Internationales Steuerrecht - Aufbruch oder Konsolidierung? 9783504382445

Inhalt: Goldberg Grußwort Peters Steuerpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung Haas Reformbedarf im deutschen In

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Internationales Steuerrecht - Aufbruch oder Konsolidierung?
 9783504382445

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Jürgen Lüdicke (Hrsg.) Internationales Steuerrecht- Aufbruch oder Konsolidierung?

Forum der Internationalen Besteuerung

Band 38

Internationales Steuerrecht - Aufbruch oder Konsolidierung? Herausgegeben von

Prof. Dr. JOrgen LOdlcke Rechtsanwalt, Steuerberater lntematlonal Tax Institute UnlVerslttt Hamburg mit Beiträgen von

Dr: Albert Peters Dr: Wolfgang Haas Prof. Mmag. Dr: Christoph Urtz Peter Wochfnger Prof. Dr: Christfan Schmidt Diskussionsteilnehmer

Hans-Henning Bemhardt Prof. Dr: Dietmar Gosch Dr: Ralf Möhlenbrock Dr: Friedrich L.oschelder, LLM. Prof. Dr: Jürgen Lüdicke Gert Müller-Gatermann und die Beitragsverfasser

2011

Verl~

Dr.OftoSchmidt Köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abnrlbar.

VerlagDr. Otto SchmidtKG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 0221193738-01, Fax 0221193738-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-61538-3 ©2011 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: A. Quednau. Haan Druck: Betz, Darmstadt Printed in Germany

Vorwort Das Jahr 2010 führte – jedenfalls in Deutschland – in beeindruckender Weise aus der Wirtschaftskrise. Gleichwohl sind deren Folgen keineswegs überwunden. Die öffentlichen Haushalte werden noch lange Zeit benötigen, sich von wegbrechenden Steuereinnahmen und erhöhten Ausgaben in vielen Bereichen zu erholen. Ist der Zeitpunkt gekommen, die immer wieder angemahnten Reformen des deutschen Steuerrechts und namentlich Verbesserungen der steuerlichen Rahmenbedingungen für internationale Aktivitäten nun anzugehen? Unter dem Generalthema: „Internationales Steuerrecht – Aufbruch oder Konsolidierung?“ wurden auf der 27. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung am 3. Dezember 2010 neben diesen steuerpolitisch geprägten Fragen die Standpunkte der Finanzverwaltung zu Umwandlungen und zu Personengesellschaften mit grenzüberschreitendem Bezug erörtert. Thies G. J. Goldberg, haushaltspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, schlägt in seinem Grußwort den Bogen von der Steuergesetzgebung zu nachhaltiger Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau. Albert Peters und Wolfgang Haas eröffnen die Tagung mit Stellungnahmen zur Steuerpolitik aus der Sicht der Bundesregierung und der deutschen Industrie. Christoph Urtz verdeutlicht mit Blick auf die anstehende Reformdiskussion die Unterschiede zwischen den Regelungen der deutschen Organschaft und der österreichischen – auch grenzüberschreitenden – Gruppenbesteuerung. Christian Schmidt behandelt ausgewählte Fragestellungen des BMFSchreibens vom 16. April 2010 zur Anwendung der DBA bei Personengesellschaften im Lichte der seither ergangenen BFH-Rechtsprechung. Peter Wochinger erläutert Festlegungen und Tendenzen der Finanzverwaltung im Hinblick auf internationale Sachverhalte, die in dem bevorstehenden Umwandlungssteuererlass – BMF-Schreiben zum SEStEG – behandelt werden (sollen).

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Vorwort

Der vorliegende Tagungsband enthält die Referate sowie die daran anschließenden Podiumsdiskussionen zwischen Hans-Henning Bernhardt, Dietmar Gosch, Friedrich Loschelder, Rolf Möhlenbrock, Gert MüllerGatermann und den Referenten. Hamburg, im Mai 2011

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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke

Grußwort Sehr geehrter Herr Professor Lüdicke, verehrte Professores und Doktores, angesehene Fachleute, meine sehr geehrten Damen und Herren, gerne bin ich Ihrer Einladung gefolgt, für die 27. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung ein paar einleitende Worte zu sprechen. Dass ich hier stehe und nicht – wie im Programm angekündigt – der Präses der Finanzbehörde, Herr Senator mittlerweile a. D. Frigge, ist einigen politischen Turbulenzen zu verdanken, deren Wahrnehmung sicherlich auch Sie sich nicht entziehen konnten. Sehen Sie also bitte dem Senator a. D. sein Fernbleiben und mir mein Erscheinen nach, es war kein böser Vorsatz! Wie auch in den Jahren zuvor ist diese Veranstaltung ohne Zweifel eine echte Institution für das Internationale Steuerrecht, wo Experten vor und mit Experten Ihres Faches referieren und diskutieren. Auf dieser Veranstaltung, die auch über die Grenzen unserer schönen Hansestadt hinaus hohes Ansehen genießt, darf ich Sie herzlich willkommen heißen. Wie ich sehe, erwartet Sie wieder ein sehr interessantes und anspruchsvolles Tagungsprogramm. Vor allem die ersten beiden Referate („Steuerpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung“ und „Reformbedarf im deutschen Internationalen Steuerrecht“) sind für einen passionierten Haushaltspolitiker und Volkswirt wie mich von besonderem Interesse. Denn vielfältig geforderte – oftmals aber mit erheblichen Steuermindereinnahmen einhergehende – Reformvorhaben und notwendige Haushaltskonsolidierung stehen zwangsläufig in einem schwer aufzulösenden Spannungsfeld. Allerdings steht in öffentlichen Umfragen zu den Sorgen und Nöten der Menschen unter der Rubrik „Zukunftsängste“ das Thema Staatsverschuldung fast immer an erster Stelle, noch vor der Sorge um den Arbeitsplatz. In der Tat erleben wir eine überbordende Verschuldung in vielen Staaten. Die Frage drohender Zahlungsunfähigkeit einzelner Länder beschäftigt die Regierungen. Die Unternehmen hadern mit Investitionen und Investitionsstandorten, und die Bürger beschäftigt die Frage: Was wird das Geld noch wert sein, wenn es sich so weiter entwickelt? VII

Grußwort

Das nicht essbare und industriell begrenzt interessante Gold erreicht ungeahnte Bewertungen. Wir erleben das Ausweichen in Sachwerte oder die Flucht in Währungen und Währungsgebiete, die als vergleichsweise sicher gelten, vor dramatischer Entwertung – oder vor dem möglicherweise enteignungsgeneigten verschuldeten Heimatstaat. Aber vielleicht sind das nur übertriebene Emotionalisierungen und Katastrophenfantasien. Öffentliche Verschuldung ging und geht einher mit der Sozialisierung von Individualrisiken. Sie findet nicht nur bei EURO-Konzertaktionen für Griechenland oder Irland statt und nicht nur bei Banken, sondern geht hin bis zu jeder Art von gegenleistungsfreier Transferleistung an einen Teil der Bevölkerung, finanziert von einem anderen Teil der Bevölkerung – und von noch nicht geborenen Kindern und Kindeskindern. In diesem Umfeld sachgerechten Konsens und Interessensausgleich zu finden und umzusetzen, ist in der Tat eine schwierige Aufgabe. Ich bin überzeugt, dass der hier versammelte, interdisziplinäre Sachverstand einen Beitrag zur Lösung auch dieser Probleme leisten wird. Die mit dem Tagungstitel aufgeworfene Frage („Internationales Steuerrecht – Aufbruch oder Konsolidierung?“) lässt sich ein Stück weit auch auf die Haushaltspolitik Hamburgs übertragen. Nicht nur, weil sich auch Hamburger Bürger im Rahmen der Auswertung von überraschend und ungeplant in öffentlichen Besitz gelangten Datenmaterials als mit grenzüberschreitenden Steuersachverhalten fachlich wie moralisch überfordert gezeigt haben. Auch befindet sich Hamburg seit Monaten in einem „äußerst schmerzhaften“ und noch nicht beendeten Heilungsprozess der Haushaltskonsolidierung, die allen politisch Verantwortlichen und den Fachbehörden mit ihren Mitarbeitern enorme Anstrengungen in dem Bemühen abverlangt, haltbare zukunftsfähige Sparvorschläge zu erarbeiten. Zur Verdeutlichung: Hamburg hat momentan ein aufwachsendes strukturelles Haushaltsdefizit von bis zu 1 Mrd. Euro. Eines muss uns allen bewusst sein: Dieses Problem darf von der Politik nicht schön geredet, es muss konsequent angegangen werden. Dies ist nur mit einem klaren Kurs- und Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik möglich – nicht nur in Hamburg, sondern auch im Bund und fast allen Staaten der freien Welt. Dieser Kurswechsel kann nicht bedeuten, die immensen Finanzierungslücken nur über Erhöhung von Gebühren und Abgaben und damit über weitere Belastungen der Bürger zu schließen. Schließlich bietet eine globalisierte Welt vielfältige Möglichkeiten, einem zu gierigen Staat auszuweichen und zu entkommen. Der Kurswechsel zur Sanierung und damit Rettung der öffentlichen Haushalte muss bedeuten, mit dem zur Verfügung stehenden Geld auszukommen. VIII

Grußwort

Die politische Aufgabe heißt Aufgabenkritik: Welche Aufgaben muss, welche Aufgaben soll und kann ein Staat für seine Bürger eigentlich heutzutage und in Zukunft noch wahrnehmen und wo sind die Grenzen der öffentlichen Daseinsvorsorge erreicht? Schulden wurden stets gemacht, um Handlungsspielräume zu erweitern. Kurzfristig tun das natürlich alle Schulden – man hat schließlich mehr Geld zu Verfügung. Auf lange Sicht jedoch schränken Schulden den Handlungsrahmen deutlich ein. Wenn Sie die ca. 24 Mrd. Euro aufgelaufenen Hamburger Schulden den bisher 28 Mrd. Euro Zinszahlungen gegenüberstellen, wird dies schon deutlicher. Bei Unternehmen reduziert sich sinnvolle Fremdfinanzierung auf renditeträchtige Investitionen, durch die die Gesamtkapitalverzinsung erhöht und bei denen nutzungsfristenkongruent getilgt wird. Davon kann bei Investitionen ohne strenge Renditeanforderung z. B. im Sinne zukünftiger Steuereinnahmen oder Produktivitätssteigerungen bei der Erbringung öffentlicher Leistungen, bei unterbleibender Tilgung und Finanzierung struktureller Aufgaben, auch durch Vermögensveräußerungen, bei der öffentlichen Hand keine Rede sein. Leider ist damit zu rechnen, dass sich dies in Zukunft nicht so schnell ändern wird, da sich die Einnahmesituation in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert hat und sich auch nicht schnell merklich verbessern wird, wie die Steuerschätzungen zeigen: Ausgehend von den Annahmen in 2008, also vor der Weltwirtschaftskrise, hatte Hamburg von 2009 bis 2013 mit bis zu 6 Mrd. Euro Steuermindereinnahmen zu rechnen! Selbst bei nun weniger dramatischem Verlauf mit einigen hundert Mio. Euro ausfallenden Steuereinnahmen werden wir in Hamburg das Vorkrisen-Niveau nicht vor 2014 wieder erreichen. Wie Sie sicherlich besser wissen als ich, ist zusätzlich ein Teil der Steuereinbußen auch auf Steuerrechtsänderungen des Bundesgesetzgebers und auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts (z. B. Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen) zurückzuführen, auf die wir als Bundesland keinen Einfluss haben. Allein durch die sechs Gesetze mit den größten Steuerentlastungen werden Hamburg ab dem Jahr 2010 Einnahmen von über 500 Mio. Euro p. a. entgehen. Die Steuereinnahmen sind also nicht nur konjunkturbedingt, sondern strukturell, also dauerhaft gemindert. Auch haben wir höhere Belastungen aus bundesrechtlichen Regelungen, bei den Sozialausgaben, durch höhere Fallzahlen, höhere Kosten der Unterkunft und höhere Regelsätze. So bleibt es unsere wichtigste politische Aufgabe zur Zukunftssicherung: Wir müssen in den nächsten Jahren den öffentlichen Haushalt nachhaltig und mit Blick auf die kommenden Generationen konsolidieren und IX

Grußwort

auch Schulden abbauen. Das wird nicht ohne erhebliche, um nicht zu sagen dramatische Einschnitte möglich sein! Bald dürfen wir weitere Neuverschuldungen auch nicht mehr zulassen, denn ab 2020 gilt die grundgesetzlich verankerte so genannte Schuldenbremse! Mit deren Inkrafttreten muss nicht nur Hamburg dauerhaft ohne neue Schulden auskommen. Wollen wir weiter prosperieren, müssen wir mehr tun als das: Nicht nur Hamburg muss und will spätestens ab 2020 ohne neue Schulden auch weiter wachsen. Die Aufgabe gegenwärtiger und zukünftiger Regierungen besteht darin, Konsolidierung mit den notwendigen, unabweisbaren Bedürfnissen unserer Gesellschaft zu vereinen. Die Umsetzung dieses Ziels – da gibt es für niemanden Illusionen – ist ein hartes Stück Arbeit: Verantwortliche Finanzpolitik ist und bleibt eine schwierige Aufgabe. Hier in Hamburg haben wir einen ersten Schritt (in dieser Legislaturperiode) getan, weitere müssen folgen. Nur mit fortlaufenden Konsolidierungsprogrammen als einem sich selbst stets erneuernden Prozess lässt sich das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes erreichen. Dabei werden Komplexität und die Qualitätsanforderungen an globales, vernetztes Denken und verantwortliches lokales Handeln und Entscheiden sicherlich nicht kleiner. In diesem Sinne darf ich Ihnen jetzt eine interessante Tagung mit anregender Diskussion und erhellendem Informationsaustausch wünschen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dipl.-Vw. Thies G. J. Goldberg, MdHB CDU-Bürgerschaftsfraktion – haushaltspolitischer Sprecher

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Inhaltsverzeichnis* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Grußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Albert Peters, Berlin Steuerpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung . . . . . . . . . . . .

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A. B. C. D.

Aktuelle Wirtschafts- und Finanzpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nationale Steuerpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationale Steuerpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Wolfgang Haas, Ludwigshafen Reformbedarf im deutschen internationalen Steuerrecht . . . . . . . . .

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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Merkmale eines wettbewerbsfähigen internationalen Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zustand des deutschen internationalen Steuerrechts . . . . . . . . . D. Überblick über die gravierndsten Mängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Anforderungen an eine wettbewerbsfähige DBA-Politik . . . . . . F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Steuerpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung – Reformbedarf im deutschen Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . Podiumsdiskussion Christoph Urtz, Salzburg Grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung Reform der Organschaft – Österreich als Vorbild? . . . . . . . . . . . . . . . A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die körperschaftsteuerliche Organschaft im Vergleich zur Gruppenbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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_____________ * Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

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Inhaltsverzeichnis

C. Grenzüberschreitende Organschaft: Der unionsrechtlich erforderliche Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Notwendigkeit des Gewinnabführungsvertrages? . . . . . . . . . . . . Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Podiumsdiskussion Peter Wochinger, Stuttgart Internationale Aspekte bei Umwandlungen nach dem SEStEG – das (künftige) BMF-Schreiben – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Formwechsel. Kapitalgesellschaft auf Personenunternehmen (§§ 3–10 UmwStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verschmelzung von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Internationale Aspekte bei Umwandlungen nach dem SEStEG – das (künftige) BMF-Schreiben – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Podiumsdiskussion Professor Dr. Christian Schmidt, Nürnberg Personengesellschaften und DBA – das BMF-Schreiben vom 16. April 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Quellensteuerermäßigung bei im Ausland intransparent behandelten Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Personengesellschaften als ansässige Person . . . . . . . . . . . . . . . . D. Gewerbliche Prägung im Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Sondervergütungen und § 50d Abs. 10 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke, Hamburg (Diskussionsleitung) Personengesellschaften und DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Podiumsdiskussion

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Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Steuerpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung Dr. Albert Peters Ministerialdirektor im Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Inhaltsübersicht A. Aktuelle Wirtschafts- und Finanzpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesamtwirtschaftliche Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konjunkturelle Lage . . . . . . . . 2. Beschäftigungsentwicklung . . 3. Entwicklung der Steuereinnahmen . . . . . . . . . . . . . . . II. Lage der Öffentlichen Haushalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Defizitentwicklung . . . . . . . . 2. Haushaltskonsolidierung . . . . B. Nationale Steuerpolitik . . . . . . . . . . I. Haushaltsbegleitgesetz . . . . . . . . II. Steuervereinfachung und Bürokratieabbau . . . . . . . . . . . . . III. Reform der Gemeindefinanzen . IV. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . V. Unternehmensbesteuerung . . . .

2. Aktuelle Entwicklungen . . . a) DBA Deutschland – Großbritannien . . . . . . . . . b) Revisionsprotokoll zum DBA Schweiz . . . . . . . . . . c) DBA Singapur . . . . . . . . . . 3. Aktuelle Diskussion in der Arbeitsgruppe 1 der OECD . . III. Verrechnungspreise . . . . . . . . . 1. Funktionsverlagerungen – Verwaltungsgrundsätze . . . . 2. Aktuelle Diskussion in der Arbeitsgruppe 6 der OECD . . IV. Aktivitäten gegen den steuerschädlichen Wettbewerb . . . . . 1. Entwicklungen im Global Forum „Transparenz und Informationsaustausch“ . . . . 2. Die Maßnahmen Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. EU-Gruppe Verhaltenskodex 4. EU-Zinsrichtlinie, EU-Amtshilferichtlinie, Betrugsbekämpfungsabkommen . . .

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C. Internationale Steuerpolitik . . . . . . 9 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 II. DBA-Politik . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Methodenwahl . . . . . . . . . . . 10

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D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

A. Aktuelle Wirtschafts- und Finanzpolitik I. Gesamtwirtschaftliche Situation 1. Konjunkturelle Lage Nach dem drastischen Einbruch der Wirtschaftsleistung im Jahr 2009 um real 4,7 % war es nicht zuletzt den massiven staatlichen Stützungspaketen zu verdanken, dass sich die konjunkturellen Aussichten für die deutsche Wirtschaft mittlerweile spürbar aufgehellt haben. Insbesonde1

Peters – Steuerpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung

re mit den Konjunkturpaketen I und II haben wir in Deutschland dazu beigetragen, dass nach dem scharfen Einbruch ein nachhaltiger und dynamischer Erholungsprozess einsetzen konnte und Deutschland besser durch die Krise gekommen ist als viele andere Staaten. Im Sinne einer konjunkturgerechten Wachstumspolitik hat die Bundesregierung die notwendigen konjunkturellen Impulse von Anfang an auch mit einer langfristigen Stärkung der Wachstums- und Beschäftigungsgrundlagen verbunden. Basis für die Bewältigung der Krise sind aber auch die hohe Wettbewerbsfähigkeit und Anpassungsflexibilität deutscher Unternehmen und Arbeitnehmer, eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik sowie der wirtschafts- und finanzpolitische Reformprozess der vergangenen Jahre. So konnte sich die deutsche Wirtschaft nach der Wirtschafts- und Finanzkrise außerordentlich schnell erholen. Die konjunkturelle Entwicklung verlief im Sommerhalbjahr viel günstiger als noch im Frühjahr erwartet. Besonders erfreulich daran ist, dass neben den außenwirtschaftlichen Wachstumsimpulsen auch die Investitionstätigkeit der Unternehmen und der Konsum der privaten Haushalte positive Wachstumsbeiträge geleistet haben. In ihrer Herbstprojektion erwartet die Bundesregierung nun für 2010 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von real 3,4 %. Damit wurde die Frühjahrsprognose (+ 1,4 %) um 2 %-Punkte nach oben korrigiert. Im nächsten Jahr wird mit einem BIP-Wachstum von real 1,8 % gerechnet.1 2. Beschäftigungsentwicklung Der Arbeitsmarkt hat sich in der Wirtschaftskrise erfreulich robust gezeigt. Er profitiert nun im Aufschwung von der spürbaren Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Aktivität. Die saisonbereinigte Arbeitslosenzahl verringerte sich im Jahresverlauf deutlich und Beschäftigung wurde aufgebaut. Die Bundesregierung erwartet im Jahresdurchschnitt 2010 einen Rückgang der Arbeitslosenzahl um 190 000 auf 3,2 Mio. Personen. Im Jahr 2011 dürfte sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt weiter verbessern. Die Zahl der Arbeitslosen wird im Jahresdurchschnitt 2011 knapp unter 3 Mio. liegen.

_____________ 1 Nach ihrer Jahresprojektion vom Januar 2011 rechnet die Bundesregierung jetzt für das Jahr 2011 mit einem Wachstum von 2,3 %.

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Peters – Steuerpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung

3. Entwicklung der Steuereinnahmen Die gesamtwirtschaftlichen Eckwerte der Herbstprojektion der Bundesregierung bildeten auch die Basis für die aktuelle Steuerschätzung vom November 2010. Die unerwartet schnelle Erholung der deutschen Wirtschaft führte zu erfreulichen Ergebnissen. So werden – verglichen mit der letzten Steuerschätzung vom Mai 2010 – die Steuereinnahmen im Jahr 2010 insgesamt voraussichtlich um rd. 16 Mrd. Euro höher ausfallen. Für die Jahre 2011 und 2012 hat der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ seine Prognose um rd. 22 Mrd. Euro bzw. 23 Mrd. Euro angehoben. Aber auch wenn Bund, Länder und Kommunen in diesem Jahr und in den beiden Folgejahren mit deutlichen Mehreinnahmen im Vergleich zur letzten Steuerschätzung rechnen können, darf man beim Blick auf diese sehr positiven Zahlen nicht verkennen, dass erst im Jahr 2012 das „Vorkrisenniveau“ der Steuereinnahmen des Jahres 2008 wieder erreicht werden wird.

II. Lage der Öffentlichen Haushalte 1. Defizitentwicklung Damit wird auch deutlich, dass durch die verbesserten Prognosen zur Einnahmenentwicklung kein neuer Finanzierungsspielraum entstanden ist. Im Gegenteil: Die Bundesregierung wird auch nach dem schweren Rückschlag durch die Wirtschafts- und Finanzkrise entschlossen an dem bis dahin erfolgreich über mehrere Jahre praktizierten Konsolidierungskurs festhalten. Zur Erinnerung: Im Jahr 2008 – vor der Krise – gingen wir noch davon aus, dass der Bund ab dem Jahr 2011 ohne neue Schulden auskommen wird. Heute fällt die Neuverschuldung des Bundes im Jahr 2010 mit erwarteten knapp 50 Mrd. Euro zwar rd. 30 Mrd. Euro geringer aus als bei der Verabschiedung des Bundeshaushalts erwartet werden konnte. Gleichwohl stellt eine Nettokreditaufnahme in dieser Höhe eine historisch einmalige Dimension dar. Die Vorgaben der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse erfordern, dass konjunkturell gute Zeiten genutzt werden, um Fortschritte bei der Konsolidierung zu erzielen. Diese Schuldenregel ist ein wesentlicher Baustein für die mittel- und langfristige Konsolidierung. Für den Bund gilt eine Begrenzung des strukturellen Defizits auf 0,35 % des BIP ab 2016. In einem Übergangszeitraum ist die Bundesregierung beginnend mit dem Jahr 2011 zu einer stufenweisen Rückführung des strukturellen Defizits des Bundeshaushalts bis zum Jahr 2015 verpflichtet, 3

Peters – Steuerpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung

bevor die verfassungsrechtliche Defizitobergrenze dann im Haushaltsjahr 2016 erstmalig ihre volle Wirkung entfaltet. Auch im Rahmen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts ist Deutschland dazu verpflichtet, jede konjunkturelle Verbesserung zu nutzen, um schneller zu einer langfristig tragfähigen Haushaltslage zurückzukehren. Nach einem ausgeglichenen staatlichen Gesamthaushalt in den Jahren 2007 und 2008 hat sich der Saldo des Staatshaushalts – bestehend aus den Haushalten von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen – im vergangenen Jahr in Folge der Wirtschaftsund Finanzkrise auf - 3,0 % des BIP verschlechtert. Damit wurde der Maastricht-Referenzwert von maximal 3 % gerade so erreicht. Für 2010 allerdings rechnet die Bundesregierung in Folge der Krise und der dadurch notwendig gewordenen Maßnahmen mit einem weiteren Anstieg des Defizits auf rd. 3,5 % des BIP. Der Rat der Europäischen Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN) hatte bereits im Dezember 2009 festgestellt, dass in Deutschland ein übermäßiges Defizit besteht und sprach Empfehlungen zu dessen Abbau aus. Danach muss Deutschland im Jahr 2011 mit der Konsolidierung seines Haushalts beginnen und das Defizit bis 2013 wieder unter den Maastricht-Referenzwert zurückführen. Deutschland wird den Empfehlungen des ECOFIN-Rates gerecht werden und das Defizit bis spätestens 2013 wieder unter 3 % des BIP drücken. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sichert die Einhaltung der Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts. 2. Haushaltskonsolidierung Es gilt nun, den Übergang zu gestalten von der expansiven, Konjunktur stützenden Politik hin zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Eine expansive Finanzpolitik war angesichts der Größe und Tiefe der Krise zwingend. Nachdem die Maßnahmen der Bundesregierung erfolgreich zur Stützung der Wirtschaft und zur Stabilisierung der Finanzmärkte beigetragen haben, ist jetzt die Zeit für eine glaubwürdige Umsetzung unserer „Exit-Strategie“ gekommen. So markieren der Bundeshaushalt 2011 und der Finanzplan bis 2014 einen Wendepunkt in der Haushalts- und Finanzpolitik des Bundes. Gegenüber dem alten Finanzplan wird die Neuverschuldung in den Jahren 2011 bis 2014 um insgesamt fast 80 Mrd. Euro reduziert. Dreh- und Angelpunkt ist dabei das Zukunftspaket der Bundesregierung

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Peters – Steuerpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung

B. Nationale Steuerpolitik I. Haushaltsbegleitgesetz Das Bundeskabinett hat am 6./7. Juni 2010, gerade auch mit Blick auf nachhaltige ökologische Weichenstellungen, Akzente gesetzt und die Einführung einer Luftverkehrsteuer, einer Kernbrennstoffsteuer sowie Einsparungen bei den im Rahmen der Ökosteuerreform existierenden Steuerbegünstigungen beschlossen. Diese Maßnahmen werden mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 umgesetzt.2 Die Luftverkehrsteuer wird für Flüge seit dem 1. Januar 2011 erhoben. Durch die neue Steuer ist mit Steuermehreinnahmen des Bundes in Höhe von 1 Mrd. Euro jährlich zu rechnen. Die Gesamtbelastung der Luftverkehrswirtschaft soll sich über diesen Betrag hinaus auch ab 2012, wenn die Luftfahrt in den Emissionshandel einbezogen wird, nicht erhöhen. Daher können die Steuersätze für die Luftverkehrsteuer ab 2012 so abgesenkt werden, dass die Gesamtbelastung der Luftverkehrswirtschaft aus Emissionshandel und aus Luftverkehrsteuer bei 1 Mrd. Euro verbleibt. Mit der Einführung einer Kernbrennstoffsteuer zum 1. Januar 2011 wird der Verbrauch von Kernbrennstoffen besteuert, die zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet werden. Die Steuer wird befristet bis zum 31. Dezember 2016 erhoben. Durch die neue Steuer ist mit Steuermehreinnahmen des Bundes in Höhe von jährlich 2,3 Mrd. Euro in den Jahren von 2011 bis 2016 zu rechnen. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 werden auch die im Rahmen der ökologischen Steuerreform eingeführten Energie- und Stromsteuerbegünstigungen für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes und Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft maßvoll reduziert. Diese Maßnahme trägt u. a. dem Umstand Rechnung, dass die begünstigten Unternehmen des Produzierenden Gewerbes mit Abstand die höchsten Subventionen im Bereich der Energie- und der Stromsteuer empfangen. Durch den Subventionsabbau ist für den Bundeshaushalt mit Mehreinnahmen für das Haushaltsjahr 2011 in Höhe von 830 Mio. Euro und für das Haushaltsjahr 2012 in Höhe von 620 Mio. Euro zu rechnen. Auch der Finanzsektor soll einen besonderen Beitrag zur Bekämpfung der Kosten der Krise und damit auch zur Haushaltskonsolidierung leisten. Deshalb unterstützt Deutschland neben der fondsgebundenen Ban_____________ 2 BGBl. I 2010, 1885.

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kenabgabe auch die möglichst weltweite – aber zumindest auf europäischer Ebene abgestimmte – Einführung einer Finanztransaktionsteuer. In einer gemeinsamen Initiative der Finanzminister Deutschlands und Frankreichs wurde bei der belgischen Ratspräsidentschaft für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer auf europäischer Ebene geworben. Erste Erörterungen haben im Rahmen eines Sonder-ECOFINRates stattgefunden.

II. Steuervereinfachung und Bürokratieabbau Auch im Bereich der Besitz- und Verkehrsteuern sind steuerpolitische Maßnahmen derzeit so auszurichten, dass sie mit dem zwingend gebotenen Konsolidierungskurs der Bundesregierung zu vereinbaren sind. Ein Thema, das aktuell hohe steuerpolitische Bedeutung für die Bundesregierung hat, ist die Steuervereinfachung. Das aktuelle Steuersystem ist geprägt durch die Vielgestaltigkeit des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. Damit verbunden ist oftmals eine unübersichtliche Kleinteiligkeit der anzuwendenden Steuergesetze, die zu einer steigenden Beanspruchung des Steuerzahlers bei der Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten führt. Deshalb soll das Steuerrecht vereinfacht und von unnötiger Bürokratie befreit werden. Der Koalitionsvertrag nennt eine Reihe von Maßnahmen zur Steuervereinfachung und zum Abbau der Steuerbürokratie. Auch die Finanzverwaltungen der Länder, Verbände und andere Institutionen haben weitere darüber hinaus gehende Vorschläge gemacht, die vor Aufnahme in ein Steuervereinfachungspaket sorgfältig geprüft werden. Einige dieser Maßnahmen lassen sich auf der Grundlage des geltenden Rechts und daher zeitnah umsetzen. Andere Vorhaben werden dagegen aufgrund von Abstimmungsprozessen auf nationaler Ebene oder in der EU längere Zeit in Anspruch nehmen. Die Maßnahmen sollen insbesondere – Steuerzahler, aber auch Steuerverwaltung und Steuerberatende Berufe von Erklärungs- und Prüfungsaufwand im Besteuerungsverfahren entlasten, – ein Mehr an Vorhersehbarkeit und Planungssicherheit im Besteuerungsverfahren gewährleisteten, – und zum gezielten Abbau überflüssiger Bürokratie in den administrativen Prozessen der Steuerverwaltung beitragen. 6

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Außerdem sollen die vielfältigen Möglichkeiten der modernen Informationstechnik auch im Besteuerungsverfahren noch umfassender eingesetzt werden. Die Arbeiten im Bundesministerium der Finanzen zur Erstellung eines Gesetzentwurfs mit der Zielrichtung der Steuervereinfachung sind bereits weit fortgeschritten. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit einem Bündel von Maßnahmen dafür sorgen können, dass alle am Besteuerungsverfahren Beteiligten von unnötiger Steuerbürokratie entlastet werden und ihren steuerlichen Pflichten leichter nachkommen können.3

III. Reform der Gemeindefinanzen Eine mindestens ebenso schwergewichtige aktuelle Aufgabe liegt in der Zielsetzung einer Verbesserung der Kommunalfinanzen. Das ist die dringendste Aufgabe, die wir in dem gesamtstaatlichen Verbund von Bund, Ländern und Kommunen leisten müssen. Wir brauchen eine Verbesserung der Kommunalfinanzen, um die kommunale Selbstverwaltung nicht weiter erodieren zu lassen. Mit Reformoptionen für diesen Bereich befasst sich seit Anfang März eine Regierungskommission, in der natürlich auch Vertreter von Ländern und Kommunen mitarbeiten. Eine angemessene Finanzausstattung der Gemeinden, die sie in die Lage versetzt, ihre Aufgaben zu erfüllen, ist essentiell für die Funktionsfähigkeit unseres Staates und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Denn die Leistungsfähigkeit der Kommunen ist die Grundlage für die Nachhaltigkeit und Stabilität unserer demokratischen Ordnung. Durch die kommunale Selbstverwaltung können sich die Bürger vor Ort einbringen und Politik gestalten – dies ist umso wichtiger in Zeiten, in denen die Bindungen zwischen Bürgern und Politik durch Globalisierung und soziale Entwicklungen eher schwächer werden. Alle an der Kommissionsarbeit Beteiligten streben eine einvernehmliche Lösung an, die einnahme- und ausgabeseitige Maßnahmen umfasst. Der Bund ist dabei grundsätzlich bereit, im Zusammenhang mit den Beratungen in der Gemeindefinanzkommission die Kommunen von Aufwendungen für soziale Leistungen zu entlasten. _____________ 3 Vgl. hierzu den Regierungsentwurf für ein Steuervereinfachungsgesetz v. 2.2.2011, BR-Drucks. 54/11.

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Ich bin zuversichtlich, dass wir zu guten Ergebnissen im Sinne einer zukunftsgerichteten Sicherung der kommunalen Einnahmebasis kommen werden. Denn alle Beteiligten sind sich der Bedeutung dieser Frage für die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen, aber auch für die Stabilität unserer gesellschaftlichen Ordnung insgesamt bewusst.

IV. Umsatzsteuer Im Bereich der Umsatzsteuer gibt es ebenfalls ein Potenzial zur Steuervereinfachung. Die Komplexität ergibt sich hier insbesondere aus der Abgrenzung zwischen den Produktgruppen, die dem ermäßigten Satz und denjenigen, die dem Regelsatz unterliegen. Deshalb hat die Bundesregierung entschieden, eine Kommission einzusetzen, die sich mit der Struktur und dem Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze befasst. Dabei muss die Kommission nicht bei Null anfangen. Denn das Bundesfinanzministerium hat – übrigens auf Veranlassung des Finanzausschusses des Bundestages der vorigen Legislaturperiode – einen Forschungsauftrag zu den Strukturen von Regelsätzen und ermäßigten Sätzen bei der Umsatzbesteuerung unter wirtschafts-, finanz- und steuerpolitischen Gesichtspunkten vergeben. Die Kommission soll ihre Arbeit alsbald aufnehmen. Dabei werden die Forschungsergebnisse, die bereits vorliegen und auch öffentlich zugänglich gemacht wurden, einfließen.

V. Unternehmensbesteuerung Der Schwerpunkt bei der vorgesehenen mittelfristigen Überprüfung des Unternehmensteuerrechts wird im strukturellen Bereich liegen. Dazu sieht der Koalitionsvertrag mit dem ausdrücklichen Ziel, „das Unternehmenssteuerrecht weiter zu modernisieren und international wettbewerbsfähig [auszu]gestalten“, insbesondere folgende Arbeits- bzw. Prüffelder vor: – die Neustrukturierung der Verlustnutzung, – die Einführung eines modernen Gruppenbesteuerungssystems, – die Auseinandersetzung mit einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Eigenkapital und Fremdkapital. Insgesamt wird es darauf ankommen, das Unternehmensteuerrecht weiter zu modernisieren und international wettbewerbsfähig auszugestalten. Diesen Themenkomplex haben wir uns für das kommende Jahr 8

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vorgenommen. Allerdings gilt auch hier, dass entsprechende Konzepte im Einklang mit dem Konsolidierungskurs der Bundesregierung stehen müssen.

C. Internationale Steuerpolitik I. Überblick Die deutsche internationale Steuerpolitik ist untrennbar mit den Initiativen und Projekten der EU, der OECD und anderen internationalen Institutionen verbunden und zeichnet sich daher größtenteils durch die deutsche Präsenz und Einflussnahme in den internationalen Gruppen aus. In diesem Sinne vollzieht sich die deutsche internationale Steuerpolitik innerhalb der Grenzen bzw. der Vorgaben dieser Institutionen, die jedoch von deutscher Seite mit gestaltet werden, um sie später auch national umzusetzen. Im Folgenden möchte ich insbesondere auf die aktuellen Themen der internationalen Steuerpolitik, die auf EU- und OECD-Ebene behandelt werden und die jeweilige Haltung Deutschlands eingehen. Hierbei konzentriere ich mich auf die drei großen Themen, die EU- und OECD-weit wie auch von deutscher Seite im Fokus der Interessen liegen: die DBA-Politik, die Verrechnungspreise und die Aktivitäten gegen den steuerschädlichen Wettbewerb.

II. DBA-Politik Eine wichtige Säule der internationalen Steuerpolitik der Bundesregierung ist die deutsche Politik im Bereich der Doppelbesteuerungsabkommen. Gleichberechtigte Ziele deutscher DBA-Politik sind sowohl die Vermeidung einer doppelten Besteuerung, einer doppelten Nichtbesteuerung, sowie die Vermeidung der Steuerumgehung oder -hinterziehung. Hierdurch wird eine steuerliche Verzerrung des wirtschaftlichen Standortwettbewerbs vermieden. Doppelbesteuerung belastet und erschwert wirtschaftliche Aktivität, während die scheinbar harmlose – und oft als Beratungsziel angestrebte – Doppelnichtbesteuerung künstliche Anreize für Gewinn- und Vermögensverlagerungen schafft. Im Koalitionsvertrag zwischen den an der Bundesregierung beteiligten Parteien finden sich auf Seite 6 die Aussagen: „Wir werden unsere Politik der Doppelbesteuerungsabkommen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen ausrichten und deshalb

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grundsätzlich an der Freistellung der ausländischen Einkünfte festhalten. Die Bemühungen im Kampf gegen die internationale Steuerhinterziehung werden wir weiter vorantreiben.“

Hieran orientiert sich unsere Politik. 1. Methodenwahl Die deutsche Abkommenspolitik verwendet traditionell für durch Auslandsaktivitäten erzielte Einkünfte je nach Einkunftsart entweder die Freistellungs- oder die Anrechnungsmethode. Die Freistellungsmethode wird aufgrund von „Aktivitätsklauseln“ nur für Einkünfte aus aktiver Tätigkeit gewährt und durch sog. „Umschaltklauseln“ flankiert, die es der deutschen Seite ermöglichen, bei Nicht- oder niedriger Besteuerung im anderen Staat einseitig von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode überzugehen. Diese Möglichkeit wird auch durch nationale Vorschriften (z. B. § 50d Abs. 8 und 9 EStG) gesichert. An diesen bewährten Grundsätzen wird festgehalten. Mit Staaten, die niedrig oder überhaupt nicht besteuern, werden grundsätzlich keine DBA geschlossen, weil keine Doppelbesteuerung droht. Wird aus übergeordneten politischen Gründen doch ein DBA abgeschlossen (z. B. mit den Vereinigten Arabischen Emiraten), verwendet Deutschland ausnahmsweise ausschließlich die Anrechnungsmethode, um eine wettbewerbsverzerrende doppelte Nichtbesteuerung auf der Abkommensebene zu vermeiden. Ferner kommt die Verwendung der Anrechnungsmethode in Betracht, wenn der andere Vertragsstaat sich weigert, Missbrauchsbekämpfungsvorschriften (z. B. die Aktivitätsklausel) und die Umschaltklausel zu akzeptieren. Dies steht im Einklang mit der bisherigen deutschen Abkommenspolitik und der im Koalitionsvertrag enthaltenen Aussage, die DBA-Politik auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen auszurichten und deshalb grundsätzlich an der Freistellung der ausländischen Einkünfte festzuhalten. 2. Aktuelle Entwicklungen a) DBA Deutschland – Großbritannien Am 30. März 2010 ist in London ein neues DBA mit Großbritannien unterzeichnet worden, um das geltende DBA aus dem Jahr 1964 zu ersetzen. Das Vertragsgesetz zu dem Abkommen hat bereits die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften in Deutschland erhalten und 10

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auch Großbritannien hat das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Die Ratifikationsurkunden können noch in diesem Jahr ausgetauscht werden, so dass das neue Abkommen auf Steuern ab 2011 anwendbar ist. Das neue DBA entspricht weitgehend dem OECD-Musterabkommen und anderen in jüngster Zeit paraphierten bzw. unterzeichneten Abkommen. Hervorzuheben sind Änderungen im Bereich der Quellensteuersätze auf Dividenden, bei Sozialversicherungsrenten, der Aufnahme einer Schiedsklausel entsprechend Artikel 25 OECD-MA sowie die gemeinsame Erklärung, dass das DBA der Anwendung der nationalen Missbrauchsregelungen nicht entgegensteht. b) Revisionsprotokoll zum DBA Schweiz Das Revisionsprotokoll zur Änderung des bestehenden deutsch-schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommens wurde Ende Oktober von den Finanzministern unterzeichnet und markiert eine wichtige Etappe in der Beilegung des Steuerstreits zwischen beiden Staaten. Hauptgegenstand dieses Revisionsprotokolls ist die Umsetzung des OECD-Standards für Transparenz und effektiven Informationsaustausch in Steuersachen entsprechend Artikel 26 des OECD-Musterabkommens für Doppelbesteuerungsabkommen. Dieser enthält die Verpflichtung, auf Ersuchen Informationen – einschließlich Bankinformationen – zu erteilen, die für die Durchführung der Besteuerung im ersuchenden Staat „voraussichtlich erheblich“ sind. Die Darlegung eines Anfangsverdachts einer Steuerhinterziehung ist hierfür nicht erforderlich. Das Revisionsprotokoll enthält daneben weitere Regelungen, u. a. zur Streitbeilegung mittels einer umfassenden Schiedsklausel und zur Nichtdiskriminierung. Den Text des Revisionsprotokolls finden Sie auf der Internetseite des BMF. Darüber hinaus haben die Minister beschlossen, voraussichtlich Anfang 2011 formelle Verhandlungen aufzunehmen, um eine dauerhafte Lösung für eine ordnungsgemäße Besteuerung von bisher unversteuerten Kapitalanlagen deutscher Steuerpflichtiger in der Schweiz zu finden. Ich bitte um Verständnis, dass ich diesen erst noch zu führenden Verhandlungen nicht mit weiteren Auskünften vorgreifen kann. c) DBA Singapur Das Doppelbesteuerungsabkommen mit Singapur war in den vergangenen Monaten wiederholt Thema in Presseverlautbarungen. Lassen Sie mich daher bitte auch zu diesem Abkommen ein paar Worte sagen: 11

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Singapur hat gegenüber Deutschland seine Bereitschaft erklärt, das geltende deutsch-singapurische Doppelbesteuerungsabkommen zu revidieren und vorgeschlagen, eine Formulierung über den Informationsaustausch in das Abkommen aufzunehmen, die dem aktuellen Musterabkommen der OECD entspricht. Diese Bereitschaft Singapurs wird von der Bundesregierung ausdrücklich begrüßt. Über den Informationsaustausch hinaus geht es uns aber auch darum, das Abkommen mit Singapur so zu verbessern, dass insgesamt eine wirksamere und gerechtere Besteuerung sichergestellt wird und aufgrund dieses Abkommens keine unversteuerten Einkünfte entstehen. Das Bundesministerium der Finanzen prüft daher mit den zuständigen Ressorts, ob in diesem Einzelfall Singapur von der partiellen Freistellungs- auf die Anrechnungsmethode gewechselt werden sollte. Ich hoffe, dass die konkreten Verhandlungen mit Singapur baldmöglichst aufgenommen werden können. 3. Aktuelle Diskussion in der Arbeitsgruppe 1 der OECD Die Arbeitsgruppe 1 der OECD arbeitet an der Weiterentwicklung des OECD-Musters für Doppelbesteuerungsabkommen und seines Kommentars. Ziel ist die Förderung eines möglichst globalen Netzes bilateraler Abkommen zur Vermeidung von doppelter Besteuerung und doppelter Nichtbesteuerung und zur Ermöglichung von Informationsaustausch und Amtshilfe. Zu diesem Zweck empfehlen die OECDStaaten die Anwendung des OECD-Kommentars in seiner jeweils aktuellen Fassung, und damit eine „dynamische“ und keine „statischhistorische“ Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen. Im Sommer 2010 konnte die neue Ausgabe des nunmehr im Rhythmus von 2 bis 3 Jahren revidierten Musterabkommens mit Kommentar vom Council der OECD verabschiedet werden. Wesentliche Inhalte dieser Revision sind die Einführung des so genannten „Authorised OECD Approach“ in Artikel 7 OECD-MA, eine recht umfangreiche Ergänzung des Kommentars zu Artikel 1 OECD-MA betreffend die DBA-rechtliche Behandlung von kollektiven Anlageinvestments, sowie Ergänzungen bzw. Änderungen des Kommentars betreffend DBA-rechtlicher Fragestellungen im Zusammenhang mit Geschäftsmodellen der Telekommunikation und der Anwendung der 183-Tage-Regelung bei der Arbeitnehmerbesteuerung.

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Für die nächste Überarbeitung werden derzeit Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Konzept des „Nutzungsberechtigten“, das heißt der „beneficial ownership“ in den Artikeln 10, 11 und 12 OECD-MA, der Auslegung des bestehenden Artikels 17 OECD-MA zur Besteuerung von Künstlern und Sportlern sowie Fragestellungen im Zusammenhang mit den Diskriminierungsverboten in DBA thematisiert. Ein bekannter Dauer-Streitpunkt ist die Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs, der in der wieder aktivierten Unterarbeitsgruppe Nr. 10 zur Betriebstättendefinition bearbeitet wird.

III. Verrechnungspreise 1. Funktionsverlagerungen – Verwaltungsgrundsätze Durch das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 erfolgten Anpassungen der Regelungen zu Verrechnungspreisen in § 1 AStG, um den Entwicklungen auf internationaler Ebene gerecht zu werden. Hierzu wurde im neuen Absatz 3 u. a. die Anwendung der Verrechnungspreismethoden und der hypothetische Fremdvergleich normiert, insbesondere aber auch Regelungen zu Funktionsverlagerungen geschaffen, die durch die Funktionsverlagerungsverordnung vom 12. August 2008 verbindlich präzisiert wurden.4 Durch das EU-Vorgabengesetz vom 8. April 20105 wurde § 1 Absatz 3 Satz 10 AStG (Öffnungsklauseln) geändert, um die Möglichkeiten, für Funktionsverlagerungen Verrechnungspreise auf der Grundlage der einzelnen betroffenen Wirtschaftsgüter zu bestimmen und nicht auf der Grundlage einer „Transferpaketbetrachtung“ (Regelfall), zu erweitern. Dadurch wird die steuerliche Behandlung aus Sicht – vor allem der mittelständischen Unternehmen – im Einzelfall einfacher. Doch auch in diesen Fällen sind für alle Bestandteile des Transferpakets fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise anzusetzen. Die „Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung“, die offene Zweifelsfragen klären und die Rechtslage anhand von praxisnahen Beispielen veranschaulichen, wurden am 13. Oktober 2010 auf der Internetseite des BMF veröffentlicht.6 _____________ 4 BGBl. I 2008, 1680. 5 BGBl. I 2010, 386. 6 Zwischenzeitlich veröffentlicht in BStBl. I 2010, 774.

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Dies ist zwar nicht der Ort für detaillierte Ausführungen zu den Funktionsverlagerungsregelungen. Folgende Anmerkungen sind mir jedoch wichtig: – Die OECD hat den Fremdvergleichsgrundsatz durch die am 22. Juli 2010 veröffentlichte Überarbeitung der Verrechnungspreisgrundsätze erneut ausdrücklich bestätigt. – Der Bericht der OECD zu „Transfer Pricing Aspects of Business Restructuring“, der am 22. Juli 2010 vom Rat der OECD gebilligt wurde und als neues Kapitel IX der OECD-Verrechnungspreisgrundsätze aufgenommen wurde, bestätigt die Übereinstimmung der Regelungen zu Funktionsverlagerungen mit dem internationalen Standard. 2. Aktuelle Diskussion in der Arbeitsgruppe 6 der OECD Die OECD wird die Überarbeitung der Verrechnungspreisgrundsätze fortsetzen. Als nächstes Projekt wird sich die Arbeitsgruppe 6 mit Verrechnungspreisfragen im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern beschäftigen. Ausführungen hierzu sind bereits in den Kapiteln VI und VIII der OECD Verrechnungspreisgrundsätze enthalten. Die Arbeiten zu der am 22. Juli 2010 verabschiedeten Überarbeitung der Kapitel I bis III und zum neuen Kapitel IX haben gezeigt, dass die Grundsätze zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bezüglich immaterieller Wirtschaftsgüter nicht ausreichen. Deutschland wird auch dieses Projekt – das im November 2010 gestartet wurde – aktiv begleiten.

IV. Aktivitäten gegen den steuerschädlichen Wettbewerb Deutschland hat sich seit jeher aktiv am Kampf gegen den steuerschädlichen Wettbewerb beteiligt und die entsprechenden EU- und OECDInitiativen insbesondere hinsichtlich Transparenz und Informationsaustausch unterstützt bzw. initiiert und durch nationale Maßnahmen flankiert. Doch erst die Steuerhinterziehungsskandale der jüngeren Vergangenheit, zeitgleich mit der Finanzkrise, haben zu einem Durchbruch geführt. Dabei haben Deutschland und Frankreich eine Vorreiterrolle übernommen. Ihre Forderungen, formuliert im Oktober 2008 und unterstützt von weiteren Staaten, wurden auf dem G20 Gipfel im November 2008 in Washington übernommen. Auf dem Folgegipfel von 14

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London wurde im April 2009 unmissverständlich mit Maßnahmen gegen Staaten und Gebiete gedroht, die sich weiterhin weigerten, die OECD-Grundsätze zu Transparenz und Informationsaustausch zu akzeptieren. Heute können wir feststellen, dass dieses entschlossene Vorgehen erfolgreich war; denn innerhalb kürzester Zeit haben alle bedeutenden Finanzzentren die OECD-Grundsätze akzeptiert und ihre Bereitschaft erklärt, sie auch umzusetzen, d. h. entweder in bestehende DBA-Artikel 26 des OECD-MA 2010 (Informationsaustausch) einzufügen bzw. bei fehlendem DBA entsprechende Informationsaustauschverträge abzuschließen. 1. Entwicklungen im Global Forum „Transparenz und Informationsaustausch“ Die alleinige Vereinbarung des OECD-Standards zum Informationsaustausch durch bilaterale Abkommen genügt im Kampf gegen den unfairen Steuerwettbewerb jedoch nicht. Denn diese Vereinbarungen müssen auch gelebt werden. Aus diesem Grunde haben die G20-Staaten gefordert, dass die tatsächliche Durchführung und Anwendung des OECD-Standards zu überprüfen ist. Dazu ist im Rahmen des bei der OECD angesiedelten und derzeit 95 Staaten und Gebiete umfassenden „Global Forum on Transparency and Exchange of Information“ ein umfangreicher Prüfungsprozess in Gang gesetzt worden, der alle Finanzzentren, aber auch alle OECD-Mitgliedstaaten umfasst. Die ersten Prüfungen haben Anfang März 2010 begonnen. Soweit dabei Mängel aufgedeckt werden, wird von den betreffenden Staaten oder Gebieten erwartet, dass sie diese beseitigen. Ende September 2010 wurden die ersten acht Prüfberichte vom Global Forum einstimmig angenommen. Die ersten Ergebnisse des Global Forums sind beachtlich und lassen erwarten, dass dieses ambitionierte Projekt seine wichtige Aufgabe – die Prüfung der praktischen Umsetzung der OECD-Standards – erfüllen wird. Auch Deutschland wird einer solchen Prüfung unterzogen; es ist beabsichtigt, dass der Prüfbericht zu Deutschland im April 2011 erörtert wird. 2. Die Maßnahmen Deutschlands Derzeit ist Deutschland dabei, den OECD-Standard durch Anpassung derjenigen DBA zu implementieren, bei denen dies erforderlich ist. So sind die DBA mit Belgien, Luxemburg und Zypern entsprechend ange15

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passt worden, im Oktober 2010 wurde – wie bereits erwähnt – das Revisionsprotokoll zum deutsch-schweizerischen DBA unterzeichnet. Im Übrigen erfolgt die Implementierung durch Abkommen über Informationsaustausch für Besteuerungszwecke. Eine Reihe dieser Abkommen ist bereits unterzeichnet: Ich nenne beispielhaft die Abkommen mit Liechtenstein, Gibraltar, den Kanalinseln, der Isle of Man und den Bahamas. Weitere Abkommensunterzeichnungen stehen bevor. Als unilaterale Maßnahme hat Deutschland das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz7 geschaffen, welches (im Zusammenwirken mit einer entsprechenden Rechtsverordnung8) für Geschäftsbeziehungen mit unkooperativen Staaten oder Gebieten besondere Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen vorsieht. Eine Nichterfüllung dieser Pflichten würde steuerliche Nachteile nach sich ziehen. Bis heute hat es kein wichtiges Finanzzentrum nach Aufforderung abgelehnt, mit Deutschland den OECD-Standard zu vereinbaren. Damit hat das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz sein Ziel erreicht und kein Staat oder Gebiet musste – jedenfalls bis heute – als unkooperativ gelistet werden. 3. EU-Gruppe Verhaltenskodex Auch im Rahmen der politischen Diskussion in der EU besteht Konsens, dass Steuerwettbewerb gewissen Regeln unterliegen muss. Nicht zuletzt auf Bestreben Deutschlands haben sich die EU-Mitgliedstaaten einem „Verhaltenskodex zur Bekämpfung des unfairen Steuerwettbewerbs bei der Unternehmensbesteuerung“ unterworfen. Dieser „Code of Conduct“ ist eine politische Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten, bestehende unfaire Steuerregelungen für Investitionen von Steuerausländern abzubauen und keine neuen unfairen Steuerregelungen einzuführen. Unfairer Steuerwettbewerb im Sinne des Verhaltenskodex liegt vor bei – – – –

Einräumung von Steuervorteilen für Nichtansässige, Einräumung von Steuervorteilen ohne wirtschaftliche Präsenz, mangelnder Transparenz steuerlicher Maßnahmen, Abweichen von internationalen Grundsätzen bei der steuerlichen Gewinnermittlung.

_____________ 7 BGBl. I 2009, 2302. 8 BGBl. I 2009, 3046.

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Die Gruppe Verhaltenskodex überwacht regelmäßig die steuerlichen Entwicklungen in den EU-Mitgliedstaaten. Hierbei wird im Rahmen des Konsensprinzips das Regime eines Mitgliedstaates beurteilt. Beurteilen alle außer der betroffene Mitgliedstaat das Regime als schädlich, würde er aufgefordert, dieses zurückzunehmen oder zu ändern. 4. EU-Zinsrichtlinie, EU-Amtshilferichtlinie, Betrugsbekämpfungsabkommen Die EU-Mitgliedstaaten legen wie die OECD größten Wert auf den Informationsaustausch als Maßnahme gegen den steuerschädlichen Wettbewerb. Alle genannten Dossiers (Revision der Zinsrichtlinie, Neugestaltung der Amtshilferichtlinie, das EU-Betrugsbekämpfungsabkommen mit Liechtenstein/und Verhandlungsmandate für die KOM für gleichartige Abkommen mit den europäischen Drittstaaten) haben daher, auch als Ausfluss der Entwicklungen innerhalb der G20 und der OECD, die Verbesserung des Informationsaustauschs zum Ziel. Eine Einigung im ECOFIN-Rat scheiterte jedoch bislang an der Blockadehaltung vor allem von Österreich und Luxemburg. Beide Staaten übermitteln als einzige EU-Mitgliedstaaten noch nicht automatisch die in der EU-Zinsrichtlinie vorgesehenen Informationen über Zinseinkünfte. Soweit sie an dem verpflichtenden automatischen Informationsaustausch nicht teilnehmen, erheben sie stattdessen für eine Übergangszeit eine anonyme Quellensteuer (derzeit i. H. v. 20 %, ab 1. Juli 2011 35 %). Ihr Übergang zum automatischen Informationsaustausch hängt insbesondere davon ab, dass EU-Abkommen mit fünf europäischen Drittstaaten (Andorra, Schweiz, Liechtenstein, Monaco und San Marino) abgeschlossen werden, welche einen Informationsaustausch nach OECDStandard beinhalten. Ein solches Abkommen ist mit Liechtenstein bereits ausgehandelt worden und bedarf jetzt der Zustimmung der Mitgliedstaaten im ECOFIN-Rat. Das Kernproblem für Luxemburg und Österreich ist der verpflichtende automatische Informationsaustausch, gegen dessen Einführung sie vor allem Bedenken haben wegen: – befürchteter Abwanderung der Anleger von Österreich und Luxemburg in Richtung Schweiz und Liechtenstein – sowie der Behandlung von Altfällen. Aus Sicht der Bundesregierung sind die Dossiers einigungsreif. Jedoch konnten lediglich das EU-Betrugsbekämpfungsabkommen mit Liechtenstein sowie die EU-Amtshilferichtlinie im ECOFIN-Rat im Dezember 17

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tatsächlich beschlossen werden. Deutschland wird sich einem möglichen Kompromiss mit Luxemburg und Österreich nicht verschließen, wenn er auf der anderen Seite auch die legitimen Belange Deutschlands und der anderen EU-Mitgliedstaaten berücksichtigt. Das heißt, die Bundesregierung hält daran fest, dass der automatische Informationsaustausch als Standard in der gesamten EU umgesetzt werden sollte und kein Staat auf Kosten der Anderen Anziehungspunkt für Schwarzgelder sein sollte. Einige Kritiker weisen zwar darauf hin, dass der automatische Informationsaustausch nicht OECD-Standard sei. Das kann er aber gegenwärtig auch gar nicht, da die komplexen EDV-mäßigen Voraussetzungen für den automatischen Informationsaustausch schwerlich weltweit umgesetzt werden können. Und es hindert viele OECD-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, auch nicht daran, bereits in großem Umfang auf freiwilliger Basis Informationen automatisch auszutauschen. Innerhalb der auch steuerlich immer weiter zusammenwachsenden EU ist jedoch die Ausweitung des automatischen Informationsaustauschs unabdingbar, nicht zuletzt aufgrund des begrüßenswerten Trends, dass immer mehr Unionsbürger ihre Grundfreiheiten für stärkeres wirtschaftliches und finanzielles Engagement im EU-Ausland nutzen. Ich verweise in diesem Zusammenhang darauf, dass sich der EuGH regelmäßig auf den Informationsaustausch aufgrund der Amtshilferichtlinie bezieht, wenn Mitgliedstaaten ihre Regelungen damit zu rechtfertigen versuchen, dass ein Steuervollzug im Ausland nicht möglich sei (siehe die Diskussionen zur Abzugsfähigkeit von Spenden ins Ausland). Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass innerhalb der letzten zwei Jahre erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung erzielt werden konnten. Diese Entwicklung zeigt, dass die Nutzung des Bankgeheimnisses für Zwecke der Steuerhinterziehung keine Zukunft hat. Aus diesem Grund denke ich auch, dass die noch offenen EU-Dossiers bald verabschiedet werden.

D. Fazit Die Haushaltskonsolidierung hat weiterhin höchste Priorität in der Politik der Bundesregierung. Den Weg werden wir, weil wir unsere Finanzpolitik durch die Ergebnisse in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt bestätigt sehen, konsequent weiter fortsetzen. Damit wird der Schwerpunkt in der nationalen Steuerpolitik zunächst auf struktu18

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rellen Maßnahmen liegen. Für die großen Steuersenkungen besteht derzeit kein Spielraum. Ein begrenztes Finanzvolumen werden wir aber einsetzen für Steuervereinfachungen; außerdem müssen wir dringend etwas tun, um die Lage der Kommunalfinanzen zu verbessern. Im Rahmen der internationalen Steuerpolitik bleibt es deutsche Priorität, die Arbeiten in den Gremien der EU und der OECD erfolgreich mit zu begleiten. Hiermit stellen wir sicher, dass das deutsche internationale Steuerrecht wettbewerbsfähig bleibt. Deutschland wird in den Gremien auch weiterhin für eine Bekämpfung des steuerschädlichen Wettbewerbes eintreten. Damit sichern wir nicht nur das zur Haushaltskonsolidierung benötigte Steueraufkommen, sondern leisten auch einen Beitrag zur Steuergerechtigkeit.

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Reformbedarf im deutschen internationalen Steuerrecht Dr. Wolfgang Haas Rechtsanwalt, BASF SE, Ludwigshafen Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 B. Merkmale eines wettbewerbsfähigen internationalen Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zuordnung des Besteuerungsrechts und Vermeidung einer Doppelbesteuerung . . . . . . . . . II. Weltumspannendes Netz von Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wettbewerbsfähiges Außensteuergesetz . . . . . . . . . . . . . . . IV. Besteuerung internationaler Umstrukturierungen . . . . . . . . V. Besteuerung des konzerninternen Liefer- und Leistungsaustauschs . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Zustand des deutschen internationalen Steuerrechts . . . . . . . . 25 D. Überblick über die gravierendsten Mängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Körperschaftsteuergesetz . . . . . 1. Korrespondenzprinzip (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG) . . . . . . . 2. Pauschalierung nichtabzugsfähiger Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 3 Satz 1 KStG) . . . 3. Keine Berücksichtigung von Totalverlusten (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) . . . . . . . . . . . . . 4. Nichtberücksichtigung von Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen (§ 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG) . . . . 5. Einlagerückgewähr durch ausländische Tochtergesellschaften (§ 27 Abs. 8 KStG) .

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III. Einkommensteuergesetz . . . . . 1. Restriktive Steueranrechnung (§ 34c Abs. 1 EStG) . . . 2. Ausschluss von Treaty Shopping im Inbound-Fall (§ 50d Abs. 3 EStG) . . . . . . . . 3. Switch-over-Klausel (§ 50d Abs. 9 EStG) und Einkünftefiktion für Sondervergütungen (§ 50d Abs. 10 EStG) . . . IV. Gewerbesteuergesetz, Doppelbelastung von Gewinnanteilen (§ 8 Nr. 5 GewStG i. V. m. § 9 Nr. 7 GewStG) . . . . . . . . . . . . . V. Außensteuerrecht . . . . . . . . . . . 1. Funktionsverlagerungen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 ff. AStG) . . 2. Mitwirkungstatbestände (§ 8 Abs. 1 Nr. 4–6 AStG) . . . 3. Darlehensaufnahme im Ausland (§ 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG) . . . . . 5. Veräußerungsgewinne (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG) . . . . . 6. Umwandlungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG) . . . . . . . . . . . . . 7. Grenze der niedrigen Besteuerung (§ 8 Abs. 3 AStG) . 8. Steueranrechnung (§ 12 AStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verfahrensrecht (Anzeigepflicht, § 138 Abs. 2 AO) . . . . .

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E. Anforderungen an eine wettbewerbsfähige DBA-Politik . . 41 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . 42

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Haas – Reformbedarf im deutschen internationalen Steuerrecht

A. Einleitung Das deutsche internationale Steuerrecht erfuhr die letzte grundlegende Reform mit Einführung der Freistellungsmethode in § 8b KStG durch das Steuersenkungsgesetz 2000.1 Es folgten eine Vielzahl gesetzgeberischer Einzelmaßnahmen, die in Summe zu einer nachhaltigen Veränderung des deutschen internationalen Steuerrechts führten. Die Änderungen waren überwiegend getrieben von dem Interesse, echte oder vermeintliche Steuerschlupflöcher zu schließen. Die Fülle der hierzu erlassenen oder geänderten Einzelvorschriften haben erhebliche Auswirkungen auf die Praxis des internationalen Steuerrechts und bedeuten eine signifikante Verschlechterung der Rahmenbedingungen für international tätige Unternehmen. Aus Sicht der Wirtschaft besteht daher ein grundlegender, struktureller Reformbedarf. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich nach einer kurzen Ziel- und Standortbestimmung des deutschen internationalen Steuerrechts mit dem drängendsten Reformbedarf.

B. Merkmale eines wettbewerbsfähigen internationalen Steuerrechts I. Zuordnung des Besteuerungsrechts und Vermeidung einer Doppelbesteuerung Grenzüberschreitend tätige Unternehmen bieten häufig in mehreren Staaten Anknüpfungspunkte für die Besteuerung ein und desselben Geschäftsvorfalls. Infolge dessen sind diese Unternehmen latent einem Doppelbesteuerungsrisiko ausgesetzt. Eine der wichtigsten Aufgaben des internationalen Steuerrechts, namentlich des Doppelbesteuerungsrechts, ist daher die zuverlässige Zuordnung des Besteuerungsrechts und die Vermeidung einer Doppelbesteuerung. Die Zuordnung des Besteuerungsrechts zum Quellenstaat ergibt sich aus dem Abkommensrecht und erfolgt über die sog. Schrankennormen (Art. 6–22 OECD-MA). Als Methoden zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung in Wohnsitzstaat und Quellenstaat stehen dabei die Steueranrechnung2 sowie die Steuerfreistellung3 im Wohnsitzstaat zur Verfügung. Während die An_____________ 1 Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom 23.10.2000, BGBl. I 2000, 1433, 1452 f. 2 § 34c Abs. 1 EStG; Art. 23 B (Anrechnungsmethode) OECD-MA. 3 § 8b Abs. 1 und 2 KStG; Art. 23 A (Befreiungsmethode) OECD-MA.

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rechnungsmethode ausländische Einkünfte zumindest auf das deutsche Steuerniveau hochschleust, wird durch die Freistellungsmethode das ausländische Steuerniveau durch die Steuerfreiheit in Deutschland grundsätzlich definitiv. Die Anrechnungsmethode gewährleistet damit eine Kapitalexportneutralität, während die Freistellungsmethode die Wettbewerbsneutralität im Ausland, also Kapitalimportneutralität bewirkt. Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist für Auslandsdividenden und ausländische Betriebsstätteneinkünfte der Freistellungsmethode den Vorzug zu geben, da nur so die im Rahmen des Globalisierungsprozesses notwendigen Auslandsinvestitionen wettbewerbsgerecht besteuert werden. Es macht wenig Sinn, hierzulande steuerliche Investitionsanreize von Entwicklungsländern durch den Nachholeffekt der Anrechnungsmethode wieder zunichte zu machen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ausländische Wettbewerber deutscher Unternehmen sich über die Freistellungsmethode Steuervorteile im Ausland sichern können. Etwaigem Missbrauch mit Steueroasen kann durch das Außensteuergesetz in ausreichender Weise begegnet werden. Neben diesem Wettbewerbsargument spricht auch die deutlich leichtere Handhabbarkeit für die Freistellungsmethode. Während bei der Anrechnungsmethode für jede ausländische Konzerngesellschaft zusätzlich eine deutsche Gewinnermittlung erforderlich ist, um auf dieser Basis eine indirekte Steueranrechnung durchführen zu können, werden bei der Freistellungsmethode Dividendenerträge schlicht bei der Einkommensermittlung herausgerechnet. Der ungleich höhere Komplexitätsgrad einer flächendeckenden Anrechnungsmethode lässt sich eindrucksvoll am äußerst komplexen US-Anrechnungsverfahren beobachten und ist keinesfalls erstrebenswert.4 Unbeschadet der Freistellungsmethode für Dividenden und ausländische Betriebstätteneinkünfte bedarf es einer wirksamen Anrechnungsmethode zur effektiven Vermeidung der Doppelbesteuerung bei quellensteuerbelasteten Einkünften namentlich bei Zins- und Lizenzeinkünften. Durch zahlreiche Verschärfungen des § 34c EStG und die mangelnde Einbeziehung der Gewerbesteuer in die Steueranrechnung sind Doppelbesteuerungen jedoch nicht mehr ausgeschlossen. _____________ 4 Zum US-Anrechnungsverfahren vgl. Lehner, Wettbewerb der Steuersysteme im Spiegel europäischer und US-amerikanischer Steuerpolitik, StuW 1998, 159 ff.; Krebühl, Das Steueranrechnungsverfahren in den USA, in: Festschrift für Ritter, Köln 1997, S. 147 ff.

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II. Weltumspannendes Netz von Doppelbesteuerungsabkommen Um Doppelbesteuerungen zielgerichtet zu vermeiden, ist ein weltumspannendes Netz von Doppelbesteuerungsabkommen eine unabdingbare Voraussetzung. Die DBA-Politik Deutschlands sollte dabei auch auf das Ziel ausgerichtet sein, die Position der in Deutschland ansässigen Unternehmen im globalen Wettbewerb um Outbound- und InboundInvestitionen zu stärken. Doppelbesteuerungsabkommen gewährleisten allerdings nur dann einen stabilen Rahmen für Investitionen, wenn sie langfristig Gültigkeit beanspruchen können. Das Aushebeln abkommensrechtlicher Regelungen durch die nationale Gesetzgebung (sog. Treaty Override) sollte daher auf absolute Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Ein ebenso zurückhaltender Gebrauch empfiehlt sich bei unilateralen Maßnahmen zur Vermeidung von Minderbesteuerungen im Ausland. Die doppelte Nichtbesteuerung ist fiskalisch zwar verständlicherweise unerwünscht, rechtsstaatlich aber im Gegensatz zu einer echten Doppelbesteuerung unbedenklich. Qualifikations- und Zuordnungskonflikte der unterschiedlichen nationalen Steuerrechte sollten ausschließlich im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen adressiert und geregelt werden, denn unilaterale Maßnahmen führen häufig zu Systembrüchen.

III. Wettbewerbsfähiges Außensteuergesetz Neben dem Doppelbesteuerungsrecht bedarf es auch eines wettbewerbsfähigen Außensteuergesetzes. Eines der tragenden internationalen Besteuerungsprinzipien ist, die Abschirmwirkung von Kapitalgesellschaften als eigenständige Steuersubjekte anzuerkennen. Mit der Freistellungsmethode für Dividenden folgt das deutsche internationale Steuerrecht diesem Trennungsprinzip sehr deutlich. Die Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz setzt durch abweichende Einkommenszurechnung die Abschirmwirkung der ausländischen Kapitalgesellschaft in den Fällen außer Kraft, in denen unbeschränkt Steuerpflichtige versuchen, das internationale Steuergefälle durch nicht aktive unternehmerische Aktivitäten auszunutzen. Eine entsprechende Abwehrgesetzgebung ist sicherlich auch aus Sicht der Wirtschaft akzeptabel, wenn sie sich auf echte passive Einkünfte aus Finanzierung und Lizenzierung beschränkt. Der mittlerweile in die Jahre gekommene Aktivitätskatalog des § 8 Abs. 1 Nr. 1–10 AStG schießt allerdings, insbesondere im Hinblick auf die sog. Mitwirkungstatbestände, über dieses Ziel hinaus. Als Stolperstein im deutschen Außensteuergesetz erweist 24

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sich abermals die Gewerbesteuer. Obwohl der Hinzurechnungsbetrag nach dem Außensteuergesetz systemwidrig der Gewerbesteuer unterworfen wird, kann eine im Ausland gezahlte Steuer nicht auf die Gewerbesteuer angerechnet werden.

IV. Besteuerung internationaler Umstrukturierungen Außer der Besteuerung laufender Geschäftsaktivitäten ist auch die Besteuerung internationaler Umstrukturierungen ein wettbewerbsbestimmender Faktor des internationalen Steuerrechts. International operierende Unternehmen sind laufend gezwungen, ihre gesellschaftsrechtlichen Strukturen nach den Marktverhältnissen auszurichten. Ein international wettbewerbsfähiges Unternehmen- bzw. Umwandlungsteuerrecht gewährleistet die Steuerneutralität internationaler Umstrukturierungen insbesondere dann, wenn inländisches Steuersubstrat nach der Umstrukturierung uneingeschränkt erhalten bleibt.

V. Besteuerung des konzerninternen Liefer- und Leistungsaustauschs Die Besteuerung des konzerninternen Liefer- und Leistungsaustauschs wird durch die Vorschriften zu steuerlichen Verrechnungspreisen geregelt. Für die stark exportorientierte und deshalb in hohem Maße globalisierte deutsche Wirtschaft spielen diese Verrechnungspreisregeln eine wichtige Rolle. Die nationalen Vorschriften sollten sich dabei tunlichst nach dem OECD-Standard richten, weil dieser nach wie vor als kleinster gemeinsamer Nenner bei der Lösung von internationalen Verrechnungspreiskonflikten bzw. bei der Entscheidung von Zweifelsfragen Geltung beansprucht. Ein wettbewerbsfähiges internationales Steuerrecht folgt deshalb dem OECD-Standard, um so weitestgehend Doppelbesteuerungen zu vermeiden.

C. Zustand des deutschen internationalen Steuerrechts Die Grundkonzeption des deutschen internationalen Steuerrechts mit § 8b KStG und der dort in Abs. 1 geregelten Freistellungsmethode für Dividenden in- und ausländischer Körperschaften war grundsätzlich ein wettbewerbstauglicher Ansatz. Mehrere Jahre einer strikt aufkommensorientierten Steuerpolitik und zahlreiche Einzelmaßnahmen, um vermeintliche Steuerschlupflöcher im nationalen und internationalen 25

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Steuerrecht zu schließen, haben allerdings das deutsche internationale Steuerrecht in einen beklagenswerten Zustand gebracht. Der Gesetzgeber hat häufig aus einzelnen Missbrauchsfällen den Tatbestand für die Besteuerung für den Normalfall abgeleitet. Im Ergebnis wurde dadurch die Bewegungsfreiheit der Unternehmen – insbesondere für grenzüberschreitende Umstrukturierungen und Kapitalmaßnahmen – über Gebühr eingeengt. Die dringend notwendige Steuersatzsenkung im Rahmen der Unternehmensteuerreform 20085 wurde mit zahlreichen Problemen im Rahmen der Bemessungsgrundlage erkauft. Ein ausufernder Einsatz von Treaty Override insbesondere im Rahmen von § 50d EStG aber auch in zahlreichen anderen Vorschriften stellt die Verlässlichkeit von Doppelbesteuerungsabkommen ernsthaft in Frage. Der veraltete Aktivitätskatalog des deutschen Außensteuergesetzes erfasst nicht nur Kapital- und Lizenzeinkünfte in Niedrigsteuerländern, sondern über zu weit gefasste Mitwirkungstatbestände auch wirklich aktive unternehmerische Tätigkeiten im Ausland. Die Gewerbesteuer erweist sich in vielfacher Hinsicht als Stolperstein im internationalen Steuerrecht. Mangelnde Einbeziehung in die Steueranrechnung führt zu systemwidrigen Doppelbesteuerungen sowohl im Rahmen der Einkommen- und Körperschaftsteuer wie auch beim Außensteuergesetz. Die Dividendenbesteuerung bzw. -freistellung kann unter Anwendung der Methodik des § 9 Nr. 7 und 8 GewStG zu geradezu grotesken Ergebnissen führen. Besonders schwerwiegend sind auch die vielfältigen Steuerbelastungen bei ausländischen Umwandlungen oder Kapitalmaßnahmen. Diese Vorgänge sind meist unternehmerisch indizierte Strukturanpassungen, bei denen weder ökonomisch ein Gewinn erzielt wird, noch deutsches Steuersubstrat betroffen ist. Ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht, wie z. B. das niederländische, reagiert neutral auf solche Maßnahmen, während für eine deutsche Holdinggesellschaft unter Umständen erhebliche Steuerbelastungen ausgelöst werden können. Im Ergebnis hat der ehemals attraktive Holdingstandort Deutschland durch die Vielzahl der restriktiven Regelungen der vergangenen Jahre deutlich an Attraktivität eingebüßt. Wesentliche Mängel des deutschen internationalen Steuerrechts sind in der online abrufbaren Mängelliste des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) aufgeführt.6 _____________ 5 BGBl. I 2007, 1912. 6 http://www.bdi.eu/Maengelliste-Steuerrecht.htm.

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D. Überblick über die gravierendsten Mängel I. Einleitung Im Folgenden soll ein Überblick über die gravierendsten Mängel des deutschen internationalen Steuerrechts gegeben werden. Dabei wird zunächst der Regelungsinhalt der Norm kurz skizziert, anschließend deren Anwendung auf internationale Sachverhalte kritisch beleuchtet und schließlich ein Lösungsvorschlag de lege ferenda unterbreitet. Auf die Darstellung von Streitfragen zum Regelungsinhalt wurde bewusst verzichtet.

II. Körperschaftsteuergesetz 1. Korrespondenzprinzip (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG) Nach § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG gilt die Steuerbefreiung des Satzes 1 der Vorschrift nur dann für verdeckte Gewinnausschüttungen, soweit sie das Einkommen der leistenden Körperschaft nicht gemindert haben. Der Gesetzgeber wollte damit in erster Linie im Inland eine korrespondierende Besteuerung sicherstellen, falls die verdeckte Gewinnausschüttung bei der leistenden Körperschaft nicht einkommenserhöhend erfasst war und die Steuerfestsetzung bei dieser Gesellschaft verfahrensrechtlich nicht mehr geändert werden kann. Darüber hinaus sollen vergleichbare Fälle bei ausländischen Gesellschaften erfasst werden, in denen eine Hinzurechnung der verdeckten Gewinnausschüttung, aus welchen Gründen auch immer, bei der ausländischen Gesellschaft unterblieb. Dieser internationale Bezug begegnet allerdings erheblichen Bedenken und führt in der Praxis zu sinnwidrigen steuerlichen Belastungen, wie das nachfolgende Beispiel offenbart: Die M-GmbH ist jeweils zu 100 % an der britischen T1-Ltd. und der britischen T2-Ltd. beteiligt. Im Rahmen einer konzerninternen Umstrukturierung sollen die T1-Ltd. und die T2-Ltd. miteinander verschmolzen werden. Da das englische Gesellschaftsrecht kein dem deutschen Umwandlungsrecht und Umwandlungssteuerrecht entsprechendes Instrumentarium kennt, überträgt die T1-Ltd. alle ihre Vermögensgegenstände zu Buchwerten auf die T2-Ltd. und wird anschließend liquidiert. Der Vorgang erfolgt auch nach englischem Steuerrecht ohne Aufdeckung der in den Vermögensgegenständen der T1-Ltd. enthaltenen stillen Reserven. Nach deutschem Steuerrecht fließt in diesem Fall der M-GmbH von der T1-Ltd. in Höhe der stillen Reserven eine ver27

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deckte Gewinnausschüttung zu, welche bei der leistenden T1-Ltd. nicht korrigiert wurde. Der Zufluss der verdeckten Gewinnausschüttung ist damit nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG grundsätzlich steuerpflichtig, da § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG mangels Einkommenserhöhung bei T1-Ltd. keine Anwendung findet. § 8b Abs. 1 Satz 4 KStG sieht eine Rückausnahme zu § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG vor. Demnach ist die Steuerfreiheit des § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG doch zu gewähren, soweit die verdeckte Gewinnausschüttung das Einkommen einer dem Anteilseigner nahestehenden Person erhöht hat und bei der nahestehenden Person § 32a KStG nicht anzuwenden ist. Im vorliegenden Beispiel ist allerdings fraglich, ob diese Rückausnahme einschlägig ist. Das Einkommen der T2-Ltd. wird zwar in Folge des niedrigen Kaufpreises für die von T1-Ltd. übernommenen Vermögensgegenstände in Zukunft durch ersparte Abschreibungen ceteris paribus erhöht sein, der Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 4 KStG setzt jedoch voraus, dass sich das Einkommen bereits erhöht hat. Künftige Einkommenserhöhungen spielen also nach dem Wortlaut keine Rolle. Darüber hinaus kommt es dem Wortlaut nach darauf an, dass sich durch die verdeckte Gewinnausschüttung das Einkommen der nahestehenden Person erhöht hat. Im vorliegenden Beispiel sind die künftigen Einkommenserhöhungen der T2-Ltd. jedoch nur mittelbar die Folge der verdeckten Gewinnausschüttung. Vielmehr resultiert die Einkommenserhöhung aus einer verdeckten Einlage der M-GmbH in die T2-Ltd. Das Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass eine im Inlandssachverhalt durchaus sinnvolle Vorschrift bei Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Auslandssachverhalte zu systemwidrigen Besteuerungsfolgen führen kann. Um dies zu vermeiden, ist das Korrespondenzprinzip auf Inlandssachverhalte zu beschränken. 2. Pauschalierung nichtabzugsfähiger Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 3 Satz 1 KStG) Mit dem sog. Korb II-Gesetz vom 22.12.20037 wurde das in § 8b Abs. 5 KStG geregelte 5-prozentige pauschale Betriebsausgabenabzugsverbot auch auf nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfreie Veräußerungsgewinne ausgedehnt. Die Vorschrift führt zu einer systemwidrigen, gedanklichen _____________ 7 Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22.12.2003, BGBl. I 2003, 2840, 2842.

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doppelten Nichtberücksichtigung von Veräußerungskosten und ist deshalb abzulehnen. Während es sich bei der Steuerfreistellung für Dividenden nach § 8b Abs. 1 KStG um eine Bruttofreistellung handelt, bei der sich Betriebsausgaben, die im Zusammenhang mit der Dividende anfallen, grundsätzlich einkommensmindernd auswirken, ist die Freistellung für Veräußerungsgewinne eine Netto-Freistellung. Gegenstand der Steuerbefreiung ist nicht der Veräußerungserlös als Brutto-Betrag, sondern der nach Abzug sämtlicher Veräußerungskosten ermittelte Veräußerungsgewinn. Infolgedessen wirken sich Veräußerungskosten bei der Freistellung nach § 8b Abs. 2 KStG nicht einkommensmindernd aus. Die Notwendigkeit einer pauschalen Nichtberücksichtigung von Betriebsausgaben, die mit steuerfreien Einnahmen im Zusammenhang stehen, besteht daher bei Veräußerungsgewinnen nicht. Die Pauschalierung des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG ist deshalb aufzugeben. 3. Keine Berücksichtigung von Totalverlusten (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) Nach dieser Vorschrift sind Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Anteilen steuerlich nicht abzugsfähig. Der Sache nach geht es in erster Linie um Teilwertabschreibungen bis hin zum Totalverlust infolge einer Liquidation. Die Vorschrift ist grundsätzlich systemgerecht, die Nichtberücksichtigung der Verluste ist eine notwendige Konsequenz der Steuerfreistellung im Gewinnfall. Im Liquidationsfall, d. h. bei einem Totalverlust, geht die Nichtberücksichtigung der Beteiligungsverluste meines Erachtens aber zu weit. Echte Liquidationsverluste sollten steuerlich abzugsfähig sein. In einigen ausländischen Steuerrechten, die über mit § 8b Abs. 2 KStG vergleichbare Regeln verfügen und insofern ebenfalls Teilwertabschreibungen auf Beteiligungen grundsätzlich steuerlich nicht berücksichtigen, sind hingegen die aus der Liquidation einer Tochtergesellschaft resultierenden Beteiligungsverluste steuerlich abzugsfähig. Innerhalb der Europäischen Union ist meines Erachtens die Verrechnung von Totalverlusten auch wegen der Marks & Spencer-Entscheidung des EuGH vom 13.12.20058 geboten. Im Urteilsfall ging es zwar um die Berücksichtigung der ansonsten nicht nutzbaren Verluste einer ausländischen Tochtergesellschaft im Inland, das entsprechende Ergebnis, wenn auch nicht betragsgenau, ließe sich aber meines Erachten auch durch die steuerliche Berücksichtigung des _____________ 8 EuGH-Urteil vom 13.12.2005, C-446/03 (Marks & Spencer), Abl. EU 2006, Nr. C 36, 5 f. (Leitsatz), IStR 2006, 19 ff. (red. Leitsatz und Gründe).

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Beteiligungsverlustes des Anteilseigners erzielen. Mittelbar wäre damit der aus dem Eigenkapitalverlust der Tochtergesellschaft resultierende Verlustvortrag auf Ebene des Anteilseigners über die Abschreibung des Beteiligungsbuchwertes genutzt. Die Einführung einer entsprechenden Vorschrift im deutschen Steuerrecht würde die derzeit gegebene europarechtliche Schwachstelle sicherlich zu einem guten Teil beseitigen. 4. Nichtberücksichtigung von Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen (§ 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG) § 8b Abs. 3 Sätze 4–8 KStG wurden durch das JStG 2008 eingefügt.9 Die Vorschrift will sicherstellen, dass Gewinnminderungen aus einer Gesellschafterfinanzierung durch Eigenkapital und durch nicht fremdübliche Gesellschafterdarlehen steuerlich gleich behandelt werden. § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG betrifft dabei grundsätzlich jede Gewinnminderung im Zusammenhang mit einem Darlehen oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten, wenn der Darlehens- oder Sicherheitengeber zu mehr als 25 % unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital des Darlehensnehmers beteiligt ist oder war. Durch diesen weit gefassten Tatbestand wird praktisch jede Darlehensfinanzierung zwischen verbundenen Unternehmen zunächst einmal von dieser Abzugsbeschränkung erfasst. Die steuerliche Abzugsfähigkeit lässt sich nach Satz 6 der Vorschrift nur dann erreichen, wenn nachgewiesen wird, dass auch ein fremder Dritter das Darlehen unter sonst gleichen Umständen gewährt oder noch nicht zurückgefordert hätte. Der Gesetzgeber hat damit eine Beweislastumkehr normiert. Gelingt dem Steuerpflichtigen der Nachweis der Fremdüblichkeit nicht, gelten das Darlehen und damit die Wertminderung als gesellschaftsrechtlich veranlasst und der entsprechende Wertverlust ist steuerlich nicht abzugsfähig. Problematisch ist diese Regelung deshalb, weil es in der Praxis sehr schwierig sein dürfte, den Fremdvergleich zu erbringen. In der Regel wird ein Fremdvergleich schon an der mangelnden Gestellung von Sicherheiten im Konzern scheitern. Während bei der Kreditaufnahme z. B. von einer Bank die Gestellung von Sicherheiten unabdingbare Voraussetzung der Darlehensgewährung ist, erfolgt die Darlehensvergabe innerhalb des Konzerns regelmäßig ohne zusätzliche Sicherheiten. Selbst wenn der Fremdvergleich im Zeitpunkt der Darlehensvergabe gelänge, müsste für den Zeitpunkt der späteren Darlehenskrise noch der Nachweis geführt werden, dass ein fremder Dritter _____________ 9 Jahressteuergesetz 2008 vom 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150, 3165 f.

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das Darlehen nicht zurückgefordert hätte. Insbesondere der Nachweis dieser negativen Tatsache dürfte kaum zu führen sein. Insgesamt hat die Vorschrift einen erheblich überschießenden Anwendungsbereich, da sie praktisch alle Gewinnminderungen im Zusammenhang mit sämtlichen Konzernfinanzierungsinstrumenten erfasst. Dem Wortlaut nach sind selbst schlichte Wechselkursverluste bei Fremdwährungsdarlehen vom Abzugsverbot erfasst. Mit einer derart restriktiven Regelung scheidet Deutschland für eine Konzernfinanzierungsplattform praktisch aus. In der Praxis macht es jedenfalls keinen Sinn, sich auf den wenig praktikablen Fremdvergleich nach § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG zu verlassen. Die Ausweitung des Abzugsverbots des § 8b Abs. 3 KStG auf Darlehensforderungen stellt überdies einen bedenklichen Systembruch dar, da korrespondierende Gewinne, z. B. aus der Aufwertung von Fremdwährungsdarlehen fraglos steuerpflichtig wären und die bei Beteiligungsverlusten gegebene Symmetrie zwischen der Steuerfreiheit der Gewinne einerseits und der mangelnden Abzugsfähigkeit der Verluste andererseits bei Darlehensforderungen eben gerade nicht besteht. Meines Erachtens besteht dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Die Teilwertabschreibung auf Darlehensforderungen sollte wieder zugelassen werden. Die fiskalische Wirkung dürfte sich in Grenzen halten, da eine Abschreibung von Darlehensforderungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ohnehin nur bei einer voraussichtlich dauernden Wertminderung zulässig ist. 5. Einlagerückgewähr durch ausländische Tochtergesellschaften (§ 27 Abs. 8 KStG) § 27 Abs. 1–7 KStG regelt die steuerliche Behandlung von nicht in das Nennkapital geleistete Einlagen sowie deren Rückzahlung. Die Einlagenrückgewähr aus EU-Kapitalgesellschaften wurde mit dem SEStEG vom 7.12.200610 in § 27 Abs. 8 KStG kodifiziert. Demnach kann die Rückzahlung einer Kapitalrücklage steuerneutral, also ohne Folge des § 8b Abs. 5 KStG, gegen den Beteiligungsbuchwert vereinnahmt werden, wenn für die EU-Kapitalgesellschaft entsprechend den Regeln für unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften ein Einlagekonto geführt wird und die Kapitalrückzahlung nach den Vorschriften des § 27 Abs. 1–7 KStG steuerlich als Einlagerückgewähr zu qualifizieren ist. Im _____________ 10 Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782, 2788 f.

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Ergebnis besteht damit für alle EU-Tochtergesellschaften der Zwang, ein Einlagekonto nach deutschen steuerlichen Vorschriften zu führen. Außerhalb der EU ansässige Gesellschaften können nicht in den Genuss dieser Regelung kommen. Kapitalrückführungen dieser Gesellschaften gelten mithin steuerlich immer als Dividenden mit der Folge einer Belastung nach § 8b Abs. 5 KStG. Die Regelung ist grob unbillig, weil sie letztendlich die Rückzahlung von Anschaffungskosten der 5 %Besteuerung nach § 8b Abs. 5 KStG unterwirft. Folgendes Beispiel soll die Wirkungsweise des § 27 Abs. 8 KStG verdeutlichen: Die in Deutschland ansässige M-GmbH leistet zur Finanzierung einer US-Akquisition eine Zahlung in Höhe von 1 Mrd. Euro in die Kapitalrücklage ihrer in USA ansässigen 100 %-igen Tochtergesellschaft T-Corp. Als nach einem Monat das Scheitern der Akquisitionsbemühungen feststeht, kehrt die T-Corp. mangels weiterem Finanzierungsbedarf ihre Kapitalrücklage in Höhe von 1 Mrd. Euro wieder an die M-GmbH aus. Da dieser gesellschaftsrechtlich als Einlagerückgewähr zu qualifizierende Vorgang nicht von § 27 KStG erfasst wird, erzielt die M-GmbH steuerlich Dividendeneinnahme in Höhe von 1 Mrd. Euro mit einer Steuerbelastung nach § 8b Abs. 5 KStG in Höhe von ca. 15 Mio. Euro. An der Sinnwidrigkeit dieses steuerlichen Ergebnisses kann man schlechterdings nicht zweifeln. Die Steuerfolge ist materiell in keiner Weise zu rechtfertigen. Die aufwändige Nachweisführung bei entsprechender Anwendung der Vorschriften über das Einlagekonto für deutsche Gesellschaften ist insbesondere bei langjährig bestehenden Tochtergesellschaften in der Praxis nicht zu leisten. Die Ausnahme von Nicht-EU-Gesellschaften aus dem Anwendungsbereich ist ebensowenig nachvollziehbar. Die Vorschriften zur Einlagerückgewähr schränken die Finanzierungsfreiheit im Konzern ganz erheblich ein und dürften im Ergebnis sogar das deutsche Steuersubstrat beeinträchtigen. Um Belastungen nach § 8b Abs. 5 KStG zu vermeiden, werden deutsche Konzernobergesellschaften praktisch gezwungen, jede notwendige Eigenkapitalfinanzierung einer im Ausland ansässigen Tochtergesellschaft im Wege der Stammkapitalerhöhung durchzuführen. Eine später mögliche und zumeist auch finanzwirtschaftlich gewünschte Stammkapitalherabsetzung lässt sich dann allerdings in den meisten Staaten gesellschaftsrechtlich nur in einem aufwändigen Verfahren umsetzen. Infolgedessen bleibt das Eigenkapital länger als gewollt in der ausländischen Tochtergesellschaft und führt dort zu Zinseinnahmen, die im alternativen Fall einer Rücklagendotierung und anschließend deutlich flexibler zu handhabenden Einlagen32

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rückgewähr im Inland angefallen wären. Die gesetzliche Regelung ist deshalb auch fiskalisch kontraproduktiv und sollte gestrichen werden. Alternativ empfiehlt es sich, die steuerliche Qualifikation an das ausländische Gesellschaftsrecht anzulehnen, um so Dividenden von einer Einlagenrückgewähr zu unterscheiden.

III. Einkommensteuergesetz 1. Restriktive Steueranrechnung (§ 34c Abs. 1 EStG) Als Grundvorschrift der deutschen Steueranrechnung regelt § 34c EStG ein sehr restriktives Anrechnungsverfahren für einkommen- und körperschaftsteuerliche Zwecke. Während klassische Anrechnungsländer wie beispielsweise die USA die länderspezifische Durchführung des Anrechnungsverfahrens, sog. per country limitation, schon lange aufgegeben haben, hält Deutschland an dieser Regelung auch nach der Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf 15 % weiterhin fest. Zusätzlich wird die Anrechnungsmöglichkeit noch dadurch beschränkt, dass in die Ermittlung der ausländischen Einkünfte, die für die Steueranrechnung zur Verfügung stehen, nur im Ausland tatsächlich besteuerte Einkünfte mit einbezogen werden dürfen. Auf diese Weise wird das potentielle Anrechnungsvolumen deutlich eingeschränkt und Anrechnungsüberhänge sind z. B. bei Quellensteuern von 10–15 % nicht mehr auszuschließen. Um die Doppelbesteuerung zielgerichtet zu vermeiden, sollte die per country limitation aufgegeben und stattdessen die länderübergreifende overall limitation eingeführt werden. Problematisch ist auch die strikte Jahresbetrachtung des § 34c Abs. 1 EStG. Das deutsche Steuerrecht kennt keinen Vortrag von Anrechnungsüberhängen, wie er beispielsweise in den USA möglich ist. Im Ergebnis kommen Unternehmen mit steuerlichen Verlusten im Inland damit zwangsläufig in die Doppelbesteuerung. Die Einführung eines Anrechnungsvortrags würde dieses Problem beseitigen. Problematisch ist auch die mangelnde Einbeziehung der Gewerbesteuer in die Steueranrechnung, da eine 15 %ige Körperschaftsteuer häufig nicht ausreicht, um die ausländische Steuer vollständig zu absorbieren. Insgesamt ist also bei § 34c EStG dringender Reformbedarf gegeben.

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2. Ausschluss von Treaty Shopping im Inbound-Fall (§ 50d Abs. 3 EStG) Mit der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG will der Gesetzgeber verhindern, dass Steuerausländer durch Zwischenschaltung juristischer Personen von Steuerbegünstigungen aus EU-Richtlinien oder aus Doppelbesteuerungsabkommen profitieren. Mit dem JStG 2007 wurde die Vorschrift mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2007 nochmals verschärft.11 Eine Quellensteuerentlastung ist fortan nur denkbar, wenn keiner der drei in § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1–3 EStG genannten Tatbestände erfüllt ist. Ohne im Rahmen dieses Beitrags auf die Einzelheiten näher eingehen zu können, gilt das Halten von Beteiligungen an einer oder mehreren Gesellschaften ohne geschäftsleitende Funktion nicht als eigene Wirtschaftstätigkeit und dürfte somit zur Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG führen. De lege ferenda ist die Vorschrift auf echte Missbrauchsfälle zu reduzieren. 3. Switch-over-Klausel (§ 50d Abs. 9 EStG) und Einkünftefiktion für Sondervergütungen (§ 50d Abs. 10 EStG) § 50d Abs. 9 EStG enthält eine unilaterale Umschaltklausel (Switchover-Klausel), die als Treaty Override in das Gesetz eingeführt wurde. Danach wird die Freistellung von ausländischen Einkünften nach einem Doppelbesteuerungsabkommen versagt, wenn der andere Staat das Abkommen so anwendet, dass die Einkünfte in diesem Staat von der Besteuerung auszunehmen sind oder nur zu einem durch das Doppelbesteuerungsabkommen begrenzten Steuersatz besteuert werden oder die Einkünfte in dem anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht aufgrund ihres Wohnsitzes, ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Sitzes oder eines ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist. Mit der Vorschrift setzt sich der Gesetzgeber bewusst über das in der Freistellungsmethode nach Doppelbesteuerungsabkommen enthaltene Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung hinweg. Richtigerweise wären derartige Eingriffe in die Systematik von Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Vertragsstaat im Abkommen selbst zu vereinbaren. Auch wenn das fiskalpolitische Ziel, eine doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden, durchaus nachvollziehbar ist, bleibt festzuhalten, dass eine Vermeidung einer doppelten Belastung die eigent_____________ 11 Jahressteuergesetz 2007 vom 13.12.2006, BGBl. I 2006, 2878, 2885.

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liche Aufgabe der Doppelbesteuerungsabkommen und entsprechender unilateraler Rechtsnorm ist. Bei einer Eingriffsverwaltung, wie sie die Steuerverwaltung nun einmal ist, hat der doppelte Zugriff eben eine andere Qualität als die Keinmalbesteuerung, also der Nichteingriff. Betrachtet man die gesetzgeberische Aktivität der letzten Jahre in diesem Zusammenhang, so gewinnt man fast den Eindruck, es ginge in erster Linie um die Vermeidung der Keinmalbesteuerung. Abgesehen von echten Missbrauchsfällen empfiehlt sich ein zurückhaltender Gebrauch von unilateralen Switch-over-Klauseln. Qualifikationskonflikte und andere Fälle von Nichtbesteuerung sind vernünftigerweise auf Ebene der jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen zu regeln. In dieser Weise ist auch die abkommensrechtliche Einkünftefiktion für Sondervergütungen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nach § 50d Abs. 10 EStG zu beurteilen, die mit dem JStG 2009 in das Gesetz aufgenommen wurde.12 Auch hier setzt sich der Gesetzgeber in fragwürdiger Weise in einem nicht als solchen kenntlich gemachten Treaty Override über bestehende Doppelbesteuerungsabkommen hinweg und versucht rückwirkend eine unliebsame Rechtsprechung13 zu korrigieren.

IV. Gewerbesteuergesetz, Doppelbelastung von Gewinnanteilen (§ 8 Nr. 5 GewStG i. V. m. § 9 Nr. 7 GewStG) Die Vorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG war durch das Außensteuerreformgesetz vom 8.9.197214 in das Gesetz eingefügt worden. Sie regelt im Zusammenspiel mit § 8 Nr. 5 GewStG, der die Hinzurechnung von nach § 8b Abs. 1 KStG steuerfreien Dividenden zum Gegenstand hat, für die Gewerbesteuer eigenständig, unter welchen Voraussetzungen die Doppelbelastung von Gewinnanteilen vermieden werden. Wie im § 9 Nr. 2a GewStG geregelten Inlandsfall sind auch Auslandsdividenden grundsätzlich nur dann von der Gewerbesteuer befreit, wenn der Dividendenempfänger mit mindestens 15 % am Nennkapital der ausschüttenden Gesellschaft beteiligt ist. Neben der Steuerpflicht für Streubesitzdividenden, stellt § 9 Nr. 7 GewStG die Steuerbefreiung unter den Aktivitätsvorbehalt des § 8 Abs. 1 Nr. 1–6 AStG, wobei Dividenden von _____________ 12 Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794, 2806. 13 BFH-Urteil vom 17.10.2007, I R 5/06, BStBl. II 2009, 356 ff. 14 Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen vom 8.9.1972, BGBl. I 1972, 1713, 1722.

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EU-Gesellschaften unabhängig von dem Aktivitätserfordernis ab einer Beteiligungsquote von 10 % gewerbesteuerfrei sind. Im Gegensatz zum Außensteuergesetz ist der Aktivitätsvorbehalt in § 9 Nr. 7 GewStG ausschließlich tätigkeitsbezogen und ist insbesondere für passive Gesellschaften, die aus welchen Gründen auch immer keiner niedrigen Besteuerung im Ausland unterlagen, relevant. Bei niedrig besteuerten passiven Auslandsgesellschaften, deren Einkünfte bereits über eine Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz der Gewerbesteuer unterlagen, kommt es mangels Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG i. V. m. § 3 Nr. 41 a EStG ohnehin nicht auf die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG an. Die Problematik dieser theoretisch etwas verworrenen Rechtslage lässt sich am besten anhand des folgenden Beispiels greifbar machen: Die M-GmbH ist zu 100 % an einer australischen Holdinggesellschaft beteiligt (HoldCo 1), die über eine weitere Holding (HoldCo 2) Anteile an verschiedenen operativen Gesellschaften (OpCos) hält. Die OpCos erzielen aktive Einkünfte i. S. d. Außensteuergesetzes. Der Steuersatz beträgt 30 %. Die OpCos schütten ihre Gewinne über HoldCo 2 und HoldCo 1 an M-GmbH aus. Die Dividenden von HoldCo 1 sind bei M-GmbH nach § 8 Abs. 5 GewStG gewerbesteuerpflichtig, da weder ihre Einkünfte noch die Einkünfte der ihr nachgeordneten Gesellschaften HoldCo 2 und OpCos der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Das DBA Schachtelprivileg nach Art. 22 DBA Australien i. V. m. § 9 Nr. 8 GewStG greift ebenfalls nicht, da die Voraussetzungen der in Nr. 10 d des Schlussprotokolls im DBA Australien enthaltenen Aktivitätsklauseln nicht vorliegen. Mithin sind die Dividenden bei M-GmbH nur dann gewerbesteuerfrei, wenn die Voraussetzungen des § 9 Nr. 7 GewStG vorliegen. Dies ist allerdings nicht der Fall, da weder HoldCo 1 noch HoldCo 2 einer von § 8 Abs. 1 Nr. 1–6 AStG erfassten aktiven Tätigkeit nachgehen. Auf die Frage kommt es für § 9 Nr. 7 GewStG nicht an. Die Dividende ist damit bei M-GmbH gewerbesteuerpflichtig. Die im Beispiel beschriebene Steuerfolge ist grob systemwidrig. Der in der Vorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG enthaltene Aktivitätsvorbehalt ist aufzugeben. Die Vorschrift stammt aus einer Zeit, in der der Hinzurechnungsbetrag nicht der Gewerbesteuer unterlag und sollte deshalb zumindest im Ausschüttungsfall bei passiven niedrig besteuerten Auslandseinkünften die selbe Steuerbelastung herstellen wie bei Inlandseinkünften. Mit der Gewerbesteuerpflicht der Hinzurechnungsbeträge nach dem Außensteuergesetz ist die Notwendigkeit für den Aktivitäts36

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vorbehalt in § 9 Nr. 7 GewStG grundsätzlich entfallen. Die Einschränkung der Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG i. V. m. § 3 Nr. 41 EStG hilft hier nur bedingt, da der Aktivitätsvorbehalt in § 9 Nr. 7 GewStG deutlich enger gefasst ist und überdies, im Gegensatz zu § 8 Nr. 5 GewStG i. V. m. § 3 Nr. 41 a EStG auch bei hoch besteuerten passiven Einkünften nicht greift. De lege ferenda sollte der Aktivitätsvorbehalt des § 9 Nr. 7 GewStG daher gestrichen werden. Gleiches gilt für die in der Vorschrift geforderte Mindesthaltedauer von 12 Monaten sowie für das mit umfassenden Nachweispflichten verbundene Enkelprivileg, das bei Entfall der Aktivitätsklausel ohnehin entbehrlich ist.

V. Außensteuerrecht 1. Funktionsverlagerungen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 ff. AStG) Mit dem UStRG 200815 wurden die Vorschriften des § 1 Abs. 3 Satz 9 ff. AStG eingeführt, die die Besteuerung von betrieblichen Funktionsverlagerungen ins Ausland zum Gegenstand haben. Sie gehören zu den umstrittensten Regelungen der letzten Jahre. Während international bei Funktionsverlagerungen für den Regelfall nach wie vor der Grundsatz der Einzelbewertung der übertragenen Wirtschaftsgüter gilt, bedingt die in § 1 Abs. 3 Satz 9 ff. AStG angeordnete Transferpaketbewertung (zumindest als Referenzmaßstab) für alle Funktionsverlagerungen eine Gesamtbewertung aller übertragenen Wirtschaftsgüter. Im Ergebnis wird damit auch bei kleinteiligen Funktionsverlagerungen ein in Deutschland vorhandener Goodwill versteuert, auch wenn die den Geschäftswert tragenden Faktoren nicht ins Ausland abgegeben werden. Die OECD wendet demgegenüber den Gesamtbewertungsansatz mit der Erfassung des Goodwills nur bei Übertragung eines ongoing concern an, d. h. bei Übergang der wesentlichen den Geschäftswert tragenden Faktoren. Die deutsche Regelung ist deshalb überschießend und begründet ein hohes Doppelbesteuerungsrisiko. Dies gilt insbesondere bei kleinteiligen Funktionsverlagerungen und bei Funktionsverdoppelungen. Die deutsche Regelung sollte an die OECD-Grundsätze angepasst werden.

_____________ 15 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912, 1933 f.; Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 8.4 2010, BGBl. I 2010, 386, 397.

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2. Mitwirkungstatbestände (§ 8 Abs. 1 Nr. 4–6 AStG) Aktiver Handel, aktive Dienstleistung und aktive Vermietung und Verpachtung kann durch Mitwirkung von Steuerinländern zu einer passiven Tätigkeit i. S. d. Außensteuerrechts werden. Die Mitwirkungstatbestände sind nicht mehr zeitgemäß. Sie stammen aus dem Jahr 1972,16 in dem die Finanzverwaltungen weder in Deutschland noch international in der Lage waren, effektive Verrechnungspreiskorrekturen vorzunehmen. In einem solchen Umfeld machte die schädliche Mitwirkung von Steuerinländern im Rahmen der Tatbestände des Außensteuerrechts durchaus Sinn, um eine richtige Gewinnabgrenzung mit dem Ausland zu erzielen. Spätestens mit den heutigen Dokumentationspflichten zu Verrechnungspreisen ist dieser Regelung die Grundlage entzogen. Sie ist aus fiskalpolitischer Sicht überdies kontraproduktiv, weil die Vorschriften einen Anreiz setzen, möglichst viele Aktivitäten im Ausland anzusiedeln. Die Mitwirkungstatbestände sollten deshalb gestrichen und stattdessen auf eine korrekte Abrechnung von Dienstleistungen aus dem Inland geachtet werden. Substanzarmen Strukturen kann mit den Vorschriften über Missbrauch und Verrechnungspreise effektiv begegnet werden. 3. Darlehensaufnahme im Ausland (§ 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG) Nach § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG ist die Darlehensaufnahme und Vergabe durch ausländische Gesellschaften aktiv, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die Darlehensaufnahme ausschließlich auf ausländischen Kapitalmärkten erfolgt. Insbesondere bei größeren syndizierten Finanzierungen ist dieser Nachweis in der Praxis kaum darstellbar. De lege ferenda sollte zumindest „ausschließlich“ aus dem Wortlaut gestrichen werden, so dass eine Beteiligung inländischer Banken an der Finanzierung im Ausland unschädlich ist. Fiskalpolitisch ist eine großzügigere Ausnahme unproblematisch, da Gesellschaften aus der Aufnahme und Vergabe von Darlehen, wenn überhaupt, nur minimale Margen erzielen werden. 4. Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG) Nach dieser Vorschrift gelten Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften als aktive Einkünfte einer Auslandsgesellschaft. Der Wortlaut _____________ 16 Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen vom 8.9.1972, BGBl. I 1972, 1713, 1716 f.

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der Vorschrift ist allerdings enger gefasst als die entsprechende Steuerbefreiung des § 8b Abs. 1 KStG für im Inland vereinnahmte Dividenden. Statt hier nur auf eine systemgerechte, mit § 8b Abs. 1 KStG deckungsgleiche, Auslegung zu vertrauen, sollte der Wortlaut der Vorschrift an das Körperschaftsteuergesetz angepasst werden. 5. Veräußerungsgewinne (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG) Nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG sind Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Körperschaft grundsätzlich aktiv, soweit der Gewinn nicht auf Wirtschaftsgüter der anderen Gesellschaft entfällt, die zur Erzielung von Einkünften mit Kapitalanlagecharakter nach § 7 Abs. 6a AStG dienen. Die Vorschrift ist zum einen in der Praxis kaum handhabbar, da der Ursachenzusammenhang zwischen dem Gewinn aus der Beteiligungsveräußerung und den in der Gesellschaft vorhandenen Wirtschaftsgütern, die zur Erzielung von Kapitalanlagecharaktereinkünften verwendet werden, kaum zu führen ist. Darüber hinaus ist die steuerliche Erfassung entsprechender Beteiligungsveräußerungsgewinne im Rahmen des Außensteuergesetzes systemwidrig, da eine direkte Veräußerung durch eine deutsche Kapitalgesellschaft in jedem Fall nach § 8b Abs. 2 KStG vollständig steuerbefreit wäre. Die Ausnahmeregel des § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG sollte deshalb entsprechend erweitert werden. 6. Umwandlungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG) Nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG gelten ausländische Umwandlungen grundsätzlich als aktiv, wenn sie bei gedachter Anwendung des deutschen Umwandlungssteuerrechts auf den Vorgang im Ausland zu Buchwerten erfolgen könnten. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist viel zu eng, da die Anknüpfung an deutsches Umwandlungssteuerrecht viele im Ausland steuerneutrale Umwandlungsvorgänge nicht erfasst. Damit können an sich hoch besteuerte Auslandsgesellschaften mit Einkünften aus passivem Erwerb durch eine im Ausland steuerneutrale Reorganisation in die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung kommen, weil die Reorganisation nicht unter einen der Privilegierungstatbestände des deutschen Umwandlungsteuergesetzes subsumiert werden kann. Durch die Anwendung der deutschen Gewinnermittlungsvorschriften im Rahmen des AStG entstehen in einem solchen Fall regelmäßig niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb. Sinnvoll wäre eine Anknüpfung an Umwandlungen, die nach dem jeweiligen ausländischen Recht steuerfrei erfolgen können. 39

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7. Grenze der niedrigen Besteuerung (§ 8 Abs. 3 AStG) § 8 Abs. 3 AStG regelt die Grenze der Niedrigbesteuerung mit 25 %. Nach Herabsetzung der Körperschaftsteuer auf 15 % und wegen der Gewerbesteuerpflicht der Hinzurechnungsbeträge ist dieser Prozentsatz deutlich zu hoch. Sie kann im Einzelfall bei Gesellschaften mit Einkünften aus passivem Erwerb und Steuerbelastungen im Ausland von knapp unter 25 % zu einer Gesamtsteuerbelastung von rund 40 % führen, bestehend aus 24,5 % ausländischer Steuer und 15 % Gewerbesteuer auf den Hinzurechnungsbetrag. Dieses Ergebnis ist offensichtlich grob unbillig, da die deutsche Steuerbelastung auf eine vergleichbare Aktivität im Inland lediglich rd. 31 % betrüge. Die Grenze zur Niedrigbesteuerung ist deshalb auf 15 % abzusenken. 8. Steueranrechnung (§ 12 AStG) Die Vorschrift soll sicherstellen, dass der Steuerpflichtige durch die Zwischenschaltung einer ausländischen niedrig besteuerten Gesellschaft nicht schlechter gestellt wird als bei einer unmittelbaren inländischen Geschäftstätigkeit. Da nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes eine Anrechnung ausländischer Steuer auf die Gewerbesteuer nicht möglich ist, wird dieses Ziel nur unvollkommen erreicht (siehe den vorherigen Absatz). Wie bei der Inlandsanrechnung ist die Versagung der Anrechnung im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung nicht mehr begründbar.

VI. Verfahrensrecht (Anzeigepflicht, § 138 Abs. 2 AO) Nach § 138 Abs. 2 AO sind Steuerpflichtige verpflichtet, den Erwerb von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften sowie Betriebstättengründungen nach amtlichem Vordruck innerhalb eines Monats nach dem Ereignis beim zuständigen Finanzamt anzuzeigen. Für bilanzierende Unternehmen gewinnt die Verwaltung über den Vordruck keine zusätzlichen Erkenntnisse, da sie über die nach § 285 Nr. 11 und 11a HGB zu erstellende und vom Wirtschaftsprüfer geprüfte Anteilsbesitzliste vollumfänglich informiert wird. Die Vorlage der Anteilsbesitzliste sollte deshalb im Gesetz als gleichwertiger Ersatz aufgenommen werden. Die kürzlich im Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagene Verlängerung der Abgabepflicht auf 6 Monate nach Abschluss des Kalenderjahres ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. 40

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E. Anforderungen an eine wettbewerbsfähige DBA-Politik Die Anforderungen an eine wettbewerbsfähige DBA-Politik für Deutschland könnten Gegenstand eines eigenen längeren Beitrags sein, insofern können hier nur einige grundlegende Hinweise gegeben werden. Deutschland verfügt mit 90 Doppelbesteuerungsabkommen über ein breit gespanntes DBA-Netz.17 Wichtigstes Ziel eines Doppelbesteuerungsabkommens ist die effektive Vermeidung der mehrfachen Besteuerung ein und desselben Vorgangs in verschiedenen Staaten. Deutschland hat sich als Exportnation sinnvollerweise für die Einführung der Freistellungsmethode für Dividenden und Betriebsstätteneinkünfte entschieden. Für deren Beibehaltung sprechen mehrere Gründe. Die Freistellungsmethode ist bei weitem die einfachste und effektivste Methode zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung. Blickt man auf den Aufwand, den US-Unternehmen mit der Anwendung der Anrechnungsmethode betreiben müssen, so ist dies sicherlich kein Zustand, den wir uns hier wünschen sollten. Dies gilt umso mehr, als das überaus komplexe aber in der Sache sehr großzügige Anrechnungsverfahren des US-Steuerrechts in den seltensten Fällen zu einer US-Nachsteuerbelastung ausländischer Einkünfte führt. Für die Wirtschaft bietet die Freistellungsmethode die unkomplizierte Möglichkeit, ausländische Steuervorteile auch bei Ausschüttung der Gewinne ins Inland zu behalten und bedingt so wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für die Investitionen gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern. Deutschland als Exportvizeweltmeister braucht kein internationales Steuerrecht, das Auslandsinvestitionen auf das deutsche Steuerniveau hoch schleust. Die Freistellungsmethode war jahrzehntelang ein unumstößlicher Grundpfeiler deutscher DBA-Politik. In jüngster Vergangenheit scheint das BMF von dieser klaren Linie abzuweichen und strebt mit Ländern, die aus Sicht des BMF ein unzureichendes Besteuerungsniveau haben, die Anrechnungsmethode an.18 Bei Kapitalgesellschaften greift zwar für Dividenden nach § 8b Abs. 1 KStG, Betriebsstätteneinkünfte würden aber über die Anrechnungsmethode auf deutsches Steuerniveau hoch geschleust. Unbeschadet der Präferenz für die Freistellungsmethode, ist _____________ 17 Zum aktuellen Stand der DBA vgl. http://www.bundesfinanzministerium.de/ nn_39818/DE/Wirtschaft__und__Verwaltung/Steuern/000.html. 18 Siehe z. B. DBA mit den Vereinigten Arabischen Emiraten vom 1.7.2010, Fn. 16.

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es wie oben ausgeführt (siehe unter D. III. 1.) dringend notwendig, die Anrechnungsmethode im nationalen Recht zu überarbeiten. Dem Ziel der Vermeidung von Doppelbesteuerung dient auch ein relativ enger Betriebsstättenbegriff. Dadurch werden Konflikte über die Zuordnung des Besteuerungssubstrats von vorneherein vermieden. Die Tendenz geht international indes in die andere Richtung. Dem sollte Deutschland im gemeinsamen Interesse mit den Steuerpflichtigen in den DBA-Verhandlungen entgegentreten. Gleichgerichtete Interessen gibt es auch bei der Eindämmung von Quellensteuern, da das Anrechnungsvolumen ausländischer Steuer mutmaßlich das Volumen an inländischer Steuer übersteigt. Einmal geschlossene DBA sollten tunlichst auch eingehalten werden. Unternehmen benötigen für ihr Auslandsengagement langfristig stabile Rahmenbedingungen. Der gerade in den letzten Jahren ausufernde Einsatz von treaty override-Regelungen steht diesem Ziel diametral entgegen und ist überdies verfassungsrechtlich bedenklich. Die doppelte Nichtbesteuerung etwa durch Qualifikationskonflikte sollte vielmehr zum Gegenstand von DBA-Verhandlungen gemacht werden. Gleiches gilt für die Versagung von Abkommensvorteilen bei missbräuchlicher Gestaltung. Statt meist überbordender unilateraler Gesetze sollte man sich mit dem Vertragspartner einigen. Die in den amerikanischen DBA enthaltenen limitation of benefit-Klauseln können insoweit als Vorbild gelten, auch wenn inhaltlich weniger komplexe Regeln vorstellbar sind.

F. Zusammenfassung Das deutsche internationale Steuerrecht ist trotz einer vernünftigen Grundkonzeption durch zahlreiche Einzelmaßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung, zur Schließung von echten oder vermeintlichen Steuerschlupflöchern und zu einer strikt aufkommensorientierten Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage in einem beklagenswerten Zustand. Die Vielzahl der problematischen Einzelvorschriften erfordert als Befreiungsschlag eine umfassende strukturelle Steuerreform. Die Erfolgsaussichten einer darauf gerichteten politischen Forderung sind allerdings denkbar gering. Auch wenn spürbare Entlastungen für die Unternehmen nicht das Ziel einer solchen Reform sind, wären Aufkommensausfälle im Einzelfall nicht auszuschließen. In der gegenwärtigen Haushaltslage wird die Politik deshalb eine große Steuerreform nicht anpacken. Überdies sind strukturelle Änderungen in Deutschland 42

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ohnehin schwer durchsetzbar. Das gegenwärtige Reformprojekt Kommunalfinanzen wird für diese These wohl wieder einen traurigen Nachweis erbringen. Die steuerpolitischen Initiativen werden sich daher auf den besonders dringlichen Reparaturbedarf konzentrieren. Die Mängelliste des Bund der Deutschen Industrie (BDI)19 ist dafür eine gute Grundlage.

_____________ 19 http://www.bdi.eu/Maengelliste-Steuerrecht.htm.

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Steuerpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung Reformbedarf im deutschen Internationalen Steuerrecht Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Hamburg

Dr. Friedrich Loschelder, LL.M. (Edinb.) Richter am Finanzgericht, Hamburg

Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

Gert Müller-Gatermann Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Dr. Wolfgang Haas Rechtsanwalt, BASF SE, Ludwigshafen

Dr. Albert Peters Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Prof. Dr. Lüdicke Herr Haas, vielen Dank für diesen umfassenden Überblick über die steuerpolitischen Wünsche der Wirtschaft. Ich möchte jetzt zunächst die „Richterbank“ fragen: Gibt es auch bei Ihnen Wünsche, möglicherweise aus der Sicht eines Tatsachengerichtes? Verglichen mit früheren Zeiten gibt es inzwischen ja viel mehr internationale Sachverhalte bei den Gerichten. Dr. Loschelder Ich weiß nicht, ob wir in diesem Zusammenhang wirklich die richtige Adresse für eigene Wünsche sind. Was uns natürlich als Instanzgerichte in diesem Zusammenhang sehr betrifft, ist die von Herrn Haas angesprochene Problematik der mangelnden Bestimmtheit steuerrechtlicher Normen, gerade auch im Bereich des Internationalen Steuerrechts. Herr 45

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Haas hat bereits § 50d Abs. 3 EStG genannt. Wir hatten letztes Jahr hier die Diskussion um die Entstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG mit den verwandten Regelungen in § 6 und § 4g EStG; dort wird jetzt mit dem Jahressteuergesetz 2010 durch einen neu eingefügten Satz 4 nachgebessert. Darüber hinaus finden sich in der Mängelliste des BDI, die Herr Haas ebenfalls angesprochen hat, noch eine ganze Reihe von Vorschriften im Bereich der §§ 49 ff. EStG. Eine möchte ich hier nennen: Das ist § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, der die Besteuerung von inländischen Darbietungen betrifft. Darin heißt es, es werden auch Einkünfte aus „anderen mit diesen Leistungen zusammenhängenden Leistungen, unabhängig davon [besteuert], wem die Einnahmen zufließen“. Das ist denkbar weit und offen formuliert! Solche Regelungen sind wie abgesägte Schrotflinten: Der Steuergesetzgeber hält sie grob in eine Richtung und schaut, was er so alles damit trifft bzw. wen – oder eben auch nicht! Wenn nun aber der Steuerpflichtige, der sich – um bei dem Bild zu bleiben – im Streubereich dieser Regelung befindet, nicht abschätzen kann, ob es ihn treffen wird oder nicht, dann führt das zu gravierenden rechtsstaatlichen Problemen in Bezug auf den Bestimmtheitsgrundsatz. Die angesprochenen Regelungen sind allesamt Eingriffsnormen. Diese müssen aber so bestimmt sein, dass der Steuerpflichtige im Vorhinein abschätzen kann, ob er von ihnen betroffen ist oder nicht. Und gleichermaßen muss ich natürlich auch als Richter irgendwie die Möglichkeit haben, die Grenzen des Wirkbereichs einer solchen Norm anhand ihres Wortlauts zu bestimmen. In bin in einem anderen Zusammenhang auf einen Ausspruch – oder eine Mahnung – von Ossenbühl gestoßen, im Handbuch des Staatsrechts. Dort heißt es: „Unbestimmtheit in der Gesetzgebung bedeutet der Sache nach Verlagerung der Entscheidungsmacht auf die Exekutive, möglicherweise verbunden mit einer Verminderung des gerichtlichen Rechtsschutzes“.1 Konkret übertragen auf unsere Problematik bedeutet das: Wenn der Steuergesetzgeber gesetzliche Regelungen so formuliert, wie dies in § 50d Abs. 3 EStG oder in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG geschehen ist, dann verschafft er damit der Verwaltung einen weiten Spielraum bei der Frage, ob bestimmte Sachverhalte aufgegriffen werden sollen oder nicht. Und aus der Sicht des Gerichts wird sich natürlich immer die Frage stellen: Wie geht man mit so weit gefassten Regelungen um? _____________ 1 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rz. 30.

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Prof. Dr. Lüdicke Herr Gosch, es wird teilweise gesagt, die Gesetze seien deswegen so kompliziert, um einmal diesen Aspekt von Herrn Loschelder aufzugreifen, weil – und da ist Ihr Senat auch immer im Feuer – die Gerichte nicht so entscheiden, wie sich das der Hilfsgesetzgeber bei dem Erlass des Gesetzes vorgestellt hat. Ist da Abhilfe möglich? Es sollte doch eigentlich nicht sein, dass der Gesetzgeber immer neue Gesetze erlässt, um neue Rechtsprechung zu konterkarieren, aufzuheben, in eine andere Richtung zu drängen. Wir werden heute Nachmittag noch konkrete Beispiele dazu besprechen. Das wollen wir nicht vorziehen. Aber ganz generell, sehen Sie eine Chance, dass dieser Zustand besser wird? Prof. Dr. Gosch Das hängt davon ab, Herr Loschelder hat das gesagt, ob es „gute“ Gesetze gibt. Wenn es „gute“ Gesetze gibt, gibt es auch „gute“ Urteile. Aber wie dem auch sei: Sie beklagen, und das sicher mit einer gewissen Berechtigung, dass die Situation auch durch die Rechtsprechung nicht immer einfacher wird. Das liegt gewissermaßen in der Natur der Sache, ebenso dass die Finanzverwaltung als, wie Sie sagen, „Hilfsgesetzgeber“ zuweilen darüber unglücklich ist. Das ist letzten Endes das Ergebnis des kontradiktorischen Prozesses. Es gibt immer den einen, der obsiegt, und den einen, der verliert. Und sicherlich hängt das immer auch mit dem zusammen, was Herr Loschelder gesagt hat: mit der Vielzahl ausfüllungsbedürftiger Regularien, durch unbestimmte Rechtsbegriffe u.v.m. Crezelius hat in der „Finanz-Rundschau“ voriges Jahr einen Aufsatz veröffentlicht2, in dem er gerade das bemängelt hat, dass nämlich gerade durch Allgemeinklauseln und offene Tatbestände – oftmals ist von „ähnlichen“ oder „vergleichbaren“ Sachverhalten die Rede – Ungewissheiten heraufbeschworen werden, die auch der Rechtsprechung einiges abverlangen. Das trägt dann sicherlich auch zur Komplexität bei. Mir ist es ein Anliegen, Herr Lüdicke, das eine oder andere aufzugreifen, was hier nun gesagt worden ist. Dabei möchte ich zunächst auf Sie, Herr Peters, eingehen. Sie haben die Situation der OECD angesprochen und die Entwicklung, die dort in den Arbeitsgruppen vollzogen wird. Ich kann immer nur wieder darauf hinweisen und Sie finden das auch an etlichen Stellen in jüngeren Entscheidungen des I. Senats des BFH: Wir nehmen sehr wohl zur Kenntnis, was im Rahmen der OECD ge_____________ 2 Crezelius, FR 2009, 889 ff. „Systemkonsequenzen und Rückausnahmen“.

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schieht. Maßstab unserer Erkenntnisse ist aber zuvörderst nicht, was in der OECD verlautbart wird. Entscheidungsmaßstab ist in erster Linie derjenige des Art. 20 Abs. 3 GG. Was uns die OECD wissen lässt, mag für die Abkommensauslegung hilfreich sein und Fingerzeige geben; es ergeben sich dadurch manche Anhaltspunkte, um die Auslegung der Normen zu konkretisieren. Dennoch bleibt es dabei: Es handelt sich um die Verlautbarung administrativer Prozesse, administrativer Gremien, die die Gerichte nicht binden. D. h. die Rechtsgewissheit, die die Finanzverwaltung sich zum Teil daraus erhofft und erwartet, tritt nicht ein. Das deckt sich übrigens durchaus mit dem Selbstverständnis der OECD: Auf deren Website habe ich jüngst folgende Angaben gefunden, welche die Novellierung des OECD-MK im Hinblick auf Aktienoptionen betreffen. Dazu lässt die OECD wissen: „Der Kommentar ist allerdings nicht rechtsverbindlich. Er gibt der Regierung lediglich eine Richtschnur in die Hand, wie die Vorschriften des Musterabkommens zu interpretieren und umzusetzen sind.“ Das ist zutreffend und zeigt: auch seitens der OECD wird das so gesehen. Weitere Konsequenz dieses Selbstverständnisses ist: Die OECD-Verlautbarungen sind bei der Abkommensauslegung „statisch“ zu verstehen, nicht „dynamisch“. Bei der Auslegung betreffender Regelungen wird also das zugrunde gelegt, das in statu nascendi des jeweiligen DBA als Auslegungshilfe zur Verfügung stand, aber es wird nicht das „aufgepfropft“, wenn später – ich sage nur Partnership Report, wir kommen dazu später – was später von der OECD daraus gemacht wird. Bei alledem sollten und müssen wir immer auch die europarechtliche Seite im Auge behalten. Für die Amtshilfeklauseln oder -vorbehalte, die in den Verträgen, die jetzt mit den kleinen Staaten geschlossen werden, die in den Verdacht geraten, den Steuerbetrug nicht hinreichend zu bekämpfen, dürfte das aber weitgehend folgenlos bleiben: Der EuGH hat in seiner Entscheidung „Établissements Rimbaud SA3“ soeben solche Vorbehalte für hinnehmbar befunden. Mit anderen Worten, soweit der Gesetzgeber hier entsprechende Vorbehalte macht, so ist das im Rahmen der EWR wohl europarechtsfest. Prof. Dr. Lüdicke Herr Müller-Gatermann, Sie sind der deutsche Vertreter in vielen internationalen Gremien, auch bei der OECD. Könnten Sie bitte darüber berichten, wo zurzeit der Schwerpunkt der Arbeit liegt? Vielleicht können _____________ 3 EuGH v. 28.10.2010 – Rs. C-72/09, IStR 2010, 842.

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Sie auch erläutern, was im Global Forum, das vielleicht noch nicht so bekannt ist, passiert. Ich hatte ja im Anschluss an den Vortrag von Herrn Peters schon darauf hingewiesen, man hatte auch bei der zeitlichen Aufteilung seines Vortrages den Eindruck, dass zur Zeit im internationalen Steuerrecht die Bekämpfung von unfairem Steuerwettbewerb und von Steuerbetrug im Vordergrund steht und dass die anderen Themen, mit denen sich klassischerweise das OECD-MA beschäftigt hat (Vermeidung der Doppelbesteuerung), ein wenig in den Hintergrund getreten sind. Wie ist da Ihr Eindruck? Müller-Gatermann Lassen Sie mich bitte zu den Ausführungen von Herrn Peters zum internationalen Teil die nachfolgenden Aspekte aus der Praxis ergänzen. Beginnen möchte ich mit dem Bereich der Finanztransaktionssteuer, die in der Tax Policy Group diskutiert worden ist. Die Diskussion soll im Januar fortgesetzt werden. Bei dieser Steuer geht das deutsche Interesse dahin – und dieses teilen wir mit Frankreich –, dass die Steuer zur Vermeidung von Ausweichreaktionen möglichst breit, d. h. global, angelegt ist. Da dieses offenbar nicht durchsetzbar erscheint, streben wir an, die Finanztransaktionssteuer wenigstens auf europäischer Ebene einzuführen. Aber auch dort wird kontrovers über die Einführung dieser Steuer diskutiert. Schweden hatte bereits eine solche Steuer, sie hat sich jedoch nicht als erfolgreich erwiesen. Die Schweden sind daher sehr vorsichtig bei der Frage einer Einführung auf europäischer Ebene. Unsere gemeinsame Aufgabe wird daher sein, die Ursachen für den damaligen Misserfolg in Schweden zu untersuchen. Und dabei zeigt sich bereits sehr schnell, dass die Ursachen für den Misserfolg möglicherweise in dem vergleichsweise sehr hohen Tarif der Steuer gelegen haben. Deshalb wird von anderen Staaten in der augenblicklichen Diskussion der Vorschlag gemacht, einen sehr niedrigen Tarif zu wählen, um die damaligen Ausweichreaktionen zu vermeiden. Diese Folgenabschätzung einer Finanztransaktionssteuer bleibt daher abzuwarten. Als Alternative zu der Transaktionssteuer ist ebenfalls eine Transaktivitätssteuer in der Diskussion, die nicht jeden einzelnen Vorgang, sondern den Gewinn und die von der Bank gezahlten Boni im Blick hat. Die europäische Kommission gibt dieser Steuer im Augenblick den Vorzug gegenüber der Finanztransaktionssteuer. Schließlich ist noch die Bankenabgabe zu nennen, die allerdings in Deutschland keine Steuer ist, sondern eine Abgabe, die nicht dem Haushalt, sondern dem Restrukturierungsfond zufließt. Andere Länder, wie z. B. Großbritannien, haben 49

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einen anderen Ansatz gewählt. Dort ist die Bankenabgabe eine Steuer und fließt in den allgemeinen Haushalt. Da hinsichtlich der Pflichtigen insgesamt keine gemeinsame Struktur gefunden worden ist und es so zu Doppelbelastungen kommen kann, müsste es auch hier zu Vereinbarungen zur Beseitigung dieser Doppelbelastung kommen. Zu dem von Herrn Peters angesprochenen so genannten Global Forum ist festzustellen, dass es sich hierbei um die Vereinigung der gut 30 Mitglieder der OECD und weiterer über 60 Staaten und Jurisdiktionen handelt, die bei der OECD angesiedelt ist. Die Vereinigung tritt für mehr Transparenz durch Informationsaustausch zwischen den Staaten ein. Diese Arbeit hat nach dem Lichtensteinskandal mit Unterstützung der G20 eine enorme Dynamik entwickelt. Die Mitglieder des Global Forum haben sich zum Informationsaustausch nach dem so genannten OECD-Standard verpflichtet. Deutschland hat daher in den vergangenen Jahren neben der Aktualisierung des Artikels 26 in bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen eine Vielzahl von Informationsabkommen abgeschlossen. Das Global Forum hat sich verständigt, das nationale Regelwerk für den Informationsaustausch und die Praxis in den Mitgliedstaaten des Global Forum zu untersuchen und zu bewerten. Hierzu ist eine Peer Review Group aus einigen Mitgliedstaaten gebildet worden, die die Prüfungen mit Hilfe von Prüfern aus den jeweiligen Ländern durchführen lässt. Zwischen der Peer Review Group und dem Global Forum ist daneben auch eine Steering Group eingerichtet worden, die das Bindeglied zum Global Forum herstellt und Aufsichtsfunktionen gegenüber der Peer Review Group wahrnimmt. Aus der Arbeit der Peer Review Group ist zu berichten, dass hier die Berichte der Prüfer diskutiert werden. Dabei geht man normaler Weise in zwei Schritten vor, wonach zunächst das Regelwerk des Landes geprüft wird und erst, wenn diese Prüfung zu keinen wesentlichen Beanstandungen geführt hat, wird die Praxis des Landes in einem zweiten Schritt geprüft. Bei dem letzten Treffen des Global Forum in Singapur hat es gravierende Beanstandungen beim Regelwerk nur in zwei Staaten gegeben. Deutschland ist mittlerweile ebenfalls geprüft worden, wobei hier das Regelwerk und die Praxis Gegenstand einer einzigen Prüfung waren. Insgesamt war das Ergebnis der Prüfung positiv. Beanstandungen gab es jedoch hinsichtlich der Möglichkeit, Personen hinter Treuhandverhältnissen und Inhaberpapieren zu identifizieren. Man darf gespannt sein,

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wie im angelsächsischen Bereich die Prüfung der Trusts, z. B. in Delaware in den USA, ausfallen wird. Aus der Arbeit der EU möchte ich zunächst ein Thema des nächsten ECOFIN nennen: Die Amtshilferichtlinie. Die belgische Präsidentschaft ist bemüht, die für die Richtlinie vorgeschlagenen Verbesserungen zu einer Einigung zu führen. Bei diesen Verbesserungen ist der automatische Informationsaustausch hervorzuheben, der für bestimmte Einkünfte vorgesehen ist. Um eine Einigung zu erleichtern, würde es sich jedoch zunächst nur um den automatischen Informationsaustausch über verfügbare Daten handeln. Wenn es gelingt, die Amtshilferichtlinie durchzubringen, ist es gelungen, ein Paket aufzuschnüren, das Österreich und Luxemburg insbesondere zusammen mit der Zinsrichtlinie geschnürt haben. Verbesserungen bei der Zinsrichtlinie müssen dann von der nächsten Präsidentschaft, den Ungarn, durchgesetzt werden. Bei dieser Richtlinie geht es einmal um die Erweiterung des sachlichen und persönlichen Anwendungsbereichs. Hierzu liegt bereits seit längerem ein Kompromissvorschlag vor. Daneben ist es wichtig, für die Einkünfte der Zinsrichtlinie insgesamt einen automatischen Informationsaustausch in der Europäischen Union durchzusetzen. Dies wird zurzeit von Luxemburg und Österreich noch abgelehnt. Diese beiden Länder haben als wichtige Finanzplätze ihre Sorge geäußert, dass bei einem automatischen Informationsaustausch Anleger aus Sorge vor Entdeckung ihr Vermögen unter anderem in die Schweiz transferieren würden. Um diesen Bedenken entgegen zu wirken, hat Deutschland mit der Schweiz Verhandlungen aufgenommen, wonach auf der einen Seite der Schweiz zwar eine anonyme Abgeltungssteuer hinsichtlich der deutschen Anleger zugestanden werden soll, auf der anderen Seite die Schweiz aber zu einer erweiterten Amtshilfe verpflichtet wird, die das Entdeckungsrisiko von Steuerhinterziehern deutlich erhöht. Der Standard dieser erweiterten Amtshilfe wird oberhalb des OECD-Mindeststandards nach Artikel 26 OECD-Musterabkommen (auf Ersuchen) liegen. Einen automatischen Informationsaustausch lehnt die Schweiz im Hinblick darauf ab, dass sie erst kürzlich dem OECD-Standard zugestimmt habe und für Mitgliedstaaten der Europäischen Union strengere Regeln herrschen müssten. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Müller-Gatermann. Wenn wir uns an die Diskussionen vor einigen Jahren erinnern, wie schlimm die Eingriffe des EuGH in 51

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das nationale Steuerrecht seien und dass der nationale Steuergesetzgeber diese fremden Einflüsse beachten müsse, so scheinen mir die Einflüsse, die jetzt von der OECD kommen, nicht weniger gravierend zu sein. Bernhardt Ich würde gerne noch einmal auf die Eingangsbemerkung von Herrn Goldberg zurückblenden, auf das Thema Aufgabenkritik der öffentlichen Hand. Ich glaube, und da werden mir viele zustimmen, das wird schwierig werden. Wenn man die Rahmenbedingungen auf der politischen Ebene beobachtet, wenn man Einzelaspekte nimmt wie „Stuttgart 21“ oder „Gorleben“, muss man feststellen, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung, auch gut ausgebildete Menschen, im Grunde genommen von der Realwirtschaft immer stärker abwendet. Das jetzt auf die Themen des Internationalen Steuerrechts zu übertragen, ist sicherlich ein gewagter Bogen. Aber ich möchte einen Punkt ganz deutlich herausstellen. Zu Recht wurde gesagt, dass das Freistellungsprinzip ein Grundwert ist, den wir in der internationalen Besteuerung gerade als Industrienation zu Recht immer in den Vordergrund gestellt haben. Ich glaube, das ist hier auch unbestritten im Raum. Dennoch sei mir der Hinweis erlaubt, gerade vor dem Hintergrund der Missbrauchsbekämpfung, die leider im politischen Umfeld viel stärker im Vordergrund steht, die volkswirtschaftliche Bedeutung der Freistellungsmethode nicht zu vergessen. Es sind immer wieder Tendenzen sichtbar – im Augenblick weniger –, die Freistellungsmethode aufzugeben. Leider wird sie gerne als Exportsubvention der deutschen Wirtschaft missverstanden. Das ist nicht neu. Ich habe einmal in alten Unterlagen geblättert und bin dabei auf eine interessante Studie der Friedrich-EbertStiftung aus dem Jahr 1994 gestoßen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung steht sicherlich nicht im Verdacht, sehr unternehmensfreundlich zu sein. In dieser Studie wird ganz deutlich gesagt, dass Investitionen im Ausland für die deutsche Industrie von entscheidender Bedeutung sind und dass dies nicht zum Verlust von Arbeitsplätzen im Inland führt. Ich glaube, diesen Punkt sollte man wieder deutlich in den Vordergrund rücken. Der Behauptung, die Freistellungsmethode sei ein Subventionstatbestand für die exportorientierte deutsche Industrie, sollte man mit dem Hinweis auf diese Studie begegnen.

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Prof. Dr. Lüdicke Herr Gosch, ich hatte Sie eben gebeten, Ihre Detailäußerungen zu dem Vortrag von Herrn Haas noch zurück zu stellen. Bitte. Prof. Dr. Gosch In toto werde ich das nicht nachholen können, das sind viel zu viele Vorschläge, die Herr Haas gemacht hat. Es ist ein ganzer Strauß von Ideen, die er aufgeworfen hat. Ich würde gerne nur den einen oder anderen Gedanken aufgreifen. Ich will mit der Überlegung zu § 8b Abs. 5 KStG und den Wertaufholungen beginnen. Dass § 8b Abs. 5 KStG – die sog. Schachtelstrafe – auch Wertaufholungen trifft, mag rechtspolitisch kritikwürdig sein. Ich möchte dazu an dieser Stelle nur einen ganz praktischen Hinweis geben: Man muss das Teilwertabschreibungswahlrecht natürlich nicht ausüben und von ihm Gebrauch machen. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und Nr. 2 Satz 2 EStG enthalten neuerdings nach BilMoG ein Wahlrecht. Verzichtet man darauf und schreibt nicht ab, gerät man bei einer späteren Teilwerterhöhung naturgemäß auch nicht in den Nachteil der Schachtelstrafe. Das ist eine Überlegung, die freilich nicht nur mir gekommen ist, sondern auch dem BMF, das aber in seinem einschlägigen Schreiben4 dazu den § 42 AO notiert hat. Man muss sehen, wie weit diese Notiz in der Realität greift. Wenn man sich den Vorteil, nicht „schachtelbestraft“ zu werden, in dieser Weise der Wahlrechtsausübung erkauft, soll man aus Sicht der Verwaltung offenbar in den Missbrauch abrutschen. Dann wurde die Frage der „Finalität“ von Herrn Haas im Hinblick auf § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG angesprochen. In der Tat könnten „echte“ Liquidationsverluste zur abermaligen „Finalität“ von Verlusten führen, also unabhängig von der Verlustabzugsfrage aus Unionssicht. Ich weise darauf hin, dass der I. Senat diesen Aspekt in einer Entscheidung anzusprechen haben wird. Die Sache ist unter dem Aktenzeichen I R 79/095 beim BFH revisionshängig. Ich weise aber auch darauf hin, dass diese Gedanken nicht unbedingt nur von international-steuerrechtlicher Bedeutung sind; sie sind gleichermaßen für die Inlandssituation einschlägig. Von daher liegt der Hinweis auf Marks & Spencer6 und die Europa_____________ 4 BMF-Schreiben v. 12.3.2010, BStBl. I 2010, 239. 5 S. mittlerweile BFH v. 13.10.2010 – I R 79/09, BFHE 231, 529. 6 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, Slg 2005, I-10837.

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Podiumsdiskussion: Steuerpolitik und Reformbedarf

rechtswidrigkeit möglicherweise neben der Sache. Denn es gibt in dieser Frage keine Ungleichbehandlung von In- und Ausländern. Es handelt sich um ein Problem, das jedenfalls nicht nur grenzüberschreitender Natur ist. Nächster Punkt, den Sie angesprochen haben: § 27 Abs. 8 KStG; man möge hier an das ausländische Gesellschaftsrecht anknüpfen, auch was die Fragen des Eigenkapitals oder der Gewinnausschüttung anbelangt. Dies ist ein von mir sehr nachdrücklich unterstützter Vorschlag. In ähnlicher Weise hat der BFH7 übrigens in ganz anderem Zusammenhang entschieden, nämlich im Hinblick auf die Frage des Vorliegens einer Geschäftsbeziehung nach § 1 AStG. Auch dort wurde das ausländische Recht zum Maß der Dinge gemacht, was die Eigenkapitalfrage anbelangt. Bei der Frage nach Einlagenrückgewähr oder Dividende sollte ähnlich verfahren werden. Die Überlegungen zu § 34c EStG, von Herrn Haas ebenfalls als Vorschlag angesprochen, kann ich ebenfalls nur unterstützen. Auch dazu ist eine Revision unter dem Aktenzeichen I R 71/10 anhängig, die die Europarechtsfrage eines unterbliebenen carry forward oder auch einer Begrenzung auf die per item-/per country-limitation betrifft. Darüber wird alsbald zu entscheiden sein.8 Das Thema „treaty override“ liegt mir bekanntlich sehr am Herzen, und ich habe das in dem einen oder anderen Beitrag literarisch begleitet. In Anbetracht dessen berührt es mich, Herr Peters, wenn Sie in Ihrem Vortrag das treaty override als zu den „bewährten Grundsätzen“ zugehörend bezeichnen. Das, meine ich, sollte so nicht sein. Die Freistellungsmethode baut auf einer virtuellen Besteuerung im anderen Vertragsstaat auf, und so gesehen gilt es sicher, eine Keinmalbesteuerung vor dem Hintergrund des Leistungsfähigkeitsprinzips zu vermeiden. Aber die doppelte Nichtbesteuerung ist nicht unmittelbar Gegenstand der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, sie ist allenfalls ein unerwünschter Reflex der Freistellungsmethode. Natürlich mag man sich mit dem anderen Vertragsstaat auf subject-to-tax-Klauseln verständigen. Nur dass man stattdessen auf unilaterales „Überschreiben“ ausweicht, ist bedenklich. Ein solches Vorgehen verträgt sich weder mit rechtsstaatlichen noch mit völkerrechtlichen Grundsätzen, es ist überdies rechtspolitisch nicht hinnehmbar. _____________ 7 BFH v. 23.6.2010 – I R 37/09, BStBl. II 2010, 895. 8 S. dazu mittlerweile BFH v. 9.2.2011 – I R 71/10 (Vorlagebeschluss an den EuGH, dortiges Az. C-168/11 ‚Beker‘).

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Dann ein nächster Punkt: der Aktivitätsvorbehalt in § 9 Nr. 7 GewStG. Dieser Vorbehalt gilt letzten Endes der Missbrauchsvermeidung. Und als solcher bedarf er aus Unionsrechtssicht einer „Escape“-Klausel im Einzelfall. Daran fehlt es bislang, und vielleicht müsste man deshalb darüber nachdenken, wie weit der § 9 Nr. 7 GewStG, so wie er im Gesetz steht, überhaupt europarechtsfest ist. Gleiches trifft auch auf Vieles zu, das den § 1 AStG anbelangt: Es ist sicher so, dass der EuGH in der Entscheidung SGI9 den § 1 AStG als solchen für tragfähig erachtet hat, übersetzt auf die parallele belgische Situation. Aber Vieles, was im § 1 AStG steht, den sog. hellsehenden Geschäftsleiter in § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG, die Anpassungsklausel in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG und etliches mehr, ist sicherlich auf den Prüfstand zu stellen. D. h. da ist sicherlich noch Argumentationspotenzial jenseits der SGI-Entscheidung. Ansonsten bietet § 8 AStG in der Tat Anlass zur Diskussion. Der I. Senat hat kürzlich mündlich in einer Sache verhandelt, bei der es um § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG ging.10 Es ging um die Beteiligung eines deutschen Versicherers an einem irischen Lebensversicherungsunternehmen, das in den Docks ansässig war. Die vom BFH getroffene Entscheidung ist der Öffentlichkeit bereits in Umrissen bekannt, weil ein anderes, nicht verfahrensbeteiligtes Versicherungsunternehmen bereits einen Tag nach jener Verhandlung im Wege einer sog. ad-hoc-Mitteilung nach Maßgabe des § 15 WphG an die Presse gegangen ist.11 Diesem Unternehmen war der Entscheidungstenor offenbar bekannt geworden, was wiederum die Auflösung einer Gewinnrückstellung in beachtlicher Höhe zur Folge hatte. So viel nur an dieser Stelle zur Sache: Es erweist sich in der Tat als schwierig, die Tatbestände der passiven Einkünfte normativ „in den Griff“ zu bekommen. Hier muss auch der Gesetzgeber in Schutz genommen werden. Kann tatsächlich noch von einer eigenbetrieblichen „Aktivität“ gesprochen werden, wenn ein Versicherungsunternehmen sein operatives Geschäft samt und sonders mittels eines Management Agreements auf ein anderes, verschwistertes Unternehmen auslagert? Wird das dann noch den Substanzerfordernissen und den Aktivitätserfordernissen gerecht? Eine spannende Frage. Wenn man der erwähnten ad-hoc-Mitteilung Glauben schenkt, dann hat der I. Senat das bejaht. Mehr möchte ich dazu jetzt nicht sagen. _____________ 9 EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 – SGI, IStR 2010, 144. 10 BFH v. 13.10.2010 – I R 61/09, BStBl. II 2011, 249. 11 Hannover-Rück-Gruppe, Ad-hoc-Meldung v. 20.10.2010.

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Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Gosch. Herr Haas und Herr Peters, mit Blick auf die Uhr, möchte ich Sie bitten, dass Sie auf das sonst üblicherweise gewährte Schlusswort verzichten. Aber ich würde trotzdem noch Herrn Peters um die kurze Beantwortung einer Frage bitten: Sehen Sie eine realistische Chance für diese Legislaturperiode, dass hinsichtlich der vielen Mängel, die Herr Haas aufgeführt hat, von denen etliche nach allgemeiner Auffassung mit wenig Geld beseitigt werden können, dass da noch substanziell etwas verbessert wird? Dr. Peters Sie haben gefragt, ob ich die Chance sehe. Die Chance sehe ich selbstverständlich. Die Legislaturperiode ist erst am Ende des ersten Viertels. Das darf man nicht vergessen, da haben wir einiges auf den Weg gebracht. Es kann nicht alles sofort geschehen. Ich habe jetzt zur Kenntnis genommen, dass die von Herrn Haas angesprochene Mängelliste des BDI noch einmal überarbeitet wird. Das bringt uns ein Stück weiter, glaube ich. Wir haben sie ja schon intern ausgewertet. Ich kann mich erinnern, dass bei vielen Maßnahmen stand „keine Vereinfachung – Forderung nach Steuererleichterung nicht finanzierbar“. Ich glaube, wir werden fairerweise noch einmal in diese überarbeitete Mängelliste einsteigen und auch – das sage ich zu – fair miteinander umgehen, was die finanziellen Auswirkungen angeht. Weil, das ist ja richtig, was Herr Haas sagte, man da häufig gar keine exakten Preisschilder dran machen kann. Dazu ist die Materie viel zu kompliziert. Es ist sicherlich nicht so, dass nun die Finanzverwaltung sagt, da schreiben wir mal „nicht finanzierbare Mindereinnahmen in Milliardenhöhe“ dran und dann ist die Sache gestorben. Das ist eben nicht der faire Umgang miteinander. Deshalb bin ich gespannt auf die jetzt überarbeitete Mängelliste. Ich hatte bereits intern angeboten, dass wir uns darüber unterhalten. Deshalb sehe ich zunächst nicht nur eine gute Chance, sondern kann das hier auch öffentlich erklären. Es besteht die Bereitschaft des Bundesfinanzministeriums, sich ganz exakt mit diesen Dingen auseinanderzusetzen und dann die Gelegenheit zu nutzen, das, was wir für sinnvoll erachten, gemeinsam mit der Wirtschaft dann auch in die Neujustierung der Unternehmenssteuern einzubeziehen. Man muss dann mal sehen, wie das konkret aussieht. Ich kann Ihnen allerdings auch gleichzeitig sagen, dass es nicht Eingang in das jetzt auf den Weg gebrachte Steuervereinfachungsgesetz nehmen wird, weil hier die Einkommen56

Podiumsdiskussion: Steuerpolitik und Reformbedarf

steuer und die Abgabenordnung im Vordergrund stehen. Das ist auch politisch so entschieden. Aus diesem Grunde eine doch etwas längere Antwort. Es besteht mehr als nur die Chance, aber wir werden uns das genau ansehen müssen. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Peters. Sie wissen, dass hier die Diskussionen mitgeschnitten und im Tagungsband veröffentlicht werden. [Heiterkeit im Saal] Dr. Haas Noch ein Satz von mir: Wir nehmen Sie beim Wort, Herr Peters.

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Grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung Reform der Organschaft – Österreich als Vorbild? Christoph Urtz RA a.Univ.Prof. Dr. iur. Mag.rer.soc.oec. Universität Salzburg

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 B. Die körperschaftsteuerliche Organschaft im Vergleich zur Gruppenbesteuerung . . . . . . . . . . . I. Tatbestände der Organschaft im KStG und der österreichischen Gruppenbesteuerung im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einbezogene Personen . . . . . a) Organschaft . . . . . . . . . . . b) Österreichische Gruppenbesteuerung . . . . . . . . . . . 2. Materielle Voraussetzungen (Eingliederungsvoraussetzungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Organschaft . . . . . . . . . . . b) Österreichische Gruppenbesteuerung . . . . . . . . . . . 3. Formelle Voraussetzungen . . a) Organschaft . . . . . . . . . . . b) Österreichische Gruppenbesteuerung . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen der Organschaft und der österreichischen Gruppenbesteuerung im Vergleich . 1. Rechtsfolgen der Bildung einer Organschaft . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen der Bildung einer österreichischen Unternehmensgruppe . . . . . .

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C. Grenzüberschreitende Organschaft: Der unionsrechtlich erforderliche Auslandsbezug . . . . . 93 I. Der zulässige Auslandsbezug nach den derzeitigen gesetz-

lichen Regelungen – die Organschaft und die österreichische Gruppenbesteuerung im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Organschaft . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Organträger . . . . . . . . . . . . 93 b) Exkurs: Die Einschränkung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG beim Organträger . . . . . . . . . . . . 99 c) Organgesellschaften . . . . 106 2. Österreichische Gruppenbesteuerung . . . . . . . . . . . . . 108 a) Gruppenträger . . . . . . . . . 108 b) Gruppenmitglieder . . . . . 112 II. Die Vorgaben der Grundfreiheiten des AEUV für den Umfang des Auslandsbezuges 115 1. Anwendbare Grundfreiheiten: Niederlassungsoder Kapitalverkehrsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Die Rechtsprechung der Finanzgerichte und des BFH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 III. Fazit: Der erforderliche Auslandsbezug und der daraus resultierende Reformbedarf der derzeitigen gesetzlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Auslandsbezug des Organträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Vereinbarkeit des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG mit den Grundfreiheiten des AEUV . . . . . . . . . . . . . . 129

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Urtz – Grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung 3. Auslandsbezug der Organgesellschaft(en) . . . . . . . . . . 130

D. Notwendigkeit des Gewinn- bzw Ergebnisabführungsvertrages? . . . 138

A. Einleitung Stellt man sich die Frage, warum die Organschaft reformiert werden sollte, so können mehrere Gründe genannt werden, die den Anstoß für eine Reform der Organschaft bilden könnten: So könnte beispielsweise die Politik die Reform der Organschaft in Angriff nehmen. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und der FDP zur 17. Legislaturperiode von 2009 sieht nämlich unter anderem vor, ein „modernes Gruppenbesteuerungssystem anstelle der bisherigen Organschaft“ einzuführen.1 Die im Koalitionsvertrag enthaltene Vorgabe der „Modernität“ ist allerdings inhaltlich denkbar vage.2 Das österreichische System der Gruppenbesteuerung kann nun bereits unter dem Gesichtspunkt der „Modernität“ als Vorbild für die deutsche Organschaft dienen, da es – zumindest nach den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Erklärungen des österreichischen Gesetzgebers – als „modern“ empfunden wird.3 Ein weiterer Anlass für eine Reform ist insbesondere die Rechtsprechung des EuGH zur Verletzung der Grundfreiheiten des AEUV sowie die – darauf basierende – Rechtsprechung der FG und des BFH. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich das Gebot, eine grenzüberschreitende Organschaft grundsätzlich zuzulassen.4 In diesem Zusammenhang könnte schließlich ein Vertragsverletzungsverfahren einen letzten Anstoß zur Reform geben: Mit Beschluss der EU-Kommission vom 29.1.2009 wurde das Erfordernis des doppelten Inlandsbezuges gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und § 17 KStG (wonach sich _____________ 1 CDU, CSU und FDP: WACHSTUM. BILDUNG. ZUSAMMENHALT. DER KOALITIONSVERTRAG ZWISCHEN CDU, CSU UND FDP., (2009), 14; unter: http:// www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf, vom 4.10.2010. 2 Derzeit gibt es zumindest bereits ein Diskussionspapier des Hessischen Ministeriums der Finanzen mit Stand Oktober 2010 („Einführung eines modernen Gruppenbesteuerungssystems“). 3 Die Gesetzesmaterialien weisen auf die Absicht des Gesetzgebers hin, eine „moderne, international attraktive Gruppenbesteuerung“ schaffen zu wollen; Erläuterungen zur Regierungsvorlage (EB RV) zum Steuerreformgesetz 2005, 451 BlgNR XXII. GP, S. 1 und S. 5 und auch S. 7. 4 Siehe Abschnitt C.II.2. und Abschnitt C.III.

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Sitz und Ort der Geschäftsleitung von Organgesellschaften im Inland befinden müssen) und die sich daraus ergebende Diskriminierung von nach ausländischem Recht errichteten Organgesellschaften (mit Sitz im Ausland) kritisiert;5 die Kommission betont, dass – da sich ja der Ort der Geschäftsleitung in Deutschland befinden muss und daher unbeschränkte Steuerpflicht besteht – die Einnahmen von Organgesellschaften in vollem Umfang in Deutschland versteuert werden müssen. Somit bestehe eine Diskriminierung und in Folge ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit.6 Am 30.9.2010 wurde Deutschland zu einer begründeten Stellungnahme aufgefordert.7 Da innerhalb von zwei Monaten keine zufriedenstellende Antwort einging, muss mit einer Klage der Kommission gerechnet werden. Eine Reaktion erfolgte zwar (noch) nicht durch den Gesetzgeber, aber durch ein BMF-Schreiben.8 In diesem Beitrag soll insbesondere untersucht werden, in welchem Umfang das Unionsrecht – konkret: die Grundfreiheiten des AEUV – Vorgaben für den Auslandsbezug der Organschaft enthält. Darauf aufbauend wird der Reformbedarf für die Organschaft erläutert. Schließlich soll noch kurz erörtert werden, inwieweit der Gewinnabführungsvertrag – insbesondere vor dem Hintergrund des erforderlichen Auslandsbezuges – noch sinnvoll ist. Dabei wird jeweils ein Vergleich zur österreichischen Gruppenbesteuerung gezogen.9 Dieser Vergleich bietet sich aus zwei Gründen an: Erstens ist die österreichische Gruppenbesteuerung im internationalen Vergleich von den Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen her _____________ 5 Vgl. zum Auslandsbezug von Organgesellschaften noch Abschnitt C.I.1.c. und Abschnitt C.III.3. 6 Beschwerde Nr. 2008/4409 gegen Deutschland wegen § 14 Abs. 1 KStG; vgl. dazu Meilicke, Vertragsverletzungsverfahren wegen Diskriminierung von nach ausländischem Recht errichteten Organgesellschaften, IStR 2009, 653. 7 In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass die Kommission nur die Niederlassungs-, nicht aber die Kapitalverkehrsfreiheit erwähnt. Vgl. zur Frage der anwendbaren Grundfreiheiten noch Abschnitt C.II.1. 8 BMF-Schreiben vom 28.3.2011, GZ IV C 2 – S 2770/09/10001, DOK 2011/0250044, BStBl. I 2011, 300. 9 Siehe zu einem Vergleich zwischen Organschaft und österreichischer Gruppenbesteuerung z. B. auch Weber, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Konzern (2008), 40 ff.; Karthaus, Die österreichische Gruppenbesteuerung als Modell für Deutschland (2009); Klein, Rechtsvergleich dt. Organschaft und österreichischer Gruppenbesteuerung (2010); Buse, Die österreichische Gruppenbesteuerung und ihre ertragsteuerlichen Rückwirkungen auf in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaften, Hefte zur Internationalen Besteuerung, Heft 168 (2010).

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gesehen das mit der Organschaft am besten vergleichbare System. Dies liegt darin begründet, dass Österreich ursprünglich – ausgehend vom deutschen Vorbild – die Organschaft übernommen hatte und aufbauend auf dieser Organschaft die Gruppenbesteuerung entwickelte, wobei wesentliche Eckpfeiler der Organschaft übernommen wurden. In Österreich erfolgte die Kodifizierung nämlich erst im Jahre 1972,10 also nur kurze Zeit nach der Kodifizierung in Deutschland (im Jahre 1969 in § 7a KStG11). Durch diese späte gesetzliche Regelung erlangte die Rechtsprechung des RFH und später des BFH für die praktische Handhabung des Rechtsinstitutes der Organschaft große Bedeutung, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich.12 Nach verschiedenen Novellierungen der Organschaft, insbesondere durch das öKStG 198813, wurde mit dem Steuerreformgesetz 2005 (StReformG 2005)14 in Österreich die Gruppenbesteuerung eingeführt. Damit ist die deutsche Organschaft letztlich sozusagen die Vorgängerin der österreichischen Gruppenbesteuerung. Zweitens trägt die österreichische Gruppenbesteuerung weitaus mehr den Vorgaben der Grundfreiheiten Rechnung und lässt daher in weitaus größerem Umfang einen Auslandsbezug zu – insbesondere was die Einbeziehung ausländischer Tochtergesellschaften betrifft. Daher kann die österreichische Gruppenbesteuerung gerade für die Frage des erforderlichen Auslandsbezuges als Vorbild dienen. Schließlich hat Österreich auch den Gewinnabführungsvertrag (Ergebnisabführungsvertrag) als Tatbestandsvoraussetzung durch eine Steuerausgleichsvereinbarung ersetzt und kann daher auch insoweit möglicherweise Vorbild für eine Reform der Organschaft sein. Infolge des Vergleiches zur österreichischen Gruppenbesteuerung, die nur die Körperschaftsteuer umfasst (die Gewerbesteuer ist in Österreich nämlich mit Wirkung ab dem 1.1.1994 abgeschafft worden15), konzentriert sich dieser Beitrag auf die körperschaftsteuerliche Organschaft. Aufgrund der zu untersuchenden Fragen ergibt sich folgende Struktur dieses Beitrages: In Abschnitt B. wird ein kurzer Überblick über die Regelungen der körperschaftsteuerlichen Organschaft im Vergleich zur österreichischen Gruppenbesteuerung geboten. In Abschnitt C. wird zu_____________ 10 11 12 13 14 15

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öBGBl. 1972/441; vgl. dazu EB RV BlgNR 475 XIII. GP, 3, 4. BGBl. I 1969, S 1182 ff. Vgl. dazu den Hinweis in EB RV BlgNR 475 XIII. GP, 4. öBGBl. 1988/401. StReformG 2005, öBGBl. I 2004/57. Durch das SteuerreformGesetz 1993, öBGBl. 1993/818.

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nächst der zulässige Auslandsbezug auf der Grundlage der derzeitigen gesetzlichen Regelungen der Organschaft untersucht, wiederum im Vergleich zur österreichischen Gruppenbesteuerung. Davon ausgehend wird analysiert, welche Vorgaben aus den Grundfreiheiten des AEUV für den erforderlichen Auslandsbezug abzuleiten sind, und welcher Reformbedarf für die Organschaft daher besteht. In Abschnitt D. wird schließlich darauf eingegangen, inwieweit der Gewinnabführungsvertrag – insbesondere vor dem Hintergrund der Anwendbarkeit auf eine grenzüberschreitende Organschaft – noch sinnvoll ist.

B. Die körperschaftsteuerliche Organschaft im Vergleich zur Gruppenbesteuerung I. Tatbestände der Organschaft im KStG und der österreichischen Gruppenbesteuerung im Vergleich 1. Einbezogene Personen a) Organschaft Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG, wonach der Träger eines gewerblichen Unternehmens auch Organträger sein kann, und der Konkretisierung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sowie in § 18 KStG kommen die folgenden Personen als Organträger in Betracht: 1. Unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen, 2. Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen i. S. d. § 1 KStG mit Geschäftsleitung im Inland, die nicht steuerbefreit sind. Dazu gehören Kapitalgesellschaften (AG, GmbH, Europäische Gesellschaft [Societas Europaea] und KGaA16 sowie die Vorgesellschaft17), Genossenschaften und Europäische Genossenschaften, Versicherungs- und Pensionsfondsvereine auf Gegenseitigkeit, nichtrechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen des privaten Rechts sowie Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts18, _____________ 16 Vgl. näher Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG/GewStG/UmwStG-Kommentar (99. Lieferung 11/2009), § 14 Rz. 18, Rz. 32a und Rz. 92a. 17 Z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz-Kommentar (2005), § 14 Rz. 184 f.; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 18a. 18 Vgl. statt Vieler Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 18 f.

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3. Eine Personengesellschaft i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG mit Geschäftsleitung im Inland, 4. Nach § 18 KStG ein ausländisches gewerbliches Unternehmen, das im Inland eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung unterhält, wenn u. a. zum Betriebsvermögen der Zweigniederlassung die für die finanzielle Eingliederung erforderliche Beteiligung gehört. Durch die Einschränkung, dass die erwähnten Körperschaften i. S. d. § 1 KStG nicht steuerbefreit sein dürfen, soll verhindert werden, dass das an sich steuerpflichtige Einkommen der Organgesellschaft dem steuerfreien Bereich des Organträgers zugeordnet und dadurch der Besteuerung entzogen wird.19 Die Organträger müssen folgenden Inlandsbezug aufweisen: Bis zum VZ 2000 musste es sich beim Organträger um ein inländisches Unternehmen mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland handeln. Diese Voraussetzungen sind ab dem VZ 2001 geändert worden, indem das Merkmal des „inländischen“ Unternehmens ersatzlos gestrichen wurde und auch der Sitz im Inland als Voraussetzung entfallen ist.20 Nunmehr müssen natürliche Personen und Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen (letztere jedenfalls durch den Verweis auf § 1 KStG) unbeschränkt steuerpflichtig sein, was sich allerdings ohnehin aus dem Erfordernis des inländischen Ortes der Geschäftsleitung ergibt (siehe sogleich). Außerdem müssen nunmehr aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG die Körperschaften i. S. d. § 1 KStG den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben. Dadurch, dass sich nur mehr der Ort der Geschäftsleitung, nicht aber der Sitz im Inland befinden muss, kommen auch doppelt ansässige Körperschaften als Organträger in Betracht.21 Bei Personengesellschaften ist es – ab dem VZ 2003 – nicht mehr erforderlich, dass auch die Gesellschafter unbeschränkt steuerpflichtig sind.22 Gemäß der ausdrücklichen Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG müssen aber auch die Personengesellschaften i. S. d. § 15 Abs. 1 _____________ 19 Z. B. Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 (2008) Rz. 269. 20 Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (UntStFG) vom 20.12.2001, BGBl. I 2002, 35 = BStBl. I 2001, 3858. 21 Z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 16 und Rz. 26 ff. Siehe dazu noch Abschnitt C.I.1.a. 22 Siehe näher Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 37 und Rz. 113 ff.

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Nr. 2 EStG als Organträger den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben. Infolge des inländischen Ortes der Geschäftsleitung haben Personengesellschaften auch eine Betriebsstätte nach § 12 Satz 2 Nr. 1 AO im Inland, zu deren Gewinn das abgeführte Ergebnis der Organgesellschaft gehört. Infolge dieser Betriebsstätte sind ausländische Gesellschafter zumindest beschränkt steuerpflichtig, wodurch auch bei ausländischen Gesellschaftern die inländische Besteuerung sichergestellt wird.23 Das Erfordernis eines inländischen Ortes der Geschäftsleitung gilt m. E. auch für natürliche Personen, was bedeutet, dass das gewerbliche Unternehmen, an das die Organgesellschaft den Gewinn abführt, den Ort der Geschäftsleitung und somit gleichzeitig eine Betriebsstätte i. S. d. § 12 Satz 2 Nr. 1 AO im Inland haben muss.24 Durch diese Betriebsstätte wird nämlich – ähnlich wie bei § 18 KStG – der inländische Besteuerungsanspruch sichergestellt.25 Weist ein Unternehmen keinen entsprechenden Inlandsbezug auf, handelt es sich um ein „ausländisches gewerbliches Unternehmen“, das lediglich zu beschränkt steuerpflichtigen Einkünften führt; dieses Unternehmen kann unter den Voraussetzungen des § 18 KStG (eine im Inland unterhaltene und im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung) Organträger sein.26 Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG kann nur ein gewerbliches Unternehmen Organträger sein; das Unternehmen muss also Einkünfte i. S. d. § 15 EStG erzielen.27 Der Hintergrund dieser Bestimmung liegt darin, dass die Einkünfte der Organgesellschaft, bei der es sich um eine Kapitalgesellschaft handeln muss und die daher gemäß § 8 Abs. 2 KStG bzw. § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG nur gewerbliche Einkünfte haben kann, nicht durch die Organschaft in eine andere Einkunftsart um qualifiziert wer_____________ 23 Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 271. 24 Ebenso Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 33 ff. 25 Dies vor dem Hintergrund, dass das Erfordernis des „inländischen“, also des im Inland betriebenen Unternehmens (mit inländischer Betriebsstätte) durch das UntStFG vom 20.12.2001 weggefallen (BGBl. I 2002, 35 = BStBl. I 2001, 3858) ist; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 34. Siehe zum Ganzen noch Abschnitt C.I.1.a. 26 Siehe dazu ausführlich Abschnitt C.I.1.a. 27 Die Begriffe der Gewerblichkeit in § 14 und § 15 KStG sind einheitlich auszulegen; vgl. z. B. BFH v. 13.9.1989 – I R 110/88, BStBl. II 1990, 24; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 19 und ferner Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 105.

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den. Es soll damit sozusagen eine einheitliche Einkunftsart im Organkreis sichergestellt werden.28 Bei Körperschaften genügt der Gewerbebetrieb kraft Rechtsform (§ 8 Abs. 2 KStG bzw. § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG); eine originär gewerbliche Tätigkeit ist nach h. A. nicht erforderlich;29 bei Betrieben gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts muss allerdings ein stehender Gewerbebetrieb vorliegen.30 Aufgrund des Gewerbebetriebes kraft Rechtsform können – nach überwiegender Auffassung – auch jene Körperschaften, die als eine rein vermögensverwaltende Holding zu qualifizieren sind, als Organträger in Betracht kommen (eine geschäftsleitende Holding ist daher nicht erforderlich, was sich auch daraus ergibt, dass das Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung31 nicht mehr erforderlich ist).32 Natürliche Personen können hingegen nur dann Organträger sein, wenn sie ein gewerbliches Unternehmen i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 EStG betreiben; sie müssen also eine originär gewerbliche Tätigkeit ausüben. Außerdem muss die Beteiligung an der Organgesellschaft im (notwendigen oder gewillkürten) Betriebsvermögen des Gewerbebetriebes gehalten werden, damit das Einkommen der Organschaft tatsächlich in die gewerblichen Einkünfte des Organträgers fließt.33 Personengesellschaften müssen schließlich seit dem VZ 2003 aufgrund der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG eine originär gewerbliche Tätigkeit i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausüben;34 eine gewerblich geprägte Personengesellschaft i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG ist daher als Organträger nicht ausreichend.35 Der Grund für diese Einschränkung lag darin, die Abschaffung der Mehrmütterorganschaft abzusichern _____________ 28 Vgl. z. B. BFH v. 12.8.1965 – IV 322/64 U, BStBl. III 1965, 589 und Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 19. 29 Vgl. z. B. BFH v. 26.4.1989 – I R 152/84; BStBl. II 1989, 668; v. 13.9.1989 – I R 110/88, BStBl. II 1990, 24; Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6 (2003), § 14 Rz. 5; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 116; Witt/Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer (67. Lieferung, Oktober 2009) § 14 Rz. 79; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 20. 30 Z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 21. 31 Siehe unten Abschnitt B.I.2.a. 32 Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 14 Rz. 26; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 111; Witt/Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 85; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 52 ff. (insbesondere Rz. 54); FG Münster v. 22.8.1988 – IX 1172/87, EFG 1989, 310. 33 Vgl. z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 32. 34 Eingefügt durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) vom 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660 = BStBl. 2003, 321. 35 Z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 38.

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(siehe sogleich unten).36 Ob eine bloß geringfügige gewerbliche Tätigkeit ausreichend ist,37 und ob eine Personengesellschaft mit der Tätigkeit einer geschäftsleitenden Holding als Organträger in Betracht kommt, ist strittig.38 Eine Mehrmütterorganschaft – bei der es sich um einen Zusammenschluss mehrerer gewerblicher Unternehmen zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit dem Zweck der einheitlichen Willensbildung gegenüber der Organgesellschaft handelte39 – wurde trotz der Kodifizierung der Organschaft (im Jahre 1969 in § 7a KStG40), die keine ausdrückliche Regelung vorsah, als gewohnheitsrechtlich anerkannt angesehen.41 Nach einer einschränkenden Judikatur42, die von der Finanzverwaltung nicht angewendet wurde,43 erfuhr die Mehrmütterorganschaft für die VZ 2001 und 2002 in § 14 Abs. 2 eine gesetzliche Regelung.44 Ab dem VZ 2003 wurden die Regelungen über die Mehrmütterorganschaft jedoch wieder ersatzlos – und ohne Begründung45 – gestrichen.46 Die Streichung der Mehrmütterorganschaft wurde durch das _____________ 36 BT/Drucks. 15/119, S. 43. 37 I. d. S. z. B. Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 14 Rz. 6; Witt/ Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 92a; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 39; i. d. S. auch Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 80; a. A. die Finanzverwaltung: BMF vom 10.11.2005 – IV B 7 – S 2770 – 24/05, BStBl. I 2005, 1038, Rz. 17. – Da die Änderungen durch das StVergAbG (siehe Fn. 34) nur den Zweck hatten, den Wegfall der Mehrmütterorganschaft abzusichern, könnte dies als Argument dafür herangezogen werden, auch eine geringfügige gewerbliche Tätigkeit genügen zu lassen. 38 Dafür z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 80; Frotscher in Frotscher/ Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 57; dagegen die Finanzverwaltung: BMF vom 10.11.2005 – IV B 7 – S 2770 – 24/05, BStBl. I 2005, 1038, Rz. 18. 39 Vgl. zu dieser Definition z. B. Witt/Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 107. 40 BGBl. I, S 1182 ff. 41 Vgl. BFH v. 14.4.1993 – I R 128/90, BStBl. I 1994, 124; BMF v. 26.8.2003, IV A 2 – S 2770 – 18/03, BStBl. I 2003, 437 Rz. 15. 42 BFH v. 9.6.1999 – I R 43/97, BStBl. II 2000, 695; v. 9.6.1999 – I R 37/98, BFH/NV 2000, 347. 43 BMF-Schreiben v. 4.12.2000 – IV A 2 – S 2770 – 3/00, BStBl. I 2000, 1571 (Nichtanwendungsschreiben). 44 Durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (UntStFG) vom 20.12.2001, BGBl. I 2002, 35 = BStBl. I 2001, 3858 (vgl. zu diesem Gesetz bereits Fn. 20). 45 Vgl. dazu und zu einer Erklärung für die Abschaffung Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 62 und Rz. 372. 46 Durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) vom 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660 = BStBl. I 2003, 321 (vgl. zu diesem Gesetz bereits Fn. 34).

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Gebot der originären gewerblichen Tätigkeit für Personengesellschaften als Organträger in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG abgesichert (vgl. bereits oben); in diesem Zusammenhang ist auch das Gebot des § 14 Abs. 1 Satz 1 zu erwähnen, wonach der Gewinn der Organgesellschaft an ein „einziges“ anderes gewerbliches Unternehmen abgeführt werden muss.47 Als Organgesellschaft kommt gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG nur eine Europäische Gesellschaft (Societas Europaea), AG oder KGaA48 in Betracht. Gemäß § 17 KStG wird dieser Personenkreis – unter bestimmten Voraussetzungen49 – auf die GmbH erweitert. Die Sonderregelung des § 17 erklärt sich daraus, dass diese Bestimmung sicherstellen will, den Gewinnabführungsvertrag auch bei einer GmbH als Organgesellschaft nach den Regelungen des §§ 291 ff. AktG zu gestalten; das GmbHG enthält nämlich keine vergleichbaren Regelungen.50 Kurz gesagt kann daher nur eine Kapitalgesellschaft (zu denen auch die Societas Europaea gehört) Organgesellschaft sein. Körperschaften wie Genossenschaften (ebenso wenig wie Europäische Genossenschaften) oder Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit kommen als Organgesellschaften daher nicht in Betracht.51 Auch Personengesellschaften dürfen keine Organgesellschaften sein; sie spielen allenfalls bei der finanziellen Eingliederung eine Rolle. Das Gesetz enthält – im Gegensatz zum Organträger (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG) – bei Organgesellschaften nicht die Einschränkung, dass diese nicht steuerbefreit sein dürfen. Ob auch eine steuerbefreite Körperschaft Organgesellschaft sein darf, ist allerdings strittig.52 Für die Zulässigkeit einer steuerbefreiten Körperschaft spricht, dass die Steuerpflicht nur beim Organträger eine zwingende Voraussetzung ist, um die Besteuerung des Einkommens der Organgesellschaft sicherzustellen.53 _____________ 47 Z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 22 i. V. m. Rz. 17. 48 Zur Zulässigkeit der KGaA als Organgesellschaft siehe ausführlich Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 80a. 49 Siehe zur Gewinnabfuhr bzw. Verlustübernahmeverpflichtung unten Abschnitt B.I.3.a. 50 Z. B. Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 276. 51 Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 80. 52 Dafür z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 81; dagegen z. B. BFH 9.10.1974 – I R 5/73, BStBl. II 1975, 179 (betreffend GewSt); offen Witt/ Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 59. 53 I. d. S. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 81; siehe dazu auch oben.

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Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 (bzw. i. V. m. § 17 KStG für die GmbH) muss eine Organgesellschaft sowohl ihren Sitz als auch den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben (doppelter Inlandsbezug). Die Voraussetzungen für Organgesellschaften sind daher gegenüber dem Organträger strenger gefasst, da der Ort der Geschäftsleitung im Inland alleine nicht ausreichend ist. Auch Gesellschaften, die nach ausländischem Recht errichtet wurden (und daher ihren Sitz im Ausland haben) und aufgrund des Strukturvergleichs einer inländischen Kapitalgesellschaft vergleichbar sind, kommen nicht als Organgesellschaften in Betracht.54 Daher können auch doppelt ansässige Gesellschaften (beispielsweise mit Sitz im Ausland und Ort der Geschäftsleitung im Inland) nicht Organgesellschaft sein. Die europarechtlichen Bedenken gegen das Erfordernis des doppelten Inlandsbezuges liegen auf der Hand.55 Eine originär gewerbliche Tätigkeit der Organgesellschaft ist im Gesetz nicht vorgeschrieben. Das Vorliegen eines Gewerbebetriebes kraft Rechtsform – den die als Organgesellschaft in Betracht kommenden Kapitalgesellschaften gemäß § 8 Abs. 2 KStG aufweisen – ist daher ausreichend.56 b) Österreichische Gruppenbesteuerung Die Regelungen über die Gruppenbesteuerung wurden durch das Steuerreformgesetz 200557 in Österreich eingeführt; sie finden sich sämtlich in § 9 öKStG.58 Die Gruppenbesteuerung löste die – dem deutschen Recht entnommene – Organschaft in Österreich ab.59 _____________ 54 Dazu z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 50 f.; Frotscher in Frotscher/ Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 80b. 55 Siehe zum eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren sowie zum BMF-Schreiben vom 28.3.2011, GZ IV C 2 – S 2770/09/10001, DOK 2011/0250044, BStBl. I 2011, 300 bereits Abschnitt A. 56 I. d. S. Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 14 Rz. 3; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 61; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 84. 57 StReformG 2005, öBGBl. I 2004/57; siehe bereits Abschnitt A. 58 Die letzte Änderung des § 9 erfolgte durch das Abgabenänderungsgesetz 2010, öBGBl. I 2010/34. 59 Die Organschaft wurde erstmals durch die öKStG-Novelle 1972 (öBGBl. 1972/441) in Österreich kodifiziert, und zwar in § 8 Abs. 4 öKStG 1966; bis dahin waren die von der Rechtsprechung des RFH entwickelten Grundsätze anzuwenden. Neben kleineren Novellierungen erfolgten umfangreiche Änderungen durch die Steuerreform 1988, durch die die Regelungen über die Organschaft in § 9 KStG 1988 ver-

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In die österreichische Unternehmensgruppe nach dem öKStG können – im Gegensatz zum KStG, wo natürliche Personen und Personengesellschaften auch Organträger sein dürfen – überhaupt nur Körperschaften einbezogen werden. Es kommen allerdings nicht sämtliche Körperschaften in Betracht; so dürfen z. B. weder österreichische (Privat-)Stiftungen noch Vereine oder Betriebe gewerblicher Art einer Körperschaft des öffentlichen Rechts Gruppenträger sein. Personengesellschaften spielen im Rahmen der Gruppenbesteuerung nur insoweit eine Rolle, als sie im Rahmen der finanziellen Verbindung eine mittelbare Beteiligung vermitteln können.60 Dem Organträger entspricht in der österreichischen Gruppe der Gruppenträger; dies ist jene Körperschaft an der Spitze der Gruppe, bei dem die Ergebnisse aller Gruppenmitglieder vereinigt werden. Als Gruppenträger kommen gemäß § 9 Abs. 3 Ts. 1 bis Ts. 5 öKStG folgende Körperschaften in Betracht: 1. Unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften (Ts. 1)61 2. Unbeschränkt steuerpflichtige (in- und ausländische62) Kapitalgesellschaften und Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, die unter § 7 Abs. 3 öKStG fallen (Ts. 2). Zu den Kapitalgesellschaften gehören die AG nach dem österreichischen Aktiengesetz, die GmbH nach dem österreichischen Gesetz vom 6.3.1906 über Gesellschaften mit beschränkter Haftung und die Europäische Gesellschaft (Societas Europaea). Unter den Begriff der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft fallen nicht nur die Genossenschaften nach dem Gesetz vom 9.4.1873 über Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, sondern auch Europäische Genossenschaften.63 3. Unbeschränkt steuerpflichtige Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit i. S. d. Versicherungsaufsichtsgesetzes (VVaG; Ts. 3)

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schoben wurden (öBGBl. 1988/401). Die letzten Änderungen der Organschaft – bis zu deren Abschaffung im Zuge des StReformG 2005 – erfolgten durch öBGBl. 1993/818. Vgl. zur Entwicklung im Übrigen auch Abschnitt A. Vgl. § 9 Abs. 4 Ts. 2 KStG 1988; siehe Abschnitt B.I.2.b. Zum Verhältnis des Ts. 1 zu Ts. 2 des § 9 Abs. 3 öKStG ist zu sagen, dass Ts. 1 entbehrlich ist und in Ts. 2 aufgeht; es handelt sich offenbar um ein Redaktionsversehen (z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr [Hrsg.], KStG-Kommentar [in Druck], § 9 Rz. 74). Siehe zu den Begriffen „inländisch“ und „ausländisch“ noch unten. Z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 77 i. V. m. Rz. 44 ff.

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4. Unbeschränkt steuerpflichtige Kreditinstitute i. S. d. Bankwesengesetzes (Ts. 4). Unter diesen Begriff fallen – sofern ein Kreditinstitut nicht ohnehin die Rechtsform einer AG oder GmbH hat (vgl. Ts. 1 bzw. Ts. 2) – insbesondere Sparkassen i. S. d. österreichischen SparkassenG.64 5. Beschränkt steuerpflichtige Gesellschaften i. S. d. § 9 Abs. 3 Ts. 5 öKStG. Zu diesen beschränkt steuerpflichtigen (ausländischen) Gesellschaften gehören zwei Arten von Körperschaften: „EU-Gesellschaften“ sind solche Körperschaften, die in der Anlage 2 zum öEStG in der jeweils geltenden Fassung genannt sind (und daher in einem Mitgliedstaat der EU – entweder aufgrund ihres Sitzes oder Ortes der Geschäftsleitung – ansässig sind).65 „EWR-Gesellschaften“ sind demgegenüber jene Körperschaften, die sowohl den Ort der Geschäftsleitung als auch den Sitz in einem Mitgliedstaat des EWR haben.66 6. Beteiligungsgemeinschaften (als Personengesellschaft, Beteiligungssyndikat oder im Wege gemeinsamer Kontrolle), wenn sie ausschließlich aus den vorstehend genannten Steuerpflichtigen gebildet werden (Ts. 6; siehe dazu noch unten). Die erwähnten unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften dürfen als Gruppenträger i. S. d. § 9 Abs. 3 Ts. 1 bis Ts. 4 nicht steuerbefreit sein (sie dürfen allenfalls einer partiellen Steuerbefreiung unterliegen).67 Die als Gruppenträger in Betracht kommenden Körperschaften müssen den folgenden Inlandsbezug aufweisen: Die Körperschaften i. S. d. § 9 Abs. 3 Ts. 1 bis Ts. 4 öKStG (Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, VVaG und Kreditinstitute [Sparkassen]) müssen unbeschränkt steuerpflichtig sein. Ob sich die unbeschränkte Steuerpflicht aus dem Sitz gemäß § 27 Abs. 1 öBAO68 (entspricht § 11 AO) oder aus dem Ort der Geschäftsleitung gemäß § 27 Abs. 2 öBAO (entspricht § 10 AO) ergibt, ist gleichgültig. Damit können auch ausländische Gesellschaften, d. h. _____________ 64 Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 88. 65 In der Anlage 2 zum öEStG sind jene Gesellschaften angeführt, die unter die Mutter-Tochter-Richtlinie fallen (Richtlinie 90/435/EWG, ABl. Nr. L 225 vom 20.8.1990, S. 6, in der gültigen Fassung). 66 Siehe zu den beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Rechtsformen als Gruppenträger noch unten Abschnitt C.I.2.a. 67 Z. B. Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung – Praxiskommentar2 (2009) K 77 ff. und K 85; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 83 und Rz. 31 ff. 68 Österreichische Bundesabgabenordnung.

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Gesellschaften die ihren Sitz i. S. d. § 27 Abs. 1 öBAO (Satzungssitz) im Ausland haben,69 Gruppenträger sein, sofern sie nach dem Strukturvergleich (Typenvergleich) den inländischen Rechtsformen der AG, GmbH, Genossenschaft, VVaG oder Sparkasse vergleichbar sind.70 Auch in mehreren Staaten unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften (doppelt ansässige Körperschaften) kommen als Gruppenträger in Betracht. Dies sieht die Bestimmung des § 9 Abs. 3 öKStG ausdrücklich vor (vgl. demgegenüber die §§ 14 ff. KStG, in denen keine ausdrückliche Regelung über doppelt ansässige Körperschaften als Organträger enthalten ist). Eine doppelt ansässige Körperschaft kann allerdings nur dann Gruppenträger sein, wenn sie im Inland mit einer Zweigniederlassung im Firmenbuch eingetragen ist und die Beteiligung an den Gruppenmitgliedern dieser Zweigniederlassung zuzurechnen ist (vgl. § 9 Abs. 3 letzter Satz öKStG 1988). Insoweit besteht kein Unterschied zwischen lediglich beschränkt steuerpflichtigen und unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaften als Gruppenträger (siehe dazu sogleich unten).71 Gruppenträger können auch die erwähnten beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften i. S. d. § 9 Abs. 3 Ts. 5 öKStG sein (bei denen es sich um „ausländische“ Rechtsformen handelt, d. h. Körperschaften mit Sitz im Ausland): „EU-Gesellschaften“ müssen in der Anlage 2 zum EStG enthalten und in weiterer Folge daher entweder aufgrund ihres Sitzes oder des Ortes der Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU ansässig sein. Ferner müssen sie den oben genannten Kapitalgesellschaften, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, VVaG und Kreditinstituten i. S. d. § 9 Abs. 3 Ts. 1 bis Ts. 4 öKStG vergleichbar sein.72 „EWRGesellschaften“ müssen sowohl ihren Sitz als auch den Ort der Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat des EWR haben (Norwegen, Island oder Liechtenstein). Ferner müssen die „EWR-Gesellschaften“ gemäß der ausdrücklichen Regelung des § 9 Abs. 3 Ts. 5 öKStG mit in_____________ 69 „Inländische“ Gesellschaften haben demgegenüber den Satzungssitz im Inland. Vgl. zu dieser Definition der Begriffe „inländisch“ und „ausländisch“, die der ganz h. M. im Schrifttum und der Finanzverwaltung entspricht, z. B. Wiesner/ Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 86 f.; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 35 ff. (m. w. N. des Schrifttums); öKStR 2001 Rz. 369. 70 Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 81 f., 86 und 90 jeweils m. w. N. des Schrifttums. 71 Siehe zu den doppelt ansässigen Gruppenträgern noch ausführlich Abschnitt C.I.2.a. 72 Siehe zu den „EU-Gesellschaften“ noch ausführlich Abschnitt C.I.2.a.

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ländischen „Kapitalgesellschaften“ vergleichbar sein.73 Sowohl bei den genannten „EU-Gesellschaften“ als auch bei „EWR-Gesellschaften“ ist ferner Voraussetzung, dass sie mit einer Zweigniederlassung im Firmenbuch eingetragen sind und dass die Beteiligung an den Gruppenmitgliedern dieser Zweigniederlassung zuzurechnen ist. Eine (originär) gewerbliche Tätigkeit wird vom öKStG bei Mitgliedern einer Unternehmensgruppe nicht verlangt.74 Dadurch kommen auch rein vermögensverwaltende Körperschaften75 wie z. B. Holdinggesellschaften76 als Gruppenträger in Betracht. Das Vorliegen gewerblicher Einkünfte wird nämlich ohnehin durch die Regelung des § 7 Abs. 3 öKStG sichergestellt (entspricht § 8 Abs. 2 KStG). Die Bestimmung des § 7 Abs. 3 öKStG wird zwar nur in § 9 Abs. 3 Ts. 2 öKStG bei den Kapitalgesellschaften und Genossenschaften ausdrücklich genannt,77 ist aber aus systematischer Sicht als gemeinsames Tatbestandsmerkmal auch für die anderen als Gruppenträger in Betracht kommenden Körperschaften anzusehen.78 Dadurch wird eine einheitliche Einkünfteermittlung (sowie Gewinnermittlung) innerhalb der Unternehmensgruppe sichergestellt.79 In diesem Punkt besteht also kein Unterschied zum Recht der Organschaft, da auch dort Organträger wie Organgesellschaften einheitlich nur gewerbliche Einkünfte erzielen. Als Gruppenträger kommen auch Beteiligungsgemeinschaften in Betracht (§ 9 Abs. 3 Ts. 6 öKStG), wobei die häufigste Rechtsform entweder die Personengesellschaft oder das „Beteiligungssyndikat“ _____________ 73 Siehe zu den „EWR-Gesellschaften“ noch ausführlich Abschnitt C.I.2.a. 74 Dies ergibt sich klar aus den Gesetzesmaterialien zum StReformG 2005 (EB RV 451 BlgNR XXII. GP, 18). 75 Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 105; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 75. 76 Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 76. 77 Dazu z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 78. – Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften fallen allerdings nur dann unter § 7 Abs. 3 öKStG, wenn sie den für die Verpflichtung zur Rechnungslegung maßgebenden Schwellenwert gemäß § 189 Abs. 1 Z 2 des österreichischen Unternehmensgesetzbuches (vor öBGBl. I 2005/120: Handelsgesetzbuches) iHv 700.000 Euro überschreiten; vgl. dazu Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 80. 78 Siehe dazu ausführlich Urtz, Die Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung (Habilitationsschrift; in Druck), Abschnitte C.I.1.1.1., C.I.1.1.4, C.I.3.3. und C.I.3.4.; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 50 f. sowie Rz. 85 f. (zu VVaG) und Rz. 87 (zu Kreditinstituten). 79 Ausführlich Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt C.I.1.1.1.; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 50 f.

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(= Stimmrechtsbindungsvertrag) ist.80 Dabei ist zu beachten, dass bei der Beteiligungsgemeinschaft nicht nur die Gemeinschaft als solche mehr als 50 % des gesellschaftsrechtlichen Nennkapitals und mehr als 50 % der Stimmrechte am untergeordneten Gruppenmitglied besitzen muss, sondern dass auch zumindest ein Mitglied der Beteiligungsgemeinschaft („Mitbeteiligter“) eine Beteiligung von mindestens 40 % und jeder weitere Mitbeteiligte eine Beteiligung von mindestens 15 % besitzen muss (§ 9 Abs. 4 Ts. 4 öKStG). Damit müssen mindestens zwei bzw. dürfen höchstens fünf Körperschaften Mitglieder der Beteiligungsgemeinschaft sein.81 Durch die Möglichkeit einer Beteiligungsgemeinschaft als Gruppenträger wurde bei der österreichischen Gruppenbesteuerung sozusagen die Mehrmütterorganschaft verwirklicht. Gruppenmitglieder können im Rahmen der österreichischen Gruppenbesteuerung unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften (AG, GmbH und Europäische Gesellschaft [Societas Europaea]) sowie Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (einschließlich der Europäischen Genossenschaft) sein (§ 9 Abs. 2 Ts. 1 öKStG).82 Aufgrund des Erfordernisses der unbeschränkten Steuerpflicht (siehe sogleich) dürfen die erwähnten Gruppenmitglieder allenfalls einer partiellen Steuerbefreiung unterliegen.83 Ein doppelter Inlandsbezug wie in Deutschland ist jedoch nicht erforderlich; die unbeschränkte Steuerpflicht genügt. Somit können auch doppelt ansässige Körperschaften Gruppenmitglieder sein.84 Bei den Gruppenmitgliedern ist eine (originär) gewerbliche Tätigkeit ebenso wenig erforderlich wie beim Gruppenträger. Daher kommen auch vermögensverwaltende Körperschaften als Gruppenmitglied in Betracht.85 Dies ergibt sich letztlich auch aus der Bestimmung des § 7

_____________ 80 Siehe zu den Formen der Beteiligungsgemeinschaft statt Vieler Urtz in Achatz/ Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 110 ff. m. w. N. 81 Z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 194 ff. 82 Z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 54. 83 Z. B. Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 77 ff. und K 85; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 59. 84 Siehe noch ausführlich Abschnitt C.I.2.b. 85 Dies ergibt sich bereits aus den Gesetzesmaterialien zum StReformG 2005 (EB RV 451 BlgNR XXII. GP, 15.

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Abs. 3 öKStG (entspricht § 8 Abs. 2 KStG), die gemeinsames Tatbestandsmerkmal für alle Gruppenmitglieder ist.86 Neben den in § 9 Abs. 2 Ts. 1 öKStG erwähnten Körperschaften können nach § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG auch „nicht unbeschränkt steuerpflichtige ausländische“ Körperschaften, die mit einer inländischen Kapitalgesellschaft oder Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft (aufgrund eines Strukturvergleichs) vergleichbar sind, Gruppenmitglied sein. Diese Körperschaften dürfen in Österreich somit entweder gar nicht oder allenfalls beschränkt steuerpflichtig sein. Zusätzlich müssen sie „ausländisch“ sein und daher den Satzungssitz im Ausland haben.87 Nach dem letzten Halbsatz des § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG müssen die nicht unbeschränkt steuerpflichtigen ausländischen Gruppenmitglieder „ausschließlich mit unbeschränkt steuerpflichtigen Gruppenmitgliedern oder dem Gruppenträger finanziell verbunden“88 sein. Dies bedeutet eine Einschränkung auf die so genannte „erste Auslandsebene“.89 2. Materielle Voraussetzungen (Eingliederungsvoraussetzungen) a) Organschaft Neben der Voraussetzung eines Gewinnabführungsvertrages sieht § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG als materielle Voraussetzung für die Bildung einer Organschaft vor, dass die Organgesellschaft finanziell in den Organträger eingegliedert sein muss. Eine wirtschaftliche oder organisatorische Eingliederung ist seit dem VZ 2001 nicht mehr erforderlich.90 Finanzielle Eingliederung bedeutet, dass der Organträger in einem solchen Umfang an der Organgesellschaft beteiligt sein muss, „dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht“. Da die finanzielle Eingliederung auf der Ausübung der Stimmrechte beruht, muss dafür letztlich die gesellschaftsrechtliche _____________ 86 Vgl. z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 53. Auch für nicht unbeschränkt steuerpflichtige ausländische Gruppenmitglieder i. S. d. § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG ist § 7 Abs. 3 öKStG Tatbestandsmerkmal; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 50 und Rz. 312. 87 Siehe dazu noch Abschnitt C.I.2.b. 88 Siehe zur finanziellen Verbindung, die der finanziellen Eingliederung bei der Organschaft vergleichbar ist, noch unten Abschnitt B.I.2.b. 89 Siehe dazu noch ausführlich Abschnitt C.I.2.b. 90 Abschaffung durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (StSenkG) vom 23.10.2000, BGBl. I 2000, 1433 = BStBl. I 2000, 1428.

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Stellung ausschlaggebend sein; eine Beherrschung auf andere Weise, also durch schuldrechtliche Lieferungs- oder Leistungsverträge, ist somit nicht ausreichend.91 Zweck des Tatbestandsmerkmals der finanziellen Eingliederung ist es, sicherzustellen, dass der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft in Fragen des Tagesgeschäftes durchsetzen kann.92 Mehrheit der Stimmrechte bedeutet daher i. d. R., dass der Organträger in der Gesellschafterversammlung bzw. in der Hauptversammlung der Organgesellschaft mehr als 50 % der Stimmen ausüben kann (vgl. § 47 Abs. 1 GmbHG, § 133 Abs. 1 AktG). Wenn durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Satzung für einige außergewöhnliche Maßnahmen eine höhere, qualifizierte Mehrheit vorgesehen ist, wie z. B. für Satzungsänderungen, so schadet dies nicht. Denn der Organträger kann auch bei einfacher Stimmenmehrheit seinen Willen im laufenden Tagesgeschäft durchsetzen.93 Bestimmt demgegenüber der Gesellschaftsvertrag oder die Satzung, dass Beschlüsse generell nur mit einer höheren, qualifizierten Mehrheit getroffen werden können, so ist eine finanzielle Eingliederung nur bei Erreichen dieser Mehrheit möglich.94 Ist nicht nur bei einzelnen, außergewöhnlichen Maßnahmen eine höhere, qualifizierte Mehrheit vorgesehen, so ist im Einzelfall eine Abwägung vorzunehmen;95 ist der Katalog so umfangreich, dass praktisch alle im laufenden Geschäftsverkehr wichtigen Entscheidungen mit dieser qualifizierten Mehrheit getroffen werden müssen, so setzt die finanzielle Eingliederung ebenfalls diese Mehrheit voraus.96 Weichen die Stimmrechte von der Beteiligung aufgrund der Anteile ab, so sind die Stimmrechte maßgebend. Dies kann z. B. bei stimmrechts_____________ 91 Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 92; Dötsch/Witt in Dötsch/ Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 122. 92 I. d. S. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 90 f. Ähnlich Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 131: „normale abzuhandelnde Angelegenheiten“. 93 I. d. S. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 131; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 91; vgl. auch Dötsch/Witt in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 122, der von „einzelnen Beschlüssen“ spricht. 94 BFH v. 22.11.2001 – V R 50/00; BStBl. II 2002, 167; Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 14 Rz. 13; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 131; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 91; Dötsch/Witt in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 122. 95 Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 91; Dötsch/Witt in Dötsch/ Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 122. 96 Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 278.

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losen Vorzugsaktien oder bei eigenen Anteilen – bei denen das Stimmrecht ruht – eine Rolle spielen.97 Die Stimmrechte müssen dem Organträger im eigenen Namen zustehen. Dazu wird zunächst das zivilrechtliche Eigentum zu prüfen sein; letztlich entscheidend ist aber das wirtschaftliche Eigentum.98 Eine Stimmrechtsvollmacht alleine ist daher nicht ausreichend, wenn sie nicht auch eine wirtschaftliche Berechtigung verleiht.99 Ob eine Beteiligung als Treuhänder für eine finanzielle Eingliederung ausreicht, ist – vor dem Hintergrund, dass es letztlich auf das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen ankommt – strittig. Die überwiegende Auffassung sieht den Treugeber als Organträger an, wobei allerdings die Frage diskutiert wird, inwieweit eigene Interessen des Treuhänders eine Rolle spielen.100 Eine Beteiligung zur Herstellung der finanziellen Eingliederung ist sowohl in unmittelbarer als auch in mittelbarer Form möglich. Das so genannte Additionsverbot wurde ab dem VZ 2001 aufgehoben.101 § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 normiert ausdrücklich, dass mittelbare Beteiligungen zu berücksichtigen sind, „wenn die Beteiligung an jeder vermittelnden Gesellschaft die Mehrheit der Stimmrechte gewährt“. _____________ 97 Z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 131; Müller/Stöcker, Die Organschaft7 (2008) Rz. 80; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 90. 98 I. d. S. z. B. Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 14 Rz. 14; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 93; Dötsch/Witt in Dötsch/ Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 121. 99 I. d. S. z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 140; Frotscher in Frotscher/ Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 93. 100 Nach Auffassung von Gassner in Lademann (Hrsg.), Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz (Nachtrag 25, Dezember 1995), § 14 Tz. 38; Müller/Stöcker, Organschaft7 Rz. 82 und Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 94 sei stets der Treugeber OT, da der Treuhänder nicht seinen Willen durchsetzen, sondern an den Willen des Treugebers gebunden sei (eine obligatorische Bindung an die Weisungen des Treugebers genüge; so ausdrücklich Gassner, a. a. O., Rz. 38 und Müller/Stöcker, a. a. O., Rz. 82). Anders Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 133 und (nunmehr) Dötsch/Witt in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 121, wonach es auf den Einzelfall darauf ankomme, ob der Treugeber sein Stimmrecht uneingeschränkt ausüben kann, was bei der fremdnützigen, nicht aber der eigennützigen Treuhand der Fall sei; ähnlich auch Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 14 Rz. 14. 101 Durch das StSenkG, BGBl. I 2000, 1433 = BStBl. I 2000, 1428 (siehe auch Fn. 90). Davor war eine finanzielle Eingliederung nur aufgrund einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an der Organgesellschaft möglich.

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Unstrittig ist, dass auch Personengesellschaften oder ausländische Gesellschaften als vermittelnde Gesellschaften in Betracht kommen; die vermittelnde Gesellschaft muss also nicht etwa die gleiche Rechtsform wie der Organträger oder die Organgesellschaft haben.102 Strittig sind allerdings zwei Fragen: Erstens ist strittig, ob die Stimmrechtsmehrheit auf jeder Stufe der Beteiligungskette gegeben sein muss. Für das Erfordernis der Stimmrechtsmehrheit auf jeder Stufe spricht neben dem Gesetzeswortlaut auch die sonst gegebene Umgehungsmöglichkeit.103 In diesem Zusammenhang ist ferner fraglich, ob bei einer Beteiligungskette die Mehrheit der Stimmrechte auch auf Ebene der Organgesellschaft – also auf der letzten Stufe – gegeben sein muss; dagegen spricht, dass die Organgesellschaft keine vermittelnde Gesellschaft ist.104 Zweitens ist bei einer mittelbaren Beteiligung strittig, ob bei einer Beteiligungskette die Mehrheit des Organträgers an der Organgesellschaft auch bei Durchrechnung gegeben sein muss;105 dieses Erfordernis wird mit der Verpflichtung zur Addition von mittelbaren und unmittelbaren Beteiligungen begründet, die sonst keinen Sinn ergäbe.106 Dagegen wird der – die Durchrechnung nicht erwähnende – Gesetzeswortlaut angeführt sowie der Zweck der finanziellen Eingliederung, die Durchsetzung des Willens des Organträgers sicherzustellen.107 Die finanzielle Eingliederung zwischen Schwesterngesellschaften ist nach dem System des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG nicht möglich.

_____________ 102 Z. B. Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 14 Rz. 16; Müller/ Stöcker, Organschaft7 Rz. 89; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 98; Dötsch/Witt in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 130. 103 Dafür z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 140; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 100. 104 I. d. S. auch Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 143; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 100. 105 Für eine Durchrechnung z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 139; Müller/Stöcker, Organschaft7 Rz. 94; dagegen z. B. Klübenspies/Heurung, Ertragsteuerliche Organschaften im Lichte des BMF-Schreibens vom 26.8.2003, BB 2003, 2483 (2496); Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 100; Dötsch/Witt in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 127; vgl. auch KStR 2004 R 57 Beispiel 3 (für eine Durchrechnung betreffend eine Personengesellschaft). 106 Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 139; kritisch Frotscher in Frotscher/ Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 100. 107 Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 100.

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b) Österreichische Gruppenbesteuerung Das Erfordernis der finanziellen Verbindung gemäß § 9 Abs. 4 öKStG ist (abgesehen von der taxativen Aufzählung der als Gruppenträger und Gruppenmitglieder für die Bildung einer Unternehmensgruppe in Betracht kommenden Körperschaften) die einzige materielle Anwendungsvoraussetzung für die Bildung einer Unternehmensgruppe nach österreichischem Recht.108 Eine organisatorische oder wirtschaftliche Eingliederung, wie sie in Österreich noch für die Organschaft vorgesehen war,109 ist seit Einführung der Gruppenbesteuerung durch das StReformG 2005 nicht mehr erforderlich.110 Der Begriff „finanzielle Verbindung“ leitet sich offensichtlich von der finanziellen Eingliederung bei der früheren Organschaft in Österreich ab, die wiederum der gegenwärtigen finanziellen Eingliederung bei der Organschaft in Deutschland sehr ähnlich war.111 Der unterschiedliche Terminus „Verbindung“ statt „Eingliederung“ soll offenbar verdeutlichen, dass die Unterordnung des Gruppenmitglieds unter den Gruppenträger im Vergleich zur Organschaft – insbesondere auch durch den Wegfall der organisatorischen und wirtschaftlichen Eingliederung – so weit gelockert ist, dass von einer „Eingliederung“ bei der Unternehmensgruppe nicht mehr gesprochen werden kann. Trotz der unterschiedlichen Terminologie ist die finanzielle Verbindung bei der österreichischen Unternehmensgruppe aber, wie in der Folge deutlich werden wird, der finanziellen Eingliederung bei der Organschaft in Deutschland sehr ähnlich. Die finanzielle Verbindung ist die Voraussetzung für die Zurechnung des steuerlich maßgebenden Ergebnisses,112 und die Zurechnung findet jeweils an jenes Gruppenmitglied oder an den Gruppenträger statt, das bzw. der an dem entsprechenden Gruppenmitglied im Sinne des § 9 Abs. 4 als beteiligte Körperschaft unmittelbar (i. S. d. § 9 Abs. 4 Ts. 1) _____________ 108 Zur formellen Voraussetzung der Steuerausgleichsvereinbarung (bzw. des Ergebnisabführungsvertrages) sowie des Gruppenantrages siehe unten Abschnitt B.I.3.b. 109 § 9 Abs. 2 öKStG 1988, öBGBl. 1988/401 i. d. F. öBGBl. 1993/818. 110 Siehe zur Rechtsentwicklung auch Abschnitt A. 111 Z. T. bestanden allerdings Unterschiede, da bei der finanziellen Eingliederung der Organschaft in Österreich gemäß § 9 Abs. 2 öKStG 1988, öBGBl. 1988/401 i. d. F. öBGBl. 1993/818 in aller Regel eine Beteiligung von 75 % erforderlich war (die Mehrheit der Stimmrechte war also nicht ausreichend; vgl. z. B. öKStR 2001 i. d. F. AÖFV 2004/119 Rz. 386). 112 Siehe zur Zurechnung Abschnitt B.II.2.

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oder mittelbar (i. S. d. § 9 Abs. 4 Ts. 2 oder Ts. 3 öKStG) beteiligt ist. Die Zurechnung folgt also der finanziellen Verbindung. Damit hat die finanzielle Verbindung eine doppelte Bedeutung: Einerseits ist sie die materielle Voraussetzung dafür, dass eine Unternehmensgruppe überhaupt gebildet werden kann; andererseits gibt sie – nachdem eine Unternehmensgruppe gebildet wurde und die Zurechnung des steuerlich maßgebenden Ergebnisses als Rechtsfolge zur Anwendung kommt – sozusagen den „Weg“ der Zurechnung vor. Grundsätzlich ist bei der finanziellen Verbindung – bei allen vier Beteiligungsformen (siehe sogleich unten) – erforderlich, dass die beteiligte Körperschaft „mehr als 50 % des Grund-, Stamm- oder Genossenschaftskapitals“ (also des gesellschaftsrechtlichen Nennkapitals) sowie „mehr als 50 % der Stimmrechte“ am untergeordneten Gruppenmitglied (= an der so genannten Beteiligungskörperschaft) besitzt. Im Gegensatz zur Organschaft in Deutschland sind beide Tatbestandsmerkmale gleichwertig; die Stimmrechte geben daher im Gegensatz zur Rechtslage bei der Organschaft grundsätzlich nicht den Ausschlag. Ein wesentlicher Unterschied zur Organschaft liegt auch darin, dass die Finanzverwaltung und die h. M. im Schrifttum von einem „quantitativen Verständnis“ der Stimmrechte ausgehen.113 Nach diesem Verständnis wird bei Ermittlung der Stimmrechte vom gesetzlich geregelten Fall ausgegangen, wonach Beschlüsse bei GmbH und AG im Regelfall der einfachen Mehrheit bedürfen, sofern in Gesetz oder Gesellschaftsvertrag bzw. Satzung nichts Anderes bestimmt ist.114 Besondere gesellschaftsvertragliche Mehrheitserfordernisse bei Beschlussfassungen sollen außer Ansatz bleiben.115 Der – die Mehrheit der Stimmrechte besitzende – Gesellschafter bzw. Aktionär oder Genossenschafter muss somit keine Beschlüsse durchsetzen, sondern es genügt, wenn der Minderheitsgesell-

_____________ 113 Wiesner/Mayr, Zweifelsfragen zur Gruppenbesteuerung, RdW 2004/445, 494; Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 149; Kofler, § 9 Abs. 4 KStG – Finanzielle Verbindung, in Quantschnigg/Achatz/Haidenthaler/Trenkwalder/ Tumpel (Hrsg.), Gruppenbesteuerung. Kommentar und systematische Darstellungen (2005), 61 (Rz. 20); Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 134; ausführlich Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt D.I.2.2.3.; KStR 2001 Rz. 383a. 114 §§ 39 Abs. 1 öGmbHG und 121 Abs. 2 öAktG. 115 Vgl. Wiesner/Mayr, RdW 2004/445, 494; Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 150 f.

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schafter bzw. -aktionär oder -genossenschafter keine Beschlüsse durchsetzen kann.116 Vorzugsaktien und eigene Anteile sind weder bei Ermittlung des Stimmrechts noch bei Ermittlung des gesellschaftsrechtlichen Nennkapitals zu berücksichtigen.117 § 9 Abs. 4 öKStG verlangt bei allen Beteiligungsformen der Ts. 1 bis Ts. 4, dass die beteiligte Körperschaft die Mehrheit des gesellschaftsrechtlichen Nennkapitals und die Mehrheit der Stimmrechte „besitzt“. Unter diesem Besitz wird von der h. M. und von der Finanzverwaltung das wirtschaftliche Eigentum verstanden.118 Im Falle einer Treuhandschaft wird die Beteiligung nach h. M. im Schrifttum und nach Ansicht der Finanzverwaltung dem Treugeber zugerechnet.119 Die Bestimmung des § 9 Abs. 4 öKStG weist verschiedene Formen der Beteiligung auf. Zunächst ist neben einer unmittelbaren auch eine mittelbare Beteiligung zulässig. Eine mittelbare Beteiligung ist einerseits über eine Personengesellschaft, andererseits über ein anderes Gruppenmitglied möglich. Dazu kommt noch die Möglichkeit einer finanziellen Verbindung über eine Beteiligungsgemeinschaft (§ 9 Abs. 4 Ts. 4) in Betracht. § 9 Abs. 4 öKStG unterscheidet demnach 4 Grundfälle, die jeweils in den Ts. 1 bis Ts. 4 geregelt sind: _____________ 116 So Wiesner/Mayr, RdW 2004/445, 494; Kofler in Quantschnigg u. a. (Hrsg.), Gruppenbesteuerung Rz. 20; Obermair/Stefaner, Die finanzielle Verbindung als Voraussetzung der Gruppenbesteuerung, in Lang/Schuch/Staringer/Stefaner (Hrsg.), Grundfragen der Gruppenbesteuerung (2007) 51 (56). Vgl. auch Stefaner/ Weninger, Die Gruppenbesteuerung im österreichischen Konzernsteuerrecht, ecolex 2004, 508 (511). 117 Z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 139 und Rz. 145 bzw. Rz. 141 und Rz. 148. – Bei den stimmrechtslosen Vorzugsaktien wird allerdings überwiegend vertreten, dass diese zumindest bei Ermittlung des gesellschaftsrechtlichen Nennkapitals zu berücksichtigen sind (z. B. Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 153; Kofler in Quantschnigg u. a. [Hrsg.], Gruppenbesteuerung Rz. 9; kritisch Urtz, a. a. O., Rz. 145). 118 Z. B. Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 147; Kofler in Quantschnigg u. a. (Hrsg.), Gruppenbesteuerung Rz. 13; öKStR 2001 Rz. 383; kritisch Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 149; ausführlich Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt D.I.2.4.1. 119 Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 148; Kofler in Quantschnigg u. a. (Hrsg.), Gruppenbesteuerung Rz. 16; Obermaier/Stefaner in Lang/Schuch/ Staringer/Stefaner (Hrsg.), Gruppenbesteuerung 63 f.; öKStR 2001 Rz. 383. Die Finanzverwaltung verlangt allerdings, dass die Treuhandschaft ihr gegenüber offengelegt wird (öKStR 2001 Rz. 383); kritisch Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 150.

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– Ts. 1: Unmittelbare Beteiligung, – Ts. 2: Mittelbare Beteiligung über eine Personengesellschaft, allenfalls kombiniert mit einer unmittelbaren Beteiligung, – Ts. 3: Mittelbare Beteiligung über eine – oder mehrere – unmittelbare Beteiligung(en) an einer Körperschaft (bei der es sich um ein Gruppenmitglied handeln muss), allenfalls kombiniert mit einer unmittelbaren Beteiligung, – Ts. 4: Beteiligung über eine Beteiligungsgemeinschaft, die – unmittelbar oder mittelbar über eine Personengesellschaft – zu erfolgen hat, sofern erstens die Beteiligungsgemeinschaft mehr als 50 % am Grund-, Stamm- oder Genossenschaftskapital sowie mehr als 50 % der Stimmrechte an der Beteiligungskörperschaft besitzt und zweitens zumindest ein Mitbeteiligter eine solche Beteiligung von mindestens 40 % an der Beteiligungskörperschaft und jeder weitere Mitbeteiligte eine solche von mindestens 15 % besitzt.120 Anzumerken ist schließlich noch, dass es bei einer mittelbaren Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft nach § 9 Abs. 4 Ts. 3 öKStG strittig ist, ob der Gruppenträger (oder die beteiligte Körperschaft) auch an der vermittelnden Gesellschaft eine Beteiligung von mehr als 50 % des gesellschaftsrechtlichen Nennkapitals und der Stimmrechte besitzen muss.121 Die österreichische Rechtslage unterscheidet sich insoweit von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 KStG. Ein Unterschied liegt auch darin, dass bei einer mittelbaren Beteiligung nach § 9 Abs. 4 Ts. 3 öKStG im Unterschied zur deutschen Rechtslage stets eine Durchrechnung der Beteiligungen zu erfolgen hat. Dies ergibt sich klar aus den Gesetzesmaterialien zum StReformG 2005.122 _____________ 120 Vgl. bereits Abschnitt B.I.1.b. 121 Dafür Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 181 ff.; dagegen z. B. Kofler, „Sandwichstrukturen“ in der Gruppenbesteuerung: Ausländische Körperschaften als vermittelnde Gruppenmitglieder im Rahmen des § 9 Abs. 4 KStG, 172 (173 f., Beispiel 3); Kofler in Quantschnigg u. a. (Hrsg.), Gruppenbesteuerung Rz. 44 (Situation 3) und 51 f.; Steiner/Vock, § 9 KStG 1988, in Quantschnigg/ Renner/Schellmann/Stöger (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer – KStG 1988 (14. Lieferung, Dezember 2009), Rz. 277. 122 EB RV 451 BlgNR XXII. GP, 20. So auch die h. M. und die Finanzverwaltung: Z. B. Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 169 f.; Pernegger, Die Einbeziehung ausländischer Körperschaften im Rahmen der Gruppenbesteuerung, ÖStZ 2005, 82 (84); Kofler in Quantschnigg u. a. (Hrsg.), Gruppenbesteuerung Rz. 53; Steiner/Vock in Quantschnigg/Renner/Schellmann/Stöger (Hrsg.), KStG 1988, § 9 Rz. 283 f.; öKStR 2001 Rz. 392; vgl. auch Urtz in Achatz/Kirchmayr

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Eine finanzielle Verbindung zwischen Schwestergesellschaften ist im System der österreichischen Gruppenbesteuerung ebenso wenig möglich wie bei der deutschen Organschaft. 3. Formelle Voraussetzungen a) Organschaft § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG verlangt das Vorliegen eines Gewinnabführungsvertrages gemäß § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG. Mit einem Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG verpflichtet sich eine Aktiengesellschaft oder KGaA, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen abzuführen. Da diese Vorschrift nur an die erwähnte AG und KGaA adressiert ist, ergibt sich die Verpflichtung für eine GmbH als Organgesellschaft, unabhängig von den handelsrechtlichen Anforderungen einen Gewinnabführungsvertrag abzuschließen, aus § 17 KStG. § 17 Satz 2 Nr. 1 KStG sieht vor, dass eine Gewinnabführung den in § 301 AktG genannten Betrag nicht unterschreiten darf. § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG verlangt, dass eine Verlustübernahme entsprechend den Vorschriften des § 302 AktG vereinbart wird. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG enthält im Übrigen Bestimmungen über die zeitliche Wirksamkeit, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 einige steuerliche Besonderheiten hinsichtlich des Umfanges der Gewinnabführung, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Ist der Organträger ein ausländisches Unternehmen, muss der Gewinnabführungsvertrag unter der Firma der im Inland in das Handelsregister eingetragenen Zweigniederlassung abgeschlossen werden (vgl. § 18 KStG).123 Der Gewinnabführungsvertrag muss nach h. A. zivilrechtlich wirksam sein.124 Z. T. wird allerdings die Auffassung vertreten, dass dies bei ausländischen Organgesellschaften – sofern die Grundfreiheiten des Unions_____________ (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 192 f. m. w. N. Kritisch allerdings Stefaner/Weninger, Gruppenbesteuerung: Unbeschränkte Verwertung ausländischer Verluste durch Cross-Over-Kaskaden, SWI 2005, 133 (137); Obermair/Stefaner in Lang/Schuch/ Staringer/Stefaner (Hrsg.), Gruppenbesteuerung 80 ff. Zur Gegenkritik vgl. Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt D.I.3.3.4. 123 Z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 179. 124 Vgl. z. B. BFH v. 22.10.2008 – I R 66/07, BFH/NV 2009, 299; Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 14 Rz. 57; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 193 und Rz. 207 f.; Müller/Stöcker, Organschaft7 Rz. 206 und Rz. 208; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 164.

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rechts eine grenzüberschreitende Organschaft gebieten – nicht erforderlich sein soll; hier genüge die tatsächliche Durchführung.125 Darüber hinaus muss er aber gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 auch „während seiner gesamten Geltungsdauer“ durchgeführt werden. Zu dieser tatsächlichen Durchführung gehört auch, dass die Organgesellschaft – von der zulässigen handels- und steuerrechtlichen Rücklagenbildung abgesehen (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 KStG) – den ganzen Gewinn an den Organträger abführt.126 Der Gewinnabführungsvertrag muss am Ende des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft ins Handelsregister eingetragen werden, um für dieses Wirtschaftsjahr wirksam zu werden (§ 14 Abs. 1 Satz 2 KStG).127 Aufgrund des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG muss im Gewinnabführungsvertrag – über die Vorgaben des § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG hinaus – ausdrücklich eine Mindestlaufzeit von fünf Jahren vereinbart werden. Wird der Vertrag vor Ablauf von fünf Jahren beendet, ohne dass dafür wichtige Gründe vorliegen, entfällt die Organschaft rückwirkend.128 An Minderheitsgesellschafter müssen nach § 304 AktG Ausgleichszahlungen geleistet werden.129 b) Österreichische Gruppenbesteuerung Für die österreichische Unternehmensgruppe ordnet § 9 Abs. 8 öKStG als formale Voraussetzung an, dass der Gruppenträger einen Gruppenantrag zu stellen hat. Der Gruppenantrag muss von allen in die Unternehmensgruppe einbezogenen inländischen Körperschaften (sowie von jenen ausländischen Körperschaften, die im Inland entweder beschränkt oder unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind) unterfertigt werden. Diese Unterfertigung drückt die Freiwilligkeit der Gruppenbildung _____________ 125 I. d. S. z. B. Kleinert/Nagler/Rehm, Gewinnbesteuerung nach „Art des Hauses“ mittels grenzüberschreitender Organschaft, DB 2005, 1869 (1870 f.) und noch ausführlich Abschnitt C.II.2. sowie Abschnitt D. 126 Ausführlich z. B. Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 290 ff.; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 190 ff. 127 Z. B. Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 290 ff.; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 181; vgl. auch Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 14 Rz. 68. 128 Zu den wichtigen Gründen vgl. z. B. Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 14 Rz. 71; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 261 f.; Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 289; vgl. auch Frotscher in Frotscher/ Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 185. 129 Zu deren steuerlicher Behandlung siehe Abschnitt B.II.1.

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aus. Der Gruppenantrag setzt weiter voraus, dass zwischen den in die Gruppe einbezogenen inländischen Körperschaften eine Steuerausgleichsvereinbarung abgeschlossen wurde. Auch der Abschluss dieser Steuerausgleichsvoraussetzung ist eine formale Voraussetzung für die Gruppenbildung.130 Eine Erklärung über den Abschluss der Steuerausgleichsvereinbarung ist in den Gruppenantrag aufzunehmen. Was ist der Zweck der Steuerausgleichs- bzw. Steuerumlagenvereinbarung? Steuerumlagen sind Zahlungen, die zur verursachungsgerechten Aufteilung der Körperschaftsteuer innerhalb der Gruppe geleistet werden, und zwar vor dem Hintergrund der im Außenverhältnis gegebenen einseitigen Belastung des Gruppenträgers als Steuerschuldner der Körperschaftsteuer.131 Diese Zahlungen sind vor allem deswegen notwendig, um dem Verbot der Einlagenrückgewähr Rechnung zu tragen (§§ 52 ff. öAktG, §§ 82 f. öGmbHG).132 Dieser Zweck kann auch durch einen Ergebnisabführungsvertrag erreicht werden.133 Daher ist nach h. M. auch wahlweise im Rahmen der Gruppenbesteuerung anstelle der Steuerausgleichsvereinbarung der Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages zulässig, wie er bei der früheren Organschaft in Österreich (vor StReformG 2005) erforderlich war.134 Die Zulässigkeit des Abschlusses eines Ergebnisabführungsvertrages anstelle der Steuerausgleichsvereinbarung ergibt sich außerdem aus der Bestimmung des § 26c Z 3 öKStG 1998, die Übergangsvorschriften über das Inkrafttreten der Vorschriften über die Gruppenbesteuerung enthält.135 Für die Steuerausgleichsvereinbarung selbst ist zwar keine Mindestlaufzeit vorgesehen; § 9 Abs. 10 öKStG verlangt aber, dass die Unternehmensgruppe für einen Zeitraum von mindestens drei Jahren bestehen muss. Widrigenfalls werden die Rechtsfolgen der Gruppenbesteue-

_____________ 130 Z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 549. 131 Vgl. zu dieser Definition z. B. Marx, Rechtfertigung, Bemessung und Abbildung von Steuerumlagen, DB 1996, 950 (951 ff.), betreffend Gewerbesteuerumlagen. 132 Siehe zu diesem Zweck der Steuerausgleichsvereinbarung insbesondere Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt E.I.4.5.2.g. 133 Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 261. 134 Vgl. zur Regelung des Ergebnisabführungsvertrages § 9 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 öKStG 1988, öBGBl. 1988/401 i. d. F. öBGBl. 1993/818; dazu z. B. öKStR 2001 i. d. F. AÖFV 2004/119 Rz. 414 ff. 135 Z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 551 m. w. N. des Schrifttums; öKStR 2001 Rz. 1539 und Rz. 419.

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rung (= Zurechnung der steuerlich maßgebenden Ergebnisse) ex tunc rückabgewickelt.136

II. Rechtsfolgen der Organschaft und der österreichischen Gruppenbesteuerung im Vergleich 1. Rechtsfolgen der Bildung einer Organschaft Die Rechtsfolge der Bildung einer Organschaft ist die Zurechnung des steuerlichen Einkommens der Organgesellschaft an den Organträger (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 und § 17 Satz 1 KStG). Zugerechnet wird das gesamte Einkommen – also 100 % – selbst wenn die Beteiligung im Rahmen der finanziellen Eingliederung geringer ist (im Rahmen der finanziellen Eingliederung ist die Mehrheit der Stimmrechte, d. h. die Ausübung von mehr als 50 % der Stimmen in der Organgesellschaft erforderlich137). Neben der steuerlichen Zurechnung wird bei der Organschaft auch das handelsrechtliche Ergebnis der Organgesellschaft infolge des Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrages vom Organträger übernommen (anders bei der österreichischen Gruppenbesteuerung, wo es – sofern nicht wahlweise ein Ergebnisabführungsvertrag abgeschlossen wird – lediglich zur steuerlichen Zurechnung kommt138); die steuerliche Zurechnung ist allerdings von der handelsrechtlichen Ergebnisabführung infolge des Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrages zu unterscheiden139 (zu den Minder- und Mehrabführungen siehe sogleich unten). Trotz der Zurechnung bleibt die Organgesellschaft persönlich (unbeschränkt) steuerpflichtig und damit Steuerrechtssubjekt. Die jeweiligen Einkommen der Organgesellschaft und des Organträgers werden selbständig ermittelt.140 Zu einer Konsolidierung der Ergebnisse zwischen Organgesellschaft und Organträger kommt es damit nicht. Somit sind steuerlich nicht zu erfassende Einnahmen bereits auf Ebene der Organgesellschaft auszuscheiden bzw. Steuerbefreiungen grundsätzlich bereits auf Ebene der Organgesellschaft zu beachten.141 § 15 Satz 1 Nr. 2 _____________ 136 Siehe zum Ganzen z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 584 ff. m. w. N. 137 Siehe dazu bereits Abschnitt B.I.2.a. 138 Siehe sogleich den folgenden Abschnitt B.II.2. 139 Vgl. z. B. Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 312. 140 Vgl. z. B. Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 312 f. 141 Z. B. Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 319.

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KStG ordnet allerdings eine Ausnahme von diesem Grundsatz an; damit sind insbesondere Steuerbefreiungen, die von der Rechtsform abhängen (§ 8b KStG und § 4 Abs. 6 UmwStG), erst auf Ebene des Organträgers anzuwenden („Bruttomethode“).142 Gemäß § 15 Satz 1 Nr. 1 KStG ist ein Verlustabzug im Sinne des § 10d des EStG bei der Organgesellschaft nicht zulässig. Damit ist insbesondere ein Vortrag vororganschaftlicher Verluste in die Zeit des Bestehens der Organschaft ausgeschlossen (während aufrechter Organschaft kann ein Verlustvortrag ohnehin nicht gebildet werden, da die Verluste dem Organträger zugerechnet werden müssen143). In diesem Falle weichen allerdings das abzuführende handelsrechtliche Ergebnis und das zuzurechnende steuerliche Einkommen voneinander ab, da handelsrechtlich ein Verlustvortrag aus dem Vorjahr abzuziehen ist (§ 301 AktG).144 Das Abzugsverbot schließt es außerdem aus, nachorganschaftliche Verluste in die Zeit des Bestehens der Organschaft rückzutragen.145 Im Ergebnis kommt es daher zu einem „Einfrieren“ vororganschaftlicher Verluste, die erst nach Beendigung der Organschaft von der Organgesellschaft von ihrem dann erzielten Einkommen abgezogen werden können.146 Sofern außerhalb der Organschaft entstandene Verluste auf eine Organgesellschaft übertragen werden können, gilt das Abzugsverbot auch für diese außerorganschaftlichen Verluste.147 Die Einschränkung des § 15 Satz 1 Nr. 1 KStG gilt nur für Organgesellschaften, nicht aber für den Organträger.148 Für sogenannte Minder- und Mehrabführungen, die ihre Ursache in organschaftlicher Zeit haben, ist gemäß § 14 Abs. 4 KStG in der Steuerbilanz des Organträgers ein besonderer aktiver oder passiver Ausgleichsposten zu bilden, der im Zeitpunkt der Veräußerung der Organbeteiligung wieder aufzulösen ist. Solche Minder- und Mehrabführungen liegen gemäß Abs. 4 Satz 6 insbesondere dann vor, wenn der an den Organträger abgeführte Gewinn von dem Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft abweicht und diese Abweichung in organschaftlicher Zeit verur_____________ 142 Vgl. z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 15 Rz. 25 ff.; ferner Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 315 i. V. m. Rz. 319. 143 Z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 274 und § 15 Rz. 2. 144 Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 15 Rz. 5. 145 Vgl. zum Ganzen z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 15 Rz. 7 und Rz. 10. 146 Vgl. z. B. Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 296. 147 Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 15 Rz. 8. 148 Z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 15 Rz. 3.

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sacht ist (was z. B. bei der Bildung [Minderabführung] oder Auflösung [Mehrabführung] von – versteuerten – Rücklagen i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 KStG oder bei sonstigen Abweichungen zwischen der Handels- und Steuerbilanz wie beispielsweise der Bildung von zwar handelsrechtlich zulässigen, aber steuerlich unzulässigen Rückstellungen oder handelsrechtlich höheren Abschreibungen als steuerlich zulässig [Minderabführungen] sowie bei handelsrechtlicher Auflösung steuerlich unzulässiger Rückstellungen [Mehrabführung] der Fall ist149). Ist der Organträger nicht zu 100 % an der Organgesellschaft beteiligt, so sind die aktiven und passiven Ausgleichsposten nur anteilig in Höhe der Beteiligung zu bilden (§ 14 Abs. 4 Satz 1 letzter Halbsatz).150 Eine Regelung für Minder- und Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, trifft § 14 Abs. 3 KStG. Hat die Organgesellschaft (bzw. der Organträger) i. S. d. § 304 AktG Ausgleichszahlungen an Minderheitsgesellschafter geleistet, so sind diese nach Maßgabe des § 16 KStG als eigenes Einkommen der Organgesellschaft zu versteuern.151 Eine besondere Regelung für die Einkommensermittlung im Falle eines negativen Einkommens des Organträgers ist schließlich in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG enthalten.152 Ist Organträger eine Körperschaft, hat eine Teilwertabschreibung auf die Beteiligung an der Organgesellschaft bereits aufgrund der Bestimmung des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG keine steuerliche Wirkung. Bei natürlichen Personen und Personengesellschaften als Organträger ist eine Teilwertabschreibung aufgrund des § 3c Abs. 2 EStG nur zu 60 % steuerwirksam (soweit an der Personengesellschaft Körperschaften beteiligt sind, ist eine Teilwertabschreibung wiederum steuerunwirksam).153 Eine Teilwertabschreibung ist nach h. M. allerdings selbst in den genannten Fällen unzulässig, wenn sie auf Verluste der Organ_____________ 149 Vgl. zu diesen Beispielen z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 305d und auch Rz. 322 ff.; ferner Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 317 i. V. m. Rz. 322. 150 Dazu z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 315 ff.; ferner Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 328. 151 Durch den Ansatz mit 20/17 gemäß § 16 KStG wird der Nach-Steuer-Betrag an Ausgleichszahlungen auf einen Vor-Steuer-Betrag – unter Zugrundelegung des KöSt-Satzes von 15 % – hochgerechnet; dazu näher z. B. Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 335 f. 152 Siehe zu dieser Vorschrift noch Abschnitt C.I.1.b. 153 Vgl. z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 291.

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gesellschaft zurückgeht. Dies wird mit der Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung begründet.154 Die Bestimmung des § 19 KStG stellt schließlich sicher, dass bei natürlichen Personen und Personengesellschaften die für Organgesellschaften geltenden Tarifvorschriften auch auf den Organträger anzuwenden sind, wenn es im Einkommensteuerrecht eine gleichartige Tarifvorschrift gibt. Damit soll sichergestellt werden, dass Tarifvorschriften nur anwendbar sind, wenn sie sowohl für Körperschaften (als Organgesellschaften) als auch für natürliche Personen gelten.155 2. Rechtsfolgen der Bildung einer österreichischen Unternehmensgruppe Die Rechtsfolge der Bildung einer Unternehmensgruppe liegt in der Zurechnung des steuerlich maßgebenden Ergebnisses einer Beteiligungskörperschaft zur – jeweils übergeordneten – beteiligten Körperschaft (vgl. § 9 Abs. 6 öKStG). Die Zurechnung des steuerlich maßgebenden Ergebnisses der Beteiligungskörperschaft erfolgt grundsätzlich zu 100 % an die – finanziell verbundene – beteiligte Körperschaft, und zwar auch dann, wenn die Beteiligung weniger als 100 % beträgt (für das Vorliegen einer finanziellen Verbindung genügt der Besitz von mehr als 50 % am Grund-, Stamm- oder Genossenschaftskapital sowie mehr als 50 % der Stimmrechte an der Beteiligungskörperschaft). Ausnahmen von dieser 100 %igen Zurechnung des steuerlich maßgebenden Ergebnisses sind nur in zwei Fällen vorgesehen: – Bei Vorliegen einer Beteiligungsgemeinschaft kommt es zwar insgesamt zur Zurechnung des gesamten Ergebnisses, dieses wird aber im Verhältnis des Beteiligungsausmaßes an die Mitbeteiligten verteilt (§ 9 Abs. 6 Z 3 öKStG). – Bei Beteiligungen an ausländischen Gruppenmitgliedern i. S. d. § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG156 findet eine lediglich anteilige Zurechnung des negativen Ergebnisses statt. Dies bedeutet, dass die von diesen ausländischen Gruppenmitgliedern erzielten Verluste (Gewinne werden _____________ 154 So KStR 2004 R 62 Abs. 3 und z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 291a ff m. w. N. Vgl. zum Ganzen z. B. auch Jochum, Organschaft versus Gruppenbesteuerung: Ist der Ergebnisabführungsvertrag als Organschaftsvoraussetzung bei der Körperschaftsteuer verzichtbar? FR 2005, 577 (582 ff.). 155 Vgl. z. B. Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 332. 156 Siehe zu diesen Gruppenmitgliedern noch unten Abschnitt C.I.2.b.

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nicht zugerechnet, siehe noch unten) lediglich in Höhe des Beteiligungsausmaßes der übergeordneten beteiligten Körperschaft bzw. dem Gruppenträger i. S. d. § 9 Abs. 2 Satz 1 oder Ts. 2 öKStG zugerechnet werden (§ 9 Abs. 6 Z 6 öKStG). Trotz der Zurechnung bleibt das jeweilige Gruppenmitglied persönlich (unbeschränkt) steuerpflichtig; die Eigenschaft als Steuersubjekt bleibt daher von der Gruppenbildung unberührt. Die steuerlich maßgebenden Ergebnisse der einzelnen Gruppenmitglieder und das Ergebnis des Gruppenträgers werden selbständig ermittelt.157 Eine Konsolidierung des Ergebnisses – d. h. eine Aufwands- oder Ertragskonsolidierung oder eine Zwischengewinneliminierung wie bei der Erstellung des Konzernjahresabschlusses (§§ 244 ff. UGB) – findet im Rahmen der Gruppenbesteuerung somit nicht statt. Die Zurechnung des steuerlich maßgebenden Ergebnisses erfolgt nur steuerlich, und zwar über die Mehr-Weniger-Rechnung.158 Unternehmensrechtlich – d. h. in der Handelsbilanz – wirkt sich diese Zurechnung und damit die Gruppenbildung als solche grundsätzlich nicht aus (anders wäre dies nur dann, wenn wahlweise anstelle der Steuerausgleichsvereinbarung ein Ergebnisabführungsvertrag abgeschlossen würde159). Auswirkungen auf die Unternehmens(= Handels)bilanz ergeben sich nur in Detailbereichen, und zwar durch den – aufgrund der Gruppenbildung – veränderten Körperschaftsteueraufwand und durch die – aufgrund der Steuerausgleichsvereinbarung – zu leistende Steuerumlage. Bemerkenswert ist schließlich, dass nach österreichischem Recht selbst bei Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages kein (aktiver oder passiver) Ausgleichsposten für Minder- oder Mehrabführungen gebildet werden muss. Vortragsfähige Verluste aus Zeiträumen vor dem Wirksamwerden der Unternehmensgruppe (Vorgruppenverluste) oder Verluste aus einer umgründungsbedingten Übernahme durch ein Gruppenmitglied (Außergruppenverluste) können insoweit geltend gemacht werden, als das Gruppenmitglied eigene Gewinne erzielt (vgl. § 9 Abs. 6 Z 4 öKStG). Im Gegensatz zur Regelung bei der deutschen Organschaft kommt es daher nicht zu einem „Einfrieren“ der Verluste, sondern diese können zumin_____________ 157 EB RV 451 BlgNR XXII. GP, 22; z. B. auch KStR 2001 Rz. 406. 158 Z. B. Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 41. 159 Im System der österreichischen Gruppenbesteuerung ist der Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages nicht erforderlich, wohl aber – wahlweise anstelle der Steuerausgleichsvereinbarung – zulässig. Siehe dazu Abschnitt B.I.3.b.

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dest mit eigenen Gewinnen verrechnet werden. Für den Gruppenträger gilt die Einschränkung des § 9 Abs. 6 Z 4 öKStG nicht, sodass dieser einen Verlustvortrag in vollem Umfang geltend machen kann (die Verlustverrechnung beim Gruppenträger ist allerdings – wie bei allen Körperschaften bzw. natürlichen Personen – durch die 75 %-Vortragsgrenze des § 2 Abs. 2b Z 2 öEStG eingeschränkt).160 Bei nicht unbeschränkt steuerpflichtigen ausländischen Gruppenmitgliedern i. S. d. § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG als Beteiligungskörperschaft können dem – als beteiligte Körperschaft – übergeordneten inländischen Gruppenmitglied (bzw. dem übergeordneten unbeschränkt steuerpflichtigen Gruppenmitglied oder dem Gruppenträger; vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 und Ts. 2 öKStG) nur Verluste, aber keine Gewinne zugerechnet werden. Die Verrechnung dieser Verluste erfolgt im Ausmaß der Beteiligung, also nur anteilig. Für die Ermittlung dieser Auslandsverluste enthält § 9 Abs. 6 Z 6 öKStG besondere Regelungen. Diese Bestimmung ordnet auch eine Nachversteuerung der Auslandsverluste unter bestimmten Voraussetzungen an. Im Rahmen der Unternehmensgruppe sind Teilwertabschreibungen auf Beteiligungen und Veräußerungsverluste hinsichtlich von Beteiligungen an Gruppenmitgliedern nicht abzugsfähig (vgl. § 9 Abs. 7 Satz 1 öKStG). Beteiligungen an Gruppenmitgliedern innerhalb der Unternehmensgruppe sind somit steuerneutral gestellt. Nach den Gesetzesmaterialien zum StReformG 2005 sollte damit eine doppelte Verlustberücksichtigung vermieden werden.161 Dies stellt eine Abweichung von jener Rechtslage dar, wie sie für Teilwertabschreibungen gilt, die auf von Körperschaften gehaltene Beteiligungen geltend gemacht werden sollen. Solche Teilwertabschreibungen können nämlich – außerhalb einer Unternehmensgruppe – zumindest auf sieben Jahre verteilt geltend gemacht werden (so genannte Siebentelung; vgl. § 12 Abs. 3 Z 2 öKStG); sie sind außerhalb einer Unternehmensgruppe auch nur dann nicht abzugsfähig, wenn die Teilwertabschreibung mit einer Einkommensverwendung in ursächlichem Zusammenhang steht (so genannte ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung; vgl. § 12 Abs. 3 Z 1 öKStG). Als besondere Steuerbegünstigung und somit auch als Anreiz für die Bildung einer Unternehmensgruppe ist in § 9 Abs. 7 Satz 2 ff. öKStG _____________ 160 Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 264 und ferner Rz. 287. 161 EB RV 451 BlgNR XXII. GP, 26.

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eine Firmenwertabschreibung vorgesehen. Diese Begünstigung stellt eine Eigenart der österreichischen Gruppenbesteuerung dar; der deutschen Organschaft ist sie fremd. Die Firmenwertabschreibung steht dann zu, wenn eine Beteiligungskörperschaft (in der Praxis oft als „Zielgesellschaft“ bezeichnet) von einer beteiligten Körperschaft („Erwerbergesellschaft“) angeschafft wird. Zwischen Beteiligungskörperschaft und beteiligter Körperschaft muss eine finanzielle Verbindung bestehen, d. h. die Beteiligungskörperschaft muss in die Unternehmensgruppe einbezogen werden. Um missbräuchliche Gestaltungen zu vermeiden, darf die Beteiligung an der Beteiligungskörperschaft weder – unmittelbar oder mittelbar – von einem konzernzugehörigen Unternehmen noch von einem einen beherrschenden Einfluss ausübenden Gesellschafter angeschafft werden. Die Beteiligung an der Beteiligungskörperschaft („Zielgesellschaft“) muss dem Wortlaut nach unmittelbar von der beteiligten Körperschaft („Erwerbergesellschaft“) gehalten werden; eine lediglich mittelbare Beteiligung genügt nicht. Ferner muss die Beteiligungskörperschaft einen Betrieb führen. Schließlich muss die Beteiligungskörperschaft auch unbeschränkt steuerpflichtig sein. Der Firmenwert wird in der Form ermittelt, dass von den steuerlichen Anschaffungskosten der Beteiligung an der Beteiligungskörperschaft erstens das anteilige handelsrechtliche Eigenkapital der Beteiligungskörperschaft sowie zweitens die anteiligen stillen Reserven im nicht abnutzbaren Anlagevermögen der Beteiligungskörperschaft abgezogen werden. Der solcherart abschreibbare Firmenwert ist mit höchstens 50 % der steuerlichen Anschaffungskosten der Beteiligung beschränkt. Er muss über 15 Jahre verteilt steuerlich geltend gemacht werden. In bestimmten Fällen (z. B. Verkauf der Beteiligung, aber auch bei Umgründungen) kommt es allerdings zur Nachversteuerung des Firmenwerts. Da in die österreichische Unternehmensgruppe nur Körperschaften einbezogen werden dürfen, war im öKStG eine Sonderregelung für Tarifvorschriften wie nach § 19 dKStG entbehrlich.162

_____________ 162 Siehe dazu den vorangegangenen Abschnitt B.II.1.

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C. Grenzüberschreitende Organschaft: Der unionsrechtlich erforderliche Auslandsbezug I. Der zulässige Auslandsbezug nach den derzeitigen gesetzlichen Regelungen – die Organschaft und die österreichische Gruppenbesteuerung im Vergleich 1. Organschaft a) Organträger Nach der ausdrücklichen Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG müssen die als Organträger in Betracht kommenden Körperschaften i. S. d. § 1 KStG den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben (das ebenfalls in diesem Satz vorgesehene Erfordernis der unbeschränkten Steuerpflicht ergibt sich ohnehin bereits aufgrund des inländischen Ortes der Geschäftsleitung). Dadurch, dass sich nur mehr der Ort der Geschäftsleitung, nicht aber der Sitz im Inland befinden muss, kommen auch doppelt ansässige Körperschaften als Organträger in Betracht (siehe dazu sogleich unten).163 Der Hintergrund der Regelung, die – seit dem VZ 2001164 – nur mehr den Ort der Geschäftsleitung verlangt, liegt darin, dass – bei Körperschaften als Organträger – aufgrund des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA sichergestellt werden sollte, dass die Steuerpflicht der von den Organgesellschaften zum Organträger zugerechneten Ergebnisse bei letzterem sicherzustellen (Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts). Gemäß der Bestimmung des Art. 4 Abs. 3 OECDMA (bzw. gemäß der Vorschriften jener von Deutschland abgeschlossenen DBA, die dem OECD-MA folgen) kommt nämlich bei doppelt ansässigen Personen – die keine natürliche Person sind (also bei Körperschaften als Organträger) – das Besteuerungsrecht jenem Staat zu, in dem sich der Ort der Geschäftsleitung befindet (so genannte „tiebreaker-rule“). Die Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts als Hintergrund der Regelung ist auch aus den Gesetzesmaterialien ableitbar.165 Aus diesem Grund ist ein inländischer Ort der Geschäftsleitung _____________ 163 Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 16 und Rz. 26 ff. 164 Das gleichzeitige Erfordernis des inländischen Sitzes wurde durch das UntStFG vom 20.12.2001 (BGBl. I 2002, 35 = BStBl. I 2001, 3858) mit Wirkung ab dem Vz 2001 abgeschafft; siehe bereits Fn. 20 in Abschnitt B.I.1.a. 165 Gesetzesmaterialien zum UntStFG (Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 10.9.2001, BT/Drucks. 14/6882, S. 37; vgl. auch BR/Drucks. 638/01, S. 56); so z. B. auch Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 97; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 27.

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auch bei Personengesellschaften (so ausdrücklich § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2) und m. E. auch bei natürlichen Personen erforderlich,166 da damit gleichzeitig eine Betriebsstätte i. S. d. § 12 Satz 2 Nr. 1 AO vorliegt.167 Wie erwähnt, kommen nach der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG auch doppelt ansässige Körperschaften als Organträger in Betracht, sofern sie den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben. Der Sitz im Inland ist dem Wortlaut nach alleine nicht ausreichend. Dies wirft die Frage auf, ob der Sitz im Inland selbst dann nicht ausreichend ist, wenn sich – im Sinne des § 18 KStG – eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung im Inland befindet, und die für die finanzielle Eingliederung erforderliche Beteiligung zu deren Betriebsvermögen gehört. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung dieser Regelung, die der Sicherung des Besteuerungsrechts dienen soll, ist es m. E. ausreichend, wenn die Voraussetzungen des § 18 KStG gegeben sind und das Besteuerungsrecht daher durch eine inländische Zweigniederlassung sichergestellt wird (die Regelung des § 18 KStG dient ebenfalls der Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts; siehe sogleich unten). Fraglich ist allerdings, ob solche doppelt ansässigen Körperschaften mit inländischem Sitz unter § 14 oder unter § 18 KStG fallen (siehe zum Ganzen sogleich unten). Organträger kann auch ein „ausländisches gewerbliches Unternehmen“ sein, das lediglich zu beschränkt steuerpflichtigen Einkünften führt; dieses ausländische Unternehmen muss die Voraussetzungen des § 18 KStG erfüllen und somit im Inland eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung unterhalten, zu deren Betriebsvermögen die für die finanzielle Eingliederung erforderliche Beteiligung gehört. Fraglich ist zunächst, wann ein „ausländisches gewerbliches Unternehmen“ vorliegt. Die Rechtsform des ausländischen Unternehmens ist jedenfalls gleichgültig.168 Probleme werfen insbesondere doppelt ansässige natürliche und juristische Personen sowie international tätige Personengesellschaften auf. Doppelt ansässige Körperschaften, die den Ort der _____________ 166 Die Abgrenzung des Besteuerungsrechts bei doppelt ansässigen natürlichen Personen richtet sich im Übrigen nach Art. 4 Abs. 2 OECD-MA; siehe dazu sogleich unten. 167 Siehe nochmals Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 34 und Abschnitt B.I.1.a. 168 Z. B. Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 18 Rz. 3; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 4; vgl. auch Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 9.

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Geschäftsleitung im Inland haben, fallen – selbst wenn sich der Sitz im Ausland befindet – stets unter § 14 KStG. Dies gilt unabhängig davon, ob sie eine Zweigniederlassung i. S. d. § 18 KStG im Inland unterhalten oder nicht. Doppelt ansässige Körperschaften, die im Inland nur ihren Sitz, den Ort der Geschäftsleitung aber im Ausland haben, fallen aufgrund des fehlenden Ortes der Geschäftsleitung dem Wortlaut nach nicht unter § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG. Da der inländische Sitz zur unbeschränkten Steuerpflicht führt, fallen sie jedoch dem Wortlaut nach auch nicht unter § 18 KStG;169 diese Bestimmung setzt nämlich beschränkt steuerpflichtige Einkünfte voraus.170 Im Schrifttum wird allerdings – m. E. zu Recht – eine analoge Anwendung des § 18 KStG auf doppelt ansässige Körperschaften mit Ort der Geschäftsleitung im Ausland und Sitz im Inland vertreten, und zwar in Form eines Größenschlusses, da ja selbst beschränkt steuerpflichtige ausländische Körperschaften unter den Voraussetzungen des § 18 KStG Organträger sein können und es nicht einsichtig wäre, warum dies für unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften nicht gelten sollte. Das Besteuerungsrecht ist durch das Vorhandensein der Zweigniederlassung auch im Rahmen des § 18 KStG sichergestellt.171 Sofern man eine analoge Anwendung des § 18 KStG im gegenständlichen Fall für problematisch

_____________ 169 Vgl. zum Ganzen z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 16 und Rz. 27. 170 Vgl. z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 2. 171 So z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 97 und § 18 Rz. 6; Müller/ Stöcker, Organschaft7 Rz. 53; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 8 sowie § 14 Rz. 27 und Rz. 74 (vgl. aber auch § 18 Rz. 1, wonach offenbar auch eine Körperschaft nur mit Sitz im Inland ein „inländisches“ Unternehmen sei); offen aber Frotscher, Körperschaftsteuer – Gewerbesteuer2 Rz. 270 und Rz. 272; vgl. auch Meilicke, Die Neuregelung der ertragsteuerlichen Organschaft über die Grenze, DB 2002, 911 (912) und Kaufer, Grenzüberschreitende Organschaft kraft Gemeinschaftsrecht (2006) 69 ff. A. A. Pache in Hermann/Heuer/ Raupach (Hrsg.), Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz (Lieferung 210, Juli 2003), KStG § 18 Rz. 14 und offenbar auch Olbing in Streck (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer (52. Lieferung, Oktober 2004), § 18 Rz. 4; vgl. auch Witt/Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer (52. Lieferung, Oktober 2004), § 18 Rz. 7. A. A. auch die Rechtsprechung: BFH v. 13.11.1991 – I B 72/91, BStBl. II 1992, 263; v. 29.1.2003 – I R 6/99, BStBl. II 2004, 1043; FG Köln v. 30.5.1990 – 13 V 300/90, EFG 1991, 152 und v. 16.9.1998 – 13 K 1558/95, EFG 1999, 309.

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hält,172 sprechen letztlich – für ausländische Körperschaften, die im EUoder EWR-Raum ansässig sind – auch gemeinschaftsrechtliche Bedenken für eine analoge Anwendung des § 18 KStG.173 Vergleichbare Probleme stellen sich übrigens im österreichischen Recht; dort ist allerdings keine Analogie, sondern eine teleologische Reduktion geboten, da im Falle von doppelt ansässigen Körperschaften mit inländischer Geschäftsleitung das Erfordernis der Zweigniederlassung teleologisch reduziert werden muss.174 Eine ähnliche Lösung wie die oben erörterte Analogie bei Kapitalgesellschaften müsste m. E. auch für natürliche Personen als Organträger gelten,175 sofern diese nach den Abgrenzungskriterien des Art. 4 Abs. 2 OECD-MA (bzw. den entsprechenden deutschen DBA) im Ausland ansässig sind.176 Eine natürliche Person, die in diesem Fall ihre ständige Wohnstätte im Ausland, den gewöhnlichen Aufenthalt aber im Inland hat, könnte demnach unter § 18 KStG fallen (eine inländische Zweigniederlassung vorausgesetzt).177 Für Personengesellschaften gilt, dass diese bei einem inländischen Ort der Geschäftsleitung unter § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und nicht unter § 18 KStG fallen (und zwar unabhängig davon, wo die Gesellschafter unbeschränkt steuerpflichtig

_____________ 172 Durch das UntStFG vom 20.12.2001 (BGBl. I 2002, 35 = BStBl. I 2001, 3858) wurde nämlich ausdrücklich nur der Ort der Geschäftsleitung im Inland als ausreichend anerkannt; vgl. zu dieser Überlegung Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 8. Gegen eine Analogie z. B. auch Klarmann, Körperschaftsteuerliche Organschaft – Entstehung, Inhalt und Problematik der bestehenden deutschen Regelung (2006) 56. 173 Siehe dazu noch Abschnitt C.III.1. 174 Ausführlich unten Abschnitt C.I.2.a. 175 Nach der hier vertretenen Auffassung müssen natürliche Personen den Ort der Geschäftsleitung und damit eine Betriebsstätte i. S. d. § 12 Satz 2 Nr. 1 AO im Inland haben, um unter § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG zu fallen; siehe dazu Abschnitt B.I.1.a. 176 Danach kommt es auf die ständige Wohnstätte, den Mittelpunkt der Lebensinteressen, den gewöhnlichen Aufenthalt und die Staatsbürgerschaft an. Bei zwei ständigen Wohnstätten entscheidet demnach der Mittelpunkt der Lebensinteressen. 177 Anders offenbar Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 8 und Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 35 (vgl. auch § 18 Rz. 1), wonach eine natürliche Person dann unter § 18 KStG fällt, wenn sie weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.

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sind).178 Unter § 18 KStG fällt nur eine ausländische Personengesellschaft mit einer inländischen Zweigniederlassung.179 Das ausländische Unternehmen muss gemäß § 18 KStG im Inland eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung unterhalten, zu deren Betriebsvermögen die für die finanzielle Eingliederung erforderliche Beteiligung gehört. Das Vorliegen einer Zweigniederlassung richtet sich nach dem Gesellschaftsrecht (§ 13d ff HGB); die Eintragung muss nach überwiegender Meinung – in Analogie zur Regelung über den Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag (§ 14 Abs. 1 Satz 2 KStG180) – zum Ende des Wirtschaftsjahres, für das die Organschaft gelten soll, im Handelsregister eingetragen werden.181 Das ausländische Unternehmen muss eine originär gewerbliche Tätigkeit entfalten;182 strittig ist, ob die gewerbliche Tätigkeit in der Zweigniederlassung ausgeübt werden muss,183 oder ob eine gewerbliche Tätigkeit in der ausländischen Hauptniederlassung erforderlich ist.184 Strittig ist schließlich, ob die Beteiligung zum notwendigen Betriebsvermögen der Zweigniederlassung gehören muss oder ob gewillkürtes Betriebsvermögen ausreichend ist.185 Mit dem Erfordernis der Zweigniederlassung soll das Besteuerungsrecht _____________ 178 Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 7; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 4; Witt/Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 5 ff.; die inländische Geschäftsleitung führt automatisch zu einer Betriebsstätte im Inland (siehe Abschnitt B.I.1.a.). A. A. Haase, Die grenzüberschreitende Organschaft – eine Bestandsaufnahme, BB 2009, 980 (982 f.), wonach § 18 KStG auch auf inländische Personengesellschaften mit ausländischen Gesellschaftern anwendbar ist. 179 Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 4. 180 Vgl. dazu Abschnitt B.I.3.a. 181 So z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 24; Haase, BB 2009, 981; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 3; vgl. auch Witt/Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 12 (Eintragung zu irgendeinem Zeitpunkt im Wirtschaftsjahr genügt; dies entspricht i. E. der erstgenannten Lösung); a. A. z. B. Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 18 Rz. 4, wonach die Zweigniederlassung während des gesamten WJ der Organschaft eingetragen sein muss; zweifelnd auch Pache in Hermann/Heuer/Raupach (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 17. 182 Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 4. 183 So z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 14; Frotscher in Frotscher/ Maas (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 4. 184 So z. B. Witt/Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 8. 185 Für gewillkürtes Betriebsvermögen z. B. Olbing in Streck (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz6, § 18 Rz. 6; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 34; Haase, BB 2009, 982; zweifelnd z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 5.

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für die an den Organträger zugerechneten Ergebnisse der Organgesellschaften sichergestellt werden, da das ausländische Unternehmen als Organträger aufgrund der Zweigniederlassung der beschränkten Steuerpflicht unterliegt. Als Prämisse ist allerdings erstens vorauszusetzen, dass es sich bei den an den Organträger zugerechneten Ergebnissen der Organgesellschaften um Unternehmensgewinne des Organträgers i. S. d. Art. 7 OECD-MA (bzw. im Sinne der jeweils anwendbaren deutschen DBA) handelt.186 Die durch das innerstaatliche Recht angeordnete Zurechnung der Ergebnisse der Organgesellschaften an den Organträger führt nämlich dazu, dass auch aus abkommensrechtlicher Sicht Einkünfte des Organträgers vorliegen.187 Zweitens ist vorauszusetzen, dass es sich bei der Zweigniederlassung in § 18 KStG auch um eine Betriebstätte i. S. d. Art. 5 OECD-MA (bzw. im Sinne der jeweils anwendbaren deutschen DBA) handelt.188 _____________ 186 I. d. S. Lang, Der doppelt ansässige Organträger aus abkommensrechtlicher Sicht (betreffend die – allerdings vergleichbare – Rechtslage zur früheren österreichischen Organschaft [vor StReformG 2005]), SWI 2003, 215 (220 f.); Rust, Ermöglichen Diskriminierungsverbote eine Organschaft über die Grenze? – Anmerkungen zum Urteil des BFH v. 29.1.2003, IStR 2003, 422, IStR 2003, 658 (661); vgl. auch Hohenwarter, Verlustverwertung im Konzern (2010) 640. – Daneben kommt insbesondere noch eine Einordnung unter Art. 21 OECD-MA in Betracht (vgl. Staringer, Besteuerung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften [1999] 360 und Lang, SWI 2003, 221). In diesem Fall würde – sofern nicht ein Fall des Art. 21 Abs. 2 OECD-MA vorliegt – das Besteuerungsrecht Österreichs trotz des Vorliegens einer inländischen Betriebstätte i. S. d. OECD-MA dann verloren gehen, wenn der Gruppenträger i. S. d. Art. 4 Abs. 3 OECD-MA im Ausland ansässig ist. 187 I. d. S. Lang, SWI 2003, 217 ff. (betreffend die – allerdings vergleichbare – Rechtslage zur österreichischen Organschaft); vgl. Hohenwarter, Verlustverwertung 639 ff.; anders offenbar Staringer, Kapitalgesellschaften 359 ff.; a. A. Demschner/ Stefaner, Gruppenbesteuerung: Sandwichgruppen möglich? SWI 2009, 9 (17) (zur österreichischen Gruppenbesteuerung; nach dieser Ansicht verbleiben die Einkünfte abkommensrechtlich bei den Gruppenmitgliedern); vgl. auch Stefaner/ Stieglitz, Zweigniederlassungserfordernis für doppelt ansässige Gruppenträger – Verstoß gegen höherrangiges Recht? SWI 2009, 177 (181 f.). Vgl. zum Ganzen auch Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt B.I.3.3. 188 Vgl. in diesem Zusammenhang Haase, BB 2009, 981 Fn. 16; zur Rechtslage bei der österreichischen Gruppenbesteuerung vgl. Stefaner/Weninger in Lang/Schuch/ Staringer (Hrsg.), Körperschaftsteuer-Kommentar (2009) § 9 Rz. 43 und auch Hohenwarter, Verlustverwertung 636; vgl. auch Steiner/Vock in Quantschnigg/ Renner/Schellmann/Stöger (Hrsg.), KStG 1988, § 9 Rz. 153; ausführlich zum Ganzen Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt C.I.3.5.2. und Urtz in Achatz/Kirchmayr, KStG § 9 Rz. 99 (und ferner Rz. 96). – Die bloße Beherrschung durch den Gruppenträger bzw. die übergeordnete betei-

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b) Exkurs: Die Einschränkung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG beim Organträger Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG bleibt ein „negatives Einkommen des Organträgers […] bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit es in einem ausländischen Staat im Rahmen einer der deutschen Besteuerung des Organträgers entsprechenden Besteuerung berücksichtigt wird“. Diese Bestimmung wurde durch das UntStFG189 eingefügt, mit dem gleichzeitig auch das Erfordernis des doppelten Inlandsbezuges des Organträgers aufgegeben wurde.190 Die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG steht offenbar in Zusammenhang mit dieser Streichung des doppelten Inlandsbezuges beim Organträger. Nach der Begründung in den Gesetzesmaterialien verhindert „der angefügte neue Satz […] bei doppelt ansässigen Gesellschaften, dass Verluste im In- und Ausland doppelt oder aufgrund entsprechender nationaler Regelungen ausländischer Staaten (z. B. in den USA) stets zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt werden“.191 Ihren endgültigen (und aktuellen) Wortlaut erhielt die Vorschrift erst auf Empfehlung des BT-Finanzausschusses,192 da im Gesetzesentwurf der Bundesregierung noch vom negativen Einkommen der „Organgesellschaft“ – und nicht des Organträgers – die Rede war.193 Die Vorschrift lässt zahlreiche Zweifelsfragen offen, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann. Die Problemstellungen sollen hier nur skizziert werden. Festzuhalten ist, dass die Finanzverwaltung möglicherweise davon ausgeht, dass die Vorschrift praktisch nicht anzu_____________

189 190 191 192 193

ligte Körperschaft macht das Gruppenmitglied jedenfalls nicht zur Betriebsstätte; dies wird bereits durch Art. 5 Abs. 7 OECD-MA klargestellt. Vgl. i. E. auch Staringer, Kapitalgesellschaften 360 und Rust, IStR 2003, 661. Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (UntStFG) vom 20.12.2001, BGBl. I 2002, 35 = BStBl. I 2001, 3858. Siehe Fn. 20 in Abschnitt B.I.1.a. Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 10.9.2001, BT-Drucks. 14/6882, S. 37; vgl. auch BR-Drucks. 638/01, S. 59. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 7.11.2011, BT-Drucks. 14/7343, S. 19; Bericht des Finanzausschusses vom 8.11.2001, BT-Drucks. 14/7344, S. 9. Vgl. dazu z. B. Lüdicke, Organschaft und Verlustberücksichtigung im Ausland („double dip“), in Herzig (Hrsg.), Organschaft (2003) 436 (443); Brink, Begrenzung der Verlustnutzung bei grenzüberschreitender Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG), in Lüdicke/Kempf/Brink (Hrsg.), Verluste im Steuerrecht (2010) 145 (146 Fn. 628).

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wenden ist. Auch gibt es bisher noch keine Verwaltungsauffassung zu dieser Vorschrift.194 Eingangs ist festzustellen, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG nach h. M. auf die Gewerbesteuer nicht anzuwenden ist. Aufgrund der Beschränkung der Gewerbesteuer auf das Inland besteht nämlich nicht die Gefahr einer doppelten Verlustverwertung.195 Aus den oben erwähnten Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass einerseits die „doppelte Verlustberücksichtigung“ vermieden werden soll. Dies scheint der Hauptzweck des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG zu sein. Daneben enthält die Vorschrift, folgt man der Gesetzesbegründung, aber auch noch eine zweite Stoßrichtung: Eine Verlustnutzung soll im Inland auch dann ausgeschlossen werden, wenn dieselbe im Ausland nach den ausländischen Vorschriften – ebenfalls – ausgeschlossen ist. Eine Abwägung, welcher Staat in einem solchen Fall die Verluste berücksichtigen müsste, soll nach der Gesetzesbegründung offenbar gerade nicht vorgenommen werden.196 Da diese zweite Stoßrichtung nur in den Materialien, nicht aber im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck kommt, kann sie nach h. A. außer Acht gelassen werden.197 Damit wird auch deutlich, dass die in den Materialien zum Ausdruck kommende Gesetzesbegründung von zweifelhaftem Wert für die Interpretation dieser Vorschrift ist. Verluste werden bei grenzüberschreitenden Sachverhalten oftmals doppelt berücksichtigt, z. B. – sofern kein DBA oder ein DBA mit Anrechnungsmethode besteht – bei doppelt ansässigen und daher doppelt unbeschränkt Steuerpflichtigen, aber auch bei unbeschränkter Steuerpflicht in Deutschland und beschränkter Steuerpflicht im Inland und umgekehrt, sofern im Inland auch entsprechende Gewinne zur Verrechnung vorhanden sind (sonst ist nur ein Verlustvortrag oder -rück_____________ 194 Z. B. Brink in Lüdicke/Kempf/Brink (Hrsg.), Verluste 153. 195 Vgl. Endres/Thies, Bekämpfung doppelter Verlustnutzung im UntStFG – Oder: Wer danebenschießt, muss eine Strafrunde laufen, RIW 2002, 275 (278 f.); Löwenstein/Maier, Organschaft und eingeschränkte Verlustnutzung bei doppelt ansässigen Organträgern – Mitwirkung von Dr. Jekyll und Mr. Hyde bei den Neuregelungen des UntStFG? IStR 2002, 185 (192 f.); Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft, 456; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 236; zweifelnd Schreiber/Meiisel, Auswirkungen des § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG auf die Nutzung von Organträgerverlusten, IStR 2002, 581 (585). 196 Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft 439. 197 So z. B. Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft 450; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 494; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 233 f.

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trag möglich).198 Sofern solche Verluste aus der gleichen (inländischen) Quelle stammen, wird die doppelte Berücksichtigung jedoch i. d. R. durch spätere Gewinne wieder ausgeglichen. Der Gesetzgeber hat sich bei der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG daher dafür entschieden, nur solche Fälle einer „doppelten Verlustberücksichtigung“ zu sanktionieren, bei denen es offenbar – sowohl im In- als im Ausland – zu einer sofortigen Berücksichtigung durch Verrechnung mit einem anderen Steuerpflichtigen kommt. Die Verrechnungsmöglichkeit mit einem anderen Steuerpflichtigen im Inland wird von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG deswegen vorausgesetzt, da sich die Vorschrift an Organträger richtet und daher eine Organschaft mit Wirkung im Inland bestehen muss; die Verrechnungsmöglichkeit mit einem anderen Steuerpflichtigen im Ausland wird deswegen vorausgesetzt, da eine „der deutschen Besteuerung des Organträgers entsprechenden Besteuerung“ erforderlich ist. Unter einer „der deutschen Besteuerung des Organträgers entsprechenden Besteuerung“ wird m. E. grundsätzlich jede Art einer Gruppenbesteuerung im Ausland zu verstehen sein, die ein System der Zurechnung oder Konsolidierung (von negativen und positiven Einkommen) als Rechtsfolge vorsieht.199 Die österreichische Gruppenbesteuerung erfüllt m. E. jedenfalls die Voraussetzung einer der deutschen Besteuerung entsprechenden Besteuerung. Dies ergibt sich aus den historisch erklärbaren200 Parallelen zwischen der Gruppenbesteuerung und der Organschaft, die insbesondere auch die gleiche Rechtsfolge – nämlich die Zurechnung des Einkommens201 – aufweisen. Der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift wird kontrovers diskutiert. Fraglich ist zunächst, ob die Vorschrift aufgrund des weiten Gesetzeswortlautes auch über doppelt ansässige Organträger hinaus angewendet werden kann.202 Gegen diese weite Wortlautinterpretation _____________ 198 Siehe z. B. die Fälle bei Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft 436 ff.; Brink in Lüdicke/Kempf/Brink (Hrsg.), Verluste 146 f. und Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 237. 199 I. d. S. z. B. Schreiber/Meiisel, IStR 2002, 584 f.; Scheunemann, Grenzüberschreitende konsolidierte Konzernbesteuerung (2005) 210 f.; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 482; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 253; anders z. B. Altrichter-Herzberg/Nuernberger, Verlustnutzung über die Grenze, GmbHR 2006, 466 (469). 200 Dazu Abschnitt A. 201 Dazu Abschnitt B.II.2. 202 So Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 239 (vgl. aber auch Rz. 233).

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und für eine – auf doppelt ansässige Organträger – einschränkende Interpretation spricht zunächst die ausdrückliche Erwähnung von „doppelt ansässigen Gesellschaften“ in der Gesetzesbegründung, obwohl die Gesetzesmaterialien m. E., wie erwähnt, von eher zweifelhaftem Wert sind. Für eine einschränkende Interpretation kann außerdem die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ins Treffen geführt werden, die eine Verbindung zur Streichung des doppelten Inlandsbezuges beim Organträger (und damit eine Verbindung zu doppelt ansässigen Organträgern) nahelegt.203 M. E. kommt in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck, dass bei einem doppelt ansässigen Organträger typischerweise die Gefahr besteht, dass dieser von einem ausländischen Staat in ein ausländisches Gruppenbesteuerungssystem einbezogen und seine Verluste daher doppelt berücksichtigt werden. Dies schließt aber m. E. nicht aus, dass – aus der Sicht eines ausländischen Gruppenbesteuerungssystems – auch Tochterkörperschaften einbezogen werden können, die nur im anderen Staat (= in diesem Fall Deutschland) unbeschränkt steuerpflichtig sind. Dies zeigt gerade die österreichische Gruppenbesteuerung: In dieses System können – unter der Voraussetzung der finanziellen Verbindung – auch ausländische (in diesem Fall: deutsche) Tochterkörperschaften einbezogen werden, die nur im anderen Staat (= Deutschland), nicht aber in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig sind; von der österreichischen Gruppenbesteuerung sind daher nicht nur doppelt ansässige ausländische Tochterkörperschaften erfasst.204 Stellt man auf Sinn und Zweck der Vorschrift ab, eine „doppelte Verlustberücksichtigung“ zu vermeiden, wäre zu überlegen, auch andere Körperschaften als doppelt ansässige Organträger in den persönlichen Anwendungsbereich von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG einzubeziehen. Folgt man allerdings der hier vertretenen Auffassung, wonach nur ausländische Verluste bei der Besteuerung des Organträgers unberücksichtigt bleiben dürfen (und damit eine Verpflichtung besteht, Verluste aus inländischen Quellen auch im Rahmen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG zu berücksichtigen), _____________ 203 So i. E. Hey, Organschaft und Verlustberücksichtigung im Ausland – Adressatenkreis von § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG n. F., BB 2002, 915 (915 f.); Löwenstein/Maier, IStR 2002, 188; Endres/Thies, RIW 2002, 276; Kestler/Weger, Doppelte Verlustnutzung bei grenzüberschreitender (ertragsteuerlicher) Organschaft? – Zum eingeschränkten Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG i. d. F. des UntStFG, GmbHR 2003, 156 (160 f.); Pache in Hermann/Heuer/Raupach (Hrsg.), Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz (Lieferung 222, Mai 2006), KStG § 14 Rz. 261; vgl. auch Schreiber/Meiisel, IStR 2002, 585; offen Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft, 444. 204 Vgl. § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG.

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so ergibt sich aus dieser sachlichen Einschränkung de facto auch eine Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs (siehe dazu noch unten). Außerdem wird diskutiert, ob die Vorschrift auch auf ausländische beschränkt steuerpflichtige Organträger i. S. d. § 18 KStG anwendbar ist.205 Für eine Einbeziehung spricht m. E. der Umstand, dass die Abgrenzung zwischen § 14 und § 18 KStG z. T. schwierig zu ziehen ist; so fallen nach der hier vertretenen Auffassung doppelt ansässige Gesellschaften mit Ort der Geschäftsleitung im Ausland und Sitz im Inland aufgrund einer analogen Anwendung dieser Bestimmung unter § 18 KStG.206 Es wäre daher jedenfalls nicht verständlich, die unter § 18 KStG fallenden doppelt ansässigen Organträger auszuschließen. Aufgrund des Zweckes der Vorschrift, eine doppelte Verlustverwertung zu vermeiden, sollte darüber hinaus auch überlegt werden, nicht nur die erwähnten doppelt ansässigen Organträger, sondern auch die lediglich beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Organträger in den persönlichen Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG einzubeziehen, sofern diese Organträger von einem ausländischen Gruppenbesteuerungssystem erfasst sind. Auch hier gilt aber, dass – sofern man der hier vertretenen Auffassung folgt, wonach sich die Einschränkung lediglich auf ausländische Verluste bezieht und Verluste aus inländischen Quellen auch im Rahmen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG zu berücksichtigen sind – der persönliche Anwendungsbereich de facto durch den Umfang der nicht zu berücksichtigenden Verluste eingeschränkt wird. Strittig ist ebenfalls, ob diese Vorschrift auch auf Personengesellschaften207 anwendbar ist (in der Gesetzesbegründung ist, wie erwähnt, nur von Gesellschaften die Rede). Eine wichtige Grundsatzfrage liegt darin, ob § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG alleine auf ein negatives Einkommen aus – aus deutscher Sicht – _____________ 205 Dafür z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 239; dagegen z. B. Endres/Thies, RIW 2002, 278; Hey, BB 2002, 916; Pache in Hermann/Heuer/ Raupach (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 261; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 475, 484. 206 Siehe Abschnitt C.I.1.a. 207 Dagegen z. B. Endres/Thies, RIW 2002, 278; Schreiber/Meiisel, IStR 2002, 583; Löwenstein/Maier, IStR 2002, 188, 191; Hey, BB 2002, 916; Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft, 444, 450; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 475, 485 (mit dem Argument, dass Personengesellschaften nicht selbst der Besteuerung unterliegen); dafür z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 240.

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ausländischen Quellen abstellt,208 oder ob der territoriale Bezug gleichgültig ist und daher auch negatives Einkommen aus inländischen Quellen von der Vorschrift umfasst wird.209 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung eine Einschränkung auf inländische Quellen ergibt. M. E. können allerdings aus den Vorgaben der unionsrechtlichen Grundfreiheiten Leitlinien dafür abgeleitet werden, dass nur Verluste aus ausländischen Quellen bei der inländischen Besteuerung des Organträgers unberücksichtigt bleiben dürfen. Denn im Prüfungsschema, ob eine Verletzung der Grundfreiheiten vorliegt, anerkennt der EuGH das Territorialitätsprinzip bzw. die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten als Rechtfertigungsgrund.210 Demnach sind Verluste primär vom Quellenstaat zu berücksichtigen. Nur als „ultima ratio“ – nämlich bei „finalen“ Verlusten – hat der Ansässigkeitsstaat die Verluste zu berücksichtigen.211 Überträgt man diese Dogmatik der Grundfreiheiten auf die Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG, so ergibt sich als Leitlinie für die teleologische Auslegung dieser Vorschrift, dass nur Verluste aus ausländischen Quellen beim Einkommen des Organträgers unberücksichtigt bleiben dürfen. Von der Verpflichtung, Verluste aus inländischen Quellen (weiterhin) zu berücksichtigen, kann Deutschland als Quellenstaat hingegen nicht entbunden werden, selbst wenn diese Verluste in einem ausländischen Gruppenbesteuerungssystem steuerlich ebenfalls berücksichtigt werden. Verluste aus inländischen Quellen sind daher auch im Rahmen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG zu berücksichtigen. Strittig ist ferner, ob der Verlust im Ausland tatsächlich berücksichtigt werden muss,212 oder ob es genügt, wenn diese Verlustberücksichtigung _____________ 208 I. d. S. z. B. Töben/Schulte-Rummel, Doppelte Verlustberücksichtigung in Organschaftsfällen mit Auslandsberührung, FR 2002, 425 (435 ff.); vgl. auch Pache in Hermann/Heuer/Raupach (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 265 ff. 209 I. d. S. z. B. Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft, 446 f.; Frotscher in Frotscher/ Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 244. 210 Vgl. auch Karthaus, Gruppenbesteuerung 83 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Brink in Lüdicke/Kempf/Brink (Hrsg.), Verluste 152 f. 211 Siehe zum Ganzen noch Abschnitt C.III.2. sowie Abschnitt C.III.3. 212 I. d. S. Meilicke, DB 2002, 914 f.; Löwenstein/Maier, IStR 2002, 192; Schreiber/ Meiisel, IStR 2002, 583; Kestler/Weger, GmbHR 2003, 160; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 493; Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft, 447 f. (der dies mit dem Wort „soweit“ begründet); Scheunemann, Konzernbesteuerung 206 f.; Klarmann, Organschaft 118 f.; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 254.

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potentiell möglich wäre.213 Für eine tatsächliche Verlustberücksichtigung kann m. E. zumindest der Wortlaut ins Treffen geführt werden („berücksichtigt … wird“). M. E. ist aber auch zu beachten, dass es nicht verständlich wäre, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG dann nicht anzuwenden, wenn die Verlustberücksichtigung im Ausland nach den ausländischen Rechtsvorschriften zwar zulässig wäre, der Steuerpflichtige aber – gerade um die Rechtsfolgen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG zu vermeiden – den Verlust im Ausland nicht geltend macht. Denn § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG räumt dem Steuerpflichtigen diesbezüglich kein Wahlrecht ein, sich den Staat auszusuchen, in dem eine Verlustberücksichtigung erfolgen soll. Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss das „negative Einkommen“ des Organträgers im Rahmen der ausländischen Besteuerung „berücksichtigt“ werden. Nach h. A. ist dies nicht der Fall, wenn zwar ein „negatives Einkommen“ vorliegt, sich aber im Ausland aufgrund der Gewinnermittlung nach ausländischen Vorschriften kein Gewinn ergibt.214 Diese Ansicht ist m. E. zutreffend, da § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG nur die doppelte Verlustberücksichtigung verhindern soll, zu der es aber in diesem Fall jedoch tatsächlich nicht kommt. In diesem Zusammenhang wird auch diskutiert, ob es ausreicht, wenn der Verlust im Ausland von der Bemessungsgrundlage abgezogen wird,215 oder ob der Verlust im Ausland auch zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage geführt haben muss.216 Im Schrifttum wird außerdem diskutiert, wie der Begriff des „negativen Einkommens des Organträgers“ zu verstehen ist. Strittig ist zunächst, ob das eigene negative Einkommen des Organträgers (vor Einkünfte-

_____________ 213 So z. B. Müller/Stöcker, Organschaft7 Rz. 616; Pache in Hermann/Heuer/Raupach (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 271. 214 Z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 493; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 250. 215 Z. B. Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 491; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 254; so offenbar auch Scheunemann, Konzernbesteuerung 209. 216 So z. B. Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft, 448 f.

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zurechnung)217 oder das negative Einkommen des Organkreises218 gemeint ist. M. E. kommt es darauf an, ob das ausländische Gruppenbesteuerungssystem nur das eigene negative Einkommen des (deutschen) Organträgers berücksichtigt („stand-alone“-Betrachtung), wie dies beispielsweise bei der österreichischen Gruppenbesteuerung der Fall ist,219 oder ob das ausländische Gruppenbesteuerungssystem das gesamte negative Einkommen des (deutschen) Organkreises berücksichtigen würde. Nur im letztgenannten Fall wäre m. E. die Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG vor dem Hintergrund ihrer Zielsetzung – Vermeidung der doppelten Verlustberücksichtigung – gerechtfertigt. Ausgeschlossen dürfte jedenfalls sein, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auch auf das eigene Einkommen der Organgesellschaft abstellt. Dagegen sprechen der Wortlaut und die oben erwähnte Entstehungsgeschichte der Vorschrift.220 c) Organgesellschaften In § 14 Abs. 1 Satz 1 und § 17 KStG ist ein doppelter Inlandsbezug vorgesehen; demnach müssen sich sowohl der Sitz als auch der Ort der Geschäftsleitung von Organgesellschaften im Inland befinden. Der Ort der Geschäftsleitung im Inland alleine ist daher nicht ausreichend. Auch doppelt ansässige Gesellschaften, die nach ausländischem Recht errichtet wurden und ihren Sitz im Ausland haben, kommen nicht als Organgesellschaften in Betracht.221 Gegenüber den für den Organträger geltenden Voraussetzungen ist der Inlandsbezug daher restriktiver, da für den Organträger der Ort der Geschäftsleitung im Inland ausreichend ist.222 Es liegt daher auf der Hand, zu fragen, ob nicht der Ort der Geschäftsleitung – vor allem vor dem Hintergrund einer Verletzung der Grundfreiheiten des AEUV – ausreichend wäre. _____________ 217 Z. B. Töben/Schulte-Rummel, FR 2002, 435; Altrichter-Herzberg/Nuernberger, GmbHR 2006, 469; Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft, 445 f.; Klarmann, Organschaft 116 ff.; Müller/Stöcker, Organschaft7, Rz. 615. 218 Z. B. Meilicke, DB 2002, 914; Schreiber/Meiisel, IStR 2002, 582 f.; Endres/Thies, RIW 2002, 276 f.; Löwenstein/Maier, IStR 2002, 191; Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 478; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 241 ff.; vgl. auch Kestler/Weger, GmbHR 2003, 159. 219 Vgl. § 9 Abs. 6 Z 6 öKStG; dazu z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 357. 220 So z. B. Endres/Thies, RIW 2002, 276; Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft, 445 Fn. 53; Brink in Lüdicke/Kempf/Brink (Hrsg.), Verluste 149. 221 Siehe bereits Abschnitt B.I.1.a. 222 Siehe nochmals Abschnitt B.I.1.a.

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In diese Richtung geht auch die Argumentation der Kommission in dem gegen Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren: Die Kommission sieht das zusätzliche Erfordernis des Sitzes als unzulässige Diskriminierung an, da sich ja der Ort der Geschäftsleitung in Deutschland befinden müsse und daher unbeschränkte Steuerpflicht bestehe, weswegen die Einnahmen von Organgesellschaften in vollem Umfang in Deutschland versteuert werden müssen.223 Die Kommission sieht also offenbar die unbeschränkte Steuerpflicht bei Organgesellschaften aufgrund des Ortes der Geschäftsleitung als ausreichend an. Das Bundesministerium der Finanzen geht – als Konsequenz des oben erwähnten Vertragsverletzungsverfahrens – ebenso davon aus, dass – „über den Wortlaut der Regelungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG und des § 17 KStG hinaus“ – auch eine „im EU/EWR-Ausland gegründete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung in Deutschland“ unter den übrigen Voraussetzungen der §§ 14 ff. KStG Organgesellschaft sein kann.224 Das Abstellen auf den Ort der Geschäftsleitung ist m. E. deswegen zutreffend, da – bei Bestand eines DBA, das dem OECD-MA entspricht – aufgrund der „tie-breaker-rule“ des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA sichergestellt wird, dass Deutschland das Besteuerungsrecht an den Einkünften der Organgesellschaft verbleibt. Der Ort der Geschäftsleitung dient also – ebenso wie beim Organträger – der Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts.225 Die unionsrechtlichen Bedenken gegen den – zumindest vom Gesetzeswortlaut verlangten – doppelten Inlandsbezug liegen damit auf der Hand.226 Dies wirft allerdings in weiterer Folge die Frage auf, ob es aus unionsrechtlicher Sicht tatsächlich ausreichend ist, wenn ausschließlich in Deutschland – aufgrund des Ortes der Geschäftsleitung – unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaften als Organgesellschaften in Betracht kommen. So könnte auch die Ansicht vertreten werden, dass in Deutschland lediglich beschränkt steuerpflichtige Gesellschaften als Organgesellschaften einbezogen werden müssen,227 was insbesondere dann plausibel wäre, wenn das Besteuerungsrecht an deren Einkünften _____________ 223 Beschwerde Nr. 2008/4409 gegen Deutschland wegen § 14 Abs. 1 KStG; vgl. dazu bereits Abschnitt A. 224 BMF-Schreiben v. 28.3.2011, GZ IV C 2 – S 2770/09/10001, DOK 2011/0250044, BStBl. I 2011, 300; siehe dazu bereits Abschnitt A. 225 Siehe zu dieser Überlegung beim Organträger oben Abschnitt C.I.1.a. 226 Siehe dazu noch Abschnitt C.III.3. 227 I. d. S. z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 82.

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– ähnlich wie beim Organträger nach § 18 KStG – durch eine Zweigniederlassung bzw. Betriebstätte i. S. d. Art. 5 OECD-MA sichergestellt wird.228 Schließlich ist noch zu überlegen, ob ausländische Gesellschaften nicht auch dann als Organgesellschaften zugelassen werden müssten, wenn sie im Inland zwar nicht einmal beschränkt steuerpflichtig sind, aber in einem anderen Staat einen Verlust erwirtschaftet haben, der in diesem ausländischen Staat – als Quellenstaat – nicht berücksichtigt werden kann und daher – nach den Grundsätzen der Rs. Marks & Spencer – als so genannter „finaler“ bzw. „endgültiger“ oder „definitiver“ Verlust in Deutschland als dem Ansässigkeitsstaat berücksichtigt werden muss.229 2. Österreichische Gruppenbesteuerung a) Gruppenträger Wie erwähnt,230 können auch beschränkt steuerpflichtige Körperschaften Gruppenträger sein (bei denen es sich um „ausländische“ Rechtsformen handelt, d. h. Körperschaften mit Sitz im Ausland), sofern es sich entweder um „EU-Gesellschaften“ oder um „EWR-Gesellschaften“ handelt (§ 9 Abs. 3 Ts. 5 öKStG). Der ausländische Gruppenträger muss daher, im Gegensatz zur deutschen Organschaft, entweder in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR ansässig sein (bei den ausländischen Gruppenmitgliedern ist hingegen auch die Ansässigkeit in einem Drittstaat zulässig; siehe dazu sogleich den folgenden Abschnitt). „EUGesellschaften“ müssen in der Anlage 2 zum EStG enthalten sein, was bedeutet, dass sie jene Voraussetzungen erfüllen müssen, die für die von der Mutter-Tochter-Richtlinie erfassten Gesellschaften gelten.231 Sie müssen daher entweder aufgrund ihres Sitzes oder des Ortes der Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU ansässig sein und den von der Mutter-Tochter-Richtlinie erfassten (Körperschaft-)Steuern unterliegen.232 Ferner müssen die „EU-Gesellschaften“ den oben genannten Kapitalgesellschaften, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, VVaG und Kreditinstituten (= insbesondere Sparkassen) i. S. d. § 9 Abs. 3 Ts. 1 _____________ 228 229 230 231

Siehe zu dieser Überlegung beim Organträger oben Abschnitt C.I.1.a. Vgl. dazu und zum Ganzen noch Abschnitt C.III.3. Siehe Abschnitt B.I.1.b. In der Anlage 2 zum öEStG sind jene Gesellschaften angeführt, die unter die Mutter-Tochter-Richtlinie fallen (Richtlinie 90/435/EWG, ABl. Nr. L 225 vom 20.8.1990, S. 6, in der gültigen Fassung). 232 Z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 94.

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bis Ts. 4 öKStG vergleichbar sein. Dieses Vergleichbarkeitserfordernis stellt im Verhältnis zur Mutter-Tochter-Richtlinie eine zusätzliche Einschränkung dar; mangels Vergleichbarkeit zu den Rechtsformen des § 9 Abs. 3 Ts. 1 bis Ts. 4 öKStG kommen daher z. B. ein inländischer (österreichischer) Betrieb gewerblicher Art von – deutschen – juristischen Personen des öffentlichen Rechts233 oder eine – deutsche – KGaA als (beschränkt steuerpflichtiger) Gruppenträger einer österreichischen Gruppe nicht in Betracht, obwohl diese beiden Rechtsformen von der Mutter-Tochter-Richtlinie erfasst sind.234 „EWR-Gesellschaften“ müssen sowohl ihren Sitz als auch den Ort der Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat des EWR haben (Norwegen, Island oder Liechtenstein235), allerdings nicht notwendigerweise im selben Mitgliedstaat.236 Diese zusätzliche Einschränkung im Vergleich zu „EU-Gesellschaften“, bei denen lediglich einer von beiden Anknüpfungspunkten (Sitz oder Ort der Geschäftsleitung) ausreichend ist, ist aus der Sicht der Grundfreiheiten des AEUV bedenklich.237 Ferner müssen die „EWR-Gesellschaften“ gemäß der ausdrücklichen Regelung des § 9 Abs. 3 Ts. 5 öKStG mit inländischen „Kapitalgesellschaften“ vergleichbar sein; eine Vergleichbarkeit der ausländischen Rechtsform mit österreichischen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit (VVaG) oder Kreditinstituten (insbesondere Sparkassen) wie bei den „EU-Gesellschaften“ genügt daher nicht.238 Die daraus resultierenden, im Vergleich zu „EU-Gesellschaften“ strengeren Anwendungsvoraussetzungen für „EWR-Gesellschaften“ sind aus Sicht der Grundfreiheiten des AEUV ebenfalls bedenklich.239 _____________ 233 Z. B. Oberascher/Staringer in Lang/Schuch/Staringer/Stefaner (Hrsg.), Gruppenbesteuerung, 38 f.; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 94. 234 Z 1 lit. f der Anlage 2 zum öEStG i. d. F. öBGBl. I 2010/111 (diese Bestimmung entspricht lit. f des Anhangs zu Art. 2 lit. a der Mutter-Tochter-Richtlinie). 235 Die Regelung der „EU-Gesellschaften“ im ersten Unter-Teilstrich geht der Regelung über „EWR-Gesellschaften“ im zweiten Unter-Teilstrich des § 9 Abs. 3 Ts. 5 öKStG vor; z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 93. 236 Z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 95. 237 Z. B. Stefaner/Weninger in Lang/Schuch/Staringer (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 64; Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt C.I.3.5.1.; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 95. 238 Z. B. Oberascher/Staringer in Lang/Schuch/Staringer/Stefaner (Hrsg.), Gruppenbesteuerung, 39; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 95. 239 Z. B. Stefaner/Weninger, ecolex 2004, 510; Oberascher/Staringer in Lang/Schuch/ Staringer/Stefaner (Hrsg.), Gruppenbesteuerung, 39; Steiner/Vock in Quantschnigg/ Renner/Schellmann/Stöger (Hrsg.), KStG 1988, § 9 Rz. 138; Urtz in Achatz/ Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 95 i. V. m. Rz. 19 (m. w. N.).

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Sowohl bei den genannten „EU-Gesellschaften“ als auch bei „EWRGesellschaften“ ist ferner Voraussetzung, dass sie mit einer Zweigniederlassung im Firmenbuch eingetragen sind und dass die Beteiligung an den Gruppenmitgliedern dieser Zweigniederlassung zuzurechnen ist. Der Zweck dieses Erfordernisses liegt darin, die Steuerpflicht der von den Gruppenmitgliedern zum Gruppenträger zugerechneten Ergebnisse bei letzterem sicherzustellen (Sicherung des österreichischen Besteuerungsrechts).240 Dazu ist ein inländischer Anknüpfungspunkt für die Besteuerung – also zumindest die beschränkten Steuerpflicht des Gruppenträgers – notwendig. Mit dem Begriff der „Zweigniederlassung“ ist eine Zweigniederlassung im gesellschaftsrechtlichen Sinne gemeint.241 Gleichzeitig muss aber nach h. M. auch eine Betriebsstätte i. S. d. § 98 Abs. 1 Z 3 öEStG i. V. m. § 29 öBAO vorliegen,242 die überdies die Voraussetzungen des Art. 5 OECD-MA erfüllen muss, damit das erwähnte Besteuerungsrecht nicht verloren gehen kann.243 Die Beteiligung an den Gruppenmitgliedern muss der Zweigniederlassung „zuzurechnen“ sein. Um dieses Kriterium zu erfüllen, ist – wie sich aus den Gesetzesmaterialien zum StReformG 2005 ergibt244 – die Zugehörigkeit der Beteiligung zum gewillkürten Betriebsvermögen ausreichend.245 Wie ebenfalls erwähnt,246 können auch doppelt ansässige Körperschaften Gruppenträger sein; dies sieht vgl. § 9 Abs. 3 letzter Satz öKStG _____________ 240 Vgl. die Gesetzesmaterialien zum AbgÄG 2004, EB RV BlgNR 686 XXII. GP, 17 zu § 9 Abs. 3 letzter Satz (siehe sogleich unten). So auch Oberascher/Staringer in Lang/Schuch/Staringer/Stefaner (Hrsg.), Gruppenbesteuerung, 40; Urtz in Achatz/ Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 96; ausführlich Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt C.I.3.5.2. Ähnlich Wiesner/Kirchmayr/ Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 112: „Durch das Betriebsstättenerfordernis wird der gebotene Zusammenhang zwischen Gruppenbesteuerung und Steuerhängigkeit der betreffenden Gruppenbeteiligung gewahrt“. 241 Z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 97. 242 Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 98 m. w. N.; vgl. auch Oberascher/Staringer in Lang/Schuch/Staringer/Stefaner (Hrsg.), Gruppenbesteuerung, 41 f. und Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 111 f. 243 Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 99 m. w. N.; vgl. auch Stefaner/ Weninger in Lang/Schuch/Staringer (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 43 und Steiner/Vock in Quantschnigg/Renner/Schellmann/Stöger (Hrsg.), KStG 1988, § 9 Rz. 153. 244 EB RV 451 BlgNR XXII. GP, 18. 245 So auch die h. M. im Schrifttum und die Ansicht der Finanzverwaltung: Wiesner/ Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 113; Steiner/Vock in Quantschnigg/ Renner/Schellmann/Stöger (Hrsg.), KStG 1988, § 9 Rz. 153; Urtz in Achatz/ Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 102 m. w. N.; öKStR 2001 Rz. 376. 246 Siehe Abschnitt B.I.1.b.

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1988 ausdrücklich vor. Gemäß dieser Bestimmung kann eine doppelt ansässige Körperschaft allerdings nur dann Gruppenträger sein, wenn sie im Inland mit einer Zweigniederlassung im Firmenbuch eingetragen ist und die Beteiligung an den Gruppenmitgliedern dieser Zweigniederlassung zuzurechnen ist (vgl. § 9 Abs. 3 letzter Satz öKStG 1988). Mit dieser Einschränkung soll – ebenso wie bei beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Gruppenträgern – das österreichische Besteuerungsrecht sichergestellt werden.247 Durch § 9 Abs. 3 letzter Satz öKStG 1988 wird insbesondere bei jenen Körperschaften, die in Österreich nur ihren Sitz, aber nicht ihren Ort der Geschäftsleitung haben, verhindert, dass es aufgrund der Regelung des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA (sofern die von Österreich abgeschlossenen DBA dem OECD-MA entsprechen) trotz unbeschränkter Steuerpflicht zum Verlust des österreichischen Besteuerungsrechts kommt. Dies bedeutet aber auch, dass dann, wenn eine doppelt ansässige Körperschaft ihren Sitz im Ausland hat (womit eine „ausländische“ Körperschaft vorliegt), den Ort der Geschäftsleitung aber im Inland (oder sofern sich zwar der Ort der Geschäftsleitung im Ausland befindet, aber kein dem Art. 4 Abs. 3 OECD-MA entsprechendes DBA vorhanden ist, das zum Verlust der Besteuerungsrechts führen würde), das Erfordernis einer Zweigniederlassung überschießend wäre. M. E. ist das Tatbestandsmerkmal der Zweigniederlassung daher in diesem Fall – aufgrund einer teleologischen Reduktion des § 9 Abs. 3 letzter Satz öKStG 1988 – entbehrlich.248 Durch diese teleologische Reduktion werden beschränkt steuerpflichtige Gruppenträger i. S. d. § 9 Abs. 3 Ts. 5 und doppelt ansässige Gruppenträger i. S. d. § 9 Abs. 3 letzter Satz öKStG 1988 im Ergebnis gleich behandelt.249 Ähnliche Probleme stellen sich übrigens auch bei der Organschaft in Deutschland, wo bei doppelt ansässigen Körperschaften § 18 KStG analog angewendet werden muss.250 _____________ 247 Vgl. die Gesetzesmaterialien zum AbgÄG 2004, EB RV 686 BlgNR XXII. GP, 17: „Im Interesse einer systemkonformen Gleichbehandlung soll das Einbeziehen einer doppelt ansässigen Körperschaft in die Gruppenträgerfunktion nur dann möglich sein, wenn die Körperschaft im Inland den für beschränkt steuerpflichtige Trägerkörperschaften vorausgesetzten inländischen Anknüpfungspunkt hat.“ 248 Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt C.I.3.5.2.; Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG § 9 Rz. 108. 249 Vgl. Oberascher/Staringer in Lang/Schuch/Staringer/Stefaner (Hrsg.), Gruppenbesteuerung, 45. 250 Siehe oben Abschnitt C.I.1.a.

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b) Gruppenmitglieder Als Gruppenmitglieder kommen, wie erwähnt, gemäß § 9 Abs. 2 Ts. 1 öKStG unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften (AG, GmbH und Europäische Gesellschaft [Societas Europaea]) sowie Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in Betracht.251 Dabei kann es sich auch um ausländische Rechtsformen mit Satzungssitz im Ausland handeln (die daher als „ausländisch“ gelten) oder um Rechtsformen mit dem Ort der Geschäftsleitung im Ausland, sofern sie – aufgrund eines Strukturvergleichs – mit den genannten inländischen Rechtsformen vergleichbar sind.252 Ein doppelter Inlandsbezug wie in Deutschland ist nicht erforderlich; die unbeschränkte Steuerpflicht genügt. Somit können auch doppelt ansässige Körperschaften Gruppenmitglieder sein.253 Neben den in § 9 Abs. 2 Ts. 1 öKStG erwähnten Körperschaften können nach § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG auch „nicht unbeschränkt steuerpflichtige ausländische“ Körperschaften, die mit einer inländischen Kapitalgesellschaft oder Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft (aufgrund eines Strukturvergleichs) vergleichbar sind, Gruppenmitglied sein. Diese Körperschaften dürfen in Österreich somit entweder gar nicht oder allenfalls beschränkt steuerpflichtig sein. Zusätzlich müssen sie „ausländisch“ sein und daher den Satzungssitz im Ausland haben (bei einem Satzungssitz im Inland käme eine Körperschaft aber ohnehin nicht als Gruppenmitglied i. S. d. § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG in Betracht, da in diesem Fall das Erfordernis der fehlenden unbeschränkten Steuerpflicht nicht erfüllt wäre).254 Bei diesen ausländischen Gruppenmitgliedern i. S. d. § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG werden allerdings keine Gewinne, sondern nur Verluste an das übergeordnete inländische Gruppenmitglied bzw. an den Gruppenträger zugerechnet; diese Verluste werden überdies nicht zur Gänze, sondern nur anteilig – im Ausmaß der Beteiligung – zugerechnet.255 Bemerkenswert ist insbesondere, dass die ausländischen Gruppenmitglieder i. S. d. § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG im Gegensatz zum Gruppenträger _____________ 251 Siehe oben Abschnitt B.I.1.b. 252 Z. B. Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 82 f.; Urtz in Achatz/ Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 56 f.; öKStR 2001 Rz. 368. 253 Z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 58; vgl. auch öKStR 2001 Rz. 368. 254 Vgl. zum Ganzen z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 60 ff. und auch Abschnitt B.I.1.b. 255 Siehe bereits Abschnitt B.II.2.

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– der nur in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR ansässig sein darf – auch in Staaten ansässig bzw. unbeschränkt steuerpflichtig sein dürfen, die weder zur EU noch zum EWR gehören. Die ausländischen Gruppenmitglieder können daher auch in Drittstaaten ansässig bzw. unbeschränkt steuerpflichtig sein. Wie erwähnt,256 müssen die ausländischen Gruppenmitglieder i. S. d. § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG „ausschließlich mit unbeschränkt steuerpflichtigen Gruppenmitgliedern oder dem Gruppenträger finanziell verbunden“257 sein.258 Die h. M. im Schrifttum und die Finanzverwaltung leiten daraus ab, dass ausländische Gruppenmitglieder i. S. d. § 9 Abs. 2 Ts. 2 öKStG auf die so genannte „erste Auslandsebene“ beschränkt sind.259 Dies sollen Beispiel 1 und 2 verdeutlichen: Beispiel 1 (links): Der Gruppenträger GT ist am ausländischen Gruppenmitglied 1 zu 100 % beteiligt; dieses ist an der ausländischen Körperschaft 2 wiederum zu 51 % beteiligt. Nach Auffassung der h. M. im österreichischen Schrifttum und der österreichischen Finanzverwaltung kann die ausländische Körperschaft 2 nicht in die Gruppe einbezogen werden, obwohl bei einer Durchrechnung der Beteiligung GT an der Körperschaft 2 sogar zu 100 % beteiligt wäre.260 Beispiel 2 (rechts): Der Gruppenträger GT ist am ausländischen Gruppenmitglied 1 zu 100 % beteiligt; dieses ist an der inländischen Körperschaft 2 wiederum zu 51 % beteiligt.

_____________ 256 Vgl. bereits Abschnitt B.I.1.b. 257 Siehe zur finanziellen Verbindung oben Abschnitt B.I.2.b. 258 Eine ähnliche Einschränkung ergibt sich aus § 9 Abs. 2 S 1 öKStG, wonach ein Gruppenmitglied, das einem anderen im Rahmen der finanziellen Verbindung sozusagen übergeordnet ist und daher als so genannte „beteiligte Körperschaft“ gilt, auch eine „inländische“ Körperschaft sein und daher den Satzungssitz im Inland haben muss. Vgl. zu beiden Tatbestandsmerkmalen und ihrem Verhältnis zueinander ausführlich Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt D.I.3.4.2. und Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 63 ff. 259 Z. B. Wiesner/Mayr, RdW 2004/445, S. 492; Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Gruppenbesteuerung2 K 99 ff., K 174, K 206 ff. und K 211 f.; Kofler in Quantschnigg u. a. (Hrsg.), Gruppenbesteuerung Rz. 71; Steiner/Vock in Quantschnigg/Renner/ Schellmann/Stöger (Hrsg.), KStG 1988, § 9 Rz. 313; öKStR 2001 Rz. 399; a. A. Urtz/Haslehner, Gruppenbesteuerung: Finanzielle Verbindungen über ausländische Gruppenmitglieder, GeS 2008, 215 ff.; Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt D.I.3.4.3.; vgl. auch Urtz in Achatz/ Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 65 ff. m. w. N. 260 Siehe zur Durchrechnung auch Abschnitt B.I.2.b.

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Urtz – Grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung

Nach Auffassung der h. M. im österreichischen Schrifttum und der österreichischen Finanzverwaltung kann die Körperschaft 2 auch hier nicht in die Gruppe einbezogen werden, obwohl es sich um eine inländische Körperschaft handelt. Würde hingegen in den dargestellten Beispielen die Beteiligung des ausländischen Gruppenmitglieds 1 an der Körperschaft 2 die Beteiligung statt 51 % nur 50 % betragen, könnte die Körperschaft 2 demgegenüber – in beiden Fällen – in die Gruppe einbezogen werden.

Diese Einschränkung auf die so genannte „erste Auslandsebene“ stieß in der österreichischen Literatur auf Bedenken wegen einer Verletzung der Grundfreiheiten des AEUV.261

_____________ 261 Stefaner/Weninger, Gruppenbesteuerung und Gemeinschaftsrecht, SWI 2004, 441 (447); dieselben, Besteuerung von grenzüberschreitenden Unternehmensgruppen, ecolex 2005, 158 (159); Staringer, Der Einfluss der Gruppenbesteuerung auf die Unternehmensorganisation, ÖStZ 2005, 495 (501); Oberascher/Staringer in Lang/ Schuch/Staringer/Stefaner (Hrsg.), Gruppenbesteuerung, 48 f.; Steiner/Vock in Quantschnigg/Renner/Schellmann/Stöger (Hrsg.), KStG 1988, § 9 Rz. 104; einschränkend aber z. B. Mayr, Die neue Gruppenbesteuerung – Anlass und Rechtfertigung der Reform der Konzernbesteuerung, in Lang/Schuch/Staringer/Stefaner (Hrsg.), Grundfragen der Gruppenbesteuerung (2007) 15 (25 f.); Petritz/Schilcher, Marks & Spencer: EuGH zur grenzüberschreitenden Verlustverwertung im Konzern, ecolex 2006, 147 (150); Mamut/Schilcher, Auswirkungen des EuGH-Urteils Papillon auf die österreichische Gruppenbesteuerung, taxlex 2009, 13 (18); Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt B.I.3.4.2. Vgl. auch Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 19 m. w. N. und Rz. 63 ff. (insb. Rz. 65 ff.).

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II. Die Vorgaben der Grundfreiheiten des AEUV für den Umfang des Auslandsbezuges 1. Anwendbare Grundfreiheiten: Niederlassungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit? Eingangs ist festzuhalten, dass die Regelungen über die Organschaft sowohl in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit i. S. d. Art. 49 ff. (ex Art. 43 ff. EG) als auch der Kapitalverkehrsfreiheit i. S. d. Art. 63 ff. AEUV (ex Art. 56 ff. EG) fallen. Denn einerseits handelt es sich bei einer Beteiligung an einer Organgesellschaft, die die Voraussetzungen einer finanziellen Eingliederung erfüllt, um „Direktinvestitionen“ i. S. d. Art. 64 Abs. 1 AEUV (ex Art. 57 Abs. 1 EG) und auch i. S. d. Art. I, Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG. Eine solche „Direktinvestition“ liegt vor, wenn eine Beteiligung die Möglichkeit vermittelt, „sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft oder an deren Kontrolle zu beteiligen“.262 Andererseits ermöglicht die Beteiligung an der Organgesellschaft auch, einen „sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen“,263 wodurch die An_____________ 262 Siehe z. B. EuGH v. 12.12.2006 – C-446/04 – Test Claimants in the FII Group Litigation, EuGHE 2006, I-11753, Rz. 179 ff.; v. 24.5.2007 – C-157/05, Holböck, EuGHE 2007, I-4054, Rz. 33 und 34; v. 23.10.2007 – C-112/05 – Kommission/ Deutschland, EuGHE 2007, I-8995, Rz. 18; v. 18.12.2007 – C-101/05 – A, EuGHE 2007, I-11568, Rz. 46; v. 17.9.2009 – C-182/08 – Glaxo Wellcome, IStR 2009, 691, Rz. 40; v. 21.10.2010 – C-81/09, Idryma Typou, AG 2011, 81, Rz. 48. 263 Vgl. i. d. S. z. B. EuGH v. 13.4.2000 – C-251/98 – Baars, EuGHE 2000, I-280, Rz. 21 und 22; v. 21.11.2002 – C-436/00 – X, Y, EuGHE 2002, I-10829, Rz. 37 und 66 bis 68; v. 12.12.2006 – C-446/04 – Test Claimants in the FII Group Litigation, EuGHE 2006, I-11753, Rz. 37; v. 12.12.2006, C-196/04, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7959, Rz. 31; v. 13.3.2007 – C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, EuGHE 2007, I-2107, Rz. 27; v. 29.3.2007 – C-347/04 – Rewe Zentralfinanz, EuGHE 2007, I-2647, Rz. 22; v. 10.5.2007 – C-492/04 – Lasertec, EuGHE 2007, I-3775, Rz. 20; v. 18.7.2007 – C-231/05 – Oy AA, EuGHE 2007, I-6373, Rz. 20, v. 23.10.2007 – C-112/05 – Kommission/Deutschland, EuGHE 2007, I-8995, Rz. 13; v. 6.12.2007 – C-298/05 – Columbus Container Services, EuGHE 2007, I-10451, Rz. 29; v. 26.6.2008 – C-284/06 – Burda, EuGHE 2008, I-4571, Rz. 69; v. 17.9.2009 – C-182/08 – Glaxo Wellcome, IStR 2009, 691, Rz. 47; v. 21.1.2010 – C-311/08 – Société de Gestion Industrielle (SGI), IStR 2010, 144, Rz. 27 ff.; v. 21.10.2010 – C-81/09 – Idryma Typou, AG 2011, 81, Rz. 47. Vgl. ferner EuGH v. 6.11.2007 – C-415/06 – Stahlwerk Ergste Westig, IStR 2008, 107, Rz. 14, bei dem es allerdings nicht um eine Beteiligung an einer Kapital-, sondern an einer Personengesell-

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wendbarkeit des Art. 49 ff. AEUV gegeben ist. Verlangt die nationale Regelung eine Beteiligung von mehr als 50 %, wird in aller Regel davon ausgegangen werden können, dass im Sinne der Rechtsprechung des EuGH ein sicherer Einfluss auf die Entscheidungen der Beteiligungsgesellschaft ausgeübt und deren Tätigkeiten bestimmt werden können. Dies zeigt beispielsweise die Rs. Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas.264 Nach der jüngst entschiedenen Rs. Burda265 genügte sogar eine Beteiligung von genau 50 %. In dieser Entscheidung ging es u. a. um die Anwendung der Vorschrift des § 28 Abs. 4 d KStG 1996, wobei ein bestimmtes Beteiligungsausmaß nicht verlangt wurde. Nach dem konkreten Sachverhalt war jedoch eine Beteiligung von exakt 50 % gegeben.266 Der Umstand, dass auf die Organschaftsregelungen daher grundsätzlich sowohl die Niederlassungs- als auch die Kapitalverkehrsfreiheit zur Anwendung kommen, wirft die Frage auf, wie sich diese beiden Grundfreiheiten zueinander verhalten. Die Rechtsprechung des EuGH zeigt dabei folgendes Bild: Der EuGH geht – zumindest überwiegend – von einem Vorrang der Niederlassungsfreiheit gegenüber der Kapitalverkehrsfreiheit aus, und zwar sowohl bei Sachverhalten zwischen Mitgliedstaaten267 als auch im Verhältnis zu Drittstaaten.268 Dieser Vorrang hat im Verhältnis zu Drittstaaten besondere Bedeutung, da im Ergebnis keine Grundfreiheit zur _____________

264 265 266 267

268

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schaft ging; vgl. schließlich auch EuGH v. 24.5.2007 – C-157/05 – Holböck, EuGHE 2007, I-4054, Rz. 23 f. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7959, Rz. 32. EuGH v. 26.6.2008 – C-284/06 – Burda, EuGHE 2008, I-4571. EuGH v. 26.6.2008 – C-284/06 – Burda, EuGHE 2008, I-4571, Rz. 70 f. Z. B. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7959, Rz. 33; v. 13.3.2007 – C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Slg 2007, I-2107, Rz. 33, 34, 101 und 104 (dieses Urteil berührt auch Drittstaaten; siehe dazu gleich die untenstehende Fn.); v. 18.7.2007 – C-231/05 – Oy AA, EuGHE 2007, I-3871, Rz. 24; v. 26.6.2008 – C-284/06 – Burda, EuGHE 2008, I-4571, Rz. 75; v. 21.1.2010 – C-311/08 – Société de Gestion Industrielle (SGI), IStR 2010, 144, Rz. 37. Z. B. EuGH v. 3.10.2006 – C-452/04 – Fidium Finanz, EuGHE 2006, I-9521, Rz. 48; v. 13.3.2007 – C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, EuGHE 2007, I-2107, Rz. 34 und 101; v. 10.5.2007 – C-492/04 – Lasertec, EuGHE 2007, I-3775, Rz. 24 f.; v. 10.5.2007 – C-102/05 – A und B, EuGHE 2007, I-3871, Rz. 27; v. 6.11.2007 – C-415/06 – Stahlwerk Ergste Westig, IStR 2008, 107, Rz. 16.

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Anwendung kommt (die Niederlassungsfreiheit ist zwar im Ergebnis nicht anwendbar, verdrängt aber die Kapitalverkehrsfreiheit).269 Bemerkenswert ist dabei, dass der EuGH seine Entscheidungen dreimal innerhalb von kurzer Zeit in Form von Beschlüssen gefasst hat, und zwar in den Rs. Lasertec, A und B sowie Stahlwerk Ergste Westig.270 In diesen Beschlüssen hat der EuGH den Vorrang der Niederlassungsfreiheit gegenüber der Kapitalverkehrsfreiheit gerade auch gegenüber Drittstaaten klargestellt (wodurch im Ergebnis, da die Kapitalverkehrsfreiheit verdrängt wird, kein Schutz der Grundfreiheiten besteht). Gemäß Art. 104 § 3 der Verfahrensordnung des EuGH271 ist die Entscheidung durch Beschluss nur zulässig, wenn „die Antwort auf eine […] Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden [kann]“.272 Der Vorrang der Niederlassungsfreiheit vor der Kapitalverkehrsfreiheit und die Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheit auch in Drittstaatsfällen dürfte daher grundsätzlich als ständige Rechtsprechung zu verstehen sein, von der nicht zu erwarten ist, dass sie der EuGH in absehbarer Zeit ändern wird. Es muss allerdings angemerkt werden, dass der EuGH nach den genannten Beschlüssen auch Entscheidungen getroffen hat, die dieser Rechtsprechungslinie widersprechen. So hat der Gerichtshof in der Rs. Glaxo Wellcome273 einen Vorrang der Kapitalverkehrsfreiheit vor der Niederlassungsfreiheit angenommen. Nach diesem Urteil hat der EuGH in anderen Fällen aber wiederum entsprechend der früheren Rechtsprechungslinie entschieden: In der Rs. Société de Gestion Industrielle (SGI) geht der EuGH nämlich wieder vom Vorrang der Niederlassungsfreiheit vor der Kapitalverkehrsfreiheit aus.274 In EuGH der Rs. Dijkman und Dijkman-Lavaleije ist der EuGH aber in die andere Richtung ge_____________ 269 So z. B. Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt B.I.1.2.4.c.; vgl. auch Hohenwarter/Plansky, Die Kapitalverkehrsfreiheit mit Drittstaaten im Lichte der Rechtssache Holböck, SWI 2007, 346 (354); kritisch Kofler, Kapitalverkehrsfreiheit, Kontrollbeteiligungen und Drittstaaten, taxlex 2008, 326, 327 Fn. 20. 270 EuGH v. 10.5.2007 – C-492/04 – Lasertec, EuGHE 2007, I-3775; v. 10.5.2007 – C-102/05 – A und B, EuGHE 2007, I-3871 und v. 6.11.2007 – C-415/06 – Stahlwerk Ergste Westig, IStR 2008, 107. 271 ABl. 1991 L 176, 1 S. 7 i. d. F. ABl. 2005 L 288, 51. 272 Siehe dazu auch Hohenwarter/Plansky, SWI 2007, 356. 273 EuGH v. 17.9.2009 – C-182/08 – Glaxo Wellcome, IStR 2009, 691, Rz. 36 ff. (insbesondere 49 ff.). 274 EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08 – Société de Gestion Industrielle (SGI), IStR 2010, 144, Rz. 37.

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schwenkt und hat einen Vorrang der Kapitalverkehrsfreiheit vor der Niederlassungsfreiheit angenommen.275 Insgesamt gesehen bietet die Rechtsprechung daher kein widerspruchsfreies Bild. Die Rechtsprechung des EuGH ergibt somit, wie gezeigt, erstens kein einheitliches Bild. Zweitens begründet der EuGH auch den von ihm – in seiner überwiegenden Rechtsprechung – postulierten Vorrang der Niederlassungsfreiheit vor der Kapitalverkehrsfreiheit nicht. Daher wurde in der Literatur gegen diese Annahme eines Vorranges auch Kritik vorgetragen. So wurde u. a. argumentiert, es sei problematisch, dass im Verhältnis zu Drittstaaten nur ein Minderheitsgesellschafter (also ein Gesellschafter ohne sicheren Einfluss) den Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit genieße, ein Mehrheitsgesellschafter (also ein Gesellschafter mit sicherem Einfluss) jedoch nicht.276 Ferner sei es paradox, dass der gemeinschaftsrechtliche Schutz indirekt proportional zur Größe des Investments wäre,277 oder dass Art. 64 Abs. 1 AEUV (ex Art. 57 Abs. 1 EG) bei der Annahme eines Vorranges kein Anwendungsbereich verbliebe.278 M. E. sind diese Argumente für sich betrachtet letztlich nicht überzeugend. Dennoch ist aber – entgegen der überwiegenden Rechtsprechung des EuGH – die folgende Lösung vorzuziehen: M. E. ist aus dogmatischer Sicht von einer parallelen Anwendbarkeit sowohl der Niederlas_____________ 275 EuGH v. 1.7.2010 – C-233/09 – Dijkman und Dijkman-Lavaleije, IStR 2010, 622, Rz. 33 bis 36. 276 Kritisch dazu Schönfeld, EuGH konkretisiert Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten: Mögliche Konsequenzen und offene Fragen aus steuerlicher Sicht. DB 2007, 80 (81 und 82). 277 So Kofler, taxlex 2008, 326, 328, der auch von einer „kontraintuitiven Konsequenz“ spricht. 278 Vgl. Haslehner, Die Kapitalverkehrsfreiheit gegenüber Drittstaaten am Beispiel ausländischer Dividendenerträge, taxlex 2007, 286 (289). Dagegen spricht nämlich, dass es durchaus Beteiligungen gibt, die zwar nicht unter die Niederlassungsfreiheit, aber unter den Begriff der „Direktinvestition“ und damit unter die Kapitalverkehrsfreiheit fallen; so auch Kofler, taxlex 2008, 328 und ferner Zorn, EG-Grundfreiheiten und dritte Länder, in Quantschnigg/Wiesner/Mayr (Hrsg.), Steuern im Gemeinschaftsrecht. Festschrift für Wolfgang Nolz (2007) 222. Letztlich verbleibt daher nur das Argument, dass die „Stillhalteklausel“ des Art. 64 Abs. 1 AEUV (ex Art. 57 Abs. 1 EG) aufgrund des Vorranges der Niederlassungsfreiheit in ihrem Anwendungsbereich möglicherweise „stark eingeschränkt“ würde (so z. B. Kofler, taxlex 2008, 328: ähnlich Schnitger, Die Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten – Vorabentscheidungsersuchen in den Rs. van Hilten, Fidium Finanz AG und Lasertec, IStR 2005, 493 (503), was für sich alleine aber als Argument m. E. auch nicht überzeugend ist.

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sungs- als auch der Kapitalverkehrsfreiheit auszugehen. Eine solche parallele Anwendbarkeit legen insbesondere die wechselseitigen Vorbehalte in Art. 49 Abs. 2 (ex Art. 43 Abs. 2) und Art. 65 Abs. 2 AEUV (ex Art. 58 Abs. 2 EG) nahe. Eine parallele Anwendung der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit kann daher mit dem Wortlaut des EU-Vertrages begründet werden. Aus den genannten Vorbehalten wird auch von weiten Teilen der Literatur abgeleitet, dass die beiden Grundfreiheiten in dem jeweils von ihnen erfassten Bereich zur Anwendung kommen, ohne durch die jeweils andere Grundfreiheit verdrängt zu werden.279 Schließlich geht auch der BFH von einer solchen parallelen Anwendbarkeit aus.280 Auch der EuGH geht – zumindest fallweise – von einer parallelen Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit aus, was beispielsweise die Rs. Idryma Typou281 bestätigt. Für die Ausgestaltung der grenzüberschreitenden Organschaft bedeutet dies folgendes: Sofern man der hier vertretenen Auffassung folgt, wonach die Niederlassungs- und die Kapitalverkehrsfreiheit parallel zur Anwendung kom_____________ 279 So z. B. Schön, Europäische Kapitalverkehrsfreiheit und nationales Steuerrecht, in Schön (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Brigitte Knobbe-Keuk (1997), 743 (749); Lang, Kapitalverkehrsfreiheit und Doppelbesteuerungsabkommen, in Lechner/Staringer/ Tumpel (Hrsg.), Kapitalverkehrsfreiheit und Steuerrecht (2000) 181 (188); Schneider in Mayer (Hrsg.), Kommentar zu EU- und EG-Vertrag, 7. Lieferung (2003), Art. 56 Rz. 23; Schön, Der Kapitalverkehr mit Drittstaaten und das internationale Steuerrecht, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer – Internationales Steuerrecht – Doppelbesteuerung. Festschrift für Franz Wassermeyer (2005), 489 (499 f.); Schnitger, IStR 2005, 503 (m. w. N. in Fn. 109); Randelzhofer/ Forsthoff in Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union (18. Ergänzungslieferung Mai 2001), Art. 43 Rz. 114; Ress/Ukrow in Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union (36. Ergänzungslieferung Juli 2008), Art. 56 Rz. 32; vgl. auch Hohenwarter, Vorlagebeschluss des VwGH zur Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten, SWI 2005, 225 (227, m. w. N. in Fn. 14), Kofler, Marks & Spencer: Bedingte Verpflichtung zur Hereinnahme von Verlusten ausländischer Tochtergesellschaften, ÖStZ 2006, 48 (55, m. w. N. in Fn. 75) und Hohenwarter/Plansky, SWI 2007, 349 (m. w. N. in Fn. 25); vgl. ferner die Nachweise bei Kofler, taxlex 2008, 327 Fn. 16. Für einen Vorrang der Kapitalverkehrsfreiheit hingegen beispielsweise Mössner/Kellersmann, Freiheit des Kapitalverkehrs in der EU und das deutsche Körperschaftsteueranrechnungsverfahren, DStZ 1999, 505 (508 f.). 280 BFH v. 9.8.2006 – I R 95/05, BStBl. II 2007, 279; v. 26.11.2008 – I R 7/08, FR 2009, 761. 281 EuGH v. 21.10.2010 – C-81/09 – Idryma Typou, AG 2011, 81.

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men, darf sich der Auslandsbezug von Organträger und Organgesellschaften – sofern deren grenzüberschreitende Tätigkeit überhaupt aufgrund der einfachgesetzlichen Rechtslage zulässig bzw. unionsrechtlich geboten ist (siehe dazu auch den folgenden Abschnitt C.III.) – nicht nur auf den Bereich der EU bzw. des EWR erstrecken, sondern es müssen aufgrund der Vorgaben der Kapitalverkehrsfreiheit auch in Drittstaaten ansässige Organträger bzw. allenfalls auch Organgesellschaften einbezogen werden. Dies ist für die deutsche Rechtslage bereits verwirklicht, da der Organträger auch in Drittstaaten ansässig sein darf282 (zur unionsrechtlichen Zulässigkeit des – infolge des doppelten Inlandsbezuges – eingeschränkt möglichen Auslandsbezuges von Organgesellschaften siehe den folgenden Abschnitt C.III.3.). Nach der für die österreichische Gruppenbesteuerung geltenden Rechtslage muss allerdings ein ausländischer Gruppenträger in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR ansässig sein (während ausländische Gruppenmitglieder auch in Drittstaaten ansässig sein dürfen; siehe sogleich unten).283 Das gleiche gilt für Organgesellschaften; diese müssen – insbesondere unter den Voraussetzungen, die der EuGH in der Rs. Marks & Spencer aufgestellt hat – auch dann in die (deutsche) Organschaft bzw. (österreichische) Unternehmensgruppe einbezogen werden können, wenn sie in Drittstaaten ansässig sind. Für die österreichische Rechtslage ist dies verwirklicht, da ausländische Gruppenmitglieder sowohl in Mitgliedstaaten der EU oder des EWR als auch in Drittstaaten ansässig sein dürfen.284 Bei der deutschen Organschaft wird jedoch zwischen EU/EWR-Mitgliedstaaten einerseits und Drittstaaten andererseits insoweit ein Unterschied gemacht, als – zumindest nach dem erwähnten BMF-Schreiben – vom doppelten Inlandsbezug bei Organgesellschaften nur dann abgesehen wird, wenn es sich um Organgesellschaften handelt, die in EU- oder EWR-Staaten gegründet wurden.285 Folgt man hingegen der – überwiegenden und auch in Beschlussform gefassten – Rechtsprechung des EuGH und geht somit von einem Vor_____________ 282 Vgl. oben Abschnitt C.I.2.a. betreffend die Ausführungen zum österreichischen Gruppenträger. 283 Vgl. dazu z. B. Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG § 9 Rz. 19 und nochmals Abschnitt C.I.2.a. 284 Siehe Abschnitt C.I.2.b. 285 Nach dem BMF-Schreiben vom 28.3.2011, GZ IV C 2 – S 2770/09/10001, DOK 2011/0250044, BStBl. I 2011, 300 soll entgegen dem Gesetzeswortlaut bei Organgesellschaften ein inländischer Ort der Geschäftsleitung ausreichend sein; siehe dazu Abschnitt A und insbesondere Abschnitt C.I.1.c.

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rang der Niederlassungs- vor der Kapitalverkehrsfreiheit aus, wäre es de lege ferenda möglich, eine grenzüberschreitende Organschaft sowohl auf Ebene des Organträgers als auch der Organgesellschaften auf die Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR zu beschränken (bei der österreichischen Gruppenbesteuerung könnte in diesem Fall die Einbeziehung ausländischer Gruppenmitglieder, die de lege lata auch Gesellschaften in Drittstaaten umfasst, de lege ferenda auf in EU- oder EWRMitgliedstaaten ansässige Tochtergesellschaften beschränkt werden). 2. Die Rechtsprechung der Finanzgerichte und des BFH Zur Frage der grenzüberschreitenden Organschaft sind in jüngster Zeit zwei Urteile von Finanzgerichten und – infolge einer Revision – eine Entscheidung des BFH ergangen, die in der Folge besprochen werden sollen: Zunächst hatte das Niedersächsische Finanzgericht im Urteil vom 11.2.2010, 6 K 406/08286 über die Zulässigkeit „ausländischer“ Tochtergesellschaften als Organgesellschaften und damit über das Erfordernis des doppelten Inlandsbezuges (Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland) nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG zu entscheiden (so genannter „AWD-Fall“).287 Im Streitfall ging es um eine geschäftsleitende Holding, die unter anderem zwei Tochtergesellschaften mit Geschäftsleitung und Sitz in Italien hatte. Diese Tochtergesellschaften wurden im Jahr 2002 gegründet; ihr Betrieb wurde im Jahr 2006 eingestellt. Die Holding beantragte, die in der Veranlagung 2002 bis 2005 erzielten Verluste (die nach deutschem Steuerrecht umgerechnet wurden) von der Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage abzuziehen. Einen Gewinnabführungsvertrag hatte die Holding mit den beiden italienischen Tochtergesellschaften allerdings nicht abgeschlossen, da dies – nach Angaben der Klägerin – nach italienischem Gesellschaftsrecht nicht möglich gewesen sei. Im Ergebnis ging das Niedersächsische FG davon aus, dass die Grundsätze des Urteils in der Rs. Marks & Spencer288 auf die deutsche Organschaft übertragbar sind. Das FG musste diese Frage jedoch nicht ab_____________ 286 IStR 2010, 260 (mit Anmerkung Kippenberg). 287 Dazu z. B. Homburg, AWD – ein deutscher Anwendungsfall für Marks & Spencer, IStR 2009, 350. 288 EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03 – Marks & Spencer, IStR 2006, 19 (mit Anmerkung Englisch).

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schließend beantworten; es wies die Klage im Ergebnis deswegen ab, da – selbst bei einer geltungserhaltenden Reduktion der §§ 14 ff. KStG (siehe dazu sogleich unten) – eine rechtsverbindliche Verpflichtung zur Übernahme der Verluste der italienischen Tochtergesellschaften notwendig gewesen wäre. Eine solche Verlustübernahmeverpflichtung lag jedoch im konkreten Fall nicht vor. Das Niedersächsische FG räumte eingangs zwar ein, dass die deutsche Organschaft – im Gegensatz zum britischen Gruppenbesteuerungssystem („group relief“) – einen Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG voraussetzt.289 Es kommt daher, anders als dies in dem der Rs. Marks & Spencer zu Grunde liegende Sachverhalt der Fall war, nicht zu einer isolierten Verlustverrechnung für rein steuerliche Zwecke. Dennoch erachtete das FG aber die Grundsätze der Rs. Marks & Spencer auf die deutsche Organschaft für anwendbar. Entscheidend war dabei für das FG offenbar der Umstand, dass die deutsche Organschaft ebenso wie das britische Gruppenbesteuerungssystem zu einem Liquiditätsvorteil führt. Daher liege eine „Steuervergünstigung“ vor, deren Beschränkung die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit berührt. Aufgrund der nach Ansicht des Niedersächsischen FG drohenden Verletzung der Grundfreiheiten des AEUV nahm das Finanzgericht daher eine geltungserhaltende Reduktion vor:290 Dabei blendete das Finanzgericht erstens die Tatbestandsmerkmale des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG aus. Organgesellschaften müssen demnach nicht Sitz und Geschäftsleitung im Inland haben; es ist demnach für die Qualifikation als Organgesellschaft ausreichend, wenn sich „Sitz und Geschäftsleitung in einem anderen EU-Staat“ befinden. Zweitens schränkte das Finanzgericht das Erfordernis des Gewinnabführungsvertrages gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG ein. Das Finanzgericht ging dabei von der Überlegung aus, dass ein Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG aus gesellschaftsrechtlichen Gründen in aller Regel nicht über die Grenze abgeschlossen werden kann, da die meisten anderen EUStaaten ein solches Rechtsinstitut nicht kennen.291 Damit würde aber _____________ 289 Rz. 37 ff. 290 Rz. 44 ff. – Vgl. dazu auch Witt, Reform der Konzernbesteuerung, FR 2009, 1045 (1048). 291 Im Urteil werden – unter Berufung auf Scheunemann, Konzernbesteuerung 121 ff. und Witt, Reform der Konzernbesteuerung, FR 2009, 1045 (1048) – als Ausnahmen die Rechtsordnungen Österreichs, Sloweniens und Portugals genannt, die einen Ergebnisabführungsvertrag kennen (vgl. Rz. 48).

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das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages selbst zu einer nach den Grundfreiheiten des AEUV verbotenen Diskriminierung grenzüberschreitender Sachverhalte führen. Deswegen hielt das Niedersächsische FG einen Gewinnabführungsvertrag für entbehrlich. Es hält aber zumindest eine Verlustübernahmeverpflichtung weiterhin für erforderlich. Dabei ging das FG davon aus, dass eine Verlustübernahmeverpflichtung mit einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft aus gesellschaftsrechtlicher Sicht rechtswirksam abgeschlossen werden kann. Somit ist das Tatbestandsmerkmal des Gewinnabführungsvertrages – infolge einer geltungserhaltenden Reduktion – auf eine Verlustübernahmeverpflichtung zu reduzieren. Von diesem Tatbestandsmerkmal wollte das Finanzgericht offenbar deswegen nicht abgehen, da die rechtliche Verpflichtung zur Verlustübernahme nach seiner Ansicht eine „unerlässliche Voraussetzung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft“ sei.292 Dazu ist abschließend noch zu bemerken, dass aus dem Urteil noch – infolge der Literaturzitate – ableitbar ist, dass das Finanzgericht eine rein tatsächliche Durchführung eines zivilrechtlich unwirksamen Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrages für nicht ausreichend hält.293 Das Vorliegen einer Verlustübernahmeverpflichtung war für das Niedersächsische FG auch deswegen entscheidend, da nur in diesem Falle eine Vergleichbarkeit von in- und ausländischen Tochtergesellschaften gegeben sei. Das vom FG gebildete Vergleichspaar ist also eine in- und ausländische Tochtergesellschaft294 (eine andere Vergleichspaarbildung hatte demgegenüber noch das Finanzamt vorgenommen, das eine in_____________ 292 Rz. 57. 293 Das Finanzgericht zitiert dabei insbesondere Kleinert/Nagler/Rehm, DB 2005, 1871; Nagler/Kleinert, Das EuGH-Verfahren Marks & Spencer – Konsequenzen des Schlussantrags des Generalanwalts, DB 2005, 855 (856); und Hey, Die EuGHEntscheidung in der Rechtssache Marks & Spencer und die Zukunft der deutschen Organschaft. Haben die Mitgliedstaaten den EuGH domestiziert? GmbHR 2006, 113 (118 f.), die den Abschluss eines zivilrechtlich unwirksamen Ergebnisabführungsvertrages über die Grenze und dessen tatsächliche Durchführung fordern (vgl. Rz. 58); i. d. S. auch Sedemund/Sterner, Welche Folgen hat das Urteil „Marks & Spencer“ für das deutsche internationale Steuerrecht? DStZ 2006, 29 (34), die eine „faktische Organschaft“ dann für ausreichend halten, wenn Verluste „tatsächlich fortlaufend von den Gesellschaftern übernommen werden“. Kritisch zur Möglichkeit der tatsächlichen Durchführung des Ergebnisabführungsvertrages über die Grenze jedoch beispielsweise Altrichter-Herzberg/Nuernberger, GmbHR 2006, 467. 294 Rz. 53 und Rz. 58.

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ländische Muttergesellschaft mit einer verlusterzielenden ausländischen Tochtergesellschaft [also wie im Streitfall] einer inländischen Muttergesellschaft mit inländischer Tochtergesellschaft [Organgesellschaft] gegenüberstellte, wobei die Organgesellschaft Verluste aus einer Betriebsstätte im Ausland erzielte295). Da es an dem Erfordernis einer Verlustübernahmeverpflichtung aber im konkreten Fall fehlte, hatte das FG die Klage abgewiesen. Auf die Frage, ob die vorliegenden Verluste bereits in den Streitjahren berücksichtigt werden müssen oder erst bei Vorliegen der „Finalität“ i. S. d. Rs. Marks & Spencer, musste das Niedersächsische FG daher nicht ausdrücklich eingehen.296 Mit Beschluss vom 9.11.2010, I R 16/10297 hat der Bundesfinanzhof über die Revision gegen dieses Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts entschieden. Der BFH hat dabei insbesondere auf das Urteil vom 9.6.2010, I R 107/09298 verwiesen,299 in dem er – bei Betriebsstättenverlusten – als Folge der Rs. Marks & Spencer eine Berücksichtigung der im Quellenstaat entstandenen Verluste durch den Ansässigkeitsstaat in jenem Jahr als geboten erachtete, in dem diese Verluste aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden konnten (z. B. bei Umwandlung der Auslandsbetriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft, bei entgeltlicher oder unentgeltlicher Übertragung oder bei ihrer „endgültigen“ Aufgabe) und damit „final“ geworden waren.300 Im Ergebnis konzentrierte sich der BFH auf die Frage, ob bereits in den _____________ 295 296 297 298

Rz. 19. Rz. 72. IStR 2011, 110 (mit Anmerkung Homburg). IStR 2010, 663 (mit Anmerkung Benecke/Staats) = FR 2010, 896 (mit Anmerkung Buciek) = SteuK 2010, 394 (mit Anmerkung von Brocke). 299 Siehe auch BFH v. 9.6.2010 – I R 100/09, IStR 2010, 670 (mit Anmerkung Mitschke) = GmbHR 2010, 1001 (mit Anmerkung Rehm/Nagler) = SteuK 2010, 395 (mit Anmerkung Schütz); siehe z. B. auch Lenz/Ribbrock, Die Berücksichtigung EU-ausländischer Betriebstättenverluste beim deutschen Stammhaus, DB 2010, 1963; Pohl, Berücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste, IWB 17/2010, 626; Panzer/Gebert, Ausnahmsweiser Abzug tatsächlicher finaler Verluste einer EU-Tochtergesellschaft bei der inländischen Muttergesellschaft? – Eine Betrachtung vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidungen des BFH, IStR 2010, 781. 300 Vgl. zur Frage der Berücksichtigung im „Finalitätsjahr“ insbesondere Gosch, Nur ausnahmsweiser (?) Abzug tatsächlich „finaler“ ausländischer Betriebsstättenverluste bei der Ermittlung des Gewinns ebenso wie des Gewerbeertrags im „Finalitätsjahr“? BFH-PR 2008, 405 (406 f.).

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Streitjahren „finale“ Verluste i. S. d. Rs. Marks & Spencer vorliegen. Dies verneinte der BFH, da die Verluste frühestens nach Beendigung der Geschäftstätigkeit bzw. gegebenenfalls nach einer Liquidation „final“ werden, was für die Streitjahre nicht zutraf.301 Die wesentlichen unionsrechtlichen Fragen, nämlich inwieweit aufgrund der in der Rs. Marks & Spencer aufgestellten Grundsätze eine Erweiterung der Organschaft auf „ausländische“ Organgesellschaften (d. h. mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland) geboten und ob zusätzlich eine Verlustübernahmeverpflichtung erforderlich ist, ließ der BFH offen. Einen ähnlichen Sachverhalt wie das Niedersächsische Finanzgericht hatte das Finanzgericht Rheinland-Pfalz im Urteil vom 17.3.2010, 1 K 2406/07302 zu entscheiden: In diesem Fall war eine in Deutschland ansässige Muttergesellschaft zu 100 % an einer dänischen Tochtergesellschaft beteiligt. Die Beteiligung bestand seit dem 30.11.1987; die Geschäftstätigkeit der dänischen Tochtergesellschaft wurde per Ende 2004 beendet, und die Gesellschaft wurde aufgelöst. Die Muttergesellschaft beantragte den Abzug der Verluste der dänischen Tochtergesellschaft aus den Geschäftsjahren 2002 bis 2005. Ein Gewinnabführungsvertrag zwischen der deutschen Muttergesellschaft und der dänischen Tochtergesellschaft lag auch in diesem Fall nicht vor. Im Gegensatz zum Niedersächsischen Finanzgericht, das die Rs. Marks & Spencer auf die deutsche Organschaft im Grundsatz nach für übertragbar hielt und daher tendenziell eine Verletzung der Grundfreiheiten bejahte, verneinte das Finanzgericht Rheinland-Pfalz demgegenüber zumindest der Tendenz nach eine Verletzung der Grundfreiheiten. Das FG Rheinland-Pfalz stützte sich dabei – neben der Rs. Lidl Belgium303 – insbesondere auf die Rs. Oy AA304 und X-Holding.305 Im Rahmen der Prüfung, ob eine Verletzung der Grundfreiheiten des AEUV vorliegt, verneinte das FG Rheinland-Pfalz bereits auf der ersten Stufe das Vorliegen einer Diskriminierung: Im konkreten Fall sei als Vergleichspaar eine inländische Muttergesellschaft mit inländischer _____________ 301 Rz. 10 des Urteils. 302 EFG 2010, 1632. 303 EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06 – Lidl Belgium, EuGHE 2008, I-3601 (vgl. Rz. 57 f. des Urteils des FG). 304 EuGH v. 18.7.2007 – C-231/05 – Oy AA, EuGHE 2007, I-3871 (vgl. Rz. 52 ff. des Urteils des FG). 305 EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08 – X-Holding, IStR 2010, 213 (mit Anmerkung Englisch); vgl. Rz. 55 ff. des Urteils des FG.

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Tochtergesellschaft ohne Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages einer inländischen Muttergesellschaft mit ausländischer Tochtergesellschaft gegenüberzustellen, die ebenfalls keinen Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen haben. Damit liege keine Ungleichbehandlung, sondern eine Gleichbehandlung vor.306 Auf Ebene der Rechtfertigungsprüfung ging das Finanzgericht – gestützt auf die Rs. X-Holding – davon aus, dass die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten als einziger Rechtfertigungsgrund ausreichend ist. Nach dem – mit diesem Rechtsfertigungsgrund verbundenen – Symmetrieprinzip ist sowohl in Bezug auf Gewinne als auch auf Verluste nur das Steuerrecht eines Mitgliedstaates anzuwenden. Das FG Rheinland-Pfalz stützte sich dabei ausdrücklich auf die Rechtssache X-Holding.307 Im Ergebnis tendiert das FG Rheinland-Pfalz daher zu einer Verneinung der Verletzung der Grundfreiheiten des EU-Vertrages. Für den Fall, dass entgegen den bisherigen Ausführungen des Finanzgerichts ein Rechtfertigungsgrund jedoch nicht zum Tragen kommen sollte, führte das Finanzgericht noch eine abschließende Argumentation an:308 In gleicher Weise wie das Niedersächsische Finanzgericht anerkannte das Finanzgericht Rheinland-Pfalz eine geltungserhaltende Reduktion der Vorschriften der §§ 14 ff. KStG. Dabei hielt das FG Rheinland-Pfalz die Tatbestandsmerkmale des inländischen Sitzes und Ortes der Geschäftsleitung der Organgesellschaft (doppelter Inlandsbezug) in gleicher Weise wie das Niedersächsische FG (auf dessen Urteil es auch verweist) für entbehrlich;309 das Merkmal einer Verlustübernahme hielt es jedoch – ebenso wie das Niedersächsische FG, auf dessen Urteil das FG Rheinland-Pfalz auch in diesem Punkt verweist – für erforderlich.310 Wenn man nämlich auf dieses Erfordernis ebenfalls verzichtete, würden damit letztlich alle Voraussetzungen, die das Wesen einer Organschaft ausmachen, „auf Null reduziert“ werden. Dies würde im Ergebnis die Abschaffung der deutschen körperschaftsteuerlichen Organschaft bedeu_____________ 306 Rz. 64 ff. – An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass das Niedersächsische FG eine Vergleichspaarbildung erst am Ende des Urteils vorgenommen hat, indem es darauf hinwies, dass nur bei Bestehen einer Verlustübernahmeverpflichtung eine ausländische Tochtergesellschaft in der gleichen Situation sei wie eine (inländische) Organgesellschaft (Rz. 53 und Rz. 58). 307 Rz. 70 ff. 308 Rz. 76 ff. 309 Rz. 78. 310 Rz. 79 ff.

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ten.311 Da ein solcher Gewinnabführungsvertrag im konkreten Fall nicht vorlag, wies das Finanzgericht Rheinland-Pfalz die Klage – ebenso wie das Niedersächsische Finanzgericht – ab. Abschließend ging das Finanzgericht Rheinland-Pfalz auf die Frage ein, ob – falls die Grundsätze der Rechtssache Marks & Spencer auf den vorliegenden Fall übertragbar wären – tatsächlich schon „definitive“ (= „finale“) Verluste vorliegen. Das Finanzgericht kam dabei – unter Vorwegnahme der erwähnten BFH-Entscheidungen zu Betriebsstättenverlusten312 – zu dem Schluss, dass „definitive“ Verluste nicht bereits im Jahr der Verlustentstehung, sondern erst im Jahr der „Finalität“ zu berücksichtigen sind.313 Die zum Aktenzeichen I R 34/10 anhängig Revision an den BFH gegen dieses Urteil des FG Rheinland-Pfalz wurde mittlerweile zurückgenommen.

III. Fazit: Der erforderliche Auslandsbezug und der daraus resultierende Reformbedarf der derzeitigen gesetzlichen Regelungen In diesem Abschnitt soll erörtert werden, inwieweit die derzeitige gesetzliche Regelung der Organschaft aus unionsrechtlicher Hinsicht – insbesondere als Folge der im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Rechtsprechung der Finanzgerichte und des BFH, die „ausländische“ Organgesellschaften betrifft314 – einen hinreichenden Auslandsbezug aufweist. Dabei ist – sofern man der überwiegenden Rechtsprechung des EuGH folgt – davon auszugehen, dass der Auslandsbezug aufgrund der Vorgaben der Grundfreiheiten des AEUV nur gegenüber Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR hergestellt werden muss (folgt man hingegen der hier vertretenen Auffassung, müssen auch Organträger bzw. Organgesellschaften mit einem Bezug zu Drittstaaten einbezogen werden).315 _____________ 311 Rz. 86. 312 Das FG verweist in Rz. 94 auf das Urteil des FG Düsseldorf vom 8.9.2009, 6 K 308/04 K, EFG 2010, 389 (Vorentscheidung zu BFH v. 9.6.2010 – I R 100/09) und das – allerdings gegenteilige – Urteil des FG Hamburg v. 18.11.2009 – 6 K 147/08, EFG 2010, 265 (Vorentscheidung zu BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09). 313 Rz. 93 ff. 314 Siehe Abschnitt C.II.2. 315 Siehe zum Ganzen Abschnitt C.II.1.

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1. Auslandsbezug des Organträgers Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG muss der Organträger den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben. M. E. ist dieser inländische Anknüpfungspunkt aus der Sicht der Grundfreiheiten des AEUV unbedenklich, da er dem – vom EuGH anerkannten – Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten Rechnung trägt. Aufgrund dieses Anknüpfungspunktes wird nämlich i. S. d. Art. 4 Abs. 3 OECD-MA die Steuerpflicht der von den Organgesellschaften dem Organträger zugerechneten Ergebnisse sichergestellt (Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts).316 In der Literatur wurden allerdings unionsrechtliche Bedenken dahingehend geäußert, dass der Sitz im Inland – und zwar i. V. m. einer im Handelsregister eingetragenen Zweigniederlassung – für den Organträger nach der einfachgesetzlichen Rechtslage nicht ausreichen würde.317 Damit ist das Problem der Einordnung von doppelt ansässigen Organträgern unter die Bestimmungen entweder des § 14 oder des § 18 KStG angesprochen.318 Folgt man der – m. E. zu Recht – im Schrifttum vertretenen Auffassung, wonach doppelt ansässige Organträger (mit Sitz im Inland, aber mit ausländischem Ort der Geschäftsleitung) bei Vorliegen einer inländischen Zweigniederlassung unter § 18 KStG fallen,319 so ist auch der Sitz im Inland ausreichend, vorausgesetzt, dass daneben auch eine inländische, im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung unterhalten wird. Somit ergeben sich m. E. auch keine unionsrechtlichen Probleme. Die Anknüpfung des Gesetzgebers an den Unterhalt einer inländischen Zweigniederlassung ist m. E. wiederum aufgrund des Rechtfertigungsgrundes der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigt, da die Zweigniederlas-

_____________ 316 So z. B. auch Pache/Englert, „Das Spiel ist aus!“ – Kein positives Signal des EuGH für ein binnenmarktorientiertes Konzernbesteuerungsrecht, IStR 2007, 844 (847); vgl. auch Dörr, Abschaffung oder Erweiterung der Organschaft?! Zu den möglichen Konsequenzen der Rechtssache „Marks & Spencer plc“, IStR 2004, 265 (268); Kußmaul/Niehren, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Lichte der jüngeren EuGH-Rechtsprechung, IStR 2008, 81 (86). Vgl. zum Ganzen Abschnitt C.I.1.a. 317 I. d. S. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 18 Rz. 8 sowie § 14 Rz. 27; Meilicke, DB 2002, 911; Herzig/Wagner, Zukunft der Organschaft im EG-Binnenmarkt, DB 2005, 1 (6). 318 Siehe dazu Abschnitt C.I.1.a. 319 Siehe dazu nochmals Abschnitt C.I.1.a.

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sung die Steuerpflicht des Organträgers sicherstellt und damit der Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts dient.320 Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass hinsichtlich des Organträgers m. E. kein Handlungsbedarf für den Gesetzgeber besteht. 2. Vereinbarkeit des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG mit den Grundfreiheiten des AEUV Auf die unionsrechtlichen Probleme des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG soll hier nur in aller Kürze eingegangen werden. Im Schrifttum wurde diese Bestimmung – sofern man sie nur auf doppelt ansässige Organträger für anwendbar hält321 – u. a. deswegen für unionsrechtlich bedenklich gehalten, da sie auf rein inländische Organträger (die nicht nur den Ort der Geschäftsleitung, sondern auch den Sitz im Inland haben) nicht anwendbar sei.322 Da nach der hier vertretenen Auffassung die Anwendung dieser Bestimmung jedoch nicht ausschließlich auf rein doppelt ansässige Organträger beschränkt ist,323 stellen sich diese unionsrechtlichen Bedenken m. E. ohnehin nicht.324 Bedenken gegen die Bestimmung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG, die sich wegen einer allfälligen Verletzung der Grundfreiheiten des AEUV stellen könnten, werden m. E. letztlich insbesondere dadurch vermieden, dass man diese Bestimmung – und die aus ihr resultierende Einschränkung – nur auf _____________ 320 Ähnlich auch Kaufer, Grenzüberschreitende Organschaft 69 ff. und Klarmann, Organschaft 55 f.; vgl. dazu auch Wernsmann/Nippert, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Konzern, FR 2006, 153 (161); vgl. zu diesem Zweck der Zweigniederlassung bereits Abschnitt C.I.1.a. Gegen das Erfordernis der Zweigniederlassung aus unionsrechtlicher Sicht jedoch beispielsweise Kleinert/Nagler/Rehm, DB 2005, 1872; Herzig, Die Zukunft der Gruppenbesteuerung, StuW 2010, 214 (225); und offenbar Karthaus, Gruppenbesteuerung 80 ff. sowie Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 82. 321 Siehe dazu Abschnitt C.I.1.b. 322 Z. B. Scheunemann, Konzernbesteuerung 215; Hey, BB 2002, 916; vgl. auch Meilicke, DB 2002, 916; Herzig/Wagner, DB 2005, 7 und Thömmes, Vereinbarkeit der Organschaftsregelungen mit dem EG-Recht, in Herzig (Hrsg.), Organschaft (2003) 525 (539 ff.); die genannten Beiträge betreffen allerdings jeweils die Rechtslage vor der Rs. Marks & Spencer. Vgl. schließlich auch Lüdicke in Herzig (Hrsg.), Organschaft 458 f. und Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 260. 323 Vgl. nochmals Abschnitt C.I.1.b. 324 So i. E. z. B. auch Klarmann, Organschaft 125.

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Verluste aus ausländischen Quellen, nicht aber aus inländischen Quellen anwendet.325 3. Auslandsbezug der Organgesellschaft(en) Die im vorangegangenen Abschnitt dargestellte Rechtsprechung der Finanzgerichte und des EuGH, die „ausländische“ Organgesellschaften betrifft,326 überzeugt m. E. zumindest durch die angestellte Vergleichsprüfung (Bildung eines Vergleichspaares) und durch die Wahl des Rechtfertigungsgrundes. Als Vergleichspaar verwenden die beiden Finanzgerichte Niedersachsen und Rheinland-Pfalz327 übereinstimmend eine inländische Tochtergesellschaft (als Organgesellschaft) und eine ausländische Tochtergesellschaft. Das vom Finanzamt (im Verfahren vor dem Niedersächsischen FG) gebildete Vergleichspaar (verlusterzielende ausländische Tochtergesellschaft mit einer inländischer Tochtergesellschaft [Organgesellschaft] mit Betriebsstättenverlusten aus dem Ausland328) überzeugt hingegen nicht: Denn erstens spiegelt dieses Vergleichspaar nicht die Situation im vorliegenden Fall wider,329 und zweitens läuft dieses Vergleichspaar auf einen unzulässigen Vergleich einer Tochtergesellschaft mit einer Betriebsstätte hinaus (siehe sogleich). Das Vergleichspaar Tochtergesellschaft einerseits und Betriebsstätte andererseits wurde hingegen von den Finanzgerichten offenbar nicht in Betracht gezogen. Im Schrifttum wird allerdings die Auffassung vertreten, dass aus dem Beschluss des BFH vom 9.11.2010, I R 16/10 (betreffend das Urteil des Niedersächsischen FG) und dem darin vorgenommen Verweis auf BFH 9.6.2010, 1 R 107/09 als Vergleichspaar ein deutsches Stammhaus mit ausländischer Betriebsstätte und eine deutsche Muttergesellschaft mit ausländischer Tochtergesellschaft zu ent_____________ 325 Vgl. auch Karthaus, Gruppenbesteuerung 83 ff. sowie in diesem Zusammenhang nochmals Brink in Lüdicke/Kempf/Brink (Hrsg.), Verluste 152 f.; zu dieser Überlegung siehe im Übrigen bereits Abschnitt C.I.1.b. IE auch Kaufer, Grenzüberschreitende Organschaft 149 f., die dies mit dem Ziel der Verhinderung einer doppelten Verlustnutzung rechtfertigt. 326 Abschnitt C.II.2. 327 Siehe zur Darstellung dieser Urteile ausführlich Abschnitt C.II.2. 328 Siehe nochmals Abschnitt C.II.2. 329 I. d. S. Rublack, Abzug grenzüberschreitender Konzernverluste nur mit Gewinnabführungsvertrag? FR 2010, 791 (793).

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nehmen sei.330 M. E. kann ein solches Vergleichspaar dem erwähnten Beschluss des BFH jedoch nicht entnommen werden. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, ist die Bildung des Vergleichspaares ausländische Tochtergesellschaft versus ausländische Betriebsstätte aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des EuGH jedenfalls abzulehnen. Dies zeigt insbesondere die Rs. X-Holding.331 Bei dem von den beiden Finanzgerichten gewählten Vergleichspaar332 einer inländischen Tochtergesellschaft (als Organgesellschaft) und einer ausländischen Tochtergesellschaft ist allerdings strittig, inwieweit die Einbeziehung einer Verlustübernahmeverpflichtung in diesen Vergleich gerechtfertigt ist. Beide Finanzgerichte hatten ja, wie erwähnt, eine Vergleichbarkeit der inländischen Organgesellschaft (die einen Gewinnbzw. Ergebnisabführungsvertrag mit dem Organträger abgeschlossen hatte) nur für den Fall bejaht, dass die ausländische Tochtergesellschaft eine Verlustübernahmeverpflichtung (mit dem inländischen Organträger) eingegangen war. Im Schrifttum wurde nun kritisiert, dass die Verlustübernahmeverpflichtung in den Vergleich einbezogen (und damit die Vergleichbarkeit verneint) worden war.333 Die Kritik geht insbe_____________ 330 So Schulz-Trieglaff, Der BFH und finale Verluste bei ausländischen Tochtergesellschaften: das falsche Vergleichspaar, IStR 2011, 244 (247 f.). 331 EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08 – X-Holding, Rz. 35 ff., DStR 2010, 427 (auf Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung). – Zur Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Punkt vgl. z. B. Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt B.I.2.2.1. 332 Siehe nochmals Abschnitt C.II.2. 333 I. d. S. beispielsweise Homburg, Die unheimliche Nummer Sechs – Eine Entscheidung zum Ausgleich grenzüberschreitender Konzernverluste, IStR 2010, 246 (248 ff.); von Brocke, Abzug definitiver Verluste ausländischer Tochtergesellschaften im Rahmen der körperschaftsteuerlichen Organschaft? Zwei FG-Entscheidungen zur Anwendung der Grundsätze des EuGH in der Rs. Marks & Spencer, DStR 2010, 964 (966 f.); Graw, Abzug finaler Verluste ausländischer Tochtergesellschaften bei der inländischen Muttergesellschaft, DB 2010, 2469 (2471 f.); Rublack, FR 2010, 791 ff.; Homburg, IStR 2011, 111; Schulz-Trieglaff, IStR 2011, 246; vgl. – zur Situation vor den beiden Entscheidungen der FG – z. B. auch Grotherr, Der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags als (un-)verzichtbares Tatbestandsmerkmal der körperschaftsteuerlichen Organschaft, FR 1995, 1 (11 f.); Herzig/Wagner, DB 2005, 5 f.; Balmes/Brück/Ribbrock, Der EuGH-Fall Marks & Spencer: Rückschlüsse für die deutsche Organschaftsbesteuerung, BB 2005, 966 (969); Sedemund/Sterner, DStZ 2006, 33 f.; Hey, GmbHR 2006, 118; AltrichterHerzberg/Nuernberger, GmbHR 2006, 466; Scheunemann, Praktische Anforderungen einer grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung im Konzern in Inbound- und Outboundfällen nach der Entscheidung Marks & Spencer, IStR 2006, 145 (147); Pache/Englert, IStR 2007, 848 f.; Kaufer, Grenzüberschreitende Organ-

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sondere dahin, dass die Verlustübernahmeverpflichtung – ebenso wie der Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag – selbst wiederum eine (verdeckte) Diskriminierung darstelle334 bzw. dass die Durchführung einer geltungserhaltenden Reduktion – auf deren Grundlage die Finanzgerichte die Notwendigkeit einer Verlustübernahmeverpflichtung ableiteten – methodisch zweifelhaft sei.335 M. E. liegt im Erfordernis einer Verlustübernahmeverpflichtung selbst noch keine Diskriminierung (insoweit ist das Vergleichspaar m. E. daher zutreffend gewählt);336 es kann allerdings in Frage gestellt werden, ob die durchgeführte geltungserhaltende Reduktion methodisch einwandfrei ist.337 Das Hauptproblem liegt m. E. freilich darin, ob man überhaupt – de lege ferenda – am Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag und in weiterer Folge am Erfordernis einer Verlustübernahmeverpflichtung bei ausländischen Organgesellschaften festhalten sollte.338 _____________

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schaft 128; Karthaus, Gruppenbesteuerung 77 ff. und ferner Mayr, Moderne Gruppenbesteuerung für Deutschland? – zehn Vorschläge aus den Praxiserfahrungen Österreichs, IStR 2010, 633 (634). A. A. aber beispielsweise Thiel, Der fortschreitende Einfluss des EuGH auf die Ertragsbesteuerung der Unternehmen – Aktuelle Urteile und anhängige Verfahren, DB 2004, 2603 (2605); Witt, FR 2009, 1048; Mitschke, Keine grenzüberschreitende Organschaft zum europarechtlichen „Nulltarif“! DStR 2010, 1368 (1370 ff.); Mitschke, Ergebnisabführungsvertrag „über die Grenze“ und Abzug finaler Verluste ausländischer Tochtergesellschaften – Zugleich eine Erwiderung auf die Anmerkung von Homburg zu BFH-Urteil v. 9.11.2010 – I R 16/10 (IStR 2011, 111), IStR 2011, 185 (185 ff.); vgl. auch Wernsmann/Nippert, FR 2006, 161 und Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 15c. I. d. S. beispielsweise Homburg, IStR 2010, 248; von Brocke, DStR 2010, 966; Graw, DB 2010, 2471; vgl. aus der Literatur vor den Entscheidungen der beiden FG z. B. auch Balmes/Brück/Ribbrock, BB 2005, 969; Herzig/Wagner, EuGHUrteil „Marks & Spencer“ – Begrenzter Zwang zur Öffnung nationaler Gruppenbesteuerungssysteme für grenzüberschreitende Sachverhalte, DStR 2006, 1 (9); Sedemund/Sterner, DStZ 2006, 34; Hey, GmbHR 2006, 118; Altrichter-Herzberg/ Nuernberger, GmbHR 2006, 466; Scheunemann, IStR 2006, 147; Karthaus, Gruppenbesteuerung 79 f. So z. B. Homburg, IStR 2010, 249 ff. So z. B. auch Mitschke, DStR 2010, 1370; Mitschke, IStR 2011, 186; vgl. i. E. auch Thiel, DB 2004, 2605; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 15c; eine Verlustübernahmeverpflichtung halten auch Wernsmann/Nippert, FR 2006, 161 für „unabdingbar“. I. d. S. beispielsweise Homburg, IStR 2010, 249 ff. und insbesondere Hey, Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im nationalen Steuerrecht, StuW 2010, 301 (312 ff., insbesondere 314). Siehe dazu noch Abschnitt D.

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Sofern man davon ausgeht, dass zwischen inländischen Organgesellschaften und ausländischen Tochtergesellschaften bei jeweils einem inländischen Organträger eine Ungleichbehandlung besteht (wobei das Erfordernis der Verlustübernahmeverpflichtung der ausländischen Tochtergesellschaft in weiterer Folge dahingestellt bleiben soll), stellt sich noch die Frage, ob es einen oder mehrere Rechtfertigungsgründe für eine solche Ungleichbehandlung gibt. Wie aus der Rs. X-Holding abzuleiten ist, genügt bereits ein einziger Rechtfertigungsgrund, und zwar die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten.339 Dass dieser einzige Rechtfertigungsgrund ausreicht, bringt z. B. auch das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in der erwähnten Entscheidung zum Ausdruck.340 Zieht man den Rechtfertigungsgrund der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten heran, ist es m. E. nun ausreichend, jene Tochtergesellschaften einzubeziehen, die einen entsprechenden Inlandsbezug haben und infolgedessen im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sind. M. E. ist es daher ausreichend, wenn eine Organgesellschaft den Ort der Geschäftsleitung im Inland hat. Ein inländischer Sitz würde demgegenüber m. E. jedoch nicht genügen.341 Denn nur durch die Anknüpfung an den Ort der Geschäftsleitung kann vor dem Hintergrund des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA (bzw. vor dem Hintergrund der – dieser Bestimmung nachgebildeten – deutschen DBA) sichergestellt werden, dass das selbständig ermittelte und damit jedenfalls – vor Zurechnung an den Organträger – auf abkommensrechtlicher Ebene zu berücksichtigende Ergebnis der Organgesellschaft auch bei diesem im Inland der Besteuerung unterliegt.342 Diesem Gedanken trägt offenbar auch das bereits erwähnte BMF-Schreiben Rechnung, das – infolge des eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens – bei in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat gegründeten (Organ)Gesellschaften entgegen dem Gesetzeswortlaut einen inländischen Ort der Geschäftsleitung genügen lässt.343 Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass – selbst bei Beachtung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten als _____________ 339 EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08 – X-Holding, DStR 2010, 427, Rz. 28 bis 33; vgl. auch EuGH v. 7.9.2006 – C-470/04 – N, EuGHE 2006, I-7409. 340 Vgl. Abschnitt C.II.2. 341 A. A. z. B. Herzig, StuW 2010, 225 und offenbar auch Herzig/Wagner, DB 2005, 6. 342 Siehe dazu bereits Abschnitt C.I.1.c. 343 Damit wird der doppelte Inlandsbezug bei Organgesellschaften aufgegeben: BMFSchreiben vom 28.3.2011, GZ IV C 2 – S 2770/09/10001, DOK 2011/0250044, BStBl. I 2011, 300; siehe dazu Abschnitt A. und insbesondere Abschnitt C.I.1.c.

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Rechtfertigungsgrund – der doppelte Inlandsbezug (und damit die zusätzliche Anknüpfung an den Sitz der Organgesellschaft) jedenfalls gegen die Grundfreiheiten des AEUV verstößt.344 In diesem Zusammenhang stellt sich noch die Frage, ob nicht bereits vor dem Hintergrund der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten auch jene Organgesellschaften einbezogen werden müssen, die im Inland lediglich beschränkt steuerpflichtig sind, wenn die beschränkte Steuerpflicht durch eine Zweigniederlassung i. S. d. § 18 KStG sichergestellt wird.345 M. E. ist in diesem Fall jedoch bereits keine Ungleichbehandlung gegeben, da unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtige nur unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt miteinander vergleichbar sind.346 Letztlich stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht trotz des Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten geboten ist, jene „ausländischen“ Tochtergesellschaften, denen es sogar an einem inländischen Ort der Geschäftsleitung fehlt (und die daher sowohl den Sitz als auch den Ort der Geschäftsleitung im Ausland haben), in die Organschaft einzubeziehen. Dies ist, wie oben gezeigt, m. E. zwar vor dem Hintergrund der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nicht geboten. Ein solches Gebot könnte sich aber auf Ebene der Verhältnismäßigkeit (bzw. Erforderlichkeit) ergeben. Hier kommt nun (wiederum) die Rs. Marks & Spencer347 ins Spiel, da der _____________ 344 So z. B. auch Graw, DB 2010, 2469 f.; vgl. auch Kaufer, Grenzüberschreitende Organschaft 131 ff. Vgl. zu dem von der Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren bereits Abschnitt A sowie Abschnitt C.I.1.c. – A. A. z. B. Mitschke, DStR 2010, 1372 und Mitschke, IStR 2011, 188 der das doppelte Inlandserfordernis i. E. nicht als unionsrechtlich bedenklich ansieht. 345 I. d. S. z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG. § 14 Rz. 82; Kaufer, Grenzüberschreitende Organschaft 145 ff.; vgl. auch Abschnitt C.I.1.c. 346 Vgl. dazu EuGH v. 14.2.1995 – C-279/93 – Schumacker, EuGHE 1995, I-249 und statt vieler Lang, Die Rechtsprechung des EuGH zu den direkten Steuern (2007) 44 ff. – A. A. z. B. Nippert, Europarechtskonformität der Nichtberücksichtigung von Verlusten ausländischer Tochtergesellschaften bei der Besteuerung des Mutterunternehmens in der BRD, in Birk/Pöllath/Saenger (Hrsg.), Forum Steuerrecht 2004 (2005) 71 (81 f.); Wernsmann/Nippert, FR 2006, 161 f.; Herzig, StuW 2010, 225 und offenbar Herzig/Wagner, DB 2005, 6 sowie Englisch, IStR 2010, 217. 347 EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03 – Marks & Spencer, IStR 2006, 19 (mit Anmerkung Englisch).

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EuGH den Abzug so genannter „finaler“ Verluste gerade aufgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips als erforderlich angesehen hat.348 Die Frage lautet nun, ob zumindest im Falle des Vorliegens von Verlusten ausländischer Tochtergesellschaften diese Verluste im Rahmen der Organschaft und daher bei Ermittlung des Einkommens des Organträgers berücksichtigt werden müssen. Die Beantwortung dieser Frage hängt von zwei weiteren Grundfragen ab: Erstens ist die Frage zu beantworten, ob der EuGH nicht etwa mittlerweile von den in der Rs. Marks & Spencer entwickelten Grundsätzen abgewichen ist. Im Schrifttum sind die Auffassungen dazu geteilt. In der Diskussion, die unmittelbar auf das Urteil in der Rs. Marks & Spencer folgte, hat die Literatur überwiegend den Standpunkt vertreten, dass der Auslandsbezug der Organgesellschaft als Folge dieses Urteils zu erweitern sei.349 Nunmehr sieht ein Teil des Schrifttums – insbesondere infolge der Rs. X-Holding,350 aber auch wegen der Rs. Oy AA,351 der Rs. Lidl Belgium352 und der Rs. Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt353 – die Rs. Marks & Spencer insoweit als überholt an.354 Ein anderer Teil des Schrifttums wiederum sieht die in der Rs. Marks & Spencer entwickelten Grundsätze, wonach „finale“ Ver_____________ 348 EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03 – Marks & Spencer, IStR 2006, 19, Rz. 53 ff. 349 Vgl. z. B. Kleinert/Nagler/Rehm, DB 2005, 1869 (1869 ff.); Kleinert/Nagler, Anmerkung zur Rs. Marks & Spencer, DB 2005, 2791 (2791 ff.); Herzig/Wagner, DB 2005, 1 ff.; dieselben, DStR 2006, 9 f.; Sedemund/Sterner, DStZ 2006, 32 ff.; Hey, GmbHR 2006, 118 ff.; Wernsmann/Nippert, FR 2006, 160 ff.; Scheunemann, IStR 2006, 146 ff.; Altrichter-Herzberg/Nuernberger, GmbHR 2006, 466 ff.; Pache/ Englert, IStR 2007, 847 ff.; Kaufer, Grenzüberschreitende Organschaft 94 ff.; Karthaus, Gruppenbesteuerung 74 ff.; vgl. auch Klarmann, Organschaft 78 ff.; zweifelnd offenbar Balmes/Brück/Ribbrock, Das EuGH-Urteil Marks & Spencer: Grenzüberschreitende Verlustnutzung kommt voran! BB 2006, 186 (188 f.); vgl. ferner Thiel, DB 2004, 2605 (allerdings vor der Rs. Marks & Spencer). 350 EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08 – X-Holding, IStR 2010, 213 (mit Anmerkung Englisch). 351 EuGH v. 18.7.2007 – C-231/05 – Oy AA, EuGHE 2007, I-6373. – Dazu z. B. Pache/ Englert, IStR 2007, 845 ff. 352 EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06 – Lidl Belgium, EuGHE 2008, I-3601. 353 EuGH v. 23.10.2008 – C-157/07 – Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, BStBl. II 2009, 566. 354 So z. B. Mitschke, DStR 2010, 1370; Mitschke, IStR 2011, 188 f.; vgl. auch Benecke/ Staats, IStR 2010, 668; Schulz-Trieglaff, IStR 2011, 248 (jeweils unter Hinweis auf die Rs. X-Holding); vgl. ferner Eisenbarth/Hufeld, Die grenzüberschreitende Verlustverrechnung in der Konsolidierungsphase. Das Verfahren „X-Holding“ und die Grenzen der negativen Integration, IStR 2010, 309 (309 ff.).

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luste jedenfalls vom Ansässigkeitsstaat berücksichtigt werden müssen,355 trotz den anderen erwähnten Urteilen weiterhin als aufrecht an.356 Auch der BFH steht auf dem Standpunkt, dass Auslandsverluste bei „Finalität“ berücksichtigt werden müssen (vgl. das Urteil des BFH vom 9.6.2010, I R 107/09 zu Betriebsstättenverlusten, auf das der BFH im Beschluss vom 9.11.2010, I R 16/10 verwiesen hat). Er begründet dies – nach Auseinandersetzung insbesondere mit den Rs. Lidl Belgium und der Rs. Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt – im Wesentlichen damit, dass die Rechtsprechung des EuGH sonst „leer liefe“, was nicht unterstellt werden könne. Zudem weist der BFH noch auf die Rs. Lidl Belgium hin, in der der EuGH die in der Rs. Marks & Spencer aufgestellten Grundsätze nochmals bekräftigt hat.357 Für die Auffassung des BFH spricht m. E. zumindest der Umstand, dass es in der Rs. X-Holding nicht um finale Verluste ging.358 Insoweit ist es daher schwierig, eine „stillschweigende“ Abkehr von der Rs. Marks & Spencer zu begründen.359 M. E. hat auch die Begründung des BFH, wonach dieser bestrebt ist bei seiner Interpretation Widersprüche in der Rechtsprechung des EuGH zu vermeiden (da bei Annahme einer Abkehr von der Rs. Marks & Spencer diese Entscheidung „leer liefe“ und damit die Rechtsprechung widersprüchlich wäre), Einiges für sich. Eindeutig ist diese Frage m. E. aber anhand der bisherigen Judikatur des EuGH nicht zu klären. Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten: Wenn man – dem BFH folgend – aus der Rs. Marks & Spencer das Gebot ableiten sollte, zumindest im Falle „finaler Verluste“ auch ausländische Tochtergesellschaften in die Organschaft einzubeziehen, verstößt nicht nur der doppelte Inlandsbezug (d. h. der inländische Sitz als zusätzliche Voraussetzung neben dem inländischen Ort der Geschäftsleitung) gegen die _____________ 355 Vgl. EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03 – Marks & Spencer, IStR 2006, 19, Rz. 55. 356 So i. E. Kußmaul/Niehren, IStR 2008, 86 (zur Rs Oy AA); Homburg, IStR 2010, 247; von Brocke, DStR 2010, 964; Graw, DB 2010, 2469 f.; Englisch, IStR 2010, 217; Pache/Englert, Die Rechtssache X Holding BV – das endgültige Ende der Hoffnungen auf ein vom EuGH postuliertes europäisches Gruppenbesteuerungssystem, IStR 2010, 448 (448 ff.); Hohenwarter-Mayr, Die Rs. X Holding – ein weiterer Teil im Puzzle der grenzüberschreitenden Gruppenbesteuerung, SWI 2010, 163 (173); so i. E. auch Herzig, StuW 2010, 217. Vgl. ferner die Anmerkung von Buciek zu BFH 9.6.2010 – I R 107/09, FR 2010, 896 (901), die allerdings die Weitergeltung der Rs. Marks & Spencer für Betriebsstättenverluste betrifft. 357 Rz. 18 des BFH-Urteils. 358 Vgl. z. B. Hohenwarter-Mayr, SWI 2010, 172; Homburg, IStR 2010, 247. 359 So aber z. B. Mitschke, IStR 2011, 188.

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Grundfreiheiten des AEUV, sondern jedes Inlandserfordernis wäre mit dem Unionsrecht unvereinbar. Damit wäre auch das Erfordernis eines inländischen Ortes der Geschäftsleitung unionsrechtlich unzulässig.360 Liegen hingegen keine „finalen“ Verluste vor, wäre – nach der hier vertretenen Auffassung – zumindest die Voraussetzung eines inländischen Ortes der Geschäftsleitung mit den Grundfreiheiten des AEUV vereinbar (da diese Voraussetzung durch den Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten gedeckt ist).361 Dies sollte allerdings auch ausdrücklich gesetzlich verankert werden; das erwähnte BMF-Schreiben,362 das – entgegen dem Gesetzeswortlaut – vom doppelten Inlandsbezug abgeht und den inländischen Ort der Geschäftsleitung als ausreichend ansieht, ist dafür aus rechtsstaatlicher Sicht nicht ausreichend. Die zweite Grundfrage lautet: Wann liegt überhaupt eine „Finalität“ der Verluste vor, oder anders gesagt, wann sind diese „definitiv“ oder „endgültig“ geworden? Nach der Ansicht des BFH betreffend Betriebsstättenverluste (vgl. BFH 9.6.2010, I R 107/09), die wohl auch für die grenzüberschreitende Organschaft gilt (da der BFH im Beschluss vom 9.11.2010, I R 16/10 auf das Urteil I R 107/09 verwiesen hat), kommt es nicht auf die rechtliche Behandlung von Verlusten im Quellenstaat an, sondern es sind vielmehr die „tatsächlichen Umstände“ ausschlaggebend. Die Verluste dürfen – aus der Sicht des Ansässigkeitsstaates – „im Ausland unbeschadet der dort herrschenden rechtlichen Rahmenbedingungen definitiv keiner anderweitigen Berücksichtigung mehr zugänglich“ sein. Der BFH erwähnt insbesondere die Fälle der „Umwandlung der Auslandsbetriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft, ihrer entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragung oder ihrer endgültigen Aufgabe“. M. E. sind allerdings auch nach den erwähnten Entscheidungen _____________ 360 Davon geht z. B. das Niedersächsische FG aus (vgl. dazu Abschnitt C.II.2); i. d. S. auch Kleinert/Nagler/Rehm, DB 2005, 1872; Kleinert/Nagler, DB 2005, 2792; Herzig/Wagner, DStR 2006, 9; vgl. auch Balmes/Brück/Ribbrock, BB 2005, 969. 361 So i. E. auch Graw, DB 2010, 2469 f. A. A. aber z. B. Homburg, IStR 2010, 248, der auch bei laufenden (= nicht „finalen“) Verlusten sowohl Unzulässigkeit eines inländischen Sitzes als auch eines ausländischen Ortes des Geschäftsleitung annimmt, ohne zu differenzieren; a. A. ebenfalls Mitschke, DStR 2010, 1372 und Mitschke, IStR 2011, 188, der – allerdings selbst bei Vorliegen von finalen Verlusten – den doppelten Inlandsbezug allgemein als mit dem Unionsrecht für vereinbar hält, ohne zwischen inländischem Sitz und Ort der Geschäftsleitung zu differenzieren. 362 BMF-Schreiben vom 28.3.2011, GZ IV C 2 – S 2770/09/10001, DOK 2011/ 0250044, BStBl. I 2011, 300; siehe dazu oben.

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des BFH nicht alle Probleme zur Beurteilung von „finalen“ Verlusten gelöst.363 Denn erstens ist die Unterscheidung zwischen rechtlichen Rahmenbedingungen und „tatsächlichen Umständen“ im Quellenstaat oftmals nicht trennscharf und wirft weitere Abgrenzungsprobleme auf.364 Zweitens kann das Abstellen auf „tatsächliche Umstände“ auch zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Grundfreiheiten des AEUV infolge der Marks & Spencer-Grundsätze führen (so könnte z. B. die Auslandsbetriebsstätte zwecks Abzugs des Verlustes geschlossen und kurz danach wieder eröffnet werden).365 Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass – auch wenn man die Weitergeltung der in der Rs. Marks & Spencer entwickelten Grundsätze für die Berücksichtigung „finaler“ Verluste“ trotz der späteren Judikatur des EuGH befürwortet – dennoch erhebliche Zweifel verbleiben, wann solche „finalen“ Verluste vorliegen. Die Geltendmachung dieser Verluste unterliegt jedenfalls deutlichen Einschränkungen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der gesetzgeberische Anpassungsbedarf hier zweifelhaft ist. Sofern man aber der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des BFH folgt,366 sollte das Vorliegen bzw. die Definition finaler Verluste auch gesetzlich verankert werden.

D. Notwendigkeit des Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrages? Der Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag ist aus unionsrechtlicher Sicht als problematisch angesehen worden. Wie bereits erörtert, wurde aus der Sicht der Grundfreiheiten des AEUV im Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag ein Hindernis gesehen,367 da dieser Vertrag selbst _____________ 363 So i. E. auch Herzig, StuW 2010, 217. 364 Vgl. hilfsweise Lang, Rechtsprechung 25 ff. 365 I. d. S. Gosch, BFH-PR 2008, 406; kritisch z. B. auch Benecke/Staats, IStR 2010, 668. Vgl. zu Problemen bei der Ermittlung finaler Verluste – insbesondere in Zusammenhang mit der Übertragung an einen Dritten – auch Hey, GmbHR 2006, 117. 366 Siehe dazu oben und nochmals Abschnitt C.II.2. 367 Vgl. nochmals z. B. Grotherr, FR 1995, 11 f.; Herzig/Wagner, DB 2005, 5 f.; Balmes/ Brück/Ribbrock, BB 2005, 969; Sedemund/Sterner, DStZ 2006, 33 f.; Hey, GmbHR 2006, 118; Altrichter-Herzberg/Nuernberger, GmbHR 2006, 466; Scheunemann, IStR 2006, 147; Pache/Englert, IStR 2007, 848 f.; Kaufer, Grenzüberschreitende Organschaft 128; Karthaus, Gruppenbesteuerung 77 ff. und ferner Mayr, IStR 2010, 634 und zum Ganzen bereits ausführlich Abschnitt C.III.3.

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wiederum eine verdeckte Diskriminierung darstelle.368 In den beiden erwähnten Entscheidungen des Niedersächsischen FG sowie des FG Rheinland-Pfalz369 haben die beiden Finanzgerichte zwar das Erfordernis eines Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrages abgelehnt, da ein solcher Vertrag i. d. R. aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht mit grenzüberschreitender Wirkung abgeschlossen werden könne; sie haben allerdings aufgrund einer geltungserhaltenden Reduktion der §§ 14 ff. KStG zumindest gefordert, dass von der ausländischen Tochterkörperschaft zumindest eine Verlustübernahmeverpflichtung abgeschlossen wird.370 Folgt man der erwähnten Rechtsprechung der Finanzgerichte sowie des BFH, ist somit eine ausländische Tochterkörperschaft – zumindest dann, wenn diese ausländische Tochterkörperschaft auch „finale“ Verluste erzielt371 – zwingend in die Organschaft einzubeziehen, sofern sie zumindest die erwähnte Verlustübernahmeverpflichtung mit dem Organträger abgeschlossen hat.372 Gegen diese Verlustübernahmeverpflichtung sind – in ähnlicher Weise wie gegen den Ergebnisabführungsvertrag – unionsrechtliche Bedenken erhoben worden,373 da die Verlustübernahmeverpflichtung – ebenso wie der Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag – selbst wiederum eine (verdeckte) Diskriminierung darstelle.374 M. E. liegt zwar im Erfordernis einer Verlustübernahmeverpflichtung selbst noch keine Diskriminierung;375 dennoch werfen aber gerade auch _____________ 368 Vgl. nochmals Balmes/Brück/Ribbrock, BB 2005, 969; Herzig/Wagner, DStR 2006, 9; Sedemund/Sterner, DStZ 2006, 34; Hey, GmbHR 2006, 118; AltrichterHerzberg/Nuernberger, GmbHR 2006, 466; Scheunemann, IStR 2006, 147; Karthaus, Gruppenbesteuerung 79 f. und zum Ganzen bereits ausführlich Abschnitt C.III.3. 369 Niedersächsisches Finanzgericht vom 11.2.2010, 6 K 406/08 und Finanzgericht Rheinland-Pfalz vom 17.3.2010, 1 K 2406/07; siehe ausführlich Abschnitt C.II.2. 370 Siehe ausführlich Abschnitt C.II.2. 371 Siehe bereits ausführlich Abschnitt C.III.3. 372 Siehe bereits Abschnitt C.II.2. und ausführlich Abschnitt C.III.3. 373 I. d. S. beispielsweise Homburg, IStR 2010, 248 ff.; von Brocke, DStR 2010, 966 f.; Graw, DB 2010, 2471 f.; Rublack, FR 2010, 793 ff.; Homburg, IStR 2011, 111; Schulz-Trieglaff, IStR 2011, 246; siehe zum Ganzen bereits ausführlich Abschnitt C.III.3. 374 I. d. S. z. B. Homburg, IStR 2010, 248; von Brocke, DStR 2010, 966; Graw, DB 2010, 2471; siehe zum Ganzen bereits ausführlich Abschnitt C.III.3. 375 So z. B. auch Mitschke, DStR 2010, 1370; Mitschke, IStR 2011, 186; vgl. i. E. auch Thiel, DB 2004, 2605; Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 15c und ferner auch Wernsmann/Nippert, FR 2006, 161 (siehe zum Ganzen bereits ausführlich Abschnitt C.III.3).

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die unionsrechtliche Vorgaben die Frage auf, ob man – de lege ferenda – am Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag und in weiterer Folge an einer Verlustübernahmeverpflichtung (bei ausländischen Tochterkörperschaften) festhalten soll.376 Der Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag ist zunächst aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus vielerlei Gründen auf Kritik gestoßen; dabei wird insbesondere der Verlust der Ergebnisverantwortlichkeit bzw. die „wirtschaftliche Unmündigkeit“ der Organgesellschaft als Nachteil ins Treffen geführt.377 Außerdem komme es zu einer Haftungskonzentration beim Organträger, was betriebswirtschaftlich ebenso wenig sinnvoll sei.378 Auf diese Überlegungen soll hier allerdings nicht näher eingegangen werden. Im Rahmen dieses Beitrages soll vielmehr auf die Frage eingegangen werden, welche sachliche Rechtfertigung der Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag hat, d. h. aus welchen Gründen die Existenz des Erfordernisses des Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrages im Vergleich zu den anderen Tatbestandsmerkmalen der Organschaft gerechtfertigt werden kann (dies auch vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG). Im Schrifttum wird der Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag damit erklärt bzw. gerechtfertigt, dass die handelsrechtliche Übernahme des Gewinnes bzw. Verlustes die Rechtfertigung für die steuerliche Zurechnung der (steuerlichen) Ergebnisse der Organgesellschaften an den Organträger und damit die Rechtfertigung für den Gewinn- und Verlustausgleich innerhalb des Organkreises sei. Die steuerliche Verlustübernahme müsse sozusagen mit einer handelsrechtlichen Haftungsübernahme verbunden sein.379 Da durch die handelsrechtliche Haftungsübernahme auch die Haftungsbeschränkung der Organgesellschaften _____________ 376 Für eine Abschaffung vgl. statt Vieler z. B. Homburg, IStR 2010, 252. 377 Vgl. z. B. Grotherr, Kritische Bestandsaufnahme der steuersystematischen und betriebswirtschaftlichen Unzulänglichkeiten des gegenwärtigen Organschaftskonzepts, StuW 1995, 124 (139 ff.); Herzig/Wagner, DB 2005, 1; Jochum, FR 2005, 581; Mayr, IStR 2010, 634; Herzig, Die Organschaft im Umbruch, Beihefter zu DStR 30/2010, 61 (62 ff.) m. w. N. und ferner Viskorf, Bericht zum 2. Münchner Unternehmenssteuerforum: „Organschaft im Umbruch?“ Beihefter zu DStR 30/2010, 53 (54). 378 Z. B. Krebühl, Konzernbesteuerung de lege ferenda, in Herzig (Hrsg.), Organschaft (2003) 595 (596 f.); Jochum, FR 2005, 581. 379 I. d. S. z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 161; vgl. auch Grotherr, FR 1995, 2 ff.

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– die ja nur Kapitalgesellschaften sein dürfen380 – durchbrochen werde, sei es auch gerechtfertigt, das körperschaftsteuerliche Trennungsprinzip zu durchbrechen.381 Diese Argumentation steht auch in Zusammenhang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip, das allgemein bei der Besteuerung zu berücksichtigen ist: Da haftungslose – d. h. rein steuerliche – Verluste, denen – mangels Ergebnisabführungsvertrag – tatsächlich keine (handelsrechtliche) Vermögensminderung zugrunde liegt, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht mindern, bestünden aus systematischer Sicht Bedenken, haftungslose Verluste zur Minderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage anzuerkennen.382 In ähnlicher Weise hat übrigens auch das Niedersächsische Finanzgericht in dem erwähnten Urteil begründet, warum zumindest eine Verlustübernahmeverpflichtung als „unerlässliche Voraussetzung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft“383 notwendig sei.384 Dieses Konzept, das auf die handelsrechtliche Verlustübernahme vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (und damit auf die wirtschaftliche Verlusttragung) abstellt, ist aber bereits deswegen fragwürdig, da es selbst nicht konsequent durchgehalten wird. So kommt es insbesondere aus zwei Gründen zu einem Auseinanderfallen von zugerechnetem steuerlichen Ergebnis und übernommenem handelsrechtlichen Gewinn oder Verlust: Erstens deckt sich im Falle von vororganschaftlichen Verlusten das steuerliche Ergebnis nicht mit dem abzuführenden handelsrechtlichen Ergebnis, da es sein kann, dass aufgrund eines handelsrechtlichen Verlustvortrages gar kein handelsrechtliches Ergebnis abgeführt wird385 und der Ergebnisabführungsvertrag somit – u. U. auch für Jahre – wirkungslos bleibt, obwohl es zur steuer_____________ 380 Siehe Abschnitt B.I.1.a. 381 I. d. S. z. B. Grotherr, FR 1995, 4. 382 So z. B. Frotscher in Frotscher/Maas (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 161; i. d. S. auch Thiel, DB 2004, 2605 und Jochum, FR 2005, 580 sowie Hey, GmbHR 2006, 118 (wonach die Zurechnung der Ergebnisse mit dem Leistungsfähigkeitstransfer begründet werde, der gerade einen wirksamen Ergebnisabführungsvertrag voraussetze). 383 Ähnlich auch das Finanzgericht Rheinland-Pfalz, wonach ohne Verlustübernahmeverpflichtung letztlich alle Voraussetzungen, die das Wesen einer Organschaft ausmachen, „auf Null reduziert“ werden würden, was i. E. die Abschaffung der deutschen körperschaftsteuerlichen Organschaft bedeuten würde; siehe zu beiden Urteilen oben und nochmals Abschnitt C.II.2. 384 Das Niedersächsische FG zitiert dabei Grotherr, FR 1995, 4 und Neumann in Gosch (Hrsg.), KStG, § 14 Rz. 170. Kritisch zur Richtigkeit dieser beiden Zitate Homburg, IStR 2010, 249. 385 Siehe dazu Abschnitt B.II.1.

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lichen Ergebniszurechnung kommt.386 Zweitens entfernt sich das handelsrechtliche Ergebnis immer mehr vom steuerlichen Ergebnis.387 Dies zeigt sich gerade durch das BilMoG.388 Die These von der wirtschaftlichen Verlusttragung und damit das Konzept der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind somit in letzter Konsequenz nicht mehr überzeugend. Dazu kommt, dass der Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsabführungsvertrag letztlich auf den Gedanken einer wirtschaftlichen Einheit zurückgeht; der Gedanke der wirtschaftlichen Einheit ist aber seit dem Wegfall der organisatorischen und wirtschaftlichen Eingliederung389 ebenso wenig überzeugend.390 De lege ferenda sollte daher m. E. der Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsabführungsvertrag als Erfordernis genauso wie eine Verlustübernahmeverpflichtung gestrichen werden. Die fiktive Zurechnung des steuerlichen Ergebnisses sollte somit – ebenso wie bei der österreichischen Gruppenbesteuerung391 – ausreichend sein.392 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass es aufgrund der dargelegten Bedenken bzw. Argumente auch keinen Sinn machen würde, zwar keinen formalen (zivilrechtlich wirksamen) Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrag, aber eine tatsächliche Verlustübernahme zu verlangen. Eine solche Lösung hat – mit guten Gründen – bereits das Niedersächsische Finanzgericht im Ergebnis abgelehnt.393 Sie wäre nämlich inkonsequent: Für den Fall, dass man eine wirtschaftliche Verlusttragung verlangt, wird als Nachweis dafür sinnvollerweise wohl nur eine zivilrechtlich wirksame Vereinbarung in Betracht kommen.394 _____________ 386 I. d. S. z. B. Altrichter-Herzberg/Nuernberger, GmbHR 2006, 467. 387 Z. B. Grotherr, StuW 1995, 141; Grotherr, FR 1995, 10: Herzig/Wagner, DB 2005, 6; Herzig, Beihefter zu DStR 2010, 62; Herzig, StuW 2010, 224. 388 Z. B. Lüdicke, Reform der Konzernbesteuerung (I), FR 2009, 1025 (1028); Herzig, Beihefter zu DStR 2010, 62. 389 Die Abschaffung der organisatorischen und wirtschaftlichen Eingliederung erfolgte durch das StSenkG („Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung“) ab dem Vz 2001; siehe dazu Fn. 90 und Abschnitt B.I.2.a. 390 I. d. S. z. B. Witt, FR 2009, 1045 ff. 391 Siehe Abschnitt B.II.2. 392 Vgl. dazu Wernsmann/Nippert, FR 2006, 161 und ferner z. B. Herzig/Wagner, DB 2005, 6. 393 Das Niedersächsische FG ist den Stimmen im Schrifttum, die eine tatsächliche Verlustübernahme für ausreichend halten (siehe die Nachweise in Fn. 293), nicht gefolgt; siehe dazu Abschnitt C.II.2. Kritisch beispielsweise auch AltrichterHerzberg/Nuernberger, GmbHR 2006, 467. 394 Vgl. aber Rublack, FR 2010, 791.

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Damit soll abschließend kurz auf die Frage eingegangen werden, ob es statt des Gewinn- bzw. Ergebnisabführungsvertrages oder einer Verlustübernahmeverpflichtung – ebenfalls de lege ferenda – eines anderen formalen Elements als Anwendungsvoraussetzung für die Organschaft bedarf. Hier ist auf die Steuerausgleichsvereinbarung gemäß § 9 Abs. 8 Ts. 3 öKStG bei der österreichischen Gruppenbesteuerung zu verweisen. Wie erwähnt sind Steuerumlagen Zahlungen, die zur verursachungsgerechten Aufteilung der Körperschaftsteuer innerhalb der Gruppe geleistet werden.395 Die Verpflichtung zur Leistung solcher Steuerumlagen hat in Österreich den Ergebnisabführungsvertrag abgelöst; es kommt daher nur noch zur rein fiktiven (steuerlichen) Ergebniszurechnung.396 Eine Steuerumlage ist übrigens in Deutschland noch von der gewerbesteuerlichen Organschaft her bekannt.397 Ab 2002 (durch das UntStFG398) ist die gewerbesteuerliche Organschaft allerdings mit der körperschaftsteuerlichen Organschaft verknüpft, sodass nunmehr auch bei der gewerbesteuerlichen Organschaft ein Ergebnisabführungsvertrag nötig ist.399 Dadurch entfällt das Erfordernis einer Steuerumlage, da die Ergebnisabführung sozusagen die Steuerumlage in sich schließt. Warum sollte in Deutschland nun eine Verpflichtung zur Zahlung von Steuerumlagen (= zum Abschluss einer Steuerausgleichsvereinbarung) nach dem Vorbild des § 9 Abs. 8 Ts. 3 öKStG vorgesehen werden? Aus österreichischer Sicht ist eine Steuerausgleichsvereinbarung deswegen als formale Anwendungsvoraussetzung einer Unternehmensgruppe vorgesehen,400 da damit dem Verbot der Einlagenrückgewähr Rechnung getragen wird.401 Das Verbot der Rückgewähr von Einlagen (§ 57 AktG, § 30 GmbHG) könnte auch in Deutschland dafür sprechen, eine Steuerausgleichsvereinbarung als zwingende Tatbestandsvoraussetzung vorzusehen, da es sich bei den als Organgestellschaften in Betracht kommenden Personen um Kapitalgesellschaften handelt. Es ist zwar nicht zwingend erforderlich, dass man ein steuerliches Rechtsinstitut wie die Organschaft von der Einhaltung gesellschaftsrechtlicher Normen ab_____________ 395 396 397 398

Siehe Abschnitt B.I.3.b. Siehe Abschnitt B.I.3.b. Z. B. Kieker, Die Gewerbesteuerumlage im Aktienkonzern (2006) 7 ff. Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (UntStFG) vom 20.12.2001 (siehe bereits Fn. 20) mit Wirkung ab dem Vz 2002. 399 Vgl. BT-Drucks. 14/6882, S. 17. – vgl. auch Kieker, Gewerbesteuerumlage 163. 400 Siehe Abschnitt B.I.3.b. 401 Siehe nochmals Abschnitt B.I.3.b.

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hängig macht. Vor dem Hintergrund der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung spricht allerdings auch nichts dagegen, dies zu tun.402 Ausländische Tochterkörperschaften als Organgesellschaften müssten in eine solche Steuerausgleichsvereinbarung nicht einbezogen werden. Sieht man nämlich den Hintergrund einer Steuerausgleichsvereinbarung in der Wahrung des Verbotes der Einlagenrückgewähr, so richtet sich dieses Verbot – aufgrund des Personalstatuts – nur an inländische, nicht aber an ausländische Gesellschaften (mit Sitz der Hauptverwaltung im Ausland). Auch in die österreichische Steuerausgleichsvereinbarung sind gemäß § 9 Abs. 8 Ts. 3 öKStG nur „inländische“ Gruppenmitglieder einzubeziehen.403 Eine Steuerausgleichsvereinbarung würde daher im Falle einer grenzüberschreitenden Gruppenbesteuerung auch nicht beschränkend wirken und wäre daher bereits aus diesem Grund unionsrechtlich unbedenklich.

_____________ 402 Diesen Hintergrund hat auch die Steuerausgleichsvereinbarung im Rahmen der österreichischen Gruppenbesteuerung; siehe Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt E.I.4.5.2.g. 403 Urtz in Achatz/Kirchmayr (Hrsg.), KStG, § 9 Rz. 553 und Rz. 555 und zum Zusammenhang zum (ausländischen) Personalstatut Urtz, Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenbesteuerung, Abschnitt E.I.4.5.2.h. – Sofern statt einer Steuerausgleichsvereinbarung für die Bildung einer österreichischen Unternehmensgruppe wahlweise ein Ergebnisabführungsvertrag abgeschlossen wird (dazu Abschnitt B.I.3.b.), muss dieser Ergebnisabführungsvertrag ebenso wenig auf ausländische Gruppenmitglieder erstreckt werden.

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Grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Hamburg

Dr. Friedrich Loschelder, LL.M. (Edinb.) Richter am Finanzgericht, Hamburg

Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

Gert Müller-Gatermann Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Dr. Wolfgang Haas Rechtsanwalt, BASF SE, Ludwigshafen

Prof. Mmag. Dr. Christoph Urtz Universität Salzburg

Prof. Dr. Lüdicke Herr Urtz, vielen Dank für Ihre ausführliche und auch Deutschland mit einbeziehende Darstellung der österreichischen Rechtslage. Meine erste Frage geht an Herrn Bernhardt: Gibt es in der Industrie, die seit Jahren mit gutem Grund die Abschaffung des Ergebnisabführungsvertrages als Voraussetzung für die Organschaft fordert, schon Überlegungen, ob Österreich da ein Modell sein könnte? Ich glaube, der Vortrag hat deutlich gemacht, dass wir für die Diskussion zwei Fragen auseinander halten sollten: Die eine Frage ist, durch welches System ersetzen wir generell die Organschaft? Und die zweite Frage: Was machen wir grenzüberschreitend? Das sind Themen, die zwar miteinander zusammenhängen, die man aber gedanklich trennen sollte, damit nicht alles gleichzeitig diskutiert wird.

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Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung

Bernhardt Da haben Sie völlig Recht. Ich glaube, Österreich wird viel stärker unter der grenzüberschreitenden Betrachtung diskutiert. Ich denke, da gibt es eine Fülle von Unternehmen, die von den Möglichkeiten in Österreich auch Gebrauch machen. Aber das will ich zunächst zur Seite legen. Ich glaube, es gibt eine Arbeitsgruppe, die sich intensiver mit der Frage beschäftigt, ob es wirklich so klug ist, den Ergebnisabführungsvertrag abzuschaffen, oder ob es vielleicht doch aus gesellschaftsrechtlichen Gründen oder aus Haftungsgründen geboten erscheint, etwas Derartiges, vielleicht in modifizierter Form, beizubehalten. Ich springe auf eine ganz andere Betrachtung. Es gibt viele Länder, die im weitesten Sinne eine fiscal unit kennen, die Niederlande zum Beispiel, die sehr pragmatisch an die Themen herangehen. Man fragt sich, warum wir in Deutschland so tief strukturiert an derartige Fragestellungen herangehen und nicht vielleicht doch ganz einfach mit einem mutigen Sprung Regelungen aus ausländischen Rechtsordnungen übernehmen. Vielleicht sind wir von einer sehr langen Tradition des Ergebnisabführungsvertrages geprägt und gehen deshalb an derartige Fragestellungen wesentlich rechtssystematischer heran. Vorhin wurde das Beispiel England erwähnt, wo man z. B. bei fehlenden umwandlungssteuerrechtlichen Vorschriften mit einem asset deal arbeitet, es aber nicht zu entsprechenden Gewinnaufdeckungen mit Versteuerung kommen lässt. Deswegen auch hier die Frage, geht es vielleicht anders? Österreich, in der Tat, ist vielleicht doch ein gutes Vorbild, denn dort war man ja seit 1938 mit unseren Regelungen vertraut, mit allen Vorund Nachteilen. Prof. Dr. Lüdicke Die Tatsache, dass wir in Deutschland inzwischen wohl als einziger Staat einen Ergebnisabführungsvertrag für die Gruppenbesteuerung voraussetzen, spricht nicht gerade dafür, dass das wirklich nötig ist. Es scheint auch anders zu gehen. Die Frage ist nur: wie? Herr Haas sagte eben, dass das Nachdenken darüber, was man machen könnte, Schwierigkeiten zu Tage gefördert hat. Herr Müller-Gatermann, ist das BMF inzwischen so weit, dass man auf den Ergebnisabführungsvertrag, der ja auch formal ausgesprochen hinderlich ist, zu verzichten, zumal die Entschärfung, die durch Änderung des § 17 KStG erfolgen sollte, doch nicht gekommen ist. Und wie sieht man das Problem des Verhältnisses zu § 15a EStG? Denn dessen Regelungsgehalt war immer ein Gegen146

Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung

argument zum Verzicht auf die Verlusttragung per Ergebnisabführungsvertrag. Müller-Gatermann Die Rechtfertigung des Ergebnisabführungsvertrages haben wir immer darin gesehen, dass ein anderer selbständiger Rechtsträger – und diesen haben wir im Falle der Organschaft – steuerliche Verluste nur dann geltend machen darf, wenn er diese auch tatsächlich trägt; hierfür steht ein Ergebnisabführungsvertrag. Die Diskussionen in der Vergangenheit haben jedoch gezeigt – und wir reden nicht erst heute über mögliche Alternativen zur Organschaft –, dass wir mit der Voraussetzung des Ergebnisabführungsvertrages alleine stehen. Deswegen haben wir bereits frühzeitig überlegt, wie man den Ergebnisabführungsvertrag in geeigneter Weise durch andere Voraussetzungen ersetzen kann, die das vorhin skizzierte Ziel gleichermaßen sicherstellen. Zum einen bietet sich hier die Anhebung der Mindestbeteiligung an, wie wir dies bei Gruppenbesteuerungen in anderen Rechtssystemen ebenfalls beobachten. Allein diese Anhebung der Mindestbeteiligung könnte eher erwarten lassen, dass im Ergebnis die steuerlich geltend gemachten Verluste auch wirtschaftlich getragen werden. Daneben – dass ist Ihr Gedanke zu § 15a EStG – könnte man die Verlustübernahme auf den Wert der Beteiligung beschränken. Bei einer solchen Änderung unserer Besteuerungsregelungen müssen wir jedoch die Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung im Blick haben. Heute können wir uns mit der besonderen Regelung der Organschaft noch vom englischen group relief absetzen, das Gegenstand der Marks & Spencer-Entscheidung1 war. Bei einem Verzicht auf den Ergebnisabführungsvertrag wäre dies nicht mehr möglich, so dass zumindest finale ausländische Verluste von Tochterunternehmen bei der deutschen Mutter nach Maßgabe der dann neuen Vorschriften berücksichtigt werden müssten. Man kann zwar mittlerweile darüber streiten, ob nach der Entscheidung in der Rechtssache X-Holding2 die Aussagen zu finalen Verlusten in der Rechtssache Marks & Spencer3 noch Gültigkeit haben. Deswegen hätten wir uns in dem BFH-Verfahren zu finalen Betriebsstättenverlusten eine Vorlage zum EuGH gewünscht, damit dieser _____________ 1 EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, Slg 2005, I-10837. 2 EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08 – X-Holding, DStR 2010, 427. 3 EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, Slg 2005, I-10837.

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zur Behandlung grenzüberschreitender finaler Betriebsstättenverluste insgesamt Klarheit schaffen kann. Zur Frage der Verlustberücksichtigung insgesamt und zur Frage einer nationalen Gruppenbesteuerung ist im Ministerium eine Arbeitsgruppe mit Ländervertreten eingerichtet worden, die Vorschläge für eine Neuregelung dieser beiden Bereiche erarbeiten soll. Sehr wichtig für diese Arbeit ist natürlich, dass die Verrechnung von Verlusten haushalterisch beherrschbar sein muss. In diesem Zusammenhang ist auf Überlegungen in Österreich hinzuweisen, wonach dort Änderungen an der großzügigen Gruppenbesteuerung vorgenommen werden sollen, weil die Berücksichtigung ausländischer Verluste dort haushalterisch nicht mehr hingenommen werden kann. Wir müssen in diesen Zusammenhang auch das Vorhaben sehen, ausländische Betriebsstättenverluste in deutschen Stammhäusern wieder berücksichtigen zu können und mit einer Nachversteuerungsregelung abzufedern. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine solche Regelung im deutschen Recht schon mal bestanden hat, aber wegen administrativer Probleme und der Gestaltungsanfälligkeit abgeschafft worden ist. Die Gestaltungsanfälligkeit einer solchen Regelung wird auf Grund der bereits erwähnten Entscheidung des BFH besonders deutlich: Soweit ein finaler Verlust bereits bei der Einstellung der Betriebsstätte angenommen wird, ist es nämlich ohne weiteres möglich, die Aktivität anschließend in Form einer Tochtergesellschaft wieder aufzunehmen. Dadurch würde eine Nachversteuerung vermieden und auch das vom BFH angenommene mögliche rückwirkende Ereignis fände nicht statt. Ich gehöre nicht zu denen, die hinter allem und jedem Missbrauch vermuten, aber eine derartige Steilvorlage für Gestaltungen darf man nicht übersehen. Prof. Dr. Lüdicke Naja, es gibt auch echte wirtschaftlich finale Verluste. Ich glaube, auch in dem Vortrag von Herrn Urtz ist klar geworden, dass wir, wenn wir über finale Verluste reden, die echten wirtschaftlich finalen Verluste meinen. Da ist ein Auslandsinvestment schief gegangen und § 8b Abs. 3 KStG verhindert dessen Nutzung. Ist das richtig? Ist das eine gerechte Lösung, wenn ein wirtschaftlich endgültiger Verlust, der sich beispielsweise in dem ersatzlosen Wegfall der Beteiligung niederschlägt, in gar keiner Weise berücksichtigt wird?

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Prof. Dr. Gosch Gut, das hatten wir ja gerade schon angesprochen – im Zusammenhang mit den Darbietungen von Herrn Haas –, dass § 8b Abs. 3 KStG dann ebenfalls sehr kritisch beäugt werden muss, wenn einschlägige Gewinnminderungen zwar in Zusammenhang mit § 8b Abs. 2 KStG stehen, wenn eine in dem Abzugsverbot systematisch angelegte Zweifachbegünstigung dieser Minderungen sowohl bei der Tochterkapitalgesellschaft als auch beim Gesellschafter aber kaum vorstellbar ist, vornehmlich also bei endgültigen Veräußerungs- und Liquidationsverlusten. Das wiederholt und bestätigt sich hier. Aber ganz grundsätzlich: Lässt sich im Anschluss an das, was Herr Urtz gesagt hat, nun „von Österreich lernen“? Feststeht natürlich, dass mit dem in Deutschland bislang verlangten Ergebnisabführungsvertrag eine Vielzahl von Problemen verbunden sind, die den Rechtsanwender – Beratung gleichermaßen wie Verwaltung und Gerichte – ganz erheblich belasten. Das liegt zunächst schon an den Schwierigkeiten, dieses an sich gesellschaftsrechtliche Rechtsinstitut auf die steuerspezifischen Anforderungen zu „übersetzen“. Ich verweise an dieser Stelle einmal nur beispielhaft auf die kürzlich vom BFH entschiedene Frage danach, welche Anforderungen an die Verlustübernahme nach § 302 AktG nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KStG zu stellen sind. Oder auch auf die vielen Fragen nach dem richtigen Verständnis der gesetzlich geforderten Mindestlaufzeit des Ergebnisabführungsvertrages. Dennoch: Es bleibt aus meiner Sicht – und wohl auch aus Sicht des BFH – dabei, dass wir in Deutschland im Grundsatz ein striktes Steuersubjektprinzip haben. Die Kapitalgesellschaft wird isoliert besteuert wie jede andere, wie eine natürliche Person auch. Abweichungen von dieser methodischen Grundentscheidung, zu dieser Wertentscheidung des Gesetzgebers, bedürfen der Rechtfertigung. Vor diesem Hintergrund muss man, wie ich meine, durchaus auch den Ergebnisabführungsvertrag sehen. Dieser mag zwar historisch bedingt sein, vielleicht hat man aber nicht von ungefähr bis heute an ihm festgehalten. Die Entscheidung, davon zugunsten einer konzerninternen Besteuerung abzurücken, hat der Gesetzgeber nun einmal nicht getroffen, und eine solche Entscheidung wäre auch, ich habe es erwähnt, vor dem Hintergrund des Subjektprinzips besonders rechtfertigungsbedürftig. Diese Rechtfertigung lässt sich nicht durch rechtspolitische Erwägungen und Forderungen ersetzen. So ohne weiteres zu verlangen, dass wir den Ergebnisabführungsvertrag abschaffen, meine ich, geht jedenfalls nicht. So leicht kann man es sich nicht machen. Es bleibt aber dabei: Konsequenz der nach wie vor existenten 149

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Grundentscheidung des Gesetzgebers sind etliche Probleme, bis hin zu den erwähnten Denksportaufgaben des § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG. Herr Urtz, das deutsche Bundesverfassungsgericht sieht das übrigens nicht ganz so eng: Denksportaufgaben, die uns der Gesetzgeber stellt, werden verfassungsrechtlich weitgehend hingenommen, glaube ich. Ich gebe nur den Hinweis auf die jüngste Erkenntnis des BVerfG zum Normenkontrollverfahren betreffend § 2 Abs. 3 EStG a. F.4 Will man sich aber von jener de lege lata nach wie vor existenten Grundentscheidung überhaupt lösen? Hindernis ist wohl in erster Linie die „Angst“ vor den Auslandsverlusten. Im Kern geht es auch hier wohl wieder um die Frage nach der Verlustfinalität und danach, ob der EuGH die Berücksichtigung finaler Verluste auch im Konzernzusammenhang einfordert. Das Fundament dazu liefert in der Tat das Urteil Marks & Spencer5 zum UK-group relief und dann speziell betriebsstättenbezogen die Wannsee-Entscheidung6 und die Lidl Belgium-Entscheidung7. Das Urteil in der Rechtssache X-Holding8 mag bei flüchtiger Lektüre in die andere Richtung gehen, aber das ist, wie ich meine, nur vordergründig der Fall. Die dem EuGH gestellte Vorlagefrage ging lediglich dahin, ob der Auslandsgesellschaft Zugang zu der niederländischen „fiscale eenheid“ zu gewähren ist, ob ein solcher Zugang unionsrechtlich eingefordert werden kann. Um die Frage nach dem Verlustabzug und den finalen Verlusten ging es im Kern überhaupt nicht. Deswegen gehe ich davon aus, dass in dieser Entscheidung auch keineswegs eine Abkehr des EuGH von der vorangegangenen und ja noch jungen Spruchpraxis gesehen werden kann. Das wäre eine seitens der Verwaltung allenfalls gewünschte Überinterpretation. Auf diesem Plafond hat der BFH jedenfalls seine jüngere Rechtsprechung in den Urteilen I R 100/099 und I R 107/0910 gestützt und die Rechtsgrundsätze des EuGH entsprechend weiterentwickelt. Letzteres gilt vor allem für den Versuch, dem doch recht konturenarmen Begriff der Finalität ein Gesicht zu geben. Das ist in der Weise geschehen, dass ein strikter Importstopp für Verlustbeschränkungen des anderen Staates angenommen wird. Das hat der BFH _____________ 4 BVerfG v. 12.10.2010 – 2 BvL 59/06, DStR 2010, 2290. 5 EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, Slg 2005, I-10837. 6 EuGH v. 23.10.2008 – C-157/07 – Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt GmbH, Slg. 2008, I-8061. 7 EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06 – Lidl Belgium, Slg. 2008, I-3601. 8 EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08 – X-Holding, DStR 2010, 427. 9 BFH v. 9.6.2010 – I R 100/09, BStBl. II 2010, 1065. 10 BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, BFH/NV 2010, 1744.

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der Wannsee-Entscheidung11 entnommen und auch gemeint, jener Entscheidung mit hinreichender Gewissheit entnehmen zu können. Das ist die eine Sache. Macht man diesen ersten Schritt, dann ändert das aber nichts an der Existenz des Abzugsgebots in den Fällen der Finalität. Soll dieses Gebot nicht leerlaufen, dann muss es auch eine Finalität geben. Sieht man die rechtliche Finalität als unbeachtlich an, dann verbleibt nur noch eine Finalität, welche im Tatsächlichen gründet. Und darauf hat der BFH denn auch abgestellt. Das übrigens, ohne blauäugig zu sein und nicht zu wissen, dass die Ausnahme des Verlustabzugs gestalterisch genutzt werden kann. Das ist klar. Nur ist es sicherlich auch nicht Aufgabe der Rechtsprechung, hier ein fertiges Konzept zu liefern und gewissermaßen einen Rundumschlag zur Sicherstellung von Besteuerungssubstrat zu schaffen. Das muss dem Gesetzgeber, der Verwaltung als dem „Vorgesetzgeber“ oder wem auch immer vorbehalten bleiben. Das ist nicht die Aufgabe des BFH, der lediglich versucht, einen methodisch „stimmigen“ Lösungsweg inter partes aufzuzeigen. Der BFH hat auch gesagt, es kann bei entsprechender ‚Finalitätsgestaltung‘ durchaus Anhaltspunkte geben, die das Ganze in den Bereich des Missbrauchs rücken. Ggf. hilft auch § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO und es bedarf einer rückwirkenden Korrektur. Dem BFH konnte es aber im Ergebnis dennoch nur darum gehen, die zur Entscheidung stehenden Fälle angemessen und auf der Basis der methodisch vom EuGH vorgegebenen Grundsätze zu lösen, und das ist aus meiner Sicht sehr wohl gelungen. Um es nochmals zu sagen: Es kann nicht sein, dass das Diktum des EuGH, dass der Abzug finaler Verluste sichergestellt werden muss, dass dieses Diktum zum „Placebo“ wird und letztlich nur noch als leerlaufende „Hülle“ dasteht. Und deshalb sollte man auch nicht meinen, dass der EuGH nun schlank und ohne weitere Worte alles, was vorher richtig gewesen ist, mit der X-Holding-Entscheidung12 aufgegeben hat. Eine andere Frage, Herr Urtz, ist dann, um das noch abschließend zu sagen, ob das alles weltweit gilt. Ich meine nicht. Es geht hier nicht nur darum, dass – wie der EuGH dies bekanntermaßen für ein primäres Eingreifen der Niederlassungsfreiheit gegenüber der drittstaatenweit greifenden Kapitalverkehrsfreiheit verlangt – die Kapitalbeteiligung „einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaft“ ermöglicht. Nein, der EuGH ist da recht eindeutig. Er sagt, auch immer dann, _____________ 11 EuGH v. 23.10.2008 – C-157/07 – Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt GmbH, Slg. 2008, I-8061. 12 EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08 – X-Holding, DStR 2010, 427.

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wenn es um die Besteuerung von Gruppenbeziehungen geht, ist die Kapitalverkehrsfreiheit redundant. Diese Situation haben wir hier. Wir dürfen nicht nur den besagten „sicheren Einfluss“ als Merkmal für die Abgrenzung zwischen den beiden Freiheitsschutzbereichen sehen. Für irgendwelche Ängste, dass man sich hier weltweit Verluste ins Haus holt, besteht insoweit kein Grund. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Gosch. Herr Müller-Gatermann, das war in gewisser Weise etwas Wasser auf Ihre Mühlen des Beharrens, wenn ich das so sagen darf. Herr Gosch hat nämlich auch das Subjektprinzip im Steuerrecht relativ hochgehalten. Prof. Dr. Gosch Ja, ja, so war es gemeint. Prof. Dr. Lüdicke Das ist ganz klar. Vor wenigen Tagen, Ende November, ist vom kanadischen Finanzministerium ein Consultation Paper mit dem Titel „The Taxation of Corporate Groups“13 veröffentlicht worden. Im kanadischen Finanzministerium wird darüber nachgedacht, ob eine Gruppenbesteuerung eingeführt werden soll. Dieses Papier dient als Diskussionsgrundlage. Es gibt offensichtlich einen weltweiten Trend erstens zur Gruppenbesteuerung und zweitens weg von der Organschaft. Könnte das nicht auch ein Grund sein, letztlich über diese Probleme hinwegzugehen? Herr Müller-Gatermann, wie schätzen Sie das ein? Was wird bei den Beratungen möglicherweise herauskommen? Müller-Gatermann Das Ergebnis der Arbeitsgruppe und die anschließende politische Entscheidung heute zu prognostizieren, ist natürlich schwierig. Der Koalitionsvertrag macht jedoch deutlich, dass der politische Wille zu einer Lösung da ist. Ich bin auch zuversichtlich, dass man diesmal zu Ergebnissen kommt. Denn vor Jahren hat es zu der Problematik der Gruppenbesteuerung schon eine Arbeitsgruppe mit der Wirtschaft gegeben. Die Ergebnisse sind in einen Bericht an den Finanzausschuss eingeflos_____________ 13 http://www.fin.gc.ca/activty/consult/tcc-igs-eng.pdf.

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sen und unser Haus hatte sich damals sehr offen für die oben skizzierten Überlegungen zur Änderung der Organschaftsvorschriften geäußert. Wie bereits dargestellt, müssen die Ergebnisse wegen der Verlustberücksichtigung aber haushalterisch beherrschbar sein. Und da müssen wir aufpassen, dass wir auf der einen Seite zwar versuchen, eine nationale Regelung zu finden, auf der anderen Seite dann aber von der EuGHRechtsprechung dazu gezwungen werden, ausländische Verluste in Deutschland ebenfalls zu berücksichtigen. Die Reaktion in Österreich macht uns an dieser Stelle natürlich nachdenklich. Ich erinnere mich noch heute gut daran, wie die großzügige österreichische Gruppenbesteuerung vom damaligen österreichischen Finanzminister in Deutschland propagiert worden ist. Schon damals erzählte mir mein österreichischer Kollege über die nachteiligen Haushaltsauswirkungen der Maßnahme. Und wenn damals schon gesagt wurde, dass wir von Österreich lernen könnten, so erinnere ich mich an einen Artikel, in dem es damals auch hieß: „Von Irland lernen, heißt siegen lernen.“. Wenn wir diese Aussage vor dem Hintergrund der aktuellen Lage Irlands sehen, erscheint es mir bei aller Progressivität angezeigt, vorsichtig zu sein und bei der Rechtsfolgenabschätzung solide zu rechnen. Prof. Dr. Lüdicke Es ist sicherlich ein Unterschied, ob ein kleinerer Staat, in dem naturgemäß die lokalen Gewinne kleiner sind, oder ein großer Flächenstaat wie Deutschland ausländische Verluste zum Import zulässt. Ganz kurz, Herr Bernhardt, wie weit wäre die Industrie bereit, weitestgehend auf ausländische Verluste zu verzichten, um von der Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag wegzukommen? Bernhardt Das ist eine sehr trickreiche Frage. [Heiterkeit im Saal] Prof. Dr. Lüdicke Soll ich die Frage zurückziehen? Bernhardt Nein, man kann sie nur nicht in einem Satz beantworten. Da gibt es Interessengegensätze. Vielleicht möchte Herr Müller-Gatermann etwas dazu sagen? 153

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Müller-Gatermann Ich weiß nicht, ob ich es in einem Satz schaffe. Dr. Haas Ich würde es als zweistufiges Verfahren sehen. Im ersten Schritt sollten wir uns darauf fokussieren, ob wir in Deutschland überhaupt ein vernünftiges Organschaftssystem ohne Ergebnisabführungsvertrag hinbekommen. Das sagt sich so schnell, man muss es aber im Einzelnen durchdenken. Es gibt verschiedene Probleme. Wenn beispielsweise die tatsächliche Verlusttragung Voraussetzung für die Anerkennung der steuerlichen Organschaft sein sollte, und das kommt vom BMF, das habe ich jetzt schon von verschiedenen Vertretern gehört, dann bin ich am Ende de facto fast bei einem Ergebnisabführungsvertrag, viel einfacher würde es nicht. Man müsste sich fragen, um welche Verluste es denn geht, um die handelsrechtlichen oder um das verrechnete negative steuerpflichtige Einkommen? Dann hätten wir einen ganzen Rattenschwanz an Folgeproblemen. Die nächste Frage ist der Abschluss eines Steuerumlagevertrages. Auch das ist, Herr Urtz hat es ja angesprochen, in Österreich wie ich verstanden habe, Voraussetzung für die Anerkennung der Organschaft. Es ist eher ein gesellschaftsrechtliches Problem als ein steuerliches. Auch diese Organschaftsvoraussetzung bedeutete zusätzliche Komplexität und die Frage, die man sich dann wirklich stellt ist, ob wir mit der Abschaffung des Ergebnisabführungsvertrages als Organschaftsvoraussetzung tatsächlich viel gewinnen würden. Dann haben wir noch einen dritten großen Themenkomplex, der in vielen Ländern mit Organschaft oder Gruppenbesteuerung keine Rolle spielt: Er betrifft die Frage der vororganschaftlichen und organschaftlichen Gewinne, wo nachträgliche Anpassungen in und nach Betriebsprüfungen vorgenommen werden, die in der Praxis ein wesentlicher Grund für die unglaubliche Komplexität des deutschen Organschaftsrechts sind. Werden wir das durch Verzicht auf den Ergebnisabführungsvertrag vermeiden können? Die klare Aussage ist „Nein“. Solange wir den § 8b Abs. 5 KStG haben und da das BMF auf den § 8b Abs. 5 KStG nicht generell verzichten will (haushalterisch durchaus nachvollziehbar) und die Wirtschaft umgekehrt sagt, in der Organschaft wollen wir keine Belastung nach § 8b Abs. 5 KStG haben, das ist ja ganz, ganz wichtig für uns, solange wird es keine einfache Lösung für die deutsche Organschaft geben. Gleichwohl sollten wir an diesem Thema arbeiten 154

Podiumsdiskussion: Grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung

und es wirklich durchdenken. Ich wäre mit vielen anderen dazu bereit, zu sagen, lasst uns im ersten Schritt auf eine deutsche Lösung konzentrieren, um dann in einem zweiten Schritt zu versuchen, die europarechtlichen Vorgaben umzusetzen. Und dann möchte ich noch den § 8b Abs. 3 KStG mit der Finalität von Liquidationsverlusten ins Spiel bringen. Denn die sind zwar keine Gruppenbesteuerung im eigentlichen Sinne, führen und transportieren aber mittelbar über den Beteiligungsbuchwert zumindest einen guten Teil der Auslandsverluste ins Inland. Es gibt Länder, wie beispielsweise die Niederlande und Belgien, die trotz Veräußerungsgewinnbefreiung solche Regelungen haben. Vielleicht hilft auch da der Blick über die Grenze. Herr Bernhardt, Sie hatten es vorhin schon angeregt, dass man da wirklich nachschaut. Dr. Loschelder Vielleicht nur ganz kurz noch zu der angesprochenen Komplexität des Ergebnisabführungsvertrags. Gerade wenn man in die Literatur schaut, hat man den Eindruck, dass das Ganze extrem streitanfällig ist. Aus der finanzgerichtlichen Praxis kann ich nur sagen, dass wir in den letzten vier Jahren keinen einzigen Fall zu entscheiden hatten, in dem die Organschaft als solche streitig gewesen wäre oder gar der Ergebnisabführungsvertrag. Wir haben zwar Fälle mit Organschaftsbezug gehabt. Es ging aber immer um Folgefragen, zum Beispiel um den alten § 32c EStG. Mit solchen Folgeproblemen müssten wir uns aber natürlich auch dann beschäftigen, wenn wir ein anderes System der Gruppenbesteuerung hätten. Das hängt jedenfalls nicht an der Komplexität des Ergebnisabführungsvertrags. Prof. Dr. Lüdicke Der BFH hat auch schon andere Erfahrungen gemacht. Der I. Senat hatte ja mehrfach über die Anerkennung des Ergebnisabführungsvertrages als solchen zu entscheiden. In der Praxis kann man beobachten, dass viele Fälle schon deswegen gar nicht zu den Gerichten kommen, weil ohnehin klar ist, dass etwas schiefgegangen ist. Müller-Gatermann Lassen Sie mich bitte kurz ergänzen zu dem, was Herr Haas gesagt hat.

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Bei den Liquidationsverlusten muss man zwei Betrachtungen unterscheiden. Zum einen ist der Verlust unter dem Oberbegriff „Gewinn“ zu fassen, quasi als negativer Gewinn. Dies hat zur Folge, dass ein Verlust nicht berücksichtigt werden kann, wenn dies beim „Gewinn“ der Fall ist. Zum anderen gebe ich aber gerne zu, dass im System des Teileinkünfteverfahrens die Nichtberücksichtigung von Veräußerungsgewinnen (und Dividenden) nur deshalb vorgesehen wurde, da eine Besteuerung auf späteren Stufen erfolgt. Beim Liquidationsverlust ist eine spätere Berücksichtigung jedoch nicht mehr möglich. Die Frage einer Weiterentwicklung der deutschen Organschaftsbesteuerung hat gegenüber der Einzelfrage der Berücksichtigungsfähigkeit von Liquidationsverlusten jedoch eine viel größere Bedeutung und auch insofern eine ganz andere Qualität. Ich bin wie Herr Haas der Meinung, dass wir hier zunächst versuchen sollten, national weiter zu kommen, und dabei aber mit Blick auf die EuGH-Rechtsprechung darauf achten, die haushalterischen Auswirkungen einer neuen Regelung beherrschbar zu machen. Prof. Dr. Gosch Direkt daran anknüpfend, Herr Müller-Gatermann: Ich sehe das wie Sie. Im Grunde genommen haben wir aus europarechtlicher Sicht keine unmittelbare Handlungsnot, weil auch ich der Meinung bin, der Ergebnisabführungsvertrag ist durch die X-Holding-Entscheidung14 des EuGH cum grano salis „salviert“ worden. Das heißt, wir haben heute keine unmittelbare Handlungsnot, aber wir haben dennoch dringenden Handlungsbedarf, und zwar im Hinblick auf die „finalen“ Verluste. Andernfalls werden höchst kreativ richterrechtliche Hilfskonstruktionen bemüht, wie wir sie, Herr Urtz hat es dargestellt, in Gestalt der beschriebenen Entscheidungen des FG Rheinland-Pfalz15 und des FG Niedersachsen16 erleben. Die Rechtsprechung wird genötigt, sozusagen substituierend an die Stelle des Gesetzgebers zu treten. Ob solche Ersatzlösungen noch als hinnehmbar anzusehen sind, erscheint mir zumindest fraglich. Denn im Grunde agieren die Gerichte hier nicht mehr „normgeltungserhaltend“, vielmehr „normgeltungsschaffend“; die Ge_____________ 14 EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08 – X-Holding, DStR 2010, 427. 15 FG Rheinland-Pfalz v. 17.3.2010 – 1 K 2406/07, EFG 2010, 1632, Revision beim BFH mit dem Az. I R 34/10 ist durch Rücknahme erledigt. 16 FG Niedersachsen v. 11.2.2010 – 6 K 406/08, EFG 2010, 815, Revision beim BFH mit dem Az. I R 16/10 ist durch Beschluss v. 9.11.2010 entschieden, GmbHR 2011, 277.

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richte treten an die Stelle des Gesetzgebers, und das zum Nachteil der Steuerpflichtigen. Ich habe hier zumindest große methodische Bedenken – wobei ich weiß, Ihre Kollegen in Wien, Herr Urtz, sind da in der Vergangenheit wesentlich mutiger gewesen; ich denke nur an den Verlustabzug mit anschließender Nachversteuerung, den der österreichische VwGH seinerzeit aus eigener Kraft geschaffen hat. Ich frage mich jedenfalls, ob es nicht besser wäre, wenn hier bei unserem Problem der finalen Verlustabzüge der Gesetzgeber – wie gesagt ohne Handlungsnot, aber mit Handlungsbedarf – das Heft des Handelns in die Hand nähme. Noch ein Wort, weil Herr Urtz es angesprochen hat, zu der Frage des Zeitpunktes für den „finalen“ Verlustabzug. Wann, in welcher Phase (Stichwort: „phasengleich“) ist der Abzug im Inland zu ermöglichen? Der Senat hat in seiner Entscheidung I R 107/0917 auf das „Finalitätsjahr“, nicht das Verlustentstehungsjahr abgestellt. Allerdings wird es häufig gar nicht so einfach sein, den Finalitätszeitpunkt auch genau zu bestimmen und diesen dingfest zu machen. So befand sich die Auslandstochtergesellschaft in der Revision I R 16/1018 noch in Liquidation. Kommt es dann auf den Zeitpunkt des Liquidationsbeschlusses an? Oder auf den oftmals viel späteren Zeitpunkt der letzten Liquidationsauskehrung? Oft zieht sich der Liquidationsprozess lange hin, und oft wird es auch vom ausländischen Gesellschaftsrecht abhängen, wann die Liquidation auch rechtlich beendet ist. Gleiches wird für Betriebsstätten gelten. Trotzdem halte ich es für richtig, auf den Finalitätszeitpunkt abzustellen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt greift die „Symmetrie“ der wechselseitigen „Aussperrung“ von positiven und negativen Einkünften nach Abkommensrecht und der vereinbarten Freistellungsmethode. Verluste sind danach erst dann zu berücksichtigen, wenn sie wirklich final sind. Dann erst werden sie zu Quasi-Inlandsverlusten, die „wie“ echte Inlandsverluste abzuziehen sind. Für einen phasengleichen Verlustabzug bei der Verlustentstehung bleibt so gesehen kein Raum. In diesem Sinne ist übrigens das Revisionsverfahren gegen das angeführte Urteil des FG Rheinland-Pfalz zwischenzeitlich denn auch schon durch Rücknahme erledigt. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank. Herr Müller-Gatermann, weil Herr Urtz es angesprochen hat, noch eine Frage zum geltenden Recht: § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG. _____________ 17 BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, BFH/NV 2010, 1744. 18 BFH v. 9.11.2010 – I R 16/10, GmbHR 2011, 277.

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Wäre es nicht sehr eigenartig, wenn es so käme, wie Herr Urtz das als möglich dargestellt hat, dass nämlich ein deutscher Verlust des deutschen Organträgers in Deutschland deswegen nicht abgezogen werden kann, und zwar endgültig nicht, weil Österreich so großzügig ist, ihn jedenfalls vorübergehend, wenn auch mit Nachversteuerung, zum Abzug zuzulassen? Will die Verwaltung den § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG wirklich so anwenden oder bleibt er weiter unangewendet? Nach meiner Kenntnis gibt es ja bis heute nicht mal ein Feld in der Körperschaftsteuererklärung, in das man ihn eintragen kann. Müller-Gatermann Dazu gibt es sicherlich auch keine eindeutige Meinung der Verwaltung. Ich erinnere mich, nachdem das Gesetz damals geschaffen worden ist, ist sehr viel spekuliert worden. Aber ich würde mir heute auch keine abschließende Meinung für die Verwaltung zutrauen. Prof. Dr. Lüdicke Meine Damen und Herren, wir haben einen sehr interessanten Vortrag von Herrn Urtz gehört und hatten eine interessante Diskussion. Wahrscheinlich werden wir in ein oder in zwei Jahren, je nachdem wie schnell die Diskussion voranschreitet, das Thema hier noch einmal behandeln, hoffentlich schon mit einem Gesetzgebungsvorschlag oder zumindest einem Diskussionspapier der deutschen Finanzverwaltung.

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Internationale Aspekte bei Umwandlungen nach dem SEStEG – das (künftige) BMF-Schreiben – Peter Wochinger Ministerialrat im Finanzministerium Baden-Württemberg, Stuttgart

Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 B. Formwechsel. Kapitalgesellschaft auf Personenunternehmen (§§ 3–10 UmwStG) . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . II. Formwechsel GmbH und GmbH & Co . . . . . . . . . . . . . . III. Inlandsumwandlung mit ausländischem Betriebsvermögen IV. Formwechsel in eine KG . . . .

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C. Verschmelzung von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . II. Down-stream merger mit ausländischem Anteilseigner . III. Hinein-/Herausverschmelzung 1. Hinausverschmelzung . . . . 2. Hereinverschmelzung . . . . . 3. Einbringungstatbestände . .

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A. Einführung Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Lüdicke, für die freundliche Begrüßung. Guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich freue mich sehr, dass Sie hier geblieben sind. Denn sonst hätten Sie etwas versäumt, einen ersten Blick in das künftige BMF-Schreiben zum neuen Umwandlungssteuerrecht. Ich hatte gehofft, Herr Dr. Peters hätte heute Morgen einen konkreten Zeitplan für den neuen Umwandlungssteuererlass vorgestellt. Das wäre hilfreich gewesen, denn es wird schon zunehmend gespottet, der Umwandlungssteuererlass sei der neue „steuerliche Yeti“: Jeder spricht davon und keiner wird ihn je sehen. Aber jetzt, nicht Yeti, sondern erste Problembereiche bei grenzüberschreitenden oder ausländischen Umwandlungen nach dem SEStEG. Stellen Sie sich vor, es gibt den Umwandlungssteuererlass. Dann könnten in dem Erlass folgende Probleme geregelt sein: Anwendungsbereich, § 1 UmwStG, ganz wichtig. Wenn ein Umwandlungsvorgang nicht unter § 1 UmwStG fällt, kann der Vorgang nicht erfolgsneutral sein. Das SEStEG hat eine Erweiterung gebracht. Früher, vor SEStEG, waren nur inländische Umwandlungen erfolgsneutral (sog. doppelter Inlandsbezug), d. h. übertragender und übernehmender Rechtsträger mussten beide im 159

Wochinger – Internationale Aspekte bei Umwandlungen nach dem SEStEG

Inland ansässig und nach § 1 KStG unbeschränkt steuerpflichtig sein. Das hat sich geändert. Das neue Umwandlungssteuergesetz gilt für Inlandsfälle, grenzüberschreitende Fälle in der EU/EWR und ausländische Fälle in der EU/EWR. Was sind Inlandsfälle? Ein Inlandsfall liegt vor, wenn für den übertragenden und übernehmenden Rechtsträger das Personalstatut Deutschlands anwendbar ist. Also wenn beide in Deutschland ihren Sitz haben und unter § 1 UmwG fallen, dann handelt es sich um einen inländischen Umwandlungsvorgang. Bei grenzüberschreitenden oder ausländischen Umwandlungen im EU-/EWR-Bereich muss der Vorgang dem deutschen Umwandlungsgesetz entsprechen. Bei grenzüberschreitenden Umwandlungen in der EU/EWR haben übertragender und übernehmender Rechtsträger ihren Sitz in zwei EUStaaten. Ausländische Umwandlungen, die unter das deutsche Umwandlungssteuergesetz fallen, betreffen Fälle, in denen beide Rechtsträger, übertragender und übernehmender Rechtsträger, in einem anderen ausländischen Staat ihren Sitz haben. Z. B. die Verschmelzung von zwei britischen Limiteds, Sitz in Großbritannien, Geschäftsleitung in Hamburg, ist eine ausländische Umwandlung. Und damit muss nachgewiesen werden – wenn dieser Vorgang erfolgsneutral sein soll – dass der Vorgang dem deutschen Umwandlungsgesetz entspricht (z. B. Typenvergleich, Gesamtrechtsnachfolge). In dem Moment, in dem ein grenzüberschreitender Vorgang oder ausländischer Vorgang mit Deutschlandbezug vorliegt, ist für die Erfolgsneutralität Voraussetzung, dass dieser Vorgang zivilrechtlich dem deutschen Umwandlungsgesetz entspricht. Bei Umwandlungsvorgängen nach § 122a UmwG, nach Verschmelzungsrichtlinie, ist die Vergleichbarkeit gegeben. Aber es gibt natürlich Fälle, in denen es problematisch ist, z. B. Verschmelzung von zwei britischen Limiteds mit deutscher Betriebsstätte. Das ist kein Selbstläufer. Sie müssen nachweisen, dass das britische Gesellschaftsrecht die Verschmelzung von zwei britischen Ltd. wie eine Verschmelzung nach dem deutschen UmwG regelt. Das ist zwar nicht der Fall, die Verschmelzung von zwei britischen Ltd. wird aber im neuen UmwSt-Erlass wohl als „vergleichbarer Vorgang“ behandelt. Eine Abspaltung nach französischem Recht wird aber nicht vergleichbar mit einer Abspaltung nach dem UmwG sein. Trost für Sie, die ersten 60 Textziffern des neuen Erlasses beschäftigen sich fast ausschließlich mit der Frage, inländisch, grenzüberschreitend, ausländisch, vergleichbar ja oder nein. Für die europarechtliche Problematik besonders wichtig ist der sog. Betriebsstättenvorbehalt. Nach den Grundregelungen in den §§ 3 und 11 160

Wochinger – Internationale Aspekte bei Umwandlungen nach dem SEStEG

UmwStG muss der übertragende Rechtsträger die übergehenden Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert ansetzen. Das würde zu einem voll steuerpflichtigen (KSt, GewSt) Übertragungsgewinn führen. Es sei denn, es wird rechtzeitig der Antrag gestellt, den Buchwert oder Zwischenwert anzusetzen. Voraussetzung für den Buchwert-/Zwischenwert-Ansatz ist u. a., dass nach der Umwandlung das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist. Dieser Vorbehalt stützt sich auf die Fusionsrichtlinie, die aussagt, dass die Verschmelzung einer deutschen auf eine ausländische Gesellschaft in der EU nur dann erfolgsneutral in Deutschland sein muss, soweit die Wirtschaftsgüter der deutschen übertragenden Kapitalgesellschaft nach der Umwandlung weiter einer deutschen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Daraus ergibt sich die Frage, ob dieses Sekundärrecht europarechtlich nicht gegen Primärrecht, die Niederlassungsfreiheit verstößt. Wenn Wirtschaftsgüter von Hamburg nach Berlin überführt werden, ist das erfolgsneutral. Wenn Wirtschaftsgüter von Hamburg nach Kopenhagen übertragen werden, dann soll das unter den Betriebsstättenvorbehalt fallen. Das sieht die Finanzverwaltung relativ locker. Ich habe mich immer darüber gewundert und deswegen einen „Weisen“ gefragt, der nicht der Finanzverwaltung angehört. Die Frage: Verstößt der Betriebsstättenvorbehalt nicht gegen die Niederlassungsfreiheit. Und die Botschaft des „Weisen“, einem Universitäts-Professor, war, dass es mindestens eine Stundungsregelung geben muss, die über § 4g EStG hinausgeht. Ich will es jetzt nicht kommentieren, sondern überlasse es nachher der Diskussion, ob das richtig ist. Problematisch ist auch der Zeitpunkt der Anwendung des Betriebsstättenvorbehalts bzw. der sog. Entstrickung. Beispiel: Verschmelzung der deutschen D-AG auf die französische F-S.A. am 1.7.2010 mit steuerlicher Rückwirkung (§ 2 UmwStG) auf 31.12.2009. Frage: Wann haben die Wirtschaftsgüter Deutschland verlassen. Wann muss entstrickt werden, d. h. wann müssen die stillen Reserven in den bilanzierten und nicht bilanzierten Wirtschaftsgütern aufgedeckt und versteuert werden? Am steuerlichen Übertragungsstichtag 31.12.2009 durch Ansetzen des gemeinen Wertes bei der übertragenden D-AG? Oder ist die Entstrickung ein tatsächlicher Vorgang des laufenden Jahres und wird im Jahr 2010 sukzessive, so wie die Wirtschaftsgüter tatsächlich nach Frankreich überführt werden, steuerlich vollzogen (Ansatz des gemeinen Werts wirtschaftsgutbezogen, allerdings auch bei selbstgeschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern). Dann nicht nach § 11 UmwStG, son161

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dern nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG und bei der insoweit in Deutschland mit der D-Betriebsstätte beschränkt steuerpflichtigen F-S.A. mit § 4g EStG (?), wobei § 4g EStG nur für den unbeschränkt Steuerpflichtigen gilt, europarechtlich m. E. auch für den beschränkt Steuerpflichtigen.

B. Formwechsel. Kapitalgesellschaft auf Personenunternehmen (§§ 3–10 UmwStG) I. Einführung Rechtstheoretisch der schwierigste Umwandlungsvorgang. Deswegen muss ich einen kleinen Vorlauf machen. Was geschieht, wenn eine GmbH in eine GmbH & Co. KG umgewandelt wird? Die Besteuerungsebene wird gewechselt. Bei der GmbH gilt Körperschaftsteuerrecht, bei der Personengesellschaft im Ergebnis Einkommensteuerrecht, wenn die Mitunternehmer natürliche Personen sind. Also steuersystematisch eine „Liquidation“ der „untergehenden“ GmbH (u. U. zum Buchwert bei optionalem Ansatz der übergehenden Wirtschaftsgüter mit dem Buchwert). Bei der übernehmenden Gesellschaft, hier der GmbH & Co KG, gelten die Anteile an der übertragenden GmbH fiktiv in das Betriebsvermögen eingelegt (§ 5 Abs. 2 und 3 UmwStG, Ausnahme Fälle des § 7 UmwStG). D. h., die GmbH-Gesellschafter, die – unterstellt – Privatvermögen hatten, haben jetzt gewerbliches Betriebsvermögen. Das mag ein technischer Vorgang sein. Wir werden noch sehen, welche Probleme sich daraus ergeben, wenn ein ausländischer Anteilseigner beteiligt ist. DBA-rechtlich hat der Ausländer vorher eine Kapitalbeteiligung (GmbHBeteiligung) und hinterher einen Mitunternehmeranteil, der ihn dann möglicherweise in die beschränkte Steuerpflicht führt. Und noch eines: Liquidationsgedanke. Die offenen Reserven der GmbH gelten fiktiv als Dividenden. Es fließt kein Cash, aber die offenen Rücklagen der GmbH gelten bei den Gesellschaftern der GmbH, jetzt Mitunternehmer, entsprechend ihrer quotalen Beteiligung als Dividenden mit Kapitalertragsteuerabzug. Das Übernahmeergebnis bei der GmbH & Co KG wird deshalb in einen Dividendenteil und einen Veräußerungsteil aufgeteilt. Das in aller Schnelle die Arithmetik. Zu den offenen Rücklagen = Dividenden, das muss nicht der versteuerte Gewinn der GmbH sein, das kann auch das bilanzierte Körperschaftsteuerguthaben sein. D. h. aus der Bilanzierung von Körperschaftsteuerguthaben (steuerfrei) zum 31.12.2006 bei der GmbH kann eine steuerpflichtige 162

Wochinger – Internationale Aspekte bei Umwandlungen nach dem SEStEG

Dividende entstehen, wenn diese GmbH in eine GmbH & Co. KG umgewandelt wird, weil die offenen Rücklagen als Dividende gelten.

II. Formwechsel GmbH und GmbH & Co Die GmbH hat hohe offene Rücklagen. Beispiel: Die D-GmbH hat drei Gesellschafter: A (D), B (D) und Z (USA). Sie wird in eine Mitunternehmerschaft (hier: GmbH & Co. KG) umgewandelt. Fürsorglich folgender Hinweis: Wenn eine GmbH in eine GmbH & Co. KG umwandelt wird zum Buchwert (z. B. 100.000 Euro), dann ist das Kapitalkonto I bei der GmbH & Co. KG ebenfalls 100.000 Euro (zwingende Buchwertverknüpfung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwStG). Wenn die Gesellschafter A, B und Z dann z. B. 1 Mio Euro Anschaffungskosten für die GmbHAnteile gehabt hätten, dann würden sie hier im Ergebnis 900.000 Euro Anschaffungskosten verlieren. D. h. hohe Anschaffungskosten für die GmbH-Anteile, niedriges GmbH-Vermögen führt bei Buchwertansatz zum Verlust von Anschaffungskosten. Das ist aber hier nicht mein Thema. Sondern Rücklagen: Nochmals der Ausgangsfall. An der D-GmbH sind A mit 49,5 %, B mit 0,5 % und der US-Amerikaner Z mit 50 % beteiligt. Die D-GmbH verfügt über offene Rücklagen von 1.000 und wird in eine GmbH & Co. KG formgewechselt. Zurechnung Dividenden = Kapitaleinkünfte i. S. des § 20 EStG bei A: 495, B: 5 und bei Z: 500. Z ist Amerikaner, DBA-abgeschirmt, aber die Anteile des Z gelten fiktiv als in das Betriebsvermögen der aufnehmenden GmbH & Co. KG eingelegt (§ 5 Abs. 2 UmwStG). Dann ergibt sich die Frage, was wird steuerlich Z bzgl. Dividendenteil bzw. Übernahmeergebnis aus diesem Vorgang zugerechnet? Ist er DBA-abgeschirmt oder hat er beschränkt steuerpflichtige Einkünfte bei der GmbH & Co. KG? Er war ja vorher mit seiner Kapitalbeteiligung an der D-GmbH DBA-abgeschirmt (Besteuerungsrecht USA), jetzt ist er Mitunternehmer. Fakt ist, dass dessen Anteile als in das Betriebsvermögen der GmbH & Co. KG eingelegt gelten. Aber: Keine Erfassung des Veräußerungsteils bei der deutschen Besteuerung. Denn hätte Z seine GmbH-Anteile vor der Umwandlung veräußert, hätten nach dem DBA-USA die USA das Besteuerungsrecht. Aber gilt das auch für den Dividendenteil? Erhält Z seinen Anteil an den offenen Rücklagen noch als Privatmann mit DBA-Recht und Abgeltungswirkung und/oder liegen bzgl. der Dividendenbezügen des Z Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2a oder § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG mit Abgeltungswirkung vor. Die Meinungen sind geteilt. Wenn – was nicht unwahrscheinlich ist – in neuen UmwSt-Erlass § 49 Abs. 1 Nr. 2 163

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Buchst. a EStG stünde, würde mich auch die Meinung des Podiums interessieren.

III. Inlandsumwandlung mit ausländischem Betriebsvermögen Ausgangsfall wieder: GmbH-Umwandlung in GmbH & Co. Und das Betriebsvermögen dieser GmbH beinhaltet auch eine nach DBA befreite ausländische Betriebsstätte. Der Fall: A-GmbH, Gesellschafter B-GmbH und C, Betriebsstätte der GmbH im DBA-Freistellungsstaat. Und jetzt kommt jemand auf die Idee, diese GmbH in eine KG formzuwechseln. Würde die GmbH nicht umgewandelt, wäre das Betriebsstättenvermögen der deutschen Besteuerung entzogen. Es wären steuerfreie Betriebsstätteneinkünfte, sowohl laufende Gewinne als auch Veräußerungsvorgänge. Wenn jetzt diese GmbH in eine KG umgewandelt wird, dann werden die stillen Reserven aus der DBA-Betriebsstätte beim Übernahmeergebnis (Veräußerungsteil), nicht beim Dividendenanteil, zugerechnet. Begründung: Hätten die Gesellschafter die GmbH-Anteile verkauft, hätte der Erwerber auch etwas gezahlt für die dahinter stehenden Betriebsstättenvermögenswerte. Also muss in diesem Fall das Vermögen der Betriebsstätte, obwohl es DBA-befreit ist, beim Übernahmeergebnis zugerechnet werden und es kommt damit im Zweifel zu einem steuerpflichtigen Übernahmegewinn, der je nachdem, wer Mitunternehmer der übernehmenden GmbH & Co. KG ist, § 8b Abs. 2 KStG oder § 3 Nr. 40 EStG unterliegt.

IV. Formwechsel in eine KG Jetzt soll die Betriebsstätte nicht im DBA-Staat sein, sondern im NichtDBA-Staat (z. B. in Liechtenstein) oder im DBA-Anrechnungsstaat (z. B. „passive“ Betriebsstätte in Portugal). Und ein GmbH-Gesellschafter (Herr C) soll Ausländer bzw. in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtig sein. Welche Folgen hat jetzt der Formwechsel der GmbH in eine KG? Nach dem Formwechsel wird der Anteil von C am Vermögen der Betriebsstätte unmittelbar dem C im ausländischen Wohnsitzstaat zugerechnet. Also verliert Deutschland insoweit das Besteuerungsrecht an der Betriebsstätte (Annahme: Gesellschafter C, Anteil 50 %, Wohnsitz in NL). Und deswegen muss in diesem Fall bei der übertragenden A-GmbH insoweit der gemeine Wert gesetzt werden (bzgl. Betriebsstätte), als C beteiligt ist. Das bedeutet: Bei der übertragenden A-GmbH kein Ansatz Buchwert in der Schlussbilanz, sondern zwingend gemeiner 164

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Wert, soweit C beteiligt ist (also 50 %, aber natürlich nur bzgl. Betriebsstätte). Wie geht das? Wenn der Zwischenwert angesetzt wird (unterstellt der Inländer A und der Ausländer C sind beide zu 50 % beteiligt), werden auch dem Inländer A anteilig stille Reserven zugerechnet. Dann hat er zwar bei der KG insoweit Abschreibungspotenzial (durch höheren Wertansatz des übernommenen Vermögens), aber auch anteilig höhere Dividendeneinkünfte aus der GmbH (Ansatz gemeiner Wert führt zu höheren offenen Rücklagen). D. h. aus dem Vorgang, den C verursacht, werden A Bezüge i. S. des § 20 EStG zugerechnet, es sei denn – moderne Auffassung – der Vorgang wird ähnlich wie bei der Personengesellschaft behandelt. Das würde bedeuten: Ergänzungsbilanz für C. Nur gibt es eben im Kapitalgesellschaftsrecht keine Ergänzungsbilanz. Aber Tendenz neuer Umwandlungssteuererlass: Ergänzungsbilanz für C.

C. Verschmelzung von Kapitalgesellschaften I. Einführung Steuerlich wesentlich einfacher. Warum? GmbH 1 wird auf GmbH 2 verschmolzen. Keine Änderung der KSt-Besteuerungsebene, also keine Schlussbesteuerung. Aber wieder Grundsatz: Bei der übertragenden GmbH 1 Ansatz gemeiner Wert, in der steuerlichen Übertragungsbilanz aber auf Antrag Ansatz Buchwert oder Zwischenwert, wenn die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–3 UmwStG vorliegen.

II. Down-stream merger mit ausländischem Anteilseigner US-Corp. (Mutter), M-GmbH (Tochter), T-GmbH (Enkelgesellschaft). Die M-GmbH wird auf die T-GmbH verschmolzen. Vor der Verschmelzung M auf T sind die Anteile an T im Veräußerungsfall in Deutschland steuerpflichtig. Warum? Wenn M die Anteile an T veräußert ist § 8b Abs. 2 KStG einschlägig. Wenn jetzt M auf T verschmolzen wird, ist die T-GmbH unmittelbar Tochter der US-Corp. Wenn diese jetzt die T-GmbH-Anteile verkauft, besteht nur ein Besteuerungsrecht in USA. Also verliert der deutsche Fiskus durch die Verschmelzung M auf T das Besteuerungsrecht an dem T-Anteil. Deswegen muss davon ausgegangen werden, dass ein down-stream merger mit ausländischem Anteilseigner nicht mehr erfolgsneutral ist. D. h. die M-GmbH muss in ihrer Schlussbilanz bzw. steuerlichen Übertragungsbilanz den Anteil an T mit 165

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dem gemeinen Wert ansetzen. Der Übertragungsgewinn ist insoweit aber nach § 8b Abs. 2 KStG begünstigt.

III. Hinein-/Herausverschmelzung 1. Hinausverschmelzung D ist Anteilseigner der D-GmbH in Deutschland mit Betriebsstätte in Deutschland, A ist Anteilseigner der öGmbH in Österreich. Die D-GmbH soll auf die öGmbH verschmolzen werden. Ein ganz einfacher Vorgang. Frage: Was geschieht bei der D-GmbH? Sie muss eine Schlussbilanz bzw. Übertragungsbilanz aufstellen. In der muss sie ihre Wirtschaftsgüter ansetzen und bewerten. Frage: Gemeiner Wert oder Buchwert? Soweit die Wirtschaftsgüter nach der Verschmelzung der D-GmbH auf die öGmbH nicht mehr der deutschen Betriebsstätte zuzuordnen sind (DBA-rechtlich), muss in der steuerlichen Schlussbilanz/ Übertragungsbilanz der D-GmbH der gemeine Wert angesetzt werden. Aber auch hier wieder das Problem, wann geht das deutsche Besteuerungsrecht verloren bei der D-GmbH. Nehmen Sie an, dieser Vorgang wurde am 1.7.2010 vollzogen, Verschmelzung D-GmbH auf öGmbH, Rückbeziehung auf 31.12.2009 nach § 2 UmwStG. Sie stellen die Schlussbilanz/Übertragungsbilanz der D-GmbH zum 31.12.2009 auf. Sie wissen, die Wirtschaftsgüter bleiben nicht bei der deutschen Betriebsstätte. Frage: Besteuerung zum 31.12.2009 bei der D-GmbH (Ansatz gemeiner Wert in der Übertragungsbilanz) oder abwarten, bis im Jahre 2010 die Wirtschaftsgüter tatsächlich nach Österreich überführt werden (dann Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG bei der insoweit in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen öGmbH mit der Folge-Problematik § 4g EStG). Also ein relativ einfacher Fall. Aber: Welche Wirtschaftsgüter sind der deutschen Betriebsstätte noch zuzuordnen? Gilt hier die „Stammhausfunktion“, d. h. ist die öGmbH dann Stammhaus mit der Folge der „vorrangigen“ Zurechnung der Wirtschaftsgüter? Klar, z. B. Grundstücke, Maschinen können der deutschen Betriebsstätte zugeordnet werden, aber was ist mit Beteiligungen, Finanzanlagen und insbesondere mit immateriellen Wirtschaftsgütern und einem originären Firmen-/Geschäftswert? Nach der Verschmelzung hat die öGmbH eine deutsche Betriebsstätte. Welche Wirtschaftsgüter können der Betriebsstätte Deutschland, welche müssen der öGmbH, dem Stammhaus, zugeordnet werden. Wahrscheinlich wird sich die Finanzverwaltung von der Theorie der Zentralfunktion des Stammhauses lösen und auf den tatsächlichen (auch zeitlichen) 166

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Übergang der Wirtschaftsgüter abstellen. Dies würde die Problematik wesentlich entschärfen, jedenfalls wäre dann jede im Rahmen des § 2 UmwStG rückbezogene Hinausverschmelzung zum Buchwert möglich. 2. Hereinverschmelzung Die öGmbH wird auf die D-GmbH verschmolzen. Eigentlich ein einfacher Fall. Warum? Über die Besteuerung der stillen Reserven der öGmbH ist in Österreich zu entscheiden. Die öGmbH muss nach § 11 Abs. 1 UmwStG eine steuerliche Schlussbilanz aufstellen nach deutschen Grundsätzen. Warum ist das notwendig? Wegen der Wertverknüpfung. D. h. mit dem Wert, mit dem die öGmbH die Wirtschaftsgüter ansetzt, müssen die Wirtschaftsgüter bei der Unternehmerin (D-GmbH) übernommen werden. Die öGmbH muss also eine Schlussbilanz aufstellen, auf den Übertragungsstichtag, der nur für die Wertverknüpfung Bedeutung hat, nicht für die laufende deutsche Besteuerung, und zwar nach deutschen, nicht nach österreichischen Grundsätzen. Fraglich ist aber, ob hierbei nach Verstrickungsgrundsätzen (§ 4 Abs. 1 Satz 7 EStG) der gemeine Wert anzusetzen ist. M. E. müssen die Wirtschaftsgüter, die aus Österreich überführt werden, in Deutschland immer mit dem gemeinen Wert angesetzt werden, gleichgültig wie der Wert in Österreich angesetzt wurde. Das sind ganz normale Verstrickungsgrundsätze, § 4 Abs. 1 Satz 7 EStG. 3. Einbringungstatbestände Ganz kurz: Neues System. § 20 UmwStG Sacheinlage, § 21 UmwStG Anteilstausch. Wenn nach einer Sacheinlage oder einem Anteilstausch unter dem gemeinen Wert die (erhaltenen) Anteile innerhalb von sieben Jahren verkauft werden, dann gilt ein neues System der Sperrfristbehaftung und der Einbringungsgewinnbesteuerung (§ 22 UmwStG). Natürlich kann man über §§ 20 ff. UmwStG eigentlich nur diskutieren, wenn man klärt, welcher Teilbetriebsbegriff gilt. Denn § 20 UmwStG regelt ja ausschließlich die Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder von Mitunternehmeranteilen in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung neuer Anteile. Bei einer Sacheinlage nach § 20 UmwStG muss bei der aufnehmenden GmbH auch mindestens ein neuer Anteil ausgegeben werden, sonst ist § 20 UmwStG nicht anwendbar. Also bei § 20 UmwStG immer Kapitalerhöhung, während bei einer Verschmelzung nach § 11 ff. UmwStG eigene Anteile gewährt werden können oder u. U. sogar keine Anteile ausgeben müssen (§ 54 Abs. 1 Nr. 3 UmwG und § 68 UmwG). 167

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Gilt der nationale Teilbetriebsbegriff oder der Teilbetriebsbegriff der Fusionsrichtlinie? Ich meine, das ist ein Scheinproblem. Auch der Teilbetriebsbegriff nach Fusionsrichtlinie ist so ein kleiner Yeti. Entscheidend ist doch nur, ob beide Teilbetriebsbegriffe national oder international einen Übertragungsvorgang erfordern oder ob sie gewährleisten können, dass auch eine reine Nutzungsüberlassung zur Anwendung des § 20 UmwStG führt. Der I. Senat des BFH hat dankenswerterweise in der Entscheidung I R 96/08 dazu Stellung genommen.1 Bei § 20 UmwStG reicht eine reine Nutzungsüberlassung nicht aus. Deswegen ist es m. E. ein „Streit um Kaisers Bart“, ob man den nationalen oder „europäischen“ Teilbetriebsbegriff zugrunde legt (beide Definitionen sind im Übrigen ähnlich). Teilbetrieb im Aufbau. Das ist auch so ein Yeti. Den hat noch keiner von Ihnen je gesehen. Aber jeder redet davon. Denn nach § 20 UmwStG gilt auch ein Teilbetrieb im Aufbau als Teilbetrieb, der erfolgsneutral eingebracht werden kann. Aber den gibt es eben nur im nationalen Bereich, nicht bei der Fusionsrichtlinie … Sie müssen also davon ausgehen, und ich halte es auch für richtig, dass bei § 20 UmwStG ein Übertragungsakt vorliegen muss und eine reine Nutzungsüberlassung nicht genügt. Allerdings genügt es natürlich, wenn das wirtschaftliche Eigentum übertragen wird auf die GmbH und das zivilrechtliche Eigentum zurückbleibt. Zum Verkauf sperrfristbehafteter Anteile: A (Einzelunternehmer) bringt sein Unternehmen zum 30.6.2007 zum Buchwert 100 in die A-GmbH ein und verkauft die für die Einbringung erhaltenen GmbH-Anteile zwei Jahre später für 200. Steuerliche Folgen: In 2007: Einbringung zu 100, gemeiner Wert war 170 (Einbringung war erfolgsneutral). Verkauf am 1.7.2009 für 200. Rückbezogen auf 2007 war der Einbringungsgewinn 70. Abschmelzungsregelung: für jedes abgelaufene Zeitjahr verringert sich der Einbringungsgewinn und je 1/7, deshalb ergibt sich im vorliegenden Fall ein voll steuerpflichtiger Einbringungsgewinn (EBG I) von 50. Die Beteiligten erhalten in diesem Fall zwei Steuerbescheide. Für das Jahr 2007 der Einbringende A einen Steuerbescheid über 50 nicht begünstigten Gewinn (EBG I) und für das Jahr 2009 der Veräußerer der GmbH-Anteile (i. d. R. auch A) einen Steuerbescheid (hier: VG gesamt 100 ./. 50 EBG I) über 50, der nach § 3 Nr. 40 EStG oder § 8b Abs. 2 KStG begünstigt ist, je nachdem, wer Anteilseigner der GmbH ist. _____________ 1 BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, FR 2010, 890.

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Das ist das System für einen Inländer. Und wenn Einbringender nicht ein Deutscher, sondern ein EU-Ausländer ist? Der Niederländer Ruud van Lishaut betreibt in Krefeld einen sehr ertragreichen Blumen-Großhandel. Das sind gentechnisch veränderte Rosen, die bleiben 7 Tage frisch ohne Wasser. Van Lishaut bringt am 1.1.2010 sein Unternehmen (Buchwert 100.000, gemeiner Wert 2 Mio Euro) in die D-GmbH ein. Nach sieben Zeitjahren (z. B. am 2.1.2017) verkauft er seine GmbH-Anteile von seinem Wohnsitz in Amsterdam aus an X. Damit verabschiedet er sich gleichzeitig aus der deutschen Besteuerung. Warum? Das Besteuerungsrecht für die Veräußerung der GmbH-Anteile haben die Niederlande nach dem DBA-Niederlande. Also steuerfreier Exit eines EU-Ausländers. Aber es gibt ja in Freiburg den Schweizer Rudi Blümeli, er hat einen Einzelhandel mit Blumen, reine Naturrosen. Und der möchte sich auch nach sieben Jahren von seinem Wohnsitz in Basel (CH) aus der deutschen Besteuerung verabschieden. Das geht aber nicht wie bei van Lishaut. Denn Blümeli ist als Drittstaatler nicht begünstigter Einbringender i. S. des § 20 UmwStG. Da müsste zunächst die Schweiz in die EU/EWR eintreten. D. h. schon wenn Blümeli seinen Einzelhandel in eine D-GmbH einbringen will, geht das nicht erfolgsneutral. Was hat man Blümeli denn bisher geraten? Einbringung seines Einzelunternehmens in eine GmbH & Co. KG. Und daraus dann Einbringung des Blumenhandels in die D-GmbH. Also Abschirmwirkung einer GmbH & Co. KG und begünstigte Einbringung nach § 1 Abs. 4 UmwStG. Aber das geht jetzt auch nicht mehr, wie wir heute gehört haben. Weil ja eine „Holding“-GmbH & Co. KG angeblich DBA-rechtlich keine Abschirmwirkung mehr entfalten soll. Letzte Chance für Blümeli: Gewerbliche GmbH & Co. KG. Wie (eigen-)gewerblich muss die Tätigkeit der GmbH & Co. KG sein (neben dem Halten der GmbHAnteile, die Blümeli für die nachfolgende Einbringung seines Rosenbetriebs in die D-GmbH erhalten würde). Ganz heißer Tipp: Windkraft. Also zu Hause in der Kiste der Kinder kramen, ein Windrädchen aufstellen, Strom erzeugen, einspeisen und damit 25.000 im Jahr Gewinn erzielen. Frage, ob der BFH dann dieser GmbH & Co KG umwandlungssteuerrechtlich und DBA-rechtlich den „Segen geben würde“. Blümeli würde sicherlich mit einem besonders schönen NaturrosenStrauß grüßen.

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Internationale Aspekte bei Umwandlungen nach dem SEStEG – das (künftige) BMF-Schreiben – Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Hamburg Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München Dr. Rolf Möhlenbrock Regierungsdirektor im Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Prof. Dr. Christian Schmidt Steuerberater, Deloitte & Touche GmbH, Nürnberg Georg-Simon-Ohm-Hochschule, Nürnberg Peter Wochinger Ministerialdirigent im Finanzministerium Baden-Württemberg, Stuttgart

Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Wochinger, so schön kann Umwandlungssteuerrecht sein! Herr Bernhardt, das Umwandlungssteuerrecht ist europäisiert, aber nicht globalisiert worden. Das ist nach der Gesetzeslage klar und wird sich naturgemäß auch durch den Erlass nicht ändern. Die Frage ist beim Erlass des SEStEG ausführlich diskutiert und dann so entschieden worden. Dies ist jetzt vier Jahre her, da könnte man eine neue steuerpolitische Diskussion führen. Wie sieht die Industrie den Bedarf für eine Globalisierung? Oder genügt die Europäisierung mit all den Problemen, die das bereits bringt?

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Bernhardt Das ist die Frage nach den Stufen, die Sie vorhin bereits in anderem Zusammenhang gestellt haben. Natürlich handelt es sich um ein globales Thema. Es ist von Herrn Haas heute schon ganz deutlich gesagt worden, dass Umstrukturierungen im Konzern Tagesgeschäft sind. Die Strukturen ändern sich organisatorisch sowie betriebswirtschaftlich extrem schnell. Da hängt die steuerrechtliche Behandlung eines deutschen Konzerns mit Headquarter in Deutschland deutlich hinterher. Es gibt eine deutliche Diskrepanz zwischen dem, was man zwingend organisatorisch bzw. betriebswirtschaftlich machen muss und der steuerrechtlichen Flexibilität darauf zu reagieren. Einen Punkt würde ich gerne noch ergänzen. Es wurde heute in anderem Zusammenhang gezeigt, was wir alles brauchen. Dahinter steht letztlich der Drehscheibengedanke: Wenn das Headquarter hier in Deutschland sitzt, dann muss man Strukturveränderungen aus Deutschland heraus so gestalten können, dass man nicht auf Hilfskonstruktionen in einer Reihe anderer Jurisdiktionen mit all den gesellschaftsrechtlichen und haftungsrechtlichen Problemen zurückgreifen muss. Also warum nicht eine klare Regelung? Man könnte damit das Headquarter mit den positiven Auswirkungen auf Arbeitsplätze in Deutschland halten, und das ist letztlich auch im Interesse des Steuerzahlers. Prof. Dr. Lüdicke Herr Möhlenbrock, die Frage einer Globalisierung des Umwandlungssteuerrechts war innerhalb der Finanzverwaltung vor dem Gesetzgebungsverfahren zum SEStEG umstritten. Wahrscheinlich ist es jetzt zu früh, über einen neuen Aufgalopp nachzudenken, bevor die offenen Fragen durch den Umwandlungssteuererlass beantwortet sind. Sehen Sie eine realistische Chance, dass innerhalb einer mittelfristigen Zeit von vielleicht fünf Jahren diese Frage nochmal angegangen wird? Oder ist das jetzt bis zum Jahre 2020 der Stand der Dinge? Dr. Möhlenbrock Ich glaube, die Frage kann man einfach beantworten. Es hängt vom Geld ab. Herr Wochinger, Sie waren ja auch damals mit dabei, als wir das SEStEG gemacht haben. Fachlich haben wir uns der Sache nach immer dafür ausgesprochen, die Regelungen des Umwandlungssteuergesetzes zu globalisieren. Es gab natürlich einzelne Probleme. Aber ich glaube, sie hätte man damals lösen können. Möglicherweise haben sie 172

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sich mittlerweile sowieso schon erledigt, so dass fachlich gesehen eine sehr gute Chance bestände, das zu machen. Ich weiß nicht, wie dies das im BMF für umwandlungssteuerliche Fragen zuständige Referat sieht. Aus dessen Sicht spricht in der Tat Einiges dafür, zunächst den Umwandlungssteuererlass fertig zu stellen und damit für die Praxis die Handlungsgrundlagen zu schaffen. Lassen Sie uns hier zunächst Erfahrungen sammeln. Es gibt noch viele offene Rechtsfragen. Herr Wochinger hat nur kleine Schlaglichter darauf geworfen, was sich an Fragen denken lässt. Lassen Sie uns diese erst einmal lösen und Erfahrungen damit sammeln und schauen, dass wir darin einen einigermaßen sicheren Umgang finden. Auch die Entstrickungsregelungen müssen im Zusammenhang mit dem SEStEG gesehen werden. Später kann man dann sicherlich auch weiterdenken. Wochinger Das Problem ist Folgendes: Wenn Sie zum Beispiel einen grenzüberschreitenden Vorgang mit Papua-Neuguinea hätten, dann müssten Sie für die Anwendung des deutschen Umwandlungssteuergesetzes nach § 1 Abs. 1 UmwStG die Vergleichbarkeit des Vorganges mit dem deutschen Umwandlungsgesetz darlegen können. Die Frage der Kenntnis und der Nachvollziehbarkeit des ausländischen Gesellschaftsrechts war der wesentliche Grund für die Europäisierung, denn in der EU kennt man die Rechtsvorschriften einigermaßen und vielleicht kann man sie auch noch begründen oder unterscheiden. Die Verschmelzung von zwei britischen Limiteds ist noch vergleichbar mit dem deutschen Umwandlungsgesetz. Aber bei exotischen Ländern ist dies nicht gewährleistet, es wäre im Einzelfall kaum nachvollziehbar, ob der Vorgang immer den deutschen Umwandlungen entsprechen würde. Prof. Dr. Lüdicke Da haben Sie eine Steilvorlage für die Frage gegeben, die ich ohnehin stellen wollte. Sie betrifft die Politik der kleinen Schritte: In § 12 Abs. 2 KStG, also nicht im UmwStG, nehmen wir Rücksicht auf ausländische Verschmelzungen und lassen sie zum Buchwert zu, wenn die Verschmelzung in demselben ausländischen Staat stattfindet. Die Verschmelzung kann ohne weiteres auch in Nicht-EU-Staaten stattfinden und damit auch in Papua-Neuguinea. Was hindert, die steuerneutrale Verschmelzung auch zuzulassen, wenn von Papua-Neuguinea nach Indonesien oder nach Hongkong verschmolzen wird? 173

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Dr. Möhlenbrock Herr Wochinger, ich glaube, man muss das ein bisschen differenzierter sehen, vor allem wenn Sie sich den § 1 UmwStG heutiger Prägung anschauen. Wir haben auch hier Probleme gegenüber den Mitgliedsstaaten der EU, das haben wir im Verlauf des Tages schon gesehen: Es gibt das anglo-amerikanische Recht (Stichwort Limited und Verschmelzung oder Umwandlung von britischen Gesellschaften). Und in erster Linie muss man die zivilrechtlichen Fragen lösen, bevor es um das UmwStG geht. Es muss z. B. zivilrechtlich verschmolzen werden können. D. h., hier geht es in erster Linie um das internationale Privatrecht bzw. das internationale Gesellschaftsrecht. Das Gesellschaftsrecht und die zuständigen Behörden in Deutschland, aber auch in dem jeweiligen Drittstaat müssen die Frage beantworten: Geht diese Umwandlung? Wer es am Ende des Tages erreicht, dass der Vorgang im Handelsregister eingetragen wird, ist seinem Ziel ein gutes Stück näher gekommen. Denn dies sind mindestens zwei Drittel des Weges auch der Vergleichbarkeitsprüfung, Herr Wochinger. Prof. Dr. Lüdicke Wir wollen uns nun ein paar Einzelfragen zuwenden. Prof. Dr. Gosch Ich bin geneigt zu sagen, so tief wie die beiden Herren bin ich in der Materie nicht drin. Deshalb nur ein Aspekt, der mir beim Zuhören aufgefallen ist: Er betrifft die Problematik des § 7 UmwStG, die Fiktion der Dividendeneinkünfte. Sie haben, wenn ich das richtig verstehe, die Frage aufgeworfen, an welcher Stelle man die Kapitalertragsteuer erfasst, ob das über § 5 Abs. 2 UmwStG im Rahmen der gesonderten Feststellung gegenüber der Personengesellschaft abgefangen wird, oder aber erst im § 7 UmwStG gegenüber dem unmittelbaren Anteilseigner. Offenbar teilen Sie im Grunde zwar die Auffassung, dass der Wortlaut eher dafür spricht, hier den Weg über § 7 UmwStG zu gehen. Gleichwohl meinen Sie aber, dass das nicht dem Abgeltungseffekt zu unterwerfen ist, sondern in der gesonderten Feststellung zu erfassen ist. Habe ich das missverstanden?

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Wochinger Die Tendenz des UmwSt-Erlasses ist, dass man zwar das Übernahmeergebnis auf jeden Fall nach DBA-Grundsätzen aus der deutschen Besteuerungshoheit eliminiert, weil man hinsichtlich des DBA-Ausländers kein Besteuerungsrecht für die GmbH-Anteile hat. Andererseits tendiert die Finanzverwaltung wohl dazu, aufgrund der Einlagefiktion nach § 5 Abs. 2, 3 UmwStG hinsichtlich des Dividenden-/Einkünfteteils nach § 7 UmwStG die beschränkte Steuerpflicht i. S. von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu bejahen. Prof. Dr. Gosch Aber schießt man dann nicht über das hinaus, was tatbestandlich vorgegeben ist? Wenn ich es richtig sehe, ist doch der Normadressat des § 7 UmwStG der Anteilseigner und des § 5 UmwStG die Personengesellschaft. D. h. wir haben verschiedene Normadressaten, und das deckt sich letztlich dann, wie Sie ja auch einräumen, mit dem Normentatbestand, nämlich dass es in § 5 Abs. 2 Satz 2 UmwStG heißt: „für die Ermittlung des Gewinns“. D. h. wenn wir von einer anderen Erfassungsebene sprechen, dann kommt man doch automatisch zu völlig verschiedenen Kategorien. § 7 UmwStG reduziert sich dann auf eine unmittelbare Erfassung beim Anteilseigner, verbunden mit der Folge einer abgeltenden Kapitalertragsteuer bei der beschränkt steuerpflichtigen Person. Wochinger Persönlich würde ich es genauso sehen. Aber wie gesagt, die Tendenz ist anders. Ich meine, die andere Tendenz kommt einfach daher, dass man ein Problem hat, bei der Kapitalertragsteuer den Schuldner zu finden. Deswegen geht man den sicheren Weg: Der GmbH-Anteilseigner, dessen Anteile nach § 5 UmwStG als fiktiv in die aufnehmende Personengesellschaft eingelegt gelten, wird Mitunternehmer und dann habe ich einen Schuldner für die Kapitalertragsteuer. Prof. Dr. Gosch Das mag von der Zielrichtung verständlich sein. Vom Normeninhalt oder vom Normentext her sehe ich da wieder einmal mein altes Problem mit der Tatbestandsmäßigkeit des Gesetzes. 175

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Prof. Dr. Lüdicke Darf ich da nochmal nachfragen, Herr Wochinger? Ist das jetzt nur eine unterschiedliche technische Anknüpfung, die möglicherweise im Wortlaut keine Grundlage hat, oder hat das auch Auswirkungen für die Anwendung der DBA, die im Grundsatz häufig die Kapitalertragsteuer reduzieren? Wochinger Der neue UmwSt-Erlass der Finanzverwaltung geht meines Erachtens einen „Mittelweg“, der aber nicht konsequent ist. Das Übernahmeergebnis wird nach DBA-Grundsätzen steuerlich eliminiert. Der Dividenden-/Einkünfteteil i. S. des § 7 UmwStG wird beim DBA-Ausländer erfasst, indem er auch insoweit als beschränkt Steuerpflichtiger behandelt wird. Man gewährt dann zwar die DBA-Quellen-/Kapitalertragsteuerreduzierung, versagt aber gleichzeitig die Abgeltungswirkung nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG, indem § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG der Vorrang eingeräumt wird. Wobei doch die Auffassung der Finanzverwaltung nicht einer gewissen Logik entbehrt. Der an der Umwandlung bzw. dem Formwechsel teilnehmende DBA-Ausländer wird zweifelsfrei Mitunternehmer der aufnehmenden KG. Die Denkweise ist dann einfach. Wenn ein Mitunternehmer laufende inländische Bezüge hat, erhält er zwar vielleicht noch die DBA-Ermäßigung. Durch die Anwendung der Besteuerungsregeln für beschränkt Steuerpflichtige nach § 50 EStG bringt die DBA-Reduzierung dem beschränkt Steuerpflichtigen aber letztlich keinen Vorteil, weil er der „normalen“ deutschen Einkommensteuer unterworfen wird. Dr. Möhlenbrock Ich würde das argumentativ etwas anders aufbauen als Herr Wochinger. Aber wenn man tatsächlich die Einlagefiktion ernst nimmt und die Ausschüttung bei der Mitunternehmerschaft landet, existiert die Abgeltungswirkung nicht mehr. Das ist so. Prof. Dr. Lüdicke Und wie würden Sie dann nach DBA handeln? Prof. Dr. Gosch Dann ist man automatisch beim Art. 7 OECD-MA. 176

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Prof. Dr. Lüdicke Und es soll dann der deutschen Betriebsstätte zuzuordnen sein? Dr. Möhlenbrock Der müsste zwangsläufig der deutschen Betriebsstätte zuzuordnen sein, wenn ein DBA besteht. Prof. Dr. Gosch Also ich sehe da fundamentale Schwierigkeiten mit dem Text des Gesetzes. Prof. Dr. Schmidt Das ist nicht logisch. Prof. Dr. Lüdicke Und es würde dann zu einer höheren deutschen Steuer führen, als wenn vorher ausgeschüttet würde. Es besteht quasi Ausschüttungszwang. Dr. Möhlenbrock: Genau. Prof. Dr. Lüdicke Erst ausschütten, dann umwandeln – ist das jetzt sinnvoll? Ja, und dann entscheidet das Bundesverfassungsgericht, dass es auch in Ordnung ist, weil man um das Problem herum planen kann.1 Prof. Dr. Gosch Das hatten wir auch gedacht bis zu dem Beschluss, durch den wir bezüglich der körperschaftsteuerlichen Überleitungsvorschriften im Anrechnungsverfahren aufgehoben worden sind.2 Da hat nämlich diese Escape-Klausel nicht mehr gegriffen. Schade eigentlich. Dr. Möhlenbrock Ich weiß nicht, ob man das durch Ausschüttungen umgehen kann. Das ist hier ein § 17 EStG-Anteilseigner. Dieser schüttet aus und es bleibt _____________ 1 Vgl. allgemein BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Tz. 132 ff. 2 BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1, Tz. 77 ff.

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immer noch etwas zurück. Was passiert damit? Das wäre wieder zuzuordnen. So einfach ist das nicht, glaube ich. Prof. Dr. Schmidt Aber erst mal habe ich doch die Fiktion. Erst mal bin ich in der Dividende. Das ist das Wesen des § 17 EStG, dass ich zwar den Veräußerungsgewinn trotz seiner Privatheit gewerblich versteuere, aber das bleibt eine Dividende. Damit bin ich ganz normal in der DBA-Reduktion. So würde ich das sehen. Prof. Dr. Gosch Dann habe ich noch eine Anmerkung betreffend den Downstream Merger.3 Wenn ich Sie recht verstehe, soll das über § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG laufen, wenn das denn so umgesetzt wird, wie es in Planung ist. Ist das denn wiederum richtig? Bei der übernehmenden Körperschaft liegt doch überhaupt keine Veräußerung vor. Wochinger Aber ich wende doch nur den § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG wortgetreu an und sage, wie muss in der Schlussbilanz der M deren Vermögen umwandlungssteuerrechtlich angesetzt werden? Kann ich es mit dem Buchwert ansetzen? Das setzt voraus, dass auch das deutsche Besteuerungsrecht an den Anteilen der M an ihrer Tochter T nach der downstream Verschmelzung M → T weiterhin gewährleistet ist. Weil die T-Anteile im unmittelbaren Beteiligungsbesitz der US-Corp DBA-rechtlich nicht mehr der deutschen Besteuerung unterliegen, ist dies nicht mehr gewährleistet. Es liegt dann ein normaler Fall des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG vor, d. h. bei der M müssen die Anteile an der T in ihrer Schlussbilanz mit dem gemeinen Wert angesetzt werden. Es sei denn, ich komme durch Direkterwerb zu einer ganz anderen Lösung. Aber das wollte ich jetzt nicht noch zusätzlich kompliziert machen. Prof. Dr. Gosch Das ist ein anderes Thema. Aber gleichwohl, lassen Sie uns doch bei § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG bleiben. Dort heißt es: „… das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter bei der _____________ 3 Vgl. hierzu unter C. des Beitrags von Wochinger in diesem Tagungsband.

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übernehmenden Körperschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird“. Ob tatsächlich etwas „ausgeschlossen“ oder „beschränkt“ wird und unter welchen Umständen solches anzunehmen ist, das ist wieder ein anderes Thema, das uns vielleicht noch beschäftigen könnte. Bei der übernehmenden Körperschaft verhält es sich so jedenfalls nicht, da ich bei einem unmittelbaren Erwerb bei der übernehmenden Körperschaft doch überhaupt keinen Veräußerungsvorgang habe. Wochinger Aber die übernehmende Körperschaft ist eine US-Corporation und dieser fällt per Verschmelzungsvorgang oder Direkterwerb die T-Beteiligung zu. Und bei der US-Corporation unterliegt die T-Beteiligung nicht mehr der deutschen Besteuerung. Prof. Dr. Lüdicke Die Frage ist natürlich schon, ob die Muttergesellschaft wirklich die übernehmende Körperschaft ist. Prof. Dr. Gosch Das ist doch nicht die übernehmende Körperschaft. Prof. Dr. Lüdicke Die übernehmende Körperschaft ist zunächst mal die Tochtergesellschaft. Prof. Dr. Gosch Das ist die T. Die T ist dazwischen. Und bei der T findet keine Besteuerung statt. Da geht nichts verloren. Dr. Möhlenbrock Umso mehr ist aber dann der übernehmende Rechtsträger nicht derjenige, der seine eigenen Anteile – so wäre es ja – als Wirtschaftsgüter hätte, die im Inland der Besteuerung unterlägen. Ich glaube, das ist auch die Erwägung für die Arbeitsgruppe gewesen. Sie sagt, beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Erstens wird das kein Wirtschaftsgut des übernehmenden Rechtsträgers und zweitens unterliegt es als dessen Betriebsvermögen auch nicht im Inland der Besteuerung. 179

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Prof. Dr. Gosch Aber ich bleibe bei der übernehmenden Körperschaft. Da ist für mich jetzt zunächst mal die T und nicht die US-Corporation. Und wenn das so ist, dann wird das deutsche Besteuerungsrecht weder „ausgeschlossen“ noch „beschränkt“. Wochinger Die Frage ist doch, ob die Anteile der T überhaupt Bestandteil des Verschmelzungsvorgangs M auf T sind oder ob sie nicht per Direkterwerb sowieso zur M hochgehen. Dann habe ich von vornherein einen gespaltenen Vorgang, nämlich eine Verschmelzung M auf T bezüglich sonstigem Betriebsvermögen und eine Teilverschmelzung M auf T. Oder einfach eine Sachdividende der M an die US-Corp. bezüglich der T-Anteile, was aber jedenfalls in einem alternativen Inlandsfall steuerlich ungünstiger wäre. Prof. Dr. Gosch Also Sie denken die T an dieser Stelle weg. Gut, das mag konstruktiv dann so funktionieren. Aber wenn man das nicht so sieht, dann liegen Sie aus meiner Sicht falsch, weil es einmal mehr am Tatbestand mangelt, wenn Sie unmittelbar auf die T abstellen. Prof. Dr. Lüdicke Herr Möhlenbrock, ich möchte Sie einerseits als einen der „Väter“ dieses Gesetzes, andererseits als Vertreter des Bundesfinanzministeriums fragen. Soweit ich das von außen beurteilen kann, wird noch Vieles zwischen den Ländern und dem Bundesfinanzministerium streitig diskutiert. Sehen Sie noch Punkte, bei denen Sie sagen würden, was Herr Wochinger als Tendenz dargestellt hat, ist doch sehr zweifelhaft, oder bei denen Sie sagen würden, das kann eigentlich so nicht gemeint gewesen sein? Dr. Möhlenbrock Ich glaube, das ist mittlerweile nicht mehr so. Wir hatten schon auf dem Weg bis heute zahlreiche Diskussionen auch u. a. zum Downstream Merger, der zunächst grundsätzlich gar nicht anerkannt werden sollte. Das ist mittlerweile anders: Man hat eine differenzierte Meinung gefunden. Dabei handelt es sich m. E. um eine Lösung, die durchaus mit 180

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dem Wortlaut vereinbar ist. Gleiches gilt für die Frage des Teilbetriebsbegriffs. Ich weiß jetzt nicht, Herr Wochinger, wie da die Tendenzen derzeit sind. Aber ich teile Ihre Einschätzung. Mein Eindruck war allerdings der, dass man im Rahmen der Erörterungen doch wieder etwas konservativer zu Werke gehen will, also nicht ganz so „freigiebig“. Aber dazu können Sie vielleicht noch näheres sagen. Im Übrigen ist jetzt auch die Frage der Entstrickung im Zusammenhang mit Umwandlungsvorgängen mehr oder weniger richtig gelöst. Man muss zwei Formen der Entstrickung unterscheiden, die durch eine Umwandlung ausgelöst werden können: – Wenn Sie sich zum Beispiel den Vorgang auf Folie 214 einmal anschauen. Das ist die Umwandlung oder der Formwechsel in eine mitunternehmerische Personengesellschaft, wo es einen niederländischen Anteilseigner gibt und wir gleichzeitig auch eine Anrechnungsbetriebsstätte im Ausland haben. Hier wird die Entstrickung durch den Rechtskleidwechsel ausgelöst, so dass hierdurch sofort das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich der Auslandsbetriebsstätte bezogen auf den holländischen Anteilseigner wegfällt. Das sind die Fälle, die man unter die umwandlungssteuerlichen Entstrickungsnormen fassen muss, also in diesem Fall unter den § 3 UmwStG. – Die meisten übrigen Vorgänge der Zuordnung von Wirtschaftsgütern (also der Betriebsstättenfall, den Herr Wochinger hier ebenfalls gebildet hat), die Verschmelzung einer deutschen GmbH auf eine österreichische GmbH führen sukzessive zu einer geänderten Zuordnung von Wirtschaftsgütern. Sie bilden keinen Fall der Entstrickungsvorschriften des UmwStG. Sie fallen unter die ganz normalen Entstrickungsregelungen des EStG und KStG. Diese Unterscheidung hat unterschiedliche Folgen. In der ersten Fallgruppe haben wir es mit Vorgängen zu tun, die natürlich auch den Rechtsfolgen des § 2 UmwStG, der Rückwirkungsfiktion, unterliegen können. Das ist in der zweiten Fallgruppe nicht so. Und zusätzlich greift hier auch § 4g EStG und – wenn das Jahressteuergesetz 2010 in Kraft tritt – vielleicht auch noch ein paar andere Tatbestände (bei der Betriebsaufgabe etwa die Stundungslösung).

_____________ 4 Vgl. hierzu unter B. IV. des Beitrags von Wochinger in diesem Tagungsband.

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Wochinger Herr Möhlenbrock hat die Frage aufgeworfen, welche Tendenzen hinsichtlich des Teilbetriebsbegriffs bestehen. Ich verstehe dies im Wesentlichen in dem Sinn, ob wie bisher der nationale oder im neuen Umwandlungssteuerrecht nicht zutreffender der „europäische“ Teilbetriebsbegriff maßgebend ist. Beinert/Benecke haben hierzu in der 29. Kölner Steuerkonferenz am 27.9.2010 eingehend Stellung bezogen. Wenn man den Teilbetriebsbegriff nach Art. 2 Buchst. i FusionsRL mit dem nationalen Teilbetriebsbegriff vergleicht, Teilbetrieb i. S. d. deutschen EStG (funktionale Betrachtungsweise)

Teilbetrieb i. S. d. FusionsRL

Ein Teilbetrieb ist ein mit gewisser Selbstständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebs, der für sich betrachtet alle Merkmale eines Betriebs i. S. d. EStG aufweist und für sich lebensfähig ist.

„Teilbetrieb“ ist die Gesamtheit der in einem Unternehmensteil einer Gesellschaft vorhandenen aktiven und passiven Wirtschaftsgüter, die in organisatorischer Hinsicht einen selbständigen Betrieb, d. h. eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Einheit darstellen.

zeigt sich, dass auch der Teilbetrieb nach FusionsRL eine funktionsfähige Einheit i. S. einer selbständigen Betriebseinheit verlangt. Die Hoffnung, bei Anwendung des Teilbetriebs i. S. der FusionsRL könnten unwandlungssteuerrechtlich auch Einzelwirtschaftsgüter erfolgsneutral übertragen werden, dürfte damit Illusion sein. So sah es auch der BFH5: Danach setzt der Teilbetriebsbegriff im Umwandlungssteuerrecht grundsätzlich die Übertragung aller wesentlichen Grundlagen voraus und die Einräumung eines Nutzungsrechts reicht nicht aus. Pragmatisch erschiene mir, bei grenzüberschreitenden Umwandlungen und auch in Inlandsfällen grundsätzlich vom Teilbetriebsbegriff i. S. der FusionsRL auszugehen und auf den nationalen Teilbetriebsbegriff nur dann zurück zu greifen, wenn er „weiter“ bzw. steuerlich günstiger wäre. Dies könnte z. B. hinsichtlich des „Teilbetriebs im Aufbau“ (den ich allerdings für einen steuerlichen Yeti halte, den es in Wirklichkeit nicht gibt) der Fall sein.

_____________ 5 BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, GmbHR 2010, 933.

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Podiumsdiskussion: Internationale Aspekte bei Umwandlungen nach dem SEStEG

Prof. Dr. Lüdicke Ich möchte aus aktuellem Anlass noch eine Frage ansprechen, die gelegentlich auch mit Umwandlungen zu tun hat und durch eine Entscheidung des BFH6 ausgelöst wurde. Herr Gosch, Sie haben kürzlich entschieden, dass die Anwendung der Mindestbesteuerung in etlichen Fallgestaltungen, so auch bei Umwandlungen, ernstlich zweifelhaft ist. Nun besteht für die Praxis die Frage, wie man damit in diesen Fällen umgeht. Es kommt häufig als letzter Akt bei solchen Umwandlungsvorgängen zu einer Gewinnrealisierung entweder aufgrund des Gesetzes oder aber weil man sich dafür entscheidet, dass man das eben nicht zu Buchwerten macht. Es war bisher bei der Wahlrechtsübung hinderlich, dass man damit zwar vorhandene Verlustvorträge nutzen konnte, aber eben nur in den Grenzen der Mindestbesteuerung. Wie die Rechtslage letztlich entschieden wird, wissen wir alle nicht. Es ist auch nicht ganz klar, ob das in Ihrem Senat oder nur durch das BVerfG entschieden werden könnte. Meine Frage an die Vertreter der Finanzverwaltung lautet: Infolge der zurzeit objektiv bestehenden Unklarheit hinsichtlich der Rechtslage ist es etwas unglücklich, wenn ein Steuerpflichtiger sich jetzt in einer einzureichenden Steuerbilanz und Steuererklärung endgültig festlegen muss. Wäre es nicht ein Akt der verfahrensrechtlichen Fairness, wenn man jetzt eine Lösung anbieten würde, mit deren Hilfe diese Entscheidung ggf. später revidiert werden kann? Wochinger Nach einer neuen Entscheidung der Einkommen- und Körperschaftsteuer-Referatsleiter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder soll das Hauptsacheverfahren abgewartet und bis dahin keine weitere Konsequenz aus dem BFH-Beschluss gezogen werden. Man will also abwarten, ob der BFH tatsächlich im Hauptsacheverfahren an der Auffassung festhält, dass die Mindestbesteuerung und evtl. § 8c KStG verfassungswidrig sind. In den Fällen, die tatbestandsmäßig dem Sachverhalt des o. a. BFH-Beschlusses entsprechen, wird Aussetzung der Vollziehung gewährt. Prof. Dr. Lüdicke Ja, ich habe auch nicht über Aussetzung der Vollziehung geredet, sondern über die Frage, was zu tun ist, wenn die Frist zur Abgabe der Steuer_____________ 6 BFH v. 26.8.2010 – I B 49/10, GmbHR 2010, 1265.

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Podiumsdiskussion: Internationale Aspekte bei Umwandlungen nach dem SEStEG

bilanz und Steuererklärung abläuft. Es ist ja inzwischen im Steuerrecht ein häufiges Thema, dass Verfahren offen gehalten werden, aber mancher etwas nicht offen halten konnte. Und an der Stelle besteht ein gewisser Handlungsbedarf. Dr. Möhlenbrock Ich kann nur das bestätigen, was Herr Wochinger gesagt hat. Im Übrigen glaube ich nicht, dass die Finanzverwaltung jetzt sonderlich große Spielräume hat. Was man in der Tat machen könnte, wäre das etwas größere Rad zu drehen. Man müsste sich die Frage stellen, ob es immer noch gerechtfertigt ist, an § 12 Abs. 3 UmwStG i. d. F. des SEStEG festzuhalten, wonach Verluste nicht übergehen. Dies wäre mein Appell an den Gesetzgeber, denn es würde das Thema gänzlich entspannen. Die europarechtlichen Bedenken, die uns damals dazu bewogen haben, etwas restriktiver zu verfahren, liest man in der Gesetzesbegründung. M. E. sind sie zu 99 % durch die neuerliche Rechtsprechung (Lidl Belgium7 usw.) ausgeräumt. Das ist hier schon erörtert worden. Aber das ist ein größeres Rad und unterliegt letztlich auch haushalterischen Bedingungen. Es ist der Gesetzgeber gefragt. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank für diese klaren Worte, Herr Möhlenbrock. An die offizielle Begründung zur Streichung des Verlustübergangs bei Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften hat schon damals niemand wirklich geglaubt. Die Gefahr bestand in Wirklichkeit nicht ernsthaft. Der Gesetzgeber sollte in der Tat tätig werden. Die Diskussion hat gezeigt, dass noch sehr viele Detailfragen zu klären sind. Das wird nicht ganz einfach werden. Ich habe eben Herrn Möhlenbrock gefragt, ob er schätzen mag, wie dick der neue Erlass so wird, und ich hatte mal 60 bis 80 Seiten Bundessteuerblatt in den Ring geworfen. Er meinte, dass das bei Weitem nicht reicht. Meine Damen und Herren, Sie können also schon mal ein Wochenende reservieren. Reservieren sollten Sie auch schon den Termin der Nikolaustagung im kommenden Jahr. Sie findet wie immer am ersten Freitag im Dezember statt; es ist der 2. Dezember 2011. _____________ 7 EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06 – Lidl Belgium, Slg. 2008, I-3601.

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Personengesellschaften und DBA – das BMF-Schreiben vom 16. April 2010 Professor Dr. Christian Schmidt Steuerberater, Deloitte & Touche GmbH, Nürnberg Georg-Simon-Ohm-Hochschule, Nürnberg

Inhaltsübersicht A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . 186 B. Quellensteuerermäßigung bei im Ausland intransparent behandelten Personengesellschaften . . . . . 187 C. Personengesellschaften als ansässige Person . . . . . . . . . . . . . 190 I. Behandlung nach dem innerstaatlichen spanischen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Behandlung nach dem innerstaatlichen deutschen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Abkommensrechtliche Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Grundsätzliches zur Behandlung von Personengesellschaften im Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Subsumtion des Gewinns aus der Veräußerung des Kommanditanteils unter das Abkommen . . . . . . . . . 195 D. Gewerbliche Prägung im Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . I. Abkommensrechtliche Einordnung der Einkünfte aus einer gewerblich geprägten Personengesellschaft . . . . . . . II. Abkommensrechtliche Einordnung der Zinsen . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Sondervergütungen und § 50d Abs. 10 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . II. Unzureichende Reichweite der Fiktion in § 50d Abs. 10 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfassungswidriges Treaty override . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unzulässige Rückwirkung . . . V. Entscheidung des BFH vom 8.9.2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Reaktionsmöglichkeiten von Finanzverwaltung und Gesetzgeber – Einfluss des sogenannten Authorised OECDApproach im OECD-MA 2010 1. Unzulässige Rückwirkung . 2. Völker- und verfassungswidriges Treaty override . . . 3. Verstoß gegen das Nettoprinzip versus Unmöglichkeit der Vollziehbarkeit einer Gesetzesbestimmung 4. Rechtspolitische und europarechtliche Bedenken . . . . 5. Sonderrecht für Personengesellschaften nach dem sogenannten „Authorised OECD Approach“ seit dem Update 2010 . . . . . . . . . . . .

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F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

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Schmidt – Personengesellschaften und DBA

A. Vorbemerkung Das Jahr 2010 scheint das Jahr der Personengesellschaften im Abkommensrecht zu sein. Zunächst veröffentlichte das BMF am 16.4.2010 – endlich – das endgültige Schreiben zur Behandlung von Personengesellschaften im Abkommensrecht.1 Nahezu postwendend entschied der BFH in zwei Verfahren – am 28.4.20102 und am 19.5.20103 –, dass er in zwei wesentlichen Punkten die Auffassung der Finanzverwaltung nicht teilt. Und schließlich entschied der BFH am 8.9.20104 in einer neuen Runde im nahezu zwanzigjährigen Streit über die Behandlung von Sondervergütungen, dass diese den speziellen Verteilungsartikeln zuzuordnen sind und § 50d Abs. 10 EStG nicht ausreichend bestimmt sei, um Vergütungen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 EStG an einen ausländischen Gesellschafter einer inländischen Betriebsstätte der deutschen Personengesellschaft zuzuordnen. Das Urteil wurde in dieser Woche veröffentlicht; eine „Punktlandung“ für die heutige Tagung. Das BMF-Schreiben v. 16.4.2010 ist ein Versuch, Personengesellschaften im Abkommensrecht umfassend und für die Finanzverwaltung verbindlich zu regeln. Seit dem Entwurfsschreiben vom 10.5.2007 sind fast drei Jahre sind vergangen. Das (endgültige) BMF-Schreiben berücksichtigt die inzwischen ergangenen Entscheidungen des BFH. Gleichwohl hat der Zeitpunkt der Veröffentlichung überrascht, da wichtige BFHVerfahren anhängig waren, die ja nun auch nach Veröffentlichung des Schreibens zur Entscheidung kamen. Das BMF-Schreiben folgt weitgehend dem OECD-Partnership-Report aus dem Jahre 1999 und dem OECD-MK (Update 2000). Für die Behandlung der Personengesellschaft im Abkommensrecht stellen sich derzeit insbesondere folgende Fragen, die sicher auch in der nachfolgenden Diskussion – soweit es die Zeit erlaubt – noch erörtert werden: – Wie wird das BMF mit den neuen BFH-Entscheidungen umgehen? – Welche Auswirkungen wird der Authorised OECD Approach für Betriebsstätten auf Personengesellschaften (Sondervergütungen) haben? _____________ 1 BStBl. I 2010, 354; vgl. hierzu ausführlich Schmidt, IStR 2010, 354 ff. 2 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, IStR 2010, 525; zu beiden Entscheidungen vgl. Schmidt, IStR 2010, 520 ff. 3 BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, IStR 2010, 530. 4 BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, DStR 2010, 2450 ff.; vgl. hierzu ausführlich Schmidt, DStR 2010, 2436 ff.

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Schmidt – Personengesellschaften und DBA

– Wie wird das BMF auf die Entscheidung zu § 50d Abs. 10 EStG reagieren? – Wie wird der BFH mit dem Auslegungskonzept des OECD-Partnership-Reports und des OECD-MK (nach dem Update 2000) jedenfalls für neue Abkommen umgehen? Mein Vortrag muss sich aus Zeitgründen auf ausgewählte Fälle beschränken. Hierbei wird das Urteil vom 8.9.2010 zu der abkommensrechtlichen Behandlung von Sondervergütungen einen Schwerpunkt bilden, nachdem es von besonderer Aktualität und Bedeutung ist – in steuerwissenschaftlicher und fiskalischer Hinsicht.

B. Quellensteuerermäßigung bei im Ausland intransparent behandelten Personengesellschaften Fall 1: Eine ins Handelsregister eingetragene slowenische Komanditna druba (KG) mit in Slowenien ansässigen Kommanditisten erzielt Dividenden aus einer deutschen GmbH.

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Schmidt – Personengesellschaften und DBA

Die KG ist nach dem Recht Sloweniens juristische Person und Körperschaftsteuersubjekt.5 Nach dem innerstaatlichen deutschen Steuerrecht wird die ausländische KG als einer deutschen Kommanditgesellschaft vergleichbar und damit als transparent angesehen.6 Steuersubjekte sind damit die einzelnen Gesellschafter der KG; sie erzielen die Einkünfte, nicht die KG selbst.7 Demzufolge sind die einzelnen Gesellschafter – nicht die KG – in Deutschland beschränkt steuerpflichtig (§§ 1 Abs. 4, 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG). Für die Abkommensanwendung wird in Tz. 2.1.2 Abs. 1 des BMF-Schreibens vom 16.4.2010 zunächst grundsätzlich festgestellt, dass die Personengesellschaft als solche nicht abkommensberechtigt ist; dies sind vielmehr die einzelnen Gesellschafter. Allerdings wird im 2. Absatz dieser Textziffer ausgeführt, dass der Personengesellschaft selbst die Entlastung von Abzugssteuern zu gewähren ist, „wenn die Einkünfte nach dem Recht des betreffenden Vertragsstaates dort als Einkünfte einer ansässigen Person steuerpflichtig sind.“ Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass damit den Grundsätzen des OECD-MK (Ziff. 5 zu Art. 1 OECD-MK) gefolgt wird. Hierzu ist anzumerken, dass die KG selbst „abkommensberechtigte Person“ ist. Dies ergibt sich aus Art. 4 OECD-MA (Art. 4 Abs. 1 und 4 DBA Slowenien) mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA (Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) DBA Slowenien). Die Vorschrift bindet auch den Quellenstaat (Deutschland). Damit sind (auch) von deutscher Seite bei der Anwendung des Abkommens die abkommensrechtlichen Einkünfte (Dividenden nach Art. 10 OECD-MA/Slowenien) bei Anwendung von Art. 10 Abs. 2 OECD-MA (Art. 10 Abs. 2 DBA Slowenien) der intransparenten KG zuzurechnen. Die Anwendung des niedrigeren Steuersatzes nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA scheidet im Normalfall aus, weil diese Bestimmung Personengesellschaften ausdrücklich ausnimmt.8 Diese Ausnahme ist aber in der entsprechenden Vorschrift des DBA Slowenien nicht enthalten. Damit kann die KG selbst eine Quellensteuererstattung in _____________ 5 Vgl. Knaus, WiRO 2001, 161; Schmitt, IWB (2004) F. 5 Gr. 2, 1. 6 Vgl. BMF v. 21.7.1997, BStBl. I 1997, 725. 7 Vgl. auch Tz. 1.2 des Merkblatts zur Entlastung von deutscher Abzugsteuer gemäß § 50a Abs. 4 EStG aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) v. 7.5.2002, IV B 4 – S 2293 – 26/02, DStR 2002, 1396. 8 „wenn der Nutzungsberechtigte eine Gesellschaft (jedoch keine Personengesellschaft) ist“; vgl. auch OECD-Partnership-Report, Tz. 71.

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Schmidt – Personengesellschaften und DBA

Höhe von 20 % (25 %–5 %) nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) DBA Slowenien beanspruchen.9 Neben dem DBA – und als höherrangiges Recht – ist im vorliegenden Fall auch die Mutter-Tochter-Richtlinie zu beachten. Nach Nr. 1 Buchst. x der Anlage 2 zum EStG (zu § 43b) kann die slowenische KG eine Freistellung (vollständige Erstattung) von deutscher Quellensteuer beantragen, wenn die Voraussetzungen der Mutter-Tochter-Richtlinie erfüllt sind (§ 43b Abs. 2 EStG).10 Die Gefahr der Doppelerstattung in bilateralen – und erst recht in Dreiecksfällen, etwa wenn ein Gesellschafter der slowenischen KG in einem dritten Land ansässig ist11 – ergibt sich daraus, dass neben der Personengesellschaft auch (noch einmal) die ausländischen Gesellschafter die Quellensteuererstattung beantragen können.12 Nach der Rechtsprechung des BFH13 sind die (beschränkt) Steuerpflichtigen nach dem innerstaatlichen deutschen Steuerrecht (§§ 1 Abs. 4, 49 EStG) die einzelnen Gesellschafter und nicht die Personengesellschaft; für sie wird die Quellensteuer erhoben und erstattet. Sollte abkommensrechtlich bestimmt werden, dass die Abkommensvorteile (Quellensteuererstattung) von der Personengesellschaft geltend gemacht werden, bleibt die Erstattungsberechtigung für die einzelnen Gesellschafter unberührt. Maßgebend wäre das Abkommen mit dem Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter. Das zwischen Deutschland und Slowenien abgeschlossene Abkommen würde zu einer zusätzlichen Quellensteuerentlastung von 25 % auf 15 % führen (Art. 10 Abs. 2 DBA Slowenien). Tz. 1.4.4 des BMF-Merkblatts vom 7.5.200214 sieht vor, dass das Bundesamt für Finanzen (jetzt Bundeszentralamt für Steuern) den Ansässigkeitsstaat informieren kann. Ob dies als „Sicherungsmechanismus“ ausreicht, wenn es Gesellschafter darauf anlegen, sich Abkommensvorteile doppelt zu verschaffen, erscheint zweifelhaft. _____________ 9 Die Bestimmung in Art. 10 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA „wenn der Nutzungsberechtigte eine Gesellschaft (jedoch keine Personengesellschaft) ist“ wurde ins DBA Slowenien ohne den Klammerzusatz übernommen. 10 Vgl. auch BMF-Schreiben v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, 446, Tz. 3. 11 Vgl. hierzu Schmidt, Wpg 2002, 1140 f. 12 Vgl. hierzu Krabbe, StbJb. 2000/2001, 188; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, Baden-Baden 2008, S. 59; Wassermeyer, IStR 1999, 481 ff. 13 Vgl. BFH v. 13.8.1997 – I B 30/97, BStBl. II 1997, 700; Wassermeyer, IStR 1999, 481. 14 BMF v. 7.5.2002 – IV B 4 – S 2293 – 26/02 Zur Entlastung von deutscher Abzugsteuer gemäß § 50a Abs. 4 EStG aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA).

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Festzuhalten bleibt, dass in den Fällen „Ungereimtheiten“ entstehen, in denen eine ausländische Personengesellschaft aufgrund ihrer steuerlich intransparenten Behandlung in ihrem Sitzstaat sich als Abkommenssubjekt qualifiziert, Deutschland als Quellenstaat jedoch nach seinem innerstaatlichem Steuerrecht die einzelnen Gesellschafter als Steuersubjekte behandelt. Die Staatengemeinschaften in der OECD (OECD-Partnership-Report) und der EU (Aufnahme von intransparenten Personengesellschaften in die Mutter-Tochter-Richtlinie mit der Änderung zum 1.1.200415) haben sich zu einer Lösung entschlossen, die den Quellenstaat an die Behandlung im Sitzstaat der Gesellschaft bindet. Und wir haben von Herrn Dr. Peters gehört, dass es den Grundlagen der deutschen Steuerpolitik entspricht, den EU- und OECD-Lösungen zu folgen. Ich halte dies – soweit dem nicht innerstaatliche, insbesondere verfassungsrechtliche Normen entgegenstehen – auch für richtig und zielführend. Denn Abkommen werden geschlossen, um Besteuerungsbefugnisse zwischen den vertragschließenden Parteien aufzuteilen. Eine Lösung – wenn erforderlich – muss deshalb im innerstaatlichen deutschen Steuerrecht gefunden werden.16 Eine solche innerstaatliche Regelung hat sicherzustellen, dass die Abkommensvorteile nur einmal gewährt werden, wobei bei unterschiedlichen Abkommensvorteilen, die jeweils günstigere Lösung zum Tragen kommen muss.17 Im Übrigen ist anzumerken, dass ich sowohl von Herrn Müller-Gatermann als auch aus der zuständigen Stelle im Bundeszentralamt erfahren habe, dass bis heute keine Anzeichen dafür vorliegen, dass ausländische Steuerpflichtige den Versuch unternommen haben, eine solche Doppelerstattung zu erlangen.

C. Personengesellschaften als ansässige Person Fall 2: Abkommensrechtliche Behandlung der Gewinne aus der Veräußerung eines KG-Anteils an einer in ihrem Sitzstaat intransparent behandelten gewerblich tätigen Personengesellschaft. Der Fall betrifft den BFHBeschluss vom 19.5.2010.18 _____________ 15 Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22.12.2003. 16 A. A. Wassermeyer, IStR 1999, 481 ff. 17 So auch Ziff. 6.1 OECD-MK zu Art. 1 OECD-MA; vgl. hierzu auch Krabbe, IWB (1998), F. 3 Gr. 2, 757; Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 1 Rz. 33a. 18 BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, IStR 2010, 530.

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I. Behandlung nach dem innerstaatlichen spanischen Steuerrecht Die S.C. ist nach spanischem Zivilrecht juristische Person. Sie unterliegt in Spanien der Körperschaftsteuer.19 Gewinne aus der Veräußerung von S.C.-Anteilen subsumiert Spanien deshalb unter Art. 13 Abs. 5 OECD-MA (= Art. 13 Abs. 3 DBA Spanien 1966 = Art. 13 Abs. 6 DBA Spanien neu) mit der Folge, dass der Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter (Deutschland) das ausschließliche Besteuerungsrecht hat.

II. Behandlung nach dem innerstaatlichen deutschen Steuerrecht Nach deutschem innerstaatlichem Steuerrecht ist ein ausländisches Rechtsgebilde zunächst zu klassifizieren und die Steuersubjektqualifikation festzustellen. Hierfür ist – wie das BMF-Schreiben v. 16.4.201020 in Tz. 1.2 zutreffend ausführt – ausschließlich das deutsche Steuerrecht maßgebend. Hierbei sind die allgemeinen Grundsätze des Rechtstypenvergleichs in Abschnitt IV des BMF-Schreibens vom 19.3.2004 zur Klassifikation einer US-LLC21 anzuwenden.22 Hinzuweisen ist auch auf die Tabellen 1 und 2 im Anhang zu den Betriebsstätten-Verwaltungsgrund_____________ 19 20 21 22

Vgl. Spengel/Schaden/Wehrße, StuW 2010, 46 f. BMF v. 16.4.2010, BStBl. I 2010, 354. BMF v. 19.3.2004, BStBl. I 2004, 411. Vgl. BFH v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263.

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sätzen;23 sie beinhalten einen solchen Rechtsformvergleich für eine Vielzahl von Ländern. Nach Tabelle 1 ist die S.C. einer deutschen KG vergleichbar und somit für die Anwendung des innerstaatlichen deutschen Steuerrechts als transparent zu behandeln. Diese Vorgehensweise, dass es bei der Klassifikation (Feststellung der Steuersubjektqualifikation) eines ausländischen Rechtsgebildes für Zwecke der rein innerstaatlichen deutschen Behandlung nicht auf das Zivil- oder Steuerrecht des jeweiligen Sitzstaates ankommt, sondern sich diese ausschließlich nach deutschem (Steuer-)Recht richtet, entspricht der ganz herrschenden Meinung in Deutschland24 und dem OECDPartnership-Report.25 Insoweit ist festzuhalten, dass nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht Veräußerungsgewinne nach den §§ 16 Abs. 1 Nr. 2, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vorliegen.

III. Abkommensrechtliche Behandlung 1. Grundsätzliches zur Behandlung von Personengesellschaften im Abkommensrecht Für die abkommensrechtliche Behandlung ist zuerst die grundsätzliche Frage zu klären, ob die deutsche Rechtsauffassung, dass die S.C. transparent ist, auf die abkommensrechtliche Behandlung durchschlägt. Der BFH hat für ausländische Personengesellschaften, die in ihrem Sitzstaat nicht selbst steuerpflichtig sind, also transparent behandelt werden, entschieden, dass jede Personengesellschaft – selbst bei Doppelstöckigkeit – abkommensrechtlich anteilige Betriebsstätten für jeden an ihr beteiligten Gesellschafter vermittelt.26 Gegen diese Auffassung spricht allerdings im vorliegenden Fall, dass die spanische S.C. juristische Person und selbst (körperschaft)steuerpflichtig ist. _____________ 23 Das BMF-Schreiben vom 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076 (unter Berücksichtigung der Änderungen durch die BMF-Schreiben vom 20.11.2000, BStBl. I 2000, 1509, und vom 29.9.2004, BStBl. I 2004, 917 – Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze) enthält in Anhang I, Tabellen 1 und 2 Hinweise für die Einordnung ausgewählter ausländischer Gesellschaftsformen. 24 Vgl. hierzu grundlegend die Venezuela-Entscheidung des RFH v. 12.2.1930, RStBl., 444. 25 OECD-Partnership-Report, Tz. 12. 26 St. Rspr., vgl. z. B. BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414, und v. 16.10. 2002 – I R 17/01, BStBl. II 2003, 631 unter III. 3. b) bb) aaa) mit weiteren Urteilsnachweisen.

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Personengesellschaften, die in ihrem Sitzstaat für die Besteuerung intransparent behandelt werden und dort der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegen oder die sogar – wie Personengesellschaften aus dem romanischen Rechtskreis27 – in ihrem Sitzstaat zu den juristischen Personen zählen, sind nach herrschender Meinung28 – dem an sich klaren Wortlaut des OECD-MA folgend – „ansässige Personen“ i. S. von Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA und damit selbst abkommensberechtigt. Es ist deshalb auch die Personengesellschaft, die abkommensrechtlich das Unternehmen betreibt (Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECD-MA). Für die Anwendung des Abkommens durch Deutschland als Ansässigkeitsstaat stellt sich die Frage, wie weit diese Auffassung trägt und welche Bedeutung dies für die Steuerpflicht des Gewinnanteils eines in Deutschland ansässigen Gesellschafters hat. Im Wesentlichen werden drei Auffassungen vertreten:29 (1) Der Ansässigkeitsstaat legt nach seinem innerstaatlichen Steuerrecht – losgelöst von der Qualifikation des Quellenstaates (Sitzstaat der Personengesellschaft) – fest, wer „ansässige Person“ im Sinne des Abkommens ist. Dies ist nicht die ausländische Personengesellschaft, sondern der in seinem Ansässigkeitsstaat steuerpflichtige Gesellschafter.30 Diese Auffassung liegt auch dem BMF-Schreiben vom 16.4.2010 zugrunde.31 (2) Der Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter ist an die Abkommenssubjektfestlegung des Sitzstaates der Personengesellschaft (Quellenstaat) gebunden. Er darf jedoch (inkonsequenterweise) den (unverteilten) Gewinnanteil in der Hand der Gesellschafter versteuern. Eine Freistellung kann sich aber aus dem Methodenartikel i. V. m. _____________ 27 Vgl. Vogel, IStR 1999, 5 ff. (6) m. w. N. 28 Vgl. die Zusammenstellung der Meinungen bei Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 27a, Vogel, IStR 1999, 5 ff.; Schmidt, Wpg. 2002, 1139 m. w. N.; gegen die h. M. aussprechend Wassermeyer, IStR 1998, 489 ff. (490) und Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 27c. 29 Vgl. hierzu ausführlich Schmidt, IStR 2010, 425 ff. und Lüdicke, IStR 2011, 91 ff. sowie den Meinungsstreit zwischen Vogel und Wassermeyer, ausgehend vom Beitrag Wassermeyers, IStR 1998, 489 ff., mit der Replik von Vogel, IStR 1999, 5 ff. und der Duplik von Wassermeyer, IStR 1999, 8 jeweils m. w. N. Inzwischen hat sich Wassermeyer allerdings der Auffassung von Vogel angenähert, vgl. Wassermeyer, IStR 2011, 85 ff. 30 Vgl. Lüdicke, IStR 2011, 91 m. w. N. 31 Vgl. BMF v. 16.4.2010, BStBl. I 2010, 354, Tz. 2.1.1. und 4.1.4.1.

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Art. 7 Abs. 1 S. 1 zweiter Halbsatz OECD-MA ergeben. Dies ist die OECD-Auffassung.32 (3) Der Ansässigkeitsstaat ist auch für die Anwendung des Methodenartikels an die Abkommenssubjektfestlegung des Sitzstaates der Personengesellschaft (Quellenstaat) gebunden. Der unverteilte Gewinn unterliegt dem abkommensrechtlichen Intransparenzprinzip. Die Personengesellschaft wird abkommensrechtlich wie eine Kapitalgesellschaft behandelt. Die Freistellung ergibt sich allein aus dem vollständigen Verteilungsartikel des Art. 7 Abs. 1 erster Halbsatz OECD-MA. Art. 23A OECD-MA ist nicht mehr zu prüfen.33 Nachdem jedoch im innerstaatlichen deutschen Steuerrecht Steuersubjekte die einzelnen Gesellschafter sind, ist der Abkommensvorteil auf sie überzuleiten.34 Welcher Auffassung der BFH folgen möchte, hat er bisher noch nicht entschieden. Im Urteil v. 4.4.200735 lässt er diese Frage ausdrücklich offen. In seinem Beschluss v. 19.5.2010,36 in einem AdV-Verfahren stellt er fest:37 „Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Besteuerung des in Deutschland ansässigen Gesellschafters einer spanischen, nach dortigem im Gegensatz zum deutschen Recht steuerlich als intransparent behandelten Personengesellschaft nach Maßgabe des DBA-Spanien auf der Grundlage des deutschen oder aber des spanischen Steuerrechts vorzunehmen ist …“

_____________ 32 Vgl. hierzu das Beispiel 18 im OECD-Partnership-Report und Ziff. 6.1 des OECDMK zu Art. 1. 33 Vgl. Schmidt, IStR 1996, 14 ff. (21 f.), Schmidt, Wpg 2002, 1235; Entsprechendes gilt m. E. auch für den Progressionsvorbehalt. Der BFH hat jedoch seine frühere Rechtsprechung aufgeben und sieht inzwischen den innerstaatlichen Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG weitgehend losgelöst vom abkommensrechtlichen Progressionsvorbehalt in Art. 23A Abs. 3 OECD-MA; vgl. BFH v. 19.12.2001 – I R 63/00, IStR 2002, 439; bestätigt durch BFH v. 15.5.2002 – I R 40/01, IStR 2002, 1435. 34 Vgl. Vogel, IStR 1999, 5 ff. (7), Schmidt, IStR 1996, 14 ff. (17 f.); Schmidt, Wpg 2002, 1235; Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 1 Rz. 34b; Safarik in Debatin/ Wassermeyer, DBA Tschechien Art. 23 DBA Tschechien Rz. 21; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 6. Aufl., München, S. 533. 35 BFH v. 4.4.2007 – I R 110/05, BStBl. II 2007, 521. 36 BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, IStR 2010, 530. 37 Vgl. hierzu Schmidt, IStR 2010, 520 ff.

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2. Subsumtion des Gewinns aus der Veräußerung des Kommanditanteils unter das Abkommen Erkennt man die S.C. als solche für die DBA-Anwendung durch Deutschland an, so untersteht der Veräußerungsgewinn dem Regime des Art. 13 Abs. 3 DBA Spanien 1966 = Art. 13 Abs. 6 DBA Spanien neu (sonstiges, in den vorstehenden Absätzen nicht genanntes Vermögen). Das ausschließliche Besteuerungsrecht steht Deutschland zu. Nach der vom BMF im Schreiben v. 16.4.2010 vertretenen Auffassung liegt die Veräußerung von Bruchteilen von Wirtschaftsgütern vor, die unter Art. 13 Abs. 1 – soweit sie unbewegliches Vermögen darstellen – sonst unter Art. 13 Abs. 2 DBA Spanien 1966 = Art. 13 Abs. 4 DBA Spanien neu zu subsumieren sind. Art. 23 Abs. 1 DBA Spanien 1966 würde nach herkömmlicher Lesart eine Freistellung für den deutschen Veräußerer vermitteln. Um die daraus entstehende Doppelfreistellung zu vermeiden, wurde § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG geschaffen.38 Nach der OECD-Auffassung würde bei dem hier bestehenden Qualifikationskonflikt die Freistellung durch eine einschränkende Auslegung von Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA Spanien 1966 (entspricht diesbezüglich Art. 23A Abs. 1 OECD-MA) verhindert.39 Demgegenüber hat der BFH in seinem Beschluss v. 19.5.2010 bei summarischer Prüfung im AdV-Verfahren Zweifel, ob es richtig ist, dass der Gewinn aus der Anteilsveräußerung nicht befreit ist. Er führt aus, dass DBA auch gelten, wenn nur eine virtuelle Doppelbesteuerung gegeben ist. Und er bezweifelt, dass das Auslegungskonzept des OECD-Partnership-Reports, das Eingang in den OECD-MK 2000 gefunden hat, zutrifft. Ferner hält er es für möglich, dass § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG sowohl aufgrund seiner Rückwirkung als auch in seiner Wirkung als Treaty override verfassungswidrig ist.40 Das neue DBA Spanien enthält in Art. 22 Abs. 2 Buchst. a eine Subjectto-tax-Klausel, so dass künftig die Freistellungsmethode nur greift, wenn Einkünfte aus dem Königreich Spanien nach dem Abkommen im Königreich Spanien „tatsächlich besteuert werden“.

_____________ 38 Vgl. hierzu ausführlich Schmidt, IStR 2010, 427 f. 39 Vgl. hierzu ausführlich Schmidt, Wpg 2002, 1145. 40 Vgl. ausführlich zur Begründung des BFH Schmidt, IStR 2010, 521 ff.

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D. Gewerbliche Prägung im Abkommensrecht Fall 3: An einer gewerblich geprägten US-Personengesellschaft sind über eine deutsche KG deutsche Anleger beteiligt. Die US-Personengesellschaft erzielt Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und – aus der Anlage überschüssiger Finanzmittel – zusätzlich Zinseinkünfte. Der Fall betrifft das BFH-Urteil v. 28.4.2010.41

I. Abkommensrechtliche Einordnung der Einkünfte aus einer gewerblich geprägten Personengesellschaft Die Einkünfte aus einer gewerblich geprägten Gesellschaft sind durch die gesetzliche Fiktion in § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG stets „Einkünfte aus _____________ 41 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, DStR 2010, 1220.

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Gewerbebetrieb“, auch wenn sie ihrer Art nach andere Einkünfte darstellen (insbesondere Einkünfte aus Vermögensverwaltung). Seit Jahren besteht Streit darüber,42 ob eine gewerblich geprägte Personengesellschaft ihren Gesellschaftern „Unternehmensgewinne“ i. S. v. Art. 7 OECD-MA vermittelt oder andere, spezielle Verteilungsartikel (insbesondere Art. 10, 11, 12 OECD-MA) zum Tragen kommen. – Nach einer Auffassung soll dieser Begriff soweit als möglich aus dem Zusammenhang des Abkommens (abkommensautonom) ausgelegt und ihm ein gemeinsames Verständnis der OECD-Mitgliedsstaaten zugrunde gelegt werden.43 – Nach der im BMF-Schreiben vom 16.4.2010 vertretenen Meinung soll sich die Begriffsauslegung weitestgehend nach dem innerstaatlichen Recht des Anwendestaates richten.44 Nach dieser Auffassung schließt damit der Ausdruck die Gewinne (Gewinnanteile) aus gewerblich geprägten Personengesellschaften mit ein.45 – Nach einer dritten Meinung soll zwar – zunächst wie nach dem BMF-Schreiben v. 16.4.2010 – das innerstaatliche Steuerrecht des Anwendestaates wegen Art. 3 Abs. 2 OECD-MA zum Tragen kommen, da das in der ersten Auffassung unterstellte gemeinsame Verständnis in den Randbereichen des Begriffs zu Unschärfen führe und deshalb nicht weiter helfe.46 Dieses finde jedoch dort seine Grenze, wo Art. 7 Abs. 7 OECD-MA und die spezielle Konzeption der Verteilungsartikel des Abkommens eine Auslegung aus dem Zusammenhang erfordern47 bzw. lediglich die Subsidiaritätsvorschriften des deutschen Einkommensteuergesetzes Einkünfte, die ihrer Art nach unter andere Einkunftsarten fallen würden, den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuordnen.48 Sollte Letzteres nicht der Fall sein, richte sich die Auslegung nach § 15 Abs. 2 EStG, da der einkommensteuerrechtliche Begriff „Einkünfte aus Gewerbebetrieb“ dann mit dem abkommensrechtlichen Begriff „Unternehmensgewinne“ synonym _____________ 42 Zum Meinungsstand vgl. ausführlich Schmidt, IStR 2010, 417 ff. 43 Vgl. hierzu Hemmelrath in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., 2008, Anm. 29 ff. m. w. N.; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., Köln 1993, 545. 44 Tz. 2.2.1. 45 Vgl. Tz. 2.2.1. 46 Vgl. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 17. 47 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Köln 2011, Rz. 16.236. 48 Vgl. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 16a.

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sei.49 Nach dieser Auffassung würden – im Unterschied zum BMFSchreiben vom 16.4.2010 – Einkünfte von gewerblich geprägten Personengesellschaften nicht unter den Begriff Unternehmensgewinne fallen.50 Erforderlich ist nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA seit dem Update 2000 zusätzlich, dass eine Geschäftstätigkeit ausgeübt wird.51 Dies sei bei einer lediglich gewerblich geprägten Personengesellschaft nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG nicht erfüllt. Zusammenfassend lässt sich aber feststellen, dass die h. M. – anders als die Finanzverwaltung – es ablehnt, die Einkünfte einer gewerblich geprägten Personengesellschaft unter Art. 7 OECD-MA zu fassen.52 Mit Urteil vom 28.4.2010,53 entschied der BFH den bereits im dritten Rechtszug anhängigen Fall des FG Schleswig Holstein.54 Der BFH stellt die in der Literatur kontrovers geführte Diskussion zusammen55 und schließt sich der h. M. in Deutschland an, die abkommensrechtlich eine gewerbliche Prägung nicht als ausreichend ansieht, um Unternehmensgewinne nach Art. 7 Abs. 1 OECD-MA (im Streitfall Art. 7 Abs. 1 DBAUSA 1989 a. F. „gewerbliche Gewinne“) zu vermitteln. Im Ergebnis bekennt sich der I. Senat zu einer weitgehend abkommensautonomen Auslegung des Begriffes Unternehmensgewinne,56 wenn er feststellt: „Insoweit fordert vielmehr der in Art. 3 Abs. 2 DBA-USA 1989 a. F. genannte abkommensspezifische ‚Zusammenhang‘ eine vom nationalen Recht losgelöste Einordnung. … Ein anderes Verständnis ohne hinreichenden Grund (würde) die Gefahr fördern, dass das Abkommen in den einzelnen Vertragstaaten unterschiedlich ausgelegt wird, und damit der im Grundsatz angestrebten Entscheidungsharmonie entgegenwirken.“

_____________ 49 Vgl. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 16a; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Köln 2011, Rz. 16.236. 50 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Köln 2011, Rz. 16.236. 51 So ausdrücklich auch Ziff. 4 S. 3 OECD-MK zu Art. 3 OECD-MA; vgl. auch Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 16a; ähnlich Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Köln 2011, Rz. 16.236, der fordert, dass „die Erwerbstätigkeit einer eigengewerblichen Tätigkeit entspricht …“ 52 Vgl. hierzu z. B. Wassermeyer, IStR 2007, 413 ff. (416); Haun/Reiser, GmbHR 2007, 916; Strunk/Kaminski, IStR 2003, 182; Hoheisel, IWB, F. 10, Gr. 2, 2009 ff. 53 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, IStR 2010, 525. 54 Vgl. im Einzelnen Schmidt, IStR 2010, 417, Schmidt, IStR 2010, 520 sowie Wittkowski/Loose, DB 2010, 2411. 55 Unter II 2. b) dd). 56 So wohl auch die österreichische Finanzverwaltung im EAS 3010, vgl. Ecker, SWI 2010, 422 (Diskussionsbeitrag von Gahleitner).

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II. Abkommensrechtliche Einordnung der Zinsen Wenn danach die Tätigkeit der US-LP keine Unternehmenstätigkeit im Sinne von Art. 7 DBA USA (= Art. 7 OECD-MA) vermittelt, können die Zinsen auch nicht einer Betriebsstätte zugewiesen werden (Art. 11 Abs. 3 DBA USA = Art. 11 Abs. 4 OECD-MA). Denkbar wäre deshalb im vorliegenden Fall allenfalls – entsprechend dem deutschen Steuerrecht nach § 20 Abs. 8 EStG – auch abkommensrechtlich Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen (Art. 6 DBA USA = Art. 6 OECD-MA) anzunehmen. In einer Verständigungsvereinbarung mit Österreich vom 1.6.199457 vertreten die beiden Finanzministerien auch diese Auffassung. Demgegenüber sollen nach Tz. 2.3.2 des BMF-Schreibens vom 16.4.2010 Zinsen, die im Zusammenhang mit unbeweglichem Vermögen stehen, nicht unter Art. 6 OECD-MA, sondern unter Art. 11 OECD-MA fallen. Die (spärliche) Rechtsprechung der Finanzgerichte divergiert. Abkommensrechtlich Zinsen i. S. v. Art. 11 OECD-MA bejahten das FG Schleswig-Holstein v. 14.7.200958und das FG Hamburg v. 22.8.2006.59 Dagegen urteilte das FG Schleswig-Holstein in einer Entscheidung v. 27.11.2002,60 dass Zinserträge, die aus Liquiditätsüberschüssen einer US-Personengesellschaft mit Einkünften aus unbeweglichem Vermögen stammten, Art. 6 DBA USA 1989 (Art. 6 OECD-MA) zuordnen sind. Der BFH stellt im Urteil v. 28.4.2010, I R 81/0961 fest,62 dass die Zinsen nur mittelbar mit der Vermietungstätigkeit zusammenhängen und somit abkommensrechtlich – anders als nach innerstaatlichem deutschem Steuerrecht möglich – nicht zu den Einkünften aus unbeweglichen Vermögen nach Art. 6 OECD-MA (Art. 6 DBA-USA 1989 a. F.) gehören. Es

_____________ 57 Vgl. IWB-Kurznachrichten, IWB Nr. 15 v. 11.8.2004, S. 871; auch das mit dem BMF-Schreiben vom 16.4.2010 außer Kraft gesetzte BMF-Schreiben vom 24.9.1999, IStR 2000, S. 627 zur Beteiligung an einer ungarischen Immobilien GmbH & Co KG geht nicht von einem Vorrang von Art. 11 OECD-MA (Art. 11 DBA Ungarn) aus. 58 FG Schleswig-Holstein v. 14.7.2009 – 5 K 210/07, EFG 2009, S. 1998 mit Anm. Korte. 59 FG Hamburg v. 22.8.2006 – DStRE 2007, 665 (rkr.). 60 FG Schleswig-Holstein v. 27.11.2002 – DStRE 2003, 1104. 61 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, IStR 2010, 525. 62 Unter II. 3.

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liegen somit Zinsen nach Art. 11 OECD-MA (= Art. 11 DBA-USA 1989 a. F.) für beide Staaten vor.63 Dieser Entscheidung ist zuzustimmen. Anders als im innerstaatlichen Steuerrecht (§ 20 Abs. 8 EStG i. V. m. § 21 Abs. 3 EStG) gilt das Spezialitätenprinzip des Abkommens. Etwas anderes sollte nur dann gelten, wenn der Belegenheitsstaat in den Zinsen nach seinem innerstaatlichen Recht unmittelbar Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen sieht. Dann sollte aufgrund der in Art. 6 Abs. 2 OECD-MA ausgesprochenen weitgehenden Bindung des Ansässigkeitsstaates an das innerstaatliche Recht des Belegenheitsstaates64 ausnahmsweise Art. 6 OECD-MA auch für diese Zinsen gelten.65

III. Ergebnis Die im vorliegenden Fall von der LP erzielten Zinsen sind bei den deutschen Anlegern nach dem DBA USA nicht befreit. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Zinsen auch in den USA steuerpflichtig sind. Denn nach US-Steuerrecht kommen die Fondsgesellschaften (genauer: die Gesellschafter) nur in den Genuss von Abschreibungen auf die Immobilien, wenn sie die Vermietungseinkünfte wie Einkünfte aus einer USGeschäftstätigkeit („trade or business“) behandeln (Sec. 871 (d) bzw. 882 (d) IRC).66 Diese Option wird von den Investoren deshalb regelmäßig ausgeübt. Es liegt deshalb nahe, dass die USA die Zinsen als ein mit einer US-Betriebsstätte „effectively connected income“ ansehen und dementsprechend besteuern. Die sich daraus ergebende Doppelbesteuerung ist nur durch ein Verständigungsverfahrens zu beseitigen. Denn die Möglichkeit der Anrechnung oder des Abzugs der unzutreffenderweise in den USA gezahlten Einkommensteuer auf die Zinsen nach § 34c Abs. 6 Satz 3 i. V. m. § 34c Abs. 1 und 2 EStG scheidet aus.67 Die Folge dieser Rechtsprechung ist aber auch, dass in Wegzugsfällen eine Entstrickung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG durch die Einbringung _____________ 63 FG Köln v. 13.8.2009 – 15 K 2900/05 (Az. BFH II R 51/09), EFG 2009, 1819 mit Anmerkung Korte und FG Schleswig-Holstein v. 14.7.2009 – 5 K 210/07, EFG 2009, 1998 (Az. BFH I R 81/09); FG Düsseldorf v. 28.4.2009 – 17 K 1070/07 F, EFG 2009, 1395 (Az. BFH I R 49/09). 64 Vgl. Reimer in Vogel/Lehner, 5. Aufl., 2008, Art. 6, Rz. 64. 65 Vgl. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Art. 11 OECD-MA Rz. 97; Salzmann, IStR 2010, 329. 66 Vgl. hierzu ausführlich Schmidt/Dendorfer, IStR 2000, 47. 67 Vgl. BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, IStR 2010, S. 525 unter II. 4. d).

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von Kapitalgesellschaftsanteilen in eine deutsche gewerblich geprägte Personengesellschaft nicht mehr vermieden werden kann.68

E. Sondervergütungen und § 50d Abs. 10 EStG Fall 4: Eine in einem DBA-Staat ansässige Person (Kapitalgesellschaft) erhält von einer inländischen KG, an der sie beteiligt ist, Lizenzgebühren für überlassene immaterielle Wirtschaftsgüter. Die überlassenen immateriellen Wirtschaftsgüter werden teilweise auch von dem ausländischen Gesellschafter im Rahmen eines eigenen Gewerbebetriebs genutzt. Der Fall entspricht dem Sachverhalt im BFH-Urteil v. 8.9.2010.69

_____________ 68 Vgl. Schmidt, IStR 2010, 521 sowie die Diskussion von Loose/Wittkowski, IStR 2011, 68 und Schönfeld, IStR 2011, 142. 69 BFH v. 8.9.2010– I R 74/09, DStR 2010, 2450.

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I. Vorbemerkung Bekanntlich bestehen seit dem grundlegenden Urteil des BFH v. 27.2.199170 zwischen der Finanzverwaltung und dem Bundesfinanzhof unterschiedliche Vorstellungen zur Behandlung von Sondervergütungen im Abkommensrecht. Die Finanzverwaltung möchte Sondervergütungen – entsprechend dem innerstaatlichen deutschen Steuerrecht – abkommensrechtlich als Teil der von der Personengesellschaft vermittelten Unternehmensgewinne nach Art. 7 Abs. 1 OECD-MA betrachten und sie darüber hinaus auch der durch die Personengesellschaft vermittelten Betriebsstätte zuordnen. Demgegenüber trennt der BFH die Sondervergütungen von den Unternehmensgewinnen ab und ordnet sie den speziellen Verteilungsartikeln zu; dabei können die Vergütungen auch in einer Betriebsstätte des Gesellschafters (Mitunternehmers) anfallen, wenn der Aktivposten nicht der Personengesellschaft, sondern dem Gesellschafter zuzuordnen ist. Während im Outbound-Fall etwa Zinsen – entsprechendes gilt für Lizenzgebühren, wie sie dem Sachverhalt zugrunde liegen – an die ausländische Personengesellschaft beim inländischen Gesellschafter nach beiden Vorstellungen mit entsprechend unterschiedlichen Begründungen grundsätzlich steuerpflichtig sind,71 ist dies im hier vorliegenden Inbound-Fall anders. Der BFH hat für einen solchen Fall im Urteil vom 17.10.2007, I R 5/0672 seine ständige Rechtsprechung bestätigt.73 § 50d Abs. 10 EStG wurde mit dem JStG 2009 ins Einkommensteuergesetz mit dem Ziel aufgenommen, diese missliebige Rechtsprechung zu beseitigen.74 Im Ergebnis sollte damit das Besteuerungsrecht für Sondervergütungen – sowohl im Outboundfall wie im Inboundfall und damit asymmetrisch – Deutschland zugewiesen werden. Die Regelung sollte gemäß § 52 Abs. 59a Satz 8 EStG rückwirkend auf alle noch offenen Verfahren angewendet werden. Dies sollte nach § 7 Satz 6 i. V. m. § 36 Abs. 5 Satz 2 GewStG auch für die Gewerbesteuer gelten. Das BMF-Schreiben vom 16.4.2010 zur Anwen-

_____________ 70 BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, S. 444. 71 Vgl. hierzu z. B. Schmidt, IStR 2010, 290 ff. (290); Salzmann, IWB 2009, F. 3 Gr. 3. 1539 ff. (1540). 72 BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356. 73 Erstmals BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444. 74 Vgl. Salzmann, IWB 2009, F. 3 Gr. 3. 1539 ff. (1540); Schmidt/Loschelder, EStG, 29. Aufl. 2010, § 50d Rz. 60.

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dung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften stellt deshalb auch auf diese Rechtsgrundlage ab.75 In der Literatur wurden im Wesentlichen drei Argumente gegen die Vorschrift des § 50d Abs. 10 EStG in Stellung gebracht:76 (1) Unzureichender gesetzlicher Tatbestand; (2) Verfassungswidriges Treaty override; (3) Unzulässige Rückwirkung, soweit Veranlagungszeiträume vor 2009 betroffen sind.

II. Unzureichende Reichweite der Fiktion in § 50d Abs. 10 EStG § 50d Abs. 10 EStG bestimmt nur, dass in den Fällen, in denen das Abkommen keine ausdrückliche Regelung für Sondervergütungen i. S. v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 EStG enthält, „diese Vergütungen für Zwecke der Anwendung des Abkommens ausschließlich als Unternehmensgewinne [gelten]“. Diese abkommensrechtliche Zuordnung zu den Unternehmensgewinnen bedeutet damit noch nicht, dass der Betriebsstättenstaat (hier Deutschland) ein Besteuerungsrecht hat. Hierzu müssten die Sondervergütungen in einer weiteren gesetzlichen Fiktion auch der Betriebsstätte der Mitunternehmerschaft zuzurechnen sein (Art. 7 Abs. 1 S. 2 OECD-MA). Dies sieht die Vorschrift des § 50d Abs. 10 EStG nicht vor. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Regelung für die steuerliche Erfassung der Sondervergütungen in Deutschland leerläuft.77 Lediglich von Mitschke,78 einem Vertreter der Finanzverwaltung, und von Frotscher79 wurde diese Auffassung nicht geteilt. Im Ergebnis wird von ihnen vertreten, der Gesetzgeber habe nicht übersehen, das Tatbestandsmerkmal der abkommensrechtlichen Zugehörigkeit der Unter_____________ 75 BMF v. 16.4.2010, BStBl. I 2010, S. 354, Tz. 5.1; vgl. hierzu auch Schmidt, IStR 2010, 413 ff. (429 ff.). 76 Vgl. nachstehend E. II. IV. 77 Vgl. Boller/Eilinghoff/Schmidt, IStR 2009, 109 ff. (110); Dörfler/Rautenstrauch/ Adrian, BB 2009, 580 ff. (583); Günkel/Lieber, Ubg 2009, 301 ff. (304); Hils, DStR 2009, 888 ff. (890); Korn, IStR 2009, 641 ff. (642 f.); Lange, GmbH-StB 2009, 128 ff. (132); Meretzki, IStR 2009, 217 ff. (219); Lohbeck/Wagner, DB 2009, 423 ff. (426); Salzmann, IWB 2009, F 3, Gr. 3, 1539, 1552 f.; Prinz, DB 2009, 807 ff. (812); Holthaus in Lippross, Basiskommentar, § 50d EStG, Rz. 37. Andere Auffassung lediglich Frotscher, IStR 2009, 593 ff.; hiergegen Boller/Schmidt, IStR 2009, 852 ff. 78 Vgl. Mitschke, DB 2010, 304. 79 Vgl. Frotscher, IStR 2009, 595 f.

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nehmensgewinne zu einer inländischen Betriebsstätte zu regeln, sondern er gehe davon aus, dass die rechtliche Zuordnung zu einer inländischen Betriebsstätte einer Personengesellschaft ausreiche.80 Diese Vorstellung widerspricht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG. Steuernormen sind Eingriffsnormen und müssen dementsprechend vom Gesetzgeber klar und eindeutig formuliert sein.81 Der gesetzgeberische Wille muss im Wortlaut des Gesetzes seinen Ausdruck finden. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in einzelnen DBA Regelungen geschaffen hat, die nicht nur die Qualifikation der Sondervergütungen als Unternehmensgewinne, sondern auch die tatsächliche Zurechnung zur Betriebsstätte, aus der sie abfließen, regeln.82 In Übereinstimmung mit der überwiegend in der Literatur vertretenen Auffassung, hat der BFH im Urteil vom 17.10.200783 entschieden, dass die Forderung eines ausländischen Gesellschafters an „seine“ inländische Personengesellschaft oder dieser zur Nutzung überlassene Wirtschaftsgüter nur dann tatsächlich zur inländischen Betriebsstätte (vermittelt durch die Personengesellschaft) im Sinne eines Doppelbesteuerungsabkommens gehören können (vgl. Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3 OECD-MA), wenn die Forderung bzw. die Wirtschaftsgüter aus Sicht der Personengesellschaft (Betriebsstätte) einen Aktivposten bilden. Dies ist bei einer Forderung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft oder von ihm überlassenen Wirtschaftsgütern nicht der Fall. Und – wie ausgeführt – eine Fiktion der Zurechnung der Sondervergütungen (Zinsen, Lizenzgebühren) zu der inländischen Betriebsstätte ordnet § 50d Abs. 10 EStG gerade nicht an.84

_____________ 80 Vgl. Mitschke, DB 2009, 304. 81 Vgl. zum verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz Grzeszick in Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 58 ff. 82 Vgl. Art. 7 Abs. 7 DBA Österreich, der z. B. folgenden Wortlaut hat: „Dieser Artikel gilt auch für die Einkünfte aus der Beteiligung an einer Personengesellschaft. Er erstreckt sich auch auf Vergütungen, die ein Gesellschafter einer Personengesellschaft von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft, für die Gewährung von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftgütern bezieht, wenn diese Vergütungen nach dem Steuerrecht des Vertragsstaats, in dem die Betriebsstätte gelegen ist, den Einkünften des Gesellschafters aus dieser Betriebsstätte zugerechnet werden.“ 83 BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356. 84 Vgl. hierzu auch Wassermeyer, IStR 2010, 37 ff. (40 f.).

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III. Verfassungswidriges Treaty override Die Vorschrift des § 50d Abs. 10 EStG stellt nach ganz überwiegender Auffassung in der Literatur ein sogenanntes Treaty override dar.85 Es handelt sich hierbei um ein Treaty override zur Sicherstellung von Besteuerungssubstrat.86 Zwar soll nach dem Bericht des Finanzausschusses in § 50d Abs. 10 EStG gerade keine abkommensverdrängende Vorschrift zu sehen sein: „In einer solchen Regelung ist keine Überschreibung (treaty override) eines DBA zu sehen; denn es geht lediglich um eine – der Auffassung des BFH widersprechende – innerstaatlich verbindliche Auslegung des DBA-Ausdrucks ‚Unternehmensgewinne‘.“87

Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber ist zur Auslegung von Rechtsnormen nicht berufen;88 diese erfolgt final allein durch die Finanzgerichte, insbesondere durch den BFH. § 50d Abs. 10 EStG enthält auch keine Auslegung, sondern eine (im Ergebnis unvollständige) Fiktion. Denn der Gesetzgeber wollte mit § 50d Abs. 10 EStG eine Rechtsfolge herbeiführen, die sich bei autonomer Abkommensauslegung durch die ständige BFH-Rechtsprechung nicht ergibt.89 Hinzu kommt, dass zunehmend in Zweifel gezogen wird, dass Treaty overrides mit dem Grundgesetz vereinbar sind – jedenfalls dann, wenn sie über eine Missbrauchsverhinderung hinausgehen.90 Die Begründungsansätze differieren. Nach Frotscher verstößt § 50d Abs. 10 EStG gegen Art. 14 GG (Eigentumseingriff aufgrund der durch § 50d Abs. 10 EStG bewirkten Doppelbesteuerung) und gegen Art. 3 GG (Ungleichbehandlung: Sondervergütungen der beschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter unterliegen einer Doppelbesteuerung, die der inländischen _____________ 85 Vgl. Frotscher, IStR 2009, 593 ff.; Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 ff. (598); Günkel/Lieber, Ubg 2009, 301 ff. (306); Salzmann, IWB (2009) F. 3 Gr. 3, 1539 ff. (1548); Schmidt/Loschelder, EStG, 29. Aufl. 2010, § 50d EStG Rz. 60; Schmidt, StbJb 2008/2009, 176 f.; Wagner in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 50d EStG Rz. 114. 86 Vgl. Gosch, IStR 2008, 413 ff. und Wagner in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 50d EStG Rz. 114. 87 Seite 29 des Berichts des Finanzausschusses zum JStG 2009, BT-Drucks. 16/11108. 88 Vgl. Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 ff. (598, Fußnote 44). 89 Vgl. Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 ff. (598). 90 Vgl. z. B. BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, IStR 2010, 530; Gosch, IStR 2008, 413 ff.; Vogel, in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Einl. Rz. 204; Stein, IStR 2006, 505 ff.; Rust/ Reimer, IStR 2005, 843 ff.; Kempf/Bandl, DB 2007, 1377 ff.; Schmidt, IStR 2010, 413 ff.

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Gesellschafter nicht).91 Nach Jansen/Weidmann stellt ein Treaty override, das – wie § 50d Abs. 10 EStG – der Sicherstellung von Besteuerungssubtrat und damit einem bloßen Fiskalzweck dient, einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG dar.92 Nach Lieber liegt ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG vor, weil § 50d Abs. 10 EStG zwar ein Treaty override darstelle, jedoch nicht als solches gekennzeichnet sei.93 Generell zu Treaty overrides stellt Gosch die Frage, ob sich aus der Görgülü-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts94 ein allgemeines Nichtigkeitsverdikt für Treaty overrides aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt oder ob „das Überschreiben des Zustimmungsgesetzes im Ergebnis als dessen Teil-Widerruf, als Treaty overruling, zu deuten und dieser TeilWiderruf wiederum als völkerrechts- und damit verfassungswidrigen Vertragsbruch zu bewerten“ ist.95

IV. Unzulässige Rückwirkung § 52 Abs. 59a Satz 8 EStG ordnet an, dass § 50d Abs. 10 EStG auch auf Erhebungszeiträume/Veranlagungszeiträume vor 2009 anzuwenden ist, sofern die Einkommen- und Körperschaftsteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. Damit wird für § 50d Abs. 10 EStG eine sogenannte echte Rückwirkung ausgesprochen. Denn der Steueranspruch entstand für diese Jahre bereits mit ihrem Ablauf, und die Regelung greift in diese (abgeschlossenen) Jahre rückwirkend ein. Während eine unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) nach der Rechtsprechung des BVerfG, nach der Gesetzesänderungen im (noch) laufenden Erhebungszeitraum/Veranlagungszeitraum nicht grundsätzlich unzulässig ist,96 ist dies bei einer echten Rückwirkung anders.97 _____________ 91 92 93 94 95 96

Vgl. Frotscher, IStR 2009, 593 ff. (599). Vgl. Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 ff. (598, 604). Vgl. Lieber in HHR, Jahreskommentierung 2009, § 50d, Anm. J 08-4. BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307. Gosch, IStR 2008, 413 ff. (419). Vgl. hierzu die Beschlüsse des BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, 2, BStBl. II 2011, 86 und 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 Bvl 58/06, DStR 2010, 1736. 97 Vgl. z. B. BVerfGE 13, S. 278, BVerfGE 39, 128 und BVerfGE 72, 258; Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass nach den Beschlüssen des BVerfG vom 7.7.2010 auch eine unechte Rückwirkung nur dann mit dem Grundgesetz und den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes vereinbar ist, „wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die

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Es ist deshalb der ganz überwiegenden Literaturmeinung zuzustimmen, die in der Rückwirkung von § 50d Abs. 10 EStG einen Verfassungsverstoß sieht (Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG).98

V. Entscheidung des BFH vom 8.9.201099 Der BFH hat im Urteil vom 8.9.2010100 gegen die Finanzverwaltung und die im BMF-Schreiben vom 16.4.2010 vertretene Auffassung entschieden und sich im Wesentlichen auf das Argument der tatbestandliche Unzulänglichkeit gestützt. Nach ihm leidet die Fiktion in § 50d Abs. 10 EStG „in ihrer Wirkkraft daran, dass diese Fiktion tatbestandlich zu kurz greift. Sie ordnet lediglich die abkommensrechtliche Einkunftsart an, suspendiert jedoch nicht zugleich von den Erfordernissen der (abkommensrechtlichen) Existenz einer Betriebsstätte (Art. 7 OECD-MA) sowie der (ebenfalls abkommensrechtlichen) Betriebsstättenzurechnung.“101 Im Streitfall wurden die überlassenen Wirtschaftsgüter auch in den USA genutzt, so dass von daher eine Zurechnung zur inländischen Betriebsstätte ausschied. Da bereits mit dieser Begründung § 50d Abs. 10 EStG das gewünschte Ziel nicht erreichen kann, konnte es der BFH dahin stehen lassen, ob die Rückwirkung der Vorschrift des § 50d Abs. 10 EStG gegen das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG verstößt oder die Neuregelung als Treaty override völker- und verfassungswidrig ist.102

VI. Reaktionsmöglichkeiten von Finanzverwaltung und Gesetzgeber – Einfluss des sogenannten Authorised OECDApproach im OECD-MA 2010 Die deutsche Finanzverwaltung folgt seit 1999 bei der abkommensrechtlichen Behandlung von Personengesellschaften weitgehend der _____________

98

99 100 101 102

Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.“, BVerfG v. 7.7.2010, 2 BvL 14/02, BStBl. II 2011, 76. Vgl. Hahn-Joecks in K/S/M § 50d Rdnr. L 2, K 5; Schmidt/Loschelder, EStG, 29. Aufl. 2010, § 50d EStG Rz. 60; Günkel/Lieber, Ubg 2009, 301 ff. (301); Hils, IStR 2009, 888 ff. (891); Salzmann, IWB v. 9.5.2007, Gr. 3 F. 3, 1465 ff. (1477); Rosenthal, IStR 2007, 610 ff. (615). BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, DStR 2010, 2450. BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, DStR 2010, 2450. Unter III. 2. b) der Urteilsgründe. So ausdrücklich unter III. 3. der Urteilsgründe.

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Auffassung der OECD im sogenannten OECD-Partnership-Report.103 Dies gilt auch für die Behandlung von Sondervergütungen.104 Die „rechtsprechungsbrechende“ Vorschrift des § 50d Abs. 10 EStG sollte letztlich der OECD-Auffassung zum Durchbruch verhelfen. Der BFH ist bisher der OECD-Auffassung zur Behandlung von Personengesellschaften auf Abkommensebene in allen an ihn herangetragenen Fragen nicht gefolgt.105 So auch im Urteil vom 8.9.2010.106 Auch wenn die BFHRechtsprechung zur abkommensrechtlichen Behandlung von Sondervergütungen nicht widerspruchsfrei ist,107 kommt die Finanzverwaltung nicht daran vorbei, sie entweder zu akzeptieren oder einer tragfähigen gesetzlichen Regelung zuzuführen. Ein bloßes „Nachbessern“108 von § 50d Abs. 10 EStG durch den Gesetzgeber begegnet folgenden Bedenken: 1. Unzulässige Rückwirkung 2. Völker- und verfassungswidriges Treaty override 3. Verstoß gegen das Nettoprinzip versus Unmöglichkeit der Vollziehbarkeit einer Gesetzesbestimmung 4. Rechtspolitische und europarechtliche Bedenken 5. Sonderrecht für Personengesellschaften nach dem sogenannten „Authorised OECD Approach“ seit dem Update 2010 1. Unzulässige Rückwirkung Wie ausgeführt, scheidet die Rückwirkung einer „Nachbesserungsregelung“ auf frühere Veranlagungszeiträume aus.109 Sollte die Regelung _____________ 103 Vgl. hierzu ausführlich Schmidt, IStR 2010, 413 ff. 104 Schmidt, IStR 2010, 413 (429 ff.) und die Beispiele 13 und 15 im OECDPartnership-Report, The Application of the OECD Model Tax Convention to Partnerships, Issues on International Taxation No. 6, OECD, 1999. 105 Vgl. BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, IStR 2010, 525 und BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, IStR 2010, 530 sowie ausführlich, Schmidt, IStR 2010, 520 ff. 106 BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, DStR 2010, 2450. 107 Vgl. hierzu ausführlich, Schmidt, StbJb 2008/2009, 169 ff. (172 ff.). 108 Kammeter, ein Vertreter der Finanzverwaltung, hält es für nicht unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber das BFH-Urteil v. 8.9.2010 – I R 74/09 als bloße „Reparaturanweisung“ versteht, IStR 2011, 35 ff. (37). 109 Man kann sich schwer vorstellen, dass Gesetzgeber und Finanzverwaltung es diesbezüglich auf eine weitere Entscheidung ankommen lassen werden. Da hierfür das Bundesverfassungsgericht zuständig ist, würde dies auf Jahre hinaus zu weiteren (unnötigen) Auseinandersetzungen der betroffenen Steuerpflichtigen mit der Finanzverwaltung führen. Die bestehende langjährige Nichtbefolgung der

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noch im Jahr 2011 geschaffen werden, würden alle betroffenen Sondervergütungen nach der BFH-Rechtsprechung zu behandeln sein. Dies führt im Rahmen dieses „historischen Zeitfensters“ bereits zu einer seitens der Finanzverwaltung „unerwünschten“ Behandlung. 2. Völker- und verfassungswidriges Treaty override Die Neuregelung würde nichts an der Tatsache ändern, dass ein Treaty override vorläge.110 Es erscheint aufgrund der überhand nehmenden Treaty overriding Vorschriften111 an der Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber Einhalt gebietet. Es kann schon vor dem Hintergrund der Einheit der Rechtsordnung nicht richtig und mit dem Grundgesetz vereinbar sein, dass der Gesetzgeber mit der einen Hand die Anwendung völkerrechtlicher Verträge anordnet, um sie später oder bereits im Vorfeld durch nachträgliche oder bereits bestehende unilaterale Spezialvorschriften mit der anderen Hand zu brechen. Der BFH hat bereits im Beschluss vom 19.5.2010112 zum Treaty override des § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG – die Vorschrift hat ihre Ursache ebenfalls im OECDPartnership-Report113 – bezweifelt, dass eine solche abkommensverdrängende Vorschrift „den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die nicht nur durch Art. 20 Abs. 3 GG, sondern auch durch den prinzipiellen Vorrang des Völkervertragsrechts vor ‚einfachem‘ Recht zu verlangen sind, uneingeschränkt gerecht wird.“114 Und er hat Aussetzung der Vollziehung gewährt, so dass auch hier eine über Jahre währende Rechtsunsicherheit – die bereits seit 20 Jahren besteht! – perpetuiert würde. Eine Situation, die für einen Rechtsstaat unerträglich ist. 3. Verstoß gegen das Nettoprinzip versus Unmöglichkeit der Vollziehbarkeit einer Gesetzesbestimmung Sollten Finanzverwaltung bzw. der Gesetzgeber § 50d Abs. 10 EStG „reparieren“ und die fehlende zweite Fiktion (Zuordnung der Sondervergütungen zur inländischen Betriebsstätte) in den Tatbestand der Vor_____________

110 111 112 113 114

BFH-Rechtsprechung wurde bereits als Rechtsverweigerung und Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG gebrandmarkt, vgl. Gosch, BFH, PR 2008, 238; Wassermeyer vom 4.5.2010, in: Steuerboard, Handelsblatt-Online: www.handelsblatt.com. Vgl. oben unter E. III. Vgl. hierzu die Zusammenstellung bei Gosch, IStR 2008, 413 ff. BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, IStR 2010, 530. Vgl. Schmidt, IStR 2010, 427 m. w. N. BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, IStR 2010, 530 unter II. 4. b) bb) ccc).

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schrift mit aufnehmen, würde dies wohl nicht reichen. Es müsste noch an eine dritte Fiktion gedacht werden, nämlich die Zuordnung des den Sondervergütungen zugrunde liegenden Sonderbetriebsvermögens. Das heißt im vorliegenden Fall müssten die den Lizenzgebühren zugrunde liegenden immateriellen Wirtschaftsgüter der inländischen Betriebsstätte zugerechnet werden, so dass Abschreibungen als Sonderbetriebsausgaben geltend gemacht werden könnten. Entsprechendes gilt für andere Sonderbetriebsausgaben. Man stelle sich vor, die Inc. hätte nicht nur der deutschen KG eine Lizenz eingeräumt, sondern in einem vergleichbaren Umfang auch weiteren Gesellschaften in acht anderen Ländern. Darüber hinaus nutze sie die immateriellen Wirtschaftsgüter im gleichen Umfang selbst. Sollten in diesem Fall die der Lizenzvereinbarung zugrunde liegenden immateriellen Wirtschaftsgüter mit einem Bruchteil von 10 % (also anteilig) einer deutschen Sonderbilanz zugerechnet werden? Mit welchem Wert wären sie in der Sonderbilanz anzusetzen und wie ließe sich der Wert in der Praxis ermitteln? Was wäre, wenn die Umsätze in Deutschland auf die Hälfte zurückgehen? Wären dann 5 % des teilbilanzierten WG (also 50 % von 10 %) aus der inländischen Betriebsstätte auszubuchen, wenn ja mit welchem Wert? Wie wären die Aufwendungen zuzuordnen, die über mehrere Jahre wirksam sind, etc.? Auf diese Überlegungen gibt § 50d Abs. 10 EStG in seiner derzeitigen Fassung keine Antwort. Der BFH stellt in seiner Entscheidung vom 8.9.2010 hierzu aber ausdrücklich fest, dass § 50d Abs. 10 S. 1 EStG „lediglich Sondervergütungen, aber nicht Sonderbetriebsvermögen fiktiv umqualifiziert“.115 Diese dritte Fiktion, Umqualifizierung auch der den Sondervergütungen zugrunde liegenden Wirtschaftsgüter zu Betriebsvermögen der (inländischen) Personengesellschaft, wäre aber unverzichtbar, um dem steuerlichen objektiven Nettoprinzip116 zu entsprechen und nicht Bruttoeinnahmen (Umsätze) der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer zu unterwerfen. Allerdings würde diese Fiktion an elementaren Bilanzierungsgrundsätzen rütteln. Bisher wird eine Aufteilung von beweglichen Wirtschaftsgütern aufgrund unterschiedlicher Nutzungs- und Funktionszusammenhänge – im Unterschied zu Gebäuden117 – nicht anerkannt. Im sogenannten Betriebsstätten-Erlass spricht sich die _____________ 115 Unter III. 2. b) bb) der Urteilsgründe. 116 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II, 2. Aufl., S. 763 ff.; Kirchhof in K/S/M, § 2 EStG, Rz. A 127. 117 Vgl. hierzu Kozikowski/Roscher/Schramm, in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 7. Aufl., München 2010, § 253 HGB, Rn. 397.

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Finanzverwaltung ausdrücklich gegen eine anteilige Aktivierung von beweglichen Wirtschaftsgütern in der Betriebsstättenbilanz aus.118 In der Literatur wird teilweise eine andere Auffassung vertreten.119 Bei dieser dritten Fiktion – sofern sie in einer „nachgebesserten“ Fassung des § 50d Abs. 10 S. 1 EStG enthalten wäre – stellt sich die Frage nach der Vollziehbarkeit und der praktischen Umsetzung. Sowohl für die Festlegung des Prozentsatzes des anteilig zu bilanzierenden Wirtschaftsgutes des Sonderbetriebsvermögens als auch für die Wertbestimmung müsste auf im Ausland liegende Tatsachenfeststellungen zurück gegriffen werden. Der bilanzierte Anteil wäre ferner für jedes Wirtschaftsjahr hinsichtlich des erfassten Prozentsatzes zu überprüfen. Gerade im Lizenzfall könnten mehrere Länder betroffen sein, so dass fortwährend Verschiebungen denkbar sind. Es begegnet deshalb praktischen Bedenken, eine Lösung über diesen Weg zu finden. 4. Rechtspolitische und europarechtliche Bedenken Die asymmetrische Zuweisung des Besteuerungsrechts durch einen reparierten § 50d Abs. 10 EStG ist rechtspolitisch und im Hinblick auf die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsrechte bedenklich. In EU-Fällen dürfte dies gegen Europarecht (Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV) verstoßen, wenn die inländische Kapitalgesellschaft durch die Möglichkeit des Abzugs angemessener Lizenzgebühren niedriger besteuert wird, als eine inländische Betriebsstätte (Personengesellschaft).120 5. Sonderrecht für Personengesellschaften nach dem sogenannten „Authorised OECD Approach“ seit dem Update 2010 Nach dem sogenannten Authorised OECD Approach (Functionally Separate Entity Approach) der Arbeitsgruppe 6 der OECD zur Gewinnabgrenzung nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA, der mit dem Update 2010 _____________ 118 Vgl. BFM v. 24.12.1999 betr. Grundsätze der Verwaltung für die Prüfung der Aufteilung der Einkünfte bei Betriebsstätten international tätiger Unternehmen (Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze), BStBl. I 1999, S. 1076, Tz. 2.4. 119 Vgl. Wassermeyer, IStR 2010, 462 für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. 120 Vgl. EuGH v. 28.1.1986, C-270/83, Avoir fiscal, Slg. 1986, 273; EuGH v. 23.2. 2006, C-253/03 (CLT-UFA), IStR 2006, 200.

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des OECD-MA vollständig umgesetzt wurde,121 sind zwischen Stammhaus und (bloßer) Betriebsstätte sogenannte „Dealings“ (fiktive Leistungsbeziehungen) möglich. Damit sind im wirtschaftlichen Ergebnis auch bei Betriebsstätten weitgehend fremdübliche Vertragsbeziehungen wie im Kapitalgesellschaftskonzern (Art. 9 OECD-MA) steuerlich anzuerkennen. Dem Vernehmen nach wird122 Deutschland den Authorised OECD Approach umsetzen – offen ist „nur“ noch wie.123 In diesem Fall würden bei einer bloßen Betriebsstätte künftig fiktive Lizenzgebühren an das ausländische Stammhaus durch sogenannte „Dealings“ im Rahmen der Gewinnabgrenzung in der deutschen Betriebsstätte ausgeschieden; sie würden also die inländische Bemessungsgrundlage mindern. Im Fall _____________ 121 Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010: „For the purposes of this Article and Article [23A] [23B], the profits that are attributable in each Contracting State to the permanent establishment referred to in paragraph 1 are the profits it might be expected to make, in particular in its dealings with other parts of the enterprise, if it were a separate and independent enterprise engaged in the same or similar activities under the same or similar conditions, taking into account the functions performed, assets used and risks assumed by the enterprise through the permanent establishment and through the other parts of the enterprise.“, vgl. hierzu auch Ziff. 15 ff. OECD-MK 2010 zu Art. 7 sowie Kolb, IWB (2009) F. 10 Gr. 2, 67 ff. (70 ff.); Timm, PIStB 2009, 195 ff. 122 Im DBA USA 2008 wurde mit Tz. 4 des Protokolls zu Art. 7 eine Klausel zur Gewinnabgrenzung aufgenommen, die in der Literatur teilweise bereits als Umsetzung des AOA in einem ersten Doppelbesteuerungsabkommen verstanden wird, da die Klausel auf die zwischen selbständigen Konzerngesellschaften gültigen Verrechnungspreisleitlinien der OECD Bezug nimmt: „Die einer Betriebsstätte zuzurechnenden gewerblichen Gewinne umfassen nur die Gewinne, die aus dem von der Betriebsstätte eingesetzten Kapital, den von ihr übernommenen Risiken und den von ihr ausgeübten Tätigkeiten erzielt werden. Zur Ermittlung der einer Betriebsstätte zuzurechnenden Gewinne sind die OECD-Verrechnungspreisleitlinien unter Berücksichtigung der unterschiedlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten eines Einheitsunternehmens anzuwenden.“ Der Hinweis auf die unterschiedlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten des Einheitsunternehmens lässt allerdings auch den Schluss zu, dass bei der Einkünftezurechnung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte Abweichungen zur Verrechnung von Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen denkbar sind. Die Gegenmeinung im Schrifttum ordnet deshalb diese Regelung nicht eindeutig der absoluten Selbständigkeitsfiktion zu. Vgl. Klein in Debatin/Endres, DBA-USA, Art. 7 Rn. 34; Interpretation als absolute Selbständigkeitsfiktion hingegen bei Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837. 123 In (Nach)Verhandlungen zu bereits abgeschlossenen Abkommen, nur bei Neuverhandlungen oder – als Treaty override – im AStG.

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einer inländischen Kapitalgesellschaft sind angemessene Lizenzgebühren an den ausländischen Gesellschafter (Art. 9 OECD-MA) abzugsfähig. Es ist schwer vorstellbar, dass Finanzverwaltung und Gesetzgeber tatsächlich an einem Besteuerungskonzept für die Sondervergütungen festhalten werden. Ein solches „Sonderrecht“ für Personengesellschaften müsste im Vergleich zur (künftigen) Betriebsstättenbesteuerung und Kapitalgesellschaftsbesteuerung als unsystematisch angesehen werden. Personengesellschaften sind steuersystematisch zwischen Betriebsstätte und Kapitalgesellschaft einzuordnen, so dass auch vergleichbare Besteuerungsfolgen gezogen werden müssen. In diesem Zusammenhang ist bei einem Blick über die Grenze festzustellen, dass das österreichische BMF in einem Diskussionsentwurf zu den Verrechnungspreisrichtlinien 2009 (VPR 2009) sogar im Verhältnis zu Deutschland, wo vereinbart wurde, dass die Sondervergütungen nach Art. 7 Abs. 7 DBA dem Sitzstaat der Personengesellschaft zustehen, den Authorised OECD Approach anwenden wollte.124 Allerdings ist diese Position in der endgültigen Fassung („Verrechnungspreisrichtlinien 2010“)125 deutlich verwässert worden,126 was – dem Vernehmen nach – vor allem mit Rücksicht auf die deutsche Position in dieser Frage geschah. Würden die deutsche Finanzverwaltung bzw. der Gesetzgeber den Authorised OECD Approach künftig auch auf die Sondervergütungen anwenden, würde sich im materiellen Ergebnis meist ein weitgehender Gleichlauf mit der BFH-Rechtsprechung zur abkommensrechtlichen Behandlung der Sondervergütungen ergeben. Unterschiede würden aber in all den Fällen bleiben, in denen die DBA eine Quellensteuer auf Zin_____________ 124 Vgl. das Beispiel unter Rz. 298 des Entwurfs der Verrechnungspreisrichtlinien 2009. 125 Veröffentlicht am 28.10.2010 unter der amtlichen Geschäftszahl BMF-010221/ 2522-IV/4/2010, abrufbar unter https://findok.bmf.gv.at/findok/ 126 Denn nun heißt es (Rz. 298 der österreichischen VPR 2010): „Es ist derzeit international noch nicht geklärt, ob unter Berücksichtigung des AOA auf der Ebene des Abkommensrechtes solche Entgelte [gemeint sind Sondervergütungen an eine Muttergesellschaft oder in ein anderes eigenständiges Betriebsvermögen des Gesellschafters; Anm. des Verfassers] noch einen Bestandteil des inländischen Betriebstättengewinnes bilden, oder unter Wahrung des Fremdvergleichsgrundsatzes als Betriebsausgabe gewinnmindernd anzusetzen sind. Gesellschafter von Personengesellschaften, die mit diesem Problem konfrontiert sind, haben die Möglichkeit, beim BM für Finanzen eine Klärung der Rechtsfrage im Wege eines Verständigungsverfahrens mit dem jeweils betroffenen ausländischen Staat herbeizuführen.“

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sen oder Lizenzen vorsehen. Denn die Auffassung der OECD nach dem Authorised OECD Approach führt nicht soweit, dass eine Umqualifikation der auf die Dealings entfallenden Gewinnanteile und eine Subsumtion unter andere Verteilungsartikel (Art. 11 Zinsen oder Art. 12 Lizenzen) erfolgt.127 Eine Lösung über die Gewinnabgrenzung zu suchen, wie es der Verfasser bereits unter Geltung des bisherigen Art. 7 OECD-MA vorschlägt,128 erscheint die bessere Lösung als ein Sonderrecht für Sondervergütungen gegen den „Zeitgeist“ zu installieren bzw. aufrecht erhalten zu wollen.

F. Fazit Das BMF-Schreiben vom 16.4.2010 stellte einen im Grundsatz anzuerkennenden Versuch der Finanzverwaltung dar, die schwierigen Fragen der Behandlung von Personengesellschaften im Abkommensrecht verbindlich für die Finanzverwaltung zu regeln und damit auch der Beratungspraxis eine verlässliche Entscheidungsgrundlage an die Hand zu geben. Durch die dargestellten neueren Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ist das Schreiben in wesentlichen Punkten überholt; in zentralen Bereichen verbleiben aber Rechtsunsicherheiten. Beim Thema Sondervergütungen setzt sich die bereits unerträglich lang anhaltende Diskrepanz der Rechtspositionen zwischen Finanzverwaltung bzw. Gesetzgeber einerseits und dem deutschen Steuerhöchstgericht fort. Unverständlich wäre es, wenn der Gesetzgeber im Lichte des AOA durch eine „Nachbesserung“ des § 50d Abs. 10 EStG Sondervergütungen nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG (weiterhin) als Teil des Gewinns der Personengesellschaft behandeln wollte, während bei (bloßen) Betriebsstätten fiktive Leistungsbeziehungen zum Stammhaus gewinnwirksam wären. Aus der Rechtsprechung des BFH wird auch deutlich, dass er das Auslegungskonzept des OECD-Partnership-Reports äußerst kritisch sieht und es weithin ablehnt. Die ausufernde Umsetzung dieses Konzepts im Fall von negativen Qualifikationskonflikten in § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG droht ein schmerzliches Eigentor zu werden. Es ist inzwischen möglich, dass das Bundesverfassungsgericht in Treaty overrides dieser Art einen Verfassungsverstoß erblickt. Dies wäre dann auch der Todesstoß für die mit „leichter Hand“ geschriebenen, inzwischen _____________ 127 Vgl. Ziff. 28 ff. OECD-MK 2010 zu Art. 7. 128 Vgl. Schmidt, Personengesellschaften im Abkommensrecht – Erlassentwurf und neue Rechtsprechung, StbJb 2008/2009, 169 ff. (182 f.).

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inflationären Abkommensüberschreibungen – und wohl der Beginn einer rechtshygienischeren Abkommenspolitik. Insgesamt bleibt festzustellen, dass Vieles im Internationalen Steuerrecht der Personengesellschaften – trotz BMF-Schreiben und in letzter Zeit dichter höchstrichterlicher Rechtsprechung – weiterhin ungeklärt ist. Es bleibt unruhig, aber auch spannend!

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Personengesellschaften und DBA Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Hans-Henning Bernhardt Rechtsanwalt, Beiersdorf AG, Hamburg

Gert Müller-Gatermann Ministerialdirigent im Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

Prof. Dr. Christian Schmidt Steuerberater, Deloitte & Touche GmbH, Nürnberg Georg-Simon-Ohm-Hochschule, Nürnberg

Dr. Friedrich Loschelder, LL.M. (Edinb.) Richter am Finanzgericht, Hamburg

Prof. Dr. Lüdicke Herr Schmidt, vielen Dank. Sie haben in Ihrem Vortrag die Themen angesprochen, die jetzt, nachdem das BMF-Schreiben nach den vielen Jahren endlich veröffentlicht worden ist, in der Praxis drängen. Herr Bernhardt, welchen Wert hat das BMF-Schreiben für die Praxis der Unternehmen jetzt noch, nachdem nun mehrere zentrale Punkte vom BFH gekippt sind? Bernhardt Das ist eine gute Frage. Ich muss ehrlich gestehen, das Thema Personengesellschaften steht bei mir nicht so sehr im Fokus. Aber ich weiß, dass die Kollegen, die in entsprechenden Unternehmen arbeiten, schon im Hinblick auf die Planungssicherheit Schwierigkeiten haben und sich jetzt natürlich fragen, was passiert. Das ist die entscheidende Frage. Ich glaube, das wird eine richtig spannende Sache, die Reaktionen zu sehen. 217

Podiumsdiskussion: Personengesellschaften und DBA

Und es wird noch spannender sein, welche Zeitfenster wir letztlich haben. Es betrifft ja Sachverhalte im Unternehmen, die sich zeitlich hinziehen. Und wenn man dann über einen längeren Zeitraum unterschiedliche rechtliche Behandlungen zu erwarten hat, wird es sehr komplex. Prof. Dr. Lüdicke Herr Müller-Gatermann, bevor wir gleich in die einzelnen von Herrn Schmidt angesprochenen Punkte gehen. Wie wird generell weiter verfahren? Die Veröffentlichung des Schreibens hat ja lange genug gedauert. Nun sind zwei entscheidende Punkte gekippt, jedenfalls vorläufig. Und ein weiterer Punkt ist zumindest mit einem großen Fragezeichen versehen worden. Wie werden die internen Abläufe in der Finanzverwaltung sein? Was steht da zu erwarten? Müller-Gatermann Durch die Urteilsgründe in Sachen Sondervergütungen1, die gerade rechtzeitig zur heutigen Sitzung vorliegen, ist eine neue Situation entstanden, über die wir im Ministerium nachdenken müssen. Da es hierbei möglicherweise um gesetzgeberische Konsequenzen geht, werden wir die Fragen auch mit unseren Länderkollegen erörtern müssen, und danach ist es an der Politik, darüber zu entscheiden. Die Ausgangssituation ist außerordentlich komplex, da wir die Entscheidung in einem größeren Sachzusammenhang sehen müssen. Zum einen ist die Entscheidung des BFH zur gewerblichen Prägung zu berücksichtigen, in der der BFH gegen das Votum der Finanzverwaltung entschieden hat.2 Danach soll die nationale Sicht nicht auf die Abkommenssicht durchschlagen. Man kann das natürlich so entscheiden, aber die andere Sicht der Dinge ist ebenso gut begründbar. Ich sehe dies sine ira et studio, da ich an dem Votum der Finanzverwaltung nicht mitgewirkt habe. Wir sind an dieser Stelle bereits in der Diskussion mit unseren Länderkollegen, und dort zeichnet sich sogar eine Tendenz ab, die Rechtsprechung des BFH zu akzeptieren. Dies kann nicht ohne Auswirkungen auf die Behandlung der Sondervergütungen bleiben. Bei diesen hatten wir schon eine frühere Rechtsprechung des BFH, die der Gesetzgeber aufgegriffen und gegen die _____________ 1 BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, DStR 2010, 2450. 2 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, DStR 2010, 1220.

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Rechtsprechung im Sinne der Verwaltung in § 50d Abs. 10 EStG entschieden hat, dass die nationale Betrachtung auf die abkommensrechtliche Betrachtung durchschlägt. Wenn der BFH nunmehr entscheidet, dass die Vorschrift nicht weit genug reiche, um das gesetzgeberische Ziel zu erfüllen, so überzeugt mich das nicht. Aber das muss mit den Länderkollegen erörtert werden. Wenn der Gesetzgeber die Vergütungen im Sinne des § 15 EStG als Unternehmensgewinne qualifiziert, dann ergibt sich daraus natürlich eine Zurechnung zur Betriebsstätte der Personengesellschaft, auch ohne dass dies noch einmal ausdrücklich gesetzgeberisch angeordnet ist. Wenn der BFH diese ausdrückliche Anordnung fordert, obwohl er den gesetzgeberischen Zweck als Reaktion auf die frühere Rechtsprechung erkannt hat, verwundert das umso mehr, als es lediglich Aufgabe der Rechtsprechung ist, den gesetzgeberischen Willen zu ergründen und danach zu entscheiden. Man muss hierbei sehen, dass der Gesetzgeber – wie gemeinhin häufig behauptet wird – nicht irgendwelche Beamten des Bundesfinanzministeriums sind, sondern der Gesetzgeber bzw. die gesetzgebenden Körperschaften sind insofern etwas Abstraktes, das sich gar nicht irren kann. Es ist insofern fehl am Platz, den Gesetzgeber belehren zu wollen. Und wenn die Vorschrift des § 50d Abs. 10 EStG keine Anwendung findet, dann kann das nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein. Nachdem der BFH aber in Sachen Sondervergütungen anders entschieden hat, muss man nun überlegen, ob man gegebenenfalls das Gesetz nachbessert. Diese Entscheidung muss man jedoch vor dem Hintergrund der Entscheidung zur gewerblichen Prägung sehen und möglichst Wertungswidersprüche vermeiden. Nachdem sowohl die Geprägeregelung als auch die Regelung zu den Sondervergütungen vor dem Hintergrund der Gewerbesteuer in Deutschland zu sehen ist, würde ich gerne vermeiden, die beiden Fälle unterschiedlich zu entscheiden. Auch wenn mir Kollegen hierfür bereits Differenzierungsgründe genannt haben, so scheint mir eine unterschiedliche Regelung schwer vermittelbar. Das hieße, § 50d Abs. 10 EStG müsste aufgehoben werden, wenn auf der anderen Seite die BFH-Entscheidung zur Geprägeregelung akzeptiert würde. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, den Herr Schmidt zu Recht angesprochen hat. Nachdem die OECD mit unserer Unterstützung sich mittlerweile für den so genannten Authorised OECD Approach (AOA) im Rahmen des Art. 7 OECD-MA entschieden hat, müssen auch diese Wertungen über Leistungsbeziehungen zwischen Stammhäusern und Betriebsstätten in die Betrachtung einbezogen werden. Formal hat der AOA im Verhältnis von Gesellschaft und Gesellschafter zwar keine Be219

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deutung, weil zwischen diesen Rechtssubjekten Verträge abgeschlossen werden können. Die im Verhältnis von Stammhaus und Betriebsstätte angenommenen Dealings versuchen jedoch, Leistungsbeziehungen zwischen selbstständigen Rechtssubjekten nachzuvollziehen, so dass die Zurechnungen in beiden Fällen nicht völlig losgelöst voneinander vorgenommen werden sollten. Es gibt schließlich noch einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen. In der Vergangenheit hat es eine Vielzahl von Fällen gegeben, in denen ein Steuerpflichtiger vor seinem Wegzug ins Ausland Beteiligungen in eine Personengesellschaft eingelegt hat, um der Besteuerung nach § 6 AStG zu entgehen. Ausgehend von der bisherigen Betrachtung hat die Verwaltung auch keine Veranlassung für eine Entstrickung gesehen, da sie zu einem späteren Zeitpunkt meinte, zugreifen zu können. Wenn sich nunmehr die andere Sichtweise durchsetzen sollte, gibt es diese spätere Zugriffsmöglichkeit nicht mehr. Hier muss mit den Länderkollegen erörtert werden, wie – auch wegen der weitreichenden haushalterischen Auswirkungen – mit diesen Fällen umgegangen wird. Prof. Dr. Lüdicke Wobei zumindest ein Länderkollege, Herr Brandenberg aus NordrheinWestfalen, schon öffentlich geäußert hat, dass man, wenn es im § 6 AStG ein Problem gibt, dieses dort regeln möge, aber nicht über die gewerbliche Prägung.3 Es hat ja einiges für sich, dass man die Probleme da regelt, wo sie bestehen. Das hat einen gewissen Charme. Und systematische Lösungen kann später auch der BFH mittragen. Herr Loschelder nun zu einem Einzelaspekt dieses Urteils. Fälle mit Sondervergütungen könnten jetzt zu Ihnen als Tatsacheninstanz kommen. Die Tatsachen sind bekanntlich immer unterschiedlich. Herr Schmidt hatte darauf hingewiesen, dass es sich in dem entschiedenen Urteilsfall bei dem Kommanditisten, der die Sondervergütungen aus Deutschland bezog, um eine amerikanische Kapitalgesellschaft handelte, die darüber hinaus in den USA offenbar auch sehr aktiv war. Sie hat die Rechte, die u. a. an die deutsche Beteiligungspersonengesellschaft lizenziert waren, auch sonst noch weltweit lizenziert. Das muss nicht immer so sein. Es kann durchaus sein, dass der Kommanditist eine Privatperson ist, die irgendwo wohnt und gelegentlich den Geldeingang überwacht, nämlich den Gewinnanteil und Lizenzgebühren _____________ 3 Brandenberg, Skript der IStR-Jahrestagung 2010 in Berlin am 11./12.11.2010.

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oder auch Darlehenszinsen. Da ist keine aktive Tätigkeit. Muss man da aufteilen? Würden Sie auf der Basis des BFH-Urteils einen solchen Fall durchentscheiden? Würden Sie vorlegen? Oder wie würden Sie das sehen? Das ist letztlich die Frage nach der Mitunternehmerbetriebstätte. Dr. Loschelder Ich habe also eine natürliche Person, die in den USA ansässig und Gesellschafter einer deutschen Personengesellschaft ist. Dann lautet die erste und zentrale Frage: Hat die natürliche Person in Amerika eine Betriebsstätte? Und das führt zu der nächsten Frage: Was brauche ich überhaupt, um eine Betriebsstätte zu begründen? Sie hatten gesagt, die natürliche Person überwacht gelegentlich ihre Geldeingänge. Ich stelle mir also vor, dass dieser Gesellschafter einen Ordner mit Abrechnungen hat und vielleicht einmal im Jahr Geld überwiesen bekommt. Der Gesellschafter holt dann seinen Ordner aus der Schreibtischschublade hervor, nimmt seine Kontoauszüge und vergleicht alles miteinander. Genügt das tatsächlich? Habe ich jetzt schon eine Betriebsstätte? – Ich glaube, der Knackpunkt dabei ist, dass ich die Regelungen in § 50d Abs. 10 EStG und in Art. 7 OECD-MA quasi übereinander legen muss: § 50d Abs. 10 EStG enthält eine gesetzliche Fiktion; er fingiert Unternehmensgewinne. Was ich dann mache, ist ein bisschen wie früher im Lateinunterricht. Man muss Art. 7 OECD-MA vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Fiktion durchkonstruieren. Wenn nämlich § 50d Abs. 10 EStG Unternehmensgewinne fingiert, dann impliziert das, dass ich den Privatmann wie einen Unternehmer ansehen muss. Und in diesem Sinne muss ich Art. 7 OECD-MA gleichsam übersetzen. Und wenn es dort heißt: „Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaats können nur in diesem Staat besteuert werden.“, dann bedeutet das – übersetzt –, dass Gewinne eines Gesellschafters einer Personengesellschaft, der in einem anderen Vertragsstaat ansässig ist, nur in diesem, dem Ansässigkeitsstaat besteuert werden können, es sei denn, der Gesellschafter übt seine Geschäftstätigkeit in dem anderen Vertragsstaat, also in dem von Ihnen gebildeten Fall in Deutschland, durch eine dort gelegene Betriebsstätte aus. Was aber ist die Geschäftstätigkeit des Gesellschafters? Die Geschäftstätigkeit des Gesellschafters ist die Hingabe eines Darlehens. Kann ich wirklich annehmen, dass der Gesellschafter diese Geschäftstätigkeit von einer Betriebsstätte in Deutschland aus ausübt? Wenn er von Amerika aus ein Darlehen gewährt? Herr Wassermeyer, Sie werden heute sehr oft zitiert. Sie hatten in einem Beitrag in der IStR

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das folgende Beispiel gebildet4: Wenn eine Bank einer Personengesellschaft ein Darlehen gibt, dann kommt niemand auf die Idee, auf dieser Grundlage zu sagen, die Bank begründet mit der Darlehensvergabe eine Betriebsstätte am Geschäftsort der Personengesellschaft. Und wenn ich diesen Vergleich aufgrund der Fiktion des § 50d Abs. 10 EStG in Bezug auf Art. 7 OECD-MA heranziehe, dann müsste im Grunde das, was wir geschildert haben, die Schreibtischschublade und die jährlichen Abrechnungen, genügen, um zu sagen, dass der ausländische Gesellschafter – im Lichte der gesetzlichen Fiktion – seine Geschäftstätigkeit im Zweifel in Amerika ausübt, dass er also dort eine Betriebsstätte unterhält. Prof. Dr. Lüdicke Herr Müller-Gatermann, einmal unterstellt, das BMF regt kein neues Gesetz mit Rückwirkung an, für die Vergangenheit gilt also die BFHEntscheidung. Ist das der Tod aller Sondervergütungen oder ist das nur der Tod von solchen Sondervergütungen, bei denen viel Geschäftstätigkeit und ein „richtiges“ Unternehmen beim Gesellschafter vorhanden sind? Das ist ja für die Praxis eine ganz wichtige Frage. Müller-Gatermann Die steuerliche Behandlung der Sondervergütungen in grenzüberschreitenden Fällen bei Personengesellschaften sollte schon einheitlich geregelt werden. Ich kann mir im Übrigen nicht vorstellen, dass bei der Sichtweise des BFH es doch noch den ein oder anderen Sachverhalt geben könnte, der unter den jetzigen § 50d Abs. 10 EStG fällt. Eine rückwirkende Regelung als Klarstellung halte ich diesem Zusammenhang jedoch für absolut unwahrscheinlich. Prof. Dr. Lüdicke Dann wünschen wir Ihnen viel Durchsetzungskraft. Prof. Dr. Schmidt Zur Frage nochmals: Ich glaube, man muss einfach ins Gesetz schauen. In Art. 3 Abs. 1 Buchst. d) OECD-MA – das Musterabkommen ist natürlich kein Gesetz, aber dieser Passus ist regelmäßig in den von Deutsch_____________ 4 Wassermeyer, IStR 2010, 37 (40).

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land abgeschlossenen Abkommen enthalten – heißt es, „bedeuten die Ausdrücke „Unternehmen eines Vertragsstaats“ und „Unternehmen des anderen Vertragsstaats“, je nachdem, ein Unternehmen, das von einer im Vertragsstaat ansässigen Person betrieben wird, oder ein Unternehmen, das von einer im anderen im Vertragsstaat ansässigen Person betrieben wird“. Im Klartext heißt das, in dem Fall, in dem – wie hier – beide Staaten die Personengesellschaft nach dem Transparenzprinzip besteuern – wer kann danach nur „Unternehmer“ im abkommensrechtlichen Sinne sein? Das ist doch ganz klar der Gesellschafter (im Urteilsfall die US-Gesellschaft), der die Lizenzrechte vergibt. Sich vorzustellen, dass der Gesellschafter dann in seinem Ansässigkeitsstaat keine Betriebsstätte hat, fällt nach dieser Formulierung schon schwer. Wenn man sich dann noch die Auffassung der OECD ansieht, wie wenig man braucht, um eine Betriebsstätte zu haben, dann reicht eine Schreibtischecke irgendwo in der Wohnung aus. Ich würde das als Grenzfall bezeichnen, dass es – wie es der BFH im Beschluss I R 66/065 entschieden hat – eine stammhauslose Betriebsstätte geben kann. Mit dieser Entscheidung tue ich mich schwer. Prof. Dr. Lüdicke Herr Gosch flüstert mir gerade zu, damit kann man zu ihm kommen. Aber ich glaube, genau diese Frage hat der BFH bisher ausdrücklich offen gelassen, die Frage nach der stammhauslosen Betriebsstätte des Mitgesellschafters. Prof. Dr. Gosch Das haben wir aufgrund des Revisionsrechts in einer einschlägigen Entscheidung offen lassen können, weil der betreffende Sachvortrag erst im Laufe des Revisionsverfahrens vorgebracht worden war, zuvor war dem prozessbevollmächtigten Berater die Idee einer Mitunternehmerbetriebsstätte offenbar noch nicht gekommen. Erst später – im Revisionsverfahren – hat er dann vermutlich die jüngsten einschlägigen Aufsätze von Wassermeyer zu diesem Thema gelesen. Nun aber zum „Kriegsbeil“ und dazu, was Herr Loschelder gesagt hat: zum „Durchdeklinieren nach Lateinstundenart“: Der BFH hat in seiner Entscheidung I R 74/096 letztlich unbeantwortet belassen, ob der natio_____________ 5 BFH v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510. 6 BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, DStR 2010, 2450.

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nale Gesetzgeber wie hier in § 50d Abs. 10 EStG eine Einkunftsart entgegen der abkommensrechtlich gebotenen Einstufung normativ umqualifizieren kann. Aber wenn er das tut, dann arbeitet er jedenfalls mit einer Fiktion, mit etwas, das von den tatsächlichen Geschehensabläufen abweicht. Das kann dann nur gelingen, wenn jene Fiktion auch konsequent und vollends umgesetzt wird. Natürlich, Herr Müller-Gatermann, das räume ich Ihnen ein, „wusste“ oder jedenfalls „ahnte“ der I. Senat, was der „irrende Gesetzgeber“ gemeint haben dürfte. Es war einigermaßen offensichtlich. Aber gleichwohl muss auch der Gesetzgeber, eine unserer drei Gewalten, das, was er nun in die Welt setzt, gerade in der Eingriffsverwaltung in einer Form machen, die positivrechtlich dann auch tatbestandlich allen rechtsstaatlichen Anforderungen Rechnung trägt. Das aber war dann eben nicht geschehen. Der gesetzgeberische Wille ist im Normentext nicht hinreichend umgesetzt worden. Deshalb konnte die Entscheidung eigentlich nicht anders ausgehen. Zwar mögen die Lizenzeinkünfte in Unternehmensgewinne umqualifiziert worden sein, und damit befindet sich der Rechtsanwender aufgrund des Normbefehls nicht mehr in Art. 12, sondern in Art. 7 OECD-MA. Das gilt dann aber nicht nur für dessen Abs. 1, sondern für Art. 7 OECD-MA schlechthin, einschließlich Art. 7 Abs. 7 OECD-MA. Das Ganze „kreist“ also um sich selbst, denn über Art. 7 Abs. 7 OECDMA kommt auch wieder Art. 12 OECD-MA ins Spiel, und über den Betriebsstättenvorbehalt des Art. 12 Abs. 3 OECD-MA gelangen wir sodann wieder zurück zu Art. 7 OECD-MA und zu der Frage der tatsächlich-funktionalen Zuordnung der Lizenzstammrechte. Das ist der eine Weg. Der andere Weg verbleibt von vornherein – nur – bei Art. 7 Abs. 1 OECD-MA, dem das Merkmal einer tatsächlich-funktionalen Zuordnung, das sei zugegeben, unbekannt ist. Allerdings gilt auch dort das Betriebsstättenprinzip als Quellenprinzip und es bedarf auch dort einer wirtschaftlichen Zuordnung kraft Veranlassung. Letztlich bemisst sich diese Zuordnungsfrage dann wieder anhand tatsächlich-funktionaler Kriterien. Muss das alles nun bei einem nicht weiter operativ am Markt tätigen Gesellschafter anders ausgehen, der in seiner Wohnung, an seinem Schreibtisch nur dieses Darlehen oder diese Lizenz oder was auch immer verwaltet? Oder bei dem Spontanerfinder, der eine Idee hat und der diese Idee nun an die Personengesellschaft weitergibt? Warum eigentlich? Jedenfalls dann, wenn den Anforderungen des Art. 5 OECDMA Betriebsstätte Genüge getan wird, dann doch wohl kaum.

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Prof. Dr. Lüdicke Notfalls die Geschäftsleitungsbetriebsstätte. Prof. Dr. Gosch Notfalls ja. Aber jedenfalls floating income gibt es nicht und eine automatische Attraktionskraft des Stammhauses zu diesen Einkünften erkenne ich auch nicht. Müller-Gatermann Herr Gosch, wenn wir uns die Ausgangsfrage ansehen, welcher Artikel des OECD-MA einschlägig ist für unsere Sondervergütungen, dann haben Sie Art. 7 Abs. 7 OECD-MA bemüht und die Verwaltung Art. 3 OECD-MA. Nach dieser letzten Vorschrift schlagen nationale Regelungen abkommensrechtlich durch, wenn nicht etwas ausdrücklich anderes in dem Doppelbesteuerungsabkommen vereinbart ist. Die allgemeinen Artikel zu Zinsen und Dividenden sind aber nicht unbedingt etwas anderes, solange diese Leistungen Unternehmensgewinne sind. Wenn wir mal davon ausgehen, dass beide Betrachtungsweisen denkbar sind, dann muss die Rechtsprechung aber doch den gesetzgeberischen Willen akzeptieren, sich in § 50d Abs. 10 EStG der Betrachtung der Verwaltung anzuschließen. Dass Ihnen dieser gesetzgeberische Wille insbesondere auch aus den Gründen der Gesetzgebung bewusst war, schreiben Sie ja ausdrücklich in Ihren Urteilsgründen. Es ist – wie ich bereits gesagt habe – nicht Aufgabe der Dritten Gewalt, den Gesetzgeber zu belehren. Allenfalls hat das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, dem Gesetzgeber vorzuhalten, dass seine einfachrechtlichen Beurteilungen sich nicht mit verfassungsrechtlichen Regeln decken. Beim Bundesfinanzhof empfinde ich diese Belehrungen jedoch als eine reine Trotzreaktion, die dem Verständnis der Gewaltenteilung widerspricht. Prof. Dr. Gosch Über Trotz reden wir jetzt mal nicht, Herr Müller-Gatermann. Ich möchte kurz zu den beiden Punkten erwidern: Sie erwähnen zum Einen den alten Angang, den Ausgangsstreit, ob man nun erst über Art. 3 Abs. 2 OECD-MA oder sogleich und unmittelbar im Art. 7 OECD-MA bei den Unternehmensgewinnen ist. Das haben 225

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wir miteinander lang und breit in den vielen mündlichen Verhandlungen, die dieser Entscheidung vorangegangen sind, diskutiert. Nochmals: Die Rechtsprechung sieht sehr wohl das, was Art. 3 Abs. 2 OECD-MA beschreibt und enthält. Aber das bedeutet auch: Der Verweis auf das innerstaatliche Recht zum ‚richtigen‘ Abkommensverständnis steht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass das Abkommen nicht aus sich heraus die erforderliche Klarheit der Aussage schafft. Und genau das nimmt der BFH nun einmal an: Das DBA gibt mit Art. 10, 11, 12 OECD-MA die Einkunftsart vor; darauf kann unmittelbar zugegriffen werden. Es gibt andere, die sagen, dass dasselbe Ergebnis über Art. 7 Abs. 1 und 7 OECD-MA angesteuert werden muss. Auch dieser Weg ist gangbar. Das kann man sicher so oder so sehen. Der BFH hat das offen gelassen. Jedenfalls eröffnet einer dieser Wege ein autonomes Verständnis dessen, was das Abkommen will, und deswegen brauchen wir nicht auf den § 15 EStG zurückzugreifen. Auf das national-rechtliche Verständnis kommt es nicht mehr an. Und weiter: § 15 EStG qualifiziert schuldrechtliche Leistungsbeziehungen zwischen Personengesellschaft und Gesellschafter steuerlich als Sondervergütungen. Auch das ist eine Fiktion, nichts Tatsächliches. Die schuldrechtlich vereinbarten Leistungsvergütungen des Gesellschafters mutieren zu Einkünften aus Gewerbebetrieb. Daraus werden nun qua § 50d Abs. 10 EStG im Wege einer abermaligen Fiktion abkommensrechtliche Unternehmensgewinne. Wir reden also von einer Doppelfiktion. Auch diese zweite Fiktion muss, ich sagte es bereits, de lege artis verwirklicht werden, soll sie rechtsstaatlichen Anforderungen standhalten. Und es ist sehr wohl und gerade Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob das geschehen ist! Es gehört zu den Aufgaben der Gerichte, die Kriterien des Tatbestandes, der Tatbestandsmäßigkeit vor dem Hintergrund des Art. 20 Abs. 3 GG zu verproben und einer Lösung zuzuführen. Dass dem BVerfG in vergleichbaren Zusammenhängen der Normenkontrolle die Möglichkeit offensteht, das Ergebnis seiner Prüfung nur für die Zukunft gelten zu lassen und dem Gesetzgeber für die Vergangenheit sozusagen Vertrauensschutz einzuräumen, das ist eine Sache. Der BFH hat diese Möglichkeit nicht. Der BFH entscheidet über einen konkreten Sachverhalt, eine Sachkontroverse unter zwei Beteiligten, die an ihn herangetragen wird, er „löst einen Fall“. Zugleich stellt er als Höchstgericht aber auch Maßstäbe für die Gesetzesauslegung auf, an die sich die Finanzverwaltung über den Fall hinaus orientieren sollte. Die Verwaltung ist eben nicht x-beliebige „Partei“, sondern ein Verfahrensbeteiligter, der seinerseits an Art. 20 Abs. 3 GG gegenüber 226

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dem Bürger gebunden ist. Wenn eine Norm, über die zu urteilen ist, rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügt, ist es jedenfalls Pflicht und Aufgabe der Steuergerichte, das dann auch klar zum Ausdruck zu bringen. Und gerade im Zusammenhang mit Gesetzesfiktionen ist dabei eben besondere Obacht geboten. Das mag dann bei der Auslegung zugunsten des Steuerbürgers, kann aber auch anders herum ausgehen Ich weise dazu nur auf die vom BFH noch „soeben“ „gehaltene“ Fiktion des § 8a KStG a. F. bezogen auf die Ebene des Gesellschafters hin.7 Das hätte man mit guten Gründen ebenso gut anders beurteilen können. Möglichweise steht auch ein neuer Fiktionszusammenhang ins Haus, nämlich in Gestalt des „functionally separate entity approach“. Ich hoffe, dass hier die national-rechtliche Umsetzung gelingt. Bei § 50d Abs. 10 EStG ist es aus unserer Sicht jedenfalls nicht gelungen. Prof. Dr. Lüdicke Offenbar ist das ein Thema, das die Richterschaft sehr bewegt. Herr Loschelder und Herr Beckmann möchten noch etwas sagen. Dr. Loschelder Wir sind vor einem Jahr eigentlich genau an diesem Punkt gewesen. Wir haben hier über die Entstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG diskutiert und haben uns mit der Frage beschäftigt, ob diese Norm funktionslos sein kann, wenn man doch genau weiß, was mit der Einführung dieser Regelung bezweckt war.8 Wir kamen damals zu dem Punkt, was eigentlich der „Wille des Gesetzgebers“ ist und wie ich ihn als Rechtsanwender feststellen kann. Ich habe im Nachgang zu der Veranstaltung im letzten Jahr noch einmal nachgesehen. Es gibt eine ganz zentrale Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1952. Das ist zwar einige Jahre her, aber es ist immer noch „state of the art“ der Gesetzesauslegung. Die Entscheidung wird zitiert von allen obersten Bundesgerichten, auch aktuell.9 Ich lese es kurz vor, es ist nur _____________ 7 BFH v. 20.8.2008 – I R 29/07, BFHE 222, 500; v. 18.3.2009 – I R 13/08, BFH/NV 2009, 1613. 8 Vgl. die Diskussion in Lüdicke (Hrsg.), Brennpunkte im deutschen Internationalen Steuerrecht, 2010, S. 135 ff. 9 Vgl. etwa BFH v. 2.2.2005 – II R 4/03, BStBl. II 2005, 426; BGH v. 5.11.2009 – IX ZR 233/08, DStR 2009, 2693; BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 840/05, BAGE 119, 343; BSG v. 17.8.2000 – B 10 LW 12/99 R, BSGE 87, 66.

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ein kurzes Zitat: „Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können.“10 Wenn ich mich aber tatsächlich in dieser Weise an den Wortlaut einer Bestimmung halten muss – und das muss ich schon deshalb, weil Steuerverwaltung Eingriffsverwaltung ist –, dann genügt es nicht zu sagen, dass ich irgendwie schon weiß, was gemeint ist. Es muss im Gesetz stehen. Es genügt nicht, dass es irgendwo in den Gesetzesmaterialien steht oder sich sonst aus der Entstehungsgeschichte ergibt. Und noch ein Zweites möchte ich anmerken und zwar zu der angesprochenen „doppelten Fiktion“: Der Hintergrund des Ganzen ist doch etwas, was man im Grunde schon lernt, wenn man anfängt, sich mit dem Internationalen Steuerrecht zu beschäftigen. Es gibt einen allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz, dass ein Staat Einkünfte nur dann besteuern darf, wenn es einen persönlichen oder räumlichen Bezug zu diesem Staat gibt. Und dieser persönliche oder räumliche Bezug, „genuine link“ oder Anknüpfungspunkt genannt, ist ein tatsächlicher, ein realer Bezug. Daher kann ich einen solchen Bezug nicht mit einer gesetzlichen Fiktion herstellen; denn dann liefe die „genuine link“Regel leer: Jeder Staat hätte es in der Hand, über irgendwelche gesetzlichen Fiktionen Bezüge herzustellen und Besteuerungsrechte zu begründen. Gleichermaßen wäre die ganze Verteilung, die auch aufgrund der DBA zwischen den Staaten vorgenommen werden kann, Makulatur. Dr. Beckmann11 Wir haben als Senat kürzlich einen Fall zum Art. 7 OECD-MA entschieden.12 Der Fall ist jetzt beim BFH anhängig. Er hat das Akten_____________ 10 BVerfG v. 21.5.1952 – 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299 ff. 11 Dr. Thomas Beckmann, RiFG, FG Berlin-Brandenburg, Cottbus. 12 FG Berlin-Brandenburg v. 2.9.2010 – 9 K 2510/04 B, EFG 2011, 415.

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zeichen I R 95/10. Da geht es genau die BFH-Entscheidung vom 4. April 200713, bei welcher der BFH die Frage noch offen gelassen hat, wie man eine Gesellschaft behandelt, die in dem einen Staat steuerlich transparent und in dem anderen Staat intransparent behandelt wird. Unser Fall betrifft das DBA mit Ungarn. Wir hoffen, dass der BFH in dem Fall Farbe bekennt. Denn hier kommt es darauf an, u. a. spielt auch die Argumentation von Herrn Schmidt von vorhin [Berufung auf sog. Bilanzbündeltheorie] eine Rolle. Wir haben das Besteuerungsrecht Deutschlands [im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 sowie Art. 23 Abs. 1 Buchst. c DBA-Ungarn] bejaht, aber die Revision zugelassen. Sie ist inzwischen auch eingelegt worden. Der in Deutschland ansässige Kommanditist betreibt anteilig eine Betriebsstätte in Ungarn, obwohl die Ungarn diese Personengesellschaft steuerrechtlich als juristische Person behandeln und man nach der anderen Auffassung im Schrifttum nicht zu einem Besteuerungsrecht Deutschlands käme. Prof. Dr. Gosch Herr Beckmann, ich kenne diese Entscheidung bzw. diese Revision noch nicht. Wir werden das irgendwie befinden. Nur sind die anderen Aspekte, dieser Aspekt gehört dazu, natürlich über die Aktualität dieses Themas etwas zu kurz gekommen. Ich meine, dass eben Vieles dafür spricht, die deutsche Brille aufzusetzen. Wir haben das schon in einer Entscheidung14 zum Ausdruck gebracht. Sie hatten das erwähnt, Herr Schmidt. Wir haben das in dieser AdV-Entscheidung15 auf der Grundlage doch eines sehr kontroversen Meinungsbildes im Schrifttum hier noch einmal als streitig und zweifelhaft erwogen. Von daher mag man dann auch wackeln. Ich meine, es spricht schon einiges dafür, dass Ihre Entscheidung tragfähig ist. Aber das muss man im Einzelnen beleuchten. Ich möchte mich dazu jetzt nicht weiter verstehen. Prof. Dr. Schmidt Ich muss nur richtig stellen, das ist nicht meine Auffassung. An der Stelle hätte ich nämlich gesagt, dass für die laufenden Gewinne der vollständige Verteilungsartikel des Art. 7 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz _____________ 13 BFH v. 4.4.2007 – I R 110/05, BStBl. II 2007, 521; siehe hierzu den Beitrag von Schmidt unter C III. 1 in diesem Band. 14 BFH v. 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008, 953. 15 BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, IStR 2010, 530.

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OECD-MA die Freistellung gibt, und ich muss nicht in den Art. 23A OECD-MA. Prof. Dr. Lüdicke Mit Blick auf die Uhr muss das leider später diskutiert werden.

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Stichwortverzeichnis Abgeltungsteuer, anonyme 51 Abgeltungswirkung 163, 176 Abschirmwirkung 24, 169 Abzug – Beschränkung 30 – Fähigkeit 30 f. – Verbot 31 Aktiengesellschaft 63 Anrechnungsmethode 23, 33, 41 f. – Anrechnungsvortrag 33 – overall limitation 33 – per country limitation 33 – restriktive Steueranrechnung 33 – Steueranrechnung bei Hinzurechnungsbesteuerung 40 Anzeigepflicht 40 Asset deal 146 Außensteuergesetz 24, 26, 36, 55 – Aktivitätserfordernis 36, 55 – Aktivitätskatalog 24, 26 – Aktivitätsvorbehalt 35 ff., 55 – Anpassungsklausel 55 – betriebliche Funktionsverlagerungen 37 – Darlehensaufnahme 38 – Gewinnausschüttungen 38 – Grenze der Niedrigbesteuerung 40 – hellsehender Geschäftsleiter 55 – Hinzurechnungsbesteuerung 36, 39 f. – Mitwirkungstatbestände 38 – passive Einkünfte 55 – Steueranrechnung 40 – Umwandlung 39 – Veräußerungsgewinne 39

Außensteuerreformgesetz 35 Authorised OECD Approach 211, 219 f. Bankabgabe 49 Bestimmtheitsgrundsatz 46, 204 Beteiligungsbuchwert 155 Betrieb gewerblicher Art 64 Beweislastumkehr 30 Bundesfinanzhof – AdV 229 – ausländische Personengesellschaften im Abkommensrecht 192, 194, 195, 229 – carry forward/Begrenzung auf per item-/per country limitation 54 – Finalität von Verlusten 53, 150, 157 – Mindestbesteuerung 183 – Organschaft, grenzüberschreitend 121 ff. – spanische Personengesellschaft 194 – Sondervergütungen 186, 202, 208 – tatbestandliche Unzulänglichkeit der Fiktion in § 50d Abs. 10 EStG 207 – Teilbetriebsbegriff 168 – Treaty override 209 – Unternehmensgewinne 198 – Verlustübernahme 149 – Vorliegen einer Geschäftsbeziehung 54 Bundesverfassungsgericht – Auslegung: objektivierter Wille des Gesetzgebers 228 231

Stichwortverzeichnis

– Görgülü 206 – Normenkontrollverfahren betreffend § 2 Abs. 3 EStG a. F. 150 – Umwandlung und EscapeKlausel 177 Dealings 212, 214 Doppelbesteuerungsabkommen – Amerika 42 – ansässige Person 193 – Aufgabe 35 – Auslegung 48 – Großbritannien 10 f. – Freistellungs- und Anrechnungsmethode 10, 22 ff., 34, 41 f. – Intransparenzprinzip 194 – Neukommentierung OECD-MA 12 f., 48 – Netz 41 – Personengesellschaften 185 ff. – Politik 9 ff., 24, 41 – Qualifikationskonflikte 42, 195 – Reduktion 178 – Schachtelprivileg 36 – Schweiz 11 – Singapur 11 f. – Slowenien 188 – Spanien 191 – Ungarn 229 – USA 199 – Unternehmensgewinne 197 – virtuelle Doppelbesteuerung 34 – Ziel 41 f. – Zinsen 199 Doppelbesteuerungsrisiko 37 Doppelt ansässige Körperschaft 64, 94 232

– Organträger 101 Down-stream-merger 165, 178 Einbringung 167, 169 – Anteilstausch 167 – Sacheinlage 167 Einlagen 31 – Konto 32 – Fiktion 176 – Rückgewähr 31 ff., 54 – verdeckte 28 Entstrickung 46, 161, 166, 173, 200, 220, 227 – Formen 181 Ergänzungsbilanz 165 Ergebnisabführungsvertrag 138 ff., 145 ff., 154 ff. – Ersetzung 147 – Grundentscheidung des Gesetzgebers 150 – Handlungsbedarf 156 – Komplexität 155 – Rechtfertigung 147, 149 Escape-Klausel 55, 177 Europäische Genossenschaft 63 Europäische Gesellschaft 63 Europäischer Gerichtshof – Beker 54 – Établissements Rimbaud SA 48 – Lidl-Belgium 150 – Marks & Spencer 29, 53, 147 – SGI 55 – Wannsee 150 – X-Holding 147, 150 Fiktion der Dividendeneinkünfte 174 f. Finalität 53, 108, 125, 136, 151, 157

Stichwortverzeichnis

Finalitätszeitpunkt 157 Finanztransaktionsteuer 6, 49 Fiscal unit 146 Formwechsel, s. auch Umwandlung 164, 176 Freistellungsmethode 10, 22 ff., 41 f., 52, 54, 157 – Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung 34 – Veräußerungsgewinne 29 – Subvention 52 Fremdvergleich 13 f., 30, 213 Functionally separate entity approach 227 Funktionsverlagerung 37 – kleinteilige 37 – Regelungen 13 f. – Transferpaketbewertung 37 – Verdoppelung 37 Geltungserhaltende Reduktion 122 Gemeinschaftsrecht – Amtshilfeklauseln/-vorbehalte 48 – Amtshilferichtlinie 17, 51 – Betrugsbekämpfungsabkommen 17 – Fusionsrichtlinie 161, 168, 182 – Mutter-Tochter-Richtlinie 189 f. – Verschmelzungsrichtlinie 160 – Vorgabengesetz 13 – Zinsrichtlinie 17, 51 Genuine link-Regel 228 Gesamtbewertungsansatz 37 Gewerbesteuer 23, 25, 26, 33, 36 – Aktivitätsvorbehalt 37, 55 – Enkelprivileg 37 – Gewerbesteuergesetz 35 – Hinzurechnung 37

Gewerbliches Unternehmen 65 Gewinnabführungsvertrag 83 ff., 121, 138 ff. – Ausgleichszahlung 85 – Minderheitsgesellschafter 85 – Mindestlaufzeit 84 Gewinnausschüttungen 38 – verdeckte 27 f. Global Forum 50 Goodwill 37 Group relief 147, 150 Grundfreiheiten des AEUV 61, 110, 114 ff. Grundsatz der Einzelbewertung 37 Gruppenbesteuerung 59 ff. – Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit 115 ff., 151 f. – Kanada 152 – österreichische, s. Österreichische Gruppenbesteuerung Gruppenmitglied 74 – Aktiengesellschaft 112 – ausländisches 113 – doppelt ansässige Körperschaft 74, 94, 112 – doppelter Inlandsbezug 74, 112 – europäisches Gesellschaft 74, 112 – Genossenschaft 74 – GmbH 74, 112 – gewerbliche Tätigkeit 74 – nicht unbeschränkt steuerpflichtige ausländische Körperschaft 75, 112 – partielle Steuerbefreiung 74 – steuerbefreite Körperschaft 74 – Strukturvergleich 112 Gruppenträger 70 – Aktiengesellschaft 70, 109 233

Stichwortverzeichnis

– Beteiligungsgemeinschaft 71, 74 – Betrieb gewerblicher Art 109 – Betriebsstätte 110 – doppelt ansässige Körperschaft 72, 94, 111 – EU-Gesellschaft 71 f., 108 – EWR-Gesellschaft 71 f., 109 – europäische Genossenschaft 71 – europäische Gesellschaft 70 – Genossenschaft 70, 109 – gewerbliche Tätigkeit 73 – GmbH 70, 109 – Holdinggesellschaft 73 – Kreditinstitut 71 – Mehrmütterorganschaft 74 – Ort der Geschäftsleitung 72, 111 – Sitz 72, 111 – Sparkasse 71, 109 – steuerbefreite Körperschaft 71 – Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 71, 109 – Zweigniederlassung 73, 110 f. Haushaltskonsolidierung 1 ff. – „Exit-Strategie“ 4 – Haushaltsbegleitgesetz 5 f. – Kommunalfinanzen 7 f., 43 – Steuervereinfachung 6 f., 56 Holdinggesellschaft 66 Jahressteuergesetz 2007 Jahressteuergesetz 2008 Jahressteuergesetz 2009 Jahressteuergesetz 2010

34 30 35, 202 46, 181

Kapitalertragsteuer 174 ff. Kapitalverkehrsfreiheit 115 ff., 151 f. 234

Kernbrennstoffsteuer 5 Kommunale Selbstverwaltung 7 Korb II-Gesetz 28 Korrespondenzprinzip 27 Leistungsfähigkeitsprinzip 141 Liquidation 157, 162 Luftverkehrsteuer 5 Mängelliste des Bund der Deutschen Industrie 43, 46, 56 Mehr- und Minderabführungen 88 – aktiver Ausgleichsposten 88 – passiver Ausgleichsposten 88 Mehrmütterorganschaft 67 Mindestbesteuerung 183 Mitunternehmerschaft 163 Niederlassungsfreiheit 115 ff., 151, 161, 211 Objektives Nettoprinzip 210 OECD-MK 2000 187, 195 OECD-Partnership-Reports 187, 190, 192, 208 OECD-Standard 15 ff., 25, 51 Offene Rücklagen 162, 163 Organgesellschaft – Aktiengesellschaft 68 – doppelter Inlandsbezug 69, 106 – europäische Gesellschaft 68 – gewerblicheTätigkeit 69 – GmbH 68 – KGaA 68 – Ort der Geschäftsleitung 69, 106 f., 133 – Sitz 69, 106, 133 – steuerbefreite Körperschaft 68 f.

Stichwortverzeichnis

– Vergleichspaar 130 – Zweigniederlassung 134 Organschaft 59 ff., 145 ff., 155 – außerorganschaftlicher Verlust 87 – Ausgleichszahlung 85, 88 – ausländisches gewerbliches Unternehmen 65 – Beteiligung, (un-)mittelbar 78 – Betriebsstätte 98 – doppelt ansässige Körperschaft 64, 94 – doppelte Verlustberücksichtigung 100 – doppelter Inlandsbezug 69 – eigene Anteile 77 – einbezogene Personen 63 f. – Ergebnisabführungsvertrag 121, 145 ff. – Finale Verluste 108 – finanzielle Eingliederung 76 – gewerbliches Unternehmen 65 – Gewerbesteuer 100 – Mehrabführungen 88 – Mehrheit der Stimmrechte 86 – Mehrmütterorganschaft 67 – Minderabführungen 88 – Minderheitsgesellschafter 85 – Organgesellschaft, s. Organgesellschaft – organisatorische Eingliederung 75 – Organträger s. Organträger – Ort der Geschäftsleitung 64 f., 69 – Österreich 145 f., 148 – Schwestergesellschaft 79 – Sicherung des Besteuerungsrechts 93, 107 – steuerbefreite Körperschaft 64

– Teilwertabschreibung 88 – Treugeber 77 – Verlustübernahmeverpflichtung 122 – Vertragsverletzungsverfahren 107 – Voraussetzungen 154 – vororganschaftliche und organschaftliche Gewinne/Verluste 87, 154 – Vorzugsaktien 77 – wirtschaftliche Eingliederung 75 – wirtschaftliches Eigentum 77 – Zurechnung 86, 89 – Zweigniederlassung 95, 97 Organträger 63 f. – Aktiengesellschaft 63 – ausländisches gewerbliches Unternehmen 94 – Betrieb gewerblicher Art 64 – doppelt ansässiger 101, 129 – europäische Genossenschaft 63 – europäische Gesellschaft 63 – Genossenschaft 63 – Gewinnabführungsvertrag 83 ff. – GmbH 63 – Holdinggesellschaft 66 – KGaA 63 – Mehrheit der Stimmrechte 76 – natürliche Person 65, 96 – negatives Einkommen 99, 105, 129 – Ort der Geschäftsleitung 93, 95, 128 – Personengesellschaft 63, 96, 103 – Sitz 95 – Stiftung 63 – Treugeber 77 235

Stichwortverzeichnis

– Verein 63 – Zweigniederlassung 128 Ort der Geschäftsleitung 64 f., 93, 95, 128 Österreichische Gruppenbesteuerung 61, 69 ff. – Außergruppenverluste 91 – Ausgleichsposten 91 – Ausländische Gruppenmitglieder 90 f. – Auslandsebene, erste 113 – Beteiligung, (un-)mittelbar 81 – Beteiligungsgemeinschaft 90 – eigene Anteile 81 – Einlagenrückgewähr, Verbot 85 – Ergebnisabführungsvertrag 85 – finanzielle Verbindung 79 – Firmenwertabschreibung 92 – Gruppenantrag 85 – Gruppenmitglied, s. Gruppenmitglied – Gruppenträger, s. Gruppenträger – Mehrabführungen 91 – Mehrheit der Stimmrechte 80 – Minderabführungen 91 – organisatorische Eingliederung 79 – Schwestergesellschaft 83 – Steuerausgleichsvereinbarung 85, 143 – Steuerumlage 85 – Stimmrechte, quantitativ 80 – Teilwertabschreibung 91 – Treugeber 81 – Vorgruppenverluste 91 – Vorzugsaktien 81 – wirtschaftliche Eingliederung 79 236

– wirtschaftliches Eigentum 81 Outbound- und Inbound-Investitionen 24 Peer Review Group 50 Quellensteuererstattung 189 Rechtfertigungsgrund – Besteuerungsbefugnis, Aufteilung 133 Reorganisation 39 Rückwirkung, echte/unechte 206 Schachtelstrafe 53 SEStEG 31, 159, 171, 184 Sicherung des Besteuerungsrechts 93, 97, 107, 110 Slowenische Komanditna druba 187 f. Sonderbetriebsvermögen/-ausgaben 210 Sondervergütungen 186, 202, 205, 213, 222, 225 f. – Einkünftefiktion 35 Spanische S.C. 191, 195 Sperrfristbehaftung 167 – Verkauf sperrbefristeter Anteile 168 Steuerausgleichsvereinbarung 86, 143 – Mindestlaufzeit 86 Steuerfreiheit 28, 31 – Körperschaft/Organschaft 64, 68 f. Steuersubjektprinzip 149 Steuerwettbewerb 15, 22 – Blockadehaltung von Luxemburg und Österreich 17

Stichwortverzeichnis

– OECD- Standard zum Informationsaustausch 15 ff., 18 – Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz 16 – Verhaltenskodex der EU („Code of Conduct“) 16 Stille Reserven 164, 167 Subject-to-tax-Klausel 195 Switch-over-Klausel 34 f. Teilbetriebsbegriff 168, 182 Teilwertabschreibung 29, 31, 53 – Wahlrecht 53 Transaktivitätssteuer 49 Treaty override 24, 26, 34 f., 42, 54, 195, 205, 209 Trennungsprinzip, körperschaftsteuerliches 140 Umwandlungen 159 ff. – ausländische 160 – Betriebsstättenvorbehalt 160 f. – doppelter Inlandsbezug 159 – Entstrickung 161, 166 – Erfolgsneutralität 160 – Fusionsrichtlinie 161, 168, 182 – grenzüberschreitende 160 – inländische/Inlandsfall 160 – Theorie der Zentralfunktion des Stammhauses 166 – Verschmelzungsrichtlinie 160 – Verschmelzung 160, 165 ff. Umwandlungssteuererlass 159, 172, 175 Umwandlungsteuerrecht 25, 27, 39, 159, 171 – Globalisierung 172

Unternehmensgewinne 197, 203, 219, 221, 224 ff. Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 13, 26, 37 US-Personengesellschaft 196 Vergleichspaar 124 Verlust – Beteiligungsverlust 29 – Eigenkapitalverlust 20 – Finalität 53, 108, 125, 136, 147 f., 150 f., 155 ff. – Liquidationsverlust 156 – Verrechnung 148 – Wechselkursverlust 31 Verlustübernahmeverpflichtung 123 – Vergleichspaar 124 Verrechnungspreisgrundsätze 14, 25 – Dokumentationspflichten 38 Verrechnungspreisrichtlinie 213 Verschmelzung 160, 165 ff. – ausländische 173 – Hinausverschmelzung 166 – Hereinverschmelzung 167 – Verschmelzungsrichtlinie 160 – zivilrechtliche 174 Verstrickungsgrundsätze 167 Vertragsverletzungsverfahren 60, 107 Wertaufholungen 53 Wertverknüpfung 167 Zinserträge 199 Zweigniederlassung 65

237