nur die Vermietung über einen kurzen Zeitraum, und zwar von nicht mehr als 90 Tagen bei Wasserfahrzeugen und von nicht mehr als 30 Tagen bei anderen Beförderungsmitteln (§ 3a Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 UStG). Die langfristige Vermietung an Unternehmer und nichtunternehmerische juristische Personen mit USt-IdNr. wird daher am Empfängerort (§ 3a Abs. 2 UStG) erbracht. Dies gilt aufgrund der Sonderregelung in § 3a Abs. 3 Nr. 2 Satz 3 UStG auch für entsprechende Vermietungsleistungen an Nichtunternehmer, es sei denn, Gegenstand der Vermietung ist ein Sportboot: Hier richtet sich der Leistungsort wiederum nach dem Übergabeort, wenn sich dort auch der Sitz, die Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte des Unternehmers befindet (§ 3a Abs. 3 Nr. 2 Satz 4 UStG).

10.49

1 2 3 4 5

Zu Einzelfällen Abschn. 3a.3 Abs. 4 ff. UStAE. Vgl. Abschn. 3a.3 Abs. 9 Nr. 8 UStAE. Vgl. Abschn. 3a.4. Hierzu Stadie in R/D, § 3a UStG Rz. 130. Vgl. § 18i UStG für Drittlandsunternehmer und § 18j UStG für EU-Unternehmer; vgl. Korn in Bunjes21, § 3a UStG Rz. 43. 6 Vgl. hierzu die Aufzählung in Abschn. 3a.5 Abs. 2 Sätze 2 ff. UStAE. 7 Vgl. Abschn. 3a.5 Abs. 3 UStAE.

Schaumburg | 439

Kap. 10 Rz. 10.50 | Umsatzsteuer

10.50

Der Tätigkeitsort ist als Bestimmungsort maßgeblich für – kulturelle, künstlerische, wissenschaftliche, unterrichtende, sportliche, unterhaltende oder ähnliche Leistungen einschließlich der Leistungen der jeweiligen Veranstalter (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a UStG) und die Einräumung der Eintrittsberechtigung für diesbezügliche Veranstaltungen, wie Messen und Ausstellungen, sowie die damit zusammenhängenden sonstigen Leistungen (§ 3a Abs. 3 Nr. 5 UStG), – Restaurationsleistungen (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b UStG) und – Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen und die Begutachtung dieser Gegenstände (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c UStG). Während für Restaurationsleistungen (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b UStG) der Tätigkeitsort gleichermaßen für den unternehmerischen und nichtunternehmerischen Leistungsbezug maßgeblich ist, gilt im Übrigen der Tätigkeitsort nur für den nichtunternehmerischen Leistungsbezug. Für den unternehmerischen Leistungsbezug richtet sich die Ortsbestimmung nach § 3a Abs. 2 UStG (Empfängerort). Eine Ausnahme hiervon enthält § 3a Abs. 3 Nr. 5 UStG, wonach für die Einräumung der Eintrittsberechtigung1 zu kulturellen, künstlerischen, wissenschaftlichen etc. Veranstaltungen, wie Messen und Ausstellungen, sowie für die damit zusammenhängenden sonstigen Leistungen auch beim unternehmerischen Leistungsbezug der Tätigkeitsort maßgeblich ist.2

10.51

Bei den unter § 3a Abs. 3 Nr. 3 UStG fallenden sonstigen Leistungen richtet sich der Tätigkeitsort danach, wo der Unternehmer die geschuldeten Leistungen tatsächlich erbringt. Ohne Bedeutung ist daher, wo der Vertrag geschlossen wird, wo die erforderlichen Vorbereitungshandlungen stattfinden und wo sich die Leistung wirtschaftlich letztlich auswirkt.3

10.52

Der Tätigkeitsort hat in der Praxis insbesondere Bedeutung für kulturelle, künstlerische, wissenschaftliche, unterrichtende, sportliche, unterhaltende oder ähnliche Leistungen (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a UStG). Hierunter fallen vor allem die sonstigen Leistungen von Berufssportlern, Schauspielern, Musikern, Sängern, Artisten sowie die entsprechenden Leistungen der Veranstalter.4 Hier entspricht dem Tätigkeitsort in aller Regel der Veranstaltungsort. Darüber hinaus werden auch Leistungen erfasst, die im Zusammenhang mit den vorgenannten Leistungen unerlässlich sind.5

10.53

Da es sich bei den vorgenannten sonstigen Leistungen um überwiegend persönlich zu erbringende Leistungen handelt,6 ist es konsequent, dass für die Ortsbestimmung nicht auf den Unternehmensort abgestellt wird. Es wäre unter dem Gesichtspunkt des Bestimmungslandprinzips allerdings plausibel gewesen, nicht auf den Tätigkeitsort, sondern auf den Empfängerort abzustellen. Da indessen der Erbringungsort dieser in aller Regel persönlich zu erbringenden 1 2 3 4

Z.B. Verkauf von Eintrittskarten. Vgl. zu Einzelheiten Abschn. 3a.6 Abs. 3 UStAE. BFH v. 4.4.1974 – V R 161/72, BStBl. II 1974, 532; Abschn. 3a.6 Abs. 1 Satz 2 UStAE. Einzelfälle bei Stadie in R/D, § 3a Rz. 348 ff.; Heinrichshofen in Wäger2, § 3a UStG Rz. 169 ff.; Korn in Bunjes21, § 3a UStG Rz. 56 ff.; Wäger in S/R, § 3a UStG Rz. 158 ff. 5 Vgl. EuGH v. 29.9.1996 – C-327/94, ECLI:EU:C:1996:355 = BStBl. II 1998, 313 – Duda (Tontechnik, Bühnenbeleuchtung, Dekoration, Ordnerdienste bei unterhaltenden Leistungen). 6 Zur Abgrenzung: Die Übertragung von Nutzungsrechten an Urheberrechten und ähnlichen Rechten fällt nicht unter § 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a UStG, sondern unter § 3a Abs. 2 UStG, wenn Leistungsempfänger ein Unternehmer ist und unter § 3a Abs. 1 oder unter § 3a Abs. 4 Satz 1 und 2 Nr. 1 UStG, wenn er Nichtunternehmer ist; Abschn. 3a.6 Abs. 4 UStAE.

440 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.57 Kap. 10

sonstigen Leistungen mit dem Ort übereinstimmen wird, an dem diese sonstigen Leistungen entgegengenommen werden und wo die Empfänger als Nichtunternehmer dieser sonstigen Leistungen hierfür etwas aufwenden, ist diese Anknüpfung unter dem Gesichtspunkt des Bestimmungslandprinzips akzeptabel. Der Tätigkeitsort ist bei durch die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle bewirkten sonstigen Leistungen (Restaurationsleistungen) nur dann maßgeblich, wenn die vorbezeichneten sonstigen Leistungen1 nicht an Bord eines Beförderungsmittels innerhalb des Gemeinschaftsgebietes erfolgen (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b UStG). Andernfalls gilt der Abgangsort des Beförderungsmittels im Gemeinschaftsgebiet als Ort der sonstigen Leistung (§ 3e UStG).

10.54

Für Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen und deren Begutachtung ist gem. § 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c UStG ebenfalls der Tätigkeitsort maßgeblich, wenn der Auftraggeber weder ein Unternehmer ist, für dessen Unternehmen die Leistung ausgeführt wird, noch eine nichtunternehmerische juristische Person, der eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt worden ist.2 Erfasst werden insbesondere Reparatur- und Wartungsarbeiten an Fahrzeugen und Maschinen,3 die allerdings wegen der Beschränkung auf den nichtunternehmerischen Leistungsbezug in der Praxis keine große Bedeutung haben.4

10.55

Für Vermittlungsleistungen bestimmt § 3a Abs. 3 Nr. 4 UStG den Umsatzort als den Ort der sonstigen Leistung, wenn der Auftraggeber weder ein Unternehmer ist, für dessen Unternehmen die Leistung bezogen wird, noch eine nicht unternehmerisch tätige juristische Person mit Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ist. Vermittlungsleistungen werden demnach an dem Ort erbracht, an dem der vermittelte Umsatz als ausgeführt gilt. Damit ist der Ort der Vermittlungsleistung identisch mit dem Ort der vermittelten Lieferung oder mit dem Ort der vermittelten sonstigen Leistung. Ob die vermittelte Leistung selbst steuerbar ist oder nicht, spielt keine Rolle.5 Zu den Vermittlungsleistungen zählen insbesondere die Leistungen der Handelsvertreter, Agenten und Handelsmakler. Bei Vermittlungsleistungen an einen Unternehmer oder an eine gleichgestellte juristische Person gilt der Empfängerort (§ 3a Abs. 2 UStG) und bei der Vermittlung von Vermietungen von Grundstücken, Wohnungen, Ferienhäusern und Hotelzimmern der Grundstücksort (§ 3a Abs. 3 Nr. 1 UStG).6

10.56

Der Nutzungsort ist maßgeblich für bestimmte von einem im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmer oder durch eine dort befindliche Betriebsstätte erbrachte sonstige Leistungen, und zwar

10.57

– die kurzfristige oder langfristige Vermietung eines Beförderungsmittels (§ 3a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 UStG),7 1 Zur Abgrenzung zwischen Lieferung und sonstiger Leistung EuGH v. 10.3.2011 – C-497/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:135 = BStBl. II 2013, 256 – Bog u.a.; BFH v. 30.6.2011 – V R 35/08, BStBl. II 2013, 244; v. 30.6.2011 – V R 3/07, BStBl. II 2013, 241; v. 8.6.2011 – XI R 37/08, BStBl. II 2013, 238; v. 12.10.2011 – V R 66/09, BStBl. II 2013, 250. 2 Einzelheiten bei Heinrichshofen in Wäger2, § 3a UStG Rz. 182 ff. 3 Vgl. Abschn. 3a.6 Abs. 11 UStAE. 4 Korn in Bunjes21, § 3a UStG Rz. 69. 5 EuGH v. 27.5.2004 – C-68/03, ECLI:EU:C:2004:325 = Slg. 2004, I-5879 – Lipjes. 6 Vgl. Abschn. 3a.7 Abs. 1 UStAE. 7 Diese Ortsbestimmung richtet sich in Abweichung von § 3a Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 UStG bei langfristiger Vermietung nur an Nichtunternehmer; Abschn. 3a.14 Abs. 2 UStAE.

Schaumburg | 441

Kap. 10 Rz. 10.57 | Umsatzsteuer

– Katalogleistungen gem. § 3a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1–10 UStG (§ 3a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 UStG), – Telekommunikationsdienstleistungen und Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen gem. § 3a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 und 2 UStG (§ 3a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 UStG).1 In den vorgenannten Fällen wird an den Nutzungsort aber nur dann angeknüpft, wenn die vorbezeichneten sonstigen Leistungen im Inland genutzt oder ausgewertet werden. Hierdurch wird das Bestimmungslandprinzip umgesetzt. Der Nutzungsort ist schließlich auch bei der kurzfristigen Vermietung eines Schienenfahrzeuges, Kraftomnibusses oder eines ausschließlich zur Beförderung von Gegenständen bestimmten Straßenfahrzeugs durch einen im Inland ansässigen Vermieter an einen im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmer für dessen Unternehmen maßgeblich, wenn die vorbezeichneten Fahrzeuge im Drittlandsgebiet genutzt werden (§ 3a Abs. 7 UStG). Für den unternehmerischen Bezug von Güterbeförderungsleistungen und damit im Zusammenhang stehende Leistungen sowie für weitere Leistungen enthält § 3a Abs. 8 UStG eine Sonderregelung, wonach abweichend von § 3a Abs. 2 UStG nicht der Empfängerort, sondern der Nutzungsort maßgeblich ist, wenn dieser im Drittlandgebiet belegen ist. Damit wird im Ergebnis der Gefahr von Doppelbesteuerungen in den Fällen begegnet, in denen ein im Inland ansässiger Unternehmer Leistungsempfänger ist.2 Diese Sonderregelung greift freilich dann nicht ein, wenn die Leistung in einem Freihafen (§ 1 Abs. 3 UStG) erfolgt (§ 3a Abs. 8 Satz 2 UStG).

10.58

Gemäß § 3b Abs. 1 Satz 1 UStG werden mit Ausnahme der in § 3b Abs. 3 UStG genannten innergemeinschaftlichen Güterbeförderung Beförderungsleistungen dort ausgeführt, wo sie bewirkt werden (Beförderungsort). Bei grenzüberschreitenden Beförderungen führt der auf das Ausland entfallende Teil der Beförderung somit nicht zur Steuerbarkeit (§ 3b Abs. 1 Satz 2 UStG). Bei einem vereinbarten Gesamtentgelt ist dieses entsprechend aufzuteilen.3 Für den auf das Inland entfallenden steuerbaren Teil der grenzüberschreitenden Güterbeförderung kommen die Steuerbefreiungen gem. § 4 Nr. 3 und 5 UStG in Betracht, ohne dass der Vorsteuerabzug entfällt (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG). Die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 3b Abs. 1 Nr. 1 und 2 UStG ergangenen §§ 2 bis 7 UStDV enthalten Vereinfachungsregelungen für grenzüberschreitende Beförderungen und Beförderungen in die in § 1 Abs. 3 UStG genannten Gebiete.4 Hiernach werden z.B. kurze ausländische Beförderungsstrecken als solche im Inland und kurze Beförderungsstrecken in den in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebieten (z.B. Freihäfen) nicht als Umsätze im Inland behandelt. Der für die Beförderungsleistung selbst maßgebliche Beförderungsort gilt auch für die mit der Beförderung eines Gegenstandes im Zusammenhang stehenden sonstigen Leistungen, insbesondere für das Beladen, Entladen und Umschlagen von Waren, soweit sie bloße Nebenleistungen sind.5 Handelt es sich dagegen um selbständige sonstige Leistungen, gilt § 3b Abs. 2 UStG (Tätigkeitsort), soweit die sonstigen Leistungen an Nichtunternehmer erbracht werden; anderenfalls greift § 3a Abs. 2 UStG (Empfängerort) ein.6 Der sich aus § 3b Abs. 1 Satz 1 UStG für Beförderungsleistungen ergebende Bestimmungsort (Beförderungsort), der für Personenbeförderungen gegenüber Unternehmern und Nichtunternehmern sowie für nicht innergemeinschaftliche Güterbeförderun-

1 Diese Ortsbestimmung gilt wegen des Verweises auf § 3a Abs. 5 Satz 2 UStG nur für sonstige Leistungen an Nichtunternehmer; vgl. Abschn. 3a.14 Abs. 3 Satz 5 UStAE. 2 Stadie in R/D, § 3a UStG Rz. 684. 3 Vgl. Abschn. 3b.1 Abs. 6 UStAE. 4 Zu Einzelheiten Abschn. 3b.1 Abs. 7 ff. UStAE. 5 Vgl. Abschn. 3b.2 Abs. 3 UStAE. 6 Vgl. Abschn. 3b.2 Abs. 1 UStAE.

442 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.61 Kap. 10

gen für Nichtunternehmer (§ 3b Abs. 1 Satz 3 UStG)1 maßgeblich ist, gilt nicht für entsprechende Vermittlungsleistungen. Bei diesen sonstigen Leistungen bestimmt sich der Leistungsort für den unternehmerischen Leistungsbezug nach § 3a Abs. 2 UStG und für den nicht unternehmerischen Leistungsbezug nach § 3a Abs. 3 Nr. 4 UStG. Abweichend von § 3b Abs. 1 UStG2 wird gem. § 3b Abs. 3 UStG bei grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Beförderungen von Gegenständen der Ort der Beförderungsleistung in den Mitgliedstaat verlegt, in dem die Beförderung beginnt (Abgangsortprinzip).3 Beginnt die innergemeinschaftliche Güterbeförderung im Inland, ist damit die gesamte Beförderungsleistung steuerbar. Der Abgangsort ist allerdings nur dann maßgebend, wenn der Leistungsempfänger Nichtunternehmer ist; anderenfalls gilt § 3a Abs. 2 UStG (Empfängerort). Die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 3 Buchst. a UStG greift nicht ein, so dass insoweit das Ursprungslandprinzip verwirklicht wird.

10.59

Für Restaurationsleistungen während einer Beförderung an Bord eines Schiffes, in einem Luftfahrzeug4 oder in einer Eisenbahn ist ebenfalls der Abgangsort maßgeblich (§ 3e UStG). Es geht hierbei um Restaurationsleistungen während der Beförderung im Gemeinschaftsgebiet. Restaurationsleistungen etwa auf einem Schiff während eines Zwischenaufenthaltes in einem Drittlandsgebiet unterfallen dagegen nicht der Ortsbestimmung des § 3e UStG; insoweit ist allein die Besteuerungskompetenz des Staates gegeben, in dem der Zwischenaufenthalt erfolgt.5 Für im eigenen Namen erbrachte Reiseleistungen, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers ausgeführt werden und bei denen Reisevorleistungen in Anspruch genommen werden, ist der Unternehmensort als Ort der sonstigen Leistung maßgeblich (§ 25 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 3a Abs. 1 UStG). Die spezielle Steuerbefreiung (§ 25 Abs. 2 UStG), die eingreift, soweit zurechenbare Reisevorleistungen im Drittlandsgebiet bewirkt werden, gewährleistet, dass insoweit das Bestimmungslandprinzip auch für Reiseleistungen zur Anwendung kommt.6

10.60

7. Nutzungsentnahmen Gemäß § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG werden Nutzungsentnahmen (Verwendungsentnahmen) einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt. Mit dieser Fiktion wird die zeitweilige Verwendung von Gegenständen für unternehmensfremde Zwecke erfasst.7 Sie hat eine doppelte Wirkung, weil einerseits eine sonstige Leistung und andererseits die Entgeltlichkeit fingiert werden. Diese doppelte Fiktion ist darauf gerichtet, die Besteuerung des Letztverbrauchs durch Neutralisierung eines zuvor vorgenommenen Vorsteuerabzugs sicherzustellen. Im Hinblick darauf unterbleibt der Ansatz einer Nutzungsentnahme, wenn der dem Unternehmen zugeordnete Gegenstand8 nicht zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat. Damit wird dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer Rechnung getragen. § 3 Abs. 9a Nr. 1 1 Für innergemeinschaftliche Güterbeförderungen an Nichtunternehmer greift § 3b Abs. 3 UStG ein; hierzu Rz. 10.59. 2 Art. 26 Abs. 1 MwStSystRL. 3 Zu Einzelheiten Abschn. 3b.3 UStAE. 4 Z.B. Snacks, kleine Süßigkeiten und Getränke an Bord; vgl. BFH v. 27.2.2014 – V R 14/13, BStBl. II 2014, 869: keine bloße Nebenleistung zur Flugbeförderung. 5 EuGH v. 15.9.2005 – C-58/04, ECLI:EU:C:2005:553 = BStBl. II 2007, 150 – Köhler; BFH v. 20.12.2005 – V R 30/02, BStBl. II 2007, 139. 6 Zu Umsetzungsdivergenzen Schüler-Täsch in S/R, § 25 UStG Rz. 7 ff. 7 Die dauerhafte Verwendung führt zu einer Entnahme gem. § 3 Abs. 1b UStG. 8 Zum Zuordnungswahlrecht bei gemischter Verwendung vgl. Abschn. 3.3. Abs. 1 UStAE.

Schaumburg | 443

10.61

Kap. 10 Rz. 10.61 | Umsatzsteuer

UStG hat indessen nur eine begrenzte Reichweite. So unterbleibt eine Entnahmebesteuerung, wenn von vorneherein beabsichtigt war, den Gegenstand ausschließlich für unternehmensfremde Zwecke zu verwenden, da insoweit bereits der Vorsteuerabzug zu versagen ist.1 Darüber hinaus ergibt sich auch eine zeitliche Begrenzung durch den Berichtigungszeitraum gem. § 15a UStG, weil die Bemessungsgrundlage für den Verwendungseigenverbrauch an eben diesen Berichtigungszeitraum anknüpft (§ 10 Abs. 4 Nr. 2 Satz 3 UStG).2 Schließlich werden z.B. Dienstleistungen des Unternehmers an sich selbst3 nicht erfasst. Es geht also nicht um die völlige Gleichstellung des Unternehmers mit einer Privatperson, was auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass Bemessungsgrundlage für die Nutzungsentnahme nur die entstandenen Ausgaben sind (§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG). Zu den Nutzungsentnahmen zählt insbesondere die private Nutzung eines dem Unternehmen zugeordneten Fahrzeugs durch den Unternehmer sowie die private Nutzung von Telefonanlagen, Faxgeräten, Grundstücken usw.4 Ort der Nutzungsentnahme ist gem. § 3f UStG der Unternehmensort, also der Ort, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Erfolgt die Nutzungsentnahme aus einer Betriebsstätte, gilt die Betriebsstätte als Ort der sonstigen Leistung. Die vorgenannten Grundsätze gelten auch, soweit die dem Unternehmen zugeordneten Gegenstände für den privaten Bedarf des Personals des Unternehmers verwendet werden (§ 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 UStG).

8. Dienstleistungsentnahmen 10.62

Gemäß § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG wird einer sonstigen Leistung gegen Entgelt schließlich auch die unentgeltliche Erbringung einer anderen sonstigen Leistung für Zwecke außerhalb des Unternehmens oder für den privaten Bedarf des Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen, gleich gestellt. Vom Anwendungsbereich des § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG wird vor allem der Einsatz betrieblicher Arbeitskräfte für nicht unternehmerische (private) Zwecke zu Lasten des Unternehmens erfasst.5 § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG betrifft schließlich auch unentgeltliche Dienstleistungen gegenüber dritten Personen. Der Ort dieser unentgeltlichen sonstigen Leistungen bestimmt sich gem. § 3a Abs. 1 UStG ebenfalls nach dem Unternehmensort.

9. Einfuhr Literatur: Kommentare zu §§ 1 Abs. 1 Nr. 4; 5, 11 und 21 UStG; Bender, Die Einfuhrumsatzsteuer nach Federal Express – Die Entstehung eines neuen Rechtsgebiets, UR 2019, 641; Eckert, Die Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG, UVR 2000, 244 ff.; Harkens, Zoll und Einfuhrumsatzsteuer in der Praxis, BB 2013, 2144; Jatzke, Die Entstehung der Zollschuld und er Einfuhrumsatzsteuer bei zollrechtlichen Pflichtverstößen, UR 2020, 585; Kock, Die Einfuhrumsatzsteuer, ZfZ 2012, 38; Kofler, Die EuSt-Schuld – losgelöst vom Schuldrecht? ZfZ 2020, 154; Nieskens, § 21 Abs. 2 UStG: Wie eng ist in Zukunft die Verknüpfung zwischen Einfuhrumsatzsteuer und Zoll? – Zugleich ein Beitrag zur EuGHEntscheidung in der Rs. Federal Express Corperation Deutsche Niederlassung, UVR 2019, 267; Schröder, Umsatzsteuer und Zollvorschriften ab 1. Januar 2004, UVR 2004, 259 ff.; Schrömbges, Die neue Rechtsprechung des EuGH zum Eignerumsatzsteuerrecht, MwStR 2019, 133; Schütz, Die 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuer – Die Vorschriften über die Einfuhr, UR 1977, 185; Thaler, Die „Einfuhr“ im Umsatzsteuerrecht – die Rechtsprechung des EuGH und die Folgen für die Zoll1 2 3 4 5

BFH v. 13.1.2011 – V R 12/08, BStBl. II 2012, 61; v. 9.12.2010 – V R 17/10, BStBl. II 2012, 53. Heuermann in S/R, § 3 UStG Rz. 382; Brandl in Bunjes21, § 3 UStG Rz. 263c. Der Steuerberater fertigt seine eigene Steuererklärung. Vgl. Abschn. 3.4 Abs. 3–5 ff. UStAE. BFH v. 18.5.1993 – V R 134/89, BStBl. II 1993, 885; Heuermann in S/R, § 3 UStG Rz. 655; Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 4299, Abschn. 3.4 Abs. 5 UStAE.

444 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.66 Kap. 10 praxis, ZfZ 2019, 358; Wäger, Steuerpflicht und Vorsteuerabzug bei Einfuhrlieferungen, UStB 2001, 354; Weinmann, Das neue Umsatzsteuerlager und Lieferungen vor Einfuhr, UVR 2004, 81; Weymüller, Der neue Unionszollkodex und seine Auswirkungen auf die Umsatzsteuer, MwStR 2016, 487; Wolffgang, Einfuhrumsatzsteuerschuld: Abhängig von der Zollschuld?, UR 2017, 845.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG1 unterliegt die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg2 der Umsatzsteuer, und zwar in der Form der Einfuhrumsatzsteuer. Was unter Einfuhr zu verstehen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Umsatzsteuergesetz, sondern über § 21 Abs. 2 Satz 1 UStG aus dem Unionszollkodex (UZK). Danach ist Einfuhr das Verbringen von Gegenständen aus einem Drittlandsgebiet zum freien Verkehr in das Inland oder in die österreichischen Gebiete Jungholz und Mittelberg. Soweit keine Steuerbefreiung eingreift (§ 5 UStG; vgl. Rz. 10.124), entsteht die Einfuhrumsatzsteuer erst zu diesem späteren Zeitpunkt, zu dem auch die Voraussetzungen für eine Zollschuld (Art. 83–87 UZK) erfüllt sind.3 Der Einfuhrtatbestand ist daher nicht erfüllt, wenn der betreffende Gegenstand im Inland einem Versandverfahren oder einer Zolllagerregelung unterliegt. Insoweit gelten weitgehend die im Unionszollkodex (UZK) verankerten Vorschriften mit der Folge eines Gleichlaufs von Einfuhrumsatzsteuer und Zoll.

10.63

Die Einfuhrumsatzsteuer hat den Zweck, aus dem Drittlandsgebiet eingeführte Gegenstände, die nach dem international geltenden Bestimmungslandprinzip bei der Ausfuhr im anderen Staat von der Umsatzsteuer entlastet worden sind, auf das inländische Steuerniveau heraufzuschleusen, soweit die Einfuhr selbst nicht steuerfrei ist (§ 5 UStG). Daher entsprechen die Steuersätze der Einfuhrumsatzsteuer stets denjenigen der Umsatzsteuer selbst. Ist der Einführende ein Nichtunternehmer, so wird dieser endgültig mit der Einfuhrumsatzsteuer belastet. Damit wird der Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer Rechnung getragen. Ist der Einführende dagegen ein Unternehmer, so kann dieser die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG).4 Zwischen der Einfuhrumsatzsteuer einerseits und der steuerbefreiten Ausfuhr ohne Vorsteuerverlust5 andererseits, besteht daher ein systembedingter Zusammenhang.

10.64

Dieser Grenzausgleich funktioniert nur zwischen Staaten, die durch Steuergrenzen getrennt sind. Aus steuererhebungstechnischen Gründen wird daher bei innergemeinschaftlichen Lieferungen das Bestimmungslandprinzip im Grundsatz durch eine vergleichbare Regelung dadurch sichergestellt, dass mit der steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung ohne Vorsteuerverlust6 in dem einen Mitgliedstaat die Erwerbsteuer7 in dem anderen Mitgliedstaat korrespondiert.

10.65

Das durch die Einfuhrumsatzsteuer verwirklichte Bestimmungslandprinzip führt zwar dazu, dass Auslandswaren gleichermaßen belastet werden wie Inlandswaren, so dass hierdurch auch die Wettbewerbsneutralität gewahrt ist, die hierfür erforderliche Entlastung von der Umsatzsteuer des Exportlandes tritt aber dann nicht ein, wenn die eingeführte Ware z.B. von einem

10.66

1 2 3 4

Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL. Es handelt sich um Zollanschlussgebiete zum freien Verkehr. BFH v. 6.5.2008 – VII R 30/07, BFH/NV 2008, 1971. Der Vorsteuerabzug entsteht nicht erst dann, wenn die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet wird, sondern bereits dann, wenn sie für die Einfuhr geschuldet wird; EuGH v. 29.3.2012 – C-414/10, ECLI: EU:C:2012:183, Rz. 27 = DStR 2012, 697 – Veleclair. 5 Entsprechend §§ 4 Nr. 1a, 15 Abs. 3 Nr. 1a UStG. 6 Entsprechend §§ 4 Nr. 1b, 15 Abs. 3 Nr. 1a UStG. 7 Entsprechend § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG.

Schaumburg | 445

Kap. 10 Rz. 10.66 | Umsatzsteuer

Nichtunternehmer geliefert wurde. Da sich die frühere Umsatzsteuerbelastung in dem anderen Staat mangels Vorsteuerabzug beim Nichtunternehmer preiserhöhend ausgewirkt hat, führt die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer im Importland zu einer systemwidrigen Doppelbesteuerung, was auch in den Fällen gilt, in denen die Entlastung im Exportland aus anderen Gründen unterbleibt.1 Diese systemwidrigen Belastungsdivergenzen werden allerdings im Rahmen der für den nicht kommerziellen Reiseverkehr und für Kleinsendungen geltenden Vorschriften2 abgemildert.3

10.66a

Eine Sonderregelung enthält § 21a UStG. Hiernach kann bei der Einfuhr von Gegenständen in Sendungen aus dem Drittlandsgebiet mit einem Sachwert von höchstens EUR 150 aus Gründen der Vereinfachung die Zollanmeldung und die zu entrichtende EUSt durch den Spediteur erfolgen.4 Damit können in der Praxis insbesondere Post- und Paketdienstleister die Einfuhrsendungen im Namen und für Rechnung der Empfänger am freien Verkehr anmelden. Die EUSt ist in den vorgenannten Fällen in monatlich abzugebenden elektronischen MWStErklärungen durch den Spediteur usw. anzumelden. In diesen Fällen findet die OSS-Regelung nach § 18k UStG keine Anwendung.

10. Innergemeinschaftlicher Erwerb Literatur: Kommentare zu §§ 1 Abs. 1 Nr. 5; 1a; 1b; 1c und 3d UStG; Birkenfeld, Innergemeinschaftlicher Erwerb und innergemeinschaftliche Lieferung, DStZ 1993, 262; Forst, Die Steuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb, ZfZ 1993, 295; Klein, Das innergemeinschaftliche Verbringen von Gegenständen, UStB 2001, 53; Liebgott, Innergemeinschaftlicher Erwerb im Inland – aus dem Inland?; UR 2017, 49; Pietsch, Der innergemeinschaftliche Erwerb, UVR 1993, 139; Reiß, Innergemeinschaftliches Reihengeschäft – Befreite Lieferung und Erwerbsbesteuerung, UR 2015, 733; Rokos, Die Übergangsregelung bei der Umsatzsteuer für grenzüberschreitende Umsätze im Europäischen Binnenmarkt ab 1993 – Änderung der 6. EG-Richtlinie, UR 1992, 89, 129; Slapio/Wiedeking, Innergemeinschaftliche Leistungen nach Deutschland über inländische Lagerstrukturen, BB 2009, 1724; Tumpel, Mehrwertsteuer im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, Wien 1997; Wäger, Zuordnung des innergemeinschaftlichen Erwerbs und der innergemeinschaftlichen Lieferung bei Reihengeschäften, UR 2001, 1; Wanninger, Vorsteuerabzug aus innergemeinschaftlichen Erwerben, BB 2011, 680.

10.67

Der innergemeinschaftliche Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG) dient der Umsetzung des Bestimmungslandprinzips. Die Besteuerung des Erwerbs korrespondiert nämlich mit der Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG) in dem anderen Mitgliedstaat.5 Dementsprechend knüpft der Erwerbstatbestand mit seiner durch § 1a UStG gefundenen begrifflichen Ausprägung an den Liefertatbestand (§ 3 Abs. 1 UStG) an. Diese Anknüpfung (§ 1a Abs. 1 Nr. 3 UStG) findet ihre Rechtfertigung insbesondere darin, dass Erwerb und

1 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.406. 2 Vgl. § 5 Abs. 2 u. 3 UStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Einreise-Freimengen-Verordnung (EF-VO); Wertgrenzen: 300 Euro; für Flug- und Seereisende: 430 Euro; für Reisende unter 15 Jahren: 175 Euro (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 EF-VO) und § 1 Abs. 1 Kleinsendungs-Einfuhrfreimengen-Verordnung (KF-VO); Wertgrenze: 45 Euro; vgl. zu Einzelheiten Jatzke in S/R, § 5 UStG Rz. 144. 3 Zu steuerstrafrechtlichen Implikationen in diesem Zusammenhang Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 18.76 ff. 4 Voraussetzung ist in diesem Zusammenhang, dass die Beförderung oder Versendung im Inland endet und die Sendung keine verbrauchsteuerpflichtigen Waren enthält (§ 21a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 u. 3 UStG). 5 Hierzu Körner in Wäger2, § 1a UStG Rz. 2; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 17.409.

446 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.71 Kap. 10

Lieferung grundsätzlich auf dem Vollzug desselben Rechtsgeschäfts beruhen. Einen Gegenstand erwirbt daher stets der, dem die Verfügungsmacht an dem Gegenstand verschafft wird. Nach Maßgabe des § 1a Abs. 1 UStG1 ist ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt2 gegeben, wenn es sich handelt um

10.68

– eine grenzüberschreitende Lieferung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes, insbesondere in das Inland (§ 1 Abs. 2a UStG) oder um eine Lieferung aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in die in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebiete (§ 1a Abs. 1 Nr. 1 UStG), – einen Unternehmer, der für sein Unternehmen erwirbt (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG), oder eine juristische Person, die für ihren nichtunternehmerischen Bereich erwirbt (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG), und – einen Unternehmer, der die Lieferung im Rahmen seines Unternehmens ausführt und hierfür nicht eine Steuerbefreiung für Kleinunternehmer (entspr. § 19 Abs. 1 UStG) in Anspruch nimmt (§ 1a Abs. 1 Nr. 3 UStG). Kein Fall des innergemeinschaftlichen Erwerbs liegt demnach vor, wenn die Ware aus einem Drittland im Wege der Durchfuhr durch das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats in das Inland gelangt und erst hier einfuhrumsatzsteuerlich zum freien Verkehr abgefertigt wird.3 Nicht erforderlich ist indessen, dass der Gegenstand unmittelbar von einem Mitgliedstaat in einen anderen gelangt.4 Durch die Einbeziehung der in § 1 Abs. 3 UStG genannten Gebiete (z.B. Freihäfen) wird erreicht, dass der Letztverbrauch auch dort mit Umsatzsteuer belastet wird.5 Der von § 1a Abs. 1 Nr. 3 UStG geforderte Status des liefernden Unternehmers kann in der Praxis als gegeben angesehen werden, wenn in der Rechnung des Lieferers die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines anderen Mitgliedstaates angegeben, keine ausländische Umsatzsteuer ausgewiesen und auf die in dem Mitgliedstaat geltende Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung hingewiesen wird.6

10.69

Durch § 1a Abs. 2 UStG wird ein weiterer Tatbestand mittels Fiktion dem innergemeinschaftlichen Erwerb gegen Entgelt gleichgestellt: Das Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmens aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung,7 auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat (§ 1a Abs. 2 UStG).

10.70

Diese Regelung korrespondiert mit einer im Ursprungsland dem § 3 Abs. 1a UStG entsprechenden Regelung, wonach das Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmens in das übrige Gemeinschaftsgebiet als Lieferung gegen Entgelt fingiert wird mit der Folge, dass sie als innergemeinschaftliche Lieferung auch der Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG unterliegt (gem. § 6a Abs. 2 UStG).8

10.71

Zu den unionsrechtlichen Grundlagen Körner in Wäger2, § 1a UStG Rz. 3. Ein unentgeltlicher innergemeinschaftlicher Erwerb ist nicht steuerbar. Vgl. Abschn. 1a.1 Abs. 1 Satz 5 UStAE. Heuermann in S/R, § 1a UStG Rz. 13; Robisch in Bunjes21, § 1a UStG Rz. 9. Körner in Wäger2, § 1a UStG Rz. 58. Regierungsbegründung zu § 1a UStG, BT-Drucks. 12/2463, 24; hierzu Robisch in Bunjes21, § 1a UStG Rz. 16. 7 Auf die Dauer der tatsächlichen Verwendung kommt es nicht an; vgl. Abschn. 1a.2 Abs. 11 UStAE. 8 Vgl. Rz. 10.96 ff.

1 2 3 4 5 6

Schaumburg | 447

Kap. 10 Rz. 10.72 | Umsatzsteuer

10.72

Die Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb (Erwerbsteuer) erfüllt damit den gleichen Zweck wie die Umsatzsteuer auf die Einfuhr (Einfuhrumsatzsteuer): Im Anschluss an die steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung in dem anderen Mitgliedstaat bewirkt die Erwerbsteuer die Heraufschleusung der von EU-Umsatzsteuer entlasteten Ware auf inländisches Steuerniveau. Die Erwerbsteuer verwirklicht damit ebenso das Bestimmungslandprinzip wie die Einfuhrumsatzsteuer.

10.73

Ausnahmen hiervon enthält § 1a Abs. 3 UStG: Ein innergemeinschaftlicher Erwerb wird danach nicht angenommen, wenn – die Erwerber nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Personen sind (§ 1a Abs. 3 Nr. 1 UStG) und – ihr Erwerb unter einer Erwerbsschwelle von 12.500 Euro bleibt (§ 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG).1

10.74

An die Stelle der Erwerbsteuer tritt in diesem Ausnahmefall die Besteuerung des Lieferers im Ursprungs- oder im Bestimmungsland nach Maßgabe der sog. Fernverkaufsregelung in § 3c UStG. § 1a Abs. 3 UStG korrespondiert daher vor allem mit § 3c Abs. 1 Satz 1 UStG, wonach bei Beförderungs- und Versendungslieferungen der Ort der Lieferung im Bestimmungsland liegt.

10.75

Die vorstehende Erwerbsschwellenregelung scheidet aus, wenn der Erwerber auf deren Anwendung verzichtet (§ 1a Abs. 4 UStG)2 sowie beim Erwerb neuer Fahrzeuge und verbrauchsteuerpflichtiger Waren (§ 1a Abs. 5 UStG). Der Verzicht bindet den Erwerber mindestens für zwei Kalenderjahre, wobei der Verzicht, soweit noch kein Erwerb erfolgt ist, bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung für das betreffende Kalenderjahr erklärt und widerrufen werden kann.3 § 1a Abs. 5 UStG steht im Zusammenhang mit § 3c Abs. 5 UStG, aufgrund dessen es bei der für Beförderungs- und Versendungslieferungen maßgeblichen Ortsbestimmung des § 3 Abs. 6 UStG verbleibt: Der Ort der Lieferung liegt grundsätzlich im Ursprungsstaat. Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen von neuen Fahrzeugen erfolgt die Entlastung durch Steuerbefreiung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG).

10.76

§ 1b Abs. 1 UStG4 bestimmt als weitere Sonderregelung, dass der Erwerb neuer Fahrzeuge5 nicht nur bei den in § 1a Abs. 1 Nr. 2 UStG bezeichneten Unternehmern und juristischen Personen, sondern auch bei allen anderen Personen, insbesondere bei Privatpersonen, der Erwerbsteuer unterliegt. Diese Vorschrift ist im Zusammenhang mit den §§ 2a und 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. §§ 6a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c und 15 Abs. 4a UStG zu sehen. Dieser Vorschriftenzusammenhang macht deutlich, dass zwecks Umsetzung des Bestimmungslandprinzips der innergemeinschaftliche Erwerb neuer Fahrzeuge auch dann der Besteuerung unterliegt, wenn dieser nicht für ein Unternehmen erfolgt.6

1 Abgestellt wird auf den Gesamtbetrag der Erwerbe aus allen Mitgliedstaaten; vgl. Robisch in Bunjes21, § 1a UStG Rz. 31. 2 Die Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gegenüber dem Lieferanten gilt als Verzichtserklärung (§ 1a Abs. 4 Satz 2 UStG). 3 Stadie in R/D, § 1a UStG Rz. 387; Robisch in Bunjes21, § 1a UStG Rz. 35. 4 Zu den unionsrechtlichen Grundlagen Körner in Wäger2, § 1b UStG Rz. 4. 5 Zum Begriff „Fahrzeuge“ § 1b Abs. 2 UStG (vgl. BFH v. 27.2.2014 – V R 21/11, BStBl. II 2014, 501) und zum Begriff „neue Fahrzeuge“ § 1b Abs. 3 UStG vgl. EuGH v. 18.11.2010 – C-84/09, ECLI:EU:C:2010:693 = IStR 2010, 910 Rz. 52 ff. – X/Skatteverket. 6 Heuermann in S/R, § 1b UStG Rz. 3; Körner in Wäger2, § 1b UStG Rz. 4.

448 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.79 Kap. 10

Ausgangspunkt für die Erwerbsbesteuerung von Fahrzeugen gem. § 1b UStG ist die Fahrzeugeinzelbesteuerung gem. § 2a UStG, auf Grund dessen ein Nichtunternehmer als Unternehmer fingiert wird, wenn er ein neues Fahrzeug liefert, das bei der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt. Diese Lieferung ist steuerbar, gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c UStG aber steuerfrei. Das so von Umsatzsteuer entlastete Fahrzeug unterliegt sodann im anderen Mitgliedstaat der Erwerbsteuer, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Erwerber Unternehmer oder privater Letztverbraucher ist (vgl. §§ 1a Abs. 1 Nr. 1 und 1b UStG). Um eine Doppelbelastung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen neuer Fahrzeuge zu vermeiden, wird dem als Unternehmer fingierten privaten Letztverbraucher aufgrund einer weiteren Sonderregelung ein begrenzter Vorsteuerabzug eingeräumt (§ 15 Abs. 4a UStG). Als Folge dieser Fiktion wird der private Letztverbraucher aufgrund von Sondervorschriften1 in den für Unternehmer typischen Pflichtenkreis einbezogen.

10.77

Weitere Ausnahmen von der Erwerbsteuer enthält § 1c UStG: Ein innergemeinschaftlicher Erwerb liegt hiernach nicht vor, wenn aus einem anderen Mitgliedstaat an im Inland ansässige oder stationierte diplomatische Missionen oder berufskonsularische Vertretungen, zwischenstaatliche Einrichtungen, fremde NATO-Streitkräfte sowie an Streitkräfte eines EU-Mitgliedstaates, die an einer Verteidigungsanstrengung im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) teilnehmen, für deren nichtunternehmerische Bereiche geliefert wird (§ 1c Abs. 1 UStG).2 Das grenzüberschreitende Verbringen eines Gegenstandes durch deutsche Streitkräfte aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland für den Ge- oder Verbrauch dieser Streitkräfte gilt schließlich als innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt (§ 1c Abs. 2 UStG). Damit wird ein unversteuerter Letztverbrauch vermieden.

10.78

Gemäß § 3d Satz 1 UStG liegt der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs dort, wo die Beförderung oder Versendung des Liefergegenstandes endet. Dies ist grundsätzlich im Bestimmungsland. Erwirbt der Erwerber den Gegenstand allerdings unter Verwendung einer ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, so wird als Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs (auch) das Gebiet dieses Mitgliedstaates fingiert (§ 3d Satz 2 UStG).3 Durch diese Fiktion soll sichergestellt werden, dass zunächst dieser Mitgliedstaat versteuern darf, dem aufgrund der erteilten und vom Erwerber verwendeten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer die Information über den Erwerb zugeht. Weist der Erwerber nach, dass der Erwerb im Bestimmungsland besteuert worden ist oder nach § 25b Abs. 3 UStG4 als besteuert gilt, sofern der erste Abnehmer seiner Erklärungspflicht nachgekommen ist, wird die Doppelbesteuerung dadurch vermieden, dass der andere Mitgliedstaat seine Besteuerung rückgängig macht. Dies stellt § 17 Abs. 2 Nr. 4 UStG sicher. Aus deutscher Sicht folgt hieraus, dass in den Fällen, in denen die USt nur aufgrund der Verwendung einer von Deutschland erteilten USt-IdNr. nach § 3d Satz 2 UStG entsteht, ein Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist. Eine Entlastung von dieser USt ist ausschließlich durch den Nachweis mög-

10.79

1 Z.B. § 14a Abs. 3 Satz 3 UStG (Rechnungsausstellung); § 16 Abs. 5a UStG (Einzelberechnung); § 18 Abs. 4a UStG (Voranmeldung); § 18 Abs. 5a UStG (Steueranmeldung für den Erwerber). 2 Die Ausnahme gilt nicht für den Erwerb neuer Fahrzeuge (§ 1c Abs. 1 Satz 3 UStG). 3 Ein Vorsteuerabzug ist in diesem Staat ausgeschlossen; vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG (Umsetzung von EuGH v. 22.4.2010 – C-536/08 u. C-539/09, ECLI:EU:C:2010:217 = BFH/NV 2010, 1225 – X u. Facet; ferner BFH v. 1.9.2010 – V R 39/08, BStBl. II 2011, 658; v. 16.12.2010 – V R 40/08, BFH/NV 2011, 1401; v. 8.9.2010 – XI R 40/08, BStBl. II 2011, 661; zu Anwendungsproblemen Hiller, DStR 2015, 621 ff. 4 Innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft.

Schaumburg | 449

Kap. 10 Rz. 10.79 | Umsatzsteuer

lich, dass der Erwerb in den anderen Mitgliedstaat besteuert worden ist oder nach § 25 Abs. 3 UStG als besteuert gilt.1

III. Steuerfreie Exportumsätze Literatur: Kommentare zu § 4 Nr. 1 bis 3, Nr. 5, Nr. 6c, Nr. 7 und §§ 6 bis 8 UStG; Birkenfeld/Forst, Das Umsatzsteuerrecht im Europäischen Binnenmarkt, Bielefeld 1992; Drüen, Zum Gutglaubensschutz im Umsatzsteuerrecht, DB 2010, 1847; Englisch, Nachweispflichten und Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, UR 2008, 481; Englisch/Becker/Kurzenberger, BMF-Schreiben zu innergemeinschaftlichen Lieferungen, UR 2010, 285; Freund, Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen in Be- oder Verarbeitungsfällen, UR 2007, 597; Harksen/Möller, Nachweispflichten im grenzüberschreitenden Warenverkehr, UStB 2008, 78; Harksen/Möller, Nachweispflichten bei grenzüberschreitenden Lieferungen, AW.-Prax 2010, 145; Heidner, Richtlinienkonforme Auslegung von Befreiungsvorschriften im Umsatzsteuerrecht, UR 2006, 74; Hillek/Uder, Reihengeschäfte ins Drittland, UR 2011, 690; Hummel, Umsatzsteuerrechtliche Risiken im grenzüberschreitenden Stromhandel – Beweislast und Nachweispflichten des Leistenden bei der Bestimmung des Lieferorts nach § 3g UStG, UR 2012, 584; Huschens, Beleg- und Buchnachweispflichten bei Ausfuhrlieferungen ab 1.1.2012, UVR 2012, 77; Kraeusel, Das Umsatzsteuer-Änderungsgesetz 1997, UVR 1996, 353; Küffner/Langer, Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen DB 2008, 1116; Lange, Europarechtliche Bedenken gegen den räumlichen Anwendungsbereich des deutschen Umsatzsteuergesetzes, DStZ 1996, 133; Langer, Umsatzsteuer im Binnenmarkt, Herne/Berlin 1992; Nieskens, Ausfuhrnachweis mit elektronischen „Zollbelegen“ in ATLAS, UStB 2007, 259; Noll/Rödder, Das neue Umsatzsteuerrecht des Exports und Imports, Düsseldorf 1992; Pich, Das neue Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz, Köln 1992; Pogodda/Wagner, Neuregelung der Nachweispflichten bei steuerfreien Ausfuhrlieferungen und steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen, BB 2012, 1314; Pyszka, Umsatzsteuerlicher Buchnachweis bei Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen ausländischer Unternehmer, IStR 1995, 476; Raudzus/Wagner, Umsätze für die Seeschifffahrt und die Luftfahrt und Neues zum Freihaften, UStB 2008, 172; Reiß, Sanktionierung der Verletzung der europäischen Grundfreiheiten durch den EuGH bei neutralitätswidriger Umsatzsteuerbelastung im innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr, UR 2007, 565; Rondorf, Das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz, München 1992; Rüth/Winter, Kein Vertrauensschutz bei lückenhaften Belegen über innergemeinschaftliche Lieferungen, DStR 2005, 681; Ruppe, Internationale Probleme auf dem Gebiet der Umsatzbesteuerung, CDFI LXVIIIb (1983) 15; Stapperfend, Schutz des guten Glaubens im Umsatzsteuerrecht, UR 2013, 321; Sterzinger, Genereller Vertrauensschutz bei Ausfuhrlieferungen?, DStR 2008, 2450; Sterzinger, Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen bei der Beteiligung an einem Betrugsmodell, DStR 2015, 2641; von Streit, Bestimmung des Lieferorts bei aufeinander folgenden Lieferungen innerhalb der Europäischen Union, UR 2011, 161; Tehler, Buch- und Belegnachweise – materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen?, UVR 2008, 350; Tezlaff/Schallok, Vertrauensschutz für die Steuerbefreiung bei Ausfuhrlieferungen, UVR 2008, 180; Thoma, Umsatzsteuerliche Ausfuhr, UStB 2006, 221; Thoma, Umsatzsteuerliche Ausfuhr – Steuerliche Fehlerquellen bei der Ausfuhr von Gegenständen aus der EU, UStB 2006, 221; Thoma/Gelse, Die Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen, UStB 2004, 385; Thomsen/Brete, Umsatzsteuerbefreiung für Luftfahrt- und Luftverkehrsunternehmer, UStB 2007, 317; Wäger, Nachweis der Steuerfreiheit bei Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen, DStR 2009, 1621; Wäger, Rückkehr des Beleg- und Buchnachweises als materiell-rechtliche Voraussetzung der Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen, UR 2015, 702; Welte/Späth, Umsatzsteuerrecht für die Import- und Exportwirtschaft, Neuwied/Kriftel 1993; Widmann, Das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz, UR 1992, 249; Winter, Steuerfreiheit von Ausfuhr- und innergemeinschaftlichen Lieferungen, DB 2009, 1843.

1 Vgl. zu Einzelheiten Abschn. 3d.1 Abs. 4 UStAE.

450 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.83 Kap. 10

1. Bestimmungslandprinzip Die Steuerfreiheit bestimmter Exportumsätze nach Maßgabe des § 4 Nr. 1 bis 3, 5, 6, 7 UStG bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG)1 ermöglicht eine Entlastung von deutscher Umsatzsteuer, wodurch dem der Wettbewerbsneutralität dienenden Bestimmungslandprinzip entsprochen wird. Das Bestimmungsland erhebt bei der Einfuhr eine Einfuhrumsatzsteuer sowie beim innergemeinschaftlichen Erwerb eine Erwerbsteuer mit dem Ziel, Importware auf innerstaatliches Steuerniveau hochzuschleusen (Rz. 10.4). Dadurch gelangt die Ware, nur mit der Umsatzsteuer des Bestimmungslandes belastet, in die Hand des privaten Endverbrauchers. Das Bestimmungslandprinzip trägt letztlich dem Umstand Rechnung, dass die Umsatzsteuersysteme und Umsatzsteuersätze der einzelnen Länder unterschiedlich ausgestaltet sind. Im Verhältnis mehrerer Staaten zueinander sollen Waren aber nur mit der Umsatzsteuer des Landes belastet werden, in dem sie verbraucht oder verwendet werden.

10.80

Die Steuerbefreiung von Exportumsätzen betrifft im Wesentlichen Lieferungen, nicht aber sonstige Leistungen. Hier wird das Bestimmungslandprinzip nur partiell etwa über den Empfängerort, Grundstücksort und Erbringungsort nach Maßgabe insbesondere des § 3a Abs. 2 und 3 UStG verwirklicht (Rz. 10.35).

10.81

Im Hinblick auf die Zielsetzung des Bestimmungslandprinzips spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob der private Endverbraucher Fremd- oder Selbstversorger ist. Daher kommt die Steuerbefreiung für Exportumsätze auch für Gegenstandsentnahmen, Personalzuwendungen und unentgeltliche Lieferungen an Dritte (§ 3 Abs. 1b UStG) in Betracht, soweit es sich um eine grenzüberschreitende Wertabgabe aus dem Unternehmen handelt und die Steuerbefreiung nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist.2

10.82

2. Ausfuhrlieferungen Literatur: Kommentare zu §§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG; Huschens, Nachweispflichten bei der Steuerbefreiung grenzüberschreitender Lieferungen – Geplante Änderungen der UStDV, NWB 2011, 3012; Huschens, Beleg- und Buchnachweispflichten bei Ausfuhrlieferungen ab 1.1.2012, UVR 2012, 77; Körner, Reihengeschäfte innerhalb der EU und mit Drittstaaten, MwStR 2014, 763; Pogodda/Wagner, Neuregelung der Nachweispflichten bei steuerfeien Ausfuhrlieferungen und steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen, BB 2012, 1314; Sterzinger, Genereller Vertrauensschutz bei Ausfuhrlieferungen?, DStR 2008, 2450; Wäger, Nachweis der Steuerfreiheit bei Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen, DStR 2009, 1621; Winter, Steuerfreiheit von Ausfuhr- und innergemeinschaftlichen Lieferungen, DB 2009, 1843.

Unter die Befreiung des § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG3 fallen u.a. Ausfuhrlieferungen (§ 6 UStG). Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, dass die Ausfuhrlieferung im Inland erbracht wird, der Ort der Lieferung im Inland liegt. Die Ausfuhrlieferung kann durch folgende Tatbestände verwirklicht werden: – Der liefernde Unternehmer befördert oder versendet den Liefergegenstand in das Drittlandsgebiet, ausgenommen die in § 1 Abs. 3 UStG genannten Gebiete (z.B. Freihäfen), wobei der Abnehmer kein ausländischer Abnehmer sein muss (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 UStG).

1 Soweit zugleich Steuerbefreiungen ohne Vorsteuerabzug eingreifen, gehen diese vor; EuGH v. 7.12.2006 – C-240/05, ECLI:EU:C:2006:763 – Eurodental. 2 Vgl. §§ 6 Abs. 5, 7 Abs. 5 UStG. 3 Vgl. Art. 146 Abs. 1 Buchst. a, b und d und Art. 147 MwStSystRL.

Schaumburg | 451

10.83

Kap. 10 Rz. 10.83 | Umsatzsteuer

– Der ausländische Abnehmer1 befördert oder versendet den Liefergegenstand in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3 UStG2 (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG). – Der Unternehmer oder der Abnehmer befördert oder versendet den Liefergegenstand in die in § 1 Abs. 3 UStG genannten Gebiete, wenn der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand für sein Unternehmen erworben hat und der Gegenstand nicht für nach § 4 Nr. 8 bis 27 und 29 UStG steuerfreie Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, verwendet werden soll (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a UStG), oder der Abnehmer ein ausländischer Abnehmer, aber kein Unternehmer ist und der Gegenstand in das übrige Drittlandsgebiet gelangt (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b UStG).3

10.84

Die Steuerbefreiung erstreckt sich nicht nur auf den Gegenstand der Lieferung selbst, sondern auch auf erbrachte Nebenleistungen, etwa Transportleistungen. Ohne Bedeutung ist hierbei, ob der Liefergegenstand ein (durchgehandeltes) Handelsgut, ein bearbeiteter Gegenstand4 oder ein im Rahmen einer Werklieferung (§ 3 Abs. 4 UStG) hergestellter Gegenstand ist.5 Da es sich stets um steuerbare Lieferungen handeln muss, wird das bloße Verbringen eines Gegenstandes in das Drittlandsgebiet von der Steuerbefreiung nicht erfasst.6 Entsprechendes gilt gem. § 6 Abs. 5 UStG für die Entnahme, und zwar auch dann, wenn direkt danach der Gegenstand in ein Drittlandsgebiet verbracht wird.7

10.85

Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist stets, dass der Gegenstand der Lieferung tatsächlich in das Drittlandsgebiet8 gelangt ist,9 wobei eine starre Frist hierfür nichtvorgesehen ist.10 Der Transport kann entweder durch den Lieferer oder durch den Abnehmer (Abholfall) erfolgen, und zwar durch Beförderung oder Versendung.11 Wo der Abnehmer seinen Wohnsitz oder Sitz innehat, ist ohne Belang, so dass auch Ausfuhrlieferungen an Inländer steuerfrei sind.

10.86

In sog. Abholfällen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG) oder bei Lieferungen in die in § 1 Abs. 3 UStG genannten Gebiete (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 UStG) wird die Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferungen eingeschränkt, soweit der Gegenstand der Lieferung zur Ausrüstung oder Versorgung eines Beförderungsmittels bestimmt ist; eine begünstigte Ausfuhrlieferung liegt hier nur vor, wenn der Abnehmer ein ausländischer Unternehmer12 ist und das Beförderungsmittel unternehmerischen Zwecken des Abnehmers dient (§ 6 Abs. 3 Satz 1 UStG).

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Vgl. hierzu die Definition in § 6 Abs. 2 UStG. Sog. Abholfälle. Zu Einzelheiten vgl. Möller in Wäger2, § 6 UStG Rz. 27 ff. Dieser kann vor der Ausfuhr auch durch Beauftragte be- oder verarbeitet worden sein (§ 6 Abs. 1 Satz 2 UStG). Möller in Wäger2, § 6 UStG Rz. 69. Möller in Wäger, § 6 UStG Rz. 27; Robisch in Bunjes21, § 6 UStG Rz. 3. BFH v. 19.2.2014 – XI R 9/13, BStBl. II 2014, 7; Möller in Wäger2, § 6 UStG Rz. 176; zu steuerstrafrechtlichen Fragestellungen Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 18.8 ff. In den Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 u. 2 UStG ausgenommen die Gebiete gem. § 1 Abs. 3 UStG (z.B. Freihäfen) und im Falle von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG nur die Gebiete gem. § 1 Abs. 3 UStG. Vgl. zum Ausfuhrnachweis Rz. 10.90. EuGH v. 19.12.2013 – C-563/12, ECLI:EU:C:2013:854 = BFH/NV 2014, 287 – BDV Hungary Trading. Einzelheiten zu diesen Begriffen bei Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 2350 ff.; 2360 ff. Zum Begriff „ausländischer Abnehmer“ Abschn. 6.3 UStAE.

452 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.89 Kap. 10

Liegt ein grenzüberschreitendes Reihengeschäft (Rz. 10.18 f.) vor, bei dem die Warenbewegung im Inland beginnt und im Drittlandsgebiet endet, kann stets nur eine (einzige) Ausfuhrlieferung bewirkt werden: Das ist die Beförderungs- oder Versendungslieferung, als die warenbewegte Lieferung.1 Die Steuerbefreiung kommt daher für ruhende Lieferungen nicht in Betracht.2 Für die Zuordnung der warenbewegten Lieferung, die für alle Beteiligten im Reihengeschäft einheitlich zu erfolgen hat,3 ist entscheidend, wann der letzte Abnehmer4 Verfügungsmacht an der Ware erhalten hat.5 Erfolgte diese bereits im Inland, ist die (zweite) Lieferung an ihn als Zweiterwerber6 die warenbewegte und somit steuerfreie Lieferung.7 Auf die Mitteilung über einen etwaigen Verkauf vor dem Transport8 oder auf dem Transportweg9 kommt es daher nicht an.

10.87

Eine weitere Besonderheit ergibt sich aus § 6 Abs. 3a UStG für Ausfuhren im nichtkommerziellen Reiseverkehr: Die Steuerbefreiung greift nur ein, wenn der Abnehmer im Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3 UStG, ansässig ist und den Liefergegenstand im persönlichen Reisegepäck vor Ablauf des dritten Kalendermonats, der auf den Monat der Lieferung folgt, ausführt und der Gesamtwert einschließlich USt EUR 50 übersteigt (§ 6 Abs. 3a UStG).10

10.88

§ 6 UStG erfährt eine Tatbestandserweiterung durch Art. 67 Abs. 3 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut.11 Hiernach sind Lieferungen und sonstige Leistungen an die Truppen und deren ziviles Gefolge von der Umsatzsteuer befreit, wenn sie von einer amtlichen Beschaffungsstelle12 der Truppe oder des zivilen Gefolges oder von einer deutschen Behörde für die Truppe oder das zivile Gefolge in Auftrag gegeben worden sind13 und die Gegenstände, auf die sich die Lieferung oder sonstige Leistung bezieht, ausschließlich für den Gebrauch oder Verbrauch durch die Truppen, ihr ziviles Gefolge, ihre Mitglieder oder deren Angehörige bestimmt sind.14 Ebenfalls von der Umsatzsteuer befreit sind nach Art. III Nr. 1 des

10.89

1 EuGH v. 6.4.2006 – C-245/04, ECLI:EU:C:2006:232 = Slg. 2006, I-3227, Rz. 40 – EMAG; BFH v. 11.8.2011 – V R 3/10, BFH/NV 2011, 2209, Ziff. II 2a; Abschn. 3.14 Abs. 2 Sätze 2 und 3 UStAE. 2 Vgl. Abschn. 6.2 Abs. 4 i.V.m. 3.14 Abs. 14 UStAE. 3 Vgl. Abschn. 3.14 Abs. 7 Satz 2 UStAE. 4 Bei einem Reihengeschäft mit drei Personen. 5 BFH v. 25.2.2015 – XI R 15/14, BFH/NV 2015, 772, unter II.2c. 6 Bei einem Reihengeschäft mit drei Personen. 7 BFH v. 25.2.2015 – XI R 15/14, BFH/NV 2015, 772; v. 25.2.2015 – XI R 30/13, BFH/NV 2015, 769; zuvor schon BFH v. 28.5.2013 – XI R 11/09, BFH/NV 2013, 1524. 8 BFH v. 11.8.2011 – V R 3/10, BFH/NV 2011, 2208 Ziff. II 2d mit der Folge eines faktischen Wahlrechts: Teilt der mittlere Unternehmer eines aus drei Personen bestehenden Reihengeschäfts dem ersten Lieferer vor dem Beginn des Transports nicht mit, dass er die Ware weiterverkauft hat, ist die erste Lieferung die bewegte, teilt er es ihm dagegen erst nach Beginn des Transports mit, ist die zweite Lieferung die bewegte; vgl. hierzu Brandl in Bunjes21, § 3 UStG Rz. 209; Streit, BB 2015, 1819 ff. (1820); Höink/Hudasch, UStB 2015, 198 ff. (199 f.). 9 Abschn. 3.14 Abs. 8 Satz 2 UStAE. 10 Vgl. zu Einzelheiten Abschn. 6.11 UStAE und BMF v. 12.8.2014 – IV D 3 - S 7133/14/10001 – DOK 2014/0712080, BStBl. I 2014, 1202. 11 BGBl. II 1961, 1183, 1218. 12 Übersicht in BMF v. 7.6.2006 – IV A 6 - S 7492 - 30/06, UR 2006, 549. 13 Die amtliche Beschaffungsstelle muss selbst als Vertragspartner auftreten; BFH v. 29.9.1988 – V R 53/83, BStBl. II 1988, 1022; v. 26.3.1992 – V R 6/87, BFH/NV 1993, 59; v. 14.4.2010 – XI R 12/ 09, BStBl. II 2011, 138 Rz. 28. 14 Zu Einzelheiten BMF v. 22.12.2004 – IV A 6 - S 7492 - 13/04, BStBl. I 2004, 1200.

Schaumburg | 453

Kap. 10 Rz. 10.89 | Umsatzsteuer

Offshore-Steuerabkommens1 Lieferungen von Waren einschließlich Werklieferungen und sonstige Leistungen an Stellen der USA und an Stellen anderer von den USA bezeichneter Regierungen.2 Schließlich enthält auch das Abkommen über die NATO-Hauptquartiere3 eine Umsatzsteuerbefreiung. Befreit sind Lieferungen und sonstige Leistungen an ein Hauptquartier, die von diesem in Auftrag gegeben werden und für den Gebrauch oder den Verbrauch durch das Hauptquartier oder dessen Personal und deren Angehörige oder durch das zivile Gefolge bestimmt sind.4 In den vorgenannten Fällen kommt es nicht darauf an, ob die Gegenstände in das Ausland gelangen oder nicht. Der Vorsteuerabzug bleibt in den vorgenannten Fällen gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 26 Abs. 5 UStG erhalten.

10.89a

Eine mit der Steuerbefreiung für NATO-Streitkräfte vergleichbare Steuerbefreiung gilt5 auch für Streitkräfte anderer EU-Mitgliedstaaten, die unter dem Dach der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union (GSVP) tätig werden (§ 4 Nr. 7 Satz 1 Buchst. e, f UStG). Die Steuerbefreiung betrifft Lieferungen und sonstige Leistungen im Inland (§ 4 Nr. 7 Satz 1 Buchst. e UStG) einerseits und solche in einem anderen EU-Mitgliedstaat (§ 4 Nr. 7 Satz 1 Buchst. f UStG) andererseits.

10.90

Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung müssen durch Ausfuhrnachweis (§ 6 Abs. 4 UStG; §§ 8 bis 11, 17 UStDV)6 und Buchnachweis (§ 6 Abs. 4 UStG; § 13 UStDV)7 belegt werden. Soweit die Ausländereigenschaft des Abnehmers maßgeblich ist, muss auch hierfür der Nachweis erbracht werden. Sowohl Ausfuhrnachweis als auch Buchnachweis sind nicht materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Steuerfreiheit.8 Steht fest, dass die Voraussetzungen des § 6 UStG vorliegen, bedarf es keines formalisierten Nachweises mehr.9

3. Lohnveredelung an Gegenständen der Ausfuhr 10.91

Neben den Ausfuhrlieferungen fallen unter die Befreiung des § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG auch die Lohnveredelung10 an einem Gegenstand der Ausfuhr (§ 7 UStG).11 Die Steuerbefreiung des Lohnveredelungsverkehrs beruht insbesondere auf der engen Verknüpfung mit der steuerbefreiten Warenausfuhr, so dass das Bestimmungslandprinzip hierfür ebenso maßgeblich ist

1 2 3 4 5 6 7 8

Vom 15.10.1954, BStBl. II 1955, 823. Zu Einzelheiten BMF v. 2.7.1968 – IV A 2 - S 7490 - 2/68, BStBl. I 1968, 997. BGBl. II 1969, 2009. Einzelheiten bei Hummel in R/D, § 26 UStG Rz. 481 ff. Ab 1.7.2022 (JStG 2020 v. 21.12.2020, BGBl. I 2020, 3096). Zu Einzelheiten Abschn. 6.5 ff. UStAE. Zu Einzelheiten Abschn. 6.10 UStAE. EuGH v. 27.9.2007 – C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 = Slg. 2007, I-7797 – Teleos; EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549 = Slg. 2007, I-7861 – Collée; EuGH v. 21.2.2008 – C271/06, ECLI:EU:C:2008:105 = UR 2008, 508 – Netto Supermarkt; EuGH v. 27.9.2012 – C-587/ 10, ECLI:EU:C:2012:592 = UR 2012, 832 – VSTR; BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BStBl. II 2009, 57; v. 8.11.2007 – V R 72/05, BStBl. II 2009, 55; v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010,1075; v. 28.5.2009 – V R 23/08, BFH/NV 2009, 1565; v. 28.5.2013 – XI R 11/09, UR 2013, 756; v. 21.1.2015 – XI R 5/13, UR 2015, 265; vgl. zu steuerstrafrechtlichen Folgen Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 18.8 ff. 9 Der Nachweis kann daher auch durch Zeugenbeweis geführt werden; BFH v. 26.9.2019 – VR 38/ 18, BStBl. II 2020, 112. 10 Im Sinne einer entgeltlichen Be- oder Verarbeitung. 11 Art. 146 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL.

454 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.95 Kap. 10

wie für die Ausfuhr selbst.1 Die Entlastung von Umsatzsteuer erfolgt mit Hilfe der Steuerfreiheit für die Ausfuhr und die Lohnveredelung sowie durch den Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG). Die Belastung im Drittlandsgebiet wird durch die Besteuerung der Einfuhr sichergestellt. Die steuerbefreite Lohnveredelung an Gegenständen der Ausfuhr setzt eine Werkleistung2 an einem vom Auftraggeber zu diesem Zweck in das Gemeinschaftsgebiet eingeführten oder in diesem Gebiet erworbenen Gegenstand voraus.3

10.92

Eine Lohnveredelung liegt gem. § 7 Abs. 3 UStG auch dann vor, wenn der Unternehmer seinem Auftraggeber anstelle des Gegenstandes, den er aus den übergebenen Stoffen herstellen soll, einen gleichartigen Gegenstand zurückgibt, den er in seinem Unternehmen aus solchen Stoffen herzustellen pflegt, und das Leistungsentgelt nach Art eines Werklohns unabhängig vom Unterschied zwischen dem Markt- oder Börsenpreis des empfangenen Stoffes und dem des überlassenen Gegenstandes berechnet wird (§ 3 Abs. 10 UStG).4

10.93

Die Steuerbefreiung setzt logisch voraus, dass die Lohnveredelung als Werkleistung steuerbar ist, also insbesondere im Inland bewirkt wird. Die Steuerfreiheit ist jedoch von vorneherein nicht gegeben, wenn ausländische Unternehmer den Auftrag für die Lohnveredelung erteilen. In dieser für der Praxis wichtigen Fallkonstellation ist der Ort der sonstigen Leistung im Drittlandsgebiet (§ 3a Abs. 2 UStG). Im Hinblick darauf ist die Steuerbefreiung nur noch von Bedeutung bei im Inland ansässigen Unternehmen5 als Auftraggeber (§ 3 Abs. 1 UStG) sowie bei nichtunternehmerischen Auftraggebern (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c UStG).6 Im Grundsatz gelten hier die gleichen Voraussetzungen7 wie bei der Ausfuhrlieferung (Rz. 10.83). Für die Steuerbefreiung ist es unerheblich, wie oft der Ausfuhrgegenstand vor seiner Ausfuhr be- oder verarbeitet worden ist (§ 7 Abs. 1 Satz 2 UStG).

10.94

Im Übrigen ist ebenso wie bei der Ausfuhrlieferung ein Ausfuhr- und Buchnachweis (§ 7 Abs. 4 UStG; §§ 8 bis 13, 17 UStDV) zu führen.8 Beide Nachweise sind nicht materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Steuerbefreiung (Rz. 10.90).

10.95

4. Innergemeinschaftliche Lieferungen Literatur: Kommentare zu § 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG; Huschens, Das endgültige MwSt-System für den europäischen Binnenhandel nach den Vorschlägen der EU-Kommission, UVR 2018, 364; MeyerBurow/Connemann, JStG 2019: Die Verwendung der USt-IdNr. und die Abgabe der ZM als verschärfte Voraussetzungen der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen – Kritische Betrach-

1 Vobbe in Wäger2, § 7 UStG Rz. 3. 2 Eine Werkleistung liegt vor, wenn der Unternehmer die Be- oder Verarbeitung eines Gegenstandes übernommen hat und dabei (Haupt-)Stoffe verwendet, die er selbst nicht beschafft hat. Die Werkleistung unterliegt den Regelungen einer sonstigen Leistung. 3 Nicht erfasst wird die Lohnveredelung im Auftrag des Lieferanten, weil dann der be- oder verarbeitende Gegenstand selbst Gegenstand der Ausfuhr ist; vgl. Vobbe in Wäger2, § 7 UStG Rz. 5. 4 Sog. Umtauschmüllerei (Sonderfall der Leistung); Einzelheiten bei Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 4312 ff. 5 Ebenso juristische Personen mit USt-IdNr. 6 Vobbe in Wäger2, § 7 UStG Rz. 14, 31. 7 § 7 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG. 8 Zu Einzelheiten Abschn. 7.2 u. 7.3 UStAE.

Schaumburg | 455

Kap. 10 Rz. 10.96 | Umsatzsteuer tung und Lösungsvorschläge, MwStR 2020, 106; Wäger, Innergemeinschaftliche Lieferung bei fehlendem Belegnachweis, BFH/PR 2020, 68.

10.96

Ebenso wie bei Ausfuhrlieferungen (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG)1 ist auch die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen darauf gerichtet, das Bestimmungslandprinzip umzusetzen.2 Das Bestimmungslandprinzip wird technisch dadurch gewährleistet, dass einerseits die innergemeinschaftliche Lieferung gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a Abs. 1 UStG bei uneingeschränktem Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG) steuerbefreit ist und andererseits im anderen Mitgliedsstaat (Bestimmungsland) hierzu korrespondierend als innergemeinschaftlicher Erwerb3 der Umsatzsteuer unterworfen wird. Dieses Korrespondenzprinzip4 bedeutet allerdings nicht, dass der innergemeinschaftliche Erwerb im EU-Ausland tatsächlich besteuert wird.5 Erforderlich ist lediglich die Steuerbarkeit des innergemeinschaftlichen Erwerbs.6 Restriktionen ergeben sich allerdings aus § 6a Abs. 1 Nr. 2–4 UStG,7 wonach die Steuerbefreiung voraussetzt,8 dass der Abnehmer, soweit er nicht Erwerber eines neuen Fahrzeuges ist (§ 6a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c UStG), für Zwecke der Umsatzsteuer im anderen Mitgliedstaat erfasst ist, der Erwerb im anderen Mitgliedstaat der Umsatzsteuer unterliegt und eine von dort erteilte gültige USt-IdNr. verwendet.9

10.97

Gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG sind innergemeinschaftliche Lieferungen von der Umsatzsteuer freigestellt, es sei denn der liefernde Unternehmer hat entgegen seiner Verpflichtung eine zusammenfassende Meldung (§ 18a UStG) nicht, unrichtig oder nur unvollständig abgegeben. Die übrigen Voraussetzungen hierfür ergeben sich aus § 6a UStG, und zwar – Beförderung oder Versendung des Liefergegenstandes in das übrige Gemeinschaftsgebiet (§ 6a Abs. 1 Nr. 1 UStG), – an einen qualifizierten Abnehmer (§ 6a Abs. 1 Nr. 2 UStG), – wenn der Gegenstand der Lieferung bei ihm in einem anderen Mitgliedstaat der Erwerbsteuer unterliegt (§ 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG) und – der Abnehmer in den Fällen von § 6a Abs. 2 Buchst. a oder b UStG eine gültige USt-IdNr. verwendet.

10.98

Die Steuerbefreiung kann unter den vorgenannten Voraussetzungen nur von Unternehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Umsätze nach den allgemeinen Vorschriften des UStG besteuern (Regelversteuerer). Auf Umsätze von Kleinunternehmern, die nicht nach § 19 Abs. 2 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Art. 138, 139 MwStSystRL. Burgmaier in Wäger2, § 6a UStG Rz. 8. Art. 2 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL. Nach EuGH v. 18.11.2010 – C-84/09, ECLI:EU:C:2010:693 = UR 2011, 103 Rz. 28 – X sind innergemeinschaftliche Lieferung und innergemeinschaftlicher Erwerb ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang; vgl. ferner BFH v. 11.8.2011 – V R 50/09, BStBl. II 2012, 151. EuGH v. 27.9.2007 – C-409/04, ECLI:EU:C:2007:548 = Slg. 2007, I-7797, Rz. 69 ff. – Teleos u.a.; BFH v. 8.11.2007 – V R 72/05, BStBl. II 2009, 55; v. 21.1.2015 – XI R 5/13, BFH/NV 2015, 641 Rz. 24. BFH v. 29.7.2009 – XI B 2/09, BFH/NV 2009, 1567; v. 21.1.2015 – XI R 5/13, BFH/NV 2015, 641 Rz. 24. Neufassung mit Wirkung ab 1.1.2020. Es handelt sich nachfolgend um materielle Anforderungen; vgl. Burgmaier in Wäger2, § 6a UStG Rz. 70. Zur Kritik an diesen Anforderungen Burgmaier in Wäger2, § 6a UStG Rz. 71 ff.

456 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.100 Kap. 10

UStG zur Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes optiert haben, auf Umsätze im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs, auf die die Durchschnittssätze nach § 24 UStG angewendet werden und auf Umsätze, die der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG unterliegen, findet die Steuerbefreiung keine Anwendung (§§ 19 Abs. 1 Satz 4, 24 Abs. 1 Satz 2, 25a Abs. 5 Satz 2, 25a Abs. 7 Nr. 3 UStG).1 Von der Reichweite der Steuerbefreiung werden nur im Inland steuerbare Lieferungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) erfasst. Der Ort der Lieferung muss daher in Anwendung insbesondere des § 3 Abs. 6–8 UStG (Rz. 10.13 ff.) im Inland sein. Das ist z.B. bei der Lieferung schlüsselfertiger Anlagen, die vom Lieferer erst am Zielort im EU-Ausland installiert oder montiert werden, nicht der Fall.2 Ein bloßes innerbetriebliches Verbringen von Gegenständen, also deren Transport innerhalb des Unternehmensbereichs, etwa vom Produktionsbetrieb zum Lager (Rz. 10.12), wird im Hinblick auf § 3 Abs. 1a UStG als fingierte innergemeinschaftliche Lieferung dagegen von der Steuerbefreiung erfasst (§ 6a Abs. 2 UStG). Wer den Liefergegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet, spielt keine Rolle. Der Abnehmer muss im anderen Mitgliedstaat steuerlich erfasst,3 aber nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig sein.4 Daher kann eine Lieferung an inländische Abnehmer als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sein, wenn der Liefergegenstand etwa zu einer in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte eines im Inland ansässigen Abnehmers gelangt.5 Eine zu diesem Zweck erfolgte Zwischenlagerung ist unschädlich.6 Der Gegenstand der Lieferung muss im Wege der Beförderung oder Versendung (Rz. 10.16) das Inland verlassen und im anderen Mitgliedstaat angekommen sein, wobei ein Transport durch ein Drittlandsgebiet ohne Bedeutung ist.7 In den Fällen von Reihengeschäften wird nur die warenbewegte Lieferung (Rz. 10.87) von der Steuerbefreiung erfasst.8

10.99

Die Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen wird nur bei einem bestimmten Abnehmerkreis gewährt (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG). Hierzu gehören insbesondere für Zwecke der Umsatzsteuer erfasste Unternehmer, soweit sie den Gegenstand der Lieferung für ihr Unternehmen erworben haben. Hierbei kommt es auf die Zuordnungsentscheidung des Abnehmers zum Zeitpunkt des Erwerbs an.9 Voraussetzung ist, dass der Abnehmer (§ 6a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b UStG) gegenüber dem liefernden Unternehmer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte gültige USt-IdNr verwendet hat (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG).10 Eine Sonderregelung enthält § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c UStG, wonach bei der Lieferung neuer Fahrzeuge der Abnehmer nicht Unternehmer sein muss. Diese Regelung beruht darauf,

10.100

1 2 3 4 5 6

7 8 9 10

Vgl. Abschn. 6a.1 Abs. 3 UStAE. Robisch in Bunjes21, § 6a UStG Rz. 13; vgl. auch Abschn. 3.12 Abs. 4 UStAE. § 6a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, b UStG. EuGH v. 27.9.2012 – C-587/10, ECLI:EU:C:2012:592 = UR 2012, 832 Rz. 54 – VStR; Frye in R/D, § 6a UStG Rz. 342. Frye in R/D, § 6a UStG Rz. 342. Vgl. EuGH v. 18.11.2010 – C-84/09, ECLI:EU:C:2010:693 = IStR 2010, 910 – X; Robisch in Bunjes21, § 6a UStG Rz. 23; im Sonderfall des Konsignationslagers ist eine innergemeinschaftliche Lieferung (§ 6b Abs. 2 UStG) erst dann gegeben, wenn die Lieferung aus dem Konsignationslager innerhalb von 12 Monaten (§ 6b Abs. 3 UStG) erfolgt. Frye in R/D, § 6a UStG Rz. 186; Robisch in Bunjes21, § 6a UStG Rz. 25. Burgmeier in Wäger2, § 6a UStG Rz. 46; Robisch in Bunjes21, § 6a UStG Rz. 31, dort auch zu Besonderheiten in Fällen der Verkaufskommission und bei Konsignationslagern (Rz. 26 ff.). EuGH v. 4.10.1995 – C-291/92, ECLI:EU:C:1995:304 = BStBl. II 1996, 392 – Ambrecht. Einzelheiten hierzu insbesondere zur Kritik an dieser Regelung Burgmeier in Wäger2, § 6. UStG Rz. 91 ff.

Schaumburg | 457

Kap. 10 Rz. 10.100 | Umsatzsteuer

dass dieser Personenkreis beim Erwerb zur Besteuerung herangezogen wird (vgl. § 1b Abs. 1 UStG; Rz. 10.76).

10.101

Eine innergemeinschaftliche Lieferung ist auch dann gegeben, wenn der Gegenstand der Lieferung durch Beauftragte vor der Beförderung oder Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet bearbeitet oder verarbeitet wird (§ 6a Abs. 1 Satz 2 UStG). Diese Regelung betrifft nur den Fall, dass die Be- oder Verarbeitung im Auftrag des Abnehmers erfolgt.1 Wird der Auftrag vom liefernden Unternehmer erteilt, ist Gegenstand der Lieferung der be- oder verarbeitete Gegenstand.2

10.102

Als innergemeinschaftliche Lieferung gilt gem. § 6a Abs. 2 UStG auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstandes in das übrige Gemeinschaftsgebiet (§ 3 Abs. 1a UStG). Es handelt sich hierbei um das grenzüberschreitende unternehmensinterne Verbringen von Gegenständen (Rz. 10.12). Mit der vorgenannten Vorschrift, die zu einer Entlastung von Umsatzsteuer führt, korrespondiert § 1a Abs. 2 UStG (Erwerbsteuer), so dass die Besteuerung im Bestimmungsland sichergestellt ist.3 Nicht unter § 6a Abs. 2 UStG fällt das Verbringen zwecks bloß vorübergehender Verwendung (§ 3 Abs. 1a Satz 1 UStG). Hierzu zählt z.B. der Transport von Waren in einen anderen Mitgliedstaat zwecks Begutachtung oder Bearbeitung, wenn er wieder in das Inland zurückgelangt.4 Ausgenommen sind ferner die sog. Konsignationslagerfälle (§ 6b UStG): Wird innerhalb von zwölf Monaten aus dem Konsignationslager an den Erwerber geliefert, liegt eine innergemeinschaftliche Lieferung im Inland vor (§ 6b Abs. 2 u. 3 UStG).5

10.103

Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen müssen beleg- und buchmäßig nachgewiesen werden (§ 6a Abs. 3 UStG; §§ 17a bis 17c UStDV). Die Nachweise sind keine materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit. Ist etwa erwiesen, dass der Gegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt ist und der Abnehmer den innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern hat, ist dem Lieferer die Steuerbefreiung zu gewähren (Rz. 10.90), es sei denn, der Lieferer verletzt seine Pflichten zum Beleg- und Buchnachweis, um die Identität des Erwerbers zum Zweck der Steuerhinterziehung im Bestimmungsmitgliedstaat zu verschleiern.6 Die §§ 17a bis 17c UStDV regeln im Einzelnen, wie der Beleg- und Buchnachweis zu führen ist. Im Vordergrund steht hierbei der Nachweis, dass der Gegenstand der Lieferung tatsächlich in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt ist. Dieser Nachweis kann entweder durch eine Gelangensbestätigung seitens des Abnehmers (§ 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Buchst. a, UStDV i.V.m. § 17b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStDV) oder in bestimmten Fällen durch anderweitige Belege, insbesondere Beförderung- oder Versendungsbelege (§ 17a Abs. 1 Nr. 1 u. 2, Abs. 2 Nr. 1 UStG iVm § 17b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Nr. 1 Buchst. a UStDV) geführt werden.7 Die Rechtsfolge des § 17a UStDV8 besteht in der Gelangensver-

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Abschn. 6a.1 Abs. 20 Satz 3 UStAE. Abschn. 6a.1 Abs. 20 S. 4 u. 5 UStAE. Frye in R/D, § 6a UStG Rz. 471; Burgmaier in Wäger2, § 6a UStG Rz. 110. Art. 17 Abs. 2 b u. f. MwStSystRL. Hierzu Burgmaier in Wäger2, § 6a UStG Rz. 113. EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 = UR 2011, 15 Rz. 51 – R; EuGH v. 20.10.2016 – C-24/15, ECLI:EU:C:2016:791 – Plöckl; BFH v. 11.8.2011 – V R 19/10, BStBl. II 2011, 846 Rz. 21. 7 Vgl. zu Einzelheiten Abschn. 6a.3 bis 6a.5 UStAE. 8 Zum Problem des im Unionsrecht verankerten Normwiederholungsverbot im Verhältnis zu Art. 45a MwStVO Burgmaier in Wäger2, § 6a UStG Rz. 147 ff.

458 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.104a Kap. 10

mutung,1 die durch das FA wiederlegt werden kann.2 Bei Bearbeitungs- oder Verarbeitungsfällen im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a Abs. 1 Satz 2 UStG) ist der Belegnachweis nach Maßgabe des § 17c UStDV zu führen.3 Der Buchnachweis erfordert, dass aus der Buchführung die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung einschließlich der USt-IdNr. des Abnehmers eindeutig und leicht nachprüfbar zu ersehen ist (§ 17d Abs. 1 UStDV).4 Ob die für die Steuerbefreiung maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, kann der Lieferer in aller Regel nur aufgrund der ihm vom Abnehmer gemachten Angaben beurteilen. Sind diese Angaben unzutreffend, gewährt § 6a Abs. 4 UStG Vertrauensschutz, wenn der liefernde Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Im Hinblick darauf muss der Lieferant alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die von ihm vorgenommene innergemeinschaftliche Lieferung nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung des Erwerbers oder weiterer Abnehmer etwa im Rahmen von Karussellgesellschaften führt.5 In diesem Fall schuldet der Abnehmer die entgangene Steuer (§ 6a Abs. 4 Satz 2 UStG).6

10.104

5. Konsignationslager Literatur: Kommentare zu § 6b UStG; Hoss/Klein, Warenlieferungen über ein Konsignationslager, UR 2019, 615; Körner, Die erstmalige gesetzliche Regelung der Konsignationslager im Inland in einen neuen § 6b UStG, UR 2019, 873; Meyer-Burow/Connemann, Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Lieferungen über Konsignationsläger, UStB 2019, 148; Meyer-Burow/Connemann, Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Lieferungen über Konsignationsläger ab dem 1.1.2020, UStB 2019, 271; Robisch, BMF-Schreiben zur Konsignationslagerregelung nach § 6b UStG, NWB 2022, 234; Szabó/Tausch, Harmonisierte Mehrwertsteuerregelungen für Konsignationslager ab 1.1.2020, UVR 2019, 76; Trejo, Die neue Konsignationslagerregelung – jedenfalls keine „Vereinfachungsregelung“, MwStR 2020, 8; Zaumseil, Gestaltungserwägungen beim Konsignationslager, UVR 2019, 29.

Die in § 6b UStG7 verankerte Konsignationslagerregelung8 dient der Vereinheitlichung in der EU und zugleich der Vereinfachung bei grenzüberschreitenden Lieferungen innerhalb der EU.9 Angesprochen sind hiermit Lieferungen zwischen Unternehmen nach der Ankunft im Konsignationslager, die als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen im Abgangsmitgliedstaat und als innergemeinschaftlicher Erwerb im Auskunftsmitgliedstaat qualifiziert werden. Ohne diese Sonderregelung handelte es sich um ein grenzüberschreitendes innergemeinschaftliches Verbringen (§ 3 Abs. 1a UStG), das ebenso wie eine innergemeinschaftliche Liefe-

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Beförderung bzw. Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet. Zu Einzelheiten Burgmaier in Wäger2, § 6a UStG Rz. 153 ff. Vgl. Abschn. 6a.6 UStAE. Vgl. zu Einzelheiten Abschn. 6a.7 UStAE. Vgl. EuGH v. 27.9.2007 – C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 = BStBl. II 2009, 70 – Teleos; EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742 = UR 2011, 15 – R; BFH v. 11.8.2011 – V R 19/10, BStBl. II 2011, 846; zu weiteren Einzelheiten Abschn. 6a.8 UStAE; zu den steuerstrafrechtlichen Folgens eines betrügerischen Karussellgeschäfts Adick in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 18.41 ff. Einzelheiten zu dieser Vertrauensschutzregelung aus Sicht der FinVerw Abschn. 6a.8 UStAE. Art. 17a Abs. 2-7 MwStSystRL. Vgl. hierzu das BMF-Schreiben v. 10.12.2021 – III C 3 - S 7146/20/10001 :005, BStBl. I 2021, 2492; Abschn. 6b.1 UStAE. Vgl. Erwägungsgrund Nr. 5 der RL (EU) 2019/1910 v. 4.12.2018, ABl. EU 2018 Nr. 311/3.

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10.104a

Kap. 10 Rz. 10.104a | Umsatzsteuer

rung grundsätzlich steuerfrei ist (§ 6a UStG), sodann um einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb im Bestimmungsland und im Anschluss daran dort um eine steuerpflichtige Inlandslieferung.1 Unterschiede bestehen im Übrigen beim Lieferzeitpunkt – Beginn der Beförderung bei § 3 Abs. 6 UStG dagegen Zeitpunkt der Entnahme aus dem Konsignationslagerbei § 6b UStG – und bei der rechtsgeschäftlichen Abwicklung – verbindliche Bestellung zu Beginn der Beförderung oder Versendung bei § 3 Abs. 6 UStG2 dagegen Konsignationslagervertrag bei § 6b UStG.3

10.104b

Insbesondere folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:4 – Beförderung oder Versendung aus dem Abgangsmitgliedstaat in den Bestimmungsmitgliedstaat, um nach dem Ende der Beförderung oder Versendung aufgrund einer bereits bei Beginn der Beförderung oder Versendung bestehenden Vereinbarung die umsatzsteuerliche Lieferung zu bewirken (§ 6b Abs. 1 Nr. 1 UStG). – Der liefernde Unternehmer darf im Bestimmungsmitgliedstaat nicht ansässig sein (§ 6b Abs. 1 Nr. 2 UStG). – Der Erwerber verwendet die vom Bestimmungsmitgliedstaat erteilte USt-IdNr. (§ 6b Abs. 1 Nr. 2 UStG). – Der liefernde Unternehmer muss bestimmte Aufzeichnungs- und Meldepflichten – § 22 Abs. 4f. UStG und § 18a Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 3, Abs. 7 Nr. 2a UStG – erfüllen (§ 6b Abs. 1 Nr. 4 UStG). Als Rechtsfolge ergibt sich im Wege der Fiktion die Gleichstellung der Lieferung an den Erwerber mit einer innergemeinschaftlichen Lieferung sowie mit einem innergemeinschaftlichen Erwerb, sofern die Lieferung innerhalb der 12-Monatsfrist nach § 6b Abs. 3 UStG bewirkt wird (§ 6b Abs. 2 UStG).5

6. Umsätze für die Seeschifffahrt und für die Luftfahrt Literatur: Kommentare zu § 8 UStG; Grambeck, Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen für die Seeschifffahrt, NWB 2021, 2113; Krauesel, Steuerbefreiung für Lieferungen von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen, UVR 2021, 165; Weber, Steuerbefreiung der Umsätze für die Seeschifffahrt, UVR 2017, 338.

10.105

Gemäß § 4 Nr. 2 UStG sind Umsätze für die Seeschifffahrt und für die Luftfahrt unter den Voraussetzungen des § 8 UStG6 von der Umsatzsteuer befreit. Diese Steuerbefreiung, die weder davon abhängt, dass die gelieferten Gegenstände in das Ausland gelangen, noch davon, dass die Abnehmer im Ausland ansässig sind, findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Abnehmer durchweg zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer sind, die überwiegend die in An1 Ausnahme: Nur kurze Zeit der Lagerung im Auslieferungslager nach Beginn der Versendung; BFH v. 16.11.2016 – V R 1/16, BStBl. II 2017, 1079; v. 20.10.2016 – V R 31/15, BStBl. II 2017, 1076. 2 Vgl. zur Ausnahme „kurze Zeit“; BFH v. 16.11.2016 – V R 1/16, BStBl. II 2017, 1079; v. 24.10.2016 – V R 31/15, BStBl. II 2017, 1076. 3 Vgl. auch Heuermann in S/R, § 6b UStG Rz. 27 f. 4 Zu Einzelheiten Heuermann in S/R, § 6b UStG Rz. 31 ff.; Körner in Wäger2, § 6b UStG Rz. 26 ff. 5 Wegen der weiteren Voraussetzungen - § 6b Abs. 4-6 UStG, vgl. Heuermann in S/R, § 6b UStG Rz. 106 ff.; Körner in Wäger2, § 6b UStG Rz. 73 ff. 6 Art. 148 MwStSystRL.

460 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.106 Kap. 10

spruch genommenen Leistungen für grenzüberschreitende oder Auslandsumsätze1 verwenden. Es handelt sich um eine der Vereinfachung dienende Vorstufenbefreiung, die die fortwährende Erstattung von Vorsteuern bei den Unternehmern der See- und Luftfahrt vermeiden soll.2 Daher betreffen die steuerfreien Umsätze für die Seeschifffahrt lediglich Lieferungen, Umbauten, Instandsetzungen, Wartungen, Vercharterungen und Vermietungen von Wasserfahrzeugen für die Seeschifffahrt, die dem Erwerb durch die Seeschifffahrt oder der Rettung Schiffbrüchiger zu dienen bestimmt sind (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 UStG), also Umsätze von Wasserfahrzeugen, die über die Küstengrenzen hinaus auf offener See im Ausland fahren können.3 Die Steuerbefreiung gilt auch für vergleichbare Leistungen im Zusammenhang von Luftfahrzeugen, die zur Verwendung durch Unternehmer bestimmt sein müssen, die im entgeltlichen Luftverkehr überwiegend grenzüberschreitende Beförderungen oder Beförderungen auf ausschließlich ausländischen Strecken durchführen. Die Unternehmen, die im entgeltlichen Luftverkehr überwiegend internationalen Luftverkehr betreiben, werden vom Bundesfinanzministerium regelmäßig durch eine Liste veröffentlicht.4 Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung müssen gem. § 8 Abs. 3 UStG buchmäßig nachgewiesen werden, ohne dass dieser Buchnachweis materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung wäre.5 Auf der Grundlage des § 8 Abs. 3 Satz 2 UStG ist hierzu § 18 UStDV ergangen, der seinerseits auf § 13 Abs. 1 und 2 Nr. 1 bis 4 UStDV verweist.6

7. Grenzüberschreitende Beförderungen Literatur: Kommentare zu § 4 Nr. 3 UStG; Maunz, Voraussetzungen für die Steuerbefreiung für Beförderungsleistungen im Zusammenhang mit Ausfuhrlieferungen, MwStR 2019, 70; Raudszus, Belegnachweise bei Vor- oder Nachtransporten für grenzüberschreitende Güterbeförderungen – Hinweise zur umsatzsteuerlichen Beurteilung entsprechender Sachverhalte für den Praktiker, UStB 2009, 227; Winter, Steuerbefreiung von Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr oder der Einfuhr von Gegenständen, MwStR 2017, 745.

Gemäß § 4 Nr. 3 UStG7 sind grenzüberschreitende Beförderungen sowie andere sonstige Leistungen im Zusammenhang mit der Einfuhr und der Ausfuhr von der Umsatzsteuer befreit. Die Steuerbefreiung erfasst grundsätzlich grenzüberschreitende Beförderungen von Gegenständen und Beförderungen im internationalen Eisenbahnfrachtverkehr und andere sonstige Leistungen, soweit sie sich auf Gegenstände der Aus- und Einfuhr beziehen (§ 4 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a UStG), nicht aber innergemeinschaftliche Beförderungen von Gegenständen, für die eine Steuerbefreiung nicht vorgesehen ist.8 Die Befreiungsvorschrift steht im engen Zusammenhang mit den gem. § 4 Nr. 1 UStG steuerbefreiten Ausfuhrlieferungen (§ 6 UStG) und den Lohnveredelungen an Gegenständen der Ausfuhr (§ 7 UStG). Es entspricht dem Bestim-

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Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a bzw. Nr. 2 Buchst. a UStG. Heidner in Bunjes21, § 8 UStG Rz. 1; Vobbe in Wäger2, § 8 UStG Rz. 1. Zu Einzelheiten Abschn. 8.1 Abs. 2 UStAE. Z.B. BStBl. I 2020, 1341. EuGH v. 21.2.2008 – C-271/06, ECLI:EU:C:2008:105 = UR 2008, 508 – Netto Supermarkt; BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, UR 2009, 161; v. 28.5.2009 – V R 23/08, BFH/NV 2009, 1565. 6 Zu Einzelheiten Abschn. 8.3 UStAE. 7 Art. 142, 144, 146 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. 8 Der Ort der Lieferung beurteilt sich grundsätzlich nach § 3 Abs. 6 UStG, so dass für die Steuerbelastung das Herkunfts-(Ursprungs-)Land maßgeblich ist (anders § 3c Abs. 1 UStG beim Fernverkauf); vgl. ferner die Sonderregelung für Madeira und die Azoren in § 4 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b UStG.

Schaumburg | 461

10.106

Kap. 10 Rz. 10.106 | Umsatzsteuer

mungslandprinzip und ist daher folgerichtig, wenn auch die diesbezüglichen Beförderungsleistungen von der Umsatzsteuer entlastet werden.1 Soweit Güterbeförderungen im Zusammenhang mit der Einfuhr freigestellt sind, korreliert § 4 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG mit § 11 Abs. 3 Nr. 3 und 4 UStG, nach dem die Bemessungsgrundlage der eingeführten Gegenstände für Zwecke der Einfuhrumsatzsteuer um den Wert der Beförderungsleistung bis zum ersten oder zu einem weiteren Bestimmungsort im Gemeinschaftsgebiet erhöht wird.2 Auf der gleichen Wertungsebene ist die Steuerbefreiung für andere sonstige Leistungen im Zusammenhang mit der Einfuhr und der Ausfuhr angesiedelt: Sonstige Leistungen im Zusammenhang mit Gegenständen der Einfuhr sind steuerfrei, wenn die Kosten für diese Leistungen in der für die Einfuhrumsatzsteuer maßgeblichen Bemessungsgrundlage (§ 11 UStG) enthalten sind.3 Damit werden einerseits ein unversteuerter privater Endverbrauch und andererseits eine Doppelbelastung mit Umsatzsteuer vermieden.4

10.107

Die Steuerbefreiung für grenzüberschreitende Güterbeförderungen, die sich im Wesentlichen an Frachtführer und Spediteure in den Fällen des Selbsteintritts (§ 458 HGB) richtet,5 setzt voraus, dass es sich um eine umsatzsteuerrechtlich selbstständig zu beurteilende Leistung handelt; anderenfalls greift insbesondere die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1 i.V.m. § 6 UStG ein.6

10.108

Die Befreiung für grenzüberschreitende Güterbeförderungen7 wird unabhängig davon gewährt, ob die Beförderung mit Kraftfahrzeugen, Luftfahrzeugen, Eisenbahnen, Seeschiffen, Binnenschiffen oder etwa durch Rohrleitungen erfolgt. Nicht befreit sind die Beförderungen aus einem Freihafen in das Inland (§ 4 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 UStG). Der Ausschluss von der Steuerbefreiung steht im Zusammenhang mit § 1 Abs. 3 Nr. 4 und 5 UStG, wonach die Lieferungen der vorgenannten Gegenstände sowie die Freihafenanteile der entsprechenden Beförderungsleistungen als inländische Umsätze behandelt werden. Damit wird im Ergebnis dem Bestimmungslandprinzip entsprochen.

10.109

Ebenfalls ausgeschlossen ist die Steuerbefreiung für die in § 4 Nr. 8, 10 und 11 UStG bezeichneten Umsätze, also bei Umsätzen des Geld- und Kapitalverkehrs, bei Versicherungsumsätzen und bei Umsätzen von Bausparkassen und Versicherungsvertretern sowie Versicherungsmaklern (§ 4 Nr. 3 Satz 2 UStG). Schließlich gilt die Steuerbefreiung auch nicht für Be- oder Verarbeitungen von Gegenständen einschließlich Werkleistungen i.S.d. § 3 Abs. 10 UStG8 (§ 4 Nr. 3 Satz 2 UStG).

10.110

Die sich auf Gegenstände der Einfuhr beziehenden sonstigen Leistungen (§ 4 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG) betreffen vor allem Güterbeförderungen, den Umschlag

1 Tehler in R/D, § 4 Nr. 3 UStG Rz. 18; Wäger in R/K/L, § 4 Nr. 3 UStG Rz. 4; Möller in Wäger2, § 4 Nr. 3 UStG Rz. 2. 2 Das gilt auch im Falle der Steuerbefreiung gem. § 5 UStG; Abschn. 4.3.3 Abs. 2 Satz 4 UStAE; zu Einzelheiten Wäger in R/K/L, § 4 Nr. 3 UStG Rz. 31. 3 Abschn. 4.3.3 Abs. 2 UStAE. 4 Tehler in R/D, § 4 Nr. 3 UStG Rz. 19. 5 Vgl. Abschn. 4.3.2 Abs. 4 u. 5 UStAE; für (echte) Spediteure greift die Steuerbefreiung über § 3 Abs. 11 UStG ein (Rz. 10.112). 6 Möller in Wäger2, § 4 Nr. 3 UStG Rz. 3; Abschn. 4.3.1 Abs. 1 UStAE. 7 Befördern ist jede Fortbewegung eines Gegenstandes (§ 3 Abs. 6 Satz 2 UStG); grenzüberschreitend ist sie, wenn sie sich sowohl auf das Inland als auch auf das Ausland erstreckt (§ 3b Abs. 1 Satz 4 UStG). 8 Sog. Umtauschmüllerei.

462 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.112b Kap. 10

und die Lagerung eingeführter Gegenstände sowie weitere handelsübliche Nebenleistungen wie etwa die Abfertigung zum freien Verkehr.1 Von § 4 Nr. 3 Satz 1 Buchst. c UStG werden sonstige Leistungen erfasst, die sich unmittelbar auf eingeführte Gegenstände, ausgenommen Beförderungsmittel, Paletten und Container, beziehen, für die zollamtlich eine vorübergehende Verwendung im Zollgebiet bewilligt worden ist. Bei diesen Gegenständen handelt es sich um Waren, die zur Wiederausfuhr bestimmt sind. Um einen unversteuerten Letztverbrauch im Inland zu vermeiden, ist die Steuerbefreiung auf Leistungen an ausländische Auftraggeber (§ 7 Abs. 2 UStG) beschränkt.

10.111

Da gem. § 3 Abs. 11 UStG die für die besorgte Leistung geltenden Vorschriften auf die Besorgungsleistung entsprechend anzuwenden sind, gilt die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 3 UStG nicht nur etwa für Hauptfrachtführer, sondern auch für (echte) Spediteure und sonstige Fälle der Dienstleistungskommission,2, nicht aber für Unterfrachtführer.3 Die jeweiligen Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 3 UStG müssen vom Unternehmer beleg- und buchmäßig nachgewiesen werden (§§ 20 und 21 UStDV). Der Beleg- und Buchnachweis ist nicht materiell-rechtliche Voraussetzung der Steuerfreiheit (Rz. 10.90).

10.112

8. Lieferung mittels elektronischer Schnittstelle Literatur: Kommentare zu § 4 Nr. 4c UStG; Luther/Dachauer/Zawodsky, Wer schuldet die Umsatzsteuer bei Internetplattformen, DStR 2021, 517; Prätzler, Umsatzsteuer im grenzüberschreitenden Versandhandel ab 1.1.2021, StuB 2020, 143.

Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 4c UStG ist4 im Zusammenhang mit § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG (Rz. 10.12a) zu sehen. Aufgrund der dort geregelten Lieferkettenfiktion wird der Betreiber einer elektronischen Schnittstelle so behandelt, als ob er den Liefergegenstand selbst erhalten und geliefert hätte. Diese gem. § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG fingierte Lieferung eines nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmens an den Unternehmer, der als Betreiber einer elektronischen Schnittelle den Gegenstand im Gemeinschaftsgebiet (fiktiv) weiterliefert, wird nach § 4 Nr. 4c UStG von der Umsatzsteuer befreit.5

10.112a

Im Ergebnis wird damit eine Doppelbelastung mit Umsatzsteuer vermieden, weil einerseits dem Schnittstellenbetreiber als Unternehmer der Vorsteuerabzug erhalten bleibt (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG) und der Empfänger als Nichtunternehmer nicht zu Vorsteuerabzug berechtigt ist.

10.112b

9. Vermittlung von Exportumsätzen Literatur: Kommentare zu § 4 Nr. 5 UStG; Reiß, Vermittlungsleistungen in der Umsatzsteuer, UR 2005, 593; Schick/Franz, Die Umsatzsteuerbefreiung von Vermittlungsleistungen nach dem „Ludwig“Urteil des EuGH, BB 2008, 1483.

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Vgl. im Einzelnen die Beispiele in Abschn. 4.3.3 Abs. 8 UStAE. Abschn. 4.3.2 Abs. 5 UStAE. EuGH v. 29.6.2017 – C-288/16, ECLI:EU:C:2017:502 – L.C.; Abschn. 4.3.2 Abs. 4 UStAE. Geltung ab 1.7.2021 (§ 27 Abs. 34 Satz 1 UStG). Diese Steuerbefreiung beruht auf Art. 136a MwStSystRL.

Schaumburg | 463

Kap. 10 Rz. 10.113 | Umsatzsteuer

10.113

Die Vermittlung bestimmter Umsätze wird nach § 4 Nr. 5 UStG1 von der Umsatzsteuer befreit. Bei den Umsätzen, auf die sich die Vermittlung bezieht, handelt es sich vor allem um steuerfreie Umsätze. Damit wird sichergestellt, dass die Vermittlung ebenso von USt entlastet wird wie die zugrundeliegende Leistung.2 Da auch der Vorsteuerabzug erhalten bleibt (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG), wird zudem ein Vorsteuervergütungsverfahren (§§ 18 Abs. 9; 18g UStG) entbehrlich. Die Vermittlung von Umsätzen, die in anderen Mitgliedstaaten ausgeführt werden, ist dagegen steuerpflichtig. Als steuerfreie Umsätze werden im § 4 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a UStG u.a. die Ausfuhrlieferungen gem. § 4 Nr. 1 Satz 1 Buchst. a UStG, nicht aber innergemeinschaftliche Lieferungen genannt (§ 4 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b UStG): Die Vermittlung dieser Umsätze ist von der Steuerbefreiung ausgenommen. Damit wird gewährleistet, dass ausländische Vermittler von Lieferungen im Gemeinschaftsgebiet keine Wettbewerbsvorteile erlangen.3 Von der Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a UStG erfasst werden zudem vor allem die Vermittlung der Umsätze für die Seeschifffahrt und Luftfahrt (§ 4 Nr. 2 UStG) sowie die Vermittlung der grenzüberschreitenden Güterbeförderung und anderer Dienstleistungen, die sich auf Gegenstände der Ausfuhr, Durchfuhr und Einfuhr beziehen (§ 4 Nr. 3 UStG). Gemäß § 4 Nr. 5 Satz 1 Buchst. b UStG ist ferner die Vermittlung der grenzüberschreitenden Beförderung von Personen mit Luftfahrzeugen und Seeschiffen steuerbefreit, sofern die Vermittlung nicht durch Reisebüros für Reisende erfolgt (§ 4 Nr. 5 Satz 2 UStG). Diese Ausnahmeregelung, die die Besteuerung des Endverbrauchs gewährleisten soll, hat in der Praxis allerdings keine große Bedeutung, weil in aller Regel Unternehmer, etwa Reiseveranstalter und Hoteliers, die Vermittlungsleistungen in Anspruch nehmen.4

10.114

Soweit sich die Befreiung auf die Vermittlung von Exportumsätzen und Personenbeförderungsumsätze bezieht (§ 4 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a und b UStG), folgt diese Steuerbefreiung ebenso wie die Steuerbefreiung für die vermittelten Umsätze selbst dem Bestimmungslandprinzip. Die Befreiungen nach § 4 Nr. 5 Satz 1 Buchst. c UStG für die Vermittlung von Umsätzen, die ausschließlich im Drittlandsgebiet bewirkt werden, trägt ebenfalls dem Bestimmungslandprinzip Rechnung. Die Befreiung des § 4 Nr. 5 Satz 1 Buchst. d UStG für die Vermittlung von Lieferungen, bei denen sich nach § 3 Abs. 8 UStG der Ort der Lieferung im Inland befindet, (Rz. 10.20 f.) beruht demgegenüber auf der Erwägung, dass der vermittelnde Unternehmer nicht erkennen kann, wie die vermittelte Lieferung umsatzsteuerlich letztlich zu behandeln ist. Insgesamt dient § 4 Nr. 5 UStG auch Vereinfachungszwecken, weil anderenfalls (bei Steuerpflicht) wegen § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG ohnehin der Vorsteuerabzug gegeben wäre. Die Vorschrift macht daher Vorsteuererstattungen insoweit entbehrlich.5

10.115

Die Voraussetzungen der steuerfreien Vermittlungsleistungen sind buchmäßig nachzuweisen.6 Auf der Grundlage des § 4 Nr. 5 Satz 4 UStG ist hierzu § 22 UStDV ergangen.

10. Leistungen im Eisenbahnverkehr 10.116

Unter die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 6 Buchst. a UStG7 fallen Lieferungen und sonstige Leistungen, etwa die Gestellung von Personal und Betriebsanlagen, der Eisenbahn des Bundes

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Art. 153 MwStSystRL. Sternberg in Wäger2, § 4 Nr. 5 UStG Rz. 1. Vgl. BT-Drucks. 8/1779; Rokos, UR 1992, 89 ff., 129 (133). Hierzu Heidner in Bunjes21, § 4 Nr. 5 UStG Rz. 8. Heidner in Bunjes21, § 4 Nr. 5 UStG Rz. 1. Der Nachweis hat keine materiell-rechtliche Bedeutung; vgl. Rz. 10.90. Art. 394 MwStSystRL.

464 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.119 Kap. 10

auf bestimmten Bahnhöfen an der Grenze oder auf Grenzbetriebsstrecken und Durchgangsstrecken1 an ausländische Eisenbahnverwaltungen. Erfasst werden hierdurch auch grenzüberschreitende Leistungen. Die Befreiung dient in erster Linie der Vereinfachung, da die in Betracht kommenden Leistungsempfänger stets zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.2

11. Lieferung eingeführter Gegenstände Gemäß § 4 Nr. 6 Buchst. c UStG3 ist die Lieferung von eingeführten Gegenständen an im Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3 UStG, ansässige Abnehmer steuerfrei, soweit für die Gegenstände zollamtlich eine vorübergehende Verwendung im Inland bzw. in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg bewilligt worden ist. Diese Befreiungsvorschrift steht im Zusammenhang mit § 5 Abs. 2 UStG; § 1 Abs. 2 EUStDV, wonach die Einfuhr der vorgenannten Gegenstände unter bestimmten Voraussetzungen von der Einfuhrumsatzsteuer befreit ist. Die Befreiung führt dazu, dass die Gegenstände während der Dauer der vorübergehenden Verwendung im Inland unversteuert bleiben, womit im Ergebnis dem Bestimmungslandprinzip entsprochen wird. Die Beschränkung der Befreiung auf Lieferungen an im Drittlandsgebiet, ausgenommen in Gebieten nach § 1 Abs. 3 UStG, ansässige Abnehmer dient der Vermeidung eines unversteuerten Letztverbrauchs im Gemeinschaftsgebiet.4 Die Lieferung von Beförderungsmitteln, Paletten und Containern ist allerdings von der Steuerbefreiung ausgenommen (§ 4 Nr. 6 Buchst. c Satz 2 UStG).

10.117

12. Fährverkehr mit Helgoland Im Hinblick darauf, dass die Personenbeförderungsleistungen zwischen dem Inland und der Insel Helgoland durch Ausdehnung der Hoheitsgewässer (Rz. 10.9) steuerbar sind (§ 1 Abs. 3 UStG), ist zwecks Vermeidung von Fahrpreiserhöhungen für Personenbeförderungsleistungen die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 6 Buchst. d UStG5 maßgeblich.6

10.118

13. Abgabe von Speisen und Getränken auf Seeschiffen Die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 6 Buchst. e UStG7 betrifft die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle auf Seeschiffen insbesondere zwischen einem inländischen und ausländischen Seehafen.8 Es geht hierbei im Wesentlichen um Restaurationsumsätze, die als sonstige Leistungen anzusehen sind. Nicht befreit ist daher die Lieferung von Speisen und Getränken.9

1 Es handelt sich hierbei um eine Beförderung im Inland an einer Durchgangsstrecke zwischen zwei ausländischen Strecken; BFH v. 4.7.2013 – V R 33/11, BStBl. II 2013, 937. 2 Fritsch in R/K/L, § 4 Nr. 6 UStG Rz. 11. 3 Art. 161 MwStSystRL. 4 Regierungsbegründung zu § 4 Nr. 6c UStG, BT-Drucks. 12/2463. 5 Die Unionsrechtskonformität ist offen; vgl. m.w.N. Sternberg in Wäger2, § 4 Nr. 6 UStG Rz. 2. 6 Zu europarechtlichen Zweifeln Lange, DStZ 1996, 133 (134); Kraeusel, UR 1996, 353 ff. 7 Die Regelung ist unionsrechtswidrig; vgl. Sternberg in Wäger2, § 4 Nr. 6 UStG Rz. 2; Treiber in S/R, § 4 Nr. 6 UStG Rz. 8; Sterzinger, UR 2020, 1 (4). 8 Hierzu Sternberg in Wäger2, § 4 Nr. 6 UStG Rz. 22. 9 Heidner in Bunjes21, § 4 Nr. 6 UStG Rz. 10 unter Hinweis auf EuGH v. 2.5.1996 – Rs. C-231/94, BStBl. II 1998, 282; Abschn. 4.6.2 Satz 2 UStAE.

Schaumburg | 465

10.119

Kap. 10 Rz. 10.120 | Umsatzsteuer

14. Leistungen an NATO- und EU-Streitkräfte 10.120

Gemäß § 4 Nr. 7 Satz 1 Buchst. a, b, e und f UStG1 sind steuerfrei Lieferungen, ausgenommen die Lieferung neuer Fahrzeuge (§ 1b Abs. 2, 3 UStG),2 und sonstige Leistungen, die an ausländische und an in einem anderen Mitgliedstaat stationierte NATO-Streitkräfte anderer Vertragsparteien als des Bestimmungsmitgliedstaates sowie an Streitkräfte anderer EU-Mitgliedstaaten, die unter dem Dach der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union (GSVP) tätig werden, ausgeführt werden und für den Gebrauch oder Verbrauch dieser Streitkräfte bestimmt sind. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 7 Satz 1 Buchst. a, b UStG betrifft insbesondere wehrtechnische Gemeinschaftsprojekte, bei denen der Generalunternehmer im Inland ansässig ist, sowie die Lieferung von Rüstungsgegenständen.3 Demgegenüber erfasst die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 7 Satz 1 Buchst. b, f UStG Lieferungen und sonstige Leistungen an die im Gebiet eines anderen EU-Mitgliedsstaates stationierten Streitkräfte, wobei es sich nicht um die Streitkräfte dieses EU-Mitgliedstaates handeln darf.4 Voraussetzung ist, dass der Liefergegenstand in das Gebiet des anderen EU-Mitgliedstaates befördert oder versendet wird (§ 4 Nr. 7 Satz 2 UStG). Die Steuerbefreiung wird schließlich nur unter den in dem anderen EU-Mitgliedstaat maßgeblichen Voraussetzungen gewährt (§ 4 Nr. 7 Satz 3 UStG). Die Steuerbefreiung gilt nicht für Umsätze, die in § 26 Abs. 5 UStG bereits aufgrund der dort genannten Abkommen steuerbefreit sind. Mangels konkreter Vorschriften,5 kann die dem leistenden Unternehmer obliegende Nachweislast (§ 4 Nr. 7 Satz 4 UStG) auf jede geeignete Weise entsprochen werden.6

15. Leistungen an Diplomaten und zwischenstaatliche Einrichtungen 10.121

Lieferungen, ausgenommen Lieferungen neuer Fahrzeuge (§ 1b Abs. 2, 3 UStG), und sonstige Leistungen an die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates ansässigen ständigen diplomatischen Missionen, berufskonsularischen Vertretungen, zwischenstaatlichen Einrichtungen sowie deren Mitglieder sind gem. § 4 Nr. 7 Satz 1 Buchst. c, d UStG7 steuerfrei. Die Steuerbefreiung setzt voraus, dass der Gegenstand der Lieferung in das Gebiet des anderen Mitgliedstaates befördert oder versendet wird (§ 4 Nr. 7 Satz 2 UStG). Sie wird schließlich nur unter den im anderen Mitgliedstaat maßgeblichen Voraussetzungen gewährt (§ 4 Nr. 7 Satz 3 UStG). Der entsprechende Nachweis ist durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Behörde zu führen.8

IV. Steuerfreier innergemeinschaftlicher Erwerb Literatur: Kommentare zu § 4b UStG; Birkenfeld/Forst, Das Umsatzsteuerrecht im Europäischen Binnenmarkt, Bielefeld 1992; Langer, Umsatzsteuer im Binnenmarkt, Herne/Berlin 1992; Noll/Rödder, Das neue Umsatzsteuerrecht des Exports und Imports, Düsseldorf 1992; Pich, Das neue Umsatzsteu1 Art. 151 MwStSystRL. 2 Diese unterliegen im anderen Mitgliedstaat der Erwerbsbesteuerung, so dass die Steuerbefreiung nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c UStG eingreift. 3 Vgl. Abschn. 4.7.1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 UStAE. 4 Vgl. Abschn. 4.7.1 Abs. 3 Satz 2 UStAE. 5 Von der Verordnungsermächtigung in § 4 Nr. 7 Satz 6 UStG hat das BMF (noch) nicht Gebrauch gemacht. 6 Vgl. BFH v. 5.7.2012 – V R 10/10, BStBl. II 2014, 539; einschränkend Abschn. 4.7.1 Abs. 7 Satz 5 UStAE. 7 Art. 151 Abs. 1 Buchst. a, b MwStSystRL. 8 Vgl. Abschn. 4.7.1 Abs. 6 Satz 3–6 UStAE.

466 | Schaumburg

B. Steuerobjekt | Rz. 10.124 Kap. 10 er-Binnenmarktgesetz, Köln 1992; Pietzsch, der innergemeinschaftliche Erwerb, UVR 1993, 139; Rokos, Die Übergangsregelung bei der Umsatzsteuer für grenzüberschreitende Umsätze im Europäischen Binnenmarkt ab 1993, UR 1992, 89, 129; Rondorf, Das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz, München 1992; Widmann, Das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz, UR 1992, 249.

§ 4b UStG1 enthält Befreiungstatbestände, die darauf gerichtet sind, bestimmte innergemeinschaftliche Lieferungen im Ergebnis steuerlich nicht anders zu belasten als entsprechende inländische Lieferungen und Einfuhren.2 Die Vorschrift dient damit der Wettbewerbsneutralität und verwirklicht zugleich das Bestimmungslandprinzip. Durch § 4b Nr. 1 und 2 UStG werden innergemeinschaftliche Erwerbe3 von bestimmten Gegenständen befreit, deren Lieferung im Inland steuerfrei wäre. Erfasst wird insbesondere der Erwerb von Gold durch Zentralbanken, von gesetzlichen Zahlungsmitteln, die wegen ihres Metallgehaltes oder ihres Sammelwerts umgesetzt werden, Wasserfahrzeuge, die nach ihrer Bauart dem Erwerb durch die Seeschifffahrt oder der Rettung Schiffbrüchiger zu dienen bestimmt sind, von Gegenständen zur Einlagerung in ein Steuerlager (§ 4 Nr. 4a UStG) sowie von Gegenständen, die sich in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren (§ 4 Nr. 4b UStG) begründen.

10.122

§ 4b Nr. 3 UStG bezieht in die Steuerbefreiung folgerichtig auch den innergemeinschaftlichen Erwerb solcher Gegenstände ein, deren Einfuhr steuerfrei wäre.4 Hierdurch wird sichergestellt, dass innergemeinschaftliche Erwerbe im Inland nicht höher belastet werden als Einfuhren. Der Umfang der Steuerbefreiung ergibt sich zu einem wesentlichen Teil aus der EuStBV.5

10.123

§ 4b Nr. 4 UStG befreit schließlich den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen, die zur Ausführung von Umsätzen verwendet werden, für die der Ausschluss vom Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 3 UStG nicht eintritt. Es handelt sich hierbei um eine sog. Vorstufenbefreiung, die im Hinblick auf eine nachfolgende steuerfreie Ausfuhr oder eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung aus Gründen der Vereinfachung gewährt wird.6

V. Steuerfreie Einfuhr Literatur: Kommentare zu § 5 UStG; Burghardt, Einfuhrumsatzsteuerbefreiung für Rückwaren, UVR 2017, 362; Eckert, Die Steuerbefreiung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG; eine willkommene Vorschrift für den unehrlichen Unternehmer?, UVR 2000, 244; Kleine-König, Einfuhrumsatzsteuerfreiheit bei innergemeinschaftlicher Weiterlieferung, DStZ 2012, 635; Oelmaier, Bedeutung der Umatzsteueridentifikationsnummer für die Steuerbefreiung der Einfuhr, MwStR 2018, 712; Schröder, Umsatzsteuer und Zollvorschriften ab 1. Januar 2004, UVR 2004, 259 ff.; Schrömbges, Die neue Rechtsprechung des EuGH zum Einfuhrumsatzsteuerrecht, MwStR 2019, 133.

Steuerbefreiungen bei der Einfuhr von Gegenständen enthalten § 5 Abs. 1 UStG7 und die aufgrund verschiedener Ermächtigungsgrundlagen ergangene Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung.8 Darüber hinaus ergeben sich noch weitere Befreiungen aus anderen Vorschrif-

1 Art. 140 Buchst. a und b MwStSystRL. 2 Körner in Wäger2, § 4b UStG Rz. 1; Vellen in R/K/L, § 4b UStG Rz. 5. 3 Auch solche Fälle des § 3d Satz 2 UStG einbeziehend Körner in Wäger2, § 4b UStG Rz. 11; Robisch in Bunjes21, § 4b UStG Rz. 3. 4 Zur Befreiung von Einfuhren (§ 5 UStG) nachfolgend Rz. 10.124 ff. 5 Vgl. Abschn. 4b.1 Abs. 2 UStAE. 6 Vellen in R/K/L, § 4b UStG Rz. 26. 7 Art. 143 MwStSystRL. 8 EUStBV v. 11.8.1992, BGBl. I 1992, 1526.

Schaumburg | 467

10.124

Kap. 10 Rz. 10.124 | Umsatzsteuer

ten, etwa für Reisemitbringsel1 sowie für Waren in Kleinsendungen nichtkommerzieller Art2 und schließlich auch für Waren für in Deutschland stationierte ausländische Streitkräfte3 sowie in sonstigen Fällen.4 Die sich unmittelbar aus § 5 Abs. 1 UStG ergebenden Steuerbefreiungen dienen dem Ziel, eingeführte Waren keinen höheren inländischen Steuern zu unterwerfen, als sie gleichartige inländische Waren zu tragen haben.5 Soweit die Einfuhrumsatzsteuer ohnehin als Vorsteuer abzugsfähig wäre (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG), dient § 5 UStG zugleich der Vereinfachung. Die Durchführung von § 5 UStG ist Aufgabe der Hauptzollämter (§ 21 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 2 FVG).

10.125

Die Steuerfreiheit gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UStG erstreckt sich insbesondere auf die Einfuhr von Gegenständen für die Seeschifffahrt und für die Luftfahrt (§ 8 UStG). Da für die Umsätze für die Seeschifffahrt und die Luftfahrt (§ 4 Nr. 2 UStG) gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1a UStG der Vorsteuerabzug erhalten bleibt, wird durch § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UStG aus Gründen auch der Vereinfachung sichergestellt, dass etwa eingeführte Ausrüstungsgegenstände für die Seeschifffahrt und die Luftfahrt ebenfalls nicht mit Umsatzsteuer belastet sind.

10.126

§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine Steuerbefreiung für die Fälle vor, in denen Drittlandswaren eingeführt und unmittelbar im Anschluss an die Einfuhr6 zur Ausführung einer innergemeinschaftlichen Lieferung verwendet werden. Hierdurch kann eine eingeführte Ware, die für einen Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt ist, in den zoll- und einfuhrumsatzsteuerrechtlich freien Verkehr überführt werden, ohne dass zwischenzeitlich eine Einfuhrumsatzsteuer erhoben werden müsste.

10.127

Während § 5 Abs. 1 Nr. 4 UStG die steuerfreie Einfuhr von bestimmten Gegenständen (Anlage 1 zu § 4 Nr. 4a UStG) betrifft, die in ein Umsatzsteuerlager eingelagert werden sollen, normiert § 5 Abs. 1 Nr. 5 UStG die Steuerbefreiung der Einfuhr, die im Zusammenhang mit einer zu einer Auslagerung führenden Lieferung steht.7 Bei § 5 Abs. 1 Nr. 4 UStG handelt es sich um eine bloß temporäre Steuerbefreiung, weil bei Entnahme aus dem Umsatzsteuerlager (Auslagerung) die Einfuhr gem. § 4 Nr. 4a Satz 1 Buchst. a Satz 2 UStG steuerpflichtig wird.8 § 5 Abs. 1 Nr. 5 UStG betrifft dagegen die (steuerfreie) Einfuhr, die im sog. Nichterhebungsverfahren (Art. 210 UZK) zeitlich erst nach der Auslagerung erfolgt. Da die Auslagerung, also z.B. die Lieferung aus dem Umsatzsteuerlager, zur Steuerpflicht führt, wird zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung die Einfuhr steuerfrei gestellt.9

1 Vgl. die Verordnung über die Eingangsabgabenfreiheit von Waren im persönlichen Gepäck der Reisenden (EFVO) v. 24.11.2008, BGBl. I 2008, 2235; BGBl. I 2009, 403; zu Einzelheiten Wäger in R/K/L, § 5 UStG Rz. 600 ff. 2 Vgl. Kleinsendungs-Einfuhrfreimengen-Verordnung (KFVO) v. 11.1.1979, BGBl. I 1979, 73; zu Einzelheiten Wäger in R/K/L, § 5 UStG Rz. 620 ff. 3 NATO-Truppenstatut v. 18.8.1961, BGBl. II 161, 1183; Offshore-Steuerabkommen v. 15.10.1954, BGBl. II 1955, 823; Gesetz zum Protokoll über die NATO-Hauptquartiere v. 17.10.1969 (BGBl. II 1969, 1997); vgl. auch Rz. 10.89. 4 EWG-VO Nr. 1410/74 betreffend Einfuhren aus Anlass von Katastrophenfällen; VO über EUROCONTROL v. 26.7.1972, BGBl. I 1972, 814. 5 Hillek/Müller in R/D, § 5 UStG Rz. 26; Robisch in Bunjes21, § 5 UStG Rz. 1. 6 Zeitlich verzögerte Lieferungen sind unschädlich; Hillek/Müller in R/D, § 5 UStG Rz. 311; Robisch in Bunjes21, § 5 UStG Rz. 7a; a.A. Müller-Eiselt in R/K/L, § 5 UStG Rz. 185. 7 Zu Einzelheiten Hillek/Müller in R/D, § 5 UStG Rz. 391 ff., 471 ff. 8 Hillek/Müller in R/D, § 5 UStG Rz. 418; Langer, DB 2004, 17 (23). 9 Hillek/Müller in R/D, § 5 UStG Rz. 491.

468 | Schaumburg

C. Steuersubjekt | Rz. 10.131 Kap. 10

§ 5 Abs. 1 Nr. 6 UStG regelt die steuerfreie Einfuhr von Erdgas über das Erdgasnetz oder mittels Erdgastanker und von Elektrizität sowie von Wärme oder Kälte über Wärme- oder Kältenetze. Diese Steuerbefreiung verwirklicht das Bestimmungslandprinzip und dient zugleich der Vereinfachung, weil Lieferungen gem. § 3g UStG umsatzsteuerbar und -pflichtig sind (Rz. 10.26).1

10.128

Für Lieferungen aus dem Drittlandsgebiet mit einem Sachwert von höchstens EUR 150, die im Rahmen der One-Stop-Shop-Regelung (OSS) des § 18k UStG angemeldet worden sind,2 ist die Einfuhr gem. § 5 Abs. 1 Nr. 7 UStG steuerfrei.

10.128a

§ 5 Abs. 1 Nr. 8 UStG regelt die Steuerfreiheit von Einfuhren von Gegenständen durch Streitkräfte anderer Mitgliedstaaten, wenn sie im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) tätig werden.

10.128b

Die auf § 5 Abs. 2 Nr. 1 UStG und anderen Ermächtigungsgrundlagen beruhende Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung (EUStBV) enthält zahlreiche Steuerbefreiungen. Hierunter fallen beispielsweise die Einfuhr von Umzugs-, Heirats- und Erbschaftsgut, von erzieherischen, wissenschaftlichen und kulturellen Gegenständen sowie insbesondere von Gegenständen von geringem Wert.3

10.129

Auf der Grundlage von § 5 Abs. 2 Nr. 2 UStG sind Steuerbefreiungen für Einfuhren im nichtkommerziellen Reiseverkehr im Rahmen bestimmter Mengen- und Wertgrenzen Befreiungen von der Einfuhrumsatzsteuer vorgesehen für Waren, die Reisende gelegentlich und ausschließlich zum persönlichen Ge- oder Verbrauch, für ihren Haushalt oder als Geschenk in ihrem persönlichen Gepäck einführen.4

10.130

Eine Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer ergibt sich ferner aufgrund internationaler Abkommen, wonach insbesondere die Einfuhr für in Deutschland stationierte ausländische Streitkräfte, für im Inland ansässige internationale Organisationen und wegen gutnachbarlicher Beziehungen steuerbefreit ist.5

10.131

C. Steuersubjekt Literatur: Kommentare zu § 2 UStG; Birkenfeld, Gedanken zur grenzüberschreitenden Organschaft, UR 2010, 198; Brinkmann/Walter-Yadegardjam, Die Einbeziehung von Personengesellschaften in die umsatzsteuerliche Organschaft, DStR 2016, 650; Giesberts, Zur Qualifizierung des Unternehmerbegriffs, UR 1993, 279; Grambeck, Grundsatzentscheidungen des BFH zur umsatzsteuerlichen Organschaft, StuB 2016, 268; Hartmann, Umatzsteuerrechtliche Organschaft gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG verstößt gegen das Unionsrecht, Stbg 2016, 18; Heuermann, Neujustierung der Konzernbesteuerung in der USt, DK 2016, 163; Hudasch/Höink, Die Ausgestaltung der umsatzsteuerlichen Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auf dem unionsrechtlichen Prüfstand – BFH nimmt den Ball des EuGH nicht auf … oder doch?!, UVR 2016, 106; Klenk, Die Funktion des Unternehmens im Mehrwertsteuersystem, UR 1993, 284; Nieskens, Mythos Unionsrecht, BB 2015, 2074; Schaub, Der umsatzsteuerliche

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Zu Einzelheiten Weber, DStZ 2005, 109 (110). Hierzu Wäger, UStB 2021, 80 f.; Huschens, UVR 2020, 73 (76 f.) Einzelheiten hierzu bei Hillek/Müller in R/D § 5 UStG Rz. 661 ff. Verordnung über die Eingangsabgabenfreiheit von Waren im persönlichen Gepäck der Reisenden (EFVO) v. 24.11.2008, BGBl. I 2008, 2235; BGBl. I 2009, 403; im Einzelnen hierzu Hillek/Müller in R/D, § 5 UStG Rz. 1571 ff. 5 Vgl. hierzu den Überblick bei Wäger in R/K/L, § 5 UStG Rz. 650 ff.

Schaumburg | 469

Kap. 10 Rz. 10.132 | Umsatzsteuer Unternehmerbegriff, München 1989; Sterzinger, Neuausrichtung der umsatzsteuerlichen Organschaft – Chancen und Risiken einer Gruppenbesteuerung mit Antragsverfahren, MwStR 2020, 169; Stößel/ Gries, Die umsatzsteuerliche Organschaft im Wandel? – Aktuelle unionsrechtliche Perspektiven, Ubg 2015, 606; Streit/Rust, Die Entscheidung des EuGH in Sachen Larentia + Minerva – Rechtsfolgen für die deutsche umsatzsteuerliche Organschaft, DStR 2015, 2097; Tiede, Die Holding als umsatzsteuerlicher Unternehmer, Lohmar 2001; Tüchelmann, Zur grenzüberschreitenden Organschaft im Umsatzsteuerrecht, UR 1989, 109; Wäger, Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 189.

10.132

Steuersubjekt und damit Steuerschuldner der Umsatzsteuer1 sind grundsätzlich im In- oder Ausland ansässige Unternehmer (§§ 2; 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG). Darüber hinaus können auch Nichtunternehmer als Steuersubjekte und Steuerschuldner in Betracht kommen: – Beim innergemeinschaftlichen Erwerb z.B. natürliche Personen als Privatpersonen (§ 13a Abs. 1 Nr. 2 UStG), – bei einer fälschlich als innergemeinschaftlich befreite Lieferung behandelten Leistung ein privater Abnehmer (§ 13a Abs. 1 Nr. 3 UStG), – bei einer zu Unrecht ausgewiesenen Umsatzsteuer auch derjenige, der Nichtunternehmer ist (§ 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG), – beim innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft der letzte Abnehmer, wozu auch juristische Personen des öffentlichen Rechts als Nichtunternehmer zählen (§ 13a Abs. 1 Nr. 5 UStG), – für die Auslagerung (§ 4 Nr. 4a Satz 1 Buchst. a Satz 2 UStG) der Auslagerer (§ 13a Abs. 1 Nr. 6 UStG), – im Fall der One-Stop-Shop-Regelung (OSS) des § 18k UStG der im Gemeinschaftsgebiet ansässige Vertreter (§ 13a Abs. 1 Nr. 7 UStG), – im Falle der Einfuhr hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer, die auch von Nichtunternehmern (Zollschuldner) erhoben wird (§ 13a Abs. 2 UStG). Eine Erweiterung auf Nichtunternehmer erfolgt schließlich auch dadurch, dass etwa gem. § 2a UStG ein Fahrzeuglieferer, der Nichtunternehmer ist, insoweit als Unternehmer fingiert wird, als er im Inland ein neues Fahrzeug liefert und dieses im Rahmen der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt. In den vorgenannten Fällen ist das Steuersubjekt im Grundsatz zugleich auch Steuerschuldner. Zu einem Auseinanderfallen kommt es allerdings beim innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft (§§ 13a Abs. 1 Nr. 5, 25b Abs. 2 UStG) und darüber hinaus gem. § 13b Abs. 5 UStG, wonach die Steuerschuld von dem die Leistung erbringenden Steuersubjekt (Unternehmer) auf den Leistungsempfänger verlagert wird (Reverse-Charge-Verfahren).2 Angesprochen sind hierdurch insbesondere Werklieferungen und sonstige Leistungen von im Ausland ansässigen Unternehmern.

10.133

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt.3 Da der Unternehmerbegriff auf eine zivilrechtliche Rechtsfähigkeit nicht abstellt, kann jedes Gebilde in- oder ausländischen Rechts, das ein Mindestmaß an Or1 In der Terminologie der Art. 9-13 MwStSystRL „Steuerpflichtiger“; hierzu Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 19.26. 2 Hierzu Hundt-Eßwein, UStB 2003, 138 ff.; Monfort, UR 2002, 245 ff.; Raudszus, UStB 2002, 258 ff.; Tehler, UR 2002, 412 ff.; Kempf in FS Reiß, 275 ff.; Hillek/Friedrich-Vache in FS Reiß, 251 ff. 3 Auslegung i.S.v. Art. 9–13 MwStSystRL; vgl. BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574.

470 | Schaumburg

C. Steuersubjekt | Rz. 10.135 Kap. 10

ganisation besitzt, um als solches nach außen hin auftreten und Leistungen erbringen zu können, Unternehmer sein.1 Unternehmerfähig sind daher vor allem natürliche und juristische Personen als solche, nicht aber etwa deren Betriebsstätten (§ 12 AO), denen es schon an der vom Gesetz geforderten Selbständigkeit fehlt.2 Die Unternehmereigenschaft bezieht sich grundsätzlich nur auf denjenigen, der im Außenverhältnis eine unternehmerische Tätigkeit ausübt.3 Im Hinblick darauf sind verdeckte Vertreter (Strohmänner) ebenso Unternehmer wie etwa (ausländische) Domizilgesellschaften (Rz. 13.23 ff.), soweit diese die Leistungen aufgrund eigener Verpflichtungen erbringen.4 Dem gegenüber sind in- oder ausländische Holdinggesellschaften keine Unternehmer, soweit sie sich darauf beschränken, nur Anteile anderer Gesellschaften zu erwerben, zu halten und zu veräußern (Finanzholdings).5 Wenn darüber hinaus allerdings die Beteiligung dazu dient, unmittelbar in die Verwaltung der nachgeschalteten Gesellschaften einzugreifen, ihnen gegenüber also administrative, finanzielle, kaufmännische oder technische Dienstleistungen erbracht werden (Führungs- oder Funktionsholdings), ist die Unternehmereigenschaft zu bejahen.6 Bei gemischten Holding ist zwischen einem unternehmerischen und einem nichtunternehmerischen Bereich zu unterscheiden.7

10.134

Eine Ausnahme von dem für den Unternehmerbegriff maßgeblichen Grundsatz der Rechtsformunabhängigkeit macht § 2b UStG.8 Danach gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer, soweit sie Tätigkeiten in Ausübung öffentlicher Gewalt ausüben und hierdurch keine größeren Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Hierzu gehören Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts unabhängig davon, ob es sich um solche des deutschen oder ausländischen Rechts handelt.9 Die Ausübung öffentlicher Gewalt

10.135

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6

7 8 9

BFH v. 21.4.1994 – V R 105/91, BStBl. II 1994, 671; Stadie in R/D, § 2 UStG Rz. 82. Stadie in R/D, § 2 UStG Rz. 126. Stadie in R/D, § 2 UStG Rz. 555; Korn in Bunjes21, § 2 UStG Rz. 36, 40. BFH v. 28.1.1999 – V R 4/98, BStBl. II 1989, 628; v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622; v. 12.8.2009 – XI R 48/07, BFH/NV 2000, 259; v. 10.11.2010 – XI R 15/09, BFH/NV 2011, 867 alle zu „Strohmännern“ und BFH v. 9.7.2001 – V B 198/00, BFH/NV 2002, 79 zu (ausländischen) Domizilgesellschaften. EuGH v. 14.11.2000 – C-142/99, ECLI:EU:C:2000:623 = Slg. 2000, I-9567 – Foridienne v. Berginvest; EuGH v. 27.9.2001 – C-16/00, ECLI:EU:C:2001:495 = Slg. 2001, I-663, Rz. 20 – Cibo Participation; EuGH v. 6.9.2012 – C-496/11, ECLI:EU:C:2012:557 = UR 2012, 762, Rz. 33 – Portugal Telecom; EuGH v. 16.7.2015 – C-108, 109/14, ECLI:EU:C:2015:496 = UR 2015, 671, Rz. 19 – Larentia + Minerva, Marenave; BFH v. 19.1.2016 – XI R 38/12, DB 2016, 626, Rz. 38 f.; Abschn. 2.3 Abs. 2 Satz 1 UStAE; vgl. auch Heber in Wäger2, § 2 UStG Rz. 20. EuGH v. 27.9.2001 – C-16/00, ECLI:EU:C:2001:495 = Slg. 2000, I-6663 – Cibo Participations; EuGH v. 12.7.2001 – C-102/00, ECLI:EU:C:2001:416 = Slg. 2001, I-5679 – Welthgrove; EuGH v. 6.9.2012 – C-496/11, ECLI:EU:C:2012:557 = UR 2012, 762, Rz. 34 – Portugal Telecom; EuGH v. 16.7.2015 – C-108, 109/14, ECLI:EU:C:2015:496 = UR 2015, 671, Rz. 21 – Larentia + Minerva, Marinave; BFH v. 19.1.2016 – XI R 38/12, DB 2016, 626, Rz. 4.2; BFH v. 1.6.2016 – XI R 17/11, DStR 2016, 1668, Rz. 86 ff.; Abschn. 2.3 Abs. 3 Satz 5 Nr. 3 UStAE; vgl. auch Heber in Wäger2, § 2 UStG Rz. 21. Abschn. 2.3 Abs. 8 Satz 4 UStAE. Geltung für Umsätze ab 1.1.2017 mit Optionsmöglichkeit für § 21 Abs. 3 UStG a.F. bis 31.12.2020; § 27 Abs. 22 UStG; zu Anwendungsproblemen Widmann, UR 2016, 13. Vgl. Stadie in R/D, § 2b UStG Rz. 122; Abschn. 2.11 Abs. 1 Satz 4 UStAE (lediglich entsprechende Anwendung).

Schaumburg | 471

Kap. 10 Rz. 10.135 | Umsatzsteuer

zählt damit grundsätzlich auch dann zum nichtunternehmerischen Bereich, wenn sie grenzüberschreitende Wirkungen hat.1

10.136

Es kommt auch nicht darauf an, ob der Unternehmer im Ausland oder im Inland ansässig ist, ob er die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder nicht oder ob er als juristische Person nach deutschem oder ausländischem Recht errichtet ist.2 Im Hinblick darauf umfasst das Unternehmen die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmens, und zwar auch soweit sich diese auf das Ausland erstreckt (Unternehmenseinheit). Die inländische Betriebsstätte eines im Ausland ansässigen Unternehmers bildet deshalb ebenso wenig ein eigenständiges Unternehmen wie im umgekehrten Fall.3 Besonderheiten ergeben sich allerdings für im Inland nicht ansässige Unternehmer, die hier ausschließlich steuerfreie Umsätze ausführen und keine Vorsteuer abziehen können: Zur Erfüllung ihrer Steuererklärungspflichten4 haben sie die Möglichkeit, einen Fiskalvertreter zu bestellen (§§ 22a bis 22e UStG), der die Pflichten des betreffenden ausländischen Unternehmers als eigene zu erfüllen hat (§ 22b Abs. 1 UStG). Damit ist ihm auch die eigentlich dem Unternehmer obliegende Pflicht, gesonderte Aufzeichnungen zu führen, auferlegt (§ 22b Abs. 2, 3 UStG). Dementsprechend erhält der Fiskalvertreter5 für jeden von ihm vertretenen ausländischen Unternehmer eine gesonderte Steuernummer und USt-IdNr. (§ 22d Abs. 1 UStG). Der Fiskalvertreter wird insbesondere in den Fällen der steuerfreien Einfuhren (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG), steuerfreien innergemeinschaftlichen Erwerbe (§ 4b Nr. 4 UStG), an die sich unmittelbar steuerfreie Ausfuhrlieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 6 UStG), steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 6a UStG) oder steuerfreie, den Vorsteuerabzug nicht ausschließende Inlandslieferungen (z.B. § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 UStG) anschließen, tätig werden.6

10.137

So weit im Ausland ansässige Unternehmer7 im Inland entweder keine Umsätze oder nur die folgenden Umsätze ausführen – grenzüberschreitende Beförderungsleistungen (§ 4 Nr. 3 UStG), – Lieferungen und sonstige Leistungen, für die das Reverse-Charge-Verfahren gilt (§ 13b UStG), – Beförderungsleistungen, die der Einzelbesteuerung unterliegen (§§ 16 Abs. 5, 18 Abs. 5 UStG), – innergemeinschaftliche Erwerbe und daran anschließende Lieferungen (§ 25 Abs. 2 UStG),

1 Vgl. EuGH v. 16.9.2008 – C-288/07, ECLI:EU:C:2008:505 = UR 2008, 816 – Isle of Wight; EuGH v. 13.12.2007 – C-408/06, ECLI:EU:C:2007:789 = Slg. 2008, I-11295 – Götz. 2 BFH v. 21.4.1994 – V R 105/91, BStBl. II 1994, 671. 3 Erdbrügger in Wäger2, § 1 UStG Rz. 75, 4 Voranmeldung: § 18 Abs. 1, 2 UStG; Steuererklärung: § 18 Abs. 3, 4, 4c UStG; zusammenfassende Meldung für innergemeinschaftliche Warenlieferungen: § 18a UStG. 5 Gemäß § 22a Abs. 2 UStG i.V. mit §§ 3 Nr. 1 bis 3; 4 Nr. 9 Buchst. c StBerG sind hierzu befugt die steuerberatenden Berufe sowie Spediteure, Zolldeklaranten und Lagerhalter, soweit die zuletzt genannten drei Berufsgruppen nicht Kleinunternehmer (§ 19 UStG) sind. 6 Hierzu Korn in Bunjes21, § 22a UStG Rz. 5. 7 Vgl. § 59 Satz 2 UStDV, wonach ein ausländischer Unternehmer nicht derjenige ist, der im Inland eine Betriebsstätte unterhält; dagegen richtlinienkonforme Auslegung durch BFH v. 5.6.2014 – V R 50/13, BStBl. II 2014, 813: nur wenn von der inländischen Betriebsstätte aus Umsätze getätigt werden.

472 | Schaumburg

C. Steuersubjekt | Rz. 10.140 Kap. 10

– auf elektronischem Wege erbrachte bestimmte sonstige Leistungen an Nichtunternehmer gem. § 3a Abs. 5 UStG i.V.m. § 18 Abs. 4c UStG (bis 30.6.2021 bzw. § 18i UStG (ab 1.7.2021) oder gem. § 3a Abs. 5 UStG i.V.m. § 18 Abs. 4e UStG (bis 30.6.2021) bzw. § 18j UStG (ab 1.7.2021), – innergemeinschaftliche Fernverkäufe gem. § 3c Abs. 1 Sätze 2 u. 3 UStG i.V.m. § 18j UStG oder – Fernverkäufe gem. §§ 3a Abs. 3a Satz 2, 3c Abs. 2 u. 3 UStG i.V.m. § 18k UStG. wird ihnen die abziehbare Vorsteuer auf Antrag durch das Bundeszentralamt für Steuern vergütet (§ 18 Abs. 9 UStG, §§ 59, 60f. UStDV),1 wobei im Rahmen des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens zwischen im Gemeinschaftsgebiet und im Drittlandsgebiet ansässigen Unternehmen differenziert wird: Für im Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer wird die Vorsteuer höchstens in der Höhe des möglichen Vorsteuerabzugs im Ansässigkeitsstaat vergütet (§ 18 Abs. 9 Satz 4 UStG). Für nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer wird die Vorsteuer nur vergütet, wenn in dem Ansässigkeitsstaat keine Umsatzsteuer erhoben oder im Fall der Erhebung im Inland ansässigen Unternehmern diese vergütet wird (§ 18 Abs. 9 Satz 5 UStG).2 Ausnahmen hiervon enthält § 18 Abs. 9 Satz 6 UStG3, wonach Vorsteuerbeträge, die auf den Bezug von Kraftstoffen entfallen, nicht vergütet werden. Sind die Voraussetzungen für die Anwendung des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens nach § 59 UStDV nicht erfüllt, können Vorsteuerbeträge nur im allgemeinen Besteuerungsverfahren (§§ 16, 18 Abs. 1 bis 4 UStG) berücksichtigt werden. Während die Antragstellung für im Drittlandsgebiet ansässige Unternehmer beim Bundeszentralamt für Steuern zu erfolgen hat (§ 5 Abs. 1 Nr. 8 FVG),4 ist der Antrag von im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmen nur der zuständigen Stelle in dem anderen Mitgliedstaat dem Bundeszentralamt für Steuern zuzuleiten.5

10.138

Im Inland ansässige Unternehmer, denen in einem anderen EU-Mitgliedstaat von Unternehmen Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden, können ebenfalls beim Bundeszentralamt für Steuern Anträge auf Vorsteuervergütung stellen, wobei die entsprechenden Anträge nach Vorprüfung an die zuständigen ausländischen Behörden weitergeleitet werden (§ 18g UStG).6

10.139

Eine weitere Sonderregelung enthält § 18h UStG, der in den Fällen des § 3a Abs. 5 UStG für die Zeit vor dem 1.7.2021 eingreift, wonach Telekommunikationsdienstleistungen, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen sowie auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen (TRFEDienstleistungen) an innerhalb der EU ansässige Nichtunternehmer dort erbracht werden, wo diese ansässig sind (Rz. 10.57). Um zu verhindern, dass die leistenden Unternehmer sich in den betreffenden Mitgliedstaaten registrieren lassen müssen, sieht § 18h UStG eine einzige elektronische Anlaufstelle für umsatzsteuerliche Zwecke vor. Danach können die betreffenden

10.140

1 Das Verfahren soll der Vereinfachung und Beschleunigung dienen; vgl. Heidner in Bunjes21, § 18 UStG Rz. 116. 2 Diese Gegenseitigkeitsklausel ist akzeptiert worden vom BFH v. 10.4.2003 – V R 35/01, BStBl. II 2003, 782 und vom EuGH v. 15.7.2010 – C-582/08, ECLI:EU:C:2010:429 = BFH/NV 2010, 1762 – Kommission/UK; vgl. zum Verzeichnis der Staaten, zu denen Gegenseitigkeit gegeben ist BMF 15.3.2021, BStBl. I 381. 3 Vgl. hierzu Abschn. 18.11 Abs. 5 UStAE. 4 Zu Einzelheiten Abschn. 18.14 UStAE. 5 Zu Einzelheiten Abschn. 18.13 UStAE. 6 Zu Einzelheiten Abschn. 18g.1 UStAE.

Schaumburg | 473

Kap. 10 Rz. 10.140 | Umsatzsteuer

Unternehmer im Rahmen eines vereinfachten Besteuerungsverfahrens die ausländische Umsatzsteuer an das Bundeszentralamt für Steuern abführen.1 Für die Zeit ab 1.7.2021 gilt für die vorgenannten TRFE-Dienstleistungen die Sonderregelung in § 18j UStG, wonach die leistenden inländischen Unternehmer ihre an Nichtunternehmer erbrachten sonstigen Leistungen, die in einem anderen Mitgliedstaat zu besteuern sind, beim Bundeszentralamt für Steuern zu melden haben (§ 18j Abs. 1 Satz 1 UStG).2

10.141

Soweit die Unternehmereigenschaft wegen mangelnder Selbständigkeit verneint wird, etwa bei einer Organgesellschaft3, die finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert ist (Organschaft),4 sind die Wirkungen der Organschaft lediglich auf die Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG).5 Diese Unternehmensteile sind als ein Unternehmen zu behandeln (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG). Hat der Organträger seine Geschäftsleitung außerhalb des Inlands, so gilt der wirtschaftlich bedeutendste Unternehmensteil im Inland als der Unternehmer (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 UStG). Zu den im Inland gelegenen Unternehmensteilen gehören insbesondere die im Inland ansässigen Organträger und deren inländischen Organgesellschaften sowie inländische Betriebsstätten inländischer Organträger oder deren in- oder ausländischen Organgesellschaften.6 Darüber hinaus zählen auch inländische Organgesellschaften ausländischer Organträger sowie inländische Betriebsstätten ausländischer Organträger oder von diesen nachgeschalteten in- oder ausländischen Organgesellschaften zu den im Inland gelegenen Unternehmensteilen.7 Soweit es sich um inländische Organträger handelt, gehören deren ausländische Organgesellschaften mithin nicht zum Unternehmen des Organträgers, so dass insoweit ein umsatzsteuerlich beachtlicher Leistungsaustausch möglich ist.8 Entsprechendes gilt für ausländische Betriebsstätten inländischer Organgesellschaften, so dass auch sie nicht an der inländischen Organschaft teilnehmen.9 Ein Leistungsaustausch ist schließlich auch zwischen dem ausländischen Organträger und den im Inland gelegenen Unternehmensteilen (z.B. Betriebsstätten) möglich.10

1 Sog. Mini-One-Stop-Shop (MOSS); zu Einzelheiten Heidner in Bunjes21, § 18h UStG Rz. 1 ff. 2 Sog. One-Stop-Shop-EU-Regelung (OSS); vgl. hierzu im Einzelnen Abschn. 18j.1 UStAE. 3 Zu den in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG genannten juristischen Personen zählen aufgrund richtlinienkonformer Auslegung auch Personengesellschaften; EuGH v. 16.7.2015 – C-10814, ECLI:EU:C:2015: 496 – Larentia + Minerva, und C-109/14 Marinave, UR 2015, 671, Rz. 37; Nachfolgeentscheidungen des BFH: BFH v. 2.12.2015 – V R 25/13, BStBl. II 2017, 547; v. 19.1.2016 – XI R, 38/12, BStBl. II 2017, 567; v. 1.6.2016 – XI R 17/11, BStBl. II 2017, 581; jedenfalls für eine GmbH &Co. KG bejahend Abschn. 2.8 Abs. 2 Satz 5, Abs. 5a Satz 1 UStAE; vgl. auch Heber in Wäger2, § 2 UStG Rz. 87 ff.; nicht erforderlich ist, dass auch die übrigen Gesellschafter der Personengesellschaft in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind; EuGH v. 15.4.2021 – C-868/19, ECLI:EU:C:2021:285 = UR 2021, 392 m. Anm. Widmann – M-GmbH. 4 Vgl. hierzu Heber in Wäger2, § 2 UStG Rz. 117 ff. 5 Vgl. hierzu Heber in Wäger2, § 2 UStG Rz. 147, 161. 6 Vgl. Abschn. 2.9 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 UStAE. 7 Vgl. Abschn. 2.9 Abs. 3 Nr. 4 u. 5 UStAE. 8 Vgl. Abschn. 2.9 Abs. 6 Sätze 4 u. 5 UStAE. 9 Vgl. Abschn. 2.9 Abs. 6 Sätze 7 u. 8 UStAE. 10 EuGH v. 17.9.2014 – C-7/13, ECLI:EU:C:2014:2252 – Skandia America; EuGH v. 11.3.2021 – C812/19, ECLI:EU:C:2021:196 = IStR 2021, 399 – Dansk Bank; Abschn. 2.9 Abs. 9 Satz 4 UStAE; vgl. hierzu Treiber in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, Rz. 22.72 ff.

474 | Schaumburg

C. Steuersubjekt | Rz. 10.142 Kap. 10

Im Hinblick auf die strukturellen Unterschiede zwischen Art. 11 MwStSystRL – Steuerschuldnerschaft der Mehrwertsteuergruppe – einerseits und § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG – Steuerschuldnerschaft nur des Organträgers – ist § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG der unionsrechtlichen Verwerfung ausgesetzt, so dass ggf. eine Neuregelung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft geboten ist.1

1 Vgl. die Vorlageverfahren des BFH v. 11.12.2019 – XI R 16/18, UR 2020, 338 m. Anm. Reiß und v. 7.5.2020 – V R 40/19, UR 2020, 541 m. Anm. Küffner/Kirchinger und Anm. Widmann.

Schaumburg | 475

10.142

Kapitel 11 Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 B. Besondere Verkehrsteuern I. Grunderwerbsteuer 1. Territorialitätsprinzip . . . . . . . . 11.6 2. Rechtsträgerwechsel . . . . . . . . . 11.8 3. Gesellschafterwechsel bei Personengesellschaften . . . . . . . 11.14 4. Gesellschafterwechsel bei Kapitalgesellschaften . . . . . . . . 11.15a 5. Anteilsvereinigung . . . . . . . . . . 11.16 6. Steuerbefreiungen . . . . . . . . . . . 11.18 II. Versicherungsteuer und Feuerschutzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.20 III. Kraftfahrzeugsteuer und Luftverkehrsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.28 IV. Rennwett- und Lotteriesteuer . . . . . 11.35

C. Besondere Verbrauchsteuern I. Energiesteuer 1. Belastungswirkungen . . . . . . . . 2. Steueraussetzungsverfahren . . . 3. Steuerrechtlich freier Verkehr . 4. Sondervorschriften für Kohle und Erdgas . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stromsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tabaksteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Alkoholsteuern 1. Selektive Besteuerung . . . . . . . . 2. Alkoholsteuer . . . . . . . . . . . . . . 3. Schaumweinsteuer . . . . . . . . . . 4. Biersteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Alkopopsteuer . . . . . . . . . . . . . V. Kaffeesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.40 11.43 11.49 11.55 11.63 11.67 11.74 11.76 11.79 11.82 11.87 11.91

Literatur: Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018; Bruschke, Grunderwerbsteuer, Kraftfahrzeugsteuer und andere Verkehrsteuern, 6. Aufl. Achim 2011; Demuth/ Billan, Verbrauchsteuer und Europäische Rechtsprinzipien, BB 2013, 1180; Desens, Verkehrsteuern in Festschrift P. Kirchhof, Heidelberg 2013, § 189; Drüen, Der Steuertypus der Verbrauchsteuer – dargestellt am Negativbeispiel der Kernbrennstoffsteuer, ZfZ 2012, 309; Englisch in Tipke/Lang, Steuerecht, 24. Aufl. Köln 2021, Rz. 18.1; Englisch, Spezielle Verkehr- und Verbrauchsteuern: terra incognita der Steuerrechtswissenschaft, StuW 2015, 52; Englisch, Verbrauch- und Aufwandsteuern in Festschrift P. Kirchhof, Heidelberg 2013, § 190; J. Förster, Die Verbrauchsteuern, Heidelberg 1989; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verbrauchsteuerharmonisierung in der Europäischen Union, Berlin 1997; Jatzke, Belastungswirkungen der Umsatzsteuer und der besonderen Verbrauchsteuern, ZfZ 2011, 109; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016; F. Kirchhof, Verbrauchsteuern im Lichte des Verfassungsrechts, BB 2015, 278; Krumm, Besondere Verbrauchsteuern im Lichte des verfassungs- und unionsrechtlichen Gleichheitssatzes, ZfZ 2014, 289; Müller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauchsteuern, Berlin 1996; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht, in Festschrift Reiß, Köln 2008, 25; Seer, Die besonderen Verbrauchsteuern und die Umsatzsteuer – ein unabgestimmtes Konglomerat, ZfZ 2013, 146; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II, Köln 2003, §§ 17,18; Tipke, Das Folgerichtigkeitsgebot im Verbrauch- und Verkehrsteuerrecht, in Festschrift Reiß, Köln 2008, 9.

A. Einführung 11.1

Anknüpfend an ihre gesetzestechnische Ausgestaltung zählen neben der Umsatzsteuer (Rz. 10.1 ff.) zu den besonderen Verkehrsteuern die Grunderwerbsteuer, Versicherungsteuer,

476 | Schaumburg

A. Einführung | Rz. 11.3 Kap. 11

Feuerschutzsteuer, Kraftfahrzeugsteuer, Rennwett- und Lotteriesteuer und die Luftverkehrsteuer. Die vorgenannten Steuern sind darauf gerichtet, den wirtschaftlichen Aufwand zu belasten, der insbesondere durch Verkehrsakte ausgelöst wird. Entsprechend dieser Belastungswirkung handelt es sich bei den besonderen Verkehrsteuern ebenso wie bei der Umsatzsteuer (Rz. 10.1) um Steuern auf die Verwendung von Einkommen und Vermögen,1 wodurch eine die Erhebung dieser Steuern rechtfertigende Leistungsfähigkeit indiziert wird.2 Belastet werden aber nicht nur Privatpersonen, sondern auch Unternehmer mit der Folge, dass nicht auf Überwälzung angelegte Verkehrsteuern insoweit auch Unternehmensteuern sind.3 Während das Umsatzsteuergesetz im Hinblick auf das prägende Bestimmungslandprinzip (Rz. 10.2 ff.) international steuerrechtliche Bezüge aufweist, sind die besonderen Verkehrsteuern im Wesentlichen binnenorientiert. Die Tatbestände sind zumeist objektbezogen und auf das Inland beschränkt, so etwa bei der Grunderwerbsteuer und der Versicherungsteuer (Belegenheitsprinzip). Durch diesen territorialen Bezug erfolgt die Abgrenzung gegenüber den Steuerhoheiten anderer Staaten (Territorialitätsprinzip, Rz. 10.2). Das schließt allerdings nicht aus, dass tatbestandlich auch ausländische Rechtsvorgänge erfasst werden. Zu ihnen gehören etwa im Anwendungsbereich der Grunderwerbsteuer Änderungen im Gesellschafterbestand ausländischer Personengesellschaften (§ 1 Abs. 2a GrEStG) und ausländische Anteilsvereinigungen (§ 1 Abs. 3 GrEStG). Neben der gegenständlichen (objektbezogenen) Anknüpfung enthalten die Verkehrsteuern – so etwa die Versicherungsteuer und die Rennwett- und Lotteriesteuer – zudem auch eine personale (subjektbezogene) Anknüpfung, wodurch es (systemwidrig) zu Doppelbesteuerungen kommen kann.4

11.2

Die besonderen Verbrauchsteuern belasten den Verbrauch vertretbarer, regelmäßig zum baldigen Verzehr oder kurzfristigen Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs.5 Sie sind auf Überwälzung angelegt, so dass letztlich der Verbraucher als intendierter Steuerträger die Belastung zu tragen hat.6 Dessen Leistungsfähigkeit offenbart sich im Grundsatz darin, dass er Einkommen oder Vermögen verwendet.7 Hierin allein besteht der wertungsmäßige Legitimationsgrund für die Erhebung der Verbrauchsteuern als indirekte Steuern.8 Damit wird im Ergebnis an die Konsumleistungsfähigkeit angeknüpft.9 Soweit Verbrauchsteuern zusätzlich zur Umsatzsteuer erhoben werden, kommt als legitimer Belastungsgrund nur eine gehobene Konsumleistungsfähigkeit in Betracht.10 Das gilt auch für den Fall, dass die Verbrauchsteuern,

11.3

1 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 7.102 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1015 ff.; Desens in FS Kirchhof, § 189 Rz. 12. 2 Seer in Tipke/Lang24, Rz. 2.49; speziell zur Grunderwerbsteuer Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1023; Schaumburg in FS Reiß, 25 (35). 3 Zur Kritik Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1025 (GrESt), 1031 (VersSt). 4 Hierzu Englisch, StuW 2015, 52 (61). 5 So BVerfG v. 7.5.1998 – 2 BvR 1994/95, 2 BvR 2004/95, BVerfGE 98, 106 (123 f.). 6 Vgl. BVerfG v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991, 2004/95, BVerfGE 98, 106 (124); v. 20.4.2004 – 1 BvR 905/ 00, BVerfGE 110, 274 (294); BFH v. 17.12.2013 – VII R 8/12; BFH/NV 2014, 748; J. Förster, Die Verbrauchsteuern, 55 f.; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, 65 ff. 7 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1048 ff.; J. Förster, Die Verbrauchsteuern, 99 ff.; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, 55, 71. 8 Schaumburg in FS Reiß, 25 ff. (32), ausnahmsweise wird die Verbrauchsteuer auch direkt beim Verbraucher (Letztverbraucher) erhoben, vgl. z.B. § 38 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG; § 7 Satz 2 StromStG. 9 Wie bei der Umsatzsteuer, vgl. Schaumburg in FS Reiß, 25 (31 f.). 10 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1044; Schaumburg in FS Reiß, 25 (38); Englisch, StuW 2015, 52 (54).

Schaumburg | 477

Kap. 11 Rz. 11.3 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

so die Regel, in die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer eingehen, so dass im Ergebnis eine (systemwidrige) Steuer auf die Steuer erhoben wird.1

11.4

Die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern sind in Orientierung an der Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie2 überwiegend harmonisiert. Zu den harmonisierten Verbrauchsteuern gehören die Energiesteuer, Stromsteuer, Tabaksteuer, Branntweinsteuer (ab 1.1.2018 Alkoholsteuer), Schaumweinsteuer und Biersteuer. Nicht harmonisiert sind die Alkopopsteuer, Kaffeesteuer und die Kernbrennstoffsteuer.3

11.5

Im internationalen Kontext haben Verbrauchsteuern Bedeutung vor allem im Rahmen des Steueraussetzungsverfahrens bei Beförderungen aus anderen und in andere Mitgliedstaaten der EU sowie bei Ein- und Ausfuhr aus oder in Drittländer/Drittgebiete. In den vorgenannten Fällen besteht die Besonderheit, dass unter bestimmten Voraussetzungen Verbrauchsteuern nicht erhoben werden, solange sich die verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnisse in einem Steueraussetzungsverfahren oder einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren befinden. Die Verbrauchsteuern entstehen erst dann, wenn die betreffenden Erzeugnisse in den steuerrechtlich (zollrechtlich) freien Verkehr überführt werden etwa durch Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung oder dem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren. Im Ergebnis wird hierdurch die Steuerentstehung zeitlich nah an die Abgabe der betreffenden Erzeugnisse oder Waren an den Verbraucher herangeführt,4 wodurch zugleich dem Hersteller oder Händler ermöglicht wird, die Steuer auf den Kunden abzuwälzen, bevor diese an den Fiskus abzuführen ist.5

B. Besondere Verkehrsteuern I. Grunderwerbsteuer Literatur: Kommentare zu §§ 1, 6a GrEStG; Arnold, Umstrukturierung inländischer Konzerne unter Beachtung des § 6a GrEStG, Wiesbaden 2015; Behrens, Grunderwerbsteuer in Wassermeyer/Richter/ Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2015, Kap. 22; Behrens, Reform- und Änderungsbedarf bei der Grunderwerbsteuer, UVR 2014, 147; Behrens, Zur Relevanz der Fiktion von Grundstückserwerben bei Anteilsgeschäften im Grunderwerbsteuerrecht, in 1 Kritisch zu dieser Steuerkumulation F. Kirchhof, Die steuerliche Doppelbelastung der Zigaretten, 48 ff.; Schachtschneider in FS Reiß, 101; Seer, ZfZ 2013, 146 (150 ff.); Krumm, ZfZ 2014, 281 (283); die MWStSystRL steht dieser Kumulation allerdings nicht entgegen; vgl. nur EuGH v. 8.7.1986 – C-73/85, ECLI:EU:C:1986:295 = Slg 1986, 2219, Rz. 22 – Kerrutt; EuGH v. 11.10.2007 – C-283/06 u.a., ECLI:EU:C:2007:598 = Slg. 2007, I-8463, Rz. 33 – KÖGAZ u.a.; EuGH v. 27.11.2008 – C-156/ 08, ECLI:EU:C:2008:663 = Slg. 2008, I-165, Rz. 24 ff. – Vollkommer. 2 RL 2008/118/EG des Rates über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der RL 92/12/EWG v. 16.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 3 Der Charakter der Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer ist allerdings zweifelhaft; vgl. hierzu FG Hamburg v. 29.1.2013 – 4 K 270/11, ZfZ 2013, 192; (Az. beim BVerfG: 2 BvL 6/13); EuGH v. 4.6.2015 – C-5/14, ECLI:EU:C:2015:354 = ZfZ 2015, 189 – Kernkraftwerke Lippe-Ems, KLE hat den Verbrauchsteuercharakter verneint; im Hinblick darauf, dass sie keine international steuerrechtlichen Aspekte aufweist, wird sie nachfolgend nicht näher erläutert; die Luftverkehrsteuer ist ebenfalls keine Verbrauchsteuer i.S.d. VStSystRL; BFH v. 1.12.2015 – VII R 55/13, DStRE 2016, 497; vgl. Rz. 11.32 ff. 4 Hierzu Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, 144; Stobbe, ZfZ 1993, 194 ff. (197). 5 Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 5 EnergieStG Rz. 7.

478 | Schaumburg

B. Besondere Verkehrsteuern | Rz. 11.7 Kap. 11 Festschrift Schaumburg, Köln 2009, 1107; Behrens/Wagner, Verschärfung des GrEStG für Share Deals ab 01.07.2021, DB 2021, 866; Broemel/Tigges, Das Ende der grunderwerbsteuerlichen Pro-Kopf-Betrachtung, Ubg 2021, 257; Englisch in Tipke/Lang, Steuerecht, 24. Aufl., Köln 2021, Rz. 8.1 ff.; Gottwald/Behrens/Böing/Seemaier, Grunderwerbsteuer, 6. Aufl., Köln 2021; Graessner/Franzen, Praktische Fragestellungen zur grunderwerbsteuerlichen Konzernklausel des § 6a GrEStG bei Einbringungsfällen mit Auslandsbezug, Ubg 2016, 1; Grotherr, Grunderwerbsteuerliche Probleme bei der Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen, BB 1994, 1970; van Lishaut/Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl., Köln 2019, Anh. 10, Grunderwerbsteuer bei Umwandlungen und Einbringungen; Loose, Mittelbare Änderungen im Gesellschafterbestand einer grundstücksbesitzenden Personengesellschaft i.S. von § 1 Abs. 2a GrEStG, DB 2013, 1687; Lüdicke/Schnitger, Ausweitung des § 6a GrEStG auf Umwandlungen in DBA-Drittstaaten, DStR 2011, 1005; Rutemöller, Die umsatz- und grunderwerbsteuerrechtliche Behandlung von Grundstücksumsätzen, Berlin 2011; Rothenöder, Der Anteil i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG, Berlin 2008; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II, 2. Aufl. Köln 2003, 1017 ff.; Urbach, Das neue Grunderwerbsteuerrecht, kösdi 2021, 22274; Wernsmann/Bering, Share Deals im Grunderwerbsteuerrecht, DStZ 2021, 434; Wischott, Grunderwerbsteuerplanung bei Konzernumstrukturierungen in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 1051; Wischolt/Graessner, Die „Share-Deal“-Reform kommt!, NWB 2021, 1519.

1. Territorialitätsprinzip Der Grunderwerbsteuer unterliegen auf den Eigentumserwerb gerichtete Rechtsvorgänge, soweit sie sich auf inländische Grundstücke beziehen. Insoweit wird das Territorialitätsprinzip (Rz. 10.2) umgesetzt, so dass eine internationale Doppelbesteuerung von vorneherein ausgeschlossen ist. Wo die maßgeblichen Rechtsvorgänge verwirklicht werden, spielt keine Rolle, so kann etwa auch ein im Ausland abgeschlossener Kaufvertrag über ein inländisches Grundstück Grunderwerbsteuer auslösen.1 In diesem Fall müssen allerdings wegen des im internationalen Privatrecht gültigen Belegenheitsprinzips die Formerfordernisse des deutschen Rechts erfüllt werden (Art. 11 Abs. 5 VO Rom I).2 Ob die Vertragsparteien die inländische oder eine ausländische Staatsangehörigkeit haben, ob sie im In- oder Ausland einen Wohnsitz unterhalten oder dort sonst wie ansässig sind, ist hierbei ebenfalls ohne Bedeutung.

11.6

Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für § 1 Abs. 2 GrEStG, also für Fälle des Übergangs der wirtschaftlichen Verwertungsbefugnis ohne Eigentumsübertragung. Hierbei handelt es sich um den eigentlichen Steuergegenstand, womit zugleich deutlich wird, dass die Grunderwerbsteuer als einphasige Sonderumsatzsteuer3 ihre Legitimation in der Belastung der Einkommens- und Vermögensverwendung erfährt.4 Insoweit gilt das Leistungsfähigkeitsprinzip auch für die Grunderwerbsteuer.5 Zu einer Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips kommt es insbesondere in den Fällen der Kumulation von Grunderwerbsteuer und Umsatzsteuer.6 Im

11.7

1 Viskorf in Boruttau19, § 2 GrEStG Rz. 23. 2 Zu Einzelheiten Thorn in Grüneberg81, Art. 11 VO Rom I Rz. 16; Stürner in Erman16, Art. 11 VO Rom I Rz. 10 f.; Winkler von Mohrenfels in Staudinger (2021), Art. 11 Rom I-VO Rz. 137. 3 Stadie in R/D UStG, Einf. Rz. 782; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, Köln 2013, 1017; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.3; Schaumburg in FS Reiß, 25 (35); kritisch hierzu Pahlke6, Einleitung Rz. 23. 4 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1027; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.4; Schaumburg in FS Reiß, 25 (35); Seer, ZfZ 2013, 146 (148). 5 Kirchhof in Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V3, § 118 Rz. 248; Desens in FS Kirchhof, Bd. II, § 189 Rz. 16; Wernsmann/Bering, DStZ 2021, 434 (436 f.); nach BFH v. 15.5.2019 – II B 55/18, BFH/NV 2019, 927, Rz. 11 soll dagegen dem Leistungsfähigkeitsprinzip keine prägende Bedeutung zukommen. 6 Allerdings unionsrechtlich unbedenklich; EuGH v. 9.7.1986 – C-73/85, ECLI:EU:1986:295 = EuGHE 1986, 2219 – Kerrutt; BFH v. 2.4.2008 – II R 53/06, BStBl. II 2009, 544; vgl. zu der nur

Schaumburg | 479

Kap. 11 Rz. 11.7 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

Unterschied zur Umsatzsteuer belastet die Grunderwerbsteuer nämlich nicht nur Privatpersonen, sondern auch Unternehmer mit der Folge, dass sie zu einer Unternehmensteuer mutiert, die im Ergebnis eine die unternehmerische Investition treffende Sonderbelastung darstellt, falls sie nicht anderweitig überwälzt werden kann.1

2. Rechtsträgerwechsel 11.8

Die in § 1 GrEStG verankerten Steuertatbestände setzen stets einen Rechtsträgerwechsel, d.h. den Übergang eines inländischen Grundstücks (§ 2 GrEStG) von einem Rechtsträger auf einen anderen voraus.2 Ein derartiger Rechtsträgerwechsel ist bei übertragenden Umwandlungen, bei denen umwandlungsbedingt das Vermögen mittels Gesamtrechtsnachfolge unter Ausschluss der Abwicklung auf einen neuen Rechtsträger übergeht, gegeben. Hieraus folgt, dass etwa ein Rechtsträgerwechsel bei Verschmelzung (§§ 2–122e UmwG), Spaltung (§§ 123–173 UmwG) und bei der Vermögensübertragung (§§ 174–189 UmwG) vorliegt, so dass der Tatbestand des § 1 Abs. 1 GrEStG erfüllt ist.3 Das gilt gleichermaßen für inländische, grenzüberschreitende und ausländische (übertragende) Umwandlungen, und zwar unabhängig davon, ob in- oder ausländische Rechtsträger hieran beteiligt sind. Dem gegenüber ist mit einem identitätswahrenden Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) ein kein Rechtsträgerwechsel verbunden.4 Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen sog. homogenen Formwechsel (zwischen vergleichbaren Rechtsformen) oder um einen heterogenen (rechtsformüberschreitenden) Formwechsel handelt.5 Diese Grundsätze gelten auch im internationalen Kontext, also etwa in den Fällen, in denen ausländische Rechtsträger nach dem maßgeblichen ausländischen Recht einem mit dem deutschen Recht vergleichbaren Formwechsel unterzogen werden.

11.9

An einem Rechtsträgerwechsel fehlt es auch bei der grenzüberschreitenden Sitzverlegung (Wegzug) etwa von grundbesitzenden Kapital- und Personengesellschaften, soweit es sich um die Verlegung des Verwaltungssitzes (Ort der Geschäftsleitung) handelt.6 Hierzu einige Hinweise im Überblick (zu Einzelheiten Rz. 7.45 ff.).

11.10

Ein Wegzug von Kapitalgesellschaften im Sinne der Verlegung des Satzungssitzes und des Ortes der Geschäftsleitung ist nach derzeit geltendem nationalen Recht nur bei der SE (Art. 8 Abs. 1 SE-VO)7 und der SCE (Art. 7 Abs. 1 SCE-VO)8 mit der Maßgabe möglich, dass Sitz und Hauptverwaltung9 in ein und demselben Mitgliedstaat liegen müssen (Art. 7 SE-VO, Art. 6

1 2 3 4 5 6 7 8 9

unzureichenden Wirkung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG; Behrens in Wäger2, § 4 Nr. 9a UStG Rz. 2 ff. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1025; Schaumburg in FS Reiß 25 (36); Seer, ZfZ 2013, 146 (150); Englisch, StuW 2015, 52 (55). BFH v. 1.3.2000 – II R 53/98, BStBl. II 2000, 357; v. 17.10.2001 – II R 43/99, BStBl. II 2002, 210; v. 16.3.2006 – II R 32/06, BFH/NV 2008, 1526; Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 11; Drees in Behrens/Wachter, § 1 GrEStG Rz. 1. Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 363 ff. BFH v. 4.12.1996 – II B 116/96, BStBl. II 1997, 661; v. 30.9.2003 – III R 6/02, BStBl. II 2004, 85; v. 7.9.2007 – II B 5/07, BFH/NV 2007, 2351; v. 9.4.2008 – II R 32/06, BFH/NV 2008, 1526: kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 377 ff.; Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 23 jeweils m.w.N. aus Rspr. u. Literatur; dort auch zum nicht verhältniswahrenden Formwechsel. Hierzu Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 53 ff.; Hofmann11, § 1 GrEStG Rz. 12 ff.; Gottwald/Behrens/Böing/Seemaier, GrESt6, Kap. 2 Rz. 53 ff. Societas Europaea = Europäische Aktiengesellschaft = Europa-AG. Societas Cooperativa Europaea = Europäische Genossenschaft. Entspricht in etwa Satzungssitz und Ort der Geschäftsleitung (§§ 10, 11 AO).

480 | Schaumburg

B. Besondere Verkehrsteuern | Rz. 11.12 Kap. 11

SCE-VO). Ein derartiger rechtsformwahrender Wegzug ist mangels Rechtsträgerwechsel nicht grunderwerbsteuerbar.1 In allen anderen Fällen ist der Wegzug durch Verlegung des Satzungssitzes derzeit zwar nach nationalem Recht rechtstechnisch ausgeschlossen,2 aufgrund europarechtlicher Vorgaben für den Fall des formwechselnden Wegzugs aber geboten.3 Demgegenüber ist die Verlegung des Verwaltungssitzes (Ort der Geschäftsleitung) unter Beibehaltung des inländischen Satzungssitzes in das Ausland4 nach nationalem Recht möglich,5 was allerdings europarechtlich nicht zwingend ist.6 Soweit es sich um einen EU-Mitgliedstaat handelt, der nach seinem internen Recht für diesen Fall des Zuzugs einen Formwechsel vorsieht,7 fällt wiederum mangels Rechtsträgerwechsel keine Grunderwerbsteuer an.8 Anderenfalls erfolgt bei der wegziehenden Kapitalgesellschaft im Inland eine Liquidation ohne Vermögensübertragung9 und im Zuzugsstaat in Anwendung der Sitztheorie (Rz. 7.7) ohne weiteres die Qualifikation als nichtrechtsfähige Personenvereinigung,10 so dass insoweit ein nicht der Grunderwerbsteuer unterliegender Formwechsel gegeben ist.11 Wendet der Zuzugsstaat die Gründungstheorie (Rz. 7.62) an, fällt wegen der fortbestehenden Identität ohnehin keine Grunderwerbsteuer an.12

11.11

Beim Zuzug von Kapitalgesellschaften ist nur der Zuzug einer SE (Art. 7 SE-VO) und einer SCE (Art. 6 SCE-VO) innerhalb der EU gesetzlich geregelt. Es handelt sich hierbei um einen simultanen Zuzug, was bedeutet, dass sich Satzung- und Verwaltungssitz stets in ein und demselben Mitgliedsstaat befinden müssen. Zuzugsbedingt entsteht hierdurch keine Grunderwerbsteuer. Da es keine weitergehenden europaweit geltenden Regelungen gibt, kommt es für die rechtliche Möglichkeit eines Zuzugs aus der Sicht Deutschlands als Zuzugsstaat auf das zur Anwendung kommende Internationale Privatrecht (Gesellschaftsstatut) an. Hiernach gilt: Verlegt eine nach ausländischem Recht13 errichtete Kapitalgesellschaft den Verwaltungssitz (Ort der Geschäftsleitung)14 in das Inland, verliert die Gesellschaft in Anwendung der nach deutschem Recht maßgeblichen Sitztheorie (Rz. 7.7, 7.62) die Rechtsfähigkeit, weil diese die Eintragung ins deutsche Handelsregister voraussetzt, was für Kapitalgesellschaften ausländischen Rechts (noch) ausgeschlossen ist. Eine ursprünglich rechtsfähige Kapitalgesellschaft ausländischen Rechts mutiert daher durch Zuzug ohne weiteres zu einer nicht rechtsfähigen Per-

11.12

1 Gottwald/Behrens/Böing/Seemaier, GrESt6, Kap. 2 Rz. 53. 2 OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, NZG 2007, 915. 3 EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06 – Cartesio, NJW 2009, 569 (obiter dictum); EuGH v. 15.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804 = GmbHR 2017, 1261 – Polbud. 4 EU/EWR-Bereich und Drittstaaten. 5 Vgl. § 5 AktG, § 4a GmbHG. 6 EuGH v. 27.9.1988 – C-81/87, ECLI:EU:C:2012:440 = Slg. 1988, 5483 – Daily Mail; EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 = NJW 2009, 569 – Cartesio. 7 Vgl. EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 = ZIP 2012, 1394 – VALE. 8 Vgl. Behrens in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 22.145. 9 Die Liquidation selbst führt daher zu keinem Rechtsträgerwechsel. 10 Vgl. zum Fall des Zuzugs aus einem Drittstaat aus deutscher Sicht BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411 (Trabrennbahn). 11 Gottwald/Behrens/Böing/Seemaier, GrESt6, Rz. 53. 12 Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 54. 13 Drittstaaten mit Ausnahme der USA. 14 Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) ist der Ort, an dem der Geschäftsleitungswille geleitet wird (Rz. 7.2); der Verwaltungssitz ist dagegen an dem Ort, an dem der Geschäftsleitungswille umgesetzt wird (BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 272; v. 10.3.2009 – VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610).

Schaumburg | 481

Kap. 11 Rz. 11.12 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

sonenvereinigung.1 In den vorgenannten Fällen unterbleibt eine zuzugsbedingte Vermögensübertragung, so dass auch insoweit keine Grunderwerbsteuer anfällt.2 Für den Zuzug (Verlegung des Satzungssitzes und/oder des Verwaltungssitzes) aus EU-/EWR-Staaten gilt in Orientierung an der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) im Ergebnis die Gründungstheorie (Rz. 7.62) mit der Folge, dass die Rechtsfähigkeit der zuziehenden Gesellschaft in Deutschland als Zuzugsstaat anerkannt werden muss.3 Unter diesem Gesichtspunkt entfällt in Ermangelung eines Rechtsträgerwechsels ebenfalls die Grunderwerbsteuer.4

11.13

Der Wegzug einer Personengesellschaft durch isolierte Verlegung des Satzungssitzes in das Ausland ist rechtlich (noch) nicht möglich,5 so dass stets im Inland eine Auflösung und Liquidation und im Ausland nach dortigem Recht, soweit dort ein zuzugsbedingter (identitätswahrender) Formwechsel nicht vorgesehen ist, eine Neugründung erfolgt.6 Entsprechendes gilt auch für die Verlegung des Verwaltungssitzes (Ort der Geschäftsleitung),7 da Satzungs- und Verwaltungssitz bei Personengesellschaften nicht trennbar sind.8 Unter diesem Gesichtspunkt ist auch der Zuzug von Personengesellschaften ohne Neugründung im Inland nicht möglich.9 Europarechtlich ist zwar ein derartiger Zuzug als bloß grenzüberschreitender Formwechsel geboten,10 Voraussetzung hierfür ist aber, dass die zuziehende Gesellschaft die für nationale Umwandlungsvorgänge maßgeblichen Bedingungen11 erfüllt.12 Indessen: Auch bei Auflösung und Neugründung handelt es sich wie beim Formwechsel nur um die Auswechselung eines Rechts1 S.BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411 (Trabrennbahn); hierzu Hilgert/Illmer NZG 2009, 94 ff.; Gottschalk, ZIP 2009, 948 ff. 2 Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 62; Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 15; Behrens in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 22.147, 22.149. 3 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 = Slg. 1999, I-1459 – Centros; EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 = Slg. 2002, I-9919 – Überseering; EuGH v. 30.1.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 = Slg. 2003, I-10155 – Inspire Art; die vorgenannten Fälle betreffen nur den Zuzug einer unter dem Recht der Gründungstheorie errichteten Gesellschaft; im Ergebnis dürfte aber nichts anderes gelten für den Zuzug einer unter dem Recht der Sitztheorie errichteten Gesellschaft; in diesem Sinne auch OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, GmbHR 2014, 96 unter Hinweis auf EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 – VALE; vgl. ferner Schaumburg in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, S. 403 (413); Schaumburg, DK 2005, 347 (349); Hey, DK 2004, 577 (582). 4 Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 61, 63; BFH v. 29.6.2016 – II R 14/12, BFH/NV 2017, 18 Rz. 25. 5 BGH v. 27.5.1957 – II ZE 317/55, WM 1957, 999 (1000); OLG Schleswig v. 14.11.2011 – 2 W 48/ 11, GmbHR 2012, 800; KG Berlin v. 14.6.2012 – 25 W 39/12, ZIP 2012, 1668. 6 Vgl. Langhein in MÜKO HGB, § 106 Rz. 30; a.A. Haas in Röhricht/Graf von Westfalen/Haas, § 106 HGB Rz. 11; vgl. auch die weitergehende Literaturübersicht bei Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.180 ff. und die Übersicht über den Stand der (divergierenden) Meinungen bei Roth in Baumbach/Hopt40, Einl. § 105 HGB Rz. 29 u. § 106 HGB Rz. 8. 7 Zum Unterschied zwischen Verwaltungssitz und Ort der Geschäftsleitung vgl. Rz. 11.12. 8 Eine den § 4a GmbHG u. § 5 AktG vergleichbare Regelung fehlt; vgl. OLG Schleswig v. 14.11.2011 – 2 W 48/11, GmbHR 2012, 800; KG Berlin v. 16.4.2012 – 25 W 39/12, ZIP 2012, 1668. 9 BayObLG v. 7.5.1992 – 3 ZBR 14/92, AG 1992, 456; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, GmbHR 1997, 848; OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 3 Wx 88/01, NZG 2001, 506; OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, NZG 2001, 562. 10 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 = NJW 2009, 569 – Cartesio; EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 – VALE. 11 Anpassung des Gesellschaftsvertrages, Eintragung in das Handelsregister. 12 Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.185.

482 | Schaumburg

B. Besondere Verkehrsteuern | Rz. 11.15 Kap. 11

kleides, die nicht auf die Übertragung von Vermögen (Grundstücken) gerichtet ist,1 so dass durch Wegzug und Zuzug von grundbesitzenden Personalgesellschaften eine Grunderwerbsteuer nicht ausgelöst wird.

3. Gesellschafterwechsel bei Personengesellschaften Im internationalen Kontext ist der in § 1 Abs. 2a GrEStG verankerte Tatbestand von besonderer Bedeutung. § 1 Abs. 2a GrEStG erfasst den Fall einer unmittelbaren oder mittelbaren Änderung des Beteiligungsverhältnisses bei grundstücksbesitzenden Personengesellschaften. Damit werden in Abweichung von § 1 Abs. 1, 2 GrEStG Vorgänge erfasst, die nicht unmittelbar auf die Eigentumsübertragung oder die wirtschaftliche Verwertungsbefugnis an einem inländischen Grundstück gerichtet sind. Diese Vorschrift zielt auf die Vermeidung einer Steuerumgehung ab,2 so dass ein vollständiger oder nahezu vollständiger Gesellschafterwechsel (90 %) innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren an einer grundstücksbesitzenden Personengesellschaft ebenfalls Grunderwerbsteuer auslöst. Ohne Bedeutung ist hierbei, ob Gesellschafter wiederum Personengesellschaften, natürliche Personen oder Kapitalgesellschaften sind.3 Subsidiär kommt § 1 Abs. 3a GrEStG zur Anwendung, wonach einem Rechtsträger ein Grundstück einer nachgeordneten Gesellschaft auch dann zuzurechnen ist, wenn dessen wirtschaftliche Beteiligung an der Gesellschaft mindestens 90 % beträgt.

11.14

Zu den grundstücksbesitzenden Personengesellschaften zählen nicht nur Personengesellschaften deutschen Rechts4 unabhängig davon, ob sie lediglich vermögensverwaltend oder originär gewerblich tätig sind,5 sondern auch ausländische Personengesellschaften.6 Ausländische Personengesellschaften werden aber nur dann erfasst, wenn deren rechtliche Struktur den inländischen Personengesellschaften entspricht.7 Im Hinblick darauf ist ein Typenvergleich erforderlich, wobei es allerdings nicht darauf ankommt, ob die als Personengesellschaft zu qualifizierende ausländische Gesellschaft ganz oder teilweise rechtsfähiges oder selbständiges Steuerobjekt ist oder (ertragsteuerlich) nach dem Mitunternehmerkonzept (Transparenzprinzip) besteuert wird.8 § 1 Abs. 2a GrEStG fingiert mit dem Gesellschafterwechsel ein auf die Grundstücksübereignung gerichtetes Rechtsgeschäft zwischen der bisherigen „alten“ und einer „neuen“ Personengesellschaft.9 Ob die für die Anwendung des § 1 Abs. 2a GrEStG maßgebliche

11.15

1 Vgl. den Überblick zu den unterschiedlichen Meinungen Behrens in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 22.151 f. 2 Hierzu im Einzelnen Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 691. 3 Vgl. die Sonderregelung für Kapitalgesellschaften in § 1 Abs. 2a Sätze 3-6 GrEStG sowie die Börsenklausel in § 1 Abs. 2e GrEStG. 4 Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Partnerschaftsgesellschaft. 5 BFH v. 11.9.2002 – II B 113/02, BStBl. II 2002, 777, Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 751; BMF v. 18.2.2014 – S 4501, BStBl. I 2014, 561, Tz. 1.1. 6 Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 752; Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 276; Behrens in Behrens/Wachter, § 1 GrEStG, Rz. 313; BMF v. 18.2.2014 – S 4501, BStBl. I 2014, 561, Rz. 1.1. 7 Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 277; gleichlautende Ländererlasse v. 18.2.2014 – S 4501, BStBl. I 2014, 561, Rz. 1.1. 8 Vgl. FinMin BaWü v. 30.10.2008, StEK GrEStG 1983 § 5 Nr. 17; Behrens in W/R/S, Personengesellschaft im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 22.5; vgl. ferner zu Einzelheiten Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 3.1 ff. 9 BFH v. 24.4.2013 – II R 17/10, BStBl. II 2013, 833 Rz. 11, 28; v. 25.8.2010 – II R 65/08, BStBl. II 2011, 225; v. 2.4.2008 – II R 53/06, BStBl. II 2009, 544; v. 11.9.2002 – II B 113/02, BStBl. II 2002, 777.

Schaumburg | 483

Kap. 11 Rz. 11.15 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

Änderung im Gesellschafterbestand, die entweder derivativ durch Erwerb von Altgesellschaftern oder auch originär durch Eintritt von Neugesellschaftern erfolgen kann,1 auf Einzel-, Sonderrechts- oder Gesamtrechtsnachfolge2 beruht, spielt keine Rolle. Soweit die entsprechenden Rechtsvorgänge sich nach ausländischem Recht vollziehen, müssen sie strukturell den maßgeblichen inländischen Rechtsvorgängen entsprechen.3

4. Gesellschafterwechsel bei Kapitalgesellschaften 11.15a

In Orientierung an § 1 Abs. 2a GrEStG enthält § 1 Abs. 2b GrEStG auch für grundstücksbesitzende Kapitalgesellschaften eine zeitraumbezogene Sonderregelung: Ein steuerbarer Erwerbsvorgang liegt vor, wenn innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren mindestens 90 % der Anteile unmittelbar oder mittelbar übertragen werden. Steuerschuldnerin ist hierbei die Kapitalgesellschaft selbst (§ 13 Nr. 7 GrEStG).4 Die vorstehende Sonderregelung entfällt bei Beteiligungen von börsennotierten Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 2c GrEStG).5

11.15b

Unter § 1 Abs. 2b GrEStG fallen auch nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften, soweit sie entsprechend ihrer rechtlichen Struktur deutschen Kapitalgesellschaften entsprechen.6

5. Anteilsvereinigung 11.16

Gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG wird die unmittelbare oder mittelbare Vereinigung von mindestens 90 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft als Grundstückserwerb fingiert.7 Der Tatbestand kann hierbei entweder durch erstmaligen Erwerb von mindestens 90 % (§ 1 Abs. 3 Nr. 3, 4 GrEStG) oder durch Anteilsaufstockung auf 90 % (§ 1 Abs. 3 Nr. 1, 2 GrEStG) erfüllt werden. § 1 Abs. 3 GrEStG ist ein Ergänzungstatbestand, der auf die Verhinderung von Steuerumgehungen gerichtet ist. Andernfalls könnte die Grunderwerbsteuer dadurch vermieden werden, dass nicht die Grundstücke selbst, sondern Anteile an den grundbesitzenden Gesellschaften veräußert werden.8 Subsidiär kommt § 1 Abs. 3a GrEStG zur Anwendung, wonach einem Rechtsträger ein Grundstück einer nachgeordneten Gesellschaft auch dann zuzurechnen ist, wenn dessen wirtschaftliche Beteiligung an der Gesellschaft mindestens 90 % beträgt.

11.17

Im Hinblick darauf, dass Anteilsvereinigungen bei Personengesellschaften unter § 1 Abs. 2a GrEStG fallen,9 gilt § 1 Abs. 3 GrEStG im Wesentlichen für Kapitalgesellschaften.10 Ob es sich hierbei um in- oder ausländische Kapitalgesellschaften mit in- oder ausländischen Anteilseignern handelt, spielt keine Rolle, so dass auch eine Anteilsvereinigung im Ausland eine (deut-

1 Hierzu Gottwald/Behrens/Böing/Seemaier, GrESt6, Rz. 232 ff. 2 Der Erwerb von Todes wegen bleibt allerdings außer Betracht (§ 1 Abs. 2a Satz 2 GrEStG). 3 Zu steuerstrafrechtlichen Implikationen bei Verletzung von Anzeigepflichten Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 19.3 ff. 4 Vgl. die Einzelheiten der ab 1.7.2021 geltenden Steuerverschärfung für Share Deals Behrens/Wagner, DB 2021, 866 ff.; Wernsmann/Bering, DStZ 2021, 434 ff.; Urbach, kösdi 2021, 22275 ff. 5 Zu den mit der Börsenklausel verbundenen Problemen Behrens/Wagner, DB 2021, 866 (872). 6 Vgl. zum maßgeblichen Typenvergleich Rz. 7.7. 7 Im Hinblick auf § 1 Abs. 2b GrEStG hat § 1 Abs. 3 GrEStG nur nachrangige Bedeutung. 8 Hofmann11, § 1 GrEStG Rz. 135; Rothenöder, Der Anteil i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG, 2008, S. 41. 9 § 1 Abs. 2a GrEStG geht vor; vgl. gleich lautende Ländererlasse v. 18.2.2014 – S 4501, BStBl. I 2014, 561 Rz. 6. 10 Hofmann11, § 1 GrEStG Rz. 140 ff.

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B. Besondere Verkehrsteuern | Rz. 11.18 Kap. 11

sche) Grunderwerbsteuer auslösen kann.1 Soweit es um Kapitalgesellschaften geht, ist für die Qualifikation des ausländischen Rechtsträgers auf den allgemein im internationalen Steuerrecht maßgeblichen Typenvergleich (Rz. 7.7) abzustellen. Das gilt insbesondere für die Qualifikation als abhängige juristische Person im Rahmen einer grunderwerbsteuerlichen Organschaft (§ 1 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG).2 Hiernach kommt eine ausländische Kapitalgesellschaft als juristische Person in Betracht, wenn sie wie eine inländische juristische Person eigene Rechtspersönlichkeit hat. Insoweit unterscheidet sich der hier maßgebliche Typenvergleich von demjenigen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, wonach es auf die Rechtsfähigkeit nicht ankommt (Rz. 7.7). Damit erweist sich insbesondere die für international operierende Konzerne bedeutsame grunderwerbsteuerliche Organschaft, die insoweit steuerbegründend wirkt, als auf eine 90 %ige Beteiligung des herrschenden an dem abhängigen Unternehmen verzichtet wird,3 als Steuerfalle.4 Das gilt insbesondere für Umstrukturierungen im Rahmen einer grunderwerbsteuerlichen Organschaft, zu denen auch grenzüberschreitende und ausländische Umwandlungen gehören.5

6. Steuerbefreiungen Die Qualifikation ausländischer Rechtsträger als Personengesellschaften6 spielt auch im Anwendungsbereich der §§ 5, 6, 7 Abs. 2 GrEStG eine Rolle. Obwohl Personengesellschaften selbst Steuersubjekte der Grunderwerbsteuer gem. § 13 Nr. 6 GrEStG sind und somit das Transparenzprinzip keine Geltung hat, werden Grundstücksübergänge zwischen den an einer Gesamthand Beteiligten (Gesamthändern) und der Gesamthand (Gesamthandsgemeinschaft) sowie zwischen einer Gesamthand und den an ihr Beteiligten (Gesamthändern) oder auch zwischen einer Gesamthand und einer anderen Gesamthand von der Grunderwerbsteuer nur insoweit erfasst, als hierdurch eine Erhöhung der Berechtigung der einzelnen Beteiligungen am Grundstückswert eintritt.7 Es handelt sich insoweit um einen Systembruch,8 der allein aus Billigkeitsgründen zu rechtfertigen ist, weil wirtschaftlich bei den unter §§ 5 und 6 GrEStG fallenden Vorgängen der einzelne Gesellschafter über seine Gesamthandsberechtigung am Grundstückswert beteiligt bleibt.9 § 7 Abs. 2 GrEStG regelt, dass die flächenmäßige Aufteilung eines einer Gesamthand gehörenden Grundstücks auf die an der Gesamthand beteiligten Personen von der Grunderwerbsteuer ausgenommen wird, soweit die Beteiligten nicht mehr erhalten, als es ihrer bisherigen Berechtigung entspricht.10 Insoweit wird wiederum an die Ge1 BFH v. 5.11.2002 – II R 23/00, BFH/NV 2003, 505; BFH v. 9.4.2008, BFH/NV 2008, 1529; Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 962 ff.; Pahlke6, § 1 GrEStG Rz. 321; zu Einzelheiten Grotherr, BB 1994, 1972 (1973); Grotherr in FS Flick, 757 (773). 2 Zur grunderwerbsteuerlichen Organschaft ausführlich Schober in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, Rz. 23.1 ff. 3 Die finanzielle Eingliederung erfordert lediglich eine Stimmenmehrheit von über 50 %; hierzu Meßbacher-Hönsch in Boruttau19, § 1 GrEStG Rz. 1125. 4 Vgl. hierzu Schober in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, Rz. 23.19. 5 Zu den steuerstrafrechtlichen Folgen bei Verletzung von Anzeigepflichten Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 19.14 ff. 6 Zu dem hierfür maßgeblichen Typenvergleich Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 3.5 ff.; ferner Rz. 7.7. 7 Vgl. hierzu Viskorf in Boruttau19, § 5 GrEStG Rz. 2. 8 Viskorf in Boruttau19, § 5 GrEStG Rz. 3. 9 BFH v. 2.10.1974 – II R 62/68; BStBl. II 1975, 150; v. 6.1.1991 – II R 78/88, BStBl. II 1991, 376; v. 18.12. 2002 – II R 13/01, BStBl. II 2003, 358; v. 24.4.2013 – II R 17/10, BFH/NV 2013, 1327, 128; Viskorf in Boruttau19, § 5 GrEStG Rz. 4. 10 Viskorf in Boruttau19, § 7 GrEStG Rz. 11.

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11.18

Kap. 11 Rz. 11.18 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

samthand und nicht an die Personengesellschaft angeknüpft. Die Gesamthand ist allerdings ein Spezifikum des deutschen Gesellschaftsrechts,1 die in ausländischen Rechtsordnungen weitgehend unbekannt ist. Im Hinblick darauf wären ausländische Personengesellschaften aus dem Vergünstigungsrahmen der §§ 5, 6 und 7 Abs. 2 GrEStG ausgeschlossen. Indessen: In Orientierung an die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten (Rz. 4.16 ff.) und an Art. 3 Abs. 1 GG (Rz. 4.4 ff.) ist im Rahmen des maßgeblichen Typenvergleichs auf das den deutschen Personengesellschaften zugrunde liegende Konzept der Gesamthandsgemeinschaft bei ausländischen Personengesellschaften nicht abzustellen.2

11.19

Neben §§ 5, 6 GrEStG spielt im internationalen Kontext auch die Vergünstigung des § 6a GrEStG eine Rolle. Begünstigungsfähig sind hiernach neben Umwandlungen auch Einbringungen sowie andere Erwerbsvorgänge auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage, die nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1, Abs. 2, Abs. 2a, Abs. 3, Abs. 3a GrEStG zu einem steuerbaren Rechtsvorgang führen. Die in § 6a GrEStG verankerte Steuerfreiheit bedeutet im Ergebnis ein Konzernprivileg,3 das darauf gerichtet ist, Umstrukturierungen im Konzern, für die eine Steuerneutralität nach dem Umwandlungsteuergesetz in Anspruch genommen werden kann, nicht durch Grunderwerbsteuerbelastungen zu behindern.4 Begünstigte Umwandlungen sind im Hinblick auf den Verweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 1–3 UmwG Verschmelzungen, Spaltungen und Vermögensübertragungen. Nicht erfasst ist hiernach der bloße Formwechsel (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UmwG), der ohnehin keine Grunderwerbsteuer auslöst, weil mit ihm kein Rechtsträgerwechsel verknüpft ist.5 Das gilt auch beim Formwechsel ausländischer Rechtsträger, soweit nach den durch das ausländische Recht vorgegebenen Rechtsstrukturen der Formwechsel identitätswahrend in dem Sinne ist, dass kein Vermögen übergeht.6 Obwohl grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften nicht in dem in Bezug genommenen § 1 Abs. 1 Nr. 1–3 UmwG erwähnt sind, fallen auch diese in den Begünstigungsrahmen des § 6a Abs. 1 GrEStG.7 Darüber hinaus gilt die Begünstigung auch für entsprechende EU-/EWR-Umwandlungen (§ 6a Satz 2 GrEStG).8

II. Versicherungsteuer und Feuerschutzsteuer Literatur: Kommentare zum VersStG und FeuerschStG; Bruschke, Der Steuergegenstand bei der Versicherungsteuer, UVR 2009, 247; Crezelius, Versicherungsteuer – terra incognita des Steuerrecht? In FS Haarmann, München 2015, 428; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, § 18 Rz. 67 ff.; Grünwald, Wer bezahlt die Versicherungsteuer?, DStR 2013, 738; Hicks, Steuerbare Versicherungsverhältnisse i.S. der §§ 1, 2 VersStG, UVR 2005, 387; Hicks, Abgrenzung der versicherungssteuerlichen Tatbestände von den umsatzsteuerlichen Tatbeständen, UVR 1999, 184; Hicks, Problematiken

1 Zu Einzelheiten: Rehm in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 1.11 ff. 2 Behrens in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 22.5; so auch FinMin BaWü v. 30.10.2008, STEK, GrEStG 1983 § 5 Nr. 17 i.V.m. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 (Tabelle 1), wo für den Typenvergleich auf die Gesamthandskonzeption nicht abgestellt wird; dieser Erlass gilt auch im Anwendungsbereich von § 6 und § 7 Abs. 2 GrEStG; Behrens in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 22.6. 3 Wischott/Schönweiß, DStR 2009, 2638; Neitz/Lange, Ubg 2010, 17; Hageböke, DB 2010, 2193. 4 Kritisch hierzu Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.51. 5 BFH v. 4.12.1996 – II B 116/96, BStBl. II 1997, 661; Viskorf in Boruttau19, § 6a GrEStG Rz. 29 ff. 6 Vgl. § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. 7 Zur Begründung im Einzelnen: Viskorf in Boruttau19, § 6a GrEStG Rz. 27. 8 Viskorf in Boruttau19, § 6a Rz. 41 ff.

486 | Schaumburg

B. Besondere Verkehrsteuern | Rz. 11.22 Kap. 11 bei der Feuerschutzsteuerpflicht, UVR 1992, 48; Kühnast, Inländische Versicherungsteuer auf Versicherungsverhältnisse mit ausländischen Versicherungen, UVR 1989, 78; Medert, Änderungen bei der Versicherungsteuer ab 2013 im Überblick, DStR 2013, 496; Schlange, Deutsche Steuerhoheit bei innergemeinschaftlicher grenzüberschreitender Versicherung nur bei Belegenheit des versicherten Risikos in Deutschland, DStR 2010, 2562; Schmidt, Änderungen des Versicherungsteuerrechts durch das Versicherungsteuerrecht – Modernisierungsgesetz, DStR 2021, 2431; Schrinner, Versicherungsteuer als Standortproblem, IFSt-Schrift 352 (1997); Strunz, Zur Doppelbesteuerung mit Versicherungsteuer in der Bundesrepublik Deutschland, DStR 2001, 777; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 1029 ff.; Voß, Änderungen des Versicherungssteuerrechts durch das Versicherungsteuerrechts-Modernisierungsgesetz, DStR 377.

Als Verkehrsteuer erfasst die Versicherungsteuer1 Vorgänge des Rechtsverkehrs im Rahmen von Versicherungsverhältnissen,2 wobei konkret an die Zahlung des Versicherungsentgelts angeknüpft wird.3 Steuerentrichtungsschuldner ist zwar der Versicherer (§ 7 Abs. 2 VersStG), Steuerschuldner ist aber der Versicherungsnehmer (§ 7 Abs. 1 VersStG), der die Versicherungsteuer letztlich auch wirtschaftlich zu tragen hat. Im Hinblick darauf handelt es sich von der Belastungswirkung her bei der Versicherungsteuer um eine die Einkommens- und Vermögensverwendung belastende direkte Steuer.4 Indessen belastet insbesondere die Versicherungsteuer auf die Unfall- und Haftpflichtversicherung auch Unternehmen, ohne dass hier ähnlich wie bei der Umsatzsteuer eine Entlastung durch einen Vorsteuerabzug möglich wäre.5

11.20

Wie auch die übrigen Verkehrsteuern ist die Versicherungsteuer im Wesentlichen binnenorientiert. Ihr sind vor allem versicherte Risiken unterworfen, die im Inland belegen sind. Über dieses versicherungsteuerrechtliche Belegenheitsprinzip hinaus werden aber auch ausländische Risiken steuerlich belastet. Dies beruht auf der in § 1 Abs. 2 und 3 VersStG vorgegebenen dualen Anknüpfung,6 wonach sowohl auf personale – Ansässigkeit des Versicherungsnehmers – als auch gegenständliche – Belegenheit des versicherten Risikos – Tatbestandsmerkmale abgestellt wird. Hierbei ist zwischen Versicherern in EU-/EWR-Staaten und solchen in Drittstaaten zu unterscheiden.

11.21

Soweit der Versicherer in einem EU-/EWR-Staat niedergelassen7 ist,8 gilt die gegenständliche (inländische) Anknüpfung für Risiken mit Bezug auf unbewegliche Sachen,9 für in ein amtliches Register einzutragende oder eingetragene und mit einem Unterscheidungskennzeichen

11.22

1 VerStG i.d.F. v. 27.4.2021, BStBl. I 2021, 874. 2 Gambke/Flick, § 1 VersStG Rz. 2; Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 30; Grünwald/Dallmayr, § 1 VersStG Rz. 1. 3 Schmidt2, § 1 VersStG Rz. 1; Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 30. 4 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1029; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.67; Grünwald, DStR 2013, 738; Crezelius in FS Haarmann, 429; die kumulierende Wirkung wird im Verhältnis zur USt durch § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG gemildert. 5 Im Ergebnis handelt es sich hierbei um eine nicht zu rechtfertigende Sonder-Unternehmensteuer; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1032; Seer, ZfZ 2013, 146 (153). 6 Vgl. hierzu den Überblick bei Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 240. 7 Niederlassung i.S.v. Gesellschaftssitz (Satzungssitz) und Zulassung für das Versicherungsgeschäft; bloße (Zweig-)Niederlassung (Betriebsstätte) reicht nicht; EuGH v. 14.6.2001 – C-191/99, ECLI: EU:C:2001:332 = Slg. 2002, I-4447, Rz. 31, 34 – Kvaerner. 8 Vgl. hierzu das Merkblatt für EU/EWR-Versicherer (BMF v. 15.5.2014 – IV D 5 - S 6356/07/ 10001:001 – DOK 2014/0315290, BStBl. I 2014, 871). 9 Z.B. Gebäude, Industrieanlagen; weitere Hinweise bei Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 270 ff.; Grünwald/Dallmayr, § 1 VersStG Rz. 194 ff.

Schaumburg | 487

Kap. 11 Rz. 11.22 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

versehene Fahrzeuge1 und für Reise- oder Ferienrisiken2 (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–3 VersStG). In den vorgenannten Fällen entsteht die Versicherungsteuer also nur dann, wenn sich die versicherten Gegenstände im Inland befinden, die Fahrzeuge in einem inländischen Register eingetragen oder einzutragen sind oder die für die Reise- oder Ferienrisiken erforderlichen Rechtshandlungen im Inland vorgenommen werden. Es handelt sich hierbei um Sondertatbestände, die darauf abzielen, im Bereich der EU-/EWR-Staaten einen freien Dienstleistungsmarkt für Versicherungen ohne steuerinduzierte Wettbewerbsbehinderungen zu schaffen.3 Hierdurch ist zugleich gewährleistet, dass in Orientierung an das versicherungsteuerrechtliche Belegenheitsprinzip, aufgrund dessen auf gegenständliche Merkmale abzustellen ist,4 die Gefahr einer Doppelbesteuerung vermieden wird.5

11.22a

Besteht das Versicherungsverhältnis mit einem in einem EWR-Staat6 niedergelassenen Versicherer und ergibt sich die Steuerpflicht nicht aus § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG (Rz. 11.22), wird in den Fällen des § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG auf den inländischen Wohnsitz des Versicherungsnehmers abgestellt, es sei denn die versicherten Gegenstände sind in einem EWR-Staat belegen, dort in einem Register eingetragen oder es werden die erforderlichen Rechtshandlungen dort vorgenommen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG). Im Ergebnis sind damit in einem Drittland belegene Sonderrisiken von deutscher Steuerbarkeit nicht ausgenommen, wenn der Versicherungsnehmer im Inland ansässig ist.7

11.23

Für die übrigen von einem EU-/EWR-Versicherer versicherten Risiken, die nicht unter die vorgenannten drei Sondertatbestände fallen,8 knüpft die Versicherungsteuer an den Sitz des Versicherungsnehmers an (§ 1 Abs. 2 Satz 3 VersStG). Abgestellt wird bei natürlichen Personen auf den Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO)9 im Inland (§ 1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VersStG). Bei nicht natürlichen Personen kommt es darauf an, ob sich der Sitz des Unternehmens (§ 11 AO), die Betriebsstätte (§ 12 AO; vgl. Rz. 6.163 ff.) oder die entsprechende Einrichtung, auf die sich das Versicherungsverhältnis bezieht, im Inland befindet (§ 1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VersStG).10

11.24

Die in § 1 Abs. 2 VersStG verankerte gegenständliche und personale Anknüpfung bezieht sich auf den Geltungsbereich des Versicherungsteuergesetzes (Inland), wozu das Küstenmeer vor der deutschen Küste11 und aufgrund der Sonderregelung in § 1 Abs. 4 VersStG die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone (Art. 55 SRÜ) gehören, so dass im Ergebnis auch Versiche-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Hierunter fallen Kasko-, Fahrzeughaftpflicht- und Insassenunfallversicherungen. Insbesondere Reiserücktrittsversicherungen. Hierzu Schmidt2, § 1 VersStG Rz. 126 ff.; Medert, DStR 2013, 496. EuGH v. 14.6.2001 – C-191/99, ECLI:EU:C:2001:332 = Slg. 2002, I-4447 – Kvaerner; BFH v. 11.12.2013 – II R 53/11, BStBl. II 2014, 352, Rz. 21. BFH v. 11.12.2013 – II R 53/11, BStBl. II 2014, 352 Rz. 21. EWR-Staat ist der Sammelbegriff für EU/EWR-Staaten (§ 1 Abs. 1 VersStDV). So die Rechtslage aufgrund des VersStModG v. 3.12.2020, BGBl. I 2020, 2659; vgl. hierzu Schmidt, DStR 2021, 2431. Zur risikobezogenen Auslegung BFH v. 12.11.2020 – V R 41/18, BFH/NV 2021, 1050; ferner EuGH v. 15.4.2021 – C-786/19, ECLI:EU:C:2021:276 = UVR 2021, 201 – The North of England P & I Association. Zum Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt vgl. Rz. 6.12 ff. Zu Einzelheiten Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 344 ff.; Grünwald/Dallmayr, § 1 VersStG Rz. 273 ff. 12 Seemeilen-Zone gem. Art. 2, 3 SRÜ; vgl. hierzu Rz. 6.30.

488 | Schaumburg

B. Besondere Verkehrsteuern | Rz. 11.26 Kap. 11

rungsverhältnisse erfasst werden, die sich auf Bohrinseln, Offshore-Windkraftanlagen auch außerhalb der 12-Meilen-Zone beziehen.1 Besteht das Versicherungsverhältnis mit einem Drittstaaten-Versicherer entsteht die Steuerpflicht, wenn der Versicherungsnehmer bei Zahlung des Versicherungsentgeltes seinen Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) oder seinen Sitz (§ 11 AO) im Inland hat oder ein Gegenstand versichert ist, der sich zur Zeit der Begründung des Versicherungsverhältnisses im Inland befand oder sich das Versicherungsverhältnis auf ein Unternehmen, eine Betriebstätte oder eine sonstige Einrichtung im Inland bezieht (§ 1 Abs. 3 Nr. 1–3 VersStG).2 Im Unterschied zu den EU-/EWR-Fällen, bei denen die in Umsetzung verschiedener EU-Richtlinien3 eine auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung gerichtete harmonisierte Regelung (§ 1 Abs. 2 VersStG) Geltung hat, ist in Drittlandsfällen (§ 1 Abs. 3 VersStG) eine Doppelbesteuerung nicht zu vermeiden, wenn insbesondere im Ausland belegene Risiken auch dort der Versicherungsteuer unterworfen sind.4 Angesprochen sind insbesondere Fälle, in denen deutsche Unternehmen im Ausland belegene Risiken bei Drittstaatenversicherern versichern. Dieser Vorgang unterliegt zum einen gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 VersStG der deutschen Versicherungsteuer und zum anderen, weil sich der versicherte Gegenstand zur Zeit der Begründung des Versicherungsverhältnisses im Ausland befindet,5 der betreffenden ausländischen Versicherungsteuer. Der vergleichbare Vorgang innerhalb des EU-/EWR-Bereichs würde dem gegenüber keine Doppelbesteuerung auslösen. Diese steuerliche Benachteiligung von Drittlandssachverhalten verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.6 Eine Besonderheit ergibt sich allerdings aus § 4 Nr. 10 VersStG. Hiernach ist die Zahlung des Versicherungsentgelts für eine Transportgüterversicherung von der Steuer befreit, wenn sich die Versicherung auf Güter bezieht, die ausschließlich im Ausland oder im grenzüberschreitenden Verkehr einschließlich der Durchfuhr befördert werden. Eine Doppelbesteuerung ist insoweit ausgeschlossen.

11.25

Ebenso wie die Versicherungsteuer zählt auch die Feuerschutzsteuer zu den besonderen Verkehrsteuern, obwohl sie als Zwecksteuer zur Förderung des Feuerlöschwesens und des vorbeugenden Brandschutzes erhoben wird.7 Im Unterschied zur Versicherungsteuer knüpft sie technisch nicht an die Zahlung von Versicherungsentgelten, sondern an die Entgegennahme derselben an,8 so dass nicht der Versicherungsnehmer, sondern der Versicherer Steuerschuldner ist (§ 5 FeuerschStG). Das ändert aber nichts daran, dass die Feuerschutzsteuer durch Überwälzung die Einkommens-/Vermögensverwendung seitens des Versicherungsnehmers belastet.9

11.26

1 Der maßgebliche genuine link (Rz. 3.13) ergibt sich aus Art. 60 Abs. 2 SRÜ; vgl. Englisch in Tipke/ Lang24, Rz. 18.70; zu Einzelheiten Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 501 ff.; Grünwald/Dallmayr, § 1 VersStG Rz. 315 ff. 2 Vgl. zu steuerstrafrechtlichen Implikationen wegen Pflichtverletzungen Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 201 ff. 3 Vgl. die zweite EG-Versicherungsrichtlinie des Rates v. 22.6.1988 – 88/357/EWG, ABl. EG Nr. L 172, 1; Dritte EG-Versicherungsrichtlinie von 1992, RL 92/49, EWG des Rates v. 18.6.1992, ABl. EG Nr. L 228, 1. 4 Hierzu Kühnast, UVR 1989, 78; Strunz, IStR 2001, 777; Crezelius in FS Haarmann, 429 (436). 5 Entsprechend § 1 Abs. 3 Nr. 2 VersStG. 6 De Weerth, DB 2014, 2679; zur gem. Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen Gleichbehandlung von EU-/ EWR-Fällen und Drittlandsfällen vgl. Rz. 4.14. 7 Medert/Axer/Voß2, § 1 VersStG Rz. 51; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.75; den Verkehrsteuercharakter verneinend Grünwald/Dallmayr, Einführung Rz. 1. 8 Insoweit ist die Versicherungsteuer also eine indirekte Verkehrsteuer. 9 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.77.

Schaumburg | 489

Kap. 11 Rz. 11.27 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

11.27

Der Feuerschutzsteuer, die neben der Versicherungsteuer erhoben wird,1 unterliegen alle empfangenen Entgelte für Feuerversicherungen einschließlich Feuer-Betriebs-Unterbrechungsversicherungen, Wohngebäudeversicherungen oder Hausratversicherungen für versicherte Gegenstände, die sich bei Zahlung des Entgelts im Inland befinden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 FeuerschStG). Damit wird dem Belegenheitsprinzip entsprochen, so dass es zu einer Doppelbesteuerung nur dann kommen kann, wenn im Ausland bei der Feuerschutzsteuer auf den Wohnsitz des Versicherungsnehmers abgestellt wird. § 1 Abs. 3 FeuerschStG bestimmt allerdings, dass für die Feuerschutzsteuerpflicht die Vorschriften des § 1 Abs. 2, 3 VersStG entsprechend anzuwenden sind. Hiernach gelten für die Abgrenzung der Feuerschutzsteuerpflicht dieselben Kriterien, wie sie für die Abgrenzung der Steuerpflicht bei der Versicherungsteuer bestehen (Rz. 11.21). Im Kern bedeutet das, dass in den Fällen von EU-/EWR-Versicherern das Belegenheitsprinzip dahingehend modifiziert wird, dass statt der reinen Sachbelegenheit an die Risikobelegenheit angeknüpft wird (Rz. 11.22).

III. Kraftfahrzeugsteuer und Luftverkehrsteuer Literatur: Kommentare zum KraftStG; Bruschke, Die neue Förderung von Dieselfahrzeugen bei der Kraftfahrzeugsteuer, UVR 2007, 219; Bruschke, Neue Besteuerung Nutzfahrzeuge, UVR 2008, 60; Eilers/Hey, Haushaltskonsolidierung ohne Kompetenzgrundlage – Finanzverfassungsrechtliche Würdigung des neuen Luftverkehrsteuergesetzes, DStR 2011, 97; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, § 18 Rz. 85 ff.; Gawel, Klimaschutz durch Kfz-Besteuerung, StuW 2011, 250; Goldmann/Gutschalk, Eine Einführung in die neue Luftverkehrsteuer, ZfZ 2010, 283; Halaczynski, Ist die Luftverkehrsteuer verfassungsgemäß?, UVR 2014, 213; Johannes/Roth, Brennpunkte der Kraftfahrzeugsteuer, UVR 2008, 278; Kloepfer, Luftverkehrsteuer-Rechtsprobleme eines Luftverkehrsteuergesetzes, 2010; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2001, 1099 f.; § 18 Rz. 129.

11.28

Die Kraftfahrzeugsteuer wird überwiegend als Verkehrsteuer qualifiziert, und zwar entweder als Realverkehrsteuer, weil sie an einen Akt des technischen Verkehrs anknüpft,2 oder als Rechtsverkehrsteuer, weil ihr ein Vorgang des Rechtsverkehrs auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (Zulassung) zugrunde liegt.3 Indessen belastet die Kraftfahrzeugsteuer nicht nur die (private) Einkommen- und Vermögensverwendung, sondern auch den gewerblichen Einsatz von Kraftfahrzeugen, so dass insoweit die Kraftfahrzeugsteuer auch eine Unternehmensteuer ist. Wegen der Differenzierung der Steuersätze für schadstoffarme, bedingt schadstoffarme und übrige PKW (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a KraftStG) lässt sich die Kraftfahrzeugsteuer auch als umweltpolitische Lenkungsteuer legitimieren.4

11.29

Der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt grundsätzlich das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG). Zu den inländischen Fahrzeugen gehören solche, die unter die im Inland geltenden Zulassungsvorschriften fallen (§ 2 1 Die Versicherungsteuer zählt allerdings nicht zum Versicherungsentgelt (§ 4 Abs. 3 FeuerschStG); die Doppelbesteuerung wird durch quotale Reduktion der Bemessungsgrundlage vermieden (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 VersStG und § 3 FeuerschStG); vgl. zu verbleibenden Steuerkumulierungseffekten Medert/Axer/Voß2s § 1 VersStG Rz. 53. 2 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 7.102, 7.105. 3 BFH v. 27.6.1973 – II R 179/71, BStBl. II 1973, 807; a.A. Desens in FS Kirchhof, § 189 Rz. 31: Aufwandsteuer. 4 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.86; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1099; Seer, ZfZ 2013, 146 (148); die Kraftfahrzeugsteuer sollte ursprünglich zudem die Beanspruchung der öffentlichen Straßeninfrastruktur abgelten, dieser Äquivalenzgedanke ist inzwischen aber überholt; vgl. hierzu Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.85.

490 | Schaumburg

B. Besondere Verkehrsteuern | Rz. 11.32 Kap. 11

Abs. 3 KraftStG). Steuerschuldner ist stets derjenige, für den das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist (§ 7 Nr. 1 KraftStG). Ob es sich hierbei um Personen handelt, die im Inland ihren Wohnsitz (§ 8 AO) oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) haben, spielt keine Rolle. Der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt darüber hinaus auch das Halten von ausländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen, solange die Fahrzeuge sich im Inland befinden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 KraftStG). Steuerschuldner ist bei einem ausländischen Fahrzeug, also einem solchen, das im Zulassungsverfahren eines anderen Staates zugelassen ist (§ 2 Abs. 4 KraftStG), derjenige, der das Fahrzeug im Inland benutzt (§ 7 Nr. 2 KraftStG). Die Steuerpflicht dauert hierbei solange an, wie sich das Fahrzeug im Inland befindet (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG). Um Doppelbesteuerungen zu vermeiden enthält § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 KraftStG eine Ausnahme von der Besteuerung für in anderen EU-Staaten zugelassene Nutzfahrzeuge.1 Die gleiche Zielsetzung verfolgen die in § 3 Nr. 13–15 KraftStG verankerten Steuerbefreiungen, wobei diejenige von besonderer Bedeutung ist, die zum vorübergehenden Aufenthalt in das Inland gelangte ausländische Pkw für die Dauer bis zu einem Jahr frei stellt (§ 3 Nr. 13 KraftStG). Darüber hinaus werden nach dem sog. Genfer Abkommen2 in einem Gebiet eines anderen Vertragsstaats zugelassene Fahrzeuge freigestellt, wenn sie vorübergehend zum privaten Gebrauch in das Inland gelangen.

11.30

§ 1 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG enthält schließlich eine Sonderregelung für die widerrechtliche Benutzung von Fahrzeugen im Inland. Das gilt auch für ausländische Fahrzeuge, wenn die Voraussetzungen der Steuerbefreiung in § 3 Nr. 13 KraftStG nicht mehr vorliegen. Angesprochen ist damit insbesondere der Fall, dass im Ausland zugelassene Fahrzeuge von Personen benutzt werden, die ihren Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland haben (§ 3 Nr. 13 Satz 2 KraftStG) oder dass die für den vorübergehenden Aufenthalt im Inland maßgebliche Ein-Jahres-Frist (§ 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG) abgelaufen ist.

11.31

Ebenso wie die Kraftfahrzeugsteuer ist auch die Luftverkehrsteuer von ihrer tatbestandlichen Anknüpfung her eine Verkehrsteuer.3 Sie ist als Rechtsverkehrsteuer zu qualifizieren, weil sie an einen Rechtsvorgang anknüpft, der zum Abflug eines Fluggastes von einem inländischen Startort mit einem Flugzeug durch ein Luftfahrtverkehrsunternehmen zu einem Zielort berechtigt (§ 1 Abs. 1 LuftVStG).4 Der maßgebliche Rechtsvorgang ist hierbei in der Regel der Abschluss eines (entgeltlichen) Beförderungsvertrages.5 Von der Belastungswirkung her ist die Luftverkehrsteuer eine Steuer auf die Einkommens- oder Vermögensverwendung, da der Gesetzgeber von der Überwälzung der Steuer auf die Fluggäste ausgeht.6 Gemessen hieran kann sie aber auch als indirekte Aufwandsteuer7 qualifiziert werden.8

11.32

1 Rechtsgrundlage: RL 1999/62/EG v. 17.6.1999, ABl. Nr. L 187, 42. 2 Vom 18.5.1956, BGBl. II 1960, 2398. 3 Der Verbrauchsteuercharakter nach Maßgabe der VStSystRL wurde verneint vom BFH v. 1.12.2015 – VII R 55/13, DStRE 2016, 497. 4 Vgl. BVerfG v. 5.11.2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350 Rz. 29; Kloepfer, LuftVSt, 7 ff.; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.99; dagegen als Aufwandsteuer qualifizierend Eilers/Hey, DStR 2011, 97 (101); Desens in FS Kirchhof, § 189 Rz. 32. 5 Vgl. BVerfG v. 5.11.2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350 Rz. 30; dort auch zu der Feststellung, dass der in § 1 Abs. 2 LuftVStG fingierte Rechtsvorgang an der Qualifikation als Rechtsverkehrsteuer nichts ändert. 6 Vgl. BT-Drucks. 17/3030, 4. 7 Aufwandsteuern sind Steuern auf das Halten bzw. den Gebrauch von Gütern und Dienstleistungen; zu dieser Begriffsbildung Seer in Tipke/Lang24, Rz. 2.48. 8 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.99, 18.102.

Schaumburg | 491

Kap. 11 Rz. 11.33 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

11.33

Die Luftverkehrsteuer erfasst im Wesentlichen Inlandsflüge und grenzüberschreitende Flüge von einem inländischen Startort (§ 1 Abs. 1 LuftVStG). Nicht der Besteuerung unterliegen somit Flüge vom Ausland in das Inland, so dass entsprechend der gesetzgeberischen Konzeption eine Doppelbesteuerung vermieden wird. Ausgenommen von der Steuerpflicht sind letztlich auch im Ausland begonnene Flüge mit Zwischenlandung im Inland und Fortsetzung des Fluges in das Inland bzw. Ausland (§ 2 Nr. 3, 4, 5 LuftVStG). Auch hierdurch wird eine Doppelbesteuerung vermieden.1

11.34

Im Hinblick auf das für die Luftverkehrsteuer spezifische Belegenheitsprinzip (inländischer Startort) spielt es keine Rolle, ob in- oder ausländische Fluggäste durch in- oder ausländische Fluggesellschaften befördert werden.

IV. Rennwett- und Lotteriesteuer Literatur: Kommentare zum Rennwett- und Lotteriegesetz; Birk, Sportwetten – Steuerliche Aspekte, ZfWG 2011, 229; Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, Baden-Baden 2015; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, Rz. 18.80; Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, München 2014, Syst. Darst.; Halaczinsky, Einordnung von Wetten aus Anlass öffentlicher Leistungsprüfungen für Pferde, UVR 2015, 78; Kahle, Glücksspiele im Steuerrecht, DStZ 2011, 520; Maslaton/Sensburg, Lotteriesteuern in den neuen Medien, DStZ 2002, 24; Schmittmann, Änderungen des Rennwett- und Lotteriegesetz durch das Jahressteuergesetz 2019, ZfWG 2020, 186; Sensburg, Oddset-Sportwetten: Veranstaltung im Inland oder Vermittlung im Ausland, DStZ 2006, 189; Strahl/Eich, Der lotteriesteuerliche Begriff der Veranstaltung, UVR 2006, 246; Welz, Besteuerung von ausländischen und inländischen Lotterien nach dem Rennwett- und Lotteriegesetz, UVR 2010, 308; Welz, Das RennwLottG und die Erweiterung der Zuweisung der Rückvergütung an Rennvereine, UVR 2021, 150; Welz, Sportwetten- Rennwettund lotteriesteuerliche Aspekte, UVR 2012, 274; Wernsmann/Loscher, Rennwetterlaubnis und Rennwettsteuer nach Neuregelung der Pferderennwetten, DVBl 2014, 211.

11.35

Der Rennwettsteuer (§§ 10, 11 RennwLottG) und der Sportwettensteuer (§ 17 Abs. 2 RennwLottG) unterliegen Wetten anlässlich bestimmter Sportereignisse und der Lotteriesteuer (§ 17 Abs. 1 RennwLottG) wettverwandte Spiele aus anderen Anlässen. Die im Rennwett- und Lotteriegesetz geregelten Steuern zählen zu den Verkehrsteuern,2 die vom Tatbestand her an den Abschluss eines Wettvertrages3 oder an einen Lotterie-/Ausspielvertrag anknüpfen.4 Von der Belastungswirkung her handelt es sich um Steuern auf die Einkommen- und Vermögensverwendung.5 Eine Besonderheit besteht bei der Rennwettsteuer und der Sportwettensteuer, deren Aufkommen überwiegend an die Rennwettvereine, die einen Totalisator betreiben, zurückfließen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 RennwLottG).6 Insoweit ist die Rennwettsteuer eine Steuer, deren Auf-

1 Zu EU-beihilferechtlichen Bedenken, weil im Ergebnis vor allem die Lufthansa mit ihren Drehkreuzen in Frankfurt und München begünstigt ist, Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.100. 2 Desens in FS Kirchhof, § 189 Rz. 129: indirekte Verkehrsteuer. 3 Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, Baden-Baden 2015, 129 f. 4 BFH v. 19.6.1996 – II R 29/95, BFH/NV 1997, 69; Kahle, DStZ 2011, 520 (524). 5 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.80; Kahle, DStZ 2011, 520 (527); Seer, ZfZ 2013, 146, 148: indirekte Verbrauchsteuer. 6 § 16 Abs. 1 Satz 1 RennwLottG i.d.F. des Gesetzes v. 12.12.2019 BGBl. I 2019, 2451; die erforderliche Genehmigung der EU. Kommission wurde am 17.12.2020 erteilt und gilt zunächst bis zum 17.12.2027 (BGBl. I 2021, 97).

492 | Schaumburg

B. Besondere Verkehrsteuern | Rz. 11.38 Kap. 11

kommensverwendung einem gesonderten Zweck unterliegt.1 Dem gegenüber liegt der Sportwettensteuer und der Lotteriesteuer ein Lenkungszweck dahingehend zugrunde, die Wett- und Spielleidenschaft einzudämmen.2 Der Rennwettsteuer unterliegt der Abschluss von Wetten aus Anlass öffentlicher Pferderennen und anderen öffentlichen Leistungsprüfungen für Pferde bei einem Totalisator (§§ 1 Abs. 1, 10 Abs. 1 RennwLottG) oder einem Buchmacher (§§ 2 Abs. 1, 11 Abs. 1 RennwLottG). Dem entsprechend wird die Rennwettsteuer entweder als Totalisatorsteuer oder als Buchmachersteuer erhoben.3 Steuerschuldner sind daher die Totalisatorunternehmer, also die Vereine, die den Totalisator betreiben, an denen die Spieler ihre Wetteinsätze platzieren oder die Buchmacher, die Partei des Wettvertrages mit den Spielern sind (§ 13 Abs. 1 RennwLottG).

11.36

Für die Rennwettsteuer enthält das Gesetz keine Regelungen über den territorialen Anwendungsbereich. Eine Besteuerung ohne jede Inlandsanknüpfung (genuine link) ist allerdings völkerrechtlich unzulässig (Rz. 3.13). Im Hinblick darauf ist, obwohl es an einer normativen Verankerung fehlt, die territoriale Reichweite der Rennwettsteuer auf das Inland begrenzt mit der Folge, dass nur der Abschluss von Rennwetten im Inland eine Steuer auslöst4 und zwar unabhängig davon, ob die betreffenden Pferderennen im In- oder Ausland durchgeführt werden. Hieraus folgt, dass der Abschluss von Wettverträgen im Ausland, insbesondere bei dort ansässigen Wettveranstaltern, nicht der Rennwettsteuer unterworfen ist. Das gilt auch für die bloße Vermittlung von Rennwetten auf ausländische Pferderennen durch inländische Buchmacher.5 Durch diese Inlandsbezogenheit wird zugleich die Doppelbesteuerung vermieden.6

11.37

Soweit Wetten aus Anlass von Sportereignissen nicht bereits der Rennwettsteuer (§ 1 RennwLottG) unterliegen, greift eine besondere Sportwettensteuer ein (§ 17 Abs. 2 RennwLottG). Im Unterschied zur Rennwettsteuer (§ 10, 11 RennwLottG) ist für die Sportwettensteuer der territoriale Anwendungsbereich konkret geregelt: § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 RennwLottG knüpft an die Veranstaltung der Sportwette im Inland an, wobei auf die Gestaltung des Wettgeschehens – Festlegen der Wettquoten, Auswahl der Sportereignisse, Wettvertrag – abzustellen ist.7 Darüber hinaus werden aber auch Wettveranstaltungen im Ausland erfasst, wenn der Spieler eine natürliche Person ist und bei Abschluss des Wettvertrages seinen Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland hat oder, wenn er keine natürliche Person ist, bei Abschluss des Wettvertrages seine Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder seinen Sitz (§ 11 AO) im Inland hat (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RennwLottG). Im Ergebnis werden damit auch auslän-

11.38

1 Zu Einzelheiten Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, Baden-Baden 2015, 131 ff. 2 Vgl. BFH v. 22.3.2005 – II B 14/04, BFH/NV 2005, 1379 (1382); Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, Baden-Baden 2015, 139 m.w.N. 3 Hierzu Welz, UVR 2021, 150 (151 f.). 4 BFH v. 26.5.2020 – IX R 6/19, BStBl. II 2021, 179; zu Einzelheiten Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, Baden-Baden 2015, 273 ff.; im Ergebnis ebenso Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, München 2014, Syst. Darst. Rz. 18; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.81; LfStF in Sachsen v. 8.12.2014, UVR 2015, 78. 5 Welz, UVR 2021, 150 (152). 6 Vgl. allerdings Wernsmann/Loscher, DVBl. 2014, 211 (216). 7 Birk/Brüggemann in Dietlein/Hecker/Ruttig2, § 17 RennwLottG Rz. 26; Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, München 2014, Syst. Darst. Rz. 70; Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, Baden-Baden 2015, 172.

Schaumburg | 493

Kap. 11 Rz. 11.38 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

dische Veranstalter zur Sportwettensteuer herangezogen. Da sie in aller Regel auch im Ansässigkeitsstaat einer Wettsteuer unterliegen, bewirkt § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RennwLottG eine Doppelbesteuerung, die zwar zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann aber gleichwohl mit der unionsrechtlich verbürgten Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) vereinbar ist.1

11.39

Die (klassische) Lotteriesteuer erfasst im Inland veranstaltete öffentliche Lotterien und Ausspielungen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 RennwLottG).2 Für den Inlandsbezug ist hierbei darauf abzustellen, wo die Gewinnverteilung, d.h. der Ort der Ziehung der Lose, stattfindet.3 Über § 17 Abs. 1 Satz 1 RennwLottG hinaus werden aber auch im Ausland veranstaltete Lotterien und Ausspielungen mit (deutscher) Lotteriesteuer belastet, wenn die entsprechenden Lose oder Ausweise ins Inland gelangen (§ 21 RennwLottG).4 Auch hierdurch wird eine Doppelbesteuerung ausgelöst, soweit der ausländische Veranstalter im Ausland zu einer vergleichbaren Lotteriesteuer herangezogen wird.5 Diese Doppelbesteuerung verstößt nicht gegen die unionsrechtlich verbürgte Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV).6

C. Besondere Verbrauchsteuern I. Energiesteuer Literatur: Kommentare zum EnergieStG; Bongartz, Die neue Systemrichtlinie, ZfZ 2020, 218; Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap. H; Bongartz/Schröer-Schallenberg, Das neue Energiesteuergesetz, Köln 2006; Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2020, Rz. 20.1 ff. 20.27 ff.; Eichhorn/Utescher-Dabitz, Die Besteuerung von Strom, Erdgas und Kohle, Frankfurt 2009; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, § 18 Rz. 105 ff.; Förster, Die Verbrauchsteuern, Geschickte, Systematik, finanzverfassungsrechtliche Vorgaben, Heidelberg 1989; Friedrich/Köthe, Änderungen des Energie- und Stromsteuerrechts, DStR 2013, 65; Hey/Hoffsümmer, Steuerentlastung bei Zahlungsausfall im Rahmen der Strom- und Erdgasbesteuerung, UVR 2007, 55; Hölscher, Die Entwicklung des Energiesteuerrechts, RdE 2010, 48; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016, F1 ff.; Jatzke in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, München 2019, 302 ff.; Jatzke, Neue gemeinschaftsrechtliche Rahmenbedingungen für die Energiebesteuerung, BB 2004, 21; Khazzoum/Kudla, Energie und Steuern: Energie und Stromsteuerrecht in der Praxis, Wiesbaden 2011; Kruse, Zölle, Verbrauchsteuern, europäisches Marktordnungs-

1 Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, Baden-Baden 2015, 178 ff.; a.A. Birk/Brüggemann in Dietlein/Hecker/Ruttig2, § 17 RennwLottG Rz. 28; kritisch auch Kahle, DStZ 2011, 520 (532). 2 Zum Begriff der Lotterie BFH v. 19.6.1996 – II R 29/95, BFH/NV 1997, 68 (69); v. 2.4.2008 – II R 4/06, BStBl. II 2009, 735 (737): Eine Lotterie liegt vor, „wenn sich jemand für eigene Rechnung einem anderen gegenüber schuldrechtlich verpflichtet, nach einem fest gesetzten Plan beim Eintritt eines ungewissen, wesentlich vom Zufall abhängigen Ereignisses dem anderen einen bestimmten Geldgewinn zu gewähren, während der andere unbedingt einen bestimmten Geldbetrag, den Einsatz, zu zahlen hat“; im Unterschied dazu kann der in Aussicht gestellte Gewinn bei der Ausspielung auch ein Sachwert sein; zu weiteren Nachweisen Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, Baden-Baden 2015, 292. 3 Birk/Brüggemann in Dietlein/Hecker/Ruttig2, § 17 RennwLottG Rz. 17; Kahle, DStZ 2011, 520 (526); Welz, UVR 2010, 308 (309). 4 Zu Einzelheiten Welz, UVR 2010, 308 (310 f.). 5 Kahle, DStZ 2011, 520 (523 f.); Wilms, UVR 1999, 64. 6 Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, Baden-Baden 2015, 178 ff.

494 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.41 Kap. 11 recht, DStJG 11 (1988); Middendorp, Einfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ZfZ 2011, 1; Leitgeb, Alle zwanzig Jahre wieder eine Neufassung der Energiesteuerrichtlinie?, ZfZ 2022, 162; Müller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauchsteuern, Berlin 1997; Schmidtke/Jansen, Änderungen im Energie-Stromsteuerrecht, ZfZ 2010, 286; Schröer-Schallenberg/Kling, Der Entwurf einer neuen Energiesteuerrichtlinie – eine Betrachtung aus deutscher Sicht, ZfZ 2022, 193; Soyk, Die verbrauchsteuerrechtlichen Änderungen durch das Siebte Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen, ZfZ 2021, 98; Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht, 4. Aufl. Köln 2017; Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis, 3. Aufl. Köln 2016; Stein/Thoms, BB-Rechtsprechungsreport Energie- und Stromsteuerrecht 2014, BB 2015, 1876; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, 1092 ff.; Thoms, Aktuelle Entwicklungen im Energie- und Stromsteuerrecht, ZfZ 2010, 5.

1. Belastungswirkungen Bei der im Energiesteuergesetz geregelten Energiesteuer handelt es sich um eine auf der Grundlage der Verbrauchsteuersystemrichtlinie (Rz. 3.97 ff.)1 und der Energiesteuerrichtlinie2 harmonisierte Verbrauchsteuer. Sie belastet im Wesentlichen die Verwendung von Energieerzeugnissen als Kraftstoffe und als Heizstoffe,3 und zwar insbesondere Mineralöl (Benzin), Kohle und Erdgas.

11.40

Als (indirekte)4 Verbrauchsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG) ist die Energiesteuer darauf gerichtet, die konsumtive und produktive Verwendung von Einkommen bzw. Vermögen zu erfassen.5 Zugleich verfolgt die Energiesteuer ökologische Lenkungszwecke, den Energieverbrauch und damit schädliche Emissionen abzusenken.6 Darüber hinaus wird auch eine Orientierung am Äquivalenzprinzip dahingehend erkennbar, dass insbesondere die auf Mineralöl (Benzin) lastende Energiesteuer jedenfalls partiell als Ausgleich für die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrseinrichtungen angesehen werden kann.7 Dass die Energiesteuer jedenfalls auch die

11.41

1 RL 2008/118/EG vom 16.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. 9, 12 mit Wirkung ab 16.1.2009; hierzu Dobratz in Schaumburg/Englisch2, Rz. 20.6 ff.; vgl. nunmehr die neue Verbrauchsteuersystemrichtlinie (VStSystRL) RL (EU) 2020/262 v. 19.12.2019 zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems, ABl. EU 2020 Nr. L 58, 4; hierzu im Überblick Bongartz, ZfZ 2020, 218 und ihr folgend das 7. Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen v. 30.3.2021, BGBl. I 2021, 607, das für Beförderungen im steuerrechtlich freien Verkehr und unter Steueraussetzung zur Ausfuhr und bis auf die in Art. 12 Abs. 2 und 3 des Änderungsgesetzes genannten Vorschriften des EnergieStG am 13.2.2023 in Kraft treten wird (§ 67 Abs. 1 EnergieStG); die in § 12 Abs. 2, 3 des Änderungsgesetzes aufgeführten Vorschriften gelten mit Wirkung ab 1.7.2021 bzw. ab 1.7.2022; hierzu im Überblick Soyk, ZfZ 2021, 98. 2 RL 2003/96/EG zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom v. 16.10.2003, ABl.EG 2003 Nr. L 283, 51; hierzu Dobratz in Schaumburg/Englisch2, Rz. 20.27 ff.; zum Vorschlag (Entwurf) einer neuen Energiesteuerrichtlinie Leitgeb, ZfZ 2022, 162 ff.; Schröer-Schallenberg/Kling, ZfZ 2022, 193 ff. 3 Die übrigen Verwendungsarten sind von der Steuer befreit (§ 25 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG). 4 In den Fällen von § 16 Abs. 2 Satz 2 und § 38 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG wirkt die Energiesteuer ausnahmsweise als direkte Verbrauchsteuer. 5 Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, Vorb. EnergieStG Rz. 4; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, 88; zur Zulässigkeit der Belastung auch des produktiven Bereiches BFH v. 26.6.1984 – VII R 60/83, BFHE 141, 9. 6 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1092 f.; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, F9; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.116: zur Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt als Umweltsteuer (Ökosteuer); Hey in Tipke/Lang24, Rz. 7.122. 7 Vgl. Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, 63; kritisch zu diesem äquivalenztheoretischen Ansatz Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1092 f.

Schaumburg | 495

Kap. 11 Rz. 11.41 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

konsumtive Einkommensverwendung belastet, ergibt sich daraus, dass sie als indirekte Steuer auf Überwälzung angelegt ist.1 Hierfür genügt im Grundsatz2 die Gewährleistung der abstrakten Überwälzbarkeit.3 Die Überwälzbarkeit wird (auch) durch das Steueraussetzungsverfahren (§ 5 EnergieStG; vgl. Rz. 11.43 ff.) sichergestellt. Im Kern geht es hierbei darum, innerhalb der Unternehmerkette, also im Rahmen des sog. Lager- und Beförderungsaussetzungsverfahrens (§§ 7 ff. EnergieStG; vgl. Rz. 11.45), das Entstehen der Energiesteuer zu vermeiden. Darüber hinaus ist unter bestimmten Voraussetzungen die Energiesteuer zu erstatten, wenn die Überwälzung wegen Zahlungsunfähigkeit des Warenempfängers scheitert (§ 60 EnergieStG).4

11.42

Entsprechend dem Charakter als (indirekte) Verbrauchsteuer wird im Energiesteuergesetz ebenso wie im Umsatzsteuergesetz (Rz. 10.2 ff.) das Bestimmungslandprinzip verwirklicht,5 und zwar im Rahmen des Steueraussetzungsverfahrens (Rz. 11.43 ff.) oder durch ein speziell geregeltes Entlastungsverfahren in den Fällen, in denen Energieerzeugnisse im steuerrechtlich freien Verkehr aus dem Steuergebiet verbracht oder ausgeführt werden (Rz. 11.49 ff.).

2. Steueraussetzungsverfahren 11.43

Nur bestimmte Energieerzeugnisse unterliegen im Steuergebiet der Energiesteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG). In Orientierung an Art. 2 VStSystRL wird an die Herstellung innerhalb des Steuergebiets und an die Einfuhr in dieses Gebiet angeknüpft. Um welche Energieerzeugnisse es sich hierbei handelt, ergibt sich aus § 1 Abs. 2 EnergieStG6, wobei diejenigen Erzeugnisse, die in § 1 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 5 EnergieStG genannt sind, ohne weiteres als Energieerzeugnisse qualifiziert sind. Dem gegenüber werden die in § 1 Abs. 2 Nr. 1, 4 und 6 EnergieStG bezeichneten Erzeugnisse nur dann zu Energieerzeugnissen, wenn sie dazu bestimmt sind, als Kraft- oder Heizstoffe verwendet zu werden.7

11.44

Während die Energiesteuerpflicht somit bereits an die Herstellung der betreffenden Erzeugnisse im Steuergebiet8 oder an ihre Einfuhr in dieses Gebiet anknüpft, entsteht der Energie-

1 Hierzu Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, Vorb. EnergieStG Rz. 9; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, 37, 55. 2 Falls die Überwälzung scheitert, ist allerdings ein Erlass aus Billigkeitsgründen geboten; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1055; Schaumburg in FS Reiß, 25 (41). 3 BVerfG v. 10.5.1962 – 1 BvL 31/58, BVerfGE 14, 76 (97); v. 28.1.1970 – 1 BvL 4/67, BVerfGE 27, 375 (384); v. 1.4.1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 ff. (20); v. 20.4.2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 (289, 295); BFH v. 10.11.2009 – VII R 39/08, BFHE 227, 546; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, 72 f., 266; Englisch in FS Kirchhof, § 190 Rz. 7. 4 Die Entlastungsmöglichkeit gilt freilich nur für Mineralöl, nicht aber für Erdgas oder andere Energieerzeugnisse; zur Kritik an dieser bloß selektiven Entlastungsmöglichkeit; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1055; Hey/Hoffsümmer, UVR 2007, 60; Schaumburg in FS Reiß, 25 (41 ff.); sachliche Billigkeitsgründe wurden verneint vom BFH v. 17.12.1974 – VII R 111/72, BFHE 115, 2; v. 17.12.2013 – VII R 8/12, ZfZ 2014, 170. 5 Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski2, § 46 EnergieStG Rz. 1 ff.; Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht3, Kap. 9 Rz. 1; Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis3, 90. 6 Vgl. Art. 2 Abs. 1 EnergieStRL. 7 Zu Einzelheiten Alexander in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 1 EnergieStG Rz. 16 ff.; Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 1 EnergieStG Rz. 4 ff.; ferner Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, F 24 ff., dort auch zu in „dual use“-Prozessen verwendeten Energieerzeugnissen. 8 Das ist die Bundesrepublik Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG); beide Gebiete gehören weder zum Zollgebiet der Union (Art. 3 Abs. 1 ZK), noch zu ihrem Verbrauchsteuergebiet (Art. 5 Abs. 3 Buchst. a und b VStSystRL).

496 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.45a Kap. 11

steueranspruch für dem Steueraussetzungsverfahren unterliegende Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG) in der Regel1 erst zum Zeitpunkt der Überführung derselben in den steuerrechtlich freien Verkehr (§ 8 Abs. 1 EnergieStG). Ausgenommen hiervon sind solche Energieerzeugnisse, die zu anderen Zwecken als zur Verwendung als Kraft- und Heizstoffe (nichtenergetische Verwendung) verwendet werden. Hierfür kommt die Steuerbefreiung gem. § 25 Abs. 1 EnergieStG in Betracht. Dem Steueraussetzungsverfahren unterliegen schließlich nicht Kohle und Erdgas, für die Sonderregelungen gelten (Rz. 11.55 ff.). Das in § 5 Abs. 1 EnergieStG geregelte Steueraussetzungsverfahren – Lageraussetzungsverfahren und Beförderungsaussetzungsverfahren – ist dadurch gekennzeichnet, dass der Energiesteueranspruch für die betreffenden Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG)2 noch nicht entstanden ist, obwohl der Steuertatbestand (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG) bereits erfüllt ist.3 Hierdurch wird bewirkt, dass die Energiesteuer suspendiert ist, solange Energieerzeugnisse aus dem Steuerlager nicht zum freien Verkehr entnommen werden (§ 8 Abs. 1 EnergieStG). Im Kern geht es darum, innerhalb der Unternehmerkette, also im Rahmen des sogenannten Lager- und Beförderungsverfahrens, das Entstehen einer Energiesteuer zu vermeiden.4 Damit wird der Zeitpunkt der Steuerentstehung möglichst nah an die Abgabe der Energieerzeugnisse an den Verbraucher herangeführt.5 Im internationalen Kontext wird hierdurch zugleich das Bestimmungslandprinzip verwirklicht, weil das Steueraussetzungsverfahren, an dem nur Unternehmer6 teilnehmen können, auch grenzüberschreitend wirkt. Das gilt allerdings nur für das Beförderungsverfahren, das voraussetzt, dass die Beförderungen unter Anwendung eines bestimmten EDV-gestützten Beförderungs- und Kontrollsystem (EMCS)7 erfolgen (§ 9c EnergieStG).8

11.45

Das Lageraussetzungsverfahren (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 EnergieStG) betrifft sowohl Herstellungsbetriebe als auch Lager für Energieerzeugnisse (§ 5 Abs. 2 EnergieStG). Zu den als Steuerlager zu qualifizierenden Herstellungsbetrieben zählen insbesondere Raffinieren, in denen Rohöl weiterverarbeitet wird.9 Ein derartiger Herstellungsbetrieb wird allerdings nur dann als Steuerlager anerkannt, wenn hierfür eine entsprechende Erlaubnis des zuständigen Hauptzollamtes

11.45a

1 Weitere Steuerentstehungstatbestände sind Herstellung ohne Erlaubnis (§ 9 EnergieStG), Differenzbesteuerung (§ 20 EnergieStG), gekennzeichnete Energieerzeugnisse (§ 21 EnergieStG), Sonstiges (§§ 22, 23 EnergieStG), Vermischung versteuerter Energieerzeugnisse (§ 10 EnergieStV), Kohle (§§ 32, 36 EnergieStG), Erdgas (§§ 38, 42, 43 EnergieStG). 2 Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, C 57 f. mit Hinweis auf anderweitige Begrifflichkeiten wie steuerliche Verstrickung, steuerlicher Nexus oder steuerliche Gebundenheit. 3 Vgl. in diesem Sinne: EuGH v. 12.12.2001 – C-395/00, ECLI:EU:C:2002:751 = ZfZ 2003, 128, Rz. 41 – Cipriani; EuGH v. 28.1.2016 C-64/15, ECLI:EU:C:2016:62 = ZfZ 2016, 66, Rz. 22 – BP Europa. 4 Als Aufschub der Steuerpflicht bezeichnet von EuGH v. 28.1.2016 – C-64/15, ECLI:EU:C:2016:62 = ZfZ 2016, 66, Rz. 22 – BP Europa; EuGH v. 29.4.2010 – C-230/08, ECLI:EU:C:2010:231 = ZfZ 2010, 211, Rz. 78 – Dansk Transport og Logisitik. 5 Hierzu Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 5 EnergieStG Rz. 3; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, 144; Stobbe, Die Harmonisierung der besonderen Verbrauchsteuern in der EG (Teil 2), ZfZ 1993, 194 (197). 6 Herstellungs- und Lagerbetriebe (§§ 6, 7 EnergieStG). 7 Excise Movement and Control System; hierzu Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, C 92. 8 Zu Einzelheiten Jatzke in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 10 EnergieStG Rz. 12 ff.; Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht3, Kap. 9 Rz. 44 ff. Hinweis: § 9c EnergieStG ist betreffend die Streitkräfte eines anderen EU-Staates mit Wirkung zum 1.7.2022 geändert worden (Art. 12 Abs. 3 des ÄndG). 9 Jatzke in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 5 EnergieStG Rz. 22.

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Kap. 11 Rz. 11.45a | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

vorliegt (§ 6 Abs. 3 EnergieStG i.V.m. § 12 EnergieStV).1 Mit der Erlaubnis werden vom Hauptzollamt auch die für die Teilnahme am IT-Verfahren EMCS2 notwendigen Verbrauchsteuernummern vergeben.3 Zu den Lagerbetrieben gehören u.a. Großtankanlagen, also solche Lager, die insbesondere dem Großhandel dienen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG). Auch hier ist eine Erlaubnis durch das Hauptzollamt erforderlich (§ 7 Abs. 2 EnergieStG i.V.m. § 16 EnergieStV), um überhaupt am Steueraussetzungsverfahren teilnehmen zu können. Das Lageraussetzungsverfahren wird mit der Entnahme der Energieerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr beendet, womit zugleich die Energiesteuer entsteht (§ 8 Abs. 1 EnergieStG). Entsprechendes gilt, wenn die Erlaubnis zum Betrieb des Steuerlagers erlischt (§ 14 Abs. 5 EnergieStV).4

11.46

Die in der Praxis wichtigste Fallgruppe ist das Beförderungsaussetzungsverfahren, also die Beförderung von dem Steueraussetzungsverfahren unterliegenden Energieerzeugnissen (§ 4 EnergieStG) im Steuergebiet (§ 10 Abs. 1 EnergieStG).5 Angesprochen ist hiermit die Beförderung aus Steuerlagern in andere Steuerlager im Steuergebiet oder zu Begünstigten i.S.d. § 9c EnergieStG6 im Steuergebiet, die grundsätzlich zu keiner Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr führt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG).7 Das gilt auch im Anschluss an eine Lagerung. Im Bereich grenzüberschreitender Beförderungen spielen solche aus anderen und in andere EU-Mitgliedstaaten (§ 11 EnergieStG) eine besondere Rolle.8 Hiernach sind Beförderungen unter Steueraussetzung in andere EU-Mitgliedstaaten möglich, wobei es unschädlich ist, wenn über Drittländer9 oder Drittgebiete10 befördert wird (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 EnergieStG).11 Eine weitere Fallgruppe betrifft die Beförderung von dem Steueraussetzungsverfahren unterliegenden Energieerzeugnissen (§ 4 EnergieStG) aus anderen EU-Mitgliedstaaten (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG).12 Schließlich dürfen Energieerzeugnisse unter Steueraussetzung auch durch das Steuergebiet befördert werden, wenn die Beförderung in einem anderen EU-Mitgliedstaat beginnt und endet (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 EnergieStG). Im Ergebnis wird durch das grenzüberschreitende Beförderungsverfahren sichergestellt, dass jeweils die Energiesteuerbelastung in dem EU-Mitgliedstaat wirksam wird, in dem die dem Steueraussetzungsverfahren unterliegenden Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG) in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt werden.13 1 Zu Einzelheiten Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 6 EnergieStG Rz. 23 ff. 2 Es handelt sich hierbei um ein EDV-gestütztes Beförderungs- und Kontrollsystem für verbrauchsteuerliche Waren (Excise Movement and Control System). 3 Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 6 EnergieStG Rz. 31. 4 Vgl. die Neuregelung aufgrund der 7. VO zur Änderung von VerbrauchStVO v. 11.8.2021, BGBl. I 2021, 3602 (3646), die zum 1.7.2021 in Kraft getreten ist (Art. 7 Abs. 3 der ÄndVO). 5 Zu Einzelheiten Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, C 67 ff. 6 Hinweis: § 9c EnergieStG ist betreffend die Streitkräfte eines anderen EU-Staates mit Wirkung zum 1.7.2022 geändert worden (Art. 12 Abs. 3 des ÄndG). 7 Hierzu im Überblick Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht3, Kap. 9 Rz. 78 ff. 8 Hierzu im Überblick Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht3, Kap. 9 Rz. 96 ff. 9 § 1a Nr. 7 EnergieStG: Gebiete, die außerhalb des Verbrauchsteuergebiets der Europäischen Gemeinschaft liegen und nicht zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehören. 10 § 1a Nr. 6 EnergieStG: Gebiete, die außerhalb des Verbrauchsteuergebiets der Europäischen Gemeinschaft liegen, aber zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehören. 11 Zu steuerstrafrechtlichen Implikationen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Beförderungsverfahren Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 21.4 ff. 12 Die Beförderung über Drittländer oder Drittgebiete ist auch hier unschädlich. 13 Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht3, Kap. 9 Rz. 1; Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis3, 90; zu Fehlmengen, die regelmäßig erst im Empfangsstaat festgestellt werden EuGH v. 28.1.2016 – C-64/15, ECLI:EU:C:2016:62 = ZfZ 2016, 66 – BP Europa.

498 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.48a Kap. 11

Das Beförderungsverfahren gilt nicht nur innerhalb des Steuergebiets und im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten, sondern auch im Verhältnis zu Drittländern und Drittgebieten. Damit ist auch die Ausfuhr von Energieerzeugnissen unter Steueraussetzung zulässig (§ 13 EnergieStG).1 Im Hinblick darauf, dass die für die Ausfuhr bestimmten Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG) nicht nur den Regeln des Steueraussetzungsverfahrens, sondern auch des Zollverfahrens unterliegen, wird als Ort der Ausfuhr der Ort bezeichnet, an dem die Energieerzeugnisse das Verbrauchsteuergebiet der EU verlassen (§ 13 Abs. 1 EnergieStG).2 Das sind in aller Regel die Ausgangszollstellen, an denen die Energieerzeugnisse zu gestellen sind.3 Die ausgeführten Energieerzeugnisse unterliegen damit der im Drittland oder im Drittgebiet maßgeblichen Energiesteuer, womit das Bestimmungslandprinzip auch insoweit verwirklicht wird.

11.47

Das Steueraussetzungsverfahren (Beförderungsaussetzungsverfahren) kommt auch in den Fällen der Einfuhr4 aus Drittländern und Drittgebieten (§ 19 EnergieStG) zur Anwendung.5 Die Energiesteuer entsteht zwar im Grundsatz zum Zeitpunkt der Überführung der Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG) in den steuerrechtlich freien Verkehr durch die Einfuhr, das gilt aber dann nicht, wenn die Energieerzeugnisse unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung (§ 5 EnergieStG) überführt werden (§ 19b Abs. 1 EnergieStG).6 Angesprochen ist damit insbesondere der Fall, dass Energieerzeugnisse i.S.d. § 4 EnergieStG aus Drittländern, die sich in keinem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren befinden, unter Beachtung der allgemeinen Bestimmungen (§ 9d EnergieStG)7 unter Steueraussetzung etwas in das Steuergebiet (§ 10 Abs. 1 EnergieStG) oder zu einem Ort befördert werden, an dem die Energieerzeugnisse das Verbrauchsteuergebiet der EU verlassen (§ 13 EnergieStG). Insoweit ergibt sich aus § 19b Abs. 1 EnergieStG eine mit dem § 8 Abs. 1 EnergieStG vergleichbare Regelungssystematik (Rz. 11.45). Damit geht es auch in den Fällen der Einfuhr um die Verwirklichung des Bestimmungslandprinzips.

11.48

In allen Fällen des Beförderungsaussetzungsverfahrens ist zusätzlich erforderlich, dass zu dem im Rahmen des EMCS zu erstellenden elektronischen Verwaltungsdokuments (E-VD)8 bei Lieferungen an bestimmte begünstigte Empfänger9 eine Freistellungsbescheinigung10 ausgefertigt

11.48a

1 Vgl. die ab 13.2.2023 geltende Neuregelung (§ 67 Abs. 1 EnergieStG). 2 Erfasst wird infolgedessen auch die mittelbare Ausfuhr über andere EU-Mitgliedstaaten; vgl. die ab 13.2.2023 geltende Neuregelung (§ 67 Abs. 1 EnergieStG). 3 Hierzu Jatzke in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 13 EnergieStG Rz. 12 ff.; vgl. zur Ausfuhrbestätigung und Ausfuhrmeldung § 34 Abs. 5 EnergieStV; vgl. die ab 13.2.2023 geltende Neuregelung (§ 67 Abs. 1 EnergieStG). 4 Zu Einzelheiten Middendorp, ZfZ 2011, 1 ff. 5 Befinden sich die Energieerzeugnisse in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren, ist die Einfuhr erst durch die Entnahme aus diesen jeweiligen Nichterhebungsverfahren bewirkt (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG); hierzu Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht3, Kap. 11 Rz. 8 ff.; Hinweis: § 19 EnergieStG ist mit Wirkung zum 13.2.2023 aufgehoben worden (§ 67 Abs. 1 EnergieStG). 6 § 19b EnergieStG ist mit Wirkung ab 13.2.2023 geändert worden (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). 7 § 9b EnergieStG ist mit Wirkung ab 13.2.2023 geändert worden (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). 8 Hierzu Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 9d EnergieStG Rz. 22 ff.; zum Verfahren mittels EVD Soyk in Friedrich/Soyk, § 9d EnergieStG Rz. 9 ff.; Hinweis: § 9d EnergieStG ist mit Wirkung zum 13.2.2023 geändert worden (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). 9 Art. 12 Abs. 1 VStSystRL. 10 § 9d Abs. 2 EnergieStG; hierzu Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 9d EnergieStG Rz. 13 ff.; Soyk in Friedrich/Soyk, § 9d EnergieStG Rz. 29 ff.; Hinweis: § 9d EnergieStG ist mit Wirkung zum 13.2.2023 geändert worden (Art. 12 Abs. 1 ÄndG).

Schaumburg | 499

Kap. 11 Rz. 11.48a | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

und mitgeführt wird. Schließlich müssen sowohl Versender als auch Empfänger über die entsprechenden Erlaubnisse1 verfügen.2

3. Steuerrechtlich freier Verkehr 11.49

Energieerzeugnisse, die sich nicht im Steueraussetzungsverfahren befinden, sind im steuerrechtlich freien Verkehr (§ 1a Nr. 10 EnergieStG).3 Zu den Energieerzeugnissen, die dem Steueraussetzungsverfahren nicht unterworfen sind, gehören jene, die zwar in §§ 1 Abs. 2, 3 EnergieStG, nicht aber in § 4 EnergieStG aufgeführt sind.4 Diese Energieerzeugnisse befinden sich daher stets im steuerrechtlich freien Verkehr5 und lösen erst dann eine Energiesteuer aus, wenn sie in den Kraft- oder Heizstoffbereich gelangen (§ 23 Abs. 1 EnergieStG).6 Das gilt freilich nicht für Kohle und Erdgas (§ 23 Abs. 1 EnergieStG)7, für die eigenständige Regelungen (§§ 31–44 EnergieStG) bestehen (Rz. 11.55 ff.). Dem steuerrechtlich freien Verkehr unterliegen aber auch Energieerzeugnisse i.S.v. § 4 EnergieStG, wenn diese aus einem Verfahren der Steueraussetzung entnommen (§ 8 Abs. 1 EnergieStG) oder außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung hergestellt worden sind (§ 9 Abs. 1 EnergieStG). Damit entsteht zugleich die Energiesteuer, so dass insoweit grundsätzlich dem Bestimmungslandprinzip entsprochen wird. Das gilt allerdings nicht ohne weiteres in grenzüberschreitenden Fällen, für die folgende Besonderheiten von Bedeutung sind.

11.50

Der Bezug von Energieerzeugnissen i.S.v. § 4 EnergieStG aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen EU-Mitgliedstaats zu gewerblichen (unternehmerischen) Zwecken8 löst eine Energiesteuer aus (§ 15 EnergieStG).9 Soweit in dem anderen EU-Mitgliedstaat eine Energiesteuer etwa durch Entfernen aus dem Steuerlager (Art. 7 Abs. 1 VStSystRL) entstanden und erhoben worden ist, entsteht eine mit dem Verbrauchsteuercharakter der Energiesteuer unvereinbare Doppelbesteuerung, die nur dadurch vermieden werden kann, dass im Ursprungsland eine entsprechende Steuerentlastung vorgenommen wird (Art. 33 Abs. 6 VStSystRL). Hierfür ist ein Nachweis über die Anmeldung und Entrichtung der Energiesteuer im Steuergebiet er-

1 Vgl. § 6 Abs. 3, § 7 Abs. 2 EnergieStG. 2 Diese werden in der zentralen Stammdatenbank SEED (System of Exchange of Excise Data) hinterlegt (die nationale SEED-Datenbank wird beim Hauptzollamt Stuttgart geführt); hierzu Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 9d EnergieStG Rz. 20 f. 3 Soweit zusätzlich verlangt wird, dass auch ein zollrechtliches Nichterhebungsverfahren nicht gegeben ist, hat diese Regelung lediglich deklaratorische Bedeutung, weil Energieerzeugnisse ihren verbrauchsteuerrechtlichen Status ohnehin erst durch Entnahme aus dem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren erlangen; hierzu Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, vor § 15 EnergieStG Rz. 12 f.; Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, VerbrauchStR3, Rz. E2; Hinweis: § 1a Nr. 10 EnergieStG ist mit Wirkung zum 13.2.2023 geändert worden. 4 Vgl. hierzu die Übersicht bei Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 4 EnergieStG Rz. 4; Bongartz/ Schröer-Schallenberg, Das neue Energiesteuergesetz, 18. 5 Allgemein hierzu Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, C 95 ff. 6 Die Vorschrift ist ergänzt worden mit Wirkung ab 13.2.2023 (§ 67 Abs. 1 EnergieStG). 7 Die Vorschrift ist ergänzt worden mit Wirkung ab 13.2.2023 (§ 67 Abs. 1 EnergieStG). 8 In Abgrenzung zu privaten Zwecken sind gewerbliche Zwecke im Sinne von unternehmerischen Zwecken zu verstehen; Milewski in Möhlenkamp/Milewski2, § 15 EnergieStG Rz. 5 f.; in diesem Sinne auch die ab 13.2.2013 geltende Legaldefinition in § 15 Satz 1 EnergieStG; a.A. Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 15 EnergieStG Rz. 17, der auf eine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit abstellt. 9 Die Vorschrift ist geändert worden mit Wirkung ab 13.2.2023 (§ 67 Abs. 1 EnergieStG).

500 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.53 Kap. 11

forderlich. Eine Energiesteuer wird allerdings im Steuergebiet dann nicht ausgelöst, wenn die in das Steuergebiet verbrachten Energieerzeugnisse für einen anderen EU-Mitgliedstaat bestimmt sind (§ 15 Abs. 2 Satz 2 EnergieStG).1 Diese (steuerneutrale) Durchfuhr muss allerdings durch entsprechende Begleitdokumente2 belegt werden. Abgesehen von den in Betracht kommenden Steuerbefreiungen (§ 25 EnergieStG) entsteht eine Energiesteuer nicht für Energieerzeugnisse, die in Kraftstoffbehältern von Nutzfahrzeugen enthalten und als Kraftstoff für diese Fahrzeuge bestimmt sind (§ 18 Abs. 2 Nr. 4.5 EnergieStG). Aus Vereinfachungsgründen – der freie Verkehr von Personen und Waren innerhalb der EU soll nicht beeinträchtigt werden – wird insoweit das Bestimmungslandprinzip suspendiert.3

11.51

Das Verbringen von Energieerzeugnissen (i.S.v. § 4 EnergieStG) des steuerrechtlich freien Verkehrs aus dem Steuergebiet in einen anderen EU-Mitgliedstaat führt im Grundsatz ebenfalls zu einer Doppelbesteuerung, die allerdings durch eine Steuerentlastung gem. § 46 EnergieStG vermieden werden kann. Hiernach wird auf Antrag ein Erlass, eine Erstattung oder Vergütung gewährt, wenn die Energieerzeugnisse in dem anderen EU-Mitgliedstaat nachweislich versteuert4 worden sind (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 EnergieStG). Voraussetzung ist unter anderem, dass die betreffenden Energieerzeugnisse zu gewerblichen (unternehmerischen) Zwecken5 in den anderen EU-Mitgliedstaat verbracht worden sind.6 Abzustellen ist hierbei darauf, ob in dem Bestimmungsmitgliedstaat mit dem Energieerzeugnis ein gewerblicher (unternehmerischer) Zweck verfolgt wird, wodurch in dem anderen Staat eine Besteuerung ausgelöst wird (Art. 33 Abs. 1 VStSystRL). Ob derjenige, der die Energieerzeugnisse aus dem Steuergebiet in den anderen EU-Mitgliedstaat verbringt, ein Unternehmer oder eine Privatperson ist, spielt keine Rolle.7 Durch dieses grenzüberschreitende Entlastungssystem wird im Ergebnis das auch für die Energiesteuer maßgebliche Bestimmungslandprinzip verwirklicht. Zu einer hiermit nicht zu vereinbarenden Doppelbesteuerung kommt es freilich dann, wenn die maßgeblichen Antragsfristen versäumt und/oder der Antrag nicht auf amtlich vorgeschriebenen Vordruck gestellt wurde.8

11.52

Werden von einer Privatperson für ihren Eigenbedarf in einem anderen EU-Mitgliedstaat Energieerzeugnisse i.S.d. § 4 EnergieStG im steuerrechtlich freien Verkehr erworben und selbst in das Steuergebiet befördert, unterbleibt eine Besteuerung im Steuergebiet (§ 16 Abs. 1

11.53

1 Mit Wirkung ab 13.2.2023 (§ 67 Abs. 1 EnergieStG) § 15 Satz 1 EnergieStG. 2 Vgl. Art. 34 VStSystRL. 3 Zu den einzelnen Voraussetzungen – insbesondere zum Tatbestandsmerkmal „Kraftstoffe in Hauptbehältern von Fahrzeugen“ ist eine umfangreiche Rechtsprechung – auch des EuGH – ergangen; vgl. hierzu die Rechtsprechungsübersicht bei Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 15 EnergieStG Rz. 63 ff. 4 Eine bloße Steuerentstehung reicht nicht aus; Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 45 EnergieStG Rz. 8; Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski, § 45 EnergieStG Rz. 9. 5 Eine Einnahmeerzielungsabsicht gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG reicht aus; Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski2, § 46 EnergieStG Rz. 14. 6 Mit Wirkung ab 13.2.2023 (§ 67 Abs. 1 EnergieStG) wird in § 46 Abs. 1 EnergieStG auf § 15c und § 18 EnergieStG Bezug genommen. 7 Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 46 EnergieStG Rz. 6; Soyk, Energie und Stromsteuerrecht3, Kap. 12 Rz. 13. 8 Zu Einzelheiten Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 45 EnergieStG Rz. 11 ff.

Schaumburg | 501

Kap. 11 Rz. 11.53 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

Satz 1 EnergieStG).1 Mit dieser Regelung wird aus Gründen der Vereinfachung das Bestimmungslandprinzip suspendiert. Es verbleibt insoweit beim Ursprungslandprinzip.2 Zugleich wird hierdurch eine Doppelbesteuerung vermieden.3 Werden die Energieerzeugnisse von der Privatperson nicht selbst in das Steuergebiet befördert, entsteht dagegen die Energiesteuer, die von der Privatperson selbst geschuldet wird (§ 16 Abs. 2 Satz 2 EnergieStG).4 Entsprechendes gilt auch für den umgekehrten Fall, in dem eine Privatperson entsprechende Energieerzeugnisse im Steuergebiet erwirbt und in einen anderen EU-Mitgliedstaat befördert (Art. 32 VStSystRL).

11.54

§ 18 EnergieStG enthält schließlich eine Sonderregelung für den Versandhandel5 mit Energieerzeugnissen i.S.d. § 4 EnergieStG. Für Lieferungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten an Privatpersonen im Steuergebiet entsteht die Steuer mit der Auslieferung an die Privatperson (§ 18 Abs. 2 EnergieStG).6 Auch hierdurch wird systemgerecht das Bestimmungslandprinzip umgesetzt. Im Unterschied zu § 15 EnergieStG ist es nicht der Bezieher der Energieerzeugnisse, sondern der Beauftragte des Versenders oder der Versender selbst, der die Energiesteuer schuldet. Entsprechendes gilt umgekehrt für den Versandhandel in andere EU-Mitgliedstaaten. § 18 Abs. 6 EnergieStG enthält allerdings insoweit eine Sonderregelung, als derartige Lieferungen im Versandhandel vorher dem zuständigen Hauptzollamt anzuzeigen sind. Darüber hinaus besteht auch die Pflicht, Aufzeichnungen über die gelieferten Energieerzeugnisse zu führen. Der Versandhandel in andere EU-Mitgliedstaaten führt im Grundsatz zu einer Doppelbesteuerung, die im Zuge des in § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG verankerten Entlastungsverfahrens vermieden bzw. aufgehoben werden kann.

4. Sondervorschriften für Kohle und Erdgas 11.55

Kohle und Erdgas zählen nicht zu den in § 4 EnergieStG aufgeführten Energieerzeugnissen, so dass sie auch nicht dem Steueraussetzungsverfahren (§ 5 EnergieStG) unterliegen. Für sie enthalten die §§ 31 ff. EnergieStG Sonderregelungen, die im Grundsatz ebenfalls gewährleisten, dass das Bestimmungslandprinzip zur Anwendung kommt.

11.56

Für die Lieferung von Kohle enthält § 32 Abs. 1 EnergieStG den Grundtatbestand, wonach auf die Verschaffung der Verfügungsmacht7 im Steuergebiet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG) abgestellt wird. Steuerschuldner ist hierbei der Kohlelieferer, sofern er im Steuergebiet ansässig ist, anderenfalls ist es der Empfänger der Kohlelieferung (§ 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG). Die Kohlelieferung innerhalb einer Unternehmerkette löst allerdings dann keine Energiesteuer aus, wenn es den Beteiligten – Kohlelieferer oder Inhaber eines Kohlebetriebs – auf Antrag erlaubt ist, die Kohle steuerfrei zu beziehen (§ 31 Abs. 4 EnergieStG). Damit entsteht

1 Der verwendete Begriff „Steuerfreiheit“ ist missverständlich, weil es insoweit bereits an einem Steuerentstehungstatbestand fehlt; vgl. Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 16 EnergieStG Rz. 3. 2 Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 16 EnergieStG Rz. 1; Soyk in Friedrich/Meißner, § 16 EnergieStG Rz. 1. 3 Die Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr hat bereits in dem anderen EU-Mitgliedstaat der Besteuerung unterlegen (Art. 7 VStSystRL). 4 Insoweit wirkt die Energiesteuer ausnahmsweise als direkte Verbrauchsteuer. 5 Zu Einzelheiten Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, C 106 ff. 6 Vgl. die Neuregelung ab 13.2.2023 (§ 67 Abs. 1 EnergieStG). 7 Begriffsbildung entsprechend § 3 Abs. 1 UStG, vgl. Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski2, § 32 EnergieStG Rz. 6.

502 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.60 Kap. 11

die Steuer erst auf der letzten Handelsstufe bei der Lieferung an den Endverbraucher, womit das Bestimmungslandprinzip verwirklicht und dem Verbrauchsteuercharakter der Energiesteuer entsprochen wird. Für das Verbringen von Kohle aus einem EU-Mitgliedstaat in das Steuergebiet (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG) verweist § 34 EnergieStG auf die Regelungen der §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und 18 EnergieStG.1 Das bedeutet: Wird die Kohle zu gewerblichen (unternehmerischen) Zwecken verbracht, ist der Bezieher der Kohle Steuerschuldner, soweit er keine Erlaubnis als Kohlehändler oder Kohlelieferer vorweisen kann (§ 34 Satz 1 Halbs. 2 EnergieStG). Damit wird auch hierdurch sichergestellt, dass die Energiesteuer erst auf der letzten Handelsstufe belastend wirkt. Handelt es sich um ein rechtsgeschäftsloses Verbringen, etwa aus der in einem anderen EU-Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte in das Stammhaus im Steuergebiet, gilt entsprechendes.2 Wird die Kohle für private Zwecke in das Steuergebiet verbracht, unterbleibt eine Besteuerung (§ 34 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG).3 Insoweit gilt aus Vereinfachungsgründen das Ursprungslandprinzip.4 Voraussetzung ist allerdings, dass die zum Eigenbedarf bestimmte Kohle durch die Privatperson selbst in das Steuergebiet befördert wird.5 Gelangt schließlich die Kohle im Versandhandel aus einem anderen EU-Mitgliedstaat an eine im Steuergebiet ansässige Privatperson, entsteht die Energiesteuer mit Auslieferung an dieselbe (§ 34 i.V.m. § 18 EnergieStG), so dass wiederum das Bestimmungslandprinzip zur Geltung kommt.

11.57

Wird Kohle aus Drittländern oder Drittgebieten in das Steuergebiet eingeführt (Einfuhr) und gelangt sie dadurch in den steuerrechtlich freien Verkehr, entsteht die Energiesteuer gem. § 35 i.V.m. § 19b EnergieStG. Das gilt allerdings nicht, wenn die Einfuhr an einen Erlaubnisinhaber (§ 31 Abs. 4 EnergieStG) erfolgt (§ 35 EnergieStG).6

11.58

Wird die Kohle zu gewerblichen Zwecken aus dem Steuergebiet verbracht oder ausgeführt (Ausfuhr), wird dem Bestimmungslandprinzip dadurch entsprochen, dass auf Antrag eine Steuerentlastung gewährt wird (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG). Eine derartige Entlastung kommt aber nur in den Fällen in Betracht, in denen die Lieferungen an ausländische Kohlelieferer nicht schon deshalb steuerfrei sind, weil sie eine Erlaubnis zum steuerfreien Bezug im Inland (§ 31 Abs. 4 EnergieStG) haben.7

11.59

Die für Kohlelieferungen maßgeblichen Grundsätze gelten auch für Erdgas. Im Regelfall, also für leitungsgebundenes Erdgas, entsteht die Steuer durch Entnahme im Steuergebiet aus dem Leitungsnetz zum Verbrauch (§ 38 Abs. 1 EnergieStG). Wo das Erdgas in das Leitungsnetz eingespeist worden ist, woher es also stammt, ist für die Steuerentstehung ohne Bedeutung.8

11.60

1 In der ab 13.2.2023 geltenden Fassung Verweis auf §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 1, §§ 18, 18b, 18c EnergieStG. 2 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 34 EnergieStG Rz. 6; Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski2, § 34 EnergieStG Rz. 12. 3 Mit Wirkung ab 13.2.2023 Verweis auf §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG. 4 Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski2, § 34 EnergieStG Rz. 20. 5 EuGH v. 23.11.2006 – C-5/05, ECLI:EU:C:2006:733 = Slg. 2006, I-11075 – Joustra; Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 34 EnergieStG Rz. 9. 6 Zu Einzelheiten Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 35 EnergieStG Rz. 7 f. 7 Hierzu Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski2, § 32 EnergieStG Rz. 11. 8 Soyk in Friedrich/Meißner, § 38 EnergieStG Rz. 9; Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht3, Kap. 7 Rz. 197.

Schaumburg | 503

Kap. 11 Rz. 11.60 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

Im Regelfall ist der im Steuergebiet ansässige Lieferer Steuerschuldner (§ 38 Abs. 2 Nr. 1 EnergieStG). Ist der Lieferer nicht im Steuergebiet ansässig, ist derjenige Steuerschuldner, der das Erdgas dem Leistungsnetz entnimmt (§ 38 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG). Der Entnehmende ist schließlich Steuerschuldner auch in den Fällen der Entnahme zum Selbstverbrauch, so dass insoweit die Energiesteuer (ausnahmsweise) den Charakter einer direkten Verbrauchsteuer annimmt.1

11.61

Anders ist die Rechtslage bei nicht leitungsgebundenem Erdgas. Wird dieses aus einem EUMitgliedstaat in das Steuergebiet verbracht, gelten die §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und § 18 EnergieStG2 sinngemäß (§ 40 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG). Das bedeutet, dass in den Fällen des Verbringens zu gewerblichen (unternehmerischen) Zwecken die Steuer mit Inbesitznahme entsteht (§ 40 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 1 EnergieStG). Wird das nicht leitungsgebundene Erdgas zu privaten Zwecken in das Steuergebiet befördert, unterbleibt eine Besteuerung (§ 40 Abs. 1 i.V.m. § 16 Abs. 1 EnergieStG), womit es aus Vereinfachungsgründen beim Ursprungslandprinzip verbleibt.3 Soweit (ausnahmsweise) nicht leitungsgebundenes Erdgas im Versandhandel geliefert wird, entsteht die Energiesteuer mit Anlieferung des Erdgases an die Privatperson im Steuergebiet (§ 40 Abs. 1 i.V.m. § 18 EnergieStG). Insoweit gilt also wiederum das Bestimmungslandprinzip. Wird nicht leitungsgebundenes Erdgas aus Drittländern oder Drittgebieten in das Steuergebiet eingeführt (Einfuhr), entsteht die Steuer zum Zeitpunkt der Überführung des Erdgases in den steuerrechtlich freien Verkehr (§ 41 Abs. 1 i.V.m. § 19b Abs. 1 EnergieStG).

11.62

Wird nachweislich versteuertes Erdgas zu gewerblichen (unternehmerischen) Zwecken aus dem Steuergebiet verbracht oder ausgeführt (Ausfuhr), besteht auf Antrag ein Anspruch auf Entlastung von der Energiesteuer (§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EnergieStG). Diese Entlastungsvorschrift, die der Verwirklichung des Bestimmungslandprinzips dient, hat indessen praktische Bedeutung nur für nicht leitungsgebundenes Erdgas4, da leitungsgebundenes Erdgas erst mit der Entnahme im Steuergebiet zum Verbrauch eine Energiesteuer auslöst. Eine entsprechende Entnahme außerhalb des Steuergebietes bleibt unversteuert.5

II. Stromsteuer Literatur: Kommentare zum StromStG; Bongartz/Schröer-Schallenberg, Die Stromsteuer – Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht und nationales Verfassungsrecht ?, DStR 1999, 962; Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap. J; Eichhorn/Utescher-Dabitz, Die Besteuerung von Strom, Erdgas und Kohle, Frankfurt 2009; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, Rz. 18.116 f.; Friedrich, Das Gesetz zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform, DB 2003, 309; Hidien, Neue Steuern braucht das Land? – Anmerkungen zur geplanten Stromsteuer, BB 1999, 341; Jatzke, Die Stromsteuer – eine Anomalie im landesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuerecht, DStZ 1999, 520; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016, F 1 ff.; Jesse, Entstehung, Geltendmachung und Verjährung von Stromsteuervergütungsansprüchen, BB 2015, 2711; Schmidtke/Jansen, Änderungen im Energie- und Stromsteuerrecht zum Jahr 2011, ZfZ 2010, 286; Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht, 3. Aufl. Köln 2013, Teil 3; Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis, 3. Aufl. Köln 2015; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, 1097 ff.;

1 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 38 EnergieStG Rz. 40. 2 Mit Wirkung ab 13.2.2023 statt Verweis auf § 18 EnergieStG Verweis auf §§ 18, 18b und 18c EnergieStG. 3 Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski2, § 40 EnergieStG Rz. 20. 4 Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 46 EnergieStG Rz. 18 f. 5 Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 46 EnergieStG Rz. 19.

504 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.65 Kap. 11 Westhoff, Stromsteuerentlastung: Neuregelungen und Standard-Risiken bei Außenprüfungen, DB 2016, 206.

Ebenso wie die Energiesteuer zählt auch die Stromsteuer zu den harmonisierten Verbrauchsteuern.1 Entsprechend ihrem Charakter als Verbrauchsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 3 StromStG) ist die Stromsteuer auf Überwälzung angelegt, so dass letztlich der Verbraucher belastet ist. Indessen unterliegt der Stromsteuer aber nicht nur der konsumtive, sondern auch der produktive Stromverbrauch, so dass insoweit die Stromsteuer nach Art einer Produktionsmittelsteuer (systemwidrig) Unternehmen belastet.2 Eine Steuerentlastung wird allerdings für Unternehmen des produzierenden Gewerbes und der Land- und Forstwirtschaft gewährt (§ 9b StromStG).3 Die Stromsteuer ist zugleich auch eine so genannte Öko-Steuer, die auf den sparsamen Umgang mit Strom sowie auf die Förderung von Strom unter Nutzung erneuerbarer Energieträger – Steuerbefreiung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG) – abzielt.4

11.63

Die für die Steuerentstehung maßgebliche Grundlagennorm ist § 5 Abs. 1 StromStG, wonach die Steuer entsteht, wenn ein Letztverbraucher im Steuergebiet Strom aus dem Versorgungsnetz zum Verbrauch entnimmt. Letztverbraucher können hierbei natürliche oder juristische Personen sein, die Energie für den eigenen Verbrauch erwerben.5 Die Steuerentstehung setzt allerdings voraus, dass der Versorger im Steuergebiet ansässig ist. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen ist hierbei auf den Wohnsitz (§ 8 AO), gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO), auf den Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder den Sitz (§ 11 AO) abzustellen. Unterhält daher ein ausländischer Versorger im Steuergebiet lediglich eine Betriebsstätte (§ 12 AO), ist für die Stromentnahme nicht § 5 StromStG, sondern allenfalls § 7 StromStG (Rz. 11.65) einschlägig.6 Wo der Strom in das Versorgungsnetz eingespeist worden ist, spielt für die Anwendung des § 5 StromStG keine Rolle, so dass der Stromimport durch inländische Versorger stets von der Reichweite des § 5 Abs. 1 StromStG erfasst wird. Unter verbrauchsteuerrechtlichen Gesichtspunkten ist diese Anknüpfung sachgerecht, falls der entsprechende Stromexport im Ausland keiner Stromsteuerbelastung ausgesetzt ist.7 Da der Strom im Leitungsnetz unversteuert ist, unterliegt neben der (rechtsgeschäftlichen) Entnahme des Stroms aus dem Leitungsnetz folgerichtig auch die Entnahme zum Selbstverbrauch durch den Versorger der Stromsteuer (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 EnergieStG).

11.64

Neben der Stromversorgung durch im Steuergebiet ansässige Versorger wird auch die Stromlieferung durch ausländische Versorger mit Stromsteuer belastet (§ 7 Satz 1 StromStG). Inso-

11.65

1 Vgl. die bis auf § 1 Abs. 2 StromStG, der ab 13.2.2023 in Kraft treten wird, die ab 1.7.2022 geltende Neuregelung durch das Siebte Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen v. 30.3.2021, BGBl. I 2021, 607. 2 Gebilligt vom BVerfG v. 20.4.2004 – 1 BvR 1748/99, 905/90, BVerfGE 110, 274 (296); zur Kritik Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.130. 3 Zu Einzelheiten Jesse, BB 2015, 2711; Westhoff, DB 2016, 206. 4 Vgl. hierzu Wundrack in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 9 StromStG Rz. 4 f.; Friedrich in Friedrich/Meißner, § 9 StromStG Rz. 12 ff.; zur Rechtfertigung Tipke, Die Steuerrechtsordnung II2, 1097 f. 5 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 5 StromStG Rz. 19. 6 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 7 StromStG Rz. 8; a.A. Köthe in Friedrich/Meißner, § 5 StromStG Rz. 11; Möhlenkamp in Möhlenkamp/Milewski2, § 8 StromStG Rz. 5; wonach eine Betriebstätte als Anknüpfungspunkt für die (inländische) Ansässigkeit angesehen wird. 7 Hinweis: Der Stromexport aus dem Steuergebiet unterliegt nicht der (deutschen) Stromsteuer; vgl. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 7 StromStG Rz. 1.

Schaumburg | 505

Kap. 11 Rz. 11.65 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

weit handelt es sich um eine tatbestandliche Ergänzung zu § 5 Abs. 1 StromStG, wonach nur die Stromlieferung von im Steuergebiet ansässigen Versorgern besteuert wird.1 Woher der Strom stammt, ist hierbei ohne Bedeutung.2 Entscheidend ist also allein, dass der Strom in das Steuergebiet geliefert wird.

11.66

Während im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 StromStG der im Steuergebiet ansässige Versorger der Steuerschuldner ist (§ 5 Abs. 2 StromStG), wird beim gem. § 7 Satz 1 StromStG steuerbaren Strombezug der Letztverbraucher als Steuerschuldner herangezogen (§ 7 Satz 2 StromStG). Insoweit ist die Stromsteuer (ausnahmsweise) als direkte Verbrauchsteuer ausgestaltet.3

III. Tabaksteuer Literatur: Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap. K; Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2020, Rz. 20.55 ff.; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, Rz. 18.111; Jarsombeck, Irrungen und Wirrungen im Tabaksteuerrecht, ZfZ 1998, 69; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016, E 1 ff.; Jatzke in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, München 2019, 309 ff.; Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, Frankfurt 2005; F. Kirchhof, Die steuerrechtliche Doppelbelastung der Zigaretten, Berlin 1990; Köthe/Knoll, Die Besteuerung von Tabakwaren in Deutschland, BB 2015, 1174; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, München 2018, § 8 Rz. 665 ff.; Middendorp, Verbringen von Tabakwaren des steuerrechtlich freien Verkehrs anderer Mitgliedstaaten, ZfZ 2011, 197; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, 1076 ff.

11.67

Die im Tabaksteuergesetz geregelte Tabaksteuer ist eine auf der Grundlage der Verbrauchsteuersystemrichtlinie (Rz. 3.97 ff.)4 und der Tabaksteuerrichtlinie5 harmonisierte Verbrauchsteuer.6 Sie belastet den Tabakkonsum, womit zugleich die gesundheitspolitische Ausrichtung7 der Tabaksteuer, erkennbar wird. Sie ist insoweit als Lenkungsteuer zu qualifizieren.8

11.68

Als (indirekte) Verbrauchsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 2 TabStG) ist die Tabaksteuer darauf gerichtet, die konsumtive Verwendung von Einkommen bzw. Vermögen zu erfassen. Im Hinblick darauf ist die Tabaksteuer wie auch die übrigen Verbrauchsteuern auf Überwälzung angelegt.9 Die

1 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 7 StromStG Rz. 2; Köthe in Friedrich/Meißner, § 7 StromStG Rz. 1. 2 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 7 StromStG Rz. 9; Köthe in Friedrich/Meißner, § 7 StromStG Rz. 9. 3 Das ist mit dem Verbrauchsteuercharakter durchaus vereinbar; vgl. Bongartz/Schröer-Schallenberg, DStR 1999, 962 (968). 4 RL 2008/118/EG v. 16.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. 9, 12 mit Wirkung ab 16.1.2009; ersetzt durch die RL (EU) 2020/262 v. 19.12.2019 zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems, ABl. EU 2020 Nr. L 58, 4; hierzu Bongartz, ZfZ 2020, 218 und zu den entsprechend geänderten Verbrauchsteuergesetzen (Siebtes Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen v. 30.3.2021, BGBl. I 2021, 607), das hinsichtlich des TabStG bis auf § 35 Abs. 1 Nr. 4, der am 1.7.2021 und § 9 Abs. 1, 2, der am 1.7.2022 in Kraft tritt, ab 13.2.2023 zur Anwendung kommt; vgl. hierzu Soyk, ZfZ 2021, 98. 5 RL 2011/64/EU über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren v. 21.6.2011, ABl. EU, Nr. L 176, 24. 6 Zu Einzelheiten Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 20.55. 7 Vgl. BT-Drucks. 9/844, 8. 8 Zu Einzelheiten Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, 140 ff.; zur mangelnden Folgerichtigkeit Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.129. 9 Vgl. hierzu Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, 137 ff.; Jatzke, ZfZ 2011, 109 (110 f.).

506 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.71 Kap. 11

Überwälzbarkeit ist zwar in Orientierung an den steuerlichen Belastungsgrund ein Typus bestimmendes Wesensmerkmal,1 es ist aber nicht erforderlich, dass die Überwälzbarkeit normativ gewährleistet ist.2 Gelingt die Überwälzung nicht,3 mutiert die Tabaksteuer planwidrig zu einer Unternehmensteuer.4 Der Tabaksteuer unterliegen vor allem Zigaretten, Zigarren, Zigarillos und Rauchtabak (§ 1 Abs. 2 TabStG) im Steuergebiet.5 Die Steuer entsteht, wenn die Tabakwaren6 in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt werden, es sei denn, es schließt sich eine Steuerbefreiung an (§ 15 Abs. 1 TabStG). Damit wird die Steuerentstehung nah an den Verbrauch herangeführt, so dass z.B. die Herstellung und der Handel von Tabakwaren innerhalb der Unternehmerkette keine Tabaksteuer auslöst. Diesem Zweck dient das Steueraussetzungsverfahren, in dessen Rahmen Tabakwaren (unversteuert) hergestellt, bearbeitet oder verarbeitet, gelagert, empfangen oder versandt und befördert werden dürfen.

11.69

Das Steueraussetzungsverfahren gilt auch grenzüberschreitend. Im Vordergrund steht hierbei das Beförderungsverfahren, wonach Tabakwaren unter Steueraussetzung, auch über Drittländer oder Drittgebiete, befördert werden dürfen aus anderen, in andere oder über andere EU-Mitgliedstaaten (§ 12 Abs. 1 TabStG). Im Hinblick darauf dürfen Steuerlagerinhaber (§ 6 TabStG), registrierte Empfänger (§ 7 TabStG) sowie Begünstigte (§ 9 TabStG)7 Tabakwaren ohne steuerliche Belastung aus anderen EU-Mitgliedstaaten beziehen (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 TabStG). Da registrierte Empfänger nicht berechtigt sind, unter Steueraussetzung zu lagern oder unter Steueraussetzung die Tabakwaren an Dritte abzugeben, entsteht die Tabaksteuer mit der Aufnahme in den Betrieb des registrierten Empfängers (§ 15 Abs. 2 Nr. 3 TabStG). In diesem Zeitpunkt müssen die Steuerzeichen bereits verwendet sein (§ 17 Abs. 1 Satz 3 TabStG).8

11.70

Neben der Beförderung unter Steueraussetzung in andere EU-Mitgliedsländer (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 TabStG) ist eine Beförderung unter Steueraussetzung auch im Falle der Ausfuhr zulässig (§ 13 Abs. 1 TabStG).9 Voraussetzung hierfür ist die Beförderung aus einem Steuerlager im Steuergebiet oder von registrierten Versendern vom Ort der Einfuhr im Steuergebiet (§ 13 Abs. 1 TabStG).10 Soweit die Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen bereits entrichtet worden ist, kommt ein Erlass und die Erstattung in Betracht (§ 32 Abs. 1 TabStG).11 Hierdurch wird im Ergebnis das Bestimmungslandprinzip umgesetzt.

11.71

1 Kirchhof, HStR V3, § 118 Rz. 247; Schaumburg in FS Reiß, 25 (37 f.), Englisch in FS Kirchhof, § 190 Rz. 7. 2 BVerfG v. 10.5.1962 – 1 BvL 31/58, BVerfGE 14, 76 (97); v. 28.1.1970 – 1 BvL 4/67, BVerfGE 27, 375 (384); v. 1.4.1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 ff. (20); v. 20.4.2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 (289, 295); Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, 72 f., 266. 3 Eine in § 60 EnergieStG vergleichbare Regelung fehlt. 4 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1054 f.; Schaumburg in FS Reiß, 25 (41). 5 Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Tabaksteuergesetz). 6 Zu den Begrifflichkeiten Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, E 3 ff. 7 § 9 TabStG ist mit Wirkung zum 1.7.2022 geändert worden (Art. 12 Abs. 3 ÄndG). 8 Vgl. hierzu Bongartz, Verbrauchsteuerrecht3, Rz. K 90 ff. 9 § 13 Abs. 1 TabStG ist mit Wirkung ab 13.2.2023 geändert worden (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). 10 § 13 Abs. 1 TabStG ist mit Wirkung ab 13.2.2023 geändert worden (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). 11 Zu Einzelheiten Bongartz in Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, K 111 ff.

Schaumburg | 507

Kap. 11 Rz. 11.72 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

11.72

Im Falle der Einfuhr (§ 19 TabStG)1 entsteht die Tabaksteuer ohne weiteres, es sei denn, die Tabakwaren werden unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt oder es schließt sich eine Steuerbefreiung an (§ 21 Abs. 1 Satz 1 TabStG). Befinden sich die Tabakwaren allerdings in einem zollrechtlichen Nicht-Erhebungsverfahren, ist eine Einfuhr nicht gegeben (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 TabStG), so dass die Entstehung der Tabaksteuer bis zur Entnahme aus diesem Verfahren hinausgeschoben wird (Suspensiveffekt).2

11.73

Werden Tabakwaren aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen EU-Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbracht, ist wie folgt zu differenzieren: Wurden die Tabakwaren von Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erworben, wird keine Tabaksteuer ausgelöst (Steuerfreiheit), wenn die Privatperson die Tabakwaren persönlich in das Steuergebiet verbringt (§ 22 Abs. 1 TabStG). Mit dieser Regelung verbleibt es aus Vereinfachungsgründen beim Ursprungslandprinzip. Das gilt aber nur dann, wenn bestimmte Mengen nicht überschritten werden.3 Werden Tabakwaren zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder dorthin versandt (Versandhandel), entsteht die Tabaksteuer, wenn die Tabakwaren erstmals4 zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden (§ 23 Abs. 1 Tabaksteuergesetz).5 Hierdurch kann es im Ergebnis zu einer Doppelbesteuerung kommen, falls die Tabakwaren in dem anderen EUMitgliedstaat beim Verbringen aus dem dortigen Steuergebiet nicht entsteuert worden sind.6

IV. Alkoholsteuern Literatur: Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, Rz. 18.113 f.; Esser, Das Alkoholsteuergesetz mit der verbrauchsteuerrechtlichen Anschlussregelung zum Ende des deutschen Branntweinmonopols, ZfZ 2013, 225; Falthauser, Die Harmonisierung der speziellen Verbrauchsteuern in der EG am Beispiel der Biersteuer, DStZ 1993, 17; Jatzke, Der Alkohol im Steuerrecht, ZfZ 2015, 90; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, München 2016, D 1 ff.; Jarsombeck, Ist die Struktur der Biersteuer in der EU harmonisiert?, ZfZ 2002, 186; Pfab, Rechtsfragen rund um das Alkopopsteuergesetz (AlkopopStG) ZfZ 2005, 110; Pfab, Die Besteuerung von Alkopops, ZfZ 2004, 329; Pfab, Die Besteuerung von „Alkopops“, DStZ 2006, 249; Schaumburg in Festschrift Reiß, 25 (39 f.); SchröerSchallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap G und M; Süß, Die Alkoholsteuer, Köln 2019; Biehl, Irrungen und Wirrungen im Branntweinsteuerrecht, ZfZ 2015, 205; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. Köln 2003, 1058.

1 § 19 TabStG wird mit Wirkung zum 13.2.2023 aufgehoben (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). 2 Vgl. Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, E 93 ff. 3 Mengenbegrenzung auf 800 Zigaretten, 200 Zigarren, 400 Zigarillos oder ein Kilogramm Rauchtabak gem. § 22 Abs. 4 i.V.m. § 39 TabStV; die mengenmäßigen Kriterien sind allerdings unionsrechtlich problematisch; vgl. EuGH v. 14.3.2013 – C-216/11, ECLI:EU:C:2013:162 = ZfZ 2013, 136 – Kommission/Frankreich. 4 Vgl. BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644; dagegen BFH v. 12.12.2012 – VII R 44/11, BFH/NV 2013, 860, wonach jeder Steuerschuldner ist, der (später) mit der unversteuerten Ware angetroffen wird. 5 § 23 Abs. 1 TabStG ist neu gefasst mit Wirkung ab 13.2.2023, es sei denn die Beförderung im steuerrechtlich freien Verkehr hat vorher schon begonnen (Art. 12 Abs. 1 ÄndG i.V.m. § 38 Abs. 1 TabStG); zu steuerstrafrechtlichen Implikationen in diesem Zusammenhang Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 22.1 ff. 6 Entsprechend § 32 Abs. 1 Satz 1 TabStG.

508 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.75 Kap. 11

1. Selektive Besteuerung Die Alkoholsteuern1 betreffen die Alkoholsteuer,2 Schaumweinsteuer und Biersteuer als harmonisierte Verbrauchsteuern3 sowie die nicht harmonisierte Alkopopsteuer. Entsprechend ihrem Verbrauchsteuercharakter belasten die vorgenannten Alkoholsteuern insbesondere den privaten Konsum von Alkoholerzeugnissen. Neben dem mit den Alkoholsteuern verfolgten Fiskalzweck, wird deren Erhebung auch gesundheitspolitisch gerechtfertigt.4 Das gilt insbesondere für die Alkopopsteuer, die neben der Alkoholsteuer als Sondersteuer erhoben wird.5 Mit der Einführung dieser Steuer verfolgte der Gesetzgeber das Ziel einer Verteuerung von bestimmten alkoholischen Modegetränken, um damit insbesondere Jugendliche aus Preisgründen zum Konsumverzicht zu bewegen.6 Darüber hinaus wird die Schaumweinsteuer auch unter Berufung auf ihren Genussmittelcharakter gerechtfertigt.7

11.74

Dass Wein keiner Alkoholsteuer unterliegt und darüber hinaus alkoholische Erzeugnisse unterschiedlich stark steuerlich belastet werden, ist mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht vereinbar.8 Die Rechtsprechung hat indessen sowohl die Nichtbesteuerung von Wein als auch die unterschiedliche steuerliche Belastung der verschiedenen Alkoholerzeugnisse als mit dem Gleichheitssatz vereinbar angesehen.9 Ein Verstoß gegen den Harmonisierungsauftrag des Art. 113 AEUV und dem in Art. 110 Abs. 2 AEUV normierten Verbot einer protektionistischen Besteuerung ist allerdings nicht gegeben.10

11.75

1 Zur Geschichte der Alkoholsteuern Jatzke, ZfZ 2015, 90. 2 Neue Begrifflichkeit aufgrund des Branntweinmonopol-Abschaffungsgesetz vom 21.6.2013, BGBl. I 2013, 1650. 3 Unionsrechtliche Grundlagen: Alkoholstrukturrichtlinie (AlkStrRL) – RL 92/83/EWG v. 19.10.1992, ABl. EG Nr. L 316, 21; Alkoholsteuersatzrichtlinie (AlkStSRL) – RL 92/84/EWG v. 19.10.1992, ABl. EG Nr. L 316/29; Verbrauchsteuersystemrichtlinie (VStSystRL) – RL 2008/118/ EG v. 16.12.2008, ABl. EU Nr. L 9, 12 und RL (EU) 2020/262 v. 19.12.2019 zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems, ABl. 2020 Nr. L 58, 4 und nachfolgend Art. 5 Siebtes Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen v. 30.3.2021, BGBl. I 2021, 607, das hinsichtlich des § 37 AlkStG am 1.7.2021 (Art. 12 Abs. 2 ÄndG) und des § 8 AlkStG am 1.7.2022 (Art. 12 Abs. 3 ÄndG) und im Übrigen am 13.2.2023 in Kraft treten wird (Art. 12 Abs. 1 ÄndG) am 13.2.2023 in Kraft treten wird; hierzu Soyk, ZfZ 2021, 98. 4 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1058 f.; Jatzke, ZfZ 2015, 90 (96). 5 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 2. 6 BT-Drucks. 15/2587; vgl. auch Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 2; Jatzke, ZfZ 2015, 90 (96). 7 Vgl. BMF-Schriftenreihe, Heft 17 (1971), 851; kritisch hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1059. 8 Zu Einzelheiten Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1058 ff. 9 Zur Nichtbesteuerung von Wein: BFH v. 25.4.1972 – VII R 19/69, ZfZ 1973, 86, v. 17.12.1981 – VII R 15/79, ZfZ 1982, 175; BVerfG v. 9.6.1973 – 1 BvR 415/72, HFR 1973, 398; zur unterschiedlichen Höhe der Verbrauchsteuern generell BVerfG v. 2.10.1984 – 1 BvR 419/82, ZfZ 1985, 49; der Rechtsprechung weitgehend folgend Jatzke, ZfZ 2015, 90 (95 f.). 10 EuGH v. 17.6.1999 – C-166/98, ECLI:EU:C:1999:316 = Slg. 1999, I-3791 – Socridis; BFH v. 5.8.2002 – VII R 105/99, ZfZ 2003, 17; ebenso Jatzke, ZfZ 2015, 90 (94 f.).

Schaumburg | 509

Kap. 11 Rz. 11.76 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

2. Alkoholsteuer 11.76

Alkoholerzeugnisse1 unterliegen im Steuergebiet (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AlkStG)2 der Alkoholsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AlkStG). Die Steuer entsteht zum Zeitpunkt der Überführung der Alkoholerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr, es sei denn, es schließt sich eine Steuerbefreiung an (§ 18 Abs. 1 AlkStG). Im Hinblick auf die im § 27 Abs. 1, 2 AlkStG verankerten Steuerbefreiungen werden von der Alkoholsteuer im Ergebnis nur Alkoholerzeugnisse belastet, wenn sie zu Trink- und Genusszwecken eingesetzt werden.

11.77

Im Übrigen unterbleibt eine Besteuerung, solange sich die Alkoholerzeugnisse im Steueraussetzungsverfahren befinden. Entsprechend der Richtliniensystematik wird zwischen der Beförderung unter Steueraussetzung im Steuergebiet, der Beförderung unter Steueraussetzung mit anderen Mitgliedstaaten und der Ausfuhr unter Steueraussetzung unterschieden (§ 14 ff. AlkStG).3 Im internationalen Kontext ist das Beförderungsverfahren in den Fällen von Bedeutung, in denen Alkoholerzeugnisse aus anderen, in andere oder über andere EU-Mitgliedstaaten befördert werden (§ 15 AlkStG).4 Hierdurch wird keine Alkoholsteuer ausgelöst, so dass im Ergebnis das Bestimmungslandprinzip verwirklicht wird. Das Bestimmungslandprinzip gilt auch für die Ausfuhr in Drittländer oder Drittgebiete (§ 16 AlkStG). Das Bestimmungslandprinzip wird schließlich auch bei der Einfuhr von Alkoholerzeugnissen aus Drittländern oder Drittgebieten umgesetzt (§ 20 Abs. 1 AlkStG).5 Die Steuer entsteht nämlich zum Zeitpunkt der Überführung der Alkoholerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr durch die Einfuhr, es sei denn, sie werden unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt oder eine Steuerbefreiung greift ein (§ 22 Abs. 1 Satz 1 AlkStG).6

11.78

Für den Erwerb von Alkoholerzeugnissen im steuerrechtlich freien Verkehr (vgl. zum Begriff Rz. 11.49 ff.) anderer EU-Mitgliedstaaten ist wie folgt zu differenzieren: Werden Alkoholerzeugnisse von einer Privatperson für ihren Eigenbedarf in anderen Mitgliedstaaten im steuerrechtlich freien Verkehr erworben und selbst in das Steuergebiet befördert (private Zwecke), unterbleibt eine Besteuerung (§ 23 Abs. 1, 2 AlkStG). Diese Steuerbefreiung entspricht dem Ursprungslandprinzip, das aus Vereinfachungsgründen im privaten Grenzverkehr zwischen den EU-Mitgliedstaaten allgemeine Geltung hat. Werden dagegen Alkoholerzeugnisse zu gewerblichen (unternehmerischen) Zwecken aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen EU-Mitgliedstaats bezogen, entsteht die Steuer, wenn die Alkoholerzeugnisse im Steuergebiet in Empfang genommen oder die außerhalb des Steuergebiets in Empfang genommenen Alkoholerzeugnisse in das Steuergebiet befördert werden (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AlkStG).7 Damit wird im Ergebnis systemgerecht wiederum das Bestimmungslandprinzip umgesetzt. Das gilt auch für den grenzüberschreitenden Versandhandel, wonach die Steuer mit der Auslieferung an die Privatpersonen im Steuergebiet entsteht (§ 25 Abs. 2 AlkStG).8 In den beiden zuletzt 1 Alkohol und alkoholhaltige Waren (§ 1 Abs. 2 AlkStG); vgl. hierzu das ABC der Steuergegenstände bei Süß, Die Alkoholsteuer, Rz. 26. 2 Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne Helgoland. 3 Die entsprechenden Vorschriften sind mit Wirkung ab 13.2.2023 geändert worden (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). Zum Steueraussetzungsverfahren vgl. Rz. 11.43 ff. 4 Hierzu Süß, Die Alkoholsteuer, Rz. 87 ff. Die Neufassung gilt ab 13.2.2023, es sei denn die Beförderung von Alkoholerzeugnissen des steuerrechtlich freien Verkehrs sind davor begonnen worden (§ 38 Abs. 5 AlkStG). 5 Aufgehoben mit Wirkung zum 13.2.2023 (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). 6 Geändert mit Wirkung zum 13.2.2023 (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). 7 Geändert mit Wirkung zum 13.2.2023 (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). 8 Geändert mit Wirkung zum 13.2.2023 (Art. 12 Abs. 1 ÄndG).

510 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.81 Kap. 11

genannten Fällen kann es zu einer Doppelbesteuerung kommen, wenn auch im anderen EUMitgliedstaat besteuert wird. In einem derartigen Fall hat in dem anderen EU-Mitgliedstaat eine Steuerentlastung zu erfolgen.1

3. Schaumweinsteuer Literatur: Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, G 215 ff.; Troost/Bach/Rhein, Sekt, Schaumwein, Perlwein, 3. Aufl. Stuttgart 2010.

Die im SchaumwStG2 geregelten Steuergegenstände betreffen zum einen die Schaumweinsteuer (§§ 1–28 SchaumwZwStG) und zum anderen die Zwischenerzeugnissteuer (§§ 29–31 SchaumwZwStG). Der Schaumweinsteuer unterliegen vor allem Champagner und Sekt und der Zwischenerzeugnissteuer z.B. Cherry, Madeira und Portwein.

11.79

Aufgrund der für die Verbrauchsteuern typischen territorialen Begrenzung entsteht die Schaumwein- und Zwischenerzeugnissteuer nur im Steuergebiet.3 Die Steuer entsteht hierbei grundsätzlich bei Überführung des Schaumweins bzw. der Zwischenerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr (§§ 14 Abs. 1, 29 Abs. 3 SchaumwZwStG). Die in der Praxis wichtigste Fallgruppe ist die steuerauslösende Entnahme aus dem Steuerlager. Die Steuer wird aber suspendiert, wenn sich ein weiteres Verfahren der Steueraussetzung anschließt (§ 14 Abs. 2 Nr. 1, 29 Abs. 3 SchaumwZwStG). Im internationalen Kontext ist hierbei die Beförderung unter Steueraussetzung (Beförderungsverfahren), das auch grenzüberschreitend zur Anwendung kommt von besonderer Bedeutung (§§ 11, 12, 29 Abs. 3 SchaumwZwStG).4 Entsprechend der rechtlichen Systematik (Rz. 11.46) sind Beförderungen aus anderen, in andere oder über andere EU-Mitgliedstaaten zugelassen. Hierdurch wird systemgerecht das Bestimmungslandprinzip umgesetzt. Das gilt auch für die Ausfuhr in Drittländer oder Drittgebiete (§§ 12 Abs. 1, 29 Abs. 3 SchaumwZwStG).5 Das Bestimmungslandprinzip wird zudem auch in den Fällen der Einfuhr (aus Drittländern oder Drittgebieten) verwirklicht, falls der Schaumwein bzw. die Zwischenerzeugnisse durch die Einfuhr in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt werden (§§ 18 Abs. 1 Satz 1, 29 Abs. 3 SchaumwZwStG).6

11.80

Aus Vereinfachungsgründen verbleibt es indessen beim Ursprungslandprinzip in den Fällen, in denen Privatpersonen für ihren Eigenbedarf Schaumwein oder Zwischenerzeugnisse im steuerrechtlichen freien Verkehr erwerben und selbst in das Steuergebiet befördern (§§ 19 Abs. 1, 29 Abs. 3 SchaumwZwStG). In den übrigen Fällen des steuerrechtlich freien Verkehrs mit anderen Mitgliedstaaten wird dem gegenüber wiederum das Bestimmungslandprinzip umgesetzt. Das gilt sowohl für den Bezug von Schaumwein und Zwischenerzeugnissen zu gewerblichen (unternehmerischen) Zwecken (§ 20 Abs. 1, 29 Abs. 3 SchaumwZwStG) als auch beim grenzüberschreitenden Versandhandel (§ 21 Abs. 1, 29 Abs. 3 SchaumwZwStG). Schließ-

11.81

1 Entspricht § 30 AlkStG für den umgekehrten Fall. 2 Mit Wirkung ab 13.2.2023 tritt das geänderte SchaumwZwStG in Kraft (Art. 12 Abs. 1 des 7. Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen v. 30.3.2021, BGBl. I 2021, 607); zu Ausnahmen vgl. Art. 12 Abs. 2-4 des Änderungsgesetzes sowie § 37 SchaumwZwStG. 3 Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und Helgoland (§§ 1 Abs. 1 Satz 2, 29 Abs. 1 Satz 1 SchaumwZwStG). 4 §§ 11, 12 SchaumwZwStG geändert mit Wirkung ab 13.2.2023 (Art. 12 Abs. 1 ÄndG). 5 § 12 SchaumwZwStG geändert mit Wirkung ab 13.2.2023, es sei denn die Beförderung hat davor begonnen (§ 37 Abs. 1 SchaumwZwStG). 6 §§ 18 Abs. 1 SchaumwZwStG geändert mit Wirkung ab 13.2.2023 (Art. 12 Abs. 1 ÄndG).

Schaumburg | 511

Kap. 11 Rz. 11.81 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

lich wird dem Bestimmungslandprinzip bei der Beförderung von Schaumwein und Zwischenerzeugnissen in andere EU-Mitgliedstaaten dadurch entsprochen, dass auf Antrag im Steuergebiet eine Steuerentlastung erfolgt (§§ 25 Abs. 1 Satz 1, 29 Abs. 3 SchaumwZwStG). Damit wird zugleich auch eine Doppelbesteuerung vermieden.

4. Biersteuer Literatur: Falthauser, Die Harmonisierung der speziellen Verbrauchstern in der EG am Beispiel der Biersteuer, DStZ 1993, 17; Schröer-Schallenberg, Das neue Biersteuerrecht unter Berücksichtigung der neuen Biersteuerdurchführungsverordnung, ZfZ 1994, 290; Jarsombeck, Die Besteuerung des Bieres ein antiquiertes System, ZfZ 1998, 225; Jarsombeck, Ist die Struktur der Biersteuer in der EU harmonisiert?, ZfZ 2002, 186; Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, G 280 ff.

11.82

Die Biersteuer gehört wie die übrigen Alkoholsteuern zu den Verbrauchsteuern (§ 1 Abs. 1 Satz 3 BierStG), deren Aufkommen allerdings nicht dem Bund, sondern den Ländern zusteht.1 Als Verbrauchsteuer ist die Biersteuer auf Überwälzung angelegt, um so die konsumtive Verwendung von Einkommen bzw. Vermögen zu erfassen. Zugleich werden mit der Biersteuer aber auch gesundheitspolitische Ziele verfolgt, die allerdings nicht konsequent umgesetzt worden sind. So ist es unter diesem Gesichtspunkt unverständlich, dass sich die Biersteuer nicht nach dem Alkoholgehalt, sondern nach Stammwürzgraden bemisst.2 Folgerichtig ist es dem gegenüber, dass alkoholfreie Biere steuerlich nicht belastet werden.3

11.83

Wie bei den anderen harmonisierten Verbrauchsteuern entsteht die Biersteuer bei Überführung des Bieres in den steuerrechtlich freien Verkehr. Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn das Bier aus dem Steuerlager (§ 4 BierStG)4 entnommen wird, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschließt (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 BierStG).

11.84

Im internationalen Kontext ist die Beförderung unter Steueraussetzung aus anderen, in andere oder über andere EU-Mitgliedstaaten (§ 11 BierStG) von besonderer Bedeutung. Hierdurch wird im Ergebnis das für die Verbrauchsteuern maßgebliche Bestimmungslandprinzip umgesetzt. Das gilt auch für die Ausfuhr, wonach unter Steueraussetzung Bier z.B. aus Steuerlagern im Steuergebiet in Drittländer oder Drittgebiete ohne steuerliche Belastung befördert werden darf (§ 12 Abs. 1 BierStG). Das Bestimmungslandprinzip wird schließlich auch in den Fällen der Einfuhr realisiert, es sei denn, das Bier wird unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt (§ 18 Abs. 1 Satz 1 BierStG). Das Bestimmungslandprinzip wird ferner auch beim Bezug zu gewerblichen Zwecken (§ 20 Abs. 1 BierStG) sowie im Versandhandel (§ 21 Abs. 1 BierStG) im steuerrechtlich freien Verkehr mit anderen EU-Mitgliedstaaten gewährleistet. Aus Vereinfachungsgründen wird allerdings ausnahmsweise das Ursprungslandprinzip umgesetzt, wenn Privatpersonen für ihren Eigenbedarf in anderen EU-Mitgliedstaaten Bier im steuerrechtlich freien Verkehr erwerben und selbst in das Steuergebiet befördern. Dieser Erwerb ist steuerfrei (§ 19 Abs. 1 BierStG). Wird nachweislich im Steuergebiet bereits versteuertes Bier zu gewerblichen Zwecken (einschließlich Versandhandel) in einen an-

1 Zum historischen Hintergrund Jatzke, ZfZ 2015, 90 (91). 2 Zur Kritik Jatzke, ZfZ 2015, 90 (94). 3 § 1 Abs. 2 Nr. 1 BierStG: Erzeugnisse der Position 2203 der kombinierten Nomenklatur (KN) umfassen nur Erzeugnisse mit einem Alkoholgehalt von mehr als 0,5 %; vgl. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, G 283. 4 Hierzu gehört insbesondere die Brauerei (§ 1 Nr. 9 BierStV).

512 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.88 Kap. 11

deren EU-Mitgliedstaat befördert, wird auf Antrag eine Steuerentlastung gewährt, so dass auch hierdurch das Bestimmungslandprinzip umgesetzt wird (§ 25 Abs. 1 BierStG). Eine mit dem Verbrauchsteuercharakter nicht zu vereinbarende Sonderregelung enthält § 2 Abs. 2 BierStG, wonach zum Schutze kleiner unabhängiger Brauereien ermäßigte Steuersätze vorgesehen sind.1 Um insbesondere konzernzugehörige Brauereien von der Reichweite der Steuerermäßigung auszuschließen, ist Voraussetzung, dass die betreffenden Brauereien rechtlich und wirtschaftlich nicht von einer anderen Brauerei abhängig sind, räumlich getrennte Betriebsräume benutzen und Bier nicht in Lizenz brauen (§ 2 Abs. 3 Satz 1 BierStG).2

11.85

Die vorstehende Steuerermäßigung kann auch von ausländischen unabhängigen Brauereien für das in das Steuergebiet gelieferte Bier in Anspruch genommen werden (§ 2 Abs. 5 Satz 2 BierStG). Das gilt gleichermaßen für in anderen EU-Mitgliedstaaten und in Drittländern und Drittgebieten ansässige kleine Brauereien.3 Diese Gleichbehandlung ist sowohl unter dem Gesichtspunkt der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Abs. 56 AEUV) als auch gemäß Art. 3 Abs. 1 GG geboten (Rz. 4.4 ff., 4.25 ff.).

11.86

5. Alkopopsteuer Literatur: Pfab, Die Besteuerung von „Alkopops“, DStZ 2006, 249; Pfab, Rechtsfragen rund um das Alkopopsteuergesetz (AlkopopStG), ZfZ 2005, 110; Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer/Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, M 1 ff.

Die Alkopopsteuer gehört zu den nicht harmonisierten deutschen Verbrauchsteuern. Sie ist unionsrechtlich zulässig, weil mit ihrer Erhebung besondere Zwecke verfolgt werden (Art. 1 Abs. 2 VStSystRL) und sie nicht lediglich fiskalisch motiviert ist.4 Dass mit der Alkopopsteuer besondere Lenkungsziele verfolgt werden, ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 AlkopopStG, wonach alkoholhaltige Süssgetränke (Alkopops) im Steuergebiet einer „Sondersteuer zum Schutz junger Menschen“ unterliegen. Zudem dient die Alkopopsteuer, die zusätzlich zur AlkoholSt erhoben wird (§ 1 Abs. 2 AlkopopStG)5, der Finanzierung von Maßnahmen zur Suchtprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (§ 4 Abs. 1 AlkopopStG).

11.87

Das AlkopopStG enthält keine eigenständigen Vorschriften zur Steuerentstehung. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf das AlkStG und auf das KaffeeStG (§ 3 AlkopopStG). Der Verweis auf die für die Alkoholsteuer maßgeblichen Vorschriften (§ 3 Abs. 1 AlkopopStG) bewirkt, dass auch für Alkopops die Grundsätze des Steueraussetzungsverfahren gelten.6 Im Hinblick darauf entsteht die Alkopopsteuer insbesondere bei Entnahme aus dem Steuerlager (§ 3 Abs. 1 AlkopopStG i.V.m § 18 Abs. 1, 2 Nr. 1 AlkStG). Soweit es indessen um die Beför-

11.88

1 Zu den historischen Hintergründen Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, 111. 2 Zu Einzelheiten Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, G 289; Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, D 8 ff. 3 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, G 308. 4 Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 18.107, 18.113; Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht23, M 3; Schaumburg in Englisch/Schaumburg, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 11.37. 5 Voraussetzung ist u.a., dass die Getränke der AlkSt unterliegen; hierzu Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht2, M 10. 6 Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 17.

Schaumburg | 513

Kap. 11 Rz. 11.88 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

derung unter Steueraussetzung in oder aus anderen EU-Mitgliedstaaten geht, finden die entsprechenden Vorschriften des KaffeeStG Anwendung (§ 3 Abs. 2 AlkopopStG).1 Entsprechendes gilt für die Ausfuhr von Alkopops, sofern diese über andere EU-Mitgliedstaaten erfolgt, so dass eine Ausfuhr unter Steueraussetzung sich nur dann nach den Vorschriften des BranntwMonG/AlkStG richtet, wenn die Alkopops unmittelbar aus dem Steuerlager in das Steuergebiet ausgeführt werden (§ 3 Abs. 1 AlkopopStG i.V.m § 16 Abs. 1 AlkStG).2 Werden Alkopops aus einem Drittland/Drittgebiet eingeführt (Einfuhr), finden ebenfalls die Vorschriften des BranntwMonG/AlkStG Anwendung. Das bedeutet, dass die Ware unter Steueraussetzung in ein Steuerlager für Alkopops überführt werden kann (§ 3 Abs. 1 AlkopopStG i.V.m. § 22 Abs. 1 AlkStG).3

11.89

Soweit Alkopops aus einem Alkopopsteuerlager im Steuergebiet über einen anderen EU-Mitgliedstaat ausgeführt bzw. an einen Empfänger in einem anderen EU-Mitgliedstaat geliefert werden, ist ebenfalls eine Steueraussetzung möglich, wobei allerdings, wegen der fehlenden Harmonisierung, die Vorschriften des KaffeeStG eingreifen (§ 3 Abs. 2 AlkopopStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c, d KaffeeStG).4 Schließlich können Alkopops unter Steueraussetzung auch aus anderen EU-Mitgliedstaaten in ein Steuerlager im Steuergebiet verbracht werden (§ 3 Abs. 2 AlkopopStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 KaffeeStG).5 Damit ist insoweit auch für die AlkopopSt die Umsetzung des Bestimmungslandprinzips gewährleistet.

11.90

Werden schließlich bereits im Steuergebiet versteuerte Alkopops im steuerrechtlich freien Verkehr (Rz. 11.49 ff.) in einen anderen Mitgliedstaat verbracht, ist eine Steuerentlastung vorgesehen (§ 3 Abs. 2 AlkopopStG i.V.m. § 21 Abs. 2 KaffeeStG). Auch hierdurch wird im Ergebnis das Bestimmungslandprinzip umgesetzt.

V. Kaffeesteuer Literatur: Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. München 2018, Kap. L; Bongartz, Das Kaffeesteuerrecht im Lichte der Verbrauchsteuerharmonisierung, ZfZ 1998, 290; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021, Rz. 18.115; Schaumburg in FS Reiß, 25 (38 f.); Tipke in FS Reiß, 9 (19).

11.91

Die Kaffeesteuer6 ist eine nicht harmonisierte Verbrauchsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 3 KaffeeStG) und darauf gerichtet, die Verwendung von Einkommen (Vermögen) für den privaten Lebensbedarf zu belasten. Es handelt sich insoweit um eine wettbewerbsneutrale Privatkonsumsteuer, die dem Typus der Verbrauchsteuer in vollem Umfange entspricht.7 Die Belastung des Privatkonsums erfolgt hierbei durch entsprechende Überwälzung der Steuer vom Unternehmer als Steuerschuldner auf den Verbraucher.8 Die selektive Belastung des privaten Konsums durch die Kaffeesteuer – eine Teesteuer gibt es nicht – ist nicht gerechtfertigt und unter Leistungs-

Hierzu Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 21. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 21. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 25. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 36. Schröer-Schallenberg in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, M 37. Vgl. das 7. Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen v. 30.3.2021, BGBl. I 2021, 607, das ganz überwiegend am 1.7.2021 in Kraft getreten ist (Art. 12 Abs. 2). 7 Zum Steuertypus Verbrauchsteuer Drüen, ZfZ 2012, 309 (315). 8 Zur Überwälzbarkeit als typusprägendes Merkmal Drüen, ZfZ 2012, 309 (317 f.). 1 2 3 4 5 6

514 | Schaumburg

C. Besondere Verbrauchsteuern | Rz. 11.94 Kap. 11

fähigkeitsgesichtspunkten mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren.1 Im Übrigen ergibt sich ein unauflösbarer Zielkonflikt dadurch, dass einerseits Kaffee als Nahrungsmittel durch Anwendung des begünstigten Steuersatzes2 von der Umsatzsteuer entlastet, andererseits aber zugleich durch die Kaffeesteuer einer steuerlichen Zusatzbelastung unterworfen wird.3 Der Kaffeesteuer unterliegt Röstkaffee (§ 1 Abs. 3 KaffeeStG) sowie löslicher Kaffee (§ 1 Abs. 4 KaffeeStG). Zum Steuergegenstand zählt auch kaffeehaltige Ware, wenn sie in das Steuergebiet befördert wird (§ 1 Abs. 1 Satz 1 KaffeeStG). Diese Anknüpfung an die Überführung kaffeehaltiger Ware aus anderen EU-Mitgliedstaaten oder die Einfuhr aus einem Drittland/Drittgebiet dient dem Ziel einer Wettbewerbsgleichheit mit im Steuergebiet hergestellten kaffeehaltigen Waren, die der Kaffeesteuer unterliegen.4

11.92

Wie bei den meisten anderen Verbrauchsteuern kommt auch für die Kaffeesteuer das Steueraussetzungsverfahren zur Anwendung. Dem entsprechend entsteht die Steuer bei Überführung von Kaffee in den steuerrechtlich freien Verkehr, und zwar insbesondere durch Entnahme aus dem Steuerlager (§ 5 Abs. 1 KaffeeStG), es sei denn, es schließt sich ein weiteres Verfahren der Steueraussetzung an (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 KaffeeStG). Das Steueraussetzungsverfahren gilt auch grenzüberschreitend. So darf Kaffee unter Steueraussetzung aus Steuerlagern im Steuergebiet in andere EU-Mitgliedstaaten sowie von dort in ein Steuerlager ins Steuergebiet befördert werden (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 KaffeeStG). Obwohl das KaffeeStG nicht harmonisiert ist, wird mit der Beförderung im Steueraussetzungsverfahren an Empfänger in andere EUMitgliedstaaten (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c KaffeeStG) das Bestimmungslandprinzip ebenso verwirklicht wie bei der Ausfuhr in ein Drittland/Drittgebiet (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d KaffeeStG).5

11.93

Soweit Kaffee aus Drittländern oder Drittgebieten eingeführt wird, entsteht die Steuer, es sei denn, der Kaffee wird unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt oder es schließt sich eine Steuerbefreiung an (§ 15 Abs. 1 Satz 1 KaffeeStG).6 Hierdurch wird das für die Verbrauchsteuer typische Bestimmungslandprinzip umgesetzt. Das gilt auch für den Bezug von Kaffee zu gewerblichen Zwecken im zollrechtlich freien Verkehr aus anderen EU-Mitgliedstaaten sowie beim entsprechenden Versandhandel (§§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 KaffeeStG).7 Dem gegenüber verbleibt es aus Vereinfachungsgründen beim Ursprungslandprinzip, wenn Privatpersonen für ihren Eigenbedarf Kaffee in anderen EU-Mitgliedstaaten im zollrechtlich freien Verkehr erwerben und selbst in das Steuergebiet befördern (§ 16 Abs. 1 KaffeeStG).

11.94

1 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1055 f.; Tipke in FS Reiß, 9 (19 f.); Schaumburg in FS Reiß, 25 (38 f.). 2 § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 12 der Anlage 2. 3 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II2, 1056; Tipke in FS Reiß, 9 (20); Schaumburg in FS Reiß, 25 (39). 4 Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, L 6, 7. 5 Gleichgestellt ist das externe Versandverfahren nach Art. 236 UZK; vgl. die Fassung des 7. Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen (BGBl. I 2021, 607) mit Wirkung ab 1.7.2021 (Art. 12 Abs. 2). 6 Ergänzt durch das 7. Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen (BGBl. I 2021, 607) in den Fällen, in denen die Einfuhrzollschuld erlischt (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 KaffeeStG gem. Art. 12 Abs. 2 mit Wirkung ab 1.7.2021). 7 Ergänzt durch das 7. Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen (BGBl. I 2001, 607) mit Wirkung ab 1.7.2021 (Art. 12 Abs. 2).

Schaumburg | 515

Kap. 11 Rz. 11.95 | Besondere Verkehr- und Verbrauchsteuern

11.95

Soweit bereits versteuerter Kaffee in einen anderen EU-Mitgliedstaat geliefert worden ist, erfolgt eine Steuerentlastung, wodurch wiederum das Bestimmungslandprinzip verwirklicht wird (§ 21 Abs. 2 KaffeeStG). Entsprechendes gilt für kaffeehaltige Waren (§ 21 Abs. 3 KaffeeStG). Eine entsprechende Entlastung ist allerdings für die unmittelbare Ausfuhr nicht vorgesehen. Daher besteht die Möglichkeit, die Steuerentlastung gem. § 21 Abs. 1 KaffeeStG in Anspruch zu nehmen, nur über den Umweg der vorherigen Aufnahme in ein Steuerlager, um sodann den Kaffee unter Steueraussetzung, also ohne weitere Besteuerung, im Steuergebiet auszuführen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d KaffeeStG).1

1 Hierzu Bongartz in Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht3, L 33.

516 | Schaumburg

Kapitel 12 Internationales Investmentsteuerrecht

A. B. I. II. C. I. II.

III.

D. I. II. III.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlagen Kapitalanlagegesetzbuch . . . . . . . . . Investmentsteuergesetz . . . . . . . . . . Besteuerung von Publikumsfonds Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . International-steuerliche Aspekte auf Fondsebene 1. Erträge aus ausländischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruch auf Quellensteuererstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . International-steuerliche Aspekte auf Anlegerebene 1. Inländischer Anleger a) Besteuerung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . b) Besteuerung nach Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 Abs. 5 AStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausländischer Anleger . . . . . . . . Besteuerung von Spezial-Investmentfonds Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besteuerung nach Trennungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besteuerung nach Transparenzoption 1. Semi-transparente Fondsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beteiligung eines Steuerinländers an einem inländischen SpezialInvestmentfonds a) Besteuerung im Inland aa) Fondsebene (1) Grundsätze der Ertragsermittlung . . . . . . . . . . . (2) Ausländische Fondserträge (a) Kein Abzug von Kapitalertragsteuer als Werbungskosten . . . . . . . . .

12.1 12.3 12.4 12.6

12.18 12.20

12.22 12.23 12.25 12.27

12.29 12.30

12.31

12.32

(b) Abzug „mittelbarer“ Werbungskosten von steuerbefreiten DBAEinkünften . . . . . . . . . . 12.38 bb) Anlegerebene (1) Vermeidung einer Doppelbesteuerung bei Auslandserträgen des Fonds 12.39 (2) Freigestellte DBAEinkünfte (a) Freistellungsmethode . . 12.41 (b) Progressionsvorbehalt . 12.43 (3) Anrechnung ausländischer Quellensteuer (a) Ausländische Quellensteuer . . . . . . . . . . . . . . . 12.45 (b) Anrechnungsvoraussetzungen und -methodik . 12.46 (4) Abzug ausländischer Quellensteuer (a) Steuerabzug statt Steueranrechnung . . . . . . . . . . 12.52 (b) Steuerabzug neben Steueranrechnung . . . . . 12.54 b) Besteuerung im Ausland . . . 12.55 3. Beteiligung eines Steuerinländers an einem ausländischen SpezialInvestmentfonds a) Quellensteuer auf Erträge eines ausländischen Spezialfonds . . . . . . . . . . . . . 12.58 b) Quellensteuer auf Ausschüttungen und ausschüttungsgleiche Erträge des Fonds . . 12.60 c) Kapitalertragsteuerabzug bei Erträgen aus dem Inland 12.62 4. Beteiligung eines Steuerausländers an einem inländischen SpezialInvestmentfonds a) Ausschüttung des inländischen Fonds an ausländische Anleger . . . . . . . . . . . . . . . . 12.63 b) Ausländische Erträge des inländischen Fonds . . . . . . . 12.65

12.37

von Freeden | 517

Kap. 12 | Internationales Investmentsteuerrecht Literatur: Anzinger, Wesen, Reformbedürfnis und Reformoptionen des Investmentsteuerrechts, FR 2016, 101; Beckmann/Scholtz/Vollmer (Hrsg.), Ergänzbares Handbuch für das gesamte Investmentwesen (Kommentar), Berlin 2014 (Stand: Mai 2016); Behrens/Faller, Anzuwendender Spezial-Investmentfonds-Aktiengewinn für dem Teileinkünfteverfahren unterliegende Anleger, BB 2014, 219; Bindl/ Leidel, Die Steuerbefreiungen nach § 42 Abs. 4 und 5 InvStG 2018 bei mehrstufigen Fondsstrukturen, BB 2018, 151; Bindl/Leidel, Immobilieninvestments über Spezial-Investmentfonds nach dem InvStG 2018, DB 2018, 722; Bindl/Mager, Besteuerung von Dachfonds nach dem InvStG 2018, DStR 2017, 465; Birker, Auswirkungen der Reform der Investmentbesteuerung auf spezielle Abkommensregelungen für Investmentvermögen, RdF 2015, 221; Brandis/Heuermann, EStG, KStG, GewStG und Nebengesetze, München 131. Aufl. 2016 (Loseblatt); Bron, Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung, Stbg 2015, 391; Buge/Bujotzek/Steinmüller, Die InvSt-Reform ist verabschiedet, DB 2016, 1594; Dorn, Investmentsteuerrecht, 4. Auflage, 2018; Dyckmans, Grundlegende Neukonzeption der Investmentbesteuerung – Überblick über die wesentlichen Änderungen durch den Referentenentwurf zum Investmentsteuerreformgesetz, Ubg 2016, 62; Faller/Wolf/Brielmaier, Der Regierungsentwurf zur Reform der Investmentbesteuerung vom 24.2.2016, DB 2016, 488; Haisch/Hüniken, Erhebliche Verschärfung der Steueranrechnung bei deutschen Aktien geplant, BB 2016, 345; Haug, Investmentfonds und Außensteuerrecht: Abgrenzungsfragen nach dem InvStRefG, IStR 2016, 597; Haug, Abkommensberechtigung und Quellensteuerentlastung bei Outbound-Investments inländischer (Spezial-)Investmentfonds, IStR 2020, 866; Höring, Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung („Investmentsteuerreformgesetz – InvStRefG“), DStZ 2016, 383; Jesch/Koch, BBGesetzgebungs- und Rechtsprechungsreport zur Fondsregulierung 2015, BB 2016, 471; Jacob/Geese/ Ebner, Handbuch für die Besteuerung von Fondsvermögen, Neuwied 4. Aufl. 2014; Jansen/Greger, Reform der Investmentbesteuerung – erste Analyse des Referentenentwurfs, FR 2016, 116; Jansen/Greger, InvStG 2018 – im Fokus: Personengesellschaften als Anleger, DStR 2018, 282; Jansen/Greger, Änderungen im Investmentsteuergesetz aufgrund des „JStG 2018“, RdF 2019, 132; Jetter/Mager, Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung, SteuK 2016, 23; Kammeter, Änderungen durch die geplante Reform der Investmentbesteuerung – vom Referentenentwurf (18.12.2015) bis zum Regierungsentwurf (24.2.2016) des InvStRefG, ISR 2016, 99; Kempf/Fischer, Erster Überblick über den Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung, SteuK 2015, 339; Kempf/Hirtz, Schwerpunkte des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung, DStR 2016, 1; Klein/Hörner/Adam, Ausgewählte internationale Aspekte des InvStG 2018, ISR 2018, 216; Köhler, B., Praxisleitfaden Investmentsteuerrecht, 2. Aufl., Stuttgart 2022; Kohl, Praxisrelevante steuerliche Themenfelder (körperschaftlich verfasster) AIF – Ein Überblick über die veränderten Rahmenbedingungen durch das InvStRefG 2018, NWB 2020, 2608; Korff, Gewerbesteuer bei Beteiligungserträgen über Spezial-Investmentfonds nach dem InvStG 2018, DStR 2018, 943; Maier, Investmentsteuerreform 2018 – Steuererhöhungen vermeiden/keine administrativen Hürden aufbauen, FR 2016, 121; Niedling/Hempelmann, Private Equity Fonds und das seit 2018 geltende Investmentsteuerrecht – praktische (Anwendungs-)Fragen, RdF 2019, 41; Neumann, Investmentsteuerreformgesetz: Ausgewählte Problemfelder, DB 2016, 1779; Patzner, Lässt das angedachte Investmentsteuerreformgesetz das Außensteuergesetz leerlaufen?, RdF 2015, 261; Patzner/Kempf, Investmentsteuerrecht, Hamburg 3. Aufl. 2017; Patzner/Nagler, Zum Seminar I: Kernpunkte des ab 2018 in Deutschland geltenden deutschen Investmentsteuerregimes, IStR 2016, 725; Roth, Neuer Diskussionsentwurf des BMF zur Reform der Investmentbesteuerung, StBW 2015, 829; Schwarz/Kohl, Qualifikation investmentsteuerlicher Fondstypen nach dem InvStG 2018, DB 2018, 1947; von Schweinitz/Thiems, Die Umsetzungspflichten für Depotbanken bei Publikumsfonds nach dem Regierungsentwurf des Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung, DStR 2016, 1198; Stadler/Bindl, Das neue InvStG – Überblick und Korrekturbedarf, DStR 2016, 1953; Stadler/Jetter, Der Diskussionsentwurf zum Investmentsteuerreformgesetz (InvStRefG), DStR 2015, 1833; Stadler/Mager, Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung, DStR 2016, 697; Thiede, Einsatz von Spezial-Investmentfonds als Anlage- und Bündelungsvehikel für Family Offices – Belastungsunterschiede im Vergleich zu anderen (kollektiven) Kapitalanlagen, NWB-EV 7/2020, 233; Vogel/Lehner, Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen, München 7. Aufl. 2021.

518 | von Freeden

B. Rechtsgrundlagen | Rz. 12.3 Kap. 12

A. Einführung Ein Steuerpflichtiger, der im Rahmen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts Erträge aus einer Kapitalanlage in Form einer Direktanlage erzielt (z.B. Steuerpflichtiger erzielt Dividende aus Aktien), wird unter Anwendung der Regeln des „normalen“ Internationalen Steuerrechts besteuert. Statt in Form einer Direktanlage kann ein Steuerpflichtiger Erträge auch mittelbar über die Beteiligung an einem Investmentvermögen (Publikums- oder Spezialfonds) erzielen. Unter Berücksichtigung der Zusammensetzung des Vermögens lassen sich z.B. Aktienfonds1, Rentenfonds2 und offene Immobilienfonds3 unterscheiden. Ein internationaler investmentsteuerlicher Sachverhalt liegt in folgenden Konstellationen vor:

12.1

– Beteiligung eines inländischen Anlegers4 an einem Inland-Fonds mit Auslandsvermögen (Rz. 12.18, 12.32)5, – Beteiligung eines inländischen Anlegers an einem Ausland-Fonds mit Vermögen im Fonds-Staat und/oder Drittstaat (Rz. 12.22, 12.58), – Beteiligung eines ausländischen Anlegers6 an einem Inland-Fonds mit Vermögen im Wohnsitzstaat des Anlegers oder in einem Drittstaat (Rz. 12.27, 12.63). Bei Vorliegen eines internationalen Sachverhalts kann es – wie bei einer Direktanlage – zu einer Besteuerung im Ausland und im Inland kommen (z.B. Quellensteuer auf ausländische Dividendenzahlung). Fraglich ist aus deutsch-internationaler Investmentsteuersicht, wie eine Doppelbesteuerung vermieden wird. Die Besteuerung des Anlegers und die Methoden zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung sind im Investmentsteuergesetz (InvStG) geregelt, das auf Vorschriften des EStG und KStG verweist. Die Darstellung der Funktionsweise dieses „Internationalen Investmentsteuerrechts“ ist Gegenstand dieses Kapitels, wobei eine Fokussierung auf Publikumsfonds und Spezialfonds erfolgt.7

12.2

B. Rechtsgrundlagen I. Kapitalanlagegesetzbuch Die Rechtsgrundlagen des Internationalen Investmentsteuerrechts finden sich (primär) im Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) und im InvStG. Das KAGB regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Fonds, Anleger, Verwalter und Verwahrstelle. Das Gesetz ist ein in sich geschlossenes Regelwerk für Investmentfonds und ihre Verwalter.8 Die steuerliche Behandlung von In1 Fondsvermögen besteht aus Aktien in- und/oder ausländischer Gesellschaften. 2 Fondsvermögen besteht aus verzinslichen Wertpapieren, wie z.B. Staats- oder Unternehmensanleihen. 3 Fondsvermögen besteht aus vermieteten Immobilien. 4 Unbeschränkt steuerpflichtiger Anleger. 5 Z.B. Beteiligung an Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland, verzinsliche Wertpapiere eines ausländischen Schuldners, im Ausland gelegene Immobilie. 6 Beschränkt steuerpflichtiger Anleger. 7 Die steuerlichen Besonderheiten, die sich bei einer Beteiligung von steuerbegünstigten Anlegern ergeben können, werden ausgeklammert. 8 BT-Drucks. 791/12, 345.

von Freeden | 519

12.3

Kap. 12 Rz. 12.3 | Internationales Investmentsteuerrecht

vestmentvermögen und ihrer Anteilseigner sind nicht im KAGB geregelt, allerdings knüpfen steuergesetzliche Vorschriften an Bestimmungen des KAGB an. Die wesentlichen Regelungsbereiche des KAGB sind die Definition eines Investmentvermögens (§ 1 ff. KAGB), die Bestimmung von Aufgaben und Pflichten der Kapitalverwaltungsgesellschaft1 und der Verwahrstelle2 (§ 17 ff., § 68 ff. KAGB), die Organisation offener und geschlossener Investmentvermögen (§ 91 ff., § 139 ff. KAGB), Publikumsinvestmentvermögen (§ 162 ff. KAGB) und inländische Spezialfonds (§ 273 ff.) sowie Vertrieb und Erwerb von Investmentvermögen (§ 293 ff. KAGB).

II. Investmentsteuergesetz 12.4

Die Besteuerung eines Investmentvermögens und seiner Anleger richtet sich nach dem InvStG3, sofern nicht auf Bestimmungen anderer Gesetze (z.B. EStG, KStG, GewStG und AStG) verwiesen wird. Das Gesetz hat das Gesetz zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Modernisierung des Investmentvermögens (InvStG 2004) ersetzt, es gilt grundsätzlich ab 1.1.2018. Für Einzelheiten zu international-steuerlichen Aspekten des InvStG 2004 siehe 4. Auflage, Kapitel 12.

12.5

Ein Investmentfonds i.S.d. InvStG ist ein Organismus für gemeinsame Anlagen, der von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren und der kein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors ist (§ 1 Abs. 2 InvStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB). Dabei kann auch ein „Ein-Anleger-Fonds“ ein Investmentfonds sein, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 KAGB erfüllt sind (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 KAGB). Nach dem InvStG sind Publikumsfonds, im Prinzip wie Kapitalgesellschaften, intransparent. Eine Besteuerung der Erträge aus den Kapitalanlagen eines Publikumsfonds (z.B. Zinsen, Dividenden, Mieten, Veräußerungsgewinne) erfolgt deshalb auf zwei Stufen: Auf der ersten Stufe werden bestimmte Erträge auf Fondsebene besteuert, auf der zweiten Stufe werden die Erträge – in Form einer Ausschüttung, einer fiktiven Ausschüttung (sog. Vorabpauschale) oder eines Veräußerungsgewinns – auf Anleger-Ebene besteuert. Das neue InvStG ist im Vergleich zum InvStG 2004 aus Sicht des Gesetzgebers wesentlich einfacher, leichter administrierbar und gestaltungssicherer.4

C. Besteuerung von Publikumsfonds I. Überblick 12.6

Durch das Gesetz zur Reform der Investmentbesteuerung vom 19.7.2016 hat der Gesetzgeber das System der Besteuerung von Publikumsfonds und deren Anleger mit Wirkung zum 1.1.2018 gänzlich neu geregelt. Ein5 wesentlicher „Treiber“ der Neuregelung waren international-investmentsteuerliche EU-Risiken, die dem InvStG 2004 anhafteten. Der EuGH sieht ei-

1 2 3 4 5

Im InvG war die Bezeichnung „Kapitalanlagegesellschaft“. Im InvG war die Bezeichnung „Depotbank“. Gesetz zur Reform der Investmentbesteuerung v. 19.7.2016, BGBl. I 2016, 1730. BT-Drucks. 18/8045, 1. Ein weiteres wesentliches Motiv für die Reform der Investmentbesteuerung war das Ziel, eine Nutzung des Gesetzes für eine „aggressive Steuerplanung“ auszuschließen. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird auf Cum-Ex-Gestaltungen und Wertpapierleihtransaktionen hingewiesen, deren struktureller Bestandteil jeweils ein Investmentfonds sein kann; BT-Drucks. 18/8045, 49 ff.

520 | von Freeden

C. Besteuerung von Publikumsfonds | Rz. 12.10 Kap. 12

nen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit, wenn – wie nach dem „alten“ InvStG 20041 – ein inländischer Fonds eine Dividende kapitalertragsteuerfrei beziehen kann, die Dividendenzahlung an einen ausländischen Fonds dagegen mit Kapitalertragsteuer belastet ist.2 Ein Publikumsfonds erzielt in der Praxis typischerweise Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 2 Abs. 1 Nr. 5, § 20 EStG)3, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 2 Abs. 1 Nr. 6, § 21 EStG) und/oder Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Nr. 2, § 15 EStG). Die möglichen Erträge sind in einem abschließenden Katalog in § 6 Abs. 2 bis 5 InvStG 2018 geregelt.4 Eine Besteuerung erfolgt nach dem InvStG auf Fondsebene und auf Anlegerebene nach dem Trennungsprinzip, die Besteuerung ist vergleichbar mit der Besteuerung einer Kapitalgesellschaft (Publikumsfonds-Ebene) und deren Gesellschafter (Anleger-Ebene). Dabei ist Ziel des Besteuerungssystems, die Beteiligung eines Anlegers an einem inländischen und ausländischen Fonds „steuerbelastungstechnisch“ gleich zu stellen. Folglich werden inländische Investmentfonds wie unbeschränkt und ausländische Investmentfonds wie beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Vermögensmassen behandelt (§ 6 Abs. 1 InvStG).

12.7

Die Einkünfte des Fonds werden als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten ermittelt (§ 6 Abs. 7 InvStG). Dabei sind jedoch nur die Werbungskosten zu berücksichtigen, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit Einnahmen stehen.

12.8

Die inländischen Erträge des in- oder ausländischen Fonds unterliegen auf Fondsebene einer Besteuerung mit Körperschaftsteuer (§ 6 Abs. 2 Satz 2 InvStG). Diese Erträge umfassen ausschließlich

12.9

– inländische Beteiligungseinnahmen (§ 6 Abs. 3 Nr. 1 InvStG; insb. inländische Dividenden, inländische Erträge aus der Veräußerung von Dividendenscheinen, Leihgebühren und Dividendenkompensationszahlungen im Zusammenhang mit Wertpapierdarlehen), – inländische Immobilienerträge (§ 6 Abs. 4 InvStG; Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von inländischen Immobilien und Gewinne aus Veräußerung von inländischen Immobilien), – sonstige inländische Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG mit Ausnahme von § 17 EStG-Beteiligungsveräußerungsgewinnen (§ 6 Abs. 5 InvStG; insb. Einkünfte aus Gewerbebetrieb). Keine steuerpflichtigen inländischen Erträge sind demnach Zinsen, Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften und von Wertpapieren, Gewinne aus Termingeschäften und ausländische Erträge (z.B. Dividenden, Immobilienerträge). Ein Veräußerungsgewinn wird auf Fondsebene somit nicht besteuert. Durch diese Ausnahme soll eine Besserstellung ausländischer Fonds vermieden werden, deren Gewinne aus der Veräußerung einer Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft regelmäßig von Deutschland nach Abkommensrecht nicht besteuert werden dürfen (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). § 8b KStG findet 1 Siehe zu Einzelheiten 4. Auflage, Kapitel 12. 2 EuGH v. 10.5.2012 – C-338/11, C-339/11 bis C-347/11, ECLI:EU:C:2012:286 = HFR 2012, 808 – Santander Asset Management SGIIC u.a. 3 Einkünfte aus der Beteiligung an einer nach § 1a KStG optierenden Personengesellschaft gelten nicht als Erträge aus einer Kapitalbeteiligung (§ 2 Abs. 8 Satz 5 Nr. 1 Halbs. 2 InvStG). 4 In § 6 InvStG sind die Einkünfte behandelt. Nach der Systematik § 6 Abs. 2 InvStG sind Investmentfonds grundsätzlich steuerbefreit, unterliegen aber mit ihren inländischen Beteiligungseinnahmen, inländischen Immobilienerträgen und sonstigen inländischen Einkünften der Körperschaftsteuer.

von Freeden | 521

12.10

Kap. 12 Rz. 12.10 | Internationales Investmentsteuerrecht

keine Anwendung (§ 6 Abs. 6 InvStG).1 Die Anschaffung oder Veräußerung einer Beteiligung an einer Personengesellschaft gilt als Anschaffung oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter (§ 6 Abs. 6a InvStG).

12.11

Der Steuersatz auf Fondsebene beträgt 15 % (einschließlich Solidaritätszuschlag). Die Höhe des Steuersatzes ist an den typischen Quellensteuersatz für Beteiligungserträge angelehnt, dadurch soll eine Wettbewerbsneutralität zwischen inländischen und ausländischen Fonds erreicht werden. Da einige deutsche Abkommen einen Quellensteuersatz von unter 15 % für inländische Beteiligungserträge vorsehen, kann sich im Einzelfall ein Belastungsvorteil für ausländische Fonds ergeben.2 Die Erträge, die ein Fonds erzielt und die einem Steuerabzug unterliegen (z.B. Dividende), werden „fondseingangsseitig“ mit einer (abgeltenden) Kapitalertragsteuer in Höhe von 15 % belastet (§ 7 Abs. 1, Abs. 2 InvStG). Sofern auch Solidaritätszuschlag zu erheben ist, beträgt der Gesamtabzug 15 %, sodass sich die Kapitalertragsteuer auf 14,218 % reduziert und der Solidaritätszuschlag 0,782 % des Kapitalertrags beträgt.3 Voraussetzung hierfür ist, dass der Fonds dem Steuerentrichtungsverpflichteten eine Statusbescheinigung vorlegt, die den Fonds als solchen identifiziert (§ 7 Abs. 3, Abs. 4 InvStG). Unterliegen die Einkünfte dem Kapitalertragsteuerabzug, so sind der Ansatz von Werbungskosten sowie eine Verlustverrechnung ausgeschlossen4.

12.12

In Ausnahme zu dieser intransparenten Besteuerung besteht die Möglichkeit auf Antrag eine quotale oder vollständige Befreiung von der Körperschaftsteuer zu erhalten. Ein solcher Antrag setzt voraus, dass die Anteile des Investmentfonds von Anlegern gehalten werden, die steuerbegünstigt5 sind (§ 8 InvStG).6 Besteht dementsprechend aufgrund der Anlegerstruktur auf Ebene des Publikumsfonds eine vollständige Steuerbefreiung, so gilt diese Steuerfreiheit im Hinblick auf dessen in- sowie ausländischen Anleger.7

12.13

Im Grundsatz unterliegt ein Publikumsfonds als fingiertes Gewerbesteuersubjekt grundsätzlich auch der Gewerbesteuer (§ 15 Abs. 1 InvStG, § 2 Abs. 3 GewStG).8 Der „typische“ Publi1 2 3 4 5

§ 6 Abs. 6 InvStG. Übersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 67. Faller/Wolf/Brielmaier, DB 2016, 488, 490. § 6 Abs. 7 Satz 3 InvStG 2018; Stadler/Mager, DStR 2016, 700. Steuerbegünstigt sind gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Anleger sowie Anleger, die Anteile im Rahmen von zertifizierten Altersvorsorge- oder Basisrentenverträge halten; hierzu auch Jetter/ Mager, SteuK 2016, 25. 6 § 8 Abs. 1 InvStG; auch ein Immobilienfonds kann auf Antrag gem. § 8 Abs. 2 InvStG steuerbefreit werden, soweit Anteile von steuerbegünstigten Anlegern (d.h. inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts (Alt. 1) sowie von der Körperschaftsteuer befreite inländische Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen, soweit sie nicht unter die Alt. 1 fallen, oder vergleichbare ausländische Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen mit Sitz und Geschäftsleitung in einem Amts- und Beitreibungshilfe leistenden ausländischen Staat); vgl. hierzu auch: Stadler/Mager, DStR 2016, 700. Bei inländischen Immobilienerträgen wird durch § 8 Abs. 2 Nr. 2 InvStG der Kreis der potentiellen Begünstigten erweitert; vgl. hierzu: Kammeter, ISR 2016, 103; zu den weiteren Voraussetzungen der Steuerbefreiung siehe § 8 Abs. 4 InvStG. 7 Kammeter, ISR 2016, 103; von Schweinitz/Thiems, DStR 2016, 1200 f. Für die Vergleichbarkeit des ausländischen Anlegers mit dem inländischen Anleger sind die materiell-rechtlichen Anforderungen des § 9 Abs. 1 Nr. 2 InvStG zu erfüllen. Im Übrigen sind nach § 10 Abs. 1 und 2 InvStG Investmentfonds oder Anteilklassen steuerbefreit, wenn sich nach den Anlagebedingungen nur steuerbegünstigte Anleger nach § 8 Abs. 1 InvStG beteiligen dürfen. In diesem Fall bedarf es demnach keines Antrags. 8 § 15 Abs. 1 InvStG, hierzu im Regierungsentwurf BT-Drucks. 18/8045, 83 ff.

522 | von Freeden

C. Besteuerung von Publikumsfonds | Rz. 12.18 Kap. 12

kumsfonds dürfte jedoch regelmäßig die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung i.S.v. § 15 Abs. 2 InvStG erfüllen. Dies ist der Fall, wenn der objektive Geschäftszweck des Investmentfonds auf die Verwaltung sowie Anlage der Mittel für gemeinschaftliche Rechnung der Anleger beschränkt ist und die Vermögensgegenstände nicht in wesentlichem Umfang aktiv unternehmerisch bewirtschaftet werden. Die Einkünfte des Investmentfonds sind als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang zu den Einnahmen stehen, zu ermitteln.1 Bei Einkünften, die einem Steuerabzug unterliegen, sind der Ansatz der Werbungskosten sowie eine Verrechnung mit negativen Einkünften ausgeschlossen. Stehen Werbungskosten zu mehreren Einkunftsarten in einem wirtschaftlichen Zusammenhang, so ist auf Grundlage der Gesetzesbegründung der engere Zusammenhang wirtschaftlich vorrangig.2

12.14

Eine Verlustverrechnung ist bei Einkünften, die keinem Steuerabzug unterliegen, zulässig.3 Dies ermöglicht beispielsweise die Verrechnung von Verlusten aus einer Immobilienanlage mit positiven Einkünften aus einer anderen Immobilienanlage. Nicht ausgeglichene negative Einkünfte sind in den folgenden Veranlagungszeiträumen abzuziehen.4 § 10d Abs. 4 EStG ist sinngemäß anzuwenden.5

12.15

Auf Anlegerebene erfolgt eine Besteuerung der ausgeschütteten Erträge und der Veräußerungs- bzw. Rückgabegewinne mit dem Abgeltungssteuersatz (Fondsanteile sind Privatvermögen) oder als Betriebseinnahme (Fondsanteile sind Betriebsvermögen). Dabei erfolgt eine Besteuerung auch bei Thesaurierung der Fondserträge auf der Grundlage einer „Vorabpauschale“, deren Höhe unter Zugrundelegung des Basiszinssatzes (§ 18 Abs. 4 InvStG) ermittelt wird.

12.16

Die ausländische Quellensteuer, die bei Vereinnahmung von Auslandserträgen des Fonds möglicherweise anfällt, ist nicht auf die Steuer des Anlegers anrechenbar. Um eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung (Besteuerung auf Fondsebene, Besteuerung auf Anlegerebene [ohne Anrechnung ausländischer Steuer]) zu vermeiden, sind die Erträge des Anlegers aus seiner Fondsbeteiligung anteilig steuerfrei (Teilfreistellung). Die Höhe der Teilfreistellung auf Anlegerebene hängt von der Zusammensetzung des Fondsvermögens ab (Aktienfonds: Teilfreistellung 30 %6; Immobilienfonds: 60 % oder 80 %7).

12.17

II. International-steuerliche Aspekte auf Fondsebene 1. Erträge aus ausländischen Quellen Ein internationaler Sachverhalt liegt vor, wenn ein unbeschränkt steuerpflichtiger Anleger an einem inländischen Publikumsfonds beteiligt ist, der (auch) Erträge aus ausländischen Quellen erzielt (z.B. Dividende aus einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland; Mieteinnahmen aus einer im Ausland gelegenen Immobilie). Da es sich nicht um inländische Beteiligungserträge (§ 6 Abs. 3 InvStG), inländische Immobilienerträge (§ 6 Abs. 4

1 2 3 4 5 6 7

§ 6 Abs. 7 InvStG. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 18/8045, 75. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 18/8045, 75. § 6 Abs. 8 Satz 1 InvStG. § 6 Abs. 8 Satz 2 InvStG. Privater Anleger. Investitionsschwerpunkt des Fonds sind im Ausland gelegene Immobilien.

von Freeden | 523

12.18

Kap. 12 Rz. 12.18 | Internationales Investmentsteuerrecht

InvStG) oder sonstige inländische Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 EStG1 (§ 6 Abs. 2, Abs. 5 InvStG) handelt, besteht auf Fondsebene insoweit keine inländische Steuerpflicht.2 Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass die ausländischen Erträge vom Fonds ohne Steuerbelastung vereinnahmt werden können.

12.19

Die Erträge aus ausländischen Quellen können einer Besteuerung im Ausland unterliegen (z.B. ausländische Quellensteuer auf Auslandsdividenden; Besteuerung der Mieterträge aus im Ausland gelegenen Immobilien nach ausländischem Steuerrecht).

2. Anspruch auf Quellensteuererstattung 12.20

Die Voraussetzungen für einen (Quellensteuer-)Erstattungsanspruch des Fonds gegen den ausländischen Staat richten sich nach ausländischem Recht. Dabei ist auf den Fonds als abkommensberechtigte Person abzustellen.

12.21

Eine Anrechnung ausländischer Quellensteuer scheidet auf Fondsebene mangels deutscher Besteuerung (Rz. 12.10) aus. Eine Steueranrechnung auf Anlegerebene scheidet aufgrund des Trennungsprinzips (Rz. 12.7) gleichfalls aus.

III. International-steuerliche Aspekte auf Anlegerebene 1. Inländischer Anleger a) Besteuerung nach nationalem Recht

12.22

Die Besteuerung der ausgeschütteten Erträge des Publikumsfonds unterscheidet nicht danach, ob den Ausschüttungen Inlands- oder Auslandserträge des Fonds zu Grunde liegen. Die ausgeschütteten (Inlands- und Auslands-)Erträge des Fonds werden auf Anlegerebene als Investmenterträge i.S.d. § 16 InvStG besteuert (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Im Fall einer Thesaurierung auf Fondsebene ist Gegenstand der Besteuerung die Vorabpauschale. Dabei ist der Betrag der ausgeschütteten Erträge bzw. der Vorabpauschale anteilig von einer Besteuerung freigestellt (Teilfreistellung). Im Vergleich zu Direktanlagen soll für den Anleger eine wirtschaftlich transparente Situation geschaffen werden. Die Höhe der Teilfreistellung ist abhängig von der Art des Rechtssubjektes auf Anlegerseite, d.h. ob eine natürliche Person oder ein Körperschaftssubjekt beteiligt ist, der Tatsache, ob die Anteile im Privat- oder Betriebsvermögen3 gehalten werden sowie von der Art des Investmentfonds.4

1 Im Rahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG sind Erträge nur erfasst, soweit der Investmentfonds seine Vermögensgegenstände aktiv unternehmerisch bewirtschaftet (§ 6 Abs. 5 Satz 2 InvStG). 2 Das ist mit Blick auf die nur beschränkte Steuerpflicht ausländischer Investmentfonds und der grundsätzlichen Steuerbefreiung aller nicht enumerierten Einkünfte auch konsistent (§ 6 Abs. 1, 2 InvStG). 3 § 21 InvStG. 4 § 20 InvStG; zu den Ausführungen im Referentenentwurf Jetter/Mager, SteuK 2016, 27. Ändert sich der anwendbare Teilfreistellungssatz oder fallen die Voraussetzungen der Teilfreistellung weg, so gilt der Investmentanteil als veräußert und an dem Folgetag als angeschafft (§ 22 Abs. 1 InvStG). Der etwaige Veräußerungsgewinn aus dieser fiktiven Veräußerung gilt in dem Zeitpunkt als zugeflossen, in dem der Investmentanteil tatsächlich veräußert wird oder nach § 19 Abs. 2 InvStG als veräußert gilt (§ 22 Abs. 3 InvStG). Er kann jedoch unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 Satz 2 InvStG unter den Tarif der Kapitalertragsteuer fallen. Es gibt vielfältige Gründe, die zu einem solchen Realisationsvorgang führen können. Zu nennen sind bspw., dass sich der tatsächliche Anla-

524 | von Freeden

C. Besteuerung von Publikumsfonds | Rz. 12.25 Kap. 12 Anlage

Fonds

Teilfreistellungssatz

Aktienfonds

30 % (Privatanleger) 60 % (betrieblicher Anleger, § 3 Nr. 40 EStG) 80 % (betrieblicher Anleger, § 8b KStG)

mind. 25 % in Aktien höchstens 50 % in Aktien2

Mischfonds

15 % (Privatanleger) 30 % (betrieblicher Anleger, § 3 Nr. 40 EStG) 40 % (betrieblicher Anleger, § 8b KStG)

mehr als 50 % in Immobilien

Immobilienfonds

60 % (für alle Anlegergruppen)

mehr als 50 % in ausl. Immobilien

Auslandsimmobilienfonds

80 % (für alle Anlegergruppen)

mehr als 50 % in

Aktien1

Sind die ausgeschütteten Erträge Gegenstand eines inländischen Gewerbebetriebs, erhöhen sie den Gewerbeertrag. Die Teilfreistellungen sind dabei jeweils nur in Höhe der Hälfte zu berücksichtigen.3 b) Besteuerung nach Abkommensrecht Im Fall der Ausschüttung eines ausländischen Fonds an einen Steuerinländer kann ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anwendbar sein (Art. 10 OECD-MA). Fraglich ist, ob dies auch für die Vorabpauschale gilt.4 Zumindest aus systematischen Gründen wäre dies u.E. geboten, da die Vorabpauschale die Ertragsausschüttung als Bemessungsrundlage für eine Besteuerung auf Anlegerebene ersetzt.

12.23

Wenn eine deutsche Kapitalgesellschaft an einem ausländischen Fonds (in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft) beteiligt ist, kann abkommensrechtlich eine Schachtelbeteiligung vorliegen. Folge ist, dass die ausgeschütteten Erträge des ausländischen Fonds von der deutschen Bemessungsgrundlage auszunehmen wären. Nach einem Treaty-Override des InvStG ist das abkommensrechtliche Schachtelprivileg nur anwendbar, wenn der ausländische Investmentfonds in dem Staat, dem abkommensrechtlich das Besteuerungsrecht zusteht, einer allgemeinen Ertragsbesteuerung von mindestens 10 % unterliegt und die Ausschüttung zu mehr als 50 % auf nicht steuerbefreiten Einkünfte des Fonds beruht (§ 16 Abs. 4 InvStG). Durch diese Regelung soll die Entstehung weißer Einkünfte vermieden werden, einer Nutzung des InvStG zur Umsetzung von „Steuersparmodellen“ soll durch Nichtgewährung des Schachtelprivilegs entgegengewirkt werden.

12.24

c) Keine Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 Abs. 5 AStG) Nach § 7 ff. AStG werden die Einkünfte eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. Niedrigbesteuerung im Sitzstaat der Gesellschaft) den Einkünften der (Inlands-)Gesellschaftern hinzugerechnet (sog. Hinzurechnungsbesteuerung,

1 2 3 4

geschwerpunkt ändert oder der Anleger nachweist, dass der Investmentfonds die Anlagegrenzen während des Geschäftsjahrs tatsächlich durchgehend überschritten hat (§ 20 Abs. 4 InvStG). BMF v. 21.5.2019 – IV C 1 - S 1980-1/16/10010:001, BStBl. I 2019, 527, Tz. 2.6 ff. BMF v. 21.5.2019 – IV C 1 - S 1980-1/16/10010:001, BStBl. I 2019, 527, Tz. 2.34 ff. § 20 Abs. 5 InvStG. Dies beruht auf der grundsätzlich fehlenden Gewerbesteuerbelastung auf Ebene des Investmentfonds. Kammeter, ISR 2016, 104.

von Freeden | 525

12.25

Kap. 12 Rz. 12.25 | Internationales Investmentsteuerrecht

Rz. 13.1). Im Ergebnis hat die Hinzurechnungsbesteuerung eine Durchbrechung des Trennungsprinzips zur Folge. Die Hinzurechnungsbesteuerung findet keine Anwendung, wenn die Auslandseinkünfte Gegenstand einer Besteuerung nach dem InvStG sind (§ 7 Abs. 5 AStG). Danach erfolgt keine Hinzurechnungsbesteuerung, wenn es sich um Einkünfte eines investmentsteuerlichen (ausländischen) Publikumsfonds handelt.1 Die gilt auch, wenn die Einkünfte auf Fondsebene im Ausland nicht besteuert werden.

12.26

Ausnahmsweise kann die Hinzurechnungsbesteuerung Anwendung finden, wenn die Geschäfte, die den Einkünfte des ausländischen Fonds zu Grunde liegen, – in der Praxis „untypisch“ – zu mehr als einem Drittel mit dem Anleger betrieben werden (§ 7 Abs. 5 AStG).

2. Ausländischer Anleger 12.27

Die Fondserträge, die ein ausländischer Anleger aufgrund seiner Beteiligung am inländischen Fonds erzielt (z.B. Ausschüttungen des Fonds), unterliegen nicht der beschränkten Steuerpflicht. Nach dem InvStG in der Fassung ab 1.1.2018 werden die inländischen Erträge bereits auf Fondsebene besteuert (Rz. 12.9), so dass aus Sicht des Gesetzgebers kein Grund besteht, die Ausschüttungen eines Publikumsfonds auf der Ebene der Anleger der beschränkten Steuerpflicht zu unterwerfen.

12.28

Eine Besteuerung der Erträge auf Anlegerebene erfolgt im Wohnsitzstaat des ausländischen Anlegers nach den Regeln des ausländischen Steuerrechts. Eine „Nicht-Besteuerung“ auf Anlegerebene im Wohnsitzstaat (z.B. Anleger mit Wohnsitz in Dubai) hat keine Auswirkungen auf die Fonds- oder Anlegerbesteuerung im Inland.

D. Besteuerung von Spezial-Investmentfonds I. Überblick 12.29

Ein Spezial-Investmentfonds ist ein Investmentfonds, der – die Voraussetzungen für eine Gewerbesteuerbefreiung nach § 15 Absatz 2 und 3 und – den Anlagekatalog des § 1 Abs. 1b InvStG2 erfüllt (§ 26 Abs. 1 InvStG). In Abhängigkeit von der Zusammensetzung des Fondsvermögens liegt ein Immobilien-Spezialfonds vor. Im Grundsatz unterliegen die inländischen Erträge zwar auch bei einem Spezialfonds auf Fondsebene der Besteuerung mit Körperschaftsteuer. Eine semi-transparente Besteuerung der Fondserträge ist jedoch möglich (Transparenzoption). Bei Ausübung der Transparenzoption entfällt die Steuerpflicht auf Ebene des Spezialfonds. In diesem Fall greift kein Kapitalertragssteuerabzug ein. Die inländischen Beteiligungseinnahmen i.S.d. § 6 Abs. 3 InvStG sowie die sonstigen inländischen Einkünfte nach § 6 Abs. 5 1 Jacobsen in AStG – eKommentar, § 7 Beteiligung an ausländischer Zwischengesellschaft. 2 Unterliegen einer Aufsicht über Vermögen zur gemeinschaftlichen Kapitalanlage; Anleger können mindestens einmal pro Jahr das Recht zur Anteilsrückgabe ausüben; Vermögensanlage nach dem Grundsatz der Risikomischung; Vermögen wird zu mindestens 90 % in die gesetzlich bestimmten Vermögensgegenstände angelegt; höchstens 20 % des Wertes des Investmentfonds werden in „außerbörsliche“ Kapitalgesellschaften investiert; Höhe der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft liegt – sofern keine Ausnahmeregelung vorliegt – unter 10 % des Kapitals der Kapitalgesellschaft; Kreditaufnahme nur in gesetzlich zulässiger Weise; nicht mehr als 100 Anleger.

526 | von Freeden

D. Besteuerung von Spezial-Investmentfonds | Rz. 12.32 Kap. 12

InvStG sind in diesem Fall auf Ebene des Spezial-Investmentfonds steuerbefreit.1 Die Erträge werden den Anlegern direkt zugerechnet. Die Anleger gelten in diesem Fall als Gläubiger der inländischen Beteiligungseinnahmen und als Schuldner der Kapitalertragsteuer.2

II. Besteuerung nach Trennungsprinzip Im Grundsatz entspricht die Besteuerung eines Spezialfonds der Besteuerung eines Publikumsfonds (§ 29 Abs. 1 i.V.m. §§ 6, 7 InvStG; Rz. 12.7). Allerdings sind Spezialfonds stets von der Gewerbesteuer befreit (§ 29 Abs. 4 InvStG). Eine Besteuerung von Spezialfonds nach dem Trennungsprinzip dürfte in der Besteuerungspraxis allerdings der Ausnahmefall sein, in der Regel dürfte die Transparenzoption ausgeübt werden (Rz. 12.31).

12.30

III. Besteuerung nach Transparenzoption 1. Semi-transparente Fondsbesteuerung Bei Ausübung der Transparenzoption (§ 30 Abs. 1 Satz 1 InvStG) erfolgt eine semi-transparente Besteuerung von Spezial-Investmentfonds und Anleger. Dabei finden § 8b KStG und § 3 Nr. 30 EStG auf Anlegerebene Anwendung (§ 30 Abs. 2 InvStG). Aus international-steuerlicher Sicht können die folgenden Fallgruppen unterschieden werden:

12.31

– Beteiligung eines Steuerinländers an einem inländischen Spezial-Investmentfonds (Rz. 12.32), – Beteiligung eines Steuerinländers an einem ausländischen Spezial-Investmentfonds (Rz. 12.58) und – Beteiligung eines Steuerausländers an einem inländischen Spezial-Investmentfonds (Rz. 12.63).

2. Beteiligung eines Steuerinländers an einem inländischen SpezialInvestmentfonds a) Besteuerung im Inland aa) Fondsebene (1) Grundsätze der Ertragsermittlung Der Spezialfonds ist von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit.3 Die Einkünfte des Fonds sind allerdings auf Fondsebene gesondert zu ermitteln. Typischerweise handelt es sich 1 Die Körperschaftsteuerpflicht für die inländischen Beteiligungseinnahmen eines Spezial-Investmentfonds entfällt, wenn der Spezial-Investmentfonds gegenüber dem Entrichtungspflichtigen unwiderruflich erklärt, dass den Anlegern des Spezial-Investmentfonds Steuerbescheinigungen gem. § 45a Abs. 2 EStG ausgestellt werden sollen, vgl. weiterführend im Hinblick auf Beteiligungsertragsbefreiungen Kempf/Hirtz, DStR 2016, 5; Stadler/Mager, DStR 2016, 702. 2 Zurückzuführen ist die Einführung der Transparenzoption auf die unionsrechtlichen Bedenken gegenüber der Regelung der Kapitalertragsteuerpflicht von ausländischen Investmentfonds. Im Hinblick auf das französische Steuerrecht vgl. EuGH v. 10.5.2012 – C-338/11 und C-339/11 bis 347/ 11, ECLI:EU:C:2012:286 = HFR 2012, 808 – Santander Asset Management SGIIC u.a., sowie zum polnischen Steuerrecht EuGH v. 10.4.2014 – C-190/12, ECLI:EU:C:2014:249 = ZIP 2014, 1579 – Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company. 3 § 11 Abs. 1 Satz 2 InvStG.

von Freeden | 527

12.32

Kap. 12 Rz. 12.32 | Internationales Investmentsteuerrecht

um Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 2 Abs. 1 Nr. 5, § 20 EStG), Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 2 Abs. 1 Nr. 6, § 21 EStG) und/oder Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Nr. 2, § 15 EStG).

12.33

Es gilt ein modifiziertes Zufluss- und Abflussprinzip (§ 37 InvStG). Dividenden gelten am Tag des Dividendenabschlags als zugeflossen (§ 38 Abs. 2 InvStG), Zinsen und Mieten sind periodengerecht abzugrenzen (§ 38 Abs. 3 InvStG), periodengerecht abgegrenzte Werbungskosten gelten als abgeflossen, wenn die tatsächliche Zahlung im folgenden Geschäftsjahr erfolgt (§ 38 Abs. 4 InvStG).

12.34

Die Einkünfte sind als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu ermitteln (§ 37 InvStG). Dabei sind die Werbungskosten, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit Einnahmen stehen, bei diesen Einnahmen abzuziehen (§ 39 Abs. 1 InvStG).

12.35

Verluste (negative Erträge), die der Fonds erleidet, sind mit positiven Erträgen gleicher Art zu verrechnen (§ 41 Abs. 1 InvStG). Verbleibende Verluste sind vorzutragen (§ 41 Abs. 2 Satz 1 InvStG), eine Verlustverrechnung mit anderen Einkünften des Anlegers scheidet aus.

12.36

Ausgeschüttete oder ausschüttungsgleiche Erträge des Investmentfonds, die aus Zinserträgen i.S.d. § 4h Abs. 3 Satz 3 EStG stammen, sind beim Anleger im Rahmen der Zinsschrankenregelung des § 4h Abs. 1 EStG als Zinserträge zu berücksichtigen (§ 46 InvStG). (2) Ausländische Fondserträge (a) Kein Abzug von Kapitalertragsteuer als Werbungskosten

12.37

Ein internationaler Sachverhalt liegt vor, wenn ein unbeschränkt steuerpflichtiger Anleger an einem inländischen Publikumsfonds beteiligt ist, der (auch) über Auslandsvermögen verfügt. In diesem Fall erzielt der Fonds Erträge aus Auslandsvermögen. In Betracht kommen sämtliche Erträge, die auch aus Inlandsvermögen erzielt werden können (z.B. Zinsen, Dividenden, Veräußerungsgewinne, Mieten). Die Erträge können einer Besteuerung im Ausland und/oder im Inland unterliegen. Die Vermeidung einer Doppelbesteuerung erfolgt auf Anlegerebene (dazu Rz. 12.39). Das Investmentvermögen kann ausländische Kapitalertragsteuer bei der Ermittlung der Erträge nicht als Werbungskosten abziehen. (b) Abzug „mittelbarer“ Werbungskosten von steuerbefreiten DBA-Einkünften

12.38

Bei der Ermittlung der Erträge eines Investmentvermögens sind Werbungskosten nach einem bestimmten Berechnungsschema von den Einnahmen abzuziehen. Die mittelbaren Werbungskosten, die nicht bestimmten Einnahmen unmittelbar zugerechnet werden können, sind primär von den abkommensrechtlich steuerbefreiten Einnahmen abzuziehen (§ 40 Abs. 1 InvStG). In der Praxis sind dies regelmäßig Einkünfte aus im DBA-Ausland gelegenen Immobilien, deren Besteuerung nach dem Belegenheitsprinzip in dem Staat erfolgt, in dem sich das Grundstück befindet (Art. 6 OECD-MA). Der Anteil der Werbungskosten, der diesen DBAEinnahmen zuzurechnen ist, entspricht dem Verhältnis des durchschnittlichen ausländischen DBA-Quellvermögens des vorangegangenen Geschäftsjahrs zum durchschnittlichen Gesamtvermögen des vorangegangenen Geschäftsjahrs. Bei der Berechnung des durchschnittlichen Vermögens sind die jeweiligen monatlichen Endwerte des vorangegangenen Geschäftsjahres zugrunde zu legen. Dabei ist auf das jeweilige Nettovermögen (Gesamtvermögen abzüglich Schulden) abzustellen, wenn die Fondsverwaltungsvergütung nach den vertraglichen Grund528 | von Freeden

D. Besteuerung von Spezial-Investmentfonds | Rz. 12.42 Kap. 12

lagen auf Basis des Nettovermögens zu berechnen ist.1 Andernfalls ist auf das jeweilige Bruttovermögen abzustellen. Die verbleibenden allgemeinen Werbungskosten wirken sich mindernd bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes im Rahmen des Progressionsvorbehalts aus2 (Rz. 12.43). bb) Anlegerebene (1) Vermeidung einer Doppelbesteuerung bei Auslandserträgen des Fonds Sofern ein inländischer Fonds Erträge aus Auslandsvermögen erzielt, können steuerliche ausländische Einkünfte vorliegen. Ob es sich bei Einkünften um ausländische Einkünfte handelt, ist unter Zugrundelegung des jeweiligen DBA zu prüfen.3 Ein Rückgriff auf § 34d EStG scheidet aus.4

12.39

Die Vermeidung (bzw. Minimierung) einer Doppelbesteuerung der ausländischen Einkünfte auf Anlegerebene ist in § 43 InvStG geregelt. Die erforderlichen Informationen zur „deklarationstechnischen“ Umsetzung der Vorschriften sind von der Investmentgesellschaft zu veröffentlichen (§ 51 Abs. 1 InvStG).

12.40

(2) Freigestellte DBA-Einkünfte (a) Freistellungsmethode Die ausländischen Einkünfte des Fonds können nach einem DBA steuerbefreit sein (z.B. Einkünfte aus im Ausland gelegenen Immobilien; § 43 Abs. 1 InvStG). Die Anwendbarkeit eines bestimmten DBA ist dabei nicht aus Fondssicht, sondern aus Anlegersicht zu bestimmen.5 Auf die Ansässigkeit des Investmentvermögens oder der Kapitalverwaltungsgesellschaft kommt es somit nicht an, entscheidend ist ausschließlich die Ansässigkeit des Anlegers.

12.41

Die vom Fonds an den Anleger ausgeschütteten Erträge und die (dem Anleger zuzurechnenden) ausschüttungsgleichen Erträge sind bei der Besteuerung des Anlegers außer Betracht zu lassen, wenn sie DBA-befreit sind (§ 43 Abs. 1 Satz 1 InvStG; Freistellungsmethode).6 Der Anleger wird im Ergebnis so gestellt, wie bei einer Direktanlage im DBA-Ausland. Praktische Bedeutung hat die Regelung für Erträge aus im Ausland gelegenen Immobilien (einschließlich Veräußerungsgewinne) und Auslandsbetriebsstätten. In Betracht kommt eine Anwendung auch bei Dividenden aus einer ausländischen Immobilienkapitalgesellschaft oder bei Dividenden aus einer Schachtelbeteiligung, wobei für die maßgebliche Beteiligungshöhe auf den Zeitpunkt des Zuflusses der Ausschüttung oder bei ausschüttungsgleichen Erträgen auf das Ende des Geschäftsjahrs abzustellen ist. Dabei ist die Beteiligungshöhe aus Anlegersicht im Wege einer „Durchrechnung“ zu bestimmen.

12.42

1 Zum InvStG 2004 Feierabend in Moritz/Jesch, Bd. 2, § 3 InvStG Rz. 113 mit Hinweis auf BMF v. 18.8.2009 – IV C 1 - S 1980-1/08/10019, BStBl. I 2009, 931, Tz. 59. 2 BMF v. 18.8.2009 – IV C 1 - S 1980-1/08/10019, BStBl. I 2009, 931, Tz. 59. 3 BMF v. 18.8.2009 – IV C 1 - S 1980-1/08/10019, BStBl. I 2009, 931, Tz. 75; Haase in Haase2, InvStG, § 4 Rz. 33; Kreft/Gottschling in Moritz/Jesch, § 4 InvStG Rz. 20; Stock/Oberhofer in Berger/Steck/ Lübbehüsen, § 4 InvStG Rz. 17. 4 Haase in Haase2, § 4 InvStG Rz. 31; Kreft/Gottschling in Moritz/Jesch, § 4 InvStG Rz. 19. 5 Zum InvStG 2004 BMF v. 18.8.2009 – IV C 1 - S 1980-1/08/10019, BStBl. I 2009, 931, Tz. 75. 6 Voraussetzung für eine Anwendung von § 4 Abs. 1 InvStG ist, dass es sich bei dem Investmentfonds um ein „echtes“ transparentes Investmentvermögen handelt, das die Berichts- und Veröffentlichungspflichten nach § 5 InvStG erfüllt.

von Freeden | 529

Kap. 12 Rz. 12.43 | Internationales Investmentsteuerrecht

(b) Progressionsvorbehalt

12.43

Bei Anwendbarkeit eines DBA können die Voraussetzungen des Progressionsvorbehalts erfüllt sein (Art. 23A Abs. 3 OECD-MA). Umfasst das jeweilige DBA keine entsprechende Regelung, ergibt sich eine Anwendung des Progressionsvorbehalts auf abkommensrechtlich steuerbefreite ausländische Erträge des Investmentvermögens aus dem InvStG (§ 47 Abs. 2 InvStG). Bei Anlegern, deren Anteile steuerliches Privatvermögen sind, scheidet eine Anwendung des Progressionsvorbehalts allerdings aus, da die lineare Abgeltungssteuer nach § 32d EStG einschlägig ist. Für Körperschaften spielt der Progressionsvorbehalt aufgrund des einheitlichen Körperschaftsteuersatzes gleichfalls keine Rolle. Praktisch betroffen sein können somit nur noch Anleger, deren Fondsanteile Betriebsvermögen sind. Dabei entfaltet der Progressionsvorbehalt im Wesentlichen Wirkung bei Anlegern, die über ein Investmentvermögen Mieterträge aus im Ausland gelegenen Immobilien erzielen.1

12.44

Nach dem Progressionsvorbehalt ist der Steuersatz anzuwenden, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a EStG zu versteuernde Einkommen um die abkommensrechtlich steuerbefreiten ausgeschütteten oder ausschüttungsgleichen Erträge vermehrt oder vermindert wird (§ 47 Abs. 2 und 3 InvStG). Dabei sind die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte nur mit einem Fünftel zu berücksichtigen (Einkünfte nach § 34 Abs. 2 EStG; steuerbare DBA-befreite Gewinne aus der Veräußerung anderer Wirtschaftsgüter). Die Anwendung des Progressionsvorbehalts kann eine Erhöhung des Steuersatzes (positive Auslandseinkünfte) und eine Senkung des Steuersatzes (negative Auslandseinkünfte) zur Folge haben. (3) Anrechnung ausländischer Quellensteuer (a) Ausländische Quellensteuer

12.45

Ausländische Quellensteuer kann anfallen, wenn das Investmentvermögen Erträge aus ausländischen Quellen erzielt und der Quellenstaat diese Erträge besteuert (z.B. inländisches Investmentvermögen ist an einer US-Kapitalgesellschaft beteiligt und die US-Gesellschaft zahlt eine Dividende an das Investmentvermögen, § 47 Abs. 1 InvStG). Die festgesetzte, gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliegende ausländische Quellensteuer ist in den Grenzen des § 47 Abs. 2 InvStG auf die deutsche Steuer des Anlegers anrechenbar. (b) Anrechnungsvoraussetzungen und -methodik

12.46

Nach dem Gesetzeswortlaut ist eine unbeschränkte Steuerpflicht des Anlegers (§ 1 Abs. 1 bis 3 EStG; § 1 KStG) Voraussetzung für eine Steueranrechnung (§ 47 Abs. 1 Satz 1 InvStG). In der Literatur wird zutreffend vertreten, dass auch bei (nur) beschränkter Steuerpflicht eine Anrechnungsmöglichkeit eröffnet sein muss.2

1 Zum InvStG 2004 Kreft/Gottschling in Moritz/Jesch, § 4 InvStG Rz. 37. 2 Nach Auffassung von Haase ergibt sich dies aus § 50 Abs. 3 EStG, wenn die Fondsanteile Gegenstand eines inländischen Betriebsvermögens sind; Haase in Haase2, § 4 InvStG Rz. 147. Ramackers begründet eine Anwendung von § 4 Abs. 2 InvStG mit Hinweis auf das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot; Ramackers in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 4 InvStG Rz. 56. Nach einer weiteren Auffassung soll ein Verstoß gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten vorliegen; Kreft/Gottschling in Moritz/Jesch, § 4 InvStG Rz. 45; Stock/Oberhofer in Berger/Steck/Lübbehüsen, InvG/InvStG, § 4 InvStG Rz. 46.

530 | von Freeden

D. Besteuerung von Spezial-Investmentfonds | Rz. 12.53 Kap. 12

Eine Anrechnung setzt weiterhin voraus, dass der ausländischen Quellensteuer Erträge aus einem ausländischen Staat zugrunde liegen. Erträge aus einem ausländischen Staat i.S.v. § 47 Abs. 1 Satz 1 InvStG sind solche, die nicht aus dem Inland stammen. Der Betrag der ausländischen Erträge ist unter Zugrundelegung des deutschen Steuerrechts zu ermitteln. Bei einer ggf. erforderlichen Umrechnung des Quellensteuerbetrags in Euro sind die (täglich festgestellten) Euro-Referenzkurse der Europäischen Zentralbank oder die (monatlich veröffentlichten) Umsatzsteuerumrechnungskurse1 zugrunde zu legen.

12.47

Bei der ausländischen Quellensteuer muss es sich um eine Steuer handeln, die der deutschen Einkommen- oder Körperschaftsteuer entspricht, es muss eine sog. Gleichartigkeit vorliegen (§ 47 Abs. 1 InvStG i.V.m. § 34c Abs. 1 EStG bzw. § 26 KStG). Dies ist der Fall, wenn die ausländische Quellensteuer bei „gedanklicher“ Direktanlage des Anlegers nach § 34c EStG, § 26 KStG oder einem DBA anrechenbar wäre.

12.48

Die ausländische Quellensteuer ist (nur) auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer anrechenbar, die auf die (quellensteuerbelasteten) ausländischen Einkünfte entfällt. Der deutsche Steuerbetrag entspricht somit dem Betrag ausländischer Quellensteuer, der maximal anrechenbar ist (Höchstbetrag). Dabei sind ausländische Erträge aus verschiedenen Staaten zusammenzufassen, eine Per-Country-Limitation findet somit keine Anwendung. Abzustellen ist jedoch jeweils auf das einzelne Investmentvermögen, es gilt somit eine Per-Fund-Limitation (§ 47 Abs. 3 InvStG).

12.49

Nicht bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, der ausländischen Einkünfte und der Summe der Einkünfte zu berücksichtigen sind Einkünfte aus Kapitalvermögen, die der Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1, Abs. 3 bis 6 EStG unterliegen (§ 47 Abs. 4 InvStG, § 34c Abs. 1 Satz 3 EStG). Dies gilt auch für die ausländischen Einkünfte, die im Ausland keiner Besteuerung unterlegen haben (§ 47 Abs. 5 InvStG). Für den Fall, dass ausländische Einkünfte i.S.v. § 34d Nr. 3, 4, 6, 7 und 8 Buchst. c EStG zum Gewinn eines inländischen Betriebs gehören, sind bei der Ermittlung der Höhe der Einkünfte Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen abzuziehen (§ 47 Abs. 4 InvStG, § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG). Die ausländische Quellensteuer, die nach der Höchstbetragsrechnung nicht anrechenbar ist, bleibt unberücksichtigt.

12.50

Wenn zwischen dem Quellenstaat und Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, findet § 34c Abs. 6 EStG Anwendung (§ 47 Abs. 4 InvStG; zu § 34c Abs. 6 EStG, Rz. 18.12).

12.51

(4) Abzug ausländischer Quellensteuer (a) Steuerabzug statt Steueranrechnung Statt einer Anrechnung der ausländischen Quellensteuer auf die deutsche Steuer kann der Anleger einen Abzug der Quellensteuer bei der Einkünfteermittlung wählen (§ 47 Abs. 4 InvStG, § 34c Abs. 2 EStG). Der Abzug ist ausgeschlossen, soweit die Steuer auf im Inland steuerbefreite (ausländische) Einkünfte entfällt. Der Höhe nach ist der Abzug nicht begrenzt, d.h., ein Höchstbetrag ist nicht zu berücksichtigen.

12.52

Eine Ausübung des Wahlrechts des Anlegers zum Abzug der ausländischen Steuer setzt voraus, dass die Voraussetzungen für eine Steueranrechnung (Rz. 12.45) vorliegen.

12.53

1 R 34c Abs. 1 EStR 2012.

von Freeden | 531

Kap. 12 Rz. 12.54 | Internationales Investmentsteuerrecht

(b) Steuerabzug neben Steueranrechnung

12.54

Neben einer Anrechnung ausländischer Quellensteuer (Rz. 12.45) sind in folgenden Fallgruppen ausländische Steuern, die von einer Steueranrechnung ausgeschlossen sind, von Amts wegen bei der Einkünfteermittlung abzuziehen (§ 47 Abs. 4 InvStG, § 34c Abs. 3 EStG): – Ausländische Steuer entspricht nicht der deutschen Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer, – ausländische Steuer wird nicht vom Quellenstaat erhoben oder – ausländische Einkünfte liegen nicht vor. Auch insoweit kann nur die festgesetzte, gezahlte und um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte ausländische Steuer abgezogen werden, die auf Einkünfte entfällt, die der deutschen Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterliegen. b) Besteuerung im Ausland

12.55

Die Erträge des Fonds aus ausländischen Quellen (z.B. Dividenden, Zinsen, Mieterträge) unterliegen in der Regel einer Besteuerung im Ausland. Die Besteuerung im Ausland richtet sich nach dem jeweiligen ausländischen nationalen und internationalen Steuerrecht (z.B. hat der Belegenheitsstaat nach einem DBA in der Regel das abkommensrechtliche Besteuerungsrecht an Mieterträgen des Fonds bzw. Anlegers aus einer in seinem Staatsgebiet gelegenen Immobilie, Art. 6 OECD-MA).

12.56

Wenn ausländische Erträge des Fonds vom ausländischen Staat mit einer Quellensteuer belastet werden können (z.B. Quellensteuer auf Dividenden und Zinsen), stellt sich die Frage, ob eine abkommensrechtliche Reduzierung des Quellensteuersatzes in Betracht kommt. Entscheidend hierfür ist, ob aus Sicht des ausländischen Staates der Fonds als abkommensberechtigte Person qualifiziert wird (Art. 4 Abs. 1 OECD-MA). Wenn dies nicht der Fall sein sollte, ist auf den Anleger abzustellen.

12.57

Die Frage, ob der Fonds (oder ggf. der Anleger) einen Erstattungsanspruch auf (ggf. anteilige) Erstattung der Quellensteuer gegen den ausländischen Fiskus hat, ist gleichfalls auf der Grundlage des ausländischen Steuerrechts zu beantworten. Wenn ein solcher Anspruch bestehen sollte, ist insoweit eine Steueranrechnung nach InvStG ausgeschlossen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 InvStG i.V.m. § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG; Rz. 12.45).

3. Beteiligung eines Steuerinländers an einem ausländischen SpezialInvestmentfonds a) Quellensteuer auf Erträge eines ausländischen Spezialfonds

12.58

Bei Beteiligung eines unbeschränkt steuerpflichtigen Anlegers an einem ausländischen Spezialfonds, der (auch) über Vermögen im Sitzstaat des Fonds und/oder in einem Drittstaat verfügt, liegt aus Sicht des inländischen Anlegers ein internationaler Sachverhalt vor. Ein ausländischer Investmentfonds ist ein Fonds, der ausländischem Recht unterliegt (§ 2 Abs. 3 InvStG). Die Besteuerung des Fonds bzw. des Anlegers im Ausland richtet sich nach ausländischem Steuerrecht.

12.59

Für die investmentsteuerliche Behandlung der Erträge des Fonds bzw. die Vermeidung einer Doppelbesteuerung nach deutschem Steuerrecht gelten die unter Rz. 12.39 ff. dargestellten 532 | von Freeden

D. Besteuerung von Spezial-Investmentfonds | Rz. 12.63 Kap. 12

Grundsätze. Dabei sind Erträge aus einem ausländischen Staat i.S.v. § 47 Abs. 1 InvStG solche, die aus dem Sitzstaat des ausländischen Investmentvermögens oder einen Drittstaat stammen. b) Quellensteuer auf Ausschüttungen und ausschüttungsgleiche Erträge des Fonds Die ausgeschütteten und ausschüttungsgleichen Erträge eines ausländischen Investmentvermögens, die ein inländischer unbeschränkt steuerpflichtiger Anleger erzielt, sind bei diesem nach nationalem Recht Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG oder Betriebseinnahme. Die deutsche Finanzverwaltung behandelt die ausgeschütteten und ausschüttungsgleichen Erträge auch abkommensrechtlich als Dividenden (Art. 10 OECD-MA).1

12.60

Bei einer Ausschüttung des ausländischen Fonds an den inländischen Anleger behält der Fonds in der Regel Quellensteuer ein. Aus Sicht des inländischen Anlegers handelt es sich um ausländische Quellensteuer auf die ausgeschütteten Erträge des Fonds. Für die Anrechnung dieser ausländischen Quellensteuer gelten die Grundsätze, die auch für die Anrechnung der ausländischen Quellensteuer auf ausländische Einkünfte des Fonds gelten (§ 47 Abs. 1 Satz 2 InvStG). Dabei ist eine Anrechnung nur bis zu einem Höchstbetrag, der entsprechend § 47 Abs. 3 InvStG zu ermitteln ist (Rz. 12.49), zu berücksichtigen. Das Bestehen eines DBA zwischen Deutschland und dem Quellenstaat steht einer Steueranrechnung nicht entgegen (§ 47 Abs. 4 Satz 2 InvStG).

12.61

c) Kapitalertragsteuerabzug bei Erträgen aus dem Inland Die Erträge, die der ausländische Fonds aus dem Inland erzielt, unterliegen nach „normalen Grundsätzen“ einem Kapitalertragsteuerabzug im Inland (z.B. Kapitalgesellschaft im Inland schüttet Dividende an ausländischen Fonds aus; Rz. 6.281, 7.30). Der Schuldner der Vergütung oder die auszahlende Stelle haben Kapitalertragsteuer einzubehalten und an das zuständige Finanzamt abzuführen (§ 43 ff. EStG). Bei der Höhe des Steuerabzugs kann ein DBA zu beachten sein, wenn der Fonds abkommensberechtigt ist.2

12.62

4. Beteiligung eines Steuerausländers an einem inländischen SpezialInvestmentfonds a) Ausschüttung des inländischen Fonds an ausländische Anleger Ein internationaler Sachverhalt liegt aus deutscher Investmentsteuersicht vor, wenn ein beschränkt steuerpflichtiger Anleger an einem inländischen Fonds beteiligt ist. Ein ausländischer (Privat-)Anleger ist mit seinen Ausschüttungen aus dem inländischen Investmentvermögen beschränkt steuerpflichtig, soweit die Ausschüttungen aus Inlandsdividenden oder bestimmten Erträgen aus inländischen Grundstücksgeschäften bestehen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. aa EStG). Keine beschränkte Steuerpflicht besteht, soweit die Ausschüttungen aus anderen Erträgen resultieren (z.B. Auslandsdividenden).

1 Zum InvStG 2004 Brill/Reislhuber in Haase2, § 2 InvStG Rz. 7; Lübbehüsen in Berger/Steck/Lübbehüsen, Vor § 1 ff. InvStG Rz. 93. 2 Neumann in Moritz/Jesch, § 7 InvStG Rz. 49 und Rz. 247; Patzner/Wiese in Haase2, § 7 InvStG Rz. 112.

von Freeden | 533

12.63

Kap. 12 Rz. 12.64 | Internationales Investmentsteuerrecht

12.64

Für Abkommenszwecke handelt es sich bei ausgeschütteten Erträgen des Fonds um Dividenden (Art. 10 OECD-MA).1 Dabei gilt dies nach dem entsprechenden Abkommen jedoch häufig nur für die Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland.2 Die (deutsche) Kapitalertragsteuer (§ 50 Abs. 1 InvStG) ist in diesem Fall nach dem Abkommen zu ermäßigen, der Steuerabzug hat abgeltende Wirkung (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG). Nach Auffassung der Finanzverwaltung erfasst die abkommensrechtliche Einordnung auch ausschüttungsgleiche Erträge, wenn es sich bei dem Fonds um einen Aktienfonds handelt.3 b) Ausländische Erträge des inländischen Fonds

12.65

Die Einkünfte des inländischen Fonds aus einem anderen Staat können nach dem Recht des Quellenstaates mit ausländischer Quellensteuer belastet sein. Die ausländische Quellensteuer kann grundsätzlich auf die deutsche Steuer eines inländischen Anlegers angerechnet werden (Rz. 12.45) oder bei der Einkünfteermittlung abgezogen werden (Rz. 12.52). Die Möglichkeit scheidet für einen ausländischen Anleger aus, da dieser nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Dieser „Anrechnungsausschluss“ ist nach zutreffender Auffassung im Schrifttum ein Verstoß gegen den abkommensrechtlichen Diskriminierungsgrundsatz und/oder Gemeinschaftsrecht.4

1 2 3 4

Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 32 Tischbirek in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 230 (Abkommensübersicht, Rz. 204). BMF v. 18.8.2009 – IV C 1 - S 1980-1/08/10019, BStBl. I 2009, 931, Tz. 161. Zum InvStG 2004 Ramackers in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 4 InvStG, Rz. 56.

534 | von Freeden

Kapitel 13 Hinzurechnungsbesteuerung

A. Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Systematische Einordnung I. Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . II. Konkurrenzen 1. DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten . . . . 3. Exkurs: Basisgesellschaften . . . 4. Investmentfonds . . . . . . . . . . . D. Persönliche Tatbestandsvoraussetzungen I. Unbeschränkt steuerpflichtige Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beherrschung einer ausländischen Gesellschaft 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausländische Gesellschaft . . . . 3. Beherrschung a) Einführung . . . . . . . . . . . . b) Beherrschungskriterien . . . c) Gesellschafterbezogene Betrachtungsweise unter Berücksichtigung nahestehender Personen . . . . . . d) Mittelbare Beteiligungen . . E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einkünfte aus passivem Erwerb 1. Einkünftezurechnung . . . . . . . 2. Einkünftequalifikation a) Aktivkatalog in § 8 Abs. 1 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konzept der Qualifikation passiver Einkünfte . . . . . . . c) Konkurrenzen und funktionale Betrachtungsweise . . . 3. Einkünftekatalog a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . b) Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (Nr. 1) . . . . c) Einkünfte aus industrieller Tätigkeit (Nr. 2) . . . . . . . . .

13.1 13.13 13.21 13.23 13.25 13.27 13.42

13.50

13.54 13.55 13.58 13.63

13.68 13.76

13.78

III. F. I. II. III.

13.83

13.85 13.89 13.94 13.99 13.100

IV. V. VI. VII.

d) Einkünfte aus Bank- und Versicherungsgeschäften (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Einkünfte aus Handelstätigkeit (Nr. 4) . . . . . . . . . f) Einkünfte aus Dienstleistungen (Nr. 5) . . . . . . . . . . g) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (Nr. 6) . . h) Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG (Nr. 7) . . . . . . . . . . . i) Beteiligungsveräußerungsgewinne (Nr. 8) . . . . . . . . . j) Umwandlungsgewinne (Nr. 9) . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Substanz-Ausnahme für EU/ EWR-Gesellschaften a) Primärrechtliche Notwendigkeit eines Substanznachweises und Überblick . . . . b) Substanznachweis für EU/ EWR-Gesellschaften . . . . . c) Auskunftserteilung und verfahrensrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . Niedrigbesteuerung . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freigrenze bei gemischten Einkünften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinzurechnungsbetrag 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermittlung der Zwischeneinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags . . . . . . . . . . . . . . 4. Qualifikation des Hinzurechnungsbetrags . . . . . . . . . . . . . . Vermeidung der Doppelbesteuerung bei Ausschüttungen . . . . . . . Steueranrechnung . . . . . . . . . . . . . Mittelbare Beteiligungen . . . . . . . Beteiligung an Kapitalanlagegesellschaften 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . .

13.104 13.113 13.122 13.129 13.138 13.147 13.148

13.151 13.157 13.167 13.169 13.176 13.179 13.182 13.184 13.196 13.199 13.206 13.216 13.223

13.229

13.102

Oppel | 535

Kap. 13 | Hinzurechnungsbesteuerung 2. Struktur der Vorschrift und Verhältnis zum InvStG . . . . . . 13.232 3. Tatbestandsvoraussetzungen . 13.234

4. Substanzausnahme . . . . . . . . . 13.239 VIII. Verfahrensrechtliche Aspekte . . . 13.245

A. Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung Literatur: Kommentare zu §§ 7 bis 14 AStG; Adrian/Rautenstrauch/Sterner, Gewerbesteuer bei der Hinzurechnungsbesteuerung, DStR 2017, 1457; Böhmer/Oppel, Die neue Hinzurechnungsbesteuerung für Beteiligungen an ausländischen Zwischengesellschaften – Eine erste Analyse des BMF-Entwurfs v. 10.12.2019, IWB 2020, 5; Böhmer/Schewe, Unionsrechtmäßigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatenfall, FR 2020, 35; Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, München; Ditz/Quilitzsch, Die Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATAD-Umsetzungsgesetz, Ubg 2021, 485; Drüen, Ein neuer Missbrauchsbegriff im deutschen Internationalen Steuerrecht?, ISR 2020, 98; Eilers/Benz, Empfehlungen zur Umsetzung der Maßnahmen zum BEPS-Projekt von OECD/G20 in Deutschland, IStR-Beihefter 2016, 1; Eisendle/Henze, Aktuelle Entwicklungen der EuGH-Rechtsprechung zu den direkten Steuern im Jahr 2019, ISR 2020, 23; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Köln; Frischmuth, Bestandsaufnahme und Zukunft der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 bis 14 AStG), IStR 2005, 631; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl., München 2020; Fuhrmann, Außensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., Herne 2017; Haase, Überlegungen zur Reform der Hinzurechnungsbesteuerung, ifst-Schrift 521, Berlin 2017; Haase, Multilaterales Instrument, Kommentar, Heidelberg 2017; Hagemann/Kahlenberg, Anti Tax Avoidance Directive (ATAD), Kommentar, Herne 2019; Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Loseblatt, Köln; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, Kommentar, Loseblatt, Köln; Jacobsen, Die Vorteilhaftigkeit einer Neuausrichtung des deutschen Hinzurechnungsbesteuerungsrechts, IStR 2018, 433; Jacobsen, Hinzurechnungsbesteuerung und Kapitalverkehrsfreiheit – Die EuGH-Entscheidung X GmbH, DStZ 2019, 389; Kahlenberg, Cadbury-Test auch für Drittstaaten – Folgerungen aus der EuGH-Entscheidung in der Rs. X-GmbH für die anstehende AStG-Reform, DB 2019, 1590; Kilincsoy, Der unbestimmte Zweck der Hinzurechnungsbesteuerung, ISR 2021, 421; Köhler/Staats, Wichtige Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATAD Umsetzungsgesetz, ISR 2021, 295; Kofler/Schnitger, BEPS-Handbuch, München 2019; Kraft, Konzeptionelle und strukturelle Defizite der Hinzurechnungsbesteuerung – Reformbedarf und Reformnotwendigkeit, IStR 2010, 377; Kraft, Der Hinzurechnungsbetrag als „inländische Einkünfte“ – Anmerkungen zum terminologischen und konzeptionellen Verständnis der obersten Finanzbehörden im Nichtanwendungserlass vom 14.12.2015, FR 2016, 257; Lampert, Zu den Voraussetzungen eines „Missbrauchs“ i.S.d. Mutter-Tochter-Richtlinie und Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie, ISR 2018, 207; Lampert, Zur Vereinbarkeit der Quellenbesteuerung von Zinsen und Dividenden mit dem Unionsrecht in den „Dänemark“-Urteilen des EuGH (Rs. C-115/16 bis C-119/16 und C-299/16), ISR 2019, 260; Linn, Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie der EU – Anpassungsbedarf in der Hinzurechnungsbesteuerung?, IStR 2016, 645; Linn, Änderungen in der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATADUmsG?, IStR 2020, 77; Menck, Rechtsmechanismus und Rechtscharakter der Zugriffsbesteuerung – zur Systematik der §§ 7 bis 14 AStG –, DStZ A 1978, 106; Mersch, Die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG unter Berücksichtigung des Rechts der Doppelbesteuerungsabkommen, Köln 1986; Musil, Die ATAD-Richtlinien – Ein Paradigmenwechsel in der Steuerpolitik der EU?, FR 2018, 933; Oppel, BEPS in Europa: (Schein-)Harmonisierung der Missbrauchsabwehr durch neue Richtlinie 2016/1164 mit Nebenwirkungen, IStR 2016, 797; Oppel, Das BEPS-Projekt der OECD/G20 – Kerninhalte der Abschlussberichte und Auswirkungen auf das deutsche (internationale) Steuerrecht, SteuK 2016, 53; Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl., Köln 2019; Quilitzsch/Engelen, Reformbedarf und Reformüberlegungen zur Hinzurechnungsbesteuerung, FR 2018, 293; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020; Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005;

536 | Oppel

A. Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung | Rz. 13.2 Kap. 13 Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Anti-Tax-Avoidance-Directive, IStR 2017, 721; Tipke/ Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Köln 2021; Wacker, Zur praktischen Konkordanz von Grundfreiheiten und EU-Richtlinienrecht auf dem Gebiet der direkten Steuern, in Drüen/Hey/Mellinghoff (Hrsg.), FS für BFH, Band I, Köln 2018; Wassermeyer, Die Vereinbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz mit dem Grundgesetz und den Vorschriften der Doppelbesteuerungsabkommen (OECD-Musterabkommen), in Jakobs/Knobbe-Keuk/Picker/Wilhelm (Hrsg.), FS für Flume, Köln 1978; Wassermeyer, Die Besteuerung des Hinzurechnungsbetrages auf der Grundlage des Referentenentwurfs zum Gesetz zur Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie v. 31.5.2016, IStR 2016, 517; Wassermeyer, Der Reformbedarf bei der Hinzurechnungsbesteuerung auf der Grundlage der BFHRechtsprechung, IStR 2018, 744; Weiss, Gewerbesteuerliche Erfassung des Hinzurechnungsbetrages, IWB 2016, 126.

Kapitalgesellschaften werden nach deutschem Steuerrecht wie auch international beinahe durchgängig als eigenständige, von ihren Gesellschaftern unabhängige, Steuersubjekte behandelt.1 Sie verfügen über von den Gesellschaftern getrennte Vermögenssphären. Dieser Grundsatz ist als Trennungsprinzip bekannt. Dies gilt selbst dann, wenn mehrere Kapitalgesellschaften wirtschaftlich oder rechtlich eng verbunden sind, etwa als Mutter- und Tochtergesellschaft. Durchbrechungen dieses Grundsatzes sind selten. Sie werden meist nur dann zugelassen, wenn die Verbindung zwischen den Kapitalgesellschaften besonders eng ist. Dies ist aus deutscher Perspektive bei einer Organschaft i.S.v. §§ 14 ff. KStG der Fall.2 Ausländische Rechtsordnungen kennen teilweise vergleichbare Regelungen oder Gruppenbesteuerungen.3 Folge des Trennungsprinzips ist, dass der von der Kapitalgesellschaft erwirtschaftete Gewinn auf zwei Ebenen besteuert wird, nämlich zunächst auf Ebene der Körperschaft bei Gewinnerzielung und später im Falle einer Gewinnausschüttung zusätzlich auf Ebene des Gesellschafters.4 Die Besteuerung der Anteilseigner wird also bis zur Ausschüttung des Gewinns hinausgeschoben.5 Die Kapitalgesellschaft entfaltet in steuerlicher Hinsicht also eine Abschirmwirkung. Dies gilt auch in grenzüberschreitenden Konstellationen. Der Gewinn einer ausländischen Kapitalgesellschaft wird also auf Ebene der inländischen Gesellschafter grundsätzlich erst dann besteuert, wenn es zu einer Gewinnausschüttung kommt. Bis dahin bleibt der Gewinn der deutschen Besteuerung entzogen. Vor diesem Hintergrund kann erwogen werden, aus steuerlichen Motiven Kapitalgesellschaften in Niedrigsteuerländern zu errichten. Die Vorteile einer niedrigeren Besteuerung bleiben nämlich solange erhalten, wie die Gewinne dieser Gesellschaften thesauriert und nicht ausgeschüttet werden. Kommt es zu einer Gewinnausschüttung, kann der inländische Anteilseigner zudem grundsätzlich die Steuervergünstigungen für Dividenden in Anspruch nehmen.6

13.1

Die Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 bis 13 AStG bzw. §§ 7 – 14 AStG a.F.) soll die typisiert missbräuchliche Nutzung von ausländischen Gesellschaften (sog. Zwischengesellschaften) bekämpfen. Nachdem die USA als erste Industrienation 1962 eine Hinzurechnungsbesteuerung als Subpart-F (Sec. 951-964 IRC) eingeführt hatte, knüpfte der deutsche Gesetzgeber mit dem

13.2

1 Vgl. bspw. Desens in H/H/R, EStG/KStG, Einf. zum KStG, Rz. 90; Frotscher, Internationales Steuerrecht5, Rz. 595. 2 Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen vgl. Drüen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, Rz. 4.1 ff. 3 Vgl. hierzu den Überblick bei Kahle/Schulz in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, Rz. 9.12 ff. 4 Hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 11.1; Drüen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, Rz. 4.4. 5 Sog. „deferral-principle“, vgl. Pohl in Fuhrmann3, Vorbem. zu §§ 7–14 AStG Rz. 2. 6 § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG; § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG; § 32d Abs. 1 EStG.

Oppel | 537

Kap. 13 Rz. 13.2 | Hinzurechnungsbesteuerung

Erlass des Außensteuergesetzes1 daran an.2 Die seinerzeit bestehenden Instrumente – insb. § 6 StAnpG3 – reichten nach Auffassung des Gesetzgebers nicht zur Eindämmung missbräuchlicher Gestaltungen aus.4 Handeln sei notwendig, denn „Beeinträchtigungen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung […] [hatten] sich zu einem gesellschafts- und steuerpolitischem Problem ersten Ranges entwickelt“.5 In ihrer Grundform ist die Hinzurechnungsbesteuerung seit 1972 unverändert. Auch im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes (ATAD)6 durch das Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie7 ist die erforderliche grundlegende Reform ausgeblieben.8

13.3

Die Hinzurechnungsbesteuerung soll verhindern, dass im Inland steuerpflichtige Personen das internationale Steuergefälle durch nicht aktiv tätige Kapitalgesellschaften ausnutzen.9 Die §§ 7 bis 13 AStG sind also als Normen zur Bekämpfung von Einkünfteverlagerungen in Niedrigsteuerländer zu qualifizieren.10 Zusätzlich bezweckt die Hinzurechnungsbesteuerung seit dem Systemwechsel in der Körperschaftsteuer vom Anrechnungs- zum Teileinkünfteverfahren,11 Dividenden zugrundeliegende ausländische Gewinne angemessen vorzubelasten.12 Technisch wird dieses Ziel durch die Beseitigung der Aufschub- bzw. Abschirmwirkung für niedrig besteuerte sog. Einkünfte aus passivem Erwerb (vgl. § 8 Abs. 1 AStG) durch eine Ausschüttungsfiktion erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG). Auf diese fiktive Dividende werden die Vorschriften zum Ausgleich der Besteuerung auf mehreren Ebenen – § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG, § 32d EStG und § 8b Abs. 1 KStG – nicht angewendet (§ 10 Abs. 2 Satz 4 AStG). Mit anderen Worten: Bestimmte sich in der ausländischen Gesellschaft ansammelnde Einkünfte werden zeitlich vor den tatsächlichen Ausschüttungen der inländischen Besteuerung unterworfen, ohne dass dabei die sonst für Dividendenerträge vorgesehenen (partiellen) Steuer-

1 V. 8.9.1972, BGBl. I 1972, 1972 ff.; zur Entwicklung der Hinzurechnungsbesteuerung bspw. Ditz/ Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 2 ff. 2 Sog. Steueroasenbericht der Bundesregierung vom 23.6.1964, BT-Drucks. IV/2412, 13: „Auch könnte erwogen werden, das Einkommen, das in diesen Gesellschaften anfällt unmittelbar dem dahinterstehenden Gesellschafter zuzurechnen, ein Weg, der in den USA mit den Revenue Act 1962 eingeschlagen worden ist.“ 3 Vorgängerregelung von § 42 AO, vgl. dazu Fischer in H/H/S, AO/FGO, § 42 AO Rz. 1 ff. 4 BT-Drucks. VI/2883, 16. 5 BT-Drucks. VI/2883, 16. 6 RL (EU) 2016/1164 v. 12.6.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1. 7 ATADUmsG v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 8 Zur Reformnotwendigkeit vgl. bereits Kraft, IStR 2010, 377; Schönfeld, IStR 2017, 721; Wassermeyer, IStR 2018, 744; Jacobson, IStR 2018, 433; Quilitzsch/Engelen, FR 2018, 293; Haase, Überlegungen zur Reform der Hinzurechnungsbesteuerung (ifst-Schrift 521), passim. 9 Vgl. nur BFH v. 21.1.1998 – I R 3/96, BStBl. II 1998, 468; v. 3.5.2006 – I R 124/04, BFH/NV 2006, 1729. 10 Hierzu Rz. 2.10 ff.; dem Gesetzgeber schwebte eine Missbrauchsabwehrregelung gegen „Steuerflucht“ vor; vgl. BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774; Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 1 f.; Pohl in Fuhrmann3, Vorbem. zu §§ 7–14 AStG Rz. 8 ff.; Kilincsoy, ISR 2021, 421 (422). 11 Dazu detailliert Desens in H/H/R, EStG/KStG, Einführung zum KStG, Rz. 93 ff. 12 BT-Drucks. 14/2683, 132; Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7 – 14 Rz. 38 m.w.N.; Frischmuth, IStR 2005, 361 (366); Jacobsen, IStR 2018, 433; Pohl in Fuhrmann3, Vorbem. zu §§ 7–14 AStG Rz. 15 f; BT-Drucks. 19/28652, 50.

538 | Oppel

A. Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung | Rz. 13.6 Kap. 13

befreiungen zur Anwendung kommen. Diese Rechtsfolgen betreffen gleichermaßen Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer.1 Diese Zielsetzung entspricht weitgehend den Vorschlägen der OECD/G20 im Rahmen des Berichtes zu BEPS-Aktionspunkt 3 (Rz. 5.24). Die OECD hatte 2015 als best-practice-Empfehlung building-blocks für eine effektive CFC-Besteuerung entwickelt und in diesem Rahmen Kernfragen einer effektiven Hinzurechnungsbesteuerung aufgearbeitet.2 Ziel war es, den Staaten konkrete Umsetzungsvorschläge zu unterbreiten. Deutschland verfügte zu diesem Zeitpunkt bereits über eine sehr robuste Hinzurechnungsbesteuerung und hatte dementsprechend ein Interesse daran, dass andere Staaten den Standard ebenfalls erhöhen. Die Ausgestaltung als bloße best-practice-Empfehlung entfaltete für die beteiligten Staaten allerdings nicht einmal eine politische Bindung.3 Gleichwohl offenbarten bereits die Empfehlungen der OECD eindrücklich, dass die §§ 7–14 AStG in der bis zum 1.7.2021 geltenden Fassung (AStG a.F.) deutlich über dem internationalen Standard lagen und daher die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen beeinträchtigten.4

13.4

An die BEPS-Empfehlungen knüpfte die EU mit der ATAD an.5 Die ATAD verpflichtet die Mitgliedstaaten, einen Mindeststandard an Vorschriften gegen Steuervermeidung zu erlassen (Art. 3 ATAD).6 Die ATAD enthält in den Art. 7 und 8 auch Vorgaben zur Hinzurechnungsbesteuerung. Diese gleichen konzeptionell der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung. Allerdings gingen die §§ 7–14 AStG a.F. über den Standard hinaus, so dass – jedenfalls nach Auffassung des BMF – nur punktueller Anpassungsbedarf bestand.7 Anpassungsbedarf bestand insbesondere hinsichtlich des Beherrschungskonzepts, denn im Unterschied zum § 7 AStG a.F. verlangt die ATAD eine „echte“ Beherrschung und nicht bloß eine mehrheitliche Beteiligung unverbundener Steuerinländer.8

13.5

Der deutsche Gesetzgeber passte die Hinzurechnungsbesteuerung mit dem ATADUmsG an. Dabei war das gesetzgeberische Ziel, die Hinzurechnungsbesteuerung „zeitgemäß und rechtssicher“ auszugestalten.9 Dieses Ziel ist allerdings verfehlt worden. Insbesondere hielt der deutsche Gesetzgeber bei der Definition der passiven Einkünfte (§ 8 Abs. 1 AStG, Art. 7 Abs. 2 ATAD) am überkommenen Aktivkatalog fest.10 Weiterhin hat der Gesetzgeber die Niedrigsteuergrenze bei 25 % belassen, obgleich sogar im Inland bei einem Gewerbesteuerhebesatz unter 285 % eine Gesamtsteuerbelastung von unter 25 % herrschen kann. Die im internationalen Vergleich unübertroffen hohe Niedrigsteuergrenze führt dazu, dass faktisch die ganze Welt ein Niedrigsteuergebiet ist. Die Hinzurechnungsbesteuerung verliert damit ihren Charakter als Missbrauchsregelung. In Verbindung mit dem Aktivkatalog löst sie hohe Befol-

13.6

1 Zur Gewerbesteuer vgl. § 7 Abs. 1 Satz 7 GewStG; dazu detailliert Adrian/Rautenstrauch/Sterner, DStR 2017, 1457. 2 Final Report (2015) der OECD abrufbar unter https://www.oecd.org/tax/beps/beps-actions/ac tion3/; dazu bspw. Kraft, in Kofler/Schnitger, BEPS-Handbuch, S. 243 ff. 3 Oppel, SteuK 2016, 53 (54). 4 Vgl. dazu bspw. Eilers/Benz, Empfehlungen zur Umsetzung der Maßnahmen zum BEPS-Projekt von OECD/G20 in Deutschland, IStR-Beihefter 2016, 1, 8. 5 Ausführlich zur ATAD Rz. 3.77 f. 6 Detailliert dazu Oppel in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 3 Rz. 56 ff. 7 BT-Drucks. 19/28652, 50. 8 Vgl. dazu ausführlich Fehling in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 17.1 ff. 9 BT-Drucks. 19/28652, 1. 10 Ausführlich dazu Rz. 13.76 ff.; kritisch Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (11); Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (488); Linn, IStR 2020, 77 (80).

Oppel | 539

Kap. 13 Rz. 13.6 | Hinzurechnungsbesteuerung

gungskosten bei den Unternehmen aus. Durch den Ausschluss der Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer kommt es zusätzlich bei einer Vorbelastung der Einkünfte im Ausland von mehr als 15 % zu Anrechnungsüberhängen und damit zu einer Doppelbesteuerung (Rz. 12.210 ff.).1

13.7

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung rechtssystematisch angemessen zu erklären.2 So wurde im Rahmen der sog. Ausschüttungstheorie angenommen, das Gesetz wolle die nicht ausgeschütteten Gewinne einer Zwischengesellschaft beim Anteilseigner erfassen und fingiere dazu eine Ausschüttung.3 Nach der sog. Repräsentationstheorie misst die Hinzurechnungsbesteuerung die Steigung der Leistungsfähigkeit des Gesellschafters der ausländischen Gesellschaft, die gleichzeitig auch eine Leistungssteigerung auf dessen Ebene bewirkte und repräsentiere diese Leistungssteigerung bei dem Gesellschafter.4 Spätestens seit der Umstellung von Anrechnungs- zum Teileinkünfteverfahren ist für beide Theorien kein Raum mehr, denn seither bezweckt die Hinzurechnungsbesteuerung auch eine ausreichende Vorbelastung der Gewinne der ausländischen Gesellschaft und wirkt damit definitiv.5 Beiden Theorien6 war entgegengehalten worden, sie fänden durchgängig im Gesetz keine Stütze.7 Auch die Zurechnungstheorie, wonach die Einkünfte dem Gesellschafter wie beim Direktbezug zugerechnet werden sollten, überzeugt nicht restlos. An vielen Stellen wird nämlich eine Ausschüttung fingiert.8

13.8

Die Entwicklung eines steuersystematischen Ansatzes ist schwierig, weil dem Gesetz kein einheitliches Konzept zugrunde liegt. Der Regelungskomplex greift Aspekte aller Theorien auf und ist (deshalb) nicht frei von Widersprüchen. Am treffendsten kann man die Hinzurechnungsbesteuerung – auch nach der jüngsten Änderung – mit der Zwei-Stufen-Theorie erklären. Diese greift Elemente der Ausschüttungs- und der Zurechnungstheorie auf:9 Im Kern geht es darum, durch die Hinzurechnungsbesteuerung die Abschirm- bzw. Aufschubwirkung ausländischer Kapitalgesellschaften ggü. der deutschen Besteuerung aufzuheben. Dazu arbeitet das Gesetz zweistufig. Zunächst werden im Rahmen der ersten Stufe die in den §§ 7 und 8 AStG näher bestimmten niedrig besteuerten Einkünfte einer ausländischen Gesellschaft (Zwischengesellschaft) aus passivem Erwerb (Rz. 13.83) als eigene Einkünfte des im Inland steuerpflichtigen Anteilseigners behandelt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AStG). Hier folgt der Gesetzgeber der Hinzurechnungstheorie. Sodann werden die Einkünfte im Rahmen der zweiten Stufe in ausgeschüttete Dividendenerträge umqualifiziert (§ 10 Abs. 2 AStG). Dies entspricht der Ausschüttungstheorie. Beide Stufen passen nicht zusammen, sie sind in sich widersprüchlich. Dies begründet für sich jedoch nicht die Verfassungswidrigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung, denn der Gesetzgeber bewegt sich innerhalb seiner Gestaltungsfreiheit.10 Folglich gründet die Hinzurech-

1 Kritisch Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (11); Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (488); Linn, IStR 2020, 77 (80). 2 Vgl. den Überblick bei Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 138 ff. 3 Z.B. Mersch, Die Hinzurechnungsbesteuerung nach den § 7 ff. AStG unter Berücksichtigung der Doppelbesteuerungsabkommen, 140 ff.; Kluge, RIW/AWD 1975, 525 ff. 4 Vogt in Brandis/Heuermann, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 34; Menck, DStZ A 1978, 106 ff. 5 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 153. 6 Vgl. darüber hinaus auch die sog. Zurechnungstheorie von Köhler, RIW 1988, 979 ff. 7 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 153; Wassermeyer in FS Flume, 323 (326 ff.). 8 Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 47. 9 So auch Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 47. 10 Ausführlicher Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 47.

540 | Oppel

A. Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung | Rz. 13.11 Kap. 13

nungsbesteuerung nicht auf einem fundierten rechtssystematischen Konzept. Daher kann für die Auslegung und Rechtsanwendung nicht auf ein solches Konzept zurückgegriffen werde. Die Hinzurechnungsbesteuerung bewirkt eine Ungleichbehandlung in- und ausländischer Kapitalgesellschaften. Nur bei ausländischen Gesellschaften mit niedrig besteuerten Einkünften kommt eine fiktive Ausschüttung unter Durchbrechung des Trennungsprinzips in Betracht. Dies wirft zwangsläufig die Frage auf, ob die Regelungen mit europäischem (Primär-) Recht, insbesondere den Grundfreiheiten, vereinbar sind. In Betracht kommt insbesondere eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) und der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV). EuGH und deutsche Gerichte haben die Vereinbarkeit mit Unionsrecht in Bezug auf §§ 7 – 14 AStG a.F. bzw. vergleichbare europäische Regime mehrmals verneint. Wegweisend ist die Entscheidung des EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes in Bezug auf die britische CFCRegelung.1 Danach bedeutet eine Hinzurechnungsbesteuerung eine ungerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, falls sie nicht „nur rein künstliche Gestaltungen, die dazu bestimmt sind, der normalerweise geschuldeten nationalen Steuer zu entgehen“ erfasst. Dies ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht der Fall, wenn die beherrschte ausländische Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins steuerlicher Motive tatsächlich im Aufnahmestaat angesiedelt ist und dort einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Als Reaktion auf die Entscheidung ergänzte der Gesetzgeber § 8 Abs. 2 AStG a.F. um den Steuerpflichtigen den Nachweis einer „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ zu eröffnen (Rz. 13.140).

13.9

Der Entlastungsbeweis war jedoch lediglich auf EU/EWR-Fälle beschränkt. In Bezug auf Drittstaaten haben EuGH2 sowie BFH3 entschieden, dass angesichts der Ausgestaltung der §§ 7 – 14 AStG a.F. – die keine „echte“ Beherrschung verlangten4 – auch der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit eröffnet sein kann und eine Hinzurechnungsbesteuerung nur zur Bekämpfung künstlicher Gestaltungen zulässig sei.5 Der Entlastungsbeweis sei allerdings nur zwingend, wenn ausreichende Ermittlungsmöglichkeiten der Steuerverwaltung bestehen.6

13.10

Die Frage nach der Unionsrechtskonformität ist auch nach Umsetzung der ATAD in §§ 7 – 13 AStG weiterhin offen. Dabei besteht jedoch insofern ein Unterschied, als dass die Hinzurechnungsbesteuerung nun auf einer EU-Richtlinie beruht. Diese gibt einen Mindeststandard vor, den der deutsche Gesetzgeber zwingend erfüllen muss (Art. 3 ATAD).7 Die Richtlinie selbst ist dabei an Primärrecht zu messen.8 Zusätzlich sind die nationalen Umsetzungsakte, soweit

13.11

1 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 = Slg. 2006, I-7995 – Cadbury Schweppes. 2 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17, ECLI:EU:C:2019:136 = ISR 2019, 170 ff. mit Anm. Müller – XGmbH. 3 BFH v. 22.5.2019 – I R 11/19, BStBl. II 2021, 265; BFH v. 18.12.2019 – I R 59/17, BStBl. II 2021, 270 ff. 4 Dazu Rz. 13.45. 5 Dementsprechend ist nun bei der Hinzurechnungsbesteuerung in Bezug auf Kapitalanlagegesellschaften auch in Drittlandskonstellationen ein Gegenbeweis zugelassen (§ 13 Abs. 4 AStG). In Bezug auf die Hinzurechnungsbesteuerung i.S.v. § 7 Abs. 1 AStG ist angesichts der nun erforderlichen „echten“ Beherrschung eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit wohl nur in Ausnahmesituationen denkbar, vgl. dazu Köhler/Staats, ISR 2021, 295 (296). 6 Vgl. dazu bspw. Kahlenberg, DB 2019, 1590 ff.; Jacobsen, DStZ 2019, 389 ff.; Böhmer/Schewe, FR 2020, 35 ff. 7 Nach Auffassung des EuGH besteht auch für Jahre vor Geltung der ATAD eine Pflicht der Gesetzgeber, missbräuchliche Gestaltungen zu bekämpfen. 8 Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 17.16; die Kompetenz des Richtliniengebers für den Erlass der ATAD wird in Frage gestellt, Schönfeld, IStR 2017, 721 (722); Haase,

Oppel | 541

Kap. 13 Rz. 13.11 | Hinzurechnungsbesteuerung

sie über die zwingenden Vorgaben der Richtlinie hinausgehen, an den Grundfreiheiten zu messen.1 Der Gesetzgeber bewegt sich also in einem Umsetzungskorridor. Er muss einerseits das Mindestschutzniveau der ATAD, anderseits aber auch die Grenzen der Grundfreiheiten einhalten.2 In Bezug auf die im Rahmen des ATADUmsG angepasste Hinzurechnungsbesteuerung ist dies insbesondere angesichts der fehlenden Möglichkeit, ausländische Steuern auch auf die Gewerbesteuer anzurechnen,3 sowie den Substanztest in § 8 Abs. 2 AStG sowie § 13 Abs. 4 AStG4 fraglich.

13.12

Die durch die Hinzurechnungsbesteuerung bewirkte (teilweise)5 Durchbrechung des Trennungsprinzips muss auch im Hinblick auf die Folgerichtigkeit (Rz. 4.7) legitimiert werden: Der Gesetzgeber muss das Trennungsprinzip – und damit die Kapitalgesellschaft und ihre Anteilseigner als verschiedene Zurechnungssubjekte steuerlicher Leistungsfähigkeit – als einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) umsetzen und darf hiervon nur aufgrund sachlicher Gründe abweichen.6 Zu den sachlichen Rechtfertigungsgründen zählt die Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen,7 die für die Hinzurechnungsbesteuerung allerdings nur im Grundsatz, nicht jedoch in allen Details tragend ist. Als Missbrauchsbekämpfungsmaßnahme sind die §§ 7–14 AStG in ihrer normativen Ausgestaltung zum Teil überschießend.8 Dies betrifft insbesondere die auf § 8 Abs. 1 AStG beruhende Qualifikation als Einkünfte aus passivem Erwerb (Rz. 13.83) und die Niedrigsteuergrenze in § 8 Abs. 5 AStG (Rz. 13.153). Im Ergebnis ist daher unter dem Gesichtspunkt der Folgerichtigkeit nur bei rein künstlichen Gestaltungen ohne wirtschaftliche Substanz die Durchbrechung des Trennungsprinzips gerechtfertigt. Insoweit bestehen Parallelen zur Rechtslage unter Beachtung der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit. Schließlich ist es nicht gerechtfertigt, die Rechtsfolgen der Hinzurechnungsbesteuerung auch auf die Gewerbesteuer zu erstrecken. Die gewerbesteuerliche Belastung ohne Anrechnungsmöglichkeit führt im Ergebnis nämlich zu einer Strafbesteuerung, die mit der Zielsetzung der Hinzurechnungsbeteuerung nicht zu vereinbaren ist. Die konzeptionell zutreffende Lösung der Rechtsprechung, eine Kürzung nach § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG zuzulassen,9 hat der Gesetzgeber durch § 7 Satz 7 GewStG zur Nichte gemacht.10

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

MLI, Einf. Rz. 18; Oppel, IStR 2016, 797 (798); Linn, IStR 2016, 645 (646); a.A. Wacker in FS BFH, 781 (797); Musil, FR 2018, 933 (938); Oertel in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Einf. A Rz. 21. EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:135 = IStR 2019, 266 – T-Danmark; EuGH v. 26.2.2019 – C-115/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:134 = IStR 2019, 308 – N Luxembourg; dazu Drüen, ISR 2020, 98 ff.; Eisendle/Henze, ISR 2020, 23 ff.; Lampert, ISR 2019, 260 ff. sowie ISR 2018, 207 ff. Oppel in Kahlenberg/Hagemann, ATAD, Art. 3 Rz. 64. Dazu Rz. 13.210 ff. Dazu Rz. 13.140. Teilweise deshalb, weil der Gesetzgeber nicht das Konzept einer transparenten Besteuerung umgesetzt hat, so dass Verluste der Zwischengesellschaft nicht in die Hinzurechnungsbesteuerung einbezogen sind (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 4 AStG). BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BFH/NV 2009, 338. BVerfG v. 22.7.1970 – BvR 285/66, BStBl. II 1970, 652. Pohl in Fuhrmann3, Vorbem. zu §§ 7–14 AStG Rz. 9 ff. So nach BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BFH/NV 2015, 921. Dazu Kraft, FR 2016, 257; Wassermeyer, IStR 2016, 517; Weiss, IWB 2016, 126.

542 | Oppel

B. Überblick | Rz. 13.15 Kap. 13

B. Überblick Die Hinzurechnungsbesteuerung bezüglich ausländischer Zwischengesellschaften ist seit den Anpassungen durch das ATADUmsG in §§ 7 – 13 AStG geregelt. § 14 AStG a.F. ist entfallen. Zentralvorschrift ist (weiterhin) § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG. Die Vorschrift enthält die Tatbestandsvoraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung sowie die Rechtsfolgen. Der Grundtatbestand umfasst drei Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich

13.13

– das Bestehen einer ausländischen Gesellschaft, – die durch einen unbeschränkt Steuerpflichtigen (Hinzurechnungsadressat) beherrscht wird und – sog. Zwischeneinkünfte erzielt. Rechtsfolge ist, dass die sog. Zwischeneinkünfte entsprechend der unmittelbaren und mittelbaren Beteiligung des unbeschränkt Steuerpflichtigen an der ausländischen Zwischengesellschaft bei diesem steuerpflichtig sind, also hinzugerechnet werden. § 7 Abs. 1 Satz 4 AStG unterwirft erstmals auch beschränkt Steuerpflichtige der Hinzurechnungsbesteuerung. Dazu müssen sie die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar über eine inländische Betriebsstätte halten. Den Begriff der ausländischen Gesellschaft definiert § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG. Es handelt sich dabei um eine nicht gem. § 3 Abs. 1 KStG steuerbefreite Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. KStG ohne Sitz und Geschäftsleitung im Inland. Die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen konkretisiert und ergänzt das AStG im Übrigen in den nachfolgenden Absätzen und Paragrafen.

13.14

§ 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AStG ordnen spezielle Rechtsfolgen für den Fall der mittelbaren Beteiligung und eine Gewinnverteilung abweichend von der Beteiligung am Nennkapital an. § 7 Abs. 2–4 AStG bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die ausländische Gesellschaft beherrscht ist. § 7 Abs. 5 AStG regelt das Verhältnis der Hinzurechnungsbesteuerung zum InvStG. § 8 AStG legt fest, für welche Einkünfte die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist. Nur niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb, auch Zwischeneinkünfte, passive Einkünfte oder schädliche Einkünfte genannt, unterliegen der Hinzurechnungsbesteuerung. Erzielt die ausländische Gesellschaft neben Zwischeneinkünften auch andere Einkünfte (aktive Einkünfte, unschädliche Einkünfte), spricht man von einer gemischten Gesellschaft. Zur Definition der Zwischeneinkünfte bedient sich der Gesetzgeber weiterhin eines sog. Aktivkatalogs. Alle nicht im Katalog des § 8 Abs. 1 AStG genannten Einkünfte können danach Zwischeneinkünfte sein. Alle im Katalog genannten Einkünfte sind aktiv. Neben der fehlenden Nennung im Katalog muss hinzukommen, dass die Einkünfte niedrig besteuert sind. Die sog. Niedrigsteuergrenze – unverändert 25 % – ist in § 8 Abs. 5 AStG enthalten. Die § 8 Abs. 2–4 AStG eröffnen im Anschluss an die EuGH-Rechtsprechung i.S. Cadbury Schweppes1 bei Vorliegen passiver Einkünfte einen Substanznachweis (sog. Cadbury-Escape). Dazu muss der Steuerpflichtige nachweisen, dass die ausländische Gesellschaft einer wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht (§ 8 Abs. 2 AStG). Allerdings ist der Substanznachweis nur für Gesellschaften mit Sitz im EU/EWR-Raum zugelassen (§ 8 Abs. 3 AStG). Weitere 1 EuGH v. 12.9.2006- C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 = Slg. 2006, I-7995 – Cadbury Schweppes.

Oppel | 543

13.15

Kap. 13 Rz. 13.15 | Hinzurechnungsbesteuerung

Voraussetzung ist, dass der Sitz- bzw. Geschäftsleitungsstaat der ausländischen Gesellschaft im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustausches Auskünfte erteilt, die zur Durchführung der Besteuerung erforderlich sind (§ 8 Abs. 5 AStG).

13.16

§ 9 AStG sieht eine Freigrenze für gemischte Gesellschaften vor. Danach bleiben Zwischeneinkünfte außer Ansatz, wenn die Zwischeneinkünfte nicht mehr als 10 % der gesamten Einkünfte der Gesellschaft ausmachen. Dies gilt jedoch nur, wenn bei dem jeweiligen Hinzurechnungsadressaten aufgrund der Freigrenze insgesamt – d.h. auch unter Berücksichtigung anderer Gesellschaften – nicht mehr als EUR 80.000 außer Ansatz bleiben.

13.17

§ 10 AStG enthält detaillierte Regelungen darüber, wie der Hinzurechnungsbetrag zu ermitteln ist und zu welcher Einkunftsart er gehört. Der Hinzurechnungsbetrag wird wie eine Dividende behandelt, wobei § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG, § 32d EStG, § 8b Abs. 1 KStG und § 9 Nr. 7 GewStG nicht anzuwenden sind (§ 10 Abs. 2 AStG). Die dem Hinzurechnungsbetrag unterliegenden Einkünfte sind entsprechend den Regeln des deutschen Steuerrechts zu ermitteln (§ 10 Abs. 3 AStG).

13.18

Leistet die ausländische Gesellschaft tatsächlich eine Gewinnausschüttung oder andere Bezüge an den Hinzurechnungsadressaten, besteht aufgrund der vorangegangenen Hinzurechnung die Gefahr einer Doppelbesteuerung. Diese verhindert § 11 AStG. Bei der Ermittlung der Einkünfte ist ein Kürzungsbetrag abzuziehen, der sich aus dem sog. Hinzurechnungskorrekturvolumen speist. Das Hinzurechnungskorrekturvolumen ergibt sich vereinfacht gesagt aus den zuvor hinzugerechneten Beträgen.

13.19

§ 12 AStG enthält Regelungen zur Steueranrechnung. Die Steueranrechnung ist jedoch ausschließlich auf die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer begrenzt. Auf die Gewerbesteuer erfolgt keine Anrechnung. Angerechnet werden können Steuern, die auf Ebene der ausländischen Gesellschaft auf das dem Hinzurechnungsbetrag zugrundeliegenden Einkommen erhoben wurden (§ 12 Abs. 1 AStG). Zusätzlich ist eine Anrechnung von aufgrund der deutschen oder einer ausländischen Hinzurechnungsbesteuerung auf Ebene zwischengeschalteter Beteiligungen oder Betriebsstätten erhobenen Steuern möglich (§ 12 Abs. 2 AStG). Ergibt sich durch Hinzurechnungsbeteuerung auf Ebene vermittelnder Gesellschaften insgesamt, dass die Zwischeneinkünfte keiner niedrigen Besteuerung unterliegen, scheidet eine Hinzurechnungsbesteuerung bereits tatbestandlich aus (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AStG).

13.20

Letztlich ordnet § 13 AStG die sog. erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung an. Es handelt sich um einen Ergänzungstatbestand, der besondere Regelungen für Kapitalanlagegesellschaften trifft. Dies sind Gesellschaften, die Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielen. Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter sind Einkünfte einschließlich Veräußerungsgewinne, die aus dem Halten, der Verwaltung, der Werterhaltung oder Werterhöhung von Zahlungsmitteln, Forderungen, Wertpapieren, Beteiligungen oder ähnlichen Vermögenswerten stammen, falls sie nicht einer aktiven Tätigkeit gehören. Im Unterschied zum Grundtatbestand ist eine Mindestbeteiligung von lediglich 1 % an der Kapitalanlagegesellschaft ausreichend. Jedoch kommt auch bei einer niedrigeren Beteiligung eine Hinzurechnungsbesteuerung in Betracht, wenn die ausländische Gesellschaft ausschließlich oder nahezu ausschließlich Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt.

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C. Systematische Einordnung | Rz. 13.22 Kap. 13

C. Systematische Einordnung Literatur: Von Beckerath, Der Durchgriff im deutschen Außensteuerrecht, Berlin 1978; Debatin, Die Erfassungsspannweite der deutschen Zugriffsbesteuerung auf Auslandsbeteiligungen, DB 1978, 1195; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Köln; Frotscher, Treaty Override – causa finita?, IStR 2016, 561; Hüffer/Koch, Aktiengesetz, 14. Aufl., München 2020; Kraft, Außensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., München 2022; Menck, Rechtsmechanismus und Rechtscharakter der Zugriffsbesteuerung – zur Systematik der §§ 7 bis 14 AStG –, DStZ A 1978, 106; Raupach, Der Durchgriff im Steuerrecht, München 1968; Musil, Treaty Override nach der Entscheidung des BVerfG, FR 2016, 297; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 4. Aufl. Köln 2020; Telkamp, Der Außensteuergesetz-Entwurf, kritische Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (AStG), StuW 1972, 97; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, 2. Aufl., Köln 2000; Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Loseblatt, Köln; Wassermeyer, Die Vereinbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz mit dem Grundgesetz und den Vorschriften der Doppelbesteuerungsabkommen (OECD-Musterabkommen), in Jakobs/Knobbe-Keuk/Picker/Wilhelm (Hrsg.), FS für Flume, Köln 1978, 323.

I. Begriffsbildung Der vierte Teil des AStG – die §§ 7 – 13 AStG – trägt die Überschrift „Hinzurechnungsbesteuerung“. Steuerpflichtig ist auf Ebene des Hinzurechnungsadressaten der „Hinzurechnungsbetrag“ i.S.v. § 10 AStG. Dies galt bereits vor den Anpassungen im Rahmen des ATADUmsG. Demgegenüber wird die Hinzurechnungsbesteuerung in der älteren Literatur auch als Zugriffsbesteuerung,1 Zurechnungsbesteuerung2 oder Durchgriffsbesteuerung3 schlagwortartig umschrieben.

13.21

Diese schlagwortartigen Umschreibungen bezogen auf die Rechtsfolgen sind jedoch unscharf und erfassen den Charakter der §§ 7 – 13 AStG nicht treffend. Sie helfen damit für die konkrete Rechtsanwendung nicht weiter.4 Besser beschreibt man den Regelungskomplex nach der grundlegenden Änderung des Beherrschungskonzepts im Rahmen der ATAD (Rz. 13.5) tatbestandsseitig, wie international üblich, als „Controlles Foreign Company (CFC) Rules“, also als Regelungen über beherrschte ausländische Gesellschaften. Der Durchgriff durch eine juristische Person führt nämlich dazu, dass durch Gesetz oder durch Rechtsgeschäft die Rechtsfolgen nicht bei der juristischen Person selbst, sondern unmittelbar bei deren Gesellschaftern eintreten.5 Ein Durchgriff in der Form, dass der Gläubiger einer Gesellschaft unmittelbar auf die Gesellschafter zugreifen kann, wird von der Rechtsprechung im Zivilrecht etwa in besonderen Ausnahmefällen wie der Unterkapitalisierung und der Vermögensvermischung zugelassen.6 Im materiellen deutschen Steuerrecht ist ein solcher

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So früher z.B. Debatin, DB 1978, 1195 (1195); Menck, DStZ A 1978, 106 ff. Telkamp, StuW 1972, 97 (108). Von Beckerath, Der Durchgriff im deutschen Außensteuerrecht. BFH v. 28.9.1988 – I R 91/87, BStBl. II 1989, 13; Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 44. 5 Hierzu Raupach, Der Durchgriff im Steuerrecht, 29 ff.; von Beckerath, Der Durchgriff im deutschen Außensteuerrecht, 15 ff. 6 Hierzu der Überblick bei Lutter in K. Schmidt/Lutter4, § 1 AktG Rz. 13 ff.; Koch in Hüffer/Koch15, § 1 AktG Rz. 15 ff.

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13.22

Kap. 13 Rz. 13.22 | Hinzurechnungsbesteuerung

Ansatz unbekannt. Der Zugriff meint die Beseitigung der Abschirmwirkung einer juristischen Person als Ergebnis des rechtstechnischen Mittels des Durchgriffs.1 Im Gegensatz dazu erkennt die Hinzurechnung rechtstechnisch die Kapitalgesellschaft als Steuersubjekt an.2 Die (Hin-) Zurechnung stellt eine Verknüpfung zwischen Steuersubjekt und Steuerobjekt her.3 Nach der grundlegenden Zurechnungsvorschrift des § 38 AO ist das Steuerobjekt demjenigen zuzurechnen, der den Steuertatbestand selbst verwirklicht.4 Die Zurechnung ordnet also ein bestimmtes Steuerobjekt einem Steuersubjekt zu. Demgegenüber führt die Hinzurechnung auf einer nächsten Stufe im Ergebnis zu einem Auswechseln des Steuersubjekts durch Ausschüttungsfiktion.

II. Konkurrenzen 1. DBA 13.23

Das im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung erfasste Steuerobjekt sind die von der ausländischen Gesellschaft erzielten Zwischeneinkünfte. Die Besteuerung erfolgt allerdings nicht auf Ebene der ausländischen Gesellschaft, sondern bei dem Hinzurechnungsadressaten. Gleichwohl ergibt sich die Frage, ob dies den Vorgaben der DBA entspricht. Ursprünglich ging die herrschende Auffassung davon aus, die Hinzurechnungsbesteuerung berühre die DBA nicht.5 Hintergrund dieser Auffassung war, dass der Gesetzgeber mit der Hinzurechnungsbesteuerung fiktiv ausgeschüttete Einkünfte der Steuer unterwirft und so der zugunsten einer ausländischen Gesellschaft bestehende DBA-Schutz nicht wirke.6 Zusätzlich konnte sich diese Auffassung auf § 10 Abs. 5 AStG a.F. stützen. Danach waren die Regeln der DBA auf den Hinzurechnungsbetrag so anzuwenden, als wäre der Hinzurechnungsbetrag tatsächlich an den Steuerpflichtigen ausgeschüttet worden. Im Ergebnis wurde so der Schutz der DBA nachvollzogen.

13.24

Diese Auffassung war jedoch mit Einführung der erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter durch § 10 Abs. 6 AStG a.F. im Rahmen des StÄndG 19927 nicht mehr haltbar. Die Regelung ordnete nämlich explizit an, dass § 10 Abs. 5 AStG a.F. für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter nicht gelte. Damit setzte sich der Gesetzgeber in offenen Widerspruch zu den DBA, soweit er Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der Hinzurechnungsbesteuerung unterwarf.8 Die Regelung wurde daher durch § 20 Abs. 1 AStG flankiert. Diese ordnet praktisch unverändert bis heute an, dass die §§ 7 – 18 AStG (sowie § 20 Abs. 2 AStG) durch die DBA nicht berührt werden. Es handelt sich um einen Treaty-Override. Dieser ordnet einen Vorrang der Hinzurechnungsbesteuerung gegenüber den DBA an, verdrängt also entgegengesetzte Vereinbarungen in DBA.9 Das BVerfG hat Treaty-Override-Regelungen grds. gebilligt.10

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Menck, DStZ A 1978, 106 ff. Zu Einzelheiten Wassermeyer, in FS Flume, 323 ff. BFH v. 20.4.1988 – I R 41/82, BStBl. II 1988, 868. Drüen in T/K, § 38 AO Rz. 3. Siehe dazu bspw. Kraft in Kraft2, § 20 AStG Rz. 2; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 20 AStG Rz. 2, 23. Schaumburg in Vorauflage, Rz. 13.19. V. 25.2.1992, BGBl. I 1992, 297. Zum Hintergrund detailliert Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 20 AStG Rz. 2. Detailliert dazu Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 20 AStG Rz. 22. BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1; dazu Musil, FR 2016, 297 ff.; Frotscher, IStR 2016, 561 ff.

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C. Systematische Einordnung | Rz. 13.26 Kap. 13

Zusätzlich enthält die deutsche DBA-Verhandlungsgrundlage heute in Art. 28 Abs. 1 Nr. 2 einen besonderen Vorbehalt. Danach ist Deutschland nicht daran gehindert, Steuern auf Beträge zu erheben, die (u.a.) nach dem 4. Teil des AStG – dies ist die Hinzurechnungsbesteuerung – in die Einkünfte einer in Deutschland ansässigen Person einzubeziehen sind.

2. Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten Ursprünglich lag der Hinzurechnungsbesteuerung und § 42 AO eine vergleichbare gesetzgeberische Wertung zugrunde. § 42 AO soll ein Ausbrechen aus der gleichmäßigen Besteuerung nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch den Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten verhindern.1 Die Steuer wird so erhoben, wie sie bei einer angemessenen rechtlichen Gestaltung entstanden wäre. Die Hinzurechnungsbesteuerung wurde ursprünglich (nur) zur Bekämpfung von Einkünfteverlagerungen konzipiert (Rz. 13.2) und ist auf eine ähnliche Rechtsfolge gerichtet: Sie soll den Zustand herbeiführen, der sich ohne Thesaurierung durch die Zwischengesellschaft ergeben hätte. Das Zwischenschalten der ausländischen Gesellschaft wird als missbräuchlich typisiert. Damit wird im Ergebnis – im Ausgangspunkt wie bei § 42 AO – beim inländischen Gesellschafter ein Soll-Einkommen besteuert.2 § 42 AO und die §§ 7 bis 13 AStG unterscheiden sich aber sowohl von den Tatbestandsvoraussetzungen als auch in den Rechtsfolgen. Vor diesem Hintergrund muss das Konkurrenzverhältnis bestimmt werden.

13.25

§ 42 AO ist – anders als die Hinzurechnungsbesteuerung – nicht speziell auf die Verlagerung von Einkünften in das (niedrigbesteuerte) Ausland zugeschnitten. Gleichwohl wurde die allgemeine Missbrauchsvorschrift durch die Rechtsprechung und Finanzverwaltung in einer ähnlichen Konstellation angewendet, nämlich im Zusammenhang mit sog Basisgesellschaften.

13.26

3. Exkurs: Basisgesellschaften Literatur: Drüen, Ein neuer Missbrauchsbegriff im deutschen Internationalen Steuerrecht?, ISR 2020, 98; Eisendle/Henze, Aktuelle Entwicklungen der EuGH-Rechtsprechung zu den direkten Steuern im Jahr 2019, ISR 2020, 23; Flick/Wassermeyer, Grundsatzurteil zum Oasenerlaß?, Anmerkung zum Urteil des BFH vom 21.5.1971 III 125–127/70, DB 1972, 110; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Köln; Friedrich, Die Basisgesellschaft als Instrument betrieblicher Steuerpolitik, Köln 1980; Gibbons, Tax effects of basing international business abroad, in Harvard Law Review 69 (1956), 1206; Gosch, Die Zwischengesellschaft nach „Hilversum I und II“, „Cadbury Schweppes“ und den Jahressteuergesetzen 2007 und 2008, in Kirchhof/Nieskens (Hrsg.), FS für Reiß, Köln 2008, 597; Hagemann/Kahlenberg, Anti Tax Avoidance Directive (ATAD), Kommentar, Herne 2019; Kraft, Schlussfolgerungen aus der BFH-Rechtsprechung zur Abgrenzung des § 42 AO von den §§ 7 ff. AStG aus der Sicht der internationalen Steuerberatung, IStR 1993, 148; Lampert, Zu den Voraussetzungen eines „Missbrauchs“ i.S.d. Mutter-Tochter-Richtlinie und Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie, ISR 2018, 207; Lampert, Zur Vereinbarkeit der Quellenbesteuerung von Zinsen und Dividenden mit dem Unionsrecht in den „Dänemark“-Urteilen des EuGH (Rs. C-115/16 bis C-119/16 und C-299/16), ISR 2019, 260; Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, 9. Aufl., München 2021; Salditt, Steuerlast und Wanderlust, StuW 1972, 12; Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Aufl., Köln 2021; Schön, Rechtsmissbrauch und Europäisches Steuerrecht, in Kirchhof/Nieskens (Hrsg.), FS für Reiß, Köln 2008, 571; Selling, Ausländische Holding-, Vermögens- und Dienstleistungsgesellschaften im Licht des § 42 AO, RIW 1991, 235; Striegel, Steuerflucht

1 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 1330. 2 Zur Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt des Leistungsfähigkeitsprinzips Schaumburg in FS Tipke, 125 (140 f.).

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Kap. 13 Rz. 13.27 | Hinzurechnungsbesteuerung durch Basisunternehmen, München 1973; Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Loseblatt, Köln; Tipke/ Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Köln 2021; Vanistendael, Halifax und Cadbury Schweppes: one single European theory of abuse in tax law?, EC Tax Revue 2006, 192; Winkelmann, Steuerumgehung durch die Einschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften, Frankfurt 1997; Wurster, Scheingeschäft bei Basisgesellschaften, DB 1983, 2057.

13.27

Der Begriff der Basisgesellschaft1 ist nicht gesetzlich bestimmt. Es handelt sich um ein Schlagwort zur Beschreibung einer bestimmten Form des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten.

13.28

Dementsprechend gibt es in der Literatur unterschiedliche Definitionsansätze. Sie umschreiben die Basisgesellschaft als Instrument der Steuerflucht bzw. der Einkünfteverlagerung in das Ausland.2 Für die konkrete Rechtsanwendung ist damit jedoch nicht viel gewonnen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat dementsprechend zutreffend auf eine abstrakte Definition verzichtet. Diesem Ansatz ist zuzustimmen, denn § 42 AO verlangt stets eine Einzelfallbetrachtung. Vor diesem Hintergrund handhabt die Rechtsprechung den Terminus der Basisgesellschaft wie einen Typusbegriff.3

13.29

Details über Begriff und Wesen der Basisgesellschaft sind umstritten. Zusammenfassend kann man eine Auslandsgesellschaft jedoch dann als Basisgesellschaft bezeichnen, wenn durch deren Einschaltung Einkünfte und Vermögen der inländischen Besteuerung entzogen werden sollen. Dabei geht es regelmäßig um die Einkünfteverlagerungen in Niedrigsteuerländer („Steueroasen“).

13.30

Der Typusbegriff wird dabei von den folgenden Elementen bestimmt, die im Einzelfall unterschiedlich stark ausgeprägt sein können:4 – Basisgesellschaften sind durchweg – unter Anwendung des Typenvergleichs – ausländische Kapitalgesellschaften.5 Gesellschaften können nämlich nur dann eine steuerliche Abschirmwirkung ggü. der deutschen Besteuerung entfalten, wenn sie aus der Sicht des deutschen Körperschaftsteuerrechts steuerrechtsfähig sind und im Inland weder Sitz noch Geschäftsleitung haben. – Die ausländische Gesellschaft muss grundsätzlich deutsch beherrscht sein. Dies ist der Fall, wenn unbeschränkt steuerpflichtige Personen infolge ihrer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung oder über Treuhänder in der Lage sind, die Gesellschaft zu steuern und diese so für Einkünfteverlagerungen einzuschalten.6

1 Die Begriffsprägung „base company“ geht auf Gibbons, in Harvard Law Review 69 (1956), 1206 (1207) zurück. 2 Hierzu die Übersicht bei Friedrich, Die Basisgesellschaft als Instrument betrieblicher Steuerpolitik, 23 ff. 3 Hierzu Larenz, Methodenlehre6, 218 ff., 461 ff.; Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 5.53 f. 4 Hierzu Gosch in FS Reiß, 597 (598). 5 Diesem Merkmal entspricht § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG. 6 BFH v. 21.10.1988 – III R 194/84, BStBl. II 1989, 216; v. 9.5.1979 – I R 126/77, BStBl. II 1979, 586; v. 29.10.1981 – I R 89/80, BStBl. II 1982, 150; v. 10.11.1983 – IV R 62/82, BStBl. II 1984, 605; v. 26.7.1995 – I R 78/93, I R 86/94, I R 78/93, I R 86/94, BFH/NV 1996, 383, dieses Erfordernis verlangt auch § 7 Abs. 1 und 2 AStG.

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C. Systematische Einordnung | Rz. 13.32 Kap. 13

– Standorte für Basisgesellschaften sind Niedrigsteuerländer.1 Die Einschaltung von Basisgesellschaften ist auf die Erzielung von Steuervorteilen gerichtet. Daher muss der Ansässigkeitsstaat der Basisgesellschaft erhebliche Steuervorteile2 – allgemeiner oder spezieller Natur – gewähren. – Basisgesellschaften dienen dazu, Einkünfte zu verlagern. Ihre geschäftlichen Interessen liegen daher typischerweise nicht im Sitz- bzw. Geschäftsleistungsstaates, sondern entweder im Wohnsitzstaat der Gesellschafter oder in (hochbesteuernden) Drittländern. – Basisgesellschaften haben i.d.R. keinen nennenswerten (eigenen) Geschäftsbetrieb. Ihre Geschäftstätigkeiten gehen über die bloße Vermögensverwaltung nicht hinaus. In aller Regel handelt es sich um substanzschwache Verkaufs-, Einkaufs-, Finanzierungs-, Patentverwertungs- und Holdinggesellschaften.3 Es gab vor Erlass der Hinzurechnungsbesteuerung kein spezielles Regime zur Bekämpfung von Basisgesellschaften. Sie wurde (und wird) daher auf allgemeine Vorschriften gestützt, insbesondere § 5 Abs. 1 StAnpG (heute § 41 Abs. 2 AO: Scheingeschäfte), § 1 Abs. 2 StAnpG (wirtschaftliche Betrachtungsweise), § 11 Nr. 3 StAnpG (heute § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO: Treuhandschaft/wirtschaftliches Eigentum) sowie auf § 6 StAnpG (heute § 42 AO: Gestaltungsmissbrauch).4 Diese Vorschriften reichten jedoch nach Auffassung des Gesetzgebers nicht aus, um Einkünfteverlagerungen angemessen zu begegnen. Sie erfassen nämlich lediglich speziell gelagerte Einzelfälle. Dies war der maßgebliche Grund für die Einführung der Hinzurechnungsbesteuerung.5

13.31

Ein Scheingeschäft ist gem. § 41 Abs. 2 AO für die Besteuerung unerheblich. Es liegt vor, wenn sich die Vertragsbeteiligten über den Scheincharakter des Rechtsgeschäftes einig sind, also die Willenserklärungen nur zum Schein abgegeben haben.6 Diese Voraussetzung ist bei der Errichtung und Einschaltung von Basisgesellschaften gerade nicht erfüllt. Die Betroffenen wollen hingegen gerade die durch die Einschaltung der Basisgesellschaft verbundene Rechtsfolge eintreten lassen, nämlich das Anfallen der Einkünfte auf Ebene der Basisgesellschaft. Nur so lässt sich das angestrebte Ziel einer Steuerersparnis bzw. -stundung erreichen.7 Werden allerdings ausnahmsweise die notwendigen Folgerungen aus der Errichtung und Einschaltung von Basisgesellschaften bewusst nicht gezogen, etwa Vermögensgegenstände tatsächlich nicht übertragen oder abgeschlossene Rechtsgeschäfte nicht durchgeführt, können die Voraussetzungen von § 41 Abs. 2 AO erfüllt sein.8

13.32

1 Vgl. hierzu die Länderaufstellung in zu BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.3.2.2 Anlage 1; aufgrund der sog. Panama Papers sind im Frühjahr 2016 insbesondere Basisgesellschaften in Panama bekannt geworden. 2 § 8 Abs. 5 AStG zieht eine absolute Grenze von 25 % Ertragsteuerbelastung. 3 Zu den typischen Basisfunktionen der Überblick bei Friedrich, Die Basisgesellschaft als Instrument betrieblicher Steuerpolitik, 77 ff.; Striegel, Steuerflucht durch Basisunternehmen, 45 ff.; Selling, RIW 1991, 235 ff. 4 Vgl. sog. Steueroasenerlass v. 14.6.1965, BStBl. I 1965, 74; dazu Debatin, DB 1965, 1024 ff. 5 Dies war einer der Gründe der Einführung der Hinzurechnungsbesteuerung, vgl. BT-Drucks. VI/ 2883, 16. 6 Armbrüster in MüKo9, § 117 BGB Rz. 11 ff.; Drüen in T/K, § 41 AO Rz. 65. 7 BFH v. 21.10.1988 – III R 194/84, BStBl. II 1989, 216; v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; vgl. den Überblick über die einschlägige Literatur bei Friedrich, Die Basisgesellschaft als Instrument betrieblicher Steuerpolitik, 69 ff. 8 BFH v. 21.10.1988 – III R 194/84, BStBl. II 1989, 216; zu weiteren Einzelheiten Wurster, DB 1983, 2057 ff.

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Kap. 13 Rz. 13.33 | Hinzurechnungsbesteuerung

13.33

Die wirtschaftliche Betrachtungsweise war in § 1 Abs. 2 StAnpG ausdrücklich angeordnet.1 Eine erneute Aufnahme in die Abgabenordnung 1977 hielt der Gesetzgeber jedoch nicht für notwendig.2 Gleichwohl findet sie als Methode der Rechtsfindung unverändert Anwendung.3 Die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist jedoch kein taugliches Instrument zur Bekämpfung von Basisgesellschaften. Sie kann nämlich nicht eine tatsächlich existente juristische Person wirtschaftlich als nicht existent betrachten.4 Ebenso wenig können auf Grundlage der wirtschaftlichen Betrachtungsweise Transaktionen mit Basisgesellschaften ignoriert werden.

13.34

Anfangs hat die Rechtsprechung auch der Rechtsfigur des wirtschaftlichen Eigentums herangezogen, um von ausländischen Gesellschaften gehaltene Wirtschaftsgüter den inländischen Gesellschaftern zuzurechnen und so der Besteuerung zu unterwerfen. § 11 Nr. 3 StAnpG (heute § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) ordnete für die Treuhand als Spezialfall des wirtschaftlichen Eigentums an, dass Wirtschaftsgüter nicht dem Treuhänder, sondern dem Treugeber für steuerliche Zwecke zuzurechnen sind.5 Nach der älteren Rechtsprechung konnten Wirtschaftsgüter einer in einem Niedrigsteuerland gegründeten Gesellschaft dem Gesellschafter unmittelbar zugerechnet werden, wenn die ausländische Gesellschaft mit der Verwaltung der Wirtschaftsgüter keine eigenen Interessen verfolgte und der Gesellschafter sich alle Grundsatzentscheidungen vorbehalten hatte. Der BFH hat diese Rechtsprechung allerdings später insbesondere unter Hinweis auf das Trennungsprinzip nicht fortgeführt. Nach der neuen Rechtsprechung ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit im Körperschaftsteuerrecht stets als ein vom Gesellschafter gesondertes und eigenständiges Steuersubjekt anzusehen, deren gesamtes Vermögen (insbesondere soweit es als Stammeinlage erfasst ist) nicht ohne Weiteres dem Gesellschafter zugerechnet werden könne.6 Eine Zurechnung auf Grundlage von § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO könne allenfalls aufgrund eines vereinbarten Treuhandverhältnisses für einzelne Wirtschaftsgüter einer Basisgesellschaft in Betracht kommen.7 Dies wird jedoch in der Praxis kaum vorkommen.

13.35

Heute wird bei Basisgesellschaftern insbesondere kritisch hinterfragt, ob der Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO)8 tatsächlich im Ausland liegt. Nicht selten werden bei Basisgesellschaften ohne eigenen Geschäftsbetrieb die Geschäfte ausschließlich oder überwiegend vom Inland aus geleitet. Dies kann selbst dann gelten, wenn ein ausländischer Geschäftsführer bestellt ist, jedoch der inländische Gesellschafter tatsächlich alle maßgeblichen Entscheidungen trifft und der ausländische Geschäftsführer diese bloß noch umsetzt.9 Liegt der Ort der Geschäftsleitung im Inland, ist die Basisgesellschaft mit ihren gesamten Einkünften unmittelbar selbst unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 KStG). Befindet sich der Ort der Geschäftsleitung der Basisgesellschaft jedoch im Ausland, kommt entweder die Anwendung des § 42 AO oder der §§ 7 bis 14 AStG in Betracht.

1 § 1 Abs. 2 StAnpG 1934: Bei der Auslegung der Steuergesetze ist die „die wirtschaftliche Bedeutung der Steuergesetze“ zu berücksichtigen. 2 Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 200, 321. 3 Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 320 ff. 4 Im Einzelnen Friedrich, Die Basisgesellschaft als Instrument betrieblicher Steuerpolitik, 77 ff. 5 BFH v. 21.5.1971 – III R 125-127/70, BStBl. II 1971, 721 (1. Treuhandurteil); kritisch dazu Flick/ Wassermeyer, DB 1972, 110 ff.; Salditt, StuW 1972, 12 (27). 6 BFH v. 29.1.1975 – I R 135/70, BStBl. II 1975, 553 (sog. 2. Treuhandurteil). 7 Friedrich, Die Basisgesellschaft als Instrument betrieblicher Steuerpolitik, 96 ff. 8 Vgl. zum Ort der Geschäftsleitung Rz. 7.2 f.; speziell zu Basisgesellschaften Friedrich, Die Basisgesellschaft als Instrument betrieblicher Steuerpolitik, 80 ff. 9 Vgl. dazu bspw. Drüen in T/K, § 10 AO Rz. 3.

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C. Systematische Einordnung | Rz. 13.37 Kap. 13

Der Tatbestand des § 42 AO verlangt einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Missbrauch liegt vor, wenn der (beschränkt oder unbeschränkt)1 Steuerpflichtige eine unangemessene rechtliche Gestaltung wählt, die bei ihm oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt (§ 42 Abs. 2 Satz 1 AO).2 Er wählt also Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts, die im Hinblick auf die wirtschaftlichen Vorgänge, Tatsachen und Verhältnissen unangemessen, also nicht durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe gerechtfertigt sind. Die Rechtsprechung hat in zahlreichen Entscheidungen den Tatbestand des § 42 AO3 insbesondere dann als erfüllt angesehen, wenn für die Errichtung von Auslandsgesellschaften wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und die ausländische Gesellschaft keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet.4 Ob für die Errichtung der Auslandsgesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe bestehen, beurteilt sich nach der Rechtsprechung nicht allein nach dem in dem Statut niedergelegten Gesellschaftszweck oder den Angaben der Gründer. Maßgeblich ist vielmehr auch der tatsächliche Vollzug des Gesellschaftszwecks, wie er nach außen in Erscheinung tritt.5 Neben beachtlichen wirtschaftlichen Motive für die Errichtung einer Auslandsgesellschaft muss diese also auch eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfalten. Fehlen wirtschaftliche Gründe für die Errichtung einer Auslandsgesellschaft, kommen auch sonst beachtliche Gründe in Betracht. Von der Rechtsprechung werden solche Gründe anerkannt, die sich auf die Wahl des Sitzes und der Rechtsform der Gesellschaft beziehen, soweit sich diese Wahl mit außersteuerlichen Gründen rechtfertigen lässt.6 Kann beides nur mit der Absicht der Steuerersparnis erklärt werden, fehlt es an sonst beachtlichen Gründen für die Errichtung der Auslandsgesellschaft.7 Diese Linie entspricht auch der neuen Rechtsprechung des EuGH im Lichte von Art. 6 ATAD.8

13.36

Die von der Rechtsprechung geforderte wirtschaftliche Betätigung fehlt bei einer eigenwirtschaftlich funktions- und substanzlosen Basisgesellschaft.9 Verlangt wird daher mehr als das bloße Halten von Beteiligungen oder das Halten und Verwalten von sonstigem Vermögen.

13.37

1 § 42 AO findet auch auf beschränkt steuerpflichtige Personen Anwendung; BFH v. 29.10.1997 – I R 35/96, BStBl. II 1998, 235; v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819. 2 Zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen Drüen in T/K, Vor § 42 AO Rz. 17 ff. 3 Aus der ab 2008 geltenden Neuregelung ergeben sich insoweit keine Änderungen. 4 Aus der umfangreichen Rechtsprechung nur BFH v. 29.1.1975 – I R 135/70, BStBl. II 1975, 553; v. 29.7.1976 – VIII R 116/72, BStBl. II 1977, 268; v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339; v. 5.3.1986 – I R 201/82, BStBl. II 1986, 496; v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; v. 28.1.1992 – VIII R 7/88, BStBl. II 1993, 84; v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029; v. 19.1.2000 – I R 94/97, BStBl. II 2001, 222; v. 19.1.2000 – I R 117/97, BFH/NV 2000, 824; v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819; v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; v. 25.2.2004 – I R 42/ 02, BStBl. II 2005, 14. 5 Z.B. BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401. 6 BFH v. 24.2.1976 – VIII R 155/71, BStBl. II 1977, 265. 7 BFH v. 29.7.1976 – VIII R 142/73, BStBl. II 1977, 263; vgl. im Übrigen zum Abkommensmissbrauch durch Zwischenschaltung von ausländischen Kapitalgesellschaften (treaty shopping) Rz. 19.127 ff. 8 EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:135 = IStR 2019, 266 – T Danmark; EuGH v. 26.2.2019 – C-115/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:134 = IStR 2019, 308 – N Luxembourg; dazu Drüen, ISR 2020, 98 ff.; Eisendle/Henze, ISR 2020, 23 ff.; Lampert, ISR 2019, 260 ff. sowie ISR 2018, 207 ff. 9 BFH v. 27.8.1997 – I R 8/97, BStBl. II 1998, 163; v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819; v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; v. 17.11.2004 – I R 55/03, BFH/NV 2005, 1016; v. 31.5.2005 – I R 74/04, I R 88/04, BStBl. II 2006, 118.

Oppel | 551

Kap. 13 Rz. 13.37 | Hinzurechnungsbesteuerung

Entgeltliche Kapitalüberlassungen sowie Wertpapiergeschäfte sind demgegenüber i.d.R. ausreichend.1 Outsourcing ist i.d.R. unschädlich.2

13.38

Was missbräuchlich i.S.v. § 42 AO ist, muss im Rahmen einer Einzelfallwertung festgestellt werden. Hierbei sind die vom Gesetzgeber selbst gesetzten Wertungsmaßstäbe zu berücksichtigen. Wertungsmaßstäbe in Bezug auf § 42 AO können wegen der vergleichbaren Zielsetzung auch der Hinzurechnungsbesteuerung entnommen werden.3 Der Gesetzgeber hat in diesem Rahmen entschieden, niedrig besteuerte Auslandsgesellschaften im Grundsatz steuerlich anzuerkennen und nur die Einkünfte aus passivem Erwerb dieser Gesellschaften der Besteuerung zu unterwerfen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung ist auch für § 42 AO bindend. Damit erfüllt das bloße Erzielen von Zwischeneinkünften nicht den Tatbestand des § 42 AO.4

13.39

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat vor diesem Hintergrund das Konkurrenzverhältnis des § 42 AO und der Hinzurechnungsbesteuerung wie folgt bestimmt:5 – Im Ausgangspunkt ist § 42 AO ggü. der Hinzurechnungsbesteuerung logisch vorrangig. Die Rechtsfolge des § 42 AO setzt nämlich bereits bei der Einkünftezurechnung an. Die Einkünfte werden von vornherein dem zugerechnet, der sie bei unterstellter angemessener Gestaltung erzielt hätte. Demgegenüber behandeln die §§ 7 bis 13 AStG die Zwischengesellschaft als Einkünfteerzielungssubjekt. Ihr werden die von ihr erzielten Einkünfte aus passivem Erwerb auch steuerlich zugerechnet werden. Erst auf einer weiteren Stufe wird durch eine Fiktion der Ausschüttung aller Einkünfte eine Besteuerung auf Ebene des Gesellschafters erreicht. – § 42 AO kommt nur zur Anwendung und ist vorrangig vor der Hinzurechnungsbesteuerung anzuwenden, wenn die Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Das ist nicht der Fall, wenn die Hinzurechnungsbesteuerung, auf die Gesamtdauer der Gestaltung gesehen, eine höhere inländische Steuer auslöst6 oder die Unangemessenheit der Gestaltung ausschließlich auf Tatumständen beruht, die nach § 8 AStG die Einkünfte einer Auslandsgesellschaft als Zwischeneinkünfte qualifizieren.7

1 BFH v. 19.1.2000 – I R 94/97, BStBl. II 2001, 222; v. 25.2.2004, BStBl. II 2005, 14; strenger noch die vorangegangene Rspr. z.B. BFH v. 21.1.1976 – I R 234/73, BStBl. II 1976, 513; v. 24.2.1976 – VIII R 55/72, BStBl. II 1977, 266; v. 29.7.1976 – VIII R 116/72, BStBl. II 1977, 265; zu dieser Entwicklung in der Rspr. Gosch in FS Reiß, 597 (598 ff.). 2 BFH v. 19.1.2000 – I R 94/97, BStBl. II 2001, 222; v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14; einschränkend noch BFH v. 27.8.1997 – I R 8/97, BStBl. II 1998, 163, wonach darauf abgestellt wird, ob das Outsourcing seinerseits einer endgültigen Steuerersparnis dient und wirtschaftlich oder sonst beachtliche Gründe hierfür gegeben sind. 3 Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, vor §§ 7–14 AStG Rz. 45 f.; im Übrigen ist auch § 50d Abs. 3 EStG relevant; hierzu Gosch in FS Reiß, 597 (613 ff.). 4 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; v. 10.6.1992 – I R 117/97, BStBl. II 1992, 1029; v. 23.11.2000 – IV R 85/99, BStBl. II 2001, 122; v. 20.3.2001 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; hierzu Gosch in FS Reiß, 597 (602 f.). 5 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029; v. 23.11.2000 – IV R 85/99, BStBl. II 2001, 122; v. 20.3.2001 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; zu Einzelheiten Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 52 ff.; Kraft, IStR 1993, 148 ff.; Gosch in FS Reiß, 597 (602 f.). 6 Vgl. BFH v. 12.7.1989 – I R 46/85, BStBl. II 1990, 113; v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029. 7 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029.

552 | Oppel

C. Systematische Einordnung | Rz. 13.41 Kap. 13

§ 42 AO wird also durch §§ 7 bis 13 AStG verdrängt. Liegen über das Erzielen von Einkünften aus passivem Erwerb hinaus keine weiteren Umstände vor, die die Einschaltung einer Auslandsgesellschaft als unangemessen – d.h. als Manipulation – erscheinen lassen, sind die Tatbestandsvoraussetzungen von § 42 AO nicht erfüllt und allein die §§ 7 – 13 AStG anwendbar. Das bloße Erzielen von Einkünften aus passivem Erwerb rechtfertigt daher, für sich genommen, keinen Missbrauchsvorwurf i.S.d. § 42 AO. Die Anwendung des § 42 AO wird im Ergebnis auf sog. Briefkastengesellschaften ohne eigene Geschäftsräume und ohne eigenes Personal beschränkt und damit insoweit die Ausnahme sein.1

13.40

Dass die Anwendung des § 42 AO beim Einsatz ausländischer Gesellschaften die Ausnahme sein wird, ergibt sich auch auf Grund der Schrankenwirkung der primärrechtlichen Grundfreiheiten2 sowie der ATAD. Auch die ATAD kennt eine allgemeine Vorschrift zur Verhinderung von Missbräuchen (Art. 6 ATAD). Diese negiert unangemessene Gestaltungen für Zwecke der Besteuerung. Die Staaten berücksichtigen die unangemessene Gestaltung bei der Berechnung der Steuerschuld nicht. Unangemessen ist eine Gestaltung, sofern sie nicht aus triftigen wirtschaftlichen Gründen vorgenommen wurde, die die wirtschaftliche Realität widerspiegeln. Die ATAD macht in Art. 7 und 8 Vorgaben für eine Hinzurechnungsbesteuerung, die Art. 6 in ihrem Anwendungsbereich als spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift verdrängen.3 Obgleich die ATAD nur einen Mindeststandard zum Ausdruck bringt, berücksichtigt sie auch die Rechtsprechung des EuGH zur Vereinbarkeit von nationalen Missbrauchsbekämpfungsvorschriften mit den Grundfreiheiten.4 Diese ist auch bereits in den Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung, insbesondere in Form des Substanznachweises (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a. Unterabs. 2), abgebildet.5 Über diese spezifische Regelung hinausgehende Anforderungen wären als eine nicht verhältnismäßige Beschränkung in die Grundfreiheiten zu werten.

13.41

4. Investmentfonds Literatur: Kommentare zum InvStG und zu § 7 Abs. 7 AStG; Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, München; Haug, Abgrenzung zwischen Außen- und Investmentsteuerrecht nach dem ATADUmsG, DStZ 2021, 612; Herr/Link, Verhältnis zwischen InvStG und AStG – Ende der Sperrwirkung aufgrund der ATAD I-Richtlinie, RdF 2020, 20; Jansen/Greger, InvStG 2018: Übergang zum neuen Recht, erste Praxis- und Anwendungsfragen, BB 2018, 407; Moritz/Jesch/Mann, Frankfurter Kommentar zum Kapitalanlagerecht, Band 2: InvStG, Frankfurt am Main 2019; Roth, Gesetz zur Reform der Investmentbesteuerung, GWR 2016, 457; Stadler/Bindl, Das neue InvStG – Überblick und Korrekturbedarf, DStR 2016, 1953; Stadler/Sotta, Investmentfonds und Hinzurechnungsbesteuerung

1 Hierzu Winkelmann, Steuerumgehung durch die Einschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften, 73 (202 ff.); Kraft, IStR 1993, 148 (153); Gosch in FS Reiß, 597 (602, 604 f.); zu steuerstrafrechtlichen Problemen im Zusammenhang mit Basisgesellschaften Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 15.214 ff. 2 EuGH v. 21.11.2002 – C-436/00, ECLI:EU:C:2002:704 = Slg. 2002, I-10829 f., Rz. 42 – X und Y; EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 = Slg. 2006, I-7995, Rz. 52 – Cadbury Schweppes; Vanistendael, EC Tax Revue 2006, 192 (194); Schön in FS Reiß, 571 (579). 3 Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Vor Art. 7 und 8 Rz. 49. 4 EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:135 = IStR 2019, 266 – T Danmark; EuGH v. 26.2.2019 – C-115/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:134 – N Luxembourg; dazu Drüen, ISR 2020, 98 ff.; Eisendle/Henze, ISR 2020, 23 ff.; Lampert, ISR 2019, 260 ff. sowie ISR 2018, 207 ff. 5 Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Vor Art. 7 und 8 Rz. 49; Oppel in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 3 Rz. 64.

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Kap. 13 Rz. 13.42 | Hinzurechnungsbesteuerung nach dem ATAD-UmsG – eine kritische Analyse des Referentenentwurfs vom 24.3.2020, BB 2020, 1943; weitere Literaturhinweise zum InvStG bei Rz. 12.1.

13.42

Die Hinzurechnungsbesteuerung kann auch im Zusammenhang mit (Spezial-)Investmentfonds eine Rolle spielen.1 Dabei sind zwei Grundkonstellationen zu unterscheiden, nämlich die Beteiligung eines Inländers an einem ausländischen Fonds und die Beteiligung eines inländischen Fonds an ausländischen Zwischengesellschaften bzw. anderen Fonds. Weiter ist zwischen Investmentfonds und Spezialinvestmentfonds (§ 26 InvStG) zu differenzieren.2

13.43

Sind Inländer an ausländischen (Spezial-)Investmentfonds (im aufsichtsrechtlichen Sinne) beteiligt, kommt eine Hinzurechnungsbesteuerung ohnehin nur dann in Betracht, wenn der Fonds als Kapitalgesellschaft (z.B. SICAV) oder Vermögensmasse (z.B. FCP) organisiert ist.3 Ist der Fonds hingegen eine Personengesellschaft, kommt bereits nach allgemeinen Grundsätzen das Transparenzprinzip zur Anwendung, so dass eine Hinzurechnungsbesteuerung in Bezug auf den Fonds von vornerein ausscheidet. Ist der Personengesellschafts-Fonds jedoch an Zwischengesellschaften beteiligt, kommt eine Hinzurechnung der Einkünfte auf Ebene des Anlegers in Betracht (vgl. § 7 Abs. 3 AStG a.F., § 7 Abs. 4 Satz 2 AStG).

13.44

Bis zur Überarbeitung der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATADUmsG spielten die §§ 7 – 14 AStG a.F. jedoch selbst bei Beteiligungen an als Kapitalgesellschaften organisierten ausländischen Investmentfonds (1 Abs. 2 InvStG) nur eine sehr untergeordnete Rolle.4 Unterfielen die Einkünfte der als Fonds qualifizierenden Zwischengesellschaft nämlich dem InvStG, ordnete § 7 Abs. 7 AStG a.F. einen generellen Vorrang des InvStG vor der Hinzurechnungsbesteuerung an. Eigene Einkünfte des Fonds wie auch Zwischeneinkünfte nachgeschalteter Gesellschaften außerhalb des InvStG wurden auf Ebene des Investmentfonds steuerlich durch § 7 Abs. 7 AStG a.F. abgeschirmt. Bei inländischen Investmentfonds mit Beteiligungen an ausländischen Zwischengesellschaften unterlag der Hinzurechnungsbetrag als nicht-inländische Einkünfte des Fonds als selbstständiges Steuersubjekt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 InvStG) nicht der Steuer (§ 6 Abs. 2 InvStG). Bei in- wie ausländischen Investmentfonds kam es folglich nicht zu einer Hinzurechungsbesteuerung auf Ebene der unbeschränkt steuerpflichtigen Anleger.

13.45

Bei inländischen Spezialinvestmentfonds mit nachgeschalteten, nicht dem InvStG unterliegenden Zwischengesellschaften, war eine Hinzurechnungsbesteuerung auf Ebene der Anleger hingegen denkbar. Der Hinzurechnungsbetrag führte nämlich zu sog. ausschüttungsgleichen Erträgen i.S.v. § 36 InvStG. Nicht abschließend geklärt und umstritten war, ob eine Hinzurechnungsbesteuerung bei ausländischen Spezialinvestmentfonds mit nachgeschalteten Zwischengesellschaften, die nicht dem InvStG unterlagen, möglich war.5 Dagegen wurde insbesondere die generelle Sperrwirkung des § 7 Abs. 7 AStG auf Ebene des Fonds angeführt.

1 Detailliert zu anderen internationalen Bezügen des InvStG Rz. 12.1. 2 Einführung zum InvStG bspw. bei Stadler/Bindl, DStR 2016, 1953; Roth, GWR 2016, 457; Jansen/ Greger, BB 2018, 407. 3 Detailliert zu den Begrifflichkeiten und dem Verhältnis zum Aufsichtsrecht Wenzel in Brandis/Heuermann, § 1 InvStG Rz. 10; Gottschling in Moritz/Jesch/Mann, Frankfurter Kommentar zum Kapitalanlagerecht Bd. 2, § 1 Rz. 10 ff., 22 ff. 4 Überblick über die Besteuerung von Investmentfonds bspw. bei Stadler/Bindl, DStR 2016, 1953 ff. 5 Dazu Stadler/Sotta, BB 2020, 1943 (1944); Haug, DStZ 2021, 612 (617); Herr/Link, RdF 2020, 20 (21).

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C. Systematische Einordnung | Rz. 13.49 Kap. 13

Das ATADUmsG hat den generellen Vorrang des InvStG eingeschränkt.1 Eine Hinzurechnungsbesteuerung ist nach Maßgabe von § 7 Abs. 1 AStG nun grundsätzlich möglich. Dazu müssen zunächst die Beherrschungsvoraussetzungen i.S.v. § 7 Abs. 1–4 AStG erfüllt sein. Dies wird bei Publikumsfonds nicht der Fall sein. Bei institutionellen Anlegern und Family-Offices als Anleger ist dies aber ebenso denkbar wie bei konzerneigenen CTA-Strukturen.2 Ebenfalls können PE-Fonds betroffen sein.3

13.46

Gleichwohl sieht § 7 Abs. 5 Satz 1 AStG – im Wesentlichen entsprechend § 7 Abs. 7 AStG a.F. – weiterhin vor, dass auf Einkünfte einer Zwischengesellschaft, die dem InvStG unterliegt, die Hinzurechnungsbesteuerung nicht anzuwenden ist. Dies bezieht sich jedoch nur auf den Fonds selbst. Unmittelbar von dem Fonds erzielte passive Einkünfte unterliegen also grundsätzlich nicht der Hinzurechnungsbesteuerung. Von diesem Grundsatz sieht § 7 Abs. 5 Satz 2 AStG jedoch eine Ausnahme vor. Die Hinzurechnungsbesteuerung greift danach ein, wenn die den Einkünften unterliegenden Geschäfte zu mehr als einem Drittel mit dem Hinzurechnungsadressaten oder einer diesem (und nicht dem Fonds)4 nahestehenden Person betrieben werden. Welche die maßgeblichen Geschäfte sind, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Im Schrifttum wird vertreten, dies seien lediglich schuldrechtliche Beziehungen des (Spezial-)Investmentfonds, wie Darlehen, Termingeschäfte und sonstige Finanzierungsverträge, nicht aber gesellschaftsrechtliche Beteiligungen an nahestehenden Personen.5 Für dieses Verständnis spricht, dass gesellschaftsrechtliche Beziehungen auch in § 1 Abs. 4 Buchst. b AStG aus dem Begriff der Geschäftsbeziehung ausgenommen sind. In Bezug auf die Drittelgrenze legt der Wortlaut der Regelung aber nahe, dass sich diese nur auf die passiven Einkünfte des Fonds bezieht.6 Kommt es zu einer doppelten Erfassung aufgrund des InvStG und der Hinzurechnungsbesteuerung, ergibt sich eine überschießende Tendenz.7

13.47

Allerdings ändert sich mit dem ATADUmsG die Behandlung von nachgeschalteten Zwischengesellschaften grundlegend. Das Konzept der übertragenden Zurechnung (§ 14 AStG a.F.) ist entfallen. Dies gilt auch, wenn nachgeschaltete Zwischengesellschaften über einen Investmentfonds gehalten werden. Es kommt nun zu einer unmittelbaren Zurechnung der Zwischeneinkünfte mittelbarer Beteiligungen beim Hinzurechnungsadressaten am Fonds vorbei.8 Insofern schirmt der Fonds also nicht mehr gegen Zwischeneinkünfte mittelbarer Beteiligungen, deren Einkünfte nicht dem InvStG unterliegen, ab.

13.48

Sind Hinzurechnungsadressaten an Kapitalanlagegesellschaften i.S.v. § 13 AStG beteiligt, kommt eine Hinzurechnungsbesteuerung sogar ohne eine Mindestbeteiligung in Betracht (§ 13 Abs. 1 Satz 1 AStG). Eine Kapitalanlagegesellschaft ist eine Gesellschaft, die Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt. Dies sind Einkünfte (einschließlich Veräußerungsgewinne), die aus dem Halten, der Verwaltung, der Werterhaltung oder der Werterhöhung von Zahlungsmitteln, Wertpapieren, Beteiligungen oder ähnlichen Vermögenswerten stammen (§ 13 Abs. 2

13.49

1 2 3 4 5 6 7 8

Zur Gesetzgebungshistorie Haug, DStZ 2021, 612 (614). Haug, DStZ 2021, 612 (615); Herr/Link, RdF 2020, 20 (24). Siehe Herr/Link, RdF 2020, 20 (24) für Beispiele. Stadler/Sotta, BB 2020, 1943 (1944, 1946). Der inländische Anleger muss also mittelbar zu mindestens 25 % an der vom Fonds gehaltenen Gesellschaft beteiligt sein. Stadler/Sotta, BB 2020, 1943 (1944, 1946); a.A. Haug, DStZ 2021, 612 (616). Wie hier Haug, DStZ 2021, 612 (616); kritisch dazu Stadler/Sotta, BB 2020, 1943 (1944, 1946). Haug, DStZ 2021, 612 (616) (dort auch zu Anrechnungsfragen); kritisch dazu Stadler/Sotta, BB 2020, 1943 (1944, 1946). Haug, DStZ 2021, 612 (616); Stadler/Sotta, BB 2020, 1943 (1944, 1946); Herr/Link, RdF 2020, 20 (24 f.).

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Kap. 13 Rz. 13.49 | Hinzurechnungsbesteuerung

AStG). Erzielt die Kapitalanlagegesellschaft ausschließlich oder nahezu ausschließlich (mehr als 90 %)1 Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter, kommt es auf eine Mindestbeteiligung nicht an, auch kleinste Beteiligungen können zur Hinzurechnungsbesteuerung führen. Im Übrigen greift die Hinzurechnungsbesteuerung bei einer Beteiligung von wenigstens 1 %. Für Kapitalanlagegesellschaften ordnet § 13 Abs. 5 Satz 1 AStG jedoch einen generellen Vorrang des InvStG an, wenn deren Einkünfte den Vorschriften des InvStG unterfallen. Mittelbare Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften sind also unbeachtlich, wenn der unbeschränkt steuerpflichtige Hinzurechnungsadressat diese über einen Investmentfonds oder einen Spezialinvestmentfonds hält (§ 13 Abs. 5 Satz 2 AStG).2 § 13 AStG und § 7 Abs. 1 AStG stehen gleichberechtigt nebeneinander. Erzielten „beherrschte“ Fonds Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter, kommt eine Hinzurechnungsbesteuerung auf Grundlage von § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG in Betracht.

D. Persönliche Tatbestandsvoraussetzungen I. Unbeschränkt steuerpflichtige Personen 13.50

Die Hinzurechnungsbesteuerung gem. §§ 7 – 13 AStG bezieht sich in erster Linie auf unbeschränkt Steuerpflichtige.3 Seit der Rechtsänderung durch das ATADUmsG kann es jedoch auch bei beschränkter Steuerpflicht zu einer Hinzurechnungsbesteuerung kommen (§ 7 Abs. 1 Satz 4 AStG).

13.51

§ 7 Abs. 1 Satz 1 AStG setzt in persönlicher Hinsicht einen unbeschränkt Steuerpflichtigen voraus. Dies umfasst Einkommen- und Körperschaftsteuersubjekte. Die unbeschränkte Steuerpflicht muss am Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft bestehen.4 Dies ist zwar nicht ausdrücklich angeordnet. Jedoch stellt § 7 Abs. 2 AStG für die Prüfung des Beherrschungserfordernisses auf das Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft ab. Der Hinzurechnungsbetrag gilt zudem am Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft als zugeflossen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG).

13.52

Unbeschränkte Steuerpflicht umfasst die unbeschränkte Steuerpflicht aufgrund inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) bzw. inländischen Sitzes oder Ortes der Geschäftsleitung (§ 1 Abs. 1 KStG). Zum Kreis der unbeschränkt Steuerpflichtigen gehören auch erweitert oder fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtige (§ 1 Abs. 2, 3, § 1a EStG).5 Auf die abkommensrechtliche Ansässigkeit kommt es nicht an (§ 20 Abs. 1 AStG).6 Nicht unmittelbar erfasst sind hingegen erweitert beschränkt Steuerpflichtige i.S.v. § 2 AStG.7 Allerdings sieht § 5 Abs. 1 Satz 1 AStG auch hier eine Hinzurechnungsbesteuerung vor. Werden Anteile an einer ausländischen Gesellschaft über in- oder ausländische Personengesellschaften gehalten, ist auf die dahinterstehenden Gesellschafter abzustellen (vgl. § 7 Abs. 4 1 Stadler/Sotta, BB 2020, 1943 (1943). 2 Dazu Haug, DStZ 2021, 612 (618). 3 Kritisch zum Ausschluss beschränkt Steuerpflichtiger nach §§ 7 – 14 AStG a.F. Schaumburg, Vorauflage, Rz. 13.43. 4 So auch Jacobsen in AStG – eKommentar, § 7 Rz. 48. 5 Köhler in S/K/K, § 7 AStG Rz. 31; Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 9.3; Kraft in Kraft2, § 7 Rz. 182. 6 Köhler in S/K/K, § 7 AStG Rz. 31; Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 9.3. 7 Kraft in Kraft2, § 7 Rz. 185; Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 9.3.

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D. Persönliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.56 Kap. 13

Satz 2 AStG).1 Optierende Personengesellschaften i.S.v. § 1a KStG können hingegen selbst Hinzurechnungsadressaten sein, denn sie werden auf ihren Antrag wie Kapitalgesellschaften behandelt. Seit den Änderungen im Rahmen des ATADUmsG kommt auch bei beschränkt Steuerpflichtigen eine Hinzurechnungsbesteuerung in Frage. Voraussetzung ist, dass die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar einer inländischen Betriebsstätte des beschränkt Steuerpflichtigen zuzuordnen ist, durch welche eine Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG ausgeübt wird. Die Zuordnung erfolgt entsprechend § 1 Abs. 5, 6 AStG i.V.m. § 7 BsGaV nach den allgemeinen Grundsätzen (dazu Rz. 21.73.).2 Eine Hinzurechnungsbesteuerung kann auch erfolgen, wenn der beschränkt Steuerpflichtige an einer originär gewerblich tätigen Personengesellschaft in Deutschland beteiligt ist. Diese vermittelt nämlich ebenfalls eine (anteilige) Betriebsstätte (dazu Rz. 6.173).3

13.53

II. Beherrschung einer ausländischen Gesellschaft 1. Überblick Die Hinzurechnungsbesteuerung setzt weiter voraus, dass der Hinzurechnungsadressat eine ausländische Gesellschaft beherrscht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AStG).

13.54

2. Ausländische Gesellschaft Ausländische Gesellschaft ist nach der Legaldefinition in § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. KStG ohne inländischen Sitz oder Geschäftsleitung, die nicht gem. § 3 Abs. 1 KStG von der Körperschafsteuerpflicht ausgenommen ist. § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG nimmt damit auf § 1 Abs. 1 KStG Bezug. Von der Hinzurechnungsbesteuerung kann somit im Grundsatz jeder Rechtsträger erfasst sein, der bei inländischem Sitz oder Geschäftsleitung unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig wäre. Maßgeblich sind die Wertungen des deutschen Steuerrechts.4 Anhand eines Typenvergleichs ist festzustellen, ob die betreffende ausländische Gesellschaft nach Aufbau und wirtschaftlicher Bedeutung einem Körperschaftsteuersubjekt entspricht.5 Auf die Rechtsfähigkeit des ausländischen Rechtsträgers kommt es nicht an.6 Stiftungen und Trusts unterfallen demgegenüber im Regelfall nicht dem Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung, weil an ihnen keine Beteiligung bestehen kann.7 Allerdings sieht § 15 AStG gesonderte Regelungen für ausländischen Familienstiftungen und -trusts vor, die auch der Stiftung bzw. dem Trust nachgeschaltete Zwischengesellschaften erfasst (§ 15 Abs. 9 AStG) (Rz. 14.36).

13.55

Personengesellschaften können nicht ausländische Gesellschaft i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG sein. Eine Ausnahme gilt, wenn sie nach Maßgabe von § 1a KStG zur Körperschaftsteuer op-

13.56

1 2 3 4 5

Köhler in S/K/K, § 7 AStG Rz. 31; Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 9.3. Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (487); Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (11). Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (11); Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (487). Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 10; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 7 AStG Rz. 50. BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; v. 3.2.1988 – I R 134/84, BStBl. II 1988, 588; v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263; zur Subjektqualifikation im Einzelnen Rz. 7.7.; weiterführend zum Typenvergleich Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 10.1. 6 BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BStBl. II 1992, 972; v. 24.3.1998 – I R 49/96, BStBl. II 1998, 649. 7 Vgl. detailliert dazu Köhler in S/K/K, § 7 Rz. 45.

Oppel | 557

Kap. 13 Rz. 13.56 | Hinzurechnungsbesteuerung

tieren.1 Auch ausländische Personengesellschaften können – wenn sie vom Typus her einer deutschen Personengesellschaft entsprechen – die Körperschaftsteueroption ausüben.2

13.57

Nicht zu den ausländischen Gesellschaften i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG gehören doppelt ansässige Gesellschaften, und zwar auch dann nicht, wenn sie gem. Art. 4 OECD-MA (Rz. 19.209 f.) in dem anderen Vertragsstaat als ansässig gelten. Bei ihnen gibt es nämlich einen inländischen Sitz oder eine inländische Geschäftsleitung.

3. Beherrschung a) Einführung

13.58

Weitere Voraussetzung der Hinzurechnungsbesteuerung ist, dass der Hinzurechnungsadressat die ausländische Gesellschaft „beherrscht“ (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AStG). Die Tatbestandsvoraussetzung der Beherrschung ist in § 7 Abs. 2 bis Abs. 4 AStG konkretisiert.

13.59

Mit dem ATADUmsG hat der Gesetzgeber das der Hinzurechnungsbesteuerung zugrundeliegende Beherrschungskonzept grundlegend geändert. Nach § 7 Abs. 1 AStG a.F. war maßgeblich, ob unbeschränkt Steuerpflichtige – verbunden oder unverbunden – gemeinsam zu mehr als der Hälfte an der ausländischen Gesellschaft beteiligt waren. Dies war der Fall, wenn ihnen mehr als 50 % der Anteile an der ausländischen Gesellschaft oder der Stimmrechte zuzurechnen waren (§ 7 Abs. 2 Satz 1 AStG a.F.). Waren Anteile oder Stimmrechte nicht vorhanden, kam es ersatzweise auf die Beteiligung am Vermögen der Gesellschaft an (§ 7 Abs. 2 Satz 3 AStG a.F.). Die Inländer mussten dabei in Bezug auf die Gesellschaft nicht gemeinsam handeln, nicht gemeinsame Interessen verfolgen oder untereinander auch nur bekannt sein. Ausreichend war, dass der Gesellschafterkreis rein zufällig zu mehr als der Hälfte aus unbeschränkt Steuerpflichtigen bestand.3 Hielten bspw. 51 Inländer jeweils 1 % an der ausländischen Gesellschaft, kam eine Hinzurechnungsbesteuerung in Betracht. Für dieses Konzept hatte sich das Schlagwort der „Inländerbeherrschung“ durchgesetzt, obgleich eine „Beherrschung“ im engeren Sinne durch Inländer gerade nicht Voraussetzung war.4

13.60

Der ATAD liegt demgegenüber ein echtes Beherrschungskonzept zugrunde (Art. 7 Abs. 1 ATAD). Danach muss der Hinzurechnungsadressat selbst oder zusammen mit verbundenen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % der Stimmrechte oder des Kapitals halten oder Anspruch auf mehr als 50 % des Gewinns der ausländischen Gesellschaft haben. Dieser Ansatz überzeugt gegenüber dem bisherigen Konzept der „Inländerbeherrschung“.5 Die Hinzurechnungsbesteuerung ist nämlich – auch nach Auffassung der OECD6 – nur gerechtfertigt, wenn die ausländische Gesellschaft von einem Gesellschafter beherrscht wird, er also seinen Willen durchsetzen kann, und er sie deshalb zur Verfolgung seiner steuerlichen Motive instru-

1 Vgl. Böhmer/Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 (398). 2 Böhmer/Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 (389); Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, DStR-Beih. 2021, 3 (36); Böhmer in Mössner/Oellerich/Valta, § 1a KStG Rz. 153; a.A. Haase, Ubg 2921, 193 (194). 3 Zur dahinterstehenden kontrolltheoretischen Idee vgl. Schönfeld, IStR 2017, 721 (722). 4 Bspw. Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 39; Schaumburg, Vorauflage, Rz. 13.50; Köhler in S/K/K, § 7 AStG Rz. 70, 72. 5 So auch Kortendick/Ekinci, IStR 2020, 615 (616); Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (486); Schnitger/ Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 (963). 6 OECD-Bericht zu Aktionspunkt 3 (2015), 25; vgl. zum OECD-Bericht 3 Radmanesh, IStR 2015, 895; Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Vor Art. 7 und 8 Rz. 16.

558 | Oppel

D. Persönliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.64 Kap. 13

mentalisieren kann. Der deutsche Gesetzgeber hat das Beherrschungskonzept der ATAD im Wesentlichen übernommen. Weiterhin kein Beherrschungserfordernis besteht bei Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften i.S.v. § 13 AStG n.F. (Rz. 13.229). Wie zuvor gem. § 7 Abs. 6, 6a AStG a.F. genügt es, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger zu mindestens 1 % beteiligt ist (§ 13 Abs. 1 Sätze 1, 4 AStG). Erzielt die Kapitalanlagegesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter, kommt sogar eine Hinzurechnungsbesteuerung gänzlich ohne jedes Mindestbeteiligungserfordernis in Betracht (§ 13 Abs. 1 Satz 1 AStG).

13.61

Die Tatbestandsvoraussetzung der Beherrschung ist streng von der Rechtsfolge, der Hinzurechnung von Einkünften der ausländischen Gesellschaft, zu trennen. Diese erfolgt nur entsprechend der unmittelbaren und mittelbaren Beteiligung am Nennkapital der ausländischen Gesellschaft bzw. entsprechend eines anderen Maßstabs der Gewinnverteilung (§ 7 Abs. 1 Satz 1, 3 AStG).

13.62

b) Beherrschungskriterien Die Kriterien der Beherrschung legt § 7 Abs. 2 AStG fest. Maßgeblich ist, ob dem Hinzurechnungsadressaten allein oder zusammen mit nahestehenden Personen mehr als die Hälfte der Stimmrechte oder mehr als die Hälfte der Anteile am Nennkapital unmittelbar oder mittelbar zuzurechnen sind oder unmittelbar oder mittelbar ein Anspruch auf mehr als die Hälfte des Gewinns oder des Liquidationserlöses der Gesellschaft beseht. Der Begriff der „Beherrschung“ ist also irreführend. Tatsächlich folgt nämlich nur aus der Mehrheit der Stimmrechte die Möglichkeit, die ausländische Gesellschaft zu beherrschen.1 Selbst ohne Beherrschung im engen Sinne kommt jedoch aufgrund anderer „Beherrschungskriterien“ eine Hinzurechnungsbesteuerung in Betracht.

13.63

Bereits § 7 Abs. 2 Satz 1 AStG a.F. stellte alternativ auf Anteile an der Gesellschaft oder Stimmrechte ab. Erforderlich ist und war für beide Merkmale eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung. Die Beurteilung muss anhand des maßgeblichen ausländischen Gesellschaftsrechts erfolgen.2 Nennkapital ist danach als Begriff zu verstehen, der die vermögensmäßige Beteiligung am Gesellschaftsvermögen auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage repräsentiert.3 Nennkapital kann in Form von Aktien, Geschäfts- oder Genossenschaftsanteilen oder sonstigen kapitalmäßigen Anteilen vermittelt werden.4 Es ist dadurch gekennzeichnet, dass es im Handelsregister eingetragen und im Gesellschaftsvertrag festgelegt ist sowie nur unter erschwerten Voraussetzungen an die Gesellschafter zurückgezahlt werden kann.5 Unter Stimmrechten sind die aus der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung stammenden Stimmrechte zu verstehen.6

13.64

1 So auch Köhler/Staats, ISR 2021, 295 (296). Dies wirft die Frage auf, ob außerhalb einer „echten“ Beherrschung ggf. die auch die Kapitalverkehrsfreiheit Prüfungsmaßstab für die Rechtfertigung einer Beschränkung von Grundfreiheiten sein kann. 2 Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 12; Köhler in S/K/K, § 7 AStG Rz. 98; Protzen in Kraft2, § 7 AStG Rz. 92; vgl. auch BFH v. 3.2.1988 – I R 134/84, BStBl. II 1988, 588. 3 Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 12. 4 Vgl. zum Begriff auch § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG, dazu bspw. Oellerich in Brandis/Heuermann, § 27 KStG Rz. 20; zur Bestimmung des Nennkapitals bei Gesellschaften ausländischer Rechtsform Oppel, IStR 2020, 46 (49). 5 Oppel, IStR 2020, 46 (49); Behrens/Renner, BB 2016, 1180 (1181). 6 Köhler in S/K/K, AStG/DBA, § 7 AStG Rz. 98.

Oppel | 559

Kap. 13 Rz. 13.65 | Hinzurechnungsbesteuerung

13.65

Alternativ kann sich eine Beherrschung aus einem Anspruch auf mehr als die Hälfte des Gewinns oder des Liquidationserlöses der ausländischen Gesellschaft ergeben. In Bezug auf dieses Merkmal ist unklar, ob sich auch aus rein schuldrechtlichen Instrumenten – etwa einem partiarischen Darlehen, stillen Beteiligungen oder Genussrechten – eine Beherrschung ergeben kann.1 Beispiel:

F SA (Frankreich) 30 % D GmbH (Deutschland)

Partiarisches Darlehen (45 % des handelsrechtl. Gewinns)

30 % B Ltd. (UK)

Sachverhalt: Die F SA mit Sitz und Geschäftsleitung in Frankreich ist zu 30 % am Nennkapital der D GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland beteiligt. Die D GmbH ist ihrerseits mit 30 % am Nennkapital der britischen B Ltd. beteiligt. Zusätzlich hat die F SA der B Ltd. ein partiarisches Darlehen gewährt. Aufgrund dessen stehen ihr 45 % des handelsrechtlichen Gewinns zu. Wegen des partiarischen Darlehens beträgt die Gewinnbeteiligung der D GmbH aufgrund ihrer 30%-Beteiligung i.E. nur 10 % des handelsrechtlichen Gewinns. Beherrscht die F SA die B Ltd.? Lösung: Nach bisherigem Recht kann sich die Inländerbeherrschung nur auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage ergeben. In Betracht kommt hier eine Beherrschung der B Ltd. durch die F SA, denn ihr stehen – gemeinsam mit der nahestehenden D GmbH – 55 % des Gewinns der B Ltd. zu. Der Wortlaut von § 7 Abs. 2 AStG könnte ein solches Verständnis ggf. tragen. Der Kontext der Regelung spricht aber dafür, rein schuldrechtliche Beziehungen nicht zu berücksichtigen und die Regelung auf disquotale Gewinnverteilungsabreden (einschließlich Verteilung des Liquidationsgewinns) zu beziehen. Für diese Sichtweise spricht auch, dass Zinsen oder ähnliche Zahlungen auf schuldrechtlicher Basis i.d.R. den (handels- und steuerrechtlichen) Gewinn mindern und damit gerade keine Beteiligung am Gewinn begründen. Diese Sichtweise wäre konsequent, denn auch rechtsfolgenseitig ist die gesellschaftsrechtliche (und nicht eine schuldrechtliche) Gewinnverteilung maßgeblich (§ 7 Abs. 1 Satz 3 AStG).2

13.66

Rein schuldrechtliche Beziehungen – wie partiarische Darlehen oder stille Beteiligungen – können folglich keine Beherrschung begründen. Unklar ist weiterhin, wie Eigenkapitalgenussrechte zu behandeln sind.3 § 7 Abs. 2 AStG verlangt alternativ eine Beteiligung am Gewinn

1 So bspw. in Bezug auf die ATAD Kreienbaum, DStJG 41 (2018), 475 (484); Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 2 Rz. 77; in Bezug auf § 7 Abs. 2 AStG Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (6); Kortendick/Ekinci, IStR 2020, 615 (620). 2 Wie hier Schneider/Hruschka in Steuerberaterjahrbuch 2020, 243 (260); Kortendick/Ekinci, IStR 2020, 615 (620); ähnlich auch Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 486 (487). 3 Zur Rechtslage vor ATADUmsG ausführlich Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 24.

560 | Oppel

D. Persönliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.69 Kap. 13

oder am Liquidationserlös. Demgegenüber liegt ein Eigenkapitalgenussrecht nur vor, wenn damit eine Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös erfasst ist. § 7 Abs. 2 AStG und § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG weisen keine parallele Terminologie auf. Der Wortlaut spricht also nicht dafür, Eigenkapitalgenussrechte als mögliches Beherrschungskriterium heranzuziehen.1 Dementsprechend können Eigenkapitalgenussrechte als schuldrechtliche Instrumente keine Beherrschung i.S.v. § 7 Abs. 2 AStG begründen. Auch die ATAD zwingt zu keinem anderen Verständnis. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD stellt auf „Gewinne des Unternehmens“ ab. Schuldrechtliche Instrumente mindern aber gerade den (handelsrechtlichen) Gewinn. Im Zusammenhang mit den anderen beiden von der ATAD genannten Beherrschungsvoraussetzungen – Stimmrechte und Kapital – spricht viel dafür, die Regelung nur auf disquotale Gewinnverteilungsabreden zu beziehen. Dementsprechend haben auch andere europäische Länder in Umsetzung der ATAD schuldrechtliche Instrumente außen vorgelassen.2

13.67

c) Gesellschafterbezogene Betrachtungsweise unter Berücksichtigung nahestehender Personen Nach dem Konzept der Inländerbeherrschung, welches § 7 Abs. 2 AStG a.F. zugrunde lag, kam es auf eine Verbundenheit der Inländer nicht an. Das ATADUmsG hat die „Inländerbeherrschung“ durch eine gesellschafterbezogene Betrachtungsweise unter Berücksichtigung nahestehender Personen ersetzt. Maßgeblich ist nun, ob der Hinzurechnungsadressat – ggf. gemeinsam mit nahestehenden Personen – ein Beherrschungskriterium erfüllt. Erforderlich ist „echte“ Beherrschung. Dabei ist es unerheblich, ob die nahestehenden Personen unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sind.

13.68

§ 7 Abs. 3 Satz 2 AStG definiert den Begriff der nahestehenden Person unter Verweis auf § 1 Abs. 2 AStG (detailliert Rz. 21.167). Eine Person steht dem Hinzurechnungsadressaten danach nahe, wenn

13.69

– der Hinzurechnungsadressat oder die nahestehende Person an dem Hinzurechnungsadressaten mindestens zu eine Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist oder wenn Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns oder Liquidationserlöses besteht; – die Person auf den Hinzurechnungsadressaten oder der Hinzurechnungsadressat auf die Person unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluss ausüben kann, also (faktisch) die maßgeblichen Entscheidungen treffen kann; – eine dritte Person an der Person sowie dem Hinzurechnungsadressaten wesentlich beteiligt ist, Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns oder des Liquidationserlöses des Hinzurechnungsadressaten und der Person hat oder beherrschenden Einfluss auf beide ausüben kann; oder – die Person oder der Steuerpflichtige im Stande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung mit dem anderen einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat.

1 Zurückhaltend auch Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (487). 2 Bspw. Österreich (§ 10a Abs. 4 öKStG), dazu etwa Raab, IStR 2018, 789 (790); Kanduth-Kristen/ Müller-Thomczik/Reiter, IStR 2021, 533 (534).

Oppel | 561

Kap. 13 Rz. 13.70 | Hinzurechnungsbesteuerung

13.70

Personengesellschaften oder Mitunternehmerschaften sind selbst nahestehende Personen, wenn sie die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 AStG erfüllen (§ 7 Abs. 3 Satz 2 AStG).

13.71

Der Gesetzgeber geht damit mit seiner Definition der nahestehenden Person über die Anforderungen der ATAD hinaus. Art. 2 Abs. 4 ATAD stellt darauf ab, ob Beteiligungen von mindestens 25 % bestehen. Andere Kriterien, wie beherrschenden Einfluss, enthält die ATAD nicht.

13.72

Der weit gefasste Beherrschungstatbestand strahlt in alle Richtungen aus. Die Hinzurechnungsbesteuerung erfasst damit künftig Strukturen, in denen der Hinzurechnungsadressat über einen Konzernverbund an der ausländischen Gesellschaft partizipiert.1 Beispiel:

F SA (Frankreich) 100 %

D GmbH (Deutschland)

5%

46 % G Ltd. (Guernsey)

Sachverhalt:2 Die F SA mit Sitz und Geschäftsleitung in Frankreich ist zu 100 % am Nennkapital der D GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland und zu 5 % am Nennkapital der G Ltd. mit Sitz und Geschäftsleitung in Guernsey beteiligt. Die D GmbH hält 46 % am Nennkapital der G Ltd. Beherrscht die D GmbH die G Ltd.? Lösung: Vor der Änderung des § 7 AStG durch das ATADUmsG war das Erfordernis der Inländerbeherrschung nicht erfüllt, denn unbeschränkt Steuerpflichtige halten nur 46 % – und damit nicht mehr als 50 % – der Anteile an der G Ltd. Nach § 7 Abs. 2 AStG n.F. ist nun auch die Beteiligung der F SA zu berücksichtigen, denn diese ist aufgrund ihrer Beteiligung an der D GmbH von mehr als einem Viertel eine der D GmbH nahestehende Person. Die Beteiligungen der D GmbH und der F SA sind gemeinsam zu betrachten. Mit einer Beteiligung von insgesamt 51 % ist die D GmbH gemeinsam mit einer nahestehenden Person zu mehr als der Hälfte am Nennkapital der G Ltd. beteiligt, so dass ein Beherrschungskriterium erfüllt ist.

1 Kortendick/Ekinci, IStR 2020, 615 (618). 2 Weitere Beispiele u.a. bei Kortendick/Ekinci, IStR 2020, 615 (618); Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (8); Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (486).

562 | Oppel

D. Persönliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.76 Kap. 13

Weiterhin gelten Personen als dem Steuerpflichtigen nahestehend, wenn sie mit dem Steuerpflichtigen in Bezug auf die Zwischengesellschaft durch abgestimmtes Verhalten zusammenwirken (§ 7 Abs. 4 Satz 1 AStG). „Abgestimmtes Verhalten“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Inhalt durch Auslegung bestimmt werden muss. Die Gesetzesbegründung verweist erläuternd auf § 30 Abs. 2 WpÜG.1 Erforderlich ist für eine Beherrschung i.S.d. WpÜG eine Vereinbarung oder eine Abstimmung in sonstiger Weise in Bezug auf das Verhalten der Gesellschaft. Insbesondere erfasst sind Pool- bzw. Stimmbindungsverträge. Weiterhin führt die Gesetzesbegründung § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG mit dem Tatbestandsmerkmal der „gleichgerichteten Interessen“ an. Das FG Köln hat dieses Tatbestandsmerkmal jedoch zuletzt restriktiv verstanden. Danach erfordert der unbestimmte Rechtsbegriff der „gleichgerichteten Interessen“ ein Zusammenwirken mehrerer Erwerber beim Anteilserwerb durch die Verlustgesellschaft zum Zwecke gezielter Verlustnutzung. Zusätzlich seien verbindliche Vereinbarungen, aus denen sich ein beherrschender einheitlicher Einfluss auf die Verlustgesellschaft ergibt, erforderlich. Dieses einschränkende Verständnis ergebe sich aus dem Bestimmtheitserfordernis.2 Dementsprechend ist auch § 7 Abs. 4 Satz 1 AStG einschränkend auszulegen. Erforderlich sind stets rechtlich bindende Vereinbarungen in Bezug auf die Ausübung der Gesellschaftsrechte, die sich nicht nur auf Teilbereiche beschränken.3

13.73

Die Gesetzesbegründung nennt ferner die Beteiligung von Angehörigen der gleichen Familie als Beispiel eines Zusammenwirkens, welches eine Behandlung als nahestehende Personen rechtfertigen soll. Dies trifft in dieser Pauschalität nicht zu, denn Familienangehörige haben nicht zwingend gleich gerichtete Interessen. Zudem steht einer solchen Sichtweise Art. 6 GG entgegen.4

13.74

Sind Gesellschafter mittelbar über eine Personengesellschaft an der ausländischen Gesellschaft beteiligt, wird nach § 7 Abs. 4 Satz 2 AStG ein Zusammenwirken durch abgestimmtes Verhalten widerlegbar vermutet. Die Regelung ist – jedenfalls soweit sie Publikumsgesellschaften betrifft – zu weitgehend.5 Dementsprechend muss die Vermutung bereits als erschüttert gelten, wenn das Fehlen eines tatsächlichen Zusammenwirkens glaubhaft gemacht wurde.6

13.75

d) Mittelbare Beteiligungen Die Beherrschungskriterien können unmittelbar oder mittelbar erfüllt werden. Das Gesetz regelt nicht explizit, wie (und ob) eine mittelbare Beteiligung berücksichtigt werden muss, wenn die vermittelnde Gesellschaft keine nahestehende Person ist.

1 2 3 4

BT-Drucks. 19/28652, 54. FG Köln v. 17.5.2018 – 10 K 2695/15, EFG 2020, 732 (Rz. 21). So auch Schneider/Hruschka in Steuerberaterjahrbuch 2020, 243 (262). Vgl. dazu in Bezug auf § 8c KStG etwa Roser in Gosch4, § 8c KStG Rz. 73; kritisch Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (486). 5 Siehe dazu aber Hruschka in Steuerberaterjahrbuch 2020, 243 (264): Regelung sei schlichter Ausfluss des Zivilrechts, weil Gesellschafter einer Personengesellschaft die Erreichung eines gemeinsamen Zwecks fördern (§ 705 BGB). 6 Siehe auch Schneider/Hruschka in Steuerberaterjahrbuch 2020, 243 (264); Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (7); Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (486).

Oppel | 563

13.76

Kap. 13 Rz. 13.76 | Hinzurechnungsbesteuerung Beispiel:

D GmbH (Deutschland) 30 %

15 %

B Ltd. (Irland)

A Ltd. (Irland)

45 %

45 % H Ltd. (Hongkong)

Sachverhalt: Die D GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland ist am Nennkapital zweier irischer Kapitalgesellschaften – A Ltd. und B Ltd. – mit 30 % (A Ltd.) bzw. 15 % (B Ltd.) – beteiligt. Die irischen Kapitalgesellschaften halten jeweils 45 % des Nennkapitals einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Hong-Kong (H Ltd.). Beherrscht die D GmbH die H Ltd.? Lösung: Das Gesetz gibt nicht vor, wie die mittelbare Beteiligung zu berechnen ist. In Bezug auf die durch I1 Ltd. vermittelte Beteiligung müssen 45 % des Nennkapitals berücksichtigt werden, denn es handelt sich bei der I1 Ltd. um eine nahestehende Person. In Bezug auf B Ltd. ist denkbar, die Beteiligung „durchzurechnen“, also mit 6,75 % zu berücksichtigen (15 % x 45 %). Dann wäre das Beherrschungserfordernis erfüllt, denn die mittelbare Beteiligung am Nennkapital betrüge 51,75 %. Das neue Beherrschungskonzept in § 7 AStG verlangt allerdings gesellschaftsrechtliche Kontrolle. Deshalb kann m.E. die durch I2 Ltd. vermittelte Beteiligung nicht berücksichtigt werden, denn D-GmbH übt über B Ltd. als Minderheitsgesellschafter keine Kontrolle aus.1

13.77

Rechtsfolgenseitig werden mittelbare Beteiligungen nicht berücksichtigt, soweit es auf Ebene vermittelnder Personen zu einer Hinzurechnungsbeteuerung auf Grundlage des AStG oder einer vergleichbaren ausländischen Regelung gekommen ist und die hinzuzurechnenden Einkünfte dadurch insgesamt keiner niedrigeren Steuer unterlegen haben (§ 7 Abs. 1 Satz 3 AStG) (Rz. 13.223).

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen I. Überblick 13.78

Liegen die Beherrschungsvoraussetzungen vor, werden nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG die Einkünfte der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfen, für welche die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist. Diese Einkünfte werden Zwischeneinkünfte genannt. Sie bilden das

1 Wie hier wohl Köhler/Staats, ISR 2021, 295 (296); rechtspolitisch halten Kortendick/Ekinci, IStR 2020, 615 (618) dieses Ergebnis für richtig.

564 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.82 Kap. 13

Hinzurechnungs- bzw. Steuerobjekt.1 Andere Einkünfte der ausländischen Gesellschaft unterliegen nicht der Hinzurechnungsbesteuerung. § 8 Abs. 1 AStG definiert die Einkünfte, die zu einer Hinzurechnungsbesteuerung führen können (sog. passive Einkünfte). Die passiven Einkünfte unterliegen jedoch nur der Hinzurechnungsbesteuerung, wenn sie niedrig – d.h. mit weniger als 25 % – besteuert sind (§ 8 Abs. 5 AStG). Für EU/EWR-Gesellschaften ist zudem in § 8 Abs. 2–4 AStG die Möglichkeit vorgesehen, durch den sog. Substanznachweis die Hinzurechnungsbesteuerung abzuwenden. Für Drittlandsgesellschaften besteht eine solche Möglichkeit nur in Bezug mit Einkünften mit Kapitalanlagecharakter (§ 13 Abs. 4 Satz 1 AStG).

13.79

§ 8 Abs. 1 AStG ist über die Definition der passiven Einkünfte hinaus eine gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, welche über die Hinzurechnungsbesteuerung hinaus geht. Diese ist insbesondere für die Anwendung von § 42 AO (Gestaltungsmissbrauch) im Zusammenhang mit Basisgesellschaften von Bedeutung. Abgesehen von dem Konkurrenzverhältnis zwischen der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 bis 13 AStG) einerseits und der „Missbrauchsbesteuerung“ (§ 42 AO) andererseits,2 kann eine Basisgesellschaft unter dem Gesichtspunkt des § 42 AO ohnehin nicht angenommen werden, wenn sie Einkünfte aus aktiver Tätigkeit i.S.v. § 8 Abs. 1 AStG erzielt.3

13.80

Die Zwischeneinkünfte werden rechtsfolgenseitig in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts ermittelt (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AStG). Sodann werden diese als Hinzurechnungsbetrag auf Ebene des Hinzurechnungsadressaten entsprechend seiner unmittelbaren und mittelbaren Beteiligung am Nennkapital (bzw. einem anderen maßgeblichen Gewinnverteilungskriterium) als fiktive Dividende zugerechnet (§ 7 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 10 Abs. 1, 2 AStG).

13.81

Die ATAD enthält – in Anlehnung an die Vorarbeiten der OECD – ebenfalls Vorgaben für die Bestimmung des Steuerobjekts. Sie enthält in Art. 7 eine Definition passiver Einkünfte einschließlich der Möglichkeit, die Hinzurechnungsbesteuerung durch einen Substanztest abzusenden (Abs. 2), sowie eine Niedrigsteuergrenze (7 Abs. 1 Buchst. b). Der deutsche Gesetzgeber geht jedoch weit über die Mindestvorgaben der ATAD hinaus. Dies ist – im Rahmen der Grundfreiheiten – zulässig (vgl. Art. 3 ATAD).

13.82

II. Einkünfte aus passivem Erwerb Literatur: Kommentare zu § 8 Abs. 1 AStG; Baumgartner, Mögliche Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung durch den zweiten Referentenentwurf eines ATADUmsG, IStR 2020, 524; Baur/Ullmann, Änderungen des Aktivkatalogs in § 8 Abs. 1 AStG durch das ATAD-Umsetzungsgesetz, IWB 2021, 790; Becker/Loose, Beteiligungserträge in der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem ATADUmsetzungsgesetz, IStR 2021, 373; Becker/Schmelz, Greift die Hinzurechnungsbesteuerung für die Einkünfte niedrig besteuerter ausländischer Vertriebsgesellschaften in Form eines „Limited Risk Distributors“?, IStR 2017, 797; Binder/Graßl, Verdeckte Gewinnausschüttungen in der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem ATADUmsG, IStR 2021, 865; Böhmer/Gebhardt/Krüger, Die Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATAD-Umsetzungsgesetz, IWB 2021, 479; Böhmer/Oppel, Die neue Hinzurechnungsbesteuerung für Beteiligungen an ausländischen Zwischengesellschaften – Eine

1 Schaumburg, Vorauflage, Rz. 13.74. 2 Vgl. zu dem Konkurrenzverhältnis Rz. 13.25 ff. 3 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029; zu Einzelheiten Gosch in FS Reiß, 597 ff.

Oppel | 565

Kap. 13 Rz. 13.83 | Hinzurechnungsbesteuerung erste Analyse des BMF-Entwurfs v. 10.12.2019, IWB 2020, 5; Böhmer/Schewe/Schlücke, Der Referentenentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes – Gewinnausschüttungen, Veräußerungen und Umwandlungen, FR 2020, 164; Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, München; Ditz/ Quilitzsch, Die Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATAD-Umsetzungsgesetz, Ubg 2021, 485; Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Band III, Loseblatt, München; Erman, BGB, Kommentar, 16. Aufl., Köln 2020; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Köln; Fuhrmann, Außensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., Herne 2017; Haase, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar 3. Aufl., Heidelberg 2016; Hagemann/ Kahlenberg, Anti Tax Avoidance Directive (ATAD), Kommentar, Herne 2019; Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Loseblatt, Köln; Haun/Kahle/Goebel/Reiser, AStG-Kommentar, Loseblatt, Stuttgart; Klatt/Meister, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Ein Strukturelement des globalen Konstitutionalismus, JuS 2014, 193; Köhler, Aktuelles Beratungs-Knowhow Internationales Steuerrecht, DStR 2005, 277; Köhler/Staats, Wichtige Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATAD Umsetzungsgesetz, ISR 2021, 295; Kraft, Außensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., München 2022; Lademann, Außensteuergesetz, Kommentar, Stuttgart, Loseblatt; Linn, Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie der EU – Anpassungsbedarf in der Hinzurechnungsbesteuerung?, IStR 2016, 645; Lentz/Sezer, Beteiligungserträge und Hinzurechnungsbesteuerung nach dem ATADUmsG-E, ISR 2021, 85; Maciejewski, Zielgenau Missbrauchsabwehr: Verfassungskonformität der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß §§ 7-14 AStG, IStR 2013, 449; Oppel, Die Einlagenrückgewähr durch ausländische Gesellschaften – Teil 1, IWB 2020, 375; Oppel, BFH schließt Direktzugriff auf Einlagekonto auch im Drittstaatensachverhalt aus – Fortentwicklung der Rechtsprechung erschwert die Einlagenrückgewähr – zugleich Anmerkungen zum BFH-Urteil I R 15/16, IStR 2020, 46; Prölss/Dreher, Versicherungsaufsichtsgesetz: VAG, Kommentar, 13. Aufl., München 2018; Rechid/Schäfer, ATADUmsetzungsgesetz: Reform der Hinzurechnungsbesteuerung – Mögliche Konsequenzen in der Praxis von deutschen Kreditinstituten – Teil I, BB 2020, 2071; Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, Köln 2015; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020; Schießl, Hinzurechnungsbesteuerung bei Umwandlungen am Beispiel der Verschmelzung einer Körperschaft auf eine andere Körperschaft, DStZ 2009, 207; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 41. Aufl., München 2022; Schnitger, Ausländische Umwandlungen – Fragen im Zusammenhang mit § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG, IStR 2010, 265; Schnitger/Gebhardt, „Ausschüttungsabhängigkeit“ und Dividenden in der Hinzurechnungsbesteuerung – AStG vs. ATAD, IStR 2018, 213; Schnitger/Nitschke/Gebhardt, Anmerkungen zu den Vorgaben für die Hinzurechnungsbesteuerung nach der sog. „Anti-BEPS-Richtlinie“, IStR 2016, 960; Schönfeld, Outsourcing steht der Annahme eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs i. S. des § 8 Abs. 2 AStG nicht entgegen, IStR 2009, 624; Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, Loseblatt, Bonn; Tipke/ Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Köln 2021; Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, 7. Aufl., München 2020; Waldhoff/Grefrath, Normenklarheit und Bestimmtheit der Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung als Problem des Steuervollzugs, IStR 2013, 477; Wassermeyer, Die Fortentwicklung der Besteuerung von Auslandsbeziehungen Anmerkungen zu den derzeitigen Überlegungen zur Reform des Außensteuerrechts, IStR 2001, 113; Werra, Zum Reformbedarf beim Außensteuergesetz unter besonderer Berücksichtigung des Verhaltenskodex, IStR 2001, 438.

1. Einkünftezurechnung 13.83

Die Zurechnung von Tätigkeiten und damit zugleich auch von Einkünften zu ausländischen Gesellschaften erfolgt im Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 AStG nach den allgemeinen ertragsteuerlichen Grundsätzen.1 In der Regel sind die Einkünfte Folge einer eigenen Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft, werden also mit eigenem Personal und eigenen bzw. gemiete-

1 BFH v. 1.7.1992 – I R 6/92, BStBl. II 1993, 222; v. 6.12.1995 – I R 40/95, BStBl. II 1997, 118; Außensteuererlass v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 Sondernummer 1, 3 unter Rz. 8.0.1; vgl. hierzu allgemein Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.150 ff.

566 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.86 Kap. 13

ten Einrichtungen erzielt. Dies ist jedoch nicht zwingend. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Einkünfte für Rechnung der ausländischen Gesellschaft erzielt werden. Es kommt darauf an, wer das Unternehmensrisiko trägt.1 Die den Einkünften zugrundeliegenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben müssen also in einem Veranlassungszusammenhang mit einer Tätigkeit stehen, die für Rechnung der ausländischen Gesellschaft ausgeführt wird.2 Abweichend von diesen Regelungen ist eine Zurechnung von Einkünften anderer in- und ausländischer Gesellschaften grundsätzlich nicht möglich. Dies gilt auch bei Organschaftsverhältnisse oder bei Anwendung von Gruppenbesteuerungsregelungen im Ausland, denn diese werden für die Ermittlung der Einkünfte und dementsprechend auch für die Zuordnung der Einkünfte und Tätigkeiten nicht berücksichtigt (vgl. nur § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG) und lassen jedenfalls aus deutscher Sicht die Qualifikation der einzelnen Gesellschaft als Steuerrechtssubjekt unberührt.3 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht allerdings, wenn die ausländische Gesellschaft an einer Personengesellschaft beteiligt ist. Nach deutschen ertragsteuerlichen Grundsätzen werden nämlich Einkünfte einer Mitunternehmerschaft den Mitunternehmern als eigene Einkünfte zugerechnet. Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen von § 8 Abs. 1 AStG und sind auch auf den Sonderbereich zu übertragen.4 Die Einkünfte und Tätigkeiten vermögensverwaltender Personengesellschaften werden den Beteiligten anteilig zugerechnet (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO).

13.84

2. Einkünftequalifikation a) Aktivkatalog in § 8 Abs. 1 AStG § 8 Abs. 1 AStG definiert seit Inkrafttreten des AStG 1972 positiv, welche Tätigkeiten der ausländischen Gesellschaft zu aktiven Einkünften führen. Alle anderen Tätigkeiten führen zu passiven Einkünften. Die Gliederung und Terminologie in § 8 Abs. 1 AStG ist an die Einkunftsarten des EStG angelehnt, hat aber im Übrigen mit der dem EStG zugrundeliegenden Systematik keine Überschneidungen.5 Für die Einkünftequalifikation nach dem AStG ist es demnach auch ohne Bedeutung, zu welcher Einkunftsart i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG die Einkünfte gehören.6

13.85

Der Katalog wurde seit 1972 nur punktuell angepasst bzw. ergänzt.7 Ursprünglich knüpften die Tatbestände in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG allesamt an Tätigkeiten der ausländischen Gesellschaft an. Mit den § 8 Abs. 1 Nr. 7–9 AStG gibt es nun allerdings auch Einkünfte, deren Qualifikation als aktiv nicht anhand der Tätigkeit, sondern anhand der Einkommensquelle oder anderer Aspekte erfolgt. Nunmehr kann man aktive Tätigkeiten kraft Wirtschaftszweig

13.86

1 BFH v. 1.7.1992 – I R 6/92, BStBl. II 1993, 222. 2 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 26; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 11; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 16. 3 A.A. Schaumburg, Vorauflage, Rz. 13.77; wie hier Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 12. 4 BFH v. 16.5.1990 – I R 16/88, BStBl. II 1990, 1049; Außensteuererlass v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 Sondernummer 1, 3 unter Rz. 8.0.4; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 13; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 16; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 42. 5 Detailliert Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 11. 6 Außensteuererlass v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 Sondernummer 1, 3 unter Rz. 8.0.1. 7 Zur Rechtsentwicklung bspw. Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 Rz. 10; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 1 ff; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 5.

Oppel | 567

Kap. 13 Rz. 13.86 | Hinzurechnungsbesteuerung

(Nr. 1–3), kraft Funktionsnachweis (Nr. 4–6), aus Kapitalgesellschaftsbeteiligungen (Nr. 7 und 8) sowie aus Umwandlungen (Nr. 9) unterscheiden.1

13.87

13.88

Auch nach Umsetzung der ATAD ist der Katalog ausgesprochen unübersichtlich. Er enthält unbestimmte Rechtsbegriffe, Ausnahmen und Rückausnahmen. Teilweise ist die steuerliche Behandlung von Vorgängen im Ausland entscheidend. Eine grundlegende Überarbeitung des Katalogs ist auch im Rahmen der ATAD-Umsetzung mit dem ATADUmsG unterblieben. Literatur und Rechtsprechung in Bezug auf die Vorgängerregelung können also weiterhin grds. herangezogen werden. Die (wenigen) Veränderungen sind im Regelfall (mit Ausnahme insb. mit Blick auf Nr. 8 n.F.) verschärfend. § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG a.F. (Einkünfte aus Finanzierungstätigkeiten) ist ersatzlos entfallen. Danach ergibt sich nun in § 8 Abs. 1 folgende Gliederung: § 8 Abs. 1 a.F.

§ 8 Abs. 1 n.F.

Änderung

Nr. 1

Nr. 1

Land- und Forstwirtschaft unverändert

Nr. 2

Nr. 2

Industrielle Tätigkeit unverändert

Nr. 3

Nr. 3

Tätigkeit von Banken und Versicherungen sowie bestimmter Finanzunternehmen; Tatbestand im Rahmen durch Absenkung einer Unschädlichkeitsgrenze für Geschäfte mit nahestehenden Personen verschärft

Nr. 4

Nr. 4

Handelstätigkeiten im Wesentlichen unverändert

Nr. 5

Nr. 5

Dienstleistungen im Wesentlichen unverändert

Nr. 6

Nr. 6

Vermietung und Verpachtung im Wesentlichen unverändert

Nr. 7

./.

Finanzierungstätigkeiten entfallen

Nr. 8

Nr. 7

Einkünfte aus Gewinnausschüttungen; Tatbestand wurde deutlich eingeschränkt und dient nun auch dazu, Umgehung von § 8b Abs. 4, 7 und 8 KStG zu bekämpfen

Nr. 9

Nr. 8

Einkünfte aus Anteilsveräußerungen zugunsten des Steuerpflichtigen deutlich vereinfacht; nun lediglich Veräußerungen i.S.v. § 8b Abs. 7 KStG schädlich

Nr. 10

Nr. 9

Einkünfte aus Umwandlungen weiterhin aktiv, allerdings Erweiterung Ausnahmen; Anpassung an Nr. 8 n.F.

b) Konzept der Qualifikation passiver Einkünfte

13.89

Es gibt verschiedene Techniken zur Definition passiver Einkünfte.2 Der Gesetzgeber kann – wie in § 8 Abs. 1 AStG seit 1972 – positiv bestimmen, welche Einkünfte zu den aktiven und damit unschädlichen Einkünften zählen. Diese ausdrücklich genannten Einkünfte sind für die Hinzurechnungsbesteuerung irrelevant. Man spricht von einer Aktivliste oder einem Aktivkatalog. Alle nicht im Katalog genannten Einkünfte sind passiv und können der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Alternativ kann der Gesetzgeber auch abschließend positiv be1 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 21; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 12 ff. 2 Zu möglichen Ansätzen vgl. auch OECD-Report 2, 43 ff.

568 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.92 Kap. 13

stimmen, welche Einkünfte passiv sind. Man spricht von Passivliste oder Passivkatalog. Alle explizit in einer Passivliste genannten Einkünfte können der Hinzurechnungsbesteuerung unterfallen, alle werden nicht in die Hinzurechnungsbesteuerung einbezogen anderen Einkünfte sind irrelevant. Die ATAD enthält einen Passivkatalog und behandelt damit nur die folgenden Einkünfte als passiv (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD):1

13.90

– Zinsen und sonstige Einkünfte aus Finanzanlagevermögen; – Lizenzgebühren und sonstige Einkünfte aus geistigem Eigentum; – Dividenden und Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen; – Einkünfte aus Finanzierungsleasing; – Einkünfte aus Tätigkeiten von Versicherungen, Banken und aus anderen finanziellen Tätigkeiten; – Einkünfte aus Abrechnungsunternehmen, die Einkünfte aus dem Verkauf und der Erbringung von Dienstleistungen erzielen, die von verbundenen Unternehmen erworben oder an diese verkauft werden, und keinen oder nur geringen wirtschaftlichen Mehrwert bringen. Alternativ stellt die ATAD den Mitgliedstaaten in Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ein weiteres Konzept zur Bestimmung der passiven Einkünfte zur Verfügung. Danach können Mitgliedstaaten nicht ausgeschüttete Einkünfte als passiv behandeln, wenn sie aus unangemessenen Gestaltungen stammen, deren wesentlicher Zweck darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen. Es handelt sich um ein Konzept, das dem Steuerpflichtigen entgegenkommt und i.d.R. zu einer großzügigeren Hinzurechnungsbesteuerung führt.2 Irland, Großbritannien, Belgien, Luxemburg, Estland, Litauen, Slowenien, Ungarn und Zypern haben sich für die Nutzung des alternativen Konzeptes entschieden. In den Niederlanden kommt eine Kombination beider Konzepte zur Anwendung.

13.91

Der deutsche Gesetzgeber hat die Technik der ATAD einer positiven Beschreibung der passiven Einkünfte nicht übernommen. Dies ist primärrechtlich zulässig, soweit durch den Aktivkatalog mindestens die Einkünfte als passiv behandelt werden, die auch die ATAD als passiv einordnet.3 Gleichwohl hat ein Passivkatalog gegenüber einem Aktivkatalog erhebliche Vorteile: Ein Passivkatalog ist präziser, weniger komplex und verringert damit den Compliance-Aufwand der Unternehmen. Demgegenüber ist § 8 Abs. 1 AStG eine verschachtelte und komplizierte Regelung, die mit Ausnahmen, Rückausnahmen und unbestimmten Rechtsbegriffen arbeitet.4 Bei Aufstellung einer Passivliste muss der Gesetzgeber nicht alle denkbaren Tätigkeiten daraufhin überprüfen, ob sie als aktiv oder passiv einzuordnen sind. Neue Tätigkeiten führen nicht „automatisch“ zu passiven Einkünften. Stattdessen trifft der Gesetzgeber – anders als bei einer Aktivliste – in jedem Fall bewusste Entscheidung über die Einordnung. Umgekehrt muss der Gesetzgeber bei einer Aktivliste regelmäßig überprüfen, ob seine Entscheidungen noch

13.92

1 Detailliert dazu Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 7 Rz. 60 ff. 2 Linn, IStR 2016, 645 (647); Schnitger/Nitschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 (970); Orlet/Pinetz in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 7 Rz. 218. 3 Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 7 Rz. 62 ff.; Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (11); BT-Drucks. 19/28652, 55. 4 Im Schrifttum wird mit guten Gründen vertreten, § 8 Abs. 1 AStG verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz: Waldhoff/Grefrath, IStR 2013, 477 (481); Maciejewski, IStR 2013, 449 (450).

Oppel | 569

Kap. 13 Rz. 13.92 | Hinzurechnungsbesteuerung

sachgerecht sind und den Katalog um weitere Tatbestände für neue Entwicklungen ergänzen. Damit ist ein Aktivkatalog strukturell innovationsfeindlich.1 Der deutsche Gesetzgeber jedenfalls hat seit 1972 den Katalog nicht regelmäßig überprüft und angepasst. Dies verstärkt die überschießende Tendenz des deutschen Aktivkatalogs.

13.93

Die Beibehaltung des Aktivkatalogs ist auch steuerpolitisch verfehlt.2 Die ATAD soll die Missbrauchsabwehr in den Mitgliedstaaten vereinheitlichen. Dies dient auch den Interessen der Unternehmen, deren Erfüllungsaufwand dadurch reduziert wird und die durch einheitliche Konzepte Gewähr dafür erhalten sollen, dass die Maßnahmen mit Unionsrecht in Einklang stehen.3 Der deutsche Gesetzgeber konterkariert dieses Ziel, indem er konzeptionell von der ATAD abweicht.4 Dies zeigt die Schwächen des der ATAD zugrundeliegenden Konzepts des Mindeststandards auf (Art. 3 ATAD).5 c) Konkurrenzen und funktionale Betrachtungsweise

13.94

Die einzelnen Tatbestände des Aktivkatalogs sind nicht klar voneinander abgegrenzt. Es ist darum denkbar, dass ein und dieselbe Tätigkeit in den Anwendungsbereich mehrerer Tatbestände fällt. Für die Qualifikation als aktiv ist es dann ausreichend, wenn die Voraussetzungen eines Tatbestands erfüllt sind.6 Neben systematischen Erwägungen spricht für diese Sichtweise, dass in manchen Tatbeständen ausdrücklich ein Vorrang angeordnet ist (bspw. § 8 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b und c AStG). Fehlt eine solche Anordnung, stehen die anderen Tatbestände folglich nebeneinander.

13.95

Einkünfte sind nach dem Einleitungssatz aktiv, wenn sie aus einer bestimmten Tätigkeit oder Einkommensquelle „stammen“. Stammen ist der gesetzliche Anknüpfungspunkt für die sog. funktionale Betrachtungsweise.7 Die funktionale Betrachtungsweise dient dazu, Einkünfte den einzelnen Katalogtatbeständen zuzuordnen. Dies ist notwendig, denn die Tätigkeitsbeschreibungen erfassen Randbereiche nicht durchgängig zutreffend. So kann eine ausländische Gesellschaft einer Tätigkeit nachgehen, die für sich betrachtet passiv ist. Gleichwohl sind die Einkünfte aus dieser Tätigkeit einem Katalogtatbestand und damit den aktiven Einkünften zuzuordnen, wenn sie funktional zu im Katalog genannten Haupttätigkeiten gehören bzw. aus diesen Tätigkeiten resultieren. Die funktionale Betrachtungsweise dient also dazu, wirtschaftlich zusammenhängende Tätigkeiten gemeinsam zu beurteilen. Dabei ist die Tätigkeit maßgebend, auf der nach allgemeiner Verkehrsauffassung das wirtschaftliche Schwergewicht liegt.8 Beispiel: Eine ausländische Gesellschaft erzielt Dividenden. Diese verbleiben nach Auszahlung der Dividenden für einige Wochen auf einem Konto der ausländischen Gesellschaft, so dass die ausländische Gesellschaft Zinseinkünfte erzielt. Diese Einkünfte sind als Nebenerträge § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG zuzuordnen. 1 Exemplarisch Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 15. 2 Kritisch auch Köhler/Staats, ISR 2021, 295 (397); Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (488); Böhmer/ Gebhardt/Krüger, IWB 2021, 479 (485). 3 Siehe auch Erwägungsgrund 2 ATAD I. 4 Siehe zu Diskrepanzen bei der Anrechnung von Steuern Rz. 13.221. 5 Siehe dazu detailliert Oppel in Hagemann/Kahlenberg, Art. 3 ATAD Rz. 26 ff.; instruktiv zum Konzept des Mindeststandards Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 17.31. 6 Lehfeldt in S/S/K, § 8 AStG Rz. 25; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 16; Rödel in Kraft2, § 8 AStG Rz. 18. 7 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 25. 8 BFH v. 16.5.1990 – I R 16/88, BStBl. II 1990, 1049 (Rz. 15).

570 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.99 Kap. 13

Die funktionale Betrachtungsweise dient also dazu, Vor-, Neben- und Folgeerträge Katalogtatbeständen zuzuordnen. Entscheidend ist, ob die Erträge nach Entstehung und Zweckbestimmung durch eine einheitliche wirtschaftliche Tätigkeit veranlasst sind, also ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. Von einem wirtschaftlichen Zusammenhang kann man insbesondere dann ausgehen, wenn die Tätigkeiten aufeinander abgestimmt sind, sich wirtschaftlich ergänzen oder in einem Über-Unterordnungsverhältnis zueinanderstehen. Dabei können die Grundsätze von § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG sowie § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG übertragen werden. Sind die von ihrer Natur her passiven Erträge einer aktiven Tätigkeit zuzuordnen, teilen sie das steuerliche Schicksal der Haupttätigkeit. Sind die Einkünfte hingegen Folge einer eigenständigen Funktion, ist zu prüfen, ob sie für sich betrachtet unter eine Katalogvorschrift subsumiert werden können.1

13.96

Mit Veräußerungsgewinnen ist entsprechend zu verfahren. Sie sind grundsätzlich Nebenerträge der Tätigkeit, für die das veräußerte Wirtschaftsgut eingesetzt wurde. Dies ergibt sich zum einen aus der funktionalen Betrachtungsweise. Zum anderen hat der Gesetzgeber diese Sichtweise implizit in § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG bestätigt, indem er an dieser Stelle eine Ausnahme vom Grundsatz angeordnet hat. Wurde das veräußerte Wirtschaftsgut sowohl für aktive als auch für passive Tätigkeiten benutzt, hat eine verhältnismäßige Aufteilung zu erfolgen. Umstritten ist allerdings, wie Veräußerungsgewinne aufzuteilen sind, wenn das Wirtschaftsgut nacheinander sowohl für aktive als auch für passive Tätigkeiten benutzt wurde. M.E. ist hier eine Aufteilung anhand der Nutzung während der gesamten Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen vorzunehmen.2

13.97

§ 8 AStG erfasst sowohl ausländische als auch inländische Einkünfte der ausländischen Kapitalgesellschaft. Auch inländische Einkünfte können unterhalb der Niedrigsteuergrenze besteuert werden.3 Im Hinblick auf Sinn und Zweck der Hinzurechnungsbesteuerung wäre es jedoch nicht gerechtfertigt, inländische Einkünfte der Hinzurechnungsbesteuerung zu unterwerfen.4 Sie unterliegen bereits nach den Grundsätzen der beschränkten Steuerpflicht der deutschen Besteuerung oder Deutschland hat sich seines Besteuerungsrechtes im Rahmen eines DBA begeben.

13.98

3. Einkünftekatalog a) Überblick § 8 Abs. 1 AStG listet in einem Katalog mit 9 Ziffern Tätigkeiten bzw. Einkunftsquellen auf, die zu aktiven Einkünften führen. Alle anderen Einkünfte sind – unter Beachtung der funktionalen Betrachtungsweise – passiv. Dabei kennt das Gesetz Tätigkeiten, die kraft Wirtschaftszweigs zu aktiven Einkünften führen (Nr. 1, 2 und 3). Andere Tätigkeiten führen nur dann zu aktiven Einkünften, wenn ein Funktionsnachweis erbracht wird (Nr. 4, 5 und 6). Demgegenüber betreffen die Nr. 7 und 8 keine Tätigkeit, sondern qualifizieren Einkünfte anhand der

1 Zur funktionalen Betrachtungsweise bspw. Außensteuererlass v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 Sondernummer 1, 3 unter Rz. 8.0.2; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 31; Lehfeldt in S/S/K, § 8 Rz. 14; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 13. 2 Wie hier Rödel in Kraft, AStG2, § 8 Rz. 44; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 13; a.A. allerdings Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 20. 3 Beim Mindestgewerbesteuerhebesetz von 200 beträgt die Gesamtbelastung 22,825 % (15 % + [15 % × 5,5 %] + [3,5 % × 200 %]). 4 Wie hier kritisch Linn, IStR 2016, 645 (649).

Oppel | 571

13.99

Kap. 13 Rz. 13.99 | Hinzurechnungsbesteuerung

Einkunftsquelle (Kapitalgesellschaftsanteile). Sonderregelungen im Zusammenhang mit Umwandlungen enthält Nr. 9. b) Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (Nr. 1)

13.100

Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sind – durch das ATADUmsG unverändert – nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 AStG stets aktiv. Ein Funktions- bzw. Aktivitätsnachweis ist nicht erforderlich. Die Vorschrift erfasst auch Einkünfte aus der Veräußerung der eingesetzten Wirtschaftsgüter.1

13.101

§ 8 Abs. 1 Nr. 1 AStG definiert den Begriff der Land- und Forstwirtschaft nicht eigenständig. Damit kann grundsätzlich auf die Begrifflichkeiten der §§ 13 und 14 EStG zurückgegriffen werden. Dies gilt allerdings nicht ohne Einschränkung. Zum einen sind regionale Besonderheiten im Ausland zu berücksichtigen. Zum anderen definiert § 8 Abs. 1 AStG grundsätzlich tätigkeitsbezogen. Auch Einkünfte, die nach den Maßstäben des EStG als Einkünfte aus Gewerbebetrieb angesehen werden – bspw. die Küsten- und Hochseefischerei2 – unterfallen deshalb § 8 Abs. 1 Nr. 1 AStG. c) Einkünfte aus industrieller Tätigkeit (Nr. 2)

13.102

Durch das ATADUmsG ebenfalls unverändert ordnet § 8 Abs. 1 Nr. 2 AStG ohne Funktionsund Aktivitätsnachweis sog. Einkünfte aus industrieller Tätigkeit den aktiven Einkünften zu. Dazu zählen Einkünfte aus der Herstellung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Montage von Sachen, der Erzeugung von Energie sowie dem Aufsuchen und der Gewinnung von Bodenschätzen. Voraussetzung ist, dass die vorbezeichneten Tätigkeiten entweder von der ausländischen Gesellschaft tatsächlich selbst ausgeübt werden oder ihr als eigene Tätigkeiten zugerechnet werden können. Damit führt eine durch einen Dritten tatsächlich ausgeführte Auftragsproduktion zu aktiven Einkünften, wenn die ausländische Gesellschaft als Auftraggeberin das Herstellerrisiko trägt und den Herstellungsprozess beherrscht.3

13.103

Herstellung, Verarbeitung und Bearbeitung sowie die Montage von Sachen umfasst das gesamte Spektrum industrieller und handwerklicher Tätigkeit. Durch diese Tätigkeit muss jedoch ein anderes Wirtschaftsgut im Hinblick auf Verwertbarkeit, Einsatz- bzw. Gebrauchsfähigkeit oder Marktgängigkeit entstehen. Dafür ist i.d.R. ein bloßes Kennzeichnen, Umpacken, Umfüllen, Sortieren sowie das Zusammenstellen erworbener Gegenstände zu Sachgesamtheiten nicht ausreicht.4 Unerheblich ist, was im Anschluss mit den hergestellten Sachen geschieht. Aufgrund der funktionalen Betrachtungsweise fallen insbesondere Einkünfte aus der Veräußerung der hergestellten Sachen als Folgeerträge unter § 8 Abs. 1 Nr. 2 AStG.5 Damit führen auch entsprechende Betriebsgewinne zu aktiven Einkünften, ohne dass die Voraussetzungen von § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG vorliegen müssen.

1 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.1. 2 Vgl. dazu Kulosa in Schmidt41, § 13 EStG Rz. 51. 3 Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 46; Reiche in Haase3, § 8 AStG Rz. 25; a.A. Geurts in Fuhrmann3, § 8 AStG Rz. 61. 4 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 70; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 8.1.2.2. 5 Zu weiteren Neben-, Folge- und Hilfstätigkeiten Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 78; Haun/Cortez in H/K/G/R, § 8 AStG Rz. 152 ff.

572 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.106 Kap. 13

d) Einkünfte aus Bank- und Versicherungsgeschäften (Nr. 3) Nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG sind Einkünfte aus dem Betrieb von Versicherungsunternehmen, Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten sowie bestimmten Finanzunternehmen aktiv.1 Zusätzliche Voraussetzung ist, dass das betreffende Unternehmen einer wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.v. § 8 Abs. 2 AStG nachgeht und dass es die zugrunde liegenden Geschäfte nicht zu mehr als einem Drittel mit dem Steuerpflichtigen oder einer ihm nahestehenden Person betreibt (Funktionstest). Gleiches gilt nach einer Ergänzung durch das ATADUmsG nun ausdrücklich auch für Finanzunternehmen i.S.d. KWG, an denen Kreditinstitute oder Finanzdienstleistungsinstitute unmittelbar und mittelbar zu mehr als 50 % beteiligt sind.2 Die Regelung wurde im Zuge des ATADUmsG punktuell, aber nicht grundlegend, überarbeitet.

13.104

§ 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG erfasst Versicherungsunternehmen, Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute, enthält aber keine eigenständige Begriffsbestimmung und insbesondere keinen Verweis auf das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)3 bzw. das Kreditwesensgesetz (KWG)4. Gleichwohl greift die Finanzverwaltung auf das VAG sowie das KWG zurück.5 Im Ausgangspunkt sind die Begrifflichkeiten dieser Gesetze geeignet, um die Reichweite des § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG zu bestimmen und den Anwendungsbereich von § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG zu konturieren. Jedoch ist zu beachten, dass VAG und KWG für bestimmte Unternehmen einen aufsichtsrechtlichen Rahmen schaffen sollen. Die Gesetze müssen als Sonderordnungsrecht wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zur Wahrung der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) einen möglichst engen Anwendungsbereich haben.6 Einen vergleichbaren Zweck verfolgt das AStG nicht. Es soll stattdessen ungerechtfertigte Steuervorteile verhindern.7 Zudem bezieht sich der räumliche Anwendungsbereich von VAG und KWG lediglich auf das Inland. Dementsprechend kommt es auch auf aufsichtsrechtliche Genehmigungen nicht an.8 Daher gilt, dass Unternehmen im sachlichen Anwendungsbereich des VAG und des KWG stets Tätigkeiten i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG ausüben. Im Übrigen können die sonderordnungsrechtlichen Begrifflichkeiten jedoch nur Ausgangspunkte für die Prüfung sein, ob Bankoder Versicherungsgeschäfte ausgeführt werden. Bei der Auslegung ist insbesondere der Zweck des AStG zu berücksichtigen. Die Begrifflichkeiten des AStG sind daher weiter als die des VAG bzw. des KWG. Dies bestätigt der Gesetzgeber implizit, indem § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG in Satz 2 ausdrücklich auf „Finanzunternehmen im Sinne des Kreditwesensgesetzes“ abstellt. Eine solche Präzisierung ist in Satz 1 gerade nicht vorhanden.

13.105

Versicherungsunternehmen sind Unternehmen, die Versicherungsgeschäfte in versicherungswirtschaftlicher Weise betreiben (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 Nr. 33 VAG). Die Rechtsprechung hat abstrakte Kriterien entwickelt, um den Versicherungsbegriff zu beschreiben. Ein Versicherungsunternehmen liegt danach vor, wenn es gegen Entgelt für den Fall eines unbestimmten Ereignisses bestimmte Leistungen übernimmt (Garantieversprechen) wobei das Risiko auf eine Vielzahl, durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird und der

13.106

1 2 3 4 5 6

Vgl. zu den historischen Hintergründen Rechid/Schäfer, BB 2020, 2071 (2076). Zu den Änderungen vgl. Baur/Ullmann, IWB 2021, 790 (792). Gesetz über das Kreditwesen v. 9.9.1998, BGBl. 1998, 2776. Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen v. 1.5.2015, BGBl. 2015, 434. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.3.1 f. Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bspw. Grzeszick in Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 GG Rz. 108; Überblick bei Klatt/Meister, JuS 2014, 193 ff. 7 BT-Drucks. VI/2883, Rz. 1, 4. 8 FG Baden-Württemberg v. 27.7,1995 – 6 K 216/88, EFG 1996, 350.

Oppel | 573

Kap. 13 Rz. 13.106 | Hinzurechnungsbesteuerung

Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt.1 Es ist dabei unerheblich, welches Risiko versichert wird. Erfasst sind Erst- und Rückversicherer. Dabei ist der traditionelle Begriff des Versicherungsunternehmens abermals nur Ausgangspunkt der Frage, ob eine Tätigkeit i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG vorliegt. Die Veränderungen im Versicherungsmarkt wie auch regionale Besonderheiten sind im Rahmen der Auslegung des Versicherungsbegriffs im AStG zu berücksichtigen.2

13.107

Zur Bestimmung des Begriffs des Kreditinstituts ist im Ausgangspunkt ebenfalls ein Rückgriff auf § 1 Abs. 1 KWG zulässig.3 Kreditinstitute sind Unternehmen, die Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in käufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. § 1 Abs. 1 KWG enthält einen – nur für aufsichtsrechtliche Zwecke, jedoch nicht für das AStG – abschließenden Katalog von Bankgeschäften. Dazu zählen insbesondere Einlagen-, Kredit-, Diskont-, Finanzkommissions-, Depot-, Investment-, Revolving-, Garantie-, Scheckeinzug-, Wechseleinzug-, Reisescheck- und Emmissionsgeschäfte sowie Geschäfte als zentrale Gegenpartei i.S.v. § 1 Abs. 31 KWG.

13.108

In Bezug auf die Vorfassung von § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG bestand Einigkeit darüber, dass auch Finanzdienstleistungsinstitute vom Begriff des Kreditinstituts erfasst sind.4 Sie sind nun explizit genannt. Finanzdienstleistungsinstitute sind nach § 1 Abs. 1a KWG Unternehmen, die Finanzdienstleistungen für andere gewerbsmäßig oder in einem Umfang erbringen, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert und die keine Kreditinstitute sind. Zu den Finanzdienstleistungen gehören u.a. Anlagevermittlung, Anlageberatung, das Platzierungsgeschäft, die Abschlussvermittlung, die Finanzportfolioverwaltung, bestimmte Formen des Eigenhandels, das Kryptoverwahrgeschäft, die Sortenverwahrung, die Kryptopapierregisterführung, das Factoring, das Finanzierungsleasing und die Anlageverwaltung. Die Begriffe Kreditinstitut und Finanzdienstleistungsinstitut sind weiterhin „untechnisch“ zu verstehen. Auch andere Tätigkeiten, die typischerweise in der Kredit- und Finanzdienstleistungsgesellschaft vorkommen, sind erfasst.5 Dabei sind besondere Ausprägungen im Ausland zu berücksichtigen.

13.109

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 AStG sind Einkünfte von Finanzunternehmen i.S.d. KWG ebenfalls aktiv, wenn an dem Finanzunternehmen Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 50 % beteiligt sind. Auf den räumlichen Anwendungsbereich des KWG kommt es dabei nicht an. § 1 Abs. 3 KWG enthält eine Legaldefinition des Finanzunternehmens. Dies sind Unternehmen, die keine Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitute sind und deren Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben und zu halten, Geldforderungen entgeltlich zu erwerben, Leasingobjektgesellschaft i.S.v. § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 17 KWG zu sein, Finanzinstrumente für eigene Rechnung zu handeln, bei der Anlage von Finanzinstrumenten zu beraten, Unternehmen über die Kapitalstruktur, die industrielle Strategie und die damit verbundenen Fragen zu beraten sowie bei Zusammenschlüssen

1 Präve in Prölss/Dreher, VAG, § 1 Rz. 4, 31; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 171; Reiser/Cortez in H/K/G(R, § 8 AStG Rz. 223. 2 Zutreffend Rödel in Kraft2, § 8 AStG Rz. 176. 3 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.3.1; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 54; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 54; Rödel in Kraft2, § 8 Rz. 122 (dort auch zu den Bankgeschäften im Einzelnen). 4 So zur Vorfassung Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 55; Rödel in Kraft2, § 8 AStG Rz. 131; i.E. auch Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 87 ff. 5 Rechid/Schäfer, BB 2020, 2071 (2078).

574 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.112 Kap. 13

und Übernahmen von Unternehmen diese zu beraten und ihren Dienstleistungen anzubieten sowie Geldmaklergeschäfte zu betreiben. § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG a.F. verlangte als zusätzliche Voraussetzung aktiver Einkünfte der erfassten Unternehmen, dass diese für ihre Geschäfte einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Betrieb unterhalten. Dieses Erfordernis ist in § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG nicht mehr enthalten. Stattdessen setzt die Regelung nun voraus, dass die Unternehmen einer wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.v. § 8 Abs. 2 AStG nachgehen. Dies setzt den Einsatz der für die Tätigkeit erforderlichen sachlichen und personellen Ausstattung voraus. Jedenfalls bei Versicherungsunternehmen, Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten sowie Finanzunternehmen indiziert die Erfüllung der regulatorischen Anforderungen im jeweiligen Staat bereits eine ausreichende Substanz i.S.v. § 8 Abs. 2 AStG.1

13.110

Letztlich dürfen die den Einkünften zugrunde liegenden Geschäfte nicht zu mehr als einem Drittel mit dem Hinzurechnungsadressaten oder diesem nahestehenden Personen betrieben werden. Es kommt hingegen nicht darauf an, ob die Geschäftspartner dem jeweiligen Bankoder Versicherungsunternehmen nahestehen. Selbst wenn die Drittelgrenze überschritten wird, ist nach Maßgabe von § 8 Abs. 2–4 AStG noch ein Substanznachweis möglich. Aus diesem Grunde unterfallen auch Konzernversicherungsgesellschaften, die ausschließlich Risiken konzernzugehöriger Unternehmen versichern (sog. Captive Insurance Companies oder Captives) nicht zwingend der Hinzurechnungsbesteuerung.2 Scheitert ein Substanznachweis oder hat die entsprechende Gesellschaft Sitz und Geschäftsleitung nicht innerhalb des EU/EWR-Raums (§ 8 Abs. 3 AStG), kann es sich dennoch der Tätigkeit nach um den Betrieb eines Bank- bzw. Versicherungsunternehmens handeln. Diese Einkünfte sind zwar passiv. Allerdings handelt es sich nicht um Kapitalanlageeinkünfte i.S.v. § 13 Abs. 2 AStG, wenn Nebeneinkünfte (bspw. aus der Kapitalanlage des regulatorisch notwendigen Kapitals) funktional einer Tätigkeit i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG zuzuordnen sind.3

13.111

In § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG a.F. erlaubte die Regelung noch, dass die Hälfte der Geschäfte mit schädlichen Geschäftspartnern betrieben werden („überwiegend“).4 Die Verschärfung ist eine Folge der ATAD. Diese sieht vor, dass Einkünfte aus Versicherungen und Banken sowie anderen finanziellen Tätigkeiten grundsätzlich passiv sind (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Ziffer vi). Allerdings können die Mitgliedstaaten davon eine Ausnahme für Finanzunternehmen vorsehen, wenn nicht mehr als ein Drittel der Einkünfte des Unternehmens aus Transaktionen mit dem Steuerpflichtigen oder seinen verbundenen Unternehmen stammen (Art. 7 Abs. 3). Davon macht Deutschland Gebrauch.5 Im Gegensatz zum AStG sind nach Maßgabe der ATAD nur die ausdrücklich genannten Einkünfte passiv (Rz. 13.89). Die Rückausnahme in § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG bezieht sich auf alle in dieser Vorschrift genannten Tätigkeiten. Dies schließt u.U. Tätigkeiten ein, die nach Maßgabe der ATAD nicht als passiv zu qualifizieren wären. Aus diesem Grunde besteht kein Bedürfnis dafür, als Tätigkeiten i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG nur Tätigkeiten von Finanzunternehmen i.S.v. Art. 2 Abs. 5 ATAD anzusehen.

13.112

1 2 3 4 5

Rechid/Schäfer, BB 2020, 2199 (2203). Detailliert dazu bspw. Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 63. So auch Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 63. Vgl. dazu Schaumburg in Vorauflage, Rz. 13.91. BT-Drucks. 19/28652, 55.

Oppel | 575

Kap. 13 Rz. 13.113 | Hinzurechnungsbesteuerung

e) Einkünfte aus Handelstätigkeit (Nr. 4)

13.113

Handelstätigkeiten führen zu aktiven Einkünften (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG). Von diesem Grundsatz ist jedoch eine Ausnahme für den Fall des konzerninternen Handels vorgesehen, soweit der Hinzurechnungsadressat oder eine diesem nahestehende Person der ausländischen Gesellschaft die Verfügungsmacht verschafft (ausländische Vertriebsgesellschaft) oder wenn dem Hinzurechnungsadressaten bzw. einer diesem nahestehenden Person von der ausländischen Gesellschaft die Verfügungsmacht verschafft wird (ausländische Einkaufsgesellschaft). Selbst bei konzerninternem Handel werden die Einkünfte als aktiv qualifiziert, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Handelsgeschäfte mit einem für derartige Handelsgeschäfte in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr betreibt und die wesentlichen Funktionen ohne Mitwirkung des Hinzurechnungsadressaten bzw. nahestehenden Personen ausübt (Funktionsnachweis). EU/EWR-Gesellschaften können unter Nutzung des Substanztestes (§ 8 Abs. 2–4 AStG) auch bei Verstoß gegen den Mitwirkungstatbestand die Hinzurechnungsbesteuerung abwenden.

13.114

Die Vorschrift wurde im Zuge des ATADUmsG nur geringfügig angepasst, um der Erweiterung der Hinzurechnungsbesteuerung auf beschränkt Steuerpflichtige in § 7 Abs. 1 Satz 4 AStG Rechnung zu tragen. Damit geht die deutsche Regelung erheblich über die Vorgaben der ATAD hinaus. Diese qualifiziert lediglich Einkünfte von Abrechnungsunternehmen, die Einkünfte aus dem Verkauf von Waren erzielen und keinen oder nur geringfügigen wirtschaftlichen Mehrwert schaffen, als passiv (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Ziffer vi).1 Zudem ist die Handhabung der deutschen Vorschrift ausgesprochen komplex. Dabei wirkt insbesondere der Mitwirkungstatbestand in Zeiten von global arbeitsteiligem Handeln aus der Zeit gefallen.2

13.115

Handel ist die Anschaffung und Weiterveräußerung von Handelsgütern. Handel kann dabei in verschiedenen Formen ausgeübt werden. Grundtyp ist der Eigenhändler, der die Tätigkeit im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ausübt. Dies schließt so genannte Limited Risk Distributoren (LRD) ein.3 Auch der Kommissionär ist Händler. Makler und Handelsvertreter erbringen demgegenüber Dienstleistungen.4 Von der Produktion unterscheidet sich der Handel dadurch, dass bei dieser vor der Veräußerung der Güter eine Wertschöpfung am Produkt stattfindet. Beim Handel bleibt die Substanz der Güter hingegen unverändert. Handel setzt voraus, dass die ausländische Gesellschaft wirtschaftliche Eigentümerin an den gehandelten Waren erwirbt. Die Vorschrift erfasst den Handel mit beweglichen sowie unbeweglichen Sachen und auch Rechten.5 Aus der Formulierung der Ausnahme für konzerninternen Handel – „Verschaffung der Verfügungsmacht bei Gütern oder Waren“ – kann nicht geschlossen werden, unbewegliche Sachen (insbesondere Rechte) seien nicht erfasst.6 Die überwiegende Auffassung und auch der BFH beziehen unbewegliche Sachen ein.7 Dafür sprechen Sinn und Zweck der Regelung, den Bereich aktiver Tätigkeiten vom passiven Erwerb abzugrenzen. Für

1 Dazu Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 7 Rz. 157 ff. 2 Kritisch auch Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 143; Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (8); Becker/Schmelz, IStR 2017, 797 (797). 3 Becker/Schmelz, IStR 2017, 797 (798). 4 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.4.1.3. 5 Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 75. 6 Schaumburg in Vorauflage, Rz. 13.93. 7 BFH v. 29.11.2000 – I R 84/99, IStR 2001, 185 mit Anm. F.W.; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 117; Reiche in Haase3, § 8 AStG Rz. 39 f.; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 75; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 38; Geurts in Fuhrmann3, § 8 AStG Rz. 113.

576 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.120 Kap. 13

eine Ungleichbehandlung von beweglichen Sachen auf der einen Seite und unbeweglichen Sachen sowie Rechten auf der anderen Seite besteht auch keine Rechtfertigung.1 § 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a und b AStG sehen Ausnahmen vom Grundsatz der Qualifikation der Handelseinkünfte als aktiv vor, soweit diese aus konzerninternem Handel stammen. Der Gesetzgeber möchte verhindern, dass Handelsgewinne auf ausländische Gesellschaften verlagert werden. Daher werden die Tätigkeiten von Vertriebsgesellschaften (Nr. 4 Buchst. a) und von Einkaufsgesellschaften (Nr. 4 Buchst. b) zunächst aus den aktiven Handelstätigkeiten ausgenommen, soweit Handelspartner Hinzurechnungsadressaten i.S.v. § 7 Abs. 1 AStG oder diesen nahestehende Personen (schädliche Personen) sind.

13.116

Eine Vertriebsgesellschaft (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AStG) liegt vor, wenn die schädlichen Geschäftspartner dieser die Verfügungsmacht über die Handelswaren verschaffen. Es kommt allein auf die Verschaffung der Verfügungsmacht an. Nicht maßgeblich ist, ob die Waren aus dem Inland geliefert werden.2 Die für Einkaufsgesellschaften (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AStG) geltende Ausnahmevorschrift greift ein, wenn due ausländische Gesellschaft einem Hinzurechnungsadressaten oder einer diesem nahestehenden Person die Verfügungsmacht an den gehandelten Gütern oder Waren verschafft. Die Ausnahme für konzerninternen Handel führt zu einer Qualifikation der Einkünfte als passiv, soweit sie aus konzerninternem Handel stammen. Sie ist nicht etwa auf die Beteiligung der schädlichen Geschäftspartner an der ausländischen Gesellschaft beschränkt. In der Praxis werden jedoch i.d.R. 100%-Konzerngesellschaften erfasst sein.

13.117

Konzerninterner Handel schließt die Qualifikation der Einkünfte als aktiv nicht zwingend aus. Die Behandlung als aktiv setzt den Nachweis voraus, dass die ausländische Vertriebs- oder Einkaufsgesellschaft einen für ihre konzerninternen Handelsgeschäfte in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaften Verkehr unterhält und kein sog. Mitwirkungstatbestand erfüllt ist.

13.118

Der Begriff des kaufmännischen Geschäftsbetriebs verlangt eine planmäßige, auf Dauer angelegte Tätigkeit, die nach Art und Umfang kaufmännische Einrichtungen erfordert. Dies beurteilt sich quantitativ und qualitativ unter typologischer Betragungsweise. Kaufmännische Einrichtungen sind bspw. Handelsbücher, die Aufbewahrung von Geschäftskorrespondenz, die Durchführung einer Inventur und die Aufstellung eines Jahresabschlusses nach Maßgabe der §§ 238 ff., 240, 242 ff. HGB entsprechenden Vorschriften.3 Allerdings darf hinsichtlich der Einrichtung des Geschäftsbetriebs nicht mehr verlangt werden, als für die Ausübung der Tätigkeit sinnvoll ist.4 Dabei ist es grds. unerheblich, ob die ausländische Gesellschaft die Tätigkeiten selbst ausführt oder sich einer Managementgesellschaft bedient.5

13.119

Weiterhin muss die Gesellschaft am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen. Eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr liegt vor, wenn Leistungen gegen Entgelt an den Markt gebracht und für Dritte äußerlich erkennbar angeboten werden. Es ist ausreichend, wenn sich die ausländische Gesellschaft entweder beim Verkauf oder beim Einkauf der Ware an eine unbestimmte Zahl von Personen richtet, die Waren aber ausschließlich von ei-

13.120

1 Detailliert Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 117. 2 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 131; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 73; Rödel in Kraft2, § 8 AStG Rz. 238. 3 Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 30; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 Rz. 101, 138. 4 Gosch, BFH-PR 2006, 458; Schönfeld, IStR 2009, 624; Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 486. 5 BFH v. 13.10.2010 – I R 61/09, BStBl. II 2011, 249.

Oppel | 577

Kap. 13 Rz. 13.120 | Hinzurechnungsbesteuerung

nem ihr nahestehenden Unternehmen bezieht oder an ein solches Unternehmen liefert.1 Dass die ausländische Vertriebs- oder Einkaufsgesellschaft tatsächlich aber nur mit einem Geschäftspartner, etwa mit einer Konzerngesellschaft, kontrahiert, spielt keine Rolle, solange die Begrenzung dieser Handelstätigkeit auf dem Gegenstand der in Betracht stehenden Geschäftstätigkeit beruht („good business reasons“) und nicht Folge einer Konzernentscheidung ist.2

13.121

Eine Qualifikation als aktiv scheidet aus, wenn schädliche Geschäftspartner an der Handelsfunktion – nämlich der Vorbereitung, dem Abschluss und der Ausführung der Geschäfte – mitwirken. Werden Tätigkeiten im Wesentlichen aus dem Inland heraus erbracht, sollen diese nach der gesetzgeberischen Wirkung nicht zu aktiven Einkünften führen. Der Tatbestand bereitet in der Praxis Probleme, weil ein arbeitsteiliges Handeln mehrerer Gesellschaften in grenzüberschreitend tätigen Unternehmen heute die Regel statt die Ausnahme ist.3 Der Tatbestand ist unangemessen weit, weil insbesondere der Begriff „Vorbereitung“ kaum sinnvoll eingrenzbar ist. Schädliche Mitwirkung ist also bei allen Handelsfunktionen denkbar. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt und die Regelung so verstanden, dass schädliche Tätigkeiten nur solche sein können, die „funktional Teil der der ausländischen Gesellschaft zufallenden Verteiler- und Leistungsfunktion sein können“.4 Damit sind Mitwirkungen außerhalb der Handelstätigkeit, etwa im Bereich von ebenfalls erbrachten Dienstleistungen, insoweit unschädlich.5 Dabei gibt es keinen Typus einer Handelstätigkeit. Vielmehr muss stets im Einzelfall überprüft werden, welche (Handels-)Funktionen die ausländische Gesellschaft tatsächlich ausübt und ob die Tätigkeit noch als Handel qualifiziert. Nur wenn in diesen Funktionen Tätigkeiten von schädlichen Geschäftspartnern ausgeübt werden, ist der Mitwirkungstatbestand erfüllt (sog. individualisierte Betrachtungsweise).6 f) Einkünfte aus Dienstleistungen (Nr. 5)

13.122

Soweit Dienstleistungen nicht nach Maßgabe der funktionalen Betrachtungsweise anderen Tatbeständen des Katalogs in § 8 Abs. 1 AStG unterfallen,7 sind Dienstleistungseinkünfte gem. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG grundsätzlich aktiv. Der Begriff der Dienstleistung muss in Anlehnung an § 611 BGB bestimmt werden.8 Charakteristisch (und Unterscheidungsmerkmal zum Werkvertrag) ist, dass der Verpflichtete eine Tätigkeit, aber keinen Erfolg schuldet.9 Der Begriff der Dienstleistung ist sehr weitreichend und die darunter zu subsumierenden Tätigkeiten können sehr unterschiedlich sein. Schwierigkeiten bereitet die Behandlung von konzernleitenden Maßnahmen einschließlich Kontroll- und Managementleistungen. Liegen diese Leistun-

1 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.4.2.2. 2 Vgl. BFH v. 29.8.1984 – I R 68/81, BStBl. II 1985, 120; weitere Einzelheiten bei Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 140 ff. 3 Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (8); Becker/Schmelz, IStR 2017, 797; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/ B/S, § 8 AStG Rz. 143. 4 BT-Drucks. VI/2883, S. 27. 5 Sehr instruktiv sind die zwischen den Spitzenverbänden der Wirtschaft und der Finanzverwaltung im Rahmen eines Planspiels erörterten Musterfälle, vgl. hierzu auch die entsprechenden Lösungshinweise bei Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 150 bis 160. 6 Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 38, 89; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 144; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 45. 7 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 174; Geurts in Fuhrmann3, § 8 AStG Rz. 137. 8 Vgl. für Beispiele Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 Rz. 172; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 51. 9 Edenfeld in Erman, BGB20, § 611 Rz. 13.

578 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.125 Kap. 13

gen wesentlich im Interesse der Tochtergesellschaft, können sie § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG unterfallen.1 Liegen die Leistungen jedoch im Interesse der inländischen Konzernmutter, wird ein Dienstleistungsentgelt ggf. eine verdeckte Gewinnausschüttung sein. Gerade wegen der Weite des Dienstleistungsbegriffs hat die Anwendung der funktionalen Betrachtungsweise (Rz. 13.94) besondere Bedeutung. Die übrigen Tatbestände des Aktivkatalogs in § 8 Abs. 1 AStG weisen nämlich oft auch Dienstleistungselemente auf. Dies gilt insbesondere für die Tätigkeit von Bank- und Versicherungsunternehmen sowie den Handel, ggf. auch Vermietung und Verpachtung. Eine Zuordnung zu § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG statt zu einem anderen Katalogtatbestand kommt in Betracht, wenn die Dienstleistung eine eigenständige Funktion darstellt.2 Finanzdienstleistungen können ebenfalls § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG unterfallen, wenn nicht die Überlassung von Kapital im Vordergrund steht.3 Dies muss auch gelten, wenn diese Dienstleistungen von Finanzunternehmen ohne qualifizierte Gesellschafter i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 AStG ausgeführt werden. Ein Vorrang von § 8 Abs. 1 Nr. 2 AStG gegenüber § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG ist nämlich – anders als bei anderen Regelungen – nicht angeordnet. Deshalb bleibt es bei dem Grundsatz, dass die Katalogtatbestände gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Dementsprechend kann § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG auch Fälle des „verunglückten“ Handels erfassen, wenn nämlich die Funktionen der ausländischen Gesellschaft keine Handelstätigkeit (mehr) darstellen.4

13.123

Von der grundsätzlichen Qualifikation als aktiv sieht § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG zwei Ausnahmen vor. Bedient sich die ausländische Gesellschaft für die Erbringung der Dienstleistung einem Hinzurechnungsadressaten oder einer diesem nahestehenden Person (schädlicher Geschäftspartner) und unterliegen die Einkünfte des schädlichen Geschäftspartners aus der Mitwirkung im Inland der Steuerpflicht, sind die Dienstleistungseinkünfte stets und ohne Möglichkeit eines Funktionsnachweises passiv (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG). Leistet die ausländische Gesellschaft einem schädlichen Geschäftspartner Dienste (konzerninterne Dienstleistung), führt dies ebenfalls zu einer Qualifikation der Einkünfte als passiv. Allerdings besteht bei konzerninternen Dienstleistungen die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b AStG). Diese Ausnahmen haben in Anbracht des Trends zum konzerninternen Outsourcing – bspw. der Einrichtung von shared service centern – in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen.5

13.124

Der Bedienenstatbestand soll verhindern, dass trotz faktischer Erbringung der Dienstleistungen aus dem Inland heraus der wesentliche Teil des Dienstleistungsgewinns nicht im Inland steuerpflichtig ist. Die Voraussetzungen von § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG liegen vor, wenn sich die ausländische Gesellschaft zur Erbringung ihrer eigenen vertraglichen Verpflichtungen eines Hinzurechnungsadressaten i.S.v. § 7 AStG oder einer dieser nahestehenden Person bedient und jedenfalls der schädliche Geschäftspartner mit den Einkünften aus der von ihm beigetragen Leistung im Inland steuerpflichtig ist.6 Der schädliche Geschäftspartner muss als Erfüllungsgehilfe fungieren (vgl. § 278 BGB). Dies ist nicht der Fall, wenn der schädliche Ge-

13.125

1 BFH v. 29.8.1984 – I R 68/81, BStBl. II 1985, 122. 2 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 174. 3 A.A. zur Vorfassung BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.5.1.1. 4 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 160. 5 Detailliert Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 1093 ff. 6 Detailliert Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 182; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 100.

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Kap. 13 Rz. 13.125 | Hinzurechnungsbesteuerung

schäftspartner der ausländischen Gesellschaft Personal überlässt, welches diese für ihre eigene Rechnung einsetzt.1 Besteht zwischen dem schädlichen Geschäftspartner und dem Dienstleistungsempfänger ein separates Vertragsverhältnis ist der schädliche Geschäftspartner nicht Erfüllungsgehilfe der ausländischen Gesellschaft. Die Voraussetzungen des Bedienenstatbestands sind dann nicht erfüllt. Dies gilt selbst dann, wenn die ausländische Gesellschaft dieses Vertragsverhältnis vermittelt hat.2 Auch alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Verwaltung, allgemeinen Geschäftsführung, Controlling und Akquisition unterliegen nicht dem Bedienenstatbestand.3

13.126

Der Wortlaut legt nahe, dass lediglich die dem Hinzurechnungsadressen nahestehende Person (nicht aber zwingend der Hinzurechnungsadressat selbst) mit den Einkünften aus seinem Beitrag im Inland steuerpflichtig sein muss.4 Damit könnten Hinzurechnungsadressaten, selbst wenn sie mit den Einkünften aus ihrem Beitrag im Inland nicht steuerpflichtig wären, den Erbringungstatbestand erfüllen. Durch den im Rahmen des ATADUmsG ergänzten § 7 Abs. 1 Satz 4 AStG können nun jedoch auch beschränkt Steuerpflichtige der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. In Anbetracht von Sinn und Zweck der Regelung muss es darauf ankommen, ob der jeweilige schädliche Geschäftspartner – gleich ob Hinzurechnungsadressat oder nahestehende Person – mit den Einkünften aus der Dienstleistung im Inland steuerpflichtig ist. Erbringen unbeschränkt steuerpflichtige Hinzurechnungsadressaten oder nahestehende Personen Leistungen durch eine Freistellungsbetriebsstätte außerhalb Deutschlands, ist dies nicht der Fall. Erfolgt der Beitrag unentgeltlich, kann bei inländischer Steuerpflicht gleichwohl der Bedienenstatbestand erfüllt sein.5 Nach Maßgabe von Korrekturvorschriften – bspw. verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) oder § 1 AStG – kann es nämlich zu einer Erhöhung der inländischen Einkünfte kommen.6

13.127

Während für den Bedienenstatbestand unerheblich ist, wer Empfänger der Dienstleistung ist, erfasst der Erbringungstatbestand in § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b AStG nur von der ausländischen Gesellschaft erbrachte konzerninterne Dienstleistungen an im Inland steuerpflichtige Dienstleistungsempfänger (Dienstleistungsimport). Der Tatbestand greift ein, wenn die ausländische Gesellschaft dem (im Inland steuerpflichtigen) Hinzurechnungsadressaten oder einer diesem im Inland steuerpflichtigen7 nahestehenden Person Dienstleistungen erbringt und der Dienstleistungsempfänger die Dienstleistungen im Rahmen einer im Inland steuerpflichtigen Einkunftsart empfängt.8

13.128

Von der grundsätzlichen Qualifikation der konzerninternen Dienstleistung als passiv gibt es eine Rückausnahme. Diese erfordert den Nachweis, dass die ausländische Gesellschaft einen 1 BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.5.2.1 2 Darüber hinaus ist nach BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.5.2.1 erforderlich, dass die Person zwecks Erfüllung jedenfalls eines nicht unwesentlichen Teils der Dienstleistung herangezogen wird. 3 Reiche in Haase3, § 8 AStG Rz. 51. 4 So zur Vorfassung bspw. Rödel in Kraft2, § 8 AStG Rz. 306; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 58; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 185 ff.; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.5.2.2. 5 A.A. bspw. Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 186. 6 Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 103. 7 BFH v. 29.8.1984 – I R 68/81, BStBl. II 1985, 120; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 192. 8 Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 107; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 Rz. 192; Geurts in Fuhrmann3, § 8 AStG Rz. 143.

580 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.132 Kap. 13

für das Bewirken derartiger Dienstleistungen eingerichteten Geschäftsbetrieb unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr unterhält und die zu der Dienstleistung gehörenden Tätigkeiten ohne Mitwirkung (Rz. 13.121) des Hinzurechnungsadressaten oder einer ihm nahestehenden Person ausübt. Eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr ist dann zu verneinen, wenn die Dienstleistung nur innerhalb eines Konzerns erbracht wird und die diesbezügliche Beschränkung auf der inneren Konzernstruktur und nicht auf den Besonderheiten der zu erbringenden Dienstleistung beruht.1 g) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (Nr. 6) Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sind gem. § 8 Abs. 1 Nr. 6 AStG grundsätzlich ebenfalls aktiv. Allerdings sieht die Regel weitreichende Ausnahmen für Patentverwertungsgesellschaften (Nr. 6 Buchst. a), Grundstücksgesellschaften (Nr. 6 Buchst. b) und LeasingGesellschaften (Nr. 6 Buchst. c) vor. Rein praktisch zählen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung daher zu den passiven Einkünften, falls nicht eine der in § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a bis c AStG vorgesehenen Rückausnahmen eingreift.

13.129

Der Begriff der Vermietung und Verpachtung in § 8 Abs. 1 Nr. 6 EStG ist an § 21 EStG angelehnt, jedoch nicht in allen Details identisch. Die Objektbeschränkung in § 21 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 EStG gilt im Rahmen von § 8 Abs. 1 Nr. 6 EStG nicht. So erfasst bspw. § 21 EStG die Überlassung (einzelner) beweglicher Sachen nicht (vgl. § 22 Nr. 3 EStG), § 8 Abs. 1 Nr. 6 AStG hingegen schon (vgl. Buchst. c).2 Bei beiden Vorschriften geht es gleichwohl um die entgeltliche Überlassung von Sachen oder Rechten auf Zeit ohne Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums.3 § 8 Abs. 1 Nr. 6 AStG unterfallen aufgrund der funktionalen Betrachtungsweise auch Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, die zuvor vermietet wurden. Als Folgegewinne teilen sie das steuerliche Schicksal der Einkünfte aus Vermietungstätigkeit.4

13.130

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a AStG führt die Überlassung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen zu passiven Einkünften. Die Begriffe entsprechen § 50a Abs. 1 Nr. 3 bzw. § 49 Abs 1 Nr. 6, 9 EStG. Die Vorschrift betrifft insbesondere ausländische Patentverwertungsgesellschaften. Im Wege einer Rückausnahme werden diese Einkünfte als aktiv qualifiziert, wenn die ausländische Gesellschaft die Ergebnisse eigener Forschungs- und Entwicklungsarbeit auswertet, die ohne Mitwirkung von Hinzurechnungsadressaten oder diesen nahestehenden Personen unternommen worden ist. In Bezug auf die nahestehende Person verlangt der Wortlaut nicht, dass diese im Inland steuerpflichtig ist. Mit Blick auf Sinn und Zweck der Vorschrift ist – entsprechend § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG – eine teleologische Reduktion angebracht.5

13.131

Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit muss nicht zwingend von der ausländischen Gesellschaft mit eigenem Personal bzw. eigenen Einrichtungen ausgeführt werden. Ausreichend ist,

13.132

1 Vgl. BFH v. 29.8.1984 – I R 68/81, BStBl. II 1985, 120; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 189, 195; vgl. dort auch die instruktiven Beispiele mit Lösungshinweisen in den Rz. 196– 208. 2 Im Einzelnen Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 217. 3 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 217; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 8 AStG Rz. 152; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 114. 4 Detailliert Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 114; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 218; a.A. wohl Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 66. 5 So auch Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 123.

Oppel | 581

Kap. 13 Rz. 13.132 | Hinzurechnungsbesteuerung

wenn ihr Tätigkeiten Dritter (bspw. im Rahmen der Auftragsforschung) als eigene zugerechnet werden.1 Dazu müssen ihr die Rechte an den Entwicklungen zustehen, sie muss das wirtschaftliche Risiko tragen und über alle wesentlichen Maßnahmen entscheiden können.2 Durch das Erfordernis der „eigenen“ Entwicklungsarbeit sind Einkünfte selbst dann passiv, wenn Rechte von fremden Dritten entwickelt und sodann von der ausländischen Gesellschaft erworben wurden. Dies ist sachlich nicht gerechtfertigt.3 Daher ist hier ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten (§§ 163, 227 AO).

13.133

Vermietung und Verpachtung von Grundstücken führen ebenfalls zu passiven Einkünften (§ 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b AStG). Anders als § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG, der neben Grundstücken auch Gebäude, Gebäudeteile und grundstücksgleiche Rechte aufzählt, bezieht sich § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b AStG dem Wortlaut nach lediglich auf Grundstücke. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob der Grundstücksbegriff in diesem Zusammenhang lediglich Grund und Boden erfasst. Jedenfalls die Finanzverwaltung hat ein weiteres Verständnis und legt den bewertungsrechtlichen Begriff des Grundvermögens zugrunde (§ 68 BewG). Dieser umfasst neben Grund und Boden insbesondere auch Gebäude, sonstige Bestandteile und Zubehör sowie grundstücksgleiche Rechte.4

13.134

Im Wege einer Rückausnahme können die Einkünfte ausländischer Grundstücksgesellschaften als aktiv qualifiziert werden. Voraussetzung ist der Nachweis, dass die Einkünfte nach einem DBA bei unmittelbarem Bezug durch den Hinzurechnungsadressaten im Inland steuerbefreit wären. Dies berücksichtigt das den deutschen DBA durchweg zugrunde liegende Belegenheitsprinzip bei grundsätzlicher Steuerfreistellung im Inland (vgl. Art. 6, Art. 23A OECDMA, Art. 6, Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 deutsche DBA-Verhandlungsgrundlage).5 Damit sind die Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung von inländischen Grundstücken6 und von ausländischen Grundstücken in Staaten, mit denen Deutschland entweder überhaupt kein oder ein DBA ohne Steuerfreistellung für Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen abgeschlossen hat,7 stets Einkünfte aus passivem Erwerb.

13.135

Insbesondere soweit auch Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung inländischer Grundstücke der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfen werden, ist der Tatbestand überschießend. Greift die erweiterte Kürzung für Grundstücksunternehmen (§ 9 Nr. 1 Satz 2 ff. GewStG) ein, liegt regelmäßig eine Niedrigbesteuerung vor. Eine Rechtfertigung ist nicht er-

1 BFH v. 13.10.2010 – I R 61/06, BStBl. II 2011, 249 zum Betriebsführungsvertrag. 2 Vgl. BMF v. 23.2.2001 – IV A 6-S 2241-08/01, BStBl. I 2001, 175; Lehfeldt in S/S/K, § 8 AStG Rz. 120; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 67; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 Rz. 223. 3 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 224; Rödel in Kraft2, § 8 AStG Rz. 363. 4 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.6.1; kritisch bspw. Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 226. 5 Zur deutschen Abkommenspraxis bspw. Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 12. 6 Damit soll im Ergebnis der Steuerpflichtige, der ein Grundstück über eine ausländische Gesellschaft hält, steuerlich so gestellt werden, als ob ihm die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unmittelbar zuflössen; zum gesetzgeberischen Hintergrund Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 227. 7 Mit Ausnahme der DBA mit Argentinien, Bangladesch, Elfenbeinküste, Iran, Kuwait, Liechtenstein, Namibia, Tunesien, Schweiz, Spanien, Venezuela und Zypern sehen alle deutschen DBA eine Freistellung für Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen vor, ausführlich dazu Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 228.

582 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.139 Kap. 13

sichtlich, denn die „Niedrigbesteuerung“ ist Folge einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers.1 Die Vermietung und Verpachtung beweglicher Sachen führt gem. § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. c AStG ebenfalls zu Einkünften aus passivem Erwerb. Die Regelung betrifft insbesondere ausländische Leasing-Gesellschaften.2 Auch hier ist eine Rückausnahme vorgesehen. Diese erfordert den Nachweis, dass die ausländische Gesellschaft die Vermietung und Verpachtung gewerbsmäßig unter Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr betreibt und die Gesellschaft dafür einen entsprechenden Geschäftsbetrieb unterhält.3 Zusätzlich muss die ausländische Gesellschaft „alle“ zur Vermietung und Verpachtung gehörenden Tätigkeiten ohne Mitwirkung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen oder einer diesem nahestehenden Person (unabhängig von deren Steuerpflicht im Inland) ausüben.4

13.136

§ 8 Abs. 1 Nr. 6 AStG zeigt abermals, dass der deutsche Gesetzgeber deutlich über die Vorgaben der ATAD hinausgeht. Diese erfasst lediglich Lizenzgebühren und sonstige Einkünfte aus geistigem Eigentum als schädlich (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Ziffer ii).5

13.137

h) Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG (Nr. 7) § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG a.F. qualifizierte Einkünfte aus der Vergabe von Kapital als grundsätzlich aktiv.6 Aufgrund der engen Voraussetzungen spielte die Vorschrift in der Praxis jedoch nur eine geringe Rolle.7 Die Regelung wurde im Zuge des ATADUmsG ersatzlos gestrichen. Die ATAD gibt nämlich vor, dass Zinsen und andere Einkünfte aus Finanzanlagevermögen grds. zu passiven Einkünften führen (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Ziffer i). Von den in der ATAD vorgesehen Öffnungs- und Ausnahmeregelungen machte der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch. Zinsen und andere Einkünfte im Zusammenhang mit Finanzierungstätigkeiten können jedoch im Einzelfall nach Maßgabe der funktionalen Betrachtungsweise einem anderen Katalogtatbestand zuzuordnen sein.

13.138

Durch die Streichung der Finanzierungseinkünfte aus dem Katalog rückte die zuvor in § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG a.F. enthaltene Regelung bezüglich Gewinnausschüttungen in der Nummerierung auf § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG n.F. vor. Vor den Anpassungen im Zuge des ATADUmsG ordnete § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG a.F. an, dass „Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften“8 aktive Einkünfte sind. Die Rechtsfolge trat unabhängig von weiteren Voraussetzungen ein. Insbesondere kam es nicht an auf die Beteiligungshöhe, eine Haltedauer, die Tätigkeit der leistenden Kapitalgesellschaft, eine steuerliche Vorbelastung des ausgeschütteten Einkommens

13.139

1 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG, Rz. 232; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 127.1; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 8 AStG Rz. 169. 2 Das Finanzierungs-Leasing unterliegt nicht § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b AStG, sondern als Kreditgeschäft dem § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG, weil der Leasinggegenstand i.d.R. dem Leasingnehmer zuzurechnen ist; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.1.6.4; vgl. die sog. Leasing-Erlasse v. 21.3.1972, BStBl. I 1972, 188; v. 23.12.1991, BStBl. I 1992, 13. 3 Zu weiteren Einzelheiten Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 236 f. 4 Zum Mitwirkungstatbestand im Einzelnen Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 143 ff. 5 Dazu detailliert Böhmer/Gebhardt/Krüger in Kahlenberg/Hagemann, ATAD, Art. 7 Rz. 92 ff. 6 Vgl. dazu detailliert Schaumburg in Vorauflage, Rz. 13.117 ff.; zum Hintergrund detailliert auch Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 281. 7 Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (13). 8 Zum (teilweise unklaren) Begriff detailliert Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 282 f.

Oppel | 583

Kap. 13 Rz. 13.139 | Hinzurechnungsbesteuerung

oder die steuerliche Behandlung der Gewinnausschüttung auf Ebene der leistenden Kapitalgesellschaft. Dies war systemgerecht, denn passive Einkünfte auf Ebene nachgeschalteter Zwischengesellschaften wurden im Wege der sog. übertragenden Hinzurechnung (§ 14 AStG a.F.) auch ohne Ausschüttung auf Ebene der ersten Zwischengesellschaft in einer Kette ausländischer Gesellschaften (Brückenkopfgesellschaft) erfasst.1 § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG a.F. kam vor diesem Hintergrund die Funktion zu, die zuvor bestehende Ungleichbehandlung zwischen von § 8b KStG bzw. § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG privilegierten von deutschen Gesellschaften bezogenen Dividenden auf der einen Seite und über einer ausländische Zwischengesellschaft bezogene Dividenden auf der anderen Seite zu beseitigen.2 Auch § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG ordnet nun an, dass Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG grundsätzlich zu aktiven Einkünften führen. Dieser Grundsatz wird allerdings durch verschiedene Ausnahmen, die teils Rückausnahmen enthalten, durchbrochen. Die Ausnahmen sollen sicherstellen, dass lediglich solche Gewinnausschüttungen als aktive Einkünfte behandelt werden, die nach Maßgabe von § 8b KStG im Inlandsfall tatsächlich steuerbefreit wären.3 Die Vorschrift zielt nun also auch darauf ab, Umgehungen der Einschränkungen des § 8b KStG zu bekämpfen.4

13.140

Die ATAD weist Dividendeneinkünfte den passiven Einkünften zu (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Ziffer iii). Auf den ersten Blick steht § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG dazu in Widerspruch. Tatsächlich unterschreitet Deutschland das Mindestschutzniveau der ATAD (Art. 3) jedoch nicht. Die Besonderheiten des deutschen Körperschaftsteuersystems rechtfertigen nämlich die Abweichung. Dieses sieht nämlich eine Vollbesteuerung auf Gesellschaftsebene und eine (teilweise) Steuerbefreiung auf Ebene des Gesellschafters vor. Die Vollbesteuerung auf Gesellschaftsebene wird im Rahmen der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung nun sichergestellt, indem auch mittelbare Beteiligungen bei unzureichender Vorbelastung eine Hinzurechnungsbesteuerung auslösen können (§ 7 Abs. 1 Sätze 1, 2 AStG).5

13.141

Die Regelung erfasst „Bezüge im Sinne des § 8b Abs. 1“ KStG. Gemeint sind wohl Bezüge i.S.v. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG. Ob es sich um Bezüge i.S.v. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG handelt, ist auf Ebene der Zwischengesellschaft anhand der Wertungen des deutschen Steuerrechts zu entscheiden. Bereits mit Blick auf die Vorfassung ging die überwiegende Auffassung davon aus, dass der Begriff „Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften“ Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG umschrieb bzw. allenfalls in Randbereichen Unterschiede bestanden.6 Bezüge i.S.v. § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG sind Bezüge i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG. Umstritten war, ob auch Bezüge aus (Eigenkapital-) Genussrechten der Vorschrift unterfallen können. Technisch handelt es sich nämlich nicht um „Gewinnausschüttungen“.7 Diese Frage ist nun entschieden, denn § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG bezieht Bezüge aus Eigenkapitalgenussrechten ein.8 Zudem ist durch die Neufassung klargestellt, dass die

1 Vgl. dazu detailliert Schaumburg in Vorauflage, Rz. 13.222. 2 Instruktiv zum Hintergrund bspw. Rödel in Kraft2, § 8 AStG Rz. 491 f.; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 157 ff.; Werra, IStR 2001, 438; Wassermeyer, IStR 2001, 114. 3 BT-Drucks. 19/28652, 56. 4 Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2020, 164 (165); Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (13). 5 BT-Drucks. 19/28652, 56; Schnitger/Gebhardt, IStR 2018, 213 ff.; Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 7 Rz. 273. 6 Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 162; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 8 AStG Rz. 228; Rödel in Kraft2, § 8 AStG Rz. 503. 7 Vgl. dazu bspw. Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 283; Köhler, DStR 2005, 277. 8 Siehe nur Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 8b KStG Rz. 98.

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E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.143 Kap. 13

Bezüge nicht zwingend von „Kapitalgesellschaften“ stammen müssen, sondern auch Leistungen anderer Körperschaftsteuersubjekte erfasst sind.1 Die Rückgewähr von Eigenkapital außerhalb formaler Nennkapitalherabsetzungen führt nicht zu Einkünften und kann daher nicht in den Hinzurechnungsbetrag eingehen, soweit für die Beträge das steuerliche Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG als verwendet gilt (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 KStG).2 Ist dies nicht der Fall, ist die Einlagenrückgewähr als Dividende zu behandeln. Sie unterfällt damit § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG.3 Die formalen Anforderungen des § 27 Abs. 8 KStG muss die Zwischengesellschaft nicht einhalten, denn diese Vorschrift richtet sich lediglich am im Inland Steuerpflichtige. Übersteigt die Einlagenrückgewähr den Beteiligungsbuchwert, kommt in Höhe des überschießenden Betrages die Behandlung als Veräußerungsgewinn gem. § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG in Betracht.

13.142

Vom Grundsatz der Aktivqualifikation macht § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG in den Buchst. a – c drei Ausnahmen. Die Regelungen sind gegenüber den anderen Katalogtatbeständen vorrangig, so dass hier die funktionale Betrachtungsweise nicht anzuwenden ist. Die Ausnahmen sollen sicherstellen, dass die Dividendeneinkünfte nur aktiv sind, wenn sie im Inlandsfall auch nach Maßgabe von § 8b KStG befreit wären. Hierzu importiert der Gesetzgeber das Korrespondenzprinzip aus § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG (Buchst. a), § 8b Abs. 4 KStG (Buchst. b) und § 8b Abs. 7 KStG (Buchst. c) in § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG.4 Dem Steuerpflichtigen ist – anders als in anderen Regelungen – nicht der Nachweis aufgegeben, dass die Voraussetzungen der Ausnahmen nicht vorliegen. Die Feststellungslast trägt also das Finanzamt. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a AStG sind Bezüge grundsätzlich passiv, soweit diese das Einkommen der leistenden Gesellschaft gemindert haben. Die Regelung entspricht dem in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG vorgesehenen Korrespondenzprinzip.5 Folglich lassen sich diesbezügliche Literatur und Rechtsprechung zur Auslegung heranziehen. Ein weitergehender Verweis – etwa auf § 8b Abs. 1 Sätze 3 und 4 KStG – ist in § 8 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a AStG allerdings nicht enthalten. Bezüge meint die von der Tochtergesellschaft der ausländischen Gesellschaft erbrachten Leistungen. Maßgeblich ist, ob durch die Leistung das Einkommen der Tochtergesellschaft gemindert wurde oder nicht. Dafür ist das ausländische Steuerrecht maßgeblich. Zwischen der Minderung des Einkommens der Tochtergesellschaft und der Leistung muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Fehlt dieser, sind die Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Regelung stellt keine Voraussetzungen an den Grund der Einkommensminderung auf. Mindert die Leistung zwar potenziell das Einkommen, greift aber ein anderes Abzugsverbot ein – etwas ausländische Regelungen entsprechend § 4k EStG oder § 4h EStG – liegt keine Einkommensminderung vor. Typische Anwendungsfälle werden indes verdeckte Gewinnausschüttungen und hybride Finanzierungen sein.6 1 Zutreffend in Bezug auf die Vorfassung für eine analoge Anwendung für Bezüge von anderen Körperschaftsteuersubjekten Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 163; Rödl in Kraft2, § 8 AStG Rz. 514. 2 Siehe nur Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 8b KStGRz. 105; zur außensteuerrechtlichen Behandlung im Rahmen der Vorfassung Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 62; Wassermeyer/ Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 488; Becker/Loose, IStR 2021, 373 (375); Baumgartner, IStR 2020, 524 (527). 3 Detailliert zur Behandlung grenzüberschreitender Eigenkapitalreduzierungen Oppel, IWB 2020, 375 ff. und 416 ff.; Oppel, IStR 2020, 46 ff. 4 Zu möglichen Problemen in der praktischen Anwendung Becker/Loose, IStR 2021, 373 ff.; Binder/ Graßl, IStR 2021, 865 (866). 5 BT-Drucks. 19/28652, 55. 6 Becker/Loose, IStR 2021, 373 (375); Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2020, 164 (165).

Oppel | 585

13.143

Kap. 13 Rz. 13.144 | Hinzurechnungsbesteuerung

13.144

Trotz Verstoß gegen das Korrespondenzprinzip – also Minderung des Einkommens der Tochtergesellschaft durch die Leistung an die ausländische Gesellschaft – führen die Bezüge nach § 8b Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a AStG nicht zu passiven Einkünften, wenn (aa) die leistende Körperschaft mit den diesen Bezügen zugrunde liegenden Einkünften Zwischengesellschaft ist oder (bb) eine verdeckte Gewinnausschüttung das Einkommen der ausländischen Gesellschaft oder einer ihr nahestehenden Person erhöht hat und dieses Einkommen keiner niedrigeren Besteuerung i.S.v. § 8 Abs. 5 KStG unterliegt. Beide Rückausnahmen sollen Doppelbesteuerungen vermeiden. In Bezug auf die in Doppelbuchst. aa enthaltene Ausnahme ist unklar, welche Einkünfte der Tochtergesellschaft den Leistungen „zugrunde liegen“. Die Bestimmung sollte grundsätzlich nach dem Veranlassungsprinzip erfolgen. Denkbar ist, dass „Spartengewinne“ anhand der GuV ermittelt werden. Ist dies jedoch nicht möglich, weil die ausländische Tochtergesellschaft – entsprechend der deutschen Rechtslage – einen einheitlichen Gewinn erzielt, muss eine Aufteilung im Verhältnis der passiven Einkünfte zu den Gesamteinkünften der ausländischen Gesellschaft erfolgen.1 In Bezug auf die Ausnahme in Doppelbuchst. bb ist auf Ebene ausländischer Gesellschaften nach Maßgabe des ausländischen Rechts zu prüfen, ob es durch die verdeckte Gewinnausschüttung zu einer Einkommenserhöhung gekommen ist. Dazu kann es insbesondere kommen, wenn das ausländische Recht entsprechend § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG die Dividendenfreistellung davon abhängig macht, dass die Dividende das Einkommen der ausländischen Gesellschaft nicht gemindert hat.

13.145

Nach § 8b Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b AStG sind Bezüge i.S.v. § 8b Abs. 1 KStG ebenfalls nicht aktiv, wenn diese bei der ausländischen Gesellschaft nach Maßgabe von § 8b Abs. 4 KStG zu berücksichtigen wäre. Die Regelung betrifft also Dividenden aus Portfoliobeteiligungen. Es kommt darauf an, ob die Bezüge zum maßgeblichen Zeitpunkt (Beginn des Kalenderjahres) weniger als 10 % am Grund- oder Stammkapital betragen haben.2 Bei der Prüfung ist zu unterstellen, dass die ausländische Gesellschaft unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig wäre. Auf dieser Basis ist § 8b Abs. 4 KStG anzuwenden.

13.146

Letztlich nimmt § 8b Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c KStG Dividenden aus, die bei unbeschränkter Steuerpflicht § 8b Abs. 7 KStG unterfallen. Dies umfasst Ausschüttungen auf Anteile, die bei Kredit, Wertpapier- und Finanzdienstleistungsinstituten dem Handelsbestand (§ 340e Abs. 3 HGB) zuzuordnen sind. Ebenfalls unterliegen § 8b Abs. 7 KStG Anteile, die bei Finanzunternehmen i.S.d. KWG im Zeitpunkt des Zugangs zum Betriebsvermögen als Umlaufvermögen auszuweisen sind, wenn an dem Finanzunternehmen Kredit-, Wertpapier- oder Finanzdienstleistungsinstitute unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 50 % beteiligt sind. i) Beteiligungsveräußerungsgewinne (Nr. 8)

13.147

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG a.F. waren Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen grundsätzlich aktiv.3 Dies setzte aber den Nachweis voraus, dass der Veräußerungsgewinn nicht (mittelbar) auf Kapitalanlagewirtschaftsgüter (§ 7 Abs. 6a AStG a.F.) oder aus von einer REIT-Gesellschaft vermieteten Grundstücken entfällt. Gerade in mehrstufigen Strukturen brachte das Nachweiserfordernis praktisch mitunter unlösbare Probleme mit sich.4 Nach den Änderungen im Rahmen des ATADUmsG sind Gewinne aus der Veräußerung eines 1 2 3 4

So auch Lentz/Sezer, ISR 2021, 85 (88). Zur praktischen Bedeutung Becker/Loose, IStR 2021, 373 (378). Detailliert zur alten Rechtslage Schaumburg in Vorauflage, Rz. 13.126. Lehfeld in S/K/K, § 8 AStG Rz. 166; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 105; Rödel in Kraft2, § 8 AStG Rz. 608.

586 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.150 Kap. 13

Anteils an einer anderen Gesellschaft, deren Auflösung oder der Herabsetzung des Nennkapitals nur noch passiv, wenn diese bei unbeschränkter Steuerpflicht der ausländischen Gesellschaft nicht § 8b Abs. 7 KStG unterfielen, also dem Handelsbestand (§ 340e Abs. 3 HGB) von Banken zuzuordnen ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG). j) Umwandlungsgewinne (Nr. 9) Umwandlungsgewinne können nach den Anpassungen durch das ATADUmsG unter den Voraussetzungen von § 8 Abs. 1 Nr. 9 UmwStG zu den aktiven Einkünften gehören. Die Vorschrift sieht eine Ausnahme mit Rückausnahme vor. Die Regelung wurde im Vergleich zur Vorgängernorm – § 8 Abs. 1 Nr. 10 UmwStG a.F. – grundlegend überarbeitet. Bisher kam es darauf an, ob die Umwandlung im Inlandsfall zu Buchwerten hätte durchgeführt werden können. Die tatsächliche Behandlung war nicht maßgeblich. Allerdings führte eine Umwandlung zu passiven Einkünften, soweit sie Kapitalgesellschaftsanteile erfasste, deren Veräußerung nicht unter § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG fiel.1

13.148

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 UmwStG muss eine „Umwandlung“ vorliegen. In Bezug auf die Vorfassung ging die h.M. wegen der Verweisung auf das UmwStG davon aus, dass eine Vergleichbarkeitsprüfung der ausländischen Umwandlung mit deutschen Umwandlungsvorgängen anzustellen war.2 Erfasst waren von Nr. 10 a.F. also ausländischen Vorgänge, die den deutschen, vom sachlichen Anwendungsbereich des UmwStG erfassten Vorgängen entsprechen. Zwar ist ein direkter Verweis auf das UmwStG in § 8 Abs. 1 Nr. 9 UmwStG nun nicht mehr enthalten. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich jedoch, dass der außensteuerrechtliche Begriff der Umwandlung nicht verändert werden sollte.3 § 1 Abs. 1 und 3 UmwStG erfasst Verschmelzungen, Spaltungen, Vermögensübertragungen, Formwechsel sowie Einbringungen durch Einzelrechtsnachfolge und den Anteilstausch. Ausländische Vorgänge sind vergleichbar, wenn sie ihrem Wesen nach den vom UmwStG erfassten Umwandlungsvorgängen entsprechen. Entsprechend dem Vorgeben beim Rechtstypenvergleich ist ausgehend von den ausländischen rechtlichen Merkmalen eine Qualifikation vorzunehmen. Die Beurteilung der Vergleichbarkeit erfolgt dann anhand der beteiligten Rechtsträger, der Rechtsnatur bzw. den Rechtsfolgen des Umwandlungsvorgangs, im Rahmen einer Gesamtwürdigung.4 Dabei ist ein großzügiger Maßstab anzulegen.5 Nicht erfasst sind Umwandlungsvorgänge, die nicht im UmwStG geregelt sind. Dies gilt bspw. für die Realteilung (§ 16 Abs. 3 Satz 2 ff. EStG).

13.149

Der Grundsatz der Aktivqualifikation von Umwandlungsgewinnen wird durchbrochen, soweit die Einkünfte auf der Übertragung von Wirtschaftsgütern beruhen, die nicht der Erzielung von Einkünften i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 AStG dienen. Im Zuge der Prüfung müssen bei gemischten Gesellschaften nun Wirtschaftsgüter den einzelnen Tätigkeiten der ausländischen Gesellschaft zugeordnet werden. Dies muss anhand der funktionalen Betrachtungsweise erfolgen (Rz. 13.94). Soweit Wirtschaftsgüter sowohl für aktive als auch für passive Tätigkeiten genutzt werden, kommt keine Qualifikation des Umwandlungsvorgangs als passiv in Betracht. Der Wortlaut verlangt nämlich, dass die Wirtschaftsgüter „nicht“ der Erzielung von aktiven Einkünften dienen. Selbst wenn (ausschließlich) zur Erzielung von passiven Einkünften ein-

13.150

1 Detailliert zur alten Rechtslage Schaumburg in Vorauflage, Rz. 13.136. 2 Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 182.6; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 369; Rödel in Kraft2, § 8 AStG Rz. 693. 3 BT-Drucks. 19/28652, 57; Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2020, 164 (167). 4 Vgl. detailliert Umwandlungssteuererlass vom 11.11.2011, BStBl. 2011, 1314 unter Rz. 01.24. 5 Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 182.6; Schnitger, IStR 2010, 265.

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Kap. 13 Rz. 13.150 | Hinzurechnungsbesteuerung

gesetzte Wirtschaftsgüter übertragen werden, kommt eine Qualifikation des Umwandlungsgewinns als aktiv in Betracht. Voraussetzung ist, dass die Umwandlung im Inland ungeachtet des § 1 Abs. 4 UmwStG zu Buchwerten hätte erfolgen können und im Ausland auch tatsächlich zu Buchwerten erfolgt ist. Für die Prüfung der Inlandsumwandlung ist der gesamte Vorgang gedanklich in das Inland zu verlegen und nicht lediglich die Inlandseigenschaft der ausländischen Gesellschaft zu unterstellen.1 Diese sog. Inlandthese ergibt sich aus der Präzisierung, dass die Umwandlung „im Inland“ ungeachtet des § 1 Abs. 4 UmwStG hätte erfolgen können.2 Folglich kommt es insbesondere nicht darauf an, ob das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. Ebenfalls hat es keine Bedeutung, ob nach der Umwandlung die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung nicht mehr vorliegen.

4. Substanz-Ausnahme für EU/EWR-Gesellschaften Literatur: Kommentare zu § 8 Abs. 2 AStG; Bärsch/Schneider, Der neue Substanztest zur Vermeidung der Hinzurechnungsbesteuerung in EU-/EWR-Fällen, DB 2022, 81; Beutel/Oppel, Mehr Fragen als Antworten nach dem neuen BMF-Schreiben zu § 50d Abs. 3 EStG, DStR 2018, 1469; Beutel/Oppel, Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG im Fahrwasser der EuGH-Rechtsprechung? Kritische Einordnung der Neufassung der deutschen Anti-Treaty-Shopping-Regelung durch das Abzugssteuerentlastungsmodernisierungsgesetz, DStR 2021, 1017; Böhmer/Oppel, Die neue Hinzurechnungsbesteuerung für Beteiligungen an ausländischen Zwischengesellschaften – Eine erste Analyse des BMF-Entwurfs v. 10.12.2019, IWB 2020, 5; Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, München; Ditz/Ekinci, Substanztest nach § 8 Abs. 2 AStG – Aktuelle Entwicklungen und Analyse des BMFSchreibens vom 17.3.2021, Ubg 2021, 631; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Köln; Eimler, Auslegung des § 8 Abs. 2 AStG durch die Finanzverwaltung, FR 2021, 822; Eisendle/Henze, Aktuelle Entwicklungen der EuGH-Rechtsprechung zu den direkten Steuern im Jahr 2019, ISR 2020, 23; Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union: EUV/ AEUV, Loseblatt, München; Hagemann/Kahlenberg, Anti Tax Avoidance Directive (ATAD), Kommentar, Herne 2019; Heckerodt/Lück, Die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatenfall – Ein Überblick de lege lata und de lege ferenda, IStR 2020, 857; Hörnicke/Kraft, Die zweifelhafte Unionsrechtskonformität des § 8 Abs. 3 AStG, ISR 2022, 1; Köhler, Der Wandel der Hinzurechnungsbesteuerung vor dem Hintergrund der EU-Grundfreiheiten, in FS für Kessler, München 2021; Köhler, BMF zu Gegenbeweis bei Hinzurechnungsbesteuerung – Gegendarstellung leider notwendig, ISR 2021, 201; Köhler/Haun, Kritische Analyse der Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung durch das JStG 2008, Ubg 2008, 73; Köhler/Staats, Wichtige Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATAD Umsetzungsgesetz, ISR 2021, 295; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 1. Aufl., München 2018; Kokott/Ost, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, EuZW 2011, 496; Kraft, Außensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., München 2022; Lampert, Zur Vereinbarkeit der Quellenbesteuerung von Zinsen und Dividenden mit dem Unionsrecht in den „Dänemark“-Urteilen des EuGH (Rs. C-115/16 bis C-119/16 und C-299/16), ISR 2019, 260; Richter/Kortendick/Ekinci, Tatsächlich, wirklich oder doch wesentlich? – Die Exkulpationsklausel nach dem ATADUmsG im Lichte des Unionsrechts, GmbHR 2020, 694; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020; Schneider/Hruschka, Hinzurechnungsbesteuerung nach dem ATAD-UmsG in: SteuerberaterJahrbuch 2020/2021, S. 243; Schnitger, Entscheidung des EuGH zum Begriff des Nutzungsberechtigten und Missbrauch, IStR 2019, 304; Schnitger/Krüger/Nielsen, Neues zur Unionsrechtskonformität der (erweiterten) Hinzurechnungsbesteuerung, IStR 2019, 340; Schön, Deutsche Hinzurechnungsbesteuerung und europäische Grundfreiheiten, IStR-Beihefter 2013, 3; Schönfeld, Hinzurechnungsbesteue-

1 Sog. Inlandsthese, zur Vorfassung: Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, AStG, § 8 Rz. 370; Schießl, DStZ 2009, 207 (208); a.A. Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 127; Lehfeldt in S/K/K, § 8 AStG Rz. 182.6; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 8 AStG Rz. 268. 2 So auch Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2020, 164 (168).

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E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.152 Kap. 13 rung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2004; Schönfeld, Aktuelle Entwicklungen zur Hinzurechnungsbesteuerung, IStR 2019, 397; Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, Loseblatt, Bonn.

a) Primärrechtliche Notwendigkeit eines Substanznachweises und Überblick Beteiligt sich ein Steuerpflichtiger an einer inländischen Kapitalgesellschaft, kommt eine Zurechnung der Einkünfte der inländischen Gesellschaft auf Grundlage der Hinzurechnungsbesteuerung nicht in Betracht. Die Hinzurechnungsbesteuerung soll vielmehr nur die Abschirmwirkung ausländischer Kapitalgesellschaften durchbrechen, obgleich sich auch bei Nutzung inländischer Kapitalgesellschaften Thesaurierungsvorteile erzielen lassen. Damit werden Inländer mit grenzüberschreitenden Beteiligungen an Kapitalgesellschaften gegenüber Inländern mit reinen Inlandsaktivitäten benachteiligt. Diese Diskriminierung wirft die Frage nach der Vereinbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung mit den europarechtlichen Grundfreiheiten auf.1 In Betracht kommen insbesondere Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) und in die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV). Die Unterscheidung ist bedeutsam, denn die Kapitalverkehrsfreiheit schützt auch Aktivitäten in Drittländern.2 Das Verhältnis dieser Grundfreiheiten zueinander ist bisher nicht abschließend geklärt. Stark vereinfachend ist die Niederlassungsfreiheit anwendbar und verdrängt die Kapitalverkehrsfreiheit, wenn der Inländer die ausländische Gesellschaft kraft seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung beherrscht oder jedenfalls eine Sperrminorität hat.3

13.151

In Bezug auf §§ 7 – 14 AStG a.F. kamen sowohl Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit wie in die Kapitalverkehrsfreiheit in Betracht.4 Nach allgemeiner Auffassung war mit Blick auf den Grundtatbestand § 7 Abs. 1 AStG bei Bestehen einer Kontrollbeteiligung der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet.5 Daneben konnte jedoch auch die Kapitalverkehrsfreiheit berührt sein. Dies liegt bei der erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung für Kapitalanlageeinkünfte auf der Hand (§ 7 Abs. 6a AStG a.F.), denn hier ist eine Hinzurechnungsbesteuerung ohne Mindestbeteiligung möglich.6 Aber auch beim Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 AStG a.F. kommt eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit in Betracht, denn die Vorschrift verlangte ebenfalls keine Kontrolle durch einen Inländer. Ausreichend ist eine mehrheitliche Beteiligung von – auch unverbundenen – Inländern.7 § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG n.F. setzt hingegen eine Kontrollbeteiligung des Hinzurechnungsadressaten – ggf. unter Beteiligung nahestehender Personen – voraus. Folglich wird als Prüfungsmaßstab vorrangig die Niederlassungsfreiheit heranzuziehen sein. Mit Blick auf die anderen „Beherrschungskriterien“ – Anteil

13.152

1 Vgl. grundlegend zum Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.35; grundlegend zum Verhältnis der Hinzurechnungsbesteuerung zu den Europäischen Grundfreiheiten Schön, IStR-Beihefter 2013, 3. 2 Zum persönlichen Anwendungsbereich bspw. Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.35. 3 Vgl. dazu Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.74, 7.88 ff; Ukrow/ Ress in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 63 AEUV Rz. 381 ff. 4 Überblick bspw. bei Köhler in FS Kessler, S. 225 ff.; Kraft in Kraft2, Vor § 7 AStG Rz. 50 ff. 5 Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 64; Vogt in Brandis/Heuermann, Vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 83; Köhler in S/K/K, § 7 AStG Rz. 22. 6 BFH v. 22.5.2019 – I R 11/19, BStBl. II 2021, 265; EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17, ECLI:EU:C:2019: 136 = FR 2019, 313 ff. – X GmbH. 7 BFH v. 18.12.2019 – I R 59/17, BStBl. II 2021, 270.

Oppel | 589

Kap. 13 Rz. 13.152 | Hinzurechnungsbesteuerung

am Nennkapital, Gewinn oder Liquidationserlös – ist abhängig vom Einzelfall jedoch auch die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit denkbar.1

13.153

Der Beschränkung einer Grundfreiheit bedeutet aber nicht gleichzeitig auch deren Verletzung.2 Entscheidend ist, ob der Eingriff gerechtfertigt ist. Richtungweisend auch für die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung – sowie für andere Vorschriften zur Bekämpfung von Missbrauch – ist insofern bis heute die EuGH-Entscheidung in der Rs. Cadbury Schweppes aus dem Jahr 2006.3 Diese ist zwar in Bezug auf die britischen Controlled Foreign-Companies-Regelungen (CFC-Regeln) ergangen,4 welche der EuGH an der Niederlassungsfreiheit prüfte.5 Allerdings lassen sich die Aussagen des EuGH auch auf die Prüfung der durch die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung bewirkten Beschränkung der Grundfreiheiten übertragen.6 Eine solche Beschränkung kann durch zwingende Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt sein.7 Die Bekämpfung rein künstlicher Gestaltungen ist nach der Cadbury-Entscheidung ein tauglicher Rechtfertigungsgrund. Die nationale Maßnahme muss sich jedoch speziell gegen rein künstliche Gestaltungen richten, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Steuergesetze eines Mitgliedstaates zu entgehen. Rein künstliche Gestaltungen liegen indes nicht vor, wenn die betreffende Gesellschaft im Aufnahmestaat eine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Diese kann sich durch das Vorhandensein von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen ausdrücken.8

13.154

Derartige Differenzierungen sah die deutsche Hinzurechungsbesteuerung bei Ergehen des EuGH-Urteils in der Rs. Cadbury Schweppes noch nicht vor. Es kam bei Vorliegen der Voraussetzungen stets zu einer Hinzurechnungsbesteuerung, ohne dass die Möglichkeit eines Substanznachweises für EU/EWR-Gesellschaften bestand. Das Urteil des EuGH zeige jedoch Handlungsbedarf auf. Im Wege eines BMF-Schreibens setzte die Verwaltung die EuGH-Entscheidung zunächst übergangsweise um.9 Durch das Jahressteuergesetzes 200810 ergänzte der Gesetzgeber dann § 8 Abs. 2 AStG a.F. Danach kommt es nicht zu einer Hinzurechnungsbesteuerung, wenn die ausländische Gesellschaft Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens hat, in diesem Staat eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und der Steuerpflichtige dies nachweist. Hieraus

1 Wie hier Richter/Kortendick/Ekinci, GmbHR 2020, 694 (697 f.); Köhler/Staats, ISR 2021, 295 (296) (Köhler, a.A. Staats); a.A. auch Eimler, FR 2021, 822 (831). 2 Zur Dogmatik instruktiv Kokott/Ost, EuZW 2011, 496 ff. 3 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 = Slg. 2006, I-7995 – Cadbury Schweppes; zur Entwicklung vor dieser Entscheidung des EuGH vgl. Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 65. 4 Zum damaligen britischen CFC-Regime vgl. Schönfeld, Die Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 575 ff. m.w.N. 5 Die Anforderungen an eine Rechtfertigung eines Eingriffs müssen nicht unbedingt übereinstimmen, EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17, ECLI:EU:C:2019:136 = FR 2019, 313 ff. (Rz. 84) – X GmbH. 6 Vgl. bspw. EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17, ECLI:EU:C:2019:136 = FR 2019, 313 ff. (Rz. 57) – X GmbH. 7 Im Einzelnen zur Rechtfertigungsmöglichkeiten Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.199. 8 Zum nunmehr möglicherweise gelockerten Maßstab durch die EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:135 = IStR 2019, 266 – T Danmark, und EuGH v. 26.2.2019 – C-115/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:134 = IStR 2019, 308 – N Luxembourg, dazu Eisendle/Henze, ISR 2020, 23 (24); Lampert ISR 2019, 260; Schnitger, IStR 2019, 304 (305); Beutel/Oppel, DStR 2021, 1017 (1018). 9 BMF v. 8.1.2007, BStBl. I 2007, 99. 10 Vom 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150.

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E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.156 Kap. 13

folgt, dass § 8 Abs. 2 AStG a.F. erst dann zur Anwendung kommt, wenn Einkünfte aus passivem Erwerb gegeben sind. Nur für diesen Fall wird der Gegenbeweis nach § 8 Abs. 2 AStG notwendig. Im weiteren Verlauf zeigte sich, dass die unionsrechtlichen Vorgaben unzureichend umgesetzt wurden. So erfasste § 8 Abs. 2 AStG nämlich (zunächst)1 weder die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 6, 6a AStG2 im EU/EWR-Fall noch generell Drittstaatengesellschaften.3 Die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH und des BFH setzte die Finanzverwaltung mit einem BMF-Schreiben um,4 ehe im Rahmen des ATADUmsG auch eine Anpassung des Gesetzes erfolgte. Aus der ATAD ergibt sich eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, einen Substanztest vorzusehen. Danach kommt die Hinzurechnungsbesteuerung nicht zur Anwendung, wenn die ausländische Gesellschaft gestützt auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Unterabs. 2). Die ATAD sieht die Substanzausnahme sowohl für EU/EWR- als auch für Drittlandsgesellschaften vor. Allerdings eröffnet die ATAD den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Anwendung der Substanzausnahme auf EU/EWR-Gesellschaften zu beschränken. Die Substanzausnahme der ATAD ist Ausdruck des Grundsatzes, dass die Mitgliedstaaten sich in einem Umsetzungskorridor bewegen. Auf der einen Seite müssen sie den Mindeststandard der ATAD einhalten. Auf der anderen Seite dürfen sie – wie auch der Richtliniengeber selbst – die Grundfreiheiten nicht verletzen. Diesbezüglich ist insbesondere der EuGH-Entscheidung in der Rs. Cadbury Schweppes zu entnehmen, dass eine Hinzurechnungsbesteuerung ohne Möglichkeit eines Substanznachweises gegen Grundfreiheiten verstößt.5

13.155

Der deutsche Gesetzgeber sieht nach den Anpassungen der ATAD einen Substanznachweis für den Grundtatbestand der Hinzurechnungsbesteuerung § 7 Abs. 1 AStG nun in § 8 Abs. 2–4 AStG vor. § 8 Abs. 2 AStG enthält – in Anknüpfung an die ATAD, jedoch weitergehend konkretisierend – die Anforderungen an den Substanznachweis. § 8 Abs. 3 AStG schränkt den Anwendungsbereich auf Gesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR ein. § 8 Abs. 4 AStG stellt das zusätzliche Erfordernis eines zwischenstaatlichen Informationsaustauschs mit dem Sitz- oder Geschäftsleitungsstaats auf. Zusätzlich ist in § 13 Abs. 4 AStG ein Substanznachweis für Kapitalanlagegesellschaften durch Verweis auf § 8 Abs. 2 AStG vorgesehen. Dieser ist nicht auf EU/EWR-Gesellschaften beschränkt (Rz. 13.239).

13.156

1 § 8 Abs. 2 AStG wurde im Rahmen des Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetzes für Beteiligungen i.S.v. § 7 Abs. 6 AStG ergänzt. Die Regelung war für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2012 beginnen (§ 21 Abs. 21 Satz 3 AStG a.F.). 2 Eingefügt mit dem AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2016, BGBl. I 2013, 1809. 3 Vgl. dazu BFH v. 22.5.2019 – I R 11/19, BStBl. II 2021, 265; EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17, ECLI: EU:C:2019:136 = FR 2019, 313 ff. – X GmbH; BFH v. 18.12.2019 – I R 59/17, BStBl. II 2021, S. 270; dazu bspw. Schönfeld, IStR 2019, 397 ff.; Heckerodt/van Lück, IStR 2020, 857 ff.; Schnitger/Krüger/ Nielsen, IStR 2019, 340 ff. 4 BMF v. 17.3.2021, BStBl. I 2021, 342; ausführlich dazu Eimler, FR 2021, 822 ff.; Köhler, ISR 2021, 201 ff.; Ditz/Ekinci, Ubg 2021, 361 ff. 5 Siehe dazu bspw. Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 7 Rz. 171; allgemein zum Umsetzungskorridor Oppel in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 3 Rz. 34; Richter/ Kortendick/Ekinci, GmbHR 2020, 694 ff.

Oppel | 591

Kap. 13 Rz. 13.157 | Hinzurechnungsbesteuerung

b) Substanznachweis für EU/EWR-Gesellschaften

13.157

Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG ist eine ausländische Gesellschaft nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte, für die nachgewiesen wird, dass die Gesellschaft in ihrem Sitz- oder Geschäftsleitungsstaat einer wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Der Substanznachweis ist nur für Zwischeneinkünfte erforderlich. Fallen die Einkünfte hingegen in den Katalog des § 8 Abs. 1 AStG, muss der Substanznachweis nicht erbracht werden. Der Substanznachweis ist nach dem Wortlaut der Regelung in Bezug auf einzelne Einkünfte („für“) zu erbringen.1 Diese Vorgabe konkretisiert § 8 Abs. 5 Satz 4 AStG: Danach sind der wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft nur die Einkünfte zuzuordnen, die durch diese Tätigkeit erzielt werden und dies auch nur insoweit, als der Fremdvergleichsgrundsatz beachtet worden ist. Vorhandene Substanz führt also nicht automatisch dazu, dass die gesamte Tätigkeit der Gesellschaft von der Hinzurechnungsbesteuerung ausgenommen ist. Das Gesetz verlangt somit eine segmentierende Betrachtung. Bei gemischten Tätigkeiten ist der Gegenbeweis für jede einzelne Tätigkeit erforderlich (sog. segmentierende Betrachtungsweise). Maßgeblich ist also, ob bei hypothetischer Selbstständigkeit der einzelnen Tätigkeiten die Substanzanforderungen erfüllt werden.

13.158

Die segmentierende Betrachtungsweise ist unionsrechtlich problematisch. Der ATAD ist dieser Ansatz fremd. Geht man zutreffend von einem durch die ATAD konkretisierten Umsetzungskorridor und davon aus, dass die ATAD auch den Steuerpflichtigen schützende Elemente enthält,2 ist § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG insofern jedenfalls mit europäischem Sekundärrecht nicht vereinbart.3 Der Substanztest soll nämlich eine ungerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vermeiden. Diese schützt das Recht, sich in einem anderen Staat niederzulassen. Lässt sich eine Gesellschaft mit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Staat nieder, genießt sie umfassend den Schutz der Niederlassungsfreiheit. Dies gilt für die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit. Eine Segmentierung ist gerade nicht geboten.4

13.159

Die Anforderungen an den Substanztest sind bisher durch Verwaltungsanweisungen und Rechtsprechung nur unzureichend konkretisiert. In der Praxis sind die Anforderungen im Einzelnen oft unklar, es herrscht Rechtsunsicherheit. Im Nachgang der BFH-5 und EuGH-6 Rechtsprechung zur Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit auf die Hinzurechnungsbesteuerung hat das BMF diese Rechtsprechung in Vorgriff auf eine gesetzliche Regelung mit Schreiben vom 17.3.2021 „umgesetzt“7 und erstmals seine Sichtweise an die Anforderungen des Substanznachweises in § 8 Abs. 2 AStG a.F. dargestellt.8 Die Ausführungen beziehen sich auch auf Anwendungsfälle des Grundtatbestands § 7 Abs. 1 AStG a.F.9 Es ist zudem davon auszugehen,

1 Kritisch Köhler, ISR 2021, 202 (204). 2 Oppel in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 3 Rz. 64. 3 Zu primärrechtlichen Bedenken gegen die segmentierende Betrachtungsweise Köhler/Haun, Ubg 2008, 78 (80 f.); a.A. Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 502. 4 BMF v. 17.3.2021 – IV B 5 - S 1351/19/100002, BStBl. I 2021, 342 („Substanzerfordernisse müssen in Bezug auf die jeweiligen Einkünfte [§ 8 Abs. 1 AStG] erfüllt werden“); Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5 (11); Bärsch/Schneider, DB 2022, 82 (83); in Bezug auf die alte Rechtslage Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 501 ff. 5 BFH v. 22.5.2019 – I R 11/19, BStBl. II 2021, 265; BFH v. 18.12.2019 – I R 59/17, BStBl. II 2021, 270. 6 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17, ECLI:EU:C:2019:136 = FR 2019, 313 f. 7 Eimler, FR 2021, 822 (823). 8 BMF v. 17.3.2021 – IV B 5 - S 1351/19/100002, BStBl. I 2021, 342. 9 So auch Eimler, FR 2021, 822 (823); Köhler, ISR 2021, 201 (202).

592 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.163 Kap. 13

dass die Finanzverwaltung diese Grundsätze auch für die Anwendung von § 8 Abs. 2 AStG zugrunde legen wird.1 § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG a.F. verlangte eine „tatsächliche“ wesentliche Tätigkeit. Der Gesetzgeber orientierte sich an der Formulierung des EuGH-Entscheidung in der Rs. Cadbury Schweppes, der eine „wirkliche“ wirtschaftliche Tätigkeit verlangte.2 Keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit liegt nach der Rechtsprechung des EuGH vor, wenn es sich um eine rein fiktive – rein künstliche – Ansiedlung wie bei Briefkasten- und Strohfirmen handelt.3 Im Hinblick auf Gesellschaften in Drittstaaten, nachgeschaltete Zwischengesellschaften und Betriebsstätten außerhalb des EU/EWR-Raums war der Substanznachweis ausgeschlossen (§ 7 Abs. 2 Sätze 3, 4 AStG a.F.).

13.160

Nach dem BMF-Schreiben muss der Steuerpflichtige in objektiver Hinsicht eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit im Aufnahmestaat nachweisen. In subjektiver Hinsicht ist (jedenfalls in Drittstaatenfällen) nach dem BMF-Schreiben zusätzlich der Nachweis erforderlich, dass keine rein künstliche Gestaltung vorliegt. Nach Auffassung der Finanzverwaltung verlangt der Nachweis der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit, dass

13.161

– eine gezielte Nutzziehung der Ressourcen im Aufnahmestaat, wie bspw. gut ausgebildetes Personal, günstige Produktionsbedingungen oder besondere Kundennähe unter Ausübung einer aktiven, ständigen und nachhaltigen Teilnahme am Marktgeschehen und Ausübung der Geschäftstätigkeit in relevantem Umfang erfolgt; – die Zwischengesellschaft nicht nur personell, sondern auch sachlich angemessen ausgestattet sein muss, so dass sie in der Lage ist, die angestrebte wirtschaftliche Kernfunktion selbstständig auszuüben; und – die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen durch die ausländische Gesellschaft selbst getroffen werden müssen.4 In subjektiver Hinsicht verlangt die Finanzverwaltung in Bezug auf Drittstaatenfälle (und wohl gerade nicht EU/EWR-Konstellationen) neben den objektiven Gesichtspunkten zusätzlich den Nachweis, dass die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft keine rein künstliche Gestaltung darstellt.5 Eine solche rein künstliche Gestaltung liege allgemein in jeder Vorkehrung, deren Hauptziel oder eines derer Hauptziele darin besteht, durch die Tätigkeiten Gewinne künstlich in Gebiete mit niedrigerem Besteuerungsniveau zu transferieren. Für diesen Nachweis verlangt die Finanzverwaltung also triftige wirtschaftliche, außersteuerliche Gründe für die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft.6

13.162

Im Rahmen des ATADUmsG ist der eigentliche Substanznachweis in § 8 Abs. 2 AStG angepasst und dem Wortlaut der ATAD angenähert worden. Allerdings wollte der Gesetzgeber dabei an der Grundkonzeption des bestehenden Motivtests festhalten.7 Dazu hat er – so die Ge-

13.163

1 Schneider/Hruschka, Steuerberater-Jahrbuch 2020/2021, 243 (269); Eimler, FR 2021, 822 (834). 2 BT-Drucks. 16/6290, 91. 3 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 = Slg. 2006, I-7995 (Rz. 68) – Cadbury Schweppes. 4 Detailliert zu den einzelnen Merkmalen Eimler, FR 2021, 822 (825). 5 So explizit auch Eimler, FR 2021, 822 (825). 6 Detailliert zum BMF-Schreiben aus Verwaltungssicht Eimler, FR 2021, 822 ff.; kritisch bspw. Köhler, ISR 2021, 201 ff.; Ditz/Ekinci, Ubg, 2021, 361 ff. 7 BT-Drucks. 19/28652, 57.

Oppel | 593

Kap. 13 Rz. 13.163 | Hinzurechnungsbesteuerung

setzesbegründung – den Wortlaut der ATAD „konkretisiert“. Wie die ATAD verlangt der Gesetzgeber, dass die ausländische Gesellschaft im Staat ihres Sitzes oder Geschäftsleitung einer wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AStG). Diese Voraussetzung konkretisiert der Gesetzgeber in § 8 Abs. 2 Satz 2, 3 AStG. Danach setzt die wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit „insbesondere“ den Einsatz der für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen sachlichen und personellen Ausstattung voraus. Die Tätigkeit muss durch hinreichend qualifiziertes Personal selbstständig und eigenverantwortlich ausgeübt werden. Die wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit darf nicht „überwiegend“ durch Dritte besorgt werden (§ 8 Abs. 4 Satz 5 AStG).

13.164

Der Gesetzgeber hat die Anforderungen an den Substanznachweis im Vergleich zur bisherigen Rechtslage damit verschärft. Dass nicht lediglich § 8 Abs. 2 AStG a.F. fortgeführt werden sollte, ergibt sich schon aus der Gesetzesbegründung. Danach wird lediglich an der „Grundkonzeption“ der bisherigen Regelung festgehalten.1 Auch besteht zwischen „wirklicher“ (= realer) und „wesentlicher“ wirtschaftlicher Tätigkeit ein qualitativer Unterschied in dem Sinne, dass ein Mehr an Substanz verlangt wird.2 Allerdings dürfen die Anforderungen an den Entlastungsbeweis nicht überspannt werden, denn § 8 Abs. 2 AStG ist im Lichte der Niederlassungsfreiheit auszulegen. Diese ermöglicht, in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften zu gründen, um dort Tätigkeiten mittels einer festen Geschäftseinrichtung nachzugehen.3 Nur zur Bekämpfung rein künstlicher Gestaltungen, welche nicht die wirtschaftliche Realität widerspiegeln, ist die Beschränkung gerechtfertigt. Dies hat der EuGH im Rahmen der „Danish Cases“ abermals bestätigt. Dabei führen steuerliche Erwägungen nicht per se zur Annahme eines Missbrauchs. Vielmehr ist der Steuerpflichtige berechtigt, das für ihn vorteilhafteste Steuersystem auszuwählen.4 In EU/EWR-Fällen ist also unabhängig von subjektiven Voraussetzungen die Erfüllung von Substanzanforderungen ausreichend, welche sich als Ausdruck wirtschaftlicher Realität darstellen.5 Dies ist lediglich bei Briefkastengesellschaften und Strohfirmen nicht der Fall.6

13.165

Soweit § 8 Abs. 4 Satz 5 AStG pauschal „Outsourcing“ verbietet, steht dies mit der EuGHRechtsprechung nicht im Einklang.7 Eine vergleichbare Regelung in § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG war deshalb im Rahmen des Abzugssteuermodernisierungsgesetzes gestrichen worden.8 Jedenfalls wenn es sich um Konzerngesellschaften mit einer Ansiedlung im gleichen Staat handelt, wird i.d.R. kein Missbrauch vorliegen.9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BT-Drucks. 19/28652, 57. A.A. wohl Bärsch/Schneider, DB 2022, 81 (84). EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes. EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:135 = IStR 2019, 266 – T Danmark; EuGH v. 26.2.2019 – C-115/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:134 – N Luxembourg. Schaumburg, Vorauflage, Rz. 13.145; Schönfeld in F/W/B/S, § 8 Rz. 466. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes. EuGH v. 14.6.2018 – C-440/17, ECLI:EU:C:2018:437 = HFR 2018, 615 – GS; EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16, ECLI:EU:C:2017:1009 = HFR 2018, 245– Deister Holding und Juhler Holding. Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259 ff. In diese Richtung auch Eimler, FR 2021, 822 (827); in Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG Beutel/Oppel, DStR 2018, 1469 (1472).

594 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.169 Kap. 13

Der Substanznachweis ist nach § 8 Abs. 3 AStG nur für Gesellschaften eröffnet, deren Sitz oder Geschäftsleitung im EU/EWR-Raum liegt.1 Anders als zuvor ist der Entlastungsbeweis für Drittstaatenbetriebsstätten solcher Gesellschaften möglich (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 4 AStG a.F.).

13.166

c) Auskunftserteilung und verfahrensrechtliche Aspekte Der Substanznachweis ist nicht möglich, wenn der Sitz- oder Geschäftsleitungsstaat der ausländischen Gesellschaft im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustausches keine Auskünfte erteilt, die zur Durchführung der Besteuerung erforderlich sind (§ 8 Abs. 4 AStG). Nach § 8 Abs. 2 AStG a.F. kam es noch darauf an, dass eine Rechtsgrundlage für den Informationsaustausch besteht. Anders als nach bisheriger Rechtslage ist also die abstrakte Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften nicht ausreichend.2 Rechtsgrundlagen für den Informationsaustausch mit EU-Staaten ergeben sich aus der EU-Amtshilfe-Richtlinie.3 Mit den EWRStaaten Norwegen, Liechtenstein und Island ergibt sich eine entsprechende Verpflichtung aus den DBA – die allesamt eine sog. große Auskunftsklausel enthalten4 – sowie im Falle von Liechtenstein einem zusätzlichen Abkommen über den Informationsaustausch5.

13.167

Grundsätzlich muss der Hinzurechnungsadressat eine Feststellungserklärung abgeben, welche insbesondere auch den Hinzurechnungsbetrag (§ 10 AStG) enthalten muss (§ 18 Abs. 1 Satz 1 AStG). Unterbleibt die Hinzurechnung nach Maßgabe von § 8 Abs. 2 AStG, ist ohne separate Anforderung des Finanzamtes keine Feststellungserklärung notwendig. Ausreichend ist eine Anzeige (§ 18 Abs. 3 Satz 2 ff. AStG). Die Anzeige muss die Angaben enthalten, welche für die Prüfung der Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 AStG notwendig sind.

13.168

III. Niedrigbesteuerung Literatur: Kommentare zu § 8 Abs. 3 AStG; Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, München; Ditz/Quilitzsch, Die Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATAD-Umsetzungsgesetz, Ubg 2021, 485; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Köln; Fuhrmann, Außensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., Herne 2017; Jacobsen, Die Vorteilhaftigkeit einer Neuausrichtung des deutschen Hinzurechnungsbesteuerungsrechts, IStR 2018, 433; Jochimsen/Bildstein, Einzelfragen der Niedrigbesteuerung, Ubg 2012, 26; Köhler/Staats, Wichtige Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATAD Umsetzungsgesetz, ISR 2021, 295; Kraft, Abweichende Bemessungsgrundlagen im Aus- und Inland als Ursache von Niedrigbesteuerung im System der Hinzurechnungsbesteuerung – illustriert anhand von Fallstudien, IStR 2016, 276; Lenz/Heinsen, Zur Niedrigbesteuerung i.S. des § 8 Abs. 3 AStG, IStR 2003, 793.

Historisch ist die Hinzurechnungsbesteuerung konzipiert worden, um die Abschirmwirkung von Kapitalgesellschaften in Steueroasen zu durchbrechen.6 Für die Qualifikation eines Landes als Steueroase stellt der Gesetzgeber auf die dortige Ertragsteuerbelastung ab. Er geht von ei1 Kritisch dazu Ditz/Ekinci, Ubg 361 (368); insb. mit Blick auf die Schweiz Hörnicke/Kraft, ISR 2022, 1 ff. 2 BT-Drucks. 19/28652, 57; Bärsch/Schneider, DB 2022, 81 (83). 3 RL 2011/16/EU v. 15.2.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 64, 1 (zuletzt geändert durch Art. 1 RL (EU) 2021/514). 4 Art. 26 DBA Norwegen; Art. 26 DBA Island; Art. 26 DBA Liechtenstein. 5 V. 2.9.2009, BGBl. II 2010, 950. 6 Vgl. dazu bspw. Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7 – 14 AStG Rz. 32; die Notwendigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung wurde insbesondere durch den sog. Oasenbericht der Bundesregierung illustriert (v. 23.6.1964, BT-Drucks. IV/2412).

Oppel | 595

13.169

Kap. 13 Rz. 13.169 | Hinzurechnungsbesteuerung

ner Steueroase aus, wenn die nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts ermittelten Einkünfte, für welche die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, einer Ertragsteuerbelastung von weniger als 25 % unterliegen, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht (§ 8 Abs. 5 Satz 1 AStG). Durch die Anwendung der Niedrigsteuergrenze auf die nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts ermittelten Einkünfte kann es dazu kommen, dass auch bei einem Nominalsteuersatz von 25 % oder darüber eine niedrige Besteuerung gegeben sein kann. Generell ist aber – unabhängig vom Steuersatz – allein die Ertragsteuerbelastung kein hinreichendes Kriterium, um Steueroasen sicher zu identifizieren. So wird eine Belastung mit indirekten Steuern beispielsweise nicht einbezogen.1 Dementsprechend empfiehlt die OECD, auf die effektive Besteuerung abzustellen.2 Die ATAD geht indes von eines Niedrigbesteuerung aus, wenn die auf die Gewinne entrichtete Körperschaftsteuer nicht der Hälfte der inländischen Körperschaftsteuer entspricht (Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD).

13.170

Die Niedrigsteuergrenze ist das politisch umstrittenste (und sicherlich plakativste) Merkmal des Tatbestands der Hinzurechnungsbesteuerung. Im Vorfeld des ATADUmsG wurde verbreitet eine Absenkung der Grenze auf 15 % gefordert.3 Dem Vernehmen nach ist das Gesetzgebungsverfahren insbesondere durch Streitigkeiten zu diesem Punkt immer wieder verzögert worden, was letztlich gar zu einem deutlichen Überschreiten der Frist zur Umsetzung der ATAD (31.12.2018, Art. 11 Abs. 1 ATAD) führte. Bestimmte Stellen in der Gesetzesbegründung deuten darauf hin, dass das BMF ursprünglich ebenfalls eine 15 %-Grenze vorgesehen haben könnte.4 Letztlich hat der Gesetzgeber die 25 %-Grenze beibehalten. Als Begründung wurde die Diskussionen um eine globale Mindestbesteuerung angeführt, deren Ergebnis man nicht vorgreifen wolle.5 Das Argument ist kaum nachzuvollziehen. Im Rahmen der Verhandlungen über die globale Mindestbesteuerung war nie eine Mindeststeuergrenze über 15 % greifbar (Rz. 5.69). Spätestens vor diesem Hintergrund verliert die 25 %-Grenze jede Rechtfertigung,

13.171

Die Beibehaltung dieser Grenze wäre höchst problematisch: Zum einen gibt es kaum ein Land, welches eine Ertragsteuerbelastung von 25 % oder mehr hat.6 Damit ist beinahe die ganze Welt ein Niedrigsteuergebiet, was – angesichts der niedrigen Freigrenzen bei gemischten Einkünften (§ 9 AStG) – für alle potentiellen Hinzurechnungsadressaten erhebliche Befolgungskosten auslöst. Zudem trägt die Mindeststeuergrenze den Besonderheiten der Gewerbesteuer nicht ausreichend Rechnung. Die Kombination aus Gewerbe- und Körperschaftsteuer führt nämlich nicht zwingend dazu, dass das Steuerniveau in Deutschland stets bei 25 % oder höher liegt. Angesichts des Mindestgewerbesteuersatzes von von 200 % (§ 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG) gibt es auch deutsche Niedrigsteuergebiete.7 Weiterhin ist eine Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer ausgeschlossen. Dies führt immer dann zu Anrechnungsüber-

1 2 3 4

So auch Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 701. OECD-BEPS Report 3, 33. Zur Diskussion bspw. Jacobsen, IStR 2018, 433 (439). BT-Drucks. 19/28652, 57: „[Mit der Niedrigsteuergrenze] wird den Vorgaben der ATAD entsprochen. Danach ist eine niedrigere Besteuerung gegeben, wenn die ausländische Ertragsteuerbelastung weniger als die Hälfte der Ertragsteuerbelastung des Steuerpflichtigen beträgt. Unter Einbeziehung der deutschen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer ist diesem Erfordernis Genüge getan“; differenziert zur Niedrigsteuergrenze Staats in Köhler/Staats, ISR 2021, 295 (299). 5 BT-Drucks. 19/28652, 51. 6 Überblick über andere Niedrigsteuergrenzen bei Schneider/Hruschka in Steuerberaterjahrbuch 2020/2021, 243 (250). 7 Detailliert dazu Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG, Rz. 701.

596 | Oppel

E. Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 13.174 Kap. 13

hängen, wenn die ausländische Vorbelastung oberhalb von 15 % liegt1 Zudem ist bei mittelbar über deutschen Gesellschaften gehaltenen Beteiligungen auf Ebene der Obergesellschaft eine die Hinzurechnungsbesteuerung ausschließende Vorbelastung nicht zwingend ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AStG). Dieselben Zwischeneinkünfte können also mehrfach und ohne ohne Anrechnungsmöglichkeit der Gewerbesteuer unterliegen (Rz. 13.223). Die Niedrigsteuergrenze ist nach den Anpassungen durch das ATADUmsG von § 8 Abs. 3 AStG a.F. in § 8 Abs. 5 AStG verschoben worden. Inhaltlich ergeben sich jedoch keine wesentlichen Änderungen. Bezugspunkt der Prüfung sind die nach § 10 Abs. 3 AStG ermittelten passiven Einkünfte der ausländischen Gesellschaft (Rz. 13.184). Eine niedrige Besteuerung liegt vor, wenn diese Einkünfte einer Belastung durch Ertragsteuern von weniger als 25 % unterliegen, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht. Eine Ertragsteuer ist eine Steuer, die auf Grundlage einer in Anknüpfung an den Ertrag ermittelten Bemessungsgrundlage erhoben wird. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Steuer rechtlich geschuldet wird. Maßgeblich ist, in welcher Höhe Ertragsteuern tatsächlich entrichtet worden sind (§ 8 Abs. 5 Satz 3 AStG). In die Belastungsrechnung sind auch Erstattungsansprüche einzubeziehen, die der ausländischen Gesellschaft im Falle von Gewinnausschüttungen gewährt werden (§ 8 Abs. 5 Satz 2 AStG).2

13.172

Die Einkünfte müssen einer Belastung von 25 % unterliegen. Maßgeblich ist, ob die Steuern rechtlich geschuldet und auch tatsächlich erhoben werden (§ 8 Abs. 5 Satz 3 AStG). Erhebung meint – in Anlehnung an die Begrifflichkeiten der AO – in erster Linie Zahlung der Steuer (§§ 218 fff. AO).3 Allerdings fordert das Gesetz nicht, dass die Steuern (schon) erhoben worden sind.4 Wann und von wem die Steuer erhoben wird, ist daher ohne Bedeutung. Dies hat bspw. zur Folge, dass im Rahmen einer Organschaft oder einer Gruppenbesteuerung von einem anderen Steuersubjekt entrichtete Steuern berücksichtigt werden.5 Maßgeblich ist die tatsächliche Belastung auf Grundlage einer Steuerfestsetzung. Dabei muss die Steuer der Gesellschaft auferlegt werden, d.h. der Rechtsgrund der Verpflichtung muss einseitig und ohne Rücksicht auf den Willen der ausländischen Gesellschaft durch hoheitlichen Akt gesetzt werden.6 Rein freiwillige „Steuer“-Zahlungen sind damit nicht zu berücksichtigen.

13.173

Keine negativen Auswirkungen auf die Bestimmung der Niedrigsteuergrenze hat allerdings die Absenkung der tatsächlichen Steuerbelastung infolge eines im Ausland in Anspruch genommenen horizontalen oder vertikalen Ausgleichs mit Verlusten aus anderen aktiven Tätigkeiten oder Tätigkeiten aus passivem Erwerb (§ 8 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 AStG). Maßgeblich ist das ausländische Steuerrecht. Dies ergibt sich daraus, dass die Regelung dem pauschalen Verweis auf § 10 Abs. 3 AStG als speziellere Reglung vorgeht. Über diesen gesetzlich geregelten

13.174

1 Kritisch wie hier bspw. Köhler in Köhler/Staats, ISR 2021, 295 (299); Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (491). 2 Hintergrund dieser Regelung ist das sog Malta-Modell, bei dem im Falle eine Gewinnausschüttung 6/7 der zuvor von der Gesellschaft entrichteten Körperschaftsteuer an die Gesellschafter erstattet wurde, vgl. detailliert dazu Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 749. 3 So wohl auch Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 730; weiter aber ggf. Wassermeyer/ Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 732 (Festsetzung ausreichend). 4 Damit sind auch künftige Steuerzahlungen zu berücksichtigen; hierzu Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 732. 5 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 725; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 8 AStG Rz. 321; § 8 AStG Rz. 321; Vogt in Brandis/Heuermann, § 8 AStG Rz. 187; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.3.1.2. 6 BFH v. 3.5.2006 – I R 124/04, BStBl. II 2011, 547.

Oppel | 597

Kap. 13 Rz. 13.174 | Hinzurechnungsbesteuerung

Fall hinaus muss die Bemessungsgrundlage auch dann angepasst werden, wenn die nach deutschem Steuerrecht ermittelten Einkünfte nur deshalb höher sind, weil vom Ausland gewährte abweichende Abschreibungs- und Bewertungsregeln berücksichtigt worden sind, die lediglich zu interperiodischen Gewinnverschiebungen führen.1 Deshalb sind etwa im Ausland gewährte Sonderabschreibungen sowie unterschiedliche Gewinnrealisierungs- und Aktivierungszeitpunkte ebenso unerheblich wie vom deutschen Steuerrecht abweichende Rückstellungsgrundsätze.2

13.175

Bei der nach § 8 Abs. 5 Satz 1 AStG erforderlichen Belastungsberechnung sind die erhobenen Ertragsteuern im Staat der Geschäftsleitung, im Staat des Sitzes sowie in Drittstaaten einzubeziehen. Auch die deutsche Körperschaft- und Gewerbesteuer können dazu zählen. Dies ergibt sich implizit aus § 7 Abs. 1 Satz 2 AStG.

F. Rechtsfolgen I. Überblick 13.176

§ 7 Abs. 1 Satz 1 AStG regelt als zentrale Vorschrift der Hinzurechnungsbesteuerung sowohl die Tatbestandsvoraussetzungen als auch die Rechtsfolgen. Die persönlichen Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung konkretisiert § 7 in den Abs. 2–5. Die sachlichen Voraussetzungen sind in § 8 AStG enthalten.

13.177

Die §§ 9 – 12 AStG regeln hingegen die Rechtsfolgen. § 9 AStG sieht eine Freigrenze vor. § 10 AStG trifft Regelungen zum Hinzurechnungsbetrag, der auf Ebene des Hinzurechnungsadressaten zu fiktiven Einkünften aus Kapitalvermögen oder – wenn die Anteile an der ausländischen Gesellschaft zu einem Betriebsvermögen gehören – aus Gewerbebetrieb führt. Schüttet die ausländische Gesellschaft später ihre Gewinne aus, soll der Abzug eines Kürzungsbetrags eine erneute Belastung, die zu einer Doppelbesteuerung führen würde, verhindern (§ 11 AStG). Der Vermeidung einer Doppelbesteuerung dient auch § 12 AStG. Danach können Steuern auf das Einkommen der ausländischen Gesellschaft auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer, die auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt, angerechnet werden (Abs. 1). Zudem können Steuern auf Grundlage einer (ausländischen) Hinzurechnungsbesteuerung ebenfalls angerechnet werden (Abs. 2).

13.178

Der wichtigste Unterschied auf Rechtsfolgenseite zur bisherigen Rechtslage ist, dass die Einkünfte (mehrerer) nachgeschalteter Zwischengesellschaften nicht mehr in einen einheitlichen Hinzurechnungsbetrag eingehen (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F.). Für nachgeschaltete Zwischengesellschaften (d.h. mittelbare Beteiligungen) muss nun jeweils separat ein Hinzurechnungsbetrag bestimmt und hinzugerechnet werden (§ 7 Abs. 1 Satz 1, 2 AStG). Folgerichtig entfällt auch die Sonderregel zum Umgang mit bestimmten Veräußerungsgewinnen der ausländischen Gesellschaft in § 11 AStG a.F. Zudem ist eine Anrechnung von Steuern, die zu Lasten der ausländischen Gesellschaft erhoben worden sind, nun nicht mehr bei der Bestimmung

1 Zu Einzelheiten Kraft, IStR 2016, 276. 2 Vgl. Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 713; Lenz/Heinsen, IStR 2003, 793; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 – IV B 4-S 1340-11/04, Sondernummer 1, 3, Rz. 8.3.1.1; 8.3.2.3 ff.; einschränkend Jochimsen/Bildstein, Ubg 2012, 26; Kraft, IStR 2016, 276 (278), wonach nur temporären Differenzen von drei bis fünf Jahren für eine Niedrigbesteuerung als ungeeignet angesehen werden.

598 | Oppel

F. Rechtsfolgen | Rz. 13.181 Kap. 13

des Hinzurechnungsbetrags zu berücksichtigen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F.). Anders als bisher wird der Hinzurechnungsbetrag phasengleich in dem Wirtschaftsjahr, in dem das Wirtschaftsjahr der ausländischen Gesellschaft endet, bezogen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG). § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG a.F. sah vor, dass der Hinzurechnungsbetrag nach Ablauf des maßgeblichen Wirtschaftsjahrs der ausländischen Gesellschaft als bezogen gilt. Dies führte bei (kalenderjahr-) gleichen Wirtschaftsjahren zu einer Phasenverschiebung.

II. Freigrenze bei gemischten Einkünften § 9 AStG sieht eine Freigrenze für Fälle vor, in denen eine ausländische Gesellschaft sowohl aktive als auch passive Einkünfte erzielt (gemischte Gesellschaft). Die Regelung soll der Vereinfachung dienen.1 Nach § 9 AStG sind bei Anwendung des § 7 Abs. 1 AStG Zwischeneinkünfte des maßgeblichen Wirtschaftsjahrs außer Ansatz zu lassen, wenn

13.179

– die passiven Einkünfte nicht mehr als 10 % der gesamten Einkünfte der ausländischen Gesellschaft ausmachen (relative Freigrenze), und – die beim einzelnen Hinzurechnungsadressaten auf Grundlage von § 9 AStG insgesamt – also unter Berücksichtigung auch weiterer Zwischengesellschaften – die aufgrund der Freigrenze außer Acht gelassenen Hinzurechnungsbeträge 80.000 Euro nicht übersteigen (gesellschafterbezogene absolute Freigrenze). Wenn die Voraussetzungen von § 9 AStG erfüllt sind, kommt es also nicht zum Ansatz eines Hinzurechnungsbetrags.2 Eine Bagatellregelung ist auch in der ATAD vorgesehen. Nach Art. 7 Abs. 3 ATAD können die Mitgliedstaaten eine Ausnahme von der Hinzurechnungsbesteuerung für Fälle vorsehen, in denen ein Drittel oder weniger der Einkünfte der ausländischen Gesellschaft passiv i.S.v. Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD ist. Wie § 9 AStG dient diese Vorschrift der Vereinfachung.3 § 9 AStG bleibt allerdings deutlich unter der Bagatellgrenze der ATAD zurück, die insbesondere keine absolute Grenze vorsieht. § 9 AStG wird – wie schon § 9 AStG a.F. – deshalb kaum praktische Bedeutung zukommen.4 Dies liegt – wie auch schon bei der Vorgängerregelung – daran, dass die gesellschafterbezogene Freigrenze von 80.000 EUR ausgesprochen gering ist.

13.180

Entsprechend § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG sind für die Ermittlung der relativen Freigrenze die Vorschriften des deutschen Steuerrechts maßgeblich.5 Dabei sind die Verhältnisse des Wirtschaftsjahrs der ausländischen Gesellschaft entscheidend, an dessen Ende die Beherrschungsvoraussetzungen erfüllt sind (§ 7 Abs. 2 AStG). Die Zwischeneinkünfte sind für die Bestimmung der relativen Freigrenze in das Verhältnis zu den Gesamteinkünften zu setzen. Für die Bestimmung der gesellschafterbezogenen absoluten Freigrenze kommt es hingegen auf den auf Ebene des Hinzurechnungsadressaten anzusetzenden Hinzurechnungsbetrag i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG an.6

13.181

1 2 3 4

Wassermeyer in F/W/B/S, § 9 AStG Rz. 11. Wassermeyer in F/W/B/S, § 9 AStG Rz. 19; Luckey in S/K/K, § 9 AStG Rz. 36. Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, Art. 7 ATAD Rz. 226. Wassermeyer in F/W/B/S, § 9 AStG Rz. 4. Wassermeyer in F/W/B/S, § 9 AStG Rz. 22. 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 9 AStG Rz. 22. 6 Wassermeyer in F/W/B/S, § 9 AStG Rz. 41; Luckey in S/K/K, § 9 AStG Rz. 30.

Oppel | 599

Kap. 13 Rz. 13.182 | Hinzurechnungsbesteuerung

III. Hinzurechnungsbetrag Literatur: Kommentare zu § 10 AStG; Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, München; Ditz/Quilitzsch, Die Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATADUmsetzungsgesetz, Ubg 2021, 485; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Köln; Fuhrmann, Außensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., Herne 2017; Goebel/ Haun, § 4h EStG und § 8a KStG (Zinsschranke) in der Hinzurechnungsbesteuerung, IStR 2007, 768; Köhler/Haun, Kritische Analyse der Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung durch das JStG 2008, Ubg 2008, 73; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schnitger/Oskamp, Die Anwendung des § 8c KStG in der Hinzurechnungsbesteuerung, DStR 2017, 1415; Strunk/ Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, Loseblatt, Bonn.

1. Überblick 13.182

§ 10 AStG ist im Rahmen des ATADUmsG zwar in der Grundstruktur erhalten geblieben.1 Gleichwohl ergeben sich nach der neuen Rechtslage wichtige Änderungen. Die Regelung bestimmt, wie und in welcher Höhe die Zwischeneinkünfte der ausländischen Gesellschaft in die Bemessungsgrundlage des Hinzurechnungsadressaten eingehen. Dazu werden die nach § 7 Abs. 1 AStG steuerpflichtigen Einkünfte als sog. Hinzurechnungsbetrag angesetzt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AStG). Der Hinzurechnungsbetrag leitet sich aus den Zwischeneinkünften der ausländischen Gesellschaft ab. Dem Hinzurechnungsadressaten werden die Zwischeneinkünfte entsprechend seiner Beteiligung am Nennkapital der ausländischen Gesellschaft als Hinzurechnungsbetrag zugewiesen.2 Es handelt sich bei dem Hinzurechnungsbetrag also um eine Rechengröße, welche die Zwischeneinkünfte der ausländischen Gesellschaft anteilig in die Bemessungsgrundlage des Hinzurechnungsadressaten transportiert.

13.183

Im Rahmen von § 10 AStG ist die Ebene des Hinzurechnungsadressaten und die Ebene der ausländischen Gesellschaft zu unterscheiden. Auf Ebene der ausländischen Gesellschaft sind die dem Hinzurechnungsbetrag zugrundeliegenden Einkünfte zu ermitteln. Regelungen dazu treffen die Absätze 3 bis 5. Der Hinzurechnungsbetrag wird ausgehend von den Zwischeneinkünften bestimmt. Der Hinzurechnungsbetrag ist der Betrag der Zwischeneinkünfte, der auf den einzelnen Hinzurechnungsadressaten entfällt. Regelungen zur Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags enthalten die Absätze 1 und 6. Letztlich bestimmt Abs. 2, wie der Hinzurechnungsbetrag auf Ebene des Hinzurechnungsadressaten zu qualifizieren ist und wann der Hinzurechnungsbetrag als zugeflossen gilt.

2. Ermittlung der Zwischeneinkünfte 13.184

Der Hinzurechnungsbetrag wird aus den Zwischeneinkünften der ausländischen Gesellschaft abgeleitet. In einem ersten Schritt müssen also die Zwischeneinkünfte der ausländischen Gesellschaft ermittelt werden. Zwischeneinkünfte sind die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft außerhalb des Aktivkatalogs (§ 8 Abs. 1 AStG), die niedrig besteuert werden (§ 8 Abs. 5 AStG) und für welche die Anforderungen des Substanznachweises (§ 8 Abs. 2–4 AStG) nicht erfüllt sind.

1 BT-Drucks. 19/28652, 58. 2 Ggf. ist nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AStG ein anderer Maßstab als die Beteiligung am Nennkapital zugrunde zu legen.

600 | Oppel

F. Rechtsfolgen | Rz. 13.187 Kap. 13

§ 10 trifft in Abs. 3–5 AStG Regelungen zur Ermittlung der Zwischeneinkünfte. Den Grundsatz gibt § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG vor: Bei der Ermittlung der Zwischeneinkünfte sind die Regelungen des deutschen Steuerrechts entsprechend anzuwenden. Dies entspricht der Vorgabe der ATAD, die für die Ermittlung der passiven Einkünfte ebenfalls auf die Gewinnermittlungsvorschriften des jeweiligen nationalen Körperschaftsteuerrechts verweist (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 ATAD). Diese Vorgehensweise ist zwar nicht unplausibel, weil die Zwischeneinkünfte auch zur Anwendung der Niedrigsteuergrenze nach nationalem Steuerrecht bestimmt werden müssen und dazu eine einheitliche Vergleichsbasis notwendig ist. Allerdings wird diese Vorgehensweise dem eigentlichen Ziel der Hinzurechnungsbesteuerung, die Abschirmwirkung der ausländischen Zwischengesellschaft aufzuheben und eine Vollausschüttung zu fingieren, nicht gerecht. In diesem Rahmen dürfte nämlich lediglich der ausschüttungsfähige Gewinn hinzugerechnet werden. Dieser bestimmt sich ausschließlich nach ausländischem Handelsrecht. Der deutsche Gesetzgeber kann der ausländischen Zwischengesellschaft selbst keine umfassenden steuerlichen Gewinnermittlungs- und Erklärungspflichten aufgeben. Dementsprechend richten sich die Vorschriften zur Einkünftermittlung ausschließlich an den jeweiligen Hinzurechnungsadressaten.1 Sie begründet für ihn eine originäre eigene Einkünfteermittlungspflicht.2 Diese erstreckt sich auf jede Zwischengesellschaft, an der der Hinzurechnungsadressat beteiligt ist. Er allein ist also Ermittlungs- und Zurechnungssubjekt der Zwischeneinkünfte. Die Zwischengesellschaft selbst ist demgegenüber lediglich Einkünfteerzielungssubjekt.3 Vor diesem Hintergrund werden die steuerlichen Pflichten des Hinzurechnungsadressaten auf den Bereich der Zwischengesellschaft ausgedehnt. Im Ergebnis gibt § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG dem unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner steuerliche Einkünfteermittlungspflichten auf, welche die Zwischengesellschaft bei Steuerpflicht mit den Zwischeneinkünften im Inland hätte.

13.185

Die Einkünfteermittlungspflicht bezieht sich nur auf die Zwischeneinkünfte, nicht aber auf andere Einkünfte der Zwischengesellschaft. Jedoch ist sie nicht auf die Zwischeneinkünfte beschränkt, die als Hinzurechnungsbetrag in die Bemessungsgrundlage des einzelnen Hinzurechnungsadressaten eingehen. Ein lediglich quotaler Ansatz von Vermögen, Ertrag und Aufwand ist in der Regel auch nicht praktikabel. Dementsprechend erstreckt sich die Einkünfteermittlungspflicht auf alle Zwischeneinkünfte der ausländischen Gesellschaft.4

13.186

In Fällen einer gemischten Gesellschaft mit aktiven und passiven Einkünften bedarf es zur Ermittlung der Zwischeneinkünfte einer Zuordnung von Betriebsausgaben. Vor diesem Hintergrund stellt § 10 Abs. 4 AStG klar, dass bei der Ermittlung der Zwischeneinkünfte nur solche Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen, die mit diesen Einkünften im wirtschaftlichem – nicht aber unmittelbarem wirtschaftlichem – Zusammenhang stehen. Die Vorschrift entspricht vom Wortlaut und Zweck im Wesentlichen § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG und ist entsprechend auszulegen und anzuwenden.5 Damit kommen die gleichen Grundsätze wie bei der Betriebsstättengewinnermittlung zur Anwendung (Rz. 21.3 ff.). Stehen die Einkünfte sowohl mit dem ak-

13.187

1 Zu verfahrensrechtlichen Aspekten vgl. Rz. 13.245. 2 Hierzu Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 212 ff.; Luckey in S/K/K, § 10 AStG Rz. 63. 3 BFH v. 2.7.1997 – I R 32/95, BStBl. II 1998, 176. 4 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 74, 213; Luckey in S/K/K, § 10 AStG Rz. 67; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 10.1.1.1. 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 423; Luckey in S/K/K, § 10 AStG Rz. 119; Vogt in Brandis/Heuermann, § 10 AStG Rz. 109.

Oppel | 601

Kap. 13 Rz. 13.187 | Hinzurechnungsbesteuerung

tiven als auch mit dem passiven Bereich in Zusammenhang, ist – wie bei der Betriebsstättengewinnermittlung auch – aufzuteilen. Erzielt die Gesellschaft nur passive Einkünfte, ist eine Aufteilung von Betriebsausgaben nicht notwendig.1

13.188

Die Zwischeneinkünfte sind in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu bestimmen. § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG verweist damit auf die Einkünfteermittlungs- und Einkünftekorrekturvorschriften des deutschen Rechts. Dazu zählen insbesondere § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 4 – 7i EStG.2 Allerdings verweist die Vorschrift nicht auf Einkommensermittlungsvorschriften. Die Bedeutung der Unterscheidung zeigt sich insbesondere an § 8c KStG. Diesbezüglich ist umstritten, ob (bzw. inwieweit) § 8c KStG bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags anzuwenden ist und bei Tatbestandserfüllung zu einem Wegfall des Verlustvortrags i.S.v. § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG führen kann.3 Soweit § 8c KStG einem Verlustabzug (statt einem Verlustausgleich mit laufenden Einkünften) entgegensteht, handelt es sich um eine Einkommensermittlungsvorschrift.4 Auf diese verweist § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG gerade nicht.5

13.189

§ 10 Abs. 3 Satz 1 AStG wird in den folgenden Sätzen konkretisiert. Dabei wird der Grundsatz, die Einkünfteermittlung anhand der Regelungen des deutschen Steuerrechts durchzuführen, teilweise durchbrochen. Im Ausgangspunkt gilt § 8 Abs. 2 KStG für die ausländische Zwischengesellschaft nicht, denn die Norm bezieht sich lediglich auf unbeschränkt Steuerpflichtige.6 Allerdings ordnet § 10 Abs. 3 Satz 2 AStG jedoch an, dass alle Einkünfte der ausländischen Gesellschaft als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind. Die Ermittlung muss nunmehr stets durch Bestandsvergleich i.S.v. § 4 Abs. 1 EStG erfolgen.7 Anders als nach der bisherigen Rechtslage ist eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nun nicht mehr zulässig.

13.190

Auch im Übrigen werden die deutschen Gewinnermittlungsvorschriften modifiziert. § 10 Nr. 2 KStG ist auf eine von der ausländischen Gesellschaft zu entrichtende Vermögensteuer nicht anzuwenden (§ 10 Abs. 3 Satz 3 AStG). Damit wird eine ausländische Vermögenssteuer als Betriebsausgabe abziehbar. § 10 Abs. 3 Satz 4 AStG schließt die Anwendung steuerlicher Vergünstigungen8 aus, die an die unbeschränkte Steuerpflicht9 oder das Bestehen eines inländischen Betriebs bzw. einer inländischen Betriebsstätte anknüpfen. Damit sind insbesondere aus sozialen, wirtschaftlichen und aus anderen Gemeinwohlgründen gewährte Steuervorteile angesprochen. Beispiele sind erhöhte Absetzungen oder Sonderabschreibungen.10 Durch die Suspendierung solcher steuerlicher Vergünstigungen wird sichergestellt, dass entsprechende steuer1 So auch Wassermeyer in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 423; a.A. Wendt, INF 1976, 385 (390). 2 Vgl. für eine Auflistung Aufstellung bei Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 234 ff.; Luckey in S/K/K, § 10 AStG Rz. 71 ff.; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 10 AStG Rz. 144. 3 Bejahend Finanzsenator Berlin, Runderlass v. 6.1.2016 – III A S 2745a – 3/2013, DStR 2016, 173; zu Folgefragen etwa Schnitger/Oskamp, DStR 2017, 1415 ff. 4 Siehe Schema zur Ermittlung des Einkommens bei R 7.1 KStR 2015 (laufende Nummer 29). 5 Detailliert dazu Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 Rz. 308; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 10 Rz. 173. 6 Wassermeyer in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 218.1; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 10 Rz. 168. 7 BT-Drucks. 19/28652, 59. 8 Hierzu gehören vor allem Lenkungsnormen; im Übrigen ist der Begriff unklar; hierzu Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 341 ff. 9 Z.B. §§ 6 Abs. 2, 6a, 6b, 7b, 7g, 13a, 14a EStG; zur Anwendung von § 6b EStG Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 345; Luckey in S/K/K, § 10 AStG Rz. 107. 10 Detailliert Fuhrmann in Fuhrmann3, § 10 AStG Rz. 213; Wassermeyer in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 340 ff.

602 | Oppel

F. Rechtsfolgen | Rz. 13.194 Kap. 13

liche Förderungsmaßnahmen nicht auf das Ausland ausgedehnt werden. Unterhält die Zwischengesellschaft im Inland allerdings Betriebsstätten, sind steuerliche Vergünstigungen insoweit anwendbar.1 Weiterhin schließt § 10 Abs. 3 Satz 4 AStG die Anwendung der Vorschriften des UmwStG aus. Die Vorschrift ist in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG zu sehen: Sind die Voraussetzungen von aktiven Einkünften aus Umwandlungen nicht erfüllt, soll dieses Ergebnis nicht auf der Ebene der Einkünfteermittlung ausgehöhlt werden.2

13.191

Anders als nach bisherigem Recht werden seit den Änderungen durch das ATADUmsG die Vorschriften der §§ 4h, 4j EStG sowie §§ 8a, 8b Abs. 1, 2 KStG nicht mehr suspendiert. Sie sind – wie alle Einkünfteermittlungsvorschriften auch – nun uneingeschränkt anzuwenden. Diese Regelungen wirken ebenfalls Einkünfteverlagerungen in das Ausland entgegen. Für eine Anwendung im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung besteht deshalb kein Bedürfnis. Die Anwendung provoziert vielmehr ungerechtfertigte Doppelbesteuerungen und Verwerfungen. Daher ist fraglich, ob die uneingeschränkte Vorgabe der ATAD, die Zwischeneinkünfte nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Steuerrechts zu ermitteln, mit den Grundfreiheiten im Einklang steht. Kennt der Staat der Zwischengesellschaft entsprechende Abzugsverbote nicht, steigt allein aufgrund der niedrigeren nach deutschen Vorschriften ermittelten Bemessungsgrundlage das Risiko einer Niedrigbesteuerung. Zudem können sich in Konzernstrukturen mit ausländischen Finanzierungs- und IP-Gesellschaften Doppelbesteuerungen ergeben. Zum einen wird der Betriebsausgabenabzug auf Ebene der zahlenden Gesellschaft versagt, so dass sich der Hinzurechnungsbetrag erhöht. Auf Ebene der Finanzierungs- und IP-Gesellschaft können die Zins- oder Lizenzeinnahmen zudem zu passiven Einkünften führen. Insoweit kommt ebenfalls eine Hinzurechnungsbesteuerung (und damit Doppelbesteuerung) in Betracht.3 Das Verhältnis zwischen Hinzurechnungsbesteuerung und den speziellen Abzugsverboten wird nicht durchgängig – wie etwa in § 4j Abs. 1 Satz 5 EStG – aufgelöst. Die Doppelbesteuerungsrisiken waren gerade der Grund, wieso §§ 4h, 4j EStG bisher nicht angewendet wurden.4

13.192

§ 10 Abs. 3 Sätze 5 und 6 AStG treffen in Umsetzung der ATAD (Art. 8 Abs. 1 Satz 2) Regelungen zur interperiodischen Nutzung von Verlusten der ausländischen Zwischengesellschaft im Bereich der passiven Einkünfte. Verluste können danach in entsprechender Anwendung des § 10d EStG abgezogen werden, soweit sie die nach § 9 AStG außer Ansatz zulassenden Einkünfte übersteigen. Ein Verlustrücktrag ist – anders als vor den Änderungen durch das ATADUmsG (§ 10 Abs. 3 Satz 5 AStG) – nun nicht mehr möglich (§ 10 Abs. 3 Satz 6 AStG). Die Möglichkeit des horizontalen und vertikalen Verlustausgleichs innerhalb desselben Wirtschaftsjahrs folgt bereits aus § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG.

13.193

Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AStG entfällt die Hinzurechnung, wenn sich ein negativer Hinzurechnungsbetrag ergibt. Ein negativer Hinzurechnungsbetrag mindert also nicht positive Einkünfte aus anderen Einkunftsquellen des Hinzurechnungsadressaten.

13.194

1 2 3 4

Schönfeld/Wassermeyer in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 344. Wassermeyer in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 349. So auch Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (494) mit Beispiel (in Bezug auf Lizenzgebühren). Hierzu Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 346; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 10 AStG Rz. 151; Goebel/Haun, IStR 2007, 768 (774); Köhler/Haun, Ubg 2008, 73 (75 f.).

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Kap. 13 Rz. 13.195 | Hinzurechnungsbesteuerung

13.195

Sind erstmals die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung erfüllt, ist eine „eröffnende Hinzurechnungsbilanz“ zu erstellen.1 Bisher ordnete § 21 Abs. 3 AStG – deplatziert2 – an, dass die Wirtschaftsgüter mit den Werten anzusetzen sind, die sich ergeben würden, wenn seit Übernahme der Wirtschaftsgüter durch die ausländische Gesellschaft die Vorschriften des deutschen Steuerrechts angewendet worden wären.3 Die Regelung ist durch das ATADUmsG – systematisch treffender – in § 10 Abs. 4 AStG platziert worden. Sie bewirkt insbesondere, dass bereits vor der erstmaligen Anwendung der Hinzurechungsbesteuerung entstandene stille Reserven bei ihrer Realisierung der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfen werden können. Zudem kommt es nicht zu einer Verstrickung zum gemeinen Wert, wenn erstmals die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung erfüllt sind. Es kommt nicht zu einem Step-Up, der erhöhte Absetzung für Abnutzung erlauben würde.

3. Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags 13.196

Nachdem in einem ersten Schritt die Zwischeneinkünfte der ausländischen Gesellschaft gesellschaftsbezogen ermittelt wurden, müssen diese dem Hinzurechnungsadressaten zugeteilt werden. § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG schreibt vor, dass die nach § 7 Abs. 1 AStG steuerpflichtigen Einkünfte als Hinzurechnungsbetrag anzusetzen sind. Voraussetzung ist ein positiver Hinzurechnungsbetrag (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AStG). Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG sind die Zwischeneinkünfte der ausländischen Gesellschaft entsprechend der unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung am Nennkapital steuerpflichtig.4 Zur Ermittlung des gesellschafterbezogenen Hinzurechnungsbetrags sind die Zwischeneinkünfte der Gesellschaft mit der Beteiligung des Hinzurechnungsadressaten am Nennkapital zu multiplizieren (Hinzurechnungsquote). Diese Rechtsfolge ist von der tatbestandsseitigen Frage nach der Beherrschung zu trennen, so dass die dem Hinzurechnungsadressaten zuzuweisende Quote an den Zwischeneinkünften auch unter 50 % liegen kann. Die Regelung entspricht im Wesentlichen § 7 Abs. 1 AStG a.F.

13.197

Wenn der Gewinn der ausländischen Gesellschaft nicht anhand der Beteiligung am Nennkapital verteilt wird oder die ausländische Gesellschaft kein Nennkapital hat, greift § 7 Abs. 1 Satz 3 AStG ein. Danach ist der Maßstab für die Gewinnverteilung auch für die Bestimmung der Hinzurechnungsquote maßgeblich. Die Regelung lehnt sich an § 7 Abs. 5 AStG a.F. an. Sie kommt insbesondere bei Vorzugsanteilen oder Absprachen über die Gewinnverteilung außerhalb des Gesellschaftsvertrags zur Anwendung. Allerdings ist Voraussetzung, dass ein Gewinnbezugsrecht im gesellschaftsrechtlichen Sinne besteht. Daher fällt eine ausländische Stiftung nicht in den Anwendungsbereich der §§ 7 ff. AStG. Ebenso wenig reicht – anders als nach teilweise vertretener Auffassung für die Prüfung des Beherrschungserfordernisses – eine schuldrechtliche „Gewinnpartizipation“ aus, bspw. über partiarische Darlehen oder eine stille Gesellschaft.5

13.198

§ 10 Abs. 6 AStG trägt schließlich den Besonderheiten des InvStG Rechnung. Dies ist notwendig, weil der unbedingte Vorrang des InvStG im Rahmen des ATADUmsG durch § 7 Abs. 5 AStG aufgehoben wurde (Rz. 13.42). Danach können Hinzurechnungsbesteuerung und InvStG parallel zur Anwendung kommen, wenn die Zwischengesellschaft ihre den Einkünften 1 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 277; nach BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 10.3.3.1. 2 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 277. 3 Zu weiteren Einzelheiten Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 277 ff. 4 Zu mittelbaren Beteiligungen vgl. detailliert Rz. 13.223. 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 93.

604 | Oppel

F. Rechtsfolgen | Rz. 13.202 Kap. 13

zugrundeliegenden Geschäfte zu mehr als einem Drittel mit dem Steuerpflichtigen oder ihm nahestehenden Personen betreibt (§ 7 Abs. 5 Satz 2 AStG). Allerdings kann es auch unter Anwendung des InvStG im Rahmen der sog. Vorabpauschale zu einer Besteuerung ohne tatsächliche Ausschüttung kommen. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung ordnet § 10 Abs. 6 AStG daher an, dass der Hinzurechnungsbetrag zu mindern ist, soweit die dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte zu Einkünften des Steuerpflichtigen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG i.V.m § 16 Abs. 1 Nr. 2 InvStG oder § 20 Abs. 1 Nr. 3a EStG i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 2 InvStG führen.

4. Qualifikation des Hinzurechnungsbetrags § 10 Abs. 2 AStG regelt die steuerliche Behandlung eines positiven Hinzurechnungsbetrags auf Ebene des Hinzurechnungsadressaten sowie den Zeitpunkt der Zurechnung. Dies betrifft nur positive Hinzurechnungsbeträge. Ein negativer Hinzurechungsbetrag bleibt demgegenüber außer Ansatz (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AStG). Die Vorschrift unterscheidet danach, ob die Anteile an der ausländischen Gesellschaft Privat- oder Betriebsvermögen des Hinzurechnungsadressaten sind.

13.199

Der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag wird gem. § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG zu den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) gezählt.1 Die Vorschrift kommt zur Anwendung, wenn die Anteile an der Zwischengesellschaft Privatvermögen des Hinzurechnungsadressaten sind. Der Ansatz als Dividende beim unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner ist folgerichtig und entspricht der Grundwertung der Hinzurechnungsbesteuerung, den Steuerinländer in der Rechtsfolge so zu behandeln, als habe die ausländische Gesellschaft an ihn ausgeschüttet.2 Damit wird im Ergebnis beim inländischen Gesellschafter Soll-Einkommen erfasst.3

13.200

Umstritten ist, ob der Hinzurechnungsbetrag eine (fiktive) Einnahme ist oder ob es sich um einen Erhöhungsbetrag eigener Art handelt.4 Im Ergebnis kommt dem Streit keine Bedeutung zu, weil nach allen Ansichten der Abzug von auf Ebene des Hinzurechnungsadressaten entstandenen Werbungskosten zulässig ist. Diese sind im Hinzurechnungsbetrag selbst nicht berücksichtigt, denn die Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags bezieht sich lediglich auf die Ebene der Zwischengesellschaft selbst. Nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AStG a.F. war § 3c Abs. 2 EStG entsprechend anzuwenden, so dass ein partielles Abzugsverbot bestand. Diese Regelung ist im Rahmen des ATADUmsG gestrichen worden. Ob und in welchem Umfang Aufwendungen des Hinzurechungsadressaten abgezogen werden können, bestimmt sich damit allein nach den Regelungen des EStG.5

13.201

§ 10 Abs. 2 Satz 2 AStG bestimmt, dass der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag den Einkünften aus Gewerbebetrieb, aus Land- und Forstwirtschaft oder aus selbständiger Arbeit zu-

13.202

1 Die Entscheidung über die Einkunftsart wird erst im Veranlagungsverfahren des Steuerpflichtigen getroffen, BFH v. 15.3.1995 – I R 14/94, BStBl. II 1995, 502. 2 Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (493). 3 Zur Legitimation unter Leistungsfähigkeitsgesichtspunkten Schaumburg in FS Tipke, 125 (140). 4 BFH v. 7.9.2005 – I R 118/04, BStBl. II 2006, 537; v. 11.2.2009 – I R 40/08, BStBl. II 2009, 594; Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 144; Luckey in S/K/K, § 10 AStG Rz. 40; für eine fiktive Einnahme unter Verweis auf den im Rahmen des ATADUmsG entfallenen § 10 Abs. 2 Satz 4 AStG a.F. Schaumburg, Vorauflage, Rz. 13.198. 5 BT-Drucks. 19/28652, 58.

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Kap. 13 Rz. 13.202 | Hinzurechnungsbesteuerung

zuordnen ist, wenn die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft zu einem Betriebsvermögen gehört.1 Die Zuordnung zum Betriebsvermögen folgt den allgemeinen steuerlichen Grundsätzen. Die Vorschrift differenziert nicht weiter. Damit spielt es für die Einkünftequalifizierung keine Rolle, ob die Anteile inländisches oder ausländisches Betriebsvermögen, notwendiges oder gewillkürtes Betriebsvermögen oder aber Gesamthands- oder Sonderbetriebsvermögen sind.2 Werden die Anteile allerdings in einem ausländischen Betriebsvermögen gehalten und stehen die Regelungen eines DBA der Besteuerung entgegen, ist für die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung kein Raum. Für mittelbare Beteiligungen trifft § 10 Abs. 2 Satz 3 AStG eine Sonderregel. Eine Zuordnung des Hinzurechnungsbetrags zu Gewinneinkünften setzt voraus, dass die Anteile an der vermittelnden Beteiligung zu einem Betriebsvermögen gehören.

13.203

Gehört die Beteiligung an der ausländischen Zwischengesellschaft zu einem inländischen Gewerbebetrieb, unterliegt der Hinzurechnungsbetrag unterliegt auch der Gewerbesteuer. Dies ordnet § 7 Satz 7 GewStG seit einer Ergänzung im Rahmen des BEPS-UmsG I3 explizit und rechtssprechungsüberschreibend – nicht nur klarstellend4 – an. Zuvor hatte der BFH entschieden, dass der Hinzurechnungsbetrag zwar zum Gewerbeertrag eines inländischen Unternehmens gehört, jedoch auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt und darum nach Maßgabe von § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG aus dem Gewinn herauszukürzen sei.5 Der BFH stütze seine Entscheidung insbesondere auf systematische Erwägungen. Dies sind neben dem strukturellen Inlandsbezug der Gewerbesteuer insbesondere auch Doppelbesteuerungen, welche sich aus der fehlenden Anrechnungsmöglichkeit der ausländischen Steuer auf die Gewerbesteuer ergeben. Diese fundierten Erwägungen überging der Gesetzgeber. Zudem sind ausländische Steuern (und inländische Gewerbesteuer) nicht auf die inländische Gewerbesteuer anrechenbar. Damit besteht ein wesentliches Praxisproblem der Hinzurechnungsbesteuerung fort.

13.204

Bisher erfolgte die Erfassung des Hinzurechnungsbetrags nach Ablauf des maßgeblichen Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG a.F.). Diese Regelung trug dem Gedanken einer fiktiven Dividende angemessen Rechnung, weil sie auf den frühst möglichen Ausschüttungszeitpunkt abstellte.6 Nun gilt – entsprechend der ATAD (Art. 8 Abs. 4) – der Hinzurechnungsbetrag in dem Wirtschaftsjahr als zugeflossen, in dem das Wirtschaftsjahr der ausländischen Gesellschaft endet. Es kommt es damit zu einer phasengleichen Zurechnung.

13.205

Auf den Hinzurechnungsbetrag werden verschiedene Sonderregeln, welche die Steuerlast auf Dividenden zur Berücksichtigung der Vorbelastung senken, nicht angewandt. Dies betrifft § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG, § 32d EStG, § 8b KStG und § 9 Nr. 7 GewStG (§ 10 Abs. 2 Satz 4 AStG). So soll sichergestellt werden, dass die dem Hinzurechnungsbetrag zugrundeliegenden Einkünfte einer angemessenen Vorbehaltung unterliegen.7

1 Hierüber wird erst im Veranlagungsverfahren des Steuerpflichtigen entschieden; BFH v. 15.3.1995 – I R 14/94, BStBl. II 1995, 502. 2 Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 182; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 10 AStG Rz. 96. 3 V. 20.12.2016, BStBl. I 2016, 3000. 4 BT-Drucks. 18/9536, 59. 5 BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1019; dagegen Nichtanwendungserlass vom 14.12.2015, BStBl. I 2015, 1090. 6 Detailliert dazu Schaumburg, Vorauflage, Rz. 13.200. 7 Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (493).

606 | Oppel

F. Rechtsfolgen | Rz. 13.209 Kap. 13

IV. Vermeidung der Doppelbesteuerung bei Ausschüttungen Schüttet eine Zwischengesellschaft Dividenden an den Hinzurechnungsadressaten aus oder veräußert der Steuerpflichtige eine Beteiligung an der Zwischengesellschaft und sind die zugrundeliegenden Einkünfte der Zwischengesellschaft bereits im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung erfasst worden, kommt es zu einer Doppelbesteuerung. Vor den Änderungen durch das ATADUmsG wurde dieser Effekt durch § 3 Nr. 41 EStG a.F. sowie ggf. § 8 Nr. 5 Satz 2 GewStG abgemildert. Danach waren Gewinnausschüttungen und Veräußerungsgewinne steuerfrei, soweit im Wirtschaftsjahr des Bezugs oder in den vorangegangenen sieben Wirtschaftsjahren aus der betreffenden ausländischen Gesellschaft Hinzurechnungsbeträge der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer unterlegen haben. An die Stelle von § 3 Nr. 41 EStG a.F. ist die konzeptionell neue Regelung des § 11 AStG getreten. Der Gesetzgeber konnte nicht weiter an § 3 Nr. 41 EStG a.F. festhalten.1 Hintergrund dafür ist insbesondere Art. 8 Abs. 5 ATAD. Danach müssen die Mitgliedstaaten im Falle von Gewinnausschüttungen der Zwischengesellschaft die Einkünfte, welche zuvor hinzugerechnet wurden, von der Bemessungsgrundlage zum Abzug zulassen. Dies dient der Vermeidung der Doppelbesteuerung. Mit dieser Vorgabe stand § 3 Nr. 41 EStG a.F. nicht im Einklang, insbesondere nicht im Hinblick auf die zeitliche Begrenzung.

13.206

Die Systematik von § 11 AStG erschließt sich nicht unmittelbar. Abs. 1 legt die Voraussetzungen fest, bei deren Erfüllung der sog. Kürzungsbetrag bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte abgezogen wird. Abs. 2 trifft nähere Regelungen zum Kürzungsbetrag und begrenzt diesen auf die tatsächlich hinzugerechneten Beträge (Hinzurechnungskorrekturvolumen). Abs. 3 bestimmt den Begriff des Hinzurechnungskorrekturvolumens und ordnet an, dass dieses gesondert festzustellen ist. Abs. 4 ordnet eine entsprechende Geltung für Veräußerungsgewinne an. Abs. 5 trifft Sonderregelungen für den Fall, dass Hinzurechnungsbeträge der Gewerbesteuer unterlegen haben.

13.207

Die Berücksichtigung eines Kürzungsbetrags kommt in Betracht, wenn der Steuerpflichtige aus einer ausländischen Gesellschaft Bezüge i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 1 InvStG oder § 20 Abs. 1 Nr. 3a EStG i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 InvStG erhält und für die leistende Gesellschaft Hinzurechnungsbeträge i.S.v. § 10 Abs. 2 AStG der Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterlegen haben. Der Kürzungsbetrag ist erst bei bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte gem. § 2 Abs. 3 EStG abzuziehen (Satz 1), nicht jedoch schon bei der Ermittlung der Einkünfte. Diese Technik führt dazu, dass eine Anrechnung oder ein Abzug ausländischer (Quellen-)Steuer nach den allgemeinen Regelungen des § 34c EStG möglich ist.2 Unterliegen die Gewinnausschüttungen der Abgeltungssteuer (§ 32d EStG), ist der Kürzungsbetrag im Rahmen der Ermittlung der Summe der Kapitalerträge abzuziehen.

13.208

§ 11 Abs. 1 Satz 1 AStG gilt entsprechend für mittelbare Beteiligungen (Satz 2). Nachdem das Konzept der sog. übertragenden Hinzurechnung (§ 14 AStG a.F.) aufgegeben wurde, werden Zwischeneinkünfte nachgeschalteter Gesellschaften grundsätzlich ebenfalls unmittelbar hinzurechnet (§ 7 Abs. 1 Satz 1, 2 AStG). Tatsächlich ist jedoch nur die vermittelnde Gesellschaft in der Lage, an den Hinzurechnungsadressaten eine Gewinnausschüttung zu leisten. Durch die Anordnung der entsprechenden Geltung wird erreicht, dass auch Hinzurechnungsbeträge bezüglich nachgeschalteter Zwischengesellschaften im Rahmen des Kürzungsbetrags bei Aus-

13.209

1 BT-Drucks. 19/28652, 60. 2 BT-Drucks. 19/28652, 61.

Oppel | 607

Kap. 13 Rz. 13.209 | Hinzurechnungsbesteuerung

schüttungen der Obergesellschaft berücksichtigt werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zwischengesellschaft tatsächlich ausschüttet hat oder nicht.1 Ohne diese Regelung blieben Hinzurechnungsbeträge in Bezug auf nachgeschaltete Zwischengesellschaften dauerhaft unberücksichtigt.

13.210

Nähere Regelungen zum Kürzungsbetrag trifft Abs. 2. Nach Satz 1 entspricht der Kürzungsbetrag dem Betrag, mit dem die tatsächliche Gewinnausschüttung i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 AStG bei dem Steuerpflichtigen steuerpflichtig ist. Dies ist nicht der Betrag des Bezugs selbst, sondern der Betrag, mit dem der Bezug in die Bemessungsgrundlage eingegangen ist.2 Dies trägt den Teilfreistellungen für Dividenden nach § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG und § 8b Abs. 1 KStG Rechnung. Diese werden im Hinblick auf den Hinzurechnungsbetrag selbst nämlich gerade nicht angewandt (§ 10 Abs. 2 Satz 4 AStG). Dies ist vor dem Hintergrund des Zwecks der Hinzurechnungsbesteuerung zu verstehen, eine angemessene Vorbelastung der den Gewinnausschüttungen zugrundeliegenden Einkünften sicherzustellen. Ohne die Regelung in § 11 Abs. 2 Satz 1 AStG würde dieser Effekt gerade nicht eintreten. Damit neutralisiert der Kürzungsbetrag lediglich die Erhöhung der Bemessungsgrundlage durch die Dividende, hat auf die Berücksichtigung des Hinzurechnungsbetrags – der die zugrundeliegenden Einkünfte der Zwischengesellschaft in die Bemessungsgrundlage des Hinzurechnungsadressaten ohne Anwendung der (Teil-) Freistellungen für Dividenden transportiert hat – selbst aber keine Auswirkung.

13.211

Besonderheiten sind bei § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG zu beachten. Die Regelung stellt die gesamte Dividende von der Steuer frei. Die sog. Schachtelstrafe ist technisch eine davon unabhängige fiktive (nicht abziehbare) Betriebsausgabe, die in Form einer separaten außerbilanziellen Hinzurechnung berücksichtigt wird.3 Nur wirtschaftlich hat die Regelung (meist) zur Folge, dass die in § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG genannten Bezüge i.E. zu 95 % nicht in die Bemessungsgrundlage eingehen. Trotz dieser Technik muss die Schachtelstrafe im Hinblick auf den Hinzurechnungsbetrag berücksichtigt werden. Anderenfalls käme es zu einer Doppelbesteuerung, welche Deutschland nach den Vorgaben der ATAD in Art. 8 Abs. 5 verhindern muss. Art. 8 Abs. 5 ATAD schützt als Konkretisierung der Grundfreiheiten den Steuerpflichtigen.4 Selbst wenn man mit Blick auf den Wortlaut von § 11 Abs. 1 Satz 1 AStG dazu käme, dass die Fiktion der nicht-abziehbaren Betriebsausgaben nicht zu berücksichtigen wäre, ergäbe sich durch eine richtlinien-konforme Auslegung das hier vertretene Ergebnis.

13.212

§ 11 Abs. 2 Satz 2 AStG stellt dann erstmals die Verbindung zu den tatsächlich besteuerten Hinzurechnungsbeträgen her. § 11 Abs. 1 Satz 1 AStG verlangt nämlich nur abstrakt, dass (irgendwelche) Hinzurechnungsbeträge der betreffenden Gesellschaft (oder nachgeordneter Zwischengesellschaften) der Einkommen- oder Körperschaftsteuer auf Ebene des Hinzurechnungsadressaten unterlegen haben. Satz 2 begrenzt den Kürzungsbetrag dann allerdings auf den Betrag, der bei einer Vollausschüttung des sog. Hinzurechnungskorrekturvolumens steuerpflichtig wäre. Auch so wird sichergestellt, dass es durch den Kürzungsbetrag nicht zu einer Überkompensation kommt und sich nur tatsächlich berücksichtigte Hinzurechnungsbeträge mindernd auswirken können. Die Begrenzung ist für jeden Veranlagungszeitraum, in dem die ausländische Gesellschaft Bezüge leistet, neu zu bestimmen. Dies hat zur Folge, dass Statusver1 BT-Drucks. 19/28652, 60 (mit Beispiel). 2 So auch BT-Drucks. 19/28652, 60 (anders u.U. 62); vgl. nur § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG: „Steuerfrei sind 40 Prozent der Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1“ EStG. 3 Vgl. BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl. II 2018, 144. 4 In diese Richtung auch Böhmer/Gebhardt/Krüger in Kahlenberg/Hagemann, ATAD, Art. 8 Rz. 23.

608 | Oppel

F. Rechtsfolgen | Rz. 13.216 Kap. 13

änderungen im Hinblick auf die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft berücksichtigt werden. Erreicht ein KSt-Steuerpflichtiger beispielweise im Jahr der Hinzurechnung die Mindestbeteiligung i.S.v. § 8b Abs. 4 KStG, im Jahr der tatsächlichen Gewinnausschüttung jedoch nicht mehr, steht das vollständige Hinzurechnungskorrekturvolumen als Kürzungsbetrag zur Verfügung. Erfüllt er hingegen weiterhin die Voraussetzungen der Mindestbeteiligung, kann der Kürzungsbetrag nicht mehr als 5 % des Hinzurechnungskorrekturvolumens betragen. Das Hinzurechnungskorrekturvolumen wird am Ende eines jeden Veranlagungszeitraums für jeden Steuerpflichtigen nach Maßgabe von § 18 AStG gesondert festgestellt. Es wird aus den in die Bemessungsgrundlage der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer eingegangenen Hinzurechnungsbeträgen i.S.v. § 10 Abs. 2 AStG gespeist. Zur Bestimmung ist von dem im laufenden Veranlagungszeitraum auf Ebene des Hinzurechnungsadressaten hinzugerechneten Hinzurechnungsbetrag auszugehen. Dieser Betrag ist um die nach Maßgabe von § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AStG zu berücksichtigen Bezügen (nicht jedoch den Kürzungsbetrag) sowie Veräußerungsgewinnen i.S.v. § 11 Abs. 4 AStG zu vermindern. Sodann ist der Betrag um das zum Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellte Hinzurechnungskorrekturvolumen zu erhöhen. Die Feststellung in Bezug auf den laufenden Veranlagungszeitraum ist also im Verhältnis zur vorangegangenen Feststellung ein Folgebescheid. Das Hinzurechnungskorrekturvolumen kann nicht negativ werden (Satz 3). Die Klarstellung ist notwendig, weil sich bei gemischten Gesellschaften nicht identifizieren lässt, inwieweit den Bezügen i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 AStG Zwischeneinkünfte oder andere Einkünfte zugrunde liegen.

13.213

§ 11 Abs. 4 AStG weitet den Anwendungsbereich auf Veräußerungsgewinne aus, die der Steuerpflichtige durch die (mittelbare) Veräußerung der Zwischengesellschaft erzielt. Neben Veräußerungsgewinnen werden Gewinne aus der Auflösung oder der Herabsetzung des Kapitals erfasst. Der Regelung liegt die Vorstellung zugrunde, dass nicht ausgeschüttete Dividenden durch den Kaufpreis realisiert werden. Dieser Gedanke kam auch in § 3 Nr. 41 Buchst. b EStG a.F. zum Ausdruck.

13.214

§ 11 Abs. 5 AStG trifft schließlich Sonderregelungen für den Fall, dass Hinzurechnungsbeträge der Gewerbesteuer unterlegen haben. Die Höhe des Kürzungsbetrags ist für gewerbesteuerliche Zwecke erst nach der Anwendung von § 8 Nr. 5, § 9 Nr. 7 oder Nr. 8 GewStG zu bestimmen. Zu diesem Zweck wird der Kürzungsbetrag um die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen erhöht. Dies bedeutet, dass sich der ertragsteuerliche und der gewerbesteuerliche Kürzungsbetrag nicht entsprechen müssen.

13.215

V. Steueranrechnung Die Hinzurechnungsbesteuerung führt zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage auf Ebene der Gesellschafter. Dies hindert die Besteuerung der Zwischengesellschaft selbst jedoch nicht. In der Regel wird sie jedenfalls in ihrem Sitz- oder Geschäftsleitungsstaat einer (Ertrags-)Steuer unterliegen. Insoweit besteht kein Missbrauchsvorwurf. Vor diesem Hintergrund wird die zulasten der ausländischen Gesellschaft erhobene Steuer auf Ebene des Hinzurechnungsadressaten durch Anrechnung berücksichtigt. Die Regelungen zur Steueranrechnung sind auch nach den Änderungen im Rahmen des ATADUmsG in § 12 AStG platziert. Sie wurden allerdings grundlegend überarbeitet. Eine Berücksichtigung der von der Zwischengesellschaft gezahlten Steuern bereits bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F.) ist nicht mehr vorgesehen.

Oppel | 609

13.216

Kap. 13 Rz. 13.217 | Hinzurechnungsbesteuerung

13.217

§ 12 Abs. 1 AStG ermöglicht eine Anrechnung von Steuern auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer des Hinzurechnungsadressaten, die zu Lasten der ausländischen Gesellschaft auf die dem Hinzurechnungsbetrag unterliegenden Einkünfte erhoben worden sind. Dies gilt unabhängig davon, ob die Beteiligung an der Zwischengesellschaft unmittelbar oder mittelbar gehalten wird. Steuerschuldner der anzurechnenden Steuer muss also die ausländische Gesellschaft sein. Dies ist auch bei Quellensteuern der Fall, die jemand anderes für die ausländische Gesellschaft abführt. Es kommt nicht darauf an, in welchem Staat diese Steuern entrichtet wurden. Erzielt eine Zwischengesellschaft in Deutschland beschränkt steuerpflichtige Zwischeneinkünfte, kommt ebenfalls eine Anrechnung in Betracht.

13.218

Nicht abschließend geklärt ist, ob die anzurechnende Steuer eine Ertragsteuer sein muss. Dafür spricht, dass die anzurechnende Steuer „auf“ die dem Hinzurechnungsbetrag unterliegenden Einkünfte erhoben werden muss. Maßgeblich ist nach dem Wortlaut also, ob die anzurechnende Steuer an die Einkünfte als Bemessungsgrundlage der steuerlichen Leistungsfähigkeit anknüpft. In Bezug auf die Vorfassung wurde vor diesem Hintergrund die Abzugsfähigkeit von Gewerbeertragssteuern (wohl einschließlich der deutschen Gewerbesteuer) vereinzelt verneint.1 Diese Auffassung ist unzutreffend. Auch eine Steuer auf den Gewerbeertrag – wie die deutsche Gewerbesteuer – ist eine Ertragssteuer.2 Erfolgen Steuererstattungen i.S.v. § 8 Abs. 5 Satz 2 AStG (Rz. 13.169), erfolgt insoweit keine Anrechnung (§ 12 Abs. 1 Satz 2 AStG).

13.219

Die Steuer muss weiterhin tatsächlich erhoben worden sein. Diese Tatbestandsvoraussetzung entspricht der in § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. und § 8 Abs. 5 Satz 3 AStG (Rz. 13.169). Die Anrechnung erfolgt aber unabhängig von dem Zeitpunkt der Zahlung in dem Veranlagungszeitraum, für den die Steuer von der ausländischen Gesellschaft entrichtet werden muss. Dies ergibt sich aus der Verknüpfung mit „dem“ Hinzurechnungsbetrag, der nun phasengleich zugerechnet wird (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG). Wird die anzurechnende Steuer erst nach der Festsetzung der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer gezahlt, ist die Festsetzung nach Maßgabe von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern.3

13.220

Das Gesetz lässt – entsprechend der bisherigen Rechtslage – nur eine Anrechnung auf die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer zu. Eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer ist weiterhin nicht möglich. Übersteigt die ausländische Vorbelastung 15 % der Zwischeneinkünfte, ergibt sich für gewerbesteuerpflichtige Hinzurechnungsadressaten ein Anrechnungsüberhang. Art. 8 Abs. 7 ATAD schreibt allerdings vor, dass der Mitgliedstaat des Hinzurechnungsadressaten einen Abzug der von der ausländischen Gesellschaft entrichteten Steuern von der Steuerschuld des Hinzurechnungsadressaten gewähren muss. Dies wirft die Frage auf, ob die ATAD Deutschland zur Anrechnung der von der ausländischen Gesellschaft gezahlten Steuern auch auf die Gewerbesteuer verpflichtet. Der Wortlaut der ATAD ist unspezifisch und bezieht sich lediglich auf die „Steuerschuld“, nicht aber auf Ertrag- oder gar Körperschaftsteuer. Daraus wird im Schrifttum der Schluss gezogen, eine Anrechnung auch auf die Gewerbesteuer sei durch die ATAD geboten.4 Dies ist indes nicht zwingend.5 Die ATAD entfaltet nämlich nur Wirkung für die Körperschaftsteuer (Art. 1 Abs. 1; vgl. auch Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 ATAD). Daraus kann u.U. geschlossen werden, dass die ATAD nur eine Anrechnung auf die Körperschaftsteu-

1 2 3 4

Zur Vorfassung Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 82. Vgl. zur Hey in Tipke/Lang24, Steuerrecht, Rz. 12.1. BT-Drucks. 19/28652, 62. Vgl. Dehne, ISR 2018, 132 (136); Jacobsen, IStR 2018, 433 (440); Kahlenberg/Prusko, IStR 2017, 304 (309); Linn, IStR 2016, 645 (647); Rieck, IStR 2017, 399 (440); Schönfeld, IStR 2017, 721 (728). 5 Zurückhaltend auch Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 8 Rz. 63.

610 | Oppel

F. Rechtsfolgen | Rz. 13.223 Kap. 13

erschuld vorschreibt. Selbst wenn man aber ein sekundärrechtlichen Anrechnungsgebot auf die Gewerbesteuer verneint, ergibt sich m.E. jedenfalls ein Anrechnungsgebot aus den Grundfreiheiten. Die durch den Anrechnungsübergang bewirkte Benachteiligung von Auslandsengagements ist nicht gerechtfertigt. Weiterhin gebietet auch der allgemeine Gleichheitssatz eine Anrechnung der von der Zwischengesellschaft entrichteten Steuern (Art. 3 Abs. 1 GG).1 Vergleicht man die Situationen eines Steuerpflichtigen, der unmittelbar ausländische Einkünfte erzielt, mit einem Steuerpflichtigen, dem ausländische Einkünfte einer Zwischengesellschaft zugerechnet werden, ist kein Differenzierungsgrund und auch keine Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung erkennbar.2 Die ausländischen Einkünfte unterliegen nämlich nicht der Gewerbesteuer (§ 9 Nr. 3 GewStG). Auch Dividenden ausländischer Gesellschaften unterliegen nicht zwingend der Gewerbesteuer (§ 9 Nr. 7 GewStG). § 12 Abs. 2 AStG betrifft die Anrechnung von Steuern in mehrstöckigen Beteiligungsstrukturen. Während § 12 Abs. 1 AStG die Anrechnung von Steuern zu Lasten der Zwischengesellschaft selbst regelt, ermöglicht § 12 Abs. 2 AStG die Anrechnung von Steuern, die im Staat einer vermittelnden Beteiligung oder Betriebsstätte auf Grundlage einer Hinzurechnungsbesteuerung auf die Zwischeneinkünfte der ausländischen Gesellschaft erhoben werden. Eine Anrechnung ist möglich, soweit auf Grundlage der ausländischen Hinzurechnungsbesteuerung die gleichen passiven Einkünfte in die Bemessungsgrundlage der vermittelnden ausländischen Gesellschaft einbezogen werden wie in die Bemessungsgrundlage des inländischen Hinzurechnungsadressaten.3 Ist die vermittelnde Gesellschaft in einem EU-Land ansässig und entspricht die Definition der Zwischeneinkünfte in diesem Land Art. 7 Abs. 2 ATAD, entfällt die ausländische Hinzurechnungsbesteuerung vollständig auch auf deutsche Zwischeneinkünfte. Durch eine Kombination aus Mindeststandard (Art. 3 ATAD) und Positivliste erfasst § 8 Abs. 1 AStG nämlich in jedem Fall die Zwischeneinkünfte nach der Definition des anwendbaren ausländischen Rechts. Ein weitergehender Nachweis ist dann nicht erforderlich. Anders als bei Abs. 1 erfolgt eine Anrechnung nur auf Antrag und nicht von Amts wegen.

13.221

Bei der Anrechnung sind die Vorschriften des § 34c Abs. 1 EStG bzw. § 26 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 KStG entsprechend anzuwenden (§ 12 Abs. 3 AStG). Es handelt sich um einen Rechtsfolgenverweis. Insoweit hat der Verweis lediglich Bedeutung für die Durchführung der Anrechnung, nicht jedoch dafür, welche Steuern angerechnet werden dürfen. Diese Frage wird nämlich bereits durch § 12 Abs. 1 und Abs. 2 AStG geregelt. Der Verweis bewirkt, dass die sog. Höchstbetragsbegrenzung nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG bzw. § 26 Abs. 2 Satz 1 KStG gilt.4

13.222

VI. Mittelbare Beteiligungen Nach bisherigem Recht kam es bei mittelbaren Beteiligungen an Zwischengesellschaften nicht zu einer unmittelbaren Zurechnung der Zwischeneinkünfte beim Hinzurechnungsadressaten. Stattdessen sah § 14 AStG die sog. übertragende Zurechnung vor. Danach wurden Zwischeneinkünfte von nachgeschalteten Zwischengesellschaften der Obergesellschaft als „Brückenkopf-Gesellschaft“ zugerechnet, dort ggf. mit negativen Zwischeneinkünften anderer nachgeschalteter Zwischengesellschaften verrechnet und als einheitlicher Hinzurechnungsbetrag auf 1 2 3 4

Detailliert Rieck, IStR 2019, 589. Vgl. zur Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG auch Schönfeld, IStR 2017, 721 (728). BT-Drucks. 19/28652, 62. Kielawa-Buzala, IStR 2020, 609 (612); Fu/Wassermeyer in F/W/B/S, § 12 AStG Rz. 67; Fuhrmann in Fuhrmann3, § 12 AStG Rz. 36 f.; Sonntag in S/K/K, § 12 AStG Rz. 19 ff.

Oppel | 611

13.223

Kap. 13 Rz. 13.223 | Hinzurechnungsbesteuerung

Ebene des Hinzurechnungsadressaten erfasst.1 Bei mehr als dreistöckigen Strukturen erfolgte eine stufenweise Zurechnung (§ 14 Abs. 3 AStG). Das Konzept der übertragenden Zurechnung ist mit dem ATADUmsG aufgegeben worden. Nach der ATAD muss nämlich auch im Hinblick auf mittelbare Beteiligungen eine „direkte“ Hinzurechnung beim Hinzurechnungsadressaten erfolgen (Art. 7 Abs. 1 ATAD). Infolgedessen sieht § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG nun vor, dass die Zwischeneinkünfte beim Hinzurechnungsadressaten entsprechend seiner „mittelbaren Beteiligung“ steuerpflichtig sind. Es wird also für jede (mittelbare) Beteiligung ein separater Hinzurechnungsbetrag ermittelt und hinzugerechnet. Ein Verlustausgleich auf Ebene der Brückenkopfgesellschaft findet damit nicht mehr statt. § 7 Abs. 1 Satz 2 AStG und § 12 Abs. 2 AStG tragen den Besonderheiten einer mittelbaren Beteiligung Rechnung.

13.224

§ 7 Abs. 1 Satz 2 AStG setzt auf Tatbestandsebene an: Mittelbare Beteiligungen sind für die Hinzurechnungsbesteuerung unbeachtlich, soweit die Einkünfte bei einer die Beteiligung vermittelnden Person von der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung oder einer vergleichbaren ausländischen Regelung erfasst werden und damit insgesamt keiner niedrigeren Besteuerung i.S.v. § 8 Abs. 5 AStG unterliegen. Kommt es also auf vermittelnden Ebenen zu einer Hinzurechnungsbesteuerung und unterliegen die Zwischeneinkünfte in der Summe insgesamt einer (Ertrags-) Besteuerung von mindestens 25 %, entfällt eine weitere Hinzurechnungsbesteuerung.

13.225

Es kommt nicht darauf an, ob die vermittelnde Gesellschaft inländisch oder ausländisch ist. Dies ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 2 AStG, denn eine „Hinzurechnungsbesteuerung nach diesem Gesetz“ kommt – außer im Sonderfall des § 7 Abs. 1 Satz 4 AStG – nur bei deutschen Gesellschaften in Betracht. Selbst bei einer deutschen vermittelnden Gesellschaft kann es also nach dem Wortlaut zu einer weiteren Hinzurechnungsbesteuerung auf einer nachgelagerten Ebene kommen. Bei einer vermittelnden deutschen Gesellschaft ist es allerdings nicht mehr gerechtfertigt, oberhalb dieser Gesellschaft noch eine Hinzurechnungsbesteuerung anzuordnen. Für die typisierte Unterstellung eines Missbrauchs bleibt dann nämlich kein Raum.2

13.226

Ob die Einkünfte von einer der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung vergleichbaren Regelung erfasst werden, erfordert eine Analyse des ausländischen Rechts. Zweifellos ist das bei allen EU-Ländern der Fall. Diese sind nämlich auf Grundlage der ATAD verpflichtet, eine Hinzurechnungsbesteuerung einzuführen. Bei Drittländern kommt es darauf an, ob die Steuererhebung sich auf die Einkünfte der Zwischengesellschaft bezieht. Dies wäre beispielsweise nicht der Fall, wenn die Einkünfte unter Anwendung der Grundgedanken des wirtschaftlichen Eigentums direkt der vermittelnden Gesellschaft zugerechnet werden. Die Einkünfte wären dann „eigene“ Einkünfte der vermittelnden Gesellschaft.

13.227

Für die Bestimmung einer (weiteren) Hinzurechnungsbesteuerung wird geprüft, ob die hinzuzurechnenden Einkünfte „insgesamt“ keiner niedrigeren Besteuerung i.S.d. § 8 Abs. 5 AStG unterliegen. Die Steuerbelastung auf den verschiedenen Ebenen ist also zusammenzurechnen. Dies schließt die Ebene der Zwischengesellschaft selbst sowie die Ebenen aller vermittelnden Gesellschaften ein.3 Durch den Verweis auf § 8 Abs. 5 AStG wird deutlich, dass die Prüfungsmaßstäbe des § 8 Abs. 5 AStG im Hinblick auf die insgesamt auf die Zwischeneinkünfte entrichteten Steuern anzuwenden sind. Die tatsächlich erhobenen Steuern sind dazu in das Ver-

1 Detailliert dazu Schaumburg, Vorauflage, Rz. 13.222. 2 Kritisch auch Linn, IStR 2020, 77 (79); Schneider/Hruschka in Steuerberater-Jahrbuch 2020/2021, 285; Kielawa-Buzala, IStR 2020, 609 (610). 3 Vgl. Kielawa-Buzala, IStR 2020, 609 (610).

612 | Oppel

F. Rechtsfolgen | Rz. 13.231 Kap. 13

hältnis zu den Zwischeneinkünften zu setzen. Fraglich ist, welche Steuern einzubeziehen sind. § 8 Abs. 5 AStG stellt auf „Ertragsteuern“ ab. Maßgeblich ist, ob die Steuer an das Einkommen als Bemessungsgrundlage anknüpft. Damit gehen auch Gewerbeertragsteuern – wie insbesondere die deutsche Gewerbesteuer – als Ertragsteuer in die Betrachtung ein. Auch der Solidaritätszuschlag ist zu berücksichtigen. Selbst bei deutschen Gesellschaften als vermittelnde Gesellschaften kommt allerdings eine unzureichende Vorbelastung in Betracht. Unterschreitet die Vorbelastung im Ausland 15 %, liegt stets eine Niedrigbesteuerung vor, wenn der Gewerbesteuerhebesatz unter 263 %1 liegt. Oberhalb einer ausländischen Vorbelastung von 18 % kommt auf Grundlage der „Mindestgewerbesteuer“ von 7 % (Hebesatz 200 Prozent) keine Niedrigbesteuerung mehr in Betracht.2 Ist eine Vorbelastung von 25 % nicht gegeben, kommt es tatbestandsmäßig zu einer Hinzurechnungsbesteuerung. Die Folgen können dann durch Steueranrechnung nach Maßgabe von § 12 Abs. 2 AStG abgemildert werden (Rz. 13.221). Allerdings führt die fehlende Möglichkeit zur Anrechnung auf die Gewerbesteuer zu Verwerfungen. Bei vermittelnden inländischen Gesellschaften wird nämlich die Gewerbesteuer auf Ebene der vermittelnden inländischen Gesellschaft nicht angerechnet. Im Ergebnis fällt auf den Hinzurechnungsbetrag doppelte Gewerbesteuer an.3 Dieses Ergebnis kann in geeigneten Fallgestaltungen durch die Begründung einer Organschaft vermieden werden.

13.228

VII. Beteiligung an Kapitalanlagegesellschaften 1. Hintergrund In § 7 Abs. 6, 6a AStG a.F. war die sog. erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung für Kapitalanlagegesellschaften vorgesehen. Die Regelungen sind nun – im Kern unverändert4 – in § 13 AStG gebündelt. Die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung greift auf Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter zu. Der wichtigste Unterschied zur Hinzurechnungsbesteuerung i.S.v. § 7 Abs. 1 AStG liegt darin, dass es unabhängig von einer Mindestbeteiligung zu einer Hinzurechnungsbesteuerung kommen kann. Unter besonderen Voraussetzungen greift die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung erst ab einer Mindestbeteiligung von 1 % ein.

13.229

Die ATAD enthält keine Vorgaben in Bezug auf die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung. Der deutsche Gesetzgeber geht also über die Vorgaben der ATAD deutlich hinaus. Im Hinblick auf das Mindestschutzniveau (Art. 3 ATAD) ist der Erlass von Regelungen wie § 13 AStG unter Beachtung der Grundfreiheiten zulässig.

13.230

Die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung geht auf eine Ergänzung im Rahmen des Steueränderungsgesetzes aus 1992 zurück5 und ist seither mehrfach verschärft worden.6 Durch die Regelung sollte den besonderen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Anlage liquider Mittel Rechnung getragen werden.7 Der Zweck ist mittlerweile dahingehend konkretisiert worden, dass

13.231

1 KSt + SolZ + GewSt = 15 % + 0,8 % + 9,2 % = 25 %. 2 Vgl. für detaillierte Berechnungen Kielawa-Buzala, IStR 2020, 609. 3 Vgl. für Zahlenbeispiele Kielawa-Buzala, IStR 2020, 609; Schneider/Hruschka in Steuerberater-Jahrbuch 2020/2021, 244 (285). 4 Vgl. auch BT-Drucks. 19/28652, 63. 5 Steueränderungsgesetz 1992 v. 25.2.1992, BGBl. I 1992, 297. 6 Zur Regelungshistorie vgl. bspw. Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 101; BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 (Rz. 45 ff.). 7 BT-Drucks. 12/1108, 79; zu systematischen Bedenken Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 103.

Oppel | 613

Kap. 13 Rz. 13.231 | Hinzurechnungsbesteuerung

„Umgehungen durch internationale Beteiligungsstreuung“ entgegengewirkt werden soll.1 Bei der Missbrauchsabwehr muss sich der Gesetzgeber jedoch auf solche Tatbestände beschränken, bei denen eine Einkünfteverlagerung in das Ausland auf der Grundlage einer typisierenden Betrachtungsweise unterstellt werden kann oder bei der die Umstände eine Einkünfteverlagerung indizieren.2 Jedenfalls bei einer Beteiligung von unter 1 % wird man dies nicht mehr pauschal annehmen können. Die Regelung bewirkt nur noch, dass ausländische Kapitalanlagegesellschaften schärfer besteuert werden als inländische.3 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der nun in § 13 Abs. 4 AStG enthaltenen Gegenbeweismöglichkeit (Rz. 13.239). Danach ist der Hinzurechnungsadressat verpflichtet, den Substanznachweis „entsprechend“ § 8 Abs. 2 AStG zu erbringen. Dies setzt allerdings umfangreiche Kenntnisse über die Verhältnisse auf Ebene der ausländischen Gesellschaft voraus, die i.d.R. nicht ohne Mitwirkung der ausländischen Gesellschaft erlangt werden können. Dem Inhaber einer Splitterbeteiligung werden diese Informationen oft nicht zur Verfügung stehen, so dass die Gegenbeweismöglichkeit faktisch keinen Wert hat und damit auf Rechtfertigungsebene nicht berücksichtigt werden kann.

2. Struktur der Vorschrift und Verhältnis zum InvStG 13.232

§ 13 AStG ist in fünf Absätze aufgeteilt. Abs. 1 regelt die Tatbestandsvoraussetzungen für die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung. Abs. 1 wird durch eine Definition der Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter in Abs. 2 ergänzt. Abs. 3 AStG enthält Sondervorschriften für REITGesellschaften. Ein Substanznachweis ist in Abs. 4 AStG vorgesehen. Zudem verweist Abs. 4 Satz 1 umfangreich auf weitere Vorschriften in Bezug auf den Hinzurechnungsbetrag (§ 10 AStG), den Kürzungsbetrag (§ 11 AStG) sowie die Steueranrechnung (§ 12 AStG).

13.233

Abschließend ordnet Abs. 5 AStG – im Unterschied zu § 7 Abs. 5 AStG – einen uneingeschränkten Vorrang des InvStG an, soweit die Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter den Vorschriften dieses Gesetzes unterfallen. Danach ist die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung nicht anzuwenden, wenn auf die Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter die Vorschriften des InvStG anwendbar sind. Im Verhältnis zu § 7 Abs. 5 AStG handelt es sich um die speziellere Vorschrift (Rz. 13.42). Der Vorrang gilt also unabhängig vom Umfang der Beteiligung des Hinzurechnungsadressaten. Anders als im Rahmen von § 7 Abs. 5 AStG schirmt eine Kapitalanlagegesellschaft in Form eines Investmentfonds oder eines Spezialinvestmentfonds auch gegen nachgeschaltete Zwischengesellschaften ab, selbst wenn diese nicht den Vorschriften des InvStG unterfallen (§ 13 Abs. 5 Satz 2 AStG).

3. Tatbestandsvoraussetzungen 13.234

Die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung kommt nur bei unbeschränkt Steuerpflichtigen in Betracht. Eine § 7 Abs. 1 Satz 4 AStG entsprechende Regelung, welche eine Hinzurechnungsbesteuerung auch bei beschränkt Steuerpflichtigen mit inländischer Betriebsstätte vorsieht, ist nicht vorgesehen.

13.235

Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 AStG sind bei einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft deren niedrig besteuerte Einkünfte (§ 13 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 8 Abs. 5 AStG) mit Kapitalanlagecharakter entsprechend der Beteiligung am Nennkapital 1 BT-Drucks. 19/28652, 63. 2 Vgl. zu den Anforderungen an die Rechtfertigung von Missbrauchsvorschriften Hey in Tipke/ Lang24, Rz. 3.129, 3.148. 3 Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 103; Haase, Ifst-Schrift 521, 95.

614 | Oppel

F. Rechtsfolgen | Rz. 13.238 Kap. 13

dem unbeschränkt Steuerpflichtigen zuzurechnen. Dies gilt selbst dann, wenn die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG im Übrigen nicht erfüllt sind. Mit anderen Worten: Es kommt unabhängig von einer Mindestbeteiligung zu einer Hinzurechnungsbesteuerung. Satz 4 nimmt den sehr weitgehenden Grundtatbestand etwas zurück, indem die Vorschrift in bestimmten Fällen die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung erst ab einer Mindestbeteiligung von 1 % eingreifen lässt. Positiv gewendet greift die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung unabhängig von einer Mindestbeteiligung nur ein, wenn die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft ausschließlich oder nahezu ausschließlich – d.h. zu mindestens 90 %1 – aus Einkünften mit Kapitalanlagecharakter bestehen. Wenn mit den Aktien an der ausländischen Gesellschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Börsenhandel stattfindet, ist unabhängig von der Art der Einkünfte für die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung eine Mindestbeteiligung von 1 % notwendig.2 § 13 Abs. 1 Satz 3 AStG sieht – wie zuvor § 7 Abs. 6 Satz 2 AStG – Ausnahmen von der erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung nach Art einer Freigrenze vor. Diese ist jedoch unangemessen niedrig angesetzt. Danach kommt es nicht zur erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung, wenn die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft mit Kapitalanlagecharakter 10 % der gesamten Einkünfte der ausländischen Gesellschaft nicht überschreiten. Dies gilt jedoch nicht, wenn aufgrund dieser Ausnahmeregelung bei einer Zwischengesellschaft oder einem Steuerpflichtigen ein Betrag von mehr als EUR 80.000 außer Ansatz bleibt. Diese absoluten Grenzen – insbesondere im Hinblick auf die ausländische Gesellschaft – sind so niedrig angesetzt, dass sie praktisch nur selten eine Rolle spielt.

13.236

§ 13 Abs. 1 Satz 2 AStG ordnet eine entsprechende Geltung von § 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 AStG an (Rz. 13.68). Im Falle mittelbarer Beteiligungen unterbleibt also eine Hinzurechnungsbesteuerung, wenn die Zwischeneinkünfte aufgrund einer Hinzurechnungsbesteuerung auf der Ebene vermittelnder Gesellschaften nicht niedrig i.S.v. § 8 Abs. 5 AStG besteuert sind (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AStG). Erfolgt die Gewinnverteilung nicht anhand des Nennkapitals, ist der andere Gewinnverteilungsmaßstab auf das Ausmaß der Hinzurechnung zu übertragen (§ 7 Abs. 1 Satz 3 AStG).

13.237

§ 13 Abs. 2 AStG definiert den Begriff der Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter. Dies sind nach Satz 1 Einkünfte (einschließlich Veräußerungsgewinnen), die aus dem Halten, der Verwaltung, der Werterhaltung oder der Werterhöhung von Zahlungsmitteln, Wertpapieren, Beteiligungen (ausgenommen Einkünfte i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 7 und 8 AStG) oder ähnlichen Vermögenswerten stammen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Einkünfte nach Maßgabe der funktionalen Betrachtungsweise den Einkünften i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1–6 AStG unterfallen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 AStG). Auf der anderen Seite gehören Nebenerträge der Kapitalanlageeinkünfte, zum Beispiel aus Sicherungsgeschäften, zu den Kapitalanlageeinkünften. Zu den Einkünften mit Kapitalanlagecharakter gehören auch die Einkünfte einer REIT-Aktiengesellschaft, falls mit den Aktien dieser Gesellschaft kein wesentlicher und regelmäßiger Börsenhandel stattfindet (§ 13 Abs. 3 AStG). Diese Vorschrift führt im Wesentlichen § 7 Abs. 8 AStG a.F. fort. Die Vorschriften über den Hinzurechnungsbetrag (§ 10 AStG), den Kürzungsbetrag (§ 11 AStG) und die Steueranrechnung (§ 12 AStG) gelten im Rahmen von § 13 AStG entsprechend (§ 13 Abs. 4 Satz 1 AStG).

13.238

1 BT-Drucks. 19/28652, 63. 2 Zu den Details der Börsenausnahme vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 141; BT-Drucks. 19/28652, 63.

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Kap. 13 Rz. 13.239 | Hinzurechnungsbesteuerung

4. Substanzausnahme 13.239

§ 13 Abs. 4 Satz 1 AStG sieht durch Verweis auf § 8 Abs. 2 AStG eine sog. Substanzausnahme auch im Rahmen der erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung vor. Bisher war diese auf Kapitalanlagegesellschaften im EU/EWR-Raum beschränkt (§ 8 Abs. 2 AStG a.F.). § 13 Abs. 4 Satz 1 AStG verweist jedoch nicht auch auf § 8 Abs. 3 AStG, welcher die Substanzausnahme im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung auf Grundlage von § 7 Abs. 1 AStG auf EU/EWR-Fälle begrenzt. Damit steht Substanzausnahme auch für Drittstaatengesellschaften zur Verfügung. Hintergrund ist die Rechtsprechung des EuGH. Danach beschränkt die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV). Diese schützt auch in Drittstaatensachverhalten.1 Die Beschränkung muss muss gerechtfertigt sein, etwa durch die Bekämpfung rein künstlicher Gestaltungen. Dem Steuerpflichtigen muss jedoch stets die Möglichkeit eröffnet werden, für den Einzelfall nachzuweisen, dass die Gestaltung nicht künstlich ist. § 8 Abs. 2 AStG eröffnet dem Steuerpflichtigen diese Möglichkeit.

13.240

Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 AStG gilt § 8 Abs. 2 AStG „entsprechend“. Dies erlaubt es, bei der Auslegung von § 13 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 8 Abs. 2 AStG die Besonderheiten der Kapitalverkehrsfreiheit zu berücksichtigen. Obgleich durch die Verweisung die gleiche Vorschrift zur Anwendung kommt, sind die Maßstäbe für den Substanznachweis bei Kapitalanlagegesellschaften andere als im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 1 AStG.2

13.241

§ 8 Abs. 2 AStG geht auf die Rechtsprechung des EuGH i.S. Cadbury Schweppes zurück (Rz. 13.151). Eine Rechtfertigung eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit erfordert nach dieser Rechtsprechung, dass die fragliche nationale Regelung speziell darauf abzielt, Verhaltensweisen entgegenzuwirken, durch die rein künstliche Gestaltungen errichtet werden. In der Cadbury-Entscheidung hatte der EuGH den Begriff der rein künstlichen Gestaltung für die Niederlassungsfreiheit konkretisiert.3 Danach liegt eine rein künstliche Gestaltung vor, wenn auf der Grundlage objektiver, von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte festgestellt wird, dass die Gesellschaft eine fiktive Ansiedlung ohne wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates ist. Maßgeblich ist, ob eine Ansiedlung greifbar vorhanden ist. Dies wird anhand von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen festgestellt. Insbesondere Briefkasten- und Strohfirmen sind danach künstlich. In allen anderen Fällen kommt keine rein künstliche Gestaltung in Betracht.

13.242

Die Niederlassungsfreiheit zielt darauf ab, eine freie Niederlassung zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern zu ermöglichen. Demgegenüber verfolgt die Kapitalverkehrsfreiheit ein anderes Ziel, nämlich die Liberalisierung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Schutzrichtungen deckt sich der Begriff der rein künstlichen Gestaltung im Rahmen der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit nicht „unbedingt“ mit dem Begriff im Rahmen der Prüfung eines Eingriffs in die Kapitalverkehrsfreiheit.4 Die künstliche Schaffung der Voraussetzungen, unter denen unberechtigt ein Steuervorteil in Anspruch genommen werden kann, kann beim grenzüberschreitenden Kapitalverkehr nämlich in verschiedenen Formen als lediglich einer künstlichen Ansiedlung erfolgen. Nach der Rechtsprechung des EuGH können die im Rahmen der Cadbury-Entschei1 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17, ECLI:EU:C:2019:136 = HFR 2018, 432 – X GmbH. 2 Köhler, ISR 2021, 201 (203); Ditz/Quilitzsch, Ubg 2021, 485 (492); Ditz/Ekinci, Ubg 2021, 361 (363); zurückhaltender Eimler, FR 2021, 822 (825) (Prüfungsmaßstäbe stimmen nicht „hundertprozentig überein“). 3 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes. 4 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17, ECLI:EU:C:2019:136 = HFR 2018, 432 – X GmbH.

616 | Oppel

F. Rechtsfolgen | Rz. 13.246 Kap. 13

dung entwickelten Indizien (Geschäftsräume, Personal und Ausrüstungsgegenstände) zwar herangezogen werden, um den wirtschaftlichen Grund für die Einschaltung für eine Gesellschaft ohne eigene wirtschaftliche Tätigkeit zu bewerten. Jedoch könne der Begriff der künstlichen Gestaltung auch Vorkehrungen umfassen, bei der das Hauptziel oder eines der Hauptziele darin besteht, durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates erzielte Gewinne künstlich in Drittländer mit niedrigerem Besteuerungsniveau zu transferieren. Damit ist es nicht zwingend, dass die Kapitalanlagegesellschaft greifbar im Aufnahmestaat angesiedelt ist und dies durch Geschäftsräume, Personal und Ausrüstungsgegenstände nachgewiesen wird. Vielmehr ist eine Prüfung entsprechend der allgemeinen Missbrauchsregelung in Art. 6 ATAD vorzunehmen. Danach ist eine Gestaltung nur missbräuchlich, wenn objektiv eine künstliche Gestaltung vorliegt und der bzw. ein wesentlicher Zweck darin besteht, einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu erlangen.1 Solange eine Gestaltung nicht künstlich ist,2 darf der Steuerpflichtige nach Steuervorteilen streben. Dies hat die große Kammer des EuGH zuletzt prominent in den sog. Dänischen Verfahren hervorgehoben.3 Diese Differenzierung ist dem schlichten Verweis in § 13 Abs. 4 Satz 1 AStG nicht zu entnehmen. Gleichwohl ist die Vorschrift im Lichte der Grundfreiheiten auszulegen.

13.243

Weitere Voraussetzung der Substanzausnahme ist, dass der Sitz bzw. Geschäftsleitungsstaat im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustausches Auskünfte erteilt, die zur Durchführung der Besteuerung erforderlich sind (§ 13 Abs. 4 Satz 2 AStG).

13.244

VIII. Verfahrensrechtliche Aspekte Verfahrensrechtliche Aspekte der Hinzurechnungsbesteuerung sind in §§ 16 – 18 AStG geregelt. §§ 16, 17 AStG betreffen die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen (Rz. 22.39). § 18 AStG sieht eine besondere Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 bis 13 AStG vor.

13.245

Nach § 18 Abs. 1 AStG werden die Besteuerungsgrundlagen für die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 – 13 AStG gesondert festgestellt. Dies betrifft insbesondere den Hinzurechnungsbetrag, die anrechenbaren Steuern, das Hinzurechnungskorrekturvolumen und einen Verlustvortrag. Sind an einer Zwischengesellschaft mehrere Hinzurechnungsadressaten beteiligt, so erfolgt die gesonderte Feststellung ihnen gegenüber einheitlich. Zuständig ist das Finanzamt, dass bei dem unbeschränkt Steuerpflichtigen für die Ermittlung der Einkünfte aus der Beteiligung örtlich zuständig ist (§ 18 Abs. 2 Satz 1 AStG). Gehört die Beteiligung zum Privatvermögen, ist dies das Wohnsitz-Finanzamt (§ 19 AO). Bei Zugehörigkeit zum Betriebs- oder Sonderbetriebsvermögen, ist entsprechend das Betriebs- bzw. Geschäftsleitungsfinanzamt zuständig (§ 18 AO). Wird die Beteiligung von einer Kapitalgesellschaft gehalten, ist das Geschäftsleitungsfinanzamt zuständig (§ 20 AO). Kommt es zu einer einheitlichen Feststellung, ist das Finanzamt zuständig, das für den Beteiligten mit der höchsten Beteiligung zuständig ist (§ 18 Abs. 2 Satz 2 AStG). Lässt sich keine Zuständigkeit nach Maßgabe von § 18 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AStG feststellen, ist das Finanzamt zuständig, dass als erstes mit der Sache befasst ist.

13.246

1 Im Ergebnis so auch Köhler, ISR 2021, 201 (203). 2 Ausführlich dazu Prusko in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 6 Rz. 186 ff. 3 EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:135 = IStR 2019, 266 – T Danmark; EuGH v. 26.2.2019 – C-115/16 u.a., ECLI:EU:C:2019:134 – N Luxembourg.

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Kap. 13 Rz. 13.247 | Hinzurechnungsbesteuerung

13.247

Jeder an einer ausländischen Zwischengesellschaft1 Beteiligter hat eine Feststellungserklärung abzugeben (§ 18 Abs. 3 Satz 1 AStG).2 Beruft er sich auf den Substanznachweis gem. § 8 Abs. 2 AStG, ist dies nach amtlichem Vordruck anzuzeigen (§ 18 Abs. 3 Satz 2 AStG). Die Anzeige muss die Angaben enthalten, die für die Prüfung der Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 AStG notwendig sind. Gleichwohl kann das Finanzamt eine Feststellungserklärung verlangen. Gibt es mehrere Hinzurechnungsadressaten, können diese eine gemeinsame Erklärung bzw. Anzeige abgeben.

1 Schönfeld/Engler in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 402. 2 Zu Details Haun/Schneider, IStR 2022, 116.

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Kapitel 14 Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen

A. Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 B. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 14.7 C. Gegenstand der Zurechnung . . . . . . 14.12 D. Hinzurechnungsadressat I. Subjekte der Einkünftezurechnung . . 14.15 II. Unbeschränkte Steuerpflicht . . . . . . . 14.16

III. IV. E. F. G.

Stifter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Destinatäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Escape-Klausel § 15 Abs. 6 AStG . . Einkünfteermittlung . . . . . . . . . . . . Behandlung bei den Hinzurechnungsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . .

14.18 14.21 14.27 14.34 14.37

Literatur: Kommentare zu § 15 AStG; Birnbaum/Lohbeck/Pöllath, Die Verselbstständigung von Nachlassvermögen: Stiftung, Trust und andere Gestaltungen im Vergleich 2. Teil: Das ausländische Rechtsinstitut des Trusts, FR 2007, 479; Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, München; Desens/Hummel, Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung der Destinatäre bei der Auflösung einer Stiftung mit Einkommen- und Schenkungsteuer, DStZ 2011, 710; Flick/Wassermeyer/ Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Köln; Fuhrmann, Außensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl. Herne 2017; Gosch/Grotherr/Bergmann, Steuerplanung und Compliance, Handbuch, Loseblatt, Herne; Haase, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, 3. Aufl. Heidelberg 2016; Hey, Hinzurechnungsbesteuerung bei ausländischen Familienstiftungen gem. § 15 AStG i.d.F. des JStG 2009 – europa- und verfassungswidrig!, IStR 2009, 181; Hopt/Reuter, Stiftungsrecht in Europa, Köln 2001; Jahn/Oppel, Destinationszahlungen einer Familienstiftung stellen Einkünfte aus Kapitalvermögen dar, DB 2011, 1187; Kellersmann/Schnitger, Europarechtliche Bedenken hinsichtlich der Besteuerung ausländischer Familienstiftungen, IStR 2005, 253; Kinzl, Nachfolgeplanung mit Familienstiftungen: § 15 AStG zwischen Hindernis und Europarechtswidrigkeit, IStR 2005, 624; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Herne 2010; Kirchhain, Neues von der Zurechnungsbesteuerung – Gedanken zur geplanten Neufassung des § 15 AStG durch das JStG 2013, IStR 2012, 602; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 1. Aufl. München 2018; Kraft, Außensteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl. München, 2019; Kraft/Hause, Die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 15 AStG zur Besteuerung ausländischer Familienstiftungen und ihrer Begünstigten in Deutschland, DB 2006, 414; Kraft/Moser/Gebhardt, Neukonzeption der Besteuerung ausländischer Familienstiftungen durch das JStG 2013, DStR 2012, 1773; Kraft/Schulz, Zwischengesellschaften im Kontext ausländischer Familienstiftungen – Entwicklungen durch das Jahressteuergesetz 2013, IStR 2012, 897; Kutac, Die Familienstiftung in Deutschland und Lichtenstein – Ein Besteuerungsvergleich, IStR 2021, 409; Lüdicke/Eiling, Nutzung von US-Trusts in der Nachfolgeplanung, IStR 2017, 841; Moser, Zur Abschirmwirkung von EU/EWR-Stiftungen bei mehrstöckigen Strukturen im Kontext des § 15 AStG, Ubg 2013, 692; Moser, § 15 AStG idF des Referentenentwurfs des ATAD-Umsetzungsgesetzes, DStR 2020, 900; Moser/Gebhardt, Diskussionsanstöße zu einer grundlegenden Reform des § 15 AStG nach dem Scheitern des JStG 2013, ISR 2013, 84; Oppel, Die österreichische Privatstiftung, Hamburg 2014; Osterheld/Opel, Vorentwurf für einen Schweizer Trust, StR 2022, S. 266; Richter, Stiftungsrecht, 1. Aufl. München 2019; Richter/Wachter, Handbuch des internationalen Stiftungsrechts, Bonn 2007; Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, Köln 2015; Schienke-Ohletz/ Kühn, Doppelbesteuerung bei Auskehrungen aus ausländischen Trusts?, DStR 2022, S. 1413; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2020; Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Aufl. Köln 2021; Sieger/Bank, Erhalt von Einflussmöglichkeiten des Stifters auf die Geschäftsfähigkeit einer zivilrechtlichen Stiftung, NZG 2010, 641; Staudinger, BGB, Kommentar, Buch 1: Allgemeiner Teil: §§ 80-

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Kap. 14 Rz. 14.1 | Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen 89 Stiftungsrecht, Berlin 2017; Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, Loseblatt, Bonn; Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Loseblatt, Köln; Tipke/ Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. Köln 2021; Tischendorf, Die Besteuerung von Trusts – alte und neue Fragen, IStR 2022, 445 (Teil 1) und 489 (Teil 2); Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Kommentar zu allen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, Loseblatt, München; Wassermeyer, Einkommenszurechnung nach § 15 AStG, IStR 2009, 191; Winter/Heppe, Zum Willen des Steuergesetzgebers bei ausländischen Familienstiftungen, BB 2013, 2775; Werder/Dannecker, Änderung der Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG – Anmerkung zum Entwurf des JStG 2013, BB 2012, 2278.

A. Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung 14.1

Rechtsfähige Stiftungen sind nach deutschem Recht als sonstige juristische Personen Körperschaftsteuersubjekte (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG).1 Dementsprechend behandelt das deutsche Steuerrecht inländische wie ausländische Stiftungen – wenn diese nach Maßgabe des Rechtstypenvergleichs mit deutschen Stiftungen vergleichbar sind2 – als eigenständige Steuersubjekte. Eine Besteuerung der (unbeschränkt steuerpflichtigen) Begünstigten ist grundsätzlich erst möglich, wenn die in- oder ausländische Stiftung Leistungen an diese Begünstigten gewährt (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG)3 oder Stiftungsvermögen anlässlich der Aufhebung an die Anfallsberechtigten auskehrt (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG).4 Ist eine Stiftung wirtschaftliche Eigentümerin des Stiftungsvermögens,5 schirmt sie dieses also gegenüber den Begünstigten steuerlich ab. Dies gilt selbst für Familienstiftungen, deren Zweck (allein) in der materiellen Förderung der Mitglieder einer oder mehrerer bestimmter Familien besteht. Die Errichtung einer ausländischen Stiftung kann als Gestaltungsinstrument in Betracht kommen, um den Anfall inländischer (Ersatz-) Erbschaftsteuer zu vermeiden und Thesaurierungsvorteile zu nutzen.6 Dies gilt insbesondere dann, wenn die Stiftung im Ausland keiner oder nur einer niedrigeren Steuer unterliegt. Daneben werden ausländische Familienstiftungen in Zuzugsfällen genutzt, um eine „Steuerverstrickung“ des Eigentums des Zuziehenden in Deutschland zu vermeiden.7 § 15 Abs. 4 AStG erweitert den Anwendungsbereich zudem über Stiftungen hinaus auf „sonstige Zweckvermögen, Vermögensmassen und rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Personenver-

1 Vgl. Levedag in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 1 KStG Rz. 82. 2 Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 302; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 41; dazu jüngst auch FG Münster v. 14.8.2019 – 13 K 3170/17 K, EFG 2019, 1705 ff. 3 Zur einkommensteuerlichen Behandlung von Stiftungsleistungen vgl. detailliert Jahn/Oppel, DB 2011, 1187 f.; Oppel, Die österreichische Privatstiftung, 182 ff. u. 227 ff.; Richter, Stiftungsrecht, 731 ff. 4 Zum Verhältnis zwischen § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG und § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG vgl. Desens/Hummel, DStZ 2011, 710 ff.; Oppel, Die österreichische Privatstiftung, 187 f.; jüngst BFH v. 25.6.2021 – II R 31/19, BStBl. II 2022, 659, Rz. 31. 5 Anderenfalls ist das Vermögen und sind die hieraus fließenden Erträge z.B. dem Stifter als wirtschaftlichem Eigentümer zuzurechnen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO); BFH v. 6.5.1989 – VIII R 196/84, BStBl. II 1989, 877; v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 196; BMF v. 14.5.2008 – IV B 4 - S 1361/07/0001, BStBl. I 2008, 638; zu steuerstrafrechtlichen Implikationen in diesem Zusammenhang Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 15.212 ff. 6 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 11; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 2. 7 Kleinert/Lennert in Gosch/Grotherr/Bergmann, Teil 7, Beitrag 2, Rz. 4.

620 | Oppel

A. Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung | Rz. 14.3 Kap. 14

einigungen“. Diese Regelung soll strukturell und funktional vergleichbare Vehikel erfassen, insbesondere Trusts.1 Vor diesem Hintergrund bezweckt der Gesetzgeber mit § 15 AStG – in Anknüpfung an § 12 StAnpG 19342 – als besondere Missbrauchsvermeidungsvorschrift, der Steuerflucht und Steuervermeidung unter Nutzung ausländischer Stiftungen entgegenzuwirken.3 Hierdurch soll der Einsatz ausländischer Familienstiftungen unattraktiv werden. Bedeutende Stiftungsjurisdiktionen sind Liechtenstein,4 die Schweiz5 und Österreich.6

14.2

§ 15 AStG lässt dabei zwar die Steuerrechtssubjektivität der Familienstiftung unberührt. Allerdings wird die grundsätzliche Abschirmwirkung von ausländischen Stiftungen – konzeptionell vergleichbar mit der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 – 13 AStG – durchbrochen. Hierzu werden vorrangig dem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter Einkünfte und Vermögen7 der Familienstiftung für ertragsteuerliche Zwecke (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 AStG) zugerechnet. Ist der Stifter nicht unbeschränkt steuerpflichtig, sind (anteilige) Hinzurechnungsadressaten die unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugs- und Anfallsberechtigten der Stiftung. Einzige sachliche Anwendungsvoraussetzung ist, dass die ausländische Stiftung eine Familienstiftung ist. Eine Familienstiftung liegt nach der Legaldefinition des § 15 Abs. 2 AStG vor, wenn der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind. Auf eine (mögliche) steuerliche Vorteilhaftigkeit der Stiftung kommt es nicht an. Es gibt keine Niedrigsteuergrenze wie in § 8 Abs. 5 AStG und auch keinen Katalog schädlicher Einkünfte wie in § 8 Abs. 1 AStG. Zurechnung meint die steuerliche Zuordnung in persönlicher Hinsicht.8 Seit dem Veranlagungszeitraum 2013 sind die Einkünfte der Familienstiftung Gegenstand der Hinzurechnung und nicht länger das Einkommen der Stiftung.9 Damit wurde § 15 AStG weiter der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG angenähert. Der Hinzurechnungsadressat muss also die Einkünfte der ausländischen Familienstiftungen – typischerweise aus Kapitalvermögen des Gewerbebetriebs – als eigene Einkünfte versteuern, ohne dass von ihm weitere Einkünfte persönlich erzielt werden müssen. Die Stiftung kann diese Einkünfte – mangels gesetzlicher Regelung – nicht bei sich abziehen. Die anderweitige Zurechnung der Einkünfte schließt die Besteuerung der ausländischen Familienstiftung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht

1 Zu praktisch bedeutsamen Einzelfällen Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 360; zu aktuellen Fragen Tischendorf, IStR 2022, 445 (Teil 1), 489 (Teil 2). 2 Zur Regelungshistorie Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 1; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 1. 3 BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 589; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 16; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 13; Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 1; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 5 ff. 4 Kleinert/Lennert in Gosch/Grotherr/Bergmann, Teil 7, Beitrag 2, Rz. 12 ff. 5 Zur aktuellen Diskussion bzgl. der Einführung eines Schweizer Trusts Osterheld/Opel, StR 2022, 266. 6 Vgl. hierzu den Überblick bei Richter/Wachter, Handbuch des internationalen Stiftungsrechts, 673 ff.; Hopt/Reuter, Stiftungsrecht in Europa, 595 ff.; Jakob in Richter, Stiftungsrecht, § 30; Oppel, Die österreichische Privatstiftung, passim. 7 Die Vermögensteuer wird nicht mehr erhoben, so dass die Hinzurechnung insoweit ins Leere geht. 8 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 45. 9 Vgl. zu der alten Rechtslage Winter/Heppe, BB 2013, 2775 (2775); zu den Hintergründen BTDrucks. 17/10000, 67.

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14.3

Kap. 14 Rz. 14.3 | Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen

nicht aus.1 Eine etwa erhobene deutsche Körperschaftsteuer ist allerdings gem. § 15 Abs. 5 AStG grds. anrechenbar.2

14.4

§ 15 AStG verfolgt das – an sich legitime3 – Ziel, Steuer- und Kapitalflucht zu verhindern. Die Vorschrift geht aber darüber hinaus und erfasst ohne Gegenbeweismöglichkeit Sachverhalte, in denen Steuer- und Kapitalflucht nicht vorliegt. So unterscheidet § 15 AStG bspw. nicht danach, ob die Stiftung von einem unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtigen Stifter errichtet wurde. Auch wird nicht danach differenziert, ob Bezugs- oder Anfallsberechtigte ggf. erst Jahre nach der Stiftungserrichtung unbeschränkt steuerpflichtig wurden.4 Zudem sind legitime, außersteuerliche Gründe für die Errichtung einer ausländischen Stiftung denkbar. Letztlich kommt es bei der Übertragung von (inländischem) Vermögen auf eine ausländische Stiftung je nach Vermögensart zu einer Realisierung der stillen Reserven (bspw. nach Maßgabe von § 6 AStG) sowie grds. zu einer Besteuerung mit Schenkungsteuer (§ 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG), so dass ein weitergehendes deutsches Besteuerungsbedürfnis nicht besteht. Damit verliert auch das Ziel, Steuer- und Kapitalflucht zu verhindern, seine Rechtfertigung. Diese Punkte werfen die Frage auf, ob § 15 AStG mit dem GG vereinbar ist. Problematisch ist insb., dass ein Entlastungsbeweis – anders als bspw. in § 8 Abs. 2–5 AStG – nicht vorgesehen ist. Der durch die Hinzurechnung erreichte Durchgriff und die damit verbundene Abweichung von den zivilrechtlichen Gegebenheiten ist in dieser Pauschalität also nicht gerechtfertigt und verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.5 Daneben liegt auch nach den tatbestandlichen Konkretisierungen im Rahmen des AmtshilfeRLUmsG6 weiterhin der Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art. 20 Abs. 3 GG nahe. Probleme ergeben sich insbesondere bei der Bestimmung, wer bezugs- oder anfallsberechtigt ist, und ggf. in welchem Verhältnis die Hinzurechnung erfolgen soll.7 Die Rechtsprechung ist diesen verfassungsrechtlichen Bedenken bisher allerdings nicht gefolgt.8

14.5

Auch die Vereinbarkeit mit den unionsrechtlichen Grundfreiheiten ist problematisch. Dies betrifft insbesondere die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV).9 Die EU-Kommission leitete 2007 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein, weil § 15 AStG ohne Rechtfer-

1 Vgl. BFH v. 8.4.2009 – I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 45; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 44. 2 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 33; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 19. 3 Siehe dazu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.129; BVerfG v. 24.1.1962 – 1 BvR 845/58, BStBl. I 1962, 500; v. 24.9.1965 – 1 BvR 228/65, BVerfGE 19, 119; BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457, Rz. 50. 4 So auch Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 22 ff. 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 24; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 29; Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 91; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 26; zu weitergehenden Bedenken insb. in Bezug auf Art. 6 GG und Art. 14 GG Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 24 m.w.N. 6 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BStBl. I 2013, 1809. 7 Kirchhain, IStR 2012, 602 (603); Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 29; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 27; Moser, DStR 2020, 900 (901); Wassermeyer, IStR 2009, 191 (195). 8 Bspw. BFH v. 24.5.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 495, Rz. 49 ff.; v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388, Rz. 22; FG Hamburg v. 17.12.2020 – 6 K 307/19, EFG 2021, 1003, Rz. 114. 9 BFH v. 22.12.2010 – I R 84/09, BStBl. II 2014, 361; zur Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit auf Stiftungserrichtungen siehe EuGH v. 17.9.2015 – C-589/13, ECLI:EU:C:2015:612 = ISR 2015, 388 – F.E. Familienprivatstiftung Eisenstadt; zu anderen Grundfreiheiten bspw. Hey, IStR 2009, 181 (184).

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A. Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung | Rz. 14.5 Kap. 14

tigung in- und ausländische Stiftungen unterschiedlich behandele und damit gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoße.1 Zur Beseitigung der offenkundigen Mängel wurde § 15 AStG um einen neuen Abs. 6 ergänzt, die sog. unionsrechtliche Rettungs- oder Escape-Klausel.2 Nach § 15 Abs. 6 AStG ist Abs. 1 bei Familienstiftungen mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem EU/EWR-Staat nicht anzuwenden, wenn nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen Stiftern bzw. Destinatären rechtlich und tatsächlich entzogen ist und zwischen Deutschland und dem Sitz- bzw. Geschäftsleitungsstaat der Familienstiftung für die Besteuerung erforderliche Auskünfte erteilt werden. Das Schrifttum bezweifelt zu Recht, dass die Ergänzung die Unionsrechtswidrigkeit von § 15 AStG beseitigt hat.3 § 15 AStG sieht weiterhin eine Ungleichbehandlung zwischen in- und ausländischen Stiftungen vor, denn nur bei Letzteren kommt eine Hinzurechnungsbesteuerung – und damit im Vergleich zu inländischen Stiftungen insbesondere ein Liquiditätsnachteil – in Betracht. Diese Schlechterstellung besteht auch nach der Gesetzesänderung fort. Stifter bzw. Begünstigte müssen nämlich im Rahmen von § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG beweisen, dass ihnen das Stiftungsvermögen rechtlich und tatsächlich entzogen ist. Misslingt dieser Beweis, kommt es zur Hinzurechnung. Eine vergleichbare Regelung besteht für deutsche Familienstiftungen nicht. Hier können Stifter und Begünstigte vielmehr – als Stiftungsorgane – weitreichenden Einfluss auf das Stiftungsvermögen ausüben.4 Dies macht die Errichtung einer ausländischen Stiftung unattraktiver, so dass jedenfalls in die Kapitalverkehrsfreiheit eingegriffen ist.5 Eine Rechtfertigung ist durch zwingende Gründe des Gemeinwohls möglich. Denkbar wäre, § 15 AStG als Maßnahme zur Bekämpfung von Steuerumgehungen zu rechtfertigen.6 Dieser Rechtfertigungsgrund setzt nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH aber voraus, dass die Einschaltung der ausländischen Familienstiftung eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen mit dem alleinigen Zweck der Erzielung steuerlicher Vorteile ist.7 Selbst nach einer möglichen Lockerung dieser Anforderungen durch die Große Kammer des EuGH im Rahmen der sog. Dänischen Verfahren wäre in Anlehnung an Art. 6 Abs. 2 ATAD jedenfalls noch eine unangemessene Gestaltung, bei der ein wesentlicher Zweck in der Erzielung eines steuerlichen Vorteils liegt, erforderlich.8 § 15 AStG erfüllt die Anforderungen – auch nach dem neuen, möglicherweise großzügigeren Verständnis – an die Rechtfertigung allerdings nicht. Zunächst ist ein Steuervorteil nicht Tatbestandsvoraussetzung von § 15 AStG. Die Regelung unterstellt vielmehr typisierend bei ausländischen Familienstif1 Vgl. bspw. Erlass der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin v. 1.2.2005 – III A 3 - S 1361 – 3/2004, IStR 2005, 174; zu unionsrechtlichen Bedenken bspw. Kraft/Hause, DB 2006, 414; Kinzl, IStR 2005, 626; Kellersmann/Schnitger, IStR 2005, 256. 2 Zur Übergangsregelung BMF v. 14.5.2008 – IV B 4 - S 1361/07/0001, BStBl. I 2008, 638. 3 Hey, IStR 2009, 181; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 106; Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 36 ff.; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 30; differenziert Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 165. 4 Vgl. bspw. Sieger/Bank, NZG 2010, 641. 5 Zu verfahrensrechtlichen Benachteiligungen siehe Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.160. 6 Vgl. detailliert zum Rechtfertigungsgrund missbräuchlicher Steuerumgehung und Steuerflucht Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.248 ff.; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rz. 72 ff. 7 Insb. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995 – Cadbury Schweppes. 8 EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16, C-117/16, ECLI:EU:C:2019:135 = IStR 2019, 266 Rz. 108 – T Danmark und Y Denmark; v. 26.2.2019 – C-115/16, C-118/16, C-119/16, C-229/16, C-119/16, ECLI: EU:C:2019:134 = IStR 2019, 308 – N Luxembourg 1 u.a.

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Kap. 14 Rz. 14.5 | Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen

tungen stets eine missbräuchliche Gestaltung. Dabei muss eine ausländische Familienstiftung nicht zwingend steuerlich vorteilhaft sein, es kommt vielmehr auf den Einzelfall an.1 Der EuGH fordert bei Missbrauchsvorschriften eine umfassende Würdigung des Einzelfalls.2 Die umfassende Möglichkeit eines Entlastungsbeweises sieht § 15 AStG allerdings nicht vor. Dies hat sich auch durch die Ergänzung von Abs. 6 nicht geändert, denn hier kommt es allein auf den rechtlichen und tatsächlichen Entzug des Stiftungsvermögens an.3 An dem Entzug soll es zudem bereits dann fehlen, wenn die Hinzurechnungsadressaten eine Stimmmehrheit im maßgeblichen Stiftungsgremium haben;4 dies ist der Regelfall bei deutschen Familienstiftungen. Letztlich ermöglicht Abs. 6 nur Stiftungen mit Sitz oder Ort der Geschäftsleitung im EU/EWRRaum, der Hinzurechnungsbesteuerung zu entgehen. Die Kapitalverkehrsfreiheit schützt allerdings auch im Verhältnis zu Drittstaaten.5

14.6

Nach DBA könnte Deutschland verpflichtet sein, die von einer ausländische Familienstiftung in eigener Person erzielten Einkünfte steuerfrei zu stellen.6 Zur Besteuerung ist dann grundsätzlich nämlich nur der Sitzstaat der Stiftung berechtigt, so dass diese Einkünfte nicht Gegenstand der Zurechnung sein können.7 Dem steht allerdings die Treaty-Override-Regelung des § 20 Abs. 1 AStG entgegen.8 Danach wird § 15 AStG durch DBA nicht berührt, die Rechtsfolge der Hinzurechnung wird also durch DBA nicht verdrängt. Etwas anderes muss aber für Einkünfte gelten, für die bei gedachter Direkterzielung durch den Hinzurechnungsadressaten kein deutsches Besteuerungsrecht bestünde. Diese können von der Hinzurechnungsbesteuerung nicht erfasst werden,9 das DBA ist virtuell anzuwenden.10 Dafür spricht auch, dass nach § 15 AStG nunmehr Einkünfte und nicht länger Einkommen zuzurechnen sind. Neben § 20 Abs. 1 AStG sind Sonderregelungen in DBA zu beachten. Nach Art. 4 Abs. 11 DBA Deutschland/Schweiz gilt eine Person nicht in einem Vertragsstaat ansässig für Einkünfte, die nicht ihr, sondern einer anderen Person zuzurechnen sind. So soll klargestellt werden, dass das DBA einer Hinzurechnung nach § 15 AStG nicht entgegensteht.11

B. Anwendungsbereich 14.7

§ 15 AStG erfasst in erster Linie ausländische Familienstiftungen. Eine Familienstiftung ist ausländisch, wenn sie weder Sitz noch Geschäftsleitung im Inland hat, also nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist.12 Stiftungen sind verselbstständige Vermögensmassen ohne Mitglieder oder

1 Für einen Besteuerungsvergleich zwischen deutschen und liechtensteinischen Stiftungen vgl. Kutac, IStR 2021, 409 (418). 2 Vgl. nur Art. 6 Abs. 1 ATAD I; bspw. EuGH v. 14.6.2018 – C-440/17, ECLI:EU:C:2018:437 = DStR 2018, 1479, Rz. 57 m.w.N. – GS. 3 Moser, DStR 2020, 900 (901); Hey, IStR 2009, 181 (185). 4 FG Hamburg v. 17.12.2020 – 6 K 307/19, EFG 2021, 1003, Rz. 135. 5 Ausführlich dazu Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.106 ff. 6 Vgl. BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727, Rz. 28. 7 Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 26; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 66; Außensteuererlass v. 14.5.2004, BStBl. I 2994, 2, Rz. 15.1.1.1. 8 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 81; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 66. 9 Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 66; Werder/Dannecker, BB 2012, 2278 (2279). 10 Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 26. 11 Vgl. Hardt in Wassermeyer, Art. 4 DBA-Schweiz Rz. 406; vgl. im Hinblick auf Liechtenstein Protokoll zu DBA Deutschland/Liechtenstein zu Art. 4 Abs. 1 unter Buchst. c. 12 Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 63; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 44.

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B. Anwendungsbereich | Rz. 14.10 Kap. 14

Gesellschafter.-1 Nach der Legaldefinition des § 15 Abs. 2 AStG sind Familienstiftungen Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind. Stifter ist, wer die Stiftung als natürliche Person errichtet hat, also wem das Stiftungsgeschäft wirtschaftlich zuzurechnen ist oder wer in der Art eines Stifters Vermögen auf die Stiftung überträgt.2 Dies erfasst auch Zustiftungen. Angehörige sind die in § 15 AO genannten Personen, der Begriff der Abkömmlinge ist i.S.v. § 1589 BGB zu verstehen. Es ist zu beachten, dass es auf die Abkömmlinge der Angehörigen (nicht des Stifters) ankommt. Dies erfasst auch Personen, die mit dem Stifter nicht verwandt sind, bspw. Kinder eines geschiedenen Ehegatten aus einer anderen Verbindung (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AO). Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 AStG müssen Stifter, Angehörige und deren Abkömmlinge sämtlich bezugs- oder anfallsberechtigt sein („und“). Danach wären bspw. Stiftungen mit dem Stifter als einzigem Bezugs- oder Anfallsberechtigten, keine Familienstiftung i.S.d. § 15 Abs. 2 AStG. Es handelt sich allerdings wohl um ein Redaktionsversehen. Die Rechtsprechung hält es mit Blick auf die Entwicklungsgeschichte für ausreichend, wenn Stifter, Angehörige oder Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind.3 Die in § 15 Abs. 2 AStG angesprochene Bezugs- bzw. Anfallsberechtigung zu mehr als der Hälfte setzt die Ermittlung sämtlicher Bezugs- und Anfallsberechtigten voraus. Dabei ist nicht auf die Bezugsberechtigung eines bestimmten Jahres, sondern auf einen längeren Zeitraum abzustellen.4 In aller Regel ist aber gerade bei einer Familienstiftung der Kreis der Bezugs- und Anfallsberechtigten satzungsgemäß nicht abgegrenzt und unterliegt Veränderungen. Wenn die Satzung etwa regelt, bestimmte Mittel seien zum Unterhalt bedürftiger Abkömmlinge des Stifters zu verwenden, ist die Quantifizierung der Bezugs- bzw. Anfallsberechtigung unmöglich.5 Dies zeigt, dass der Begriff der Bezugsberechtigung als Abgrenzungskriterium nicht geeignet ist und die Vorschrift gegen das Bestimmtheitsverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) verstößt.6

14.8

Bei der Frage, ob eine Bezugs- oder Anfallsberechtigung zu mehr als der Hälfte vorliegt, ist alternativ auf die Bezugs- oder die Anfallsberechtigung abzustellen.7 Maßgeblich sind die Barwerte der jeweiligen Bezüge bzw. der Wert des Anfalls als Ausgangsgröße für die Quotenbildung.8

14.9

§ 15 Abs. 3 AStG erweitert den Anwendungsbereich von § 15 AStG auf sog. Unternehmensstiftungen. Anders als im sonstigen Sprachgebrauch handelt es sich bei Unternehmensstiftun-

14.10

1 Zum Typenvergleich BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 302; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 47; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 41. 2 Oder für dessen Rechnung Vermögen übertragen wird; vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 15.2.1; vgl. auch Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 190 f. 3 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 88; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 61; allgemein zur Korrektur von Redaktionsversehen: Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 267; BFH v. 16.1.1980 – II R 83/74, BStBl. II 1980, 359. 4 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 92; Rundshagen in S/K/K, § 15 Rn 64. 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 87. 6 So auch Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 92; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 282. 7 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 90; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 65; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 180 ff. 8 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 30; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 15.2.3; Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 43 (kein Barwert bzgl. Anfallsberechtigung); Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 59.

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Kap. 14 Rz. 14.10 | Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen

gen i.S.v. § 15 AStG um Stiftungen, die von einem Unternehmer errichtet wurden und nicht um Stiftungen, zu deren Vermögen ein Unternehmen bzw. eine Beteiligung an einem Unternehmen gehört.1 Unternehmensstiftungen werden bei Vorliegen der Voraussetzungen wie Familienstiftungen i.S.v. § 15 Abs. 2 AStG behandelt, es erfolgt also eine Zurechnung vorrangig zum Stifter und nur nachrangig zu den Bezugs- oder Anfallsberechtigten. Eine Unternehmensstiftung in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens oder als Mitunternehmer oder eine Körperschaft, eine Personenvereinigung oder eine Vermögensmasse eine ausländische Stiftung errichtet, wenn der Stifter, seine Gesellschafter, von ihm abhängige Gesellschaften, Mitglieder, Vorstandsmitglieder, leitende Angestellte oder Angehörige des Stifters zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind. Der Gesetzgeber bezweckt, die Rechtsfolgen des § 15 Abs. 1 AStG über den Kreis der dem Stifter aus familiären Gründen nahestehenden Personen auch auf aus unternehmerischen Motiven verbundene Personen auszudehnen.2 Die Tatbestandsmerkmale entsprechen weitgehend § 15 Abs. 1 AStG.3 Dies gilt allerdings nicht für die Tatbestandsmerkmale des „Unternehmer[s]“, der die Stiftung „im Rahmen seines Unternehmen“ errichtet.4 In der Praxis wird sich kaum feststellen lassen, ob eine Stiftung – die gerade keine gesellschaftsrechtliche Beteiligung vermittelt – im Rahmen eines Unternehmens errichtet worden ist.5 Teilweise wird daher dem Tatbestandsmerkmal keine eigenständige Bedeutung zugemessen,6 teilweise wird § 15 Abs. 3 AStG in seiner jetzigen Form als sinnlos angesehen.7 Jedenfalls ist die praktische Bedeutung der Vorschrift allenfalls sehr gering.

14.11

§ 15 Abs. 4 AStG stellt sonstige Zweckvermögen, Vermögensmassen und Personenvereinigungen den Familienstiftungen gleich (§ 15 Abs. 4 AStG). Eine Anwendung kommt indes nur in Betracht, wenn das jeweilige Rechtsgebilde in funktionaler Hinsicht einer Stiftung gleicht. Dies setzt Bezugs- und Anfallsberechtigte voraus. Dabei kommt es weder auf die Rechtsfähigkeit, noch auf die Bezeichnung an.8 In praktischer Hinsicht bezieht § 15 Abs. 4 AStG vor allem wirtschaftlich selbstständige Trusts in den Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung ein.9 Das aus dem angelsächlichen Rechtskreis stammende Rechtsinstitut des Trusts ist durch ein Dreiecksverhältnis gekennzeichnet. Der Errichter (settlor) überträgt Vermögen (trust estate) auf den Vermögensverwalter (trustee), der dieses als Sondervermögen hält und es entsprechend den Vorgaben der Treuhandabrede (trust deed) verwaltet, i.d.R. zugunsten der Begünstigen (beneficiaries).10 Voraussetzung für die Anwendung des § 15 AStG ist allerdings, dass der Trust selbst Körperschaftsteuersubjekt ist. Maßgeblich für die Qualifikation ist die Aus-

1 Zum Begriff der Unternehmensstiftung bspw. Hüttemann/Rawert in Staudinger, §§ 80 – 88 BGB, Vorb. Rz. 193. 2 Kraft in Kraft2, § 6 AStG Rz. 331. 3 Kraft in Kraft2, § 6 AStG Rz. 331; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 73. 4 Moser/Gebhardt, ISR 2013, 84 (85). 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 98; Moser/Gebhardt, ISR 2013, 84 (85). 6 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 98; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 332. 7 Moser/Gebhardt, ISR 2013, 84 (85). 8 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 126; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 7; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 350; a.A. Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 71: Vergleichbarkeit mit KSt-Subjekten i.S.v. § 1 Abs. 1 KStG; u.U. weiter BFG v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388: Rechtsgebilde, das Auskehrungen an im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Bezugsberechtigte vornehmen soll. 9 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727. 10 Richter in Richter, Stiftungsrecht, § 22 Rz. 20; speziell zu US-Trusts Lüdicke/Eiling, IStR 2017, 841 ff.

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C. Gegenstand der Zurechnung | Rz. 14.14 Kap. 14

gestaltung der Gründungsurkunde, insbesondere inwieweit Errichter und ggf. Begünstigte Einfluss auf das Trustvermögen nehmen können. Dies ist bei sog. revocable Trusts, bei denen der settlor dem trustee Vermögenswerte nur widerruflich überträgt, i.d.R. nicht der Fall. Die erzielten Einkünfte sind dann unverändert dem Treugeber zuzurechnen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO).12 Dementsprechend ist es auch denkbar, dass der trustee – insb. nach dem Tod des settlors – das Vermögen treuhänderisch für die Begünstigten (beneficiaries) hält. Dann ist es diesem Personenkreis für ertragsteuerliche Zwecke zuzurechnen. Es bedarf keiner Anwendung von § 15 AStG.3 Erfasst wird damit lediglich der sog. irrevocable Trust, bei dem der settlor dem trustee die Wirtschaftsgüter endgültig zum Eigentum überträgt, ohne dass der settlor oder die beneficiaries als wirtschaftliche Eigentümer des Trustvermögens anzusehen sind. In diesem Fall besteht lediglich eine treuhänderische Bindung des trustees ggü. dem Trust, die ihre Grundlage in einem Vertrag zugunsten Dritter zwischen dem settlor und dem trustee hat. Die Einkünfte des Trusts können damit der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen (§ 15 Abs. 1, 4 AStG).4

C. Gegenstand der Zurechnung Gemäß § 15 AStG werden Einkünfte und Vermögen der Familienstiftung zugerechnet.5 Sind diese den Begünstigten nach Maßgabe von § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnen, erzielt nicht die Stiftung diese Einkünfte. § 15 AStG kommt nicht zur Anwendung.6 § 15 Abs. 1 AStG setzt also „eigene“ Einkünfte der Stiftung voraus. Die Ermittlung der Einkünfte und des Vermögens erfolgt – nach Maßgabe der Vorschriften des deutschen Steuerrechts (§ 15 Abs. 7 Satz 1 AStG) – auf der Stufe der ausländischen Familienstiftung. Dabei sind allein deren Verhältnisse maßgeblich. Eine Stiftung kann grds. Einkünfte aus allen Einkunftsarten erzielen. Eine Umqualifizierung findet erst auf Ebene der Zurechnungsadressaten statt (§ 15 Abs. 8 AStG).7

14.12

Nach Maßgabe von § 15 Abs. 7 Satz 3 AStG entfällt die Zurechnung, wenn der hinzuzurechnende Betrag negativ würde. Negative Hinzurechnungsbeträge können jedoch in entsprechender Anwendung von § 10d EStG mit früheren oder später hinzuzurechnenden Einkünften verrechnet werden (§ 15 Abs. 7 Satz 1 AStG i.V.m. § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG).

14.13

Die Einkommensermittlung erfolgt für Stiftungen rglm. zum Ende des Kalenderjahres. In der letzten Sekunde des Kalenderjahres – also phasengleich – erfolgt auch die Zurechnung bei den Zurechnungsadressaten.8 In diesem Moment entscheidet sich auch, wer Hinzurechnungsadressat ist.

14.14

1 Vgl. bspw. Birnbaum/Lohbeck/Pöllath, FR 2007, 479 (482). 2 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727. 3 Das setzt voraus, dass sich der settlor des Vermögens endgültig begeben hat und die beneficiaries als wirtschaftliche Eigentümer des Trustvermögens anzusehen sind; BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 4 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; v. 2.2.1994, v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 360; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 71. 5 Vgl. zur Rechtslage zur Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG. 6 BFH v. 22.12.2010 – I R 84/08, BStBl. II 2014, 361; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 33; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 205. 7 Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 54. 8 Wassermeyer in FWBS, § 15 AStG Rz. 208; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 48.

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Kap. 14 Rz. 14.15 | Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen

D. Hinzurechnungsadressat I. Subjekte der Einkünftezurechnung 14.15

Adressat der Zurechnung ist vorrangig der unbeschränkt steuerpflichtige Stifter. Nachrangig werden Einkünfte und Vermögen den unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugs- und Anfallsberechtigten entsprechend ihrem Anteil zugerechnet.1

II. Unbeschränkte Steuerpflicht 14.16

Die Hinzurechnungsadressaten müssen unbeschränkt steuerpflichtig sein. Damit ist nur die unbeschränkte Steuerpflicht i.S.v. § 1 Abs. 1 sowie 2 EStG gemeint, nicht jedoch eine Steuerpflicht auf Grundlage der sog. Grenzpendlerregelung i.S.v. § 1 Abs. 3 EStG.2 Ebenfalls nicht erfasst ist die erweiterte beschränkte Steuerpflicht nach § 5 AStG. Der entsprechende Verweis in § 15 Abs. 5 AStG a.F. ist mit der Neufassung im Rahmen des AmtshilfeRLUmsG3 nämlich entfallen. Es kommt nicht darauf an, ob die Hinzurechnungsadressaten im Zeitpunkt der Stiftungserrichtung unbeschränkt steuerpflichtig waren. Damit erfasst der Wortlaut auch Personen, die in das Inland nach Stiftungserrichtung zuziehen. Insoweit ist § 15 AStG überschießend, denn ein Fall der Steuerflucht kann nicht gegeben sein. Insbesondere im Falle eines zuziehenden Stifters, der selbst keine Leistungen von der Familienstiftung bezieht, wird offenbar, dass § 15 AStG mit dem Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit unvereinbar ist.4 In diesen und anderen Fällen, in denen der Hinzurechnungsadressat zur Tilgung der Steuerforderung nicht auf Mittel der Stiftung zugreifen kann, sind deshalb Billigkeitsmaßnahmen nach Maßgabe von §§ 163, 227 AO aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.5

14.17

Tatsächliche Ausschüttungen unterliegen bei unbeschränkter Steuerpflicht i.R.d. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG der Einkommensteuer. Eine Doppelbesteuerung wird durch § 15 Abs. 11 EStG vermieden. Danach unterbleibt eine Besteuerung von Zuwendungen der ausländischen Familienstiftung, wenn die Einkünfte nachweislich bereits nach § 15 Abs. 1 AStG besteuert worden sind. Dabei kommt es auf eine Personenidentität zwischen Hinzurechnungsadressaten und Empfänger der Stiftungsleistung nicht an.6 Zur Verwendungsreihenfolge trifft der Gesetzgeber keine Anordnung. Sämtliche Einkünfte der Familienstiftung, die hinzugerechnet wurden, sind folglich in einem sich stets erhöhenden Betrag festzuhalten. Solange der Betrag positiv ist, können die Voraussetzungen von Abs. 11 erfüllt werden.7 Eine Doppelbesteuerung kann sich ergeben, wenn neben der Hinzurechnung nach Maßgabe von § 15 AStG Leistungen der ausländischen Stiftung bzw. eines Trusts der Schenkungsteuer

1 Kraft in Kraft2, § 15 AStG, Rz. 180 ff. 2 So auch Kraft in Kraft2, § 15 AStG, Rz. 196; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 49 will auch § 1 Abs. 3 EStG einbeziehen. Allerdings bezieht sich eine Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG nur auf inländische Einkünfte i.S.v. § 49 EStG und ist damit gerade keine unbeschränkte Steuerpflicht. 3 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 4 Vgl. Schaumburg in FS Tipke, S. 125 (141). 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 24; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 26; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 29. 6 So auch Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 496; Kirchhain, IStR 2012, 602 (606); Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 143. 7 Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 146; Kirchhain, IStR 2012, 602 (606); Werder/Dannecker, BB 2012, 2278 (2280).

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D. Hinzurechnungsadressat | Rz. 14.19 Kap. 14

unterworfen werden.1 Nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG unterliegt der Erwerb durch Zwischenberechtige auch während des Bestehens einer ausländischen Vermögensmasse der Schenkungsteuer. Die Vorschrift ist insbesondere im Hinblick auf Trusts erlassen worden, erfasst allerdings auch ausländische Familienstiftungen als Spezialfall der ausländischen Vermögensmasse.2 Die Regelung betrifft Ausschüttungen aus der Vermögenssubstanz ebenso wie die Ausschüttung von Erträgen. Zwischenberechtigter ist, wer unabhängig von einem konkreten Ausschüttungsbeschluss über dingliche Rechte oder schuldrechtliche Ansprüche in Bezug auf Vermögen oder Erträge verfügt. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn – wie typischerweise – die Gewährung von Begünstigungsleistungen im Ermessen der Stiftungsorgane steht.3 Die Erhebung von Einkommen- und Schenkungsteuer kann im Extremfall zu einer Steuerbelastung von über 75 % führen.4 Ein Zusammentreffen von Erbschaftsteuer und Einkommensteuer muss nach der Rechtsprechung des BFH allerdings nicht zwingend verfassungswidrig sein. Es gebe keinen Verfassungsgrundsatz des Inhalts, dass alle Steuern aufeinander abgestimmt und eine mehrfache Besteuerung eines Sachverhalts vermieden werden müssen.5 Allerdings liegt eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) nahe. § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG erfasst nämlich nur ausländische Vermögensmassen. Diese werden also im Vergleich insbesondere zu inländischen Familienstiftungen schlechter behandelt, denn laufende Zuwendungen im Rahmen der Satzung unterliegen hier nicht der Schenkungsteuer. Ein Rechtfertigungsgrund ist nicht ersichtlich.6

III. Stifter Nach § 15 Abs. 1 AStG erfolgt die Zurechnung primär bei dem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter. Dies gilt – unvereinbar mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip (Art. 3 GG)7 – auch, wenn der Stifter nicht selbst bezugs- oder anfallsberechtigt ist. Ist ein unbeschränkt steuerpflichtiger Stifter vorhanden, ist eine anderweitige Hinzurechnung ausgeschlossen.8

14.18

Stifter ist, wer die Stiftung errichtet hat. Finanzverwaltung9 und Rechtsprechung10 stellen zutreffend auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ab.11 Stifter ist danach derjenige, für dessen Rechnung das Stiftungsgeschäft abgeschlossen wurde bzw. wem das Stiftungsgeschäft bei wirtschaftlicher Betrachtung zuzurechnen ist. Wird die Stiftung also durch einen Treuhänder

14.19

1 Vgl. weitergehend Schienke-Ohletz/Kühn, DStR 2022, 1413. 2 BFH v. 3.7.2019 – II R 6/16, BStBl. II 2020, 61; BFH v. 25.6.2021 – II R 31/19, BStBl. II 2022, 497. 3 BFH v. 3.7.2019 – II R 6/16, BStBl. II 2020, 61; BFH v. 25.6.2021 – II R 31/19, BStBl. II 2022, 497; Verfügung des LfSt Bayern v. 5.3.2020 – S 3806.2.1 – 104/42 S 34, DStR 2020, 599. 4 Siehe auch Schienke-Ohletz/Kühn, DStR 2022,1413. 5 BFH v. 25.6.2021 – II R 31/19, BStBl. II 2022, 497; BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl. II 2017, 324. 6 So auch Schienke-Ohletz/Kühn, DStR 2022, 1413 (1416). 7 Schaumburg in FS Tipke, S. 125 (141); Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 48, 49 (dort zu weiteren logischen Brüchen der Vorschrift); Im Ergebnis dennoch gebilligt von BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457. 8 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 49; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 210; Vogt in Brandis/ Heuermann, § 15 AStG Rz. 65. 9 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 15.2.1. 10 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 11 So auch Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 48; Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 51; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 190.

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Kap. 14 Rz. 14.19 | Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen

errichtet, ist der Hintermann der Stifter.1 Stifter einer Familienstiftung kann nur eine natürliche Person sein.2 Dies ergibt sich insbesondere aus der Definition der Familienstiftung in Abs. 2. Im Schrifttum werden Personen, die Zustiftungen leisten, dem Stifter grundsätzlich gleichgestellt.3 Dies ist nicht überzeugend. Im Rahmen der Errichtung legt nämlich der Stifter Zweck und Satzung der Stiftung fest. Allenfalls kann dies – wenn der Stifter nicht bezugs- oder anfallsberechtigt ist – als Rechtfertigung für die vorrangige Hinzurechnung herangezogen werden. So weitreichenden Einfluss hat der Zustifter indes nicht. Es handelt sich vielmehr um eine bloße Schenkung ohne eigene Gestaltungsmöglichkeiten. Stifter einer Unternehmensstiftung i.S.d. § 15 Abs. 3 AStG ist derjenige, der die Stiftung „errichtet“. Auch dies stützt die hier vertretene Ansicht, dass ein Zustifter Stiftern nicht gleichsteht.

14.20

Das Gesetz geht – dem praktischen Regelfall entsprechend – von einem Stifter aus. Denkbar sind jedoch auch Stiftungserrichtungen durch mehrere Personen. Der Wortlaut ließe u.U. jeweils eine volle Zurechnung bei jedem dieser Stifter zu. Dies wäre jedoch überschießend und damit nicht gerechtfertigt. Einem Stifter können daher nur Einkünfte und Vermögen der Stiftung in dem Verhältnis zugerechnet werden, in dem er selbst zur Stiftungsausstattung beigetragen hat.4 Haben auch nicht unbeschränkt steuerpflichtige Stifter die Stiftung miterrichtet muss ihnen gegenüber und insoweit eine Zurechnung unterbleiben, falls keine anderen unbeschränkt steuerpflichtigen Hinzurechnungsadressaten vorhanden sind.5

IV. Destinatäre 14.21

Ist eine Hinzurechnung gegenüber dem Stifter nicht möglich – insb. weil dieser nicht mehr lebt6 oder nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist – erfolgt diese dem Wortlaut nach gegenüber den unbeschränkt steuerpflichtigen bezugs- oder anfallsberechtigten Personen (Destinatäre). Dabei werden jedoch – anders als beim Stifter – Vermögen und Einkünfte lediglich entsprechend dem Anteil des jeweiligen Destinatärs zugerechnet.

14.22

§ 15 AStG enthält keine Definition der Begriffe der Bezugs- bzw. Anfallsberechtigung. Die Auslegung beginnt zwingend mit dem Wortlaut. Bezug meint jeden Vorteil in Geld oder Geldeswert, den die ausländische Familienstiftung zuwendet.7 Dabei ist es unerheblich, ob der Vorteil aus dem Vermögensstock der Stiftung oder aus Erträgen gewährt wird. Bei einer Stiftung fällt das Vermögen im Falle ihrer Auflösung an die bestimmten Anfallsberechtigten (vgl.

1 Vgl. zur Errichtung einer liechtensteinischen Stiftung in indirekter Stellvertretung Gasser, Liechtensteinisches Stiftungsrecht, Art. 552 § 4 Rz. 16. 2 Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 51; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 195. 3 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 48; in diese Richtung auch BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 15.2.1. („wer in Art eines Stifters Vermögen auf die Stiftung überträgt“). 4 Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 91; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 50. 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 45, 68; Wenz/Linn in Haase3, § 15 AStG Rz. 93; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 128. 6 Eine Hinzurechnung gegenüber den Erben kommt demgegenüber nicht in Betracht, vgl. Wassermeyer in F/W/S/B, § 15 AStG Rz. 48. 7 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 54; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 212; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 35; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4-S 1340-11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 15.2.1.

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D. Hinzurechnungsadressat | Rz. 14.24 Kap. 14

§ 87c BGB n.F.; § 88 BGB). Anfallsberechtigt ist also, wer im Falle der Auflösung der Familienstiftung Vermögen erhält.1 Der Wortlaut verlangt, dass die betreffenden Personen „berechtigt“ sind. Dies legt nahe, dass ein (einklagbarer) Anspruch Voraussetzung der Hinzurechnung ist. Diese Anforderungen wären in der Praxis jedoch nur in Ausnahmefällen erfüllt, denn meist steht die Gewährung von Leistungen im Ermessen der Stiftungsorgane.2 Auch mit Blick auf aus einem solch engen Verständnis folgenden Gestaltungsmöglichkeiten3 lassen Finanzverwaltung und Rechtsprechung eine Rechtsposition geringerer Qualität ausreichen, die aber gleichwohl „gesichert“ sein muss.4 (Bezugs-) Berechtigter ist nach diesem Verständnis eine Person, die nach der Satzung der Familienstiftung in der Gegenwart oder Zukunft Vermögensvorteile erhält oder erhalten wird oder bei der nach der Satzung damit gerechnet werden kann, dass sie Vermögensvorteile erhalten wird.5 Es ist also eine Prognose anzustellen, ob und in welchem Ausmaß Bezüge oder ein Vermögensanfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Bei der Prognose sind vorrangig die Satzung oder andere relevante Dokumente („letter of wishes“) sowie das Ausschüttungsverhalten der Stiftung in der Vergangenheit heranzuziehen. Allein die Nennung in der Satzung als Begünstigter dürfte i.d.R. nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass Vermögensvorteile gewährt werden. Besteht ein Auswahlermessen des Stiftungsvorstands und hat der betroffene Begünstigte bisher keine Zuwendungen erhalten, zeigt die Vergangenheit vielmehr im Gegenteil, dass Vermögensvorteile gerade nicht mit Sicherheit zu erwarten sind.6 Der Betroffene ist dann ein Zufallsdestinatär, bei dem – insb. mit Blick auf das Prinzip der Leistungsfähigkeit – eine Zurechnung nicht gerechtfertigt ist. Einen entsprechend strengen Maßstab scheint auch die Finanzverwaltung anzulegen. Sie sieht ebenfalls keine Rechtsgrundlage für die Hinzurechnung bei Zufallsdestinatären.7 Zum Kreise der Zufallsberechtigten zählen auch Personen, die nur bei objektiv eingrenzbaren Voraussetzungen, wie Unterhaltsbedürftigkeit, Krankheit, besonderer Leistungen oder Bedarfe Leistungen der Stiftung erhalten sollen.8 Dementsprechend ist eine Hinzurechnung auch im Falle bedingter oder befristeter Ansprüche nicht möglich.9

14.23

§ 15 Abs. 1 AStG sieht keine Rangfolge der Zurechnung innerhalb der Kategorie der Destinatäre, sondern nur zwischen Stiftern und Destinatären vor. Gleichwohl ergibt sich eine solche Rangfolge logisch auch im Verhältnis zwischen Bezugs- und Anfallsberechtigten. Die laufenden Einkünfte der Familienstiftung kommen nämlich den Bezugsberechtigten grds. laufend, das Vermögen (einschließlich ggf. nicht ausgeschütteter Einkünfte) den Anfallsberechtigten hingegen erst im Falle der Auflösung der Stiftung zugute. Demgemäß besteht zwischen Bezugs-

14.24

1 Weiter wohl BMF v. 14.5.2004 – IV B 4-S 1340-11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 15.2.1.; wie hier Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 58; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 216; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 60. 2 Vgl. bzgl. der Rechtslage in Liechtenstein bspw. Gasser, Liechtensteinisches Stiftungsrecht, Art. 552 Rz. 2 ff. 3 Dazu bspw. Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 55. 4 BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457. 5 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4-S 1340-11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 15.2.1.; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 54: „tatsächliche Anwartschaft“; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 217: „Rechtsposition oder Anwartschaft“. 6 In diese Richtung auch Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 56. 7 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340-11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 15.2.1. 8 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 58. 9 A.A. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4-S 1340-11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Tz. 15.2.1; wie hier Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 54.

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Kap. 14 Rz. 14.24 | Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen

und Anfallsberechtigten für Zwecke der Hinzurechnung ein Stufenverhältnis. Bei unbeschränkt steuerpflichtigen Anfallsberechtigten kann folglich eine Zurechnung solange nicht erfolgen, wie unbeschränkt steuerpflichtige Bezugsberechtigte vorhanden sind.1 Die Zurechnung der Einkünfte bei den Anfallsberechtigten wäre nämlich sinnwidrig, wenn diese Einkünfte den Bezugsberechtigten zugewendet würden.

14.25

Die Zurechnung gegenüber den unbeschränkt Bezugs- und Anfallsberechtigten erfolgt „entsprechend ihrem Anteil“. Sind Bezugs- oder Anfallsberechtigte nicht unbeschränkt steuerpflichtig, erfolgt insoweit keine „ersatzweise“ Zurechnung zu unbeschränkt Steuerpflichtigen. Eine Hinzurechnung kann nicht weiter gehen als tatsächlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Vorteile aus der Familienstiftung erzielt werden.2 Praktische Schwierigkeiten ergeben sich zudem bei der Bestimmung der maßgeblichen Quote, wenn – was der Regelfall ist – keine festen Rechtsansprüche der Destinatäre bestehen. Dies unterstreicht auch im Hinblick auf die Vollziehbarkeit die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 15 AStG.3

14.26

Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 AStG kommt eine Zurechnung auch bei bezugs- und anfallsberechtigten familienfremden Dritten in Betracht. Ein solches Verständnis wäre jedoch mit Sinn und Zweck von § 15 AStG nicht vereinbar. Daher ist auch eine einschränkende Auslegung dahingehend geboten, dass neben dem Stifter nur bezugs- und anfallsberechtigte Angehörige und deren Abkömmlinge Zurechnungsadressaten sind.4

E. Escape-Klausel § 15 Abs. 6 AStG 14.27

Der Gesetzgeber ergänzte § 15 AStG mit dem JStG 20095 um Abs. 6, die sog. unionrechtliche Rettungs- oder Escape-Klausel. Hintergrund war die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren, welches die EU-Kommission gegen Deutschland insbesondere wegen einer Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit durch § 15 AStG eingeleitet hatte. Abs. 6 sollte die Unionsrechtswidrigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung beseitigen (Rz. 14.2). Dies scheint nach Auffassung der EU-Kommission gelungen zu sein.6 Eine Entscheidung des EuGH ist bisher nicht ergangen.

14.28

Nach § 15 Abs. 6 AStG ist die Hinzurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 1 AStG nicht anzuwenden, wenn das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der Hinzurechnungsadressaten (Abs. 2 und 3) rechtlich und tatsächlich entzogen ist (Nr. 1) und Deutschland mit dem Sitzoder Geschäftsleitungsstaat der Stiftung aufgrund der Amtshilferichtlinie oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung die zur Besteuerung erforderlichen Auskünfte erteilt (Nr. 2). Obgleich die Vorschrift nur Familienstiftungen anspricht, muss sie auch auf Zweckvermögen, Vermögensmassen sowie rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Personenvereinigun-

1 BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457 (unter II.7); Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 69; Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 Rz. 167.1 ff. mit zahlreichen Beispielsfällen. 2 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 75; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 65; Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 164. 3 Kritisch jüngst Moser, DStR 2020, 900 (900). 4 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 60; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 65; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 132. 5 BGBl. I 2008, 2794. 6 Siehe dazu Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 165.

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E. Escape-Klausel § 15 Abs. 6 AStG | Rz. 14.32 Kap. 14

gen i.S.d. Abs. 4 angewendet werden.1 Abs. 4 stellt diese nämlich umfassend den Familienstiftungen gleich. Die Escape-Klausel ist ausländischen Stiftungen eröffnet, die Sitz- oder Geschäftsleitung im EU/EWR-Raum haben. Damit sind Stiftungen mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz nicht erfasst. Stiftungen, deren statuarischer Sitz in einem Drittstaat liegt, können nach § 15 Abs. 6 AStG die Hinzurechnungsbesteuerung abwenden, wenn sich die Geschäftsleitung im EU/EWR-Raum befindet.

14.29

Stiftungsvermögen ist das Vermögen, welches der Stiftung wirtschaftlich zuzurechnen ist.2 Nicht maßgeblich ist eine Verfügungsmacht auf Ebene (rechtlich selbstständiger) nachgelagerter Einheiten, wenn bspw. der Stifter Organ einer auf die Stiftung übertragenen Personen- oder Kapitalgesellschaft ist.

14.30

Wann Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der Hinzurechnungsadressaten rechtlich und tatsächlich entzogen ist, ist bisher nicht abschließend geklärt. Zur Verwirrung hat nicht zuletzt der Gesetzgeber selbst beigetragen, indem er in den Gesetzgebungsmaterialen auf das BFHUrteil vom 28.6.20073 verweist.4 Dabei vermischt der Gesetzgeber allerdings ertrag- und erbschaftsteuerliche Maßstäbe. Während das Ertragsteuerrecht auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise abstellt, ist für die Erbschaftsteuer i.d.R. die Zivilrechtslage maßgeblich.5 Nach dem genannten BFH-Urteil unterliegt die Übertragung von Vermögen auf eine liechtensteinische Stiftung nicht der Schenkungsteuer, wenn die Stiftung nach der Zivilrechtslage im Verhältnis zum Stifter nicht tatsächlich und rechtlich frei über das Stiftungsvermögen verfügen kann. Nimmt man den Hinweis in der Gesetzesbegründung ernst, müssten sich die Schenkungsteuerbarkeit der Übertragung des Stiftungsvermögens einerseits und die laufende Hinzurechnung nach § 15 AStG andererseits ausschließen (sog. Exklusivitätsthese). In der Praxis kommt ertragsteuerlich allerdings die Anwendung von § 15 AStG in vergleichbaren Konstellationen i.d.R. nicht in Betracht, weil wirtschaftliches Eigentum beim Stifter verblieben ist (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). Dann würde § 15 Abs. 6 AStG ins Leere laufen.6

14.31

Vor diesem Hintergrund hat das FG Hamburg den Begriff der „rechtlichen und tatsächlichen Verfügungsmacht“ weit verstanden und bereits die Stimmrechtsmehrheit der Hinzurechnungsadressaten im maßgeblichen Entscheidungsgremium als schädlich angesehen.7 Ausreichend sei, wenn diese Beschlüsse im Stiftungsrat fassen und so Zuwendungen des Stiftungsvermögen an sich selbst bewirken können. Bei der Auslegung ist auch bei einem weiten Verständnis zu berücksichtigen, dass es um Verfügungsmacht geht. Die Hinzurechnungsadressaten müssen also eine Verfügung – d.h. eine sachenrechtliche Übertragung – des Stiftungsvermögens bewirken können. Daran fehlt es von vorherein, wenn sie dem Außenvertretungsorgan der Stiftung nicht angehören und lediglich in einem Kontrollorgan präsent sind. Daran fehlt es auch, wenn eine Mehrheit von Hinzurechnungsadressaten im Außenvertretungsorgan der Stiftung ausgeschlossen ist. Ein mit einem Vetorecht verbundene Mitgliedschaft vermittelt hingegen keine

14.32

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. zu mehrstöckigen Strukturen Lüdicke/Eiling, IStR 2017, 841. So wohl auch Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 185. BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669. BT-Drucks. 16/10189, 78. FG Hamburg v. 17.12.2020 – 6 K 307/19, EFG 2021, 1003, Rz. 133. So auch Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 80; Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 188. FG Hamburg v. 17.12.2020 – 6 K 307/19, EFG 2021, 1003; so auch Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG, Rz. 85; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 74; enger Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 186.

Oppel | 633

Kap. 14 Rz. 14.32 | Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen

rechtliche oder tatsächliche Verfügungsmacht. Der Nachweis obliegt den Hinzurechnungsadressaten.1

14.33

Die Voraussetzungen von § 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG sind im Verhältnis zu allen EU/EWR-Staaten erfüllt. Dabei erfüllt auch eine große DBA-Auskunftsklausel die Voraussetzungen der Vorschrift.2

F. Einkünfteermittlung 14.34

Gegenstand der Zurechnung sind die Einkünfte i.S. des § 8 Abs. 1 KStG.3 Regelungen zur Ermittlung des Einkommens und damit zum Gegenstand der Hinzurechnung treffen § 15 Abs. 7, 8 und 9 AStG.

14.35

Als Grundregel ordnet § 15 Abs. 7 Satz 1 AStG die entsprechende Anwendung des KStG und des EStG an. Die Stiftung soll für Zwecke der Einkommensermittlung grundsätzlich so behandelt werden, als sei sie im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Die Grundregel wird aber durch einen Verweis auf § 10 Abs. 3 AStG in § 15 Abs. 7 Satz 2 AStG modifiziert. § 10 Abs. 3 AStG betrifft die Einkommensermittlung von ausländischen Zwischengesellschaften für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 – 13 AStG. Die Vorschrift wurde durch das ATADUmsG erheblich verändert. Diese Änderungen schlagen dem Wortlaut nach auch auf Familienstiftungen durch. Insbesondere gelten danach alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb; die Ermittlung des Einkommens hat zwingend durch Bestandsvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG), nicht aber durch eine Einnahmen-Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) zu erfolgen (§ 10 Abs. 3 Satz 2 AStG). Was bei ausländischen Zwischengesellschaften sachgerecht sein mag, ist bei Familienstiftungen verfehlt. Dadurch entfernt sich nämlich die Behandlung der ausländischen Familienstiftung von der deutschen Familienstiftung, welche grundsätzlich – weil sie von § 8 Abs. 2 KStG nicht erfasst ist – Einkünfte aus allen Einkunftsarten erzielen kann.4 Ob die Verweisung insoweit als mögliches Redaktionsversehen insoweit unangewendet bleiben kann, ist fraglich. Wünschenswert wäre eine Klarstellung durch den Gesetzgeber.5 Weiterhin ist nach § 15 Abs. 7 Satz 2, Halbs. 2 AStG die Anwendung von § 8b KStG ausgeschlossen. Dadurch sollen bestimmte Gestaltungen unter Einsatz mehrstufiger Strukturen mit der Stiftung nachgeschalteten Zwischengesellschaften unmöglich gemacht werden.6 Demgegenüber können Verluste über § 10d EStG zum Abzug gebracht werden, wobei seit dem ATADUmsG ein Verlustrücktrag nicht zulässig ist (§ 15 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 3 Satz 5, 6 AStG).7 Ergibt sich ein negativer Betrag, erfolgt keine Hinzurechnung (§ 15 Abs. 6 Satz 3 AStG).

14.36

Sonderregelungen in Bezug auf mehrstöckige Strukturen treffen § 15 Abs. 9 und 10 AStG. Nach § 15 Abs. 9 AStG ist die Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 – 13 AStG entsprechend anzuwenden, wenn eine ausländische Familienstiftung an einer ausländischen Zwischengesell1 2 3 4 5 6

Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 85; Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 180. So auch Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 193; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 75. Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 99; Schönfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 203. Kritisch auch Moser, IStR 2020, 900 (902). So auch Moser, IStR 2020, 900 (902). Vgl. dazu FG Düsseldorf v. 22.1.2015 – 16 K 2858/13 F, EFG 2015, 629; FG München v. 26.11.2014 – 9 K 2275/14, EFG 2015, 356. 7 Kritisch dazu Moser, IStR 900 (902).

634 | Oppel

G. Behandlung bei den Hinzurechnungsadressaten | Rz. 14.37 Kap. 14

schaft (mittelbar) beteiligt ist. Die Einkünfte der Zwischengesellschaft gehören mit dem Teil zu den Einkünften der Familienstiftung, der auf die Beteiligung der Stiftung am Nennkapital der Zwischengesellschaft entfällt. Erfolgt die Gewinnverteilung nicht anhand des Nennkapitals, ist der jeweilige Maßstab zugrunde zu legen. Durch die Regelung werden ausländische Familienstiftungen in den Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung mit einbezogen und die Einkünfte der Zwischengesellschaft ebenfalls mit hinzugerechnet.1 Dabei schließt der Verweis auch § 8 Abs. 2–4 AStG ein, so dass ein Entlastungsbeweis möglich ist.2 Im Falle von Gewinnausschüttungen der Zwischengesellschaft an die ausländische Stiftung werden diese bei entsprechendem Nachweis der vormaligen Zurechnung nicht erneut zugerechnet (§ 15 Abs. 9 Satz 3 AStG). § 15 Abs. 10 AStG betrifft „nachgeschaltete“ ausländische Familienstiftungen. Die Regelung ordnet an, dass die Einkünfte einer „nachgeschalteten“ ausländischen Familienstiftung der „vorgeschalteten“ Familienstiftung zugerechnet werden und im Ergebnis auf Ebene der inländischen Hinzurechnungsadressaten der Besteuerung unterliegen. Voraussetzung ist, dass die „vorgeschaltete“ Familienstiftung allein oder gemeinsam mit den Hinzurechnungsadressaten nach § 15 Abs. 2, 3 AStG zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt ist.3 Es kommt allein auf die Bezugs- und Anfallsberechtigung an. Damit ist unbeachtlich, wer die Stiftung errichtet hat.4 § 15 Abs. 10 Satz 2 AStG soll eine Doppelbelastung verhindern. Dazu erfolgt keine erneute Hinzurechnung nach Abs. 1, wenn den Zuwendungen der nachgeschalten Familienstiftung bereits hinzugerechnete Beträge zugrunde liegen. Die Regelung ist allerdings unvollständig. So wird der Fall nicht erfasst, dass die nachgeschaltete ausländische Familienstiftung von einem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter errichtet worden ist. Hier ist nach dem Wortlaut eine mehrfache Zurechnung derselben Einkünfte denkbar, nämlich zum einen zur vorgeschalteten ausländischen Stiftung und von dort zum unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter, Bezugs- oder Anfallsberechtigten und zum anderen von der nachgeschalteten ausländischen Stiftung zu ihrem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter.5 Im Wege teleologischer Reduktion ist die vom Gesetzgeber nicht gewollte Doppelbelastung6 dadurch zu vermeiden, dass die Zurechnung über die vorgeschaltete ausländische Stiftung (§ 15 Abs. 10 Satz 1 AStG) unterbleibt, solange die (direkte) Zurechnung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AStG) von der nachgeschalteten Stiftung zum unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter möglich ist. Das zwischen § 15 Abs. 10 Satz 1 AStG und § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG bestehende Konkurrenzverhältnis ist also zugunsten von § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG zu lösen.7

G. Behandlung bei den Hinzurechnungsadressaten Die Einkünfte der Familienstiftung werden den inländischen Hinzurechnungsadressaten hinzugerechnet (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AStG). Die auf der Ebene der Familienstiftung ermittelten Einkünfte werden als Rechengröße beim Zurechnungsempfänger erfasst mit der Folge, dass 1 Zum Hintergrund bspw. Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 450; Moser, Ubg 2013, 692 ff. 2 Dazu Kraft/Schulz, IStR 2012, 897 (901). 3 Wassermeyer/Schönfeld/Baßler in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 352; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 131; vgl. zu Beispielen Kraft/Moser/Gebhardt, DStR 2012, 1773. 4 Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 135. 5 Vgl. zu dieser Fallkonstellation Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 136. 6 Vgl. BT-Drucks. 17/13033, 174. 7 Wassermeyer/Schönfeld/Baßler in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 357; Vogt in Brandis/Heuermann, § 15 AStG Rz. 136; zu Einzelheiten Kirchhain, IStR 2012, 602 (605).

Oppel | 635

14.37

Kap. 14 Rz. 14.37 | Hinzurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen

sich eigenen Einkünfte entsprechend erhöhen. Allerdings beziehen die Hinzurechnungsadressaten dadurch nicht zwingend Einkünfte der gleichen Art wie die Stiftung, wie dies bei einem Direktbezug der Fall wäre. Es werden nicht Einzelsalden hinzugerechnet, sondern es wird stattdessen eine Vollausschüttung fingiert.1 Nach § 15 Abs. 8 Satz 1 AStG gehören die zuzurechnenden Einkünfte nämlich zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Dabei bleibt § 20 Abs. 8 EStG unberührt (§ 15 Abs. 8 Satz 2 AStG). Nach der sog. Subsidiaritätsklausel gehören die hinzuzurechnenden Einkünfte zu den Gewinneinkünften bzw. zu den Einkünften aus selbstständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung. Die Regelung hat praktisch nur Bedeutung, wenn eine gewerblich tätige oder infizierte Mitunternehmerschaft bezugs- oder anfallsberechtigt ist.2 Obgleich gerade nicht Einzelsalden zugerechnet werden, kommen bei natürlichen Personen § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG (Teileinkünfteverfahren) und § 32d EStG (besonderer Steuersatz) nur zur Anwendung, wenn diese auch bei unmittelbarem Bezug angewandt worden wären.3 Bei Körperschaftsteuersubjekten als Hinzurechnungsadressat bleibt § 8 Abs. 2 KStG unberührt, so dass es ggf. aufgrund der Rechtsform zu einer Umqualifikation der Einkünfte aus Kapitalvermögen in Einkünfte aus Gewerbebetrieb kommt. § 8b KStG ist nur insoweit anzuwenden, als die Vorschrift auch bei einem Direktbezug der Einkünfte anzuwenden wäre (§ 15 Abs. 8 Sätze 3 und 4 EStG).

14.38

Nach § 15 Abs. 5 Satz 1 AStG sind die zu Lasten der Stiftung auf die zuzurechnenden Einkünfte erhobenen Steuern auf die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer der Hinzurechnungsadressaten anzurechnen. Dabei gelten § 34c Abs. 1 EStG bzw. § 26 Abs. 1 und 2 Satz 1 KStG entsprechend. Wenn im Einzelfall aufgrund der Besonderheiten des jeweils anzuwendenden Steuerrechts die Hinzurechnungsadressaten anstatt der Stiftung die Steuer direkt zu bezahlen haben, sind diese aus Billigkeitsgründen wie von der Stiftung gezahlte Steuern zu behandeln.4

1 Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 176; Kraft/Moser/Gebhardt, DStR 2012, 1773 (1775); Wassermeyer/Schönfeld/Baßler in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 240. 2 Kirchhain in Fuhrmann3, § 15 AStG Rz. 176; Baßler in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 252; Kraft in Kraft2, § 15 AStG Rz. 437. 3 Vgl. zutreffend zu systematischen Bedenken Baßler in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 259. 4 BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 404.

636 | Oppel

3. Teil Doppelbesteuerungsrecht

Kapitel 15 Begriff der Doppelbesteuerung

Literatur: Bachem, Die optimale Ausgestaltung der Anrechnungsmethode zur unilateralen Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Ertragsteuern der deutschen internationalen Unternehmung, Diss. Köln 1971; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964, 32; Burmester, Begriff und Funktion des Steuergutes im Steuerrecht, StuW 1993, 221; Burmester, Zur Systematik internationaler Minderbesteuerung und ihrer Vermeidung, in FS für Debatin, München 1997, 55; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, Bern/Stuttgart 1974; Flick, Das Erfordernis der Subjektsidentität bei Doppelbesteuerungsnormen, StuW 1960, 329; Flick, Gleichheit von Steuergegenstand und Bemessungsgrundlage im Internationalen Steuerrecht, StuW 1961, 679; Flick, Methoden zur Ausschaltung der Internationalen Doppelbesteuerung bei den direkten Steuern, FinArch. 1961 (Band 21), 86; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl. München 2020, Rz. 5 ff.; Hey/Bauersfeld, Die Besteuerung der Personen(handels)gesellschaften in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der Schweiz und den USA, IStR 2005, 649; Isay, Internationales Finanzrecht, Stuttgart/Berlin 1934; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, Baden-Baden 2009; Juch, Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbelastung, CDFI LXV Ib (1981), 81; Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Binnenmarkt, Berlin 2009, 24 ff.; Kormann, Die Steuerpolitik der Internationalen Unternehmung, Düsseldorf 1970; Lang, M., Doppelte Nichtbesteuerung, CDFI 89a (2004), 21; Lehner in Vogel/Lehner, Grundlagen, DBA, 7. Aufl. München 2021; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Frankfurt/Bern/ New York/Paris 1987; Mersmann, Handbuch der Finanzwissenschaft (Bd. 4), Tübingen 1965, 89; Meyer, Die Vermeidung internationaler Doppel- und Minderbesteuerung auf der Grundlage des Ursprungsprinzips, Diss. Göttingen 1970; Mössner, Der Begriff des Internationalen Steuerrechts in der neueren Literatur, ÖZöffR 1974, 255; Mössner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, DStJG 8 (1985), 135; Philipp, Befreiungssysteme mit Progressionsvorbehalt und Anrechnungsverfahren, Wien 1971; Rädler/Raupach, Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehungen, München/Berlin 1966, 372; Schmitz, Kommentar zum Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, Düsseldorf 1957, 16; Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. Köln 2019, Systematik, Rz. 1 ff.; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, Amsterdam 1936 (Neudruck Köln 1967), 74; Teichner, Internationales Steuerrecht, Stuttgart 1967; Wassermeyer, Die Beurteilung der Abkommensberechtigung ausländischer Personengesellschaften durch Deutschland als dem Nichtansässigkeitsstaat der Personengesellschaft, IStR 1998, 489.

Das Internationale Steuerrecht untergliedert sich in Außensteuerrecht und Doppelbesteuerungsrecht (Rz. 1.4 f.). Da der Begriff des Internationalen Steuerrechts selbst recht unscharf ist, verwundert es nicht, dass der Begriff der Doppelbesteuerung ebenfalls unterschiedlichen Deutungen zugänglich ist. So sind zahlreiche Versuche unternommen worden, die vielfältigen Erscheinungsformen der Doppelbesteuerung gegeneinander abzugrenzen. Die Doppelbesteuerung im engeren, weiteren und weitesten Sinn, die formale und materielle, subjektive und objektive, echte und unechte sowie die eigentliche und uneigentliche Doppelbesteuerung1 ist 1 Vgl. Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 58.

Schaumburg | 637

15.1

Kap. 15 Rz. 15.1 | Begriff der Doppelbesteuerung

ebenso wie die technische,1 rechtliche,2 juristische,3 wirtschaftliche,4 ökonomische,5 schräge, horizontale und vertikale,6 direkte und indirekte7 Doppelbesteuerung ein Beleg für die Beliebigkeit und zugleich für die fehlende Bedeutung dieser Begriffsbildung. Dem Begriff der Doppelbesteuerung als solchem, der rechtlich ohnehin nicht existent ist,8 lassen sich nämlich keine Orientierungsmaßstäbe für die Anwendung der in Betracht kommenden Normen gewinnen.9

15.2

Der Doppelbesteuerung liegen vor allem grenzüberschreitende Sachverhalte zugrunde, die dazu führen, dass sich der Steuerpflichtige dem Steuerzugriff mehrerer Staaten ausgesetzt sieht, dort also steuerpflichtig wird. Hierdurch wird in aller Regel eine steuerliche Mehrbelastung verursacht. Den Normen, die sich mit der Vermeidung der Doppelbesteuerung beschäftigen, können folgende Merkmale entnommen werden, die das Phänomen der Doppelbesteuerung konkretisieren: – Besteuerung durch verschiedene Hoheitsträger, – Identität von Steuersubjekt, – Identität von Steuerobjekt, – Identität des Besteuerungszeitraums, – Gleichartigkeit der Steuer.

15.3

Die Besteuerung durch verschiedene Hoheitsträger grenzt die Doppelbesteuerung von der Doppelbelastung ab, die konkurrierende steuerliche Mehrbelastungen durch ein und dieselbe Abgabengewalt bezeichnet.10 Die von verschiedenen Abgabengewalten11 ausgehende Besteuerung muss sich auf ein und dasselbe Steuerobjekt12 beziehen. Da für die Besteuerung als geeignet erscheinende wirtschaftliche Vorgänge oder Zustände, etwa die Erzielung von Einkommen, zum Anknüpfungspunkt für die Besteuerung erhoben werden, wird eine völlige Iden1 Flick, FinArch. 1961 (Band 21), 86 (90). 2 Rädler/Raupach, Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehungen, 372. 3 OECD-Kommentar zum Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens und des Vermögens, Bericht des Fiskal-Ausschusses der OECD 1977, Bonn 1979, 11. 4 Rädler/Raupach, Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehungen, 372. 5 Mersmann, Handbuch der Finanzwissenschaft (Bd. 4), 89 (92). 6 Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 136. 7 Juch, CDFI LXV Ib (1981), 81. 8 Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 1; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik, Rz. 3; Mössner, DStJG 8 (1985) 135 (137). 9 Vgl. Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 3; Wassermeyer in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 1; Mössner DStJG 8 (1985) 135 (137). 10 Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 85; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 28; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 44; die Terminologie ist allerdings uneinheitlich: so wird als Doppelbelastung die wirtschaftliche Doppelbesteuerung verschiedener Steuersubjekte verstanden; so z.B. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 3 f. und die Mehrfachbelastung des nämlichen Steuersubjektes durch denselben Steuergläubiger als Doppelbesteuerung, durch mehrere Steuergläubiger als mehrfachberechtigte Doppelbesteuerung und die durch verschiedene Völkerrechtssubjekte als internationale Doppelbesteuerung bezeichnet; vgl. Seer in Tipke/Lang24, § 6 Rz. 54 ff. 11 Unklar ist, ob hierbei auf die Gesetzgebungshoheit, Ertragshoheit oder Verwaltungshoheit abzustellen ist; vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 2. 12 Im Sinne von Steuergegenstand oder Besteuerungsgut; zum Begriff Seer in Tipke/Lang24, § 6 Rz. 36 ff.; Burmester, StuW 1993, 221 ff.

638 | Schaumburg

Begriff der Doppelbesteuerung | Rz. 15.4 Kap. 15

tität des Steuerobjekts international nur ausnahmsweise, etwa bei parallel gewachsenen Steuersystemen,1 möglich sein. Da aber die Anknüpfungspunkte für die Besteuerung beliebig gestaltet werden können, stellen die Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung durchweg nicht auf eine streng juristische, sondern auf eine wirtschaftliche Identität des Steuerobjekts ab. Es reicht daher aus, wenn im Wesentlichen das gleiche Besteuerungsgut erfasst wird.2 Der Verzicht auf die streng juristische Identität des Steuerobjekts hat insbesondere Bedeutung für die Steuerbemessungsgrundlage, die als quantifiziertes Steuerobjekt3 wegen der spezifisch technisch-rechtlichen Ausgestaltung, insbesondere im Bereich der Ertragsteuern, international sehr stark divergiert.4 Ebenso wie die Steuerobjektsidentität kann auch die Identität des Steuersubjekts5 nicht streng juristisch, nicht in seiner technisch-tatbestandlichen Ausgestaltung verstanden werden, wenn das Phänomen der Doppelbesteuerung nicht zu einem Randproblem reduziert werden soll. Denn die Zurechnung des Steuerobjekts zu einem Steuersubjekt als Rechtssubjekt des jeweiligen Steuergesetzes ist in den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich geregelt. So sind etwa im romanischen Rechtskreis die Personenhandelsgesellschaften im Gegensatz zum deutschen Steuerrecht6 durchweg Steuersubjekte.7 Darüber hinaus ergeben sich international erhebliche Zurechnungsdivergenzen, etwa bei Nießbrauch- und Treuhandverhältnissen. Im Hinblick darauf wird die Subjektidentität auch dann angenommen, wenn in dem einen Staat die Personengesellschaft selbst und in dem anderen Staat deren Gesellschafter zur Steuer herangezogen werden.8 Die vorgenannte allgemein akzeptierte Abweichung vom Prinzip der Subjektidentität im juristischen Sinne lässt sich dahingehend formulieren, dass eine wirtschaftliche Subjektidentität immer dann gegeben ist, wenn mehrere Staaten zwar dasselbe Steuerobjekt besteuern, die Erfassung aber bei verschiedenen, privatrechtlich selbständigen Einheiten, z.B. bei verbundenen Unternehmen, erfolgt.9 Im Hinblick darauf wird denn auch im Unterschied zur juristischen Doppelbesteuerung von einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung gesprochen,10 die ihre Ausprägung auf der Ebene von DBA in Art. 9 OECD-MA (Gewinnkorrektur zwischen verbundenen Unternehmen) hat.

1 Etwa die Einkommensteuersysteme Deutschlands und Österreichs. 2 Lehner in V/L7 Grundlagen Rz. 9; Wassermeyer in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 3; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 180; Mersmann in Handbuch der Finanzwissenschaft (Bd. 4), 89 (91); Flick, StuW 1960, 329 (341); Flick, StuW 1961, 679 (681 f.). 3 Zum Begriff Seer in Tipke/Lang24, § 6 Rz. 40, 44 f. 4 Hierzu Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 195 f. 5 Zum Begriff Steuersubjekt Seer in Tipke/Lang24, § 6 Rz. 30 ff. 6 Anders im Falle der Option gem. § 1a KStG. 7 Vgl. hierzu die Übersicht bei Hey/Bauersfeld, IStR 2005, 649 ff. 8 RFH v. 12.2.1930, RStBl. 1930, 440; BFH v. 3.2.1988 – I R 134/84, BStBl. II 1988, 588; v. 15.3.1995 – II R 24/91, BStBl. II 1995, 653; v. 4.4.2007 – I R 110/05, BStBl. II 2007, 521; Wassermeyer, IStR 1998, 489 (492). 9 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 9; Wassermeyer in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 3; Bachem, Die optimale Ausgestaltung der Anrechnungsmethode zur unilateralen Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Ertragsteuern der deutschen internationalen Unternehmung, 18; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der Internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 16 f. 10 Lehner in V/L7 Grundlagen Rz. 9; Wassermeyer in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 3; Flick, StuW 1960, 329 ff.; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, 34.

Schaumburg | 639

15.4

Kap. 15 Rz. 15.5 | Begriff der Doppelbesteuerung

15.5

Im Ergebnis liegt daher die eigentliche Funktion des Erfordernisses der Subjektidentität darin, die Besteuerung von Kapitalgesellschaften und ihren Gesellschaftern grundsätzlich der Doppelbesteuerungsproblematik zu entziehen.1

15.6

Der Identität des Besteuerungszeitraums wird als Merkmal der Doppelbesteuerung allgemein keine besondere Bedeutung beigemessen, weil insbesondere die Gewinnrealisierungstatbestände in den einzelnen Steuerrechtsordnungen unterschiedlichen Zeiträumen zugeordnet werden.

15.7

Die Gleichartigkeit der Steuer verlangt schließlich ebenfalls keine Identität der Steuer, die wegen der verschiedenen Steuersysteme ohnehin nicht gegeben ist. Abgestellt wird vielmehr auf die Vergleichbarkeit, die vor allem am Steuerobjekt und an der Belastungswirkung zu messen ist.2

15.8

Die Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung betreffen nicht nur die effektive Doppelbesteuerung, also den Fall, dass ein und dasselbe Steuersubjekt tatsächlich auch von mehreren internationalen Abgabenhoheiten in Anspruch genommen wird. Sie betreffen auch die virtuelle Doppelbesteuerung, wonach ein mehrstaatlicher Steuerzugriff aufgrund von in DBA eingeräumten Besteuerungskompetenzen zwar möglich ist, tatsächlich aber nicht erfolgt. In diesem Fall kommt es zu überhaupt keiner Besteuerung (sog. Nullbesteuerung), sofern die Doppelbesteuerung durch Freistellung auf Abkommensebene vermieden wird.3 Um eine derartige Nullbesteuerung zu vermeiden, sehen einige DBA4 sowie das nationale Steuerrecht z.B. für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 50d Abs. 8 EStG) und in bestimmten Fällen von Qualifikationskonflikten (§ 50d Abs. 9 EStG) sog. Subject-to-Tax-Klauseln5 vor, nach denen die Freistellung davon abhängig gemacht wird, dass die betreffenden Einkünfte im anderen Staat steuerpflichtig und/oder tatsächlich der Besteuerung unterworfen sind.6

15.9

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, den Begriff der Doppelbesteuerung, der im Wesentlichen durch qualitative Merkmale getragen ist, durch Anreicherung quantitativer Aspekte zu verengen. Hiernach soll eine Doppelbesteuerung nur dann vorliegen, wenn die von einem Steuersubjekt zu tragende Steuer insgesamt als unangemessen hoch empfunden wird, insbesondere jene Steuerlast übersteigt, die es zu tragen hätte, wenn es nur einer Steuerhoheit unterläge und zudem hierdurch potentiell der internationale Wirtschaftsverkehr behindert wird.7 Diese Begriffseinengung mag zwar wünschenswert sein, weil sie sich lediglich auf die effektive, nicht aber auf die virtuelle Doppelbesteuerung bezieht und dadurch das Problem der Null- bzw.

1 Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (139). 2 Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, 28. 3 Die Steuerfreistellung erfolgt in der internationalen Praxis auf der Ebene von DBA überwiegend unbedingt, d.h. ohne Rücksicht darauf, ob der berechtigte Staat besteuert. 4 Hierzu der Überblick bei Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A Rz. 161 ff.; Ismer in V/L7, Art. 23 Rz. 175 ff.; BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006, BStBl. I 2013, 980. 5 Auch Rückfallklauseln genannt. 6 Hierzu Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 20a ff.; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B Rz. 69 f., 73 ff.; ferner Rz. 19.141. 7 So Frotscher, Internationales Steuerrecht5, 5 f.; ähnlich Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 30; Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (139 f.); Philipp, Befreiungssysteme mit Progressionsvorbehalt und Anrechnungsverfahren, 9 f.; Meyer, Die Vermeidung internationaler Doppel- und Minderbesteuerung auf der Grundlage des Ursprungsprinzips, 50; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 17 ff.

640 | Schaumburg

Begriff der Doppelbesteuerung | Rz. 15.10 Kap. 15

doppelten Nichtbesteuerung (Rz. 15.10) aufhebt, den Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung lässt sich dieser quantitative Aspekt indessen nicht entnehmen, soweit diese die Vermeidung der (virtuellen) Doppelbesteuerung durch Steuerfreistellung bewirken. Als Folge der Vermeidung der Doppelbesteuerung kommt es in der Besteuerungspraxis nicht selten zu einer doppelten Nichtbesteuerung. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen durch Steuerfreistellung die virtuelle Doppelbesteuerung vermieden wird. Darüber hinaus kommt es zu einer derartigen Nullbesteuerung oder Minderbesteuerung auch bei Qualifikations- und Zuordnungskonflikten.1 Im Hinblick darauf ist von einer doppelten Nichtbesteuerung dann auszugehen, wenn grenzüberschreitend erzielte Einkünfte nicht oder nur teilweise steuerlich erfasst werden, weil es aufgrund des Aufeinandertreffens mehrerer eigenständiger Rechtsordnungen zu einer Freistellung oder Nichterfassung der Einkünfte in beiden Staaten kommt.2

1 Zu Einzelheiten Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 74 ff.; Schaumburg in FS Frotscher, 503 ff. 2 So die Definition von Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 273; ähnlich Burmester in FS Debatin, 55 (56 f.); M. Lang, CDFI 89a (2004), 21 ff.

Schaumburg | 641

15.10

Kapitel 16 Ursachen der Doppelbesteuerung

Literatur: Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964, 32 ff.; Burmester, Zur Systematik internationaler Minderbesteuerung und ihrer Vermeidung, in FS für Debatin, München 1997, 55; Burmester, Grundlagen internationaler Regelungskumulation und -kollision, unter besonderer Berücksichtigung des Steuerrechts, Baden-Baden 1993; Ebling, Unilaterale Maßnahmen gegen die internationale Doppelbesteuerung, Diss. Mainz 1970; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, Bern/Stuttgart 1974; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. München 2014, Rz. 14 f.; Höhn/David, Doppelbesteuerungsrecht, Bern/Stuttgart 1973; Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Binnenmarkt, Berlin 2009, 24 ff.; Lang, M., Doppelte Nichtbesteuerung, CDFI 89a (2004), 21; Lehner in Vogel/Lehner, Grundlagen, DBA, 7. Aufl. München 2021; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Frankfurt/Bern/New York/ Paris 1987; Meyer, Die Vermeidung internationaler Doppel- und Minderbesteuerung auf der Grundlage des Ursprungsprinzips, Diss. Göttingen 1970; Rädler/Raupach, Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehungen, München/Berlin 1966; Ritter in Vogel/Ellis u.a., Steueroasen und Außensteuergesetz, München 1981, 96; Ruppe, Internationale Probleme auf dem Gebiet der Umsatzbesteuerung, CDFI LXVIIIb (1983), 15 ff.; Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, Systematik, DBA, 2. Aufl. Köln 2019; Weber-Fas, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, Tübingen 1982, 29.

16.1

Die Steuerhoheit ist Ausdruck der Gebietshoheit eines Staates, innerhalb dessen Grenzen die Staatsgewalt ausgeübt wird. Daraus folgt, dass als Anknüpfungspunkte für die Besteuerung alle wirtschaftlichen Erscheinungen innerhalb des Staatsgebietes in Betracht kommen können (Territorialitätsprinzip). Damit ist das Ausmaß der Besteuerung aber noch nicht erschöpft; denn mangels eines entgegenstehenden völkerrechtlichen Verbots kann die Abgabengewalt auch auf auslandsbezogene Steuergüter ausgeweitet werden (Universalitätsprinzip). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass es in persönlicher Hinsicht irgendeine Beziehung zum Staatsgebiet gibt, und zwar durch Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnsitzprinzip) oder aber durch die Staatsangehörigkeit selbst. Existiert eine derartige persönliche Beziehung nicht, bleibt es bei der durch das Staatsgebiet gezogenen Besteuerungsschranke. Diese Schrankenwirkung entspricht dem völkerrechtlich verbindlichen Grundsatz, dass nur solche Sachverhalte der Besteuerung eines Staates unterworfen werden dürfen, die einen tatsächlichen Anknüpfungspunkt (genuine link) zu diesem aufweisen (Rz. 3.13).

16.2

Die Steuersysteme der einzelnen Länder haben den vorstehenden Prinzipien weitgehend Rechnung getragen, das Einkommen-, Körperschaft- und Erbschaftsteuergesetz Deutschlands beispielsweise durch die unbeschränkte und beschränkte Steuerpflicht. Die unbeschränkte Steuerpflicht knüpft an den Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder an den Ort der Geschäftsleitung des Steuersubjektes an. Bei anderen Ländern, z.B. in den USA, tritt die Staatsangehörigkeit als weiteres Anknüpfungsmerkmal hinzu. Im Gegensatz zur unbeschränkten Steuerpflicht, in deren Rahmen das gesamte Welteinkommen/Weltvermögen erfasst wird, ist die beschränkte Steuerpflicht auf Inlandseinkünfte/Inlandsvermögen begrenzt.

16.3

Diejenigen Normen, die im Bereich der Einkommen-, Körperschaft- und Erbschaftsteuer eine unbeschränkte Steuerpflicht mit der Folge der Besteuerung des Welteinkommens/Weltvermögens statuieren, sind kollisions- oder konfliktbegründend. Sie sind die eigentliche Ursache der Doppelbesteuerung. Eine Kollisionsbegründung erfolgt im Bereich der vorgenannten Steuern insbesondere durch das internationale Nebeneinander von unbeschränkter Steu642 | Schaumburg

Ursachen der Doppelbesteuerung | Rz. 16.8 Kap. 16

erpflicht im Wohnsitzstaat durch Erfassung des Welteinkommens/Weltvermögens und beschränkter Steuerpflicht im Quellenstaat durch Erfassung inländischen Einkommens und Vermögens. In diesem primären Kollisionsfall kollidieren also die Steueransprüche des Wohnsitzstaates und des Quellenstaates. Die Vermeidung der hierdurch verursachten Doppelbesteuerung ist das Hauptziel der kollisionsauflösenden Normen, das heißt derjenigen Normen, die die Vermeidung der Doppelbesteuerung zum Ziel haben (Rz. 2.3 ff.). Eine Besteuerung nach Maßgabe des Territorialitätsprinzips ist von ihrem Ansatz her grundsätzlich auf Vermeidung von Doppelbesteuerung angelegt. Hierzu bedürfte es allerdings eines internationalen Konsenses aller Staaten insbesondere über die inländischen Steueranknüpfungspunkte. Denn nur bei identischen Quellendefinitionen lässt sich konzeptionell eine Doppelbesteuerung vermeiden. Ein derart weltweites Territorialitätsprinzip ist indessen chancenlos, weil Hochsteuerländer durch Überwechseln vom Welteinkommensprinzip zum Territorialitätsprinzip Steuerausfälle zu befürchten hätten (Rz. 6.60).1

16.4

Eine weitere Ursache der Doppelbesteuerung liegt in dem Nebeneinander von unbeschränkter Steuerpflicht in mehreren Staaten, etwa bei Doppelwohnsitz oder Mehrfachwohnsitz oder aber im Falle der Anknüpfung an den Wohnsitz einerseits und an die Staatsangehörigkeit andererseits. Auch diese Fälle der Doppelbesteuerung werden von den Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung erfasst. Schließlich ist eine Doppelbesteuerung auch durch eine verschiedenartig ausgeprägte beschränkte Steuerpflicht in mehreren Staaten möglich, etwa dann, wenn für die inländischen Steuerquellen jeweils unterschiedliche Anknüpfungspunkte gewählt werden.

16.5

Bei den Verkehr- bzw. Verbrauchsteuern, insbesondere bei der Umsatzsteuer, liegt die Ursache der Doppelbesteuerung in dem Nebeneinander von Bestimmungsland- und Ursprungslandbesteuerung (Rz. 10.3).2 Wo im Verhältnis mehrerer Staaten zueinander etwa das Bestimmungslandprinzip Geltung hat – derzeit in der EU –, tritt eine Doppelbesteuerung allerdings nur ein, wenn die Anknüpfungspunkte hierfür unterschiedlich ausgestaltet sind.3

16.6

Die Ursache für eine Doppelbesteuerung im Bereich der Gewerbesteuer liegt insbesondere in der unterschiedlichen Anknüpfung an Steuerobjekte im Rahmen des prinzipiell geltenden Territorialitätsprinzips. So können etwa der Gewerbesteuer unterliegende Steuerquellen eines Staates einer Betriebsstätte des anderen Staates zugeordnet und dort ebenfalls der Gewerbesteuer unterworfen werden.4

16.7

Neben der Doppelbesteuerung selbst wird auch die doppelte Nichtbesteuerung (Minderbesteuerung) als ein Ergebnis nicht oder nicht voll korrespondierender5 Normen (bzw. von de-

16.8

1 Ebling, Unilaterale Maßnahmen gegen die internationale Doppelbesteuerung, 85 f.; Ritter in Vogel/Ellis u.a., Steueroasen und Außensteuergesetz, 96; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 52. 2 Stadie in R/D, Einf. UStG Rz. 730 ff.; Englisch in Tipke/Lang24, § 17 Rz. 400 f.; Tumpel, DStJG 32 (2009), 53 (73 ff.). 3 Stadie in R/D, Einf. UStG Rz. 730 ff. 4 Vgl. nur § 7 Satz 7 GewStG, wonach der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegende ausländische Betriebsstättengewinne als inländische fingiert werden. 5 Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 166 ff.

Schaumburg | 643

Kap. 16 Rz. 16.8 | Ursachen der Doppelbesteuerung

ren Auslegungen) in einigen Staaten aufgefasst.1 Aufgrund kollisionsbegründender Normen ist bei den Personensteuern eine Minderbesteuerung insbesondere in den Fällen denkbar, in denen Steuerpflichtige in Staaten ansässig sind, die nicht das Welteinkommen, sondern lediglich das Einkommen nach Maßgabe des Territorialitätsprinzips versteuern.2 Soweit in diesem Rahmen unterschiedliche Anknüpfungspunkte für die Besteuerung gewählt werden, kann es aus internationaler Sicht zu Besteuerungslücken kommen. Im Übrigen entsteht eine Minderbesteuerung auch unter dem Gesichtspunkt der Steuerflucht. Im Hinblick darauf wird die Minderbesteuerung auch als Ergebnis eines aktiven Steuerwiderstandes gedeutet,3 womit zugleich die Ursache dieser Minderbesteuerung umschrieben ist. Überwiegend wird eine Minderbesteuerung indessen nicht mit Steuerflucht in Verbindung gebracht, sondern stets dann angenommen, wenn Einkünfte in verschiedenen Staaten aufgrund unterschiedlich wirkender Rechtsordnungen tatsächlich keiner oder nur einer teilweisen Besteuerung unterliegen. Angesprochen sind damit u.a. die Fälle zwischenstaatlicher Qualifikationskonflikte, aufgrund deren es, etwa bei divergierender Anwendung von DBA, zu Doppelfreistellungen kommt (Rz. 19.84 ff.).

16.9

Im Hinblick darauf sind die uni- und bilateralen Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht selten mit Normen zur Vermeidung einer Minderbesteuerung verknüpft. Diese sind zumeist darauf gerichtet, Steuerentlastungen von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen. Zu diesen Normen gehören etwa die Treaty-Shopping-Klausel des § 50d Abs. 3 EStG (Rz. 19.160 ff.), Subject-to-Tax-Klauseln der DBA (Rz. 19.85 f.) sowie des § 50d Abs. 8 und 9 EStG, die Switch-over-Klausel des § 20 Abs. 2 AStG (Rz. 19.552) sowie die abkommensrechtlichen Aktivitätsklauseln (Rz. 19.138).

1 Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 169 f.; Weber-Fas, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, 29; Burmester in FS Debatin, 55 ff.; M. Lang, CDFI 89a (2004), 21 ff. 2 Z.B. Uruguay; vgl. Rz. 6.55. 3 Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 169; Meyer, Die Vermeidung internationaler Doppel- und Minderbesteuerung auf der Grundlage des Ursprungsprinzips, 120 f.

644 | Schaumburg

Kapitel 17 Vermeidung der Doppelbesteuerung

A. Gründe für die Vermeidung der Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . B. Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung I. Methodenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . II. Freistellungsmethode . . . . . . . . . . . . . III. Anrechnungsmethode . . . . . . . . . . . . IV. Abzugsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . .

17.1

17.16 17.22 17.29 17.34

V. Pauschalierungsmethode . . . . . . . . . . VI. Erlassmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . D. Maßnahmen zur Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung . . . . . .

17.36 17.38 17.40 17.42

Literatur: Bachmayr, Rechtsanspruch auf Schutz gegen internationale Doppelbesteuerung, StuW 1964, 885; Becker, Tücken bei der Anrechnung ausländischer Steuern, BB 1977, 536; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964; Burmester, Grundlagen internationaler Regelungskumulation und -kollision, unter besonderer Berücksichtigung des Steuerrechts, Baden-Baden 1993; Ditz/Plansky, Aktuelle Entwicklungen bei der Berücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste, DB 2009, 1669; Ebling, Die unilateralen Maßnahmen zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung, DStR 1976, 231; Englisch, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen des objektiven Nettoprinzips, DStR 2009, Beiheft zu Heft 34, 92; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, Bern/Stuttgart 1974; Feuerbaum, Maßnahmen zur Sicherung der internationalen steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Außenwirtschaft – insbesondere des Großanlagenbaus, DB 1980, 1805; Fischer-Zernin, Internationale Ertragsteuern und Welthandelsordnung (GATT/WTO), Köln 1996; Flick, Methoden zur Ausschaltung der Internationalen Doppelbesteuerung bei den direkten Steuern, FinArch. 1961 (Band 21), 86; Flick, Recht und Gerechtigkeit im Internationalen Steuerrecht, FR 1961, 171; Flick, Steuerliche Gefahren für den Anlagenbau im Ausland, DStR 1977, 253; Gandenberger, Der Einfluss der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf die internationalen Wirtschaftsströme, DStJG 8 (1985), 33; Höhn/David, Doppelbesteuerungsrecht, Bern/Stuttgart 1973; IdW, Zur direkten Steueranrechnung nach § 34c EStG und § 26 Abs. 1 KStG 1977, DB 1977, 322 (323); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. München 2016; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, Baden-Baden 2009; Juch, Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, CDFI LXVIb (1981), 81; Kahler, Die Freistellungsmethode in deutschen DBA und ihre Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag, Frankfurt u.a. 2007; Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Binnenmarkt, Berlin 2009; Krebühl, Das Steueranrechnungsverfahren in den USA – Ein Vorbild für Deutschland?, in Kley/Sünner/Willemsen (Hrsg.), FS für Ritter, Köln 1997, 147; Lampert, Doppelbesteuerungsrecht und Lastengleichheit, Baden-Baden 2010; Lehner, Beseitigt die neue Verfassung für Europa die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung?, IStR 2005, 397; Lehner, Das Territorialitätsprinzip im Licht des Europarechts, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Wassermeyer, München 2005, 241; Lehner in Vogel/Lehner, Grundlagen, DBA, 7. Aufl. München 2021; Locher, Einführung in das internationale Steuerrecht der Schweiz, Bern 1996; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der Internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1987; Maiterth, Wettbewerbsneutralität der Besteuerung, Bielefeld 2001, 213; Manke, Günstigere Regelungen zur Berücksichtigung ausländischer Steuern, DStZ 1980, 323; Mennel, Internationaler Vergleich der Anrechnung ausländischer Steuern, RIW 1977, 470; Mössner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, DStJG 8 (1985), 135; Mössner/Kellersmann, Grenzenlose Steuern – Fiktion oder Wirklichkeit?, DVBl. 1995, 968; Ritter, Das Prinzip Rücksicht – zu den internationalen Grenzen der

Schaumburg | 645

Kap. 17 Rz. 17.1 | Vermeidung der Doppelbesteuerung Steuerhoheit, BB 1984, 1109; Ritter, Steuerfreiheit ausländischer Schachteldividenden, BB 1994, 509; Ritter, Steuerprobleme inländischer Muttergesellschaften mit ausländischem Beteiligungsbesitz, JbFSt 1975/76, 339; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schaumburg, Das Nettoprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Tipke/Seer/Hey/Englisch (Hrsg.), Gestaltung der Rechtsordnung, FS für Lang, Köln 2010, 1099; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Köln 2020; Scheffler, Steuerfreistellung für Auslandsinvestitionen, in Jacobs/Spengel (Hrsg.), Aspekte der Unternehmensbesteuerung in Europa, Baden-Baden 1996, 155; Scherer, Doppelbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, München 1995; Schmitz, Kommentar zum Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, Düsseldorf 1957; Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, StbJb 2003/2004, 27; Schön, Doppelbesteuerung und EU-Recht, in FG für Wassermeyer, München 2015, 7; Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA², Köln 2019, Systematik Rz. 1 ff.; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, Amsterdam 1936 (Neudruck Köln 1967); Tipke, Verständigungsverfahren: Rechtsanspruch auf Beseitigung der Folgen einer Doppelbesteuerung oder bloßer Rechtsreflex?, AWD 1972, 589; Vogel, Der Grundsatz der Rücksichtnahme im deutschen innerstaatlichen Recht und im Völkerrecht, in Kley/Sünner/Willemsen (Hrsg.), FS für Ritter, Köln 1997, 771; Vogel, Die Besteuerung von Auslandseinkünften, DStJG 8 (1985), 3; Vogel, Harmonisierung des Internationalen Steuerrechts in Europa, StuW 1993, 380; Vogel, Theorie und Praxis im Internationalen Steuerrecht, DStR 1968, 427; Vogel/Wassermeyer u.a., Freistellung im Internationalen Steuerrecht, München 1996; Wassermeyer, Die Vermeidung der Doppelbesteuerung im Europäischen Binnenmarkt, DStJG 19 (1996), 151; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Vor Art. 1 OECD-MA, München (Loseblatt); Weber-Fas, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, Tübingen 1982, 29; Wessel, Doppelbesteuerung und EWG-Vertrag, Münster 1988, 135; Widmer, Tendenzen in der Wahl der Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, RIW 1976, 566; Wolf, Die Individualberechtigung aus Abkommen im Internationalen Steuerrecht, Diss. München 1964.

A. Gründe für die Vermeidung der Doppelbesteuerung 17.1

Die Doppelbesteuerung beruht im Bereich der Subjektsteuern1 vor allem auf dem internationalen Nebeneinander von unbeschränkter Steuerpflicht durch Erfassung des Welteinkommens/Weltvermögens, die anknüpft an Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Ort der Geschäftsleitung, und beschränkter Steuerpflicht durch Erfassung inländischen Einkommens/ inländischen Vermögens. Neben dieser primären Kollision von unbeschränkter Steuerpflicht einerseits und beschränkter Steuerpflicht andererseits kann es zu einer Doppelbesteuerung auch durch das Nebeneinander von unbeschränkter Steuerpflicht in mehreren Staaten kommen. Schließlich ist eine Kollision auch durch eine verschiedenartig ausgeprägte beschränkte Steuerpflicht in mehreren Staaten möglich. Die internationale Doppelbesteuerung infolge kollisions- oder konfliktbegründender Normen2 erfährt ihre Einschränkung oder gar Aufhebung durch kollisionsauflösende Normen, das heißt durch Normen, die auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung gerichtet sind (Rz. 2.3 ff.).

17.2

Der Begriff Vermeidung der Doppelbesteuerung ist zwar allgemein gebräuchlich, erfasst aber lediglich diejenigen (kollisionsvermeidenden) Normen, die das Zustandekommen einer Doppelbesteuerung verhindern. Im Vordergrund stehen indessen (kollisionsauflösende) Normen,

1 Zu ihnen gehören insbesondere Einkommensteuern; zur Steuertypologie im Einzelnen Hey in Tipke/Lang24, Rz. 7.20 ff. 2 Z.B. §§ 1 Abs. 1 bis 3 i.V.m. 2 Abs. 1 EStG für die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht und §§ 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG für die beschränkte Einkommensteuerpflicht.

646 | Schaumburg

A. Gründe für die Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 17.4 Kap. 17

die nachträglich eine Doppelbesteuerung beseitigen oder mildern. Im Hinblick darauf wird auch der Begriff Ausschaltung der Doppelbesteuerung verwendet.1 Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zählt zwar für jeden Staat das Verbot, die Steuerpflicht aufgrund seiner Steuergesetze ohne räumliche oder persönliche Schranken auszudehnen, so dass nur solche Sachverhalte der einseitigen Regelung eines Staates unterworfen sind, die eine tatsächliche Anknüpfung zum regelnden Staat aufweisen. Es gibt aber keinen völkerrechtlichen Satz, der eine Doppelbesteuerung verböte und der die Vermeidung der Doppelbesteuerung zur Auflage machte.2 Insbesondere hat sich bislang auch kein Völkergewohnheitsrecht entwickelt, aufgrund dessen eine übereinstimmende Rechtsüberzeugung festgestellt werden könnte, dass eine Doppelbesteuerung vermieden werden müsste (Rz. 2.5).3

17.3

Auch der AEUV enthält kein ausdrückliches Doppelbesteuerungsverbot.4 Der inzwischen ersatzlos aufgehobene5 Art. 293 EG-Vertrag verpflichtete aber die Mitgliedstaaten untereinander, Verhandlungen einzuleiten,6 um zugunsten ihrer Staatsangehörigen die Beseitigung der Doppelbesteuerung sicherzustellen.7 Auf dieser Grundlage ist mit dem EU-Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung bei Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen8 ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag geschaffen worden, der darauf gerichtet ist, durch korrespondierende Gewinnberichtigungen eine Doppelbelastung zu vermeiden (Rz. 3.79 ff.). Im Übrigen ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung innerhalb der EU nicht sichergestellt.9 Das in Art. 26 AEUV verankerte Binnenmarktziel verpflichtet zwar

17.4

1 Flick, FinArch. 1961 (Bd. 21), 86 (90); Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 19; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der Internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 27 f. 2 BFH v. 14.2.1975 – VI R 210/72, BStBl. II 1975, 497; v. 31.5.2006 – II R 66/04, BStBl. II 2007, 49; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 13; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 8; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 167; Weber-Fas, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht, 39 f.; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 29; Mersmann in Handbuch der Finanzwissenschaft (Bd. 4), 89 (93); Burmester, Grundlagen internationaler Regelungskumulation und -kollision, unter besonderer Berücksichtigung des Steuerrechts, 277; Cordewener/Schnitger, StuW 2006, 50 (56); Ebling, DStR 1976, 231 (231). 3 Vogel, DStR 1968, 427 (430); Widmer, RIW 1976, 566 (567). 4 Hierzu Wessel, Doppelbesteuerung und EWG-Vertrag, 135 ff.; Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 381 ff.; Scherer, Doppelbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 76 f.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch2, Rz. 8.27. 5 Zu den Folgen dieser Aufhebung Dürrschmidt, NJW 2010, 2086 (2089). 6 Diese Verpflichtung war allerdings nicht einklagbar; vgl. EuGH v. 11.7.1985 – C-137/84, ECLI:EU: C:1985:335 = Slg. 1985, 2681, Rz. 11 – Mutsch; EuGH v. 10.2.1994 – C-398/92, ECLI:EU:C:1994:52 = Slg. 1994, I-467, Rz. 11 – Mund & Fester; EuGH v. 12.5.1998 – C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221 = Slg. 1998, I-2793, Rz. 15 – Gilly. 7 Dieses Gebot wirkte konstitutiv; hierzu Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 384; Scherer, Doppelbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 61 ff.; Lehner in Birk/Ehlers (Hrsg.), Rechtsfragen des europäischen Steuer-, Außenwirtschafts- und Zollrechts, 18; Lehner in Gassner/Lang/Lechner, DBA und EU-Recht, 13 (15). 8 90/436/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 10 (Schiedsverfahrenskonvention); Gesetz zu dem Übereinkommen v. 23.7.1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle der Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen v. 26.8.1993, BGBl. I 1993, 1308 (BStBl. I 1993, 818); BGBl. II 1995, 84 (BStBl. I 1995, 166). 9 Für eine Meistbegünstigung durch Inanspruchnahme der günstigsten vergleichbaren Besteuerung nach nationalem Steuerrecht oder nach Maßgabe eines DBA Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 836 ff.; Wassermeyer in Lehner (Hrsg.), Steuerrecht im Europäischen

Schaumburg | 647

Kap. 17 Rz. 17.4 | Vermeidung der Doppelbesteuerung

die Mitgliedstaaten der EU auf die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel und auf die Verschmelzung der nationalen Märkte hinzuarbeiten, hieraus kann aber allenfalls die Verpflichtung der EU-Staaten abgeleitet werden, untereinander Verhandlungen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung aufzunehmen; ein Verbot der Doppelbesteuerung wird hierdurch nicht begründet.1

17.5

Ein Doppelbesteuerungsverbot lässt sich auch nicht unmittelbar aus den europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten ableiten.2 Die internationale Doppelbesteuerung verursacht zwar binnenmarktwidrige Wettbewerbshindernisse,3 diese beruhen aber durchweg auf Systemdefiziten sowohl der Ansässigkeits- als auch der Quellenstaaten. Es ist das nicht aufeinander abgestimmte Zusammenspiel von kollisionsbegründenden und kollisionsauflösenden Steuernormen (Rz. 16.3) der einzelnen Staaten, die einerseits eine Doppelbesteuerung verursachen und andererseits eine solche nur unzureichend zu mildern vermögen.4 Im Hinblick auf diese parallelen Verantwortlichkeiten von Ansässigkeits- und Quellenstaaten lässt sich ein grundfreiheitliches Verbot der Doppelbesteuerung nicht eindeutig nur an den einen oder anderen Staat adressieren. Hiernach ist es allein Sache der Mitgliedsstaaten, uni- oder bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu ergreifen, wobei jedenfalls der Tatbestand der juristischen Doppelbesteuerung (Rz. 15.4) nicht als Verletzung der Grundfreiheiten beanstandet

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2

3 4

Binnenmarkt, Köln 1996, 151 (162 f.); Beul, IStR 1997, 1 (4); M. Lang in FS Rädler, München 1999, 429 (432 ff.); Tumpel, DStJG 23 (2000), 322 (344); Rädler in FS Debatin, München 1997, 333 (340 ff.); abgelehnt durch BFH v. 31.10.1990 – II R 176/87, BStBl. II 1991, 161; v. 26.5.2004 – I R 54/03, BStBl. II 2004, 767; v. 26.5.2004 – I R 54/03, BStBl. II 2004, 767; v. 9.11.2005 – I R 27/03, BStBl. II 2006, 564 unter Hinweis auf EuGH v. 12.5.1998 – C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221 = Slg. 1998, I-2973 – Gilly; EuGH v. 5.7.2005 – C-376/03, ECLI:EU:C:2005:424 = Slg. 2005, I-5821, Rz. 52 – D; umfassend Häger, Meistbegünstigung im Recht der DBA, vgl. ferner Lehner/Ismer in V/L7, Grundlagen Rz. 15, 271 ff.; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.182 ff.; im Übrigen Rz. 19.44. Im Einzelnen hierzu Ismer in V/L7, Grundlagen Rz. 264 ff.; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 30 f.; Wessel, Doppelbesteuerung und EWG-Vertrag, 135 ff.; Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 381 ff.; Schaumburg in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 269 (272 f.); a.A. Dautzenberg, DB 1994, 1542 ff., der ein europarechtliches Doppelbesteuerungsverbot auf Art. 4 Abs. 3 EUV und 110 AEUV stützt. EuGH v. 12.5.1998 – C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221 = Slg. 1998, I-2793, Rz. 30 – Gilly; vgl. ferner EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 = Slg. 1999, I-6161, Rz. 57 – Saint Gobain; EuGH v. 12.12.2002 – C- 385/00, ECLI:EU:C:2002:750 = Slg. 2002, I-1189 – de Groot; EuGH v. 14.11.2006 – C-513/04, ECLI:EU:C:2006:713 = Slg. 2006, I-10967, Rz. 15 ff. – Kerkhaert u. Morres; EuGH v. 16.10.2008 – C-527/06, ECLI:EU:C:2008:566 = Slg. 2008, I-7735, Rz. 48 – Renenberg; EuGH v. 28.2.2013 – C-181/11, ECLI:EU:C:2012:455 = ISR 2013, 124 – Beker u. Beker; Wessel, Doppelbesteuerung und EWG-Vertrag, 135 ff.; Schön, IStR 2004, 289 (299); Hahn, IStR 2002, 681 (686); Mössner/Kellersmann, DVBl. 1995, 968 (970); für ein grundfreiheitliches Verbot dagegen Englisch, Dividendenbesteuerung, 251 ff.; Dautzenberg, DB 1994, 1542 ff.; ferner mehr oder weniger stark differenzierend Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 857 ff.; Lehner in FS Wassermeyer, 241 ff.; Schönfeld, StuW 2005, 158 ff.; vgl. auch den Literaturüberblick bei Prokisch in K/S/M, § 34c EStG Rz. A 72 ff. und Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 161 ff.; die Vereinbarkeit des abkommensrechtlichen Progressionsvorbehaltes mit den Grundfreiheiten wurden bejaht von BFH v. 15.5.2002 – I R 40/01, BStBl. II 2002, 660. Lehner, IStR 2005, 397 (398). Zu den Ursachen der Doppelbesteuerung Rz. 16.1 ff.

648 | Schaumburg

A. Gründe für die Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 17.6 Kap. 17

wird.1 Bei der Ausgestaltung der Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sind allerdings die EU-Diskriminierungsverbote (Rz. 4.12 ff.) zu beachten. Hieraus folgt konkret, dass sich die unilateralen und bilateralen Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ggü. den Grundfreiheiten zu legitimieren haben. Das gilt insbesondere für die Vorschriften über die Anrechnung ausländischer Steuern, die in ihrer jeweiligen normenspezifischen Ausprägung nicht selten gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) oder die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) verstoßen (Rz. 18.105). Das sekundäre Unionsrecht enthält allerdings für bestimmte Sachbereiche mitunter ein partielles Gebot der Vermeidung der Doppelbesteuerung. Angesprochen sind insbesondere die steuerliche Fusionsrichtlinie,2 die Mutter-/Tochter-Richtlinie3 und die Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie:4 Die Fusionsrichtlinie gewährleistet unter bestimmten Voraussetzungen die grenzüberschreitende Verschmelzung, Spaltung und Sitzverlegung mit dem Ziel der Vermeidung einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung. Das gilt insbesondere für jene Fälle, in denen Mitgliedstaaten die an der Umstrukturierung beteiligten Gesellschaften einerseits als eigenständige Steuersubjekte und andererseits als transparente Gesellschaften, für die aus deutscher Sicht die Mitunternehmerkonzeption zur Anwendung kommt, qualifizieren.5 Die Fusionsrichtlinie ist in das deutsche Steuerrecht durch das UmwStG umgesetzt worden, womit im Wesentlichen die steuerneutrale Umstrukturierung von Gesellschaften über die Grenze erleichtert wird (Rz. 20.75 ff.). Die Mutter-/Tochter-Richtlinie verpflichtet demgegenüber die Mitgliedstaaten, in ihrer Eigenschaft als Quellenstaaten, Ausschüttungen einer Tochtergesellschaft an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft von der Quellensteuer freizustellen.6 Diese Regelung ist durch § 43b EStG umgesetzt worden (Rz. 3.72). Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten auf Grund der Mutter-/Tochter-Richtlinie als Wohnsitzstaat der Muttergesellschaft gehalten, die entsprechenden Ausschüttungen (teilweise) freizustellen, oder aber die auf die Ausschüttungen entfallende Körperschaftsteuer der Tochtergesellschaft anzurechnen. Diesem Freistellungsgebot entspricht § 8b Abs. 1 KStG (Rz. 3.71, 18.144 ff.).7 Primärer Zweck der Zins- und Lizenzrichtlinie ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch eine Zuweisung des alleinigen Besteuerungsrechts an den Mitgliedstaat, in dem der Nutzungsberechtigte der Zins- oder Lizenzzahlungen ansässig ist. Im Hinblick darauf ist der andere Mitgliedstaat verpflichtet, eine Steuerbefreiung zu gewähren (Art. 1 Abs. 1 ZiLiRL) (Rz. 3.74, 18.190 ff.). Mit 1 EuGH v. 20.5.2008 – C-194/06, ECLI:EU:C:2008:289 = IStR 2008, 435 Rz. 32 – OESF; EuGH v. 12.2.2009 – C-67/08, ECLI:EU:C:2009:92 = IStR 2009, 175 Rz. 23–31 – Block; EuGH v. 16.7.2009 – C-128/08, ECLI:EU:C:2009:471 = Slg. 2009, I-6823, Rz. 27-30 – Damseaux; EuGH v. 8.12.2011 – C-157/10, ECLI:EU:C:2011:813 = IStR 2012, 152 Rz. 37–42 – Banco Bilbao; anders dagegen EuGH v. 13.3.2014 – C-375/12, ECLI:EU:C:2014:138 = DStRE 2014, 1115, Rz. 35–40 – Bouanich II zur Nichtberücksichtigung ausländischer Steuern; vgl. hierzu Schön in FG Wassermeyer, 7 ff. (8 f.). 2 RL 2009/133/EG v. 19.10.2009, ABl. EU 2009 L 310, 34 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat; hierzu Rz. 3.66 ff. 3 RL 2011/96/EU v. 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8; zuletzt geändert durch RL 2014/86/EU v. 8.7.2014, ABl. EU 2014 Nr. L 219, 40; hierzu Rz. 3.70 ff. 4 RL 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 1, 49; zuletzt geändert durch RL 2013/13/EU, ABl. EU 2013 Nr. L 141, 30; hierzu Rz. 3.74 ff. 5 Z.B. Art. 4 Abs. 2 der Fusionsrichtlinie. 6 Art. 5 Mutter-/Tochter-Richtlinie. 7 Früher § 26 Abs. 2a KStG (indirekte Anrechnung).

Schaumburg | 649

17.6

Kap. 17 Rz. 17.6 | Vermeidung der Doppelbesteuerung

§ 50g EStG sind die entsprechenden materiellen Bestimmungen ins deutsche Recht überführt worden, so dass Deutschland als Quellenstaat auf Antrag eine Entlastung vom deutschen Steuerabzug gewährt.

17.7

Die Vermeidung der Doppelbesteuerung lässt sich als allgemein verbindliches Gebot schließlich auch nicht aus dem allgemeinen Grundsatz internationaler Rücksichtnahme ableiten.1 Dieser Rechtsgrundsatz, wenn er überhaupt eine eigenständige Völkerrechtsquelle2 darstellt, vermag nämlich nur dann Verbindlichkeit zu entfalten, wenn die Vermeidung der Doppelbesteuerung aus Rücksichtnahme auf die Besteuerungsinteressen anderer Staaten zwingend geboten wäre. Außerhalb des Geltungsbereichs von DBA ist dies zu verneinen.3

17.8

Allgemein wird angenommen, dass auch dem nationalen Recht kein Rechtssatz dahingehend zu entnehmen sei, dass eine Doppelbesteuerung verboten und deren Vermeidung geboten sei.4 Im Hinblick auf die internationale Kooperation, die Liberalisierung des Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs seien es lediglich Gründe der Opportunität, Klugheitsregeln, die den Staat veranlassten, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden.5 Indessen ist es das verfassungsrechtlich verankerte Rechtsprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, das eine Vermeidung der Doppelbesteuerung gebietet.6

17.9

Das Leistungsfähigkeitsprinzip, das als Fundamentalprinzip der Besteuerung weitgehend anerkannt wird (Rz. 4.9 f.), erlangt insbesondere in Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungsrechtliche Bedeutung. Das Leistungsfähigkeitsprinzip gibt nämlich den Vergleichsmaßstab für den allgemeinen Gleichheitssatz ab, so dass jedwede steuerrechtliche Differenzierung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu erfolgen hat.

17.10

Dem Leistungsfähigkeitsprinzip entspricht (auch) die Besteuerung des Welteinkommens, wobei das Territorialitätsprinzip eine weitere Konkretisierungsmöglichkeit des Leistungsfähigkeitsprinzips bedeutet (Rz. 6.58).7 Die Besteuerung des Welteinkommens führt konzeptionell zu einer qualitativ und quantitativ vollständigen Erfassung der Einkünfte von unbeschränkt steuerpflichtigen Personen. Dieser universellen Erfassung der Einkünfte als Maßgröße objektiver Leistungsfähigkeit folgt stets die Korrektur durch die Maßgröße subjektiver Leistungs1 So aber Ritter, JbFSt 1975/76, 339 (348); Ritter, BB 1984, 1109 (1112 f.); ferner Vogel in FS Ritter, 771 ff. 2 Hierzu zählen internationale Übereinkünfte, internationales Gewohnheitsrecht von Kulturvölkern, anerkannte Rechtsgrundsätze sowie als Hilfsquellen richterliche Entscheidungen und Lehrmeinungen; hierzu unter Rz. 3.11 ff. 3 Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 32 ff.; vgl. auch Mössner, DStJG 8 (1985) 121 f. 4 BFH v. 14.2.1975 – VI R 210/72, BStBl. II 1975, 497; Ebling, DB 1983, Beilage Nr. 18, 1 (8); ein subjektives Recht auf Vermeidung der Doppelbesteuerung wird allerdings abgeleitet aus der Transformation des EWG-Vertrages von Wolf, Die Individualberechtigung aus Abkommen im Internationalen Steuerrecht, 99 ff. 5 So Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der Internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 45. 6 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 10; Frotscher, Internationales Steuerrecht5, Rz. 34; Lampert, Doppelbesteuerungsrecht und Lastengleichheit, Baden-Baden 2010, 244 ff.; Schaumburg in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 269 (272 f.); Schaumburg in FS Tipke, 125 (143 ff.); Tipke, AWD 1972, 589 ff.; ähnlich Bachmayr, StuW 1964, 885 ff.; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, Basel/Stuttgart 1976, 52 f. 7 Zu Einzelheiten Schaumburg in FS Tipke, 125 (128).

650 | Schaumburg

A. Gründe für die Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 17.12 Kap. 17

fähigkeit, die zu dem Ergebnis des für die Steuerzahlung verfügbaren (disponiblen) Einkommens führt.1 Ausländische Steuern, die zusätzlich auf das Einkommen oder auf die Einkommensverwendung zu zahlen sind, belasten die subjektive Leistungsfähigkeit.2 Sie mindern als unvermeidbare Belastungen das disponible Einkommen. Die auf ausländische Einkommensteile gezahlte ausländische Einkommensteuer ist daher stets unter dem Gesichtspunkt der subjektiven Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen.3 Nur so wird die horizontale Steuergerechtigkeit verwirklicht, die die gleiche Steuerbelastung gleich hoher (disponibler) Einkommen gebietet.4

17.11

Die Vermeidung der Doppelbesteuerung ist somit die Kehrseite der Besteuerung des Welteinkommens.5 Im Hinblick darauf sind die Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in erster Linie im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht zu ergreifen.6 Diese Aufgabe fällt damit vor allem dem jeweiligen Wohnsitzstaat zu.7 Diese Rechtspflicht ist im deutschen Steuerrecht weitgehend durch die unilateralen8 und bilateralen9 Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung umgesetzt worden. Hierbei handelt es sich indessen nur um partielle Regelungen. Es gibt keine steuerrechtliche Norm, die das dem Leistungsfähigkeitsprinzip entlehnte, dem Art. 3 Abs. 1 GG entsprechende Gebot der Vermeidung der Doppelbesteuerung generell umsetzt. Die Finanzverwaltung ist daher im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen durch Steuererlass (§§ 163, 227 AO) gehalten, die Doppelbesteuerung zu vermeiden und hierdurch dem Leistungsfähigkeitsprinzip Geltung zu verschaffen,10 soweit dies weder die unilateralen noch die bilateralen Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu leisten vermögen.

17.12

1 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 619 ff., 763 ff.; Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 168 f. 2 Der Grundsatz, dass die Einkommensteuer als Rechtsfolge der persönlichen Leistungsfähigkeit nicht selbst die Maßgröße steuerlicher Leistungsfähigkeit beeinflussen soll, betrifft stets nur die inländische Steuer; hierzu Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 80. 3 Tipke, Steuergerechtigkeit, 120; Flick, FR 1961, 171 (172), die die Vermeidung der Doppelbesteuerung als Gebot der Steuergerechtigkeit auffassen. 4 Vgl. BVerfG v. 29.5.1990 – 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BStBl. II 1990, 653 (659); Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 165, 170; Lang, StuW 1990, 331 (347 f.). 5 So auch Regierungsbegründung zum StÄndG v. 20.8.1980 betr. § 34c EStG (BT-Drucks. 8/3648, 19 ff.). 6 Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Rahmen beschränkter Steuerpflicht gem. § 50 Abs. 3 EStG im Einzelnen Rz. 18.51. 7 Manke, DStZ 1980, 323 (326); Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 83; Höhn/David, Doppelbesteuerungsrecht, 81; so auch im Hinblick auf die Grundfreiheiten EuGH v. 7.9.2004 – C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 = IStR 2004, 680 Rz. 30–54 – Manninen; EuGH v. 6.3.2007 – C-292/04, ECLI:EU:C:2007:132 = IStR 2007, 247 Rz. 21–31 – Meilicke; EuGH v. 10.2.2011 – C-436, 437/08, ECLI:EU:C:2011:61 = IStR 2011, 299, Rz. 112–138 – Haribo Lakritzen u. Österreichische Salinen; EuGH v. 30.6.2011 – C-262/09, ECLI:EU:C:2011:438 = IStR 2011, 551 Rz. 24–34 – Meilicke II; EuGH v. 11.9.2014 – C-47/12, ECLI:EU:C:2014:2200 = ISR 2014, 337 m. Anm. Spies = IStR 2014, 724, Rz. 69 – Kronos; vgl. hierzu auch Schön in FG Wassermeyer, 7 ff. (9). 8 Z.B. § 34c EStG, § 26 KStG, § 102 Abs. 2 BewG, § 9 Nr. 7 GewStG, § 8b Abs. 1 KStG. 9 DBA. 10 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 10; vgl. grundsätzlich zu dieser exekutiven Entlastungspflicht BVerfG v. 12.10.1976 – 1 BvR 2328/73, BVerfGE 43, 1 (12); BFH v. 4.2.1987 – I R 252/83, BStBl. II 1987, 682, v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; vgl. auch BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461, Rz. 8 für den Fall des Scheiterns von Verständigungsver-

Schaumburg | 651

Kap. 17 Rz. 17.13 | Vermeidung der Doppelbesteuerung

17.13

Die Doppelbesteuerung führt zu einer Beeinträchtigung des internationalen Wirtschaftsverkehrs und behindert die Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit. Sie führt zudem zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsposition, da mit jeder Doppelbesteuerung, soweit sie nicht nachträglich behoben werden kann, eine finanzielle Mehrbelastung verbunden ist. Eine derartige Schwächung der Wettbewerbsposition der betroffenen Unternehmen ist mit den Grundsätzen einer liberalisierten Weltwirtschaft und damit zugleich mit den von den unter dem Dach der WTO1 angesiedelten völkerrechtlichen Abkommen – insbesondere GATT2 und GATS3 – verfolgten Zielsetzungen4 unvereinbar.5 Soweit die aufgrund internationaler Doppelbesteuerung entstehenden Mehrlasten nicht überwälzt werden können,6 verschlechtert sich die Wettbewerbsposition langfristig insbesondere dadurch, dass infolge geringerer Nettogewinne die Selbstfinanzierungsmöglichkeiten zur Vornahme von Rationalisierungs- oder Kapazitätserweiterungsmaßnahmen abnehmen und die Beteiligungs- und Fremdfinanzierung erschwert wird.7 Im Hinblick darauf hat insbesondere die internationale betriebswirtschaftliche Steuerlehre den Einfluss der Besteuerung auf die ausländische Geschäftstätigkeit deutscher Unternehmen untersucht.8 Im Vordergrund stehen hierbei steuerorientierte Handlungsalternativen und Entscheidungsmodelle, die sich im Sinne einer Steuerminimierung auch daran orientieren, in welchem Maße eine internationale Doppelbesteuerung vermieden werden kann.9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

fahren; einen Anspruch des Steuerpflichtigen ggü. der Finanzverwaltung dagegen verneinend Nieland, DBA als Problem innerstaatlicher Rechtsetzung, 45 f. World Trade Organization. General Agreement on Tarifs and Trade; BGBl. II 1951, 4 sowie BGBl. II 1994, 1438 und BGBl. II 1995, 456 in der von der sog. Uruguay-Verhandlungsrunde ergänzten Fassung. General Agreement on Trade in Services. Hierzu die Hinweise bei Fischer-Zernin, Internationale Ertragsteuern und Welthandelsordnung (GATT/WTO), 5 ff. Vgl. Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 14 ff. mit weiterführenden Hinweisen. Zur Überwälzbarkeit von Gewinnsteuern Brodmann, Wettbewerbswirkungen unterschiedlicher Steuersysteme im internationalen Handel unter besonderer Berücksichtigung der Besteuerungsverhältnisse in der Schweiz, der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, 88 ff. Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der Internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 34 ff. Auch als internationale betriebswirtschaftliche Steuerwirkungslehre bezeichnet, vgl. Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 251 ff. Umfassend Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 885 ff.; zur Steuerplanung im Internationalen Steuerrecht ferner: Rieger, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts als Problem der Steuerplanung in der multinationalen Unternehmung, Berlin 1978; Dücker, Die Ertragsteuerbelastung von Auslandsinvestitionen unter besonderer Berücksichtigung der steuerlichen Verlustverrechnung, Frankfurt 1985; Wacker, Steuerplanung im nationalen und transnationalen Unternehmen, Berlin 1979; Haas/Bacher/Scheuer, Steuerliche Gestaltung internationaler Geschäftsbeziehungen, Berlin 1974; Kratz, Steuerplanung internationaler Unternehmungen, Bern/Stuttgart 1986; Arndt, Die Besteuerung internationaler Geschäftstätigkeit deutscher Banken, Baden-Baden 1986; Hoffmann, Besteuerung bei internationaler Finanzierung und Kapitalverlagerung deutscher Unternehmen, Göttingen 1980; Nieß, Der Einfluss der internationalen Besteuerung auf die Finanzierung ausländischer Grundeinheiten deutscher multinationaler Unternehmen, Bergisch Gladbach/Köln 1989; Schlick, Besteuerung und internationale Finanzierung, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1989; Böhmer, Die deutsche Besteuerung grenzüberschreitender Unternehmensverträge, Baden-Baden 1991; vgl. auch die Beiträge in Gosch/Grotherr/Bergmann, Steuerplanung und Compliance.

652 | Schaumburg

B. Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 17.17 Kap. 17

Deutschland mit seiner exportorientierten Volkswirtschaft, mit hoher Auslandsinvestitionsquote und starken Auslandsaktivitäten der deutschen Wirtschaft ist in besonderem Maße sensibel ggü. den wettbewerbsverzerrenden Einflüssen internationaler Doppelbesteuerung. Die Konkurrenzfähigkeit bestimmter Wirtschaftszweige, die überwiegend auf Auslandsmärkten tätig sind, etwa des Anlagenbaus,1 hängt weitgehend davon ab, in welchem Maße die Vermeidung der Doppelbesteuerung tatsächlich gelingt.

17.14

Im Hinblick darauf wird die Vermeidung der Doppelbesteuerung als ein Gebot (auch) wirtschaftlicher Vernunft allgemein anerkannt.2

17.15

B. Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung I. Methodenvielfalt Die Methoden beschreiben die technische Art und Weise, wie die Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung im Rahmen der einzelnen Maßnahmen erreicht werden soll. Die technischen Ausgestaltungsmöglichkeiten sind vom deutschen Gesetzgeber durchweg umgesetzt worden, so dass die Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von einer Methodenpluralität beherrscht werden. Während auf unilateraler Ebene neben der Steueranrechnung,3 dem Steuerabzug,4 der Steuerermäßigung5 und der Steuerpauschalierung6 die (teilweise) Steuerfreistellung7 nur ausnahmsweise in Betracht kommt, stellt auf bilateraler Ebene, also im Rahmen von DBA, die Steuerfreistellung neben der Steueranrechnung die Regelmethode dar. Die systematischen Ansätze dieser Methoden sind unterschiedlich.

17.16

Die Anrechnungsmethode ist mit dem Welteinkommensprinzip systemkonform und unterstreicht das mit diesem Welteinkommensprinzip verbundene Leistungsfähigkeitsprinzip dahingehend, dass inländische und ausländische Einkommensteile gleichermaßen mit inländischer Steuer belastet sind. Durch die Anrechnungsmethode wird zugleich die Wettbewerbsneutralität gegenüber inländischen Unternehmen (Kapitalexportneutralität) verwirklicht.8 Auf gleiche Weise finden auch die Methoden des Steuerabzugs, der Steuerermäßigung sowie der Steuerpauschalierung ihre systematische Einordnung: Sie entsprechen ebenfalls dem Welteinkommensprinzip.9

17.17

1 Hierzu Feuerbaum, DB 1980, 1805 ff.; Flick, DStR 1977, 253 ff. 2 Vgl. Tipke, Steuergerechtigkeit, 120; Nieland, DBA als Problem innerstaatlicher Rechtsetzung, 47; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 34 ff.; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 63. 3 § 34c Abs. 1 EStG, § 26 Abs. 1 KStG, § 21 ErbStG. 4 § 34c Abs. 2, 3 EStG, § 26 Abs. 1 KStG. 5 § 34c Abs. 5 EStG, § 26 Abs. 1 KStG. 6 § 34c Abs. 5 EStG, § 26 Abs. 1 KStG. 7 § 3 Nr. 40 u. 41 EStG, § 9 Nr. 7 GewStG; § 8b Abs. 1, 2 KStG. 8 Gandenberger, DStJG 8 (1985), 33 (35 f.); Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 25 f.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 19 ff.; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 38 ff.; Juch, CDFI LXVIb (1981), 81 (86); Burmester in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 241 (244). 9 Schaumburg in FS Tipke, 125 (146).

Schaumburg | 653

Kap. 17 Rz. 17.18 | Vermeidung der Doppelbesteuerung

17.18

Demgegenüber realisiert die Freistellungsmethode partiell das Territorialitätsprinzip insoweit, als ausländische Einkünfte im Ansässigkeitsstaat der Besteuerung nicht unterworfen werden. Dieser Systembruch führt dazu, dass im Widerspruch zum Welteinkommensprinzip für in- und ausländische Einkünfte eine unterschiedliche Leistungsfähigkeit zur Geltung kommt.1

17.19

Die Differenzierung zwischen inländischer und ausländischer Leistungsfähigkeit2 entspricht dem Territorialitätsprinzip, das in seiner konzeptionellen Ausrichtung sachgerechter ist als das Welteinkommensprinzip.3 Das Abstellen auf die ausländische Leistungsfähigkeit im Rahmen des Territorialitätsprinzips ist insbesondere dann geboten, wenn der betreffende Steuerpflichtige mit der ausländischen Volkswirtschaft wirtschaftlich und damit wettbewerbsmäßig eng verbunden ist.4 Eine derartige Einbettung in die ausländische Volkswirtschaft ist vor allem bei dort belegenen aktiv tätigen Betriebsstätten gegeben. Hier ist es sachgerecht, die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit an den Verhältnissen des Betriebsstättenstaates zu orientieren. Der deutsche Gesetzgeber hat indessen das Welteinkommensprinzip verwirklicht, mit dem eine Steuerfreistellung im Grundsatz unvereinbar ist. Deshalb lässt sich die Steuerfreistellung auch nicht als Verwirklichung der allein im Rahmen des Territorialitätsprinzips bedeutsamen ausländischen Leistungsfähigkeit rechtfertigen.5 Aus der Sicht Deutschlands als kapitalexportierendem Staat ist die Freistellungsmethode, auch wenn sie nicht mit dem Welteinkommens-/ Weltvermögensprinzip vereinbar ist, dennoch sachlich gerechtfertigt, weil sie die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht beeinträchtigt und den deutschen Auslandsinvestitionen Wettbewerbschancen einräumt.6 Damit ergibt sich: Die konsequente Umsetzung des Welteinkommens-/Weltvermögensprinzips verlangt zwar im Grundsatz allein die Steueranrechnung als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, die Freistellungmethode, die konzeptionell das Quellenprinzip (Territorialitätsprinzip) verwirklicht, ist aber gleichwohl gerechtfertigt, weil gerade sie in besonderem Maße eine auf die ausländische Leistungsfähigkeit ausgerichtete Besteuerung berücksichtigt.7

17.20

Mit der Steuerfreistellung wird zugleich die Wettbewerbsneutralität im Ausland gegenüber ausländischen Unternehmen (Kapitalimportneutralität) gewahrt.8

17.21

Im Hinblick auf die mit der Freistellungsmethode verknüpfte Kapitalimportneutralität wird im Ausgangspunkt dem europäischen Binnenmarktkonzept in besonderer Weise dadurch entsprochen, dass inländische Investoren Zugang zu ausländischen Märkten mit geringerem Steuerniveau eröffnet wird, ohne dass das zwischenstaatliche Steuergefälle durch gesetzgeberi-

1 Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (142); Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 44; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 19 ff. 2 Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (142 f.); Vogel, DStJG 8 (1985), 3 (28 ff.). 3 Zum Welteinkommensprinzip und Territorialitätsprinzip im Einzelnen Rz. 6.53 ff. 4 Hierzu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 27 ff. 5 Vogel, DStJG 8 (1985), 3 (28 ff.); a.A. Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (142); Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 42 ff. 6 Im Hinblick darauf wird die Freistellungsmethode als Regelmethode für ausländische Direktinvestitionen gefordert von Vogel, StuW 1993, 380 (386 ff.); Ritter, BB 1994, 509; Ritter in FS L. Fischer, 179 (186 f.); Krebühl in FS Ritter, 147 (166). 7 Schaumburg in FS Tipke, 125 (147). 8 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 25 f.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 21; Gandenberger, DStJG 8 (1985), 33 (35 f.); Spengel, DStJG 36 (2013), 39 (48 ff.).

654 | Schaumburg

B. Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 17.23 Kap. 17

sche Maßnahmen – wie bei der Anrechnungsmethode – vereitelt wird.1 Indessen orientiert sich das Konzept des europäischen Binnenmarktes hinsichtlich der Gewährleistung freier Standortentscheidungen nicht an Steuerbelastungsunterschieden in den einzelnen Mitgliedstaaten, so dass unter diesem Gesichtspunkt wegen der kapitalexportneutralen Besteuerung auch die Anrechnungsmethode gerechtfertigt ist.2 Im Ergebnis sind somit die Freistellungsund Anrechnungsmethode gleichermaßen mit den europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten vereinbar.3

II. Freistellungsmethode Die Freistellungsmethode, die insbesondere von den kontinentaleuropäischen Staaten angewendet wird, entfaltet ihre eigentliche Bedeutung im Rahmen von DBA (Rz. 19.521 ff.). Eine Freistellung ausländischer Einkünfte auf unilateraler Basis, also durch einseitige Maßnahmen des nationalen Steuerrechts, erfolgt nur selten.4 Diese Zurückhaltung in der Anwendung der Freistellungsmethode ist systembedingt, weil die Freistellungsmethode der Verwirklichung des Territorialitätsprinzips dient und im Grundsatz mit dem Welteinkommensprinzip unvereinbar ist.5 Schließlich sind es auch fiskalische Klugheitsregeln, die dazu führen, dass ein einseitiger Steuerverzicht nur selten ausgesprochen wird.6

17.22

Soweit die Freistellung auf bilateraler Ebene eingreift, ergibt sich die Rechtsgrundlage hierfür unmittelbar aus den DBA selbst. Die entsprechenden Abkommensvorschriften führen zu einer unmittelbar wirkenden Steuerbefreiung im nationalen Recht, sind also Self-executingNormen.7 Sie werden überwiegend als sachliche Steuerbefreiung aufgefasst.8 Die Steuerbefrei-

17.23

1 Für eine Präferenz der Freistellungsmethode unter diesem Gesichtspunkt Lehner in FS Wassermeyer, 241 ff.; Schönfeld in F/W/B/S, vor § 34c EStG Rz. 21. 2 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 27 ff.; Maiterth, Wettbewerbsneutralität der Besteuerung, 213; Rädler, DStJG 14 (1994), 279 ff. 3 Oellerich in Schaumburg/Englisch2, Rz. 8.197 ff.; Schön, StbJb 2003/2004, 27 (44); Lehner, IStR 2001, 329 (336). 4 Vgl. aber z.B. § 9 Nr. 7 GewStG; § 8b Abs. 1, 2 KStG. 5 Zu weiteren methodischen Defiziten der Freistellungsmethode Scheffler in Jacobs/Spengel (Hrsg.), Aspekte der Unternehmensbesteuerung in Europa, 155 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 27 ff. 6 Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (165); Ebling, Unilaterale Maßnahmen gegen die internationale Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Ertrag, 101; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 64 f.; Schaumburg in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 269 (279). 7 Wassermeyer in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 9; Schönfeld/Häck in S/D, Systematik Rz. 24; Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (147). 8 BFH v. 14.3.1989 – I R 20/87, BStBl. II 1989, 649; v. 1.10.1992 – I B 42/92, I B 43/92, IStR 1992, 103; v. 21.5.1997 – I R 79/96, BStBl. II 1998, 113; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, vor Art. 6-22 OECD-MA Rz. 1a; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik, Rz. 28; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, 322; Kahler, Die Freistellungsmethode in deutschen DBA und ihre Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag, 79; Ebling, Unilaterale Maßnahmen gegen die internationale Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Ertrag, 100; Flick, FinArch. 1961 (Bd. 21), 86 (106); Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 64; modifizierend BVerfG v. 10.3.1971 – 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272 (280), wonach die freizustellenden Einkünfte von vornherein der deutschen Besteuerung entzogen sind.

Schaumburg | 655

Kap. 17 Rz. 17.23 | Vermeidung der Doppelbesteuerung

ung greift deshalb grundsätzlich unabhängig davon ein, ob in dem anderen Land tatsächlich eine Besteuerung erfolgt.1

17.24

Soweit sich die Freistellung auf die Einnahmen bezieht, ergibt sich als Folge ein Ausgabenabzugsverbot gem. § 3c Abs. 1 EStG und § 8b Abs. 3 u. 5 KStG. Diese auf die Vermeidung doppelter steuerlicher Vorteile gerichteten Regelungen betreffen vor allem ganz oder teilweise steuerfrei gestellten Dividenden ausländischer Kapitalgesellschaften (Rz. 18.20, 18.156). Die Rechtsprechung2 folgert zudem aus der abkommensrechtlich gebotenen Freistellung der ausländischen Einkünfte im Grundsatz die Nichtberücksichtigung der entsprechenden Verluste. Das Verbot des Verlustausgleichs über die Grenze wird hierbei durchweg unmittelbar aus den DBA selbst abgeleitet, wonach bestimmte Einkünfte, also auch positive und negative Beträge, von der deutschen Besteuerung ausgenommen sind (Symmetriethese).

17.25

Die Nichtberücksichtigung von Verlusten bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer führt zu einer Störung des Welteinkommensprinzips und zu einer Verletzung des objektiven Nettoprinzips3 und damit zugleich des Leistungsfähigkeitsprinzips, wenn die Gesamtsteuerbelastung hierdurch höher ist als bei Anwendung der systemkonformen Anrechnungsmethode. Das Höchstmaß der an der Leistungsfähigkeit orientierten Besteuerung wird durch das Welteinkommensprinzip unter Einbeziehung der Steueranrechnung gesetzt. Von dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung darf zu Ungunsten des Steuerpflichtigen nicht abgewichen werden mit der Folge, dass die Steuerfreistellung zu keiner Steuerverschärfung führen darf.4 Das gilt auch unter dem Gesichtspunkt der europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten: Soweit ein Verlustausgleich im Inland möglich ist, darf er grenzüberschreitend nicht versagt werden, soweit der Verlust im Ausland steuerlich nicht (mehr) zur Geltung gebracht werden kann (finale Verluste).5 1 Sog. virtuelle Doppelbesteuerung, vgl. RFH vom 29.2.1940, RStBl. 1940, 532; BFH v. 13.9.1972 – I R 130/70, BStBl. II 1973, 57; v. 31.7.1974 – I R 27/73, BStBl. II 1975, 61; v. 4.8.1976 – I R 152, 153/ 74, I R 152/74, I R 153/74, BStBl. II 1976, 662. 2 Ständige Rechtsprechung: RFH v. 26.6.1935, RStBl. 1935, 1358; BFH v. 11.3.1970 – I 91/65, BStBl. II 1970, 588; v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; v. 28.8.1973 – I R 59/71, BStBl. II 1973, 531; v. 20.7.1973 – VI R 198/69, BStBl. II 1973, 732; v. 25.2.1976 – I R 150/73, BStBl. II 1976, 454; v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382; v. 9.8.1989 – I B 118/88, BStBl. II 1990, 175; v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136; v. 26.3.1991 – IX R 162/85, BStBl. II 1991, 704; v. 6.10.1993 – I R 32/93, BStBl. II 1994, 113; v. 18.1.2001 – I R 70/00, BStBl. II 2003, 48; v. 29.11.2006 – I R 45/05, BStBl. II 2007, 398; v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630; v. 3.2.2010 – I R 23/ 09, BStBl. II 2010, 599; v. 9.6.2010 – I R 100/09, DB 2010, 1731; v. 9.6.2010 – I R 107/09, DB 2010, 1733; v. 5.2.2014 – I R 48/11, ISR 2014, 204 m. Anm. Müller = BFH/NV 2014, 963; v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703; vgl. hierzu Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 141; Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 52 ff.; zu weiteren Einzelheiten Rz. 19.532 ff. 3 Hierzu Schaumburg in FS Lang, 1099 ff. 4 Schaumburg in FS Tipke, 125 (151). 5 EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 = Slg. 2005, I-10837 – Marks & Spencer; EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278 = Slg. 2008, I-3617 – Lidl Belgium; BFH v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630; Nichtanwendungserlass BMF v. 13.7.2009 – IV B 5 S 2118-a/07/10004 – DOK 2009/0407190, BStBl. I 2009, 835; BFH v. 3.2.2010 – I R 23/09, BFH/ NV 2010, 1163; v. 5.2.2014 – I R 48/11, ISR 2014, 204 m. Anm. Müller = BFH/NV 2014, 963; v. 22.9.2015 – I B 83/14, BFH/NV 2016ö, 375; vgl. auch EuGH v. 23.10.2008 – C-157/07, ECLI:EU:C: 2008:588 = IStR 2008, 769 – KR Wannsee; BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, DB 2010, 1733: Berücksichtigung finaler Verluste nur bei Umwandlung der Betriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft oder bei „endgültiger“ Aufgabe, nicht aber bei einem nur zeitlich begrenzten Verlustvortrag; dagegen EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 = ISR 2016, 54 m. Anm. Müller = IStR 2016,

656 | Schaumburg

B. Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 17.27 Kap. 17

Durch die Freistellungsmethode wird die Wettbewerbsneutralität der Besteuerung im Sinne der Kapitalimportneutralität realisiert.1 Hierdurch wird im Grundsatz gewährleistet, dass inländische Unternehmen auf ausländischen Märkten den gleichen Steuerlasten unterworfen sind wie die dortigen Konkurrenten. Die Steuerfreistellung und die damit verbundene Kapitalimportneutralität erfolgen zumeist mit Einschränkungen oder unter Vorbehalt. So wird insbesondere auf der Ebene von DBA die Freistellung im Quellenstaat mitunter nur auf die in den Wohnsitzstaat überwiesenen Einkünfte beschränkt2 oder nur unter der Bedingung gewährt, dass die betreffenden Einkünfte im Wohnsitzstaat auch tatsächlich steuerpflichtig sind.3 Schließlich sehen DBA mitunter auch den Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode bei Qualifikations- oder Zurechnungskonflikten (Rz. 19.82) sowie zur Verhinderung von Abkommensmissbrauch (Rz. 19.140) vor.4

17.26

Nicht selten wird die Freistellung nur unter Aktivitätsvorbehalt gewährt, so dass die betreffenden Einkünfte aus sog. aktiven oder produktiven Tätigkeiten stammen müssen.5 Darüber hinaus wird die Steuerfreistellung in aller Regel mit einem Progressionsvorbehalt gekoppelt, nach dem das inländische Einkommen dem für das gesamte Welteinkommen, also auch unter Einbeziehung der freigestellten ausländischen Einkünfte, geltenden progressiven Steuersatz unterworfen wird (Rz. 19.534 ff.). Durch diesen Progressionsvorbehalt soll die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, wie sie u.a. durch die progressive Ausgestaltung des Steuertarifs ihren Ausdruck findet, sichergestellt werden.6 Die Zielsetzung des Progressionsvorbehaltes, die durch Aufteilung von Einkünften auf verschiedene Staaten entstehenden Progressionsvorteile zu vermeiden,7 kann indessen nur teilweise erfüllt werden. Denn es verbleibt stets ein Progressions-

17.27

1

2 3 4 5 6

7

74 – Timac Agro: keine Berücksichtigung bei konzerninterner Veräußerung; den Vorgaben (Timac Agro) folgend BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl. II 2017, 709; nunmehr wiederum anders EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 = DStR 2019, 1353 – Bevola/Jens W. Trock; vgl. nachfolgenden Vorlagebeschluss des BFH v. 6.11.2019 – I R 32/18, BFH/NV 2021, 150; auf der Linie von Bevola/Jens W. Trock ferner EuGH v. 19.6.2019 – C-607/17, ECLI:EU:C:2019:510 = IStR 2019, 597 – Memira Holding; EuGH v. 19.6.2019 – C-608/17, ECLI:EU:C:2019:511 = IStR 2019, 603 – Holmen; EuGH v. 27.2.2020 – C-405/18, ECLI:EU:C:2020:127 = IStR 2020, 267 – AURES; vgl. auch Rz. 6.88 f., 19.532. Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 25 f.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 21; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 64; Gandenberger, DStJG 8 (1985), 33 (42 f.); Spengel, DStJG 36 (2013), 39 (48 ff.). Sog. remittance-base-Klauseln; vgl. hierzu Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 18 ff.; ferner Rz. 19.349. Sog. Subject-to-Tax-Klauseln; vgl. hierzu Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 19 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 161; im nationalen Recht auch § 50d Abs. 8, 9 EStG; vgl. ferner 19.85 ff. Sog. Switch-over-Klauseln; im nationalen Recht auch § 20 Abs. 2 AStG; hierzu Rz. 19.544. Sog. Aktivitätsklauseln; vgl. hierzu Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 67 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 156 f.; im nationalen Recht auch § 20 Abs. 2 AStG; ferner Rz. 19.544, 19.550. BFH v. 6.10.1982 – I R 121/79, BStBl. II 1983, 34; v. 30.5.1990 – I R 179/86, BStBl. II 1990, 906; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 121; Kuhn/Hagena in H/H/R, § 32b EStG Rz. 3; vgl. auch die Sonderregelung in § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach der Progressionsvorbehalt für bestimmte abkommensrechtlich freigestellte Einkünfte aus EU-/EWR-Staaten ausgeschlossen wird, hierzu Gebhardt/Quilitzsch, IStR 2010, 390 ff. Sog. Splitting-Effekt; vgl. hierzu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 15, 25.

Schaumburg | 657

Kap. 17 Rz. 17.27 | Vermeidung der Doppelbesteuerung

vorteil dadurch, dass die im Wohnsitzstaat freigestellten Einkünfte im Quellenstaat regelmäßig nicht mit dem Steuersatz des Gesamteinkommens besteuert werden.1

17.28

Im deutschen Steuerrecht ist die Rechtsgrundlage für den Progressionsvorbehalt § 32b EStG. Er stellt eine Ausnahme zu § 32a EStG dar, wonach der Steuersatz nach dem zu versteuernden Einkommen zu bemessen ist.2 § 32b EStG bewirkt einerseits, dass durch Einbeziehung positiver ausländischer Einkünfte die inländischen Einkünfte auf ein höheres Steuerniveau hochgeschleust werden (positiver Progressionsvorbehalt), und andererseits, dass durch Berücksichtigung ausländischer Verluste für die inländischen Einkünfte eine Steuerminderung eintritt, die, soweit die inländischen Einkünfte die ausländischen Verluste nicht auszugleichen vermögen, zu einem Fortfall jeglicher inländischer Besteuerung führen können (negativer Progressionsvorbehalt).

III. Anrechnungsmethode 17.29

Im Gegensatz zur Freistellungsmethode entspricht die Anrechnungsmethode (Rz. 18.49 ff.) dem im deutschen Steuerrecht verankerten Welteinkommensprinzip und verwirklicht zugleich im Grundsatz die Kapitalexportneutralität.3 Dies gilt freilich nur bei unbeschränkter Anrechnung (full credit), wenn also die ausländische Steuer ohne jegliche Einschränkung auf die für das Welteinkommen festgesetzte inländische Steuer angerechnet werden kann.4 In der internationalen Praxis wird ebenso wie in Deutschland dagegen die anrechenbare ausländische Steuer auf die Höhe der anteiligen Inlandssteuer beschränkt (ordinary credit).5 Diese Begrenzung der Anrechnung auf die Höhe der entsprechenden inländischen Steuern ist mit dem Welteinkommensprinzip unvereinbar. Dient nämlich als Rechtfertigung für das Welteinkommensprinzip die ungeteilte steuerliche Leistungsfähigkeit, wonach es für die Besteuerung unerheblich ist, ob die Einkünfte im Inland oder im Ausland erzielt werden, so müssen folgerichtig die ausländischen Steuern auch dann zur Anrechnung gelangen und ggf. zu einer Steuererstattung führen, wenn diese höher sind als die entsprechenden Inlandssteuern.6

17.30

Die Begrenzung der Anrechnung ausländischer Steuern auf die entsprechende Inlandssteuer führt zu einer lediglich einseitigen Realisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips:7 Sind die ausländischen Steuern niedriger als die inländischen, wird auf das höhere inländische Steuerniveau hochgeschleust. Sind die inländischen Steuern dagegen höher als die ausländischen, unterbleibt eine Herabschleusung. Dieser Systembruch hat seinen Grund in fiskalischen Erwägungen, weil die Gefahr gesehen wird, dass bei unbeschränkter Steueranrechnung eine Erhö-

1 Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (154 f.); vgl. auch Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 99 f., 105, der einen Progressionsvorbehalt auch im Quellenstaat für sachgerecht hält. 2 Heinicke in Schmidt41, § 32b EStG Rz. 1; Pfirrmann in Kirchhof/Seer21, § 32b EStG Rz. 1. 3 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 25 f.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 19 ff.; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 61; Gandenberger, DStJG 8 (1985), 33 ff.; Spengel, DStJG 36 (2013) 39 (46 ff.). 4 Im Einzelnen Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 23 f. 5 Überblick bei Juch, CDFI LXVIb (1981), 81 (97); Mennel, RIW 1977, 470 (472); ferner deutsche Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 171. 6 Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (160); IdW, DB 1977, 322 (323); Becker, BB 1977, 536 (536). 7 Zu Einzelheiten Schaumburg in FS Tipke, 125 (147 f.).

658 | Schaumburg

B. Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 17.32 Kap. 17

hung der Steuerbelastung im Quellenstaat stets auf Kosten des Wohnsitzstaates geht.1 Dieser Fiskalzweck ist zwar unionsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) gerechtfertigt,2 im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG aber kein Rechtfertigungsgrund, das Leistungsfähigkeitsprinzip zum Nachteil des Steuerpflichtigen zu durchbrechen.3 Zum Minimalprogramm einer an der weltweiten Leistungsfähigkeit (Gesamtleistungsfähigkeit) ausgerichteten Besteuerung gehört es, für die den Anrechnungshöchstbetrag übersteigenden ausländischen Steuern wenigstens einen Anrechnungsvor- oder -rücktrag (carry forward, carry back) vorzusehen,4 zumal Anrechnungsüberhänge nicht selten ein Ergebnis bloßer Zufälligkeiten sind.5 Soweit die Höchstbetragsberechnung auf jedes einzelne Land bezogen wird,6 ist diese sog. per country limitation ebenfalls mit dem Welteinkommensprinzip unvereinbar. Denn gerade das Welteinkommensprinzip wird damit gerechtfertigt, dass es für die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ohne Bedeutung ist, ob die Einkünfte im Inland oder im Ausland erzielt werden. Die per country limitation, die mit dem Unionsrecht (Kapitalverkehrsfreiheit) vereinbar ist,7 hat daher ebenfalls allein fiskalische Gründe.8 Damit wird der ohnehin durch den Anrechnungshöchstbetrag verursachte Systembruch noch verschärft: Unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach Maßgabe der Gesamtleistungsfähigkeit kann es für die Anrechnung keine Rolle spielen, aus welchem Staat die ausländischen Einkünfte stammen.9

17.31

Neben weiteren, insbesondere dem Anrechnungsverfahren des deutschen Rechts (§ 34c Abs. 1 EStG) anhaftenden Systemfehlern (Rz. 18.66, 18.105 ff.) hat die Anrechnungsmethode den wesentlichen Nachteil, dass etwaige für Zwecke der Investitionsförderung gewährte Steuervorteile des Quellenstaates im Rahmen der Anrechnung im Wohnsitzstaat kompensiert werden. Damit kommen derartige Steuervergünstigungen des Quellenstaates nicht dem Steuerpflichtigen, sondern dem Fiskus des Wohnsitzstaates zugute.10 Demgegenüber hat die Anrechnungsmethode im Vergleich zur Freistellungsmethode den Vorteil, dass für ausländische Verluste ein Verlustausgleich gewährt wird, während im Rahmen der Freistellungsmethode eine Verlustberücksichtigung nur ausnahmsweise möglich ist (Rz. 17.25).

17.32

1 Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 333 ff.; Flick, FinArch. 1961 (Bd. 21), 86 (112); Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 101; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 23 f.; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 97. 2 EuGH v. 28.2.2013 – C-168/11, ECLI:EU:C:2013:117 = ISR 2013, 134 m. Anm. Pohl – Beker u. Beker. 3 Vgl. BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (182); v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 (233); Tipke in FS Raupach, 177 (178 f.); Drüen, StuW 2008, 3 (11 f.); Englisch, DStR 2009, Beiheft zu Heft 34, 92 (97). 4 Unionsrechtlich allerdings nicht geboten; vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch2, Rz. 8.26. 5 Schaumburg in FS Tipke, 125 (148). 6 Vgl. etwa § 34c Abs. 1 letzter Halbsatz EStG. 7 BFH v. 18.12.2013 – I R 71/10, ISR 2014, 174 m. Anm. Pohl = BFH/NV 2014, 759 Rz. 1; vgl. hierzu auch den Überblick über die Literatur in Rz. 19 des Urteils; ferner Schaumburg in Schaumburg/ Englisch2, Rz. 8.26. 8 Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (161); vgl. im Übrigen Rz. 18.106 ff. 9 Schaumburg in FS Tipke, 125 (148 f.). 10 Es sei denn, es erfolgt eine Anrechnung fiktiver Steuern, sog. tax sparing credit und tax matching credit, vgl. hierzu Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 191 ff.; ferner Rz. 19.566.

Schaumburg | 659

Kap. 17 Rz. 17.33 | Vermeidung der Doppelbesteuerung

17.33

In der internationalen Besteuerungspraxis wird die Anrechnungsmethode zumeist mit dem Ziel der Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eingesetzt. In den meisten Ländern wird nämlich neben der direkten Steueranrechnung, aufgrund derer nur solche Steuern angerechnet werden können, die der inländische Steuerpflichtige im Ausland auf seine eigenen Einkünfte gezahlt hat, auch die indirekte Steueranrechnung angewendet.1 Die indirekte Steueranrechnung ermöglicht die Anrechnung der von ausländischen Beteiligungsgesellschaften in einem mehrstufigen Konzernaufbau im Ausland gezahlten Steuern auf die inländische Steuer der inländischen Muttergesellschaft, wobei die Steueranrechnung zumeist auf einen dreistufigen Konzernaufbau, also auf die von ausländischen Tochter- und Enkelgesellschaften gezahlten ausländischen Steuern, begrenzt ist.2 Im Ergebnis dient damit die indirekte Steueranrechnung, soweit sie zusätzlich zur direkten Steueranrechnung gewährt wird, der Vermeidung einer steuerlichen Mehrfachbelastung.

IV. Abzugsmethode 17.34

Im Rahmen der Abzugsmethode können ausländische Steuern von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden (Rz. 18.113 ff.). Dieser Abzug ist bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte möglich (§ 34c Abs. 2, 3 EStG). Damit führt die Abzugsmethode grundsätzlich lediglich zu einer Milderung, nicht aber zu einer Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung.3 Hieraus folgt zugleich, dass die Abzugsmethode auch nicht die Wettbewerbsneutralität gegenüber inländischen Unternehmen (Kapitalexportneutralität) herstellen kann.4 Im Hinblick darauf dient sie durchweg nur als Ergänzung zur Freistellungs- oder Anrechnungsmethode, soweit durch diese beiden Methoden die Doppelbesteuerung nicht gänzlich vermieden werden kann.5

17.35

Es wird die Meinung vertreten, dass der Steuerabzug aufgrund des Kostencharakters der ausländischen Steuern im Verhältnis zur inländischen Einkommensteuer ohnehin möglich sei, so dass die entsprechenden Vorschriften, die den Steuerabzug vorsehen,6 lediglich deklaratorischen Charakter hätten.7 Dem § 12 Nr. 3 EStG ist indessen keine Beschränkung des Abzugsverbots nur auf inländische Personensteuern zu entnehmen.8 Aus § 34c Abs. 2 EStG ergibt sich zwar, dass ausländische Steuern wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte abziehbar sind, damit erhalten sie aber nicht den Charakter von Betriebsausgaben oder Werbungskosten. Ausländische Steuern vom Einkommen sind daher nicht Betriebsausgaben/Werbungskosten.9 1 Juch, CDFI LXVIb (1981), 81 (99 f.). 2 Juch, CDFI LXVIb (1981), 81 (99 f.); vgl. für Deutschland den früher geltenden § 26 Abs. 2, 2a, 5 KStG. 3 Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 328; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 112; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 57 f. 4 Flick, Fin.Arch. 1961 (Bd. 21), 86 (109); Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 112; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 57 ff. 5 Juch, CDFI LXVIb (1981), 81 (83 ff.); Mennel, RIW 1977, 470 (472); vgl. auch § 34c Abs. 2, 3 EStG. 6 Etwa § 34c Abs. 2 EStG. 7 Flick, FinArch. 1961 (Bd. 21), 86 (109); Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 112; Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (144). 8 BFH v. 2.10.1963 – I 308/61 U, BStBl. III 1964, 5; v. 16.5.1990 – I R 80/87, BStBl. II 1990, 920; Fissenwert in H/H/R, § 12 EStG Rz. 128; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 57. 9 BFH v. 16.5.1990 – I R 80/87, BStBl. II 1990, 920.

660 | Schaumburg

C. Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 17.40 Kap. 17

V. Pauschalierungsmethode Aufgrund der Pauschalierungsmethode werden im Rahmen des Welteinkommensprinzips einzubeziehende ausländische Einkünfte mit in einem Pauschbetrag festgesetzten Steuern belegt (Rz. 18.124 ff.). Die Pauschalierungsmethode konkretisiert sich zumeist in der Anwendung eines festen Steuersatzes auf individuell ermittelte ausländische Einkünfte. Von einer Milderung oder gar Vermeidung der Doppelbesteuerung kann daher nur dann die Rede sein, wenn der Pauschalsteuersatz niedriger als der sonst übliche Steuersatz ist. Die zuvor beschriebene Pauschalierungsmethode führt zu einem gespaltenen Steuersatz für inländische und ausländische Einkünfte mit der Folge einer Progressionsmilderung der auf die inländischen Einkünfte entfallenden Steuer.

17.36

Die Pauschalierungsmethode ist ebenso wenig wie die Abzugsmethode darauf angelegt, die Doppelbesteuerung in vollem Umfang zu beseitigen. Die Pauschalierungsmethode – in Deutschland in § 34c Abs. 5 EStG verankert – ist international wenig gebräuchlich.

17.37

VI. Erlassmethode Zur Herstellung der individuellen Leistungsfähigkeit kann für Zwecke der Beseitigung der Doppelbesteuerung die Steuer auf ausländische Einkünfte erlassen werden. Entsprechend den jeweiligen nationalen Vorschriften wird ein Steuererlass zumeist nur ausgesprochen, wenn ihm Billigkeitserwägungen zugrunde liegen (Rz. 18.128 ff.).

17.38

Die Erlassmethode kommt daher insbesondere ergänzend zur Anrechnungsmethode zur Anwendung, sofern durch diese eine Doppelbesteuerung nur unzureichend vermieden werden kann.

17.39

C. Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Die Vermeidung der Doppelbesteuerung erfolgt entweder im Rahmen unilateraler Maßnahmen, also einseitig durch nationale Vorschriften, oder aber im Rahmen bilateraler Maßnahmen durch Abschluss von DBA.1 Im Vergleich zu den unilateralen Maßnahmen haben sich in der Besteuerungspraxis DBA als besonders vorteilhaft erwiesen. So können durch DBA die einzelnen Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sowie deren Umfang an den steuerlichen und wirtschaftlichen Belangen der Vertragsstaaten ausgerichtet werden. Demgegenüber ist ein differenzierter Einsatz der Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung durch unilaterale Maßnahmen nur sehr eingeschränkt möglich.2 Darüber hinaus fehlt den unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ein wirksames Instrument, um auf die Besteuerung im Ausland Einfluss auszuüben und ausländische Staaten eben-

1 Es gibt auch multilaterale Abkommen z.B. zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden (Nordische Konvention); vgl. hierzu Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 40a; Hinweis: Das im Zuge des BEPS-Projekts (Rz. 5.17 ff.) abgeschlossene mehrseitige Abkommen (Multilaterales Instrument = MLI) ist kein multilaterales Doppelbesteuerungsabkommen, sondern dient nur der vereinfachten Umsetzung der BEPS-Empfehlungen auf Abkommensebene (Rz. 19.18a). 2 Ebling, Unilaterale Maßnahmen gegen die internationale Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Ertrag, 151; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 55.

Schaumburg | 661

17.40

Kap. 17 Rz. 17.40 | Vermeidung der Doppelbesteuerung

falls zu wirksamen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuhalten.1 Aus der Sicht des Steuerpflichtigen ist das Vertrauen in den Bestand von DBA als völkerrechtliche Verträge eher gerechtfertigt als in den von unilateralen Maßnahmen auf der Grundlage des nationalen Rechts.2 Schließlich haben unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung keine Bedeutung für die Zuordnung von Steuergütern zwischen einzelnen Staaten. Insoweit können unilaterale Maßnahmen in grenzüberschreitenden Steuerfällen für Steuergerechtigkeit allenfalls ggü. dem einzelnen Steuerpflichtigen sorgen. Die gerechte Zuordnung des Steuergutes zu einem Staat oder die gerechte Verteilung des Steuergutes unter mehreren Staaten nach sachgerechten, konsequent durchgeführten Regeln kann dagegen nur durch DBA erreicht werden.3

17.41

Da das Netz der DBA weltweit noch nicht annähernd vollständig ist, nicht einmal zwischen allen Industrieländern DBA bestehen, sind die unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unverzichtbar. Aber auch in jenen Fällen, in denen DBA eingreifen, behalten unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ihre Bedeutung, wenn die Regelungen der DBA eine Doppelbesteuerung nicht vollkommen beseitigen oder diese insbesondere durch sog. Switch-over-Klauseln des innerstaatlichen Rechts (Rz. 19.140, 19.552) ersetzt werden.

D. Maßnahmen zur Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung 17.42

Die Kehrseite der Doppelbesteuerung ist die doppelte Nichtbesteuerung (Minderbesteuerung).4 Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Doppelbesteuerung auf unilateraler und bilateraler Ebene durch die Freistellungsmethode vermieden wird.5 Abgesehen von gewollter doppelter Nichtbesteuerung etwa durch einseitigen Steuerverzicht der an sich steuerberechtigten Staaten, beruht die doppelte Nichtbesteuerung vor allem auf zwischenstaatlichen Qualifikationskonflikten (Rz. 19.79). Im Hinblick auf die hiermit verbundenen Steuerausfälle sind jedenfalls die hochbesteuernden Staaten zunehmend bemüht, die doppelte Nichtbesteuerung bzw. die internationale Minderbesteuerung zu vermeiden. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang das OECD-Großprojekt zur Verhinderung von Gewinnverschiebungen und der Erosion der Bemessungsgrundlagen (BEPS)6 sowie das sog. Multilaterale Instrument (MLI)7, zwecks Umsetzung der BEPS-Ergebnisse auf bilateraler Ebene.8

1 Einseitige Steuerentlastungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung können allerdings unter den Vorbehalt der Gegenseitigkeit gestellt werden (sog. Reziprozitätsklauseln); vgl. Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 262 ff.; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 63. 2 Flick, FinArch. 1961 (Band 21), 86 (90); Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 65; vgl. allerdings zum Treaty-Overriding Rz. 3.24 f. 3 Zur gerechten Zuordnung von Steuergütern Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 11; Tipke, Steuergerechtigkeit, 120. 4 Hierzu Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im internationalen Steuerrecht, Baden-Baden 2009, 21 ff.; M. Lang, CDFI 89a (2004), 21 (29); Burmester in FS Debatin, 55 (55 f.). 5 Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im internationalen Steuerrecht, Baden-Baden 2009, 74 ff. 6 Hierzu (Rz. 5.17 ff.). 7 Hierzu (Rz. 19.18a ff.). 8 Vgl. etwa Art. 3 MLI zu hybriden Gestaltungen.

662 | Schaumburg

D. Maßnahmen zur Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung | Rz. 17.44 Kap. 17

Die Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung (Minderbesteuerung) entbehrt allerdings einer ausreichenden normativen Verdichtung, so dass sich insoweit weder auf bilateraler noch auf unilateraler Ebene ein Orientierungsmaßstab für die Auslegung ergibt. So enthalten die von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen keinen übergreifenden Hinweis – etwa in der Präambel – auf das Gebot auch der Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung.1 Allerdings wird in der Präambel der DE-VG2 die Vermeidung von Nichtbesteuerungen als Abkommensziel vermerkt, wobei zugleich in Art. 22 DE-VG die Aufgabe, die Nichtbesteuerung zu vermeiden, primär dem Ansässigkeitsstaat zugewiesen wird.3 Wegen des fehlenden Rechtsnormcharakters der DE-VG hat die Präambel freilich keine Verbindlichkeit. Erforderlich ist vielmehr die Umsetzung in konkreten Abkommensbestimmungen.4 Damit ergibt sich: Jenseits spezieller unilateraler und bilateraler Abwehrklauseln ist auch im Rahmen der Auslegung nicht von einer allgemeinen Zielsetzung der Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung (Minderbesteuerung) auszugehen.5

17.43

Zu den auf die Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung (Minderbesteuerung) gerichteten Abwehrklauseln zählen auf unilateraler Ebene:

17.44

– Subject-To-Tax-Klauseln6 (z.B. § 50d Abs. 8 EStG), – Switch-Over-Klauseln7 (z.B. § 20 Abs. 2 AStG; § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG), – Korrespondenzklauseln (z.B. § 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 2 EStG; § 26 Abs. 1 Satz 2 KStG). – Treaty-Shopping-Klauseln gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme von Quellensteuerreduktionen (§ 50d Abs. 3 EStG) – Schrankenklauseln (z.B. § 4h EStG – Zinsschranke, § 4j EStG – Lizenzschranke), – Hybridklauseln (z.B. § 4i EStG – Sonderbetriebsausgaben; § 4k EStG – steuerliche Inkongruenzen). Und auf Abkommensebene8: – Aktivitätsklauseln (Art. 23 A/B OECD-MA), wonach die Steuerfreistellung unter Aktivitätsvorbehalt steht, – Subject-To-Tax-Klauseln9 (Art. 23 A OECD-MA), wonach die Steuerfreistellung davon abhängig gemacht wird, dass der andere Vertragsstaat tatsächlich besteuert,

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. allerdings Nr. 7-26 MK zu Art. 1 MA. Deutsche Verhandlungsgrundlage für DBA; abgedruckt bei Schönfeld/Ditz, DBA2, Anh. 4. Schönfeld/Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Anh. 4 DE-VG Rz. 4f. Schönfeld/Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Anh. 4 DE-VG Rz. 162; Krabbe/Schwenke in Wassermeyer, DBA-MA, vor Art. 1 Rz. 176.; Schönfeld in FG Wassermeyer, 97 ff. (101); Lüdicke, IStR-Beih. 2013, 26 (27 f.). Schönfeld/Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Anh. 4 DE-VG Rz. 162; M. Lang, IWB 2011, 281 (282); Lehner, FR 2011, 1087 (1091); Lüdicke, FR 2011, 1077 f.; tendenziell anders Wilke in G/K/G, Art. 30 OECD-MA Rz. 88; Benz/Kroon, IStR 2012, 910; Wichmann, FR 2011, 1082. Auch Rückfallklauseln genannt. Auch Umschaltklauseln genannt. Vgl. hierzu den Überbleib bei Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 23 A/B Rz. 73 ff.; ferner oben Rz. 5.15. Auch als Rückfallklauseln bezeichnet.

Schaumburg | 663

Kap. 17 Rz. 17.44 | Vermeidung der Doppelbesteuerung

– Switch-Over-Klauseln (Art. 23 A OECD-MA), wonach das abkommensrechtliche Schachtelprivileg davon abhängig gemacht wird, dass die Dividenden im anderen Staat steuerlich nicht abgezogen worden sind. – Remittance-Base-Klauseln (Art. 23 A OECD-MA), wonach im Quellenstaat die Steuerbefreiung von der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat abhängig gemacht wird, – Beneficiary-Klauseln (Art. 10 OECD-MA), die sicherstellen, dass Abkommensvorteile nur den Nutzungsberechtigten zu Gute kommen, – LoB-Klauseln1, wonach eine Quellensteuerreduktion bei künstlicher Zwischenschaltung von Gesellschaften steuerlich nicht anerkannt wird (z.B. Art. 28 DBA-USA).

17.45

Die vorstehenden Maßnahmen zur Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung (Minderbesteuerung) führen durchweg zu einer grundfreiheitsbeschränkenden Versagung von an sich zustehenden unilateralen und bilateralen Steuerentlastungen. Damit werden im Ergebnis grenzüberschreitende Aktivitäten im Vergleich zu reinen Inlandssachverhalten benachteiligt. Indessen sind derartige Eingriffe in die unionsrechtlichen Grundfreiheiten gerechtfertigt und insgesamt als mit dem Unionsrecht vereinbar anzusehen, falls die entsprechenden Maßnahmen auch verhältnismäßig sind.2

1 Limitation on Benefits-Klausel. 2 Zu Einzelheiten mit Verweisen auf die EuGH-Rspr. Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.264 ff.

664 | Schaumburg

Kapitel 18 Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

A. I. II. III.

Einkommensteuer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenz zu DBA . . . . . . . . . . . Steuerfreistellung 1. Teileinkünfteverfahren a) Körperschaftsteuerliche Vorbelastung . . . . . . . . . . . b) Persönliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bezüge und gleichgestellte Einnahmen . . . . . . . . . . . . d) Veräußerungserlöse und gleichgestellte Einnahmen . 2. Gewinne bei Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Steueranrechnung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Persönliche Voraussetzungen . . 3. Ausländische Einkünfte a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft . . . . . . . . . . c) Einkünfte aus Gewerbebetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einkünfte aus selbständiger Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Einkünfte aus Veräußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . f) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit . . . . . . . . . g) Einkünfte aus Kapitalvermögen . . . . . . . . . . . . . . h) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung . . . . . . . . i) Sonstige Einkünfte . . . . . . . 4. Anrechenbare Auslandssteuern 5. Anrechnungshöchstbetrag . . . . V. Steuerabzug 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerabzug gem. § 34c Abs. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuerabzug gem. § 34c Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.1 18.12

18.20 18.23 18.26 18.32 18.36 18.49 18.50 18.57 18.67 18.69 18.79 18.84 18.88 18.90 18.91 18.92 18.93 18.104 18.113 18.118 18.122

VI. Steuererlass und Steuerpauschalierung 1. Auffangfunktion . . . . . . . . . . . . 2. Billigkeitsmaßnahmen a) Ermessen . . . . . . . . . . . . . . b) Steuererlass (Auslandstätigkeitserlass) . . . . . . . . . c) Steuerpauschalierung (Pauschalierungserlass) . . . VII. Steuerermäßigung bei Erbschaftsteuerbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . B. Körperschaftsteuer I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerfreistellung 1. Steuerfreie Dividenden a) Körperschaftsteuerliche Vorbelastung . . . . . . . . . . . b) Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . 2. Steuerfreie Veräußerungsgewinne a) Rechtfertigung . . . . . . . . . . b) Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . 3. Steuerfreie Zinsen und Lizenzgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Steueranrechnung 1. Regelungsinhalt des § 26 KStG 2. Reichweite des § 26 KStG . . . . . 3. Direkte Steueranrechnung . . . . 4. Steuerabzug . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Steuererlass und Steuerpauschalierung . . . . . . . . . . . . . C. Gewerbesteuer I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerfreie Dividenden . . . . . . . . . III. Gewerbesteuerliches Schachtelprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . .

18.124 18.128 18.132 18.136 18.138 18.143

18.144 18.146 18.155

18.173 18.175 18.180 18.190 18.198 18.200 18.202 18.209 18.214 18.215 18.221 18.232 18.243

Schaumburg | 665

Kap. 18 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

A. Einkommensteuer Literatur: Kommentare zu § 3 Nr. 40 u. 41, 34c, 34d EStG; Bachem, Die optimale Ausgestaltung der Anrechnungsmethode zur unilateralen Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Ertragsteuern der deutschen internationalen Unternehmung, Diss. Köln 1971; Burmester, Die Anrechnungsmethode im deutschen Steuerrecht, in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, Wien 1995, 241; Commandeur, Berücksichtigung ausländischer Steuern im deutschen Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, Diss. München 1983; Cordewener/Schnitger, Europarechtliche Vorgaben für die Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung im Wege der Anrechnungsmethode, StuW 2006, 50; Desens, Das Halbeinkünfteverfahren, Köln 2004; Desens, Der neue Anrechnungshöchstbetrag in § 34c Abs. 1 S. 2 EStG – ein unionsrechts- und verfassungswidriges, fiskalisches Eigentor, IStR 2015, 77; Dieterlen/Schaden, Einige Bemerkungen zu den Regelungen des Steuersenkungsgesetzes zur Besteuerung von Anteilsveräußerungen, BB 2000, 2492; Dinkelsbach, Besteuerung des Anteilsbesitzes an Kapitalgesellschaften im Halbeinkünfteverfahren, Düsseldorf 2006; Ditz/Quilitzsch, Internationale Aspekte des Zollkodex-Anpassungsgesetzes, DStR 2015, 545; Ditz/Schönfeld, Abzug von umrechnungsbedingten Währungsverlusten, DB 2008, 1458; Ebling, Unilaterale Maßnahmen gegen die internationale Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Ertrag, Diss. Mainz 1970; Endres, Direktinvestitionen in Entwicklungsländern, München 1986; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, Bern/Stuttgart, 1974; Flick, Methoden zur Ausschaltung der Internationalen Doppelbesteuerung bei den direkten Steuern, FinArch. 1961 (Band 21), 86; Flick, Steuerermäßigung bei ausländischen Einkünften nach § 34c EStG und § 19a KStG, Bergisch Gladbach 1959; Förster, Ausgewählte Fragen bei der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, Stbg 2001, 657; Gandenberger, Diskussionsbeitrag in DStJG 8 (1985), 133; Grotherr, Ausgabenberücksichtigung bei ausländischen Einkünften, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005; Haase, Steueranrechnung bei divergierender Einkünftezurechnung und Qualifikationskonflikten, IStR 2010, 45; Haritz/Werneburg, Anmerkung zum Urteil des BFH v. 18.12.2013 (I R 71/10, GmbHR 2014, 548) – Zur Rechtmäßigkeit des Anrechnungshöchstbetrages gemäß § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG, GmbHR 2014, 553; Heining, Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, CDFI XIII (1959), 574; Herzig/Joisten/ Vossel, Die Vermeidung der Doppelbelastung mit ESt und ErbSt nach Einführung des § 35b EStG, DB 2009, 584; Hey, Anrechnung ausländischer Quellensteuern aus Billigkeitsgründen?, FR 1995, 819; Horlemann, Änderungen der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen und Abzug ausländischer Quellensteuern gem. § 34c Abs. 2 EStG, DStR 1995, 1535; Inst.FuSt., Ausländische Einkünfte und direkte Steueranrechnung – notwendige Verbesserungen der unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Brief 164), Bonn 1977; Intemann, Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto nicht nach § 8b Abs. 1 KStG steuerbefreit, NWB 2010, 2295; Ismer, Die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse bei Anrechnungshöchstbetrag und Progressionsvorbehalt, IStR 2013, 297; Ismer, Verwirrung beim Anrechnungshöchstbetrag: Unionsrechtliche Probleme der geplanten Neufassung des § 34c EStG, IStR 2014, 925; Jorewitz/Jürgen Lüdicke, Höchstbetragsberechnung gemäß § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 gemeinschaftsrechtswidrig?, IStR 2011, 387; Juch, Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbelastung, CDFI LXV Ib (1981), 81; Kaminski, Anrechnung ausländischer Steuern gemäß § 34c Abs. 1 EStG, Stbg 2008, 399; Kempf, Korrespondenzprinzip bei internationalen verdeckten Gewinnausschüttungen und verdeckten Einlagen, StbJb 2008/2009, 147; Lickteig, Änderung der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen und Abzug ausländischer Quellensteuern gem. § 34c Abs. 2 EStG, IStR 1995, 792; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1987; Lüdicke, Steuerermäßigung bei ausländischen Einkünften, Köln 1985; Manke, Außensteuerrechtliche Wirkungen der Steuerreformgesetze, JbFSt. 1977/78, 444; Mellinghoff, Das Verhältnis der Erbschaftsteuer zur Einkommen- und Körperschaftsteuer – Zur Vermeidung steuerlicher Mehrfachbelastungen, DStJG 22 (1999) 127; Mössner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – Vorzüge, Nachteile, aktuelle Probleme, DStJG 8 (1985), 135; Müller-Dott, Zur Rechtsänderung des § 34c EStG zur Anrechnung ausländischer Steuern durch das StVergAbG, DB 2003, 1468; Otto, Die Besteuerung von gewinnausschüttenden Körperschaften und Anteilseignern nach dem Halbeinkünfteverfahren, Berlin 2007; Phillip, Befreiungssystem mit Pro-

666 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.2 Kap. 18 gressionsvorbehalt und Anrechnungsverfahren, Wien 1971; Pohl, § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG verstößt gegen Unionsrecht, ISR 2013, 134; Pohl, Der Anrechnungshöchstbetrag i.S.d. § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG, IWB 2013, 365; Reinhart, Der Auslandstätigkeitserlass, BB 1983, 2246; Schänzle, Generalthema II: Steuerliche Behandlung von Wechselkursschwankungen, IStR 2009, 514; Schaumburg, Besteuerung von Einkommen, DStJG 24 (2001), 225; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schaumburg, Systemdefizite im internationalen Steuerrecht, StuW 2000, 369; Schaumburg/ Schaumburg, Steuerliche Leistungsfähigkeit und europäische Grundfreiheiten im Internationalen Steuerrecht, StuW 2005, 306; Schnitger, Internationale Aspekte des Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG), IStR 2003, 73; Schön, Europäische Kapitalverkehrsfreiheit und nationales Steuerrecht, in Schön (Hrsg.), GS Knobbe-Keuk, Köln 1997, 743; Schön, Unternehmensbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, StbJb 2003/2004, 27; Sedemund, Zuständigkeits- und Verfahrensfragen bei Leistungen ausländischer Kapitalgesellschaften an inländische Anteilseigner, IStR 2010, 270; Sedemund/Fischenich, Steuerneutralität von Leistungen ausländischer Kapitalgesellschaften im Halbeinkünfteverfahren vor und nach Einführung des § 27 Abs. 8 KStG, BB 2008, 1656; Thömmes, Unionsrechtswidrigkeit der Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags nach § 34c Abs. 1 EStG, IWB 2013, 292; Thömmes, Zur Vereinbarkeit der Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags nach § 34c Abs. 1 EStG mit Unionsrecht, IWB 2012, 613; Thurmayr, Vorgehensweise der Finanzverwaltung bei der Anrechnung ausländischer Quellensteuern bei Einkünften aus Kapitalvermögen, DB 1996, 1696; Weinschütz, Konsequenz aus „Beker“, Höhere Anrechnung ausländischer Quellensteuer, IStR 2013, 471.

I. Überblick Für den Bereich der Einkommensteuer sind die unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung einerseits durch die Freistellungsmethode und andererseits durch die Anrechnungsmethode geprägt. Obwohl die Vermeidung der Doppelbesteuerung primär Aufgabe des Wohnsitzstaates ist, wird die Doppelbesteuerung seitens Deutschlands im Rahmen der unilateralen Maßnahmen auch bei beschränkt Steuerpflichtigen vermieden. Auch hier kommt die Freistellungs- und Anrechnungsmethode gleichermaßen zur Anwendung. Darüber hinaus enthält das Einkommensteuergesetz Regelungen, auf Grund derer die Abzugs-, Pauschalierungs- und Erlassmethode verwirklicht wird.

18.1

Die Freistellungsmethode kommt in folgenden Fällen zur Anwendung:

18.2

– Im Rahmen des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 EStG) werden insbesondere die Veräußerungen von Anteilen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften sowie Ausschüttungen derselben bei unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen zu 40 % steuerfrei gestellt. Im Kern geht es hier zwar um die Vermeidung der steuerlichen Doppelbelastung, wegen der Abhängigkeit von der steuerlichen Vorbelastung auch auf ausländischer Gesellschaftsebene dient § 3 Nr. 40 EStG so gesehen aber auch der Vermeidung der (internationalen) wirtschaftlichen Doppelbesteuerung. – Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer ausländischen Kapitalgesellschaft sowie Gewinnausschüttungen derselben werden in der bis zum 30.6.2021 geltenden Fassung des § 3 Nr. 41 EStG1 steuerfrei gestellt, soweit für das Kalenderjahr (Wirtschaftsjahr) oder für die vorangegangenen sieben Kalenderjahre (Wirtschaftsjahre) entsprechende Hinzurechnungsbeträge auf Gesellschafterebene der Einkommensteuer unterlegen haben.

1 §§ 52 Abs. 4 Satz 15 EStG: Anwendung letztmals für den Veranlagungszeitraum 2021.

Schaumburg | 667

Kap. 18 Rz. 18.2 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

– In Investmenterträgen in- und ausländischer Investmentfonds enthaltene ausländische Einkünfte werden bei den Investmentfondsanlegern gem. §§ 20, 43 Abs. 1 InvStG ganz oder teilweise freigestellt, wenn sie bei unmittelbarem Bezug abkommensrechtlich von der deutschen Besteuerung auszunehmen wären.1

18.3

Die Anrechnungsmethode wird durch § 34c EStG verwirklicht, soweit unbeschränkt steuerpflichtige Personen ausländische Einkünfte (§ 34d EStG) erzielen, wobei die im Ausland gezahlte Steuer bis zur Höhe der deutschen Einkommensteuer zur Anrechnung kommt.2 Eine entsprechende Anrechnung wird unter bestimmten Voraussetzungen auch beschränkt steuerpflichtigen Personen für Drittstaateneinkünfte gewährt (§ 50 Abs. 3 EStG).

18.4

Im Gegensatz zu der in § 3 Nr. 40, 41 EStG3 verankerten Freistellungsmethode, die dort die Vermeidung der (internationalen) wirtschaftlichen Doppelbesteuerung nur als Nebenzweck verfolgt, steht im Übrigen die Anrechnungsmethode im Vordergrund, die insbesondere durch die Abzugs- und die Pauschalierungsmethode sowie die Erlassmethode4 ergänzt wird. Durch die in § 34c EStG geregelte Anrechnungsmethode wird dem im Einkommensteuergesetz für unbeschränkt steuerpflichtige Personen verankerten Welteinkommensprinzip Rechnung getragen und zugleich im Grundsatz die Kapitalexportneutralität (Rz. 17.17) verwirklicht.5 § 34c EStG ist als kollisionsauflösende Norm die logische Folge der durch die Besteuerung des Welteinkommens auf Doppelbesteuerung ausgerichteten und damit kollisionsbegründenden §§ 1 Abs. 1 bis 3; 2 Abs. 1 EStG. Die primäre Zielsetzung des § 34c EStG ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung, die unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit geboten ist (Rz. 17.9 ff.). Hieran hat sich die Auslegung des § 34c EStG zu orientieren.

18.5

Der Grundwertung des § 34c EStG, die Doppelbesteuerung zu vermeiden, sind andere Auslegungsgesichtspunkte unterzuordnen. Hierzu gehört insbesondere der mitunter dem § 34c EStG zugeschriebene Zweck, die internationale Steuerflucht zu verhindern.6 § 34c EStG ist nämlich lediglich eine kollisionsauflösende Norm mit einer Komplementärfunktion zu §§ 1 Abs. 1 bis 3;7 2 Abs. 1 EStG. Diese Norm zielt nicht darauf ab, Einkünfteverlagerungen in das Ausland zu verhindern.8 Die Auslegung hat auch nicht unter dem Gesichtspunkt möglichst geringer Steuerausfälle zu erfolgen. Zwar führt jede Maßnahme zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung zu einem Steuerausfall, für die Auslegung des § 34c EStG ist dieser fiskalische

1 Die Steuerbefreiungen nach dem InvStG werden nachfolgend nicht gesondert behandelt; vgl. stattdessen im Zusammenhang mit dem Internationalen Investmentsteuerrecht Rz. 12.1 ff. 2 Zu Steueranrechnungen gem. § 47 InvStG vgl. Rz. 12.31 ff. und 12.85. 3 § 3 Nr. 41 EStG ist durch das ATADUmsG v. 25.6.2021 (BGBl. I 2021, 2035) aufgehoben worden, eine vergleichbare Regelung enthält nunmehr § 11 AStG (vgl. Rz. 13.206 ff.). 4 Der Steuererlass hat im Ergebnis allerdings eine ähnliche Wirkung wie die Steuerfreistellung. 5 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 19 ff. 6 Auf diesen Zweckgesichtspunkt wird abgestellt von Ebling, Unilaterale Maßnahmen gegen die internationale Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Ertrag, 102; Bachem, Die optimale Ausgestaltung der Anrechnungsmethode zur unilateralen Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Ertragsteuern der deutschen internationalen Unternehmung, 31. 7 Die Anwendung des § 34c EStG auf Steuerpflichtige, die für die fingierte unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 3 EStG optiert haben, hat, da nur inländische Einkünfte gem. § 49 Abs. 1 EStG erfasst werden, keine praktische Bedeutung. 8 Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 121 f.; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 78.

668 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.10 Kap. 18

Gesichtspunkt aber unbeachtlich. Die Auslegung hat sich nämlich nicht am Fiskalzweck,1 Einnahmen zu erzielen, auszurichten.2 Orientierungsmaßstab ist vielmehr die Vermeidung der Doppelbesteuerung als eine Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips (Rz. 17.12). Im Hinblick darauf ist grundsätzlich diejenige Auslegung des § 34c EStG richtig, die eine Doppelbesteuerung möglichst gering hält. § 34c Abs. 1 EStG regelt die direkte Steueranrechnung (Rz. 18.49 ff.), die für das Einkommensteuerrecht die wesentliche unilaterale Maßnahme zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist. Sie ist als begrenzte Anrechnungsmethode (ordinary credit) ausgestaltet, so dass eine Anrechnung ausländischer Steuern nur bis zur Höhe der entsprechenden inländischen Einkommensteuer in Betracht kommt. Die Vorschriften über die direkte Steueranrechnung gem. § 34c Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG gelten durch die Bezugnahme in § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG auch für die Körperschaftsteuer. Im Lohnsteuerabzugsverfahren (§§ 38 ff. Abs. 1 EStG) kann die Steueranrechnung keine Berücksichtigung finden, so dass für Zwecke der Steueranrechnung – gegebenenfalls auf Antrag (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG) – stets eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen ist.3 Für die Abgeltungsteuer gilt die Sonderregelung des § 32d Abs. 5 u. 6 EStG (Rz. 18.111).

18.6

Als weitere Methode sieht § 34c Abs. 2 EStG den Steuerabzug vor (Rz. 18.118 ff.). § 34c Abs. 2 EStG eröffnet dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, zwischen Anrechnungsmethode und Abzugsmethode zu wählen. Die Abzugsmethode wird insbesondere dann zur Anwendung kommen, wenn durch die Anrechnung ausländischer Steuern die Doppelbesteuerung nur zu einem Teil vermieden werden kann, etwa weil die anzurechnende ausländische Steuer die inländische Einkommensteuer übersteigt (Anrechnungsüberhang).

18.7

In Erweiterung zu § 34c Abs. 1, 2 EStG normiert § 34c Abs. 3 EStG den Steuerabzug in den Fällen, in denen aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen die Steueranrechnung (§ 34c Abs. 1 EStG) und der Steuerabzug gem. § 34c Abs. 2 EStG ausscheiden (Rz. 18.122). Das gilt vor allem dann, wenn die ausländische Steuer nicht der deutschen Einkommensteuer entspricht oder aber auf Einkünfte erhoben worden ist, die keine ausländischen Einkünfte i.S.d. § 34d EStG darstellen.

18.8

Der Abzug der ausländischen Steuer erfolgt bei der Ermittlung der Einkünfte mit der Folge, dass hierdurch ein etwaiger vor- bzw. rücktragsfähiger Verlust erhöht wird.

18.9

Schließlich sieht § 34c Abs. 5 EStG die Pauschalierungs- und die Erlassmethode vor, die anwendbar sind, soweit dies aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig oder die Anwendung der Anrechnungsvorschriften besonders schwierig ist (Rz. 18.124 ff.). § 34c Abs. 5 EStG ist als eine an die Finanzverwaltung gerichtete Ermächtigungsvorschrift ausgestaltet. Von der Ermächtigung hat die Finanzverwaltung durch den sog. Pauschalierungserlass4 und den sog. Auslandstätigkeitserlass5 Gebrauch gemacht. Während der Auslandstätigkeitserlass bestimmte Arbeitnehmereinkünfte unter Progressionsvorbehalt von der Lohnsteuer freistellt, werden nach dem Pauschalierungserlass bestimmte ausländische Einkünfte mit einem pauschalen Steuersatz von 25 % besteuert.

18.10

1 2 3 4 5

Dieser ist lediglich Motiv und allgemeine finanzpolitische Aufgabe. Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 278. Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 31. BMF v. 10.4.1984 – IV C 6 - S 2293 - 11/84, BStBl. I 1984, 252. BMF v. 31.10.1983 – IV B 6 - S 2293 - 50/83, BStBl. I 1983, 470.

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Kap. 18 Rz. 18.11 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

18.11

Die in § 3 Nr. 40, 41 EStG1 und § 34c EStG normierten Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung überschneiden sich nicht und stehen somit gleichberechtigt nebeneinander. So kann etwa von einer der Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren unterliegenden Dividende einer ausländischen Kapitalgesellschaft (§ 3 Nr. 40 Buchst. d EStG) erhobene ausländische Kapitalertragsteuer gem. § 34c Abs. 1 EStG zur Anrechnung gebracht werden. Die in § 34c EStG geregelten Methoden stehen ebenfalls gleichberechtigt nebeneinander. Im Gegensatz zur Anrechnungsmethode einerseits und der Abzugsmethode gem. § 34c Abs. 2 EStG andererseits, die in einem Ausschlussverhältnis zueinander stehen, können Erlass- und Pauschalierungsmethode auch neben den beiden vorgenannten Methoden zur Anwendung kommen.2

II. Konkurrenz zu DBA 18.12

§ 2 Abs. 1 AO bestimmt zwar den Vorrang von DBA vor Steuergesetzen,3 das schließt allerdings die weitergehende Anwendung derselben nicht aus, soweit sie aus der Sicht des Steuerpflichtigen eine günstigere Rechtsfolge anordnen. Im Hinblick darauf wird die durch § 3 Nr. 40, 41 EStG4 angeordnete (teilweise) Steuerfreistellung durch DBA nicht eingeschränkt. Ergibt sich jedoch abkommensrechtlich eine völlige Freistellung etwa von Dividenden, weil diese einer ausländischen Betriebsstätte im anderen Vertragsstaat tatsächlich zuzurechnen sind, geht die durch Abkommensrecht vorgeschriebene (völlige) Freistellung der (teilweisen) Freistellung des § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG vor. § 34c EStG ist demgegenüber im Verhältnis zu DBA grundsätzlich subsidiär.5 Das in § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG normierte Rangverhältnis hat lediglich deklaratorische Bedeutung und entspricht dem Grundsatz, dass die Normen der DBA als spezielleres Recht vorgehen.

18.13

Im Hinblick auf § 34c Abs. 6 Sätze 2 bis 6 EStG gilt der Vorrang von DBA ausnahmslos nur für diejenigen Fälle, in denen die ausländischen Einkünfte nach der Freistellungsmethode der Besteuerung durch Deutschland entzogen sind.6 Nach § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG stehen DBA im Übrigen der Erlass- oder Pauschalierungsmethode (§ 34c Abs. 5 EStG) nicht entgegen.7 Der Vorrang der DBA setzt voraus, dass es sich um Steuern handelt, die auf Einkünfte entfallen, die aus einem ausländischen Staat stammen. Das bedeutet, dass die Einkünfte aus dem ausländischen Staat stammen müssen, mit dem das DBA besteht.8 Anderenfalls kommt § 34c Abs. 6 Satz 6 i.V.m. Abs. 3 EStG (Abzugsmethode) in Betracht (Rz. 18.122 ff.). Welche Einkünfte aus dem betreffenden ausländischen Staat stammen, beurteilt sich nicht nach den Regelungen des § 34d EStG (Rz. 18.57 ff.), sondern nach denen des jeweils zur Anwendung kommenden

1 § 3 Nr. 41 EStG ist durch das ATADUmsG v. 25.6.2021 (BGBl. I 2021, 2035) aufgehoben worden, eine vergleichbare Regelung enthält nunmehr § 11 AStG (vgl. Rz. 13.206 ff.). 2 Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 48; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 103 ff. 3 Zur Reichweite dieser Vorrangklausel Rz. 3.24 f. 4 § 3 Nr. 41 EStG ist durch das ATADUmsG v. 25.6.2021 (BGBl. I 2021, 2035) aufgehoben worden, eine vergleichbare Regelung enthält nunmehr § 11 AStG (vgl. Rz. 13.206 ff.). 5 BFH v. 15.3.1995 – I R 98/94, BStBl. II 1995, 580; v. 20.12.1995 – I R 57/94, BStBl. II 1996, 261; v. 1.7.2009 – I R 113/08, BFH/NV 2009, 1992; v. 2.3.2010 – I R 75/08, BFH/NV 2010, 1820. 6 BFH v. 11.9.1987 – VI R 19/84, BStBl. II 1987, 856; v. 11.9.1987 – VI R 64/86, BFH/NV 1988, 631; v. 24.3.1998 – I R 38/97, BStBl. II 1998, 471; BFH v. 19.4.1999 – I B 141/98, BFH/NV 1999, 1317; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 8. 7 Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 421; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 35; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 173. 8 BFH v. 1.4.2003 – I R 39/02, BStBl. II 2003, 869; v. 1.7.2009 – I R 113/08, BFH/NV 2009, 1992; v. 2.3.2010 – I R 75/08, BFH/NV 2010, 1820.

670 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.15 Kap. 18

DBA. Nur so kann das Konkurrenzverhältnis zwischen § 34c Abs. 1–3 EStG und den DBA aufgelöst werden.1 Hieraus folgt sodann, dass jene Einkünfte als aus dem betreffenden ausländischen DBA-Staat stammend anzusehen sind, die entweder als solche definiert sind oder für die ein (Quellen-)Besteuerungsrecht besteht.2 Der Vorrang der DBA wirkt zwar im Grundsatz absolut, also auch dann, wenn deren Anwendung für den Steuerpflichtigen im Vergleich zu § 34c Abs. 1–3 EStG ungünstig ist,3 § 34c Abs. 6 Sätze 2 bis 6 EStG sieht aber einige bedeutsame Modifikationen vor. Zu einigen Einzelheiten: Gemäß § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG sind die Vorschriften über die Anrechnung (§ 34c Abs. 1 Satz 2 bis 5 EStG) und den alternativen Steuerabzug (§ 34c Abs. 2 EStG) entsprechend anzuwenden, soweit ein DBA die Anrechnung ausländischer Steuern vorsieht. Aus der lediglich entsprechenden Anwendung der vorgenannten Vorschriften folgt, dass sie stets mit den Regelungen des betreffenden DBA selbst vereinbar sein müssen.4 Das bedeutet, dass die Anwendung der nationalen Anrechnungsregelungen von vornherein ausscheidet, wenn das betreffende DBA die Durchführung der Steueranrechnung selbst regelt.5 Die Anwendung des Steuerabzugs gem. § 34c Abs. 2 EStG wird hierdurch nicht gehindert,6 es sei denn, es handelt sich um Fälle, in denen DBA eine Anrechnung fiktiver Steuern (Rz. 19.566 f.) gewähren (§ 34c Abs. 6 Satz 2 Halbs. 3 EStG). Im Hinblick auf die in § 32d Abs. 5 EStG verankerte Spezialregelung (Rz. 18.104, 18.111) greift § 34c EStG im Anwendungsbereich der Abgeltungsteuer nicht ein (§ 34c Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 EStG).7 Soweit die DBA sich darauf beschränken, die Steueranrechnung dem Grunde nach zu regeln, hinsichtlich der Modalitäten aber auf nationales Recht verweisen, kommen dagegen die nationalen Anrechnungsregeln nach Maßgabe des § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG zur Anwendung.8 Das gilt auch in den Fällen, in denen DBA eine Steueranrechnung anordnen, ohne ausdrücklich auf nationales Recht zu verweisen.9

18.14

Soweit DBA die Anrechnung vorsehen, betrifft diese stets nur die anrechenbaren Steuern auf diejenigen Einkünfte aus dem betreffenden Vertragsstaat, die in das Anrechnungsverfahren einbezogen sind (Anrechnungseinkünfte). Daraus folgt, dass über § 34c Abs. 6 Satz 2 Halbs. 1 EStG nur eine alle Anrechnungseinkünfte des Vertragsstaates erfassende Gesamtoption für den Steuerabzug möglich ist.10 Darüber hinaus kann nicht mehr angerechnet werden als die

18.15

1 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 201; Weggenmann in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 718; Prokisch in K/S/M, § 34c EStG Rz. C 5; Geurts in Frotscher/Geurts, § 34c EStG Rz. 172; auf § 34d EStG abstellend Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 134. 2 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 201; Weggenmann in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 719 f. jeweils mit Hinweis auf bilaterale Subject-to-Tax-Klauseln, die im Ergebnis zu inländischen Einkünften führen. 3 Vgl. BFH v. 15.3.1995 – I R 98/94, BStBl. II 1995, 580; Weggenmann in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 729; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 134; ggf. aber Billigkeitsmaßnahmen (Rz. 18.131). 4 Stellungnahme des Bundesrates zum StÄndG v. 20.8.1980 betreffend § 34c EStG (BT-Drucks. VIII/3648, 21); Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 208. 5 BFH v. 9.6.2010 – I R 94/09, BStBl. II 2011, 860; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 8; Weggenmann in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 733 f. 6 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 8; Weggenmann in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 748 f. 7 § 32d Abs. 5, 6 EStG enthält hinsichtlich der Berücksichtigung ausländischer Steuern eine abschließende Regelung; Levedag in Schmidt41, § 32d EStG Rz. 26; Pfirrmann in Kirchhof/Seer21, § 32d EStG Rz. 19. 8 BFH v. 20.12.1995 – I R 57/94, BStBl. II 1996, 261; Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 134. 9 Sog. subsidiäre Begriffsausfüllung gem. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA; hierzu Rz. 19.54 ff. 10 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 212; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 30; R 34c Abs. 5 EStR 2012.

Schaumburg | 671

Kap. 18 Rz. 18.15 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

dem Quellenstaat abkommensrechtlich zustehende etwa auf einen bestimmten Quellensteuersatz begrenzte Steuer.1 Schließlich kommt auch nur die um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte Steuer zur Anrechnung (§ 34c Abs. 6 Satz 2 Halbs. 1 EStG). Der optionale Steuerabzug ist bei Anwendung von DBA (§ 34c Abs. 6 Satz 2 EStG) nur in den Grenzen des § 34c Abs. 2 EStG möglich, so dass er ausgeschlossen ist, soweit die partielle Steuerbefreiung des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Buchst. d EStG) eingreift (Rz. 18.26).

18.16

§ 34c Abs. 6 Satz 3 EStG stellt auch in Abkommensfällen sicher, dass die Einkünfte, die abkommensrechtlich in dem anderen Staat nicht besteuert werden können, nicht in die Höchstbetragsberechnung einzubeziehen sind. Diese dem § 34c Abs. 1 Satz 3 EStG entsprechende Sonderregelung (Rz. 18.106) wirkt sich insbesondere in den Fällen aus, in denen aus demselben ausländischen Staat neben den dort abkommensrechtlich freigestellten auch tatsächlich der Besteuerung unterworfene Einkünfte bezogen werden.2

18.17

§ 34c Abs. 6 Satz 4 EStG ermöglicht eine Steueranrechnung oder wahlweise den Steuerabzug, wenn durch das DBA bestimmte ausländische Steuern des anderen Vertragsstaates nicht erfasst werden. Angesprochen ist damit insbesondere der Fall, dass nicht alle in dem anderen Vertragsstaat erhobenen Steuern, etwa Ertragsteuern einzelner Gliedstaaten, unter das DBA fallen.3

18.18

§ 34c Abs. 6 Satz 5 EStG gewährleistet die Steueranrechnung oder den Steuerabzug auch in den Fällen, in denen abkommensrechtlich die ausländischen Einkünfte eigentlich steuerfrei zu stellen sind, es aber, wegen der in § 50d Abs. 9 EStG verankerten Switch-over-Klausel (Rz. 19.525), zu einer Besteuerung kommt. Erfasst werden hierdurch insbesondere sog. negative Qualifikationskonflikte, die zu einer doppelten Nichtbesteuerung (Rz. 19.84) führen können.

18.19

§ 34c Abs. 6 Satz 6 EStG verweist schließlich auf § 34c Abs. 3 EStG. Das bedeutet, dass ein Steuerabzug zugelassen wird, wenn ein DBA-Staat Drittstaateneinkünfte besteuert, kein Missbrauch vorliegt und das DBA die Besteuerung nicht zulässt. Insoweit handelt es sich um eine Einschränkung des § 34c Abs. 3 EStG.4

III. Steuerfreistellung Literatur: Kommentare zu § 3 Nr. 40 EStG und § 3 Nr. 41 EStG a.F.; Desens, Das Halbeinkünfteverfahren – Eine theoretische, historische, systematische und verfassungsrechtliche Würdigung, Köln 2004; Grotherr, Das neue Köerpschaftssteuersystem mit Anteilseignerentalstung bei der Beteuerung von Einkünften aus Beteiligungen, DB 2000, 849; van Lishaut, Die Reform der Unternehmensbeteuerung aus Gesellschaftersicht, StuW 2000, 1982; Nacke/Intemann, Ausgewählte Probleme des Halbeinkünftverfahrens DB 2002, 756; Otto, Die Besteuerung von gewinnausschüttenden Körperschaften und Anteilseigner nach dem Halbeinkünfteverfahren, Berlin 2007; Sell, § 3 Nr. 40 Buchst. a Einkommensteuergestz, § 3c Abs. 2 Einkommensteurgesetz wohl nicht im Gleichklang mit § 8b Abs. 2 und 3 KStG, DB 2004, 2290.

1 BFH v. 15.3.1995 – I R 98/94, BStBl. II 1995, 580; zu etwaigen Billigkeitsmaßnahmen Hey, FR 1995, 819; ferner Rz. 18.128 ff. 2 Zu Einzelheiten Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 10, 6; Weggenmann in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 763, dort auch zum Konkurrenzverhältnis mit § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG. 3 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 12; Weggenmann in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 767 ff. 4 Zu Einzelheiten Weggenmann in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 771 ff.

672 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.21 Kap. 18

1. Teileinkünfteverfahren a) Körperschaftsteuerliche Vorbelastung Das in § 3 Nr. 40 EStG geregelte Teileinkünfteverfahren stellt mit Körperschaftsteuer belastete Vermögensmehrungen und Bezüge zu 40 % steuerfrei, wobei die in wirtschaftlichem Zusammenhang1 hiermit stehenden Vermögensminderungen und Erwerbsaufwendungen gem. § 3c Abs. 2 EStG ebenfalls zu 40 % vom Steuerabzug ausgeschlossen sind. Diese Regelung, die nur für Vermögensmehrungen von im Betriebsvermögen gehaltenen Beteiligungen sowie solchen gem. § 17 EStG und nur für die den Gewinneinkunftsarten und den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zuzuordnenden Bezüge gilt (§ 3 Nr. 40 Satz 2 EStG),2 ist untrennbar mit dem ab 2001 geltenden Körperschaftsteuersystem verknüpft, wonach Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen einheitlich mit einer Körperschaftsteuer von derzeit 15 % ohne Rücksicht darauf belastet sind, ob der Gewinn ausgeschüttet wird oder nicht. Das Teileinkünfteverfahren ist darauf gerichtet, die steuerliche Doppelbelastung für Gewinne durch Körperschaftsteuer einerseits und Einkommensteuer andererseits abzumildern. Im Hinblick darauf spielt es keine Rolle, ob die Beteiligung etwa an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft besteht oder die Beteiligung von einer unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtigen Person gehalten wird. Für beschränkt steuerpflichtige Personen eröffnet sich der Anwendungsbereich des § 3 Nr. 40 EStG allerdings nur in den Fällen, in denen die Beteiligungserträge nicht der Abgeltungsteuer (§ 32d EStG) unterliegen und die Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG) nicht eingreift (Rz. 18.24 f.).3 Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen unterliegen ebenfalls dem Teileinkünfteverfahren, da diese jedenfalls teilweise auf bereits mit Körperschaftsteuer belasteten Rücklagen beruhen.4 Durch die partielle Steuerfreistellung gem. § 3 Nr. 40 EStG wird die körperschaftsteuerliche Vorbelastung in typisierter Form berücksichtigt. Da dies bei einer REIT-AG wegen ihrer Steuerfreiheit nicht der Fall ist (§ 16 REITG), gilt das Teileinkünfteverfahren insoweit nicht (§ 19 Abs. 3 REITG).5

18.20

Die im Vergleich zu anderen Einkünften im Rahmen des Teileinkünfteverfahrens eintretenden Belastungsdivergenzen halten sich in den Grenzen, die das BVerfG im Zusammenhang mit einer verfassungsrechtlich zulässigen normativen Typisierung gezogen hat.6 Im Hinblick auf die mit dem Teileinkünfteverfahren verbundene Vereinfachung ist die Regelung des § 3 Nr. 40 EStG insgesamt nicht unverhältnismäßig. Dies gilt im Ergebnis auch nach der Rechtsprechung des BFH7 für das in § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG verankerte und mit dem Teileinkünfteverfahren korrespondierende Abzugsverbot,8 das nicht darauf abstellt, ob überhaupt steuerfreie Einnahmen zufließen (§ 3c Abs. 2 Satz 7 EStG).9

18.21

1 Im Sinne eines Veranlassungszusammenhangs, BFH v. 6.4.2013 – I R 61/14, IStR 2016, 666, Rz. 17. 2 Im Übrigen greift die Abgeltungsteuer (§ 32d EStG) ein. 3 Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 27; vgl. zur Abgeltungswirkung bei beschränkter Steuerpflicht Rz. 6.134 ff. 4 Vgl. hierzu im Überblick Hey in Tipke/Lang24, Rz. 11.11 ff. 5 Ausnahme gem. § 19a REITG, soweit die Dividenden der REIT-AG aus vorbelasteten Teilen des Gewinns stammen. 6 BFH v. 19.6.2007 – VIII R 69/05, BStBl. II 2008, 551; v. 3.11.2015 – VIII R 37/13, BStBl. II 2016, 273. 7 Gerechtfertigter Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip: BFH v. 19.6.2007 – VIII R 69/05, BStBl. II 2008, 551. 8 Desens in H/H/R, § 3c EStG Rz. 12; kritisch dagegen Hey in Tipke/Lang24, Rz. 11.15 jeweils m.w.N. 9 Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden: BFH v. 2.9.2014 – IX R 43/13, BStBl. II 2015, 257; v. 29.5.2018 – IX R 40/17, BFH/NV 2019, 944; vgl. auch Desens in H/H/R, § 3c EStG Rz. 13.

Schaumburg | 673

Kap. 18 Rz. 18.22 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

18.22

Da das Teileinkünfteverfahren auch auf Bezüge (z.B. Ausschüttungen) und Vermögensmehrungen (z.B. Veräußerungserlöse) aus dem Ausland Anwendung findet, dient § 3 Nr. 40 EStG auch der Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung. Im Hinblick auf die fehlende Subjektidentität ist das in § 3 Nr. 40 EStG implementierte Teileinkünfteverfahren als unilaterale Maßnahme zur Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung zu qualifizieren. b) Persönliche Voraussetzungen

18.23

Das Teileinkünfteverfahren gilt im Grundsatz für unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige natürliche Personen gleichermaßen. § 3 Nr. 40 EStG ist somit im Ausgangspunkt diskriminierungsfrei ausgestaltet. Ausgenommen sind unter den Voraussetzungen des § 3 Nr. 40 Sätze 3 und 4 EStG unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Personen, soweit diese Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute oder Finanzunternehmen betreiben sowie Anteile an Unterstützungskassen.1

18.24

Die insbesondere aus europarechtlichen Gründen in § 3 Nr. 40 EStG normierte Gleichstellung von unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Personen erfährt unter mehreren Gesichtspunkten Einschränkungen: Für Bezüge (z.B. Ausschüttungen) insbesondere seitens inländischer Kapitalgesellschaften wird das Teileinkünfteverfahren im Grundsatz durch die in § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG verankerte Abgeltungswirkung suspendiert (Rz. 6.281 ff.).2 Diese Suspensionswirkung gilt allerdings nicht, soweit z.B. die Bezüge (Ausschüttungen) einem inländischen Betrieb zuzuordnen sind (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG) (Rz. 6.284 ff.), so dass im Ergebnis insoweit wiederum für Gewinneinkünfte das Teileinkünfteverfahren eingreift.3

18.25

Im Gegensatz zu Bezügen (z.B. Ausschüttungen) unterliegen Vermögensmehrungen, insbesondere Erlöse aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften4, im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Buchst. e, Nr. 8 EStG) keinem (abgeltenden) Kapitalertragsteuerabzug. Hieraus folgt, dass für Zwecke der beschränkten Steuerpflicht eine Steuerveranlagung durchzuführen ist, in deren Rahmen das Teileinkünfteverfahren uneingeschränkt zur Anwendung kommt. Das gilt allerdings nur in den Fällen, in denen entweder keine DBA eingreifen oder aber diese den deutschen Steuerzugriff uneingeschränkt aufrechterhalten.5 Um grenzüberschreitende Besteuerungsinkongruenzen aufgrund von Zurechnungsdivergenzen zu vermeiden enthält § 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 3 EStG6 folgende Sonderregelung: Das Teileinkünfteverfahren im Inland entfällt insoweit, als das Einkommen einer ausländischen Kapitalgesellschaft, an der der unbeschränkt Steuerpflichtige beteiligt ist, aufgrund eines ausländischen Zurechnungskonfliktes niedriger ist als der Betrag des Einkommens nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts.7

1 Zu Einzelheiten Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 176 ff. 2 Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 27; von Beckerath in K/S/M, § 3 Nr. 40 EStG Rz. B 40, 58; Fock, RIW 2001, 108 (111). 3 Dass diese Einkünftequalifikation nicht wie in § 3 Nr. 40 Satz 2 EStG verlangt „nur“ auf § 20 Abs. 8 EStG, der bei Anwendung der isolierenden Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) keine Anwendung findet, sondern auf § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG beruht, spielt im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG keine Rolle. 4 Soweit hierfür nicht die Kapitalertragsteuerpflicht gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EStG eingreift. 5 Art. 13 Abs. 2, 4 OECD-MA; hierzu im Einzelnen Rz. 19.385 ff., 19.396 ff. 6 In der Fassung des ATADUmsG v. 25.6.2021 BGBl. I 2021, Nr. 37 mit Wirkung für Bezüge, die nach dem 31.12.2019 zufließen. 7 Vgl. die RegBegr. zu dem vergleichbaren § 8b Abs. 1 Satz 3 KStG, hierzu (Rz. 18.150).

674 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.30 Kap. 18

c) Bezüge und gleichgestellte Einnahmen Kern des Teileinkünfteverfahrens ist § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG, wonach den Gewinneinkunftsarten und den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zuzuordnende Beteiligungsbezüge (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und vergleichbare Bezüge aus Sondervermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG) zu 40 % steuerbefreit sind. Angesprochen sind hiermit vor allem offene und verdeckte Gewinnausschüttungen sowie Vorabausschüttungen. Diesen Bezügen ist im Grundsatz gemeinsam, dass sie das steuerpflichtige Einkommen der ausschüttenden Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse nicht gemindert haben und somit definitiv mit Körperschaftsteuer vorbelastet sind. Zu den vorgenannten Rechtsträgern gehören auch solche, die im Inland nicht unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind.1 Die nach ausländischem Recht errichteten nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Rechtsträger müssen den entsprechenden inländischen in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen entsprechen.2 Die (teilweise) Steuerbefreiung greift aber nur dann ein, wenn die Bezüge das Einkommen der leistenden (ausländischen) Körperschaft nicht gemindert haben (§ 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 2 EStG). Mit dieser Korrespondenzklausel soll eine internationale Minderbesteuerung vermieden werden, die insbesondere bei sog. hybriden Finanzinstrumenten eintreten kann.3

18.26

Unter § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG fällt, soweit keine Abgeltungsteuer eingreift, u.a. auch die Einlagenrückgewähr durch ausländische Kapitalgesellschaften, wenn hierfür eine gesonderte Feststellung nach § 27 Abs. 8 KStG nicht erfolgt ist (§ 27 Abs. 8 Satz 9 KStG).4

18.27

Einstweilen frei.

18.28

Dem Teileinkünfteverfahren unterliegen auch Bezüge, die nach der Auflösung (Liquidation) einer Körperschaft oder Personenvereinigung anfallen (§§ 3 Nr. 40 Buchst. e, 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Von der Reichweite dieser Vorschrift werden unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Körperschaften und Personenvereinigungen gleichermaßen erfasst. Da das Teileinkünfteverfahren diesbezüglich im Wesentlichen auf betriebliche Einkünfte anwendbar ist (§ 3 Nr. 40 Satz 2 EStG), hat § 3 Nr. 40 Buchst. e EStG kaum praktische Bedeutung, weil auflösungsbedingte Bezüge bereits unter § 3 Nr. 40 Buchst. a oder Buchst. c EStG fallen.5

18.29

Dem Teileinkünfteverfahren unterliegen ferner besondere Entgelte und Vorteile (§ 3 Nr. 40 Buchst. f EStG) sowie Gewinne aus der Veräußerung von Dividendenscheinen und sonstigen Ansprüchen, soweit es um zukünftige Gewinnansprüche geht (§ 3 Nr. 40 Buchst. g EStG). Entsprechendes gilt auch für Gewinne aus der Abtretung von Dividendenansprüchen und sonstigen Ansprüchen (§ 3 Nr. 40 Buchst. h EStG). Das insoweit eingreifende Teileinkünfteverfahren wird auch von nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Rechtsträgern vermittelt.

18.30

1 Die Aufzählung im § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist insoweit nicht abschließend; BFH v. 8.2.1995 – I R 73/94, BStBl. II 1995, 552; v. 16.12.1992 – I R 32/92, BStBl. II 1993, 399. 2 Insoweit gelten die allgemeinen für den Typenvergleich maßgeblichen Grundsätze; vgl. hierzu Rz. 7.7 ff. 3 Vgl. zu den internationalen Korrespondenzklauseln Lüdicke in FS Frotscher, 403 (408 ff.); Schaumburg in FS Frotscher, 503 (514 ff.). 4 Zur Frage der Anwendbarkeit des § 27 Abs. 8 KStG über ausländische EU-Kapitalgesellschaften hinaus auf EWR-Kapitalgesellschaften und entsprechend auf Drittstaatengesellschaften Stimpel in R/H/N, § 27 KStG Rz. 220 m.w.N.; zur grenzüberschreitenden Einlagenrückgewähr Rz. 7.37 ff. 5 Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 141.

Schaumburg | 675

Kap. 18 Rz. 18.31 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

18.31

Vom Teileinkünfteverfahren erfasst werden schließlich auch Bezüge i.S.d. § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG, soweit diese von einer nicht von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse stammen (§ 3 Nr. 40 Buchst. i EStG). Angesprochen sind damit insbesondere Bezüge, die von einem unbeschränkt steuerpflichtigen Rechtsträger außerhalb der Erfüllung steuerbegünstigter Zwecke i.S.d. §§ 52–54 AO gewährt werden. Entsprechende Bezüge, die von nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Rechtsträgern stammen, werden ebenfalls erfasst. d) Veräußerungserlöse und gleichgestellte Einnahmen

18.32

Im Vordergrund des für Einnahmen aus der Veräußerung von Kapitalanteilen und aus veräußerungsgleichen Vorgängen maßgeblichen Teileinkünfteverfahrens steht § 3 Nr. 40 Buchst. a EStG, von dessen Reichweite nur Kapitalanteile im Betriebsvermögen erfasst werden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die betreffenden Kapitalanteile einem in- oder ausländischen Betriebsvermögen zuzuordnen sind. Neben der Veräußerung selbst, werden auch andere Realisationssachverhalte erfasst, insbesondere Entnahmen, Auflösungen (Liquidationen), Kapitalherabsetzungen sowie Teilwertzuschreibungen auf Grund einer Wertaufholung (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG), soweit die vorangegangene Teilwertabschreibung nicht vollumfänglich den Gewinn gemindert hat (§ 3 Nr. 40 Buchst. a Satz 2 EStG). Aus dem Einlagekonto (§ 27 KStG) stammende den Buchwert der Anteile übersteigende Bezüge gehören ebenfalls zu den einer Veräußerung gleichgestellten Vorgängen, soweit hierfür eine gesonderte Feststellung gem. § 27 Abs. 8 KStG erfolgt ist.1

18.33

Die vorgenannten Realisationsvorgänge gelten im Grundsatz auch für ausländische Rechtsträger, soweit diese auf Grund des maßgeblichen Typenvergleichs einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse gleichgestellt sind (Rz. 7.7 ff.). So führt etwa die Rückzahlung von Kapital durch eine ausländische Kapitalgesellschaft unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 8 KStG zur Anwendung des Teileinkünfteverfahrens, soweit die Kapitalrückzahlung den Buchwert der Beteiligung übersteigt. Entsprechendes gilt auch für die Herabsetzung des Nennkapitals. Soweit im Zusammenhang mit der Überführung von Kapitalanteilen aus einem inländischen Betriebsvermögen in eine ausländische Betriebsstätte eine Gewinnrealisierung angenommen wird (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG), kommt auch hier das Teileinkünfteverfahren gem. § 3 Nr. 40 Buchst. a EStG zur Anwendung,2 und zwar auch soweit es die Auflösung eines Ausgleichspostens gem. § 4g EStG betrifft.3

18.34

§ 3 Nr. 40 Buchst. b EStG erfasst Einnahmen aus mittelbaren Anteilsveräußerungen sowie Veräußerungen von 100 %-Beteiligungen. Es geht hierbei insbesondere um Kapitalanteile, die im Zusammenhang mit Betriebsveräußerungen, Teilbetriebsveräußerungen oder der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen mit übertragen werden.4 Auch hier werden Anteile an inund ausländischen Rechtsträgern gleichermaßen erfasst. Das Teileinkünfteverfahren erstreckt sich gem. § 3 Nr. 40 Buchst. b EStG im Ausgangspunkt schließlich auch auf die Einnahmen 1 BFH v. 7.11.1990 – I R 68/88, BStBl. II 1991, 177; v. 16.3.1994 – I R 70/92, BStBl. II 1994, 527; v. 20.4.1999 – VIII R 38/96, BStBl. II 1999, 647; Dötsch in D/P/M, § 27 KStG Rz. 19; Endert in Frotscher/Drüen, § 27 KStG Rz. 18, 274; Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 113; Intemann, NWB 2010, 2295 (2299), vgl. auch Rz. 7.37 ff. 2 Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 57; Tormöhlen/Korn in Korn, § 3 Nr. 40 Rz. 24. 3 Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 57; Tormöhlen/Korn in Korn, § 3 Nr. 40 Rz. 24. 4 Für Betriebsverlagerungen ins Ausland greift in Anknüpfung an § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG (Entnahme) das Teileinkünfteverfahren gem. § 3 Nr. 40 Buchst. a EStG ein.

676 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.48 Kap. 18

aus der Veräußerung von zum Privat- oder Betriebsvermögen gehörenden einbringungsgeborenen Anteilen (§ 21 Abs. 1 UmwStG a.F.)1 sowie auf die in § 21 Abs. 2 UmwStG a.F. aufgeführten Ersatztatbestände.2 § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG erstreckt das Teileinkünfteverfahren auf Einnahmen aus Anteilsveräußerungen im Privatvermögen (§ 17 Abs. 1, 2 EStG). Dies gilt auch für die Veräußerung von Auslandsanteilen. Dem Teileinkünfteverfahren unterliegen gem. § 3 Nr. 40 Buchst. c Satz 2 EStG auch die Fälle der Einlagenrückgewähr im Zuge einer ordentlichen Kapitalherabsetzung und einer Rückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto, soweit diese die Anschaffungskosten übersteigen (§ 17 Abs. 4 EStG).3 Für Anteile, die dem Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG unterliegen, ist für die übersteigende Einlagenrückgewähr demgegenüber kein Veräußerungsersatztatbestand vorgesehen, so dass das Teileinkünfteverfahren insoweit obsolet ist.4 Im Falle des Wegzugs der Kapitalgesellschaft ins Ausland greift wegen § 17 Abs. 5 EStG das Teileinkünfteverfahren gem. § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG ebenso ein wie im Falle des Wegzugs des Anteilseigners selbst (§ 6 AStG).5

18.35

2. Gewinne bei Hinzurechnungsbesteuerung § 3 Nr. 41 EStG in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung (§ 52 Abs. 4 Satz 15 EStG) ist primär darauf gerichtet, die Doppelbelastung von Hinzurechnungsbeträgen einerseits und Gewinnausschüttungen seitens bestimmter ausländischer Kapitalgesellschaften (Zwischengesellschaften) sowie Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an denselben andererseits zu vermeiden. Die Vermeidung der Doppelbelastung erfolgt hiernach durch eine vollständige Steuerfreistellung der tatsächlich bezogenen Gewinnausschüttungen bzw. tatsächlich erzielten Veräußerungsgewinne, soweit sie innerhalb von sieben Jahren Hinzurechnungsbeträge auslösen.

18.36

Die vorstehende Systematik wird durch den ab 1.1.2022 geltenden § 11 AStG aufgegeben: Im Ausschüttungs- oder Veräußerungsfall ist nunmehr bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte ein Kürzungsbetrag abzuziehen, soweit in den Vorjahren Hinzurechnungsbeträge als Hinzurechnungskorrekturvolumen gesondert festgestellt wurden (Rz. 13.206 ff.).

18.37

Einstweilen frei.

18.38– 18.48

IV. Steueranrechnung Literatur: Kommentare zu §§ 34c Nr. 40 EStG; Cordewener/Schnitger, Europarechtliche Vorgaben für die Vermeidung der internationalen Doppelbeteuerung im Wege des Anrechnungsmethode, StuW

1 Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 82 f.; Haritz, DStR 2000, 1537 (1544), a.A. Dieterlen/Schaden, BB 2000, 2492 (2494) wonach zum Privatvermögen gehörende einbringungsgeborene Anteile unter § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG fallen sollen. 2 Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 83; Hötzel in Schaumburg/Rödder, Unternehmenssteuerreform 2001, 222; Förster, Stbg 2001, 657 (658). 3 BFH v. 19.7.1994 – VIII R 58/92, BStBl. II 1995, 362. 4 Im Umfang der übersteigenden Einlagenrückgewähr werden allerdings negative Anschaffungskosten angenommen, so dass die Besteuerung bei späterer Anteilsveräußerung nachgeholt wird; vgl. BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004:017 – DOK 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85, Tz. 92. 5 Obwohl § 17 Abs. 5 EStG in § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG nicht ausdrücklich zitiert ist; Pung in D/P/M, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 66; Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 101; Tormöhlen/Korn in Korn, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 29.

Schaumburg | 677

Kap. 18 Rz. 18.49 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung 2006, 50; Desens, Der neue Anrechnugnshöchstbetrag in § 34c Abs. 1 S. 2 – ein unionsrechts- und verfassungswidriges, fiskalisches Eigentor, IStR 2015, 77; Ebel, Anrechnungsbegrenzung des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG – Regelungsreichtweite eines fiskalisch motivierten Systemsbruchs, FR 2016, 241; Endert/ Trenkner, Zweifelsfragen zu den Anforderungen an einen ausländischen Ermäßigungsanspruch bei der Anrechnung ausländischer Steuern, ISR 2019, 85; Haase, Steueranrechnung bei divergierender Einkünftezurechnung und Qualifikationskonflikten, IStR 2010, 45; Kaminski, Anrechnung ausländischer Steuern in Lüdicke Aktuelle Problemfelder im Internationalen Steuerrecht, Köln 2016, 169; Kudert, Der „wirtschaftliche Zusammenhang“ im Außensteuerrecht aus steuerrechtlicher und (betriebs-)wirtschaftlicher Sicht, StuW 2018, 71; Wassermeyer, Anrechnung und Abzug ausländischer Steuern gem. § 34c in Missbrauchsfällen, IStR 2016, 285l.

1. Allgemeines 18.49

Für den Bereich der Einkommensteuer ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung in §§ 34c, 50 Abs. 3 EStG und § 32d Abs. 5 EStG verankert. § 34c EStG gelangt darüber hinaus auch zur Anwendung auf Grund von Verweisungen z.B. in § 26 KStG, § 12 Abs. 3 AStG und § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InvStG 2018 sowie in den DBA.

2. Persönliche Voraussetzungen 18.50

Werden unbeschränkt Steuerpflichtige mit ihren aus einem ausländischen Staat stammenden Einkünften dort zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen, so ist gem. § 34c Abs. 1 EStG die festgesetzte, gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliegende ausländische Steuer auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen, die auf die Einkünfte aus diesem Staat entfällt. Im Anwendungsbereich der Abgeltungsteuer enthält § 32d Abs. 5 EStG eine entsprechende Anrechnungsvorschrift für Einkünfte aus Kapitalvermögen (Rz. 18.104, 18.111). Die Begrenzung der Anrechnungsberechtigung auf unbeschränkt steuerpflichtige Personen ist die Folge des nur bei unbeschränkter Steuerpflicht zur Geltung kommenden Welteinkommensprinzips. Da die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG sowie die fingierte unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG keine selbständigen Formen der Steuerpflicht sind, gelten alle Vorschriften, die an die unbeschränkte Steuerpflicht anknüpfen, automatisch auch für die Fälle des § 1 Abs. 2 und 3 EStG. Erweitert unbeschränkt steuerpflichtige Personen sowie Grenzpendler (§ 1 Abs. 3 EStG) können daher ebenfalls die Steueranrechnung gem. § 34c Abs. 1 EStG in Anspruch nehmen.1 Zu dem Kreis der Anrechnungsberechtigten gehören auch jene Steuerpflichtige, die etwa aufgrund eines Doppelwohnsitzes in mehreren Staaten unbeschränkt steuerpflichtig sind.2

18.51

Obwohl Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung grundsätzlich nur als Aufgabe des Wohnsitzstaates aufgefasst werden, sieht § 50 Abs. 3 EStG eine Steueranrechnung auch für beschränkt Steuerpflichtige vor.3 Dieser an sich systemfremden Steueranrechnung bedurfte es, weil die inlandsbezogenen Qualifikationsmerkmale des § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG auch ausländische Einkunftsquellen erfassen und damit kollisionsbegründend sind. § 50 Abs. 3 EStG lässt die Steueranrechnung nur zu bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbetrieb und selbständiger Arbeit, für die ein inländischer Betrieb unterhal1 BFH v. 13.10.1965 – I 410/61 U, BStBl. III 1965, 738; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 50; Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 121; für Grenzpendler ist § 34c EStG allerdings ohne praktische Bedeutung, weil gem. § 1 Abs. 3 EStG ohnehin nur inländische Einkünfte (§ 49 EStG) erfasst werden. 2 Kuhn in H/H/R, § 32b EStG Rz. 50; Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 121. 3 § 50 Abs. 3 EStG verweist auf § 34c Abs. 1 bis 3 EStG.

678 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.53 Kap. 18

ten wird, soweit darin nicht Einkünfte aus einem ausländischen Staat enthalten sind, mit denen der beschränkt Steuerpflichtige dort mit seinem Welteinkommen zur Steuerpflicht herangezogen wird. Angesprochen sind hierdurch vor allem Einkünfte aus Drittstaaten, etwa Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren, die mit einer Quellensteuer belegt sind. In der Praxis hat § 50 Abs. 3 EStG insbesondere Bedeutung für inländische Niederlassungen ausländischer Banken sowie für Beteiligungen beschränkt Steuerpflichtiger an inländischen Personengesellschaften. Die Steueranrechnung setzt voraus, dass der unbeschränkt Steuerpflichtige selbst mit seinen aus einem ausländischen Staat stammenden Einkünften dort zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen wird. Damit ist die Steuersubjektidentität Voraussetzung für die Steueranrechnung. Da die Rechtssysteme der ausländischen Staaten sich durchweg von denen Deutschlands unterscheiden und den persönlichen Anknüpfungspunkten für die Besteuerung vielfach unterschiedliche Konzeptionen zugrunde liegen, wird eine Identität des Steuersubjekts im streng juristischen Sinne insbesondere bei Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften häufig nicht erreicht werden können. So sind etwa im romanischen Rechtskreis die Personengesellschaften im Gegensatz zum deutschen Einkommen-/Körperschaftsteuerrecht selbständige Steuersubjekte.1 Gleichwohl werden sie nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG überwiegend als Mitunternehmerschaften qualifiziert, so dass unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter mit den auf sie entfallenden Gewinnanteilen zur deutschen Einkommensteuer herangezogen werden, unabhängig davon, ob der Gewinn ausgeschüttet worden ist oder nicht.2 Dieser dem deutschen Einkommensteuergesetz folgenden Qualifikation hat eine am Sinn und Zweck des § 34c EStG – Vermeidung der Doppelbesteuerung – orientierte Auslegung Rechnung zu tragen mit der Folge, dass die Steuersubjektidentität unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bejahen und daher eine Steueranrechnung möglich ist.3 Dies gilt nicht nur für die auf Gesellschaftsebene gezahlten Steuern, sondern auch für etwaige Quellensteuern auf Ausschüttungen an die Gesellschafter.4 Die Steuersubjektidentität ist auch in den Fällen der Zurechnungsdivergenz zu bejahen, sofern der unbeschränkt Steuerpflichtige mit der ausländischen Steuer belastet ist. Werden etwa Einkünfte im Ausland dem Treuhänder und im Inland dem Treugeber zugerechnet (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO), so kann der Treugeber die im Ausland vom Treuhänder geschuldete Steuer anrechnen, wenn diese im Rahmen des Aufwendungsersatzes zu seinen Lasten geht.5

18.52

Entsprechendes gilt im Falle des Nießbrauchs, falls im Ausland die Einkünfte dem Eigentümer und im Inland dem unbeschränkt steuerpflichtigen Nießbraucher zugerechnet werden.6

18.53

1 Anders im Fall der Option zur Körperschaftbesteuerung gem. § 1a KStG. 2 RFH v. 12.2.1930, RStBl. 1930, 444; BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; v. 18.10.2007 – V B 164/06, BStBl. II 2008, 263; v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263; v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 2; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 35; Piltz, Die Personengesellschaft im internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, 107 f.; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/ 0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 4.1.4. 3 Hizeru Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 2 m.w.N. 4 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 2; Kaminski/Strunk in Korn, § 34c EStG Rz. 35. 5 BFH v. 5.2.1992 – I R 9/90, BStBl. II 1992, 607; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 2. 6 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 61; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 2, Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 37.

Schaumburg | 679

Kap. 18 Rz. 18.54 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

18.54

Eine Ausnahme vom Erfordernis der Subjektidentität ergibt sich aus § 19 Abs. 1 und 2 KStG für die Organschaft. Der Organträger kann danach die auf die ausländischen Einkünfte der Organgesellschaft entfallende ausländische Steuer vom Einkommen unter den Voraussetzungen des § 34c Abs. 1 EStG selbst anrechnen. Ist Organträger eine Personengesellschaft, so sind die Gesellschafter zur Anrechnung befugt (§ 19 Abs. 3 KStG).1

18.55

Nach der Rechtsprechung des BFH2 soll die Steuersubjektidentität und damit die Voraussetzung für eine Steueranrechnung oder eine sonstige Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in den Fällen nicht gegeben sein, in denen die Einschaltung ausländischer Basisgesellschaften wegen Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts als Steuerumgehung gem. § 42 AO qualifiziert wird (Rz. 13.23 ff.).

18.56

Durch § 42 Abs. 1 Satz 3 AO wird der Umgehungserfolg dadurch verhindert, dass der Steueranspruch so verwirklicht wird, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. An die Stelle der tatsächlich gewählten rechtlichen Gestaltung wird daher für Zwecke der steuerlichen Rechtsfolge die angemessene Rechtsgestaltung der Besteuerung zugrunde gelegt. Müssten für den gleichen Sachverhalt bei angemessener Gestaltung ebenso wie bei der tatsächlich verwirklichten unangemessenen Gestaltung ausländische Steuern entrichtet werden, ist eine Steueranrechnung zulässig. Bezieht also eine ausländische Basisgesellschaft ausländische Dividendeneinkünfte, für die sie Kapitalertragsteuer entrichtet hat, und werden diese Dividendeneinkünfte als Rechtsfolge des § 42 Abs. 1 Satz 3 AO dem unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner der Basisgesellschaft zugerechnet, so kann dieser die von der ausländischen Basisgesellschaft im Ausland gezahlte Kapitalertragsteuer auf seine eigene Einkommensteuerschuld anrechnen.3 Handelt es sich dagegen um eine sog. Mäanderstruktur, bei der die ausländische Basisgesellschaft Dividenden aus dem Inland bezieht, ist eine Steueranrechnung mangels ausländischer Einkünfte ausgeschlossen.4 § 42 Abs. 1 Satz 3 AO schließt daher die Anwendung des § 34c Abs. 1 EStG nicht aus.

3. Ausländische Einkünfte a) Allgemeines

18.57

Ausländische Steuern können gem. § 34c Abs. 1 EStG nur dann angerechnet werden, wenn sie auf ausländische Einkünfte erhoben worden sind. Was unter ausländischen Einkünften zu verstehen ist, ergibt sich aus § 34d EStG. Der Katalog der dort genannten ausländischen Einkünfte entspricht im Wesentlichen dem Einkünftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG.5 § 34d EStG enthält damit eine ähnlich lückenhafte Anknüpfung an Steuerquellen wie § 49 Abs. 1 EStG

1 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 61; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 2; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 39. 2 BFH v. 24.2.1976 – VIII R 155/71, BStBl. II 1977, 265; BFH v. 2.3.2016 – 1 R 73/14, BStBl. II 2016, 887. 3 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 61; Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 132; Wagner in Brandis/ Heuermann, § 34c EStG Rz. 38; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 2; zu § 34c Abs. 3 EStG offengelassen von BFH v. 1.4.2003 – I R 39/02, BStBl. II 2003, 869 und verneint von BFH v. 2.3.2016 – I R 73/14, BStBl. II 2016, 887; zur Kritik Wassermeyer, IStR 2016, 825. 4 BFH v. 2.3.2016 – I R 73/14, BStBl. II 2016, 887; hiernach wird allerdings auch ein Steuerabzug gem. § 34c Abs. 3 EStG mangels Subjektidentität versagt. 5 Zu Abweichungen vgl. Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 5.

680 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.61 Kap. 18

(Rz. 6.161 f.). Im Hinblick darauf kann § 34d EStG von vornherein der Zielsetzung des § 34c EStG, die Doppelbesteuerung zu vermeiden, in nur eingeschränktem Maße dienlich sein.1 Unter diesen Umständen schließt § 34c Abs. 3 EStG, wonach u.a. ein Steuerabzug auch insoweit möglich ist, als ausländische Einkünfte nicht vorliegen, insbesondere die durch § 34d EStG verursachten Lücken.

18.58

Der Katalog der ausländischen Einkünfte gem. § 34d EStG ist abschließend.2 Für die Qualifizierung der Einkünfte ist, obwohl § 34d EStG diesbezüglich keine ausdrückliche Regelung enthält, die isolierende Betrachtungsweise, wie sie sich aus § 49 Abs. 2 EStG ergibt, maßgeblich.3 Dementsprechend bleiben inländische Besteuerungsmerkmale außer Betracht, soweit bei ihrer Berücksichtigung ausländische Einkünfte nicht angenommen werden könnten.4 Im Hinblick darauf, dass für die Qualifikation als ausländische Einkünfte allein § 34d EStG maßgeblich ist, kommt es auf die Einordnung der Einkünfte im betreffenden ausländischen Staat nicht an. Hieraus folgt, dass eine Steueranrechnung auch dann möglich ist, wenn etwa die ausländischen Einkünfte im Quellenstaat als Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen (gem. § 34d Nr. 4 Buchst. b EStG) qualifiziert werden.

18.59

Neben dem Umstand, dass dem Einkünftekatalog des § 34d EStG weitgehend der des § 49 Abs. 1 EStG zugrunde liegt, ergibt sich die Geltung der isolierenden Betrachtungsweise aus den Qualifikationsregeln des § 34d Nr. 1, Nr. 2a und Nr. 3 EStG, wonach für bestimmte Einkünfte die Subsidiarität zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit ausdrücklich begründet wird. Ohne Geltung der isolierenden Betrachtungsweise hätten diese besonderen Subsidiaritätsregeln im Hinblick auf §§ 20 Abs. 3, 21 Abs. 3, 22 Nr. 1 EStG keine Bedeutung.

18.60

§ 34d EStG regelt nicht, aus welchem ausländischen Staat die einzelnen Einkünfte stammen. Diese Differenzierung ist aber sowohl für die Steueranrechnung gem. § 34c Abs. 1 EStG als auch für den Steuerabzug gem. § 34c Abs. 3 EStG von Bedeutung, weil sowohl Steueranrechnung als auch Steuerabzug jeweils länderbezogen sind und der Höchstbetrag der Anrechnung für jeden Staat gesondert zu ermitteln ist (sog. per country limitation, Rz. 18.106 f.). § 34d EStG enthält auch keinen Auslandsbegriff, sondern setzt diesen vielmehr voraus. Da das Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz ebenfalls keinen Auslandsbegriff enthalten, kann auf diesen nur aus dem Inlandsbegriff des § 1 Abs. 1 Satz 2 EStG geschlossen werden.5 Da § 34d EStG nicht voraussetzt, dass die auslandsbezogenen Qualifikationsmerkmale6 zum Zeitpunkt des Erzielens der Einkünfte (noch) vorhanden sein müssen, sind auch nachträgliche Einkünfte

18.61

1 Hierzu Inst.FuSt., Ausländische Einkünfte und direkte Steueranrechnung – Notwendige Verbesserungen der unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Brief 164), 13; Burmester in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 241 (248). 2 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 1; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34d EStG Rz. 3. 3 BFH v. 9.4.1997 – I R 178/94, BStBl. II 1997, 657; v. 29.3.2000 – I R 15/99, BStBl. II 2000, 577; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 2; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34d EStG Rz. 9. 4 Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 7, dementsprechend als umgekehrte isolierende Betrachtungsweise bezeichnet. 5 Hoheitsfreie Gebiete zählen allerdings nicht zum Ausland; BFH v. 14.6.1991 – VI R 185/87, BStBl. II 1991, 926; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 4; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34d EStG Rz. 6. 6 Z.B. Betriebsstätte bei § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG.

Schaumburg | 681

Kap. 18 Rz. 18.61 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

als ausländische Einkünfte zu qualifizieren.1 § 34d EStG beschränkt sich schließlich darauf, bestimmte Einkünfte als ausländische zu qualifizieren, ohne zu bestimmen, wie diese Einkünfte zu ermitteln sind. Es gelten daher die Einkünfteermittlungsvorschriften des deutschen Steuerrechts.2 Da die ausländischen Einkünfte ausnahmslos im Sinne von Nettoeinkünften zu verstehen sind,3 sind bei deren Ermittlung Betriebsausgaben und Werbungskosten zu berücksichtigen. Hierfür gilt das allgemeine Veranlassungsprinzip (§ 4 Abs. 4 EStG).4 In Abgrenzung zu den übrigen Einkünften dürfen bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte im Grundsatz allerdings nur Ausgaben angesetzt werden, die in einem direkten (unmittelbaren) wirtschaftlichen Zusammenhang zu der Einnahmeerzielung stehen.5

18.62

Hiervon abweichend regelt § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG, dass bei Ermittlung der zum Gewinn eines inländischen Betriebs gehörenden ausländischen Einkünfte der in § 34d Nr. 3, 4, 6, 7 und 8 Buchst. c EStG genannten Art im betreffenden Veranlagungszeitraum6 angefallene Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen stets dann zu berücksichtigen sind, wenn sie in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den zugrunde liegenden Einnahmen stehen. Im Ergebnis reicht somit ein bloß mittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang aus.7 Ob und inwieweit Aufwendungen in einem derart wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, hängt von den Gründen ab, aus denen die Aufwendungen vorgenommen werden. „Maßgeblich ist die – wertende – Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments“8, so dass etwa Refinanzierungskosten im Zusammenhang mit ausländischen Kapitalanlagen zu berücksichtigen sind.9 Im Hinblick auf die für die Anrechnung maßgebliche Höchstbetragsregelung ist diese Sonderregelung für Steuerpflichtige mit betrieblichen Einkünften nachteilig.10 1 RFH v. 9.3.1932, RStBl. 1932, 513; BFH v. 15.7.1964 – I 415/61 U, BStBl. III 1964, 551; v. 12.10.1978 – I R 69/75, BStBl. II 1979, 64; v. 20.5.2015 – I R 75/14, BFH/NV 2015, 1687; Klein/ Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 28; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 5; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34d EStG Rz. 12. 2 BFH v. 4.6.1991 – X R 35/88, BStBl. II 1992, 187; Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 8; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 5; Strunk/Kaminski in Korn, § 34d EStG Rz. 16; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34d EStG Rz. 11. 3 BFH v. 16.3.1994 – I R 42/93, BStBl. II 1994, 799. 4 BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; v. 29.3.2000 – I R 15/99, BStBl. II 2000, 577; v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48; v. 18.4.2018 – I R 37/16, BStBl. II 2019, 73, Rz. 21; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 5; Klein/Link in H/H/R, § 35d EStG Rz. 8. 5 BFH v. 16.3.1994 – I R 42/93, BStBl. II 1994, 799; v. 9.4.1997 – I R 178/94, BStBl. II 1997, 657; v. 29.3.2000 – I R 15/99, BStBl. II 2000, 577; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 91; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34d EStG Rz. 13; offengelassen von BFH v. 6.4.2016 – I R 61/14, IStR 2016, 666 m. Anm. Wacker. 6 Zur Zeitraumidentität zwischen Einnahmen und Betriebsausgaben bzw. Betriebsvermögensminderungen BFH v. 18.4.2019 – I R 37/16, BStBl. II 2019, 73 Rz. 23 ff.; v. 15.1.2015 – I R 48/13, BStBl. II 2015, 713; Geurts in Frotscher/Geurts, § 34c EStG Rz. 83 ff.; Müller-Dott, DB 2003, 1468 (1470); Köhler, DStR 2003, 1156 (1156 f.). 7 § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG eingefügt durch StVergAbG v. 16.5.2003 (BGBl. I 2003, 660) gegen BFH v. 29.3.2000 – I R 15/99, BStBl. II 2000, 577; zu Einzelheiten Geurts in Frotscher/Geurts, § 34c EStG Rz. 39 ff.; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 60. 8 So BFH v. 18.4.2018 – I R 37/16, BStBl. II 2019, 73 Rz. 22; v. 6.4.2016 – I R 61/64, BStBl. II 2017, 48, Rz. 18; BFH v. 21.9.2009 – GrS 1/06, BStBl. II 2010, 672. 9 Ggf. ist eine Aufteilung vorzunehmen. 10 Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und gegen Unionsrecht dennoch verneinend BFH v. 18.4.2018 – I R 37/16, BStBl. II 2019, 73, Rz. 25, v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48 Rz. 22; Siegers in D/P/M, § 26 KStG Rz. 168; bejahend dagegen Müller-Dott, DB 2003, 1468 (1469).

682 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.64 Kap. 18

Die Regelungen des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG zwingen bei der Ermittlung ausländischer Einkünfte somit zu einer Differenzierung wie folgt:1 Bei (privaten) Überschusseinkünften2 werden nur solche Erwerbsaufwendungen berücksichtigt, die in einem direkten (unmittelbaren) wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Einnahmen stehen.3 Für Gewinneinkünfte4 sind demgegenüber auch in einem bloß (mittelbaren) wirtschaftlichen Zusammenhang stehende Erwerbsaufwendungen einzubeziehen. Entsprechendes gilt auch für Betriebsvermögensminderungen. Das bedeutet etwa, dass im Gegensatz zu den (privaten) Überschusseinkünften ausländische Gewinneinkünfte um Refinanzierungskosten für ausländische Portfolioanlagen, Verluste aus Kurssicherungsgeschäften sowie um Wertverluste von Darlehensforderungen und Beteiligungen und um Währungsverluste5 und schließlich auch – ggf. anteilig6 – um allgemeine Verwaltungskosten und um Raum- und Personalkosten gemindert werden.7

18.63

Da über die Zuordnungsregel des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG hinaus für die Ermittlung der ausländischen Einkünfte keine Sonderregelungen gelten, finden die allgemeinen für die Einkünfteermittlung maßgeblichen Grundsätze Anwendung. Hierzu gehört auch der geltende Grundsatz der Abschnittsbesteuerung (Jahressteuerprinzip),8 wonach nur die im jeweiligen Veranlagungszeitraum erzielten Einkünfte der Besteuerung zu unterwerfen sind (§ 2 Abs. 7 Satz 1 EStG). Eine periodenübergreifende Besteuerung ist dem deutschen Ertragsteuerrecht im Grundsatz fremd.9 Für die zeitliche Zuordnung von Einnahmen und Aufwendungen (Ausgaben) gilt allerdings das Veranlassungsprinzip, das durch das in § 11 EStG verankerte Zu- und Abflussprinzip nicht verdrängt wird (Rz. 6.101 f.). Hiernach wären an sich auch früher im „wirtschaftlichen Zusammenhang“ stehende Aufwendungen (Ausgaben) zu berücksichtigen. Indessen führte eine derartige Zeitraumdivergenz dazu, dass der Zweck des § 34c Abs. 1 EStG – Vermeidung der Doppelbesteuerung – nicht durchgehend erreicht werden könnte. Hieraus folgt eine Zeitraumidentität zwischen ausländischen Einnahmen und den entsprechenden Erwerbsaufwendungen. Das bedeutet, dass stets nur solche Erwerbsaufwendungen berücksichtigt werden können, die im selben Veranlagungszeitraum wie die ausländischen Einnahmen

18.64

1 Diese Differenzierung wird infrage gestellt von Wacker, IStR 2016, 671 (672). 2 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG), Kapitalvermögen (§ 20 EStG), Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) und sonstige Einkünfte (§§ 22, 23 EStG). 3 BFH v. 16.3.1994 – I R 42/93, BStBl. II 1994, 799; v. 9.4.1997 – I R 178/94, BStBl. II 1997, 657; v. 29.3.2000 – I R 15/99, BStBl. II 2000, 577. 4 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG), Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) und aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG). 5 BFH v. 22.6.2011 – I R 103/10, BStBl. II 2012, 115 Rz. 22; vgl. zur Differenzierung zwischen Gewinnermittlung gem. § 4 Abs. 3 EStG und §§ 4 Abs. 1, 5 EStG Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 14. 6 Soweit kein vorrangiger Veranlassungszusammenhang besteht; vgl. BFH v. 18.4.2019 – I R 37/16, BStBl. II 2019, 73 Rz. 23, 36. 7 BFH v. 7.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48; v. 18.4.2018 – I R 27/16, BStBl. II 2019, 73 Rz. 37; differenzierend dagegen, Geurts in Frotscher/Geurts, 34c EStG Rz. 43 im Sinne einer einengenden Auslegung, so dass allgemeine Verwaltungskosten, die nicht durch das operative Geschäft veranlasst sind, nicht erfasst werden; vgl. auch EFTA-Gerichtshof v. 7.2.2008 – Rs. E 7/07 – Seabrokers, IStR 2009, 315, wonach bei der Berechnung des Anrechnungshöchstbetrages die anteilige Zuordnung von Aufwendungen, die mit den ausl. Betriebsstätten in keinem Zusammenhang stehen, ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit bedeutet. 8 Hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.44 ff.; vgl. zu den damit verbundenen Problemen Schaumburg/ Schaumburg, StuW 2013, 61 ff. 9 Ausnahme: § 3c Abs. 2 EStG.

Schaumburg | 683

Kap. 18 Rz. 18.64 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

angefallen sind.1 Daher sind etwa Entwicklungskosten aus Perioden vor der Erzielung der hierauf beruhenden ausländischen Lizenzeinnahmen nicht zu berücksichtigen, so dass im Ergebnis das Anrechnungsvolumen insoweit nicht gekürzt wird.2

18.65

Gemäß § 34c Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EStG sind bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte solche Einkünfte nicht zu berücksichtigen, die in dem Staat, aus dem sie stammen, nach dessen Recht nicht besteuert werden. Angesprochen sind damit nicht steuerbare und steuerbefreite Einkünfte, nicht aber solche, die in dem anderen Land entgegen der dortigen Rechtslage nicht besteuert werden.3 § 34c Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EStG enthält insoweit den Charakter einer per-item-limitation.4 Diese Eingrenzung wirkt sich insbesondere dann steuerlich nachteilig aus, wenn aus demselben Staat weitere dort besteuerte Einkünfte bezogen werden, deren Steuerbelastung über dem deutschen Steuerniveau liegt (zu den hiermit verbundenen Systembrüchen Rz. 18.104 ff.).

18.66

Entspricht es der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, das gesamte Welteinkommen zu besteuern, so ist folgerichtig die Doppelbesteuerung auch für das gesamte Welteinkommen zu vermeiden. Deshalb widerspricht es dem Leistungsfähigkeitsprinzip, wenn einerseits alle Einkünfte der Besteuerung unterworfen werden, andererseits aber die Doppelbesteuerung für nur ganz bestimmte Einkünfte vermieden wird. § 34d EStG, der einen numerus clausus von ausländischen Einkünften enthält, für die eine Doppelbesteuerung vermieden wird, ist daher systemwidrig. Verfehlt ist insbesondere die Konzeption, § 34d EStG wie § 49 Abs. 1 EStG auszugestalten.5 Das Ergebnis dieser verfehlten Konzeption ist, dass für zahlreiche Einkünfte, die in § 34d EStG nicht als ausländische Einkünfte qualifiziert werden, eine Doppelbesteuerung entweder überhaupt nicht oder nur eingeschränkt vermieden werden kann. Für die in § 34d EStG vorgenommenen Differenzierungen gibt es keine rechtfertigenden Gründe. § 34d EStG führt daher zu einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung: Werden nämlich ohne jede Differenzierung aus dem In- und Ausland stammende Einkünfte der unbeschränkten Steuerpflicht unterworfen, ist ebenso ohne jede Differenzierung für alle mit ausländischer Steuer belasteten Einkünfte die Vermeidung der Doppelbesteuerung vorzusehen. Dass die Vermeidung der Doppelbesteuerung nur für bestimmte ausländische Einkünfte ermöglicht wird, entspricht allerdings einer fiskalischen Klugheitsregel. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass bei einer derart unbeschränkten Steueranrechnung die Besteuerung im Quellenstaat zu Lasten des Wohnsitzstaates ausgedehnt wird. b) Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft

18.67

Zu den ausländischen Einkünften zählen gem. § 34d Nr. 1 EStG die Einkünfte aus einer im Ausland betriebenen Land- und Forstwirtschaft (§§ 13, 14 EStG). Die Land- und Forstwirtschaft wird im Ausland betrieben, wenn sich die bewirtschafteten Grundstücke im Ausland 1 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 15a; Geurts in Frotscher/Geurts, § 34c EStG Rz. 42; Müller-Dott, DB 2003, 1468 (1470); Köhler, DStR 2003, 1156 (1156 f.); Kessler/Dietrich, IWB 2012, 544 (548); a.A. Morlock, JbFSt 2009/2010, 815 (821). 2 Geurts in Frotscher/Geurts, § 34c EStG Rz. 42; Kessler in Baumhoff/Schönfeld, Doppelbesteuerungsabkommen – Nationale und internationale Entwicklungen, Köln 2012, 163 (172 f.). 3 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 93; Heinicke in Schmidt41, § 34c EStG Rz. 12; Müller-Dott, DB 2003, 1468 (1469); OFD Berlin v. 22.1.2004, IStR 2004, 288. 4 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 26. 5 Hierzu auch Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 133 f.

684 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.71 Kap. 18

befinden, und zwar unabhängig davon, wo die Betriebsleitung ihren Sitz hat oder ob die Landund Forstwirtschaft von aus dem Inland entsandten Personen betrieben wird. Damit knüpft § 34d Nr. 1 EStG an das international übliche Belegenheitsprinzip an. Zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, für deren Qualifikation allein die Vorschriften der §§ 13, 14 EStG maßgeblich sind, gehören auch die Gewinne aus der Veräußerung eines Betriebs, Teilbetriebs oder eines Anteils an einem Betrieb oder Teilbetrieb (§ 14 EStG). Zu den ausländischen Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft – für die die Gewinnermittlungsvorschriften der §§ 4 Abs. 1, 3; 13a EStG zur Anwendung kommen1 – zählen auch nachträgliche Einkünfte, sofern sie für den Zeitpunkt, in dem der Anspruch begründet wurde, als ausländische Einkünfte qualifiziert werden können.2 Zu den ausländischen Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft gehören schließlich auch solche Einkünfte, die ihrer Art nach Einkünfte aus Kapitalvermögen, Veräußerungen, Vermietung und Verpachtung oder sonstige Einkünfte sind, sofern und soweit sie im Rahmen des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs anfallen. Diese in § 34d Nr. 1 EStG vorgenommene Erweiterung des Einkünftebereichs suspendiert die im Grundsatz auch für § 34d EStG geltende isolierende Betrachtungsweise, so dass insoweit die allgemeinen Subsidiaritätsregeln, insbesondere die der §§ 20 Abs. 3, 21 Abs. 3 und 22 Nr. 3 EStG, wieder aufleben.3

18.68

c) Einkünfte aus Gewerbebetrieb § 34d Nr. 2 EStG erfasst als ausländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb Einkünfte aus nur einigen der im Ausland ausgeübten gewerblichen Tätigkeiten. Maßgebend für die Auslandsqualifizierung sind nur ganz bestimmte Anknüpfungsmerkmale, und zwar eine ausländische Betriebsstätte oder ein für das Ausland bestellter ständiger Vertreter. Erfasst werden ferner Bürgschafts- und Avalprovisionen, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz in einem ausländischen Staat hat, sowie Beförderungsvorgänge mit Seeschiffen und Luftfahrzeugen zwischen ausländischen und von ausländischen zu inländischen Häfen.

18.69

Den für die Qualifizierung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb als ausländische Einkünfte gewählten Anknüpfungsmerkmalen liegt keine erkennbare Konzeption zugrunde. § 34d Nr. 2 EStG lässt sich nicht einmal als Umkehrung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG verstehen, da die dort gewählten Anknüpfungspunkte für die beschränkte Steuerpflicht mit den Anknüpfungsmerkmalen des § 34d Nr. 2 EStG nicht deckungsgleich sind und zum Teil über diese hinausreichen.

18.70

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die lückenhaften Anknüpfungsmerkmale des § 34d Nr. 2 EStG damit zu rechtfertigen, dass nach nationalem Recht die Anrechnung nur derjenigen ausländischen Steuern verlangt werden könne, die auf Einkünfte erhoben würden, die den inländischen Einkünften des § 49 Abs. 1 EStG entsprächen. Durch die Begrenzung werde klargestellt, dass der deutsche Gesetzgeber dem Ausland eine Besteuerung unbeschränkt steuerpflichtiger Personen nur insoweit zugestehe, wie er selbst beschränkt steuerpflichtige Personen in Anspruch nehme. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass ausländische Staaten, etwa durch Ausweitung der Quellenbesteuerung, im Ergebnis die Besteuerung zu Lasten Deutschlands durchführten.4 Dahinter steht der Gedanke, dass der Einkünftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG Richt-

18.71

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Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 13. RFH v. 9.3.1932, RStBl. 1932, 513; vgl. auch BFH v. 12.11.1986 – I R 268/83, BStBl. II 1987, 372. Sog. umgekehrte isolierende Betrachtungsweise. Vgl. Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 135 f.; Bachem, Die

Schaumburg | 685

Kap. 18 Rz. 18.71 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

maßstab für eine – aus inländischer Sicht – zutreffende Besteuerung unbeschränkt steuerpflichtiger Personen durch ausländische Staaten darstelle.1 Diese fiskalpolitischen Erwägungen vermögen indessen die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht zu suspendieren. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung ist nämlich die Kehrseite der Besteuerung des Welteinkommens. Die Erfassungsbreite derjenigen Einkünfte, für die eine Doppelbesteuerung zu vermeiden ist, wird daher nicht durch § 49 Abs. 1 EStG, sondern allein durch § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG bestimmt. Die durch § 34d Nr. 2 EStG erfassten Einkünfte aus Gewerbebetrieb bleiben weit hinter den unter § 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 15, 16 und 17 EStG fallenden Einkünften zurück. Sie reichen nicht einmal an die durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG erfassten gewerblichen Einkünfte heran. Erzielt etwa ein unbeschränkt steuerpflichtiger Berufssportler im Ausland gewerbliche Einkünfte, ohne dort eine Betriebsstätte zu unterhalten, so werden diese Einkünfte gem. § 34d Nr. 2 EStG nicht als ausländische qualifiziert. Eine auf diese Einkünfte im Ausland gezahlte Steuer ist daher nicht anrechenbar, obwohl nach der eigenen Wertung des Gesetzgebers derartige Einkünfte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht besteuerungswürdig sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG).

18.72

Im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb ist die im Ausland belegene Betriebsstätte das wichtigste Anknüpfungsmerkmal. Obwohl auf die im Ausland belegene Betriebsstätte abgestellt wird, wird damit nicht zugleich auf die Betriebsstättendefinition des betreffenden ausländischen Steuerrechts verwiesen. Mangels anderweitiger Regelung ist vielmehr die Betriebsstättendefinition des § 12 AO maßgeblich.2 Damit scheidet eine Steueranrechnung stets aus, wenn zwar nach ausländischem Recht, nicht aber nach § 12 AO eine Betriebsstätte vorliegt. Im Hinblick auf die Zielsetzung des § 34c EStG, die Doppelbesteuerung zu vermeiden, wäre es sachgerecht, für die Qualifikation als ausländische Einkünfte auf die Betriebsstättendefinition des betreffenden ausländischen Staates abzustellen.3 Durch § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG werden die in der ausländischen Betriebsstätte bzw. durch sie erzielten Gewinne erfasst. Für die Ergebniszuordnung kommt es auf die wirtschaftliche Veranlassung an, so dass der Betriebsstätte diejenigen Einnahmen zuzuordnen sind, für die sie kausal ist, und diejenigen Aufwendungen zuzurechnen sind, die durch ihre Tätigkeit veranlasst werden.4 Im Hinblick darauf ist eine tatsächlich funktionale Einkünftezuordnung maßgeblich, so dass eine „Attraktivkraft“ (Rz. 19.328) der ausländischen Betriebsstätte ausscheidet, es sei denn, es handelt sich hierbei um die einzige Betriebsstätte (Stammhaus).5 Aus dieser Zuordnungsregel folgt, dass Währungsgewinne oder -verluste bei den ausländischen Betriebsstätteneinkünften zu berücksichti-

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4 5

optimale Ausgestaltung der Anrechnungsmethode zur unilateralen Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Ertragsteuern der deutschen internationalen Unternehmung, 87; Manke, JbFSt. 1977/78, 444 (458). Heining, CDFI XIII (1959), 574 (577). BFH v. 30.6.2005 – III R 76/03, BStBl. II 2006, 84; Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 28 Wagner in Brandis/Heuermann, § 34d EStG Rz. 26; Geurts in Frotscher/Geurts, § 34d EStG Rz. 7. Ebenso Strunk/Kaminski in Korn, § 34d EStG Rz. 35.1, die auf die jeweils weiterreichende Definition abstellen wollen; die Maßgeblichkeit des § 12 AO wird durchweg damit gerechtfertigt, dass nur so vermieden werden könne, dass ausländische Staaten ihre Besteuerung zu Lasten Deutschlands ausdehnten; so etwa Geurts in Frotscher/Geurts, § 34d EStG Rz. 7. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 8; hierzu Rz. 21.35 ff. Betriebsstättenlose Einkünfte aus Gewerbebetrieb gibt es nicht (BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BFH/NV 2008, 672); zu allem Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 8.

686 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.76 Kap. 18

gen sind, wenn sie dort anfallen.1 Daher sind sowohl vorausgehende als auch nachträgliche Einkünfte, also solche, die vor Eröffnung und nach Schließung der Betriebsstätte zufließen, ebenso als ausländische Einkünfte zu qualifizieren wie Einkünfte aus der Veräußerung einer ausländischen Betriebsstätte selbst (Rz. 21.97).2 Dass die ausländischen Einkünfte nach den Regeln des deutschen Steuerrechts zu ermitteln sind (Rz. 18.61), führt dazu, dass in Orientierung am Zweck der §§ 34c, 34d EStG – Vermeidung der Doppelbesteuerung – für die Ermittlung der ausländischen Betriebsstättenergebnisse die spezifischen, der grenzüberschreitenden Gewinnabgrenzung dienenden Einkünftekorrekturnormen zur Anwendung kommen. Angesprochen sind damit vor allem die in §§ 4 Abs. 1 Sätze 3, 4 und 8, 16 Abs. 3a EStG verankerten Entstrickungsnormen (Rz. 6.381 ff.) sowie die in § 1 Abs. 4 u. 5 AStG i.V.m. der BsGaV geregelte grenzüberschreitende Betriebsstättengewinnabgrenzung (Rz. 21.66 ff.). Es geht hierbei im Anwendungsbereich der unbeschränkten Steuerpflicht ausschließlich um die Aufteilung der Einkünfte zwischen dem inländischen Stammhaus (Unternehmen) und seiner ausländischen Betriebsstätte (Rz. 21.35 ff.; 21.66 ff.).

18.73

Da eine ausländische Personengesellschaft nach deutschem Einkommensteuerrecht im Grundsatz kein Steuersubjekt ist,3 Steuersubjekte vielmehr die Mitunternehmer sind, ist die Stätte der Geschäftsleitung zugleich gemeinsame Betriebsstätte dieser Mitunternehmer. Hieraus folgt, dass die gem. § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 5 Nr. 1 AO festzustellenden Gewinnanteile an ausländischen Personengesellschaften, soweit diese aus inländischer Sicht als Mitunternehmerschaften zu qualifizieren sind, unter § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG fallen.4

18.74

Weiteres Qualifikationsmerkmal für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb als ausländische Einkünfte ist der im ausländischen Staat tätige ständige Vertreter. Der Begriff des ständigen Vertreters ist dem § 13 AO zu entnehmen.5

18.75

Zu den ausländischen Einkünften aus Gewerbebetrieb zählen gem. § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG auch Einkünfte die ihre Art nach aus selbständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Veräußerungen, Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte sind, sofern und soweit sie im Rahmen der ausländischen Betriebsstätte oder der Tätigkeit des ständigen Vertreters im Ausland anfallen. In Abweichung von der sonst geltenden isolierenden Betrachtungsweise werden durch diese Erweiterung der gewerblichen Einkünfte die Subsidiaritätsklauseln der §§ 20 Abs. 3, 21

18.76

1 BFH v. 16.3.1994 – I R 42/93, BStBl. II 1994, 799; v. 19.5.1993 – I R 60/92, BStBl. II 1992, 714; v. 16.2.1996 – I R 46/95, BStBl. II 1996, 588; v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; 18.9.1996 – I R 69/9, BFH/NV 1997, 408; v. 16.12.2008 – I B 44/08, BFH/NV 2009, 940; im EU/EWR-Bereich sind (finale) Währungsverluste, die im Betriebsstättenstaat nicht berücksichtigt werden können, dagegen den inländischen Einkünften zuzurechnen; EuGH v. 28.2.2008 – C-293/06, ECLI:EU:C: 2008:129 = Slg. 2008, I-1147 – Deutsche Shell: Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit; anders bei Drittstaaten EuGH v. 6.11.2007 – C-415/06, ECLI:EU:C:2007:651 = IStR 2008, 107 – Stahlwerk Ergste Westig: kein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit; vgl. zum Meinungsstand Geurts in Frotscher/Geurts, § 34d EStG Rz. 38 f. 2 BFH v. 12.10.1978 – I R 69/75, BStBl. II 1979, 64; v. 20.5.2015 – I R 75/14, BFH/NV 2015, 1687; v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703 (auch für vergebliche vorweggenommene Aufwendungen); Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 28; Geurts in Frotscher/Geurts, § 34d EStG Rz. 35 ff. 3 Anders im Falle der Option zur Körperschaftsbesteuerung (§ 1a KStG). 4 Wegen weiterer Einzelheiten zur Einkünftezuordnung bei Personengesellschaften vgl. Rz. 21.114 ff. 5 Die für Betriebsstätten maßgeblichen Regeln über die Gewinnabgrenzung gelten auch für ständige Vertreter (Rz. 21.100 ff.).

Schaumburg | 687

Kap. 18 Rz. 18.76 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Abs. 3 und 22 Nr. 3 EStG wieder in Kraft gesetzt.1 Darüber hinaus wird aber auch die Subsidiarität der Einkünfte aus selbständiger Arbeit ggü. den Einkünften aus Gewerbebetrieb begründet, obwohl sich § 18 EStG und § 15 EStG einander in der Anwendung ausschließen.2

18.77

Zu den ausländischen Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören auch Bürgschafts- und Avalprovisionen, wenn der Schuldner im Ausland ansässig ist (§ 34d Nr. 2 Buchst. b EStG). Hierdurch wird es dem inländischen Gläubiger ermöglicht, auf derartige Provisionen erhobene Quellensteuern anzurechnen. In der Praxis sind insbesondere deutsche Banken betroffen, die ausländischen Schuldnern Fertigstellungs-, Gewährleistungs- und Zahlungsbürgschaften erteilen.3

18.78

§ 34d Nr. 2 Buchst. c EStG stellt eine Umkehrung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG dar. Damit sind die im Ausland erhobenen Steuern auf Beförderungen mit Seeschiffen oder Luftfahrzeugen anrechenbar.4 d) Einkünfte aus selbständiger Arbeit

18.79

§ 34d Nr. 3 EStG stellt für die Auslandsqualifizierung bei Einkünften aus selbständiger Arbeit auf die Ausübung oder Verwertung derselben im Ausland ab. Damit ergibt sich im Grundsatz eine lückenlose Erfassung freiberuflicher Tätigkeit im Ausland.

18.80

Die Ausübung verlangt eine persönliche Tätigkeit, sie erfolgt in der Regel dort, wo sich die betreffende Person physisch aufhält.5 Erfasst werden z.B. das Konzert des Musikers, die Operation des Arztes und die Prozessvertretung des Rechtsanwaltes im Ausland.6

18.81

Verwertung setzt einen über die eigentliche Leistung hinausgehenden Vorgang voraus, ein körperliches oder geistiges Produkt, das der Steuerpflichtige selbst dem Ausland zuführt.7 Hierunter fallen vor allen Dingen Vorgänge, die von § 15 UrhG erfasst werden, wonach der Urheber das ausschließliche Recht hat, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten.8

18.82

Da § 34d Nr. 3 EStG alternativ auf Ausübung und Verwertung abstellt, reicht es aus, wenn eines der beiden auslandsbezogenen Qualifikationsmerkmale erfüllt ist. Wird daher etwa eine selbständige Arbeit im Inland ausgeübt, im Ausland aber verwertet, so sind die aus der Verwertung der selbständigen Arbeit im Ausland fließenden Einkünfte ausländische Einkünfte.

18.83

In Abweichung von der sonst geltenden isolierenden Betrachtungsweise werden nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 34d Nr. 3 EStG zu den ausländischen Einkünften aus selbständiger Arbeit auch Einkünfte erfasst, die ihrer Art nach solche aus Veräußerungen, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung sowie aus bestimmten sonstigen Leistungen sind, soweit sie zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit gehören. Hierdurch werden insbesondere

1 2 3 4 5 6

Sog. umgekehrte isolierende Betrachtungsweise. BFH v. 4.3.1970 – I R 140/66, BStBl. II 1970, 428; v. 7.7.1971 – I R 41/70, BStBl. II 1971, 771. Hierzu Lüdicke in F/W/B/S, § 34d EStG Rz. 85; Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 40. Zu Einzelheiten Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 47 ff. RFH v. 29.1.1935, RStBl. 1935, 759; BFH v. 12.11.1986 – I R 268/83, BStBl. II 1987, 372. Zu Beispielen aus Rechtsprechung und Verwaltungspraxis Lüdicke in F/W/B/S, § 34d EStG Rz. 93 ff.; Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 54. 7 BFH v. 12.11.1986 – I R 38/83 u.a., BStBl. II 1987, 377, 379, 381, 383. 8 Zu Beispielen aus Rechtsprechung und Verwaltungspraxis Lüdicke in F/W/B/S, § 34d EStG Rz. 97 ff.

688 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.87 Kap. 18

die Subsidiaritätsklauseln der §§ 20 Abs. 3, 21 Abs. 3 und 22 Nr. 3 EStG wieder in Kraft gesetzt.1 e) Einkünfte aus Veräußerungen Gemäß § 34d Nr. 4 EStG gehören zu den ausländischen Einkünften auch Einkünfte aus der Veräußerung von

18.84

– Wirtschaftsgütern, die zum Anlagevermögen eines (inländischen) Betriebs gehören, wenn die Wirtschaftsgüter in einem ausländischen Staat belegen sind, – Anteilen an Kapitalgesellschaften, wenn die Gesellschaft Geschäftsleitung oder Sitz in einem ausländischen Staat hat, – Anteilen an Immobilienkapitalgesellschaften, deren Immobilienquote zu irgendeinem Zeitpunkt, während der 365 Tage vor der Veräußerung unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 50 % auf in einem ausländischen Staat belegenem unbeweglichen Vermögen beruhen oder beruht haben.2 Die Qualifizierung der vorgenannten Veräußerungsgewinne als ausländische Einkünfte zielt vor allem darauf ab, die im Ausland auf capital gains erhobenen Steuern zur Anrechnung zu bringen.3 Voraussetzung ist indessen, dass die veräußerten Wirtschaftsgüter im Ausland belegen sind. Soweit es sich um Gegenstände handelt, ist auf die Belegenheit im örtlichen Sinne abzustellen.4 Handelt es sich dagegen um Rechte, Forderungen und immaterielle Wirtschaftsgüter, so ist für die Belegenheit derjenige Ort maßgeblich, an dem die Rechte ausgeübt und die immateriellen Wirtschaftsgüter genutzt werden; bei Forderungen kommt es auf den Erfüllungsort an.5

18.85

Die Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften6 sind ebensoausländische Einkünfte wie die Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an in- oder ausländischen Immobilienkapitalgesellschaften. Mit dieser ab 2019 geltenden Erweiterung7 wird Art. 13 Abs. 4 OECD-MA entsprochen, wonach ein entsprechendes Besteuerungsrecht für den Belegenheitsstaat vorgesehen ist (Rz. 19.381 ff.).8 Obwohl § 34d Nr. 4 Buchst. b EStG nicht auf §§ 17, 20 Abs. 2 EStG verweist, müssen deren Voraussetzungen erfüllt sein, soweit die Anteile zum Privatvermögen zählen.

18.86

Die Anwendung des § 34d Nr. 4 EStG ist gegenüber § 34d Nr. 1 bis 3 EStG lediglich subsidiär,9 so dass eine Qualifizierung der Einkünfte als solche aus Veräußerungen gem. § 34d Nr. 4 EStG nur dann in Betracht kommt, wenn die veräußerten Wirtschaftsgüter nicht zu einem ausländischen Betriebsvermögen gehören und insbesondere keiner dort belegenen Betriebsstätte zuzuordnen sind.

18.87

1 Sog. umgekehrte isolierende Betrachtungsweise. 2 § 34d Nr. 4 Buchst. b EStG neu gefasst mit Wirkung v. 1.1.2019; vgl. die Übergangsregelung in § 52 Abs. 34b EStG. 3 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 12. 4 Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 61. 5 Zu den Einzelheiten Lüdicke in F/W/B/S, § 34d EStG Rz. 109. 6 Hierfür ist ein Typenvergleich maßgeblich; hierzu Rz. 7.7 ff. 7 Vgl. allerdings die Übergangsregelung in § 52 Abs. 34b EStG. 8 Hierzu Klein/Link in H/H/R, § 50d EStG Rz. 34d EStG Rz. 71 9 Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 61.

Schaumburg | 689

Kap. 18 Rz. 18.88 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

f) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit

18.88

Im Rahmen des § 34d Nr. 5 EStG wird für die Qualifizierung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) als ausländische Einkünfte alternativ auf Ausübung und Verwertung der Tätigkeit abgestellt. Insoweit stellt sich § 34d Nr. 5 EStG als Umkehrung des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG dar. Für die Ausübung ist auf den Tätigkeitsort, auf den Ort der Arbeitsausübung abzustellen, also darauf, wo sich der Arbeitnehmer persönlich zur Ausführung seiner Arbeit aufhält, wobei es nicht auf die Zeitdauer ankommt.1 Wird der Arbeitnehmer dafür bezahlt, dass er seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt oder etwas unterlässt, etwa bei einem Wettbewerbsverbot, so ist der Ort der Tätigkeit ebenfalls dort, wo sich der Arbeitnehmer aufhält.2 Bei der geschäftsführenden Tätigkeit der Organe von Kapitalgesellschaften ist im Unterschied zu § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c EStG3 stets auf den tatsächlichen Tätigkeitsort4 abzustellen, so dass ggf. eine Aufteilung der Vergütung erforderlich ist.5 Ob der Arbeitslohn von einem ausländischen Arbeitgeber gezahlt wird, spielt keine Rolle. Die Verwertung, die allein durch den Arbeitnehmer selbst erfolgen kann,6 geschieht dort, wo der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt.7 Da der Verwertungstatbestand ggü. dem Ausübungstatbestand subsidiär ist, kommt als Ort der Verwertung nur ein Ort in Betracht, der vom Ausübungsort abweicht.8 Als drittes Anknüpfungsmerkmal enthält § 34d Nr. 5 EStG die Zahlung aus ausländischen öffentlichen Kassen. Im Hinblick auf dieses Kassenprinzip werden gem. § 34d Nr. 5 Satz 2 EStG Einkünfte nicht als ausländische Einkünfte behandelt, wenn sie von inländischen öffentlichen Kassen gewährt werden, und zwar auch dann nicht, wenn die entsprechenden Tätigkeiten im Ausland ausgeübt werden.

18.89

Mit der Fiktion des § 34d Nr. 5 Satz 2 EStG wird das Ziel des § 34c EStG, die Doppelbesteuerung zu vermeiden, weitgehend verfehlt. Die Fiktion wäre nur dann akzeptabel, wenn das dem § 34d Nr. 5 Satz 2 EStG zugrunde liegende Kassenprinzip internationale Geltung hätte. Das ist nicht der Fall. Nicht einmal in Deutschland ist dieses Kassenprinzip durchgängig normiert. So enthält etwa § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG keine dem § 34d Nr. 5 Satz 2 EStG entsprechende Regelung. Vielmehr sind in Deutschland tätige Arbeitnehmer, die von ausländischen öffentlichen Kassen bezahlt werden, mit ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit beschränkt steuerpflichtig. Somit besteht zwischen § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG einerseits und § 34d Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG andererseits ein Wertungswiderspruch, dem einseitige fiskalische Zielsetzungen zugrunde liegen. Die auf derartige Einkünfte im Ausland gezahlte Steuer ist daher nicht anrechenbar, obwohl nach der eigenen Wertung des Gesetzgebers gleichartige Einkünfte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht besteuerungswürdig sind. Soweit deshalb

1 BFH v. 29.1.1986 – I R 22/85, BStBl. II 1986, 479; v. 14.12.1988 – I R 148/87, BStBl. II 1989, 319. 2 BFH v. 9.9.1970 – I R 19/69, BStBl. II 1970, 867; anders dagegen, wenn sich das Konkurrenz- oder Wettbewerbsverbot als Nebenpflicht einer früheren Arbeitsleistung darstellt; in diesem Fall ist der frühere Arbeitsort maßgeblich; BFH v. 18.7.1973 – I R 52/69, BStBl. II 1973, 757; v. 9.11.1977 – I R 254/75, BStBl. II 1978, 195; vgl. Rz. 6.231. 3 Hiernach ist der Ort der Geschäftsleitung maßgeblich, so dass insoweit ein Wertungswiderspruch gegeben ist; vgl. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 13. 4 BFH v. 5.10.1994 – I R 67/93, BStBl. II 1995, 95. 5 BMF v. 5.7.1995 – IV C 5 - S 1300 - 73/95, BStBl. I 1995, 373: Der Steuerpflichtige hat nach § 90 Abs. 2 AO den Nachweis über die Ausübung der Tätigkeit in dem anderen Staat und deren Zeitdauer durch Vorlage geeigneter Aufzeichnungen zu führen. 6 Vgl. BFH v. 12.11.1986 – I R 38/83 u.a., BStBl. II 1987, 377, 379, 381. 7 BFH v. 12.11.1986 – I R 38/83 u.a., BStBl. II 1987, 377, 379, 381. 8 BFH v. 12.11.1986 – I R 38/83 u.a., BStBl. II 1987, 377, 379, 381.

690 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.91 Kap. 18

die Doppelbesteuerung nicht vermieden werden kann, hat die Finanzverwaltung einen Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen zu gewähren (§§ 163, 227 AO).1 g) Einkünfte aus Kapitalvermögen Nach § 34d Nr. 6 EStG liegen ausländische Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) vor, wenn entweder der Schuldner im Ausland ansässig ist oder das Kapitalvermögen durch ausländischen Grundbesitz gesichert ist. Trotz dieser im Gegensatz zu § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG weit gefassten Vorschrift kann die Doppelbesteuerung nicht durchgängig vermieden werden. So können im Ausland auf Zinseinkünfte erhobene Quellensteuern nicht zur Anrechnung gebracht werden, wenn die Zinsen von einer ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Schuldners stammen, da es sich in diesem Fall nicht um ausländische Einkünfte handelt.2 Bei der Ermittlung der Einkünfte sind diejenigen Ausgaben abzuziehen, die in einem direkten (unmittelbaren) wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Einnahmen stehen (Rz. 18.61 ff.). Darlehenszinsen sind daher nur dann zu berücksichtigen, wenn die Darlehen gerade zur Finanzierung desjenigen Kapitalvermögens aufgenommen worden sind, aus dem die ausländischen Einnahmen fließen.3 Allgemeine Refinanzierungskosten reichen daher nicht aus.4 Im Übrigen sind etwa bei im Ausland erzielten Zinseinkünften ohnehin nur solche Ausgaben zu berücksichtigen, die die Eignung haben, in die Bemessungsgrundlage der Einkünfte aus Kapitalvermögen einzugehen,5 so dass etwa Verluste auf der Vermögensebene6 keine abziehbaren Ausgaben (Werbungskosten) sind.7 Das gilt auch für Wechselkursverluste ausländischer Kapitalanlagen, so dass insoweit die maßgeblichen ausländischen Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht gemindert werden.8

18.90

h) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung Gemäß § 34d Nr. 7 Satz 1 EStG werden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) als ausländische Einkünfte qualifiziert, soweit das unbewegliche Vermögen oder die Sachinbegriffe in einem ausländischen Staat belegen oder die Rechte zur Nutzung in einem ausländischen Staat überlassen worden sind. Durch diese weite Anknüpfung werden alle wesentlichen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erfasst, so dass eine Vermeidung der Doppelbesteuerung weitgehend gewährleistet ist. Werden allerdings in einem inländischen Schiffsregister eingetragene Schiffe an einen ausländischen Betrieb verpachtet, fallen die Einkünfte zwar weder unter § 34d Nr. 7 EStG noch unter eine andere in § 34d EStG geregelte Einkunftsart, eine im Ausland erhobene Steuer ist aber dennoch aus Billigkeitsgründen (§§ 163, 227

1 Zur Kritik auch Lüdicke in F/W/B/S, § 34d EStG Rz. 145; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 13; Klein/Link in H/H/R, § 34d EStG Rz. 77; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34d EStG Rz. 46. 2 Zu der insoweit verfehlten Gesetzesformulierung Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 14. 3 BFH v. 9.4.1997 – I R 178/94, BStBl. II 1997, 657; Geurts in Frotscher/Geurts, § 34d EStG Rz. 86. 4 BFH v. 29.3.2000 – I R 15/99, BStBl. II 2000, 577; BMF v. 23.11.2001 – IV A 6 - S 2241 - 9/01, DStR 2002, 805; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 14. 5 BFH v. 22.6.2011 – I R 103/10, BStBl. II 2012, 115 Rz. 23. 6 Zur Trennung zwischen Einkünfte- und Vermögensebene BFH v. 10.7.2001 – VIII R 35/00, BStBl. II 2001, 646 m.w.N. 7 BFH v. 13.12.2006 – VIII R 62/04, BStBl. II 2007, 568. 8 BFH v. 22.6.2011 – I R 103/10, BStBl II 2012, 115 Rz. 24; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 14.

Schaumburg | 691

18.91

Kap. 18 Rz. 18.91 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

AO) anrechenbar.1 Eine Erweiterung der ausländischen Immobilieneinkünfte (§ 34d Nr. 7 Satz 1 EStG) erfolgt durch § 34d Nr. 7 Satz 2 EStG dahingehend, dass auch Wertveränderungen von Wirtschaftsgütern, die mit der Vermietung von ausländischen unbeweglichem Betriebsvermögen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Angesprochen sind damit insbesondere der Verzicht auf eine Darlehensforderung, die der Finanzierung einer ausländischen Immobilie dient, sowie Abzinsungs- und Währungsgewinne.2 i) Sonstige Einkünfte

18.92

Sonstige Einkünfte werden als ausländische Einkünfte erfasst, wenn – der zur Leistung der wiederkehrenden Bezüge Verpflichtete im Ausland ansässig ist, – bei privaten Veräußerungsgeschäften die veräußerten Wirtschaftsgüter in einem ausländischen Staat belegen sind, – bei Einkünften aus Leistungen, einschließlich der Einkünfte aus Leistungen i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG, der zur Vergütung der Leistung Verpflichtete im Ausland ansässig ist. § 34d Nr. 8 EStG ist ein Auffangtatbestand, unter den im Wesentlichen Einkünfte aus der Nutzung beweglicher Sachen sowie Know-how-Vergütungen und Einkünfte aus der Veräußerung von Rechten3 fallen.

4. Anrechenbare Auslandssteuern 18.93

Anrechenbar sind nur solche Steuern, die in dem Staat erhoben wurden, aus dem die ausländischen Einkünfte stammen (§ 34c Abs. 1 Satz 1 EStG). Anrechenbar sind daher nur die Steuern des Ursprungsstaates, nicht aber Drittstaatensteuern; für diese kommt allein ein Steuerabzug gem. § 34c Abs. 3 EStG in Betracht.4

18.94

Dass Drittstaatensteuern nicht angerechnet werden können, führt dazu, dass das eigentliche Ziel des § 34c Abs. 1 EStG, die Doppelbesteuerung zu vermeiden, weit gehend verfehlt wird. Die Möglichkeit eines Steuerabzugs gem. § 34c Abs. 3 EStG führt allenfalls zu einer Milderung der Doppelbesteuerung. Damit wird nicht nur das Leistungsfähigkeitsprinzip verletzt, sondern zugleich auch gegen die unionsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) verstoßen.5 Durch den Anrechnungsausschluss von Drittstaatensteuern sind insbesondere Steuerinländer in den Fällen betroffen, in denen sie innerhalb des EU-/EWR-Raumes über ausländische Betriebsstätten in anderen Staaten quellensteuerpflichtige Einkünfte erzielen, ohne dort selbst Betriebsstätten zu unterhalten.6 Aus Gründen des Unionsrechts ist es in den vorgenannten Fällen geboten, durch Erlass im Ergebnis die Anrechnung von Drittstaatensteuern aus sachlichen Billigkeitsgründen zu gewähren (§§ 163, 227 AO). 1 Im Ergebnis ebenso Wagner in Brandis/Heuermann, § 34d EStG Rz. 58; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34d EStG Rz. 15. 2 Vgl. Klein/Link in H/H/R, § 50d EStG § 34d EStG Rz. 99. 3 Einkünfte aus zeitlich begrenzter Rechtsüberlassung unterliegen dagegen als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung dem § 34d Nr. 7 EStG; vgl. BFH v. 20.2.1974 – I R 217/71, BStBl. II 1974, 511. 4 Hierzu Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 83. 5 Zur Konvergenz zwischen steuerlicher Leistungsfähigkeit und den Grundfreiheiten vgl. Schaumburg/Schaumburg, StuW 2005, 306 ff. 6 Hierzu Schönfeld in F/W/B/S, vor § 34c EStG Rz. 37.

692 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.98 Kap. 18

Die Steuern des Ursprungsstaates müssen der deutschen Einkommensteuer entsprechen. Da die Steuersysteme der verschiedenen Staaten unterschiedlich sind, genügt die Gleichartigkeit der Auslandssteuern mit der deutschen Einkommensteuer.1 Abzustellen ist hierbei in erster Linie auf die Funktion und den wirtschaftlichen Gehalt der ausländischen Steuer, auf deren Belastungswirkung, nämlich die Belastung des Einkommens.2 Ohne Bedeutung ist demgegenüber die Gleichartigkeit hinsichtlich des Steuersatzes, der Bemessungsgrundlage und der Erhebungsform.3 Schließlich sind auch die Bezeichnung der ausländischen Steuer und deren gesetzestechnische Ausgestaltung ebenso ohne Bedeutung wie etwa die der deutschen Einkommensteuer entsprechende fiskalische Gleichwertigkeit.4 Im Sinne der Belastungswirkung sind damit der deutschen Einkommensteuer ausländische Steuern auch dann gleichartig, wenn etwa aus Vereinfachungsgründen bei beschränkt steuerpflichtigen Personen im Ausland nicht das Einkommen, sondern pauschalierend der Umsatz als Bemessungsgrundlage herangezogen wird.5 Unerheblich ist letztlich auch, ob es sich bei der ausländischen Steuer um eine Länder-, Provinz- oder Gemeindeeinkommensteuer handelt.6

18.95

Die Anlage zu R 34c EStR enthält einen nicht abschließenden Katalog ausländischer Steuern, die der deutschen Einkommensteuer entsprechen.7 Dieser Katalog ist großzügig angelegt und ist das Ergebnis einer am Sinn und Zweck des § 34c EStG orientierten Auslegung, die Doppelbesteuerung zu vermeiden.

18.96

Die Anrechnung setzt voraus, dass für die ausländischen Einkünfte sowohl im Ursprungsstaat als auch im Inland Steuern vom Einkommen gezahlt worden sind. Damit verlangt § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG insoweit eine Identität des Steuerobjekts in dem Sinne, dass dieselben Einkünfte im In- und Ausland der Besteuerung unterliegen.

18.97

Gemäß § 34c Abs. 1 Satz 5 EStG sind die ausländischen Steuern nur insoweit anzurechnen, als sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfallen. Die Anrechnung setzt also nicht voraus, dass die auf ausländische Einkünfte entfallende ausländische Steuer für denselben Zeitraum festgesetzt und gezahlt worden ist wie die entsprechende deutsche Einkommensteuer.8 Weichen etwa Steuerperiode, d.h. der Zeitraum, für den die Steuer erhoben wird, und Bemessungsperiode, d.h. der Zeitraum, der für die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage maßgebend ist, im Ausland voneinander ab, so ist diejenige ausländische Steuer anzurechnen, die für das Jahr erhoben wird, das dem deutschen Veranlagungszeitraum entspricht (§ 34c Abs. 1 Satz 5 EStG).9 Wollte man dagegen auf die mehr oder weniger zufällig identische Steuerperiode abstellen, so ließe sich bei abweichender Bemessungsperiode eine Doppelbesteuerung schon im Ansatz nicht vermeiden: Die Anrechnung liefe ins Leere, wenn

18.98

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 142; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 62. BFH v. 27.3.1996 – I R 49/95, BStBl. II 1997, 91. BFH v. 5.2.1992 – I R 9/90, BStBl. II 1992, 607; v. 27.3.1996 – I R 49/95, BStBl. II 1997, 91. Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 142; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 19. Inst.FuSt., Ausländische Einkünfte und direkte Steueranrechnung – notwendige Verbesserungen der unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, (Brief 164), 25. Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 141; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 62; Wagner in Brandis/ Heuermann, § 34c EStG Rz. 29. Der BFH geht im Zweifel von der Verbindlichkeit der Aufzählung in der Anlage 6 zu § 34c EStR aus; vgl. BFH v. 31.10.1990 – I R 3/86, BStBl. II 1991, 610. BFH v. 4.6.1991 – X R 35/88, BStBl. II 1992, 187; v. 31.7.1991 – I R 51/89, BStBl. II 1991, 922; Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 138; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 20. BFH v. 31.7.1991 – I R 51/89, BStBl. II 1991, 922; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 47; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 20.

Schaumburg | 693

Kap. 18 Rz. 18.98 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

der ausländischen Steuer im betreffenden Veranlagungszeitraum nicht entsprechende Einkünfte im Inland gegenüberstünden. Aus diesem Grunde sind etwa bei einem mehrjährigen Auslandsbauvorhaben bereits während der Bauausführungen im Ausland festgesetzte und gezahlte Steuerbeträge auf die deutsche Einkommensteuer des Veranlagungszeitraums anzurechnen, in dem der Gewinn aus dem Auslandsbauvorhaben nach deutschem Steuerrecht zu versteuern ist.1 § 34c EStG verlangt damit für die Steueranrechnung keine Zeitraumidentität.

18.99

Einstweilen frei.

18.100

Anrechenbar ist nur eine festgesetzte2 und gezahlte und um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte ausländische Steuer. Soweit daher im Ausland eine Steuerermäßigung in Anspruch genommen werden kann oder konnte, scheidet eine Steueranrechnung aus. Hierdurch soll insbesondere verhindert werden, dass der inländische Steuerpflichtige es zu Lasten des deutschen Fiskus unterlässt, die ausländischen Steuern rechtzeitig durch entsprechende Anträge zu reduzieren.3 Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob es für den Steuerpflichtigen zumutbar ist, gegen die ausländische Steuerfestsetzung mit Rechtsbehelfen vorzugehen.4 Entscheidend ist allein, die freilich aus deutscher Sicht nicht immer eindeutig feststellbare, objektive Rechtslage.

18.101

Gewährt der ausländische Staat Steuervergünstigungen, um etwa Investitionsanreize zu geben, kommen diese Steuervorteile nicht dem Unternehmen, sondern allein dem deutschen Fiskus zugute. Dieser Nachholeffekt5 des Anrechnungsverfahrens ist zwar im Hinblick auf das Welteinkommensprinzip konsequent, führt aber zu einer Störung internationaler Investitionsströme und zu Wettbewerbsverzerrungen im betreffenden Investitionsland. In DBA wird in derartigen Fällen eine Anrechnung fiktiver Steuern gewährt.6 In § 34c EStG ist eine solche Anrechnung fiktiver Steuern indessen nicht vorgesehen. Da unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung des Welteinkommens das Leistungsfähigkeitsprinzip durch den Nachholeffekt nicht tangiert wird, scheiden Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO) aus.7

18.102

Wird die ursprüngliche Steuerfestsetzung nachträglich geändert, so hat der Steuerpflichtige dies dem zuständigen Finanzamt mitzuteilen (§ 153 Abs. 2 AO), damit für Zwecke der Anrechnung auch der inländische Einkommensteuerbescheid geändert werden kann (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO).8

18.103

Die Ermittlung der anrechenbaren Auslandssteuer, die nach dem Kurs in Euro umzurechnen ist, der für den Tag der Zahlung gilt,9 bereitet dann keine Schwierigkeiten, wenn ihr aus-

1 Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 137, 210; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 48. 2 Eine von einem privaten Arbeitgeber oder Unternehmer angemeldete Steuer reicht aus, da eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung gleichsteht, so BFH v. 5.2.1992 – I R 9/90, BStBl. II 1992, 607. 3 Ausländische Steuern, die nur wegen verjährter Erstattungsansprüche zu zahlen sind, können damit nicht angerechnet werden; BFH v. 15.3.1995 – I R 98/94, BStBl. II 1995, 580; Gosch in Kirchhof/ Seer21, § 34c EStG Rz. 22. 4 Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 161 ff.; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 22. 5 Hierzu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 81. 6 Tax sparing credit/tax matching credit; hierzu Rz. 19.566. 7 BFH v. 13.7.1976 – VIII R 236/72, BStBl. II 1977, 125; ggf. kommt aber eine Steuerpauschalierung (§ 34c Abs. 5 EStG) in Betracht. 8 Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 160. 9 R 34c Abs. 1 EStR.

694 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.105 Kap. 18

nahmslos ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG zugrunde liegen. Ist das nicht der Fall, muss die auf die ausländischen Einkünfte i.S.d. § 34d EStG entfallende ausländische Steuer aus der im ausländischen Steuerbescheid festgesetzten Gesamtsteuer herausgerechnet werden. Dies macht in der Regel eine Verhältnisrechnung erforderlich. Gemäß § 68b EStDV trägt der Steuerpflichtige die Feststellungslast für die Höhe der ausländischen Einkünfte und für die Festsetzung und Zahlung der ausländischen Steuern. Der Nachweis hat durch entsprechende Urkunden1 (Steuerbescheid, Quittung über die Zahlung) zu erfolgen.2 In den Fällen, in denen keine Steuerfestsetzung erfolgt ist, ist nachzuweisen, in welcher Weise die Steuer erhoben und gezahlt worden ist.3

5. Anrechnungshöchstbetrag Die ausländische Steuer ist auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen, die auf die Einkünfte aus dem betreffenden ausländischen Staat entfällt. Gemäß § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG errechnet sich die deutsche Einkommensteuer,4 bis zu der die ausländische Steuer angerechnet werden kann, nach dem durchschnittlichen tariflichen Steuersatz (§§ 32a, 32b, 34, 34a, 34b EStG) auf die ausländischen Einkünfte. Bemessungsgrundlage ist das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 EStG), wobei im Hinblick auf die in § 32d Abs. 5 EStG getroffene Sonderregelung die der Abgeltungsteuer unterliegenden Einkünfte aus Kapitalvermögen unberücksichtigt bleiben (§ 34c Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 EStG). Darüber hinaus sind die nach ausländischem Steuerrecht nicht der Besteuerung unterliegenden Einkünfte (§ 34c Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EStG)5 ebenso wie die nach Abkommensrecht im Ausland steuerfrei gestellten Einkünfte (§ 34c Abs. 6 Satz 2 EStG) bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte auszuscheiden. Hierdurch wird das Anrechnungsvolumen im Sinne einer per-item-limitation6 erheblich reduziert, was demgegenüber bei einer nur ganz geringfügigen Steuerbelastung der ausländischen Einkünfte nicht der Fall ist.7 Hiernach gilt für die Höchstbetragsberechnung folgende (vereinfachte) Formel:8

18.104

deutsche ESt × ausl. Einkünfte zu versteuerndes Einkommen Der in § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG verankerte Anrechnungshöchstbetrag entspricht zwar internationaler Übung (ordinary credit), ist aber mit dem durch die Besteuerung des Welteinkommens zum Ausdruck kommenden ungeteilten Leistungsfähigkeitsprinzip (Rz. 17.29) unverein-

1 Zur Prüfung der Echtheit derartiger Urkunden BFH v. 5.2.1992 – I R 9/90, BStBl. II 1992, 607. 2 Nach BFH v. 19.11.2003 – I B 2/03, BFH/NV 2004, 628 soll der Nachweis ausschließlich durch Urkunden geführt werden können; da der geforderte Nachweis jedoch keine materiell-rechtliche Voraussetzung ist, sind auch andere Nachweise zu akzeptieren; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 74. 3 BFH v. 26.8.1993 – I B 87/93, BFH/NV 1994, 175; zu Einzelheiten des Nachweises vgl. BMF v. 12.5.1998 – IV C 6 - S 1301 - 18/98, BStBl. I 1998, 554. 4 Eine Anrechnung auf den Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer scheidet also aus; eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer ist ebenfalls nicht vorgesehen; vgl. hierzu Rz. 18.207. 5 Werden die Einkünfte entgegen der Rechtslage des Quellenstaates nicht besteuert, sind diese anzusetzen; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 93; Heinicke in Schmidt41, § 34c EStG Rz. 12. 6 Hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 26; Schnitger, IStR 2003, 73 (73). 7 Diese Differenzierung ist zwar sachlich nicht plausibel, europarechtlich aber nicht zu beanstanden; hierzu Schönfeld in F/W/B/S, vor § 34c EStG Rz. 33. 8 Vgl. hierzu das Beispiel in H 34c (3); ferner Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 86.

Schaumburg | 695

18.105

Kap. 18 Rz. 18.105 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

bar. Soweit nämlich als Rechtfertigung für das Welteinkommensprinzip der Personensteuercharakter der Einkommensteuer herangezogen wird, wonach es zwingend sei, alle Einkünfte, unabhängig von der Art ihrer Herkunft, zusammenzufassen und einer gleichen Steuer zu unterwerfen,1 folgt hieraus, dass alle Einkünfte unterschiedslos in Höhe deutscher Einkommensteuer zu belasten sind. Indessen gilt dies nur für den Fall, dass die auf ausländische Einkünfte im Ausland erhobene Steuer niedriger ist als die deutsche Einkommensteuer. Ist die ausländische Steuer höher als die deutsche Einkommensteuer, sieht § 34c Abs. 1 EStG eine Steuererstattung nicht vor. Durch diese Prinzipienuntreue wird die durch das Welteinkommensprinzip vorgegebene Leistungsfähigkeit aus fiskalischen Gründen gleichheitswidrig (Art. 3 Abs. 1 GG) nur einseitig zu Lasten des Steuerpflichtigen realisiert. Hierdurch ist zugleich insbesondere die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) tangiert, weil im Unterschied zu Inlandsinvestitionen, bei denen inländische Quellensteuern stets uneingeschränkt angerechnet werden können, auf ausländischen Investitionen lastende Steuern einem Anrechnungshöchstbetrag ausgesetzt sind.2 Der Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ist indessen unter dem Gesichtspunkt der angemessenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse gerechtfertigt:3 Kein Mitgliedstaat ist gezwungen, auf einen Teil seines Steueraufkommens zugunsten anderer Mitgliedstaaten zu verzichten, was wegen der kompensatorischen Wirkung einer Vollanrechnung ohne Rücksicht auf die inländische Steuerbelastung der Fall wäre.4 Eine Steuererstattung wegen Vollanrechnung aus dem eigenen Haushalt kann daher von den Mitgliedstaaten nicht verlangt werden.5 Dieser fiskalische Gesichtspunkt vermag allerdings den Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen.6

18.106

§ 34c Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 EStG ermöglicht lediglich die Anrechnung ausländischer Steuern auf die deutsche Einkommensteuer, die auf Einkünfte aus dem betreffenden ausländischen Staat entfällt.7 Damit ist die Höchstbetragsberechnung für die Einkünfte aus jedem ausländischen Staat einzeln und getrennt durchzuführen. Diese länderbezogene Höchstbetragsberechnung (per country limitation) ergibt sich ausdrücklich aus § 68a EStDV. Die Anwendung der per country limitation verhindert dann eine durchgängige Vermeidung der Doppelbesteuerung, wenn bei Bezug von Einkünften aus mehreren Staaten die den Höchstbetrag übersteigenden Steuern durch nicht ausgenutzte Höchstbeträge in anderen Ländern aufgefangen werden könnten, ein Ausgleich von hoch und niedrig besteuerten Einkünften verschiedener

1 Hierzu etwa Gandenberger, DStJG 8 (1985), 133. 2 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 28; Schaumburg, StuW 2000, 369 (375); Schaumburg, DStJG 24 (2001), 225 (251); Lüdicke, IStR 2003, 433 ff.; Wassermeyer, IStR 2001, 113 (117); Cordewener/Schnitger, StuW 2006, 50 (67 ff.). 3 EuGH v. 20.5.2008 – C-194/06, ECLI:EU:C:2008:289 = Slg. 2008, I – 3747 – Orange European Smallcap Fund; BFH v. 9.2.2011 – I R 71/10, BStBl. II 2012, 441 Rz. 20; Kuhn in H/H/R, § 32c EStG Rz. 79; Schaumburg in Schaumburg/Englisch2, Rz. 8.27 f.; zum Rechtfertigungsgrund: Wahrung einer angemessenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis; allgemein Englisch in Schaumburg/Englisch2, Rz. 7.224 ff. 4 Zu dieser Rechtfertigung EuGH v. 28.2.2013 – C-168/11, ECLI:EU:C:2013:117 = IStR 2013, 275, Rz. 58 – Beker/Beker; vgl. auch EuGH v. 30.6.2016 – C-176/15, ECLI:EU:C:2016:488 = RIW 2016, 698 – Riskin u.a. 5 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 23 m.w.N. 6 Fiskalpolitische Zielsetzungen sind kein Rechtfertigungsgrund; BVerfG v. 29.5.1990 – I BvL 20/86 u.a., BVerfGE 82, 60 (89); v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07 u.a., BVerfGE 122, 210 (234). 7 Bei Zusammenveranlagung sind die Einkünfte der Ehegatten aus demselben ausländischen Staat zusammenzurechnen; Erlass FinMin Niedersachsen v. 31.7.1996, DStR 1996, 1811.

696 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.107 Kap. 18

Länder also möglich wäre.1 Dieser Steuernachteil wird zudem in den Fällen verschärft, in denen die im Ausland keiner Besteuerung unterliegenden Einkünfte (§ 34c Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EStG) sowie die im Ausland abkommensrechtlich steuerfrei gestellten Einkünfte (§ 34c Abs. 6 Satz 2 EStG) unberücksichtigt bleiben. Stehen allerdings positiven Einkünften aus einem ausländischen Staat negative Einkünfte aus einem anderen ausländischen Staat gegenüber, wirkt sich die Höchstbetragsrechnung nach der per country limitation für den Steuerpflichtigen günstig aus, weil anderenfalls im Falle der Zusammenrechnung eine Steueranrechnung mangels ausländischer Einkünfte zunichte gemacht würde.2 Die in § 34c Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 EStG (§ 68a EStDV) verankerte per country limitation ist mit dem Welteinkommensprinzip unvereinbar. Dient nämlich als Rechtfertigung für das Welteinkommensprinzip die ungeteilte steuerliche Leistungsfähigkeit, wonach es für die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit unerheblich sei, ob die Einkünfte im Inland oder im Ausland erzielt würden, so kann es für die Anrechnung keine Rolle spielen, aus welchem Land die ausländischen Einkünfte stammen. Führt schon die gesetzliche Verankerung des Anrechnungshöchstbetrages zu einem Systembruch, so wird dieser durch die per country limitation noch verschärft. Das durch das Leistungsfähigkeitsprinzip vorgegebene Ziel des § 34c Abs. 1 EStG, die Doppelbesteuerung zu vermeiden, wird dadurch weitgehend verfehlt. Aus diesem Grunde verstößt die per country limitation gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip.3 Sie führt für die im Ausland tätige deutsche Wirtschaft zu Wettbewerbsnachteilen, weil (einige) wichtige Konkurrenzländer die Möglichkeit der globalen Anrechnung, also einer overall limitation gewähren.4 Diese overall limitation, aufgrund deren die ausländischen Einkünfte aus den verschiedenen Ländern zwecks Steueranrechnung zusammengefasst werden, entspricht allein dem sich aus der Besteuerung des Welteinkommens ergebenden Leistungsfähigkeitsprinzip.5 Die in § 34c Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 EStG (§ 68a EStDV) verankerte per country limitation ist daher mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Anders dagegen unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten: Hier geht es um die den Mitgliedstaaten zugestandene Steuerhoheit, in deren Rahmen sie durch Abschluss von DBA die Anknüpfungspunkte für die Aufteilung der jeweiligen Steuerhoheit festlegen können.6 Da die von Deutschland mit allen EU-Staaten abgeschlossenen DBA lediglich bilateral wirken, folgt daraus, dass die Steuerhoheit auch jeweils nur im Verhältnis mit dem jeweils anderen Mitgliedstaat aufgeteilt wird. Damit ist auch die abkommensrechtlich vereinbarte Steueranrechnung als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ebenfalls nur bilate-

1 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 80; Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 176 f. mit Berechnungsbeispielen. 2 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 80; Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 177 mit Berechnungsbeispielen. 3 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 28; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 51 ff.; Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (161); Schaumburg in FS Tipke, Köln 1995, 125 (148); Schaumburg; DStJG 24 (2001), 225 (251 f.). 4 Juch, CDFI LXVI b (1981), 81 (100); vgl. speziell zur Wettbewerbssituation Jonas, Steuerschranken für Export (DIHT), 37 ff.; weitere Hinweise bei Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 56. 5 Burmester in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 241 (253); Schaumburg in FS Tipke, Köln 1995, 125 (148); Schaumburg, DStJG 24 (2001), 225 (251 f.); Schaumburg, StuW 2000, 369 (375 f.). 6 EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 = Slg. 1999, I-6161, Rz. 57 – Saint Gobain; EuGH v. 12.12.2002 – C-385/00, ECLI:EU:C:2002:750 = Slg. 2002, I-11819, Rz. 93 – de Groot; EuGH v. 28.2.2013 – C-168/11, ECLI:EU:C:2013:117 = IStR 2013, 275 Rz. 32 – Beker/Beker; EuGH v. 30.6.2016 – C-176/15, ECLI:EU:C:2016:488, Rz. 31 = RIW 2016, 698 – Riskin u.a.

Schaumburg | 697

18.107

Kap. 18 Rz. 18.107 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

raler Natur, so dass die länderbezogene Höchstbetragsbegrenzung insoweit folgerichtig ist.1 Diese unionsrechtliche Beurteilung gilt nicht nur in Abkommensfällen, in denen sich die Anrechnungsmodalitäten nach § 34c Abs. 1 EStG richten (§ 34c Abs. 6 Satz 2 EStG), sondern auch dann, wenn die Anrechnung ausländischer Steuern einseitig erfolgt.2

18.108

Übersteigt die ausländische Steuer den Anrechnungshöchstbetrag, so kann für den übersteigenden Teil die Doppelbesteuerung nicht vermieden werden. Der nichtanrechenbare Teil der ausländischen Steuer kann nämlich weder gem. § 34c Abs. 2 oder Abs. 3 EStG noch unter anderen Gesichtspunkten bei der Einkommensermittlung abgesetzt werden. Insbesondere können derartige Anrechnungsüberhänge nicht im Rahmen eines Anrechnungsvor- oder -rücktrags (carry forward, carry back) steuerlich zur Geltung gebracht werden.3 Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO) werden in diesem Zusammenhang nicht für sachgerecht gehalten.4 Dem Steuerpflichtigen verbleibt allein die Möglichkeit, statt der Steueranrechnung insgesamt den Steuerabzug zu beantragen (§ 34c Abs. 2 EStG).

18.109

Anrechnungsüberhänge sind nicht selten ein Ergebnis bloßer Zufälligkeiten, etwa dann, wenn sie durch zeitliche Schwankungen, unterschiedliche Bemessungsgrundlagen oder durch unterschiedliche Steuersätze entstehen. Derartige Divergenzen können sich über mehrere Jahre ausgleichen. Im Hinblick darauf ist die Konzeption des § 34c Abs. 1 EStG, die Vermeidung der Doppelbesteuerung dem Primat der Abschnittsbesteuerung (per year limitation) zu unterstellen, nicht sachgerecht5 und zudem europarechtlich zweifelhaft.6 Auch insoweit ist die im Ausland tätige deutsche Wirtschaft Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt,7 weil vergleichbare Industriestaaten einen Anrechnungsvor- oder -rücktrag gewähren.8

18.110

Einstweilen frei.

18.111

Da sich die für die Höchstbetragsberechnung maßgebliche durchschnittliche tarifliche deutsche Einkommensteuer nach dem zu versteuernden Einkommen berechnet (§ 2 Abs. 5 Halbs. 2 EStG), sind auch die §§ 2a und 15a EStG zu berücksichtigen.9 Betreffen die nichtausgleichsfähigen Verluste die ausländischen Einkünfte und stehen den Verlusten andere positive ausländische Einkünfte gegenüber, so führen die Verlustausgleichsverbote der §§ 2a und 15a EStG zu einer Erhöhung des Höchstbetrages, weil nur die positiven ausländischen Einkünfte in das zu versteuernde Einkommen eingehen.10 Dieser Erhöhungseffekt kann aber in den fol-

1 BFH v. 18.12.2013 – I R 71/10, BFH/NV 2014, 759 Rz. 21; a.A. z.B. Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 79; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c Rz. 28. 2 BFH v. 18.12.2013 – I R 71/10, BFH/NV 2014, 759 Rz. 22 m.w.N. auch zu Gegenansichten. 3 Das ist unionsrechtlich nicht zu beanstanden; vgl. Schaumburg in Schaumburg/Englisch2, Rz. 8.29 m.w.N. 4 BFH v. 26.10.1972 – I R 125/70, BStBl. II 1973, 271; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 25. 5 Schaumburg in FS Tipke, 125 (148); vgl. zu Problemen der Abschnittsbesteuerung im Übrigen Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61 ff. 6 Weiterführend Schönfeld in F/W/B/S, vor § 34c EStG Rz. 34; Geurts in Frotscher/Geurts, § 34c EStG Rz. 83; Kessler in Baumhoff/Schönfeld, Doppelbesteuerungsabkommen – Nationale und internationale Entwicklungen 2012, 163 (175); Lüdicke, FR 2011, 1077; Schnitger, IStR 2011, 53. 7 Jonas, Steuerschranken für Export (DIHT), 38 f. 8 Hierzu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 56 f.; Juch, CDFI LXVIb (1981), 81 (101). 9 Vgl. Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 187; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 16; Geurts in Frotscher/Geurts, § 34c EStG Rz. 45. 10 Vgl. Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 187; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 16.

698 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.112 Kap. 18

genden Jahren zu einem entsprechenden Minderungseffekt führen.1 Die Berechnung der Einkommensteuer erfolgt gem. § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG unter Berücksichtigung des § 32a EStG (Grund- oder Splittingtabelle), des § 32b EStG (Progressionsvorbehalt) und der §§ 34, 34b EStG (außerordentliche Einkünfte) sowie des § 34a EStG (Thesaurierungsbegünstigung). Hieraus ergibt sich, dass andere Steuerermäßigungen, die für die Berechnung des Anrechnungshöchstbetrages maßgebliche deutsche Einkommensteuer nicht beeinflussen; das heißt, sie mindern im Ergebnis den Anrechnungshöchstbetrag nicht. Die der Abgeltungsteuer unterliegenden Einkünfte sowie die Abgeltungsteuer (§ 32d EStG) selbst werden in die Höchstbetragsberechnung ebenfalls nicht einbezogen (§ 34c Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 EStG). Die Anrechnung erfolgt hier entsprechend der in § 32d Abs. 5 EStG verankerten Sonderregelung, für die übrigens nicht die per country limitation, sondern (ausnahmsweise) die overall limitation (Rz. 18.107) zur Geltung gebracht wird. Für die Berechnung des Anrechnungshöchstbetrages sind die ausländischen Einkünfte von Bedeutung, die mangels besonderer Vorschriften nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln sind.2 Da die Gewinnermittlungsvorschriften in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich sind, kommt es nicht selten zu Anrechnungsüberhängen, die, da § 34c Abs. 1 EStG keinen Vor- oder Rücktrag kennt, für die Anrechnung verloren gehen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die nach deutschem Steuerrecht ermittelten ausländischen Einkünfte niedriger sind als diejenigen, die nach Maßgabe des ausländischen Steuerrechts dort zur Besteuerung geführt haben. Derartige Divergenzen in den Bemessungsgrundlagen, die zu steuerlich nicht verwertbaren Anrechnungsüberhängen führen, finden sich in der Besteuerungspraxis insbesondere bei der Anrechnung von ausländischen Betriebsstättensteuern, wenn Umlagen des Stammhauses oder sonst außerhalb des Betriebsstättenstaates entstandene Kosten bei der ausländischen Ermittlung des Betriebsstättengewinns nicht anerkannt werden. Schließlich entstehen Anrechnungsüberhänge auch dann, wenn ausländische Staaten Quellensteuern auf Bruttobasis erheben. Hierdurch betroffen sind insbesondere Lizenzgebühren und Zinsen aus dem Ausland, denen im Inland entsprechende Entwicklungs- und Forschungsaufwendungen sowie Refinanzierungskosten gegenüberstehen. In den vorgenannten Fällen wäre de lege ferenda eine Anrechnung auch auf die Gewerbesteuer geboten (Rz. 18.207).3

V. Steuerabzug Literatur: Kommentare zu §§ 34c Abs. 2, 3 EStG; Horlemann, Änderung der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen und ausländischer Quellensteuern gem. § 34c Abs. 2 EStG, DStR 1995, 1535; Lickteig, IStR 1995, 792; Pohl, Abzug ausländischer Steuern in Misbrauchsfällen, ISR 2016, 352; Schulze-Trieglaff, Kampf gegen Steuergestaltungen in der Praxis: kein Abzug ausländischer Steuern bei missbräuchlicher Gestaltung, IStR 2016, 865.

1 Vgl. zu den Einzelheiten Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 187; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 89; R 34c Abs. 2 EStR. 2 BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727; v. 16.5.2001 – I R 102/00, BStBl. II 2001, 710; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 91; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 14. 3 Vgl. hierzu M. Frotscher in FS Frotscher, 116 (117 ff.); Lang, IStR 2021, 584; Kollruss, IStR 2022, 384; Cloer/Kozlowski, FR 2022, 193; Revisionsverfahren beim BFH anhängig unter I R 8/21 (Vorinstanz: FG Hessen v. 26.8.2020 – 8 K 1860/16), EFG 2021, 779; vgl. Anmerkung von Schulz-Trieglaff, IStR 2021, 589; zur Anrechnung auf die Gewerbesteuer in Abkommensfällen Rz. 19.554.

Schaumburg | 699

18.112

Kap. 18 Rz. 18.113 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

1. Allgemeines 18.113

Der Steuerabzug gem. § 34c Abs. 2 und 3 EStG, der lediglich zur Milderung internationaler Doppelbesteuerung beiträgt, ist nicht geeignet, Kapitalexportneutralität (Rz. 17.34) zu gewährleisten. Nach der Konzeption des § 34c EStG erlangt der Steuerabzug seine eigentliche Bedeutung dann, wenn durch die Steueranrechnung die Doppelbesteuerung nur sehr unvollkommen vermieden werden kann. Damit wird erkennbar, dass der Steuerabzug als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung lediglich eine Folge der zu Systembrüchen führenden Regelung über die Steueranrechnung (§ 34c Abs. 1 EStG) ist. So führt die Begrenzung der Anrechnung ausländischer Steuern auf die entsprechende Inlandssteuer im Rahmen des Anrechnungshöchstbetrages zu einer lediglich einseitigen Realisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips. Da das Einkommensteuergesetz das systemtragende Leistungsfähigkeitsprinzip durch das Welteinkommensprinzip konkretisiert hat, ist es nicht sachgerecht, im Rahmen der Steueranrechnung eine Steuererstattung zu versagen (Einzelheiten hierzu unter Rz. 18.105). Dieser Systembruch wird insbesondere durch die per country limitation noch verschärft.

18.114

Die hierdurch auftretenden Mängel der Steueranrechnung sollen durch den Steuerabzug gemindert werden. Deshalb eröffnet § 34c Abs. 2 EStG dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, statt der Steueranrechnung den Steuerabzug zu wählen, wenn dieser für ihn zu einem günstigeren Ergebnis führt. Nach § 34c Abs. 3 EStG ist schließlich ein Steuerabzug auch für jene Fälle zugelassen, in denen die Voraussetzungen für eine Steueranrechnung nach § 34c Abs. 1 EStG oder einen Steuerabzug nach § 34c Abs. 2 EStG nicht vorliegen.

18.115

Während der die Steueranrechnung regelnde § 34c Abs. 1 EStG eine Tarifvorschrift ist, setzt § 34c Abs. 2 und 3 EStG bei der Ermittlung der Einkünfte an. Der Steuerabzug schlägt somit grundsätzlich auf die Gewerbesteuer durch. In den Fällen allerdings, in denen die ausländischen Einkünfte nicht der Gewerbesteuer unterliegen, etwa bei Schachteldividenden infolge der Kürzung gem. § 9 Nr. 7 und 8 GewStG, erfolgt zwecks Vermeidung einer zweifachen Minderung des Gewerbeertrages eine Hinzurechnung der ausländischen Steuern gem. § 8 Nr. 12 GewStG.

18.116

Es wird die Meinung vertreten, ausländische Steuern hätten im Verhältnis zur inländischen Einkommensteuer Kostencharakter und seien daher ohnehin als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzugsfähig.1 § 12 Nr. 3 EStG spreche lediglich für inländische Personensteuern ein Abzugsverbot aus. Ausländische Personensteuern fielen nicht unter dieses Abzugsverbot, weil durch die ausländische Steuerzahlung eine inländische Steuerschuld nicht zum Erlöschen gebracht werde.2 Dem § 12 Nr. 3 EStG lässt sich eine derartige Differenzierung allerdings nicht entnehmen. Im Hinblick auf das dem Einkommensteuergesetz zugrunde liegende Welteinkommensprinzip werden in- und ausländische Einkünfte vielmehr gleichermaßen der Besteuerung unterworfen. Die Einkünfteermittlungsvorschriften des Einkommensteuergesetzes gelten unterschiedslos sowohl für in- als auch für ausländische Einkünfte. Zu diesen Einkünfteermittlungsvorschriften zählt auch § 12 Nr. 3 EStG, so dass ausländische Steuern grundsätzlich keine

1 Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 112; Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (144 f.). 2 Mössner, DStJG 8 (1985), 135 (144 f.).

700 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.120 Kap. 18

Betriebsausgaben sind.1 Die Regelung des § 34c Abs. 2 und 3 EStG, die einen Abzug ausländischer Steuern bei der Ermittlung der Einkünfte vorsieht, hat daher konstitutive Bedeutung.2 Gemäß § 50 Abs. 3 EStG können auch beschränkt steuerpflichtige Personen unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen für die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit die Doppelbesteuerung durch Steuerabzug (§ 34c Abs. 2 und 3 EStG) mildern (Rz. 18.51).

18.117

2. Steuerabzug gem. § 34c Abs. 2 EStG Gemäß § 34c Abs. 2 EStG kann anstelle der Anrechnung die ausländische Steuer auf Antrag bei der Ermittlung der Einkünfte abgezogen werden, soweit sie auf ausländische Einkünfte entfällt, die nicht steuerfrei sind.3 Dieses Wahlrecht impliziert, dass Steuerabzug und Steueranrechnung nur unter den gleichen Voraussetzungen möglich sind.

18.118

Die in § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG geregelte per country limitation führt im Rahmen des Anwendungsbereiches des § 34c Abs. 2 EStG dazu, dass das Wahlrecht für Einkünfte aus demselben Staat zwar einheitlich,4 für Einkünfte aus mehreren Staaten aber unterschiedlich erfolgen kann.5 Da schließlich auch für § 34c Abs. 2 und 3 EStG das Abschnittsprinzip gilt (Rz. 18.64), kann das Wahlrecht Jahr für Jahr neu ausgeübt werden.6 Der Steuerabzug wird insbesondere in folgenden Fällen günstiger sein als die Steueranrechnung.7

18.119

– Fällt etwa infolge von (inländischen) Verlusten keine deutsche Einkommensteuer an, geht eine Steueranrechnung ins Leere. Dagegen führt der Steuerabzug zu einer Erhöhung des Verlustrück- bzw. Verlustvortrages (§ 10d EStG) und kann hierdurch steuerwirksam werden. – Überschreitet die ausländische Steuer den Anrechnungshöchstbetrag, geht der Anrechnungsüberhang verloren. Handelt es sich hierbei nicht nur um geringfügige Beträge, ist der Steuerabzug gem. § 34c Abs. 2 EStG insgesamt günstiger. Das ist stets dann der Fall, wenn die ausländische Steuer höher ist als die nach inländischen Vorschriften ermittelten ausländischen Einkünfte. Der Steuerabzug geht indessen bei Kleinanlegern ins Leere, deren ausländische Zins-/Dividendeneinnahmen unter dem Sparerfreibetrag (§ 20 Abs. 9 EStG) liegen: Der Sparer-Freibetrag (801 Euro) und der gemeinsame Sparer-Freibetrag (1 602 Euro) dürfen nicht höher sein als die um die Werbungskosten einschließlich einer abzusichernden ausländischen Steuer geminderten Kapitalerträge (§ 20 Abs. 9 Satz 4 EStG). Hieraus folgt, dass im Gegensatz zu anderen Einkunftsarten der Steuerabzug gem. § 34c Abs. 2 EStG bei den Einkünften aus Kapitalvermögen bei Inanspruchnahme des Sparer-Freibetrages zu keinen negativen Einkünften führen darf.

1 BFH v. 16.5.1990 – I R 80/87, BStBl. II 1990, 920; Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 84. 2 § 34c Abs. 2, 3 EStG hätte allerdings in § 12 Satz 1 EStG als Ausnahme zitiert werden müssen. 3 Das gilt nicht für den Fall, dass ein DBA eine Anrechnung fiktiver Steuern zulässt (§ 34c Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 EStG). 4 R 34c Abs. 4 Satz 1 EStR; zusammenveranlagte Ehegatten müssen dieses Wahlrecht dagegen nicht einheitlich ausüben; R 34c Abs. 4 Satz 2 EStR. 5 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 30; Geurts in Frotscher/Geurts, § 34c EStG Rz. 106. 6 Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 77. 7 Zur Ausübung des Wahlrechts Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 107; Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 256 ff.

Schaumburg | 701

18.120

Kap. 18 Rz. 18.120 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Da in derartigen Fällen auch keine Steueranrechnung gem. § 34c Abs. 1 EStG in Betracht kommt, werden Kleinanleger, die etwa ausländische Finanzanlagen in ihrem Portfolio haben, steuerlich benachteiligt.1 Schließlich bleibt der volle Steuerabzug auch in Fällen des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 EStG) versagt (§ 34c Abs. 2 Halbs. 2 EStG). Um eine Doppelbegünstigung zu vermeiden kann eine ausländische Steuer nur i.H.v. 60 % abgezogen werden.2

18.121

Der Abzug bei der Ermittlung der Einkünfte bedeutet, dass ausländische Steuern in Abkehr von § 12 Nr. 3 EStG wie Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abgezogen werden können. Das hat zur Folge, dass bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Gewerbeertrag (§ 7 GewStG) entsprechend gemindert wird, wobei allerdings eine Hinzurechnung erfolgt, soweit die ausländischen Steuern auf Gewinne entfallen, die bei der Ermittlung des Gewerbeertrags außer Ansatz bleiben oder gekürzt (§ 9 GewStG) werden (§ 8 Nr. 12 GewStG).3

3. Steuerabzug gem. § 34c Abs. 3 EStG 18.122

Im Unterschied zum Steuerabzug gem. § 34c Abs. 2 EStG greift der Steuerabzug gem. § 34c Abs. 3 EStG dann ein, wenn die Voraussetzungen für eine Steueranrechnung gem. § 34c Abs. 1 EStG nicht gegeben sind. § 34c Abs. 3 EStG ist daher lediglich eine Auffangvorschrift,4 die nur dann Bedeutung erlangt, wenn eine Steueranrechnung gem. § 34c Abs. 1 EStG oder ein Steuerabzug gem. § 34c Abs. 2 EStG nicht möglich ist, weil die ausländische Steuer – nicht der deutschen Einkommensteuer entspricht, – nicht in dem Staat erhoben wird, aus dem die Einkünfte stammen oder – auf Einkünfte erhoben wird, die keine ausländischen Einkünfte i.S.d. § 34d EStG sind.

18.123

Da § 34c EStG ohnehin nur ausländische Steuern vom Einkommen erfasst, werden die Fälle selten sein, in denen derartige Steuern nicht der deutschen Einkommensteuer entsprechen. Die erste Alternative ist daher von geringer Bedeutung. Mit der zweiten Alternative werden Drittstaatensteuern erfasst, wobei in der Praxis insbesondere jene Fälle Bedeutung haben, in denen außerhalb des Betriebsstättenstaates Quellensteuern z.B. auf der Betriebsstätte zuzuordnende Zinseinnahmen erhoben werden.5 Mit der dritten Alternative werden die in der Praxis häufig vorkommenden Fälle der Liefergewinnbesteuerung erfasst, in denen etwa bei ausländischen Montagebetriebsstätten (§ 12 Satz 2 Nr. 8 AO) nicht nur der Montage-, sondern auch der Liefergewinn besteuert wird.6 Während die Steueranrechnung gem. § 34c Abs. 1 EStG und der unter den gleichen Voraussetzungen mögliche Steuerabzug gem. § 34c Abs. 2 EStG die Steuerpflicht der ausländischen Einkünfte im Inland voraussetzt, enthält § 34c Abs. 3 EStG dieses Erfordernis nicht. Der Wortlaut des § 34c Abs. 3 EStG verlangt vielmehr lediglich, dass die ausländischen Einkünfte der deutschen Einkommensteuer „unterliegen“, das heißt steuerbar sind, so dass hiernach eine etwaige Steuerfreiheit den Steuerabzug nicht hindern würde. Ein derartiges Auslegungsergebnis wäre allerdings mit dem Sinn und Zweck des § 34c Abs. 3 EStG – Vermeidung der effektiven Doppelbesteuerung – und seiner Komplementärfunktion zu

1 Hierzu im Einzelnen Lickteig, IStR 1995, 792 ff.; vgl. aber auch Horlemann, DStR 1995, 1535 f. 2 Gosch in Kirchhof/Seer20, § 34c EStG Rz. 31; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 75; R. 34c Abs. 4 Satz 8 EStR. 3 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 110. 4 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 32. 5 Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 118; Krabbe, BB 1980, 1146. 6 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 33.

702 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.126 Kap. 18

§ 34c Abs. 1 EStG unvereinbar. Der Steuerabzug gem. § 34c Abs. 3 EStG setzt daher im Inland steuerpflichtige Einkünfte voraus.1

VI. Steuererlass und Steuerpauschalierung Literatur: Kommentare zu §§ 34c Abs. 5 EStG; Cloer/Hagemann, Arbeitnehmerfreizügigkeitsbeschränkkung durch Auslandstätigkeitserlass, IWB 2013,357; Gosch, Erlass und Pauschalierung nach §§ 34c Abs. 5, 50 Abs. 7 EStG als Billigkeitsmaßnahmen, DStZ 1988, 136; Gosch, DFAS EuGH-Urteil; „Petersen und Petersen“ und seine Konsequenzen für den Auslandstätigkeitserlass und die öffentliche Entwicklungshilfe, IStR 2013, 325; Pohl, Die Beschränkung des Auslandstäitkeitserlasses auf inländische Arbeitgeber ist unionsrechtswidrig, ISR 2013, 136; Reinhart, Der Auslandstätigkeitserlass, DB 1985, 78; Schieber, Besteuerung des Auslandseinsatzes von Mitarbeitern deutscher Unternehmen, FR 1988, 261.

1. Auffangfunktion § 34c Abs. 5 EStG enthält eine an die Adresse der Exekutive gerichtete Ermächtigung zur abweichenden Steuerfestsetzung, wenn

18.124

– es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig oder – die Steueranrechnung nach § 34c Abs. 1 EStG besonders schwierig ist. Die abweichende Steuerfestsetzung kann durch vollständigen oder teilweisen Steuererlass oder durch Steuerpauschalierung erfolgen. Während der vollständige Steuererlass ebenso wie die Steuerfreistellung zu einer Beseitigung der Doppelbesteuerung und damit zur Verwirklichung der Kapitalimportneutralität (Rz. 17.26) führt, bedeuten ein teilweiser Steuererlass oder eine Steuerpauschalierung lediglich eine Milderung der Doppelbesteuerung. Dem Steuererlass und der Steuerpauschalierung kommt eine Auffangfunktion zu;2 sie finden ihre Rechtfertigung darin, dass insbesondere die Steueranrechnung als Regelmethode in der gesetzlichen Ausprägung des § 34c Abs. 1 EStG nicht geeignet ist, die Doppelbesteuerung in allen Fällen zu vermeiden. Eine etwa verbleibende Doppelbesteuerung führt bei einer exportorientierten Volkswirtschaft zu steuerlichen Hemmnissen, die eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten zur Folge hat. Im Hinblick darauf hat § 34c Abs. 5 EStG auch die Zielsetzung, die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Außenwirtschaft zu verbessern.3

18.125

§ 34c Abs. 5 EStG4 wurde für verfassungswidrig gehalten, weil die Ermächtigung zum Erlass von Steuerverwaltungsakten nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß nicht hinreichend bestimmt und begrenzt sei.5 Die Regelung verstoße deshalb gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, das Prinzip der Gewaltenteilung und die rechtsstaatliche Forde-

18.126

1 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 32; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 87; Geurts in Frotscher/Geurts, § 34c EStG Rz. 123; Kaminski/Strunk in Korn, § 34c EStG Rz. 48; a.A. Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 323; Lüdicke, Steuerermäßigung bei ausländischen Einkünften, 69 f. 2 BVerfG v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75, BStBl. II 1978, 548 (552); BFH v. 18.8.1987 – VIII R 297/82, BStBl. II 1988, 139; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 171; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 35. 3 BVerfG v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75, BStBl. II 1978, 548 (553). 4 § 34c Abs. 3 EStG a.F. 5 Vgl. BFH v. 13.1.1966 – IV 166/61, BStBl. III 1966, 556; v. 10.7.1970 – VI R 48/67, BStBl. II 1970, 728.

Schaumburg | 703

Kap. 18 Rz. 18.126 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

rung nach einem möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Hand. Demgegenüber hat das BVerfG die Ermächtigung für hinreichend bestimmt gehalten1 und dabei darauf abgestellt, dass § 34c Abs. 5 EStG nicht eine die Steuerpflicht begründende Vorschrift sei und nicht zu belastenden Verwaltungsakten ermächtige, sondern vielmehr eine Vorschrift sei, die auf eine Steuerentlastung abziele. In einem derartigen Fall seien die Anforderungen an das Maß der gesetzlichen Bestimmtheit geringer als bei Eingriffsermächtigungen. Dabei hat das BVerfG den Begriff „volkswirtschaftliche Gründe“ in seiner einschränkenden Konkretisierung „außenwirtschaftliche Gründe“ als hinreichend bestimmt akzeptiert.2

18.127

Auf der Ermächtigung des § 34c Abs. 5 EStG beruhen der Auslandstätigkeitserlass3 sowie der Pauschalierungserlass.4 Während die Anwendung des Auslandstätigkeitserlasses zu einer Aufhebung der Doppelbesteuerung durch Steuererlass führt, beinhaltet der Pauschalierungserlass eine Milderung der Doppelbesteuerung durch Steuerpauschalierung. Der Auslandstätigkeitserlass und der Pauschalierungserlass enthalten keine abschließenden Regelungen über die Möglichkeiten des Steuererlasses und der Steuerpauschalierung nach § 34c Abs. 5 EStG.5 Deshalb sind individuelle Billigkeitsmaßnahmen darüber hinaus ohne weiteres zulässig.

2. Billigkeitsmaßnahmen a) Ermessen

18.128

Die in § 34c Abs. 5 EStG vorgesehenen Billigkeitsmaßnahmen sind den obersten Finanzbehörden der Länder oder den von ihnen beauftragten Finanzbehörden sowie dem Bundesfinanzministerium vorbehalten.6 In den für die Praxis wichtigen Fällen der Anwendung des Auslandstätigkeitserlasses und des Pauschalierungserlasses ist den Finanzämtern die Entscheidungskompetenz überlassen.

18.129

Die Entscheidung über den Steuererlass oder die Steuerpauschalierung steht im Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde und ergeht als Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO),7 der allerdings äußerlich mit dem betreffenden Steuerbescheid verbunden werden kann (§ 163 Satz 3 AO). Soweit der Auslandstätigkeitserlass und der Pauschalierungserlass ermessensregelnden Charakter haben, tritt eine Selbstbindung der Verwaltung ein, so dass eine Ermessensabweichung grundsätzlich den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt.8 Die Billigkeitsmaßnahmen setzen auf der Tatbestandsseite alternativ die Zweckmäßigkeit aus volkswirtschaftlichen Gründen und die besondere Schwierigkeit der Steueranrechnung voraus.

1 BVerfG v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75, BStBl. II 1978, 548 (552); ebenso BFH v. 8.12.2010 – I B 98/10, BFH/NV 2011, 596. 2 Vgl. zu der nach wie vor bestehenden Kritik Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 474; Lüdicke, Steuerermäßigung bei ausländischen Einkünften, 77 ff. 3 BMF v. 31.10.1983 – IV B 6 - S 2293 - 50/83, BStBl. I 1983, 470; ab Veranlagungszeitraum 2023 BMF v. 10.6.2022 – IV C 5 - S 2293/19/10012:001, BStBl. I 2022, 997. 4 BMF v. 10.4.1984 – IV C 6 - S 2293 - 11/84, BStBl. I 1984, 252. 5 BFH v. 18.8.1987 – VIII R 297/82, BStBl. II 1988, 139; v. 20.5.1992 – I B 16/92, BFH/NV 1992, 740. 6 Gebilligt von BFH v. 25.4.2001 – I R 80/97, BFH/NV 2001, 1541. 7 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 35; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 171; a.A. Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 462: unselbständiger Teil der Steuerfestsetzung. 8 Hierzu im Einzelnen Drüen in T/K, § 5 AO Rz. 50.

704 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.133 Kap. 18

Die volkswirtschaftlichen Gründe müssen spezifisch außenwirtschaftlicher Natur sein.1 Solche Gründe sind insbesondere dann zu bejahen, wenn die Steueranrechnung die Doppelbesteuerung entweder nur unzureichend vermeidet oder aber dem Steuerpflichtigen zum Zwecke der Investitionsförderung im Ausland gewährte Steuererleichterungen zunichte macht.2 Da § 34c Abs. 5 EStG auch der Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Außenwirtschaft dienen soll,3 werden ein Steuererlass oder eine Steuerpauschalierung aus volkswirtschaftlichen Gründen immer dann zweckmäßig sein, wenn durch Abbau von Steuerhürden deutsche Steuerpflichtige konkurrenzfähige Angebote im Ausland machen können.4

18.130

Soweit § 34c Abs. 5 EStG Billigkeitsmaßnahmen davon abhängig macht, dass die Steueranrechnung besonders schwierig ist, zielt diese Vorschrift auf Vereinfachung ab. Besondere Schwierigkeiten werden vor allem bei der Zuordnung von Steuerbeträgen auf Teile der ausländischen Bemessungsgrundlage und bei der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrages liegen.5 Die Billigkeitsmaßnahmen nach § 34c Abs. 5 EStG sind auch im Rahmen von DBA zulässig.6 Eine Anwendung auf die der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG) unterliegenden Zwischeneinkünfte ist mangels Subjektidentität allerdings ausgeschlossen.7

18.131

b) Steuererlass (Auslandstätigkeitserlass) Neben individuellen, auf Erlass von Steuern gerichteten Maßnahmen steht in der Besteuerungspraxis die Anwendung des Auslandstätigkeitserlasses8 im Vordergrund, der einen nur für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wirksamen Steuererlass für bestimmte gleichgelagerte Fälle aus volkswirtschaftlichen Gründen ausspricht. Der Auslandstätigkeitserlass gilt, soweit § 34c Abs. 5 EStG Ermächtigungsgrundlage ist, für unbeschränkt Steuerpflichtige und, soweit § 50 Abs. 4 EStG eingreift (Rz. 6.310 f.), für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer.

18.132

Der Auslandstätigkeitserlass, der Arbeitnehmer von der Besteuerung des Arbeitslohns für bestimmte begünstigte Tätigkeiten im Ausland freistellt, wird damit gerechtfertigt, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen erhalten werden solle. Aufgrund der in der Exportwirtschaft üblichen Brutto-für-Netto-Lohnvereinbarungen sei die Freistellung von der Besteuerung des Arbeitslohnes der im Ausland tätigen Arbeitnehmer angesichts der Personalkostenintensität als besonders wirksame, kostensenkende Maßnahme für deutsche Auftragnehmer gedacht. Hier würden die „volkswirtschaftlichen Gründe“ besonders deutlich;

18.133

BVerfG v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75, BStBl. II 1978, 548 (552). BVerfG v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75, BStBl. II 1978, 548 (553). BVerfG v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75, BStBl. II 1978, 548 (553). Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 563; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 110. Hierzu im Einzelnen Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 571 ff. Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 421; Gosch in Kirchhof/Seer20, § 34c EStG Rz. 35. § 12 Abs. 3 AStG verweist nur auf § 34c Abs. 1 EStG; BFH v. 20.4.1988 – I R 197/84, BStBl. II 1988, 983; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 35; Wagner in Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rz. 106. 8 BMF v. 31.10.1983 – IV B 6-S 2293-50/83, BStBl. I 1983, 470; mit Wirkung ab Veranlagungszeitraum 2023, BMF v. 10.6.2022 – IV C 5 - S 2293/19/10012:001, BStBl. I 2022, 997; der Auslandstätigkeitserlass enthält keine abschließende Regelung der Möglichkeiten des Steuererlasses und der Steuerpauschalierung nach § 34c Abs. 5 EStG, so BFH v. 18.8.1987 – VIII R 297/82, BStBl. II 1988, 139; v. 20.5.1992 – I B 16/92, BFH/NV 1992, 740; zur Vereinbarkeit der Altregelung mit Unionsrecht; vgl. EuGH-Vorlage des BFH v. 13.7.2021 – I R 20/18, DStRE 2022, 146; vgl. auch Rz. 18.127. 1 2 3 4 5 6 7

Schaumburg | 705

Kap. 18 Rz. 18.133 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

es sei bewusst ein Gleichziehen mit ausländischen Konkurrenten beabsichtigt, weil in anderen Staaten ähnlich gefördert werde.1 Indessen sind es weniger die Ziele der Exportförderung, die im Vordergrund stehen; es sind vielmehr finanzielle Anreize zur Motivierung von Arbeitnehmern, die sich andernfalls für längerfristige Bau- und Montageausführungen im Ausland wegen der oft außerordentlich ungünstigen Nebenbedingungen nicht bereit erklären. Während die Steuerfreistellung aufgrund der Altregelung des Auslandstätigkeitserlasses nicht davon abhängig gemacht wird, dass im Ausland überhaupt eine entsprechende Steuer gezahlt worden ist, greift die Neuregelung nur bei einer effektiven ausländischen Steuerlast von mindestens 10 % ein. In beiden Fällen handelt es sich um eine subventionierende Regelung, die sich allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung rechtfertigen lässt.

18.134

Nach dem Auslandstätigkeitserlass (Neuregelung) wird von der Besteuerung des Arbeitslohnes bei Arbeitnehmern eines EU-/EWR-Arbeitgebers abgesehen, die aufgrund eines gegenwärtigen Dienstverhältnisses eine begünstigte Tätigkeit im Ausland ausüben. Die bisherige Beschränkung auf Arbeitnehmer inländischer Arbeitgeber war mit der unionsrechtlich verbürgten Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) nicht vereinbar.2 Im Hinblick darauf ist der Steuererlass nunmehr unionsrechtsonfrom ausgestaltet.3

18.135

Zu den begünstigten Auslandstätigkeiten gehören insbesondere Montagen sowie die Planung, Inbetriebnahme, Modernisierung, Überwachung oder Wartung von Anlagen, also der gesamte Bereich der Errichtung von Anlagen von der Planung bis zur Wartung. Die begünstigte Auslandstätigkeit muss mindestens drei Monate betragen, wobei diese zeitliche Voraussetzung nicht objektbezogen ist. Die Steuerfreistellung, die nur für Auslandstätigkeiten in Staaten gewährt wird, mit denen kein DBA besteht, in das Einünfte aus nicht selbständiger Arbeit einbezogen sind, steht unter Progressionsvorbehalt.4 c) Steuerpauschalierung (Pauschalierungserlass)

18.136

Die in der Praxis wichtigsten Fälle der Steuerpauschalierung sind im Pauschalierungserlass5 geregelt. Der Pauschalierungserlass, der nicht anwendbar ist, wenn die Einkünfte aus einem Staat stammen, mit dem für diese Einkünfte ein DBA besteht, gewährt eine Steuerpauschalierung nur auf Antrag.6 Die Einkommensteuer auf die pauschal zu besteuernden Einkünfte beträgt 25 % der Einkünfte, höchstens 25 % des zu versteuernden Einkommens. Zu den pauschal zu besteuernden Einkünften gehören7

1 So z.B. Reinhart, BB 1983, 2246 (2247). 2 EuGH v. 28.2.2013 – C-544/11, ECLI:EU:C:2013:124 = BStBl. II 2013, 847 – Petersen. 3 Zur Umsetzung des EuGH-Urteils durch die FinVerw; vgl. OFD NRW v. 5.12.2013, DB 2013, 2892; für eine ersatzlose Abschaffung des Auslandstätigkeitserlasses plädiert Gosch, IStR 2013, 325, dort auch zu verfassungsrechtlichen Zweifeln. 4 BFH v. 11.9.1987 – VI R 19/84, BStBl. II 1987, 856; v. 11.9.1987 – VI R 64/86, BFH/NV 1988, 631; v. 27.3.1991 – I R 180/87, BFH/NV 1992, 248; zu weiteren Einzelheiten des Auslandstätigkeitserlasses (Altregelung) ausführlich Siefert, Die Besteuerung bei der Entsendung von Arbeitskräften in das Ausland, 150 ff. 5 BMF v. 10.4.1984 – IV C 6 - S 2293 - 11/84, BStBl. I 1984, 252. 6 In diesem Fall scheidet eine Steueranrechnung oder ein Steuerabzug aus. 7 Vgl. hierzu im Einzelnen Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 511 ff.

706 | Schaumburg

A. Einkommensteuer | Rz. 18.139 Kap. 18

– gewerbliche Einkünfte aus aktiver Tätigkeit einer ausländischen gewerblichen Betriebsstätte, – Einkünfte aus einer in einem inländischen gewerblichen Betriebsvermögen gehaltenen Beteiligung an einer ausländischen aktiv tätigen Mitunternehmerschaft, – Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die einer ausländischen Betriebsstätte oder festen Einrichtung zuzurechnen sind, durch technische Beratung, Planung und Überwachung bei der Anlagenerrichtung und – Schachteldividenden. Entsprechend der allgemein für § 34c EStG geltenden per country limitation kann der Antrag auf Pauschalierung auf Einkünfte aus einem Staat oder auf solche aus mehreren Staaten beschränkt werden. Für pauschalierungsfähige Einkünfte aus einem Staat muss allerdings das Wahlrecht einheitlich ausgeübt werden. Entsprechend dem eingeräumten Wahlrecht, kann der Pauschalierungsantrag für jedes Jahr neu gestellt werden mit der Folge, dass, soweit die Voraussetzungen vorliegen, der Steuerpflichtige Jahr für Jahr zwischen der Anrechnungsmethode, der Abzugsmethode und der Steuerpauschalierung wechseln kann.1

18.137

VII. Steuerermäßigung bei Erbschaftsteuerbelastung Literatur: Kommentare zu § 35b EStG; Herzig/Joisten/Vossel, Die Vermeidung der Doppelbealstung mit Est und ErbSt nach Einführung des § 35b EStG, DB 2009, 584; Kahle/Goldschmidt, Das Verhältnis der Erbschaftsteuer und Einkommensteuer, Ubg 2016, 49; Meßbacher-Hönsch, Doppelbelastung mit Erbschaft-/Schenkungsteuer und Ertragsteuer: Eine Betrachtung anhand verschiedener Fallgruppen, ZEV 2018, 182; Rüsch, Berechnung der Ermäßigung der Est nach § 35b bei vorheriger Bealstung mit ErbSt, FR 2019, 231.

Sind bei der Ermittlung des Einkommens Einkünfte berücksichtigt worden, die im Veranlagungszeitraum oder in den vorangegangenen vier Veranlagungszeiträumen als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben, wird auf Antrag die um sonstige Steuerermäßigungen gekürzte tarifliche Einkommensteuer,2 die auf diese Einkünfte anteilig entfällt, ermäßigt (§ 35b EStG). Die Ermäßigung bestimmt sich hierbei nach dem Verhältnis, in dem die festgesetzte Erbschaftsteuer zu dem Betrag steht, der sich ergibt, wenn dem steuerpflichtigen Erwerb i.S.d. § 10 ErbStG die steuerfreien Beträge der §§ 5, 16 und 17 ErbStG hinzugerechnet werden (§ 35b Satz 2 EStG).

18.138

§ 35b EStG dient der Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbelastung, die darin besteht, dass derselbe Sachverhalt sowohl der Einkommensteuer als auch der Erbschaftsteuer unterliegt. Erbschaft- und Einkommensteuer schließen sich zwar nicht gegenseitig aus, weil sie einerseits Tatbestände der Vermögenssphäre und andererseits solche der Einkommensphäre betreffen, beide Steuern sind im Ergebnis aber auf die Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerichtet, so dass auch die Erbschaftsteuer als eine Steuer von Einkommen i.S. eines Reinvermögenzugangs zu qualifizieren ist.3 Im Hinblick darauf sind beide Steuern aufeinan-

18.139

1 Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 527. 2 § 35b EStG gilt nicht für die Körperschaftsteuer; BFH v. 14.9.1994 – I R 78/94, DB 1995, 509. 3 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 7.38; im Einzelnen Rz. 8.1.

Schaumburg | 707

Kap. 18 Rz. 18.139 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

der abzustimmen,1 so dass eine Vermeidung der Doppelbelastung geboten ist.2 § 35b EStG zielt nicht auf die Vermeidung der (internationalen) Doppelbesteuerung ab. Der Vorschrift kommt aber im Ergebnis diese Wirkung zu, weil nicht nur inländische, sondern auch ausländische Erbschaftsteuer im Rahmen des § 35b EStG zu berücksichtigen ist.3

18.140

Die Einbeziehung nur der inländischen Erbschaftsteuer in die Steuerbetragsermäßigung des § 35b EStG ist im Wesentlichen damit begründet worden, dass die Vorschrift für Zwecke der Berechnung der Einkommensteuerermäßigung lediglich auf Vorschriften des inländischen Erbschaftsteuergesetzes verweise. Im Übrigen sei die Einbeziehung ausländischer Erbschaftsteuern unpraktikabel, weil bei allen ausländischen Erbschaftsteuerfestsetzungen im Wege der Rechtsvergleichung festgestellt werden müsse, welche ausländischen Vorschriften den inländischen entsprächen.4 Indessen ist zu berücksichtigen, dass § 35b EStG eine Steuerkonkurrenz insbesondere für diejenigen Fälle lösen will, in denen abweichend von der dem § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG zugrunde liegende Konzeption Einkünfte von demjenigen zu versteuern sind, der sie nicht erwirtschaftet hat. § 35b EStG stellt daher einen Härteausgleich dar.5 Im Hinblick darauf macht es keinen Unterschied, ob die Härte der Doppelbesteuerung durch Entrichtung inländischer oder ausländischer Erbschaftsteuer bewirkt wird.6 § 35b EStG bleibt allerdings hinter dem durch das Leistungsfähigkeitsprinzip vorgegebenen Ziel der Vermeidung der Doppelbesteuerung insoweit zurück, als nur Erwerbe von Todes wegen, nicht aber Schenkungen erfasst werden, und zwar selbst dann nicht, wenn sie der vorweggenommenen Erbfolge dienen.7

18.141

Die Steuerermäßigung erfasst Einkünfte, die bei der Ermittlung des Einkommens berücksichtigt worden sind8 und gleichzeitig im laufenden oder in den vorangegangenen vier Veranlagungszeiträumen9 als Bereicherung des Erwerbers von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben. Angesprochen hierdurch sind z.B. Zahlungseingänge auf betriebliche Forderungen des den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelnden Erblassers, Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, die beim Erblasser zum Betriebsvermögen gehörten, sowie Gewinne aus der Veräußerung von zum Nachlass gehörenden Kapitalanteilen i.S.d. § 17 Abs. 1,

1 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 878; Mellinghoff, DStJG 22 (1999), 127 (134 ff.); Hey, JZ 2007, 564 (566); Crezelius, BB-Spezial 10/2007, 1 (13 ff.). 2 Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit und Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht in den Fällen, in denen die Doppelbelastung nicht vermieden werden kann, vgl. den Überblick zum Stand der Rspr. und Lit. bei Schulz in H/H/R, § 35b EStG Rz. 6 f. 3 BFH v. 29.10.1974 – I R 126/73, BStBl. II 1975, 110 (zu § 35 EStG a.F.); Kulosa in Schmidt41, § 35b EStG Rz. 10; Zimmermann in Lademann, § 35b EStG Rz. 28; Derlien in L/B/P § 35b EStG Rz. 25; Rüsch in Frotscher/Geurts, § 35b EStG Rz. 28; a.A. Schulz in H/H/R, § 35b EStG Rz. 27; Schallmoser in Brandis/Heuermann, § 35b EStG Rz. 41. 4 FG Hess. v. 18.2.1982 – X 184/78, EFG 1982, 570. 5 Zimmermann in Lademann, § 35b EStG Rz. 28; vgl. auch BFH v. 29.10.1974 – I R 126/73, BStBl. II 1975, 110; v. 7.12.1990 – X R 72/89, BStBl. II 1991, 350. 6 BFH v. 29.10.1974 – I R 126/73, BStBl. II 1975, 110. 7 Zur Kritik Zimmermann in Lademann, § 35b EStG Rz. 17, 30; Derlien in L/B/P, § 35b EStG Rz. 16; Stahl in Korn, § 35b EStG Rz. 10; Paus, NWB 23019, 104 (107); Herzig/Joisten/Vossel, DB 2009, 584 (585); Crezelius, ZEV 2009, 1; Demuth, Stbg 2009, 9 (13); Seer, GmbHR 2009, 225 (237). 8 Dazu gehören also nicht abkommensrechtlich freigestellte Einkünfte und solche, die der Abgeltungsteuer unterliegen (§ 2 Abs. 5b EStG). 9 Diese Frist ist nicht mit den Behaltefristen in § 13a Abs. 1 Satz 2, Abs. 8 ErbStG (5 bzw. 7 Jahre) abgestimmt; zur Kritik Zimmermann in Lademann, § 35b EStG Rz. 33; Seer, GmbHR 2009, 225 (237); Herzig/Joisten/Vossel, DB 2009, 584 (588).

708 | Schaumburg

B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.142 Kap. 18

2 EStG.1 Entsprechend der teleologischen Ausrichtung des § 35b EStG – Vermeidung wirtschaftlicher Doppelbelastung (Doppelbesteuerung) – sind eine Subjekt- und Objektidentität (Rz. 15.3 ff.) nicht Voraussetzung für die Steuerermäßigung.2 Die Ermäßigungstechnik des § 35b EStG verlangt in einem ersten Schritt zunächst die Ermittlung der anteiligen Einkommensteuer, die auf die begünstigten Einkünfte entfällt. In einem zweiten Schritt (§ 35b Satz 2 EStG) ist der Prozentsatz zu ermitteln, um den die begünstigten Einkünfte ermäßigt werden. Dieser Prozentsatz errechnet sich aus dem Verhältnis der festgesetzten Erbschaftsteuer zum Gesamterwerb, also zum erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb (§ 10 Abs. 1 ErbStG) zzgl. der steuerfreien Beträge gem. §§ 5, 16, 17 ErbStG.3 Soweit auf eine festgesetzte Erbschaftsteuer abgestellt wird, kommt es nicht darauf an, dass der Erbschaftsteuerbescheid bereits bestandskräftig ist. Das gilt auch für ausländische Erbschaftsteuerbescheide. Werden diese zu einem späteren Zeitpunkt geändert, ist auch der betreffende Einkommensteuerbescheid gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern.4

B. Körperschaftsteuer Literatur: Kommentare zu §§ 8b, 26 KStG; § 50g EStG; Burmester, Die Anrechnungsmethode im deutschen Steuerrecht, in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, Wien 1995, 241; Dörr, Praxisfragen zur Umsetzung der Zins- und Lizenzrichtlinie in § 50g EStG, IStR 2005, 109; Ebling, Unilaterale Maßnahmen gegen die internationale Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Ertrag, Diss. Mainz 1970; Eilers/Schmidt, Die Steuerbefreiung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen nach § 8b KStG, Praxis-Kommentierung zum BMF-Schr. v. 28.4.2003 (GmbHR 2002, 603) zur Anwendung des § 8b KStG 2002 und zu Auswirkungen auf die Gewerbesteuer, GmbHR 2003, 613; Englisch, Dividendenbesteuerung, Köln 2005; Gebhardt/Krüger/Hundrieser, Weitere Konkretisierung zur Einlagenrückgewähr aus Drittstaaten, IWB 2019, 982; Gosch, Über Streuund Schachtelbesitz, in Kessler/Förster/Watrin, Unternehmensbesteuerung, FS für Herzig, München 2010, 63; Hageböke, Zum Konkurrenzverhältnis von DBA-Schachtelprivileg und § 8b KStG, IStR 2009, 473; Hauck, Zur Reichweite des internationalen Korrespondenzprinzips, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 741; Haun/Winkler, Klarstellung und Unklarheiten bei der Besteuerung von Beteiligungserträgen nach der Neufassung des § 8b KStG, GmbHR 2002, 192; Heurung/Engel/Seidel, Das DBA-Schachtelprivileg in Körperschaftund Gewerbesteuer, DB 2010, 1551; Inst.FuSt., Ausländische Einkünfte und direkte Steueranrechnung – notwendige Verbesserungen der unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Brief 164), Bonn 1977; Inst.FuSt., Die indirekte Steueranrechnung (§ 26 Abs. 2 bis 5 KStG 1977) – Kritik, Alternativen, Verbesserungsvorschläge (Brief 182), Bonn 1980; Intemann, Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto nicht nach § 8b Abs. 1 KStG steuerbefreit, NWB 2010, 2295; Jacob/ Scheifele, § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG auf dem Prüfstand des BFH: Welche Auswirkungen ergeben sich für ausländische Holdinggesellschaften mit Beteiligung an inländischen (Grundstücks-) Kapitalgesellschaften?, IStR 2009, 304; Kahlenberg, Steuerfreistellung und Betriebsausgabenabzug von Schachteldividenden, IWB 2017, 197; Kaminski/Strunk, Die steuerliche Behandlung von Aufwand im Zusam1 Vgl. hierzu die Aufstellung bei Schallmoser in Brandis/Heuermann, § 35b EStG Rz. 16 ff.; Zimmermann in Lademann, § 35b EStG Rz. 56 ff. 2 Schulz in H/H/R, § 35b EStG Rz. 30; Kulosa in Schmidt41, § 35b EStG Rz. 11; Schallmoser in Blümich, § 35b EStG Rz. 26 f.; Derlien in L/B/P, § 35b EStG Rz. 37; a.A. Zimmermann in Lademann, § 35b EStG Rz. 29. 3 Zu Einzelheiten mit Berechnungsbeispielen und Formeln Zimmermann in Lademann, § 35b EStG Rz. 41 ff.; Derlien in L/B/P, § 35b EStG Rz. 46 ff. 4 Schulz in H/H/R, § 35b EStG Rz. 12; Kulosa in Schmidt41, § 35b EStG Rz. 10; Zimmermann in Lademann, § 35b EStG Rz. 27; Bron/Seidel, ErbStB 2010, 48 (51).

Schaumburg | 709

18.142

Kap. 18 Rz. 18.143 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung menhang mit Kapitalgesellschaftsbeteiligungen nach Änderung des § 8b KStG zum 1.1.2004, BB 2004, 689; Kollruss/Schrey/Benten, Kein pauschales Betriebsausgabenabzugsverbot auf einer ausländischen Zwischengesellschaft nach vorausgegangener Hinzurechnung, GmbHR 2013, 684; Kreuz, Beteiligung an ausländischen Gesellschaften nach § 8b KStG, Frankfurt/M. 1997; Lammers, Die begrenzte Abziehbarkeit von Aufwendungen im Zusammenhang mit Beteiligungen an Kapitalgesellschaften nach § 8b Abs. 3 und 5 KStG, DStZ 2011, 483; Lieber, Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz, FR 2002, 139; Lorenz, Die Suspendierung von § 8b Abs. 5 KStG durch EG- und DBA-Günstigerprüfung, IStR 2009, 437; Lornsen, Unilaterale Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Ausschaltung der internationalen Doppelbesteuerung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Frankfurt/Bern/New York/Paris 1987; Lüdicke, Steuerermäßigung bei ausländischen Einkünften, Köln 1985; Micker/Schwarz, Ausländische Kapitalgesellschaften inländischer Anteilseigner – Teil I, IWB 2019, 512; Moebus, Schachtelbeteiligung bei Körperschaftsteuer, Vermögensteuer und Gewerbesteuer in nationaler und internationaler Sicht, Herne/Berlin 1979; Müller, Vereinbarkeit der Mindestbesteuerung in §§ 8b Abs. 3 Satz 1, 8b Abs. 5 Satz 1 KStG mit dem allgemeinen Gleichheitssatz, FR 2011, 309; Oldiges, Wirkungen und Rechtfertigung des pauschalen Abzugsverbots gemäß § 8b Abs. 5 KStG, DStR 2008, 533; Pezzer, Die Besteuerung des Anteilseigners, DStJG 25 (2002), 37; Phillip, Befreiungssystem mit Progressionsvorbehalt und Anrechnungsverfahren, Wien 1971; Pyszka/Brauer, Einschränkung der Steuerbefreiung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen bei Holdinggesellschaften (§ 8b Abs. 7 KStG), BB 2002, 1669; Rödder, Aktuelle Fragen der Beteiligungsfinanzierung, WPg-Sonderheft 2003, 179; Rödder/Schumacher, Das BMF-Schreiben zu § 8b KStG, DStR 2003, 909; Rogall, Die Belastung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen im Konzern nach den beabsichtigten Neuerungen des § 8b Abs. 3 und 5 KStG, DB 2003, 2185; Romswinkel, Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen gem. § 8b Abs. 2 KStG systemimmanent?, GmbHR 2002, 1059; Schaumburg, Brennpunkte aus dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, JbFSt 1999/2000, 129; Schaumburg, Die Befreiungsmethode im deutschen Steuerrecht, in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, Wien 1995, 269; Scheffler, Beteiligungsveräußerungen durch Kapitalgesellschaften: Die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 2 KStG ist gerechtfertigt, DB 2003, 680; Schönfeld, Neues zum DBA-Schachtelprivileg oder: Was bleibt von § 8 Nr. 5 GewStG und § 8b Abs. 5 KStG bei grenzüberschreitenden Dividenden, IStR 2010, 658; Schreiber/Rogall, Die Besteuerung der Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, BB 2003, 497; Schwetlik, Verfassungsmäßigkeit von § 8b Abs. 4 KStG und § 9 Nr. 2a GewStG, GmbH-StB 2020, 344; Sedemund, Zuständigkeits- und Verfahrensfragen bei Leistungen ausländischer Kapitalgesellschaften an inländische Anteilseigner, IStR 2010, 270; Seer/Drüen, Vertrauensschutz bei steuerfreien Anteilsveräußerungen, GmbHR 2002, 1093; Stangl, Ausgewählte Streitpunkte des § 8b KStG, DStR 2013, Beihefter 4, 8; Thiede, Ökonomische Analyse der Körperschaftsbesteuerung bei ausländischen Einkünften, Bergisch Gladbach/Köln 1994, 108; Thömmes, Unvereinbarkeit des neuen § 8b Abs. 7 KStG mit der EGMutter-/Tochterrichtlinie, DB 1999, 500; Wagner, Die Ausnahmetatbestände des § 8b Abs. 7 und 8 KStG für „Finanzdienstleister“ und „Versicherer“ – ihre Berechtigung und ihre Wirkung, DK 2006, 609; Watermeyer, Aktuelle Fragestellungen zu § 8b KStG in der Rechtsprechung, GmbH-StB 2009, 220.

I. Überblick 18.143

Die für die Körperschaftsteuer maßgeblichen unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sind in § 8b KStG und in § 26 KStG verankert. Ebenso wie auf bilateraler Ebene kommen somit Freistellungs- und Anrechnungsmethode gleichermaßen zur Anwendung. Die in § 8b KStG geregelte Steuerfreistellung, die im Wesentlichen Dividenden und Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen betrifft, dient im außensteuerlichen Kontext auch der Vermeidung der internationalen (wirtschaftlichen) Doppelbesteuerung. § 26 Abs. 1 KStG (Steueranrechnung) ist demgegenüber eine auf § 34c EStG aufbauende spezifische Vermeidungsnorm. Ebenfalls auf die Vermeidung nur der internationalen Doppelbesteuerung gerichtet sind die folgenden, in § 26 Abs. 1 KStG geregelten Methoden: Steuerabzug, Steuererlass und Steuerpauschalierung.

710 | Schaumburg

B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.145 Kap. 18

II. Steuerfreistellung Literatur: Kommentare zu § 8b KStR, § 50g EStG; Herlinghaus, Rechtsfragen zur Steuerpflicht von Streubesitzdividenden gemäß § 8b Abs. 4 KStG n.F., FR 2013, 529; Intemann, Die Neuregleung zur Steuerpflicht von Streubesitzdividenden, BB 2013, 1239; Kußmaul/Licht, Steuersystematische, verfassungs- und unionsrechtliche Unzuläglichkeiten im Ertragsteuerrecht am Beispiel von § 8b Abs. 4 KStG, StB 2016, 286; Weiss, Aktuelle Rechtsprechung zu § 8b KStG, Ubg 2017, 671; Micker/Schwarz, ausländische Kaptalgesellschaften inländischer Anteilseigner – Teil I, IWB 2019; Schwetlik, Verfassungsmäßigkeit von § 8b Abs. 4 KStG und § 9 Nr. 2a GewStG, GmbH-StB 2020, 344.

1. Steuerfreie Dividenden a) Körperschaftsteuerliche Vorbelastung Gemäß § 8b Abs. 1 KStG werden Bezüge i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG steuerfrei gestellt. Diese sachliche Steuerbefreiung gilt für In- und Auslandsdividenden gleichermaßen und kann sowohl von unbeschränkt als auch von beschränkt steuerpflichtigen Körperschaftsteuersubjekten in Anspruch genommen werden. Die Steuerbefreiung wird allerdings nicht vorbehaltlos gewährt, weil eine Mindestbeteiligungsquote von 10 % zu Beginn des Kalenderjahres erforderlich ist (§ 8b Abs. 4 KStG) und eine steuersparende Beteuerungsinkongruenz nicht vorliegen darf (§ 8b Abs. 1 Satz 3 KStG).1 Im Übrigen kommt es auf irgendwelche Mindestbesitzzeiten, Mindestbeteiligungsquoten oder Aktivitätsvorbehalte nicht an. Die Steuerfreistellung ist im Wesentlichen darauf gerichtet, körperschaftsteuerliche Doppel- und Mehrfachbelastungen zu vermeiden. Die Steuerbefreiung des § 8b Abs. 1 KStG ist integraler Bestandteil sowohl der Abgeltungsteuer (§ 32d EStG) als auch des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 EStG), das insbesondere bei Kapitalgesellschaften in einem in sich geschlossenen System von einer bestimmten körperschaftsteuerlichen Vorbelastung auf Gesellschaftsebene einerseits und einer ausschüttungsbedingten steuerlichen Nachbelastung auf Gesellschafterebene andererseits ausgeht.2 Im Hinblick auf diese typisierte körperschaftsteuerliche Vorbelastung ist die Steuerbefreiung für nachfolgende Ausschüttungen an andere Körperschaftsteuersubjekte systemimmanent. Ob eine in- oder ausländische körperschaftsteuerliche Vorbelastung tatsächlich überhaupt besteht, spielt für die Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG grundsätzlich keine Rolle. Eine auf die tatsächliche Vorbelastung abstellende Systemkorrektur erfolgt allerdings durch das in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG verankerte, insbesondere für verdeckte Gewinnausschüttungen geltende Korrespondenzprinzip sowie im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 bis 14 AStG; Rz. 13.1 ff.) in den Fällen, in denen ausländische Körperschaftsteuersubjekte mit Einkünften aus passivem Erwerb niedrig besteuert sind.3

18.144

Soweit Ausschüttungen seitens ausländischer Körperschaftsteuersubjekte erfolgen, dient die Steuerfreistellung gem. § 8b Abs. 1 KStG im Hinblick auf den vorgenannten Systemzusammenhang auch der Vermeidung der internationalen wirtschaftlichen Doppelbesteuerung. Darüber hinaus dient sie, soweit es um die Steuerbelastung der Dividenden selbst geht, der Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung.4 Soweit für derartige Ausschüttungen auch abkommensrechtliche Schachtelprivilegien (Art. 23A OECD-MA) eingreifen, sind im Ergebnis beide Steu-

18.145

1 § 8b Abs. 1 Satz 3 KStG i.d.F. des ATADUmsG v. 25.6.2021, (BGBl. I 2021, 2035) gilt erstmals für Bezüge, die nach dem 31.12.2019 zufließen (§ 34 Abs. 5 Satz 1 KStG). 2 Hey in Tipke/Lang24, Rz. 11.12; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 24; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 6. 3 Zu den damit verbundenen Wertungswidersprüchen Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 25 ff. 4 Insoweit ist eine Subjektidentität gegeben; zur Begriffsbildung Rz. 15.4.

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Kap. 18 Rz. 18.145 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

erbefreiungen – sowohl das Schachtelprivileg als auch die Freistellung nach § 8b Abs. 1 KStG – nebeneinander anwendbar.1 Da die Reichweite der in § 8b Abs. 1 KStG verankerten Steuerfreistellung in aller Regel über diejenige der abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien hinausgeht,2 ist die Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG vorrangig.3 Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass die abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien nicht selten unter Aktivitätsvorbehalt stehen und im Grundsatz nur bei einer Mindestbeteiligung von 25 % gewährt werden (Rz. 19.547). Die Anwendung abkommensrechtlicher Schachtelprivilegien wird allerdings dann in Betracht kommen,4 wenn die unilaterale Steuerfreistellung z.B. an § 8b Abs. 7, 8 KStG scheitert oder die Ausschüttungen aus dem Ausland abkommensrechtlich zwar als Dividenden, nicht aber als Bezüge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG qualifiziert werden können.5 Soweit sich die Anwendungsbereiche von § 8b Abs. 1 KStG einerseits und der abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien (Art. 23A OECD-MA) andererseits decken, kommt der pauschalierte Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs gem. § 8b Abs. 5 KStG zur Anwendung, für den abkommensrechtlich keine Schrankenwirkungen bestehen.6 Insoweit greift stets § 8b Abs. 5 KStG (sog. Schachtelstrafe) und nicht etwa § 3c Abs. 1 EStG ein (§ 8b Abs. 5 Satz 2 KStG). Entsprechendes gilt für das in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG verankerte materielle Korrespondenzprinzip, das auch in Abkommensfällen anzuwenden ist (§ 8b Abs. 1 Satz 4 KStG). b) Anwendungsvoraussetzungen

18.146

Da die Normadressaten in § 8b Abs. 1 KStG nicht benannt sind, werden von der Reichweite der Steuerbefreiung all jene Körperschaftsteuersubjekte erfasst, für die das Körperschaftsteuergesetz ganz allgemein zur Anwendung kommt.7 Im Rahmen der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht zählen hierzu auch die Körperschaftsteuersubjekte, die nach ausländischem Recht errichtet sind und inländischen Körperschaftssteuerobjekten strukturell entsprechen (zum Typenvergleich Rz. 7.7). Das bedeutet, dass insoweit auch doppelt ansässige Kapitalgesellschaften, wenn sie den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben, von der Reichweite des § 8b Abs. 1 KStG erfasst werden.8 Beschränkt steuerpflichtige Rechtsträger können die Steuerbefreiung des § 8b Abs. 1 KStG nur dann beanspruchen, wenn sie mit den in § 1 Abs. 1 KStG aufgeführten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen vergleichbar sind (zum Typenvergleich Rz. 7.7). Sollte sich allerdings die Einschaltung einer beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft als rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 42 AO erweisen, etwa bei Ba-

1 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 40, 143; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 30; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 79. 2 Die Freistellung gem. § 8b Abs. 1 KStG besteht zu 100 % und nicht etwa wegen § 8b Abs. 5 KStG nur zu 95 %; beide Vorschriften sind insoweit getrennt zu sehen; BFH v. 29.8.2012 – I R 7/12, BStBl. II 2013, 89; Gosch, BFH/PR 2013, 50. 3 BFH v. 14.1.2009 – I R 47/08, BStBl. II 2009, 220 (226); v. 23.6.2010 – I R 71/09, BStBl. II 2011, 129; v. 22.9.2016 – I R 29, 15, IStR 2017, 194; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 40; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 78. 4 Für ein umfassendes Wahlrecht Hageböke, IStR 2009, 473 (481); Lorenz, IStR 2009, 437 (441). 5 Beispiel: Erträge aus stillen Beteiligungen; vgl. BFH v. 4.6.2008 – I R 62/06, BStBl. II 2008, 793; zu weiteren Beispielen Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 40. 6 Insoweit handelt es sich nicht um die Rückgängigmachung der Steuerbefreiung; BFH v. 29.8.2012 – I R 7/12, BStBl. II 2013, 89; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 483 m.w.N. 7 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 10; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 10. 8 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 10; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 10; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 11.

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B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.150 Kap. 18

sisgesellschaften (Rz. 13.27 ff.), ist für Zwecke der Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG auf die dahinter stehenden Personen abzustellen.1 Die Steuerbefreiung kommt auch in den Fällen der Organschaft (§§ 14–17 KStG) zur Anwendung, wobei auf Grund der Sondervorschrift des § 15 Satz 1 Nr. 2 KStG die Steuerbefreiung nicht von der Organgesellschaft, sondern allein vom Organträger in Anspruch genommen werden kann, soweit dieser Körperschaftsteuersubjekt ist und in den an ihn abzuführenden Gewinnen die in § 8b Abs. 1 KStG genannten Bezüge enthalten sind (sog. Bruttomethode).2

18.147

Auf Grund der Sondervorschrift des § 8b Abs. 6 KStG wird die Steuerbefreiung auch auf Fälle der bloß mittelbaren Beteiligung über eine Mitunternehmerschaft ausgedehnt. Steuerfrei sind damit auch Bezüge, die einem Körperschaftsteuersubjekt im Rahmen eines Gewinnanteils aus einer Mitunternehmerschaft3 zugerechnet werden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine in- oder ausländische Mitunternehmerschaft4 oder um eine mehrstöckige Mitunternehmerschaft handelt.5 Wird die Beteiligung an der in- oder ausländischen ausschüttenden Körperschaft über eine in- oder ausländische vermögensverwaltende Personengesellschaft gehalten, erfolgt die Zuordnung der betreffenden Anteile über § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO mit der Folge, dass die Bezüge den Gesellschaftern unmittelbar (quotal) zuzurechnen sind.6

18.148

Sachliche Voraussetzung für die Gewährung der Steuerbefreiung ist das Vorliegen von Bezügen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG. Im Wesentlichen sind damit Dividenden und verdeckte Gewinnausschüttungen erfasst, allerdings nur im Sinne von Bruttobeträgen.7 Die Qualifikation als Bezüge erfolgt allein auf der Ebene der die Bezüge empfangenden Körperschaftsteuersubjekte, wobei es ausreicht, dass die betreffenden Leistungen ihrer Art nach den Bezügen entsprechen, die in § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG benannt sind. Eine korrespondierende Qualifikation (Qualifikationsverkettung) etwa zwischen ausschüttender und die Bezüge empfangender Kapitalgesellschaft ist nicht vorgesehen, so dass es insbesondere im internationalen Kontext zu Doppel- oder Minderbesteuerungen kommen kann.8 Eine Ausnahme hiervon besteht allein im Anwendungsbereich der gesetzlich verankerten Korrespondenz- und Hybridklauseln (§ 8b Abs. 1 Sätze 2–5 EStG).

18.149

Die erste Korrespondenzklausel versagt die Steuerbefreiung für (sämtliche) Bezüge, soweit sie das Einkommen der leistenden Körperschaft gemindert haben (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG). Unter den gleichen Voraussetzungen erklärt die zweite Korrespondenzklausel die abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien (Rz. 19.545 ff.) für unanwendbar (§ 8b Abs. 1 Satz 4 KStG). Beide Korrespondenzklauseln sind im Wesentlichen gegen grenzüberschreitende verdeckte

18.150

1 Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 13; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 10; Schnitger in S/F, § 8b KStG Rz. 17. 2 Hierzu Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 12; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 10; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 17. 3 §§ 13 Abs. 7, 15 Abs. 1 Nr. 2, 3, 18 Abs. 4 EStG. 4 Die ausländische Mitunternehmerschaft muss (abstrakt) von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfasst sein; hierzu Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 173. 5 Gosch, in Gosch4, § 8b KStG Rz. 522; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 203. 6 Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 203; M. Frotscher in Frotscher/Drüen, § 8b KStG Rz. 559; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 523. 7 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 101; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 95; Schnitger in S/F, § 8b KStG Rz. 128. 8 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 102.

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Kap. 18 Rz. 18.150 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Gewinnausschüttungen und hybride Gestaltungen gerichtet.1 Zwar wird hinsichtlich der Einkommensminderung auf leistende Körperschaften im In- und Ausland gleichermaßen abgestellt, diese Gleichstellung ist aber nur formaler Natur,2 weil im Wesentlichen nur Dividenden aus dem Ausland betroffen sind.3 Die in § 8b Abs. 1 Satz 3 KStG verankerte Hybridklausel4 regelt schließlich für den Fall einer grenzüberschreitenden Zurechnungsdivergenz, dass die Steuerfreistellung (§ 8b Abs. 1 KStG) nur gewährt wird, soweit das anderweitig im Ausland zugerechnete Einkommen nicht niedriger ist als bei einer dem deutschen Recht entsprechenden Zurechnung.5

18.151

Die speziell gegen intersubjektive weiße Einkünfte gerichteten Korrespondenzklauseln6 benachteiligen Auslandssachverhalte und bedeuten zudem einen Systembruch im deutschen Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht. Die faktische Ungleichbehandlung von In- und Auslandsbezügen führt unter dem Gesichtspunkt des Beschränkungsverbotes (Rz. 4.29) zu einem Verstoß gegen die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 49, 63 AEUV),7 der insbesondere auch nicht wegen Wahrung einer angemessenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten (Rz. 4.19) gerechtfertigt ist.8 Dies deshalb nicht, weil Deutschland mittels der Korrespondenzklauseln die Einkommensminderung im anderen Staat zugunsten des eigenen Steueraufkommen kompensiert.9 Der im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG bedeutsame Systembruch beruht darauf, dass es im Grundsatz kein allgemeines Korrespondenzgebot gibt,10 so dass nach Maßgabe des dem Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz zugrunde liegenden Konzepts der Individualbesteuerung11 die Besteuerung beim Einkünfteempfänger unabhängig davon erfolgt, ob und ggf. in welchem Umfang entsprechende Aufwendungen beim Leistenden Berücksichtigung finden (Trennungsprinzip). Von diesem Konzept der Individualbesteuerung und dem sich daraus ergebenden Trennungsprinzip wurde indessen praktisch nur bei Auslandssachverhalten abgewichen, so dass insoweit das gleichheitsrechtliche Folgerichtigkeitsgebot (Rz. 4.7) und damit Art. 3 Abs. 1 GG selbst verletzt ist.12 Soweit es schließlich um den Anwendungsbereich der abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien geht, bedeutet die in § 8b Abs. 2 Satz 3 KStG verankerte Korrespondenzklausel ein auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand stehendes Treaty-Overriding (Rz. 3.24 f.).

1 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 143c. 2 Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 137; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 146; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 8. 3 Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 8; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 137; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 145. 4 Erstmals anwendbar für Bezüge, die nach dem 31.12.2019 zufließen (Art. 34 Abs. 5 Satz 1 KStG). 5 Vgl. zu Einzelheiten Kahlenberg/Radmanesh, IWB 2021, 891. 6 Hierzu im Einzelnen Schaumburg in FS Frotscher, 503 ff. 7 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 146; vgl. auch Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 8; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 137. 8 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 146. 9 Zu diesem Aspekt der „Bereicherung“ Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 146. 10 BFH v. 6.6.2012 – I R 6/11, BFH/NV 2012, 1905 Rz. 23; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.22 ff. 11 Abgeleitet aus § 2 Abs. 1 EStG; BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608; Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 62. 12 Hierzu Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 7; Schaumburg in FS Frotscher, 2013, 503 (504 ff.).

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B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.154 Kap. 18

Zu den steuerfreien Bezügen gehören auch Sachdividenden1 sowie die Einlagerückgewähr,2 soweit sie seitens ausländischer Körperschaften erfolgt, wenn hierfür eine gesonderte Feststellung gem. § 27 Abs. 8 KStG nicht vorliegt (§ 27 Abs. 8 Satz 9 KStG).3 Vorgesehen ist eine derartige gesonderte Feststellung für die Einlagerückgewähr seitens Körperschaften oder Personenvereinigungen, die in einem ausländischen EU-Staat unbeschränkt steuerpflichtig sind (§ 27 Abs. 8 Satz 3 KStG). Damit sind Auskehrungen aus dem steuerlichen Einlagekonto auf Gesellschafterebene auch insoweit nicht steuerbar (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Im Hinblick darauf, dass die Grundfreiheiten auch für EWR-Gesellschaften gelten,4 ist § 27 Abs. 8 KStG insgesamt auch auf EWR-Gesellschaften entsprechend anzuwenden.5 Unter dem Gesichtspunkt der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) sind schließlich auch Drittlandsgesellschaften in den Regelungsbereich des § 27 Abs. 8 KStG einzubeziehen.6

18.152

Nicht zu den steuerbefreiten Bezügen zählen bei Pensions- und Wertpapierleihgeschäften Leihgebühren und Kompensationszahlungen. Die Steuerbefreiung erstreckt sich hier nur auf die vom Entleiher vereinnahmten Dividenden, soweit dieser wirtschaftlicher Eigentümer (§ 39 Abs. 1 AO) der Anteile ist (§ 20 Abs. 5 EStG).7 Das gilt für in- und ausländische Dividenden gleichermaßen. Für ausländische Dividenden wird die Steuerbefreiung allerdings in den Fällen suspendiert, in denen die ausschüttende Körperschaft in einem nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiet ansässig ist (§ 11 Abs. 1 StAbwG).8 Das gilt allerdings nicht, soweit bereits anderweitig Besteuerungsmaßnahmen nach dem StAbwG ergriffen worden sind (§ 11 Abs. 3 StAbwG).

18.153

Bezüge von ausländischen Rechtsträgern werden nur dann von der Steuerbefreiung erfasst, wenn diese nach dem maßgeblichen Typenvergleich (Rz. 7.7) einer deutschen Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse strukturell gleichsteht.9

18.154

1 Zu Einzelheiten Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 105, 193; BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a 7/03, BStBl. I 2003, 292, Rz. 22. 2 Zu Einzelheiten Dötsch in D/P/M, § 27 KStG Rz. 262 ff.; Berninghaus in H/H/R, § 27 KStG Rz. 160 ff.; ferner Rz. 7.37 ff. 3 Liegt eine gesonderte Feststellung gem. § 27 Abs. 8 KStG vor, greift § 8b Abs. 2 KStG ein, soweit die Auszahlungsbeträge nach steuerneutraler Verrechnung gegen den Beteiligungsbuchwert denselben übersteigen; Dötsch in D/P/M, § 27 KStG Rz. 19; Frotscher in F/D, § 8b KStG Rz. 62 ff.; BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292, Rz. 6; für Steuerpflicht nach steuerneutraler Verrechnung Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 106; offengelassen vom BFH v. 28.10.2009 – I R 116/08, BStBl. II 2011, 898. 4 EFTA-Gerichtshof v. 23.11.2004 – E - 1/04 k, IStR 2005, 55 – Fokus Ban; v. 7.5.2008 – E - 7/07, IStR 2009, 315 – Seabrokers; v. 3.10.2012 – E - 15/11, IStR 2013, 195 – Arcade Drilling; Reimer in Schaumburg/Englisch2, Rz. 7.7. 5 Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 41; Dötsch in D/P/M, § 27 KStG Rz. 266; Berninghaus in H/H/R, § 27 KStG Rz. 164. 6 BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, DStR 2016, 2395; einschränkend nachfolgend BFH v. 10.4.2019 – I R 15/16, BFH/NV 2019, 1312 dahingehend, dass Drittlandsgesellschaften nicht bessergestellt werden; vgl. hierzu Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 41; Wacker, FR 2019, 907; Baumgartner, DStR 2019, 2393; Kahlenberg/Erdem, IStR 2020, 19; Oppel, IStR 2020, 46 (52 f.). 7 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 108; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 41; BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292, Rz. 9. 8 Gesetz zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb und zur Änderung weiterer Gesetze v. 25.6. 2021 (BGBl. I 2021, 2096). 9 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 115.

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Kap. 18 Rz. 18.155 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

c) Rechtsfolge

18.155

Obwohl § 8b Abs. 1 KStG anordnet, dass die dort genannten Bezüge bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben, setzt die Steuerfreistellung bereits bei der Einkünfteermittlung an, so dass sie insoweit den Charakter einer sachlichen Steuerbefreiung hat.1 Hierdurch kann auch die internationale Doppelbesteuerung vermieden werden. Das gilt im Grundsatz auch für Ausschüttungen seitens ausländischer Rechtsträger, soweit hierfür Hinzurechnungsbeträge (§ 10 Abs. 2 AStG) der Körperschaftsteuer unterliegen (§ 11 AStG).2

18.156

Da die Doppelbesteuerung wegen der in § 8b Abs. 5 KStG verankerten 5 %-Klausel sowie wegen der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG im Ergebnis durch § 8b Abs. 1 KStG nicht vollständig vermieden werden kann, ist in den Fällen, in denen der Hinzurechnungsbetrag (§ 10 Abs. 2 AStG) zuvor bereits der Körperschaftsteuer unterlag,3 Billigkeitsmaßnahmen so zur Geltung zu bringen, dass weder § 8b Abs. 5 KStG noch § 8 Nr. 5 GewStG eingreifen.4 Gleiches gilt im Hinblick auf die in § 8b Abs. 4 KStG geregelte Steuerpflicht für Streubesitzdividenden: Diese führt zu einer voll umfänglichen Doppelbesteuerung, so dass auch insoweit Billigkeitsmaßnahmen geboten sind.5

18.157

Die Suspendierung der Steuerbefreiung für sog. Streubesitzdividenden (§ 8b Abs. 4 KStG)6 führt dazu, dass Bezüge steuerpflichtig sind, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 %7 des Grund- oder Stammkapitals betragen hat (§ 8b Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 KStG). Diese Regelung gilt für Inlands- und Auslandsbeteiligungen unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften8 gleichermaßen, wobei für Auslandsdividenden eine Anrechnung ausländischer Quellensteuer gem. § 26 KStG i.V.m. § 34c EStG (Rz. 18.57 ff.) in Betracht kommt. Eine Ungleichbehandlung zum Nachteil beschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften beruht allerdings darauf, dass diese den Kapitalertragsteuerabzug auf Bruttobasis (§§ 32 Abs. 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 50 Abs. 2 1 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 140; M. Frotscher in Frotscher/Drüen, § 8b KStG Rz. 19 f. 2 Vgl. auch § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG, der bis zum Veranlagungszeitraum 2021 anzuwenden ist (§ 52 Abs. 4 Satz 15 EStG). 3 Gem. § 10 Abs. 2 Satz 3 AStG kommt § 8b Abs. 1 KStG nicht zur Anwendung (Rz. 13.205). 4 Vgl. zum alten Recht R 32 Abs. 1 Nr. 1 KStR; hierzu FG Bremen v. 15.10.2015 – 1 K 4/15 (5), ISR 2016, 169 m. Anm. Weiss; Schönfeld in F/W/B/S, § 3 Nr. 41 EStG Rz. 59 ff.; M. Frotscher in Frotscher/Drüen, § 8b KStG Rz. 77; Otto, Die Besteuerung von gewinnausschüttenden Körperschaften und Anteilseignern nach dem Halbeinkünfteverfahren, 417 f.; Lieber, FR 2002, 139 (142); Köhler, DStR 2005, 227 (230), Kollruss/Schrey/Benten, GmbHR 2013, 684 (687), die § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG a.F. aus systematischen Gründen bzw. im Wege teleologischer Reduktion zur Anwendung bringen wollen; dagegen Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 25 ff.; Rättig/Protzen, IStR 2004, 625 (634). 5 Vgl. Moser, Ubg. 2014, 263 (264 f.); Melkonyan/Kudert, Ubg. 2015, 132 (135 f.); a.A. Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 287e, 25a, b. 6 § 8b Abs. 4 KStG wurde durch das „Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils v. 20.10.2011 in der Rechtssache C-284/09 v. 21.3.2013“ (BGBl. I 2013, 561) eingefügt. 7 Vgl. die 10 %-Grenze in § 43b Abs. 2 Satz 1 EStG, wonach aufgrund der MTRL auf Antrag keine Kapitalertragsteuer zu erheben ist. 8 Der EuGH v. 20.10.2011 – C-284/09, ECLI:EU:C:2011:670 = Slg. 2011, I-9879 – KOM/Deutschland hatte die Besteuerung von Ausschüttungen an beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften als Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) beanstandet, weil im Unterschied zu unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften die Kapitalertragsteuer trotz § 8b Abs. 1 KStG gem. § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG definitiv ist; vgl. zu Einzelheiten Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 8; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 287 ff.

716 | Schaumburg

B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.160 Kap. 18

Satz 1 EStG) ohne Option zur Veranlagung und damit zur Nettobesteuerung hinzunehmen haben.1 Im Übrigen verstößt § 8b Abs. 4 KStG, der von dem für § 8b Abs. 1 KStG maßgeblichen Konzept der Vermeidung der (wirtschaftlichen) Doppelbesteuerung (Rz. 18.143) abweicht, gegen das gleichheitsrechtliche Gebot der Folgerichtigkeit (Rz. 4.7).2 Die für die Steuerpflicht von Streubesitzdividenden maßgebliche Beteiligung verlangt eine unmittelbare Beteiligung am Vermögen von weniger als 10 %. Das bedeutet einerseits, dass unmittelbare und mittelbare Beteiligungen grundsätzlich nicht zusammen zu rechnen und Stimmrechte unbeachtlich sind.3 Was die Beteiligungshöhe anbelangt, wird auf den Beginn des Kalenderjahres abgestellt, wobei ausnahmsweise der spätere Ersterwerb einer Beteiligung von mindestens 10 % auf den Beginn des Kalenderjahres bezogen wird.4 Im Übrigen ist daher stets die zum Stichtag tatsächliche Beteiligungsquote maßgeblich,5 so dass etwa auch § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG, wonach bei der Verschmelzung von Körperschaften die Anteile an der übernehmenden Körperschaft steuerlich an die Stelle der Anteile an der übertragenden Körperschaft treten,6 keine Anwendung findet (§ 8b Abs. 4 Satz 2 KStG).

18.158

Die Steuerbefreiung gilt ferner nicht für Wertpapier- und Finanzdienstleistungsinstitute, bei denen die Anteile dem Handelsbestand i.S.d. § 340e HGB zuzuordnen sind (§ 8b Abs. 7 Satz 1 KStG). Gleiches gilt für bestimmte Finanzunternehmen, die die Anteile als Umlaufvermögen auszuweisen haben (§ 8b Abs. 7 Satz 2 KStG). Die vorstehende Regelung gilt für in- und ausländische Finanzunternehmen gleichermaßen.7

18.159

Die Suspendierung der Steuerbefreiung für Bezüge durch § 8b Abs. 7 KStG entspricht der Zielrichtung, nur solche in- und ausländischen Kapitalanteile zu erfassen, die auf Dauer wie Anlagevermögen dem Betriebsvermögen gewidmet sind.8 In Orientierung an dieser Zielsetzung können durch den Ausschluss der Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG als Finanzunternehmen auch Holding-, Factoring-, Leasing-, Anlageberatungs- und Unternehmensberatungsgesellschaften sowie vermögensverwaltende Gesellschaften erfasst sein, soweit an ihnen Wertpapierinstitute oder Finanzdienstleistungsinstitute unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 50 % beteiligt sind.9

18.160

1 Vgl. EuGH v. 12.6.2003 – C-234/01, ECLI:EU:C:2003:340 = Slg. 2003, I-5933 – Gerritse; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 8; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 287a; Herlinghaus, FR 2013, 529 (532); Hey, KSzW 2013, 353 (358); Wiese/Lang, GmbHR 2013, 404. 2 Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 7; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 84, 435; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 287b. 3 Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 129 ff.; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 288a f. 4 Ob Veränderungen im Übrigen zu berücksichtigen sind, ist streitig; zu Einzelheiten Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 288d f. 5 Anders die in den Fällen der Wertpapierleihe in § 8b Abs. 4 Satz 3 KStG verankerte Missbrauchsvermeidungsregel; vgl. hierzu Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 134 m.w.N. 6 Sog. Fußstapfentheorie. 7 Vgl. BMF v. 25.7.2002 – IV A 2 - S 2750a - 6/02, BStBl. I 2002, 712. 8 Kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG; so auch Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 510, Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 597; Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 352; Pyszka/Brauer, BB 2002, 1669 (1673); Jacob/Scheifele, IStR 2009, 304 (309). 9 BFH v. 14.1.2009 – I R 36/08, BStBl. II 2009, 271; v. 12.10.2011 – I R 4/11, BFH/NV 2012, 453; v. 26.10.2011 – I R 17/11, BFH/NV 2012, 613; v. 15.6.2009 – I B 46/09, BFH/NV, 2009, 1843; v. 12.10.2010 – I B 105/11, BFH/NV 2011, 69; BMF v. 25.7.2002 – IV A 2 - S 2750a - 6/02, BStBl. I 2002, 712 unter C.I.; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 563; M. Frotscher in F/D, § 8b KStG Rz. 571 ff.

Schaumburg | 717

Kap. 18 Rz. 18.161 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

18.161

Die Steuerfreistellung von Bezügen entfällt auch in den Fällen, in denen Lebens- und Krankenversicherungsgesellschaften sowie Pensionsfonds Anteile an in- oder ausländischen Körperschaften halten (§ 8b Abs. 8 KStG). Erfasst werden nur solche Unternehmen, die der Versicherungsaufsicht unterliegen.1 Die Ausnahme von der Steuerfreistellung zielt darauf ab, den vorgenannten Unternehmen, die in- und ausländische Kapitalanteile als Kapitalanlage2 im Interesse der Versicherten halten, entgegen § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG eine steuerwirksame Teilwertabschreibung auf Anteile zu ermöglichen.3 Eine Rückausnahme ist indessen in Orientierung an Art. 4 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie4 in § 8b Abs. 9 KStG enthalten, so dass insoweit für entsprechende Bezüge aus dem EU-/EWR-Bereich die Steuerfreiheit gem. § 8b Abs. 1 KStG erhalten bleibt. Hieraus ergibt sich, dass letztlich der Ausschluss für die Steuerbefreiung nur für inländische Bezüge und Bezüge aus Drittstaaten gilt, wobei es keine Rolle spielt, ob die Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen bzw. Pensionsfonds unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sind.5

18.162

Die auf die Suspendierung der Steuerfreiheit gerichteten Sonderregelungen in § 8b Abs. 7 und 8 KStG gelten allerdings nicht in jenen Fällen, in denen die betreffenden Bezüge als Dividenden abkommensrechtlich steuerfrei gestellt sind.6

18.163

Die Steuerfreistellung entfällt schließlich auch nicht in den Fällen der Wertpapierleihe und der Wertpapierpensionsgeschäfte. § 8b Abs. 10 KStG enthält hierzu zwar eine gegen Steuerumgehung gerichtete Sonderregelung,7 diese setzt aber nicht bei der Steuerfreiheit der vereinnahmten Bezüge, sondern bei den Leihgebühren und gleich gestellten Entgelten an, deren Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen wird (§ 8b Abs. 10 Sätze 1 u. 2 KStG). Betroffen sind hierdurch zur Inanspruchnahme der Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1 u. 2 KStG berechtigte Körperschaften, die im Rahmen einer Wertpapierleihe oder eines Wertpapierpensionsgeschäftes Kapitalanteile von Körperschaften übernehmen, die wegen § 8b Abs. 4, 7 oder 8 KStG die Steuerfreiheit nicht beanspruchen können. Zu einem Fortfall der Steuerbefreiung kann es allerdings in Anwendung von § 42 AO bei Gestaltungen kommen, die ihrerseits auf eine Umgehung des § 8b Abs. 10 KStG abzielen.8

18.164

Als weitere Rechtsfolge der für in- und ausländische Bezüge geltenden Steuerbefreiung (§ 8b Abs. 1 KStG) ergibt sich aus § 8b Abs. 5 KStG ein pauschalierter Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs.9 Hiernach gelten 5 % der Bezüge als Ausgaben, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. Das bedeutet im Ergebnis, dass stets nur 95 % der in- oder auslän1 Für ausländische Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen reicht es aus, dass sie einer vergleichbaren Versicherungsaufsicht unterliegen; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 237; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 612. 2 RechVersV v. 8.11.1994, BGBl. I 1994, 3378. 3 Hierzu Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 610; kritisch zu dieser Sonderregelung Kiehne, Grundrechte und Steuerordnung in der Rechtsprechung des BVerfG, 34 ff.; zu unionsrechtlichen Problemen Johannemann/Herr, ISR 2012, 94 (100); Jasper/Stark, IStR 2013, 554 (556); S. Klein, Ubg 2019, 44. 4 RL 2011/96/EU v. 30.11.2011 (ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8). 5 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 612. 6 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 598; Wagner, DK 2006, 609 (615); Lorenz, IStR 2009, 437 (440); vgl. auch BFH v. 14.1.2009 – I R 47/08, BFH/NV 2009, 854. 7 Zu diesem Regelungszweck im einzelnen Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 631; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 253; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 597. 8 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 666. 9 Für Steuerbesitzdividenden (Beteiligung < 10 %) gilt § 8b Abs. 5 KStG nicht (§ 8b Abs. 4 Satz 7 KStG).

718 | Schaumburg

B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.167 Kap. 18

dischen Bezüge steuerfrei sind, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob tatsächlich Betriebsausgaben in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den steuerfreien Bezügen entstanden sind.1 § 3c Abs. 1 EStG ist daneben nicht anwendbar (§ 8b Abs. 5 Satz 2 KStG). Da die 5 %-Klausel des § 8b Abs. 5 KStG auf jeder Beteiligungsstufe eingreift, ergibt sich bei einem mehrstufigen Konzern ein (negativer) Kaskadeneffekt,2 so dass die Steuerfreistellung für Bezüge hierdurch stark eingeschränkt wird. Dieser Kaskadeneffekt kann im Inland im Wesentlichen nur durch Begründung eines Organschaftsverhältnisses und im Ausland durch eine dort thesaurierende Holdinggesellschaft vermieden werden.3

18.165

Die Fiktion von 5 % nicht abziehbarer Betriebsausgaben (Schachtelstrafe) führt in den Fällen zu einem Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip,4 in denen geringere oder gar keine Betriebsausgaben angefallen sind.5 Das BVerfG hat indessen die pauschalierende Schachtelstrafe bei einem einstufigen Beteiligungsaufbau unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG akzeptiert.6 Bei einem mehrstufigen Beteiligungsaufbau (Kaskadeneffekt) wird allerdings die Grenze, bis zu der die pauschalierende Schachtelstrafe zulässig ist, überschritten. Die hierdurch bewirkte steuerliche Höherbelastung betrifft nicht nur die Körperschaftsteuer, sondern über § 7 Satz 1 GewStG auch die Gewerbesteuer, die bei Fremdfinanzierung wegen der Hinzurechnung (§ 8 Nr. 1 GewStG) zusätzlich einen Doppelbelastungseffekt auslösen kann.7

18.166

§ 8b Abs. 5 KStG bezieht sich auf jene Bezüge, die als Bruttobeträge gem. § 8b Abs. 1 KStG freigestellt sind. Damit werden auch nach Abkommensrecht steuerfreie Dividenden erfasst. Diese Rechtsfolge beruht darauf, dass zum einen § 8b Abs. 1 KStG gegenüber den in den DBA verankerten internationalen Schachtelprivilegien (Rz. 19.545 ff.), die ebenfalls nur Bruttobeträge freistellen, vorrangig zur Anwendung kommt (Rz. 19.546) und zum anderen darauf, dass die DBA in diesem Zusammenhang keine Regeln über den Betriebsausgabenabzug enthalten.8

18.167

1 Diese Regelung beruht auf der MTRL: Richtlinie des Rates vom 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (2011/96/EU), ABl. EU Nr. L 345 v. 29.12.2011 (zuletzt geändert durch Richtlinie 2015/121/EU des Rates v. 27.1.2015, ABl. EU 2015 Nr. L 21, 1), wonach im Zusammenhang mit der Beteiligung stehende Verwaltungskosten pauschal mit höchstens 5 % der von der Tochtergesellschaft abgezogenen Gewinne festgesetzt werden darf; vgl. Rz. 3.72. 2 Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 470; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 452; Rödder, WPg-Sonderheft 2003, 179 (186); Rödder/Schumacher, DStR 2003, 1725 (1727); Rogall, DB 2003, 2185 ff.; Dötsch/Pung, DB 2004, 151 (154). 3 Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 192; Kaminski/Strunk, BB 2004, 689 (693 ff.); Dötsch/Pung, DB 2004, 151 (154.). 4 Ob das objektive Nettoprinzip Verfassungsrang hat, hat das BVerfG bislang offengelassen; vgl. BVerfG v. 9.12.2009 – 2 BvL 1, 2/07, 2/08, BVerfGE 122, 210 (234); v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 (121). 5 Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 7; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 11.42. 6 BVerfG v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224; ebenso BFH v. 18.12.2019 – I R 29/17, BFH/NV 2020, 1188; zur Kritik Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 7; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 85; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 11.42; Lammers, DStZ 2011, 483; Krug, DStR 2011, 598. 7 Hierzu Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 452. 8 BFH v. 29.8.2012 – I R 7/12, BStBl. II 2013, 89, v. 22.9.2016 – I R 29/15, BFH/NV 2017, 324; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 483; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 189; Gosch in FS Herzig, 2010, 63 (85 ff.); a.A. z.B. Hageböke, IStR 2009, 473; Kraft/Gebhardt/Quilitzsch, FR 2011, 593.

Schaumburg | 719

Kap. 18 Rz. 18.168 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

18.168

Trotz der in § 8b Abs. 1 KStG verankerten Steuerfreistellung für Bezüge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG ordnet § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG den Einbehalt von Kapitalertragsteuer i.H.v. grundsätzlich 25 % (§ 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG) an. Soweit für unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Körperschaftsteuersubjekte eine Körperschaftsteuerveranlagung durchzuführen ist, wird die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer auf die festgesetzte Körperschaftsteuer angerechnet (§ 36 Abs. 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 KStG). Ggf. ist die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer zu erstatten (§ 37 Abs. 2 AO).

18.169

Eine Anrechnung oder gar Erstattung der trotz Freistellung (§ 8b Abs. 1 KStG) einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer bleibt allerdings in den Fällen grundsätzlich versagt, in denen die Kapitalertragsteuer abgeltende Wirkung erzeugt (§ 32 Abs. 1 KStG). Diese Abgeltungswirkung greift insbesondere bei beschränkter Steuerpflicht ein (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG; zum Problem der Abgeltungswirkung [Rz. 6.134 ff.]).1

18.170

Eine Abgeltungswirkung entfällt ausnahmsweise dann, wenn die steuerpflichtigen Kapitalerträge in einer inländischen Betriebsstätte des beschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Rechtsträgers angefallen sind. Hierzu gehört auch der Fall, dass ein beschränkt körperschaftsteuerpflichtiger Rechtsträger an einer in- oder ausländischen Personengesellschaft beteiligt ist, die ihrerseits im Inland eine Betriebsstätte unterhält (Rz. 6.268). Voraussetzung ist allerdings stets, dass die Kapitalanteile in einem funktionalen Zusammenhang mit einer in der inländischen Betriebsstätte ausgeübten Tätigkeit des beschränkt steuerpflichtigen Rechtsträgers stehen.

18.171

Der in § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG trotz Steuerfreistellung (§ 8b Abs. 1 KStG) angeordnete Kapitalertragsteuereinbehalt auch für Bezüge i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG2 unterbleibt allerdings unter den Voraussetzungen des § 43b EStG. Diese Vorschrift beseitigt die internationale Doppelbesteuerung von Gewinnausschüttungen, die eine inländische Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft vornimmt. Es handelt sich hierbei um die Umsetzung der Mutter-Tochter-Richtlinie.3 Im bilateralen Verhältnis wird die Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung dadurch erreicht, dass der EU-Mitgliedstaat, in dem die Tochtergesellschaft ansässig ist, auf die Erhebung der Quellensteuer auf Gewinnausschüttungen an die Muttergesellschaft verzichtet und der EU-Mitgliedstaat, in dem die Muttergesellschaft ansässig ist, entweder die von der Tochtergesellschaft bezogenen Dividenden von der Steuer freistellt oder für die im Staat der Tochtergesellschaft erhobene Körperschaftsteuer die indirekte Steueranrechnung gewährt.

18.172

Adressat der auf Antrag zu gewährenden Freistellung von der Kapitalertragsteuer sind beschränkt steuerpflichtige, in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften geführte Muttergesellschaften,4 soweit sie in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässig sind.5 Entsprechendes gilt 1 Vgl. zu verfassungs- und unionsrechtlichen Problemen der Abgeltungswirkung Schaumburg, ISR 2021, 135. 2 Gebilligt durch BFH v. 22.4.2009 – I R 53/07, BFH/NV 2009, 1543. 3 RL 2011/96/EU v. 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8 (MTR), zuletzt geändert durch RL 2015/121/EU v. 27.1.2015, ABl. EU 2015 Nr. L 21, 1; vgl. zur MTR Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 14.1 ff. 4 Vgl. Anl. 2 zum EStG. 5 Inländische Muttergesellschaften sind, weil bei ihnen vom Kapitalertragsteuerabzug grundsätzlich nicht abgesehen werden kann (Ausnahme: Dauerüberzahler gem. § 44a Abs. 5 EStG), schlechter gestellt: Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG: Intemann in H/H/R, § 43b EStG Rz. 3; Frase/Ballwieser, DB 2010, 1366 (1368).

720 | Schaumburg

B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.175 Kap. 18

für Ausschüttungen an eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte der Muttergesellschaft, und zwar auch dann, wenn Mutter- und Tochtergesellschaft unbeschränkt steuerpflichtig sind. Dies setzt voraus, dass die Anteile an der (inländischen) Tochtergesellschaft dieser Betriebsstätte als Betriebsvermögen zuzurechnen sind, was nur bei einem funktionalen Zusammenhang mit einer in dieser Betriebsstätte ausgeübten Tätigkeit der Muttergesellschaft möglich ist. Voraussetzung für die Freistellung von der Kapitalertragsteuer ist zudem, dass die Muttergesellschaft mit mindestens 10 % unmittelbar am Kapital der Tochtergesellschaft beteiligt ist (§ 43b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG). Die Freistellung erfolgt mittels einer Freistellungsbescheinigung, die seitens des BZSt erteilt wird (§ 50c Abs. 2 Nr. 1 EStG).

2. Steuerfreie Veräußerungsgewinne a) Rechtfertigung § 8b Abs. 2 KStG, der Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen freistellt, liegt auf der gleichen Wertungsebene wie § 8b Abs. 1 KStG, so dass es auch hier im Wesentlichen darum geht, körperschaftsteuerliche Doppel- und Mehrfachbelastungen zu vermeiden. Ausgehend davon, dass Veräußerungsgewinne auf der Auflösung offener Rücklagen und der Realisierung stiller Reserven beruhen, ist deren Steuerfreistellung in Ergänzung zu § 8b Abs. 1 KStG folgerichtig.1 Das gilt jedenfalls in den Fällen uneingeschränkt, in denen der Veräußerungsgewinn durch offene Rücklagen, die bereits mit Körperschaftsteuer vorbelastet sind, abgebildet wird. Erfasst der Veräußerungsgewinn auch stille Reserven, so sind diese zwar nicht steuerlich vorbelastet, sie lösen aber auf der Ebene der Gesellschaft, deren Anteile veräußert werden, zukünftige Steuerbelastungen aus. Unter diesem Gesichtspunkt vermeidet § 8b Abs. 2 KStG eine zukünftige körperschaftsteuerliche Doppel- und Mehrfachbelastung.2

18.173

Werden Kapitalanteile an ausländischen Rechtsträgern veräußert, dient die Steuerfreistellung gem. § 8b Abs. 2 KStG auch der Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung. Soweit für derartige Veräußerungsgewinne auch eine abkommensrechtliche Freistellung (Art. 13 Abs. 2, 5 OECD-MA; Rz. 19.385 ff., 19.399 ff.) eingreift, sind im Ergebnis beide Steuerbefreiungen nebeneinander anwendbar. Im Hinblick darauf, dass etwa Art. 13 Abs. 5 OECD-MA als vollständige Verteilungsnorm (Rz. 19.399) das Wohnsitzstaatsprinzip verwirklicht, überlagern sich beide Steuerbefreiungen im Wesentlichen bei beschränkter Körperschaftsteuerpflicht der veräußernden Körperschaft oder Personenvereinigung. Soweit sich die Anwendungsbereiche von § 8b Abs. 2 KStG einerseits und der abkommensrechtlichen Steuerfreistellung (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA) andererseits decken, kommt der pauschalierte Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs gem. § 8b Abs. 3 KStG zur Anwendung mit der Folge, dass § 3c Abs. 1 EStG stets suspendiert bleibt (§ 8b Abs. 3 Satz 2 KStG).

18.174

b) Anwendungsvoraussetzungen Normadressaten der in § 8b Abs. 2 KStG verankerten Steuerfreistellung sind die in § 1 Abs. 1 KStG aufgeführten Körperschaften und Personenvereinigungen, zu denen auch nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften gehören (Rz. 7.7). Ob die vorgenannten

1 Im Einzelnen Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 62; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 3, 150; Rödder/Schumacher, DStR 2003, 909; Eilers/Schmidt, GmbHR 2003, 613 (614); Scheffler, DB 2003, 680; Schreiber/Rogall, BB 2003, 497. 2 Kritisch zu dieser Steuerbefreiung Romswinkel, GmbHR 2002, 1059; Seer/Drüen, GmbHR 2002, 1093 (1099); Pezzer, DStJG 25 (2002), 37 (56 f.).

Schaumburg | 721

18.175

Kap. 18 Rz. 18.175 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Rechtsträger unbeschränkt oder beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind, spielt keine Rolle.

18.176

Erfasst werden Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an in- und ausländischen Körperschaften oder Personenvereinigungen, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG gehören (§ 8b Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 KStG). Darüber hinaus werden auch Anteile an nachgeschalteten Organgesellschaften erfasst (§ 8b Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 KStG). Da § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG nicht auf die Veräußerung von Anteilen an anderen Körperschaften und Personenvereinigungen abstellt, werden auch eigene Anteile einbezogen, soweit sie verkehrsfähig sind.1 Als Anteile werden auch Genussrechte qualifiziert, soweit diese ein Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös vermitteln.2 Dies gilt indessen nicht für Bezugsrechte.3

18.177

Da § 8b Abs. 2 KStG nicht entnommen werden kann, was unter einer Veräußerung zu verstehen ist, kann auf die diesbezügliche Rechtsprechung zu § 17 EStG4 zurückgegriffen werden.5 Dementsprechend werden als Veräußerungen alle entgeltlichen Rechtsgeschäfte qualifiziert, die auf die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an Anteilen gerichtet sind. Hierzu gehört auch der Tausch und somit auch die Einbringung von Kapitalanteilen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten.6 In Orientierung am Sinn und Zweck des § 8b Abs. 2 KStG sind von dessen Reichweite überhaupt alle anteilsbezogenen gewinnrealisierenden Vorgänge zu erfassen, so dass auch Gewinne aus der Auflösung, der Kapitalherabsetzung oder Wertaufholung, aus der Entstrickung, aus der verdeckten Einlage und der Auflösung passiver Ausgleichsposten sowie umwandlungsbedingte Übertragungsgewinne steuerfrei sind.7 Ob die Gewinne im In- oder Ausland anfallen, ist unerheblich.8

18.178

§ 8b Abs. 2 KStG erfasst auch den Fall, dass Kapitalanteile Gegenstand einer verdeckten Einlage (Rz. 21.151 ff.) sind: Soweit es durch den Teilwertansatz (§ 6 Abs. 6 Satz 2 EStG) zu einer Aufdeckung stiller Reserven kommt, greift wie bei der Veräußerung die Steuerbefreiung ein (§ 8b Abs. 2 Satz 6 KStG). Entsprechendes gilt, wenn Kapitalanteile etwa durch eine Kapitalgesellschaft an ihre Gesellschafter unter Teilwert veräußert werden. Die hierdurch bewirkte verdeckte Gewinnausschüttung (verhinderte Vermögensmehrung), die zu einer Einkünfteer-

1 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 163a; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 64; Pung in D/P/M, § 8b Rz. 129b. 2 BFH v. 14.8.-2019 – I R 44/17, BStBl. II 2019, 577 Rz. 35 ff.; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 162. 3 BFH v. 23.1.2008 – I R 101/06, BStBl. II 2008, 719; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 162; Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 121; BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292, Rz. 24; anders zu § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG; BFH v. 27.10.2005 – IX R 15/05, BStBl. II 2006, 171; hierzu Gosch in FS Herzig, 63 (64); BMF v. 20.12.2005 – IV B 2 - S 2242 - 18/05, BStBl. I 2006, 8. 4 § 17 EStG enthält freilich ebenfalls keine Begriffsdefinition. 5 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 181; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 63; Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 161. 6 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 183, 186; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 63; Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 169. 7 BMF v. 28.4.2003, BStBl. I 2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, 292, Tz. 14, 16, 23; v. 11.11.2011 – IV C 2 – S 1978, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 00.02 f.; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 63; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 188. 8 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 194a; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 66.

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B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.181 Kap. 18

höhung führt, ist im Ergebnis steuerfrei.1 Angesprochen sind damit u.a. grenzüberschreitende Unterpreisveräußerungen. Steuerfrei sind ferner Sachdividenden, soweit Ausschüttungsgegenstand Kapitalanteile sind: Führen die Sachdividenden zu einer Realisation stiller Reserven, greift § 8b Abs. 2 KStG ein.2 Unter § 8b Abs. 2 KStG fällt auch die Einlagerückgewähr, wenn hierfür eine gesonderte Feststellung gem. § 27 Abs. 8 KStG vorliegt und die Auszahlungsbeträge nach steuerneutraler Verrechnung gegen den Beteiligungsbuchwert denselben übersteigen.3 Schließlich erfasst § 8b Abs. 2 KStG auch fiktive Veräußerungsgewinne, die im Zuge einer Entstrickung etwa gem. § 12 Abs. 1 KStG (Rz. 7.48 ff.) anfallen.4 Aufgrund der in § 8b Abs. 2 Satz 3 KStG verankerten Sonderregelung werden u.a. Gewinne aus der Auflösung den Veräußerungsgewinnen gleichgestellt. Angesprochen ist damit vor allem der Fall, dass im Zuge der Auflösung der beteiligten Gesellschaft Anteile an nachgeschalteten in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften veräußert werden.5 Zu diesen Auflösungsgewinnen zählen auch solche aufgrund der Verlegung des Sitzes oder des Ortes der Geschäftsleitung in einen Drittstaat, wenn hierdurch die wegziehende Kapitalgesellschaft aus der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht ausscheidet (§ 12 Abs. 3 KStG)6. Schließlich entstehen Auflösungsgewinne auch im Zuge der Verschmelzung und der Auf- und Abspaltung von Kapitalgesellschaften (§§ 13 Abs. 1, 15 Abs. 1 i.V.m. §§ 11 UmwStG; zu Einzelheiten Rz. 20.29 ff.).

18.179

c) Rechtsfolge § 8b Abs. 2 KStG ist eine sachliche Steuerbefreiung, die bei der Einkünfteermittlung bilanzierender Körperschaften und Personenvereinigungen durch außerbilanzielle Kürzung des Bilanzgewinns zu berücksichtigen ist.7

18.180

Die Steuerbefreiung gilt gem. § 8b Abs. 2 Satz 4 KStG freilich nicht bei vorangegangener steuerwirksamer Teilwertabschreibung, soweit die Gewinnminderung nicht durch Ansatz eines höheren Wertes ausgeglichen worden ist (Wertaufholung) und zudem nicht, soweit der niedrigere Buchwert auf die Übertragung einer Rücklage nach § 6b EStG oder ähnliche Abzüge zurückzuführen ist (§ 8b Abs. 2 Satz 5 EStG).

18.181

1 BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292, Rz. 21; zur Begründung im Einzelnen Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 189 ff.; Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 133; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 99. 2 BFH v. 11.4.2018 – I R 34/15, BStBl. II 2020, 201; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 193; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 99; M. Frotscher in F/D, § 8b KStG Rz. 187; Haun/Winkler, GmbHR 2002, 192 (194); in Höhe des Buchwertes ist eine unter § 8b Abs. 1 KStG fallende offene Gewinnausschüttung und hinsichtlich der stillen Reserven eine vGA gegeben; zu Einzelheiten Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 193. 3 Pung in D/P/M § 8b Rz. 387; M. Frotscher in F/D, § 8b KStG Rz. 63a; Intemann, NWB 2010, 2295 (2298); BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292, Rz. 6; a.A. Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 106, wonach § 8b Abs. 2 KStG auf die den Beteiligungsbuchwert übersteigenden Rückzahlungsbeträge nicht anwendbar sein soll; offengelassen von BFH v. 28.10.2009 – I R 116/ 08, BStBl. II 2011, 898 und v. 10.4.2019 – I R 15/16, DStR 2019, 1917. 4 Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 190; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 194a; Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 189 f. 5 BFH v. 30.5.2018 – I R 31/16, BStBl. II 2019, 136; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 211. 6 In der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung (§ 34 Abs. 6d KStG). 7 Vgl. R. 7.1 Satz 2 KStR.

Schaumburg | 723

Kap. 18 Rz. 18.182 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

18.182

Gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG wird die Steuerfreiheit im Ergebnis auf 95 % reduziert, weil 5 % pauschal als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben fingiert werden (Rz. 18.164 ff.).1 § 3c Abs. 1 EStG findet keine Anwendung (§ 8b Abs. 3 Satz 2 KStG). Das 5%ige Abzugsverbot, das auch in den Fällen zur Anwendung kommt, in denen überhaupt keine Betriebsausgaben entstanden sind (Rz. 18.166), knüpft an den Veräußerungsgewinn als Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten und dem Buchwert im Zeitpunkt der Veräußerung an (§ 8b Abs. 2 Satz 2 KStG).2 Da die Pauschalierung der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben zusätzlich zu der aus der Steuerbefreiung folgenden Nichtabzugsfähigkeit der tatsächlich entstandenen Veräußerungskosten erfolgt, sind im Ergebnis die Veräußerungskosten partiell einem doppelten Abzugsverbot unterworfen.3

18.183

Das vorstehende Abzugsverbot gilt auch für beschränkt steuerpflichtige Körperschaften und Personenvereinigungen, und zwar nur dann, wenn die Veräußerungsgewinne im Rahmen einer inländischen Betriebsstätte erzielt werden (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). In diesem Fall handelt es sich um Einkünfte aus Gewerbebetrieb, für die § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG uneingeschränkt zur Anwendung kommt.4 Ob insoweit (auch) die abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien eingreifen, spielt keine Rolle (Rz. 18.167).

18.184

Nicht anzusetzen sind Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit den in § 8b Abs. 2 KStG genannten Anteilen entstehen (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG).5 Durch diese Regelung wird im Wege der Typisierung sichergestellt, dass Substanzverluste ebenso wie Substanzgewinne steuerlich unberücksichtigt bleiben.6 Diese Regelungssymmetrie7 ist indessen nicht durchgängig gewährleistet, weil einerseits die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne nur vorläufig ist und suspendiert wird, sobald natürliche Personen die Anteile veräußern und andererseits der Vermögensverlust endgültig wirkt.8 Diese Nichtberücksichtigung von Substanzverlusten ist mit dem objektiven Nettoprinzip (Rz. 4.7; 6.134 ff.) unvereinbar und somit wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig.9 Betroffen sind vor allem Gewinnminderungen durch

1 BFH v. 11.4.2018 – I R 34/15, BStBl. II 2020, 201: kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Az. BVerfG: 2 BvR 2664/18). 2 Bezugsgröße für die Pauschalierung ist also ein Nettobetrag; Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 277; Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 176. 3 Zu diesem Systemverstoß Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 277; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 283; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 103; Frischmuth, Ubg 2009, 264 (266 f.); kein Verfassungsverstoß: BVerfG v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224; ebenso BFH v. 18.12.2019 – I R 29/17, BFH/NV 2020, 1188; und keine teleologisch einschränkende Auslegung: BFH v. 9.4.2014 – I R 52/12, BStBl. II 2014, 861; v. 15.6.2016 – I R 64/14, BStBl. II 2017, 182 Rz. 21. 4 BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl. II 2018, 144; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 103; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 281a; Rengers in Brandis/Heuermann, § 8b KStG Rz. 263; a.A. Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 178. 5 Es erfolgt insoweit eine außerbilanzielle Hinzurechnung; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 278a; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 106. 6 Vgl. BFH v. 9.1.2013 – I R 72/11, BStBl. II 2013, 343, Rz. 9; v. 12.3.2014 – I R 87/12, BStBl. II 2014, 859. 7 Hierzu Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 261. 8 Zu Einzelheiten Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 267; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 106. 9 Die Regelung wurde allerdings höchstrichterlich akzeptiert; BFH v. 13.10.2010 – I R 79/09, BFH/ NV 2011, 521 Rz. 31 f.; v. 12.3.2014 – I R 87/12, BStBl. II 2014, 859.

724 | Schaumburg

B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.187 Kap. 18

Ansatz des niedrigeren Teilwertes sowie Veräußerungsverluste, zu denen auch Verluste infolge Auflösung oder Kapitalherabsetzung zählen.1 Von der Reichweite dieses Gewinnminderungs- bzw. Verlustberücksichtigungsverbotes werden auch Gewinnminderungen im Zusammenhang mit in- und ausländischen Darlehensforderungen (§ 8b Abs. 3 Satz 4 KStG) und darlehensgleichen Forderungen (§ 8b Abs. 3 Satz 8 KStG) erfasst. Voraussetzung ist allerdings, dass der Darlehens- oder Sicherungsgeber zu mehr als 25 % unmittelbar oder mittelbar beteiligt oder eine nahestehende Person i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG oder ein rückgriffsberechtigter Dritter ist (§ 8b Abs. 3 Satz 5 KStG). Das vorgenannte Gewinnminderungs- bzw. Verlustberücksichtigungsverbot gilt freilich dann nicht, wenn nachgewiesen wird, dass auch ein fremder Dritter das Darlehen bei sonst gleichen Umständen gewährt oder noch nicht zurückgefordert hätte, wobei nur die eigenen Sicherungsmittel der darlehensnehmenden Gesellschaft zu berücksichtigen sind (§ 8b Abs. 3 Satz 9 KStG). Tritt bei einer wertgeminderten Darlehensforderung zu einem späteren Zeitpunkt eine Wertaufholung ein, ist insoweit Steuerfreiheit gewährleistet (§ 8b Abs. 3 Satz 9 KStG).

18.185

Im Hinblick drauf, dass Währungskursgewinne, die aus der Rückzahlung eines Fremdwährungsdarlehens realisiert werden, grundsätzlich steuerpflichtig sind, werden Währungskursverluste von dem Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 und 5 KStG ausgenommen (§ 8b Abs. 3 Satz 6 KStG).2 Dadurch wirken sich Gewinne und Verluste aufgrund von Währungsschwankungen im Zusammenhang mit Gesellschafterdarlehen bzw. Inanspruchnahme von Sicherheiten für Darlehensforderungen gleichermaßen bei der Ermittlung des steuerlichen Einkommens aus.3

18.185a

Die vorstehenden Regelungen sind im Kern darauf gerichtet, Eigenkapital ersetzende Darlehen den Anteilen steuerlich gleichzustellen, um so Asymmetrien insbesondere bei der Teilwertabschreibung zu vermeiden. Sie haben auch Auswirkungen auf grenzüberschreitend gewährte Darlehen und Sicherheiten, insbesondere bei internationalen cash-pools.4 In den Fällen, in denen auf die Rückzahlung des wertgeminderten Darlehens verzichtet wird, kann es schließlich bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen einer verdeckten Gewinnausschüttung auch zu Doppelbesteuerungen kommen, die durch Billigkeitserlass zu mildern sind.5

18.186

Die Steuerbefreiung des § 8b Abs. 2 KStG kommt auch dann zur Anwendung, wenn die veräußerten Kapitalanteile über eine oder mehrere zwischengeschaltete in- oder ausländische Mitunternehmerschaften gehalten werden (§ 8b Abs. 6 Satz 1 KStG). Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Kapitalanteile einer in- oder ausländischen Betriebsstätte einer in- oder ausländischen Mitunternehmerschaft zuzuordnen sind. Soweit es sich um ausländische Mitunternehmerschaften handelt, müssen diese so strukturiert sein, dass sie (abstrakt) von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 u. 3 EStG erfasst werden.6 Wird die Beteiligung über eine in- oder ausländische vermögensverwaltend tätige Personengesellschaft gehalten, erfolgt die Zuordnung der Kapitalanteile unmittelbar über § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO.7

18.187

1 Zu weiteren Anwendungsfällen Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 268 ff.; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 105; Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 233. 2 Neuregelung mit Wirkung ab 1.1.2022 (§ 34 Abs. 5 Satz 2 KStG). 3 So die RegBegr zum KöMoG zu § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG. 4 Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 354; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 278b ff.; Watermeyer, GmbH-StB 2009, 220 (221); a.A. wohl die FinVerw. 5 Herlinghaus in R/H/N, § 8b KStG Rz. 334; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 279h. 6 Zum Rechtstypenvergleich (Rz. 7.7). 7 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 522; Watermeyer in H/H/R, § 8b KStG Rz. 203.

Schaumburg | 725

Kap. 18 Rz. 18.188 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

18.188

Die Steuerbefreiung für die Gewinne aus der Veräußerung von in- und ausländischen Kapitalanteilen ist schließlich auch auf Grund der Sondervorschriften in § 8b Abs. 7 KStG (Eigenhandel von Wertpapierinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten) sowie in § 8b Abs. 8 KStG (Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen und Pensionsfonds) ausgeschlossen (Rz. 18.159 ff.).

18.189

Die gegen die Steuerumgehung aufgrund von Wertpapierleihe und Wertpapierpensionsgeschäften gerichtete Sonderregelung des § 8b Abs. 10 KStG gilt zwar auch im Anwendungsbereich des § 8b Abs. 2 KStG, sie bewirkt aber nicht den Wegfall der Steuerbefreiung, sondern versagt „nur“ den Betriebsausgabenabzug für die Leihgebühren und gleich gestellte Entgelte (Rz. 18.163).

3. Steuerfreie Zinsen und Lizenzgebühren 18.190

§ 50g Abs. 1–5 EStG1 enthält in Umsetzung der Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie (Rz. 3.74 ff.)2 eine Steuerfreistellung für Zinsen und Lizenzgebühren, die an ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges verbundenes Unternehmen gezahlt werden. Eine entsprechende Freistellung ist im Verhältnis zur Schweiz in § 50g Abs. 6 EStG verankert. Hierdurch wird das zwischen der EU und der Schweiz abgeschlossene Zinsbesteuerungsabkommen (ZBstA) umgesetzt.3 Normenadressaten des § 50g EStG sind ausschließlich nach dem Recht der EUMitgliedstaaten oder der Schweiz errichtete Kapitalgesellschaften,4 so dass von der Reichweite der Steuerfreistellung im Wesentlichen der konzerninterne Transfer von Zinsen und Lizenzgebühren innerhalb der EU und zur Schweiz erfasst wird. Die lediglich für die beschränkte Körperschaftsteuerpflicht bedeutsame Steuerfreistellung wird entweder dadurch umgesetzt, dass die für Zinsen und Lizenzgebühren vorgesehene Quellensteuer nicht erhoben oder aber im Falle der Veranlagung Zinsen und Lizenzgebühren bei der Ermittlung der Einkünfte nicht erfasst werden (§ 50g Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG).

18.191

§ 50h EStG enthält verfahrensrechtliche Regelungen, die dem Vollzug des § 50g EStG dienen. Zu diesem Zweck hat das für die Besteuerung der Kapitalgesellschaft zuständige Finanzamt auf Antrag zu bestätigen, dass diese im Inland ansässig ist oder hier eine Betriebsstätte unterhält.5

18.192

Die Sonderregelung des § 50g EStG dient der Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung,6 die insbesondere in den Fällen zur Geltung kommt, in denen abkommensrechtlich das Besteuerungsrecht des Quellenstaates aufrechterhalten bleibt und die Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat lediglich durch teilweise Anrechnung vermieden wird. Eine vollständige Vermeidung der Doppelbesteuerung ist in den vorgenannten Fällen zumeist ausgeschlossen, weil die Quellensteuer auf Bruttobasis erhoben wird und die Anrechnung regelmäßig nur bis 1 Diese Vorschrift gilt auch für die Körperschaftsteuer, vgl. Anlage 3 Nr. 2 zu § 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG. 2 RL 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003, Nr. L 157/49, zuletzt geändert durch RL 2013/13/EU, ABl. EU 2013 Nr. L 141, 30; hierzu Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 15.1 ff. 3 Art. 15 Abs. 2 ZBstA; ABl. EU 2004 Nr. L 385, 30; vgl. hierzu Eicker/Obser, EC Tax Rev. 2006, 134 ff.; Jung, ET 2006, 112 ff. 4 Vgl. § 50g Abs. 3 Nr. 5 EStG i.V.m. Anlage 3 Nr. 1 zum EStG. 5 Zu Einzelheiten Rehfeld in H/H/R, § 50h EStG Rz. 1 ff. 6 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50g EStG Rz. 1; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 15.1.

726 | Schaumburg

B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.194 Kap. 18

zur Höhe der im Ansässigkeitsstaat auf die Nettoeinkünfte erhobenen Körperschaftsteuer möglich ist (zum Anrechnungshöchstbetrag im deutschen Recht Rz. 18.206). Die praktische Bedeutung der in § 50g EStG verankerten Steuerfreistellung ist allerdings begrenzt: Zinsen unterliegen ganz überwiegend nicht der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht1 und sind zudem abkommensrechtlich zumeist der Besteuerung in Deutschland als Quellenstaat entzogen; Lizenzgebühren unterliegen demgegenüber regelmäßig der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht,2 wobei aber in den meisten Fällen Deutschland abkommensrechtlich das Besteuerungsrecht genommen wird.3 Von der auf Antrag zu gewährenden Steuerfreistellung werden Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren erfasst

18.193

– von einer in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft oder einer hier gelegenen Betriebsstätte einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft – an eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder in der Schweiz ansässige (unmittelbar) verbundene Kapitalgesellschaft oder an eine dort belegene Betriebsstätte einer in einem EU-Mitgliedstaat oder in der Schweiz ansässigen verbundenen Kapitalgesellschaft.4 § 50g Abs. 3 Nr. 4 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 1 EStG enthält einen eigenständigen Zinsbegriff, der insbesondere gegenüber § 20 Abs. 1 Nr. 5 und 7 EStG eine verkürzte Reichweite aufweist.5 Dazu gehören – weil gewinnabhängig –6 weder Zinsen aus partiarischen Darlehen und aus Gewinnobligationen, stillen Gesellschaften noch Einnahmen aus obligationsähnlichen Genussrechten (§ 50g Abs. 2 Nr. 1 EStG).7 Darüber hinaus sind von der Steuerfreistellung auch Zinsen ausgeschlossen, die aus deutscher Sicht als verdeckte Gewinnausschüttung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) zu behandeln sind (§ 50g Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 2 EStG). Angesprochen sind damit die Fälle, in denen der vereinbarte Zins den Fremdvergleichspreis übersteigt,8 oder Fälle, in denen der Zins als Mehrabführung gezahlt wird, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit hat.9 Im Ergebnis werden somit von der Steuerfreistellung nur angemessene Zinsen erfasst, wenn die ihnen zugrunde liegenden Forderungen grundpfandrechtlich gesichert sind (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa EStG).10 Ob die Zinsen der Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG) unterliegen spielt für die Anwendung des § 50g EStG dagegen keine Rolle.11 1 Vgl. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG; hierzu Rz. 6.244. 2 § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Nr. 6, 9 EStG. 3 Art. 12 Abs. 1 OECD-MA; vgl. die Abkommensübersicht bei Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 39. 4 Zu den einzelnen Fallkonstellationen Dörr, IStR 2005, 109 (111 ff.). 5 Zu Einzelheiten Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50g EStG Rz. 17; Wagner in Brandis/Heuermann, § 50g EStG Rz. 60f. 6 Anders bei umsatzabhängig bemessenen Zinsen; Dörr, IStR 2005, 109 (113). 7 Hierzu Rehfeld in H/H/R, § 50g EStG Rz. 8; Kofler in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 15.35. 8 Allerdings nur für den übersteigenden Betrag; vgl. Rehfeld in H/H/R, § 50g EStG Rz. 9. 9 Kritisch hierzu Dautzenberg, BB 2004, 17 (19). 10 Hierfür ist kein (abgeltender) Kapitalertragsteuerabzug vorgesehen, so dass die steuerliche Erfassung ausschließlich im Wege der Veranlagung erfolgt. 11 Rehfeld in H/H/R, § 50g EStG Rz. 8; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50g EStG Rz. 11: kein Verstoß gegen die ZiLiRL; vgl. EuGH v. 21.7.2011 – C - -397/09, ECLI:EU:C:2011:499 = IStR 2011, 590 – Scheuten Solar Technology.

Schaumburg | 727

18.194

Kap. 18 Rz. 18.195 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

18.195

Lizenzgebühren haben in § 50g Abs. 3 Nr. 4 Buchst. b EStG ebenfalls eine eigenständige Definition erfahren, die im Wesentlichen mit der Begriffsbestimmung des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG übereinstimmt.1 Da Lizenzgebühren gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, 6 oder 9 EStG uneingeschränkt der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegen und zudem hierfür gem. § 50a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 EStG eine Quellensteuer i.H.v. 15 % vorgesehen ist, entfaltet § 50g EStG seine eigentliche Bedeutung für Lizenzgebühren. Das bedeutet, dass entsprechende Zahlungen vom Quellensteuerabzug und die entsprechenden Einkünfte aus der beschränkten Steuerpflicht ausgenommen sind. Auf die Anwendung von DBA kommt es daher insoweit nicht mehr an. Entsprechendes gilt für die Lizenzschranke (§ 4j EStG, § 8 Abs. 1 KStG).

18.196

Die Steuerfreistellung kann nur von Kapitalgesellschaften in Anspruch genommen werden.2 Sie müssen in einem EU-Mitgliedstaat bzw. in der Schweiz ansässig, d.h. dort unbeschränkt steuerpflichtig sein (§ 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG)3 und zugleich im Ansässigkeitsstaat der Besteuerung unterliegen und nicht steuerfrei sein (§ 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. cc EStG).4 Damit sind von vornherein Drittstaaten-Unternehmen ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn sie über eine Betriebsstätte in einem EU-Mitgliedstaat oder in der Schweiz verfügen. Im Hinblick auf die im DBA-Schweiz enthaltenen vergleichbaren Regelungen hat die vorstehende Sonderregelung vor allem Bedeutung für sog. Dreiecksfälle unter Beteiligung eines EU-Unternehmens.5 Voraussetzung ist schließlich, dass Gläubiger und Schuldner der Zinsen oder Lizenzgebühren miteinander verbundene Unternehmen sind, was eine unmittelbare Beteiligung6 von mindestens 25 % am Nominalkapital voraussetzt, und zwar entweder des nutzungsberechtigten Unternehmens an dem zahlenden oder umgekehrt7 oder durch Beteiligung eines dritten Unternehmens sowohl an dem nutzungsberechtigten als auch an dem zahlenden Unternehmen.8 Als unmittelbare Beteiligung gelten auch solche, die von Betriebsstätten gehalten werden.9

18.197

Soweit Zins- und Lizenzzahlungen an Betriebsstätten erfolgen, sind diese nur dann steuerbefreit, wenn es sich um eine feste Geschäftseinrichtung in einem EU-Mitgliedstaat oder in der Schweiz handelt, in der die Tätigkeit eines Unternehmens eines anderen EU-Mitgliedstaates oder der Schweiz ganz oder teilweise ausgeübt wird (§ 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. c EStG).10 Voraussetzung für die Privilegierung der Betriebsstätte ist allerdings, dass entsprechend den

1 Zu Einzelheiten Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50g EStG Rz. 17; Wagner in Brandis/Heuermann, § 50g EStG Rz. 62 ff. 2 Die in Anl. 3 zum EStG und in § 50g Abs. 6 Satz 2 EStG aufgeführten Unternehmen sind sämtlich Kapitalgesellschaften (§ 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a EStG). 3 Ansässigkeitsbescheinigungen sind auf Antrag zu erteilen (vgl. § 50h EStG). 4 Insoweit handelt es sich um eine unilaterale Subject-to-Tax-Klausel. 5 Rehfeld in H/H/R, § 50g EStG Rz. 20. 6 Diese Einschränkung führt zu einem nur eingeschränkten Anwendungsbereich. 7 Damit werden Upstream- und Downstream-Beteiligungen gleichermaßen erfasst. 8 Betrifft also Schwestergesellschaften. 9 Über zwischengeschaltete Personengesellschaften gehaltene Beteiligungen sind dagegen keine unmittelbare Beteiligungen Rehfeld in H/H/R, § 50g EStG Rz. 15; Gosch in Kirchhof/Seer21 § 50g EStG Rz. 18; a.A. Dörr, IStR 2005, 109 (115 f.). 10 Die dem Art. 3 Buchst. c der Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie entnommene Formulierung ist weitgehend wortgleich mit dem abkommensrechtlichen Begriff in Art. 5 Abs. 1 OECD-MA, so dass die hierfür maßgeblichen Grundsätze ebenfalls zur Anwendung kommen; hierzu Rehfeld in H/H/R, § 50g EStG Rz. 16. Häuselmann/Lüdemann, RIW 2005, 123 (129).

728 | Schaumburg

B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.200 Kap. 18

abkommensrechtlichen Grundsätzen (Rz. 21.35 ff.) das den Zinsen- und Lizenzgebühren zugrunde liegende Stammrecht tatsächlich der Betriebsstätte zuzuordnen ist.1

III. Steueranrechnung Literatur: Cordewener, Körperschaftsteueranrechung für Gebietsfreme – Zur Fokus-Bank-Entscheidung, FR 2005, 345; Dötsch/Pung, Richtlinien-Umsetzungsgesetz: Die Änderungen des EStG, des KStG und des GewStG, DB 2005, 10; Kamphaus/Nitzschke, Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrages bei Steueranrechnung durch den Organträger, IStR 2017, 96; Menhorn, Ausländische Quellensteuer auf im Inland steuerfreie Dividenden als Betriebsausgabe nach § 26 Abs. 6 KStG abziehbar, DStR 2005, 1885.

1. Regelungsinhalt des § 26 KStG § 26 Abs. 1 Satz 1 KStG sieht folgende Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vor: bei unbeschränkter und beschränkter Körperschaftsteuerpflicht die direkte Steueranrechnung und den Steuerabzug und darüber hinaus nur bei unbeschränkter Körperschaftsteuerpflicht Steuerlass und Steuerpauschalierung.

18.198

Im Vordergrund steht die Anrechnungsmethode, die insbesondere durch die Abzugsmethode ergänzt wird. Die vorgenannten Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung entsprechen dem für unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Personen geltenden Welteinkommensprinzip und führen im Grundsatz zur Verwirklichung der Kapitalexportneutralität (Rz. 17.17). § 26 Abs. 1 KStG ist eine Tarifvorschrift, die keine eigenen materiell-rechtlichen Regelungen enthält, sondern lediglich auf §§ 34c Abs. 1 bis 3 und 5 bis 7, 50 Abs. 3 und 50d Abs. 10 EStG verweist. Durch den Verweis auf § 50 Abs. 3 EStG werden auch beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Rechtsträger von § 26 KStG erfasst, obwohl Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung grundsätzlich nur als Aufgabe des Wohnsitzstaates aufgefasst werden (Rz. 18.51). Im Wesentlichen werden hierdurch inländische Niederlassungen ausländischer Banken sowie Beteiligungen ausländischer Körperschaften an inländischen Personengesellschaften begünstigt (Rz. 18.51 f.). Soweit auf § 50d Abs. 10 EStG verwiesen wird, geht es vor allem um die in § 50d Abs. 10 Satz 5 EStG vorgesehene Anrechnung ausländischer Steuern auf Sondervergütungen und Sonderbetriebseinnahmen/-ausgaben, die entgegen dem Abkommensrecht als inländische Einkünfte in die deutsche Besteuerung einbezogen werden.

18.199

2. Reichweite des § 26 KStG Im Verhältnis zu den DBA ist § 26 KStG grundsätzlich subsidiär (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG). Der Vorrang der DBA gilt uneingeschränkt nur in den Fällen, in denen die ausländischen Einkünfte nach der Freistellungsmethode der Besteuerung durch Deutschland entzogen sind,2 und zwar auch dann, wenn die Anrechnungsmethode (ausnahmsweise) vorteilhafter ist.3 Demgegenüber stehen DBA der Anwendung der Erlass- oder Pauschalierungsmethode (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 5 EStG) nicht ent1 Rehfeld in H/H/R, § 50g EStG Rz. 10; Wagner in Brandis/Heuermann, § 50g Rz. 50 f. 2 Vgl. BFH v. 11.9.1987 – VI R 19/84, BStBl. II 1987, 856; v. 11.9.1987 – VI R 64/86, BFH/NV 1988, 631; v. 24.3.1998 – I R 38/97, BStBl. II 1998, 471; v. 19.4.1999 – I B 141/98, BFH/NV 1999, 1317. 3 BFH v. 14.3.1989 – I R 20/87, BStBl. II 1989, 649; v. 1.10.1992 – I B 42/43/92, BFH/NV 1993, 516; Lieber in H/H/R, § 26 KStG Rz. 58; Roser in Gosch4, § 26 KStG Rz. 12.

Schaumburg | 729

18.200

Kap. 18 Rz. 18.200 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

gegen.1 In Bezug auf die Anrechnungs- und Abzugsmethode gilt der Vorrang von DBA allerdings nur im Grundsatz, da § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 6 Sätze 2 bis 6 EStG entsprechende Modifikationen vorsieht (Rz. 18.12 ff.). Hierzu zählt auch die in § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG verankerte Regelung, wonach bei abkommensrechtlich vorgesehener Anrechnung § 34c Abs. 1 Sätze 2–5, Abs. 2 EStG entsprechend anzuwenden sind. § 26 Abs. 1 Satz 2 KStG enthält diesbezüglich eine Ergänzung dahingehend, dass eine Anrechnung und ein Abzug ausländischer Steuern ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn die Anrechnung im betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen nicht vorgesehen ist. Angesprochen sind damit § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG, wonach die Steuerbefreiung für Bezüge versagt wird, wenn diese das Einkommen der leistenden Körperschaft gemindert haben sowie § 8b Abs. 1 Satz 3 KStG für den Fall der grenzüberschreitenden Zurechnungsdivergenz (Rz. 18.150).2

18.201

Soweit DBA zur Anwendung kommen und als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Steueranrechnung vorschreiben, wegen der Modalitäten aber auf innerstaatliches Recht verweisen, greifen die nationalen Anrechnungsregeln ein (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG). Das Gleiche gilt für den Fall, dass DBA eine Steueranrechnung anordnen, ohne auf innerstaatliches Recht ausdrücklich zu verweisen (Rz. 19.552).

3. Direkte Steueranrechnung 18.202

§ 26 Abs. 1 KStG verweist u.a. auf § 34c Abs. 1 EStG, der die direkte Steueranrechnung für unbeschränkt steuerpflichtige Personen regelt. Für beschränkt Steuerpflichtige findet § 34c Abs. 1 EStG über § 50 Abs. 3 EStG Anwendung, auf den § 26 Abs. 1 Satz 1 KStG ebenfalls verweist. Es gelten allerdings die in § 26 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 KStG enthaltenen Sonderregelungen. Die direkte Steueranrechnung gem. § 26 Abs. 1 KStG entspricht daher im Wesentlichen der in § 34c Abs. 1 EStG verankerten Steueranrechnung (Rz. 18.49 ff.). Im Folgenden seien nur einige Besonderheiten erläutert:

18.203

Die direkte Steueranrechnung kann im Regelfall nur von unbeschränkt steuerpflichtigen Rechtsträgern gem. § 1 Abs. 1 KStG in Anspruch genommen werden.3 Damit werden auch jene Körperschaftsteuersubjekte erfasst, die nach ausländischem Recht errichtet sind, soweit diese nach dem maßgeblichen Typenvergleich einem der in § 1 Abs. 1 KStG genannten Rechtsträger vergleichbar sind (Rz. 7.7).

18.204

Die direkte Steueranrechnung gem. § 26 Abs. 1 KStG setzt ebenso wie § 34c Abs. 1 EStG eine Steuersubjektidentität voraus. Dieses Erfordernis erfährt durch § 19 Abs. 1 KStG im Rahmen der Organschaft eine Ausnahme dahingehend, dass die von der Organgesellschaft gezahlten ausländischen Steuern vom Organträger angerechnet werden können. Nach § 19 Abs. 1 KStG sind nämlich besondere Tarifvorschriften, zu denen auch § 26 Abs. 1 KStG zählt,4 beim Organträger so anzuwenden, als wären die Voraussetzungen für ihre Anwendung bei ihm selbst erfüllt. Voraussetzung für die Steueranrechnung beim Organträger ist, dass dieser der unbeschränkten Körperschaftsteuer- oder Einkommensteuerpflicht (§ 19 Abs. 2 KStG) unterliegt und die Voraussetzungen für die Steueranrechnung gem. § 26 Abs. 1 KStG von der Organge-

1 Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 421; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 35; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 171. 2 Vgl. hierzu Lieber in H/H/R, § 26 KStG Rz. 87. 3 Zur beschränkten Steuerpflicht vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG i.V.m. § 50 Abs. 3 EStG. 4 BFH v. 27.3.1996 – I R 49/95, BStBl. II 1997, 91.

730 | Schaumburg

B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.206 Kap. 18

sellschaft dem Grunde nach erfüllt werden.1 Ist der Organträger lediglich beschränkt steuerpflichtig, findet über § 19 Abs. 3 KStG die für beschränkt steuerpflichtige Personen geltende Steueranrechnungsvorschrift des § 50 Abs. 3 EStG2 Anwendung. Über § 19 Abs. 4 KStG kommt auch eine Steueranrechnung für den Fall in Betracht, dass eine Personengesellschaft Organträgerin ist: Die direkte Steueranrechnung kann hier nur durch die Gesellschafter selbst in Anspruch genommen werden.3 Obwohl § 26 Abs. 1 KStG den Begriff der ausländischen Einkünfte nicht definiert und auch nicht unmittelbar4 auf § 34d EStG verweist, gilt der in § 34d EStG enthaltene Katalog der ausländischen Einkünfte auch für Zwecke der direkten Steueranrechnung bei der Körperschaftsteuer.5 Soweit unbeschränkt steuerpflichtige Rechtsträger an inländischen Personengesellschaften beteiligt sind, die ihrerseits ausländische Einkünfte beziehen, sind diese im Rahmen einer einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte dem betreffenden Rechtsträger nach Maßgabe seiner Beteiligung zuzurechnen,6 wobei zugleich auch die hierauf entfallenden ausländischen Steuern festgestellt werden. Im Ergebnis erfolgt die Anrechnung der ausländischen Steuern so, als habe der betreffende Gesellschafter die anteiligen ausländischen Einkünfte selbst bezogen und als wäre er mit der darauf entfallenden ausländischen Steuer unmittelbar belastet worden.7 Entsprechendes gilt auch bei der Beteiligung an einer ausländischen Personengesellschaft.

18.205

Wegen der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrages verweist § 26 Abs. 1 Satz 1 KStG zwar auf § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach die deutsche Steuer berücksichtigt wird, die auf die ausländischen Einkünfte entfällt (Rz. 18.104 ff.), § 26 Abs. 2 Satz 1 KStG enthält aber eine (abweichende) Sonderregelung dahingehend, dass die ausländische Steuer bis zu dem Höchstbetrag anrechenbar ist, der sich durch das Verhältnis der ausländischen Einkünfte zur Summe der Einkünfte errechnet. Entsprechend der Systematik des Körperschaftsteuergesetzes wird die Anrechnung nicht auf die Durchschnittssteuerbelastung insgesamt bezogen, sondern gem. § 26 Abs. 2 Satz 1 KStG nur auf die Tarifbelastung (§ 23 Abs. 1 KStG), also auf die Körperschaftsteuer vor Anwendung der auf eine Körperschaftsteuerminderung bzw. -erhöhung gerichteten §§ 37, 38 KStG. Hierdurch ist folgende Formel für die Höchstbetragsberechnung maßgeblich:

18.206

deutsche KSt × ausl. Einkünfte Summe der Einkünfte Der Ansatz der ausländischen Einkünfte erfolgt ohne Berücksichtigung jener Einkünfte, die im Ausland aufgrund eines DBA nicht besteuert werden können (§ 26 Abs. 2 Satz 3 KStG i.V.m. § 34c Abs. 6 Satz 3 EStG).8 § 26 Abs. 2 Satz 3 KStG ordnet in diesem Zusammenhang ferner an, dass ausländische Einkünfte, die nach der ZiLiRL (Rz. 18.190 ff.) nicht zu besteuern sind, ebenfalls außer Ansatz bleiben. Es geht hierbei um Quellensteuern auf Zinsen und/oder Li-

1 2 3 4 5 6 7 8

Hierzu Isler in H/H/R, § 19 KStG Rz. 24; Staats in R/H/N, § 26 KStG Rz. 44. Isler in H/H/R, § 19 KStG Rz. 41. Hierzu Rödder/Joisten in R/H/N, § 19 KStG Rz. 58 ff.; Neumann in Gosch4, § 19 KStG Rz. 21. Allerdings Bezugnahme über § 34c Abs. 1 Satz 2 bis 5, Abs. 2 bis 5 EStG, auf den § 34d EStG verweist. Lieber in H/H/R, § 26 KStG Rz. 23; Roser in Gosch4, § 26 KStG Rz. 48. Vgl. BFH v. 22.3.1994 – VII R 117/92, BStBl. II 1994, 789. Geurts in Bott/Walter, § 26 KStG Rz. 69. Hierdurch mindert sich der Anrechnungshöchstbetrag.

Schaumburg | 731

Kap. 18 Rz. 18.206 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

zenzgebühren, die ausnahmeweise und zeitlich befristet von einigen Mitgliedstaaten noch erhoben werden dürfen.1 Soweit auf die Summe der Einkünfte abgestellt wird, führt der Spendenabzug (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 KStG), falls dieser bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens rechnerisch erst nach der Summe der Einkünfte erfolgt,2 zu einer Schmälerung des Anrechnungsvolumen, obwohl der Spendenabzug in erster Linie Aufgabe des Wohnsitzstaates ist.3 Im Hinblick darauf ist der Abzug im Rahmen der Gewinnermittlung4 geboten.5

18.207

Im Hinblick auf den Körperschaftsteuersatz von 15 % (§ 23 Abs. 1 KStG) kommt es in der Praxis nicht selten zu erheblichen Anrechnungsüberhängen, insbesondere in den Fällen, in denen die ausländische Quellensteuer auf Bruttobasis erhoben wird. Eine Anrechnung auch auf die Gewerbesteuer, die bei Kapitalgesellschaften eine annähernd gleich hohe Belastungswirkung erzeugt wie die Körperschaftsteuer, ist von Gesetzes wegen zwar nicht vorgesehen, in Orientierung an das Leistungsfähigkeitsprinzip de lege ferenda aber geboten (Rz. 18.112; 19.554). Das gilt vor allem auch deshalb, weil der alternative Steuerabzug (§ 26 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 2 EStG) allenfalls eine Milderung der Doppelbesteuerung herzustellen vermag, die zudem in Verlustfällen durch die Mindestbesteuerung (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG) an Wirkung verliert. Die Doppelbesteuerung ist daher ggf. durch Billigkeitserlass (§§ 163, 227 AO) zu vermeiden.6

18.208

Soweit etwa bei Doppelansässigkeit (Rz. 19.209 f.) im Ausland eine Körperschaftsteueranrechnung gewährt wird, erfolgt hierdurch eine Reduzierung der vom inländischen Dividendengläubiger im Ausland gezahlten Körperschaftsteuer mit der Folge, dass nur diejenige ausländische Steuer anzurechnen ist, die nach Anrechnung der ausländischen Körperschaftsteuer noch verbleibt.7 Diese Rechtsfolge ergibt sich unmittelbar aus der Verweisung auf § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG, wonach nur die um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte ausländische Steuer zur Anrechnung kommt (Rz. 18.100).

4. Steuerabzug 18.209

Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 KStG kommt die Regelung des § 34c Abs. 2 und 3 EStG zur Anwendung, so dass der Steuerabzug als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auch im Bereich der Körperschaftsteuer Geltung hat. Der Steuerabzug hat bei der Körperschaftsteuer die gleiche rechtliche Struktur wie bei der Einkommensteuer. Im Folgenden werden daher nur die für das Körperschaftsteuerrecht geltenden Besonderheiten erörtert.

1 2 3 4 5

Vgl. hierzu die Länderübersicht bei Lieber in H/H/R, § 26 KStG Rz. 94. So in R 9 Abs. 2 Satz 2 KStR: Abzug bei Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte. Gesichtspunkt der Staatsentlastung; zu Einzelheiten Seer, DStJG 26 (2003), 11 (14 ff.) Vgl. BFH v. 21.10.1981 – I R 149/77, BStBl. II 1982, 177. Vgl. EuGH v. 28.2.2013 – C-168/11, ECLI:EU:C:2013:117 = IStR 2013, 275 – Beker; Lieber in H/H/R, § 26 KStG Rz. 38; Ismer, IStR 2014, 925 (926). 6 Zum Problem der unilateral nicht vorgesehenen Anrechnung auf die Gewerbesteuer FG Hessen v. 26.8.2020 – 8 K 1860/16, IStR 2021, 271 (Az. BFH: I R 8/21); hierzu Lang, IStR 2021, 584; SchulzTrieglaff, IStR 2021, 589; Cloer/Kozlowski, FR 2022, 193; Kollruss, IStR 2022, 384; ferner zuvor Becker/Loose, IStR 2012, 57; Pfaar/Jüngling, IStR 2009, 610 (614 f.); Kessler/Dietrich, IStR 2011, 108; M. Frotscher in FS Frotscher, 2013, 115 ff. m.w.N.; zur Anrechnung auf die Gewerbesteuer in Abkommensfällen Rz. 19.554. 7 Hierzu Roser in Gosch4, § 26 KStG Rz. 99a; Siegers in D/P/M, § 26 KStG Rz. 93.

732 | Schaumburg

B. Körperschaftsteuer | Rz. 18.213 Kap. 18

Der den Steuerabzug regelnde § 26 Abs. 1 Satz 1 KStG (§ 34c Abs. 2 und 3 EStG) ermöglicht in Abweichung von § 10 Nr. 2 KStG1 den Abzug der ausländischen Steuer bei der Ermittlung der Einkünfte,2 wodurch grundsätzlich auch eine Gewerbesteuerersparnis eintritt.3 Da der Steuerabzug bei der Ermittlung der Einkünfte erfolgt, es sich mithin nicht um die Anwendung einer besonderen Tarifvorschrift handelt, greift im Falle der Organschaft § 19 Abs. 1 KStG nicht ein. Dies hat zur Folge, dass der Steuerabzug nicht beim Organträger, sondern bei der Organgesellschaft zu berücksichtigen ist.4 Das bedeutet zugleich, dass der Antrag auf Steuerabzug von jeder Organgesellschaft gesondert gestellt werden kann.5 Das Organeinkommen wird daher um die abgezogene ausländische Steuer reduziert und sodann gem. § 14 Satz 1 KStG dem Organträger zur Besteuerung zugewiesen.6

18.210

Der alternative Steuerabzug, der gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG (§ 34c Abs. 2 EStG) auf Antrag anstelle der Anrechnung vorgenommen werden kann,7 ist auch in denjenigen Fällen möglich, in denen ein DBA lediglich die Anrechnung ausländischer Steuern vorschreibt (Rz. 18.14). Das gilt allerdings nicht für den Fall, dass ein DBA eine Anrechnung fiktiver Steuern8 zulässt (§ 26 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 EStG).9

18.211

Der Steuerabzug gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG (§ 34c Abs. 3 EStG) greift im Unterschied zum Steuerabzug gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG (§ 34c Abs. 2 EStG) nur dann ein, wenn die Voraussetzungen für die Steueranrechnung gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG (§ 34c Abs. 2 EStG) nicht gegeben sind, weil die ausländische Steuer

18.212

– nicht der deutschen Einkommensteuer/Körperschaftsteuer entspricht, – nicht in dem Staat erhoben wird, aus dem die Einkünfte stammen, oder – auf Einkünfte erhoben wird, die keine ausländischen Einkünfte i.S.d. § 34d EStG sind.10 Während die direkte Steueranrechnung gem. § 26 Abs. 1 KStG und der Steuerabzug gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 KStG (§ 34c Abs. 3 EStG) nebeneinander möglich sind, schließen sich die direkte Steueranrechnung gem. § 26 Abs. 1 KStG und der alternative Steuerabzug gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 KStG (§ 34c Abs. 2 EStG) gegenseitig aus.

1 Das Abzugsverbot betrifft auch ausländische Steuern; BFH v. 16.5.1990 – I R 80/87, BStBl. II 1990, 920. 2 Vorbehaltlich des Verlustabzugsverbotes gem. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 2a EStG bei nicht abziehbaren Auslandsverlusten. 3 Vgl. zur Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 12 GewStG Rz. 9.13. 4 Müller-Dott in F/W/B/S, § 26 KStG Rz. 256; Staats in R/H/N, § 26 KStG Rz. 97; Roser in Gosch4, § 26 KStG Rz. 132; Geurts in Bott/Walter, § 26 KStG Rz. 146. 5 Staats in R/H/N, § 26 KStG Rz. 104; Roser in Gosch4, § 26 KStG Rz. 132; Geurts in Ernst & Young, § 26 KStG Rz. 146. 6 Müller-Dott in F/W/B/S, § 26 KStG Rz. 256. 7 Zu den Belastungsunterschieden zwischen Steueranrechnung einerseits und Steuerabzug andererseits Müller-Dott in F/W/B/S, § 26 KStG Rz. 232 ff.; Geurts in Bott/Walter, § 26 KStG Rz. 148 ff. 8 Tax matching credit/tax sparing credit. 9 Lieber in H/H/R, § 26 KStG Rz. 63. 10 Zu weiteren Einzelheiten Müller-Dott in F/W/B/S, § 26 KStG Rz. 265 ff.

Schaumburg | 733

18.213

Kap. 18 Rz. 18.214 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

5. Steuererlass und Steuerpauschalierung 18.214

Da über § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG auch die Regelung des § 34c Abs. 5 EStG zur Anwendung kommt, kann ebenso wie für die Einkommensteuer auch für die Körperschaftsteuer ein Steuererlass oder eine Steuerpauschalierung in Anspruch genommen werden. Während der für den Steuererlass im Einkommensteuerrecht maßgebliche Auslandstätigkeitserlass1 für die Körperschaftsteuer keine Bedeutung hat und darüber hinaus keine Verwaltungsregelungen zur Steuerpauschalierung bestehen,2 sind im Bereich der Körperschaftsteuer einstweilen nur individuelle Einzelregelungen möglich.

C. Gewerbesteuer Literatur: Kommentare zu § 9 GewStG; Beckmann/Schanz, Gewerbesteuerliche Hinzurechnungen und Kürzungen im Zusammenhang mit Beteiligungserträgen, DB 2011, 954; Brühl, Entwicklungen der gewerbesteuerlichen Behandlung von Erträgen ausländischer Tochter-Kapitalgesellschaften, FR 2019, 257; Dallwitz/Mattern/Schnitger, Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, 1697; Eberhardt, Pflicht zur Umsetzung der Mutter-Tochter-Richtlinie im Rahmen der Gewerbesteuer – zugleich Anmerkungen zur geplanten Änderung des § 9 Nr. 7 GewStG im Referentenentwurf für ein „JStG 2019“, IStR 2019, 584; Ernst, Das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg bei Umwandlungsvorgängen, Ubg 2012, 678; Ernst, Das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg – Irrungen und Wirrungen in nationalen und grenzüberschreitenden Konstellationen, Ubg 2010, 494; Glassl, Schachtelbeteiligung bei der Körperschaftsteuer, Vermögensteuer und Gewerbesteuer, Herne/ Berlin 1973; Gröning/Siegmund, Aushöhlung des Objektprinzips der Gewerbesteuer: Dauerschuldzinsaufwendungen für Streubesitzbeteiligungen, DStR 2003, 617; Haas, Die Gewerbesteuerpflicht von Dividenden aus Streubesitz nach § 8 Nr. 5 GewStG und ihre Auswirkungen auf 100 %-Beteiligungen, DB 2002, 549; Hageböke, Zum Konkurrenzverhältnis von DBA-Schachtelprivileg und § 8b KStG, IStR 2009, 473; Heurung/Engel/Seidel, Das DBA-Schachtelprivileg in Körperschaft- und Gewerbesteuer, DB 2010, 1551; Heurung/Seidel/Pippart, Auslandseinkünfte aus Betriebsstätten und Kapitalgesellschaftsanteilen in der Gewerbesteuer, FS Krawitz 2010, 103; Kahlenberg/Korff, Zur geplanten Änderung des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs im Rahmen des JStG-E 2019, IStR 2019, 447; Kessler/Knörzer, Die Verschärfung der gewerbesteuerlichen Schachtelstrafe – erneute Diskriminierung inländischer Holdinggesellschaften?, IStR 2008, 121; Killinger, Berücksichtigung von Betriebsausgaben bei der Anwendung der Weisungsvorschriften des § 9 Nr. 2a u. 7 GewStG, BB 1999, 500; Köhler, Aktuelles Beratungs-Know-how Internationales Steuerrecht, DStR 2002, 1341; Moebus, Schachtelbeteiligung bei Körperschaftsteuer, Vermögensteuer und Gewerbesteuer, Herne/Berlin 1979; Prinz/Simon, Kuriositäten und Ungereimtheiten des UntStFG: Ungewollte Abschaffung des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs für Kapitalgesellschaften? DStR 2002, 149; Rödder, Gewerbesteuerliche Hinzurechnung von „Streubesitzdividenden“ nach § 8 Nr. 5 GewStG n.F., WPg 2002, 625; Rödder/Liekenbrock, Verstößt die gewerbesteuerliche Belastung des Hinzurechnungsbetrags iSd. § 10 AStG gegen Europarecht?, Ubg 2013, 23; Schaumburg, Die Befreiungsmethode im deutschen Steuerrecht, in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, Wien 1995, 269.

I. Allgemeines 18.215

Aus dem dem Gewerbesteuergesetz als Konzeption zugrunde liegenden Äquivalenzprinzip folgt die örtliche Anknüpfung der Besteuerung an das Gebiet einer bestimmten (inländi1 BMF v. 31.10.1983 – IV B 6 - S 2293 - 50/83, BStBl. I 1983, 470. 2 Der Pauschalierungserlass (BMF v. 10.4.1984 – IV C 6 - S 2293 - 11/84, BStBl. I 1984, 252) ist mit Wirkung ab 2004 aufgehoben worden (BMF v. 24.11.2003 – IV B 4 - S 2293 - 46/03, BStBl. I 2003, 747).

734 | Schaumburg

C. Gewerbesteuer | Rz. 18.218 Kap. 18

schen) Gemeinde, in dem ein Gewerbebetrieb unterhalten wird (Rz. 9.1). Die Gewerbesteuer beschränkt sich damit grundsätzlich auf das Inland (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG), so dass im Gegensatz zur Einkommen-, Körperschaft- und Erbschaftsteuer das Territorialprinzip verwirklicht wird.1 Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung stellen sich daher anders als bei der Einkommen-, Körperschaft- und Erbschaft-/Schenkungsteuer für Zwecke der Gewerbesteuer nicht als Kehrseite des Welteinkommensprinzips dar. Dass das Gewerbesteuergesetz gleichwohl spezifische Regelungen enthält, die der Vermeidung einer Doppelbesteuerung (Mehrfachbelastung) dienen, hat seinen Grund insbesondere in Art. 3 Abs. 1 GG. Das in § 9 Nr. 7 GewStG2 verankerte, auf die Vermeidung (internationaler) Doppelbesteuerung ausgerichtete gewerbesteuerliche Schachtelprivileg bewirkt nämlich im Wesentlichen eine Gleichbehandlung mit dem nationalen Schachtelprivileg des § 9 Nr. 2a GewStG sowie eine Gleichstellung mit der Kürzung gem. § 9 Nr. 3 GewStG. Mit dieser Gleichstellung ist einerseits sichergestellt, dass grundsätzlich Erträge ausländischer Betriebsstätten, ausländischer Personen- und ausländischer Kapitalgesellschaften gleichermaßen von inländischer Gewerbesteuer freigestellt sind, und andererseits, dass diese ausländischen Erträge ebenso wie die entsprechenden inländischen Erträge im Inland nicht nochmals der Gewerbesteuer unterworfen werden.3 Das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg des § 9 Nr. 7 GewStG greift auch dann ein, wenn die ausländischen Beteiligungserträge nicht mit ausländischer Gewerbesteuer belastet sind. Dies entspricht konzeptionell den abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien, die, soweit sie nicht mit Subject-to-Tax-Klauseln (Rz. 19.141) gekoppelt sind, stets auf die Vermeidung virtueller Doppelbesteuerung gerichtet sind (Rz. 19.522).

18.216

Dass die gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegien nicht darauf abstellen, ob im Ausland tatsächlich eine Gewerbesteuer erhoben wird, hat seinen eigentlichen Grund darin, dass zwischen den einzelnen Ertragsteuern, etwa zwischen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer, eine enge Verzahnung besteht und deshalb die Belastung ausländischer Tochter- und Enkelgesellschaften durch Ertragsteuern – ohne Rücksicht auf die jeweilige Steuerordnung des anderen Staates – als Einheit zu sehen ist.4 Im Hinblick darauf wäre es geboten, auch aus der Sicht des inländischen Steuerrechts für Zwecke der Vermeidung der Doppelbesteuerung die Ertragsteuern als Einheit zu sehen. Das gilt insbesondere für die Anrechnung ausländischer Steuern, für die das Gewerbesteuergesetz im Unterschied zum Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz (§ 34c EStG, § 26 KStG) keine entsprechende Regelung enthält. Die Folge hiervon sind nicht selten Anrechnungsüberhänge, die die Vermeidung der Doppelbesteuerung vereiteln (Rz. 18.112, 18.207).

18.217

Soweit das Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz ganz oder teilweise Steuerbefreiungen vorsehen, gelten diese über § 7 GewStG auch für die Gewerbesteuer. Unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung auch der internationalen Doppelbesteuerung sind hiermit insbesondere § 3 Nr. 40 EStG (Rz. 18.20 ff., 18.36 ff.) und § 8b Abs. 1 KStG (Rz. 18.144 ff.) angesprochen (§ 7

18.218

1 Vgl. allerdings § 7 Sätze 7 u. 8 GewStG, wonach im Falle der Hinzurechnungsbesteuerung inländische Betriebsstättengewinne fingiert werden (Rz. 13.7). 2 In der Fassung des Gesetzes v. 12.12.2019 (BGBl. I 2451) aufgrund der Vorgaben des EuGH v. 20.9.2018 – C-685/16, ECLI:EU:C:2018:743 = BStBl. II 2019, 11 – EV mit Wirkung ab Erhebungszeitraum 2020. 3 Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 18; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 1; Gosch in Brandis/Heuermann, § 9 GewStG Rz. 288. 4 Schaumburg in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 269 (294).

Schaumburg | 735

Kap. 18 Rz. 18.218 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Satz 4 GewStG). Im Ausgangspunkt sind damit etwa Dividenden und Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen ganz oder zu 40 % steuerfrei. Eine weitergehende Freistellung oder aber deren Rückgängigmachung erfolgt durch Kürzungen (§ 9 Nr. 2a, Nr. 7 GewStG) oder Hinzurechnungen (§ 8 Nr. 5 GewStG). Schließlich gewähren auch DBA für Zwecke der Ertragsteuern ein internationales Schachtelprivileg, für das § 9 Nr. 8 GewStG einseitig eine Mindestbeteiligungsquote von 15 % vorschreibt. Dieses schlägt über § 7 GewStG unmittelbar auf die Gewerbesteuer durch, so dass insoweit § 9 Nr. 7 GewStG nur subsidiäre Bedeutung hat.1 Führt die Anwendung des betreffenden DBA zu keiner Freistellung für die Gewerbesteuer, kann sich hiervon unabhängig die Steuerfreistellung aus § 9 Nr. 7 GewStG ergeben. Im Ergebnis stehen somit die entsprechenden Vorschriften selbstständig nebeneinander,2 so dass stets die für den Steuerpflichtigen günstigeren Bestimmungen anzuwenden sind.3

18.219

Im Gegensatz zu den übrigen Schachtelprivilegien ist das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg (§ 9 Nr. 7 GewStG) rechtsformneutral ausgestaltet, so dass es von jeder Person beansprucht werden kann, die einen Gewinn aus Gewerbebetrieb i.S.v. § 7 GewStG erzielt.4 Diese Rechtsformneutralität5 hat ihren Grund in der Gleichbehandlung mit Steuerfreistellungen anderer in- und ausländischer Erträge, die ebenfalls rechtsformunabhängig gewährt werden.

18.220

Die über § 7 GewStG auf die Gewerbesteuer durchschlagenden Steuerfreistellungen des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes (§ 3 Nr. 40, 41 EStG, § 8b Abs. 1 KStG) haben ebenso wie die gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegien (§ 9 Nr. 2a, 7 GewStG) in erster Linie das Ziel, eine mehrfache Gewerbesteuerbelastung auf verschiedenen Beteiligungsstufen einer Unternehmenskette zu vermeiden. Damit steht die Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung im Vordergrund. Im internationalen Kontext geht es dabei vor allem um Auslandsdividenden.

II. Steuerfreie Dividenden 18.221

Für Zwecke der Ermittlung des Gewerbeertrags verweist § 7 GewStG auf die Vorschriften des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes. Damit wird im Ausgangspunkt eine kongruente Bemessungsgrundlage sichergestellt, die in Orientierung an den Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer allerdings durch Hinzurechnungen (§ 8 GewStG) und Kürzungen (§ 9 GewStG) Modifikationen erfährt (Rz. 9.13 f.). Aus der Anknüpfung an die für die Einkommen- und Körperschaftsteuer maßgebliche Bemessungsgrundlage folgt, dass u.a. auch die im Rahmen des Teileinkünfteverfahrens gewährte Steuerfreistellung für Bezüge (§ 3 Nr. 40 Buchst. d und e EStG) sowie § 3c Abs. 2 EStG zur Anwendung kommt (§ 7 Satz 4 GewStG). Erfasst werden hierdurch im Wesentlichen Dividenden, die Einzelgewerbetreibende und Mitunternehmerschaften im Rahmen ihrer Betriebe beziehen. Die hierfür im Rahmen des Teileinkünfteverfahrens verankerte partielle Steuerbefreiung gilt somit grundsätzlich auch für die Gewerbesteuer.6 Über § 7 Satz 1 GewStG kommt auch die Freistellung gem. § 8b Abs. 1, 5 KStG zur Anwen-

1 Gosch in Brandis/Heuermann, § 9 GewStG Rz. 293. 2 Vgl. BFH v. 23.6.2010 – I R 71/09, BStBl. II 2011, 129; v. 14.1.2009 – I R 47/08, BStBl. II 2011, 131. 3 Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 17e; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 3; R 9.5 Satz 7 GewStR. 4 Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 22; Gosch in Brandis/Heuermann, § 9 GewStG Rz. 289; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 9. 5 Schachtelprivilegien werden sonst durchweg nur juristischen Personen, insbesondere Kapitalgesellschaften gewährt; vgl. § 8b Abs. 1, 2 KStG und die DBA-Schachtelprivilegien. 6 Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 45; Selder in Glanegger/Güroff10, § 7 GewStG Rz. 5.

736 | Schaumburg

C. Gewerbesteuer | Rz. 18.225 Kap. 18

dung mit der Folge, dass im Ergebnis 95 % der Bezüge steuerfrei bleiben (Rz. 18.144 ff.) und somit nicht in den Gewerbeertrag eingehen. Entsprechende Modifikationen erfolgen allerdings in Anwendung von § 8 Nr. 5 GewStG (Hinzurechnung), § 9 Nr. 7 GewStG (Kürzung) und im Fall der Organschaft (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG). Die maßgebliche, zur Steuerbefreiung von ausländischen Dividenden führende Kürzung enthält § 9 Nr. 7 GewStG. Diese Vorschrift schließt allerdings die Anwendung anderer Kürzungsvorschriften nicht aus.1 Im Hinblick darauf wird z.B. der Hinzurechnungsbetrag (Rz. 13.182 ff.), obwohl er als Dividende qualifiziert wird (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG), eigentlich auch von der Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 3 GewStG erfasst.2 Die Kürzung wird aber dadurch vereitelt, dass § 7 Satz 8 GewStG die entsprechenden Einkünfte als inländische Betriebsstätteneinkünfte fingiert (§ 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG).3

18.222

Soweit Einzelgewerbetreibende Dividenden aus dem Ausland beziehen, gehen sie nach Maßgabe des auch für die Gewerbesteuer zur Anwendung kommenden Teileinkünfteverfahrens nur zu 60 % in den Gewerbeertrag ein (§ 7 Satz 1 GewStG i.V.m. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG). Durch das Zusammenspiel von § 8 Nr. 5 GewStG einerseits und § 9 Nr. 7 GewStG andererseits wird das Teileinkünfteverfahren für gewerbesteuerliche Zwecke im Ergebnis indessen wieder suspendiert. Dies deshalb, weil entweder die Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG zu einer uneingeschränkten Gewerbesteuerbelastung führt oder aber das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg in § 9 Nr. 7 GewStG eine vollständige Freistellung bewirkt. Mit anderen Worten: Ausländische Dividenden unterliegen entweder in vollem Umfang oder überhaupt nicht der Gewerbesteuer.4

18.223

Die vorgenannten Grundsätze gelten auch für den Fall, dass die Bezüge im Rahmen der Einkünfteermittlung auf der Ebene einer Mitunternehmerschaft zu erfassen sind (§ 7 Satz 4 GewStG). Voraussetzung ist, dass an der Mitunternehmerschaft natürliche Personen unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligt sind. Damit werden im Ergebnis auch doppelstöckige Personengesellschaften erfasst.5 Soweit Körperschaften unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind, kommt § 8b KStG zur Anwendung (§ 7 Satz 4 Halbs. 2 GewStG).

18.224

Das für die Gewerbesteuer gem. § 7 Satz 1 GewStG an sich maßgebliche Teileinkünfteverfahren wird durch Hinzurechnung unter den Voraussetzungen des § 8 Nr. 5 GewStG wieder rückgängig gemacht. Der Hinzurechnung unterliegen die außer Ansatz bleibenden Gewinnanteile (Dividenden) und die diesen gleichgestellten Bezüge und erhaltenen Leistungen aus Anteilen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. Körperschaftsteuergesetzes, soweit nicht die Voraussetzungen der gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegien gem. § 9 Nr. 2a, 7 GewStG erfüllt sind. Die vorgenannten gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegien setzen eine Mindestbeteiligungsquote von 15 % seit Beginn des Erhebungszeitraums voraus. Deshalb bewirkt die Hinzurechnung im Ergebnis stets eine uneingeschränkte Gewerbesteuerbelastung für Streubesitzdividenden und für in- und ausländische Dividenden aus Kapitalanteilen, die unterjährig erworben wurden, und generell für Dividenden seitens ausländischer außerhalb der EU ansässiger Rechtsträger, soweit diese nicht aktiv tätig sind.

18.225

1 2 3 4 5

BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BFH/NV 2015, 921 Rz. 11. BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BFH/NV 2015, 921 m.w.N. Hierzu Drüen in Brandis/Heuermann, § 7 GewStG Rz. 91b. Hierzu Intemann in H/H/R, § 3 Nr. 40 EStG Rz. 45. Vgl. Roser in L/S, § 7 GewStG Rz. 393.

Schaumburg | 737

Kap. 18 Rz. 18.226 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

18.226

Die insbesondere auf die Suspendierung des Teileinkünfteverfahrens für gewerbesteuerliche Zwecke gerichtete Hinzurechnung von Streubesitzdividenden führt zu einer Störung des Systemzusammenhangs zwischen dem im Einkommensteuergesetz angelegten Teileinkünfteverfahren und der daran anknüpfenden kongruenten gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage. Damit wird zugleich das durch das Teileinkünfteverfahren verfolgte Ziel der Vermeidung einer steuerlichen Mehrfachbelastung (Rz. 18.20 ff.) insoweit verfehlt. Im internationalen Kontext bedeutet dies, dass eine internationale Doppelbesteuerung somit nicht vermieden werden kann. Dieser Systembruch ist allein fiskalisch motiviert: Dem Gesetzgeber ging es im Wesentlichen darum, das Gewerbesteueraufkommen durch Einbeziehung von Streubesitzdividenden in die Bemessungsgrundlage zu sichern.1

18.227

Die Hinzurechnung (§ 8 Nr. 5 GewStG) betrifft nach dem Wortlaut des Gesetzes nur Gewinnanteile (Dividenden) und die ihnen gleichgestellten Bezüge und erhaltenen Leistungen aus Anteilen an einer Körperschaft, Personenvereinigung und Vermögensmasse i.S.d. Körperschaftsteuergesetzes, die, soweit sie gem. § 3 Nr. 40 EStG steuerfrei sind, bei der Gewinnermittlung außer Ansatz bleiben. Trotz unterschiedlicher Formulierungen sind § 8 Nr. 5 GewStG einerseits und § 3 Nr. 40 EStG andererseits insoweit deckungsgleich, als § 3 Nr. 40 EStG alle steuerfreien Bezüge und Einnahmen i.S.d. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d bis i EStG erfasst.2 Das sind im Wesentlichen Dividenden. Der Hinzurechnung unterliegen nur die Nettobeträge; es werden also auch solche Betriebsausgaben berücksichtigt, die gem. § 3c Abs. 2 EStG bei der Gewinnermittlung nicht abgezogen werden dürfen (§ 8 Nr. 5 Satz 1 3. und 4. Halbs. GewStG). Soweit es hierbei zu einem negativen Nettobetrag kommt, bleibt eine Hinzurechnung, die sich in diesem Falle als Kürzung auswirken würde, allerdings versagt.3

18.228

Über § 7 Satz 1 GewStG kommen für Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen auch die Körperschaftsteuerbefreiungen gem. § 8b Abs. 1, 2 KStG zur Anwendung. Das hat zur Folge, dass Streubesitzdividenden (§ 8b Abs. 4 KStG) überhaupt nicht, übrige Dividenden im Ausgangspunkt zu 95 % (§ 8b Abs. 1, 5 KStG)4 und ebenso die Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen (§ 8b Abs. 2, 3 KStG) aus dem Gewerbeertrag herausgenommen sind. Soweit es sich um die Veräußerungsgewinne handelt, ist diese Freistellung von der Gewerbesteuer endgültig. Für steuerfreie Dividenden und ihnen gleichgestellte Einnahmen kommt allerdings die Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG zur Anwendung, so dass im Ergebnis – unter Einbeziehung von § 9 Nr. 7 GewStG – die Freistellung für Dividenden aus einer Beteiligung von mindestens 10 % (§ 8b Abs. 4 KStG), aber weniger als 15 % (§ 9 Nr. 7 GewStG) und für Dividenden aus unterjährig erworbenen Kapitalanteilen suspendiert wird. Auch hier erfolgt die Hinzurechnung mit dem Nettobetrag, also auch unter Berücksichtigung von § 8b Abs. 5 KStG.5

1 Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 20e; Hofmeister in Brandis/Heuermann, § 8 GewStG Rz. 561. 2 Prinz/Simon, DStR 2002, 149 (150). 3 Zur Begründung Hofmeister in Brandis/Heuermann, § 8 GewStG Rz. 586; Gröning/Siegmund, DStR 2003, 617 ff.; a.A. Nöckel in L/S, § 8 Nr. 5 GewStG Rz. 13; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 8 Nr. 5 GewStG Rz. 12; vgl. auch BFH v. 1.10.2015 – I R 4/14, BFH/NV 2016, 145 zu § 8 Nr. 1 Buchst. c GewStG. 4 Im Fall der Organschaft (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG) bleibt die sog. Schachtelstrafe (§ 8b Abs. 5 KStG) unberücksichtigt; BFH v. 17.12.2014 – I R 39/14, BStBl. II 2015, 1052; anders dagegen ab 2017 § 7a GewStG (AHRL-ÄndUmsG). 5 Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 74.

738 | Schaumburg

C. Gewerbesteuer | Rz. 18.233 Kap. 18

Die Besteuerung von Streubesitzdividenden nach § 8b Abs. 4 KStG einerseits und § 9 Nr. 7 GewStG andererseits sind nicht aufeinander abgestimmt und führen im Hinblick auf die eigentliche Zielsetzung der Vermeidung der (internationalen) Doppelbesteuerung zu nicht gerechtfertigten Anwendungsdivergenzen. Diese bestehen vor allem bei der maßgeblichen Mindestbeteiligung und dem Zeitbezug. Während § 8b Abs. 4 KStG für Beteiligungen an Kapitalgesellschaften durchgängig auf eine Mindestbeteiligung von 10 % abstellt, ist gem. § 9 Nr. 7 GewStG eine Mindestbeteiligung von 15 % erforderlich. Darüber hinaus muss diese Mindestbeteiligung bei der Gewerbesteuer seit Beginn des Erhebungszeitraums bestanden haben, während demgegenüber bei der Körperschaftsteuer auf den Beginn des Kalenderjahres abgestellt wird. Unterschiede bestehen auch z.B. bei Finanzunternehmen, denen die Steuerbefreiung für Dividenden gem. § 8b Abs. 7 KStG (Rz. 18.159 f.) versagt, für Zwecke der Gewerbesteuer unter den Voraussetzungen des § 9 Nr. 7 GewStG dagegen gewährt wird.1

18.229

Die mit § 9 Nr. 7 GewStG verknüpfte Hinzurechnung hat für die in § 8 Nr. 5 GewStG genannten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen indessen nur eine begrenzte Reichweite: In den Fällen, in denen Auslandsdividenden den abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien unterliegen und diese auch für die Gewerbesteuer gelten, kommt die abkommensrechtliche Freistellung (Rz. 19.545 ff.) ohne die Einschränkung des § 8 Nr. 5 GewStG zur Anwendung. Denn die auf den Bruttobetrag der Dividende bezogene abkommensrechtliche Freistellung wird ohne Vorbehalt gewährt, so dass die für den Steuerpflichtigen günstigere Regelung zur Anwendung kommt.2

18.230

Im Übrigen unterbleibt eine Hinzurechnung und damit zugleich die Suspendierung von § 3 Nr. 40 EStG und § 8b Abs. 1 KStG, soweit die Voraussetzungen der in § 9 Nr. 2a, 7 GewStG verankerten gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegien erfüllt sind. Im außensteuerlichen Kontext ist allein § 9 Nr. 7 GewStG von Bedeutung. Das dort verankerte gewerbesteuerliche Schachtelprivileg gilt sowohl bei unmittelbarer als auch bei mittelbarer Beteiligung.

18.231

III. Gewerbesteuerliches Schachtelprivileg Das als Kürzung ausgeprägte gewerbesteuerliche Schachtelprivileg, das von jedem in Anspruch genommen werden kann, der einen Gewinn aus Gewerbebetrieb i.S.v. § 7 GewStG erzielt,3 bewirkt, dass die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um die Gewinne aus Anteilen an einer ausländischen Kapitalgesellschaft bei wesentlicher Beteiligung4 gekürzt wird (§ 9 Nr. 7 Satz 1 GewStG).

18.232

Da die Kürzung nur Gewinnanteile betrifft,5 die bei der Ermittlung des Gewinns nach § 7 GewStG angesetzt worden sind,6 fallen unter die Kürzung des § 9 Nr. 7 GewStG auch verdeckte Gewinnausschüttungen, Vorabausschüttungen und anderweitige geldwerte Vorteile wie Gra-

18.233

1 Hierzu Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 17b. 2 BFH v. 23.6.2010 – I R 71/09, BStBl. II 2011, 129; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 8 Nr. 5 GewStG Rz. 6. 3 Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 22. 4 15 % des Nennkapitals. 5 Nicht aber Anteilsveräußerungsgewinne; vgl. BFH v. 17.12.1971 – VIII R 3/70, BStBl. II 1972, 468; v. 2.2.1972 – I R 217/69, BStBl. II 1972, 470; v. 29.8.1984 – I R 154/81, BStBl. II 1985, 160; v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414; dagegen eine Gleichstellung von Ausschüttungen und Veräußerungsgewinnen als Kumulation künftiger Ausschüttungen Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 24g. 6 § 9 Nr. 7 GewStG betrifft somit nur den steuerpflichtigen Teil der Dividende.

Schaumburg | 739

Kap. 18 Rz. 18.233 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

tisaktien, Boni und Liquidationsgewinne.1 Die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG hat indessen eine begrenzte Reichweite. Soweit ein DBA zur Anwendung kommt und dieses auch für gewerbesteuerliche Zwecke ein Schachtelprivileg gewährt, greift § 9 Nr. 7 GewStG von vornherein nicht ein, weil die so abkommensrechtlich steuerfrei gestellte Dividende bereits nicht im Gewinn gem. § 7 Satz 1 GewStG enthalten und eine Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG ausgeschlossen ist.2 Im Übrigen entfaltet § 9 Nr. 7 GewStG seine Wirkung nur im Rahmen der Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG. Hiernach unterbleibt eine Hinzurechnung ausländischer Dividenden nur unter den Voraussetzungen des § 9 Nr. 7 GewStG (Rz. 18.223). Da § 8 Nr. 5 GewStG unter dem Vorbehalt der Kürzungsvoraussetzung gem. § 9 Nr. 7 GewStG steht, andererseits aber die Kürzung wiederum die vorangegangene Hinzurechnung voraussetzt, ginge das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg eigentlich ins Leere.3 In Orientierung an den Sinn und Zweck des § 9 Nr. 7 GewStG – Vermeidung der Doppel- und Mehrfachbesteuerung – ist der Regelungszusammenhang zwischen § 8 Nr. 5 GewStG und § 9 Nr. 7 GewStG so zu verstehen, dass § 8 Nr. 5 GewStG vorgeht und der Verweis auf § 9 Nr. 7 GewStG lediglich die abstrakten Tatbestandsvoraussetzungen betrifft.4

18.234

Da in die Kürzung gem. § 9 Nr. 7 GewStG nur dasjenige einbezogen wird, was zuvor in den Gewinn gem. § 7 GewStG eingegangen ist, mindern Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Bezug der Dividenden den Kürzungsbetrag, wenn sie selbst ebenfalls den Gewinn gemindert haben (§ 9 Nr. 7 Satz 2 i.V.m. § 9 Nr. 2a Satz 3 GewStG). Der Kürzungsbetrag wird bei Kapitalgesellschaften ferner auch um den Betrag der Schachtelstrafe (§ 8 Abs. 5 KStG) vermindert (§ 9 Nr. 7 Satz 2 i.V.m. § 9 Nr. 2a Satz 4 GewStG). Diese Nettobetrachtung wird allerdings in den Fällen der Organschaft (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG), für die die körperschaftsteuerrechtlichen Regelungen für den gewerbesteuerlichen Organkreis uneingeschränkt Anwendung finden, durch die Bruttomethode (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 KStG) ersetzt. Hieraus folgt einerseits, dass bei der Organgesellschaft der Kürzungsbetrag und bei Organträgern bis einschließlich 2016 das zugerechnete Ergebnis nicht um die Schachtelstrafe vermindert wird, so dass die Schachteldividenden im gewerbesteuerlichen Organkreis im Ergebnis zu 100 % steuerbefreit sind.5 Diese Freistellung wird ab 2017 mittels § 7a GewStG dadurch vermieden, dass bei der Organgesellschaft die Kürzung nach § 9 Nr. 2a, 7 und 8 GewStG ausgeschlossen und zugleich die Anwendung von § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG angeordnet wird. Damit wird die Anwendung des § 8b Abs. 5 KStG auch für Zwecke der Gewerbesteuer sichergestellt.6

18.234a

Sind ausländische Steuern, die auf Gewinne oder Gewinnanteile entfallen, die bei der Ermittlung des Gewerbeertrages außer Ansatz bleiben oder gem. § 9 GewStG gekürzt werden, nach § 34c Abs. 2 und 3 EStG bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen, unterliegen sie gem. § 8 Nr. 12 GewStG einer Hinzurechnung. Damit wird eine zweifache Minderung des Gewerbeertrags in den Fällen vermieden, in denen die ausländischen Einkünfte ohnehin nicht der

1 Vgl. die Aufzählung bei Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 24d ff. 2 BFH v. 9.8.2006 – I R 95/05, BStBl. II 2007, 279; v. 23.6.2010 – I R 71/09, BStBl. II 2011, 129; Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 69; Gosch in Brandis/Heuermann, § 9 GewStG Rz. 293. 3 Hierzu Prinz/Simon, DStR 2002, 149 (150). 4 BFH v. 9.11.2011 – 1 B 62/11, BFH/NV 2012, 449; v. 16.4.2014 – 1 R 44/13, BStBl. II 2015, 304; Nöcker in L/S, § 8 Nr. 5 GewStG Rz. 22; Gosch in Brandis/Heuermann, § 9 GewStG Rz. 294; Güroff in Glanegger/Güroff10, § 8 Nr. 5 GewStG Rz. 1. 5 BFH v. 17.12.2014 – I R 39/14, BStBl. II 2015, 1052; hierzu Gosch in Brandis/Heuermann, § 9a GewStG Rz. 2. 6 Hierzu Kolbe in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 13.88 f.

740 | Schaumburg

D. Erbschaftsteuer | Rz. 18.242 Kap. 18

Gewerbesteuer unterliegen, z.B., weil es sich um Schachteldividenden handelt, die bei der Ermittlung des Gewerbeertrags gem. § 9 Nr. 7 und 8 GewStG gekürzt werden. Der Kürzung unterliegen nur Gewinne aus einem Anteil an einer ausländischen Kapitalgesellschaft.1 Im Anwendungsbereich von § 9 Nr. 7 Satz 1 GewStG reicht eine mittelbare Beteiligung über eine inländische Personengesellschaft aus.2 Es muss sich aber um eine Beteiligung am Nennkapital handeln, so dass Gewinnanteile stiller Gesellschafter oder partiarischer Darlehensgeber nicht von § 9 Nr. 7 Satz 1 GewStG erfasst werden. Die Beteiligung muss mindestens 15 % zu Beginn des Erhebungszeitraums betragen. Ausschüttungen nach Anteilsübertragung sind noch dem Veräußerer zuzurechnen, wenn der Ausschüttungsbeschluss zuvor gefasst wurde.3

18.235

Die Kürzung der Gewinnanteile (Dividenden) ist auf diejenigen begrenzt, die bei der Ermittlung des Gewinns (§ 7 GewStG) angesetzt worden sind. Hierzu gehören auch verdeckte Gewinnausschüttungen.4 Durch die Bezugnahme auf § 9 Nr. 2a Sätze 3 bis 5 GewStG wird insbesondere sichergestellt, dass bei der Kürzung nur Nettobeträge (§ 9 Nr. 2a Satz 3 GewStG), nicht aber nicht abziehbare Angaben (§ 9 Nr. 2a Satz 4 GewStG) berücksichtigt werden.5

18.236

Einstweilen frei.

18.237– 18.242

D. Erbschaftsteuer Literatur: Kommentare zu § 21 ErbStG; Arlt, Internationale Erbschaft- und Schenkungsteuerplanung, Herne/Berlin 2001; Arlt, Vermeidung der Doppelbesteuerung bei internationalen Erbfällen und Schenkungen als Problem der Erbschaftsteuerplanung in Gosch/Grotherr/Bergmann, Steuerplanung und Compliance, Herne, Teil 7, 5. Thema; Bachmann/Richter, Anrechnungshöchstbetrag bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer: Ist die Rechtsprechung von EuGH und BFH zur Unionsrechtswidrigkeit von § 34c Abs. 1 S. 2 EStG auf § 21 Abs. 1 S. 2 ErbStG übertragbar?, FR 2014, 928; Bechthold, Vermeidung von Doppelbesteuerung bei internationalen Erb- und Schenkungsfällen, 2015; Beul, Beschränkung europäischer Niederlassungsfreiheit und Art. 220 EGV, IStR 1997, 1; Birnbaum, Leistungsfähigkeitsprinzip und ErbStG, Berlin 2007; Dautzenberg/Brüggemann, EG-Vertrag und deutsche Erbschaftsteuer, BB 1997, 123; Deinigner/Götzenberger, Internationale Vermögensnachfolgeplanung mit Auslandsstiftungen und Trusts, Angelbachtal 2006; Dißars/Dißars, Die Anrechnung ausländischer Erbschaft- und Schenkungsteuer in Deutschland, RIW 1996, 144; Faltings, Die Vermeidung der Doppelbesteuerung im internationalen Erbschaftsteuerrecht, 2010; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl. München 2008; Fraberger, Nationale und Internationale Unternehmensnachfolge, Wien 2001; Hamdan, Die Beseitigung internationaler Doppelbeteuerung durch § 21 ErbStG, Angelbachtal 2007; Hönninger, Internationale Doppelbesteuerung im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, Frankfurt/ M. 2003; Jülicher, Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuer nach § 21 ErbStG: Eine Vorschrift im Wandel?, in FS Frotscher, 2013, 273; Jülicher, Die anrechenbare Steuer im Sinne des § 21 ErbStG, ZEV 1996, 295; Krawitz/Dornhöfer, Möglichkeiten zur Vermeidung einer internationalen Mehrfachbelas1 Ort der Geschäftsleitung und Sitz im Ausland; zum Typenvergleich Rz. 7.7; zu verfassungsrechtlichen Bedenken wegen des Ausschlusses von doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften Kollruss, FR 2015, 446. 2 BFH v. 17.5.2000 – I R 31/99, BStBl. II 2001, 685; Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 23d; Gosch in Brandis/Heuermann, § 9 GewStG Rz. 308; 9.5 GewStR. 3 Zum erforderlichen Zurechnungszusammenhang BFH v. 13.3.2018 – IX R 35/16, BFH/NV 2018, 936; Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 24b. 4 R 9.5 Satz 3 GewStR. 5 Vgl. hierzu den Überblieck bei Roser in L/S, § 9 Nr. 7 GewStG Rz. 25k ff.

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Kap. 18 Rz. 18.243 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung tung mit Erbschaft- und Schenkungsteuer bei der unentgeltlichen Übertragung von ausländischem Unternehmensvermögen, in Kessler/Förster/Watrin, Unternehmensbesteuerung, FS für Herzig, München 2010, 381; Schaumburg, Problemfelder im Internationalen Erbschaftsteuerrecht, RIW 2001, 161; Schnitger, Geltung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages im deutschen internationalen Erbschaftsteuerrecht, FR 2004, 185; Wachter, Deutsches Erbschaftsteuerrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, FR 2004, 1256; Wacker, Internationale Besteuerung von Schenkungs- und Erbfällen, IStR 1998, 33; Wassermeyer, Die Vermeidung der Doppelbesteuerung im Europäischen Binnenmarkt, DStJG 19 (1996), 151; Watrin, Erbschaftsteuerplanung internationaler Familienunternehmen, Düsseldorf 1997.

18.243

Im innerstaatlichen Recht wird für den Bereich der Erbschaftsteuer die Doppelbesteuerung allein durch Steueranrechnung (§ 21 ErbStG) vermieden. § 21 ErbStG ist eine kollisionsauflösende Norm, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steht, der die Tatbestände der unbeschränkten und erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht enthält. Es handelt sich hierbei um eine kollisionsbegründende Norm, die den gesamten Vermögensanfall der Erbschaftsteuer unterwirft (Weltvermögensprinzip) und damit auf Doppelbesteuerung ausgerichtet ist (Rz. 8.26).

18.244

In seiner Grundstruktur ist § 21 ErbStG dem § 34c EStG nachgebildet. Allerdings bleibt seine Reichweite deutlich hinter § 34c EStG zurück. So sieht § 21 ErbStG im Gegensatz zu § 34c EStG weder einen Steuerabzug noch eine Steuerpauschalierung oder einen Steuererlass vor. Der Steuerabzug ist sogar gem. § 10 Abs. 8 ErbStG ausdrücklich ausgeschlossen.1 Unter dieses Abzugsverbot fallen auch ausländische Erbschaftsteuerschulden.2 Trotz Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuern verbleibt in der Praxis nicht selten eine erhebliche Doppelbesteuerung, die sich insbesondere im Falle der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht als Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip erweist.3 Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen der Erblasser in zwei Staaten etwa wegen doppelten Wohnsitzes unbeschränkt steuerpflichtig war und eine Anrechnung versagt bleibt, wenn aus der Sicht beider Staaten kein Auslandsvermögen übergegangen ist.4 Bei verbleibender Doppelbesteuerung ist daher stets ein Steuererlass (§§ 163, 227 AO) geboten.5

18.245

Im Hinblick darauf, dass insbesondere die Reichweite der unbeschränkten und erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht sehr weit gezogen ist und nur wenige DBA die Erbschaftsteuer erfassen,6 greift die in § 21 ErbStG verankerte Steueranrechnung zu kurz. Das auch für die Erbschaftsteuer geltende Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit 1 BFH v. 19.6.2013 – II R 10/12, BStBl. II 2013, 746; Geck in K/E, § 10 ErbStG Rz. 177; Weinmann in M/W, § 10 ErbStG Rz. 109; Gebel in T/G/J/G, § 10 ErbStG Rz. 268, a.A. Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 21 ErbStG Rz. 2, wonach § 10 Abs. 8 ErbStG den Abzug ausländischer Erbschaftsteuer von der Bemessungsgrundlage der inländischen Erbschaftsteuer nicht verbiete. 2 Geck in K/E, § 10 ErbStG Rz. 177; Gebel in T/G/J/G, § 10 ErbStG Rz. 268, HE 10.11 ErbStR; ein wahlweiser Abzug wäre im Hinblick auf den Anrechnungshöchstbetrag de lege ferenda allerdings geboten; vgl. Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 21 ErbStG Rz. 2. 3 Im Hinblick darauf besteht die Notwendigkeit, insbesondere zwischen den EU-Mitgliedstaaten DBA vermehrt auch über Erbschaftsteuern abzuschließen; hierzu Wassermeyer, DStJG 19 (1996), 151 ff.; Beul, IStR 1997, 1 ff. 4 Keine Unionsrechtswidrigkeit: EuGH v. 12.2.2009 – C-67/08, ECLI:EU:C:2009:92 = Slg. 2009, I-883 Rz. 28 ff. – Block; DStR 2009, 373; hierzu Eisele in K/E, § 21 ErbStG Rz. 15.1; Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 2, 75; Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.72; zur Kritik Hamdan/Hamdan, ZEV 2009, 203. 5 Zu Billigkeitsmaßnahmen BFH v. 19.6.2013 – II R 10/12, BStBl. II 2013, 746; Eisele in K/E, § 21 ErbStG Rz. 16.1; Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 6. 6 Vgl. die Aufstellung in BStBl. I 2016, 76.

742 | Schaumburg

D. Erbschaftsteuer | Rz. 18.249 Kap. 18

(Rz. 7.4)1 gebietet weitergehende Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Diesem Gesichtspunkt ist bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch die Möglichkeit des Steuerabzugs (§ 34c Abs. 2, 3 EStG, § 26 Abs. 1 Satz 2 KStG) jedenfalls teilweise entsprochen. Es ist kein Grund erkennbar, warum de lege ferenda nicht jedenfalls wahlweise ein Steuerabzug eingeräumt wird. Als unilaterale Maßnahme zur Vermeidung der Doppelbesteuerung greift § 21 ErbStG nur dann ein, wenn DBA (Erbschaftsteuerabkommen) nicht anzuwenden sind (§ 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).2 Da die von Deutschland abgeschlossenen Erbschaftsteuerabkommen durchweg nur die Erbschaftsteuer selbst, nicht aber die Schenkungsteuer betreffen,3 bleibt die Steueranrechnung bei Schenkungen insoweit möglich.

18.246

Die Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuer ist unter folgenden Voraussetzungen zulässig:

18.247

– Antrag, – unbeschränkte Steuerpflicht beim Erwerb, – auf Auslandsvermögen erhobene und tatsächlich gezahlte ausländische Erbschaftsteuer, soweit sie der deutschen Erbschaftsteuer entspricht, – Berücksichtigung der ausländischen Erbschaftsteuer nur innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt ihres Entstehens und nur bis zu einem bestimmten Höchstbetrag. Die Steueranrechnung ist nur bei Erbfällen und Schenkungen mit unbeschränkter Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) vorgesehen. Erblasser (Schenker) oder der Erwerber müssen also zum Zeitpunkt des Erwerbs Inländer sein. Bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) und erweiterter beschränkter Erbschaftsteuerpflicht (§ 4 AStG) ist eine Anrechnung dagegen ausgeschlossen.4

18.248

Obwohl § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG für Zwecke der Anrechnung darauf abstellt, dass der Erwerber selbst zur ausländischen Steuer herangezogen worden ist, ist eine Steuersubjektidentität im formaljuristischen Sinne nicht erforderlich.5 Andernfalls ginge die Anrechnungsvorschrift des § 21 ErbStG weitgehend ins Leere, weil die Erbschaftsteuer international nicht nur als Erbanfallsteuer, die für den Erwerber festgesetzt wird, ausgeprägt ist, sondern auch als Nachlasssteuer, die noch für die Person des Erblassers festgesetzt wird.6 Im Hinblick darauf kann der Erwerber die ausländische Erbschaftsteuer nicht nur dann anrechnen, wenn er selbst der Schuldner ist oder durch diese unmittelbar wirtschaftlich belastet wird, sondern auch

18.249

1 Schienke-Ohletz in von Oertzen/Loose2, § 21 ErbStG Rz. 5; Birnbaum, Leistungsfähigkeitsprinzip und ErbStG, Berlin 2007. 2 Soweit abkommensrechtlich die Anrechnungsmethode vorgesehen ist, finden die Vorschriften des § 21 Abs. 1–3 ErbStG allerdings entsprechende Anwendung (§ 21 Abs. 4 ErbStG). 3 Ausnahme: DBA-USA (Erb); DBA-Schweden; DBA-Dänemark; DBA-Frankreich (Erb); zum DBA-Schweiz (Erb) vgl. BMF v. 7.4.1988 – IV C 6 - S 1301 Schz - 25/88, DB 1988, 938: Verständigungsregelung zu Schenkungen von Geschäftsbetrieben. 4 Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 11. 5 BFH v. 6.3.1990 – II R 32/86, BStBl. II 1990, 786, Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 34; Weinmann in M/W, § 21 ErbStG Rz. 15; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 21 ErbStG Rz. 13; R E 21 I ErbStR. 6 Vgl. hierzu den Länderüberblick bei Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 91 ff.

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Kap. 18 Rz. 18.249 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

dann, wenn, wie im Falle einer Nachlasssteuer, diese den Nachlass1 und damit alle Teile des Nachlasses belastet.2 Folgerichtig gehören daher zu den anrechenbaren ausländischen Erbschaftsteuern nicht nur Erbanfallsteuern, sondern auch ausländische Nachlasssteuern, die auf dem Nachlass selbst lasten.3 Anrechenbar ist schließlich auch eine ausländische Schenkungsteuer, die für Zuwendungen unter Lebenden erhoben wird. Ohne Bedeutung ist hierbei die Bezeichnung dieser Steuer. Entscheidend ist allein, ob die Steuer auf einen Vermögensübergang unter Lebenden deshalb erhoben wird, weil dieser unentgeltlich und freigebig ist.4 Stets muss aber die ausländische Erbschaftsteuer, gleich ob sie nach den Gesetzen einer Provinz oder eines Landes erhoben wird,5 die Vermögenssubstanz als solche belasten.6 Daher ist etwa die kanadische Kapitalgewinnsteuer (capital gains tax), die in Erbfällen nur die Wertsteigerung der Vermögenssubstanz besteuert, nicht anrechenbar.7 In Betracht kommt daher nur ein Schuldenabzug gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG.8

18.250

Die ausländische Erbschaftsteuer ist ohne Rücksicht darauf anrechenbar, ob die deutsche und ausländische Steuerschuld im gleichen Zeitpunkt entstanden sind. Entscheidend ist allein, dass die ausländische Erbschaftsteuer für denselben Erbfall oder für dieselbe Schenkung erhoben wird wie die deutsche Erbschaftsteuer. § 21 Abs. 1 Satz 4 ErbStG zieht allerdings eine zeitliche Grenze. Hiernach ist nur diejenige ausländische Steuer anrechenbar, die bis zu fünf Jahren vor der deutschen Erbschaftsteuer entstanden ist. Nicht geregelt ist der Fall, dass die ausländische Steuer zeitlich erst nach der deutschen Erbschaftsteuer entsteht. Da ein sachlicher Grund für eine Differenzierung zwischen beiden Fallgruppen nicht besteht, ist im Wege teleologischer Reduktion eine Anwendung des § 21 Abs. 1 Satz 4 ErbStG für den Fall geboten, dass die ausländische Erbschaftsteuer innerhalb von fünf Jahren nach der deutschen Erbschaftsteuer entsteht.9 Die Änderung eines bereits bestandskräftigen Erbschaftsteuerbescheides ist sodann gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich.10

18.251

Anrechenbar ist nur die tatsächlich gezahlte ausländische Erbschaftsteuer. § 21 ErbStG legt zwar nicht fest, nach welchem Stichtag und Kurs die anzurechnende ausländische Steuer in

1 So etwa die vom Trustee als Steuerschuldner entrichtete Nachlasssteuer bei einem nach angloamerikanischem Recht errichteten Nachlasstrust; BFH v. 28.2.1979 – II R 165/74, BStBl. II 1979, 438; v. 6.3.1990 – II R 32/86, BStBl. II 1990, 786; Eisele in K/E, § 21 ErbStG Rz. 26.1. 2 BFH v. 6.3.1990 – II R 32/86, BStBl. II 1990, 786; Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 34; Weinmann in M/W, § 21 ErbStG Rz. 7. 3 BFH v. 26.6.1963 – II 196/61 U, BStBl. III 1963, 402; v. 28.2.1979 – II R 165/74, BStBl. II 1979, 438; v. 6.3.1990 – II R 32/86, BStBl. II 1990, 786; Eisele in K/E, § 21 ErbStG Rz. 1; Jülicher in T/G/ J/G, § 21 ErbStG Rz. 91 ff. 4 Eisele in K/E, § 21 ErbStG Rz. 6. 5 BFH v. 15.5.1964 – II 177/61 U, BStBl. III 1964, 408; H.-V. Viskorf in Viskorf/Schuck/Wälzholz, § 21 ErbStG Rz. 17. 6 Ausführlich hierzu Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 20 ff. mit Hinweisen zu anrechenbaren und nicht anrechenbaren Auslandssteuern. 7 BFH v. 26.4.1995 – II R 13/92, BStBl. II 1995, 540; Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 19. Entsprechendes gilt für die in den USA auf Versicherungsleistungen erhobene „federal income tax withheld“; BFH v. 15.6.2016 – II R 51/14, BStBl. II 2018, 194. 8 BFH v. 26.4.1995 – II R 13/92, BStBl. II 1995, 540. 9 Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 56; Weinmann in M/W, § 21 ErbStG Rz. 32; Schaumburg, RIW 2001, 161 (168); Krawitz/Dornhöfer in FS Herzig, 381 (391); R E 21 Abs. 2 ErbStR 2019. 10 BFH v. 22.9.2010 – II R 54/09, BStBl. II 2011, 247; Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 50; Eisele in K/E, § 21 ErbStG Rz. 27.

744 | Schaumburg

D. Erbschaftsteuer | Rz. 18.255 Kap. 18

die deutsche Währung umzurechnen ist, es ist aber sachgerecht, auf den Tag abzustellen, an dem die deutsche Erbschaftsteuer für den Erwerb entstanden ist.1 In Anlehnung an die Anrechnungsvorschrift des § 34c Abs. 1 EStG lässt auch § 21 Abs. 1 ErbStG die Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuern nur bis zu dem Betrag der deutschen Erbschaftsteuer zu, der auf das Auslandsvermögen entfällt. Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 ErbStG ist die auf das Auslandsvermögen entfallende deutsche Erbschaftsteuer in der Weise zu ermitteln, dass die für das steuerpflichtige Gesamtvermögen sich ergebende Erbschaftsteuer im Verhältnis des steuerpflichtigen Auslandsvermögens zum steuerpflichtigen Gesamtvermögen aufgeteilt wird. Auszugehen ist hierbei jeweils von den Nettowerten, also von den Steuerwerten abzgl. Verbindlichkeiten, aber ohne Abzug von persönlichen Freibeträgen (§§ 16, 17 ErbStG)2 und ausländischer Steuer.3 Demgemäß wird der Höchstbetrag nach folgender Formel ermittelt:4

18.252

deutsche ErbSt × steuerpflichtiges Auslandsvermögen steuerpflichtiges Gesamtvermögen Nach der vorstehenden Formel ist der Höchstbetrag für jeden Staat gesondert zu berechnen (§ 21 Abs. 1 Satz 3 ErbStG)5 mit der Folge von nicht nutzbaren Anrechnungsüberhängen.6

18.253

Die Höhe der anrechenbaren ausländischen Erbschaftsteuer hängt im Wesentlichen davon ab, in welchem Umfang das im Ausland belegene Vermögen bei der Anrechnung berücksichtigt wird. § 21 Abs. 2 ErbStG unterscheidet zwei Fallgruppen:

18.254

– War der Erblasser zur Zeit seines Todes Inländer, zählen zum Auslandsvermögen alle auf den ausländischen Staat entfallenden Vermögensgegenstände der in § 121 BewG genannten Art sowie alle Nutzungsrechte an diesen Vermögensgegenständen. – War der Erblasser zur Zeit seines Todes kein Inländer, zählen zum Auslandsvermögen alle Vermögensgegenstände mit Ausnahme des Inlandsvermögens i.S.d. § 121 BewG sowie aller Nutzungsrechte an diesen Vermögensgegenständen. Für diese zweite Fallgruppe ist der Begriff des Auslandsvermögens deshalb weiter gefasst, weil der Erwerb eines inländischen Erwerbers aus einem ausländischen Nachlass regelmäßig be1 BFH v. 19.3.1991 – II R 134/88, BStBl. II 1991, 521; v. 26.4.1995 – II R 13/92, BStBl. II 1995, 540; kritisch hierzu Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 54; hiernach soll bei gestiegenem Wechselkurs der Tag der Zahlung maßgeblich sein. 2 BFH v. 10.7.1963 – II 115/62, HFR 1964, 12; Weinmann in M/W, § 21 ErbStG Rz. 15; ein in Orientierung an das Urteil des EuGH v. 28.2.2013 – C-168/11, ECLI:EU:C:2013:117 = ISR 2013, 275 – Beker vorzunehmender Abzug beim Gesamtvermögen und teilweise beim Auslandsvermögen führt zu keiner Verschiebung der Wertrelationen; vgl. Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 67; Eisele in K/E, § 21 ErbStG Rz. 3, 10; Bachmann/Richter, FR 2014, 829. 3 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 21 ErbStG Rz. 21 f.; Weinmann in M/W, § 21 ErbStG Rz. 14. 4 Die Bewertung des Auslands- und Gesamtvermögen erfolgt nach deutschen Vorschriften, wobei das Gesamtvermögen i.S. von Nettovermögen zu verstehen ist; Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 67. 5 Zur Kritik an der per country limitation Rz. 18.107. 6 Weinmann in M/W, § 21 ErbStG Rz. 26; W. Wassermeyer in Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, Rz. 1398.

Schaumburg | 745

18.255

Kap. 18 Rz. 18.255 | Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

reits in dem Staat, in dem der Erblasser seinen Wohnsitz hatte, in vollem Umfang der Besteuerung unterlegen hat.1

18.256

Die Begrenzung der Anrechenbarkeit auf jene ausländische Erbschaftsteuer, die auf ausländische Vermögensgegenstände der in § 121 BewG genannten Art entfällt (erste Fallgruppe), ist nicht sachgerecht. Wird nämlich im Rahmen der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) Erbschaftsteuer für den gesamten Vermögensanfall beansprucht (Weltvermögensprinzip), so ist folgerichtig die Doppelbesteuerung auch für den gesamten Vermögensanfall zu vermeiden. Die Anknüpfung an § 121 BewG ist daher konzeptionell verfehlt. Sie bewirkt, dass für zahlreiche Vermögensgegenstände, die aufgrund des § 121 BewG nicht als ausländische Vermögensgegenstände qualifiziert werden können, eine Doppelbesteuerung entweder überhaupt nicht oder nur eingeschränkt vermieden werden kann.2 Fallen etwa ausländische Wertpapiere in den Nachlass eines inländischen Erblassers, ist eine Anrechnung der auf diese Wertpapiere erhobenen ausländischen Erbschaftsteuer gem. § 21 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ErbStG ausgeschlossen.3 In diesen Fällen ist indessen eine Steueranrechnung aus Billigkeitsgründen (§§ 163, 227 AO) geboten.4

1 Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 77; Weinmann in M/W, § 21 ErbStG Rz. 20. 2 Kein Verstoß gegen Verfassungsrecht: BFH v. 5.5.2004 – II R 33/02, BFH/NV 2004, 1279. 3 Kein Verstoß gegen die Grundfreiheiten (Kapitalverkehrsfreiheit): EuGH v. 12.2.2009 – C-67/08, ECLI:EU:C:2009:92 = Slg. 2009, I-883, Rz. 28 ff. – Block; BFH v. 29.6.2013 – II R 10/12, BStBl. II 2013, 746. 4 Vgl. Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz18, § 21 ErbStG Rz. 30; Jülicher in T/G/J/G, § 21 ErbStG Rz. 79.

746 | Schaumburg

Kapitel 19 Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

A. B. I. II. III. C. D. I. II. E. I. II.

F. I.

II.

III. IV. V. VI.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 Multinationale Entwicklung Deutsche DBA . . . . . . . . . . . . . . . 19.12 Musterabkommen . . . . . . . . . . . . 19.14 Multilaterales Instrument . . . . . . 19.18a Abschluss und Wirksamwerden von DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.19 Änderungen und Erlöschen von DBA Änderungen und Ergänzungen . 19.24 Außerkrafttreten . . . . . . . . . . . . . 19.26 Anwendung von DBA Normengruppen . . . . . . . . . . . . . 19.29 Normenkonkurrenz 1. Verhältnis zum nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.37 2. Verhältnis zum Europarecht . 19.41 Auslegung von DBA Abkommensspezifische Auslegungsgrundsätze 1. Regelungssouveränität der Abkommen . . . . . . . . . . . . . . 19.49 2. Regelungshomogenität der Abkommen . . . . . . . . . . . . . . 19.52 Auslegungsrichtlinien der Abkommen 1. Reichweite der Auslegungsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . 19.54 2. Begriffsdefinitionen der Abkommen . . . . . . . . . . . . . . 19.58 3. Auslegung nach dem Sinnzusammenhang . . . . . . . . . . . 19.61 4. Rückgriff auf innerstaatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.64 Völkerrechtliche Auslegungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.67 Hilfsmittel der Auslegung . . . . . . 19.73 Auslegungskonflikte . . . . . . . . . . 19.79 Verständigungsverfahren 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 19.88 2. Verständigungsverfahren im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . 19.94

G. I. II.

III.

IV.

H. I. II. III. I. J. K. I. II. L. I. II.

3. Vorabverständigungsverfahren (§ 89a AO) . . . . . . . . . . . . . . . 19.104 4. Konsultationsverfahren . . . . . 19.108 5. Schiedsverfahren . . . . . . . . . . 19.110 6. EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.113a 7. EU-Schiedsverfahrenskonvention a) Allgemeine Hinweise . . . . 19.114 b) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 19.118 Steuerumgehung bei DBA Gestaltungen in der Praxis . . . . . 19.124 Reichweite des § 42 AO 1. Missbrauchsklauseln der DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.133 2. DBA ohne Missbrauchsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.146 3. Missbrauchsklauseln des nationalen Rechts . . . . . . . . . 19.150 Anwendung des § 42 AO 1. Unbeschränkte und beschränkte Steuerpflicht . . . . . 19.154 2. Tatbestandsvoraussetzungen . 19.155 Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 19.160 2. Anwendungsvoraussetzungen 19.163 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . 19.168 Persönlicher Geltungsbereich Anknüpfungsgrundsätze . . . . . . 19.169 Personengesellschaften . . . . . . . . 19.177 Dreiecksverhältnisse . . . . . . . . . . 19.182 Räumlicher Geltungsbereich . . . 19.184 Sachlicher Geltungsbereich . . . . 19.189 Steuerberechtigung Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.194 Kollisionsregel . . . . . . . . . . . . . . . 19.202 Verteilung der Steuergüter Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.211 Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 19.219

Schaumburg/Häck | 747

Kap. 19 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

2. Begriffsabgrenzung nach dem Recht des Belegenheitsstaates 3. Reichweite des Belegenheitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensgewinne 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriffsabgrenzungen . . . . . . 3. Betriebsstättengewinne a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Betriebsstättenbegriff . . . . c) Gewinnzuordnung . . . . . . 4. Gewinne aus Schifffahrt und Luftfahrt . . . . . . . . . . . . . 5. Gewinnabgrenzung bei verbundenen Unternehmen a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Erstberichtigung . . . . . . . . c) Gegenberichtigung . . . . . . Dividendeneinkünfte 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Dividendenbegriff . . . . . . . . . 3. Besteuerung im Quellenstaat 4. Verbot extraterritorialer Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . Zinseinkünfte 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Zinsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besteuerung im Quellenstaat Lizenzgebühren 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Lizenzbegriff . . . . . . . . . . . . . 3. Besteuerung im Wohnsitzstaat und Quellenstaat . . . . . . . . . . Veräußerungsgewinne 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewinne aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens . . 3. Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Betriebsvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gewinne aus der Veräußerung von Schiffen und Luftfahrzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Immobiliengesellschaften . . . . . . . . . . . . . 6. Gewinne aus der Veräußerung von übrigem Vermögen . . . . Einkünfte aus selbständiger Arbeit 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .

748 | Schaumburg/Häck

19.224 IX. 19.227 19.229 19.234 19.239 19.241 19.264 19.280

X. XI.

19.289 19.298 19.314

XII. XIII.

19.324 19.329 19.346

XIV. XV. XVI.

19.353 19.356 19.361 19.365

XVII.

19.369 19.372 19.376 19.378 19.381

M. I. II.

19.385

19.394

19.396 19.399

19.404

III.

2. Einordnung der Einkünfte . . 3. Besteuerung im Quellenstaat Einkünfte aus unselbständiger Arbeit 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Einordnung der Einkünfte . . 3. Besteuerung im Staat des Tätigkeitsortes . . . . . . . . . . . . 4. Besteuerung des Bordpersonals . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besteuerung im Wohnsitzstaat Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen . . . . . . . . . . . . . Einkünfte von Künstlern und Sportlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruhegehälter . . . . . . . . . . . . . . . . Einkünfte aus dem öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkünfte von Studenten . . . . . . Andere Einkünfte . . . . . . . . . . . . Vermögen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Belegenheitsprinzip . . . . . . . . 3. Betriebsstättenprinzip . . . . . . 4. Besteuerung von Seeschiffen und Luftfahrzeugen . . . . . . . . 5. Wohnsitzprinzip . . . . . . . . . . Nachlässe und Erbschaften 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung im Belegenheitsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besteuerung im Betriebsstättenstaat . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besteuerung im Wohnsitzstaat Vermeidung der Doppelbesteuerung Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerfreistellung 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . 2. Einkünfte und Vermögen . . . 3. Progressionsvorbehalt . . . . . . 4. Aufwandsabzug . . . . . . . . . . . 5. Betriebsstättenfreistellung . . . 6. Internationales Schachtelprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steueranrechnung 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . 2. Anrechenbare Steuern . . . . . 3. Anrechnung fiktiver Steuern

19.410 19.412

19.419 19.422 19.424 19.439 19.443 19.450 19.453 19.459 19.462 19.466 19.473 19.478 19.482 19.484 19.489 19.490 19.493 19.501 19.505 19.510

19.512 19.521 19.531 19.534 19.541 19.543 19.545 19.552 19.553 19.566

A. Einführung | Rz. 19.1 Kap. 19 Literatur: Kommentare zu deutschen DBA: Arthur Andersen & Co. GmbH, DBA-USA, 1989; Becker, DBA-Kanada; Debatin/Endres, DBA-USA 1989; Debatin/Walter, DBA-USA 1954; Gosch/Kroppen/ Grotherr/Kraft, DBA; Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA Deutschland-USA 2006; Flick/Krabbe, DBA-Brasilien; Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA-Schweiz; Gassner/Lang/Lechner, Das neue DBA Österreich-Deutschland; Grützner, DBA; Haase, AStG/DBA; Hacker, Die DBA Russlands und der anderen GUS-Staaten; Heining/Timbart, DBA-Frankreich; Hilty, DBA Deutschland-Schweiz; Jacob, DBA-USA; Kessler/Linz/Achilles-Pujol, DBA-Kommentar Deutschland/Frankreich; Krabbe, DBA DeutschlandUruguay; Kreile, DBA-China; Lang, M./Schuch, DBA-Österreich; Locher/Meier/von Siebenthal/Kolb, DBA-Schweiz; Meyer-Marsilius/Hangarter, DBA-Schweiz; Rotter/Welz/Lammers, Kommentar zur Verhandlungsgrundlage für DBA, 2014; Safarik, DBA Schweiz-Tschechien; Schulze-Brachmann, Doppelbesteuerung; Schönfeld/Ditz, DBA; Schulze-Brachmann/Dirksen, DBA-Niederlande; Shannon, Die DBA der USA; Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA; Vogel/Lehner, DBA; Wassermeyer, DBA; Weber, Handausgabe der DBA; Wingert/Krause, DBA.

A. Einführung Literatur: Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964; Debatin, System und Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen, DB 1985, Beilage 23, 1; Debatin, Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1; Escher, Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, Bern/Stuttgart 1974; Gosch, „Sperrwirkungen“ Abkommensrecht und nationales Recht, allgemeines und spezielles Recht im Widerstreit, in Fischer/Geck/ Haarmann (Hrsg.), Zivilrechtliches Ordnungsgefüge und Steuerrecht, FS für Georg Crezelius, 2018, 735; Höhn/David, Doppelbesteuerungsrecht, Bern/Stuttgart 1973; Isay, Internationales Finanzrecht, Stuttgart/Berlin 1934; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, Basel/Stuttgart 1976; Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Wien 2007; Kormann, Die Steuerpolitik der internationalen Unternehmung, Düsseldorf 1970; Lampert, Doppelbesteuerungsrecht und Lastengleichheit, Baden-Baden 2010; Lang, M., Einführung in das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 1997; Lang, M., Multilateral Tax Treaties – New Developments in International Tax Law, Wien 1997; Locher/Marantelli/Opel, Einführung in das Internationale Steuerrecht der Schweiz, 4. Aufl. Bern 2019; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, Baden-Baden 2008; Loukota/ Jirousek, Doppelbesteuerung und Gemeinschaftsrecht; SWI 2007, 295; Maßbaum/Meyer-Scharenberg/ Perlet, Die deutsche Unternehmensbesteuerung im europäischen Binnenmarkt, Neuwied 1995; Mattson, Gehört den multilateralen DBA die Zukunft?, Hamburg 1985; Preuninger, Rechtsprobleme des Funktionswandels deutscher Doppelbesteuerungsabkommen, Diss. Mannheim 1980; Rädler/Raupach, Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehungen, München/Berlin 1966; Reimer, Das Multilaterale Übereinkommen (BEPS-Maßnahme Nr. 15) als Instrument einer flexiblen Anpassung der bestehenden DBA, IStR 2015, 1; Scherer, Doppelbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, München 1995; Schnitger/Holst, Deutsche Abkommenspolitik – Umsetzung des MLI in den deutschen DBA, ifst-Schrift 540 (2021); Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, Amsterdam 1936 (Neudruck Köln 1967); Teichner, Internationales Steuerrecht, Stuttgart 1967; Vogel, Probleme der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, SWI 2000, 103.

Zu den unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gehören grundsätzlich nur solche Maßnahmen, die einseitig von den Wohnsitzstaaten zugunsten ihrer unbeschränkt steuerpflichtigen Personen1 ergriffen werden. Im Vordergrund steht die Steueranrechnungsmethode, die allerdings in ihrer Ausprägung, die sie in der internationalen Praxis erfahren hat, eine Anrechnung der Steuern des Quellenstaates nur bis zur Höhe der Steuer im Wohnsitzstaat zulässt (Rz. 18.104 ff.). Da die unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der 1 Ausnahme: Unter den Voraussetzungen des § 50 Abs. 3 EStG werden auch beschränkt steuerpflichtige Personen einbezogen; vgl. Rz. 18.51.

Schaumburg/Häck | 749

19.1

Kap. 19 Rz. 19.1 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

Doppelbesteuerung der einzelnen Staaten nicht aufeinander abgestimmt und darüber hinaus auch sehr unvollkommen ausgestaltet sind, vermögen sie eine Doppelbesteuerung letztlich nicht vollständig zu vermeiden.

19.2

Für einen Ausgleich des internationalen Regelungsgefälles wäre ein multilaterales Regelungssystem, etwa in Form von multilateralen DBA, am besten geeignet. Derartige multilaterale DBA haben aber im Verhältnis zu den bilateralen DBA bisher nur eine geringe Bedeutung erlangt. Vorschläge für ein „Europäisches Doppelbesteuerungsabkommen“1 wurden nicht verwirklicht, obwohl hierdurch dem Integrationsziel und der Binnenmarktkonzeption in besonderer Weise entsprochen werden könnte.2 Im Gemeinschaftsgebiet sind aber etwa über die Streitbeilegungsrichtlinie3 (s. Rz. 19.113a) oder die Schiedsverfahrenskonvention zu Verrechnungspreiskorrekturen4 (s. Rz. 19.114 ff.) Mechanismen geschaffen worden, die Doppelbesteuerungen entgegenwirken sollen. Dass multilaterale DBA5 bisher keine nennenswerte Bedeutung erlangen konnten, hat seinen Grund v.a. in den unterschiedlichen fiskalpolitischen Interessenlagen, die in multilateralen Abkommen nicht ohne weiteres auszugleichen sind.6 Das im Anschluss an das BEPS-Projekt7 geschaffene Multilaterale Instrument (dazu Rz. 19.18a) hat zwar nicht den Charakter eines verbindlichen multilateralen DBA8. Als multilaterales Abkommen mit der Qualität eines verbindlichen völkerrechtlichen Vertrags zielt es aber auf eine synchronisierende Anpassung bestehender bilateraler DBA ab.9 Das MLI könnte der Wegweiser sein für eine neue Epoche der Multilateralität bzw. Simultanität des Abkommensrechts.10

19.3

In der internationalen Praxis stehen bilaterale DBA im Vordergrund. Das deutsche Abkommensnetz ist mit mehr als 90 DBA engmaschig, aber dennoch lückenhaft, so dass eine internationale Doppelbesteuerung nur unvollkommen vermieden wird. Da sich derartige Lücken 1 Zum Vorentwurf eines multilateralen europäischen DBA aus dem Jahre 1968 vgl. Ismer in V/L7, Grundlagen Rz. 256d; Text abgedruckt bei Regul, Steuern und Zölle im gemeinsamen Markt, V/VI, DBA, Bd. 8, V B/2. 2 Hierzu Lang, M., Multilateral Tax Treaties – New Developments in International Tax Law; Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 374 ff.; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBAPolitik, 29; Loukota/Jirousek, SWI 2007, 295 (301); Vogel, SWI 2000, 103 (106). 3 RL (EU) 2017/1852 des Rates v. 10.10.2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union (ABl. EU 2017 Nr. L 265, 1); umgesetzt in Deutschland durch das Gesetz zur Umsetzung der RL (EU) 2017/1852 des Rates v. 10.10.2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union v. 10.12.2019, BGBl. I 2019, 2103. 4 Auf der Grundlage von Art. 293 EG a.F. ist am 23.7.1990 ein multilaterales Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen – Schiedsverfahrenskonvention – abgeschlossen worden (90/436/EWG, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 10; BGBl. II 1993, 1308); hierzu Rz. 19.114 ff. 5 Beispiele: Multilaterale Abkommen zwischen afrikanischen Staaten der – inzwischen aufgelösten – OCAM-Gruppe (Organisation Commune Africaine et Malgache), zwischen den Staaten Skandinaviens und den früheren RGW-Mitgliedstaaten, vgl. hierzu Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 40a. 6 Mattson, Gehört den multilateralen DBA die Zukunft?; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, 206 ff. 7 Hierzu ausf. Kofler/Schnitger, BEPS-Handbuch, 2019; Überblick bei Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 75d ff. 8 Reimer, IStR 2015, 1. Die Idee eines multilateralen DBA wurde als nicht realisierbar verworfen, vgl. Berens, Ubg 2021, 1 (2). 9 Einzelheiten bei Haase in Haase, MLI, Einführung Rz. 29, 38; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 222; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 89. 10 Vgl. Schwenke/Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 190; Schön, IStR 2017, 681 (688); Lang, SWI 2017, 624.

750 | Schaumburg/Häck

A. Einführung | Rz. 19.7 Kap. 19

im Doppelbesteuerungsnetz für den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr als außerordentlich hinderlich erweisen, werden immer noch Gestaltungen gewählt, die auf die (missbräuchliche) Erlangung von Abkommensschutz ausgerichtet sind (zu diesem Treaty-Shopping Rz. 19.127 ff.). Obwohl die bilateralen DBA Deutschlands weitgehend dem in unregelmäßigen Abständen aktualisierten OECD-MA nachgebildet sind, gibt es dennoch Standardabweichungen, je nachdem, ob die Abkommen zwischen Industriestaaten oder Entwicklungsländern abgeschlossen worden sind. Diese Unterschiede beruhen im Wesentlichen auf den unterschiedlichen Interessen der beteiligten Vertragsstaaten. So haben insbesondere Entwicklungsländer aufgrund ihrer Schuldnerposition ein Interesse daran, die Quellenbesteuerung weitgehend aufrechtzuerhalten, um dadurch ihre Fiskalopfer gering zu halten.1 Hochbesteuernde Industrieländer sind dagegen durchweg bestrebt, auf Abkommensebene der Steueranrechnung ggü. der Steuerbefreiung den Vorzug zu geben, um so ihren Steueranspruch aufrecht zu erhalten.

19.4

DBA sind darauf gerichtet, ggü. den aufgrund des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Vertragsstaaten entstehenden Steueransprüchen Schrankenwirkungen zu entfalten.2 Diese Wirkungen beruhen im Wesentlichen auf den mit lex specialis-Charakter ausgestatteten Normen der DBA,3 die nach Umsetzung in innerstaatliches Recht4 einen gegenseitigen Steuerverzicht der Vertragsstaaten begründen.5 Dieser gegenseitige Steuerverzicht wird, entsprechend der Grundkonzeption des OECD-MAs, dadurch gewährleistet, dass einerseits die Besteuerung im Quellenstaat umgrenzt wird (Art. 6 bis 21 OECD-MA) und andererseits der Wohnsitzstaat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Steueranrechnung oder Steuerfreistellung gewährt (Art. 23 OECD-MA).

19.5

Das Ausmaß der gegen die Besteuerung im Quellenstaat gerichteten Schrankenwirkungen orientiert sich an der Intensität der wirtschaftlichen Verknüpfung der Einkunftsquelle mit der Wirtschaft des Quellenstaates. Die auf dieser Grundlage in den DBA von den Vertragsstaaten getroffenen Wertentscheidungen (Art. 6 bis 21 OECD-MA) artikulieren sich in einem abgestuften Schrankensystem. Dieses führt z.B. für unbewegliches Vermögen durchweg zu keiner Einschränkung der Besteuerung im Quellenstaat (Belegenheitsprinzip, Art. 6 OECD-MA).

19.6

Neben dieser uneingeschränkten Aufrechterhaltung der Besteuerung im Quellenstaat verbleibt es in einem anderen Wertungsbereich bei der Besteuerung im Quellenstaat nur, wenn ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. So können Unternehmensgewinne im Quellenstaat nur dann einer Besteuerung zugeführt werden, wenn diese im Rahmen einer im Quellenstaat belegenen Betriebsstätte erzielt werden (Betriebsstättenprinzip, Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECDMA). Ähnlich verhält es sich bei den Einkünften aus unselbständiger Arbeit: Hier verbleibt dem Staat des Arbeitsortes als Quellenstaat die Besteuerungsbefugnis nur dann, wenn sich der Arbeitnehmer dort während des Steuerjahres mehr als 183 Tage aufgehalten hat oder die Vergütungen zu Lasten des Staates des Arbeitsortes gezahlt worden sind (Arbeitsortprinzip, Art. 15 Abs. 1 und 2 OECD-MA).

19.7

1 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 73 f.; Preuninger, Rechtsprobleme des Funktionswandels deutscher DBA, 285 ff.; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, 204 ff. 2 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 66; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik, Rz. 26. 3 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 2, 5; zu Einzelheiten Rz. 3.24 ff. 4 In Deutschland durch Zustimmungsgesetz; hierzu Rz. 19.20. 5 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 66; Debatin, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1 (1 f.).

Schaumburg/Häck | 751

Kap. 19 Rz. 19.8 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.8

Schließlich richten sich die Besteuerungsschranken der Abkommen auch gegen die Höhe der im Quellenstaat erhobenen Steuer. So ist den Quellenstaaten aufgrund der maßgeblichen Verteilungsnormen für Dividenden lediglich eine Quellensteuerbefugnis in begrenzter Höhe1 eingeräumt (Art. 10 Abs. 2 OECD-MA). Für Zinsen und Lizenzgebühren (11 Abs. 2 OECD-MA, Art. 12 Abs. 1 OECD-MA) wird die Quellensteuerbefugnis entweder begrenzt oder vollständig genommen.2

19.9

Diese gegen die Besteuerung im Quellenstaat gerichteten Schrankenwirkungen haben dann eine unmittelbare Bedeutung, wenn nach innerstaatlichem Recht des Quellenstaates der Steueranspruch über die Abkommensschranken hinausreicht. In derartigen Fällen sind die DBA stets auf die Vermeidung der effektiven Doppelbesteuerung gerichtet. Bleibt die Reichweite des innerstaatlichen Steueranspruchs des Quellenstaates dagegen hinter den Abkommensschranken zurück, so wirken sich diese zwar gegenwärtig nicht aus, führen aber zu einem Steuerverzicht des Quellenstaates, sobald dieser, etwa durch Steuererhöhungen oder die Ausdehnung von Steuertatbeständen, die durch die Schranken gezogenen Grenzen überschreitet.

19.10

Soweit die Besteuerungsbefugnis dem Quellenstaat nicht gänzlich genommen ist, fällt nach der Grundstruktur des OECD-MAs stets dem Wohnsitzstaat die Aufgabe zu, die Doppelbesteuerung entweder durch Steueranrechnung oder durch Steuerfreistellung zu vermeiden (Art. 23 OECD-MA, sog. Methodenartikel). Diese Abkommensnormen über die Methode zur Beseitigung der Doppelbesteuerung bestätigen den prinzipiellen Schrankencharakter des Abkommensrechts.3 Sieht der Methodenartikel für bestimmte Einkünfte die Freistellung vor, vermieden die DBA in der Vergangheit traditionell eine virtuelle Doppelbesteuerung.4 Angesichts der hieraus potentiell resultierenden doppelten Nichtbesteuerung (Minderbesteuerung) bestimmter Einkünfte finden sich heute zahlreiche bilaterale und unilaterale Klauseln, die zumindest die einmalige Besteuerung von Einkünften sicherstellten sollen (v.a. sog. Subject-toTax-Klauseln [Rz. 19.522 f.]).

19.11

Zu den bilateralen DBA zählen auch die insbesondere von Deutschland mit einigen Staaten abgeschlossenen Sonderabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Einkünfte von Luft- und/oder Schifffahrtunternehmen.5 Die Sonderabkommen beinhalten eine Freistellung der Einkünfte von Luft- und/oder Schifffahrtunternehmen von der Steuer in dem einen Vertragsstaat, sofern der Ort der Geschäftsleitung des Unternehmens in dem anderen Vertragsstaat belegen ist. Zudem enthalten mehrere Sonderabkommen6 eine Meistbegünstigungsklausel, nach der die Vertragsstaaten verpflichtet sind, dem Unternehmen aus dem anderen Vertragsstaat mindestens die Vorteile zu gewähren, welche sie Unternehmen aus Drittstaaten gewähren. Darüber hinaus beziehen sich die Sonderabkommen häufig nicht allein auf einen steuerrechtlichen, sondern zusätzlich auch auf einen handelsrechtlichen Anwendungsbereich – z.B. Maßnahmen zur erleichterten Abwicklung des Schiffsverkehrs, Zollabfertigung und Zolltarife. Der Sinn und Zweck der Sonderabkommen besteht somit nur teilweise darin, die

1 Regelmäßig bis zu 15 % oder 5 %. 2 Vgl. die Übersicht bei Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 48 und Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 39. 3 Debatin, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1 (3). 4 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 69; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECDMA Rz. 4; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 12; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (2). 5 Zum Abkommensstand s. BMF v. 19.1.2022 – IV B 2 - S 1301/21/10048:001, BStBl. I 2022, 147, Länderübersicht I. Nr. 3 mit Stand 1.1.2022. 6 Z.B. Chile.

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B. Multinationale Entwicklung | Rz. 19.11 Kap. 19

Doppelbesteuerung zu vermeiden. Zudem hat insbesondere Deutschland mit Staaten und anderen Jurisdiktionen, mit denen bislang entweder keine oder aus deutscher Sicht DBA mit nur unzureichenden Auskunftsklauseln bestehen, Informationsaustauschabkommen (Tax Information Exchange Agreements-TIEA) abgeschlossen, die gegen den von sog. Steueroasen gerichteten schädlichen Steuerwettbewerb gerichtet sind und vor allem der vollständigen Erfassung von Kapitaleinkünften dienen.1

B. Multinationale Entwicklung Literatur: Bendlinger, Multilaterales Instrument zur automatischen Anpassung bestehender Doppelbesteuerungsabkommen, SWI 2017, 2; Benz/Böhmer, BEPS: Das Multilaterale Instrument zur Umsetzung der abkommensrechtlichen Änderungsvorschläge der BEPS-Abschlussberichte, ISR 2017, 27; Berens, Auftakt zur Umsetzung des Multilateralen Instruments in Deutschland durch das MLI-Umsetzungsgesetz vom 22.11.2020, Ubg 2021, 1; Ditz, Deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen – Eine kritische Analyse, StJB 2013/2014, 369; Ditz, Umsetzung des Mehrseitigen Übereinkommens (Multilateral Instrument) in Deutschland, DB 2020, 2208; Ditz/Schönfeld, Deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, DB 2013, 1437; Dorn, Doppelbesteuerung und Völkerbund, StuW 1928, 49; Fischer/Pitzer, Das MLI und die neuen allgemeinen Missbrauchsregelungen, IStR 2017, 804; Gerstenberg, Das „eng verbundene Unternehmen“ im Multilateralen Instrument (MLI), IWB 2020, 231; Glenk/Reif/Collet, Anwendungsfragen des Multilateralen Instruments, BB 2017, 2649; Grotherr, Bekämpfung des Abkommensmissbrauchs durch das Multilaterale Instrument, DStZ 2017, 518; Grotherr, Einschränkung von Abkommensvergünstigungen durch das Multilaterale Instrument, FR 2017, 767; Grotherr, Erschwerung von Gestaltungen zur Vermeidung des Betriebsstättenstatus durch das Multilaterale Instrument, Ubg 2017, 125; Grotherr, Was wird sich für welche Doppelbesteuerungsabkommen durch das Multilaterale Instrument künftig ändern?, RIW 2020, 473; Haase, Die Revision des OECD-MA 2014 – ein Überblick, IStR 2014, 540; Haase, Das sog. Multilaterale Instrument Zukunft des Abkommensrechts, IWB 2017, 16; Haase, Hinzurechnungsbesteuerung und Multilaterales Instrument im Fokus, ISR 2017, 349; Herfort, Pacta sunt servanda – treaty override versus MLI?, in Gosch/Schnitger/Schön (Hrsg.), FS für Jürgen Lüdicke, 2019, 241; Hundt, UN-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern, RIW 1981, 306; Kaminski, Die deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, Stbg 2013, 261; Kempelmann, The future of international tax, IStR 2019, 662; Kiesewetter/Gradl, Das Mehrseitige Übereinkommen (Multilateral Instrument) zur Umsetzung abkommensbezogener Maßnahmen aus dem OECD/G20-BEPS-Projekt und dessen voraussichtliche Auswirkungen auf die deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2018, 1; Kreienbaum, Das Multilaterale Instrument zur Modifikation bilateraler DBA, in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, 2018, 207; Lang, Die Anwendung des Multilateralen Instruments (MLI) „Alongside existing tax treaties“, SWI 2017, 624; Lang, Die Auslegung des multilateralen Instruments, SWI 2017, 11; Lang/Ecker/Ressler, History of Tax Treaties, Wien 2011; Lang/Zöhrer, DBA-Politik im Lichte des Multilateralen Instruments und des OECD-Musterabkommens 2017, SWI 2019, 222; Lehner, Neue Regelungsebenen und Kompetenzen im Internationalen Steuerrecht, IStR 2019, 277; Lay/Stoecker, Die deutsche Verhandlungsgrundlage für DBA, IWB 2013, 368; Lüdicke, Anmerkungen zur deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, IStR Beihefter zu Nr. 10/2013, 25; Nürnberg, Implementierung des BEPS-Aktionsplans durch das MLI in Deutschland, IWB 2020, 566; Nürnberg, Das Schiedsverfahren nach dem Multilateralen Instrument, IWB 2018, 688; Oppel, Die Implementierung der BEPS-Ergebnisse in deutsche DBA durch das MLI-Umsetzungsgesetz und Rückschlüsse daraus auf die deutsche Abkommenspolitik, ISR 2020, 295; Oppel, Die Anwendung des Multilateralen Instruments (MLI), ISR 2019, 321; Pohl, Deutsche Abkommenspolitik

1 Zum Abkommensstand s. BMF v. 19.1.2022 – IV B 2 - S 1301/21/10048:001, BStBl. I 2022, 147, Länderübersicht I. Nr. 4 mit Stand 1.1.2022.

Schaumburg/Häck | 753

Kap. 19 Rz. 19.12 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) – Aktuelle Praxisfragen und deutsche Verhandlungsgrundlage, in Lüdicke (Hrsg.), Neue Grenzen für die internationale Steuerplanung?, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 43, 51; Polatzky/Balliet/Steinau, Neue Hürden für die DBA-Anwendung durch das Multilaterale Instrument, IStR 2017, 226; Prokisch, Die Auslegung von DBA im Lichte des Multilateralen Abkommens, in Ismer/Reimer/ Rust/Waldhoff, Territorialität und Personalität, FS für Moris Lehner, 2019, 195; Reimer, Das Multilaterale Übereinkommen (BEPS-Maßnahme Nr. 15) als Instrument einer flexiblen Anpassung der bestehenden DBA, IStR 2015, 1; Reimer, Meilenstein des BEPS-Programms: Das Multilaterale Übereinkommen zur Umsetzung der DBA-relevanten Maßnahmen, IStR 2017, 1; Ritter, Steuerbeziehungen mit der Dritten Welt, DStZ A 1979, 419; Schindler, Ist ein multilaterales Doppelbesteuerungsabkommen eine sinnvolle Lösung für Europa?, Münchener Schriften zum Internationalen Steuerrecht Heft 26; Schnittker/Steinbiß, Geplante Änderungen des US-Musterabkommens, IStR 2015, 686; Schön, Internationalisierung des internationalen Steuerrechts, in Drüen/Hey/Mellinghof (Hrsg.), 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland 1918-2018, FS für den Bundesfinanzhof, 2018, 923; Schön, Seminar E (IFA/OECD): Das Multilaterale Instrument, IStR 2017, 681; Shannon, Die DBA der USA, München 1987; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, Amsterdam 1936 (Neudruck Köln 1967); Valta, Die deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen und Entwicklungsländer, ISR 2013, 186; Vogel/Shannon/Doernberg/van Raad, United States Tax Treaties (Loseblatt).

I. Deutsche DBA 19.12

Das erste allgemeine DBA überhaupt wurde am 16.4.1869 zwischen Preußen und Sachsen abgeschlossen. Unter den persönlichen Anwendungsbereich dieses Abkommens fielen nur Staatsangehörige beider Staaten. Darüber hinaus erfasste das Abkommen vom sachlichen Anwendungsbereich her lediglich direkte Steuern. Es folgten Abkommen zwischen Österreich und Ungarn über die Unternehmensbesteuerung vom 18.12.1869/7.1.1870 sowie zwischen Preußen und Österreich vom 21.6.1899. Zum eigentlichen Aufbau eines Doppelbesteuerungsnetzes kam es erst nach dem 1. Weltkrieg im Zuge der weltwirtschaftlichen Verflechtung der deutschen Wirtschaft, und zwar durch Abkommen mit Österreich vom 23.5.1922, mit Italien vom 31.10.1925 und mit der Schweiz vom 15.7.1931. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die ersten Abkommen mit den USA am 22.7.1954 und mit Österreich am 4.10.1954 geschlossen. Es folgten sodann die Abkommen mit Kanada vom 4.6.1956, Norwegen vom 18.11.1958 sowie Schweden vom 17.4.1959 und den Niederlanden vom 16.6.1959. Seitdem hat Deutschland das Netz der DBA nicht nur mit Industriestaaten, sondern auch mit Entwicklungsländern kontinuierlich ausgebaut. Parallel hierzu sind zahlreiche Abkommen einer Revision unterworfen und neu abgeschlossen worden.1

19.13

Während derzeit mit über 90 Staaten Abkommen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen in Kraft sind, gibt es lediglich einige Erbschaftsteuerabkommen und darüber hinaus weitere Sonderabkommen betreffend Einkünfte und Vermögen von Schifffahrt- und Luftfahrtunternehmen sowie Informationsaustauschabkommen. Eine Aufstellung der zum Jahresbeginn geltenden DBA findet sich jeweils in der ersten Jahresausgabe des Bundessteuerblattes Teil I.2 Verhandlungen zu neuen DBA oder der Revision von DBA werden von deutscher Seite als Leitlinie die „Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im

1 Die deutschen DBA finden sich auf der Website des BMF: https://www.bundesfinanzministerium. de/Web/DE/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/staaten bezogene_info.html. 2 Zum derzeitigen Stand der DBA s. BMF v. 19.1.2022 – IV B 2 - S 1301/21/10048:001, BStBl. I 2022, 147, Länderübersicht mit Stand 1.1.2022.

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B. Multinationale Entwicklung | Rz. 19.14 Kap. 19

Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen“ mit Stand vom 22.8.20131 in der Art eines deutschen Muster-DBA zugrunde gelegt (dazu s. Rz. 19.17).

II. Musterabkommen Da die internationale Doppelbesteuerung frühzeitig als ein multinationales Problem verstanden wurde, gab es bereits kurz nach dem 1. Weltkrieg die ersten Bemühungen internationaler Organisationen, einheitliche Maßnahmen zur Bekämpfung der internationalen Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen zu entwickeln.2 Zu diesen internationalen Organisationen gehörte insbesondere die Internationale Handelskammer, die im Jahre 1920 die Regierungen der alliierten Staaten aufgerufen hatte, aufeinander abgestimmte Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu ergreifen.3 Parallel hierzu gab es auch Bemühungen des Völkerbundes, die theoretischen Grundlagen für die Maßnahmen zur Beseitigung der internationalen Doppelbesteuerung zu erarbeiten. Im Anschluss an verschiedene Empfehlungen dieser Expertenkommissionen wurden im Jahre 1928 vom Völkerbund drei Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der direkten Steuern verabschiedet.4 Ein vom Völkerbund im Jahre 1928 eingesetzter ständiger Steuerausschuss entwickelte sodann in der Folgezeit zwei konkurrierende Modelle, und zwar 1943 das Muster von Mexiko und 1946 das Muster von London. Während das Muster von Mexiko, das im Wesentlichen von lateinamerikanischen Vorstellungen beeinflusst war, dem jeweiligen Quellenstaat ein umfangreiches Besteuerungsrecht zubilligte, entsprach das Muster von London mehr den Vorstellungen der Industriestaaten, so dass dem jeweiligen Wohnsitzstaat das vorrangige Besteuerungsrecht eingeräumt wurde.5 Nach dem Krieg wurden die Bemühungen um eine Vereinheitlichung von DBA von der OEEC (Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit) und später von deren Nachfolgeorganisation, der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), fortgesetzt. Ein im Jahre 1956 von der OECD ins Leben gerufener Steuerausschuss erhielt den Auftrag, ein Musterabkommen zu entwickeln, das als Grundlage für den Ausbau eines Netzes von bilateralen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten dienen sollte. Dieses Musterabkommen sollte eine größere Harmonisierung der bilateralen Abkommen der Mitgliedstaaten nach einheitlichen Grundsätzen, Begriffsbestimmungen, Regeln und Verfahren sowie eine Einigung auf eine gemeinsame Auslegung ermöglichen. Im Jahre 1963 veröffentlichte die OECD ein Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens und des Vermögens. Dem vollständigen Musterabkommen war ein Kommentar beigefügt, der das Muster erläuterte und Vorbehalte seiner Mitgliedstaaten in Bezug auf Vorschriften des Musters enthielt, denen sie nicht zu folgen bereit waren. Unter Berücksichtigung der Entwicklung der Mitgliedstaaten und deren Steuersystemen erfolgte 1977 eine Totalrevision des OECD-MA (OECDMA 1977) und des Musterkommentars.6 Die Grundstruktur des OECD-MA 1963 wurde im Wesentlichen beibehalten. Dies gilt auch für die nachfolgenden Teilrevisionen des OECD1 Abrufbar auf der Website des BMF. 2 Hierzu der Überblick bei Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 12 ff.; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, vor Art. 1 OECD-MA Rz. 75 ff.; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 33 ff. 3 Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 13. 4 Die deutsche Fassung ist abgedruckt in FinArch. 1929, Band I, 26 ff.; Erläuterungen hierzu von Dorn, StuW 1928, 49 ff. 5 Hierzu der Überblick bei Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, vor Art. 1 OECD-MA Rz. 76; Shannon, Die DBA der USA, 10 ff. 6 Dazu Debatin, RIW 1978, 374.

Schaumburg/Häck | 755

19.14

Kap. 19 Rz. 19.14 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

MA, welches seit 1992 – ebenso wie der OECD-MK – nicht mehr periodisch umfassend revidiert, sondern nach dem Konzept der OECD1 einem laufenden Revisionsprozess unterliegt, der zu Änderungen von einzelnen Punkten des OECD-MA und/oder des OECD-MK in Abständen von ca. zwei bis drei Jahren führt. Teilrevidierte Fassungen des OECD-MA bzw. OECD-MK von unterschiedlichem Gewicht wurden 1992, 1994, 1995, 1997, 2000, 2002, 2003, 2005, 2008, 2010, 2014 und 20172 veröffentlicht.3 Naturgemäß wird der OECD-MK häufiger und einschneidender als das OECD-MA selbst geändert. Da sich eine Änderung des OECDMA regelmäßig erst mit einer Verzögerung von Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, in der Abkommenspraxis niederschlägt,4 werden die Änderungen des OECD-MK von der OECD zunehmend genutzt, um die Steuerpolitik der Mitgliedstaaten zu beeinflussen, auch wenn der BFH eine dynamische Berücksichtigung der Änderungen des OECD-MK bei zuvor abgeschlossenen DBA – entgegen der Ansicht der OECD und der deutschen Finanzverwaltung – grds. ablehnt (vgl. Rz. 19.87).

19.15

Die OECD-MA, die darauf gerichtet sind, von den Mitgliedstaaten der OECD akzeptiert zu werden, entsprechen weitgehend den Interessen der Industriestaaten. Da diese Industriestaaten als Kapitalexportländer durchweg das Welteinkommensprinzip verwirklichen, wird nach den OECD-MA die Wohnsitzbesteuerung überwiegend aufrechterhalten und die Quellenstaatbesteuerung limitiert.

19.16

Um die fiskalischen und wirtschaftlichen Belange der Entwicklungsländer ebenfalls zur Geltung zu bringen, wurde im Anschluss an das im Jahre 1971 als Gegenentwurf zum OECDMA konzipierte Anden-Modell5 von den Vereinten Nationen (UN) im Jahre 1980 ein Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, das zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern eingreifen sollte, vorgelegt.6 Im Vergleich zu den OECD-MA sieht das UNMusterabkommen eine umfangreiche Quellenstaatbesteuerung vor, so dass hierdurch insbesondere Entwicklungsländer als Kapitalimportländer fiskalisch begünstigt werden.7

19.17

Während die meisten DBA, die von den OECD-Mitgliedstaaten abgeschlossen wurden, den OECD-MA folgen, hat es insbesondere in der Abkommenspraxis der USA Sonderentwicklungen gegeben. So haben die USA frühzeitig eigene Musterabkommen8 entwickelt, die bei ihren Abkommensverhandlungen Berücksichtigung gefunden haben.9 Bestrebungen zur Vereinheitlichung der deutschen DBA und der deutschen DBA-Politik haben zur Entwicklung einer „Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom

1 Vgl. Einleitung Nr. 9 und 11 OECD-MK. 2 Das Update 2017 umfasste insbesondere die Inhalte des MLI (dazu Rz. 19.18a), ausf. Ditz/Bärsch/ Quilitzsch, DB 2018, 1171 ff.; Bendlinger, SWI 2017, 450 ff. 3 Überblick bei Lehner in V/L7, Grundlagen, Rz. 35ff. 4 Vgl. Waldhoff, StbJb. 2005/2006, 161 (162). 5 Erarbeitet und beschlossen von der in der sog. Anden-Gruppe zusammengeschlossenen Staaten Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Peru und ab 1973 Venezuela; vgl. Naranjo, BIFD 1987, 89 ff.; im Überblick Schwenke in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 24. 6 Das letzte Update des UN-Musterabkommens erfolgte 2021. Vgl. zum Text bei V/L7, DBA, zu den einzelnen Artikeln des OECD-MAs. 7 Hierzu im Einzelnen Schwenke in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 24; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 36a; Ritter, DStZ A 1979, 419 ff.; Hundt, RIW 1981, 306 ff. 8 Die letzte Version wurde am 17.2.2016 veröffentlicht. Texte bei V/L7, DBA, zu den einzelnen Artikeln des OECD-MAs. 9 Vgl. Schnittker/Steinbiß, IStR 2015, 686 ff.

756 | Schaumburg/Häck

B. Multinationale Entwicklung | Rz. 19.18a Kap. 19

Einkommen und Vermögen“ mit Stand vom 22.8.20131 in der Art eines deutschen MusterDBA geführt.2 Das deutsche Musterabkommen soll als Grundlage für neue Abkommensverhandlungen dienen,3 die deutsche Verhandlungsposition stärken und möglichst zu einem abkommensübergreifend einheitlichen Wortlaut führen.4 Änderungen oder Ergänzungen an der Verhandlungsgrundlage wurden bisher nicht vorgenommen. Im internationalen Bereich bestand schließlich schon frühzeitig das Bedürfnis, auch auf dem Gebiet der Erbschaft- und Nachlasssteuern DBA abzuschließen. Dementsprechend erarbeitete der OECD-Steuerausschuss im Jahre 1966 ein Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Nachlässe und Erbschaften und 1982 ein weiteres Musterabkommen unter Einbeziehung von Schenkungen.5 Diese Musterabkommen haben in der Praxis allerdings keine große Bedeutung gewonnen. Derzeit gibt es sechs deutsche DBA auf dem Gebiet der Erbschaft- und Nachlasssteuern.6 Darüber hinaus hat der OECD-Steuerausschuss im Jahre 2002 ein Musterabkommen über den Informationsaustausch in Steuersachen vorgelegt, das allerdings erst ab 2007 internationale Bedeutung erlangt hat und zugleich Grundlage für einige deutsche Informationsaustauschabkommen geworden ist.7

19.18

III. Multilaterales Instrument Als internationaler Meilenstein in der Historie des Abkommensrechts und möglicher Wegweiser für eine neue Epoche der Multilateralität bzw. Simultanität des Abkommensrechts8 kann die Unterzeichnung des sog. Multilateralen Instruments (MLI) vom 24.11.20169 durch inzwischen ca. 100 Staaten10 verstanden werden,11 auch wenn aus Sicht der (deutschen) Abkom1 Abrufbar auf den Internetseiten des BMF. 2 Hierzu ausf. Rotter/Welz/Lammers, Kommentar zur Verhandlungsgrundlage für DBA, 2014; Ditz, StbJb 2013/2014, 369; Ditz/Schönfeld, DB 2013, 1437; Kaminski, Stbg 2013, 261; Lay/Stoecker, IWB 2013, 368; Lüdicke, IStR Beihefter zu Nr. 10/2013, 25; Pohl, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 43, 51. 3 Die DE-VG ist in der veröffentlichten Form für DBA mit „entwickelten“ Vertragsstaaten konzipiert. In Verhandlungen mit Entwicklungs- und Schwellenländern soll sie modifiziert und anders gewichtet werden, vgl. ausf. Valta, ISR 2013, 186 ff., was bisher aber – soweit ersichtlich – nicht erfolgt ist. 4 Vgl. Müller-Gatermann, FR 2012, 1032. 5 Zu Einzelheiten Jülicher in Wassermeyer, Vor Art. 1 ErbSt-MA Rz. 1 ff. 6 Griechenland (RGBl. 1912, 173); Schweden (BGBl. II 1994, 686); Schweiz (BGBl. II 1980, 594); USA (BGBl. II 1982, 847); Dänemark (BGBl. II 1996, 2565); Frankreich (BGBl. II 2009, 596). 7 Vgl. hierzu Hendricks in Wassermeyer, Vor Art. 1 MA-InfAust Rz. 32 ff. 8 Vgl. Schön, IStR 2017, 681 (688); Lang, SWI 2017, 624. 9 Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Related Measures to Prevent Base Erosion and Profit Shifting, s. die deutsche Übersetzung des Texts im Gesetz zu dem Mehrseitigen Übereinkommen vom 24.11.2016 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung MLI-Umsetzungsgesetz v. 20.11.2020 (BGBl. II 2020, 946, 947 ff.). 10 Mit Stand zum 9.2.2022 haben bisher 99 Staaten das MLI unterzeichnet (Stand abrufbar unter: http://www.oecd.org/tax/treaties/beps-mli-signatories-and-parties.pdf). 11 Hierzu ausf. Schwenke/Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 178 ff.; Lehner in V/L7, Grundlagen, Rz. 220 ff.; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik, Rz. 87 ff.; Haase, Multilaterales Instrument, 2018; Schön in FS für den BFH, 923; Prokisch in FS Lehner, 195; Herfort in FS Lüdicke, 241; Kreienbaum, in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, 2018, 207; Berens, Ubg 2021, 1; Oppel, ISR 2020, 295; Nürnberg, IWB 2020, 566; Ditz, DB 2020, 2208; Grotherr, RIW 2020, 473; Kempelmann, IStR 2019, 662; Lang/Zöhrer, SWI 2019, 222; Oppel, ISR 2019, 321; Kiesewetter/Gradl, IStR 2018, 1; Nürnberg, IWB 2018, 688; Polatzky/Balliet/Steinau,

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19.18a

Kap. 19 Rz. 19.18a | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

menspraxis nach anfänglicher Euphorie eine gewisse Ernüchterung eingetreten ist.1 Zur Umsetzung einiger der als „soft law“2 umsetzungsbedürftigen sog. BEPS-Aktionspunkte (s. dazu Rz. 5.20 ff.) in den DBA sollte eine Verfahrensweise geschaffen werden, die möglichst ohne die langwierigen Prozesse bilateraler Neuverhandlungen einzelner DBA auskommen sollte.3 Das MLI ist als solcher ein mehrseitiger, völkerrechtlicher Vertrag.4 Ihm kommt selbst aber nicht die Qualität eines verbindlichen multilateralen DBA zu5 und es ist – jedenfalls soweit Deutschland betroffen ist – auch nicht in der Lage, DBA unmittelbar zu ändern. Die innerstaatliche Umsetzung in Deutschland erfolgt in einem zweistufigen Verfahren bezogen auf das MLI einerseits und die einzelnen zu ändernden DBA andererseits.6 Im Anschluss an die Zustimmung zum MLI7 trat dieses für die Bundesrepublik Deutschland am 1.4.2021 in Kraft.8 Aufgrund der von der deutschen Seite getroffenen Auswahlentscheidung zu Art. 35 Abs. 7 MLI wird die Modifikation eines vom MLI erfassten Steuerabkommens erst nach Abschluss eines nachfolgenden Anwendungsgesetzgebungsverfahrens und entsprechender Notifizierung gegenüber der OECD als Verwahrer des MLI wirksam werden. Aus deutscher Perspektive werden hiervon nur noch 14 DBA erfasst.9

19.18b

Das MLI, dessen Inhalte bereits in das Update 2017 des OECD-MA übernommen wurden10, besteht aus sieben Abschnitten und 39 Artikeln.11 Teil I (Art. 1 und 2 MLI) legt den Geltungsbereich sowie das Ziel des MLI (Art. 1 MLI) fest und enthält Bestimmungen zur Auslegung von bestimmten Ausdrücken (Art. 2 MLI). Vom MLI werden nur die DBA erfasst, die jeweils von den maßgeblichen Vertragsstaaten als „unter das Übereinkommen fallendes Steuerabkommen“ (Covered Tax Agreement – CTA) notifiziert werden. Die Teile II–IV (Art. 3– 15 MLI) befassen sich mit den materiell-rechtlichen BEPS-Empfehlungen der Aktionspunkte 2,4, 7 und 14 zu hybriden Gestaltungen (Teil II),12 Abkommensmissbrauch (Teil III)13 und zur Umgehung des Betriebsstättenstatus (Teil IV).14 Teile V und VI (Art. 16–26 MLI) zielen

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

IStR 2017, 226; Reimer, IStR 2017, 1; Schön, IStR 2017, 681; Bendlinger, SWI 2017, 2; Benz/Böhmer, ISR 2017, 27; Fischer/Pitzer, IStR 2017, 804; Glenk/Reif/Collet, BB 2017, 2649; Grotherr, DStZ 2017, 518; Grotherr, FR 2017, 767; Grotherr, Ubg 2017, 125; Haase, IWB 2017, 16; Haase, ISR 2017, 349; Lang, SWI 2017, 624; Lang, SWI 2017, 11; Reimer, IStR 2015, 1. Vgl. stv. Schwenke/Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 178; Oppel, ISR 2020, 295 (306); Ditz, DB 2020, 2208 (2213); Kaeser, SWI 2020, 593 (600). Fehling/Kampermann, IStR 2017, 638; Fehling, IWB 2016, 160 (161). Zur Entstehungsgeschichte stv. Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik, Rz. 87. Reimer, IStR 2015, 1. Reimer, IStR 2015, 1 Näher Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 89. Gesetz zu dem Mehrseitigen Übereinkommen vom 24.11.2016 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung v. 22.11.2020, BGBl. II 2020, 946. Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Mehrseitigen Übereinkommens zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung v. 19.5.2021, BGBl. II 2021, 594. Dies sind die DBA mit Frankreich, Griechenland (neu aufgenommen), Italien, Japan, Kroatien, Luxemburg, Malta, Österreich, Rumänien, Slowakei, Spanien, Tschechien, Türkei, Ungarn. OECD, Model Tax Convention on Income and on Capital, Condensed Version (as it read on 21 November 2017), hierzu Bendlinger, SWI 2017, 450. Ausf. Benz/Böhmer, ISR 2017, 27. Dazu Grotherr, ISR 2017, 179 und 221. Dazu Grotherr, FR 2017, 767 ff.; Fischer/Pitzer, IStR 2017, 804 ff. Dazu Grotherr, Ubg. 2017, 125 ff., 188 ff.; Kroniger/Linn, DB 2017, 2509 ff.

758 | Schaumburg/Häck

C. Abschluss und Wirksamwerden von DBA | Rz. 19.19 Kap. 19

auf die Verbesserung der Streitbeilegung im Wege von Verständigungsverfahren (Teil V) bzw. Schiedsverfahren (Teil VI).1 In den Schlussbestimmungen in Teil VII (Art. 27–39 MLI) finden sich Regelungen u.a. zum Inkrafttreten des MLI, dessen Verhältnis zu späteren DBA, zur Änderung und Kündigung sowie der Möglichkeit von Vorbehalten ggü. einzelnen Bestimmungen des MLI. Das MLI bietet den Signatarstaaten erhebliche Flexibilitäten: Vom MLI werden nur die DBA erfasst, die übereinstimmend von den Signatarstaaten als CTA notifiziert werden. Die materiell-rechtliche Fragen betreffenden Artikel des MLI sind nur hinsichtlich der BEPS-Mindeststandards zur Einführung einer Präambel (Art. 6 MLI), einer abkommensrechtlichen Missbrauchsklausel (Art. 7 MLI) und den Regeln zur Verbesserung der Streitbeilegung (Art. 16 f. MLI) verpflichtend. Im Hinblick auf die übrigen Regelungen räumt das MLI den Signatarstaaten weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten ein, Maßnahmen zu übernehmen oder Vorbehalte (vgl. Art. 28 Abs. 1 MLI) auszuüben.2 Bei der Ausübung der Wahlrechte besteht allerdings ein „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, d.h. die Vorbehalte können nur einheitlich ggü. allen anderen Signatarstaaten ausgeübt werden. Teilweise können Wahlrechte auch nur für ein Bündel an Regelungen einheitlich ausgeübt werden. Von den ca. 100 deutschen DBA hat Deutschland lediglich 14 DBA3 als unter das MLI fallend notifiziert.4 In materiell-rechtlicher Hinsicht beabsichtigt Deutschland nur die Umsetzung bestimmter Regelungen des MLI, wobei jeweils anhand des einzelnen DBA und der dort enthaltenen Einzelvorschriften zu beurteilen ist, ob beide Signatarstaaten das MLI insoweit deckungsgleich ausgeübt haben und sich Änderungsbedarf im DBA ergibt. Entsprechend ergeben sich je nach DBA unterschiedliche Anpassungserfordernisse.5

C. Abschluss und Wirksamwerden von DBA Literatur: Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, Berlin 1988; Hahn/Suhrbier, Zulässigkeit der Rückwirkung des DBA-Italien vom 18.10.1989 hinsichtlich der Besteuerung von Einkünften in Italien ausgeübter nichtselbständiger Arbeit?, IStR 1993, 262; Handzik, Einkünfte aus in Italien ausgeübter nichtselbständiger Tätigkeit, RIW 1991, 653; Hinny/Kaiser/Balzerkiewicz/Lang, Das Verfahren beim Abschluss und bei der Kündigung von Doppelbesteuerungsabkommen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, IStR 2020, 317; Lüdicke, Nochmals: Zur rückwirkenden Anwendung des DBA-Italien 1989, DB 1995, 748; Lüdicke, Zur rückwirkenden Anwendung des DBA-Italien 1989, DB 1991, 1491; Vogel, H., Zur Rückwirkung von Regelungen in Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, in FS für O. L. Walter, Osnabrück 1988, 81.

DBA sind völkerrechtliche Verträge, also zwei- oder mehrseitige völkerrechtliche Rechtsgeschäfte, an dem Völkerrechtssubjekte beteiligt sind. Zum Charakteristikum völkerrechtlicher Verträge gehört, dass sie nicht nur dem Recht eines der Vertragspartner unterstellt sind. Das formelle Recht für völkerrechtliche Verträge und damit auch für DBA beurteilt sich nach dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WÜRV) vom 23.5.1969.6 In Deutsch-

1 Dazu Piotrowski, IStR 2018, 257 ff. 2 Vgl. dazu Schön, IStR 2017, 681 (684 f.). 3 Dies sind die DBA mit Frankreich, Griechenland (neu aufgenommen), Italien, Japan, Kroatien, Luxemburg, Malta, Österreich, Rumänien, Slowakei, Spanien, Tschechien, Türkei, Ungarn. 4 BGBl. I 2020, 1015. 5 BGBl. I 2020, 1017 ff.; s. auch die Denkschrift zum Gesetzesentwurf v. 4.6.2020, BR-Drucks. 294/ 20, 88 ff. und Oppel, ISR 2020, 295 (298 ff.). 6 BGBl. II 1985, 926.

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19.19

Kap. 19 Rz. 19.19 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

land ist das WÜRV am 20.8.1987 in Kraft getreten;1 dessen Vorschriften wurden jedoch bereits zuvor beim Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen berücksichtigt. Denn die Vorschriften des WÜRV stellen weitgehend Völkergewohnheitsrecht2 dar, das über den Kreis der Mitgliedstaaten des WÜRV hinaus Anwendung findet.3

19.20

Der Abschluss von DBA erfolgt in einem mehrphasigen Verfahren.4 Zwischen dem Abschluss der Vertragsverhandlungen und der Erklärung, die dem Vertrag völkerrechtliche Verbindlichkeit verleiht, liegt das parlamentarische Verfahren. Es lassen sich folgende Phasen unterscheiden:5 – Die Vertragsverhandlungen werden durch Unterhändler, zumeist Ministerialbeamte des Bundesfinanzministeriums, geführt, die eine Verhandlungsvollmacht des Bundespräsidenten haben, der nach Art. 59 Abs. 1 GG den Bund völkerrechtlich vertritt und allein befugt ist, völkerrechtliche Verträge abzuschließen. – Die Unterhändler beider Vertragspartner einigen sich als erstes zumeist auf nur eine einzige Verhandlungssprache, um von vornherein die Möglichkeit sprachlicher Missverständnisse gering zu halten. In dieser Verhandlungssprache wird auch der vorläufige Abkommenstext erarbeitet, zu dem auch Protokolle und sonstige Briefwechsel gehören. – Zum Abschluss der Verhandlungen paraphieren die Unterhändler beider Vertragspartner jeweils eine Ausfertigung des Abkommenstextes, der Protokolle und des Briefwechsels. Nach dieser Paraphierung wird die in der Verhandlungssprache ausgefertigte Fassung in den jeweiligen Landessprachen der beiden Vertragspartnerländer abgefasst, und die Fassungen werden aufeinander abgestimmt. Die Unterhändler einigen sich sodann darüber, dass das Abkommen letztlich in der Fassung beider Landessprachen der Vertragspartnerstaaten verbindlich sein soll. Denkbar ist aber auch, den Abkommenstext in der Fassung einer dritten Landessprache als verbindlich festzulegen.6 Die Paraphierung des Abkommenstextes kennzeichnet lediglich den vorläufigen Charakter der Einigung. Die materielle Wirkung erschöpft sich darin, dass die beteiligten Vertragspartner nach Treu und Glauben nunmehr verpflichtet sind, den Vertrag in angemessener Zeit den Stellen vorzulegen, die über dessen Annahme oder Ablehnung zu entscheiden haben. Es besteht aber keine völkerrechtliche Verpflichtung zur Annahme des Vertrages. – Da gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG völkerrechtliche Verträge der parlamentarischen Zustimmung bedürfen, legt die Bundesregierung dem Bundestag und gem. Art. 105 Abs. 3 GG auch dem Bundesrat den Entwurf eines Zustimmungsgesetzes zu dem DBA einschließlich der Protokolle und des Briefwechsels vor.

1 BGBl. II 1987, 757. 2 Als Völkergewohnheitsrecht ist das WÜRV aufgrund des Art. 25 Satz 2 GG innerstaatlich anwendbar, BVerfG v. 7.7.1975 – 1 BvR 274/72, 1 BvR 209/72, 1 BvR 195/73 u.a., BVerfGE 40, 141 (167); v. 14.11.1979 – 1 BvR 654/79, BVerfGE 52, 391 (406). 3 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 39; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 68 f.; Prokisch in FS Lehner, 195; dagegen für die Anwendbarkeit erst ab Inkrafttreten BFH v. 14.3.1989 – I R 20/87, BStBl. II 1989, 649. 4 Hierzu im Einzelnen Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 51; mit kritischen Anmerkungen Hinny/Kaiser/Balzerkiewicz/Lang, IStR 2020, 317 ff. 5 Hierzu Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 51; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 71 ff.; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 45 ff. mit Hinweisen auf die ausländische Praxis. 6 S. die Abkommensübersicht bei Nasdala in V/L7, Art. 32 OECD-MA Rz. 42.

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C. Abschluss und Wirksamwerden von DBA | Rz. 19.22 Kap. 19

– Das Zustimmungsgesetz zum Abkommen (Art. 59 Abs. 2 GG) wird im Bundestag verabschiedet; der Bundesrat muss zustimmen (Art. 78 GG). Das Zustimmungsgesetz wird sodann gem. Art. 82 GG vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet. – Durch das Zustimmungsgesetz wird der Inhalt des Vertrages innerstaatliches Recht unter der Voraussetzung, dass dieser Vertrag völkerrechtlich überhaupt in Kraft treten wird.1 – Die Ratifikation, d.h. die formelle Erklärung, dass der Vertragsstaat den in der betreffenden Urkunde wiedergegebenen Text des Vertrages einzuhalten gewillt ist und sich daran nunmehr völkerrechtlich für gebunden hält, erfolgt durch den hierfür allein gem. Art. 59 Abs. 1 GG zuständigen Bundespräsidenten. – Schließlich erfolgt ein Austausch der Ratifikationsurkunden und die Bekanntgabe hiervon im Bundesgesetzblatt. Dies ist der letzte Akt des förmlichen mehrphasigen Vertragsabschlussverfahrens. Er hat seine Bedeutung darin, dass erst dadurch der jeweils andere Vertragspartner formell vom Willen des anderen ratifizierenden Staates in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag nunmehr völkerrechtlich verbindlich sein soll. Daher beginnt die Bindungswirkung grundsätzlich erst mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden. Bei multilateralen Verträgen tritt anstelle des Austauschs der Ratifikationsurkunden nicht selten die Hinterlegung derselben bei einer bestimmten Stelle.2 Das Inkrafttreten wird in DBA zumeist zeitlich genau fixiert und fällt in aller Regel mit dem Tag zusammen, an dem die Ratifikationsurkunden ausgetauscht werden.3 Von dem Inkrafttreten des Abkommens ist die erstmalige Anwendung seiner Vorschriften zu unterscheiden. Auch hier werden regelmäßig besondere Regelungen getroffen.4 Eine rückwirkende Anwendung von DBA ist aber im Hinblick auf das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Rückwirkungsverbot5 unzulässig, wenn sie steuerlich belastend wirkt.6

19.21

In der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine belastende Rückwirkung verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 GG) zulässig ist oder nicht, unterscheidet das BVerfG7 bei DBA zwischen der Rückwirkung auf völkerrechtlicher Ebene

19.22

1 Das Zustimmungsgesetz enthält insoweit einen Anwendungsbefehl; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 75. 2 Das EU-Abkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen – Schiedsverfahrenskonvention – (90/436/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG Nr. L 225, 10 v. 20.8.1990; BGBl. II 1993, 1308) z.B. sieht in seinem Art. 17 die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden beim Generalsekretär des Rates der Europäischen Union vor; vgl. Bekanntmachung über das Inkrafttreten zum 1.1.1995, BStBl. I 1995, 166; Einzelheiten zu diesem EU-Abkommen unter Rz. 19.114 ff. 3 Vgl. etwa Art. 32 Abs. 2 DBA-USA, in einigen Abkommen sind spätere Termine vorgesehen, hierzu Nasdala in V/L7, Art. 32 OECD-MA Rz. 18. 4 Vgl. etwa Art. 32 Abs. 3 bis 6 DBA-USA. 5 Hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.261 ff. 6 BVerfG v. 10.3.1971 – 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272 (284, 287) und in BStBl. II 1973, 431 (434, 435); v. 14.5.1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 ff. und in BStBl. II 1986, 628 (640, 645); v. 19.5.2010 – I R 81/09, DStR 2010, 1223; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 32; Nasdala in V/L7, Art. 32 OECD-MA Rz. 21; zum DBA-Italien: Lüdicke, DB 1991, 1491 ff.; Handzik, RIW 1991, 653 ff.; Hahn/Suhrbier, IStR 1993, 262 ff. 7 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (354 f.); v. 14.5.1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 (267 ff.) und in BStBl. II 1986, 628 (649 ff.).

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Kap. 19 Rz. 19.22 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

und derjenigen auf der innerstaatlichen Ebene.1 Eine Rückwirkung des Abkommens auf der völkerrechtlichen Ebene liegt vor, wenn der Beginn seines zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt vor dem Vertragsschluss (Austausch der Ratifikationsurkunden) festgelegt wird; eine Rückwirkung des Vertrages auf der innerstaatlichen Ebene ist gegeben, wenn der Beginn seines völkerrechtlichen zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor der Verkündung des Zustimmungsgesetzes im Bundesgesetzblatt liegt. Für beide Fallgruppen ist die Reichweite des verfassungsrechtlich zu beachtenden schutzwürdigen Vertrauens in den Fortbestand der ursprünglichen günstigeren Rechtslage bis zum Tag des endgültigen Gesetzesbeschlusses des Bundestages über das Zustimmungsgesetz begrenzt. Darüber hinaus ist es auch bei Zustimmungsgesetzen von Verfassungs wegen nicht geboten, Vertrauensschutz noch für die Zeit nach dem endgültigen Gesetzesbeschluss des Bundestages zu gewähren.2 Auf innerstaatlicher Ebene ist eine Rückwirkung daher verfassungsrechtlich unbedenklich, solange der völkerrechtliche Vertragsabschluss, das heißt der Austausch der Ratifikationsurkunden, angemessene Zeit3 nach dem Gesetzesbeschluss, erfolgt.

19.23

Indessen enthalten die meisten deutschen Zustimmungsgesetze eine Rückwirkungsklausel dahingehend, dass die Steuer nicht zu erheben oder ggf. zu erstatten ist, soweit die Rückwirkung zu einer Mehrbelastung des Steuerpflichtigen durch das DBA führen würde.4 Die Zustimmungsgesetze enthalten seit 1968 zudem jeweils eine gesonderte Rechtsgrundlage,5 um bereits bestandskräftige Steuerbescheide, die der Rückwirkung entgegenstehen, zu ändern.6

D. Änderungen und Erlöschen von DBA Literatur: Böckstiegel, Wegfall der Geschäftsgrundlage und clausula rebus sic stantibus im Staatsvertrags- und Völkerrecht, JuS 1973, 759; Hoffmann, Internationales Privatrecht im Einigungsvertrag, IPRax 1991, 1; Köck, Altes und Neues zur clausula rebus sic stantibus, in FS für Verosta, Berlin 1980, 79; Poeggel/Meißner/Poeggel, Staatennachfolge in Verträge, Berlin 1980; Schaumburg/Schulz, Die Kündigung des Doppelbesteuerungsabkommens Deutschland-Brasilien und ihre Konsequenzen nach nationalem deutschen Steuerrecht, IStR 2005, 794; Treviranus, Die Konvention der Vereinten Nationen über Staatensukzession bei Verträgen, ZaöRV 39 (1979), 259; Zemanek, Die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge, in FS für Verdross, Berlin 1980, 719.

I. Änderungen und Ergänzungen 19.24

Auch nach dem Inkrafttreten von DBA ergeben sich vielfach Gründe, DBA zu ändern oder zu ergänzen. Zu den maßgeblichen Gründen zählen grundlegende Steuerreformen oder wesentliche Änderungen des Steuersystems eines der beiden Vertragsstaaten. Während Revisionsverhandlungen mit dem Ziel der Änderung völkerrechtlicher Verträge bei multilateralen Verträ-

1 Zur Kritik an dieser Differenzierung Vogel, H. in FS O. L. Walter, 81 (89 ff.). 2 Zum DBA-Italien 1989 BFH v. 10.11.1993 – I B 122/93, BStBl. II 1994, 155. 3 Im Falle des DBA-Italien 1989 betrug dieser Zeitraum fast zweieinhalb Jahre, ohne dass er verfassungsrechtlich beanstandet worden ist; BFH v. 10.11.1993 – I B 122/93, BStBl. II 1994, 155; BFH v. 28.12.1993 – I B 168/93, BFH/NV 1994, 692; BFH v. 6.4.1994 – I B 218/93, BFH/NV 1995, 9; zur Kritik Lüdicke, DB 1995, 748 ff. 4 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 32; Nasdala in V/L7, Art. 32 OECD-MA Rz. 21. 5 Überblick über die einzelnen Zustimmungsgesetze bei Nasdala in V/L7, Art. 32 OECD-MA Rz. 15. 6 Ohne gesonderte Rechtsgrundlage wäre eine Änderung nicht zulässig, und zwar auch nicht gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO; Loose in T/K, § 175 AO Rz. 43; Nasdala in V/L7, Art. 32 OECD-MA Rz. 22.

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D. Änderungen und Erlöschen von DBA | Rz. 19.27 Kap. 19

gen in aller Regel nur auf der Grundlage besonderer Revisionsklauseln erfolgen, werden bei bilateralen Verträgen, insbesondere bei DBA, Revisionsverhandlungen zumeist auf Initiative eines der beiden Vertragspartner ohne weiteres eingeleitet. Derartige Revisionsverhandlungen werden geführt bei grundsätzlichem Fortbestehen des betreffenden DBAs. Soweit nur eine partielle Änderung erfolgt, wird diese in einem Revisionsprotokoll niedergelegt, das nach den gleichen Regeln wie das DBA selbst in innerstaatliches Recht umgesetzt wird und völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangt. Soll hingegen das DBA insgesamt geändert und durch ein neues DBA ersetzt werden, sind die entsprechenden Revisionsverhandlungen auf den Abschluss eines Revisionsabkommens gerichtet. Durch ein derartiges Revisionsabkommen wird das alte Abkommen außer Kraft gesetzt, wobei zwecks Vermeidung steuerlicher Nachteile mitunter dem Steuerpflichtigen die Option eingeräumt wird, für eine bestimmte Übergangszeit das alte Abkommen weiter anzuwenden.1 Werden zu einem bereits bestehenden DBA zusätzliche Vereinbarungen getroffen, die die Normen des bestehenden DBAs nicht ändern, sondern lediglich formell oder materiell ergänzen, so steht am Ende der Revisionsverhandlungen ein Zusatzprotokoll, das ebenfalls nach den für DBA selbst bestehenden Regeln innerstaatliches Recht wird und völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangt.

19.25

II. Außerkrafttreten In aller Regel ergeben sich die Erlöschensgründe aus dem völkerrechtlichen Vertrag selbst. So kann ein Vertrag erlöschen durch Eintritt einer auflösenden Bedingung oder aber durch Zeitablauf am Ende der vertraglich vereinbarten Geltungsdauer (Art. 54 WÜRV).2 Da DBA indessen fast durchweg für unbestimmte Zeit in Kraft treten, werden diese durch Kündigung beendigt, soweit sie eine Kündigungsklausel enthalten (Art. 31 OECD-MA). Gekündigt wurde zuletzt das DBA-Brasilien zum 31.12.20053, das DBA-Türkei zum 1.1.20114 und das ErbSt-DBA mit Österreich zum 31.12.2007.5 Ohne Kündigungsklausel kann ein völkerrechtlicher Vertrag und damit auch ein DBA nur unter Berufung auf die clausula rebus sic stantibus6 oder einvernehmlich aufgehoben werden.

19.26

DBA erlöschen schließlich auch beim Untergang eines Vertragsstaates,7 es sei denn, es handelt sich um einen Fall der Staatennachfolge.8 Hierfür gilt nach Maßgabe des Art. 31 des Wiener Übereinkommens über Staatennachfolge in Bezug auf Verträge vom 23.8.19789 das Prinzip der Kontinuität (automatische Nachfolge in alle Verträge), wobei der Anwendungsbereich der

19.27

1 Vgl. etwa Art. 32 Abs. 3 DBA-USA. 2 Eine zeitliche Befristung fand sich bspw. in Art. 30 Abs. 1 DBA-VAE 2010. Nach Ablauf der zehnjährigen Geltungsdauer ist das DBA VAE Ende 2021 ersatzlos ausgelaufen. 3 Hierzu Schaumburg/Schulz, IStR 2005, 794 ff. Der abkommenslose Zustand dauert insoweit an. 4 Vgl. BMF, Pressemitteilung v. 21.7.2009, BB 2009, 1723. Ein abkommensloser Zustand wurde vermieden, indem gemäß Art. 30 Abs. 2 DBA-Türkei 2012 das neue DBA rückwirkend ab dem 1.1.2011 Anwendung findet. 5 BMF v. 8.10.2007, BStBl. I 2007, 821; Verlängerungsabkommen (bis 31.7.2008) v. 6.11.2008, BGBl. II 2009, 715. 6 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 103 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht7, 111; Böckstiegel, JuS 1973, 759 ff.; Köck in FS Verosta, 79 ff. 7 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 103; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht7, 111 ff. 8 Hierzu Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 340 ff. 9 Vgl. dazu Treviranus, ZaöRV 39 (1979), 259 ff. mit Text im Anhang, 279 ff.; Zemanek in FS Verdross, 719 ff.

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Kap. 19 Rz. 19.27 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

fortgeltenden Verträge jeweils auf das ursprüngliche Territorium der Vertragspartei beschränkt bleibt.1

19.28

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens sowie der Teilung der Tschechoslowakei wurden von Deutschland mit den neu entstandenen Staaten zunächst Vereinbarungen über die Fortgeltung der mit den drei vorgenannten Staaten bestehenden DBA geschlossen,2 wobei inzwischen mit einigen Nachfolgestaaten neue DBA abgeschlossen bzw. in Kraft getreten sind.3

E. Anwendung von DBA Literatur: Beul, Beschränkung europäischer Niederlassungsfreiheit und Art. 220 EGV, IStR 1997, 1; Bohnert, US-Steuerreform und deutsch-amerikanisches Doppelbesteuerungsabkommen, RIW 1987, 37 ff.; Bothe, Die Wiener Konvention über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen und zwischen internationalen Organisationen, NJW 1991, 2169; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964; Cordewener/Enchelmaier/Schindler, Meistbegünstigung im Steuerrecht der EU-Staaten, München 2006; Debatin, System und Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen, DB 1985, Beilage 23, 1; Debatin, Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1; Drüen, Einfachgesetzlicher, genereller Anwendungsvorrang von Doppelbesteuerungsabkommen, in Gosch/Schnitger/Schön (Hrsg.), FS für Jürgen Lüdicke, 2019, 103; Dürrschmidt, „Europäisches Steuerrecht“ nach Lissabon, NJW 2010, 2086; Forsthoff, Treaty Override und Europarecht, IStR 2006, 509; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, Berlin 1988; Gosch/Heckerodt, Die unendliche Geschichte der finalen Verluste, GmbHR 2021, 1248 ff.; Häger, Meistbegünstigung im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Baden-Baden 2008; Hofbauer, Erfordern die Grundfreiheiten des EGV eine innereuropäische Meistbegünstigung? – Erste Erkenntnisse aus dem „D“-Fall, SWI 2004, 586; Ismer, Was ist internationale Doppelbesteuerung?, in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff (Hrsg.), Territorialität und Personalität, FS für Moris Lehner, 2019, 27; Jann, Die Auswirkungen des EU-Rechts auf die Abkommensberechtigung von beschränkt Steuerpflichtigen, SWI 1996, 400; Kluge, Zur unmittelbaren Anwendung von DBA-Vorschriften bei der Gewinnermittlung, StuW 1975, 294; Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Wien 2007; Lang, M., DBA und innerstaatliches Recht, Wien 1992; Lang, M., Wohin geht das Internationale Steuerrecht?, IStR 2005, 289; Lang, M., Doppelbesteuerungsabkommen in der Rechtsprechung des EuGH, in Lang, M., Europäisches Steuerrecht, Bd. 41 (2018), 383; Lang, M., Normenkonflikte zwischen den Vorschriften des nationalen Steuerrechts und der DBA, in Gosch/Schnitger/Schön (Hrsg.), FS für Jürgen Lüdicke, 2019, 437; Langbein, „Treaty overriding“ durch nationales Recht, RIW 1988, 875; Mössner, Zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, in FS für Seidl-Hohenveldern, Köln/Berlin/Bonn/München 1988, 403; Rödder/Schönfeld, Mündliche Verhandlung vor dem EuGH in der Rechtssache „Cadbury Schweppes“: Wird sich der Missbrauchsbegriff des EuGH verändern?, IStR 2006, 49; Schaumburg, Spezielle Gewinnrealisierungsprobleme im außensteuerlichen Kontext, DStJG 4 (1985), 247; Scherer, Doppelbesteuerung und europäisches Gemeinschaftsrecht, München 1995; Schuch, Verpflichtet das EU-Recht zur DBA-rechtlichen Meistbegünstigung?, SWI 1996, 267; Shannon, Die DBA der USA, München 1987; Stockmann, Völkerrechtliche Meistbegünstigungsklausel und Internationales Steuerrecht, IStR 1999, 129; Vedder, Einwirkungen des Europarechts auf das innerstaatliche Recht und auf internationale Verträge der Mitgliedstaa-

1 Poeggel/Meißner/Poeggel, Staatennachfolge in Verträge, 108 f.; Treviranus, ZaöRV 39 (1979), 259 (271 f.); Hoffmann, IPRax 1991, 1 (7); zur Rechtslage bezüglich der Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR und Jugoslawiens BMF v. 19.1.2022 – IV B 2 - S 1301/21/10048:001, BStBl. I 2022, 147. 2 Vgl. die Hinweise in BMF v. 19.1.2022 – IV B 2 - S 1301/21/10048:001, BStBl. I 2022, 147. 3 Hierzu der Überblick in BMF v. 19.1.2022 – IV B 2 - S 1301/21/10048:001, BStBl. I 2022, 147.

764 | Schaumburg/Häck

E. Anwendung von DBA | Rz. 19.32 Kap. 19 ten: Die Regelung der Doppelbesteuerung, in Lehner/Thömmes u.a., Europarecht und Internationales Steuerrecht, München 1994, 1; Vogel, Zu einigen Fragen des Internationalen Steuerrechts, DB 1986, 507; Waldhoff, § 2 Abs. 1 AO zwischen juristischer Methodenlehre, (Außen-)Verfassungsrecht und unmittelbarer Anwendbarkeit der Doppelbesteuerungsabkommen, in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff (Hrsg.), Territorialität und Personalität, FS für Moris Lehner, 2019, 171; Wassermeyer, Die Vermeidung der Doppelbesteuerung im Europäischen Binnenmarkt, DStJG 19 (1996), 151; Wassermeyer, Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen durch den BFH, StuW 1990, 404; Weggenmann, EGrechtliche Aspekte steuerlicher Meistbegünstigung im Abkommensrecht, IStR 2003, 677; Wingert, Neuere Entwicklungen der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, RIW 1990, 207; Zorn, Grundrechtsschutz im Bereich der Doppelbesteuerungsabkommen, in Lüdicke/Mellinghoff/Rödder (Hrsg.), Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, FS für Dietmar Gosch, 2016, 475.

I. Normengruppen DBA erlangen Rechtsnormcharakter dadurch, dass sie vom Bundestag und Bundesrat als Zustimmungsgesetze1 beschlossen und sodann durch das Ratifikationsverfahren völkerrechtlich verbindlich werden (Rz. 19.20 f.). Rechtsnormcharakter hat nicht nur der Abkommenstext als solcher, sondern haben auch die beigefügten Protokolle und Briefwechsel, die selbst integrale Bestandteile der DBA sind.2

19.29

In Protokollen und Briefwechseln werden gewöhnlich diejenigen Verhandlungsergebnisse niedergelegt, die entweder von den Vertragspartnern als weniger wichtig angesehen werden oder aber vom Regelungsgehalt her nur einen der beiden Vertragsstaaten betreffen. Indessen haben Protokolle und Briefwechsel in der Abkommenspraxis zunehmend an Bedeutung gewonnen.3 Dass vermehrt auch materiell-rechtliche Regelungen in Protokolle aufgenommen werden,4 hat seine Ursache im Wesentlichen darin, dass die von Deutschland abgeschlossenen DBA vom äußeren Aufbau her zwar noch weitgehend dem OECD-MA entsprechen, inhaltlich aber immer mehr von diesem abweichen. Dabei finden die Abweichungen Eingang in die den eigentlichen Abkommenstexten beigefügten Schlussprotokolle.5

19.30

Soweit Protokolle und Briefwechsel nicht zum Bestandteil der eigentlichen Abkommen selbst geworden sind und damit auch nicht am Ratifizierungsverfahren teilgenommen haben, kommt ihnen zwar kein Rechtsnormcharakter zu, sie stellen aber eine Auslegungshilfe dar.6

19.31

Da DBA darauf gerichtet sind, dem jeweiligen innerstaatlichen Steuerrecht im bilateralen Verhältnis Schranken7 aufzuerlegen,8 wirken sie unmittelbar auf das jeweilige Steuerrechtsver-

19.32

1 Art. 59 Abs. 2 GG; die Zustimmung des Bundesrates ist gem. Art. 105 GG unabdingbar. 2 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 49; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 7; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 93; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 29. 3 Zu dieser „Protokollsucht“ Wingert, RIW 1990, 207 (209). 4 Vgl. etwa die Protokolle zum DBA-Italien und DBA-USA. 5 Zur „Bilateralisierung“ der DBA Wingert, RIW 1990, 207 (209). 6 Vgl. Art. 31 Abs. 2 WÜRV. 7 Kritisch zu diesem Begriff Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 9; vgl. dagegen etwa BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BFH/NV 2015, 626 (Schrankenwirkung i.S. von Sperrwirkung). 8 Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (2 ff.).

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Kap. 19 Rz. 19.32 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

hältnis1 ein.2 Sie sind nach Umsetzung in innerstaatliches Recht insoweit unmittelbar anwendungsfähig, haben als solche also Self-executing-Charakter.3 Das bedeutet aber nicht, dass allen Vorschriften der DBA eine derartige Self-executing-Wirkung zukommt. So gibt es Vorschriften, die lediglich Ermächtigungsnormen darstellen, die zu ihrer Umsetzung noch einer innerstaatlichen gesetzlichen Vorschrift bedürfen.4 Ob eine Abkommensvorschrift Self-executing-Wirkung hat oder nicht, ist dem Wortlaut und dem Sinngehalt der einzelnen Vorschrift zu entnehmen. Für Ermächtigungsnormen sprechen Formulierungen wie „dürfen“ oder „können“, für unmittelbar anwendbare Normen sprechen dagegen Formulierungen wie „sind“. Zu diesen Self-executing-Normen zählen insbesondere die dealing-at-arm’s-length-Klausel des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA, zu deren Durchführung es keiner innerstaatlichen gesetzlichen Vorschrift mehr bedarf.5

19.33

Da DBA in erster Linie den Zweck verfolgen, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden,6 sind deren Normen unter diesem Gesichtspunkt als kollisions- oder konfliktauflösende Normen zu qualifizieren. Während die kollisions- oder konfliktbegründenden Normen, d.h. solche Normen, die eine Doppelbesteuerung verursachen, Bestandteil des innerstaatlichen Rechts sind, erfolgt die Kollisionsauflösung auf der Ebene des Abkommensrechts.7 Der Zweck von DBA erschöpft sich indessen nicht darin, die Doppelbesteuerung zu vermeiden (Rz. 19.36). Aufgabe der DBA ist es vielmehr auch, in grenzüberschreitenden Steuerfällen aufgrund sachgerechter und konsequent durchgeführter Regeln für die gerechte Zuordnung des Steuergutes zu einem Staat oder die gerechte Verteilung des Steuergutes unter mehreren Staaten Sorge zu tragen.8

19.34

Die Normen der DBA werden u.a. als Verzichtsnormen9 oder als Verteilungsnormen10 (Zuteilungs-/Aufteilungsnormen) bezeichnet.11

19.35

In der Staatenpraxis werden die Normen der DBA indessen tatsächlich überwiegend nicht als ein auf Verteilungsgerechtigkeit, sondern eher als ein auf fiskalische Interessenverfolgung ausgerichtetes Regelungsgefüge, aufgefasst. Zu diesem Zweck werden die DBA nicht selten von den Vertragsstaaten selbst umgangen,12 wird Abkommensrecht offen oder verdeckt durch in1 Zum Steuerrechtsverhältnis Seer in Tipke/Lang24, Rz. 6.1 ff. 2 In Deutschland nach Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes als legislative Schranke gegen die übrigen Normen des nationalen Rechts; zum lex specialis-Charakter Rz. 3.25. 3 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 56; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 28; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1; Debatin, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1 (1); zur Terminologie Stein/von Buttlar/Kotzur14, Rz. 185 ff.; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 45 f. 4 So z.B. die Gewinnkorrekturvorschrift des Art. 9 OECD-MA; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 Rz. 20. 5 Zum Ganzen ausf. Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 90. 6 Stv. Ismer in FS Lehner, 27 (32); die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung (Minderbesteuerung) ist nach herkömmlichen Verständnis nicht das eigentliche Ziel von DBA, sondern lediglich Folge der Freistellungsmethode; vgl. Rz. 19.84 ff.; 19.522 ff. 7 Zu kollisionsbegründenden und kollisionsauflösenden Normen im Einzelnen Rz. 2.7 ff.; zur Abgrenzung: die Normen der DBA sind keine Kollisionsnormen im Sinne des Internationalen Privatrechts, hierzu Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 44; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECDMA Rz. 9. 8 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 23; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 11; Tipke, Steuergerechtigkeit, 120. 9 Hierzu ausführlich Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (2 f.). 10 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 67. 11 Kritisch zu diesen Begriffen Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 9. 12 Hierzu Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 193 ff.

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E. Anwendung von DBA | Rz. 19.38 Kap. 19

nerstaatliches Recht überlagert oder gar verdrängt (sog. Treaty-Overriding, Rz. 3.25 f.), werden Normen der DBA unter dem Gesichtspunkt des geringstmöglichen Steuerverzichts ausgelegt und damit Qualifikationskonflikte, Auslegungskonflikte usw. (Rz. 19.79 ff.) hingenommen. Trotz DBA wird daher eine Doppelbesteuerung nicht stets vermieden, so dass Steuerpflichtige nicht selten Opfer dieses Verteilungskampfes werden, zumal ihnen in der internationalen Besteuerungspraxis immer noch zu häufig kein Recht auf konfliktlösende zwischenstaatliche Verständigungsverfahren (Rz. 19.91) eingeräumt wird.1 Der Regelungsgehalt der DBA geht mitunter über die bloße Vermeidung der Doppelbesteuerung und die gerechte Verteilung des Steuergutes zwischen den beteiligten Staaten hinaus. So dienen Abkommen auch der Verhinderung von Steuerverkürzungen,2 so dass die diesbezüglichen Normen, bei denen es sich zumeist um sog. Missbrauchsklauseln handelt,3 auch als Normen zur Vermeidung von Einkünfteverlagerungen4 aufgefasst werden können. Steuerbegründende Normen enthalten DBA demgegenüber nicht. Das Recht, Steuern zu erheben, wird nämlich nicht durch DBA verliehen, sondern leitet sich allein aus der Souveränität eines jeden Staates ab.5

19.36

II. Normenkonkurrenz 1. Verhältnis zum nationalen Recht DBA stehen als völkerrechtliche Verträge gem. Art. 59 Abs. 2 GG im Rang von Bundesgesetzen und müssen ebenso wie diese grundrechtlichen Vorbehalten und sonstigen rechtsstaatlichen Anforderungen genügen.6 Sie gehen indessen als leges speciales dem innerstaatlichen Steuerrecht vor.7

19.37

Diese Derogationswirkung hat allerdings Grenzen, weil spätere speziellere Regelungen des nationalen Steuerrechts den DBA vorgehen, soweit ein gesetzgeberischer Wille zur Abkommensverdrängung feststellbar ist.8 Die Derogationswirkung ergibt sich unabhängig von dem insoweit nur deklaratorisch wirkenden § 2 AO schon aus dem Sinn und Zweck der DBA. Während nämlich die Normen des nationalen Steuerrechts darauf gerichtet sind, die Voraussetzungen der Steuerpflicht zu bestimmen, besteht das Wesen der Abkommen demgegenüber darin, gegen das innerstaatliche Steuerrecht Schranken zu errichten,9 was aber nur dadurch erreicht werden kann, dass die Normen der DBA denen des innerstaatlichen Steuerrechts vorgehen.

19.38

1 Vgl. allerdings die abkommensrechtlichen Schiedsklauseln sowie für den Bereich der EU die Schiedsverfahrenskonvention; zu Einzelheiten Rz. 19.114 ff. 2 Vgl. etwa die Überschrift des DBA-USA. 3 Vgl. etwa Art. 28 DBA-USA, Nr. 17 des Protokolls des DBA-Belgien; Nr. 7c des Protokolls des DBA-Neuseeland; Nr. 6 des Protokolls des DBA-Finnland; ferner Art. 23 DBA-Schweiz. 4 Häufig auch als Steuerfluchtnormen bezeichnet; hierzu im Einzelnen Rz. 2.16 ff. 5 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 44, 65; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 9; Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 33; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964, 61; Mössner in FS Seidl-Hohenveldern, 403 (414); Wassermeyer, StuW 1990, 404 (411). 6 Grundlegend BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); Zorn in FS Gosch, 475 (476 ff.). 7 § 2 AO; zu den Einzelheiten Rz. 3.25. 8 Drüen in T/K § 2 AO Rz. 38; vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 3.24 f. 9 Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (2 ff.); kritisch hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 9.

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Kap. 19 Rz. 19.39 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.39

Die Schrankenwirkung der DBA versagt indessen, wenn aufgrund gesetzgeberischer Maßnahmen des nationalen Rechts den DBA die Derogationswirkung genommen wird. Ein derartiges Treaty-Overriding ist in denjenigen Staaten ausgeschlossen, in denen völkerrechtliche Verträge selbst vor späteren spezielleren nationalen Steuergesetzen Vorrang haben.1 Demgegenüber beanspruchen die gesetzgebenden Körperschaften der USA ein Treaty-Overriding als verfassungsmäßiges Recht, von dem sie nicht selten Gebrauch machen.2 In Deutschland wird ein (offenes) Treaty-Overriding in zunehmendem Maße praktiziert;3 das nationale deutsche Steuerrecht enthält zudem Vorschriften,4 die so ausgestaltet sind, dass sie entsprechende Abkommensvorschriften unterlaufen können.5 Offenes oder verdecktes Treaty-Overriding bewirkt eine Störung der durch DBA geschaffenen bilateralen Steuerrechtsordnung, deren Normen wesensmäßig darauf gerichtet sind, beide Vertragsstaaten gleichermaßen zu verpflichten.6 Darüber hinaus führt ein Unterlaufen von DBA und deren nachhaltige Aushöhlung durch entgegenstehendes innerstaatliches Recht zu Vertragsverletzungen, die gem. Art. 60 WÜRV zu einer Vertragskündigung durch den anderen Vertragsstaat berechtigen können, zumal Art. 27 Abs. 1 WVK das Prinzip formuliert, dass Staaten sich nicht auf ihr internes Recht berufen dürfen, um die Nichterfüllung und Nichteinhaltung eines völkerrechtlichen Vertrages zu rechtfertigen.7 Die in Deutschland geführte Diskussion um die Frage, ob ein Treaty-Overriding verfassungsrechtlich zulässig ist,8 hat das BVerfG dahin beantwortet, dass der Gesetzgeber nach dem lex-posterior-Grundsatz später einem DBA widersprechende Gesetze erlassen darf, ohne gegen den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit oder das Rechtsstaatsprinzip zu verstoßen.9

19.40

Für die praktische Anwendung von DBA im Wechselspiel mit dem innerstaatlichen Steuerrecht ergibt sich Folgendes10: Zunächst ist ungeachtet eines DBA festzustellen, ob Deutschland nach seinem innerstaatlichen Steuerrecht im Rahmen der beschränkten oder unbeschränkten Steuerpflicht ein Besteuerungsanspruch zusteht. Anschließend ist anhand des einschlägigen DBA zu beurteilen, ob dieses den innerstaatlichen Besteuerungsanspruch ausschließt oder beschränkt. Ist dies zu bejahen, ist wiederum das innerstaatliche Steuerrecht daraufhin zu untersuchen, ob es ein Treaty-Overriding enthält, um die abkommensrechtliche Schrankenwirkung zu suspendieren. Dabei kann nicht pauschal auf den lex specialis- oder den lex posteriorGrundsatz abgestellt werden.11 Vielmehr ist im Wege der Interpretation zu ermitteln, welcher Vorschrift der Gesetzgeber im konkreten Fall den Vorrang einräumen wollte.12

1 So in Frankreich, in den Niederlanden sowie in Japan; für die Schweiz verneint die schweizerische Rechtsprechung einen Vorrang von Völkervertragsrecht, wenn der Gesetzgeber einen Widerspruch zum DBA bewusst in Kauf genommen hat; Einzelheiten bei Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 203 ff. 2 Hierzu Shannon, Die DBA der USA, 50 ff.; Bohnert, RIW 1987, 37 ff.; Langbein, RIW 1988, 875 ff. 3 Beispiele: § 50d Abs. 1, 3, 8 bis 12 EStG. 4 Etwa § 20 Abs. 2 AStG. 5 Zur Umgehung von DBA durch die Vertragsstaaten Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 193 ff. 6 Debatin, DB 1985 Beilage 23, 1 (2). 7 Die Wiener Konvention über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen und zwischen internationalen Organisationen vom 21.3.1986 (WVK) ist von Deutschland ratifiziert worden (BGBl. II 1990, 1415); zu Einzelheiten Bothe, NJW 1991, 2169. 8 Nachweise bei Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 193. 9 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359; kritisch dazu Drüen in FS Lüdicke, 103 (106 ff.); ausf. hierzu Rz. 3.24. 10 Vgl. Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 27. 11 Waldhoff in FS Lehner, 171 (190). 12 Lang in FS Lüdicke, 437 (442).

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E. Anwendung von DBA | Rz. 19.43 Kap. 19

2. Verhältnis zum Europarecht Soweit die europarechtlichen Normen self executing sind (Rz. 3.37), genießen sie innerhalb der Normenhierarchie des Internationalen Steuerrechts Anwendungsvorrang ggü. den Normen der DBA, die gem. Art. 59 Abs. 2 GG lediglich im Rang von Bundesgesetzen stehen (Rz. 3.24, 3.37). Dieser Anwendungsvorrang ist indessen begrenzt durch die Reichweite des primären und sekundären Unionsrechts selbst, das z.B. kein generelles unionsrechtliches Verbot der Doppelbesteuerung enthält.1

19.41

Die Vorrangwirkung erfasst uneingeschränkt die zwischen den Mitgliedstaaten abgeschlossenen DBA, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Altabkommen, also um Abkommen, die vor Inkrafttreten des EG-Vertrages (heute AEUV) abgeschlossen wurden, oder um Neuabkommen handelt.2 Auf mit Drittstaaten abgeschlossene DBA wirken die europarechtlichen Normen nur dann ein, wenn die abkommensrechtlichen Regelungen Auswirkungen auf den Binnenbereich der EU und somit unionsrechtliche Relevanz haben.3 Soweit sich hiernach eine Bindungswirkung des vorrangigen Europarechts ergibt, gilt diese freilich nur für den EU-Vertragsstaat selbst, nicht aber für den Drittstaat. Das gilt für Alt- und Neuabkommen gleichermaßen. Verstoßen derartige mit Drittstaaten abgeschlossene DBA gegen primäres oder sekundäres Unionsrecht, ist wie folgt zu differenzieren: Altabkommen bleiben für den betreffenden EU-Vertragsstaat anwendbar (Art. 351 Abs. 1 AEUV), es sei denn, es wird primäres Unionsrecht (zum Begriff vgl. Rz. 1.7) verletzt. In diesem Fall trifft den EU-Vertragsstaat allerdings eine Anpassungspflicht, so dass alle geeigneten Mittel anzuwenden sind, um die Unvereinbarkeit mit dem primären Unionsrecht zu beheben, was bedeutet, dass entweder einseitig durch nationales Recht das primäre Unionsrecht auf die Altabkommen für anwendbar erklärt wird oder gegebenenfalls das DBA zu kündigen ist.4 Mit Drittstaaten abgeschlossene Neuabkommen sind indessen von vornherein unanwendbar, soweit sie gegen vorrangiges Europarecht verstoßen.5 Hieraus folgt, dass jeder EU-Vertragsstaat schon im Ausgangspunkt gehalten ist, die einzelnen DBA so auszuhandeln, dass sie den Grundfreiheiten entsprechen.6

19.42

Die die Anwendung von DBA überlagernde Bindung an primäres Unionsrecht bezieht sich vor allem auf die im AEUV verankerten Grundfreiheiten.7 Betroffen sind hierdurch die von den EU-Staaten untereinander geschlossenen DBA. Ein Verstoß gegen die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten ist stets dann gegeben, wenn die Abkommensanwendung zu einer Diskriminierung von Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten führt. Hierbei geht es im We-

19.43

1 Stv. Lang, DStJG 41 (2018), 383 (383 ff.). 2 Zum Vorrang des Unionsrechts vor völkerrechtlichen Verträgen z.B. EuGH v. 10.1.2006 – C-265/ 04, ECLI:EU:C:2006:51 = Slg. 2006, I-923 – Bonanich; zu Altabkommen EuGH v. 27.2.1962 – C10/61, ECLI:EU:C:1962:2 = Slg. 1962, 3 – Kommission ./. Italien; im Einzelnen m.w.N. Schönfeld/ Häck in S/D2, Systematik Rz. 119 ff.; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 259; Lang, M. in Gassner/ Lang/Lechner (Hrsg.), DBA und EU-Recht, 25 (27); Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 8.182 ff. 3 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 123 ff.; Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 280 ff. 4 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 128; Ismer in V/L7, Grundlagen Rz. 260b. 5 Wegen des bloß subsidiär anwendbaren Art. 63 AEUV (Kapitalverkehrsfreiheit) ist der Rechtsschutz allerdings sehr eingeschränkt; hierzu Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 132; Vedder in Lehner/Thömmes u.a., Europarecht und Internationales Steuerrecht, 1 (8). 6 Hierzu Schuch, SWI 1996, 267 (269); Dautzenberg, DStJG 19 (1996) 151 (160). 7 Vgl. Schwenke/Hardt in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 106, 111 ff.; Ismer in V/L7, Grundlagen Rz. 265 ff.; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 133 ff.

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Kap. 19 Rz. 19.43 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

sentlichen um die abkommensrechtliche Ungleichbehandlung von beschränkt steuerpflichtigen Unionsbürgern fremder Staatsangehörigkeit im Vergleich zu unbeschränkt steuerpflichtigen Personen eigener Staatsangehörigkeit. Angesprochen sind aber auch die Fälle, in denen beschränkt steuerpflichtige Unionsbürger verschiedener Staatsangehörigkeiten im Quellenstaat, etwa in Deutschland, ungleich behandelt werden. Erfasst werden in der ersten Fallgruppe z.B. beschränkt steuerpflichtige Unionsbürger, die in Deutschland Betriebsstätten mit Drittlandseinkünften unterhalten. Da Betriebsstätten nicht abkommensberechtigt sind (Rz. 19.175), kann die Doppelbesteuerung in derartigen Dreiecksfällen nicht vermieden werden (Rz. 19.182 ff.). Demgegenüber können unbeschränkt steuerpflichtige Personen die Schrankenwirkungen der von Deutschland als Ansässigkeitsstaat abgeschlossenen DBA für derartige inländische Betriebsstätteneinkünfte aus in Drittstaaten belegenen Quellen in Anspruch nehmen.1 Im Ergebnis werden damit beschränkt steuerpflichtigen Unionsbürgern nicht die gleichen Abkommensvergünstigungen gewährt wie den in Deutschland ansässigen unbeschränkt steuerpflichtigen Personen.

19.44

Die zweite Fallgruppe betrifft Fälle, in denen beschränkt steuerpflichtige Unionsbürger verschiedener Nationalitäten etwa in Deutschland als Quellenstaat deshalb ungleich besteuert werden, weil die Schrankenwirkungen der mit den betreffenden EU-Ansässigkeitsstaaten geschlossenen DBA unterschiedliche Reichweiten haben. Die Grundfreiheiten werden mitunter dahingehend extensiv verstanden, dass sie auch eine Verpflichtung zur Meistbegünstigung enthalten.2 Hieraus wird gefolgert, dass beschränkt steuerpflichtige Unionsbürger sich auf das jeweils günstigste EU-DBA des EU-Quellenstaates, etwa das von Deutschland, berufen können.3 Darüber hinaus wird angenommen, dass das Gebot der Meistbegünstigung nicht nur bei Anwendung von zwischen den EU-Staaten abgeschlossenen DBA, sondern auch dann zur Anwendung komme, wenn EU-Staaten DBA mit Drittstaaten abgeschlossen haben, von denen gegen die europarechtlichen Diskriminierungsverbote gerichtete Wirkungen ausgehen.4 Der Geltung der Meistbegünstigung im Europarecht5 hat indessen der EuGH6 eine Absage erteilt: Entsprechend dem Wesen von DBA mit ihren lediglich auf bilateraler Ebene wirkenden, auf Gegenseitigkeit beruhenden Normen ist eine Vergleichbarkeit von den in verschiedenen EUStaaten ansässigen Gebietsfremden von vornherein nicht gegeben.7

19.45

Die Absage an eine innereuropäische Meistbegünstigung führt im Ergebnis dazu, dass die unterschiedliche Besteuerung von Gemeinschaftsbürgern unterschiedlicher Herkunft in einem EU-Mitgliedstaat konserviert wird. Diese steuerlichen Verwerfungen bewirken Wettbewerbsverzerrungen, die mit dem Binnenmarktkonzept des AEUV unvereinbar sind. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass auf Grund der unterschiedlichen Steuerwirkungen bei 1 Zu diesem Fall Jann, SWI 1996, 400 ff. 2 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 51 ff., 687, 817 f., 836 ff.; Weggenmann, IStR 2003, 677 ff. 3 Schuch in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), DBA und EU-Recht, 99 ff.; Schuch, SWI 1996, 267 ff.; Wassermeyer, DStJG 19 (1996), 151 (162 f.); Beul, IStR 1997, 1 (4); Stockmann, IStR 1999, 129 ff. 4 Scherer, Doppelbesteuerung und europäisches Gemeinschaftsrecht, 156. 5 Hierzu Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 759 ff.; Hageböke in S/K/K, Art. 24 OECD-MA Rz. 29 ff. 6 EuGH v. 5.7.2005 – C-376/03, ECLI:EU:C:2005:424 = Slg. 2005, I-5821 – D; ebenso BFH v. 14.3.1989 – I R 20/87, BStBl. II 1989, 649; BFH v. 19.11.2003 – I R 22/02, BStBl. II 2004, 560; BFH v. 9.11.2005 – I R 27/03, BStBl. II 2006, 564. 7 Diese Entscheidung ist überwiegend auf Kritik gestoßen, vgl. die Nachweise bei Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 759 ff.; ferner Häger, Meistbegünstigung im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 101 ff.

770 | Schaumburg/Häck

E. Anwendung von DBA | Rz. 19.48 Kap. 19

einzelnen DBA mitunter Drittstaatenangehörige eine vorteilhaftere steuerliche Behandlung in einem EU-Mitgliedstaat in Anspruch nehmen können als Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten1 Die EU-Mitgliedstaaten werden daher gehalten sein, im Kernbereich inhaltsgleiche DBA oder ein multilaterales DBA abzuschließen. Die Grundfreiheiten wirken auf Abkommensebene ggf. auch zugunsten unbeschränkt steuerpflichtiger Personen. Angesprochen sind hiermit insbesondere Fälle, in denen die abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen davon abhängig sind, in welchem Ausmaß das eine oder andere DBA-Aktivitätsklauseln (Rz. 19.138) enthält oder nicht, womit zugleich entgegen dem europarechtlich fundierten Binnenmarktkonzept Investitionsentscheidungen verzerrt werden.2 Dieser sog. Outbound-Meistbegünstigungsklausel hat der EuGH ebenfalls eine Absage erteilt.3

19.46

Die vom primären Unionsrecht ausgehenden Schutzwirkungen auf DBA haben in Orientierung an die hierfür maßgebliche EuGH-Rechtsprechung (Rz. 4.16 ff.) nur eine begrenzte Reichweite. So korrespondiert mit der fehlenden europarechtlichen Absicherung der Meistbegünstigung die nicht gegebene Verpflichtung der EU-Staaten, überhaupt DBA abzuschließen,4 so dass die Unionsbürger auch kein entsprechendes subjektives Recht herleiten können.5 Davon abgesehen sind im Ergebnis auch einzelne Regelungsbereiche der DBA den europarechtlichen Schutzwirkungen entzogen, so z.B. die Verteilungsnormen (Art. 6–21 OECD-MA)6 und die Methodenartikel (Art. 23A, 23B OECD-MA).7 Das schließt allerdings nicht aus, dass abkommensrechtliche Defizite aus Gründen des Europarechts auf Ebene des nationalen (innerstaatlichen) Rechts auszugleichen sind.8

19.47

Abkommensrechtliche Verstöße gegen sekundäres Unionsrecht betreffen durchweg EU-Richtlinien, soweit sie einen Abkommensbezug haben.9 Setzt sich unter dem vorgenannten Gesichtspunkt das von einem EU-Vertragsstaat abgeschlossene DBA in Widerspruch zu einer EURichtlinie und werden hierdurch Unionsbürger benachteiligt, können sich diese auf die unmittelbare Wirkung der Richtlinienbestimmung selbst berufen, sofern diese unbedingt und hinreichend genau bestimmt ist (Rz. 3.31). Dies gilt nicht, wenn die EU-Richtlinie von dem

19.48

1 Hierzu Hofbauer, SWI 2004, 586 ff. 2 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 144; Kofler, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 808 ff.; Wassermeyer, DStJG 19 (1996), 151 (162 ff.); Lang, M., IStR 2005, 289 (295), a.A. wohl BFH v. 9.11.2005 – I R 27/03, BStBl. II 2006, 564. 3 EuGH v. 6.12.2007 – C-298/05, ECLI:EU:C:2007:754 = Slg. 2007, I-10497 – Columbus Container. 4 Dürrschmidt, NJW 2010, 2086 (2089). 5 EuGH v. 12.5.1998 – C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221 = Slg. 1998, I-2823 – Gilly; vgl. auch Forsthoff, IStR 2006, 509 ff. 6 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 136; vgl. im Einzelnen Rz. 19.211 ff. 7 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 137 ff.; vgl. im Einzelnen Rz. 19.512 ff. 8 So etwa die finale Verlustberücksichtigung EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005: 763 = Slg. 2005, I-10837 – Marks & Spencer zu Kapitalgesellschaften und EuGH v. 15.5.2008 – C414/06, ECLI:EU:C:2008:278 = Slg. 2008, I-3601 – Lidl Belgium; EuGH v. 13.10.2008, C-157/07, ECLI:EU:C:2008:588 = IStR 2008, 769 – KR Wannsee; EuGH v. 6.11.2007 – C-415/06, ECLI:EU:C: 2007:651 = Slg. 2007, I-151 – Stahlwerke Ergste Wertig; EuGH v. 28.2.2008 – C-293/06, ECLI:EU: C:2008:129 = Slg. 2008, I-1129 – Deutsche Shell; EuGH v. 17.7.2014 – C-48/13, ECLI:EU:C:2014: 2087 = IStR 2014, 563 – Nordea Bank; EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 = BStBl. II 2016, 362 – Timac Agro Deutschland; EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16, ECLI:EU:C:2018: 424 = Ubg 2018, 462 – Bevola zu Betriebsstätten. S. nun auch den Vorlagebeschluss des BFH v. 6.11.2019 – I R 32/18, BStBl. II 2021, 68 (Az. beim EuGH: C-538/20), zur Entwicklung der Rechtsprechung stv. Gosch/Heckerodt, GmbHR 2021, 1248 ff. 9 Hierzu Ismer in V/L7, Grundlagen Rz. 274a; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 166.

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Kap. 19 Rz. 19.48 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

betreffenden EU-Vertragsstaat in übriges nationales Recht umgesetzt worden ist und soweit dieses Abkommensrecht verdrängt (Treaty-Overriding; vgl. Rz. 3.24 f., 19.35) oder neben diesem anwendbar ist. In diesem Fall kann die unmittelbare Anwendung des betreffenden nationalen Rechts insbesondere dann beansprucht werden, wenn dieses zu einer für den Steuerpflichtigen günstigeren Rechtsfolge führt,1 was beispielsweise bei Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG) der Fall ist (Rz. 3.70 ff.).

F. Auslegung von DBA Literatur: Kommentare zu Art. 3 Abs. 2 OECD-MA; Avery Jones, Qualification Conflicts: The Meaning of Application in Article 3 (2) of the OECD-Model, in FS Beusch, Berlin/New York 1993, 43; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, Köln/Berlin 1963; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964; Czakert, Artikel 3 Abs. 2 OECD-MA und die Anwendung des innerstaatlichen Rechts, IStR 2012, 703; Debatin, Auslegungsmaximen zum Internationalen Steuerrecht, AWD 1969, 477; Debatin, Zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, in FS für Scherpf, Wiesbaden 1983, 305; Debatin, System und Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen, DB 1985, Beilage 23, 1; Debatin, Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1; Debatin, Entwicklungstendenzen im Internationalen Steuerrecht und nationalen Außensteuerrecht im Lichte der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, DStZ A 1987, 211; Diehl, Qualifikationskonflikte im Außensteuerrecht, FR 1978, 517; Flick in Felix (Hrsg.), Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze, Köln 1958, 151; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz – Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen, Berlin 1988; Gloria, Die Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland und die Bedeutung der Lex-Fori-Klausel für ihre Auslegung, RIW 1986, 970; Gosch, Über die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, ISR 2013, 87; Gröhs/Herbst, Die Interpretation von Doppelbesteuerungsabkommen als Problem der Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen im nationalen Recht, ZfV 1986, 16; Grützner, DBA, Herne/Berlin 1978; Haarmann, Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, Köln 2004; Hahn, Gedanken zum Grundsatz der Entscheidungsharmonie, IStR 2012, 941; Hahn, Zur Auslegung von DBA: Grundsatz der Entscheidungsharmonie im Crash-Test, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Wassermeyer, München 2005, 631; Hannes, Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, Hamburg 1992; Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, Berlin/Heidelberg/ New York 1973; Holthaus, Die Änderung der Freistellungspraxis im StÄndG 2003 beim ausländischen Arbeitslohn in § 50d EStG – Auswirkungen einer globalen Rückfallklausel in allen Anwendungsfällen der DBA, IStR 2004, 16; Kerath, Maßstäbe zur Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung des Verständigungsverfahrens, Hamburg 1995; Klebau, Einzelprobleme bei der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, RIW 1985, 125; Kluge, Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, RIW/AWD 1975, 90; Krabbe, Qualifikationskonflikte bei atypischen stillen Gesellschaften, IStR 1999, 591; Lampert, Die dynamische Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Beachtung des Kommentars zum OECD-Musterabkommen, IStR 2012, 513; Lampert, Doppelbesteuerungsrecht und Lastengleichheit, Baden-Baden 2010; Lang, DBA-Auslegung nach der Wiener Vertragsrechtskonvention versus nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA, in Seer/Lüdicke/Rasch (Hrsg.), Globalisiertes Steuerrecht – Anspruch und Verantwortung, FS für Heinz-Klaus Kroppen, 2020, 667; Lang, Die Bedeutung des OECD-Kommentars und der Reservations, Observations und Positions für die DBA-Auslegung, in Mellinghoff/Lüdicke/Rödder (Hrsg.), Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, FS für Dietmar Gosch, 2016, 235; Lang, M., Qualifikations- und Zurechnungskonflikte im DBA-Recht, IStR 2010, 114; Lang, M., Die Bedeutung des Musterabkommens und des Kommentars des OECD-Steueraus-

1 Ismer in V/L7, Grundlagen Rz. 276; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 166.

772 | Schaumburg/Häck

F. Auslegung von DBA | Rz. 19.49 Kap. 19 schusses für die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, Wien 1994, 11; Lang, M., Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, Wien 1992; Lang, M., DBA und Personengesellschaften – Grundfragen der Abkommensauslegung, IStR 2007, 606; Lang, M., Grundsatzerkenntnis des VwGH zur DBAAuslegung, SWI 1996, 427; Lang, M., Tax Treaty Interpretation, Wien 2001; Lang, Grundsätzliches zur Interpretation völkerrechtlicher Abkommen im Steuerrecht, StuW 1975, 285; Lang, Aussagen des VfGH zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, SWI 2015, 569; Lang, DBA-Interpretation durch den EuGH, SWI 2017, 510; Lang, M., Die Bedeutung von Verständigungsvereinbarungen nach Art. 3 Abs. 2 OECD-Musterabkommen 2017, in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff (Hrsg.), Territorialität und Personalität, FS für Moris Lehner, 2019, 209; Langbein, Doppelbesteuerungsabkommen im Spannungsfeld zwischen nationalem Recht und Völkerrecht, RIW 1984, 531; Lenz, Die Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen, CDFI XLII (1960), 107; Lehner, Die autonome Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen im Kontext des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA, in Lüdicke/Mössner/Hummel (Hrsg.), Das Steuerrecht der Unternehmen, FS für Gerrit Frotscher, 2013, 383; Leisner-Egensperger, DBA-Auslegung unter Rückgriff auf nationales Recht, IStR 2014, 10; Locher/Marantelli/Opel, Einführung in das Internationale Steuerrecht der Schweiz, 4. Aufl. Bern 2019; Menck, OECD-Bericht zur Personengesellschaft und zum Qualifikationskonflikt – ein Überblick, IStR 1999, 147; Mössner, Die Auslegung mehrsprachiger Staatsverträge, AVR 1972, 273; Mössner, Zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, in FS für Seidl-Hohenveldern, Köln/Berlin/Bonn/München 1988, 403; Mössner, Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen – Auf ein Neues!, in Gosch/Schnitger/Schön (Hrsg.), FS für Jürgen Lüdicke, 2019, 485; Piltz, Doppelbesteuerungsabkommen und Steuerumgehung unter besonderer Berücksichtigung des treaty shopping, BB 1987, Beilage 14, 1; Pöllath, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge aus der Sicht der Steuerpraxis, in Mössner/Blumenwitz u.a., Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht, München 1995, 29; von Poser und Groß-Naedlitz, Der Qualifikationskonflikt bei Doppelbesteuerungsabkommen, Diss. München 1972; Pott, Die Kollision unterschiedlicher Formen der Gesellschaftsbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, Köln 1982; Reimer, Die sog. Entscheidungsharmonie als Maßstab für die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2008, 551; Rest, Interpretation von Rechtsbegriffen in internationalen Verträgen, Diss. Köln 1971; Scheffler, Grenzüberschreitendes Leasing als Instrument der konzerninternen Außenfinanzierung, IStR 1993, 490, 538; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, Amsterdam 1936 (Neudruck Köln 1967); Spitaler, Die Auslegung der DBA, CDFI XLII (1960), 165; Strobl, Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, in FS für Döllerer, Düsseldorf 1988, 635; Vogel, Über Entscheidungsharmonie, in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/Schaumburg (Hrsg.) Unternehmen/Steuern, FS für Flick, Köln 1997, 1043; Vogel, Probleme der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, SWI 2000, 103; Vogel, H., Aktuelle Fragen bei der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, BB 1978, 1021; Vogel, Abkommensvergleich als Methode bei der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, StbJb 1983/84, 373; Vogel/Prokisch, Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, CDFI LXXVIIIa (1993), 19; Wassermeyer, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge – Haltung des BFH, in Mössner/Blumenwitz u.a., Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht, München 1995, 19; Wassermeyer, Die Beurteilung der Abkommensberechtigung ausländischer Personengesellschaften durch Deutschland als dem Nichtansässigkeitsstaat der Personengesellschaft, IStR 1998, 491; Weber-Fas, Prinzipien der Abkommensinterpretation im zwischenstaatlichen Steuerrecht, RIW 1982, 803; Widmann, Zurechnungsänderungen und Umqualifikationen durch das nationale Recht im Verhältnis zum DBA-Recht, DStJG 8 (1985), 234.

I. Abkommensspezifische Auslegungsgrundsätze 1. Regelungssouveränität der Abkommen DBA beanspruchen als bilaterale völkerrechtliche Verträge eine einheitliche Anwendung durch beide Vertragsstaaten. Diese einheitliche Rechtsanwendung erfährt ihre Absicherung dadurch, dass DBA wegen ihres lex specialis-Charakters dem innerstaatlichen Steuerrecht beider Vertragsstaaten vorgehen (Rz. 3.25). Infolge der Trennung vom innerstaatlichen Steuer-

Schaumburg/Häck | 773

19.49

Kap. 19 Rz. 19.49 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

recht stellen die Normen eines DBAs einen in sich geschlossenen Regelungskreis1 dar, der von dem jeweiligen innerstaatlichen Recht beider Vertragsstaaten grundsätzlich unabhängig ist. Diese Regelungssouveränität allein vermag der gegen innerstaatliches Steuerrecht gerichteten Schrankenwirkung (Rz. 19.5 ff.) Geltung zu verschaffen.

19.50

Da die Normen der DBA und die des innerstaatlichen Rechts auf getrennten Ebenen angesiedelt sind2 und aufgrund ihres unterschiedlichen Funktionsgehaltes – Begründung der innerstaatlichen Steuerpflicht einerseits und hiergegen gerichtete Schranken andererseits – die Begriffswelt beider Rechtskreise unterschiedlich ist, verbietet es sich grundsätzlich, die Normen der DBA im Lichte des innerstaatlichen Steuerrechts auszulegen.3

19.51

Die Regelungssouveränität der Abkommen hat jedoch ihre Grenzen. DBA schaffen nämlich kein vollständiges und eigenständiges Steuerrechtsverhältnis, insbesondere kein Steuerschuldverhältnis,4 und begründen damit auch keine Steuerpflicht für die in den Vertragsstaaten ansässigen Personen.5 Wegen ihrer Schrankenwirkung erlangen sie Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem jeweiligen innerstaatlichen Steuerrecht. Hieraus folgt, dass auch der Pflichtenkreis der Vertragsstaaten über einen sie gleichermaßen treffenden Steuerverzicht grundsätzlich nicht hinausgeht.6

2. Regelungshomogenität der Abkommen 19.52

Da DBA primär Doppelbesteuerungen vermeiden und eine gerechte Verteilung der Steuergüter zwischen den Vertragsstaaten regeln wollen, sind die Abkommensregelungen auf gemeinsame Rechtsfolgen gerichtet, was notwendigerweise eine einheitliche Anwendung der Normen durch die Vertragsstaaten voraussetzt.7 Wenn aber der Vertragszweck für beide Vertragsstaaten gleichermaßen verbindliche, gemeinsame Rechtsfolgen und damit eine einheitliche Rechtsanwendung verlangt, dann folgt aus dieser den DBA immanenten Regelungshomogenität das

1 BFH v. 15.1.1971 – III R 125/69, BStBl. II 1971, 379; BFH v. 6.10.1971 – I R 207/66, BStBl. II 1972, 88; BFH v. 15.6.1973 – III R 118/70, BStBl. II 1973, 810; BFH v. 9.11.1977 – I R 254/75, BStBl. II 1978, 195; BFH v. 21.8.1985 – I R 63/80, BStBl. II 1986, 4; BFH v. 27.1.1988 – I R 241/83, BStBl. II 1988, 574; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 48; Art. 3 OECD-MA Rz. 71a, 76; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 562; Spitaler, Die Auslegung der DBA, CDFI XLII (1960), 165 ff.; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (2); Debatin, DStR 1992, Beiheft zu Heft 23, 1 (2, 5); Strobl in FS Döllerer, 635 (642). 2 BFH v. 15.6.1973 – III R 118/70, BStBl. II 1973, 810. 3 So die sog. völkerrechtliche Theorie; anders dagegen die sog. landesrechtliche Theorie, wonach die nicht im Abkommen definierten Begriffe primär nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des Anwenderstaates ausgelegt werden sollen; hierzu der Überblick Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 48, Art. 3 Rz. 82. 4 Zum Begriff Seer in Tipke/Lang24, Rz. 6.1 ff. 5 BFH v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 65; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 9; Haase in Haase3, Einl. II Rz. 68; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 61; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, 654 f.; Mössner in FS Seidl-Hohenveldern, 403 (414). 6 Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (3). 7 Haase in Haase3, Einl. II Rz. 69; Lang, M., DBA und innerstaatliches Recht, 104 f., 108 ff.; Debatin, AWD 1969, 477 ff.; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (3); Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (3); Debatin in FS Scherpf, 305 (309); Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993), 19 (25 f.).

774 | Schaumburg/Häck

F. Auslegung von DBA | Rz. 19.53 Kap. 19

Gebot, Abkommen aus sich selbst heraus dergestalt auszulegen,1 dass die Ergebnisse der Auslegung von beiden Vertragsstaaten akzeptiert werden.2 Diese auf Entscheidungsharmonie3 ausgerichtete Auslegung wird in der Abkommenspraxis insbesondere durch eine zunehmend adaptierte einheitliche internationale Steuersprache abgesichert,4 zu der vor allem die Arbeit des Steuerausschusses der OECD beiträgt.5 Deshalb kommt eine Auslegung nach Maßgabe des jeweiligen innerstaatlichen Rechts nur dann in Betracht, wenn ein Auslegungsergebnis aus dem Abkommen selbst nicht zu gewinnen ist.6 Aus der abkommensimmanenten Regelungshomogenität folgt ferner, dass DBA entsprechend ihrer Zielsetzung nicht ohne Einschränkung den üblichen völkervertraglichen Auslegungsregeln unterworfen sind. So sind insbesondere souveränitätsfreundliche Auslegungsregeln nicht anzuwenden, wonach im Zweifel derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben ist, die eine geringstmögliche Einschränkung der Souveränität der Vertragsstaaten zur Folge hat.7 Demgegenüber wird die Auslegung von zwischen EU-Staaten abgeschlossenen DBA ganz wesentlich vom primären und sekundären Unionsrecht beeinflusst: Das insoweit höherrangige Unionsrecht verlangt insbesondere eine an den Grundfreiheiten und den EG-Richtlinien orientierte Auslegung (Rz. 3.45 ff.). Denn nur so können von den DBA ausgehende gemeinschaftswidrige Wirkungen vermieden und insoweit zugleich eine einheitliche Abkommensanwendung durch die EU-Staaten gewährleistet werden. In Übereinstimmung mit der abkommensimmanenten Regelungshomogenität enthalten die DBA durchweg eigene Auslegungsrichtlinien (Art. 3 OECD-MA), zu deren Anwendung sich die jeweiligen Vertragsstaaten verpflichtet haben. Die entsprechenden abkommensrechtlichen Auslegungsklauseln stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen eine Auslegung zu erfolgen hat.

1 Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, 562; Spitaler, CDFI XLII (1960), 165 ff.; Kluge, AWD 1975, 90 (92 ff.); Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (6). 2 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 96a ff.; Vogel in FS Flick, 1043 ff.; Flick in Felix (Hrsg.), Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze, 151 ff.; Mössner in FS Seidl-Hohenveldern, 403 (406); Strobl in FS Döllerer, 635 (645 f.); Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993), 19 (28 f.). 3 Ausführlich hierzu Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 114 ff.; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 109; Reimer, IStR 2008, 551 (554); Vogel in FS Flick, 1043; (122); Mössner in FS Seidl-Hohenfelder, 403 (406); Prokisch, SWI 1994, 52; Strobl in FS Döllerer, 635 (645 f.); BFH v. 24.3.1999 – I R 144/97, BFHE 188, 315 (322); BFH v. 17.11.1999 – I R 7/99, BFHE 191, 18 (22); kritisch bzw. ablehnend Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, 671 f.; Wassermeyer, IStR 1998, 491; Gosch, ISR 2013, 87 (91); Hahn, IStR 2012, 941 ff. 4 Vgl. hierzu Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993), 19 (27). 5 Hierzu der Überblick bei Schwenke/Krabbe in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 156 ff. 6 BFH v. 6.10.1971 – I R 207/66, BStBl. II 1972, 88; BFH v. 15.6.1973 – III R 118/70, BStBl. II 1973, 810; BFH v. 9.11.1977 – I R 254/75, BStBl. II 1978, 195; BFH v. 21.8.1985 – I R 63/80, BStBl. II 1986, 4; OECD-MK zu Art. 3 Abs. 2 OECD-MA Rz. 12; Locher, Einführung in das internationale Steuerrecht der Schweiz, 116; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 97 ff.; Flick in Felix (Hrsg.), Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze, 151 (163); Lenz, CDFI XLII (1960), 107 (113); Kluge, RIW 1975, 90 (96); Klebau, RIW 1985, 125 (126); Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (7); Debatin in FS Scherpf, 305 (311); Strobl in FS Döllerer, 635 (642); Lang, M. in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 11 (35); zu Zweifeln an diesem Vorrang Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECDMA Rz. 78; Gaffron in Haase3, Art. 3 OECD-MA Rz. 55. 7 Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 77; Pott, Die Kollision unterschiedlicher Formen der Gesellschaftsbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 148 f.; von Poser und GroßNaedlitz, Der Qualifikationskonflikt bei DBA, 76; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 81.

Schaumburg/Häck | 775

19.53

Kap. 19 Rz. 19.54 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

II. Auslegungsrichtlinien der Abkommen 1. Reichweite der Auslegungsrichtlinien 19.54

Die meisten DBA, insbesondere die von Deutschland abgeschlossenen,1 enthalten eine dem Art. 3 Abs. 2 OECD-MA2 vergleichbare Auslegungsklausel,3 die als Auslegungsrichtlinie den allgemeinen völkervertraglichen Auslegungsregeln vorgeht.4 Diese an die Rechtsanwender beider Vertragsstaaten5 gerichtete abkommensrechtliche Auslegungsrichtlinie ist verbindlich für die Auslegung aller Abkommensregelungen, soweit diese ihrerseits nicht besondere Auslegungsregelungen enthalten. Im Verhältnis zu diesen besonderen Auslegungsrichtlinien ist die allgemeine Auslegungsrichtlinie (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) stets subsidiär.6

19.55

Die dem Art. 3 Abs. 2 OECD-MA entsprechenden Auslegungsklauseln legen zwar den Rechtsanwender nicht auf einzelne Auslegungsmethoden fest, sie enthalten aber eine bestimmte Reihenfolge von Orientierungsmaßstäben für die Auslegung. Durch diese Reihenfolge wird die Regelungshomogenität insbesondere durch die vorrangige Beachtung eigenständiger Definitionen sichergestellt.

19.56

Die allgemeinen Auslegungsrichtlinien der Abkommen enthalten drei Orientierungsmaßstäbe, die in folgender Reihenfolge zu beachten sind:7

1 Vgl. Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 126. 2 Wortlaut: Bei der Anwendung des Abkommens durch einen Vertragsstaat hat, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, jeder im Abkommen nicht definierte Ausdruck die Bedeutung, die ihm im Anwendungszeitraum nach dem Recht dieses Staates für die Steuern zukommt, für die das Abkommen gilt, wobei die Bedeutung nach in diesem Staat anzuwendendem Steuerrecht den Vorrang vor einer Bedeutung hat, die der Ausdruck nach anderem Recht dieses Staates hat; zum Begriff „Anwendung“ in einem weiten Sinn verstehend Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 111. 3 Vgl. zum Theorienstreit um Art. 3 Abs. 2 OECD-MA Mössner in FS Lüdicke, 485 m.w.N. 4 Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 77; s. aber generell gegen ein Spannungsverhältnis M. Lang in FS Kroppen, 667 ff.; offen gelassen durch BFH v. 30.9.2020 – I R 76/ 17, BStBl. II 2021, 275; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. 5 Mitunter wird allerdings die Ansicht vertreten, die Auslegungsregel sei nur für den Vertragsstaat verbindlich, dessen Besteuerungsrecht durch das DBA beschränkt werde; Nachweise bei Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993), 19 (45); hiergegen zu Recht Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 73. 6 Vgl. Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 95. 7 Für diese Reihenfolge die sog. völkerrechtliche Theorie: BFH v. 15.1.1971 – III R 125/69, BStBl. II 1971, 379; BFH v. 21.8.1985 – I R 63/80, BStBl. II 1986, 4; BFH v. 27.1.1988 – I R 241/83, BStBl. II 1988, 574; BFH v. 11.4.1990 – I R 75/88, BFHE 160, 513; BFH v. 30.5.1990 – I R 179/86, BStBl. II 1990, 906; Pohl in S/D2, Art. 3 OECD-MA Rz. 82.; Erhard in F/W/K, Art. 3 DBA-Schweiz Rz. 182; Locher, Einführung in das Internationale Steuerrecht der Schweiz, 115 ff.; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 97 ff.; Grützner, DBA, Rz. 211; Lehner in FS Frotscher, 383 (386 ff.); Debatin, AWD 1969, 477 ff., 484 ff.; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (6 ff.); Kluge, RIW 1975, 90 (96); Vogel, H., BB 1978, 1021 (1021); Klebau, RIW 1985, 125 (126); Gloria, RIW 1986, 970 (975 f.); Gröhs/Herbst, ZfV 1986, 16 (22 ff.); Strobl in FS Döllerer, 635 (642, 644 f.); Gosch, ISR 2013, 87 (88 f.); dagegen für den Vorrang des innerstaatlichen Rechts vor dem Abkommenszusammenhang die sog. länderrechtliche Theorie: BFH v. 17.10.1990 – I R 16/89, BStBl. II 1991, 211 mit kritischen Anmerkungen von Debatin, RIW 1991, 263; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, Rz. 34 ff.; zum Überblick über den „Theorienstreit“ Mössner in FS Seidl-Hohenveldern, 403 (420 ff.); von Poser und Groß-Naedlitz, Der Qualifikationskonflikt bei

776 | Schaumburg/Häck

F. Auslegung von DBA | Rz. 19.57 Kap. 19

– Begriffsdefinitionen der Abkommen, – Sinnzusammenhang der Abkommen, – Begriffswelt des innerstaatlichen Rechts. Dem Wortlaut der allgemeinen Auslegungsrichtlinien lässt sich allerdings entnehmen, dass nach Berücksichtigung von Begriffsdefinitionen des Abkommens die Auslegung nach innerstaatlichem Recht vorrangig sein soll, da diese lediglich unter dem Vorbehalt steht, dass „der Zusammenhang nichts anderes erfordert“.1 Hieraus wird gefolgert, die Auslegung aus dem Zusammenhang des Abkommens habe keinen systematischen Vorrang vor der Bezugnahme auf das jeweilige innerstaatliche Recht.2 Soweit die Abkommen keine eigenen Begriffsdefinitionen enthielten, sei zunächst auf die Begriffswelt des innerstaatlichen Rechts zurückzugreifen, von der dann abgewichen werden könne, wenn der in einem weiten Sinn zu verstehende Zusammenhang gewichtige Gründe hierfür biete.3 Die weite Auslegung des Begriffs „Zusammenhang“ ziele darauf ab, die durch den Rückgriff auf innerstaatliches Recht möglichen unangemessenen Ergebnisse zu vermeiden.4 Gemäß Art. 3 Abs. 2 OECD-MA (2017) steht der Rückgriff auf das innerstaatliche Recht neuerdings zusätzlich unter dem Vorbehalt, dass keine Verständigungsvereinbarung zwischen den Vertragsstaaten besteht, die die Auslegung der fraglichen Abkommensnorm bestimmt.5 Ob „der Zusammenhang nichts anderes erfordert“, wird indessen durch den primären Zweck der DBA bestimmt, Doppelbesteuerungen zu vermeiden und für eine gerechte Verteilung der Steuergüter zwischen den Vertragsstaaten zu sorgen.6 Diese teleologischen Orientierungsmaßstäbe bestimmen den abkommensmäßigen „Zusammenhang“, in den die (auslegungsbedürftigen) Begriffe gestellt sind. Da die Auslegung darauf gerichtet ist, den Sinn von Gesetzesworten (hier: Abkommensbegriffen) vom Gesetzeszweck (hier: Abkommenszweck) her zu ermitteln und klarzustellen, also stets teleologisch orientiert ist,7 hat die Auslegung aus dem Abkommen heraus Vorrang, da die Auslegung nach innerstaatlichem Recht den Abkommenszweck nicht zu berücksichtigen vermag.8 Mit anderen Worten: Die Auslegungsklausel des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA gebietet die Auslegung unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs, ver-

1 2 3

4 5 6 7 8

DBA, 50 ff.; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 92 ff. So die sog. länderrechtliche Theorie; anders dagegen ausdrücklich z.B. Art. 3 Abs. 2 DBA-Schweden, wonach auf innerstaatliches Recht nur dann zurückgegriffen werden darf, wenn dies der Abkommenszusammenhang erfordert; hierzu Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 100a. Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 119; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 82, wonach durch weite Auslegung des Begriffs „wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert“ letztlich indessen vergleichbare Auslegungsergebnisse erzielt werden. So die zwischen der sog. länderrechtlichen und der sog. völkerrechtlichen Theorie vermittelnde Meinung von Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 121; Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993), 19 (49 f.); ähnlich Mössner in FS Seidl-Hohenveldern, 403 (425 f.); Klebau, RIW 1985, 125 (131 ff.). Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 121. Ausf. Lang in FS Lehner, 209 (219 ff.). Nach Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 78 soll dieses Auslegungsziel nur von sekundärer Bedeutung sein. Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 5.48 ff. S. auch Pohl in S/D2, Art. 3 OECD-MA Rz. 82; Lang, SWI 2017, 510 f.; Lang in FS Kroppen, 667 (680 ff.).

Schaumburg/Häck | 777

19.57

Kap. 19 Rz. 19.57 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

ankert das Gebot der teleologischen Auslegung1 und versperrt damit einen Rückgriff auf innerstaatliches Recht, solange aus dem Abkommen selbst ein Auslegungsergebnis zu gewinnen ist.2 Der Vorrang der am Abkommenszweck orientierten Auslegung ermöglicht allein die Vermeidung der Doppelbesteuerung. Damit wird zugleich dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprochen, das eine Vermeidung der Doppelbesteuerung gebietet. Darüber hinaus trägt die so verstandene allgemeine Auslegungsrichtlinie auch zur Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Vertragsstaaten bei. Ein Rückgriff auf das jeweils geltende, abänderbare3 innerstaatliche Recht eröffnete nämlich den Vertragsstaaten die Möglichkeit, durch Änderung des innerstaatlichen Rechts zu Lasten des jeweils anderen Vertragsstaates eine anderweitige Verteilung der Steuergüter zu bewirken und hierdurch Abkommensregelungen zu unterlaufen.4

2. Begriffsdefinitionen der Abkommen 19.58

Die in einem in sich geschlossenen Regelungskreis eingebetteten Abkommensnormen haben vom jeweiligen innerstaatlichen Recht unabhängige und eigenständige Formulierungen erfahren. Die in den DBA und im innerstaatlichen Recht verwendeten Begriffe sind damit auf verschiedenen Begriffsebenen angesiedelt.5 Die Begriffsautonomie der DBA entspricht der Regelungssouveränität der Abkommen selbst. Auch wenn die auf Abkommensebene und auf der Ebene des nationalen Rechts verwendeten Begriffe einander ähneln oder gar übereinstimmen, so sind sie dennoch von ihrer Bedeutung her nicht ohne weiteres gleichzusetzen. Insoweit gibt es grundsätzlich keine Begriffsidentität, sondern allenfalls eine Begriffsparallelität.6 Um zu gewährleisten, dass die Rechtsfolgen für die Abkommensnormen in beiden Vertragsstaaten gleichermaßen gezogen werden, enthalten die DBA in einem besonderen Artikel (Art. 3 Abs. 1 OECD-MA) einen umfangreichen, für die Auslegung verbindlichen Definitionenkatalog. Darüber hinaus finden sich in den einzelnen Abkommensnormen selbst weitere Begriffsdefinitionen, die ggü. dem allgemeinen, dem Art. 3 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden, Definitionenkatalog Lex-specialis-Charakter haben.7

19.59

DBA verweisen8 schließlich auch auf innerstaatliches Recht und machen sich dadurch dessen Begriffswelt zu Eigen. Derart abgeleitete Begriffsdefinitionen, die stets nur durch Verweisung auf das innerstaatliche Recht eines der beiden Vertragsstaaten gewonnen werden, sind als Abkommensdefinitionen ebenfalls für beide Vertragsstaaten verbindlich. Die Verweisung für Zwe1 Im Hinblick darauf käme die vorstehende Reihenfolge der Auslegung auch ohne ausdrückliche Regelung in Art. 3 Abs. 2 OECD-MA in Betracht; Weber-Fas, RIW 1982, 803 (807); Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (6); Debatin, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1 (6); kritisch hierzu Mössner in FS Seidl-Hohenveldern, 403 (424 f.). 2 Ähnlich auch die für die Auslegungspraxis gegebenen Hinweise bei Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 81, wonach bei Fehlen einer Abkommensdefinition zu prüfen ist, ob das Abkommen anderweitige Auslegungshinweise enthält. 3 Im Sinne einer dynamischen Verweisung; vgl. hierzu Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 124; Widmann, DStJG 8 (1985), 234 (242 ff.); Klebau, RIW 1985, 125 (129 f.); ferner Rz. 19.66. 4 Pohl in S/D2, Art. 3 OECD-MA Rz. 82. 5 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 48; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (3); Debatin, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1 (5). 6 Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (3); anders dagegen Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 71a, soweit es sich um termini technici des innerstaatlichen Rechts handelt. 7 Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 6b. 8 Es handelt sich nicht um eine Rechtsfolgenverweisung, sondern lediglich um einen Rückgriff oder eine Bezugnahme auf nationales Recht; Mössner in FS Seidl-Hohenveldern, 403 (422); ausführlich Lang, M., DBA und innerstaatliches Recht, 105 ff., 112 ff.

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F. Auslegung von DBA | Rz. 19.61 Kap. 19

cke der Begriffsschöpfung auf das innerstaatliche Recht erfolgt dabei durchweg nur auf das Recht desjenigen Vertragsstaates, dem letztlich – etwa als Quellenstaat – auch die Besteuerungsbefugnis erhalten bleibt. Dies gilt insbesondere für den Begriff „unbewegliches Vermögen“ (Art. 6 Abs. 2 OECD-MA), für den allein das Recht des besteuerungsbefugten Belegenheitsstaates maßgeblich ist. Die Verweisung auf das jeweilige innerstaatliche Recht erfolgt in aller Regel ohne weitere Differenzierung,1 so dass das innerstaatliche Recht in seiner Gesamtheit angesprochen wird. Erfahren die in Bezug genommenen Begriffe des innerstaatlichen Rechts in den verschiedenen Rechtsmaterien2 unterschiedliche Deutungsinhalte, so ist wegen der Sachnähe im Zweifel die Begriffswelt des nationalen Steuerrechts maßgeblich.3 Verwiesen wird schließlich auch nicht etwa auf das innerstaatliche Recht nur zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des DBAs, sondern, soweit sich aus dem DBA hierfür keine Beschränkungen ergeben, auf das jeweils geltende innerstaatliche Recht.4 Eine derart dynamische Verweisung auf das innerstaatliche Recht nur eines Vertragsstaates kann dazu führen, dass durch Änderung der in Bezug genommenen innerstaatlichen Begriffsdefinitionen auch die Rechtsfolgen auf Abkommensebene, insbesondere im Bereich der Verteilungsnormen, eine Änderung erfahren. Da durchweg auf das innerstaatliche Recht des besteuerungsbefugten Quellenstaates verwiesen wird, gehen etwaige Änderungen in aller Regel zu Lasten des Wohnsitzstaates. Hiergegen schützen allerdings auf Abkommensebene die Verweisungsnormen selbst, indem sie der Verweisung enge Grenzen setzen. So enthält zwar Art. 6 Abs. 2 Satz 2 OECD-MA für den Begriff „unbewegliches Vermögen“ eine Verweisung auf das innerstaatliche Recht des Belegenheitsstaates, bestimmt aber zugleich, dass zum unbeweglichen Vermögen unter keinen Umständen Schiffe und Luftfahrzeuge gehören.5

19.60

3. Auslegung nach dem Sinnzusammenhang Da die eigenständigen Begriffsdefinitionen der Abkommen und die in Bezug genommenen Begriffsdefinitionen des innerstaatlichen Rechts in ihrer Zahl begrenzt sind, kommt der Auslegung nach dem Sinnzusammenhang die eigentliche Bedeutung zu.6 Dieser Auslegung sind nicht nur einzelne Ausdrücke oder Begriffe, sondern alle Normen der DBA insgesamt unterworfen.7 Nur diese uneingeschränkte Auslegung des Abkommens aus sich selbst heraus8 gewährleistet die abkommensimmanente Regelungshomogenität, stellt also sicher, dass beide Vertragsstaaten die Abkommensregeln einheitlich auslegen. 1 Ausnahme: Art. 6 Abs. 2 Satz 2 OECD-MA, in dem für grundstücksgleiche Rechte auf das innerstaatliche Privatrecht des Belegenheitsstaates verwiesen wird. 2 Etwa Privatrecht einerseits und Steuerrecht andererseits. 3 Gaffron in Haase3, Art. 3 OECD-MA Rz. 73. 4 BFH v. 13.12.1989 – I R 39/87, BStBl. II 1990, 379 (381); hierzu im Einzelnen Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 124; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 92; Widmann, DStJG 8 (1985), 235 (242 ff.); Klebau, RIW 1985, 125 (129 f.); Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993), 19 (48). 5 Demnach zählen im Schiffsregister und Luftfahrtregister eingetragene Schiffe und Luftfahrzeuge auf Abkommensebene entgegen der Rechtslage in Deutschland nicht zum unbeweglichen Vermögen. 6 Gaffron in Haase3, Art. 3 OECD-MA Rz. 68; Debatin, RIW 1969, 477 (479); so ausdrücklich auch der österreichische VwGH v. 31.7.1996, zitiert und kommentiert von Lang, M., SWI 1996, 427 ff.; einschränkend Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 117 ff.; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 78, 82. 7 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 41. 8 Debatin, DStZ A 1987, 211 (212); so ausdrücklich auch Art. 3 Abs. 2 DBA-Schweden.

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19.61

Kap. 19 Rz. 19.62 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.62

Da die dem Art. 3 Abs. 2 OECD-MA entsprechenden abkommensrechtlichen Auslegungsklauseln keine Festlegung auf eine bestimmte Auslegungsmethode1 vorsehen, kommen insbesondere die grammatische, systematische, historische und die teleologische Auslegung in Betracht. Sie alle sind darauf gerichtet, den Sinn der Abkommensregelungen für beide Vertragsstaaten verbindlich zu erschließen.2 Die einzelnen Auslegungsmethoden schließen sich nicht gegenseitig aus, sie ergänzen sich vielmehr.3

19.63

Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung von DBA stellt wechselweise eine am Wortlaut orientierte Auslegung und eine Auslegung nach dem Sinn und Zweck des Abkommens in den Vordergrund. Das Wiener Übereinkommen über das Recht der völkerrechtlichen Verträge (WÜRV)4 bevorzugt eine bestimmte Auslegungsmethode ebenfalls nicht. Die in Art. 31 Abs. 1 WÜRV verankerte allgemeine Auslegungsregel gebietet, einen völkerrechtlichen Vertrag „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen“. Hiernach wird zwar zunächst auf den Wortlaut abgestellt, daraus folgt aber nicht, dass der grammatischen Auslegung der Vorzug zu geben ist.5 Art. 31 Abs. 1 WÜRV stellt lediglich klar, dass die Auslegung mit der Frage nach dem Wortsinn beginnt,6 ohne die teleologische Auslegung als nachrangig zu qualifizieren. Es gibt kein Primat der einen oder anderen Auslegungsmethode. Alle Auslegungsmethoden sind vielmehr lediglich Hilfsmittel, den Sinn von Abkommensnormen zu erschließen, was einen Rückgriff auf den Vertragszweck voraussetzt. Im Hinblick darauf verdient stets diejenige Auslegung den Vorzug, bei der der primäre Vertragszweck – Vermeidung der Doppelbesteuerung – erreicht wird.7

4. Rückgriff auf innerstaatliches Recht 19.64

Kann der Sinngehalt einer Abkommensvorschrift nicht aus dem Abkommen selbst heraus erschlossen werden, ist als letztes Mittel der Auslegung ein Rückgriff auf innerstaatliches Recht geboten.8 Es versteht sich hierbei von selbst, dass ein derartiger Rückgriff auf innerstaatliches Recht, wie sich auch aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA ergibt, nur für die Auslegung von einzelnen Worten zulässig ist mit der Folge, dass etwaige Vertragslücken im Wege

1 Oder Auslegungskriterium; Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 250 ff. 2 Zu den einzelnen Auslegungsmethoden im Abkommenszusammenhang Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 106 ff. 3 BFH v. 15.6.1973 – III R 118/70, BStBl. II 1973, 810; BFH v. 24.4.1975 – I R 204/73, BStBl. II 1975, 604; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 78; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (6); Debatin, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1 (6). 4 Vom 23.5.1969, BGBl. II 1985, 927; das WÜRV ist seit dem Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 3.8.1985 (BGBl. II 1985, 926) am 20.8.1987 (BGBl. II 1987, 757) auch innerstaatlich unmittelbar anwendbar. 5 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 106. 6 Hierzu Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 261. 7 BFH v. 9.11.1966 – I 29/65, BStBl. III 1967, 88; einschränkend Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 78, der diesem Auslegungsziel nur sekundäre Bedeutung beimisst. 8 Im Sinne der sog. völkerrechtlichen Theorie im Gegensatz zur sog. landesrechtlichen Theorie; hierzu Rz. 19.56; vermittelnd Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 121; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 82; Wassermeyer in Mössner/Blumenwitz u.a., DBA und nationales Recht, 19 (23), wonach durch weite Auslegung des Begriffs „wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert“ vergleichbare Auslegungsergebnisse erzielt werden.

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F. Auslegung von DBA | Rz. 19.68 Kap. 19

der Analogie nicht unter Heranziehung innerstaatlichen Rechts geschlossen werden dürfen.1 Andernfalls käme es zu einer Überlagerung der unterschiedlichen Wertungsebenen des Abkommens einerseits und des innerstaatlichen Rechts andererseits und damit zu einer Störung der abkommensimmanenten Regelungshomogenität. Zwar ist der Rückgriff auf innerstaatliches Recht für Zwecke der Auslegung einzelner Worte mit der abkommensimmanenten Regelungshomogenität grundsätzlich ebenfalls unvereinbar, dieser Auslegungsrückgriff findet seine Rechtfertigung aber dann, wenn sonst eine Anwendung von Abkommensvorschriften versagt bliebe. Vor diesem Hintergrund wird sich die Auslegung nach Maßgabe allein des innerstaatlichen Rechts nicht als Regel erweisen.2

19.65

Der in den allgemeinen Auslegungsrichtlinien vorgesehene Auslegungsrückgriff hat die Bedeutung einer dynamischen Verweisung, so dass stets das jeweils geltende innerstaatliche Recht maßgeblich ist.3 Materiell führt der Rückgriff auf innerstaatliches Recht zu einer Verweisung auf das dortige Steuerrecht, sofern die in Betracht kommenden Ausdrücke in den einzelnen Rechtsmaterien4 eine unterschiedliche Sinndeutung erfahren, und zugleich führt er aber auch auf das vorrangige europäische Recht, wenn der betreffende Staat der EU angehört.5

19.66

III. Völkerrechtliche Auslegungsregeln Soweit die allgemeinen und speziellen Auslegungsregeln der DBA nicht entgegenstehen, kommen subsidiär völkervertragliche Auslegungsregeln, insbesondere die des Wiener Übereinkommens über das Recht der völkerrechtlichen Verträge (WÜRV)6 in Betracht.7

19.67

Art. 31 Abs. 1 WÜRV stellt die Grundregel auf, dass ein völkerrechtlicher Vertrag nach Treu und Glauben (bona fide) in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen Bedeutung der im Vertrag verwendeten Worte in ihrem Zusammenhang und im Lichte des Vertragszieles ausgelegt werden soll. Diese Grundregel, die den Besonderheiten der Doppelbesteuerung selbst zwar nicht Rechnung trägt,8 stimmt aber weitgehend mit den Auslegungsregeln der DBA überein. Die völkervertraglichen Auslegungsregeln heben dementsprechend auf den Vertragswillen der Vertragspartner nur insoweit ab, als dieser seinen Niederschlag im Abkommen selbst gefunden hat.9 Deshalb bleibt auch der authentischen Interpretation eine größere Bedeutung

19.68

1 Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 102; Blumenwitz in Mössner/Blumenwitz u.a., DBA und nationales Recht, 5 (6); a.A. Kluge, RIW/AWD 1975, 90 (96); Diehl, FR 1978, 517 (517). 2 Lang, M., DBA und innerstaatliches Recht, 110; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (7); Debatin, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1 (7). 3 Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 124; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 92; Leisner-Egensperger, IStR 2014, 10 ff. 4 Etwa Privatrecht einerseits und Steuerrecht andererseits. 5 Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 111e. 6 Vom 23.5.1969, BGBl. II 1985, 927; das WÜRV ist seit dem Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 3.8.1985 (BGBl. II 1985, 926) am 20.8.1987 (BGBl. II 1987, 757) auch innerstaatlich unmittelbar anwendbar. 7 Gemäß Art. 4 WÜRV gilt das WÜRV nur für Verträge, die von Staaten abgeschlossen werden, nachdem das Übereinkommen für sie in Kraft getreten ist. 8 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 105. 9 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 107; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 78; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, 32; Rest, Interpretation von Rechtsbegriffen in internationalen Verträgen, 143; Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993), 19 (40); Lang, StuW 1975, 285 (289); Kluge, RIW/

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Kap. 19 Rz. 19.68 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

versagt.1 Durch eine authentische Interpretation bestünde die Gefahr, dass die einseitige subjektive Vorstellung nur eines der beiden Vertragspartner Eingang in die Auslegung fände.2 Eine derartige einseitige Berücksichtigung des subjektiven Parteiwillens widerspräche einer Auslegung des Vertragstextes unter Berücksichtigung von Treu und Glauben.3 Diese dem Art. 31 Abs. 1 WÜRV zu entnehmende Auslegungsregel gebietet nämlich, dasjenige Auslegungsergebnis anzustreben, das am ehesten die Aussicht hat, auch von dem anderen Vertragsstaat4 akzeptiert zu werden.5

19.69

Da nach den Auslegungsregeln des WÜRV eine Ausfüllung von Vertragslücken durch Analogie nicht von vorneherein verboten ist,6 kommen die im nationalen Recht allgemein geltenden und auch im Völkerrecht gebräuchlichen Grundsätze der Rechtsfortbildung,7 insbesondere die der Lückenausfüllung dienenden juristischen Schlussverfahren (z.B. Analogieschluss)8 zur Anwendung. Es gilt allerdings die Besonderheit, dass die Ausfüllung etwaiger Vertragslücken nur durch Abkommensrecht selbst, nicht aber durch Heranziehung innerstaatlichen Rechts zulässig ist. Dass in der internationalen Völkerrechtspraxis eine Analogie bei völkerrechtlichen Verträgen nur eingeschränkt zur Anwendung kommt,9 spielt demgegenüber keine Rolle, weil dieser Grundsatz im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 OECD-MA für DBA nicht gilt.10

19.70

DBA werden in aller Regel mehrsprachig abgeschlossen, so dass zumeist mehrere authentische Vertragstexte zur Anwendung kommen. Seltener anzutreffen ist die zwischen den Vertragsstaaten getroffene Vereinbarung, dass der maßgebliche Vertragstext nur in der Fassung einer dritten Sprache – zumeist Englisch oder Französisch – verbindlich sein soll.11 Sind mehrere Vertragstexte authentisch, ist gem. Art. 33 Abs. 1 WÜRV der Text in jeder sprachlichen Fas-

1 2 3 4 5

6 7 8 9 10 11

AWD 1975, 90 ff.; vgl. im Übrigen zur subjektiven und objektiven Theorie Englisch in Tipke/ Lang24, Rz. 5.51. Zu Einzelheiten Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 110; Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993), 19 (39 ff.). Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 78; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1; nach Blumenwitz, in Mössner/Blumenwitz u.a., DBA und nationales Recht, 5 (11) verlangt eine authentische Interpretation ohnehin eine einvernehmliche Auslegung. Zur Auslegung nach den Regeln der bona fides Heintschel von Heinegg in Ipsen, Völkerrecht7, § 12 Rz. 17. Zur Auslegung von DBA in anderen Staaten Strobl in FS Döllerer, 635 (646 ff.); speziell zu den USA und Kanada Langbein, RIW 1984, 531 ff.; vgl. ferner die Nationalberichte in CDFI LXXVIIIa (1993). Zum Gebot der Entscheidungsharmonie Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 114 ff.; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 109; Vogel in FS Flick, 1043 ff.; Mössner in FS Seidl-Hohenveldern, 403 (406); Flick in Felix (Hrsg.), Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze, 151 (151); Strobl in FS Döllerer, 635 (645 f.); ablehnend z.B. Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, 671 f.; Wassermeyer, IStR 1998, 491. Dörr in Ipsen, Völkerrecht7, § 20 Rz. 5 ff.; Bleckmann, AVR 17 (1976/77), 161 ff.; Lang, StuW 1975, 285 (290). Hierzu Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 5.74 ff. Zur Lückenausfüllung völkerrechtlicher Verträge Rest, Interpretation von Rechtsbegriffen in internationalen Verträgen, 76 ff. Hierzu Dörr in Ipsen, Völkerrecht7, § 20 Rz. 6 f. Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 77; Pott, Die Kollision unterschiedlicher Formen der Gesellschaftsbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 148 f.; von Poser und Groß-Naedlitz, Der Qualifikationskonflikt bei DBA, 76. Abkommensübersicht bei Nasdala in V/L7, Art. 32 OECD-MA Rz. 41a.

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F. Auslegung von DBA | Rz. 19.74 Kap. 19

sung gleichermaßen verbindlich, so dass grundsätzlich auch der Text in der fremdsprachlichen Fassung bei der Auslegung heranzuziehen ist.1 Ergeben sich aufgrund der mehrsprachigen Fassungen Bedeutungsunterschiede, so ist gem. Art. 33 Abs. 4 WÜRV stets derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die die beiden Texte am besten miteinander in Einklang bringt. Gelingt dies nicht, ist diejenige Fassung maßgeblich, die insbesondere den Vertragszweck am besten zur Geltung bringt.2 Hierbei wird in der internationalen Gerichtspraxis nicht selten auf die Fassung der Arbeitssprache zurückgegriffen, in der der Vertragstext tatsächlich in der Phase bis zur Paraphierung erarbeitet worden ist.3 Es handelt sich hierbei aber nur um ein subsidiäres Auslegungsmittel; ein Rückgriff auf den Urtext als authentischen Text für die Rechtsanwendung selbst scheidet dagegen aus.4

19.71

Soweit Art. 31 Abs. 1 WÜRV für Zwecke der Auslegung auf die „Bestimmungen in ihrem Zusammenhang“ abstellt, wird auch hier auf die Auslegung aus dem Abkommen selbst heraus abgestellt.

19.72

IV. Hilfsmittel der Auslegung Gegenstand der Auslegung sind neben dem Abkommen selbst die zu seinem Bestandteil erklärten (Schluss-)Protokolle und Briefwechsel.5 Die Texte weiterer ergänzender Dokumente, insbesondere der Verhandlungsprotokolle, sind dagegen lediglich Hilfsmittel für die Auslegung der Abkommensbestimmungen.6 Die Materialien zu den DBA sind gem. Art. 32 WÜRV für die Auslegung darüber hinaus nur ergänzend heranzuziehen, wenn Zweifel verbleiben.7 Die bei Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens seitens der Bundesregierung dem Vertragstext beigegebene Denkschrift, die selbst nicht Bestandteil des Vertragsgesetzes wird, ist für die Auslegung allerdings nicht verwertbar, soweit sie lediglich die subjektive Vorstellung nur eines Vertragspartners wiedergibt.8

19.73

Art. 31 Abs. 3 WÜRV verlangt schließlich für die Auslegung auch die Beachtung von Verständigungsvereinbarungen sowie späteren Übereinkommen oder Übungen der Vertragspartner. Dies kann allerdings nur insoweit gelten, als sie im Abkommenstext selbst sowie in den zu seinem Bestandteil erklärten Protokollen und Briefwechseln ihre Bestätigung finden, nicht aber dann, wenn sie hiervon abweichen.9 Denn Änderungen von DBA werden innerstaatlich nur

19.74

1 BFH v. 13.12.1989 – I R 39/87, BStBl. II 1990, 379 (381); BFH v. 7.2.1990 – I R 106/87, BFHE 159, 518; BFH v. 11.4.1990 – I R 75/88, BFHE 160, 513; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 94; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 83; Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, 85. 2 Zu weiteren Einzelheiten Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 112 f. 3 Die Sprache der Vertragsverhandlung selbst soll dagegen nach Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 112 unbeachtlich sein. 4 Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, 90 f.; Mössner, AVR 1972, 273 (289 f.). 5 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 93. 6 Art. 31 Abs. 2 WÜRV. 7 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 110; Rest, Interpretation von Rechtsbegriffen in internationalen Verträgen, 40, 151; Lang, StuW 1975, 285 (288). 8 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 93; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 81 ff.; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (4). 9 Vgl. BFH v. 30.9.2020 – I R 37/17, BFH/NV 2021, 698; BFH v. 30.5.2018 – I R 62/16, BFH/NV 2019, 62.

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Kap. 19 Rz. 19.74 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

dann wirksam, wenn sie durch Gesetz erfolgen.1 Eine Übung der Vertragspartner setzt voraus, dass die mit der Rechtsanwendung betrauten Behörden – insbesondere die Finanzämter – in den betroffenen Vertragsstaaten eine einheitliche Auffassung vertreten, die entweder nicht von den Gerichten angefochten wurde oder von den Höchstgerichten bestätigt wurde.

19.75

Sind die Vertragspartner OECD-Staaten und entspricht das von ihnen vereinbarte DBA dem OECD-MA, so ist davon auszugehen, dass die verwendeten Begriffe und Ausdrücke, soweit sie wörtlich mit denen des OECD-MAs übereinstimmen, einen mit diesem identischen Bedeutungsinhalt2 haben. Diese Vermutung begründet sich aus den Empfehlungen des Rates der OECD, wonach die Regierungen der Mitgliedstaaten gehalten sind, ihren DBA die OECDMA zugrunde zu legen, wenn der betreffende Vertragsstaat nicht Vorbehalte angemeldet hat oder im Einzelfall sachliche Gründe der Übernahme des OECD-MAs entgegenstehen.3 Aus dem gleichen Grunde ist für die Auslegung der entsprechenden Abkommensbestimmungen auch der OECD-Kommentar zum OECD-MA4 heranzuziehen.5

19.76

Die OECD-MA sowie ihre Kommentare sind nicht Bestandteil der Abkommen selbst. Sie haben sich auch nicht zum Völkergewohnheitsrecht6 verdichtet,7 so dass ihnen keine normative Wirkung zukommt.8 Sie gehören aber zu den primären Auslegungsmitteln i.S.v. Art. 31 Abs. 4 WÜRV9 mit der Folge, dass in erster Linie sie heranzuziehen sind, um einerseits die histori-

1 BFH v. 22.10.1986 – I R 261/82, BStBl. II 1987, 171; BFH v. 22.10.1986 – I R 128/83, BStBl. II 1987, 253; BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; BFH v. 11.4.1990 – I R 63/88, BFH/NV 1990, 705; BFH v. 10.7.1996 – I R 4/96, BStBl. II 1997, 15; BFH v. 13.8.1997 – I R 65/95, BStBl. II 1998, 21; BFH v. 24.3.1998 – I R 49/96, BStBl. II 1998, 649; BFH v. 16.12.1998 – I R 40/97, BStBl. II 1999, 207; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 79; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 79; vgl. zu weiteren Einzelheiten die Beiträge von Geiger, Widmann und Pöllath in Mössner/Blumenwitz u.a., DBA und nationales Recht, 37 ff.; 47 ff.; 55 ff. 2 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 126, 130; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 51. 3 Zu Einzelheiten Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 130; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 37 ff.; Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993), 19 (30 f.); Lang, M., in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 11 (18 ff.). 4 Bei den einschlägigen Abkommensartikeln abgedruckt z.B. bei Vogel/Lehner, DBA; Wassermeyer, DBA; und Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA. 5 Der OECD-Kommentar ist nicht etwa ein völkerrechtlicher Vertrag, sondern lediglich eine Auslegungsempfehlung einer internationalen Organisation und deshalb unverbindlich und nur in Grenzen anwendbar; für eine abgeschwächte Verpflichtung zur Anwendung des OECD-Kommentars dagegen Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 126a. 6 Hierzu Einzelheiten bei Heintschel von Heinegg in Ipsen, Völkerrecht7, § 17 Rz. 1 ff.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 122 ff. 7 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 42; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 41; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 90. 8 Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 114. 9 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 126 f.; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECDMA Rz. 44; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 114; Lang, M., in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 11 (18 ff.); Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993) 19 (30 f.); demgegenüber als bloß (subsidiäre) Auslegungshilfe i.S. von Art. 32 WÜRV qualifizierend Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 42; Pott, Die Kollision unterschiedlicher Formen der Gesellschafterbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 142 f.; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 91.

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F. Auslegung von DBA | Rz. 19.79 Kap. 19

schen Absichten der Vertragsstaaten und andererseits den objektiven Erklärungswert des tatsächlich Vereinbarten zu ermitteln.1 Soweit zwischen OECD-Mitgliedstaaten abgeschlossene DBA nicht wörtlich mit den OECDMA übereinstimmen, spricht die Vermutung insoweit für einen abweichenden Bedeutungsinhalt, wenn auch im Übrigen die Teleologie des betreffenden DBAs hierauf hindeutet.2 Für die Auslegung von DBA können das OECD-MA sowie der OECD-Kommentar nur in der Fassung herangezogen werden, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Geltung hatte,3 so dass früher abgeschlossene Abkommen ohne Rücksicht auf das OECD-MA und den OECD-Musterkommentar und nach dem Vorbild des OECD-MAs geschlossene Abkommen ohne Rücksicht auf spätere Fassungen4 auszulegen sind.5

19.77

DBA zwischen Staaten, die nicht Mitglieder der OECD sind, haben nicht selten ebenfalls nach dem Vorbild der OECD-MA DBA abgeschlossen. Auch hier kann bei der Auslegung von einem durch die OECD-MA vorgegebenen Bedeutungsinhalt ausgegangen werden.6 Schließlich können auch aus Parallelabkommen Anhaltspunkte für die Auslegung gewonnen werden, wenn feststeht, dass die dort verwendeten Begriffe im gleichen Sinne Verwendung finden sollen wie in dem anzuwendenden DBA.7

19.78

V. Auslegungskonflikte Es ist nicht zu vermeiden, dass die Vertragsstaaten ein und dieselben Abkommensvorschriften unterschiedlich auslegen. Eine derartige unterschiedliche Auslegung führt zu einer Störung der Regelungshomogenität und vereitelt damit nicht selten die Vermeidung der Doppelbesteuerung als eigentliches Vertragsziel der DBA. Es kommt hierbei zu Auslegungskonflikten.8 Diese können bilateral entweder durch normspezifische Switch-over-Klauseln9 oder durch ein Verständigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA), multilateral partiell durch die Schiedsverfahrenskon-

1 Vgl. BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16, BFH/NV 2019, 149. 2 Also kein genereller Umkehrschluss; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECDMA Rz. 51; Lang, M., in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 11 (23). 3 BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16, BFH/NV 2019, 149; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 115; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 127; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 60, 63; Lang in FS Gosch, 235 (242); Lang, M., IStR 2007, 606 ff.; a.A. Czakert, IStR 2012, 703 (705); diff. Lampert, IStR 2012, 513. 4 Soweit diese nicht nur Klarstellungen enthält. 5 BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16, BFH/NV 2019, 149; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 127; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 60, 63; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 115. Demgegenüber erhebt die OECD selber den Anspruch, bereits bestehende Abkommen im Lichte der jeweils neueren Kommentare auszulegen, soweit nicht einschneidende zwischenzeitliche Änderungen des OECD-MAs erfolgt sind; vgl. Vogel/Prokisch, CDFI LXXVIIIa (1993), 11 (30). 6 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 134; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECDMA Rz. 57. 7 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 140 ff.; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 112; Vogel, StbJb 1983/84, 373 ff. 8 Zur Typologie Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 96b ff.; von Poser und Groß-Naedlitz, Der Qualifikationskonflikt bei DBA, 104 ff.; Hannes, Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, 129 ff. 9 Hierzu Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B Rz. 85 ff.

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19.79

Kap. 19 Rz. 19.79 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

vention1 oder in Anwendung des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten2 sowie durch bilaterale (Rz. 19.141, 19.522) und unilaterale3 Subject-to-TaxKlauseln behoben werden. Auslegungskonflikte haben ihre Ursache in einer unterschiedlichen Auslegung – von eigenständigen Abkommensnormen mit autonomer Begriffsbildung, – von Abkommensnormen, die für Zwecke der Begriffsbildung auf innerstaatliches Recht verweisen, und – von innerstaatlichem Recht der jeweiligen Vertragsstaaten, auf das als letztes Mittel die allgemeine abkommensrechtliche Auslegungsrichtlinie (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) verweist.

19.80

Soweit es zu Divergenzen in der Auslegung von eigenständigen Abkommensnormen mit autonomer Begriffsbildung kommt, handelt es sich um einen Subsumtionskonflikt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Auslegung durch einen der beiden Vertragsstaaten notwendigerweise unzutreffend sein muss.4 Ein derartiger Subsumtionskonflikt5 hat seinen Grund insbesondere in der unterschiedlichen Sachverhaltswürdigung durch beide Vertragsstaaten und in einer unterschiedlichen Auslegung der in Betracht kommenden Definitionen (Definitionenkonflikt).

19.81

Subsumtionskonflikte gehören zum eigentlichen Anwendungsbereich der in den DBA vorgesehenen Verständigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA), weil Subsumtionskonflikte stets eine Abkommensverletzung durch den einen oder anderen Vertragsstaat bedeuten.

19.82

Soweit Abkommensnormen durch Verweisung auf innerstaatliches Recht eines der beiden Vertragsstaaten dessen Begriffsinhalte übernehmen,6 kann es zu einer abweichenden Begriffsdeutung durch den anderen Vertragsstaat kommen. Obwohl derart übernommene Begriffe des innerstaatlichen Rechts eines der beiden Vertragsstaaten Abkommensrecht werden, besteht doch im Kern ein Konflikt um die zutreffende Anwendung von Begriffen, die dem innerstaatlichen Recht entspringen. Diese Konfliktsituation wird allgemein als Qualifikationskonflikt umschrieben.7 Qualifikationskonflikte können auch dann entstehen, wenn auf der Grundlage der in den Abkommen verankerten allgemeinen Auslegungsrichtlinie (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) als letztes Mittel der Auslegung auf innerstaatliches Recht zurückgegriffen wird. Derartige

1 Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen, 90/436/EWG, ABl. EG Nr. L 225/10 v. 23.7.1990; BGBl. I 1993, 1308 (BStBl. I 1993, 818). 2 Vom 29.4.1957, BGBl. II 1961, 81; vgl. auch Art. 41 Abs. 5 DBA-Schweden. 3 Z.B. § 50d Abs. 8 EStG bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit; ferner § 50d Abs. 9 EStG; hierzu Rz. 19.523 ff. 4 Von Poser und Groß-Naedlitz, Der Qualifikationskonflikt bei DBA, 105; Debatin, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1 (7). 5 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 48; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (7). 6 So etwa den Begriff „unbewegliches Vermögen“, vgl. Art. 6 Abs. 2 OECD-MA. 7 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 96b; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 86; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 38; von Poser und Groß Naedlitz, Der Qualifikationskonflikt bei DBA, 111 f.; vgl. auch den Überblick über die in der Steuerrechtswissenschaft vorgenommene Klassifizierung und Systematisierung bei Piltz, Die Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, 107 ff.; Hannes, Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, 129 ff.; M. Lang, IStR 2010, 114 ff.

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F. Auslegung von DBA | Rz. 19.84 Kap. 19

Qualifikationskonflikte können im Zusammenhang mit der persönlichen Abkommensberechtigung (subjektiver Qualifikationskonflikt) oder bei der Zurechnung von Einkommen und Vermögen zu einem bestimmten Steuersubjekt (subjektiver Zurechnungskonflikt)1 oder zu einer Betriebsstätte (objektiver Zurechnungskonflikt bzw. Zuordnungskonflikt) auftreten.2 Da ein Verständigungsverfahren eine Doppelbesteuerung nicht in allen Fällen beseitigen und eine Doppelfreistellung nicht immer verhindern kann,3 hat es nicht an Versuchen insbesondere seitens des Steuerausschusses der OECD gefehlt,4 den unerwünschten Folgen von Qualifikationskonflikten durch Auslegung nach dem Recht des Quellenstaates entgegenzutreten.5 Diese Auslegung nach den Rechten des Quellenstaates,6 die ohnehin nur in Betracht kommt für nicht vollständige Verteilungsnormen, führt allerdings nur dann weiter, wenn sie auch für den Wohnsitzstaat verbindlich ist. Für eigenständige Abkommensnormen mit autonomer Begriffsbildung ist eine derartige Verbindlichkeit nicht vorgesehen. Das gilt auch in den Fällen, in denen gem. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA auf das innerstaatliche Recht des Quellenstaates zurückgegriffen wird. Anderenfalls läge es in der Hand des Quellenstaates, sein Besteuerungsrecht zu Lasten des Ansässigkeitsstaats auszudehnen. Daher bedeutet die Auslegung nach dem Recht des Quellenstaates ebenso wie die nach dem Recht des Wohnsitzstaates keine Lösung von Qualifikationskonflikten, so lange hierfür abkommensrechtlich keine Rechtsgrundlage gegeben ist. Aus Art. 23A Abs. 4 OECD-MA, wonach die Freistellung im Ansässigkeitsstaat entfällt, wenn der Quellenstaat sein Besteuerungsrecht zu Unrecht verneint hat, ergibt sich ebenfalls keine Lösung, weil er nur für Fälle gilt, in denen der Quellenstaat das Abkommen unrichtig angewendet hat. Eine Bindung an das Recht des Quellenstaates ist daher nicht gegeben.7

19.83

Zu den objektiven Zurechnungskonflikten zählen auch Fälle, in denen beide Vertragsstaaten eine unterschiedliche Zuordnung derart vornehmen, dass es zu einer Doppelfreistellung bzw. doppelten Nichtbesteuerung (Rz. 19.10) kommt. Es handelt sich hierbei um negative Qualifikationskonflikte,8 da beide Vertragsstaaten zu dem Ergebnis kommen, nur jeweils der andere Staat habe das Besteuerungsrecht für bestimmte Einkünfte. Diese negativen Qualifikationskonflikte bedeuten keine Abkommensverletzung, so dass eine Behebung dieser Qualifikations-

19.84

1 In der Praxis besonders prägnant sind die sog. double-dip-Modelle beim grenzüberschreitenden Leasing; hierzu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 1265 f.; Scheffler, IStR 1993, 490 ff.; 538 (541). 2 Die für die Rechtsanwendung wenig bedeutsame Terminologie ist z.T. abweichend; vgl. nur Lehner in V/L7, Grundlagen 181 ff. 3 Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (8). 4 Nachweise bei Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 125. 5 Vgl. die Nachweise bei Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 125. 6 Vgl. hierzu § 50d Abs. 10 EStG zu Sondervergütungen. 7 BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16, BFH/NV 2019, 149; BFH v. 24.1.2016 – I R 49/14, GmbHR 2016, 723; BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2010, 1602; BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156; BFH v. 20.9.2006 – I R 59/05, BStBl. II 2007, 756; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 28g; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 80a; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 37; Aigner/Züger in Gassner/Lang/Lehner, Personengesellschaften, 47 ff.; Lang, M. in FS Vogel, 907 ff.; a.A. Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA, Rz. 39a ff., 244 ff.; Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 125 f.; Vogel, SWI 2000, 103 (111); Menck, IStR 1999, 147 (148); Krabbe, IStR 1999, 591 und die dt. FinVerw, vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 4.1.3.3.1/2; BMF v. 28.12.1999 – IV D 3 - S 1300 – 25/99, BStBl. I 1999, 1121 zu atypisch stillen Beteiligungen. 8 Hierzu Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (15).

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Kap. 19 Rz. 19.84 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

konflikte durch Verständigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA) nicht vorgesehen ist.1 In der Praxis werden in diesen Fällen gleichwohl sog. Konsultationsverfahren, die auch nach Einfügung von § 2 Abs. 2 AO durch das JStG 20102 auf eine die Gerichte allerdings nicht bindende Behebung dieser negativen Qualifikationskonflikte ausgerichtet sind, eingeleitet.3 In den Fällen subjektiver und objektiver Zurechnungskonflikte sowie für Qualifikationskonflikte (Rz. 19.82) ist darüber hinaus in neueren deutschen DBA4 vorgesehen, dass anstelle der Steuerfreistellung die Steueranrechnung als Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung eingreift.5

19.85

Gegen eine Doppelfreistellung gerichtet ist auch die unilaterale Subject-to-Tax-Klausel des § 50d Abs. 8 EStG, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit betrifft. Auf Grund dieser Regelung erfolgt eine deutsche Besteuerung auch dann, wenn abkommensrechtlich Deutschland zur Freistellung verpflichtet ist (Rz. 19.523). Die Einkünfte werden erst dann freigestellt, wenn die tatsächliche Besteuerung im Tätigkeitsstaat oder der Besteuerungsverzicht des Tätigkeitsstaats nachgewiesen werden. § 50d Abs. 8 EStG erfasst damit im Wesentlichen den Fall, dass der unbeschränkt Steuerpflichtige im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dort nicht deklariert hat.6

19.86

§ 50d Abs. 8 EStG, der ausschließlich unbeschränkt steuerpflichtige Personen betrifft und somit falsch platziert ist,7 führt zu einem Treaty-Overriding (Rz. 3.25 f., 19.524) in den Fällen, in denen abkommensrechtlich nicht bereits eine Subject-to-Tax-Klausel eingreift. Diese Subjectto-Tax-Klausel, die rechtlich zulässig ist (Rz. 19.141), bewirkt in Abkehr vom maßgeblichen Abkommensrecht eine Vermeidung nur der effektiven Doppelbesteuerung.8 § 50d Abs. 8 EStG leidet indessen insoweit an Plausibilitätsdefiziten, als nicht zu erklären ist, warum eine derartige unilaterale Subject-to-Tax-Klausel nur für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gelten soll9 und warum diese nur in Abkommensfällen zur Anwendung kommt. Angesprochen ist damit insbesondere der auf der Grundlage der §§ 34c Abs. 5, 50 Abs. 4 EStG ergangene Auslandstätigkeitserlass,10 wonach der Arbeitslohn für bestimmte im Ausland ausgeübte Tätigkeiten von deutscher Besteuerung frei gestellt wird, ohne dass hierfür der Nachweis einer Besteuerung im Tätigkeitsstaat verlangt wird.11

19.87

Auf einer vergleichbaren Wertungsebene liegt die Switch-over-Klausel des § 50d Abs. 9 EStG, wonach in bestimmten Fällen der Nichtbesteuerung oder der Besteuerung mit einem begrenz-

1 Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (8). 2 Gesetz v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 3 Zur fehlenden Bindungswirkung von Konsultationsverfahren (Art. 25 Abs. 3 OECD-MA) auch nach Einführung von § 2 Abs. 2 AO s. BFH v. 30.5.2018 – I R 62/16, BFH/NV 2019, 62; BFH v. 10.6.2015 – I R 79/13, IStR 2015, 2222; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 116; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 20.1. 4 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 5 Zu entsprechenden Klauseln Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73 ff.; vgl. ferner Rz. 19.140. 6 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 35. 7 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 35: systematisch korrekte Platzierung bei §§ 34c, 34d EStG. 8 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 35a. 9 Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG haben das BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, FR 2016, 405 und im Gefolge auch der BFH v. 29.6.2016 – I R 66/09, IStR 2016, 981 gleichwohl verneint. 10 BMF v. 31.10.1983 – IV B 6 - S 2293 – 50/83, BStBl. I 1983, 470; vgl. Rz. 18.132 ff. 11 Hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 35a; Holthaus, IStR 2004, 16 (17); zum Auslandstätigkeitserlass Rz. 18.132 ff.

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F. Auslegung von DBA | Rz. 19.87 Kap. 19

ten Steuersatz im Ausland die an sich abkommensrechtlich gebotene deutsche Steuerfreistellung durch eine Steueranrechnung ersetzt wird (Rz. 19.525 ff.).1

VI. Verständigungsverfahren Literatur: Kommentare zu Art. 25 OECD-MA; Bachmayr, Rechtsanspruch auf Schutz gegen internationale Doppelbesteuerung, StuW 1964, 885; Becker, Internationale Zusammenarbeit – Konsultation und Verständigung, in Achatz (Hrsg.), Internationales Steuerrecht, DStJG Band 36 (2013), 167; Bödefeld/Kuntschik, Schiedsverfahren nach DBA, IStR 2009, 449; Carl/Klos, Das völkerrechtliche Verständigungsverfahren des DBA, RIW 1995, 493; Cloer/Niemeyer, EuGH mit Entscheidungsbefugnis durch DBA-Schiedsklausel – Vorbildcharakter für die Streitbeilegung innerhalb der EU?, FR 2018, 674; Debatin, Auslegungsmaximen zum Internationalen Steuerrecht, AWD 1969, 477; Eilers/Wienands, Advance Pricing Agreements, IStR 1995, 311; Flüchter, Der neue § 89a AO zu Vorabverständigungsverfahren, ISR 2021, 338; Flüchter, Das „EU-Doppelbesteuerungs-Streitbeilegungsgesetz“ ist in Kraft, ISR 2020, 56; Flüchter, Seminar C: Verständigungsverfahren und die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten, IStR 2012, 694; J. Förster, Vermehrte Streitschlichtung durch Schiedsverfahren – eine „Konkurrenz“ für die nationale Finanzgerichtsbarkeit?, in FS Lüdicke, 2019, 143; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, Berlin 1988; Gloria, Der Anspruch auf Durchführung des Verständigungsverfahrens und seine gerichtliche Durchsetzung in den Vereinigten Staaten, StuW 1989, 138; Greil, Advance Pricing Agreements – Ein Instrument zur Steigerung der Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen?, ifst-Schrift 512 (2016); Greil/Saliger, Änderung im Bereich der Verrechnungspreise aufgrund des ATADUmsG und des AbzStEntlModG – Reform ohne inhaltliche Neuerungen?, ISR 2021, 330; Grotherr, Advance Pricing Agreements – Verfahren zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten, BB 2005, 856; Grotherr, Überlegungen zur Ausgestaltung von speziellen Verfahrensregelungen für Advance Pricing Agreements, IStR 2005, 350; Haselmann/Bösken, Neues BMF-„Merkblatt zu internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren“ vom 27.8.2021, Ubg 2021, 633; Hendricks, Die Qual der Wahl – Bestimmung des richtigen Rechtsbehelfs zur Abwehr einer eingetretenen internationalen Doppelbesteuerung, in Rödder/Wassermeyer/Ditz, Internationale Einkünfteabgrenzung, FG für Baumhoff, 2019, 121; Hendricks/Strotkemper, Praxisforum Steuerrechtsschutz: Verbesserter Rechtsschutz gegen internationale Doppelbesteuerung durch obligatorische Schiedsverfahren, Ubg 2019, 535; Hendricks/Strotkemper, Praxisforum Steuerrechtsschutz: Gerichtliche Durchsetzung zwischenstaatlicher Verfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen – erste Erkenntnisse aus dem BFH-Urteil vom 25.9.2019 (I R 82/17), Ubg 2020, 310; Herlinghaus, Gedanken zum abkommensrechtlichen Schiedsverfahren nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA, IStR 2010, 125; Herzig, Advance Pricing Agreements, APAs, Köln 1996; Herzig, Advance Pricing Agreements: ein Instrument zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen?, in FS für Debatin, München 1997, 107; Hintzen/Hintzen, Die Systematik des völkerrechtlichen Verständigungsverfahrens der Doppelbesteuerungsabkommen, DB 1979, 1907, 1953; Hirschvogel/Ullmann, Der Verfahrensablauf nach dem EU-DoppelbesteuerungsabkommenStreitbeilegungsgesetz, Ubg 2021, 500; Ismer, Rechtswidrige Gewährung von Rechtsschutz?, IStR 2003, 394; Jansen/Mammen, Kritische Analyse des EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetzes, DStR 2020, 465; Kaligin, Zur Rechtsschutzintensität des Verständigungsverfahrens im Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, WPg. 1982, 217; Kempf/Gelsdorf, Die EUSchiedsverfahrenskonvention im Konkurrenzverhältnis zu Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2012, 329; Koch, Das Verständigungsverfahren – Verfahren und praktische Handhabung, CDFI LXVIa (1981), 13; Krabbe, DBA-Verständigungs- und Schiedsverfahren und innerstaatliches Verfahrensrecht, DStZ 1995, 627; Krabbe, Verständigungsverfahren, IStR 2002, 548; Kramer, APA – Vorabverständigungsverfahren und Vorabzusagen über Verrechnungspreise, IStR 2007, 174; Lang, M., Der Rechtsanspruch auf Einleitung des „Verständigungsverfahrens“, JBl. 1989, 365; Lehner, Möglichkeiten zur Verbesserung des Verständigungsverfahrens auf der Grundlage des EWG-Vertrages, München 1982; Leising, Die Klage auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nach Art. 25 Abs. 2 OECD-MA, 1 Ähnlich auch die in § 20 Abs. 2 AStG verankerte Switch-over-Klausel, die bei Zwischeneinkünften eingreift (Rz. 19.151; 19.518).

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Kap. 19 Rz. 19.88 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) IStR 2002, 114; Liebchen/Strotkemper, Neufassung des Merkblattes zu internationalen Verständigungsund Schiedsverfahren (Streitbeilegungsverfahren) v. 27.8.2021 – Implikationen für Anträge zur Einleitung von Verständigungsverfahren, IStR 2022, 93; Loh/Steinert, Scheitern internationale Lösungen von Verrechnungspreisfragen an § 175a AO?, BB 2008, 2383; Loukota, Das internationale Verständigungsverfahren als Instrument der DBA-Auslegung, SWI 2000, 299; Lühn, Scheitern internationale Lösungen von Verrechnungspreisfragen an § 175a AO?, BB 2009, 412; Mössner, Internationale Streitbeilegung und Internationales Steuerrecht, RIW 1983, 360; Mühlhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, Berlin 1976; Nientimp/Tomson, Das verbindliche Schiedsverfahren nach dem neuen OECD-MA, IStR 2009, 615; Piotrowski, Schiedsverfahren in deutschen DBA nach dem MLI, IStR 2018, 257; Puls/Bickenbach/Müller, ISR Global Transfer Pricing News, ISR 2018, 144; Puls/Heravi, Zur Zukunft von DBA-Verständigungsverfahren – Aktuelle Entwicklungen auf nationaler und OECD-Ebene, ISR 2017, 301; Reich, Das Verständigungsverfahren nach den internationalen Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz, Zürich 1976; Saß, Zielkonflikte bei der Besteuerung in der EU, SWI 1996, 108; Zinowsky/Schönfeld, Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten in Doppelbesteuerungssituationen – Überblick über die neue EU-Richtlinie, ISR 2018, 7; Spitaler, Empfiehlt sich die Errichtung eines internationalen Schiedsgerichtshofs zur Entscheidung zwischenstaatlicher Steuerkonflikte?, StuW 1950, 803; Strobl, Das Verständigungsverfahren – Verfahren und praktische Handhabung, CDFI LXVIa (1981), 171; Strobl/Zeller, Probleme beim Verständigungsverfahren in Doppelbesteuerungsabkommen bezüglich Einkommen- und Körperschaftsteuer, StuW 1978, 244; Strotkemper, Schiedsgerichtsurteil des EuGH v. 12.9.2017 in Sachen Republik Österreich/Bundesrepublik Deutschland: Kritische Analyse und Folgen für die Praxis, IStR 2021, 235; Strotkemper, Jüngste Entwicklungen zur Streitbeilegung von Doppelbesteuerungskonflikten: Einordnung aus steuerverfahrensrechtlicher Perspektive, in Flick Gocke Schaumburg (Hrsg.), frauen@fgs – Vielfalt in der Steuerzentrierten Rechtsberatung, 2021,165; Strotkemper/Andree, Praxishinweise zur Durchführung internationaler Streitbeilegungsverfahren – Teil 1, IWB 2021, 778; Strotkemper/Andree, Praxishinweise zur Durchführung internationaler Streitbeilegungsverfahren – Teil 2, IWB 2022, 184; Strotkemper/Andree, Praxishinweise zur Durchführung internationaler Streitbeilegungsverfahren – Teil 3, IWB 2022, 297; Teichner, Die Verständigung – ein Versuch zu ihrer rechtssystematischen Einordnung –, StuW 1965, 343; Tipke, Verständigungsverfahren, Rechtsanspruch auf Beseitigung der Doppelbesteuerung oder bloßer Rechtsreflex?, AWD 1969, 589; Tittel, Das Verständigungsverfahren nach den Doppelbesteuerungsabkommen, Diss. Bern 1963; Züger, Schiedsverfahren für Doppelbesteuerungsabkommen: Möglichkeiten zur Verbesserung des Rechtsschutzes im internationalen Steuerrecht, Wien 2001.

1. Allgemeines 19.88

Eine unterschiedliche Auslegung oder Anwendung von Abkommensvorschriften durch die Vertragsstaaten führt zu einer Störung der Regelungshomogenität der DBA und ist geeignet, deren eigentliches Ziel, nämlich die Vermeidung der Doppelbesteuerung, zu vereiteln. Bereits frühzeitig wurde die Notwendigkeit erkannt, Verwaltungsverfahren zur Beseitigung derartiger Auslegungs- und Anwendungskonflikte vorzusehen (sog. Verständigungsverfahren),1 die den zuständigen Behörden beider Vertragsstaaten die Möglichkeit eröffnen, Schwierigkeiten bei der Auslegung und Anwendung der DBA im gegenseitigen Einvernehmen zu regeln.

19.89

Folgende zwischenstaatliche Streitbeilegungs- und vermeidungsinstrumente stehen heute zur Verfügung: Die DBA sehen in diesem Zusammenhang Verständigungsverfahren im engeren Sinne vor (Rz. 19.94 ff.),2 die einzelfallbezogen darauf gerichtet sind, eine dem Abkommen

1 Vgl. zur Entwicklung Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 13 f. 2 Zur Terminologie Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 4; Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 12; Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 30; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 150 ff.

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F. Auslegung von DBA | Rz. 19.90 Kap. 19

nicht entsprechende Besteuerung durch einen oder beide Vertragsstaaten zu vermeiden oder aufzuheben (Art. 25 Abs. 1 und 2 OECD-MA). Hierzu zählen auch Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements – APAs), die insbesondere für grenzüberschreitend tätige Unternehmen im Zusammenhang mit der Gewinnabgrenzung zu verbundenen Unternehmen und Betriebsstätten eine Rolle spielen (§ 89a AO, Rz. 19.104 ff.). Darüber hinaus gibt es Konsultationsverfahren, die allgemein oder in einzelnen Anwendungsfällen, jedoch ohne Bezug auf einen bestimmten Steuerpflichtigen, der Beseitigung von Schwierigkeiten oder Zweifeln bei der Auslegung oder Anwendung der Abkommen1 oder allgemein der Schließung von Vertragslücken2 dienen (Rz. 19.108).3 Schließlich gewährleisten auf Abkommensebene zunehmend (obligatorische) Schiedsverfahren (Art. 25 Abs. 5 OECD-MA, Rz. 19.110) und bestimmte Sonderregelungen4 eine endgültige Streitbeilegung. Hinzu kommt für Streitigkeiten zwischen EUMitgliedsstaaten seit Kurzem in Umsetzung der EU-Streitbeilegungsrichtlinie5 die Streitbeilegung nach dem EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz (Rz. 19.113a ff.).6 Im Zusammenhang mit Verrechnungspreiskonflikten sieht die EU-Schiedsverfahrenskonvention verbindliche Streitbeilegungsmechanismen vor (Rz. 19.114 ff.). Für Anwendungsfragen im Zusammenhang mit vorgenannten Verständigungsverfahren ist in der Rechtspraxis von besonderer Bedeutung das vom BMF veröffentliche „Merkblatt zu internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren (Streitbeilegungsverfahren) auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen“.7 Die Verständigungsverfahren sind Verwaltungsverfahren, die den Förmlichkeiten des diplomatischen Protokolls entzogen sind (Art. 25 Abs. 4 OECD-MA). Soweit zu dem jeweiligen Streitbeilegungsinstrument keine näheren Verfahrensregeln bestehen (z.B. Verständigungsverfahren nach Art. 25 Abs. 1, 2 OECD-MA), kann das Verfahren in der Praxis in der Regel flexibel gehandhabt werden.8 Jene Verständigungsverfahren sind keine Rechtsbehelfsverfahren, so dass für sie zwar durchweg Billigkeits- und Praktikabilitätserwägungen,9 nicht aber die Grundsätze und Garantien von rechtsförmlichen Verfahren gelten.10

1 Sog. konkretes Konsultationsverfahren; Art. 25 Abs. 3 Satz 1 OECD-MA. 2 Sog. abstraktes Konsultationsverfahren; Art. 25 Abs. 3 Satz 2 OECD-MA. 3 Allerdings ohne Bindung für die Gerichte auch nach Einführung des § 2 Abs. 2 AO, vgl. BFH v. 30.5.2018 – I R 62/16, BFH/NV 2019, 62; BFH v. 10.6.2015 – I R 79/13, DStR 2015, 2222. 4 Vermeidung der Doppelbesteuerung in Fällen von Qualifikationskonflikten nach erfolglos durchgeführtem Verständigungsverfahren durch Steueranrechnung als ultima ratio; vgl. hierzu Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 174ff. 5 RL (EU) 2017/1852 des Rates vom 10.10.2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, ABl. EU 2017 Nr. L 265, 1. 6 Gesetz zur Umsetzung der RL (EU) 2017/1852 des Rates vom 10.10.2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union (EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz – EU-DBA-SBG) v. 10.12.2019, BGBl. I 2019, 2103; ausf. hierzu Hirschvogel/Ullman, Ubg 2021, 500; Flüchter, ISR 2020, 56 ff.; Jansen/Mammen, DStR 2020, 465 ff. 7 Vgl. das jüngste Merkblatt v. 27.8.2021, BStBl. I 2021, 1495, hierzu ausf. Liebchen/Strotkemper, IStR 2022, 93 ff.; Haselmann/Bösken, Ubg 2021, 633 ff. 8 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 60. 9 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 90; Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 154 ff.; Dziurdz/Kubik/Marchraber in G/K/G/K, Art. 25 OECD-MA Rz. 71; Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen internationalen Steuerrecht, 164 ff.; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 169 ff.; Koch, CDFI LXVIa (1981), 13 (26). 10 Abgesehen von der innerstaatlichen Rechtsbindung Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 72; Tittel, Das Verständigungsverfahren nach den DBA, 73 ff.; Mülhausen, Das Verständi-

Schaumburg/Häck | 791

19.90

Kap. 19 Rz. 19.91 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.91

An den eigentlichen zwischenstaatlichen Verständigungsverfahren sind die Steuerpflichtigen grundsätzlich1 nicht beteiligt. Im Rahmen von Verständigungsverfahren i.S.v. Art. 25 Abs. 1, 2 OECD-MA besteht für die beteiligten Verwaltungsbehörden auch keine Verpflichtung zur Einigung.2 Eine solche bieten nur die zunehmend vereinbarten (obligatorischen) Schiedsverfahren (z.B. nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA). Erfolgt eine Einigung, so ergibt sich hieraus eine unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit stehende völkervertragliche Erfüllungspflicht, die gem. § 175a AO innerstaatlich ohne weiteres umzusetzen ist.3 Aus deutscher Sicht hat die Verständigungsvereinbarung den Rechtscharakter eines (schlichten) Verwaltungsabkommens,4 an das zwar nicht die Gerichte,5 wohl aber die Finanzbehörden gebunden sind.6

19.92

Obwohl die Verständigungsverfahren keinen förmlichen diplomatischen Regeln unterworfen sind (Art. 25 Abs. 4 OECD-MA), der diplomatische Weg über die Außenministerien deshalb nicht beschritten werden muss und die Verwaltungsbehörden7 grundsätzlich sogar unmittelbar im mündlichen Meinungsaustausch verkehren dürfen,8 dauern die Verfahren bei Verstän-

1 2

3

4

5 6

7 8

gungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 84; Reich, Das Verständigungsverfahren nach den internationalen DBA der Schweiz, 31; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 162 ff.; Drüen, IStR 2015, 609 (616); Strobl/Zeller, StuW 1978, 244 (245); Strobl, CDFI LXVIa (1981), 171 (171). Abgesehen von der Antragstellung, vgl. BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 38 ff., 102, 114, 154. OECD-MK zu Art. 25 OECD-MA, Ziff. 37 (abgedruckt bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA); Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 148; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 103; Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 9, 54; Dziurdz/Kubik/ Marchraber in G/K/G/K, Art. 25 OECD-MA Rz. 39, 71; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 30; die Einigung ist aber die Regel. Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 179; Mühlhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 132; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 178. Dem Finanzamt ist kein Ermessensspielraum eingeräumt; Loose in T/K, § 175a AO Rz. 8; lt. BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 84 soll die Umsetzung der Verständigungsvereinbarung dagegen unter Zustimmungsvorbehalt seitens des Steuerpflichtigen stehen, so dass ggf. insoweit auf Rechtsbehelfe verzichtet oder diese zurückgenommen werden sollen. Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG; hierzu im Einzelnen Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 132 ff.; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 178 ff.; aus der Sicht der Schweiz: Reich, Das Verständigungsverfahren nach den internationalen DBA der Schweiz, 104 f. BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; BFH v. 10.7.1997 – I R 4/96, BStBl. II 1997, 15; BFH v. 2.9.2009 – I R 111/08, BFH/NV 2009, 2044. Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 122; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 182; Strobl, CDFI LXVIa (1981), 171 (177); Koch, CDFI LXVIa (1981), 17 (45 f.); dagegen auch für einen Vorrang vor einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 25; Mühlhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 130; offenlassend z.B. Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 57; Ismer, IStR 2003, 394 (396); zu Einzelheiten Rz. 19.102 f. Nach dem BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461, Rz. 1.4 führt das BZSt die Verständigungsverfahren im unmittelbaren Verkehr mit den zuständigen Behörden des anderen Vertragsstaates. Art. 25 Abs. 4 Satz 2 OECD-MA; in vielen deutschen DBA ist ein mündlicher Meinungsaustausch allerdings nicht ausdrücklich erwähnt; hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 194.

792 | Schaumburg/Häck

F. Auslegung von DBA | Rz. 19.93 Kap. 19

digungsverfahren i.S.v. Art. 25 Abs. 1, 2 OECD-MA dennoch mitunter mehrere Jahre.1 Die für den Steuerpflichtigen bei der Durchführung von Verständigungsverfahren bestehenden rechtlichen Defizite und die Dauer der Verfahren selbst haben dazu geführt, dass in der bisherigen internationalen Praxis relativ wenige Verständigungsverfahren durchgeführt wurden.2 Die bisherigen verfahrensmäßigen Defizite beim Schutz der Steuerpflichtigen vor einer Doppelbesteuerung im Rahmen der abkommensrechtlichen Verständigungsverfahren, wurden in den letzten Jahren zum Anlass genommen, formelle Schiedsverfahren mit Einigungszwang vorzusehen. Der Stärkung der Rechtsstellung des Steuerpflichtigen wird entsprechend Art. 25 Abs. 5 OECD-MA in neueren deutschen DBA durch zumeist obligatorische Schiedsverfahren3 sowie durch besondere Regelungen, die in Fällen bestimmter Qualifikationskonflikte nach erfolglos durchgeführten Verständigungsverfahren eine Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung als ultima ratio gewährleisten,4 bereits entsprochen. Durch das Update 2017 wurden zudem gewisse Verbesserungen für die Steuerpflichtigen in Art. 25 Abs. 1 und Abs. 5 OECD-MA eingeführt.5 Art. 16 MLI verdeutlicht ebenfalls, dass international die Notwendigkeit verbindlicher Schiedsverfahren erkannt worden ist. Für Vorabverständigungsverfahren wurde eine eigene Rechtsgrundlage geschaffen (§ 89a AO) und der Anwendungsbereich über Verrechnungspreisfragen hinaus erweitert. Bei Streitigkeiten zwischen EU-Mitgliedstaaten ist mit dem EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz – in Umsetzung der EU-Streitbeilegungsrichtlinie – ein Rechtskreis geschaffen worden, welcher Regelungslücken für innereuropäische Doppelbesteuerungskonflikte schließen soll. Dem Steuerpflichtigen steht bei Erfüllen der jeweiligen Anwendungsvoraussetzungen der verschiedenen Streitbeilegungsinstrumente ein Wahlrecht zu, welches der ihm zustehenden Verfahren zur Streitbeilegung (DBA-Verständigungs- oder Schiedsverfahren; Streitbeilegungsbeschwerde nach EU-DBA-SBG, Verfahren nach der EU-Schiedskonvention) er beantragen möchte.6 Ist bereits ein Streitbeilegungsverfahren beantragt worden und strengt die betroffene Person ein weiteres Verständigungsverfahren an, ist zu unterscheiden: Wird eine Streitbeilegungsbeschwerde nach dem EU-DBA-SBG eingelegt, werden frühere Verständigungsverfahren automatisch beendet und sind nachfolgend angestrengte Verständigungsverfahren unzulässig (§ 4 Abs. 4 EU-DBA-SBG). Dieser strenge Vorrang des EU-DBA-SBG gilt auch bei gleichzeitiger Einlegung einer Streitbeilegungsbeschwerde und eines anderen Verständigungsverfahrens.7 Wird ein Verständigungsverfahren nach DBA angestrengt und anschließend ein Verständigungsverfahren nach der EU-Schiedskonvention beantragt (und umgekehrt), lehnt die Finanzverwaltung das spätere Verfahren ab, wenn nicht zuvor das zuerst beantragte Verfahren zurückgenommen wird.8 Wurden beide Verfahren gleichzeitig beantragt, muss sich der Antragsteller innerhalb einer vom BZSt gesetzten Frist für eines der Verfahren entscheiden,

1 Vgl. Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 14; Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 33. 2 Statistische Angaben bei Puls/Bickenbach/Müller, ISR 2018, 146; Flüchter in S/D2, Art. 25 OECDMA Rz. 32, ders., IStR 2012, 694 (699). 3 Hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 250. 4 Zu weiteren Einzelheiten Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 174 ff. 5 Hierzu Ditz/Bärsch/Quilitzsch, DB 2018, 1171 (1176 f.). 6 Vgl. zu den praktischen Fragen der Auswahlentscheidung Hendricks in FG für Baumhoff, 121 ff.; Strotkemper/Andree, IWB 2021, 778 ff.; Flüchter, ISR 2020, 56 (63); Hendricks/Strotkemper, Ubg 2019, 535 (538). 7 Vgl. BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 11. 8 Vgl. BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 9.

Schaumburg/Häck | 793

19.93

Kap. 19 Rz. 19.93 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

andernfalls legt das BZSt den Antrag zugunsten des Antragstellers nach pflichtgemäßem Ermessen aus.1 Für die Wahl des für die betroffene Person vorteilhaftesten Verfahren sind eine ganze Reihe an Faktoren zu beachten. Zudem bietet sich die Möglichkeit an, parallel zum zwischenstaatlichen Verständigungsverfahren innerstaatliche Rechtsbehelfe einzulegen.

2. Verständigungsverfahren im engeren Sinne 19.94

Die für Verständigungsverfahren im engeren Sinne geltenden Abkommensnormen (Art. 25 Abs. 1 OECD-MA) sehen für den betroffenen Steuerpflichtigen in Einzelfällen eine Antragsbefugnis vor, sofern er eine abkommenswidrige Besteuerung geltend macht. In der internationalen Abkommenspraxis sind nicht nur abkommensberechtigte Personen antragsbefugt, sondern darüber hinaus auch Staatsangehörige eines der beiden Vertragsstaaten, soweit sie, ohne abkommensberechtigt zu sein, eine Staatsangehörigkeitsdiskriminierung (Art. 24 Abs. 1 OECD-MA, vgl. Rz. 4.51 ff.) rügen.2 Eine abkommenswidrige Besteuerung kann insbesondere geltend gemacht werden bei – falscher Auslegung und Anwendung des Abkommensrechts, – falscher Anwendung des innerstaatlichen Rechts, sofern das Abkommensrecht auf dieses Bezug nimmt, – unrichtiger Würdigung des Sachverhaltes.3

19.95

Mit dem Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens kann auch eine abkommenswidrige wirtschaftliche Doppelbesteuerung (Rz. 19.3) geltend gemacht werden, so dass eine Subjektsidentität für die Antragsbefugnis nicht erforderlich ist, was durch Art. 9 Abs. 2 OECDMA, der den in der Praxis wichtigen Konfliktfall der Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen betrifft, nachdrücklich belegt wird.4

19.96

Der Antrag auf Einleitung des Verständigungsverfahrens kann in der Regel nur bei der zuständigen Behörde5 des Wohnsitzstaates des Steuerpflichtigen eingereicht werden (Art. 25 Abs. 1 OECD-MA 2014). In Deutschland ist dafür das BZSt zuständig.6 Die Anträge können aber auch beim für die Besteuerung des Abkommensberechtigten örtlich zuständigen Finanz-

1 Vgl. BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 10. 2 In den älteren deutschen Abkommen ist eine Antragsbefugnis für Staatsangehörige indessen nicht vorgesehen; hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 63. 3 Zu den einzelnen Fallgruppen BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 56; Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 47 ff.; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 38. 4 Zu Einzelheiten Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 162 f.; vgl. auch Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 50; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 36; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 17; Krabbe, IStR 2002, 548; BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 40, 55, wonach letztlich jeder antragsberechtigt ist, der durch die abkommenswidrige Besteuerung betroffen ist (z.B. auch der nicht abkommensberechtigte Haftungsschuldner). 5 Vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. f OECD-MA. In Deutschland ausschließlich das BZSt (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG). 6 § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG; BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 34; BMF v. 20.6.2011 – IV B 5 – O 1000/09/10507-04 – DOK 2011/0048553, BStBl. I 2011, 674.

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F. Auslegung von DBA | Rz. 19.100 Kap. 19

amt eingereicht werden, die sie dann an das BZSt weiterleitet.1 Art. 25 Abs. 1 OECD-MA 2017 sieht nun aber vor, dass der Antrag in dem anderen Vertragsstaat gestellt werden kann.2 In den Fällen, in denen eine abkommenswidrige Besteuerung im Zusammenhang mit Gewinnkorrekturen zwischen verbundenen Unternehmen gerügt wird, kann der Antrag auf Einleitung des Verständigungsverfahrens wahlweise von dem einen oder anderen verbundenen Unternehmen gestellt werden.3

19.97

Soweit deutsche DBA eine Antragsfrist vorsehen, gilt eine solche von zwei, drei oder vier Jahren,4 und zwar beginnend mit der ersten Mitteilung der Maßnahme,5 die zu einer abkommenswidrigen Besteuerung führt.6 Ist abkommensrechtlich keine besondere Antragsfrist vorgesehen, wird seitens der deutschen Finanzverwaltung die Einleitung eines Verständigungsverfahrens grundsätzlich abgelehnt, wenn der Antrag erst nach Ablauf von vier Jahren gestellt wird.7

19.98

Nach Eingehen des Antrages auf Einleitung des Verständigungsverfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde unterscheiden die für die Verständigungsverfahren geltenden Abkommensnormen (Art. 25 Abs. 2 OECD-MA) drei Verfahrensabschnitte,8 und zwar das

19.99

– Vorprüfungs- und Abhilfeverfahren der Antragsbehörde, – Verständigungsverfahren der Behörden beider Vertragsstaaten, – Umsetzungsverfahren nach Abschluss der zwischenstaatlichen Verständigungsregelung durch die zuständigen Behörden beider Vertragsstaaten.9 Das Vorprüfungs- und Abhilfeverfahren ist darauf gerichtet, bei Begründetheit des Antrages entweder abzuhelfen oder aber das Verständigungsverfahren einzuleiten. Eine Abhilfe kommt insbesondere bei eigener Rechtsverletzung in Betracht. Soweit die Steuerbescheide bestandskräftig sind, erfolgt die Abhilfe durch Änderung der Steuerbescheide gem. § 175a AO. Stellt die Antragsbehörde eine Rechtsverletzung durch den anderen Vertragsstaat fest, wird, soweit ein einseitiger Steuererlass (§§ 163, 227 AO) ausscheidet, nur die Einleitung eines Verständigungsverfahrens zur Beseitigung des Besteuerungskonfliktes möglich sein. Scheitert das Verständigungsverfahren, kommt zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung ein Steuererlass aus

1 Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 72. 2 Dazu Puls/Bickenbach/Müller, ISR 2018, 144 (146). 3 Bei einem Mutter-Tochterverhältnis wird der Antrag zweckmäßigerweise in allen Ansässigkeitsstaaten aller betroffenen Steuerpflichtigen eingereicht werden (BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/ 10004:007 BStBl. I 2021, 1495, Rz. 46). 4 Hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 63. 5 BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 103; Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 34. Einzelheiten bei Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 93 ff. 6 Art. 25 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA; zu den Abweichungen in den deutschen DBA die Übersicht bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 65. 7 BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 204. 8 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 81; Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECDMA Rz. 45 ff. 9 Zu Praxisproblemen s. Andree/Strotkemper, IWb 2022, 297 ff.

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19.100

Kap. 19 Rz. 19.100 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

Billigkeitsgründen1 oder ggf. ein Schiedsverfahren (Rz. 19.110 ff.) oder in bestimmten Fällen von Qualifikationskonflikten nach Maßgabe eines DBA eine Steueranrechnung als ultima ratio2 in Betracht. Wird die Einleitung des Verständigungsverfahrens durch das BZSt abgelehnt, kann hiergegen mit dem Einspruch vorgegangen werden (§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO).3 Nach erfolglosem Einspruchsverfahren ist der Finanzrechtsweg eröffnet. Zuständig ist (derzeit) bei Verfahren gegen das BZSt (Sitz in Bonn) das Finanzgericht Köln.4

19.101

Überwiegend wird angenommen, es stehe im Ermessen der Antragsbehörde,5 ob ein Verständigungsverfahren eingeleitet werde oder nicht. Der Antragsteller habe daher nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung.6 Eine Analyse der von Deutschland abgeschlossenen DBA ergibt indessen, dass die betreffenden Verständigungsklauseln dem Antragsberechtigten im Ergebnis durchweg einen Rechtsanspruch auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens gewähren.7 Trotz unterschiedlicher Formulierungen gilt das für alle Abkommen, die eine dem Art. 25 Abs. 2 OECD-MA nachgebildete Verständigungsklausel enthalten,8 gleichermaßen. Davon abgesehen ergäbe sich aufgrund der dem Heimatstaat obliegenden diplomatischen Schutzpflicht ohnehin eine Reduzierung des der Antragsbehörde eingeräumten Ermessensspielraums auf Null.9 Darüber hinaus leitet sich der Anspruch auf Einleitung des Verständigungsverfahrens auch aus dem verfassungsrechtlich verankerten Rechtsprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ab. Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gebietet aus Rechtsgründen die Vermeidung der Doppelbesteuerung als Kehrseite der Besteuerung des Welteinkommens (Rz. 17.8 ff.). Dies gilt vor allem dann, wenn es zu einer der Regelungshomogenität der Abkommen widersprechenden planwidrigen Doppelbesteuerung

1 BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 97 ff.; es sei denn, es ist (vorrangig) unter den Voraussetzungen des § 34c Abs. 6 Satz 6 i.V.m. Abs. 3 EStG ein Steuerabzug zur Milderung der Doppelbesteuerung vorzunehmen. 2 Zu weiteren Einzelheiten mit Abkommensübersicht Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 133. 3 Stv. Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 144; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 24; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 107. 4 Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 144. 5 Dies wird aus dem Wortlaut des Art. 25 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA („… wird sie sich bemühen …“) abgeleitet. 6 BFH v. 26.5.1982 – I R 16/78, BStBl. II 1982, 583; FG Hamburg v. 13.7.2000 – V 2/97, EFG 2001, 27; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 104; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 24; Schmitz in S/K/K, Art. 25 OECD-MA Rz. 38 ff.; Koch, CDFI LXVIa (1981), 13 (30); Strobl, CDFI LXVIa (1981), 171 (174); Debatin, AWD 1969, 477 (485); Kaligin, WPg. 1982, 217 (220); offen Dziurdz/Kubik/Marchraber in G/K/G/K, Art. 25 OECD-MA Rz. 39; für einen Rechtsanspruch auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens; Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 138 ff.; Kubaile in F/W/K, Art. 26 DBA-Schweiz Rz. 55; Reich, Das Verständigungsverfahren nach den internationalen DBA der Schweiz, 55; Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 149 ff.; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, 690; Bachmayr, StuW 1964, 885 (890 f.); Tipke, AWD 1969, 589 (592); Gloria, StuW 1989, 138 ff.; wohl auch BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461, Rz. 2.4.3; modifizierend Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 11. 7 Hierzu umfassend Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 247 ff.; vgl. ferner Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 136 ff. 8 Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 263 ff. 9 Zur Begründung im Einzelnen Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 267 ff.

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F. Auslegung von DBA | Rz. 19.102 Kap. 19

kommt. Wie diese planwidrige Doppelbesteuerung vermieden wird, ist durch das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht vorgegeben. In Abkommensfällen ist allerdings zunächst ein Verständigungsverfahren einzuleiten. Kommt es hierbei zu keiner Einigung, hat ein Steuererlass (§§ 163, 227 AO) zu erfolgen,1 soweit abkommensrechtlich nicht die Durchführung eines anschließenden Schiedsverfahrens oder eines Verfahrens nach der EU-Schiedsverfahrenskonvention oder in Fällen bestimmter Qualifikationskonflikte die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung als ultima ratio2 vorgesehen oder möglich ist (Rz. 17.12). Die Durchführung von Verständigungsverfahren zwischen EU-Mitgliedstaaten ist schließlich auch europarechtlich geboten. Die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft gehört nämlich zu den Zielen des EU-Vertrages3 und ist darüber hinaus sogar eines der Grundanliegen des gemeinsamen Marktes.4 Insoweit wird zugleich auch den europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten entsprochen (Rz. 17.5). Im Hinblick auf die vorgenannten Gesichtspunkte lehnt die deutsche Finanzverwaltung die Einleitung eines Verständigungsverfahrens nur ausnahmsweise ab.5 Die DBA sehen grundsätzlich vor, dass das Verständigungsverfahren unbeschadet der nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Rechtsbehelfe durchgeführt werden kann.6 In Deutschland sind daher Verständigungsverfahren und Rechtsbehelfsverfahren gleichzeitig möglich,7 wobei die Vollziehung angefochtener durch das Verständigungsverfahren betroffener Steuerbescheide regelmäßig auszusetzen ist (§ 361 AO, § 69 FGO).8 Verständigungsregelungen können hierbei grundsätzlich aufgrund von abkommensrechtlichen Sonderregelungen ungeachtet der Fristen des innerstaatlichen Rechts erfolgen (Art. 25 Abs. 2 Satz 2 OECD-MA), so dass Verständigungsverfahren unabhängig von etwaigen Verjährungs- und Ausschlussfristen möglich sind. Da einige der deutschen DBA dahingehende Regelungen nicht enthalten,9 sind insoweit Verständigungsregelungen durch Änderung von Steuerbescheiden (§ 175a AO) nur innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 AO) möglich, wobei jedoch durch Stel-

1 Vgl. zu dieser Möglichkeit BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 99. 2 Hierzu Einzelheiten sowie eine Abkommensübersicht bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 133. 3 EuGH v. 12.5.1998 – C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221 = Slg. 1998, I-2793, Rz. 16 – Gilly. 4 Saß, SWI 1996, 108 (112). 5 So der Hinweis von Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 24. Nach BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 65, leitet das BZSt das Verständigungsverfahren ein, wenn die Prüfung ergibt, dass der Antrag zulässig und die Einwendung begründet ist (d.h. auch aus Sicht des BZSt eine abkommenswidrige Besteuerung vorliegt) und dieser nicht durch innerstaatliche Maßnahmen entsprochen werden kann. 6 Art. 25 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA: Es handelt sich um eine Ausnahme von der sog. local remedies rule, wonach diplomatischer Schutz nur dann verlangt werden kann, wenn die innerstaatlich möglichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft sind; vgl. hierzu Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 125; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 205 ff. 7 BFH v. 1.2.1967 – I 220/64, BStBl. III 1967, 495; BFH v. 12.10.1978 – I R 69/75, BStBl. II 1979 64; BFH v. 26.5.1982 – I R 16/78, BStBl. II 1982, 583; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 108; Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 35; Becker, DStJG 36 (2013), 167 (171 ff.); Krabbe, IStR 2002, 548 (549); zur unterschiedlichen Rechtslage in einzelnen Staaten die Landesberichte in CDFI LXVI a (1981). 8 Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 36. 9 Abkommensübersicht bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 126.

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19.102

Kap. 19 Rz. 19.102 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

len des Antrages auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens der Fristablauf gehemmt ist mit der Maßgabe, dass die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Wirksamwerden der Verständigungsvereinbarung endet (§ 175a Satz 2 AO).1 Voraussetzung ist allerdings, dass zum Zeitpunkt der Beantragung des Verständigungsverfahrens die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist.2 Getroffene Verständigungsregelungen können die Bestandskraft von Steuerbescheiden oder die Rechtskraft von Urteilen nur aufgrund der Vorschriften des jeweiligen innerstaatlichen Rechts durchbrechen.3 Im deutschen Recht ist eine Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide aufgrund einer getroffenen Verständigungsregelung daher nur gem. § 175a AO möglich.4

19.103

Da eine Durchbrechung der Rechtskraft von Urteilen grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 110 Abs. 2 FGO möglich ist, ist bei Rechtskraft eines Urteils im Anschluss an ein Verständigungsverfahren eine Änderung eines Steuerbescheides gem. § 175a AO nicht zulässig. Ein Verständigungsverfahren selbst ist keine Rechtsgrundlage für die Durchbrechung der Rechtskraft.5 Eine Änderung von Steuerfestsetzungen wegen abweichender Verständigungsregelungen ist allerdings stets auch als Billigkeitsmaßnahme (§§ 163, 227 AO) in Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips geboten.6 Im Hinblick auf die von § 110 Abs. 1 FGO ausgehende Bindungswirkung macht die Finanzverwaltung die innerstaatliche Umsetzung der Verständigungsvereinbarung generell davon abhängig, dass der Steuerpflichtige der Einigung zustimmt, anhängige Rechtsmittel zurücknimmt und auf seine Rechtsbehelfe entweder teilweise verzichtet (§ 354 Abs. 1a, 1b AO, § 50 Abs. 1a FGO) oder aber diese teilweise zurücknimmt (§ 362 Abs. 1a AO, § 72 Abs. 1a FGO).7

3. Vorabverständigungsverfahren (§ 89a AO) 19.104

Im Hinblick darauf, dass Verständigungsverfahren lediglich im Nachhinein wirkende bilaterale Streitbeilegungsmittel sind (Rz. 19.90), haben sich in der internationalen Staatenpraxis bereits in der Vergangenheit zunehmend präventiv wirkende Vorabverständigungsvereinbarungen (Advance Pricing Agreements – APAs) herausgebildet.8 Diese APAs wurden bisher inhaltlich auf Verrechnungspreiskonflikte begrenzt, um zwischen zwei oder mehreren Staaten eine einvernehmliche Besteuerung von noch nicht verwirklichten Geschäften eines Steuerpflichtigen mit nahestehenden Personen i.S.v. § 1 AStG, eine einvernehmliche Gewinnaufteilung zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder eine einvernehmliche Gewinnermittlung einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Un-

1 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 131; Loose in T/K, § 175a AO Rz. 9; BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 93 ff. 2 Loose in T/K, § 175a AO Rz. 9; Bartone in Kühn/von Wedelstädt22, § 175a AO Rz. 7; von Groll in H/H/Sp, § 175a AO Rz. 102; a.A. Loh/Steinert, BB 2008, 2383 (2385); zu Gestaltungshinweisen Lühn, BB 2009, 412 ff. 3 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 121. 4 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 121; Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 Rz. 55. 5 Krumm in T/K, § 110 FGO Rz. 46; von Groll in H/H/Sp, § 175a AO Rz. 79; a.A. Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 121 m.w.N. 6 BFH v. 1.2.1967 – I 220/64, BStBl. III 1967, 495; J. Förster in Birk (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Steuer- und Abgabenrechts, § 30 Rz. 189. 7 Vgl. BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 84. 8 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 360ff.; ausf. Greil, ifst-Schrift 512 (2016).

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F. Auslegung von DBA | Rz. 19.106 Kap. 19

ternehmens herbeizuführen.1 Die bisherige2 Verwaltungspraxis3 wurde auf Art. 25 Abs. 1, 2 OECD-MA gestützt.4 Mit der Einführung des § 89a AO durch das AbzStEntModG v. 2.6.20215 wurde eine für alle beim BZSt nach dem 8.6.2021 eingehenden Anträge eigenständige Rechtsgrundlage6 für die Einleitung und die Durchführung zwischenstaatlicher Vorabverständigungsverfahren zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen geschaffen.7 Hierdurch sollte die bisherige Verwaltungspraxis nicht grundlegend geändert werden.8 § 89a AO erstreckt aber den Anwendungsbereich für Vorabverständigungsverfahren künftig auf jegliche Sachverhalte, die einem DBA zugänglich sein können. Da die ausländischen Staaten ihrerseits die Durchführung von Vorabverständigungsverfahren in der Rechtspraxis regelmäßig auf Verrechnungspreissachverhalte beschränken,9 bleibt indes abzuwarten, ob sich der erweiterte Anwendungsbereich in der Praxis auswirkt.

19.105

Das nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 FVG zuständige BZSt (zuständige Behörde, die Nr. 5 wird mit dem AbzStEntModG entsprechend ergänzt) kann10 gem. § 89a Abs. 1 Satz 1 AO im Einvernehmen mit der Landesfinanzverwaltung auf Antrag eines Abkommensberechtigten ein Vorabverständigungsverfahren11 mit einem oder mehreren Staaten einleiten. Die Einzelheiten der Antragstellung sind in § 89 Abs. 2 AO geregelt.12 Dem Antrag geht meist ein Vorgespräch (Prefiling) – auch auf anonymer Basis13 – voraus, in dessen Rahmen etwa die geplanten Verrechnungspreismethoden (Rz. 21.189 ff.), der APA-Zeitraum und die Frage einer rückwirkenden Anwendung (roll back, § 89a Abs. 6 Satz 2 AO) erörtert werden.14 Nach Annahme des Antrags durch das BZSt erfolgt eine APA-Prüfung, die ggf. in den Räumen des Antrag stellenden Unternehmens durch Betriebsprüfer durchgeführt wird.15 Hieran schließen sich dann die eigentlichen APA-Verhandlungen mit Vertretern des oder der anderen Vertragsstaaten an.16 Wird das APA erteilt, so soll es eine Laufzeit von fünf Jahren nicht überschreiten (§ 89a Satz 1 AO), wobei insbesondere bei längerer Verfahrensdauer eine rückwirkende Geltung (roll back)

19.106

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

So die Formulierung im § 178a Abs. 1 AO a.F. Hierzu näher die Vorauflage unter Rz. 19.101 ff. Vgl. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 – 38/06, BStBl. I 2006, 594. Zu Einzelheiten Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 369; Liebchen in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 508. BGBl. I 2021, 1259. Die Verfügbarkeit eines Vorabverständigungsverfahren hängt immer auch von dem anderen betroffenen Staat ab. Ausf. Flüchter, ISR 2021, 338 ff. Flüchter, ISR 2021, 338 (339). Vgl. Greil/Saliger, ISR 2021, 330 (335). Wie bisher steht die Einleitung im Ermessen des BZSt. Gem. § 89a Abs. 1 Satz 1 AO definiert als zwischenstaatliches Verfahren über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht verwirklichten Sachverhalten für einen bestimmten Geltungszeitraum, der in der Regel fünf Jahre nicht überschreitet. Soweit § 89a Abs. 2 AO keine Einzelheiten regelt, kann grds. auf die Ausführungen im BMFSchreiben v. 5.10.2006 (IV B 4 - S 1341 – 38/06, BStBl. I 2006, 594) zurückgegriffen werden, vgl. Flüchter, ISR 2021, 338 (342). BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 – 38/06, BStBl. I 2006, BStBl. I 2006, 594, Rz. 2.2. Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 378; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 72. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 – 38/06, BStBl. I 2006, BStBl. I 2006, 594, Rz. 4.3; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 74; Liebchen in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 539. Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 75.

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Kap. 19 Rz. 19.106 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

in Betracht kommt (vgl. § 89a Abs. 6 Satz 2 AO). Haben sich die dem APA zugrunde gelegten Sachverhaltsumstände nicht geändert, kann zu einem späteren Zeitpunkt ein APA auch verlängert werden (§ 89a Abs. 6 Satz 1 AO).

19.107

Eine unterzeichnete Vorabverständigungsvereinbarung bindet das örtlich zuständige Finanzamt, es sei denn, die in der Vorabverständigungsvereinbarung enthaltenen Bedingungen werden nicht oder nicht mehr erfüllt, der andere Vertragsstaat hält die Vereinbarung nicht ein oder die Rechtsvorschriften, auf denen die Vereinbarung beruht, werden aufgehoben oder geändert (§ 89a Abs. 4 Satz 1 AO). Um für alle Fälle eine Bindung auch des Antragstellers zu gewährleisten, wird ihm im Vorhinein ein Rechtsbehelfsverzicht i.S.v. § 89a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO für die Steuerbescheide abverlangt, die die Vorabverständigungsvereinbarung für deren Laufzeit (zutreffend) umsetzen. APAs vermitteln zwar einerseits Planungssicherheit und dienen zudem der Streitvermeidung, andererseits sind die Verfahren gebührenpflichtig (§ 89a Abs. 7 AO) und dauern zumeist mehr als ein Jahr.1 Anträge auf APAs sind in der Praxis relativ selten.

4. Konsultationsverfahren 19.108

Konsultationsverfahren sind darauf gerichtet, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung der Abkommen entstehen, im gegenseitigen Einvernehmen der Vertragsstaaten zu beseitigen (konkretes Konsultationsverfahren)2 sowie Regelungslücken in DBA zu schließen (abstraktes Konsultationsverfahren).3 Es handelt sich hierbei um die Klärung von Rechtsfragen ohne Bezug auf einen konkreten Einzelfall, die mitunter parallel zu einem Verständigungsverfahren im engeren Sinne betrieben werden. Das Ziel dieser Konsultationsverfahren4 ist die gleichmäßige Anwendung und Auslegung der DBA im Sinne einer Regelungshomogenität.

19.109

Derartige zwischenstaatlich getroffene Vereinbarungen, insbesondere Auslegungsvereinbarungen, sind entsprechend ihrem Rechtscharakter als (schlichtes) Verwaltungsabkommen5 auch nach Einfügung von § 2 Abs. 2 AO durch das JStG 20106 weder für den Steuerpflichtigen noch für die Gerichte bindend.7 Dementsprechend können derartige Vereinbarungen auch die DBA selbst nicht ändern. Als Hilfsmittel für die Auslegung kommen sie indessen in Betracht.

1 Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 74. 2 Art. 25 Abs. 3 Satz 1 OECD-MA; zu Einzelheiten Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 158 f. 3 Art. 25 Abs. 3 Satz 2 OECD-MA; zu Einzelheiten Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 159 ff. 4 In einigen deutschen DBA sind sie nicht vorgesehen; Abkommensübersicht bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 161. 5 Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG; zu Einzelheiten Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 188 ff.; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 155. 6 Gesetz v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 7 BFH v. 30.5.2018 – I R 62/16, BFH/NV 2019, 62; BFH v. 10.6.2015 – I R 79/13, DStR 2015, 2222; Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 65 ff.; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 156; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 116 f.; Häck in F/W/K, Art. 24 DBASchweiz Rz. 20.1 f.

800 | Schaumburg/Häck

F. Auslegung von DBA | Rz. 19.112 Kap. 19

5. Schiedsverfahren Die in den DBA vorgesehenen Verständigungsverfahren vermitteln den betroffenen Steuerpflichtigen keinen Anspruch darauf, dass sich die am Verständigungsverfahren beteiligten Behörden einigen.1 Im Hinblick auf die somit fortbestehenden Auslegungskonflikte kann das eigentliche Ziel der DBA, die Doppelbesteuerung auf bilateraler Ebene zu vermeiden, nicht erreicht werden. In derartigen Fällen hat etwa Deutschland als Wohnsitzstaat nach Maßgabe des Leistungsfähigkeitsprinzips die Doppelbesteuerung durch Steuererlass (§§ 163, 227 AO) zu vermeiden. In einigen deutschen DBA2 ist indessen für den Fall, dass eingeleitete Verständigungsverfahren zu keiner einvernehmlichen Regelung führen, ein fakultatives oder ein obligatorisches Schiedsverfahren vorgesehen. Soweit dieses Schiedsverfahren in Anlehnung an Art. 25 Abs. 5 OECD-MA obligatorisch ist,3 folgt hieraus stets eine den Auslegungskonflikt behebende endgültige Entscheidung.4 Der internationale Trend geht dahin, vermehrt obligatorische Schiedsklauseln zu vereinbaren, um den Steuerrechtsschutz zu verbessern.5

19.110

Das Schiedsverfahren, das entsprechend Art. 25 Abs. 5 OECD-MA nur auf Antrag dessen durchgeführt wird,6 der zuvor auch das Verständigungsverfahren beantragt hat, ist unselbständiger Teil des Verständigungsverfahrens selbst.7 Dementsprechend werden Schiedssprüche, soweit der Antragsteller zustimmt, dadurch umgesetzt, dass eine inhaltsgleiche Verständigungsvereinbarung abgeschlossen wird.8 Der Antragsteller ist ferner ebenso wenig wie im eigentlichen Verständigungsverfahren Partei, so dass er insbesondere nicht das Recht auf Akteneinsicht hat.9 Er hat aber ebenso wie im Verständigungsverfahren selbst die Möglichkeit, schriftliche Stellungnahmen abzugeben.10

19.111

Die OECD-Schiedsklausel (Art. 25 OECD-MA) beinhaltet zwar keine bindenden Verfahrensvorschriften,11 die Eröffnung eines Schiedsverfahrens setzt neben einem Antrag allerdings vo-

19.112

1 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 103; Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 221; Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 13; Koch, CDFI LXVIa (1981), 13 (40). 2 Abkommensübersicht in der Anlage zum BMF-Schreiben v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/ 10004:007, BStBl. I 2021, 1495; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 250; s. auch Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 271 f.; zur Abkommensentwicklung Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 449 ff.; Nientimp/Tomson, IStR 2009, 615 ff. 3 Hierzu der Überblick bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 250, 260 ff. 4 Nach dem DBA-Schweden kommt auch eine Entscheidung durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag nach Maßgabe des europäischen Übereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten vom 29.4.1957, BGBl. II 1961, 81 in Betracht (Art. 41 Abs. 5 DBA-Schweden). 5 Vgl. zu den Entwicklungen stv. Hendricks/Strotkemper, Ubg 2019, 535 ff.; Piotrowski, IStR 2018, 257; Puls/Heravi, ISR 2017, 301. 6 Wie bei Verständigungsverfahren besteht ein Anspruch auf Durchführung eines (obligatorischen) Schiedsverfahrens; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 216; Herlinghaus, IStR 2010, 125 (126); ferner Rz. 19.101. 7 Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 263; Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 72; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 48. 8 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 230. 9 Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 53, 35. 10 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 223. 11 Vgl. allerdings die im Anh. zum OECD-MA eingefügte Musterverständigungsvereinbarung, die auch Regeln über den Verfahrensablauf enthalten; hierzu die Kommentierung bei Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 219 ff. und Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 54 ff. Bspw. hat Deutschland mit Großbritannien eine solche Verständigungsvereinbarung zur Regelung der Durchführung des Schiedsverfahrens getroffen (BMF v. 10.10.2011 – IV B 3 - S 1301-GB/11/

Schaumburg/Häck | 801

Kap. 19 Rz. 19.112 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

raus, dass sich die zuständigen Behörden im Rahmen des eigentlichen Verständigungsverfahrens über einen Zeitraum von zwei Jahren nicht haben einigen können. Dass die Streitfrage nicht im Sinne des Antragstellers gelöst wird, ist hierbei unbeachtlich.1 Voraussetzung ist ferner, dass es auf Grund der fehlenden Einigung tatsächlich schon zu einer abkommenswidrigen Besteuerung gekommen ist.2 Die in Art. 25 Abs. 5 Satz 1 Buchst. b OECD-MA vorgesehene Zweijahresfrist beginnt erst, wenn beiden zuständigen Behörden alle notwendigen Informationen, die sie zur Lösung des Falls benötigen, zur Verfügung gestellt wurden.3 Dies bedeutet etwa, dass für APAs ein Schiedsverfahren nur dann in Betracht kommt, wenn eine Besteuerung bereits erfolgt ist und seitdem zwei Jahre vergangen sind.4

19.113

Gemäß Art. 25 Abs. 5 Satz 2 OECD-MA darf ein Schiedsverfahren nicht eingeleitet werden, wenn bereits eine Gerichtsentscheidung zu dem konkreten Streitfall ergangen ist. Dies entspricht der deutschen Rechtslage, wonach Verständigungsverfahren die Rechtskraft von Urteilen nicht durchbrechen können.5

6. EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz 19.113a

Die auf die Beseitigung von Doppelbesteuerungen6 innerhalb der EU gerichtete EU-Streitbeilegungsrichtlinie v. 10.10.20177 soll in Ergänzung zu den bereits bestehenden DBA-Streitbeilegungsmechanismen (s. Rz. 19.94 ff., 19.110 ff.) ein Verfahren für eine wirksame und effiziente Beilegung von doppelbesteuerungsrelevanten Streitigkeiten zwischen EU-Mitgliedstaaten über die Auslegung und Anwendung bilateraler DBA und der EU-Schiedskonvention schaffen.8 Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erfolgte durch das EU-DBA-SBG v. 10.12.20199 und findet auf alle Streitbeilegungsbeschwerden Anwendung, die ab dem 1.7.2019 eingereicht

1 2 3 4 5 6

7 8 9

10003, BStBl. I 2011, 956); vgl. i.Ü. die Aufstellung im Anhang zum BMF-Schreiben v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495. Gem. Art. 25 Abs. 5 DBA-Österreich entscheidet bspw. der EuGH im Schiedsverfahren (erstmals durch EuGH v. 12.09.2017 – C-648/15, ECLI:EU: C:2017:664 = DStR 2017, 1967, hierzu Strotkemper, IStR 2019, 235). Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 76; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 49. Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 267. Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 203. Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 49. Hierzu Rz. 19.103; vgl. Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 51 mit Hinweis auf das DBAUSA, wonach ein dem Art. 25 Abs. 5 Satz 2 OECD-MA entsprechender Wortlaut nicht übernommen wurde. Die Richtlinie soll, so die Erwägungsgründe, ein Verfahren für eine wirksame und effiziente Beilegung von Streitigkeiten bezüglich der Auslegung und Anwendung bilateraler DBA und der Schiedskonvention schaffen, insbesondere der Streitigkeiten, die zu einer Doppelbesteuerung führen. Denn die unterschiedliche Auslegung oder Anwendung dieser Abkommen oder Übereinkommen durch verschiedene Mitgliedstaaten könnten für grenzüberschreitend tätige Unternehmen schwerwiegende Hindernisse sein, die potentiell wirtschaftliche Verzerrungen und Ineffizienzen sowie nachteilige Auswirkungen auf Investitionen und Wachstum zur Folge haben. RL (EU) 2017/1852 des Rates v. 10.10. 2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, ABl. EU 2017 Nr. L 265, 1. Vgl. stv. Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Kap. 24; Zinowsky/Schönfeld, ISR 2018, 8; Mammen/Jansen/Rasche, IStR 2019, 375. Gesetz zur Umsetzung der RL (EU) 2017/1852 des Rates v. 10.10.2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union (EU-DoppelbesteuerungsabkommenStreitbeilegungsgesetz – EU-DBA-SBG) v. 10.12.2019, BGBl. I 2019, 2103; ausf. hierzu Hirschvogel/ Ullman, Ubg 2021, 500; Flüchter, ISR 2020, 56 ff.; Jansen/Mammen, DStR 2020, 465 ff.

802 | Schaumburg/Häck

F. Auslegung von DBA | Rz. 19.113c Kap. 19

wurden und Einkommen oder Vermögen betreffen, das in einem ab dem 1.1.2018 beginnenden Steuerjahr erwirtschaftet wird (§ 33 Abs. 1 EU-DBA-SBG). Streitigkeiten i.S.d. EU-DBA-SBG sind Meinungsverschiedenheiten, die durch die Auslegung und Anwendung von Abkommen und Übereinkommen entstehen, welche die Beseitigung der Doppelbesteuerung von Einkommen und gegebenenfalls Vermögen vorsehen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EU-DBA-SBG). Das Verständigungsverfahren nach dem EU-DBA-SBG ist antragsgebunden (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 EU-DBA-SBG).1 Der Antrag, die Beschwerde über eine Streitfrage (sog. Streitbeilegungsbeschwerde), ist durch die betroffene Person innerhalb von 3 Jahren nach Mitteilung einer Maßnahme, die im Ergebnis zu einer „Streitfrage“ führt oder führen wird, bei allen zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten gleichzeitig einzulegen und mit den gleichen Angaben einzureichen (§ 4 Abs. 1 und 2 EU-DBA-SBG). Antragstellende natürliche Personen und kleine Unternehmen können die Streitbeilegungsbeschwerde nur bei der zuständigen Behörde in ihrem Ansässigkeitsstaat einreichen und profitieren von weiteren gewissen Verfahrenserleichterungen (§ 28 EU-DBA-SBG). Durch das Einreichen der Streitbeilegungsbeschwerde wird jedes andere laufende Verständigungs- oder Streitbeilegungsverfahren zwischen Deutschland und dem oder den anderen Mitgliedstaaten zu dieser Streitfrage beendet bzw. ist ein Antrag auf ein Verständigungsverfahren oder Streitbeilegungsverfahren, das im Zusammenhang mit der Streitfrage steht, unzulässig (§ 4 Abs. 4 EU-DBA-SBG). Nationale Rechtsbehelfe bleiben hingegen hiervon unberührt.

19.113b

Nach Zulassung der Streitbeilegungsbeschwerde durch die betroffenen zuständigen Behörden, führen die zuständigen Behörden ein Verständigungsverfahren durch (§ 13 EU-DBA-SBG), welches den Verständigungsverfahren i.S.v. Art. 25 Abs. 2 OECD-MA und Art. 6 Abs. 2 EUSchiedskonvention entspricht.2 Kommt es innerhalb der max. dreijährigen Einigungsfrist (§ 13 Abs. 2, Abs. 4 EU-DBA-SBG) zu einer Lösung der Streitfrage, wird das Einigungsergebnis für die örtlich zuständige Finanzbehörde verbindlich und Steuerbescheide sind nach § 175a AO zu erlassen bzw. zu ändern, sofern die betroffene Person schriftlich auf einen Rechtsmittelverzicht gegen die, die Einigung umsetzenden Steuerbescheide verzichtet bzw. bereits eingelegte Rechtsbehelfe zurücknimmt (§ 15 Abs. 1 Satz 2 EU-DBA-SBG). Wird innerhalb der Einigungsfrist keine Lösung zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten erzielt, kann die betroffene Person ein Schiedsverfahren anstoßen, indem sie die Einsetzung eines Beratenden Ausschusses nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EU-DBA-SBG beantragt, dessen Stellungnahme für die Mitgliedstaaten verbindlich wird, wenn diese sich nicht innerhalb von sechs Monaten auf eine Lösung der Streitfrage einigen können (§ 18 Abs. 2 EU-DBA-SBG).3

19.113c

7. EU-Schiedsverfahrenskonvention Literatur: Kommentare zum EU-SchÜ; Bödefeld/Kuntschik, Verständigungs- und Schiedsverfahren nach dem EU-Schiedsabkommen – Theorie und Praxis, IStR 2009, 268; Bödefeld/Kuntschik, Der Überarbeitete Verhaltenskodex zur Anwendung des EU-Schiedsübereinkommen, IStR 2010, 474; Hendricks/Strotkemper, Praxisforum Steuerrechtsschutz: Gerichtliche Durchsetzung zwischenstaatlicher Verfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen – erste Erkenntnisse aus dem BFH-Urteil vom 25.9.2019 (I R 82/17), Ubg 2020, 310; Kempf/Gelsdorf, Die EU-Schiedsverfahrenskonvention im Konkurrenzverhältnis zu Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2012, 329; Krabbe, Das Schiedsüberein-

1 Zum Verfahren s. auch BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 14 ff. 2 Flüchter, ISR 2020, 56 (60). 3 Einzelheiten bei Flüchter, ISR 2020, 56 (61).

Schaumburg/Häck | 803

Kap. 19 Rz. 19.114 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) kommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, IStR 1996, 5; Menck, Die Prüfung der internationalen Gewinnabgrenzung nach der „Schiedsstellenkonvention“ der EU, StBp. 1995, 169; Puls/Bickenbach, Empfehlungen des EU Joint Transfer Pricing Forums (EUJTPF) zur Optimierung von Verständigungs- und Schiedsverfahren nach der EU-Schiedskonvention, ISR 2015, 356; Saß, Zum EG-Abkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung (Schlichtungsverfahren) im Falle einer Gewinnberichtigung bei Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen, DB 1991, 984; Schelpe, The Arbitration Convention, EC-Tax Review 1995, 68.

a) Allgemeine Hinweise

19.114

Auf der Grundlage des Art. 220 EG-Vertrag a.F. haben die EG-Staaten das Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen und im Verhältnis zu Betriebsstätten1 (Schiedsverfahrenskonvention) abgeschlossen, das als multilateraler völkerrechtlicher Vertrag2 zum 1.1.1995 in Kraft getreten ist.3

19.115

Die Schiedsverfahrenskonvention ist auf die Beseitigung wirtschaftlicher Doppelbesteuerung (zum Begriff Rz. 15.3) gerichtet, die dadurch entstehen, dass die Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten nicht abgestimmte Einkünfteberichtigungen vornehmen, die sich als Folge von Verrechnungspreiskorrekturen zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften und veränderten Einkünfteabgrenzungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätten oder verschiedenen Betriebsstätten in den Mitgliedstaaten ergeben (Rz. 21.1 ff.).4 Dadurch wird sichergestellt, dass mit der auf Gewinnerhöhung gerichteten Erstberichtigung in dem einen Mitgliedstaat eine auf Gewinnminderung gerichtete Gegenberichtigung in dem oder den anderen Mitgliedstaaten korrespondiert. Da die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die auf dieser nicht abgestimmten Einkünfteberichtigung beruhende wirtschaftliche Doppelbesteuerung zu vermeiden,5 entfaltet die Schiedsverfahrenskonvention eine Schutzwirkung zugunsten der in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen (verbundenen) Unternehmen gegenüber einseitigen Gewinnkorrekturen6 durch den einen oder anderen Mitgliedstaat.

19.116

Die auf eine Verständigungsregelung ausgerichteten Normen der Schiedsverfahrenskonvention sind neben den abkommensrechtlichen Regelungen über das Verständigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA) anwendbar.7 Ein Vorrangverhältnis besteht nicht, weil die Schiedsverfahrenskonvention weder zum primären noch zum sekundären Unionsrecht gehört.8 Da Deutschland

1 Richtlinie 90/434/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 1, Änderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG 1999 Nr. C 202/1, Ergänzung ABl. EU 2005 Nr. C 160, 1; Beschl. des Rates v. 23.6.2008, ABl. EU 2008 Nr. L 174, 1. 2 Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 350; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 78. 3 BStBl. I 1995, 166. 4 Vgl. Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA, Rz. 450. 5 Art. 12 Abs. 1 Schiedsverfahrenskonvention; hierzu Krabbe in Wassermeyer, Art. 12 EU-SchÜ Rz. 6. 6 Soweit sie sich auf die Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer auswirken; Art. 2 Abs. 2 der Schiedsverfahrenskonvention. 7 Art. 15 der Schiedsverfahrenskonvention; das europäische Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten v. 29.4.1957 (BGBI. 1961 II 81) wird indessen verdrängt, weil dieses nur Anwendung findet, soweit anderweitig keine auf Streitbeilegung gerichtete Verfahren vorgesehen sind; hierzu Krabbe in Wassermeyer, Vor Art. 1 EU-SchÜ Rz. 9; Krabbe, IStR, 1996, 5 (5 f.). 8 Krabbe in Wassermeyer, Vor Art. 1 EU-SchÜ Rz. 8; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 350.

804 | Schaumburg/Häck

F. Auslegung von DBA | Rz. 19.118 Kap. 19

mit allen Mitgliedstaaten der EU DBA abgeschlossen hat, gewinnt die Schiedsverfahrenskonvention gerade in Abkommensfällen ihre eigentliche Bedeutung.1 Die von Deutschland mit den Mitgliedstaaten der EU abgeschlossenen DBA vermögen nämlich eine korrespondierende Einkünfteberichtigung nicht zu gewährleisten. Dies beruht zum einen darauf, dass die DBA durchweg keine dem Art. 9 Abs. 2 OECD-MA nachgebildete Gegenberichtigungsklausel enthalten2 und zum anderen darauf, dass die wegen nicht abgestimmter Einkünfteberichtigungen an sich möglichen Verständigungsverfahren3 deshalb keinen vollständigen Rechtsschutz vermitteln, weil kein Rechtsanspruch darauf besteht, dass die Vertragsstaaten sich einigen (Rz. 19.91). Deshalb ist die Schiedsverfahrenskonvention für den eingeschränkten Bereich der Einkünfteabgrenzung4 als ein die abkommensrechtlichen Verständigungsverfahren überlagerndes ebenfalls auf Beseitigung bilateraler Anwendungskonflikte gerichtetes multilaterales DBA5 zu qualifizieren. Im Unterschied zu den abkommensrechtlichen Verständigungsverfahren führen die in der Schiedsverfahrenskonvention geregelten Verfahren stets zu einer Konfliktlösung, die allerdings nur in der Vermeidung der effektiven, nicht aber der virtuellen Doppelbesteuerung besteht.6 Wird ein Verständigungsverfahren nach DBA angestrengt und anschließend ein Verständigungsverfahren nach der EU-Schiedskonvention beantragt (und umgekehrt), lehnt – da die Verfahren nicht parallel durchgeführt werden7 – die Finanzverwaltung das spätere Verfahren ab, wenn nicht zuvor das zuerst beantragte Verfahren zurückgenommen wird.8 Wurden beide Verfahren gleichzeitig beantragt, muss sich der Antragsteller innerhalb einer vom BZSt gesetzten Frist für eines der Verfahren entscheiden, andernfalls legt das BZSt den Antrag zugunsten des Antragstellers nach pflichtgemäßem Ermessen aus.9 Sieht das Verständigungsverfahren kein Schiedsverfahren vor, gilt im Zweifel der Antrag nach der Schiedsverfahrenskonvention als gestellt.10 Wird eine Streitbeilegungsbeschwerde nach dem EU-DBA-SBG eingelegt, wird ein bereits eingeleitetes Verständigungsverfahren nach der EU-Schiedskonvention automatisch beendet bzw. ist ein späteres Verfahren nach der EU-Schiedskonvention unzulässig (§ 4 Abs. 4 EU-DBA-SBG).

19.117

b) Verfahren Die Schiedsverfahrenskonvention gliedert sich in vier Verfahrensabschnitte. – Vorverfahren – Verständigungsverfahren

1 Zum Verhältnis der EU-Schiedsverfahrenskonvention zu den DBA s. Kempf/Gelsdorf, IStR 2012, 329 ff. 2 Vgl. die Abkommensübersicht bei Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 145. 3 Art. 25 OECD-MA. 4 Gewinnzurechnung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften sowie zwischen Stammhaus und Betriebsstätten und zwischen Betriebsstätten. 5 Krabbe in Wassermeyer, Vor Art. 1 EU-SchÜ Rz. 10. 6 Art. 14 Schiedsverfahrenskonvention; vgl. hierzu Menck, StBp. 1995, 169 (171). 7 Krabbe in Wassermeyer, Vor Art. 1 EU-SchÜ Rz. 10, Art. EU-SchÜ Rz. 6; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 358; Becker in Haase3, Art. 25 OECD-MA Rz. 80. 8 Vgl. BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 9. 9 Vgl. BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 10. 10 Krabbe in Wassermeyer, Art. 6 EU-SchÜ Rz. 6.

Schaumburg/Häck | 805

19.118

Kap. 19 Rz. 19.118 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

– Schlichtungsverfahren – Einigungsverfahren.

19.119

Vor dem eigentlichen Verständigungsverfahren ist ein Vorverfahren vorgeschaltet, das auf eine einvernehmliche Regelung zwischen dem betroffenen Unternehmen und den beteiligten Finanzbehörden abzielt. Im Hinblick darauf hat die Finanzverwaltung, die eine Gewinnerhöhung vornehmen will, das betroffene Unternehmen frühzeitig hierüber zu unterrichten, damit dieses Maßnahmen einleiten kann, um in dem anderen Vertragsstaat, in dem etwa das verbundene Unternehmen ansässig ist, eine Gegenberichtigung zu erwirken.1 Wird zwischen den Beteiligten über Berichtigung und Gegenberichtigung Konsens erzielt, ist die Angelegenheit bereits in diesem Stadium erledigt. Ein Verständigungs- und Schlichtungsverfahren wird erst gar nicht eingeleitet.2

19.120

Findet die Angelegenheit nicht bereits im Vorverfahren ihre Erledigung, so wird auf Antrag des betroffenen Unternehmens das Verständigungsverfahren eingeleitet.3 Der Antrag ist innerhalb von drei Jahren nach der ersten Mitteilung der Maßnahme, die eine Doppelbesteuerung herbeiführt oder herbeiführen könnte,4 zu stellen.5 Der Antrag kann in beiden Staaten gestellt werden.6 Antragsberechtigt sind in der EU ansässige Unternehmen, womit in Anlehnung an die Begriffswelt der DBA7 sowohl Einzelunternehmen als auch Kapitalgesellschaften angesprochen sind.8 Da Betriebsstätten9 den Unternehmen gleichgestellt sind,10 sind auch Betriebsstätten selbst sowie Personengesellschaften11 antragsberechtigt. Der Antrag verpflichtet zur Einleitung des Verständigungsverfahrens, es sei denn, es liegen Handlungen vor, die einen „empfindlich zu bestrafenden Verstoß gegen steuerliche Vorschriften“ darstellen (Art. 8 der Schiedsverfahrenskonvention).12 Gegen die Ablehnung des Antrags ist der Finanzrechtsweg gegeben.13

19.121

Die Schiedsverfahrenskonvention enthält für die Durchführung des Verständigungsverfahrens keine besonderen Vorschriften mit der Folge, dass insoweit die üblichen für die abkommensrechtlichen Verständigungsverfahren vorgesehenen Regeln Anwendung finden können.14 Führt 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

13 14

Art. 5 der Schiedsverfahrenskonvention. Krabbe in Wassermeyer, Art. 5 EU-SchÜ Rz. 8; Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 459. Art. 6 Schiedsverfahrenskonvention. Z.B. im Anschluss an eine Betriebsprüfung durch Änderungsbescheid. In Deutschland ist der Antrag an das BZSt zu richten. Art. 6 der Schiedsverfahrenskonvention; der Antrag soll zweckmäßigerweise in allen Ansässigkeitsstaaten der betroffenen Steuerpflichtigen gestellt werden, vgl. BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 115. Vgl. die Verweisung in Art. 3 Abs. 2 der Schiedsverfahrenskonvention. Hierzu Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 454. Erfasst werden nur Betriebsstätten von in der EU ansässigen Unternehmen. Art. 1 Abs. 2 der Schiedsverfahrenskonvention. Diese gelten als Betriebsstätten; zu Einzelheiten Rz. 21.114. Zur Auslegung BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17, BStBl II 2020, 229; hierzu Hendricks/Strotkemper, Ubg 2020, 310; nach Flüchter in S/D2, Art. 25 OECD-MA Rz. 466; Krabbe in Wassermeyer, Art. 8 EU-SchÜ Rz. 2; Menck, StBp. 1995, 169 (172), soll dies bereits bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) und Steuergefährdung (§ 379 AO) gegeben sein. Durch allgemeine Leistungsklage vgl. BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17, BStBl II 2020, 229; hierzu Hendricks/Strotkemper, Ubg 2020, 310 (313 f.); ebenso FG Köln v. 4.7.2018 – 2 K 2679/17, EFG 2018, 1745 (rkr.). Vgl. hierzu BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 128 ff.

806 | Schaumburg/Häck

F. Auslegung von DBA | Rz. 19.123 Kap. 19

das Verständigungsverfahren zu keinem Ergebnis, etwa deshalb nicht, weil der ersuchte Staat keine einseitige Maßnahme zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vornimmt oder beide Staaten kein Einvernehmen über die zu ergreifenden Maßnahmen1 erzielen, ist das Verständigungsverfahren gescheitert, so dass es in das Schiedsverfahren (sog. Schlichtungsverfahren) überführt wird. In das Schlichtungsverfahren wird übergeleitet, wenn das Verständigungsverfahren nicht innerhalb von zwei Jahren2 zu einer Einigung bzw. zu einer Erledigung durch eine einseitige Maßnahme geführt hat. Die Einleitung des Schlichtungsverfahrens hat zur Folge, dass ein Beratender Ausschuss eingesetzt wird, der innerhalb von sechs Monaten eine Stellungnahme zu den zu ergreifenden Maßnahmen abzugeben hat. Dieser Beratende Ausschuss wird von den zuständigen Behörden3 für jeden Einzelfall gesondert4 eingesetzt.5 Auch während des Schlichtungsverfahrens bleiben die beteiligten Behörden beider Vertragsstaaten Herr des Verfahrens, so dass sie stets durch einseitige Maßnahmen die Doppelbesteuerung beseitigen und damit das Verfahren insgesamt beendigen können.6 Das vom Beratenden Ausschuss einzuhaltende Verfahren ist weitgehend ungeregelt geblieben, so dass die international anerkannten allgemeinen Verfahrensgrundsätze zur Anwendung kommen.7 Ausdrücklich geregelt sind allerdings das für die am Verfahren beteiligten Unternehmen geltende Recht auf Gehör, deren Antragsrecht sowie deren Pflicht, auf Ladung zu erscheinen, womit das Recht korrespondiert, vor dem Beratenden Ausschuss zu Sach- und Rechtsfragen selbst Stellung zu nehmen.8 Die vom Beratenden Ausschuss abzugebende Stellungnahme bezieht sich ausschließlich darauf, wie in Anlehnung an den arm’s length-Grundsatz die Doppelbesteuerung zu vermeiden ist.9 Damit gelten im Ergebnis die bei der Anwendung von DBA zu beachtenden allgemeinen Grundsätze der bilateralen Einkünfteabgrenzung (Rz. 19.264 ff., 19.289 ff.). Eine hierauf aufbauende Stellungnahme des Beratenden Ausschusses setzt eine entsprechende Sachverhaltsermittlung voraus. Die Sachverhaltsermittlungen kann der Beratende Ausschuss entweder selbst durchführen oder aber durch die am Verfahren beteiligten Behörden beider Vertragsstaaten durchführen lassen.10

19.122

Sobald die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses vorliegt, beginnt das Einigungsverfahren, das bedeutet, dass innerhalb von weiteren sechs Monaten die am Verfahren beteiligten Behörden die Möglichkeit haben, die Doppelbesteuerung entweder durch einseitige Maßnahmen zu beheben oder sich entsprechend zu einigen. Während dieses Zeitraums ist die Stellungnahme mithin unverbindlich, so dass beide Behörden weiterhin Herr des Verfahrens blei-

19.123

1 Angesprochen sind nur die in Art. 14 der Schiedsverfahrenskonvention aufgeführten Maßnahmen. 2 Gemäß Art. 7 Abs. 4 der Schiedsverfahrenskonvention ist eine Fristverlängerung möglich. 3 In Deutschland das BZSt. 4 Krabbe in Wassermeyer, Art. 7 EU-SchÜ Rz. 7; Menck, StBp. 1995, 169 (173). 5 Zur Anzahl und Qualifikation der Mitglieder vgl. Art. 9 der Schiedsverfahrenskonvention. 6 Menck, StBp. 1995, 169 (173). 7 Vgl. EU-Verhaltenskodex v. 7.12.2004 (ABl. EG 2006 Nr. C 176, 8) und BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004:007, BStBl. I 2021, 1495, Rz. 131 ff.; nunmehr „Überarbeiteter Verhaltenskodex“ v. 22.12.2009 (ABl. EU 2009 Nr. C 322, 1); hierzu Bödefeld/Kuntschik, IStR 2010, 474 ff. Zu den Vorschlägen des EUJTPF zur Verbesserung der Verständigungs- und Schiedsverfahren nach EU-Schiedskonvention vgl. Puls/Bickenbach, ISR 2015, 356 ff. 8 Art. 10 Abs. 1, 2 der Schiedsverfahrenskonvention. 9 Art. 11 Abs. 1 Satz 2 i.V. mit Art. 4 der Schiedsverfahrenskonvention; hierzu Krabbe in Wassermeyer, Art. 11 EU-SchÜ Rz. 3; vgl. auch Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 356. 10 Art. 10 Abs. 1 der Schiedsverfahrenskonvention.

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Kap. 19 Rz. 19.123 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

ben. Einigen sie sich binnen sechs Monaten nicht, wird die Stellungnahme für sie indessen verbindlich.1 Die Doppelbesteuerung ist dann nach Maßgabe der in der Stellungnahme vorgeschlagenen Zuordnung von Gewinnen durch Steuerfreistellung oder Steueranrechnung2 zu vermeiden. Die bindend gewordene Stellungnahme des Beratenden Ausschusses ist von den Finanzbehörden umzusetzen, wobei bereits bestandskräftige Steuerbescheide gem. § 175a AO zu ändern sind. Wird die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses während eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens bindend, eröffnet sich dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, den Rechtsbehelf insoweit (teilweise) zurückzunehmen (§ 362 Abs. 1a AO; § 72 Abs. 1a FGO). Ist dagegen bereits in dieser Sache ein rechtskräftiges Urteil ergangen, so können die betreffenden Steuerbescheide trotz der Bindungswirkung des § 110 Abs. 1 FGO aus Billigkeitsgründen (§§ 163, 227 AO) entsprechend der bindend gewordenen Stellungnahme des Beratenden Ausschusses geändert werden.3 Die Finanzverwaltung wird auch in den Fällen, in denen Rechtsbehelfsverfahren anhängig sind, die Einleitung des Schlichtungsverfahrens davon abhängig machen, dass der Steuerpflichtige seine Rechtsbehelfe teilweise zurücknimmt (§ 362 Abs. 1a, 1b AO; § 72 Abs. 1a FGO) oder aber, soweit ein Rechtsbehelfsverfahren noch nicht anhängig ist, von vornherein einen teilweisen Rechtsbehelfsverzicht (§ 354 Abs. 1a AO; § 50 Abs. 1a FGO) ausspricht.4

G. Steuerumgehung bei DBA Literatur: Arndt, Beschränkte Steuerpflicht im deutschen und amerikanischen Einkommensteuerrecht, StuW 1990, 364; Becker, Erschleichung der Abkommensberechtigung durch Zwischenpersonen, DStJG 8 (1985), 171; Benz/Böhmer, Das Steueroasen-Abwehrgesetz, DB 2021, 1630; Braun, Missbrauchsbekämpfung durch Limitation-on-Benefits-Klauseln, Ubg 2018, 83; Crezelius, Beschränkte Steuerpflicht und Gestaltungsmissbrauch, DB 1984, 530; Debatin, Rechtsmissbrauch im Internationalen Steuerrecht im Lichte deutscher Rechtsprechung, DB 1979, 181, 229; Ditz/Seibert, Das neue Steueroasen-Abwehrgesetz (StAbwG) – Darstellung und kritische Würdigung, FR 2021, 813; Drüen, „Präzisierung“ und „Effektuierung“ des § 42 AO durch das Jahressteuergesetz 2008?, Ubg 2008, 31; Drüen, Ein neuer Missbrauchsbegriff im deutschen Internationalen Steuerrecht?, ISR 2020, 98; Drüen, Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) und Korrektur rechtspolitischer Fehler – Teil 1 (§ 42 AO), Ubg 2022, 61 (64 f.); Eicke, Das Phänomen des Treaty Shoppings und Limitation on Benefits-Klauseln, in FG für Wassermeyer, 2015, Kap. 60; Fischer, Die Umgehung des Steuergesetzes, DB 1996, 644; Fischer/ Pitzer, Das MLI und die neuen allgemeinen Missbrauchsregelungen, IStR 2017, 804; Fischer-Zernin, Missbrauch von Doppelbesteuerungsabkommen, RIW 1987, 362; Gassner/Lang, Treaty Shopping, in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, Wien 1994, 43; Gebhardt, Entwicklungstendenzen zur Missbrauchsvermeidung im internationalen Steuerrecht, in Gosch/ Schnitger/Schön, FS für Lüdicke, München 2019, 167; Gebhardt/Reppel, Die neuen Subject-to-tax-Klauseln in deutschen DBA – Praxisfälle und Zweifelsfragen im Kontext des BMF-Schreibens vom 20.6.2013, IStR 2013, 760; Gosch, Missbrauchsabwehr im Internationalen Steuerrecht, DStJG 36 (2013), 210; Gosch, Die Zwischengesellschaft nach „Hilversum I und II“, „Cadbury Schweppes“ und den Jahressteuergesetzen 2007 und 2008, in Kirchhof/Nieskens (Hrsg.), FS für Reiß, Köln 2008, 597; Haarmann, Die Missbrauchsverwirrung, IStR 2018, 561; Haase/Dorn, Rätsel um den Anwendungsbereich der jün-

1 Art. 12 der Schiedsverfahrenskonvention. 2 Art. 14 der Schiedsverfahrenskonvention. 3 Vgl. BFH v. 1.2.1967 – I 220/64, BStBl. III 1967, 495; J. Förster, in Birk (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Steuer- und Abgabenrechts, § 30 Rz. 189; für eine Änderung entsprechend § 110 Abs. 2 FGO i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 1 AO Krabbe in Wassermeyer, Art. 7 EU-SchÜ Rz. 15; Ismer/Piotrowski in V/L7, Art. 25 OECD-MA Rz. 121. 4 Rechtsgrundlage: Art. 7 Abs. 3 der Schiedsverfahrenskonvention.

808 | Schaumburg/Häck

G. Steuerumgehung bei DBA | Rz. 19.124 Kap. 19 geren abkommensrechtlichen Switch-over-Regelungen, IStR 2011, 791; Hey, Spezialgesetzgebung und Typologie zum Gestaltungsmissbrauch, DStJG 33 (2010), 129; Hey, Spezialgesetzliche Missbrauchsgesetzgebung, StuW 2008, 167; Höppner, Deutsche steuerliche Missbrauchsvorschriften und das Gemeinschaftsrecht – § 42 AO und 50d Abs. 1a EStG aus EG-rechtlicher Sicht, in Breuninger/Müller/ Strobl/Haarmann (Hrsg.), Steuerrecht und europäische Integration, FS für Rädler, München 1999, 305; Kleineidam, Perspektiven der internationalen Einkunftsabgrenzung im Lichte globaler Unternehmensstrategien, in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/Schaumburg (Hrsg.) Unternehmen/Steuern, FS für Flick, Köln 1997, 857; Kluge, Basisgesellschaften und Doppelbesteuerungsabkommen, RIW/AWD 1975, 525; Krabbe, Freistellung und Missbrauchsbekämpfung, in Vogel/Wassermeyer u.a. Freistellung im Internationalen Steuerrecht, München 1996, 39; Kobus, Der Principal Purpose-Test, IWB 2019, 275; Kraft, Die missbräuchliche Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, Heidelberg 1991; Lampe, Missbrauchsvorbehalte in völkerrechtlichen Abkommen am Beispiel der Doppelbesteuerungsabkommen, Köln/Berlin/München 2006; Lang, M., „treaty-shopping“ – der Missbrauch von Doppelbesteuerungsabkommen, SWI 1991, 55; Linn, Steuerumgehung und Abkommensrecht, IStR 2010, 542; Lüdicke, Missbrauch und grenzüberschreitende Sachverhalte, in Drüen/Hey/Mellinghoff (Hrsg.), 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland 1918-2018, FS für den Bundesfinanzhof, 2018, 1053; Lüdicke, Subject-to-tax-Klauseln nach den DBA – Bemerkungen zum BMF-Schreiben vom 20.6.2013, IStR 2013, 721; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, Baden-Baden 2008; Lüdicke, Treaty shopping – § 50d Abs. 1a EStG, in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, Köln 1995, 102; Lutz, Die Maßnahmen gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, Zürich 2000; Menhorn, § 50d Abs. 3 EStG und der stillschweigende Missbrauchsvorbehalt in Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2005, 325; Merthan, Die Anwendung von § 42 AO bei Missbrauch von DBA, RIW 1992, 927; Paschen, Steuerumgehung im nationalen und internationalen Steuerrecht, Wiesbaden 2001; Petereit, Die sog. switch-over-Klausel in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2003, 277; Piltz, Doppelbesteuerungsabkommen und Steuerumgehung unter besonderer Berücksichtigung des treaty shopping, BB 1987, Beilage 14, 1; Polatzky/ Balliet/Steinau, Neue Hürden für die DBA-Anwendung durch das Multilaterale Instrument, IStR 2017, 226, 229; Rauer, Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts durch Einschaltung einer Basisgesellschaft, DB 1983, 2276; Rudolf, Treaty Shopping und Gestaltungsmissbrauch, Köln 2012; Schnitger, Wann sind Einkünfte eigentlich besteuert?, in Gosch/Schnitger/Schön (Hrsg.), FS für Jürgen Lüdicke, 2019, 553; Schnitger/Gebhardt/Taing, Auslegungsfragen zum „Principal Purpose Test“ (PPT) – DBAMissbrauchsverhinderung 4.0, IStR 2018, 893; Schön, Gestaltungsmissbrauch im Europäischen Steuerrecht, IStR 1996, Beihefter zu Nr. 2; Schön, Die Rolle „wirtschaftlicher Gründe“ und „wirtschaftlicher Realität“ beim „Principal Purpose Test“ nach Art. 29 Abs. 9 OECD-Musterabkommen 2017, StuW 2022, 105; Schönfeld, Welche praktischen Probleme löst das BMF-Schreiben zu Subject-to-Tax-Klauseln und welche nicht? – dargestellt anhand von Fallbeispielen, IStR 2013, 757; Spindler, § 42 AO n.F. – was hat sich geändert?, StbJb 2008/2009, 29; Tulloch, StÄndG 1992: Die neue Hinzurechnungsbesteuerung im AStG als Instrument der Missbrauchsbekämpfung, DB 1992, 1444; Vogel, Abkommensbindung und Missbrauchsabwehr, in FS für Höhn, Bern 1995, 461; Vogel, Steuerumgehung bei Doppelbesteuerungsabkommen, in Haarmann (Hrsg.), Grenzen der Gestaltung im Internationalen Steuerrecht, Köln 1994, 79; Vogel, Steuerumgehung nach innerstaatlichem Recht und nach Abkommensrecht, StuW 1985, 369; Vogel, Künstlergesellschaften und Steuerumgehung, StuW 1996, 248; Vogel/Ellis u.a., Steueroasen und Außensteuergesetz, München 1981; Wassermeyer, Die Missbrauchsvorschriften des deutschen Gesetzgebers auf dem Gebiete des Internationalen Steuerrechts, SWI 1995, 139; Wassermeyer, Die beschränkte Steuerpflicht, DStJG 8 (1985), 49; Wassermeyer; Missbräuchliche Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2000, 505; Wienbracke, Die Genese fiskalischen Misstrauens, DB 2008, 664; Winkelmann, Steuerumgehung durch die Einschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften, Frankfurt 1997.

I. Gestaltungen in der Praxis Obwohl Deutschland ein vergleichsweise dichtes Netz von DBA unterhält, ist dieses dennoch teilweise lückenhaft, da einige Länder, mit denen intensive Geschäftsbeziehungen gepflegt werden, nicht eingebunden sind. In diesen Fällen kann eine Doppelbesteuerung lediglich Schaumburg/Häck | 809

19.124

Kap. 19 Rz. 19.124 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

durch innerstaatliche Regelungen vermieden oder gemildert werden. Innerstaatliche Regelungen sind indessen, wie insbesondere die des deutschen Steuerrechts zeigen, unvollständig und daher nicht immer geeignet, eine Doppelbesteuerung vollständig zu verhindern.

19.125

Da die unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unterschiedlich ausgeprägt sind, kommt es international zu einem starken Regelungsgefälle. Ein derartiges Regelungsgefälle herrscht allerdings auch auf der Ebene der DBA, obwohl ein solches vom Grundsatz her nach dem Vorbild der OECD-MA nicht vorhanden sein dürfte.

19.126

Die Folge dieses internationalen Regelungsgefälles bei den unilateralen und bilateralen Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist das Bestreben von Steuerpflichtigen, sich durch entsprechende Gestaltungen unter den Schutz jener Abkommensvorschriften zu stellen, die eine Milderung oder gar eine Vermeidung der Doppelbesteuerung am besten gewährleisten. International steht die Ausnutzung des Regelungsgefälles von DBA im Vordergrund. Es handelt sich hierbei um Fallgestaltungen, die insbesondere darauf gerichtet sind, – durch Zwischenschaltung einer Person die Schutzwirkung eines Abkommens in Anspruch zu nehmen, die sonst nicht gewährt würde (Treaty-Shopping), – durch bestimmte Gestaltungen Einkünfte von einer in eine andere Einkunftsart des Abkommens umzuqualifizieren (Rule-Shopping) oder – Doppelbefreiungen bzw. eine doppelte Nichtbesteuerung (negative Qualifikationskonflikte) zu erlangen.

19.127

Als Treaty-Shopping1 gelten die Gestaltungen von nichtabkommensberechtigten Steuerpflichtigen, die darauf abzielen, durch Zwischenschaltung abkommensberechtigter Gesellschaften durch nicht abkommensberechtigte Gesellschafter in den Genuss von Abkommensvergünstigungen zu kommen.2 Zu diesen Fällen des Treaty-Shopping gehören insbesondere jene, in denen etwa inländische Kapitalgesellschaften zwischen sich und ausländische Tochtergesellschaften, die in Ländern ansässig sind, mit denen Deutschland keine DBA geschlossen hat, Holding-Gesellschaften in Drittländern zwischenschalten, die mit den anderen Ansässigkeitsstaaten durch DBA verknüpft sind.3 Gewähren diese DBA im Quellenstaat eine Quellensteuerreduktion (Rz. 19.324), so führt diese Multilateralisierung von DBA zur Inanspruchnahme von Abkommensvergünstigungen, die ohne Einschaltung der Holding-Gesellschaft nicht zur Verfügung gestanden hätten.

19.128

Zu einem Treaty-Shopping führt auch die insbesondere im Dienstleistungsbereich anzutreffenden Zwischenschaltung sog. Stepping-Stone-Gesellschaften, die etwa als Patentverwertungsgesellschaften von einem nichtabkommensberechtigten Steuerausländer in einem Abkommensland errichtet und zwischen Deutschland und den Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen, mit dem Deutschland kein DBA abgeschlossen hat, zwischengeschaltet werden. Stellen die jeweiligen DBA die Lizenzgebühren von Quellensteuer frei, verbleibt es letztlich nur bei der

1 Zur Bedeutung und Entwicklung dieses Begriffs im Einzelnen Kraft, Die missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, 2 ff.; Becker, DStJG 8 (1985), 171 (172 ff.). 2 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 65; Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 101; Gold in S/K/K, Art. 1 OECD-MA Rz. 33; Eicke in FG für Wassermeyer, Kap. 60; Rudolf, Treaty Shopping und Gestaltungsmißbrauch, 17. 3 Hierzu Gosch, DStJG 36 (2013), 201 (204).

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G. Steuerumgehung bei DBA | Rz. 19.132 Kap. 19

(Niedrig-)Besteuerung im Wohnsitzstaat, wenn die seitens der zwischengeschalteten Patentverwertungsgesellschaft zu zahlenden Lizenzgebühren ihren Lizenzeinnahmen entsprechen.1 Ein ebenfalls auf die Reduktion der Quellensteuer ausgerichtetes Treaty-Shopping ist in den Fällen gegeben, in denen ein nichtabkommensberechtigter Steuerausländer seine Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft in eine in einem Abkommensland ansässige Holding einbringt mit der Folge, dass nunmehr nicht 25 %, sondern aufgrund des eingreifenden DBAs eine reduzierte deutsche Kapitalertragsteuer auf Dividenden zu erheben ist.2

19.129

Beim Rule-Shopping3 sind die Sachverhaltsgestaltungen darauf gerichtet, über eine bestimmte Einkünftequalifizierung in den Genuss einer möglichst günstigen Verteilungsnorm zu kommen. Hierzu zählen insbesondere jene Fälle, in denen abkommensberechtigte Steuerinländer Bankguthaben in eine in einem Abkommensland liegende Betriebsstätte einbringen mit der Folge, dass Zinsen als Betriebsstättengewinne (ohne Aktivitätsklausel) der deutschen Besteuerung entzogen sind und schließlich keiner oder einer nur geringen Besteuerung unterliegen, sofern sie im Betriebsstättenstaat steuerlich privilegiert sind.4

19.130

Zu dieser Fallgruppe zählen insbesondere treasury centres, Versicherungsgesellschaften (captives), Factoring- und Reinvoicing-Gesellschaften sowie Koordinierungsstellen (coordination centers), die mitunter Steuerprivilegien genießen und über die DBA ggü. der deutschen Besteuerung eine Abschirmwirkung entfalten,5 soweit nicht eine Hinzurechnungsbesteuerung gem. §§ 7 bis 14 AStG eingreift (Rz. 13.1 ff.). Die Ausnutzung des zwischenstaatlichen Steuergefälles ist auch über Kapitalgesellschaften möglich. In der Praxis spielen hierbei insbesondere in Niedrigsteuerländern ansässige Finanzierungsgesellschaften6 eine Rolle, die z.B. an in Deutschland ansässige verbundene Unternehmen Kredite vergeben, ohne dass dort die entsprechenden Zinseinkünfte einer nennenswerten Besteuerung unterliegen. Entsprechende Steuereffekte können aber nur dann erzielt werden, wenn keine Hinzurechnungsbesteuerung eingreift (Rz. 13.1 ff.). Schließlich haben in der Praxis auch sog. Künstlerverleihgesellschaften Bedeutung erlangt.7 Deren Einschaltung dient vor allem dem Zweck, das Besteuerungsrecht des Quellenstaates zu unterlaufen.8

19.131

Zu Doppelfreistellungen oder zu einer doppelten Nichtbesteuerung führen Sachverhaltsgestaltungen, die auf einen negativen Qualifikationskonflikt abzielen. Damit sind jene Fälle angesprochen, in denen DBA von beiden Staaten unterschiedlich angewendet werden (Rz. 19.84).

19.132

1 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 66; Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (3). 2 Dem entspricht im EU-Bereich das Directive-Shopping, das darauf abzielt, die Kapitalertragsteuerreduktion gem. § 43b EStG zu erlangen; vgl. Rz. 19.160. 3 Zum Begriff Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 68; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, Rz. 102, 110; Gosch, DStJG 36 (2013), 201 (205). 4 Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (3, 14). 5 Weitere Einzelheiten bei Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 1102 ff. 6 Ausf. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 1096 ff. 7 Ausf. Schlotter in S/D2, Art. 17 OECD-MA Rz. 53. 8 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 74; Art. 17 OECD-MA Rz. 58.

Schaumburg/Häck | 811

Kap. 19 Rz. 19.133 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

II. Reichweite des § 42 AO 1. Missbrauchsklauseln der DBA 19.133

§ 42 Abs. 1 Satz 3 AO, aufgrund dessen bei Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Steueranspruch so entsteht, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung entstünde, findet vom Grundsatz her auf alle Normen, also auch auf jene der DBA, Anwendung. Indessen haben die Normen der DBA lex specialis-Charakter, so dass sie dem übrigen innerstaatlichen Recht grundsätzlich vorgehen (Rz. 3.23 f.). § 42 AO tritt folglich insoweit zurück, als die DBA eigenständige generelle oder spezielle Missbrauchsklauseln enthalten.1 Dieses Konkurrenzverhältnis ergibt sich auch aus § 42 Abs. 1 Satz 2 AO, wonach einzelsteuergesetzliche Umgehungsvorschriften vorgehen.2

19.134

In Anlehnung an die US-amerikanische Abkommenspolitik, die seit jeher auf die Verankerung umfassender eigenständiger Missbrauchsklauseln in den DBA ausgerichtet ist,3 werden in die von Deutschland abgeschlossenen DBA in zunehmendem Maße derartige Missbrauchsklauseln aufgenommen.4 Einige deutsche Abkommen verweisen zudem auf innerstaatliche Missbrauchsvorschriften.5

19.135

Soweit der Tatbestand sowohl der abkommensrechtlichen Missbrauchsklauseln als auch des § 42 AO erfüllt wird, tritt § 42 AO zurück (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Soweit indessen § 42 AO über den Regelungsbereich einer abkommensrechtlichen Missbrauchsklausel hinausreicht, bleibt § 42 AO entsprechend seiner Auffangfunktion anwendbar, soweit die abkommensrechtliche Missbrauchsklausel nicht abschließend ist.6 Ob eine derartige Klausel abschließenden Charakter hat, ist durch Auslegung zu ermitteln.7 Ist das der Fall, handelt es sich also um eine echte Spezialvorschrift, so dass der Rekurs auf die Generalklausel des § 42 AO versperrt ist, woran auch § 42 Abs. 1 Satz 3 AO nichts ändert.8 Anderenfalls (unechte Spezialvorschrift) bleibt § 42 AO anwendbar.9

19.136

Abkommensrechtliche Missbrauchsklauseln zielen entweder auf die Abkommensberechtigung ab oder enthalten Einzelregelungen, die unter dem Gesichtspunkt des Abkommensmissbrauchs besondere Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Abkommensvergünstigungen aufstellen. 1 BFH v. 19.12.2007 – I R 21/07, BStBl. II 2008, 619; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECDMA Rz. 56; Stöber in Gosch, AO/FGO, § 42 AO Rz. 40; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 46; Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (4). 2 Zur entsprechenden Prüfungsfolge Drüen in T/K, Vor § 42 AO Rz. 10 ff. 3 Kraft, Die missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, 92 ff.; vgl. auch Art. 28 US-MA 2006. 4 Hier die Abkommensübersicht bei Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 136 ff. S. auch Art. 28 DE-VG. 5 Abkommensübersicht bei Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 135. 6 Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 102; Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 113; Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (9). 7 Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 102; Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 113; vgl. auch Spindler, StbJb 2008/2009, 29 (51); Hey, DStJG 32 (2010), 129 (145 f.). 8 Hierzu Drüen in T/K, Vor § 42 AO Rz. 13, § 42 Rz. 20b; Lüdicke in FS für BFH, 1053 (1070); Drüen, Ubg 2008, 31 (33 f.); Gosch in FS Reiß, 597 (604 f.); Spindler, StbJb 2008/2009, 39 (52); Hey, StuW 2008, 167 (173); Mack/Wollweber, DStR 2009, 182 (186); Wienbracke, DB 2008, 664 (669). 9 Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 20b; Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (9); a.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 57 f., wonach § 42 AO nur Anwendung findet, wenn das DBA insoweit zumindest stillschweigend auf deutsches Steuerrecht verweist.

812 | Schaumburg/Häck

G. Steuerumgehung bei DBA | Rz. 19.140 Kap. 19

Generelle Mißbrauchsbekämpfungsvorschriften finden sich in deutschen DBA noch eher selten.1 Zu diesen zählt die sowohl durch Art. 7 MLI als auch – seit dem Update 2017 – durch Art. 29 Abs. 9 OECD-MA empfohlene Klausel eines sog. Principal Purpose-Tests (Hauptzwecktest).2 Danach werden Abkommensvergünstigungen ungeachtet anderer Bestimmungen des Abkommens nicht gewährt, wenn der Erhalt dieser Vergünstigung einer der Hauptzwecke einer Gestaltung oder Transaktion war, die unmittelbar oder mittelbar zu dieser Vergünstigung geführt hat, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass die Gewährung dieser Vergünstigung unter diesen Umständen mit dem Ziel und Zweck der einschlägigen Bestimmungen des Abkommens im Einklang steht.3 Es ist davon auszugehen, dass derartige Klauseln künftig Bestandteil deutscher Abkommenspolitik sein werden.4 Im Verhältnis zu § 42 AO ist der Principal Purpose-Test tendenziell weiter gefasst,5 so dass sich die Frage eines Rückgriffs auf § 42 AO regelmäßig nicht stellen wird.

19.137

Die neueren deutschen DBA machen die Freistellung von Betriebsstättengewinnen und von Schachteldividenden davon abhängig, dass die Einnahmen der Betriebsstätte oder der Tochtergesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich aus sog. aktiven oder produktiven Tätigkeiten stammen.6 Derartige in DBA enthaltene eigenständige Aktivitätsklauseln, also solche, die nicht auf entsprechende Aktivitätsklauseln des innerstaatlichen Rechts verweisen, gehen ebenfalls § 42 AO vor. Sie sind darüber hinaus auch als abschließend anzusehen mit der Folge, dass weitergehende Aktivitätsvorbehalte auf der Grundlage des § 42 AO ausgeschlossen sind.

19.138

Darüber hinaus können Empfänger von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren die Reduzierung von Quellensteuern oder deren Nichterhebung im Quellenstaat nur dann beanspruchen, wenn sie Nutzungsberechtigte (beneficial owner) sind, also nicht nur ein formales Recht auf die Einkünfte haben, sondern tatsächlich über die den vorgenannten Einkünften zugrunde liegenden Stammrechte und/oder über diese Einkünfte verfügen können.7 Soweit diese Beneficiary-Klauseln eingreifen, scheidet die Anwendung des § 42 AO ebenfalls aus.

19.139

Neuere deutsche DBA8 enthalten Sonderregelungen, nach denen die beteiligten Vertragsstaaten von der Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode überwechseln können, um die steuerliche Freistellung von Einkünften in beiden Vertragsstaaten sowie Gestaltungen zum Abkommensmissbrauch und mitunter auch einen unfairen Steuerwettbewerb zu verhindern.9 Derartige Switch-over-Klauseln,10 soweit sie gegen den Abkommensmissbrauch gerichtet sind,

19.140

1 Abkommensübersicht bei Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 29 OECD-MA Rz. 268. 2 Systematisch wäre Art. 29 Abs. 9 OECD-MA besser in Art. 1 OECD-MA verortet. 3 Näher dazu Bruns in S/D2, Art. 29 OECD-MA Rz. 40 ff.; Schön, StuW 2022, 105 (113); Gebhardt in FS für Lüdicke, 167 ff.; Drüen, ISR 2020, 98 (99 ff.); Kobus, IWB 2019, 275; Schnitger/Gebhardt/Taing, IStR 2018, 893 ff.; Polatzky/Balliet/Steinau, IStR 2017, 226 (229 ff.). 4 Vgl. Lüdicke in FS für BFH, 1053 (1073); Ditz/Bärsch/Quilitzsch, DB 2018, 1178. 5 Fischer/Pitzer, IStR 2017, 804 (807), s. auch die Analyse bei Haarmann, IStR 2018, 561 (565). 6 Abkommensübersicht bei Schwenke in Wassermeyer, Art. 23A/B OECD-MA, Anlage. 7 Zu Einzelheiten Tischbirek/Ismer in V/L7, vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 10 ff.; Kraft, Die missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, 20 ff. 8 Abkommensübersicht bei Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 136. 9 Eine an das BMF gerichtete Ermächtigung zum Erlass entsprechender Rechtsverordnungen enthält § 2 Abs. 3 AO mit Wirkung ab 2017 (AHRL-ÄndUmsG). 10 Allgemein hierzu Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23 A/B Rz. 85 ff.; Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/ 23B OECD-MA Rz. 162 ff.; Blöchle/Hirt in S/K/K, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 205 ff.; Haase/Dorn, IStR 2011, 791 ff.; Petereit, IStR 2003, 577 ff.

Schaumburg/Häck | 813

Kap. 19 Rz. 19.140 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

werden allerdings durch die unilaterale Switch-over-Klausel des § 50d Abs. 9 EStG überlagert (Rz. 19.525), so dass das Abkommensrecht insoweit verdrängt wird (Rz. 19.529), sofern die bilateralen Switch-over-Klauseln nicht noch weitergehen (§ 50d Abs. 9 Satz 3 EStG). § 42 AO kommt darüber hinaus nicht zur Anwendung.1

19.141

Zu den abkommensrechtlichen Missbrauchsklauseln zählen auch die Subject-to-Tax-Klauseln, die darauf gerichtet sind, insbesondere eine Doppelfreistellung oder -ermäßigung zu verhindern.2 Derartige Subject-to-Tax-Klauseln3 machen Steuerbefreiungen oder Steuererleichterungen im Quellenstaat oder Wohnsitzstaat davon abhängig, dass die betreffenden Einkünfte im jeweils anderen Staat der Besteuerung unterliegen.4 Die auf den Quellenstaat angewendete Subject-to-Tax-Klausel bewirkt im Ergebnis, dass unter den vorgenannten Voraussetzungen eine Steuerfreistellung oder eine Quellensteuerreduktion entfällt. Eine auf den Wohnsitzstaat angewendete Subject-to-Tax-Klausel bewirkt demgegenüber, dass die Doppelbesteuerung nicht durch Steuerfreistellung, sondern durch Steueranrechnung erfolgt, womit im Ergebnis stets nur die effektive Doppelbesteuerung vermieden wird.5 Da Subject-to-Tax-Klauseln abschließend sind, kommt § 42 AO darüber hinaus nicht zur Anwendung. Nicht ausgeschlossen ist allerdings die unilaterale Subject-to-Tax-Klausel des § 50d Abs. 8 EStG, die speziell für ausländische Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gilt.6

19.142

Die in Art. 17 Abs. 2 OECD-MA verankerten Künstlerverleihklauseln dienen ebenfalls der Missbrauchsabwehr.7 Sie bewirken, dass Personen, denen Einkünfte aus der Tätigkeit als Künstler oder Sportler zufließen, obwohl sie selbst nicht als Künstler oder Sportler auftreten, der Besteuerung in dem Staat unterliegen, in dem die künstlerische oder sportliche Tätigkeit ausgeübt wird. Nur soweit eine abkommensrechtliche Künstlerverleihklausel nicht vorgesehen ist, verbleibt ein Anwendungsbereich für § 42 AO.8

19.143

Auf der gleichen Linie liegen die Immobiliengesellschaftsklauseln (Art. 13 Abs. 4 OECDMA), wonach Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Immobiliengesellschaften vom Belegenheitsstaat besteuert werden dürfen, so dass statt der Freistellungs- die Anrechnungsmethode eingreift.9 Hierdurch wird dem Immobilieninvestor die Möglichkeit genommen, durch Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft die Besteuerung im Belegenheitsstaat zu vermeiden.10 § 42 AO findet daneben keine Anwendung.

1 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 33c. 2 Zu Einzelheiten BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006, BStBl. I 2013, 980; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73; Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 ff.; Lüdicke, IStR 2013, 721 ff.; Schönfeld, IStR 2013, 757 ff. 3 Mitunter auch als Rückfallklauseln bezeichnet; vgl. OFD Düsseldorf und Münster v. 18.7.2005, IStR 2006, 96. 4 Abkommensübersicht mit den wichtigsten Industriestaaten bei Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 108; Schnitger in FS Lüdicke, 553 (556 ff.). 5 Zur Frage, ob sog. Quellenregeln als Subject-to-Tax-Klauseln qualifizieren Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 Rz. 20 f.; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 75. 6 Treaty-Overriding, vgl. Rz. 3.25 f.; Einzelheiten zu § 50d Abs. 8 EStG unter Rz. 19.523 f. 7 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 74; Vogel, StuW 1996, 248 ff. 8 BFH v. 29.10.1997 – I R 35/96, BStBl. II 1998, 235. 9 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 174. 10 Hierzu Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 121; dort auch zur Abkommensübersicht Rz. 149.

814 | Schaumburg/Häck

G. Steuerumgehung bei DBA | Rz. 19.146 Kap. 19

Schließlich enthalten auch in einigen neuen deutschen Abkommen1 verankerte Arbeitnehmerüberlassungsklauseln eine Ausnahme von Art. 15 Abs. 2 OECD-MA, so dass auch der Tätigkeitsstaat besteuern darf.2 In diesem Fall wird die Doppelbesteuerung durch Anrechnung vermieden, ohne dass darüber hinaus § 42 AO zur Anwendung käme.

19.144

In nur wenigen deutschen DBA finden sich die gegen Treaty-Shopping gerichteten sog. Limitation-of-Benefits-Klauseln (Art. 29 Abs. 9 Abs. 1 bis 7 OECD-MA) oder Klauseln zur Missbrauchsvermeidung bei Drittstaatenbetriebsstätten (Art. 29 Abs. 8 OECD-MA3). Limitationof-Benefits-Klauseln, die fester Bestandteil etwa der US-Abkommenspolitik sind,4 beschränken Abkommensvergünstigungen auf bestimmte Personen, so dass unter bestimmten Voraussetzungen Personen, die an sich abkommensberechtigt sind, von den Abkommensvergünstigungen ausgenommen werden. Die Anwendung derartiger Regelung ist hochkomplex.5 Da Deutschland sich im Rahmen der Auswahlentscheidungen zum MLI (dazu Rz. 19.18a) für einen Principal Purpose-Test und gegen eine Limitation-of-Benefits-Klausel entschieden hat, ist nicht zu erwarten, dass Letztere künftig eine wesentliche Rolle in der deutschen Abkommenspolitik spielen wird. Impulse für die Aufnahme einer solchen Klausel können aber natürlich durch den anderen Vertragsstaat im Rahmen von Abkommensverhandlungen gesetzt werden.6

19.145

2. DBA ohne Missbrauchsklauseln Enthalten die DBA keine eigenständigen Missbrauchsklauseln, so beurteilt sich die Frage, ob ein Abkommensmissbrauch vorliegt, nach innerstaatlichem Recht.7 Es wird allerdings die Meinung vertreten, § 42 AO sei nur insoweit anwendbar, als auch der andere Vertragsstaat eine entsprechende innerstaatliche Missbrauchsvorschrift kenne.8 In diesem Fall könne davon ausgegangen werden, dass beide Vertragsstaaten die Anwendung innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften auch auf das DBA billigten.9 Existiere in dem anderen Vertragsstaat keine derartige Missbrauchsvorschrift, sei ein Rückgriff auf § 42 AO ausgeschlossen. Allerdings sei generell von der Geltung einer ungeschriebenen eigenständigen Abkommensmissbrauchsregel auszugehen.10 Die Annahme eines derartigen eigenständigen Missbrauchstatbestandes wird durch-

1 Vgl. die Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 137. 2 Hierzu Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 196 ff.; dort auch zu den entsprechenden missbräuchlichen Gestaltungen. 3 Dazu Bruns in S/D2, Art. 29 OECD-MA Rz. 33 ff. 4 Vgl. Art. 28 DBA/USA. 5 Ausf. zu Art. 28 DBA/USA etwa Braun, Ubg 2018, 83 ff. 6 Vgl. Lüdicke in FS für BFH, 1053 (1073). 7 BFH v. 21.1.1976 – I R 234/73, BStBl. II 1976, 513; BFH v. 29.9.1976 – I R 171/75, BStBl. II 1977, 260; BFH v. 29.10.1981 – I R 89/80, BStBl. II 1982, 150; BFH v. 5.3.1986 – I R 201/82, BStBl. II 1986, 496; BFH v. 28.1.1992 – VIII R 7/88, BStBl. II 1993, 84; Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (4 ff.); differenzierend Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 57 f.; wonach § 42 AO nur zur Anwendung kommt, wenn insoweit zumindest stillschweigend auf deutsches Recht verwiesen wird. 8 Vogel in Haarmann (Hrsg.), Grenzen der Gestaltung im Internationalen Steuerrecht, 79 (93 f.); Mössner, RIW 1986, 208 (211 ff.). 9 Fahrholz in Gaddum/Hoffmann u.a., Zinsen im Internationalen Steuerrecht, 51 (53); Mössner, RIW 1986, 208 (211). 10 Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 102d; Vogel, StuW 1985, 369 (372); Fischer, DB 1996, 644 (645); modifizierend Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 Rz. 57; Menhorn, IstR 2005, 325 ff.

Schaumburg/Häck | 815

19.146

Kap. 19 Rz. 19.146 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

weg aus der Existenz eines allgemeinen völkerrechtlichen Missbrauchsvorbehaltes abgeleitet.1 In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass der abkommensmäßige – freilich ungeschriebene – Missbrauchstatbestand enger sei als der des § 42 AO und daher die Schwelle, von wo ab die Steuergestaltung als missbräuchlich anzusehen sei, entsprechend höher ansetze.2 Indessen verbieten das auf verfassungsrechtlicher Grundlage beruhende Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung3 sowie das Prinzip der Gesetzesbestimmtheit4 die Annahme eines – ungeschriebenen – Missbrauchstatbestandes, der bislang weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur eine subsumtionsfähige Konkretisierung erfahren hat.5

19.147

Da § 42 AO nur zur Anwendung kommt, wenn durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten ein Steuergesetz umgangen wird, setzt die Subsumtion die Feststellung voraus, ob nach dem Gesetzeszweck eine Steuerbelastung gewollt oder eine Steuerentlastung nicht gewollt ist.6 Dabei ist nicht etwa auf Zweck und Ziel der Rechtsordnung schlechthin, sondern nur auf den Zweck der betreffenden Norm, deren Umgehung zu beurteilen ist, abzustellen. Hieraus folgt, dass für die Missbrauchsprüfung die Wertungen der einzelnen Normen der DBA zum Maßstab erhoben werden.7 Bei Anwendung des § 42 AO ist der Zweck der DBA allerdings nur insoweit maßgeblich, als deren Normen darauf gerichtet sind, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden und gegebenenfalls eine Steuerverkürzung zu verhindern.8 Soweit die DBA darüber hinaus in grenzüberschreitenden Steuerfällen die gerechte Zuordnung der Steuergüter zu einem Staat oder deren gerechte Verteilung zwischen mehreren Staaten gewährleisten wollen,9 spielt dieser Zweck für die Anwendung des § 42 AO keine Rolle. § 42 AO setzt nämlich tatbestandsmäßig voraus, dass durch die Umgehung im Ergebnis ein gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil dadurch entsteht, dass durch die unangemessene Rechtsgestaltung eine niedrigere – deutsche – Steuer ausgelöst wird als durch die angemessene Gestaltung. § 42 AO greift daher von vornherein dann nicht ein, wenn aufgrund einer unangemessenen rechtlichen Gestaltung nur der andere Vertragsstaat einen Steuerausfall erleidet.10

1 Hierzu Vogel, StuW 1985, 369 (378); Vogel in Haarmann (Hrsg.), Grenzen der Gestaltung im Internationalen Steuerrecht, Köln 1994, 79 (93 f.). 2 Vogel, StuW 1985, 369 (372, 381). 3 Hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.230 ff. 4 Hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.243 ff. 5 Zur Begründung im Einzelnen Kraft, Die missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA, 19 f.; Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (5); im Ergebnis ebenso Großfeld, Die Basisgesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 99 f.; von Beckerath, Der Durchgriff im Außensteuerrecht, 275 ff.; Kluge, RIW 1975, 525 (525 f.); Fischer-Zernin, RIW 1987, 362; Lang, M., SWI 1991, 55 ff.; Debatin, DB 1979, 181 ff. (229, 232); Merthan, RIW 1992, 927; (928). 6 Zum Tatbestand „gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil“ Drüen in T/K, Vor § 42 AO Rz. 20 ff. 7 Gassner/Lang in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 44 (59); Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (9 f.). 8 Während die Vermeidung der Doppelbesteuerung Zweck aller DBA ist, realisiert sich die Verhinderung von Steuerverkürzungen als Vertragszweck nur in einigen, insbesondere jüngeren DBA, in denen die „Verhinderung der Steuerverkürzung“ ausdrücklich in den Abkommenstitel aufgenommen wird (bspw. DBA-Niederlande 2012, s. auch die DE-VG). 9 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 23 f.; Tipke, Steuergerechtigkeit, 120; Kleineidam in FS Flick, 857 (865 ff.). 10 Dremel in S/D2, Art. 1 OECD-MA Rz. 121; Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (9 f.).

816 | Schaumburg/Häck

G. Steuerumgehung bei DBA | Rz. 19.151 Kap. 19

Die Anwendung des § 42 AO stellt eine Störung der abkommensimmanenten Regelungshomogenität dar. § 42 AO ist nämlich nicht auf eine für beide Vertragsstaaten gleichermaßen verbindliche Rechtsfolge gerichtet, sondern greift tatbestandsmäßig nur dann ein, wenn die missbräuchliche Rechtsgestaltung im Ergebnis zu Lasten des deutschen Steueraufkommens geht. Diese Störung der Regelungshomogenität ist indessen aus Gründen der Rechtssicherheit (Gesetzmäßigkeit der Besteuerung) und der Gesetzesbestimmtheit hinzunehmen. Die deutsche Abkommenspraxis sollte daher darauf gerichtet sein, in den DBA eigenständige Missbrauchsklauseln zu verankern,1 zumal in der internationalen Staatenpraxis normative oder richterrechtliche Missbrauchsregeln2 gebräuchlich sind, die in ihrer Funktion, zum Teil auch in ihren Wirkungen, denen des § 42 AO weitgehend entsprechen.3

19.148

Die Ausrichtung des § 42 AO am Vertragszweck4 verhindert, dass die Anwendung der DBA durch § 42 AO unterlaufen wird. Andernfalls entspräche die Anwendung der DBA nicht mehr den Grundsätzen von Treu und Glauben, zu deren Einhaltung sich die Vertragsstaaten verpflichtet haben.

19.149

3. Missbrauchsklauseln des nationalen Rechts Das deutsche Steuerrecht enthält neben § 42 AO besondere gegen die Steuerumgehung gerichtete Vorschriften, die eine Konkretisierung des § 42 AO darstellen, dessen Generalklausel aber nur dann verdrängen, wenn sie abschließende Wirkung haben.5

19.150

Zu den vorgenannten speziellen Missbrauchsklauseln des nationalen Rechts gehört insbesondere § 20 Abs. 2 AStG, der für niedrig besteuerte ausländische Betriebsstätteneinkünfte aus passivem Erwerb die abkommensrechtliche Steuerfreistellung durch die Steueranrechnung ersetzt. Die unilaterale Switch-over-Klausel erfasst niedrig besteuerte passive Einkünfte, die als Zwischeneinkünfte steuerpflichtig wären, wenn die Betriebsstätte eine ausländische Kapitalgesellschaft wäre. Dieser Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode ist zwar europarechtlich im Grundsatz nicht zu beanstanden,6 wegen der Bezugnahme auf die §§ 7 ff. AStG ist aber der europarechtlich gebotene „Motivtest“, so wie er sich aus § 8 Abs. 2 AStG ergibt (Rz. 13.151 ff.), auch bei § 20 Abs. 2 AStG zu berücksichtigen (Rz. 19.544).7 Greift § 20 Abs. 2 AStG ein, wird im Ergebnis die Steuerbelastung auf inländisches Steuerniveau hochgeschleust. § 20 Abs. 2 AStG verdrängt insoweit die abkommensrechtlichen Aktivitätsklauseln (Rz. 19.138), soweit der hierfür maßgebliche Aktivitätskatalog des § 8 Abs. 1 AStG ggü. den abkommensrechtlich verankerten Aktivitätskriterien strengere Maßstäbe setzt. Denn § 20 Abs. 2 AStG enthält eine abschließende Regelung mit der Folge, dass insoweit § 42 AO keine Anwendung findet.

19.151

1 Hierzu Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 45 ff. 2 Zur Substance-over-Form-Doctrine in den USA Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band III, 1347 (1349). 3 Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 90a ff. 4 Insoweit ist § 42 AO nicht mehr als eine teleologische Hilfsnorm; hierzu Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 5.116 ff. 5 Zu Einzelheiten Drüen in T/K, Vor § 42 AO Rz. 13 f. 6 EuGH v. 6.12.2007 – C-298/05, ECLI:EU:C:2007:754 = Slg. 2007, I-10451 – Columbus Container. 7 BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774; a.A. für nach dem 31.12.2007 beginnende Wirtschaftsjahre FG München v. 13.7.2021 – 6 K 215/19, EFG 2021, 1702 mit Anm. Schulz-Trieglaff, IStR 2022, 208; OFD Rheinland v. 22.10.2010, DStR 2011, 175.

Schaumburg/Häck | 817

Kap. 19 Rz. 19.152 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.152

§ 50c Abs. 1 EStG dient der Sicherstellung des Steuerabzugs und ist gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA insoweit gerichtet, als die durch DBA eingeräumte Reduzierung oder Freistellung von Quellensteuern nur dann beansprucht werden kann, wenn der Empfänger der betreffenden Einkünfte seine Abkommensberechtigung nachweist. In diesem Fall kommt für ihn entweder das auf die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung abzielende Freistellungsverfahren oder das Erstattungsverfahren in Betracht (§ 50c Abs. 1, 2 EStG). Entsprechendes gilt für § 48d EStG, wonach die Bauabzugssteuer auch dann einzubehalten und abzuführen ist, wenn die Einkünfte aus der Bauleistung abkommensrechtlich nicht besteuert werden dürfen. Hier wird der ausländische Bauleistende auf das Freistellungs- bzw. Erstattungsverfahren verwiesen (§§ 48b Abs. 2, 48d Abs. 1 EStG).

19.153

Auf einer vergleichbaren Wertungsebene ist die Treaty-Shopping-Klausel des § 50d Abs. 3 EStG angesiedelt: Eine nicht aktiv tätige ausländische Gesellschaft hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Steuerentlastung nach Maßgabe der DBA und gem. der §§ 43b, 50g EStG, soweit an ihr Personen beteiligt sind, denen die Steuerentlastung1 nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten (Rz. 19.160 ff.). Schließlich verhindert auch die für die Einkommensermittlung bei Organschaft maßgebliche, in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 KStG verankerte Bruttomethode einen Abkommensmissbrauch dadurch, dass der Organträger etwa die abkommensrechtliche Steuerfreistellung von Schachteldividenden (internationales Schachtelprivileg) (Rz. 19.545 ff.) nicht in Anspruch nehmen kann, wenn er nicht selbst die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen erfüllt.2 Unter den besonderen Voraussetzungen des Steueroasen-Abwehrgesetzes (StAbwG) v. 25.6.2021 werden schließlich Abkommensvergünstigungen für in „nicht kooperativen Steuerhoheitsgebieten“ (§§ 4–6 StAbwG) ansässige Personen versagt (§ 1 Abs. 3 StAbwG).3

III. Anwendung des § 42 AO 1. Unbeschränkte und beschränkte Steuerpflicht 19.154

Bei der Frage, ob ein Abkommensmissbrauch vorliegt oder nicht, findet, soweit spezielle Missbrauchsklauseln mit abschließender Wirkung nicht eingreifen, § 42 AO sowohl bei unbeschränkter als auch bei beschränkter Steuerpflicht gleichermaßen Anwendung. Weder dem § 42 AO noch den DBA lässt sich entnehmen, dass etwa von beschränkt Steuerpflichtigen verwirklichte Sachverhalte der Anwendung des § 42 AO von vornherein entzogen sind.4 Soweit es um die missbräuchliche Inanspruchnahme von Abkommensvergünstigungen geht, ergeben sich grundsätzlich auch keine Unterschiede in der Verwirklichung des Tatbestandes des § 42 AO. Anders verhält es sich dagegen im Zusammenhang mit der Anwendung des § 49 EStG. Wegen der bloß singulären Erfassung der Einkünfte im Rahmen des § 49 EStG ist hier der Bereich, innerhalb dessen missbräuchliche Gestaltungen angenommen werden können, eingeengt.5

1 2 3 4

Angesprochen ist vor allem die abkommensrechtliche Quellensteuerreduktion. Hierzu Neumann in Gosch4, § 15 KStG Rz. 30. Stv. hierzu Benz/Böhmer, DB 2021, 1630; Ditz/Seibert, FR 2021, 813. BFH v. 29.10.1997 – I R 35/96, BStBl. II 1998, 235; BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819; BFH v. 29.1.2008 – I R 26/06, BStBl. II 2008, 978; Drüen in T/K, § 42 AO Rz. 103. 5 Vgl. BFH v. 29.10.1981 – I R 89/80, BStBl. II 1982, 150; im Einzelnen Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (6); Crezelius, DB 1984, 530 (534); Wassermeyer, DStJG 8 (1985), 49 (71); Rauer, DB 1983, 2276 ff.; Arndt, StuW 1990, 364 (367 f.).

818 | Schaumburg/Häck

G. Steuerumgehung bei DBA | Rz. 19.157 Kap. 19

2. Tatbestandsvoraussetzungen Im außensteuerlichen Kontext hat die höchstrichterliche Rechtsprechung § 42 AO insbesondere im Zusammenhang mit ausländischen Basisgesellschaften dahingehend konkretisiert, dass die Zwischenschaltung dieser Basisgesellschaften in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft im niedrig besteuernden Ausland dann den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs erfüllt, wenn für ihre Einschaltung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und wenn sie keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet, also eigenwirtschaftlich funktionslos ist.1 Das ist allerdings zu verneinen, wenn eine Kapitalgesellschaft aus organisatorischen und haftungsrechtlichen Gründen innerhalb eines ansonsten wirtschaftlich aktiv tätigen Konzerns nicht nur vorübergehend zwischengeschaltet ist.2

19.155

Diese höchstrichterliche Tatbestandskonkretisierung findet als subsumtionsfähige Missbrauchsklausel ganz allgemein Anwendung bei der Wertung von Gestaltungen im zwischenstaatlichen Bereich. Dies gilt insbesondere für die Prüfung, ob bestimmte Gestaltungen einen Abkommensmissbrauch darstellen. Allerdings kann die missbräuchliche Inanspruchnahme von Abkommensvergünstigungen nicht nur durch Kapitalgesellschaften im niedrig besteuernden Ausland erreicht werden. Deshalb führt die höchstrichterlich formulierte Missbrauchsklausel im Ergebnis dazu, dass ein Abkommensmissbrauch immer dann vorliegt, wenn durch eine unangemessene und wirtschaftlich funktionslose, nur durch das Steuerersparnismotiv zu erklärende Gestaltung das deutsche Besteuerungsrecht eingeschränkt oder ausgeschlossen wird und hierdurch ein gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil bewirkt wird. Die Rechtsfolgen eines Abkommensmissbrauchs ergeben sich unmittelbar aus § 42 Abs. 1 Satz 3 AO, wonach der Steueranspruch so entsteht, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstände. Dies kann dazu führen, dass das betreffende DBA entweder überhaupt nicht oder aber nur modifiziert zur Anwendung kommt.

19.156

Die als Treaty-Shopping gekennzeichneten Gestaltungen sind darauf gerichtet, durch Zwischenschaltung weiterer Steuersubjekte Abkommensvergünstigungen zu erlangen, die ohne deren Zwischenschaltung nicht erreichbar wären. In diesen Fällen sind die Voraussetzungen des § 42 AO nur dann erfüllt, wenn für die Zwischenschaltung dieser Steuersubjekte wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und diese zwischengeschalteten Steuersubjekte keine eigenen wirtschaftlichen Tätigkeiten entfalten.3 Wird in derartigen Fällen durch

19.157

1 BFH v. 29.1.1975 – I R 135/70, BStBl. II 1975, 553; BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; BFH v. 7.2.1975 – VIII B 61/74, VIII B 62/74, VIII B 61-62/74, BStBl. II 1976, 608; BFH v. 29.7.1976 – VIII R 142/73, BStBl. II 1977, 263; BFH v. 24.2.1976 – VIII R 155/71, BStBl. II 1977, 265; BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339; BFH v. 5.3.1986 – I R 201/82, BStBl. II 1986, 496; BFH v. 21.10.1988 – III R 194/84, BStBl. II 1989, 216; BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029; BFH v. 6.12.1995 – I R 40/95, BStBl. II 1997, 118; BFH v. 27.8.1997 – I R 8/97, BStBl. II 1998, 163; BFH v. 19.1.2000 – I R 94/97, BStBl. II 2001, 222; BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819; BFH v. 20.3.2003 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14; BFH v. 17.11.2004 – I R 55/03, BFH/NV 2005, 1016; BFH v. 31.5.2005 – I R 74/04, 88/04, BStBl. II 2006, 118; BFH v. 29.1.2008, I R 26/06, BStBl. II 2008, 978; vgl. allerdings die Nichtanwendungserlasse des BMF v. 19.3.2001 – IV B – S 1300 – 65/01, BStBl. I 2001, 243; BMF v. 28.12.2004 – IV B 4 - S 1300 - 362/ 04, BStBl. I 2005, 28; BMF v. 30.1.2006, BStBl. I 2006, 166. 2 BFH v. 17.11.2004 – I R 55/03, BFH/NV 2005, 1016; BFH v. 31.5.2005 – I R 74/04, 88/04 BStBl. II 2006, 118; Nichtanwendungserlass des BMF v. 30.1.2006 – IV B 1 - S 2411 – 4/06, BStBl. I 2006, 166. 3 Vgl. Lüdicke in FS BFH, 1053 (1060 ff.).

Schaumburg/Häck | 819

Kap. 19 Rz. 19.157 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

die Zwischenschaltung eine endgültige Steuerersparnis erreicht, ist den zwischengeschalteten Steuersubjekten als Rechtsfolge (§ 42 Abs. 1 Satz 3 AO) die Abkommensberechtigung zu versagen.1 Im Verhältnis zu § 50d Abs. 3 EStG (s. Rz. 19.160 ff.) findet § 42 AO jedenfalls dann keine Anwendung, wenn die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt sind (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO).2 Sind die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG nicht erfüllt, bleibt § 42 AO zwar anwendbar (§ 42 Abs. 1 Satz 3 AO, § 50 Abs. 3 Satz 3 EStG i.d.F.des AbzStEntModG3).4 Im Rahmen dessen Auslegung5 sind aber die gesetzgeberischen Wertungen der speziellen Missbrauchsvermeidungsvorschrift (§ 50d Abs. 3 EStG) zu berücksichtigen (sog. Wertungsvorrang6), um Wertungswidersprüche gegenüber den besonderen Merkmalen der speziellen Missbrauchsvermeidungsklausel zu vermeiden.7 § 42 AO bleibt dann im Ergebnis zwar systematisch anwendbar, seine Voraussetzungen werden aber in der Regel nicht erfüllt sein.8

19.158

Beim Rule-Shopping geht es darum, durch bestimmte Sachverhaltsgestaltungen einen möglichst weitgehenden Abkommensschutz zu erreichen. Diese Fälle sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass etwa durch die Umwandlung von Tochtergesellschaften in Betriebsstätten eine Betriebsstättenfreistellung bewirkt wird, durch Gesellschafterfremdfinanzierung anstelle von Eigenkapitalfinanzierung quellensteuerfreie Zinsen und nicht quellensteuerpflichtige Dividenden erzielt werden und durch Zuordnung von Wertpapieren, Bankguthaben und Patenten zu einer Betriebsstätte die Betriebsstättenfreistellung von Dividenden, Zinsen und Lizenzen erlangt wird. Da derartige Gestaltungen regelmäßig auch eine wirtschaftliche Tragweite haben und sich damit nicht nur mit der Absicht, Steuern zu sparen, erklären lassen, ist eine Anwendung des § 42 AO in diesen Fällen regelmäßig ausgeschlossen. Insoweit gelten für die Beurteilung dieser Gestaltungen im zwischenstaatlichen Bereich keine anderen Grundsätze als im innerstaatlichen Recht.9

19.159

Da Doppelfreistellungen (doppelte Nichtbesteuerungen) regelmäßig darauf beruhen, dass beide Vertragsstaaten zu dem Ergebnis gelangen, nur der jeweils andere Staat habe das Besteuerungsrecht für bestimmte Einkünfte (negativer Qualifikationskonflikt), kann bei entsprechenden Sachverhaltsgestaltungen ein Abkommensmissbrauch durchweg nicht angenommen werden. Die Doppelfreistellung ist nämlich nicht die Folge davon, dass der Steuerpflichtige eine Divergenz zwischen Abkommenszweck und Abkommenswortlaut ausnutzt, sondern nur das Ergebnis einer divergierenden Auslegung von Abkommensvorschriften: Beide Staaten legen die Verteilungsnormen der Abkommen in Übereinstimmung mit der aus ihrer jeweiligen Sicht zutreffenden Verteilungswertung aus. 1 Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (13). 2 Vgl. Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 596; Stv. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 33c f. 3 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 4 Vgl. allgemein BFH v. 17.11.2020 – I R 2/18, BStBl. II 2021, 580, Rz. 20; ausf. zum Konkurrenzverhältnis Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 33c ff.; Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 594 ff. 5 Insbesondere bei der Bewertung einer Gestaltung als unangemessen i.S.d. § 42 Abs. 2 Satz 1 AO und der Beurteilung, ob ein Steuervorteil gesetzlich nicht vorgesehen ist. 6 Drüen, Ubg 2022, 61 (64 f.). 7 BFH v. 17.11.2020 – I R 2/18, BStBl. II 2021, 580; Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 597. 8 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 33d. 9 Hierzu im Einzelnen Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (14 f.).

820 | Schaumburg/Häck

G. Steuerumgehung bei DBA | Rz. 19.160 Kap. 19

IV. Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG Literatur: Kommentare zu § 50d Abs. 3 EStG; Flick, Deutsche Aktivitäten von Ausländern über ausländische Zwischengesellschaften und die Missbrauchsgesetzgebung des § 50d Abs. 1a EStG, IStR 1994, 223; Beutel/Oppel, Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG im Fahrwasser der EuGH-Rechtsprechung?, DStR 2021, 1017; Binnewies/Mehlhaf, Einschränkbarkeit der Quellensteuerentlastung bei Dividendenzahlungen in die Schweiz (und andere Drittstaaten) nach § 50d Abs. 3 EStG, AG 2021, 193; Florstedt, Zum Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer – Teil II – Neue Schranken für das Directive- und Treaty-Shopping in § 50d Abs. 3 EStG, BB 2021, 1823; Frase, (Unterlassene?) Reparaturen an § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG sowie § 50d Abs. 3 EStG im Kontext des AbzStEntModG, KÖSDI 2021, 22208; Grotherr, Die Wirkungsweise der neuen Aufteilungsregelung des geplanten § 50d Abs. 3 EStG-E bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen im Ausland, Ubg 2021, 84; Grotherr, Neujustierung der persönlichen Entlastungsberechtigung bei der unilateralen Missbrauchsvermeidungsvorschrift des § 50d Abs. 3 EStG, DStR 2021, 1321; Grotherr, Prüfung des geplanten § 50d Abs. 3 EStG-E bei der Frage der Versagung der deutschen Abzugsteuerentlastung (Teil I), DStZ 2021, 87; Grotherr, Prüfung des geplanten § 50d Abs. 3 EStG-E bei der Frage der Versagung der deutschen Abzugsteuerentlastung (Teil II), DStZ 2021, 140; Grotherr, Die Abgrenzung zwischen aktiver und passiver Beteiligungsverwaltung bei einer ausländischen Zwischenholding im Lichte des neuen § 50d Abs. 3 EStG -E, GmbHR 2021, 478; Haase/Blank, § 50d Abs. 3 EStG-E: Was lange währt, wird unionsrechtlich endlich gut?, Ubg 2021, 78; Haase/Blank, Update § 50d Abs. 3 EStG -E: Regierungsentwurf eines AbzStEntModG, Ubg 2021, 129; Hölscher/ Voß/Zöller, Entwurf des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes – Verschärfung der deutschen Anti-Treaty- und Anti-Directive-Shopping-Regelungen des § 50d Abs. 3 EStG, ISR 2021, 156; Jochimsen/Gsödl, Die geplante Reform des § 50d Abs. 3 EStG im Lichte der EuGH-Rechtsprechung zum Begriff des Nutzungsberechtigten und zum Missbrauch – Eine erste Analyse möglicher Auswirkungen auf die Entlastungsberechtigung anhand von Fallbeispielen, IStR 2021, 387; Schönfeld/Erdem, Die geplante Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG durch das AbzStEntModG, IStR 2021, 189; Schnitger/ Gebhardt, Überlegungen zur geplanten Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG durch das AbzStEntModG, IStR 2021, 289; Schnitger/Gebhardt, Soweit wesentlich? Gedanken zu § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG n.F. – Ein neues „Soweit“-Problem in § 50d Abs. 3 EStG?, IWB 2022, 8; Stangl/Greinert/Siebing, Reform der Anti-Treaty-Shopping Regel i.S.d. § 50d Abs. 3 EStG – Ein kritischer Überblick, Ubg 2021, 447.

1. Einführung § 50d Abs. 3 EStG ist eine insbesondere gegen das Treaty-Shopping (Rz. 19.127) gerichtete Sondervorschrift zur Bekämpfung der internationalen Steuerumgehung,1 neben der ungeachtet des § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG die generelle Mißbrauchsvermeidungsvorschrift des § 42 AO ohne Anwendungsbereich bleibt (s. Rz. 19.153). § 50d Abs. 3 EStG erleichtert den normativen Zugriff für bestimmte Fälle des Treaty-Shopping und des vergleichbaren Directive-Shopping:2 Durch insbesondere wirtschaftlich nicht begründete Zwischenschaltung nicht aktiv tätiger ausländischer Gesellschaften sollen die unilaterale Entlastung von Quellensteuern gem. den §§ 43b, 50a, 50g EStG sowie die bilateralen Steuerentlastungen nach den DBA nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn den an der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse beteiligten Personen bei unmittelbarer Einkünfteerzielung diese Steuerentlastungen nicht zuständen.

1 Die Vorschrift ist aber keine allgemeine „Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift“; vgl. Lüdicke in Piltz/ Schaumburg (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, 102 (109). 2 Erschleichen von Vorteilen der Mutter/Tochter-Richtlinie sowie der Zins- und Lizenz-Richtlinie.

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19.160

Kap. 19 Rz. 19.161 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.161

§ 50d Abs. 3 EStG war in seinen bisherigen Fassungen wiederholt durch den EuGH als unionsrechtswidrig eingestuft worden, zunächst die ab dem VZ 2007 geltende Fassung1 und sodann2 § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG v. 7.12.2011.3 Dem hieraus folgenden Änderungsbedarf kam der Gesetzgeber schließlich4 unter dem Einfluss weiterer EuGH-Entscheidungen zum Mißbrauch5 und Art. 6 ATAD6 durch das AbzStEntModG v. 2.6.20217 nach.8 § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des AbzStEntModG ist im Grundatz auf alle offenen Fälle anzuwenden, soweit nicht ohnehin die im Zuflusszeitpunkt geltende Fassung einem Entlastungsanspruch nicht entgegen steht (§ 52 Abs. 47b EStG i.d.F. AbzStEntModG).

19.162

Als unilaterale Treaty-Shopping-Klausel wird § 50d Abs. 3 EStG nicht von speziellen bilateralen Treaty-Shopping-Klauseln der DBA verdrängt,9 weil § 50d Abs. 3 EStG hinreichend deutlich den Vorrang vor Abkommensrecht anordnet und somit Treaty-Overriding-Wirkung erzeugt.10

2. Anwendungsvoraussetzungen 19.163

§ 50d Abs. 3 EStG richtet sich gegen den Missbrauch durch eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse11 und versagt einen Anspruch auf Entlastung von der Kapitalertragsteuer12 und vom Steuerabzug nach § 50a EStG soweit 1 Vgl. EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 ua, ECLI:EU:C:2017:1009 = DStR 2018, 119 – Deister Holding. 2 Vgl. EuGH v. 14.6.2018 – C-440/17, ECLI:EU:C:2018:437 = DStR 2018, 1479 – DS. 3 BGBl. I 2011, 2592. S. zur Vorgängerregel des § 50d Abs. 3 EStG die Vorauflage dieses Werks. 4 Das „entschärfende“ BMF-Schreiben v. 4.4.2018 (IV B 3 - S 2411/07/10016-14, BStBl. I 2018, 589) war als Verwaltungsvorschrift nicht in der Lage, einen europarechtskonformen Zustand herzustellen. 5 Sog. Danish-Cases, EuGH v. 26.2.2019 – C-116/16 und C-117/16, ECLI:EU:C:2019:135 – T Danmark. 6 RL (EU) 2016/1164, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1. 7 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung von Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 8 Vgl. zu § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des AbzStEntModG Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 16 ff.; Gebhardt in K/K/B/M/H7, § 50d EStG Rz. 31 ff.; Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 7 ff.; Lampert in BeckOK EStG, § 50d EStG Rz. 138 ff.; Beutel/Oppel, DStR 2021, 1017; Florstedt, BB 2021, 1823; Grotherr, Ubg 2021, 84; Grotherr, DStR 2021, 1321; Grotherr, DStZ 2021, 87 und 140; Haase/Blank, Ubg 2021,129; Hölscher/Voß/Zöller, ISR 2021, 156; Jochimsen/Gsödl, IStR 2021, 378; Schönfeld/Erdem, IStR 2021, 189; Schnitger/Gebhardt, IStR 2021, 289; Stangl/Greinert/ Siebing, Ubg 2021, 447. 9 Sind die Voraussetzungen einer ggf. enger formulierten abkommensrechtlichen Mißbrauchsklausel erfüllt, kommt es auf § 50d Abs. 3 EStG nicht mehr an, da dieser nur dann greifen kann, wenn – vorgelagert unter Berücksichtigung abkommensrechtlicher Mißbrauchsklauseln – ein abkommensrechtlicher Entlastungsanspruch bejaht wurde. 10 S. Regierungsentwurf v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 58; Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d EStG Rz. 68; s. aber Lampert in BeckOK EStG, § 50d EStG Rz. 110. 11 Erfasst sind unbeschränkt wie beschränkt steuerpflichtige Rechtsgebilde, die abstrakt die Fähigkeit haben, Körperschaftsteuersubjekt zu sein, was bei ausländischen Rechtsträgern durch den sog. Rechtstypenvergleich (s. Rz. 7.7) zu bestimmen ist. 12 Entlastungsansprüche können sich nicht nur aus DBA ergeben, sondern auch über § 43b EStG, § 44a Abs. 9 EStG, § 50g EStG, § 32 Abs. 5 KStG, die jeweils § 50d Abs. 3 EStG für entsprechend anwendbar erklären.

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G. Steuerumgehung bei DBA | Rz. 19.164 Kap. 19

– Personen an ihr beteiligt oder durch Satzung, das Stiftungsgeschäft oder die sonstige Verfassung begünstigt sind, denen die Steuerentlastung (Erstattung oder Freistellung) nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten (fehlende persönliche Entlastungsberechtigung), – die Einkunftsquelle keinen wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit dieser Körperschaft etc. aufweist (fehlende sachliche Entlastungsberechtigung). In diesem Fall wird die Entlastung nur dann gewährt, soweit die Körperschaft etc. nachweist, dass keiner der Hauptwecke ihrer Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist, oder wenn mit der Hauptgattung der Anteile an ihr ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet (§ 50d Abs. 3 Satz 2 EStG). Da die vorstehende Missbrauchsregelung insbesondere gegen die in den §§ 43b Abs. 1, 50g Abs. 1 EStG und den DBA verankerten Steuerentlastungen gerichtet ist, werden hierdurch zum einen EU-Kapitalgesellschaften1 und zum anderen abkommensberechtigte (in- oder ausländische)2 Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen3 erfasst. Die Missbrauchsregelung setzt weiterhin voraus, dass an der Körperschaft etc. Personen beteiligt sind,4 denen die Steuerentlastung bei unmittelbarem Bezug der Einkünfte nicht zustände. Bei diesen Personen kann es sich sowohl um natürliche als auch um juristische Personen handeln. Ob diese Personen im Inland oder im Ausland ansässig sind,5 spielt keine Rolle. Damit werden von der Reichweite des § 50d Abs. 3 EStG auch sog. Mäander-Strukturen erfasst, in denen etwa eine inländische Kapitalgesellschaft Anteile an anderen inländischen Kapitalgesellschaften über eine ausländische Zwischenholding hält.6 Abzustellen ist zwar zunächst nur auf die unmittelbar an der Körperschaft beteiligten Personen. Ist diese wiederum eine Körperschaft etc., ist für die Fragen der persönlichen Entlastungsberechtigung aber auch auf die nachgelagerte(n) Ebene(n) zu schauen.7 Hierfür trägt die ausländische Gesellschaft die objektive Beweislast (Feststellungslast).8 Auf dieser ersten Stufe der gem. § 50d Abs. 3 EStG gebotenen Missbrauchsprüfung kommt es im Wesentlichen darauf an, ob der Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft bei unmittelbarem Bezug der Einkünfte die Steuerentlastung der §§ 43b, 1 Anlage 2 zu § 43b EStG.; Anlage 3 zu § 50g EStG. 2 § 50d Aabs. 3 Satz 1 EStG erfasst grds. unbeschränkt wie beschränkt steuerpflichtige Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen, vgl. ausf. Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d EStG Rz. 74. 3 Nach Art. 3 Abs. 1a und b OECD-MA in erster Linie Kapitalgesellschaften und ggf. auch Personengesellschaften; vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 23. 4 „Beteiligt“ ist eine Person, wenn sie gesellschaftsrechtliches Mitglied der Körperschaft ist. Besonderheiten gelten für die Alternative der „Begünstigung“, dazu Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d EStG Rz. 186 ff. 5 Im Sinne unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht. 6 Loschelder in Schmidt41, § 50d EStG Rz. 22; Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 174; vgl. auch BFH v. 9.6.2021 – I B 60/20, IStR 2021, 762; a.A. Grotherr, DStR 2021, 1321 (1326); Grotherr, DStZ 2021, 140 (142 ff.). 7 Dies kann zur stufenweise Prüfung der Entlastungsberechtigung mittelbar beteiligter Personen führen, zu den Einzelfragen ausf. Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d EStG Rz. 223 ff.; Loschelder in Schmidt41, § 50d EStG Rz. 21; Lampert in BeckOK, § 50d EStG Rz. 156; Schönfeld/Erdem, IStR 2021, 189 (193); Grotherr, Ubg 2021, 84 ff. 8 § 90 Abs. 2 AO, § 76 Abs. 1 FGO; Loschelder in Schmidt41, § 50d EStG Rz. 19; Flick, IStR 1994, 223 (225); a.A. Lüdicke in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, 102 (114).

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19.164

Kap. 19 Rz. 19.164 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

50g EStG bzw. der DBA beanspruchen könnte. Dies ist für jede an der Körperschaft beteiligte Person gesondert zu prüfen.1 Während die Kapitalertragsteuerbefreiung gem. den §§ 43b, 50g Abs. 1 EStG nur EU-Kapitalgesellschaften2 beanspruchen können, ergibt sich für die Inanspruchnahme abkommensrechtlicher Steuerentlastungen keine Einschränkung: Im Ausgangspunkt sind anspruchsberechtigt alle abkommensberechtigten Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen. Zu den abkommensrechtlichen Steuerentlastungen zählen allerdings nur solche, die sich auf den Steuerabzug vom Kapitalertrag oder den Steuerabzug gem. § 50a EStG beziehen.

19.165

Die Rechtsfolge des § 50d Abs. 3 EStG tritt nur dann ein, wenn neben der fehlenden Steuerentlastung bei unmittelbarem Bezug der Einkünfte durch die hinter der Körperschaft etc. stehenden Personen (s. Rz. 19.164), die Einkunftsquelle zudem keinen wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit dieser Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse aufweist (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG). Die sachliche Entlastungsberechtigung ist um Umkehrschluss gegeben, wenn die Körperschaft eine Wirtschaftstätigkeit ausübt (sog. Aktivitätstest i.w.S.) und zudem die Einkunftsquelle einen wesentlichen Zusammenhang mit der Wirtschaftstätigkeit dieser3 Körperschaft etc. aufweist (sog. Funktionstest).4 Als „Wirtschaftstätigkeit“ sind bei unionsrechtskonformer Auslegung letztlich sämtliche Tätigkeiten zu begreifen, die nicht zu den ausdrücklich nach § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 2. Halbs. EStG ausgeklammerten Tätigkeiten zählen.5 Danach gelten nicht als Wirtschaftstätigkeit in diesem Zusammenhang das (reine) Erzielen der Einkünfte (sog. Aktivitätstest i.e.S.), deren Weiterleitung an beteiligte oder begünstigte Personen (sog. Durchleitungstest) sowie eine Tätigkeit, soweit sie mit einem für den Geschäftszweck nicht angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb ausgeübt wird (sog. Substanztest).6

19.166

Fehlt es sowohl an der Entlastungsberechtigung bei unmittelbarem Bezug der Erträge durch hinter der Körperschaft stehenden Personen (Rz. 19.164) als auch an einem wesentlichen Zusammenhang der Einkunftsquelle mit einer Wirtschaftstätigkeit der Körperschaft (Rz. 19.165) ist die Steuerentlastung dennoch zu gewähren (§ 50d Abs. 3 Satz 2 EStG), soweit (i) die Körperschaft etc. nachweist, dass keiner der Hauptwecke ihrer Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist (sog. Gegenbeweis), oder (ii) wenn mit der Hauptgattung der Anteile an ihr ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet (sog. Börsenausnahme). Der Gegenbeweis wird in praxi v.a. dann geführt werden können, wenn objektiv kein steuerlicher Vorteil gegeben ist oder dieser nicht durch Zwischenschaltung einer Körperschaft erzielt wurde.7 Bei europarechtskonformer Anwendung des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG ist der Gegenbeweis aber auch dann erfolgreich geführt, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass es vernünftige wirtschaftliche Gründe für die Zwischenschaltung der Körperschaft

1 Vgl. stv. Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 202. 2 Anlage 2 zu § 43b EStG und Anlage 3 zu § 50g EStG. 3 Nach dem Wortlaut kann der die Entlastung begehrenden Körperschaft nicht die Wirtschaftstätigkeit bspw. einer verbundenen Konzerngesellschaft zugerechnet werden, s. aber Beutel/Oppel, DStR 2021, 1017 (1022). 4 Ausf. hierzu Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 238 ff., dort (Rz. 239) auch der Vergleich zur Vorgängerfassung. 5 Ausf. Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 251 ff. 6 Einzelheiten bei Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 255 ff. 7 Vgl. Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 506 ff.

824 | Schaumburg/Häck

H. Persönlicher Geltungsbereich | Rz. 19.168 Kap. 19

gab.1 § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG lässt es aus unionsrechtlichen Gründen2 nun3 zu, auch außersteuerliche Gründe aus Konzernverhältnissen zu berücksichtigen (sog. Merkmalsübertragung).4 Die Finanzverwaltung trägt die Feststellungslast dafür, dass die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG vorliegen,5 wobei der Steuerpflichtige den gesteigerten Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 2 AO) nachkommen muss. Für die in § 50d Abs. 3 Satz 2 (Gegenbeweis) EStG aufgeführten Kriterien trägt die die Steuerentlastung begehrende Körperschaft etc. die Beweislast.6

19.167

3. Rechtsfolgen Soweit die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, sind die Steuerentlastungen für kapitalertragsteuerpflichtige und gem. § 50a EStG quellensteuerpflichtige Einkünfte zu versagen. Nach dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzesbegründung könnte es zur Versagung von Entlastungen kommen, die ohne Zwischenschaltung der Körperschaft etc. zu gewähren gewesen wären.7 Diese Rechtsfolge geht indessen über den Sinn und Zweck der besonderen Missbrauchsklausel hinaus. Hiernach soll nämlich diejenige Besteuerung eingreifen, die ohne Zwischenschaltung der Körperschaft etc. bestände. Im Hinblick darauf ist eine teleologische Reduktion auf das zur Missbrauchsbekämpfung erforderliche Maß geboten. Im Ergebnis entspricht damit die Rechtsfolge derjenigen des § 42 Abs. 1 Satz 3 AO. Damit sind jedenfalls stets diejenigen Steuerentlastungen zu gewähren, die bei unmittelbarem Bezug der Einkünfte durch die hinter der Körperschaft etc. stehenden Personen nach Maßgabe des für ihn in Betracht kommenden DBA in Anspruch genommen werden könnten.

H. Persönlicher Geltungsbereich Literatur: Kommentare zu Art. 1 OECD-MA; von Beckerath, Der Durchgriff im deutschen Außensteuerrecht, Berlin 1978, 108; Demleitner, Die Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen bei Dreieckssachverhalten im Zusammenhang mit Personengesellschaften und Betriebsstätten, ISR 2013, 131; Diehl, Qualifikationskonflikte im Außensteuerrecht, FR 1978, 517; Drüen, Grund- und Methodenfragen des steuerpflichtbegründenden Wohnsitzbegriffs, in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff (Hrsg.), Territorialität und Personalität, FS für Moris Lehner, 2019, 143; Ebling, Anerkennung der steuerlichen Rechtsfähigkeit ausländischer Unternehmungen, CDFI LXIIIa (1988), 227; Firlinger, Die abkommensrechtliche Ansässigkeit und die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, in Gassner/Lang/ Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, Wien 1995, 307; Förster, Internationale Aspekte der Option zur Körperschaftsteuerpflicht von Personenhandelsgesellschaften (Teil I), 1 Stv. Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 563 ff. 2 Vgl. EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 u.a., ECLI:EU:C:2017:1009 Rz. 74 – Deister Holding und Juhler Holding; EuGH v. 14.06.2018 – C-440/17, ECLI:EU:C:2018:437 Rz. 57 – GS; BMF v. 4.4.2018 – IV B 3 - S 2411/07/10016-14, DOK 2018/0148776, BStBl. I 2018, 589; vgl. auch FG Köln v. 27.8.2020 – 2 K 693/15 (rkr.), juris Rz. 70 ff.; FG Köln v. 23.1.2019 – 2 K 1315/13, juris Rz. 80 ff. (Rev. I R 27/19); FG Köln v. 27.8.2020 – 2 K 694/15 (rkr.), juris Rz. 69 ff. 3 S. hingegen noch § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG i.d.F. BeitrRLUmsG. 4 Vgl. Regierungsentwurf zum AbzStEntModG, BT-Drucks. 19/27632. 5 Vgl. Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 628; Stangl/Greinert/Siebing, Ubg 2021, 447 (464 f.); Grotherr, Ubg 2021, 84 (87). 6 Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 517. 7 Vgl. Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 208 ff.

Schaumburg/Häck | 825

19.168

Kap. 19 Rz. 19.169 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) IStR 2022, 109; Göschl/Kovar/Wahrlich, Dreiecksverhältnisse im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, in FS für Loukota, Wien 2005, 111 ff.; Großmann, Doppelt ansässige Kapitalgesellschaften im Internationalen Steuerrecht, München 1995; Gündisch, Personengesellschaften im DBA-Recht, München 2004; Haas, Qualifikationskonflikte ausländischer Mitunternehmerschaften, BB 1978, 1253; Hannes, Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, Hamburg 1992; Hansen, Einkünfte aus Personengesellschafterbeteiligungen im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Baden-Baden 2009; Helde, Dreiecksverhältnisse im Internationalen Steuerrecht unter Beteiligung einer Betriebsstätte, Köln 2000; Hock, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, RIW 1995, 135; Jacob/Hagena, Die inländische gewerbliche Personengesellschaft: ansässige Person mit Abkommensschutz?, IStR 2013, 485; Jann/Toifl, EuGH-Entscheidung zur Behaltefrist nach der Mutter/Tochter-Richtlinie, SWI 1999, 483; Kluge, Die Anerkennung ausländischer Gesellschaften im deutschen Steuerrecht, DStR 1976, 365; Lampert, Doppelbesteuerungsrecht und Lastengleichheit, Baden-Baden 2010; Lang, Triangular Cases – Das vernachlässigte Problem des DBA-Rechts, SWI 2019, 420; Lang, Steuerlich transparente Rechtsträger und Abkommensberechtigung, IStR 2011, 1; Lang, Qualifikationskonflikte bei Personengesellschaften, IStR 2000, 130; Lang/Lüdicke/Riedweg, Steueranrechnung und Betriebsstättendiskriminierungsverbot der DBA bei Dreiecksverhältnissen, IStR 2006, 73; Le Gall, Internationale Einkommensteuerprobleme bei Personengesellschaft, CDFI LXXXa (1995), 709; Lethaus, Steuerliche Probleme der internationalen Personengesellschaft, Hamburg 1990; Lethaus, Wege zur Abkommensberechtigung der Personengesellschaft, in Kley/Sünner/Willemsen (Hrsg.), FS für Ritter, Köln 1997, 427; Lüdicke, Beteiligung an ausländischen intransparent besteuerten Personengesellschaften, IStR 2011, 91; Manke, Personengesellschaften und DBA, Abkommensberechtigung und Abkommensschutz, DStJG 8 (1985), 195; Phillip, Personengesellschaften und Arbeitsgemeinschaften im Internationalen Steuerrecht, CDFI LVIIIb (1973), I 1; Pott, Die Kollision unterschiedlicher Formen der Gesellschaftsbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, Köln 1982; Riemenschneider, Abkommensberechtigung von Personengesellschaften und abkommensrechtliche Behandlung der Einkünfte aus Beteiligungen inländischer Gesellschafter an ausländischen Personengesellschaften, Frankfurt 1995; Shannon, Die DBA der USA, München 1987; Sutter/Zehetner, Triangular Tax Cases, Wien 2004; Wassermeyer, Die abkommensrechtliche Behandlung von Einkünften einer in einem Vertragsstaat ansässigen Personengesellschaft, IStR 2011, 85; Wassermeyer, Dreiecksverhältnisse im Abkommensrecht, SWI 1999, 520; Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2016; Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005.

I. Anknüpfungsgrundsätze 19.169

Völkerrechtliche Verträge wirken grundsätzlich nur inter partes, so dass deren Rechte und Pflichten lediglich die Vertragsstaaten als Völkerrechtssubjekte treffen. Derartige völkerrechtliche Verträge können auch zugunsten Dritter, also zugunsten außenstehender Völkerrechtssubjekte, abgeschlossen werden.1 Völkerrechtliche Verträge können aber auch begünstigende oder gegebenenfalls belastende Reflexwirkungen für dritte Staaten zur Folge haben.2 In aller Regel sind völkerrechtliche Verträge aber nicht so ausgestaltet, dass dem einzelnen Bürger hieraus unmittelbar Rechte und Pflichten erwachsen. Anders ist dies nur in den Fällen, in denen die in den völkerrechtlichen Verträgen getroffenen Vereinbarungen dem einzelnen Bürger unmittelbar Rechte und Pflichten einräumen wollen, also Self-executing-Wirkung3 haben. Zu diesen völkerrechtlichen Verträgen zählen die DBA.4 Sie enthalten nicht bloß Ermächtigungen, sondern sind auf unmittelbare Anwendung angelegt. Daher können Steuerpflichtige die gegen 1 Heintschel von Heinegg in Ipsen, Völkerrecht7, § 13 Rz. 23 ff.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 114 ff.; dort auch zu völkerrechtlichen Verträgen zu Lasten Dritter. 2 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 118 ff. 3 Hierzu Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, 185 ff. 4 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 56; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 28; Pott, Die Kollision unterschiedlicher Formen der Gesellschaftsbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 83 f.

826 | Schaumburg/Häck

H. Persönlicher Geltungsbereich | Rz. 19.173 Kap. 19

die innerstaatlichen Steueransprüche gerichteten Schrankenwirkungen der DBA unmittelbar für sich selbst in Anspruch nehmen. Wer zu den derart Berechtigten zählt, ergibt sich nicht aus innerstaatlichem Recht, sondern aus den DBA (Art. 1 OECD-MA). Darüber hinaus regeln die DBA aber auch, unter welchen Voraussetzungen die Abkommensberechtigung tatsächlich in Anspruch genommen werden darf. Einschränkungen der Abkommensberechtigung können sich in Missbrauchsfällen allerdings auch aus dem nationalen Recht ergeben.1 Für die Abkommensberechtigung stellen die DBA (Art. 1 OECD-MA) darauf ab, ob eine Person in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansässig ist. Mit dieser Anknüpfung unterfallen dem Abkommensschutz lediglich solche Personen, die wenigstens zu einem der beiden Vertragsstaaten eine besondere persönliche Bindung aufweisen. Werden diese Merkmale – Person (Art. 3 Abs. 1a OECD-MA) und Ansässigkeit (Art. 4 OECD-MA) – nicht erfüllt, versagt der Abkommensschutz mit der Folge, dass insoweit eine Doppelbesteuerung bilateral nicht vermieden werden kann.

19.170

Der Kreis derjenigen, die als Personen im Sinne des Abkommens als Abkommenssubjekte2 und damit als Träger von Rechten und Pflichten in Betracht kommen, ist im Abkommen weit gezogen. Neben den natürlichen Personen fallen auch Gesellschaften, d.h. juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden, sowie alle anderen Personenvereinigungen in diesen Schutzkreis (Art. 3 Abs. 1a und b OECD-MA). Dieser Schutzkreis verengt sich allerdings dadurch, dass nur solche Personen unter den Abkommensschutz fallen, die in wenigstens einem der beiden Vertragsstaaten ansässig sind. Hierzu gehören jene Personen, die in einem oder in beiden Vertragsstaaten nach dortigem Recht aufgrund ihres Wohnsitzes3, ihres ständigen Aufenthaltes, des Orts der Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig sind.

19.171

Im Gegensatz zu Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt spielt die Staatsangehörigkeit international für die Abkommensberechtigung einer Person grundsätzlich keine Rolle.4 Die Anknüpfung der Abkommensberechtigung an Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt erfordert indessen modifizierende Regelungen für den Fall, dass ein Vertragsstaat die unbeschränkte Steuerpflicht auch an die Staatsangehörigkeit anknüpft. So haben sich etwa die USA aufgrund der sog. Saving-Clause (Art. 1 Abs. 4, 5 DBA-USA) das Recht vorbehalten, ihre eigenen Staatsangehörigen grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Schrankenwirkungen eines Abkommens zu besteuern.5 Damit diese Saving-Clause die Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht zu Fall bringt, ergeben sich notwendige Erweiterungen hinsichtlich der Vermeidungsnormen mit der Folge, dass nicht nur abkommensberechtigte Personen, sondern auch amerikanische Staatsangehörige die Anwendung der Vermeidungsnormen für sich in Anspruch nehmen können.6

19.172

Wegen der vorstehenden Anknüpfung beurteilt sich letztlich die Ansässigkeit einer Person auf Abkommensebene nach dem jeweiligen innerstaatlichen Steuerrecht, und zwar nach dem Recht desjenigen Staates, der im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht die Besteuerung des Welteinkommens (Weltvermögens), gegen die die Schrankenwirkungen des Abkommens gerichtet

19.173

1 2 3 4 5

Z.B. § 42 AO, § 50d Abs. 3 EStG; hierzu Rz. 19.160 ff. Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 5. Hierzu ausf. Drüen in FS Lehner, 143 (156 ff.). Art. 4 Abs. 1 OECD-MA enthält nur ortsbezogene Anknüpfungsmerkmale. Zu dieser Saving-Klausel im Einzelnen Shannon, Die DBA der USA, 79 ff.; Schnitger in Endres/Jacob/Gohr/Klein, Art. 1 DBA-USA Rz. 22 ff.; Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 83c, 86b ff. 6 Hierzu im Einzelnen Schnitger in Endres/Jacob/Gohr/Klein, Art. 23 DBA-USA Rz. 113 ff.

Schaumburg/Häck | 827

Kap. 19 Rz. 19.173 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

sind, für sich beansprucht. Im Hinblick darauf entsprechen die Anknüpfungsmerkmale für die Ansässigkeit auf Abkommensebene denen der unbeschränkten Steuerpflicht nach innerstaatlichem Steuerrecht.

19.174

Der Begriff der Ansässigkeit (Art. 4 OECD-MA) hat nicht nur Bedeutung für die Abkommensberechtigung einer Person, er dient auch als Anknüpfungspunkt für die Besteuerung im Wohnsitzstaat in Abgrenzung gegen die Besteuerung im Quellenstaat. Nach der Grundkonzeption der DBA wenden sich deren Schrankenwirkungen zum einen gegen den Quellenstaat und zum anderen gegen den Wohnsitzstaat. Die den Quellenstaat betreffenden Abkommensvorschriften führen zu einer Umgrenzung der Quellenstaatsbesteuerung, wonach entweder die Besteuerung im Quellenstaat voll aufrechterhalten bleibt,1 den Besteuerungsgrundlagen2 oder der Steuerhöhe nach eingeschränkt3 oder aber gänzlich aufgehoben4 wird. Die den Wohnsitzstaat betreffenden Vorschriften regeln sodann, auf welche Weise der Wohnsitzstaat die (verbleibende) Doppelbesteuerung auszugleichen hat.5 Der Begriff der Ansässigkeit ist schließlich noch von Bedeutung für die Regelung derjenigen Fälle, in denen sich eine Doppelbesteuerung daraus ergibt, dass zwei Wohnsitze vorhanden sind.6

19.175

Da für die Ansässigkeit auf Abkommensebene die unbeschränkte Steuerpflicht auf der Ebene des innerstaatlichen Rechts maßgeblich ist, spielt die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit einer Person im Ergebnis keine Rolle. Von Bedeutung ist allein, ob die Person wenigstens in einem der beiden Vertragsstaaten als eigenständiges Steuersubjekt unbeschränkt steuerpflichtig ist.7 Im Hinblick auf die für die Ansässigkeit maßgeblichen ortsbezogenen Merkmale der unbeschränkten Steuerpflicht, wird zwar auch die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG; hierzu Rz. 6.37 ff.), nicht aber die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG; hierzu Rz. 6.40 ff.) erfasst.8 Aus der Anknüpfung an die Steuersubjekteigenschaft9 folgt, dass etwa Betriebsstätten und Personengesellschaften, soweit diesen nach innerstaatlichem Recht keiner der beiden Vertragsstaaten Steuersubjekteigenschaft zukommt, grundsätzlich nicht abkommensberechtigt sind. Das kann insbesondere in sog. Dreiecksfällen, also dann, wenn die Betriebsstätte oder die Personengesellschaft Einkünfte aus Drittländern bezieht, zu einer nicht behebbaren Doppelbesteuerung führen (Rz. 19.182 f.). Die Steuersubjekteigenschaft kann zwar zwischenstaatlich auseinander fallen, das führt aber nicht automatisch dazu, dass ein Abkommensschutz nur aus der Sicht eines Vertragsstaates gewährt wird.10 Daher können etwa Personengesellschaften für sich oder ihre Gesellschafter Abkommensschutz auch dann be-

1 So das für die Besteuerung unbeweglichen Vermögens geltende Belegenheitsprinzip (Art. 6 Abs. 1 OECD-MA). 2 So das für Unternehmensgewinne geltende Betriebsstättenprinzip (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECDMA). 3 Vgl. etwa die Steuersatzbegrenzung für auf Dividenden und Zinsen erhobene Quellensteuern (Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 OECD-MA). 4 So etwa für Lizenzgebühren (Art. 12 Abs. 1 OECD-MA). 5 Entweder durch Steueranrechnung oder durch Steuerfreistellung (Art. 23A, 23B OECD-MA). 6 Art. 4 Abs. 2 OECD-MA (Tie-Breaker-Rule). 7 Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 76 ff.; auf die GewSt kommt es nicht an, vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 17; a.A. Jacob/Hagena, IStR 2013, 485 ff. 8 Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 78 f.; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 43; dort jeweils auch zu den Besonderheiten des DBA-Schweiz. 9 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 30. 10 Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 25 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 27.

828 | Schaumburg/Häck

H. Persönlicher Geltungsbereich | Rz. 19.178 Kap. 19

anspruchen, wenn sie nur in einem der beiden Vertragsstaaten als selbständiges Steuersubjekt anerkannt werden. Die an die Ansässigkeit in einem der beiden Vertragsstaaten anknüpfende Abkommensberechtigung findet in verschiedenen Abkommen Ausnahmen, die weitgehend dem Gesichtspunkt des Treaty-Shopping (Rz. 19.127 f.) oder anderen steuerpolitischen Zielsetzungen Rechnung tragen. So versagt etwa das DBA-Schweiz Personen, die in der Schweiz eine Pauschalbesteuerung in Anspruch nehmen (Art. 4 Abs. 6 DBA-Schweiz) oder Treuhänder sind (Art. 4 Abs. 11 DBA-Schweiz), teilweise die Abkommensberechtigung ebenso wie ausländisch beherrschten Durchlaufgesellschaften und Thesaurierungsgesellschaften (Art. 23 DBA-Schweiz).

19.176

II. Personengesellschaften Während für natürliche und juristische Personen die Abkommensberechtigung in aller Regel keine Besonderheiten aufweist, ergeben sich für Personengesellschaften aufgrund ihrer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung, die sie in den einzelnen Staaten erfahren1 erhebliche Schwierigkeiten2 bei der Abkommensanwendung.3 Diese beruhen im Wesentlichen darauf, dass Personengesellschaften abkommensrechtlich zwar Personen sein können (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA), bei fehlender eigener Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerpflicht aber nicht ansässig sind (Art. 4 Abs. 1 OECD-MA).4 Die nach § 1a KStG zur Körperschaftsbesteuerung optierende Personengesellschaft mit Ort der Geschäftsleitung im Inland ist abkommensberechtigte Gesellschaft (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b, Art. 4 Abs. 1 OECD-MA).5

19.177

Werden die Personengesellschaften in beiden Vertragsstaaten hinsichtlich ihrer Steuersubjekteigenschaft einheitlich behandelt, so ist die Ansässigkeit und damit die Abkommensberechtigung für beide Vertragsstaaten von vornherein nicht zweifelhaft:6 Die Personengesellschaft ist abkommensberechtigt, sofern sie in beiden Vertragsstaaten selbständiges Steuersubjekt ist; sie ist es nicht, wenn ihr übereinstimmend die Steuersubjekteigenschaft abgesprochen wird. In diesem Fall sind die Gesellschafter abkommensberechtigt, so dass sie die betreffenden Abkommensvergünstigungen geltend machen können, wenn sie im anderen Vertragsstaat ansässig sind.7 Sind sie in Drittstaaten ansässig, richtet sich die Abkommensberechtigung nach den

19.178

1 Hierzu der Überblick bei Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 19 ff.; Dremel in S/D2, Art. 1 OECD-MA Rz. 45 ff. 2 Vgl. die Lösungsversuche im OECD-Partnership-Report; OECD, The application of the OECD model tax convention to partnerships, Paris 1999 und in BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/ 10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258; zu einigen Falllösungen aus diesem OECD-Partnership-Report Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 27. 3 Ausf. Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 25 ff.; Dremel in S/D2, Art. 1 OECD-MA Rz. 45 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 63 ff.; Wassermeyer in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 2.20 ff.; 4.11 ff.; Lang, IStR 2011, 1 ff.; Lüdicke, IStR 2011, 91 ff.; Wassermeyer, IStR 2011, 85 ff. 4 Auf die GewSt kommt es hierbei nicht an; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 17; a.A. Jacob/Hagena, IStR 2013, 485. 5 Stv. BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004; DOK 2021/1162290, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 54; Förster, IStR 2022, 109 (113). 6 Hierzu Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 26ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 28d; Dremel in S/D2, Art. 1 OECD-MA Rz. 48; Stöber in G/K/G/K, Art. 1 OECDMA Rz. 125; Piltz, Die Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, 148 ff.; 221. 7 Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 28.

Schaumburg/Häck | 829

Kap. 19 Rz. 19.178 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

Abkommen mit diesen Staaten.1 In den vorgenannten Fällen gewährleistet die parallele Qualifikation2 der Personengesellschaft mithin eine auf einheitliche Rechtsfolgen gerichtete gleichförmige Anwendung des DBA durch beide Vertragsstaaten, soweit die Gesellschafter ebenfalls in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig sind. Sind sie dagegen in Drittstaaten ansässig, die ihrerseits im Gegensatz zum Ansässigkeits- und Quellenstaat der Personengesellschaft dieselbe nicht als selbständiges Steuersubjekt anerkennt, so kann hieraus im Verhältnis zum Quellenstaat eine Abkommensberechtigung sowohl der Personengesellschaft als auch ihrer Gesellschafter folgen. In diesem Fall muss der Quellenstaat das für die Abkommensberechtigten jeweils günstigste Abkommen anwenden.3 Abweichend von den vorgenannten Grundsätzen wird in deutschen DBA vereinzelt auf Grund von Sonderregelungen Personengesellschaften eine Abkommensberechtigung eingeräumt, obwohl diese in Deutschland nicht Steuersubjekte sind.4 Damit soll der ausländischen Personengesellschaft die Möglichkeit eröffnet werden, die Erstattung inländischer Quellensteuern zu verlangen, obwohl diese zu Lasten der Gesellschafter einbehalten werden.5 Wird die Personengesellschaft im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter im Gegensatz zum Staat der Personengesellschaft und zum Quellenstaat als selbständiges Steuersubjekt anerkannt, muss der Quellenstaat diejenigen Abkommensvergünstigungen gewähren, die den Gesellschaftern auf Grund des mit ihrem Ansässigkeitsstaat abgeschlossenen DBA zustehen, obwohl die betreffenden Einkünfte dort nicht den Gesellschaftern, sondern der aus der Sicht der Ansässigkeit als selbständiges Steuersubjekt zu qualifizierenden Personengesellschaft zugerechnet werden. Im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter werden die Auskehrungen aus der ausländischen Gesellschaft nach den Vorgaben des nationalen Rechts als Dividenden besteuert, für die etwa in Deutschland § 3 Nr. 40 EStG (Teileinkünfteverfahren) bzw. § 8b Abs. 1 KStG (Schachtelprivileg) in Betracht kommen.6

19.179

Wird die Personengesellschaft in ihrem Sitzstaat (Ort der Geschäftsleitung) selbst der unbeschränkten Steuerpflicht unterworfen,7 dagegen im anderen Vertragsstaat, etwa im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter, nicht als Steuersubjekt anerkannt,8 dann ist sie als Person (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und b OECD-MA) im Sitzstaat ansässig (Art. 4 Abs. 1 OECD-MA) und somit

1 Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 26. 2 Der Begriff „Qualifikation“ stammt zwar aus dem Internationalen Privatrecht, wo er im Zusammenhang mit Kollisionsnormen Bedeutung hat, er hat aber auch das Internationale Steuerrecht mit allerdings unterschiedlichen Deutungen (vgl. etwa Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 96c ff.) erobert. Er wird hier im Sinne von Einordnung oder Bestimmung verwendet. 3 Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 26. 4 So bspw. Art. 3 Abs. 1 Nr. 4, Art. 4 Abs. 1 DBA-Belgien; vgl. ferner die Anlage zum BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258. 5 In diese Richtung zielt auch § 50d Abs. 11a EStG i.d.F. des AbzStEntModG v. 25.6.2021 (BGBl. I 2021, 1259), ursprünglich eingefügt als § 50d Abs. 1 Satz 11 EStG durch das AmtshilfeRLUmsG v. 27.6.2013 (BGBl. I 2013, 1862). 6 Wassermeyer in W/R/S, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht2, Rz. 4.33; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 4.1.4.2. 7 Das trifft insbesondere für Personengesellschaften des romanischen Rechtskreises zu. S. zu den einzelnen Staaten die Anlage zum BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258. 8 Damit also keine Bindung an die Qualifikation im Sitzstaat (Qualifikationsverkettung); BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760; Schnittker in W/R/SW, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 3.10; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/ 0599097, BStBl. I 2014, 1258.

830 | Schaumburg/Häck

H. Persönlicher Geltungsbereich | Rz. 19.181 Kap. 19

abkommensberechtigt.1 Die Ausschüttungen sind abkommensrechtlich Dividenden2 und im Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft z.B. Betriebsstätteneinkünfte, die steuerfrei zu stellen sind.3 Nach innerstaatlichem Recht, z.B. in Deutschland, handelt es sich um nicht steuerbare Entnahmen, für die im Sitzstaat der Personengesellschaft etwa einbehaltene Quellensteuern nicht angerechnet werden können. Demgegenüber sind die zu Lasten der ausländischen Gesellschaft gezahlten Steuern nach Maßgabe von § 34c Abs. 1 bzw. 2 i.V.m. Abs. 6 EStG anrechenbar bzw. abzugsfähig.4 Damit unterfallen die Gesellschafter in ihrem Ansässigkeitsstaat anstelle der Personengesellschaft dem Abkommensschutz.5 Das bedeutet, dass die mit der Abkommensberechtigung der Personengesellschaft verknüpften Schrankenwirkungen des Abkommens in dem einen Staat gegen die Besteuerung der Personengesellschaft selbst und in dem anderen Staat gegen die Besteuerung der Gesellschafter gerichtet sind. Demgegenüber wird unter Hinweis auf die allerdings nur subsidiäre Auslegung von Abkommensbegriffen nach innerstaatlichem Recht (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) die Ansicht vertreten, dass mangels Subjektsidentität eine Doppelbesteuerung nicht vermieden werden könne.6 Dieses Auslegungsergebnis wird indessen der für die DBA maßgeblichen Regelungshomogenität nicht gerecht (Rz. 19.52 f.). Geboten ist hiernach eine auf Vermeidung der Doppelbesteuerung ausgerichtete Auslegung,7 so dass die Gesellschafter als ultima ratio den Abkommensschutz als Reflexwirkung der abkommensberechtigten Personengesellschaft in Anspruch nehmen können.8

19.180

Diese Rechtsfolge ergibt sich zudem aus dem Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, wonach ein Rechtsanspruch auf Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht, dem ggf. durch entsprechende Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO) entsprochen werden muss (Rz. 17.9 ff.). De lege ferenda9 ist eine abkommensmäßige Gleichstellung von Personengesellschaften mit Kapitalgesellschaften dergestalt geboten, dass Personengesellschaften stets abkommensberechtigt sind10 oder aber bei Beibehaltung des Mitunternehmerkonzeptes die Ausdehnung des Abkommensschutzes auf die Gesellschafter11 gewährleistet ist.

19.181

1 Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 31; Dremel in S/D2, Art. 1 OECD-MA Rz. 68. 2 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 190; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 123. 3 BFH v. 4.4.2007 – I R 110/05, BStBl. II 2007, 521; Wassermeyer in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 4.32; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 4.1.4.1. 4 Wassermeyer in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 4.32; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 4.1.4.1. 5 Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 31 f. 6 Von Beckerath, Der Durchgriff im deutschen Außensteuerrecht, 108 ff.; Diehl, FR 1978, 517 (521); Kluge, DStR 1976, 365 (367); Haas, BB 1978, 1253 f. 7 Eine derartige an den Zielen und Zwecken der DBA orientierte Auslegung verlangt auch Art. 31 Abs. 1 WÜRV; zur Auslegung von DBA im Einzelnen Rz. 19.49. 8 In einigen DBA wird das ausdrücklich bestätigt, wobei Personengesellschaften mitunter eine partielle Abkommensberechtigung zugebilligt wird, auf Grund deren sie selbst Anträge auf Steuerentlastung stellen können; hierzu Wassermeyer in W/R/S2, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.26. 9 Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 54 ff. 10 Vgl. Ebling, CDFI LXIIIa (1988), 227 (244); Manke, DStJG 8 (1985), 195 (212 f.); hierzu ausführlich Lethaus in FS Ritter, 427 (437 ff.). 11 Phillip, CDFI LVIIIb (1973), I 1 (22).

Schaumburg/Häck | 831

Kap. 19 Rz. 19.182 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

III. Dreiecksverhältnisse 19.182

Die Versagung der Abkommensberechtigung für Betriebsstätten und Personengesellschaften, wenn sie im Sitzstaat, in dem sie den Ort ihrer Geschäftsleitung haben, keine Steuersubjekteigenschaft besitzen, kann zu einer nach Abkommensrecht nicht vermeidbaren Doppelbesteuerung insbesondere dann führen, wenn der Betriebsstätte oder der Personengesellschaft in Drittländern erzielte Einkünfte zuzuordnen sind.1 Unterhält etwa eine in Deutschland ansässige natürliche Person in einem anderen Vertragsstaat eine Betriebsstätte, die ihrerseits ihr zuzuordnende quellensteuerpflichtige Zinseinkünfte aus einem Drittstaat erzielt, so tritt eine Doppelbesteuerung dadurch ein, dass die auf die Zinsen erhobenen Quellensteuern nirgends zur Anrechnung gebracht werden können.2 Die in Deutschland ansässige natürliche Person mag zwar nach dem zwischen dem Wohnsitzstaat und dem Drittstaat geltenden DBA abkommensberechtigt sein (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 4 Abs. 1 OECD-MA), eine Anrechnung der auf die Zinsen erhobenen Quellensteuer scheidet aber aus, weil in Deutschland auf den Betriebsstättengewinn, der nur der Besteuerung im Betriebsstättenstaat unterliegt, keine Steuer erhoben wird (Art. 7 und 23A OECD-MA). Eine Anrechnung nach Maßgabe des zwischen dem Betriebsstättenstaat und dem Drittstaat abgeschlossenen DBAs versagt ebenfalls, weil weder die in Deutschland ansässige Person noch deren Betriebsstätte nach diesem Abkommen abkommensberechtigt ist.3

19.183

Die fehlende Abkommensberechtigung von Betriebsstätten und Personengesellschaften führt aus der Sicht des deutschen Rechts zu einer Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips, das eine Vermeidung der Doppelbesteuerung gebietet (Rz. 17.8 ff.). Deshalb gehört es zu den vordringlichen Aufgaben der Abkommenspolitik, Betriebsstätten und Personengesellschaften die Abkommensberechtigung zuzugestehen4 oder aber den Abkommensschutz auf Unternehmer bzw. Gesellschafter auszudehnen. Solange dies nicht geschehen ist, hat Deutschland im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht die Doppelbesteuerung ggf. durch Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO) zu vermeiden. Darüber hinaus ist Deutschland verpflichtet, beschränkt steuerpflichtigen Unionsbürgern, die im Inland Betriebsstätten mit Drittlandseinkünften unterhalten, wegen der europarechtlichen Diskriminierungsverbote diejenigen Abkommensvergünstigungen zu gewähren, die unbeschränkt Steuerpflichtige für die im Rahmen inländischer Betriebsstätten bezogenen Drittlandseinkünfte in Anspruch nehmen können.5 Damit kommt im Ergebnis Betriebsstätten partiell eine faktische Abkommensberechtigung zu.6 Für Personengesellschaften ist die Abkommensberechtigung allerdings in einigen Abkommen bereits

1 Zu diesen Dreiecksverhältnissen Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 8a ff.; Staringer, Triangular Cases, in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 67 ff.; Helde, Dreiecksverhältnisse im Internationalen Steuerrecht unter Beteiligung einer Betriebsstätte; Sutter/Zehetner, Triangular Tax Cases; Schnitger in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 16.1 ff.; Heinsen in Grotherr, Hdb der Internationalen Steuerplanung3, 1843 ff.; Demleitner, ISR 2013, 131 ff.; Göschl/Kovar/Wahrlich in FS Loukota, 111 ff.; Lang/ Lüdicke/Riedweg, IStR 2006, 73 ff.; Wassermeyer, SWI 1999, 520 ff; Lang, SWI 2019, 420 ff. 2 Es sei denn, der Betriebsstättenstaat kennt eine dem § 50 Abs. 3 EStG vergleichbare Regelung. 3 Hierzu im Einzelnen Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 9; Staringer in Gassner/ Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 67 ff. 4 Hierzu Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 49 ff., 54 ff.; Lethaus in FS Ritter, Köln 1997, 427 (439 ff.). 5 EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 = Slg. 1999, I-6161 – Saint Gobain. 6 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 688 f.; Jann/Toifl, SWI 1999, 483 (492).

832 | Schaumburg/Häck

I. Räumlicher Geltungsbereich | Rz. 19.186 Kap. 19

konkret geregelt.1 Für Betriebsstätten fehlen indessen Vorschriften, die deren Abkommensberechtigung umfassend begründen könnten.2

I. Räumlicher Geltungsbereich Literatur: Behrendt/Wischott/Krüger, Praxisfragen zu deutschen Besteuerungsrechten im Zusammenhang mit Offshore-Windparks in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone, BB 2012, 1827; Hawlitschek, Gedanken zur geplanten (vermeintlichen) Erweiterung des Inlandsbegriffs für die Ertragsteuern, IStR 2015, 413; Kübler, Klärung der allgemeinen Hoheitsverhältnisse auf dem Bodensee?, DÖV 1976, 184; Kurz, Klärung der allgemeinen Hoheitsverhältnisse auf dem Bodensee?, DStR 1975, 461; Maciejewski/Theilen, Steuern an ihren Grenzen: Der (erweiterte) Inlandsbegriff im deutschen Ertragsteuerrecht und seine völkerrechtlichen Bezüge, IStR 2013, 846; Petry, Die Ertragsbesteuerung auf dem deutschen Festlandsockel und in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone, Lohmar 2008; Rudolf, Deutsch- luxemburgisches Kondominium, AVR 24 (1986), 301; Rüster, Die Rechtsordnung des Festlandsockels, Berlin 1977; Schenk, Brauchen wir ein Bodensee-Statut?, BayVBl. 1979, 428; Schröer, Staatliche Gebietshoheit und die verfassungsrechtlichen Verhältnisse am deutschen Festlandsockel, RIW 1978, 507; Schweiger, Staatsgrenzen im Bodensee und IGH-Statut, BayVBl. 1995, 65; Waldhoff/Engler, Die Küste im deutschen Ertragsteuerrecht – am Beispiel der Besteuerung von Offshore-Energieerzeugung, FR 2012, 254.

DBA gelten mit ihren bilateralen Regelungen grundsätzlich nur zwischen den beiden Vertragsstaaten, die das DBA abgeschlossen haben. Demzufolge sind auch nur jene Personen dem Abkommensschutz unterstellt, die mindestens in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig sind. Die von Deutschland abgeschlossenen DBA enthalten mitunter eine Definition des Begriffs „Vertragsstaat“,3 wodurch zugleich der räumliche Geltungsbereich des DBAs festgelegt wird. Soweit DBA keine besonderen Regelungen enthalten, aus der Überschrift und/ oder der Präambel und den Abkommen auch sonst keine Anhaltspunkte über den räumlichen Geltungsbereich zu entnehmen sind, bestimmt das jeweilige innerstaatliche Recht für sich selbst den räumlichen Geltungsbereich des Abkommens.4 Der räumliche Geltungsbereich eines DBAs ist zumeist deckungsgleich mit dem jeweiligen Staatsgebiet.

19.184

Soweit die von Deutschland abgeschlossenen DBA eine eigenständige Definition des Begriffs „Vertragsstaat“ enthalten, wird dieser eingegrenzt durch den Geltungsbereich des Grundgesetzes und/oder der Steuergesetze oder durch das jeweilige Hoheitsgebiet.5

19.185

Zum räumlichen Geltungsbereich der DBA gehören auch das Küstenmeer6 und der darunter befindliche Meeresboden und -untergrund, da insoweit die territoriale Souveränität und Gebietshoheit i.S.d. Grundgesetzes reicht.7 Deutschland beansprucht indessen wie die meisten

19.186

1 Hierzu der Überblick bei Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 79. 2 Vgl. hierzu die Arbeiten der OECD (z.B. Triangular Cases Report; OECD „Triangular Cases“ in International Taxation 1992, Nr. 4), die in den OECD-Musterkommentar 1992 zu Art. 24 Ziff. 51 ff. eingegangen sind. 3 Abkommensübersicht bei Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 45. 4 Art. 3 Abs. 2 OECD-MA; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 40. 5 Das DBA-China umfasst nicht Hongkong, da das frühere Steuersystem auch nach dem Rückfall an China in Kraft geblieben ist; Pfarr/Hackemann in Wassermeyer, Art. 3 DBA-China Rz. 14. 6 Hier gilt eine Zwölfmeilenzone; Art. 3 SRÜ (BGBl. II 1994, 1798). 7 Zu Einzelheiten vgl. Bekanntmachung v. 11.11.1994, BGBl. I 1994, 3428; hierzu Epping in Ipsen, Völkerrecht7, § 5 Rz. 5.

Schaumburg/Häck | 833

Kap. 19 Rz. 19.186 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

anderen Staaten über die Grenzen ihrer Küstengewässer hinaus auch die Souveränität für den ihm zustehenden Anteil an der ausschließlichen Wirtschaftszone und am Festlandsockel (Rz. 6.32).1 Da Deutschland in diesem Zusammenhang die Erforschung und Ausbeutung der Naturschätze des Meeresgrundes und des Meeresuntergrundes sowie die dortige Energieerzeugung unter Nutzung erneuerbarer Energien als ihr Souveränitätsrecht in Anspruch nimmt, gelten die DBA folglich auch für die im Bereich des deutschen Festlandsockels erwirtschafteten Einkünfte aufgrund der vorgenannten Tätigkeiten.2 Im Übrigen zählen zum räumlichen Geltungsbereich der Abkommen Zollausschlussgebiete,3 ferner Handelsschiffe, die zum Führen der deutschen Flagge berechtigt sind, solange sie sich in inländischen Gewässern oder auf hoher See aufhalten.4

19.187

Das deutsch-luxemburgische Kondominium5 gehört allerdings zum Geltungsbereich beider Staaten, so dass eine Doppelbesteuerung nur über ein Verständigungsverfahren beseitigt werden kann.6 Zum räumlichen Geltungsbereich der DBA gehört auch der zwischen dem deutschen Ufer und der Seemitte gelegene Teil des Bodensees.7 Zum räumlichen Geltungsbereich der DBA zählt schließlich auch der Luftraum oberhalb des Staatsgebietes.8

19.188

Einige DBA enthalten Sonderregelungen, wonach bestimmte Gebiete aus dem räumlichen Geltungsbereich ausdrücklich ausgenommen werden.9

J. Sachlicher Geltungsbereich 19.189

DBA bestimmen durchweg, dass unter ihren sachlichen Anwendungsbereich solche Steuern fallen, die vom Einkommen und Vermögen für Rechnung eines Vertragsstaates oder seiner Gebietskörperschaften erhoben werden (Art. 2 Abs. 1 OECD-MA). Hierbei spielt es keine Rolle, ob die betreffenden Steuern durch Veranlagung oder durch Abzug an der Quelle erhoben werden. Ohne Bedeutung ist grundsätzlich ferner, ob die Steuern vom Zentralstaat selbst, von sei-

1 Proklamation der Bundesrepublik Deutschland über die Errichtung einer ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee und in der Ostsee vom 25.11.1994, BGBl. II 1994, 3769, sowie über die Erforschung und Ausbeutung des deutschen Festlandsockels vom 20.1.1964, BGBl. II 1964, 104 und das entsprechende Gesetz vom 24.7.1964, BGBl. I 1964, 497 und BGBl. I 1974, 2149; zu weiteren Einzelheiten Rüster, Die Rechtsordnung des Festlandsockels, Berlin 1977; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht14, Rz. 279 ff.; Schröer, RIW 1978, 507 ff. 2 Waldhoff in V/L7, Art. 30 OECD-MA Rz. 14; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 41; s. aber Nasdala in V/L7, Überschrift und Präambel Rz. 10. 3 Art. 3 Abs. 1 ZK (Art. 3 MZK) z.B. die Gemeinde Büsingen (Hochrhein). 4 Vgl. hierzu etwa RFH v. 24.2.1937, RStBl. 1937, 899; BFH v. 13.2.1974 – I R 219/71, BStBl. II 1974, 361; BFH v. 5.10.1977 – I R 250/75, BStBl. II 1978, 50; BFH v. 12.11.1986 – I R 38/83, BStBl. II 1987, 377; Nasdala in V/L7, Überschrift und Präambel Rz. 12; Meinert in S/D2, Art. 30 OECD-MA Rz. 15. 5 Über die Mosel, Sauer und Our; vgl. hierzu im Einzelnen Rudolf, AVR 24 (1986), 301 ff. 6 Waldhoff in V/L7, Art. 30 OECD-MA Rz. 16; Meinert in S/D2, Art. 30 OECD-MA Rz. 15. 7 So der RFH v. 1.6.1934, RStBl. 1934, 1445 entsprechend der sog. Realteilungstheorie; hierzu Kübler, DÖV 1976, 184 ff.; Kurz, DStR 1975, 461 ff.; Schenk, BayVBl. 1979, 428 ff.; Schweiger, BayVBl. 1995, 65 ff. 8 BFH v. 14.12.1988 – I R 148/87, BStBl. II 1989, 319; zu weiteren Einzelheiten Waldhoff in V/L7, Art. 30 OECD-MA Rz. 13 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 42. 9 Vgl. die Beispiele bei Waldhoff in V/L7, Art. 30 OECD-MA Rz. 17.

834 | Schaumburg/Häck

J. Sachlicher Geltungsbereich | Rz. 19.192 Kap. 19

nen Ländern, Provinzen, Bezirken, Gemeinden oder Gemeindeverbänden erhoben werden.1 Da die deutsche Kirchensteuer keiner derartigen Gebietskörperschaft zufließt, unterliegt sie auch nicht dem sachlichen Anwendungsbereich der DBA. Dies ist im Ergebnis ohne große praktische Bedeutung, weil die als Maßstabsteuer zugrunde liegende Einkommensteuer (§ 51a EStG) von den DBA erfasst wird.2 Einige DBA enthalten bedeutsame Einschränkungen dahingehend, dass lediglich die Steuern des Zentralstaates vom Abkommen erfasst werden.3 Mit den Steuern vom Einkommen und Vermögen ist der Kreis der in die Abkommen einbezogenen Steuern sehr weit gezogen. Aus deutscher Sicht gehören hierzu nicht nur die Einkommen-, Körperschaft-4 und Vermögensteuer,5 sondern auch die Gewerbesteuer.6

19.190

Die Gewerbesteuer zählt zu den Steuern vom Einkommen im Sinne der Abkommensterminologie.7 Da es für die Gewerbesteuer keine eigenständigen Verteilungsnormen gibt, richtet sich die Verteilung des Gewerbeertrags nach den für die Steuern vom Einkommen geltenden Verteilungsnormen (Art. 6 bis 21 und Art. 22 OECD-MA). Mit ihrer Ausrichtung auf die Steuern vom Einkommen liegt den DBA konzeptionell die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Personensteuern zugrunde. Im Hinblick darauf orientiert sich die persönliche Abkommensberechtigung auch an der Ansässigkeit, d.h. an der unbeschränkten Steuerpflicht des Steuersubjekts in mindestens einem Vertragsstaat. Die Gewerbesteuer ist zwar eine Objektsteuer, die nicht an die unbeschränkte Steuerpflicht anknüpft, belastet wird aber letztlich eine Person im Sinne des Abkommensrechts (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA), so dass insoweit die Einbeziehung der Gewerbesteuer in den sachlichen Anwendungsbereich der Abkommen gerechtfertigt ist.8

19.191

Als Steuer vom Vermögen unterliegt die Grundsteuer dem sachlichen Anwendungsbereich der DBA,9 was allerdings im Hinblick darauf, dass nur inländische Grundstücke der Besteuerung unterliegen,10 keine weiteren Auswirkungen hat. Nicht erfasst werden vom sachlichen Geltungsbereich der Abkommen indessen grundsätzlich die Umsatzsteuer und (sonstige) Verbrauchsteuern sowie zumeist die Erbschaftsteuer, für die Deutschland allerdings einige eigenständige Abkommen abgeschlossen hat.11 Zu den Steuern vom Einkommen und Vermögen gehören nicht Sozialversicherungsbeiträge, selbst wenn diese als Steuern bezeichnet werden.12 Die von Deutschland abgeschlossenen DBA stellen durchweg klar, dass zu den Steuern vom Einkommen und Vermögen auch die Steuern vom Vermögenszuwachs gehören.13 Da-

19.192

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

OECD-MK, Ziff. 2 zu Art. 2 Abs. 1. Ismer in V/L7, Art. 2 OECD-MA Rz. 13; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 2 OECD-MA Rz. 20. Beispiele bei Ismer in V/L7, Art. 2 OECD-MA Rz. 20. Einschließlich des als Ergänzungsabgabe erhobenen Solidaritätszuschlags, vgl. §§ 1 und 5 SolZG. Sie wird seit dem 1.1.1997 nicht mehr erhoben. Hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 2 OECD-MA Rz. 53. Dremel in S/D2, Art. 2 OECD-MA Rz. 30; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 2 OECD-MA Rz. 31; Kluge, FR 1976, 521 (528). Dremel in S/D2, Art. 2 OECD-MA Rz. 30; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 2 OECD-MA Rz. 31; Debatin, DB 1962, Beilage 12, 1 (1 f.). Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 2 Rz. 32. § 1 Abs. 1 und 2 GrStG. Mit Dänemark, Griechenland, Schweden, Schweiz, Frankreich und den USA. Ismer in V/L7, Art. 2 OECD-MA Rz. 30. Vgl. z.B. Art. 2 Abs. 2 DBA-Großbritannien.

Schaumburg/Häck | 835

Kap. 19 Rz. 19.192 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

mit wird auch die sog. Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG erfasst,1 die aber keine eigene Steuerart darstellt, sondern als Vermögenszuwachs im Rahmen der Einkommensteuer besteuert wird.

19.193

Der sachliche Anwendungsbereich der Abkommen beurteilt sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens (Art. 2 Abs. 4 OECD-MA), ohne dass es darauf ankommt, ob die betreffenden Steuern in dem einen oder anderen Vertragsstaat auch tatsächlich erhoben werden. Sollten zu einem späteren Zeitpunkt in dem einen oder anderen Vertragsstaat Steuern gleicher oder im Wesentlichen ähnlicher Art eingeführt werden, so wird durch die in den DBA verankerten Ausdehnungsklauseln (Art. 2 Abs. 4 OECD-MA) gewährleistet, dass auch diese Steuern in deren sachlichen Anwendungsbereich fallen.2 Die zuständigen Behörden beider Vertragsstaaten sind verpflichtet, sich die entsprechenden Änderungen mitzuteilen (Art. 2 Abs. 4 Satz 2 OECD-MA).

K. Steuerberechtigung Literatur: Kommentare zu Art. 4 OECD-MA; Beiser, Doppelwohnsitz und Mittelpunkt der Lebensinteressen im zwischenstaatlichen Steuerrecht, ÖStZ 1989, 241; Firlinger, Die abkommensrechtliche Ansässigkeit und die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, Wien 1995, 307; Flick, Recht und Gerechtigkeit im Internationalen Steuerrecht, FR 1961, 171; Großmann, Doppelt ansässige Gesellschaften, München 1995; Hausmann/Raupach u.a., Steuergestaltung durch doppelt ansässige Gesellschaften?, München 1988; Kaminski/Strunk, Ansässigkeit und Vermeidung der Doppelbesteuerung nach Abkommensrecht, IStR 2007, 189; Kleineidam, Perspektiven der internationalen Einkunftsabgrenzung im Lichte globaler Unternehmensstrategien, in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/Schaumburg (Hrsg.) Unternehmen/Steuern, FS für Flick, Köln 1997, 857; Kramer, Wohnsitz versus ständige Wohnstätte?, DStR 2019, 2573; Lüdicke, Doppelansässigkeit, Ansässigkeitswechsel und Progressionsvorbehalt, in FS für Fischer, Berlin 1999, 731; Mäusli, Die Ansässigkeit von Gesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Bern/Stuttgart/Wien 1993; Seibold, Problematik der Doppelansässigkeit von Kapitalgesellschaften, IStR 2003, 45; Siebing, Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt als nationale Anknüpfungsmerkmale der Besteuerung, ISR 2021, 104; Staringer, Besteuerung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften, Wien 1999; Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, Hamburg 1991.

I. Grundregel 19.194

Die Bedeutung der DBA erschöpft sich nicht darin, zugunsten abkommensberechtigter Personen eine Doppelbesteuerung zu vermeiden; DBA sind vielmehr auch auf die gerechte Verteilung der Steuergüter unter den Vertragsstaaten gerichtet.3 Die Verteilung des Steuergutes4

1 Ismer in V/L7, Art. 2 OECD-MA Rz. 42; unmittelbar als Steuer vom Einkommen qualifizierend Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 2 OECD-MA Rz. 45; Dremel in S/D2, Art. 2 OECD-MA Rz. 34. 2 Zu den Einzelheiten Ismer in V/L7, Art. 2 OECD-MA Rz. 57 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 2 OECD-MA Rz. 69 ff.; Dremel in S/D2, Art. 2 OECD-MA Rz. 41 ff. 3 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 23; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 11; Tipke, Steuergerechtigkeit, 120; Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, 105 ff.; Flick, FR 1961, 171 f.; Kleineidam in FS Flick, 857 (865 ff.). 4 Zu noch im Übrigen gebräuchlichen Formulierungen Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 66; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 9 mit Kritik am Begriff „Verteilungsnorm“.

836 | Schaumburg/Häck

K. Steuerberechtigung | Rz. 19.197 Kap. 19

erfolgt nach Maßgabe der in den DBA verankerten Verteilungsnormen, die damit über die Reichweite der allein nach innerstaatlichem Recht begründeten Steuerberechtigung der Vertragsstaaten auf Abkommensebene entscheiden. Im Grundsatz wird hierbei die Steuerberechtigung des Wohnsitzstaates aufrechterhalten mit der Folge, dass dieser die vorrangige Besteuerung hat. Entsprechend dieser Grundregel setzt der Vorschriftenaufbau der DBA bei der Steuerberechtigung des Wohnsitzstaates an und grenzt hiervon die Steuerberechtigung des Quellenstaates aus, so dass diesem grundsätzlich nur eine nachrangige Besteuerung verbleibt. Die Dominanz der Wohnsitzstaatbesteuerung, die ggü. der Quellenstaatbesteuerung eine größere Reichweite ausweist, verwirklicht im Ansatz das Welteinkommensprinzip auch auf Abkommensebene. Im Hinblick darauf knüpft die Entscheidung, ob ein Vertragsstaat Wohnsitzstaat oder Quellenstaat ist, folgerichtig an die unbeschränkte Steuerpflicht der betreffenden natürlichen oder juristischen Person an (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA). Ausdrücklich keine in einem „Vertragsstaat ansässige Personen“ sind jene, die in diesem Staat nur mit Einkünften aus Quellen in diesem Staat steuerpflichtig sind (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA). Ist eine Person zwar nach dem Steuerrecht eines Vertragsstaates unbeschränkt steuerpflichtig, aber die Besteuerung ist auf Einkünfte aus Quellen dieses Staates beschränkt, ist diese Person nicht in diesem Staat ansässig. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA greift hingegen nicht, wenn auch nur hinsichtlich einer Einkunftsart auch Einkünfte aus ausländischen Quellen besteuert werden. Ebenfalls findet Art. 4 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA dann keine Anwendung, wenn die Besteuerung in einem der Vertragsstaaten nur deshalb auf Einkünfte aus inländischen Quellen begrenzt ist, weil die Person daneben aufgrund der tie-breaker-rule dieses Vertragsstaats mit einem Drittstaat in dem Drittstaat nach Art. 4 Abs. 2 OECD-MA als ansässig gilt.1 Die unbeschränkte Steuerpflicht entscheidet damit nicht nur über die Abkommensberechtigung einer Person, sondern zugleich auch darüber, ob und in welchem Ausmaß die Steuerberechtigung der beiden Vertragsstaaten aufrechterhalten bleibt.2

19.195

Ist die Person in beiden Vertragsstaaten unbeschränkt steuerpflichtig, ist damit zwar über die Abkommensberechtigung dieser Person entschieden, nicht aber darüber, welcher der beiden Vertragsstaaten die in seinem Gebiet ansässige Person als Wohnsitzstaat oder als Quellenstaat besteuern darf. Diese Entscheidung wird vielmehr erst auf einer Stufenfolge zumeist ortsbezogener Kriterien getroffen (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA). Als Wohnsitzstaat gilt danach stets derjenige Vertragsstaat, in dem die Person aufgrund eines abgestuften Regelungssystems als ansässig gilt. Der andere Vertragsstaat ist sodann automatisch der Quellenstaat.3

19.196

Die aufgrund besonderer Kollisionsregeln (Tie-Breaker-Rules, Art. 4 Abs. 2 OECD-MA) zu treffende Entscheidung, welcher der beiden Vertragsstaaten Wohnsitz- oder Quellenstaat ist, hat lediglich bilaterale Bedeutung und mithin keine Bindung für Drittstaaten. Hieraus folgt: Ist eine Person etwa in zwei verschiedenen Staaten ansässig und haben beide Staaten mit einem Drittstaat DBA abgeschlossen, so ist der Drittstaat Quellenstaat, die beiden anderen Staaten sind Wohnsitzstaaten. Besteht zwischen beiden Wohnsitzstaaten ein DBA, so ist zwar im Verhältnis zueinander der eine Vertragsstaat Wohnsitzstaat und der andere Quellenstaat mit der Folge, dass hiernach nur dem Wohnsitzstaat die uneingeschränkte Besteuerung der Drittstaateneinkünfte (Art. 21 OECD-MA) verbleibt, aus der Sicht des Drittstaates sind aber die beiden anderen Staaten unverändert Wohnsitzstaaten. Da die DBA hierfür keine Kollisionsregeln ent-

19.197

1 Zutr. Pohl in S/D2, Art. 4 Rz. 60; a.A. Art. 4 Rz. 8.2 OECD-MK. 2 Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 11 ff.; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 2. 3 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 2.

Schaumburg/Häck | 837

Kap. 19 Rz. 19.197 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

halten, kann sich der Steuerpflichtige gegenüber dem Drittstaat auf das für ihn günstigere DBA berufen.1 Besteht zwischen beiden Wohnsitzstaaten kein DBA, ist eine entsprechende Verständigungsvereinbarung nicht möglich. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung ist hier ggf. durch Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO) seitens der Wohnsitzstaaten sicherzustellen.

19.198

Aus der vorrangigen Besteuerung durch den Wohnsitzstaat, für den grundsätzlich die Besteuerung des Welteinkommens/-vermögens erhalten bleibt, folgt als Kehrseite, dass es im Ausgangspunkt der Wohnsitzstaat ist, der auf seine weitreichende Steuerberechtigung ganz oder teilweise verzichtet, soweit dem Quellenstaat die Steuerberechtigung nicht genommen ist. Der Verzicht durch den Wohnsitzstaat erfolgt durch Steuerfreistellung oder Steueranrechnung.

19.199

Entsprechend der Grundorientierung der Abkommen verbleibt dem Quellenstaat lediglich eine nachrangige Besteuerung, die ihm im Grundsatz die uneingeschränkte Besteuerung der Einkünfte von in seinem Gebiet belegenen Betriebsstätten und unbeweglichem Vermögen sowie die reduzierte Besteuerung von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren belässt. Darüber hinaus ist dem Quellenstaat grundsätzlich aber die Besteuerungsbefugnis genommen, so dass insbesondere Einkünfte aus Drittstaaten (Art. 21 OECD-MA) dem Besteuerungszugriff des Quellenstaates auch dann entzogen sind, wenn die Person im Quellenstaat unbeschränkt steuerpflichtig ist.

19.200

Die Aufhebung oder Einschränkung der Steuerberechtigung des Quellenstaates steht nach einigen Abkommen allerdings unter dem Vorbehalt, dass die betreffenden Einkünfte im Wohnsitzstaat tatsächlich besteuert werden.2 Darüber hinaus ist die Aufhebung oder Einschränkung der Steuerberechtigung des Quellenstaates in einigen Abkommen auf diejenigen Einkunftsbeträge begrenzt, die tatsächlich in den Wohnsitzstaat überwiesen werden3 und gegebenenfalls dort auch tatsächlich besteuert werden.4 Durch diese Einschränkungen wird im Ergebnis ausnahmsweise lediglich die effektive Doppelbesteuerung (Rz. 15.8) vermieden.

19.201

Die für die Steuerberechtigung maßgebliche Entscheidung, welcher der beiden Vertragsstaaten als Wohnsitz- oder als Quellenstaat zu gelten hat, orientiert sich in erster Linie an bestimmten, in Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA aufgeführten ortsbezogenen Merkmalen, die nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Steuerrechts zu einer Steuerpflicht führen. Im Hinblick darauf, dass die ortsbezogenen Merkmale den Wohnsitz, ständigen Aufenthalt, Ort der Geschäftsleitung oder ein anderes ähnliches Merkmal betreffen, wird letztlich auf die unbeschränkte Steuerpflicht abgestellt. Soweit es um natürliche Personen geht, ist der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt maßgeblich. Es handelt sich hierbei zwar um abkommensrechtliche Begriffe, da aber letztlich auf die unbeschränkte Steuerpflicht in einem der beiden oder in beiden Vertragsstaaten abgestellt wird, ist die Begriffsbildung des jeweiligen nationalen Rechts maßgeblich.5 Aus der Sicht des deutschen Steuerrechts ist damit auf § 8 AO (Wohnsitz) und § 9

1 Vgl. BFH v. 4.11.2014 – I R 19/13, BFH/NV 2015, 333; Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 121b; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 4. 2 Sog. Subject-to-Tax-Klauseln; Abkommensübersicht bei Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 20a, dort auch zur Abgrenzung sog. Rückfallklauseln. 3 Sog. Remittance-Klausel; Abkommensübersicht bei Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECDMA Rz. 18. 4 So Art. II Abs. 2 DBA-Großbritannien 1964/70, vgl. Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECDMA Rz. 19e. 5 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 31, 35.

838 | Schaumburg/Häck

K. Steuerberechtigung | Rz. 19.203 Kap. 19

AO (gewöhnlicher Aufenthalt) abzustellen (Rz. 6.12 ff.).1 Erfasst wird damit stets die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht gem. § 1 Abs. 1 EStG. Darüber hinaus wird wegen der Erfassung des Welteinkommens als ein dem Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt ähnliches Merkmal auch die erweiterte unbeschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) einbezogen.2 Nicht erfasst wird demgegenüber die fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) und die erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 2 AStG).3 Soweit darüber hinaus an den Ort der Geschäftsleitung angeknüpft wird, sind nicht-natürliche Personen angesprochen, zu denen aus der Sicht des deutschen Steuerrechts ausschließlich die in § 1 Abs. 1 KStG aufgeführten Körperschaftsteuersubjekte gehören. Maßgeblich ist die Begriffsdeutung des jeweiligen nationalen Rechts, so dass letztlich auf den Ort der Geschäftsleitung i.S.d. § 10 AO abzustellen ist.4 Erfasst wird somit aus der Sicht des deutschen Steuerrechts die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 KStG), und zwar auch insoweit, als diese auf einem inländischen Sitz (§ 11 AO) beruht.5 Obwohl vom sachlichen Anwendungsbereich der DBA auch die Gewerbesteuer umfasst ist, enthält Art. 4 Abs. 1 OECD-MA keine für die Gewerbesteuer maßgebliche Anknüpfung, so dass etwa Unternehmen, die in Deutschland der Gewerbesteuer unterliegen, deshalb hier noch nicht ansässig i.S.d. Art. 4 Abs. 1 OECD-MA sind.6

II. Kollisionsregel Die Kollisionsregel7 des Art. 4 Abs. 2 OECD-MA entscheidet, welcher Staat als Wohnsitzstaat zu gelten hat, wenn nach der Grundregel des Art. 4 Abs. 1 OECD-MA wegen der unbeschränkten Steuerpflicht in beiden Staaten die Steuerberechtigung beider Staaten als Wohnsitzstaaten miteinander kollidiert. In diesem Sinne hat der Begriff „Kollisionsregel“ Eingang in die Terminologie des Internationalen Steuerrechts gefunden.

19.202

Während für Zwecke der persönlichen Abkommensberechtigung ausschließlich auf die unbeschränkte Steuerpflicht und damit auf innerstaatliches Steuerrecht zurückzugreifen ist,8 knüpft die Steuerberechtigung als Wohnsitzstaat an die unbeschränkte Steuerpflicht nur dann an, wenn diese lediglich in einem Vertragsstaat gegeben ist. Besteht allerdings die unbeschränkte Steuerpflicht in beiden Vertragsstaaten, so dass nach der vorgenannten Grundregel (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA) die Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten zu bejahen ist, so entscheidet sich die Steuerberechtigung als Wohnsitzstaat sowohl für natürliche als auch für juristische Personen nach auf mehreren Stufen angesiedelten Kollisionsregeln (Art. 4 Abs. 2 und Abs. 3 OECD-MA). Auf jeder Kollisionsstufe entscheidet sich, in welchem der beiden Ver-

19.203

1 Ausf. Siebing, ISR 2021, 104 ff. 2 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 42; Pohl in S/D2, Art. 4 OECD-MA Rz. 44. 3 Begründung: keine Erfassung des Welteinkommens; BFH v. 20.9.2006 – I R 13/02, BFH/NV 2007, 410; Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 78; Pohl in S/D2, Art. 4 OECD-MA Rz. 48. 4 Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 105; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 38; zum Ort der Geschäftsleitung im Einzelnen Rz. 7.2 ff. 5 Es handelt sich hierbei um ein dem Ort der Geschäftsleitung ähnliches Merkmal; hierzu Ismer/ Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 110; Pohl in S/D2, Art. 4 OECD-MA Rz. 43. 6 Klarstellung in Art. 4 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA; hierzu Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 46; s. aber Jacob/Hagena, IStR 2013, 485. 7 Dieser Begriff ist nicht im Sinne des Internationalen Privatrechts zu verstehen, wonach Kollisionsnormen bestimmen, welches der beiden innerstaatlichen Rechte zur Anwendung kommt. Sog. TieBreaker-Rule. 8 Art. 4 Abs. 1 OECD-MA; einige deutsche Abkommen enthalten entweder keine vergleichbaren oder aber autonomen Regelungen; hierzu Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 140 ff.

Schaumburg/Häck | 839

Kap. 19 Rz. 19.203 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

tragsstaaten die natürliche oder juristische Person als ansässig gilt, so dass einer der beiden Vertragsstaaten zum Wohnsitzstaat mit grundsätzlich uneingeschränkter Steuerberechtigung erklärt wird und der andere Vertragsstaat als Quellenstaat zurücktreten muss.

19.204

Soweit die Steuerberechtigung an die Ansässigkeit natürlicher Personen anknüpft, sehen die DBA im Allgemeinen fünf Kollisionsstufen vor.1 Ist eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten aufgrund ihres Wohnsitzes oder ihres ständigen Aufenthaltes unbeschränkt steuerpflichtig und damit nach der Grundregel in beiden Vertragsstaaten ansässig, so entscheidet auf der ersten Kollisionsstufe die ständige Wohnstätte über die Ansässigkeit und damit über die Steuerberechtigung als Wohnsitzstaat. Da der Begriff „ständige Wohnstätte“ nicht identisch ist mit „Wohnsitz“, vielmehr einen besonders qualifizierten Wohnsitz meint, den die natürliche Person nicht nur gelegentlich und auch nicht nur zu vorübergehenden Zwecken nutzt,2 bietet die ständige Wohnstätte nicht nur die Lösung für die Kollisionspaare Wohnsitz/ständiger Aufenthalt, sondern auch für den Fall, dass die natürliche Person in beiden Vertragsstaaten einen Wohnsitz unterhält.

19.205

Verfügt die natürliche Person in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte, so orientiert sich auf einer zweiten Kollisionsstufe die Abgrenzung zwischen Wohnsitzstaat einerseits und Quellenstaat andererseits am Mittelpunkt der Lebensinteressen der abkommensberechtigten Person. Danach ist derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat, zu dem die natürliche Person die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen unterhält.3 Hinsichtlich der persönlichen Beziehungen ist abzustellen auf die gesamte private Lebensführung, insbesondere auf das familiäre, gesellschaftliche, politische und kulturelle Umfeld.4 Demgegenüber ist im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Beziehungen darauf abzustellen, von wo aus die natürliche Person ihrer täglichen Arbeit nachgeht und wo ihr Vermögen und ihre Einkünfte verwaltet werden.5 Der Mittelpunkt der Lebensinteressen in einem Vertragsstaat erfordert nicht, dass zu diesem persönliche und wirtschaftliche Beziehungen kumulativ vorliegen müssten. Hat die Person die engeren persönlichen Beziehungen zu einem Vertragsstaat und die wirtschaftlichen Beziehungen6 dagegen zu dem anderen Vertragsstaat, so liegt der Mittelpunkt der Lebensinteressen in dem Vertragsstaat, zu dem die Beziehungen für die natürliche Person bedeutungsvoller sind.7

1 Überblick über die Rangfolge bei Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 52; Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 161 ff. 2 BFH v. 23.10.1985 – I R 274/82, BStBl. II 1986, 133; BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562; BFH v. 16.12.1998 – I R 40/97, BStBl. II 1999, 207; BFH v. 5.6.2007 – I R 22/06, BStBl. II 2007, 812; Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 180 ff.; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 33, 53 ff.; M. Frotscher in Haase3, Art. 4 OECD-MA Rz. 103. 3 Zum Begriff im Einzelnen Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 66 ff.; Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 190 ff.; Pohl in S/D2, Art. 4 OECD-MA Rz. 76 ff. 4 Hierzu im Einzelnen Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 192; Pohl in S/D2, Art. 4 OECDMA Rz. 79. 5 Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 194; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 670; Pohl in S/D2, Art. 4 OECD-MA Rz. 80. 6 Nur gegenwartsbezogene wirtschaftliche Beziehungen, die sich voraussichtlich in Zukunft abbauen werden, fallen nicht stark ins Gewicht, BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562. 7 BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562; v. 23.7.1971 – III R 60/70, BStBl. II 1971, 758; Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 195; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 71; vgl. auch BFH v. 25.9.2007 – I B 84/06, BFH/NV 2008, 226.

840 | Schaumburg/Häck

K. Steuerberechtigung | Rz. 19.209 Kap. 19

Hat die abkommensberechtigte Person in beiden Vertragsstaaten eine ständige Wohnstätte, kann aber nicht festgestellt werden, in welchem Staat sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte, so ist auf einer dritten Kollisionsstufe auf den gewöhnlichen Aufenthalt der natürlichen Person abzustellen. Der Begriff gewöhnlicher Aufenthalt ist nicht im Rückgriff auf innerstaatliches Recht (§ 9 AO), sondern in Abgrenzung zu den anderen Kollisionsmerkmalen autonom auszulegen.1 Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person wird hierbei in dem Vertragsstaat liegen, in dem sie überwiegend lebt.2

19.206

Hat die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Vertragsstaaten oder in keinem von beiden, so ist derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie hat. Für dieses auf der vierten Kollisionsstufe maßgebliche Abgrenzungskriterium ist auf das innerstaatliche Recht desjenigen Vertragsstaates zurückzugreifen, dessen Staatsangehörigkeit die natürliche Person besitzt.3

19.207

Hat die natürliche Person schließlich die Staatsangehörigkeit beider Vertragsstaaten oder keines dieser Staaten, so entscheidet auf einer fünften Kollisionsstufe das gegenseitige Einvernehmen der beiden Vertragsstaaten darüber, wer Wohnsitzstaat und wer Quellenstaat ist. Es handelt sich hierbei um ein Verständigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA), das hier eine Modifikation dahingehend erfährt, dass die Vertragsstaaten sowohl zur Einleitung als auch zu einer Einigung verpflichtet sind, weil andernfalls das DBA nicht anwendbar wäre.4

19.208

Sind juristische Personen und abkommensberechtigte Personengesellschaften (Rz. 19.177 ff.) in beiden Vertragsstaaten unbeschränkt steuerpflichtig, etwa aufgrund des Sitzes oder des Orts der Geschäftsleitung, so wird diese Kollision in der Abkommenspraxis regelmäßig dadurch gelöst, dass derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat ist, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung befindet. Dieser Begriff ist zwar ebenfalls autonom ohne Rückgriff auf innerstaatliches Recht auszulegen,5 da aber die deutsche Rechtsprechung zu § 10 AO bei der Bestimmung des Orts der Geschäftsleitung auf tatsächliche Verhältnisse abstellt, können diese Rechtsprechungsgrundsätze herangezogen werden.6 Der Ort der Geschäftsleitung befindet sich danach dort, wo der für die Geschäftsleitung maßgebende Wille tatsächlich gebildet wird; d.h., wo die geschäftsleitenden Anordnungen abgegeben, nicht aber dort, wo sie wirksam werden.7 Da bei juristischen Personen und abkommensberechtigten Personengesellschaf-

19.209

1 Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 203; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 74. 2 Zu weiteren Einzelheiten Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 74 ff. 3 Art. 4 Abs. 2c i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. g OECD-MA; im Einzelnen Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 208; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 80 f.; Pohl in S/D2, Art. 4 OECD-MA Rz. 95. 4 Ein Zwang zur Einigung besteht sonst nicht; Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 210; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 84; M. Frotscher in Haase3, Art. 4 OECDMA Rz. 115. 5 Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 277; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 4 OECD-MA Rz. 95. 6 Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 279 f. 7 RFH v. 3.7.1936, RStBl. 1936, 804; BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; BFH v. 3.8.1977– III R 92/74, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 29.4.1987 – X R 16/81, BFH/NV 1988, 64; BFH v. 21.9.1989 – V R 55/84, BFH/NV 1990, 353; BFH v. 21.9.1989 – V R 32/88, BFH/NV 1990, 688; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175; BFH v. 3.7.1997 – IV R 58/95, BStBl. II 1998, 86; BFH

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Kap. 19 Rz. 19.209 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

ten die Kollision der Steuerberechtigung der beiden Vertragsstaaten auf nur einer Stufe gelöst werden kann (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA), kommt für die tatsächliche Geschäftsleitung nur ein einziger Ort in Betracht.1 Insoweit entspricht die Rechtslage der des § 10 AO.2

19.210

Während in den meisten deutschen DBA die Kollisionsfrage bei juristischen Personen durch den Ort der Geschäftsleitung gelöst wird,3 empfiehlt das OECD-MA seit dem Update 20174 stattdessen bei doppelansässigen Gesellschaften die Durchführung eines Verständigungsverfahrens.5

L. Verteilung der Steuergüter I. Allgemeines Literatur: Amann, Zur Systematik der Ermittlung ausländischer Einkünfte, DB 1997, 796; Debatin, Zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, in FS für Scherpf, Wiesbaden 1983, 305; Debatin, System und Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen, DB 1985, Beilage 23, 1; Dürrschmidt, Die Einkunftsarten im Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland und im Recht der Doppelbesteuerung, Diss. Erlangen-Nürnberg 1975; Gosch, Die Zeit im Abkommensrecht, in Festgabe Wassermeyer, München 2015, 209; Gosch, Über die Zeit im Abkommensrecht, IStR 2015, 709; Hey, F., Anwendung des Art. 23 Abs. 2 Buchst. b DBA-USA bei Nichtversteuerung von in den USA steuerpflichtigen Einkünften, RIW 1997, 82; Jakob, Das deutsch-amerikanische Doppelbesteuerungsabkommen von 1989, DStZ 1992, 669; Knechtle, Grundfragen des internationalen Steuerrechts, Basel/Stuttgart 1976; Lang, M., Zeitliche Zurechnung bei der DBA-Anwendung, SWI 1999, 282; Vogel, Die Mär von den „Rückfall-Klauseln“ in Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 1997, Beihefter zu Heft 24; Wassermeyer, Nachträgliche „ausländische“ Einkünfte, IStR 2011, 361; Wassermeyer, Das Besteuerungsrecht für nachträgliche Einkünfte im internationalen Steuerrecht, IStR 2010, 461.

19.211

Die Schrankenwirkungen der DBA artikulieren sich primär in ihren Verteilungsnormen,6 die darauf gerichtet sind, die Verteilung des Steuergutes7 zwischen Wohnsitzstaat und Quellenstaat vorzunehmen. In ihrem Ausgangspunkt zielen die Verteilungsnormen darauf ab, die Steuerberechtigung des Wohnsitzstaates aufrechtzuerhalten und diejenige des Quellenstaates zu umgrenzen mit der Folge, dass die Steuerberechtigung des Quellenstaates entweder aufrechterhalten, begrenzt oder gänzlich aufgehoben wird.

1 2 3 4 5 6

7

v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 9.7.2003 – I R 4/02, BFH/NV 2004, 83; BFH v. 5.11.2014 – IV R 30/11, BStBl. II 2015, 601; zu weiteren Einzelheiten Rz. 7.2 ff. BFH v. 1.3.1966 – I 13/65, I 14/65, I 13, 14/65, BStBl. III 1966, 207; Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 279; vgl. im Übrigen zu weiteren Einzelheiten insbesondere im Zusammenhang mit Unternehmensverträgen Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 282 ff. S. aber BFH v. 5.11.2014 – IV R 30/11, BStBl. II 2015, 601. Vgl. die Übersicht bei Ismer/Blank in V/L7, Art. 4 OECD-MA Rz. 273. Hierzu Ditz/Bärsch/Quilitzsch, DB 2018, 1171. So bspw. auch Art. 4 Abs. 3 DBA-USA. Art. 6 bis 22 OECD-MA; neben Verteilungsnormen sind auch die Begriffe Zuteilungsnormen und Kollisionsnormen gebräuchlich, vgl. zur Terminologie Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (2); kritisch zu dieser Begriffsbildung Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 9; der diese Normen als Steuerbefreiungs- und Steuerermäßigungsnormen bezeichnet, ohne dass hierin ein Widerspruch erkennbar ist. Zur Abgrenzung zwischen (wirtschaftlichem) Steuergut und (rechtlichem) Steuerobjekt Seer in Tipke/Lang24, Rz. 6.36.

842 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.214 Kap. 19

Soweit die Steuerberechtigung des Quellenstaates aufgehoben wird, handelt es sich um vollständige Verteilungsnormen, also um Verteilungsnormen mit einer abschließenden Rechtsfolge.1 Diese vollständigen Verteilungsnormen sind dadurch gekennzeichnet, dass bestimmte Einkünfte und bestimmtes Vermögen nur im Wohnsitzstaat besteuert werden dürfen mit der Folge der Steuerfreistellung im Quellenstaat. In Sonderfällen regeln die Verteilungsnormen ihre Rechtsfolge allerdings auch dadurch abschließend, dass das Besteuerungsrecht nur dem Quellenstaat zugewiesen wird, so dass der Wohnsitzstaat freizustellen hat (vgl. etwa Art. 8 Abs. 1 und 2 OECD-MA).

19.212

Unvollständige Verteilungsnormen, also solche ohne abschließende Rechtsfolge, halten die Steuerberechtigung des Quellenstaates ganz oder teilweise aufrecht mit der Folge, dass der Wohnsitzstaat diese Steuerberechtigung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steuerfreistellung oder Steueranrechnung auszugleichen hat. Die gegen die Doppelbesteuerung gerichteten Schrankenwirkungen der DBA setzen bei diesen unvollständigen Verteilungsnormen mithin erst auf einer nachgeordneten Stufe bei den Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Art. 23A, 23B OECD-MA) ein.2

19.213

Die Reichweite der Steuerberechtigung des Quellenstaates orientiert sich an einem in den Verteilungsnormen enthaltenen differenzierten Einkünfte- und Vermögenskatalog, der mit dem des innerstaatlichen Rechts nicht identisch ist. Die Verteilungsnormen haben eine eigenständige Begriffssprache, so dass ein Rückgriff auf die Begriffswelt etwa der sieben Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes grundsätzlich unzulässig ist.3 Die Verteilungsnormen enthalten für die Einordnung in die einzelnen Einkünftekategorien auch eigenständige Konkurrenzregeln, die sich von denen der sieben Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes grundlegend unterscheiden. So hat etwa die Einordnung unter die Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen stets Vorrang vor den übrigen Einkünftekategorien (vgl. Art. 6 Abs. 4 OECD-MA). Das Gefüge der Konkurrenzregeln statuiert eine abkommensspezifische isolierende Betrachtungsweise,4 für die andere Abgrenzungsregeln gelten als in § 49 EStG.5 Hieraus folgt, dass im Sinne der Spezialität, die spezielleren den allgemeinen Verteilungsnormen rechtsfolgemäßig im Grundsatz vorgehen. Aufgrund dieser isolierenden Betrachtungsweise sind etwa einem Unternehmen zufließende Einkünfte nicht stets als Unternehmensgewinne, sondern ggf. als Dividenden, Lizenzen oder Zinsen zu qualifizieren,6 und zwar auch dann, wenn dieses Unternehmen nach deutschem Steuerrecht als Gewerbebetrieb kraft Rechtsform7 oder als gewerblich geprägte Personengesellschaft8 Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Schließlich enthalten die Verteilungsnormen insoweit keine Lücken, als durch eine Auffangklausel (Art. 21 OECDMA) sichergestellt ist, dass alle Einkünfte und sämtliches Vermögen erfasst werden.

19.214

1 Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 82 ff.; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 12; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, 78 f. 2 Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 12. 3 Hierzu im Einzelnen Rz. 19.58 ff.; zum Vergleich der Einkunftsarten des EStG einerseits und der DBA andererseits Dürrschmidt, Die Einkunftsarten im Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland und im Recht der Doppelbesteuerung. 4 Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 21; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 48; Debatin in FS Scherpf, 305 (315); Wassermeyer, in Vogel/Wassermeyer u.a., Freistellung im Internationalen Steuerrecht, 21 (23 f.); Amann, DB 1997, 796 (797). 5 Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 21. 6 Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 21 f.; Schönfeld/Häck in S/D2, Systematik Rz. 48. 7 Kapitalgesellschaften gem. § 8 Abs. 2 KStG. 8 Z.B. GmbH & Co. KG gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG.

Schaumburg/Häck | 843

Kap. 19 Rz. 19.215 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.215

Für die Einordnung der Einkünfte unter die Einkünftekategorien der Verteilungsnormen sind sachliche Kriterien maßgeblich, so dass darauf abzustellen ist, auf welche Ursachen die Entstehung der Einkünfte zurückzuführen ist.1 Diese sachlichen Zuordnungskriterien sind insbesondere für Vorauseinkünfte und für nachträgliche Einkünfte von Bedeutung. So sind etwa nachträgliche Einkünfte einer bereits aufgelösten Betriebsstätte gleichwohl als Betriebsstätteneinkünfte (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA) zu qualifizieren (Rz. 21.95 ff.). Entsprechendes gilt für vorweggenommene und nachträgliche, nicht aber für vergebliche Aufwendungen (Rz. 21.95).2

19.216

Verteilungsnormen, die zu einer Steuerfreistellung im Quellenstaat oder im Wohnsitzstaat führen, bewirken im Grundsatz die Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung, weil die Steuerfreistellung grundsätzlich unabhängig davon ist, ob die freigestellten Einkünfte von dem anderen Staat besteuert werden3 und eine geschuldete Steuer tatsächlich erhoben wird.4 In einigen, insbesondere den jüngeren deutschen DBA steht die Steuerfreistellung im Wohnsitzstaat oder im Quellenstaat allerdings unter dem Vorbehalt, dass die betreffenden Einkünfte im jeweils anderen Vertragsstaat tatsächlich besteuert worden sind.5

19.217

DBA sehen im Rahmen der vorgenannten Verteilungsnormen mitunter Besonderheiten dahingehend vor, dass die Steuerfreistellung durch den Quellenstaat nur die an den Wohnsitzstaat transferierten Beträge erfasst.6 In diesen Fällen wird die Steuerfreistellung in aller Regel durch die Steueranrechnung ersetzt.7 Durch diese Einschränkungen wird im Ergebnis lediglich die effektive Doppelbesteuerung vermieden.

19.218

Die Reichweite der abkommensrechtlichen Verteilungsnormen ist begrenzt: Sie enthalten durchweg keine Regeln über die Einkünfteermittlung und -zurechnung so dass abkommensrechtlich beides dem innerstaatlichen Recht vorbehalten ist.8 Im Hinblick darauf sind die diesbezüglichen Regeln jeweils dem nationalen Recht zu entnehmen. Das bedeutet, dass aus der Sicht des deutschen Steuerrechts die unter die abkommensrechtlichen Verteilungsnormen fallenden Einkünfte entweder im Rahmen eines Bestandsvergleichs nach den §§ 4 Abs. 1; 5 Abs. 1 EStG, einer Überschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG oder durch Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu ermitteln sind. Diese an den Regeln des jeweiligen nationalen Rechts orientierte Einkünfteermittlung wird indessen durch die abkommensspezifische isolierende Betrachtungsweise, wonach etwa die für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren

1 BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019; Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECDMA Rz. 8 ff.; Lang, M., SWI 1999, 282 (283); a.A. Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 6–22 OECDMA Rz. 17; vgl. ausführlich Wassermeyer, IStR 2010, 461 ff. 2 BFH v. 20.5.2015 – I R 75/14, BFH/NV 2015, 1687 mit Anm. Dürrschmidt, IStR 2015, 885; a.A. Ditz in S/D2, Art. 7 (2008) OECD-MA Rz. 194; Wassermeyer, IStR 2011, 361 (368); Gosch, IStR 2015, 709 (711 ff.); anders zum (vergeblichem) Gründungsaufwand BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703; Gosch, IStR 2015, 709 (713). 3 RFH v. 29.2.1940, RStBl. 1940, 532; BFH v. 13.9.1972 – I R 130/70, BStBl. II 1973, 57; BFH v. 31.7.1974 – I R 27/73, BStBl. II 1975, 61; vgl. auch Rz. 15.8. 4 BFH v. 31.7.1974 – I R 27/73, BStBl. II 1975, 61. 5 Zu dieser Subject-to-Tax-Klausel Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 19 ff. mit einer Übersicht über die einschlägigen DBA. 6 Zu dieser Remittance-Klausel Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 18 mit einem Überblick über die einschlägigen DBA. 7 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 72. 8 Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 21; Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 15; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 55.

844 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.219 Kap. 19

maßgeblichen Verteilungsnormen im Grundsatz1 unabhängig davon eingreifen, ob die vorbezeichneten Einkünfte in einem Betriebs- oder Privatvermögen erzielt werden, im Sinne einer einheitlichen Einkünfteermittlung modifiziert. Hieraus folgt, dass auch Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren, die nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht zu den Gewinneinkunftsarten gehören, nur mit dem Betrag angesetzt werden können, der auch bei einer im Inland ansässigen Person, die diese Einkünfte im Privatvermögen erzielt, als Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG), Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) oder sonstige Einkünfte (§ 22 EStG) zu berücksichtigen wäre. Als Betriebsausgaben können hiernach von den entsprechenden ausländischen Erwerbsbezügen nur solche Erwerbsaufwendungen abgezogen werden, die dem Grunde nach auch als Werbungskosten bei den Überschusseinkünften abgezogen werden könnten.2 Hieraus folgt, dass etwa wechselkursbedingte Wertminderungen bei Darlehen, soweit diese nicht tatsächlich zu einer Betriebsstätte gehören (Art. 11 Abs. 4 OECD-MA), sich erst bei Rückzahlung der Darlehen auswirken.3 Dieser im Abkommensrecht angelegte Systemansatz wird allerdings in den Fällen, in denen die Doppelbesteuerung durch Anrechnung vermieden wird, durch § 34c Abs. 1 Satz 4, Abs. 6 Satz 1 EStG überlagert: Für Zwecke der Höchstbetragsberechnung werden bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte auch Betriebsausgaben berücksichtigt, die bei Überschusseinkünften nicht als Werbungskosten abgesetzt werden könnten und zudem in einem bloß mittelbaren Zusammenhang mit ausländischen Einnahmen stehen, so dass hierdurch das Anrechnungsvolumen gekürzt wird (Rz. 18.104 ff.).

II. Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen Literatur: Kommentare zu Art. 6 OECD-MA; Airs Randell, Deutsche Investitionen in britischen Immobilien, IStR 1993, 160; Böhl/Schmidt-Naschke/Böttcher, Besteuerung von Vermietungseinkünften bei Direktinvestitionen in Deutschland, IStR 2008, 651; Cloer, Die Immobilien im Abkommensrecht, PIStB 2005, 315; Debatin, Die Land- und Forstwirtschaft im Spiegel des Internationalen Steuerrechts, DB 1988, 1285; Erichsen, Bauherrenmodelle in der Bundesrepublik Deutschland und Wegzug in ein DBA-Land, FR 1981, 504; Erichsen, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bei Progressionsvorbehalt im Netzwerk bilateraler Doppelbesteuerungsverträge, DB 1979, 515; Hoheisel, Ertragsteuerliche Folgen bei der Investition in einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb im Ausland, IWB 2010, 521; Holthaus, Ausländische Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen und deren Veräußerung nach den DBA, IStR 2011, 385; Kessler/Arnold, Gedanken zur Behandlung von unbeweglichem Vermögen in der deutschen DBA-Verhandlungsgrundlage, ISR 2014, 9; Parsche/Haug/Marcelo u.a., Internationaler Vergleich der Systeme zur Besteuerung der Land- und Forstwirtschaft, München 2001; Reimer, Seminar I: Unbewegliches Vermögen und DBA, IStR 2011, 677; Schmidt/Dendorfer, Beteiligungen an US-Amerikanischen Immobilienfonds, IStR 2000, 46.

1. Allgemeines Für die Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen bleibt im Grundsatz die Steuerberechtigung des Quellenstaates uneingeschränkt aufrechterhalten.4 Damit hat der Ausgleich der Doppelbesteuerung durch den Wohnsitzstaat zu erfolgen, was in der deutschen Vertragspraxis überwiegend durch Steuerfreistellung geschieht.5 1 Ausnahme: Betriebsstättenvorbehalte gem. Art. 10 Abs. 5, 11 Abs. 4, 12 Abs. 3 OECD-MA. 2 BFH v. 16.3.1994 – I R 42/93, BStBl. II 1994, 799 = IStR 1995, 71 m. Anm. Piltz. 3 Berücksichtigt werden also nur realisierte Wertveränderungen; hierzu BFH v. 11.6.1996 – I B 33/ 95, BFH/NV 1997, 23. 4 Art. 6 OECD-MA. 5 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. Anders bspw. im DBA-Schweiz; s. hierzu Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 157 (Anrechnungsmethode).

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19.219

Kap. 19 Rz. 19.220 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.220

Die deutschen DBA folgen der Konzeption des Art. 6 OECD-MA, so dass sie unvollständige Verteilungsnormen (zum Begriff Rz. 19.213) enthalten.1 Durch die Aufrechterhaltung des Besteuerungsrechtes des Quellenstaates, d.h. hier des Belegenheitsstaates, wird das Belegenheitsprinzip verwirklicht, das im Internationalen Privatrecht seine Parallele in der dort verankerten lex rei sitae findet (Art. 43 EGBGB).

19.221

Rechtfertigungsgrund für das Belegenheitsprinzip ist die enge wirtschaftliche Beziehung des Belegenheitsstaates zu dem unbeweglichen Vermögen als fundierte Einkommensquelle.2

19.222

Die entsprechenden Verteilungsnormen der deutschen DBA folgen dem Belegenheitsprinzip, das grundsätzlich unabhängig davon eingreift, ob das unbewegliche Vermögen dem land- und forstwirtschaftlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Betriebsvermögen oder dem privaten Vermögen oder auf Abkommensebene einem unternehmerischen Vermögen zuzuordnen ist.3 Auf Abkommensebene bewirkt der Vorrang des Belegenheitsprinzips (Art. 6 Abs. 4 OECDMA) dass nicht nur die Einkünfte aus dem im anderen Vertragsstaat belegenen4 unbeweglichen Vermögen selbst, sondern auch solche aufgrund der Einräumung von Rechten an unbeweglichem Vermögen, etwa aus Ausbeutungsrechten erfasst werden.5 Hieraus folgt, dass Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen im Quellenstaat (Belegenheitsstaat) auch dann besteuert werden dürfen, wenn das unbewegliche Vermögen zwar einem Unternehmen zuzuordnen ist, der Unternehmer aber im Quellenstaat (Belegenheitsstaat) keine Betriebsstätte unterhält.6

19.223

Zinseinkünfte aus grundpfandrechtlich gesicherten Forderungen liegen dagegen grundsätzlich außerhalb der Reichweite des Belegenheitsprinzips, so dass insoweit die betreffenden Zinsartikel (Art. 11 OECD-MA) Anwendung finden.7

2. Begriffsabgrenzung nach dem Recht des Belegenheitsstaates 19.224

Die die Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen betreffenden Verteilungsnormen verweisen wegen des Begriffs „unbewegliches Vermögen“ als für die Einkünfteerzielung maßgebliche Erwerbsgrundlage8 auf das Recht des Belegenheitsstaates (Art. 6 Abs. 2 OECD-MA), wodurch die dortigen Begriffsdefinitionen zum Vertragsinhalt erhoben und die diesbezüglichen Begrif-

1 Zur Ausgestaltung des Art. 6 DE-VG Kessler/Arnold, ISR 2014, 9 ff. 2 OECD-MK zu Art. 6 OECD-MA, Ziff. 1 zu Art. 6; Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 3; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 1; Lieber in S/D2, Art. 6 OECD-MA Rz. 1. 3 Art. 6 Abs. 4 OECD-MA; OECD-MK zu Art. 6 OECD-MA, Ziff. 4; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 11, 101 ff.; Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 202. 4 Für im Wohnsitzstaat oder in Drittstaaten belegenes unbewegliches Vermögen gilt Art. 21 OECDMA; Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 32 f. 5 Lizenzgebühren für die Ausbeutungsrechte (mineral royalties) fallen daher nicht unter Art. 12 OECD-MA; Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 10; Lieber in S/D2, Art. 6 OECD-MA Rz. 20; Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 5. 6 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 102; Kerssenbrock/Wagner in S/K/K, Art. 6 OECD-MA Rz. 96; wegen Art. 7 Abs. 7 OECD-MA hat Art. 6 Abs. 4 OECD-MA nur deklaratorische Bedeutung; hierzu Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 201; Lieber in S/D2, Art. 6 OECDMA Rz. 11. 7 OECD-MK zu Art. 11 OECD-MA, Ziff. 18; Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 9; Häck in F/W/K, Art. 11 DBA-Schweiz Rz. 6; Lieber in S/D2, Art. 6 OECD-MA Rz. 18; Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 83 mit einer Übersicht über die Abkommen, nach denen Hypothekenzinsen ausnahmsweise unter Art. 11 OECD-MA fallen. 8 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 12.

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.225 Kap. 19

fe des Belegenheitsstaates zu Abkommensbegriffen werden.1 Hierzu gehört auch der Begriff „land- und forstwirtschaftlicher Betrieb“, der gem. Art. 6 Abs. 1 OECD-MA dem unbeweglichen Vermögen zugeordnet ist.2 Diese Verweisung schließt eine Einkünftequalifikation nach den Regeln des Wohnsitzstaates von vornherein aus.3 Die Maßgeblichkeit des Rechts des Belegenheitsstaates hat allerdings seine Grenze im Abkommenstext selbst. So ergibt etwa dessen Auslegung, dass von Art. 6 OECD-MA lediglich grundvermögensbezogene Einkünfte, insbesondere solche aus Land- und Forstwirtschaft erfasst werden. Nicht grundvermögensbezogene Einkünfte, mögen sie auch aus der Sicht des deutschen Steuerrechts als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft zu qualifizieren sein, werden nicht erfasst, so dass etwa Einkünfte aus Imkerei, Vogelzucht und Fischzucht nicht zu den Einkünften aus unbeweglichem Vermögen, sondern zu den Unternehmensgewinnen zählen.4 Das Rückgriffsverbot auf das Recht des Anwendungsstaates gilt nur für die Einstufung der Einkünfte, nicht dagegen für die Einkünfteermittlung.5 Hierfür gelten mangels abkommensrechtlicher Auslegungskriterien ausschließlich die Regeln des jeweiligen innerstaatlichen Rechts.6 Hieraus folgt, dass die Einkünfte aus der Sicht des deutschen Steuerrechts entsprechend dem grundlegenden Nettoprinzip als Nettoeinkünfte (Reineinkünfte) zu verstehen und im Übrigen entweder durch Betriebsvermögensvergleich (§§ 4 Abs. 1, 5 EStG) oder durch Überschuss der Einnahmen über die Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 3 EStG) oder Werbungskosten (§§ 2 Abs. 2 Nr. 2, 8; 9 EStG) zu ermitteln sind.7 Wem diese Einkünfte zuzurechnen sind, ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 6 OECD-MA, dem Art. 6 Abs. 3 OECD-MA lässt sich aber entnehmen, dass demjenigen die Einkünfte zuzurechnen sind, der das unbewegliche Vermögen entweder selbst nutzt oder einer anderen Person zur Nutzung überlässt. Da es einer weitergehenden abkommensrechtlichen Konkretisierung entbehrt, darf (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) in dem vorstehend durch Art. 6 Abs. 3 OECD-MA gesteckten Rahmen auf innerstaatliches Recht zurückgegriffen werden.8 Die Qualifikationsverweisung9 auf das Recht des Belegenheitsstaates bezieht dessen gesamte Rechtsordnung mit ein.10 Ergeben sich dabei Bedeutungsunterschiede etwa zwischen Privatrecht einerseits und Steuerrecht andererseits, so hat im Zweifel die steuerrechtliche Bedeutung Vorrang.11 Die Qualifikationsverweisung auf das Recht des Belegenheitsstaates12 findet allerdings ihre Schranken in der deutschen Vertragspraxis dadurch, dass die betreffenden Vertei-

1 Debatin, DB 1988, 1285 (1288). 2 Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 66; Galke/Haase in Haase3, Art. 6 OECD-MA Rz. 75; a.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 16, der insoweit über Art. 3 Abs. 2 OECDMA auf die Begriffswelt des nationalen Rechts zurückgreifen will. 3 Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 66; Reimer, IStR 2011, 677 (678). 4 Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 38 f., 66; Galke/Haase in Haase3, Art. 6 OECD-MA Rz. 80 f.; Hoheisel, IWB 2010, 521 (524); a.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 16; Lieber in S/D2, Art. 6 OECD-MA Rz. 43. 5 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 12, 15; Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 15. 6 Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 15; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 12, 15. 7 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 12; Lieber in S/D2, Art. 6 OECD-MA Rz. 32. 8 Zu Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 19. 9 Es handelt sich um eine dynamische Verweisung, hierzu Rz. 19.60. 10 Vgl. BFH v. 19.5.1982 – I R 257/78, BStBl. II 1982, 768. 11 Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 67; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 32. 12 Zu den einzelnen Begriffen aus der Sicht des deutschen Steuerrechts Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 33 ff.

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19.225

Kap. 19 Rz. 19.225 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

lungsnormen für bestimmte Vermögenswerte einen Positiv-Katalog und einen Negativ-Katalog enthalten. Der Positiv-Katalog1 umfasst als unbewegliches Vermögen – das Zubehör, – das lebende und tote Inventar land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, – die Rechte, für die die Vorschriften des Privatrechts über Grundstücke gelten, – Nutzungsrechte an unbeweglichem Vermögen und – Rechte auf veränderliche oder feste Vergütungen für die Ausbeutung oder das Recht auf Ausbeutung von Mineralvorkommen, Quellen und anderen Bodenschätzen.2

19.226

Zum Negativ-Katalog (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 OECD-MA) zählen demgegenüber Schiffe und Luftfahrzeuge. Die Einkünfte aus dem Betrieb von Schiffen und Luftfahrzeugen unterliegen der besonderen Verteilungsnorm des Art. 8 OECD-MA.

3. Reichweite des Belegenheitsprinzips 19.227

Das Belegenheitsprinzip gilt für Einkünfte aus jeder Art der Nutzung unbeweglichen Vermögens (Art. 6 Abs. 3 OECD-MA). Hierzu gehört nicht nur die unmittelbare Nutzung sowie die Vermietung oder Verpachtung, sondern auch jede andere Art der Nutzung.3

19.228

Der Kreis der den Einkünften aus unbeweglichem Vermögen zuzuordnenden Einkunftsquellen wird daher sehr weit gezogen. Hierunter fallen insbesondere Einkünfte aus der Bestellung von Erbbaurechten (Erbbauzinsen),4 aus Abstandszahlungen an den Verpächter wegen vorzeitiger Entlassung des Pächters aus dem Pachtverhältnis,5 aus Mieten auf Grund von Immobilienleasing, solange die Immobilie nach Maßgabe des betreffenden nationalen Steuerrechts dem Leasinggeber zuzurechnen ist,6 aus dem Abbau und aus der Veräußerung von geologischen und biologischen Früchten des Grundstücks,7 aus der Ausbeutung von Bodenschätzen,8 aus der Nutzung von Erdwärme,9 aus der Untervermietung,10 aus geschlossenen Immobilienfonds11 sowie aus der entgeltlichen Überlassung auf Grund des Nießbrauchs, soweit der Nießbraucher also selbst vermietet.12 Nicht dazu gehören allerdings Einkünfte aus der Veräuße-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 OECD-MA. Zu Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 Rz. 53 ff. Zu diesen unklaren Begriffen Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 91. Fischer in G/K/G/K, Art. 6 OECD-MA Rz. 267 f.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECDMA Rz. 64; Lieber in S/D2, Art. 6 OECD-MA Rz. 53. Vgl. BFH v. 28.4.1982 – I R 151/78, BStBl. II 1982, 566; Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 141; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 71. Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 142, 184. Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 144. Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 166; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 66, 79. Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 169. Eigentum ist also nicht erforderlich; Reimer in V/L7, Art. 6 OECD-MA Rz. 183. Lieber in S/D2, Art. 6 OECD-MA Rz. 58. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 72; anders beim sog. Ertragsnießbrauch, bei dem der Eigentümer als Vermieter auftritt (BFH v. 26.4.1983 – VIII R 205/80, BStBl. II 1983, 502); hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 19.

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.229 Kap. 19

rung unbeweglichen Vermögens;1 diese Einkünfte unterfallen der Regelung des Art. 13 OECD-MA.

III. Unternehmensgewinne Literatur: Kommentare zu Art. 7 OECD-MA; Becker/Günkel, Betriebsaufspaltung über die Grenze, in FS für Schmidt, München 1993, 483; Bendlinger, Paradigmenwechsel bei der Auslegung des Betriebsstättenbegriffs im DBA-Recht durch die OECD, SWI 2006, 358; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004; Ditz, Der „Authorised OECD Approach“ wird Wirklichkeit: Kritische Analyse des § 1 Abs. 5 AStG i.d.F. AmtshilfeRLUmsG, ISR 2013, 261; Ditz/Luckhaupt, Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – Neues Gewinnermittlungsrecht für Betriebsstätten, ISR 2015, 1; Gebbers, Zur Besteuerung der internationalen Betriebsaufspaltung durch Grundstücksvermietung, RIW 1984, 711; Gosch, „Sperrwirkungen“ Abkommensrecht und nationales Recht, allgemeines und spezielles Recht im Widerstreit, in Fischer/Geck/Haarmann (Hrsg.), Zivilrechtliches Ordnungsgefüge und Steuerrecht, FS für Georg Crezelius, 2018, 735; Günkel/Kussel, Betriebsaufspaltung mit ausländischer Besitzgesellschaft, FR 1980, 553; Hummel, Vermeintliche Grundsätze des internationalen Steuerrechts, in Gosch/Schnitger/Schön (Hrsg.), FS für Jürgen Lüdicke, 2019, 323; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, Basel/Stuttgart 1976; Krabbe, Personengesellschaften und Unternehmensgewinne nach den DBA, IStR 2002, 145; Krabbe, Qualifikationskonflikte bei atypischen stillen Gesellschaften, IStR 1999, 591; Müller, Die atypisch ausgestaltete stille Gesellschaft im Abkommensrecht, IStR 1996, 266; Piltz, Betriebsaufspaltung über die Grenze?, DB 1981, 2044; Piltz, Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen unter den Doppelbesteuerungsabkommen (OECDMusterabkommen und DBA-Schweiz), IStR 1996, 457; Piltz/Schaumburg, Internationale Betriebsstättenbesteuerung, Köln 2001; Preuninger, Rechtsprobleme des Funktionswandels deutscher DBA, Diss. Mannheim 1980; Pyszka, Aktuelle Fragen zur atypischen stillen Gesellschaft im Internationalen Steuerrecht, IStR 1999, 577; Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD – Fallbeispiel: Großanlagenbau, StbJb 2005/06, 179; Schmidt, Die atypisch stille Gesellschaft im deutschen Internationalen Steuerrecht – wie begründet ist die herrschende Meinung?, IStR 1996, 213; Schnieder, Die atypisch stille Gesellschaft im Recht der deutschen DBA, IStR 1999, 392; Strobl/Schäfer, Berücksichtigung von Auslandsverlusten bei atypisch stiller Gesellschaft, IStR 1993, 206; Valta, Die deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen und Entwicklungsländer, ISR 2013, 186; Wagemann, Verschärfungen des Betriebsstättenbegriffs nach OECD-MA, IWB 2016, 14; Wassermeyer, Einkommen und Vermögen im Abkommensrecht, in FS für Beisse, Düsseldorf 1997, 529; Wassermeyer, Die Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen auf Personengesellschaften, IStR 2007, 413; Wassermeyer, Über Unternehmensgewinne im Sinne des Art. 7 OECD-MA, IStR 2010, 37; Wassermeyer, Die BFH-Rechtsprechung zur Betriebsstättenbesteuerung vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV, IStR 2015, 37; Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl., Köln 2017; Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2015; Wichmann, Aktuelle Tendenzen der OECD-Arbeiten zur Betriebsstätte, insbesondere bei Vertretern und Dienstleistungen, StbJB 2004/05, 93; Wolff, Auslegungsfragen zu DBA-Regelungen über Unternehmensgewinne, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Wassermeyer, München 2005, 647.

1. Allgemeines Für Unternehmensgewinne gilt ein duales Verteilungssystem: Vom Ausgangspunkt her steht die Steuerberechtigung ausschließlich dem Wohnsitzstaat zu (Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 1 OECD-MA), so dass sich insoweit das Wohnsitzprinzip verwirklicht. Die entsprechenden Verteilungsnormen der DBA stellen daher vollständige Verteilungsnormen dar.

1 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECD-MA Rz. 91.

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19.229

Kap. 19 Rz. 19.230 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.230

Unterhält das Unternehmen in dem anderen Vertragsstaat eine Betriebsstätte (Art. 5 OECDMA), so können die Unternehmensgewinne im Betriebsstättenstaat insoweit besteuert werden, als sie der Betriebsstätte dort zugerechnet werden können (Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 und Abs. 2 OECD-MA). Dieses Betriebsstättenprinzip artikuliert sich mithin in einer unvollständigen Verteilungsnorm, so dass es dem Wohnsitzstaat überlassen bleibt, die Doppelbesteuerung zu vermeiden. In den deutschen DBA geschieht dies überwiegend durch die Freistellungsmethode, die aber je nach DBA unter dem Vorbehalt von Aktivitätsklauseln, SwitchOver-Klauseln oder Subject-to-Tax-Klauseln stehen kann.

19.231

Es entspricht der internationalen Besteuerungspraxis, den Kreis der den Unternehmensgewinnen zuzuordnenden Einkünfte weit zu ziehen.1 Demgegenüber bleibt die Reichweite der Betriebsstätteneinkünfte aufgrund des immer noch eher eng gefassten Betriebsstättenbegriffs (Art. 5 OECD-MA) weit dahinter zurück. Tendenziell geht damit das Betriebsstättenprinzip zu Lasten der kapitalimportierenden Staaten, da diese ein Besteuerungsrecht nur an Investitionen der Unternehmen der kapitalexportierenden Länder knüpfen können. Solange aber diese Unternehmen Gewinne etwa aus Warenlieferungen erzielen, gehen die kapitalimportierenden Länder leer aus, obwohl diese Gewinne nicht nur auf der Produktion der Waren im Wohnsitzstaat, sondern auch darauf beruhen, dass diese Waren im Empfängerstaat abgesetzt werden können.2 Dieses Ungleichgewicht in der Verteilung des Steuergutes benachteiligt insbesondere Entwicklungsländer.3 Im Hinblick darauf enthalten vor allem die DBA mit Entwicklungsländern eine Erweiterung der Betriebsstättenbesteuerung, die sich insbesondere darin zeigt, dass Bauausführungen und Montagen nicht erst bei einer Dauer von mehr als 12 Monaten, sondern bereits nach sechs Monaten als Betriebsstätten gelten.4 Darüber hinaus ist seit Jahren ohnehin die Tendenz erkennbar, die Anforderungen für das Vorhandensein einer Betriebsstätte abzusenken,5 was durchweg nicht im Interesse der Industriestaaten liegt.6 Aus dem Betriebsstättenprinzip folgt als Kehrseite das Verbot des Betriebsstättenstaates, Betriebsstätten von Unternehmen des anderen Vertragsstaates gegenüber gleichartigen eigenen Unternehmen steuerlich schlechter zu stellen.7 Dieses Diskriminierungsverbot dient der Wettbewerbsneutralität in dem Sinne, dass in- und ausländische Unternehmen für ihre Tätigkeit auf ein und demselben Markt die gleichen steuerlichen Bedingungen vorfinden sollen. In den deutschen DBA wird dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsneutralität zusätzlich noch dadurch Rechnung getragen, dass Betriebsstättengewinne im Wohnsitzstaat zumeist freigestellt werden. Im Grundsatz ist damit allein die Besteuerung im Betriebsstättenstaat maßgeblich.

1 Ab 2000 zählen nach den OECD-MA hierzu auch die im früheren Art. 14 geregelten Einkünfte aus selbständiger Arbeit. 2 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 2. 3 Zu den Interessengegensätzen von Entwicklungs- und Industrieländern beim Abschluss von DBA Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, Basel/Stuttgart 1976, 205; Preuninger, Rechtsprobleme des Funktionswandels deutscher DBA, Diss. Mannheim 1980, 285 ff. Siehe auch zu notwendigen Änderungen der DE-VG im Verhältnis zu Entwicklungsländern Valta, ISR 2013, 186. 4 Abkommensübersicht bei Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 66. 5 Vgl. OECD-MK zu Art. 5 Rz. 2–11; hierzu Wichmann, StbJB 2004/05, 93 ff.; Remberg, StbJb 2005/ 6, 179 (186); Bendlinger, SWI 2006, 358 ff.; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 36 ff. 6 Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 115 f. 7 Art. 24 Abs. 4 OECD-MA; zum Diskriminierungsverbot Rz. 4.51 ff.

850 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.234 Kap. 19

Da Träger der internationalen Wirtschaftstätigkeit überwiegend Unternehmen sind, sind die Unternehmensgewinne, die weitgehend den Einkünften aus nicht grundstücksbezogener Landund Forstwirtschaft (§ 13 EStG), aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) und aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG)1 entsprechen, die wichtigste Einkunftsart auf Abkommensebene. Die diesbezüglichen Verteilungsnormen der DBA haben daher eine zentrale Bedeutung. Diese Verteilungsnormen werden ergänzt um Gewinnberichtigungsvorschriften (Art. 9 OECD-MA) sowie Sonderverteilungsnormen, die Unternehmensgewinne aus dem Betrieb von Seeschiffen, Binnenschiffen und Luftfahrzeugen erfassen (Art. 8 OECD-MA).

19.232

Einkünfte, für die die Voraussetzungen anderer Verteilungsnormen erfüllt sind, etwa für aus dem anderen Vertragsstaat (Quellenstaat) bezogene Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen (Art. 6 OECD-MA), Dividenden (Art. 10 OECD-MA), Zinsen (Art. 11 OECD-MA) und Lizenzgebühren (Art. 12 OECD-MA) sowie für andere Einkünfte (Art. 21 OECD-MA)2 sind nicht Unternehmensgewinne. Vorrangig sind insoweit die speziellen Verteilungsnormen (Art. 7 Abs. 7 OECD-MA) soweit nicht für Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und für andere Einkünfte der sog. Betriebsstättenvorbehalt eingreift. In diesen Fällen sind aus dem Betriebsstättenstaat stammende Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und andere Einkünfte als Betriebsstättengewinne der Besteuerung des Betriebsstättenstaates zugewiesen (Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3, Art. 21 Abs. 2 OECD-MA). Da die Zuordnung zu den Unternehmensgewinnen nachrangig ist, soweit die Einkünfte außerhalb einer Betriebsstätte im Quellenstaat anfallen, gilt im Unterschied zu den Zuordnungsregeln des EStG3 ein umgekehrtes Subsidiaritätsprinzip.4

19.233

2. Begriffsabgrenzungen Gegenstand der dem Wohnsitzstaat überlassenen Besteuerung sind die Gewinne eines dort ansässigen Unternehmens (Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 1 OECD-MA). Aus abkommensrechtlicher Sicht bedeutet ein Unternehmen die Ausübung einer Geschäftstätigkeit (Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA), die auch die Ausübung einer freiberuflichen oder sonstigen selbständigen Tätigkeit miteinschließt (Art. 3 Abs. 1 Buchst. h OECD-MA). Der unscharfe Typusbegriff5 des „Unternehmens“ lässt sich abkommensautonom und grds. ohne Rückgriff auf das innerstaatliche Steuerrecht des Anwenderstaats auslegen.6 Die einzelnen Merkmale7 ähneln denen in § 15 Abs. 2 EStG „Unternehmen“ und „Gewerbebetrieb“, sind jedoch wegen der vom Einkommensteuerrecht abweichenden Abgrenzung der Einkunftsarten im Abkommensrecht8 nicht stets

1 Seit 2000; zu Einzelheiten Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 11 f. 2 Art. 21 OECD-MA geht trotz seines Charakters als Auffangnorm vor; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/ 94, BStBl. II 1996, 563; Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 175; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 355; Ditz in S/D2, Art. 7 (2008) OECD-MA Rz. 244. 3 §§ 20 Abs. 3; 21 Abs. 3; 22 Nr. 1 EStG. 4 Zu den Einzelheiten Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 117 ff. mit Hinweisen auf DBA, in denen die Subsidiaritätsklausel fehlt. 5 Zur Qualität als Typusbegriff Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 30; allg. zum Typusbegriff Englisch in Tipke/Lang24, Rz. 5.53 f. 6 Vgl. BFH v. 27.10.2011 – I R 26/11, BStBl. II 2012, 457; Ditz in S/D2, Art. 7 (2008) OECD-MA Rz. 52 ff.; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 26 ff.; Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 29; Niehaves in Haase3, Art. 7 OECD-MA Rz. 43 ff.; a.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 16; Hruschka in S/D2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 45 ff. 7 Ausf. Ditz in S/D2, Art. 7 (2008) OECD-MA Rz. 53. 8 Etwa wegen der umgekehrten Subsidiarität.

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19.234

Kap. 19 Rz. 19.234 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

gleichzusetzen.1 Zu den (gewerblichen) Unternehmen i.S. der DBA zählen aus deutscher Sicht neben Einzelunternehmen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und Kapitalgesellschaften (§ 8 Abs. 2 KStG) einschließlich optierender Gesellschaften i.S.v. § 1a KStG auch Beteiligungen an Personengesellschaften (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG).2 Auch Anteile an atypisch stillen Gesellschaften,3 bei der die Rechtsstellung des stillen Gesellschafters derjenigen eines Kommanditisten entspricht,4 gehören zu den Unternehmen i.S. der DBA. Dies hat zur Folge, dass der atypisch stille Beteiligte abkommensrechtlich nicht etwa Dividenden (Art. 10 OECD-MA) oder Zinsen (Art. 11 OECDMA), sondern grundsätzlich Unternehmensgewinne erzielt.5 Unternehmen sind schließlich auch Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigungen (EWIV),6 die in allen Mitgliedstaaten nach dem Mitunternehmerkonzept (Art. 40 EWIV-VO) und dementsprechend im deutschen Recht als offene Handelsgesellschaften (§ 1 EWIV-AG) behandelt werden, soweit sie gewerbliche Einkünfte erzielen.

19.235

Da abkommensberechtigt nur Personen (Rz. 19.170) sein können, werden in den Abkommensschutz nur solche Unternehmen einbezogen, die von Personen betrieben werden, die in dem einen und/oder anderen Vertragsstaat ansässig (Rz. 19.174 f.) sind. Mithin kommt es nicht auf den Ort an, an dem das Unternehmen betrieben wird, sondern wo es Betriebsvermögen hat oder seine Tätigkeit entfaltet.7

19.236

Gegenstand der Regelung des Art. 7 OECD-MA sind Unternehmensgewinne, die mangels abkommensrechtlicher Definition entsprechend der Begriffsorientierung an § 15 Abs. 1 EStG aus deutscher Sicht im Kernbereich den Einkünften aus Gewerbebetrieb entsprechen, darüber hinaus aber auch Einkünfte aus nicht grundstücksbezogener Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG) und aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG)8 erfassen. Dem Rückgriff auf die entsprechende Begriffswelt des nationalen Steuerrechts (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) werden allerdings durch die abkommensspezifische Subsidiaritätsregel des Art. 7 Abs. 7 OECD-MA sowie ganz allgemein durch die den Verteilungsnormen als Konzeption zugrunde liegende isolierende Betrach-

1 Im Ergebnis ebenso Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 28 ff.; van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 145; a.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 16. 2 Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 36 f.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 63. 3 Zur Abgrenzung zwischen typisch und atypisch stiller Gesellschaft Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 340 ff. 4 BFH v. 10.8.1978 – IV R 54/74, BStBl. II 1979, 74; BFH v. 12.11.1985 – VIII R 364/83, BStBl. II 1986, 311; BFH v. 21.7.1999 – I R 110/98, BStBl. II 1999, 812; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 93; Ditz in S/D2, Art. 7 (2008) OECD-MA Rz. 60; Häck in F/W/K, Art. 11 DBASchweiz Rz. 68; Strobl/Schäfer, IStR 1993, 206 (210). 5 BFH v. 5.2.1965 – VI 338/63 U, BStBl. III 1965, 258, v. 23.10.1996 – I R 10/96, IStR 1997, 271; BFH v. 21.7.1999 – I R 110/98, BStBl. II 1999, 812; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.2.1.2; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECDMA Rz. 93; Bärsch/Quilitzsch in F/W/K, Art. 7 DBA-Schweiz Rz. 800 („Atypisch stille Gesellschaft“); Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 53 ff.; Schnieder, IStR 1999, 392 ff.; Pyszka, IStR 1999, 577 ff.; Krabbe, IStR 1999, 591 ff.; Burmester in Haarmann (Hrsg.), Unternehmensstrukturen und Rechtsformen im Internationalen Steuerrecht, 122 ff.; Strobl/Schäfer, IStR 1993, 206 (210) Müller, IStR 1996, 266 ff.; Schmidt, IStR 1996, 213 ff. 6 Hemmelrath, in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 39, Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 96. 7 BFH v. 17.10.1990 – I R 16/89, BStBl. II 1991, 211; Dürrschmidt in V/L7, Art. 3 OECD-MA Rz. 42; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 3 OECD-MA Rz. 25 ff. 8 Seit 2000; zu Einzelheiten Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 11 ff.

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.236 Kap. 19

tungsweise (Rz. 19.214) Schranken gesetzt mit der Folge, dass der Abkommenszusammenhang (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) die Anwendung von besonderen Subsidiaritätsregeln1 und Einkünftequalifikationsregeln2 des nationalen Rechts verbietet.3 Unternehmensgewinne sind daher Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit, die nicht Nutzung unbeweglichen Vermögens (Art. 6 Abs. 3 OECD-MA) darstellt, soweit diese Einkünfte nicht unter die für Dividenden (Art. 10 OECD-MA), Zinsen (Art. 11 OECD-MA) und Lizenzgebühren (Art. 12 OECDMA) oder andere Einkünfte geltenden Verteilungsnormen fallen. Unternehmensgewinne, zu denen auch Verluste als negative Unternehmensgewinne zählen (Symmetriethese),4 sind ferner nicht ohne weiteres Einkünfte von Gewerbetrieben kraft Rechtsform,5 von gewerblich geprägten Personengesellschaften6 oder die im Rahmen einer Betriebsaufspaltung7 erzielten Einkünfte des Besitz- und Betriebsunternehmens. Sie sind es nur dann, wenn die Erwerbstätigkeit einer eigengewerblichen Tätigkeit entspricht und nicht spezielle Verteilungsnormen eingreifen. Daher gehören die Einkünfte aus der Verpachtung eines Betriebes auch dann nicht unbedingt zu den Unternehmensgewinnen, wenn eine Betriebsaufgabe nicht erklärt worden ist. Eine derartige gewerbliche Betriebsverpachtung ohne Betriebsaufgabeerklärung8 führt zwar nach innerstaatlichem Recht zu Einkünften aus Gewerbebetrieb; diese sind aber abkommensrechtlich insoweit keine Unternehmensgewinne, als Gegenstand der Betriebsverpachtung unbewegliches Vermögen ist. Wegen des umgekehrten Subsidiaritätsprinzips (Art. 7 Abs. 7 OECD-MA) handelt es sich in diesem Falle insoweit vielmehr um Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen, für die das Belegenheitsprinzip maßgeblich ist.9 1 §§ 20 Abs. 3, 21 Abs. 3, 22 Nr. 1 EStG. 2 Z.B. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG (kodifizierte Abfärbetheorie; vgl. Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 185 ff.) und § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG (Fiktion der gewerblichen Einkünfte einer gewerblich geprägten Personengesellschaft; Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 212 ff.). 3 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 41, 85; Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 57; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/ 10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.2.1 und 2.3.1 (anders noch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 1.1.5.1). 4 BFH v. 9.11.1966 – I 29/65, BStBl. III 1967, 88; BFH v. 11.3.1970 – I B 50/68, I B 3/69, I B 50/68, I B 3/69, BStBl. II 1970, 569; BFH v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; BFH v. 28.3.1973 – I R 59/71, BStBl. II 1973, 531; BFH v. 20.11.1974 – I R 1/73, BFHE 114, 530; BFH v. 25.2.1976 – I R 150/73, BStBl. II 1976, 454; BFH v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382; BFH v. 5.6.1986 – IV R 338/84, BStBl. II 1986, 661; BFH v. 6.10.1993 – I R 32/93, BStBl. II 1994, 113; BFH v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630; BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, DStR 2010, 1611; BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFH/NV 2014, 963; BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 152; zur Frage, ob Verluste im Rahmen der Freistellungsmethode zu berücksichtigen sind Rz. 19.532. 5 Kapitalgesellschaften gem. § 8 Abs. 2 KStG; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 41. 6 Z.B. GmbH & Co. KG’s gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG; BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754 (zu US-Personengesellschaft); Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 85; Wassermeyer, IStR 2007, 413 (416); BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.2.1 und 2.3.1 (anders noch BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354, Rz. 2.2.1); a.A. Krabbe, IStR 2002, 145 (148); Wolff in FS Wassermeyer, 647 (653 f.). 7 BFH v. 17.11.2020 – I R 72/16, BFH/NV 2021, 863; BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.2.1; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 32. 8 Zu dem entsprechenden Wahlrecht und zu weiteren Einzelheiten Wacker in Schmidt41, § 16 EStG Rz. 166 ff. 9 Art. 6 Abs. 1 OECD-MA; vgl. auch Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 33.

Schaumburg/Häck | 853

Kap. 19 Rz. 19.237 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.237

Zu den Unternehmensgewinnen zählen aus deutscher Sicht bei Personengesellschaften nur originär gewerbliche Gewinne,1 allerdings nicht Zinsen, Lizenzgebühren oder ähnliche Vergütungen, die an die Gesellschaft gezahlt werden. Diese Sondervergütungen sind zwar aus der Sicht des innerstaatlichen Steuerrechts Deutschlands Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1, Halbs. 2 EStG), auf Abkommensebene2 sind sie, soweit nicht § 50d Abs. 10 EStG eingreift (Rz. 21.120 f.), aber regelmäßig als Zinsen (Art. 11 Abs. 3 OECD-MA) oder als Lizenzgebühren (Art. 12 Abs. 2 OECD-MA) zu qualifizieren,3 wobei der in den für Dividenden, Zinsen und Lizenzvergütungen maßgeblichen Verteilungsnormen verankerte Betriebsstättenvorbehalt (Art. 10 Abs. 4, 11 Abs. 4 und 12 Abs. 3 OECD-MA) regelmäßig deshalb nicht eingreift, weil die diesen Sondervergütungen zugrunde liegenden Vermögenswerte nicht tatsächlich zu der von der Personengesellschaft unterhaltenen Betriebsstätte gehören.4 Entsprechendes gilt für aus deutscher Sicht zu qualifizierende Sonderbetriebseinnahmen: Das zugrunde liegende Sonderbetriebsvermögen5 wird nur in Ausnahmefällen6 tatsächlich zum Vermögen der Betriebsstätte der Personengesellschaft gehören.7 Sind die den Sondervergütungen und Sonderbetriebseinnahmen zugrunde liegenden Vermögenswerte etwa in Drittstaaten belegen, 1 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 16; Lieber in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 791 ff.; Strunk/Kaminski in S/K/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 29 ff.; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.2.1 und 2.3.1 (anders noch BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354, Rz. 2.2.1); eine gewerbliche Prägung spielt abkommensrechtlich also keine Rolle; vgl. Rz. 19.236. 2 Vgl. die Subsidiaritätsklausel des Art. 7 Abs. 7 OECD-MA. 3 BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 27.2.1991 – I R 96/89, BFH/NV 1992, 385; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; BFH v. 14.7.1993 – I R 71/92, BStBl. II 1994, 91; BFH v. 31.5.1995 – I R 74/93, BStBl. II 1995, 683; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563; BFH v. 21.7.1999 – I R 71/98, BStBl. II 2000, 336; BFH v. 16.10.2002 – I R 17/01, BStBl. II 2003, 631; BFH v. 10.8.2006 – II R 59/05, BStBl II 2009, 758; BFH v. 20.12.2006 – I B 47/05, BStBl II 2009, 766; BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl II 2009, 356; Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 36, 59; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 99 ff.; a.A. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 5.1.1; nach Art. 7 Abs. 7 DBA-Schweiz sind dagegen Sondervergütungen als Unternehmensgewinne (gewerbliche Einkünfte) zu behandeln und somit auf § 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1, 2. Halbs, Nr. 3 EStG zugeschnitten; BFH v. 17.10.1990 – I R 16/89, BStBl. II 1991, 211 mit kritischer Anm. von Debatin, RIW 1991, 355; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/90, RIW 1992, 689. 4 BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 27.2.1991 – I R 96/89, BFH/NV 1992, 385; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; BFH v. 14.7.1993 – I R 71/92, BStBl. II 1994, 91; BFH v. 31.5.1995 – I R 74/93, BStBl. II 1995, 683; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563; BFH v. 23.10.1996 – I R 10/96, IStR 1997, 271; BFH v. 17.12.1997 – I R 34/97, BStBl. II 1998. 296; BFH v. 21.7.1999 – I R 110/98, BStBl. II 1999, 812; BFH v. 20.12.2006 – I B 47/05, BStBl II 2009, 766; BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl II 2009, 356; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 101 f.; Lieber in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 815; a.A. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 5.1 unter Hinweis auf § 50d Abs. 10 EStG. 5 Zu Sonderbetriebsvermögen I und II Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 506 ff. 6 Für Anteile an der Komplementär-GmbH einer deutschen GmbH & Co. KG: BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937. 7 BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 27.2.1991 – I R 96/89, BFH/NV 1992, 385; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; BFH v. 14.7.1993 – I R 71/92, BStBl. II 1994, 91; BFH v. 31.5.1995 – I R 74/93, BStBl. II 1995, 683; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563; BFH v. 23.10.1996 – I R 10/96, IStR 1997, 271; BFH v. 17.12.1997 – I R 34/97, BStBl. II 1998, 296; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 118 f.; Piltz, IStR 1996, 457 (459).

854 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.240 Kap. 19

geht der Betriebsstättenvorbehalt ohnehin ins Leere, da hiervon von vornherein nur im Betriebsstättenstaat selbst belegenes Vermögen erfasst wird. Wie die Unternehmensgewinne zu ermitteln sind, ergibt sich nicht aus den Abkommen. Da auch aus dem Abkommenszusammenhang keine Orientierungspunkte für die Gewinnermittlung abgeleitet werden können, sind die Regeln des nationalen Rechts des jeweiligen Anwenderstaates maßgeblich.1 Aus der Sicht des deutschen Steuerrechts gilt somit auch für die Ermittlung von Unternehmensgewinnen das grundlegende Nettoprinzip, so dass insoweit auch für Abkommenszwecke ein Betriebsausgabenabzug möglich ist. Das bedeutet auch, dass als Unternehmensgewinn positive und negative Einkünfte gleichermaßen erfasst werden (Symmetriethese).2 Der Unternehmensgewinn ist daher gem. §§ 4 Abs. 1, 3; 5 EStG zu ermitteln, wobei allerdings im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht Besonderheiten gelten (§§ 49 ff. EStG). Die für die Ermittlung des Unternehmensgewinns maßgeblichen Gewinnermittlungsvorschriften des nationalen Steuerrechts werden im Ergebnis nicht durch die in Art. 7 OECDMA verankerten Regeln überlagert. Das gilt insbesondere für die gem. Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 OECD-MA auszugrenzenden Betriebsstättengewinne: Beide Vorschriften betreffen nicht die Gewinnermittlung, sondern die auf einer nachfolgenden Stufe erforderliche Gewinnzuordnung bzw. -abgrenzung.3

19.238

3. Betriebsstättengewinne a) Allgemeines Das im Ausgangspunkt für Unternehmensgewinne maßgebliche Wohnsitzprinzip (Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA) gilt nicht, wenn die Unternehmensgewinne in dem anderen Vertragsstaat im Rahmen einer dort gelegenen Betriebsstätte erzielt werden (Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 OECD-MA).

19.239

In den deutschen DBA wird die Doppelbesteuerung insoweit im Grundsatz dadurch vermieden, dass die ausländischen Betriebsstättengewinne in Deutschland als Wohnsitzstaat unter Progressionsvorbehalt freigestellt werden.4 Wegen des internationalen Steuergefälles wird dadurch das in allen DBA verankerte Betriebsstättenprinzip zu einem zentralen Orientierungspunkt für die internationale Geschäftstätigkeit. Zugleich bedeutet das Betriebsstättenprinzip eine wichtige Wertentscheidung für die Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Ver-

19.240

1 Art. 3 Abs. 2 OECD-MA; Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 21; Ditz in S/D2, Art. 7 (2008) OECD-MA Rz. 61; Niehaves in Haase3, Art. 7 OECD-MA Rz. 52; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 151; Wassermeyer in FS Beisse, 529 (532 f.). 2 BFH v. 9.11.1966 – I 29/65, BStBl. III 1967, 88; BFH v. 11.3.1970 – I B 50/68, I B 3/69, I B 50/68, I B 3/69, BStBl. II 1970, 569; BFH v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; BFH v. 28.3.1973 – I R 59/71, BStBl. II 1973, 531; BFH v. 20.11.1974 – I R 1/73, BFHE 114, 530; BFH v. 25.2.1976 – I R 150/73, BStBl. II 1976, 454; BFH v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382; BFH v. 5.6.1986 – IV R 268/82, BStBl. II 1986, 659; BFH v. 5.6.1986 – IV R 338/84, BStBl. II 1986, 661; BFH v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630; BFH v. 29.11.2006 – I R 45/05, BStBl. II 2007, 398; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; BFH v. 11.3.2008 – I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161; BFH v. 3.2.2010 – I R 23/09, BStBl. II 2010, 599; BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, BFH/NV 2010, 1744; BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFH/NV 2014, 963; BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 151; ferner Rz. 19.532. 3 Vgl. Ditz in S/D2, Art. 7 (2017) Rz. 13. 4 Für ausländische Betriebsstättengewinne aus passivem Erwerb wird die Steuerfreistellung ggf. durch bilaterale oder unilaterale Aktivitätsklauseln durch die Steueranrechnung ersetzt; vgl. Rz. 19.151, 19.544.

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Kap. 19 Rz. 19.240 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

tragsstaaten: Die unternehmerische Tätigkeit soll erst dann von einem ausländischen Staat zum Anknüpfungspunkt für eine Besteuerung gemacht werden, wenn sie zu einer intensiven geschäftlichen Bindung an diesen Staat geführt hat (sog. genuine link).1 Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt der in den jeweiligen DBA eigenständig formulierte Betriebsstättenbegriff (Art. 5 OECD-MA) mit seinen sachlichen und personellen Anknüpfungsmerkmalen für die Besteuerung im Betriebsstättenstaat eine erhebliche Bedeutung. b) Betriebsstättenbegriff Literatur: Kommentare zu Art. 5 OECD-MA; Baehren, Die Behandlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Internationalen Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung der DBA der Bundesrepublik Deutschland, Diss. München 1957; Becker, Die Besteuerung regionaler Konzernverwaltungsstellen, DB 1984, 1847; Bendlinger, Hilfsbetriebsstätten in BEPS-Action 7, SWI 2016, 188; Bendlinger, Die „neue“ Vertreterbetriebsstätte, IStR 2016, 914; Bendlinger, Das OECD-Musterabkommen 2017, SWI 2017, 450; Bendlinger, Der Begriff der Bau- und Montagebetriebsstätte im Lichte von BEPS, des Multilateralen Instruments und COVID-19, IStR 2021, 329; Bendlinger, Steuerlicher Nexus durch „digitale Nomaden“ und der Unsinn der Homeoffice-Betriebsstätte, SWI 2021, 450; Brunner, Die Betriebsstätte und ihre internationale Bedeutung als Steuerort, Diss. Bern 1954; Debatin, Zur Behandlung von Beteiligungen an Personengesellschaften unter den Doppelbesteuerungsabkommen im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, BB 1992, 1181; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004; Ditz, Verbundene Unternehmen als Betriebsstätte, IStR 2010, 553; Endres, Die Vertreterbetriebsstätte im Konzern, IStR 1996, 1; Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagenbaus, 2. Aufl. Herne/Berlin 1983; Flick, Der Begriff der festen Betriebsstätte und seine Entwicklung, CDFI LII (1967), 443; Helling, Die Vertreterbetriebsstätte im Internationalen Steuerrecht, Hamburg 2009; IFA, Is there a permanent establishment?, Cahiers de Droit Fiscal International (CDFI), Vol. 94a (2009); Kahle/Braun, Aktuelle Entwicklungen des Betriebsstättenbegriffs, Ubg 2018, 365; Kahle/Braun/Burger, Ausgewählte Entwicklungen der Ertragsbesteuerung von Betriebsstätten, FR 2018, 717; Kaumanns, Die Erfassung von Baustellen des Auslandsbaus der deutschen Bauindustrie als ertrag- und vermögensteuerliches Problem des Internationalen deutschen Steuerrechts, Frankfurt 1992; Kofler/Schmidt/Simonek, Vertreterbetriebsstätten in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Hinblick auf BEPS-Aktionspunkt 7, unter besonderer Berücksichtigung von Kommissionärsstrukturen, IStR-Beihefter zu Heft 8/2017, 1; Kolck, Der Betriebsstättenbegriff im nationalen und internationalen Steuerrecht, Diss. Münster 1974; Kraft/Weiß, Vertreterbetriebsstätte: Die geplante Reform des abkommensrechtlichen Begriffs der Vertreterbetriebsstätte und ihre Auswirkungen auf die Kommissionärsstrukturen international tätiger Konzerne, ISR 2016, 30; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, Köln 1982; Kunze, Der Begriff der Betriebsstätte und des ständigen Vertreters, Diss. Mannheim 1963; Mersmann, Die Ertragsbesteuerung inländischer Betriebsstätten und Tochtergesellschaften ausländischer Kapitalgesellschaften, Heidelberg 1966; Piltz/Schaumburg, Internationale Betriebsstättenbesteuerung, Köln 2001; Puls, Die Betriebsstätte im Abgaben- und Abkommensrecht, Köln/Berlin/München 2005; Puls/Bickenbach/Müller, ISR Global Transfer Pricing News, ISR 2018, 144; Rasch/Dotterweich, Vertreterbetriebsstätte: Begründung durch Vertriebsstrukturen?, ISR 2014, 65; Schieber, Die Besteuerung von Auslandsbetriebsstätten, Köln 1979; Schürmann/ Reinhardt, Beschränkte Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflicht wegen inländischer Tochtergesellschaft „mit Abschlussvollmacht“?, AWD 1974, 603; Schweizer, Die Betriebsstätteneigenschaft von Bauausführungen und ihre gewerbesteuerliche Behandlung, Diss. München 1966; Selent, Ausländische Personengesellschaften im Ertrag- und Vermögensteuerrecht, Gelsenkirchen 1982; Spitaler, Die Ein1 BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 2; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 1; zu den internationalen Tendenzen, den Betriebsstättenbegriff, insbesondere im Zusammenhang mit sog. Dienstleistungsbetriebsstätten, aufzuweichen und auszuweiten Rosenberger/Vitali/Ziehr, IStR 2010, Beilage zu Heft 18, 1 ff.; Hummel in FS Lüdicke, 324 (331 ff.); Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 36 ff.; vgl. auch BEPS-Aktionspunkt 7 (Rz. 5.31).

856 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.243 Kap. 19 schränkung des Betriebsstättenprinzips im zwischenstaatlichen Steuerrecht, RIW 1956, 69; Storck, Ausländische Betriebsstätten im Ertrag- und Vermögensteuerrecht, Frankfurt/Deventer 1980; Strobl/ Kollmann, Beschränkte Steuerpflicht durch Verbindungsbüros?, AWD 1969, 405; van der Ham/Retzer, BEPS Aktion Nr. 7 zu Betriebsstätten und die Auswirkungen auf die Betriebsstättengewinnabgrenzung, IStR 2016, 749; Wagemann, Verschärfungen des Betriebsstättenbegriffs nach OECD-MA, IWB 2016, 14; Wassermeyer, Eigenhändler versus Kommissionär im grenzüberschreitenden Ertragsteuerrecht, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 971; Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Köln 2006; Wiater/Bosch, National bestimmbare Steuerentstrickung unternehmerischer Erträge durch Nutzung des Internets?, IStR 1998, 757.

Da der Begriff der Betriebsstätte in den DBA eine eigenständige Regelung gefunden hat (Art. 5 OECD-MA), ist ein Rückgriff auf innerstaatliches Recht (§ 12 AO) grundsätzlich ausgeschlossen.1 Soweit indessen die in Art. 5 OECD-MA verwendeten Begriffe mit denen des § 12 AO identisch oder vergleichbar sind, z.B. Bauausführung, Montage, können bei der Auslegung der abkommensrechtlichen Begriffe auch die Begriffsinhalte nach dem Verständnis des innerstaatlichen Rechts hilfsweise Berücksichtigung finden.2 Im Unterschied zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, der für Zwecke der beschränkten Steuerpflicht für gewerbliche Einkünfte mit Betriebsstätte und ständigem Vertreter gesonderte Anknüpfungspunkte gewählt hat, sind auf Abkommensebene im Begriff der Betriebsstätte die sachlichen und personellen Anknüpfungspunkte für die Aufrechterhaltung der Quellenstaatbesteuerung für Unternehmensgewinne zusammengefasst.3 Da die sachlichen Anknüpfungspunkte im Vordergrund stehen, werden diese in der Praxis unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zumeist einer primären Prüfung unterzogen.4

19.241

Die DBA verstehen unter einer Betriebsstätte eine feste Geschäftseinrichtung, durch die die Tätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird (Art. 5 Abs. 1 OECD-MA). Zur festen Geschäftseinrichtung in diesem Sinne zählen alle dem Betrieb dienenden Sachen (körperliche Gegenstände), insbesondere Räumlichkeiten, soweit sie einen ausreichenden Bezug zu einem bestimmten Punkt der Erdoberfläche haben. Unter diesem Gesichtspunkt stellen etwa Bohrinseln,5 die fest mit dem Meeresboden verbunden sind, sowie ständig mit dem Ufer fest verbundene Schiffe,6 eine feste Geschäftseinrichtung dar. Unkörperliche Gegenstände vermitteln keine feste Geschäftseinrichtung, so dass weder Software noch eine Website eine Betriebsstätte sein können.7

19.242

Die feste Geschäftseinrichtung muss sich in der Verfügungsgewalt des Unternehmens befinden, dessen Gewinne für Zwecke der Verteilung zwischen Wohnsitzstaat und Betriebsstätten-

19.243

1 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 7; Hruschka in S/D2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 34 ff.; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 9. 2 Unter dieser Einschränkung kann daher auch auf die zu § 12 AO ergangene Rechtsprechung verwiesen werden. 3 Im Übrigen ist der Betriebsstättenbegriff der DBA enger als der des § 12 AO; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 12. 4 OECD-MK zu Art. 5 Abs. 5 OECD-MA, Ziff. 35; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 7. 5 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 31. 6 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 31; Hruschka in S/D2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 51; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 24. 7 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 20; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECDMA Rz. 30; Hruschka in S/D2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 48; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBASchweiz Rz. 19; Wiater/Bosch, IStR 1998, 757 (758).

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Kap. 19 Rz. 19.243 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

staat zur Disposition stehen.1 Abzustellen ist daher nicht nur auf Einzelunternehmen und Kapitalgesellschaften, sondern grundsätzlich auch auf Personengesellschaften.2 Soweit nach innerstaatlichem Recht des Anwenderstaates Gewinnanteile an einer Personengesellschaft den Gesellschaftern zugerechnet werden, ist Unternehmen im Sinne des Abkommens (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) der Anteil des Gesellschafters am Unternehmen der Gesellschaft selbst.3 Folglich ist jede Betriebsstätte der Gesellschaft zugleich auch eine Betriebsstätte des Unternehmens eines jeden Gesellschafters,4 und zwar unabhängig davon, ob der Gesellschafter bei der Errichtung der betreffenden Betriebsstätte mitgewirkt hat oder dort tätig ist. Es reicht aus, dass entweder die Personengesellschaft selbst oder einer der Gesellschafter Verfügungsmacht hat,5 wobei in Fällen, in denen der Personengesellschaft Sonderbetriebsvermögen zur Nutzung überlassen wird, der betreffende Mitunternehmer insoweit eine eigene Mitunternehmerbetriebsstätte unterhalten kann.6 Ob die Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung rechtlicher oder tatsächlicher Art ist, spielt keine Rolle.7 Entscheidend ist, dass die Verfügungsmacht nicht ohne weiteres entzogen werden kann.8 Daher kann eine Verfügungsmacht schon dann angenommen werden, wenn ein leitender Angestellter des Unternehmens entsprechende Räumlichkeiten, in denen der Betrieb des Unternehmens ausgeübt wird, unter seinem Namen angemietet hat.9 Das Erfordernis der Verfügungsgewalt des Unternehmens über die Geschäftseinrichtung schließt es aus, dass Tochtergesellschaften insoweit Betriebsstätten der Muttergesellschaft sind (Art. 5 Abs. 7 OECD-MA: Anti-Organ-Klausel). Sie können allerdings z.B. als

1 Ständige Rechtsprechung, z.B. BFH v. 18.3.1976 – IV R 168/72, BStBl. II 1976, 365; BFH v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166; BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 983; BFH v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462; BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922; BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BStBl. II 2014, 764; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 21; Rehfeld in G/K/G/K, Art. 5 OECD-MA Rz. 81 ff.; Haase in Haase3, Art. 5 OECD-MA Rz. 76 ff.; Mössner in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 2.106 ff.; a.A. Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 42, 42a. 2 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 15; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECDMA Rz. 44; Bärsch/Quilitzsch in F/W/K, Art. 7 DBA-Schweiz Rz. 184. 3 BFH v. 17.10.1990 – I R 16/89, BStBl. II 1991, 211; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 15; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 44; Hruschka in S/D2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 76; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 35; Debatin, BB 1992, 1181 (1182 f.). 4 Das gilt auch bei doppelstöckigen Personengesellschaften für die Gesellschafter der Obergesellschaft; vgl. Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 45. 5 BFH v. 29.1.1964 – I 153/61 S, BStBl. III 1964, 165; BFH v. 13.9.1989 – I R 117/87, BStBl. II 1990, 57; BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 4.12.1991 – I R 140/90, BStBl. II 1992, 750; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; BFH v. 2.12.1992 – I R 165/90, BStBl. II 1993, 577; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 44; Bärsch/Quilitzsch in F/W/K, Art. 7 DBA-Schweiz Rz. 184; Piltz, Die Personengesellschaft im Internationalen Steuerrecht, 152 ff.; Selent, Ausländische Personengesellschaften im Ertrag- und Vermögensteuerrecht, 188, 308; a.A. Hruschka in S/D2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 80. 6 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 34. 7 Zur Präzisierung der Verfügungsmacht im Sinne einer (an § 854 BGB orientierten) Sachherrschaft Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 21; Hruschka in S/D2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 61. 8 BFH v. 17.3.1982 – I R 189/79, BStBl. II 1982, 624; BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922. 9 RFH v. 3.12.1936, RStBl. 1937, 67; BFH v 30.1.1974 – I R 87/72, BStBl. II 1974, 327; BFH v. 5.10.1977 – I R 90/75, BStBl. II 1978, 205; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 25.

858 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.246 Kap. 19

abhängige Vertreter (Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA) für die Muttergesellschaft auftreten und hierdurch eine Betriebsstätte für diese begründen.1 Eine feste Geschäftseinrichtung setzt ferner voraus, dass diese dem Unternehmen nicht nur vorübergehend, sondern auf eine gewisse Dauer2 zu dienen bestimmt ist. Aus diesem Grunde begründen umherziehende Gewerbetreibende, die sich jeweils nur für kurze Zeit an einem bestimmten Ort aufhalten, in dem betreffenden Land keine Betriebsstätte.3

19.244

Schließlich muss die feste Geschäftseinrichtung so beschaffen sein, dass sich die Tätigkeit des Unternehmens darin selbst vollzieht.4 Stillgelegte Betriebe sind daher keine Betriebsstätten. Die bloße Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken führt ebenfalls nicht dazu, dass diese Grundstücke feste Geschäftseinrichtungen sind, in denen die Unternehmenstätigkeit ausgeübt wird.5 Entsprechendes gilt auch für Pipelines, Gleisanlagen und Versorgungsleitungen6 und darüber hinaus auch für einen Internet-Server;7 es handelt sich hierbei zwar um technische Anlagen, die dem Produktverkauf dienen, in ihnen wird aber keine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt.8

19.245

Stellen die vermieteten oder verpachteten Gegenstände in ihrer Gesamtheit eine feste Geschäftseinrichtung für den Mieter oder Pächter dar, so folgt daraus noch nicht das Vorliegen einer festen Geschäftseinrichtung auch beim Vermieter oder Verpächter.9 So bildet etwa ein im Rahmen einer grenzüberschreitenden Betriebsaufspaltung an die Betriebsgesellschaft verpachteter Geschäftsbetrieb nicht ohne weiteres auch eine feste Geschäftseinrichtung bei der Besitzgesellschaft.10 Die Betriebsgesellschaft ist zwar nicht Betriebsstätte im Sinne einer festen Geschäftseinrichtung, sie kann aber ein abhängiger Vertreter gem. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA sein.

19.246

1 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 257; Ditz, IStR 2010, 553. 2 Abzustellen ist hierbei auf eine Zeitgrenze von 6 Monaten und ggf. von 12 Monaten, soweit die Geschäftseinrichtung einer Montage oder Bauausführung (Art. 5 Abs. 3 OECD-MA) vergleichbar ist; vgl. BFH v. 19.5.1993 – I R 80/92, BStBl. II 1993, 655; BFH v. 28.6.2006 – I R 92/05, BStBl. II 2007, 100; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 32; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 37a; ausf. Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 25. 3 Beispiele bei Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 35. 4 Insbesondere darf die feste Geschäftseinrichtung nicht zugleich Tätigkeitsobjekt sein, vgl. Häck/ Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 20, 37 (zum sog. Painter-Example). 5 RFH v. 27.5.1941, RStBl. 1941, 393; BFH v. 20.1.1959 – I 112/57 S, BStBl. III 1959, 133; BFH v. 29.11.1960 – I B 222/59 U, BStBl. III 1961, 52; BFH v. 10.2.1988 – VIII R 159/84, BStBl. II 1988, 653; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 42a; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 44. 6 A.A. BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12 zu § 12 AO, wonach es ausreicht, dass die feste Geschäftseinrichtung der Tätigkeit eines Unternehmens dient. 7 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 7, 56; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 31; OFD Karlsruhe v. 11.11.1998, IStR 1999, 439. 8 Im Hinblick darauf zu weitgehend und zu einer Auflösung des Betriebsstättenprinzips führend OECD-MK zum OECD-MA Ziff. 42.1–42.9; anders zum weiter gefassten § 12 AO (Rz. 6.166). 9 OECD-MK zu Art. 5 Abs. 1 OECD-MA, Ziff. 8; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 52. 10 BFH v. 17.11.2020 – I R 72/16, BFH/NV 2021, 863; BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 862; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 33.

Schaumburg/Häck | 859

Kap. 19 Rz. 19.247 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.247

Da eine feste Geschäftseinrichtung erfordert, dass in ihr eine Unternehmenstätigkeit ausgeübt wird, begründen Tätigkeiten, die über bloße Vorbereitungshandlungen und Hilfstätigkeiten nicht hinausgehen, keine Betriebsstätten (Art. 5 Abs. 4 Buchst. e und f OECD-MA). Soziale Einrichtungen, wie etwa solche für die Belegschaft des Unternehmens, dienen dem Geschäftsgegenstand nur mittelbar und sind daher keine Betriebsstätten.1

19.248

Eine Betriebsstätte entsteht erst dann, wenn die unternehmerische Tätigkeit in der festen Geschäftseinrichtung aufgenommen wird. Hierzu gehören noch nicht die entsprechenden Vorbereitungs- und Nebentätigkeiten.2 Hiervon zu unterscheiden ist die Zuordnung von Betriebsstättengewinnen, die unabhängig davon erfolgt, ob zum Zeitpunkt der Gewinnentstehung eine Betriebsstätte schon oder noch vorhanden ist (Rz. 21.95 ff.).

19.249

In Konkretisierung der Betriebsstättendefinition enthalten die Abkommen regelmäßig einen Katalog von Regelbeispielen,3 die allerdings eine Prüfung, ob die Tatbestandsmerkmale einer Betriebsstätte gegeben sind, im Grundsatz nicht entbehrlich machen.4

19.250

Nach dem diesbezüglichen Positivkatalog ist auch ein Ort der Leitung als ein Ort, an dem das Unternehmen ganz oder ein Teil des Unternehmens geleitet wird, Betriebsstätte. Erforderlich hierfür sind Anlagen und Einrichtungen, in denen die entsprechenden Leitungsfunktionen ausgeübt werden können.5 Die Voraussetzungen im Sinne eines Ortes der geschäftlichen Oberleitung (§ 10 AO) müssen nicht erfüllt sein, so dass durchaus mehrere Orte der Leitung jeweils als Anknüpfungspunkt für die Betriebsstättenbesteuerung dienen können.6 Daher begründen auch Kontroll- und Koordinierungsstellen7 grenzüberschreitender Konzerne als Orte der Leitung oder als Geschäftsstellen regelmäßig Betriebsstätten, es sei denn, ihre Tätigkeit beschränkt sich auf die bloße Beschaffung von Informationen.

19.251

Zum Positivkatalog zählen ferner Zweigniederlassungen als organisatorisch verselbständigte, rechtlich aber unselbständige Untergliederungen eines Unternehmens, soweit sie nicht nur Hilfstätigkeiten ausüben. Für die Annahme der Betriebsstätteneigenschaft kommt es nicht auf die Registereintragung der Zweigniederlassung an.8 Ist indessen eine Zweigniederlassung im

1 RFH v. 22.1.1941, RStBl. 1941, 90; RFH v. 17.9.1941, RStBl. 1941, 764; BFH v. 16.6.1959 – I B 214/ 58 U, BStBl. III 1959, 349; BFH v. 29.11.1960 – I B 222/59 U, BStBl. III 1961, 52; BFH v. 7.3.1979 – I R 145/76, BStBl. II 1979, 527. 2 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 45; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 29; Schieber, Die Besteuerung von Auslandsbetriebsstätten, 8; anders z.T. bei Bauausführungen und Montagen; hierzu Rz. 19.254 ff.; s. aber Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 Rz. 56; Haase in Haase3, Art. 5 OECD-MA Rz. 75; Art. 5 Nr. 11 S. 2 MK. 3 Art. 5 Abs. 2 OECD-MA. 4 RFH v. 30.4.1935, RStBl. 1935, 840; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 77; Hruschka in S/D2, Art. 5 OECD-MA (2014) Rz. 86; tw. a.A. BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148; diff. Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 47. 5 Eine Wohnung reicht aus; BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148; BFH v. 24.3.1998 – I R 38/97, BStBl. II 1998, 471; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 64. 6 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 78; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECDMA Rz. 64; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 52. 7 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 79; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECDMA Rz. 70; Becker, DB 1984, 1847 ff.; BMF v. 24.8.1984 – IV C 5 - S 1300 - 244/84, BStBl. I 1984, 458. 8 BFH v. 26.2.1964 – II 289/59 U, BStBl. III 1964, 275; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 80.

860 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.254 Kap. 19

Handelsregister eingetragen, spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass eine Betriebsstätte unterhalten wird.1 Soweit die Untergliederungen des Unternehmens keine organisatorische Selbständigkeit haben, können sie als Geschäftsstellen, in denen büromäßige Aufgaben des Managements ausgeübt werden,2 insbesondere als Verbindungsbüros,3 durchaus Betriebsstätteneigenschaft erlangen, sofern dort nicht lediglich Hilfstätigkeiten ausgeübt werden.4

19.252

Neben Fabrikationsstätten und Werkstätten zählen insbesondere Bergwerke, Öl- oder Gasvorkommen, Steinbrüche oder andere Stätten der Ausbeutung von Bodenschätzen zu jenen Einrichtungen, die in dem Positivkatalog als Betriebsstätten genannt sind.5

19.253

In der internationalen Vertragspraxis haben Bauausführungen und Montagen6 eine besondere Beachtung dadurch gefunden, dass über den allgemeinen Betriebsstättenbegriff (Art. 5 Abs. 1 OECD-MA) hinaus ein besonderer Anknüpfungspunkt für die Besteuerung gefunden wird,7 obwohl die fraglichen Tätigkeiten nicht stets alle Voraussetzungen des allgemeinen Betriebsstättenbegriffs erfüllen. So ist z.B. eine mehr als zwölfmonatige Bauausführung auch dann Betriebsstätte, wenn es an einer festen Geschäftseinrichtung oder Anlage fehlt.8 Sie ist es nicht, wenn die Zwölfmonatsfrist nicht erreicht wird, und zwar selbst dann nicht, wenn sie zu einer festen Geschäftseinrichtung gem. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA gehört.9 Durch diese Erweiterung des allgemeinen Betriebsstättenbegriffs wird insbesondere den Kapitalimportländern ein nicht unwesentlicher Besteuerungszugriff eingeräumt, der eine zusätzliche Erweiterung noch dadurch erfährt, dass in den insbesondere mit Entwicklungsländern und Schwellenländern abgeschlossenen DBA das allgemeine Zeitraumerfordernis von zwölf Monaten (Art. 5 Abs. 3 OECD-MA) auf regelmäßig sechs Monate reduziert worden ist.10

19.254

1 BFH v. 30.1.1981 – III R 116/79, BStBl. II 1981, 560; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 71 f. 2 Zur Begrifflichkeit BFH v. 10.5.1989 – I R 50/85, BStBl. II 1989, 755. 3 Flick, CDFI LII (1967), 443 (452); Strobl/Kollmann, AWD 1969, 405 (409). 4 BFH v. 14.7.1971 – I R 127/68, BStBl. II 1971, 776. 5 Zu Einzelheiten Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 78 ff. 6 Art. 5 Abs. 3 OECD-MA; zu § 12 Satz 2 Nr. 8 AO: BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 983; BFH v. 13.11.1990 – VIII R 152/86, BStBl. II 1991, 94; aus der umfangreichen Literatur (nur Monographien): Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagenbaus2; Schieber, Die Besteuerung von Auslandsbetriebsstätten, 57 ff.; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, 38 f., 153 f.; Mersmann, Die Ertragsbesteuerung inländischer Betriebsstätten und Tochtergesellschaften ausländischer Kapitalgesellschaften, 50 f., 66 ff.; Storck, Ausländische Betriebsstätten im Ertrag- und Vermögensteuerrecht, 169 ff.; Schweizer, Die Betriebsstätteneigenschaft von Bauausführungen und ihre gewerbesteuerliche Behandlung; Kaumanns, Die Erfassung von Baustellen des Auslandsbaus der deutschen Bauindustrie als ertrag- und vermögensteuerliches Problem des Internationalen deutschen Steuerrechts. 7 Zum Prüfungsschema für Bauausführungen und Montagen Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 316, 325. 8 Art. 5 Abs. 3 OECD-MA enthält insoweit eine Definitionserweiterung; vgl. BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 123, Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 95; Haase in Haase3, Art. 5 OECD-MA Rz. 100. 9 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 95; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 112; Rz. 16 OECD-MK zu Art. 5. 10 Hierzu der Überblick über die deutschen DBA bei Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 146.

Schaumburg/Häck | 861

Kap. 19 Rz. 19.255 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.255

Zu den Bauausführungen1 zählen alle zur Fertigstellung oder zum Abbruch eines Bauwerks erforderlichen Arbeiten einschließlich der Bauplanung und Bauüberwachung, soweit diese von dem betreffenden Bauunternehmer selbst oder durch Subunternehmer2 ausgeführt werden. Die bloße Bauplanung bzw. Bauüberwachung bedeutet demgegenüber keine Bauausführung, so dass eine Betriebsstätte hierdurch nur dann begründet wird, wenn die allgemeinen Voraussetzungen des Betriebsstättenbegriffs gegeben sind.3

19.256

Zu den Montagen4 zählen insbesondere die Aufstellung von Stahlgerüsten oder Produktionseinrichtungen5 sowie das Zusammenfügen oder der Umbau vorgefertigter Einzelteile in jedem Stadium der Produktion,6 nicht jedoch bloße Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten.7

19.257

Die maßgebliche Zwölf-Monatsfrist beginnt mit den Vorbereitungs- bzw. Nebenarbeiten vor Ort,8 etwa mit der Errichtung von Baubuden,9 und endet entsprechend mit dem Abschluss von Nebentätigkeiten, etwa dem Probelauf einer aufgestellten Maschine.10 Übliche Arbeitsunterbrechungen, z.B. arbeitsfreie Wochenenden sowie Urlaubszeiten, hemmen dabei den Fristablauf nicht, werden also mitgezählt.11

19.258

Nicht mitgezählt werden dagegen vom Bau- bzw. Montageunternehmen zu vertretende Arbeitsunterbrechungen, soweit sie nicht bloß kurzfristig sind.12

19.259

DBA enthalten durchweg auch einen Negativkatalog (Art. 5 Abs. 4 OECD-MA), nach dem bestimmte Geschäftseinrichtungen und Sachgesamtheiten auch dann nicht als Betriebsstätten gelten, wenn die entsprechenden Voraussetzungen hierfür gegeben sein sollten. Das gilt – seit dem Update 2017 – für sämtliche in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA genannten Einrichtungen nur, wenn in diesen ausschließlich vorbereitende und unterstützende Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten ausgeübt werden. Dass diese Einrichtungen dem Besteuerungszugriff des Betriebsstät-

1 Zum Begriff: Erstellung von Bauwerken, Bau von Straßen, Brücken und Kanälen, Legen von Rohrleitungen, Erd- und Baggerarbeiten usw. (ABC-Aufstellung) vgl. Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 104 f. 2 Voraussetzung: Der Generalunternehmer muss vor Ort die Überwachung der Bauausführung in Händen halten; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 104, 115; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 122; Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 68. 3 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 115; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 122, 146 mit einer Übersicht deutscher Abkommen, nach denen ausnahmsweise auch die Bau- und Montageüberwachung als Betriebsstätte behandelt wird. 4 Zum Begriff: Zusammensetzen von Einzelteilen zu einem neuen Produkt vgl. BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 983; BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694. 5 BFH v. 7.3.1979 – I R 145/76, BStBl. II 1979, 527. 6 Weitere Einzelheiten bei Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagenbaus, 20 ff. 7 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 4.3.1. 8 Anders bei festen Geschäftseinrichtungen, hierzu Rz. 19.248. 9 OECD-MK zu Art. 5 Abs. 3 OECD-MA Ziff. 18; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 131; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 125. 10 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 126; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 134. 11 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 128; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 132. 12 Frist: etwa 14 Tage (BFH v. 8.2.1979 – IV R 56/76, BStBl. II 1979, 479; BFH v. 21.10.1981 – I R 21/78, BStBl. II 1982, 241), aber letztlich auf den Einzelfall abzustellen, vgl. Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 71; zu Einzelheiten Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECDMA Rz. 133.

862 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.260 Kap. 19

tenstaates entzogen sind, hat seinen Grund insbesondere in der schwierigen Bestimmung des auf solche nicht unmittelbar der Einkünfteerzielung dienenden Hilfstätigkeiten entfallenden Anteiles am Unternehmensgewinn.1 Im Hinblick darauf zählen nicht zu den Betriebsstätten Einrichtungen, die ausschließlich zur Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung von Gütern und Waren des Unternehmens genutzt werden (Art. 5 Abs. 4 Buchst. a OECD-MA), sowie Bestände von Gütern oder Waren des Unternehmens, die ausschließlich zur Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung unterhalten werden (Art. 5 Abs. 4 Buchst. b OECD-MA). Ferner zählen hierzu nicht Bestände von Gütern oder Waren des Unternehmens, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten werden, durch ein anderes Unternehmen bearbeitet oder verarbeitet zu werden (Art. 5 Abs. 4 Buchst. c OECD-MA). Darüber hinaus gelten auch solche feste Geschäftseinrichtungen nicht als Betriebsstätten, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten werden, für das Unternehmen Güter oder Waren einzukaufen oder Informationen zu beschaffen (Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECD-MA).2 Derartige Einkaufsstellen sind allerdings dann in vollem Umfang Betriebsstätten, wenn dort auch für andere Unternehmen eingekauft wird oder für diese Informationen beschafft werden. Aus diesem Grund sind etwa gemeinsame Einkaufsstellen konzernverbundener Unternehmen, die insoweit andere Unternehmen darstellen, stets Betriebsstätten.3 Da der Negativkatalog allgemein feste Geschäftseinrichtungen ausnimmt, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten werden, für das Unternehmen Tätigkeiten auszuüben, die vorbereitender Art sind oder reine Hilfstätigkeiten bedeuten (Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA),4 werden der internationalen Unternehmenstätigkeit betriebsstättenorientierte Spielräume zugestanden.5 Ob es sich nämlich um Haupt- oder Nebentätigkeiten handelt, hängt vom Unternehmensgegenstand des betreffenden Unternehmens und von dessen tatsächlicher Tätigkeit ab. Werden etwa in einer Geschäftsstelle gemischte Tätigkeiten ausgeübt, also solche, die nicht nur unter den Negativkatalog fallen, wird eine einheitliche Betriebsstätte begründet, so dass die Tätigkeiten insgesamt der Betriebsstättenbesteuerung unterworfen werden können (Art. 5 Abs. 4 Buchst. f OECD-MA).6 Eine Betriebsstätte wird auch dadurch begründet, dass abhängige Vertreter mit Abschlussvollmacht7 für das Unternehmen tätig werden (Art. 5 Abs. 5 OECD-MA). Zu diesen Vertretern zählen nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen und Personenvereinigungen, so dass etwa auch Tochtergesellschaften Vertreter für die Muttergesellschaft sein können.8

1 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 167; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 152; in der Vergangenheit wurde als weiterer Grund die fehlende „produktive Funktion“ solcher Tätigkeiten angeführt; vgl. hierzu Brunner, Die Betriebsstätte und ihre internationale Funktion als Steuerort, 45; Baehren, Die Behandlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Internationalen Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung der DBA der Bundesrepublik Deutschland, 112 ff., Spitaler, RIW 1956, 69 (70). 2 Vgl. auch BFH v. 23.1.1985 – I R 292/81, BStBl. II 1985, 417 zur Betriebsstätteneigenschaft einer Redaktionsaußenstelle einer Tageszeitung. 3 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 182; Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 172. 4 Es handelt sich hierbei um eine Generalklausel im Verhältnis zu Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis d; Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 177. 5 Hierzu Kaligin, RIW 1995, 398 ff. 6 Zu Einzelheiten Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 182 f. 7 Zu den Unterschieden zwischen § 13 AO einerseits und Art. 5 Abs. 5 OECD-MA andererseits Wassermeyer in FS Schaumburg, 971 (974 ff.). 8 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 262; Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 197; Endres, IStR 1996, 1 ff.

Schaumburg/Häck | 863

19.260

Kap. 19 Rz. 19.261 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.261

In diesem Zusammenhang stellen die DBA aufgrund einer sog. Anti-Organ-Klausel fest, dass allein aufgrund eines Beherrschungsverhältnisses die Betriebsstätteneigenschaft der beherrschten Gesellschaft nicht begründet wird (Art. 5 Abs. 7 OECD-MA). Das bedeutet, dass Tochtergesellschaften nicht schon zur Geschäftseinrichtung oder zum abhängigen Vertreter der Muttergesellschaft werden, weil sie von dieser rechtlich beherrscht werden. Eine Vertreterbetriebsstätte vermögen sie allerdings dadurch zu begründen, dass sie als Vertreter der Muttergesellschaft (Art. 5 Abs. 6 OECD-MA) mit deren Vollmacht Verträge abschließen, die über den Rahmen ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit hinausgehen (Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA).1

19.262

Da grundsätzlich lediglich die Tätigkeit eines abhängigen Vertreters eine Vertreterbetriebsstätte begründet, gehören selbständige Gewerbetreibende, etwa Makler, Kommissionäre und Handelsvertreter, soweit sie sich im Rahmen ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit bewegen (Art. 5 Abs. 6 OECD-MA),2 nicht zu diesem Personenkreis. Als abhängige Vertreter kommen daher nur solche Personen in Betracht, die an die geschäftlichen Anweisungen des Unternehmens gebunden sind und auch persönlich zu diesem in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen.3 Für die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte reicht es indessen nicht aus, wenn von der Abschlussvollmacht4 nur gelegentlich Gebrauch gemacht wird; erforderlich ist vielmehr die Nachhaltigkeit der Vollmachtsausübung.5

19.263

Beschränkt sich die Tätigkeit des abhängigen Vertreters auf Tätigkeiten, die unter den Negativkatalog (Art. 5 Abs. 4 OECD-MA) fallen, so wird hierdurch auch keine Vertreterbetriebsstätte begründet (Art. 5 Abs. 5 OECD-MA). c) Gewinnzuordnung Literatur: Vgl. die Literaturübersicht zu Rz. 21.16.

19.264

Der Betriebsstättenstaat darf die Unternehmensgewinne nur insoweit besteuern, als sie der Betriebsstätte zugerechnet werden können (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA 2008) bzw. gem. den Bestimmungen des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2017 zuzurechnen sind (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA 2017).6 Welche Gewinne der Betriebsstätte zuzurechnen sind, entscheidet sich nach den Zuordnungsregeln der DBA, insbesondere aufgrund der abkommensrechtlichen Bestimmungen über den Betriebsstättenvorbehalt, die in den für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren maßgeblichen Verteilungsnormen enthalten sind (Art. 10 Abs. 4; 11 Abs. 4; 12

1 Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 279; Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 258; Schürmann/Reinhardt, AWD 1974, 603 (603). 2 Zur ordentlichen Geschäftstätigkeit: BFH v. 23.9.1983 – III R 76/81, BStBl. II 1984, 94; BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 326; Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 229 ff.; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, 49 f.; Mersmann, Die Ertragsbesteuerung inländischer Betriebsstätten und Tochtergesellschaften ausländischer Kapitalgesellschaften, 55. 3 BFH v. 30.4.1975 – I R 152/73, BStBl. II 1975, 626; BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238; Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 323; kritisch zum Erfordernis der persönlichen Abhängigkeit Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 225; Zehetner in Gassner/Lang/Lechner, Die Betriebsstätte im Recht der DBA, 111 (118). 4 Es bedarf einer rechtlichen Abschlussvollmacht, vgl. Häck/Korff in F/W/K, Art. 5 DBA-Schweiz Rz. 93, a.A. Görl/Gradl in V/L7, Art. 5 OECD-MA Rz. 281. 5 Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 202. 6 Zur Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten im Einzelnen Rz. 21.16 ff.

864 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.266 Kap. 19

Abs. 3 OECD-MA).1 Diese Regelungen stellen im Wesentlichen darauf ab, ob die Vermögensteile, aus denen die Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren stammen, tatsächlich zum Betriebsstättenvermögen gehören. Hieraus folgt, dass in Abgrenzung zu den für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren maßgeblichen Verteilungsnormen der Betriebsstätte von vornherein nur Gewinne aus den Vermögenswerten zugerechnet werden können, die der Betriebsstätte dienen. Die Zuordnungsregeln der DBA erheben den Drittvergleich zum Maßstab für die Gewinnzuordnung: Der Betriebsstätte wird im Grundsatz der Gewinn zugeordnet, den sie als ein vom Stammhaus unabhängiges Unternehmen hätte erzielen können (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008) bzw. „im Verkehr mit anderen Teilen des Unternehmens voraussichtlich erzielt hätte, wenn sie als selbständiges und unabhängiges Unternehmen die gleichen oder ähnlichen Tätigkeiten unter den gleichen oder ähnlichen Bedingungen ausgeübt hätte“ (Art. 7 Abs. 2 OECDMA 2017). Die Gewinnzuordnung2 ist damit zugleich auch eine Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte,3 von deren Reichweite die Ebene der Gewinnermittlung allerdings nicht erfasst wird.4 Diese abkommensrechtliche dealing at arm’s length-Klausel5 ist nicht bloß eine Ermächtigungsnorm, die durch eine innerstaatliche Vorschrift ausgefüllt werden muss. Es handelt sich vielmehr um eine unmittelbar anwendbare Norm, die zu ihrer Durchführung – abgesehen vom Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG – keiner innerstaatlichen gesetzlichen Vorschrift mehr bedarf, insoweit also Self-executing-Wirkung hat.6 Die Gewinnzuordnung ist daher nicht den autonomen Regelungen der beteiligten Staaten überlassen. Sie hat vielmehr in den DBA eine Bindungswirkung für die Vertragsstaaten erfahren, die allerdings durch ein innerstaatlich wirkendes Treaty-Overriding (Rz. 3.24 f.) ganz oder teilweise suspendiert werden kann.7 Die Self-executing-Wirkung der dealing at arm’s lengthKlausel richtet sich sowohl gegen den Betriebsstätten- als auch gegen den Wohnsitzstaat.8 Hierdurch wird die Grundlage dafür gelegt, dass trotz unterschiedlicher Gewinnzuordnungsvorschriften eine Doppelbesteuerung oder eine Besteuerungslücke vermieden werden kann.

19.265

Die Self-executing-Wirkung von Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008/2017 wird im deutschen Recht nicht dadurch beseitigt, dass die dealing at arm’s length-Klausel im Rahmen einer Einkünfte-

19.266

1 Eine Attraktivkraft der Betriebsstätte, wonach sämtliche Einkünfte eines Unternehmens aus Quellen eines Vertragsstaates zuzuordnen sind, ist somit mit Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008/2010 unvereinbar; vgl. Hemmelrath in V/L7 Art. 7 OECD-MA Rz. 42a; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 184. 2 Oder Gewinnzurechnung. 3 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 155 ff., 187. 4 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; Niehaves in Haase3, Art. 7 OECD-MA Rz. 52 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 775; Ditz, IStR 2005, 37 (39 ff.). 5 Dieser Ausdruck stammt aus der Fechtersprache: Die Fechter müssen sich auf Waffenlänge, also in angemessenem Abstand, gegenüberstehen, um einen fairen Wettkampf zu gewährleisten. 6 Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 77; Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 37; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 775; Hemmelrath, Die Ermittlung des Betriebsstättengewinns im internationalen Steuerrecht, 237; Kempka, Gewinnrealisierung bei der Überführung von Wirtschaftsgütern zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, 108; Kluge, StuW 1975, 294 (302 f.); Schaumburg, DStJG 4 (1981), 247 (253); Schaumburg in Krause/Schaumburg/Wassermeyer, Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten, 23 (71); Ditz, IStR 2005, 37 (41); a.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 315; van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 34 ff.; Gosch in FS Crezelius, 735 (737 f.). 7 Vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, IStR 2016, 191. 8 Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 148.

Schaumburg/Häck | 865

Kap. 19 Rz. 19.266 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

korrektur nur einseitig zu Gunsten des deutschen Fiskus zur Anwendung kommt (§ 1 Abs. 5 AStG; Rz. 21.67). § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG, in dem der Fremdvergleichsgrundsatz verankert ist und auf den § 1 Abs. 5 AStG für Zwecke der Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten verweist, enthält zwar die Aussage „unbeschadet anderer Vorschriften“, hierdurch werden aber entgegenstehende Abkommensvorschriften nicht überspielt.1 Dies deshalb nicht, weil aus der vorgenannten Klausel nicht hinreichend deutlich wird, dass gerade der sich aus § 2 Abs. 1 AO ergebende, zugunsten von Abkommensvorschriften geltende, lex specialis-Grundsatz beseitigt werden soll (Rz. 3.24). Der Formulierung „unbeschadet anderer Vorschriften“ kann überhaupt nur entnommen werden, dass andere Einkünftekorrekturnormen vorrangig anzuwenden sind (Rz. 21.67).2 Im Ergebnis bleibt damit die auf gemeinsame Rechtsfolgen in beiden Vertragsstaaten angelegte Verteilungsfunktion des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008/2010 erhalten. Hierdurch wird zum einen das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Vertragsstaaten (Rz. 19.33 ff.) gewahrt, und zum anderen werden die Steuerpflichtigen keiner Doppelbesteuerung ausgesetzt, die nachträglich3 allenfalls durch Verständigungs- oder Schiedsverfahren (Rz. 19.88 ff., 19.110 ff.) vermieden werden könnte.

19.267

Die im OECD-MA 2008 und OECD-MA 2010/2017 gleichermaßen verankerte dealing at arm’s length-Klausel geht (wenn auch zunächst eingeschränkt) von einer Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte aus. Während für Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 die Aufteilung des Gewinns des Gesamtunternehmens auf Stammhaus und Betriebsstätte im Vordergrund steht, geht es bei Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010/2017 vor allem um eine inkongruente Gewinnzurechnung mit der Folge, dass der derart der Betriebsstätte zugerechnete Gewinn und der Gewinn des übrigen Unternehmens in der Summe den Gesamtgewinn des Unternehmens überschreiten kann. Dies beruht auf der durch den Authorised OECD Approach (AOA) zugrunde gelegten Fiktion der uneingeschränkten Selbstständigkeit der Betriebsstätte und der damit verbundenen Fiktion von Geschäftsbeziehungen zwischen Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen, so dass auch bloße Innentransaktionen Berücksichtigung finden. Diese AOA-Regeln wurden in § 1 Abs. 5 AStG in das innerstaatliche Recht umgesetzt (Rz. 21.66 ff.).4

19.268

Gem. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 sind der Betriebsstätte diejenigen Gewinne zuzurechnen, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre.5 In Orientierung am allgemein gültigen Veranlassungsprinzip (Rz. 21.37 ff.) ist aus deutscher Sicht von einer nur eingeschränkten Selbständigkeit der Betriebsstätte auszugehen,6 so dass z.B. Dar-

Anders BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 383. Zu Vorwegauskünften (APA) vgl. Rz. 19.104 ff.; Rz. 21.244 ff. Bärsch/Quilitzsch in F/W/K, Art. 7 DBA-Schweiz, Rz. 503.3; Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2017), Rz. 22; Gosch in FS BFH, 1027 (1033 ff.). 5 Siehe zu den Schwierigkeiten bei mangelnder Personalfunktion Bärsch/Quilitzsch in F/W/K, Art. 7 DBA-Schweiz, Rz. 503; Haase in FS Lüdicke, 229 (230 ff.). 6 BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; OECD-MK zu Art. 7 OECD-MA, Ziff. 12.1; Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 156 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 185; Wassermeyer in W/A/D, BetriebsstättenHandbuch, Rz. 1.2.3; Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 2.163; Debatin, DB 1989, 1692 ff., 1739 ff.; Kleineidam, IStR 1993, 349 ff.; 395 (396); Ditz, IStR 2005, 37 (40 ff.); für eine uneingeschränkte Selbständigkeit dagegen immer schon z.B. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 257 ff.; Burmester, Probleme der Gewinn- und Verlustrealisierung, 204; Becker, DB 1 2 3 4

866 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.271 Kap. 19

lehenszinsen, Mieten, Provisionen, Dienstleistungs- und ähnliche Vergütungen zwischen Betriebsstätte und Stammhaus als bloße Innentransaktionen unberücksichtigt bleiben. Dieses Erwirtschaftungsprinzip (Rz. 21.37 ff.), wonach insbesondere Innentransaktionen zu keiner Gewinnrealisation führen, erleidet freilich nach innerstaatlichem Recht insbesondere in Fällen der Steuerentstrickung Ausnahmen (Rz. 21.40 ff.). Während die dem Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 entsprechenden Normen der DBA mit dem dealing at arm’s length-Prinzip die Grundregel für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte enthalten, regeln die dem Art. 7 Abs. 3 und 4 OECD-MA 2008 entsprechenden Abkommensnormen insbesondere die Methoden der Gewinnzuordnung, und zwar die direkte Methode (Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2008) und die indirekte Methode (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2008). Beide Methoden verfolgen das Ziel einer Gewinnzuordnung nach Maßgabe des Erwirtschaftungsprinzips (Rz. 21.37 ff.), so dass der Teil des Gesamtergebnisses des Unternehmens als Gewinn der Betriebsstätte zu ermitteln ist, der sowohl durch ihre Tätigkeit als auch durch ihre Existenz erwirtschaftet wird. Daher ist es auch unerheblich, ob etwa Aufwendungen im Inland oder im Ausland anfallen, oder ob sie vom Stammhaus oder von der Betriebsstätte getragen werden (Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2008).

19.269

Die DBA sprechen ausdrücklich lediglich die indirekte Methode an (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2008), unterstellen aber die direkte Methode als Normalmethode.1 Die Gewinnzuordnung nach der direkten Methode macht die Ermittlung des Betriebsstättengewinns aufgrund einer eigenständigen Betriebsstättenbuchführung wie bei einem selbständigen Unternehmen erforderlich. Die indirekte Methode dagegen geht vom Gesamtgewinn des Unternehmens aus und teilt diesen nach bestimmten Schlüsseln auf das Stammhaus und die Betriebsstätte auf.2 Entsprechend den Abkommensregelungen steht sowohl in der deutschen3 als auch in der internationalen Praxis die direkte Methode im Vordergrund. Sie allein ist in der Lage, das in den Abkommen verankerte dealing at arm’s length-Prinzip uneingeschränkt zu verwirklichen.4 Mit dem „Update 2010“ des OECD-MA wurde der o.g. Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2008 völlig neu gefasst, sodass eine Ersetzung der Aufwandszuordnung (Rz. 19.269) durch die korrespondierende Gewinnberichtigung (Rz. 19.274) erfolgte.5 Die indirekte Methode des Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2008 ist zeitgleich entfallen, da sie nach Auffassung der OECD mit dem „Functionally Separate Entity Approach“ nicht vereinbar ist.6

19.270

Im Unterschied zu Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 geht die in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010/ 2017 verankerte Neuregelung von der Fiktion der uneingeschränkten Selbständigkeit der Be-

19.271

1 2 3

4 5 6

1989, 10 ff.; Beiser, IStR 1992, 7 ff.; Sieker, DB 1996, 110 (112); nunmehr geregelt in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 und § 1 Abs. 5 AStG. Vgl. den Wortlaut des Art. 7 Abs. 4 OECD-MA. Die indirekte Methode ist insbesondere bei Bau- und Montagebetriebsstätten gebräuchlich (vgl. Rz. 21.111 ff.). Zum Vorrang der direkten Methode RFH v. 25.5.1932, RStBl. 1932, 771; BFH v. 27.7.1965 – I 110/ 63 S, BStBl. III 1966, 24; BFH v. 28.3.1985 – IV R 80/82, BStBl. II 1985, 405; BFH v. 25.6.1986 – II R 213/83, BStBl. II 1986, 785; BFH v. 29.7.1992 – II R 39/89, BStBl. II 1993, 63; OECD-MK zu Art. 7 OECD-MA, Ziff. 25; Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 180; Bärsch/Quilitzsch in F/W/K, Art. 7 DBA-Schweiz, Rz. 580.1 f. Zu den Vor- und Nachteilen der direkten und indirekten Methode Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 546 ff. Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA 2008, Rz. 16. Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA 2008, Rz. 17; Bärsch/Quilitzsch in F/W/K, Art. 7 DBA-Schweiz, Rz. 571.

Schaumburg/Häck | 867

Kap. 19 Rz. 19.271 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

triebsstätte aus. Hiernach sind im Ergebnis die Einkünfte des Einheitsunternehmens nach denselben Grundsätzen zu verteilen wie zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft. Dieses Konzept des „Authorised OECD-Approach“ (AOA) suspendiert das im Übrigen geltende Veranlassungsprinzip (Rz. 21.35), so dass insbesondere auch bloße Innentransaktionen steuerliche Berücksichtigung finden (Entgeltsprinzip). Obwohl bislang nur wenige deutsche DBA eine derartige AOA-Regelung enthalten,1 wird die entsprechende Regelung in § 1 Abs. 5 AStG (Rz. 21.66 ff.) im Wege eines Treaty-Overriding (Rz. 3.24 f.) ausdrücklich auch auf andere Abkommen angewendet, es sei denn der Steuerpflichtige macht geltend, dass das an sich zur Anwendung kommende Doppelbesteuerungsabkommen den AOA-Regelungen widerspricht, der andere Vertragsstaat sein Besteuerungsrecht entsprechend ausübt und es deshalb zu einer Doppelbesteuerung kommen würde (§ 1 Abs. 5 Satz 8 AStG).

19.272

Im Gefolge der (uneingeschränkten) Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010/2017) sind weitere Fiktionen erforderlich, um überhaupt das maßgebliche Entgeltsprinzip zur Anwendung bringen zu können. Konkretisierungen hierzu enthalten die entsprechenden DBA nicht, so dass insoweit die Regelungen des innerstaatlichen Rechts zur Geltung kommen. Diese enthalten die BsGaV, die auf Grundlage der Ermächtigung in § 1 Abs. 6 AStG ergangen ist. Danach ist für die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte zunächst eine Vergleichbarkeitsanalyse vorzunehmen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BsGaV), um insbesondere mit dem Stammhaus Verrechnungspreise zu bestimmen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BsGaV).

19.273

Auf dieser Grundlage erlangt im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen zweistufigen Vorgehensweise, die der Ausgestaltung der Betriebsstätte als „eigenständiges und unabhängiges Unternehmen“ dient (§ 1 Abs. 5 Satz 3 AStG), die Zuordnung von Personalfunktionen (Geschäftstätigkeiten) eine maßgebliche Bedeutung für die Zuordnung von Vermögenswerten (§§ 5 ff. BsGaV), Chancen und Risiken (§ 11 BsGaV) und schließlich auch von Geschäftsvorfällen (§ 9 BsGaV). Vgl. zu den einzelnen Zuordnungsregeln im Überblick (Rz. 21.72 ff.).

19.274

Im Hinblick darauf, dass die Anwendung von DBA auf gemeinsame Rechtsfolgen gerichtet ist (Rz. 19.52 f.), enthält Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010/2017 eine korrespondierende Gegenberichtigung, welche mit dem „Update 2010“ eingeführt wurde. Ebenso wie Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010/2017 entfaltet Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010/2017 Self-executing-Wirkung,2 so dass insoweit – freilich in engen Grenzen – eine Doppelbesteuerung durch unterschiedliche Anwendung der AOA-Regeln vermieden werden kann.3 Eine auch zu Gunsten des Steuerpflichtigen wirkende Gegenberichtigung erfolgt somit nur dann, wenn – die Erstberichtigung im anderen Vertragsstaat unter Beachtung der in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010/2017 verankerten AOA-Regeln erfolgt ist und – die durch die Erstberichtigung ausgelösten (Mehr-)gewinne dort auch besteuert werden.

19.275

Ob der andere Vertragsstaat die Erstkorrektur entsprechend Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010/ 2017 vorgenommen hat, beurteilt der zur Gegenkorrektur berufene Vertragsstaat allein aus seiner Sicht, so dass er im Umfang der hiernach möglichen Berichtigung die Erstberichtigung

1 Z.B. DBA-NL, DBA-FL, DBA-Lux, DBA-UK, DBA-Irl, DBA-USA. 2 Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2017) Rz. 54; Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 766. 3 Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2017) Rz. 47; Kahle/Mödinger, IStR 2010, 757 (762); Plansky, Die Gewinnzurechnung zu Betriebsstätten im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 262 f.

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.279 Kap. 19

anerkennen muss.1 Das wird nur dann der Fall sein, wenn die Erstberichtigung etwa durch Betriebsprüfungsberichte entsprechend dokumentiert worden ist. Bloß mehrergebnisbezogene tatsächliche Verständigungen im Rahmen einer Außenprüfung reichen daher nicht aus. In Betracht kommt ggf. auch nur eine teilweise Gegenberichtigung in den Fällen, in denen etwa für fiktive Lieferungen zwischen Betriebsstätte und Stammhaus im anderen Staat Fremdvergleichswerte zugrunde gelegt wurden, die außerhalb der Bandbreiten liegen, die der zur Gegenberichtigung berufene Vertragsstaat für zutreffend hält.2 Erkennt der Vertragsstaat die Erstberichtigung nicht an, kann eine Doppelbesteuerung auf Grundlage eines Verständigungs- oder Schiedsverfahrens (Rz. 19.88 ff., 19.110 ff.) oder nach der Schiedsverfahrenskonvention vermieden werden (Rz. 19.114 ff.). Weitere Voraussetzung für eine Gegenberichtigung ist der Nachweis der Besteuerung infolge der Erstberichtigung. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich eine entsprechende Steuer bezahlt worden ist. Es reicht vielmehr eine Mehrbelastung etwa aufgrund der Verrechnung mit Verlusten.3

19.276

Die unter den vorgenannten Voraussetzungen bestehende Verpflichtung zur Gegenkorrektur wird allerdings aus deutscher Sicht die Ausnahme bilden, weil Art. 7 Abs. 3 DE-VG die Gegenberichtigung ausdrücklich davon abhängig macht, dass der zur Gegenberichtigung berufene Vertragsstaat der Erstberichtung zustimmt.4 Ist das nicht der Fall, kann die Doppelbesteuerung nur über ein Verständigungs- oder Schiedsverfahren (Rz. 19.88 ff., 19.110 ff.) oder auf der Grundlage der Schiedsverfahrenskonvention (Rz. 19.114 ff.) vermieden werden.5

19.277

Soweit aufgrund der Gegenberichtigung aus deutscher Sicht Feststellungs- oder Steuerbescheide zu ändern sind, greift § 175a AO analog ein.6 Hier gelten die für Verständigungsverfahren maßgeblichen Regeln entsprechend (Rz. 19.102 ff.).7

19.278

Wegen der Aufwands- und Ertragszuordnung bei Anwendung von Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 (Erwirtschaftungsprinzip) wird auf Rz. 21.37 ff. und wegen weiterer Einzelheiten zu den Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010/2017 zugrunde liegenden AOA-Regeln auf Rz. 21.66 ff. verwiesen. Zur zeitlichen Zuordnung vgl. Rz. 21.95 ff. und zu Betriebsstättensonderfällen vgl. Rz. 21.100.

19.279

1 Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2017) Rz. 52; Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 750; a.A. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA (2017) Rz. 641. 2 Vgl. das Beispiel bei Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2017) Rz. 52. 3 Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2017) Rz. 50; zweifelnd van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECDMA (2017) Rz. 639. 4 Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2017) Rz. 52 f. 5 Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2017), Rz. 54. 6 Kritisch Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2017), Rz. 54, der eine Anwendbarkeit des § 175a AO nur bei vorab durchgeführten Verständigungsverfahren nach Art. 7 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Art. 25 OECD-MA 2017 für denkbar hält. 7 Dagegen auf §§ 164 Abs. 2, 173 Abs. 1 Nr. 2 AO und auf Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO) abstellend Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2017) Rz. 54; Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECDMA (2010) Rz. 766 und auf Art. 7 Abs. 3 OECD-MA (2017) als eigenständige (verfahrensrechtliche) Vorschrift van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA (2017) Rz. 645.

Schaumburg/Häck | 869

Kap. 19 Rz. 19.280 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

4. Gewinne aus Schifffahrt und Luftfahrt Literatur: Kommentare zu Art. 8 OECD-MA; Brons, Nationale und internationale Besteuerung der Seeschifffahrt, Bielefeld 1990; Hemmelrath, Die Zuordnung des Rechts zur Besteuerung von Schifffahrt- und Luftfahrtunternehmen in der historischen Entwicklung zwischenstaatlicher Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff, Territorialität und Personalität, FS für Moris Lehner, 2019, 227; Kreutziger, Festlegung des Mittelpunktes der geschäftlichen Oberleitung eines Schifffahrtsunternehmens, DStR 1998, 1122; Kreutziger, Besonderheiten bei der internationalen Besteuerung von Schifffahrts- und Luftfahrtunternehmen, in FG Wassermeyer, 2015, 243; Kröger, Zu dem Begriff „Betrieb von Handelsschiffen“ und „internationaler Verkehr“ i.S. des § 34c Abs. 4 EStG, DStR 1974, 658; Lippek, Die internationale Besteuerung der Seeschifffahrt, Hamburg 1985; Ritter, Neugestaltung der beschränkten Steuerpflicht für ausländische Schiff- und Luftfahrtunternehmen, DStZ A 1971, 16; Söffing, Einkünfte aus dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr, FR 1972, 222.

19.280

Das Besteuerungsrecht für Unternehmensgewinne hat in allen deutschen DBA eine Sonderregelung für Gewinne aus Schifffahrt und Luftfahrt1 erfahren, die inhaltlich fast ausschließlich Art. 8 OECD-MA 2014 entsprechen.2

19.281

Nach den Art. 8 OECD-MA 2014 nachgebildeten deutschen DBA-Klauseln können Gewinne aus dem Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr sowie Gewinne aus dem Betrieb von Schiffen, die der Binnenschifffahrt dienen, nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet (Geschäftsleitungsstaat).3 Die diesbezügliche Verteilungsnorm in den deutschen DBA weist das Besteuerungsrecht dem Staat der tatsächlichen Geschäftsführung als Quellenstaat abschließend zu mit der Folge, dass die Besteuerung im Betriebsstättenstaat und im Wohnsitzstaat ausgeschlossen ist.4 Der dem Staat der tatsächlichen Geschäftsleitung eingeräumte Vorrang ggü. dem Wohnsitzstaat und dem Betriebsstättenstaat gilt nur dann, wenn sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung in einem der beiden Vertragsstaaten befindet. Liegt der Ort der Geschäftsleitung in einem dritten Staat, so verbleibt es bei der Anwendung der für Unternehmensgewinne geltenden allgemeinen Verteilungsnorm (Art. 7 OECD-MA) mit der Folge, dass für die Verteilung des Besteuerungsrechts entweder das Wohnsitzprinzip oder das Betriebsstättenprinzip gilt.5 Die für die Gewinne aus Schifffahrts- und Luftfahrtunternehmen geltende besondere Verteilungsregel (Art. 8 OECD-MA) greift schließlich auch dann nicht ein, wenn zwar der Ort der Geschäftsleitung in einem der beiden Vertragsstaaten liegt, der Unternehmer jedoch in keinem der beiden Vertragsstaaten ansässig ist. In diesem Fall fehlt es schon an der für die Anwendung des Abkommens erforderlichen Abkommensberechtigung.6 Mit dem „Update 2017“ des OECD-MA hat Art. 8 OECD-MA 2017 insoweit erhebliche Änderungen erfahren, als nun die Empfehlung vor dem Hintergrund der globalen Abkommenspraxis dahin geht, das ausschließliche Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat 1 Zur historischen Entwicklung der besonderen Behandlung dieser Unternehmensgewinne ausf. Hemmelrath in FS Lehner, 227 ff. 2 Vgl. die Abkommensübersicht bei Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 35, 70. 3 Art. 8 Abs. 1 und 2 OECD-MA 2014; in einigen deutschen DBA sowie im Sonderabkommen betreffend Einkünfte und Vermögen von Schifffahrt- und Luftfahrtunternehmen wird hiervon bereits heute abweichend z.T. dem Wohnsitzprinzip gefolgt; vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 35. 4 Rauert in S/D2, Art. 8 OECD-MA (2014) Rz. 1. 5 Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 8. 6 Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 9; Rieß/Kreutziger in Wassermeyer, Art. 8 OECD-MA Rz. 11; Kroschewski in Haase3, Art. 8 OECD-MA Rz. 36.

870 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.284 Kap. 19

zuzuweisen und die Binnenschifffahrt im rein nationalen Verkehr aus dem Anwendungsbereich auszunehmen.1 Die Verortung des Besteuerungsrechts beim Geschäftsleitungsstaat (Art. 8 OECD-MA 2014) bzw. Ansässigkeitsstaat (Art. 8 OECD-MA 2017) hat ihren Grund darin, dass Schifffahrts- und Luftfahrtunternehmen aufgrund ihrer international ausgerichteten Tätigkeit zumeist in mehreren Staaten Betriebsstätten unterhalten und eine Anknüpfung an das Betriebsstättenprinzip unter Zuordnung des Beförderungsgewinns zu den einzelnen Betriebsstätten auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen würde.2 Im Hinblick darauf stellt sich Art. 8 OECD-MA gegenüber Art. 7 OECD-MA als speziellere Vorschrift dar.3 Die Steuerberechtigung für Beförderungsgewinne steht dem Geschäftsleitungsstaat (Art. 8 OECD-MA 2014) bzw. Ansässigkeitsstaat (Art. 8 OECD-MA 2017) nur zu, wenn die Gewinne aus dem Betrieb von Seeschiffen und Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr erzielt werden. Da die Abkommen selbst nicht definieren, was unter Seeschiffen und Luftfahrzeugen zu verstehen ist, richtet sich die Auslegung nach den allgemeinen Grundsätzen,4 wobei die für die besondere Verteilungsregel maßgeblichen Zweckmäßigkeitsgründe besondere Berücksichtigung finden müssen. Demnach zählen zu den Schiffen alle auf und unter dem Wasser sich bewegenden oder bewegten Transportmittel5 und zu den Luftfahrzeugen alle auf dem Wasser oder auf dem Festland startenden und landenden Fahrzeuge, die sich im Luftraum fortbewegen.6

19.282

Der Begriff „internationaler Verkehr“ hat dagegen in den DBA eine eigenständige Definition erfahren (Art. 3 Abs. 1 Buchst. e OECD-MA). Bisher war – Art. 3 Abs. 1 Buchst. e OECD-MA 2014 – unter internationalem Verkehr jede Beförderung mit einem Seeschiff oder Luftfahrzeug zu verstehen, das von einem Unternehmen mit tatsächlicher Geschäftsleitung in einem Vertragsstaat betrieben wird, es sei denn, das Seeschiff oder Luftfahrzeug wird ausschließlich zwischen Orten im anderen Vertragsstaat betrieben. Seit dem Update 2017 ist internationaler Verkehr definiert als jede Beförderung mit einem Seeschiff oder Luftfahrzeug, es sei denn, das Seeschiff oder Luftfahrzeug wird ausschließlich zwischen Orten in einem Vertragsstaat betrieben und das Unternehmen, das das Seeschiff oder Luftfahrzeug betreibt, ist kein Unternehmen dieses Vertragsstaats (Art. 3 Abs. 1 Buchst. e OECD-MA 2017). Vorausgesetzt ist jeweils der grenzüberschreitende Betrieb des Unternehmens.7

19.283

Neben den Gewinnen aus der eigentlichen Beförderungstätigkeit selbst werden dem Geschäftsleitungsstaat (Art. 8 OECD-MA 2014) bzw. Ansässigkeitsstaat (Art. 8 OECD-MA 2017)

19.284

1 Zu Art. 8 OECD-MA (2017) ausf. Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 12 ff.; Rauert in S/D2, Art. 8 OECD-MA (2017) Rz. 1 ff. So wurde bspw. Art. 8 Abs. 1 DBA-Finnland (2016) auf das Ansässigkeitsprinzip umgestellt. 2 Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 4; Brons, Nationale und internationale Besteuerung der Seeschifffahrt, 107. 3 BFH v. 23.10.1996 – I R 10/96, IStR 1997, 271; Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 8b; Rieß/Kreutziger in Wassermeyer, Art. 8 OECD-MA Rz. 1; Rauert in F/W/K, Art. 8 DBA-Schweiz Rz. 12. 4 Der gem. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA gebotene Rückgriff auf nationales Recht führt hier nicht weiter, weil auch das deutsche Steuerrecht keine Begriffsdefinition enthält. 5 Rauert in S/D2, Art. 8 OECD-MA (2014) Rz. 26 f. 6 Rauert in S/D2, Art. 8 OECD-MA (2014) Rz. 29; Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 13 f.; Rieß in Wassermeyer, Art. 8 OECD-MA Rz. 27 ff.; Rauert in F/W/K, Art. 8 DBA-Schweiz Rz. 36 ff. 7 Vgl. Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 20; Rieß in Wassermeyer, Art. 8 OECD-MA Rz. 31.

Schaumburg/Häck | 871

Kap. 19 Rz. 19.284 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

auch die Gewinne aus Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten zur Besteuerung zugewiesen.1 Zu den Gewinnen aus dem Betrieb von Schiffen und Luftfahrzeugen gehören schließlich auch die Gewinne aus der Vercharterung von vollständig ausgerüsteten bemannten Schiffen oder Luftfahrzeugen.2 In Abgrenzung hiervon zählen dagegen Einkünfte aus sog. bare boat-charter oder dry lease zu den Unternehmensgewinnen gem. Art. 7 OECD-MA,3 es sei denn, es handelt sich insoweit nur um eine untergeordnete Tätigkeit.4 Erfasst werden von Art. 8 OECD-MA auch Einkünfte aus dem Containerverkehr und den damit zusammenhängenden Leistungen,5 zu denen aus deutscher Sicht der Landtransport zwischen Auftraggeber und Verladehafen/Entladehafen nicht gehört.6

19.285

Art. 8 OECD-MA enthält keine Regelungen über die Gewinnermittlung, so dass im Rückgriff auf die Vorschriften des nationalen Steuerrechts (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA), auch auf Abkommensebene das den Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) zugrunde liegende Nettoprinzip verwirklicht wird. Im Hinblick darauf ist der Gewinn7 aus dem Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr nach Maßgabe der §§ 4 Abs. 1, 3; 5 EStG zu ermitteln.8 Im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht sind allerdings die Besonderheiten des § 49 Abs. 3 EStG zu beachten.9

19.286

Die in den meisten deutschen DBA und noch in Art. 8 Abs. 1 OECD-MA 2014 für das Recht auf Besteuerung der Gewinne aus dem Betrieb von Schiffen und Luftfahrzeugen maßgebliche Anknüpfung an den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung10 führt insbesondere bei der Besteuerung von Personengesellschaften, die ein Schiff- oder Luftfahrtunternehmen betreiben, in der internationalen Besteuerungspraxis zu Besteuerungslücken. Nach den nationalen Rechtsordnungen ist der Ort der Geschäftsleitung nämlich lediglich für die Besteuerung juristischer Personen maßgeblich. Ist etwa eine beschränkt steuerpflichtige Person an einer deutschen Personengesellschaft beteiligt, die ein Schifffahrtsunternehmen betreibt, bleibt die Reichweite der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b EStG) hinter der von den DBA eingeräumten Besteuerungsbefugnis (Art. 8 Abs. 1 OECD-MA) zurück, da ausländische Beförderungsgewinne durch die beschränkte Steuerpflicht nicht erfasst werden.11

1 Zu Einzelheiten Rauert in S/D2, Art. 8 OECD-MA (2014) Rz. 34 f.; Brons, Nationale und internationale Besteuerung der Seeschifffahrt, 102 f. 2 OECD-MK zu Art. 8 OECD-MA, Ziff. 5. 3 Vgl. OECD-MK zu Art. 8 OECD-MA, Ziff. 5; Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 17. 4 OECD-MK zu Art. 8 OECD-MA, Ziff. 5. 5 Zu Einzelheiten Rauert in S/D2, Art. 8 OECD-MA (2014) Rz. 36. 6 Vgl. den deutschen Vorbehalt zu dem anderslautenden OECD-MK zu Art. 8 OECD-MA, Ziff. 29. 7 Hierzu zählen positive und negative Einkünfte; Rieß/Kreutziger in Wassermeyer, Art. 8 OECDMA Rz. 36. 8 Ggf. auch gem. § 5a EStG (Tonnagebesteuerung). 9 Hierzu Reimer in B/H, § 49 EStG Rz. 326. 10 Befindet sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung eines Unternehmens der See- oder Binnenschifffahrt an Bord eines Schiffes, so wird der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung als im Heimathafen gelegen fingiert (Art. 8 Abs. 3 OECD-MA 2014). Mit dieser Regelung wird an die Grundsätze des Völkerrechts angeknüpft, nach denen ein Schiff unter der Flagge eines Staates auch dessen Rechtsordnung untersteht (Art. 91 SRÜ; vgl. hierzu BFH v. 13.2.1974 – I R 219/71, BStBl. II 1974, 361). Fehlt ein Heimathafen, so wird der Ort der Geschäftsleitung als in dem Staat gelegen fingiert, in dem der Betreiber des Schiffes ansässig ist (Art. 8 Abs. 3 OECD-MA 2014.). 11 Zu Einzelheiten Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 28; Brons, Nationale und internationale Besteuerung der Seeschifffahrt, 115 ff.

872 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.290 Kap. 19

Die sich durch die vorgenannte Anknüpfungsdivergenz ergebenden Besteuerungslücken werden allerdings in einigen deutschen DBA durch Sonderregelungen geschlossen.1 Mit der Zuweisung des Besteuerungsrechts zum Ansässigkeitsstaat durch Art. 8 Abs. 1 OECD-MA 2017 ist bei Personengesellschaften, die ein Schiff- oder Luftfahrtunternehmen betreiben, künftig (ggf. anteilig) auf den Staat der Ansässigkeit des Gesellschafters abzustellen.2

19.287

Die besondere Verteilungsregel des Art. 8 OECD-MA gilt nicht nur für die Besteuerung von Gewinnen aus dem Betrieb von Schiffen und Luftfahrzeugen, sondern auch für Gewinne aus der Beteiligung des Unternehmens an einem Pool, einer Betriebsgemeinschaft oder einer internationalen Betriebsstelle (Art. 8 Abs. 4 OECD-MA 2014 bzw. Art. 8 Abs. 2 OECD-MA 2017). Auch für diese Gewinne ist der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung (Art. 8 OECD-MA 2014) bzw. die Ansässigkeit (Art. 8 OECD-MA 2017) des Unternehmens, das an dem Pool, der Betriebsgemeinschaft oder der internationalen Betriebsstelle beteiligt ist, maßgeblich.

19.288

5. Gewinnabgrenzung bei verbundenen Unternehmen Literatur: Vgl. die Literaturübersicht zu Rz. 21.136.

a) Allgemeines Nach der in den DBA für Unternehmensgewinne maßgeblichen Grundregel steht die Besteuerung von Unternehmensgewinnen dem Wohnsitzstaat zu (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA 2008/2017). Soweit allerdings ein Unternehmen im anderen Vertragsstaat durch eine dort belegene Betriebsstätte tätig wird, sind die Betriebsstättengewinne der Besteuerung auch durch den Betriebsstättenstaat zugewiesen mit der Folge, dass auf der Ebene der DBA eine Gewinnabgrenzung3 zwischen Stammhaus einerseits und Betriebsstätte andererseits erforderlich ist (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA 2008/2017). Diese für Zwecke der bilateralen Besteuerungszuordnung erforderliche Gewinnabgrenzung zwischen Teilen ein und desselben Unternehmens findet ihre Parallele bei (steuerlich selbständigen) verbundenen Unternehmen (Art. 9 Abs. 1 OECD-MA),4 für die ebenfalls eine Gewinnabgrenzung z.B. zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft oder zwischen Schwestergesellschaften vorgesehen ist.

19.289

Soweit die Bedingungen der zwischen diesen verbundenen Unternehmen abgewickelten Geschäfte einem Fremdvergleich nicht standhalten, kann der hierdurch zu niedrig ausgewiesene Gewinn des betreffenden Unternehmens erhöht werden. Zu dieser Erstberichtigung ist der jeweilige Wohnsitzstaat befugt. In einigen deutschen DBA5 ist auch eine Gegenberichtigung bei dem verbundenen Unternehmen durch den anderen Vertragsstaat vorgesehen (Art. 9

19.290

1 Vgl. etwa Art. 8 Abs. 5 DBA-Schweiz; hierzu BFH v. 23.10.1996 – I R 10/96, BStBl. II 1997, 313; Hemmelrath in V/L7, Art. 8 OECD-MA Rz. 38; Rauert in F/W/K, Art. 8 DBA-Schweiz Rz. 111. 2 Vgl. Rieß/Kreutziger in Wassermeyer, DBA, Art. 8 OECD-MA Rz. 13. 3 Hier gleichbedeutend mit Einkünfteabgrenzung und Einkünfte- oder Gewinnzuordnung bzw. Gewinnzurechnung. 4 Um verbundene Unternehmen handelt es sich, wenn ein Unternehmen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital des anderen Unternehmens beteiligt ist oder wenn dieselben Personen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsführung, der Kontrolle oder dem Kapital beider Unternehmen beteiligt sind. 5 Abkommensübersicht bei Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 145.

Schaumburg/Häck | 873

Kap. 19 Rz. 19.290 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

Abs. 2 OECD-MA; sog. Korrespondenzklausel). Während diese Gegenberichtigung dem Ziel dient, eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung (Rz. 15.3)1 zu vermeiden, ist die Erstberichtigung insbesondere darauf angelegt, für eine gerechte Verteilung des Steuergutes zwischen den beiden Vertragsstaaten zu sorgen (Rz. 19.33 ff.).2

19.291

Die für verbundene Unternehmen maßgeblichen Korrekturnormen der DBA haben keine Selfexecuting-Wirkung,3 sie räumen dem Sitzstaat des Unternehmens, dessen Gewinn verkürzt wurde, vielmehr lediglich eine Ermächtigung zur Korrektur ein.4 Die Rechtsgrundlage für eine Gewinnberichtigung kann sich daher nur aus dem innerstaatlichen Recht des berechtigten Wohnsitzstaates ergeben.5

19.292

Auch wenn die abkommensrechtlichen (bilateralen) Korrekturklauseln für sich allein keine Rechtsgrundlage für eine Gewinnberichtigung darstellen, so sind sie damit dennoch nicht gänzlich ohne Bedeutung. Sie begrenzen nämlich die Reichweite der Gewinnkorrekturklauseln des nationalen Rechts insbesondere durch den beiderseits verbindlichen Maßstab des Fremdvergleichs. Im Hinblick darauf kann die jeweilige abkommensberechtigte Person aus den bilateralen Gewinnkorrekturklauseln Schutz dagegen beanspruchen, dass der Wohnsitzstaat Gewinnerhöhungen vornimmt, die über das durch die bilateralen Gewinnkorrekturklauseln gesetzte Maß hinausgehen.6

19.293

Demgegenüber wird die Meinung vertreten, abkommensrechtliche Gewinnkorrekturklauseln hätten lediglich klarstellende Bedeutung, die nicht den Sinn haben könnten, einen Vertragsstaat in der nach seinem eigenen nationalen Recht zu treffenden Ermittlung des Gewinns für ein in seinem Gebiet ansässiges Unternehmen zu beschränken. Eine Einschränkung des Besteuerungsrechts erfolge auf der Ebene von DBA allein durch Verteilungsnormen, die allerdings nur die Besteuerungsbefugnis für die Einkünfte ein und desselben Steuersubjektes zwischen Wohnsitzstaat einerseits und Quellenstaat andererseits aufteilten. Die dem Art. 9 OECDMA entsprechenden Normen der DBA bezögen sich dagegen auf verschiedene Steuersubjekte im Verhältnis zweier Wohnsitzstaaten zueinander. Daher entfalteten die abkommensrechtlichen Gewinnkorrekturklauseln keine Schrankenwirkung ggü. der nationalen Besteuerung.7

1 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 159; Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 3; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 3. 2 Zur Verteilungsgerechtigkeit Tipke, Steuergerechtigkeit, 120; Lehner in V/L7, Grundlagen Rz. 23; Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, 105 ff.; Lang in FS Schaumburg, 45 (47 ff.); Rödder in FS Lang, 1147 (1148 f.). 3 BFH v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531; BFH v. 21.1.1981 – I R 153/77, BStBl. II 1981, 517; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 18; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 19; Becker in Haase3, Art. 9 OECD-MA Rz. 8. 4 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 18; Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1 (5). 5 Z.B. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte Gewinnausschüttung); § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG (verdeckte Einlage); § 1 AStG (Berichtigung von Einkünften). 6 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258 (Nichtanwendungserlass BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455); Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 20 f.; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 20 f. 7 BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5-S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Rz. 1.2.1.; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 6.1.1; Baranowski, Die Besteuerung von Auslandsbeziehungen,

874 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.295 Kap. 19

Indessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die abkommensrechtlichen Gewinnkorrekturklauseln lediglich einen Programmsatz darstellen, der für beide Vertragsstaaten nicht verbindlich wäre. Eine solche Norm wäre überflüssig. Die Parallele zu den Regelungen über die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus einerseits und Betriebsstätte andererseits (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008/2017) zwingt dazu, die Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen einer vergleichbaren Verbindlichkeit zu unterwerfen. Hierfür spricht auch, dass in den alten Abkommen die Regelungen über die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus einerseits und rechtlich selbständigen Tochtergesellschaften und Betriebsstätten andererseits einheitlich normiert waren.1 Im Hinblick darauf entwickeln die für verbundene Unternehmen geltenden bilateralen Gewinnkorrekturklauseln eine Schutzfunktion zugunsten verbundener Unternehmen. Die Reichweite dieser Schutzfunktion wird durch den Wortlaut der jeweiligen Gewinnkorrekturklausel bestimmt. Danach darf bei gesellschaftsrechtlich miteinander verbundenen Unternehmen die Gewinnkorrektur nur nach Maßgabe des Fremdvergleichs erfolgen. Über diese Schrankenwirkung hinaus haben die bilateralen Gewinnkorrekturklauseln keine Bedeutung.

19.294

Aus der Schrankenwirkung folgt,2 dass verdeckte Gewinnausschüttungen, die innerstaatlich angenommen werden, weil es an einer klaren und von vornherein abgeschlossenen Vereinbarung darüber fehlt, ob und in welcher Höhe ein Entgelt von der Kapitalgesellschaft gezahlt werden soll,3 im Ergebnis folgenlos bleiben, weil die bilateralen Gewinnkorrekturklauseln auf diese (formalen) Gesichtspunkte nicht abstellen.4 Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Treaty-Overriding (Rz. 3.24 f.). § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG, in dem der Fremdvergleichsgrundsatz verankert ist, enthält zwar die Aussage „unbeschadet anderer Vorschriften“, hierdurch werden aber nicht entgegenstehende oder einschränkende Abkommensvorschriften überspielt.5 Dies deshalb nicht, weil aus der vorgenannten Klausel nicht hinreichend deutlich wird, dass gerade der sich aus § 2 Abs. 1 AO ergebende, zugunsten von Abkommensvorschriften geltende, lex specialis-Grundsatz beseitigt werden soll. Vielmehr zeigt die Entstehungsgeschichte von § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG6 und das danach folgende Verständnis dieser Norm, dass es allein um das Konkurrenzverhältnis zu anderen innerstaatlichen Einkünftekorrekturnormen geht, wobei die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG im Zweifel hinter den anderen in Betracht kommenden Einkünftekorrekturnormen zurücktritt (Rz. 21.137).7 Der so ver-

19.295

1 2 3

4

5

6 7

Rz. 478; Höppner, StBp. 1981, 56 ff.; Menck, DStZ/A 1972, 68 ff.; Debatin, DStZ/A 1971, 385 (388); Weber in FS Walter, 115 (133 f.). Pöllath/Rädler, DB 1982, 517 ff., 561 (564). Zu weiteren Fallgruppen Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1 (6 f.). BFH v. 23.5.1984 – I R 294/81, BStBl. II 1984, 673; BFH v. 14.3.1990 – I R 6/89, BStBl. II 1990, 795; BFH v. 5.10.1994 – I R 50/94, BStBl. II 1995, 549; BFH v. 19.3.1997 – I R 75/96, BStBl. II 1997, 577; BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, BStBl. II 1999, 35; zu diesem formellen Fremdvergleich Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 267 ff. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258 (Nichtanwendungserlass BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455); Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 27; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 188 ff.; Rasch, IWB 2012, 198. Anders BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; BFH v. 19.2.2020 – I R 19/17, BStBl. II 2021, 223; BFH v. 19.6.2021 – I R 32/17, GmbHR 2022, 216; BFH v. 13.1.2022 – I R 15/21, BFH/NV 2022, 831. Hierzu Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 383. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 383.

Schaumburg/Häck | 875

Kap. 19 Rz. 19.295 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

standene subsidiäre Charakter des § 1 Abs. 1 AStG hat von vorneherein nicht die Eignung zu einem Treaty-Overriding.1

19.296

Die für Unternehmensgewinne maßgeblichen Gewinnkorrekturklauseln (Art. 9 OECD-MA) sind ggü. den abkommensrechtlichen Einkünftekorrekturklauseln für Zinsen (Art. 11 Abs. 6 OECD-MA) und Lizenzgebühren (Art. 12 Abs. 4 OECD-MA) lediglich subsidiär:2 Die Subsidiarität beschränkt sich allerdings auf jene Fälle, in denen überhöhte Zinsen oder Lizenzgebühren vereinbart sind. Die Berichtigung eines zu niedrigen Zinses oder einer zu niedrigen Lizenzgebühr ist dagegen nur über die für verbundene Unternehmen vorgesehene abkommensrechtliche Gegenberichtigung (Art. 9 Abs. 2 OECD-MA; hierzu Rz. 19.314 ff.) möglich.3

19.297

Die für Unternehmensgewinne maßgeblichen Gewinnkorrekturklauseln (Art. 9 OECD-MA) sind schließlich auch subsidiär ggü. den abkommensrechtlichen Gewinnzuordnungsregeln (Art. 7 Abs. 2, 3 OECD-MA 2008/2017) für Betriebsstätten, so dass die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, zwischen mehreren Betriebsstätten, zwischen Gesellschafter und Personengesellschaft4 und zwischen mehreren miteinander verbundenen Personengesellschaften aus ihrem Anwendungsbereich ausgeklammert ist.5 Soweit es um Personengesellschaften geht, entfaltet Art. 7 OECD-MA 2008 eine Schrankenwirkung gegenüber § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG, wonach Personengesellschaften für Zwecke der Einkünftekorrektur als eigenständige Steuerpflichtige fingiert werden.6 Ein Gleichlauf mit Abkommensrecht besteht nur in den Fällen, in denen deutsche Abkommen Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2017 nachgebildet sind und die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Rahmen des „Functionally Separate Entity Approach“ in Übereinstimmung mit § 1 Abs. 5 AStG mit der Folge gebieten, dass insoweit die für Kapitalgesellschaften maßgeblichen Regeln gelten (Rz. 21.123 ff.).7 b) Erstberichtigung

19.298

Die Gewinnkorrekturklauseln der DBA räumen dem einen Vertragsstaat unter den dort genannten Bedingungen (Art. 9 Abs. 1 OECD-MA) die Ermächtigung ein, die Gewinne des in seinem Gebiet ansässigen Unternehmens zu erhöhen und entsprechend zu besteuern (Erstberichtigung). Da der betreffende Gewinnanteil bei dem verbundenen Unternehmen des anderen Vertragsstaates ebenfalls besteuert wird, tritt insoweit eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung (Rz. 15.3 f.) ein, die der andere Vertragsstaat durch eine entsprechende Gegenberichtigung auszugleichen hat (Art. 9 Abs. 2 OECD-MA).8 1 2 3 4 5

6 7 8

Anders BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 7; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 11. Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 7. Soweit diese kein eigenständiges Steuersubjekt ist; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 36; Rasch in G/K/G/K, Art. 9 OECD-MA Rz. 73; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 42; Ditz in W/R/S, Personengesellschaft im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 12.3, 12.33. Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 36; Rasch in G/K/G/K, Art. 9 OECD-MA Rz. 72; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 42; Ditz in W/R/S, Personengesellschaft im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 12.3, 12.33; Schliephake, Steuerliche Gewinnabgrenzung internationaler Personengesellschaften, 141 f.; Fischer-Zernin, RIW 1991, 493 (495) will dagegen Art. 9 OECD-MA auch auf miteinander verbundene Personengesellschaften anwenden. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG – „unbeschadet anderer Vorschriften“ – bewirkt auch hier kein Treaty-Overriding (Rz. 19.295). Ditz in W/R/S, Personengesellschaft im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 12.33. In deutschen DBA zumeist nicht vorgesehen; hierzu die Abkommensübersicht bei Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 145, 180a ff.

876 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.303 Kap. 19

Die Erstberichtigung wird durch den Vertragsstaat veranlasst, in dem dasjenige verbundene Unternehmen ansässig ist, dessen Gewinn gemindert wurde. Die Gewinnerhöhung selbst erfolgt in den von den bilateralen Gewinnkorrekturklauseln gezogenen Grenzen ausschließlich nach den Regeln des nationalen Rechts.

19.299

Die bilateralen Gewinnkorrekturklauseln (Art. 9 Abs. 1 OECD-MA) erlauben eine Erstberichtigung, wenn

19.300

– die Unternehmen beider Vertragsstaaten verbundene Unternehmen sind, – diese Unternehmen in ihren kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen an vereinbarte oder auferlegte Bedingungen gebunden sind, die abweichen von denen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden (Fremdvergleich), – eines der beiden Unternehmen ohne diese Bedingungen höhere Gewinne erzielt hätte (Gewinnminderung).1 Um verbundene Unternehmen handelt es sich dann, wenn die Unternehmen der beiden Vertragsstaaten gesellschaftsrechtlich unmittelbar oder mittelbar miteinander verflochten sind, wenn also ein Unternehmen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital des anderen Unternehmens beteiligt ist (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA). Angesprochen sind damit in erster Linie Kapitalgesellschaften – nicht Personengesellschaften ohne eigene Steuerrechtsfähigkeit (Rz. 19.177 ff.) –, die in gerader Linie miteinander gesellschaftsrechtlich verflochten sind, also Mutter- und Tochtergesellschaften (unmittelbare Beteiligung) sowie Mutter- und Enkelgesellschaften (mittelbare Beteiligung). Darüber hinaus zählen zu den verbundenen Unternehmen auch solche, die in der Seitenlinie gesellschaftsrechtlich miteinander verflochten sind, wenn also dieselben Personen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital beider Unternehmen beteiligt sind (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA). Erfasst werden damit insbesondere Schwestergesellschaften.2

19.301

Weitere Voraussetzung für die Erstberichtigung ist, dass die verbundenen Unternehmen ihren Beziehungen Bedingungen zugrunde legen, die einem Fremdvergleich3 nicht standhalten. Die bilateralen Gewinnkorrekturklauseln (Art. 9 Abs. 1 OECD-MA) stellen hierbei auf kaufmännische oder finanzielle Beziehungen ab. Damit werden alle Beziehungen sowohl auf obligatorischer als auch – soweit es um finanzielle Beziehungen geht – auf gesellschaftsrechtlicher Ebene erfasst,4 soweit diese nicht das Verbundensein der betreffenden Unternehmen erst begründen.5

19.302

Der Begriff der Bedingungen ist ebenfalls weit auszulegen, so dass jedweder nur denkbare Vertragsbestandteil einbezogen wird.6 Es muss sich dabei um vereinbarte oder auferlegte Bedingungen handeln. Zu den auferlegten Bedingungen gehören insbesondere solche, die etwa

19.303

1 Abzustellen ist auf die Steuerbilanz; Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 126. 2 Ausführlich zu den einzelnen Fallgruppen Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 72 ff. 3 Vgl. hierzu die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 1995, die seitdem fortlaufend aktualisiert und ergänzt werden; hierzu im Überblick Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 29; Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 230 ff.; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 35 ff. 4 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 48. 5 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875. 6 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 51a; Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 96.

Schaumburg/Häck | 877

Kap. 19 Rz. 19.303 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

auf Konzernrichtlinien zurückzuführen sind. Damit wird zugleich deutlich, dass die gesellschaftsrechtliche Verflechtung, also die Beteiligung an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital der verbundenen Unternehmen ursächlich für die vereinbarten oder auferlegten Bedingungen sein muss.1

19.304

Unter dem Gesichtspunkt des Fremdvergleichs sind die vereinbarten oder auferlegten Bedingungen mit denen zu vergleichen, die unabhängige Unternehmen gegenseitig zugrunde legen würden.2 Der hiernach geforderte Vergleich3 ist entweder konkret („Ist-Ist-Vergleich“), sofern für die betreffende Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt und auf einem bestimmten Markt ein Marktpreis feststellbar ist, oder aber hypothetisch („Soll-Ist-Vergleich“), soweit es an einer konkreten Vergleichsmöglichkeit fehlt.4 Da sich der konkrete (tatsächliche) Fremdvergleich an tatsächlich feststellbaren Marktdaten orientiert, geht er dem hypothetischen Fremdvergleich vor.5

19.305

Wesentliche Voraussetzung des Fremdvergleichs ist die Vergleichbarkeit der Verhältnisse der betreffenden Geschäftsbeziehung der verbundenen Unternehmen einerseits und dem konkreten (tatsächlichen) oder hypothetischen Vergleichsobjekt andererseits.6 Hierfür reicht es aus, dass die Vergleichsobjekte in ihren wesentlichen Merkmalen annähernd gleich sind. In diesem Zusammenhang wird zwischen direkter und indirekter Vergleichbarkeit unterschieden.7 Während bei direkter Vergleichbarkeit die einzelnen Elemente ohne Korrekturen und Anpassungen in einen Vergleich einbezogen werden können, bedarf es bei indirekter Vergleichbarkeit stets einer Anpassung.

19.306

Die Vergleichsobjekte können dann für Zwecke des Fremdvergleichs herangezogen werden, wenn insbesondere folgende Merkmale übereinstimmen:8 – die Art, Ausgestaltung, Qualität und der Umfang der Lieferungen und sonstigen Leistungen; – die allgemeinen Marktverhältnisse, unter denen die Lieferungen und Leistungen erstellt, genutzt, verbraucht oder veräußert werden; – die Funktionen,9 die von den Unternehmenseinheiten tatsächlich wahrgenommen werden; – die Marktstufe, auf der Lieferungen und Leistungen ausgetauscht werden; – die vereinbarten Vertrags- und Lieferbedingungen;

1 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 40. 2 Nach Wassermeyer in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 123 (135), soll hierfür eine Beweiserhebung nicht unbedingt notwendig sein. 3 Ausf. Liebchen in F/W/K, Art. 9 DBA-Schweiz Rz. 99 f. 4 Innerstaatlich normativ verankert in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG. 5 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 60a; vgl. § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG. 6 Zu Einzelheiten Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 100 ff. 7 So im Rahmen der sog. Preisvergleichsmethode; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Rz. 2.2.2 Satz 3; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.7; im Einzelnen hierzu Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 167; hierzu Rz. 21.182 ff. 8 Zum folgenden Kriterienkatalog ausführlich Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 195; ähnlich der Katalog bei Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 66. 9 Zur Funktionsanalyse ausführlich Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 202 ff.; Borstell/ Hülster in Vögele/Borstell/Bernhardt, Hdb. der Verrechnungspreise5, Rz. M 167 ff.

878 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.310 Kap. 19

– die Fristigkeit der Liefer- und Leistungsbeziehungen; – die unternehmerischen Zielvorstellungen sowie die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Produzenten und Abnehmer bzw. von Leistungserbringer und -empfänger. Der konkrete (tatsächliche) Fremdvergleich ist entweder als innerbetrieblicher oder als zwischenbetrieblicher Vergleich möglich. Der innerbetriebliche Vergleich kommt zur Anwendung, wenn das Unternehmen die gleiche Leistung unter vergleichbaren Bedingungen gleichermaßen an verbundene und fremde Unternehmen erbringt bzw. von diesen erhält. Ein zwischenbetrieblicher Vergleich erfolgt demgegenüber dann, wenn als Vergleichstatbestände Vereinbarungen herangezogen werden, die zwischen fremden dritten Unternehmen getroffen wurden.1

19.307

Liegen die Voraussetzungen für einen konkreten (tatsächlichen) Fremdvergleich nicht vor, kommt subsidiär ein hypothetischer Fremdvergleich zur Anwendung, der allerdings eines konkretisierenden Maßstabs bedarf. In Anlehnung an die zur verdeckten Gewinnausschüttung und verdeckten Einlage ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung wird die Sorgfalt eines doppelten ordentlichen Geschäftsleiters2 einer unabhängigen Gesellschaft zum Maßstab des hypothetischen Fremdvergleichs erhoben und damit immer dann zugrunde gelegt, wenn der konkrete (tatsächliche) Fremdvergleich versagt.3

19.308

In der internationalen Praxis haben sich für Zwecke der Konkretisierung des Fremdvergleichs als Standardmethoden die Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- und die Kostenaufschlagsmethode herausgebildet.4 Diese Standardmethoden haben als transaktionsbezogene Methoden internationale Akzeptanz gefunden und werden daher entsprechend § 1 AStG auch von der deutschen Finanzverwaltung bei der Angemessenheitsprüfung zugrunde gelegt, obwohl sie in der aktuellen, ab VZ 2022 geltenden Fassung des § 1 Abs. 3 AStG nicht mehr explizit erwähnt werden.5 Wegen der Einzelheiten wird auf Rz. 21.189 ff. verwiesen.

19.309

Die Standardmethoden sind allerdings nicht die einzigen geeigneten Instrumente der Verrechnungspreisbestimmung. In der Praxis werden nicht selten die Standardmethoden miteinander kombiniert, um zusätzliche Elemente angereichert oder durch andere Methoden ersetzt. Daneben sind auch pauschale Abrechnungen, insbesondere bei verwaltungsbezogenen Dienstleistungen, durch Kostenumlagen gebräuchlich.6 In Übereinstimmung mit den bilateralen Gewinnkorrekturklauseln liegt den Standardmethoden als Konzeption allerdings eine einzelfallbezogene Gewinnkorrektur zugrunde. Hiernach sind Gegenstand des Fremdvergleichs nur die einzelnen oder allenfalls Gruppen gleichartiger Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen

19.310

1 Hierzu im Einzelnen Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 310. 2 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG; zu Einzelheiten Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 74; Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 324 ff. 3 Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 324 ff. 4 Hierzu im Überblick Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 79 ff.; Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 661 ff.; Vögele/Braukmann/Crüger/Dettmann/Sarnetzki in Vögele/Borstell/Bernhardt, Hdb. der Verrechnungspreise5, Rz. G 1 ff. 5 Siehe nunmehr BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341 – 19/10017:001, BStBl. I 2021, 1098, Rz. 3 Buchst. a bis c (Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise). 6 Zu Einzelheiten Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 101 ff.; Baumhoff in W/B, Rz. 6.326 ff.; Piltz in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 62 ff.; akzeptiert durch die Finanzverwaltung; vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99, BStBl. I 1999, 1122 (Verwaltungsgrundsätze-Umlage); aufgehoben durch BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/ 10017:001, BStBl. I 2021, 1098, vgl. dort nunmehr Rz. 3.78 f.

Schaumburg/Häck | 879

Kap. 19 Rz. 19.310 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

Unternehmen.1 Mit dieser Konzeption ist die in den USA2 entwickelte globale Gewinnvergleichsmethode,3 die davon ausgeht, dass die von vergleichbaren Unternehmen über einen mehrjährigen Zeitraum erzielten Gewinne sich tendenziell entsprechen, nicht vereinbar.4 Dies gilt nicht für die übrigen gewinnorientierten Methoden,5 und zwar nicht für die von der OECD6 und von der Finanzverwaltung7 nur bei besserer Eignung akzeptierte transaktionsbezogene Gewinnaufteilungsmethode,8 die von einer Aufteilung des Gewinns aus einer Transaktion zwischen den beteiligten Parteien ausgeht9 und die transaktionsbezogene Nettomargenmethode,10 die auf den Vergleich von Nettorenditen aus vergleichbaren Transaktionen abstellt.11 Wegen Einzelheiten wird auf Rz. 21.189 ff. verwiesen.

19.311

Die bilateralen Gewinnkorrekturklauseln gestatten eine Gewinnberichtigung nur dann, wenn die aufgrund der Einflussnahme vereinbarten oder auferlegten Bedingungen bei einem der beiden verbundenen Unternehmen eine Gewinnminderung bewirken. Die Erstberichtigung ist dabei stets auf eine Gewinnerhöhung gerichtet. Von einer Gewinnminderung kann dann keine Rede sein, wenn die verbundenen Unternehmen sich gegenseitig Vorteile gewähren und diese Vor- und Nachteile sich ausgleichen. Dieser Vorteilsausgleich,12 bei dem vorteilhafte und nachteilige Geschäfte zu saldieren sind, ist nur zwischen verbundenen Unternehmen des einen und des anderen Staates zulässig.13 Die Beschränkung des Vorteilsausgleichs auf die Verhältnisse nur der in beiden Vertragsstaaten ansässigen verbundenen Unternehmen entspricht der Wertung der bilateralen Gewinnkorrekturklauseln, die auch darauf gerichtet sind, für die gerechte Zuordnung des Steuergutes zu einem Vertragsstaat oder die gerechte Verteilung des Steuergutes zwischen beiden Vertragsstaaten zu sorgen.

1 Dies entspricht auch der im Rahmen der § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (vGA) und § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG (verdeckte Einlage) sowie gem. § 1 AStG vorzunehmenden Angemessenheitsprüfung; vgl. etwa BFH v. 19.3.1975 – I R 137/73, BStBl. II 1975, 722; BFH v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531. 2 Hierzu die Einzelheiten bei Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 81 ff.; Greinert in W/B, Rz. 5.136. 3 Comparable profits method (CPM). 4 Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 99; die Finanzverwaltung akzeptiert die CPM grundsätzlich nicht; vgl. explizit ehemals BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), Rz. 3.4.10.3d, aufgehoben durch BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 S 1341/19/10017:001, BStBl. I 2021, 1098; vgl. auch Rz. 21.196. 5 Die Kritik richtet sich hier aber gegen die Gefahr der Sollbesteuerung; Becker, Intertax 1995, 256 ff.; Werra, IStR 1994, 483 ff. 6 OECD-RL 2017 Rz. 2.4 ff.; 2.114 ff. 7 Ehemals BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.10.3 Buchst. b, c; aufgehoben durch BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341 – 19/10017:001, BStBl. I 2021, 1098, Rz. 3.9 (Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise). 8 Profit split method. 9 Zu Einzelheiten dieser Methode Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 97; Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 841 ff. 10 Transactional net margin method (TNMM); vgl. auch BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/ 10017:001, BStBl. I 2021, 1098, Rz. 3.9 Buchst. d und Rz. 3.11. 11 Zu Einzelheiten dieser Methode Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 93; Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG 791 ff. 12 Zu Einzelheiten Rz. 21.173 ff.; dort auch zur Abgrenzung zur sog. Palettenbetrachtung. 13 Vgl. BFH v. 1.8.1984 – I R 99/80, BStBl. II 1985, 18; OECD-RL 2010 Rz. 3.13; Schöne, FR 1989, 543 ff.; dagegen generell für einen Vorteilsausgleich im Konzern Baumhoff/Liebchen in W/B, Rz. 3.169 ff.

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.314 Kap. 19

Der Vorteilsausgleich im Rahmen der bilateralen Gewinnkorrekturklauseln ist nicht nur unter solch engen Voraussetzungen zulässig wie der im Zusammenhang mit verdeckten Gewinnausschüttungen und verdeckten Einlagen.1 Insbesondere ist es nicht erforderlich, den Vorteilsausgleich im Vorhinein zu vereinbaren,2 weil Art. 9 OECD-MA auf diesen formalen Aspekt ohnehin nicht abstellt.3 Geboten ist vielmehr ein erweiterter Vorteilsausgleich,4 der allein dem den bilateralen Korrekturnormen zugrunde liegenden Prinzip der internationalen Verteilungsgerechtigkeit entspricht.5 Ein eingeengter Vorteilsausgleich, wie er von der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur verdeckten Gewinnausschüttung und verdeckten Einlage entwickelt worden ist,6 ginge entgegen dem sich aus den bilateralen Gewinnkorrekturklauseln ergebenden Gebot der Vermeidung auch der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung einseitig zu Lasten des betroffenen Unternehmensverbundes, zumal die meisten deutschen DBA eine Gegenberichtigung7 nicht kennen und die Gegenberichtigung zudem nicht verpflichtend ist.

19.312

Ergibt sich auch nach Berücksichtigung eines Vorteilsausgleichs eine Gewinnminderung, so dürfen nach den bilateralen Gewinnkorrekturklauseln die nicht erzielten Gewinne den Gewinnen des betroffenen Unternehmens zugerechnet und entsprechend besteuert werden. Nur innerhalb des hierdurch vorgegebenen Rahmens ist eine Gewinnkorrektur auf der Grundlage des jeweiligen innerstaatlichen Rechts zulässig.8

19.313

c) Gegenberichtigung Die Erstberichtigung (Art. 9 Abs. 1 OECD-MA) ist darauf gerichtet, die für Zwecke der bilateralen Besteuerungszuordnung erforderliche Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen sicherzustellen und damit für eine gerechte Verteilung des Steuergutes zwischen beiden Vertragsstaaten zu sorgen. Diese im Interesse der beiden Vertragsstaaten mögliche Gewinnkorrektur ginge zu Lasten der in beiden Vertragsstaaten ansässigen verbundenen Unternehmen, wenn mit der Erstberichtigung in dem einen Vertragsstaat nicht eine korrespondierende Berichtigung in dem anderen Vertragsstaat erfolgte.

1 So aber BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341 – 19/10017:001, BStBl. I 2021, 1098, Rz. 3.25 ff. (Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise); modifizierend Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 111, 123; zu Einzelheiten Rz. 21.141; 21.174 ff. 2 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046. 3 Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 138; Baumhoff/Liebchen in W/B, Rz. 3.167.; anders BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017:001, BStBl. I 2021, 1098, Rz. 3.35 ff. 4 Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 138; vgl. Rz. 21.174 ff. 5 Ein derart erweiterter Vorteilsausgleich ist auch international durchaus üblich; vgl. die Hinweise bei Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 111 zur Rechtslage in den USA und in Australien. 6 BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 7.12.1988 – I R 25/82, BStBl. II 1989, 248; BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; BFH v. 30.7.1997 – I R 65/96, BStBl. II 1998, 402; noch strenger die frühere Rechtsprechung, die einen Vorteilsausgleich nur dann zuließ, wenn die Beteiligten eindeutige Abmachungen getroffen hatten, die die Vor- und Nachteile als jeweilige Gegenleistungen erkennbar machten, und wenn außerdem ein zeitlicher Zusammenhang bestand, der Leistung und Gegenleistung miteinander verband; so BFH v. 22.4.1964 – I 62/61 U, BStBl. III 1964, 370; BFH v. 4.5.1965 – I 130/62 U, BStBl. III 1965, 598; v. 21.12.1972 – I R 70/70, BStBl. II 1973, 449; ferner Rz. 21.141. 7 Nachweise bei Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 145. 8 So etwa nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte Gewinnausschüttung), § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG (verdeckte Einlage) und § 1 AStG (Berichtigung von Einkünften); zu Einzelheiten Rz. 21.136 ff.

Schaumburg/Häck | 881

19.314

Kap. 19 Rz. 19.315 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.315

Da die Erstberichtigung stets auf eine Gewinnerhöhung abzielt, muss die Gegenberichtigung bei dem im anderen Vertragsstaat ansässigen verbundenen Unternehmen eine entsprechende Gewinnminderung bewirken, wenn nicht eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung entstehen soll. Die Gegenberichtigung (Art. 9 Abs. 2 OECD-MA)1 soll eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung vermeiden und entfaltet damit eine Schutzwirkung zugunsten der in beiden Vertragsstaaten ansässigen verbundenen Unternehmen vor einseitigen Gewinnkorrekturen durch den einen oder anderen Vertragsstaat.2

19.316

Im Hinblick darauf ist die Reichweite dieser Gegenberichtigung begrenzt. Sie erfasst nur jene Fälle der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung, in denen diese eine unmittelbare Folge der Erstberichtigung ist. Entsteht die wirtschaftliche Doppelbesteuerung dagegen etwa durch Qualifikationskonflikte oder durch unterschiedliche nationale Einkünfteermittlungsvorschriften, ist eine Gegenberichtigung ausgeschlossen.3

19.317

Die Erstberichtigung bildet den Maßstab für den Umfang der Gegenberichtigung, wenn die Erstberichtigung bei dem verbundenen Unternehmen in dem anderen Vertragsstaat zu einer Besteuerung geführt hat und der Berichtigungsbetrag nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs unter Berücksichtigung eines Vorteilsausgleichs ermittelt worden ist.4 Insofern ist die Gegenberichtigung nur auf die Vermeidung der effektiven (wirtschaftlichen) Doppelbesteuerung gerichtet.5

19.318

Während die Erstberichtigung durch den einen Vertragsstaat ohne weiteres möglich ist, ergibt sich für den anderen Staat daraus nicht automatisch eine Anpassungsverpflichtung im Zuge einer Gegenberichtigung.6 Die Gegenberichtigung setzt vielmehr voraus, dass zwischen beiden Vertragsstaaten Einigkeit sowohl über die Qualifikation des Leistungsentgelts als auch über dessen angemessene Höhe besteht.7 Erforderlichenfalls erfolgt die Einigung im Wege von Konsultationen (Art. 9 Abs. 2 Satz 2 OECD-MA) oder im Rahmen eines Verständigungsverfahrens (Art. 9 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 25 OECD-MA).

19.319

Da die bilateralen Gewinnkorrekturklauseln eine Erstberichtigung, und damit eine Gewinnerhöhung, durch den einen Vertragsstaat ohne Rücksicht auf eine Gegenberichtigung (Gewinnminderung) durch den anderen Vertragsstaat zulassen, verbleibt es in der internationalen Besteuerungspraxis zumeist bei der Erstberichtigung. Die Gründe hierfür liegen einmal darin,

1 In der deutschen Abkommenspraxis immer noch die Ausnahme; Nachweise bei Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 145. 2 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 159; Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 190; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 142. 3 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 161; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 145; LahodnyKarner in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 91 (97). 4 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 163; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 145, 147. 5 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 163; Lahodny-Karner in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 91 (113). 6 Zur fehlenden Verbindlichkeit der Gegenberichtigung Popkes, Internationale Prüfung der Angemessenheit steuerlicher Verrechnungspreise, 199 ff. 7 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 164b; Rasch in G/K/G/K, Art. 9 OECD-MA Rz. 301; Lahodny-Karner, in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 91 (111, 115); OECD-MK zu Art. 9 Rz. 5; a.A. Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 146; Becker in Haase3, Art. 9 OECD-MA Rz. 70.

882 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.323 Kap. 19

dass in vielen DBA Gegenberichtigungen nicht vorgesehen sind,1 eine Verpflichtung zu Konsultationen und Verständigungsverfahren nicht besteht und letztlich, soweit derartige Konsultationen und Verständigungsverfahren durchgeführt werden, ein Einigungszwang der beteiligten Vertragsstaaten nicht vorgesehen ist. Damit gehen die bilateralen Gewinnkorrekturklauseln durchweg zu Lasten der in beiden Vertragsstaaten ansässigen verbundenen Unternehmen mit der Folge, dass insbesondere international operierende Konzerne ohne wirksamen Schutz einer auch nicht durch Advanced Pricing Agreements (APA) (Rz. 19.104 ff., 21.244 ff.) vermeidbaren wirtschaftlichen Doppelbesteuerung ausgesetzt sind. Ein wirksamer Schutz kann daher nur durch in DBA verankerte Schiedsklauseln (Rz. 19.110 ff.) erreicht werden. Die (wirtschaftliche) Doppelbesteuerung kann sodann weiterhin vermieden werden durch die EU-Schiedsverfahrenskonvention (Rz. 19.113 ff.), die als erste Stufe ein Verständigungsverfahren und als zweite Stufe ein Schlichtungsverfahren vorsieht.

19.320

Erzielen beide Vertragsstaaten Einigkeit darüber, dass die Erstberichtigung zu Recht erfolgt ist, besteht die Verpflichtung zur Gegenberichtigung. Kommen beide Vertragsstaaten übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Erstberichtigung nicht oder nur zum Teil gerechtfertigt war, so erfolgt eine Korrektur der Erstberichtigung und ggf. eine entsprechende Gegenberichtigung.2

19.321

Das korrespondierende Gefüge von Erstberichtigung einerseits und Gegenberichtigung andererseits kann zwar eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung vermeiden, sie führt damit aber noch nicht zu einer abschließenden zutreffenden Besteuerung. Erfolgt etwa in Deutschland eine Erstberichtigung durch Annahme verdeckter Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG), weil eine hier ansässige Tochtergesellschaft an eine ausländische Muttergesellschaft überhöhte Verrechnungspreise bezahlt hat, so führt die Gegenberichtigung lediglich zu einer Minderung des Einkommens bei dieser Muttergesellschaft, eine steuerliche Erfassung der tatsächlich zugeflossenen Dividenden wird aber erst durch eine sog. Sekundärberichtigung sichergestellt, die in den bilateralen Gewinnkorrekturklauseln selbst nicht vorgesehen ist.3 Diese Sekundärberichtigungen sind daher allein nach Maßgabe des jeweiligen innerstaatlichen Rechts vorzunehmen.4

19.322

Erst- und Gegenberichtigungen sind nur unter den verfahrensmäßigen Voraussetzungen des jeweiligen nationalen Rechts möglich. Als Rechtsgrundlagen für die Gegenberichtigung kommen daher, soweit die betreffenden Steuerbescheide bereits bestandskräftig geworden sind, insbesondere § 175a AO5 und im Übrigen die §§ 172 ff. AO, die Billigkeitsvorschriften der Abgabenordnung (§§ 163, 227 AO) sowie § 34c Abs. 5 EStG in Betracht.6

19.323

1 So enthalten nur wenige deutsche DBA eine dem Art. 9 OECD-MA entsprechende Regelung, hierzu die Übersicht bei Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 145. 2 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 175; Lahodny-Karner in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 91 (115). 3 Hierzu Becker in Haase3, Art. 9 OECD-MA Rz. 75 f. 4 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 178.; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 149; ausführlich hierzu Rasch in Kroppen, HdB Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. IV Rz. 264 ff., 268. 5 Für den Fall einer Verständigungsvereinbarung; vgl. hierzu Rz. 19.102 f. 6 Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 173; Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 208 f.; Ditz in S/D2, Art. 9 OECD-MA Rz. 148.

Schaumburg/Häck | 883

Kap. 19 Rz. 19.324 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

IV. Dividendeneinkünfte Literatur: Kommentare zu Art. 10 OECD-MA; Bay, Dividenden, Steuern und Steuerreformen, Wiesbaden 1990; Binder, Die Besteuerung der Dividenden und Zinsen nach deutschem Internationalen Steuerrecht, Diss. Göttingen 1967; Burmester, Überlegungen zur Auflösung von Schweizer Zwischengesellschaften, RIW 1987, 298; Debatin, Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen als Gegenstand verfehlter Rechnungshofsrüge, DStZ 1989, 421; Depping, Die Anrechnung fiktiver Steuern gemäß Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Türkei, DStZ 1995, 294; Ditz/Bärsch/Quilitzsch, Das neue OECD-Musterabkommen 2017, DB 2018, 1171; Englisch, Dividendenbesteuerung, Köln 2005; Förster, Internationale Aspekte der Option zur Körperschaftsteuerpflicht von Personenhandelsgesellschaften (Teil I), IStR 2022, 109 (114); Häck, Abkommensrechtliche Zuordnung von Beteiligungen zu Betriebstätten nach BFH, OECD und Finanzverwaltung, ISR 2015, 113; Hamacher, Begriff und Identifizierung des Beneficial Owners im Zusammenhang mit den US-Quellensteuerregelungen ab 1.1.2001, IStR 2002, 227, 259; Intemann, Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto nicht nach § 8b Abs. 1 KStG steuerbefreit, NWB 2010, 2295; Jann, Die abkommensrechtlichen Schachtelbegünstigungen, in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, Wien 1995, 99; Kaeser, Der mehrgliedrige Dividendenbegriff im Musterabkommen und der Deutschen Verhandlungsgrundlage, in Mellinghoff/Lüdicke/Rödder (Hrsg.), Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, FS für Dietmar Gosch, 2016, 187; Krabbe, Qualifikationskonflikte bei atypischen stillen Gesellschaften, IStR 1999, 591; Krabbe; Steuerliche Behandlung von Gewinnanteilen aus atypischen stillen Beteiligungen nach den DBA, IStR 2000, 23; Krause, Die Quantifizierung der Steuerbelastung von Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften beim inländischen Anteilseigner, Diss. Berlin 1976; Lang, M., Hybride Finanzierung im Internationalen Steuerrecht, Wien 1991; Piltz, Liquidation ausländischer Kapitalgesellschaften in den Doppelbesteuerungsabkommen, DStR 1989, 133; Piltz, Hybride Finanzierungen in Doppelbesteuerungsabkommen, in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, Köln 1995, 125; Schmidt, Die atypisch stille Gesellschaft im deutschen Internationalen Steuerrecht – wie begründet ist die herrschende Meinung?, IStR 1996, 213; Schulz-Trieglaff, Steuerfreie Dividenden und Betriebsstättenvorbehalt, IStR 2015, 717; Svoboda, Vorteile der fiktiven Anrechnung nach dem DBA Österreich-Thailand, SWI 1998, 475; Vogel, Die Besteuerung von Auslandseinkünften, DStJG 8 (1985), 3; Wagner, Steuersparmodell „MADEIRA“, StBp. 1993, 108; Weber, Ist eine steuerliche Umqualifizierung der Erträge aus Fremdfinanzierung in verdeckte Gewinnausschüttungen gegenüber Doppelbesteuerungsabkommen wirksam?, Inst.FuSt. (Brief 204), Bonn 1989; Weidmann, Anrechnung und Abzug fiktiver Steuerbeträge, Die Bank 1989, 539; Widmann, Zurechnungsänderungen und Umqualifikationen durch das nationale Recht in ihrem Verhältnis zum DBA-Recht, DStJG 8 (1985), 235; Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, Hamburg 1991.

1. Allgemeines 19.324

Bei Dividendeneinkünften bestehen die Schrankenwirkungen der DBA darin, dass die Besteuerung im Wohnsitzstaat aufrechterhalten und im Quellenstaat der Höhe nach begrenzt wird (Art. 10 OECD-MA). Diese Steuerteilung zwischen Quellenstaat einerseits und Wohnsitzstaat andererseits, die sich in der internationalen Abkommenspraxis allgemein durchgesetzt hat, versteht sich als ein Kompromiss zwischen den gegensätzlichen Interessen der Kapitalgläubiger- und der Kapitalschuldnerländer.1 Obwohl unter nutzentheoretischen Aspekten dem Quellenstaat ein vorrangiger Zugriff auf die Dividendeneinkünfte deshalb gebührt, weil er am Investitionsort durch die Erbringung öffentlicher Leistungen die Erzielung von Dividendeneinkünften überhaupt erst ermöglicht,2 ist die Quellensteuerbefugnis in der deutschen 1 Ismer in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 3. 2 Zur Opfertheorie und Nutzentheorie als Maßstab der Verteilungsgerechtigkeit grundlegend Vogel, DStJG 8 (1985), 3 (23 ff.). Zuber, Anknüpfungsmerkmale und Reichweite der internationalen Besteuerung, 107 ff.

884 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.325 Kap. 19

Abkommenspraxis auf 0 %, 5 %, 10 % oder 15 % begrenzt,1 wobei ggf. im EU-Bereich eine völlige Freistellung nach Maßgabe der Mutter-Tochter-Richtlinie2 in Betracht kommt. Der Wohnsitzstaat des Dividendenempfängers rechnet die Steuer des Quellenstaates an oder gewährt Steuerbefreiung. Um im Falle der Steueranrechnung zu vermeiden, dass etwaige für Zwecke der Investitionsförderung gewährte Steuervorteile des Quellenstaates im Wohnsitzstaat kompensiert werden und damit nicht dem Steuerpflichtigen, sondern dem Wohnsitzstaat zugute kommen, hat sich in den zwischen den europäischen Staaten und den Entwicklungsländern abgeschlossenen DBA eine Anrechnung fiktiver Steuern3 durchgesetzt.4 In der internationalen Abkommenspraxis finden sich durchweg Sonderregelungen für Schachteldividenden, für die die Quellensteuersätze auf höchstens 5 % gegenüber 15 % für alle Dividenden festgesetzt sind (Art. 10 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA).5 In der deutschen Abkommenspraxis wird die für die Besteuerung im Quellenstaat geltende Sonderregelung (Art. 10 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA) dadurch ergänzt, dass im Wohnsitzstaat des Dividendenempfängers, jedenfalls in Deutschland, die Schachteldividenden abkommensrechtlich von der Steuer freigestellt werden. Durch dieses internationale Schachtelprivileg,6 das durch die Freistellung nach nationalem Recht7 in Deutschland nur geringe8 Bedeutung hat, wird eine weitgehende Annäherung der steuerlichen Belastung von Betriebsstättengewinnen (Rz. 19.230 ff.) einerseits und Schachteldividenden andererseits aus Gründen der Wettbewerbsneutralität sichergestellt.9 Die abkommensrechtliche Sonderbehandlung von Schachteldividenden dient dem Ziel, direkte Auslandsinvestitionen zu erleichtern und darüber hinaus die internationale wirtschaftliche Mehrfachbesteuerung von Dividenden zu reduzieren.10 Demgegenüber bleibt die internationale Mehrfachbesteuerung für Streubesitzdividenden aufrechterhalten, soweit sich nicht aus dem jeweiligen nationalen Recht weitergehende Steuerbefreiungen oder Steuervergünstigungen ergeben.11 Die abkommensrechtliche Behandlung der Dividenden geht konzeptionell von der Doppelbelastung ausgeschütteter Gewinne durch Körperschaftsteuer einerseits und Einkommensteuer andererseits aus.12 Ein abkommensrechtliches Instrumentarium, das auf die Einbeziehung der

1 Vgl. die Abkommensübersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 67. 2 RL 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8; zuletzt geändert durch RL (EU) 2015/121 des Rates v. 27.1.2015 (ABl. EU 2015 Nr. L 21, 1); vgl. § 43b EStG; hierzu Rz. 3.70 ff. 3 Tax sparing credit/tax matching credit; hierzu im Einzelnen Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA, Rz. 112; Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 191 ff.; ferner Tumpel in Gassner/ Lang/Lechner, Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 61 ff.; Weidmann, Die Bank 1989, 539 ff.; Wagner, StBp. 1993, 108 ff.; Depping, DStZ 1995, 294 ff.; Svoboda, SWI 1998, 475 ff. 4 Ismer in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 4. 5 Zur Aufhebung der Quellensteuerbefugnis für Schachteldividenden in der EU vgl. Rz. 3.70 ff. 6 Vgl. die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 7 § 8b Abs. 1, 5 KStG, §§ 7 Satz 4, 8 Nr. 5, 9 Nr. 7 GewStG; vgl. allerdings das in § 8b Abs. 1 Satz 2 bis 4 KStG verankerte materielle Korrespondenzprinzip; hierzu Rz. 18.149 ff. 8 S. aber zur verbleibenden Bedeutung des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs Schönfeld/ Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 70. 9 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 11; Jann in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zu Vermeidung der Doppelbesteuerung, 99 (102). 10 Jann in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, 99 (102). 11 In Deutschland wird grds. bei einer Dividenden empfangenden Kapitalgesellschaft eine 95 %ige Steuerbefreiung nur bei einer Beteiligungsquote von 10 % (Körperschaftsteuer, § 8b Abs. 1, 4 und 5 KStG) bzw. 15 % (Gewerbesteuer, § 8 Nr. 5 i.V.m. § 9 Nr. 2a und Nr. 7 GewStG). 12 Vgl. Art. 10 Abs. 2 Satz 3 OECD-MA.

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19.325

Kap. 19 Rz. 19.325 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

Körperschaftsteuerbelastung in die Steuerteilung zwischen Wohnsitzstaat und Quellenstaat ausgerichtet ist, gibt es allgemein nicht. Im Hinblick darauf wird die Körperschaftsteuer, obwohl sie wirtschaftlich eine Vorbelastung der Dividende darstellt, in die Quellensteuerbegrenzung für Dividenden nicht mit einbezogen.

19.326

Die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen Quellenstaat und Wohnsitzstaat beurteilt sich auch dann nach den für Dividenden geltenden besonderen Verteilungsnormen der DBA, wenn die Dividenden etwa von einem Unternehmen oder einem Selbständigen1 bezogen werden. Die besonderen für Dividenden geltenden Verteilungsnormen greifen allerdings dann nicht ein, wenn die betreffenden Beteiligungen tatsächlich zu einer Betriebsstätte des Unternehmens im Quellenstaat2 bzw. dort zu einer festen Einrichtung des Selbständigen gehören (Art. 10 Abs. 4 OECD-MA).3 Dieser Betriebsstättenvorbehalt eröffnet dem Quellenstaat die Möglichkeit, von der Bruttobesteuerung der Dividenden mit festen Quellensteuerhöchstsätzen auf eine Nettobesteuerung ohne Steuersatzbegrenzung überzuwechseln.4

19.327

Da Betriebsstätten von Unternehmen jedweder Art unterhalten werden können, gilt der Betriebsstättenvorbehalt nicht nur für Unternehmen, deren Einkünfte den für Unternehmensgewinne geltenden Verteilungsnormen unterliegen, sondern auch für Unternehmen mit Einkünften aus internationaler Schifffahrt, Luftfahrt oder Binnenschifffahrt5 und für Personengesellschaften, in deren Rahmen eine gewerbliche Tätigkeit oder eine selbständige Arbeit ausgeübt wird.6 Der Betriebsstättenvorbehalt betrifft nur Dividenden, die aus dem Betriebsstättenstaat selbst stammen. Dividenden aus Drittstaaten dagegen unterliegen nicht dem Betriebsstättenvorbehalt.7 Sie sind andere Einkünfte (Art. 21 OECD-MA),8 die nur im Wohnsitzstaat versteuert werden dürfen, es sei denn, die Beteiligungen gehören tatsächlich9 zu einem Betriebsstättenvermögen.10

19.328

Der Betriebsstättenvorbehalt greift nur dann ein, wenn die Beteiligungen, für die die Dividenden gezahlt werden, tatsächlich zu dieser Betriebsstätte im Quellenstaat gehören.11 Damit 1 Art. 14 OECD-MA ist seit dem 15.11.2006 gestrichen, zahlreiche deutsche DBA enthalten jedoch noch eine dem Art. 14 OECD-MA a.F. vergleichbare Verteilungsnorm. 2 Ist die ausschüttende Gesellschaft dagegen im Wohnsitzstaat oder in einem Drittstaat ansässig, greift der Betriebsstättenvorbehalt nicht ein. 3 Der Betriebsstättenvorbehalt gilt auch in Fällen älterer Abkommen, in denen die feste Einrichtung von selbständig Tätigen nicht ausdrücklich erwähnt ist; FinMin. Niedersachsen v. 11.7.1995, IStR 1995, 397. 4 Görl in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 42; Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 172; Gaffron in Haase3, Art. 10 OECD-MA Rz. 174. 5 Görl in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 43a. 6 BFH v. 29.1.1964 – I 153/61 S, BStBl. III 1964, 165; Görl in V/L7 Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 40a. 7 Görl in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 44; Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 196; Gaffron in Haase3, Art. 10 OECD-MA Rz. 168. 8 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510. 9 Der in Art. 21 Abs. 2 OECD-MA verankerte Betriebsstättenvorbehalt greift ebenfalls nur ein, wenn die den Einkünften zugrundeliegenden Vermögenswerte tatsächlich dem Betriebsstättenvermögen zuzuordnen sind. 10 Hierzu Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 162 ff.; Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 201 ff. 11 BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 27.2.1991 – I R 96/89, BFH/NV 1992, 385; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; BFH v. 14.7.1993 – I R 71/92, BStBl. II 1994, 91; BFH v. 31.5.1995 – I R 74/93, BStBl. II 1995, 683; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996,

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.331 Kap. 19

wird der sog. Attraktivkraft der Betriebsstätte,1 aufgrund deren sämtliche Einkünfte des Unternehmens aus Quellen innerhalb des Betriebsstättenstaates diesem zur Besteuerung zu überlassen sind, eine Absage erteilt.2 Das bedeutet, dass die den Dividenden zugrunde liegenden Beteiligungen der Betriebsstätte in dem Sinne dienen müssen, dass sie in einem funktionalen Zusammenhang zu der in der Betriebsstätte ausgeübten Tätigkeit stehen.3 Für die Zuordnung kann daher nicht ohne weiteres auf die jeweiligen steuerrechtlichen Zuordnungsregeln des nationalen Rechts zurückgegriffen werden (Rz. 19.264).

2. Dividendenbegriff Die Reichweite der für Dividenden geltenden besonderen Verteilungsnormen der DBA ist unmittelbar verknüpft mit dem Dividendenbegriff, der in der internationalen Abkommenspraxis eine eigenständige Regelung erfahren hat (Art. 10 Abs. 3 OECD-MA). Der dort verwendete Dividendenbegriff ist für den Quellenstaat und den Wohnsitzstaat gleichermaßen verbindlich, und zwar auch insoweit, als durch Verweisung das entsprechende innerstaatliche Recht des Quellenstaates zum Abkommensrecht erhoben wird.4

19.329

Die die Dividenden betreffenden Regelungen in den DBA enthalten durchweg keine Legaldefinition. Welche Einkünfte zu den Dividenden zählen, wird vielmehr durch eine dreigliedrige Umschreibung konkretisiert (Art. 10 Abs. 3 OECD-MA).5 Zu den Dividenden gehören danach Einkünfte aus

19.330

– Aktien, Genussaktien oder Genussscheinen, Kuxen, Gründeranteilen, – anderen Rechten, ausgenommen Forderungen mit Gewinnbeteiligung, und – sonstigen Gesellschaftsanteilen, soweit die Einkünfte nach dem Recht des Staates, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, den Einkünften aus Aktien steuerlich gleichgestellt sind. Was unter Einkünften6 zu verstehen ist, regelt die abkommensrechtliche Dividendendefinition lediglich für die dritte Fallgruppe, wonach für die Begriffsklärung von Einkünften aus

1 2 3 4 5 6

563; BFH v. 23.10.1996 – I R 10/96, BStBl. II 1997, 313; BFH v. 17.12.1997 – I R 34/97, BStBl. II 1998, 296; BFH v. 29.11.2000 – I R 87/99, BStBl. II 2002, 655; BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/ NV 2004, 771; Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 Rz. 130 ff.; Görl in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 37 ff.; Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 200 ff.; Hruschka, IStR 2016, 437 ff.; Häck, ISR 2015, 113 ff.; Schulz-Trieglaff, IStR 2015, 717 (718 f.). Hierzu Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 42a. Art. 10 Rz. 31 OECD-MK. Zu Einzelheiten Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 Rz. 130 ff.; Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 162 ff.; Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 202 ff.; Häck, ISR 2015, 113 ff. BFH v. 6.6.2012 – I R 6/11, 8/11, BStBl. II 2013, 111; BFH v. 12.6.2013 – I R 109-111/10, BStBl. II 2013, 1024; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 184; Wassermeyer in Kaeser/Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 108; Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 DBA-Schweiz Rz. 81. Zu Abweichungen in der deutschen Abkommenspraxis Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECDMA Rz. 225 ff. Im Hinblick auf die in Art. 10 Abs. 2 OECD-MA vorgesehene Bruttobesteuerung im Quellenstaat sind nach der Terminologie des deutschen Steuerrechts Einnahmen gemeint; BFH v. 29.5.1996 – I R 167/94, DB 1996, 1549; Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 113; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 186.

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19.331

Kap. 19 Rz. 19.331 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

„sonstigen Gesellschaftsanteilen“ auf das Recht des Quellenstaates verwiesen wird. Diese Verweisung auf das Recht des Quellenstaates erfasst nur die Einkünftequalifikation selbst und diese auch nur insoweit, als sie sich auf „sonstige Gesellschaftsanteile“ bezieht. Es ist indessen kein Grund erkennbar, warum für Einkünfte etwa aus Aktien (erste Fallgruppe) die Auslegung nach Abkommensrecht oder hilfsweise nach dem Recht des Wohnsitzstaates (Art. 3 Abs. 2 OECDMA) und für Einkünfte aus „sonstigen Gesellschaftsanteilen“ die Auslegung nach dem Recht des Quellenstaates maßgeblich sein soll. Entsprechend der den DBA immanenten Regelungshomogenität läge es zwar nahe im Zweifel für alle Dividendeneinkünfte die Einkünftequalifikation auch für den Wohnsitzstaat einheitlich nach dem Recht des Quellenstaates vorzunehmen.1 Denn es macht wenig Sinn, für Einkünfte etwa aus Aktien (erste Fallgruppe) die Auslegung nach Abkommensrecht oder hilfsweise nach dem Recht des Wohnsitzstaates (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) und für Einkünfte aus „sonstigen Gesellschaftsanteilen“ die Auslegung nach dem Recht des Quellenstaates als verbindlich anzusehen. Indes lässt sich eine solche umfassende Qualifikationsverkettung aus der formalen Regelungssystematik des Art. 10 Abs. 3 OECD-MA letztlich nur für die dritte, nicht aber für die ersten beiden Fallgruppen entnehmen.2

19.332

Zu den Dividenden aller drei Fallgruppen zählen Einkünfte lediglich aus Gesellschaftsanteilen.3 In Abgrenzung zu den ausschließlich Zinsen betreffenden Verteilungsnormen der DBA4 und gegenüber Mitunternehmerschaften, deren Erträge zu den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA) zählen, sind Dividenden damit nur solche Einkünfte, die aufgrund der Beteiligung am Vermögen und am Liquidationserlös einer juristischen Person5 dem Empfänger zufließen.6

19.333

Die Einkünfte aus einer Beteiligung als typisch stiller Gesellschafter7 sind abkommensrechtlich grundsätzlich keine Dividenden, sondern Zinsen, weil diese keine Beteiligung am Liquidationserlös vermittelt.8 Abweichend hiervon sind jedoch in der deutschen Abkommenspraxis die Einkünfte aus der Beteiligung als typisch stiller Gesellschafter zumeist ausdrücklich in die

1 Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 124; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 186; im Ergebnis ebenso Burmester, RIW 1987, 298 (301); Debatin, DStZ 1989, 421 (422). 2 BFH v. 6.6.2012 – I R 6/11, 8/11, BStBl. II 2013, 111; Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 109; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 10 OECD-MA Rz. 57 f.; Grützner in G/K/G/K, Art. 10 OECD-MA Rz. 154; Gaffron in Haase3, Art. 10 OECD-MA Rz. 100; Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 DBA-Schweiz Rz. 81; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 106; Kaeser in FS Gosch, 187 (189 ff.); Piltz, DStR 1989, 133 (135). 3 Dies ergibt sich aus dem dritten Teilstück der Dividenden-Definition des Art. 10 Abs. 3 OECDMA, wonach Einkünfte aus „sonstigen“ Gesellschaftsanteilen erfasst werden, vgl. Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 DBA-Schweiz Rz. 87. In den neueren deutschen Abkommen fehlt jedoch diese Einschränkung auf „Gesellschaftsanteile“ (s. Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 228). 4 Art. 11 OECD-MA. 5 Gesellschaften im Sinne der DBA sind gem. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA nur juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden. 6 Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 129; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 188; Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 DBA-Schweiz Rz. 87. 7 Zu Abgrenzungsfragen zwischen typisch und atypisch stiller Gesellschaft Bleschick in Kirchhof/ Seer21, § 20 EStG Rz. 75 ff. 8 BFH v. 4.6.2008 – I R 62/06, BStBl. II 2008, 793; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 165 f., 208; Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 143; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 10 OECD-MA Rz. 75; Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 182; Piltz in Piltz/ Schaumburg (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung im internationalen Steuerrecht, 125 (138 ff.).

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.336 Kap. 19

abkommensrechtliche Dividendendefinition mit einbezogen worden.1 Die Qualifikation als (fiktive) Dividende bedeutet aber noch nicht, dass hierfür die abkommensrechtlichen Sonderbestimmungen für Schachteldividenden eingreifen, und zwar auch dann nicht, wenn daneben eine Schachtelbeteiligung besteht.2 Einkünfte aus der Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter zählen dagegen als Einkünfte aus einer Mitunternehmerschaft grundsätzlich zu den Unternehmensgewinnen, und zwar selbst dann, wenn abkommensrechtlich die Einkünfte als stiller Gesellschafter ohne jede Differenzierung zu den Dividenden gezählt werden: Erfasst werden stets nur die Einkünfte als typisch stiller Gesellschafter, die zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG gehören.3

19.334

Ebenso wenig gehören auch Einkünfte aus partiarischen Darlehen,4 Gewinnobligationen5 und Wandelschuldverschreibungen,6 die lediglich eine Gläubigerstellung und keine Beteiligung an einer Gesellschaft vermitteln, zu den Dividenden.7 Im Gegensatz zum OECD-MA beziehen allerdings einige deutsche DBA derartige Einkünfte in den Dividendenbegriff mit ein.8 Einkünfte aus Investment-Anteilen,9 sind ebenfalls sehr häufig in deutschen DBA den Dividenden zugeordnet.10

19.335

Die für Dividenden geltenden Verteilungsnormen der DBA gehen konzeptionell davon aus, dass dem Quellenstaat neben der Besteuerung der Unternehmensgewinne der ausschüttenden Gesellschaft (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) auch eine der Höhe nach begrenzte Quellenbesteuerung für die den Gesellschaftern zufließenden Dividenden zustehen soll. Deshalb ist stets Voraussetzung, dass die ausschüttende Gesellschaft als juristische Person oder wie eine juristische Person selbständiges Steuersubjekt ist.11 Im Hinblick darauf können auch Zahlungen von Personengesellschaften Dividenden nur dann sein, wenn die Personengesellschaft in dem Staat, in dem

19.336

1 Abkommensübersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 204, 231. Zum DBA-Schweiz s. Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 DBA-Schweiz Rz. 104. 2 BFH v. 4.6.2008 – I R 62/06, BStBl. II 2008, 793; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.2.1.3; zur Kritik Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 10 OECD-MA Rz. 75. 3 BFH v. 21.7.1999 – I R 110/98, BStBl. II 1999, 812; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECDMA Rz. 231; Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 143; Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 183; Gaffron in Haase3, Art. 10 OECD-MA Rz. 161 ff.; Bärsch/Quilitzsch, in F/W/K, Art. 7 Rz. 800 („Atypisch stille Gesellschaft“); Schmidt, IStR 1996, 213 (219); Krabbe, IStR 1999, 591 f.; Krabbe; IStR 2000, 23 f.; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 2.2.1.2; a.A. Piltz in Piltz/Schaumburg, Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, 125 (142). 4 Es handelt sich hierbei um eine Kreditgewährung, bei der als Zins ein Anteil am Gewinn vereinbart ist; zu Einzelheiten Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 146; zu einigen Besonderheiten deutscher DBA mit Einbeziehung in die Dividendendefinition Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 234. 5 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 171, 235; Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 145. 6 Gaffron in Haase3, Art. 10 OECD-MA Rz. 121. 7 Zu weiteren Einzelheiten Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 145 ff. 8 Zu Einzelheiten Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 171, 234 f. 9 Zu Einzelheiten Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 211. 10 Vgl. Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 230. Teilweise mit veralteter begrifflicher Anknüpfung, s. z.B. zu Art. 10 DBA-Schweiz Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 Rz. 111 ff. 11 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 190.

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Kap. 19 Rz. 19.336 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung (Quellenstaat) liegt, steuerlich als selbständiges Steuersubjekt behandelt wird, und zwar unabhängig davon, ob diese steuerliche Behandlung aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften oder aber aufgrund einer Option erfolgt.1 Der Wohnsitzstaat ist jedoch an die Qualifikation des Quellenstaates nicht gebunden (keine Qualifikationsverkettung), wenn er die ausländische Personengesellschaft nicht als „Gesellschaft“ im Abkommenssinne qualifiziert oder die Zahlung als Entnahme behandelt.2 Ist Deutschland Quellenstaat und handelt es sich bei der ausschüttenden Gesellschaft um eine i.S.v. § 1 Abs. 1a KStG optierende Gesellschaft, sind Gewinnauskehrungen Dividenden i.S.v. Art. 10 Abs. 3 OECD-MA.3

19.337

Als Einkünfte aus Gesellschaftsanteilen werden im ersten Teilstück der Dividendendefinition Einkünfte aus Aktien, Genussaktien oder Genussscheinen, Kuxen und Gründeranteilen genannt. Diesen Gesellschaftsanteilen sind als Typenmerkmale die Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Gesellschaft gemeinsam. Darüber hinausgehende Verwaltungsrechte brauchen mit diesem Gesellschaftsanteil nicht verbunden zu sein, so dass auch Einkünfte aus stimmrechtslosen Vorzugsaktien4 sowie Dividendenscheinen, soweit die Inhaber zugleich Aktionäre sind, Dividenden im Sinne der abkommensrechtlichen Verteilungsnormen sind.5 Den Aktien gleichgestellt sind schließlich auch (verbriefte) Genussrechte und Genussscheine, soweit sie eine Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös vermitteln,6 sowie Kuxen und Gründeranteile.

19.338

Während das zweite Teilstück der Dividendendefinition Einkünfte aus verbrieften Gesellschaftsanteilen erfasst,7 bezieht sich das dritte Teilstück auf Einkünfte aus sonstigen Gesellschaftsanteilen, die nach dem Recht des Staates, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist (Quellenstaat), den Einkünften aus Aktien steuerlich gleichgestellt sind. Hierunter fallen vor allem nicht verbriefte Anteilsrechte an selbständig steuerpflichtigen juristischen Personen, wie etwa GmbH-Geschäftsanteile und Anteile an Genossenschaften sowie an Personengesellschaften, die wie juristische Personen besteuert werden.8 Die Abkommen enthalten insoweit eine

1 BFH v. 20.9.1989 – II R 96/86, BStBl. II 1990, 206; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 190; OECD-MK zu Art. 10 Abs. 3 OECD-MA, Ziff. 27. 2 Vgl. BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760; Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 32 ff. 3 Stv. Förster, IStR 2022, 109 (114). Behandelt der Ansässigkeitsstaat des Dividendenempfängers die optierende Gesellschaft aber als steuerlich transparent, wird gem. § 50d Abs. 14 Satz 1 EStG das deutsche Quellensteuerrecht im Wege eines Treaty-Override nicht gem. Art. 10 Abs. 2 OECD-MA beschränkt. 4 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 192; hierzu zählen auch Partizipationsscheine schweizerischen Rechts, soweit sie eine Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös gewähren; vgl. BFH v. 24.3.1992 – VIII R 51/89, BStBl. II 1992, 941. 5 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 192; Gaffron in Haase3, Art. 10 OECD-MA Rz. 122. 6 Entsprechend § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG; zu Einzelheiten Tischbirek in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 194 f.; 205 ff.; Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 125 f.; Gaffron in Haase3, Art. 10 OECD-MA Rz. 125; Piltz in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, 125 (132 ff.). 7 So in Abgrenzung zum dritten Teilstück der Dividendendefinition; hierzu BFH v. 12.6.2013 – I R 109-111/10, BStBl. II 2013, 1024; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 198; OECDMK zu Art. 10 Abs. 3 OECD-MA, Ziff. 24. S. aber zur Bedeutung im DBA-Schweiz Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 DBA-Schweiz Rz. 97. 8 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 198.

890 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.342 Kap. 19

dynamische Verweisung auf das Recht des Quellenstaates mit der Folge, dass das jeweils geltende Recht desselben zum Abkommensrecht erhoben wird.1 In der dritten Fallgruppe ist von der Verweisung auf das Recht des Quellenstaates im Gegensatz zum zweiten Teilstück der Dividendendefinition nicht die Abgrenzungsfrage ausgenommen, ob die Einkünfte aus Gesellschaftsanteilen (Dividenden) oder etwa aus Forderungen (Zinsen) stammen. Deshalb schlägt die Umqualifizierung von Vergütungen für sog. verdecktes Nennkapital in den Fällen der Gesellschafterfremdfinanzierung von Zinsen in verdeckte Gewinnausschüttungen (Dividenden) nach dem jeweiligen Recht des Quellenstaates2 auf Abkommensebene grundsätzlich durch.3 Voraussetzung ist allerdings, dass die derart umqualifizierten Einkünfte als solche aus Gesellschaftsanteilen stammend angesehen werden können.

19.339

Allerdings enthalten neuere deutsche DBA4 eine Verweisung auf innerstaatliches Recht ohne die vorgenannte Einschränkung, so dass Umqualifizierungen von Einnahmen aus Gesellschafterfremdfinanzierung (Zinsen) in (verdeckte) Gewinnausschüttungen (Dividenden) ohne weiteres auch auf Abkommensebene mit der Folge wirksam werden, dass der Quellenstaat berechtigt ist, eine Quellensteuer auf Dividenden zu erheben.

19.340

Die Verweisung auf das Recht des Quellenstaates5 führt in Deutschland als Quellenstaat dazu, dass die unter § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3, 3a, 9 und 10 Buchst. a EStG fallenden Bezüge, Einnahmen und Leistungen den Einkünften aus Aktien steuerlich gleichgestellt sind.6 Dies betrifft verdeckte Gewinnausschüttungen,7 Vorab- und Nachtragsausschüttungen,8 Sachdividenden,9 Ausgleichszahlungen an außenstehende Minderheitsgesellschafter (Dividendengarantie),10 Dividendenkompensationszahlungen,11 die Auskehrung von Gratis-, Bonus- oder Treueaktien12 sowie Ausschüttungen auf in Zusammenhang mit unter das InvStG fallenden Investmentanteilen.13

19.341

Bezüge aus Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen, Einlagenrückzahlungen und Liquidationen sind aus deutscher Sicht als Quellenstaat nur dann abkommensrechtlich Dividenden, wenn sie als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu qualifizieren sind, andernfalls handelt es sich ggf. um Veräußerungsgewinne.14

19.342

1 BFH v. 13.12.1989 – I R 39/87, BStBl. II 1990, 379 (381); Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 DBASchweiz Rz. 99; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 199; Lang, M., Hybride Finanzierungen im Internationalen Steuerrecht, 85 ff.; Widmann, DStJG 8 (1985), 235 (250). 2 In Deutschland § 8a KStG in der bis 2007 geltenden Fassung. 3 Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 141; OECD-MK zu Art. 10 OECDMA, Ziff. 15 Buchst. d; 25; differenzierend Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 201. 4 Abkommensübersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 204. 5 Zu Einzelheiten Rz. 19.331. 6 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 208. 7 OECD-MK zu Art. 10 Abs. 3 OECD-MA, Ziff. 28. 8 Hierzu Dötsch/Werner in D/P/M, § 20 EStG Rz. 43. 9 Vgl. BMF v. 25.10.2004 – IV C 3 - S 2256 - 238/04, BStBl. I 2004, 1034, Rz. 34; auch Freianteile als Ersatz von Bardividende; BFH v. 14.2.2006 – VIII R 49/03, BStBl. II 2006, 520. 10 Hierzu Dötsch/Werner in D/P/M, § 20 EStG Rz. 57. 11 § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG; hierzu Buge in H/H/R, § 20 EStG Rz. 110 ff. 12 OECD-MK zu Art. 10 Abs. 3 OECD-MA, Ziff. 28. 13 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 213 f., 230. 14 Vgl. §§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a; 17 Abs. 4 EStG.

Schaumburg/Häck | 891

Kap. 19 Rz. 19.343 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.343

Im Einzelnen:1 Bezüge (z.B. Bezugsrechte, Freianteile) bei Kapitalerhöhungen aus Einlagen2 gehören nicht zu den Einkünften aus Kapitalvermögen3 und sind demgemäß abkommensrechtlich auch mit Wirkung für den ausländischen Wohnsitzstaat keine Dividenden. Gleiches gilt im Ergebnis bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, soweit offene Rücklagen handelsrechtlich wirksam in Nennkapital umgewandelt werden.4 Obwohl es sich hierbei um eine sog. Doppelmaßnahme – Ausschüttung und Wiedereinlage – handelt,5 ist sie durch § 1 KapErhStG aus dem Einkünftekatalog des § 2 Abs. 1 EStG ausgenommen.6 Bezüge aus Kapitalherabsetzungen7 gehören nur dann zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, wenn die Ausschüttung unter § 28 Abs. 2 Satz 2, 4 KStG fällt (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG).8 Das bedeutet, dass lediglich die Ausschüttung von Nennkapital, das durch Umwandlung von Gewinnrücklagen entstanden ist, zu Kapitaleinkünften und insoweit auch zu Dividenden i.S.v. Art. 10 Abs. 3 OECD-MA9 führt. Demgegenüber sind § 20 EStG und Art. 10 Abs. 3 OECD-MA nicht erfüllt, wenn das herabgesetzte Kapital aus Einlagen stammt.10

19.344

Bezüge gehören insoweit nicht zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen, als sie aus Ausschüttungen stammen, für die das steuerliche Einlagekonto (§ 27 KStG)11 als verwendet gilt (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Ob das steuerliche Einlagekonto als verwendet gilt, ergibt sich grundsätzlich aus einer Differenzrechnung (§ 27 Abs. 1 Satz 3 KStG), wonach im Ergebnis eine Verwendung hieraus erst dann erfolgt, wenn die übrigen Rücklagen keinen Positivbestand mehr ausweisen. Darüber hinaus ist eine Verwendung des steuerlichen Einlagekontos ohne die vorgenannte Verwendungsreihenfolge möglich, wenn es sich um bestimmte Einlagenrückzahlungen12 handelt, etwa bei Rückzahlung von Nennkapital im Anschluss an eine vorangegangene Kapitalerhöhung aus Kapitalrücklagen.13 Die Rückzahlung von Gesellschafterrücklagen wird damit im Ergebnis steuerlich der Rückzahlung von Nennkapital, etwa im Wege der Kapitalherabsetzung, gleichgestellt, so dass zugleich auch abkommensrechtlich keine Dividende gegeben ist. Gehören die Anteile zu einem steuerlichen Betriebsvermögen, sind die Bezüge aus dem steuerlichen Einlagekonto zunächst mit dem Buchwert der Anteile zu verrechnen, so dass der übersteigende Teil der Bezüge gewinnerhöhende Betriebseinnahmen sind, die der Art

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Aus der Sicht von Deutschland als Quellenstaat. §§ 182 ff. AktG; 55 ff. GmbHG. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 17 EStG Rz. 17, 52. §§ 207 ff. AktG; §§ 57c bis 57o GmbHG. BFH v. 17.9.1957 – I 165/54 S, BStBl. III 1957, 401; BFH v. 1.1.1958 – VI 13/57 U, BStBl. III 1958, 390; BFH v. 5.4.1978 – I R 164/75, BStBl. II 1978, 414; BFH v. 27.3.1979 – VIII R 147/76, BStBl. II 1979, 560. Martini in B/H, § 1 KapErhStG Rz. 1. §§ 222 ff. AktG; §§ 58 ff. GmbHG. Buge in H/H/R, § 20 EStG Rz. 120, 129; zu Kapitalherabsetzungen ausländischer Kapitalgesellschaften vgl. § 7 Abs. 2 KapErhStG; hierzu Martini in B/H, § 7 KapErhStG Rz. 1 ff. Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 218; Gaffron in Haase3, Art. 10 OECD-MA Rz. 135; Grützner in G/K/G/K, Art. 10 OECD-MA Rz. 162. § 20 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 203, 218; zur Kapitalherabsetzung ausländischer Kapitalgesellschaften Buge in H/H/R, § 20 EStG Rz. 128; vgl. auch BFH v. 28.10.2009 – I R 116/08, BStBl. II 2011, 898. Das steuerliche Einlagekonto erfasst nicht auf das Nennkapital geleistete Einlagen sowie diesen gleichgestellte Beträge. Bei Aktiengesellschaften vor Liquidation unzulässig (§§ 57; 58 Abs. 5 AktG); bei GmbHs dagegen zulässig, soweit das Stammkapital nicht angegriffen wird (§ 30 GmbHG). Zu den Fallgruppen mit Direktzugriff auf das steuerliche Einlagekonto Dötsch/Werner in D/P/M, § 20 EStG Rz. 89.

892 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.347 Kap. 19

nach allerdings keine Einkünfte aus Kapitalvermögen und somit abkommensrechtlich auch keine Dividenden sind.1 Bezüge aus Liquidationen2 sind nur dann Einkünfte aus Kapitalvermögen, wenn Nennkapital, soweit der Sonderausweis gem. § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG zu mindern ist (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG i.V. mit § 28 Abs. 2 Satz 2, 4 KStG), und im Übrigen nichts aus dem steuerlichen Einlagekonto (§ 27 KStG) ausgekehrt wird (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 i.V. mit Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG).3 In den vorgenannten Fällen handelt es sich abkommensrechtlich um Dividenden.4

19.345

3. Besteuerung im Quellenstaat Kernstück der die Dividenden betreffenden Verteilungsnormen der DBA ist die Umgrenzung der Besteuerungsbefugnis des Quellenstaates. Nach einheitlicher Abkommenspraxis darf der Quellenstaat, also der Staat, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, die Dividenden einer der Höhe nach begrenzten Steuer unterwerfen. Eine weitergehende Umgrenzung enthalten die Verteilungsnormen nicht, so dass die Steuer im Quellenstaat entweder im Wege des Abzugs bei der ausschüttenden Gesellschaft oder im Rahmen einer Veranlagung des Dividendenempfängers erhoben werden kann.5 In Art. 10 Abs. 2 OECD-MA sind die Quellensteuersätze für Schachteldividenden auf 5 % und für Streubesitzdividenden auf 15 % der Bruttobeträge begrenzt.6

19.346

Die Begrenzung der Quellensteuersätze gilt nur für den Fall, dass der Dividendenempfänger zugleich auch der im anderen Vertragsstaat (Wohnsitzstaat) ansässige7 Nutzungsberechtigte ist.8 Hierdurch soll vermieden werden,9 dass nichtabkommensberechtigte Personen (zur Abkommensberechtigung Rz. 19.169 ff.) sich abkommensberechtigter Personen bedienen, um Abkommensvorteile in Anspruch zu nehmen (sog. Treaty-Shopping; hierzu Rz. 19.127). Nach den maßgeblichen Verteilungsnormen der DBA (Art. 10 Abs. 2 OECD-MA) unterbleibt eine Quellensteuerreduktion in allen Fällen, in denen Nutzungsberechtigte und formale Zahlungsempfänger personenverschieden sind. Ist allerdings die Zahlung an den formalberechtigten Zahlungsempfänger zugleich als Zahlung an den Nutzungsberechtigten anzusehen, wie etwa im Falle der Zahlung an einen Treuhänder, so liegt keine Personendivergenz vor mit der Folge,

19.347

1 BFH v. 14.10.1992 – I R 1/91, BStBl. II 1993, 189; BFH v. 7.11.1990 – I R 68/88, BStBl. II 1991, 177; BFH v. 20.4.1999 – VIII R 38/96, BStBl. II 1999, 647; Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 218; Gaffron in Haase3, Art. 10 OECD-MA Rz. 140; vgl. auch BFH v. 28.10.2009 – I R 116/08, BStBl. II 2011, 898; Intemann, NWB 2010, 2295 (2298); BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 S 2750a – 7/03, BStBl. I 2003, 292, Rz. 6. 2 §§ 262 ff.; 271 AktG; 60 ff.; 72 GmbHG. 3 Dötsch/Werner in D/P/M, § 20 EStG Rz. 172 ff.; Buge in H/H/R, § 20 EStG Rz. 124 f.; Bleschick in Kirchhof21, § 20 EStG Rz. 58. 4 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 218; Grützner in G/K/G/K, Art. 10 OECD-MA Rz. 62/2. 5 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 36. 6 Zur deutschen Abkommenspraxis Übersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 67. 7 Bei Ansässigkeit im Quellenstaat oder in einem Drittstaat entfällt die Quellensteuerbegrenzung; zu einzelnen Fallgruppen Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 73. 8 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 42 f.; Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 68. 9 Die Regelung entspricht dem § 20 Abs. 5 EStG.

Schaumburg/Häck | 893

Kap. 19 Rz. 19.347 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

dass eine entsprechende Quellensteuerreduktion eintritt, wenn der Nutzungsberechtigte in dem anderen Vertragsstaat ansässig ist.1

19.348

Die vorstehende auf Vermeidung eines Treaty-Shopping ausgerichtete Beneficiary-Klausel2 ist in den jüngeren deutschen DBA durchweg enthalten.3

19.349

Darüber hinaus sind in wenigen deutschen DBA auch Subject-to-Tax-Klauseln4 verankert, nach denen die Quellensteuerreduktion bspw. davon abhängig ist, dass die betreffenden Dividenden in den Wohnsitzstaat überwiesen werden und dort tatsächlich einer Besteuerung unterliegen.5 Im Übrigen wird die abkommensrechtliche Quellensteuerbegrenzung im Grundsatz unabhängig davon gewährt, ob und in welchem Maße die ausschüttende Gesellschaft und der Dividendenempfänger der Besteuerung unterliegen. Deshalb können Steuervergünstigungen eintreten, die aus der Sicht des einen oder anderen Vertragsstaates für ungerechtfertigt gehalten werden. Einige deutsche DBA enthalten daher Sonderregelungen, die diesem Umstand dadurch Rechnung tragen, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Quellensteuerbegrenzung entfällt.6

19.350

Die in den Abkommen vorgesehene spezielle Quellensteuerbegrenzung für Schachteldividenden (Art. 10 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA) auf grundsätzlich 5 %7 ist davon abhängig, dass der nutzungsberechtigte Dividendenempfänger eine selbständig steuerpflichtige Gesellschaft (Art. 3 Abs. 1b OECD-MA; Kapitalgesellschaft) ist, die über mindestens 25 %8 des Kapitals der ausschüttenden Gesellschaft unmittelbar verfügt. Nach der Änderung des Art. 10 Abs. 2 Buchst. b OECD-MA durch das Update 2017 setzt die 5 %ige-Quellensteuerermäßigung nunmehr voraus, dass der Nutzungsberechtigte der Dividenden eine Gesellschaft ist, die während eines Zeitraums von 365 Tagen einschließlich des Tages der Dividendenzahlung unmittelbar über mindestens 25 % des Kapitals der die Dividenden zahlenden Gesellschaft verfügt.9 Die besondere Quellensteuerreduktion dient zusammen mit der Gewährung der Steuerbefreiung für diese Dividenden (internationales Schachtelprivileg) im Wohnsitzstaat der Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung (Rz. 15.3), und zwar unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung der Mehrfachbelastung von Konzerndividenden.

19.351

Die Mindestbeteiligungsquote muss allerdings grundsätzlich im unmittelbaren Verhältnis zwischen der ausschüttenden und der empfangenden Gesellschaft bestehen. Bloß mittelbare Be-

1 Tischbirek/Ismer in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 20. 2 Hierzu Rz. 19.139; ausführlich auch Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 72 ff.; Hamacher, IStR 2002, 227 ff., 259 ff. 3 Hierzu Tischbirek/Ismer in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 26. 4 Zu Einzelheiten Rz. 19.141. 5 Remittance-Base-Prinzip; vgl. Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 19e. 6 Hierzu die Abkommensübersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 67. 7 In den deutschen Abkommen gelten unterschiedliche Sätze, hierzu die Abkommensübersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 67; innerhalb der EU gem. Mutter/TochterRichtlinie bzw. gem. § 43b EStG keine Quellensteuer; vgl. hierzu Rz. 3.70 ff. 8 In deutschen DBA z.T. auf 15 oder 10 % abgesenkt; vgl. die Abkommensübersicht bei Tischbirek/ Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 67. 9 In den deutschen DBA hängt die Reduktion der Quellensteuersätze für Schachteldividenden bisher nicht davon ab, dass die Schachtelbeteiligung für eine bestimmte Mindestzeit bestanden hat. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt der Entstehung der Quellensteuerschuld nach Maßgabe des Steuerrechts des Quellenstaates.

894 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.353 Kap. 19

teiligungen reichen nicht aus.1 Das Unmittelbarkeitserfordernis sollte aus deutscher Sicht aber auch dann erfüllt sein, wenn die Anteile an der ausschüttenden Gesellschaft im Vermögen einer Personengesellschaft gehalten werden, an der ihrerseits die Muttergesellschaft beteiligt ist.2 Bei strengerer Betrachtung hätte eine entsprechende Restriktion im Hinblick auf § 8b Abs. 6 KStG, der eine Freistellung der Dividende gem. § 8b Abs. 1, 5 KStG auch bei einer über eine Personengesellschaft gehaltenen Beteiligung vermittelt, in der Praxis ohnehin keine nennenswerte Bedeutung.3 Für Schachteldividenden enthalten die deutschen DBA darüber hinaus sog. Suspensionsklauseln, nach denen zugunsten von Deutschland die abkommensrechtlich für Schachteldividenden vorgesehene Quellensteuerreduzierung suspendiert bleibt, solange der Satz der deutschen Körperschaftsteuer für ausgeschüttete Gewinne niedriger ist als der für nicht ausgeschüttete Gewinne und der Unterschied zwischen diesen beiden Sätzen 20 %-Punkte4 oder mehr beträgt. Da es derzeit keinen gespaltenen Körperschaftsteuertarif gibt (§ 23 Abs. 1 KStG), spielen die abkommensrechtlich verankerten Suspensionsklauseln aus deutscher Sicht keine Rolle.

19.352

4. Verbot extraterritorialer Besteuerung In der internationalen Abkommenspraxis wird die Besteuerung ausgeschütteter oder nicht ausgeschütteter Gewinne einer nicht ansässigen Gesellschaft untersagt (Art. 10 Abs. 5 OECDMA). Dieses Verbot extraterritorialer Besteuerung nimmt dem betreffenden Vertragsstaat die Möglichkeit, über die durch andere Verteilungsnormen (z.B. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA: Besteuerung von Betriebsstättengewinnen) eingeräumte Besteuerungsbefugnis hinaus Gewinne zu besteuern, die nicht ansässige Gesellschaften auf seinem Gebiet erwirtschaftet haben.5 So darf etwa der betreffende Vertragsstaat grundsätzlich keine von der nicht ansässigen Gesellschaft an in Drittstaaten ansässige Personen gezahlte Dividenden besteuern. Vom Verbot der extraterritorialen Besteuerung wird ausdrücklich ausgenommen die Besteuerung von Dividenden, die die nicht ansässige Gesellschaft an eine in dem betreffenden Vertragsstaat ansässige Person zahlt, oder, soweit der Gesellschafter in diesem Vertragsstaat nicht ansässig ist, die Besteuerung von Dividenden aus Beteiligungen, die tatsächlich zu einer in dem betreffenden Vertragsstaat (Quellenstaat) belegenen Betriebsstätte des Gesellschafters gehören (Art. 10 Abs. 5 OECD-MA). Schließlich darf der Vertragsstaat, in dem die Gesellschaft nicht ansässig ist, die Gewinne der Gesellschaft nicht einer Steuer für nicht ausgeschüttete Gewinne unterwerfen (Art. 10 Abs. 5 OECD-MA). 1 Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 92; das Erfordernis der Unmittelbarkeit wird allerdings nicht in allen deutschen DBA verlangt; hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 90. 2 Vgl. Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 74; Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 96; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 10 OECD-MA Rz. 42; Grützner in G/K/G/K, Art. 10 OECDMA Rz. 104 f.; Lemaitre/Lüdemann in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 5.47 f. unter Hinweis auf das entsprechende Revisionsprotokoll v. 12.3.2002 zum DBASchweiz (Art. VI Protokoll Nr. 1b zu Art. 10 Abs. 3; Gesetz v. 8.2.2003, BStBl. I 2003, 165, hierzu Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 DBA-Schweiz Rz. 67). Jedenfalls für zwischengeschaltete rein vermögensverwaltende Personengesellschaften sollte von einer Unmittelbarkeit ausgegangen werden können, vgl. zu § 43b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG BFH v. 18.5.2021 – I R 77/17, BStBl. II 2022, 114. 3 Zu diesem Aspekt Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 121 f.; zum Verhältnis zwischen § 8b Abs. 1, 5 KStG zu den abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien vgl. Rz. 18.145. 4 In einigen Abkommen wird auf eine Satzdifferenz von 15 Prozentpunkten abgestellt; vgl. die Abkommensübersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 67, 101 f., 114 f. 5 Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 245.

Schaumburg/Häck | 895

19.353

Kap. 19 Rz. 19.354 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.354

Dieses Besteuerungsverbot erstreckt sich nur auf die Gesellschaft selbst, nicht aber auf deren Gesellschafter. Die Hinzurechnungsbesteuerung nach Maßgabe der §§ 7 bis 14 AStG wird durch das abkommensrechtliche Verbot der extraterritorialen Besteuerung daher nicht gehindert.1

19.355

In den deutschen DBA ist das in der internationalen Abkommenspraxis übliche Verbot der extraterritorialen Besteuerung durchweg verankert.2 Einige deutsche DBA3 enthalten allerdings Vorbehalte zugunsten einer Quellensteuer auf Betriebsstättengewinne.4

V. Zinseinkünfte Literatur: Kommentare zu Art. 11 OECD-MA; Baumann, Internationale Kapitalerträge zwischen verbundenen Gesellschaften im Steuerrecht, Diss. Sankt Gallen 1979; Bogenschütz, Ertragsteuerliche Besonderheiten von Derivaten, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), FS für Harald Schaumburg, 2009, 209; Gaddum in Gaddum/Hofmann u.a., Zinsen im Internationalen Steuerrecht, München 1985, 1; Haun, Hybride Finanzierungsinstrumente im deutschen und US-amerikanischen Steuerrecht, Frankfurt/M. 1996; Hoffmann, Besteuerung bei internationaler Finanzierung und Kapitalverlagerung deutscher Unternehmen, Göttingen 1980; Kessler/Eicker/Obser, Die Schweiz und das Europäische Steuerrecht, IStR 2005, 658; Körner, Der Zinsartikel in der deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, ISR 2013, 165; Krause, Geldanlagen im Ausland, in Krause/Schaumburg/ Wassermeyer, Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten, Bonn 1996, 147; Lang, M., Hybride Finanzierungen im Internationalen Steuerrecht, Wien 1991; Aigner, Kapitalanlagefonds im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2001; Nieß, Der Einfluss der internationalen Besteuerung auf die Finanzierung ausländischer Grundeinheiten deutscher multinationaler Unternehmen, Bergisch Gladbach/Köln 1989; Piltz/Schaumburg, Internationale Unternehmensfinanzierung, Köln 2006; Piltz/ Schaumburg, Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, Köln 1995, 125; Sieker, Die Bestimmung der Quelle von Zinseinnahmen, IStR 1993, 413; Teneler, Die Finanzierung der ausländischen Tochtergesellschaften industrieller Unternehmen, Diss. Erlangen – Nürnberg 1976; Zielke, Gesellschafter-Fremdfinanzierung und Doppelbesteuerung in der Europäischen Union, RIW 2006, 600.

1. Allgemeines 19.356

Ebenso wie bei den Dividendeneinkünften führen auch bei den Zinseinkünften5 die Schrankenwirkungen der DBA zu einer Steuerteilung zwischen dem Wohnsitzstaat, dessen Besteuerungsbefugnis uneingeschränkt aufrechterhalten wird, und dem Quellenstaat, dessen Besteuerung der Höhe nach begrenzt wird (Art. 11 Abs. 1 und 2 OECD-MA). Diese in der internationalen Abkommenspraxis allgemein übliche Steuerteilung versteht sich als ein Kompromiss zwischen den gegensätzlichen Interessen der Kapitalgläubiger- und der Kapitalschuldnerländer.6 Da diesem Interessengegensatz zwischen Industriestaaten nur geringe Bedeutung zukommt, ist in deren DBA durchweg eine Besteuerungsbefugnis des Quellenstaates nicht vor1 BFH v. 9.11.1983 – I R 120/79, BStBl. II 1984, 468; BFH v. 29.8.1984 – I R 68/81, BStBl. II 1985, 120; BFH v. 12.7.1989 – I R 46/85, BStBl. II 1990, 113; ferner Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 255; Kaeser/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECD-MA Rz. 188. 2 Zur Abkommensübersicht Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 267. 3 Hierzu die Übersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 270. 4 Branch profits tax. 5 Nach der Terminologie des deutschen Steuerrechts sind Zinseinnahmen vor Abzug der ihnen zuzuordnenden Betriebsausgaben oder Werbungskosten angesprochen; BFH v. 29.5.1996 – I R 15/ 94, BStBl. II 1997, 57 (60, 63); Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 72. 6 Ismer in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 3.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECDMA Rz. 3; Gaddum in Gaddum/Hofmann u.a., Zinsen im Internationalen Steuerrecht, 1 (10).

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.358 Kap. 19

gesehen.1 Aus diesem Grunde sehen auch die von Deutschland mit anderen Industriestaaten geschlossenen DBA regelmäßig eine Quellensteuerbefreiung vor.2 Soweit die DBA eine Quellensteuerbefugnis einräumen, wird die Doppelbesteuerung dadurch vermieden, dass der Wohnsitzstaat des Zinsempfängers die Steuer des Quellenstaates anrechnet. Zwischen verbundenen in der EU ansässigen Unternehmen bestimmt zudem die Zins- und Lizenz-Richtlinie3 eine Quellensteuerbefreiung auf Zinszahlungen, um grenzüberschreitende Finanzbeziehungen insbesondere zwischen Konzernunternehmen innerhalb der EU gegenüber solchen innerhalb eines Mitgliedsstaates gleichzustellen (Rz. 3.74 ff.). Die Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie (Rz. 3.74 ff.) ist durch § 50g EStG umgesetzt worden, hat aber wegen der zumeist schon abkommensrechtlich vorgegebenen Freistellung keine besondere Bedeutung.4 Schließlich enthielt die zum 31.12.2015 aufgehobene Zinsrichtlinie,5 die die Zinsbesteuerung natürlicher Personen in der EU betrifft, Regelungen über einen zwischenstaatlichen Informationsaustausch. Für einen Übergangszeitraum waren in Österreich, Belgien und Luxemburg im Hinblick auf deren Bankgeheimnis anstelle des Informationsaustausches Quellensteuern auf Zinsen zeitlich gestaffelt zwischen 15 % und 35 % einzubehalten und hiervon 75 % an die jeweiligen Wohnsitzstaaten abzuliefern.6 Soweit es um das grenzüberschreitende Informationssystem geht, ist die Zinsrichtlinie auf der Grundlage des § 45e EStG durch die Zinsinformationsverordnung (ZIV) in deutsches Recht umgesetzt worden.7 Schließlich ergaben sich auch aus dem zwischen der EU und der Schweiz abgeschlossenen Zinsbesteuerungsabkommen8 bis Ende 2016 Besonderheiten dahingehend, dass die Schweiz für Zinszahlungen an in der EU ansässige natürliche Personen zeitlich gestaffelt eine Quellensteuer zwischen 15 % und 35 % erhob und 75 % entsprechend an den jeweiligen Wohnsitzstaat abführte. Anstelle der Quellensteuererhebung war optional auch eine Offenlegung der Zinserträge vorgesehen.9

19.357

Die für Zinsen geltenden Verteilungsnormen (Art. 11 OECD-MA) gehen den für Unternehmensgewinne geltenden Verteilungsnormen (Art. 7 OECD-MA) grundsätzlich vor (Art. 7 Abs. 7 OECD-MA). Das gilt auch für Zinseinnahmen, die im Rahmen der Einkünfte aus einem freien Beruf oder aus sonstiger selbständiger Arbeit10 bezogen werden.11 Die für Zinsen

19.358

1 Hierzu die Abkommensübersicht bei Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 48. 2 So auch Art. 11 Abs. 1 DE-VG, vgl. ausf. hierzu Körner, ISR 2013, 165 ff. 3 RL 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003, Nr. L 157/49 v. 26.6.2003, zuletzt geändert durch RL 2006/98/EG v. 20.11.2006, ABl. EU 2006, Nr. L 363, 19 v. 20.12.2006. 4 Gemäß § 50g Abs. 6 EStG gilt die Freistellungsregelung auch im Verhältnis zur Schweiz; hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50g EStG Rz. 21; Häck/Erdem in F/W/K, Art. 11 DBA-Schweiz Rz. 17. 5 RL 2003/48/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003, Nr. L 157/38 v. 26.6.2003, zuletzt geändert durch RL 2006/98/EG v. 20.11.2006, ABl. EU 2006, Nr. L 363/19 v. 20.12.2006, aufgehoben durch RL 2015/ 2060 EU, ABl. 301 v. 18.11.2015, 1. 6 Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 10. 7 Hierzu Bleschick in Kirchhof/Seer21, § 45e EStG Rz. 1 ff.; die ZIV ist inzwischen aufgehoben (BStBl. I 2016, 725). 8 ABl. EG Nr. L 385/30 v. 29.12.2004; abgelöst m.W.z. 1.1.2017 durch ein Abkommen über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten (AIA – Abkommen über Steuertransparenz v. 27.5.2015), dazu Anzinger, ISR 2015, 320. 9 Zu Einzelheiten Kessler/Eicker/Obser, IStR 2005, 658 ff. 10 Art. 14 OECD-MA a.F., der zwar nicht mehr im OECD-MA, aber in einigen deutschen DBA noch enthalten ist. 11 Eine dem Art. 7 OECD-MA entsprechende Bestimmung fehlt zwar in dem früher geltenden Art. 14 OECD-MA, wegen der engen Verwandtschaft beider Verteilungsnormen gilt der Vorrang des Art. 11 OECD-MA aber auch hier; Görl in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 43.

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Kap. 19 Rz. 19.358 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

maßgeblichen besonderen Verteilungsnormen treten ggü. den allgemeinen Verteilungsnormen (Art. 7 und früher Art. 14 OECD-MA) allerdings dann zurück, wenn der Zinsgläubiger in dem Staat, aus dem die Zinsen stammen,1 eine Betriebsstätte bzw. eine feste Einrichtung unterhält und die Zinsen zu deren Einkünften gehören.2 Dieser Betriebsstättenvorbehalt kommt allerdings nur dann zur Entfaltung, wenn die den Zinsen zugrunde liegenden Forderungen tatsächlich3 zu dieser im Quellenstaat belegenen Betriebsstätte oder festen Einrichtung gehören (Art. 11 Abs. 4 OECD-MA). Eine Attraktivkraft der Betriebsstätte gibt es nicht.4 Im Hinblick darauf sind etwa Zinsen für an eine Personengesellschaft hingegebene Gesellschafterdarlehen regelmäßig5 dem Art. 11 OECD-MA auch für den Fall zuzuordnen, dass es sich hierbei aus deutscher Sicht um Sondervergütungen gem. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG handeln sollte.6

19.359

Die Reichweite des Art. 11 OECD-MA ist begrenzt. Der Regelung dieser speziellen Verteilungsnorm sind nämlich Zinsen nur insoweit unterworfen, als sie der Höhe nach angemessen sind (Art. 11 Abs. 6 OECD-MA). Für den überhöhten Teil des gezahlten Zinsbetrages gelten die Schrankenwirkungen dieser speziellen Verteilungsnorm nicht. Als Folge ergibt sich, dass die Vertragsstaaten vorbehaltlich anderer Abkommensbestimmungen in der Besteuerung des Mehrbetrages nach Maßgabe ihres nationalen Rechts frei sind.7

19.360

Dies führt dazu, dass die den angemessenen Zins übersteigenden Beträge in aller Regel abkommensrechtlich entweder als Dividenden (Art. 10 OECD-MA) oder aber als Unternehmensgewinne (Art. 7 OECD-MA) bzw. als Einkünfte aus einem freien Beruf oder aus sonstiger selbständiger Tätigkeit8 zu qualifizieren sind.9

2. Zinsbegriff 19.361

Die für Zinsen geltenden besonderen Verteilungsnormen der DBA enthalten eine abschließende Zinsdefinition (Art. 11 Abs. 3 OECD-MA), die erst in Abgrenzung zur abkommens-

1 Hierzu im Einzelnen Sieker, IStR 1993, 413 (415 ff.). 2 Sog. Betriebsstättenvorbehalt; Art. 11 Abs. 4 OECD-MA. 3 BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 27.2.1991 – I R 96/89, BFH/NV 1992, 385; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; BFH v. 31.5.1995 – I R 74/93, BStBl. II 1995, 683; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563; BFH v. 23.10.1996 – I R 10/96, IStR 1997, 271; BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771; Häck/Erdem in F/W/K, Art. 11 DBASchweiz Rz. 86 ff.; Körner in S/D2, Art. 11 OECD-MA Rz. 86 f.; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 109; Wenz/Linn in Haase3, Art. 11 OECD-MA Rz. 120. 4 Hierzu Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 42a. 5 Abweichend in einigen deutschen Abkommen stets als Unternehmensgewinne qualifiziert; hierzu die Abkommensübersicht bei Hemmelrath in V/L7, Art. 7 OECD-MA Rz. 61 sowie unilateral § 50d Abs. 10 EStG; hierzu Rz. 19.237, 21.120 f. 6 BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 31.5.1995 – I R 74/93, BStBl. II 1995, 683; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563; BFH v. 23.10.1996 – I R 10/96, IStR 1997, 271; BFH v. 16.10.2002 – I R 17/01, BStBl. II 2003, 631; BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl II 2009, 356; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 95, 109; Wenz/Linn in Haase3, Art. 11 OECD-MA Rz. 120 ff. 7 Art. 11 Abs. 6 Satz 2 OECD-MA, der insoweit eine besondere Ausprägung des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA ist; hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 141. 8 Art. 14 OECD-MA, der zwar nicht mehr im OECD-MA, aber noch in den meisten deutschen DBA enthalten ist. 9 Zu möglichen Qualifikationskonflikten Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 130; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 148.

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.363 Kap. 19

rechtlichen Dividendendefinition ihre eigentliche Kontur gewinnt. Während Dividenden Einkünfte aus Kapitalüberlassung sind, bei der der Überlassende ein besonderes Unternehmerrisiko trägt (Rz. 19.332), sind Zinsen nur Entgelte für die Überlassung von Kapital zur Nutzung.1 Hierzu zählen insbesondere Einkünfte aus Forderungen,2 auch wenn die Forderungen dinglich gesichert oder mit einer Beteiligung am Gewinn des Schuldners ausgestattet sind, sowie Einkünfte aus öffentlichen Anleihen und aus Obligationen. Nach Maßgabe dieser Abgrenzungskriterien zählen zu den Zinsen im Wesentlichen3 Bezüge aus Spareinlagen, und zwar nicht nur fortlaufend gutgeschriebene Zinsen, sondern auch etwaige Auf- und Abzinsungsbeträge,4 öffentliche Schuldverschreibungen, Industrieobligationen und Optionsanleihen,5 wobei Erträge aus Gewinnobligationen und Wandelschuldverschreibungen in den deutschen DBA mitunter als Dividenden behandelt werden,6 ferner Bezüge aus Zerobonds,7 und Optionsscheinen.8 Abweichend von Art. 11 Abs. 3 Satz 2 OECD-MA werden in den deutschen DBA schließlich auch Verzugszinsen und sonstige Zuschläge für verspätete Zahlung zu den Zinsen gerechnet.9 Zu den Zinsen gehören grundsätzlich auch Bezüge aus einer typisch stillen Gesellschaft10 ebenso wie Zinsen und Erträge aus partiarischen Darlehen.11

19.362

Zu den als Zinsen zu qualifizierenden Einkünften aus hybriden Finanzierungen gehören ferner die Bezüge aus Genussrechten, soweit diese nicht zugleich eine Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös vermitteln.12 Zu den Zinsen zählen auch die Entgelte, die Gesellschafter für die Überlassung von Darlehen an Kapitalgesellschaften erhalten, an denen sie be-

19.363

1 Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 56; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 10 OECDMA Rz. 73 ff.; Häck/Erdem in F/W/K, Art. 11 DBA-Schweiz Rz. 42. 2 Zum Begriff der Forderung im abkommensrechtlichen Sinne ausführlich Lang, M., Hybride Finanzierungen im Internationalen Steuerrecht, 94 ff. 3 Vgl. hierzu auch das ABC bei Wenz/Linn in Haase3, Art. 11 OECD-MA Rz. 90. 4 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 84. 5 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 85 ff.; zu Differenzierungen insb. Geurts in S/K/K, Art. 11 OECD-MA Rz. 63 ff. 6 Abkommensübersicht zu Gewinnobligationen bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 204; zu Wandelschuldverschreibungen Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 85. 7 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 86; Wenz/Linn in Haase3, Art. 11 OECDMA Rz. 90; Geurts in S/K/K, Art. 11 OECD-MA Rz. 56; vgl. auch BFH v. 13.10.1987 – VIII R 156/84, BStBl. II 1988, 252. 8 Geurts in S/K/K, Art. 11 OECD-MA Rz. 65 ff. 9 Hierzu die Abkommensübersicht bei Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 61, 82. 10 Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 63a f.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 88; in nicht wenigen deutschen DBA als Dividende eingestuft; vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 204; Einkünfte aus atypisch stiller Beteiligung sind demgegenüber den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA) zuzuordnen; BFH v. 21.7.1999 – I R 110/98, BStBl. II 1999, 812; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.2.1.1, vgl. ferner Rz. 19.333. 11 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 89; in einigen deutschen Abkommen als Dividende qualifiziert; hierzu die Übersicht bei Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 204, 234. 12 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 87; Ammelung/Kubicki in G/K/G/K, Art. 11 OECD-MA Rz. 126 ff.; Geurts in S/K/K, Art. 11 OECD-MA Rz. 73.

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Kap. 19 Rz. 19.363 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

teiligt sind.1 Das gilt nicht, wenn die Gesellschafter-Fremdfinanzierung nach dem jeweiligen Recht des Quellenstaates als verdecktes Nennkapital gewertet wird.2

19.364

Hypothekenzinsen zählen grundsätzlich ebenfalls zu den Zinsen im abkommensrechtlichen Sinne. In der deutschen Abkommenspraxis werden die Zinsen aus grundpfandrechtlich gesicherten Forderungen ausnahmsweise allerdings den Einkünften aus unbeweglichem Vermögen (Art. 6 OECD-MA) zugerechnet3 mit der Folge, dass die Besteuerungsbefugnis in aller Regel ausschließlich beim Belegenheitsstaat liegt.

3. Besteuerung im Quellenstaat 19.365

In der internationalen Abkommenspraxis können Zinsen ebenso wie Dividenden sowohl im Wohnsitzstaat als auch im Quellenstaat besteuert werden. Die Besteuerung im Quellenstaat ist allerdings dahingehend eingeschränkt, dass dort lediglich eine der Höhe nach begrenzte Steuer erhoben werden darf.4 In der deutschen Abkommenspraxis ist die Besteuerungsbefugnis dem Quellenstaat überwiegend genommen.5 Für Deutschland als Quellenstaat hat diese Einschränkung der Besteuerungsbefugnis allerdings keine sehr große Bedeutung, weil Zinsen, soweit sie nicht z.B. aus dinglich gesicherten Forderungen stammen, im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht grundsätzlich ohnehin nicht der Besteuerung unterliegen.6 Soweit in der deutschen Abkommenspraxis keine Quellensteuerbefreiung vorgesehen ist, enthalten die deutschen Abkommen neben dem Regelsteuersatz von 10 % auch solche von 5 %, 15 % sowie 20 % und 25 %; in einigen Abkommen fehlt jegliche Begrenzung.7

19.366

Zinsen aus partiarischen Darlehen sowie Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen unterliegen, soweit sie als Zinsen zu qualifizieren sind (Rz. 19.333), in den neueren deutschen DBA keiner Quellensteuerbegrenzung, wenn sie im Quellenstaat bei der Ermittlung des Einkommens des Schuldners steuerlich abziehbar sind.8

19.367

Die maßgeblichen Verteilungsnormen (Art. 11 OECD-MA) gelten nicht für Zinsen, die aus dem Wohnsitzstaat des Zinsgläubigers oder aus einem Drittstaat stammen. Deshalb greift die Quellensteuerumgrenzung nur dann ein, wenn die Zinsen aus dem Vertragsstaat (Quellenstaat) stammen, in dem der Zinsschuldner ansässig ist, oder wenn, unabhängig von der Ansässigkeit des Zinsschuldners, die Zinsen für Schulden von einer Betriebsstätte oder festen Einrichtung in dem Vertragsstaat (Quellenstaat) getragen werden (Art. 11 Abs. 5 OECD-MA). Die Befugnis auch des Betriebsstättenstaates, die zu Lasten der Betriebsstätte gezahlten Zinsen zu besteuern, bedeutet einen Ausgleich dafür, dass diese Zinsen das Betriebsstättenergebnis und damit das Steuergut in diesem Staat gemindert haben.9 Diese Quellendefinition gilt jedoch nur dann, wenn die Betriebsstätte in dem jeweils anderen Vertragsstaat belegen ist. Fallen dagegen die Zinsen in einer in einem Drittstaat belegenen Betriebsstätte an, so erfasst die Quellensteu1 Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 65. 2 Zu den thin capitalisation rules Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 65; Lang, M., Hybride Finanzierungen im Internationalen Steuerrecht, 155 ff.; Zielke, RIW 2006, 600 ff. 3 Übersicht bei Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 81, 83. 4 Nach Art. 11 Abs. 2 OECD-MA darf die Steuer 10 % des Bruttobetrages (Einnahmen) nicht übersteigen. 5 Abkommensübersicht bei Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 48. 6 § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG; vgl. hierzu Rz. 6.245. 7 Abkommensübersicht bei Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 48. 8 Hierzu die Übersicht bei Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 48, 51. 9 Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECD-MA Rz. 104.

900 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.369 Kap. 19

erumgrenzung nur den Vertragsstaat, in dem der Zinsschuldner ansässig ist. In diesem Dreiecksfall kann es zu einer nicht vermeidbaren Doppelbesteuerung kommen, wenn auch der Betriebsstättenstaat eine Quellensteuer erhebt.1 Die Quellensteuerreduzierung (Art. 11 Abs. 2 OECD-MA) steht abkommensrechtlich unter dem Vorbehalt, dass der Zinsgläubiger zugleich auch der Nutzungsberechtigte2 ist (Art. 11 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA). Es handelt sich hierbei um eine abkommensspezifische Missbrauchsvorschrift, die vermeiden will, dass durch Einschaltung von Mittelspersonen die Quellensteuerreduktion erschlichen wird.3

19.368

VI. Lizenzgebühren Literatur: Kommentare zu Art. 12 OECD-MA; Borstell/Wehnert, Lizenzzahlungen im Konzern, IStR 2001, 127; Busse, Internationaler Technologietransfer und Steuerrecht, Frankfurt/Bern/Las Vegas 1978; DIHT, Hohe Hürden für Lizenzen, Bonn 1975; Greinert, Besonderheiten bei der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise im Fall der Übertragung und Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter, RIW 2006, 449; Hahn, Auslegungs- und Praxisprobleme der Zins-/Lizenz-Richtlinie: Bezugnahme auf das OECD-Musterabkommen und die Autonomie des Gemeinschaftsrechts, EWS 2008, 273; Kuebart, Verrechnungspreise im internationalen Lizenzgeschäft, Bielefeld 1995; May, Ertragsberechnung von Technologietransfer bei Vorliegen eines Doppelbesteuerungsabkommens, Baden-Baden 1994, 183; Morgenthaler, Die Lizenzgebühren im System des internationalen Einkommensteuerrechts, Heidelberg 1992; Sauer, Leasing, in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, Wien 1994, 177; Thiele/Stelzer, Die internationale Besteuerung von Lizenzgebühren für Softwareüberlassung – Das Abkommensrecht im Lichte des deutschen Urheberrechts, ISR 2018. 42; Tumpel, Software, in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, Wien 1994, 157; Uhlmann, Die Behandlung der Lizenzvergütungen im internen und im internationalen Steuerrecht der Schweiz, Diss. Zürich 1964; Voelcker, Einbringung von Lizenzen in ausländische Tochtergesellschaften bei entgegenstehendem ausländischen Recht, Diss. Hamburg 1982.

1. Allgemeines In der internationalen Abkommenspraxis wird grundsätzlich dem Wohnsitzstaat des Lizenzgebers die ausschließliche Besteuerungsbefugnis für Lizenzgebühren zugewiesen (Art. 12 Abs. 1 OECD-MA). Dieser vollständige Steuerverzicht des Quellenstaates zugunsten einer uneingeschränkten Besteuerung in dem Staat, in dem der Lizenzgeber ansässig ist, versteht sich als Ausgleich dafür, dass die vorangegangenen Entwicklungs- und Forschungskosten steuerlich zu Lasten dieses Staates gegangen sind.4 Dem entspricht im Ergebnis auch die durch § 50g EStG umgesetzte Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie (Rz. 3.74 ff.),5 wonach zwischen verbundenen in der EU ansässigen Unternehmen gezahlte Lizenzgebühren im Quellenstaat nicht be-

1 Hierzu im Einzelnen Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 135 ff.; Wenz/Linn in Haase3, Art. 11 OECD-MA Rz. 139 ff. 2 Zum Begriff Körner in S/D2, Art. 11 OECD-MA Rz. 50 f.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 57 f. 3 Tischbirek/Ismer in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 12; Lohbeck/Ruß in V/L7, Art. 11 OECDMA Rz. 36; zum Treaty-Shopping Rz. 19.127. 4 Bozza in S/D2, Art. 12 OECD-MA Rz. 3; Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 5. 5 RL 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003, Nr. L 157/49 v. 26.6.2003, zuletzt geändert durch RL 2013/13/EU des Rates v. 13.5.2013, ABl. EU Nr. L 141, 30).

Schaumburg/Häck | 901

19.369

Kap. 19 Rz. 19.369 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

steuert werden dürfen.1 Demgegenüber geht insbesondere das Interesse der Entwicklungsländer dahin, durch Erhebung einer Quellensteuer am Steueraufkommen zu partizipieren. In der deutschen Abkommenspraxis wird dem durchweg dadurch Rechnung getragen, dass Entwicklungsländern eine der Höhe nach begrenzte Quellensteuer2 zugestanden wird.3 In diesen Fällen wird die Doppelbesteuerung in Deutschland durch Anrechnung der ausländischen Quellensteuer vermieden, was allerdings bei einer auf Bruttobasis erhobenen Quellensteuer und entsprechend niedriger Umsatzrendite nicht selten zu erheblichen Anrechnungsüberhängen führt (Rz. 18.112).

19.370

Die für Lizenzgebühren geltenden Verteilungsnormen (Art. 12 OECD-MA) gehen den Verteilungsnormen für Unternehmensgewinne (Art. 7 OECD-MA) grundsätzlich vor (Art. 7 Abs. 7 OECD-MA).4 Das gilt auch für Lizenzgebühren, die im Rahmen der Einkünfte aus einem freien Beruf oder aus sonstiger selbständiger Arbeit5 bezogen werden.6 Aufgrund des Betriebsstättenvorbehalts7 zählen die Lizenzgebühren aber dann wiederum zu den Unternehmensgewinnen, wenn der Lizenzgeber in dem Staat, aus dem die Lizenzgebühren stammen, eine Betriebsstätte unterhält und die Lizenzgebühren dieser Betriebsstätte zuzurechnen sind (Betriebsstättenvorbehalt). Dies setzt voraus, dass das zugrunde liegende Stammrecht (Patent, Know-how, Marken usw.) tatsächlich zur Betriebsstätte gehört.8 Hierfür reicht es nicht aus, dass das zugrunde liegende Stammrecht bzw. Wirtschaftsgut, für das die Lizenzgebühren gezahlt werden, das Betriebsstättenvermögen verstärkt; erforderlich ist vielmehr ein funktionaler Zusammenhang mit der Tätigkeit der Betriebsstätte.9 Für die Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter zu einer Betriebsstätte nach funktionalen Maßstäben stellt der BFH10 darauf ab, wo und von wo die Rechte verwaltet und vermarktet werden. Die von der Finanzverwaltung angewandten Grundsätze des § 1 Abs. 5 AStG werden für Zwecke der Zuordnung von immateriellen Werten wie Marken, Patenten und Know-how durch § 6 BsGaV näher konkretisiert.11 Danach ist die maßgebliche (primäre) Personalfunktion bei der Zuordnung eines immateriellen Werts i.S.d. § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 6 BsGaV dessen Schaffung oder Erwerb.12 Im Hin-

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9 10 11 12

Zu Praxisproblemen Hahn, EWS 2008, 273 ff. Zumeist 10 % und 15 %. Abkommensübersicht bei Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 39. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 8; Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 6. Vormals Art. 14 OECD-MA. Eine dem Art. 7 Abs. 7 OECD-MA entsprechende Bestimmung fehlt zwar im vormaligen Art. 14 OECD-MA, wegen der engen Verwandtschaft beider Verteilungsnormen gilt der Vorrang des Art. 12 OECD-MA aber auch hier; Görl in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 43; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 10. Art. 12 Abs. 3 OECD-MA. BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 27.2.1991 – I R 96/89, BFH/NV 1992, 385; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; BFH v. 31.5.1995 – I R 74/93, BStBl. II 1995, 683; modifizierend BFH v. 29.11.2000 – I R 87/99, BStBl. II 2002, 655; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 102 f.; Bozza in S/D2, Art. 12 OECD-MA Rz. 130 ff.; Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 61; von Pannwitz in Haase3, Art. 12 OECD-MA Rz. 148. BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563; BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 103. BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, BFH/NV 2011, 138. Zu Auslegung des § 6 BsGaV hat die Finanzverwaltung ausführlich in den Rz. 85 ff. der VWG BsGa v. 22.12.2016 Stellung genommen. Dazu weitergehend Ditz in S/D2, DBA, Art. 7 (2008) Rz. 132.

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.372 Kap. 19

blick darauf können die für notwendiges und gewillkürtes Betriebsvermögen geltenden Grundsätze des deutschen Steuerrechts1 nicht ohne weiteres übernommen werden. Ebenso wenig gehört Sonderbetriebsvermögen2 abkommensrechtlich ohne weiteres zum Betriebsstättenvermögen: Zwar ist jede Betriebsstätte der Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) zugleich auch eine Betriebsstätte des Unternehmens eines jeden Gesellschafters (Rz. 19.243), die nach den Grundsätzen des § 15 EStG gebotene Zuordnung zum Sonderbetriebsvermögen beruht aber auf rechtlichen Erwägungen, die für den Betriebsstättenvorbehalt in Art. 12 Abs. 3 OECDMA ohne Bedeutung sind. Damit gehört Sonderbetriebsvermögen allenfalls in Ausnahmefällen tatsächlich zum Betriebsstättenvermögen der Personengesellschaft (Rz. 19.392). Entsprechendes gilt in Orientierung an den früher geltenden Art. 14 OECD-MA für die feste Einrichtung eines Selbständigen, der Einkünfte aus einem freien Beruf oder aus sonstiger selbständiger Arbeit bezieht. Der Vorrang der für Lizenzgebühren geltenden Verteilungsnormen gilt nur insoweit, als die Lizenzgebühren der Höhe nach angemessen3 sind (Art. 12 Abs. 4 OECD-MA). Dieser Angemessenheitsvorbehalt gilt allerdings nur für den Fall besonderer Beziehungen zwischen dem Schuldner der Lizenzgebühren und dem Nutzungsberechtigten oder zwischen jedem der Beiden und einem Dritten.4 Angesprochen sind damit insbesondere Lizenzzahlungen im grenzüberschreitenden Konzernverbund. Für den überhöhten Teil der Lizenzgebühren gelten die Schrankenwirkungen des Art. 12 OECD-MA nicht. Als Folge ergibt sich, dass überhöhte Lizenzbeträge abkommensrechtlich entweder als Dividenden (Art. 10 OECD-MA) oder als Unternehmensgewinne (Art. 7 OECD-MA) bzw. als Einkünfte aus einem freien Beruf oder aus sonstiger selbständiger Tätigkeit5 zu qualifizieren sind.

19.371

2. Lizenzbegriff Die für Lizenzgebühren geltenden besonderen Verteilungsnormen der DBA enthalten eine abschließende Definition des Begriffs Lizenzgebühr.6 Ein Rückgriff auf innerstaatliches Recht ist daher ausgeschlossen.7 Der abkommensrechtliche Begriff der Lizenzgebühr ist sehr weit und umfasst alle Vergütungen, die als Gegenleistung gezahlt werden für die Benutzung oder das Recht auf Benutzung von Urheberrechten, Patenten, gewerblichen Schutzrechten und Erfahrungen. Zu den Vergütungen zählen nicht nur laufende, periodisch wiederkehrende Zahlungen, sondern auch einmalige Zahlungen.8 Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, auf 1 Loschelder in Schmidt41, § 4 EStG Rz. 35 f. 2 Hierzu Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 506 ff. 3 Zur Angemessenheit von Lizenzgebühren im Einzelnen Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.571 ff.; Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 78 ff.; Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 103 ff.; Greinert, RIW 2006, 449. 4 Für Zwecke der Auslegung kann hier auf § 1 Abs. 2 AStG und § 50g Abs. 2 Nr. 2 EStG zurückgegriffen werden; hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 125; von Pannwitz in Haase3, Art. 12 OECD-MA Rz. 164. 5 Früher Art. 14 OECD-MA. 6 Art. 12 Abs. 2 OECD-MA. 7 Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 54; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 55; Bozza in S/D2, Art. 12 OECD-MA Rz. 82; Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 32; Dorfmüller in G/K/G/K, Art. 12 OECD-MA Rz. 46. 8 Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 55; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 55; Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 34; Bozza in S/D2, Art. 12 OECD-

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19.372

Kap. 19 Rz. 19.372 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

welcher Bemessungsgrundlage die Lizenzgebühren berechnet werden. So sind neben Umsatzlizenzgebühren auch gewinnabhängige Lizenzgebühren sowie Stücklizenzgebühren durchaus üblich. Zu diesen Vergütungen gehören nicht nur vereinbarte Nutzungsentgelte, sondern auch jede Art von Schadensersatz, etwa wegen Rechtsverletzungen.1 Die im Zusammenhang mit Schutzrechten, Erfahrungen usw. bezogenen Entgelte sind nur dann Lizenzgebühren, wenn sie für deren Benutzung oder für das Recht auf deren Benutzung gezahlt werden. Entgelte für die Veräußerung dieser Lizenzgegenstände sind grundsätzlich keine Lizenzgebühren.2 Ob eine zeitlich begrenzte Nutzung oder eine Veräußerung eines Rechtes oder eines Vermögenswertes gegeben ist, beurteilt sich letztlich nach den vertraglichen Vereinbarungen. Im Hinblick darauf kann auch die Überlassung von Know-how zeitlich begrenzt erfolgen, obwohl das überlassene Erfahrungswissen dem Lizenznehmer nicht mehr genommen werden kann.3 Wird aufgrund eines Vertrages ein Entgelt sowohl für die Veräußerung als auch für die Nutzung von Lizenzgegenständen gezahlt, so hat eine entsprechende Aufteilung zu erfolgen, soweit das eine oder andere Leistungselement nicht lediglich eine untergeordnete Nebenleistung darstellt.4 Ist dagegen eine Lizenzvergütung im Kaufpreis etwa für eine Ware nur einkalkuliert, ohne dass hierfür eine gesonderte Zahlung erfolgt, so liegt ebenfalls keine Lizenzgebühr im abkommensrechtlichen Sinne vor.

19.373

Von der Überlassung insbesondere von Erfahrungswissen ist die Beratung zu unterscheiden. Das Beratungshonorar fällt nicht unter die Lizenzgebühr im abkommensrechtlichen Sinne, da der Berater seine Erfahrungen nicht mitteilt, sondern selbst verwendet.5 Daher zählen auch Entgelte für technische Dienstleistungen grundsätzlich nicht zu den Lizenzgebühren im abkommensrechtlichen Sinne.6 Bei gemischten Verträgen bedarf es stets einer Aufteilung der Entgelte, so etwa bei Franchiseverträgen, bei denen die Entgelte für eine Markenlizenz abzugrenzen sind von den Entgelten für Beratungsleistungen und Finanzierungen.7

19.374

Im Einzelnen werden vom Lizenzbegriff folgende Lizenzgegenstände erfasst: Urheberrechte8 an literarischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Werken, zu denen auch die Com-

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MA Rz. 83; zur Abgrenzung zu Veräußerungsgewinnen Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 11. Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 60; Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 35. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 87; zu den Ausnahmen in der deutschen Abkommenspraxis Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 102. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 87; Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 38; Käbisch/Strunk in S/K/K, Art. 12 OECD-MA Rz. 48; a.A. BFH v. 4.3.1970 – I R 140/66, BStBl. II 1970, 428; wonach eine zeitlich begrenzte Nutzung ausgeschlossen sei. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 90; Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 36. Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 71; Dorfmüller in G/K/G/K, Art. 12 OECD-MA Rz. 96; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 89; Bozza in S/D2, Art. 12 OECDMA Rz. 122. Zu Ausnahmen in der deutschen Abkommenspraxis Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 98. OECD-MK zu Art. 12 Abs. 2 OECD-MA, Rz. 11.6. Zu Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 61 ff.; Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 77; Bozza in S/D2, Art. 12 OECD-MA Rz. 100 ff.; Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 43.

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.376 Kap. 19

puter-Software gehört,1 Marken, Muster und Modelle,2 zu denen das Recht gehört, den als Marke geschützten Konzernnamen zu führen, soweit diesem ein eigenständiger Wert zukommt,3 nicht aber das Recht etwa als Vertriebsgesellschaft erworbene Waren mit einer Marke zu vertreiben,4 ferner Patente, Pläne, geheime Formeln oder Verfahren5 sowie Know-how,6 zu dem nicht nur technisches, sondern auch kaufmännisches Erfahrungswissen gehört. Vom Lizenzbegriff des Art. 12 Abs. 2 OECD-MA werden Entgelte für die Überlassung gewerblicher, kaufmännischer oder wissenschaftlicher Ausrüstungen nicht erfasst mit der Folge, dass insbesondere Leasinggebühren nicht als Lizenzgebühren zu qualifizieren sind. Diese Ausgrenzung7 beruht auf der Erwägung, dass eine Quellensteuer auf (Brutto-)Leasinggebühren im Hinblick auf die schmalen Gewinnspannen im Leasinggeschäft zu einer Überbesteuerung führt.8 Obwohl Leasinggebühren, zu denen insbesondere auch die Entgelte für die zeitlich begrenzte Überlassung von Schiffen, Flugzeugen, Containern und Krananlagen gehören, hiernach den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA) zuzurechnen sind, werden sie in der den OECDMA 1963 und 1977 folgenden deutschen Abkommenspraxis durchweg (noch) als Lizenzgebühren qualifiziert.9

19.375

3. Besteuerung im Wohnsitzstaat und Quellenstaat Während in der internationalen Abkommenspraxis die Befugnis zur Besteuerung von Lizenzgebühren10 ausschließlich dem Wohnsitzstaat zusteht, wird in den deutschen DBA abweichend hiervon nicht selten dem Quellenstaat eine der Höhe nach begrenzte Quellensteuer auf Bruttobasis zugestanden.11 Unter die Schrankenwirkungen des DBAs fallen aber nur diejenigen Lizenzgebühren, die aus dem jeweils anderen Vertragsstaat stammen. Lizenzgebühren aus Drittstaaten unterliegen nicht den Lizenzartikeln, sondern den für andere Einkünfte geltenden Verteilungsnormen der DBA.12 Die Lizenzartikel der DBA enthalten zwar keine Regelung darüber, woher die Lizenzgebühren stammen müssen; in Analogie zu den entsprechenden Regelungen der Zinsartikel (Art. 11 Abs. 5 OECD-MA) ist hierbei jedoch grundsätzlich auf die

1 Zu Einzelheiten Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 79 f.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 63 ff.; von Pannwitz in Haase3, Art. 12 OECD-MA Rz. 91 ff.; Thiele/Stelzer, ISR 2018, 42 ff; Tumpel in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 157 ff. 2 Zu Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 68 ff.; Bozza in S/D2, Art. 12 OECD-MA Rz. 114 ff. 3 BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140; Borstell/Wehnert, IStR 2001, 127 ff. 4 BFH v. 27.7.1988 – I R 130/84, BStBl. II 1989, 101; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECDMA Rz. 68. 5 Zu Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 74 ff. 6 Zu Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 81. 7 Durch das OECD-MA 1992; nach den OECD-MA 1963 und 1977 gehörten die Leasinggebühren noch zu den Lizenzgebühren. 8 Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 76, 96; Sauer in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 177 (191 f.); das Argument der Überbesteuerung trifft allerdings für alle Fälle der Quellenbesteuerung auf Bruttobasis zu. 9 Hierzu die Abkommensübersicht bei Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 98. Zu Art. 12 DBA-Schweiz Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 50. 10 Im Sinne von Einnahmen; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 56. 11 Abkommensübersicht bei Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 98. 12 Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 24; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 28.

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19.376

Kap. 19 Rz. 19.376 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

Ansässigkeit des Schuldners der Lizenzgebühren abzustellen.1 Die Abkommensschranken entfalten sich schließlich nur dann, wenn der Empfänger der Lizenzgebühren in dem jeweils anderen Vertragsstaat ansässig ist. Hierbei ist auf den Nutzungsberechtigten (Rz. 19.139) abzustellen. Auf diese Weise soll die missbräuchliche Inanspruchnahme von Abkommensvergünstigungen durch an sich nicht abkommensberechtigte Personen vermieden werden (zum Treaty-Shopping Rz. 19.127).

19.377

Soweit in deutschen DBA Deutschland als Quellenstaat eine Quellensteuerbefugnis zusteht,2 wird die Quellensteuer gem. § 50a Abs. 2 Satz 2 EStG vom Bruttobetrag ohne Berücksichtigung etwa an ausländische Lizenzgeber in bestimmter Höhe3 erstatteter Fahrt- und Übernachtungskosten erhoben. Soweit gem. § 13b Abs. 1, 2 UStG der inländische Leistungsempfänger die Mehrwertsteuer schuldet,4 ist diese nicht Bestandteil der Bemessungsgrundlage.5 Soweit Deutschland als Quellenstaat abkommensrechtlich keine Quellensteuer erheben darf, wird die Freistellung entweder im Erstattungsverfahren (§ 50c Abs. 3 EStG) oder im Freistellungsverfahren (§ 50c Abs. 2 EStG) umgesetzt (Rz. 6.304 ff.).

VII. Veräußerungsgewinne Literatur: Kommentare zu Art. 13 OECD-MA; Brons, Nationale und internationale Besteuerung der Seeschifffahrt, Bielefeld 1990; Fischer (Hrsg.), Internationaler Unternehmenskauf und -zusammenschluss im Steuerrecht, Köln 1992; Hruschka, Funktional veranlasstes Betriebsstättenvermögen, in Gosch/Schnittger/Schön (Hrsg.), FS für „Jürgen Lüdicke“, 2019, 295; Kessler/Arnold, Immobilieninvestitionen über Kapitalgesellschaften, IWB 2014, 60; Lieber, Zur Reichweite der beschränkten Steuerpflicht bei Immobilien und Immobiliengesellschaften, in FS Kroppen, 2020, 683; Piltz, Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen unter den Doppelbesteuerungsabkommen (OECD-Musterabkommen und DBA-Schweiz), IStR 1996, 457; Plewka/Beck, Qualifikation als Immobiliengesellschaft nach dem Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2007, 125; Porebski/Schade, Die nationale Immobilienkapitalgesellschaftsklausel, IStR 2020, 249.

1. Allgemeines 19.378

In der internationalen Abkommenspraxis ist im Grundsatz derjenige Vertragsstaat berechtigt, Veräußerungsgewinne zu besteuern, der vor der Veräußerung die aus dem veräußerten Vermögenswert fließenden Erträge besteuern durfte.6

19.379

Was unter Veräußerungsgewinnen zu verstehen ist, regeln die DBA zumeist nicht. Aus diesem Grunde entscheidet, soweit keine Auslegung aus dem Abkommenszusammenhang möglich ist, letztlich das jeweilige nationale Recht (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA), was hierzu zu rechnen ist.7

1 Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 25; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 28; Häck in F/W/K, Art. 12 DBA-Schweiz Rz. 25. 2 Abkommensübersicht bei Lohbeck/Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 39. 3 Pauschbeträge gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG. 4 Reverse Charge-Verfahren. 5 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350, Rz. 45. 6 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 2; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 1; Schütte in Haase3, Art. 13 OECD-MA Rz. 3; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBA-Schweiz Rz. 12. 7 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 3, 28; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 3; dagegen von einem eigenständigen Abkommensbegriff ausgehend Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 3; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBA-Schweiz Rz. 58; einschränkend ebenfalls Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 15.

906 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.384 Kap. 19

Aus deutscher Sicht zählen zu den Veräußerungsgewinnen1 insbesondere Gewinne2 aus Verkaufs- und Tauschgeschäften, aus der Einbringung von Vermögenswerten in eine Gesellschaft, aus einer Betriebsaufgabe, aus der Entnahme von Betriebsvermögen sowie aus Umwandlung, ferner aus einer Liquidation oder Kapitalherabsetzung, soweit diese nicht dem Regelungsbereich der Dividendenartikel unterliegt (Rz. 19.343 ff.). Wie das Entgelt für die Veräußerung letztlich ausgestaltet ist, spielt keine Rolle. Daher beurteilt sich die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen gegen Rente nicht etwa nach den für andere Einkünfte, sondern nach den für Veräußerungsgewinne geltenden Verteilungsnormen.3

19.380

2. Gewinne aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens Für Gewinne aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens gilt das Belegenheitsprinzip, so dass die Besteuerungsbefugnis des Staates, in dem das unbewegliche Vermögen belegen ist, keinen abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen unterliegt.4 Im Wohnsitzstaat wird die Doppelbesteuerung entweder durch Steuerfreistellung oder durch Steueranrechnung vermieden. In der deutschen Abkommenspraxis steht dabei die Steuerfreistellung im Vordergrund.5

19.381

Das Belegenheitsprinzip gilt grundsätzlich auch für die Gewinne aus der Veräußerung von unbeweglichem Betriebsvermögen und von Vermögen, das zu einer festen Einrichtung6 gehört,7 und zwar unabhängig davon, ob es sich um Anlage- oder Umlaufvermögen handelt.8 Für die Veräußerung von Anteilen an Immobiliengesellschaften gilt auf Grund der Sonderregelung in Art. 13 Abs. 4 OECD-MA ebenfalls das Belegenheitsprinzip (Rz. 19.396 ff.).

19.382

Eine Abweichung vom Belegenheitsprinzip zugunsten des Betriebsstättenprinzips ist in der deutschen Abkommenspraxis die seltene Ausnahme.9 Das Belegenheitsprinzip gilt nur dann, wenn das unbewegliche Vermögen im anderen Vertragsstaat – und nicht in Drittstaaten – belegen ist. Für in Drittstaaten belegenes unbewegliches Vermögen verbleibt es bei der Besteuerungsbefugnis des Wohnsitzstaates (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA), sofern nicht ein mit dem Drittstaat bestehendes DBA diesem die Besteuerungsbefugnis zuteilt.

19.383

In der internationalen Abkommenspraxis wird der Begriff des unbeweglichen Vermögens in den für die Einkünfte und für die Veräußerungsgewinne geltenden Verteilungsnormen glei-

19.384

1 Zu Einzelheiten Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 10 ff.; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBASchweiz Rz. 59 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 26 ff.; Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 17 ff. 2 Erfasst werden sowohl positive als auch negative Einkünfte nach Berücksichtigung von Betriebsausgaben oder Werbungskosten; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 Rz. 46, 86; Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 22. 3 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 36; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 36; Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 24. 4 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 46; Lieber in S/D2, Art. 13 OECD-MA Rz. 24. 5 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 6 Seit 2000 im OECD-MA nicht mehr enthalten. 7 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 50, 63. 8 BFH v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; Schütte in Haase3, Art. 13 OECD-MA Rz. 25; Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 37. 9 DBA-Schweden; vgl. Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 73.

Schaumburg/Häck | 907

Kap. 19 Rz. 19.384 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

chermaßen definiert. Das bedeutet, dass insoweit auf das Recht des Belegenheitsstaates abzustellen ist.1

3. Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Betriebsvermögens 19.385

Für Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Betriebsvermögens einer Betriebsstätte und beweglichen Vermögens, das zu einer festen Einrichtung im Sinne des vormaligen Art. 14 OECD-MA gehört,2 gilt das Betriebsstättenprinzip, so dass der Vertragsstaat der Betriebsstätte oder der festen Einrichtung zur Besteuerung befugt ist, ohne den Schrankenwirkungen des Abkommens zu unterliegen (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA). Befindet sich das im anderen Staat belegene bewegliche Betriebsvermögen dagegen in einer in einem Drittstaat oder im Wohnsitzstaat belegenen Betriebsstätte, kommt nicht Art. 13 Abs. 2 OECD-MA, sondern Art. 13 Abs. 5 OECD-MA zur Anwendung, so dass nur der Wohnsitzstaat steuerberechtigt bleibt.3 Soweit Art. 13 Abs. 2 OECD-MA eingreift, wird im Wohnsitzstaat die Doppelbesteuerung entweder durch Freistellung oder durch Steueranrechnung vermieden. In der deutschen Abkommenspraxis gilt in der Regel die Steuerfreistellung.4 Da die DBA selbst keine Definition des beweglichen Vermögens enthalten, lässt sich dieser Begriff nur in Abgrenzung zum Begriff des unbeweglichen Vermögens erschließen.5 Danach zählen zum beweglichen Vermögen alle materiellen und immateriellen Vermögenswerte, die nicht unbewegliches Vermögen darstellen,6 insbesondere also Forderungen, Lizenzrechte, Patentrechte,7 Wertpapiere, Firmenwert und Beteiligungen an Kapitalgesellschaften.8

19.386

Als dem Art. 13 Abs. 2 OECD-MA zuzuordnende Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften sind grundsätzlich auch Gewinne zu qualifizieren, die aufgrund von Umwandlungen von Kapitalgesellschaften entstehen.9 Da mangels einer eigenständigen Abkommensdefinition sich letztlich nach nationalem Recht des jeweiligen Vertragsstaates beurteilt, was unter Veräußerungsgewinn zu verstehen ist,10 kommt es für die Besteuerung des Gesellschafters allein darauf an, ob die vorgenannten gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen nach dem Steuerrecht des Betriebsstättenstaates zu einer gewinnrealisierenden Veräußerung führen oder nicht. Erforderlich ist aber stets eine Vermögensübertragung, so dass etwa die bloße Fiktion des § 9 UmwStG im Falle des Formwechsels einer Kapitalgesellschaft 1 Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 OECD-MA; Einzelheiten zum Begriff des unbeweglichen Vermögens Rz. 19.224. 2 In Abgrenzung zu Art. 7 Abs. 1 OECD-MA wird nur die Veräußerung von Anlagevermögen erfasst; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 2; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBASchweiz Rz. 28; Lieber in S/D2, Art. 13 OECD-MA Rz. 48; wird die Betriebsstätte insgesamt veräußert, hat eine entsprechende Aufteilung zu erfolgen; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 78; Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 91. 3 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 83. 4 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 5 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 77. 6 Schütte in Haase3, Art. 13 OECD-MA Rz. 42; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 77. 7 Soweit die Veräußerung der Rechte (ausnahmsweise) nicht unter die Lizenzartikel fällt; Lohbeck/ Schwarz in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 89. 8 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 79 ff; Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 60; Schütte in Haase3, Art. 13 OECD-MA Rz. 42. 9 Hierzu Wassermeyer in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 ff. 10 Art. 3 Abs. 2 OECD-MA.

908 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.388 Kap. 19

in eine Personengesellschaft nicht auf das Abkommensrecht durchschlägt.1 Die steuerliche Behandlung im (anderen) Ansässigkeitsstaat der Kapitalgesellschaft ist ohne Bedeutung. Aus der Sicht Deutschlands als Betriebsstättenstaat2 entstehen bei der Umwandlung unbeschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften keine steuerpflichtigen Veräußerungsgewinne, wenn hierfür die entsprechenden Voraussetzungen des Umwandlungssteuergesetzes oder des § 8b Abs. 3 KStG (Rz. 18.174; 20.26 ff.) gegeben sind. Für die Umstrukturierung ausländischer Kapitalgesellschaften3 gelten dagegen aus der Sicht Deutschlands als Betriebsstättenstaat4 folgende Rechtsgrundsätze: Entspricht die Umstrukturierung einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung deutschen Rechts,5 erfolgt eine Besteuerung stiller Reserven im Zuge eines Anteilstauschs oder wie bei einer Liquidation einer ausländischen Kapitalgesellschaft.6 Der Tauschgewinn ist ebenso wie der Liquidationsgewinn abkommensrechtlich Veräußerungsgewinn,7 es sei denn, es handelt sich nach dem Recht des Ansässigkeitsstaates der ausländischen Kapitalgesellschaft (Quellenstaat) um Dividenden (Rz. 19.331 ff.). Stellt sich die Umstrukturierung der ausländischen Kapitalgesellschaft aus deutscher Sicht als Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) dar, ist bereits mangels Vermögensübertragung abkommensrechtlich ein Veräußerungsgewinn nicht gegeben (Rz. 20.180). Soweit ein rechtsformüberschreitender Formwechsel (vgl. § 9 UmwStG) zu einer Gewinnrealisierung führt, sind andere Einkünfte (Art. 21 OECD-MA) gegeben.8

19.387

Beteiligungen an Personengesellschaften sind nach deutschem Steuerrecht keine selbständigen Wirtschaftsgüter,9 so dass hiernach nicht auf die Veräußerung der Beteiligung an der Personengesellschaft selbst, sondern auf die Veräußerung der tatsächlich zum Vermögen gehörenden Wirtschaftsgüter abzustellen ist. Abkommensrechtlich ist dagegen die Veräußerung von Anteilen an Personengesellschaften stets die Veräußerung einer Betriebsstätte, auf die Art. 13 Abs. 2 OECD-MA Anwendung findet,10 soweit nicht auch unbewegliches Vermögen mitveräußert wird.11 Diese abweichende Beurteilung beruht darauf, dass abkommensrechtlich die

19.388

1 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 Rz. 30; a.A. Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, 255. 2 Entsprechendes gilt aus der Sicht als Wohnsitzstaat bei der Anwendung des Art. 13 Abs. 5 OECD-MA. 3 Zum ausländischen Umwandlungssteuerrecht Grotherr in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 152 ff. 4 Inländische Muttergesellschaft mit Tochtergesellschaft im Ausland; entsprechend bei Anwendung des Art. 13 Abs. 5 OECD-MA: inländische Anteilseigner mit Beteiligungen an ausländischer Kapitalgesellschaft. 5 §§ 2 ff., 123 ff., 174 ff. UmwG. 6 BFH v. 22.2.1989 – I R 11/85, BStBl. II 1989, 794; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECDMA Rz. 22. 7 Zum DBA-Österreich BFH v. 22.2.1989 – I R 11/85, BStBl. II 1989, 794; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 30, 73. 8 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 30; Wassermeyer in Schaumburg/ Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (124). 9 BFH v. 19.2.1981 – IV R 41/78, BStBl. II 1981, 730. 10 BFH v. 18.5.1983 – I R 5/82, BStBl. II 1983, 771; BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBA-Schweiz Rz. 95; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 79; Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 60. 11 Insoweit greift Art. 13 Abs. 1 OECD-MA ein; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 79; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 3.2.

Schaumburg/Häck | 909

Kap. 19 Rz. 19.388 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

Beteiligung an einer Personengesellschaft wie eine vom Gesellschafter betriebene Betriebsstätte anzusehen1 ist.

19.389

Aus der Sicht Deutschlands als Betriebsstättenstaat entstehen bei der Umwandlung von inländischen Personengesellschaften keine steuerpflichtigen Veräußerungsgewinne, wenn hierfür die entsprechenden Voraussetzungen des Umwandlungssteuergesetzes, des steuerneutralen Betriebsvermögenstransfers2 oder der Realteilung3 gegeben sind. Die Umstrukturierung ausländischer Personengesellschaften4 führt abkommensrechtlich zu Veräußerungsgewinnen,5 es sei denn, es handelt sich aus deutscher Sicht um einen Formwechsel in eine Personengesellschaft anderer Rechtsform (Rz. 20.180).

19.390

Das Betriebsstättenprinzip gilt nur für bewegliches Betriebsvermögen. Es muss sich also um Vermögenswerte handeln, die einer Betriebsstätte (Art. 5 OECD-MA) oder einer festen Einrichtung6 zuzurechnen sind.7 Welche Vermögensteile der Betriebsstätte zuzurechnen sind, wird zwar nicht unmittelbar in Art. 13 Abs. 2 OECD-MA geregelt, ergibt sich aber aus dem Abkommenszusammenhang, und zwar insbesondere aus den zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 OECD-MA geltenden Grundsätzen (Rz. 19.264) sowie aus den abkommensrechtlichen Regelungen über den Betriebsstättenvorbehalt, die in den für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren maßgeblichen Verteilungsnormen enthalten sind (Art. 10 Abs. 4; 11 Abs. 4; 12 Abs. 3 OECD-MA).8 Damit wird der erkennbaren Wertung der DBA entsprochen, wonach das Recht zur Versteuerung des Veräußerungsgewinns dem Staat zustehen soll, der berechtigt ist, sowohl den Vermögenswert als auch die Einkünfte daraus zu besteuern.9

19.391

Diese Betriebsstättenvorbehalte stellen darauf ab, ob die Vermögensteile, aus denen die Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren stammen, tatsächlich zur Betriebsstätte gehören. Die „tatsächliche Zugehörigkeit“ von Vermögensteilen zum Betriebsstättenvermögen kann zumeist in den Fällen bejaht werden, in denen aus der Sicht des deutschen Steuerrechts unabhängig von gewerblicher Prägung10 und Fiktionen11 die Voraussetzungen für die Qualifikation als Be-

1 BFH v. 29.1.1964 – I 153/61 S, BStBl. III 1964, 165; BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663; BFH v. 13.9.1989 – I R 117/87, BStBl. II 1990, 57; BFH v. 17.10.1990 – I R 16/89, BStBl. II 1991, 211; BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 18.12.2002 – I R 92/01, BFH/ NV 2003, 964. 2 § 6 Abs. 5 EStG; hierzu Kulosa in Schmidt41, § 6 EStG Rz. 761 ff. 3 § 16 Abs. 3 Sätze 2 – 4 EStG; hierzu Wacker in Schmidt41, § 16 EStG Rz. 530 ff. 4 Zum ausländischen Umwandlungssteuerrecht Grotherr in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 152 ff. 5 BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953; Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (120). 6 Vormals Art. 14 Abs. 1 OECD-MA. 7 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 83; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 81. 8 Vgl. auch Hruschka in FS Lüdicke, 295 (307 ff.). 9 OECD-MK zu Art. 13 OECD-MA, Ziff. 4; Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 2; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 77a; dieser Zusammenhang wird vom BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 für nicht relevant gehalten; zur Begründung hierfür Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 82. 10 Die gewerbliche Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) schlägt nicht auf das Abkommensrecht durch; vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258, Rz. 2.3.1. 11 Z.B. § 5 Abs. 2, 3 UmwStG.

910 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.394 Kap. 19

triebsvermögen gegeben sind.1 Abzustellen ist aber – wie in Art. 10 Abs. 4, 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3 OECD-MA – letztlich auf die tatsächliche Zugehörigkeit.2 Tatsächlich gehören Wirtschaftsgüter nur dann zum Betriebsstättenvermögen, wenn die Vermögenswerte in einem funktionalen Zusammenhang zu einer in der Betriebsstätte (Personengesellschaft) ausgeübten Tätigkeit stehen und sich die Erträge dieser Vermögenswerte bei funktionaler Betrachtungsweise als Nebenerträge der zu den Erträgen aus der nach der Verkehrsauffassung in der Hauptsache ausgeübten Unternehmenstätigkeit darstellen.3 Zum Betriebsstättenvermögen gehören abkommensrechtlich nicht ohne weiteres solche Wirtschaftsgüter, die aus der Sicht des deutschen Steuerrechts Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters einer Personengesellschaft sind. Diese nach den Grundsätzen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gebotene Zuordnung zum Sonderbetriebsvermögen beruht auf rechtlichen Erwägungen und steht im untrennbaren Zusammenhang mit der Behandlung der aus den betreffenden Wirtschaftsgütern stammenden Erträge als gewerbliche Einnahmen im Rahmen der Personengesellschaft. Abkommensrechtlich kommt es auf diese Zuordnung zum Sonderbetriebsvermögen nicht an.4 Entscheidend ist auch hier die tatsächliche Zugehörigkeit. Im Hinblick darauf wird jedenfalls gewillkürtes Sonderbetriebsvermögen5 überhaupt nicht6 und notwendiges Sonderbetriebsvermögen II7 eher ausnahmsweise8 abkommensrechtlich Betriebsvermögen der Betriebsstätte (Personengesellschaft) sein.9

19.392

In einigen deutschen DBA wird bewegliches Vermögen einer festen Einrichtung nicht vom Betriebsstättenprinzip erfasst. Damit erfolgt die Besteuerung nach den in den für Veräußerungsgewinne geltenden Verteilungsnormen verankerten Auffangklauseln (Art. 13 Abs. 5 OECDMA) im Wohnsitzstaat.10

19.393

4. Gewinne aus der Veräußerung von Schiffen und Luftfahrzeugen Für die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen, die im internationalen Verkehr betrieben werden, sowie von Schiffen, die der Binnenschifffahrt dienen, und von beweglichem Vermögen, das dem Betrieb dieser Schiffe und Luftfahrzeuge dient,11 ist ausschließlich der Geschäftsleitungsstaat (Art. 13 Abs. 3 OECD-MA 1 BFH v. 19.5.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754. 2 Vgl. BFH v. 10.8.2006 – II R 59/05, BStBl. II 2009, 758; BFH v. 20.12.2006 – I B 47/05, BStBl. II 2009, 766. 3 Vgl. BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 31.5.1995 – I R 74/93, BStBl. II 1995, 683; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563; BFH v. 23.10.1996 – I R 10/96, BStBl. II 1997, 313; BFH v. 21.7.1999 – I R 110/98, BStBl. II 1999, 812; BFH v. 29.11.2000 – I R 84/99, HFR 2001, 1053; BFH v. 7.8.2002 – I R 10/01, BStBl. II 2002, 848; BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771; Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 83; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 77a; a.A. BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 zum DBASchweiz, wonach nicht auf eine „tatsächliche“ Zugehörigkeit abgestellt wird. 4 Gegen BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414. 5 Zum Begriff Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 506 ff. 6 Piltz, IStR 1996, 457 (460). 7 Zum Begriff Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 517. 8 Komplementär-GmbH einer deutschen GmbH & Co. KG; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937. 9 Piltz, IStR 1996, 457 (460). 10 Abkommensübersicht bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 93. 11 Zu den Begriffen Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 107.

Schaumburg/Häck | 911

19.394

Kap. 19 Rz. 19.394 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

2014) bzw. der Ansässigkeitsstaat des Unternehmens (Art. 13 Abs. 3 OECD-MA 2017) zuständig. Die ausschließliche Besteuerung im Geschäftsleitungsstaat (Art. 13 Abs. 3 OECDMA 2014) bzw. Ansässigkeitsstaat des Unternehmens (Art. 13 Abs. 3 OECD-MA 2017) erfolgt auch dann, wenn die Luftfahrzeuge oder Seeschiffe einer im anderen Vertragsstaat vorhandenen Betriebsstätte zuzurechnen sind. Das Betriebsstättenprinzip wird insoweit verdrängt. Der Geschäftsleitungsstaat (Art. 13 Abs. 3 OECD-MA 2014) bzw. der Ansässigkeitsstaat des Unternehmens (Art. 13 Abs. 3 OECD-MA 2017) ist darüber hinaus auch für die Besteuerung der Gewinne aus der Veräußerung des den Schiffen und Luftfahrzeugen dienenden beweglichen Vermögens zuständig. Für unbewegliches Vermögen verbleibt es demgegenüber beim Belegenheitsprinzip (Art. 13 Abs. 1 OECD-MA).

19.395

Soweit in einem Abkommen eine Sonderregelung für Schiffe und Luftfahrzeuge fehlt, kommt für die Besteuerungsbefugnis das Betriebsstättenprinzip und ggf. das Wohnsitzprinzip zur Anwendung.1 Schließlich gibt es Abkommen, die in ein deutsches Register eingetragene Schiffe als unbewegliches Vermögen behandeln mit der Folge, dass für die diesbezüglichen Veräußerungsgewinne das Belegenheitsprinzip gilt.2

5. Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Immobiliengesellschaften 19.396

Art. 13 Abs. 4 OECD-MA enthält für Gewinne aus der Veräußerung von Immobiliengesellschaften eine Sonderregelung. In Abweichung von Art. 13 Abs. 5 OECD-MA, wonach Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen nur im Wohnsitzstaat besteuert werden dürfen, sind Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Immobiliengesellschaften auch der Besteuerung im Belegenheitsstaat zugewiesen. Damit soll im Ergebnis dem Belegenheitsstaat nicht dadurch die Besteuerung genommen werden, dass die bei ihm belegenen Grundstücke von einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft gehalten werden.3

19.397

Die Sonderregelung für Immobiliengesellschaften ist in beinahe sämtlichen neueren deutschen DBA enthalten.4 Ist Deutschland Wohnsitzstaat, wird die Doppelbesteuerung durch Anrechnung der ausländischen Steuer auf den Veräußerungsgewinn vermieden.5 Die in den deutschen DBA enthaltenen Immobiliengesellschaftsklauseln entsprechen weitgehend Art. 13 Abs. 4 OECD-MA 2014, der voraussetzte, dass die immobilienhaltende Gesellschaft6 im Zeitpunkt der Veräußerung mehr als 50 % ihres gesamten Gesellschaftsvermögens in Grundstücken oder übrigem unbeweglichen Vermögen hält. Zur Vermeidung von Umgehungsmöglichkeiten greift nach der Änderung durch Art. 13 Abs. 4 OECD-MA 2017 die Immobiliengesellschaftsklausel bereits dann ein, wenn der Wert der Anteile oder vergleichbaren Rechte den Wert von mehr als 50 % an Immobilienvermögen während der 365 Tage vor der Anteilsveräußerung

1 Nachweise bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 112, Art. 8 Rz. 46; ferner Brons, Nationale und internationale Besteuerung der Seeschifffahrt, 254. 2 Abkommensübersicht bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 113. 3 Rz. 28.3 zu Art. 13 MK. 4 Hierzu die Abkommensübersicht bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149. Zu Art. 13 Abs. 4 DE-VG Kessler/Arnold, IWB 2014, 60 (64 ff.). 5 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 174. 6 Es muss sich um einen selbständigen Rechtsträger (juristische Person) i.S.v. § 3 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA handeln; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 123c; Schütte in Haase3, Art. 13 OECD-MA Rz. 75; Lieber in S/D2, Art. 13 OECD-MA Rz. 87.

912 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.400 Kap. 19

überschritten hat.1 Entsprechend der Zielsetzung der Sonderregelung ist hierbei nur auf das Aktivvermögen nach Verkehrswerten2 und ohne Berücksichtigung von Verbindlichkeiten abzustellen.3 Unerheblich ist auch, ob das unbewegliche Vermögen von der Immobiliengesellschaft unmittelbar oder aber nur mittelbar gehalten wird. Schließlich kommt es auch nicht auf die Höhe der Beteiligung an der Immobiliengesellschaft an.4 Ist die abkommensrechtliche Immobiliengessellschaftsklausel entsprechend weit gefasst, kann Deutschland im Einzelfall im Rahmen der beschränkten Steuerpflichtig gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. cc EStG5 auch Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften mit inländischem Immobilienbesitz besteuern.6

19.398

6. Gewinne aus der Veräußerung von übrigem Vermögen Die für Veräußerungsgewinne geltenden Verteilungsnormen enthalten eine Auffangklausel, nach der für die Gewinne aus der Veräußerung von im Übrigen nicht genanntem Vermögen das Wohnsitzprinzip gilt.7 Hierzu zählen im Wesentlichen Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Privatvermögens.8 Schließlich werden von dieser Auffangklausel auch Gewinne aus der Veräußerung von im Wohnsitzstaat und in Drittstaaten belegenem Vermögen erfasst.9 Bei der Besteuerung von Drittlandsvermögen im Wohnsitzstaat verbleibt es aber nur dann, wenn ein zwischen dem Wohnsitzstaat und dem Drittstaat bestehendes DBA die Besteuerungsbefugnis nicht dem Drittstaat zuweist.10

19.399

In der Abkommenspraxis spielt die Auffangklausel eine besondere Rolle für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften. Zu diesen Veräußerungsgewinnen zählen auch Gewinne auf Grund von Verschmelzung, Anteilstausch, Spaltung, Liquidation und Kapitalherabsetzung von Kapitalgesellschaften, soweit es sich insoweit nicht um Dividenden handelt.11

19.400

1 Hierzu und den sich hieraus ergebenden Anwendungsschwierigkeiten Lieber in FS Kroppen, 683 (697 f.); Ditz/Bärsch/Quilitzsch, DB 2018, 1171 (1175 f.). 2 So auch Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 123d; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 37; Schütte in Haase3, Art. 13 OECD-MA Rz. 81; a.A. Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 135; s. auch Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 119. 3 OECD-MK zu Art. 13 Abs. 4 OECD-MA, Rz. 28.4l; zu Einzelheiten Plewka/Beck, IStR 2007, 125 ff. 4 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 138. 5 Eingefügt durch Gesetz v. 11.12.2018 (BGBl. I 2018, 2338). S. zu „Ausklammerung“ der bis zum 31.12.2018 eingetretenen Wertsteigerungen § 52 Abs. 45a Satz 1 EStG. 6 Hierzu stv. Lieber in FS Kroppen, 683 (695); Porebski/Schade, IStR 2020, 249 ff. 7 Art. 13 Abs. 5 OECD-MA; vollständige Verteilungsnorm. 8 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 134; Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECDMA Rz. 141. 9 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 220; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 132 f. 10 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 220. 11 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 135a; Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECDMA Rz. 147ff; ferner Rz. 19.342.

Schaumburg/Häck | 913

Kap. 19 Rz. 19.401 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.401

In der deutschen Abkommenspraxis gibt es Besonderheiten, die dem Besteuerungsinteresse von Deutschland Rechnung tragen. So wird in einigen Abkommen im Falle des Wegzuges für den früheren Wohnsitzstaat die Besteuerungsbefugnis für Gewinne bzw. den Vermögenszuwachs aus der Veräußerung von Beteiligungen an einer Kapitalgesellschaft aufrechterhalten, wenn der veräußernde Wegzügler während eines Zeitraums von fünf oder zehn Jahren bzw. unmittelbar vor dem Wohnsitzwechsel dort ansässig war (sog. Wegzugsklauseln).1 Schließlich weisen einige deutsche DBA im Falle des Wegzugs dem neuen Wohnsitzstaat die Besteuerungsbefugnis nur für den nach dem Wegzug aus Deutschland entstandenen Wertzuwachs zu.2 Diesen Regelungen ist gemeinsam, dass sie abkommensrechtliche Schrankenwirkungen ggü. der deutschen Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG; hierzu Rz. 6.406 ff.) beseitigen.

19.402

Einige deutsche DBA enthalten schließlich Sonderregelungen für die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen. Danach können derartige Veräußerungsgewinne auch in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat.3 In diesen Fällen wird die Doppelbesteuerung durchweg durch Steueranrechnung im Wohnsitzstaat vermieden.

19.403

Soweit die für Veräußerungsgewinne geltenden Verteilungsnormen keine Auffangklauseln (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA) enthalten, werden die Veräußerungsgewinne als „andere Einkünfte“ durch Art. 21 OECD-MA erfasst, so dass die Besteuerungsbefugnis dem Wohnsitzstaat zusteht. Fehlt eine derartige abkommensrechtliche Auffangnorm, bleibt die Besteuerungsbefugnis auch des Quellenstaates aufrechterhalten.4

VIII. Einkünfte aus selbständiger Arbeit Literatur: Kommentare zu Art. 14 OECD-MA a.F.; Görl, Die freien Berufe im Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, München 1983; Grossmann, Die Besteuerung des Künstlers und Sportlers im internationalen Verhältnis, Bern/Stuttgart/Wien 1992; Krabbe, Abgrenzung der Besteuerungsrechte bei international tätigen Sozietäten, FR 1995, 692; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, Herne/ Berlin 1991; Rademacher-Gottwald, Besteuerungsprobleme der grenzüberschreitenden Sozietäten von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfer, Herne/Berlin 2001; Reimer, Der Ort des Unterlassens, München 2004; Schauhoff/Cordewener/Schlotter, Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler in der EU, München 2008; Schaumburg, Freiberufliche Beratung im Ausland, in Krause/ Schaumburg/Wassermeyer, Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten, Bonn 1996, 115; Schmidt/ Spensberger, Anwendung des Art. 14 OECD-Musterabkommen bei ausländischen Einkünften inländischer Kapitalgesellschaften, IStR 2002, 480; Schick, Die freien Berufe im Steuerrecht, Köln 1973; Urtz, Die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen der Betriebsstätte nach Art. 5 OECD-Musterabkommen und der festen Einrichtung nach Art. 14 OECD-Musterabkommen und die Konsequenzen für die abkommensrechtliche Behandlung grenzüberschreitend tätiger Freiberufler-Sozietäten in Gassner/Lang/Lechner, Die Betriebsstätte im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 1998, 157.

1 Abkommensübersicht bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 311; ausf. zu abkommensrechtlichen Wegzugsklauseln s. Häck in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 136 ff. 2 Abkommensübersicht bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 317. 3 Abkommensübersicht bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 225. 4 Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 225 f. mit Abkommensübersicht.

914 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.409 Kap. 19

1. Allgemeines Die für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit maßgebliche Verteilungsnorm des Art. 14 OECD-MA ist zwar seit dem OECD-MA 2000 suspendiert, weil sich deren Regelungskreis nicht wesentlich von dem des Art. 7 OECD-MA unterscheidet. Da aber zahlreiche deutsche DBA noch eine dem Art. 14 OECD-MA vergleichbare Verteilungsnorm enthalten,1 hat die nachfolgende Darstellung weiterhin Bedeutung.

19.404

In der internationalen Abkommenspraxis sind die Einkünfte aus freiem Beruf und aus sonstiger selbständiger Arbeit grundsätzlich allein dem Wohnsitzstaat zur Besteuerung zugewiesen.2 Der Staat, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, darf als Quellenstaat nur dann besteuern, wenn für die Tätigkeit dort gewöhnlich bzw. regelmäßig eine feste Einrichtung zur Verfügung steht. In diesem Fall wird die Doppelbesteuerung im Wohnsitzstaat entweder durch Freistellung oder durch Steueranrechnung vermieden. In der deutschen Abkommenspraxis steht die Freistellung unter Progressionsvorbehalt im Vordergrund. Die für selbständige Arbeit geltenden Verteilungsnormen haben damit die gleiche Verteilungsstruktur wie die für Unternehmensgewinne.3

19.405

In Abweichung vom Wohnsitzprinzip legen einige deutsche DBA bei den Einkünften aus freiem Beruf oder aus sonstiger selbständiger Arbeit das Arbeitsortsprinzip zugrunde. Danach entfällt die Besteuerung im Staat der Arbeitsausübung nur dann, wenn die Tätigkeit dort eine bestimmte Zeit – zumeist 183 Tage – nicht überschreitet.4

19.406

Im Hinblick auf diese abkommensrechtlichen Anknüpfungspunkte läuft die beschränkte Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG in Abkommensfällen dann leer, wenn sie an die Verwertung der selbständigen Arbeit anknüpft (Rz. 6.230).

19.407

Für Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen sowie für die Einkünfte als Künstler und Sportler sind in der internationalen Abkommenspraxis besondere Verteilungsnormen vorgesehen (Art. 16, 17 OECD-MA), die stets vorrangig sind.5 Soweit schließlich die Einkünfte aus freiem Beruf durch Verwertung von Rechten und ähnlichen Vermögenswerten erzielt und dementsprechend Lizenzgebühren bezogen werden, greifen die für Lizenzgebühren geltenden Verteilungsnormen (Art. 12 OECD-MA) ein,6 es sei denn, die Lizenzgebühren sind einer festen Einrichtung im Quellenstaat zuzuordnen (Art. 12 Abs. 3 OECD-MA). Entsprechendes gilt für Dividenden (Art. 10 Abs. 4 OECD-MA) und Zinsen (Art. 11 Abs. 4 OECD-MA).

19.408

Die für Einkünfte aus selbständiger Arbeit geltenden Verteilungsnormen entfalten im Grundsatz ihre Schutzwirkung zwar auch gegenüber juristischen Personen,7 sie haben für diese aber deshalb keine Bedeutung, weil die maßgeblichen Besteuerungsmerkmale nur von natürlichen

19.409

Abkommensübersicht bei Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 37, 62. Art. 14 Abs. 1 OECD-MA a.F. OECD-MK zu Art. 14 OECD-MA a.F., Ziff. 3. Abkommensübersicht bei Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 37, 62. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 44; Tcherveniachki in S/D2, Art. 14 a.F. OECD-MA Rz. 18, 19; Erhard in F/W/K, Art. 14 DBA-Schweiz Rz. 16 f. 6 Eine dem Art. 7 Abs. 7 OECD-MA entsprechende Bestimmung fehlt zwar in Art. 14 OECDMA a.F., aus den Art. 10 Abs. 4; 11 Abs. 4 und 12 Abs. 3 OECD-MA ist aber im Hinblick auf die enge Verwandtschaft der beiden eingangs genannten Verteilungsnormen zu folgern, dass der Vorrang der Art. 10, 11 und 12 OECD-MA auch gegenüber Art. 14 OECD-MA gilt; Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 7; Tcherveniachki in S/D2, Art. 14 a.F. OECD-MA Rz. 15. 7 Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 11. 1 2 3 4 5

Schaumburg/Häck | 915

Kap. 19 Rz. 19.409 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

Personen1 erfüllt werden können.2 Davon abgesehen, wird in einigen deutschen DBA der diesbezügliche Anwendungsbereich ausdrücklich auf natürliche Personen beschränkt.3

2. Einordnung der Einkünfte 19.410

Dem Art. 14 OECD-MA a.F. unterfallen sowohl Einkünfte aus freiem Beruf als auch solche aus sonstiger selbständiger Tätigkeit. Die Abkommen definieren zwar nicht den Begriff des freien Berufs, sie enthalten aber einen nicht erschöpfenden Katalog typisch freiberuflicher Tätigkeiten (Art. 14 Abs. 2 OECD-MA a.F.). Genannt werden dort die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, literarische, künstlerische, erzieherische und unterrichtende Tätigkeit sowie die selbständige Tätigkeit der Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Architekten, Zahnärzte und Buchsachverständigen. Soweit sich aus dem Zusammenhang nichts anderes ergibt, kann für Zwecke der Auslegung innerstaatliches Recht herangezogen werden (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA),4 so dass aus deutscher Sicht insbesondere die zu § 18 EStG ergangene umfangreiche Rechtsprechung Bedeutung hat.5

19.411

Für die Einkünfte aus sonstiger selbständiger Tätigkeit enthalten die Abkommen weder eine Definition noch eine Aufzählung typischer Tätigkeiten. Deshalb kann auch hier, soweit sich aus dem Zusammenhang nichts anderes ergibt, für die Auslegung auf innerstaatliches Recht zurückgegriffen werden (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA). Aus deutscher Sicht kommen damit vor allem die unter § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu subsumierenden Tätigkeiten in Betracht, also insbesondere die Tätigkeiten von Testamentsvollstreckern und Vermögensverwaltern,6 soweit abkommensrechtlich hierfür nicht besondere Verteilungsnormen eingreifen.7

3. Besteuerung im Quellenstaat 19.412

Dem Staat, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, steht als Quellenstaat ein Besteuerungsrecht grundsätzlich nur dann zu, wenn für die Ausübung der Tätigkeit dort gewöhnlich bzw. regelmäßig eine feste Einrichtung zur Verfügung steht. Insoweit treffen die DBA für die Verteilung der Steuergüter zwischen Wohnsitzstaat und Quellenstaat im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger Arbeit die gleiche Wertentscheidung wie bei den Einkünften aus unternehmerischer Tätigkeit: Die selbständige Arbeit und die unternehmerische Tätigkeit sollen erst dann von einem ausländischen Staat zum Anknüpfungspunkt für eine Besteuerung gemacht werden, wenn sie zu einer intensiven geschäftlichen Bindung an diesen Staat geführt haben. Diese Wertent1 Auch durch den Zusammenschluss natürlicher Personen, z.B. Sozietäten. 2 BFH v. 20.6.1984 – I R 283/81, BStBl. II 1984, 828; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECDMA Rz. 20; Erhard in F/W/K, Art. 14 DBA-Schweiz Rz. 34; Tcherveniachki in S/D2, Art. 14 a.F. OECD-MA Rz. 27; Schmidt/Spensberger, IStR 2002, 480 ff.; a.A. Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 13; Richter in G/K/G/K, Art. 14 OECD-MA Rz. 65 ff.; Strunk-zur Heide in S/K/K, Art. 14 OECD-MA Rz. 32; Görl, Die freien Berufe im Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, 77. 3 Abkommensübersicht bei Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 47. 4 Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 60; Schaumburg in Krause/Schaumburg/Wassermeyer, Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten, 113 (116); mit Einschränkungen im Ergebnis ebenso Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 13, 17. 5 Hierzu die ABCs der Einkünfte aus selbständiger Arbeit bei Wacker in Schmidt41, § 18 EStG Rz. 155 sowie das ABC der Freiberufler bei Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 135. 6 Hierzu im Einzelnen Wacker in Schmidt41, § 18 EStG Rz. 141; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 26. 7 Wie etwa für die Einkünfte aus der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied (Art. 16 OECD-MA).

916 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.415 Kap. 19

scheidung artikuliert sich damit bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit und unternehmerischer Tätigkeit gleichermaßen in dem international geltenden Betriebsstättenprinzip. Die feste Einrichtung ist daher die Betriebsstätte des freien Berufs.1 Soweit in der deutschen Abkommenspraxis darüber hinaus auch das Tätigkeitsortsprinzip verwirklicht wird,2 hat der Staat, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, die Besteuerungsbefugnis nur dann, wenn die Tätigkeitsdauer dort eine Mindestzeit überschreitet. Hierbei gilt zumeist die 183-Tage-Klausel.

19.413

Voraussetzung für die Besteuerung im Quellenstaat ist, dass die selbständige Tätigkeit dort ausgeübt und hierfür eine feste Einrichtung in dem Sinne unterhalten wird, dass die ausgeübte selbständige Arbeit aufgrund Sachzusammenhangs der festen Einrichtung zuzurechnen ist.3

19.414

Für die Ausübung der Tätigkeit wird darauf abgestellt, wo gearbeitet wird, nicht aber darauf, wo die Arbeit verwertet wird.4 Die Arbeit wird dort ausgeübt, wo sich der Betreffende5 bei Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit körperlich aufhält.6 Abzustellen ist hierbei darauf, wo die Haupttätigkeit ausgeübt wird. So ist die Haupttätigkeit bei bildenden Künstlern und Schriftstellern dort, wo die eigentliche schöpferische Leistung erbracht wird,7 bei Erfindern dort, wo die Erfinderidee planmäßig verwirklicht wird und die Rechte aus der Erfindung geltend gemacht werden,8 und bei beratenden Tätigkeiten dort, wo sich diese unmittelbar vollzieht.9 Erzielt der selbständig Tätige Einkünfte dadurch, dass er sich für eine Tätigkeit zur Verfügung hält, so wird die selbständige Tätigkeit dort ausgeübt, wo sich der Leistende tatsächlich

19.415

1 RFH v. 31.10.1940, RStBl. 1941, 19; BFH v. 22.3.1966 – I 65/63, BStBl. III 1966, 463; BFH v. 12.10.1978 – I R 69/75, BStBl. II 1979, 64; BFH v. 3.2.1988 – I R 369/83, BStBl. II 1988, 486; BFH v. 2.12.1992 – I R 77/91, HFR 1993, 295; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 66; Erhard in F/W/K, Art. 14 DBA-Schweiz Rz. 76. 2 Abkommensübersicht bei Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 37. 3 Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 34; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECDMA Rz. 92. 4 BFH v. 14.1.1982 – IV R 168/78, BStBl. II 1982, 345; Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 17; Tcherveniachki in S/D2, Art. 14 a.F. OECD-MA Rz. 39. 5 Bei freiberuflichen Sozietäten mit internationalen Büros sind die dem Quellenstaat zur Besteuerung zugewiesenen Einkünfte allen Sozien nach Maßgabe ihrer Beteiligung zuzurechnen (a.A. BFH v. 25.11.2015 – I R 50/14, BStBl. II 2017, 247); so das „Zurechnungsprinzip“ im Gegensatz zum „Ausübungsprinzip“, wonach die vorbezeichneten Einkünfte nur den im Ausland tätigen Sozien zuzurechnen sind; vgl. hierzu die Kontroverse von Loukota einerseits und Portner andererseits, IStR 1996, 391 f.; für das Zurechnungsprinzip z.B. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 50; Tcherveniachki in S/D2, Art. 14 a.F. OECD-MA Rz. 65; Krabbe, FR 1995, 692 ff.; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 6.1; für das Ausübungsprinzip z.B. BFH v. 25.11.2015 – I R 50/14, DStR 2016, 954; Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 30 ff. 6 RFH v. 29.1.1935, RStBl. 1935, 759; BFH v. 2.5.1969 – I R 176/66, BStBl. II 1969, 579; BFH v. 28.2.1973 – I R 145/70, BStBl. II 1973, 660; BFH v. 12.11.1986 – I R 268/83, BStBl. II 1987, 372; BFH v. 11.4.1990 – I R 75/88, BFHE 160, 513; BFH v. 5.11.1992 – I R 41/92, BStBl. II 1993, 407; Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 17 ff. 7 BFH v. 28.2.1973 – I R 145/70, BStBl. II 1973, 660; BFH v. 15.2.1990 – IV R 13/89, BStBl. II 1990, 621; zu weiteren Einzelheiten Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugverfahrens, 90 ff. 8 BFH v. 13.10.1976 – I R 261/70, BStBl. II 1977, 76; BFH v. 11.4.1990 – I R 82/86, BFH/NV 1991, 143. 9 BFH v. 22.3.1966 – I 65/63, BStBl. III 1966, 463.

Schaumburg/Häck | 917

Kap. 19 Rz. 19.415 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

aufhält.1 Wird für ein Unterlassen bezahlt, so ist darauf abzustellen, wo die zu unterlassende Handlung vorgenommen worden wäre.2 Wäre die Handlung an jedem beliebigen Ort, also nicht nur innerhalb des Staatsgebietes des jeweiligen Vertragsstaates, vollzogen worden, wird hilfsweise auf den Aufenthaltsort des Verpflichteten abgestellt.3

19.416

Für die Tätigkeit im Quellenstaat muss, soweit nicht ausnahmsweise nur das Arbeitsortsprinzip gilt, zudem eine feste Einrichtung zur Verfügung stehen. Dieser Begriff ist in den DBA nicht definiert. Da aber Betriebsstätte und feste Geschäftseinrichtung gleichermaßen die Funktion haben, das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates von dem des Quellenstaates abzugrenzen, kann für Zwecke der Begriffserklärung im Zweifel auf die abkommensrechtlichen Betriebsstättendefinitionen (Art. 5 OECD-MA) zurückgegriffen werden.4

19.417

Im Unterschied zur Betriebsstätte muss die feste Einrichtung dem selbständig Tätigen für seine Tätigkeit gewöhnlich zur Verfügung stehen. „Gewöhnlich“ steht die Einrichtung zur Verfügung, wenn sie nur ausnahmsweise der Verfügung des Steuerpflichtigen entzogen ist.5 Die feste Einrichtung muss nur regelmäßig, nicht aber ständig benutzt werden.6 Erforderlich ist, dass die feste Geschäftseinrichtung unter der Verfügungsgewalt des selbständig Tätigen derart steht, dass er über diese entweder rechtlich oder tatsächlich verfügen kann.7

19.418

Sind die für eine feste Einrichtung erforderlichen Merkmale erfüllt, darf der Quellenstaat die Einkünfte aus selbständiger Arbeit nur insoweit besteuern, als sie dieser festen Einrichtung zuzurechnen sind. Da die feste Einrichtung die gleiche Abgrenzungsfunktion hat wie die Betriebsstätte, gelten hier die für Betriebsstätteneinkünfte maßgeblichen Zuordnungsregeln (zu den einzelnen Methoden Rz. 19.264).

IX. Einkünfte aus unselbständiger Arbeit Literatur: Kommentare zu Art. 15 OECD-MA; Bellstedt, Geschäftsführer und Vorstände im Internationalen Steuerrecht, Köln 1996; von Bornhaupt, Lohnsteuerrechtliche Fragen bei Entsendung von Arbeitnehmern ins Ausland und vom Ausland ins Inland, BB 1985, Beilage 16, 10; Bruns, Homeoffice und Kurzarbeit aufgrund der COVID-19-Pandemie – die steuerlichen Auswirkungen auf grenzüberschreitend tätige Arbeitnehmer und die Antwort der Finanzverwaltung, ISR 2020, 228; Coulombe, Be1 BFH v. 2.5.1969 – I R 176/66, BStBl. II 1969, 579; BFH v. 9.9.1970 – I R 19/69, BStBl. II 1970, 867; Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 17. 2 BFH v. 9.9.1970 – I R 19/69, BStBl. II 1970, 867; zu Einzelheiten Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugverfahrens, 93 ff. 3 BFH v. 9.9.1970 – I R 19/69, BStBl. II 1970, 867. 4 BFH v. 22.3.1966 – I 65/63, BStBl. III 1966, 463; BFH v. 3.2.1988 – I R 369/83, BStBl. II 1988, 486; BFH v. 2.12.1992 – I R 77/91, HFR 1993, 295; Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 21 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 66; Tcherveniachki in S/D2, Art. 14 OECDMA a.F. Rz. 44 ff.; Erhard in F/W/K, Art. 14 DBA-Schweiz Rz. 76 mit Beispielen in Rz. 77, 78. 5 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 75. 6 Die dort ausgeübte Tätigkeit muss in Anlehnung an Art. 5 Abs. 3 OECD-MA (Bauausführung) auf mindestens 6 Monate angelegt sein, wobei je nach DBA auch 12 oder 18 Monate in Betracht kommen können; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 70, vgl. BFH v. 19.5.1993 – I R 80/92, BStBl. II 1993, 655; BFH v. 28.6.2006 – I R 92/05, BStBl. II 2007, 100. 7 BFH v. 30.1.1974 – I R 87/72, BStBl. II 1974, 327; BFH v. 3.2.1988 – I R 369/83, BStBl. II 1988, 486; vgl. im Übrigen die Rspr. zur Verfügungsmacht über Betriebsstätten Rz. 19.243; Hemmelrath in V/L7, Art. 14 OECD-MA Rz. 27; Schaumburg in Krause/Schaumburg/Wassermeyer, Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten, 114 (119); das Erfordernis einer Verfügungsgewalt dagegen verneinend Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 14 OECD-MA Rz. 74.

918 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.419 Kap. 19 steuerung von Zahlungen an Nichtansässige für selbständige Arbeit, CDFI LXVII b (1982), 63; Dorenkamp, Internationale Arbeitnehmerbesteuerung – aus Arbeitgebersicht, DStJG 40 (2017), 263; Eisgruber, Internationale Arbeitnehmerbesteuerung – aus Arbeitnehmersicht, DStJG 40 (2017), 297; Gassner/ Lang/Lechner/Schuck/Staringer, Arbeitnehmer im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2003; Gehrs/Brügge, Steuerliche Behandlung von Arbeitslohn nach den Doppelbesteuerungsabkommen, StuB 2018, 742; Görl, Die freien Berufe im Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, München 1983; Gretter, Die grenzüberschreitende Verlagerung von Humankapital zur Nutzung bilanzierter Werte im Inland, Konstanz 1993; Hellwig, Die bezahlte Untätigkeit im Internationalen Steuerrecht, DStZ A 1978, 83; Jann, Die 183-Tage-Regel, in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, Wien 1994, 195; Lang, Homeoffice nach der Konsultationsvereinbarung zum DBA Deutschland – Österreich, SWI 2020, 331; Lechner, Arbeitskraftüberlassung, in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, Wien 1994, 221; Neyer, Deutscher Steuerzugriff auf Entschädigungszahlungen an den international mobilen Arbeitnehmer – Neuregelung ab 1.1.2017, DStR 2017, 1632; Niermann, Grenzüberschreitende Mitarbeiterentsendung, Herne/Berlin 2008; Pinetz/Zeiler, Der „wirtschaftliche“ Arbeitgeberbegriff nach Art. 15 Abs. 2 OECD-MA, SWI 2014, 18; Portner, Irrungen und Wirrungen beim Auslandseinsatz von Arbeitnehmern, IStR 2014, 435; Reimer, Der Ort des Unterlassens, München 2004; Roche, Neue Überlegungen und neue BFH-Rechtsprechung zur 183-Tage-Klausel, IStR 1997, 203; Schieber, Steuerfragen bei Personalentsendungen ins Ausland, Herne 1990; Siefert, Die Besteuerung bei der Entsendung von Arbeitskräften in das Ausland, Frankfurt 1985; Schmitt/Amedov, Steuerliche Behandlung des Arbeitslohns nach den DBA, DB 2018, 2141; Thiel, Besteuerung von Arbeitslohn bei Auslandstätigkeit, Herne/Berlin 1971; Wassermeyer, Entsendung von Arbeitnehmern ins Ausland, in Krause/Schaumburg/ Wassermeyer, Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten, Bonn 1996, 89; Wick, Arbeitnehmerentsendungen zwischen Deutschland und den Niederlanden, Hamburg 2008; Ziesecke/Muscheites/Bergerhoff, Das neue BMF-Schreiben v. 3.5.2018 zur „Steuerlichen Behandlung des Arbeitslohns, nach den Doppelbesteuerungsabkommen“, DStR 2018, 1189; Zimmermann, Vorübergehende Beschäftigung von Arbeitnehmern im Ausland, Herne/Berlin 1975; Zwick, Einkommensbesteuerung von Grenzgängern, Herne 1986.

1. Allgemeines Die DBA enthalten für die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit durchweg eigenständige Verteilungsnormen,1 die die Besteuerungsbefugnisse im Rahmen der internationalen Arbeitnehmerbesteuerung zuweisen.2 Im Ausgangspunkt wird hierbei die Besteuerung allein dem Wohnsitzstaat zugewiesen. Einige deutsche DBA stellen das Wohnsitzprinzip allerdings unter den Vorbehalt, dass auch der Arbeitgeber im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers ansässig ist.3 Das im Grundsatz geltende Wohnsitzprinzip wird durch das Arbeitsortsprinzip abgelöst, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit im Staat des Arbeitsortes ausübt und sich dort innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten an mehr als 183 Tagen aufgehalten hat oder wenn die Vergütungen von einem Arbeitgeber, für einen Arbeitgeber oder von einer Betriebsstätte oder festen Einrichtung im Staat des Arbeitsortes gezahlt worden sind. Unter diesen Voraussetzungen darf der Staat des Tätigkeitsortes als Quellenstaat die Arbeitseinkünfte ohne weiteres besteuern. Der Wohnsitzstaat hat in diesem Fall die Doppelbesteuerung entweder durch Freistellung

1 Die Auslegung der maßgeblichen DBA-Vorschriften durch die deutsche Finanzverwaltung wird regelmäßig in einem umfangreichen BMF-Schreiben niedergelegt, vgl. zuletzt BMF v. 3.5.2018 – IV B 2-S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 mit tw. Änderung durch BMF v. 22.4.2020 – IV B 2-S 1300/08/10027-01, 2020/0391130, BStBl. I 2020, 483; ausf. Ziesecke/Muscheites/Bergerhoff, DStR 2018, 1189 ff.; Schmitt/Amedov, DB 2018, 2141 ff.; Gehrs/Brügge, StuB 2018, 742 ff. 2 Ausf. aus praktischer Sicht Dorenkamp, DStJG 40 (2017), 263; Eisgruber, DStJG 40 (2017), 297. 3 Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 191.

Schaumburg/Häck | 919

19.419

Kap. 19 Rz. 19.419 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

oder Anrechnung zu vermeiden, wobei in Fällen der Freistellung nicht selten abkommensrechtliche Subject-to-Tax-Klauseln1 oder § 50d Abs. 8 EStG eingreifen (Rz. 19.522 f.).

19.420

Neben dem Wohnsitz- und Arbeitsortsprinzip war bisher in Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2014 für Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, die an Bord von Seeschiffen und Luftfahrzeugen ausgeübt wird, das Besteuerungsrecht auch dem Staat zugewiesen, in dem sich der Ort der Geschäftsleitung des Unternehmens befindet. Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 sieht nun ein ausschließliches Besteuerungsrecht beim Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers vor.

19.421

Die für die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit geltenden Verteilungsnormen haben eine begrenzte Reichweite, weil die DBA durchweg Sonderregelungen für Aufsichtsratsvergütungen (Art. 16 OECD-MA), Einkünfte aus künstlerischer Tätigkeit (Art. 17 OECD-MA), Ruhegehälter (Art. 18 OECD-MA), Bezüge aus öffentlichem Dienst (Art. 19 OECD-MA) und mitunter auch für Vergütungen an Professoren und Studenten2 vorsehen. Schließlich enthalten einige deutsche DBA Sonderregelungen auch für Grenzgänger.3 Diese Sonderregelungen gehen den für die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit geltenden Verteilungsnormen stets vor.4

2. Einordnung der Einkünfte 19.422

Den Einkünften aus unselbständiger Arbeit unterliegen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen.5 Da die DBA hierfür keine Definitionen vorsehen, ist letztlich, soweit die Auslegung im Abkommenszusammenhang nichts anderes erfordert (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA), das innerstaatliche Recht des Staates maßgeblich, um dessen Besteuerung es sich handelt.6 Aus deutscher Sicht führt dies zu einer Orientierung an § 19 EStG.7 Im Hinblick darauf unterliegen Organe von juristischen Personen mit ihren Einkünften im Grundsatz ebenso dem Anwendungsbereich des Art. 15 OECD-MA wie übrige leitende Angestellte.8 Dies gilt im Ergebnis auch für geschäftsführende Gesellschafter von Personengesellschaften.9 Die Maßgeblichkeit des § 19 EStG führt dazu, dass auch Sachbezüge erfasst werden.10 Hierzu gehört auch die verbilligte Überlassung von Aktien und Aktienoptionen (stock options). Aus der Sicht des deutschen Steuerrechts erfolgt ein Zufluss und somit eine Besteuerung der Aktienoptionen grund-

1 Vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 137; im Übrigen Rz. 19.141. 2 So in einigen deutschen DBA; hierzu die Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 161 ff. 3 Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 137. 4 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 10; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 1; Bourseaux/Sendler in S/D2, Art. 15 OECD-MA Rz. 9. 5 Gemeint sind die Einnahmen ohne Berücksichtigung von Werbungskosten; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 54. 6 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 20; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 54; Reinhold in G/K/G/K, Art. 15 OECD-MA Rz. 87; Bourseaux/Sendler in S/D2, Art. 15 OECD-MA Rz. 71. 7 BFH v. 18.7.1973, BStBl. II 1973, 757; BFH v. 2.9.2009 – I R 90/08, BStBl. II 2010, 394; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 54; Reinhold in G/K/G/K, Art. 15 OECDMA Rz. 87. 8 Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 Rz. 65a, 66. 9 § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG hat insoweit abkommensrechtlich keine Bedeutung (Ausnahme: Art. 7 Abs. 7 S. 2 DBA-Schweiz); Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 60. 10 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 21.

920 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.423 Kap. 19

sätzlich erst zum Zeitpunkt der Ausübung,1 es sei denn, die Aktienoptionen werden vor der Ausübung bspw. durch Übertragung auf einen Dritten verwertet.2 Für den in der Praxis wichtigsten Fall der nicht handelbaren Optionen ermittelt sich der maßgebliche geldwerte Vorteil aus der Differenz zwischen dem Kurswert bei tatsächlicher Ausübung und dem vom Arbeitnehmer gezahlten Ausübungspreis. Dieser als ähnliche Vergütung zu qualifizierende geldwerte Vorteil gilt bei Einräumung der Option im Zweifel für eine in der Zukunft zu erbringende Tätigkeit, so dass ggf. für Zwecke der Anwendung von Art. 15 OECD-MA in Orientierung an In- und Auslandstätigkeiten eine Aufteilung über den Zeitraum zwischen Einräumung der Option und deren Ausübung3 zu erfolgen hat.4 Da in anderen Ländern z.T. abweichende Besteuerungsgrundsätze gelten,5 kann es zu Doppelbesteuerungen oder doppelten Nichtbesteuerungen kommen.6 Für die Einordnung der Vergütungen als Einkünfte aus unselbständiger Arbeit ist es ohne Bedeutung, wann und wo sie gezahlt werden; entscheidend ist die sachliche Zuordnung, so dass es für die Anwendung der Verteilungsnorm allein darauf ankommt, ob die Vergütung dem Arbeitnehmer für den Zeitraum seiner Auslandstätigkeit gezahlt wird.7 Dies gilt auch für Zahlungen im Hinblick auf ein künftiges Arbeitsverhältnis (sog. signing bonus).8 Ggf. hat eine Aufteilung der Vergütungen (z.B. Boni und Tantiemen)9 zu erfolgen.10 Das gilt auch in den Fällen, in denen (ausnahmsweise) etwa einem Arbeitnehmer anlässlich seines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Anstellungsverhältnis eine Abfindung für vergangene Erdienungszeiträume (z.B. für entgangene Urlaubsansprüche) gezahlt wird.11 Regelmäßig dient die Abfindung jedoch tatsächlich als Ausgleich für die mit der Auflösung des Dienstverhältnisses verbundenen Nachteile. Insoweit ist allein der Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers zur Besteuerung befugt.12 Gem. 1 BFH v. 10.3.1972 – VI R 278/69, BStBl. II 1972, 596; BFH v. 23.7.1999 – VI B 116/99, BStBl. II 1999, 684; BFH v. 24.1.2001 – I R 100/98, BStBl. II 2001, 509; BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/ 08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 239. 2 BFH v. 18.9.2012 – VI R 90/10, BStBl. II 2013, 289; BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 241. 3 A.A. Rz. 12.7 und 12.9 OECD-MK zu Art. 15 OECD-MA; BMF v. 3.5.2018 – IV B 2-S 1300/08/ 10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 247: Erdienungszeitraum zw. Einräumung der Option und deren erstmaliger Ausübbarkeit. Krit. auch Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 56c. 4 BMF v. 12.11.2014 – IV B 2 - S 1300/08/10027 – DOK 2014/0971694, BStBl. I 2014, 1467, Rz. 204; Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 12. 5 Hierzu der Überblick bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 43 ff. 6 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 21; Schmidt in Haase3, Art. 15 OECD-MA Rz. 72. 7 BFH v. 27.1.1972 – I R 37/70, BStBl. II 1972, 459; BFH v. 18.7.1973 – I R 52/69, BStBl. II 1973, 757; BFH v. 5.2.1992 – I R 158/90, BStBl. II 1992, 660; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 77. 8 Vgl. BFH v. 11.4.2018 – I R 5/16, BStBl. II 2018, 761. 9 Schmidt in Haase3, Art. 15 OECD-MA Rz. 52 ff.; BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 216 ff. 10 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 53. 11 Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 79; Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 9; BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 224. 12 BFH v. 18.7.1973 – I R 52/69, BStBl. II 1973, 757; BFH v. 24.2.1988 – I R 143/84, BStBl. II 1988, 819; BFH v. 10.7.1996 – I R 83/95, BStBl. II 1997, 341; BFH v. 2.9.2009 – I R 90/08, BStBl. II 2010, 394; BFH v. 2.9.2009 – I R 111/08, BStBl. II 2010, 387; BFH v. 24.7.2013 – I R 8/13, BStBl. II 2014, 929; BFH v. 10.6.2015 – I R 79/13, BStBl. II 2016, 326; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 79; Bourseaux/Sendler in S/D2, Art. 15 OECD-MA Rz. 73.

Schaumburg/Häck | 921

19.423

Kap. 19 Rz. 19.423 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

§ 50d Abs. 12 EStG werden ab dem 1.1.2017 zugeflossene Abfindungen aber unilateral als zusätzliches Entgelt für die früher geleistete Tätigkeit fingiert.1

3. Besteuerung im Staat des Tätigkeitsortes 19.424

Die DBA gehen von der Regel aus, dass Einkünfte aus unselbständiger Arbeit ausschließlich im Wohnsitzstaat zu besteuern sind. Abweichend von diesem Wohnsitzprinzip wird allerdings die Besteuerung vorrangig dem Staat des Tätigkeitsortes zugewiesen, wenn – die unselbständige Tätigkeit im anderen Vertragsstaat ausgeübt wird und – sich der Arbeitnehmer im Staat des Tätigkeitsortes während eines Zeitraums von 12 Monaten, der im betreffenden Steuerjahr beginnt oder endet, insgesamt mehr als 183 Tage aufhält oder – die Vergütungen von oder für einen im Staat des Tätigkeitsortes ansässigen Arbeitgeber gezahlt werden oder – die Vergütungen von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung getragen werden, die der Arbeitgeber im Staat des Tätigkeitsortes unterhält.

19.425

Der Arbeitnehmer übt dort seine Tätigkeit aus, wo er sich tatsächlich persönlich aufhält,2 und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der persönliche Aufenthalt für die Ausübung der Tätigkeit erforderlich ist oder nicht.3 Da es nicht darauf ankommt, wo die Tätigkeit des Arbeitnehmers verwertet wird,4 spielt die beschränkte Einkommensteuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG, soweit sie an die Verwertung nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) im Inland anknüpft, in Abkommensfällen keine Rolle.

19.426

Für geistig tätige Arbeitnehmer gelten zwar die gleichen Grundsätze, die Lokalisierung bereitet in der Praxis aber erhebliche Schwierigkeiten, weil sich geistige Tätigkeiten nach außen hin nicht immer erkennbar artikulieren.5

19.427

Obwohl die geschäftsführende Tätigkeit der Organe von Kapitalgesellschaften sich nicht darin erschöpft, Entscheidungen zu treffen und bekannt zu geben, sondern vor allem in der Durchsetzung der erteilten Weisungen am Ort des Unternehmens besteht, gelten keine Besonderheiten: Organe von Kapitalgesellschaften üben ihre Tätigkeit grundsätzlich an dem Ort aus, an 1 Zu § 50d Abs. 12 EStG stv. Loschelder in Schmidt41, § 50d EStG Rz. 70 f.; Neyer, DStR 2017, 1632 ff. 2 S. aber z.B. die Konsultationsvereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 14.12.2021, Anlage zu BMF v. 20.12.2021 – IV B 3 - S 1301-AUT/20/ 10001:002, 2021/1304734, BStBl. I 2021, 2472 (dazu Lang, SWI 2020, 332 ff.). Soweit danach lediglich aufgrund von Pandemiebekämpfungsmaßnahmen eine Arbeit im Homeoffice nötig ist, sollen die Arbeitstage als in dem Vertragsstaat verbrachte Arbeitstage gelten, in dem der Arbeitnehmer ohne die Maßnahmen seine Tätigkeit ausgeübt hätte (sog. Tatsachenfiktion). Vgl. auch Bruns, ISR 2020, 228 ff. 3 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 62; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 72; von Bornhaupt, BB 1985, Beilage 16, 10 (10); anders dagegen BFH v. 26.5.1971 – I R 27/70, BStBl. II 1971, 804; BFH v. 20.10.1982 – I R 104/79, BStBl. II 1983, 402, wonach darauf abgestellt wird, ob die Ausübung der Arbeit in dem anderen Staat erforderlich ist. 4 BFH v. 20.10.1982 – I R 104/79, BStBl. II 1983, 402. 5 Zu Einzelheiten Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 41; Reinhold in G/K/G/K, Art. 15 OECD-MA Rz. 114 f.

922 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.429 Kap. 19

dem sie sich persönlich aufhalten.1 Wird die Tätigkeit in beiden Vertragsstaaten ausgeübt, ist die Vergütung nach Maßgabe der Zeitanteile der Arbeitsausübung aufzuteilen.2 Erschöpft sich die Ausübung der Arbeit in einem Sich-zur-Verfügung-Halten, so liegt der Ort der Ausübung der Tätigkeit in dem Staat, in dem sich der Arbeitnehmer tatsächlich aufhält.3 Besteht die Ausübung der Arbeit in der Einhaltung eines Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsverbots, so ist darauf abzustellen, wo die zu unterlassende Handlung vorgenommen worden wäre.4 Wäre dies an jedem beliebigen Ort der Fall gewesen, kommt es darauf an, wo sich der Arbeitnehmer während der Laufzeit des Konkurrenz- oder Wettbewerbsverbots tatsächlich aufhält.5 Unerheblich ist dagegen grundsätzlich der frühere Arbeitsort.6

19.428

Die Besteuerung im Staat des Tätigkeitsortes ist weiterhin davon abhängig, dass sich der Arbeitnehmer dort insgesamt nicht länger als 183 Tage innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten, der während des betreffenden Steuerjahres beginnt oder endet, aufhält.7 Auf die Dauer der Tätigkeit selbst kommt es hierbei nicht an, es reicht vielmehr aus, dass während der vorgenannten Aufenthaltsdauer im Staat des Tätigkeitsortes überhaupt eine Tätigkeit ausgeübt wird.8 Beginn oder Ende des Zwölfmonatszeitraums müssen im Steuerjahr oder im Kalenderjahr liegen. Weichen die Steuerjahre im Wohnsitzstaat einerseits und im Tätigkeitsstaat andererseits voneinander ab,9 so ist auf das Steuerjahr des Tätigkeitsstaates abzustellen.10

19.429

1 BFH v. 5.10.1994 – I R 67/93, BStBl. II 1995, 95; BFH v. 2.5.1997 – I B 117/96, BFH/NV 1998, 18; Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 64; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 65a; Reinhold in G/K/G/K, Art. 15 OECD-MA Rz. 111, 113. 2 Dementsprechend geeignete Aufzeichnungen sind zu führen (Stundenprotokolle, Terminkalender, Reisekostenabrechnungen); ggf. kommt eine Schätzung der Zeitanteile in Betracht. 3 BFH v. 2.5.1969 – I R 176/66, BStBl. II 1969, 579; BFH v. 9.9.1970 – I R 19/69, BStBl. II 1970, 867; Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 66; Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 43; Bourseaux/Sendler in S/D2, Art. 15 OECD-MA Rz. 85; BMF v. 14.9.2006 – IV B 6 - S 1300 - 367/06, BStBl. I 2006, 532, Rz. 120. 4 BFH v. 9.9.1970 – I R 19/69, BStBl. II 1970, 867; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 64; Reimer, Der Ort des Unterlassens, 253 ff.; 410 ff.; a.A. Bourseaux/Sendler in S/D2, Art. 15 OECD-MA Rz. 86; Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 68 f. und BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 322 f., wonach es stets auf den tatsächlichen Aufenthaltsort ankommen soll. 5 BFH v. 9.9.1970 – I R 19/69, BStBl. II 1970, 867; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 64; Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 43. 6 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 70; Reinhold in G/K/G/K, Art. 15 OECD-MA Rz. 119; Hellwig, DStZ A 1978, 83 (83); von Bornhaupt, BB 1985, Beilage 16, 10 (11); anders dagegen BFH v. 9.11.1977 – I R 254/75, BStBl. II 1978, 195 für den Fall, dass sich das Konkurrenz- und Wettbewerbsverbot als Nebenpflicht einer früheren Arbeitsleistung darstellt; ebenso Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 43. 7 Diese Regelung ist nur in den jüngeren deutschen DBA enthalten; hierzu die Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 137; in den älteren Abkommen vor 1992 wird hinsichtlich der 183 Tage auf das Steuerjahr abgestellt. 8 BFH v. 12.4.1978 – I R 100/75, BStBl. II 1978, 425; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 94; BMF v. 12.11.2014 – IV B 2 - S 1300/08/10027 – DOK 2014/0971694, BStBl. I 2014, 1467, Rz. 59. 9 Hierzu die Übersichten bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 189 und Wassermeyer/ Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 98. 10 Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 97; BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 110 f.

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Kap. 19 Rz. 19.430 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.430

Da die DBA im Einzelnen nicht bestimmen, was unter einem Aufenthalt zu verstehen ist, kann auf das jeweilige nationale Recht zurückgegriffen werden, soweit sich aus dem Abkommenszusammenhang nichts anderes ergibt (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA). Aus deutscher Sicht können daher die für § 9 AO geltenden Auslegungskriterien nicht ohne weiteres herangezogen werden.1

19.431

So kommt es für die Berechnung der 183-Tage-Frist nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer im Tätigkeitsstaat regelmäßig übernachtet,2 so dass auch kurzfristige Tagesaufenthalte mit erfasst werden.3 Im Hinblick darauf sind bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer übliche Arbeitsunterbrechungen wie Heimfahrten an Wochenenden und Feiertagen sowie Urlaub, krankheitsbedingte Ausfalltage und ferner An- und Abreisetage zur ausländischen Arbeitsstätte mit einzubeziehen, soweit die entsprechenden Zeitaufenthalte auf den Tätigkeitsstaat entfallen.4

19.432

Soweit sich die 183-Tage-Klausel in der älteren deutschen Abkommenspraxis5 auf das jeweilige Steuerjahr bezieht, entfällt eine Besteuerungsbefugnis im Tätigkeitsstaat selbst dann, wenn sich der Arbeitnehmer dort zwar insgesamt an mehr als 183 Tagen, aber etwa verteilt auf zwei Steuerjahre, aufgehalten hat. Das führt dazu, dass eine in verschiedene Jahre hineinreichende Tätigkeit nicht im Staat des Arbeitsortes besteuert werden kann, wenn in jedem einzelnen Steuerjahr, isoliert betrachtet, der Aufenthalt des Arbeitnehmers 183 Tage nicht überschreitet.6

19.433

Die Abkommensregelungen verlangen nicht, dass der Aufenthalt im Tätigkeitsstaat zusammenhängend sein muss, so dass mehrere kürzere Aufenthalte, soweit sie in einen Zwölfmonatszeitraum fallen, für Zwecke der 183-Tage-Klausel zusammenzurechnen sind.7 Hierbei sind alle denkbaren Zwölfmonatszeiträume in Betracht zu ziehen, auch wenn sie sich zum Teil überschneiden.8 Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer im Tätigkeitsstaat für mehrere Arbeitgeber gearbeitet hat.9

19.434

Unabhängig von der 183-Tage-Klausel fällt dem Tätigkeitsstaat die Besteuerungsbefugnis stets dann zu, wenn die Vergütung von einem oder für einen im Tätigkeitsstaat ansässigen Arbeitgeber gezahlt wird. Da der Arbeitgeberbegriff in den Abkommen nicht definiert ist, kann für die Auslegung auf innerstaatliches Recht zurückgegriffen werden (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA),

1 BFH v. 10.7.1996 – I R 4/96, BStBl. II 1997, 15 unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (BFH v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944; BFH v. 10.5.1989 – I R 50/85, BStBl. II 1989, 755; BFH v. 18.7.1990 – I R 109/88, DB 1990, 2570). 2 Anders die Auslegung zu § 9 Satz 2 AO; hierzu Rz. 6.23. 3 BFH v. 10.7.1996 – I R 4/96, BStBl. II 1997, 15; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 94; Reinhold in G/K/G/K, Art. 15 OECD-MA Rz. 129; Bourseaux/Sendler in S/D2, Art. 15 OECD-MA Rz. 99; Roche, IStR 1997, 203 ff. 4 Zu Einzelheiten B BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 87ff.; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 99 ff. 5 Hierzu die Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 137. 6 Nicht zuletzt wegen der vorstehenden Probleme rechtfertigte sich die Neufassung des OECD-MA 1992, wonach auf einen im Steuerjahr beginnenden oder endenden 12-Monats-Zeitraum abgestellt wird; hierzu Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 95. 7 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 87; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 94; Reinhold in G/K/G/K, Art. 15 OECD-MA Rz. 150; Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 450. 8 BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 104. 9 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 87.

924 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.436 Kap. 19

soweit eine Auslegung aus dem Sinn- und Vorschriftenzusammenhang heraus nicht möglich ist.1 Den für die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit geltenden Verteilungsnormen kann entnommen werden,2 dass Betriebsstätten und feste Einrichtungen nicht Arbeitgeber sein können.3 Den für Einkünfte aus unselbständiger Arbeit geltenden Verteilungsnormen lässt sich dagegen nicht entnehmen, dass Arbeitgeber stets auch Personen im abkommensrechtlichen Sinne4 sein müssten, so dass auch Personengesellschaften Arbeitgeber sein können.5

19.435

Arbeitgeber ist nach allgemeinen Grundsätzen, die international weitgehend übereinstimmen,6 derjenige, dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung schuldet, unter dessen Leitung er tätig wird und dessen Weisungen er zu folgen hat.7 Arbeitgeber kann darüber hinaus aber auch jede natürliche oder juristische Person sein, die die Vergütung für die ihr gegenüber geleistete nichtselbständige Tätigkeit wirtschaftlich trägt (wirtschaftlicher Arbeitgeber).8 Dies ist bei Leiharbeitsverhältnissen in aller Regel der Leihnehmer, wenn der Arbeitnehmer in dessen Betrieb eingegliedert ist.9 Entsprechendes gilt in Fällen der Arbeitnehmerentsendung zwischen international verbundenen Unternehmen10 mit der Maßgabe, dass dasjenige Unternehmen als Arbeitgeber gilt, das die Lohnaufwendungen getragen hat oder nach Fremdvergleichsgrundsätzen11 hätte tragen müssen.12 Ob ein derartiger Arbeitgeber im Tätigkeitsstaat ansässig ist, beurteilt sich allein nach Abkommensrecht, so dass entscheidend ist, ob der betreffende Arbeitgeber im Tätigkeitsstaat unbeschränkt steuerpflichtig ist (Art. 4 Abs. 1 OECD-MA). Soweit Personengesellschaften als solche nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, sind sie in

19.436

1 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 94; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 114; Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 56; Wassermeyer in Krause/Schaumburg/Wassermeyer, Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten, 89 (94 f.). 2 Konkret aus Art. 15 Abs. 2 Buchst. a bis c OECD-MA. 3 BFH v. 21.8.1985 – I R 63/80, BStBl. II 1986, 4; BFH v. 29.1.1986 – I R 109/85, BStBl. II 1986, 442, 513; BMF v. 12.11.2014 – IV B 2 - S 1300/08/10027 – DOK 2014/0971694, BStBl. I 2014, 1467, Rz. 93; Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 64; Bourseaux/Sendler in S/D2, Art. 15 OECD-MA Rz. 102; Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 103; Wassermeyer in Krause/ Schaumburg/Wassermeyer, Besteuerung grenzüberschreitender Aktivitäten, 89 (95). 4 Art. 3 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA, also grundsätzlich nur natürliche Personen und Kapitalgesellschaften. 5 BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 128; Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 102; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 114a; Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 61; Bourseaux/Sendler in S/D2, Art. 15 OECD-MA Rz. 102. 6 Hierzu Coulombe, CDFI LXVII b (1982), 63 ff. 7 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 95; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 114; Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 56; Portner, IStR 2014, 43 (436). 8 BFH v. 21.10.1999 – I R 36/95, BStBl. II 2000, 238; v. 23.2.2005 – I R 46/03, BStBl. II 2005, 547; BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 128; hierzu Portner, IStR 2014, 435 ff.; Pinetz/Zeiler, SWI 2014, 18 ff. 9 OECD-MK zu Art. 15 OECD-MA Rz. 8; BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/ 0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 159 ff. 10 BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 129 ff. 11 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 – 20/01, BStBl. I 2001, 796 (Verwaltungsgrundsätze-Arbeitnehmerentsendung). 12 Schmidt in Haase3, Art. 15 OECD-MA Rz. 162; BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 132.

Schaumburg/Häck | 925

Kap. 19 Rz. 19.436 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

dem Staat als ansässig anzusehen, an dem sie den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung haben.1

19.437

Da der Tätigkeitsstaat die Besteuerungsbefugnis erhalten soll, wenn der Arbeitslohn zu Lasten seines Steueraufkommens gezahlt wird, ist das Erfordernis der Zahlung von einem oder für einen im Tätigkeitsstaat ansässigen Arbeitgeber im Sinne eines wirtschaftlichen Arbeitgebers (Rz. 19.436) dann erfüllt, wenn der Arbeitslohn wirtschaftlich von ihm getragen wird,2 insbesondere die Vergütungen unmittelbar von ihm gezahlt oder ihm etwa als gesonderte Umlage weiterberechnet werden.3

19.438

Die vorstehenden Grundsätze gelten entsprechend für jene Fälle, in denen der Arbeitslohn von einer im Tätigkeitsstaat belegenen Betriebsstätte oder festen Einrichtung eines im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers ansässigen Arbeitgebers getragen wurde (Art. 15 Abs. 2 Buchst. c OECD-MA). Auch hier wird dem Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zugewiesen, weil die Arbeitslöhne zu Lasten seines Steueraufkommens gehen.4 Demzufolge kommt es darauf an, ob die Löhne des der Betriebsstätte oder festen Einrichtung funktional zuzuordnenden Personals5 bei der Ermittlung des Gewinns der Betriebsstätte oder der festen Einrichtung als Betriebsausgaben zu berücksichtigen sind.6

4. Besteuerung des Bordpersonals 19.439

Art. 15 Abs. 3 OECD-MA sieht eine Sonderregelung für Vergütungen für unselbständige Arbeit vor, die an Bord eines Seeschiffes oder Luftfahrzeuges, das im internationalen Verkehr betrieben wird, ausgeübt wird. Hintergrund der Sonderregelung sind – wie bspw. bei Art. 8 OECD-MA – die Besonderheiten bei Unternehmen des See- und Luftverkehrs. Die überwiegende Zahl der deutschen DBA enthält eine dem Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2014 entsprechende Regel, wonach dem Geschäftsleitungsstaat7 ein Besteuerungsrecht eingeräumt wird. Die Besteuerungsbefugnis für den Wohnsitzstaat bleibt zwar aufrechterhalten, dieser hat aber die Doppelbesteuerung entweder durch Anrechnung oder durch Freistellung zu vermeiden.8 Einige deutsche DBA und nun auch Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 sehen hingegen ein ausschließliches Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates des Bordpersonals vor. In beiden Fällen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass eine Lokalisierung im Sinne eines Tätigkeitsortes des Bordpersonals nur sehr schwer möglich ist. Im Hinblick darauf tritt bei den Unterneh1 So die ausdrücklichen Regelungen in einigen deutschen Abkommen (Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 111), im Übrigen aufgrund sinngemäßer Anwendung der für Kapitalgesellschaften geltenden Ansässigkeitsregeln; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 114a; Kempermann in F/W/K, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 63; BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, 2018/0353235, BStBl. I 2018, 643 Rz. 122. 2 BFH v. 21.8.1985 – I R 63/80, BStBl. II 1986, 4; BFH v. 29.1.1986 – I R 109/85, BStBl. II 1986, 442; BFH v. 23.2.2005 – I R 46/03, BStBl. II 2005, 547; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 116. 3 Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 116. 4 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 127. 5 BFH v. 24.2.1988 – I R 143/84, BStBl. II 1988, 819. 6 BFH v. 24.2.1988 – I R 143/84, BStBl. II 1988, 819; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 130 ff.; Büscher/Kamphaus in S/K/K, Art. 15 OECD-MA Rz. 198; Reinhold in G/K/ G/K, Art. 15 OECD-MA Rz. 220; BMF v. 12.11.2014 – IV B 2 - S 1300/08/10027 – DOK 2014/ 0971694, BStBl. I 2014, 1467, Rz. 151. 7 Staat, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet. 8 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 273a.

926 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.444 Kap. 19

mensgewinnen das Betriebsstättenprinzip und bei den Einkünften aus unselbständiger Arbeit das Arbeitsortsprinzip zurück.1 Fehlt in einem deutschen DBA eine entsprechende spezielle Verteilungsnorm,2 so bleibt es beim Wohnsitz- und Arbeitsortsprinzip. In diesen Fällen führt die Bestimmung des Tätigkeitsortes von Besatzungen, etwa von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr, zu erheblichen Schwierigkeiten.3

19.440

Ist Deutschland Wohnsitzstaat und ist das DBA Art. 15 OECD-MA 2014 nachgebildet, vermeidet Deutschland eine Doppelbesteuerung durchweg durch Steuerfreistellung. Das gilt im Grundsatz auch dann, wenn im Staat des Ortes der Geschäftsleitung des Unternehmens keine Steuer erhoben wird.4 In einigen deutschen DBA sind allerdings Subject-to-Tax-Klauseln (Rz. 19.141) vorgesehen, so dass dem jeweiligen Wohnsitzstaat die Besteuerung trotz grundsätzlicher Freistellung hilfsweise zufällt.5 Entsprechendes kann sich nach Maßgabe des § 50d Abs. 8 EStG ergeben (Rz. 19.523 f.).

19.441

Die von Art. 15 Abs. 3 OECD-MA angesprochene Besteuerungsbefugnis gilt nur für Vergütungen für eine im Dienste des Unternehmens ausgeübte unselbständige Arbeit an Bord eines Seeschiffes oder Luftfahrzeugs, so dass von der Reichweite dieser Verteilungsnorm lediglich Löhne für Besatzungsmitglieder (Bordpersonal)6 erfasst werden.7

19.442

5. Besteuerung im Wohnsitzstaat Soweit die Besteuerung der Arbeitslöhne dem Staat des Arbeitsortes oder dem Staat des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung zugewiesen ist, bleibt die Besteuerungsbefugnis im Wohnsitzstaat aufrechterhalten.8 In diesen Fällen hat der Wohnsitzstaat allerdings die Doppelbesteuerung entweder durch Freistellung – dies ist in der deutschen Abkommenspraxis die Regel9 – oder durch Anrechnung zu vermeiden.

19.443

Die ausschließliche Besteuerungsbefugnis steht dem Wohnsitzstaat nur dann zu, wenn eine Besteuerung im Staat des Arbeitsortes oder der tatsächlichen Geschäftsleitung abkommensrechtlich ausgeschlossen ist.

19.444

1 Zum lex-specialis-Charakter des Art. 15 Abs. 3 OECD-MA Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 181. 2 Hierzu die Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 236. 3 Hierzu beispielhaft BFH v. 5.10.1977 – I R 250/75, BStBl. II 1978, 50. 4 Insoweit erfolgt eine Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung; hierzu im Einzelnen Rz. 15.8. 5 Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 258 f. 6 Pilot, Kapitän, Steward, Matrose, Küchenpersonal und Küchenberater (BFH v. 8.2.1995 – I R 42/ 94, BStBl. II 1995, 405); Lotsen gehören nicht dazu, weil diese nicht Arbeitnehmer des Schifffahrtunternehmens sind; hierzu Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 196. 7 Zu Einzelheiten Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 188. 8 Es sei denn, die Besteuerungsbefugnis ist ausnahmsweise dem Staat des Arbeitsortes oder der tatsächlichen Geschäftsleitung ausschließlich zugewiesen. 9 Für den Wohnsitzstaat schlägt die Fiktion des Arbeitsorts gem. Art. 15 Abs. 3 OECD-MA grds. auf den Methodenartikel durch (Kempermann in F/W/K. Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 98; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 142; Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 237a; a.A. BFH v. 2.10.2006 – I R 81/04, BStBl. II 2010, 778; v. 11.11.2009 – I R 83/08, BStBl. II 2010, 781; BFH v. 10.1.2012 – I R 36/11, BFH/NV 2012, 1138; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 181).

Schaumburg/Häck | 927

Kap. 19 Rz. 19.445 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.445

In der deutschen Abkommenspraxis sind für Grenzgänger1 Sonderregelungen vorgesehen, die die Besteuerung der Einkünfte aus unselbständiger Arbeit dieses Personenkreises ausschließlich dem Wohnsitzstaat zuweisen.2 Diese Sonderregelung wirkt konstitutiv, weil die Anwesenheit auch von täglich in den Wohnsitzstaat zurückkehrenden Grenzgängern3 im Tätigkeitsstaat zu einem Aufenthalt i.S.d. 183-Tage-Klausel führt (Rz. 19.431).

19.446

Die Grenzgängerregelungen der DBA verfolgen das Ziel, die Grenzgänger vor den Nachteilen der beschränkten Steuerpflicht im Tätigkeitsstaat einerseits und der unbeschränkten Steuerpflicht im Wohnsitzstaat andererseits zu schützen. So wird zwar die individuelle Leistungsfähigkeit im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht im Wohnsitzstaat berücksichtigt, sie käme dort aber nicht zur Geltung, wenn Grenzgänger neben ihren allein im Tätigkeitsstaat zu versteuernden Einkünften aus unselbständiger Arbeit keine weiteren Einkünfte erzielten. Die im Tätigkeitsstaat erzielten Einkünfte aus unselbständiger Arbeit unterlägen dort dagegen der beschränkten Steuerpflicht, ohne dass hierbei die individuelle Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden könnte, wenn es hierfür nicht besondere Vorschriften gäbe.4 Die ausschließliche Besteuerung im Wohnsitzstaat aufgrund der besonderen Grenzgängerregelungen dient daher in besonderem Maße dem steuerlichen Interesse der Grenzgänger.

19.447

Eine ausschließliche Besteuerung im Wohnsitzstaat ist in einigen deutschen DBA auch für Gastprofessoren und Studentenpraktikanten vorgesehen.5 Die die Gastprofessoren betreffenden Sonderregelungen stellen die Vergütungen für eine Lehrtätigkeit, die während eines vorübergehenden Zeitraums von höchstens zwei Jahren gezahlt werden, im Gastland, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, von der Besteuerung frei.6

19.448

Die Besteuerungsbefugnis behält ausschließlich der Wohnsitzstaat, aus dem der Gastprofessor stammt. Das setzt voraus, dass der Gastprofessor in seinem bisherigen Wohnsitzstaat im abkommensrechtlichen Sinne ansässig bleibt. Gibt er den Wohnsitz in seinem ursprünglichen Wohnsitzstaat auf, so entfällt die Sonderregelung grundsätzlich. Einige deutsche DBA gewähren allerdings die Steuerbefreiung im Gastland ohne Rücksicht darauf, ob der Gastprofessor seine Ansässigkeit im ursprünglichen Wohnsitzstaat beibehält.7 Im Hinblick darauf kann es zu einer doppelten Nichtbesteuerung in beiden Staaten kommen.

19.449

Die Steuerfreistellung im Gastland erfolgt im Allgemeinen nur dann, wenn die Lehrtätigkeit an Universitäten, Colleges, Schulen und anderen Lehranstalten8 nur als vorübergehende Tätigkeit angelegt ist und die Aufenthaltsdauer einen Zeitraum von zwei Jahren9 nicht über-

1 Hierzu ausführlich Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 269 ff.; Rauert in S/D2, Art. 15 OECD-MA Rz. 135; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 160 ff.; Kempermann in F/W/K, Art. 15a DBA-Schweiz Rz. 1 ff.; Zwick, Einkommensbesteuerung von Grenzgängern. 2 Hierzu die Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 15 OECD-MA Rz. 301. 3 Zum Merkmal der „regelmäßigen Rückkehr“ nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz BFH v. 27.8.2008 – I R 10/07, BStBl. II 2009, 1; BFH v. 27.8.2008 – I R 64/07, BStBl. II 2009, 97. 4 So in Deutschland: §§ 1 Abs. 3; 1a EStG; zu Einzelheiten Rz. 6.40 ff. 5 Hierzu die Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 40, 62. 6 Ausführlich Prokisch in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 41 ff. 7 Hierzu die Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7 Art. 20 OECD-MA Rz. 59. 8 In einigen deutschen DBA ist auch die Forschungstätigkeit einbezogen; hierzu die Übersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 56. 9 Es kommt auf die Dauer der Lehrtätigkeit nicht an; BFH v. 13.3.1985 – I R 86/80, BStBl. II 1985, 500.

928 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.452 Kap. 19

steigt. Ist die Verweildauer für eine längere Zeit geplant, so erfolgt von vornherein eine Besteuerung nach den allgemeinen Grundsätzen, so dass das Gastland die Besteuerungsbefugnis entweder aufgrund des Arbeitsorts- oder des Wohnsitzprinzips erhält. Erstreckt sich die Lehrtätigkeit entgegen der ursprünglichen Absicht über mehr als zwei Jahre, so entfällt die Steuerbefreiung im Gastland rückwirkend.1

X. Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen Literatur: Kommentare zu Art. 16 OECD-MA; Beiser, Verwaltungsratsvergütungen i.S. des Art. 16 DBA Österreich-Schweiz, SWI 2000, 199; Gerstenberg, Die Besteuerung grenzüberschreitender Aufsichtsratsvergütungen, IWB 2016, 246; Toifl, Die Besteuerung von Geschäftsführern, Vorständen und Aufsichtsräten in Gassner/Lang, Besteuerung und Bilanzierung international tätiger Unternehmen, Wien 1998, 381.

In der internationalen Abkommenspraxis sind besondere Verteilungsnormen für Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen üblich (Art. 16 OECD-MA).2 Diese Verteilungsnormen weisen die Besteuerungsbefugnis vorrangig dem Sitzstaat als Quellenstaat zu. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung wird im Wohnsitzstaat entweder durch Freistellung oder Anrechnung bewirkt.3 Die Besteuerungsbefugnis im Sitzstaat unterliegt grundsätzlich keinen Schrankenwirkungen.

19.450

Die für Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen geltenden Verteilungsnormen gehen den für die Einkünfte aus selbständiger und unselbständiger Arbeit geltenden Verteilungsnormen vor.4

19.451

Nur solche Vergütungen unterliegen der Besteuerung im Sitzstaat, die für die Überwachung der Geschäftsführung einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Gesellschaft5 gezahlt werden.6 Werden die Vergütungen – abgrenzbar7 – auch für andere als für überwachende Tätigkeiten gezahlt, ist eine entsprechende Aufteilung des Entgelts vorzunehmen.8 Da insbesondere im ausländischen Recht eine Abgrenzung zwischen Geschäftsführung einerseits und Überwachung derselben andererseits nicht immer vorgenommen wird (Boardsystem), erstrecken einige deutsche DBA die für Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen geltenden Vertei-

19.452

1 BFH v. 22.7.1987 – I R 224/83, BStBl. II 1987, 842; BMF v. 10.1.1994 – IV C 5 - S 1300 - 196/93, BStBl. I 1994, 14, Nr. 2; Prokisch in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 53. 2 Zur Abgrenzung ggü. anderen Verteilungsnormen Gerstenberg, IWB 2016, 246 ff. 3 Prokisch in V/L7, Art. 16 OECD-MA Rz. 1a; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 16 OECDMA Rz. 1. 4 Prokisch in V/L7, Art. 16 OECD-MA Rz. 4; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 16 OECDMA Rz. 3; Kempermann in F/W/K, Art. 16 DBA-Schweiz Rz. 5; Tcherveniachki in S/D2, Art. 16 OECD-MA Rz. 8; s. auch Gerstenberg, IWB 2016, 246. 5 Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA lediglich Kapitalgesellschaften und andere Gesellschaften, die unmittelbar selbst der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen; Personengesellschaften (Mitunternehmerschaften) aus Sicht des Anwenderstaates Deutschland sind nicht erfasst; vgl. Prokisch in V/L7, Art. 16 OECD-MA Rz. 12; Kempermann in F/W/K, Art. 16 DBA-Schweiz Rz. 14. 6 Prokisch in V/L7, Art. 16 OECD-MA Rz. 12. 7 BFH v. 23.2.2005 – I R 46/03, BStBl. II 2005, 547; BFH v. 27.4.2000 – I B 114/99, BFH/NV 2001, 6. 8 Prokisch in V/L7, Art. 16 OECD-MA Rz. 14 f.; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 16 OECD-MA Rz. 12; Kempermann in F/W/K, Art. 16 DBA-Schweiz Rz. 20; vgl. BFH v. 5.10.1994 – I R 67/93, BStBl. II 1995, 95; BFH v. 5.3.2008 – I R 54, 55/07, I R 54/07, I R 55/07, BFH/NV 2008, 1487 zu allerdings unterschiedlichen Abkommensfassungen.

Schaumburg/Häck | 929

Kap. 19 Rz. 19.452 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

lungsnormen auch auf Vergütungen, die für Geschäftsführungstätigkeiten gezahlt werden.1 Gibt es derartige Sonderregelungen nicht, ist es zwecks Vermeidung von Qualifikationskonflikten sachgerecht, auf das Gesellschaftsrecht des jeweiligen Sitzstaates der Gesellschaft abzustellen.2

XI. Einkünfte von Künstlern und Sportlern Literatur: Kommentare zu Art. 17 OECD-MA; Ebling in Ebling/Schulze, Kunstrecht, 2. Aufl., München 2012; Geils, Besteuerung von Künstlergesellschaften im Rahmen des § 50a EStG und nach dem OECD-Musterabkommen, IWB 2020, 129; Görl, Die freien Berufe im Internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, München 1983; Grossmann, Die Besteuerung des Künstlers und Sportlers im internationalen Verhältnis, Bern/Stuttgart/Wien 1992; Hahn-Joecks, Zur Problematik der Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler, Baden-Baden 1999; Holthaus, Ausländische Künstler und Sportler im Steuerrecht, 3. Aufl., Herne 2020; Loydolt, Der Künstlerdurchgriff im DBA-Recht, SWI 1996, 545; Maßbaum, Die beschränkte Steuerpflicht der Künstler und Berufssportler unter Berücksichtigung des Steuerabzugsverfahrens, Herne/Berlin 1991; Mody, Problembereiche der Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Künstler und Sportler, in FS für Fischer, Berlin 1999, 769; Mody, Die deutsche Besteuerung international tätiger Künstler und Sportler, Baden-Baden 1994; Pöllath, Künstler und Sportler in der beschränkten Steuerpflicht, in Haarmann (Hrsg.), Die beschränkte Steuerpflicht, Köln 1993, 54; Rief, Künstler und Sportler, in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, Wien 1994, 237; Schauhoff/Cordewener/Schlotter, Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler in der EU, München 2008; Steiner, Steuerrecht im Sport, Stuttgart 2009.

19.453

Die DBA enthalten für die Einkünfte3 von Künstlern und Sportlern eigenständige Verteilungsnormen, die unabhängig davon eingreifen, ob die Künstler oder Sportler selbständig oder unselbständig tätig sind (Art. 17 OECD-MA). Aufgrund dieser Verteilungsnormen wird die Besteuerungsbefugnis vorrangig dem Tätigkeitsstaat als Quellenstaat zugewiesen. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Anrechnung oder Freistellung obliegt dem Wohnsitzstaat. Soweit eine Freistellung vorgesehen ist, erfolgt diese grundsätzlich ohne Rücksicht auf die tatsächliche Besteuerung.

19.454

In einigen deutschen DBA sind Sonderregeln für den Kulturaustausch vorgesehen, wonach die Besteuerung der Einkünfte der Künstler und Sportler beim Wohnsitzstaat verbleibt, wenn diese im Rahmen eines von den Vertragsstaaten gebilligten offiziellen Kulturaustausches auftreten4 oder der Auftritt der ausländischen Künstler oder Sportler aus öffentlichen Mitteln subventioniert wird.5

19.455

Die für Einkünfte von Künstlern und Sportlern geltenden Verteilungsnormen (Art. 17 OECDMA) gehen den für die Einkünfte aus selbständiger und unselbständiger Arbeit geltenden Verteilungsnormen vor (Art. 17 Abs. 1 OECD-MA). Selten beschränkt sich dieses Spezialitätsverhältnis allerdings auf Einkünfte selbständig tätiger Künstler und Berufssportler.6 Darüber hinaus treten auch die für Unternehmensgewinne geltenden Verteilungsnormen zurück (Art. 7 Abs. 7 OECD-MA), so dass die Einkünfte etwa von Berufssportlern ebenfalls den für Künst-

1 Hierzu die Abkommensübersicht bei Prokisch in V/L7, Art. 16 OECD-MA Rz. 19. 2 A.A. Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 16 OECD-MA Rz. 15. 3 Einkünfte im Sinne von Einnahmen; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 35. 4 Abkommensübersicht bei Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 94. 5 Abkommensübersicht bei Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 94. 6 Abkommensübersicht bei Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 74.

930 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.457 Kap. 19

ler und Sportler geltenden Verteilungsnormen unterliegen.1 Die Anwendung dieser Spezialregelung führt dazu, dass die vorbezeichneten Einkünfte der vorrangigen Besteuerung im Tätigkeitsstaat auch dann unterliegen, wenn keine Betriebsstätte (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) oder ständige Einrichtung (Art. 14 Abs. 1 OECD-MA a.F.) vorliegt oder die 183-Tage-Klausel (Art. 15 Abs. 2 OECD-MA) nicht eingreift. Die Besteuerung wird dem Tätigkeitsstaat zugewiesen, wenn dort Künstler oder Sportler ihre Tätigkeit persönlich ausüben. Da die betreffenden Verteilungsnormen auf die persönlich ausgeübte Tätigkeit abstellen, kommen nur natürliche Personen als Künstler und Sportler in Betracht, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie einzeln oder gesellschaftsrechtlich verbunden als Mitglieder von Orchestern, Chören, Theater oder Sportmannschaften2 auftreten.3 Die Begriffe Künstler4 und Sportler5 sind zwar in den DBA nicht unmittelbar definiert, die betreffenden Verteilungsnormen enthalten aber durchweg eine beispielhafte Aufzählung verschiedener Arten von Künstlern, aus denen insgesamt geschlossen werden kann, dass nur Künstler gemeint sind, die im Tätigkeitsstaat ein Werk vortragen oder aufführen oder aber bei dem Vortrag oder der Aufführung eines Werkes künstlerisch mitwirken.6 Zum Kreis dieser vortragenden oder aufführenden Künstler gehören entsprechend der Aufzählung in den DBA Bühnen-, Film-, Rundfunk- und Fernsehkünstler sowie Musiker7 und darüber hinaus auch Artisten und sonstige Unterhaltungskünstler.8 Die Einkünfte von schaffenden Künstlern, insbesondere von Malern, Bildhauern, Schriftstellern und Komponisten fallen daher nicht unter die für Künstler und Sportler geltenden Verteilungsnormen der DBA.9 Die vorgenannten Abgrenzungskriterien gelten auch für Sportler, die Wettkämpfe vor einem Publikum veranstalten.10

19.456

Die meisten deutschen DBA beziehen in die für Künstler und Sportler geltenden Verteilungsnormen allerdings nur berufsmäßige11 Künstler und Sportler ein,12 so dass Einkünfte aus ei-

19.457

1 Stv. Schlotter in S/D2, Art. 17 OECD-MA Rz. 7. 2 Nicht aber Sportvereine; Maßbaum in G/K/G/K, Art. 17 OECD-MA Rz. 71. 3 OECD-MK zu Art. 17 OECD-MA Ziff. 8; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 55 ff.; Maßbaum in G/K/G/K, Art. 17 OECD-MA Rz. 126. 4 Zum Begriff im Einzelnen BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16, BFH/NV 2019, 149; BFH v. 30.5.2018 – I R 62/16, BFH/NV 2019, 62; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 21 ff.; Schlotter in S/D2, Art. 17 OECD-MA Rz. 30 ff.; Kempermann in F/W/K, Art. 17 DBA-Schweiz Rz. 11; Mody in S/K/K, Art. 17 OECD-MA Rz. 13 ff. 5 Zum Begriff im Einzelnen BFH v. 20.12.2017 – I R 98/15, BFH/NV 2018, 497; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 26 ff.; Schlotter in S/D2, Art. 17 OECD-MA Rz. 35; Kempermann in F/W/K, Art. 17 DBA-Schweiz Rz. 14; Mody in S/K/K, Art. 17 OECD-MA Rz. 20 ff. 6 BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16, BFH/NV 2019, 149; BFH v. 8.4.1997 – I R 51/96, BStBl. II 1997, 679; Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 22, 31; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 36; Kempermann in F/W/K, Art. 17 DBA-Schweiz Rz. 10; Foddanu in Haase3, Art. 17 OECD-MA Rz. 26, 28, 31. 7 Zu weiteren Einzelheiten Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 23, 24; Kempermann in F/W/K, Art. 17 DBA-Schweiz Rz. 10. 8 Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 22. 9 Vgl. zur Abgrenzung bei einem Lichtdesigner BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16, BFH/NV 2019, 149. 10 Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 31. 11 Im Sinne der Ausübung einer nachhaltigen Tätigkeit; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 32. 12 Abkommensübersicht bei Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 64, 72.

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Kap. 19 Rz. 19.457 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

ner bloß gelegentlichen künstlerischen oder sportlichen Tätigkeit in der deutschen Abkommenspraxis zumeist unter die allgemeinen Verteilungsnormen fallen (Art. 7, 14 a.F., 15 OECDMA). Die Verwertung künstlerischer oder sportlicher Tätigkeit scheidet als Anknüpfungspunkt für die Besteuerung abkommensrechtlich grundsätzlich aus.1 Soweit demgegenüber nach nationalem Recht, etwa gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG, die beschränkte Steuerpflicht auch an die Verwertung künstlerischer oder sportlicher Tätigkeit anknüpft, unterliegt diese den Schrankenwirkungen der DBA. Einkünfte, insbesondere aus der Verwertung künstlerischer Tätigkeit, werden als Unternehmensgewinne oder Lizenzgebühren regelmäßig den dafür vorgesehenen speziellen Verteilungsnormen der DBA (Art. 7, 12 OECD-MA) unterliegen, so dass insoweit regelmäßig das Wohnsitzprinzip eingreift.2 Wird sowohl für die künstlerische Tätigkeit selbst als auch für deren Verwertung gezahlt,3 kommt eine entsprechende Aufteilung des Entgelts in Betracht.4 Vergütungen, die Künstler oder Sportler von Sponsoren erhalten, unterliegen den für Künstler und Sportler geltenden speziellen Verteilungsnormen nur dann, wenn diese für bestimmte Tätigkeiten, z.B. eine Veranstaltung, gezahlt werden.5 Zu diesen unter Art. 17 Abs. 1 OECD-MA fallenden auftrittsbezogenen Entgelten zählen insbesondere Werbevergütungen, die für bestimmte Auftritte gezahlt werden,6 sowie Vergütungen, die für das Tragen eines Logos auf der Bekleidung eines Sportlers oder für die Benutzung bestimmter Sportgeräte während eines Wettkampfes gezahlt werden.7 Gegebenenfalls hat auch hier eine Aufteilung der Entgelte zu erfolgen.8 Im Übrigen handelt es sich bei den Werbevergütungen um Einkünfte, die unter den Anwendungsbereich der allgemeinen Verteilungsnormen (Art. 7, 14 a.F., 15 OECD-MA) fallen.

19.458

Um eine Steuerumgehung zu verhindern, enthalten die für Künstler und Sportler geltenden Verteilungsnormen durchweg Sondervorschriften für Künstler- und Sportlerverleihgesellschaften.9 Hiernach hat der Tätigkeitsstaat auch dann die Besteuerungsbefugnis, wenn die Einkünfte aus einer von einem Künstler oder Sportler persönlich ausgeübten Tätigkeit nicht dem Künstler oder Sportler selbst, sondern einer anderen Person zufließen, soweit diese Person in

1 BFH v. 22.10.1986 – I R 261/82, BStBl. II 1987, 171; Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 43; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 36a; Maßbaum in G/K/G/K, Art. 17 OECD-MA Rz. 110; s. aber Art. 16 Abs. 3 DE-VG, krit. hierzu Schwenke in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 82. 2 In einigen deutschen DBA wird allerdings auch die Verwertung von Art. 17 OECD-MA erfasst; vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 80 ff. 3 Z.B. für Tonträgeraufnahmen bei Live-Konzerten. 4 Hierzu im Einzelnen BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350, Rz. 87; Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 43; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 36c; Maßbaum in G/K/G/K, Art. 17 OECD-MA Rz. 138; Schlotter in S/D2, Art. 17 OECD-MA Rz. 9 ff.; Kempermann in F/W/K, Art. 17 DBA-Schweiz Rz. 7 ff. 5 Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 53 f. 6 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350, Rz. 82; Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 9; Schlotter in S/D2, Art. 17 OECD-MA Rz. 47; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 41. 7 Schlotter in S/D2, Art. 17 OECD-MA Rz. 47; Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 9; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 41; Hahn-Joecks, Zur Problematik der Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler, 84 ff.; Mody in S/K/K, Art. 17 OECD-MA Rz. 26 ff.; Mody in FS Fischer, 769 (780); a.A. Maßbaum in G/K/G/K, Art. 17 OECD-MA Rz. 151. 8 Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 42. 9 Art. 17 Abs. 2 OECD-MA; zur deutschen Abkommenspraxis im Einzelnen Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 135; Beispielsfall bei Geils, IWB 2020, 129.

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.459 Kap. 19

einem der beiden Vertragsstaaten ansässig ist.1 Ohne diese Sonderregelung verbliebe es insbesondere für die in der Praxis nicht selten anzutreffenden Künstlerverleihgesellschaften bei der Besteuerungsbefugnis des Sitzstaates dieser Gesellschaft (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA), weil im Tätigkeitsstaat in aller Regel keine Betriebsstätte (Art. 7 Abs. 1 i.V. mit Art. 5 OECD-MA) begründet wird.2 Von Art. 17 Abs. 2 OECD-MA werden auch Managementgesellschaften3 sowie ausländische Dachverbände und Sportorganisationen erfasst, die Einkommen für den Auftritt eines Künstlers, Sportlers oder einer entsprechenden Gruppe von Künstlern oder Sportlern beziehen.4 Entsprechendes gilt auch für Ensembles, Gruppen und Orchester, soweit diese als juristische Personen organisiert sind,5 womit im Ergebnis die Gewinne der Gesellschaft besteuert werden.6 Die vorstehenden für Künstler- und Sportlerverleihgesellschaften geltenden besonderen Verteilungsregeln finden ihre Parallele in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG (Rz. 6.191).

XII. Ruhegehälter Literatur: Kommentare zu Art. 18 OECD-MA; Beckers, Internationale Probleme bei der Besteuerung von deferred Compensation, Baden-Baden 2007; Bieri, Die Besteuerung der Renten- und Kapitalabfindungen, Diss. Sankt Gallen 1970; Burgstaller, Mitarbeiter-Stock-Options im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2006; Deutschmann, Vergütungshalber gewährte Aktienoptionen im deutschen und US-amerikanischen Steuerrecht, Baden-Baden 2000; Ebel, Lohnsteuerliche Gestaltungen durch Deferred Compensation (Arbeitnehmerfinanzierte betriebliche Altersversorgung), FR 2000, 241; Firlinger, Arbeitnehmerbeiträge und Pensionseinrichtungen, in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, Wien 1994, 263; Fischer, Betriebspensionen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2001; Gassner/Konezny, Leistungen von Pensionskassen im DBA-Recht in Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer, Arbeitnehmer im Recht der DBA, Wien 2003; Ismer, Ruhegehälter nach Art. 18 OECD-MA: Grundlagen und aktuelle Entwicklungen, IStR 2011, 577; Mössner, International-steuerrechtliche Fragen bei Gehaltsumwandlungen, CDFI, LXXXVb (2000); Musil, Die Besteuerung der Renten mobiler Arbeitnehmer, FR 2014, 45; Portner, Versorgungsleistungen im Abkommensrecht, IStR 2015, 633; Reimer, Ort des Unterlassens, München 2004; Rochow, Alterseinkünfte im internationalen Kontext unter Berücksichtigung der deutschen DBA-Politik, ISR 2013, 181; Steinhäuser, Internationale Aspekte der Besteuerung von Arbeitnehmerabfindungen, Baden-Baden 2003; Toifl, Pensionen im DBA-Recht in Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer, Arbeitnehmer im Recht der DBA, Wien 2003.

Für Ruhegehälter7 wird in der internationalen Abkommenspraxis aufgrund besonderer Verteilungsnormen (Art. 18 OECD-MA) allgemein das Wohnsitzprinzip statuiert, und zwar ohne Rücksicht darauf, in welchem Staat die frühere unselbständige Tätigkeit ausgeübt wurde.8 Ab1 Stockmann in V/L7, Art. 17 OECD-MA Rz. 115; Schwenke/Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 17 OECD-MA Rz. 63; Schlotter in S/D2, Art. 17 OECD-MA Rz. 69; Maßbaum in G/K/G/K, Art. 17 OECD-MA Rz. 242 f.; a.A. Grossmann, Die Besteuerung des Künstlers und Sportlers im internationalen Verhältnis, 170 ff. 2 Vgl. aber zu ggf. notwendigen Aufteilung bei einer Gesamtvergütung BFH v. 25.4.2018 – I R 59/ 15, BStBl. II 2018, 624. 3 OECD-MK zu Art. 17 OECD-MA Ziff. 11a. 4 Die von den Managementgesellschaften an die Künstler und Sportler gezahlten Vergütungen unterliegen bereits gem. Art. 17 Abs. 1 OECD-MA der Besteuerung im Tätigkeitsstaat. 5 OECD-MK zu Art. 17 OECD-MA Ziff. 11b. 6 Loydolt, SWI 1996, 545 (547). 7 Im Sinne von Einnahmen; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 18 OECD-MA Rz. 16. 8 Das Wohnsitzprinzip ist im Hinblick auf die sog. nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften in Deutschland problematisch; hierzu Hick in S/D2, Art. 18 OECD-MA Rz. 5 ff.; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 153 ff.; Musil, FR 2014, 45 (48).

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19.459

Kap. 19 Rz. 19.459 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

weichend hiervon1 sehen einige deutsche DBA eine Steuerbefreiung im Wohnsitzstaat vor2 oder räumen dem früheren Tätigkeitsstaat als Quellenstaat eine uneingeschränkte Besteuerungsbefugnis oder eine Quellensteuerbefugnis ein.3

19.460

Die für Ruhegehälter geltenden Verteilungsnormen erfassen ausdrücklich nur private Ruhegehälter, nicht aber Ruhegehälter aus dem öffentlichen Dienst.4 Der Rechtsgrund für die privaten Ruhegehälter muss unmittelbar in einem beendeten Arbeitsverhältnis liegen, und sie müssen in erster Linie der Versorgung des Empfängers dienen.5 Im Hinblick darauf zählen zu den Ruhegehältern und ähnlichen Vergütungen Witwen- und Waisenpensionen6 und Zahlungen aus Pensionskassen,7, nicht aber Sozialversicherungsrenten,8 Überbrückungsgelder9 sowie Veräußerungsrenten.10

19.461

Zu den Ruhegehältern zählen grundsätzlich nicht Zahlungen aus einem früheren Arbeitsverhältnis, insbesondere keine Abfindungen, die einem Arbeitnehmer für sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis oder für die Einhaltung eines Wettbewerbsverbots gewährt werden.11 Derartige Zahlungen unterliegen den für unselbständige Arbeit geltenden Verteilungsnormen.

XIII. Einkünfte aus dem öffentlichen Dienst Literatur: Kommentare zu Art. 19 OECD-MA; Lang, M., Gehälter nach Art. 19 Abs. 2 OECD-MA, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 879; Knepper/Dornbusch, Das Kassenstaatsprinzip, SAM 2018, 105; Müller, Regelungen nach dem Kassenstaatsprinzip in Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 1993, 318; Raschauer, Vergütungen für Dienste in Ausübung öffentlicher Funktionen, SWI 1993, 79; Rodi, Das Kassenstaatsprinzip im nationalen und internationalen Steuerrecht, RIW 1992, 484.

1 Zur jüngeren deutschen Abkommenspraxis s. Portner, IStR 2015, 633 (639); Ismer, IStR 2011, 577 (582 f.). 2 Abkommensübersicht bei Ismer/Ruß in V/L7, Art. 18 OECD-MA Rz. 52, 77. 3 Abkommensübersicht bei Ismer/Ruß in V/L7, Art. 18 OECD-MA Rz. 52, 74 f. So auch Art. 17 Abs. 2 DE-VG für Leistungen aufgrund des Sozialversicherungsrechts eines Vertragsstaats, vgl. hierzu Rochow, ISR 181 (183 ff.). 4 Diese werden von Art. 19 Abs. 2 OECD-MA erfasst. 5 BFH v. 27.1.1972 – I R 37/70, BStBl. II 1972, 459; BFH v. 12.10.1978 – I R 69/75, BStBl. II 1979, 64; Ismer/Ruß in V/L7, Art. 18 OECD-MA Rz. 15; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 18 OECD-MA Rz. 17; a.A. Ebel, FR 2000, 241 ff. 6 Ismer/Ruß in V/L7, Art. 18 OECD-MA Rz. 17. 7 Ismer/Ruß in V/L7, Art. 18 OECD-MA Rz. 18; modifizierend Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 18 OECD-MA Rz. 16a, 23; Gassner/Konezny in Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer, Arbeitnehmer im Recht der DBA, 320 ff. 8 Jedenfalls für die bis zum Jahre 2005 abgeschlossenen DBA. Hierzu ausf. Ismer/Ruß in V/L7, Art. 18 OECD-MA Rz. 29 b; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 18 OECD-MA Rz. 18; Hick in S/D2, Art. 18 OECD-MA Rz. 80; s. nun aber Art. 17 Abs. 2 DE-VG. 9 Haase in Haase3, Art. 18 OECD-MA Rz. 16; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 18 OECD-MA Rz. 25: Anwendung von Art. 15 OECD-MA. 10 Ismer/Ruß in V/L7, Art. 18 OECD-MA Rz. 33; Hick in S/D2, Art. 18 OECD-MA Rz. 91: Anwendung von Art. 13 OECD-MA. 11 BFH v. 27.1.1972 – I R 37/70, BStBl. II 1972, 459; BFH v. 18.7.1973 – I R 52/69, BStBl. II 1973, 757; BFH v. 9.11.1977 – I R 254/75, BStBl. II 1978, 195; Haase in Haase3, Art. 18 OECD-MA Rz. 16.

934 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.465 Kap. 19

Vergütungen1 für im öffentlichen Dienst geleistete Arbeit unterliegen in der internationalen Abkommenspraxis allgemein dem Kassenstaatsprinzip, so dass allein der Staat zur Besteuerung befugt ist, der die Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen zahlt.2 Die Kehrseite dieses ausschließlichen Kassenstaatsprinzips ist die grundsätzliche Freistellung der Bezüge aus dem öffentlichen Dienst im Wohnsitzstaat, sofern dieser nicht mit dem Kassenstaat identisch ist. In Abweichung von diesem Kassenstaatsprinzip (Art. 19 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA) gilt das ausschließliche Wohnsitzprinzip, wenn die Dienste im Wohnsitzstaat geleistet werden, die betreffende Person dort ansässig ist und sie die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzt oder sie aus anderen Gründen als zur Arbeitsausübung in diesem Staat ansässig geworden ist (Art. 19 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA, sog. Ortskräfte).

19.462

Die für die Bezüge aus dem öffentlichen Dienst geltenden Verteilungsnormen erfassen auch Ruhegehälter (Art. 19 Abs. 2 OECD-MA) und gehen den für private Ruhegehälter geltenden Verteilungsnormen als spezielleres Recht vor (Art. 18 OECD-MA). Die Reichweite der erfassten Einkünfte ist allerdings begrenzt. Erfasst werden nämlich nicht die Einkünfte der Diplomaten und Konsulatsbeamten, für die die Art. 37 WÜD bzw. Art. 49 und 71 WÜK3 fiskalische Immunität, also eine Freistellung der Einkünfte im Empfangsstaat, vorsehen.4 Erfasst werden schließlich auch nicht Vergütungen und Ruhegehälter, die im Rahmen der gewerblichen Tätigkeit eines Vertragsstaates oder einer seiner Gebietskörperschaften gezahlt werden (Art. 19 Abs. 3 OECD-MA). Angesprochen sind damit Betriebe gewerblicher Art der öffentlichen Hand, insbesondere staatliche und kommunale Eigenbetriebe, und zwar unabhängig davon, ob sie mit Gewinn oder nur kostendeckend arbeiten.5 In diesen Fällen finden die für Einkünfte aus unselbständiger Arbeit (Art. 15 OECD-MA), Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen (Art. 16 OECD-MA), Einkünfte von Künstlern und Sportlern (Art. 17 OECD-MA) sowie Ruhegehälter (Art. 18 OECD-MA) geltenden Verteilungsnormen Anwendung.

19.463

Abweichend hiervon beschränken die meisten deutschen DBA die vorgenannte Ausnahme vom Kassenstaatsprinzip nur auf Eigenbetriebe der öffentlichen Hand, die mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden.6

19.464

Die Besteuerungsbefugnis des Kassenstaates setzt voraus, dass die Vergütungen gezahlt werden für Dienste, die ggü. dem Kassenstaat selbst oder seinen Gebietskörperschaften erbracht werden. Diese müssen Schuldner des Lohns oder des Gehalts sein. Es reicht daher grundsätzlich nicht aus, wenn der Kassenstaat nur die Zahlung für einen anderen Auftraggeber ausführt.7 Ab-

19.465

1 Im Sinne von Einnahmen. 2 Art. 19 OECD-MA; zur Rechtfertigung für den Vorrang des Quellenstaates Dürrschmidt in V/L7, Art. 19 OECD-MA Rz. 2; Haase in Haase3, Art. 19 OECD-MA Rz. 2; Rodi, RIW 1992, 484 (487); kritisch dagegen Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 19 OECD-MA Rz. 1. 3 WÜD und WÜK gehen den DBA vor; Art. 28 OECD-MA; zum WÜD und WÜK im Einzelnen Rz. 6.39. 4 Kritisch hierzu Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 19 OECD-MA Rz. 1. 5 Dürrschmidt in V/L7, Art. 19 OECD-MA Rz. 84; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 19 OECD-MA Rz. 168; Kempermann in F/W/K, Art. 19 DBA-Schweiz Rz. 28 ff. 6 Abkommensübersicht bei Dürrschmidt in V/L7, Art. 19 OECD-MA Rz. 90, 91; zu weiteren Besonderheiten Rodi, RIW 1992, 484 (487 f.). 7 BFH v. 2.3.1988 – I R 96/84, BStBl. II 1988, 768; BFH v. 31.7.1991 – I R 47/90, HFR 1992, 168; BFH v. 4.12.1991 – I R 38/91, BStBl. II 1992, 548; BFH v. 13.8.1997 – I R 65/95, BStBl. II 1998, 21; BFH v. 23.9.1998 – I B 53/98, BFH/NV 1999, 458; zu Einzelheiten Dürrschmidt in V/L7, Art. 19 OECD-MA Rz. 28; Wassermeyer/Drüen in Wassermeyer, Art. 19 OECD-MA Rz. 41; Rodi, RIW 1992, 484 (488 ff.).

Schaumburg/Häck | 935

Kap. 19 Rz. 19.465 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

weichend hiervon enthält § 50d Abs. 7 EStG eine verbindliche Auslegung dahingehend, dass das Besteuerungsrecht des Kassenstaates auch dann erhalten bleibt, wenn die Zahlungen aus öffentlichen Mitteln stammen, unabhängig davon, ob das betreffende Dienstverhältnis zum Kassenträger oder zu einer anderen Person1 besteht.2 In einigen deutschen DBA wird das Kassenstaatsprinzip über die Gebietskörperschaften hinaus allgemein auf juristische Personen des öffentlichen Rechts3 erstreckt.4

XIV. Einkünfte von Studenten Literatur: Kommentare zu Art. 20 OECD-MA; Bauer, Studenten, Gastlehrer und Gastprofessoren im DBA-Recht in Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer, Arbeitnehmer im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2003, 225; Flick/Flick-Pistorius, Zur Frage des steuerlichen (Studenten-) Wohnsitzes, DStR 1989, 623; Hauser, Students, Researchers and Lectures in Trial Cases in Lang, Triangular Cases, Wien 2004, 395; Ismer, Bildungsaufwand im Steuerrecht, Köln 2006; Strasser, Die Verteilung der Besteuerungsrechte nach den Doppelbesteuerungsabkommen bei Einkünften von Studenten (Art. 20 OECD-MA) in Gassner/Lang/Schuch, Die Verteilung der Besteuerungsrechte zwischen Ansässigkeits- und Quellenstaat im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2005, 407; Zehetner, Gastprofessoren, Gastlehrer, Studenten und Auszubildende nach dem neuen DBA Österreich-Deutschland in Gassner/Lang/Lechner, Das neue Doppelbesteuerungsabkommen Österreich-Deutschland, Wien 1999, 185.

19.466

Die internationale Abkommenspraxis enthält für Zahlungen, die Studenten, Praktikanten oder Lehrlinge für ihren Unterhalt, ihr Studium oder ihre Ausbildung erhalten, Sonderregelungen (Art. 20 OECD-MA). Diese sehen vor, dass die Zahlungen im Aufenthaltsstaat (Gastland) freigestellt werden, wenn die Zahlungen aus Quellen außerhalb des Gastlandes stammen. Diese Sonderregelungen unterscheiden sich von den übrigen abkommensrechtlichen Verteilungsnormen insbesondere dadurch, dass durch sie das Besteuerungsrecht nicht zwischen Quellenstaat und Wohnsitzstaat aufgeteilt oder einem von ihnen zugewiesen wird.5 Sie beschränkt sich vielmehr darauf, die Freistellung im Gastland anzuordnen, ohne Rücksicht darauf, ob der Student in diesem Staat seinen Wohnsitz begründet6 oder nicht.

19.467

Um überhaupt die Schrankenwirkungen der DBA für sich in Anspruch nehmen zu können, müssen die betreffenden Studenten usw. grundsätzlich in einem der beiden Vertragsstaaten, deren Abkommen zur Anwendung kommen soll, ansässig sein (Art. 1 OECD-MA). Dieser Grundsatz, wonach die Ansässigkeit entweder im Herkunftsland oder im Gastland gegeben 1 Z.B. Auslandsschulen, Goethe-Institut. 2 Treaty-Overriding; hierzu BFH v. 8.9.2021 – I R 17/18, DStR 2022, 352 = ISR 2022, 148; Lampert in S/D2, Art. 19 OECD-MA Rz. 33; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 34. 3 Abkommensübersicht bei Dürrschmidt in V/L7, Art. 19 OECD-MA Rz. 36, 37; das Kassenstaatsprinzip gilt grundsätzlich nicht für bei der Deutsche Post AG und der Deutsche Bahn AG beschäftigte Bundesbeamte, vgl. BFH v. 17.12.1997 – I R 60-61/97, BStBl. II 1999, 13; Vfg. OFD Frankfurt v. 23.8.1999, RIW 1999, 808; anders dagegen die Regelungen in einigen deutschen DBA; hierzu die Abkommensübersicht bei Dürrschmidt in V/L7, Art. 19 OECD-MA Rz. 36, 40, 40a. 4 Zu weiteren Besonderheiten deutscher DBA Dürrschmidt in V/L7, Art. 19 OECD-MA Rz. 37 ff.; vgl. ferner Art. 18 Abs. 5 DE-VG, wonach das Kassenstaatsprinzip bei Vorliegen entsprechender Vereinbarungen zwischen den zuständigen Behörden auf Vergütungen des Goethe-Instituts, des DAAD sowie der Außenhandelskammer erschwert wird; die normative Umsetzung soll durch Rechtsverordnung auf Grundlage der Ermächtigung in § 2 Abs. 3 Nr. 2 AO erfolgen. 5 Reichold in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 2b; Lampert in S/D2, Art. 20 OECD-MA Rz. 3; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 20 OECD-MA Rz. 43. 6 Zum steuerlichen Wohnsitz von Studenten Flick/Flick-Pistorius, DStR 1989, 623 ff.

936 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.472 Kap. 19

sein muss, erfährt durch Art. 20 OECD-MA allerdings eine Ausnahme: Ein in keinem der beiden Staaten ansässiger Student usw. kann die Steuerbefreiung im Gastland beanspruchen, wenn er unmittelbar vor Aufnahme seines dortigen Studiums im Herkunftsland ansässig war.1 Der Sinn und Zweck der für Ausbildungsvergütungen geltenden Verteilungsnormen geht dahin, den Ausbildungsaustausch zwischen den Staaten zu fördern.2 Es soll verhindert werden, dass Unterhalts- und Ausbildungsbeihilfen durch eine Besteuerung im Gastland geschmälert werden. Aus deutscher Sicht unterliegen nämlich derartige Zahlungen aus dem Ausland als sonstige Einkünfte (§ 22 Nr. 1 Satz 2 EStG) grundsätzlich der Einkommensteuer, soweit der Empfänger unbeschränkt steuerpflichtig ist.

19.468

Der Begriff des Studenten, Praktikanten oder Lehrlings ist in den Abkommen zwar nicht definiert, eine am Sinn und Zweck des Art. 20 OECD-MA orientierte Auslegung aus dem Sinnzusammenhang (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA) gebietet es aber, den begünstigten Personenkreis weit zu fassen und auf Schüler und Volontäre auszudehnen.3 Die deutschen Abkommen sind allerdings mitunter enger gefasst und betreffen zum Teil nur Studenten.4

19.469

Voraussetzung für die Freistellung im Gastland ist in allen Fällen grundsätzlich, dass sich die begünstigten Personen im Gastland für Zwecke des Studiums aufhalten. Es reicht aus, dass die Ausbildung der Hauptzweck des Aufenthaltes ist.5 Im Hinblick darauf entfällt die abkommensrechtliche Steuerbefreiung auch nicht dadurch rückwirkend, dass sich der Student nach Abschluss seiner Ausbildung noch einige Zeit im Gastland aufhält, um etwa Geld für seine Rückreise in das Herkunftsland zu verdienen.6

19.470

Da der Aufenthalt im Gastland für Zwecke der Ausbildung nur auf vorübergehende Dauer angelegt ist, gilt die abkommensrechtliche Steuerbefreiung auch nur für diejenigen Ausbildungs- und Unterhaltsbeihilfen, die für den Zweck der Ausbildung geleistet werden.7 Deshalb sehen einige deutsche DBA von vornherein eine zeitliche Begrenzung der Steuerbefreiung vor.8 Darüber hinaus begrenzen einige deutsche DBA die Steuerbefreiung mitunter auch der Höhe nach.9

19.471

Die Steuerbefreiung wird im Gastland nur für diejenigen Unterhalts- und Ausbildungsbeihilfen gewährt, die aus Quellen außerhalb des Gastlandes stammen. Viele deutsche DBA enthal-

19.472

1 Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 20 OECD-MA Rz. 39 f.; Lampert in S/D2, Art. 20 OECD-MA Rz. 23 ff. 2 Reichold in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 2; Lampert in S/D2, Art. 20 OECD-MA Rz. 2. 3 Reichold in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 6a; Lampert in S/D2, Art. 20 OECD-MA Rz. 20; Stoffersen in S/K/K, Art. 20 OECD-MA Rz. 9; Kolb in G/K/G/K, Art. 20 Rz. 12; Bauer in Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer, Arbeitslohn im Recht der DBA, 225 (231). 4 Abkommensübersicht bei Reichold in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 23. 5 Lampert in S/D2, Art. 20 OECD-MA Rz. 26 f.; Reichold in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 11a; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 20 OECD-MA Rz. 36; Zehetner in Gassner/Lang/Lechner, Das neue DBA Österreich-Deutschland, 185 (204). 6 FinMin. NW v. 8.2.1965, WPg. 1965, 189; FinMin. NW v. 17.11.1966, AWD 1966, 486. 7 Reichold in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 18; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 20 OECD-MA Rz. 20. 8 Abkommensübersicht bei Reichold in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 28 f. 9 In Fällen der staatlichen und privaten Entwicklungshilfe; vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Reichold in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 30 f.

Schaumburg/Häck | 937

Kap. 19 Rz. 19.472 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

ten hier allerdings großzügigere Regelungen insofern, als für einen begrenzten Zeitraum – zumeist für drei Jahre – auch Vergütungen für eine im Gastland ausgeübte unselbständige Arbeit freigestellt werden, soweit sie dazu dienen, Ausbildungs- und Unterhaltsbeihilfen zu ergänzen.1

XV. Andere Einkünfte Literatur: Kommentare zu Art. 21 OECD-MA; Zeitlhofer, Other Income – Art. 21 OECD-MC in Aigner/Loukota, Source vs. Residence in International Tax Law, Wien 2005, 281.

19.473

Die DBA enthalten zumeist Auffangklauseln (Art. 21 OECD-MA) zugunsten des Wohnsitzstaates für diejenigen Einkünfte,2 die von den speziellen Verteilungsnormen (Art. 6 bis 20 OECD-MA) nicht erfasst werden.3 Hierunter fallen im Wesentlichen Einkünfte aus dem Quellenstaat, soweit sie ihrer Art nach nicht den speziellen Verteilungsnormen zuzuordnen sind,4 Einkünfte aus Drittstaaten sowie Einkünfte aus dem Wohnsitzstaat.5 Die Reichweite der Auffangklauseln ist begrenzt, da von ihnen nur jene Einkünfte erfasst werden, die auch nach Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten nicht unter die speziellen Verteilungsnormen subsumiert werden können.6

19.474

Zu den Einkünften, die von den speziellen Verteilungsnormen nicht erfasst werden, gehören etwa Schadensersatzleistungen, soweit sie dem nichtbetrieblichen Bereich zuzuordnen sind,7 Abgeordnetenbezüge,8 der zu einer Gewinnrealisierung führende rechtsformüberschreitende Formwechsel9 sowie private wiederkehrende Bezüge.10 Die eigentliche Bedeutung der abkommensrechtlichen Auffangklauseln liegt in der Erfassung von Drittstaateneinkünften.11 Zu diesen Einkünften gehören auch jene, die ihrer Art nach zwar unter die speziellen Verteilungsnormen fallen, dort aber deshalb nicht erfasst werden, weil sich diese Verteilungsnormen

1 Abkommensübersicht bei Reichold in V/L7, Art. 20 OECD-MA Rz. 28, 33. 2 Da nur der Wohnsitzstaat besteuern darf, bleibt es letztlich seinem nationalen Recht überlassen, die Besteuerung an die Einnahmen oder aber an die Einkünfte nach Berücksichtigung von Betriebsausgaben oder Werbungskosten anzuknüpfen; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 16. 3 Einige deutsche DBA enthalten keine Auffangklauseln; hierzu die Abkommensübersicht bei Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 39, 41. 4 Hierzu die Übersicht bei Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 21 ff.; Tcherveniachki in S/D2, Art. 21 OECD-MA Rz. 26 ff. 5 Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 3; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 1; Schütte in Haase3, Art. 21 OECD-MA Rz. 16; Kempermann in F/W/K, Art. 21 DBA-Schweiz Rz. 11. 6 Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 10; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECDMA Rz. 17; Tcherveniachki in S/D2, Art. 21 OECD-MA Rz. 22. 7 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 22; Schütte in Haase3, Art. 21 OECD-MA Rz. 23. 8 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 23; Tcherveniachki in S/D2, Art. 21 OECD-MA Rz. 28. 9 Schütte in Haase3, Art. 21 OECD-MA Rz. 24; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 30; Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (124); vgl. hierzu Rz. 19.387. 10 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 33. 11 Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 31 f.; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECDMA Rz. 51; Tcherveniachki in S/D2, Art. 21 OECD-MA Rz. 57 ff.

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.477 Kap. 19

entweder nur auf Einkünfte aus dem Quellenstaat oder aus dem Wohnsitzstaat beziehen.1 Die Zuweisung der Drittstaateneinkünfte zum Wohnsitzstaat gilt nur für das jeweilige bilaterale Verhältnis, so dass die Besteuerungsbefugnis des Wohnsitzstaates jeweils unter dem Vorbehalt eines etwaigen mit dem Drittstaat abgeschlossenen DBAs steht.2 In derartigen Dreieckskonstellationen kann es zwar zu einer doppelten Nichtbesteuerung kommen, wenn der Drittstaat tatsächlich nicht besteuert, eine Doppelbesteuerung ist aber ausgeschlossen, weil sich der Steuerpflichtige insbesondere in Fällen der Doppelansässigkeit stets auf das für ihn günstigste Abkommen berufen kann.3 Werden schließlich aus dem Wohnsitzstaat stammende Einkünfte von den speziellen Verteilungsnormen deshalb nicht erfasst, weil diese nur die Besteuerung im Quellenstaat regeln, greift Art. 21 Abs. 1 OECD-MA ebenfalls ein.4 Angesprochen sind hierbei insbesondere Fälle der Doppelansässigkeit.5

19.475

Die subsidiäre Zuweisung der Besteuerungsbefugnis nur zum Wohnsitzstaat aufgrund der abkommensrechtlichen Auffangklausel6 erfolgt grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, ob die gezahlten Einkünfte angemessen sind7 und im Wohnsitzstaat tatsächlich versteuert werden. In der deutschen Abkommenspraxis sind Subject-to-Tax-Klauseln im Rahmen der Auffangklausel die Ausnahme.8

19.476

In der internationalen Abkommenspraxis wird häufig geregelt, dass das in den abkommensrechtlichen Auffangklauseln verankerte Wohnsitzprinzip nicht für Einkünfte gilt, die einer im anderen Vertragsstaat belegenen Betriebsstätte oder festen Einrichtung zuzuordnen sind (Art. 21 Abs. 2 OECD-MA). Erfasst werden hierdurch nur solche Einkünfte, die für Rechte und Vermögenswerte gezahlt werden, die tatsächlich zu der Betriebsstätte oder festen Einrichtung gehören. Das setzt voraus, dass die Rechte und Vermögenswerte in einem funktionalen Zusammenhang zu der in der Betriebsstätte oder festen Einrichtung ausgeübten Tätigkeit in dem Sinne stehen, dass die für sie geleisteten Zahlungen jedenfalls als Nebenerträge der im Übrigen aufgrund der Haupttätigkeit der Betriebsstätte erwirtschafteten Erträge erscheinen.9 Diese Grundsätze gelten auch für Personengesellschaften, soweit sie den Gesellschaftern über

19.477

1 Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 32; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 51; Kempermann in F/W/K, Art. 21 DBA-Schweiz Rz. 14. 2 Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 34; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 54. 3 Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer Art. 21 OECD-MA Rz. 54; Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 34; Strunk in S/K/K, Art. 21 OECD-MA Rz. 49; Tcherveniachki in S/D2, Art. 21 OECD-MA Rz. 65; Schütte in Haase3, Art. 21 OECD-MA Rz. 40. 4 Das sind mit Ausnahme von Art. 20 OECD-MA alle Verteilungsnormen; zu weiteren Einzelheiten Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 32. 5 Hierzu das Beispiel bei Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 55. 6 Es handelt sich um eine vollständige Verteilungsnorm, hierzu Rz. 19.212. 7 Anders allerdings der durch die Teilrevision des OECD-MA in 1995 eingeführte Vorschlag eines Art. 21 Abs. 3, wonach die Einkünfte im anderen Vertragsstaat nicht freigestellt werden, soweit sie unangemessen sind; diese Angemessenheitsklausel hat in der deutschen Abkommenspraxis allerdings keine Bedeutung; vgl. hierzu OECD-MK zu Art. 21 OECD-MA Rz. 7 ff. 8 Abkommensübersicht bei Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 39, 42. 9 BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 82, dort auch zur Bedeutung des Art. 21 OECD-MA nach Einführung des AOA; weitere Einzelheiten Rz. 19.391 ff.

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Kap. 19 Rz. 19.477 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

deren Beteiligung eine Betriebsstätte vermitteln (Rz. 19.388), mit der Folge, dass insbesondere Sonderbetriebsvermögen1 nur ausnahmsweise der Betriebsstätte zuzuordnen ist.2 Dieser Betriebsstättenvorbehalt führt zur Anwendung der für die Einkünfte aus Unternehmen und selbständiger Arbeit geltenden Verteilungsnormen (Art. 7 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 a.F. OECDMA). In den Fällen, in denen die abkommensrechtlichen Auffangklauseln keinen Betriebsstättenvorbehalt enthalten,3 ergeben sich für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren keine Änderungen, soweit diese tatsächlich zu einem Unternehmen gehören.4 Bei den Einkünften aus unbeweglichem Vermögen ergeben sich ebenfalls keine Änderungen, weil sich der in Art. 21 Abs. 2 OECD-MA verankerte Betriebsstättenvorbehalt ohnehin nicht auf diese Einkünfte erstreckt.

XVI. Vermögen Literatur: Kommentare zu Art. 22 OECD-MA; Herzig, Bewertung von Auslandsbeteiligungen, Köln 1992; Jacobs, Die vermögensteuerliche Behandlung der Anlagenerrichtung im Ausland, StBp. 1981, 168; Neuheuser, Die Bewertung von Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften für Zwecke der Besteuerung, Baden-Baden 1995.

1. Allgemeines 19.478

Soweit die DBA sich auch auf die Vermögensteuer- und Gewerbekapitalsteuer sowie auf die Grundsteuer beziehen,5 enthalten sie durchweg eigenständige, nur die Besteuerung des Vermögens betreffende Verteilungsnormen (Art. 22 OECD-MA).

19.479

Die Steuern vom Vermögen bedeuten in der internationalen Besteuerungspraxis überwiegend eine Ergänzung der Besteuerung der Einkünfte. Dies gilt auch für die bis einschließlich 1996 erhobene deutsche Vermögensteuer, die als eine Sollertragsteuer die im Vermögen liegende potentielle Ertragskraft und somit die darin liegende potentielle Leistungsfähigkeit erfassen wollte.6 Deshalb wird in der internationalen Abkommenspraxis die Befugnis für die Besteuerung bestimmter Vermögensteile grundsätzlich nur dem Staat zugewiesen, der auch das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte aus diesen Vermögensteilen hat.7

19.480

Wegen der weitgehenden Parallelität der Verteilungsnormen für Ertragsteuern einerseits und Vermögensteuer andererseits, verzichten einige deutsche DBA auf eigene nur für die Vermögensteuer geltende Verteilungsnormen.8

1 Zu Sonderbetriebsvermögen I und II; vgl. Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 506 ff. 2 Das gilt in besonderem Maße für gewillkürtes Sonderbetriebsvermögen; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECD-MA Rz. 82. 3 Hierzu die Abkommensübersicht bei Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 60. 4 Rust in V/L7, Art. 21 OECD-MA Rz. 53 f.; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 21 OECDMA Rz. 86. 5 Bei einigen deutschen DBA ist das nicht der Fall; hierzu die Abkommensübersicht bei Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 17. 6 Zu den verschiedenen Begründungsversuchen zur Vermögensteuer Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 916 ff. 7 OECD-MK zu Art. 22 OECD-MA, Ziff. 2. 8 Abkommensübersicht bei Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 17, 19.

940 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.484 Kap. 19

Da zahlreiche Staaten eine Vermögensteuer/Gewerbekapitalsteuer nicht kennen und auch Deutschland eine Vermögensteuer und zudem eine Gewerbekapitalsteuer1 derzeit nicht erhebt, wirken die betreffenden Verteilungsnormen der deutschen DBA sich derzeit kaum aus.2 Art. 22 OECD-MA erlangt aber dann wieder Bedeutung, sobald einer der Vertragsstaaten in Zukunft eine Vermögenssteuer/Gewerbekapitalsteuer erhebt. Einer Änderung der DBA bedürfte es hierfür nicht.3

19.481

2. Belegenheitsprinzip Entsprechend den für die Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen geltenden Verteilungsnormen (Art. 6 OECD-MA) gilt auch für die Vermögensteuer sowie die Grundsteuer das Belegenheitsprinzip (Art. 22 Abs. 1 OECD-MA). Danach besteuert der Belegenheitsstaat als Quellenstaat das unbewegliche Vermögen,4 ohne den abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen unterworfen zu sein. Der Wohnsitzstaat hat die Doppelbesteuerung entweder durch Steueranrechnung oder durch Steuerfreistellung zu vermeiden.

19.482

Die für die Besteuerung des im anderen Vertragsstaat belegenen unbeweglichen Vermögens geltenden Verteilungsnormen (Art. 22 Abs. 1 OECD-MA) enthalten keine Regelungen darüber, was unter unbeweglichem Vermögen zu verstehen ist. Stattdessen verweisen sie auf die für die Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen geltenden Verteilungsnormen (Art. 6 OECDMA), die zumeist eine entsprechende Definition enthalten.5 Da die Verteilungsnormen auch keine Regelungen über die Wertberechnung und über den Schuldenabzug enthalten und den Abkommen auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Auslegung zu entnehmen sind, kommt das innerstaatliche Recht des Anwenderstaates6 insoweit zur Anwendung.7 Aus deutscher Sicht greifen daher – für frühere Jahre – die Bewertungsregeln des Bewertungsgesetzes ein. Durch die Anwendung des jeweiligen nationalen Rechts kann es zu nicht vermeidbaren steuerlichen Mehr- oder Minderbelastungen kommen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Feststellungszeitpunkte für die Bewertung des Vermögens.8

19.483

3. Betriebsstättenprinzip Bewegliches Vermögen, das Betriebsvermögen einer Betriebsstätte im anderen Vertragsstaat ist oder das zu einer festen Einrichtung gehört, unterliegt vorrangig der Besteuerungsbefugnis des Betriebsstättenstaates als Quellenstaat. Es ist Aufgabe des Wohnsitzstaates, die Doppel1 Abgeschafft durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform mit Wirkung ab 1.1.1998. 2 Für die Grundsteuer stellt sich das Doppelbesteuerungsproblem ohnehin nur dann, wenn diese nicht nur im Belegenheitsstaat erhoben wird; hierzu Mai in Haase3, Art. 2 OECD-MA Rz. 23. 3 Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 18. 4 Gemeint ist das unbewegliche Vermögen nach Berücksichtigung zuzuordnender Schulden; Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 34; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 21. 5 Art. 6 Abs. 2 OECD-MA; hierzu der Überblick bei Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 6 OECDMA Rz. 30 ff.; Art. 22 OECD-MA Rz. 23. 6 Nach den deutschen DBA ist das im Hinblick auf die zumeist verwirklichte Freistellungsmethode in der Regel der Belegenheitsstaat. 7 Art. 3 Abs. 2 OECD-MA; vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 32. 8 Hierzu weitere Einzelheiten bei Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 33; Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 11; von Pannwitz in Haase3, Art. 22 OECD-MA Rz. 17; Kempermann in F/W/K, Art. 22 DBA-Schweiz Rz. 28.

Schaumburg/Häck | 941

19.484

Kap. 19 Rz. 19.484 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

besteuerung entweder durch Steuerfreistellung1 oder durch Steueranrechnung zu vermeiden. Dieses Betriebsstättenprinzip (Art. 22 Abs. 2 OECD-MA) entspricht den für Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) und Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Art. 14 Abs. 1 OECD-MA a.F.) geltenden Verteilungsnormen. In einigen deutschen DBA gilt dieses Betriebsstättenprinzip allerdings nicht auch für feste Einrichtungen eines Selbständigen.2 In diesen Fällen kommt daher das Wohnsitzprinzip, das in den Auffangklauseln der für das Vermögen geltenden Verteilungsnormen verankert ist, zur Anwendung (Art. 22 Abs. 4 OECD-MA).

19.485

Unter das Betriebsstättenprinzip fällt nur das bewegliche Vermögen, so dass unbewegliches Vermögen ohne Rücksicht darauf, ob es einer Betriebsstätte zuzuordnen ist oder nicht, stets vom Belegenheitsprinzip (Art. 22 Abs. 1 OECD-MA) erfasst wird. Das Betriebsstättenprinzip greift nur dann ein, wenn das bewegliche Vermögen Betriebsvermögen einer Betriebsstätte, einer festen Einrichtung oder einer Personengesellschaft3 ist. Es muss sich also um Vermögenswerte handeln, die einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung zuzuordnen sind. Welche Vermögensteile der Betriebsstätte zuzurechnen sind, wird zwar nicht unmittelbar in Art. 22 OECD-MA geregelt, ergibt sich aber aus dem Abkommenszusammenhang, und zwar insbesondere aus den abkommensrechtlichen Regelungen über den Betriebsstättenvorbehalt, die in den für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren maßgeblichen Verteilungsnormen enthalten sind (Art. 10 Abs. 4; 11 Abs. 4; 12 Abs. 3 OECD-MA). Diese Regelungen stellen darauf ab, ob die Vermögensteile, aus denen die Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren stammen, tatsächlich zur Betriebsstätte gehören. Die „tatsächliche Zugehörigkeit“ von Vermögensteilen zum Betriebsstättenvermögen kann hiernach in den Fällen bejaht werden, in denen das bewegliche Vermögen in einem funktionalen Zusammenhang mit dem für die Ausübung der Haupttätigkeit der Betriebsstätte erforderlichen Vermögen steht.4 Dieser Grundsatz gilt auch für Personengesellschaften, soweit sie den Gesellschaftern über deren Beteiligung eine Betriebsstätte vermitteln (Rz. 19.388).

19.486

Von Bedeutung ist die Abgrenzung des Vermögens zwischen Betriebsstätte und Stammhaus. Es gelten die gleichen Grundsätze wie bei der entsprechenden Einkünftezuordnung,5 so dass der Betriebsstätte bzw. der festen Einrichtung stets das Vermögen zuzuordnen ist, das sie als selbständiges Unternehmen hätte.6

19.487

Hiernach sind etwa körperliche Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte dann zuzuordnen, wenn sie der wirtschaftlichen Tätigkeit der Betriebsstätte dienen, d.h., wenn ein selbständiger Gewerbebetrieb am gleichen Ort und unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen diese Wirtschaftsgüter benötigen würde.7 1 Das ist in der deutschen Abkommenspraxis die Regel. 2 Abkommensübersicht bei Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 50. 3 Sofern der Anteil an der Personengesellschaft dem Gesellschafter auch eine Beteiligung an einer Betriebsstätte oder festen Einrichtung vermittelt; hierzu im Einzelnen Rz. 19.388. 4 Vgl. BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 44; Tcherveniachki in S/D2, Art. 22 OECD-MA Rz. 44 ff.; von Pannwitz in Haase3, Art. 22 OECD-MA Rz. 23. 5 Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 37; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 47 ff.; Einzelheiten unter Rz. 19.264 ff. 6 Auch hier gilt das dealing at arm’s length-Prinzip; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECDMA Rz. 47 ff.; Strunk in S/K/K, Art. 22 OECD-MA Rz. 24; von Pannwitz in Haase3, Art. 22 OECD-MA Rz. 24. 7 BFH v. 21.1.1972 – III R 57/71, BStBl. II 1972, 374; Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 37; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 47.

942 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.490 Kap. 19

Dienen körperliche Wirtschaftsgüter mehreren Betriebsteilen, etwa der Betriebsstätte und dem Stammhaus, so kommt gegebenenfalls, entsprechend den Grundsätzen der Gewinnaufteilung,1 eine Aufteilung der Vermögenswerte in Betracht.2 Für die Zurechnung von immateriellen Wirtschaftsgütern, insbesondere von Rechten,3 ist ebenfalls darauf abzustellen, ob das Wirtschaftsgut einer Betriebsstätte bzw. einer festen Einrichtung tatsächlich dient.4 Dienen sie mehreren Betriebsteilen, kommt für die Zuordnung die direkte oder indirekte Methode zur Anwendung, wobei auch hier die direkte Methode im Vordergrund steht.5 Da aus deutscher Sicht stets auf das Nettovermögen (Reinvermögen) abzustellen ist (§§ 95; 103 BewG), sind Verbindlichkeiten und Rückstellungen ebenfalls zuzuordnen. Soweit eine eindeutige Zuordnung nicht möglich ist, orientiert sich bei Anwendung der indirekten Methode der Aufteilungsschlüssel an dem Verhältnis der Aktiva der Betriebsstätte zu den Gesamtaktiva des Unternehmens6 sowie an dem für alle Betriebsteile einheitlichen Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital.7

19.488

4. Besteuerung von Seeschiffen und Luftfahrzeugen Seeschiffe und Luftfahrzeuge im internationalen Verkehr und Schiffe, die der Binnenschifffahrt dienen, sowie das dem Betrieb dieser Schiffe und Luftfahrzeuge dienende bewegliche Vermögen durfte nach Art. 22 Abs. 3 OECD-MA 2014 ausschließlich im Staat der tatsächlichen Geschäftsleitung des betreffenden Unternehmens besteuert werden. Seit dem Update 2017 ist das Besteuerungsrecht allein dem Staat zugewiesen, von dem das Unternehmen betrieben wird. Damit ist für die Vermögensbesteuerung der gleiche Staat zuständig wie für die Ertragsbesteuerung (Art. 8 Abs. 1 OECD-MA 2017). In den deutschen DBA ist die Besteuerungsbefugnis teilweise dem Geschäftsleitungsstaat und teilweise dem Ansässigkeitsstaat des Unternehmens zugewiesen.8

19.489

5. Wohnsitzprinzip Die für Vermögen geltenden Verteilungsnormen enthalten eine Auffangklausel, wonach nicht anderweitig zugewiesenes Vermögen ausschließlich im Wohnsitzstaat besteuert werden darf (Art. 22 Abs. 4 OECD-MA). Dem Wohnsitzprinzip unterliegen damit im Wesentlichen das Drittstaatenvermögen, soweit ein mit dem Drittstaat bestehendes DBA nicht eine anderweitige

1 Aufgrund der direkten oder indirekten Methode oder aufgrund einer Mischung beider Methoden; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 47; hierzu im Einzelnen Rz. 19.270 ff.; 21.37 f. 2 Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 41, 43; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECDMA Rz. 47 f. 3 Sie zählen zum beweglichen Vermögen Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 34. 4 RFH v. 19.2.1935, RStBl. 1936, 590; Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 41; Kempermann in F/W/K, Art. 22 DBA-Schweiz Rz. 46; Tcherveniachki in S/D2, Art. 22 OECD-MA Rz. 46 5 Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 43; zur direkten und indirekten Methode Rz. 19.270; 21.37 f. 6 Jacobs, StBp. 1981, 168 (169). 7 BFH v. 27.7.1965 – I 110/63 S, BStBl. III 1966, 24; Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 43; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 47 ff. 8 Abkommensübersicht bei Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 74; zu weiteren Besonderheiten deutscher Abkommen Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 75 ff.

Schaumburg/Häck | 943

19.490

Kap. 19 Rz. 19.490 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

Zuordnung vornimmt,1 sowie Privatvermögen.2 Hierzu gehören insbesondere Kapitalforderungen, Anteile an Kapitalgesellschaften, Patente, Urheberrechte sowie Kunstgegenstände.3

19.491

Da sich die Auffangklauseln in der Regelung über die Zuordnung der Besteuerung erschöpfen, ist im Übrigen auf das nationale Recht des Wohnsitzstaates zurückzugreifen (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA). Das gilt insbesondere für die Vermögensermittlung.4

19.492

Verlegt eine in einem Vertragsstaat ansässige Person ihren Wohnsitz in den anderen Vertragsstaat, kann es zu steuerlichen Mehr- oder Minderbelastungen kommen, wenn in dem einen Vertragsstaat das Stichtagsprinzip und in dem anderen Vertragsstaat das Pro-rata-temporisPrinzip5 eingreift. Aus deutscher Sicht sind die vorstehenden Probleme einstweilen ohne Bedeutung.

XVII. Nachlässe und Erbschaften Literatur: Kommentare zum ErbSt-MA und zum ErbStG; Arlt, Internationale Erbschaft- und Schenkungsteuerplanung, Herne/Berlin 2001; Crezelius, Erbschaftsteuerrechtliche Konsequenzen der Wohnsitzverlegung in das Ausland, in Crezelius/Seewald/Spiegelberger/Wassermeyer, Unternehmenssicherung, Bonn 1996, 99; Dautzenberg/Brüggemann, EG-Vertrag und deutsche Erbschaftsteuer, BB 1997, 123; Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall, 2. Aufl. München 2007; Fraberger, Nationale und internationale Unternehmensnachfolge; Steuergestaltung beim Schenken und Vererben, Wien 2001; Höninger, Internationale Doppelbesteuerung im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht – Kollisionsbegründende und -auflösende Normen der ErbStG, Frankfurt/M. 2003; Hueck, Internationale Erbschaftsteuerprobleme bei der Vererbung von Anteilen an Personengesellschaften, München 1993; Lang, M., Erbschaftsteuern und Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2002; Lausbrock, Nachlass und Erbschaft in den USA, München 1986; Piltz, Schenken und Vererben über die Grenzen, in Höppner/Piltz/Wassermeyer, Die Besteuerung nach dem Wegzug ins Ausland, Bonn 1997, 83; Piltz, Internationale Erbfälle, in Birk, Steuern auf Erbschaft und Vermögen, DStJG 22 (1999), 275; Stein, Die Behandlung deutschirischer Erbfälle, Köln 1998; Wassermeyer, Die Vermeidung der Doppelbesteuerung im Europäischen Binnenmarkt, DStJG 19 (1996), 151; Wassermeyer, W., Das US-amerikanische Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, Köln 1996; Watrin, Erbschaftsteuerplanung internationaler Familienunternehmen, Düsseldorf 1997; Wilde, Das kanadische Erbschaftsteuerrecht, Köln 1997; Zschau, Erbschaftsteuersysteme in Großbritannien, Frankreich und Deutschland, Lohmar/Köln 2000.

1. Allgemeines 19.493

DBA erstrecken sich im Allgemeinen lediglich auf die Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Rz. 19.189 f.). Dementsprechend gelten die abkommensrechtlichen Verteilungsnormen dieser Abkommen auch nur für Einkünfte und Vermögen. Für Erbschaftsteuern werden zumeist eigenständige Abkommen geschlossen.6 Derzeit gibt es nur wenige deutsche Erbschaft-

1 Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 3c; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 98. 2 Aus deutscher Sicht wegen der Nichterhebung der Vermögensteuer ohne Bedeutung. 3 Hierzu die Aufstellung bei Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 97. 4 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 22 OECD-MA Rz. 104, 32 f. 5 Stockmann in V/L7, Art. 22 OECD-MA Rz. 95. 6 Anders dagegen die „großen“ Abkommen mit Schweden und Dänemark, die für die Steuern vom Einkommen und Vermögen sowie für die Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer gleichermaßen gelten.

944 | Schaumburg/Häck

L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.498 Kap. 19

steuerabkommen.1 Es handelt sich hierbei zum Teil um ältere Abkommen, die stark voneinander abweichen. Damit hat Deutschland dem im früheren Art. 293 EG verankerten Gebot, DBA auch auf dem Gebiet der Erbschaftsteuern abzuschließen,2 bislang nur teilweise entsprochen. Auch wenn der inzwischen nicht mehr geltende Art. 293 EG keine unmittelbare Wirkung erzeugt hat,3 erwächst dennoch die Verpflichtung, in allen Fällen, in denen DBA auf dem Gebiete der Erbschaftsteuern nicht bestehen und § 21 ErbStG die Doppelbesteuerung nur sehr unvollkommen vermeidet (Rz. 18.244 f.), die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO) sicherzustellen.4

19.494

Die OECD-MA zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Nachlässe und Erbschaften von 1966 und 1982 haben weder in der deutschen noch in der internationalen Abkommenspraxis größere Bedeutung erlangt. Diese Musterabkommen entsprechen in ihrem Aufbau dem OECD-MA 1977. Es enthält daher neben den Grundregelungen über den persönlichen, räumlichen und sachlichen Geltungsbereich Verteilungsnormen und Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung.

19.495

Im Rahmen des persönlichen Geltungsbereichs der Erbschaftsteuerabkommen wird allein auf den Erblasser/Schenker abgestellt (Art. 1 ErbSt-MA). Abkommensberechtigt ist hiernach der Erblasser/Schenker dann, wenn er im Zeitpunkt seines Todes bzw. zum Zeitpunkt der Schenkung seinen Wohnsitz in einem der beiden Vertragsstaaten hatte. Die Erbschaftsteuerabkommen finden daher keine Anwendung, wenn der Erblasser/Schenker seinen letzten Wohnsitz nur in einem dritten Staat hatte.5 Für die Anwendung der Erbschaftsteuerabkommen ist es ferner ohne Bedeutung, wo die Erben oder Beschenkten ihren Wohnsitz haben.6 Schließlich orientiert sich die Abkommensberechtigung grundsätzlich nicht an der Staatsangehörigkeit des Erblassers.7

19.496

Während sich zum räumlichen Geltungsbereich der Erbschaftsteuerabkommen im Vergleich zu den für die Steuern vom Einkommen und Vermögen geltenden Abkommen keine Besonderheiten ergeben (Rz. 19.184), gilt für den sachlichen Geltungsbereich Folgendes:

19.497

Die Erbschaftsteuerabkommen bestimmen, dass unter den sachlichen Anwendungsbereich alle Nachlass- und Erbschaftsteuern sowie Schenkungsteuern fallen, die für Rechnung eines der beiden Vertragsstaaten oder seiner Gebietskörperschaften erhoben werden (Art. 2 Abs. 1 ErbSt-MA). Erfasst werden damit Erbnachlasssteuern, die das Nachlassvermögen als solches besteuern, Erbanfallsteuern, die den Vermögenserwerb des Erwerbers belasten, Abgaben die

19.498

1 Mit Griechenland (1910), Schweden (1994), Schweiz (1978), den USA (2000), Dänemark (1995) und Frankreich (2009). 2 Zu dieser Verpflichtung Wassermeyer, DStJG 19 (1996), 151 ff.; ausführlich Dautzenberg/Brüggemann, BB 1997, 123 ff. 3 EuGH v. 12.5.1998 – C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221 = Slg. 1998, I-2793 ff. – Gilly; EuGH v. 12.2.2009 – C-67/08, ECLI:EU:C:2009:92 = BFH/NV 2009, 433 – Block. 4 Vgl. Rz. 18.244, 18.256. 5 Jülicher in Wassermeyer, Art. 1 ErbSt-MA Rz. 45. 6 Demgegenüber wird nach dem jeweiligen nationalen Recht die unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht auch an die Ansässigkeit des Erwerbers angeknüpft; hierzu Jülicher in Wassermeyer, Art. 1 ErbSt-MA Rz. 13. 7 Anders dagegen im Rahmen der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ErbStG); hierzu Rz. 8.22 ff.

Schaumburg/Häck | 945

Kap. 19 Rz. 19.498 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

auf den Vermögensübergang erhoben werden1 sowie Schenkungsteuern. Aus deutscher Sicht fallen darunter die Erbschaft- und Schenkungsteuer.2

19.499

Ebenso wie die für die Steuern vom Einkommen und Vermögen geltenden DBA gehen auch die Erbschaftsteuerabkommen grundsätzlich vom Nettoprinzip aus, so dass nur der Nettonachlass der Besteuerung unterworfen werden darf. Die Erbschaftsteuerabkommen enthalten insoweit eine klarstellende Regelung (Art. 8 ErbSt-MA), aufgrund derer der Schuldenabzug als Individualabzug (Art. 8 Abs. 1, 2 ErbSt-MA) zugelassen wird.3 Soweit nach nationalem Recht über die abkommensrechtlichen Vorschriften hinaus ein weitergehender Schuldenabzug zugelassen wird, erfährt dieser durch Abkommensrecht keine Einschränkung.4 Insoweit unterscheiden sich die Erbschaftsteuerabkommen ebenfalls nicht von den für die Steuern vom Einkommen und Vermögen geltenden DBA; sie ziehen lediglich die äußeren Grenzen der Besteuerung durch beide Vertragsstaaten. Daher wirken die Abkommensschranken auch dann, wenn die Erbschaftsteuerabkommen einen höheren Schuldenabzug als nach nationalem Recht zulassen. Im Hinblick auf das auch für die Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer geltende Nettoprinzip bedeutet eine ggü. dem innerstaatlichen Recht bestehende abkommensrechtliche Erweiterung des Schuldenabzugs in Wahrheit eine Einschränkung der nationalen Besteuerungskompetenz.5

19.500

Die deutschen Erbschaftsteuerabkommen erfassen nur ausnahmsweise die Schenkungsteuer mit den in § 7 ErbStG genannten Tatbeständen. Damit wird insoweit die Doppelbesteuerung bei Schenkungen unter Lebenden (§ 7 ErbStG) nur partiell vermieden.6

2. Besteuerung im Belegenheitsstaat 19.501

Ebenso wie bei den für Steuern vom Einkommen und Vermögen geltenden DBA verwirklichen auch die Erbschaftsteuerabkommen das Belegenheitsprinzip dadurch, dass in den Nachlass fallendes oder geschenktes unbewegliches Vermögen vorrangig dem Belegenheitsstaat zur Besteuerung zugewiesen ist (Art. 5 ErbSt-MA).

19.502

Im Wohnsitzstaat des Erblassers/Schenkers wird die Doppelbesteuerung entweder durch Freistellung oder durch Anrechnung vermieden.7 Die Zuweisung der Besteuerungskompetenz zum Belegenheitsstaat erfolgt unabhängig davon, ob dort überhaupt eine Nachlass- oder Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer erhoben wird. Damit wird im Grundsatz die virtuelle Doppel-

1 So in die DBA mit den USA, Schweden und Dänemark. 2 Hierzu gehört auch die Ersatzerbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) sowie Ersatzbesteuerungstatbestände (z.B. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG); zu Einzelheiten Jülicher in Wassermeyer, Art. 2 ErbStMA Rz. 5; Art. 4 ErbSt-MA Rz. 10. 3 Zu Einzelheiten Jülicher in Wassermeyer, Art. 8 ErbSt-MA Rz. 1, 21 ff. 4 Jülicher in T/G/J/G, § 2 ErbStG Rz. 173. 5 Die Einzelheiten sind umstritten; hierzu die Übersicht bei Jülicher in Wassermeyer, Art. 8 ErbStMA Rz. 28 f. 6 DBA mit den USA, Schweden, Frankreich und Dänemark; zu Besonderheiten bei Schenkungen von Geschäftsbetrieben nach dem Erbschaftsteuerabkommen Schweiz vgl. die Verständigungsregelung mit der Schweiz, BMF v. 7.4.1988 – IV C 6 - S 1301 Schz – 25/88, juris und v. 7.2.1990 – IV C 6 - S 1301 – Schz – 103/89, DB 1988, 938. 7 Das Erbschaftsteuerabkommen-Schweiz vermeidet die Doppelbesteuerung teils durch Steueranrechnung, teils durch Freistellung (Art. 10 DBA-Schweiz [Erb]).

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L. Verteilung der Steuergüter | Rz. 19.507 Kap. 19

besteuerung vermieden,1 sofern der Wohnsitzstaat des Erblassers/Schenkers Steuerfreistellung gewährt.2 Da die Erbschaftsteuerabkommen keine eigenständigen Regelungen über die Bewertung des Nachlassvermögens bzw. des zugewendeten Vermögens enthalten, greift insoweit innerstaatliches Recht ein, so dass aus deutscher Sicht z.B. im Ausland belegenes unbewegliches Nachlassvermögen gem. § 12 Abs. 7 ErbStG i.V.m. §§ 31, 9 BewG mit dem gemeinen Wert zu bewerten ist, wobei die für inländisches unbewegliches Nachlassvermögen (Grundvermögen) geltenden Bewertungsmethoden (§ 182 BewG) entsprechend zur Anwendung kommen können.3

19.503

Die für unbewegliches Vermögen geltenden Verteilungsnormen der Erbschaftsteuerabkommen enthalten auch keine eigenständige Definition des Begriffs „unbewegliches Vermögen“. Sie verweisen vielmehr insoweit auf das Recht des Belegenheitsstaates, wodurch die dortigen Begriffsdefinitionen zum Vertragsinhalt erhoben werden.

19.504

3. Besteuerung im Betriebsstättenstaat Bewegliches Betriebsvermögen einer Betriebsstätte wird in den Erbschaftsteuerabkommen grundsätzlich der Besteuerung durch den (anderen) Betriebsstättenstaat zugewiesen (Art. 6 Abs. 1 ErbSt-MA). Entsprechendes gilt für bewegliches Vermögen, das zu einer der Ausübung eines freien Berufs oder einer sonstigen selbständigen Tätigkeit dienenden festen Einrichtung gehört (Art. 6 Abs. 1 ErbSt-MA). Während die Besteuerung im Betriebsstättenstaat keinen Schrankenwirkungen unterworfen ist, erfolgt die Vermeidung der Doppelbesteuerung im Wohnsitzstaat entweder durch Steuerfreistellung4 oder durch Steueranrechnung.5

19.505

Das Betriebsstättenprinzip gilt nicht nur für das zum Nachlass gehörende Vermögen einer Betriebsstätte oder festen Einrichtung, sondern auch für das einer Personengesellschaft zuzuordnende bewegliche Nachlassvermögen, sofern die Beteiligung an dieser Personengesellschaft dem Erblasser die Beteiligung an einer Betriebsstätte oder an einer festen Einrichtung vermittelt hat.6

19.506

Die für bewegliches Betriebsstättenvermögen geltenden Verteilungsnormen der Erbschaftsteuerabkommen entsprechen in ihrer Struktur zwar den für Unternehmensgewinne geltenden Verteilungsnormen der Ertragsteuer- und Vermögensteuerabkommen (Art. 7 ErbSt-MA), ihre Reichweite geht aber über diese hinaus, weil die Erbschaftsteuerabkommen keine besonderen Verteilungsnormen für Anteile an Kapitalgesellschaften, Forderungen und Lizenzrechte kennen.

19.507

1 Jülicher in Wassermeyer, Art. 1 ErbSt-MA Rz. 12. 2 Der Progressionsvorbehalt gem. § 19 Abs. 2 ErbStG gilt uneingeschränkt; hierzu Meincke16, § 19 ErbStG Rz. 7 f. 3 Gebel in T/G/J/G, § 12 ErbStG Rz. 939. 4 Art. 23A OECD-MA; ggf. greift der Progressionsvorbehalt gem. § 19 Abs. 2 ErbStG ein. 5 Art. 23B OECD-MA, gem. Art. 10 DBA-Schweiz (Erb) kommen beide Methoden zur Anwendung. 6 Die Geltung dieses Betriebsstättenprinzips auch für Personengesellschaften wird in Art. 6 Abs. 9 DBA-Schweiz (Erb) ausdrücklich festgestellt; zu Einzelheiten Gersch in F/W/K, Art. 6 DBA-Schweiz (Erb) Rz. 33 ff.

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Kap. 19 Rz. 19.508 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.508

Da es keine das Betriebsvermögen betreffende abkommensrechtliche Begriffsdefinition und keine Bewertungsvorschriften gibt, findet insoweit grundsätzlich nationales Recht Anwendung.1

19.509

Seeschiffe und Luftfahrzeuge im internationalen Verkehr und der Binnenschifffahrt dienende Schiffe sowie entsprechendes zugehöriges bewegliches Vermögen werden mangels einer mit Art. 8 ErbSt-MA vergleichbaren Regelung ebenfalls dem Betriebsstättenstaat zur Besteuerung zugewiesen, ohne dort abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen unterworfen zu sein. Die Zuordnung zu einer im anderen Vertragsstaat belegenen Betriebsstätte würde allerdings nur dann in Betracht kommen, wenn von dort der Einsatz der Schiffe oder Luftfahrzeuge erfolgt.2 Anderenfalls greift über Art. 7 OEDC-MA das Wohnsitzprinzip ein.

4. Besteuerung im Wohnsitzstaat 19.510

Ebenso wie die für die Steuern vom Einkommen und Vermögen geltenden DBA enthalten auch die Erbschaftsteuerabkommen Auffangklauseln, die darauf gerichtet sind, Lücken in der Vermeidung der Doppelbesteuerung auszuschließen. Für das nicht unter die besonderen Verteilungsnormen fallende Vermögen gilt danach das Wohnsitzprinzip, das sich darin artikuliert, dass der Wohnsitzstaat des Erblassers/Schenkers die ausschließliche Besteuerungskompetenz erhält (Art. 7 ErbSt-MA).3 Unter die Auffangklausel fallen im Wesentlichen im Wohnsitzstaat und im Drittstaat belegenes Vermögen sowie Vermögen, das der Art nach nicht unter die übrigen Verteilungsnormen der Erbschaftsteuerabkommen fällt. Mit der letzten Fallgruppe wird insbesondere bewegliches Privatvermögen des Erblassers erfasst.4

19.511

Ob der Erblasser/Schenker zum Zeitpunkt seines Todes einen Wohnsitz in einem der beiden Vertragsstaaten hatte, bestimmt sich auch abkommensrechtlich nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten (Art. 4 Abs. 1 ErbSt-MA). Entsprechend den für die Steuern vom Einkommen und vom Vermögen geltenden DBA enthalten auch die Erbschaftsteuerabkommen eine Kollisionsregelung für den Fall, dass nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht der Erblasser/Schenker in beiden Vertragsstaaten seinen Wohnsitz hatte (Art. 4 Abs. 2 ErbSt-MA). Daher ist abgestuft auf die ständige Wohnstätte, den Mittelpunkt der Lebensinteressen, den gewöhnlichen Aufenthalt sowie auf die Staatsangehörigkeit abzustellen.

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung Literatur: Kommentare zu Art. 23 A/B OECD-MA; Ackermann/Höft, Die steuerliche Berücksichtigung grenzüberschreitender Verluste – das endgültige Finale der finalen Verluste?, EuZW 2016, 258; Becker/Loose, Zur Anrechnung ausländischer Quellensteuern auf die Gewerbesteuer, IStR 2012, 57; von Brocke, Lidl Belgium und die praktischen Folgen, DStR 2008, 2201; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, Amsterdam 1964, 193; Cloer/Kozlowski, Die gewerbesteuerliche Anrechnung ausländischer Steuern durch den Lauf der Zeit? – Kritische Überlegungen zu § 34c Abs. 1 EStG analog im Rahmen der GewSt, FR 2022, 193; Cordewener/Schnitger, Europarechtliche Vorgaben für die Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung im Wege der Anrechnungsmethode, StuW 2006, 50;

1 In Deutschland § 12 Abs. 7 ErbStG i.V.m. § 31 Abs. 1 BewG, wobei das vereinfachte Ertragswertverfahren (§§ 199 ff. BewG) zur Anwendung kommen kann; Gebel in T/G/J, § 12 ErbStG Rz. 940. 2 Jülicher in Wassermeyer, Art. 6 ErbSt-MA Rz. 10. 3 Art. 7 OECD-MA. 4 Zu Einzelheiten Jülicher in Wassermeyer, Art. 7 ErbSt-MA Rz. 8 ff.

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M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Kap. 19 de Weerth, Berücksichtigung von Währungsverlusten auf das Dotationskapital einer EU-Auslandsbetriebsstätte im Inland, IStR 2008, 226; Depping, Die Anrechnung fiktiver Steuern gemäß Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Türkei, DStZ 1995, 294; Ditz/Bärsch/Quilitzsch, Betriebsstätteneinkünfte und Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen nach der deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, ISR 2013, 156; Ditz/Liebchen, Zur Anwendung des Betriebsstättenvorbehaltes im Ansässigkeitsstaat – Der BFH rückt mit Urteil vom 24.8.2011 die Verhältnisse wieder gerade, IStR 2012, 449; Ditz/Plansky, Aktuelle Entwicklungen bei der Berücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste, DB 2009, 1669; Ditz/Schönfeld, Abzug von umrechnungsbedingten Währungsverlusten, DB 2008, 1458; Eglmaier, Nochmals: Keine Anrechnung ausländischer Quellensteuer auf die deutsche GewSt – Duplik zu Kessler/Dietrich in diesem Heft S. 953, IStR 2011, 955; Eglmaier, Erwiderung zu Kessler/Dietrich (IStR 2011, 108): Anrechnung ausländischer Quellensteuer auf die deutsche GewSt, IStR 2011, 951; Eisendle, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Jahre 11 nach Marks & Spencer – Status quo der EuGH-Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Auslandsverlusten kraft Unionsrecht, ISR 2016, 37; Englisch, Berücksichtigung eines Verlustes einer im Ausland belegenen Betriebsstätte, IStR 2008, 404; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, Bern/Stuttgart 1974, 81; Frotscher M., Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer, in Lüdicke/Mössner/Hummel (Hrsg.), Das Steuerrecht der Unternehmen, Festschrift für Gerrit Frotscher, 2013, 115; Frotscher, Zur Zulässigkeit des „Treaty Override“, in Spindler/ Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 678; Gebhardt/Reppel, Die neuen Subject-to-tax-Klauseln in deutschen DBA – Praxisfälle und Zweifelsfragen im Kontext des BMF-Schreibens vom 20.6.2013, IStR 2013, 760; Gosch, Seminar D „Judges’ Seminar“: Abkommensrecht vor Gericht – Stichworte zu zehn gängigen Streitpunkten, IStR 2014, 698; Gosch, Über Streu- und Schachtelbesitz, in Kessler/Förster/Watrin (Hrsg.), Unternehmensbesteuerung, FS für Herzig, München 2010, 63; Gosch, Über das Treaty Overriding, IStR 2008, 413; Gosch/Heckerodt, Die unendliche Geschichte der „finalen“ Verluste, GmbHR 2021, 1248; Grotherr, Zum Anwendungsbereich der unilateralen Rückfallklausel gemäß § 50d Abs. 9 EStG, IStR 2007, 265; Haarmann, Die Anrechnung ausländischer Steuern vom Einkommen auf die deutsche Gewerbesteuer, in Mellinghoff/ Lüdicke/Rödder (Hrsg.), Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, FS für Dietmar Gosch, 2016, 123; Hageböke, Zum Konkurrenzverhältnis von DBA-Schachtelprivileg und § 8b KStG, IStR 2009, 473; Hellwig, Die wundersame Verlustvermehrung im Internationalen Steuerrecht, DB 1989, 1364; Heurung/Seidel, Anrechnung ausländischer Steuern auf Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag?, IWB 2009, F.3, Gr. 5, 75; 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Kap. 19 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) Kluge, Betriebsstättenvorbehalt und Methodenartikel – ein Beitrag zur autonomen Abkommensauslegung, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Wassermeyer, München 2005, 663; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, Basel/Stuttgart 1976; Knipping, Das BMF-Schreiben zum BFH-Folgeurteil in der Rechtssache Lidl Belgium, IStR 2010, 49; Köhler, Steuersystematische Analyse der Aktivitätsvorbehalte in deutschen DBA als Basis internationaler Steuergestaltungsüberlegungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 2011, 1815; Korn, Steuerliche (Nicht-)Berücksichtigung von Währungsergebnissen bei grenzüberschreitenden Veräußerungsgeschäften, IStR 2007, 890; Korten, Anrechnung ausländischer Quellensteuer auf die deutsche Gewerbesteuer, IStR 2021, 576; Krabbe, Betriebsausgaben im Zusammenhang mit ausländischen Schachtelbeteiligungen, DB 1994, 242; Krabbe, Verlustberücksichtigung bei Auslandseinkünften, DStJG (1985), 79; Lamprecht, Betriebsstättenverluste, Verlustvortragsrecht und Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse nach dem Urteil des EuGH in der Rs. 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Steuern auf die GewSt, Diss. 2020; Ritter, Steuerfreiheit ausländischer Schachteldividenden, BB 1994, 509; Rombach, Die Freistellungsmethode im internationalen Steuerrecht, FR 2019, 167; Rosenthal, Die steuerliche Beurteilung von Auslandssachveralten im Spannungsfeld zwischen Abkommensrecht und Europarecht, IStR 2007, 610; Rüsch, Die Verwirklichung einer korrespondierenden Besteuerung für grenzüberschreitende Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit durch § 50d Abs. 8 EStG, ISR 2019, 350; Schaumburg, Internationale Minderbesteuerung, in Lüdicke/Mössner/Hummel (Hrsg.), Das Steuerrecht der Unternehmen, FS für Gerrit Frotscher, 2013, 503; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schmidt, Freistellungsmethode auf dem Rückzug, in Achatz (Hrsg.), Internationales Steuerrecht, DStJG Band 36 (2013), 87; Schnitger, Wann sind Einkünfte eigentlich besteuert?, in Gosch/Schnitger/Schön, FS für Lüdicke, München 2019, 553; Schnitger, Seminar I: Länder und Gemeindesteuern und internationale Besteuerung, IStR 2013, 616; Schnitger, EuGH in der Rs. Timac Agro zu finalen ausländischen Betriebsstättenverlusten – War es das bei der Freistellungsmethode?, IStR 2016, 72; Schön, Besteuerung im Binnenmarkt – die Rechtsprechung des EuGH zu den direkten Steuern, IStR 2004, 289; Schönfeld, Welche praktischen Probleme löst das BMF-Schreiben zu Subject-to-Tax-Klauseln und welche nicht? – dargestellt anhand von Fallbeispielen, IStR 2013, 757; Schönfeld/Häck, Der Methodenartikel in der deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, ISR 2013, 168; Schulz-Trieglaff, Neues zur grenzüberschreitenden Verlustverrechnung: Nachversteuerung verstößt nicht gegen die Niederlassungsfreiheit, StuB 2009, 260; Schulz-Trieglaff, Fehlende Möglichkeit zur Anrechnung ausländischer Quellensteuer auf die inländische Gewerbesteuer – Regelungslücke und Normwiderspruch oder Arbeitsauftrag an den Gesetzgeber?, IStR 2021, 589; Schulz-Trieglaff, Finale Verluste: die lang ersehnte Vorlage an den EuGH, StuB 2021, 71; Seer, Grenzen der Zulässigkeit eines treaty overridings

950 | Schaumburg/Häck

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.512 Kap. 19 am Beispiel der Switch-over-Klausel des § 20 AStG, IStR 1997, 481, 520; Spek/Schumacher, Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer – jetzt auch in der Praxis!?, Ubg 2021, 340; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, Amsterdam 1936 (Neudruck Köln 1967), 328; Sträuli, Progressive Steuern im Doppelbesteuerungsrecht, Zürich 1973; Strunk/Kaminski, Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung von ausländischen Betriebsstätten und Personengesellschaften in Abkommensfällen, IStR 2003, 181; Vogel, Besteuerung fiktiver Einkünfte, in FS für Friauf, Heidelberg 1996, 825; Vogel/Wassermeyer u.a., Freistellung im Internationalen Steuerrecht – rechtlich und rechtspolitisch, München 1995; Wagner, Steuersparmodell „MADEIRA“, StBp. 1993, 108; Wagner, Steueroptimierung durch Steueranrechnung, StBp. 1996, 298; Wassermeyer in Lüdicke (Hrsg.) Besteuerungspraxis bei grenzüberschreitender Tätigkeit, Köln 2003, 207; Wassermeyer in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, Köln 2004, 81; Wassermeyer, Der Wirrwarr mit den Aktivitätsklauseln im deutschen Abkommensrecht, IStR 2000, 65; Weidmann, Anrechnung und Abzug fiktiver Steuerbeträge, Die Bank 1989, 539; Wlecke, Währungsumrechnung und Gewinnbesteuerung bei international tätigen deutschen Unternehmen, Düsseldorf 1989; Wolff, Auslegungsfragen zu DBA-Regelungen über Unternehmensgewinne, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Wassermeyer, München 2005, 647; Zieher, Zurechnung von Währungserfolgen aus der Umrechnung einer ausländischen Betriebsstättenrechnungslegung, IStR 2009, 261.

I. Allgemeines Neben den Verteilungsnormen gehören die Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zum Regelungskern der DBA. Die Wirkungen dieser Vermeidungsnormen (Art. 23A und Art. 23B OECD-MA) sind ausschließlich gegen den Wohnsitzstaat gerichtet. Nur er wird durch Vermeidungsnormen verpflichtet, die Doppelbesteuerung entweder durch Steuerfreistellung oder durch Steueranrechnung zu vermeiden.1 Insoweit haben die Vermeidungsnormen den Charakter von Steuerbefreiungs- oder Steuerermäßigungsnormen, die allerdings dann ohne Wirkung bleiben, wenn die betreffenden Einkünfte im Wohnsitzstaat ohnehin nicht steuerbar oder steuerfrei sind.2 Gegen den Quellenstaat gerichtete Wirkungen können sich demgegenüber nur aus den Verteilungsnormen ergeben, und zwar durch Steuerfreistellung3 oder durch eine der Höhe nach begrenzte Quellensteuer.4 Soweit aufgrund der abkommensrechtlichen Verteilungsnormen eine Freistellung im Quellenstaat5 oder im Wohnsitzstaat6 angeordnet wird, ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung bereits auf der Stufe der Verteilungsnormen sichergestellt. Insoweit haben die Vermeidungsnormen (Art. 23A und Art. 23B OECD-MA) lediglich deklaratorischen Charakter.7 Dem vorstehenden Zweistufensystem ent-

1 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 2; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 1; Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 19; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 1 f.; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 13; Dorn in Haase3, Art. 23A OECD-MA Rz. 3; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, 80. 2 BFH v. 22.2.2006 – I R 30/05, BFH/NV 2006, 1659; BFH v. 14.1.2009 – I R 47/08, BFH/NV 2009, 854; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 1, 52; Gosch in FS Herzig, 63 (86). 3 Etwa für Lizenzgebühren gem. Art. 12 Abs. 1 OECD-MA. 4 Etwa bei Dividenden und Zinsen gem. Art. 10 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 2 OECD-MA. 5 Etwa bei Lizenzgebühren gem. Art. 12 Abs. 1 OECD-MA. 6 Etwa für Gewinne aus Seeschifffahrt, Binnenschifffahrt und Luftfahrt gem. Art. 8 Abs. 1 OECDMA 2014 (Staat, in dem sich der Ort der Geschäftsleitung befindet); ferner: gem. Art. 13 Abs. 3 OECD-MA 2014; Art. 22 Abs. 3 OECD-MA 2014 und Art. 19 OECD-MA. 7 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 5; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 1; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 12 f.; Dorn in Haase3, Art. 23A OECD-MA Rz. 5; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, 78 f.

Schaumburg/Häck | 951

19.512

Kap. 19 Rz. 19.512 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

sprechen durchweg auch die deutschen DBA: Für bestimmte Einkünfte wird auf der ersten Stufe die Doppelbesteuerung im Rahmen der Verteilungsnormen durch den Quellenstaat oder den Wohnsitzstaat vermieden; im Übrigen erfolgt die Vermeidung der Doppelbesteuerung erst auf der zweiten Stufe im Rahmen der Vermeidungsnormen durch den Wohnsitzstaat.

19.513

Während auf unilateraler Ebene die Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Methodenpluralität beherrscht werden und neben dem Steuerabzug, der Steuerermäßigung und der Steuerpauschalierung die Steueranrechnung und die Steuerfreistellung in Betracht kommen (Rz. 17.16 ff.), gibt es auf bilateraler Ebene lediglich die Steuerfreistellung und die Steueranrechnung (Art. 23A und Art. 23B OECD-MA).

19.514

Die deutsche Abkommenspraxis ist von der Tendenz geprägt, den Kreis der Einkunfts- und Vermögensarten, für die die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung erfolgt, auszuweiten.1 Dies hat sowohl fiskalische als auch systematische Gründe. Die Steueranrechnung entspricht nämlich dem im deutschen Steuerrecht verankerten Welteinkommensprinzip und zugleich dem Grundsatz der Kapitalexportneutralität dadurch, dass die ausländischen Einkünfte auf das zumeist höhere deutsche Steuerniveau hochgeschleust werden. Die Steueranrechnung verwirklicht damit den Grundsatz der ungeteilten steuerlichen Leistungsfähigkeit (Rz. 17.17 ff.).

19.515

Soweit in der deutschen Abkommenspraxis die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steuerfreistellung vorgesehen ist, wird sie häufig nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt. Hierzu gehören bi- und unilaterale Aktivitätsvorbehalte sowie bi- und unilaterale Subject-to-Tax-Klauseln, die eine doppelte Nichtbesteuerung oder Minderbesteuerung vermeiden wollen (Rz. 19.141). Ein Aktivitätsvorbehalt gilt regelmäßig für die Freistellung von Betriebsstätteneinkünften und Schachteldividenden. Stammen die Einnahmen der Betriebsstätte oder der Tochtergesellschaft nicht aus aktiven Tätigkeiten, so wird die Steuerfreistellung versagt, so dass nur eine Steueranrechnung verbleibt.2 Die in der deutschen Abkommenspraxis verbreiteten und mitunter recht unterschiedlich ausgestalteten3 Aktivitätsklauseln4 sind darauf gerichtet, die Steuerfreistellung nur für im anderen Staat tatsächlich im Wettbewerb stehende Unternehmen zu gewähren. Sie dienen damit auch dem Ziel, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Abkommensvergünstigungen zu verhindern.5

1 Hierzu Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 15; Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 13; zu den Vor- und Nachteilen beider Methoden Schmidt, DStJG 36 (2013), 87 (88 ff.); Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, 83 ff.; Escher, Die Methoden zur Ausschaltung der Doppelbesteuerung, 116 ff.; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 65 ff. 2 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 74; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 156 ff.; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 69 ff. Zu den Aktivitätsklauseln im Methodenartikel des DBA-Schweiz s. ausf. Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 63 ff. u. 116 ff. 3 Zu den Unterschieden: Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 74 ff.; Schmidt/Blöchle in S/K/K, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 122 ff.; Köhler in Grotherr, Hdb. der internationalen Steuerplanung3, 1815 ff.; Wassermeyer, IStR 2000, 65 ff.; Kaminski, StuW 2007, 275 ff. 4 Abkommensübersicht bei Schwenke in Wassermeyer, Anlage hinter Art. 23B OECD-MA. Ausf. zu den Aktivitätsklauseln in den deutschen DBA Läufer, Aktivitätsklauseln in deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, 2014. 5 Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 77.

952 | Schaumburg/Häck

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.520 Kap. 19

Die abkommensrechtlichen Aktivitätsklauseln sind teils enger, teils weiter als die Regelung des § 8 Abs. 1 AStG.1 Da die in beiden Aktivitätskatalogen aufgeführten Tätigkeiten gewisse Parallelen aufweisen, können die zu § 8 Abs. 1 AStG entwickelten Auslegungsgrundsätze, insbesondere die sog. funktionale Betrachtungsweise (Rz. 13.79), auch für Abkommenszwecke angewendet werden.2 Die abkommensrechtlichen Aktivitätsklauseln setzen voraus, dass die Einnahmen der Betriebsstätte oder Tochtergesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich aus den dort näher bezeichneten Tätigkeiten stammen. Auch hier kann insoweit auf die zu § 8 AStG entwickelte 90 %-Grenze zurückgegriffen werden.3

19.516

In den DBA werden Steuerfreistellung und Steueranrechnung nicht stets in bilateraler Gegenseitigkeit verankert. So haben sich etwa die kontinentaleuropäischen Abkommenspartner in den Abkommen mit Deutschland überwiegend für die Freistellungsmethode und die angelsächsischen Abkommenspartner überwiegend für die Anrechnungsmethode entschieden, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob Deutschland seinerseits die Freistellungsmethode oder die Anrechnungsmethode gewählt hat.4

19.517

Darüber hinaus weichen die Vertragsstaaten nicht selten auch einseitig von der auf Abkommensebene festgelegten Steuerfreistellung ab (Treaty-Overriding [Rz. 3.24 f.]). So gewährt etwa der in § 20 Abs. 2 AStG enthaltene unilaterale Aktivitätsvorbehalt für Betriebsstättengewinne aus passivem Erwerb an Stelle der durch Abkommen vorgesehenen Steuerfreistellung „nur“ die Steueranrechnung, ohne hierzu abkommensrechtlich legitimiert zu sein.5

19.518

Sonderregelungen enthalten auch bspw. § 50d Abs. 8, 9 EStG, wonach speziell bei den Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit und generell bei (negativen) Qualifikations- und Zurechnungskonflikten und ausländischen Besteuerungslücken die Freistellungsmethode auf die Vermeidung der effektiven Doppelbesteuerung reduziert bzw. durch die Anrechnungsmethode ersetzt wird (Rz. 19.522 ff.).6

19.519

Da die Vermeidungsnormen der Erbschaftsteuerabkommen in ihrer Grundstruktur denjenigen der Einkommen- und Vermögensteuerabkommen entsprechen, gelten für diese die gleichen Grundsätze.

19.520

1 Zu Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer Art. 23A OECD-MA Rz. 156 f., Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 66 ff.; Blöchle/Hirt in S/K/K, Art. 23 OECD-MA Rz. 137 ff.; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 87 ff. 2 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 71; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 54, 156; Blöchle/Hirt in S/K/K, Art. 23 OECD-MA Rz. 139; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 93; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 77. 3 BFH v. 30.8.1995 – I R 77/94, BStBl. II 1996, 122; Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 74; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 156. 4 Vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 5 Der Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode ist zwar im Grundsatz europarechtlich unbedenklich (EuGH v. 6.12.2007 – C-298/05, ECLI:EU:C:2007:754 = Slg. 2007, I-10451 – Columbus Container), aber dennoch unzulässig, wenn in der ausländischen Betriebsstätte eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird (Schlussurteil BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774); vgl. ausf. Prokopf in S/K/K, § 20 AStG Rz. 158 ff. ferner Rz. 19.544; a.A. FG München v. 13.7.2021 – 6 K 215/19 (Rev. beim BFH unter Az.: I R 34/21). 6 Vgl. auch die in § 2 Abs. 3 AO an das BMF gerichtete Ermächtigung, durch Rechtsverordnung unter bestimmten Voraussetzungen in Abkommensfällen von der Freistellung zur Steueranrechnung überzuwechseln (AHRL-ÄndUmsG).

Schaumburg/Häck | 953

Kap. 19 Rz. 19.521 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

II. Steuerfreistellung 1. Grundsätze 19.521

Die abkommensrechtlichen Vermeidungsnormen (Art. 23A OECD-MA) setzen für eine Steuerfreistellung im Wohnsitzstaat voraus, dass aufgrund der Verteilungsnormen Einkünfte und Vermögen im Quellenstaat besteuert werden können (Art. 23A Abs. 1 OECD-MA). Ist dem Wohnsitzstaat die Besteuerungsbefugnis bereits auf der ersten Stufe aufgrund der Verteilungsnormen genommen, so wirkt die Steuerfreistellung durch die Vermeidungsnormen auf der zweiten Stufe lediglich deklaratorisch.1

19.522

Die Steuerfreistellung nach Maßgabe der Vermeidungsnormen erfolgte nach früherer deutscher Abkommenspolitik grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, ob die betreffenden Einkünfte und das betreffende Vermögen im Quellenstaat tatsächlich besteuert und dort Steuern gezahlt werden.2 Damit war die Freistellungsmethode traditionell auf die Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung ausgerichtet. Zunehmend wird in deutschen DBA zur Vermeidung von Keinmalbesteuerungen3 auf Abkommensebene die Steuerfreistellung im Wohnsitzstaat davon abhängig gemacht, dass im Quellenstaat tatsächlich besteuert wird.4 Angesprochen hierdurch sind Subject-to-Tax-Klauseln,5 Rückfallklauseln6 sowie die in Art. 23A Abs. 4 OECD-MA enthaltene Klausel, aufgrund derer der Wohnsitzstaat trotz genereller Freistellung besteuern darf, wenn der Quellenstaat wegen abweichender Abkommensauslegung oder Sachverhaltsinterpretation nicht besteuert.7 Die (partielle) Abkehr vom Grundsatz der Vermeidung einer virtuellen Doppelbesteuerung zeigt sich auch deutlich in Art. 22 Abs. 1 Buchst. d und e DE-VG.8

19.523

Neben diesen bilateralen Klauseln ist schließlich die für Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit geltende unilaterale Subject-to-Tax-Klausel des § 50d Abs. 8 EStG von Bedeutung.9 Eine Steuerfreistellung wird hiernach für unbeschränkt Steuerpflichtige10 nur gewährt, wenn nachgewiesen wird, dass der Staat, dem abkommensrechtlich die Besteuerung zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten

1 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 5; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 1; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 12 f.; Dorn in Haase3, Art. 23A OECD-MA Rz. 5; Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, 78 f. 2 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 46; Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 69; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 59; vgl. auch Rz. 15.8. 3 Zurecht krit. zu diesem generellen Abkommensziel Gosch, IStR 2014, 698 (701). 4 Vgl. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73 ff.; s. auch Art. 22 Abs. 1 Buchst. e, Doppelbuchst. bb DE-VG; Holthaus, IStR 2012, 537 ff. 5 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 46; Lüdicke in FS Frotscher, 403 (414 ff.); Schaumburg in FS Frotscher, 503 (508 ff.); Meretzki, ISR 2014, 42 ff.; Schönfeld, IStR 2013, 757 ff.; Gerhardt/Reppel, IStR 2013, 760; Holthaus, IStR 2012, 537; Lüdicke, IStR 2013, 721. 6 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 161 ff. 7 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 146 ff., zum Begriff vorstehender und vergleichbarer Klauseln Dürrschmidt in V/L7, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 20 ff.; Höfer/Milanin in FS Lüdicke, 283 (287 ff.). 8 Ausf. Schönfeld/Ditz/Häck in S/D2, Anh. 4 Rz. 161 ff.; Schönfeld/Häck, ISR 2013, 168 ff.; Ditz/ Bärsch/Quilitzsch, ISR 2013, 156 (160 ff.). 9 Ausf. Rüsch, ISR 2019, 350 ff. 10 Nur gem. § 1 Abs. 1, 2 EStG, nicht aber gem. § 1 Abs. 3 EStG; hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 35; Doppelansässigkeit spielt keine Rolle (BFH v. 25.5.2016 – I B 139/11, BFH/ NV 2016, 1453).

954 | Schaumburg/Häck

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.525 Kap. 19

Steuern entrichtet wurden.1 Der Besteuerungsverzicht des Quellenstaates kann entweder abstrakt in der Nichterhebung mangels Steuerbarkeit oder konkret durch Erlass von Steuern bestehen.2 Dementsprechend hat der Nachweis durch Vorlage von einschlägigen Gesetzes- oder Verwaltungsregelungen oder von Verwaltungsakten zu erfolgen.3 Im Übrigen muss die Festsetzung und Entrichtung der Steuern nachgewiesen werden,4 was in aller Regel die Vorlage des betreffenden Steuerbescheides und des Zahlungsbeleges erfordert.5 Aus Vereinfachungsgründen wird auf entsprechende Nachweise verzichtet, wenn der hierdurch betroffene Arbeitslohn insgesamt 10.000,– Euro im Veranlagungszeitraum nicht überschreitet.6 Die Steuerfreistellung hat entsprechend der abkommensrechtlichen Terminologie (Art. 23A Abs. 1 OECD-MA) im Wohnsitzstaat dadurch zu erfolgen, dass die betreffenden Einkünfte bzw. Vermögensteile von der Besteuerung auszunehmen sind. Aus deutscher Sicht bedeutet das, dass die in Betracht kommenden Einkünfte freizustellen sind. Dieses Freistellungsgebot hat im Ergebnis den Charakter einer sachlichen Steuerbefreiung.7 Die Sonderregelung des § 50d Abs. 8 EStG als ein gegen DBA wirkendes Treaty-Overriding (Rz. 3.24 f.) führt zu einer Abkehr von der abkommensrechtlich auf die Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung gerichteten Freistellungsmethode (Rz. 15.8). Die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung (Rz. 19.132) mag zwar einen derartigen Systembruch rechtfertigen, er stört aber die den DBA zugrunde liegende Verteilungsgerechtigkeit, mit der allein eine bilaterale Subject-to-Tax-Klausel vereinbar wäre. Davon abgesehen vermag sich § 50d Abs. 8 EStG wegen seiner einseitig belastenden Wirkung nur für Arbeitnehmer auch nicht ggü. dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu legitimieren.8 Es mag zwar darum gegangen sein, Piloten, Berufskraftfahrern und Seeleuten eine bei entsprechender Gestaltung mögliche „Nullbesteuerung“ zu versagen,9 es ist aber nicht gerechtfertigt, in vergleichbaren anderen Fällen, eine auf die Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung gerichtete Steuerfreistellung aufrecht zu erhalten.

19.524

Die nicht nur für bestimmte (positive wie negative10) Einkünfte wie Einkunftsteile11 geltende Switch-over-Klausel12 des § 50d Abs. 9 EStG ist gegen eine Nicht- oder Minderbesteuerung

19.525

1 Vgl. BFH v. 10.10.2018 – I R 67/16, BFH/NV 2019, 394. 2 BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643, Rz. 2.3.2.2. 3 Vgl. BFH v. 28.6.2007 – I R 54,55/07, BFH/NV 2008, 1487; FG Hamburg v. 13.4.2017 – 6 K 195/ 16, EFG 2017, 1176 (Rev. beim BFH unter Az.: I R 30/17). 4 FG Köln v. 16.6.2016 – 13 K 3649/13 (rkr.), EFG 2016, 1711 = ISR 2017, 42 m. Anm. Holthaus. 5 BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643, Rz. 2.3.2.1.2. 6 BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 - S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643, Rz. 2.3.4.2. 7 BFH v. 14.3.1989 – I R 20/87, BStBl. II 1989, 649; BFH v. 1.10.1992 – I B 42/92, I B 43/92, IStR 1992, 103; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 51. 8 Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, 220 ff.; Holthaus, IStR 2004, 16 ff.; a.A. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, FR 2016, 405; BFH v. 29.6.2016 – I R 66/09, IStR 2016, 981. 9 Vgl. die Hinweise bei Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 35a. 10 BFH v. 11.7.2018 – I R 52/16, BStBl. II 2019, 105. 11 Seit der Änderung des Wortlauts ab VZ 2017 („soweit“ statt „wenn“) ist § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG auch anwendbar, wenn nur Einkünfteteile unbesteuert oder minderbesteuert bleiben. § 50d Abs. 9 Satz 4 EStG erstreckt dieses Verständnis auch auf abkommensrechtliche subject-to-tax-Klauseln bzw. switch-over-Klauseln, soweit diese an „Einkünfte“ anknüpfen, hierzu Loschelder in Schmidt41, § 50d EStG Rz. 52. 12 Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode.

Schaumburg/Häck | 955

Kap. 19 Rz. 19.525 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

im anderen Vertragsstaat gerichtet,1 und zwar für Fälle von Qualifikations- und Zurechnungskonflikten (§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG), von Besteuerungslücken im Rahmen beschränkter Steuerpflicht im anderen Vertragsstaat (§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG) sowie – seit der Erweiterung durch das ATADUmsG v. 21.6.20212 – von Besteuerungsinkongruenzen bei sog. „hybrid branch missmatches“ (§ 50d. Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 EStG).

19.526

Soweit es um die durch Qualifikations- und Zurechnungskonflikte (Rz. 19.82) ausgelöste Nicht- oder Minderbesteuerung geht, muss diese ihre Ursache in der Abkommensanwendung haben,3 so dass etwa innerstaatliche Vollzugsdefizite unbeachtlich sind.4

19.527

Die Subject-to-Tax-Klausel des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG erfasst subsidiär5 nur Fälle, in denen die abkommensrechtliche Freistellung auf Art. 23A OECD-MA beruht, weil der durch diese Vorschrift angeordnete Wechsel von der Freistellung zur Anrechnung ausschließlich im Regelungsbereich der Vermeidensnorm des Art. 23A OECD-MA angesiedelt ist.6 Ergibt sich die Nichtbesteuerung also auf Grund vollständiger Verteilungsnormen (Rz. 19.212), ist § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG in der Konsequenz nicht anwendbar.7 Neben dem Hauptanwendungsfall der aus deutscher Sicht unberechtigten Nichtbesteuerung im anderen Vertragsstaat, wird auch die dortige (unberechtigte) Minderbesteuerung erfasst, womit im Wesentlichen die reduzierte Quellenbesteuerung auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren (Art. 10 bis 12 OECDMA) angesprochen ist.8

19.528

§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG betrifft Besteuerungslücken im anderen Vertragsstaat im Rahmen der dortigen beschränkten Steuerpflicht. Angesprochen sind damit jene Fälle, in denen dort eigentlich der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegende Einkünfte bei beschränkter Steuerpflicht nicht erfasst werden. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 EStG betrifft schließlich besondere Fallgestaltungen, in denen die Vertragsstaaten Einkünfte nicht übereinstimmend einer Betriebsstätte zuordnen, sei es, weil sie in dem anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie einer Betriebsstätte in einem Drittstaat zugeordnet werden (Alt. 1) oder aufgrund einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung die steuerliche Bemessungsgrundlage in dem anderen Staat gemindert wird (Alt. 2).9

1 Treaty-Overriding; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit s. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, FR 2016, 405; vgl. auch Rz. 3.24 f. 2 BGBl. I 2021, 2035. 3 BFH v. 15.3.2021 – I R 61/17, BFH/NV 2021, 1387; BFH v. 11.7.2018 – I R 52/16, BStBl. II 2019, 105. 4 Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 41; Schönfeld/Rüsch in F/W/B/S, § 50d Abs. 9 EStG Rz. 67. 5 Soweit nicht DBA, § 50d Abs. 8 EStG oder § 20 Abs. 2 AStG eine weitergehende Einschränkung der Freistellung vorsehen. 6 Vgl. Rosenthal, IStR 2007, 610 (612). 7 Rosenthal, IStR 2007, 610 (612); a.A. BFH v. 21.1.2016 – I R 49/14, BStBl. II 2017, 107; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 41; Schönfeld/Rüsch in F/W/B/S, § 50d Abs. 9 EStG Rz. 55; Grotherr, IStR 2007, 265 (265). 8 Schönfeld/Rüsch in F/W/B/S, § 50d EStG, Rz. 69. 9 Hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 41ga; Lampert in BeckOK EStG, § 50d EStG Rz. 367.

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M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.531 Kap. 19

Der Wechsel von der abkommensrechtlich vorgesehenen Freistellungs- zur Anrechnungsmethode ist nicht nur ein Treaty-Overriding,1 sondern bedeutet auch einen Verstoß gegen das Gebot der Folgerichtigkeit und Wertungskonsequenz (Rz. 4.7), weil gerade dem deutschen Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht die divergierende Erfassungsbreite der Einkünfte als – freilich verfehlte – gesetzgeberische Konzeption zugrunde liegt. So enthält § 49 Abs. 1 EStG einen nicht vollständigen numerus clausus inländischer Einkünfte (Rz. 6.150 f.) und damit Besteuerungslücken, die in vergleichbaren ausländischen Fällen als nicht gerechtfertigt durch eine inländische kompensatorische Besteuerung geschlossen werden soll. Damit widerspricht die Regelung in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG den eigenen gesetzgeberischen Wertungen, so dass im Ergebnis auch die autonomen Belastungsentscheidungen anderer Staaten konterkariert werden.2

19.529

Diese ausländische Besteuerungslücken ausfüllende Switch-over-Klausel gilt allerdings nicht für Dividenden, soweit diese auf Ebene der ausschüttenden ausländischen Gesellschaft bereits mit Körperschaftsteuer belastet ist (§ 50d Abs. 9 Satz 2 EStG).3

19.530

2. Einkünfte und Vermögen Soweit die abkommensrechtlichen Vermeidungsnormen anordnen, Einkünfte und Vermögen von der Besteuerung im Wohnsitzstaat auszunehmen, ohne im Einzelnen zu definieren, was unter Einkünften und Vermögen zu verstehen ist, gilt innerstaatliches Recht, sofern sich aus dem Abkommenszusammenhang der Begriff der Einkünfte und des Vermögens nicht erschließen lässt (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA). Aus dem Abkommenszusammenhang ergibt sich, dass der in den Vermeidungsnormen verwendete Einkünftebegriff im Ausgangspunkt mit den in den Verteilungsnormen verwendeten Einkünftebegriffen deckungsgleich ist.4 Andernfalls verfehlten die Vermeidungsnormen ihr eigentliches teleologisches Ziel, auf einer zweiten Stufe durch dem Wohnsitzstaat obliegende Maßnahmen die Doppelbesteuerung zu vermeiden. Dieser Gleichklang in der Auslegung gilt auch in den Fällen, in denen etwa für Dividenden, Zinsen und/oder Lizenzgebühren aufgrund der abkommensrechtlichen Rückverweisungsklauseln (Art. 10 Abs. 4, 11 Abs. 4, 12 Abs. 3 i.V.m. Art. 7 Abs. 7 OECD-MA) nicht die entsprechenden speziellen, sondern die für Unternehmensgewinne (Art. 7 OECD-MA) maßgeblichen Verteilungsnomen Geltung haben. Gehören also abkommensrechtlich Dividenden, Zinsen und/oder Lizenzgebühren zu den ausländischen Betriebsstätteneinkünften (Rz. 19.326 ff., 19.358, 19.370), schlägt die für die Verteilungsnormen maßgebliche Zuordnung auch auf die Vermeidungsnormen durch,5 so dass vorbehaltlich etwaiger Aktivitätsklauseln (Rz. 19.138) der Wohnsitzstaat

1 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, FR 2016, 405; ausf. Rz. 3.24 f. 2 In diesem Sinne auch BFH v. 20.5.2015 – I R 69/14, BFH/NV 2015, 1395; ebenso Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50d EStG Rz. 41; dagegen ab 2017 § 50d Abs. 9 Sätze 1 u. 4 EStG (AHRL-ÄndUmsG), wonach der „Rückfall“ des Besteuerungsrechts auch bei teilweiser Nichtbesteuerung im anderen Staat erfolgt. 3 Diese Regelung zielt insbesondere auf typisch stille Beteiligungen ab; hierzu Schönfeld/Rüsch in F/W/B/S, § 50d Abs. 9 Rz. 101 ff. 4 BFH v. 27.1.1982 – I R 5/78, HFR 1982, 301; Görl in V/L7, Vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 42; Art. 23 OECD-MA Rz. 180 f.; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 28; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 55; Dorn in Haase3, Art. 23A OECD-MA Rz. 11. 5 BFH v. 24.8.2011 – I R 46/11, BStBl. II 2014, 764; Niehaves in Haase3, Art. 7 OECD-MA Rz. 34 f.; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 29; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 68; Wolff in FS Wassermeyer, 647 ff.; Strunk/Kaminski, IStR 2003, 181 ff.; M. Lang, SWI 2003,

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19.531

Kap. 19 Rz. 19.531 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

grundsätzlich die Betriebsstättenfreistellung (Rz. 19.543 f.) zu gewähren hat. Im Übrigen gilt: Die Vermeidungsnormen enthalten einen dualen Einkünftebegriff. Er ist im Sinne eines Nettobetrages zu verstehen, soweit die Art. 6, 7, 8, 13, 14 a.F. und 17 OECD-MA angesprochen sind, und er ist ein Bruttobetrag für die Anwendung bezüglich der Art. 10 bis 12, 15, 16, 18, 19 und 20 OECD-MA.1 Hierdurch wird zugleich die Reichweite des § 3c Abs. 1 EStG geprägt, so dass im Ergebnis Ausgaben im Zusammenhang mit gem. Art. 23A OECD-MA steuerfreigestellten Nettoeinkünften unter keinen Umständen und Ausgaben im Zusammenhang mit von der Besteuerung auszunehmenden Bruttoeinnahmen nur dann nicht abzugsfähig sind, wenn sie in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit diesen stehen.2 Im Übrigen bestimmt sich die Höhe der von der Besteuerung auszunehmenden Brutto- oder Nettobeträge nach dem Recht des Wohnsitzstaates, weil die DBA hierzu keine teleologische Orientierung bieten.3 Die vorstehenden Grundsätze gelten für die Freistellung von Vermögen entsprechend.4

19.532

Aus deutscher Sicht zählen zu den Einkünften nicht nur positive Einkünfte, sondern, soweit abkommensrechtlich Nettobeträge erfasst werden, auch Verluste.5 Soweit die Vermeidungsnormen anordnen, Einkünfte seien von der Besteuerung auszunehmen, folgt hieraus abkommensrechtlich aber nicht ohne weiteres eine Nichtberücksichtigung von Verlusten.6 Ob diese berücksichtigt werden, ist vielmehr Sache des jeweiligen nationalen Rechts.7 Das deutsche Steuerrecht enthält zwar diesbezüglich kein ausdrückliches Verlustberücksichtigungsverbot, den früheren Regelungen in § 2 AIG und § 2a Abs. 3 EStG lässt sich aber entnehmen, dass der Gesetzgeber von der Konzeption ausgeht, dass der Freistellung von positiven Einkünften die Nichtberücksichtigung von Verlusten entspricht (sog. Symmetriethese).8 Im Hinblick darauf

1 2 3 4 5

6 7 8

319; Kleineidam, IStR 2004, 2 ff.; a.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 52; Wassermeyer in Lüdicke, Besteuerungspraxis bei grenzüberschreitender Tätigkeit, Köln 2003, 207 (210 f.); Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, 81 ff.; Kluge in FS Wassermeyer, 663 ff.; offen gelassen von BFH v. 7.8.2002 – I R 10/01, BStBl. II 2002, 848. BFH v. 29.5.1996 – I R 15/94, BStBl. II 1997, 57 (60, 63); zu Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 21. BFH v. 29.5.1996 – I R 15/94, BStBl. II 1997, 57 (60, 63); Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 21 ff. BFH v. 13.9.1989 – I R 117/87, BStBl. II 1990, 57; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECDMA Rz. 21. Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 66 ff., 72 f. BFH v. 11.3.1970 – I B 50/68, I B 3/69, BStBl. II 1970, 569; BFH v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382; BFH v. 8.3.1989 – X R 181/87, BStBl. II 1989, 541; BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136; BFH v. 26.3.1991 – IX R 162/85, BStBl. II 1991, 704; BFH v. 29.11.2006 – I R 45/05, BStBl. II 2007, 398; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; BFH v. 11.3.2008 – I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161; BFH v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630; BFH v. 3.2.2010 – I R 23/09, BStBl. II 2010, 599; BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, DStR 2010, 1733; BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFH/NV 2014, 963; BFH v. 6.11.2019 – I R 32/18, BStBl. II 2021, 68; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 22. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 57; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 31; vgl. auch ÖVwGH v. 25.9.2001, IStR 2001, 754. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 57; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, 323. So zuletzt noch BFH v. 11.3.2008 – I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161; BFH v. 3.2.2010 – I R 23/09, DStR 2010, 918; BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703; BFH v. 6.11.2019 – I R 32/18, BStBl. II 2021, 68; vgl. auch Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 57.

958 | Schaumburg/Häck

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.532 Kap. 19

bleiben ausländische negative Einkünfte,1 abgesehen von einem etwaigen negativen Progressionsvorbehalt, im Inland grundsätzlich unberücksichtigt.2 Eine Verlustberücksichtigung im Inland kann aber für die Fälle ausländischer Verluste in Freistellungsbetriebsstätten nach der (wechselhaften) Rechtsprechung des EuGH3 aus unionsrechtlichen Gründen zuzulassen sein, wenn diese in dem anderen Staat unter keinen Umständen berücksichtigt werden können, also endgültig sind (sog. finale Verluste).4 Die vorstehenden Grundsätze gelten sinngemäß auch für die Berücksichtigung von Fremdwährungsverlusten. Diese sind der ausländischen Einkunftsquelle zuzuordnen, so dass sie bei Anwendung der Freistellungsmethode im Inland grundsätzlich unberücksichtigt bleiben.5 Europarechtlich geboten war hingegen bislang die Berücksichtigung von umrechnungsbedingten Währungsverlusten aus der grenzüberschreitenden Rückführung des Dotationskapitals einer EU/EWR-Betriebsstätte auf das inländische Stammhaus6 sowie aus Teilrückführungen von Dotationskapital und von laufend (realisierten) Währungs-

1 Hierzu sollen auch negative Einkünfte aus vergeblich vorweggenommenen Aufwendungen zählen, s. BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703. 2 Ständige Rechtsprechung: RFH v. 26.5.1935, RStBl. 1935, 1358; BFH v. 11.3.1970 – I B 50/68, I B 3/69, I B 50/68, I B 3/69, BStBl. II 1970, 569; BFH v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 948; BFH v. 28.3.1973 – I R 59/71, BStBl. II 1973, 531; BFH v. 20.7.1973 – VI R 198/69, BStBl. II 1973, 732; BFH v. 25.2.1976 – I R 150/73, BStBl. II 1976, 454; BFH v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382; BFH v. 28.4.1983 – IV R 122/79, BStBl. II 1983, 566; BFH v. 9.8.1989 – I B 118/88, BStBl. II 1990, 175; BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136; BFH v. 26.3.1991 – IX R 162/85, BStBl. II 1991, 704; BFH v. 6.10.1993 – I R 32/93, BStBl. II 1994, 113; BFH v. 18.1.2001 – I R 70/ 00, DB 2001, 2696; BFH v. 29.11.2006 – I R 45/05, BStBl. II 2007, 398; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/ 06, BStBl. II 2008, 671; BFH v. 11.3.2008 – I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161; BFH v. 17.7.2008 – I R 84/04, BStBl. II 2009, 630; BFH v. 3.2.2010 – I R 23/09, BStBl. II 2010, 599; BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, DStR 2010, 1733; BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFH/NV 2014, 963; BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703; BFH v. 6.11.2019 – I R 32/18, BStBl. II 2021, 68 (Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH, Az.: C-538/20). 3 EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278 = Slg. 2008, I-3617 – Lidl Belgium; BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, IStR 2010, 663; BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, IStR 2014, 377; EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 = ISR 2016, 14 – Timac Agro Deutschland (daran anschließend BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl. II 2017, 709); EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16, ECLI: EU:C:2018:424 = ISR 2018, 281 – Bevola und Trock; hierzu ausf. stv. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 5 ff.; Gosch/Heckerodt, GmbHR 2021, 1248 ff. Vgl. zur (zwischenzeitlichen) Einordnung der Entscheidung des EuGH in der Rs. Timac Agro Deutschland Schnitger, IStR 2016, 72 ff.; Eisendle, ISR 2016, 37 (38 f., 42 f.); Benecke/Staats, IStR 2016, 74 (80 f.); Schiefer, IStR 2016, 74 (80); Patzner/Nagler, GmbHR 2016, 170 (177); Ackermann/Höft, EuZW 2016, 258 ff.; Schlücke, FR 2016, 126 (131); Mitschke, FR 2016, 126 (132). 4 Der BFH (v. 6.11.2019 – I R 32/18, BStBl. II 2021, 68; hierzu Gosch/Heckerodt, GmbHR 2021, 1248; Schulz-Trieglaff, StuB 2021, 71) hat dem EuGH im Lichte der Entscheidung in der Rs. Bevola/Trock erneut Fragen zur Berücksichtigung finaler Verluste vorgelegt (Az. beim EuGH: C-538/20), nachdem der BFH zuvor in anderer Sache (BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl. II 2017, 709) eine Vorlagebedürftigkeit im Anschluss an die Entscheidung in der Rs. Timac Agro noch verneint hatte. Das FG Niedersachsen hat seinerseits (v. 28.11.2019 – 6 K 69/17 (rkr.) mit Anm. Schlücke, ISR 2020, 262 ff.) im Anschluss an die Rs. Bevola/Trock „durchentschieden“. 5 BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; BFH v. 18.9.1996 – I R 69/95, BFH/NV 1997, 408; BFH v. 16.12.2008 – I B 44/08, BFH/NV 2009, 940; BFH v. 2.12.2015 – I R 13/14, DStR 2016, 853; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 18a; a.A. Ditz in S/D2, Art. 7 OECD-MA (2008)Rz. 192; Ditz/Schönfeld, DB 2008, 1458 (1460 f.). 6 EuGH v. 28.2.2008 – C-293/06, ECLI:EU:C:2008:129 = Slg. 2008, I-1129 – Deutsche Shell.

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Kap. 19 Rz. 19.532 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

verlusten.1 Die jüngere Rechtsprechung des EuGH2 akzeptiert nun aber möglicherweise eine Nichtberücksichtigung auch dieser Währungsverluste, wenn korrespondierende Währungsgewinne ebenfalls der ausländischen Betriebsstätte zugerechnet und steuerfrei gestellt würden.3

19.533

Während die Nichtberücksichtigung von Verlusten etwa aus ausländischen Betriebsstätten im Bereich der Gewerbesteuer4 mit dem dort geltenden Territorialitätsprinzip (Rz. 9.1) vereinbar ist,5 führt die Nichtberücksichtigung von Verlusten bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu einer Störung des Welteinkommensprinzips und gegebenenfalls zu einer Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn infolge dieses Verlustausgleichsverbots im Inland Einkünfte zu versteuern sind, die in ihrer Gesamtheit überhaupt nicht angefallen sind. In diesen Fällen führt die Nichtberücksichtigung von ausländischen Verlusten zu einer Besteuerung fiktiver Einkünfte.6 Die Nichtberücksichtigung ausländischer Verluste, die letztlich auf der Auslegung des in den abkommensrechtlichen Vermeidungsnormen verwendeten Einkünftebegriffs nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts7 und zudem auf der Befürchtung einer doppelten Verlustberücksichtigung in beiden Vertragsstaaten8 beruht, führt zu einer Übermaßbesteuerung, wenn die Gesamtsteuerbelastung hierdurch höher ist als bei Anwendung der Anrechnungsmethode.9 Das Höchstmaß der an der Leistungsfähigkeit orientierten Besteuerung wird nämlich durch das Welteinkommensprinzip (Rz. 6.53 ff.) unter Einbeziehung der Steueranrechnung gesetzt. Von dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung darf zu Ungunsten des Steuerpflichtigen nicht abgewichen werden mit der Folge, dass ausländische Verluste in gleicher Weise wie inländische Verluste steuerlich zu berücksichtigen sind. Hiervon darf nur abgewichen werden, um eine doppelte Berücksichtigung von Verlusten zu vermeiden. Diese Gleichstellung mit inländischen Verlusten gebieten auch die europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten. Im Hinblick darauf ist de lege ferenda eine Wiederaufnahme und Erweiterung des früheren § 2a Abs. 3 EStG auf alle Fälle der abkommensrechtlichen Freistellung10 oder aber eine Option zur Steueranrechnung11 geboten. Im Übrigen kommt in Ausrichtung an das auch bei Anwendung von DBA maßgebliche Leistungsfähigkeitsprinzip ein Erlass aus Billigkeitsgründen (§§ 163, 227 AO) in Betracht.

1 De Weerth, IStR 2008, 226 f.; Ditz/Plansky, DB 2009, 1669 (1670) (für Teilrückführungen); Zieher, IStR 2009, 261 ff.; a.A. Hruschka, IStR 2008, 499 ff. (für lfd. Betriebsstättenverluste); zu weiteren Einzelheiten Lüdicke/Braunagel in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht, 177 (182 ff.). 2 EuGH v. 10.6.2015 – C-686/13, ECLI:EU:C:2015:375 = ISR 2015, 328 mit Anm. Eiling/Oppel = IStR 2015, 557 – X AB. 3 Vgl. BFH v. 2.12.2015 – I R 13/14, GmbHR 2016, 557; hierzu Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 18a; Märtens, jurisPR-SteuerR 21/2016 Anm. 5. 4 BFH v. 21.4.1971 – I R 200/67, BStBl. II 1971, 743; BFH v. 10.7.1974 – I R 248/71, BStBl. II 1974, 752. 5 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 54; für eine Verlustberücksichtigung auch bei der Gewerbesteuer Schön, IStR 2004, 289 (294). 6 Vogel in FS Friauf, 825 (830). 7 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 55 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 57; Krabbe, DStJG (1985), 79 (82). 8 So der Hinweis von Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 57. 9 Schaumburg in FS Tipke, 125 (151). 10 Vgl. auch Lüdicke/Braunagel in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht, 177 (180). 11 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 59.

960 | Schaumburg/Häck

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.536 Kap. 19

3. Progressionsvorbehalt Die abkommensrechtliche Steuerbefreiung der Einkünfte hat auch Auswirkungen auf den Progressionsvorbehalt. Der Progressionsvorbehalt führt dazu, dass die nach einem DBA steuerbefreiten ausländischen Einkünfte bei der Ermittlung des Steuersatzeinkommens als steuerpflichtig zu behandeln sind.1 Das gilt unabhängig davon, ob die Steuerbefreiung bereits unmittelbar durch eine Verteilungsnorm oder erst durch Art. 23A OECD-MA als Vermeidungsnorm angeordnet wird.2

19.534

Soweit abkommensrechtliche Vermeidungsnormen die Steuerfreistellung gänzlich nicht unter Progressionsvorbehalt stellen, dürfen die entsprechenden ausländischen Einkünfte gleichwohl zwecks Anwendung eines höheren Steuersatzes in das im Inland zu versteuernde Einkommen einbezogen werden, weil die Steuerbefreiung sich nur auf die Einkünfte oder das Einkommen, nicht aber auf das Steuersatzeinkommen bezieht, aufgrund dessen ausschließlich die nicht steuerbefreiten Einkünfte höher belastet werden.3 Im Hinblick darauf ist ein nach nationalem Recht vorgesehener Progressionsvorbehalt4 auch dann wirksam, wenn dieser abkommensrechtlich nicht vorgesehen ist.5

19.535

Der abkommensrechtliche Progressionsvorbehalt hat nur eine begrenzte Reichweite: Er gilt nur für die Einkommensteuer und somit zugleich auch für die Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag.6 Im Falle einer Organschaft kommt er ebenfalls zur Anwendung, soweit die abkommensrechtlich freigestellten Einkünfte der Organgesellschaft aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages letztlich bei einer natürlichen Person steuerlich zu erfassen sind.7 Ihm unterliegen dagegen nicht solche freigestellten Einkommensteile und Vermögenswerte, die im Wohnsitzstaat ohnehin nicht steuerbar sind.8 Er gilt ferner nicht in den Fällen, in denen Einkünfte nicht nur abkommensrechtlich, sondern zugleich auch nach nationalem Recht steuer-

19.536

1 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 179/86, BStBl. II 1990, 906; BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136; BFH v. 13.11.1991 – I R 3/91, BStBl. II 1992, 345; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 121. 2 Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 46; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 122; OECD-MK zu Art. 23A OECD-MA Rz. 55; Jesse, FR 2020, 1075 (1080). Dies gilt jedoch nicht für Methodenartikel in deutschen DBA, die auf Art. 23A OECD-MA 1963 beruhen, bspw. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DBA-Schweiz (vgl. Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 38, 143). Der BFH (stv. BFH v. 14.7.2010 – X R 37/08, BStBl. II 2011, 628) hält die abkommensrechtlichen Regelungen aber ohnehin für rein deklaratorischer Natur (hiergegen Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 38). 3 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 226; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 122; anders noch BVerfG v. 10.3.1971 – 2 BvL 3/68, BStBl. II 1973, 431; BFH v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382; BFH v. 20.10.1982 – I R 104/79, BStBl. II 1983, 402. 4 § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG; hierzu auf. Jesse, FR 2020, 1075 ff. 5 BFH v. 14.7.2010 – X R 37/08, BStBl. II 2011, 628; BFH v. 19.12.2001 – I R 63/00, BStBl. II 2003, 302; BFH v. 15.5.2002 – I R 40/01, BStBl. II 2002, 660; BFH v. 19.11.2003 – I R 19/03, BStBl. II 2004, 549; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 122; anders noch BVerfG v. 10.3.1971 – 2 BvL 3/68, BStBl. II 1973, 431; BFH v. 12.1.1983 – I R 90/79, BStBl. II 1983, 382; BFH v. 20.10.1982 – I R 104/79, BStBl. II 1983, 402; dieser Streit hat wenig praktische Bedeutung, weil alle deutschen DBA einen Progressionsvorbehalt vorsehen; vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 227. 6 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 237; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 125; zur Erbschaftsteuer vgl. den Progressionsvorbehalt gem. § 19 Abs. 2 ErbStG. 7 § 32b Abs. 1a EStG. 8 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 122.

Schaumburg/Häck | 961

Kap. 19 Rz. 19.536 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

befreit sind.1 Schließlich wird der Progressionsvorbehalt für bestimmte abkommensrechtlich freigestellte Einkünfte aus EU-/EWR-Staaten suspendiert (§ 32b Abs. 1 Satz 2 EStG). Dagegen kommt der Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG auch dann in Betracht, wenn Deutschland Quellenstaat ist. Dass insoweit abkommensrechtlich der Progressionsvorbehalt nur bei Freistellung durch den Ansässigkeitsstaat vorgesehen ist, spielt nach Auffassung des BFH keine Rolle.2

19.537

Der abkommensrechtliche Progressionsvorbehalt sieht die Einbeziehung der Einkünfte und Vermögenswerte in die Bemessungsgrundlage für Zwecke der Steuerfestsetzung vor. Aus deutscher Sicht3 gehören zu den Einkünften auch negative Einkünfte (Verluste), soweit abkommensrechtlich Nettobeträge erfasst werden (Rz. 19.531). Hieraus folgt, dass die Einbeziehung ausländischer Verluste, die sich im Rahmen freigestellter Einkunftsarten ergeben, für die übrigen inländischen positiven Einkünfte zu einem ermäßigten Steuersatz führt. Dieser negative Progressionsvorbehalt kann zu einer Absenkung des Steuersatzes bis auf Null führen.4 Darüber hinaus ist eine Berücksichtigung im Rahmen eines Verlustrück- oder -vortrags nicht möglich. Soweit lediglich Einnahmen im Sinne von Bruttobeträgen von der Reichweite der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode erfasst werden (Rz. 19.531), ist ein negativer Progressionsvorbehalt denklogisch von vorneherein ausgeschlossen.5

19.538

Da der negative Progressionsvorbehalt weder abkommensrechtlich noch gem. § 32b EStG davon abhängig ist, ob die entsprechenden Verluste im Quellenstaat steuerliche Berücksichtigung finden oder nicht, kann es im Ergebnis zu einer doppelten Verlustverrechnung dadurch kommen, dass die ausländischen Verluste im Quellenstaat im Rahmen eines Verlustrück- oder -vortrages und im Wohnsitzstaat im Rahmen eines negativen Progressionsvorbehaltes berücksichtigt werden.6

19.539

Auf dem Gebiet der Einkommensteuer, für die der Progressionsvorbehalt besondere Bedeutung hat,7 wird die Reichweite des negativen Progressionsvorbehaltes allerdings durch § 2a Abs. 1 und 2 EStG eingeschränkt. § 2a Abs. 1 und 2 EStG begründet für bestimmte ausländische Verluste ein partielles Verlustausgleichsverbot mit positiven inländischen Einkünften.

1 Z.B. im Falle der Steuerbefreiung gem. § 3 Nr. 6 EStG; BFH v. 22.1.1997 – I R 152/94, BStBl. II 1997, 358; BFH v. 15.12.1999 – I R 80/98, BFH/NV 2000, 832; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 122. 2 BFH v. 14.7.2010 – X R 37/08, BStBl. II 2011, 628; BFH v. 19.12.2001 – I R 63/00, BStBl. II 2003, 302; BFH v. 15.5.2002 – I R 40/01, BStBl. II 2002, 660; BFH v. 19.11.2003 – I R 19/03, BStBl. II 2004, 549; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 122; Ismer in V/L7, Art. 23 OECDMA Rz. 226; OECD-MK zu Art. 23A Rz. 56; a.A. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 14. 3 Die Auslegung nach nationalem Recht ist mangels Abkommensdefinition und mangels Auslegung aus dem Abkommenszusammenhang gem. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA geboten; vgl. BFH v. 13.9.1989 – I R 117/87, BStBl. II 1990, 57. 4 BFH v. 25.5.1970 – I R 109/68, BStBl. II 1970, 660; Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 215; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 124. 5 Es gibt keine negativen Einnahmen. 6 Kritisch hierzu Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 217; Hellwig, DB 1989, 1364 f. 7 Körperschaft- und Gewerbesteuer haben demgegenüber keine progressiv ausgestalteten Steuersätze; der für die Erbschaftsteuer gem. § 19 Abs. 2 ErbStG vorgesehene Progressionsvorbehalt wird durch DBA nicht eingeschränkt; hierzu Jülicher in T/G/J, § 19 ErbStG Rz. 18.

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M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.540 Kap. 19

Soweit die Verluste danach nicht ausgeglichen werden dürfen, mindern sie die positiven ausländischen Einkünfte jeweils derselben Art, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus demselben Staat erzielt. Gesetzestechnisch führt die Anwendung des § 2a Abs. 1 und 2 EStG dazu, dass die dort näher bezeichneten ausländischen Verluste bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens (§ 2 Abs. 5 EStG) unberücksichtigt bleiben. Da das zu versteuernde Einkommen aber nicht nur Steuerbemessungsgrundlage, sondern auch Bemessungsgrundlage für die Höhe des Steuersatzes (Steuersatz-Einkommen) ist, wirkt sich § 2a Abs. 1 und 2 EStG auch auf § 32b EStG aus, der ebenfalls auf das Steuersatzeinkommen abstellt. Dies hat zur Folge, dass § 2a Abs. 1 und 2 EStG für die dort näher bezeichneten ausländischen Verluste den negativen Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG) ausschließen.1 Diese Einschränkung gilt auch für den abkommensrechtlichen Progressionsvorbehalt,2 da dieser im Kern lediglich darauf abzielt, für die nach einem DBA steuerbefreiten ausländischen Einkünfte partiell die deutsche Steuerpflicht dahingehend aufrechtzuerhalten, dass diese Einkünfte bei der Ermittlung des Steuersatzeinkommens als steuerpflichtig zu behandeln sind.3 Die Einbeziehung ausländischer Einkünfte in die Ermittlung des Steuersatzeinkommens beruht somit auf deutschem Einkommensteuerrecht, das der Gesetzgeber insoweit, ohne abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen zu unterliegen, jederzeit ändern kann.4 Die vorstehenden Grundsätze gelten im Kern nur für negative Einkünfte aus Drittstaaten, da sich hierauf im Wesentlichen der Anwendungsbereich des § 2a Abs. 1, 2 EStG beschränkt. Um jedoch auch für negative Einkünfte aus dem EU-/EWR-Bereich den (negativen) Progressionsvorbehalt auszuschließen, enthält § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG einen entsprechenden Ausnahmekatalog.5 Neben § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG sieht auch § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG bei zeitweise unbeschränkter Steuerpflicht und § 2 Abs. 5 AStG bei erweitert beschränkter Steuerpflicht einen Progressionsvorbehalt vor. Dieser Progressionsvorbehalt betrifft Deutschland als Quellenstaat, für den abkommensrechtlich ein Progressionsvorbehalt zwar nicht vorgesehen, aber nach Auffassung des BFH auch nicht untersagt ist. Im Hinblick darauf ist der in § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG6 und § 2 Abs. 5 AStG vorgesehene Progressionsvorbehalt rechtspraktisch wirksam.7

1 BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136; BFH v. 12.12.1990 – I R 176/87, BFH/NV 1991, 820; BFH v. 12.12.1990 – I R 127/88, BFH/NV 1992, 104; BFH v. 13.5.1993 – IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100; BFH v. 13.11.2002 – I R 13/02, BStBl. II 2003, 795; BFH v. 31.3.2004 – I R 71/03, BStBl. II 2004. 742. 2 BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136; BFH v. 13.5.1993 – IV R 69/92, BFH/NV 1994, 100; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 122. 3 BFH v. 30.5.1990 – I R 179/86, BStBl. II 1990, 906; BFH v. 17.10.1990 – I R 182/87, BStBl. II 1991, 136. 4 BFH v. 19.12.2001 – I R 63/00, BStBl. II 2003, 302; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 2a EStG Rz. 48. 5 Die Suspendierung des (negativen) Progressionsvorbehaltes dient der Eingrenzung der fiskalischen Auswirkungen der durch den EuGH v. 29.3.2007 – C-347/04, ECLI:EU:C:2007:194 = Slg. 2007, I-2647 – Rewe Zentralfinanz veranlassten Änderung des § 2a EStG; hierzu Rz. 6.77. 6 Zu den verfassungsrechtlichen Problemen dieser Vorschrift Lüdicke in FS Fischer, 731 (745 ff.); Lüdicke IStR 1999, 470 (471); Mössner, IStR 1997, 225 (228); die Verfassungsmäßigkeit wurde aber bejaht vom BFH v. 19.12.2001 – I R 63/00, BStBl. II 2003, 302; BFH v. 15.5.2002 – I R 40/01, BStBl. II 2002, 660; BFH v. 19.11.2003 – I R 19/03, BStBl. II 2004, 549. 7 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 122; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3, Rz. 2.0.2.1.

Schaumburg/Häck | 963

19.540

Kap. 19 Rz. 19.541 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

4. Aufwandsabzug 19.541

Soweit aufgrund der abkommensrechtlichen Steuerfreistellung Einkünfte als Nettobeträge1 von der inländischen Besteuerung ausgenommen sind, folgt hieraus ohne weiteres ein Abzugsverbot weitergehender Aufwendungen im Inland. Welche Aufwendungen von der Reichweite der abkommensrechtlichen Freistellung der (Netto-)Einkünfte erfasst werden, ergibt sich indessen nicht stets unmittelbar aus den DBA, so dass insoweit in Anlehnung an § 3c Abs. 1 EStG nur solche Aufwendungen in das Abzugsverbot einzubeziehen sind, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den entsprechenden Einnahmen stehen.2 Werden dagegen Einkünfte als Bruttobeträge3 von der inländischen Besteuerung ausgenommen, unterliegen in direkter Anwendung des § 3c Abs. 1 EStG nur die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den (steuerfreien) Einnahmen angefallenen Betriebsausgaben und Werbungskosten einem inländischen Abzugsverbot.4 Hieraus folgt: Fallen keine steuerfreien Einnahmen an, können, soweit die Voraussetzungen im Übrigen gegeben sind, Betriebsausgaben und Werbungskosten abgezogen werden.5 Indessen gelten für den wichtigsten Fall des Abzugs von Zinsen für Schulden, die zum Erwerb einer Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft aufgenommen worden sind, im Zusammenhang mit dem Teileinkünfteverfahren § 3c Abs. 2 EStG und im Übrigen im Rahmen der Abgeltungsteuer § 32d EStG sowie für den Bereich der Körperschaftsteuer die Sonderregelung des § 8b Abs. 5 KStG, wonach 5 % der Bruttodividende als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben fingiert werden (Rz. 18.166 ff.).

19.542

Eine vergleichbare Sonderregelung enthält § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG für steuerfreie Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen. Darüber hinaus enthält § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG ein erweitertes Abzugsverbot für Teilwertabschreibungen,6 obwohl die Anwendung der Freistellungsmethode auf Veräußerungsgewinne eine steuerwirksame Teilwertabschreibung beim laufenden Gewinn im Grundsatz nicht ausschließt.7 Unberücksichtigt bleiben grundsätzlich auch Währungsverluste, und zwar auch dann, wenn sie, was die Regel ist, auch im anderen Vertragsstaat steuerlich ohne Wirkung bleiben.8

1 So bei den Einkünften i.S.d. Art. 6, 7, 8, 13, 14 a.F. und 17 OECD-MA; hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 21; ferner Rz. 19.531. 2 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 21; Krabbe, DB 1994, 242 ff.; Krabbe, in Piltz/Schaumburg, Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, 12 ff.; Ritter, BB 1994, 509 ff.; BMF v. 20.1.1997 – IV C 5 - S 1300 - 176/96, BStBl. I 1997, 99 = DStR 1997, 115. 3 So bei den Einkünften i.S.d. Art. 10, 11, 12, 15, 16, 18, 19 und 20 OECD-MA; hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 21; ferner Rz. 19.531. 4 BFH v. 21.4.1971 – I R 200/67, BStBl. II 1971, 694; BFH v. 29.1.1986 – I R 22/85, BStBl. II 1986, 479; BFH v. 29.5.1996 – I R 15/94, BStBl. II 1997, 57 (60, 63); BFH v. 7.11.2001 – I R 3/01, BStBl. II 2002, 865; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50. 5 BFH v. 21.4.1971 – I R 200/67, BStBl. II 1971, 694; BFH v. 29.1.1986 – I R 22/85, BStBl. II 1986, 479; BFH v. 29.5.1996 – I R 15/94, BStBl. II 1997, 57 (60, 63); BFH v. 26.3.2002 – VI R 26/00, BStBl. II 2002, 823; BFH v. 26.3.2002 – VI R 45/00, BStBl. II 2002, 827; BFH v. 4.11.2003 – VI R 28/03, BFH/NV 2004, 928; BFH v. 13.10.2003 – VI R 71/02, BStBl. II 2004, 890; BFH v. 25.6.2009 – IX R 42/08, BFH/NV 2009, 1696; BFH v. 14.7.2009 – IX R 8/09, BFH/NV 2010, 399. 6 Ferner Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Darlehensforderungen und aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten gem. § 8b Abs. 3 Satz 4–7 KStG. 7 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 28. 8 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 29; dort auch zur fehlenden Berücksichtigung von Währungsgewinnen; s. auch Rz. 19.532.

964 | Schaumburg/Häck

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.545 Kap. 19

5. Betriebsstättenfreistellung In der deutschen Abkommenspraxis wird die Doppelbesteuerung von Betriebsstättengewinnen grundsätzlich durch Steuerfreistellung vermieden.1 Die Steuerfreistellung steht dabei unter Progressionsvorbehalt, der sich allerdings nur für die Einkommensteuer auswirkt (Rz. 19.536). In die Reichweite der Betriebsstättenfreistellung fallen auch Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren, soweit die zugrunde liegenden Stammrechte tatsächlich der Betriebsstätte im Betriebsstättenstaat zuzuordnen sind (Rz. 19.326 ff., 19.358, 19.370). Insoweit besteht ein Gleichlauf zwischen den Verteilungsnormen einerseits und Art. 23A OECD-MA als Vermeidungsnorm andererseits (Rz. 19.531).

19.543

Die Betriebsstättenfreistellung steht allerdings nicht selten unter Aktivitätsvorbehalt. Das bedeutet, dass die Steuerfreistellung nur dann gewährt wird, wenn die Einkünfte aus aktiven Tätigkeiten der Betriebsstätte stammen. Ist das nicht der Fall, wird anstelle der Steuerfreistellung abkommensrechtlich lediglich die Steueranrechnung gewährt. Die im Abkommensrecht verankerten diesbezüglichen Aktivitätsklauseln enthalten entweder einen eigenständigen Aktivitätskatalog oder verweisen auf den Katalog des § 8 Abs. 1 AStG.2 Neben diesen bilateralen Aktivitätsklauseln hat auch die unilaterale Aktivitätsklausel des § 20 Abs. 2 AStG besondere Bedeutung: Werden in einer ausländischen Betriebsstätte niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb3 erzielt, so wird die Doppelbesteuerung nicht durch die abkommensrechtlich eigentlich vorgesehene Steuerfreistellung, sondern durch Steueranrechnung vermieden.4 Dieser Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode ist zwar europarechtlich im Grundsatz nicht zu beanstanden,5 wegen der Bezugnahme auf die §§ 7 ff. AStG ist es aber im Hinblick auf die Grundfreiheiten (Rz. 4.21 ff.) geboten, auch § 8 Abs. 2 AStG anzuwenden.6 § 20 Abs. 2 AStG wird somit suspendiert, wenn in der ausländischen Betriebsstätte eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird.7 Weitere Einschränkungen der Betriebsstättenfreistellung ergeben sich durch bilaterale und unilaterale Subject-to-Tax-Klauseln (Rz. 19.141).

19.544

6. Internationales Schachtelprivileg Neben der Freistellung von Betriebsstätteneinkünften (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA) und Einkünften aus unbeweglichem Vermögen (Art. 6 Abs. 1 OECD-MA) ist in der Abkommenspraxis das für Dividenden geltende internationale Schachtelprivileg ein weiterer Anwendungsfall der Steuerfreistellung im Wohnsitzstaat.8 Fast alle deutschen DBA gewähren ein derartiges internationales Schachtelprivileg.9 Das internationale Schachtelprivileg, das für die Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer gilt, dient der Vermeidung einer steuerlichen Mehrfachbelas1 Hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 2 Vgl. hierzu den Überblick über die verschiedenen Aktivitätsklauseln (sieben Grundtypen) bei Schwenke in Wassermeyer, Anl. zu Art. 23A/B OECD-MA. 3 § 8 Abs. 1 und 3 AStG; hierzu Rz. 13.83 ff., 13.169 ff. 4 Vgl. hierzu Rz. 19.518. 5 EuGH v. 6.12.2007 – C-298/05, ECLI:EU:C:2007:754 = Slg. 2007, I-10451– Columbus Container. 6 BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774; a.A. für nach dem 31.12.2007 beginnende Wirtschaftsjahre FG München v. 13.7.2021 – 6 K 215/19, EFG 2021, 1702 mit Anm. Schulz-Trieglaff, IStR 2022, 208; vgl. auch Rz. 19.153. 7 Werden in der ausländischen Betriebsstätte passive Einkünfte i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG erzielt, findet § 20 Abs. 2 AStG ohnehin keine Anwendung, vgl. § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG. 8 Hierzu Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 67 ff.; Schäfer in Vogel/Wassermeyer u.a., Freistellung im Internationalen Steuerrecht, 29 ff. 9 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 90.

Schaumburg/Häck | 965

19.545

Kap. 19 Rz. 19.545 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

tung bei einem internationalen mehrstufigen Konzernaufbau. Eine körperschaftsteuerliche Mehrfachbelastung entsteht dadurch, dass der Gewinn grenzüberschreitend sowohl auf der Stufe der Muttergesellschaft und nach Ausschüttung sodann auf der Stufe der Tochtergesellschaft der Körperschaftsteuer unterworfen wird.

19.546

Diese Mehrfachbelastung wird allerdings bereits nach nationalem Recht gem. § 8b Abs. 1 KStG (Körperschaftsteuer)1 und gem. § 9 Nr. 7 GewStG (Gewerbesteuer)2 verhindert. Im Hinblick darauf hat das abkommensrechtlich verankerte internationale Schachtelprivileg nur insoweit Bedeutung, als dieses weiter reicht als die Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1 KStG bzw. § 9 Nr. 7 GewStG (Rz. 18.144). Das ist etwa in den Fällen gegeben, in denen von der Reichweite des Dividendenbegriffs auch Einnahmen aus stiller Beteiligung erfasst werden (Rz. 19.333).3 Da sich die abkommensrechtliche Freistellung auf die Einnahmen bezieht, spielt die 5 %-Klausel des § 8b Abs. 5 KStG (sog. Schachtelstrafe) für die Frage, ob das internationale Schachtelprivileg über § 8b Abs. 1 KStG hinausreicht, keine Rolle.4 Soweit also das internationale Schachtelprivileg mit der Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1 StG deckungsgleich ist, kommt im Ergebnis nicht § 3c Abs. 1 EStG, sondern § 8b Abs. 5 KStG zur Anwendung.5 Das in den abkommensrechtlichen Vermeidungsnormen verankerte internationale Schachtelprivileg korrespondiert regelmäßig mit einer Reduktion der Quellensteuer auf Schachteldividenden.6 In diesen Fällen verbleibt somit eine Mehrfachbelastung allenfalls in Höhe des ermäßigten Quellensteuersatzes.

19.547

Das internationale Schachtelprivileg setzt abkommensrechtlich zumeist eine Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft i.H.v. 10, 15, 20 oder 25 % voraus.7

19.548

Für die Berechnung der Mindestbeteiligung wird entweder auf Anteile am Kapital oder auf stimmberechtigte Anteile,8 die eine unmittelbare Beteiligung an der Kapitalgesellschaft vermitteln, abgestellt. Das Unmittelbarkeitserfordernis sollte aus deutscher Sicht auch dann erfüllt sein, wenn die Anteile an der ausschüttenden Gesellschaft im Vermögen einer Personengesellschaft gehalten werden, an der ihrerseits die Muttergesellschaft beteiligt ist.9 Eine Mindestbesitzdauer wird in den deutschen DBA regelmäßig nicht verlangt. Das bedeutet, dass die Min1 Bei einer Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres von mindestens 10 % (§ 8b Abs. 4 Satz 1 KStG). 2 Bei einer Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums von mindestens 15 % (§ 9 Nr. 7 GewStG), s. ausf. Rz. 18.221. 3 Zur i.Ü. verbleibenden Bedeutung des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs vgl. stv. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 70; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 49, 101. 4 BFH v. 29.8.2012 – I R 7/12, BStBl. II 2013, 89. 5 BFH v. 29.8.2012 – I R 7/12, BStBl. II 2013, 89; BFH v. 22.9.2016 – I R 29/15, BFH/NV 2017, 324; Gosch in FS Herzig, 63 (86 f.); a.A. Hageböke, IStR 2009, 473 ff.; Lorenz, IStR 2009, 437 (444). Zum Ganzen ausf. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 71; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 102. 6 Art. 10 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA (5 % statt 15 %); keine Quellensteuer bei Ausschüttungen an EU-Muttergesellschaften gem. § 43 EStG. 7 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 90. 8 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 95 f. 9 Vgl. Tischbirek/Specker in V/L7, Art. 10 OECD-MA Rz. 74; Schönfeld in S/D2, Art. 10 OECD-MA Rz. 96; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 10 OECD-MA Rz. 42; Grützner in G/K/G/K, Art. 10 OECDMA Rz. 104 f.; Lemaitre/Lüdemann in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 5.47 f. unter Hinweis auf das entsprechende Revisionsprotokoll v. 12.3.2002 zum DBASchweiz (Art. VI Protokoll Nr. 1b zu Art. 10 Abs. 3; Gesetz v. 8.2.2003, BStBl. I 2003, 165, hierzu Häck/Erdem in F/W/K, Art. 10 DBA-Schweiz Rz. 67). Jedenfalls für zwischengeschaltete rein ver-

966 | Schaumburg/Häck

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.551 Kap. 19

destbeteiligungsquote zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld nach dem Recht des jeweiligen Quellenstaates erfüllt sein muss.1 Obwohl das internationale Schachtelprivileg nach dem Wortlaut der einschlägigen abkommensrechtlichen Vermeidungsnormen nur für Ausschüttungen an Kapitalgesellschaften in Betracht kommt, wird es seitens der Finanzverwaltung allen unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes gewährt.2 Ausgeschlossen ist die Freistellung von Dividenden allerdings in den Fällen, in denen die Dividenden letztlich natürlichen Personen zuzurechnen sind (§ 50d Abs. 11 EStG).3

19.549

In der deutschen Vertragspraxis greift das internationale Schachtelprivileg grundsätzlich ohne Rücksicht darauf ein, ob die Gewinne der ausländischen Tochtergesellschaft oder die diesbezüglichen Ausschüttungen im Quellenstaat einer Besteuerung unterliegen.4 Einschränkungen ergeben sich aufgrund von Aktivitätsvorbehalten, die die meisten neueren deutschen DBA enthalten.5 Werden die Voraussetzungen des jeweiligen Aktivitätsvorbehaltes nicht erfüllt, unterliegen die Dividenden uneingeschränkt der deutschen Körperschaft- und Gewerbesteuer, soweit nicht die nicht unter Aktivitätsvorbehalt gestellte Steuerfreistellung gem. § 8b Abs. 1 KStG bzw. § 9 Nr. 7 GewStG eingreift.6 Ist ausnahmsweise die Körperschaftsteuerpflicht der Dividende gegeben, kann die im anderen Vertragsstaat erhobene Quellensteuer angerechnet (Art. 23A Abs. 2 OECD-MA)7 oder aber vom Gesamtbetrag der Einkünfte der deutschen Muttergesellschaft abgezogen werden (§ 34c Abs. 2 EStG, § 26 Abs. 6 KStG).

19.550

Werden die aufgrund des internationalen Schachtelprivilegs freigestellten Schachteldividenden im Rahmen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft (§§ 14 ff. KStG) von der Organgesellschaft dem vorgeschalteten Organträger zugerechnet, so kann dieser gem. § 15 Satz 2 KStG im Rahmen der anzuwendenden sog. Bruttomethode diese Steuerbefreiung im Ergebnis nur in Anspruch nehmen, wenn ihm bei unmittelbarer Beteiligung an der ausschüttenden ausländischen Kapitalgesellschaft diese selbst zustände.8 Ist Organträgerin eine Personengesellschaft, kann daher das internationale Schachtelprivileg nur insoweit beansprucht werden, als Körperschaften beteiligt sind.

19.551

1 2 3 4 5 6 7 8

mögensverwaltende Personengesellschaften sollte von einer Unmittelbarkeit ausgegangen werden können, vgl. zu § 43b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG BFH v. 18.5.2021 – I R 77/17, BStBl. II 2022, 114. BFH v. 8.7.1998 – I R 57/97, BStBl. II 1998, 672; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECDMA Rz. 55; Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 114. Hierzu Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 85; Ausnahme: Stiftungen, deren Zuwendungen bei den Destinatären nicht der Besteuerung unterliegen; vgl. BMF v. 12.5.1989 – IV C 5 - S 1300 - 186/89, RIW 1989, 501; Vfg. OFD Frankfurt v. 1.11.1994, DB 1994, 2591. Nichtanwendungsgesetz mit Wirkung ab VZ 2012 gegen BFH v. 19.5.2010 – I R 62/09, BFH/NV 2010, 1919, wonach die Freistellung für Dividenden auch einer KGaA mit einer PersG als persönlich haftenden Gesellschafterin zusteht. Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung, vgl. BFH v. 15.3.2021 – I R 61/17, BFH/NV 2021, 1387, Rz. 52. Zur Anwendung des DBA-Schachtelprivilegs bei Bestehen einer Subject-to-Tax-Klausel vgl. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-Rz. 80. Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 90. Für Gewerbesteuerzwecke machte § 9 Nr. 7 GewStG a.F. zumindest partiell die Steuerbefreiung von aktiven Tätigkeiten abhängig. Seit der Änderung durch Gesetz v. 12.12.2019 (BGBl. I 2019, 2451) kommt es nur noch auf eine Mindestbeteiligung zu Beginn des EZ von 15 % an. Zur Frage der Anrechnung auf die Gewerbesteuer s. Rz. 19.554. Zu Einzelheiten Neumann in Gosch4, § 15 KStG Rz. 30 ff.

Schaumburg/Häck | 967

Kap. 19 Rz. 19.552 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

III. Steueranrechnung 1. Grundsätze 19.552

Neben der Steuerfreistellung sehen die abkommensrechtlichen Vermeidungsnormen als weitere Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Steueranrechnung vor (Art. 23A Abs. 2 und Art. 23B Abs. 1 OECD-MA). Ebenso wie die Steuerfreistellung ist auch die Steueranrechnung nur vom Wohnsitzstaat vorzunehmen. In der internationalen Abkommenspraxis ist die Steueranrechnung originär vorgesehen insbesondere für Dividenden, Zinsen und Lizenzen.1 Darüber hinaus ist die Steueranrechnung die subsidiäre Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in den Fällen, in denen die Voraussetzungen der an sich vorgesehenen Freistellungsmethode nicht erfüllt sind. Ein derartiger Methodenwechsel ist vorgesehen bei Nichterfüllung von Aktivitätsklauseln2 für Betriebsstätteneinkünfte (Rz. 19.544) und Schachteldividenden (Rz. 19.550), bei bilateralen und unilateralen Rückfallklauseln (Subject-to-Tax-Klauseln),3 in denen die Steuerfreistellung in dem einen Staat unter den Vorbehalt der tatsächlichen Besteuerung in dem anderen Staat gestellt wird, bei bilateralen und unilateralen Switch-overKlauseln,4 insbesondere in Fällen der Minder- oder Nichtbesteuerung durch Qualifikationsoder Zurechnungskonflikte und durch Abkommensmissbrauch (Rz. 19.140) und nach Maßgabe des Art. 23A Abs. 4 OECD-MA zwecks Vermeidung einer doppelten Nichtversteuerung bei Meinungsverschiedenheiten der Vertragsstaaten über die Anwendung des Abkommens.5 Die bilaterale Steueranrechnung geht zwar der in § 34c EStG und § 26 KStG verankerten unilateralen Steueranrechnung vor (§ 34c Abs. 6 Satz 1 EStG, § 26 Abs. 1 Satz 1 KStG), die Anrechnungsvorschriften des innerstaatlichen Rechts bleiben aber anwendbar, soweit abkommensrechtlich die Doppelbesteuerung nicht beseitigt wird6 oder aber nicht alle Steuern des anderen Staates einbezogen sind.7 In diesen Fällen eröffnet sich die Möglichkeit der Steueranrechnung gem. § 34c Abs. 1 EStG oder aber alternativ des Steuerabzuges gem. § 34c Abs. 2 EStG.8 Anstelle der bilateralen Steueranrechnung kann zudem stets die unilaterale Abzugsmethode (§ 34c Abs. 2 EStG) angewendet werden.9 Da schließlich die DBA die technischen Einzelheiten der Steueranrechnung nicht selbst regeln, gelten diesbezüglich ebenfalls die Regeln des nationalen Rechts.10

1 Hierzu die Übersicht bei Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 217. 2 Hierzu Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 69 ff.; ferner Rz. 19.138. 3 Hierzu Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 156 ff.; ferner Rz. 19.141. 4 Hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 174 ff, 176 f.; unilateral: § 20 Abs. 2 AStG; § 50d Abs. 9 EStG. 5 Die Steueranrechnung als Rechtsfolge ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 23A Abs. 4 OECD-MA, aber aus einer analogen Anwendung des Art. 23A Abs. 2 OECD-MA; hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 143. 6 Das gilt nicht, wenn im anderen Staat lediglich bestimmte Fristen für eine Steuerermäßigung nicht eingehalten wurden; BFH v. 15.3.1995 – I R 98/94, BStBl. II 1995, 580. 7 So etwa die von den Gliedstaaten erhobenen Einkommensteuern. 8 § 34c Abs. 6 Satz 3 EStG; § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG. 9 § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG, § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG; das gilt nicht bei Anrechnung fiktiver Steuern. 10 Vgl. § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG, § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG; umfassend zum Verhältnis zu § 34c EStG Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 206 ff.

968 | Schaumburg/Häck

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.555 Kap. 19

2. Anrechenbare Steuern Anrechenbar sind nur jene Steuern, die als Steuern vom Einkommen und vom Vermögen unter die DBA fallen. Aus deutscher Sicht gehören hierzu die Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer.1

19.553

Obwohl abkommensrechtlich das Anrechnungsgebot auch die Gewerbesteuer erfasst,2 werden in der Anrechnungspraxis tatsächlich ausländische Steuern nicht auf die Gewerbesteuer angerechnet. Für diese Anrechnung enthält das Gewerbesteuergesetz auch keine entsprechenden Regelungen. Angesichts der insbesondere derzeit bestehenden Körperschaftsteuerbelastung sind Anrechnungsüberhänge nicht selten. In diesen Fällen ist eine Anrechnung auch auf die deutsche Gewerbesteuer geboten, weil nur so dem teleologischen Ziel der DBA – Vermeidung der Doppelbesteuerung – entsprochen werden kann. Da das Gewerbesteuergesetz keine spezifischen Anrechnungsregeln enthält, ist § 34c EStG, § 26 KStG analog anzuwenden.3 Zuständig für die Entscheidung über die Anrechnung auf die Gewerbesteuer ist das (Betriebsstätten-)Finanzamt im Rahmen des Gewerbesteuermessbescheids4, nicht die den Gewerbesteuerbescheid erlassende Gemeinde.5 Entsprechend ist die materiellrechtliche Frage der Anrechnung auf die Gewerbesteuer im finanzgerichtlichen Verfahren zu klären.6

19.554

Anrechenbar sind diese Steuern allerdings nur, soweit sie auf Einkünfte erhoben werden, die nach den abkommensrechtlichen Verteilungsnormen im Quellenstaat besteuert werden können, wobei die Anrechnungsverpflichtung des Wohnsitzstaates nicht über die Steuerbefugnis des Quellenstaates hinausgeht.7

19.555

1 Hierzu die Übersicht bei Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 217. 2 Für die Gewerbesteuer sehen die DBA teilweise ausdrückliche eine Ausnahme vor (bspw. Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz). 3 Vgl. FG Hessen v. 26.8.2020 – 8 K 1860/16, EFG 2021, 779 (rkr.); Ismer in V/L7, Art. 23 OECDMA Rz. 138; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 114; Rieck, Anrechnung ausländ. Steuern auf die GewSt, Diss. 2020, passim; M. Frotscher in FS Frotscher, 115 (121 ff.); Kessler in FS Frotscher, 317 (329 f.); Haarmann in FS Gosch, 123 (130 ff.); Micker, ISR 2021, 428; Rönnebeck/ Kremer, DStR 2021, 845; Bärsch/Barbu, DStR 2021, 845; Spek/Schumacher, Ubg 2021, 340; Korten, IStR 2021, 576; M. Lang, IStR 2021, 584; Weiss, IWB 2021, 246; Prinz/Otto, DB 2017, 1988 ff.; Becker/Loose, IStR 2012, 57 (58); Kessler/Dietrich, IStR 2011, 108 ff., 953 ff.; Lechner, SWI 1991, 68 (71 ff.); Heurung/Seidel, IWB 2009, Gr. 5, F. 3, 687 ff.; tendenziell auch FG Nds. v. 16.7.2015 – 6 K 196/13, EFG 2015, 220; a.A. Gosch in Kirchhof/Seer21, § 34c EStG Rz. 5; Cloer/Kozlowski, FR 2022, 193; Schulz-Trieglaff, IStR 2021, 589 ff.; Weißgerber, Ubg 2021, 356; Eglmaier, IStR 2011, 951 ff., 955 ff.; tw. a.A. Lüdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 172; zweifelnd Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 104; Schnitger, IStR 2013, 616 (628). 4 Ggf. im Rahmen eines Ergänzungsbescheids, vgl. FG Hessen v. 26.8.2020 – 8 K 1860/16, EFG 2021, 779 (Rev. beim BFH unter Az.: I R 8/21). 5 BVerwG v. 12.8.2014 – 9 B 23/14, HFR 2014, 1871; FG Hessen v. 26.8.2020 – 8 K 1860/16, EFG 2021, 779 (Rev. beim BFH unter Az.: I R 8/21); a.A. FG Nds. v. 16.7.2015 – 6 K 196/13, EFG 2015, 220. 6 BVerwG v. 12.8.2014 – 9 B 23/14, HFR 2014, 1871; FG Hessen v. 26.8.2020 – 8 K 1860/16, EFG 2021, 779 (Rev. beim BFH unter Az.: I R 8/21); a.A. FG Nds. v. 16.7.2015 – 6 K 196/13, EFG 2015, 220. 7 Anrechnung also nur bis zur Höhe etwa der gem. Art. 10 Abs. 2 Satz 1; 11 Abs. 2 Satz 1 OECDMA vorgesehenen Quellensteuern; BFH v. 15.3.1995 – I R 98/94, BStBl. II 1995, 580; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23B OECD-MA Rz. 42; in Konfliktfällen ist ein Verständigungsverfahren geboten; für besondere abkommensrechtliche Quellenregeln, um sicherzustellen, dass die Anrechnung nicht daran scheitert, dass die Einkünfte nach den ergänzend heranzuziehenden innerstaatlichen

Schaumburg/Häck | 969

Kap. 19 Rz. 19.556 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

19.556

Da die Begriffe Einkünfte und Vermögen abkommensrechtlich nicht definiert sind, gilt insoweit das jeweilige nationale Recht des Wohnsitzstaates, soweit sich aus dem Abkommenszusammenhang nichts anderes ergibt (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA). Das ist hier der Fall: Die für die Steueranrechnung maßgeblichen Vermeidungsnormen der DBA knüpfen hinsichtlich der Begriffe Einkünfte und Vermögen an die abkommensrechtlichen Verteilungsnormen an,1 so dass diese teils Nettobeträge (Art. 6, 7, 8, 13, 14 a.F. und 17 OECD-MA) und teils Bruttobeträge (Art. 10 bis 12, 15, 16, 18, 19 und 20 OECD-MA) sind.2 Dieser duale Einkünfte- und Vermögensbegriff hat allerdings eine begrenzte Reichweite, weil der Wohnsitzstaat nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts entweder die Einkünfte im Sinne von Netto- oder Bruttoerträgen versteuern darf.3 Da in Deutschland grundsätzlich das Nettoprinzip (Rz. 6.60a, 6.72 ff.) gilt, kann aufgrund der auch für die bilaterale Steueranrechnung geltenden Höchstbetragsberechnung eine Doppelbesteuerung dann nicht vermieden werden, wenn die auf Bruttobasis erhobene ausländische Steuer die inländische Steuer übersteigt (Rz. 18.108).

19.557

Anrechnungsberechtigt ist zwar grundsätzlich der Schuldner der ausländischen Steuer, wegen der unterschiedlichen Steuersysteme wird indessen auf eine strenge Subjektsidentität in der internationalen Abkommenspraxis verzichtet (zur Subjektsidentität Rz. 15.4).

19.558

Die abkommensrechtlichen Vermeidungsnormen sehen lediglich eine beschränkte Anrechnung vor, so dass die anrechenbare ausländische Steuer auf die Höhe der entsprechenden anteiligen Inlandssteuer begrenzt ist (Art. 23A Abs. 2 Satz 2 und Art. 23B Abs. 1 Satz 2 OECDMA). Hiernach berechnet sich der für die Steuern vom Einkommen maßgebliche Höchstbetrag nach der folgenden Formel:4

Höchstbetrag =

Steuer des Wohnsitzstaates vor Anrechnung × Einkünfte im Quellenstaat Einkommen nach dem Recht des Wohnsitzstaates

Da diese Höchstbetragsformel die Spezifikation des deutschen Steuerrechts unberücksichtigt lässt, ist ergänzend § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG heranzuziehen, so dass im Ergebnis auf die dort verankerte Höchstbetragsformel (Rz. 18.104 ff.) abzustellen ist.5

19.559

Die Steuer des Wohnsitzstaates vor Anrechnung ist ausschließlich nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des Wohnsitzstaates zu berechnen, wobei ausländische Einkünfte einzubeziehen sind, soweit das inländische Recht dies vorsieht. Im Hinblick darauf bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte aus dem Quellenstaat in Anwendung des § 34c Abs. 1 Satz 3 EStG die nach dortigem Recht nicht besteuerten Einkünfte außer Betracht (Rz. 18.104). Die Einkünfte im Quellenstaat sind ihrer Höhe nach ebenfalls nach Maßgabe des innerstaatlichen Steuerrechts des Wohnsitzstaates zu ermitteln6 und sodann dem Welteinkommen (Summe der Einkünfte)

1 2 3 4 5 6

Anrechungsvorschriften des Ansässigkeitsstaates als nicht aus dem anderen Vertragsstaat stammend angesehen werden, Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 102 ff. Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 127; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23B OECD-MA Rz. 17; zu den Gründen hierzu Rz. 19.531. BFH v. 29.5.1996 – I R 15/94, BStBl. II 1997, 57 (60, 63); zu Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23B OECD-MA Rz. 17. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23B OECD-MA Rz. 17. Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 142. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 107. BFH v. 13.9.1989 – I R 117/87, BStBl. II 1990, 57; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23B OECDMA Rz. 17, 18.

970 | Schaumburg/Häck

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.564 Kap. 19

gegenüberzustellen. In Übereinstimmung mit dem Abkommensrecht gilt hierbei aus deutscher Sicht das Nettoeinkommen bzw. Nettovermögen,1 wobei für Zwecke der Höchstbetragsberechnung bei den ausländischen Einkünften in Anlehnung an § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG diejenigen Kosten berücksichtigungsfähig sind, die mit den Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (Rz. 18.62 ff.). Der Ansatz des Nettoeinkommens (Summe der Einkünfte) für Zwecke der Höchstbetragsberechnung ist nur dann plausibel, wenn im Quellenstaat die Steuer ebenfalls auf Nettobasis erhoben wird. Indessen ist das Nettoprinzip insbesondere bei der Besteuerung von Steuerausländern nicht durchgängig verwirklicht. So werden in der internationalen Besteuerungspraxis Quellensteuern insbesondere von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren auf Bruttobasis erhoben.2 Dieser Systembruch ergibt sich nicht nur aus dem jeweiligen nationalen Recht, sondern auch aus den DBA selbst, weil diese dem Quellenstaat einerseits eine Besteuerung auf Bruttobasis zugestehen (Art. 10 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 2 OECD-MA), für die Anrechnung im Wohnsitzstaat andererseits dagegen einen auf Nettobasis errechneten Höchstbetrag vorsehen. In diesen Fällen kann die Doppelbesteuerung nicht in vollem Umfange vermieden werden.

19.560

Im Rahmen der Höchstbetragsberechnung wird, soweit die Wohnsitzstaaten einen progressiven Steuertarif anwenden, der Durchschnittssteuersatz zugrunde gelegt. Dies wird damit gerechtfertigt, dass die in- und ausländischen Teile des Welteinkommens bzw. Weltvermögens gleichermaßen mit Steuer belastet sind.3 In einigen deutschen DBA ist daher die Anwendung des Durchschnittssteuersatzes bei der Höchstbetragsberechnung ausdrücklich vorgesehen.4

19.561

Für die Berechnung des Höchstbetrages nach Abkommensrecht wird im Wohnsitzstaat insgesamt5 auf die Höhe der Einkünfte im jeweiligen Quellenstaat abgestellt.6 Diese per country limitation ist zwar für die bilaterale Vermeidung der Doppelbesteuerung konsequent, hierdurch ist aber dem Wohnsitzstaat nicht die Möglichkeit genommen, bei der Höchstbetragsberechnung nach nationalem Recht die overall limitation anzuwenden (Rz. 18.107).

19.562

Die Höchstbetragsberechnung bezieht sich zwar auf alle in den Verteilungsnormen genannten Einkunftsarten, für die das Anrechnungsverfahren vorgesehen ist,7 sie ist aber für jede unter das betreffende Abkommen fallende Steuer gesondert zu berechnen.8

19.563

Der Höchstbetrag stellt die Obergrenze dar, bis zu der die ausländische Steuer angerechnet werden kann. Die ausländische Steuer ist hierbei in die Währung des Wohnsitzstaates umzurechnen, wobei der Wechselkurs am Tag der Steuerzahlung zugrunde zu legen ist.9 Es ist

19.564

1 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23B OECD-MA Rz. 17. 2 In Deutschland ergibt sich dies aus der in § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG verankerten Abgeltungswirkung; zur Verfassungsmäßigkeit der Bruttobesteuerung im Einzelnen Rz. 6.131 ff. 3 BFH v. 7.12.1962 – VI 83/61 S, BStBl. III 1963, 123. 4 Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 171. 5 Nicht getrennt nach Einkunftsarten im Sinne einer limitation per item of income. 6 Die anrechnungsfähigen Steuern der jeweils gleichen Art werden zusammengefasst; BFH v. 20.12.1995 – I R 57/94, BStBl. II 1996, 261; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 103; Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 245. 7 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 146. 8 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 146. 9 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 140; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 98; Piltz, Währungsschwankungen und die Methoden zur Vermeidung der Internationalen

Schaumburg/Häck | 971

Kap. 19 Rz. 19.564 | Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA)

nicht erforderlich, dass die anrechenbare Steuer des Quellenstaates für den gleichen Zeitraum festgesetzt und gezahlt worden ist wie die entsprechende Steuer im Wohnsitzstaat. Die abkommensrechtlichen Vermeidungsnormen schreiben eine Zeitraumidentität in diesem Sinne nicht vor. Weichen etwa Steuerperiode, also der Zeitraum, für den die Steuer erhoben wird, und Bemessungsperiode, also der Zeitraum, der für die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage maßgebend ist, im Quellenstaat voneinander ab, so ist diejenige Steuer des Quellenstaates anzurechnen, die für das Jahr erhoben wird, das dem Veranlagungszeitraum im Wohnsitzstaat entspricht.1 Ein Abstellen auf die mehr oder weniger zufällig identische Steuerperiode würde dagegen bei abweichender Bemessungsperiode eine Doppelbesteuerung schon im Ansatz nicht vermeiden können. Die Anrechnung liefe ins Leere, wenn der Steuer im Quellenstaat im betreffenden Veranlagungszeitraum nicht entsprechende Einkünfte im Wohnsitzstaat gegenüberständen.

19.565

Übersteigt die Steuer im Quellenstaat die entsprechende Steuer des Wohnsitzstaates, so entstehen Anrechnungsüberhänge, für die nach den abkommensrechtlichen Vermeidungsnormen keine weitere Berücksichtigung vorgesehen ist. Dies schließt indessen nicht aus, dass derartige Anrechnungsüberhänge im Rahmen eines Anrechnungsvor- oder -rücktrags steuerlich zur Geltung gebracht werden können.2 Nach deutschem Steuerrecht können derartige Anrechnungsüberhänge unmittelbar steuerlich allerdings nicht berücksichtigt werden.3 Gemäß § 34c Abs. 2 EStG besteht lediglich die Möglichkeit, auf die Steueranrechnung insgesamt zu verzichten und stattdessen die ausländische Steuer von der Bemessungsgrundlage abzuziehen (Rz. 18.113 ff.).

3. Anrechnung fiktiver Steuern 19.566

Die Anrechnungsmethode hat den wesentlichen Nachteil, dass etwaige für Zwecke der Investitionsförderung gewährte Steuervorteile des Quellenstaates im Rahmen der Anrechnung im Wohnsitzstaat kompensiert werden. Damit kommen derartige Steuervergünstigungen des Quellenstaates prinzipiell nicht dem Steuerpflichtigen, sondern dem Fiskus des Wohnsitzstaates zugute. Um die Steueranreize des Quellenstaates aufrechtzuerhalten, wird in der internationalen Abkommenspraxis die Anrechnung fiktiver Steuern gewährt.4 Die Anrechnung fiktiver Steuern ist insbesondere in Abkommen mit Entwicklungsländern vorgesehen. Dies gilt auch für die deutsche Abkommenspraxis.5 Die Anrechnung erfolgt hierbei entweder in Höhe derjenigen Steuer, die sich nach dem Recht des Quellenstaates ohne Sonderermäßigung ergeben hätte (tax sparing credit)6 oder aber unabhängig von der Sonderermäßigung in Höhe eines bestimmten Betrages (matching credit).7 Nicht selten wird der matching credit in Höhe

1 2 3 4 5 6 7

Doppelbesteuerung, Inst.FuSt. (Brief 125), 30 ff.; hierzu kritisch Wlecke, Währungsumrechnung und Gewinnbesteuerung bei international tätigen deutschen Unternehmen, 399 f.; Malinski, Währungsschwankungen und Doppelbesteuerung, 121 ff. BFH v. 31.7.1991 – I R 51/89, BStBl. II 1991, 922; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23A OECDMA Rz. 113; Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 252. So in wichtigen ausländischen Staaten, hierzu im Einzelnen Juch, CDFI LXVIb (1981), 81 (101). Aus europarechtlichen Gründen ist eine Berücksichtigung indessen geboten; vgl. Schönfeld in F/W/B/S, Vor § 34c EStG Rz. 34; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 108; Cordewener/Schnitger, StuW 2006, 50 (74 ff.); a.A. Wagner in B/H, § 34c EStG Rz. 13d. Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 192. Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 191. Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 194. Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 195; Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-Rz. 112; zu Einzelheiten Tumpel in Gassner/Lang/Lechner, Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung,

972 | Schaumburg/Häck

M. Vermeidung der Doppelbesteuerung | Rz. 19.567 Kap. 19

der Steuer des Wohnsitzstaates gewährt, so dass die Steueranrechnung insoweit letztlich die Wirkung einer Steuerfreistellung erlangt.1 In den Fällen, in denen keine inländischen Steuern gezahlt werden, geht die Anrechnung fiktiver Steuern ins Leere. Der hierfür auch in Abkommensfällen an sich vorgesehene alternative Steuerabzug gem. § 34c Abs. 2 EStG bleibt allerdings versagt (§ 34c Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 EStG), so dass im Ergebnis nur die tatsächlich gezahlte Auslandssteuer abgezogen werden darf.2

61 ff.; Weidmann, Die Bank 1989, 539 ff.; Wagner, StBp. 1993, 108 ff.; Wagner, StBp. 1996, 298 (299 ff.); Depping, DStZ 1995, 294 ff. 1 Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 195. 2 Grotherr in G/K/G/K, Art. 23A/23B OECD-MA Rz. 262/7.

Schaumburg/Häck | 973

19.567

4. Teil Übergreifende Themen

Kapitel 20 Internationales Umwandlungssteuerrecht

A. Grundlagen I. Internationales Umwandlungsrecht II. Internationales Umwandlungssteuerrecht 1. Begriffsbildung und Normengefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Grundlagen a) Steuerliche Gewinnrealisierung . . . . . . . . . . . . b) Steuerrechtliche Legitimation des Realisationsprinzips c) Steuerliche Durchbrechungen des Realisationsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . d) Europarechtliche Restriktionen . . . . . . . . . . . . . . B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verschmelzung 1. Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf Personengesellschaften a) Anwendungsbereich des UmwStG . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen bei der übertragenden Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkungen bei der übernehmenden Personengesellschaft und ihren Gesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf Kapitalgesellschaften a) Anwendungsbereich des UmwStG . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen bei der übertragenden Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .

20.1

20.4

20.11 20.17 20.18 20.23

20.26

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III. IV. C.

20.30

I. II.

20.35

20.46 20.47

c) Auswirkungen bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Auswirkungen bei den Gesellschaftern . . . . . . . . . 3. Verschmelzung von Personengesellschaften auf Kapitalgesellschaften a) Anwendungsbereich des UmwStG . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerfolgen für unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter . . . . . . . . . . c) Steuerfolgen für beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besteuerung bei späterer Veräußerung der erhaltenen Anteile . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verschmelzung von Personengesellschaften auf Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzüberschreitende Umwandlungen Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschmelzung 1. Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften . . . 2. Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf Kapitalgesellschaften a) Anwendungsbereich des UmwG und des UmwStG . b) Hinausverschmelzung auf EU-/EWR-Kapitalgesellschaften aa) Ebene der übertragenden Kapitalgesellschaft

20.51 20.52

20.56 20.58 20.60 20.63

20.67 20.71 20.74

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20.80

20.82

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Kap. 20 | Internationales Umwandlungssteuerrecht bb) Ebene der übernehmenden EU-/EWR-Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . 20.87 cc) Ebene der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . 20.89 c) Hereinverschmelzung von EU-/EWR-Kapitalgesellschaften aa) Ebene der übertragenden EU-/EWR-Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . 20.94 bb) Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . 20.97 cc) Ebene der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . 20.99 III. Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.100 IV. (Grenzüberschreitender) Formwechsel 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 20.101 2. Grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.104 a) Wegzug („Hinausformwechsel“) . . . . . . . . . . . . . . 20.105 b) Zuzug („Hereinformwechsel“) . . . . . . . . . . . . . . 20.108 3. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.110 V. Einbringungen durch Einzelrechtsnachfolge 1. Einbringung in Kapitalgesellschaften a) Einbringung von Sachgesamtheiten . . . . . . . . . . . 20.113 aa) Einbringung in inländische Kapitalgesellschaft 20.115 bb) Einbringung in ausländische Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . 20.119 cc) Besteuerung bei späterer Veräußerung der erhaltenen Anteile . . . 20.125 b) Anteilstausch . . . . . . . . . . . 20.126

976 | Häck

D. I.

II.

III. IV.

aa) Steuerfolgen auf Ebene unbeschränkt steuerpflichtiger Anteilseigner . . . . . . . . . . . . . . . 20.128 bb) Steuerfolgen auf Ebene beschränkt steuerpflichtiger Anteilseigner . . . 20.130 cc) Besteuerung bei späterer Veräußerung der erhaltenen Anteile . . . 20.132 2. Einbringung in Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . 20.133 Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug Allgemeines 1. Anwendungsbereich des UmwStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.139 2. Notwendige Vergleichbarkeit ausländischer Umwandlungsvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.144 Verschmelzung 1. Verschmelzung von ausländischen Kapitalgesellschaften auf ausländische Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . 20.148 2. Verschmelzung von ausländischen Kapitalgesellschaften auf ausländische Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.154 3. Verschmelzung von ausländischen Personengesellschaften auf ausländische Kapitalgesellschaften a) Allgemeines . . . . . . . . . . . 20.161 b) Verschmelzung auf EU-/ EWR-Kapitalgesellschaften 20.162 c) Verschmelzung auf Drittstaatenkapitalgesellschaft . 20.170 4. Verschmelzung von ausländischen Personengesellschaften auf ausländische Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . 20.174 Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.176 Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.179

A. Grundlagen | Kap. 20

A. Grundlagen Literatur: Kommentare zum UmwG/UmwStG; Benecke, Ausländische Umstrukturierungen mit Inlandsbezug, DStJG 43 (2020), 623; Benz/Böhmer, Das BMF-Schreiben zu § 50i Abs. 2 EStG, DStR 2016, 145; Beutel/Rehberg, National Grid Indus – Schlusspunkt der Diskussion oder Quell neuer Kontroverse zur Entstrickungsbesteuerung, IStR 2012, 94; Böhmer/Schewe/Schlücke, Neujustierung der Grenzen des deutschen Besteuerungsrechts durch das ATAD-UmsG und das KöMoG, FR 2021, 765; Böhmer/Wegener, Zum Verhältnis der Verstrickung zu sonstigen Vorschriften des nationalen Rechts, Ubg 2015, 69; Brehm/Schümmer, Grenzüberschreitende Umwandlungen nach der neuen Richtlinie über grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, NZG 2020, 538; Bungert/de Raet, Grenzüberschreitender Formwechsel in der EU, DB 2014, 761; Bungert/Strothotte, Die grenzüberschreitende Spaltung nach dem Referentenentwurf des UmRUG, BB 2022, 1411; Bungert/ Strothotte, Die Regierungsentwürfe zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechseln, DB 2022, 1818; Burwitz, EuGH im Sinne Verder LabTec: Steuerenstrickung bei Überführung von Wirtschaftsgütern europarechtskonform, NZG 2015, 949; Dobratz, Grundfreiheiten und „Exit“-Besteuerung, ISR 2014, 198; Dötsch/Pung, SEStEG: Die Änderungen des UmwStG, DB 2006, 2704; Dörfler/Adrian/Oblau, Europäisierung des deutschen Steuerrechts durch das SEStEG, RIW 2007, 266; Dreßler/Kompolsek, Weitere Globalisierung des Umwandlungssteuerrechts durch das KöMoG, WPg 2021, 1243; Dürrschmidt, Grenzüberschreitende Unternehmensumstrukturierungen im nationalen und europäischen Steuerrecht, StuW 2010, 137; Faller/Schröder, EuGH: Entstrickungsgewinnbesteuerung verfassungskonform, DStZ 2015, 890; Gosch, Rechtsmäßigkeit der Entstrickungsbesteuerung nach § 20 UmwStG 1995, IWB 2014, 183; Hageböke/Stangl, „Globalisierung“ des UmwStG durch das KöMoG und Einbringungen durch Drittstaatengesellschafter – Eine Bestandsaufnahme unter Berücksichtigung der „DMC“-Rechtsprechung, Ubg 2021, 242; Hahn, Überlegungen zum Urteil des EuGH in der Rechtssache National Grid Indus, BB 2012, 681; Heckschen, Grenzüberschreitende Sitzverlegung und grenzüberschreitender Formwechsel, GWR 2020, 449; Heckschen, Grenzüberschreitender Formwechsel, ZIP 2015, 2049; Heckschen/Knaier, Größte Reform des Umwandlungsrechts – nicht nur Richtlinienumsetzung!, GmbHR 2022, 501 (Teil I) und 613 (Teil II); Hermanns, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung in der notariellen Praxis, MittBayNot 2016, 297; Hoffmann, Die grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine deutsche Personengesellschaft, NZG 2019, 1208; Hoger/Lieder, Die grenzüberschreitende Anwachsung, ZHR 180 (2016), 613; Hruschka/Hellmann, Bewertungswahlrechte bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, DStR 2010, 1961; Hushahn, Grenzüberschreitende Formwechsel im EU/EWR-Raum – die identitätswahrende statutenwechselnde Verlegung des Satzungssitzes in der notariellen Praxis, RNotZ 2014, 137; Jacobsen, Vorschlag zur vollständigen Globalisierung des Umwandlungssteuerrechts, DStZ 2021, 490; Jochum/Hemmelrath, Der grenzüberschreitende Hinausformwechsel in Europa, IStR 2019, 517; Juhn, Grenzüberschreitende Einbringungen in Kapitalgesellschaften, 2020; Kahle/Beinert, Zur Diskussion um die Europarechtswidrigkeit der Entstrickungstatbestände nach Verder LabTec, FR 2015, 585; Kleba, Die grenzüberschreitende Spaltung von Kapitalgesellschaften aus deutscher Sicht, RNotZ 2016, 273; Klett, Das Vierte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes – Neues bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen mit und ohne Brexit, NZG 2019, 292; Köhler, BMF-Schreiben zu § 50i Abs. 2 EStG als unbillige Billigkeitslösung? – Der Gesetzgeber bleibt gefordert, ISR 2016, 73; Körner, Europarechtliches Verbot der Sofortbesteuerung stiller Reserven beim Transfer ins EU-Ausland, IStR 2012, 1; Körner, Ent- und Verstrickung, IStR 2009, 741; Kraft/Poley, Zweifelsfragen bei der Hereinverschmelzung von Kapital- auf Personengesellschaften – eine Fallstudien-gestützte Analyse, FR 2014, 1; Kudert/Kahlenberg/Mroz, Umfassende Verschärfung von § 50i EStG im Rahmen des „Kroatiengesetzes“, ISR 2014, 257; Kumpan/Pauschinger, Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts 2019 und 2020, EuZW 2020, 909; Lemaitre/Schönherr, Die Umwandlung von Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften durch Verschmelzung und Formwechsel nach der Neufassung des UmwStG durch das SEStEG, GmbHR 2007, 173; Liekenbrock, Entschärfung von § 50i EStG durch das Anti-BEPS-Gesetz, DStR 2016, 2609; Linn, Das EuGH-Urteil in der Rs. DMC und der Vorlagebeschluss des FG Düsseldorf – Ende der Diskussion um die Wegzugssteuer?, IStR 2014, 136; van Lishaut/Hannig, Zwangsrealisation nach § 50i Abs. 2 EStG wird durch BMF-Schreiben v. 21.12.2015 entschärft, FR 2016, 50; Lohmar, Aktuelle Fragen umwandlungssteuerlicher Entstrickung, FR 2013, 591; Luy, Neues zur Praxis grenzüberschreitenden Formwechsels im

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Kap. 20 Rz. 20.1 | Internationales Umwandlungssteuerrecht Übergangszeitraum – zugleich Anmerkung zu OLG Saarbrücken v. 07.01.2020 – 5 W 79/19, BWNotZ 2020, 11; Lüdicke, Die Bedeutung des § 8b Abs. 2 KStG in der Rechtssache DMC, IStR 2014, 537; Mitschke, Nochmals: Das EuGH-Urteil in der Rs. DMC – Ende der Diskussionen um die Wegzugsteuer?, IStR 2014, 214; Mitschke, Das EuGH-Urteil „National Grid Indus“ vom 29.11.2011 – Eine Bestandsaufnahme und eine Bewertung aus Sicht der Finanzverwaltung, DStR 2012, 629; Nentwig, Verlegung des Satzungssitzes einer deutschen GmbH ins europäische Ausland – dargestellt am Beispiel Luxemburg, GWR 2015, 447; Pezzer, Bilanzierungsprinzipen als sachgerechte Maßstäbe der Besteuerung, DStJG 14 (1991), 3; Pöllath/Fischer, Der Zuzug einer europäischen Immobilien-Kapitalgesellschaft nach Deutschland – Recht, Steuern, Bilanzen, IStR 2015, 778; Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2013; Rautenstrauch/Seitz, National Grid Indus: Europarechtliche Implikationen für den Wegzug und die internationale Umwandlung von Gesellschaften, Ubg 2012, 14; Schaumburg, Der Wegzug von Unternehmen, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Wassermeyer, München 2005, 411; Schaumburg, Die Entstrickungsklauseln im Umwandlungssteuerrecht, in Kessler/Förster/Watrin (Hrsg.), Unternehmensbesteuerung, FS für Herzig, München 2010, 711; Schaumburg, Grundsätze grenzüberschreitender Gewinnermittlung, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Köln 2000, 1; Schaumburg, Die neue Dogmatik der internationalen Steuerentstrickung, StbJb 2008/2009, 193; Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Internationales Umwandlungssteuerrecht, Köln 1996; Schiefer, Entstrickungsbesteuerung vor SEStEG verstößt nicht gegen Europarecht, NWB 2015, 2289; Schmidt, Der UmRUG-Referentenentwurf: grenzüberschreitende Umwandlungen 2.0 – und vieles mehr, NZG 2022, 579 (Teil 1) und 635 (Teil 2); Schön, Grenzüberschreitende Umstrukturierungen von Unternehmen zwischen deutschem, internationalem und Europäischem Steuerrecht, DStJG 43 (2020), 563; Schön, Zur Aufdeckung stiller Reserven in Einbringungsfällen – Rs. DMC, C-164/12, JbFfSt 2014/15, 25; Schön, Das System der gesellschaftsrechtlichen Niederlassungsfreiheit nach VALE, ZGR 2013, 333; Schön/Schindler, Zur Besteuerung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer Europäischen Aktiengesellschaft, IStR 2004, 571; Sistermann, Der neue Umwandlungssteuererlass – Umwandlungen mit Auslandsbezug, in Lüdicke (Hrsg.), Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 40, 2012, 161; Stelmaszczyk, Grenzüberschreitende Spaltungen de lege lata und de lege ferenda, DK 2021, 1 und 48; Stelmaszczyk, Die neue Umwandlungsrichtlinie – harmonisierte Verfahren für grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel, GmbHR 2020, 61; Stiegler, Anmerkungen zu OLG Nürnberg v. 19.06.2013, NZG 2014, 349; Stöber, Die Gründung einer Holding-SE, AG 2013, 110; Stöber, Grenzüberschreitende Umwandlungen und ihre Besteuerung im Lichte der Niederlassungsfreiheit, ZIP 2012, 1273; Schwenke, Europarechtliche Vorgaben und deren Umsetzung durch das SEStEG, DStZ 2007, 235; Sydow, Neues bei der Exit-Tax: EuGH erklärt Fünftelungsregelung zur Besteuerung stiller Reserven und Bankgarantien für unionsrechtskonform, DB 2014, 265; Thömmes, Zur Unionsrechtsverträglichkeit der Besteuerung stiller Reserven in Einbringungsfällen unter fünfjähriger Zahlungsstreckung, StuB 2014, 288; Viebrock/Hagemann, Verschmelzungen mit grenzüberschreitendem Bezug, FR 2009, 737; Wachter, Grenzüberschreitender Herein-Formwechsel in die deutsche GmbH, GmbHR 2016, 738; Wassermeyer, Entstrickungsbesteuerung und EU-Recht, EuZW 2012, 921; Wassermeyer, Steuerliche Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil Hughes des Lasteyrie du Saillant, GmbHR 2004, 613; Wicke, Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels, DStR 2012, 1756; M. Winter/Marx/De Decker, Von Frankfurt nach Rom – zur Praxis grenzüberschreitender „Hinausformwechsel“, DStR 2017, 1664; M. Winter/Marx/De Decker, Von Paris nach Charlottenburg – zur Praxis grenzüberschreitender Formwechsel, DStR 2016, 1997.

I. Internationales Umwandlungsrecht 20.1

Unternehmerische Aktivität entfaltet sich in einem sich stetig verändernden wirtschaftlichen und rechtlichen Umfeld. Im Laufe der Entwicklung eines Unternehmens können insbesondere organisatorische, betriebswirtschaftliche, gesellschaftsrechtliche, arbeitsrechtliche oder steuerrechtliche Gründe eine Veränderung der Unternehmensstruktur oder ggf. einen Rechts-

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A. Grundlagen | Rz. 20.2 Kap. 20

formwechsel notwendig machen.1 Die möglichen internationalen Bezüge derartiger Umstrukturierungsmaßnahmen sind vielfältig.2 Das Umwandlungsrecht als Teildisziplin des Gesellschaftsrechts3 stellt das rechtliche Instrumentarium für die Änderung der Struktur oder der Rechtsform eines Unternehmens bereit. Die vom UmwG erfassten Umwandlungen (Umwandlungen i.e.S.)4 zeichnen sich dadurch aus, dass sie gänzlich ohne Vermögensübertragung auskommen (Formwechsel) bzw. für die Übertragung von Aktiva und Passiva die (vollständige oder partielle) Gesamtrechtsnachfolge angeordnet wird (Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung). Umstrukturierungsmaßnahmen außerhalb des Anwendungsbereichs des UmwG (Umwandlungen i.w.S.) bedürfen regelmäßig des Rechtsübergangs in Einzelakten.5 Zu den Umwandlungen i.w.S. zählen v.a. Umstrukturierungen durch Einbringungsvorgänge (Einzelübertragungen, Kapitalerhöhung von Kapitalgesellschaften unter Einbringung von Mitgliedschaftsrechten, Wirtschaftsgütern und Sachgesamtheiten; Anteilstausch etc.),6 aber auch (grenzüberschreitende) Anwachsungen7 oder der grenzüberschreitende Formwechsel (s. ausf. Rz. 20.101 ff.).8 Die internationale Dimension des Umwandlungsrechts ist beschränkt und wird auch nach Umsetzung der sog. Umwandlungsrichtlinie9 bis zum 31.1.202310 durch das geplante UmRUG11 weiterhin kein „globales“ Umwandlungsrecht vorhalten. Während Umwandlungen i.w.S. grds. unabhängig von ihrem internationalen Bezug möglich sind12, ist der internationale Anwendungsbereich des UmwG begrenzt. Umwandlungen nach dem UmwG (Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung13, Formwechsel) finden bisher grds. nur auf Rechts-

1 Ausf. Limmer/Knaier in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung6, Teil 1 Kap. 2 Rz. 257. 2 Umzuwandelnde Gesellschaften mit Sitz im Inland können ausländische Gesellschafter haben, über im Ausland belegenes Betriebsvermögen verfügen oder an ausländischen Gesellschaften beteiligt sein. Umzuwandelnde Gesellschaften im Ausland können inländische Gesellschafter haben, über im Inland belegenes Betriebsvermögen verfügen oder an inländischen Gesellschaften beteiligt sein. Schließlich können Umwandlungsvorhaben auf grenzüberschreitende Vermögensübertragungen oder Rechtsformänderungen gerichtet sein. 3 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 12 I.1.a. 4 Der Begriff der „Umwandlung“ wird terminologisch zwar regelmäßig auf die vom UmwG erfassten Umstrukturierungen (Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung, Formwechsel) beschränkt (vgl. Stengel in Semler/Stengel/Leonard, UmwG5, Einleitung A Rz. 2). Im Hinblick auf die weiter gefasste Terminologie des Umwandlungssteuerrechts soll hier von einem weiten Umwandlungsbegriff ausgegangen werden, vgl. auch Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.2. 5 Vgl. Stengel in Semler/Stengel/Leonard, UmwG5, Einleitung A Rz. 60 ff. 6 Vgl. Heckschen in W/M, § 1 UmwG Rz. 394. 7 Hierzu aus zivilrechtlicher Sicht Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613 ff. 8 Stengel in Semler/Stengel/Leonard, UmwG5, Einleitung A Rz. 65. 9 RL (EU) 2019/2021 v. 27.11.2019 zur Änderung der RL (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl. EU 2019 Nr. L 321, 1. 10 Nachfolgend wird noch auf die Regelungen des UmwG vor ihren Änderungen durch das UmRUG Bezug genommen. 11 S. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG v. 6.7.2022, BR-Drucks. 371/22. Hierzu stv. Bungert/Strothotte, BB 2022, 1411 ff.; Bungert/Strothotte, DB 2022, 1818 ff.; Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 501 ff.; Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 613 ff.; Schmidt, NZG 2022, 579 ff.; Schmidt, NZG 2022, 635 ff. 12 Zum grenzüberschreitenden Anteilstausch Heckschen in W/M, § 1 UmwG Rz. 322. 13 Die Vermögensübertragung i.S.v. § 174 UmwG wird im Folgenden nicht weiter berücksichtigt.

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20.2

Kap. 20 Rz. 20.2 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

träger mit statutarischem Sitz im Inland Anwendung (§ 1 Abs. 1 UmwG).1 Allein die „grenzüberschreitende Verschmelzung“ (§ 122a UmwG) in Form der grenzüberschreitenden Hereinund Hinausverschmelzung deutscher Kapitalgesellschaften mit anderen EU-/EWR-Kapitalgesellschaften (§ 122b Abs. 1 Nr. 1 UmwG)2 bzw. die Hereinverschmelzung einer EU-/EWR-Kapitalgesellschaft auf eine inländische Personenhandelsgesellschaft mit in der Regel nicht mehr als 500 Arbeitnehmern (§ 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG) ist bisher kodifiziert.3 Insoweit besteht jedoch im Hinblick auf die einschlägige EuGH-Rechtsprechung4 weitgehend Einigkeit darüber, dass die Niederlassungsfreiheit im Grundsatz gebietet, auch andere grenzüberschreitende Umwandlungen im EU-/EWR-Raum zuzulassen, bspw. die grenzüberschreitende Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften5 oder grenzüberschreitende Spaltungen (Auf- und Abspaltung, Ausgliederung)6. In der Rechtspraxis sind derartige Umwandlungen bisher aber aufgrund der verbleibenden Unsicherheiten in rechtstechnischen Details7 nicht zu beobachten, gesellschaftsrechtlich zulässige8 Ersatzkonstruktionen9 zur Erzielung wirtschaftlich vergleichbarer Ergebnisse werden mangels Steuerneutralität in der Rechtspraxis nur selten gewählt. Anders stellt sich hingegen im Anschluss an die EuGH-Entscheidungen Cartesio10, VALE11 und Polbud12 die Situation für den in praxi etablierten „grenzüberschreitenden Form-

1 Vgl. Drygala in Lutter6, § 1 UmwG Rz. 5; Marsch-Barner/Oppenhoff in Kallmeyer7, § 1 UmwG Rz. 3. 2 Die Kapitalgesellschaften müssen (i) nach dem Recht eines EU-/EWR-Staates gegründet sein, (ii) Satzungssitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in einem EU-/EWR-Staat haben und (iii) es muss mindestens eine der beteiligten Gesellschaften dem Recht eines anderen EU-/ EWR-Staates unterliegen (§ 122a Abs. 1, § 122b Abs. 1 Nr. 1 UmwG). 3 § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG wurde m.W.z. 1.1.2019 eingeführt, s. „Viertes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes“ v. 19.12.2018, BGBl. I 2018, 2694. Zum Hintergrund stv. Klett, NZG 2019, 292. 4 Ausf. zur Entwicklung Limmer/Knaier in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung6, Teil 6 Kap. 1 Rz. 15 ff.; Schön, ZGR 2013, 333. Die Entscheidungen Centros (EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, FR 1999, 449), Überseering (EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632, GmbHR 2002, 1137) und Inspire Art (EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, GmbHR 2003, 1260) betrafen die Anforderungen an die grenzüberschreitende Anerkennung von Gesellschaften. In Sevic Systems (EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU: C:2005:762, BB 2006, 11) wurde der grenzüberschreitenden Verschmelzung der Weg bereitet. Die Entscheidungen Daily Mail (EuGH v. 27.9.1988 – C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456, DB 1989, 269) und Cartesio (EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, DB 2009, 52) sowie VALE (EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, EuZW 2012, 621) und zuletzt Polbud (EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, EuZW 2017, 906) setzten sich mit der Behandlung zu- bzw. wegziehender Gesellschaften im Gründungsstaat auseinander. 5 Marsch-Barner/Wilk in Kallmeyer7, § 122a UmwG Rz. 6; Gsell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.64 ff. m.w.N.; Hoffmann, NZG 2019, 1208 ff. 6 Stv. Drygala in Lutter6, § 1 UmwG Rz. 11 ff.; Gsell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.99 ff. u. 2.106 ff. m.w.N.; Stelmaszczyk, DK 2021, 1 (2); Kleba, RNotZ 2016, 273 ff.; Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (765). 7 Vgl. Bayer in Lutter6, § 122a UmwG Rz. 13; Stelmaszczyk, DK 2021, 1 (2). 8 Stengel in H/M/B5, Einf. A UmwStG Rz. 9; Limmer/Knaier in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung6, Teil 6 Kap. 5 Rz. 311 f. m.w.N. 9 Hierzu Rödder in R/H/vL3, Einführung UmwStG Rz. 60. 10 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, DB 2009, 52 – Cartesio. 11 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, EuZW 2012, 621 – VALE. 12 EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, EuZW 2017, 906.

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A. Grundlagen | Rz. 20.2 Kap. 20

wechsel“ von Kapitalgesellschaften1 dar.2 Gemeint ist hiermit die identitätswahrende, d.h. ohne Auflösung und Neugründung der Gesellschaft und ohne Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolge auskommende, statutenwechselnde3 Sitzverlegung4 einer Gesellschaft eines Mitgliedstaats unter Wechsel ihrer Rechtsform in die (kongruente5) Rechtsform nach dem Gesellschaftsstatut eines anderen Mitgliedstaats.6 Kennt der jeweilige Zuzugsstaat nach seinem nationalen Recht einen entsprechenden Formwechsel, muss er im Grundsatz den grenzüberschreitenden Zuzug zulassen.7 Der Zuzugsstaat kann insoweit aber verlangen, dass die jeweiligen nationalen Vorschriften sowohl für die Gründung der Gesellschaft als auch für den Formwechsel als solche eingehalten werden.8 In verschiedenen EU-Staaten bestehen bereits spezielle Regelungen für grenzüberschreitende Formwechsel.9 Solche fehlten bisher in Deutschland, dennoch war registerrechtlich der grenzüberschreitende Herein- wie Hinausformwechsel von

1 Europarechtlich zulässig ist auch der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften, vgl. Oberster Gerichtshof Wien v. 10.4.2014 – 6 Ob 224/13d, juris (Volltext abrufbar unter http://www.ogh.gv.at/de/entscheidungen/weitere/sitzverlegung-einer-personengesellschaft-von). 2 Zu Einzelheiten stv. Wachter, GmbHR 2016, 738 ff.; Heckschen, GWR 2020, 449; Hermanns, MittBayNot 2016, 297 ff.; Heckschen, ZIP 2015, 2049; Hushahn, RNotZ 2014, 137; Schön, ZGR 2013, 333; Wicke, DStR 2012, 1756. 3 In Abgrenzung zur nicht identitätswahrend möglichen statuswahrenden Satzungssitzverlegung (Bsp.: Deutsche GmbH beabsichtigt die Verlegung ihres Satzungssitzes nach Österreich unter Beibehalt der Rechtsform als deutsche GmbH), vgl. stv. Gsell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.57; Heckschen, ZIP 2015, 2049. 4 Gemeint ist nicht die isolierte Verlegung ausschließlich des Verwaltungssitzes, sondern die des statutarischen Sitzes. Die (isolierte) Verlegung des Verwaltungssitzes wird nachfolgend nicht gesondert behandelt (s. dazu schon Rz. 7.45 ff.). Bei einem „Zuzug“ (allein) des Verwaltungssitzes einer Gesellschaft aus einem der Gründungstheorie folgenden EU-/EWR-Staat nach Deutschland gebietet die Niederlassungsfreiheit nach den EuGH-Entscheidungen Überseering (EuGH v. 5.11.2002 – C208/00, ECLI:EU:C:2002:632, GmbHR 2002, 1137) und Inspire Art (EuGH v. 30.9.2003 – C-167/ 01, ECLI:EU:C:2003:512, GmbHR 2003, 1260), dass Deutschland die Gesellschaft in der Rechtsform anerkennt, in der sie gegründet wurde (vgl. BGH v. 14.3.2005 – II R 5/03, GmbHR 2005, 630). Bei einem „Wegzug“ (allein) des Verwaltungssitzes aus Deutschland ins Ausland gestatten § 4a GmbHG, § 5 AktG heute nach h.M. die Verwaltungssitzverlegung ohne Auflösung der Gesellschaft (vgl. stv. Servatius in Noack/Servatius/Haas23, § 4a GmbHG Rz. 10 m.w.N.). Dies gilt nach richtiger Ansicht auch bei einem Wegzug in Drittstaaten unabhängig von der Anerkennung der Gesellschaft durch den Zuzugsstaat (vgl. Gsell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.56 m.w.N.). Bei einem „Zuzug“ des Verwaltungssitzes aus einem Drittstaat wendet die h.M. (vorbehaltlich staatsvertraglicher Regelungen wie bspw. mit den USA) grds. die Sitztheorie an mit der Folge, dass bspw. eine schweizerische AG mit Verwaltungssitz in Deutschland hier als rechtsfähige Personengesellschaft zu behandeln ist (vgl. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, GmbHR 2009, 138 [„Trabrennbahn“]). 5 Lässt der Zuzugsstaat auch den rechtsforminkongruenten Formwechsel (von einer Kapital- in eine Personengesellschaft et vice versa) zu, muss ein solcher auch grenzüberschreitend zugelassen werden. 6 Vgl. Hushahn, RNotZ 2014, 137 (138). 7 Stv. Heckschen, GWR 2020, 449 (450). 8 Vgl. EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, EuZW 2012, 621 – VALE. Kennt das Recht des Zuzugsstaats den (inländischen) Formwechsel nicht, braucht es entsprechend auch keinen grenzüberschreitenden Formwechsel anzuerkennen. 9 Bspw. Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Luxemburg und Frankreich, vgl. Gesell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.123 m.w.N.

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Kap. 20 Rz. 20.2 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

Kapitalgesellschaften durchführbar,1 auch wenn weiterhin offene Verfahrensfragen blieben.2 Auf Grundlage der am 1.1.2020 in Kraft getretenen sog. Umwandlungsrichtlinie3, die voraussichtlich rechtzeitig bis zum 31.1.2023 durch das UmRUG4 in nationales Recht umgesetzt werden wird, werden künftig u.a. Rechtsgrundlagen für grenzüberschreitende Spaltungen von EU-/EWR-Kapitalgesellschaften zur Neugründung5 und voraussichtlich – in engen Grenzen – zur Aufnahme6 sowie grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften geschaffen.7 Die Wirksamkeit einer grenzüberschreitenden Verschmelzung, grenzüberschreitenden Spaltung bzw. eines grenzüberschreitenden Formwechsels setzt u.a. eine sog. Vorabbescheinigung des Wegzugsstaats voraus, durch die die Einhaltung aller Voraussetzungen bescheinigt wird. Die hierzu erforderliche Prüfung kann auch eine steuerliche Missbrauchskontrolle umfassen.8

20.3

Bestehende Gesellschaften in der Rechtsform der Societas Europaea (SE), bei der sich Hauptverwaltungs- und Satzungssitz stets im gleichen Mitgliedstaat befinden müssen (Art. 7 SE-VO)9, können grds. wie eine deutsche AG an Umwandlungen nach Maßgabe des UmwG teilnehmen.10 Besondere positivrechtliche Regelungen mit grenzüberschreitendem Bezug bestehen aber für die Gründung einer SE sowie deren Sitzverlegung: So sind zur Gründung einer SE grenzüberschreitende Verschmelzungen von Aktiengesellschaften auf Basis der SE-VO11 möglich (Art. 2 Abs. 1 SE-VO), indem – bei Verschmelzung zur Aufnahme – die aufnehmen1 Zum Hereinformwechsel vgl. OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, GmbHR 2014, 96; KG Berlin v. 21.3.2016 – 22 W 64/15, GmbHR 2016, 765 (hierzu M. Winter/Marx/De Decker, DStR 2016, 1997 ff.); OLG Düsseldorf v. 19.7.2017 – I-3 Wx 171/16, 3 Wx 171/16, GmbHR 2017, 1274. Zum Herausformwechsel vgl. OLG Frankfurt v. 3.1.2017 – 20 W 88/15, GmbHR 2017, 420 (hierzu Winter/Marx/De Decker, DStR 2017, 1664). 2 Vgl. etwa den Beschluss des OLG Saarbrücken v. 7.1.2020 – 5 W 79/19 und die Diskussion um „Vorwirkung“ der Umwandlungsrichtlinie bei Heckschen, GWR 2020, 449; Heckschen/Stelmaszczyk, BB 2020, 1734; Brehm/Schümmer, NZG 2020, 538; Luy, BWNotZ 2020, 11; Schulte, GmbHR 2020, 139; Nazari-Khanachayi, GmbHR 2020, 940; Fink/Chilevych, NZG 2020, 544; Heckschen/ Knaier, GmbHR 2022, 501 (511). 3 RL (EU) 2019/2021 v. 27.11.2019 zur Änderung der RL (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl. EU 2019 Nr. L 321, 1. 4 S. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) v. 6.7.2022, BR-Drucks. 371/22. Hierzu stv. Bungert/Strothotte, BB 2022, 1411 ff.; Bungert/Strothotte, DB 2022, 1818 ff.; Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 501 ff.; Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 613 ff.; Schmidt, NZG 2022, 579 ff.; Schmidt, NZG 2022, 635 ff. 5 Spaltungen zur Aufnahme werden von der Umwandlungsrichtlinie nicht erfasst, vgl. Teichmann, NZG 2018, 241 (243); Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922 (1926); kritisch dazu Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61 (64); Bungert/Becker, DB 2019, 1609 (1609); J. Schmidt, ECFR 2019, 222 (234 f.). 6 Das geplante Umsetzungsgesetz sieht – „überschießend“ – zur Umwandlungsrichtlinie, für bestimmte Fallgruppen auch die Möglichkeit einer Spaltung zur Aufnahme vor, vgl. Bungert/Strothotte, BB 2022, 1411 ff. 7 Einzelheiten bei stv. Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61 ff. 8 Vgl. etwa für den grenzüberschreitenden Formwechsel Art. 86m Abs. 8 UmwRL i.V.m. dem 35. Erwägungsgrund. Vgl. auch Jochum/Hemmelrath, IStR 2019, 517 (523 f.); Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61 (72 f.). 9 Ein Verstoß wird jedoch nicht mit der Aberkennung der Rechtsfähigkeit sanktioniert, sondern kann – wenn die SE das Auseinanderfallen des Verwaltungs- und Satzungssitzes nicht beseitigt – zur (Zwangs-)Liquidation führen, vgl. Art. 64 SE-VO. 10 Vgl. stv. Diekmann in Habersack/Drinhausen, SE-Recht3, Art. 8 SE-VO Rz. 129. 11 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 v. 8.10.2001 über den Status der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG 2001 Nr. L 294.

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A. Grundlagen | Rz. 20.4 Kap. 20

de Gesellschaft bei der Verschmelzung die Rechtsform der SE annimmt (Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a, Satz 2 SE-VO, Art. 3 Abs. 1 VRL) bzw. – bei Verschmelzung zur Neugründung – die neue Gesellschaft eine SE ist (Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b, Satz 3 SE-VO, Art. 4 Abs. 1 VRL).1 Eine Besonderheit besteht u.a. darin, dass bei der Gründung durch Verschmelzung zur Aufnahme die Sitznahme der SE von der Verschmelzungsrichtung abgekoppelt werden kann, so dass bspw. die Verschmelzung einer deutschen AG auf eine liechtensteinische AG zu einer SE mit Sitz in Deutschland möglich ist.2 Bei der Verschmelzung zur Neugründung ist der Sitz der neuen SE frei wählbar3, kann also auch in einem anderen EU-/EWR-Staat jenseits der Sitzstaaten der Gründerinnen liegen.4 Hingegen kann anlässlich einer Gründung durch Formwechsel einer deutschen AG in eine SE (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) deren Sitz nicht in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden (Art. 37 Abs. 3 SE-VO). Die Gründung einer Holding-SE (Art. 2 Abs. 2 SE-VO) ist regelmäßig mit einem grenzüberschreitenden Anteilstausch verbunden.5 Für die SE ist zudem ihre grenzüberschreitende, identitätswahrende Sitzverlegung in einen anderen EU-/EWR-Staat positivrechtlich geregelt (Art. 8 SE-VO). Vorausgesetzt ist insoweit aber stets, dass neben dem Satzungs- auch der Verwaltungssitz mitverlegt wird (Art. 7 SE-VO).6

II. Internationales Umwandlungssteuerrecht 1. Begriffsbildung und Normengefüge Zum Internationalen Umwandlungssteuerrecht zählen alle Normen des Umwandlungssteuerrechts, die auslandsbezogene Sachverhalte erfassen.7 Diese auslandsbezogenen Sachverhalte im Zusammenhang mit Umwandlungen8 betreffen:9 – inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug, also Umwandlungen inländischer Gesellschaften mit ausländischen Gesellschaftern und/oder mit Auslandsvermögen, – grenzüberschreitende Umwandlungen, hier insbesondere Hinaus- und Hereinverschmelzungen, grenzüberschreitende Formwechsel und Einbringungen, – ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug, also Umwandlungen ausländischer Gesellschaften mit inländischen Gesellschaftern und/oder mit Inlandsvermögen. Die Normen, die auslandsbezogene Sachverhalte erfassen, sind solche, die der Quelle nach entweder nationales oder internationales Recht sind. Entsprechend ihrer Zielsetzung sind sie, soweit sie der Vermeidung der Doppelbesteuerung dienen, dem Doppelbesteuerungsrecht und im Übrigen dem Außensteuerrecht zuzuordnen (Rz. 1.4).

Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff/Teichmann2, Art. 17 SE-VO Rz. 1 ff. Vgl. M. Winter in R/H/vL3, Anh. 1 Rz. 442 ff. Wobei auch hier erforderlich ist, dass die SE dort ihre Hauptverwaltung hat, Art. 7 SE-VO. Vgl. M. Winter in R/H/vL3, Anh. 1 Rz. 444. Vgl. M. Winter in R/H/vL3, Anh. 1 Rz. 457; ausf. Stöber, AG 2013, 110 ff. Zu Einzelheiten der Sitzverlegung Diekmann in Habersack/Drinhausen, SE-Recht3, Art. 8 SE-VO Rz. 11 ff. 7 Zum parallelen Begriff des Internationalen Steuerrechts s. Rz. 1.1 ff. 8 Hier nachfolgend verstanden als Oberbegriff für Umwandlungen i.e.S. und Umwandlungen i.w.S. (Rz. 20.1). 9 Hierzu der Überblick bei Schaumburg in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 1 ff.; s. auch Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 1.8. 1 2 3 4 5 6

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20.4

Kap. 20 Rz. 20.5 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

20.5

Die dem Außensteuerrecht zuzuordnenden Normen des Internationalen Umwandlungssteuerrechts werden überwiegend von der Reichweite des UmwStG erfasst.1 Die Vorschriften des UmwStG behandeln ausschließlich die steuerlichen Folgen von Umwandlungen (§§ 3 bis 19 UmwStG) und Einbringungen (§§ 20 bis 25 UmwStG) für die Körperschaft-, Einkommenund Gewerbesteuer.2 Während der außensteuerrechtliche Bezug des § 1 UmwStG in den dort genannten sachlichen3 und persönlichen4 Voraussetzungen für die Anwendung des UmwStG besteht, konzentriert er sich in den §§ 2 bis 25 UmwStG v.a. auf die umwandlungssteuerrechtlichen Entstrickungsregelungen5, die darauf gerichtet sind, eine inländische Besteuerung sicherzustellen.6 Die außensteuerrechtlichen Normen des UmwStG beruhen weitgehend auf der Fusionsrichtlinie7, die durch das SEStEG8 mit Wirkung ab 2007 in nationales Recht umgesetzt wurden. Sie sind letztlich aber auch eine Reaktion auf verschiedene Entscheidungen des EuGH,9 auf Grund derer die bisherige Binnenorientierung des Umwandlungssteuerrechts nicht mehr aufrechterhalten bleiben konnte.10 Hierdurch hat der Anwendungsbereich des UmwStG eine weitgehende Europäisierung11 erfahren. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts (KöMoG)12 wurde der persönliche Anwendungsbereich für die von § 1 Abs. 1 UmwStG erfassten Umwandlungen, deren steuerlicher Übertragungsstichtag nach dem 31.12.2021 liegt, globalisiert, während der persönliche Anwendungsbereich für die von § 1 Abs. 3 UmwStG erfassten Umstrukturierungen unangetastet geblieben ist.13 1 Daneben z.B. noch in § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG geregelt; hierzu Rz. 13.148 ff. 2 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.01. 3 Vgl. § 1 Abs. 1, Abs. 3 UmwStG. Gemeint ist die Art der Umwandlung, d.h. v.a. Verschmelzungen, Spaltungen, Formwechsel, Einbringungen. 4 Vgl. § 1 Abs. 4 UmwStG. Gemeint sind die Anforderungen an die an der Umwandlungsmaßnahme beteiligten Rechtsträger bzw. ggf. deren Anteilseigner. 5 § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG, § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG, § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG, § 24 Abs. 2 Satz 2 a.E. UmwStG. 6 Vgl. hierzu den Überblick bei Schaumburg in FS Herzig, 711 ff. 7 Konsolidierte Neufassung („Kodifizierung“): RL 2009/133/EG v. 19.10.2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ABl. EU 2009 Nr. L 310, 34; hierzu Rz. 3.66 ff. Ausf. zur Fusionsrichtlinie Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 16.1 ff.; Sedemund in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 3.34 ff. 8 SEStEG v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782, berichtigt BGBl. I 2007, 68. 9 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, FR 1999, 449 – Centros; EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632, GmbHR 2002, 1137 – Überseering; EuGH v. 30.9.2003 – C167/01, ECLI:EU:C:2003:512, GmbHR 2003, 1260 – Inspire Art; EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138, FR 2004, 659 – de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 21.11.2002 – C-436/00, ECLI:EU:C:2002:704, FR 2003, 84 – X und Y; EuGH v. 7.9.2006 – C-470/04, ECLI:EU:C:2006:549, FR 2006, 1128 – N; vgl. auch EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, BB 2006, 11 – Sevic Systems. 10 Das gilt für die einseitige Ausrichtung an die inzwischen für den EU-/EWR-Bereich aufgegebene Sitztheorie (Rz. 7.47 f.) ebenso wie für die mittlerweile geänderte Entstrickungskonzeption (Rz. 6.381). 11 Vgl. Rödder in R/H/vL3, Einführung UmwStG Rz. 122 ff.; Hörtnagl in S/H9, § 1 UmwStG Rz. 2; Dörfler/Adrian/Oblau, RIW 2007, 266 (269). 12 Gesetz v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2050. 13 Zu den Änderungen durch das KöMoG s. Prinz, FR 2021, 561; Holle/Krüger/Weiss, IStR 2021, 489; Dreßler/Kompolsek, WPg 2021, 1243.

984 | Häck

A. Grundlagen | Rz. 20.8 Kap. 20

Der Anwendungsbereich des UmwStG erfasst sachlich grds. die grenzüberschreitende und ausländische Verschmelzung, die Spaltung von Körperschaften, Personenhandelsgesellschaften oder Partnerschaftsgesellschaften, den Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft und umgekehrt, die Ausgliederung von Vermögensteilen, die Einbringung von Betriebsvermögen in eine Kapitalgesellschaft, eine Genossenschaft oder Personengesellschaft sowie den Anteilstausch (§ 1 Abs. 1 und 3 UmwStG). Der persönliche Anwendungsbereich der von § 1 Abs. 1 UmwStG erfassten Umwandlungen ist seit der Erweiterung durch das KöMoG (Rz. 20.5), nicht mehr auf in EU- und EWR-Staaten ansässige Rechtsträger beschränkt.1 Für die von § 1 Abs. 3 UmwStG erfassten Umstrukturierungen ist weiterhin in der Regel ein gewisser EU-/EWR-Bezug erforderlich, obwohl die Kapitalverkehrsfreiheit gebietet, auch Einbringungen nach § 20, § 25 UmwStG durch Drittstaatengesellschafter in den persönlichen Anwendungsbereich einzubeziehen.2 Allein Drittstaatenumwandlungen zwischen Personengesellschaften im Anwendungsbereich des § 24 UmwStG sind ohne weitere Voraussetzungen „globalisiert“.3

20.6

Der bisher (nur) für Drittstaatenverschmelzungen maßgebliche § 12 Abs. 2 KStG ist im Zuge der Globalisierung des § 1 Abs. 1 UmwStG durch das KöMoG entfallen.4 Im Rahmen der (reformierten) Hinzurechnungsbesteuerung ist anhand des § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG zu beurteilen, ob ausländische Umwandlungsgewinne für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung zu den Einkünften aus aktiver Tätigkeit zählen (Rz. 13.148 ff.).

20.7

Zu den außensteuerrechtlichen Normen des Internationalen Umwandlungssteuerrechts lässt sich auch § 50i Abs. 2 EStG zählen. Nach seiner ursprünglichen Fassung5 waren gem. § 50i Abs. 2 Satz 1 EStG im Rahmen von Umwandlungen und Einbringungen i.S.v. § 1 UmwStG Sachgesamtheiten, die Wirtschaftsgüter und Anteile i.S.d. § 50i Abs. 1 EStG6 enthielten, abweichend von den Bestimmungen des UmwStG stets mit dem gemeinen Wert anzusetzen.7 Zu den Wirtschaftsgütern und Anteilen i.S.d. § 50i Abs. 1 EStG zählten Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens oder Anteile i.S.d. § 17 EStG, die vor dem 29.6.2013 in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft i.S.v. § 15 Abs. 3 EStG übertragen oder überführt worden sind, und wenn eine Besteuerung der stillen Reserven im Zeitpunkt der Übertragung oder Überführung unterblieben ist (Rz. 6.391). Der gemessen an seinem Zweck weit überschießende Wortlaut der Norm8 hätte zwar auch im Wege teleologisch reduzierter Auslegung auf Umwandlungsfälle beschränkt werden können, durch die das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder be-

20.8

1 S. zur bisherigen Rechtsage die Vorauflage, Rz. 20.6. 2 Vgl. ausf. Hageböke/Stangl, Ubg 2021, 242 ff.; Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2021, 765 (773); s. auch Juhn, Grenzüberschreitende Einbringungen in Kapitalgesellschaften, 121; den Reformvorschag bei Jacobsen, DStZ 2021, 490 ff. 3 Hier gelten die persönlichen Voraussetzungen i.S.v. § 1 Abs. 4 Satz 1 UmwStG ausdrücklich nicht, vgl. § 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG. 4 Zur letztmaligen Anwendung s. § 34 Abs. 6d Satz 2 KStG i.d.F. v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2050. 5 § 50i Abs. 2 EStG wurde in seiner ursprünglichen Fassung eingeführt durch das „Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ v. 25.7.2014, BGBl. I 2014, 1266 ff. 6 § 50i Abs. 1 EStG eingeführt durch das „Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften“ v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 ff. Zu den Hintergründen Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 1 ff. 7 Zu den erfassten Umwandlungskonstellationen vgl. ausf. Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 147 ff. 8 Siehe bspw. zur umstrittenen Frage, ob § 50i Abs. 2 UmwStG in seiner bisherigen Fassung auch in „reinen“ Inlandsfällen Anwendung fand Liekenbrock in F/W/B/S, § 50i EStG Rz. 144.

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Kap. 20 Rz. 20.8 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

schränkt wird.1 Die Finanzverwaltung ließ hingegen die Fortführung der Buchwerte allein aus Gründen sachlicher Billigkeit zu, wenn das deutsche Besteuerungsrecht durch den Vorgang weder ausgeschlossen noch beschränkt wurde.2 Durch die am 1.1.2017 in Kraft getretene Neuregelung des § 50i Abs. 2 EStG3 wird der Anwendungsbereich des § 50i Abs. 2 EStG rückwirkend4 und die bisherige Regelung suspendierend auf Einbringungen (§ 20 UmwStG) der von § 50i Abs. 1 EStG erfassten Wirtschaftsgüter beschränkt und zudem vorausgesetzt, dass das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der erhaltenen oder i.S.v. § 22 Abs. 7 UmwStG mitverstrickten Anteile ausgeschlossen oder beschränkt wird.5 Ein vollständiger Verlust ist bei im Ausland ansässigen Gesellschaftern in DBA-Fällen regelmäßig zu bejahen, da – abgesehen von Sonderregelungen (z.B. Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) – zumeist nur der Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters die Veräußerungsgewinne besteuern darf. Zu beachten ist aber, dass gleichzeitig mit der Neufassung des § 50i Abs. 2 EStG auch § 50i Abs. 1 EStG tatbestandlich auf Fälle verengt wurde, in denen hinsichtlich der von § 50i Abs. 1 EStG angesprochenen Wirtschaftsgüter vor dem 1.1.2017 – die Anwendung von § 50i Abs. 1 EStG hinweggedacht – eine Entstrickung stattgefunden hat.6 Insoweit wird der Anwendungsbereich des § 50i Abs. 2 EStG zusätzlich begrenzt.

20.9

Der Wegzug von Kapitalgesellschaften über die Grenze wird vom UmwStG nicht erfasst, insoweit kann § 12 Abs. 1 KStG (Wegzug von Kapitalgesellschaften im EU-/EWR-Raum) als außensteuerrechtliche Normen zur Anwendung kommen (s. Rz. 20.105 ff.).

20.10

Soweit die betreffenden Normen des Internationalen Umwandlungssteuerrechts zum Doppelbesteuerungsrecht gehören, sind hier insbesondere die unilateralen und bilateralen Normen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung angesprochen, wobei auf unilateraler Ebene die auf eine Steuerbefreiung der Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften gerichtete Vorschrift des § 8b Abs. 2 KStG und im Übrigen die für eine Anrechnung ausländischer Steuern maßgeblichen Normen des § 34c EStG und § 26 KStG im Vordergrund stehen. Auf bilateraler Ebene geht es insbesondere um die für Unternehmensgewinne (Art. 7 OECD-MA), Dividenden (Art. 10 OECD-MA) und Veräußerungsgewinne (Art. 13 OECD-MA) maßgeblichen Verteilungsnormen der DBA, die im Einzugsbereich des Internationalen Umwandlungssteuerrechts in besonderem Maße durch Qualifikationsprobleme geprägt sind.7

1 Vgl. Kudert/Kahlenberg/Mroz, ISR 2014, 257 (263). 2 Vgl. BMF v. 21.12.2015 – IV B 5 - S 1300/14/10007 – DOK2015/1035715, BStBl. I 2016, 7. Hierzu ausf. van Lishaut/Hannig, FR 2016, 50 ff.; Benz/Böhmer, DStR 2016, 145 ff.; Köhler, ISR 2016, 73 ff. Das BMF-Schreiben v. 21.12.2015 ist im Hinblick auf die rückwirkende Neuregelung des § 50i Abs. 2 EStG aufgehoben worden (BMF v. 5.1.2017 – IV B 5 - S 1300/14/10007 – DOK 2016/ 1189929, BStBl. I 2017, 140). 3 Seit dem 1.1.2017 geregelt durch „Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen“ v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 4 § 52 Abs. 48 Satz 4 EStG i.d.F. v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 5 Ausf. zur Neuregelung Liekenbrock, DStR 2016, 2609 ff. 6 Dazu Liekenbrock, DStR 2016, 2609 (2610). 7 Hierzu Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 ff.

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A. Grundlagen | Rz. 20.13 Kap. 20

2. Dogmatische Grundlagen a) Steuerliche Gewinnrealisierung Natürliche Personen, Personengesellschaften1 sowie Kapitalgesellschaften2 haben ihre Einkünfte aus Gewerbebetrieb, sobald sie aufgrund gesetzlicher Vorschriften zur Buchführung verpflichtet sind, durch Betriebsvermögensvergleich gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (Gewinn) zu ermitteln. Hierbei haben sie gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu beachten, zu denen in materieller Hinsicht das Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbs. HGB) zählt.

20.11

Dieses Realisationsprinzip, das eine Konkretisierung des Vorsichtsprinzips3 ist, bedeutet, dass eine Gewinnrealisierung nicht schon bei bloßer Wertsteigerung, sondern erst dann eintritt, wenn eine Außentransaktion erfolgt, wenn also der Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung gegenüber Dritten erbringt. Der vorstehende Grundsatz gilt nicht nur für Einzeltransaktionen, also etwa für die Veräußerung einzelner zu einem steuerlichen Betriebsvermögen gehörender Wirtschaftsgüter, sondern auch für Gesamttransaktionen, etwa für die Veräußerung von Unternehmen, Betrieben oder Teilbetrieben. Dieses Realisationsprinzip ist aber nicht mehr als ein Grundsatz mit wichtigen steuerspezifischen Ausnahmen. Hierzu gehören insbesondere jene Normen, die auf die vollständige steuerliche Erfassung stiller Reserven gerichtet sind. Sie ermöglichen auch ohne Transaktion eine steuerliche Abrechnung der stillen Reserven zu dem Zeitpunkt, zu dem Wirtschaftsgüter, Betriebe oder Teilbetriebe aus der steuerlich relevanten Erwerbssphäre ausscheiden. Eine derartige ultima ratio-Besteuerung4 verwirklichen insbesondere

20.12

– Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 2, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG), – fiktive Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 3, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG, § 12 Abs. 1 KStG), – Betriebsaufgabe (§ 14, § 14a Abs. 3, § 16 Abs. 3, § 18 Abs. 3 EStG), – fiktive Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3a, § 18 Abs. 3 EStG), – fiktive Veräußerung (§ 12 Abs. 1 KStG), – Wechsel zur Steuerbefreiung (§ 13 Abs. 6 KStG), – Wegzug (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwG a.F.;5 § 6 AStG; § 17 Abs. 5 EStG). Steuerspezifische Modifikationen des Realisierungsprinzips enthalten jene Vorschriften, die, obwohl ein Gewinnrealisierungstatbestand gegeben ist, auf eine steuerliche Erfassung der stillen Reserven verzichten. Es geht hierbei um Transaktionen, bei denen die Besteuerung der stillen Reserven durch eine Buchwertverknüpfung sichergestellt ist. Die dem Prinzip der Buchwertverknüpfung6 folgenden Normen betreffen

1 2 3 4

Als eigenständige Gewinnerzielungssubjekte. In den folgenden Ausführungen stellvertretend für Körperschaften. Ableitung aus § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB. Hierzu Schaumburg in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, 1 (2 ff.); Schaumburg, StbJb 2008/2009, 193 (198 ff.). 5 Gem. § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 UmwStG ist diese für einbringungsgeborene Anteile gültige Regelung auch nach Inkrafttreten des SEStEG weiterhin anzuwenden. 6 Vgl. Hennrichs in Tipke/Lang24, Rz. 9.404 f.

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20.13

Kap. 20 Rz. 20.13 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

– Übertragung stiller Reserven bei Veräußerung bestimmter Anlagegüter (§ 6b EStG), – Rücklage für Ersatzbeschaffung (R 6.6 EStR), – unentgeltliche Übertragungen (§ 6 Abs. 3 EStG), – Betriebsvermögenstransfers (§ 6 Abs. 5, § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG) und – Umwandlungen (UmwStG).

20.14

Die (steuerneutrale) Umwandlung ohne Gewinnrealisierung steht durchweg unter Entstrickungsvorbehalt, so dass die Buchwertverknüpfung nur dann möglich ist, wenn die Besteuerung der transferierten stillen Reserven weiterhin uneingeschränkt gewährleistet bleibt. Diese Entstrickungsklauseln bewirken im Ergebnis eine Rückführung auf das grundlegende Prinzip der steuerlichen Gewinnrealisierung.1 Zu diesen Normen zählen die § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG, § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG, § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG, § 24 Abs. 2 Satz 2 a.E. UmwStG.

20.15

Auf der Grundlage der im Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz normierten Entstrickungskonzeption (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, s. Rz. 6.381 ff. und § 12 Abs. 1 KStG, s. Rz. 7.43 ff.), wonach der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts betreffend den Gewinn aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts als Entnahme bzw. Veräußerung desselben fingiert wird, steht im Umwandlungssteuergesetz die Buchwertverknüpfung für das im Rahmen der Umwandlung übertragene Vermögen ebenfalls unter Entstrickungsvorbehalt.2 Geht im Rahmen der Umwandlung das deutsche Besteuerungsrecht an den bisher in Deutschland steuerverhafteten Gewinnen aus der Veräußerung von Betriebsvermögen oder Anteilen zum steuerlichen Übertragungsstichtag verloren, erfolgt grds. eine Gewinnrealisierung nach dem Grundsatz der Sofortbesteuerung. Das gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn eine Besteuerung nach Art. 8 oder Art. 10 FRL unzulässig wäre. Angesprochen sind hierbei insbesondere die Hinausverschmelzung sowie die grenzüberschreitende Anteilseinbringung innerhalb der EU, die steuerneutral zu erfolgen hat, obwohl deutsches Besteuerungsrecht verloren geht bzw. eingeschränkt wird. In diesen Fällen wird eine spätere Gewinnrealisierung so besteuert, als ob die Verschmelzung oder die Einbringung nicht erfolgt wäre.3

20.16

Im Falle der Hereinverschmelzung oder vergleichbarer Vorgänge enthält das Umwandlungssteuergesetz keine der Entstrickung entsprechenden Verstrickungsregelungen. Insbesondere gibt es keine Vorschrift, die den § 4 Abs. 1 Satz 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG entsprechen würde, wonach bei Begründung des deutschen Besteuerungsrechts die betreffenden Wirtschaftsgüter mit ihrem gemeinen Wert anzusetzen sind. Dennoch sind § 4 Abs. 1 Satz 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG – nicht nur in Fällen des § 20 UmwStG4 – aus systematischen Gründen entsprechend anzuwenden, so dass insoweit auch bei einem (ansonsten einheitlichen) Buchwertansatz partiell der gemeine Wert (aber erst auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft) anzusetzen ist.5

1 Schaumburg, StbJb 2008/2009, 193 (199 f.); Schaumburg in FS Herzig, 711 (715 f.). 2 § 3 Abs. 2 Nr. 2; § 11 Abs. 2 Nr. 2; § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3; § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG; § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG. 3 § 13 Abs. 2 Nr. 2; § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG. 4 Insoweit hatte bereits der Gesetzgeber ausdrücklich eine Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 i.V.m § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG befürwortet, vgl. BT-Drucks. 16/2710, 43. 5 So im Ergebnis (aber teilweise den gemeinen Wert bereits in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft berücksichtigend) Martini in W/M, § 3 UmwStG Rz. 842; Bron in

988 | Häck

A. Grundlagen | Rz. 20.18 Kap. 20

b) Steuerrechtliche Legitimation des Realisationsprinzips Das über § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG für das Steuerrecht rezipierte Realisationsprinzip beruht zwar auf dem handelsrechtlichen Normensystem der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, es erfährt aber auch eine spezifisch steuerrechtliche Legitimation durch das Fundamentalprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sowie durch das Übermaßverbot. Hiernach ist eine Besteuerung nicht realisierter Wertzuwächse grds. nicht gerechtfertigt: Steuerliche Leistungsfähigkeit setzt stets Liquidität für die Steuerzahlung voraus,1 und das Übermaßverbot2 gebietet eine vorsichtige Besteuerung, d.h. eine Besteuerung nur des liquiden Einkommens.3 Für den steuerlichen Betriebsvermögensvergleich ergibt sich hieraus, dass nur fundiertes Vermögen, also nur im Bestand gefestigtes Vermögen, einbezogen wird. Die Gefahr falscher Bewertung nicht realisierten Vermögenszuwachses wird hierdurch vermieden.4 Das Realisationsprinzip harmoniert ebenso wie das Imparitätsprinzip im Übrigen auch mit dem Markteinkommenskonzept, wonach grds. nur das erwirtschaftete, am Markt realisierte Einkommen der Besteuerung zugeführt wird.5 Im Ergebnis wird damit eine Besteuerung frei von Substanzsteuereffekten gewährleistet.

20.17

c) Steuerliche Durchbrechungen des Realisationsprinzips Eine Besteuerung trotz Gewinnrealisierung unterbleibt dann, wenn ausnahmsweise kein am Markt erwirtschaftetes Einkommen erzielt wird. In diesen Fällen wird das Realisationsprinzip in Ausrichtung an dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dem Übermaßverbot zurückgenommen. Steuertechnisch geschieht dies dadurch, dass entweder eine Gewinnrealisierung durch das Gebot der Buchwertfortführung vermieden wird (Steueraufschub) oder aber an eine erfolgte Gewinnrealisierung keine Steuerfolgen geknüpft werden (Steuerverzicht). Im Hinblick darauf sind etwa der steuerneutrale Betriebsvermögenstransfer sowie der steuerneutrale Transfer anderer Wirtschaftsgüter nach dem UmwStG, § 6b EStG (Übertragung stiller Reserven bei der Veräußerung bestimmter Anlagegüter) sowie nach R 6.6 EStR 2012 (Rücklage für Ersatzbeschaffung) gerechtfertigt: Diese Vermögensübergänge sind nicht auf Gewinnerzielung gerichtet, sondern dienen der Erhaltung der Erwerbsgrundlagen, so dass kein Markteinkommen erzielt wird.

1 2 3 4 5

Kraft/Edelmann/Bron2, § 3 UmwStG Rz. 244; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.311; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.121 („vertretbar“); Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.63; Prinz in Beck’sches Handbuch der GmbH6, § 16 Rz. 60; Böhmer/Wegener, Ubg 2015, 69 (73); Kraft/Poley, FR 2014, 1 (3); Schell, IStR 2011, 704 (710); Körner, IStR 2009, 741 (749); Viebrock/Hagemann, FR 2009, 737 (744); a.A. Möhlenbrock/Pung in D/P/P/M7, § 3 UmwStG Rz. 43; Pung/Werner in D/P/M, § 4 UmwStG Rz. 12; Birkemeier in R/H/vL3, § 3 UmwStG Rz. 211; van Lishaut in R/H/vL3, § 4 UmwStG Rz. 43; Weigert in Kraft/Edelmann/Bron2, § 4 UmwStG Rz. 31; Bonhardt in H/M/B5, § 4 UmwStG Rz. 89; Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 (1964); Lemaitre/ Schönherr, GmbHR 2007, 173 (175). Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.64. Das Übermaßverbot ergibt sich als übergreifende Leitregel aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten, insbesondere aus Art. 12 Abs. 1; Art. 14 Abs. 1 GG; hierzu Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.180 ff. Hennrichs in Tipke/Lang24, Rz. 9.402. Zu Einzelheiten Pezzer, DStJG 14 (1991), 3 (22 ff.). Zu Einzelheiten Pezzer, DStJG 14 (1991), 3 (22 ff.).

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20.18

Kap. 20 Rz. 20.19 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

20.19

Die gleiche Teleologie liegt auch den Regelungen in den § 6 Abs. 5, § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG zugrunde, wonach insbesondere der Betriebsvermögenstransfer zwischen Personengesellschaft und Gesellschaftern unter bestimmten Voraussetzungen zu Buchwerten, also ohne Gewinnrealisation, zu erfolgen hat.

20.20

Soweit schließlich § 6 Abs. 3 EStG für den unentgeltlichen Betriebsvermögenstransfer eine Gewinnrealisierung ausschließt, obwohl hierdurch eine intersubjektive Übertragung stiller Reserven erfolgt, geht es darum, Zuwendungsvorgänge aus dem durch Außentransaktionen geprägten Markteinkommen auszugrenzen. Diese in § 6 Abs. 3 EStG verankerte Buchwertfortführung ist unter Leistungsfähigkeitsgesichtspunkten gerechtfertigt.

20.21

Gerechtfertigt ist auch die Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 2 KStG, wonach Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften grds. von deutscher Körperschaftsteuer freigestellt werden. § 8b Abs. 2 KStG dient nämlich der Vermeidung der Doppel- und Mehrfachbesteuerung, womit zugleich dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprochen wird.

20.22

Dem am Leistungsfähigkeitsprinzip und am Übermaßverbot ausgerichteten Realisationsprinzip, wonach nicht realisierte Wertzuwächse nicht erfasst werden, sind allerdings in den Fällen Grenzen gesetzt, in denen eine Besteuerung später nicht mehr möglich ist. Hier ist vorbehaltlich europarechtlicher Restriktionen ein steuerlicher Zugriff auf stille Reserven auch ohne transaktionsbedingte Gewinnrealisierung gerechtfertigt. Eine Nichtbesteuerung wäre jedenfalls mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip unvereinbar. Eine derartige ultima ratio-Besteuerung erfolgt demgemäß insbesondere bei den unter Rz. 20.12 aufgeführten Fällen. Hierbei ist normativ sichergestellt, dass die stillen Reserven im letzten noch möglichen Zeitpunkt für steuerliche Zwecke abgerechnet werden (Steuerentstrickung). Zu den Normen, die eine Besteuerung stiller Reserven ohne transaktionsbedingte Gewinnrealisierung aus Gründen des Wechsels des Besteuerungsregimes vorsehen, gehören auch § 4 Abs. 4 und § 7 UmwStG, wonach bei Umwandlung von Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften die offenen Gewinnrücklagen und ein etwaiger Übernahmegewinn ausdrücklich der Besteuerung unterworfen werden: Hier erfolgt ein Wechsel von der Zwei-Ebenen- zur Ein-Ebenen-Besteuerung.1 Demgegenüber geht es im außensteuerlichen Kontext um den Wechsel in der Steuerhoheit. Die auf die Abrechnung der stillen Reserven m Sinne einer ultima ratio-Besteuerung gerichteten Normen erfassen den Wechsel des Steuersubjekts und von Wirtschaftsgütern in eine andere Steuerhoheit. d) Europarechtliche Restriktionen

20.23

Eine auf Absicherung des inländischen Steueraufkommens ausgerichtete ultima-ratio-Besteuerung ist europarechtlichen Schranken ausgesetzt. Der EuGH hat sich in seinen Entscheidungen zum Wegzug natürlicher Personen2, der Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft3, der

1 Van Lishaut in R/H/vL3, § 4 UmwStG Rz. 110. 2 EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138, FR 2004, 659 – Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 7.9.2006 – C-470/04, ECLI:EU:C:2006:525, FR 2006, 1128 – N; EuGH v. 12.7.2012 – C269/09, ECLI:EU:C:2012:439, EuZW 2013, 34 – Kommission/Spanien; EuGH v. 21.12.2016 – C503/14, ECLI:EU:C:2016:979, IStR 2017, 69 – Kommission/Portugal; EuGH v. 26.2.2019 – C-581/ 17, ECLI:EU:C:2019:138, IStR 2019, 260 – Wächtler. 3 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, FR 2012, 25 – National Grid Indus; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521, ISR 2012, 60 m. Anm. Müller – Kommission/Portugal; EuGH v. 31.1.2013 – C-301/11, ECLI:EU:C:2013:47, ISR 2013, 225 m. Anm. Müller – Kommission/

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A. Grundlagen | Rz. 20.23 Kap. 20

Verlagerung von Wirtschaftsgütern in einen anderen Mitgliedstaat1 sowie Umwandlungsmaßnahmen2 mit der unionsrechtlichen Zulässigkeit einer derartigen „Exit“-Besteuerung beschäftigt.3 Die Entstrickungsbesteuerung führt zu einer Beschränkung der Grundfreiheiten (i.d.R. der Niederlassungsfreiheit4, Art. 49 AEUV)5, da die vorzeitige steuerliche Abrechnung der stillen Reserven aufgrund des Verlustes des Besteuerungsrechts im Inlandsfall nicht zu beobachten ist.6 Zur Beantwortung der Frage einer möglichen Rechtfertigung der Beschränkung (dazu Rz. 4.18 ff.)7 zieht der EuGH insoweit seit Ende 2005 den (ungeschriebenen) Rechtfertigungsgrund der „Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten“ als potentiell legitimes Ziel heran.8 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung unterscheidet er zwischen der Festsetzung und der Einziehung der Steuer.9 Während die unmittelbare Festsetzung einer Steuer anlässlich des Ausscheidens aus der Steuerverstrickung gerechtfertigt ist10, ist die sofortige Einziehung der Steuer unverhältnismäßig.11 Ging der EuGH ursprünglich12 davon aus, dass die Steuer bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Realisation der Wertzuwächse zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden sei, hält er – jedenfalls für den betrieblichen

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Niederlande; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264, ISR 2013, 225 m. Anm. Müller – Kommission/Spanien. EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521, ISR 2012, 60 m. Anm. Müller – Kommission/ Portugal; EuGH v. 31.1.2013 – C-301/11, ECLI:EU:C:2013:47, ISR 2013, 225 – Kommission/Niederlande; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264, ISR 2013, 225 – Kommission/Spanien; EuGH v. 18.7.2013 – C-261/11, ECLI:EU:C:2013:480, ISR 2013, 311 m. Anm. Müller – Kommission/Dänemark; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller – Verder LabTec. EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20, ISR 2014, 136 m. Anm. Müller – DMC. Ausf. zur Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung Kahle/Beinert, FR 2015, 585; Dobratz, ISR 2014, 198; vgl. auch Schön, DStJG 43 (2020), 563 (569 f.); Juhn, Grenzüberschreitende Einbringungen in Kapitalgesellschaften, 2020, 168 ff. EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138, FR 2004, 659 – Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 7.9.2006 – C-470/04, ECLI:EU:C:2006:525, FR 2006, 1128 – N; EuGH v. 29.11.2011 – C371/10, ECLI:EU:C:2011:785, FR 2012, 25 – National Grid Indus; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller – Verder LabTec. Hingegen hat der EuGH in der Entscheidung DMC auf die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV) abgestellt (krit. Musil, ISR 2014, 470 [471]). Ausf. Dürrschmidt, StuW 2010, 137 (145 ff.). Vgl. Dobratz, ISR 2014, 198 (200). S. auch ausf. Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.199 ff. Entwickelt wurde der Rechtfertigungsgrund durch den EuGH in der Entscheidung Marks & Spencer (EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763, FR 2006, 177 Rz. 45). EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, FR 2012, 25 – National Grid Indus; EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20, ISR 2014, 136 m. Anm. Müller – DMC. EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, FR 2012, 25 – National Grid Indus; EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20, ISR 2014, 136 m. Anm. Müller – DMC; Schumacher in Lutter6, Einl. II Rz. 8. EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, FR 2012, 25 – National Grid Indus. EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138, FR 2004, 659 – Hughes de Lasteyrie du Saillant; EuGH v. 7.9.2006 – C-470/04, ECLI:EU:C:2006:525, FR 2006, 1128 – N; hierzu Schön, JbFSt 2004/2005, 31 (80 f.); Wassermeyer, GmbHR 2004, 613 (615); Schaumburg in FS Wassermeyer, 411 (423 f.). Vgl. auch EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, FR 2012, 25 – National Grid Indus; EuGH v. 6.9.2012 – C-38/10, ECLI:EU:C:2012:521, ISR 2012, 60 m. Anm. Müller – Kommission/Portugal; EuGH v. 25.4.2013 – C-64/11, ECLI:EU:C:2013:264, ISR 2013, 225 m. Anm. Müller – Kommission/Spanien.

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Kap. 20 Rz. 20.23 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

Bereich1 – nach einer ersten Modifikation2 durch Zulassung einer Verzinsung3 der gestundeten Steuer bis zu deren Entrichtung und der Möglichkeit der Forderung einer Sicherheitsleistung4 nunmehr5 eine ratierliche Einziehung der festgesetzten Steuer über fünf Jahre für verhältnismäßig.6 Insoweit hat der EuGH insbesondere die gestreckte Gewinnverteilungsmethode des § 4g EStG bzw. die gestreckte Zahlungsmethode des § 36 Abs. 5 EStG im Kern7 unionsrechtlich abgesegnet.8 Die Rechtspraxis hatte hingegen bis zur Entscheidung in der Rs. DMC im Anschluss an die früheren Judikate auch für die umwandlungssteuerrechtlichen Entstrickungsregelungen9 eher erwartet10, dass unionsrechtlich in sämtlichen grundfreiheitlich relevanten Entstrickungskonstellationen eine Einziehung der Steuer vor der tatsächlichen Realisation der Wertzuwächse unzulässig ist.11

20.24

Die umwandlungssteuerrechtlichen Entstrickungsregelungen genügen auch vor dem Hintergrund der jüngeren EuGH-Rechtsprechung nicht den unionsrechtlichen Anforderungen.12 Das UmwStG ist im Rahmen seiner Europäisierung nicht der europarechtlich (mindestens) gebotenen13 (ratierlich abschmelzenden) Stundungslösung, sondern dem Konzept der Sofortbesteuerung gefolgt, soweit umwandlungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird.14 Insbesondere sieht das UmwStG an keiner Stelle eine direkte oder

1 Insoweit ist noch nicht abschließend geklärt, ob (richtigerweise) die speziell zum Wegzug natürlicher Personen aufgestellten Grundsätze in den Rs. Hughes de Lasteyrie du Saillant und N weiterhin Gültigkeit beanspruchen können (vgl. Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.231; Rautenstrauch/Seitz, Ubg 2012, 14 (25); s. auch Sydow (Diskussionsbeitrag), JbFfSt 2014/2015, 35; Mitschke, IStR 2012, 629), oder diese durch die neuere EuGH-Rechtsprechung in den Rs. DMC und VerderLabTec überholt sind (so Dobratz, ISR 2014, 198 [200]). 2 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, FR 2012, 25 – National Grid Indus. Hierzu Rautenstrauch/Seitz, Ubg 2012, 14. 3 Zurecht krit. Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.232; Wassermeyer, EuZW 2012, 921. 4 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, FR 2012, 25 – National Grid Indus. Die Forderung einer Sicherheitsleistung ist aber nur bei einem erhöhten Nichteinbringungsrisiko verhältnismäßig, vgl. EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20, ISR 2014, 136 m. Anm. Müller – DMC. 5 EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20, ISR 2014, 136 m. Anm. Müller – DMC; EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, ECLI:EU:C:2015:331, ISR 2015, 259 m. Anm. Müller – Verder LabTec. 6 Zur Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 7.230; Kahle/Beinert, FR 2015, 585 ff.; Schön, JbFSt 2014/2015, 25 ff. 7 Zu verbleibenden europarechtlichen Friktionen Faller/Schröder, DStZ 2015, 890 (894 f.). 8 Schön, JbFfSt 2014/2015, 25 (33); Gosch, IWB 2014, 183 (187 f.). 9 S. Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 288; Sedemund in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 3.164; Sistermann in Lüdicke, Praxis und Zukunft des des deutschen Internationalen Steuerrechts, 2012, 161 (167 f.). 10 Vgl. Thömmes, StuB 2014, 288: „überraschend“; Burwitz, NZG 2015, 949 (950): „ernüchternd“; s. auch Gosch, IWB 2014, 183 (188): „unerwartet“. 11 Vgl. stv. Beutel/Rehberg, IStR 2012, 94; Körner, IStR 2012, 1; Stöber, ZIP 2012, 1273 (1279 f.); a.A. Lohmar, FR 2013, 591 (598); Mitschke, IStR 2012, 6 (8); Musil, FR 2012, 32 (33); Schwenke, DStZ 2007, 235 ff. 12 Stv. Kraft/Ungemach, DStZ 2020, 440 (448). 13 A.A. tendenziell Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 16.47 ff. 14 Vgl. hierzu die entsprechenden Entstrickungsklauseln in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG (Verschmelzung von Kapital- auf Personengesellschaften), § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG (Verschmelzung von Kapitalgesellschaften), § 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 11 Abs. 2

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.25 Kap. 20

entsprechende Anwendung des § 4g EStG bzw. § 36 Abs. 5 EStG oder sonstiger Stundungsregelungen vor.1 Im Hinblick darauf ist die Gesamtkonzeption der umwandlungssteuerrechtlichen Entstrickungsregelungen weiterhin der europarechtlichen Verwerfung durch den EuGH ausgesetzt.2 Zudem ist im Hinblick auf die Entscheidung in der Rs. DMC, in der der EuGH im Zusammenhang mit einer Umwandlungsmaßnahme – wenn auch eher überraschend3 – die Kapitalverkehrsfreiheit bemüht, die in verschiedenen Vorschriften des UmwStG vorgesehene abweichende Behandlung von Drittstaaten-Sachverhalten (vgl. bspw. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 u. 2 Buchst. b i.V.m Abs. 3 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 UmwStG) nicht mehr haltbar.4 Die Akzeptanz einer über fünf Jahre gestreckten Entstrickungsbesteuerung durch den EuGH überzeugt nicht.5 Eine objektbezogene Abwägung nach Art der übertragenen Wirtschaftsgüter findet nicht statt.6 Der EuGH verweist zudem apodiktisch und nicht frei von Widersprüchen7 allein auf ein „mit der Zeit steigendes Risiko der Nichteinbringung“ der Steuer, obwohl die Gefahr einer Nichteinbringung der Steuer auch durch Stellung einer Sicherheitsleistung als milderes Mittel befriedigt werden könnte.8 Mit dem „Geist“ eines Binnenmarkts ohne Steuergrenzen hat die EuGH-Rechtsprechung nur wenig gemein.9

B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug Literatur: Kommentare zum UmwG/UmwStG; Beinert/Benecke, Internationale Aspekte der Umstrukturierung von Unternehmen, FR 2010, 1009, 1120; Benecke/Schnitger, Neuregelungen des UmwStG und der Entstrickungsnormen durch das SEStEG, IStR 2006, 765; Benecke/Staats, Zum Konkurrenzverhältnis der Mutter-Tochter-Richtlinie zur Fusions-Richtlinie – Klärung durch das EuGH-Urteil „Punch Graphix“, ISR 2013, 15; Bergmann, Neues zum Downstream-Merger, GmbHR 2016, 1191; Böhmer/ Mühlhausen/Oppel, Die Körperschaftsteuer-Option nach § 1a KStG n.F. im internationalen Steuerrecht – Überblick anhand von Beispielsfällen (§ 1a KStG), ISR 2021, 388; Böhmer/Schewe/Schlücke, Neujustierung der Grenzen des deutschen Besteuerungsrechts durch das ATAD-UmsG und das Kö-

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Satz 1 Nr. 2, § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG (Auf- und Abspaltung von Kapitalgesellschaften auf andere Kapitalgesellschaften), § 16 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG (Auf- und Abspaltung von Kapital- auf Personengesellschaften), § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG (Verschmelzung von Personen- auf Kapitalgesellschaften, Betriebseinbringung), § 21 Abs. 2 Satz 2 UmwStG (Anteilseinbringung), § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG (Verschmelzung von Personengesellschaften, Betriebseinbringung); vgl. hierzu Schaumburg in FS Herzig, 719 ff. Vgl. Kahle/Beinert, FR 2015, 585 (587). Zum Anpassungsbedarf Sydow, DB 2014, 265 (270). Für eine analoge Anwendung der § 4g, § 36 Abs. 5 EStG vgl. Hahn, BB 2012, 681 (687); a.A. Lohmar, FR 2013, 591 (596). Vgl. Gosch, IWB 2014, 183 (187); Sydow, DB 2014, 265 (267). Vgl. Hageböke/Stangl, Ubg 2021, 242 ff.; Schön, JbFfSt 2014/15, 25 (32); Gosch, IWB 2014, 183 (187); Lüdicke, IStR 2014, 537 (540); Patzner/Nagler, GmbHR 2014, 216 (218); tendenziell auch Sydow, DB 2014, 265 (267, 270). Vgl. zur Kritik Gosch in Kirchhof/Seer21, § 36 EStG Rz. 30; Thömmes, StuB 2014, 288 (291); Linn, IStR 2014, 136 (139). Dem EuGH zustimmend hingegen Dobratz, ISR 2014, 198 (204); Musil, FR 2014, 470 (471); Mitschke, IStR 2015, 443. Schiefer, NWB 2015, 2289 (2292). Bei genauerem Besehen lassen sich aber in der Rechtsprechung des EuGH vereinzelte Anhaltspunkte dafür ausmachen, dass die ratierliche Stundung nur in Fällen abnutzbarer Wirtschaftsgüter verhältnismäßig ist, vgl. Kahle/Beinert, FR 2015, 585 (587) m.w.N. S. Thömmes, StuB 2014, 288 (291); Faller/Schröder, DStZ 2015, 890 (893). Stv. Schön, JbFfSt 2014/2015, 25 (33). Zutr. Schön, JbFfSt 2014/2015, 25 (34, 39); Gosch (Diskussionsbeitrag), JbFfSt 2014/2015, 40.

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20.25

Kap. 20 | Internationales Umwandlungssteuerrecht MoG, FR 2021, 765; Bodden, Verschmelzung und Formwechsel von Kapitalgesellschaften auf gewerbliche Personengesellschaften nach dem SEStEG (§§ 3–10 UmwStG), FR 2007, 66; Damas, Einführung in das neue Umwandlungssteuerrecht, DStZ 2007, 129; Dörr/Loose/Motz, Verschmelzungen nach dem neuen Umwandlungssteuererlass, NWB 2012, 566; Dötsch/Pung, SEStEG: Die Änderungen des UmwStG, DB 2006, 2704; FGS/BDI (Hrsg.), Der Umwandlungssteuer-Erlass 2011, 64; Förster, Ausländische Anteilseigner bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften in Personenunternehmen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 629; Förster/Felchner, Umwandlung von Kapitalgesellschaft in Personenunternehmen nach dem Referentenentwurf zum SEStEG, DB 2006, 1072; Förster/Wendland, Einbringung von Unternehmensteilen in Kapitalgesellschaften, BB 2007, 631; Gebhardt/Reppel, Die neuen Subject-to-tax-Klauseln in deutschen DBA – Praxisfälle und Zweifelsfragen im Kontext des BMF-Schreibens vom 20.6.2013, IStR 2013, 760; Goebel/Ungemach/Stefaner/Steevensz/Thomas/Fluck, Grenzüberschreitende Unternehmensumwandlungen im Verhältnis zu Österreich, den Niederlanden und Frankreich – Darstellung anhand eines praxisrelevanten Falls, DStZ 2014, 82; Göbel/Ungemach, Entstrickungsfallen des UmwStG bei internationalen Umwandlungen, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, Herne 2011, 427 ff.; Gsödl/Wuttke, Ertragsteuerliche Neutralität der (grenzüberschreitenden) Abwärtsverschmelzung bei Kapitalgesellschaften, DStR 2016, 2326; Heinemann, Verschmelzung von Kapitalgesellschaften nach dem UmwSt-Erlass 2011, GmbHR 2012, 133; Henkel/Port, Internationale Umwandlungen, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. 2018, Rz. 11.1 ff.; Hruschka, Umwandlung Kapital- auf Personengesellschaften (§ 3 ff. UmwStG), DStR-Beihefter 2/2012, 4; Hruschka, Umwandlungen mit Auslandsberührung, StuB 2011, 540; Hruschka/Hellmann, Bewertungswahlrechte bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, DStR 2010, 1961; Hruschka/Schicketanz, Vom Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung zur Vermeidung weißer Einkünfte, ISR 2015, 164; Klingberg/Nitzschke, Grenzüberschreitende Umwandlungen am Beispiel grenzüberschreitender Verschmelzungen, Ubg 2011, 451; Klingberg/van Lishaut, Ausländische Umwandlungen im deutschen Steuerrecht, FR 1999, 1209; Köhler/Käshammer, Umwandlung von Kapitalgesellschaften mit ausländischen Anteilseignern in Personengesellschaften nach dem UmwSt-Erlass 2011, GmbHR 2012, 301; Lemaitre/Schönherr, Die Umwandlung von Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften durch Verschmelzung und Formwechsel nach der Neufassung des UmwStG durch das SEStEG, GmbHR 2007, 173; Lüdicke, Subjectto-tax-Klauseln nach den DBA – Bemerkungen zum BMF-Schreiben vom 20.6.2013, IStR 2013, 721; Mayer, Umwandlung inländischer Kapitalgesellschaften mit Auslandsbezug auf Personengesellschaften, PIStB 2009, 336; Mouldi/Loose, Greift eine Switch-over-Klausel bei Einbringung der US-Betriebsstätte einer deutschen Kapitalgesellschaft in eine US-Corporation?, IStR 2012, 829; Mutscher, Anwendungsbereich der fiktiven Steueranrechnung im UmwStG, IStR 2010, 820; Pohl, Ausgewählte internationale Aspekte des neuen Umwandlungssteuererlasses, IWB 2012, 177; Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2013; Prinz, Inländische Umstrukturierung von GmbHs mit Auslandsbezug, GmbHR 2020, 625; Pung, Besteuerung von Einbringungsgewinnen bei Sperrfristverstößen nach dem UmwSt-Erlass 2011, GmbHR 2012, 158; Rasche, Steuerliche Risiken bei der Abwärtsverschmelzung („down-stream merger“), GmbHR 2010, 1188; Rödder/Schumacher, Das SEStEG – Überblick über die endgültige Fassung und die Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf, DStR 2007, 369; Rödder/Schumacher, Das kommende SEStEG Teil II: Das geplante neue Umwandlungssteuergesetz, DStR 2006, 1525; Rogall, Wesentliche Aspekte des neuen Umwandlungssteuererlasses, NZG 2011, 810; Schaumberger/Stößel, Entstrickungsgefahren bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften anhand ausgewählter Fallbeispiele, FR 2020, 1123; Schaumburg, Steuerliche Restriktionen bei internationalen Umwandlungen, GmbHR 2010, 1341; Schaumburg, Die Entstrickungsklauseln im Umwandlungssteuerrecht, in Kessler/Förster/Watrin (Hrsg.), Unternehmensbesteuerung, FS für Herzig, München 2010, 711; Schaumburg, Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug, GmbHR 1996, 414; Schaumburg, Verschmelzung von Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften nach neuem Umwandlungssteuerrecht, FR 1995, 211; Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Internationales Umwandlungssteuerrecht, Köln 1996; Schell, Internationale Bezüge bei Verschmelzungen zwischen Körperschaften, FR 2012, 101; Schell, Internationale Bezüge bei Verschmelzungen von Körperschaften auf Personengesellschaften – Eine Analyse steuerlicher Fragestellungen im Lichte des neuen Entwurfs zum Umwandlungssteuererlass, IStR 2011, 704; Schmitt/Schloßmacher, Downstream-Merger mit ausländischen Anteilseignern, DStR 2010, 673; Schmitt/Schloßmacher, Umwandlungssteuererlass Umw-

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.26 Kap. 20 StE 2011, 2012; Schneider/Ruoff/Sistermann, Umwandlungssteuer-Erlass 2011, 2012; Schönfeld, Welche praktischen Probleme löst das BMF-Schreiben zu Subject-to-Tax-Klauseln und welche nicht? – dargestellt anhand von Fallbeispielen, IStR 2013, 757; Schönfeld, Ausgewählte internationale Aspekte des neuen Umwandlungssteuererlasses, IStR 2011, 497; Schönfeld/Häck, Der Methodenartikel in der deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, ISR 2013, 168; Sistermann, Der neue Umwandlungssteuererlass – Umwandlungen mit Auslandsbezug, in Lüdicke (Hrsg.), Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 40, 2012, 161; Stimpel, Umwandlung von Kapital- in Personengesellschaften nach dem UmwStErlass 2011, GmbHR 2012, 123; Tommaso, Ausgewählte Einzelfragen zur Verschmelzung auf Körperschaften, SteuK 2012, 87; Werra/Teiche, Das SEStBeglG aus der Sicht international tätiger Unternehmen, DB 2006, 1455; Viebrock/Hagemann, Verschmelzungen mit grenzüberschreitendem Bezug, FR 2009, 737; Wassermeyer/Richter/Schnittker (Hrsg.), Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2015; Weiss, Verschmelzung zweier Kapitalgesellschaften am Musterfall – Teil 1, PIStB 2020, 110; Weiss, Verschmelzung auf eine Personengesellschaft am Musterfall Kapitalgesellschaften am Musterfall – Teil 2, PIStB 2020, 133; Weiss, Einbringung mit internationalem Bezug am Musterfall – Teil 3, PIStB 2020, 165; Widmann, Auswirkungen der beschränkten Steuerpflicht und der Doppelbesteuerungsabkommen bei Umwandlungen, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Wassermeyer, München 2005, 579.

I. Allgemeines Für den sachlichen Anwendungsbereich unterscheidet das UmwStG zwischen Umwandlungen (Zweiter bis Fünfter Teil des UmwStG, §§ 3 bis 19 UmwStG) und Einbringungen (Sechster bis Achter Teil des UmwStG, §§ 20 bis 25 UmwStG).1 Zu den „Umwandlungen“ im Sinne des UmwStG zählen nur die enumerativ in § 1 Abs. 1 UmwStG aufgezählten Umwandlungsmaßnahmen nach dem UmwG oder vergleichbare ausländische Vorgänge. Dies sind (i) die Verschmelzung (§ 2 UmwG) von Körperschaften auf Körperschaften, Personengesellschaften oder eine natürliche Person, (ii) die Auf- und Abspaltung (§ 123 Abs. 1 und Abs. 2 UmwG)2 von Körperschaften auf Körperschaften oder Personengesellschaften, (iii) der Formwechsel (§ 190 Abs. 1 UmwG) einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft sowie die Vermögensübertragung (§ 174 UmwG) von Körperschaften auf Körperschaften. Zu den „Einbringungen“ zählen die in § 1 Abs. 3 UmwStG genannten Einbringungsvorgänge, die sich handelsrechtlich teilweise nach dem UmwG richten, und vergleichbare ausländische Vorgänge. Hierzu zählen (i) die Verschmelzung (§ 2 UmwG), die Auf- und Abspaltung (§ 123 Abs. 1 und Abs. 2 UmwG) von Personenhandelsgesellschaften und Partnerschaftsgesellschaften auf Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften oder auf eine Personengesellschaft, (ii) die Ausgliederung von Vermögensteilen (§ 123 Abs. 3 UmwG) auf eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft oder auf eine Personengesellschaft, (iii) der Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft (§ 190 Abs. 1 UmwG), (iv) die Einbringung von Betriebsvermögen durch Einzelrechtsnachfolge in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft oder in eine Personengesellschaft und (v) die Einbringung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft (Anteilstausch). Die sachliche Anwendung des UmwStG setzt weiter voraus, dass Umwandlungen und Einbrin1 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.02. Die Gesetzesbegründung zum SEStEG spricht insoweit vom „Umwandlungsteil (Zweiter bis Fünfter Teil)“, vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung v. 25.9.2006, BT-Drucks. 16/2710, 34. 2 Die als Spaltungsart vom UmwG erfasste Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 UmwG) wird durch § 1 Abs. 1 Satz 2 UmwStG von den „Umwandlungen“ ausgenommen. Sie ist steuerrechtlich als „Einbringung“ gem. §§ 20 ff. UmwStG zu behandeln, vgl. stv. Brinkmann in Schneider/Ruoff/Sistermann, Umwandlungssteuer-Erlass 2011, Rz. 1.14.

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20.26

Kap. 20 Rz. 20.26 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

gungen nach den Vorschriften des UmwG oder bei vergleichbaren ausländischen Vorgängen zivilrechtlich zulässig und wirksam sind (sog. Maßgeblichkeit des Gesellschaftsrechts).1 Hierbei soll regelmäßig von der registerrechtlichen Entscheidung auszugehen sein, es sei denn, die registerrechtliche Entscheidung erfolgte trotz rechtlich gravierender Mängel.2

20.27

Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug unterfallen ganz überwiegend dem sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des UmwStG3, wobei eine normative Differenzierung zwischen in- und ausländischem Betriebsstättenvermögen der an der Umwandlung beteiligten Rechtsträger sowie zwischen unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Rechtsträgern und Gesellschaftern von an den Umwandlungen beteiligten Kapital- und Personengesellschaften durchweg nicht erfolgt. Eine Ausnahme besteht nur hinsichtlich der vom Sechsten und Achten Teil des UmwStG erfassten Einbringungen von Sachgesamtheiten4 in eine Kapitalgesellschaft (§ 20 UmwStG) bzw. dem Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft (§ 25 i.V.m. §§ 20 bis 23 UmwStG).5 Insoweit ist der persönliche Anwendungsbereich des UmwStG nur eröffnet, wenn (i) der Einbringende die spezifischen (Ansässigkeits-)Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwStG erfüllt oder (ii) bei einem in einem Drittstaat ansässigen Einbringenden das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG). Für den Anteilstausch (§ 21 UmwStG) mit einer deutschen Kapitalgesellschaft als übernehmendem Rechtsträger gelten diese Einschränkungen für den Einbringenden hingegen nicht.6

20.28

Bei inländischen Umwandlungen i.e.S. und i.w.S. mit Auslandsbezug geht es im Wesentlichen um folgende Fallgruppen: – die Verschmelzung (§§ 3 ff. UmwStG) oder Spaltung (§ 16 UmwStG) von inländischen Kapitalgesellschaften mit beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern und/oder ausländischen Betriebsstätten auf Personengesellschaften; – die Verschmelzung (§§ 11 ff. UmwStG) oder Spaltung (§ 15 UmwStG) von inländischen Kapitalgesellschaften mit beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern und/oder ausländischen Betriebsstätten auf andere Kapitalgesellschaften; – die Verschmelzung (Einbringung) von inländischen Personengesellschaften (Sachgesamtheiten7) mit beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern und/oder ausländischen Betriebsstätten auf (in) Kapitalgesellschaften (§ 20 UmwStG)8; 1 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.02. 2 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.06 u. 01.23. Krit. Brinkmann in Schneider/Ruoff/Sistermann, Umwandlungssteuer-Erlass 2011, Rz. 1.6. 3 Vgl. Schumacher in Lutter6, Einl. II Rz. 25. 4 Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil. 5 Ausf. zu den erfassten Umwandlungsvorgängen, vgl. Graw in R/H/vL3, § 1 UmwStG Rz. 137 ff. 6 § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwStG bezieht sich nicht auf § 1 Abs. 3 Nr. 5 UmwStG. Von der Anwendbarkeit des UmwStG zu trennen ist die Frage, ob der Anteilstausch bei einem in einem Drittstaat Ansässigen zu Buchwerten erfolgen kann, vgl. § 21 Abs. 2 Satz 2 ff. UmwStG, dazu Rz. 20.127 f. 7 Betrieb, Teilbetrieb, Mitunternehmeranteil. 8 Nachfolgend wird stv. für Einbringungen i.S.v. § 20 UmwStG nur die Verschmelzung von Personenauf Kapitalgesellschaften behandelt. Die Ausführungen gelten für die weiteren Einbringungsfälle – cum grano salis – entsprechend.

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.30 Kap. 20

– die Verschmelzung (Einbringung) von inländischen Personengesellschaften (Sachgesamtheiten) mit beschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern und/oder ausländischen Betriebsstätten auf (in) Personengesellschaften (§ 24 UmwStG);1 – der Formwechsel von inländischen Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften (§ 9 UmwStG) und von inländischen Personen- in Kapitalgesellschaften (§ 25 UmwStG).

II. Verschmelzung 1. Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf Personengesellschaften a) Anwendungsbereich des UmwStG Nach deutschem Umwandlungsrecht kann eine inländische Kapitalgesellschaft2 auf eine inländische Personengesellschaft3 verschmolzen4 werden (§ 2 UmwG), auch wenn an den beteiligten Gesellschaften im Ausland ansässige Gesellschafter beteiligt sind oder die übertragende Kapitalgesellschaft im Ausland belegenes Vermögen hält. Sämtliches Vermögen geht durch die Verschmelzung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Personengesellschaft über, soweit deutsches Zivilrecht maßgeblich ist. Das UmwStG ist in diesem Fall anwendbar (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwStG i.V.m. § 2 UmwG). Der Auslandsbezug besteht regelmäßig darin, dass die übertragende Kapitalgesellschaft ausländisches Betriebs(stätten)vermögen hält und/ oder an ihr im Ausland ansässige Gesellschafter beteiligt sind.5 Auf Ebene der übertragenden Kapitalgesellschaft (Rz. 20.30 ff.), der übernehmenden Personengesellschaft (Rz. 20.35 ff.) und den Anteilseignern (Rz. 20.38 ff.) ergeben sich speziell auf Grund des Auslandsbezugs folgende steuerliche Rechtswirkungen nach Maßgabe der §§ 3 ff. UmwStG:

20.29

b) Auswirkungen bei der übertragenden Kapitalgesellschaft Die übertragende Kapitalgesellschaft hat die im Zuge der Verschmelzung übergehenden Wirtschaftsgüter in ihrer steuerlichen Schlussbilanz grds. mit dem gemeinen Wert anzusetzen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 UmwStG), wodurch die in den Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven aufzudecken wären und ein Übertragungsgewinn (zur Besteuerung des Übertragungsgewinns s. Rz. 20.34) entstünde. Abweichend hiervon kann die übertragende Kapitalgesellschaft gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 UmwStG die Buchwertfortführung wählen, soweit zum steuerlichen Übertragungsstichtag

1 Nachfolgend wird stv. für Einbringungen i.S.v. § 24 UmwStG nur die Verschmelzung von Personenauf Personengesellschaften behandelt. Die Ausführungen gelten für die weiteren Einbringungsfälle – cum grano salis – entsprechend. 2 Grundsatz: Sitz im Inland (§ 1 Abs. 1 UmwStG i.V. m. § 1 Abs. 1 UmwG); vgl. Förster in FS Schaumburg, 629 (630); wegen der Erweiterung auf vergleichbare ausländische Vorgänge und in Orientierung an die EuGH-Entscheidungen Centros (EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, FR 1999, 449), Überseering (EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632, GmbHR 2002, 1137), Inspire Art (EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, GmbHR 2003, 1260) und Sevic Systems (EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, BB 2006, 11) werden aber auch nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften erfasst, vgl. Rödder in R/H/vL3, Einf. UmwStG Rz. 46 ff. 3 Grundsatz: Sitz im Inland (§ 1 Abs. 1 UmwStG i.V.m. § 1 Abs. 1 UmwG). 4 Im Folgenden wird nur die Verschmelzung von Kapital- und Personengesellschaften behandelt. 5 Beispielsfall bei Weiss, PIStB 2020, 133 ff.

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20.30

Kap. 20 Rz. 20.30 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

– die übergehenden Wirtschaftsgüter Betriebsvermögen der übernehmenden Personengesellschaft werden und sichergestellt ist, dass sie später der Besteuerung mit in- oder ausländischer1 Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterliegen (Nr. 1), und – ein bisher bestehendes2 deutsches Besteuerungsrecht3 hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgütern bei den Gesellschaftern der übernehmenden Personengesellschaft nicht beschränkt oder ausgeschlossen wird (Nr. 2) und – eine Gegenleistung nicht gewährt wird oder nur in Gesellschaftsrechten besteht (Nr. 3)4. Die Voraussetzungen des Betriebsvermögensvorbehalts5 werden regelmäßig ebenso erfüllt sein wie die Sicherstellung der Besteuerung mit Einkommen- oder Körperschaftsteuer. Im Vordergrund steht daher die gesellschafterbezogen6 zu beantwortende Frage, ob und inwieweit das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgütern durch die Verschmelzung ausgeschlossen oder beschränkt wird. Im Rahmen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG gilt Folgendes:

20.31

Geht im Zuge der Verschmelzung inländisches Betriebsstättenvermögen über, bleibt das bisherige deutsche Besteuerungsrecht regelmäßig erhalten, selbst wenn an der übernehmenden Personengesellschaft ausländische Gesellschafter beteiligt sind.7 Ist der ausländische Anteilseigner in einem Nicht-DBA-Staat ansässig, kann eine spätere Veräußerungsgewinnbesteuerung uneingeschränkt im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht erfolgen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Gleiches gilt, wenn der Anteilseigner in einem DBA-Staat ansässig ist und Deutschland nach dem einschlägigen DBA weiterhin die Gewinne aus der Veräußerung der Wirtschaftsgüter besteuern kann, bspw. weil es sich um im Inland belegenes unbewegliches Vermögen handelt (vgl. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA, dazu Rz. 19.381) oder die übernommenen Wirtschaftsgüter einer durch die Personengesellschaft vermittelten Betriebsstätte (Art. 5 OECDMA) abkommensrechtlich zuzurechnen sind (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA, sog. Betriebsstättenvorbehalt, dazu Rz. 19.385). Das deutsche Besteuerungsrecht kann aber dadurch verloren gehen, dass die übernehmende Personengesellschaft abkommensrechtlich keine Betriebsstätte 1 Die Besteuerung mit einer der deutschen Steuer vergleichbaren ausländischen Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer ist ausreichend, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.17; s. auch Möhlenbrock/Werner/Pung in D/P/M, § 3 UmwStG Rz. 86; Schmitt in S/H9, § 3 UmwStG Rz. 79; Birkemeier in R/H/vL3, § 3 UmwStG Rz. 181; Mertgen in H/M/B5, § 3 UmwStG Rz. 116; a.A. Martini in W/M, § 3 UmwStG Rz. 831. Dies kann bspw. relevant werden, wenn es sich um übergehendes ausländisches Betriebsvermögen handelt und an der übertragenden Kapitalgesellschaft ausländische Anteilseigner beteiligt sind (vgl. Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.65). 2 Soweit ein entsprechendes deutsches Besteuerungsrecht bereits vor der Verschmelzung nicht bestand, kann es auch nicht „schädlich“ durch die Verschmelzung ausgeschlossen werden, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.19. 3 Das deutsche Besteuerungsrecht bezieht sich nur auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer, hingegen nicht auf die Gewerbesteuer (vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.18). Der Wegfall einer bisher bestehenden Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG) ist ebenfalls unschädlich, vgl. stv. Lemaitre/Schönherr, GmbHR 2007, 173 (175). 4 Dieses Erfordernis wird hier mangels spezifischen Auslandsbezugs nicht weiter betrachtet. 5 Der Betriebsvermögensvorbehalt unterscheidet nicht zwischen in- und ausländischem Betriebsvermögen und stellt auch nicht darauf ab, ob ein DBA eingreift. 6 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.10 u. 03.16. 7 Vgl. Goebel/Ungemach/Stefaner/Steevensz/Thomas/Fluck, DStZ 2014, 82 (83).

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.32 Kap. 20

i.S.v. Art. 5 OECD-MA vermittelt (bspw. rein vermögensverwaltend tätige GmbH & Co. KG i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) oder die Voraussetzungen des Betriebsstättenvorbehalts nicht erfüllt sind.1 Kommt es im Anschluss an die Verschmelzung zu einem Wechsel der Zuordnung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen zu einer ausländischen Betriebsstätte, erfolgt diese regelmäßig nicht am insoweit maßgeblichen steuerlichen Übertragungsstichtag, so dass § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG der Buchwertfortführung nicht entgegensteht, es kommt aber zur anschließenden Entstrickung nach allgemeinen Grundsätzen (§ 4 Abs. 1 Satz 3, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG).2 In den Fällen, in denen im Zuge der Verschmelzung ausländisches Betriebsstättenvermögen3 der übertragenden Kapitalgesellschaft auf die übernehmende Personengesellschaft übergeht,4 tritt hinsichtlich des ausländischen Betriebsstättenvermögens im Grundsatz keine steuerliche Änderung ein, soweit unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind.5 Die in dem übergehenden ausländischen Betriebsstättenvermögen ruhenden stillen Reserven sind nämlich im Ausland bei beschränkter Steuerpflicht im Rahmen des dortigen Inlandseinkommens und im Inland bei unbeschränkter Steuerpflicht unverändert im Rahmen der Besteuerung des Welteinkommens dem Steuerzugriff ausgesetzt.6 In Abkommensfällen unterliegen dabei die in dem ausländischen Betriebsstättenvermögen ruhenden stillen Reserven im Ausland der Besteuerung und sind aufgrund des in den deutschen DBA verankerten Betriebsstättenprinzips (Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA) regelmäßig von der deutschen Steuer freigestellt (Freistellungsbetriebsstätte).7 Insoweit besteht bereits vor der Verschmelzung kein deutsches Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen, welches durch die Verschmelzung ausgeschlossen werden könnte.8 Wird abkommensrechtlich oder etwa nach Maßgabe des § 20 Abs. 2 AStG (Rz. 19.544) oder des § 50d Abs. 9 EStG (Rz. 19.525 ff.) die Doppelbesteuerung durch Anrechnung ausländischer Steuern vermieden (§ 34c Abs. 1 EStG; § 26 Abs. 1 KStG) (Anrechnungsbetriebsstätte), tritt ebenfalls keine Änderung hinsichtlich des Besteuerungs-

1 Stv. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 11. 2 S. insoweit zur Unterscheidung zwischen (umwandlungsbedingter) „rechtlicher“ und (umwandlungsnachfolgender) „tatsächlicher“ (passiver) Entstrickung Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 277; Schmitt in S/H9, § 11 UmwStG Rz. 116; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.179; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.105 u. 8.254 ff.; Hruschka, DStR-Beihefter 2/2012, 4 (6); Hruschka, StuB 2011, 540 (542 f.); Beinert/Benecke, FR 2010, 1009 (1014); Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 (1963); Pohl, IWB 2012, 177 (180); a.A. Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 182, wonach ein „unmittelbarer Zusammenhang“ mit der Umwandlung genüge, bspw. sich im Rückwirkungszeitraum die Zuordnung von Wirtschaftsgütern verändere. 3 Es spielt hierbei grds. keine Rolle, ob die zum ausländischen Betriebsstättenvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter im Inland oder im Ausland belegen sind. 4 Erkennt das ausländische Recht den Vermögensübergang des ausländischen Betriebsstättenvermögens per Gesamtrechtsnachfolge nicht an, findet § 3 UmwStG dennoch Anwendung, wenn nach dem maßgeblichen ausländischen Privatrecht eine Übertragung durch Einzelrechtsnachfolge in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang erfolgt, vgl. Schmitt in S/H9, § 3 UmwStG Rz. 93. 5 Gesellschafterbezogene Prüfung, wobei auf die Gesellschafter der übernehmenden Personengesellschaft auch dann abzustellen ist, wenn sie nicht an der übertragenden Kapitalgesellschaft beteiligt waren; Mertgen in H/M/B5, § 3 UmwStG Rz. 117. 6 Birkemeier in R/H/vL3, § 3 UmwStG Rz. 199 ff. 7 Zur Freistellungsmethode im Einzelnen Rz. 19.521 ff. 8 Später anfallende Veräußerungsgewinne sind steuerfrei; hierzu Birkemeier in R/H/vL3, § 3 UmwStG Rz. 200.

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20.32

Kap. 20 Rz. 20.32 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

rechts ein.1 Soweit beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind, ergeben sich wesentliche Änderungen, weil sowohl die laufenden Gewinne als auch die Gewinne aus der Veräußerung des ausländischen Betriebsstättenvermögen nach der Verschmelzung auf die Personengesellschaft als ausländische Betriebsstättengewinne nicht mehr der beschränkten Steuerpflicht im Inland unterliegen.2 Eine Buchwertfortführung scheidet aber nur in den Fällen aus, in denen keine DBA eingreifen, und in Abkommensfällen, soweit die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung vermieden wird.3 Für die Beurteilung des deutschen Besteuerungsrechts kommt es insoweit allein auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des (rückbezogenen4) steuerlichen Übertragungsstichtags an,5 da bereits ab diesem Zeitpunkt Veräußerungsgewinne beim übernehmenden Rechtsträger ermittelt werden.6 Der die Entstrickung auslösende Wechsel von unbeschränkter zu beschränkter Steuerpflicht wirkt insoweit auf den steuerlichen Übertragungsstichtag als Anwendungsfall der sog. rechtlichen Entstrickung zurück.7 Greifen dagegen DBA ein, auf Grund derer die Doppelbesteuerung durch Freistellung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte vermieden wird, bestand bereits bisher kein deutsche Besteuerungsrecht, so dass das Bewertungswahlrecht (§ 3 Abs. 1 UmwStG) ausgeübt werden kann.8

20.33

Rechtsfolgenseitig kann das Bewertungswahlrecht ggf. nur für einzelne Gesellschafter oder einzelne Wirtschaftsgüter erfüllt sein. Die betroffenen Wirtschaftsgüter sind dann (ggf. anteilig) in der steuerlichen Schlussbilanz zwingend mit ihren gemeinen Werten anzusetzen. Soweit die Voraussetzungen i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 UmwStG in Bezug auf andere Gesellschafter oder Wirtschaftsgüter gegeben sind, bleibt der Buchwertansatz auf Antrag möglich.9 Soweit die Buchwertfortführung gewählt werden kann, ist nach dem Gesetzeswortlaut das Wahlrecht 1 Vgl. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 12. 2 Vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663; Göbel/ Ungemach in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 427 (437); Schaumburg, GmbHR 1996, 414 (416). 3 Möhlenbrock/Werner/Pung in D/P/M, § 3 UmwStG Rz. 103; Birkemeier in R/H/vL3, § 3 UmwStG Rz. 201 f.; Martini in W/M, § 3 UmwStG Rz. 855; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 12; Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.74; Goebel/Ungemach/Stefaner/Steevensz/Thomas/Fluck, DStZ 2014, 82 (84). 4 Die steuerliche Rückwirkung i.S.v. § 2 Abs. 1 und 2 UmwStG gilt nicht, soweit dadurch Einkünfte aufgrund abweichender Regelungen zur Rückbeziehung in einem ausländischen Staat der Besteuerung entzogen werden (§ 2 Abs. 3 UmwStG), bspw. wenn der ausländische Staat die im Inland zum steuerlichen Übertragungsstichtag entstrickten Einkünfte erst ab einem späteren Zeitpunkt besteuert, vgl. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 13. 5 Stv. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.18; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 13; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.179; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.105 u. 8.254 ff.; Hruschka, DStR-Beihefter 2/2012, 4 (6); Hruschka, StuB 2011, 540 (542 f.); Beinert/Benecke, FR 2010, 1009 (1014); Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 (1963); Pohl, IWB 2012, 177 (180); Schaumburg, GmbHR 2010, 1341 (1343 f.) m.w.N.; a.A. Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 182. 6 Vgl. Schmitt in S/H9, § 3 UmwStG Rz. 88. 7 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.20 i.V.m. Beispiel in Rz. 03.19; van Lishaut in R/H/vL3, § 2 UmwStG Rz. 164, 165. 8 Der verschmelzungsbedingte Wegfall des Progressionsvorbehaltes ist keine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG; Schmitt in S/H9, § 3 UmwStG Rz. 86. 9 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.13; Maier in Schneider/Ruoff/Sistermann, Umwandlungssteuer-Erlass 2011, H. 3.35; Goebel/ Ungemach/Stefaner/Steevensz/Thomas/Fluck, DStZ 2014, 82 (84); Stimpel, GmbHR 2012, 123 (125).

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.34 Kap. 20

„einheitlich“ auszuüben (sog. Einheitlichkeitsgrundsatz), d.h. die Wirtschaftsgüter sind in der steuerlichen Schlussbilanz sämtlich mit ihren Buchwerten anzusetzen.1 Soweit bei der übertragenden Kapitalgesellschaft durch den Ansatz von Wirtschaftsgütern zum gemeinen Wert ein Übertragungsgewinn entsteht, ist dieser grds. im Inland körperschaftsteuer- und gewerbesteuerpflichtig.2 Geht im Zuge der Umwandlung im Ausland belegenes Vermögen über, ist zu unterscheiden: Greift kein DBA, kann die ausländische Steuer grds. auf eine auf den Übertragungsgewinn anfallende deutsche Körperschaftsteuer3 angerechnet werden (§ 26 KStG). In Abkommensfällen stellt sich ggf. zunächst die Frage, ob der Übertragungsgewinn abkommensrechtlich den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA)4, den Veräußerungsgewinnen (Art. 13 Abs. 2 oder Abs. 5 OECD-MA)5 oder den sonstigen Einkünften (Art. 21 OECD-MA) unterfällt, da hiervon abhängen kann, ob nach dem DBA die Anrechnungs- oder Freistellungsmethode anzuwenden ist.6 Sieht das DBA zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen (ausnahmsweise) generell7 oder speziell8 die Anrechnungsmethode vor, kommt eine Besteuerung in Deutschland zum Tragen, jedoch unter Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern (§ 34c Abs. 1 EStG, § 26 KStG). Schließt das DBA eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer nicht ausdrücklich aus, muss Deutschland auch eine Anrechnung der ausländischen Steuern auf die Gewerbesteuer zulassen (Rz. 19.554). Regelmäßig gehen zwar die deutschen DBA nicht nur für unbewegliches Auslandsvermögen9, sondern auch für ausländische Betriebsstättengewinne von der Freistellungsmethode aus (Rz. 19.521). Insbesondere die jüngere deutsche Abkommenspolitik schränkt jedoch die grds. Steuerfreistellung ausländischer Betriebsstättengewinne im Wege abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalte (Rz. 19.515 ff.)10 oder Subject-to-Tax-Klauseln (Rz. 19.522)11 ein.12 Enthält das einschlägige DBA eine Aktivitätsklausel, so ist Deutschland berechtigt, auf den Übertragungsgewinn anstatt der Freistel-

1 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.28; Goebel/Ungemach/Stefaner/Steevensz/Thomas/Fluck, DStZ 2014, 82 (84). 2 Gewerbesteuerrechtlich ist jedoch eine Kürzung um den nicht auf eine inländische Betriebsstätte entfallenden Gewerbeertrag vorzunehmen (§ 9 Nr. 3 GewStG). 3 Mangels Anrechnungsvorschriften aber nicht auf die Gewerbesteuer. 4 Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (122); Viebrock/Hagemann, FR 2009, 737 (738); Klingberg/van Lishaut, FR 1999, 1222. 5 Vgl. Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 17; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 7; Lieber in S/D2, Art. 13 OECD-MA Rz. 37; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBA-Schweiz Rz. 76; Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20. 6 Die Beurteilung kann im Einzelfall für die Anwendbarkeit einer sog. Aktivitätsklausel oder einer Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern von Bedeutung sein, vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20 mit Fn. 1. 7 Bspw. Art. 22 Abs. 1 DBA-Zypern. 8 Im Regelfall wird die Anrechnungsmethode nur für bestimmte Einkünfte vereinbart, vgl. Rz. 19.552. 9 Insoweit kann regelmäßig offenbleiben, ob die Umwandlung abkommensrechtlich eine Veräußerung darstellt, da die Rechtsfolgen von Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA i.V.m. Art. 23 Abs. 1 OECD-MA aus Sicht des Ansässigkeitsstaat grds. übereinstimmen. 10 Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 87 ff. 11 Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73 ff. 12 Zu deren Anwendung im Bereich von Umwandlungen ausf. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59 ff.

Häck | 1001

20.34

Kap. 20 Rz. 20.34 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

lungsmethode die Anrechnungsmethode anzuwenden,1 wenn in der ausländischen Betriebsstätte vor der Einbringung keine „aktive“ Tätigkeit im Sinne der Aktivitätsklausel ausgeübt wurde.2 Jenseits dessen stellt sich die Frage, ob bei Steuerfreiheit der Umwandlung im ausländischen Staat die abkommensrechtliche Freistellung des Übertragungsgewinns mangels „tatsächlicher Besteuerung“ im anderen Vertragsstaat durch eine Subject-to-Tax-Klausel suspendiert werden kann.3 Bezieht man zutreffend die (voraussichtliche) spätere Besteuerung der stillen Reserven im ausländischen Staat im Fall der tatsächlichen Veräußerung in die Betrachtung mit ein,4 finden die abkommensrechtlichen Subject-to-Tax-Klauseln auch bei Umwandlungen zu Buchwerten keine Anwendung.5 Dies dürfte auch den Erwägungen in dem zur Anwendung von Subject-to-Tax-Klauseln veröffentlichten BMF-Schreiben v. 20.6.20136 entsprechen.7 Hingegen hat der BFH zu den (wenigen) sog. Quellenregeln8 im Zusammenhang mit einem Formwechsel unter Buchwertfortführung den Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland bejaht.9 Ungeachtet der abkommensrechtlichen Regelungen können im Einzelfall auch die innerstaatlichen Vorbehaltsklauseln (§ 50d Abs. 9 EStG, s. Rz. 19.525 ff.; § 20 Abs. 2 AStG, s. Rz. 19.544) zum Tragen kommen. Die Sondervorschrift des § 3 Abs. 3 UmwStG (fiktive Anrechnung ausländischer Steuern in EU-Fällen10) kommt bei reinen Inlandsverschmelzungen an sich nicht in Betracht, da durch den Bezug auf Art. 10 FRL eine grenzüberschreitende Verschmelzung vorausgesetzt wird.11 Sinn und Zweck der Norm sprechen aber für eine Erstreckung auch auf reine Inlandsumwandlungen.12

1 Mit der Folge der uneingeschränkten Besteuerung, da der ausländische Staat die Umwandlung zum Buchwert zulässt. 2 Vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/ Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.126. 3 Hierzu Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.132 ff.; Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 ff. 4 Vgl. Schönfeld, IStR 2013, 757 (759); Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Schönfeld/Häck, ISR 2013, 168 (174); Mouldi/Loose, IStR 2012, 829 (833 f.). 5 A.A. Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 (166 ff.) unter Hinweis auf die unterschiedlichen Steuerpflichtigen und eine fehlende Doppelbesteuerung im abkommensrechtlichen Sinne. 6 BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980. 7 Insoweit lassen sich Buchwerteinbringungen als (unschädliche) „temporäre“ oder „permanente Differenz“ einstufen, vgl. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Rz. 2.3; Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Lüdicke, IStR 2013, 721 (728). 8 Diese sehen vor, dass Einkünfte (nur dann) aus dem anderen Vertragsstaat „stammen“, wenn sie dort (effektiv) besteuert wurden, hierzu ausf. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 75. 9 BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953 zu Prot. Nr. 16 Buchst. d zum DBA-Italien. 10 § 3 Abs. 3 UmwStG greift nur, wenn überhaupt ein Übertragungsgewinn entsteht und eine Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung (nicht Steuerfreistellung) vermieden worden wäre (bspw. Protokoll Nr. 8 zu Art. 24 DBA-Portugal), vgl. Birkemeier in R/H/vL3, § 3 UmwStG Rz. 302. 11 Vgl. stv. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 12; Martini in W/M, § 3 UmwStG Rz. 946; Mutscher, IStR 2010, 820 (823 f.). 12 Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.99.

1002 | Häck

B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.37 Kap. 20

c) Auswirkungen bei der übernehmenden Personengesellschaft und ihren Gesellschaftern Die übernehmende Personengesellschaft hat zum steuerlichen Übertragungsstichtag die auf sie übergegangenen Wirtschaftsgüter und sonstige Bilanzansätze1 grds. mit den in der steuerlichen Schlussbilanz i.S.v. § 3 UmwStG der übertragenden Körperschaft enthaltenen Werten in ihre steuerliche Gesamthandsbilanz zu übernehmen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 UmwStG, sog. Wertverknüpfung2). Die übernehmende Personengesellschaft tritt grds. in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Gesellschaft ein (§ 4 Abs. 2 Satz 1, Satz 3, Abs. 3 UmwStG), verrechenbare Verluste und verbleibende Verlustvorträge etc. gehen jedoch unter (§ 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG).

20.35

In Fällen, in denen im Hinblick auf die Beteiligung ausländischer Anteilseigner in der Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft wegen der Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts trotz der Buchwertfortführung stille Reserven jedenfalls teilweise aufzudecken sind, will die Finanzverwaltung den Aufstockungsbetrag durch Bildung von negativen Ergänzungsbilanzen (für die inländischen Gesellschafter) bzw. positiven Ergänzungsbilanzen (für die ausländischen Gesellschafter) „verursachungsgerecht“ und in der Konsequenz einer gesellschafterbezogenen Betrachtungsweise den ausländischen Gesellschaftern zuordnen.3 Der Gesetzeswortlaut gibt für die Bildung von Ergänzungsbilanzen jedoch nichts her,4 so dass eine anteilige Zuordnung zu den Gesellschaftern zu erfolgen hat.5 In der Konsequenz der Verwaltungsauffassung müssten jedenfalls die aufgedeckten stillen Reserven auch bei der Ermittlung des Übernahmeergebnisses6 und im Rahmen der Besteuerung der (durch die aufgedeckten stillen Reserven erhöhten) offenen Gewinnrücklagen nach § 7 UmwStG dem ausländischen Anteilseigner zugerechnet werden.7

20.36

War die Personengesellschaft an der übertragenden Kapitalgesellschaft beteiligt, hat sie den Buchwert der Beteiligung um etwaige steuerwirksame Abschreibungen u.a. zu korrigieren (§ 4 Abs. 1 Satz 2 UmwStG; Höchstgrenze: Gemeiner Wert). Ein hieraus resultierender sog. Beteiligungskorrekturgewinn ist voll steuerpflichtig (§ 4 Abs. 1 Satz 3 UmwStG i.V.m. § 8b Abs. 2 Sätze 3 und 4 KStG bzw. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a Sätze 2 und 3 EStG). Gleiches gilt gem. § 5 Abs. 3 UmwStG für Anteile, an denen zwar nicht die übernehmende Personengesellschaft

20.37

1 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 04.01. 2 Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz gilt hier nicht; vgl. Bohnhardt in H/M/B5, § 4 UmwStG Rz. 52. 3 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 04.24 mit Beispiel; zust. Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.94. 4 Vgl. Schmitt in S/H9, § 4 UmwStG Rz. 24; van Lishaut in R/H/vL3, § 4 UmwStG Rz. 127; Pung/ Werner in D/P/M, § 4 UmwStG Rz. 13a; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 17; Kutt/Carstens in FGS/BDI, Der Umwandlungssteuer-Erlass 2011, 177, 178; Schell, IStR 2011, 704, (707 f.); Blaas/Sommer in Schneider/Ruoff/Sistermann, Umwandlungssteuer-Erlass 2011, Rz. H 4.66; Mayer, PISTB 2009, 336 (345 f.). 5 Vgl. Pung/Werner in D/P/M, § 4 UmwStG Rz. 13a; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 17. 6 Vgl. Pung/Werner in D/P/M, § 4 UmwStG Rz. 78; Klingberg/Nitzschke, Ubg 2011, 451 (459). 7 Van Lishaut in R/H/vL3, § 4 UmwStG Rz. 127; Schell, IStR 2011, 704 (707 f.); Sistermann in Lüdicke, Praxis und Zukunft des des deutschen Internationalen Steuerrechts, 2012, 161 (173); Klingberg/ Nitzschke, Ubg 2011, 451 (459); a.A. Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.91.

Häck | 1003

Kap. 20 Rz. 20.37 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

beteiligt ist, die sich aber in einem steuerlichen Betriebsvermögen des Anteilseigners befunden haben. Durch die Gesamtrechtsnachfolge erlöschen die zwischen der übertragenden Kapitalgesellschaft und der übernehmenden Personengesellschaft etwaig bestehenden Forderungen und Verbindlichkeiten durch Konfusion. Ein hierdurch entstehender Übernahmefolgegewinn oder -verlust (§ 6 UmwStG) ist abkommensrechtlich nicht als Veräußerung (Art. 13 OECDMA), sondern als (laufender) Unternehmensgewinn (Art. 7 OECD-MA) zu qualifizieren.1

20.38

Für den Anteilseigner hat die Verschmelzung folgende Konsequenzen: Aus Sicht des deutschen Ertragsteuerrechts entfällt durch die Verschmelzung einer inländischen Kapitalgesellschaft auf eine inländische Personengesellschaft eine Besteuerungsebene. Hierdurch ginge die Möglichkeit der Besteuerung der offenen Gewinnrücklagen der übertragenden Kapitalgesellschaft bei Ausschüttung verloren. Zudem sind die stillen Reserven in den Anteilen an der Kapitalgesellschaft mit denen in den übergehenden Wirtschaftsgütern zusammenzufassen. Nach der Konzeption des UmwStG i.d.F. des SEStEG wird hierzu für den Anteilseigner ein Übernahmeergebnis ermittelt, welches de facto in einen „Dividendenteil“ (steuerbilanzielle Gewinnrücklagen) und einen „Veräußerungsteil“ aufgeteilt ist.2 Der Dividendenteil wird durch die offenen Gewinnrücklagen der übertragenden Kapitalgesellschaft abgebildet (§ 7 UmwStG, s. Rz. 20.39). Hiernach werden den Anteilseignern die offenen Rücklagen der Gesellschaft als Einnahmen aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zugerechnet.3 Der Veräußerungsteil ergibt sich aus dem verbleibenden Teil des Übernahmeergebnisses der zweiten Stufe (Rz. 20.41). Er umfasst im Wesentlichen das Nennkapital, die Kapitalrücklagen und in dem hier interessierenden Zusammenhang die außerbilanziellen Hinzurechnungen gem. § 4 Abs. 4 Satz 2 UmwStG. Die Besteuerung des Veräußerungsteils richtet sich nach § 4 Abs. 7 UmwStG, wonach dieser Teil des Übernahmeergebnisses als Veräußerungsgewinn qualifiziert wird, so dass entweder § 8b Abs. 2 KStG für juristische Personen oder aber § 3 Nr. 40 Buchst. a EStG für natürliche Personen eingreift.

20.39

Die verschmelzungsbedingte Besteuerung der offenen Rücklagen gemäß § 7 UmwStG4 als „fiktive Totalausschüttung“ auf Gesellschafterebene dient auch dem Ziel, die Quellensteuerberechtigung gegenüber beschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern in den Fällen aufrechtzuerhalten, in denen DBA eingreifen. In Abkommensfällen liegt nämlich die Steuerberechtigung für ein Übernahmeergebnis im Grundsatz nur beim Ansässigkeitsstaat (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA), während für Dividenden dem Quellenstaat jedenfalls eine Quellensteuerberechtigung zukommt (Art. 10 OECD-MA). Im Hinblick auf die Sicherung des Quellensteuerrechts erfasst daher § 7 UmwStG nicht nur Anteilseigner, für die ein Übernahmeergebnis zu ermit-

1 Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.31; Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (120). 2 Vgl. Rödder/Schumacher, DStR 2007, 369 (372). 3 Allerdings gehen nach Auffassung des BFH (auch) bei Anteilseigner, die ihre Anteile i.S.v. § 17 EStG im Privatvermögen halten, die Einkünfte i.S.v. § 7 UmwStG wegen der Einlagenfiktion des § 5 Abs. 2 UmwStG in den Gewinn der (übernehmenden) Gesamthand ein, zählen also zu den betrieblichen Einkünften der Personengesellschaft (BFH v. 11.4.2019 – IV R 1/17, BStBl. II 2019; dazu Dremel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG22, Rz. 11.93). 4 Als „offene Rücklagen“ i.S.v. § 7 UmwStG ist dem Anteilseigner der Teil des in der Steuerbilanz ausgewiesenen Eigenkapitals abzügl. des Bestands des steuerlichen Einlagekontos i.S.v. § 27 KStG, der sich nach Anwendung der (fiktiven) Nennkapitalherabsetzung des § 29 Abs. 1 KStG ergibt, in dem Verhältnis der Anteile zum Nennkapital der übertragenden Kapitalgesellschaft als Kapitalerträge i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zuzurechnen.

1004 | Häck

B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.40 Kap. 20

teln ist, sondern auch Anteilseigner, die ihre nicht unter § 17 EStG fallenden Anteile im Privatvermögen halten.1 Die Besteuerung der Bezüge i.S.v. § 7 UmwStG betrifft sowohl unbeschränkt als auch beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner.2 Voraussetzung für eine inländische Besteuerung des ausländischen Anteilseigners mit den über § 7 UmwStG fingierten Kapitalerträgen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist zunächst, dass diese tatbestandlich unter den Einkünftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG fallen. Bei ausländischen Anteilseignern, für die kein Übernahmeergebnis zu ermitteln ist3, soll sich eine beschränkte Steuerpflicht aus § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG ergeben,4 obwohl die übertragende Kapitalgesellschaft mangels Leistungsverpflichtung richtigerweise nicht als „Schuldner“ der Kapitalerträge qualifiziert.5 Bei ausländischen Anteilseignern, für die ein Übernahmeergebnis zu ermitteln ist (Rz. 20.41), werden die Bezüge gem. § 7 UmwStG von der Reichweite des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erfasst, mithin auch in Fällen der Einlagenfiktion nach § 5 Abs. 2 UmwStG oder der Überführungsfiktion i.S.v. § 5 Abs. 3 UmwStG (sog. weites Verständnis der Einlagenfiktion).6 Die Bezüge i.S.d. § 7 UmwStG unterliegen der Kapitalertragsteuerpflicht (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG):7 In den Fällen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG hat der Kapitalertragsteuerabzug grds. abgeltende Wirkung (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG). In den Fällen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG hat der Kapitalertragsteuerabzug keinen abgeltenden Charakter (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG).8 Die Kapitalerträge unterliegen bei natürlichen Personen als Anteilseigner dem Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d, § 3 Nr. 40 Satz 2 i.V.m. § 20 Abs. 8 EStG), für Körperschaften findet § 8b Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5 KStG Anwendung,9 was gegenüber der Besteuerung bei einer offe-

1 Pung/Werner in D/P/M, § 7 UmwStG Rz. 3, 29; Rödder/Schumacher, DStR 2007, 369 (372). 2 Pung/Werner in D/P/M, § 7 UmwStG Rz. 6; Birkemeier in R/H/vL3, § 7 UmwStG Rz. 21; Börst in H/M/B5, § 7 UmwStG Rz. 31. 3 Kein Übernahmeergebnis ist für Anteilseigner zu ermitteln, deren Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft am steuerlichen Übertragungsstichtag zum steuerlichen Privatvermögen gehören und nicht unter § 17 EStG fallen oder als alt-einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 UmwStG 1995 qualifizieren. Unberührt davon bleibt für diese Anteilseigner die Besteuerung der anteiligen offenen Rücklagen gem. § 7 UmwStG (vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 04.25). 4 Widmann in W/M, § 7 UmwStG Rz. 110; Birkemeier in R/H/vL3, § 7 UmwStG Rz. 21; Schnitter in F/M, § 7 UmwStG Rz. 29, 32; iErg. auch Pung/Werner in D/P/M, § 7 UmwStG Rz. 20. 5 Zutr. Börst in H/M/B5, § 7 UmwStG Rz. 31; vgl. auch Pung/Werner in D/P/M, § 7 UmwStG Rz. 20; a.A. Köhler/Käshammer, GmbHR 2012, 301 (306). 6 Schmitt in S/H9, § 7 UmwStG Rz. 17; Pung/Werner in D/P/M, § 4 UmwStG Rz. 5, Schnitter in F/M, § 7 UmwStG Rz. 29; a.A. Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1525 (1531); Förster/Felchner, DB 2006, 1072 (1079); Damas, DStZ 2007, 129 (132); Bodden, FR 2007, 66 (73), die in den Fällen des § 17 EStG davon ausgehen, dass die Bezüge i.S.d. § 7 UmwStG stets nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG steuerpflichtig sind; a.A. ebenfalls Widmann in FS Wassermeyer, 579 (582), der eine Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG bejaht. 7 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 07.08; Birkemeier in R/H/vL3, § 7 UmwStG Rz. 55; Börst in H/M/B5, § 7 UmwStG Rz. 66; zu Zweifeln wegen fehlender aber gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 EStG unterstellter Gläubigereigenschaft Pung/Werner in D/P/M, § 7 UmwStG Rz. 18. 8 Pung/Werner in D/P/M, § 7 UmwStG Rz. 24; Schmitt in S/H9, § 7 UmwStG Rz. 17; Köhler/Käshammer, GmbHR 2012, 301 (306); Schell, IStR 2011, 704 (707). 9 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 07.07.

Häck | 1005

20.40

Kap. 20 Rz. 20.40 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

nen Gewinnausschüttung1 vorteilhaft sein kann.2 Im Rahmen der Veranlagung ist neben der Anrechnung der Kapitalertragsteuer (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG; § 31 Abs. 1 KStG) auch die Verrechnung eines nach § 4 Abs. 6 UmwStG abziehbaren Übernahmeverlustes mit den Bezügen i.S.d. § 7 UmwStG möglich (§ 4 Abs. 5 Satz 2 UmwStG).3 Auf Abkommensebene sind die Bezüge gem. § 7 UmwStG als Dividenden i.S.v. Art. 10 OECD-MA zu qualifizieren,4 so dass sich ausländische Anteilseigner auf die abkommensrechtlich vorgesehenen Quellensteuerreduktionen berufen können.5 Hingegen scheidet eine Quellensteuerreduktion auf Basis der MTR nach dem Wortlaut des § 43b Abs. 1 Satz 4 EStG aus.6 Im Einzelfall ist zu entscheiden, ob offene Rücklagen bei der übertragenden Kapitalgesellschaft – bspw. zur Vermeidung gewerbesteuerrechtlicher Nachteile7 – vor der Verschmelzung tatsächlich ausgeschüttet werden sollten.

20.41

Auf Ebene der übernehmenden Personengesellschaft ist ein Übernahmeergebnis (Übernahmegewinn oder -verlust) zu ermitteln und gesondert und einheitlich (§§ 180 ff. AO) festzustellen, wenn die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft am steuerlichen Übertragungsstichtag zum (Sonder-)Betriebsvermögen der übernehmenden Personengesellschaft gehören oder aufgrund der Einlage- bzw. Überführungsfiktionen i.S.v. § 5 Abs. 2 UmwStG (Anteile i.S.v. § 17 EStG), § 5 Abs. 3 UmwStG (Anteile in einem [anderen] Betriebsvermögen des Anteilseigners) bzw. § 5 Abs. 4 UmwStG a.F. (alt-einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 Abs. 1 UmwStG a.F.) als dem Betriebsvermögen der übernehmenden Personengesellschaft zugehörig gelten.8 Die Einlage- bzw. Überführungsfiktionen sind grds. unabhängig davon anwendbar, ob eine Veräußerung dieser Anteile bei dem Anteilseigner i.R.d. unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht zu erfassen bzw. ob ein deutsches Besteuerungsrecht aufgrund eines DBA ausgeschlossen ist.9 Insoweit ist auch für diese Sachverhalte ein Übernahmeergebnis i.S.v. § 4

1 Bei einer offenen, grenzüberschreitenden Gewinnausschüttung fände § 8b KStG keine Anwendung, vielmehr stünde eine etwaige (partielle) Steuerfreiheit unter dem Vorbehalt des § 50d Abs. 3 EStG, vgl. auch Schönfeld, IStR 2011, 497 (503). 2 Dies deshalb, weil § 50d Abs. 3 EStG auch in seiner Neufassung bei Anwendung der Einlagefiktion (§ 5 Abs. 3 UmwStG) letztlich keine Beschränkungswirkung entfalten kann, vgl. mit Beispiel Schönfeld/Erdem in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 146. 3 Pung/Werner in D/P/M, § 4 UmwStG Rz. 5e; Förster in FS Schaumburg, 629 (638); Förster/Felchner, DB 2006, 1072 (1079); Damas, DStZ 2007, 129 (132). 4 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 07.02; Köhler/Käshammer, GmbHR 2012, 301 (306); Förster/Felchner, DB 2006, 1072 (1079); Benecke/Schnitger, IStR 2006, 765 (773). 5 Pung/Werner in D/P/M, § 7 UmwStG Rz. 18. 6 Im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH in der Rs. Punch Graphix (EuGH v. 18.10.2012 – C371/11, ECLI:EU:C:2012:647, IStR 2012, 886) dürfte § 43b Abs. 1 Satz 4 EStG in Umwandlungsfällen aber gegen die MTR verstoßen, vgl. Benecke/Staats, ISR 2013, 15 ff. 7 Vgl. etwa Köhler/Käshammer, GmbHR 2012, 301 (308). 8 Kein Übernahmeergebnis ist für Anteilseigner zu ermitteln, deren Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft am steuerlichen Übertragungsstichtag zum steuerlichen Privatvermögen gehören und nicht unter § 17 EStG fallen oder als alt-einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 UmwStG 1995 qualifizieren. Unberührt davon bleibt für diese Anteilseigner die Besteuerung der anteiligen offenen Rücklagen gem. § 7 UmwStG (vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 04.25). 9 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 05.07 u. 05.09; Pung in D/P/M, § 5 UmwStG Rz. 26 u. 40; Benecke/Schnitger, IStR 2006, 765 (772); Bodden, FR 2007, 66 (73).

1006 | Häck

B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.43 Kap. 20

Abs. 4 UmwStG zu ermitteln1, selbst wenn das Übernahmeergebnis ggf. nicht in Deutschland steuerpflichtig ist. Der Übernahmegewinn bzw. Übernahmeverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Wert der übergegangenen Wirtschaftsgüter und dem Wert (ggf. nach Korrektur i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwStG bzw. § 5 Abs. 3 Satz 1 UmwStG) der (untergehenden) Anteile an der übertragenden Körperschaft abzgl. der Umwandlungskosten (§ 4 Abs. 4 Satz 1 UmwStG, Übernahmeergebnis 1. Stufe). Wurde für die übergegangenen Wirtschaftsgüter (notwendig einheitlich) die Buchwertfortführung gewählt, erfolgt für Zwecke der Ermittlung des Übernahmeergebnisses2 hiervon abweichend insoweit ein Ansatz mit dem gemeinen Wert, als bisher kein deutsches Besteuerungsrecht für die Gewinne aus der Veräußerung der Wirtschaftsgüter bestand (§ 4 Abs. 4 Satz 2 UmwStG, sog. Zuschlag für neutrales Vermögen3). Angesprochen sind damit v.a. ausländische Grundstücke und Wirtschaftsgüter, die einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind, für deren Veräußerungsgewinne abkommensrechtlich die Freistellungsmethode eingreift.4 Durch den Ansatz mit dem gemeinen Wert erhöht sich der Übernahmegewinn bzw. mindert sich der Übernahmeverlust. Hierdurch wird bewirkt, dass die betreffenden stillen Reserven für Zwecke der deutschen Besteuerung sichergestellt werden. Ohne diese Höherbewertung auf der Stufe der übernehmenden Personengesellschaft würde, da von der Zweiebenen- zur Einebenenbesteuerung gewechselt wird, der steuerliche Zugriff auf die stillen Reserven entfallen, die bei einer Veräußerung der Anteile an der einbringenden Kapitalgesellschaft (also vor der Verschmelzung) auf Gesellschafterebene steuerlich erfasst werden.5

20.42

Das Übernahmeergebnis der ersten Stufe (Rz. 20.42) ist um die Bezüge gem. § 7 UmwStG (Rz. 20.39 f.) zu kürzen (§ 4 Abs. 5 Satz 2 UmwStG, Übernahmeergebnis 2. Stufe6), woraus sich die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung auf der Gesellschafterebene ergibt. Durch die Kürzung des Übernahmeergebnisses um die Bezüge gem. § 7 UmwStG entsteht in praxi häufig ein Übernahmeverlust, der den besonderen Beschränkungen des § 4 Abs. 6 UmwStG unterliegt. Verbleibt – bspw. wegen der Aufstockung für Auslandsvermögen (§ 4 Abs. 4 Satz 2 UmwStG) – dennoch ein Übernahmegewinn, gelten gem. § 4 Abs. 7 UmwStG die für Veräußerungsgewinne allgemein geltenden Besteuerungsgrundsätze.7 Abkommensrechtlich unterfällt

20.43

1 Vgl. Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.78. 2 Unberührt bleibt die Möglichkeit der übertragenden Gesellschaft, diese Wirtschaftsgüter gem. § 3 UmwStG in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem Buchwert oder einem Zwischenwert anzusetzen. 3 Vgl. Regierungsbegründung des SEStEG v. 12.7.2006, BT-Drucks. 16/2710, 38. 4 Art. 13 Abs. 1 und 2 OECD-MA; zu Einzelheiten van Lishaut in R/H/vL3, § 4 UmwStG Rz. 143; Bohnhardt in H/M/B5, § 4 UmwStG Rz. 241; Schmitt in S/H9, § 4 UmwStG Rz. 111 ff. 5 Zur Schließung dieser in der Vergangenheit bestehenden Besteuerungslücke van Lishaut in R/H/vL3, § 4 UmwStG Rz. 144, 145; Schell, IStR 2011, 704 (705); zu europarechtlichen Zweifeln wegen der mit der Höherbewertung verbundenen Sofortbesteuerung der stillen Reserven vgl. Förster/Felchner, DB 2006, 1072 (1077 f.); Werra/Teiche, DB 2006, 1455 (1459); Dötsch/Pung, DB 2006, 2704 (2711). 6 Zu Einzelheiten Bohnhardt in H/M/B5, § 4 UmwStG Rz. 256. 7 Damit ist der Übernahmegewinn bei Kapitalgesellschaften grds. gem. § 8b Abs. 2 KStG unter Berücksichtigung des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG im Ergebnis i.H.v. 95 % steuerfrei (§ 4 Abs. 7 Satz 1 UmwStG). Für natürliche Personen als Mitunternehmer der übernehmenden Personengesellschaft unterliegt der Übernahmegewinn dem Regelungsbereich des § 3 Nr. 40 EStG und des § 3c Abs. 2 EStG, so dass im Ergebnis der Übernahmegewinn i.H.v. 40 % steuerfrei gestellt ist.

Häck | 1007

Kap. 20 Rz. 20.43 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

das Übernahmeergebnis den Veräußerungsgewinnen (Art. 13 OECD-MA).1 Spezifisch auslandsbezogene Steuerwirkungen können sich in folgenden Fällen ergeben:

20.44

Für unbeschränkt steuerpflichtige Anteilseigner ergeben sich auslandsbezogene Besonderheiten nur dann, wenn die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft funktional einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind, so dass abkommensrechtlich wegen Art. 13 Abs. 2 OECD-MA die Gewinne aus der Veräußerung in Deutschland freigestellt sind.2

20.45

Für beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner gelten die folgenden Besteuerungsgrundsätze: Der Veräußerungsteil des Übernahmeergebnisses unterliegt als inländische Einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG3 auch insoweit der beschränkten Steuerpflicht im Inland, als die zu einem Betriebsvermögen gehörenden Anteile und Anteile i.S.d. § 17 EStG als in das Betriebsvermögen der übernehmenden Personengesellschaft eingelegt gelten (§ 5 Abs. 2 und 3 UmwStG).4 Im Nicht-DBA-Fall kann der Übernahmegewinn in Deutschland uneingeschränkt besteuert werden. Im DBA-Fall ist regelmäßig vorausgesetzt, dass die Anteile funktional einem inländischen Betriebsstättenvermögen, also hier insbesondere der übernehmenden Personengesellschaft, zuzuordnen sind (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA). Dass die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft gem. § 5 Abs. 2 bzw. Abs. 3 UmwStG in die übernehmende Personengesellschaft als eingelegt bzw. überführt gelten, spielt abkommensrechtlich keine Rolle, die vorgenannten Fiktionen bleiben auf Abkommensebene ohne Wirkung.5 Sind die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft einem inländischen Betriebsstättenvermögen des Anteilseigners nicht funktional zuzuordnen, steht das Besteuerungsrecht in aller Regel dem ausländischen Ansässigkeitsstaat zu (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA).6 Auf die funktionale Zurechnung kommt es aber dann nicht an, wenn nach dem einschlägigen DBA das Besteuerungsrecht nicht (nur) dem Ansässigkeitsstaat des Anteilseigners, sondern (auch) dem Sitzstaat der Kapitalgesellschaft zugewiesen wird7 oder im Einzelfall eine Immobiliengesellschaftsklausel zum Tragen kommt (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA).

2. Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf Kapitalgesellschaften a) Anwendungsbereich des UmwStG

20.46

Nach deutschem Umwandlungsrecht kann eine inländische Kapitalgesellschaft8 auf eine andere inländische Kapitalgesellschaft verschmolzen werden (§ 2 UmwG), auch wenn an den betei1 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 136. 2 Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 19. 3 Erzielt der übernehmender Rechtsträger Einkünfte aus Land-und Forstwirtschaft oder aus selbständiger Arbeit, kann sich die beschränkte Steuerpflicht aus § 49 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 EStG ergeben. 4 Pung in D/P/M, § 5 UmwStG Rz. 33; Schmitt in S/H9, § 4 UmwStG Rz. 127; Schaumburg, GmbHR 1996, 414 (418); Lemaitre/Schönherr, GmbHR 2007, 173 (181). 5 Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 19 f.; Köhler/Käshammer, GmbHR 2012, 301 (307); Schell, IStR 2011, 704 (705); Schaumburg, GmbHR 1996, 414 (418). 6 In diesem Fall wird das Übernahmeergebnis entsprechend nicht in die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung der aufnehmenden Personengesellschaft einbezogen, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 05.07 u. Rz. 04.23. 7 Wenn z.B. eine Sitzstaatsklausel (bspw. Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechien) greift. 8 Grundsatz: Sitz im Inland (§ 1 Abs. 1 UmwStG i.V. mit § 1 Abs. 1 UmwG); vgl. Förster in FS Schaumburg, 629 (630); wegen der Erweiterung auf vergleichbare ausländische Vorgänge und in Orientierung an den EuGH-Entscheidungen Centros (EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C: 1999:126, FR 1999, 449), Überseering (EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632, GmbHR 2002, 1137), Inspire Art (EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, GmbHR

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.47 Kap. 20

ligten Gesellschaften im Ausland ansässige Gesellschafter beteiligt sind oder die übertragende Kapitalgesellschaft im Ausland belegenes Vermögen hält. Sämtliches Vermögen geht durch die Verschmelzung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Kapitalgesellschaft über, soweit deutsches Zivilrecht maßgeblich ist. Das UmwStG ist anwendbar (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwStG i.V.m. § 2 UmwG). Der Auslandsbezug besteht regelmäßig darin, dass die übertragende Kapitalgesellschaft ausländisches Betriebs(stätten)vermögen hält und/oder an ihr im Ausland ansässige Gesellschafter beteiligt sind. Auf Ebene der übertragenden Kapitalgesellschaft (Rz. 20.47 ff.), der übernehmenden Kapitalgesellschaft (Rz. 20.51) und der Anteilseigner (Rz. 20.52 ff.) ergeben sich speziell auf Grund des Auslandsbezugs folgende steuerliche Rechtswirkungen nach Maßgabe der §§ 11 ff. UmwStG: b) Auswirkungen bei der übertragenden Kapitalgesellschaft Die übertragende Kapitalgesellschaft hat die im Zuge der Verschmelzung übergehenden Wirtschaftsgüter in ihrer steuerlichen Schlussbilanz1 grds. mit dem gemeinen Wert anzusetzen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 UmwStG), wodurch die in den Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven aufzudecken wären und ein Übertragungsgewinn (zur Besteuerung des Übertragungsgewinns s. Rz. 20.34) entstünde. Abweichend hiervon kann die übertragende Kapitalgesellschaft gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG die Buchwertfortführung wählen, soweit zum steuerlichen Übertragungsstichtag2 – sichergestellt ist, dass die übergehenden Wirtschaftsgüter später der Besteuerung mit inoder ausländischer3 Körperschaftsteuer unterliegen (Nr. 1), und – ein bisher bestehendes4 deutsches Besteuerungsrecht5 hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft nicht beschränkt oder ausgeschlossen wird (Nr. 2) und – eine Gegenleistung nicht gewährt wird oder nur in Gesellschaftsrechten besteht (Nr. 3).6

1 2 3

4

5 6

2003, 1260) und Sevic Systems (EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, BB 2006, 11) werden aber auch nach ausländischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften erfasst; vgl. Rödder in R/H/vL3, Einf. UmwStG Rz. 46 ff. Zum Erfordernis, auch (sämtliche) ausländischen Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schussbilanz zu erfassen krit. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.91 ff. Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.05. Die Besteuerung mit einer der deutschen Steuer vergleichbaren ausländischen Körperschaftsteuer ist ausreichend, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.07, 03.17. Dies kann bspw. relevant werden, wenn es sich um übergehendes ausländisches Betriebsvermögen handelt und an der übertragenden Kapitalgesellschaft ausländische Anteilseigner beteiligt sind (vgl. Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.65). Soweit ein entsprechendes deutsches Besteuerungsrecht bereits vor der Verschmelzung nicht bestand, kann es auch nicht „schädlich“ durch die Verschmelzung ausgeschlossen werden, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.09, 03.19; Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 265, 266. Das deutsche Besteuerungsrecht bezieht sich nur auf die Körperschaftsteuer, hingegen nicht auf die Gewerbesteuer (vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.09, 03.18). Dieses Erfordernis wird hier mangels spezifischen Auslandsbezugs nicht weiter betrachtet.

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20.47

Kap. 20 Rz. 20.48 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

20.48

Bei Inlandsverschmelzungen von Kapitalgesellschaften ist eine verschmelzungsbedingte Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts1 an den Erträgen aus den übertragenen Wirtschaftsgütern eher selten zu beobachten.2 Im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG gilt Folgendes: Geht verschmelzungsbedingt inländisches Betriebsstättenvermögen über, bleibt die Besteuerung der stillen Reserven im Rahmen der Besteuerung des Welteinkommens (§ 8 Abs. 1 KStG) bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft ohne abkommensrechtliche Einschränkungen auch zukünftig gewährleistet, soweit es auch bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft inländisches Betriebsstättenvermögen bleibt.3 Ob unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind, spielt hierbei keine Rolle. Geht im Zuge der Verschmelzung ausländisches Betriebsstättenvermögen über,4 das in Ländern belegen ist, mit denen keine DBA bestehen, bleiben die in dem übergehenden Vermögen ruhenden stillen Reserven im Rahmen der Besteuerung des Welteinkommens der übernehmenden Kapitalgesellschaft zukünftig ebenfalls der deutschen Körperschaftsteuer ausgesetzt. Dass nach der Verschmelzung die übernehmende Kapitalgesellschaft ggf. höhere ausländische Betriebsstättensteuern zur Anrechnung bringen kann, spielt keine Rolle. Handelt es sich um ausländisches Betriebsstättenvermögen, dessen Gewinne der Besteuerung nach Maßgabe des in Betracht kommenden DBAs ausschließlich dem Betriebsstättenstaat zustehen (Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA; hierzu Rz. 19.385 ff.), greift die Entstrickungsklausel ebenfalls nicht ein,5 weil in diesem Fall das übergehende Vermögen bereits bei der übertragenden Kapitalgesellschaft nicht der deutschen Besteuerung unterlag. Denn sichergestellt werden kann nur, was nicht bereits dem deutschen Steuerzugriff entzogen ist.6 Ist abkommensrechtlich zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung die Anrechnungsmethode vorgesehen, wird verschmelzungsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht grds. nicht verändert und somit auch nicht beschränkt.7 Trotz abkommensrechtlicher Freistellung kann allerdings eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts i.S.v. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG dadurch erfolgen, dass verschmelzungsbedingt die Anwendung der bilateralen Switch-over-Klausel des § 20 Abs. 2 AStG (Rz. 19.544) oder der Subject-to-Tax-Klausel des § 50d Abs. 9 EStG (Rz. 19.525 ff.) entfällt.8

20.49

Besonderheiten ergeben sich bei Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG im Falle einer Abwärtsverschmelzung mit im Ausland ansässigen Anteilseignern, bei dem die inländische Muttergesellschaft auf ihre inländische Tochtergesellschaft verschmolzen wird und die (in- wie ausländischen) Anteilseigner der Muttergesellschaft als Gegenleistung für ihre untergehenden Anteile an der Muttergesellschaft deren Anteile an der Tochtergesellschaft erhalten. In diesem Fall erfolgt der Erwerb der Anteile an der Tochtergesellschaft durch die Anteilseigner der Muttergesellschaft unmittelbar (Direkterwerb, vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG), d.h. nicht im Wege eines Durchgangserwerbs (eigener) Anteile bei der Tochtergesellschaft.9 Hieraus folgt, dass die Anteile an der Tochtergesellschaft nicht zu den auf die Übernehmerin „übertragenen 1 Hierzu Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 263 ff.; Bärwaldt in H/M/B5, § 11 UmwStG Rz. 47 ff.; Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 192 ff.; Schaumburg in FS Herzig, 711 (721 ff.). 2 Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 21. 3 Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 276. 4 Ohne Rücksicht darauf, wo die einzelnen Wirtschaftsgüter belegen sind. 5 Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 277; Schaumburg, FR 1995, 211 (219). 6 Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 269; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1486). 7 Dötsch/Stimpel in D/P/M, § 11 UmwStG Rz. 83; Schaumburg, GmbHR 1996, 414. 8 Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 191. 9 BFH v. 28.10.2009 – I R 4/09, BStBl. II 2011, 315; BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.18; Schmitt in S/H9, § 11 UmwStG Rz. 124.

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.51 Kap. 20

Wirtschaftsgütern“ i.S.v. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG gehören können1 und es entsprechend auch nicht auf ein deutsches Besteuerungsrecht an diesen Anteilen ankommen kann.2 Nach Ansicht des BFH3 und der Finanzverwaltung4 soll hingegen eine Aufdeckung der in den Anteilen an der übernehmenden Tochtergesellschaft enthaltenen stillen Reserven nur vermieden werden können, wenn das deutsche Besteuerungsrecht an diesen Anteilen nicht beschränkt oder ausgeschlossen wird, wobei auf den die Anteile übernehmenden Anteilseigner der Muttergesellschaft abzustellen sein soll.5 Da in DBA-Fällen regelmäßig nur dem Ansässigkeitsstaat des ausländischen Anteilseigners das Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der übernommenen Anteile zusteht (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA)6, ergäbe sich insoweit ein steuerpflichtiger Übertragungsgewinn auf Ebene der Muttergesellschaft.7 Soweit (ausnahmsweise) der Buchwertansatz wegen des Verlusts oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts an den Gewinnen aus der Veräußerung der übergehenden Wirtschaftsgüter ganz oder partiell nicht ausgeübt werden kann, ergeben sich gegenüber den Rechtsfolgen bei der Inlandsverschmelzung einer Kapital- auf eine Personengesellschaft keine Besonderheiten (dazu ausf. Rz. 20.34).

20.50

c) Auswirkungen bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft Auf Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft ergeben sich grds. keine internationalsteuerrechtlichen Besonderheiten. Die übernehmende Kapitalgesellschaft übernimmt insbesondere die auf sie übergegangenen Wirtschaftsgüter mit den in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenen Kapitalgesellschaft enthaltenen Werten (§ 12 Abs. 1 Satz 1 KStG). Ist bei einer an der übertragenden Kapitalgesellschaft beteiligten übernehmenden Kapitalgesellschaft ein Übernahmegewinn der Besteuerung insoweit zuzuführen, als die tatsächlichen Anschaffungskosten der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft den Buchwert derselben bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft übersteigen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 und 2 UmwStG), ergeben sich ebenfalls keine Besonderheiten: Der Übernahmegewinn abzgl. der Umwandlungskosten bleibt steuerlich außer Ansatz, wobei grds. § 8b Abs. 2 KStG zur Anwendung kommt 1 Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.56 m.w.N.; a.A. Dötsch/Stimpel in D/P/M, § 11 Rz. 91, 92; Heinemann, GmbHR 2012, 133 (139); Rasche, GmbHR 2010, 1188. 2 Schmitt in S/H9, § 11 UmwStG Rz. 124 f.; Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 291; Rödder/ Schmidt-Fehrenbacher in FGS/BDI, Der Umwandlungssteuererlass 2011, 249; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 22; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.56; Bergmann, GmbHR 2016, 1191 (1192 ff.); Gsödl/Wuttke, DStR 2016, 2326 (2330); Schell, FR 2012, 101 (102); Rogall, NZG 2011, 810 (813); Dörr/Loose/Motz, NWB 2012, 566 (581); Beinert in Beinert/Benecke, FR 2010, 1120 (1126); Schmitt/Schloßmacher, DStR 2010, 673. 3 Vgl. BFH v. 30.5.2018 – I R 31/16, BStBl. II 2019, 136; BFH v. 30.5.2018 – I R 35/16, BFH NV/2019, 46; hierzu stv. Prinz, GmbHR 2020, 625 (628) m.w.N. 4 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.19; Heinemann, GmbHR 2012, 133 (139); Benecke in Benecke/Beinert, FR 2010, 1120 (1126 f.); s. auch Sistermann in Lüdicke, Praxis und Zukunft des des deutschen Internationalen Steuerrechts, 2012, 161 (170); Rasche, GmbHR 2010, 1188. 5 Beispiel bei Tommasso, SteuK 2012, 87 (88 f.). 6 Vgl. den Beispielsfall bei Schell, FR 2012, 101 (101 f.). 7 Der Übertragungsgewinn ist grds. gem. § 8b Abs. 2, Abs. 3 KStG im Ergebnis zu 95 % steuerfrei gestellt. Zu weiteren Folgefragen und Gestaltungsüberlegungen s. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.62 ff.

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20.51

Kap. 20 Rz. 20.51 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

(§ 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG),1 so dass gem. § 8b Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 KStG im Ergebnis nur 95 % des Übernahmegewinns nach Abzug der Umwandlungskosten steuerfrei gestellt sind. d) Auswirkungen bei den Gesellschaftern

20.52

Der für die Besteuerung auf Gesellschafterebene (mit Ausnahme von Kleingesellschaftern2 und in Fällen der Aufwärtsverschmelzung) maßgebliche § 13 UmwStG fingiert, dass die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft zum gemeinen Wert veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft als mit diesem Wert angeschafft gelten (§ 13 Abs. 1 UmwStG). Ein hieraus resultierender Gewinn des Anteilseigners unterliegt in Deutschland grds. einer Besteuerung wie bei einer tatsächlichen Veräußerung der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft.3 Kann Deutschland den Gewinn nicht besteuern, etwa weil ein einschlägiges DBA für die hier relevanten Veräußerungsgewinne (Art. 13 OECD-MA)4 den deutschen Besteuerungsanspruch bzgl. der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft ausschließt5, bleibt die Verschmelzung insoweit für den Anteilseigner in Deutschland ohne Auswirkungen, eines Antrags auf Fortführung der Anschaffungskosten bzw. Buchwerte bedarf es nicht.6

20.53

Waren hingegen die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft in Deutschland steuerverhaftet, kann eine Besteuerung in Deutschland in dem hier interessierenden Zusammenhang (Inlandsverschmelzung) auf Antrag durch Fortführung der Anschaffungskosten bzw. Buchwerte an den untergehenden Anteilen vermieden werden, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft verschmelzungsbedingt nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist hier – anders als bei § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG (Rz. 20.47) – der Zeitpunkt der Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister.7 Das Wahlrecht kann von jedem Anteilseigner individuell ausgeübt werden und besteht unabhängig von den Wertansätzen für die übergehenden Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft, mithin selbst dann, wenn dort Wirtschaftsgüter aufgrund der Entstrickungsklausel i.S.v. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG

1 Die Anwendung von § 8b Abs. 2 KStG setzt natürlich eine Beteiligung der übernehmenden an der übertragenden Kapitalgesellschaft voraus; hierzu Rödder in R/H/vL3, § 12 UmwStG Rz. 255. 2 § 13 UmwStG findet nach Verwaltungsauffassung nur Anwendung auf Anteile im Betriebsvermögen, Anteile i.S.v. § 17 EStG und alt-einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 Abs. 1 UmwStG a.F., vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 13.011; weitergehend Rödder/Schmidt-Fehrenbacher in FGS/BDI, Der Umwandlungssteuererlass 2011, 262. Bei Anteilseignern, deren Anteile unter § 20 Abs. 2 EStG fallen (zur Subsidiarität vgl. § 20 Abs. 8 EStG), richten sich die steuerlichen Folgen der Verschmelzung nicht nach § 13 UmwStG, sondern nach § 20 Abs. 4a Satz 1 ff. EStG. Dort wird unter ähnlichen Voraussetzungen eine (zwingende, nicht antragsgebundene) Buchwertfortführung angeordnet (zu Einzelheiten s. stv. Trossen in R/H/vL3, Anh. 12 Rz. 46 ff.). 3 Im Einzelnen hierzu stv. Neumann in R/H/vL3, § 13 UmwStG Rz. 39. 4 Abkommensrechtlich unterfällt eine aus § 13 Abs. 1 UmwStG resultierende Gewinnbesteuerung den Veräußerungsgewinnen i.S.v. Art. 13 OECD-MA, vgl. Rz. 19.387. 5 Bspw. bei im Privatvermögen gehaltenen Anteilen eines beschränkt Steuerpflichtigen wg. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA. 6 Neumann in R/H/vL3, § 13 UmwStG Rz. 61; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 23. 7 Schmitt in S/H9, § 13 UmwStG Rz. 36.

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.55 Kap. 20

mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind.1 Da bei Inlandsverschmelzungen das deutsche Besteuerungsrecht regelmäßig uneingeschränkt erhalten bleibt, lässt sich die Steuerneutralität auf Gesellschafterebene in den meisten Fällen herstellen. Das gilt für Anteile im in- und ausländischen Betriebs-2 bzw. Privatvermögen und für beschränkt und unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter gleichermaßen:3 Gehören die Anteile (unverändert) zu einem inländischen Betriebsstättenvermögen, ist die Besteuerung der entsprechenden Veräußerungsgewinne sowohl bei unbeschränkter Steuerpflicht im Rahmen der Besteuerung des Welteinkommens (§ 2 Abs. 1 EStG) als auch bei beschränkter Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gewährleistet, ohne dass abkommensrechtlich für Deutschland verschmelzungsbedingt die Besteuerung entfiele oder eingeschränkt würde.4

20.54

Gehören die Anteile (unverändert) zu einem ausländischen Betriebsstättenvermögen, bleibt die deutsche Besteuerung ungeschmälert erhalten, wenn die Gesellschafter unbeschränkt steuerpflichtig sind und ein DBA nicht eingreift. Ist das Betriebsstättenvermögen dagegen in einem Staat belegen, mit dem Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, dürfen die Gewinne aus der Veräußerung von Betriebsstättenvermögen im Falle der Anwendung der Freistellungsmethode5 grds. nur vom Betriebsstättenstaat besteuert werden. Durch den verschmelzungsbedingten Vermögensübergang ergibt sich insoweit aber keine Änderung.6 Das gilt auch für den Fall, dass abkommensrechtlich die Anrechnungsmethode eingreift; denn auch hier ist die Rechtslage vor und nach der Verschmelzung unverändert. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn verschmelzungsbedingt die Zuordnung der Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft zu einem in- oder ausländischen Betriebsstättenvermögen gelöst wird und ein Zuordnungswechsel zum Privatvermögen oder von einem in- zu einem ausländischen Betriebsstättenvermögen oder von dort zu einem anderen ausländischen Betriebsstättenvermögen erfolgt, soweit letzterenfalls hiermit etwa ein Wechsel von der Anrechnungs- zur Freistellungsmethode verbunden ist. Soweit beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind, bleiben die Besteuerungsfolgen für etwaige Gewinne aus der Veräußerung der zum ausländischen Betriebsstättenvermögen gehörenden Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft regelmäßig unverändert.7 Damit geht auch insoweit durch die Verschmelzung der deutschen Besteuerung kein Besteuerungsgut verloren. Handelt es sich um Beteiligungen im steuerlichen Privatvermögen ist zunächst zu überprüfen, ob das deutsche Besteuerungsrecht im Rahmen der unbeschränkten bzw. beschränkten Steuerpflicht auch dann an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft fortbesteht, wenn gegenüber den untergehenden Anteilen an der übernehmenden Kapitalgesellschaft keine qualifizierte Beteiligungshöhe mehr gegeben ist: Gehören die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft zum Privatvermögen eines unbeschränkt Steuerpflichtigen und sind hierfür die Voraussetzungen i.S.d. § 17 EStG erfüllt bzw.

1 Schmitt in S/H9, § 13 UmwStG Rz. 32. 2 Im Sinne von Betriebsstättenvermögen. 3 Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 23 f.; Schaumburg, GmbHR 1996, 414 (421). 4 Betriebsstättenprinzip: Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA; hierzu Rz. 19.230, 19.385 ff. 5 Vgl. die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 6 Wegen der fehlenden steuerlichen Bedeutung in Deutschland ist trotz Wertansatzwahlrechts der Ansatz mit dem gemeinen Wert geboten; vgl. hierzu Schießl in W/M, § 13 UmwStG Rz. 15.51. 7 Das gilt in Fällen mit und ohne DBA gleichermaßen.

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20.55

Kap. 20 Rz. 20.55 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

handelt es sich um einbringungsgeborene Anteile gem. § 21 UmwStG a.F.,1 gelten bei entsprechendem Antrag nach § 13 Abs. 2 Satz 1 und 3 UmwStG diese Anteile im Privatvermögen als zu den Anschaffungskosten veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile als zu diesem Wert erworben. Die künftige Besteuerung bleibt dadurch erhalten, dass die Qualifikation dieser Anteile auf die erworbenen Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft ohne Rücksicht auf die Beteiligungshöhe übergeht (§ 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG).2 Diese Qualifikationsverkettung3 gilt ohne weiteres für unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter. Sind beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt, gilt Folgendes: Greift kein DBA ein, unterliegen die Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG der beschränkten Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG, und zwar ohne Rücksicht auf eine etwaige verschmelzungstypische Absenkung der Beteiligungsquote an der übernehmenden Kapitalgesellschaft (§ 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Soweit DBA zur Anwendung kommen, ist vorrangig danach zu fragen, ob Deutschland vor der Verschmelzung ein Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft hatte, andernfalls (bspw. bei Anwendung einer Art. 13 Abs. 5 OECD-MA entsprechenden Regelung) ist ein Buchwertantrag ohne Bedeutung (Rz. 20.52). Ist Deutschland durch das einschlägige DBA ein Besteuerungsrecht vorbehalten4, besteht dieses regelmäßig auch an den erhaltenen Anteilen an der übernehmenden Kapitalgesellschaft. Ausnahmsweise kommt aber auch ein Verlust des deutschen Besteuerungsrechts in Betracht, wenn bspw. ein bisher durch eine Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) gesichertes Besteuerungsrecht bei den Anteilen an der Übernehmerin nicht mehr besteht, weil die Übernehmerin vermögensmäßig nicht mehr als Immobiliengesellschaft im jeweiligen Abkommenssinne qualifiziert.5

3. Verschmelzung von Personengesellschaften auf Kapitalgesellschaften a) Anwendungsbereich des UmwStG

20.56

Für die Verschmelzung von Personengesellschaften auf Kapitalgesellschaften enthält das UmwStG keine eigenständige Regelung. Sie wird sachlich (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 UmwStG) erfasst als Einbringung (Sacheinlage) des Betriebs6 an der Personengesellschaft in die Kapitalgesellschaft gem. § 20 UmwStG.7 Bei Verschmelzungen von inländischen Personengesellschaften auf inländische Kapitalgesellschaften ist der persönliche Anwendungsbereich des § 20 UmwStG nur dann nicht eröffnet, wenn (i) die Mitunternehmer der übertragenden Personengesellschaft (vereinfacht) in Drittstaaten ansässig sind (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwstG) und (ii) in diesem Fall daneben auch das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG). Die Kapitalverkehrsfreiheit gebietet indes, auch Einbringungen nach § 20 1 Vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG. 2 Insoweit tritt methodisch zunächst fiktiv die Surrogation gem. § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG ein, anschließend sind die Voraussetzungen i.S.v. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG zu untersuchen, vgl. Schießl in W/M, § 13 UmwStG Rz. 178; Schmitt in S/H9, § 13 UmwStG Rz. 36. 3 Zur Infizierungs- oder Fußstapfentheorie Dötsch/Werner in D/P/M, § 13 UmwStG Rz. 55. 4 Bspw. aufgrund einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) oder einer sog. Sitzstaatsklausel, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 5 Vgl. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.80. 6 So bspw. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.05 Satz 2. 7 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.44.

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.58 Kap. 20

UmwStG durch Drittstaatengesellschafter in den persönlichen Anwendungsbereich einzubeziehen.1 Die unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG mögliche steuerneutrale Verschmelzung von Personen- auf Kapitalgesellschaften2 hängt u.a. davon ab, dass ein bisher bestehendes3 deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung des übergehenden Betriebsvermögens bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG). Ob die übertragende Personengesellschaft ihren Sitz im In- oder Ausland hat, ob deren Gesellschafter unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sind, spielt für das der übernehmenden Kapitalgesellschaft gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG eingeräumte Bewertungswahlrecht keine Rolle. Schließlich hängt das Bewertungswahlrecht auch nicht davon ab, ob für die im Zuge der Einbringung erhaltenen Anteile ein deutsches Besteuerungsrecht besteht.4 Für diesen Fall kann allerdings von vornherein die Anwendbarkeit des § 20 UmwStG durch § 1 Abs. 4 UmwStG ausgeschlossen sein (Rz. 20.56). Die auf den Zeitpunkt der Sacheinlage5 bezogene Entstrickungsklausel wird unter außensteuerrechtlichen Aspekten für Zwecke der rückwirkenden Besteuerung des Einbringungsgewinns I (§ 22 Abs. 1 Satz 3 UmwStG) durch die in § 22 Abs. 1 Satz 5 u. Satz 6 Nr. 6 UmwStG geregelten Entstrickungsklauseln ergänzt. Zu der hier allein bedeutsamen Inlandsverschmelzung die folgenden Einzelheiten:

20.57

b) Steuerfolgen für unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter Soweit unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind, ergeben sich im Regelfall keine Besonderheiten, weil sich – unabhängig davon, ob ein DBA eingreift oder nicht – der Anwendungsbereich des § 20 UmwStG für diesen Personenkreis ohne weiteres eröffnet (§ 1 Abs. 4 UmwStG) und durch die Verschmelzung der Personengesellschaft auf die unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft das Besteuerungsrecht Deutschlands für die Gewinne aus der Veräußerung der übergehenden Wirtschaftsgüter nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Das gilt für in- und ausländisches Betriebsstättenvermögen gleichermaßen,6 so dass insoweit der Buchwertansatz gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG und damit eine Steuerneutralität möglich ist. Die Verschmelzung bewirkt im Übrigen grds. eine Verdoppelung der stillen Reserven, weil nunmehr diese sowohl auf Gesellschaftsebene als auch auf Gesellschafterebene zukünftig der Besteuerung ausgesetzt sind.7 Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die im Zuge der Verschmelzung gewährten Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft zu ei-

1 Vgl. ausf. Hageböke/Stangl, Ubg 2021, 242 ff.; Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2021, 765 (773); s. auch den Reformvorschag bei Jacobsen, DStZ 2021, 490 ff. 2 Bei Verschmelzung der Personengesellschaft sind deren Mitunternehmer Einbringende, vgl. stv. Herlinghaus in R/H/vL3, § 20 UmwStG Rz. 73 m.w.N. 3 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.19 i.V.m. 03.19. 4 Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 229. 5 Im Falle der Rückbeziehung ist auf den steuerlichen Übertragungsstichtag (Einbringungszeitpunkt) abzustellen, so dass die Sicherstellung der deutschen Besteuerung nur für stille Reserven zu beachten ist, die zu diesem Zeitpunkt der inländischen Besteuerung unterliegen; vgl. stv. Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 311; Schmitt in S/H9, § 20 UmwStG Rz. 346. 6 Hierzu Herlinghaus in R/H/vL3, § 20 UmwStG Rz. 311. 7 Patt in D/P/M, Vor §§ 20–23 UmwStG Rz. 29.

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20.58

Kap. 20 Rz. 20.58 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

nem ausländischen Betriebsstättenvermögen gehören und hierdurch die Gewinne aus der Veräußerung dieser Anteile abkommensrechtlich1 der deutschen Besteuerung entzogen sind.

20.59

Wird das Wahlrecht nicht ausgeübt, so dass die übergehenden Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind (§ 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG), ergeben sich Besteuerungsfolgen hinsichtlich des im Ausland belegenen übergehenden Vermögens unter den folgenden Gesichtspunkten: Greift kein DBA, kann die ausländische Steuer grds. auf eine auf den Einbringungsgewinn anfallende deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer2 angerechnet werden (§ 34c EStG, § 26 KStG). In Abkommensfällen stellt sich ggf. zunächst die Frage, ob der Einbringungsgewinn abkommensrechtlich den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA)3, den Veräußerungsgewinnen (Art. 13 Abs. 2 oder Abs. 5 OECD-MA)4 oder den sonstigen Einkünften (Art. 21 OECD-MA) unterfällt, da hiervon abhängen kann, ob nach dem DBA die Anrechnungs- oder die Freistellungsmethode anzuwenden ist.5 Sieht das DBA zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen (ausnahmsweise) generell6 oder speziell7 die Anrechnungsmethode vor, kommt eine Besteuerung in Deutschland zum Tragen, jedoch unter Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern (§ 34c Abs. 1 EStG, § 26 KStG). Schließt das DBA eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer nicht ausdrücklich aus, muss Deutschland auch eine Anrechnung der ausländischen Steuern auf die Gewerbesteuer zulassen (Rz. 19.554). Regelmäßig gehen zwar die deutschen DBA nicht nur für unbewegliches Auslandsvermögen8, sondern auch für ausländische Betriebsstättengewinne von der Freistellungsmethode aus (Rz. 19.521 ff.). Insbesondere die jüngere deutsche Abkommenspolitik schränkt jedoch die grds. Steuerfreistellung ausländischer Betriebsstättengewinne (hier: Einbringungsgewinn) im Wege abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalte (Rz. 19.515)9 oder Subject-to-Tax-Klauseln (Rz. 19.522)10 ein.11 Enthält das einschlägige DBA eine Aktivitätsklausel, so ist Deutschland berechtigt, auf den Einbringungsgewinn anstatt der Freistellungsmethode die Anrechnungsmethode anzuwenden,12 wenn in der ausländischen Betriebsstätte vor der Einbringung keine „aktive“ Tätigkeit

1 Betriebsstättenprinzip: Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA; vgl. Rz. 19.230, 19.385 ff. 2 Mangels Anrechnungsvorschriften aber nicht auf die Gewerbesteuer. 3 Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (122); Viebrock/Hagemann, FR 2009, 737 (738); Klingberg/van Lishaut, FR 1999, 1222. 4 Vgl. Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 17; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 7; Lieber in S/D2, Art. 13 OECD-MA Rz. 37; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBA-Schweiz Rz. 76; Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20. 5 Die Beurteilung kann im Einzelfall für die Anwendbarkeit einer sog. Aktivitätsklausel oder einer Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern von Bedeutung sein, vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20 mit Fn. 1. 6 Bspw. Art. 22 Abs. 1 DBA-Zypern. 7 Im Regelfall wird die Anrechnungsmethode nur für bestimmte Einkünfte vereinbart, vgl. Rz. 19.552. 8 Insoweit kann regelmäßig offenbleiben, ob die Umwandlung abkommensrechtlich eine Veräußerung darstellt, da die Rechtsfolgen von Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA i.V.m. Art. 23 Abs. 1 OECD-MA aus Sicht des Ansässigkeitsstaat grds. übereinstimmen. 9 Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 87 ff. 10 Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73 ff. 11 Zu deren Anwendung im Bereich von Umwandlungen ausf. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59 ff. 12 Mit der Folge der uneingeschränkten Besteuerung, da der ausländische Staat die Umwandlung zum Buchwert zulässt.

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.60 Kap. 20

im Sinne der Aktivitätsklausel ausgeübt wurde.1 Jenseits dessen stellt sich die Frage, ob bei Steuerfreiheit der Umwandlung im ausländischen Staat die abkommensrechtliche Freistellung des Übertragungsgewinns mangels „tatsächlicher Besteuerung“ im anderen Vertragsstaat durch eine Subject-to-Tax-Klausel suspendiert werden kann.2 Bezieht man zutreffend die (voraussichtliche) spätere Besteuerung der stillen Reserven im ausländischen Staat im Fall der tatsächlichen Veräußerung in die Betrachtung mit ein,3 finden die abkommensrechtlichen Subject-to-Tax-Klauseln auch bei Umwandlungen zu Buchwerten keine Anwendung.4 Dies dürfte auch den Erwägungen in dem zur Anwendung von Subject-to-Tax-Klauseln veröffentlichten BMF-Schreiben v. 20.6.20135 entsprechen.6 Hingegen hat der BFH zu den (wenigen) sog. Quellenregeln7 im Zusammenhang mit einem Formwechsel unter Buchwertfortführung den Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland bejaht.8 Ungeachtet der abkommensrechtlichen Regelungen können im Einzelfall auch die innerstaatlichen Vorbehaltsklauseln (§ 50d Abs. 9 EStG; s. Rz. 19.525 ff.; § 20 Abs. 2 AStG, s. Rz. 19.544) zum Tragen kommen. c) Steuerfolgen für beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter Der persönliche Anwendungsbereich ist bei EU-/EWR-Ansässigkeit des beschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters stets eröffnet (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwStG),9 bei in Drittstaaten ansässigen Gesellschaftern nach dem Wortlaut hingegen nur, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile der inländischen Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG).10 Letzteres ist nur dann gegeben, wenn kein DBA besteht11 oder im DBA-Fall ein entsprechendes deutsches Besteuerungsrecht abkommens-

1 Vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/ Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.126. 2 Hierzu Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.132 ff.; Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 ff. 3 Vgl. Schönfeld, IStR 2013, 757 (759); Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Schönfeld/Häck, ISR 2013, 168 (174); Mouldi/Loose, IStR 2012, 829 (833 f.). 4 A.A. Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 (166 ff.) unter Hinweis auf die unterschiedlichen Steuerpflichtigen und eine fehlende Doppelbesteuerung im abkommensrechtlichen Sinne. 5 BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980. 6 Insoweit lassen sich Buchwerteinbringungen als (unschädliche) „temporäre“ oder „permanente Differenz“ einstufen, vgl. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Rz. 2.3; Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Lüdicke, IStR 2013, 721 (728). 7 Diese sehen vor, dass Einkünfte (nur dann) aus dem anderen Vertragsstaat „stammen“, wenn sie dort (effektiv) besteuert wurden, hierzu ausf. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 75. 8 BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953 zu Prot. Nr. 16 Buchst. d zum DBA-Italien. 9 Bei beteiligten ausländischen Personengesellschaften ist erforderlich, dass diese Sitz und Ort der Geschäftsleitung im EU-/EWR-Bereich haben und an der ausländischen Personengesellschaft Personen beteiligt sind, die im EU-/EWR-Bereich ansässig sind (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwStG). 10 Zur Frage, auf welchen Zeitpunkt das deutsche Besteuerungsrecht vorliegen muss Meier/Wieder, ISR 2020, 386 (389) m.w.N. 11 Die Gewinne aus der Veräußerung der im Zuge der Verschmelzung erhaltenen Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft unterliegen gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG der beschränkten Steuerpflicht.

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20.60

Kap. 20 Rz. 20.60 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

rechtlich (ausnahmsweise) Deutschland vorbehalten worden ist.1 Andernfalls werden die in Deutschland steuerverhaften stillen Reserven in dem übergehenden Betriebsvermögen auch dann steuerpflichtig aufgedeckt, wenn Deutschland an dem eingebrachten Betriebsvermögen ein uneingeschränktes Besteuerungsrecht verbleibt. Die Kapitalverkehrsfreiheit gebietet indes, auch Einbringungen nach § 20 UmwStG durch Drittstaatengesellschafter in den persönlichen Anwendungsbereich einzubeziehen.2

20.61

Ist der persönliche Anwendungsbereich bei beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern eröffnet, ist für das eingebrachte Betriebs(stätten)vermögen die Buchwertfortführung regelmäßig möglich, da das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung des eingebrachten Betriebsvermögens bei der übernehmenden inländischen Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG) unabhängig davon, ob ein DBA eingreift oder nicht.3 Wird (einheitlich) der Buchwertansatz gewählt und geht verschmelzungsbedingt Betriebsvermögen über, welches weder vor noch nach der Besteuerung im Inland steuerverhaftet ist (sog. neutrales Vermögen), wird dieses zwar auf Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft zu Buchwerten übernommen, für den Anteilseigner erhöhen sich die Anschaffungskosten an den erhaltenen Anteilen hingegen um den gemeinen Wert des eingebrachten neutralen Vermögens (§ 20 Abs. 3 Satz 2 UmwStG).4 Für das bisher nicht in Deutschland steuerverhaftete (ausländische) Betriebs(stätten)vermögen kommt es verschmelzungsbedingt ggf. zur erstmaligen Begründung des deutschen Besteuerungsrechts im Wege einer rechtlichen Verstrickung5, wenn bspw. durch die Verschmelzung eine ausländische Anrechnungsbetriebsstätte auf die inländische Kapitalgesellschaft übergeht.6 Für diesen Fall der verschmelzungsbedingten Steuerverstrickung enthält § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG zwar keine ausdrückliche Regelung. Insoweit kommt aber – dem gesetzgeberischen Willen entsprechend7 – auf der Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft über § 8 Abs. 1 KStG die allgemeine Verstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG zur Anwendung.8 Damit wird der gemeine Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) für den Ansatz dieser übergehenden Wirtschaftsgüter zwingend.9 Hieran ändert auch der Umstand, dass das in

1 Bspw. aufgrund einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) oder einer sog. Sitzstaatsklausel, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 2 Vgl. ausf. Hageböke/Stangl, Ubg 2021, 242 ff.; Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2021, 765 (773); s. auch den Reformvorschag bei Jacobsen, DStZ 2021, 490 ff. 3 § 1 Abs. 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA. 4 Vgl. ausf. Herlinghaus in R/H/vL3, § 20 UmwStG Rz. 389 ff. 5 Zur Abgrenzung zwischen passiver (rechtlicher) und aktiver (tatsächlicher) Ent- und Verstrickung s. Rz. 20.16 und 20.83. 6 Insoweit unterliegt das ausländische Betriebsvermögen künftig erstmals auf Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft der inländischen Besteuerung. 7 Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum SEStEG, BT-Drucks. 16/2719, 43 8 Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 228; Schmitt in S/H9, § 20 UmwStG Rz. 280, 297, 304, 325; Sterner in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 7.110; Kahle/Vogel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 12.136; Förster/Wendland, BB 2007, 631 (634); Damas, DStZ 2007, 129 (137); Ley, FR 2007, 109 (112); a.A. Herlinghaus in R/H/vL3, § 20 UmwStG Rz. 309. 9 Hingegen ist bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften umstritten, ob bei passiven (rechtlichen) Verstrickungen eine Verstrickung nach den allgemeinen Regelungen erfolgt, s. Rz. 20.16. Für Wirtschaftsgüter, die durch eine nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag sich vollziehende aktive (tatsächliche) Verstrickung in die deutsche Steuerverhaftung hineinwachsen, ergibt sich die

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.63 Kap. 20

§ 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG verankerte Wahlrecht nur einheitlich ausgeübt werden kann, nichts, da der Wertansatz insoweit zwingend und somit dem Bewertungswahlrecht von vornherein nicht zugänglich ist.1 Für den Anteilseigner erhöhen sich die Anschaffungskosten an den erhaltenen Anteilen auch hier um den gemeinen Wert des eingebrachten (neuverstrickten) Vermögens.2 Ein etwa durch den Ansatz des neutralen oder neuverstrickten Vermögens mit dem gemeinen Wert ausgelöster Übertragungsgewinn (Einbringungsgewinn) wird außerhalb der Reichweite der beschränkten Steuerpflicht erzielt, so dass insoweit eine deutsche Besteuerung ausscheidet.3 Wird dagegen in den übrigen Fällen der beschränkten Steuerpflicht das Wahlrecht i. S. des Buchwertansatzes nicht ausgeübt, unterliegt ein hierdurch ausgelöster Übertragungsgewinn (Einbringungsgewinn; § 20 Abs. 3 und 4 UmwStG) gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG der Besteuerung, ohne dass diese durch ein DBA (Art. 7 Abs. 1, 13 Abs. 2 OECD-MA) eingeschränkt wird.

20.62

d) Besteuerung bei späterer Veräußerung der erhaltenen Anteile Die im Zuge der Verschmelzung erhaltenen Anteile unterliegen auf Gesellschafterebene in Zukunft nach allgemeinen Grundsätzen der unbeschränkten bzw. beschränkten Steuerpflicht unter Berücksichtigung von DBA. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft. Die für die Berechnung eines etwaigen Veräußerungsgewinns maßgeblichen Anschaffungskosten dieser Anteile ergeben sich aus § 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG; danach bildet der Wert, mit dem die übernehmende Gesellschaft das im Wege der Verschmelzung übergehende Vermögen ansetzt, die Anschaffungskosten der als Gegenleistung gewährten Anteile ab. Dadurch wird sichergestellt, dass die durch die Verschmelzung erworbenen Anteile der Höhe nach dieselben stillen Reserven enthalten wie sie in dem übergehenden Vermögen der einbringenden Personengesellschaft enthalten waren.4 Diese Verdoppelung der stillen Reserven ist allerdings dann nicht gerechtfertigt, wenn das übergehende Vermögen vor und nach der Verschmelzung dem deutschen Besteuerungsrecht nicht ausgesetzt ist (sog. neutrales Vermögen). In diesem Fall sind die Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile um den gemeinen Wert dieser, dem deutschen Besteuerungsrecht nicht unterworfenen, Wirtschaftsgüter zu erhöhen (§ 20 Abs. 3 Satz 2 UmwStG). Angesprochen hierdurch sind insbesondere Wirtschaftsgüter, die einem ausländischen Betriebsstättenvermögen funktional zuzuordnen sind und deren Veräußerungsgewinne Deutschland bei Anwendung der Freistellungsmethode steuerfrei stellt.5 Diese Sonderregelung hat Auswirkungen für die Veräußerung der verschmelzungsbedingt erhaltenen Anteile zu einem späteren Zeitpunkt. Darüber hinaus erhöhen sich für den Anteilseigner die Anschaffungskosten an den erhaltenen Anteilen auch insoweit, als im Anschluss an die Verschmelzung ein deutsches Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der übergehenden Wirtschafts-

1 2 3 4 5

Verstrickung unproblematisch nach allgemeinen Verstrickungsgrundsätzen (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 228; a.A. Herlinghaus in R/H/vL3, § 20 UmwStG Rz. 309. Vgl. Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 228; Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.266; Schmitt/Schloßmacher, UmwStE 2011, 267. Vgl. BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663. Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 293. Vgl. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 29.

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20.63

Kap. 20 Rz. 20.63 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

güter erstmals begründet wird und das neuverstrickte Vermögen auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft zum gemeinen Wert anzusetzen ist.1

20.64

Werden die im Zuge der Verschmelzung erhaltenen Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft zu einem späteren Zeitpunkt veräußert, kommt es unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 UmwStG zu einer rückwirkenden Besteuerung des Übertragungsgewinns (Einbringungsgewinn I). Diese rückwirkende Besteuerung, die nur eingreift, wenn die Einbringung (Sacheinlage) unter dem gemeinen Wert erfolgt ist, gilt für unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner gleichermaßen.2 Ohne Bedeutung ist im Grundsatz auch, ob der Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft überhaupt der Besteuerung unterliegt.3 Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen auf Grund der Verschmelzung bisher in Deutschland steuerverhaftete Kapitalgesellschaftsanteile auf die übernehmende Kapitalgesellschaft übergehen und die hierfür erhaltenen Anteile an derselben nicht mehr in Deutschland steuerverstrickt sind (§ 22 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 UmwStG). Für diesen Fall des Ausschlusses bzw. der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts an den erhaltenen Anteilen kommt es zu einer rückwirkenden Besteuerung des Einbringungsgewinns I.4 Betroffen ist hierdurch insbesondere der Fall, dass ein beschränkt steuerpflichtiger EU-Bürger mit entsprechendem Abkommensschutz an der einbringenden Personengesellschaft beteiligt ist und durch eine Verschmelzung Kapitalgesellschaftsanteile auf die übernehmende Kapitalgesellschaft übergehen, deren Anteile abkommensrechtlich (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA) der deutschen Veräußerungsgewinnbesteuerung entzogen sind. Ohne die vorgenannte Regelung5 könnten die erhaltenen Anteile, soweit sie auf die miteingebrachten Anteile entfallen, unmittelbar nach der Verschmelzung ohne deutsche Besteuerung veräußert werden.

20.65

In allen Fällen ist eine rückwirkende Besteuerung nur innerhalb der in § 22 Abs. 1 UmwStG geregelten siebenjährigen Sperrfrist möglich. Nach Ablauf dieser Sperrfrist entfällt jedwede rückwirkende Besteuerung und in der Regel auch – wegen fehlendem abkommensrechtlichen Besteuerungsrecht – eine Besteuerung des tatsächlichen Veräußerungsgewinns.6 In dem hier interessierenden Zusammenhang erfolgt innerhalb der vorbezeichneten siebenjährigen Sperrfrist eine rückwirkende Besteuerung des Übertragungsgewinns (Einbringungsgewinn I) auch, wenn die persönlichen Anwendungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG für die Gesellschafter der einbringenden Personengesellschaft zum Fortfall kommen (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 Fall 1 UmwStG). Dieser Ersatzrealisationstatbestand hat insbesondere dann Bedeutung, wenn die Gesellschafter der einbringenden Personengesellschaft ihre Ansässigkeit von einem EU-/EWR-Staat in einen Drittstaat durch Wegzug verlegen und hierdurch das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der erhaltenen Anteile ausgeschlossen oder beschränkt wird.7 Neben der rückwirkenden Besteuerung des Übertragungsgewinns (Einbringungsgewinn I) erfolgt im Falle des Wegzugs hinsichtlich der erhaltenen Anteile bei natürlichen Personen zu-

1 Vgl. Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 228; Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.266; Schmitt/Schloßmacher, UmwStE 2011, 267. 2 Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 20; Stangl in R/H/vL3, § 22 UmwStG Rz. 270. 3 Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 20; Stangl in R/H/vL3, § 22 UmwStG Rz. 62; Schmitt in S/H9, § 22 UmwStG Rz. 22. 4 Zu weiteren Einzelheiten Stangl in R/H/vL3, § 22 UmwStG Rz. 325 ff.; Schmitt in S/H9, § 22 UmwStG Rz. 69 ff. 5 Insoweit handelt es sich um eine Missbrauchsklausel; so Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 53. 6 Dies kann zur gänzlichen Nichtbesteuerung stiller Reserven führen, vgl. zur sog. Wegzugsprämie bzw. Entstrickungslücke Benecke, DStJG 43 (2020), 623 (644 ff.) und BR-Drucks. 542/06, 10. 7 Stangl in R/H/vL3, § 22 UmwStG Rz. 415.

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.67 Kap. 20

sätzlich auch eine Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG.1 § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 Fall 2 UmwStG betrifft nicht den Wegzug der übernehmenden Gesellschaft, in die das Betriebsvermögen gem. § 20 UmwStG eingebracht wurde2, sondern stellt auf die Gesellschaft ab, auf die – im Anschluss an eine Ketteneinbringung – die erhaltenen Anteile an der übernehmenden Gesellschaft eingebracht wurden. Insoweit erfüllt deren Wegzug innerhalb des EU-/EWRRaums keinen Ersatzrealisationstatbestand. Die gesetzgeberische Wertung des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG beantwortet auch die zu verneinende Frage, ob die bei einem Wegzug des Einbringenden ggf. gem. § 6 AStG oder § 12 Abs. 1 KStG ausgelösten fiktiven Veräußerungen eine schädliche Veräußerung i.S.v. § 22 Abs. 1 UmwStG begründen.3 Gehen verschmelzungsbedingt Kapitalgesellschaftsanteile auf die übernehmende Kapitalgesellschaft unter dem gemeinen Wert über, ist (auch) § 22 Abs. 2 UmwStG anzuwenden. Das bedeutet, dass bei einer Veräußerung der übergehenden Kapitalgesellschaftsanteile durch die übernehmende Kapitalgesellschaft innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist die rückwirkende Besteuerung des Übertragungsgewinns (Einbringungsgewinn II) ausgelöst wird. Eine Ersatzrealisation erfolgt auch dann, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft die EU-/EWR-Ansässigkeitsvoraussetzung z.B. durch Verlegen des Orts der Geschäftsleitung in einen Drittstaat verliert (§ 22 Abs. 2 Satz 6 Alt. 2 UmwStG).4 Zu einer rückwirkenden Besteuerung des Übertragungsgewinns (Einbringungsgewinn II) kommt es allerdings nicht, wenn vor der Veräußerung der übergehenden Kapitalanteile durch die übernehmende Kapitalgesellschaft die Gesellschafter der übertragenen Personengesellschaft der Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) unterlegen haben und soweit die hieraus resultierende Steuer nicht gestundet ist (§ 22 Abs. 2 Satz 5 Alt. 2 UmwStG). Greift auf Gesellschafterebene die Wegzugsbesteuerung nach der Veräußerung der im Zuge der Verschmelzung übergehenden Anteile durch die übernehmende Kapitalgesellschaft ein, so sind im Rahmen der Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) in Höhe des Übertragungsgewinns (Einbringungsgewinn II) nachträgliche Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile zu berücksichtigen (§ 22 Abs. 2 Satz 4 UmwStG).

20.66

4. Verschmelzung von Personengesellschaften auf Personengesellschaften Die Verschmelzung von Personen- auf Personengesellschaften, die handelsrechtlich in den §§ 39 ff. UmwG eine eigenständige Regelung erfahren hat, fällt unter den Regelungsbereich des § 24 UmwStG, so dass unter den dort genannten Voraussetzungen im Wege der Einbringung ein steuerneutraler Betriebsvermögenstransfer möglich ist.5 In persönlicher Hinsicht ergeben sich – anders als etwa bei § 20 UmwStG (Rz. 20.56) – keine Einschränkungen (§ 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG), so dass an der Verschmelzung auch Rechtsträger teilnehmen können, die nicht in

1 Bilitewski in H/M/B5, § 22 UmwStG Rz. 169. 2 Dieser Fall ist nicht als schädlicher Ersatzrealisationstatbestand geregelt, vgl. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 31. 3 Zutr. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 31; Stangl in R/H/vL3, § 22 UmwStG Rz. 81; Bilitewski in H/M/B5, § 22 UmwStG Rz. 32; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 362; a.A. Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 28b; Pung, GmbHR 2012, 158 (161). 4 Der Wegzug in einen EU-/EWR-Staat ist dagegen unschädlich; § 12 Abs. 1 KStG greift insoweit nicht ein; vgl. Stangl in R/H/vL3, § 22 UmwStG Rz. 81. 5 Zur Regelungsdivergenz zwischen §§ 39 ff. UmwG, wonach die übertragende Personengesellschaft als Einbringende gilt, und § 24 UmwStG, nach dem die Gesellschafter der übertragenden Personengesellschaft als Einbringende gelten, Rasche in R/H/vL3, § 24 UmwStG Rz. 76.

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20.67

Kap. 20 Rz. 20.67 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

EU-/EWR-Staaten ansässig sind.1 Im Übrigen differenziert § 24 UmwStG weder zwischen inund ausländischem Betriebsvermögen noch zwischen beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht der Gesellschafter.

20.68

Die nach § 24 UmwStG mögliche steuerneutrale Einbringung qualifizierten Vermögens2 steht allerdings unter Entstrickungsvorbehalt: Gem. § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG kann das übernommene Vermögen nur dann unter dem gemeinen Wert angesetzt werden, wenn ein zuvor bestehendes3 deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des übergehenden Vermögens4 nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird.5 Diese Entstrickungsklausel hat bei Inlandsverschmelzungen grds. keine Bedeutung:6

20.69

Geht im Rahmen der Verschmelzung inländisches Betriebsstättenvermögen über, so ergeben sich keine Besonderheiten, weil ohne Rücksicht darauf, ob ein DBA eingreift oder nicht, sowohl für unbeschränkt als auch für beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter die Besteuerung der in dem übergehenden Vermögen gebundenen stillen Reserven uneingeschränkt erhalten bleibt. Bei unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern ist die Besteuerung der stillen Reserven im Rahmen der Besteuerung des Welteinkommens (§ 2 Abs. 1 EStG) und bei beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern die Besteuerung gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ohne abkommensrechtliche Schrankenwirkungen7 gewährleistet.8 Eine Ausnahme ergibt sich allenfalls bei einem verschmelzungsbedingten Zuordnungswechsel übergehender Wirtschaftsgüter von einem in- auf ein ausländisches Betriebsstättenvermögen, das der deutschen Besteuerung entzogen ist oder aber zu einer Anrechnung ausländischer Steuern zwingt. Insoweit kommt es aber für eine Relevanz im Rahmen der Entstrickungsklausel des § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG – ebenso wie im Rahmen der § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG – darauf an, ob sich der Zuordnungswechsel nach den tatsächlichen Verhältnissen zum steuerlichen Übertragungsstichtag vollzieht9, andernfalls richtet sich die Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG.

1 Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 36; Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.17. 2 Betrieb, Teilbetrieb, Mitunternehmeranteil, Bruchteil eines Mitunternehmeranteils und 100%ige Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft; vgl. hierzu Patt in D/P/M, § 24 UmwStG Rz. 87; eine 100% ige Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft nicht als steuerneutralen Einbringungsgegenstand qualifizierend BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; ferner Rasche in R/H/vL3, § 24 UmwStG Rz. 64; vgl. dagegen BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 24.02; BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005, BStBl. I 2009, 671; Patt in D/P/M, § 24 UmwStG Rz. 95. 3 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 24.03 i.V.m. 20.19, 03.19; Schmitt in S/H9, § 24 UmwStG Rz. 210. 4 Auch im Rahmen des § 24 Abs. 3 Satz 2 UmwStG geht es nur um ein Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen, auch wenn dies § 24 Abs. 3 Satz 2 UmwStG – anders als § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG – nicht explizit zum Ausdruck bringt, vgl. Schmitt in S/H9, § 24 Rz. 210. 5 Abzustellen ist auf die beteiligten Mitunternehmer; auf die Gewerbesteuer der übernehmenden Personengesellschaft selbst kommt es nicht an; hierzu Rasche in R/H/vL3, § 24 UmwStG Rz. 111. 6 Vgl. auch Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.10; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 38. 7 Betriebsstättenprinzip: Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA; bei der Einbringung unbeweglichen Vermögens gelten vorrangig Art. 6, Art. 13 Abs. 1 OECD-MA; vgl. Rz. 19.383. 8 Hierzu Rasche in R/H/vL3, § 24 UmwStG Rz. 111. 9 Vgl. Schmitt in S/H9, § 24 UmwStG Rz. 216.

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B. Inländische Umwandlungen mit Auslandsbezug | Rz. 20.72 Kap. 20

Wird im Zuge der Verschmelzung ausländisches Betriebsstättenvermögen übertragen, wird das deutsche Besteuerungsrecht verschmelzungsbedingt ebenfalls weder ausgeschlossen noch beschränkt: Soweit unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind und keine DBA eingreifen, bleibt die Besteuerung im Rahmen des Welteinkommens auch nach verschmelzungsbedingtem Vermögensübergang uneingeschränkt erhalten. Greift ein DBA ein, ist das deutsche Besteuerungsrecht durch das abkommensrechtlich verankerte Betriebsstättenprinzip (Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA; vgl. Rz. 19.385 ff.) im Falle der Anwendung der Freistellungsmethode sowohl vor als auch nach Verschmelzung ausgeschlossen.1 Soweit abkommensrechtlich die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung vermieden wird, tritt durch die Verschmelzung ebenfalls keine Veränderung ein. Im Ergebnis gilt dies auch, soweit beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind: Die Besteuerung der im ausländischen Betriebsstättenvermögen ruhenden stillen Reserven liegt außerhalb der Reichweite der beschränkten Steuerpflicht.2 Im Hinblick darauf wird es in der Praxis in aller Regel beim Ansatz mit dem gemeinen Wert verbleiben (§ 24 Abs. 2 Satz 1 UmwStG).

20.70

III. Spaltung Das UmwStG erfasst die Spaltung von Körperschaften und Personengesellschaften, die nach Maßgabe des UmwG aufgrund partieller Gesamtrechtsnachfolge möglich ist. Ausdrücklich geregelt sind indessen lediglich die Auf- und Abspaltung von Körperschaften3 auf andere Körperschaften (§ 15 UmwStG) und Personengesellschaften (§ 16 UmwStG). Alle anderen im UmwG normierten Fälle der Spaltung haben im UmwStG keine besondere Regelung erfahren. Daher sind etwa die Auf- und Abspaltung von Personengesellschaften sowie die Ausgliederung aus Körperschaften auf Personengesellschaften im UmwStG als Einbringungsvorgänge konzipiert, so dass insoweit entweder § 20, § 21 oder § 24 UmwStG zur Anwendung kommen.4 Zwar ist die Auf- und Abspaltung von Kapitalgesellschaften in den § 15, § 16 UmwStG gesondert geregelt, beide Vorschriften beschränken sich aber im Wesentlichen darauf, die für die Verschmelzung maßgeblichen Vorschriften für entsprechend anwendbar zu erklären und darüber hinaus spaltungsspezifische Besonderheiten zu regeln.

20.71

Steuerrechtlich ist etwa die Auf- und Abspaltung von Kapitalgesellschaften als bloße Umkehrung der Verschmelzung zu verstehen.5 Wie bei einer Verschmelzung treten daher die spaltungsbedingten Steuerfolgen beim übertragenden und übernehmenden Rechtsträger sowie auf Gesellschafterebene ein. Im Hinblick auf diese parallelen Rechtsstrukturen ergeben sich im außensteuerlichen Kontext zwischen Verschmelzung einerseits und Spaltung andererseits keine wesentlichen6 Unterschiede: Für die Auf- und Abspaltung von Kapital- auf Kapitalgesellschaften und von Kapital- auf Personengesellschaften gelten die für die Verschmelzung maßgeblichen Vorschriften und damit auch die dort genannten Entstrickungsklauseln, also insbesondere § 15 Abs. 1 Satz 1 UmwStG i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 13 Abs. 2 Satz 1

20.72

1 Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (120). 2 Vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663; Schaumburg, GmbHR 1996, 414 (424). 3 Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf Kapitalgesellschaften. 4 Schumacher in R/H/vL3, § 15 UmwStG Rz. 1, § 16 UmwStG Rz. 1. 5 Schumacher in R/H/vL3, § 15 UmwStG Rz. 4; Asmus in H/M/B5, § 15 UmwStG Rz. 3. 6 Für die bei Aufspaltungen und Abspaltungen zu beachtenden Teilbetriebsvoraussetzungen stellt sich bei rein inländischen Vorgängen die Frage, ob auch insoweit der Teilbetriebsbegriff der FRL Anwendung findet, vgl. Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.167 ff. m.w.N.

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Kap. 20 Rz. 20.72 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

Nr. 1 UmwStG sowie § 16 Satz 1 UmwStG i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 4 Abs. 4 Satz 2, § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG. Für die Spaltung von Personengesellschaften sind die Einbringungsvorschriften des UmwStG (§ 20, § 21, § 24 UmwStG) verbindlich, die zugleich auch für die Verschmelzung von Personengesellschaften auf Kapital- oder Personengesellschaften anwendbar sind. Damit greifen auch hier die gleichen Entstrickungsklauseln ein1 wie bei den entsprechenden Verschmelzungen. Das bedeutet im Ergebnis, dass bei Inlandsspaltungen die Steuerneutralität gewährleistet ist, soweit das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der im Zuge der Spaltung übergehenden Wirtschaftsgütern nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird.2 Soweit keine Entstrickungsklauseln normiert sind, kommen im Übrigen auch hier die für die Verschmelzung maßgeblichen Grundsätze entsprechend zur Anwendung. Für die vorgenannten Fälle der Spaltung ergeben sich allerdings Beschränkungen im persönlichen Anwendungsbereich (§ 1 Abs. 4 UmwStG). Hieraus folgt, dass nicht in der EU/EWR ansässige Rechtsträger nur dann von der Reichweite der § 15, § 16 UmwStG erfasst werden, wenn spaltungsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG). Diese Einschränkung gilt nicht für die Auf- und Abspaltung von Personengesellschaften und für die Ausgliederung auf Personengesellschaften (§ 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG).

20.73

Greifen DBA ein, gelten die für die Verschmelzung maßgeblichen Qualifikationsregeln ebenfalls entsprechend: Etwaige Übertragungsgewinne3 unterliegen z.B. bei Kapitalgesellschaften dem Art. 13 Abs. 1 OECD-MA, soweit unbewegliches Vermögen betroffen ist, und dem Art. 13 Abs. 2 OECD-MA, soweit sie bewegliches Betriebsstättenvermögen betreffen.4 Dementsprechend liegt das Besteuerungsrecht beim Belegenheits- oder Betriebsstättenstaat (Rz. 19.381 ff., 19.385 ff.). Bei Personengesellschaften sind die gleichen Regeln anzuwenden (Art. 13 Abs. 1, 2 OECD-MA). Soweit ein Übernahmegewinn entsteht,5 handelt es sich regelmäßig um Veräußerungsgewinne gem. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA, für die dem jeweiligen Betriebsstättenstaat das Besteuerungsrecht zusteht. Entsprechendes gilt für den spaltungsbedingten Anteilstausch auf Gesellschafterebene, für den entweder Art. 13 Abs. 5 OECD-MA (Privatvermögen) oder Art. 13 Abs. 2 OECD-MA (Betriebsvermögen) in Betracht kommt.6

IV. Formwechsel 20.74

Der den §§ 190 ff. UmwG zugrunde liegenden Konzeption des identitätswahrenden Formwechsels wird durch das UmwStG insoweit eine Absage erteilt, als für sog. heterogene7 Form-

1 § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG. 2 Bei § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG wird allerdings darauf abgestellt, dass das deutsche Besteuerungsrecht am Gewinn aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird. 3 § 16 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1, § 3, § 20 Abs. 4, § 21 Abs. 3 UmwStG. 4 Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (125 f.); Rz. 19.387. 5 Bei der Auf- und Abspaltung von Kapital- auf Kapitalgesellschaften aufgrund von § 15 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG. 6 Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (126); Rz. 19.387. 7 Bei einem homogenen Formwechsel (Personengesellschaft in Personengesellschaft, Kapitalgesellschaft in Kapitalgesellschaft) kommt es ertragsteuerrechtlich bereits zu keinem gewinnrealisierenden Vermögensübergang.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.74 Kap. 20

wechsel, also für Formwechsel von Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften und von Personengesellschaften in Kapitalgesellschaften, ein Vermögensübergang unterstellt wird.1 Im Hinblick darauf verweisen die § 9, § 25 UmwStG in den vorgenannten Fällen des Formwechsels auf die für die Verschmelzung geltenden Vorschriften des UmwStG. Im außensteuerlichen Kontext gibt es daher im Grundsatz keine Unterschiede zwischen Verschmelzung einerseits und Formwechsel andererseits.2 Das gilt allerdings abkommensrechtlich in den Fällen nicht, in denen aufgrund der in § 9 UmwStG verankerten Verweisung auf die Verschmelzungsvorschriften auf Gesellschaftsebene ein Übernahmegewinn3 und auf Gesellschafterebene ein verschmelzungsbedingter Anteilstausch (§ 13 UmwStG) anzunehmen ist: Nach den Regeln des UmwStG wird zwar bei rechtsformübergreifendem (heterogenem) Formwechsel ein Vermögensübergang (§ 9 UmwStG) fingiert, diese Fiktion schlägt aber nicht auf Abkommensebene durch, so dass insoweit nicht der an eine Veräußerung anknüpfende Art. 13 OECD-MA, sondern Art. 21 Abs. 1 OECD-MA (andere Einkünfte) und ausnahmsweise Art. 7 OECD-MA4 eingreifen.5 Hieraus folgt, dass in aller Regel das ausschließliche Besteuerungsrecht beim Wohnsitzstaat liegt. Als umwandlungssteuerrechtlicher Formwechsel (§ 25 UmwStG) ist auch die Option zur Besteuerung einer Personengesellschaft wie eine Kapitalgesellschaft nach § 1a KStG konzipiert.6 Mit Wirksamwerden der Option ergeben sich daher im Grundsatz die gleichen Fragestellungen wie bei einem echten Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft mit Auslandsbezug.7 Soweit es für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG auf ein uneingeschränktes deutsches Besteuerungsrecht an den erhaltenen Anteilen ankommt (in Drittstaaten ansässige Gesellschafter), kann dieses über das Treaty-Override des § 50d Abs. 14 EStG i.d.F. des KöMoG gewährleistet sein.

C. Grenzüberschreitende Umwandlungen Literatur: Kommentare zum UmwG/UmwStG; Baumhoff/Cordes, Aktuelle Praxisfragen des Umwandlungssteuerrechts, in Antonakopoulus/Engel/Gille (Hrsg.), Unternehmenskauf und Unternehmensumwandlung, Festschrift für Rainer Heurung, 2021, 35; Bauschatz, in Lüdicke/Mellinghoff/Rödder (Hrsg.), Festschrift für Dietmar Gosch, München 2016, Steuerliches Einlagekonto und grenzüberschreitende Verschmelzung, 23 ff.; Becker-Pennrich, Die Sofortversteuerung nach § 21 Abs. 2 Satz 2 UmwStG beim grenzüberschreitenden Anteilstausch, IStR 2007, 684; Beinert/Benecke, Internationale Aspekte der Umstrukturierung von Unternehmen, FR 2010, 1009, 1120; Beiser, Grenzüberschreitende Einbringung zwischen Österreich und Deutschland, DB 2009, 645; Benecke, Anwendungsbereich des UmwStG und Rückwirkung nach dem UmwSt-Erlass 2011, GmbHR 2012, 113; Benz/Rosenberg, Einbringungen von Unternehmensteilen in eine Kapitalgesellschaft und Anteilstausch (§§ 20-23 UmwStG), DB-Beilage 1/2012, 38; Blank/Brunnhübner, Adressat des Buchwertantrags im Fall einer OutboundEinbringung eines Mitunternehmeranteils an eine deutsche Personengesellschaft, IStR 2020, 973; Blu-

1 Stv. Birkemeier in R/H/vL3, § 9 UmwStG Rz. 2. 2 Beispielsfall eines Formwechsels einer inländischen GmbH in eine KG bei Weiss, PIStB 2020, 165 ff. 3 § 4 UmwStG (Personengesellschaften); § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG (Kapitalgesellschaften). 4 Wenn die Anteile etwa an der untergehenden Kapitalgesellschaft schon vor dem Formwechsel tatsächlich zu einem Betriebsstättenvermögen des Gesellschafters gehört haben. 5 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 13 OECD-MA Rz. 24; Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (124); hierzu auch Rz. 19.474. 6 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 24 ff. 7 S. zu Einzelheiten Böhmer/Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 ff.

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Kap. 20 | Internationales Umwandlungssteuerrecht menberg, Steuerfragen im Zusammenhang mit der Sitzverlegung der Europäischen Gesellschaft, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 559; Böhmer/Schewe/Schlücke, Neujustierung der Grenzen des deutschen Besteuerungsrechts durch das ATAD-UmsG und das KöMoG, FR 2021, 765; Böhmer/Wegener, Zum Verhältnis der Verstrickung zu sonstigen Vorschriften des nationalen Rechts, Ubg 2015, 69; Brähler/Heerdt, Steuerneutralität bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen unter Beteiligung hybrider Gesellschaften, StuW 2007, 260; Brähler/Blankemeyer, Steuerneutralität bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen zwischen Deutschland und EU-/EWR-Staaten – dargestellt am Beispiel Österreichs, RIW 2012, 288; Breuninger, Die „Zentralfunktion des Stammhauses“ bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, in Spindler/ Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 587; von Brocke/Goebel/Ungemach/von Cossel, Zur steuerlichen Rückwirkung bei grenzüberschreitenden Umwandlungsvorgängen, DStZ 2011, 684; Bungert/de Raet, Grenzüberschreitender Formwechsel in der EU, DB 2014, 761; von Busekist, Umwandlung einer GmbH in eine im Inland ansässige EU-Kapitalgesellschaft am Beispiel der englischen Ltd., GmbHR 2004, 650; Damas, Einführung in das neue Umwandlungssteuerrecht, DStZ 2007, 129; Ditz, Betriebsstättengewinnabgrenzung nach dem „Authorised OECD Approach“ – Eine kritische Analyse, ISR 2012, 48; Ege/Klett, Praxisfragen der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften, DStR 2012, 2442; Ettinger/Königer, Steuerliche Rückwirkung bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungsvorgängen, GmbHR 2009, 590; FGS/BDI (Hrsg.), Der Umwandlungssteuer-Erlass 2011, 64; Förster in Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Festschrift für Dieter Endres, München 2016, Ertragsteuerliche Konsequenzen von Outbound-Einbringungen in Kapitalgesellschaften, 113; Förster, Grenzüberschreitende Umstrukturierungen, DStR 2020, 865; Förster, Grenzüberschreitende Aufspaltung und Abspaltung von Kapitalgesellschaften, in Herzig/Förster/ Schnitger/Levedag (Hrsg.), Besteuerung im Wandel, FS für Wolfgang Kessler, München 2021, 415; Förster/Wendland, Einbringung von Unternehmensteilen in Kapitalgesellschaften, BB 2007, 631; Frotscher, Gedanken zur Zentralfunktion der Geschäftsleitungs-Betriebsstätte, in Strunk/Wassermeyer/Kaminski (Hrsg.), Unternehmensteuerrecht und Internationales Steuerrecht, GS für Krüger, Bonn/Berlin 2006, 95; Fuhrmann, Grenzüberschreitender Anteilstausch innerhalb der EU, DStZ 2007, 111; Gebhardt/Reppel, Die neuen Subject-to-tax-Klauseln in deutschen DBA – Praxisfälle und Zweifelsfragen im Kontext des BMF-Schreibens vom 20.6.2013, IStR 2013, 760; Girlich/Philipp, Entstrickungsaspekte bei der Hinausverschmelzung von Kapitalgesellschaften, Ubg 2012, 150; Göbel/Ungemach, Entstrickungsfallen des UmwStG bei internationalen Umwandlungen, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, Herne 2011, 427 ff.; Goebel/Ungemach/Stefaner/Steevensz/Thomas/Fluck, Die grenzüberschreitende Verschmelzung einer deutschen Kapitalgesellschaft, PiStB 2014, 49; Günes, Grenzüberschreitende Verschmelzungen unter Beteiligung von Kapitalgesellschaften aus Drittstaaten, IStR 2013, 213; Haase, Besteuerung der SE, Ubg 2020, 640 (655); Häck, Abkommensrechtliche Zuordnung von Beteiligungen zu Betriebsstätten nach BFH, OECD und Finanzverwaltung, ISR 2015, 113; Hageböke/Stangl, „Überschießende Richtlinienumsetzung“: Verstoß der „Nichtnegativitätsbedingung“ in § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG 2006 gegen Art. 4 i.V.m. Art. 9 FRL, FR 2021, 680; Hahn, Grenzüberschreitender Formwechsel und grenzüberschreitende Sitzverlegung („VALE“), jurisPR-SteuerR 39/ 2012 Anm. 6; Heckschen, Grenzüberschreitender Formwechsel, ZIP 2015, 2049; Heerdt, Steuersubjektqualifikationskonflikte bei Einbringung in eine Kapitalgesellschaft, IStR 2012, 866; Henkel/Port, Internationale Umwandlungen, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. 2018, Rz. 11.1 ff.; Herbort/Schwenke, „Kapitalertragsteuerfalle“ beim grenzüberschreitenden Upstream-Merger?, IStR 2016, 567; Hruschka, Umwandlung Kapital- auf Personengesellschaften (§ 3 ff. UmwStG), DStR-Beihefter 2/2012, 4; Hruschka/Hellmann, Bewertungswahlrechte bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, DStR 2010, 1961; Hruschka/Schicketanz, Vom Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung zur Vermeidung weißer Einkünfte, ISR 2015, 164; Hushahn, Grenzüberschreitender Formwechsel im EU/EWR-Raum – die identitätswahrende statutenwechselnde Verlegung des Satzungssitzes in der notariellen Praxis –, RNotZ 2014, 137; Jochum/Hemmelrath, Der grenzüberschreitende Hinausformwechsel in Europa, IStR 2019, 517; Kahle/Cortez, Zuzug von Kapitalgesellschaften im Ertragsteuerrecht, FR 2014, 673; Kahle/Eichholz, Ausgewählte Aspekte der Bildung und Auflösung eines Ausgleichspostens nach § 4g EStG, FR 2015, 7; Kahle/Vogel, Fiktive Steueranrechnung in Umwandlungsfällen, ISR 2013, 234; Kahlenberg/Mair/Strauch, Der grenzüberschreitende Anteilstausch, StuB 2013, 698; Klingberg/van Lishaut, Ausländische Umwandlungen im deutschen Steuerrecht, FR

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Kap. 20 1999, 1209; Klingberg/Nitzschke, Grenzüberschreitende Umwandlungen am Beispiel grenzüberschreitender Verschmelzungen, Ubg 2011, 451; Köhler, Der Wegzug von Unternehmen und Unternehmensteilen in der EU, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 813; Köhler, Grenzüberschreitende Outbound-Verschmelzung und Sitzverlegung vor dem Hintergrund der jüngsten BFH-Rechtsprechung, IStR 2010, 337; Kollruss, Umwandlungssteuerrecht beim Anteilstausch europarechtswidrig?, FR 2018, 583; Körner, Ent- und Verstrickung, IStR 2009, 741; Kraft/Dombrowski, Die praktische Umsetzung des „Authorized OECD Approach“ vor dem Hintergrund der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, FR 2014, 1105; Kraft/Poley, Zweifelsfragen bei der Hereinverschmelzung von Kapital- auf Personengesellschaften – eine Fallstudien-gestützte Analyse, FR 2014, 1; Kraft/Poley, Steuerliche Problembereiche im Kontext der Hinausverschmelzung von Kapital- auf Personengesellschaften, FR 2013, 1113; Kraft/Poley, Fallstudie zur grenzüberschreitenden Hereinverschmelzung von Kapitalgesellschaften, SteuerStud 2013, 161; Kraft/Poley, Fallstudie zur grenzüberschreitenden Hinausverschmelzung von Kapitalgesellschaften, SteuerStud 2012, 542; Kredig, Das System der Besteuerung stiller Reserven bei Unternehmensumstrukturierungen, 2015; Kumpf/Roth, Grundsätze der Ergebniszuordnung nach den neuen Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen, DB 2000, 741; Lemaitre/Schönherr, Die Umwandlung von Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften durch Verschmelzung und Formwechsel nach der Neufassung des UmwStG durch das SEStEG, GmbHR 2007, 173; Ley, Einbringungen nach §§ 20, 24 UmwStG in der Fassung des SEStEG, FR 2007, 109; Lüdicke, Subject-to-tax-Klauseln nach den DBA – Bemerkungen zum BMF-Schreiben vom 20. 6. 2013, IStR 2013, 721; Mayer, Anteilstausch über die Grenze, PiStB 2009, 186; Mouldi/Loose, Greift eine Switch-over-Klausel bei Einbringung der US-Betriebsstätte einer deutschen Kapitalgesellschaft in eine US-Corporation?, IStR 2012, 829; Mutscher, Anwendungsbereich der fiktiven Steueranrechnung im UmwStG, IStR 2010, 820; Nagel/Koglin, Grenzüberschreitender Anteilstausch mit sonstiger Gegenleistung, IWB 2017, 555; Nentwig, Verlegung des Satzungssitzes einer deutschen GmbH ins europäische Ausland – dargestellt am Beispiel Luxemburg, GWR 2015, 447; Oppel, Einbringung einer Anrechnungsbetriebsstätte in ausländische Kapitalgesellschaften, NWB 2018, 324 ff.; Pohl, Ausgewählte internationale Aspekte des neuen Umwandlungssteuererlasses, IWB 2012, 177; Pöllath/Fischer, Der Zuzug einer europäischen Immobilien-Kapitalgesellschaft nach Deutschland – Recht, Steuern, Bilanzen, IStR 2015, 778; Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2013; Roß, Handelsrechtliche Bilanzierung beim grenzüberschreitenden Formwechsel, DB 2019, 197; Schaumberger/ Stößel, Entstrickungsgefahren bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften anhand ausgewählter Fallbeispiele, FR 2020, 1123; Schaumburg, Steuerliche Restriktionen bei internationalen Umwandlungen, GmbHR 2010, 1341; Schaumburg, Grenzüberschreitende Umwandlungen, GmbHR 1996, 501, 585; Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Internationales Umwandlungssteuerrecht, Köln 1996; Schell, Internationale Bezüge bei Verschmelzungen zwischen Körperschaften, FR 2012, 101; Schell, Kapitalertragsteuerpflicht bei grenzüberschreitender Verschmelzung einer deutschen Kapitalgesellschaft auf eine EU/EWR-Kapitalgesellschaft?, IStR 2008, 397; Schießl, Erstmalige Feststellung eines steuerlichen Einlagekontos von ausländischen Körperschaften im Fall der Hereinverschmelzung, DStZ 2008, 852; Schmitt/Schloßmacher, Umwandlungssteuererlass UmwStE 2011, 2012; Schnittker/Benecke, Wegzug und Zuzug von Personengesellschaften, FR 2010, 565; Schön, Das System der gesellschaftsrechtlichen Niederlassungsfreiheit nach VALE, ZGR 2013, 333; Schönfeld/Häck, Der Methodenartikel in der deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, ISR 2013, 168; Schönhaus/Müller, Grenzüberschreitender Formwechsel aus gesellschafts- und steuerrechtlicher Sicht, IStR 2013, 174; Sistermann, Der neue Umwandlungssteuererlass – Umwandlungen mit Auslandsbezug, in Lüdicke (Hrsg.), Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 40, 2012, 161; Stadler/Jetter, Grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften und steuerliches Einlagekonto, IStR 2009, 336; Tauser, Grenzüberschreitende Mobilität von Kapitalgesellschaften: Verlegung des Verwaltungs- und/oder Satzungssitzes, in Herzig/Förster/Schnitger/Levedag (Hrsg.), Besteuerung im Wandel, FS für Wolfgang Kessler, München 2021, 213; Thömmes, Grenzüberschreitende Umwandlung von Gesellschaften, NWB 2012, 3018; Viebrock/Hagemann, Verschmelzung mit grenzüberschreitendem Bezug, FR 2009, 737; Wachter, Grenzüberschreitender Herein-Formwechsel in die deutsche GmbH, GmbHR 2016, 738; Wassermeyer/Richter/Schnittker (Hrsg.), Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2015; Wassermeyer, Die abkommensrechtliche Aufteilung von Unternehmensgewinnen zwischen den beteiligten Vertragsstaaten,

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Kap. 20 Rz. 20.75 | Internationales Umwandlungssteuerrecht IStR 2012, 277; Wicke, Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels, DStR 2012, 1756; M. Winter/Marx/De Decker, Von Paris nach Charlottenburg – zur Praxis grenzüberschreitender Formwechsel, DStR 2016, 1997.

I. Allgemeines 20.75

Grenzüberschreitenden Umwandlungen im Wege der Gesamtechtsnachfolge sind derzeit nicht unerhebliche gesellschaftsrechtliche Grenzen gesetzt. Explizit geregelt sind nur die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf Kapitalgesellschaften im EU-/EWR-Bereich gem. §§ 122a ff. UmwG1 sowie zur Gründung einer SE2 gem. Art. 17 Abs. 2 SE-VO und die Hereinverschmelzung einer EU-/EWR-Kapitalgesellschaft auf eine inländische Personenhandelsgesellschaft mit in der Regel nicht mehr als 500 Arbeitnehmern (§ 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG) (hierzu ausf. Rz. 20.2 f.). Grenzüberschreitende Spaltungen von EU-/ EWR-Kapitalgesellschaften müssten zwar bereits derzeit ebenso wie grenzüberschreitende Umwandlungen unter Beteiligung von Personengesellschaften im EU-/EWR-Raum unionsrechtlich zugelassen werden (s. Rz. 20.2), in der Rechtspraxis lassen sich derartige Umwandlungen angesichts verbleibender Rechtsrisiken derzeit aber (noch) nicht beobachten. In Umsetzung der sog. Umwandlungsrichtlinie bis spätestens zum 31.1.2023 wird jedoch zumindest eine Rechtsgrundlage für die grenzüberschreitende Spaltung von Kapitalgesellschaften geschaffen werden (Rz. 20.2). Gleiches gilt für den identitätswahrenden, ohne Vermögensübertragung einhergehenden „grenzüberschreitenden Formwechsel“ von Kapitalgesellschaften, der aber auch bisher bereits in praxi durchführbar war (Rz. 20.2). Grenzüberschreitende Umwandlungen mit Gesamtsrechtsnachfolge im Verhältnis zu Drittstaaten sind umwandlungsrechtlich (auch künftig) insgesamt nicht möglich. Grenzüberschreitende Umwandlungen im Wege der Einzelrechtsnachfolge (Einbringungen) vollziehen sich außerhalb des UmwG und sind unter Berücksichtigung der jeweils nach dem Internationalen Privatrecht maßgeblichen Rechtsvorschriften der beteiligten Staaten zulässig.

20.76

Im Unterschied zum Umwandlungsgesetz ist das Umwandlungssteuergesetz in Orientierung an den europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten durch eine weitreichende Europäisierung geprägt, womit im Ergebnis eine an sich europarechtlich gebotene weitere Öffnung des Umwandlungsrechts durch das Steuerrecht antizipiert wird. Das Umwandlungssteuerrecht regelt somit die steuerlichen Rechtsfolgen nicht nur für die Verschmelzungen i.S.v. §§ 122a ff. UmwG bzw. Art. 17 Abs. 2 SE-VO, sondern auch für grenzüberschreitende Umwandlungen mit Gesamtrechtsnachfolge, die z.B. unionsrechtlich geboten, im Umwandlungsgesetz derzeit aber noch nicht konkret geregelt sind.3 Rechtspraktisch sind – mit Ausnahme des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwStG4 – die weitergehenden Regelungen des UmwStG, die ohne Einschränkung

1 §§ 122a ff. UmwG wurden im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH in Sachen Sevic Systems (EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, BB 2006, 11) sowie die RL 2005/56/EG des europäischen Parlaments und des Rates v. 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. EU 2005 Nr. L 310, 1 (Verschmelzungsrichtlinie) eingefügt, s. „Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes“ v. 19.4.2007 (BGBl. I 2007, 542). 2 Für die SCE, die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea), gilt Vergleichbares auf Basis des Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003. Die SCE wird hier nicht weiter betrachtet. 3 Vgl. Schumacher in Lutter6, Einl. II Rz. 28. 4 Aber nur für die grenzüberschreitenden Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften i.S.v. §§ 122a UmwG und Art. 17 Abs. 2 SE-VO.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.78 Kap. 20

grenzüberschreitende Umwandlungen i.e.S. im EU-/EWR-Bereich erfassen1, derzeit aber aus den genannten (gesellschaftsrechtlichen) Gründen leerläufig.2 Umwandlungssteuerrechtlich fallen im Anschluss an die Erweiterungen durch das KöMoG (Rz. 20.5) grds. auch grenzüberschreitende Umwandlungen im Verhältnis zu Drittstaaten in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 UmwStG. Diese sind jedoch umwandlungsrechtlich weiterhin nicht durchführbar.3 Grenzüberschreitende Umwandlungen im Wege der Einzelrechtsnachfolge (Einbringungen) durch Übertragung von betrieblichen Sachgesamtheiten4 in Kapital- und Personengesellschaften (§ 20, § 24 UmwStG) sowie im Wege des sog. Anteilstauschs (§ 21 UmwStG) fallen in den sachlichen Anwendungsbereich des UmwStG (§ 1 Abs. 3 Nr. 4, Nr. 5 UmwStG). Der persönliche Anwendungsbereich ist bei Einbringungen von Sachgesamtheiten in Personengesellschaften (§ 24 UmwStG) unbeschränkt (§ 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG). Bei grenzüberschreitenden Einbringungen von Sachgesamtheiten in Kapitalgesellschaften (§ 20 UmwStG) ist hingegen erforderlich, dass (i) die übernehmende Kapitalgesellschaft eine EU-/EWR-Gesellschaft ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG) und zudem (ii) entweder der Einbringende den EU-/ EWR-Bezug vorweisen kann (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwStG) oder das Besteuerungsrecht Deutschlands an den Gewinnen aus der Veräußerung der im Zuge der Einbringung erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG). Die Kapitalverkehrsfreiheit gebietet indes, auch Einbringungen nach § 20 UmwStG durch Drittstaatengesellschafter in den persönlichen Anwendungsbereich einzubeziehen.5 Beim Anteilstausch bedarf es nur bei der übernehmenden Gesellschaft des EU-/EWR-Bezugs, der Einbringende kann auch in einem Drittstaat ansässig sein.6

20.77

II. Verschmelzung 1. Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften Die grenzüberschreitende Hinaus- bzw. Hereinverschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften7 war rechtstechnisch bisher generell nicht von der Reichweite des UmwG erfasst (Rz. 20.2). Seit dem 1.1.2019 ist auch die Hereinverschmelzung einer EU-/EWR-Kapitalgesellschaft auf eine inländische Personenhandelsgesellschaft mit in der Regel nicht mehr als 500 Arbeitnehmern (§ 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG) umwandlungsrechtlich möglich.8 Um-

1 Insbesondere Umwandlungen von Kapital- auf Personengesellschaften i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwStG, Verschmelzungen von Personengesellschaften auf Kapital- oder Personengesellschaften i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 UmwStG, die Ausgliederung von Vermögensteilen i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 2 UmwStG. 2 Schumacher in Lutter6, Einl. II Rz. 28. 3 Aus diesem Grund bleiben sie nachfolgend außer Betracht. 4 Betrieb, Teilbetrieb, Mitunternehmeranteil. 5 Vgl. ausf. Hageböke/Stangl, Ubg 2021, 242 ff.; Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2021, 765 (773); s. auch den Reformvorschag bei Jacobsen, DStZ 2021, 490 ff. 6 § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwStG bezieht sich nicht auf § 1 Abs. 3 Nr. 5 UmwStG. Von der Anwendbarkeit des UmwStG zu trennen ist die Frage, ob der Anteilstausch bei einem in einem Drittstaat Ansässigen zu Buchwerten erfolgen kann, vgl. § 21 Abs. 2 Satz 2 ff. UmwStG. 7 Angesprochen sind grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapital- auf Personengesellschaften et vice versa sowie zwischen Personengesellschaften. 8 § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG wurde m.W.z. 1.1.2019 eingeführt, s. „Viertes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes“ v. 19.12.2018, BGBl. I 2018, 2694. Zum Hintergrund stv. Klett, NZG 2019, 292.

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20.78

Kap. 20 Rz. 20.78 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

wandlungssteuerrechtlich richten sich die Rechtsfolgen nach den §§ 3 ff. UmwStG.1 Nicht umwandlungsrechtlich möglich sind weiterhin Hinausverschmelzungen von inländischen Kapital- oder Personengesellschaften auf ausländische Personengesellschaften sowie von ausländischen auf inländische Personengesellschaften. Auch die Umwandlungsrichtlinie sieht eine entsprechende Erweiterung der Umwandlungsmöglichkeiten nicht vor (Rz. 20.2). Insoweit besteht jedoch im Hinblick auf die einschlägige EuGH-Rechtsprechung2 weitgehend Einigkeit darüber, dass die Niederlassungsfreiheit im Grundsatz gebietet, auch andere grenzüberschreitende Umwandlungen im EU-/EWR-Raum wie die grenzüberschreitende Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften zuzulassen.3 In der Rechtspraxis sind derartige Umwandlungen derzeit aber aufgrund der verbleibenden Unsicherheiten in rechtstechnischen Details4 (noch nicht) zu beobachten.5 Gegenüber dem UmwG ist das UmwStG insoweit schon einen Schritt weiter, als der Anwendungsbereich für entsprechende grenzüberschreitende Verschmelzungen im EU-/EWR-Raum und teilweise auch im Verhältnis zu Drittstaaten eröffnet wäre. Sobald die rechtspraktischen Hürden beseitigt sind, stünde daher ein umwandlungssteuerrechtliches Regelungskonzept schon bereit.6

20.79

Die in der Rechtspraxis bisher einsetzbaren Ersatzkonstruktionen7 zur Erzielung wirtschaftlich vergleichbarer Ergebnisse lassen sich häufig nicht steuerneutral umsetzen.8 Im Hinblick auf einen nun rechtspraktisch durchführbaren grenzüberschreitenden Formwechsel (Rz. 20.02) kann heute im EU-/EWR-Raum aber das gleiche Ergebnis auch durch einen (i) grenzüberschreitenden Formwechsel der umzuwandelnden Kapital- bzw. Personengesellschaft in den Sitzstaat

1 Insoweit sind die Ausführungen in Rz. 20.29 ff. entsprechend heranzuziehen. Vgl. hierzu ausf. auch Kraft/Poley, FR 2014, 1 ff. 2 Ausf. zur Entwicklung Limmer/Knaier in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung6, Teil 6 Kap. 1 Rz. 15 ff.; Schön, ZGR 2013, 333. Die Entscheidungen Centros (EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, FR 1999, 449), Überseering (EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI: EU:C:2002:632, GmbHR 2002, 1137) und Inspire Art (EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C: 2003:512, GmbHR 2003, 1260) betrafen die Anforderungen an die grenzüberschreitende Anerkennung von Gesellschaften. In Sevic Systems (EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, BB 2006, 11) wurde der grenzüberschreitenden Verschmelzung der Weg bereitet. Die Entscheidungen Daily Mail (EuGH v. 27.9.1988 – C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456, DB 1989, 269) und Cartesio (EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, DB 2009, 52) sowie VALE (EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLIEU:C:2012:440, EuZW 2012, 621) und Polbud (EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, EuZW 2017, 906), setzten sich mit der Behandlung zu- bzw. wegziehender Gesellschaften im Gründungsstaat auseinander. 3 Marsch-Barner/Wilk in Kallmeyer7, § 122a UmwG Rz. 6; Gsell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.64 ff. m.w.N.; Hoffmann, NZG 2019, 1208 ff. 4 Vgl. Bayer in Lutter6, § 122a UmwG Rz. 13. 5 Vgl. Schumacher in Lutter6, Einl. II Rz. 28, 81. 6 Aufgrund der derzeit (noch) nicht gegebenen Praxisrelevanz soll hier nicht weiter auf entsprechende grenzüberschreitende Verschmelzungen eingegangen werden. Vgl. hierzu ausf. Kredig, Das System der Besteuerung stiller Reserven bei Unternehmensumstrukturierungen, 2015; Kraft/Poley, FR 2014, 1 ff.; Kraft/Poley, FR 2013, 1113 ff. Zu Konstellationen mit doppelansässigen Kapitalgesellschaften s. Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.168 ff. und 6.193 ff. 7 Vgl. Rödder in R/H/vL3, Einführung UmwStG Rz. 60; von Busekist, GmbHR 2004, 650 (653 ff.) sowie die Vorauflage, Rz. 20.79 (dort Fn. 7). 8 Vgl. das Beispiel bei Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.145 ff.

1030 | Häck

C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.80 Kap. 20

der aufnehmenden Personengesellschaft1 mit (ii) anschließender reiner Inlands- oder Auslandsverschmelzung herbeigeführt werden.2 Im Übrigen sind ggf. ähnliche Ergebnisse durch Einzelrechtsübertragungen erreichbar. So können bspw. sämtliche Mitunternehmeranteile an der Personengesellschaft nach §§ 20 ff. UmwStG grenzüberschreitend in die aufnehmende Kapitalgesellschaft mit anschließender Anwachsung des Personengesellschaftsvermögens eingebracht werden.3 Entsprechend kann – im Anwendungsbereich des § 24 UmwStG – bei Personengesellschaften als übernehmenden Rechtsträger verfahren werden.4

2. Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf Kapitalgesellschaften a) Anwendungsbereich des UmwG und des UmwStG Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf Kapitalgesellschaften ist umwandlungsrechtlich nur in den Fällen des §§ 122a ff. UmwG5 vorgesehen. Danach ist eine grenzüberschreitende Verschmelzung möglich6, wenn die beteiligten Kapitalgesellschaften (i) nach dem Recht eines EU-/EWR-Staates gegründet worden sind, (ii) Satzungssitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in einem EU-/EWR-Staat haben und (iii) mindestens eine der beteiligten Gesellschaften dem Recht eines anderen EU-/EWR-Staates unterliegen (§ 122a Abs. 1, § 122b Abs. 1 UmwG). Darüber hinaus sind zur Gründung einer SE7 grenzüberschreitende Verschmelzungen von Aktiengesellschaften auf Basis der SE-VO8 möglich (Art. 2 Abs. 1 SE-VO), indem – bei Verschmelzung zur Aufnahme – die aufnehmende Gesellschaft bei der Verschmelzung die Rechtsform der SE annimmt (Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a, Satz 2 SE-VO, Art. 3 Abs. 1 VRL) bzw. – bei Verschmelzung zur Neugründung – die neue Gesellschaft eine SE ist (Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b, Satz 3 SE-VO, Art. 4 Abs. 1 VRL).9 Soweit eine Hinaus- oder Hereinverschmelzung nach Maßgabe der §§ 122a ff. UmwG oder Art. 17 SE-VO rechtstechnisch nicht zulässig ist, etwa bei der Hinaus- oder Hereinverschmelzung auf bzw. 1 Siehe zu den Voraussetzungen eines steuerneutralen grenzüberschreitenden Formwechsels Rz. 20.101 ff. 2 Zur Variante mit einer wegziehenden SE vgl. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 45. 3 S. auch Sterner in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 7.143. 4 Hierzu Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.9 und Rz. 9.20 ff.; Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.163. 5 §§ 122a ff. UmwG wurden eingefügt durch das Zweite Gesetz zur Änderung des UmwG v. 19.4.2007 (BGBl. I 2007, 542) im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH in Sachen Sevic Systems (EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, BB 2006, 11) sowie die RL 2005/56/EG des europäischen Parlaments und des Rates v. 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. EU 2005 Nr. L 310, 1 (Verschmelzungsrichtlinie). 6 Zum umwandlungsrechtlichen Verfahren ausf. M. Winter in R/H/vL3, Anh. 1 Rz. 386 ff.; Limmer/ Knaier in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung6, Teil 6 Kap. 2 Rz. 74 ff. 7 Für die SCE, die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea), gilt Vergleichbares auf Basis des Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003. Die SCE wird hier nicht weiter betrachtet. 8 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 v. 8.10.2001 über den Status der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG 2001 Nr. L 294. 9 Eine Besonderheit besteht u.a. darin, dass bei der Gründung durch Verschmelzung zur Aufnahme die Sitznahme der SE von der Verschmelzungsrichtung abgekoppelt werden kann, so dass bspw. die Verschmelzung einer deutschen AG auf eine liechtensteinische AG zu einer SE mit Sitz in Deutschland möglich ist. Bei der Verschmelzung zur Neugründung ist der Sitz der neuen SE frei wählbar, kann also auch in einem anderen EU-/EWR-Staat jenseits der Sitzstaaten der Gründerinnen liegen. Zum Ganzen stv. M. Winter in R/H/vL3, Anh. 1 Rz. 442 ff.

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20.80

Kap. 20 Rz. 20.80 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

von in Drittstaaten ansässige Kapitalgesellschaften1, können vergleichbare Ergebnisse nur durch auf Einzelrechtsnachfolge beruhenden (mehraktigen) Ersatzkonstruktionen erreicht werden,2 die aber regelmäßig nicht steuerneutral durchführbar sind und denen daher in der Rechtspraxis eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt.3

20.81

Soweit die Hinausverschmelzung4 oder Hereinverschmelzung5 vom Regelungsbereich der §§ 122a ff. UmwG oder Art. 17 SE-VO erfasst wird, ist der sachliche Anwendungsbereich des UmwStG (§§ 11 ff. UmwStG) eröffnet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). Da bei der Hinaus- und Hereinverschmelzung nach Maßgabe der §§ 122a ff. UmwG in aller Regel die in § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG genannten Kapitalgesellschaften deutschen Rechts übertragende oder übernehmende Rechtsträger sind, finden die Vorschriften des UmwG, soweit sich aus den §§ 122a ff. UmwG nichts anderes ergibt, insgesamt Anwendung (§ 122a Abs. 2 UmwG). Einer Vergleichbarkeitsprüfung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwStG) bedarf es daher insoweit nicht mehr.6 Gleiches gilt für die grenzüberschreitende Verschmelzung zur Gründung einer SE (Art. 17 SE-VO), bei der nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwStG eine Vergleichbarkeitsprüfung entbehrlich ist.7 Einschränkungen des persönlichen Anwendungsbereichs bestehen nach den Änderungen durch das KöMoG (Rz. 20.5) insoweit nicht mehr. Es kommt daher umwandlungssteuerrechtlich nicht mehr darauf an, ob übertragender und übernehmender Rechtsträger nach dem Recht eines EU- oder EWR-Staates gegründete Gesellschaften im Sinne des Art. 54 AEUV oder Art. 34 EWR-Abkommens sind8 bzw. sich deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung in einem EU-/EWR-Staat befinden (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG a.F.). Für die an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligte ausländische Gesellschaft bedarf es aber weiterhin eines Rechtstypenvergleichs zur Bestimmung, ob sie nach dem Gesamtbild mit einer deutschen Kapitalgesellschaft vergleichbar ist.9

1 Nicht abschließend geklärt ist, ob sich die beteiligten Rechtsträger insoweit auf die EU-Grundfreiheiten (Kapitalverkehrsfreiheit) berufen können, verneinend Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.144; Günes, IStR 2013, 213. 2 Hierzu auch Simon/Rubner in KK-UmwG, Vor §§ 122a ff. UmwG Rz. 101 ff. 3 Zu derartigen Ersatzkonstruktionen siehe die 3. Auflage (Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 17.99 ff.) sowie Schaumburg in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 1 (7 f.); Herzig/Förster, DB 1994, 1 (3 f.); Schaumburg, GmbHR 1996, 501 (507); Schaumburg, GmbHR 1996, 585 ff. 4 Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Deutschland auf Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen EU-/EWR-Staat. 5 Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen EU-/EWR-Staat auf Kapitalgesellschaft mit Sitz Deutschland. 6 Ausf. Graw in R/H/vL3, § 1 UmwStG Rz. 36. m.w.N; Hörtnagl in S/H9, § 1 UmwStG Rz. 27; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.288; Klingberg/ Nitzschke, Ubg 2011, 451 (452); a.A. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.21.; Benecke, GmbHR 2012, 113 (114), wonach es sich nicht um eine Verschmelzung i.S.v. § 2 UmwG handeln soll, aber grds. ein „vergleichbarer ausländischer Vorgang“ anzunehmen sei. In der Beratungspraxis ist daher aus Vorsichtsgründen die Vergleichsprüfung vorzunehmen, stv. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 56. 7 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.42. 8 Insoweit „erledigen“ sich bspw. auch Diskussionen um die Zulässigkeit der Hereinverschmelzung einer liechtensteinischen oder luxemburgischen Kapitalgesellschaft, die aus einem identitätswahrenden Zuzug einer ursprünglich in der Schweiz gegründeten AG hervorgegangen ist. 9 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.27. Zum Rechtstypenvergleich BFH v. 18.5.2021 – I R 12/18, BStBl. II 2021, 875; BFH v.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.83 Kap. 20

Ist für die Hinaus- bzw. Hereinverschmelzung das UmwStG anwendbar, so ergeben sich die Besteuerungsfolgen aus den §§ 11 ff. UmwStG: b) Hinausverschmelzung auf EU-/EWR-Kapitalgesellschaften aa) Ebene der übertragenden Kapitalgesellschaft Die übertragende Kapitalgesellschaft hat die im Zuge der Verschmelzung übergehenden Wirtschaftsgüter in ihrer steuerlichen Schlussbilanz1 grds. mit dem gemeinen Wert anzusetzen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 UmwStG), wodurch die in den Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven aufzudecken wären und ein Übertragungsgewinn (zur Besteuerung des Übertragungsgewinns s. Rz. 20.85) entstünde. Abweichend hiervon kann die übertragende Kapitalgesellschaft gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG die Buchwertfortführung wählen, soweit zum steuerlichen Übertragungsstichtag2

20.82

– sichergestellt ist, dass die übergehenden Wirtschaftsgüter später der Besteuerung mit inoder ausländischer3 Körperschaftsteuer unterliegen (Nr. 1), und – ein bisher bestehendes4 deutsches Besteuerungsrecht5 hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft nicht beschränkt oder ausgeschlossen wird (Nr. 2) und – eine Gegenleistung nicht gewährt wird oder nur in Gesellschaftsrechten besteht (Nr. 3).6 Hinsichtlich der bei der Hinausverschmelzung im Vordergrund stehenden Frage der Beschränkung bzw. des Ausschlusses des deutschen Besteuerungsrechts an den Veräußerungsgewinnen sind die folgenden Fallgruppen zu unterscheiden: Geht verschmelzungsbedingt inländisches Betriebsstättenvermögen über, bleibt die Besteuerung der stillen Reserven im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht der übernehmenden ausländischen Kapitalgesellschaft grds. gewährleistet (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2

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20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263; BMF v. 19.3.2004 – IV B 4 - S 1301 USA – 22/04, BStBl. I 2004, 411. Zum Erfordernis, auch (sämtliche) ausländischen Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schussbilanz zu erfassen krit. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.91 ff. Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.05. Die Besteuerung mit einer der deutschen Steuer vergleichbaren ausländischen Körperschaftsteuer ist ausreichend, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.07, 03.17. Dies kann bspw. relevant werden, wenn es sich um übergehendes ausländisches Betriebsvermögen handelt und an der übertragenden Kapitalgesellschaft ausländische Anteilseigner beteiligt sind (vgl. Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.65). Soweit ein entsprechendes deutsches Besteuerungsrecht bereits vor der Verschmelzung nicht bestand, kann es auch nicht „schädlich“ durch die Verschmelzung ausgeschlossen werden, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.09, 03.19; Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 265, 266. Das deutsche Besteuerungsrecht bezieht sich nur auf die Körperschaftsteuer, hingegen nicht auf die Gewerbesteuer (vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.09, 03.18). Dieses Erfordernis wird hier mangels spezifischen Auslandsbezugs nicht weiter betrachtet.

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20.83

Kap. 20 Rz. 20.83 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

Buchst. a EStG).1 Dies gilt unabhängig davon, ob mit dem Ansässigkeitsstaat der aufnehmenden Kapitalgesellschaft ein DBA besteht.2 Gleiches gilt grds. auch für inländisches Grundvermögen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG, Art. 13 Abs. 1 OECD-MA).3 Kommt es abkommensrechtlich im Zusammenhang mit der Umwandlung zu einer das deutsche Besteuerungsrecht beschränkenden oder ausschließenden (tatsächlich) veränderten Betriebsstättenzuordnung einzelner Wirtschaftsgüter der inländischen Betriebsstätte zur ausländischen (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte der übernehmenden Kapitalgesellschaft (Zuordnungswechsel)4, ist zu beachten, dass es für Zwecke der umwandlungssteuerrechtlichen Entstrickungsklauseln (hier: § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG) insoweit allein auf die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des (ggf. rückbezogenen5) steuerlichen Übertragungsstichtag ankommt,6 da bereits ab diesem Zeitpunkt Veräußerungsgewinne beim übernehmenden Rechtsträger ermittelt werden.7 Besteht aus tatsächlichen Gründen zum steuerlichen Übertragungsstichtag noch ein

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S. Beispielsfälle bei Schaumberger/Stößel, FR 2020, 1123 (1124 f.). Im DBA-Fall gilt grds. das Betriebsstättenprinzip, Art. 7, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA. Vgl. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 59. Die Zuordnung von Wirtschaftsgütern erfolgte nach herkömmlichem Verständnis der Finanzverwaltung zwischen „Stammhaus“ und „Betriebsstätte“, wobei die „Zentralfunktion des Stammhauses“ zu beachten ist (vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.20 unter Verweis auf BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 2.4, zuletzt geändert durch BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888 unter 2.4.). Zur Zentralfunktion des Stammhauses auch BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563; BFH v. 7.8.2002 – I R 10/01, BStBl. II 2002, 848; BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771. Kritisch bzw. ablehnend hierzu Beinert/ Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.254 ff. m.w.N.; Breuninger in FS Schaumburg, 587 ff.; Frotscher in GS Krüger, 95 ff.; Kumpf/Roth, DB 2000, 741 (746). Im Hinblick auf die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG, der eine Zuordnung von Wirtschaftsgütern anhand der „(Personal-)Funktionen“ vorsieht, dürfte der These von der „Zentralfunktion des Stammhauses“ die Grundlage entzogen sein (vgl. Prinz in Beck’sches Handbuch der GmbH6, § 16 Rz. 27); Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1105 (1109); Ditz, ISR 2012, 48 (53); Kraft/Poley, FR 2014, 1 (5); Kraft/Poley, FR 2013, 1113 (1119 f.); Wassermeyer, IStR 2012, 277; a.A. mglw. Stadler/Bindl/ Korff in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 13.39). Die Zuordnungsentscheidung wird künftig daher verstärkt anhand der Regelungen der BsGaV v. 13.10.2014 (BGBl. I 2014, 1603, zuletzt geändert durch Gesetz v. 12.5.2021, BGBl. I 2021, 990) und den Präzisierungen durch die VWG BsGa (BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03, BStBl. I 2017, 182, zuletzt geändert durch BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010:003, BStBl. I 2020, 84) vorgenommen werden, vgl. Förster, DStR 2020, 865 (869 f.). 5 Die steuerliche Rückwirkung i.S.v. § 2 Abs. 1 und 2 UmwStG gilt nicht, soweit dadurch Einkünfte aufgrund abweichender Regelungen zur Rückbeziehung in einem ausländischen Staat der Besteuerung entzogen werden (§ 2 Abs. 3 UmwStG), bspw. wenn der ausländische Staat die im Inland zum steuerlichen Übertragungsstichtag entstrickten Einkünfte erst ab einem späteren Zeitpunkt besteuert, vgl. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 13. Zu Einzelheiten des § 2 Abs. 3 UmwStG s. Ettinger/Königer, GmbHR 2009, 590 ff.; von Brocke/Goebel/Ungemach/von Cossel, DStZ 2011, 684 ff. 6 Stv. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.18; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 13; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.179; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.105 u. 8.254 ff.; Hruschka, DStR-Beihefter 2/2012, 4 (6); Hruschka, StuB 2011, 540 (542 f.); Beinert/Benecke, FR 2010, 1009 (1014); Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 (1963); Pohl, IWB 2012, 177 (180); Schaumburg, GmbHR 2010, 1341 (1343 f.) m.w.N.; a.A. Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 182. 7 Vgl. Schmitt in S/H9, § 3 UmwStG Rz. 88.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.84 Kap. 20

deutsches Besteuerungsrecht und wird dieses erst später beschränkt oder ausgeschlossen1, steht § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG einer Buchwertfortführung in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft nicht entgegen.2 Vielmehr finden dann im Zeitpunkt der dem steuerlichen Übertragungsstichtag nachfolgenden Beschränkung bzw. dem nachfolgenden Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts die allgemeinen Entstrickungsvorschriften (§ 12 Abs. 1 KStG) auf Ebene des übernehmenden Rechtsträgers Anwendung.3 Angesprochen sind hiervon v.a. Fälle mit steuerlicher Rückbeziehung der Umwandlung, in denen die tatsächliche Zuordnung von Wirtschaftsgütern ggf. bis zum zivilrechtlich wirksamen Vollzug der Umwandlung häufig unverändert bleibt, mithin der „schädliche“ tatsächliche Zuordnungswechsel erst nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag erfolgt.4 Sollte (ausnahmsweise) im konkreten Fall bereits zum steuerlichen Übertragungsstichtag ein (tatsächlicher) Zuordnungswechsel in Betracht kommen, kann im Rahmen der umwandlungssteuerrechtlichen Entstrickungsklauseln die Beschränkung oder der Verlust des deutschen Besteuerungsrechts mangels Rechtsträgeridentität nicht auf das durch das JStG 2010 eingefügte5 Regelbeispiel in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG gestützt werden.6 Insoweit bestehen die Zweifel an der Wirkkraft der umwandlungssteuerrechtlichen Entstrickungsklauseln7 angesichts der Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme durch den BFH8 fort.9 Geht im Zuge der Verschmelzung ausländisches Betriebsstättenvermögen über, das in Ländern belegen ist, mit denen keine DBA bestehen, werden die in den übergehenden Vermögen ruhenden stillen Reserven der deutschen Besteuerung entzogen, so dass insoweit die übergehenden Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind und demzufolge ein Über1 Weil bspw. ein übergehendes Wirtschaftsgut zum steuerlichen Übertragungsstichtag noch einer deutschen Betriebsstätte zuzurechnen war, die erst später (bspw. bei zivilrechtlichem Vollzug der Verschmelzung) aufgelöst wird. 2 S. insoweit zur Unterscheidung zwischen (umwandlungsbedingter) „rechtlicher“ und (umwandlungsnachfolgender) „tatsächlicher“ (passiver) Entstrickung Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 277; Schmitt in S/H9, § 11 UmwStG Rz. 116; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.179; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.105 u. 8.254 ff.; Hruschka, DStR-Beihefter 2/2012, 4 (6); Hruschka, StuB 2011, 540 (542 f.); Beinert/Benecke, FR 2010, 1009 (1014); Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 (1963); Pohl, IWB 2012, 177 (180); a.A. Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 182, wonach ein „unmittelbarer Zusammenhang“ mit der Umwandlung genüge, bspw. sich im Rückwirkungszeitraum die Zuordnung von Wirtschaftsgütern verändere. 3 Stv. Schmitt in S/H9, § 11 UmwStG Rz. 116; Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 277; Beinert/ Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.105 u. 8.254 ff.; Brähler/ Blankemeyer, RIW 2012, 288 (293). 4 Vgl. die Beispiele bei Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.283 ff.; Schell, FR 2012, 101 (106). 5 JStG v. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768. 6 Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.249; Kutt/Carstens in FGS/BDI, UmwSt-Erlass 2011, 2012, 145; Girlich/Philipp, Ubg 2012, 150 (157, dort in Fn. 101); Klingberg/Nietschke, Ubg 2011, 451 (453); Köhler, IStR 2010, 337 (343); Beinert in Beinert/Benecke, FR 2010, 1009 (1012); a.A. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.18; Pohl, IWB 2012, 177 (181); Benecke in Beinert/Benecke, FR 2010, 1009 (1012). 7 Stv. Köhler, IStR 2010, 337 (343). 8 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432. 9 Vgl. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.249 ff. m.w.N.

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20.84

Kap. 20 Rz. 20.84 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

tragungsgewinn ausgelöst wird.1 Handelt es sich um ausländisches Betriebsstättenvermögen, dessen Gewinne der Besteuerung nach Maßgabe des in Betracht kommenden DBA ausschließlich dem Betriebsstättenstaat zustehen (Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA), greift die Entstrickungsklausel grds. nicht ein. Steuerneutralität kann insoweit gewährleistet werden, da in diesem Fall das übergehende Vermögen bereits bei der übertragenden Kapitalgesellschaft nicht der deutschen Besteuerung unterlag. Das gilt allerdings dann nicht, wenn die abkommensrechtliche Freistellung durch die Treaty-Overriding-Klauseln des § 20 Abs. 2 AStG (Rz. 19.544) bzw. des § 50d Abs. 9 EStG (Rz. 19.525 ff.) bislang verdrängt wurde.2 Durch die Verschmelzung geht in diesem Fall das deutsche Besteuerungsrecht verloren. Soweit abkommensrechtlich vor der Hinausverschmelzung für die ausländischen Betriebsstättengewinne auf Abkommensebene die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung vermieden wurde, entfällt verschmelzungsbedingt ebenfalls das deutsche Besteuerungsrecht, so dass die übergehenden Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind.3 Für die Beurteilung des deutschen Besteuerungsrechts kommt es insoweit ebenfalls allein auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des (rückbezogenen) steuerlichen Übertragungsstichtags an, da bereits ab diesem Zeitpunkt Veräußerungsgewinne beim übernehmenden Rechtsträger ermittelt werden (Rz. 20.83). Der die Entstrickung von ausländischem Betriebsstättenvermögen auslösende Wechsel von unbeschränkter zu beschränkter Steuerpflicht im Zusammenhang mit einer sog. Anrechnungsbetriebsstätte wirkt insoweit auf den steuerlichen Übertragungsstichtag als Anwendungsfall der sog. rechtlichen (passiven) Entstrickung zurück.4

20.85

Soweit bei der übertragenden Kapitalgesellschaft durch den Ansatz von Wirtschaftsgütern zum gemeinen Wert ein Übertragungsgewinn entsteht, ist dieser grds. im Inland körperschaftund gewerbesteuerpflichtig.5 Besteuerungsfolgen hinsichtlich des im Ausland belegenen übergehenden Vermögens ergeben sich unter den folgenden Gesichtspunkten: Greift kein DBA, kann die ausländische Steuer grds. auf eine auf den Einbringungsgewinn anfallende deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer6 angerechnet werden (§ 34c EStG, § 26 KStG). In Abkommensfällen stellt sich ggf. zunächst die Frage, ob der Einbringungsgewinn abkommensrechtlich den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA)7, den Veräußerungsgewinnen (Art. 13 Abs. 2 oder Abs. 5 OECD-MA)8 oder den sonstigen Einkünften (Art. 21 OECD-MA) unterfällt, da hiervon abhängen kann, ob nach dem DBA die Anrechnungs- oder die Freistellungsmethode anzuwenden ist.9 Sieht das DBA zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen 1 Beispiele bei Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.277; Kraft/Poley, SteuerStud 2012, 542 ff. 2 Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 60. 3 Hierzu Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 279; Beispiele bei Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.277, 8.279; Schell, FR 2012, 101 (107). 4 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.20 i.V.m. Beispiel in Rz. 03.19; van Lishaut in R/H/vL3, § 2 UmwStG Rz. 164, 165. 5 Gewerbesteuerrechtlich ist jedoch eine Kürzung um den nicht auf eine inländische Betriebsstätte entfallenden Gewerbeertrag vorzunehmen (§ 9 Nr. 3 GewStG). 6 Mangels Anrechnungsvorschriften aber nicht auf die Gewerbesteuer. 7 Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (122); Viebrock/ Hagemann, FR 2009, 737 (738); Klingberg/van Lishaut, FR 1999, 1222. 8 Vgl. Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 17; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 7; Lieber in S/D2, Art. 13 OECD-MA Rz. 37; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBA-Schweiz Rz. 76; Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20. 9 Die Beurteilung kann im Einzelfall für die Anwendbarkeit einer sog. Aktivitätsklausel oder einer Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern von Bedeutung sein, vgl. Heurung/Engel in Prinz, Um-

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.85 Kap. 20

(ausnahmsweise) generell1 oder speziell2 die Anrechnungsmethode vor, kommt eine Besteuerung in Deutschland zum Tragen, jedoch unter Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern (§ 34c Abs. 1 EStG, § 26 KStG). Schließt das DBA eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer nicht ausdrücklich aus, muss Deutschland auch eine Anrechnung der ausländischen Steuern auf die Gewerbesteuer zulassen (Rz. 19.554). Regelmäßig gehen zwar die deutschen DBA nicht nur für unbewegliches Auslandsvermögen3, sondern auch für ausländische Betriebsstättengewinne von der Freistellungsmethode aus (Rz. 19.521 ff.). Insbesondere die jüngere deutsche Abkommenspolitik schränkt jedoch die grds. Steuerfreistellung ausländischer Betriebsstättengewinne im Wege abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalte (Rz. 19.515)4 oder Subject-toTax-Klauseln (Rz. 19.522)5 ein.6 Enthält das einschlägige DBA eine Aktivitätsklausel, so ist Deutschland berechtigt, auf den Gewinn anstatt der Freistellungsmethode die Anrechnungsmethode anzuwenden,7 wenn in der ausländischen Betriebsstätte vor der Einbringung keine „aktive“ Tätigkeit im Sinne der Aktivitätsklausel ausgeübt wurde.8 Jenseits dessen stellt sich die Frage, ob bei Steuerfreiheit der Umwandlung im ausländischen Staat die abkommensrechtliche Freistellung des Übertragungsgewinns mangels „tatsächlicher Besteuerung“ im anderen Vertragsstaat durch eine Subject-to-Tax-Klausel suspendiert werden kann.9 Bezieht man zutreffend die (voraussichtliche) spätere Besteuerung der stillen Reserven im ausländischen Staat im Fall der tatsächlichen Veräußerung in die Betrachtung mit ein,10 finden die abkommensrechtlichen Subject-to-Tax-Klauseln auch bei Umwandlungen zu Buchwerten keine Anwendung.11 Dies dürfte auch den Erwägungen in dem zur Anwendung von Subject-to-TaxKlauseln veröffentlichten BMF-Schreiben v. 20.6.201312 entsprechen.13 Hingegen hat der BFH

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wandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20 mit Fn. 1. Bspw. Art. 22 Abs. 1 DBA-Zypern. Im Regelfall wird die Anrechnungsmethode nur für bestimmte Einkünfte vereinbart, vgl. Rz. 19.552. Insoweit kann regelmäßig offenbleiben, ob die Umwandlung abkommensrechtlich eine Veräußerung darstellt, da die Rechtsfolgen von Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA i.V.m. Art. 23 Abs. 1 OECD-MA aus Sicht des Ansässigkeitsstaat grds. übereinstimmen. Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 87 ff. Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73 ff. Zu deren Anwendung im Bereich von Umwandlungen ausf. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59 ff. Mit der Folge der uneingeschränkten Besteuerung, da der ausländische Staat die Umwandlung zum Buchwert zulässt. Vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/ Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.126. Hierzu Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.132 ff.; Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 ff. Vgl. Schönfeld, IStR 2013, 757 (759); Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Schönfeld/Häck, ISR 2013, 168 (174); Mouldi/Loose, IStR 2012, 829 (833 f.). A.A. Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 (166 ff.) unter Hinweis auf die unterschiedlichen Steuerpflichtigen und eine fehlende Doppelbesteuerung im abkommensrechtlichen Sinne. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980. Insoweit lassen sich Buchwerteinbringungen als (unschädliche) „temporäre“ oder „permanente Differenz“ einstufen, vgl. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Rz. 2.3; Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Lüdicke, IStR 2013, 721 (728).

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Kap. 20 Rz. 20.85 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

zu den (wenigen) sog. Quellenregeln1 im Zusammenhang mit einem Formwechsel unter Buchwertfortführung den Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland bejaht.2 Ungeachtet der abkommensrechtlichen Regelungen können im Einzelfall auch die innerstaatlichen Vorbehaltsklauseln (§ 50d Abs. 9 EStG; s. Rz. 19.525 ff.; § 20 Abs. 2 AStG, s. Rz. 19.544) zum Tragen kommen.

20.86

Die Sofortbesteuerung des Übertragungsgewinns aus Gründen der Entstrickung ist europarechtlich unzulässig, sie muss zumindest über fünf Jahre gestreckt werden können (Rz. 20.24). Geht die Hinausverschmelzung mit einer Besteuerung von stillen Reserven einher, die auf eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat belegene Anrechnungsbetriebsstätte entfällt, ist die (fiktive) ausländische Steuer in Übereinstimmung mit Art. 10 FRL anzurechnen, die bei einer Veräußerung zum gemeinen Wert erhoben worden wäre (§ 11 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 3 UmwStG).3 bb) Ebene der übernehmenden EU-/EWR-Kapitalgesellschaft

20.87

Im Zuge der Hinausverschmelzung hat die übernehmende Kapitalgesellschaft die auf sie übergegangenen Wirtschaftsgüter mit den in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft enthaltenen Werten zu übernehmen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 UmwStG). Durch diese steuerliche Wertverknüpfung wird die spätere Besteuerung der in den übergegangenen Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven bei der übernehmenden ausländischen Kapitalgesellschaft sichergestellt. Diese Wertverknüpfung hat allerdings nur innerhalb der Reichweite der steuerlichen Bilanzierungsvorschriften Bedeutung, so dass hierdurch lediglich die Bilanzansätze des inländischen Betriebsstättenvermögens der übernehmenden ausländischen Kapitalgesellschaft betroffen sind.

20.88

Bei einer Aufwärts(hinaus)verschmelzung ergibt sich ein in Deutschland beschränkt steuerpflichtiger Übernahmegewinn (§ 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG) auf Ebene der übernehmenden EU-/EWR-Kapitalgesellschaft nur, wenn kein DBA besteht oder abkommensrechtlich Deutschland ein Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft vorbehalten war.4 Dieser Übernahmegewinn ist bei Anwendung des § 8b KStG im Ergebnis i.H.v. 95 % steuerfrei (§ 12 Abs. 2 Satz 1 und 2 UmwStG). Hingegen findet die für andere Fälle konzipierte Ausschüttungsfiktion des § 12 Abs. 5 UmwStG – auch nach Auffassung der Finanzverwaltung5 – bei der grenzüberschreitenden Aufwärtsver-

1 Diese sehen vor, dass Einkünfte (nur dann) aus dem anderen Vertragsstaat „stammen“, wenn sie dort (effektiv) besteuert wurden, hierzu ausf. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B Rz. 75. 2 BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953 zu Prot. Nr. 16 Buchst. d zum DBA-Italien. 3 Bspw. im Verhältnis zu Zypern, Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 3 DBA-Zypern, (Bsp. bei Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.279) oder – bei fehlenden aktiven Tätigkeiten – bspw. Portugal, Prot. Nr. 8 zu Art. 24 DBA-Portugal, (Bsp. bei Schell, FR 2012, 101 [104]). Einzelheiten zur fiktiven Steueranrechnung Kahle/Vogel, ISR 2013, 234 ff.; Mutscher, IStR 2010, 820 ff. 4 Bspw. bei funktionaler Zurechnung der Anteile zu einer inländischen Betriebsstätte (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA) oder in Anwendung einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECDMA) bzw. Sitzstaatsklausel (bspw. Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechien). 5 Siehe den Hinweis auf eine bundeseinheitliche Abstimmung innerhalb der Finanzverwaltung bei Stimpel/Dötsch in D/P/M, § 12 UmwStG Rz. 86.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.90 Kap. 20

schmelzung (wie auch Seitwärts-Hinausverschmelzungen) auf eine im Ausland steuerpflichtige EU-/EWR-Kapitalgesellschaft keine Anwendung.1 cc) Ebene der Gesellschafter Die steuerlichen Rechtsfolgen der Hinausverschmelzung auf Gesellschafterebene werden (mit Ausnahme von Kleingesellschaftern2 und den Fällen der Aufwärtsverschmelzung, s. Rz. 20.88) durch § 13 UmwStG geregelt, wonach grds. die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft als zum gemeinen Wert veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft als mit diesem Wert angeschafft gelten (§ 13 Abs. 1 UmwStG). Ein hieraus resultierender Gewinn des Anteilseigners unterliegt in Deutschland grds. einer Besteuerung wie bei einer tatsächlichen Veräußerung der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft.3 Kann Deutschland den Gewinn nicht besteuern, weil ein einschlägiges DBA für die hier relevanten Veräußerungsgewinne den deutschen Besteuerungsanspruch bzgl. der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft ausschließt (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA)4, bleibt die Verschmelzung insoweit für den Anteilseigner in Deutschland grds. ohne Auswirkungen, eines Antrags auf Fortführung der Anschaffungskosten bzw. Buchwerte bedarf es nicht.5

20.89

Waren hingegen die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft in Deutschland steuerverhaftet, kann eine Besteuerung in Deutschland auf Antrag durch Fortführung der Anschaffungskosten bzw. Buchwerte an den untergehenden Anteilen vermieden werden, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft verschmelzungsbedingt nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG, dazu Rz. 20.91 f.) oder auf die Verschmelzung Art. 8 FRL anzuwenden ist (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG, dazu Rz. 20.93). Das Wahlrecht kann von jedem Anteilseigner individuell ausgeübt werden und besteht unabhängig von den Wertansätzen für die übergehenden Wirtschaftsgüter in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft, mithin selbst dann, wenn dort Wirtschaftsgüter aufgrund

20.90

1 Stimpel/Dötsch in D/P/M, § 12 UmwStG Rz. 86; Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 265; Schmitt in S/H9, § 12 UmwStG Rz. 102; Wisniewski in H/M/B5, § 12 UmwStG Rz. 113; Herfort/Viebrock in H/H3, § 12 UmwStG Rz. 280; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 63; Beinert/ Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.293; Herbort/Schwenke, IStR 2016, 567 ff.; Schell, IStR 2008, 397; a.A. Hruschka, Aktuelle Praxisfälle im internationalen Unternehmenssteuerrecht, IStR-Tagung 2015, Tagungsunterlage, 15. Siehe insoweit aber den Vorschlag des Bundesrates v. 23.9.2016 zu einer entsprechenden Ausweitung des § 12 Abs. 5 UmwStG, BRDrucks. 406/16, 43. 2 § 13 UmwStG findet nach Verwaltungsauffassung nur Anwendung auf Anteile im Betriebsvermögen, Anteile i.S.v. § 17 EStG und alt-einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 Abs. 1 UmwStG a.F., vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 13.011; weitergehend Rödder/Schmidt-Fehrenbacher in FGS/BDI, Der Umwandlungssteuererlass 2011, 262. Auf Anteilseigner, deren Anteile unter § 20 Abs. 2 EStG fallen (zur Subsidiarität vgl. § 20 Abs. 8 EStG), richten sich die steuerlichen Folgen der Verschmelzung nicht nach § 13 UmwStG, sondern nach § 20 Abs. 4a Satz 1 ff. EStG. Dort wird unter ähnlichen Voraussetzungen eine (zwingende, nicht antragsgebundene) Buchwertfortführung angeordnet (zu Einzelheiten s. stv. Trossen in R/H/vL3, Anh. 12 Rz. 46 ff.). 3 Im Einzelnen hierzu stv. Neumann in R/H/vL3, § 13 UmwStG Rz. 39. 4 Abkommensrechtlich unterfällt eine aus § 13 Abs. 1 UmwStG resultierende Gewinnbesteuerung den Veräußerungsgewinnen i.S.v. Art. 13 OECD-MA, vgl. Rz. 19.387. 5 Neumann in R/H/vL3, § 13 UmwStG Rz. 61; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 23.

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Kap. 20 Rz. 20.90 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

der Entstrickungsklausel i.S.v. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind bzw. angesetzt werden.1 Das gilt für Anteile im in- und ausländischen Betriebsvermögen2 und für beschränkt und unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter gleichermaßen. Bei der Beurteilung des deutschen Besteuerungsrechts gem. § 13 Abs. 2 Satz 1 UmwStG ist maßgeblicher Zeitpunkt – anders als bei § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG (s. Rz. 20.82) – i.d.R. der Zeitpunkt der Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister.3 Folgende Konstellationen sind zu unterscheiden:

20.91

Gehören die Anteile zu einem inländischen Betriebsstättenvermögen, ist die Besteuerung der entsprechenden Veräußerungsgewinne grds. sowohl bei unbeschränkter Steuerpflicht im Rahmen der Besteuerung des Welteinkommens (§ 2 Abs. 1 EStG) als auch bei beschränkter Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gewährleistet, ohne dass abkommensrechtlich das deutsche Besteuerungsrecht entfiele oder eingeschränkt würde.4 Voraussetzung ist, dass die Anteile dem inländischen Betriebsstättenvermögen zuzuordnen sind und im Falle der Anwendung von DBA diese in einem funktionalen Zusammenhang mit der in der inländischen Betriebsstätte ausgeübten Tätigkeit stehen.5 Wird verschmelzungsbedingt dieser Funktionszusammenhang aufgelöst, entfällt das Wertansatzwahlrecht, es sei denn, Art. 8 FRL wäre anzuwenden.6 Gehören die Anteile zu einem ausländischen Betriebsstättenvermögen, bleibt ein deutsches Besteuerungsrecht erhalten, wenn die Gesellschafter unbeschränkt steuerpflichtig sind und ein DBA nicht eingreift. Ist das Betriebsstättenvermögen dagegen in einem Staat belegen, mit dem Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, dürfen die Gewinne aus der Veräußerung von Betriebsstättenvermögen im Falle der Anwendung der Freistellungsmethode7 nur vom Betriebsstättenstaat besteuert werden. Durch den Vermögensübergang ergibt sich insoweit keine Änderung. Hieraus eröffnet sich zwar das Wertansatzwahlrecht gem. § 13 Abs. 2 Satz 1 UmwStG, es wird aber in aller Regel der Ansatz mit dem gemeinen Wert geboten sein, da in Deutschland die steuerliche Relevanz fehlt. Im Zuge der Verschmelzung ergibt sich auch keine Änderung für den Fall, dass abkommensrechtlich die Anrechnungsmethode eingreift; denn auch hier ist die Rechtslage vor und nach der Verschmelzung unverändert. Soweit beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind, unterliegen etwaige Gewinne aus der Veräußerung der zum ausländischen Betriebsstättenvermögen gehörenden Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft nicht der beschränkten Steuerpflicht.8 In Abkommensfällen geht insoweit durch die Verschmelzung der deutschen Besteuerung kein Steuergut verloren.9

20.92

Gehören die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft zum Privatvermögen eines unbeschränkt Steuerpflichtigen und sind hierfür die Voraussetzungen i.S.v. § 17 EStG erfüllt, oder handelt es sich um einbringungsgeborene Anteile i.S.v. 21 UmwStG a.F., kann von dem Wertansatzwahlrecht regelmäßig Gebrauch gemacht werden (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). Das gilt im Grundsatz unabhängig davon, ob ein DBA eingreift oder nicht, da abkommens-

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Schmitt in S/H9, § 13 UmwStG Rz. 32. I.S.v. Betriebsstättenvermögen. Vgl. Schmitt in S/H9, § 13 UmwStG Rz. 36. Betriebsstättenprinzip: Art. 7 Abs. 1, 13 Abs. 2 OECD-MA; Rz. 19.230, 19.385 ff. Vgl. ausf. Häck, ISR 2015, 113 ff. und Rz. 19.390 ff. Hierzu Schießl in W/M, § 13 UmwStG Rz. 15.64 ff. Vgl. hierzu die Abkommensübersicht bei Ismer in V/L7, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. Vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663. Wegen der fehlenden steuerlichen Bedeutung in Deutschland ist trotz Wertansatzwahlrechts der Ansatz mit dem gemeinen Wert geboten.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.93 Kap. 20

rechtlich in aller Regel das alleinige Besteuerungsrecht bei Deutschland als Wohnsitzstaat liegt.1 Ausnahmsweise kommt aber auch ein Verlust des deutschen Besteuerungsrechts in Betracht, wenn bspw. nach der Verschmelzung das DBA im Veräußerungsfall eine Anrechnungsverpflichtung Deutschlands vorsieht.2 Sind dagegen beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt, gilt Folgendes: Greift kein DBA ein, geht das bisher bestehende deutsche Besteuerungsrecht i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG verloren.3 Greift ein DBA ein, wird verschmelzungsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne aus der Veräußerung der Anteile regelmäßig weder entzogen noch beschränkt, weil abkommensrechtlich bereits vor der Hinausverschmelzung nicht Deutschland, sondern allein der ausländische Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht innehatte (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA).4 Etwas anderes gilt aber auch hier, wenn bspw. vor der Verschmelzung im Veräußerungsfall Deutschland abkommensrechtlich die Besteuerung zugestanden hätte.5 Findet § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG keine Anwendung, da verschmelzungsbedingt das (alleinige) Besteuerungsrecht Deutschlands entfällt, bleibt das Wertansatzwahlrecht gleichwohl erhalten, wenn Deutschland auf die Verschmelzung Art. 8 FRL6 anzuwenden und den dort vorgesehenen Besteuerungsaufschub zu gewähren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 UmwStG). Der Anwendungsbereich von Art. 8 FRL erstreckt sich aber nur auf Verschmelzungen auf in einem anderen EU-Staat (nicht: EWR-Staat7) ansässige Gesellschaften. Als Ausgleich für diesen Besteuerungsaufschub sieht Art. 8 Abs. 6 FRL (dem § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 UmwStG entspricht) vor, dass Deutschland nicht daran gehindert ist, den Gewinn aus einer späteren (tatsächlichen) Veräußerung der erworbenen Anteile in gleicher Weise zu besteuern wie den Gewinn aus einer Veräußerung der vor dem Erwerb vorhandenen Anteile. Der Wortlaut von Art. 8 Abs. 6 FRL und des § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG deuten zwar darauf hin, dass Deutschland insoweit sämtliche bis zum tatsächlichen Veräußerungszeitpunkt in den Anteilen entstandenen stillen Reserven ohne Anrechnung ausländischer Steuern hiernach besteuern kann.8 Nach Sinn und Zweck der Regelung ist es hingegen sachgerecht, nur die bis zum Zeitpunkt der Verschmelzung unter deutscher Steuerhoheit entstandenen stillen Reserven dem deutschen Steuerzugriff zu unterstellen9 oder zumindest eine anteilige Anrech1 Art. 13 Abs. 5 OECD-MA; vgl. zur Abkommensübersicht Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 225. 2 Bspw. aufgrund einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) oder einer sog. Sitzstaatsklausel, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 3 Stv. Goebel/Ungemach in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 427 (443). 4 Zur Abkommensübersicht vgl. Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 225. 5 Bspw. aufgrund einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) oder einer sog. Sitzstaatsklausel, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 6 Gem. Art. 8 Abs. 1 FRL darauf die „Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der übernehmenden oder erwerbenden Gesellschaft an einen Gesellschafter der einbringenden oder erworbenen Gesellschaft gegen Anteile an deren Gesellschaftskapital aufgrund einer Fusion, einer Spaltung oder des Austauschs von Anteilen […] für sich allein keine Besteuerung des Veräußerungsgewinns dieses Gesellschafters auslösen“. 7 Vgl. Neumann in R/H/vL3, § 13 UmwStG Rz. 72; Nitzschke in Brandis/Heuermann, § 13 UmwStG 2006 Rz. 37. 8 So Dötsch/Werner in D/P/M, § 13 UmwStG Rz. 52; Neumann in R/H/vL3, § 13 UmwStG Rz. 74, 75; Nitzschke in Brandis/Heuermann, § 13 UmwStG 2006 Rz. 37. 9 Zutr. Schroer in H/M5, § 13 UmwStG Rz. 48; Sedemund in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 3.78. Wertminderungen nach der Umwandlung brauchen europarechtlich

Häck | 1041

20.93

Kap. 20 Rz. 20.93 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

nung der (auf die „neuen“ stillen Reserven entfallenden) ausländischen Steuer zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen zuzulassen. Die Nachversteuerung erfolgt bei einem in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen im Rahmen seiner unbeschränkten Steuerpflicht, aber ungeachtet einer etwaigen Beschränkung durch ein (an sich anwendbares) DBA (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 UmwStG).1 War der Anteilseigner zum Zeitpunkt der Veräußerung nicht in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig und findet § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG keine Anwendung, wird die Nachversteuerung über § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG (i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 UmwStG)2 in die beschränkte Steuerpflicht einbezogen, obwohl im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung weder der veräußernde Gesellschafter noch die Gesellschaft, an der die veräußerten Anteile bestehen, in Deutschland ansässig sind.3 Dies gilt für beschränkt Steuerpflichtige in einem DBA-Staat wie Nicht-DBA-Staat gleichermaßen.4 c) Hereinverschmelzung von EU-/EWR-Kapitalgesellschaften aa) Ebene der übertragenden EU-/EWR-Kapitalgesellschaft

20.94

In den Fällen, in denen die Hereinverschmelzung nach Maßgabe der §§ 122a ff. UmwG oder Art. 17 SE-VO rechtstechnisch möglich ist und zugleich in den Anwendungsbereich des UmwStG fällt (Rz. 20.80), werden bei der übertragenden ausländischen Kapitalgesellschaft im Rahmen ihrer beschränkten Körperschaftsteuerpflicht folgende Rechtsfolgen ausgelöst:

20.95

Geht inländisches Betriebsstättenvermögen über, wird hierdurch deutsches Besteuerungsrecht grds. weder ausgeschlossen noch beschränkt (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG), so dass in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden ausländischen Kapitalgesellschaft für deutsch-steuerliche Zwecke der Buchwert angesetzt werden kann.5 Geht verschmelzungsbedingt ausländisches Betriebsstättenvermögen der übertragenden ausländischen Kapitalgesellschaft auf die übernehmende inländische Kapitalgesellschaft über, wird hierdurch – bei Nichtbestehen eines DBA bzw. soweit das DBA die Anrechnungsmethode für das übergehende (Betriebsstätten-)Vermögen vorsieht – das deutsche Besteuerungsrecht erstmals begründet.

20.96

Soweit die Buchwertfortführung gewählt werden soll, ist nach dem Gesetzeswortlaut das Wahlrecht „einheitlich“ auszuüben (sog. Einheitlichkeitsgrundsatz), d.h. die Wirtschaftsgüter sind in der steuerlichen Schlussbilanz6 sämtlich mit ihren Buchwerten anzusetzen.7 Für Wirt-

1 2 3 4 5 6 7

wohl nicht beachtet werden, vgl. Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 16.62; Sedemund in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 3.78. Bei einer Hinausverschmelzung auf eine tschechische s.r.o. also ohne Beachtung der an sich gegebenen Anrechnungsverpflichtung gem. Art. 23 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechien. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e, Doppelbuchst. bb EStG enthält insoweit ein redaktionelles Versehen, als er auf § 13 Abs. 2 UmwStG insgesamt verweist, wodurch auch Anteile erfasst wären, für die einst ein Antrag nach § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG gestellt wurde. Dötsch/Werner in D/P/M, § 13 UmwStG Rz. 44. S. aber Neumann in R/H/vL3, § 13 UmwStG Rz. 77, wonach bei einem beschränkt Steuerpflichtigen, der in einem Nicht-DBA-Staat ansässig ist, das deutsche Besteuerungsrecht i.S.v. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG wegen § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG nicht beschränkt werde. Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 232. Die ausländische übertragende Gesellschaft muss nach Verwaltungsauffassung eine nach deutschen steuerlichen Grundsätzen zu erstellende steuerliche Schlussbilanz aufstellen, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.02 i.V.m. 03.01. Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 11.12 i.V.m. 03.28.

1042 | Häck

C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.97 Kap. 20

schaftsgüter, die bislang im Inland nicht steuerverstrickt waren, ist danach grds. der Buchwert auch dann anzusetzen, wenn insoweit nach der Verschmelzung weiterhin keine Steuerverhaftung im Inland besteht (sog. neutrales Vermögen)1 oder es mit der Verschmelzung zu einer Steuerverstrickung im Inland (neuverstricktes Vermögen) kommt. Für neuverstricktes Vermögen begründet der Buchwertansatz das Risiko einer Doppelbesteuerung, wenn die Entstrickung im ausländischen Staat zu einer Besteuerung führt und im späteren (tatsächlichen) Verkaufsfall Deutschland den Buchwert zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns zugrunde legt.2 Soweit hinsichtlich des neuverstrickten Vermögens im Zusammenhang mit Umwandlungen daher ein Ansatz zum gemeinen Wert befürwortet wird,3 ist dem grds. zuzustimmen, jedoch vollzieht sich die Aufstockung rechtstechnisch nicht bereits in der Schlussbilanz des übertragendenen Rechtsträgers, sondern erst auf Ebene des übernehmenden Rechtsträgers (Rz. 20.97).4 bb) Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft Die übernehmende Kapitalgesellschaft übernimmt die auf sie übergegangenen Wirtschaftsgüter mit den in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenen Kapitalgesellschaft enthaltenen Werten (§ 12 Abs. 1 Satz 1 UmwStG). Dies gilt auch für das in der steuerlichen Schlussbilanz zu Buchwerten angesetzte Vermögen, an dem Deutschland erstmals nach der Verschmelzung ein Besteuerungsrecht erhält (sog. neuverstricktes Vermögen). Insoweit kommt es aber (eine logische Sekunde) nach der Verschmelzung auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft gem. § 4 Abs. 1 Satz 8, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG zu einer (steuerneutralen) Aufstockung des neuverstrickten Vermögens auf den gemeinen Wert (außerhalb des Übernahmeergebnisses).5

1 Bspw. in DBA-Fällen bzgl. des im Ausland belegenen unbeweglichen Vermögens oder Wirtschaftsgüter einer ausländischen Freistellungsbetriebsstätte. Beispiel bei Goebel/Ungemach/Stefaner/Steevensz/Thomas/Fluck, DStZ 2014, 82 (83, 84). 2 Vgl. Sistermann in Lüdicke, Praxis und Zukunft des des deutschen Internationalen Steuerrechts, 2012, 161 (177). 3 Martini in W/M, § 3 UmwStG Rz. 842; Bron in Kraft/Edelmann/Bron2, § 3 UmwStG Rz. 244; Herfort/Viebrock in H/H3, § 12 UmwStG Rz. 66; Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 70; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.311; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.121 („vertretbar“); Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.63; Prinz in Beck’sches Handbuch der GmbH6, § 16 Rz. 60; Sistermann in Lüdicke, Praxis und Zukunft des des deutschen Internationalen Steuerrechts, 2012, 161 (177 f.); Böhmer/Wegener, Ubg 2015, 69 (73); Kraft/Poley, FR 2014, 1 (3); Körner, IStR 2009, 741 (749); Viebrock/Hagemann, FR 2009, 737 (744); a.A. Möhlenbrock/Pung in D/P/P/M7, § 3 UmwStG Rz. 43; Pung/Werner in D/P/M, § 4 UmwStG Rz. 12; Birkemeier in R/H/vL3, § 3 UmwStG Rz. 211; van Lishaut in R/H/vL3, § 4 UmwStG Rz. 43; Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 235; Weigert in Kraft/Edelmann/Bron2, § 4 UmwStG Rz. 31; Bonhardt in H/M5, § 4 UmwStG Rz. 89; Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 (1964); Lemaitre/ Schönherr, GmbHR 2007, 173 (175). 4 Str., zum Streitstand Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.309. 5 Herforth/Viebrock in H/H3, § 12 UmwStG Rz. 66; Kraft/Poley, SteuerStud 2013, 161 (164); Klingberg/Nitzschke, Ubg 2011, 451 (456); Viebrock/Hagemann, FR 2009, 737 (741). S. entsprechend bei Verschmelzungen von Kapital- auf Personengesellschaften Schmitt in S/H9, § 4 UmwStG Rz. 27; Martini in W/M, § 3 UmwStG Rz. 842; Sistermann in Lüdicke, Praxis und Zukunft des des deutschen Internationalen Steuerrechts, 2012, 161 (177 f.); Kraft/Poley, FR 2014, 1 (3).

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20.97

Kap. 20 Rz. 20.97 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

Hierdurch werden für die Fälle sog. rechtlicher Verstrickungen sachwidrige Ergebnisse1 vermieden, die sich in praxi andernfalls nur durch eine gewinnrealisierende Vorabübertragung lösen lassen.2 Zudem wird auch die Korrespondenz hergestellt zu den Fällen tatsächlicher Verstrickung, die zwar auch durch die Umwandlung ausgelöst werden, aber regelmäßig tatsächlich erst nach dem maßgeblichen steuerlichen Übertragungsstichtag eintreten (bspw. veränderte Zuordnung von Wirtschaftsgütern). Hier kommt es zu einer (steuerneutralen) Verstrickung zum gemeinen Wert nach allgemeinen Regeln (§ 4 Abs. 1 Satz 8, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft.3

20.98

Soweit bei der an der übertragenden ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligten übernehmenden inländischen Kapitalgesellschaft (Aufwärtsverschmelzung) ein Übernahmegewinn darauf zurückzuführen ist, dass die tatsächlichen Anschaffungskosten der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft den Buchwert derselben bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft übersteigen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 und 2 UmwStG), ergeben sich keine Besonderheiten: Der Übernahmegewinn abzgl. der Umwandlungskosten bleibt steuerlich außer Ansatz, wobei § 8b Abs. 2 KStG zur Anwendung kommt, so dass – im Widerspruch zu Art. 7 FRL4 – im Ergebnis nur 95 % des Übernahmegewinns steuerfrei gestellt sind. Eine etwaige ausländische Steuer kann nicht angerechnet werden.5 Bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft ist der zum Zeitpunkt der Vermögensübertragung gegebene Bestand der nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen der übertragenden Kapitalgesellschaft dem steuerlichen Einlagekonto hinzuzurechnen (§ 29 Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 KStG).6 cc) Ebene der Gesellschafter

20.99

Die steuerlichen Rechtsfolgen der Hereinverschmelzung auf Gesellschafterebene werden (mit Ausnahme von Kleingesellschaftern7 und den Fällen der Aufwärtsverschmelzung, s. Rz. 20.98) durch § 13 UmwStG geregelt, wonach grds. die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft zum gemeinen Wert veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft als mit diesem Wert angeschafft gelten (§ 13 Abs. 1 UmwStG). Ein 1 Vgl. Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 350; Kutt/Carstens in FGS/BDI, Der Umwandlungssteuererlass 2011, 142. 2 Vgl. Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 350; van Lishaut in R/H/vL3, § 4 UmwStG Rz. 44; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.311; Hruschka, StuB 2011, 540 (543); Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 (1965). 3 Stv. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 70. 4 Vgl. Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 69; Rödder in R/H/vL3, § 12 UmwStG Rz. 259; a.A. Stimpel/Dötsch in D/P/M, § 12 UmwStG Rz. 60; Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 16.98. 5 Schell, FR 2012, 101 (108). 6 Zu Einzelheiten Bauschatz in FS Gosch, 23 ff.; Stadler/Jetter, IStR 2009, 336 ff.; Schießl, FR 2008, 852 ff. 7 § 13 UmwStG findet nach Verwaltungsauffassung nur Anwendung auf Anteile im Betriebsvermögen, Anteile i.S.v. § 17 EStG und alt-einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 Abs. 1 UmwStG a.F., vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 13.011; weitergehend Rödder/Schmidt-Fehrenbacher in FGS/BDI, Der Umwandlungssteuererlass 2011, 262. Auf Anteilseigner, deren Anteile unter § 20 Abs. 2 EStG fallen (zur Subsidiarität vgl. § 20 Abs. 8 EStG), richten sich die steuerlichen Folgen der Verschmelzung nicht nach § 13 UmwStG, sondern nach § 20 Abs. 4a Satz 1 ff. EStG. Dort wird unter ähnlichen Voraussetzungen eine (zwingende, nicht antragsgebundene) Buchwertfortführung angeordnet (zu Einzelheiten s. stv. Trossen in R/H/vL3, Anh. 12 Rz. 46 ff.).

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.100 Kap. 20

hieraus resultierender Gewinn des Anteilseigners unterliegt in Deutschland grds. einer Besteuerung wie bei einer tatsächlichen Veräußerung der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft, wenn die Anteile an der übertragenden Gesellschaft in Deutschland steuerverhaftet waren und eine Fortführung der Anschaffungskosten bzw. Buchwerte nicht möglich ist. Insoweit ist zu unterscheiden: Im Fall der Hereinverschmelzung bleibt bei in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern das Besteuerungsrecht Deutschlands entweder unverändert1 oder es wird ausnahmsweise verstärkt durch Wegfall einer abkommensrechtlichen Anrechnungsverpflichtung,2 so dass die Steuerneutralität auf Antrag gem. § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG gewährleistet werden kann. Bei beschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern waren die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft in Deutschland bislang regelmäßig nicht steuerverhaftet3, so dass das deutsche Besteuerungsrecht erstmals begründet wird, wenn der Anteilseigner in einem Nicht-DBA-Staat ansässig ist oder nach dem maßgeblichen DBA Deutschland abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht erstmals vorbehalten wird.4 In diesem Fall ist eine Fortführung der Anschaffungskosten bzw. der Buchwerte nicht möglich und nicht sinnvoll, so dass die Anteile entweder nach Tauschgrundsätzen5 oder nach Einlagegrundsätzen gem. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5a EStG im Inland zum gemeinen Wert anzusetzen sind.6

III. Spaltung Die grenzüberschreitende Hinaus- oder Hereinspaltung unter Beteiligung von Kapital- oder Personengesellschaften wird rechtstechnisch bisher nicht von der Reichweite des UmwG erfasst (Rz. 20.2), da dieses grds. nur auf Rechtsträger mit statutarischem Sitz im Inland Anwendung findet (§ 1 Abs. 1 UmwG). Insoweit besteht jedoch im Hinblick auf die einschlägige EuGH-Rechtsprechung7 weitgehend Einigkeit darüber, dass die Niederlassungsfreiheit im Grundsatz gebietet, auch andere grenzüberschreitende Umwandlungen im EU-/EWR-Raum

1 Wenn das einschlägige DBA eine Regelung entsprechend Art. 13 Abs. 5 OECD-MA vorsah. 2 Bspw. in DBA, in denen dem Sitzsstaat aufgrund einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) oder einer sog. Sitzstaatsklausel (vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225) ein Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen vorbehalten wird und Deutschland sich zur Anrechnung der ausländischen Steuer verpflichtet hat. 3 Ausnahme bei Zugehörigkeit zu einer inländischen Betriebsstätte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG und abkommensrechtlicher Zurechnung (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA). 4 Bspw. aufgrund einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) oder einer sog. Sitzstaatsklausel (vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225). 5 Soweit man auf Ebene des Anteilseigners einen gewinnrealisierenden (aber in Deutschland nicht steuerpflichtigen) Anteilstausch annimmt, vgl. Neumann in R/H/vL3, § 13 UmwStG Rz. 69 (Fn. 1). 6 Vgl. Neumann in R/H/vL3, § 13 UmwStG Rz. 69; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.321; Hagemann/Stürcken in H/H3, § 13 UmwStG Rz. 14. 7 Ausf. zur Entwicklung Limmer/Knaier in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung6, Teil 6 Kap. 1 Rz. 15 ff.; Schön, ZGR 2013, 333. Die Entscheidungen Centros (EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, FR 1999, 449), Überseering (EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI: EU:C:2002:632, GmbHR 2002, 1137) und Inspire Art (EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C: 2003:512, GmbHR 2003, 1260) betrafen die Anforderungen an die grenzüberschreitende Anerkennung von Gesellschaften. In Sevic Systems (EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, BB 2006, 11) wurde der grenzüberschreitenden Verschmelzung der Weg bereitet. Die Entscheidungen Daily Mail (EuGH v. 27.9.1988 – C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456, DB 1989, 269) und Cartesio (EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, DB 2009, 52) sowie VALE (EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, EuZW 2012, 621) und Polbud (EuGH v. 25.10.2017 –

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Kap. 20 Rz. 20.100 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

zuzulassen, wie etwa grenzüberschreitende Spaltungen (Auf- und Abspaltung, Ausgliederung)1. In der Rechtspraxis sind derartige Umwandlungen derzeit aber aufgrund der verbleibenden Unsicherheiten in rechtstechnischen Details2 nicht zu beobachten. Auf Grundlage der am 1.1.2020 in Kraft getretenen sog. Umwandlungsrichtlinie3, die voraussichtlich rechtzeitig bis zum 31.1.2023 durch das UmRUG4 in nantionales Recht umgesetzt werden wird, werden künftig u.a. Rechtsgrundlagen für grenzüberschreitende Spaltungen von EU-/EWR-Kapitalgesellschaften zur Neugründung5 und voraussichtlich – in engen Grenzen – zur Aufnahme6 geschaffen (Rz. 20.2).7 Gegenüber dem UmwG ist das UmwStG insoweit schon einen Schritt weiter, als der Anwendungsbereich für grenzüberschreitende Spaltungen im EU-/EWR-Raum grds. eröffnet wäre.8 Sobald die rechtspraktischen Hürden beseitigt sind, steht daher ein umwandlungssteuerrechtliches Regelungskonzept schon bereit.9 Die in der Rechtspraxis bisher vorhandenen Ersatzkonstruktionen10 zur Erzielung wirtschaftlich vergleichbarer Ergebnisse ließen sich häufig nicht steuerneutral umsetzen. Im Hinblick auf einen nun möglichen und rechtspraktisch umsetzbaren grenzüberschreitenden Formwechsel (Rz. 20.3) sollte heute aber das gleiche Ergebnis auch durch einen (i) grenzüberschreitenden Formwechsel der umzuwandelnden Kapital- bzw. Personengesellschaft in den Sitzstaat der aufnehmenden Kapital- oder Personengesellschaft11 mit (ii) anschließender reiner Inlands- oder Auslandsspaltung herbeigeführt werden können.12

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C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, EuZW 2017, 906), setzten sich mit der Behandlung zu- bzw. wegziehender Gesellschaften im Gründungsstaat auseinander. Stv. Drygala in Lutter6, § 1 UmwG Rz. 11 ff.; Gsell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.99 ff. u. 2.106 ff. m.w.N.; Stelmaszczyk, DK 2021, 1 (2); Kleba, RNotZ 2016, 273 ff.; Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (765). Vgl. Bayer in Lutter6, § 122a UmwG Rz. 13; Stelmaszczyk, DK 2021, 1 (2). RL (EU) 2019/2021 v. 27.11.2019 zur Änderung der RL (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl. EU 2019 Nr. L 321, 1. S. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) v. 6.7.2022, BR-Drucks. 371/22. Hierzu stv. Bungert/Strothotte, BB 2022, 1411 ff.; Bungert/Strothotte, DB 2022, 1818 ff.; Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 501 ff.; Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 613 ff.; Schmidt, NZG 2022, 579 ff.; Schmidt, NZG 2022, 635 ff. Spaltungen zur Aufnahme werden von der Umwandlungsrichtlinie nicht erfasst, vgl. Teichmann, NZG 2018, 241 (243); Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922 (1926); kritisch dazu Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61 (64); Bungert/Becker, DB 2019, 1609 (1609); J. Schmidt, ECFR 2019, 222 (234 f.). Das geplante Umsetzungsgesetz sieht – „überschießend“ – zur Umwandlungsrichtlinie, für bestimmte Fallgruppen auch die Möglichkeit einer Spaltung zur Aufnahme vor, vgl. Bungert/Strothotte, BB 2022, 1411 ff. Ausführungen zu den umwandlungssteuerrechtlichen Konsequenzen bleiben einer späteren Auflage vorbehalten. Siehe insoweit bereits Förster in FS Kessler, 419 ff. Stv. Kredig, Das System der Besteuerung stiller Reserven bei Unternehmensumstrukturierungen, 257. Aufgrund der derzeit (noch) nicht gegebenen Praxisrelevanz soll hier nicht weiter auf entsprechende grenzüberschreitende Spaltungen eingegangen werden. Vgl. hierzu näher Kredig, Das System der Besteuerung stiller Reserven bei Unternehmensumstrukturierungen, 2015, 257. Vgl. Rödder in R/H/vL3, Einführung UmwStG Rz. 60; Herzig in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 127 (141); von Busekist, GmbHR 2004, 650 (653 ff.) sowie die 3. Aufl. (Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 17.147). Siehe zu den Voraussetzungen eines steuerneutralen grenzüberschreitenden Formwechsels Rz. 20.101 ff. Oder es wird zunächst die Spaltung durchgeführt und der übernehmende Rechtsträger verlegt seinen Sitz über die Grenze oder wird grenzüberschreitend verschmolzen, vgl. Prinz in Beck’sches

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.101 Kap. 20

IV. (Grenzüberschreitender) Formwechsel 1. Allgemeines Im Gegensatz zur inländischen Verschmelzung und Spaltung erfolgt im Zuge eines inländischen Formwechsels zivilrechtlich keine Vermögensübertragung, sondern lediglich ein Wechsel der Rechtsform, bei dem der Vermögensträger identisch bleibt.1 Ein derart identitätswahrender Formwechsel ist nach den Vorgaben des UmwG an sich auf Rechtsträger beschränkt, die nach deutschem Recht errichtet sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UmwG). Das gilt gleichermaßen für den formwechselnden Rechtsträger und den Rechtsträger neuer Rechtsform (§ 191 UmwG). Auf der Grundlage der für den Formwechsel kodifizierten Regelungen des UmwG wäre ein grenzüberschreitender Formwechsel (bislang) ausgeschlossen gewesen.2 Im Anschluss an die EuGH-Entscheidungen Cartesio3, VALE4 und Polbud5 hatte sich aber eine Rechtspraxis des „grenzüberschreitenden Formwechsels“ von Kapitalgesellschaften6 etabliert.7 Gemeint ist hiermit die identitätswahrende, d.h. ohne Auflösung und Neugründung der Gesellschaft und ohne Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolge auskommende, statutenwechselnde8 Sitzverlegung9 einer

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Handbuch der GmbH6, § 16 Rz. 80; Gesell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.101. Hierzu Hoger in Lutter6, Vor § 190 UmwG Rz. 2. Das gilt auch für den Formwechsel einer Aktiengesellschaft zur Gründung eine SE (Art. 2 Abs. 4 SE-VO), die formwechselbedingt ihren Sitz nicht in einen anderen Mitgliedstaat verlegen darf (Art. 37 Abs. 3 SE-VO). Zu diesem Sitzverlegungsverbot J. Schmidt in Lutter/Hommelhoff/Teichmann2, SE-Kommentar, Art. 37 SE-VO Rz. 10. EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, DB 2009, 52 – Cartesio. EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, EuZW 2012, 621 – VALE. EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, EuZW 2017, 906. Europarechtlich zulässig ist auch der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften, vgl. Oberster Gerichtshof Wien v. 10.4.2014 – 6 Ob 224/13d, juris, (Volltext abrufbar unter http://www.ogh.gv.at/de/entscheidungen/weitere/sitzverlegung-einer-personengesellschaft-von). Zu Einzelheiten stv. Wachter, GmbHR 2016, 738 ff.; Heckschen, GWR 2020, 449; Hermanns, MittBayNot 2016, 297 ff.; Heckschen, ZIP 2015, 2049; Hushahn, RNotZ 2014, 137; Schön, ZGR 2013, 333; Wicke, DStR 2012, 1756. In Abgrenzung zur nicht identitätswahrend möglichen statuswahrenden Satzungssitzverlegung (Bsp.: Deutsche GmbH beabsichtigt die Verlegung ihres Satzungssitzes nach Österreich unter Beibehalt der Rechtsform als deutsche GmbH), vgl. stv. Gsell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.57; Heckschen, ZIP 2015, 2049. Gemeint ist nicht die isolierte Verlegung ausschließlich des Verwaltungssitzes, sondern die des statutarischen Sitzes. Die (isolierte) Verlegung des Verwaltungssitzes wird nachfolgend nicht gesondert behandelt (s. dazu schon Rz. 7.45 ff.). Bei einem „Zuzug“ (allein) des Verwaltungssitzes einer Gesellschaft aus einem der Gründungstheorie folgenden EU-/EWR-Staat nach Deutschland gebietet die Niederlassungsfreiheit nach den EuGH-Entscheidungen Überseering (EuGH v. 5.11.2002 – C208/00, ECLI:EU:C:2002:632, GmbHR 2002, 1137) und Inspire Art (EuGH v. 30.9.2003 – C-167/ 01, ECLI:EU:C:2003:512, GmbHR 2003, 1260), dass Deutschland die Gesellschaft in der Rechtsform anerkennt, in der sie gegründet wurde (vgl. BGH v. 14.3.2005 – II R 5/03, GmbHR 2005, 630). Bei einem „Wegzug“ (allein) des Verwaltungssitzes aus Deutschland ins Ausland gestatten § 4a GmbHG, § 5 AktG heute nach h.M. die Verwaltungssitzverlegung ohne Auflösung der Gesellschaft (vgl. stv. Servatius in Noack/Servatius/Haas23, § 4a GmbHG Rz. 10 m.w.N.). Dies gilt nach richtiger Ansicht auch bei einem Wegzug in Drittstaaten unabhängig von der Anerkennung der Gesellschaft durch den Zuzugsstaat (vgl. Gsell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.56 m.w.N.). Bei einem „Zuzug“ des Verwaltungssitzes aus einem Drittstaat wendet die h.M. (vorbehaltlich staatsvertraglicher Regelungen wie bspw. mit den USA) grds. die Sitztheorie an mit der Folge, dass bspw. eine schweizerische AG mit Verwaltungssitz in Deutschland hier als rechtsfähige Per-

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20.101

Kap. 20 Rz. 20.101 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

Gesellschaft eines Mitgliedstaats unter Wechsel ihrer Rechtsform in die (kongruente1) Rechtsform nach dem Gesellschaftsstatut eines anderen Mitgliedstaats.2 Kennt der jeweilige Zuzugsstaat nach seinem nationalen Recht einen entsprechenden Formwechsel, muss er im Grundsatz den grenzüberschreitenden Zuzug zulassen.3 Der Zuzugsstaat kann insoweit aber verlangen, dass die jeweiligen nationalen Vorschriften sowohl für die Gründung der Gesellschaft als auch für den Formwechsel als solche eingehalten werden.4 In verschiedenen EU-Staaten bestehen bereits spezielle Regelungen für grenzüberschreitende Formwechsel.5 Solche fehlten zwar derzeit in Deutschland, dennoch ist registerrechtlich der grenzüberschreitende Herein- wie Hinausformwechsel von Kapitalgesellschaften durchführbar,6 auch wenn weiterhin offene Verfahrensfragen bleiben.7 Auf Grundlage der am 1.1.2020 in Kraft getretenen sog. Umwandlungsrichtlinie8, die voraussichtlich rechtzeitig bis zum 31.1.2023 durch das UmRUG9 in nationales Recht umgesetzt werden wird, werden künftig u.a. Rechtsgrundlagen für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften geschaffen (Rz. 20.2).10 Die Wirksamkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels wird u.a. eine sog. Vorabbescheinigung des Wegzugsstaats voraussetzen, durch die die Einhaltung aller Voraussetzungen bescheinigt wird. Die hierzu erforderliche Prüfung kann auch eine steuerliche) Missbrauchskontrolle umfassen.11 Identitätswahrende grenzüberschreitende Formwechsel aus oder in Staaten außerhalb des EU-/EWR-Raums (Drittstaaten) sind hingegen nach derzeitiger und voraussichtlich künftiger Rechtslage nicht möglich.12

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sonengesellschaft zu behandeln ist (vgl. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, GmbHR 2009, 138 – Trabrennbahn). Lässt der Zuzugsstaat auch den rechtsforminkongruenten Formwechsel (von einer Kapital- in eine Personengesellschaft et vice versa) zu, muss ein solcher auch grenzüberschreitend zugelassen werden. Vgl. Hushahn, RNotZ 2014, 137 (138). Stv. Heckschen, GWR 2020, 449 (450). Vgl. EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, EuZW 2012, 621 – VALE. Kennt das Recht des Zuzugsstaats den (inländischen) Formwechsel nicht, braucht es entsprechend auch keinen grenzüberschreitenden Formwechsel anzuerkennen. Bspw. Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Luxemburg und Frankreich, vgl. Gesell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.123 m.w.N. Zum Hereinformwechsel vgl. OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, GmbHR 2014, 96; KG Berlin v. 21.3.2016 – 22 W 64/15, GmbHR 2016, 765 (hierzu M. Winter/Marx/De Decker, DStR 2016, 1997 ff.); OLG Düsseldorf v. 19.7.2017 – I-3 Wx 171/16, 3 Wx 171/16, GmbHR 2017, 1274. Zum Herausformwechsel vgl. OLG Frankfurt v. 3.1.2017 – 20 W 88/15, GmbHR 2017, 420 (hierzu Winter/Marx/De Decker, DStR 2017, 1664). Vgl. etwa den Beschluss des OLG Saarbrücken v. 7.1.2020 – 5 W 79/19 und die Diskussion um „Vorwirkung“ der Umwandlungsrichtlinie bei Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 501 (511); Heckschen, GWR 2020, 449; Heckschen/Stelmaszczyk, BB 2020, 1734; Brehm/Schümmer, NZG 2020, 538; Luy, BWNotZ 2020, 11; Schulte, GmbHR 2020, 139; Nazari-Khanachayi, GmbHR 2020, 940; Fink/Chilevych, NZG 2020, 544. RL (EU) 2019/2021 v. 27.11.2019 zur Änderung der RL (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl. EU 2019 Nr. L 321, 1. S. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) v. 6.7.2022, BR-Drucks. 371/22. Einzelheiten bei stv. Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61 ff. Vgl. etwa für den grenzüberschreitenden Formwechsel Art. 86m Abs. 8 UmwRL i.V.m. dem 35. Erwägungsgrund. Vgl. auch Jochum/Hemmelrath, IStR 2019, 517 (523 f.); Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61 (72 f.). Vgl. Gesell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.118 ff. und 2.124 ff.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.103 Kap. 20

Rechtssicher, da ausdrücklich kodifiziert, ist daneben eine grenzüberschreitende, identitätswahrende Sitzverlegung einer SE in einen anderen EU-/EWR-Staat (Art. 8 SE-VO). Vorausgesetzt ist insoweit aber stets, dass neben dem Satzungs- auch der Verwaltungssitz mitverlegt wird (Art. 7 SE-VO). Da sich der Rechtsrahmen für die SE zumindest subsidiär nach den Rechtsvorschriften des jeweiligen Ansässigkeitsstaats richtet (Art. 9 SE-VO), geht auch die Sitzverlegung der SE mit einem (teilweisen) Statutenwechsel einher,1 so dass es sich auch insoweit zumindest partiell ebenfalls um einen grenzüberschreitenden Formwechsel handelt,2 selbst wenn die Rechtsform als solche erhalten bleibt.

20.102

Vom grenzüberschreitenden Formwechsel zu unterscheiden ist die (isolierte) Verlegung des Verwaltungssitzes von Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften. Im Zusammenhang mit der Verlegung des Verwaltungssitzes von Personengesellschaften (zum Wegzug und Zuzug des Verwaltungssitzes von Kapitalgesellschaften s. ausf. Rz. 7.45 ff. und 7.62 ff.) ist, soweit sie nicht im Zusammenhang mit einem (identitätswahrenden) grenzüberschreitenden Formwechsel erfolgt, für die steuerliche Beurteilung die gesellschaftsrechtliche Vorfrage entscheidend, ob hiermit die Auflösung und Neugründung der Personengesellschaft einschließlich Vermögensübertragung verbunden ist3 oder die Sitzverlegung gesellschaftsrechtlich identitätswahrend erfolgt.4 Ist mit der Verwaltungssitzverlegung bereits gesellschaftsrechtlich die Auflösung und Neugründung der Personengesellschaft unter Übertragung des Vermögens verbunden, führt dies steuerrechtlich grds. zu einer gewinnrealisierenden Betriebsveräußerung (§ 16 Abs. 1 EStG) oder Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG). Da die übertragende Sitzverlegung aber als (fiktive) Einlage der Mitunternehmeranteile an der „wegziehenden“ Personengesellschaft in die neue (ausländische) Personengesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten und Anwachsung der wegziehenden Gesellschaft auf die ausländische Personengesellschaft angesehen werden kann, bestehen gegenüber einer Anwendung des § 24 UmwStG keine Bedenken.5 Insoweit lässt sich bei einem Wegzug die Steuerneutralität aber nur herbeiführen, wenn das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung des Betriebsvermögens nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Ist mit dem Wegzug bspw. ein Wechsel in der Zuordnung von Wirtschaftsgütern von einer inländischen zu einer ausländischen Betriebsstätte verbunden, kommt es jedenfalls insoweit zu einer zwingenden Gewinnrealisierung. Lässt sich hingegen auch nach dem Wegzug Betriebsvermögen einer deutschen Betriebsstätte zuordnen, kann die Buchwertfortführung gewählt werden. Insoweit besteht aber das praktische Problem, dass ggf. die steuerlichen Auswirkungen der Sitzverlegung gar nicht erst erkannt und der erforderliche Antrag auf Buchwertfortführung nicht gestellt wird.

20.103

1 Stv. Ringe in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar2, Art. 8 SE-VO Rz. 8. 2 Vgl. Ringe in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar2, Art. 8 SE-VO Rz. 90: „subsidiäres Formwechselmodell“. 3 So wohl die h.M. s. stv. Gesell in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.47 m.w.N. 4 So bspw. Schnittker/Pitzal in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 10.8 ff., 10.58 ff., 10.74 ff., 10.82 ff., 10.96 ff., 10.117 ff., 10.134 ff., 10.147 ff. Jedoch erfolgt auch hiernach eine Auflösung, wenn der Wegzug des Verwaltungssitzes in einen Drittstaat erfolgt, der die Sitztheorie zugrunde legt. 5 Vgl. Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.192.

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Kap. 20 Rz. 20.104 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

2. Grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften 20.104

Für die steuerrechtliche1 Behandlung des rechtsformkongruenten2 grenzüberschreitenden Formwechsels von Kapitalgesellschaften fehlen ausdrückliche steuerrechtliche Regelungen. Für Zwecke der Grunderwerbsteuer ist der grenzüberschreitende Formwechsel unbeachtlich, da der Rechtsträger als solcher nicht wechselt.3 Insoweit kann der grenzüberschreitende Formwechsel einer grenzüberschreitenden Verschmelzung vorzuziehen sein. Ertragsteuerrechtlich ist zwischen Wegzug („Hinausformwechsel“) und Zuzug („Hereinformwechsel“) zu unterscheiden: a) Wegzug („Hinausformwechsel“)

20.105

Der grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften vollzieht sich auf Ebene der wegziehenden Gesellschaft – ebenso wie der rein nationale Formwechsel – steuerrechtlich identitätswahrend4 ohne Auflösung der Gesellschaft. Eine (analoge) Anwendung der für die (grenzüberschreitende) Verschmelzung maßgeblichen Vorschriften der §§ 11 ff. UmwStG kommt nicht in Betracht,5 da diese eine Vermögensübertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge voraussetzen, die im Zuge des identitätswahrenden grenzüberschreitenden Formwechsels wie auch bei der Sitzverlegung der SE nicht zu beobachten ist. Zudem fehlt es an einer Regelungslücke, da insoweit die allgemeine Entstrickungsvorschrift des § 12 Abs. 1 KStG Anwendung finden kann.6 Gleiches gilt für die Sitzverlegung der SE.7 Das bedeutet, dass eine Steuerneutralität des Wegzugs nur gewährleistet ist, soweit hierdurch das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung der Wirtschaftsgüter der Kapitalgesellschaft weder ausgeschlossen noch beschränkt wird (§ 12 Abs. 1 KStG). Das deutsche Besteuerungsrecht wird dann nicht tangiert, wenn ein DBA nicht besteht und die Wirtschaftsgüter einer im Inland zurückbleibenden Betriebsstätte zuzuordnen sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Wegzugsbedingt erfolgt ein Wegfall oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts, soweit Wirtschaftsgüter nach dem Wegzug der ausländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte im (neuen) Sitzstaat der weggezogenen Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind. Schließlich entfällt das deutsche Besteuerungsrecht durch den Wechsel in die beschränkte Steuerpflicht der wegziehenden Kapitalgesellschaft auch in den Fällen, in denen Wirtschaftsgüter ausländischen Betriebsstätten zuzuordnen sind, für die bis-

1 Zur handelsbilanziellen Abbildung s. Roß, DB 2019, 197 ff. 2 Zu den Steuerfolgen bei rechtsforminkongruentem grenzüberschreitendem Formwechsel vgl. Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (177 f., 179); Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2448). Insoweit sind steuerrechtlich die umwandlungssteuerrechtlichen Vorschriften zur Verschmelzung (Formwechsel von Kapital- in Personengesellschaft, § 9 i.V.m. §§ 3 ff. UmwStG) bzw. zur Einbringung (Formwechsel von Personen- in Kapitalgesellschaft, § 25 i.V.m. §§ 20 ff. UmwStG) maßgeblich. 3 Stv. Tauser in FS Kessler, 213 (234); Pöllath/Fischer, IStR 2015, 778 (780). 4 Schumacher in Lutter6, Anh. 2 nach § 122m UmwG Rz. 46. 5 A.A. Schießl in W/M Rz. § 11 UmwStG Rz. 50.71.1. Eine Behandlung als Verschmelzung würde insbesondere dazu führen, dass bestehende Verlustvorträge etc. untergehen würden (§ 12 Abs. 4 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Hingegen bleiben beim identitätswahrenden Wegzug Verlustvorträge grds. für deutsche Steuerzwecke erhalten, vgl. Köhler in FS Schaumburg, 813 (818). 6 Vgl. Schumacher in Lutter6, Einl. II Rz. 13; Tauser in FS Kessler, 213 (232); Förster, DStR 2020, 865 (873); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (178); Thömmes, NWB 2012, 3018 (3020); Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2448); Hahn, jurisPR-SteuerR 39/2012 Anm. 6 unter C.II.1 bis 3. 7 Schön in Lutter/Hommelhoff/Teichmann2, SE-Kommentar, D. Die SE im Steuerrecht, Rz. 53; Blumenberg in FS Schaumburg, 559 (569); Haase, Ubg 2020, 640 (655).

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.107 Kap. 20

lang eine deutsche Besteuerung ohne abkommensrechtliche Schrankenwirkungen1 gegeben war. In den vorgenannten Fällen ist somit eine Gewinnrealisierung nicht vermeidbar2, eine Streckung der Besteuerung des Gewinns über fünf Jahren ist aber unter den Voraussetzungen des § 4g EStG möglich. Der grenzüberschreitende (Hinaus-)Formwechsel führt nicht zu einer Kapitalertragsteuerpflicht hinsichtlich offener Gewinnrücklagen der wegziehenden Gesellschaft.3 Bei unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern, die die Anteile an der wegziehenden Kapitalgesellschaft in einem inländischen Betriebsvermögen halten, kommt es zu einer wegzugsbedingten Gewinnrealisierung, soweit wegzugsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht wegfällt oder beschränkt wird (§ 12 Abs. 1 KStG, § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG). Das ist bei unbeschränkter Steuerpflicht der Gesellschafter nur ausnahmsweise der Fall, weil die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der wegziehenden Kapitalgesellschaft im Grundsatz unverändert der deutschen Besteuerung unterliegen, ohne dass dem abkommensrechtliche Schranken gegenüberstehen.4 Eine wegzugsbedingte Gewinnrealisierung auf Gesellschafterebene unterbleibt aber dann, wenn eine SE/SCE wegzieht (§ 12 Abs. 1 Halbs. 2 KStG, § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG).5 Im Falle einer späteren Veräußerung dieser Anteile darf der Veräußerungsgewinn aber ungeachtet der Bestimmungen eines DBA in der gleichen Art und Weise besteuert werden, wie die Veräußerung der Anteile an der SE zu besteuern gewesen wäre, wenn keine Sitzverlegung stattgefunden hätte (§ 12 Abs. 1 Halbs. 2 KStG, § 15 Abs. 1a EStG). Gehören die Anteile zum Privatvermögen des unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters, erfolgt zwar grds. eine Versteuerung fiktiver Veräußerungsgewinne, soweit das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile an der wegziehenden Kapitalgesellschaft ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 17 Abs. 5 Satz 1 EStG). Jedoch unterbleibt eine wegzugsbedingte Gewinnrealisierung hier nicht nur in den Fällen der Sitzverlegung einer SE, sondern auch bei anderen Kapitalgesellschaften, die ihren (statutarischen) Sitz in einen anderen EU-/EWR-Staat verlegen (§ 17 Abs. 5 Satz 2 EStG). Dies gilt auch hier mit der Maßgabe, dass im Falle einer späteren Veräußerung dieser Anteile die deutsche Besteuerung ungeachtet abkommensrechtlicher Regelungen gewährleistet ist (§ 17 Abs. 5 Satz 3, 4 EStG).

20.106

Bei beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern setzt eine wegzugsbedingte Gewinnrealisierung in Deutschland voraus, dass Deutschland bisher ein Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht zustand (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bzw. Buchst. e EStG). Dies ist nur der Fall, wenn kein DBA besteht oder in Abkommensfällen

20.107

1 Also in Fällen ohne DBA oder bei Anwendung der Anrechnungsmethode nach DBA, § 20 Abs. 2 AStG (Rz. 19.544) bzw. § 50d Abs. 9 EStG (Rz. 19.525 ff.). 2 Eine wegzugsbedingte Gewinnrealisierung unterbleibt jedoch, soweit Anteile der weggezogenen Kapitalgesellschaft an einer SE nunmehr dem ausländischen Betriebsstättenvermögen der weggezogenen Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind: Das gilt allerdings mit der Maßgabe, dass im Falle einer späteren Veräußerung dieser Anteile durch die ausländische Kapitalgesellschaft eine Versteuerung so zu erfolgen hat, als wäre das deutsche Besteuerungsrecht uneingeschränkt erhalten geblieben (§ 12 Abs. 1 Halbs. 2 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 4, § 15 Abs. 1a EStG). 3 Ausf. Baumhoff/Cordes in FS Heurung, 35 (37 ff.). 4 Vgl. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA; Ausnahmen bestehen in Fällen einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) oder einer sog. Sitzstaatsklausel (z.B. Art. 23 Abs. 1 Buchst. b i.V. mit Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechien), vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 5 Die Sonderregelungen sind notwendig, da eine sofortige Besteuerung der stillen Reserven anlässlich des Wegzugs zu einem Verstoß gg. Art. 10d FRL führen würde, vgl. Blumenberg in FS Schaumburg, 559 (568).

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Kap. 20 Rz. 20.107 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

(ausnahmsweise) Deutschland ein Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen vorbehalten ist.1 Geht das Besteuerungsrecht verloren, weil die Gewinne aus einer tatsächlichen Veräußerung nach dem Wegzug nicht mehr im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht erfasst2 oder aufgrund eines DBA nicht mehr besteuert werden können,3 gilt Folgendes: Bei Anteilen in einem inländischen Betriebsstättenvermögen wird eine sofortige Gewinnrealisierung nur im Fall des Wegzugs einer SE bis zur tatsächlichen Veräußerung hinausgeschoben (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG). Bei im Privatvermögen gehaltenen Anteilen unterbleibt eine wegzugsbedingte Gewinnrealisierung nicht nur in den Fällen der Sitzverlegung einer SE, sondern auch bei anderen Kapitalgesellschaften, die ihren (statutarischen) Sitz in einen anderen EU-/EWR-Staat verlegen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG i.V.m. § 17 Abs. 5 Satz 2 EStG). Die beschränkte Steuerpflicht im Inland bei (späterer) tatsächlicher Veräußerung wird durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. ee EStG begründet. b) Zuzug („Hereinformwechsel“)

20.108

Der grenzüberschreitende Hereinformwechsel einer Kapitalgesellschaft bzw. der Zuzug einer SE (Art. 8 SE-VO) führt auf Ebene der zuziehenden Gesellschaft zu einer erstmaligen Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Der Wechsel von der beschränkten zur unbeschränkten Steuerpflicht vollzieht sich identitätswahrend, so dass die zuziehende Gesellschaft als Körperschaftsteuersubjekt fortbesteht. Auf der Ebene der zuziehenden Kapitalgesellschaft erfolgt eine Verstrickung, soweit zuzugsbedingt Wirtschaftsgüter erstmals von der Reichweite der deutschen Steuerpflicht erfasst werden (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG).4 In diesem Fall erfolgt der Ansatz der verstrickten Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Eine derartige Verstrickung unterbleibt in den Fällen, in denen die Wirtschaftsgüter bereits vor dem Zuzug einem inländischen Betriebsstättenvermögen zuzuordnen waren. Entsprechendes gilt auch für Wirtschaftsgüter des ausländischen Betriebsstättenvermögens, das abkommensrechtlich auch nach dem Zuzug dem deutschen Steuerzugriff entzogen bleibt. Mit dem Wechsel von der beschränkten Steuerpflicht in die unbeschränkte Steuerpflicht ist zudem erstmals das steuerliche Einlagekonto i.S.v. § 27 KStG zu führen (§ 27 Abs. 2 Satz 3 KStG).

20.109

Für die Gesellschafter der zuziehenden Kapitalgesellschaft ergeben sich bei einem Zuzug einer ausländischen Kapitalgesellschaft ins Inland folgende steuerrechtlichen Auswirkungen: Für unbeschränkt steuerpflichtige Anteilseigner ergeben sich grds. keine steuerlichen Auswirkungen, da das bisher bereits bestehende deutsche Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA) unverändert fortbesteht oder durch Wegfall einer Anrechnungsverpflichtung5 verstärkt wird. Eine bloße Verstärkung des deutschen Besteue-

1 Wenn die Anteile einer inländischen Betriebsstätte abkommensrechtlich zuzurechnen sind (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA) oder eine Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) bzw. eine sog. Sitzstaatsklausel zur Anwendung gelangt, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 2 Weil die Anteile nicht in einem inländischen Betriebsstättenvermögen gehalten werden. 3 Weil die Anteile zwar in einem inländischen Betriebsstättenvermögen gehalten werden, aber die Anteile nach dem einschlägigen DBA nicht dieser Betriebsstätte tatsächlich funktional zuzurechnen sind (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA). 4 Pöllath/Fischer, IStR 2015, 778 (780); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (179). 5 Wenn nach dem DBA mit dem Wegzugsstaat eine Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) bzw. eine sog. Sitzstaatsklausel einschlägig war, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.110 Kap. 20

rungsrechts bleibt im Inland steuerlich jedoch unberücksichtigt. Bei nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern ist zu unterscheiden: Waren die Anteile bisher einer inländischen Betriebsstätte (im Abkommensfall: auch abkommensrechtlich, Art. 13 Abs. 2 OECDMA) zuzurechnen, bleibt das deutsche Besteuerungsrecht im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht unverändert bestehen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Zu einer steuerwirksamen Verstrickung der in einem inländischen Betriebsvermögen gehalten Anteilen zum gemeinen Wert (§ 4 Abs. 1 Satz 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) aufgrund einer erstmaligen Begründung des deutschen Besteuerungsrechts kann es in seltenen Ausnahmefällen kommen.1 Waren die Anteile vor dem Zuzug der Kapitalgesellschaft dem steuerrechtlichen Privatvermögen des ausländischen Anteilseigners zuzurechnen, bestand bisher mangels inländischen Anknüpfungspunkts keine beschränkte Steuerpflicht für etwaige Veräußerungsgewinne. Durch den Zuzug werden die im steuerlichen Privatvermögen gehaltenen Anteile in Deutschland im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG) aber erstmals steuerverstrickt, wenn mit dem Wegzugsstaat kein DBA besteht oder das einschlägige DBA ausnahmsweise dem Sitzstaat der Gesellschaft ein Besteuerungsrecht zuweist.2 Sachgerecht wäre in diesem Fall, dass Deutschland bei einer späteren Veräußerung als Anschaffungskosten der Anteile den gemeinen Wert im Zeitpunkt des Zuzugs der Gesellschaft berücksichtigt. Eine vergleichbare Verstrickungsklausel findet sich jedoch für im steuerlichen Privatvermögen gehaltene Anteile nur in § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG für Fälle des tatsächlichen Zuzugs des Gesellschafters, wenn der ausländische Staat den Wegzug bei ihm besteuert. Eine analoge Anwendung erscheint hier jedenfalls dann geboten, wenn der Wegzugsstaat den Wegzug der Gesellschaft auf Ebene des Anteilseigners unter Entstrickungsgesichtspunkten steuerpflichtig stellt.3 Im Übrigen muss ein Ansatz zum gemeinen Wert der Anteile unterbleiben, weil eine entsprechende normative Regelung hierfür nicht vorgesehen ist.4 In der Praxis lässt sich die Gefahr einer Doppelbesteuerung im tatsächlichen Veräußerungsfall ggf. durch eine vor dem Wegzug durchzuführende (im ausländischen Staat steuerneutrale) Maßnahme verhindern, die aus deutsch-steuerlicher Sicht als steuerliche Veräußerung der Anteile (zum gemeinen Wert) anzusehen ist.

3. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften Der grenzüberschreitende Hinaus- oder Hereinformwechsel von Personengesellschaften5 führt im Grundsatz zu keinen unmittelbaren steuerrechtlichen Folgen,6 wenn sich aus der Sicht des deutschen Steuerrechts keine Änderung der Subjektsqualifikation ergibt. Personen-

1 Bspw., wenn nach dem einschlägigen DBA die Anteile dem inländischen Betriebsstättenvermögen nicht funktional i.S.v. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA zuzurechnen sind und nach dem Zuzug eine Sitzstaat- oder Immobiliengesellschaftsklausel (Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225) ein deutsches Besteuerungsrecht erstmals begründet. 2 Bei Anwendung einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) bzw. einer sog. Sitzstaatsklausel, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 3 Vgl. auch Binnewies in Ziemons/Binnewies, Handbuch Aktiengesellschaft, 2. Abschn. Rz. 86. 4 A.A. Kahle/Cortez, FR 2014, 673 (687). 5 Hierzu Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.29 ff.; Schnittker/Pitzal in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 10.8 ff.; 10.96 ff., Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.191. 6 Im Fall des grenzüberschreitenden Formwechsels von Personengesellschaften kommt es insbesondere zu keiner Betriebsaufgabe, vgl. Schnittker/Pitzal in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 10.103; Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.31.

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20.110

Kap. 20 Rz. 20.110 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

gesellschaften sind in den einzelnen Staaten zumeist einer dualen Subjektsqualifikation unterworfen: Sie werden entweder als eigenständige Steuersubjekte qualifiziert oder aber, wie etwa in Deutschland, für Zwecke der Ertragsteuern nach Maßgabe der Mitunternehmerkonzeption (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) behandelt.1 Hiernach sind Personengesellschaften nicht mit uneingeschränkter Steuerrechtssubjektivität ausgestattet: Nicht die Personengesellschaft, sondern die an ihr beteiligten Gesellschafter unterliegen der Einkommen-/Körperschaftsteuer. Personengesellschaften sind indessen insoweit beschränkt steuerrechtsfähig, als sie selbst mit den von ihnen geführten Gewerbebetrieben Gewinn erzielen mit der Folge, dass sie insoweit selbständige Gewinnerzielungs- und Gewinnermittlungssubjekte sind.2 Im Hinblick auf diese nur beschränkt gegebene Steuerrechtssubjektivität von Personengesellschaften fehlt es an einer dem § 12 Abs. 1 KStG vergleichbaren Entstrickungsvorschrift auf Gesellschaftsebene für den Wegzug von Personengesellschaften. Da die Personengesellschaft als solche nicht der Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterliegt, ist eine Schlussbesteuerung auf Gesellschaftsebene bei Wegzug auch entbehrlich.3 Entsprechendes gilt für den Zuzug ausländischer Personengesellschaften. In allen Fällen bleiben die Gesellschafter als die für die Einkommen- und Körperschaftsteuer maßgeblichen Steuersubjekte identisch: Ihre unbeschränkte oder beschränkte Steuerpflicht ändert sich durch die grenzüberschreitende Sitzverlegung der Personengesellschaft nicht.

20.111

An der identitätswahrenden Sitzverlegung ändert sich auch nichts dadurch, dass in dem jeweils anderen Staat eine vom deutschen Steuerrecht abweichende Subjektsqualifikation erfolgt. Wird etwa bei Wegzug einer deutschen Personengesellschaft diese in dem anderen Staat als eigenständiges Steuersubjekt behandelt, so verbleibt es dennoch für Zwecke der deutschen Besteuerung allein bei der Qualifikation als Mitunternehmerschaft (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG),4 wenn hiernach die nach Wegzug dem ausländischen Recht unterworfene Personengesellschaft in ihren grundlegenden Strukturmerkmalen einer deutschen Personengesellschaft5 entspricht. Wird dagegen nach Wegzug die Gesellschaft aus der Sicht des deutschen Steuerrechts (ausnahmsweise) als Körperschaft qualifiziert6, erfolgt ein Wechsel im Steuersubjekt und damit zugleich auf Gesellschafterebene ein „Tausch“ von Mitunternehmeranteilen gegen Anteile z.B. an einer ausländischen Kapitalgesellschaft.7 Es spricht jedoch nichts dagegen, diese Konstellation umwandlungssteuerrechtlich nach Verschmelzungsgrundsätzen zu behandeln (§ 25 i.V.m. §§ 20 ff. UmwStG).

20.112

Durch die mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel einhergehende Verlegung der Geschäftsleitung einer Personengesellschaft in das Ausland ergibt sich insoweit eine mittelbare steuerliche Folge, als durch eine inländische Geschäftsleitung in aller Regel auch eine Betriebsstätte begründet wird, so dass sich nunmehr wegzugsbedingt auch ein ausländischer An-

1 Vgl. hierzu den Überblick der Anlage zum BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258. 2 Hierzu Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 164. 3 Vgl. Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.31. Eine gewerbesteuerliche Entstrickungsregelung gibt es nicht. 4 Wacker in Schmidt41, § 15 EStG Rz. 169. 5 Zu diesem Typenvergleich BFH v. 3.2.1988 – I R 134/84, BStBl. II 1988, 588; BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 17.12.1997 – I R 34/97, BStBl. II 1998, 296. 6 Bspw., weil die nach dem Recht des Zuzugsstaats vorzunehmenden gesellschaftsvertraglichen Anpassungen zu einer steuerrechtlichen Umqualifizierung der Gesellschaft aus deutsch-steuerlicher Sicht führen. 7 Schaumburg, GmbHR 1996, 585 (594).

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.113 Kap. 20

knüpfungspunkt für die Besteuerung ergibt. Soweit hierdurch etwa ein Zuordnungswechsel von Wirtschaftsgütern vom inländischen zum ausländischen Betriebsstättenvermögen erfolgt, ergibt sich eine Gewinnrealisierung, wie hierdurch deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 4 Abs. 1 Satz 3 und 4, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 EStG).1 Beim Hereinformwechsel in das Inland kann sich eine entsprechende steuerliche Folge dadurch ergeben, dass Wirtschaftsgüter des ausländischen Betriebsstättenvermögens nunmehr dem Vermögen der inländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen sind. Dieser Zuordnungswechsel führt zu einer Verstrickung, so dass die betreffenden Wirtschaftsgüter nunmehr mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG).2

V. Einbringungen durch Einzelrechtsnachfolge 1. Einbringung in Kapitalgesellschaften a) Einbringung von Sachgesamtheiten Die grenzüberschreitende Einbringung von Sachgesamtheiten (Betrieb, Teilbetrieb bzw. Mitunternehmeranteil) in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung neuer Anteile an der übernehmenden Gesellschaft führt aus Sicht des Einbringenden3 und der übernehmenden Gesellschaft grds. zu einem Veräußerungs- bzw. Anschaffungsvorgang.4 Soweit das durch die Sachgesamtheit verkörperte Betriebsvermögen der inländischen Steuerverhaftung im Rahmen der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht unter Berücksichtigung von DBA unterliegt, hat der Einbringende die in den Anteilen vorhandenen stillen Reserven in Deutschland nach allgemeinen Grundsätzen zu versteuern, es sei denn, die Einbringung unterfällt dem Anwendungsbereich des UmwStG und insbesondere den Voraussetzungen für eine steuerneutrale Einbringung gem. § 20 Abs. 2, Abs. 3 UmwStG.5 Die Einbringung von betrieblichen Sachgesamtheiten in Kapitalgesellschaften fällt sachlich in den Anwendungsbereich des UmwStG (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. § 20 UmwStG). Der persönliche Anwendungsbereich des § 20 UmwStG ist eröffnet, wenn die übernehmende Gesellschaft die besonderen EU-/EWR-Voraussetzungen i.S.v. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG und der Einbringende6 entweder im EU-/EWR-Raum ansässig ist oder das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile an der ausländischen Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und b UmwStG).7 Die Kapitalverkehrsfreiheit gebietet es jedoch, auch Einbringungen nach § 20, § 25 UmwStG durch Drittstaatengesellschafter in den persönlichen Anwendungsbereich einzubeziehen.8

1 Vgl. Schnittker/Pitzal in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 10.103; Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.31. 2 Vgl. Schnittker/Pitzal in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 10.157. 3 Zur Frage des Einbringenden bei Übertragungen durch Personengesellschaften s. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.03. 4 Vgl. Herlinghaus in R/H/vL3, § 20 UmwStG Rz. 14. 5 § 20 UmwStG (und nicht § 21 UmwStG) ist sachlich auch dann einschlägig, wenn Kapitalgesellschaftsanteile als Bestandteil einer Sachgesamtheit übertragen werden, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 21.01. 6 Bei Personengesellschaften: Deren Gesellschafter, vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa UmwStG. 7 Zu Einzelheiten Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 11 ff. 8 Vgl. ausf. Hageböke/Stangl, Ubg 2021, 242 ff.; Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2021, 765 (773); s. auch den Reformvorschag bei Jacobsen, DStZ 2021, 490 ff.

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20.113

Kap. 20 Rz. 20.114 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

20.114

Die unter den weiteren Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG mögliche steuerneutrale Einbringung von Sachgesamtheiten in Kapitalgesellschaften gegen Gewährung neuer Anteile1 hängt u.a.2 davon ab, dass ein bisher bestehendes3 deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung des übergehenden Betriebsvermögens bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG).4 In diesem Fall kann die übernehmende Kapitalgesellschaft auf Antrag die übergehenden Wirtschaftsgüter für deutsch-steuerliche Zwecke5 zum Buchwert ansetzen und hiermit über die gem. § 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG angeordnete Wertverknüpfung die Steuerneutralität der Einbringung für den Einbringenden gewährleisten. Im Einzelnen ergeben sich bei der grenzüberschreitenden Einbringung von Sachgesamtheiten in eine inländische Kapitalgesellschaft (Rz. 20.115 ff.) bzw. eine ausländische Kapitalgesellschaft (Rz. 20.119 ff.) folgende steuerrechtlichen Auswirkungen: aa) Einbringung in inländische Kapitalgesellschaft

20.115

Der grenzüberschreitende Bezug bei Einbringung einer Sachgesamtheit im Wege der Einzelrechtsnachfolge in eine inländische Kapitalgesellschaft gegen Gewährung neuer Anteile ergibt sich daraus, dass entweder ausländisches Betriebsvermögen eingebracht wird und/oder der Einbringende im Ausland ansässig ist: Soweit unbeschränkt Steuerpflichtige ausländisches Betriebsstättenvermögen einbringen, ergeben sich im Regelfall keine Besonderheiten, weil unabhängig davon, ob ein DBA eingreift oder nicht, sich der Anwendungsbereich des § 20 UmwStG für diesen Personenkreis ohne weiteres eröffnet (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwStG) und durch die Einbringung der Sachgesamtheit in die unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft das Besteuerungsrecht Deutschlands für die Gewinne aus der Veräußerung der übergehenden Wirtschaftsgüter nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird, so dass insoweit der Buchwertansatz gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG und damit eine Steuerneutralität möglich ist. Die Einbringung bewirkt im Übrigen grds. eine Verdoppelung der stillen Reserven, weil nunmehr diese sowohl auf Gesellschaftsebene als auch auf Gesellschafterebene zukünftig der Besteuerung ausgesetzt sind.6 Et-

1 Die Gewährung neuer Anteile ist nicht nur im Rahmen einer Sachgründung (§ 5 Abs. 4 GmbHG, § 27 AktG, § 7a GenG) bzw. bei einer Kapitalerhöhung durch Sacheinlage (§ 56 GmbHG, § 183, §§ 192 ff., § 202 AktG) gegeben, sondern auch bei einer Bargründung bzw. Barkapitalerhöhung, wenn die eingebrachten Anteile als Sachagio mitübertragen werden (vgl. BFH v. 7.4.2010 – I R 55/ 09, BStBl. II 2010, 1094; BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. E 20.09, Rz. 01.44). 2 Zur Frage, ob die sog. Nichtnegativitätsbedingung i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG gegen Art. 4 i.V.m. Art. 9 der FRL verstößt s. Hageböke/Stangl, FR 2021, 680 ff. 3 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.19 i.V.m. 03.19. 4 Das Bewertungswahlrecht hängt nicht davon ab, ob für die im Zuge der Einbringung erhaltenen Anteile ein deutsches Besteuerungsrecht besteht, vgl. Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 229. Ein solches spielt für nicht im EU-/EWR-Raum ansässige Einbringende im Rahmen des persönlichen Anwendungsbereichs eine Rolle (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG). 5 Der ggf. höhere steuerrechtliche Ansatz für Zwecke des ausländischen Steuerrechts spielt für die Buchwertfortführung im Inland keine Rolle, vgl. Fuhrmann, DStZ 2007, 111 (113). Die Definition des Buchwerts i.S.v. § 1 Abs. 5 Nr. 4 UmwStG knüpft ausschließlich an eine (fiktive) inländische Steuerbilanz an, vgl. Graw in R/H/vL3, § 1 UmwStG Rz. 210. 6 Patt in D/P/M, Vor §§ 20–23 UmwStG Rz. 24.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.117 Kap. 20

was anderes gilt allerdings dann, wenn die im Zuge der Einbringung gewährten Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft zu einem ausländischen Betriebsstättenvermögen gehören und hierdurch die Gewinne aus der Veräußerung dieser Anteile abkommensrechtlich1 der deutschen Besteuerung entzogen sind. Erfolgt die Einbringung der Sachgesamtheit durch beschränkt Steuerpflichtige, so ist wie folgt zu differenzieren: Der persönliche Anwendungsbereich ist bei EU-/EWR-Ansässigkeit des Einbringenden stets eröffnet (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwStG).2 Bei in Drittstaaten ansässigen Einbringenden hingegen nach dem Wortlaut3 nur, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile der inländischen Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG). Letzteres ist nur dann gegeben, wenn kein DBA besteht4 oder im DBA-Fall ein entsprechendes deutsches Besteuerungsrecht abkommensrechtlich (ausnahmsweise) Deutschland vorbehalten worden ist.5 Andernfalls werden die in Deutschland steuerverhafteten stillen Reserven in dem eingebrachten Betriebsvermögen auch dann steuerpflichtig aufgedeckt, wenn Deutschland an dem eingebrachten Betriebsvermögen ein uneingeschränktes Besteuerungsrecht verbleibt.

20.116

Ist der persönliche Anwendungsbereich bei Einbringung durch beschränkt Steuerpflichtige eröffnet, ist für das eingebrachte Betriebs(stätten)vermögen die Buchwertfortführung möglich, da das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung des eingebrachten Betriebsvermögens bei der übernehmenden inländischen Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG) unabhängig davon, ob ein DBA eingreift oder nicht.6 Wird (einheitlich) der Buchwertansatz gewählt und geht einbringungsbedingt Betriebsvermögen über, welches weder vor noch nach der Besteuerung im Inland steuerverhaftet ist (sog. neutrales Vermögen), wird dieses zwar auf Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft zu Buchwerten übernommen, für den Anteilseigner erhöhen sich die Anschaffungskosten an den erhaltenen Anteilen hingegen um den gemeinen Wert des eingebrachten neutralen Vermögens (§ 20 Abs. 3 Satz 2 UmwStG).7 Für das bisher nicht in Deutschland steuerverhaftete (ausländische) Betriebs(stätten)vermögen kommt es einbringungsbedingt ggf. zur erstmaligen Begründung des deutschen Besteuerungsrechts

20.117

1 Betriebsstättenprinzip: Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA; vgl. Rz. 19.230, 19.385 ff. 2 Bei einbringenden ausländischen Personengesellschaften ist erforderlich, dass diese Sitz und Ort der Geschäftsleitung im EU-/EWR-Bereich haben und an der ausländischen Personengesellschaft Personen beteiligt sind, die im EU-/EWR-Bereich ansässig sind (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwStG). 3 Die Kapitalverkehrsfreiheit gebietet es jedoch, auch Einbringungen nach § 20, § 25 UmwStG durch Drittstaatengesellschafter in den persönlichen Anwendungsbereich einzubeziehen. Vgl. ausf. Hageböke/Stangl, Ubg 2021, 242 ff.; Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2021, 765 (773); s. auch den Reformvorschag bei Jacobsen, DStZ 2021, 490 ff. 4 Die Gewinne aus der Veräußerung der im Zuge der Einbringung erhaltenen Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft unterliegen gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG der beschränkten Steuerpflicht. 5 Wenn die Anteile einer inländischen Betriebsstätte abkommensrechtlich zuzurechnen sind (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA) oder eine Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) bzw. eine sog. Sitzstaatsklausel zur Anwendung gelangt, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 6 § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA. 7 Vgl. ausf. Herlinghaus in R/H/vL3, § 20 UmwStG Rz. 389 ff.

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Kap. 20 Rz. 20.117 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

im Wege einer passiven (rechtlichen) Verstrickung1, wenn bspw. durch die Einbringung eine ausländische Anrechnungsbetriebsstätte auf die inländische Kapitalgesellschaft übergeht.2 Für diesen Fall der einbringungsbedingten Steuerverstrickung enthält § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG zwar keine ausdrückliche Regelung. Insoweit kommt aber – dem gesetzgeberischen Willen entsprechend3 – auf der Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft über § 8 Abs. 1 KStG die allgemeine Verstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG zur Anwendung.4 Damit wird der gemeine Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) für den Ansatz dieser übergehenden Wirtschaftsgüter zwingend. Hieran ändert auch der Umstand, dass das in § 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG verankerte Wahlrecht nur einheitlich ausgeübt werden kann, nichts, da der Wertansatz insoweit zwingend und somit dem Bewertungswahlrecht von vornherein nicht zugänglich ist.5 Für den Anteilseigner erhöhen sich die Anschaffungskosten an den erhaltenen Anteilen auch hier (erst recht) um den gemeinen Wert des eingebrachten (neuverstrickten) Vermögens.6

20.118

Ein etwa durch den Ansatz des neutralen oder neuverstrickten Vermögens mit dem gemeinen Wert ausgelöster Einbringungsgewinn wird außerhalb der Reichweite der beschränkten Steuerpflicht erzielt, so dass insoweit eine deutsche Besteuerung ausscheidet.7 Wird dagegen in den übrigen Fällen der beschränkten Steuerpflicht das Wahlrecht im Sinne des Buchwertansatzes nicht ausgeübt, unterliegt ein hierdurch ausgelöster Übertragungsgewinn (Einbringungsgewinn; § 20 Abs. 3 und 4 UmwStG) gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG der Besteuerung, ohne dass diese durch ein DBA (Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA) eingeschränkt wird. bb) Einbringung in ausländische Kapitalgesellschaft

20.119

Im Zuge der Einbringung von Sachgesamtheiten in ausländische Kapitalgesellschaften gegen Gewährung neuer8 Anteile werden steuerliche Folgen im Inland regelmäßig nur dann ausgelöst, wenn die Einbringung entweder durch unbeschränkt Steuerpflichtige erfolgt oder inländisches Betriebsstättenvermögen übergeht: Der persönliche Anwendungsbereich des § 20 UmwStG ist nicht eröffnet und eine Steuerneutralität für deutsch-steuerliche Zwecke von vornherein ausgeschlossen, wenn die Einbringung nicht in eine Kapitalgesellschaft mit dem erforderlichen EU-/EWR-Bezug, sondern in eine in

1 Zur Abgrenzung zwischen passiver (rechtlicher) und aktiver (tatsächlicher) Ent- und Vertstrickung s. Rz. 20.31. 2 Insoweit unterliegt das ausländische Betriebsvermögen künftig erstmals auf Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft der inländischen Besteuerung. 3 Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum SEStEG, BT-Drucks. 16/2719, 43. 4 Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 228; Schmitt in S/H9, § 20 UmwStG Rz. 280, 297, 304, 325; Sterner in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 7.110; Kahle/Vogel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 12.136; Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.266; Förster/Wendland, BB 2007, 631 (634); Damas, DStZ 2007, 129 (137); Ley, FR 2007, 109 (112); a.A. Herlinghaus in R/H/vL3, § 20 UmwStG Rz. 167. 5 Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 228; a.A. Herlinghaus in R/H/vL3, § 20 UmwStG Rz. 309, 310. 6 Vgl. Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 228; Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.266; Schmitt/Schloßmacher, UmwStE 2011, 267. 7 Vgl. BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663. 8 Im Hinblick auf die Vorgaben der FRL ist bei grenzüberschreitenden Einbringungen in EU-/ EWR-Kapitalgesellschaften auch die Ausgabe eigener Anteile der übernehmenden Gesellschaft ausreichend, vgl. Schmitt in S/H9, § 20 UmwStG Rz. 205; Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.231.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.121 Kap. 20

einem Drittstaat ansässige Kapitalgesellschaft erfolgt (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). Regelmäßig ist der persönliche Anwendungsbereich auch dann nicht eröffnet, wenn die Einbringung durch einen in einem Drittstaat ansässigen Einbringenden vorgenommen wird, da ein deutsches Besteuerungsrecht an den erhaltenen Anteilen an der EU-/EWR-Kapitalgesellschaft mangels beschränkter Steuerpflicht im Inland – abgesehen von wenigen Ausnahmen1 – ausgeschlossen ist (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Die Kapitalverkehrsfreiheit gebietet es jedoch, auch Einbringungen nach § 20, § 25 UmwStG durch Drittstaatengesellschafter in den persönlichen Anwendungsbereich einzubeziehen.2 Ist der persönliche Anwendungsbereich eröffnet, hängt die Steuerneutralität für das in Deutschland steuerverhaftete Betriebsvermögen wiederum davon ab, ob das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung des eingebrachten Betriebsvermögens bei der übernehmenden EU-/EWR-Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG). Hierzu gilt Folgendes:3 Geht im Zuge der Einbringung inländisches Betriebsstättenvermögen über, bleibt das bisherige deutsche Besteuerungsrecht regelmäßig erhalten. Ist die übernehmende EU-/EWR-Kapitalgesellschaft in einem Nicht-DBA-Staat ansässig, kann eine spätere Veräußerungsgewinnbesteuerung uneingeschränkt im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht erfolgen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Gleiches gilt, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft in einem DBA-Staat ansässig ist und Deutschland nach dem einschlägigen DBA weiterhin die Gewinne aus der Veräußerung der Wirtschaftsgüter besteuern kann, bspw. weil es sich um im Inland belegenes unbewegliches Vermögen handelt (vgl. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA) oder die übernommenen Wirtschaftsgüter einer inländischen Betriebsstätte (Art. 5 OECD-MA) abkommensrechtlich zuzurechnen sind (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA, sog. Betriebsstättenvorbehalt). Ein möglicher Wechsel in der (abkommensrechtlichen) Zuordnung von Wirtschaftsgütern aus der inländischen Betriebsstätte in eine ausländische Betriebsstätte ist tatsächlicher Natur und vollzieht sich regelmäßig erst im Anschluss an den für Zwecke des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG maßgeblichen Einbringungszeitpunkt.4 Insoweit bleibt die Buchwertfortführung gem. § 20 Abs. 2 UmwStG möglich, es kommt aber im Zeitpunkt des tatsächlichen Zuordnungswechsels zu einer Entstrickung nach allgemeinen Grundsätzen auf Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft (§ 12 Abs. 1 KStG).

20.120

In den Fällen, in denen im Zuge der Einbringung ausländisches Betriebsstättenvermögen5 übergeht, tritt eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts grds. nur bei unbeschränkt steuerpflichtigen Einbringenden ein, wenn vor der Einbringung ein deutsches Besteuerungsrecht gegeben war, weil entweder kein DBA bestand oder das einschlägige DBA für Veräußerungsgewinne die Anrechnungsmethode vorsah.6

20.121

1 Ausnahme: Die Anteile sind einer inländischen Betriebsstätte zuzurechnen (§ 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). In diesem Fall ist der persönliche Anwendungsbereich auch für in Drittstaaten ansässige Einbringende erfüllt, wenn kein DBA besteht oder im DBA-Fall Deutschland das Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen ausnahmsweise vorbehalten ist. 2 Vgl. ausf. Hageböke/Stangl, Ubg 2021, 242 ff.; Böhmer/Schewe/Schlücke, FR 2021, 765 (773); s. auch den Reformvorschag bei Jacobsen, DStZ 2021, 490 ff. 3 S. zur Frage, bei welchem Finanzamt die übernehmende Gesellschaft den Buchwertantrag zu stellen hat ausf. Blank/Brunnhübner, IStR 2020, 973 ff. 4 Vgl. auch Förster in FS Endres, 113 (117). 5 Es spielt hierbei grds. keine Rolle, ob die zum ausländischen Betriebsstättenvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter im Inland oder im Ausland belegen sind. 6 Vgl. auch Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.235.

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Kap. 20 Rz. 20.122 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

20.122

Wird das Wahlrecht nicht ausgeübt, so dass die übergehenden Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind (§ 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG), ergeben sich Besteuerungsfolgen hinsichtlich des im Ausland belegenen übergehenden Vermögens unter den folgenden Gesichtspunkten: Greift kein DBA, kann die ausländische Steuer grds. auf eine auf den Einbringungsgewinn anfallende deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer1 angerechnet werden (§ 34c EStG, § 26 KStG). In Abkommensfällen stellt sich ggf. zunächst die Frage, ob der Einbringungsgewinn abkommensrechtlich den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA)2, den Veräußerungsgewinnen (Art. 13 Abs. 2 oder Abs. 5 OECD-MA)3 oder den sonstigen Einkünften (Art. 21 OECD-MA) unterfällt, da hiervon abhängen kann, ob nach dem DBA die Anrechnungs- oder Freistellungsmethode anzuwenden ist.4 Sieht das DBA zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen (ausnahmsweise) generell5 oder speziell6 die Anrechnungsmethode vor, kommt eine Besteuerung in Deutschland zum Tragen, jedoch unter Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern (§ 34c Abs. 1 EStG, § 26 KStG). Schließt das DBA eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer nicht ausdrücklich aus, muss Deutschland auch eine Anrechnung der ausländischen Steuern auf die Gewerbesteuer zulassen (Rz. 19.554). Regelmäßig gehen zwar die deutschen DBA nicht nur für unbewegliches Auslandsvermögen7, sondern auch für ausländische Betriebsstättengewinne von der Freistellungsmethode aus (Rz. 19.521 ff.). Insbesondere die jüngere deutsche Abkommenspolitik schränkt jedoch die grds. Steuerfreistellung ausländischer Betriebsstättengewinne (hier: Einbringungsgewinn) im Wege abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalte (Rz. 19.515)8 oder Subject-to-Tax-Klauseln (Rz. 19.522)9 ein.10 Enthält das einschlägige DBA eine Aktivitätsklausel, so ist Deutschland berechtigt, auf den Einbringungsgewinn anstatt der Freistellungsmethode die Anrechnungsmethode anzuwenden,11 wenn in der ausländischen Betriebsstätte vor der Einbringung keine „aktive“ Tätigkeit im Sinne der Aktivitätsklausel ausgeübt wurde.12 Jenseits dessen stellt sich die Frage, ob bei Steuerfreiheit der Umwandlung im ausländischen Staat die abkommensrechtliche Freistellung des

1 Mangels Anrechnungsvorschriften aber nicht auf die Gewerbesteuer. 2 Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (122); Viebrock/Hagemann, FR 2009, 737 (738); Klingberg/van Lishaut, FR 1999, 1222. 3 Vgl. Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 17; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 7; Lieber in S/D2, Art. 13 OECD-MA Rz. 37; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBA-Schweiz Rz. 76; Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20. 4 Die Beurteilung kann im Einzelfall für die Anwendbarkeit einer sog. Aktivitätsklausel oder einer Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern von Bedeutung sein, vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20 mit Fn. 1. 5 Bspw. Art. 22 Abs. 1 DBA-Zypern. 6 Im Regelfall wird die Anrechnungsmethode nur für bestimmte Einkünfte vereinbart, vgl. Rz. 19.552. 7 Insoweit kann regelmäßig offenbleiben, ob die Umwandlung abkommensrechtlich eine Veräußerung darstellt, da die Rechtsfolgen von Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA i.V.m. Art. 23 Abs. 1 OECD-MA aus Sicht des Ansässigkeitsstaats grds. übereinstimmen. 8 Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 87 ff. 9 Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73 ff. 10 Zu deren Anwendung im Bereich von Umwandlungen ausf. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59 ff. 11 Mit der Folge der uneingeschränkten Besteuerung, da der ausländische Staat die Umwandlung zum Buchwert zulässt. 12 Vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/ Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.126.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.123 Kap. 20

Übertragungsgewinns mangels „tatsächlicher Besteuerung“ im anderen Vertragsstaat durch eine Subject-to-Tax-Klausel suspendiert werden kann.1 Bezieht man zutreffend die (voraussichtliche) spätere Besteuerung der stillen Reserven im ausländischen Staat im Fall der tatsächlichen Veräußerung in die Betrachtung mit ein,2 finden die abkommensrechtlichen Subject-to-Tax-Klauseln auch bei Umwandlungen zu Buchwerten keine Anwendung.3 Dies dürfte auch den Erwägungen in dem zur Anwendung von Subject-to-Tax-Klauseln veröffentlichten BMF-Schreiben v. 20.6.20134 entsprechen.5 Hingegen hat der BFH zu den (wenigen) sog. Quellenregeln6 im Zusammenhang mit einem Formwechsel unter Buchwertfortführung den Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland bejaht.7 Innerstaatliche Vorbehaltsklauseln (§ 50d Abs. 9 EStG; s. Rz. 19.525 ff.; § 20 Abs. 2 AStG, s. Rz. 19.544) kommen regelmäßig nicht zum Tragen.8 Für den unbeschränkt steuerpflichtigen Einbringenden kann es vorteilhaft sein, auf eine Buchwertfortführung für deutsch-steuerliche Zwecke zu verzichten, die Einbringung von ausländischem Betriebsstättenvermögen nach ausländischem Steuerrecht aber zu Buchwerten steuerneutral durchzuführen.9 Im Idealfall bleibt der sich durch den Ansatz der gemeinen Werte in Deutschland ergebende Einbringungsgewinn nach dem einschlägigen DBA (auch) im Inland steuerfrei (Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA), während nach der Umwandlung nur noch Deutschland abkommensrechtlich das Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Kapitalgesellschaftsanteile zusteht (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Die stillen Reserven in dem übertragenen Betriebsvermögen bleiben zwar auf Ebene der ausländischen Kapitalgesellschaft grds. steuerverhaftet, der Einbringende kann bei einem anschließenden Verkauf der Kapitalgesellschaftsanteile den Vermögenszuwachs aber ggf. steuerfrei realisieren.10

1 Hierzu Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.132 ff.; Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 ff. 2 Vgl. Schönfeld, IStR 2013, 757 (759); Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Schönfeld/Häck, ISR 2013, 168 (174); Mouldi/Loose, IStR 2012, 829 (833 f.). 3 A.A. Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 (166 ff.) unter Hinweis auf die unterschiedlichen Steuerpflichtigen und eine fehlende Doppelbesteuerung im abkommensrechtlichen Sinne. 4 BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980. 5 Insoweit lassen sich Buchwerteinbringungen als (unschädliche) „temporäre“ oder „permanente Differenz“ einstufen, vgl. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Rz. 2.3; Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Lüdicke, IStR 2013, 721 (728). 6 Diese sehen vor, dass Einkünfte (nur dann) aus dem anderen Vertragsstaat „stammen“, wenn sie dort (effektiv) besteuert wurden, hierzu ausf. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B Rz. 75. 7 BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953 zu Prot. Nr. 16 Buchst. d zum DBA-Italien. 8 Ausf. Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.122 ff. 9 Beispiel bei Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.116 ff. 10 Dies gilt natürlich nur, soweit nicht (i) zwischenzeitlich neue stille Reserven entstanden sind, (ii) das ausländische Steuerrecht eine dem § 22 Abs. 1 UmwStG entsprechende rückwirkende Besteuerung eines Einbringungsgewinns nicht kennt und (iii) der ausländische Staat auch nicht im Wege eines Treaty Override die Gewinne aus der späteren Veräußerung der Kapitalgesellschaftsanteile der Besteuerung unterwirft.

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20.123

Kap. 20 Rz. 20.124 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

20.124

Geht die Einbringung mit einer Besteuerung von stillen Reserven einher, die auf eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat belegene Anrechnungsbetriebsstätte entfällt, ist bei Buchwertfortführung im ausländischen Staat die (fiktive) ausländische Steuer unter den Voraussetzungen des Art. 10 FRL anzurechnen, die bei einer Veräußerung zum gemeinen Wert erhoben worden wäre (§ 20 Abs. 7 i.V.m. § 3 Abs. 3 UmwStG).1 Entgegen der gesetzlichen Regelung ist eine Sofortbesteuerung unionsrechtlich aber untersagt.2 § 20 Abs. 8 UmwStG sieht für praktisch eher seltene Fälle die Anrechnung einer fiktiven ausländischen Steuer vor, wenn Mitunternehmeranteile an einer sog. hybriden EU-Gesellschaft in eine EU-Kapitalgesellschaft eingebracht werden und Deutschland das Besteuerungsrecht an einer (nachgeschaltenen) Anrechnungsbetriebsstätte verliert.3 cc) Besteuerung bei späterer Veräußerung der erhaltenen Anteile

20.125

Die im Zuge der Einbringung erhaltenen Anteile unterliegen auf Gesellschafterebene nach allgemeinen Grundsätzen der unbeschränkten bzw. beschränkten Steuerpflicht unter Berücksichtigung von DBA. Unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 bzw. Abs 2 UmwStG kommt es zu einer rückwirkenden Besteuerung des Einbringungsgewinns I bzw. II, wenn die erhaltenen Anteile innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist veräußert werden oder ein der Veräußerung steuerlich gleichgestellter Vorgang verwirklicht wird (ausf. Rz. 20.64 ff.).4 Für einen beschränkt Steuerpflichtigen kann die in Deutschland zu Buchwerten erfolgende Einbringung von inländischem Betriebsvermögen in eine in- oder ausländische Kapitalgesellschaft in Abkommensfällen vorteilhaft sein, wenn Deutschland an den Gewinnen aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile abkommensrechtlich kein Besteuerungsrecht hat (Art. 13 Abs. 5 OECDMA)5 und der Ansässigkeitsstaat des Einbringenden für steuerrechtliche Zwecke von einer gewinnrealisierenden Einbringung, die aber bei Anwendung eines abkommensrechtlichen Betriebsstättenvorbehalts nicht steuerpflichtig ist, ausgeht, so dass er für die erhaltenen Anteile den gemeinen Wert zum Einbringungszeitpunkt als steuerrechtliche Anschaffungskosten berücksichtigt.6 Nach Ablauf der siebenjährigen Sperrfrist i.S.v. § 22 Abs. 1 bzw. Abs. 2 UmwStG 1 Vgl. hierzu BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.36. Bspw. im Verhältnis zu Zypern, Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 3 DBA-Zypern, (Bsp. bei Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.279) oder – bei fehlenden aktiven Tätigkeiten – bspw. Portugal, Prot. Nr. 8 zu Art. 24 DBA-Portugal (Bsp. bei Schell, FR 2012, 101 [104]). Einzelheiten zur fiktiven Steueranrechnung Kahle/Vogel, ISR 2013, 234 ff.; Mutscher, IStR 2010, 820 ff. 2 Vgl. EuGH v. 23.11.2017 – C-292/16, ECLI:EU:C:2017:888, IStR 2018, 32 – A; Förster, DStR 2020, 865 (869). Zur analogen Anwendung von § 4g EStG vgl. Oppel, NWB 2018, 324 ff. 3 Vgl. mit Beispielen BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.37; Kahle/Vogel, ISR 2013, 234 (239); Heerdt, IStR 2012, 866 (870); Brähler/ Heerdt, StuW 2007, 260. 4 Zum Verstoß der Besteuerung eines Einbringungsgewinns unabhängig von einer Missbrauchsprüfung gegen die FRL s. Förster in FS Endres, 113 (115) m.w.N; Förster, DStR 2020, 865 (870). 5 Das Bewertungswahlrecht des § 20 Abs. 2 UmwStG hängt nicht davon ab, ob für die im Zuge der Einbringung erhaltenen Anteile ein deutsches Besteuerungsrecht besteht, vgl. Patt in D/P/M, § 20 UmwStG Rz. 229. Ein solches spielt nur für nicht im EU-/EWR-Raum ansässige Einbringende im Rahmen des persönlichen Anwendungsbereichs eine Rolle (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG). 6 Der Ansässigkeitsstaat des Einbringenden ist weder aus abkommensrechtlichen noch unionsrechtlichen Gründen gezwungen, als Anschaffungskosten den Wert anzusetzen, mit dem das Betriebsvermögen in Deutschland auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft angesetzt wird, a.A. wohl Beiser, DB 2009, 645 ff.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.127 Kap. 20

kann der Anteilseigner bei einem Verkauf der erhaltenen Anteile die bis zur Einbringung in dem eingebrachten inländischen Betriebsvermögen entstandenen stillen Reserven steuerfrei vereinnahmen. b) Anteilstausch Die grenzüberschreitende Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaft gegen Gewährung neuer Anteile an der übernehmenden Gesellschaft führt aus Sicht des Einbringenden und der übernehmenden Gesellschaft grds. zu einem Veräußerungs- bzw. Anschaffungsvorgang.1 Soweit die Anteile der inländischen Steuerverhaftung im Rahmen der unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht unter Berücksichtigung von DBA unterliegen, hat der Einbringende die in den Anteilen vorhandenen stillen Reserven in Deutschland nach allgemeinen Grundsätzen zu versteuern, es sei denn, er kann gem. § 21 Abs. 2 UmwStG2 die Anschaffungskosten bzw. Buchwerte für die übertragenen Anteile fortführen. Der Anteilstausch fällt sachlich in den Anwendungsbereich des UmwStG (§ 1 Abs. 3 Nr. 5 i.V.m. § 21 UmwStG).3 § 21 UmwStG erfasst zwar grds. auch den grenzüberschreitenden Austausch von Kapitalgesellschaftsanteilen durch Gesamtrechtsnachfolge im Wege der Ausgliederung.4 Rechtspraktisch ist dies grenzüberschreitend derzeit aber nicht durchführbar (Rz. 20.2), so dass der Anteilstausch im Wege der Einzelrechtsübertragung hier im Vordergrund steht. Der persönliche Anwendungsbereich des § 21 UmwStG ist eröffnet, wenn die übernehmende Gesellschaft die besonderen EU-/EWR-Voraussetzungen erfüllt (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). Hingegen können sowohl der Einbringende5 als auch die Gesellschaft, an der die zu übertragenen Anteile bestehen (erworbene Gesellschaft), in einem Drittstaat ansässig sein.6

20.126

Voraussetzung der Steuerneutraltität des Anteilstauschs auf Ebene des Einbringenden7 ist zunächst, dass es sich um eine Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaft gegen Gewährung neuer Anteile8 an der übernehmenden Gesellschaft handelt. Zudem muss die übernehmende Gesellschaft nach der Einbringung aufgrund

20.127

1 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 21.07. 2 Nicht § 21 UmwStG, sondern § 20 UmwStG ist hingegen sachlich einschlägig, wenn die Kapitalgesellschaftsanteile als Bestandteil einer Sachgesamtheit übertragen werden, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 21.01. 3 Für in den Anteilstausch involvierte ausländische (zu übertragende oder übernehmende) Gesellschaften ist nach dem Typenvergleich zu entscheiden, ob für deutsch-steuerrechtliche Zwecke von einer Kapitalgesellschaft auszugehen ist, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 21.05. 4 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.46. 5 § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwStG bezieht sich nicht auf § 1 Abs. 3 Nr. 5 UmwStG. Von der Anwendbarkeit des UmwStG zu trennen ist die Frage, ob der Anteilstausch bei einem in einem Drittstaat Ansässigen zu Buchwerten erfolgen kann, vgl. § 21 Abs. 2 Satz 2 ff. UmwStG. 6 Vgl. stv. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.328. 7 Für sog. Kleingesellschafter i.S.v. § 20 Abs. 2 EStG gilt hingegen nicht § 21 Abs. 2 UmwStG, sondern abschließend § 20 Abs. 4a EStG, wonach die Steuerneutralität unter ähnlichen Voraussetzungen möglich ist. 8 Die Gewährung neuer Anteile ist nicht nur im Rahmen einer Sachgründung (§ 5 Abs. 4 GmbHG, § 27 AktG, § 7a GenG) bzw. bei einer Kapitalerhöhung durch Sacheinlage (§ 56 GmbHG, § 183, §§ 192 ff., § 202 AktG) gegeben, sondern auch bei einer Bargründung bzw. Barkapitalerhöhung, wenn die eingebrachten Anteile als Sachagio mitübertragen werden (vgl. BFH v. 7.4.2010 – I R 55/

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Kap. 20 Rz. 20.127 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

ihrer Beteiligung, einschließlich der eingebrachten Anteile, nachweisbar unmittelbar die Mehrheit der Stimmrechte an der erworbenen Gesellschaft haben (sog. qualifizierter Anteilstausch, § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG). Setzt die übernehmende Gesellschaft die erhaltenen Anteile mit dem Buchwert an, gilt dieser für den Einbringenden grds. als Veräußerungspreis der eingebrachten Anteile und als Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile an der übernehmenden Gesellschaft (§ 21 Abs. 2 Satz 1 UmwStG). Hiervon abweichend gilt für den Einbringenden jedoch der gemeine Wert der eingebrachten Anteile als Veräußerungspreis und als Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile, wenn nach der Einbringung das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der eingebrachten Anteile1 oder der erhaltenen Anteile ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 21 Abs. 2 Satz 2 UmwStG).2 In diesem Fall kann der Einbringende die Steuerneutralität wiederum auf Antrag herstellen, wenn (i) nach der Einbringung das Besteuerungsrecht Deutschlands an den Gewinnen aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile uneingeschränkt besteht (§ 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG)3 oder (ii) der Gewinn aus dem Anteilstausch unter den Voraussetzungen des Art. 8 FRL4 nicht (sofort) besteuert werden darf, wobei insoweit die Besteuerung nur bis zu einer späteren tatsächlichen Veräußerung der erhaltenen Anteile hinausgeschoben wird (§ 21 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 UmwStG). Erfolgt die Einbringung in eine ausländische EU-Gesellschaft, steht der Fortführung der Anschaffungskosten bzw. Buchwerte auf Ebene des Einbringenden nicht entgegen, wenn die übernehmende EU-Kapitalgesellschaft in ihrer ausländischen Handels- und/oder Steuerbilanz einen über dem Buchwert i.S.v. § 1 Abs. 5 Nr. 4 UmwStG liegenden Wert ansetzt.5 EWR-Gesellschaften werden zwar nicht von der FRL erfasst, insoweit ist die Steuerneutralität bei einem Anteilstausch unter Einbezug einer übernehmenden EWRGesellschaft auf Grundlage von Art. 31 des EWR-Abkommens zu gewähren.6 Möglicherweise ist es sogar primärrechtlich geboten, § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG darüber hinaus auch auf sonstige Konstellationen zu erstrecken, die von der FRL nicht angesprochen sind (z.B. bei Beteiligung von Gesellschaften im gleichen Mitgliedstaat).7 Vor diesem Hintergrund ergeben sich je nach Ansässigkeit des Einbringenden und der übernehmenden Kapitalgesellschaft folgende Konsequenzen:

1 2 3 4

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09, BStBl. II 2010, 1094; BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. E 20.09, Rz. 01.44). Vorausgesetzt ist insoweit, dass ein solches Besteuerungsrecht vor der Einbringung bestand, vgl. stv. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.342. Ausf. Becker-Pennrich, IStR 2007, 684 ff. Dies ist systemgerecht, da die bisherigen stillen Reserven in den eingebrachten Anteilen nun an den erhaltenen Anteilen fortbestehen, vgl. Mayer, PIStB 2009, 186 (192). Einschränkende Voraussetzung ist hier u.a., dass die übernehmende Kapitalgesellschaft sowie die zu übertragende Kapitalgesellschaft in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten ansässig sein müssen (Art. 2 Buchst. d i.V.m. Art. 1 Buchst. a FRL), vgl. Rabback in R/H/vL3, § 21 UmwStG Rz. 174. Weiter dürfen bare Zuzahlungen 10 % des Nennwerts bzw. des rechnerischen Werts der ausgegebenen Anteile an der ausländischen Zwischenholding nicht übersteigen (Art. 2 Buchst. d FRL). Nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern auch natürliche Personen als Einbringende können sich auf Art. 8 FRL berufen, vgl. EuGH v. 22.3.2018 – C-327/16 und C-421/16, ECLI:EU:C:2018, 210, IStR 2018, 316 – Jacob und Lassus; a.A. Desens in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 21 UmwStG Rz. 14. Vgl. EuGH v. 11.12.2008 – C-285/07, ECLI:EU:C:2008:705, IStR 2009, 97 – A.T. Vgl. EuGH v. 19.7.2012 – C-48/11, ECLI:EU:C:2012:485, DStRE 2013, 148 – A; Kollruss, FR 2018, 583 (584). Vgl. Kollruss, FR 2018, 583 (584 ff.).

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.129 Kap. 20

aa) Steuerfolgen auf Ebene unbeschränkt steuerpflichtiger Anteilseigner Bringt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft in eine inländische Kapitalgesellschaft im Wege des qualifizierten Anteilstausches ein, steht § 21 Abs. 2 Satz 2 UmwStG dem Buchwertansatz nicht entgegen, da das Besteuerungsrecht an den eingebrachten und den erhaltenen Anteilen nach der Einbringung uneingeschränkt besteht bzw. bzgl. der eingebrachten Anteile sich auch im DBA-Fall nicht verändert.

20.128

Bringt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Anteile an einer inländischen oder ausländischen Kapitalgesellschaft in eine EU-/EWR-Kapitalgesellschaft ein, kommt es auf den Wertansatz der eingebrachten Anteile auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft (§ 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG) nicht an, so dass der Ansatz für Zwecke des ausländischen Steuerrechts vom Buchwert i.S.v. § 1 Abs. 4 Nr. 5 UmwStG abweichen kann.1 Aus Sicht des Einbringenden kommt es daher grds. zum Ansatz mit dem gemeinen Wert (§ 21 Abs. 2 Satz 2 UmwStG), da jedenfalls die eingebrachten Anteile nach der Einbringung mangels inländischem Anknüpfungspunkt nicht mehr in Deutschland steuerverhaftet sind (bei Einbringung der Anteile an einer ausländischen Gesellschaft) bzw. das einschlägige DBA2 ein deutsches Besteuerungsrecht ausschließt (bei Einbringung der Anteile an einer inländischen Gesellschaft).3 Regelmäßig kann der unbeschränkt steuerpflichtige Einbringende in diesem Fall aber die Buchwertfortführung durch Antrag gem. § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG wählen, da das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der erhaltenen Anteilen auch nicht durch ein einschlägiges DBA ausgeschlossen oder beschränkt wird (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Etwas anderes gilt aber, wenn nach dem zwischen Deutschland und dem Ansässigkeitsstaat der übernehmenden Gesellschaft vereinbarten DBA Deutschland im Fall der Veräußerung der erhaltenen Anteile zur Anrechnung ausländischer Steuern verpflichtet ist.4 In diesem Fall kann der unbeschränkt Steuerpflichtige die Sofortbesteuerung eines Veräußerungsgewinns auf Antrag gem. § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG nur unter den (einschränkenden) Voraussetzungen des Art. 8 FRL5 vermeiden. Übt er das Wahlrecht aus, besteuert Deutschland den Gewinn aus einer späteren tatsächlichen Veräußerung der erhaltenen Anteile ungeachtet der Bestimmungen eines DBA in der gleichen Art und Weise, wie die Veräußerung der Anteile an der erworbenen Gesellschaft zu besteuern gewesen wäre.6 Richtigerweise können dann nur die bis zum Anteilstausch unter

20.129

1 Vgl. EuGH v. 11.12.2008 – C-285/07, ECLI:EU:C:2008:705, IStR 2009, 97 – A.T. 2 Art. 13 Abs. 5 OECD-MA. Ausnahmen bestehen in Fällen einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) oder einer sog. Sitzstaatsklausel, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 3 Vgl. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.353. 4 Bspw. aufgrund einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) oder einer sog. Sitzstaatsklausel, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 5 Einschränkende Voraussetzung ist hier u.a., dass die übernehmende Kapitalgesellschaft sowie die zu übertragende Kapitalgesellschaft in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten ansässig sein müssen (Art. 2 Buchst. d i.V.m. Art. 1 Buchst. a FRL); vgl. Rabback in R/H/vL3, § 21 UmwStG Rz. 174. Weiter dürfen bare Zuzahlungen 10 % des Nennwerts bzw. des rechnerischen Werts der ausgegebenen Anteile an der ausländischen Zwischenholding nicht übersteigen (Art. 2 Buchst. d FRL). Nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern auch natürliche Personen als Einbringende können sich auf Art. 8 FRL berufen, vgl. EuGH v. 22.3.2018 – C-327/16 und C-421/16, ECLI:EU:C:2018, 210, IStR 2018, 316 – Jacob und Lassus; a.A. Desens in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 21 UmwStG Rz. 14. 6 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 21.15 (Beispiel 2).

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Kap. 20 Rz. 20.129 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

der deutschen Steuerhoheit entstandenen stillen Reserven bei tatsächlicher Veräußerung besteuert werden,1 hierfür gelten dann aber die Besteuerungsregeln im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung2 und zwischenzeitliche Wertminderungen sind bei der Besteuerung zu berücksichtigen.3 bb) Steuerfolgen auf Ebene beschränkt steuerpflichtiger Anteilseigner

20.130

Bringt ein beschränkt Steuerpflichtiger Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft in eine inländische Kapitalgesellschaft im Wege des qualifizierten Anteilstausches ein, werden die Anteile an der eingebrachten Kapitalgesellschaft in Deutschland erstmals steuerverstrickt.4 Insoweit ist ein Ansatz der eingebrachten Anteile zum Buchwert auf Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft zwar weiterhin möglich (§ 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG),5 es kommt aber eine logische Sekunde später zwingend zu einer (steuerneutralen) Verstrickung der erhaltenen Anteile zum gemeinen Wert (§ 4 Abs. 1 Satz 8 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Für den Einbringenden spielt der Wertansatz insoweit keine Rolle, als ein Veräußerungsgewinn aus der Einbringung in Deutschland i.d.R. nicht steuerpflichtig ist. Eine Fortführung der Buchwerte wäre – soweit nach § 21 Abs. 2 UmwStG möglich – für ihn auch nicht sinnvoll, da er hierdurch stille Reserven in Deutschland steuerverstrickt, die er ggf. schon in seinem Ansässigkeitsstaat bei der Einbringung versteuert hat.

20.131

Bringt ein beschränkt Steuerpflichtiger Anteile an einer inländischen Kapitalgesellschaft in eine EU-/EWR-Kapitalgesellschaft ein, kommt es auf den Wertansatz der eingebrachten Anteile auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft (§ 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG) nicht an, so dass der Ansatz für Zwecke des ausländischen Steuerrechts vom Buchwert i.S.v. § 1 Abs. 4 Nr. 5 UmwStG abweichen kann.6 Aus Sicht des Einbringenden kommt es daher grds. zum Ansatz mit dem gemeinen Wert (§ 21 Abs. 2 Satz 2 UmwStG), da die erhaltenen Anteile nach der Einbringung mangels inländischem Anknüpfungspunkt nicht mehr in Deutschland steuerverhaftet sind.7 Soweit vor der Einbringung schon kein deutsches Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der eingebrachten Anteile bestand,8 macht ein Antrag i.S.v. § 21 1 Vgl. EuGH v. 22.3.2018 – C-327/16 und C-421/16, ECLI:EU:C:2018, 210, IStR 2018, 316 – Jacob und Lassus. Zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen ist es aber sachgerecht, das Besteuerungsrecht Deutschlands auf den bis zur Einbringung entstandenden Wertzuwachs zu beschränken bzw. für den überschießenden Teil eine hierauf etwaig entfallende ausländische Steuer anzurechnen, vgl. hierzu Benz/Rosenberg, DB-Beilage 1/2012, 38 (46). 2 Vgl. EuGH v. 18.9.2019 – C-662/18 und C-672/18, ECLI:EU:C:2019:750, FR 2019, 1097 – Ministre de l’Action und des Comptes public. 3 Vgl. EuGH v. 22.3.2018 – C-327/16 und C-421/16, ECLI:EU:C:2018, 210, IStR 2018, 316 – Jacob und Lassus. 4 Dies gilt selbst dann, wenn Deutschland bei einer tatsächlichen Veräußerung nach dem einschlägigen DBA die ausländischen Steuern anrechnen müsste. Denn auch insoweit wurde das deutsche Besteuerungsrecht erstmalig begründet i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG, wenn auch unter der (beschränkenden) Anrechnungsverpflichtung. 5 A.A. (zwingender Ansatz zum gemeinen Wert): Vgl. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.335; Kahlenberg/Mair/Strauch, StuB 2013, 698 (700); Brähler/Blankemeyer, RIW 2012, 288 (293). 6 Vgl. EuGH v. 11.12.2008 – C-285/07, ECLI:EU:C:2008:705, IStR 2009, 97 – A.T. 7 Art. 13 Abs. 5 OECD-MA. Ausnahmen bestehen in Fällen einer Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) oder einer sog. Sitzstaatsklausel, vgl. die Abkommensübersichten bei Reimer in V/L7, Art. 13 OECD-MA Rz. 149 und 225. 8 Im DBA-Fall i.d.R. aufgrund der Art. 13 Abs. 5 OECD-MA entsprechenden Klauseln.

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C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.132 Kap. 20

Abs. 2 Satz 3 UmwStG für den Steuerpflichtigen grds. keinen Sinn. Da ein deutsches Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile nach der Einbringung nur selten bestehen wird,1 kann der beschränkt Steuerpflichtige die Sofortbesteuerung eines Veräußerungsgewinns ohnehin nur auf Antrag2 gem. § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG unter den (einschränkenden) Voraussetzungen des Art. 8 FRL3 vermeiden. Übt er das Wahlrecht aus, besteuert Deutschland den Gewinn aus einer späteren tatsächlichen Veräußerung der erhaltenen Anteile ungeachtet der Bestimmungen eines DBA in der gleichen Art und Weise, wie die Veräußerung der Anteile an der erworbenen Gesellschaft zu besteuern gewesen wäre (§ 49 Abs. 1 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG),4 so dass richtigerweise nur die bis zum Anteilstausch unter der deutschen Steuerhoheit entstandenen stillen Reserven bei tatsächlicher Veräußerung besteuert werden können.5 Hierfür gälten dann aber die Besteuerungsregeln im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung6 und zwischenzeitliche Wertminderungen wären bei der Besteuerung zu berücksichtigen.7 cc) Besteuerung bei späterer Veräußerung der erhaltenen Anteile Die im Zuge der Einbringung erhaltenen Anteile unterliegen auf Gesellschafterebene in Zukunft nach allgemeinen Grundsätzen der unbeschränkten bzw. beschränkten Steuerpflicht unter Berücksichtigung von DBA. Unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 UmwStG kommt es zu einer rückwirkenden Besteuerung des Einbringungsgewinns II, wenn die erhaltenen Anteile innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist veräußert werden oder ein der Veräußerung steuerlich gleichgestellter Vorgang verwirklicht wird (ausf. Rz. 20.64 ff.).

1 Vorausgesetzt wäre, dass die Anteile in einem deutschen Betriebsstättenvermögen gehalten werden (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) und im DBA-Fall die Anteile der Betriebsstätte auch abkommensrechtlich zuzurechnen sind (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA, dazu Rz. 19.390 ff.). 2 Der Antrag kann richtigerweise ohne Abgabe einer Steuererklärung im Inland gestellt werden, vgl. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.347; ggf. empfiehlt es sich aber eine Nullerklärung abzugeben, vgl. Behrens in H/M5, § 21 UmwStG Rz. 303. 3 Einschränkende Voraussetzung ist hier u.a., dass die übernehmende Kapitalgesellschaft sowie die zu übertragende Kapitalgesellschaft in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten ansässig sein müssen (Art. 2 Buchst. d i.V.m. Art. 1 Buchst. a FRL), vgl. Rabback in R/H/vL3, § 21 UmwStG Rz. 174. Weiter dürfen bare Zuzahlungen 10 % des Nennwerts bzw. des rechnerischen Werts der ausgegebenen Anteile an derausländischen Zwischenholding nicht übersteigen (Art. 2 Buchst. d FRL). Nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern auch natürliche Personen als Einbringende können sich auf Art. 8 FRL berufen, vgl. EuGH v. 22.3.2018 – C-327/16 und C-421/16, ECLI:EU:C:2018, 210, IStR 2018, 316 – Jacob und Lassus; a.A. Desens in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 21 UmwStG Rz. 14. 4 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 21.15 (Beispiel 2). 5 Vgl. EuGH v. 22.3.2018 – C-327/16 und C-421/16, ECLI:EU:C:2018, 210, IStR 2018, 316 – Jacob und Lassus. Zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen ist es aber sachgerecht, das Besteuerungsrecht Deutschlands auf den bis zur Einbringung entstandenden Wertzuwachs zu beschränken bzw. für den überschießenden Teil eine hierauf etwaig entfallende ausländische Steuer anzurechnen, vgl. hierzu Benz/Rosenberg, DB-Beilage 1/2012, 38 (46); s. auch Nagel/Koglin, IWB 2017, 555 ff. 6 Vgl. EuGH v. 18.9.2019 – C-662/18 und C-672/18, ECLI:EU:C:2019:750, FR 2019, 1097 – Ministre de l’Action und des Comptes public. 7 Vgl. EuGH v. 22.3.2018 – C-327/16 und C-421/16, ECLI:EU:C:2018, 210, IStR 2018, 316 – Jacob und Lassus.

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20.132

Kap. 20 Rz. 20.133 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

2. Einbringung in Personengesellschaften 20.133

Die Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs, Mitunternehmeranteils oder einer im Betriebsvermögen gehaltenen 100%igen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft1 in eine Personengesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten fällt unter § 24 UmwStG. Als übernehmende Personengesellschaften2 kommen sowohl inländische als auch ausländische Rechtsträger im EU-/EWR-Bereich oder in Drittstaaten in Betracht.3 Es kommt auch nicht darauf an, dass die ausländische Personengesellschaft eine inländische Betriebsstätte unterhält,4 so dass bspw. auch die Einbringung der Mitunternehmeranteile an einer Drittstaatenpersonengesellschaft (mit ausländischer DBA-Anrechnungsbetriebsstätte) durch einen unbeschränkt Steuerpflichtigen in eine andere Drittstaatenpersonengesellschaft unter § 24 UmwStG fällt. Voraussetzung ist nur, dass die nach ausländischem Recht errichtete Personengesellschaft aus deutscher Sicht als Mitunternehmerschaft i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu qualifizieren ist.5 Im Wege der erweiterten Anwachsung6 lässt sich über die Einbringung sämtlicher Mitunternehmeranteile in eine ausländische Personengesellschaft mit anschließender (steuerneutraler) Anwachsung im Ergebnis auch eine grenzüberschreitende „verschmelzungsgleiche“ Zusammenführung von Personengesellschaften herbeiführen.7

20.134

Die Steuerneutralität setzt u.a. voraus, dass ein bisher bestehendes deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung8 des eingebrachten Betriebsvermögens nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG).9 Insoweit ist insbesondere von Bedeutung, ob inländisches oder ausländisches Betriebsstättenvermögen eingebracht wird, unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Personen beteiligt sind und ob ggf. DBA Anwendung finden.

20.135

Wird seitens des Einbringenden10 inländisches Betriebsstättenvermögen in eine ausländische Personengesellschaft eingebracht, geht hierdurch der deutsche Besteuerungszugriff 1 Eine 100%ige Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft nicht als steuerneutralen Einbringungsgegenstand qualifizierend BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; ferner Rasche in R/H/vL3, § 24 UmwStG Rz. 64; vgl. dagegen BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 24.02; BMF v. 20.5.2009 – IV C 6 - S 2134/07/10005, BStBl. I 2009, 671; Patt in D/P/M, § 24 UmwStG Rz. 95 2 Im Sinne von Mitunternehmerschaften. 3 Das Erfordernis des EU-/EWR-Bezugs der übernehmenden Gesellschaft gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG gilt im Anwendungsbereich des § 24 UmwStG nicht (§ 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG). 4 Vgl. Schmitt in S/H9, § 24 UmwStG Rz. 117; Fuhrmann in W/M, § 24 UmwStG Rz. 235; a.A. mglw. Patt in D/P/M, § 24 UmwStG Rz. 99. 5 Vgl. BFH v. 3.2.1988 – I R 134/84, BStBl. II 1988, 588; Patt in D/P/M, § 24 UmwStG Rz. 17. 6 Die sog. erweiterte Anwachsung fällt in den Anwendungsbereich des § 24 UmwStG; stv. Schmitt in S/H9, § 24 UmwStG Rz. 56; Rasche in R/H/vL3, § 24 UmwStG Rz. 81; a.A. Patt in D/P/M, § 24 UmwStG Rz. 14. 7 Vgl. Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.25; Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.159 (mit Beispielsfall). 8 Nach dem offenen Wortlaut ist fraglich, ob sich das zu beurteilende Besteuerungsrecht nur auf Veräußerungsgewinne beziehen muss. Dies ist jedoch im Ergebnis zu bejahen, vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 – S 1978-b/08/10001 – DOK2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 24.03 i.V.m. Rz. 20.19; Schmitt in S/H9, § 24 UmwStG Rz. 210; Fuhrmann in W/M, § 24 UmwStG Rz. 751. 9 Hinsichtlich des deutschen Besteuerungsrechts wird nur auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer (nicht Gewerbesteuer) abgestellt, hierzu stv. Patt in D/P/M, § 24 UmwStG Rz. 128. 10 Zur Person des Einbringenden i.S.v. § 24 UmwStG vgl. ausf. Rasche in R/H/vL3, § 24 UmwStG Rz. 75 ff.

1068 | Häck

C. Grenzüberschreitende Umwandlungen | Rz. 20.138 Kap. 20

grds. weder verloren noch wird er beschränkt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob ein DBA Anwendung findet oder nicht:1 Greift kein DBA ein, bleiben die in dem inländischen Betriebsstättenvermögen ruhenden stillen Reserven regelmäßig in der inländischen Besteuerung verhaftet, wobei es keine Rolle spielt, ob der Einbringende unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist: Denn die Besteuerung der im inländischen Betriebsstättenvermögen ruhenden stillen Reserven ist entweder im Rahmen der Besteuerung des Welteinkommens bei unbeschränkter Steuerpflicht oder aber gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG bei beschränkter Steuerpflicht gesichert. Kommt ein DBA zur Anwendung, bleibt die deutsche Besteuerung sowohl bei unbeschränkter Steuerpflicht der Gesellschafter der ausländischen Personengesellschaft2 als auch bei beschränkter Steuerpflicht der Gesellschafter3 durch das abkommensrechtlich verankerte Betriebsstättenprinzip (Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA) erhalten.4 Soweit unbewegliches Vermögen eingebracht wird, gilt vorrangig Art. 13 Abs. 1 OECD-MA, so dass (unverändert) der Belegenheitsstaat das Besteuerungsrecht hat. Soweit es im Zuge (nach) der Einbringung (ausnahmsweise)5 zu einer geänderten Zuordnung von Einzelwirtschaftsgütern (v.a. Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, immaterielle Wirtschaftsgüter) etwa von der inländischen Betriebsstätte zur ausländischen Personengesellschaft kommt, werden die Voraussetzungen einer fiktiven Entnahme zum gemeinen Wert (§ 4 Abs. 1 Satz 3, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG) erfüllt, weil hierdurch regelmäßig das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Soweit in den vorgenannten Fällen die ausländische Personengesellschaft den Ort der Geschäftsleitung in einem anderen EU-Staat hat, kommt für in Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens realisierte stille Reserven eine gestreckte Besteuerung durch Bildung eines Ausgleichsposten in Betracht (§ 4g EStG).6

20.136

Geht im Zuge der Einbringung ausländisches Betriebsstättenvermögen auf die ausländische Personengesellschaft über, greift die Entstrickungsklausel des § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG regelmäßig nicht ein, da ein deutsches Besteuerungsrecht vorher nicht bestand bzw. auch nicht durch die Einbringung ausgeschlossen wird.7

20.137

Die vorgenannten Grundsätze gelten spiegelbildlich bei der Einbringung von in- oder ausländischem Betriebsstättenvermögen durch unbeschränkt oder beschränkt Steuerpflichtige in eine inländische Personengesellschaft. Auch insoweit ist eine Beschränkung oder ein Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts an den Veräußerungsgewinnen regelmäßig nicht zu beobachten.8

20.138

1 Vgl. auch Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.23. 2 Die Beteiligung an der ausländischen Personengesellschaft vermittelt dem unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter eine zurechenbare Beteiligung an dem inländischen Betriebsstättenvermögen; hierzu Rz. 19.177 ff. 3 Grundsätzlich sind nur die Gesellschafter, nicht aber die Personengesellschaft abkommensberechtigt; hierzu Rz. 19.177 ff. 4 Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.164 ff.; Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (120); Schaumburg, GmbHR 1996, 501 (503), 585 ff. 5 Vgl. Breuninger in FS Schaumburg, 587 (599 ff.); Frotscher in GS Krüger, 95 ff.; Kumpf/Roth, DB 2000, 741 (746). 6 Zur unionsrechtlichen Zulässigkeit der „gestreckten Sofortbesteuerung“ s. Rz. 20.23. 7 Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.23. 8 S. Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internastionalen Steuerrecht, Rz. 9.28.

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Kap. 20 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

D. Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug Literatur: Kommentare zum UmwG/UmwStG und zu § 12 Abs. 2 KStG; Becker/Kamphaus/Loose, Nochmals: Greift das Korrespondenzprinzip bei Drittstaatsverschmelzungen? – Zugleich Duplik auf Sejdija/Trinks, IStR 2013, 869; Becker/Kamphaus/Loose, Greift das Korrespondenzprinzip bei Drittstaatenverschmelzungen?, IStR 2013, 328; Becker/Loose, Zur Steuerpflicht von Drittstaatenverschmelzungen nach geänderter Auffassung der Finanzverwaltung, BB 2015, 1435; Becker/Loose, Besteuerung ausländischer Abspaltungen beim inländischen Anteilseigner, IStR 2010, 383; Beinert/Benecke, Internationale Aspekte der Umstrukturierung von Unternehmen, FR 2010, 1009, 1120; Benecke, Anwendungsbereich des UmwStG und Rückwirkung nach dem UmwSt-Erlass 2011, GmbHR 2012, 113; Benecke/Schnitger, Neuregelungen des UmwStG und der Entstrickungsnormen durch das SEStEG, IStR 2006, 765; Binnewies, vGA mit Auslandsbezug, GmbH-StB 2015, 40; Blöchle/Weggenmann, Formwechsel und Verschmelzung im Ausland nach §§ 3 ff. UmwStG i.d.F. des SEStEG, IStR 2008, 87; Blumenberg/Kring, Anmerkungen zu KStR-E 2015, DB 2015, 1435; Böhmer/Mühlhausen/Oppel, Die Körperschaftsteuer-Option nach § 1a KStG n.F. im internationalen Steuerrecht – Überblick anhand von Beispielsfällen (§ 1a KStG), ISR 2021, 388; Bogenschütz, Umwandlung von Kapital- in Personengesellschaften, Ubg 2011, 393; Brähler/Heerdt, Steuerneutralität bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen unter Beteiligung hybrider Gesellschaften, StuW 2007, 260; Curdt/Hölscher, Verschmelzungen zwischen Drittstaaten-Körperschaften, DB 2014, 1579; Dötsch/Pung, SEStEG: Die Änderungen des KStG, DB 2006, 2648; Dötsch/Pung, SEStEG: Die Änderungen des UmwStG, DB 2006, 2704; Dreßler/ Kompolsek, Weitere Globalisierung des Umwandlungssteuerrechts durch das KöMoG, WPg 2021, 1243; FGS/BDI (Hrsg.), Der Umwandlungssteuer-Erlass 2011, 64; Förster/Felchner, Umwandlung von Kapitalgesellschaft in Personenunternehmen nach dem Referentenentwurf zum SEStEG, DB 2006, 1072; Geberth/Bartelt, Entwurf der KStR 2015: Besteuerung von Drittlandsverschmelzungen auf Gesellschafterebene, GmbHR 2015, R235; Gebhardt/Reppel, Die neuen Subject-to-tax-Klauseln in deutschen DBA – Praxisfälle und Zweifelsfragen im Kontext des BMF-Schreibens vom 20.6.2013, IStR 2013, 760; Grundke/Feuerstein/Holle, Der eigentlich klare Verweis in § 12 Abs. 2 S. 2 KStG i.V.m. § 13 UmwStG: Drittstaatenverschmelzungen nach dem Entwurf der KStR 2015, DStR 2015, 1653; Haisch, Umwandlungen, Abgeltungsteuer und Teileinkünfteverfahren, Ubg 2009, 96; Hecht, Auslandsverschmelzungen unter Beteiligung steuerverstrickten inländischen Vermögens und Anteile, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 405 ff.; Henkel/Port, Internationale Umwandlungen, in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. 2018, Rz. 11.1 ff.; Hruschka, Drittstaatenumwandlung mit Folgen, IStR 2012, 844; Hruschka, Umwandlungen mit Auslandsberührung, StuB 2011, 540; Hruschka/Hellmann, Bewertungswahlrechte bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, DStR 2010, 1961; Hruschka/Schicketanz, Vom Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung zur Vermeidung weißer Einkünfte, ISR 2015, 164; Käbisch/Bunzeck, Grenzüberschreitende Umstrukturierungen nach dem Erlassentwurf zum UmwStG vom 2.5.2011, IWB 2011, 392; Kahle/Vogel, Fiktive Steueranrechnung in Umwandlungsfällen, ISR 2013, 234; Klepsch, Zur steuerlichen Behandlung von Drittstaatenverschmelzungen von Körperschaften, IStR 2016, 15; Klingberg/ von Lishaut, Ausländische Umwandlungen im deutschen Steuerrecht, FR 1999, 1209; Klingberg/ Nitzschke, Grenzüberschreitende Umwandlungen am Beispiel grenzüberschreitender Verschmelzungen, Ubg 2011, 451; Kopec/Wellmann, Formwechsel einer polnischen Kapital- in eine Personengesellschaft aus Sicht deutscher Investoren – eine gesellschafts- und steuerrechtliche Analyse, IStR 2016, 65; Kraft/Poley, Zweifelsfragen bei der Hereinverschmelzung von Kapital- auf Personengesellschaften – eine Fallstudien-gestützte Analyse, FR 2014, 1; Lemaitre/Schönherr, Die Umwandlung von Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften durch Verschmelzung und Formwechsel nach der Neufassung des UmwStG durch das SEStEG, GmbHR 2007, 173; Lüdicke, Subject-to-tax-Klauseln nach den DBA – Bemerkungen zum BMF-Schreiben vom 20.6.2013, IStR 2013, 721; Mayer, Umwandlung ausländischer Kapitalgesellschaften mit Inlandsbezug in Personengesellschaften, PiStB 2009, 248; Mouldi/ Loose, Greift eine Switch-over-Klausel bei Einbringung der US-Betriebsstätte einer deutschen Kapitalgesellschaft in eine US-Corporation?, IStR 2012, 829; Mutscher, Anwendungsbereich der fiktiven Steueranrechnung im UmwStG, IStR 2010, 820; Pohl, Nochmal: Drittstaatenverschmelzungen und § 12 Abs. 2 KStG, DStR 2016, 2837; Pohl, Drittstaatenverschmelzungen und § 12 Abs. 2 KStG – Beendigung der Diskussion durch die KStR 2015?, DStR 2016, 2498; Prinz, Umwandlungen im Internationa-

1070 | Häck

D. Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug | Rz. 20.140 Kap. 20 len Steuerrecht, Köln 2013; Pyszka/Jüngling, Steuerfalle: Umwandlung von EU-Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften, GmbHR 2012, 327; Rödder/Schumacher, Das kommende SEStEG Teil II: Das geplante neue Umwandlungssteuergesetz, DStR 2006, 1525; Ronge/Perroulaz, Umwandlungen in der Schweiz und ihre steuerlichen Folgen in Deutschland nach dem SEStEG, IStR 2007, 422; Schaumburg, Die Entstrickungsklauseln im Umwandlungssteuerrecht, in Kessler/Förster/Watrin (Hrsg.), Unternehmensbesteuerung, FS für Herzig, München 2010, 711; Schaumburg, Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug, GmbHR 1996, 668; Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Internationales Umwandlungssteuerrecht, Köln 1996; Schell, Internationale Bezüge bei Verschmelzungen zwischen Körperschaften, FR 2012, 101; Schneider/Ruoff/Sistermann, Umwandlungssteuer-Erlass 2011, Köln 2012; Schnitger/Rometzki, Ausländische Umwandlungen und ihre Folgen bei inländischen Anteilseignern FR 2006, 845; Schönfeld, Welche praktischen Probleme löst das BMF-Schreiben zu Subject-to-Tax-Klauseln und welche nicht? – dargestellt anhand von Fallbeispielen, IStR 2013, 757; Schönfeld/Häck, Der Methodenartikel in der deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, ISR 2013, 168; Schumacher in Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Festschrift für Dieter Endres, München 2016, Die steuerliche Behandlung der Verschmelzung und Spaltung von Kapitalgesellschaften in Drittstaaten beim inländischen Gesellschafter, 401; Sejdija/Trinks, Zur steuerlichen Behandlung von Drittlandsverschmelzungen auf Anteilseignerebene – Replik auf Becker/Kamphaus/Loose, IStR 2013, 328, IStR 2013, 866; Sistermann, Der neue Umwandlungssteuererlass – Umwandlungen mit Auslandsbezug, in Lüdicke (Hrsg.), Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 40, 2012, 161; Viebrock/Hagemann, Verschmelzungen mit grenzüberschreitendem Bezug, FR 2009, 737; Wassermeyer/Richter/Schnittker (Hrsg.), Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2. Aufl. Köln 2015.

I. Allgemeines 1. Anwendungsbereich des UmwStG Rechtstechnisch vollzieht sich die Umwandlung ausländischer Rechtsträger allein nach Maßgabe des für den Sitz des ausländischen Rechtsträgers maßgeblichen Rechts. Deutsches Zivilrecht kann allerdings dann maßgeblich sein, wenn sich die Wirksamkeit der (Mit-)Übertragung von in Deutschland belegenem Vermögen nach deutschem Recht richtet. Die steuerlichen Folgen beurteilen sich primär nach den Regeln des Staates, in dem der ausländische Rechtsträger ansässig ist. Da viele ausländische Steuerrechtsordnungen durchweg mit dem deutschen UmwStG vergleichbare Regeln enthalten, sind auch dort zumeist steuerneutrale Umwandlungen möglich.1 Derartige ausländische Umwandlungen wirken auch auf das inländische Steuerrecht ein. Hiermit sind diejenigen Fälle angesprochen, in denen entweder im Zuge der ausländischen Umwandlung inländisches Betriebsstättenvermögen übergeht oder an den ausländischen Rechtsträgern unbeschränkt steuerpflichtige Personen beteiligt sind.

20.139

Ausländische Umwandlungen, die der Verschmelzung, der Aufspaltung, der Abspaltung bzw. dem Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach dem UmwG vergleichbar sind (Rz. 20.144 ff.), fallen seit der Erweiterung des § 1 UmwStG durch das KöMoG2 insgesamt in den Anwendungsbereich des 2. bis 4. Teils des UmwStG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UmwStG). Zuvor3 waren Drittstaatenumwandlungen ausschließlich in Form der Verschmelzung von Drittstaaten-Kapitalgesellschaften des gleichen Staates außerhalb des persönlichen Anwendungsbereichs des UmwStG in § 12 Abs. 2 KStG verortet.4

20.140

1 Vgl. die Länderübersicht bei W/M, Anhang 3. 2 Ausf. Dreßler/Kompolsek, WPg 2021, 1243 ff. 3 Die geänderte Rechtslage gilt für Umwandlungen, deren steuerlicher Übertragungsstichtag nach dem 31.12.2021 liegt, vgl. § 27 Abs. 18 UmwStG i.d.F. v. 25.6.2021 (BGBl. I 2021, 2050). 4 Siehe zur bisherigen Rechtslage die Vorauflage, Rz. 20.140.

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Kap. 20 Rz. 20.141 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

20.141

Ist die ausländische Umwandlung mit einer der in § 1 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 3 UmwStG genannten inländischen Umwandlungsvorgänge vergleichbar, handelt es sich um eine Einbringung von Betriebsvermögen durch Einzelrechtsnachfolge von einem ausländischen Rechtsträger in eine ausländische Kapital- oder Personengesellschaft oder einen Anteilstausch und der 6. bis 8. Teil des UmwStG findet sachlich Anwendung (§ 1 Abs. 3 UmwStG). Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs der in § 1 Abs. 3 UmwStG angesprochenen Vorgänge ist insoweit zu unterscheiden: Umwandlungen auf bzw. Einbringungen in Kapitalgesellschaften (§ 20, § 25 UmwStG) erfordern sowohl auf Seiten des umzuwandelnden Rechtsträgers bzw. des Einbringenden sowie des übernehmenden Rechtsträgers grds. einen spezifischen EU-/EWR-Bezug (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG).1 Eine Beteiligung von in Drittstaaten ansässigen übertragenden Rechtsträgern bzw. Einbringenden ist aber möglich, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG).

20.142

Für den Anteilstausch (§ 21 UmwStG) ist insoweit lediglich erforderlich, dass der übernehmende Rechtsträger die EU-/EWR-spezifischen Anforderungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG erfüllt. Umwandlungen auf bzw. Einbringungen in Personengesellschaften gem. § 24 UmwStG sind hingegen global möglich (§ 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG).

20.143

Einstweilen frei.

2. Notwendige Vergleichbarkeit ausländischer Umwandlungsvorgänge 20.144

Die in § 1 Abs. 1 und 3 UmwStG angesprochene Vergleichbarkeit der ausländischen Umwandlungsvorgänge wird nur in den Fällen gefordert, in denen die vom Umwandlungssteuergesetz erfassten nationalen Vorgänge eine Akzessorietät zum Umwandlungsgesetz aufweisen.2 Hieraus folgt, dass etwa die Betriebseinbringung in eine Kapitalgesellschaft und in eine Personengesellschaft sowie der Anteilstausch (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 und 5 UmwStG) in den Vergleichbarkeitstest nicht einzubeziehen sind. Soweit vom Gesetz die Vergleichbarkeit gefordert wird, ist notwendig, dass (i) der ausländische Umwandlungsvorgang zivilrechtlich wirksam vollzogen wird, (ii) die beteiligten Rechtsträger den entsprechenden Rechtsträgern deutschen Rechts entsprechen (Umwandlungsfähigkeit der beteiligten Rechtsträger), und schließlich, dass (iii) der Umwandlungsvorgang als solcher die wesentlichen Strukturmerkmale und ggf. sonstigen Vergleichskriterien einer inländischen Umwandlungsart erfüllt.3 Der Vergleichbarkeitsprüfung unterliegt insoweit der jeweils ausländische Umwandlungsvorgang in seiner ganz konkreten rechtlichen Ausgestaltung und nicht das abstrakte ausländische Umwandlungsrecht als solches.4 Es ist danach zu fragen, ob der nach ausländischem Umwandlungsrecht abgewickelte konkrete Vorgang ungeachtet des Sitzerfordernisses in § 1 Abs. 1 UmwG auch nach

1 Ausnahme: Fälle des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG. 2 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2; § 1 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 UmwStG. 3 Hierzu ausf. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.20 ff.; Benecke, GmbHR 2012, 113 (116). 4 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.25.

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D. Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug | Rz. 20.147 Kap. 20

den Regelungen des UmwG wirksam abgewickelt werden könnte.1 Hierzu folgende Einzelheiten:2 Die zivilrechtliche Wirksamkeit des ausländischen Umwandlungsvorgangs beurteilt sich ausschließlich nach Maßgabe des ausländischen Rechts. Insoweit muss der ausländische Vorgang nach dem jeweiligen Personalstatut der an der Umwandlung beteiligten Rechtsträger gesellschaftsrechtlich wirksam bzw. überhaupt zulässig sein.3 Einer gesonderten Prüfung des ausländischen Rechts bedarf es an sich nicht, wenn der ausländische Umwandlungsvorgang durch die ausländischen Registerbehörden im ausländischen Handelsregister eingetragen wird. Die Finanzverwaltung verneint eine Bindung an die Entscheidungen der ausländischen Behörden bzw. Gerichte aber für den Fall, dass die Umwandlung mit „gravierenden Mängeln“ behaftet ist,4 wobei offen bleibt, wann von derartigen Mängeln auszugehen sein soll.5

20.145

Soweit das ausländische Umwandlungsgesetz die Umwandlung von Kapital- und Personengesellschaften regelt, ist erforderlich, dass die an den ausländischen Umwandlungsvorgängen beteiligten Rechtsträger einer Kapital- oder Personengesellschaft deutschen Rechts entsprechen. Hierfür ist ein Typenvergleich erforderlich, in dessen Rahmen es weniger auf ein (generell-abstraktes) gesetzliches Leitbild der ausländischen Gesellschaft ankommen kann,6 sondern vielmehr (individuell-konkret) auf die spezifischen Umstände und die ggf. per Gesellschaftsvertrag getroffenen Vereinbarungen abzustellen ist.7 Im Hinblick auf die weitgehend parallelen Strukturmerkmale von Kapitalgesellschaften innerhalb des EU-/EWR-Bereichs ergeben sich jedenfalls insoweit keine Qualifikationsprobleme.8

20.146

Zu den Strukturmerkmalen der (übertragenden) Umwandlungen zählt insbesondere, dass der Vermögensübergang entsprechend den Regelungen des UmwG im Wege der (vollständigen oder partiellen) Gesamtrechtsnachfolge erfolgt (Übertragung uno actu) und zwar unter Auflösung ohne Abwicklung (bzw. ohne Auflösung) des übertragenden Rechtsträgers.9 Soweit indessen ausländische Staaten eine Umwandlung rechtstechnisch auch durch Einzelrechtsnachfolge ermöglichen, ist eine Vergleichbarkeit zu bejahen, wenn im Übrigen alle durch das

20.147

1 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.25. 2 Ausf. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.20 ff.; Möhlenbrock/Werner in D/P/M, § 1 UmwStG Rz. 86 ff.; Benecke, GmbHR 2012, 113 (116 ff.). 3 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.23. 4 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.23. zurecht krit. Sieker/Schänzle/Kaeser in FGS/BDI, Der Umwandlungssteuer-Erlass 2011, 56 f.; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.107. 5 Vgl. Benecke, GmbHR 2012, 113 (117): „Mangel der Umwandlung [muss] derart gravierend sein, dass diese als nichtig anzusehen ist“. 6 Zutr. Benecke, GmbHR 2012, 113 (118). Nach BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.27 soll hingegen das gesetzliche Leitbild nur dann nicht maßgeblich sein, wenn ein solches „aufgrund umfassender Dispositionsmöglichkeiten“ im ausländischen Recht nicht abgeleitet werden kann. 7 Zu den maßgeblichen Kriterien BFH v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263; BMF v. 19.3.2004 – I IV B 4-S 1301 USA-22/04, BStBl. I 2004, 411. 8 So per se bei Gesellschaften i.S.d. RL 90/4365/EWG; vgl. Anlage 2 zu § 43b EStG. 9 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.29 ff.; Benecke, GmbHR 2012, 113 (118 f.).

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Kap. 20 Rz. 20.147 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

UmwG vorgegebenen Merkmale erfüllt sind.1 Für die Vergleichbarkeit ausländischer Formwechsel reicht es ebenfalls aus, dass entsprechend dem deutschen Recht ein Rechtsträger seine Rechtsform ändert, ohne dass es dadurch zu dessen Auflösung oder zur Gründung eines neuen Rechtsträgers kommt.2 Soweit im Zuge eines Formwechsels nach Maßgabe des ausländischen Rechts neue Gesellschafter beitreten, ist das für die Vergleichbarkeit unschädlich.3 Handelt es sich um Umwandlungsvorgänge, die dem 2. bis 5. Teil des Umwandlungssteuergesetzes unterfallen, ist eine umwandlungsbedingte Gewährung von Anteilen oder Mitgliedschaften an dem übernehmenden neuen Rechtsträger im Hinblick auf die § 54, § 68 UmwG für die Vergleichbarkeit ebenso wenig Voraussetzung,4 wie die Einhaltung der vom UmwG vorgegebenen verfahrensrechtlichen Erfordernisse5, die Dauer der gesellschaftsrechtlichen Rückbeziehungsmöglichkeit6 oder die Eintragung des Umwandlungsvorgangs in ein öffentliches Register.7 Ein Vergleichbarkeitstest ist schließlich nicht bei Verschmelzungen im Zusammenhang mit einer SE oder SCE erforderlich (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwStG).8

II. Verschmelzung 1. Verschmelzung von ausländischen Kapitalgesellschaften auf ausländische Personengesellschaften 20.148

Ausländische Verschmelzungen von Kapital- auf Personengesellschaften unterliegen nur dann dem UmwStG, wenn die Verschmelzung der Verschmelzung einer inländischen Kapital- auf eine Personengesellschaft vergleichbar ist (dazu Rz. 20.29)9.

1 Für die Annahme einer Vergleichbarkeit bei Einzelübertragungen mit wirtschaftlich gleichem Ergebnis (teilweise mit der Einschränkung auf Fälle, in denen der ausländische Staat nur die Einzelrechtsnachfolge kennt): Widmann in W/M, § 1 UmwStG Rz. 41, 50; Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 54; Graw in R/H/vL3, § 1 UmwStG Rz. 67; Werneburg in H/M5, § 1 UmwStG Rz. 18; Sieker/Schänzle/Kaeser in FGS/BDI, Der Umwandlungssteuer-Erlass 2011, 64; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1525 (1526). A.A. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/ 0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.31, 01.34; Möhlenbrock/Werner in D/P/M, § 1 UmwStG Rz. 96; Dötsch/Pung, DB 2006, 2704 ff.; Benecke/Schnitger, IStR 2006, 765 (769). 2 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.39. 3 Widmann in W/M, § 1 UmwStG Rz. 157, 65; a.A. Möhlenbrock in D/P/M, § 1 UmwStG Rz. 111. 4 Vgl. auch BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.32. Anders im Anwendungsbereich des 6. bis 8. Teils des UmwStG. 5 Enger Möhlenbrock/Werner in D/P/M, § 1 UmwStG Rz. 109. 6 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.41. 7 A.A. Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.104. Zur Höhe etwaiger Zuzahlungen als sonstiges Vergleichskriterium s. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 – S 1978-b/ 08/10001 – DOK2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.40; Benecke, GmbHR 2012, 113 (120); offen Patt in D/P/M, § 25 UmwStG Rz. 16. 8 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.42. 9 Speziell zur Vergleichbarkeit bei einer sog. errichtenden Umwandlung nach österreichischem Recht BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.39; Benecke, GmbHR 2012, 113 (120 f.) (Verschmelzung); Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.103 (Formwechsel); Blöchle/Weggenmann, IStR 2008, 87 ff. (Verschmelzung und Formwechsel). Zum Formwechsel einer polnischen Kapitalgesellschaft Kopec/Wellmann, IStR 2016, 69 ff.

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D. Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug | Rz. 20.150 Kap. 20

Unter diesen Voraussetzungen kommen die §§ 3 ff. UmwStG zur Anwendung, so dass auf Ebene der übertragenden Kapitalgesellschaft1 eine Gewinnrealisierung beim inländischen Betriebsstättenvermögen2 und somit ein Übertragungsgewinn (§ 3 UmwStG) vermieden werden kann, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übergegangenen Wirtschaftsgüter bei den Gesellschaftern der übernehmenden ausländischen Personengesellschaft verschmelzungsbedingt nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG).3 Ein solches bleibt bei in Deutschland belegenem inländischen Betriebsstättenvermögen unabhängig davon, ob DBA eingreifen oder nicht, in aller Regel erhalten.4 Die übertragende Kapitalgesellschaft hat eine steuerliche Schlussbilanz i.S.v. § 3 Abs. 1 UmwStG zu erstellen, wenn eine solche für deutsche Besteuerungszwecke benötigt wird.5 Dies ist im vorliegenden Zusammenhang stets der Fall, wenn an der übernehmenden Personengesellschaft ein in Deutschland steuerpflichtiger Mitunternehmer beteiligt ist.6 Eine steuerliche Rückbeziehung ist – vorbehaltlich des § 2 Abs. 3 UmwStG – im Rahmen des § 2 Abs. 1 und 2 UmwStG möglich.

20.149

Aus Sicht der übernehmenden Personengesellschaft bzw. den in Deutschland steuerpflichtigen Gesellschaftern ergeben sich folgende Besonderheiten: Die übernehmende Personengesellschaft hat die auf sie übergegangenen Wirtschaftsgüter mit den in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Körperschaft enthaltenen Werten zu übernehmen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 UmwStG). Eine Besteuerung des Übernahmeergebnisses (§ 4 Abs. 4, § 7 UmwStG) in Deutschland erfolgt nur, wenn (i) die Anteile zu einem inländischen Betriebsvermögen gehören, eine wesentliche Beteiligung i.S.v. § 17 EStG verkörpern oder es sich um alt-einbringungsgeborene Anteile handelt und (ii) Deutschland im DBA-Fall abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht vorbehalten ist. Insoweit sind dem inländischen Gesellschafter einerseits entsprechend seiner Beteiligungsquote Kapitalerträge i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zuzurechnen, soweit die umzuwandelnde Kapitalgesellschaft über offene Rücklagen i.S.v. § 7 Satz 1 UmwStG verfügt. Qualifiziert der ausländische Staat die fiktive Totalausschüttung als Dividende (Art. 10 OECDMA), ist Deutschland im DBA-Fall abkommensrechtlich hieran regelmäßig gebunden,7 so dass eine ausländische Quellensteuer in Abhängigkeit vom DBA (partiell) anzurechnen ist.8 Weiter ist für den inländischen Gesellschafter ein Übernahmegewinn oder Übernahmeverlust zu ermitteln (§ 4 Abs. 4, § 5 UmwStG). Insoweit qualifiziert das Übernahmeergebnis abkommensrechtlich als Veräußerung (Art. 13 OECD-MA), für das Deutschland regelmäßig das Besteue-

20.150

1 S. zur Frage, wann diese eine steuerliche Schlussbilanz i.S.v. § 3 UmwStG abzugeben hat Jäschke/ Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.113 ff. 2 Bzgl. des ausländischen Betriebsstättenvermögens bestand bereits vor der Verschmelzung kein deutsches Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen vgl. Schmitt in S/H9, § 3 UmwStG Rz. 101; Pyszka/Jüngling, GmbHR 2012, 327; Förster/Felchner, DB 2006, 1072 (1080); Lemaitre/Schönherr, GmbHR 2007, 173 (183). 3 Beispiel bei Mayer, PIStB 2009, 248 ff. 4 Vgl. Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.112 ff.; Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.94; Hecht in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 405 (412). 5 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.02. 6 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 03.02. 7 Zur insoweit abkommensrechtlich gegebenen partiellen Qualifikationsverkettung Häck in F/W/K, Art. 24 DBA-Schweiz Rz. 19. 8 Vgl. Hecht in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 405 (415).

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Kap. 20 Rz. 20.150 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

rungsrecht zusteht.1 Hierbei sind – ungeachtet eines Buchwertansatzes in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft (§ 3 Abs. 1 UmwStG) – für die Ermittlung des Übernahmeergebnisses die Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert anzusetzen, soweit an ihnen bisher kein deutsches Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen bestand (§ 4 Abs. 4 Satz 2 UmwStG, sog. Zuschlag für neutrales Vermögen2). Dies gilt nach dem Gesetzeswortlaut auch für das im Wege passiver (rechtlicher) Verstrickung sog. neuverstrickte Vermögen,3 obwohl insoweit nach der Verschmelzung ein deutsches Besteuerungsrecht an den stillen Reserven in diesen Wirtschaftsgütern besteht.4 Insoweit kann es für den inländischen Gesellschafter zu einer Doppelbesteuerung im Fall der späteren Veräußerung kommen, soweit das Übernahmeergebnis auf stille Reserven in Wirtschaftsgütern zurückzuführen ist, die nach der Verschmelzung in Deutschland erstmalig steuerverstrickt sind.5 Hält man diese gesetzliche Folge für zwingend6, lassen sich sachwidrige Ergebnisse nur durch (im Ausland ggf. steuerpflichtige) gewinnrealisierende Vorabübertragungen vermeiden.7 Eine drohende Doppelbesteuerung ließe sich vermeiden, indem § 4 Abs. 4 Satz 2 UmwStG im Wege der teleologischen Reduktion auf die neuverstrickten Wirtschaftsgüter nicht angewendet wird.8 Dies hätte zwar für den Steuerpflichtigen den Vorteil, dass er die hierin verhafteten stillen Reserven erst im tatsächlichen Veräußerungsfall versteuern muss.9 Dies führt allerdings regelmäßig zu einem höheren Steuersatz, so dass es bei einer unzutreffenden Besteuerung verbliebe.10 Vor diesem Hintergrund ist es vorzugswürdig – entsprechend der Rechtslage bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (Rz. 20.97) – eine logische Sekunde nach der Verschmelzung auf Ebene der übernehmenden Personengesellschaft11 gem. § 4 Abs. 1 Satz 8; § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG eine (steuerneutrale) Aufstockung des neuverstrickten Vermögens zum gemeinen Wert zuzulassen.

20.151–20.153 Einstweilen frei.

1 2 3 4 5 6

7 8 9 10 11

Hecht in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 405 (417). Vgl. Regierungsbegründung des SEStEG v. 12.7.2006, BT-Drucks. 16/2710, 38. Bspw. bei Übertragung einer ausländischen Anrechnungsbetriebsstätte. Krit. insoweit Pung/Werner in D/P/M, § 4 UmwStG Rz. 60. Vgl. Pung/Werner in D/P/M, § 4 UmwStG Rz. 60; Bogenschütz, Ubg 2011, 393 (404). Vgl. bspw. Möhlenbrock/Pung in D/P/P/M7, § 3 UmwStG Rz. 43; Birkemeier in R/H/vL3, § 3 UmwStG Rz. 211; van Lishaut in R/H/vL3, § 4 UmwStG Rz. 43; Weigert in Kraft/Edelmann/Bron2, § 4 UmwStG Rz. 31; Bonhardt in H/M5, § 4 UmwStG Rz. 89; Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 (1964); Lemaitre/Schönherr, GmbHR 2007, 173 (175). Vgl. Rödder in R/H/vL3, § 11 UmwStG Rz. 350; van Lishaut in R/H/vL3, § 4 UmwStG Rz. 44; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.311; Hruschka, StuB 2011, 540 (543); Hruschka/Hellmann, DStR 2010, 1961 (1965). Vgl. Pung/Werner in D/P/M, § 4 UmwStG Rz. 60; Bogenschütz, Ubg 2011, 393 (404). Und nicht über ein gem. § 4 Abs. 4 Satz 2 UmwStG erhöhtes Übernahmeergebnis. Bei einer Besteuerung über das Übernahmeergebnis erfolgte eine tarifgünstigere Besteuerung der stillen Reserven nach dem Teileinkünfteverfahren bzw. § 8b Abs. 2, Abs. 3 KStG, vgl. Sistermann in Lüdicke, Praxis und Zukunft des des deutschen Internationalen Steuerrechts, 2012, 161 (175 f.). Für eine Berücksichtigung der Verstrickung auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft Schmitt in S/H9, § 4 UmwStG Rz. 27; Martini in W/M, § 3 UmwStG Rz. 842; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.121; Sistermann in Lüdicke, Praxis und Zukunft des des deutschen Internationalen Steuerrechts, 2012, 161 (176); Kraft/Poley, FR 2014, 1 (3); Klingberg/Nitzschke, Ubg 2011, 451 (456). Str., zum Streitstand Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.309.

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D. Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug | Rz. 20.156 Kap. 20

2. Verschmelzung von ausländischen Kapitalgesellschaften auf ausländische Kapitalgesellschaften Rechtstechnisch vollzieht sich die Verschmelzung ausländischer Kapitalgesellschaften auf ausländische Kapitalgesellschaften allein nach ausländischem Recht. Soweit indessen unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind oder aber verschmelzungsbedingt inländisches Betriebsstättenvermögen übergeht, können steuerrechtliche Folgen im Inland ausgelöst werden. Nach der durch das KöMoG erfolgten Änderung des § 1 UmwStG1 ist insoweit nicht mehr zwischen EU-/EWR-Verschmelzungen und Drittstaatenverschmelzungen zu differenzieren.2

20.154

Die Verschmelzung von Kapital- auf Kapitalgesellschaften ist aus der Sicht des deutschen Steuerrechts für die übertragende Kapitalgesellschaft nach § 11 UmwStG zu beurteilen, so dass hierfür die für entsprechende inländische Verschmelzungen maßgeblichen Besteuerungsgrundsätze uneingeschränkt Geltung haben.3 Das bedeutet, dass die Steuerneutralität der ausländischen Verschmelzung für die übertragende Kapitalgesellschaft im Inland erreicht werden kann, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG).4 Da dies in aller Regel der Fall ist,5 kann die Steuerneutralität im Inland sichergestellt werden, wobei bei der übernehmenden ausländischen Kapitalgesellschaft ein Übernahmegewinn hinsichtlich des inländischen Betriebsstättenvermögens außer Ansatz bleibt (§ 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG).

20.155

Auf Ebene inländischer Gesellschafter (Ausnahme: Sog. Kleingesellschafter6) wird über § 13 UmwStG unmittelbar die Möglichkeit eröffnet, auf Antrag die Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft mit dem Buchwert der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft anzusetzen. Voraussetzung der Steuerneutralität auf Anteilseignerebene ist grds., dass das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft verschmelzungsbedingt nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). Das ist regelmäßig gewährleistet, weil hierdurch weder die Reichweite der unbeschränkten noch der beschränkten Steuerpflicht der Gesellschafter verändert wird und zudem in Fällen, in denen DBA eingreifen, auch abkommensrechtlich (Art. 7 Abs. 1; Art. 13 Abs. 2 und 5 OECD-MA) keine Änderungen eingreifen. Etwas anderes kann sich in Abkommensfällen ergeben, wenn die Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft bislang über eine dem Art. 13 Abs. 5 OECD-MA entsprechende Klausel im Inland uneingeschränkt steuerverhaftet waren, die übernehmende Kapitalgesellschaft aber als Immobiliengesellschaft (vgl. Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) qualifiziert oder bei einer (ausländischen) grenzüberschreitenden Verschmelzung in dem DBA mit dem Sitzstaat der übernehmenden Kapitalgesellschaft eine Sitzstaatsklausel enthalten ist,7 die Deutschland nach dem einschlägigen Methodenartikel im Veräußerungsfall zur Anrechnung ausländischer Steuern verpflichtet. Bei Verschmelzungen zwischen zwei in verschiedenen Staaten ansässigen

20.156

1 Die geänderte Rechtslage gilt für Umwandlungen, deren steuerlicher Übertragungsstichtag nach dem 31.12.2021 liegt, vgl. § 27 Abs. 18 UmwStG i.d.F. v. 25.6.2021 (BGBl. I 2021, 2050). 2 Siehe zur bisherigen Rechtslage die Vorauflage, Rz. 20.154. 3 Zu Einzelheiten Schießl in W/M, § 11 UmwStG Rz. 220 ff.; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.151. 4 Zu dieser Entstrickungsklausel Schaumburg in FS Herzig, 711 (721 ff.). 5 Zu Ausnahmefällen vgl. Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.190. 6 Auf diese findet § 20 Abs. 4a EStG Anwendung. 7 Bspw. Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechien.

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Kap. 20 Rz. 20.156 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

Kapitalgesellschaften kann der im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Anteilseigner in diesen Fällen aber unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG i.V.m. Art. 8 FRL1 die Besteuerung bis zu einer tatsächlichen Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft hinausschieben.2

20.157–20.160 Einstweilen frei.

3. Verschmelzung von ausländischen Personengesellschaften auf ausländische Kapitalgesellschaften a) Allgemeines

20.161

Die Verschmelzung ausländischer Personengesellschaften auf ausländische Kapitalgesellschaften vollzieht sich ausschließlich nach dem maßgeblichen ausländischen Recht. Steuerliche Folgen werden hierdurch im Inland nur dann ausgelöst, wenn entweder unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter an den ausländischen Rechtsträgern beteiligt sind3 oder aber im Zuge der Verschmelzung inländisches Betriebsstättenvermögen übergeht. b) Verschmelzung auf EU-/EWR-Kapitalgesellschaften

20.162

Der Anwendungsbereich des § 20 UmwStG wird nur dann eröffnet, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft eine EU-/EWR-Gesellschaft ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). Für die Anwendung des § 20 UmwStG ist darüber hinaus aber auch erforderlich, dass die übertragende ausländische Personengesellschaft Sitz und Ort der Geschäftsleitung im EU-/EWR-Bereich hat und die an der ausländischen Personengesellschaft beteiligten Gesellschafter dort ebenfalls ansässig sind (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UmwStG) oder aber das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile an der übernehmenden ausländischen Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b UmwStG). Sind an der übertragenden Personengesellschaft in Drittstaaten ansässige Gesellschafter beteiligt, ist der persönliche Anwendungsbereich daher nur eröffnet, wenn die erhaltenen Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft einer inländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) und in Abkommensfällen dieser Betriebsstätte auch abkommensrechtlich zuzurechnen sind (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA).

20.163

Soweit § 20 UmwStG zur Anwendung kommt, gelten hierfür uneingeschränkt die für entsprechende inländische Verschmelzungen und grenzüberschreitende Einbringungen maßgeblichen Besteuerungsgrundsätze (Rz. 20.56 ff. und Rz. 20.113 ff.). Die Steuerneutralität der aus1 Einschränkende Voraussetzung ist hier u.a., dass die übernehmende Kapitalgesellschaft sowie die zu übertragende Kapitalgesellschaft in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten ansässig sein müssen (Art. 2 Buchst. d i.V.m. Art. 1 Buchst. a FRL), vgl. Rabback in R/H/vL3, § 21 UmwStG Rz. 174. Weiter dürfen bare Zuzahlungen 10 % des Nennwerts bzw. des rechnerischen Werts der ausgegebenen Anteile an der ausländischen Zwischenholding nicht übersteigen (Art. 2 Buchst. d FRL). Nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern auch natürliche Personen als Einbringende können sich auf Art. 8 FRL berufen, vgl. EuGH v. 22.3.2018 – C-327/16 und C-421/16, ECLI:EU:C:2018, 210, IStR 2018, 316 – Jacob und Lassus; a.A. Desens in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 21 UmwStG Rz. 14. 2 Beispiel bei Schell, FR 2012, 101 (103). 3 Entsprechendes gilt für beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter, deren Anteile zu einem inländischen Betriebsstättenvermögen gehören (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG).

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D. Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug | Rz. 20.166 Kap. 20

ländischen Verschmelzung im Inland kann im Ausgangspunkt erreicht werden, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung des eingebrachten Betriebsvermögens bei der übernehmenden ausländischen Kapitalgesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG). Geht im Zuge der Verschmelzung inländisches Betriebsstättenvermögen über, bleibt das bisherige deutsche Besteuerungsrecht regelmäßig erhalten. Ist die übernehmende EU-/EWR-Kapitalgesellschaft in einem Nicht-DBA-Staat ansässig, kann eine spätere Veräußerungsgewinnbesteuerung uneingeschränkt im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht erfolgen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Gleiches gilt, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft in einem DBA-Staat ansässig ist und Deutschland nach dem einschlägigen DBA weiterhin die Gewinne aus der Veräußerung der Wirtschaftsgüter besteuern kann, bspw. weil es sich um im Inland belegenes unbewegliches Vermögen handelt (vgl. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA) oder die übernommenen Wirtschaftsgüter einer inländischen Betriebsstätte (Art. 5 OECD-MA) abkommensrechtlich zuzurechnen sind (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA, sog. Betriebsstättenvorbehalt). Ein möglicher Wechsel in der (abkommensrechtlichen) Zuordnung von Wirtschaftsgütern aus der inländischen in eine ausländische Betriebsstätte ist tatsächlicher Natur und vollzieht sich regelmäßig erst im Anschluss an den für Zwecke des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG maßgeblichen Einbringungszeitpunkt. Insoweit bleibt die Buchwertfortführung gem. § 20 Abs. 2 UmwStG möglich, es kommt aber im Zeitpunkt des tatsächlichen Zuordnungswechsels zu einer Entstrickung nach allgemeinen Grundsätzen auf Ebene der übernehmenden Kapitalgesellschaft (§ 12 Abs. 1 KStG).

20.164

In den Fällen, in denen im Zuge der Verschmelzung ausländisches Betriebsstättenvermögen1 übergeht, tritt eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts grds. nur bei unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern ein, wenn vor der Verschmelzung ein deutsches Besteuerungsrecht gegeben war, weil entweder kein DBA bestand oder das einschlägige DBA für Veräußerungsgewinne die Anrechnungsmethode vorsah.2

20.165

Wird das Wahlrecht nicht ausgeübt, so dass die übergehenden Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind (§ 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG), ergeben sich Besteuerungsfolgen hinsichtlich des im Ausland belegenen übergehenden Vermögens unter den folgenden Gesichtspunkten: Greift kein DBA, kann die ausländische Steuer grds. auf eine auf den Einbringungsgewinn anfallende deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer3 angerechnet werden (§ 34c EStG, § 26 KStG). In Abkommensfällen stellt sich ggf. zunächst die Frage, ob der Einbringungsgewinn abkommensrechtlich den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA)4, den Veräußerungsgewinnen (Art. 13 Abs. 2 oder Abs. 5 OECD-MA)5 oder den sonstigen Einkünften (Art. 21 OECD-MA) unterfällt, da hiervon abhängen kann, ob nach dem DBA die An-

20.166

1 Es spielt hierbei grds. keine Rolle, ob die zum ausländischen Betriebsstättenvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter im Inland oder im Ausland belegen sind. 2 Vgl. auch Henkel/Port in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 11.235. 3 Mangels Anrechnungsvorschriften aber nicht auf die Gewerbesteuer. 4 Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (122); Viebrock/ Hagemann, FR 2009, 737 (738); Klingberg/van Lishaut, FR 1999, 1222. 5 Vgl. Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 17; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 7; Lieber in S/D2, Art. 13 OECD-MA Rz. 37; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBA-Schweiz Rz. 76; Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20.

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Kap. 20 Rz. 20.166 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

rechnungs- oder Freistellungsmethode anzuwenden ist.1 Sieht das DBA zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen (ausnahmsweise) generell2 oder speziell3 die Anrechnungsmethode vor, kommt eine Besteuerung in Deutschland zum Tragen, jedoch unter Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern (§ 34c Abs. 1 EStG, § 26 KStG). Schließt das DBA eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer nicht ausdrücklich aus, muss Deutschland auch eine Anrechnung der ausländischen Steuern auf die Gewerbesteuer zulassen (Rz. 19.554). Regelmäßig gehen zwar die deutschen DBA nicht nur für unbewegliches Auslandsvermögen4, sondern auch für ausländische Betriebsstättengewinne von der Freistellungsmethode aus (Rz. 19.521 ff.). Insbesondere die jüngere deutsche Abkommenspolitik schränkt jedoch die grds. Steuerfreistellung ausländischer Betriebsstättengewinne (hier: Einbringungsgewinn) im Wege abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalte (Rz. 19.515)5 oder Subject-to-Tax-Klauseln (Rz. 19.522)6 ein.7 Enthält das einschlägige DBA eine Aktivitätsklausel, so ist Deutschland berechtigt, auf den Einbringungsgewinn anstatt der Freistellungsmethode die Anrechnungsmethode anzuwenden,8 wenn in der ausländischen Betriebsstätte vor der Einbringung keine „aktive“ Tätigkeit im Sinne der Aktivitätsklausel ausgeübt wurde.9 Jenseits dessen stellt sich die Frage, ob bei Steuerfreiheit der Umwandlung im ausländischen Staat die abkommensrechtliche Freistellung des Übertragungsgewinns mangels „tatsächlicher Besteuerung“ im anderen Vertragsstaat durch eine Subject-to-Tax-Klausel suspendiert werden kann.10 Bezieht man zutreffend die (voraussichtliche) spätere Besteuerung der stillen Reserven im ausländischen Staat im Fall der tatsächlichen Veräußerung in die Betrachtung mit ein,11 finden die abkommensrechtlichen Subject-to-Tax-Klauseln auch bei Umwandlungen zu Buchwerten keine Anwendung.12 Dies dürfte auch den Erwägungen in dem zur Anwendung von Subject-to-Tax-Klauseln veröffentlichten

1 Die Beurteilung kann im Einzelfall für die Anwendbarkeit einer sog. Aktivitätsklausel oder einer Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern von Bedeutung sein, vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20 mit Fn. 1. 2 Bspw. Art. 22 Abs. 1 DBA-Zypern. 3 Im Regelfall wird die Anrechnungsmethode nur für bestimmte Einkünfte vereinbart, vgl. Rz. 19.552. 4 Insoweit kann regelmäßig offenbleiben, ob die Umwandlung abkommensrechtlich eine Veräußerung darstellt, da die Rechtsfolgen von Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA i.V.m. Art. 23 Abs. 1 OECD-MA aus Sicht des Ansässigkeitsstaats grds. übereinstimmen. 5 Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 87 ff. 6 Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73 ff. 7 Zu deren Anwendung im Bereich von Umwandlungen ausf. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59 ff. 8 Mit der Folge der uneingeschränkten Besteuerung, da der ausländische Staat die Umwandlung zum Buchwert zulässt. 9 Vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/ Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.126. 10 Hierzu Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.132 ff.; Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 ff. 11 Vgl. Schönfeld, IStR 2013, 757 (759); Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Schönfeld/Häck, ISR 2013, 168 (174); Mouldi/Loose, IStR 2012, 829 (833 f.). 12 A.A. Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 (166 ff.) unter Hinweis auf die unterschiedlichen Steuerpflichtigen und eine fehlende Doppelbesteuerung im abkommensrechtlichen Sinne.

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D. Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug | Rz. 20.168 Kap. 20

BMF-Schreiben v. 20.6.20131 entsprechen.2 Hingegen hat der BFH zu den (wenigen) sog. Quellenregeln3 im Zusammenhang mit einem Formwechsel unter Buchwertfortführung den Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland bejaht.4 Hingegen kommen die innerstaatlichen Vorbehaltsklauseln (§ 50d Abs. 9 EStG; s. Rz. 19.525 ff.; § 20 Abs. 2 AStG, s. Rz. 19.544) regelmäßig nicht zum Tragen.5 Für den unbeschränkt steuerpflichtigen Einbringenden kann es vorteilhaft sein, auf eine Buchwertfortführung für deutsch-steuerliche Zwecke zu verzichten, die Verschmelzung unter Übertragung von ausländischem Betriebsstättenvermögen nach ausländischem Steuerrecht aber zu Buchwerten steuerneutral durchzuführen.6 Im Idealfall bleibt der sich durch den Ansatz der gemeinen Werte in Deutschland ergebende Einbringungsgewinn nach dem einschlägigen DBA (auch) im Inland steuerfrei (Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA), während nach der Umwandlung nur noch Deutschland abkommensrechtlich das Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Kapitalgesellschaftsanteile zusteht (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Die stillen Reserven in dem übertragenen Betriebsvermögen bleiben zwar auf Ebene der ausländischen Kapitalgesellschaft grds. steuerverhaftet, der Einbringende kann bei einem anschließenden Verkauf der Kapitalgesellschaftsanteile den Vermögenszuwachs aber ggf. steuerfrei realisieren.7

20.167

Geht die Einbringung mit einer Besteuerung von stillen Reserven einher, die auf eine in einem anderen EU-/EWR-Mitgliedstaat belegene Anrechnungsbetriebsstätte entfällt, ist bei Buchwertfortführung im ausländischen Staat die (fiktive) ausländische Steuer unter den Voraussetzungen des Art. 10 FRL anzurechnen, die bei einer Veräußerung zum gemeinen Wert erhoben worden wäre (§ 20 Abs. 7 i.V.m. § 3 Abs. 3 UmwStG).8 Entgegen der gesetzlichen Regelung ist eine Sofortbesteuerung unionsrechtlich aber untersagt.9 Zudem sieht § 20 Abs. 8 UmwStG für praktisch eher seltene Fälle die Anrechnung einer fiktiven ausländischen Steuer vor, wenn

20.168

1 BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980. 2 Insoweit lassen sich Buchwerteinbringungen als (unschädliche) „temporäre“ oder „permanente Differenz“ einstufen, vgl. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Rz. 2.3; Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Lüdicke, IStR 2013, 721 (728). 3 Diese sehen vor, dass Einkünfte (nur dann) aus dem anderen Vertragsstaat „stammen“, wenn sie dort (effektiv) besteuert wurden, hierzu ausf. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B Rz. 75. 4 BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953 zu Prot. Nr. 16 Buchst. d zum DBA-Italien. 5 Ausf. Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.122 ff. 6 Beispiel bei Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.116 ff. 7 Dies gilt natürlich nur, soweit nicht (i) zwischenzeitlich neue stille Reserven entstanden sind, (ii) das ausländische Steuerrecht eine dem § 22 Abs. 1 UmwStG entsprechende rückwirkende Besteuerung eines Einbringungsgewinns nicht kennt und (iii) der ausländische Staat auch nicht im Wege eines Treaty Override die Gewinne aus der späteren Veräußerung der Kapitalgesellschaftsanteile der Besteuerung unterwirft. 8 Vgl. hierzu BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.36. Bspw. im Verhältnis zu Zypern, Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 3 DBA-Zypern (Bsp. bei Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 8.279) oder – bei fehlenden aktiven Tätigkeiten – bspw. Portugal, Prot. Nr. 8 zu Art. 24 DBA-Portugal (Bsp. bei Schell, FR 2012, 101 [104]). Einzelheiten zur fiktiven Steueranrechnung Kahle/Vogel, ISR 2013, 234 ff.; Mutscher, IStR 2010, 820 ff. 9 Vgl. EuGH v. 23.11.2017 – C-292/16, ECLI:EU:C:2017:888, IStR 2018, 32 – A. Zur analogen Anwendung von § 4g EStG vgl. Oppel, NWB 2018, 324 ff.

Häck | 1081

Kap. 20 Rz. 20.168 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

Mitunternehmeranteile an einer sog. hybriden EU-Gesellschaft in eine EU-Kapitalgesellschaft eingebracht werden und Deutschland das Besteuerungsrecht an einer (nachgeschalteten) Anrechnungsbetriebsstätte verliert.1

20.169

Die im Zuge der Einbringung erhaltenen Anteile unterliegen auf Gesellschafterebene in Zukunft nach allgemeinen Grundsätzen der unbeschränkten bzw. beschränkten Steuerpflicht unter Berücksichtigung von DBA. Unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 bzw. Abs. 2 UmwStG kommt es zu einer rückwirkenden Besteuerung des Einbringungsgewinns I bzw. II, wenn die erhaltenen Anteile innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist veräußert werden oder ein der Veräußerung steuerlich gleichgestellter Vorgang verwirklicht wird (ausf. Rz. 20.125 ff.). c) Verschmelzung auf Drittstaatenkapitalgesellschaft

20.170

Sind die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt, sind insbesondere die übertragende ausländische Personengesellschaft und die übernehmende ausländische Kapitalgesellschaft in Drittstaaten ansässig, bleibt die Anwendung des § 20 UmwStG versagt.

20.171

Der verschmelzungsbedingte Übergang inländischen Betriebsstättenvermögens der ausländischen Personengesellschaft auf die ausländische Kapitalgesellschaft führt zu einer Gewinnrealisierung der in dem übergehenden inländischen Betriebsstättenvermögen ruhenden stillen Reserven, die bei den Gesellschaftern der unbeschränkten2 oder beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG) ohne abkommensrechtliche Schrankenwirkungen3 unterliegt. Entsprechend der nach deutschem Steuerrecht maßgeblichen Qualifikation der ausländischen Verschmelzung als Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten handelt es sich um einen Tausch, der nach allgemeinen Grundsätzen einer Veräußerung gleichsteht4 und somit als Betriebsveräußerung dem Regelungsbereich des § 16 EStG unterliegt.

20.172

Geht ausländisches Betriebsstättenvermögen im Zuge der Verschmelzung auf die ausländische Kapitalgesellschaft in einem Drittstaat über, so führt die hierdurch bewirkte Realisation der in dem übergehenden ausländischen Betriebsstättenvermögen ruhenden stillen Reserven bei unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern zu einem Veräußerungsgewinn, der nach den Regeln des § 16 EStG zu besteuern ist, sofern nicht das deutsche Besteuerungsrecht durch ein DBA ausgeschlossen wird. Im Einzelnen ergeben sich folgende steuerliche Auswirkungen: Greift kein DBA, kann die ausländische Steuer grds. auf eine auf den Einbringungsgewinn anfallende deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer5 angerechnet werden (§ 34c EStG, § 26 KStG). In Abkommensfällen stellt sich ggf. zunächst die Frage, ob der Einbringungsgewinn abkommensrechtlich den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA)6, den Veräußerungsgewinnen (Art. 13 Abs. 2 oder Abs. 5 OECD-MA)7 oder den sonstigen Einkünften (Art. 21

1 Vgl. mit Beispielen BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.37; Kahle/Vogel, ISR 2013, 234 (239); Brähler/Heerdt, StuW 2007, 260. 2 Besteuerung im Rahmen des Welteinkommens. 3 Es gilt stets das Betriebsstättenprinzip: Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA; vgl. Rz. 19.230, 19.385 ff. 4 Hierzu Patt in D/P/M, Vor §§ 20–23 UmwStG Rz. 45 ff. 5 Mangels Anrechnungsvorschriften aber nicht auf die Gewerbesteuer. 6 Wassermeyer in Schaumburg/Piltz, Internationales Umwandlungssteuerrecht, 118 (122); Viebrock/ Hagemann, FR 2009, 737 (738); Klingberg/van Lishaut, FR 1999, 1222. 7 Vgl. Gosch in G/K/G/K, Art. 13 OECD-MA Rz. 17; Gradel/Klaeren in S/K/K, Art. 13 OECDMA Rz. 7; Lieber in S/D2, Art. 13 OECD-MA Rz. 37; Meretzki in F/W/K, Art. 13 DBA-Schweiz

1082 | Häck

D. Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug | Rz. 20.172 Kap. 20

OECD-MA) unterfällt, da hiervon abhängen kann, ob nach dem DBA die Anrechnungs- oder Freistellungsmethode anzuwenden ist.1 Sieht das DBA zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen (ausnahmsweise) generell2 oder speziell3 die Anrechnungsmethode vor, kommt eine Besteuerung in Deutschland zum Tragen, jedoch unter Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern (§ 34c Abs. 1 EStG, § 26 KStG). Schließt das DBA eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer nicht ausdrücklich aus, muss Deutschland auch eine Anrechnung der ausländischen Steuern auf die Gewerbesteuer zulassen (Rz. 19.554). Regelmäßig gehen zwar die deutschen DBA nicht nur für unbewegliches Auslandsvermögen4, sondern auch für ausländische Betriebsstättengewinne von der Freistellungsmethode aus (Rz. 19.521). Insbesondere die jüngere deutsche Abkommenspolitik schränkt jedoch die grds. Steuerfreistellung ausländischer Betriebsstättengewinne (hier: Einbringungsgewinn) im Wege abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalte (Rz. 19.515)5 oder Subject-to-Tax-Klauseln (Rz. 19.522)6 ein.7 Enthält das einschlägige DBA eine Aktivitätsklausel, so ist Deutschland berechtigt, auf den Einbringungsgewinn anstatt der Freistellungsmethode die Anrechnungsmethode anzuwenden,8 wenn in der ausländischen Betriebsstätte vor der Einbringung keine „aktive“ Tätigkeit im Sinne der Aktivitätsklausel ausgeübt wurde.9 Jenseits dessen stellt sich die Frage, ob bei Steuerfreiheit der Umwandlung im ausländischen (Belegenheits-)Staat die abkommensrechtliche Freistellung des Einbringungsgewinns mangels „tatsächlicher Besteuerung“ im anderen Vertragsstaat durch eine Subject-to-Tax-Klausel suspendiert werden kann.10 Bezieht man zutreffend die (voraussichtliche) spätere Besteuerung der stillen Reserven im ausländischen Staat im Fall der tatsächlichen Veräußerung in die Betrachtung mit ein,11 finden die abkommensrechtlichen Subject-to-TaxKlauseln auch bei Umwandlungen zu Buchwerten keine Anwendung.12 Dies dürfte auch den Erwägungen in dem zur Anwendung von Subject-to-Tax-Klauseln veröffentlichten BMF-

1

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Rz. 76; Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20. Die Beurteilung kann im Einzelfall für die Anwendbarkeit einer sog. Aktivitätsklausel oder einer Anrechnung etwaiger ausländischer Steuern von Bedeutung sein, vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.27; Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerecht, Rz. 6.20 mit Fn. 1. Bspw. Art. 22 Abs. 1 DBA-Zypern. Im Regelfall wird die Anrechnungsmethode nur für bestimmte Einkünfte vereinbart, vgl. Rz. 19.552. Insoweit kann regelmäßig offenbleiben, ob die Umwandlung abkommensrechtlich eine Veräußerung darstellt, da die Rechtsfolgen von Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA i.V.m. Art. 23 Abs. 1 OECD-MA aus Sicht des Ansässigkeitsstaat grds. übereinstimmen. Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 87 ff. Ausf. allg. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B OECD-MA Rz. 73 ff. Zu deren Anwendung im Bereich von Umwandlungen ausf. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59 ff. Mit der Folge der uneingeschränkten Besteuerung, da der ausländische Staat die Umwandlung zum Buchwert zulässt. Vgl. Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/ Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.126. Hierzu Heurung/Engel in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 5.59; Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.132 ff.; Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 ff. Vgl. Schönfeld, IStR 2013, 757 (759); Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Schönfeld/Häck, ISR 2013, 168 (174); Mouldi/Loose, IStR 2012, 829 (833 f.). A.A. Hruschka/Schicketanz, ISR 2015, 164 (166 ff.) unter Hinweis auf die unterschiedlichen Steuerpflichtigen und eine fehlende Doppelbesteuerung im abkommensrechtlichen Sinne.

Häck | 1083

Kap. 20 Rz. 20.172 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

Schreiben v. 20.6.20131 entsprechen.2 Hingegen hat der BFH zu den (wenigen) sog. Quellenregeln3 im Zusammenhang mit einem Formwechsel unter Buchwertfortführung den Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland bejaht.4 Ungeachtet der abkommensrechtlichen Regelungen können im Einzelfall auch die innerstaatlichen Vorbehaltsklauseln (z.B. § 20 Abs. 2 AStG) zum Tragen kommen.

20.173

Soweit nicht in Deutschland ansässige Gesellschafter beteiligt sind, ist die Verschmelzung insgesamt nicht der deutschen Besteuerung unterworfen, und zwar selbst für den Fall nicht, dass die Anteile an der ausländischen Personengesellschaft zu einem inländischen Betriebsstättenvermögen des beschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters gehören.5

4. Verschmelzung von ausländischen Personengesellschaften auf ausländische Personengesellschaften 20.174

Die Verschmelzung zwischen ausländischen Personengesellschaften richtet sich ausschließlich nach den Regeln des maßgeblichen ausländischen Umwandlungsrechts. Die Verschmelzung fällt sachlich in den Anwendungsbereich des UmwStG, wenn sie der Verschmelzung von inländischen Personengesellschaften vergleichbar ist (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 UmwStG).6 Die Steuerfolgen richten sich nach § 24 UmwStG, so dass besondere persönliche Voraussetzungen – v.a. ein spezifischer EU-/EWR-Bezug – nicht zu erfüllen sind (§ 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG).7 Auswirkungen auf die deutsche Besteuerung hat der verschmelzungsbedingte Vermögensübergang nur dann, wenn unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind oder im Zuge der Verschmelzung inländisches Betriebsstättenvermögen übergeht.

20.175

Der verschmelzungsbedingte Transfer inländischen Betriebsstättenvermögens zwischen zwei ausländischen Personengesellschaften führt bei Buchwertfortführung gem. § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG antragsgemäß zu keiner steuerwirksamen Gewinnrealisierung, soweit das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des übergehenden Betriebsvermögens nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Das gilt unabhängig davon, ob an der übertragenden ausländischen Personengesellschaft unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind oder ein DBA eingreift oder nicht.8 Geht im Zuge der Verschmelzung ausländisches Betriebsstättenvermögen über, so wird das deutsche Besteuerungsrecht in aller Regel ebenfalls nicht ausgeschlossen oder beschränkt: Sind unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter an der übertragenden ausländischen Personengesellschaft beteiligt und greift ein DBA nicht ein, bleibt das deutsche Besteuerungsrecht uneingeschränkt erhalten. In allen anderen Fällen werden die in dem übergehenden Betriebsstättenvermögen ruhenden stillen Reserven von deutscher Besteuerung im Grundsatz nicht erfasst: Bei unbeschränkt

1 BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980. 2 Insoweit lassen sich Buchwerteinbringungen als (unschädliche) „temporäre“ oder „permanente Differenz“ einstufen, vgl. BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980, Rz. 2.3; Gebhardt/Reppel, IStR 2013, 760 (763 f.); Lüdicke, IStR 2013, 721 (728). 3 Diese sehen vor, dass Einkünfte (nur dann) aus dem anderen Vertragsstaat „stammen“, wenn sie dort (effektiv) besteuert wurden, hierzu ausf. Schönfeld/Häck in S/D2, Art. 23A/B Rz. 75. 4 BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953 zu Prot. Nr. 16 Buchst. d zum DBA-Italien. 5 BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663. 6 Zu den Vergleichskriterien s. ausf. Rz. 20.144 ff. 7 Hierzu Patt in D/P/M, § 24 UmwStG Rz. 17. 8 Vgl. auch Prinz in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 9.10. In Abkommensfällen greift das Betriebsstättenprinzip (Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA) ein.

1084 | Häck

D. Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug | Rz. 20.179 Kap. 20

steuerpflichtigen Gesellschaftern in Abkommensfällen deshalb nicht, weil nach dem abkommensrechtlichen Betriebsstättenprinzip (Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 OECD-MA) die Besteuerung ausschließlich dem ausländischen Betriebsstättenstaat zugewiesen ist, und bei beschränkter Steuerpflicht nicht, weil die entsprechenden Betriebsstättengewinne keine inländischen Einkünfte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG1 sind.

III. Spaltung Die Spaltung ausländischer Rechtsträger erfolgt ausschließlich nach Maßgabe des ausländischen Rechts. Steuerliche Auswirkungen in Deutschland ergeben sich, soweit an der Spaltung unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter (soweit deren Anteile einem inländischen Betriebsstättenvermögen zuzurechnen sind) beteiligt sind und soweit spaltungsbedingt inländisches Betriebsstättenvermögen übergeht.2

20.176

Umwandlungssteuerrechtlich wird die Auf- und Abspaltung von Kapitalgesellschaften auf Kapital- oder Personengesellschaft grds. als Teilverschmelzung behandelt3, so dass im Anwendungsbereich des UmwStG die spaltungsbedingten Steuerfolgen beim übertragenden und übernehmenden Rechtsträger sowie auf Gesellschafterebene denen bei einer Verschmelzung (dazu Rz. 20.148 ff.) im Wesentlichen entsprechen. Ist der sachliche Anwendungsbereich des UmwStG eröffnet, gelten die für die Verschmelzung maßgeblichen Vorschriften und damit auch die dort genannten Entstrickungsklauseln, also insbesondere § 15 Abs. 1 Satz 1 UmwStG i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG sowie § 16 Satz 1 UmwStG i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 4 Abs. 4 Satz 2, § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG. Seit der Erweiterung des § 1 UmwStG durch das KöMoG4 sind auch Spaltungen von Drittstaatenkapitalgesellschaften vom Anwendungsbereich des UmwStG grds. erfasst.5 Für die Spaltung von Personengesellschaften sind im sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des UmwStG (§ 1 Abs. 3 und Abs. 4 UmwStG) die Einbringungsvorschriften des UmwStG (§ 20, § 21, § 24 UmwStG) verbindlich, die zugleich auch für die Verschmelzung von Personengesellschaften auf Kapitaloder Personengesellschaften anwendbar sind. Damit greifen auch hier die gleichen Entstrickungsklauseln ein6 wie bei den entsprechenden Verschmelzungen.

20.177

Einstweilen frei.

20.178

IV. Formwechsel Der Formwechsel ausländischer Rechtsträger ist allein dem ausländischen Recht unterworfen. Nach deutschem Steuerrecht zu besteuernde Einkünfte entstehen allenfalls dann, wenn an den beteiligten ausländischen Rechtsträgern unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind, soweit letztere ihre Gesellschaftsanteile in einem inländischen Betriebsstättenvermögen halten. Darüber hinaus entstehen der deutschen Besteuerung unterliegende Einkünfte, soweit die formwechselnden ausländischen Rechtsträger inländisches Betriebsstättenvermögen haben. BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663. Ausf. Becker/Loose, IStR 2010, 383 ff. Schumacher in R/H/vL3, § 15 UmwStG Rz. 4; Asmus in H/M5, § 15 UmwStG Rz. 3. Die geänderte Rechtslage gilt für Umwandlungen, deren steuerlicher Übertragungsstichtag nach dem 31.12.2021 liegt, vgl. § 27 Abs. 18 UmwStG i.d.F. v. 25.6.2021 (BGBl. I 2021, 2050). 5 Siehe zur bisherigen Rechtslage die Vorauflage, Rz. 20.178. 6 § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, § 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG.

1 2 3 4

Häck | 1085

20.179

Kap. 20 Rz. 20.180 | Internationales Umwandlungssteuerrecht

20.180

Ist der Formwechsel ausländischer Rechtsträger nach den durch das ausländische Recht vorgegebenen Rechtsstrukturen identitätswahrend in dem Sinne, dass kein Vermögen übergeht, so unterbleibt auf Gesellschaftsebene eine Gewinnrealisierung und auf Gesellschafterebene ein Anteilstausch, sofern der Formwechsel nicht rechtsformüberschreitend erfolgt.1 Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist daher der Formwechsel innerhalb von Kapitalgesellschaften und innerhalb von Personengesellschaften ertragsteuerlich ohne Bedeutung.

20.181

Ist dagegen der Formwechsel rechtsformüberschreitend ausgestaltet, ist zu differenzieren: Die für den rechtsformüberschreitenden Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft anwendbare Vorschrift des § 25 UmwStG gilt nur, wenn der umzuwandelnde Rechtsträger eine nach den Rechtsvorschriften eines EU-/EWR-Staates gegründete Gesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung im EU-/EWR-Bereich ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG), die besonderen Voraussetzungen auf Gesellschafterebene erfüllt sind (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 UmwStG) und zudem der ausländische mit dem inländischen Formwechsel vergleichbar ist (vgl. § 25 Satz 1 UmwStG).2 Als umwandlungssteuerrechtlicher Formwechsel (§ 25 UmwStG) ist auch die Option zur Besteuerung einer Personengesellschaft wie eine Kapitalgesellschaft nach § 1a KStG konzipiert.3 Mit Wirksamwerden der Option ergeben sich daher im Grundsatz die gleichen Fragestellungen wie bei einem echten Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft mit Auslandsbezug.4 Für den rechtsformüberschreitenden Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft bestehen seit der Erweiterung des § 1 UmwStG durch das KöMoG5 die Beschränkung auf EU-/EWR-Fälle oder besondere Voraussetzungen auf Gesellschafterebene indes nicht.

20.182

Für Zwecke der Besteuerung wird hiernach, in Abweichung von der nach ausländischem Handelsrecht etwa als identitätswahrend konzipierten Regelung, ein Vermögensübergang fingiert. Diese Fiktion ist systembedingt: Während das von Kapitalgesellschaften erwirtschaftete Einkommen auf Gesellschaftsebene der Körperschaftsteuer und nach Ausschüttung auf Gesellschafterebene der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer unterliegt, ist der von Personengesellschaften erzielte Gewinn oder Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten nur der Besteuerung auf Gesellschafterebene ausgesetzt. Indessen führt nicht nur ein Formwechsel nach Maßgabe des UmwG zu einem steuerlichen Systemwechsel. Gleiches gilt auch bei einem Formwechsel ausländischer Rechtsträger nach Maßgabe des ausländischen Umwandlungsrechts. Hieraus folgt, dass der Formwechsel ausländischer Kapitalgesellschaften in ausländische Personengesellschaften und von ausländischen Personengesellschaften in ausländische Kapitalgesellschaften aus der Sicht des deutschen Steuerrechts als Umwandlung mit Vermögensüber-

1 Hierzu Ritzer in R/H/vL3, Anh. 6 Rz. 97. 2 Zu § 9 UmwStG s. Möhlenbrock in D/P/M, § 9 UmwStG Rz. 7; zu § 25 UmwStG s. Patt in D/P/M, § 25 UmwStG Rz. 16. Die Vergleichbarkeit ist nach Verwaltungsauffassung nur sichergestellt, wenn nach dem ausländischen Recht mit dem Formwechsel keine Auflösung der Gesellschaft ohne Abwicklung verbunden ist, weshalb bspw. die „errichtende Umwandlung“ nach österreichischem Recht aus deutscher Sicht einer Verschmelzung gleichgestellt wird (BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 01.39; zu den Gegenargumenten Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 6.103). 3 BMF v. 10.11.2021 – IV C 2 - S 2707/21/10001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rz. 24 ff. 4 Zu Einzelheiten s. Böhmer/Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 ff. 5 Die geänderte Rechtslage gilt für Umwandlungen, deren steuerlicher Übertragungsstichtag nach dem 31.12.2021 liegt, vgl. § 27 Abs. 18 UmwStG i.d.F. v. 25.6.2021 (BGBl. I 2021, 2050).

1086 | Häck

D. Ausländische Umwandlungen mit Inlandsbezug | Rz. 20.182 Kap. 20

tragung zu qualifizieren ist.1 Im Hinblick darauf gelten insoweit die für die Verschmelzung der jeweiligen ausländischen Rechtsträger geltenden Vorschriften entsprechend: Für den Formwechsel einer ausländischen Kapitalgesellschaft in eine ausländische Personengesellschaft sind über § 9 UmwStG im Wesentlichen § 3 UmwStG für den Übertragungsgewinn und § 4 UmwStG für den Übernahmegewinn anzuwenden. Für den Formwechsel einer ausländischen Personengesellschaft in eine ausländische Kapitalgesellschaft im EU-/EWR-Bereich sind über § 25 UmwStG entsprechend die §§ 20 bis 23 UmwStG anwendbar.2 Handelt es sich demgegenüber um einen Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft in Drittstaaten, greifen die allgemeinen steuerlichen Grundsätze ein, so dass insoweit sowohl auf Gesellschafts- als auch auf Gesellschafterebene von einer gewinnrealisierenden Übertragung auszugehen ist.3

1 Ritzer in R/H/vL3, Anh. 6 Rz. 96; Birkemeier in R/H/vL3, § 9 UmwStG Rz. 26; Schaumburg, GmbHR 1996, 668 (671). 2 Vgl. hierzu die Beispielfälle bei Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 15.86 ff. und 15.109 ff. 3 Jäschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 160; s. aber zur Anwendung von § 12 Abs. 1 KStG beim Formwechsel ausländischer Kapital- in Personengesellschaften Benecke/Schnittker in W/R/S, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht2, Rz. 13.103.

Häck | 1087

Kapitel 21 Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung

A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten I. Allgemeine Hinweise 1. Übersicht über das Regelungsgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Buchführungspflichten . . . . . . . 3. Hilfs- und Nebenrechnung/Aufzeichnungsverpflichtung . . . . . II. Duale Einkünftezuordnung 1. Anwendungsbereiche . . . . . . . . 2. Erwirtschaftungsprinzip a) Methoden . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahme: Gewinnrealisation bei Innentransaktionen c) Aufwands- und Ertragszuordnung aa) Überlassung von Finanzmitteln . . . . . . . bb) Überlassung von Wirtschaftsgütern zur Nutzung . . . . . . . . . . . . . . cc) Erbringung von Dienstleistungen . . . . . . . . . . dd) Kosten der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . ee) Überführung von Anlagevermögen . . . . ff) Warenlieferungen . . . . 3. Entgeltsprinzip a) Rechtsgrundlagen . . . . . . . b) Zweistufige Vorgehensweise c) Zuordnungsregelungen im Überblick aa) Zuordnung von Personalfunktionen . . . . . bb) Zuordnung von Vermögenswerten (1) Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter . . . . . (2) Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter . . (3) Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen u.ä. Vermögenswerten (4) Zuordnung von sonstigen Vermögenswerten

1088 | Schaumburg/Puls

21.1

21.16 21.25 21.31 21.35 21.37 21.40

C. I. II. III.

21.46 D. 21.53 21.56

I. II.

21.57 21.59 21.64 21.66 21.68

21.72

21.74 21.78 21.80 21.82

III.

cc) Zuordnung von Chancen und Risiken . . . . . dd) Dotationskapital . . . . . d) Anzunehmende schuldrechtliche Beziehung . . . . 4. Zeitliche Zuordnung . . . . . . . . 5. Sonderfälle a) Vertreterbetriebsstätte . . . b) Geschäftsleitungsbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bau- und Montagebetriebsstätten . . . . . . . . . . Einkünftezuordnung bei Personengesellschaften Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkunftsartenzuordnung . . . . . . . Einkünftezuordnung 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einkünftekorrektur . . . . . . . . . Einkünftezuordnung bei Kapitalgesellschaften Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . Korrekturregeln 1. Verdeckte Gewinnausschüttung 2. Verdeckte Einlage . . . . . . . . . . . 3. Berichtigung von Einkünften (§ 1 AStG) . . . . . . . . . . . . . . . . Korrekturmaßstäbe 1. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . 2. Ermittlung angemessener Verrechnungspreise . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereiche a) Überblick . . . . . . . . . . . . . b) Funktionsverlagerungen . . c) Warenlieferungen . . . . . . . d) Dienstleistungen . . . . . . . . e) Konzerninterne Finanzierungsbeziehungen . . . . . . f) Geschäftsvorfälle mit immateriellen Werten . . . . . . 4. Vorwegauskünfte (Vorabverständigungsverfahren) nach § 89a AO . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21.83 21.86 21.92 21.95 21.100 21.105 21.110

21.114 21.117 21.122 21.123

21.136 21.138 21.151 21.159 21.180 21.182 21.197 21.198 21.203 21.212 21.229 21.237

21.244

A. Grundlagen | Rz. 21.1 Kap. 21

A. Grundlagen Literatur: Amann, Zur Systematik der Ermittlung ausländischer Einkünfte, DB 1997, 796; Debatin, Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1; Eder/ Dehn, Sind Verrechnungspreisanpassungen zollwertrechtlich relevant?, BB 2019, 1238; Merkenich, Die unterschiedlichen Arten der Einkünfteermittlung im deutschen Einkommensteuerrecht, Berlin 1982; Raupach, Die Frage der Zurechnung im Steuerrecht als Problem der Tatbestandsverwirklichung, in FS für Beisse, Düsseldorf 1997, 403; Roth/Rinnert, Zur Berücksichtigung von Verrechnungspreisen bei der Ermittlung des Zollwerts, DStR 2018, 2090; Ruppe, Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung von Einkunftsquellen als Problem der Zurechnung, DStJG 1 (1979), 7 ff.; Schaumburg, Das Nettoprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Tipke/Seer/Hey/Englisch (Hrsg.), Gestaltung der Steuerrechtsordnung, FS für Lang, Köln 2010, 1099; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht, in Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS für Tipke, Köln 1995, 125; Schöneborn, Verrechnungspreise vs. Zoll – was ist nach dem EuGH-Urteil „Hamamatsu“ zu tun?, BB 2019, 2971; Stein/Schwarz/Hundebeck, EuGH – Vorabentscheidungsverfahren: Ist der ertragsteuerliche Fremdvergleichsgrundsatz maßgeblich für die Zollwertermittlung?!, IStR 2017, 468; Tipke, Die dualistische Einkünfteermittlung nach dem EStG, FS für Paulick, Köln 1973, 391; Tipke, Übertragung von Einkunftsquellen, StuW 1977, 293 ff.; Zimmermann, Das Problem der Gerechtigkeit in der Einkommensbesteuerung, dargestellt und untersucht an den Beispielen der Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus nichtselbständiger Arbeit, Frankfurt/M. 1978.

Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer ist das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs. 5 EStG), das als disponibles Einkommen Maßstab objektiver und subjektiver Leistungsfähigkeit ist.1 Die objektive Leistungsfähigkeit artikuliert sich in der Summe der Einkünfte (§ 2 Abs. 1 bis 3 EStG), die im Rahmen unbeschränkter Steuerpflicht die weltweiten Einkünfte (Welteinkommen) erfasst. Im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht wird dagegen das Territorialitätsprinzip und damit die objektive Leistungsfähigkeit lediglich partiell verwirklicht (Rz. 6.126 ff.). Obwohl auch für beschränkt Steuerpflichtige das zu versteuernde Einkommen Bemessungsgrundlage ist, handelt es sich hierbei tatsächlich aber nicht um durchgehend disponibles Einkommen, weil die die subjektive Leistungsfähigkeit berücksichtigenden privaten Abzüge aufgrund der für beschränkt Steuerpflichtige geltenden Sondervorschrift des § 50 Abs. 1 EStG weitgehend unberücksichtigt bleiben.2 Mit diesem dualistischen Konzept korrespondiert das objektive3 und subjektive (private)4 Nettoprinzip, wonach Erwerbsaufwendungen5 und Verluste ebenso Berücksichtigung finden wie unvermeidbare Privatausgaben.6 Dieses Nettoprinzip gilt im Grundsatz für die unbeschränkte und beschränkte Steuerpflicht

1 Zusammenfassend Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 619 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 3.40 ff., Rz. 8.42 f. sowie G. Kirchhof in H/H/R, Einf. ESt. Rz. 230 ff. m.w.N.; zum Leistungsfähigkeitsprinzip im Internationalen Steuerrecht Schaumburg in FS Tipke, 125 ff. 2 Ausnahme fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht (§§ 1 Abs. 3, 1a EStG); vgl. Rz. 6.129 ff. 3 Zum objektiven Nettoprinzip im Überblick: Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 763 ff.; G. Kirchhof in H/H/R, Einf. EStG Rz. 295 ff.; Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 503 ff. 4 Zum subjektiven Nettoprinzip im Überblick: Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 784 ff.; Söhn in K/S/M, § 10 EStG Rz. A 17; G. Kirchhof in H/H/R, Einf. ESt. Rz. 280 ff. 5 Betriebsausgaben/Werbungskosten (§§ 4 Abs. 4; 9 EStG). 6 Zusammenfassend Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.42 f. sowie G. Kirchhof in H/H/R, Einf. ESt. Rz. 232 ff.

Schaumburg/Puls | 1089

21.1

Kap. 21 Rz. 21.1 | Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung

gleichermaßen.1 Indessen enthält das Einkommensteuergesetz zahlreiche Durchbrechungen,2 die im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht eine ungleich größere Reichweite haben (Rz. 6.132 ff.).

21.2

Da das Einkommensteuergesetz das Einkommensteuerobjekt auf sieben Einkunftsarten begrenzt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EStG), die in Gewinneinkünfte (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) und Überschusseinkünfte (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG) dualistisch gespalten sind,3 bedarf es stets einer Abgrenzung der Einkunftsarten gegeneinander. Das Erfordernis der Zuordnung von Einkünften zu einer bestimmten Einkunftsart gilt sowohl für die unbeschränkte als auch für die beschränkte Steuerpflicht. So ist die Einkunftsartenzuordnung (Rz. 6.104 ff.) bedeutsam für die Qualifikation als ausländische (§ 34d EStG) und inländische (§ 49 Abs. 1 EStG) Einkünfte. Das Internationale Steuerrecht erfordert damit ebenfalls eine Einkunftsartenabgrenzung (Einkünftequalifikation).

21.3

Die Einkünfteermittlung folgt dem Konzept der dualistisch gespaltenen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 EStG),4 so dass die Gewinneinkünfte (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) entweder durch Betriebsvermögensvergleich (§§ 4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 EStG) oder durch EinnahmeÜberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) und die Überschusseinkünfte durch den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§§ 8, 9 und 9a EStG) zu ermitteln sind. Der Dualismus der Einkünfteermittlung gilt unterschiedslos bei unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht, wobei allerdings die sich aus § 50 Abs. 1 EStG ergebenden Modifikationen zu berücksichtigen sind. Die Einkünfteermittlungsvorschriften gelten ferner ohne Rücksicht darauf, wo und wann die betreffenden Einkünfte erzielt werden. Hieraus folgt, dass sowohl ausländische Einkünfte für die deutsche unbeschränkte Steuerpflicht als auch inländische Einkünfte für Zwecke der beschränkten Steuerpflicht nach Maßgabe der deutschen Einkünfteermittlungsvorschriften zu ermitteln sind.5 Soweit es um Gewinneinkünfte geht, gilt hierfür im Rahmen des Betriebsvermögensvergleichs eine zweistufige Gewinnermittlung, wonach der auf der ersten Stufe ermittelte Unterschiedsbetrag um Hinzurechnungen und Kürzungen auf der zweiten Stufe korrigiert wird. Hierzu das folgende Ermittlungsschema:6

1 Speziell zum subjektiven und objektiven Nettoprinzip im Internationalen Steuerrecht Schaumburg in FS Lang, 1099 ff. 2 Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Rechtssystematische Grundlagen steuerlicher Leistungsfähigkeit, 71 ff.; eine Aufzählung der Durchbrechungen findet sich bei Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 503. 3 Zum Dualismus der Einkunftsarten Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 520 ff. 4 Zu Einzelheiten der dualistischen Einkünfteermittlung Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 520 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 765 ff.; vgl. auch Hey in Tipke/Lang24, Rz. 11.2; zu verfassungsrechtlichen Aspekten im Überblick Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 528; zu Einzelheiten insbesondere Merkenich, Die unterschiedlichen Arten der Einkünfteermittlung im deutschen Einkommensteuerrecht; Zimmermann, Das Problem der Gerechtigkeit in der Einkommensbesteuerung, dargestellt und untersucht an den Beispielen der Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus nichtselbständiger Arbeit; Tipke in FS Paulick, 391 ff. 5 BFH v. 13.9.1989 – I R 117/87, BStBl. II 1990, 57; v. 22.5.1991 – I R 32/90, BStBl. II 1992, 94; v. 1.10.1992 – I B 42/92, I B 43/92, I B 42/92, I B 43/92, BFH/NV 1993, 156; Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.9; Amann, DB 1997, 796 (796); zu europarechtlichen Problemen Schönfeld/Quilitzsch in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 12.1 ff. 6 Vgl. R 2.1 EStR und R 7.1 KStR.

1090 | Schaumburg/Puls

A. Grundlagen | Rz. 21.5 Kap. 21 Verkürztes Schema der zweistufigen Gewinnermittlung 1. Stufe Betriebsvermögen (= Eigenkapital) am Schluss des Wirtschaftsjahres –

Betriebsvermögen (= Eigenkapital) am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres

=

Unterschiedsbetrag (Gewinn/Verlust 1. Stufe)

2. Stufe Unterschiedsbetrag (= Gewinn/Verlust 1. Stufe) +

Entnahmen



Einlagen

+

verdeckte Gewinnausschüttungen



verdeckte Einlagen

+

Korrekturbetrag nach § 1 AStG

+

nicht abziehbare Betriebsausgaben

+/–

weitere Hinzurechnungen und Kürzungen i.S. der R 7.1 Abs. 1 Satz 2 KStR 2015

+/–

Gegenberichtigungen

=

Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (Gewinn/Verlust 2. Stufe)

Von besonderer Bedeutung sind im internationalen Kontext die auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe angesiedelten Einkünftekorrekturen, die insoweit zugleich auch der Einkünftezuordnung dienen. Die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens macht auch eine zeitliche Zuordnung sowie eine persönliche Zurechnung der Einkünfte erforderlich (Rz. 6.101 ff.).1 Die allgemeinen Regeln für diese subjektive Einkünftezuordnung ergeben sich unmittelbar aus § 2 Abs. 1 EStG, wonach die Einkünfte regelmäßig dem Steuerpflichtigen persönlich zuzurechnen sind, der sie erzielt. Den konkreten Tatbestand der Einkunftserzielung erfüllt, wer etwa die Einkünfte aufgrund seiner Betätigung oder seines Vermögenseinsatzes unter Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr erwirtschaftet.2 Auch diese subjektive Einkünftezuordnung gilt im Rahmen der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht gleichermaßen, also ohne Rücksicht darauf, ob die Einkünfte im Inland oder im Ausland erzielt werden.

21.4

Das Internationale Steuerrecht verlangt schließlich innerhalb einer jeden Einkunftsart eine Abgrenzung zwischen ausländischen/inländischen Einkünften von den übrigen Einkünften. Die Zuordnung zu ausländischen Einkünften ist für unbeschränkt steuerpflichtige Personen im Hinblick auf Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (z.B. §§ 34c und 34d EStG) erforderlich. Demgegenüber knüpft die beschränkte Steuerpflicht nur an inländische Einkünfte (§ 49 Abs. 1 EStG) an. Diese internationale Einkünftezuordnung (Einkünfteabgrenzung) erfolgt entweder bei ein und demselben Steuerpflichtigen – etwa bei der Ausgrenzung von Betriebsstättengewinnen aus dem Gesamtgewinn des Stammhauses für Zwecke des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG sowie für Zwecke der Steuerentstrickung und Steuerverstrickung gem.

21.5

1 Zu Einzelheiten Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 100 ff.; zur zeitlichen Zuordnung vgl. auch Rz. 21.95 ff. 2 Hierzu Kirchhof in K/S/M, § 2 EStG Rz. A 77 ff.; Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 100 ff.; Hey in Tipke/Lang24, Rz. 8.150 ff.; Tipke, StuW 1977, 293 ff.; Ruppe, DStJG 1 (1979), 7 ff.; Raupach in FS Beisse, 403 (408 ff.).

Schaumburg/Puls | 1091

Kap. 21 Rz. 21.5 | Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung

§ 4 Abs. 1 Sätze 3, 4 und 8 EStG – oder aber bei verschiedenen Steuerpflichtigen, so z.B. bei verbundenen Unternehmen wegen Anwendung des § 1 AStG.

21.6

Die Einkünfteabgrenzung bei ein und demselben Steuersubjekt, etwa zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte, und zwischen verschiedenen Steuersubjekten bedingt nicht selten eine Einkünftekorrektur. Zu den Einkünftekorrekturnormen gehören bei der Einkünftezuordnung von Betriebsstätten (Rz. 21.16 ff.) insbesondere §§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, 4g EStG (§ 12 Abs. 1, 1a KStG); §§ 16 Abs. 3, 36 Abs. 5 EStG; § 1 Abs. 5 AStG, soweit es um eine Einkünfteerhöhung geht, und § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG (§ 8 Abs. 1 KStG), wenn die Korrektur einkünftemindernd erfolgt. Bei der Einkünftezuordnung von Personengesellschaften (Rz. 21.134 ff.) kommen §§ 4 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1 Sätze 3 und 4; 4g EStG (§ 12 Abs. 1, 1a KStG), §§ 16 Abs. 3, 36 Abs. 5 EStG, §§ 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 AStG für den Fall der Einkünfteerhöhung und § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG bei einer Einkünfteminderung in Betracht. Bei der Einkünftezuordnung von Kapitalgesellschaften stehen als einkünfteerhöhende Einkünftekorrekturnomen §§ 8 Abs. 3 Satz 2, Abs. 3 Satz 3; 12 Abs. 1, 1a KStG und § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5, § 1a AStG im Vordergrund und § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG und § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG, wenn es um eine Einkünfteminderung geht.

21.7

Die vorstehenden Einkünftekorrekturnomen stehen, soweit sie sich nicht gegenseitig ausschließen,1 hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen in Konkurrenz zueinander. Eine gesetzliche Regelung des Konkurrenzverhältnisses enthält lediglich § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 4 AStG. Das bedeutet im Grundsatz, dass zwar die verschiedenen Rechtsfolgen nebeneinander, aber nur einmal im Sinne eines Entweder/Oder angesetzt werden dürfen. Eine Ausnahme hiervon enthält § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG, wonach die Rechtsfolge von § 1 AStG dann neben den Rechtsfolgen anderer Einkünftekorrekturnomen anwendbar ist, wenn diese zu einer weitergehenden Berichtigung führt (Rz. 21.159). Auf die jüngste Rechtsprechung des BFH, dass – anders als nach Auffassung der Finanzverwaltung – kein Vorrangverhältnis einer vGA gegenüber der Korrekturvorschrift des § 1 AStG besteht, ist hier bereits hinzuweisen.2

21.8

Einkunftsartenzuordnung, Einkünfteermittlung und subjektive Einkünftezuordnung des Einkommensteuerrechts finden ihre Parallele auch in DBA. Dort geht es vor allem um die Zuordnung der Einkünfte zu den einzelnen Verteilungsnormen. Während hierfür die DBA weitgehend eigenständige Regelungen vorsehen, wird für Zwecke der subjektiven Einkünftezuordnung und der Einkünfteermittlung durchweg auf das jeweilige innerstaatliche Recht verwiesen.3 Soweit es um die Einkünftekorrektur geht, ist Art. 9 OECD-MA, der gegenüber den nationalen Einkünftekorrekturnomen Schrankenwirkung entfaltet,4 von besonderer Bedeutung (Rz. 19.289 ff.).

21.9

Die vorstehenden Grundsätze gelten uneingeschränkt für natürliche Personen und darüber hinaus mit Modifikationen auch für Mitunternehmerschaften, die zwar keine Steuersubjekte

1 Etwa verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) und verdeckte Einlage (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG). 2 BFH v. 27.11.2018 – I R 40/19 (I R 14/16), BFH/NV 2020, 1307 = ISR 2020, 380. 3 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 49; Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 55 ff.; Weggenmann/Nehls in V/L7, Art. 1 OECD-MA Rz. 64 ff.; 65a u. 65c; Debatin, DStR 1992, Beihefter zu Heft 23, 1 (4 f.); Lang, SWI 1998, 216; Kinzl, IStR 2007, 561. 4 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; Nichtanwendungserlass: BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455.

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A. Grundlagen | Rz. 21.12 Kap. 21

i.S.v. § 1 Abs. 1 EStG und § 1 Abs. 1 KStG, dafür aber Subjekte der Einkünfteerzielung sind.1 Sie erfüllen somit selbst die erforderlichen Merkmale des Steuertatbestandes, wobei auf einer nachgelagerten Stufe sodann die Zurechnung auf die beteiligten Mitunternehmer (Gesellschafter) erfolgt. Wegen der gesetzestechnischen Verknüpfung (§ 8 Abs. 1 KStG) und dem im Übrigen durchaus vergleichbaren Regelungsgefüge, kommen die für natürliche Personen geltenden Zuordnungsregeln und die Regeln der Einkünfteermittlung bei der Körperschaftsteuer ebenfalls im Grundsatz zur Anwendung, wobei allerdings Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Zu ihnen gehört etwa die in § 8 Abs. 2 KStG verankerte Regelung, wonach insbesondere unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften stets Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen, so dass insoweit die für die Einkommensteuer typische dualistische Einkünfteermittlung nicht gilt.2 Aus dieser Gewerblichkeitsfiktion folgt u.a., dass Kapitalgesellschaften keine außerbetriebliche Sphäre haben, so dass von ihnen der Entnahmetatbestand nicht erfüllt werden kann.3

21.10

Im Hinblick darauf, dass bei der Gewerbesteuer der nach den Regeln des EStG/KStG ermittelte Gewinn in den Gewerbeertrag eingeht (§ 7 Satz 1 GewStG), sind die oben genannten Zuordnungsregeln (Rz. 21.4 ff.) und die für die Einkünfteermittlung maßgeblichen Regeln (Rz. 21.3) auch insoweit zur Anwendung zu bringen. Besonderheiten ergeben sich allerdings aus dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer (Rz. 9.1), aufgrund dessen z.B. nur die aus einem bestehenden und auch betriebenen Gewerbetrieb stammenden Erträge erfasst werden,4 die um Hinzurechnungen (§ 8 GewStG) und Kürzungen (§ 9 GewStG) erhöht bzw. vermindert werden.

21.11

Im Unterschied zu den Ertragsteuern ist bei der Umsatzsteuer (Rz. 10.1 ff.) eine Korrektur der Bemessungsgrundlage (Entgelt) wegen Unangemessenheit des vereinbarten Entgelts (§ 10 Abs. 1 UStG) nicht vorgesehen. Es kommt im Grundsatz nur auf das tatsächlich entrichtete Entgelt an, so dass ohne Bedeutung ist, ob dieses dem Fremdvergleichsgrundsatz (Rz. 21.182) entspricht.5 Eine Korrektur ist allerdings in Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 5 UStG) möglich, wenn etwa Lieferungen einer Kapitalgesellschaft an ihre Gesellschafter zu einem Entgelt erfolgen, das unter dem Einkaufspreis, den Selbstkosten bzw. entstandenen Kosten liegt (§ 10 Abs. 4 UStG). In diesem Fall wird das tatsächliche Entgelt korrigiert, wobei diese Sonderregelung darauf gerichtet ist, Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung zu vermeiden.6 Davon kann freilich keine Rede sein, wenn das marktübliche Entgelt die

21.12

1 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751 (761); v. 12.10.1989 – IV R 5/86, BStBl. II 1990, 168. 2 Anders bei beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften; hierzu Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 645. 3 BFH v. 22.1.1997 – I R 64/96, BStBl. II 1998, 548; v. 7.11.2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861; v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961; v. 16.1.2014 – I R 21/12, BStBl. II 2014, 531; anders dagegen für beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften BFH v. 7.11.2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861, Rz. 23, zu weiteren Besonderheiten im Überblick Desens in H/H/R, Einf. KSt Rz. 80. 4 Roser in L/S, § 7 GewStG Rz. 297 ff. 5 Stadie3, § 10 UStG Rz. 7, 10; Puls in W/B, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 11.48; Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. A 390; Heber, MwStR 2015, 372 (373); vgl. auch EuGH v. 20.1.2005 – C-412/03, ECLI:EU:C:2005:47 = Slg. 2005, I-743, Rz. 22 – Scandic; v. 9.6.2011 – C-285/10, ECLI:EU:C:2011:381 = Slg. 2011, I-5029, Rz. 25 – Campsa Estaciones de Servicio; BFH v. 6.5.2010 – V R 15/09, BStBl. II 2011, 142. 6 EuGH v. 29.5.1997 – C-63/96, ECLI:EU:C:1997:263 = Slg. 1997, I-2847 – Skripale; v. 26.4.2012 – C-621/10 u. C-129/11, ECLI:EU:C:2012:248, Rz. 46 = UR 2012, 435 – Balkan and Sea Properties;

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Kap. 21 Rz. 21.12 | Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung

Mindestbemessungsgrundlage unterschreitet, so dass insoweit eine Korrektur unterbleibt. Da die vereinbarten Verrechnungspreise zwischen international miteinander verbundenen Unternehmen in aller Regel über der Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 4 u. 5 UStG angesiedelt sein werden, bei Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers die Mindestbemessungsgrundlage nicht eingreift1 und bei grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen zumeist entweder Nichtsteuerbarkeit oder Steuerbefreiung gegeben ist (Rz. 10.80 ff.), wird eine Entgeltkorrektur in der Praxis die Ausnahme sein.2 Eine Korrektur unterbleibt schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Änderung der Bemessungsgrundlage (§ 17 UStG). In Folge einer Einkünftekorrektur für Zwecke des Ertragssteuerrechts wird weder der Tatbestand des § 17 Abs. 2 UStG noch der des § 17 Abs. 1 UStG erfüllt sein,3 es sei denn die Vertragsparteien vereinbaren nachträglich eine entsprechende Preisanpassung.

21.13

Im Anwendungsbereich der Einfuhrumsatzsteuer (Rz. 10.63 ff.) spielt eine etwa für Zwecke des Ertragsteuerrechts vorzunehmende Einkünftekorrektur grundsätzlich ebenfalls keine Rolle, weil gem. § 11 Abs. 1 UStG die Bemessungsgrundlage sich am Zollwert orientiert. Der Zollwert eingeführter Waren entspricht hierbei dem Transaktionswert, also dem tatsächlich gezahlten oder noch zu zahlenden Preis (Art. 70 UZK).4 Wenn allerdings Käufer und Verkäufer miteinander verbunden5 sind, bedarf es der Überprüfung, ob der Transaktionswert anerkannt werden kann (Art. 70 Abs. 3 Buchst. d UZK), was zu verneinen ist, wenn die Verbundenheit den Preis beeinflusst hat.6 Dies gilt allerdings dann wiederum nicht, wenn der Käufer die Einfuhrumsatzsteuer vollen Umfangs als Vorsteuer (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG) abziehen kann.7 Liegt eine sog. schädliche Verbundenheit – die zur Preisbeeinflussung geführt hat – vor, so ist die Zollwertermittlung nach den Folgemethoden des Art. 74 Abs. 2 u. 3 UZK vorzunehmen. Das Tatbestandsmerkmal der „Verbundenheit“ ist in Art. 127 UZK-DVO definiert; demnach ist eine Beteiligung in Höhe von 5 % bereits zur Annahme einer Verbundenheit ausreichend (Art. 127 Abs. 1 Buchst. d UZK-DVO). Kann die Transaktionswertmethode nicht angewendet werden, da eine Verbundenheit besteht und aufgrund dessen nicht fremdvergleichskonforme Preise als Grundlage für die Zollwertermittlung herangezogen worden sind, so müssen sog. Vergleichswerten nach Art. 74 UZK ermittelt werden. Hierbei ist vom Zollanmelder nach Art. 134 Abs. 2 UZK-DVO nachzuweisen, dass der der Zollanmeldung zugrunde liegende Transaktionswert einem der folgenden, zu demselben oder annähernd demselben Zeitpunkt bestimmten Wert approximiert werden kann: (i) dem Transaktionswert bei Verkäufen gleicher oder ähnlicher Waren zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Union zwischen nicht verbundenen Käufern und Verkäufern oder (ii) dem Zollwert gleicher oder ähnlicher Waren, der gem. Art. 74 Abs. 2 Buchst. c oder d UZK ermittelt wurde. In diesem Zusammenhang sind die in Art. 134 Abs. 3 UZK-DVO genannten Punkte zu be-

1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 24.1.2008 – V R 39/06, BStBl. II 2009, 786; v. 7.10.2010 – V R 4/10, BFH/NV 2010, 930; v. 5.6.2014 – XI R 44/12, BStBl. II 2016, 187, Rz. 28 = UR 2014, 700. EuGH v. 26.4.2012 – C-621/10 u. C-129/11, ECLI:EU:C:2012:248 = UR 2012, 435 zu Art. 80 MwStSystRL – Balkan and Sea Properties; zur Kritik an dieser Entscheidung Stadie3, § 10 UStG Rz. 124. Hierzu Puls in W/B, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 11.50. Heber, MwStR 2015, 372 (375). Siehe dazu Traub in Witte8, Art. 70 UZK Rz. 1. Zum Begriff „Verbundenheit“ siehe Art. 127 UZK-DVO. Siehe Traub in Witte8, Art. 70 UZK Rz. 80, 81 u. 87. In Orientierung an EuGH v. 26.4.2012 – C-621/10 u. C-129/11, ECLI:EU:C:2012:248 = UR 2012, 435 zu Art. 80 MwStSystRL – Balkan and Sea Properties; so im Ergebnis (ausführlich) Heber, MwStR 2015, 372 (376 ff.).

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A. Grundlagen | Rz. 21.14 Kap. 21

rücksichtigen (wie z.B. nachgewiesene unterschiedliche Handelsstufen oder etwaige Kosten, die der Veräußerer bei Verkäufen an unverbundene Abnehmer trägt, hiervon jedoch bei Verkäufen an verbundene Abnehmer abweicht). Kann der Zollwert auch hiernach nicht ermittelt werden, ist auf innerhalb der EU verfügbares Datenmaterial zurückzugreifen (Art. 74 Abs. 3 UZK),1 was ggf. in eine Schätzung einmünden kann.2 Ein besonderes Problem im Bereich der Zollwertermittlung besteht bei der Durchführung sog. Jahresendanpassungen im Hinblick auf die Zielmargensteuerung deutscher (d.h. inländischer) Vertriebsgesellschaften ausländischer Konzernmütter. Je nachdem in welche „Richtung“ die Anpassung erfolgt, wird von der deutschen Zollverwaltung eine unterschiedliche Sichtweise vertreten: Nachträgliche Erhöhungen der Lieferverrechnungspreise zulasten der inländischen Vertriebsgesellschaft lösen generell eine Zollnacherklärungs- und -zahlungsverpflichtung aus. Nachträgliche Reduktionen bereits abgerechneter Verrechnungspreise im Zuge einer Jahresendanpassung werden von der Zollverwaltung jedoch nur dann mit einer Zollerstattung versehen, wenn die Verrechnungspreisreduktion einzelnen Warengegenständen zugeordnet werden kann; in der Praxis ist dies bisweilen unmöglich zu rekonstruieren, so dass ein Zollerstattungsanspruch in der Regel ins Leere läuft.

21.13a

Nach Ansicht der jüngsten (allerdings nicht rechtskräftigen) FG-Rechtsprechung sind die (ehemaligen) Artikel 29 ff. ZK zur Zollwertermittlung nicht dahingehend zu verstehen, dass als Zollwert ein vereinbarter Transaktionswert zugrunde gelegt werden kann, der sich teilweise aus einem zunächst in Rechnung gestellten und angemeldeten Betrag und teilweise aus einer pauschalen Berichtigung nach Ablauf des Abrechnungszeitraums zusammensetzt, ohne dass sich sagen lässt, ob am Ende des Abrechnungszeitraums diese Berichtigung „nach oben“ oder „nach unten“ erfolgen wird. Nach Ansicht der FG-Rechtsprechung bilden daher die unterjährig angemeldeten Verrechnungspreise auch dann den tatbestandlichen „Zollwert“, wenn für die Einfuhren einer inländischen Tochtergesellschaft einer ausländischen Konzernmuttergesellschaft die Zollwerte zunächst auf Basis der nach bestimmten Vorgaben (in dem Streitfall bestand aus steuerlicher Verrechnungspreissicht ein Advance Pricing Agreement) ermittelten Verrechnungspreisen bestimmt worden sind und diese unterjährig angemeldeten Verrechnungspreise nachträglich pauschal nach Maßgabe der OECD-Verrechnungspreislinien abgeändert worden sind.3 Bei der Grunderwerbsteuer ist Bemessungsgrundlage im Regelfall der Wert der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG). Bei der in der Praxis häufigsten Fallvariante, dem Kauf, ist der Kaufpreis maßgeblich (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG), wobei es ebenso wie bei der Umsatzsteuer im

1 Zu dieser sog. Schlussmethode Traub in Witte8, Art. 74 UZK Rz. 33 ff. 2 Kritisch Traub in Witte8, Art. 74 UZK Rz. 43: jedenfalls keine willkürliche Festsetzung des Zollwerts. 3 FG München v. 15.11.2018 – 14 K 2028/18 (n.rkr., Rev. BFH VII 2/19); Hintergrund ist eine Vorabentscheidung des EuGH v. 20.12.2017 – C 529/16 (Rs. Hamamatsu), vorgelegt durch FG München, Beschluss vom 15.9.2016 – 14 K 1974/15; zum Ganzen auch Stein/Schwarz/Hundebeck, IStR 2017, 468; Roth/Rinnert, DStR 2018, 2090; Eder/Dehn, BB 2019, 1238; Schöneborn, BB 2019, 2971; Niestedt in Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, Art. 70 UZK Rz. 27 (Stand: Oktober 2021), wonach nachträgliche Verrechnungspreisberichtigungen zollwertrechtlich immer dann anzuerkennen sind, wenn sie dem Grunde wie der Höhe nach im Zeitpunkt der Zollanmeldung bereits feststehen.

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21.14

Kap. 21 Rz. 21.14 | Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung

Grundsatz nicht darauf ankommt, ob der Kaufpreis angemessen ist.1 Das gilt auch für Grundstückskaufverträge zwischen (international) miteinander verbundenen Unternehmen.2 Daher ist der Kaufpreis auch in den Fällen anzusetzen, in denen dieser hinter dem gemeinen Wert des Grundstücks zurückbleibt.3 Im Unterschied zur Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 4 u. 5 UStG), enthält das GrEStG keine Mindestbemessungsgrundlage.4 Eine spätere Kaufpreisanpassung kann, soweit es sich um eine Kaufpreisminderung handelt, nur auf Grundlage des § 16 Abs. 3 GrEStG berücksichtigt werden.

21.15

Im Blickpunkt der folgenden Ausführungen stehen ertragsteuerliche Aspekte der Einkunftsartenzuordnung und der subjektiven Einkünftezuordnung. Beide Aspekte werden übergreifend als Einkünftezuordnung bezeichnet.

B. Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 4–6 AStG und Art. 7 OECD-MA (2010); Andresen, Regulations Provide Further Guidance on the Application of the Authorized OECD Approch to the Attribution of Profit to Permanent Estabilishments, ITPJ 2015, 77; Andresen/Busch, Betriebsstätten-Einkünfteabgrenzung: steuerliche Untiefen bei der Transformierung des Authorised OECD Approaches in nationales Recht, Ubg 2012, 451; Baldamus, Neues zur Betriebsstättengewinnermittlung, ifst-schrift 480 (2012); Barig, Abgrenzung der Betriebsstätteneinkünfte nach dem AOA, IWB 2013, 801; Becker, Funktionsnutzen oder Erwirtschaftungsgrundsatz, DB 1990, 392; Becker, Erste Erfahrungen mit den Regelungen zum Authorized OECD-Approach (AOA), in FS für Heinz-Klaus Kroppen, Globalisiertes Steuerrecht – Anspruch und Verantwortung, Köln 2020, S. 411; Beiser, Die grenzüberschreitende Finanzierung von Betriebsstätten aus der Sicht des Arm’s-length-Prinzips, IStR 1992, 7; Bendlinger, „Dealing at arm’s length“ bei temporären DBA-Betriebsstätten, SWI 1997, 104; Bendlinger, Die ertragsteuerliche Ergebnisaufteilung zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte – Besonderheiten bei internationalen Anlagenerrichtungen, in Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts, FS für Loukota, Wien 2005, 69; Bendlinger, Gewinnermittlung und Gewinnabgrenzung bei Auslandsbetriebsstätten im Steuerrecht, in: Renner/Schlager/Schwarz (Hrsg.), Praxis der steuerlichen Gewinnermittlung, GS Köglberger Wien 2008, 495; Bendlinger/Remberg/Kuckhoff, Betriebsstättenbesteuerung im Großanlagenbau, IStR 2002, 40; Benecke/Schnitger, Neuregelungen des UmwStG und der Entstrickungsnormen durch das SEStEG, IStR 2006, 765; Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, Tübingen 2016; Bochmann/Bron, Die nächste Stufe der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts: Vom MoPeG zum KöMoG – Steuerliche Skizze und gesellschaftsrechtliche Einordnung, NZG 2021, 613; Blumers, DBA-Betriebsstätte und Personalfunktion – Significant People Functions im OECD Report 2010 und in der BsGaV, DB 2021, 1159; Böhmer/Schewe/ Schlücke, Neujustierung der Grenzen des deutschen Besteuerungsrechts durch das ATAD-UmsG und das KöMoG, FR 2021, 765; Breuninger, Die „Zentralfunktion des Stammhauses“ bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, in Spindler/Tipke/Rödder, Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Schaumburg, Köln 2009, 587; Brühl/Weiss, „Check the box“ from good old Germany – Die Option zur Besteuerung als Körperschaft nach dem Entwurf des KöMoG, DStR 2021, 889; Brülisauer, Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte im internationalen Steuerrecht der Schweiz, 1 BFH v. 2.3.2011 – II R 23/10, BStBl. II 2011, 932 Rz. 18 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; Loose in Boruttau18, § 9 GrEStG Rz. 208; Pahlke in Pahlke5, § 9 GrEStG Rz. 77. 2 BFH v. 26.10.1977 – II R 115/69, BStBl. II 1978, 201; v. 6.12.1989 – II R 95/86, BStBl. II 1990, 186; v. 26.2.2003 – II B 54/02, BStBl. II 2003, 483; v. 2.3.2011 – II R 23/10, BStBl. II 2011, 932, Rz. 18. 3 BFH v. 6.12.1989 – II R 95/86, BStBl. II 1990, 186; v. 26.2.2003 – II B 54/02, BStBl. II 2003, 483; anders bei einem Kaufpreis in symbolischer Höhe; vgl. Loose in Boruttau18, § 9 GrEStG Rz. 208. 4 Das gilt auch für § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GrEStG; hierzu BFH v. 2.3.2011 – II R 23/10, BStBl. II 2011, 932 Rz. 19.

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B. Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten | Kap. 21 Bern 2006; Buchner, Die Ansicht der OECD zur Zurechnung von Kapital und Zinsaufwendungen zu einer Betriebsstätte: Vergleichende Gegenüberstellung vor und nach Inkrafttreten des AOA und steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten, IStR 2013, 288; Burmester, Probleme der Gewinn- und Verlustrealisierung, Baden-Baden 1986; Busch, Der Entwurf der Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung, DB 2016, 910; Busch, Fiktive Transaktionen im Authorised OECD Approach, BB 2012, 2281; Cordes/Kraft, Regierungsentwurf zum Optionsmodell – Körperschaftsteuer ab 2022 auch für Personengesellschaften?, FR 2021, 401; Dahnke, Betriebsstättenbesteuerung: Zuordnung von Generalunkosten des ausländischen Stammhauses gegenüber der inländischen Betriebsstätte, IStR 1996, 475; de Weerth, Berücksichtigung von Währungsverlusten auf das Dotationskapital einer EU-Auslandsbetriebsstätte im Inland, IStR 2008, 226; Debatin, Das Betriebsstättenprinzip der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, DB 1989, 1692, 1739; Delarber, Steuerliche Einflüsse auf die grenzüberschreitende Betriebsstättenbesteuerung, Berlin 2015; Ditz, Betriebsstättengewinnabgrenzung nach § 1 AStG n.F. und der BsGaV, in: Raupach/Pohl/Ditz/Engel/Keller/Klein/Salzmann (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts 2014, Herne 2015, 98; Ditz, Betriebsstättengewinnabgrenzung nach dem „Authorised OECD Approach“ – Eine kritische Analyse, ISR 2012, 48; Ditz, Der „Authorised OECD Approach“ wird Wirklichkeit, ISR 2013, 261; Ditz, Die Grenzen des Fremdvergleichs – Zugleich Plädoyer für ein Festhalten am Fremdvergleichsgrundsatz, FR 2015, 115; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten und nationale Gewinnermittlungsvorschriften im Lichte aktueller Entwicklungen bei der OECD, IStR 2005, 37; Ditz, Umsetzung des „Authorised OECD Approach“ in Deutsches Steuerrecht, in Lüdicke (Hrsg.), Vermeidung der Doppelbesteuerung und ihre Grenzen, Köln 2013, 109; Ditz/Bärsch/Quilitzsch, Betriebsstätteneinkünfte und Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen nach der deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen, ISR 2013, 154; Ditz/Luckhaupt, Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – Neues Gewinnermittlungsrecht für Betriebsstätten, ISR 2015, 1; Ditz/Quilitzsch, Internationale Aspekte des Zollkodex-Anpassungsgesetzes, DStR 2015, 550; Ditz/Rupp, Entstrickung und Verstrickung: Aktuelle Fragen und ATADUmsG, ISR 2021, 413; Ditz/Schönfeld, Abzug von umrechnungsbedingten Währungsverlusten, DB 2008, 458; Ditz/ Tcherveniachki, Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter an ausländische Betriebsstätten – Betriebsprüfungsfall zu § 12 Abs. 1 KStG, Ubg 2012, 101; Ditz/Tcherveniachki, Gewinnzuordnung bei Betriebsstätten ohne Personal – Anmerkungen zum BMF-Schr. vom 17.12.2019, ISR 2020, 145; Endres, Die Vertreterbetriebsstätte im Konzern, IStR 1996, 1; Feuerbaum, Internationale Besteuerung des Industrieanlagenbaus, 2. Aufl., Herne/Berlin 1983; Förster/Naumann/Rosenberg, Generalthema II des IFA-Kongresses 2006 in Amsterdam: Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, IStR 2005, 617; Froitzheim, Funktionsweise und Wirkung der AOA-Gewinnabgrenzung, Ubg 2015, 354; Froitzheim, Steuerliche Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und deren Auswirkung auf die Gewinnabgrenzung, Köln 2015; Frotscher, Zur Vereinbarkeit der „Betriebsstättenbedingung“ bei Sitzverlegung und grenzüberschreitender Umwandlung mit den Grundfreiheiten, IStR 2006, 65; Gassner/Lang/Lechner, Die Betriebsstätte im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 1998; Gebhardt, Ist § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG-E i.d.F. des JStG 2013 ein Treaty Override?, BB 2012, 2353; Girlich/Müller, Betriebsstätte und Authorised OECD Approach, ISR 2015, 169; Girlich/Müller/Naumann, Erste Praxiserfahrungen mit dem Authorised OECD Approach, ISR 2017, 229; Girlich/Philipp, Nachträgliche Betriebsstätteneinkünfte in Outbound-Fällen, DB 2015, 459; Görl, Die Vertreterbetriebsstätte der Doppelbesteuerungsabkommen – ein Geburtsfehler des Art. 5 OECD-Musterabkommen, in Strunk/Wassermeyer/ Kaminski (Hrsg.), Unternehmensteuerrecht und Internationales Steuerrecht, GS für Krüger, Bonn/ Berlin 2006, 113; Gosch, Die Zeit im Abkommensrecht, FG Wassermeyer, München 2015, 209; Gosch, Über die Zeit im Abkommensrecht, IStR 2015, 709; Göttsche/Stangl, Der Betriebsstättenerlass des BMF vom 24.12.1999 – Anmerkungen und Zweifelsfragen, DStR 2000, 498; Greier/Friedrich, Die Hilfs- und Nebenrechnung i.S.d. Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, DB 2016, 1773; Gretler, Die grenzüberschreitende Verlagerung von Humankapital zur Nutzung bilanzierter Werte im Inland, Konstanz 1993; Häck, Abkommensrechtliche Zuordnung von Beteiligungen zu Betriebsstätten nach BFH, OECD und Finanzverwaltung, ISR 2015, 113; Hagemann, Betriebsstättenbesteuerung: Zuordnung von Wirtschaftsgütern, PIStB 2014, 111; Hagemann, Die Zuordnung vor- und nachgelagerter Einkünfte zu Betriebsstätten im Abkommensrecht, DB 2016, 1217; Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht, Neuwied/Kriftel 2000; Haiß, Steuerliche Abgrenzungsfra-

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Kap. 21 | Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung gen bei der Begründung einer Betriebsstätte im Ausland in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, Herne 2011, 31; Hangarter, Erweiterte Mitwirkungspflicht bei Auslandsbeziehungen und schweizerischer Geheimnisschutz, RIW/AWD 1982, 176; Hansen, Die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu Betriebsstätten im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Frankfurt am Main 2015; Hemmelrath, Die Ermittlung des Betriebsstättengewinns im Internationalen Steuerrecht, München 1982; Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorised OECD Approach“ für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37; Herzig, Perspektiven der Ermittlung, Abgrenzung und Übermittlung des steuerlichen Gewinns, DB 2012, 1; Heyd, Internationale Gewinnabgrenzung bei der Geschäftstätigkeit und Betriebsstättenstrukturen, Berlin 2014; Höreth/Zimmermann, Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 AStG – Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV, DStZ 2014, 743; Hruschka, Offene Fragen beim Rücktransport von Währungsverlusten, IStR 2008, 499; Hruschka in FS für Kroppen, Globalisiertes Steuerrecht – Anspruch und Verantwortung, 43; Jakobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. 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1098 | Schaumburg/Puls

B. 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München 2020; Wassermeyer, Das Besteuerungsrecht für nachträgliche Einkünfte im internationalen Steuerrecht, IStR 2010, 461; Wassermeyer, Dealing at arm’s Length bei der Betriebsstättengewinnermittlung, in: Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts, FS Loukota, Wien 2005, 651; Wassermeyer, Die abkommensrechtliche Aufteilung von Unternehmensgewinnen zwischen den beteiligten Vertragsstaaten, IStR 2012, 277; Wassermeyer, Die neuere BFH-Rechtsprechung zu Verstößen gegen ein Wettbewerbsverbot durch den Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, DStR 1997, 681; Wassermeyer, Verliert Deutschland im Fall der Überführung von Wirtschafts-

Schaumburg/Puls | 1099

Kap. 21 Rz. 21.16 | Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung gütern in eine ausländische Betriebsstätte das Besteuerungsrecht?, DB 2006, 1176; Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl. Köln 2018; Weber, Gewinnermittlung und Besteuerung deutscher Unternehmen mit ausländischen Betriebsstätten, InstFuSt (Brief 250), Bonn 1985; Weber/ Werra, „Auf den Spuren eines unbekannten Wesens“, Zum Stand der Diskussion über die Betriebsstättenbesteuerung, in FS für Ritter, Köln 1997, 285; Wellmann, Die Gewinnallokation der Betriebsstätte nach AOA, FG Wassermeyer, München 2015, 235; Werra/Teiche, Das SEStBeglG aus der Sicht international tätiger Unternehmen, DB 2006, 1455; Wlecke, Währungsumrechnung und Gewinnbesteuerung bei international tätigen deutschen Unternehmen, Düsseldorf 1989; Zehr, Einkünftezurechnung im internationalen Einheitsunternehmen, Lohmar/Köln 2008; Ziehr, Zurechnung von Währungserfolgen aus der Umrechnung einer ausländischen Betriebsstättenrechnungslegung, IStR 2009, 261.

I. Allgemeine Hinweise 1. Übersicht über das Regelungsgefüge 21.16

Das Erfordernis internationaler Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten besteht – allerdings mit unterschiedlichem Funktionsgehalt – sowohl auf der Ebene des innerstaatlichen Rechts als auch auf der des Abkommensrechts. Entsprechendes gilt für die internationale Vermögenszuordnung, die nach gleichen Kriterien erfolgt.1

21.17

Im innerstaatlichen Recht sind Betriebsstätteneinkünfte für Zwecke der Einkommen- und Körperschaftsteuer Anknüpfungsmerkmale einerseits für die beschränkte Steuerpflicht2 und andererseits für unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung3 sowie für die Verlustausgleichsbeschränkungen gem. § 2a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG, für die Entstrickung und Verstrickung gem. § 4 Abs. 1 Sätze 3, 4 und 8; § 16 Abs. 3a EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) und für die grenzüberschreitende Einkünftekorrektur (§ 1 Abs. 5 AStG). Durch das ATADUmsG4 ist im Hinblick auf die Möglichkeit der steuerlichen Verstrickung von nach Deutschland überführten Wirtschaftsgütern eine neue Optionsregelung geschaffen worden: Auf Antrag kann der Steuerpflichtige eine inländische Steuerverstrickung auslösen, um dadurch infolge eines Step-Ups Abschreibungspotenzial zu generieren (§ 4 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 und Satz 9 EStG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 3 KStG).

21.18

Darüber hinaus verlangt auch das Gewerbesteuergesetz die Ermittlung von Betriebsstätteneinkünften: Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer, soweit er im Inland betrieben wird. Der auf eine Auslandsbetriebsstätte entfallende Gewinn ist damit nicht der Gewerbesteuer ausgesetzt (Kürzung gem. § 9 Nr. 3 GewStG).5

21.19

Im Abkommensrecht dagegen sind Betriebsstätteneinkünfte Kriterium für das Besteuerungsrecht des einen oder anderen Vertragsstaates (Art. 7 OECD-MA; zum Betriebsstättenprinzip Rz. 19.239 f.). Auf beiden Ebenen geht es zwar gleichermaßen darum, der Betriebsstätte dieje1 Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.1 ff., 4.46 f.; zur Parallelität der Zuordnungsregeln Schaumburg in Lüdicke, Zuordnung von Wirtschaftsgütern im Internationalen Steuerrecht, 53 ff. 2 §§ 1 Abs. 4; 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; §§ 2 Nr. 1; 8 Abs. 1 KStG i.V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte). 3 §§ 34c; 34d Nr. 2 Buchst. a EStG; § 26 Abs. 1 und 2 KStG (Einkünfte einer ausländischen Betriebsstätte). 4 ATAGUmsG v. 25.6.2021, BGBl. 2021, 2035. 5 Anders § 7 Satz 8 GewStG (AHRL-ÄndUmsG), wonach (fiktive) Zwischeneinkünfte einer ausländischen Betriebsstätte ab 2017 der Gewerbesteuer unterliegen (§ 36 Abs. 2a GewStG).

1100 | Schaumburg/Puls

B. Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten | Rz. 21.21 Kap. 21

nigen Einkünfte zuzuordnen, die sie im Rahmen des Gesamtunternehmens erwirtschaftet hat, die hierfür maßgeblichen Regeln sind aber unterschiedlich. Die Einkünftezuordnung bezieht sich insoweit also stets nur auf verschiedene Unternehmensteile ein und desselben Steuerpflichtigen.1 Im innerstaatlichen Recht orientiert sich die Einkünftezuordnung im Grundsatz am Veranlassungsprinzip (Rz. 6.103, 21.35).2 Das gilt im Rahmen der unbeschränkten und der beschränkten Steuerpflicht gleichermaßen. Während bei unbeschränkter Steuerpflicht die Einkünftezuordnung zur inländischen Betriebsstätte lediglich Bedeutung für die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrages (§ 28 GewStG) hat, entscheidet die Zuordnung zu einer ausländischen Betriebsstätte darüber, ob und ggf. in welchem Umfang ausländische Steuern angerechnet oder abgezogen werden können (§§ 34c Abs. 1–3, 34d Nr. 2 Buchst. a EStG, § 26 KStG; Rz. 18.72 ff.).3

21.20

Bei beschränkter Steuerpflicht ist die inländische Betriebsstätte ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die Besteuerung (Rz. 6.136 ff.). Der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, wonach inländische Einkünfte vorliegen, wenn für den Gewerbebetrieb im Inland eine Betriebsstätte (i.S.d. § 12 AO) unterhalten wird, bietet Orientierungsmaßstäbe für die Auslegung im Sinne einer Einkünftezuordnung nur im Zusammenwirken mit der in § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG getroffenen Regelung, aufgrund deren Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) oder Werbungskosten (§ 9 EStG) nur insoweit abgezogen werden können, als sie mit inländischen Einkünften im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Da ein unmittelbarer Zusammenhang nicht verlangt wird,4 gilt insoweit das allgemein für Betriebsausgaben und Werbungskosten gültige Veranlassungsprinzip.5 Dieses Veranlassungsprinzip artikuliert sich konkret in § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG: Danach sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb solche, die durch eine in einem ausländischen Staat belegene Betriebsstätte erzielt werden. Dieses Veranlassungsprinzip wird in Bezug auf die internationale Einkünftezuordnung bei Betriebsstätten objektiviert durch das dealing at arm’s length-Prinzip, das somit auch im innerstaatlichen Steuerrecht Anwendung findet.6

21.21

1 Gem. BEPS-Aktionspunkt 7 wird eine Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs mit entsprechender Auswirkung auf die Betriebsstättengewinnabgrenzung vorgeschlagen (Rz. 5.31); vgl. hierzu van der Ham/Retzer, IStR 2016, 749. 2 Vgl. Musil in H/H/R, § 2 EStG Rz. 137; Hey in T/L22, Rz. 8.212 ff.; speziell zum internationalen Kontext: BFH v. 29.1.1964 – I 153/61 S, BStBl. III 1964, 165; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, 104; Neubauer, JbFSt. 1976/77, 312 (314); Debatin, DB 1989, 1692 ff., 1739 (1740), der insoweit von einem Erwirtschaftungsprinzip spricht, das hier im Sinne des Veranlassungsprinzips zu verstehen ist; ähnlich Wassermeyer in W/A/D2, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 1.31, 7.8, mit einem Überblick über den Meinungsstand in Rz. 3.10; Brüninghaus in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. K 98. 3 Hierzu Rz. 18.49 ff. 4 Ein ausschließlicher Zusammenhang (Ausland) wird ebenfalls nicht verlangt, so dass ggf. eine anteilige Zurechnung zu in- und ausländischen Einnahmen in Betracht kommt, hierzu Herkenroth/Striegel in H/H/R § 50 EStG Rz. 38. 5 BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; vgl. auch BFH v. 17.11.1999 – I R 7/99, BStBl. II 2000, 605; v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510; v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432; Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 38; Loschelder in Schmidt41, § 50 EStG Rz. 7; Gosch in Kirchhof/Seer21, § 50 EStG Rz. 4. 6 BFH v. 9.11.1988 – I R 335/83, BStBl. II 1989, 510; Wassermeyer in W/A/D2, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 1.22 f.; Bärsch in H/H/R, § 49 EStG Rz. 350; Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebs-

Schaumburg/Puls | 1101

Kap. 21 Rz. 21.22 | Grundsätze internationaler Einkünftezuordnung

21.22

Das Veranlassungsprinzip knüpft an das Unternehmen als Einheit mit der Folge an, dass bloße Innentransaktionen etwa zwischen Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte im Grundsatz nicht Gegenstand einer Einkünftezuordnung sind. Grenzüberschreitend sind im Ertragssteuerrecht allerdings Ausnahmen vorgesehen, und zwar aufgrund der Regelungen über die Entstrickung (Rz. 6.381 ff.) und Verstrickung (Rz. 6.402 f.). Darüber hinaus enthält auch § 1 AStG eine Sonderregelung, wonach für Zwecke der grenzüberschreitenden Einkünftekorrektur etwa zwischen Stammhaus und Betriebsstätte Außentransaktionen fingiert werden (Rz. 21.66 ff.). Diese Selbständigkeitsfiktion beruht auf § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG, wonach im Ergebnis die Einkünfte des Einheitsunternehmens zwischen Betriebsstätte und Stammhaus nach denselben Grundsätzen zu verteilen sind wie zwischen Tochter- und Muttergesellschaft (Entgeltsprinzip). Dieses Konzept des „Authorised OECD Approach“ (AOA) suspendiert das Veranlassungsprinzip (Erwirtschaftungsprinzip). Die AOA-Regeln haben indessen eine begrenzte Reichweite: Sie gelten nur im Rahmen der Einkünftekorrektur (§ 1 Abs. 5 AStG),1 ferner nur für (fingierte) Geschäftsbeziehungen (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG) zum Ausland und nur dann, wenn die Einkünftekorrektur zu einer Einkünfteerhöhung führt (Rz. 21.67).2

21.23

Das Abkommensrecht enthält ebenfalls eine entsprechende AOA-Regelung (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010), so dass auch insoweit für Zwecke der Gewinnabgrenzung die Betriebsstätte als selbständiges Unternehmen fingiert wird (Rz. 19.271 ff.). Innerhalb der hierdurch gesetzten Schrankenwirkungen3 (Rz. 19.293 ff.) kommt § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG zur Anwendung. Da indessen bislang nur wenige deutsche DBA dem Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 entsprechende Regelungen enthalten,4 wird die Reichweite in Abkommensfällen zusätzlich eingeschränkt. Diese Schrankenwirkung erfährt allerdings im Wege eines Treaty-Overriding5 eine Durchbrechung: Der betroffene Steuerpflichtige muss (kumulativ) geltend machen, dass das an sich zur Anwendung kommende DBA den AOA-Regelungen widerspricht, der andere Vertragsstaat sein Besteuerungsrecht entsprechend ausübt und es deshalb zu einer Doppelbesteuerung kommen würde (§ 1 Abs. 5 Satz 8 AStG).6

21.24

In den Fällen, in denen auf Abkommensebene die AOA-Regeln (noch) nicht zur Anwendung kommen, gilt (unverändert) das Veranlassungsprinzip. Danach können im Betriebsstättenstaat die Gewinne besteuert werden „nur insoweit, als sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden können“. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 enthält sodann in Ausformung des vorgenannten

1 2

3 4 5 6

stätten von Steuerausländern, 106; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 245. Dagegen als Einkünfteermittlungsvorschrift qualifizierend Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 63 ff.; Nientimp/Schwarz/Stein, IStR 2016, 487. Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 700 f.; Kahle/Kindich in H/K/G, § 1 Abs. 5–6 AStG Rz. 109; Ditz in Raupach/Pohl/Ditz/Klein/Reimer/Spierts, Praxis des Internationalen Steuerrechts 2013, 28 f.; Ditz, ISR 2013, 261 (266 f.); Neumann-Tomm, IStR 2015, 907; Gosch in FG Wassermeyer, 209 (220); Schwenke in FS Gosch, 377 (385); Schaumburg, ISR 2013, 198 (198); Schnitger, IStR 2012, 633 (634 f.); Wassermeyer, IStR 2012, 277 (278 ff.); Baldamus, IStR 2012, 319. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; Nichtanwendungserlass: BMF v. 30