Internationales Steuerrecht am Scheideweg 9783504386122

Aktuelle BFH-Rechtsprechung; Aktuelle Steuerrechtsentwicklungen im Ausland – Überblick und Auswirkungen auf deutsche Unt

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Internationales Steuerrecht am Scheideweg
 9783504386122

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Jürgen Lüdicke (Hrsg.) Internationales Steuerrecht am Scheideweg

Forum der Internationalen Besteuerung

Band 47

Internationales Steuerrecht am Scheideweg Herausgegeben von

Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater International Tax Institute Universität Hamburg mit Beiträgen von

Prof. Dr. Roland Wacker Kirsten Birnbaum Prof. Dr. Stefan Köhler Dr. Klaus-Jörg Dehne Dr. Stefan Greil Diskussionsteilnehmer

Malte Fidler Martin Kreienbaum Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Oliver Nußbaum und die Beitragsverfasser

2018

Zitierempfehlung: Autor in Lüdicke, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 47, 2018, S. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-61547-5 ©2018 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck: Stückle, Ettenheim Printed in Germany

Vorwort Das deutsche Internationale Steuerrecht sieht sich von mehreren Seiten gefordert. Die tendenziell steuerverschärfend wirkenden Ergebnisse des BEPS-Projekts, namentlich die bindenden Vorgaben der europäischen Anti Tax Avoidance Directive (ATAD), stehen vor ihrer Umsetzung. Die Unternehmen erwarten dabei zu Recht Verbesserungen bei der internationalen Streitbeilegung. Zugleich muss Deutschland auf den durch ausländische Steuerreformen in die nächste Runde gehenden internationalen Steuerwettbewerb angemessen reagieren. Der vorliegende Tagungsband dokumentiert die Referate und Diskussionen der unter dem Generalthema „Internationales Steuerrecht am Scheideweg“ stehenden 34. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung des Interdisziplinären Zentrums für Internationales Finanz- und Steuerwesen (IIFS) der Universität Hamburg am 1. Dezember 2017. Angela Nottelmann, Leiterin der Steuerverwaltung, Finanzbehörde Hamburg, weist in ihrer Abschiedsrede als langjähriges Mitglied des Beirats der Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung auf die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Finanzverwaltung und Wissenschaft hin. Johann Killinger, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, fordert unter Verweis auf die den Mittelstand belastende Wegzugsbesteuerung zeitgemäße, der Globalisierung Rechnung tragende Steuergesetze. Peter Tschentscher, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, plädiert in seinem Grußwort für Verbesserungen bei der Durchsetzung von Steuergerechtigkeit durch Bekämpfung etwa des Umsatzsteuerbetrugs und für die internationale Besteuerungszuordnung nach Maßgabe des Orts der Wertschöpfung. Roland Wacker bespricht aktuelle Entscheidungen des BFH zum Internationalen Steuerrecht. Kirsten Birnbaum stellt die Herausforderungen für deutsche Unternehmen und Steuerpolitik dar, die sich aus aktuellen ausländischen Entwicklungen wie der US-Steuerreform oder dem Brexit ergeben. Martin Kreienbaum erläutert ergänzend den Stand der Überlegungen zur Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft.

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Vorwort Prof. Dr. Jürgen Lüdicke

Stefan Köhler erläutert die Folgen der namentlich durch die ATAD geforderten künftigen Regelungen zu hybriden Finanzinstrumenten und Unternehmen. Klaus-Jörg Dehne beschreibt Zustand und Reformbedarf bei der Hinzurechnungsbesteuerung vor dem Hintergrund von BEPS und ATAD. Stefan Greil untersucht den Streit(-beilegungs)kreislauf bei grenzüberschreitender Gewinnabgrenzung von der Gesetzgebung über Steuerplanung, -erklärung und -prüfung bis zu Verständigungs- und Schiedsverfahren. Der vorliegende Tagungsband enthält die Referate sowie die sich daran anschließenden Podiumsdiskussionen zwischen Malte Fidler, Martin Kreienbaum, Oliver Nußbaum, Roland Wacker und den Referenten. Hamburg, im April 2018 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke

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Grußwort Sehr geehrter Herr Professor Lüdicke, sehr geehrte Damen und Herren, ich bedanke mich ganz herzlich für den schönen Blumenstrauß und die netten Worte. Ich freue mich sehr. Nun sage ich einmal etwas zu meiner Beiratsfunktion. Sie wissen, dass ich erst skeptisch war, ob ich diesem Beirat angehören sollte. Man hat als Leiterin der Hamburgischen Steuerverwaltung nicht nur die Steuergesetzgebung und die entsprechenden Verwaltungsanweisungen rechtlich zu betreuen, sondern auch das Management der Steuereinnahmen, d.h. des ganz überwiegenden Teils der laufenden Staatseinnahmen im eigenen Apparat zu organisieren. Deshalb ist die Teilnahme an wissenschaftlichen Beiräten eher Kür als Pflicht. Natürlich habe ich auch mit meinem Vorgänger im Amt darüber gesprochen; er hat zu mir gesagt: „Da musst Du vielleicht nicht unbedingt weitermachen, die außensteuerrechtliche Materie ist enorm speziell und komplex, dort immer mitzuhalten ist sehr anstrengend.“ Stimmt! Und dann hat er ergänzt: „Außerdem besteht unsere einzige Funktion darin, dass wir uns die Kritik abholen, die dort geübt werden soll.“ Dazu sage ich: Stimmt partiell! Das ist gewiss eine der Funktionen. Sie ist aber legitim, man sollte für Kritik auch aufgeschlossen sein. Auf der anderen Seite, Sie sagten es schon, habe ich die Zusammenarbeit als sehr fruchtbar empfunden, gerade auch in dem BEPS-Prozess der vergangenen Jahre. Sie, Herr Professor Lüdicke, hatten diesbezüglich ein stets aktuelles und sehr vertieftes Wissen, das Sie uns auch haben zukommen lassen. Wir konnten unseren eigenen Blickwinkel auf diese Weise ebenfalls in den Blickwinkel von Wissenschaft und Beraterschaft einbringen. Ich werde meinem Nachfolger ganz sicherlich empfehlen, so er die Kapazität dazu hat, dies zu leisten, in diesem Beirat als Verwaltung weiter vertreten zu sein. Ich wünsche mir auch sehr, dass es diese Form der Veranstaltung weiterhin gibt – Sie sprachen den Lehrstuhl an. Wir betreten gerade ein sehr spannendes neues Feld im Internationalen Steuerrecht und stehen hier und da noch auf stark schwankendem Boden. Die Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter (Steuer) von Bund und Ländern wollen zudem eine Arbeitsgruppe einsetzen, die sich mit den Auswirkungen der digitalen Wirtschaft auf die Besteuerung befasst. Es ist uns schon völlig klar: Dazu werden wir die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft brauchen. Wir

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Grusswort Angela Nottelmann

alleine können die vielen verschiedenen Phänomene in im Grunde jeder einzelnen Steuerart und jeder einzelnen Einkunftsart, die sich unterschiedlich darstellen, selbst gar nicht aufarbeiten. Da wünsche ich mir natürlich, dass die Wissenschaft uns unterstützt, möglichst auch hier in Hamburg, damit wir nicht nur nach München schauen müssen. Es tut mir vor diesem Hintergrund leid, dass Sie den vakanten Lehrstuhl am Institut nicht nachbesetzen durften. Es ist eine Erfahrung, die man auch in der Verwaltung sammelt: Wenn man zum falschen Zeitpunkt Recht hat, dann wird daraus meistens nichts. Dazu aber eine weitere Empfehlung aus dem Beamtenleben: Man muss das nötige Beharrungsvermögen aufbringen, sich diese Angelegenheit auf Wiedervorlage legen und gucken, wann dafür der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Ich denke, dass auch die Politik zunehmend erkennt, dass dieses Arbeitsfeld extrem wichtig ist und es hier wissenschaftlicher Begleitung bedarf. Insofern meine Empfehlung: Bleiben Sie da mal dran! Dann bestehen meines Erachtens gute Aussichten, dass es diese schönen Veranstaltungen auch in Zukunft weiterhin geben wird. Vielen Dank! Angela Nottelmann Leiterin der Steuerverwaltung, Finanzbehörde Hamburg

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Grußwort Herzlichen Dank, Herr Lüdicke. Das ist ja eine große Veranstaltung hier, sehr schön! Vielen Dank für die wohlwollende Einführung! Sehr geehrter Senator, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen der Handelskammer Hamburg begrüße ich Sie herzlich zur 34. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung. Es ist eine gut gelebte Tradition, dass diese Veranstaltung, die wir auch gern als Nikolaustagung bezeichnen, weil sie an jedem ersten Freitag im Dezember stattfindet, in unserer Handelskammer ausgerichtet wird. Ich kann Ihnen versichern, unsere Handelskammer ist sehr stolz darauf, diese hochrangige Tagung auch in diesem Jahr wieder zu Gast zu haben. Es gibt in Hamburg keinen besseren, keinen passenderen Ort für diese Tagung zur Internationalen Besteuerung. Unsere Handelskammer vertritt seit eh und je die Interessen der Hamburger Wirtschaft, deren Rückgrat Hafen und Schifffahrt und damit eng verbunden der internationale Handel ist. Hamburg gilt, das kennen Sie alle, zu Recht als das Tor zur Welt. Die Hamburger Kaufleute, insbesondere die Außenhändler, aber auch die Spediteure, wie man hier sagt, heute Logistiker, Reeder, sind damals wie heute auf vielfältige Weise mit der Welt verbunden. Und damit haben Fragen des Internationalen Steuerrechts gerade für Hamburger Kaufleute, Mittelständler, eine herausragende Bedeutung. Im Zuge der Globalisierung wachsen die Herausforderungen an das Internationale Steuerrecht. Dabei gilt: Um weiterhin am Markt bestehen zu können, ist die Wirtschaft auf gute, die Wettbewerbsfähigkeit sichernde und auch handhabbare steuerliche Regelungen zwingend angewiesen. Die Komplexität des Steuerrechts und die damit verbundenen Bürokratiekosten wirken allerdings oft gerade für mittelständische Unternehmen eher hemmend. Das Steuerrecht muss diesem Umstand Rechnung tragen, aber es muss vor allem auch stetig an die sich ändernden Realitäten angepasst werden. Das gilt im nationalen und insbesondere auch im Internationalen Steuerrecht. Erlauben Sie mir, hierzu beispielhaft auf Probleme bei der Wegzugsbesteuerung hinzuweisen. Probleme, die sich gerade für Hamburger Kaufleute gelegentlich ergeben. Die Globalisierung führt nicht nur dazu, dass Waren und Dienstleistungen über Ländergrenzen hinweg mobil sind, auch wir selbst leben und

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Grusswort Dr. Johann Killinger

arbeiten zunehmend international. Durch die Internationalisierung der Geschäftstätigkeiten ist es beispielsweise oft gewünscht, dass die Gesellschafter eines Unternehmens ihren Wohnsitz temporär ins Ausland verlagern. Dafür kann es eine Vielzahl von Gründen geben; nicht zuletzt der Wunsch nach einer Ausbildung im Ausland oder das Sammeln erster beruflicher Erfahrungen stehen häufig im Mittelpunkt. Gerade bei Hamburger Kaufleuten ist es immer noch beliebt, ihren Nachwuchs lieber ins Ausland zu schicken als an Universitäten, oder jedenfalls in einer Kombination. Das darf nicht sein, dass das Steuerrecht hierbei eine individuelle Lebensplanung behindert. Für einen temporären Wegzug gibt es viele Anlässe. Er erfolgt in der Regel jedoch nicht aus Gründen der Steueroptimierung. Ein zeitweiser Wegzug kann aufgrund unserer geltenden steuerlichen Regelungen aber erhebliche finanzielle Konsequenzen mit sich bringen. Ich denke hier an den Fall, dass ein Familienunternehmen der nachfolgenden Generation frühzeitig Gesellschaftsanteile übertragen hat. Da Familienunternehmen im weit überwiegenden Maß als Personenunternehmen geführt werden, entstehen somit Mitunternehmeranteile für die jungen Leute. Aus Sorge des Fiskus, dass Deutschland sein Besteuerungsrecht an diesen Anteilen verlieren könnte, sehen die deutschen Steuergesetze heute eine finale Besteuerung bei Wegzug vor. Diese kann auch bei temporärem Wegzug eintreten. Das bedeutet eine Aufdeckung und Versteuerung der in den Gesellschaftsanteilen ruhenden stillen Reserven. Solche stillen Reserven können aber gerade bei Unternehmen, die sich seit Jahrzehnten in Familienhand befinden, eine erhebliche Größe ausmachen. Dadurch kann eine finale Besteuerung verheerende Folgen haben, denn durch Wegzug fließen keine Mittel zu. Zur Begleichung einer entstehenden Steuerschuld können erhebliche Zahlungen an den Fiskus fällig werden. Solche Belastungen können das ganze Unternehmen in seiner Existenz gefährden. Dies hat zur Konsequenz, dass der beabsichtigte Auslandsaufenthalt nicht stattfinden kann oder unter Umständen die über mehrere Generationen in Familienhand befindlichen Unternehmen gegen den Willen der Betroffenen zerschlagen werden müssen. In einer zunehmend globalisierten Welt sollte es nicht sein, dass steuerliche Regelungen solche Wirkungen entfalten können. Hier muss das Steuerrecht an die Lebenswirklichkeiten angepasst werden. Meine Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt, hier ist eine Reform geboten. Daher appelliere ich an Sie, sehr geehrter Herr Senator Dr. Tschentscher, dass die Politik gemeinsam mit der Wirtschaft prakti-

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Grusswort Dr. Johann Killinger

kable Lösungen findet. Diese müssen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen berücksichtigen, aber auch dem Fiskus langfristig das Besteuerungsrecht sichern. Der temporäre Wegzug eines Gesellschafters ins Ausland darf noch keine finale Steuerbelastung in Deutschland auslösen, sondern erst die Anteilsveräußerung, denn erst bei Veräußerung des Anteils ist genügend Liquidität beim Steuerpflichtigen zur Zahlung der Steuerschuld vorhanden. Unser gemeinsames Ziel muss ein Steuersystem sein, das einerseits einheitliche Wettbewerbsbedingungen schafft und andererseits exzessive Steuervermeidungsstrategien Einzelner unterbindet. Gleichzeitig muss das Steuerrecht aber auch Freiräume für persönliche Lebensplanungen in einer zunehmend mobilen Welt im Auge behalten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie wollen sich heute den Herausforderungen des Internationalen Steuerrechts stellen. Damit bleibt mir nur, Ihnen einen informativen und anregenden Tag zu wünschen. Ich kann Ihnen und Ihren Mitstreitern, sehr geehrter Professor Lüdicke, nur dazu gratulieren, für die heutige Veranstaltung wiederum ein so interessantes Themenspektrum ausgewählt zu haben und so einen schönen Veranstaltungsort nutzen zu können. Sie haben hierzu renommierte Referenten und Diskussionspartner gewinnen können. Meine Damen und Herren, nutzen Sie die Gelegenheit, sich mit den Experten über die vielfältigen Aspekte internationaler Unternehmensbesteuerung auszutauschen. Ich wünsche Ihnen aufschlussreiche Erkenntnisse, aber natürlich auch gute Begegnungen, Gespräche am Rande des Fachprogramms und viel Vergnügen. Herzlichen Dank! Dr. Johann Killinger Vizepräses der Handelskammer Hamburg

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Grußwort Sehr geehrter Herr Professor Lüdicke, sehr geehrter Herr Vizepräses Killinger, sehr geehrte Damen und Herren, auch im Namen des Senats wieder herzlich willkommen in Hamburg auf der 34. Tagung zur Internationalen Besteuerung! Bei allem, was sich derzeit in der Handelskammer Hamburg ändert, freut man sich auch, wenn einige Dinge bleiben, wie sie waren. Zum Beispiel, dass die Handelskammer ihre Räume für eine Tagung zur Internationalen Besteuerung zur Verfügung stellt und diese Traditionsveranstaltung unterstützt. Dafür Ihnen, Herr Vizepräses, ausdrücklich herzlichen Dank! Die Themen der von Professor Lüdicke und seinen Mitstreitern organisierten Tagungen sind für die Unternehmen bei uns in Hamburg, einer der stärksten Wirtschaftsmetropolen Europas, von besonderer Bedeutung. Für die international operierenden Konzerne, die sich praktisch in einer komplizierten Welt unterschiedlichster Steuersysteme der Länder bewegen müssen, aber auch für die lokal ausgerichteten kleinen und mittleren Unternehmen, die keine Wettbewerbsnachteile erleiden wollen, weil ihre international tätigen Mitbewerber Steueroptimierungen vornehmen, die ihnen verwehrt sind, weil sie sich eben nur bei einer gezielten Ausnutzung der steuerrechtlichen Abweichungen zwischen den Staaten ergeben. Mit dem Thema „Streitbeilegung bei grenzüberschreitender Gewinnabgrenzung“ sprechen Sie darüber hinaus heute Nachmittag ein Problem an, das für Finanzminister äußerst relevant ist. Für Unternehmen ist es wirtschaftlich wahrscheinlich kein großer Unterschied, ob sie einen bestimmten Steuerbetrag in dem einen oder dem anderen Land abführen müssen. Für das Steueraufkommen der jeweiligen Länder und damit für deren Finanzminister ist diese Frage aber von größter Bedeutung. Der Grundsatz, dass die Steuern dort gezahlt werden, wo die tatsächliche wirtschaftliche Aktivität und Wertschöpfung erfolgt, erscheint mir hierfür ein guter Beurteilungsmaßstab, auch wenn Deutschland dabei vermutlich nicht immer auf der Gewinnerseite steht. Andererseits bin ich sicher, dass alle hier im Saal schon aus ideellen Gründen lieber Steuern in Deutschland zahlen – und ganz besonders gern in Hamburg –, weil wir eben eine der schönsten Städte der Welt sind und viele sinnvolle Dinge

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Grusswort Dr. Peter Tschentscher

mit Ihrem Steuergeld anstellen: die Infrastruktur in Ordnung bringen, möglichst bald die Elbe vertiefen und Konzerthäuser bauen. Aber Scherz beiseite. Es gibt auch Entwicklungen, die Wirtschaft und Politik gleichermaßen nicht gefallen können und zu denen ich bei einem Grußwort auf einer Tagung zur Internationalen Besteuerung etwas sagen muss. Frau Nottelmann hat es eben auch gerade schon erwähnt: Der Umsatzsteuerbetrug im Internethandel, der über Online-Plattformen abgewickelt wird, ist zu einem ernsten Problem geworden. Ein Produkt muss im stationären Handel systematisch 19 % teurer sein, wenn zum Beispiel asiatische Versandhändler ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommen und dabei keine Sanktionen europäischer Steuerbehörden fürchten müssen. Wir erkennen dabei, dass unser Steuersystem, also das Steuerrecht, nicht darauf eingestellt ist, dass E-Commerce-Marktplätze wie Makler im Auftrag einer Vielzahl von Verkäufern in unterschiedlichsten Ländern tätig sind. Die konkreten Warenströme sind für die Steuerbehörden intransparent. Sie erfolgen zumeist ohne Beteiligung klassischer lokaler Einzelhändler, die von den Finanzämtern registriert sind und entsprechend geprüft werden können. Die sich daraus ergebenden Steuerausfälle verursachen Wettbewerbsnachteile für ehrliche Händler, verstoßen gegen die Steuergerechtigkeit und führen dazu, dass die fehlenden Einnahmen für die Erfüllung notwendiger öffentlicher Aufgaben nicht zur Verfügung stehen. Es liegt andererseits nicht im deutschen Interesse und erst recht nicht im Hamburger Interesse, wenn E-Commerce-Plattformen beziehungsweise deren Warenlager in andere EU-Mitgliedstaaten verlagert oder die Wareneinfuhr statt über den Hamburger Hafen über Rotterdam oder Antwerpen erfolgen würden. Zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs im Internethandel sind schon deshalb europaweite Maßnahmen erforderlich, weil Waren, die für den deutschen Markt bestimmt sind, in allen Mitgliedstaaten der Union für den freien Verkehr abgefertigt werden können. Nur ein einheitliches Vorgehen auf EU-Ebene kann daher den Umsatzsteuerbetrug im Online-Handel nachhaltig unterbinden. Die Finanzminister der Länder haben hierzu eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um im kommenden Frühjahr konkrete Maßnahmen vorzuschlagen, wie eine sachgerechte Besteuerung im Internethandel zukünftig sichergestellt werden kann. Soweit mein Bericht zur aktuellen steuerpolitischen Diskussion der Länder auf der Ebene des Bundesrates. Jetzt will ich Sie aber nicht länger von der Arbeit abhalten und wünsche Ihnen auch in diesem 34. Jahr der

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Grusswort Dr. Peter Tschentscher

Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung informative Vorträge und gute Diskussionen über aktuelle steuerliche Fragestellungen. Herzlichen Dank! Dr. Peter Tschentscher Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg

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Inhaltsverzeichnis Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge. Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Grußworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Roland Wacker Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Finale Verluste ausländischer Betriebsstätten und EU-Recht . . .

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B. Doppelstöckige Personengesellschaft – Zuordnung von Sonderbetriebsvermögen II eines im Ausland ansässigen Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Varia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kirsten Birnbaum Aktuelle Steuerrechtsentwicklungen im Ausland – Überblick und Auswirkungen auf deutsche Unternehmen . . . . . . . .

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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. US Tax Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Brexit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Internationale Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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F. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Aktuelle Steuerrechtsentwicklungen im Ausland – Überblick und Auswirkungen auf deutsche Unternehmen Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XV

Inhaltsverzeichnis

Prof. Dr. Stefan Köhler Hybrids: alle Schotten dicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Überblick über die Hybrid-Regelungen der ATAD 2 . . . . . . . . . . .

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C. Ausnahmen im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . 101 D. Analyse ausgewählter Abwehrregeln und Ausnahmen . . . . . . . . 107 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Hybrids: alle Schotten dicht? Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Dr. Klaus-Jörg Dehne Hinzurechnungsbesteuerung – Bestandsaufnahme und Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 B. Die Zielsetzung des AStG bei Einführung der Hinzurechnungsbesteuerung im Jahr 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 C. Änderungen der Rahmenbedingungen für die Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 D. Erkenntnisse aus dem OECD-BEPS-Report zu CFC-Regeln . . . . 143 E. Anti Tax Avoidance Directive (ATAD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 F. Reformbedarf im deutschen AStG – ausgewählte Aspekte . . . . . 153 G. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Hinzurechnungsbesteuerung – Bestandsaufnahme und Reformbedarf Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

XVI

Inhaltsverzeichnis

Dr. Stefan Greil Streitbeilegung bei grenzüberschreitender Gewinnabgrenzung . . . . 185 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 B. Streit im Steuerrecht – Quantifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 C. Streit(-beilegungs)kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 D. Fazit/Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Streitbeilegung bei grenzüberschreitender Gewinnabgrenzung Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

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Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

A. Finale Verluste ausländischer Betriebsstätten und EU-Recht I. Symmetriethese – EU-Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . II. EuGH-Urteil Timac Agro v. 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 . . . . . . . 1. Vorspann zur Rechtsentwicklung des § 2a EStG . . 2. Sachverhalt (stark vereinfacht) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Leitsätze (Anmerkungen und Hervorhebungen durch Verfasser) . . . . . . . . 4. Aus den Gründen EuGH Timac Agro . . . . . . . . . . . . a) Erste Vorlagefrage . . . . . b) Zweite Vorlagefrage . . . 5. Anmerkungen . . . . . . . . . . III. Folgeurteil: BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl. II 2017, 709 1. Sachverhalt (verkürzt). . . . 2. Aus den Gründen (Randziffern wurden beibehalten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . IV. Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abkommensüberschreibung gem. § 2a EStG 1997 a.F. . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anrechnungsmethode . . . 3. Freistellungsmethode ohne Abkommensüberschreibung für die Rechtslage ab 1999 . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Verfahren . . . . . . . a) EuGH C-650/16 (offen).

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b) BFH I R 18/16 (Klagerücknahme) . . . . . . . . . c) BFH I R 17/15 (offen) . . 5. Sonderfragen . . . . . . . . . . . 6. Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 17.6.2015. . . . . . . . . . . . . . 7. Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 25.10.2016 über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (COM (2016) 685) . . . B. Doppelstöckige Personengesellschaft – Zuordnung von Sonderbetriebsvermögen II eines im Ausland ansässigen Gesellschafters . . . . . . . . . . . I. BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, GmbHR 2017, 425 . . . . . . . . 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . 2. Aus den Gründen (Auszug) II. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . 1. Der innerstaatliche Kontext . . . . . . . . . . . . . . . 2. Extrapolation der Erwägungen auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt. 3. Die Zurechnung des Darlehens zur inländischen Betriebsstätte . . . . . . . . . . a) Das Veranlassungsprinzip als Ausgangspunkt. b) Art. 5 DBA-Niederlande 1959 . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Authorized OECD Approach (AOA). . . . . .

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs d) Der Betriebsstättenvorbehalt . . . . . . . . . . . . 4. Unterlassene Prüfung etwaiger Zinsabzugsschranken . . . . . . . . . . . . . a) Einwand einer doppelten Berücksichtigung („double dip“) . . . . . . . . b) Zinsabzugssperre gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG n.F.? . . . . . . c) Überentnahmen gemäß § 4 Abs. 4a EStG? . . . . . d) Gesellschafter-Fremdfinanzierung gemäß § 8a Abs. 1 KStG a.F.?. . . . . . C. Varia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hinzurechnungsbesteuerung – Vorlage an EuGH – BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 . . . . . . . . . 1. Sachverhalt (gekürzt) . . . . 2. Rechtslage gemäß AStG – bisherige Rechtsprechung des EuGH. . . . . . . . . . . . . . 3. Erwägungen der Vorlage . . 4. Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . a) Stand-Still-Klausel anwendbar? . . . . . . . . . . b) Einfluss von nicht in Kraft getretenen Rechtsänderungen auf die Stand-Still-Klausel? . . .

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c) Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit durch Drittstaaten-Hinzurechnung? . . . . . . . . . . . . . . 5. ATAD I – Anti Tax Avoidance Directive. . . . . II. Freigestellte EU-Betriebsstätten und Progressionsvorbehalt – BFH v. 26.1.2017 – I R 66/15, BFH/NV 2017, 726 1. Sachverhalt (gekürzt) . . . . 2. Einschlägige Vorschriften 3. Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . 4. Anmerkung. . . . . . . . . . . . III. Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG – Keine Verlustberücksichtigung – BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, BFHE 258, 300 . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . 2. Leitsatz . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anmerkungen. . . . . . . . . . IV. BFH v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl. II 2017, 704 – Ausländische Immobilienkapitalgesellschaft und Darlehensverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einschlägige Normen. . . . 2. Erläuterungen . . . . . . . . . . 3. Das Urteil . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt. . . . . . . . . . b) Leitsätze . . . . . . . . . . . . c) Aus den Gründen. . . . . d) Anmerkungen . . . . . . .

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A. Finale Verluste ausländischer Betriebsstätten und EU-Recht I. Symmetriethese – EU-Niederlassungsfreiheit Wird in einem DBA für ausländische Betriebsstätten eines im Inland ansässigen Unternehmens die Freistellung vereinbart, erstreckt sich dies nach st.Rspr. auch auf die der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen-

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den Verluste.1 Das heißt: Die Verluste sind bei Einkommensteuerpflichtigen – nicht jedoch bei Körperschaften – im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.2 Andererseits erfuhr die Symmetriethese für in den EU-/EWR-Staaten belegene Betriebsstätten nach der Rspr. des EuGH und der hierauf fußenden Einschätzung des BFH dann eine Ausnahme, wenn es sich um sog. finale Verluste handelte. Hierzu hatte der BFH noch mit Urteil vom 5.2.20143 (betr. den Verkauf einer verlustträchtigen belgischen Betriebsstätte einer deutschen GmbH) entschieden (LS): „1. Der Senat hält auch für … (das) DBA-Belgien daran fest, dass Deutschland für (laufende und Veräußerungs-)Verluste, die ein in Deutschland ansässiges Unternehmen in seiner in Belgien belegenen Betriebsstätte erwirtschaftet, kein Besteuerungsrecht hat (sog. Symmetriethese; ständige Rechtsprechung). 2. Ein Verlustabzug kommt abweichend davon aus Gründen des Unionsrechts nur ausnahmsweise in Betracht, sofern und soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass die Verluste im Quellenstaat – als sog. finale Verluste – steuerlich unter keinen Umständen anderweitig verwertbar sind (Anschluss an die ständige Rechtsprechung des EuGH). Eine derartige ‚Finalität‘ ist gegeben, wenn die Verluste im Quellenstaat aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können oder ihr Abzug in jenem Staat zwar theoretisch noch möglich, aus tatsächlichen Gründen aber so gut wie ausgeschlossen ist und ein wider Erwarten dennoch erfolgter späterer Abzug im Inland verfahrensrechtlich noch rückwirkend nachvollzogen werden könnte (Bestätigung des Senatsurteils vom 9. Juni 2010 I R 107/09, BFHE 230, 35)“.

Ganz anders nunmehr die jüngste Entscheidung des EuGH (Timac Agro).

II. EuGH-Urteil Timac Agro v. 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 1. Vorspann zur Rechtsentwicklung des § 2a EStG Nach § 2a Abs. 3 EStG 1997 a.F. waren DBA-rechtlich freigestellte Betriebsstättenverluste bis 1998 unter bestimmten Voraussetzungen im Inland auf Antrag abziehbar mit der Folge, dass zukünftige Gewinne aus

1 Z.B. BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BFHE 245, 143 = BStBl. II 2014, 703 = FR 2014, 855 betr. gescheiterte Betriebsstättengründung. 2 Vgl. für Drittstaaten § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 EStG (Aktivitätsklausel) und für EU-/EWR-Staaten § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 Nr. 2 EStG. 3 BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFHE 244, 371 = GmbHR 2014, 607.

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dieser Betriebsstätte im Inland im Wege der Hinzurechnung zu besteuern waren. Letzteres galt auch für den Fall der – so der wenig geglückte Wortlaut – späteren „Umwandlung der Betriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft“ (§ 2a Abs. 4 EStG a.F.). Ab VZ 1999: Die Sonderregelung des § 2a Abs. 3 EStG 1997 a.F. (begünstigende Abkommensüberschreibung) ist ab VZ 1999 – d.h. für Verluste ab dem Jahr 1999 – durch das StEntlG 1999/2000/2002 beseitigt worden. Zudem wurde durch das Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften – StBereinG 1999 – vom 22.12.19994 die Hinzurechnungsbesteuerung für nach § 2a EStG 1997 a.F. begünstigte Verluste bis 1998 durch die Neuregelungen jedenfalls sprachlich erheblich in § 2a Abs. 4 EStG i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 5 EStG 1997 n.F. (im Folgenden auch: EStG) erweitert. Hierzu gehörte auch die „entgeltliche Übertragung der Betriebsstätte“ (§ 2a Abs. 4 Nr. 2 EStG).

2. Sachverhalt (stark vereinfacht) Die inländische Timac Agro GmbH unterhielt in Österreich eine Betriebsstätte. Diese wurde zum 31.8.2005 entgeltlich auf eine in Österreich ansässige Gesellschaft übertragen, die zum gleichen Konzern wie Timac Agro gehörte. Das FG Köln hatte mit Beschluss vom 19.2.20145 die EU-rechtliche Beurteilung dem EuGH vorgelegt: (Erste Vorlagefrage vor VZ 1999) Die in den VZ 1997 und 1998 angefallenen Verluste rechnete das FA dem Gewinn der GmbH hinzu. Die Frage ging dahin, ob dies mit EU-Recht vereinbar sei. (Zweite Vorlagefrage ab VZ 1999) Für die VZ ab 1999 stellte sich die weitere Frage, ob ein Verlust, der anlässlich der Veräußerung der österreichischen Betriebsstätte an eine Schwestergesellschaft der GmbH anfiel, von der Bemessungsgrundlage der inländischen Körperschaftsteuer der GmbH abgezogen werden kann, obgleich nach dem DBA die Betriebsstättenergebnisse aus Österreich in der BRD freigestellt werden (Symmetriethese; s.o. I.).

4 BGBl. I 1999, 2601. 5 FG Köln v. 19.2.2014 – 13 K 3906/09, EFG 2014, 1901.

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3. Leitsätze (Anmerkungen und Hervorhebungen durch Verfasser) „1. Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, wonach, wenn eine gebietsansässige Gesellschaft eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte an eine gebietsfremde, zum gleichen Konzern wie die veräußernde Gesellschaft gehörende Gesellschaft veräußert, die zuvor abgezogenen Verluste der veräußerten Betriebsstätte dem steuerlichen Ergebnis der veräußernden Gesellschaft wieder hinzugerechnet werden, sofern die Einkünfte einer solchen Betriebsstätte aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Mitgliedstaat des Sitzes der Gesellschaft, zu der diese Betriebsstätte gehörte, von der Steuer befreit sind. 2. Art. 49 AEUV (Anm.: Niederlassungsfreiheit) ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die einer gebietsansässigen Gesellschaft im Fall der Veräußerung einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte an eine gebietsfremde, zum gleichen Konzern wie die veräußernde Gesellschaft gehörende Gesellschaft die Möglichkeit verwehrt, die Verluste der veräußerten Betriebsstätte in die Bemessungsgrundlage der Steuer einzubeziehen, sofern aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die ausschließliche Befugnis zur Besteuerung der Ergebnisse dieser Betriebsstätte dem Mitgliedstaat zusteht (Anm.: sog. Freistellungsmethode), in dem sie belegen ist.“

4. Aus den Gründen EuGH Timac Agro a) Erste Vorlagefrage „27. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Situationen ist darauf hinzuweisen, dass sich Betriebsstätten, die in einem anderen als dem betreffenden Mitgliedstaat belegen sind, in Bezug auf Maßnahmen dieses Mitgliedstaats, die zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, grundsätzlich nicht in einer mit der Situation gebietsansässiger Betriebsstätten vergleichbaren Situation befinden (Urteil Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU:C:2014:2087, Rz. 24). 28. Die Bundesrepublik Deutschland hat jedoch dadurch, dass sie den Abzug von Verlusten einer in Österreich belegenen Betriebsstätte zugelassen hat, der gebietsansässigen Gesellschaft, zu der diese Betriebsstätte gehörte, in gleicher Weise einen Steuervorteil gewährt, wie wenn die Betriebsstätte in Deutschland belegen gewesen wäre, und sie somit einer gebietsansässigen Betriebsstätte im Hinblick auf den Verlustabzug gleichgestellt (vgl. Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU:C: 2014:2087, Rz. 24). Unter diesen Umständen ist daher die Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft, die eine Betriebsstätte in Österreich besitzt, mit der einer gebietsansässigen Gesellschaft, die eine Betriebsstätte in Deutschland besitzt, vergleichbar.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (29 ff. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und Rechtfertigungsprüfung; hier: ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse, Kohärenz, Vermeidung von Steuerumgehung; doppelte Verlustnutzung) (46 ff. Verhältnismäßigkeitsprüfung) 52. Schließlich ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts nach den in den Rz. 55 und 56 des Urteils Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763) in Bezug auf endgültige Verluste aufgestellten Grundsätzen zu antworten, dass die Bejahung der Verhältnismäßigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Hinzurechnung nicht bedeutet, dass der Mitgliedstaat, in dem die veräußernde Gesellschaft ansässig ist, die in den genannten Randnummern aufgestellten Grundsätze nicht beachten müsste. Die Hinzurechnung hat nämlich keine Auswirkung auf die Einstufung des betreffenden Verlusts. 53. Sofern die veräußernde gebietsansässige Gesellschaft nachweist, dass die hinzugerechneten Verluste endgültige Verluste im Sinne von Rz. 55 des Urteils Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763) sind, verstößt es gegen Art. 49 AEUV, wenn es dieser Gesellschaft verwehrt wird, im Mitgliedstaat ihres Sitzes von ihrem steuerpflichtigen Gewinn die Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte abzuziehen (Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, C-172/13, EU:C:2015:50, Rz. 27). 54. Zur Endgültigkeit eines Verlusts ist zum einen darauf hinzuweisen, dass sie sich nicht daraus ergeben kann, dass der Mitgliedstaat, in dem die betreffende Betriebsstätte belegen ist, jede Möglichkeit des Verlustvortrags ausschließt (Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, C-172/13, EU:C:2015:50, Rz. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). 55. Zum anderen kann die Endgültigkeit eines Verlusts nur dann festgestellt werden, wenn die betreffende Betriebsstätte in dem Mitgliedstaat, in dem sie belegen ist, keine Einnahmen mehr hat, denn solange sie weiterhin – auch nur minimale – Einnahmen hat, besteht die Möglichkeit, die Verluste mit künftigen Gewinnen, die sie selbst oder ein Dritter in diesem Mitgliedstaat erzielt, zu verrechnen (Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, C-172/13, EU:C:2015:50, Rz. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). 56. Hinsichtlich der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verluste hat die Republik Österreich angegeben, dass nicht alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung dieser Verluste in Österreich ausgeschöpft worden seien. 57. Es obliegt jedoch dem vorlegenden Gericht, zu klären, ob Timac Agro tatsächlich den Beweis erbracht hat, dass die betreffenden Verluste endgültig sind.“

b) Zweite Vorlagefrage „64. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Situationen ist in Rz. 27 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass sich eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gebietsansässigen Gesellschaft dienen, grundsätzlich nicht in einer mit der Situation einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichbaren Situation befindet.“

5. Anmerkungen 1. Nimmt man das Urteil beim Wort, geht die abkommensrechtliche Vereinbarung (Freistellung) und deren Verständnis in der Rspr. des BFH (Symmetriethese) in die EU-rechtliche Vergleichbarkeitsprüfung mit der Folge ein, dass bereits tatbestandlich ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit ausscheidet.6 Die Frage nach der Rechtfertigung (z.B. gemäß der territorialen Zuordnung der Besteuerungsrechte; keine doppelte Verlustnutzung) würde sich nicht mehr stellen.7 2. (Rechtsprechungsänderung) Diese Sicht ist neu. Sie weicht – wie eingangs angesprochen – von der früheren Rspr. des EuGH (s. z.B. Urteil Lidl Belgium8) und der Entscheidungspraxis des I. Senats ab. Ob die neue Sicht konsolidiert ist, wurde9 und wird – mutmaßlich – auch aktuell im Schrifttum unterschiedlich beurteilt (dazu sogleich zu III.).

III. Folgeurteil: BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl. II 2017, 709 Vorbemerkung: Die Darstellung wird hier auf die seit dem VZ 1999 geltende, aktuelle Rechtslage beschränkt.

6 Ähnlich hat der EuGH v. 30.6.2016 – C-176/15 – Riskin und Timmermans, ECLI:EU:C:2016:488, IStR 2016, 732 ausgeführt, dass die Vorteile eines DBA (Anrechnung von Quellensteuer bei Dividendenbezieher) einen integralen Bestandteil der Bestimmungen des (jeweiligen) Abkommens bilden und dieses zur allgemeinen Ausgewogenheit der Beziehungen zwischen den beiden Vertragsstaaten beiträgt. 7 Henze, ISR 2016, 397 (399 f.). 8 EuGH v. 15.5.2008 – C 414/06 – Lidl Belgium, ECLI:EU:C:2008:278 = BStBl. II 2009, 692 = FR 2008, 831. 9 Bejahend – z.B. – FG München v. 31.5.2016 – 7 V 3044/15, EFG 2016, 1232, AdV, rkr; Dobratz, ISR 2016, 173 (174); Müller, ISR 2016, 54; Benecke, IStR 2016, 83; Stöber, DStZ 2016, 582; ebenso wohl Schiefer, IStR 2016, 81: Ernüchterung, EuGH-Rspr. nicht konsistent; a.A. Eisendle, ISR 2016, 37; Schnitger, IStR 2016, 72: erneute Vorlage; EuGH habe Progressionsvorbehalt nicht beachtet; Pohl/Burwitz, FR 2016, 561.

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1. Sachverhalt (verkürzt) Die inländische B-KG (B) unterhielt eine italienische Betriebsstätte, für die bezüglich der Jahre 1996–1998 gem. § 2a Abs. 3 EStG 1990/1997 abziehbare ausländische Verluste gesondert festgestellt wurden. Die Klägerin – eine GmbH – war Kommanditistin der KG. Sie veräußerte ihren KGAnteil zum 1.1.1999 an die Erwerberin (X-KG) und hatte wegen der bei der B zu erwartenden Verluste an die Käuferin eine Entschädigung i.H.v. … DM zu leisten, die i.H.v. … DM auf die italienische Betriebsstätte entfiel. Das FA stellte zum einen die Hinzurechnung für die Verluste des Jahre 1996–1998 sowie zum anderen die Nichtabziehbarkeit des Verlusts 1999 (anteilige Entschädigungszahlung für italienische Betriebsstätte) fest (§ 180 Abs. 5 Nr. 1 AO i.V.m. § 2a Abs. 4 Nr. 2 i.d.F. des § 52 Abs. 3 Satz 5 EStG 1997 n.F.). Die Klage blieb beim BFH10 in beiden Punkten ohne Erfolg.

2. Aus den Gründen (Randziffern wurden beibehalten) (Verlust des Jahres 1999 nicht abziehbar) „33. III. … Eine Rechtsgrundlage für den Abzug der Zahlung der Klägerin an die X KG für die Übernahme des Kommanditanteils als Betriebsausgabe besteht, soweit die Zahlung auf die Betriebsstätte in Italien entfällt, weder einfach- noch unionsrechtlich. (Verlust nach DBA freigestellt – kein Abzug nach § 2a Abs. 3 EStG 1990/1997 ab 1999) 34. 1. Der im Streitjahr (1999) angefallene Verlust der Klägerin aus der Veräußerung des Kommanditanteils ist, soweit er auf die Betriebsstätte der B in Italien entfällt, gemäß Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 3 Buchst. a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 18. Oktober 1989 (BGBl II 1990, 743, BStBl I 1990, 397) von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer ausgenommen. Der dort verwendete Begriff der ‚Einkünfte‘ schließt auch negative Einkünfte ein (…). Ein Abzug gemäß § 2a Abs. 3 EStG 1990/1997 kommt nicht in Betracht, da diese Regelung letztmals im Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden ist.

10 BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl. II 2017, 709 = FR 2017, 831.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Kein Anspruch aus EU-Niederlassungsfreiheit) 35. 2. Ein Anspruch der Klägerin, den Verlust (hier: in Gestalt der Entschädigungszahlung von … DM) als sog. finalen Verlust trotz der prinzipiellen abkommensrechtlichen Freistellung von der inländischen Bemessungsgrundlage ausnahmsweise abzuziehen, weil er in Italien definitiv nicht mehr verwertet werden könnte, ergibt sich auch nicht aus der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (… jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV). (Bisherige Rechtsprechung zu sog. finalen Verlusten …) 36. a) Allerdings entspricht es bisher ständiger Senatsrechtsprechung (unter Anschluss an die bisherige ständige Rechtsprechung des EuGH, z.B. Urteil Lidl Belgium vom 15. Mai 2008 C-414/06, EU:C:2008:278, BStBl II 2009, 692), einen Verlustabzug abweichend von der sog. Symmetriethese (abkommensrechtliche Freistellung positiver und negativer Einkünfte) aus Gründen des Unionsrechts (Niederlassungsfreiheit, Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV) zuzulassen, sofern und soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass die Verluste im Quellenstaat steuerlich unter keinen Umständen anderweitig verwertbar sind (sog. finale Verluste). Der Senat hat eine derartige ‚Finalität‘ angenommen, wenn die Verluste im Quellenstaat aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können oder ihr Abzug in jenem Staat zwar theoretisch noch möglich, aus tatsächlichen Gründen aber so gut wie ausgeschlossen ist und ein wider Erwarten dennoch erfolgter späterer Abzug im Inland verfahrensrechtlich noch rückwirkend nachvollzogen werden könnte (Senatsurteil in BFHE 244, 371). Darauf hat sich das Finanzgericht im angefochtenen Urteil auch bezogen. (vom EuGH aufgegeben) 37. b) Diese Rechtsprechung wird vom EuGH inzwischen aber nicht mehr aufrecht gehalten. Im Urteil Timac Agro Deutschland (EU:C:2015, 829, BStBl II 2016, 362) hat der EuGH auf der Grundlage der Vorlagefrage des FG Köln im Beschluss vom 19. Februar 2014 – 13 K 3906/09 (EFG 2014, 1901) zur Veräußerung einer österreichischen Betriebsstätte an eine österreichische Kapitalgesellschaft, die zu dem gleichen Konzern gehört wie die deutsche Kapitalgesellschaft, entschieden, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden (dort: Art. 23 Abs. 1a DBAÖsterreich 2000) nicht entgegensteht, die einer gebietsansässigen Gesellschaft im Fall der Veräußerung einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte an eine gebietsfremde, zum gleichen Konzern wie die veräußernde Gesellschaft gehörende Gesellschaft die Möglichkeit verwehrt, die Verluste der veräußerten Betriebsstätte in die Bemessungsgrundlage der Steuer einzubeziehen, sofern aufgrund eines DBA die ausschließliche Befugnis zur Besteuerung der Ergebnisse dieser Betriebsstätte dem Mitgliedstaat zusteht, in dem sie belegen ist. 38. In der Urteilsbegründung hat der EuGH hierzu ausgeführt, dass im Fall der abkommensrechtlichen Freistellung der ausländischen Einkünfte im Sitzstaat wegen der fehlenden Besteuerungsbefugnis (…) bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Beschränkungsverbot nunmehr schon tatbestandlich eine Vergleichbarkeit mit der Behandlung reiner Inlandsfälle abzulehnen sei (s. dort Rz 64 f. und Rz 27).

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Dies hat zur Folge, dass die Prüfungsebene der Rechtfertigungsgründe (als ‚Standort‘ der Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Rechtsfigur der finalen Verluste) entfallen ist. Insoweit hat der EuGH zwar die gegenläufigen Aussagen seines Urteils Marks & Spencer vom 13. Dezember 2005 C-416/03 (EU:C:2005:763, Slg. 2005, I-10837) nicht ausdrücklich aufgegeben; vielmehr ist diese Entscheidung zur ersten Vorlagefrage weiterhin herangezogen worden (kritisch Niemann/Dodos, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2016, 1057; s.a. z.B. Schlücke, FR 2016, 130). Jedoch hat er der sog. Symmetriethese die Eignung zugesprochen, eine Beschränkung von Grundfreiheiten von vornherein auszuschließen (…) und damit seine Erwägungen in der Entscheidung Nordea Bank Danmark vom 17. Juli 2014 C-48/13 (EU:C:2014:2087, ABlEU 2014, Nr. C 315, 8) fortgeführt (…). (Keine Sachverhaltsprägung des EuGH-Urteil Timac Agro) 39. Es ist nicht ersichtlich, dass das EuGH-Urteil Timac Agro Deutschland (EU:C:2015:829, BStBl II 2016, 362) zur Vorlagefrage 2 (Freistellungsbetriebsstätte) maßgeblich dadurch geprägt war, dass nach dem zur Vorlagefrage 1 abgehandelten Vortrag der österreichischen Regierung (s. Rz 56 des Urteils) nicht alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Verluste in Österreich ausgeschöpft worden waren (…). Ebenso ist nicht ersichtlich, dass der im Tenor der Entscheidung des EuGH (ebenda) erwähnte Umstand der Veräußerung an eine konzernangehörige Kapitalgesellschaft (der ebenfalls Gegenstand der Vorlagefrage des FG Köln war) für die Grundsatzentscheidung zur Frage der Vergleichbarkeit von Bedeutung war (…). Letzteres vor allem deshalb nicht, weil es sich insoweit um einen Aspekt der Eingriffsrechtfertigung handelt (…). Dementsprechend hat auch das FG Köln in seinem Vorlagebeschluss in EFG 2014, 1901 hervorgehoben, es wäre ergänzend zu prüfen, ob bei konzerninternen Veräußerungen von Betriebsstätten eine Rechtfertigung der Freistellungsmethode durch die Notwendigkeit der Verhinderung von Steuerumgehungsgestaltungen gegeben sein könnte (…), da bei Übertragungen innerhalb eines Konzerns dem Steuerpflichtigen faktisch ein Optionsrecht eingeräumt werde, ob oder in welchem Jahr er einen Verlust in den Staat des Stammhauses importieren will, ohne dass eine Vermögensveränderung auf der Ebene des Konzerns eintrete. (Nicht entscheidungserhebliche Fragen) 40. Ob es zur Herstellung der Vergleichbarkeit grenzüberschreitender und innerstaatlicher Sachverhalte genügt, wenn der deutsche Gesetzgeber aufgrund nationaler oder abkommensrechtlicher Sonderregeln (sog. switch-over) von der Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode wechselt (…), ist vorliegend nicht streiterheblich. Ob sich eine Vergleichbarkeit im vorgenannten Sinne darauf stützen lässt, dass – wie in abkommensrechtlicher Hinsicht regelmäßig dem freistellenden Staat zugestanden – der Steuersatz mittels Progressionsvorbehalt (d.h. unter Einschluss der freigestellten Betriebsstätteneinkünfte) berechnet wird (…), ist zweifelhaft, da hierdurch die Steuerbemessungsgrundlage nicht berührt wird und damit die steuerfreien Einkünfte nicht besteuert werden (…). Auch diese Frage ist im Streitfall indes nicht entscheidungserheblich, da die Klägerin als Kapitalgesellschaft keinem progressiven Tarif unterliegt (…).

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Keine erneute Vorlage an EuGH) 41. 3. Die Voraussetzungen für eine (nochmalige) Vorlage für eine Vorabentscheidung des EuGH (Art. 267 AEUV) sind im vorliegenden Streitfall nicht erfüllt. Zwar ist anerkannt, dass auch nach einer Entscheidung des EuGH über die Auslegung des Unionsrechts die entscheidungserhebliche Rechtsfrage bei Zweifeln durch ein anderes Gericht erneut vorgelegt werden kann (EuGH-Urteil CILFIT vom 6. Oktober 1982 C-283/81, EU:C:1982:335…). Allein der Umstand, dass der Begründung der Entscheidung vom 17. Dezember 2015 (Timac Agro Deutschland, EU:C:2015:829, BStBl II 2016, 362) dogmatische Zweifel (z.B. im Hinblick auf die Antwort zu der ersten Vorlagefrage [z.B. Henze, ISR 2016, 397, 399 f. …) entgegengehalten werden können oder dass die Reichweite des Urteils auf andere (hier nicht streiterhebliche) Konstellationen ungewiss ist oder dass auf der Grundlage dieser Entscheidung die harmonisierende Bedeutung der Grundfreiheiten in der Fallsituation der Freistellung entwertet werde (Schlücke, FR 2016, 130, 131 f.), reicht nach Überzeugung des Senats jedenfalls dann nicht aus, wenn die Rechtsfrage mit Blick auf den konkret zu entscheidenden Streitfall geklärt ist und kein Raum ‚für vernünftige Zweifel hinsichtlich der richtigen Auslegung der fraglichen Rechtsnorm‘ mehr besteht (s. die EuGH-Empfehlungen an die nationalen Gerichte zu Art. 267 Abs. 3 AEUV, ABlEU 2016, C 439, 1, Rz. 6;) …“

3. Leitsätze „1. (Verluste bis 1998) Die entgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils (ausländische Personengesellschaft) erfüllt den Tatbestand der Nachversteuerung i.S. des § 2a Abs. 4 Nr. 2 EStG (i.d.F. des § 52 Abs. 3 Satz 5 EStG 1997/StBereinG 1999); die unechte Rückwirkung (Übertragung in 1999) ist nicht verfassungswidrig. 2. (Verlust 1999) Die im Jahr 1999 im Zuge der Anteilsveräußerung an den Erwerber geleistete Ausgleichszahlung (Betriebsstätte mit abkommensrechtlicher Freistellung) ist weder einfachrechtlich noch als sog. finaler Verlust unionsrechtlich als Betriebsausgabe abziehbar (Anschluss an das EuGH-Urteil Timac Agro Deutschland vom 17. Dezember 2015 C-388/14, EU:C:2015:829, BStBl II 2016, 362).“

IV. Hinweise 1. Abkommensüberschreibung gem. § 2a EStG 1997 a.F. Die Frage, ob die Hinzurechnungsbesteuerung für Altverluste mit EURecht vereinbar ist, wurde im EuGH-Urteil Timac Agro i.S.d. Lidl-Belgium-Rspr. beantwortet. Hieran hat der BFH nicht gerüttelt, nur war er aus verfahrensrechtlichen Gründen an einem solchem Ausspruch gehindert.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs

2. Anrechnungsmethode Die Vergleichbarkeit ist nach der EuGH-Entscheidung Timac Agro ferner zu bejahen, wenn die ausländischen Betriebsstättenergebnisse nicht von der deutschen Ertragsteuer freigestellt sind, sondern die sog. Anrechnungsmethode vereinbart wird. Vgl. hierzu auch EuGH-Urteil Nordea Bank Danmark,11 dessen einschlägige Rz. 24 lautet: „Zur Vergleichbarkeit der Situationen ist festzustellen, dass in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die der Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, sich Betriebsstätten, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem anderen Staat des EWR-Abkommens belegen sind, grundsätzlich nicht in einer Situation befinden, die mit der Situation gebietsansässiger Betriebsstätten vergleichbar wäre. Jedoch hat das Königreich Dänemark dadurch, dass es die Gewinne der in Finnland, Schweden und Norwegen belegenen Betriebsstätten der dänischen Besteuerung unterworfen hat, diese Betriebsstätten den gebietsansässigen Betriebsstätten im Hinblick auf den Verlustabzug gleichgestellt …“

3. Freistellungsmethode ohne Abkommensüberschreibung für die Rechtslage ab 1999 Das BFH-Urteil I R 2/15 ist gerade mit Blick darauf, dass der I. Senat insoweit von einer erneuten Vorlage an den EuGH abgesehen hat, nicht ohne Kritik geblieben. Dahinter steht auch das Grundsatzproblem, welche Anforderungen an die Klärung einer Rechtsfrage durch den EuGH zu stellen sind. Geht es um einzelfallbezogene Antworten oder sind weitergehende Anforderungen an die systematische Geschlossenheit der EuGH-Rspr. zu stellen?12

11 EuGH v. 17.7.2014 – C-48/13, Nordea Bank, ECLI:EU:C:2014:2087, IStR 2014, 563. 12 Im Schrifttum zustimmend: Brandis, BFH/PR 2017, 249. Kritisch: Frase, BeSt 2017, 27: Paukenschlag; unsicheres Fundament; Linn/Pignot, IWB 2017, 578: Nichtberücksichtigung des freigestellten Verlusts verfassungswidrig; Verstoß gegen Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (Art. 3 GG); Jung/Mielke, IStR 2017, 497. Unentschieden: Sillich/Schneider, GmbHR 2017, 889; Kippenberg, IStR 2017, 496.

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4. Weitere Verfahren a) EuGH C-650/16 (offen) Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret (Dänemark), eingereicht am 19.12.2016 – A/S Bevola, Jens W. Trock ApS/Skatteministeriet. „Vorlagefrage: Steht Art. 49 AEUV einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegen, die einen Abzug für Verluste von gebietsansässigen Zweigniederlassungen zulässt, einen Abzug für Verluste von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Zweigniederlassungen aber auch dann verwehrt, wenn die im Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-446/03 (1)*, Marks & Spencer, Rz. 55 f., angeführten Voraussetzungen vorliegen, sofern der Konzern nicht unter den im Ausgangsverfahren beschriebenen Bedingungen die internationale gemeinsame Besteuerung gewählt hat?“

b) BFH I R 18/16 (Klagerücknahme) Vorinstanz: FG Düss. v. 28.10.2014 – 6 K 50/10 K, EFG 2015, 313 (1 Jahr vor EuGH Timac Agro). Rechtsfrage (juris): Sind finale Verluste einer Betriebsstätte, die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung in Deutschland freizustellen sind und im Quellenstaat nicht mehr verwertet werden können, nach dem EuGH-Urteil Timac Agro vom 17. Dezember 2015 (C-388/14, EU:C:2015:829) nicht mehr aufgrund der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit abzugsfähig?

c) BFH I R 17/15 (offen) Vorinstanz: FG Hamburg v. 6.8.2014 – 2 K 355/12, EFG 2014, 2048. Rechtsfrage (juris): Sind abkommensrechtlich freigestellte „finale“ Verluste einer endgültig geschlossenen ausländischen Betriebsstätte mangels Vergleichbarkeit der Situation in- und ausländischer Betriebsstätten im Inland nicht abzugsfähig?

* Urteil vom 13.12.2005 (EU:C:2005:763).

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5. Sonderfragen Angesichts des linearen Körperschaftsteuersatzes (15 %) war über weitergehende Sonderfragen nicht zu entscheiden. Dies betrifft insbes. die Frage nach der Vergleichbarkeit, wenn eine natürliche Person mit ihren freigestellten Verlusten dem Progressionsvorbehalt unterliegt (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 Nr. 2 EStG)13. Ferner gehört in diesen Zusammenhang der Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode (switch-over), sei es aufgrund des DBA selbst, sei es aufgrund unilateraler Anweisung (z.B. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG).14

6. Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 17.6.2015 Die EU-Kommission hat am 17.6.2015 unter dem Aktionsschwerpunkt 3.1 folgenden Richtlinienvorschlag in Aussicht gestellt:15 „3.1. Verlustabzug innerhalb der EU Bis zur vollständigen Konsolidierung der gemeinsamen Bemessungsgrundlage sollten Unternehmensgruppen die in einem Mitgliedstaat entstandenen Verluste mit den in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Gewinnen verrechnen können. Die Kommission beabsichtigt, einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen. Damit wäre ein größeres Steuerhemmnis für Unternehmen im Binnenmarkt beseitigt. Unternehmen hätten bis auf weiteres die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Verlustausgleichs, so dass nur der Reingewinn in der EU besteuert würde. Damit die in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Verluste nicht zulasten des Besteuerungsstaats gehen, sollen diese Verluste nachbesteuert werden, sobald die Unternehmensgruppe schwarze Zahlen schreibt. Die Kommission plant, in ihren geänderten GKKB-Vorschlag ein entsprechendes Verfahren aufzunehmen.“

Der Europäische Wirtschats- und Sozialausschusses hat sich hierzu dahin geäußert, dass ein solches Verlustausgleichssystem „nicht unangemessen in das Recht der Mitgliedstaaten auf Besteuerung der Gewinne eingreifen sollte, die durch Wirtschaftstätigkeiten auf ihrem Gebiet erzielt werden.“16

13 Zurückhaltend Brandis, BFH/PR 2017, 249, 250; abl. Kippenberg, IStR 2017, 496. 14 Dazu z.B. Sillich/Schneider, GmbHR 2017, 889. 15 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Eine faire und effiziente Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union – Fünf Aktionsschwerpunkte (COM(2015) 302 final). 16 ABl. EU 2016, Nr. C 71, 42, Tz. 1.5. und 3.6.

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7. Richtlinienvorschlag der EU-Kommission v. 25.10.2016 über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (COM (2016) 685) Zwischenzeitlich Vorschlag der EU-Kommission zur Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB).17 Artikel 42 Verlustausgleich und Nachbesteuerung „1. Gebietsansässige Steuerpflichtige, die nach Abzug ihrer eigenen Verluste gemäß Artikel 41 noch immer rentabel sind, können darüber hinaus im selben Steuerjahr durch ihre unmittelbar qualifizierten Tochtergesellschaften gemäß Artikel 3 Absatz 1 oder von einer oder mehreren Betriebsstätten in anderen Mitgliedstaaten entstandene Verluste abziehen. Dieser Verlustausgleich wird für einen begrenzten Zeitraum gemäß den Absätzen 3 und 4 dieses Artikels gewährt. 2. Der Abzug erfolgt im Verhältnis zu der Beteiligung des gebietsansässigen Steuerpflichtigen an seinen qualifizierten Tochtergesellschaften gemäß Artikel 3 Absatz 1 und in voller Höhe für Betriebsstätten. Eine Verringerung der Steuerbemessungsgrundlage des ansässigen Steuerpflichtigen darf in keinem Fall zu einem negativen Betrag führen. 3. Der gebietsansässige Steuerpflichtige fügt alle künftigen Gewinne dieser qualifizierten Tochtergesellschaften gemäß Artikel 3 Absatz 1 oder Betriebsstätten entsprechend dem Betrag der zuvor abgezogenen Verluste zu seiner Steuerbemessungsgrundlage wieder hinzu. 4. Gemäß den Absätzen 1 und 2 abgezogene Verluste werden der Bemessungsgrundlage des gebietsansässigen Steuerpflichtigen automatisch wieder hinzugerechnet, wenn einer der folgenden Umstände zutrifft: (a) bis zum Ende des fünften Steuerjahres, nachdem die Verluste abzugsfähig geworden sind, wurden keine Gewinne wieder hinzugerechnet, oder die hinzugerechneten Gewinne entsprechen nicht dem vollen Betrag der abgezogenen Verluste; (b) die qualifizierte Tochtergesellschaft gemäß Artikel 3 Absatz 1 wird veräußert, liquidiert oder in eine Betriebsstätte umgewandelt; (c) die Betriebsstätte wird veräußert, liquidiert oder in eine Tochtergesellschaft umgewandelt; (d) die Muttergesellschaft erfüllt nicht mehr die Anforderungen des Artikels 3 Absatz 1“

Erwägungsgrund (13) „Um die Liquidität der Unternehmen zu verbessern – beispielsweise durch Kompensation von Anlaufverlusten in einem Mitgliedstaat mit Gewinnen in einem anderen Mitgliedstaat – und die grenzüberschreitende Expansion innerhalb der 17 Vorschlag der EU-Kommission v. 25.10.2016, COM (2016) 685.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Union zu fördern, sollte es Steuerpflichtigen erlaubt sein, vorrübergehend Verluste in ihren unmittelbaren Tochtergesellschaften und Betriebsstätten in anderen EU-Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Hierzu sollten Muttergesellschaften oder Hauptsitze in einem Mitgliedstaat von ihrer Bemessungsgrundlage in einem bestimmten Jahr die im selben Steuerjahr entstandenen Verluste in ihren unmittelbaren Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten in anderen Mitgliedstaaten proportional zu ihrer Beteiligung abziehen können. Die Muttergesellschaft sollte anschließend verpflichtet sein, entsprechend dem Betrag der zuvor abgezogenen Verluste alle künftigen Gewinne dieser unmittelbaren Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten zu ihrer Bemessungsgrundlage wieder hinzuzufügen. Da es wichtig ist, das nationale Steueraufkommen zu sichern, sollten die abgezogenen Verluste ebenfalls automatisch wieder hinzugefügt werden, wenn dies nicht bereits nach einer bestimmten Anzahl von Jahren erfolgt ist, oder wenn an unmittelbare Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten gestellten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind“. Schrifttum: Jakob/Fehling, ISR 2017, 290: fraglich, ob Mitgliedstaaten dem mit Rücksicht auf fiskalische Auswirkungen zustimmen. Hinzu komme geänderte Rspr. des EuGH (s.o. zu II.).

B. Doppelstöckige Personengesellschaft – Zuordnung von Sonderbetriebsvermögen II eines im Ausland ansässigen Gesellschafters I. BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, GmbHR 2017, 425 1. Sachverhalt „1. An der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer 2002 gegründeten GmbH & Co. KG mit einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr (1. April bis 31. März), waren zunächst die Beigeladene zu 1. (spätere Obergesellschafterin), eine Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts, als alleinige Kommanditistin sowie die A Verwaltungsgesellschaft mbH, die keine Anteile am Kapital der Klägerin hielt, als Komplementärin beteiligt. 2. Im Jahr 2002 gewährte die als Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts organisierte C BV, die Alleingesellschafterin der Beigeladenen zu 1., dieser zwei Darlehen i.H.v. insgesamt 66 800 000 t zu dem Zweck, es der Klägerin – über eine Einlage der Beigeladenen zu 1. – zu ermöglichen, ihrerseits Kapitaleinlagen und Anteilserwerbe bei Organgesellschaften der Klägerin, der A GmbH sowie der AD GmbH, vorzunehmen sowie diesen Darlehen zu gewähren. Von den ihr zugewandten Mitteln verwendete die Klägerin im Wirtschaftsjahr 2002/2003 250 000 t für den Erwerb von Anteilen an der A GmbH; in die Kapitalrücklage der AD GmbH wurde ein Betrag von 66 715 000 t eingestellt. 3. Mit Vertrag vom 27.9.2004 brachte die Beigeladene zu 1. mit Wirkung ab dem 1.4.2004 ihren Kommanditanteil an der Klägerin mittels Sacheinlage gegen Ge-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs währung von Gesellschafterrechten in die AE CV ein, deren Struktur der einer deutschen Kommanditgesellschaft entspricht. Gesellschafterin der AE CV, die ausschließlich die Anteile an der Klägerin hielt und keine eigene Geschäftstätigkeit ausübte, war neben der Beigeladenen zu 1. mit einem Anteil von 99 % die Beigeladene zu 2., eine Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts, mit einem Anteil von 1 %. 4. Die Klägerin passivierte die Verbindlichkeiten aus den von der C BV gewährten Darlehen in einer Sonderbilanz der Beigeladenen zu 1. Im Wirtschaftsjahr 2004/ 2005 wurden Zinsen i.H.v. 2 251 276 t als Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. bei der steuerlichen Gewinnermittlung der Klägerin geltend gemacht. Mit Bescheid vom 16.10.2006 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) die Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr 2005 antragsgemäß fest.“

(Die Organgesellschaften erzielten positive Einkünfte; auch für die Klägerin ergaben sich – trotz des Zinsaufwands – insgesamt positive Einkünfte.) „5. Im Anschluss an eine Betriebsprüfung ging das FA davon aus, dass sich durch das Ausscheiden und die Veräußerung des Kommanditanteils an die AE CV der bisherige Finanzierungszusammenhang zu der Beteiligung an der Klägerin gelöst habe und der Zinsaufwand nicht mehr im Rahmen der Gewinnfeststellung der Klägerin zu erfassen sei, und erließ am 2.8.2007 einen entsprechend geänderten Feststellungsbescheid für 2005. 6. Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage wurde stattgegeben (FG Düss. v. 4.7.2012 – 9 K 3955/09 F, FR 2013, 657).“

Die Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückweisung der Sache an das FG.18 Die Entscheidung beschäftigt sich in einem ersten ausführlicheren Teil mit der bis dahin nicht geklärten Frage, ob zum Gesamtgewinn der Unterpersonengesellschaft auch Refinanzierungsaufwendungen des nur mittelbaren Mitunternehmers (= Gesellschafter der Oberpersonengesellschaft; vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG) gehören, die diesem im Zusammenhang mit der Finanzierung seiner Einlage bei der Unterpersonengesellschaft entstehen. Der I. Senat hat dies für den anhängigen Streitfall bejaht. Auf die Ausführungen zu den Rz. 10–32 sowie die Anmerkungen (nachfolgend zu II.) darf insoweit verwiesen werden.19 Im Folgenden werden deshalb nur die Urteilserwägungen zum grenzüberschreitenden Kontext wiedergegeben. 18 BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, DStR 2017, 589 = GmbHR 2017, 425. 19 Vgl. hierzu auch den Juris-Orientierungssatz: „Bei einem unmittelbar beteiligten Mitunternehmer sind sowohl das Sonderbetriebsvermögen als auch damit zusammenhängende Sonderbetriebsausgaben im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung auf Ebene der Gesellschaft auch dann

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2. Aus den Gründen (Auszug) (Revision des FA nur teilweise begründet) „9. Auf die Revision des FA wird … die … an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat zwar im angefochtenen Urteil ohne Rechtsfehler erkannt, dass die Zinszahlungen der Beigeladenen zu 1. in dem die Klägerin betreffenden Feststellungsbescheid dem Grunde nach als Sonderbetriebsausgaben zu berücksichtigen sind. Es hat jedoch nicht geprüft, ob auf Grundlage von § 8a Abs. 1 … KStG a.F. verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) anzusetzen sind; die dazu erforderlichen Feststellungen sind nachzuholen. (Zinsen als Teil der inländischen Einkünfte) 33. 3. Die Zinszahlungen der in den Niederlanden ansässigen Beigeladenen zu 1. sind bei der Ermittlung von im Inland körperschaftsteuerpflichtigen Einkünften zu berücksichtigen und unterliegen damit der Feststellung gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO (…). (Zuordnung zu inländischer Betriebsstätte) 34. a) Die Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. sind im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Als solche gehen sie nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG – für die Beigeladene zu 1. als in den Niederlanden ansässige Kapitalgesellschaft i.V.m. §§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 KStG – in die Bemessungsgrundlage der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte ein. Denn für den fraglichen Gewerbebetrieb wurde im Inland eine Betriebsstätte unterhalten, welcher die den Sonderbetriebsausgaben zu Grunde liegenden Darlehen nach den im Rahmen des § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG maßgeblichen Veranlassungsgesichtspunkten (vgl. Senatsurteil vom 20. Juli 1988 I R 49/84, BFHE 154, 465, BStBl II 1989, 140) wirtschaftlich zuzurechnen sind. (Ebenso nach DBA-Niederlande 1959) 35. b) Das aufgrund der beschränkten Steuerpflicht der Beigeladenen zu 1. begründete innerstaatliche Besteuerungsrecht wird nicht durch die Bestimmungen des im Streitjahr anwendbaren Abkommens … DBA-Niederlande 1959 ausgeschlossen. Die Zinszahlungen der Beigeladenen zu 1. sind nach Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 bei der Bemessung der im Inland zu besteuernden Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen zu berücksichtigen. 36. Bezieht danach eine Person mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten als Unternehmer oder Mitunternehmer Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen, dessen Wirkung sich auf das Gebiet des anderen Staates erstreckt, so hat der andere Staat das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nur insoweit, als sie auf eieinzubeziehen, wenn die Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens zu einem Betriebsvermögen des Mitunternehmers gehören. Gleiches muss für den mittelbar beteiligten Gesellschafter der Obergesellschaft gelten, der über § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG gerade einem unmittelbar beteiligten Mitunternehmer gleichgestellt wird (Rz. 29) (Rz. 30)“.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ne dort befindliche Betriebsstätte des Unternehmens entfallen. Gemäß Art. 5 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 sollen der Betriebsstätte diejenigen Einkünfte zugewiesen werden, die sie erzielt hätte, wenn sie sich als selbständiges Unternehmen mit gleichen oder ähnlichen Geschäften unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen befasste und Geschäfte wie ein unabhängiges Unternehmen tätigte. (Zugehörigkeit zu Unternehmensgewinnen, Art. 5 DBA-Niederlande 1959) 37. aa) Die von der Beigeladenen zu 1. aufgenommenen Darlehen und die dafür gezahlten Schuldzinsen sind nicht einem – gegenüber Art. 5 DBA-Niederlande 1959 vorrangigen … anderen Verteilungsartikel zuzuordnen. Insbesondere muss die Anwendung des Art. 13 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 (Dividenden) aufgrund der Eigenschaft der Klägerin sowie der AE CV als Personengesellschaften ausscheiden. Da weder Art. 13 DBA-Niederlande 1959 noch Nr. 10 des Schlussprotokolls zu den Art. 5, 7 und 13 DBA-Niederlande 1959 (BGBl II 1960, 1794, BStBl I 1960, 394) eine Definition des Dividendenbegriffs enthalten (Senatsurteil vom 9. April 1997 I R 178/94, BFHE 183, 114, BStBl II 1997, 657) und gleichzeitig ein dem Art. 10 Abs. 3 … OECD-MustAbk) entsprechender Verweis auf das Recht des Ansässigkeitsstaates fehlt, ist nach der allgemeinen Regelung des Art. 2 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 das Recht des Anwenderstaates maßgeblich (…). Mithin ist – ungeachtet des niederländischen Steuerrechts – die Einordnung als mitunternehmerische Einkünfte nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auch abkommensrechtlich maßgeblich. (§ 50d Abs. 10 EStG nicht einschlägig) 38. bb) Es kann dahinstehen, ob der durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (AmtshilferichtlinieUmsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG –) vom 26. Juni 2013 (BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 802) neu gefasste § 50d Abs. 10 EStG, nach dessen Satz 2 durch das Sonderbetriebsvermögen veranlasste Aufwendungen für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als Teil des Unternehmensgewinns gelten, einen Zusammenhang mit einer geleisteten Sondervergütung erfordert. Einer solchen Umqualifizierung bedarf es unter den Gegebenheiten des Streitfalls nicht, da die Zinszahlungen der Beigeladenen zu 1. bereits nach dem DBA-Niederlande 1959 den Vorschriften über Unternehmensgewinne unterfallen (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 2016 I R 49/14, BFHE 253, 115). Zudem ist im Streitfall nicht darüber zu entscheiden, ob die Anwendung von § 50d Abs. 10 EStG gemäß § 52 Abs. 59a Satz 10 EStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG in allen Fällen, in denen die Einkommen- und Körperschaftsteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgebot und damit dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG genügt (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 I R 4/13, BFHE 244, 1, BStBl II 2014, 791). (inländische Betriebsstätte des mittelbaren Mitunternehmers) 39. cc) Die Beigeladene zu 1. übt im Inland eine gewerbliche Tätigkeit durch eine hier gelegene Betriebsstätte aus. Die Betriebsstätten einer Personengesellschaft sind abkommensrechtlich deren Gesellschaftern als eigene zuzurechnen (Senatsurteile vom 29. Januar 1964 I 153/61 S, BFHE 78, 428, BStBl III 1964, 165; … vom

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs 17. Oktober 2007 I R 5/06, BFHE 219, 518, BStBl II 2009, 356). Dieser Grundsatz gilt für doppelstöckige Personengesellschaften sinngemäß; er führt hier dazu, dass die Betriebsstätten der Untergesellschaft abkommensrechtlich Betriebsstätten der Gesellschafter der Obergesellschaft sind (Senatsurteile vom 13. Februar 2008 I R 75/07, BFHE 220, 489, BStBl II 2010, 1028 …). (KSt-Pflicht der AE CV (Obergesellschaft) in den Nl unerheblich) 40. Ob die AE CV in den Niederlanden als ‚open commanditaire vennootschap‘ wie eine juristische Person der Körperschaftsteuer unterliegt …, ist unerheblich. Die Frage, welcher Person bestimmte Einkünfte nach steuerlichen Gesichtspunkten zuzurechnen sind, ist nicht Gegenstand der abkommensrechtlichen Zuordnung des Besteuerungssubstrats. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine unilateral eigenständig zu beantwortende Rechtsfrage, die Art. 2 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 dem jeweiligen Anwenderstaat – hier Deutschland – überantwortet (vgl. Senatsurteile vom 25. Mai 2011 I R 95/10, BFHE 234, 63, BStBl II 2014, 760 zum DBA mit Ungarn; vom 20. August 2008 I R 39/07, BFHE 222, 509, BStBl II 2009, 234 zum DBA mit den Vereinigten Staaten von Amerika; Senatsbeschluss vom 19. Mai 2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156 zum DBA mit Spanien). Aufgrund ihrer demnach auch für Zwecke der Abkommensanwendung maßgeblichen Vergleichbarkeit mit einer deutschen Kommanditgesellschaft kann die AE CV als Obergesellschaft der Beigeladenen zu 1. eine von der Klägerin als Untergesellschaft unterhaltene Betriebsstätte vermitteln. (Art. 5 Abs. 2 DBA-Nl 1959: Zuordnung gem. Fremdvergleich) 41. dd) Nach Art. 5 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 sollen der Betriebsstätte diejenigen Einkünfte zugewiesen werden, die sie erzielt hätte, wenn sie sich als selbständiges Unternehmen mit gleichen oder ähnlichen Geschäften unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen befasste und Geschäfte wie ein unabhängiges Unternehmen tätigte. Dabei sind die Einkünfte der Betriebsstätte – ähnlich wie dem nach seinem Wortlaut vergleichbaren Art. 7 Abs. 2 Halbsatz 1 OECD-MustAbk 2010 (vgl. Mick in Wassermeyer, Niederlande Art. 5 Rz. 37) – dem Fremdvergleichsgrundsatz (‚dealing at arm’s length‘) zuzuordnen. 42. Die Betrachtung der inländischen Betriebsstätte als wirtschaftlich selbständige Einheit bedeutet aber nicht, dass ohne Weiteres auch die der inländischen Betriebsstätte von dem Stammhaus zugeführte Kapitalausstattung ganz oder teilweise als Fremdkapital anzusehen ist und ein entsprechender Zinsaufwand zu fingieren ist (vgl. BFH-Urteile vom 25. Juni 1986 II R 213/83, BFHE 147, 264, BStBl II 1986, 785 zum DBA mit Frankreich; vom 21. Januar 1972 III R 57/71, BFHE 104, 471, BStBl II 1972, 374 zum DBA mit dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland vom 26. November 1964; s.a. Senatsurteil vom 20. Juli 1988 I R 49/84, BFHE 154, 465, BStBl II 1989, 140). Dies gilt für den Streitfall insbesondere angesichts der Bestimmung in Nr. 6 Satz 2 Halbsatz 2 des Schlussprotokolls zu Art. 5 DBA-Niederlande 1959, wonach Zinsen zwischen den Betriebsstätten desselben Unternehmens mit der Folge unbeachtlich sind, dass – jedenfalls insoweit – eine Fiktion von Leistungsbeziehungen zwischen den Unternehmensteilen ausgeschlossen ist (so auch noch Nr. 41 des OECD-Musterkommentars 2008 zu

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Art. 7 OECD-MustAbk 2008; s. für den ‚Functionally Separate Entity Approach‘ in Nr. 29 des OECD-Musterkommentars 2010 zu Art. 7 Abs. 2 OECD-Mustabk 2010 Senatsurteil vom 17. Juli 2008 I R 77/06, BFHE 222, 402, BStBl II 2009, 464). (Kein Dotationskapital – unternehmerische Entscheidung des Stammhauses) 43. Gibt das Stammhaus – wie hier die Beigeladene zu 1. – im Anschluss an eine Kreditaufnahme Beträge an die inländische Betriebsstätte, bedarf es damit stets der Prüfung, ob und inwieweit eine Weitergabe aufgenommener Fremdmittel oder eine Dotation aus eigenen Mitteln der Gesellschaft vorliegt. Dabei kommt der unternehmerischen Entscheidung des Stammhauses besondere Bedeutung zu (BFHUrteil in BFHE 147, 264, BStBl II 1986, 785 zum DBA mit Frankreich). Erforderlich ist die Zweckbestimmung für die Belange der Betriebsstätte (Senatsurteil vom 27. Juli 1965 I 110/63 S, BFHE 84, 69, BStBl III 1966, 24 zum DBA mit der Schweiz vom 15. Juli 1931; s.a. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 24. Dezember 1999, BStBl I 1999, 1076, dort Tz 3.3). Dieser Zuordnungsmaßstab deckt sich im Ergebnis mit der Zurechnung nach Veranlassungsgesichtspunkten, wie sie nach der innerstaatlichen Regelungslage des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG geboten ist (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 2009 I R 99/08, BFHE 227, 83, BStBl II 2011, 1019 zum DBA mit Belgien; Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 I R 4/13, BFHE 244, 1, BStBl II 2014, 791 zum DBA mit Italien; s.a. Wacker in Lüdicke, Aktuelle Problemfelder im Internationalen Steuerrecht, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 45, S. 77, 115). Diese direkte Zuordnung entspricht im Streitfall auch Nr. 6 Satz 1 und Nr. 7 des Schlussprotokolls zu Art. 5 DBA-Niederlande 1959, wonach bei der Ermittlung der aus der Tätigkeit einer Betriebsstätte erzielten Einkünfte grundsätzlich vom Bilanzergebnis der Betriebsstätte auszugehen ist und der Gesamtgewinn eines Unternehmens nur in besonders gelagerten Fällen aufgeteilt werden kann (vgl. Kroppen in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 5 DBA-Niederlande Rz 8). (Maßgeblich: tatsächliche Darlehensverwendung) 44. Nach diesen Maßstäben sind das negative Sonderbetriebsvermögen der Beigeladenen zu 1., das nach den bindenden Feststellungen des FG zu dem Zweck aufgenommen wurde, der Beigeladenen zu 1. die Mittel zu verschaffen, um der Klägerin zu ermöglichen, Kapitaleinlagen und Anteilserwerbe bei ihren Organgesellschaften vorzunehmen, sowie die dafür entstandenen Zinsen der Klägerin ihrer Inlandsbetriebsstätte i.S. von Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 zuzuordnen (vgl. auch Brandenberg, DStZ 2015, 393, 397; Hruschka, Internationales Steuerrecht – IStR – 2014, 785, 792; derselbe, DStR 2014, 2421, 2426; Wacker in Lüdicke, a.a.O., S. 77, 114 f.). (Keine Mitunternehmer-Betriebsstätte der Obergesellschafterin) 45. Eine möglicherweise anderweitige Zuordnung der Darlehen und des daraus folgenden Zinsaufwands zu einer Betriebsstätte der Beigeladenen zu 1. in den Niederlanden scheidet im Streitfall aus. Insbesondere vermittelt die Beteiligung an der AE CV der Beigeladenen zu 1. keine (weitere) Betriebsstätte. Bei dem bloßen Innehaben der Beteiligung an der Klägerin durch die AE CV handelt es sich bei der abkommensrechtlich gebotenen isolierten Betrachtung nicht um eine unterneh-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs merische Betätigung, welche allein eine Betriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinn begründen könnte (vgl. Senatsurteil vom 12. Juni 2013 I R 47/12, BFHE 242, 107, BStBl II 2014, 770 zum DBA mit Thailand). Es ist auch nichts dafür ersichtlich oder dargetan, dass die von der Beigeladenen zu 1. aufgenommenen Darlehen und der daraus folgende Zinsaufwand in einem vorrangigen Veranlassungszusammenhang zu einem von der Beigeladenen zu 1. unterhaltenen gewerblichen Unternehmen stünden. (Rechtsprechung zur tatsächlich funktionalen Zuordnung nicht einschlägig) 46. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Senatsurteilen vom 8. September 2010 I R 74/09 (BFHE 231, 84, BStBl II 2014, 788) und vom 17. Oktober 2007 I R 5/06 (BFHE 219, 518, BStBl II 2009, 356). Zwar können danach Rechte oder Vermögenswerte nach dem Maßstab der tatsächlichen funktionalen Zuordnung nur dann zu einer Betriebsstätte gehören, wenn sie aus der Sicht der Personengesellschaft einen Aktivposten bilden. Jedoch betraf dies lediglich die Auslegung des Rückverweises für von der Personengesellschaft geschuldete Lizenzgebühren und Zinsen, nicht hingegen die vorliegend zu beurteilende Finanzierung der Einlage des Gesellschafters (Mitunternehmers). (Keine Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG n.F.) 47. 4. Entgegen der Ansicht des FA steht der Berücksichtigung der Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin als Organträgerin i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG nicht entgegen. Danach bleiben negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden. (Nicht entscheidungserhebliche Streitfragen) 48. Dabei braucht der Senat nicht darauf einzugehen, ob die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25. Juli 2014 (BGBl I 2014, 1266, BStBl I 2014, 1126) geltende Fassung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG in allen noch nicht bestandskräftig veranlagten Fällen einen verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensschutz vermittelt. Ebenso ist nicht darauf einzugehen, ob die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auf Personengesellschaften als Organträger i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG Anwendung findet (verneinend z.B. Schaden/Polatzky, IStR 2013, 131, 134; bejahend z.B. Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 271; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 498) und ob sich der Anwendungsbereich der Vorschrift auf negative Einkünfte des Organträgers beschränkt, die ihre Ursache im Organschaftsverhältnis – d.h. in der Zurechnung eines negativen Einkommens der Organgesellschaft – haben (bejahend z.B. Kolbe in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz. 275 …). Ferner ist unerheblich, ob § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG die abkommensrechtliche – im Streitfall nach Art. 20 Abs. 3 DBA-Niederlande 1959 bilateral vereinbarte – Anrechnungsmethode verdrängt, deren Rechtsfolge gerade die Einbeziehung von positiven wie negativen Einkünften in

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Bemessungsgrundlage beider Vertragsstaaten ist (vgl. Senatsurteile vom 18. Dezember 2013 I R 71/10, BFHE 244, 331, BStBl II 2015, 361; vom 14. Juli 1976 I R 86/74, BFHE 119, 521, BStBl II 1977, 97). (Jedenfalls keine negativen Einkünfte der Organträgerin [= Klägerin] – keine „isolierte“ Betrachtung) 49. All dies braucht nicht entschieden zu werden, da es im Streitfall schon an negativen Einkünften der Klägerin als Organträgerin fehlt. Für die Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG sind die konsolidierten Einkünfte des Organträgers nach der Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft maßgeblich (Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 966 f.; s.a. Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 14 Rz 453; Schneider/Schmitz, GmbHR 2013, 281, 282 f. …), da der Gesetzgeber die Verlustabzugsbeschränkung gerade der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG zugewiesen und damit in den Zusammenhang der Einkommenszurechnung als Rechtsfolge der Organschaft gestellt hat. Zudem sollte nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/10774, S. 20) die durch das … Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35) eingeführte Vorgängerfassung, die ausschließlich auf negatives Einkommen des Organträgers abgestellt hatte, auf Organgesellschaften ausgedehnt werden. Da aber die Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft gerade Rechtsfolge des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG ist und damit kein (negatives) Einkommen bei dieser verbleibt, muss sich eine Verlustabzugsbeschränkung – soll die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG nicht für die Organgesellschaften leerlaufen – bereits auf deren Einkünfte beziehen. Stellt der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund nunmehr nicht auf das Einkommen des Organträgers ab, sondern bezieht den Begriff der Einkünfte alternativ (‚oder‘) auf Organträger und Organgesellschaft, kann daraus nicht auf eine isolierte Betrachtung der eigenen Einkünfte des Organträgers geschlossen werden. Von diesem Verständnis geht auch die Gesetzesbegründung aus, wenn sie § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG in Fällen für anwendbar hält, in denen die negativen Einkünfte einer doppelt ansässigen Organgesellschaft im Rahmen der Besteuerung im ausländischen Staat mit positiven Einkünften eines Gruppenträgers ausgeglichen oder abgezogen werden. 50. Zugleich werden durch die Verwendung des Einkünftebegriffs als Saldogröße einzelne, bei dem Organträger angefallene Betriebsausgaben nicht vom Abzug ausgeschlossen, sofern auf Ebene des Organträgers insgesamt positive Einkünfte vorliegen (Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, a.a.O., § 14 Rz. 449 …). (Insgesamt positive Einkünfte der Klägerin – trotz Zinsaufwand) 51. Im Streitfall übersteigt das im Rahmen der Organschaft zuzurechnende Einkommen – auch unter Berücksichtigung der Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. – die auf Ebene der Klägerin als Organträgerin festzustellenden (negativen) Einkünfte; es liegen positive konsolidierte Einkünfte der Klägerin vor. Unerheblich ist damit, ob – wozu sich das FG nicht geäußert hat – die Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. bei deren Besteuerung in den Niederlanden oder in einem anderen ausländischen Staat berücksichtigt wurden.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Keine Abzugssperre gem. § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG wegen Überentnahmen) 52. 5. Ebenso wenig steht dem Abzug der Darlehenszinsen als Sonderbetriebsausgaben die Regelung des § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG entgegen. 53. Danach sind Schuldzinsen nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahrs übersteigen (§ 4 Abs. 4a Satz 2 EStG). Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 v.H. der Überentnahme des Wirtschaftsjahrs zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt (§ 4 Abs. 4a Satz 3 EStG). Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2 050 t verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 4 Abs. 4a Satz 4 EStG). (Vorschrift zwar auch bei Mitunternehmer-Kapitalgesellschaft anwendbar) 54. Unerheblich ist, ob die Vorschriften über die Entnahme durch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG verdrängt werden und die Einschränkung des Zinsabzugs nach § 4 Abs. 4a EStG im Rahmen der Gewinnermittlung der Beigeladenen zu 1. als Kapitalgesellschaft Anwendung findet (verneinend z.B. … Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz 535 …). Die Regelungen zur Entnahme – und damit auch § 4 Abs. 4a EStG – kommen jedenfalls in den Fällen zur Anwendung, in denen eine Kapitalgesellschaft als Mitunternehmerin an einer Personengesellschaft beteiligt ist (…). Dies gilt auch, soweit – wie im Streitfall – ein mittelbar über eine Personengesellschaft beteiligter Gesellschafter nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG als Mitunternehmer anzusehen ist (BFH-Urteil in BFHE 244, 560, BStBl II 2014, 621). 55. Die Gewinnhinzurechnung gemäß § 4 Abs. 4a EStG ist auf Grundlage des Anteils des einzelnen Mitunternehmers am Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft sowie dem Saldo seiner Entnahmen und Einlagen zu bestimmen. Einzubeziehen sind dabei auch Schuldzinsen, die einem Gesellschafter im Sonderbetriebsvermögen entstanden sind (sog. gesellschafterbezogene Auslegung; s. BFH-Urteil vom 29. März 2007 IV R 72/02, BFHE 217, 514, BStBl II 2008, 420; s.a. Schmidt/ Wacker, a.a.O., § 15 Rz 430). (Im Streitfall jedoch keine Überentnahme) 56. Im Streitfall ist jedoch nichts dafür dargetan oder erkennbar, dass die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahrs übersteigen. Insbesondere bieten die Feststellungen des FG keine Anhaltspunkte dafür, dass den Einlagen der Beigeladenen zu 1. in Höhe von 66 800 000 t übersteigende Entnahmen gegenüberstehen. (Aber: Gesellschafterfremdfinanzierung gem. § 8a Abs. 1 KStG a.F. offen) 57. 6. Nach § 8a Abs. 1 Satz 1 KStG a.F. sind Vergütungen für Fremdkapital, das eine Kapitalgesellschaft nicht nur kurzfristig von einem Anteilseigner erhalten hat, der zu einem Zeitpunkt im Wirtschaftsjahr wesentlich am Grund- oder Stamm-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kapital beteiligt war, auch vGA, wenn die Vergütungen insgesamt mehr als 250 000 t betragen und wenn eine nicht in einem Bruchteil des Kapitals bemessene Vergütung vereinbart ist (Nr. 1) oder in einem Bruchteil des Kapitals bemessene Vergütung vereinbart ist und soweit das Fremdkapital zu einem Zeitpunkt des Wirtschaftsjahrs das Eineinhalbfache des anteiligen Eigenkapitals des Anteilseigners übersteigt, es sei denn, die Kapitalgesellschaft hätte dieses Fremdkapital bei sonst gleichen Umständen auch von einem fremden Dritten erhalten können (Nr. 2). (Prüfung im Feststellungsverfahren der Klägerin) 58. a) Dabei ist die Entscheidung, ob die von der Beigeladenen zu 1. an die C BV, die als deren Alleingesellschafterin eine wesentliche Beteiligung i.S. des § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG a.F. inne hat, gezahlten Zinsen nach § 8a Abs. 1 Satz 1 KStG a.F. als vGA anzusehen sind und außerbilanziell hinzuzurechnen sind, im Rahmen des die Klägerin betreffenden Feststellungsverfahrens zu treffen. Anders als im Senatsurteil vom 7. Juni 2016 I R 51/14 (BFHE 254, 127) stehen dabei nicht die Auswirkungen der Fiktion des § 8a Abs. 5 Satz 2 KStG a.F., die lediglich Fallgestaltungen erfasst, in denen das Fremdkapital nicht – wie im Streitfall – der Kapitalgesellschaft, sondern einer Personengesellschaft überlassen wurde (BT-Drucks. 15/1518, S. 15; s.a. Wacker, DStR 2004, 1066, 1067 f.), auf den Umfang der auf Ebene der Mitunternehmerschaft zu treffenden Feststellungen in Streit. Vielmehr handelt es sich bei den Zinszahlungen um bei der Klägerin festzustellende Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1., was – aufgrund der untrennbaren Verbindung mit dem Gewinnanteil bei der Klägerin (vgl. Senatsurteil vom 12. März 1980 I R 186/76, BFHE 130, 296, BStBl II 1980, 531; BFH-Urteil vom 23. März 1995 IV R 94/93, BFHE 177, 408, BStBl II 1995, 637) – die Einbeziehung der Frage der außerbilanziellen Hinzurechnung als vGA in das Feststellungsverfahren erfordert (Wacker, DStR 2004, 1066, 1068). (Keine hinreichenden Feststellungen) 59. b) Zwar übersteigt die Zinszahlung die Freigrenze von 250 000 t, jedoch lässt sich den tatrichterlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht entnehmen, ob die Vergütung für das Darlehen i.S. von § 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG a.F. nach einem Bruchteil berechnet wurde. Ebenso wenig hat das FG Feststellungen zur Eigenkapitalausstattung der C BV getroffen noch dazu, ob die Beigeladene zu 1. die Darlehen bei sonst gleichen Umständen auch von einem fremden Dritten erhalten hätte (§ 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG a.F.). (Zurückverweisung an FG) 60. 7. Die Feststellungen sind im zweiten Rechtsgang nachzuholen; das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. 61. Dabei wird das FG zugleich der Frage nachgehen müssen, ob die Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. nach § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes i.d.F des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz) vom 16. Mai 2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003,

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs 321) zu berichtigen sind, was aufgrund der untrennbaren Verbindung mit deren Gewinnanteil im Rahmen des die Klägerin betreffenden Feststellungsverfahrens zu entscheiden ist (vgl. Senatsurteil vom 30. Mai 1990 I R 97/88, BFHE 160, 567, BStBl II 1990, 875) …“

(Leitsatz) „1. Die Gleichstellung des mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligten Gesellschafters mit dem unmittelbar beteiligten Gesellschafter gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG bezieht sich nicht nur auf Sondervergütungen und das Sonderbetriebsvermögen I, sondern auch auf das Sonderbetriebsvermögen II (Rz. 18) (Rz. 20). 2. Negative Einkünfte des Organträgers i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG liegen nur dann vor, wenn bei diesem nach der Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft ein Verlust verbleibt (Rz. 47) (Rz. 49) (Rz. 50).“

II. Anmerkungen Das Urteil berührt – man könnte von einem Lehrbuch- und Examensfall sprechen – eine Vielzahl rechtlicher Facetten. Hierzu einige grobe Striche:20

1. Der innerstaatliche Kontext Zunächst zum innerstaatlichen Kontext und damit zur Frage, ob Darlehen für fremdfinanzierte Einlagen, die bei doppel- oder mehrstöckigen Personengesellschaftskonzernen von den Gesellschaftern der Oberpersonengesellschaft unmittelbar oder mittelbar in das Gesamthandsvermögen der Unterpersonengesellschaft (= die Klägerin des Verfahrens I R 92/12) geleistet werden, zum negativen Sonderbetriebsvermögen II der Obergesellschafter bei der Unterpersonengesellschaft mit der Folge gehören, dass sowohl der Gesamtgewinn dieser Mitunternehmerschaft als auch der Gewinnanteil des nur mittelbar Beteiligten (Obergesellschafter) um die auf die Einlagedarlehen entfallenden Refinanzierungszinsen gemindert werden. Die Antwort ist aus der Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG abzuleiten, nach der „der mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligte Gesellschafter … dem unmittelbar beteiligten Gesellschafter (gleichsteht und) er … als Mitunternehmer des Betriebs der Gesellschaft anzusehen (ist), an der er mittelbar beteiligt ist, wenn er und die Personengesellschaften, die seine Beteiligung vermitteln, jeweils als Mitunternehmer der Betriebe der Personengesellschaften anzusehen sind, an denen sie unmittelbar beteiligt sind.“ 20 Vgl. Wacker, IStR 2017, 286.

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Das Besprechungsurteil legt hierzu dar, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift zwar auf den Beschluss des Großen Senats BFH v. 25.2.199121 reagiert hat, er sich aber nicht auf eine punktgenaue Korrektur bzgl. der Sondervergütungen des mittelbaren Mitunternehmers und seines Sonderbetriebsvermögens I beschränkt, sondern sich für einen ausgreifenden Ansatz – d.h. die prinzipielle Gleichstellung von mittelbarem und unmittelbarem Mitunternehmer – entschieden hat, der jedenfalls auch die Zuordnung von negativen (oder positiven) Sonderbetriebsvermögen II und mithin auch die Zuordnung von Einlagerefinanzierungen zum steuerrechtlichen Gesamtgewinn der Unterpersonengesellschaft umfasst. Dies ist m.E. mit erheblichen Weiterungen verbunden und hat z.B. zur Folge, dass Darlehen, die zum Erwerb von Mitunternehmeranteilen an der Oberpersonengesellschaft aufgenommen werden, anteilig auch in den Betriebsvermögenskreis der Unterpersonengesellschaften eingehen. Der I. Senat konnte dies jedoch offen lassen, da jedenfalls negatives Sonderbetriebsvermögen II nach dem Vorstehenden dann zu bejahen ist, wenn erstens der Gesellschafter seine Einlage in die Unterpersonengesellschaft refinanziert und – wie im Streitfall – erst nach der Einlage die doppelstöckige Struktur durch Einbringung des Anteils an der (Unter-)Personengesellschaft in die Obergesellschaft entsteht, sowie zweitens – s. die Erwägungen des Besprechungsurteils – zum Gesellschaftsvermögen der Obergesellschaft ausschließlich die eingebrachte Beteiligung mit der Folge gehört, dass der zunächst gegebene Finanzierungszusammenhang durch die Einbringung in vollem Umfang gewahrt bleibt. Nichts anderes kann im Grundsatz gelten, wenn die (mittelbare, d.h. über die Obergesellschaft vermittelte) Einlage in die Unterpersonengesellschaft erst nach Begründung der doppel- oder mehrstöckigen Beteiligungskette erbracht wird; auch in diesem Fall muss jedenfalls für die Konstellation des Verfahrens I R 92/12 – zum Gesamthandsvermögen der Oberpersonengesellschaft gehört nur die Beteiligung an der Unterpersonengesellschaft – die Darlehnsschuld nach den Grundsätzen des Besprechungsurteils in vollem Umfang dem (Sonder-)Betriebsvermögen des Obergesellschafters bei der/den Unterpersonengesellschaft(en) zugewiesen werden. Verfügt die Oberpersonengesellschaft über weiteres Vermögen, sind m.E. – worüber der Senat allerdings gleichfalls nicht zu befinden hatte – die Einlagen und damit nach der Regel der Akzessorietät auch die Refinanzierungsdarlehen sowie die hierauf entfallenden Zinsen 21 BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BFHE 163, 1 = BStBl. II 1991, 691 = GmbHR 1991, 281.

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nach Veranlassungsgrundsätzen, d.h. nach Maßgabe der konkreten Verwendung der Darlehensvaluta, aufzuteilen.

2. Extrapolation der Erwägungen auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt Was die Extrapolation dieser Erwägungen auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt anbelangt (hier: Obergesellschafterin: niederländische Kapitalgesellschaft – Obergesellschaft: niederländische haftungsbeschränkte Personengesellschaft [CV] – Untergesellschaft: deutsche KG), beruht das Urteil I R 92/12 im Ausgangspunkt auf einer Reihe festgefügter Rechtssätze. Zum einen auf der steuerrechtlichen Einkünftezurechnung nach Maßgabe des im jeweiligen Anwenderstaat geltenden Rechtsverständnisses mit der Folge, dass die AE CV (Oberpersonengesellschaft) – ungeachtet ihrer (intransparenten) Behandlung im Ansässigkeitsstaat (Niederlande) – nach dem sog. Typenvergleich als für ertragsteuerrechtliche Zwecke der Bundesrepublik transparente Personengesellschaft zu qualifizieren ist, diese – ebenso wie eine inländische KG – der gewerblichen Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) unterfällt und demgemäß auch den mitunternehmerschaftlichen Anforderungen an eine Obergesellschaft i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2, vorletzter Halbs. EStG genügt. Zum anderen, dass nicht nur in einstöckigen, sondern auch in doppel- und mehrstöckigen Personengesellschaftsstrukturen die Betriebsstätten der (Unter-)Personengesellschaft abkommensrechtlich Betriebsstätten der Gesellschafter der (Ober-)Personengesellschaft sind sowie – nicht zuletzt – allein die mitunternehmerschaftliche Beteiligung an einer Personengesellschaft dem Mitunternehmer nach Abkommensrecht keine weitere Betriebsstätte vermittelt, die neben die aus der gesamthänderischen Beteiligung fußende Zurechnungsbetriebsstätte treten würde.

3. Die Zurechnung des Darlehens zur inländischen Betriebsstätte Näherer Betrachtung bedürfen die Aussagen zur Zurechnung des Darlehens zur inländischen Betriebsstätte der Klägerin.

a) Das Veranlassungsprinzip als Ausgangspunkt Auszugehen ist hierbei vom Veranlassungsprinzip und damit der Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verwendung der Darlehensvaluta als allgemeiner Zurechnungsgrundsatz des deutschen Ertragsteuerrechts. Im

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Streitfall waren hiernach – wie erläutert – die Refinanzierungsdarlehen der Oberpersonengesellschafterin ihrer inländischen Betriebsstätte zugewiesen.

b) Art. 5 DBA-Niederlande 1959 Hierbei blieb es auch im Rahmen der DBA-rechtlichen Zuordnung nach Art. 5 DBA-Niederlande 1959, nach der die Betriebsstättenergebnisse nach dem (eingeschränkten) Maßstab des Fremdvergleichs („dealing at arm’s length“) abzugrenzen sind und demgemäß das Ergebnis der Veranlassungsprüfung (s.o.) an den Grundsätzen zum Dotationskapital zu messen ist. Mit Rücksicht auf die Bedeutung, die nach der Rspr. der unternehmerischen Entscheidung über die Eigen- und Fremdkapitalausstattung zukommt, war auch unter diesem Blickwinkel die innerstaatliche Zurechnung – d.h. die Zuweisung des Refinanzierungskredits nach Maßgabe der tatsächlichen Verwendung der Darlehensvaluten für Zwecke der inländischen Betriebsstätte der Klägerin (s.o.) – zu bestätigen. Auf die Erläuterungen des Besprechungsurteils darf insoweit verwiesen werden.

c) Der Authorized OECD Approach (AOA) Nur zur Abrundung der Hinweis, dass unter Geltung des sog. Authorized OECD Approach (AOA) zwar gleichfalls das Veranlassungsprinzip zu beachten ist, bspw. dann, wenn der im Ausland ansässige und nur im Inland unternehmerisch tätige Kommanditist seine Kommanditeinlage fremdfinanziert.22 Geht es jedoch – wie im Fall I R 92/12 – um das Dotationskapital der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens (Stammhauses), so ist nach dem AOA die der fremdüblichen Ergebnisaufteilung zugrunde liegende Annahme der Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Stammhaus und Betriebsstätten auf eine Funktions- und Risikoanalyse der jeweiligen Einheiten zu stützen (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010/2014; Art. 7 Abs. 2 DBA-Niederlande 2012) und gemäß der Konkretisierung in § 1 Abs. 5 Satz 3 ff. AStG sowie der hierzu ergangenen Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV)23 der inländischen Betriebsstätte das angemessene Eigenkapital (Dotationskapital) nach der sog. Kapitalaufteilungsmethode zuzuordnen (§ 1 Abs. 5 22 Siehe Wacker in Lüdicke, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 35, 77 (115). 23 Verordnung v. 13.10.2014, BGBl. I 2014, 1603.

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Satz 3 Nr. 4 AStG iVm § 1 Abs. 2 Nr. 3 und § 12 BsGaV); dies kann im Vergleich zum Veranlassungsprinzip (Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verwendung der Kreditmittel) zu einer Verengung des Zurechnungszusammenhangs und damit zu einer Erhöhung des inländischen Dotationskapitals führen.24

d) Der Betriebsstättenvorbehalt Zurück zum Besprechungsfall (I R 92/13) und damit zu der Erwägung, dass die Schuldenzurechnung nach dem Veranlassungsprinzip gem. Art. 5 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 auch nicht durch den sog. Betriebsstättenvorbehalt (vgl. z.B. für Zinsen Art. 11 Abs. 4 OECD-MA) in Frage gestellt wurde.25 Bekanntlich bejaht zwar der I. Senat des BFH in st.Rspr. die dort geforderte tatsächliche Betriebsstättenzugehörigkeit einer zinstragenden Forderung nur unter der Voraussetzung, dass sie aus Sicht der Personengesellschaft zu den Aktiva gehört; Gesellschafterdarlehen (d.h. Darlehen der Gesellschafter einer Personengesellschaft an diese) unterstehen mithin – da ihnen eine Verbindlichkeit der Gesamthand korrespondiert – trotz ihrer Zugehörigkeit zum Sonderbetriebsvermögen I i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht dem Betriebsstättenvorbehalt. Im Streitfall fehlte es aber bereits im Ausgangspunkt an einer solchen Konkurrenz zweier DBA-Zuteilungsnormen, da die Obergesellschafterin aus ihrer Einlage weder Zins- noch Dividendeneinkünfte (Art. 11 und 12 OECD-MA), sondern (unmittelbar) unternehmerische Einkünfte erzielte und damit auch die Betriebsstättenvorbehalte der Zins- und Dividendenartikel nicht zum Tragen kommen konnten. Demgemäß konnte und musste auch unter diesem Blickwinkel (ausschließlich; s.o.) das Veranlassungsprinzip darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang die Zinsen der Obergesellschafterin das inländische Betriebsstättenergebnis mindern.

4. Unterlassene Prüfung etwaiger Zinsabzugsschranken Der Rechtsstreit war indes mit Rücksicht darauf, dass die Vorinstanz etwaige Zinsabzugsschranken nicht geprüft hatte, an das FG zurückzuverweisen. 24 S. nunmehr auch BMF, Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung – VWG BsGa – v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/ 1066571, BStBl. I 2017, 182, Rz. 129 ff. 25 Zweifelnd Kahlenberg, GmbHR 2017, 203.

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a) Einwand einer doppelten Berücksichtigung („double dip“) Keine Sperre begründete allerdings der im Revisionsverfahren vorgetragene Einwand, dass die – als Sonderbetriebsausgaben anzusetzenden – Refinanzierungszinsen u.U. auch in den Niederlanden bei der Besteuerung der dort ansässigen Oberpersonengesellschafterin berücksichtigt worden sind (sog. „double dip“). Die Erwägung konnte bereits deshalb nicht greifen, weil die deutschen Betriebsstätteneinkünfte in den Niederlanden nicht freigestellt waren, sondern nach Art. 20 Abs. 3 DBANiederlande 1959 nur der Steueranrechnung unterlagen. Nicht eindeutig erscheint, ob dieses Ergebnis sich auch unter Berücksichtigung der durch das sog. BEPS-UmsG26 eingefügten und zwischenzeitlich bereits überarbeiteten27 Regelung des § 4i EStG nF einstellen würde.28 Zwar ist nach Satz 2 dieser Vorschrift der inländische Sonderbetriebsausgabenabzug dann nicht gesperrt, wenn die Aufwendungen Erträge mindern, die bei demselben Stpfl. sowohl der inländischen als auch nachweislich der tatsächlichen Besteuerung im anderen Staat unterliegen. Mit anderen Worten: Der zweifache (Sonder-)Betriebsausgabenabzug ist auch hier grundsätzlich die systemgerechte Folge der Besteuerung der nämlichen Erträge durch beide Staaten (Ansässigkeits- und Quellenstaat). Zweifelhaft ist dabei aber zum einen, ob die abgeführten Gewinne der Organgesellschaften zu im anderen Staat steuerpflichtigen (Ausschüttungs-)Erträgen i.S.v. § 4i Satz 2 EStG führen (s.o.) oder ob die Erträge dort nicht – aufgrund einer § 8b KStG vergleichbaren Vorschrift – freigestellt sind. Zweifelhaft ist zum anderen, ob im Rahmen der von § 4i Satz 2 EStG geforderten Nämlichkeitsprüfung („Erträge desselben Steuerpflichtigen …“; hier: Obergesellschafterin = Beigeladene) von der Transparenz der AE CV (Oberpersonengesellschaft) gemäß der inländischen ertragsteuerrechtlichen Beurteilung (Typenvergleich) oder – wofür der Gesetzeswortlaut spricht („tatsächliche Besteuerung“) – von deren Behandlung im anderen Staat und damit von der u.U. gegebenen (s. Besprechungsurteil zu Rz. 40) Körperschaftsteuerpflicht (Intransparenz) der Oberpersonengesellschaft (AE CV) nach niederländischen Recht auszugehen ist.

26 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 27 Vgl. Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz v. 23.6.2017, BGBl. I 2017, 1682. 28 Vgl. dazu auch Kahlenberg, GmbHR 2017, 203.

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b) Zinsabzugssperre gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG n.F.? Keine Zinsabzugssperre entfaltete ferner die rückwirkend eingeführte organschaftliche Beschränkungsregel des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG n.F., nach der negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt bleiben, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden. Abgesehen davon, dass die Vorschrift entgegen ihrer systematischen Stellung nicht die Voraussetzungen der steuerrechtlichen Organschaft dem Grunde nach regelt, sondern lediglich deren Rechtsfolgen i.S. eines partiellen Abzugsverbots beschränkt, und nicht auf das Einkommen der beteiligten Rechtsträger, sondern (ohne weitere Erläuterung) auf den Begriff der (negativen) Einkünfte rekurriert, ist sie nach Wortlaut und unter Berücksichtigung ihrer Einbindung in die organschaftsrechtlichen Sonderbestimmungen des KStG nicht anwendbar, wenn – wie im Streitfall (Klägerin als Organträgerin bzgl. zweier nachgeordneter Kapitalgesellschaften/Organgesellschaften) – weder die Organgesellschaften negative Einkünfte (bzw. negative Einkommen) erzielen noch sich bei der Organträgerin (Klägerin) nach organschaftsrechtlichen Ergebniszurechnungen negative Einkünfte ergeben. Im Übrigen bestehen Zweifel am Tatbestand des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auch insofern, als eine Personengesellschaft (Klägerin) nicht Subjekt der Einkunftserzielung ist und es demgemäß i.S.d. vorgenannten Regelung auch keine negativen Einkünfte der Personengesellschaft als Organträgerin geben kann. Zudem erscheint fraglich, ob der gegenteiligen Ansicht im Wege der Gesetzesauslegung mit dem gängigen methodischen Instrumentarium entsprochen werden kann; dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sich der Gesetzgeber ansonsten durchaus der Zusammenhänge der Transparenzbetrachtung bewusst ist.

c) Überentnahmen gemäß § 4 Abs. 4a EStG? Nach den Verhältnissen des Streitfalls war der Senat ferner der Ansicht, dass die Zinsabzugssperre aufgrund sog. Überentnahmen (§ 4 Abs. 4a EStG) nicht zum Tragen kommt. Zwar ist diese Restriktion nach dem Besprechungsurteil auch für Mitunternehmer-Kapitalgesellschaften zu beachten; jedoch ergaben sich nach den Feststellungen der Vorinstanz keine Anhaltspunkte dafür, dass (bei gesellschafterbezogener Betrachtung) die Entnahmen die Summe aus Gewinnen und Einlagen überschritten hätten.

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d) Gesellschafter-Fremdfinanzierung gemäß § 8a Abs. 1 KStG a.F.? Anders hingegen die Einschätzung des Senats zu den Grenzen der Gesellschafter-Fremdfinanzierung nach § 8a Abs. 1 KStG (a.F.). Der Vorinstanz wurde insoweit aufgegeben, den Tatbestand dieser Norm im zweiten Rechtsgang mit Rücksicht auf die Refinanzierung der Obergesellschafterin bei ihrer Muttergesellschaft (C BV) zu überprüfen. Nach aktueller Rechtslage ergäbe sich insoweit eine Überprüfung anhand der hier nicht näher zu erläuternden Regeln der Zinsschranke (§ 4h EStG i.V.m. § 8a KStG). Aufklärungsbedarf sah der Senat schließlich auch mit Rücksicht auf die Fremdüblichkeit der Darlehenskonditionen (i.S.v. § 1 Abs. 1 und Abs. 4 AStG 2005).

C. Varia I. Hinzurechnungsbesteuerung – Vorlage an EuGH – BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 1. Sachverhalt (gekürzt) Die Klägerin, eine deutsche GmbH, war zu 30 % an einer Schweizer AG beteiligt. Diese erzielte Einkünfte aus abgetretenen Geldforderungen, die vom FA zu Lasten der GmbH als Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfen wurden.

2. Rechtslage gemäß AStG – bisherige Rechtsprechung des EuGH Mithilfe der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz (AStG) versucht der deutsche Fiskus, Gewinnverlagerungen in das niedriger besteuernde Ausland entgegenzuwirken. Bestimmte Einkünfte („Zwischeneinkünfte“) von Auslandsgesellschaften („Zwischengesellschaften“), an denen in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unbeschränkt Stpfl. beteiligt sind und die in ihren Sitzstaaten mit geringeren Ertragsteuersätzen als 25 % besteuert werden, werden unter bestimmten Voraussetzungen den in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern anteilig zugerechnet und bei diesen ähnlich Gewinnausschüttungen besteuert, ohne dass es darauf ankommt, ob die Gesellschafter tatsächlich Gewinnausschüttungen erhalten haben oder nicht.

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Der EuGH hat hinsichtlich einer vergleichbaren britischen Regelung im Jahr 2006 entschieden, dass eine Hinzurechnungsbesteuerung nur dann mit der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, wenn der Stpfl. die Besteuerung durch den Nachweis abwenden kann, dass es sich bei der Beteiligung an der Zwischengesellschaft nicht um eine rein künstliche Gestaltung handelt, die nur dazu dient, den höheren inländischen Steuersätzen zu entgehen (sog. Motivtest). Den deutschen Gesetzgeber hat die EuGH-Rspr. dazu bewogen, für Beteiligungen an Zwischengesellschaften aus EU- und EWR-Staaten ab dem Jahr 2008 eine Entlastungsmöglichkeit durch einen Motivtest gesetzlich zu verankern (§ 8 Abs. 2 AStG).

3. Erwägungen der Vorlage Für in Drittstaaten wie der Schweiz ansässige Zwischengesellschaften gibt es jedoch keine vergleichbare Entlastungsmöglichkeit. Dies könnte nach Auffassung des BFH gegen die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen, die – anders als die Niederlassungsfreiheit – grundsätzlich auch im Verkehr mit Drittstaaten geschützt ist. Die Vorlage, die sich zudem mit weiteren Detailfragen29 befasst, kann allgemein für Beteiligungen an Gesellschaften mit Sitz außerhalb der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) von Bedeutung sein.

4. Leitsätze Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

a) Stand-Still-Klausel anwendbar? „Ist Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 64 Abs. 1 AEUV) dahin auszulegen, dass eine zum 31. Dezember 1993 im Zusammenhang mit Direktinvestitionen bestehende Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern durch einen Mitgliedstaat auch dann nicht von Art. 56 EG (jetzt: Art. 63 AEUV) berührt wird, wenn die zum Stichtag bestehende, den Kapitalverkehr mit dritten Ländern beschränkende einzelstaatliche Rechtsvorschrift im Wesentlichen nur für Direktinvestitionen galt, aber nach dem Stichtag dahin erweitert worden ist, dass sie auch Portfoliobetei-

29 Vgl. weiterführend Brandis, BFH/PR 2017, 200; Cortez/Schmidt, NWB 2017, 1957; Cloer/Holle, FR 2017, 620; Weiss, IWB 2017, 383.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ligungen an ausländischen Gesellschaften unterhalb der Beteiligungsschwelle von 10 % erfasst?“

b) Einfluss von nicht in Kraft getretenen Rechtsänderungen auf die Stand-Still-Klausel? „Falls die erste Frage zu bejahen ist: Ist Art. 57 Abs. 1 EG dahin auszulegen, dass es als Anwendung einer am Stichtag 31. Dezember 1993 bestehenden einzelstaatlichen Rechtsvorschrift zur Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern in Zusammenhang mit Direktinvestitionen anzusehen ist, wenn eine der am Stichtag bestehenden Beschränkung im Wesentlichen entsprechende spätere Rechtsvorschrift zur Anwendung kommt, die zum Stichtag bestehende Beschränkung jedoch nach dem Stichtag aufgrund eines Gesetzes kurzzeitig wesentlich verändert worden ist, welches zwar rechtlich in Kraft getreten, in der Praxis aber nie zur Anwendung gekommen ist, weil es noch vor dem Zeitpunkt seiner erstmaligen Anwendbarkeit auf einen Einzelfall durch die jetzt zur Anwendung kommende Rechtsvorschrift ersetzt worden ist?“

c) Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit durch Drittstaaten-Hinzurechnung? „Falls eine der ersten beiden Fragen zu verneinen ist: Steht Art. 56 EG einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der in die Steuerbemessungsgrundlage eines in jenem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen, der an einer in einem anderen Staat (hier: Schweiz) ansässigen Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt ist, die von dieser Gesellschaft erzielten positiven Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter anteilig in Höhe der jeweiligen Beteiligungsquote einbezogen werden, wenn diese Einkünfte einem niedrigeren Besteuerungsniveau als im erstgenannten Staat unterliegen?“

5. ATAD I – Anti Tax Avoidance Directive Die Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 16.7.2016 (ABl. v. 19.7.2016, L 193, 1, sog. ATAD I) enthält – als Vorgabe eines Mindestschutzniveaus – in Art. 7 Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung für bestimmte passive Einkünfte (Zinsen, Dividenden, Lizenzgebühren etc.), die bei EUSachverhalten unter dem Vorbehalt des Motivtests stehen („Nachweis der wirtschaftlich wesentlichen Tätigkeit“). Bei Drittstaaten wird den Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt, von diesem Vorbehalt abzusehen. Zur Kritik an der Richtlinie z.B. Linn, IStR 2016, 645. Im Übrigen wird auf die gesonderte Darstellung im letzten Teil der Veranstaltung verwiesen.

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II. Freigestellte EU-Betriebsstätten und Progressionsvorbehalt – BFH v. 26.1.2017 – I R 66/15, BFH/NV 2017, 726 1. Sachverhalt (gekürzt) Der mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Kläger hatte seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Er ist ausgebildeter Steuerfachangestellter und betreibt seit 2001 in A (Niederlande) ein Büro als Belastingadviseur. Aus dieser Tätigkeit bezog er positive Einkünfte, die das FA dem Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG unterwarf. Der Einwand des Klägers, dem stehe der Ausnahmetatbestand des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG entgegen, ist weder das FG noch der BFH gefolgt. Letzterer konnte dabei offenlassen, ob der Kläger gewerbliche oder freiberufliche Einkünfte aus seiner Tätigkeit in den Niederlanden erzielt hatte.

2. Einschlägige Vorschriften Die einschlägigen Vorschriften lauten auszugsweise: „§ 32b EStG (1) 1Hat ein zeitweise oder während des gesamten Veranlagungszeitraums unbeschränkt Steuerpflichtiger, … 3. Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfrei sind, … so ist auf das nach § 32a Absatz 1 zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden. 2Satz

1 Nummer 3 gilt nicht für Einkünfte

… 2. aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte, die nicht die Voraussetzungen des § 2a Absatz 2 Satz 1 erfüllt, … § 2a Abs. 2 Satz 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 (Anm.: Verlustverwertungsbeschränkung für gewerbliche Einkünfte) ist nicht anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die negativen Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte in einem Drittstaat stammen, die ausschließlich oder fast ausschließlich die Herstellung oder Liefe-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs rung von Waren, außer Waffen, die Gewinnung von Bodenschätzen sowie die Bewirkung gewerblicher Leistungen zum Gegenstand hat, soweit diese nicht in der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen, die dem Fremdenverkehr dienen, oder in der Vermietung oder der Verpachtung von Wirtschaftsgütern einschließlich der Überlassung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen bestehen …“

3. Leitsätze „1. Nach Abkommensrecht steuerfreie positive und negative Einkünfte aus gewerblichen EU-Betriebsstätten, die den Aktivitätsanforderungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG genügen, unterliegen dem Progressionsvorbehalt. 2. Der in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG enthaltene Verweis auf § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG bezieht sich nur auf die dort enthaltenen Aktivitätsanforderungen.“

4. Anmerkung Der Verweis des § 32b EStG auf § 2a Abs. 2 EStG ist in einem besonders eklatanten Maße missglückt. Nur so ist auch der erhebliche Erläuterungsaufwand des in der Sache zutreffenden Besprechungsurteils zu erklären.30

III. Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG – Keine Verlustberücksichtigung – BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, BFHE 258, 300 1. Sachverhalt Der bisher im Inland wohnhafte Kläger ist zum 1.7.2009 (Streitjahr) nach Österreich gezogen. Er hielt zu diesem Zeitpunkt Anteile von mindestens 1 % an fünf Kapitalgesellschaften (A, B, C, D, E). Bezogen auf die Anschaffungskosten ergaben sich für die Beteiligungen an A und B fiktive Veräußerungsgewinne auf den Wegzugszeitpunkt, die das FA nach Maßgabe von § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG zu 60 % der Einkommensteuer unterwarf. Die hierauf entfallende Einkommensteuer wurde gem. § 6 Abs. 5 AStG zinslos gestundet. In Bezug auf die anderen Beteiligungen des Klägers ergaben sich nach dem Ergebnis der tatsächlichen Verständigung fiktive Veräußerungsverluste auf den Wegzugszeitpunkt von … t (C),

30 Zur Entscheidung s. weiterführend Kahlenberg, IWB 2017, 467; Kahlenberg, ISR 2017, 267.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs

… t (D) und … t (E). Sie wurden vom FA bei der Steuerfestsetzung nicht berücksichtigt. Diese Einschätzung hat der BFH bestätigt.31 Er hat hierbei seine zur früheren Fassung des § 6 AStG ergangene Rspr. auch im Rahmen der Neufassung der Vorschrift durch das SEStEG (Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006 [BGBl. I 2006, 2782 = BStBl. I 2007, 4]) bestätigt.

2. Leitsatz „§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG ist auch nach den Modifikationen durch das SEStEG dahin auszulegen, dass er nur für die Fälle auf § 17 EStG verweist, in denen der gemeine Wert der Anteile zu dem für die Besteuerung maßgebenden Zeitpunkt die Anschaffungskosten übersteigt (Anschluss an das Senatsurteil vom 28. Februar 1990 I R 43/86, BFHE 160, 180, BStBl II 1990, 615).“

3. Anmerkungen –

Offen blieb, ob ein nach Wegzug tatsächlich realisierter Veräußerungsverlust im Inland noch geltend gemacht werden kann.



Eine ganz andere Frage ist, ob die aktuelle Fassung des § 6 AStG, die ja auf die Rspr. des EuGH zurückgeht und sich grundlegend von den Regeln zur gegenständlichen Entstrickung (z.B. Übertragung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten) unterscheidet, aufgrund der jüngeren Judikatur des EuGH (s. EuGH v. 21.12.2016 – C-503/14 [Kommission gegen Portugal], ECLI:EU:C:2016:979, ABl. EU 2017, Nr. C 53, 2–3 = IStR 2017, 69), nicht zu Lasten der Stpfl. verschärft werden kann oder muss.32



Anderer Ansicht ist offenbar das FG Baden-Württemberg,33 das für den Wegfall des Wegzugs eines deutschen Staatsangehörigen in die Schweiz i.V.m. mit der ESt.-Festsetzung gem. § 6 AStG (Beteiligung an Schweizer GmbH) den EuGH wegen der Vereinbarkeit der Wegzugsbesteuerung mit dem EU/CH-Freizügigkeitsabkommen v. 21.6.1999 i.V.m. Art. 216 AEUV im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV angerufen hat.

31 BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, BFHE 258, 300 = GmbHR 2017, 1167. 32 Siehe hierzu Wacker, Wegzug und Entstrickung, DStJG Jahrestagung 2017. 33 FG Bad.-Württ. v. 14.6.2017 – 2 K 2413/15, EFG 2018, 18.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs

Aus der Presseerklärung des FG: „Nach Ansicht des 2. Senats kann sich der Kläger auf das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweiz über die Freizügigkeit (FZA) berufen. Das Abkommen enthalte ein Diskriminierungsverbot. Die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten sei ‚auf die im FZA normierten Freizügigkeitsrechte im Verhältnis zur Schweiz übertragbar.‘ Die Niederlassungsfreiheit, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die allgemeine Freizügigkeit stehe ‚jeder Maßnahme entgegen, die geeignet ist, die Ausübung derselben zu behindern oder weniger attraktiv zu machen‘. Die sog. Wegzugsbesteuerung habe für den Kläger, der seinen Wohnsitz von Deutschland in die Schweiz verlegt habe, ‚zumindest abschreckende Wirkung‘. Er habe nach nationalem Recht einen nicht realisierten Gewinn im Zeitpunkt des Wegzugs zu versteuern. Die Besteuerung könne zwar gerechtfertigt sein, da sie eine ‚ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nach dem Territorialitätsprinzip, verbunden mit einer zeitlichen Komponente‘ sicherstelle. Die Besteuerungsbefugnis erstrecke sich lediglich auf die Wertzuwächse, die im deutschen Hoheitsgebiet in dem Zeitpunkt erzielt worden sind, in dem der Kläger im Inland ansässig gewesen ist. Die sofortige Einziehung der Steuer sei jedoch nicht verhältnismäßig. Eine automatische zeitlich unbegrenzte Stundung bis zur Realisierung der Gewinne könne ein milderes Mittel darstellen.“

IV. BFH v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl. II 2017, 704 – Ausländische Immobilienkapitalgesellschaft und Darlehensverzicht 1. Einschlägige Normen „§ 49 EStG (1) 1Inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Absatz 4) sind … 2. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17), a) für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist, … f) die, soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne des Buchstaben a gehören, durch aa) Vermietung und Verpachtung oder bb) Veräußerung von inländischem unbeweglichem Vermögen, von Sachinbegriffen oder Rechten, die im Inland belegen oder in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen sind oder deren Verwertung in einer inländischen Betriebsstätte oder anderen Einrichtung erfolgt, erzielt werden. 2§ 23 Absatz 1 Satz 4

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gilt entsprechend. 3Als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten auch die Einkünfte aus Tätigkeiten im Sinne dieses Buchstabens, die von einer Körperschaft im Sinne des § 2 Nummer 1 KStG erzielt werden, die mit einer Kapitalgesellschaft oder sonstigen juristischen Person im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 des Körperschaftsteuergesetzes vergleichbar ist, oder …“ „§ 8 Abs. 2 KStG (2) Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 sind alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln.“

2. Erläuterungen Gewinne aus der Veräußerung von Grundbesitz sind bei inländischen (unbeschränkt) Stpfl. durchgängig steuerbar, nämlich als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Fall der beschränkten Steuerpflicht der Kapitalgesellschaft bedarf es hierzu entweder einer originären gewerblichen Tätigkeit der Kapitalgesellschaft i.V.m. mit einer inländischen Betriebsstätte (oder ständigem Vertreter; § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) oder jedenfalls einer gewerblichen Tätigkeit im Hinblick auf die Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem inländischen Grundbesitz (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG). Fehlt es hieran, würde sich – vorbehaltlich des Vorliegens eines privaten Grundstückveräußerungsgewinns nach § 49 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG – im Vergleich zur Besteuerung der Grundstücksveräußerungsgewinne inländischer Kapitalgesellschaften ein Gefälle ergeben. Letzteres wurde zunächst (ab VZ 1994) durch die Fiktion eines gewerblichen Veräußerungsgewinns beseitigt. Ab VZ 2009 wurde die Fiktion der Gewerblichkeit dann auch im Interesse einer einheitlichen Einkünfteermittlung auf die Vermietungserträge ausgedehnt. Fazit: § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG dient der Lückenfüllung.34 Allerdings führt die Fiktion nicht zur Annahme einer inländischen Betriebsstätte i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG.

34 Loschelder in Schmidt37, § 49 EStG Rz. 54.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs

3. Das Urteil a) Sachverhalt Die luxemburgische Immobilien-S.à.r.l. (Kapitalgesellschaft = Klägerin) erhielt 2007 zum Zweck des Erwerbs von inländischem Grundbesitz von ihrer Muttergesellschaft ein Darlehen. Das Grundstücke wurde zunächst vermietet, dann aber Februar 2011 (Streitjahr) veräußert. Da die Darlehensrestschuld aus dem Veräußerungserlös nicht getilgt werden konnte, hat die Darlehensgeberin auch mit Rücksicht auf die Schuldsituation der Klägerin auf die restliche Tilgung im Dezember 2017 verzichtet. Das FG ging von der Steuerpflicht der Erlassbeträge gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG aus. Dem ist der BFH in der Sache nicht gefolgt.35 Das Urteil enthält zudem Ausführungen zur Zulässigkeit von Klagen, gegen KSt.-Bescheide, mit denen die Körperschaftsteuer auf 0 t festgesetzt wird.

b) Leitsätze „1. Nach der Neukonzeption des Verhältnisses zwischen Steuerfestsetzung und Verlustfeststellung durch das Jahressteuergesetz 2010 kann der Steuerpflichtige gegebenenfalls auch gegen die Festsetzung der Körperschaftsteuer auf 0 t klagen, wenn der Festsetzung ein aus seiner Sicht zu hoher Gesamtbetrag der Einkünfte zugrunde liegt, der zur Feststellung eines zu niedrigen Verlustvortrags führt. 2. Zu den bei ausländischen Körperschaften nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG als gewerblich fingierten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder Veräußerung inländischen Grundbesitzes gehört nicht der Ertrag aus einem gläubigerseitigen Verzicht auf die Rückzahlung eines Darlehens, mit dem die Körperschaft den Erwerb der Immobilie finanziert hatte.“

c) Aus den Gründen (Ertrag aus Forderungsverzicht unterliegt nicht der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht.) „16. II. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist das FG-Urteil zutreffend. Der durch den Forderungsverzicht der B-L.P. bei der Klägerin im Streitjahr entstandene Ertrag gehört nicht zu deren der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden inländischen Einkünften. Insbesondere ist er – entgegen der Auffassung von FA und BMF – nicht im Rahmen der Ermittlung der (fiktiven) Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach Maßgabe von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG zu berücksichtigen. 35 BFH v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl. II 2017, 704 = GmbHR 2017, 661.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Vermietungseinkünfte der Klägerin aber steuerpflichtig) 17. 1. Die im Streitjahr erzielten Einkünfte der Klägerin aus der Vermietung und der Veräußerung des inländischen Grundstücks sind allerdings gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG inländische Einkünfte i.S. der beschränkten Steuerpflicht (§ 2 Nr. 1 KStG). (Keine inländische Betriebsstätte) 18. a) Der – vorrangige – Tatbestand der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S. der §§ 15 bis 17 EStG, für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist) liegt im Fall der Klägerin mangels inländischer Betriebsstätte und ständigen Vertreters nicht vor. (Keine gewerblichen Einkünfte i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 EStG) 19. b) Auch sind die Voraussetzungen der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 EStG nicht erfüllt. Nach dieser Bestimmung sind gewerbliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (Doppelbuchst. aa) oder Veräußerung (Doppelbuchst. bb) u.a. von inländischem unbeweglichem Vermögen beschränkt steuerpflichtig, soweit sie nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG fallen. Die Vorschrift ist im Streitfall nicht einschlägig, weil es sich bei den Einnahmen der Klägerin aus der Vermietung und der Veräußerung des streitbefangenen Grundstücks nicht um gewerbliche Einkünfte i.S. von § 15 Abs. 2 EStG handelt. Die Regelung des § 8 Abs. 2 KStG, der zufolge bei den unbeschränkt Steuerpflichtigen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind, gilt nicht für die beschränkte Steuerpflicht. Das streitbefangene Grundstück war nach den von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen tatrichterlichen Feststellungen des FG das einzige Vermietungsund Veräußerungsobjekt der Klägerin, so dass es sich bei den Mieteinkünften originär um solche aus Vermögensverwaltung (Vermietung und Verpachtung, vgl. § 21 EStG) und nicht um solche aus gewerblicher Tätigkeit (§ 15 Abs. 2 EStG) gehandelt hat (vgl. zur Abgrenzung z.B. Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz 47 ff., 80 ff.). (Jedoch: Fiktion des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 EStG) 20. c) Über das Fehlen der originären Gewerblichkeit hilft indessen die Fiktion des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG hinweg. Danach ‚gelten‘ auch die Einkünfte aus den in Satz 1 der Norm beschriebenen Tätigkeiten, die von einer Körperschaft i.S. des § 2 Nr. 1 KStG erzielt werden, die mit einer Kapitalgesellschaft oder sonstigen juristischen Person i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG vergleichbar ist, als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Streitfall auszugehen. Zwar hat das FG keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, inwiefern die luxemburgische S.à.r.l. im Rahmen eines Typenvergleichs einer deutschen Kapitalgesellschaft (GmbH oder AG) oder sonstigen juristischen Person entspricht; es hat dies vielmehr offenkundig als selbstverständlich vorausgesetzt. Für die Zwecke des Revisionsverfahrens kann unterstellt werden, dass diese Annahme zutrifft.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Verzichtsertrag gehört nicht zu den fiktiven gewerblichen Einkünften) 21. 2. Der durch den Forderungsverzicht der B-L.P. verursachte Ertrag ist jedoch im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte des sonach fiktiven Gewerbebetriebs nicht gewinnwirksam zu berücksichtigen. Denn es handelt sich dabei weder um Einnahmen aus der Vermietung und Verpachtung noch um solche aus der Veräußerung des inländischen Grundstücks. Die gesetzliche Umqualifizierung der Vermietungs- und Veräußerungseinkünfte in gewerbliche Einkünfte gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG ändert daran nichts. (Betriebsvermögensvergleich) 22. a) Die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG (fiktiv) gewerblichen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Veräußerung sind – ebenso wie die originär gewerblichen Einkünfte aus jenen Tätigkeiten nach Satz 1 der Vorschrift – mangels anderslautender gesetzlicher Vorgaben nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 4 ff. EStG zu ermitteln. Der Senat hat dies zu der bis 2008 geltenden Fassung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG entschieden, welcher bereits eine der heutigen Regelung entsprechende Umqualifizierung von Einkünften aus der Veräußerung inländischen unbeweglichen Grundvermögens in gewerbliche Einkünfte angeordnet hatte (Urteile vom 5. Juni 2002 I R 81/00, BFHE 199, 300, BStBl II 2004, 344, und I R 105/00, BFH/NV 2002, 1433). Nichts anderes gilt für die mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 2794, BStBl I 2009, 74) geschaffene, im Streitjahr anwendbare Fassung der Vorschrift, die zusätzlich auch die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung inländischen unbeweglichen Grundvermögens – die zuvor, wenn sie nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG fielen, der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG unterlagen – in die Umqualifizierung als gewerbliche Einkünfte einbezieht (Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2015 I B 93/15, BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66; BMF-Schreiben vom 16. Mai 2011, BStBl I 2011, 530 Rz 7; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 633; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz 45 f.; Blümich/Wied, § 49 EStG Rz 138 f.; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 49 Rz 59; Frotscher in Frotscher/Geurts, EStG, § 49 Rz 198; zweifelnd Drüen, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht – JbFSt – 2010/2011, S. 837 f.). 23. b) Im Streitfall sind die umqualifizierten Vermietungs- und Veräußerungseinkünfte somit durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln. Eine Ermittlung durch Einnahmen-/Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG ist hier ausgeschlossen (und wird von der Klägerin auch nicht angestrebt), weil die Klägerin über die betreffenden Einkünfte jedenfalls freiwillig Buch geführt und den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt hat (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66). Auf die vom FA in seiner Revisionserwiderung erörterten Fragen, ob die Klägerin nach luxemburgischem Recht buchführungspflichtig gewesen sei und ob eine solche Buchführungspflicht gemäß § 140 AO auch für Zwecke der inländischen Besteuerung von Bedeutung wäre, kommt es mithin im Streitfall nicht an.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs 24. c) Obgleich es in den Konstellationen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG an einem realen inländischen Betriebsvermögen fehlt, ist sonach für die Zwecke der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG ein Vermögensvergleich zwischen einem Anfangs- und einem Endbestand eines (fiktiven) Betriebsvermögens durchzuführen (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66; …). (Offen, ob einheitlicher Vermögensvergleich für Vermietung und Veräußerung) 25. Zu den in den Bestandsvergleich einzubeziehenden Wirtschaftsgütern gehören die betreffende inländische Immobilie und die Forderungen und Verbindlichkeiten, die mit den inländischen Einkunftsquellen (d.h. der Vermietungs- bzw. Veräußerungstätigkeit) im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (…). Unterschiedliche Auffassungen bestehen darüber, ob eine einheitliche Gewinnermittlung für alle umqualifizierten Einkünfte zu erfolgen hat (so BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 530, Rz 8 f.; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 633) oder ob Vermietungs- und Verpachtungseinkünfte einerseits und Veräußerungseinkünfte andererseits in zwei Schedulen getrennt zu ermitteln sind (in diesem Sinne Mensching, DStR 2009, 96, 98; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz 46 a.E.; Lieber/Wagner, Ubg 2012, 229, 236). (Finanzierungsdarlehen jedenfalls nicht Teil der BV-Vergleichs) 26. d) Dieser Frage muss im anhängigen Verfahren jedoch nicht nachgegangen werden. Denn die Verbindlichkeit aus dem der Klägerin von der B-L.P. gewährten Darlehen würde weder bei einer einheitlichen noch bei einer getrennten Gewinnermittlung zu den steuerwirksam in die Bestandsvergleiche einzubeziehenden Wirtschaftsgütern gehören. Zwar besteht zwischen dem Darlehen und der Vermietungs- und Veräußerungstätigkeit der Klägerin ein wirtschaftlicher Zusammenhang (Veranlassungszusammenhang). Denn die Darlehensmittel sind von der Klägerin verwendet worden, um das inländische Grundstück zu erwerben, welches sie sodann vermietet und später veräußert hat. Jedoch vermag eine Wertveränderung dieser Verbindlichkeit nicht zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder zu Veräußerungseinkünften i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG führen. (Fiktion führt nicht zur Erweiterung der Steuerbarkeit) 27. aa) Die Steuerbarkeit nach § 49 EStG bezieht und beschränkt sich auf die dort abschließend aufgeführten inländischen Einkunftsquellen und Tätigkeiten (Objektsteuerprinzip). Auch die den beschränkt Steuerpflichtigen treffende Einkünfteermittlung richtet sich daher nur auf diese steuerbaren Einkünfte (Senatsurteil vom 17. Dezember 1997 I R 95/96, BFHE 185, 16, BStBl II 1998, 260). In die Besteuerung des nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG ermittelten Ergebnisses dürfen daher nur Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung (Satz 1 Doppelbuchst. aa) und Veräußerung (Satz 1 Doppelbuchst. bb) inländischen unbeweglichen Vermögens einbezogen werden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Umqualifizierung der Einkünfte durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG in gewerbliche Einkünfte und der damit verbundene Wechsel der Gewinnermittlungsart den Umfang der der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkunftsquellen oder Tätigkeiten erweitern sollte (vgl. Wassermeyer, IStR

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs 2009, 238, 240; Gläser/Birk, IStR 2011, 762, 763 f.; Schmid/Renner, FR 2012, 463, 465; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 633). Insbesondere wird durch die Fiktion der Gewerblichkeit nach allgemeiner – und zutreffender – Auffassung keine inländische Betriebsstätte fingiert (so auch BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 530, Rz 15), welcher die Fremdfinanzierungsverbindlichkeit zugeordnet werden könnte. (Entstehungsgeschichte) 28. Aus der Gesetzeshistorie ergibt sich kein Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber mit der Gewerblichkeitsfiktion des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG zugleich eine Erweiterung der der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkunftsquellen und Tätigkeiten beabsichtigt hat. Bis einschließlich 1993 wurden außerhalb der Betriebsstättenbesteuerung nur die Erträge ausländischer Körperschaften aus dem Immobilienbesitz als inländische Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG besteuert; Gewinne aus der Veräußerung von inländischem Grundbesitz waren nicht steuerbar. Diese Lücke ist mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) durch Schaffung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG geschlossen worden, welcher erstmals die Veräußerungsgewinne erfasst und – soweit sie nicht ohnehin gewerblicher Natur waren – in Einkünfte aus Gewerbebetrieb umqualifiziert hat. Die Einbeziehung auch der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in den Anwendungsbereich des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG – welcher dem § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG vorgeht – durch das Jahressteuergesetz 2009 ist damit begründet worden (BT-Drucks. 16/10189, S. 58 f.), dass die Aufteilung von Veräußerungsgewinnen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb einerseits und Vermietungseinkünften als solche aus Vermietung und Verpachtung andererseits ‚zu einer Aufspaltung von einheitlichen wirtschaftlichen Vorgängen in verschiedene Einkunftsarten und damit einhergehend zur Anwendung unterschiedlicher Einkunftsermittlungsarten‘ führe, ohne dass es hierfür eine einleuchtende Rechtfertigung gebe. Mit der Änderung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG würden ‚die einer gewerblichen Tätigkeit des beschränkt Steuerpflichtigen zuzuordnenden Einkünfte aus der zeitlich begrenzten Überlassung von Grundbesitz und Rechten künftig unabhängig von einer inländischen Betriebsstätte oder einem ständigen Vertreter im Inland als gewerbliche Einkünfte besteuert, so dass in solchen Fällen sowohl die laufenden Vermietungseinkünfte als auch der Veräußerungserlös den gleichen Gewinnermittlungsvorschriften unterliegen‘. Der Gesetzesbegründung ist mithin zu entnehmen, dass die bisher allein dem Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG zugeordneten laufenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des unbeweglichen Inlandsvermögens nunmehr einer anderen Einkünfteermittlungsart unterstellt werden sollten. Dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers damit zugleich eine Erweiterung des Objekts der unbeschränkten Steuerpflicht verbunden sein sollte, fehlt es an jeglichem Anhalt.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Wertveränderung nicht Teil der VuV-Einkünfte) 29. bb) Die Wertveränderung der Fremdfinanzierungsverbindlichkeit für den Grundstückserwerb gehört nicht zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung; sie ist auch kein Bestandteil des Gewinns aus der Grundstücksveräußerung und ist daher im Rahmen der Ermittlung der nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG zu versteuernden fiktiv gewerblichen inländischen Einkünfte nicht zu berücksichtigen (ebenso …). 30. aaa) Für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 Doppelbuchst. aa EStG) kann auf § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG zurückgegriffen werden, der seinerseits grundsätzlich die Einkünfte des § 21 EStG umfasst (s. z.B. Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz 85; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 49 Rz 109). Danach gehören zu den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung die Gegenleistungen für die zeitlich begrenzte Überlassung des Mietobjekts sowie alle sonstigen Entgelte, die in einem objektiven tatsächlichen Zusammenhang mit dieser Einkunftsart stehen und durch diese veranlasst sind (vgl. Blümich/Schallmoser, § 21 EStG Rz 232). 31. Der durch den Verzicht auf die Darlehensforderung entstehende Vermögenszuwachs der Klägerin steht nicht in einem Veranlassungszusammenhang zur Vermietung des streitgegenständlichen Grundstücks durch die Klägerin. Die Vermietung war zum Zeitpunkt des Verzichts bereits seit mehreren Monaten beendet, weil die Klägerin das Grundstück veräußert hatte. Der Verzicht auf die Darlehensforderung hatte seine Ursache darin, dass die Klägerin, nachdem sie das Grundstück veräußert und die anderweitigen Verbindlichkeiten bedient hatte, zur Rückzahlung der Darlehensvaluta außerstande war und die Darlehensgeberin und mittelbare Gesellschafterin B-L.P. offenkundig bestrebt gewesen ist, eine Insolvenz der Klägerin zu vermeiden. Ein innerer Sachzusammenhang zur vormaligen entgeltlichen Gebrauchsüberlassung kann daraus nicht abgeleitet werden. Der Umstand, dass die Klägerin mit dem Darlehen den Grundstückserwerb finanziert hatte, hat zwar dazu geführt, dass die während der Vermietungszeit angefallenen Darlehenszinsen als Betriebsausgaben gewinnmindernd zu berücksichtigen waren. Entgegen der Sichtweise des BMF folgt daraus aber keineswegs, dass deshalb auch das für den Erwerb der Vermögenssubstanz aufgenommene Darlehensstammrecht als im Inland steuerverhaftet angesehen werden müsste. Von einem unzulässigen ‚Cherry picking‘ seitens der Klägerin kann mithin nicht die Rede sein. (Verzichtsertrag auch nicht Teil des Veräußerungsgewinns) 32. bbb) Die infolge des Verzichts auf die Darlehensforderung eingetretene Vermögensmehrung gehört auch nicht zum Veräußerungsgewinn i.S. von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 Doppelbuchst. bb EStG aus dem Verkauf des Grundstücks. Veräußerungsgewinn im Sinne der vorgenannten Vorschrift ist der Veräußerungspreis abzüglich Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten und Veräußerungskosten (vgl. Senatsurteile in BFHE 199, 300, BStBl II 2004, 344, und in BFH/NV 2002, 1433, sowie vom 22. August 2006 I R 6/06, BFHE 215, 103, BStBl II 2007, 163). Die verzichtsbedingte Vermögensmehrung kann nicht als Bestandteil des der Klägerin

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zugeflossenen Kaufpreises angesehen werden; denn es handelt sich dabei nicht um eine Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück. Der einzige Zusammenhang zwischen dem Darlehensverzicht und dem Verkaufserlös ist der Umstand, dass die geringe Höhe des erzielten Kaufpreises die Ursache für die prekäre Vermögenslage der Klägerin gewesen ist, welche sodann den Forderungsverzicht ausgelöst hat. Dies führt jedoch nicht dazu, die verzichtsbedingte Vermögensmehrung aus wirtschaftlicher Sicht als Gegenleistung zur Eigentumsverschaffung zu werten. (Verzichtsbedingte Vermögensmehrung im Inland nicht steuerbar) 33. 3. Sonach handelt es sich bei der verzichtsbedingten Vermögensmehrung nicht um der beschränkten Steuerpflicht unterliegende inländische Einkünfte der Klägerin. Auf die zwischen den Beteiligten des Weiteren streitige Frage, ob auf der Grundlage der Rechtsauffassung von FA und BMF das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland nach dem für das Streitjahr geltenden Abkommen mit dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausgeschlossen wäre oder nicht, kommt es somit für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an.“

d) Anmerkungen –

Die Entscheidung wird von der Finanzverwaltung akzeptiert36 und ist zwischenzeitlich im BStBl. Teil II veröffentlicht worden.37 Zustimmend ebenso das Schrifttum.38



Allerdings wird auch vereinzelt eine Differenzierung danach befürwortet, ob der Darlehensverzicht erst – wie im Streitfall – nach Beendigung der Vermietung oder noch während der dann fortgeführten Grundstücksüberlassung erklärt wird; in letzterem Fall gehöre der Ertrag zu den Einkünften nach § 21 EStG.39

36 Bspw. OFD Frankfurt a.M. v. 9.8.2017, juris. 37 BStBl. II 2017, 704. 38 Siehe z.B. Weiss, EStB 2017, 242; Werth, DB 2017, 1057; Trautmann/Dörnhöfer, IWB 2017, 499. 39 Böhmer/Mundhenke, ISR 2017, 243.

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Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Malte Fidler Global Head of Tax and Trade Governance, Boehringer Ingelheim

Prof. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, EY, Eschborn/Frankfurt am Main

MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Oliver Nußbaum Global Head of Tax, BASF SE, Ludwigshafen

Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

Vorausgegangen ist der erste Teil des Referats von Wacker, in dem er sich mit dem BFH-Urteil v. 22.2.2017 beschäftigt.1 Prof. Dr. Lüdicke Herr Wacker, vielen Dank für diesen Themenbereich. Ich glaube, Ihr kleiner Blick in die Zukunft ist schon interessant. Vielleicht kann Herr Kreienbaum dazu auch gleich etwas sagen. Ich frage aber zunächst mal das Podium. Nun sitzen hier zwei Unternehmensvertreter, die erstens keine Verluste in ihrem Unternehmen haben und, wenn sie welche hätten, es nicht zugeben würden, aber aus theoretischer Sicht gibt es ja vielleicht eine Anmerkung. Möchten Sie etwas sagen?

1 BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl II 2017, 709 = FR 2017, 831.

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Podiumsdiskussion: Aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs

Nußbaum Das ist meiner Meinung nach eine historische Aufarbeitung. Wir hatten die Fälle in der Tat nicht. Aber ich finde die Vergleichbarkeit, die Herstellung der Symmetrie sozusagen mit deutschem Recht, die könnte ich doch eigentlich auch grundsätzlich über den § 20 Abs. 2 AStG erreichen. Wenn ich über den Switch-Over von der Freistellung zur Anrechnung komme, dann hätte ich eigentlich die Symmetrie wieder hergestellt und müsste das dann ggf. geltend machen können. Ich bin da, wie gesagt, kein Experte, aber das liegt nahe. Fidler Ein Praktikerhinweis aus Sicht des Mittelstands: Auch wenn man die Ansicht von Herrn Prof. Dr. Wacker dogmatisch nachvollziehen kann, ist es von hoher Relevanz, zu klären, wie „Finalität“ in der Praxis definiert wird. Entsprechende Rspr. wäre hierbei sehr hilfreich. Prof. Dr. Lüdicke Herr Kreienbaum, Sie werden mit dem Urteil2 zufrieden sein. Was das neue anhängige Verfahren3 bringt, wissen wir alle nicht, es lohnt auch nicht, darüber zu spekulieren. Aber es gibt die von Herrn Wacker angesprochene Initiative im Rahmen der GKKB oder ähnliche frühere Initiativen, mit denen man akzeptiert, dass Verluste zumindest vorübergehend nicht ausgesperrt werden sollen, denn immerhin belasten sie das Unternehmen, sie mindern seine Leistungsfähigkeit. Die Idee der Symmetriethese mag man für richtig oder falsch halten, ich glaube, für die Rechtsprechung des Ersten Senats ist dieses Thema fürs nächste Jahrzehnt sicherlich erledigt. Für die Unternehmen ist aber dennoch eine Belastung da, und verglichen mit dem Fall, dass kein DBA besteht, ist ein solches Unternehmen in einem rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteil, zumindest vorübergehend. Sehen Sie irgendeine Chance, dass, jedenfalls wenn andere Länder mitmachen im Rahmen der EU der GKKB-Initiative, auch Deutschland das nicht sperrt, sondern ebenfalls mitmacht?

2 BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl. II 2017, 709 = FR 2017, 831. 3 BFH – I R 17/15 (anhängiges Verfahren), Vorinstanz: FG Hamburg v. 6.8.2014 – 2 K 355/12, EFG 2014, 2084.

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Kreienbaum Ich denke, dass das sehr davon abhängt, in welchem Stadium wir am Ende bei der GKKB landen werden. Wir reden auf europäischer Ebene zunächst über die gemeinsamen Gewinnermittlungsvorschriften und erst später über eine Konsolidierung. Wird am Ende tatsächlich, so wie es die Mitgliedstaaten und auch die Kommission beabsichtigen, die GKKB verabschiedet und eine Konsolidierung der EU-weit erwirtschafteten Gewinne vorgenommen, dann ergibt sich auch aus Sicht des Fiskus weniger Spannung zu diesem Thema. Solange wir aber souveräne Staaten haben, die die Besteuerungsrechte und nicht den europäischen Gesamtgewinn aufteilen, ist es aus Sicht eines nationalen Fiskus schwieriger zu akzeptieren, auf der einen Seite die Gewinnbesteuerung freizustellen und auf der anderen Seite Verluste zu importieren. Prof. Dr. Lüdicke Jetzt muss ich aber doch meine Lieblingsfrage stellen: Natürlich fällt bei der Freistellung der Gewinne aus der Betriebsstätte keine deutsche Steuer an. Aber bei der Anrechnung, bei einem Körperschaftsteuersatz von 15 %, wird es auch keine deutsche Steuer geben. Wo liegt eigentlich wertungsmäßig wirklich der Unterschied? Deutschland besteuert die ausländischen Betriebsstättengewinne effektiv in beiden Fällen nicht. Kreienbaum Der Unterschied liegt in der Systematik und weniger im fiskalischen Ergebnis. Prof. Dr. Lüdicke Es ist gut, dass die Systematik gelegentlich hochgehalten wird! Auch aus dem Vortrag von Herrn Wacker, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist klargeworden: Für die Fälle, in denen trotz an sich im DBA angelegter Freistellungsmethode die Gewinne zunächst einmal besteuert werden können, etwa wegen einer Switch-Over-Klausel – das wäre der von Ihnen, Herr Nußbaum, angesprochene Fall des § 20 Abs. 2 AStG –, oder nach § 50d Abs. 9 EStG, oder wenn im DBA selber irgendeine Form von Switch-Over, Abhängigkeit von tatsächlicher Besteuerung usw. angelegt ist, wird man wohl, zumindest sektoral, die daraus entstandenen Verluste anders zu beurteilen haben. Herr Wacker, ich hatte Sie jedenfalls so verstanden, dass das keinesfalls schon durch das Urteil endgültig entschieden ist.

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Prof. Dr. Wacker Ja, aber lassen Sie mich zunächst noch etwas zur GKB anmerken. Sie nimmt auf die Fiskalinteressen der Mitgliedstaaten Bedacht. Zum einen darf der Verlustimport nicht zu einem Gesamtverlust führen; zum anderen ist nach Ablauf von fünf Jahren eine automatische Nachversteuerung vorgesehen. Beides setzt sich von der Rspr. des EuGH deutlich ab. Prof. Dr. Lüdicke Gut, da sind wir dann natürlich im Bereich der Steuerpolitik. Wir sollten jetzt zu dem nächsten Fragenkomplex kommen. Es folgt das Referat zum BFH-Urteil v. 12.10.20164 Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Wacker. Meine Damen und Herren, in der Tat handelt es sich um eine Art Lehrbuchfall, und es beeindruckt ja schon die Fülle der Vorschriften, die man auf die fraglichen Zinsen alle anwenden kann. Ohne dass ich dem Vortrag von Herrn Köhler schon vorgreifen will, der wird uns ja noch vorführen, welche Regelungen in Zukunft noch dazukommen müssen oder können, fragt man sich ja schon, ob diese Regelungsfülle nicht ein bisschen in Richtung Overkill geht. Das kann man sicherlich unterschiedlich sehen, und Herr Kreienbaum wird uns wohl gleich erklären, dass alle diese Vorschriften natürlich ganz unterschiedlich und vor allem zielgerichtet sind. Aber zunächst mal folgende Frage an Herrn Kreienbaum: Das Urteil ist vom Oktober 2016. Es ist Anfang März dieses Jahres vom BFH veröffentlich worden, und es ist bislang noch nicht im Bundessteuerblatt. Wie ist der Stand der Beratungen in der Finanzverwaltung, wie mit diesem Urteil und mit den verschiedenen Aspekten dieses Urteils umgegangen werden soll? Kreienbaum In der Tat ist der Sachverhalt sehr komplex. Das gilt auch in der Wahrnehmung durch Bund und Länder mit Blick auf die Bewertung des Urteils und die Frage, ob das Urteil als allgemeingültig akzeptiert werden kann. In Teilen, Herr Wacker sagte das, ist an die Vorinstanz zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen worden. Wir beraten noch mit den 4 BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, IStR 2017, 278 = GmbHR 2017, 425.

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Ländern über diesen Fall, auch unter den Einkommensteuerreferatsleitern und sind noch nicht entschieden, das Urteil zu veröffentlichen. Prof. Dr. Lüdicke Sie sagten gerade „Einkommensteuerreferatsleiter“ – kann man daraus schließen, dass der Aspekt § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG, der ja materielle Bedeutung für das Urteil hatte, dort nicht beraten wird? Dafür wären die Einkommensteuerreferatsleiter ja wohl nicht zuständig. Geht es bei denen dann beispielsweise eher um Fragen der Doppelstöckigkeit bei Personengesellschaften? Kreienbaum Also um die letztgenannten Punkte geht es in jedem Fall, damit beschäftigen sich die Einkommensteuerreferatsleiter. Darüber hinaus weiß ich von den Kollegen, dass die Körperschaftsteuerreferatsleiter noch nicht abschließend entschieden haben. Prof. Dr. Köhler Darf ich vielleicht eine Frage zu den Ausführungen zum AOA stellen? Dort sagten Sie ja, dass die Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – auf die müssen Sie ja Bezug genommen haben – jetzt andere Dotationskapitalzuordnungsregelungen vorsieht, als Sie es bzgl. des bisherigen rein nationalen Rechtsverständnisses des Veranlassungszusammenhangs ausgeführt hatten, und sagten, dass der Gesetzgeber dies selbstverständlich so regeln könne. Dazu folgende Rückfrage: Die Verordnung darf ja eigentlich nur das Gesetz näher auskleiden, aber nicht weiterentwickeln, und im § 1 Abs. 5 AStG finde ich eigentlich keine Hinweise, dass die Dotationsregelungen so auszugestalten wären, wie sie dann ausgestaltet wurden. Weiter: Die Dotationsregeln der Verordnung weichen ja ab, je nachdem ob man inbound oder outbound schaut, so dass eigentlich eine der beiden Regelungen falsch sein müsste. Prof. Dr. Lüdicke Ja, das hätte ich vielleicht jetzt auch noch gefragt, aber ich bin Ihnen dankbar, dass Sie es gemacht haben! Ja, wollen wir den Aspekt erst mal diskutieren?

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Prof. Dr. Wacker Wollen Sie die Frage beantworten, nachdem sie Ihnen ja auch … Prof. Dr. Lüdicke Sagen wir mal so, Herr Köhler hat ja eine gewisse Richtung der Antwort insinuiert, und der würde ich mich auch anschließen. Auch ich kann in § 1 Abs. 5 AStG nicht finden, dass der Verordnungsgeber durch den Gesetzgeber ermächtigt worden sein soll, die Höhe des Dotationskapitals im Inbound- und im Outbound-Fall mal prinzipiell und methodisch unterschiedlich zu regeln. Das Ergebnis kann ja an sich auch nicht richtig sein, wenn man noch das Ziel vor Augen hat, dass das Eigenkapital des Unternehmens und seine realen Schulden über die diversen Betriebsstätten, nach welchem Maßstab auch immer, verteilt werden sollen. Verteilen heißt ja an sich, dass ich 100 % am Anfang habe und, wenn ich anschließend die Teile zusammenaddiere, wieder 100 % habe. Und das genau passiert natürlich nicht, wenn jeder Staat es nach der deutschen Methode macht und sagt, bei mir ist ganz viel Dotationskapital und ganz wenig Fremdkapital, dann ist nämlich offensichtlich, dass, wenn ich das addiere, zum Schluss mehr Dotationskapital als Eigenkapital da ist und weniger Fremdkapital als Schulden. Und das ist ja nicht gerade das, was man sich unter einer fairen Aufteilung vorstellen würde. Prof. Dr. Wacker Ich glaube nicht, dass ich betonen muss, dass das alles nicht Gegenstand meines Vortrags war. Prof. Dr. Lüdicke Völlig klar. Ich bin Ihnen, Herr Wacker, auch sehr dankbar, dass Sie das angesprochen haben. Denn das ist ja ein wichtiges Thema. Prof. Dr. Wacker Natürlich ist das ein wichtiges Thema. Auch sollte man auseinanderhalten, ob der Kommanditist seiner KG ein Darlehen gibt oder ob er – wie in unserem Fall – seine Einlage in die KG refinanziert. Nur in ersterem Fall ist § 50d Abs. 10 EStG sowie § 1 Abs. 5 Satz 7 AStG einschlägig. Allerdings habe ich in früheren Diskussionsveranstaltungen Vertreter der Finanzverwaltung – aber vielleicht habe ich es auch nicht ganz verstanden, Herr Kreienbaum – dahingehend verstanden, dass sie grund-

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sätzliche Zweifel haben, ob in der Konstellation der Einlagenrefinanzierung AOA-Grundsätze zum Tragen kommen. Ein Weiteres zum Verhältnis von Verordnungsrecht und Gesetz: Es ist natürlich klar, dass sich die Verordnung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben halten muss. Ob das in jedem Einzelfall gelungen ist, vermag ich jetzt nicht zu sagen, und das war auch nicht Gegenstand meines Vortrags. Und natürlich war es auch nicht Gegenstand meines Vortrags, dazu Stellung zu nehmen, ob es gerechtfertigt sein könnte, den In- und den Outbound-Fall unterschiedlich zu behandeln. Das sind andere Themen. Prof. Dr. Lüdicke Ja, es ist zumindest schon etwas eigenartig, dass der AOA überhaupt auf die Refinanzierung durch den Gesellschafter Anwendung finden soll. Jedenfalls, wenn der Gesellschafter sonst kein Unternehmen hat – und hier ist nicht festgestellt gewesen, dass die A-BV noch sonst irgendetwas Unternehmerisches gemacht hat – dann gibt’s jedenfalls nichts aufzuteilen, so dass dann das Ergebnis eigentlich klar sein müsste, nämlich dass 100 % dieses zweckgerichtet aufgenommenen Darlehens Deutschland zugeordnet wird. Aber jetzt wollte Herr Fidler noch etwas dazu sagen, und anschließend Herr Dr. Andresen. Fidler Kurzkommentar: Unabhängig vom AOA ist es steuersystematisch nicht angezeigt, dass Zinsen vom Abzug ausgenommen sind. Sollte also im Falle der Niederlande kein Double-Dip gegeben sein, so muss der Zinsabzug in Deutschland ermöglicht werden. Dr. Andresen5 Nach meinem Verständnis dürfte der AOA in einer solchen Sachverhaltskonstellation gar nicht greifen, denn § 1 Abs. 5 Satz 7 AStG schließt die Anwendung der Sätze 1–4 dieses Absatzes auf Geschäftsbeziehungen zwischen Gesellschafter und Personengesellschaften explizit aus. Mit anderen Worten, die von der Personengesellschaft an den Gesellschafter vermittelte Betriebsstätte unterliegt nicht den Regeln des AOA. Dies ist auch nicht notwendig, da für diese Situationen die normalen Verrechnungspreisregeln wie zwischen Kapitalgesellschaften gelten. Nur dann, 5 Dipl.-Kfm., StB, CA (Australia) Dr. Ulf Andresen ist Partner bei PricewaterhouseCoopers in Frankfurt am Main.

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wenn wir eine Person haben, die in einem anderen Staat eine Betriebsstätte hat, ist die Einkünfteabgrenzung zwischen ihr und ihrem Stammhaus nach dem AOA vorzunehmen. Hier haben wir aber eine ganz normale Geschäftsbeziehung zwischen, zumindest partiell, anzuerkennenden Rechtsträgern, und da soll der AOA gar nicht zur Anwendung kommen. Es würde mich schon interessieren, wie man quasi entgegen dem Gesetzeswortlaut oder dem Verständnis der Finanzverwaltung hier überhaupt in den AOA kommt. Prof. Dr. Wacker Das ist genau der zentrale Punkt, und ich hatte ja versucht zu erläutern, dass es hier keine Geschäftsbeziehung, sondern nur Gesellschaftsverhältnisse und Einlageleistungen gibt. Sonst gibt es nichts. Und deshalb greift die Bestimmung des § 1 Abs. 5 Satz 7AStG nach meinem Dafürhalten nicht ein, sondern es sind AOA-Grundsätze zu beachten, genauso, wie sie zu beachten wären, wenn wir es mit einer niederländischen Kapitalgesellschaft und einer unmittelbaren inländischen Betriebsstätte dieser niederländischen Kapitalgesellschaft zu tun haben. Lässt man sich vom Transparenzgedanken leiten, kann dies eigentlich kaum streitig sein. Prof. Dr. Jochen Lüdicke6 Noch eine kurze Nachfrage: Wie soll das Ganze denn gehen, wenn wir jetzt nicht den Glücksfall haben, im Euroraum zu bleiben? Wir haben dann doch eine Zuordnung unter AOA-Grundsätzen eines jeden Staats, und wenn die Darlehen in einer Konzernwährung sind, macht ja jeder Staat erst einmal seine Umrechnung von der Konzernwährung in seine Landeswährung. Dann wird zugeordnet. Das kann doch gar nicht über die Jahre stimmen, weil sich die Wechselkurse von Jahr zu Jahr ändern. Und wie soll das dann bitteschön noch vollzogen werden? Kommen wir da nicht an ein strukturelles Vollzugsdefizit durch den AOA in seiner Anlage? Vielen Dank. Prof. Dr. Wacker Also, dass AOA-Grundsätze in mehrstöckigen Strukturen eine herausfordernde Aufgabe sind, das ist ganz fraglos. Das Gegenteil habe ich 6 Prof. Dr. Jochen Lüdicke ist Präsident des Bundesverbands der Steuerberater e.V. und Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Düsseldorf.

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auch nicht behauptet. Es ist vielmehr das Diktum des Gesetzgebers, dass er die Leistungsgrenzen der Steuerberatung an dieser Stelle noch nicht als ausgeschöpft ansieht. (Heiterkeit) Prof. Dr. Lüdicke Und auch der Rspr. Nun ist der Verfasser all dieser Vorschriften, also der Vorarbeiter des Gesetzgebers, inzwischen pensioniert und jedenfalls heute hier nicht im Saal, so dass wir ihn nicht fragen können. Wenn wir mal unterstellen – das war ja eben der Disput zwischen Herrn Dr. Andresen und Herrn Prof. Dr. Wacker, ob nun der AOA auf dieses Verhältnis anwendbar ist oder nicht –, der AOA sei tatsächlich anwendbar, und wenn wir des Weiteren unterstellen, dass die A-BV nichts weiter macht, sie ist zufällig Kapitalgesellschaft, aber ansonsten nur Kommanditistin. Wir können uns auch eine natürliche Person, die im Ausland im Sessel sitzt, vorstellen. Dann müsste aber doch das Ergebnis jedenfalls sein, dass wir auf jeden Fall 100 % der mit der KG in Zusammenhang stehenden Schulden nach Deutschland zuordnen, selbst wenn dann kein positives Eigenkapital mehr übrig bleibt. Wenn ein Unternehmer insgesamt überschuldet ist, dann kann es doch AOA-konform sein, dass auch die deutsche Beteiligung überschuldet ist. Es muss eigentlich so sein. Es kann doch nicht sein, dass, wenn im Ausland keine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird, wir dann trotzdem einen Teil des Zinsabzugs ins Ausland drücken, wo er mit Sicherheit nicht zum Abzug führt, weil da nichts passiert. Prof. Dr. Wacker Das ist richtig, Herr Lüdicke, aber das ist eine Frage bergaufwärts. Die ist dann eigentlich an Herrn Kreienbaum zu richten. Prof. Dr. Lüdicke Gut, der möchte sie aber nicht beantworten. Ich hätte jetzt noch eine weitere Frage. Sie haben ja richtigerweise darauf hingewiesen, dass heute jedenfalls § 4i EStG zur Anwendung käme. Und Sie hatten schon auf die Gegenausnahme seines Satzes 2 hingewiesen, wonach es ja darauf ankommt, ob das gleiche Besteuerungssubstrat in beiden Staaten besteuert wird. Sie hatten richtigerweise gesagt, dass die Niederlande wahrscheinlich die Organschaft nicht anerkennen oder nicht nachvollziehen werden und deswegen jedenfalls die der Klägerin zugeordneten Gewinne der beiden GmbHs nicht als deren Gewinne betrachten. Wenn wir uns jetzt

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mal vorstellen, dass die Niederlande aber ein Staat wären, der solche Gewinnabführungen als Dividende behandelt und nicht steuerfrei stellt – es gibt ja andere Staaten, die stellen Dividenden nicht steuerfrei –, dann ist ja der zugerechnete Gewinn und die Dividende, die besteuert wird, wirtschaftlich gesehen dasselbe. Das sind aber nicht dieselben Einkünfte. Prof. Dr. Wacker Darauf kommt es nicht an. Ich darf insoweit auf meine Kommentierung zu § 4i EStG verweisen.7 Maßgeblich ist, ob die nämlichen Erträge erfasst werden, nicht hingegen ihre übereinstimmende Qualifikation. Prof. Dr. Lüdicke Also Sie würden dann die Gegenausnahme greifen lassen? Prof. Dr. Wacker Ja. Prof. Dr. Lüdicke Das hat ja auch im Rahmen der Umsetzung des OECD-Hybrid-Reports erhebliche Bedeutung, wenn man da sozusagen so großzügig verfährt. Ich fürchte bloß … Prof. Dr. Wacker Sie extrapolieren gerade, Herr Lüdicke. Ich hatte mich nur zu § 4i EStG geäußert. Prof. Dr. Lüdicke Ja, ist schon klar. Aber das ist ein allgemeines Problem. Wir werden darauf nach dem Vortrag von Herrn Köhler nochmal zu sprechen kommen. Das können wir hier erstmal zurückstellen. Nußbaum Ich kann das nur noch einmal zusammenfassen und auf Ihr Eingangsstatement zurückkommen. Es zeigt, wie komplex die Steuerwelt geworden ist. Die Anzahl der Normen, die in dieser Entscheidung zu prüfen wa7 Wacker in Schmidt37, § 4i EStG Rz. 15.

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ren, war enorm und wird sich nochmal durch ATAD 2 möglicherweise in der Zukunft erhöhen. Es ist leider so, dass es in der betrieblichen Praxis immer schwieriger wird, die Vielzahl der Normen noch verlässlich interpretieren zu können. Prof. Dr. Lüdicke Herr Nußbaum, und eben auch die Steuerabteilungen von Großunternehmen werden herausgefordert und an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gebracht. Herr Wacker, würden Sie bitte jetzt noch die Varia ansprechen. Es folgt abschließend das Teilreferat zu den BFH-Beschlüssen und -Urteilen v. 12.10.2016,8 v. 7.12.20169 v. 26.1.201710 und v. 26.4.201711. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank! Wir machen jetzt noch eine ganz kurze Schlussrunde, jeder hat eine Minute. Sie können sich aussuchen, wozu Sie etwas sagen wollen. Fidler Aus Sicht der Praxis und in Anlehnung an Herrn Nußbaum möchte ich betonen, dass es trotz großer und qualifizierter Steuerabteilung sowie des Einsatzes von qualifizierten Beratern in den letzten Jahren immer schwieriger wird, Rechtssicherheit durch Lektüre des Gesetzes zu erlangen. Dies führt zu Investitionshemmnissen, die tief in betriebswirtschaftliche Abläufe eines Unternehmens eingreifen und Investitionsentscheidungen stark negativ beeinflussen. Nußbaum Ich möchte auf das Urteil hinsichtlich des AStG eingehen und auf die Frage, ob die Kapitalverkehrsfreiheit uns in Drittlandfällen vor einer Hinzurechnungsbesteuerung schützt. Wir haben gerade die Diskussion um die US-Steuerreform. Man weiß heute noch nicht, wie sie letztlich ausgehen wird. Möglicherweise haben wir aber schon ab dem 1.1.2018 einen 8 9 10 11

BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 = FR 2017, 642. BFH v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl. II 2017, 704 = GmbHR 2017, 661. BFH v. 26.1.2017 – I R 66/15, BFH/NV 2017, 726. BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, GmbHR 2017, 1167.

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Steuersatz von 20 % in den USA. Das muss man sich klarmachen, und ich weiß nicht, wer von Ihnen im Konzern arbeitet und die US-Strukturen mit einer Vielzahl von lokalen Tochtergesellschaften in den USA kennt. Aber, wenn das AStG greift und kein Schutz vor der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittlandfällen gewährt wird, dann sind viele Tochtergesellschaften in den USA, das bis heute noch ein Hochsteuerland ist und von dem man mit Sicherheit nicht vermutet hätte, dass man dort missbräuchlich Gewinne hin verlagern würde, ab nächstem Jahr niedrig besteuert und würden voll in die Hinzurechnungsbesteuerung hineinfallen. Kreienbaum Für die Finanzverwaltung ist es immer schwierig, Urteile des BFH oder des EuGH zu kommentieren und ich möchte mich da auch gern zurückhalten. Aber ich nehme gern den Punkt von Herrn Nußbaum auf und weise darauf hin, dass Bund und Länder nicht nur vor dem Hintergrund der europarechtlichen Vorgaben der ATAD an einer Reform der Hinzurechnungsbesteuerung arbeiten und die von Ihnen genannten Punkte da sicher aus steuerpolitischen Erwägungen aufgegriffen werden.

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Aktuelle Steuerrechtsentwicklungen im Ausland – Überblick und Auswirkungen auf deutsche Unternehmen Kirsten Birnbaum Senior Vice President, Leiterin der Konzernsteuerabteilung SAP SE, Walldorf

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . II. Herausforderungen für Multinationale Unternehmen (MNU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neue Geschäftsmodelle . . 2. Anforderungen der Stakeholder. . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Compliance . . . . . . . . . . . . 4. Technische Anforderungen 5. Gesetzesänderungen . . . . . 6. Vermeidung von Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . .

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B. US Tax Reform . . . . . . . . . . . I. Meilensteine, Status und Ausblick (Stand: 15.11.2017). II. Handlungsbedarf für MNU . .

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C. Brexit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Auswirkungen im Bereich der indirekten Steuern . . . 2. Auswirkungen beim Zoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen im Ertragund Umwandlungssteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Handlungsbedarf für MNU . D. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . I. Französisch-Deutsches Konvergenzprojekt . . . . . . . . II. Steueränderungen 2017 . . . . E. Internationale Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Herausforderungen der Digitalisierung . . . . . . . . . . . F. Fazit und Ausblick . . . . . . . .

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A. Einleitung I. Ausgangslage Multinationale Unternehmen (MNU) zeichnen sich dadurch aus, dass ein rechtlich selbständiges Unternehmen mit Sitz in einem Staat mindestens eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft im Ausland hat.1 Im Zuge der Globalisierung ist es durchaus üblich, dass MNU in mehr 1 Dunning/Lundan, Multinational Enterprises and the Global Economy2, 3.

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als hundert ausländischen Staaten Tochtergesellschaften unterhalten, die im Ausland steuerpflichtig sind und nach dem jeweiligen lokalen Steuerrecht besteuert werden. Da die Gesetzgebungshoheit grundsätzlich bei den einzelnen Staaten liegt, unterscheiden sich die Steuergesetze der Staaten oftmals sehr. Das stellt die MNU insoweit vor Herausforderungen, als in jedem Land die entsprechende steuerliche Expertise vorgehalten werden muss, um die vielfältigen lokalen Anforderungen zu erfüllen und auch die zahlreichen steuerlichen Gesetzesänderungen zeitnah nachzuhalten und umzusetzen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche steuerliche Initiativen auf EU- und OECD2-Ebene, die sich ebenfalls auf die lokale Steuergesetzgebung auswirken können und insoweit nachzuhalten sind.

II. Herausforderungen für Multinationale Unternehmen (MNU) Aus steuerlicher Sicht ergeben sich für MNU die folgenden, wesentlichen Herausforderungen:

1. Neue Geschäftsmodelle Bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle ist es wichtig, die (Konzern-)Steuerabteilung (bzw. den externen Steuerberater) zeitnah einzubeziehen und die steuerlichen Konsequenzen im finalen Entscheidungsprozess zu berücksichtigen. Insoweit kommt einer guten Vernetzung der (Konzern-)Steuerabteilung innerhalb des Konzerns eine große Bedeutung zu, um auch in operativ tätigen Abteilungen das Bewusstsein für potentielle Steuerkonsequenzen und damit das Erfordernis für die Einbindung der Steuerabteilung in operative Entscheidungsprozesse zu schaffen.

2. Anforderungen der Stakeholder Die (Konzern-)Steuerabteilung hat zahlreiche interne und externe Stakeholder mit unterschiedlichen Anforderungen, u.a. die Geschäftsführung, Anteilseigner und Steuerbehörden und das Business. Eine für alle Stakeholder relevante Anforderung ist die Compliance (s. auch nachfolgende Erläuterungen unter A.II.3.). Die Anteilseigner haben darüber hinaus ein großes Interesse an einer Erhöhung der Earnings per Share (EPS), während

2 Bspw. BEPS-Aktionsplan, abrufbar unter folgendem Link: http://www.oecd.org/ ctp/beps-actions.htm.

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die Steuerbehörden ihre Steuereinnahmen und das Business das operative Ergebnis erhöhen möchte.

3. Compliance Die Einhaltung von Steuergesetzen hat für die (Konzern-)Steuerabteilung, aber auch für die Geschäftsführung höchste Priorität. Die (Konzern-)Steuerabteilung hat sicherzustellen, dass alle relevanten Gesetzesänderungen zeitnah und korrekt umgesetzt und die gesetzlichen Deklarationspflichten erfüllt werden.

4. Technische Anforderungen In einer zunehmend digitalisierten Welt nimmt die Digitalisierung auch in den (Konzern-)Steuerabteilungen einen immer höheren Stellenwert ein: Auf der einen Seite sind interne Prozesse zu automatisieren, um die manuellen Tätigkeiten und die damit verbundenen Fehlerquellen zu reduzieren. Auf der anderen Seite steigen jedoch auch die technischen Anforderungen der Steuerbehörden zusehends: So werden in vielen Staaten nur noch elektronische Rechnungen akzeptiert, darüber hinaus wurden von vielen Staaten „Standard Audit Files – Tax“ (kurz: SAF-T) eingeführt. In derartigen Fällen hat die Steuerabteilung zusammen mit der internen IT sicherzustellen, dass die jeweiligen lokalen Anforderungen in oftmals kürzester Zeit umgesetzt werden. Insoweit steigen die Anforderungen an die Steuerabteilungen dahingehend, dass neben dem rein fachlichen Expertenwissen auch technische Expertise aufgebaut wird.

5. Gesetzesänderungen Die Steuergesetzgebung unterliegt weltweit fortlaufenden Änderungen, die oftmals in kürzester Zeit umgesetzt werden müssen. Eine unterschiedliche Auslegung der Gesetze führt oftmals zu Rechtsbehelfs- und Klageverfahren. Auf EU-Ebene sind darüber hinaus das Unionsrecht und zahlreiche Entscheidungen des EuGH zu berücksichtigen.

6. Vermeidung von Doppelbesteuerung Für grenzüberschreitende Transkationen sind im Konzern Verrechnungspreise festzulegen, die den OECD-Vorgaben3 entsprechen sollten. Den3 Die OECD-Verrechnungspreisleitlinien können unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/.

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noch besteht das Risiko, dass innerbetriebliche Leistungsbeziehungen von den jeweiligen Steuerbehörden – abweichend von der Beurteilung des Stpfl. und ggf. externer Berater – unterschiedlich gewürdigt werden und es zu einer Doppelbesteuerung kommt. Hier ist es Aufgabe der Steuerabteilung, durch geeignete Maßnahmen (bspw. Verständigungsverfahren, Advance Pricing Agreement) eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Nachfolgend werden die aktuellen Steuerrechtsentwicklungen in den USA, Großbritannien und Frankreich überblicksartig dargestellt.

B. US Tax Reform I. Meilensteine, Status und Ausblick (Stand: 15.11.2017) Die letzte große Steuerreform in den USA war in 1986 unter Präsident Ronald Reagan.4 Seither waren die USA mit einem Körperschaftsteuersatz (Federal Tax) von 35 % und einer von der Körperschaftsteuer abzugsfähigen lokalen Bundesstaatensteuer (State Tax) von bis zu ca. 12 % mit einem durchschnittlichen kombinierten Ertragsteuersatz von ca. 40 % ein unangefochtenes Hochsteuerland. Darüber hinaus galt in den USA das Welteinkommensprinzip. In 2014 stellte der Republikaner Dave Camp einen Vorschlag für eine Steuerreform 2014, den „H.R. 1, the Tax Reform Act of 2014“ vor.5 Gegenstand dieses Entwurfs war neben zahlreichen Steuererleichterungen eine Reduzierung der Steuersätze sowohl für natürliche als auch für juristische Personen. Für letztere war eine Reduzierung des Körperschaftsteuersatzes von 35 % auf 25 % vorgesehen. Zu einer Umsetzung der Steuerreform kam es seinerzeit nicht. Am 24.6.2016 veröffentlichten die Republikaner einen neuen Entwurf für eine US-Steuerreform, „A BETTER WAY – OUR VISION FOR A

4 „Tax Reform Act of 1986“, unterzeichnet von Präsident Ronald Reagan am 22.10.1986, abrufbar unter folgendem Link: http://legisworks.org/congress/ 99/toc-pl-99-514.html. 5 Der Text des Reformvorschlags kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://waysandmeans.house.gov/UploadedFiles/HR_1_FINAL.pdf; der Text der Mitteilung des Republikaners Dave Camp kann unter dem folgenden Link abgerufen werden: https://waysandmeans.house.gov/UploadedFiles/HR_1_Introduc tory_Statement.pdf.

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CONFIDENT AMERICA“6. Dieser enthielt aus Unternehmensteuersicht die folgenden, wesentlichen Änderungsvorschläge: 1. Reduzierung des Körperschaftsteuersatzes von 35 % auf 20 %, 2. Abschaffung der Alternative Minimum Tax, 3. Einführung des Territorialprinzips, 4. Einmalbesteuerung nicht ausgeschütteter Gewinne von Tochtergesellschaften im Ausland, 5. Einschränkung der Abzugsfähigkeit von Zinsaufwand, 6. Einführung einer Grenzausgleichssteuer (Border Adjustment Tax – BAT): a) Abzugsverbot von Aufwendungen für importierte Produkte und Dienstleistungen, b) Steuerbefreiung von Erlösen aus Exporten. Präsident Donald Trump stellte am 26.4.2017 eine neue Vorlage für eine Steuerreform vor, die „2017 Tax Reform for Economic Growth and American Jobs“7. In einem einseitigen Dokument wurden die Ziele der Steuerreform, die geplanten Änderungen für natürliche und juristische Personen und der Prozess dargestellt. Folgende Ziele und Änderungen für Unternehmen waren vorgesehen: 1. Wachstumsimpulse für die US-Wirtschaft, Schaffung von Arbeitsplätzen in den USA, 2. Vereinfachung der Steuergesetze, 3. Steuerermäßigungen für Familien, 4. Reduzierung des Unternehmensteuersatzes von einem der höchsten weltweit zu einem der niedrigsten, 5. Eckpunkte der geplanten Unternehmensteuerreform: a) Reduzierung der Körperschaftsteuer von 35 % auf 15 %, b) Einführung des Territorialprinzips,

6 Der Text des Reformvorschlags kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://abetterway.speaker.gov/_assets/pdf/ABetterWay-Tax-PolicyPaper.pdf. 7 Der Text kann unter dem folgenden Link abgerufen werden: https://www.jour nalofaccountancy.com/content/dam/jofa/news/2017-tax-reform-for-economicgrowth.jpg.

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c) Einmalbesteuerung thesaurierter Gewinne ausländischer Tochtergesellschaften, d) Abschaffung von Steuervergünstigungen für bestimmte Interessenvereinigungen. Nachdem insbes. die in der Vorlage v. 24.6.2016 enthaltene Border Adjustment Tax für weitreichende Diskussionen u.a. mit Blick auf deren WTO-Vereinbarkeit, potentielle Gegenmaßnahmen des Auslands und Auswirkungen auf Wechselkurse und bestimmte Branchen führte, veröffentlichten die Big Six8 am 26.7.20179 eine gemeinsame Stellungnahme zu der geplanten Steuerreform. Diese enthielt eine klare Absage an die Border Adjustment Tax, insbes. aufgrund der mit einer derartigen Grenzausgleichsteuer verbundenen gesamtökonomischen Unsicherheiten und Risiken. Darüber hinaus wurden nochmals das Erfordernis von Steuersatzsenkungen für natürliche und juristische Personen, die Forderungen nach Steuervereinfachungen und die Bedeutung der Sicherung von US-Arbeitsplätzen – inkl. der Rückführung ausgelagerter Arbeitsplätze und Gewinne – hervorgehoben. Am 27.9.2017 veröffentlichten diese Big Six einen weiteren Rahmenplan für eine Steuerreform, den „Unified Framework for Fixing our Broken Tax Code“10, der aus Unternehmenssicht die folgenden wesentlichen Forderungen enthielt: 1. Reduzierung des Körperschaftsteuersatzes von 35 % auf 20 %, 2. Abschaffung der Mindeststeuer, 3. Teilweise Beschränkung des Zinsabzugs für Körperschaften, 4. Einführung des Territorialprinzips, 5. Einmalbesteuerung von thesaurierten Gewinnen ausländischer Tochtergesellschaften, 8 Die Big Six sind sechs US-Politiker, welche die US-Steuerreformpläne 2017 maßgeblich mitgestalteten. Das sind im einzelnen Treasury Secretary Steven Mnuchin, National Economic Council Director Gary Cohn, Senate Majority Leader Mitch McConnell, House Speaker Paul Ryan, House Ways&Means Chairman Kevin Brady und Senate Finance Committee Chairman Orin Hatch. Siehe u.a. International Tax Review v. 7.12.2017, abrufbar unter http://www.in ternationaltaxreview.com/Article/3773339/No-1-The-Big-Six.html. 9 Die Stellungnahme kann unter dem folgenden Link abgerufen werden: https://www.speaker.gov/press-release/joint-statement-tax-reform. 10 Der Rahmenplan kann unter dem folgenden Link abgerufen werden: https:// www.dropbox.com/s/54v0d0i3ji1h0jr/Tax%20Blueprint.pdf?dl=0.

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Birnbaum – Aktuelle Steuerrechtsentwicklungen im Ausland

6. Einführung von Regelungen zur Sicherung der US-Bemessungsgrundlage. Auch wenn die Big Six der Border Adjustment Tax eine klare Absage erteilt hatten, wurde der letztgenannte, recht offen gehaltene Punkt negativ gewertet, da mit einschränkenden Regelungen für ausländische Unternehmen gerechnet wurde. Im November 2017 wurden sowohl vom US-Repräsentantenhaus als auch vom US-Senat Entwürfe einer Steuerreform vorgestellt, und zwar am 2.11.2017 der „Tax Cuts and Jobs Act“11 des US-Repräsentantenhauses und am 9.11.2017 die „Description of the Chairman’s Mark of the „Tax Cuts and Jobs Act“12 des US-Senats. In nachfolgender Übersicht werden die aus Unternehmenssicht wesentlichen Änderungsvorschläge der beiden Entwürfe dargestellt. US-Repräsentantenhaus

US-Senat

Reduzierung des Körperschaftsteuersatzes auf 20 % (mit Wirkung ab dem Wirtschaftsjahr 2018)

Reduzierung des Körperschaftsteuersatzes auf 20 % (mit Wirkung ab dem Wirtschaftsjahr 2019)

Einmalbesteuerung nicht repatriierter Gewinne von ausländischen Tochtergesellschaften (14 % für liquide Mittel/7 % für sonstige Assets)

Einmalbesteuerung nicht repatriierter Gewinne von ausländischen Tochtergesellschaften (14,49 % für liquide Mittel/7,49 % für sonstige Assets)

Abschaffung der Alternative Minimum Tax

(Teilweise) Abschaffung der Alternative Minimum Tax

Einführung einer Zinsschranke13 Zeitlich befristete Sofortabschreibung für bestimmte Wirtschaftsgüter13 Streichung diverser Steuervergünstigungen13

11 Der Entwurf kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://waysand meansforms.house.gov/uploadedfiles/bill_text.pdf. 12 Der Entwurf kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.fi nance.senate.gov/imo/media/doc/11.9.17%20Chairman's%20Mark.pdf. 13 Die jeweiligen Entwürfe enthielten jeweils voneinander abweichende Ausführungen; weitere Erläuterungen siehe Fundstellen in Fn. 11 und 12.

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Birnbaum – Aktuelle Steuerrechtsentwicklungen im Ausland US-Repräsentantenhaus

US-Senat

Einführung einer Abgabe auf grenzüberschreitende Betriebsausgaben im Konzern, einer sog. Excise Tax: – Zahlungen an ausländische Konzerngesellschaften, die bei der USGesellschaft Betriebsausgaben darstellen, unterliegen einer Abgabe von 20 % (Ausnahme: Zinsen wg. Zinsschranke) – Alternative: Option zur US-Besteuerung der spiegelbildlichen Einnahmen der ausländischen Konzerngesellschaft

Einführung einer „Base Erosion and Anti-Abuse Tax“ (BEAT) für bestimmte, im Entwurf definierte Stpfl.: – Ermittlung des regulären, mit 20 % zu versteuernden Einkommens und eines „modifizierten“, einer 10%igen Steuer unterliegenden zu versteuernden Einkommens – Modifiziertes zu versteuerndes Einkommen = das um „base erosion“Zahlungen angepasste zu versteuernde Einkommen (Anpassung insbes. um aufwandswirksam erfasste Leistungen an ausländische Konzerngesellschaften) – Festsetzung der höheren Steuer

Entwicklung nach dem 15.11.2017: Nachdem sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Senat dem jeweils eigenen Entwurf einer US-Steuerreform zugestimmt hatte, wurde von beiden Häusern am 20.12.2017 eine überarbeitete Fassung, das H.R. 1 (ursprünglich: „Tax Cuts and Jobs Act“)14, verabschiedet und von Präsident Donald Trump am 22.12.2017 unterzeichnet. Damit konnte das an der Senatsvorlage ausgerichtete Gesetz zum 1.1.2018 in Kraft treten. Letztlich wurden folgende, aus Unternehmenssicht bedeutende Änderungen umgesetzt: 1. Reduzierung des Körperschaftsteuersatzes auf 21 %, 2. Abschaffung der Mindeststeuer, 3. Einführung einer Zinsschranke, 4. Steuerfreistellung von Dividenden, 5. Übergang vom Welteinkommens- zum Territorialitätsprinzip, 6. Sofortige Vollabschreibung für diverse, bis Ende 2022 angeschaffte Wirtschaftsgüter, 7. Einschränkung diverser Steuervergünstigungen,

14 Der Text der US-Steuerreform kann unter folgenden Link abgerufen werden: https://www.congress.gov/115/bills/hr1/BILLS-115hr1enr.pdf.

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8. Einmalbesteuerung von thesaurierten Gewinnen ausländischer Tochtergesellschaften, 9. Einführung von Abzugsbeschränkungen für Aufwendungen aus bestimmten innerbetrieblichen, grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen (Base Erosion and Anti-abuse Tax, kurz: BEAT), 10. Einführung einer Hinzurechnungsbesteuerung von niedrig besteuerten Einkünften ausländischer Gruppengesellschaften aus immateriellen Vermögensgegenständen (Global Intangible Low-Taxed Income bzw. GILTI), 11. Reduzierter Steuersatz auf Gewinne mit Auslandsbezug (Foreign Derived Intangible Income bzw. FDII).

II. Handlungsbedarf für MNU Aufgrund der zahlreichen unterschiedlichen Reformvorschläge, die im Laufe des Jahres 2017 in den USA vorgestellt und diskutiert wurden, ergaben sich für MNU mit US-Bezug extrem hohe Unsicherheiten, ob bzw. wann eine US-Steuerreform umgesetzt wird, welche Änderungen eingeführt werden und wer letztendlich in welchem Umfang betroffen ist. Für die (Konzern-)Steuerabteilungen von MNU mit US-Bezug bedeutete und bedeutet die US-Steuerreform eine erhebliche Mehrbelastung, da die Auswirkungen zeitnah nachzuhalten, ggf. Handlungsoptionen zu prüfen und die Geschäftsführung und ggf. Aufsichtsorgane über die Ergebnisse zu informieren waren bzw. sind. Darüber hinaus waren viele (Konzern-) Steuerabteilungen in Verbandsarbeiten involviert, um letztendlich auch auf politischer Ebene auf die US-Steuerreform und die erheblichen Konsequenzen für international tätige Konzerne sowie den daraus resultierenden Handlungsbedarf ggf. auch auf deutscher Seite hinzuweisen. Nachdem die US-Steuerreform mit der Unterschrift von Präsident Donald Trump am 22.12.2017 verabschiedet wurde, bestand für MNU mit kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr für den Jahresabschluss 2017 kurzfristig Handlungsbedarf, da die internationalen Rechnungslegungsvorschriften vorsehen, dass die zum Stichtag verabschiedeten Gesetzesänderungen bereits im Jahresabschluss abgebildet werden. Mit Blick auf die US-Steuerreform waren u.a. für die Berechnung der latenten Steuern bereits die reduzierten Steuersätze zugrunde zu legen und im Hinblick auf die Einmalbesteuerung von thesaurierten Gewinnen ausländischer Tochtergesellschaften bzw. die GILTI ggf. bestehender Rückstellungsbedarf zu prüfen.

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C. Brexit I. Überblick Mit dem Ergebnis des Brexit-Referendums v. 23.6.201615 war der Wunsch des Vereinigten Königreichs (VK) auf Austritt aus der EU besiegelt (51,9 % stimmten für einen Austritt aus der EU, 48,1 % dagegen). Das VK hat am 29.3.2017 den Europäischen Rat über den Austrittswunsch nach Art. 50 des EU-Vertrags informiert. Seither verhandelt die EU mit dem VK über ein Austrittsabkommen. Für diese Verhandlungen sieht der EUVertrag einen Zeitraum von maximal zwei Jahren vor, währenddessen das VK vollwertiges Mitglied der EU bleibt. Das Abkommen muss vom EU-Parlament und mit qualifizierter Mehrheit vom Außenministerrat unter Ausschluss des VK beschlossen werden. Mit Inkrafttreten des Austrittsabkommens finden die EU-Verträge auf das VK keine Anwendung mehr.16 Aus steuerlicher Sicht ergeben sich aus dem Brexit im Bereich der indirekten und direkten Steuern Auswirkungen, die nachfolgend kurz dargestellt werden:17

1. Auswirkungen im Bereich der indirekten Steuern Mit dem Austritt des VK aus der EU wird das VK zum Drittlandsgebiet, so dass eine Neubeurteilung von grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen erforderlich wird, da keine innergemeinschaftlichen Erwerbe/ Lieferungen bzw. innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfte mehr vorliegen und sich Änderungen beim Leistungsort ergeben.

2. Auswirkungen beim Zoll Im Bereich des Zolls sind mit dem Austritt des VK aus der EU Drittlandszölle zu erheben. Bei Ein- und Ausfuhr entstehen erhöhte administrative 15 Das Ergebnis kann bspw. unter dem folgenden Link abgerufen werden: https:// www.electoralcommission.org.uk/find-information-by-subject/elections-andreferendums/past-elections-and-referendums/eu-referendum/electorate-andcount-information. 16 Der Ablauf des Austrittsverfahrens kann auf der Homepage des BMWi abgerufen werden: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Infografiken/Europa/bre xit-infografik-eu-wie-laeuft-das-austrittsverfahren-ab.html. 17 Weitere Ausführungen siehe auch: Bode u.a., BB 2016, 1367 ff.; Linn, IStR 2016, 557 ff.; Frase, BB 2016, 1750 ff.

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Pflichten, jeweils verbunden mit zollrechtlichen Kontrollmaßnahmen. Schließlich entfällt die Anwendung von EU-Präferenzregelungen auf VKMaterialien.

3. Auswirkungen im Ertrag- und Umwandlungssteuerrecht Im Bereich des Ertrag- und Umwandlungssteuerrechts ergeben sich Auswirkungen aus dem Wegfall des Schutzes diverser EU-Richtlinien. Dies betrifft zum einen die Mutter-Tochter-Richtlinie v. 23.7.199018, nach der eine Mehrfachbesteuerung grenzüberschreitender Dividendenzahlungen vermieden werden soll. Demnach darf bei reinen EU-Sachverhalten der Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft auf Dividendenzahlungen keine Abzugsteuer erheben. Mit dem Austritt des VK aus der EU findet die Mutter-Tochter-Richtlinie keine Anwendung mehr, vielmehr ist das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich (kurz: DBA Deutschland/Vereinigtes Königreich) zugrunde zu legen, wonach bei einer mindestens zehnprozentigen Beteiligung an Kapitalgesellschaften auf Ausschüttungen eine Quellensteuer von 5 % einbehalten werden darf.19 Darüber hinaus fällt mit dem Austritt des VK aus der EU der Anwendungsbereich der Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie v. 3.6.200320 weg, so dass auf Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren das DBA Deutschland/Vereinigtes Königreich21 anzuwenden ist. Da das DBA dem Ansässigkeitsstaat des Zahlungsempfängers der Zinsen bzw. Lizenzgebühren das Besteuerungsrecht zuweist, und damit dem Ansässigkeitsstaat des Zahlenden kein Besteuerungsrecht zusteht, ergibt sich ggü. der derzeitigen Situation keine Schlechterstellung. Schließlich sind aufgrund des Wegfalls der Fusionsrichtlinie v.

18 Zum Wortlaut der zwischenzeitlich aufgehobenen Richtlinie 90/435/EWG v. 23.7.1990 siehe ABl. 1990, L 225/1 ff. Zum aktuellen Stand der Richtlinie 2011/96/EU v. 30.11.2011 siehe ABl. 2011, L 345/8. 19 Vgl. Artikel 10 Abs. 2 des DBA Deutschland/Vereinigtes Königreich v. 18.10.2010, abrufbar unter dem folgenden Link: https://www.bundesfinanzmi nisterium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Internationales_ Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Grossbritannien/ 2010-11-23-Grossbritannien-Abkommen-DBA-Gesetz.pdf?__blob=publication File&v=3. 20 RL v. 3.6.2003, ABl. 2003, L 157/49. 21 Vgl. Artikel 11 und 12 des DBA Deutschland/Vereinigtes Königreich; Fundstelle siehe Fn. 19.

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23.7.199022 die Vorschriften des Umwandlungssteuerrechts auf grenzüberschreitende Umwandlungen nicht mehr anwendbar. Darüber hinaus ergeben sich mit dem Austritt des VK aus der EU Änderungen im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung, bei der der Motivtest gem. § 8 Abs. 2 AStG wegfällt, beim gewerbesteuerlichen Schachtelprivileg des § 9 Nr. 7 GewStG, bei dem die strengeren Voraussetzungen für Dividenden aus Drittstaaten gelten, und bei der Organschaft, wo Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz im VK keine Organgesellschaft mehr sein können. Schließlich entfällt die Anwendung der Amtshilfe- und der Beitreibungsrichtlinie23 bzw. der ATAD (siehe hierzu unten zu E.I.).

II. Handlungsbedarf für MNU Der Brexit hat weitreichende, über das Steuerrecht hinausgehende Auswirkungen. Insoweit ist es im ersten Schritt erforderlich, dass MNU die von den Auswirkungen des Brexit ggf. betroffenen Abteilungen identifizieren. Dies können neben der Konzernsteuerabteilung bspw. die Rechtsabteilung, die Personalabteilung und Treasury sein. Im Anschluss sind die Auswirkungen zu analysieren und eine Brexit-Strategie zu entwickeln.

D. Frankreich I. Französisch-Deutsches Konvergenzprojekt Zwischen Deutschland und Frankreich bestanden bereits in der Vergangenheit Bemühungen, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Unternehmensteuerrechts auszubauen: so sollte mit dem „Grünbuch der Deutsch-Französischen Zusammenarbeit – Konvergenzpunkte bei der Unternehmensbesteuerung“24 ein starkes Signal für eine effizientere Gestaltung des Binnenmarkts und eine Stärkung der Wettbewerbsfähig22 RL 90/434/EWG, ABl. 1990, L 225/1 ff. 23 Siehe dazu Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 und RL v. 16.3.2010 – 2010/24/EU, ABl. EU 2010 Nr. L 84, 1 (Beitreibungsrichtlinie). 24 Das Grünbuch der Deutsch-Französischen Zusammenarbeit – Konvergenzpunkte bei der Unternehmensbesteuerung ist unter dem folgenden Link aufrufbar: https://www.france-allemagne.fr/Grunbuch-der-Deutsch-Franzosischen, 6498.html.

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keit der Eurozone gesendet werden. Die Studie zur deutschen und französischen Unternehmensbesteuerung enthielt konkrete Vorschläge für eine Konvergenz der Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen und Körperschaftsteuersätze. Nachdem auf Basis des Grünbuchs sowohl in Deutschland als auch in Frankreich unilateral diverse Änderungen umgesetzt wurden,25 wurde in 2017 ein neuer Anlauf für ein französisch-deutsches Konvergenzprojekt genommen.26 Ziele sind ein gemeinsamer Vorstoß bei der GK(K)B, eine Reduzierung des Wettlaufs bei den Steuersätzen (Einführung eines Mindeststeuersatzes in der EU) und die Einführung einer Besteuerung der digitalen Wirtschaft (hier war bis Ende 2017 ein gemeinsames Positionspapier geplant).

II. Steueränderungen 2017 Auf nationaler Ebene wurden in Frankreich in 2017 diverse Gesetzesänderungen umgesetzt. So wurde die Vermögensteuer abgeschafft bzw. in eine reine Immobiliensteuer umgewandelt.27 Darüber hinaus wurde im November 2017 eine einjährige Sondersteuer für Körperschaften mit einem Umsatz von mindestens einer Milliarde Euro eingeführt. Demnach wurde der Körperschaftsteuersatz für das Wirtschaftsjahr 2017 für Unternehmen mit einem Umsatz von ein bis drei Milliarden Euro von 33 % auf 38 % erhöht und für Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als drei Milliarden Euro auf 45 %. Für die Bestimmung des anzuwendenden Steuersatzes war der Umsatz der französischen Unternehmen(-sgruppe) maßgeblich.28 Die Einführung dieser Sondersteuer resultierte letztendlich aus einem Urteil des französischen Verfassungsgerichts aus 2017, das die in 2012 eingeführte, dreiprozentige Dividendensteuer für verfassungswidrig er-

25 Einen Überblick über die wesentlichen Änderungen gibt Dölker, BB 2018, 666 ff. 26 Vgl. Handelsblatt v. 30.5.2017: Schäuble plant Firmensteuer-System mit Frankreich; Handelsblatt v. 19.6.2017: Deutschland und Frankreich wollten gemeinsame Reform. 27 Vgl. FAZ v. 19.10.2017: Staatsbegräbnis für die französische Vermögensteuer. 28 Vgl. bspw. Zeit Online v. 7.11.2017: Sondersteuer: Frankreich sammelt Milliarden Euro von Großkonzernen ein; FAZ v. 3.11.2017: Paris besteuert die Konzerne.

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klärte. Nachdem die Dividendensteuer aufgrund eines EuGH-Urteils29 ursprünglich ab 2018 aufgehoben werden sollte, setzte der französische Gesetzgeber die Erhebung der Dividendensteuer bereits ab 2017 aus.30 Die dadurch entstehende Finanzlücke sollte durch die einmalige Sondersteuer für Körperschaften gedeckt werden.

E. Internationale Entwicklungen I. ATAD Mit der Anti-Tax Avoidance Directive I und II (kurz: ATAD I und II)31 verfolgt die EU die Umsetzung der aus dem BEPS-Projekt resultierenden Vorgaben der OECD auf EU-Ebene. Die wesentlichen Inhalte der ATAD umfassen die Einführung einer Zinsschranke, von Entstrickungsund Wegzugsbesteuerungsregeln, die Normierung einer allgemeinen Missbrauchsregelung, Vorgaben von Mindeststandards für die Hinzurechnungsbesteuerung sowie Regelungen zu hybriden Gestaltungen. Dabei handelt es sich jeweils um ein Mindestschutzniveau, über das die nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung der Vorgaben hinausgehen dürfen. Die Umsetzung der ATAD in nationales Recht hat bis spätestens 31.12.2018 zu erfolgen. Für Deutschland besteht insbes. im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung Handlungsbedarf, um deutsche Unternehmen mit ihren Auslandsinvestitionen in ausländische Tochtergesellschaften nicht zu benachteiligen.32 Neben einer Absenkung der Niedrigbesteuerungsgrenze ist eine Überarbeitung des Einkünftekatalogs dringend geboten.

II. Herausforderungen der Digitalisierung Digitalisierung und Vernetzung werden immer mehr zum Wachstumstreiber von Wirtschaft und Wohlstand. So führt die digitale Transformation, die sich durch alle Bereiche der Wirtschaft zieht, auf Unternehmensebene zu fortlaufenden Veränderungen und zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, bei denen immaterielle Vermögenswerte wie Daten 29 Vgl. EuGH v. 17.5.2017 – C-365/16 – Association française des entreprises privées u.a., ECLI:EU:C:2017:378. 30 Vgl. Koch, Dividendenzahlungen zwischen Deutschland und Frankreich in IWB v. 12.5.2017. 31 RL v. 12.7.2016 – (EU) 2016/1164, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1 (ATAD I); RL v. 29.5.2017 – (EU) 2017/952, ABl. EU 2017 Nr. L 144, 1 (ATAD II). 32 Siehe auch Haas/Wünnemann, DStR 2018, 377 ff.

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und Informationen zusehends an Bedeutung gewinnen. Die Geschäftsmodelle der digitalisierten Wirtschaft zeichnen sich durch eine hohe Mobilität und neue Wertschöpfungsketten aus. Während bei traditionellen Geschäftsmodellen eine physische Präsenz im Absatzmarkt zwingend erforderlich war, verliert die physische Präsenz von Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen an Bedeutung. Damit fehlt in den Absatzmärkten oftmals ein ertragsteuerlicher Anknüpfungspunkt, es ergeben sich aus steuerlicher Sicht zahlreiche Zurechnungs- und Bewertungsfragen. Vor diesem Hintergrund gibt es auf nationaler und internationaler Ebene fortlaufende Diskussionen über die adäquate Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle. So hatte sich bereits die OECD im Rahmen ihres BEPS-Projekts mit der Besteuerung der digitalen Wirtschaft beschäftigt.33 In ihrem Bericht aus 2015 hatte die OECD empfohlen, für die digitale Wirtschaft keine besonderen Besteuerungsregeln einzuführen und die für digitale Geschäftsmodelle geltenden Steuerregeln mit den anderen Aktionsplänen des BEPS-Projekts abzustimmen. Die OECD hatte in ihrem Bericht jedoch aus der Digitalisierung resultierende, steuerliche Herausforderungen identifiziert, und zwar betreffend den Nexus-Ansatz, die Besteuerung von Daten und die Charakterisierung von Einkünften aus digitalen Geschäftsmodellen. Vor diesem Hintergrund wurde beschlossen, dass die Arbeitsgruppe digitale Wirtschaft ihre Arbeit fortsetzt und in 2018 einen Zwischen- bzw. in 2020 einen finalen Bericht mit Vorschlägen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft veröffentlicht.34 Parallel dazu wurde auf Ebene der EU über adäquate Besteuerungsregeln für die „digitale Wirtschaft“ diskutiert.35 Die EU-Kommission hat am 33 Vgl. BEPS-Aktionspunkt 1 „Herausforderungen für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft“, OECD (2015), abrufbar unter folgendem Link: http://www. oecd.org/ctp/herausforderungen-fur-die-besteuerung-der-digitalen-wirtschaft9789264237100-de.htm. 34 Der Zwischenbericht wurde am 18.3.2018 veröffentlicht, abrufbar unter folgenden Link: https://read.oecd-ilibrary.org/taxation/tax-challenges-arisingfrom-digitalisation-interim-report_9789264293083-en#page1. 35 Zu erwähnen ist die von der Europäischen Kommission eingesetzte Expertengruppe zum Thema „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“, die in ihrem Abschlussbericht v. 28.5.2014 zu dem Ergebnis kam, dass die digitale Wirtschaft keiner gesonderten Steuerregelung bedarf. Vielmehr wären ggf. die derzeitigen Bestimmungen anzupassen, um der Digitalisierung der Wirtschaft gerecht zu werden. Im Bereich der Unternehmensbesteuerung und mit Blick auf die Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs, die Überarbeitung der Verrech-

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21.3.2018 zwei Richtlinienentwürfe zur Besteuerung bestimmter digitaler Geschäftsmodelle veröffentlicht.36 Diese enthalten als kurzfristige nungspreisvorschriften und die Anwendung der steuerlichen Präsenz wurde dem BEPS-Projekt grundlegende Bedeutung beigemessen. Die Pressemitteilung v. 28.5.2014 zu dem genannten Abschlussbericht kann unter folgendem Link abgerufen werden: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-14-604_de.htm und der entsprechende Abschlussbericht unter dem folgenden Link: https:// ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/resources/documents/tax ation/gen_info/good_governance_matters/digital/report_digital_economy.pdf. Am 9.9.2017 veröffentlichten die Finanzminister von Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien eine gemeinsame Stellungnahme, in der sie die EUKommission aufforderten, zeitnah einen Legislativvorschlag zur Besteuerung der Unternehmen der digitalen Wirtschaft vorzulegen. Die Stellungnahme ist unter folgendem Link abrufbar: https://www.bundesfinanzministerium.de/ Content/DE/Standardartikel/Themen/Europa/ECOFIN_und_Eurogruppe/201709-18-eurogruppe-informeller-ecofin-nachbericht-september-anl3.pdf?__blob= publicationFile&v=1. Die EU-Kommission veröffentlichte am 21.9.2017 eine Kommunikation [COM(2017) 547 final] über ein faires und effizientes Besteuerungssystem in der EU für den digitalen Markt, in dem zum einen der Status und die Herausforderungen der Besteuerung von digitalen Geschäftsmodellen erläutert werden. Darüber hinaus wird die EU aufgefordert, eine klare Position zur Besteuerung der „digitalen Wirtschaft“ einzunehmen, und in Ermangelung eines globalen Vorankommens ggf. Besteuerungsregeln auf EUEbene umzusetzen. Die Kommunikation „A Fair and Efficient Tax System in the European Union for the Digital Single Market“ ist unter dem folgenden Link abrufbar: https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/1_ en_act_part1_v10_en.pdf. Zwischen dem 26.10.2017 und dem 3.1.2018 bestand darüber hinaus die Möglichkeit, an einer öffentlichen Konsultation der Europäischen Kommission zur „Fair taxation of the digital economy“ teilzunehmen. Im Rahmen dieser Initiative der EU Kommission soll ein Konzept für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft entwickelt werden. Dieses Konzept soll einer faireren und wirksameren Besteuerung, der Stützung von öffentlichen Einnahmen und Förderung gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen dienen. Informationen zu dieser Konsultation, zu deren Zielen und Ergebnissen können unter folgendem Link abgerufen werden: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-4204_en.htm. 36 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz v. 21.3.2018, 2017/0072 (CNS). Abrufbar unter https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/ taxation/files/proposal_significant_digital_presence_21032018_de.pdf; Anhänge zu diesem Vorschlag: https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/ files/proposal_significant_digital_presence_annex_21032018_de.pdf; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum gemeinsamen System einer Digitalsteuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen v. 21.3.2018, COM(2018) 148 final, https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/

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Maßnahme (i.S. einer Übergangslösung) eine Sondersteuer für Umsätze aus bestimmten digitalen Dienstleistungen, die sog. „Digital Services Tax“, und als langfristige, umfassende Lösung eine Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs zur Erfassung von sog. „signifikanten digitalen Präsenzen“. Aus Sicht der Stpfl. ist eine Sonderbesteuerung der sog. „digitalen Wirtschaft“ kritisch zu sehen, da sie ein nicht unerhebliches Risiko von Doppelbesteuerung aufweist und aufgrund der Komplexität der bisher vorgestellten Lösungsansätze die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen nicht absehbar sind. Von nationalen Alleingängen sollte auf jeden Fall abgesehen werden, ebenso von Alleingängen auf EU-Ebene. Schließlich ist auch der Begriff der „digitalen Wirtschaft“ nicht definiert: die Digitalisierung hält zwischenzeitlich in allen Bereichen Einzug, so dass gesonderte Besteuerungsregeln für die „digitale Wirtschaft“ ggf. auch für Teile von traditionellen Industrien relevant wären. Damit könnte ein Teil der Ziele von gesonderten Besteuerungsregeln für die „digitale Wirtschaft“, die „fairere“ und wirksamere Besteuerung sowie die Förderung gleicher Wettbewerbsbedingungen, ggf. verfehlt werden. Letztlich ist aus fiskalischer Sicht abzuwägen, inwieweit bspw. eine „Digital Service Tax“ das Steueraufkommen verändert. Schließlich sollte aus Sicht der Finanzverwaltung die Komplexität eines derartigen Besteuerungssystems nicht unterschätzt werden. Neben zusätzlichem administrativem Aufwand – bspw. aus der Datenerhebung und -auswertung – könnten sich umfangreiche rechtliche Fragestellungen ergeben, bspw. im Hinblick auf den Datenschutz, die in einer KostenNutzen-Analyse mit dem potentiellen Steueraufkommen zu vergleichen wären.

F. Fazit und Ausblick Die MNU sehen sich aufgrund zahlreicher, zum Teil äußerst kurzfristig umzusetzender Steueränderungen und der umfangreichen Diskussionen bzgl. der Besteuerung der „digitalen Wirtschaft“ zunehmend komplexen Anforderungen ausgesetzt. Die Steueränderungen bringen aufgrund unbestimmter Rechtsbegriffe bzw. Anwendungsvoraussetzungen oftmals hohe Rechtsunsicherheiten mit sich. Damit einhergehend reduziert sich die Planungssicherheit für die (Konzern-)Steuerabteilungen im Hinblick auf taxation/files/proposal_common_system_digital_services_tax_21032018_de .pdf.

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die effektive Steuerquote und Steuerzahlungen, aber auch für die Finanzabteilung mit Blick auf die EPS und die Liquiditätsplanung. Aus Sicht der Stpfl. wäre eine Harmonisierung der Ertragsteuersysteme wünschenswert. Mit Blick auf die Besteuerung der „digitalen Wirtschaft“ sind nationale Alleingänge ebenso zu vermeiden wie Alleingänge auf EU-Ebene. Vielmehr sollte eine Harmonisierung auf OECD/G20-Ebene erfolgen, und zwar mit dem nötigen Augenmaß unter Vermeidung von Doppelbesteuerung. Dabei sollten ein Austausch zwischen Finanzverwaltung und Stpfl. erfolgen und verpflichtende Streitbeilegungsmechanismen umgesetzt werden. Nachdem die Digitalisierung in allen Bereichen Einzug hält, wachsen damit auch die Anforderungen an die (Konzern-)Steuerabteilungen und die Finanzverwaltung. Neben reinem Steuerwissen müssen die (Konzern-) Steuerabteilungen auch technologiebasiertes Wissen aufbauen, um zum einen digitale Geschäftsmodelle steuerlich würdigen zu können und zum anderen die Automatisierung von internen Prozessen voranzutreiben.

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Aktuelle Steuerrechtsentwicklungen im Ausland – Überblick und Auswirkungen auf deutsche Unternehmen Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Kirsten Birnbaum Senior Vice President, Leiterin der Konzernsteuerabteilung, SAP SE, Walldorf

Malte Fidler Global Head of Tax and Trade Governance, Boehringer Ingelheim

Prof. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, EY, Eschborn/Frankfurt am Main

MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Oliver Nußbaum Global Head of Tax, BASF SE, Ludwigshafen

Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

Prof. Dr. Lüdicke Frau Birnbaum, ganz herzlichen Dank für Ihren Vortrag. Man sieht, Sie haben ein interessantes Leben. Wir haben mehrere Themen. Zum einen die US-Steuerreform, zum zweiten den Brexit, von dem man ja manchmal den Eindruck hat, dass ihn schon keiner mehr möchte. Ich habe eben gedacht, Frau Birnbaum, als Sie sagten, dass viele Unternehmen nicht glauben, dass sie durch den Brexit ernsthaft getroffen werden – ja, wenn er nicht kommt, haben die Recht. Ansonsten würde ich allerdings auch sagen, es ist eine falsche Einschätzung der Lage. Wenn er kommt, dann gibt es Auswirkungen, vor allen Dingen, wenn er als harter Brexit kommt, und Sie haben das ja sehr schön aufgelistet. Und zum dritten das französisch-deutsche Konvergenzprojekt. Es ist im Moment vielleicht etwas

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weniger spannend, anders als die Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Dazu wird uns gleich Herr Kreienbaum einen Überblick über das geben, was da zurzeit international passiert. Wir sollten aber zunächst die USSteuerreform diskutieren. Nußbaum Eine kurze Anmerkung aus meiner Perspektive: Wenn man den Gesetzgebungsprozess der Steuerreform in den USA mitverfolgt hat, dann geht es den USA bei der Einführung der Base Erosion Tax nicht in erster Linie um den Kampf gegen Steuergestaltungen, sondern vielmehr darum, Anreize zu schaffen, um Arbeitsplätze in die USA zu verlagern, letztlich also um Standortpolitik für US-amerikanische multinationale Unternehmen. Und es geht um die Schaffung gleicher Voraussetzungen, eines level playing fields, weil sich US-Unternehmen in Europa einfach unfair behandelt fühlen. Die Diskussion und die Verfahren über mögliche beihilferelevante Gesetze bzw. Rulings einzelner Staaten in Europa werden dort sehr ernst und mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Wenn Europa USUnternehmen Steuerlasten auferlegt, dann wird die USA das für den Inbound-Fall sozusagen korrespondierend machen. Im Übrigen ist das auch geschickt, da gleichzeitig die Gegenfinanzierung für die Steuersatzsenkung dargestellt werden kann. Was ich an der vom Repräsentantenhaus vorgeschlagenen 20%igen Verbrauchsteuer, Excise Tax, auf allen Konsum von gruppeninternen Dienstleistungen, auch von Lieferungen und Leistungen, also auch von Cost of Good Sold, interessant finde, ist, dass man ihr entkommen kann, indem man „freiwillig“ eine Betriebsstätte in den USA erklärt. Man versteuert also den angenommenen Gewinn einer fiktiven Betriebsstätte in den USA. Im Ergebnis ist das zwar ein Treaty Override, den die Amerikaner aber nicht sehen, da die Anmeldung der Betriebsstätte vermeintlich freiwillig erfolgt. Das ist eigentlich eine smarte Art, einen Treaty Override zu rechtfertigen. Man setzt dem Stpfl. das Messer auf die Brust: „Entweder zahlst du 20 % auf Brutto Excise Tax oder du erklärst freiwillig eine Betriebsstätte.“ Der Vorschlag des Senats ist ein bisschen abgemilderter, weil dort die Lieferung und Leistungen von Gütern nicht mit einbezogen sind. Letztlich hat der Vorschlag des Senats schon den Charakter einer alternativen Minimum-Tax, weil man im Kern das US-Steuereinkommen nimmt, definierte Leistungen hinzuaddiert, mit 10 %, multipliziert und zur Mindeststeuer kommt, die man in den USA zahlen muss.

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Prof. Dr. Köhler Ich würde dazu noch Folgendes sagen: Die USA verkaufen das ja unter dem Stichwort des Territorialsystems, also Zurückdrängen der Besteuerung von einem weltweiten auf ein territoriales System. Genau das, was Oliver Nußbaum gerade beschreibt, führt aber für den Rest der Welt eigentlich ins Gegenteil. Jeder Konzern mit US-Liefer- und -Leistungsbeziehungen, der eben nicht der vollen Bruttobesteuerung unterliegen möchte – und das hat man wahrscheinlich relativ schnell ausgerechnet, dass theoretisch die Nettobesteuerung die bessere wäre –, der soll dann aber auch verpflichtet sein, quasi den Gewinn, der darauf entfällt, auszurechnen, also die Produktlinien, um die es dann geht, für die soll man dann den durchschnittlichen global erzielten Gewinn – nicht den in den USA, den global erzielten Gewinn – berechnen, um dann 80 % der Steuer, aber dann nur wieder auf die Gesellschaft, mit der die Geschäfte gemacht wurden, in den USA anrechnen zu dürfen. Ergo: Während die USA von Territorialsystem sprechen, zwingt man den Rest der Welt mit Geschäften mit den USA, weltweit auf Produktlinienbasis zu kalkulieren, um das dann dem US-Fiskus noch bekanntzugeben, damit der auch noch begreift, ob die Marge in den USA so wie im Rest der Welt ist, und Sie haben damit ein globales Ermittlungsproblem, damit die USA ein angebliches Territorialprinzip umsetzt. Nußbaum Dazu kommt der immense Verwaltungsaufwand. Stellen Sie sich vor, Sie müssten für jede Produktgruppe den globalen Gewinn dieser Produktgruppe ermitteln. Auch die Zinsschranke ist ein Thema. 30 % Beschränkung auf das angepasste EBIT oder EBITDA. Das kennen wir im Kern auch schon in Deutschland. Interessanterweise gehen die US-Vorschläge noch ein bisschen weiter. Während in Deutschland die Escape-Klausel des § 4h Abs. 2 EStG eine Mindestgrenze eingeführt hat, geht die USA weiter und wendet das Verhältnis der Zinszahlungen der US-Legaleinheit zum EBITDA im Vergleich zur Gruppe als einen Maximalbetrag an. Die Ideenvielfalt und der Wettbewerb scheinen kein Ende zu nehmen. Die spannende Frage bleibt und Frau Birnbaum hat das ja schön beschrieben: Wo wird das am Ende landen, wenn alle Länder, und insbes. Europa vielleicht auch, jetzt anfangen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um wieder ein neues level playing field zu schaffen?

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Fidler Ich möchte mich meinen Vorrednern anschließen und betonen, dass die Frage, ob eine etwaige Excise Tax oder eine Mindestbesteuerung vom DBA-Schutz erfasst sind, essentiell ist. Ich gehe davon aus, dass die Excise Tax nicht erfasst wäre. Sollte eine Mindestbesteuerung erfasst sein, so würde dies zu einer erhöhten Transparenz und entsprechenden Begehrlichkeiten und Problemen auf der Transfer-Pricing-Seite führen. Hierbei ist aus meiner Sicht entsprechende Verbandsarbeit i.S. der aus US-amerikanischer Sicht Inbound-Stpfl. geboten. Die geplante Absenkung des US-Steuersatzes auf 20 % wird zu massiven Deklarationspflichten auf Basis des AStG in Deutschland führen und die deutsche Finanzverwaltung an ihre Kapazitätsgrenzen bringen – so hat das auch die bayrische Finanzverwaltung zumindest inoffiziell kommuniziert. Abschließend noch ein Hinweis: Man darf das Dogma „America First“ nicht isoliert betrachten. In Europa wird eine „Equalization Tax“ auf digitale Geschäftsmodelle diskutiert, die in erster Linie auf Facebook, Amazon und Google abzielt. Da diese Unternehmen in den USA voll steuerpflichtig sind, überrascht es nicht, wenn die USA auf solche Vorstöße mit Konzepten wie einer Mindestbesteuerung oder einer Excise Tax reagieren. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, das war ja sozusagen schon die Überleitung zu Herrn Kreienbaum. Sie dürfen gern auch noch etwas zur US-Steuerreform aus deutscher Sicht, aus der Sicht der deutschen Finanzverwaltung und/oder des Gesetzgebers, sagen. Ist man da der Getriebene? Aber Sie können das gerne direkt verbinden mit der Darstellung der digitalen Welt. Kreienbaum Vielleicht ist doch erwähnenswert, dass in einem ersten Schritt die Bemühungen der USA zu einer grundlegenden Steuerreform aus Sicht des Fiskus und aus Sicht des Bundesfinanzministeriums als positiv bewertet werden. Denn eine Reihe der Probleme, die wir auch im Rahmen des BEPS-Projekts diskutiert haben, resultieren nicht zuletzt aus einem Zusammenspiel nicht kompetitiv hoher Steuersätze in den USA mit Ausnahmeregelungen im gegenwärtigen US-Steuerrecht, die uns viele Probleme bereiten. Jetzt sind nicht alle Ausnahmeregelungen in den Re-

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formvorschlägen aus dem Haus und Senat adressiert worden – man hätte sich vielleicht wünschen können, dass man Check-the-Box angeht, was viele Probleme verursacht, aber im ersten Schritt würde ich das festhalten wollen: Es ist gut, dass sich auch die USA um ein weltweit kompetitives Steuersystem bemühen. Was die einzelnen Elemente angeht, sehe ich es auch, wie es Herr Nußbaum und auch Herr Fidler ausgedrückt haben: Wir können uns nicht gefallen lassen, durch Druckmechanismen, die im US-Steuerrecht angelegt werden, deutsche Unternehmen in eine freiwillige Betriebsstätte treiben zu lassen. Was Herr Fidler dazu sagte, ist richtig. Wir stellen auch fest, dass auch wir europäische Staaten mit unseren steuerpolitischen Argumentationslinien nicht immer völlig konsistent sind. Wenn wir hier im Bereich der Besteuerung der digitalen Wirtschaft über eine Equalization Tax reden und dabei vielleicht auch im Hinterkopf haben, dass diese keine Anwendung finden soll, sobald Unternehmen aus Drittstaaten Tochterunternehmen oder Betriebsstätten in Europa aufgebaut haben, ist es genau der gleiche Mechanismus, mit dem uns nun der US-Steuergesetzgeber droht. Ich möchte es so ausdrücken: Man muss mit Kritik nicht vorsichtig sein, solange und soweit man sie auch für sich selbst akzeptiert. Ansonsten werden die Ergebnisse der US-Steuerreform in ihrer endgültig verabschiedeten Form abzuwarten sein. Ich habe jetzt noch, Frau Birnbaum, Sie hatten das nicht erwähnt, aus der Diskussion im US-Senat gehört, dass eine privilegierte Besteuerung von Lizenzeinkünften aus dem Ausland im Gespräch ist. Und da wird man klar sagen müssen, dass bei Anwendung eines niedrigen Steuersatzes auf bestimmte Einkünfte die Idee des durch die OECD entwickelten und international als Teil der BEPS-Verpflichtungen breit akzeptierten Nexus-Ansatzes Anwendung findet. Hier wird wohl aus OECD-Sicht ganz klar festgestellt werden müssen, dass ein solches Regime nicht Nexus-konform wäre, mit der Folge, dass wir in Europa beispielsweise in den Black-Listing-Prozess kämen. Das muss man sich klar vor Augen führen. Der in Europa durch die sog. Code-of-Conduct-Gruppe initiierte Prozess um schwarze Listen berücksichtigt neben bestimmten Transparenzkriterien auch die internationalen Vereinbarungen zum schädlichen Steuerwettbewerb, unter anderem den erwähnten Nexus-Ansatz. Der zweite konkrete in der US-Steuerreform diskutierte Punkt wäre ein klassisches Kriterium, das sog. Ring Fencing, ein günstigerer Steuersatz für Gewinne aus Leistungen an Nicht-Gebietsansässige und ein höherer

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Steuersatz für Leistungen, die vom Gebietsansässigen kommen. Auch das verstieße gegen etablierte Kriterien des Code of Conduct. Der dritte Punkt, der zu prüfen ist, betrifft die Frage nach der WTORechtmäßigkeit der US-Reformüberlegungen. Diesbezüglich sollten wir zunächst abwarten, was die Amerikaner am Ende tatsächlich beschließen. Hier müssen wir uns auch selbstkritisch prüfen – auf das Thema der Besteuerung der Digitalen Wirtschaft kommen wir ja noch – und uns international koordinieren. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, da jede Reform in irgendeinem Staat Auswirkungen auf andere Staaten hat. Wir sind gut beraten, uns auf der Ebene des Inclusive Framework mit mittlerweile 105 Staaten zu überlegen, wie wir ein international konsistentes Besteuerungssystem hinbekommen. Soviel zur US-Steuerreform. Nun zum Programmpunkt der „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“: Dieses facettenreiche Thema hat insbes. in diesem Jahr neue Dynamik aufgenommen und ich möchte der Frage nachgehen, wer dieses Thema betreibt, warum dieses Thema betrieben wird, mit welcher Rechtfertigung und mit welchem Ziel dieses Thema betrieben wird, und wie nach dem aktuellen Stand der Diskussion politische Initiativen rechtlicher Regelungen aussehen können. Letzteres lässt sich zurzeit nur in groben Umrissen absehen, aber ein wenig kann ich Ihnen dazu sagen. Wer betreibt dieses Thema? Der Ausgangspunkt war, dass die Besteuerung der digitalen Wirtschaft, Frau Birnbaum hatte das in ihrem Vortrag schon gesagt, als Aktionspunkt 1 des BEPS-Aktionsplans, 2015 in einem Bericht gemündet ist, der keine konkreten Schlussfolgerungen beinhaltete und keine Empfehlungen, auf die man sich geeinigt hat, wie das etwa bei den anderen BEPS-Aktionspunkten der Fall war. Vielmehr wurden Handlungsoptionen analysiert mit dem Ergebnis, dass die digitale Wirtschaft nicht trennscharf von der nicht-digitalen Wirtschaft unterschieden werden kann, weswegen besser von der digitalisierten Wirtschaft gesprochen werde. Am Ende durchzöge die Digitalisierung alle Wirtschaftsbereiche. Und an diesem Befund ist ja wahrscheinlich nichts falsch. Insofern sprechen wir bei der Besteuerung der digitalen Wirtschaft schlichtweg über neue Grundsätze und steuerliche Anknüpfungspunkte, mit denen wir uns vermutlich dann allgemein anfreunden müssen. Deutschland hat dieses Thema auf die Agenda der noch laufenden deutschen G20-Präsidentschaft als eines der prominenten steuerlichen Themen gebracht. Wir hören von der Folgepräsidentschaft aus Argentinien, dass sie das Thema weiter betreiben wollen, und insbes. von den Japanern, die danach folgen, dass dieses Thema dann für das Jahr 2019 noch-

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mal sehr prominente Bedeutung bekommen soll. Wir sehen in einzelnen Staaten unilaterale Maßnahmen. Indien hat eine Einbehaltungssteuer auf Werbeleistungen eingeführt, Israel hat ähnliche Vorschläge umgesetzt, ganz jüngst wird in Italien die Einführung einer Steuer für Digitalwerbung diskutiert. In Frankreich gab es einen Vorstoß, der zunächst nicht durchgedrungen ist – wir sehen in einer ganzen Reihe von Staaten dieser Welt das Bedürfnis, um es mal etwas diffus zu umschreiben, „etwas zu tun“ in diesem schillernden, facettenreichen Bereich der „digitalen Wirtschaft“. Was genau erfasst werden soll und wie das geschehen soll, ist in weiten Teilen noch unklar. Auffallend ist allerdings, dass sich mit Blick auf die Rechtfertigung des Tätigwerdens zumindest in Europa in diesem Jahr Veränderungen ergeben haben. Wir haben bisher das Thema „digitale Wirtschaft“ unter dem Rubrum „BEPS“ diskutiert aus der Perspektive, dass Gewinne von Unternehmen, die im Bereich der digitalen Wirtschaft sind, „angemessen“ besteuert werden sollen, um negative Wettbewerbseffekte zu vermeiden. Multinational aufgestellte Unternehmen der Digitalwirtschaft können Gewinne nahezu steuerfrei akkumulieren und genießen dadurch im Verhältnis zu rein national operierenden Unternehmen Wettbewerbsvorteile. Diese Schieflage mochte man nicht hinnehmen. Das war der Ausgangspunkt der BEPS-Diskussion. Neuerdings machen Staaten einen originären Steueranspruch auf bestimmte Gewinne, die im Bereich der digitalen Wirtschaft erwirtschaftet werden, geltend, weil und soweit digitale Unternehmen in den Märkten dieser Staaten präsent oder aktiv sind. Man erhebt einen originären Steueranspruch und macht ein steuerliches Zugriffsrecht geltend auf diese Gewinne oder einen Teil der Gewinne, ohne auf Besteuerung dieser Gewinne im Ansässigkeitsstaat der Unternehmen abzustellen. Wie wird nun dieser steuerliche Anspruch begründet? In diesem Jahr ist mehr und mehr der Gedanke in den Vordergrund getreten, auf Wertschöpfung abzustellen, die in den Staaten stattfindet, in denen digitale Unternehmen wirtschaftlich präsent sind, im Sitzstaat der Kunden, der Nutzer. Kunden, Nutzer und andere Faktoren werden in digitale Geschäftsmodelle integriert und sind damit integraler Bestandteil der Wertschöpfung. Die digitale Präsenz, die digitale Marktdurchdringung oder die Einbindung der Kunden und Nutzer in die Wertschöpfungskette führt zur Wertschöpfung in den „Marktstaaten“, und dieser Umstand rechtfertigt dann den Steuerzugriff.

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Teilweise wird bestritten, dass in der herkömmlichen internationalen Zuordnung und Abgrenzung von Besteuerungsrechten Wertschöpfung ein wesentlicher Faktor ist. Ich sehe jedenfalls im Unternehmenssteuerrecht schon Wertschöpfung als wesentlichen Faktor. Wenn wir auf Verrechnungspreise schauen, auch in der Ausformung des AOA, spielt Wertschöpfung schon eine entscheidende Rolle. Es gibt zwar im außerunternehmerischen Bereich viele Abgrenzungsfaktoren, die rein pragmatisch sind. Wenn beispielsweise die Rente im Ansässigkeitsstaat besteuert wird, dann hat das nichts mit Wertschöpfung zu tun. Für den unternehmensteuerlichen Bereich nehme ich aber schon in Anspruch, dass der Gedanke der Wertschöpfung die Zuordnung der Besteuerungsrechte leitet. Und das passt wiederum gut zur BEPS-Idee. Auch dort haben wir ja immer gesagt: Zuordnung nach Wertschöpfung, auch bei den anderen BEPS-Themen. Jetzt spielt dieser Gedanke als eigenständiger Rechtfertigungsgrund für den Zugriff auf Gewinne in der digitalen Wirtschaft eine Rolle. Die sich daran anschließenden Fragen, wie Wertschöpfung definiert und vor allem ermittelt wird, wie man Wertschöpfungsbeiträge in komplexen digitalen Geschäftsmodellen voneinander abgrenzt, wie unterschiedliche Wertschöpfungsbeiträge absolut und relativ bewertet werden, sind allesamt hoch komplex und noch nicht hinreichend erörtert. Aber die in der internationalen Diskussion beteiligten Staaten haben sowohl auf Ebene der OECD als auch auf Ebene des Inclusive Framework als auch auf Ebene der EU im Grundsatz durchgehend den Begriff „Wertschöpfung“ als bestimmenden Faktor anerkannt, nach dem auch im Bereich der digitalen Wirtschaft Gewinne zugeordnet werden sollen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, diesen Grundsatz auch auf Geschäftsmodelle anzuwenden, die keine physische Präsenz des Unternehmens im Marktstaat erfordern. Im Verhältnis von Wertschöpfung zur Zuordnung von Besteuerungsrechten ist für den Bereich der direkten Steuern ein weiterer Punkt wichtig, vor allen Dingen in Verbindung mit dem Begriff „Marktstaat“: Die Wertschöpfung, die stattfindet, muss über die reine Marktfunktion i.S. der Nachfragefunktion des Marktstaats hinausgehen. Die reine Nachfragesituation im Marktstaat und der Beitrag zur Wertschöpfung durch Konsum wird durch Verbrauchsteuern abgedeckt. Mit Blick auf die Rechtfertigung des Steuerzugriffs im Bereich der direkten Steuern muss es sich also um Funktionen im Markt handeln, die über den Verbrauch einer Ware oder einer Dienstleistung hinausgehen.

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Plastisch veranschaulicht bedeutet dies beispielsweise im Fall des Geschäftsmodells von Google, dass verschiedene Wertschöpfungsbeiträge in Betracht zu ziehen sind. Der wesentliche Teil der Gewinne und auch der Umsätze beruht auf Werbeleistungen. Zielgerichtete Werbung ist wesentlicher Gewinntreiber dieses Unternehmens. Dazu sammelt und verarbeitet Google zum einen Daten mittels eines eigens dafür entwickelten Algorithmus. Zum anderen hat Google eine Marke aufgebaut. Wir „googeln“ ja alle nur, weil wir die Marke Google im Hinterkopf haben. Jetzt wird man sicher sagen können, dass ohne die Daten aus den „Marktstaaten“ auch der Algorithmus nichts wert wäre, weil er ohne Daten der Nutzer nutzlos wäre. Ohne die Bekanntheit der Marke wäre auch nicht viel gewonnen, und ohne den Algorithmus wäre auch alles Nichts. Alle Faktoren, eben auch die Nutzereinbindung (sprich Datengewinnung), spielen eine essentielle Rolle in diesem Geschäftsmodell, alle Faktoren tragen zur Wertschöpfung bei und alle drei Faktoren müssen dann auch bei der Frage der Zuordnung von Besteuerungsrechten Berücksichtigung finden. Ganz kurz zum Verfahren. Frau Birnbaum hatte das auch schon in Teilen angesprochen. Auf G20-Ebene haben G20-Staaten einen Zwischenbericht der sogenannten OECD Task Force on the Digital Economy angefordert, der bis zur Weltbank- und IWF-Frühjahrstagung im April nächsten Jahres fertiggestellt sein soll. Auf Ebene der EU haben die Staatsund Regierungschefs im Oktober vereinbart, dass die Kommission bis zum Frühjahr 2018 konkrete Gesetzgebungsvorschläge vorlegen soll. Diese können in Form einer Richtlinie vorgelegt werden, allerdings auch in abgeschwächter Form als bloße Empfehlung. Sicher ist, dass wir bis zum Ende des ersten Quartals nächsten Jahres konkrete Vorschläge der Kommission sehen werden. Diese sollen weitgehend abgestimmt sein mit den Sacharbeiten, die auf OECD-Ebene stattfinden. Die Hauptbotschaft ist: Zu Beginn des nächsten Jahres können wir mit konkreten legislativen Vorschlägen auf europäischer Ebene rechnen. Abzusehen ist, dass dabei der Faktor „Wertschöpfung“ eine wesentliche Rolle spielen wird. Diskutiert werden einerseits sogenannte „Quick Fixes“, also kurzfristige einzusetzende Maßnahmen. Der Begriff „Fixes“ deutet auch schon an, dass vertreten wird, dass die gegenwärtigen Anknüpfungspunkte die „richtige“ Zuordnung von Besteuerungsrechten nicht herzustellen in der Lage sind. „Quick Fixes“ sind zudem als vorübergehende Maßnahmen zu verstehen, die jedenfalls auf OECD-Ebene bisher ausdrücklich auch als vorübergehend gekennzeichnet sind. Sie sollen mög-

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lichst mit einem festen Ablaufdatum versehen sein. Hier ist zu erwarten, dass der Steueranspruch am Gewinn eines Unternehmens mit einem indirekten Mechanismus realisiert werden soll. Im Gespräch ist eine Ausgestaltung als Abzugsteuer. Auf europäischer Ebene muss dabei die Umsatzsteuersystemrichtlinie sowie die Zulässigkeit nach DBArechtlichen Bestimmungen beachtet werden. Regelungstechnisch werden wir vermutlich eine Art hybrides Instrument erwarten können, dessen konkrete Ausgestaltung im Frühjahr feststehen wird. Langfristig wird über einen in das System der direkten Besteuerung integrierten Besteuerungszugriff über eine sogenannte virtuelle oder digitale Betriebsstätte nachgedacht. Dazu kann ich Ihnen noch nicht allzu viel sagen. Absehbar ist, dass unter Verzicht auf die bisherigen Erfordernisse der physischen Präsenz bei der Betriebsstätte ein steuerlicher Anknüpfungspunkt hergestellt werden soll. Natürlich stellt sich dann auch dort die Frage, wie die Wertzumessung der Gewinne bei der Gewinnermittlung dieser Betriebsstätte erfolgen soll. Dies ist eine komplexe Aufgabe, die vor uns liegt. Ich möchte gleich dazu sagen, dass wir uns dessen bewusst sind, dass diese Diskussion auch Gefahren für den deutschen Fiskus birgt. Sobald Sie etwas auf abstrakte Grundsätze zurückführen müssen, werden Sie schnell feststellen, dass Sie an Ihre Grenzen stoßen. Dies ist aus meiner Sicht die große Herausforderung, vor der wir stehen. Ich sehe keinen Anlass, bisherige Besteuerungsprinzipien vollständig über Bord zu werfen. Vielmehr müssen wir zielgerichtet und fokussiert vorgehen: Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass uns das in der nächsten Zeit auch gelingen wird. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank, Herr Kreienbaum! Ich glaube, Sie haben erst mal einen Sonderapplaus verdient. Ich war eben versucht zu sagen, meine Damen und Herren, dass die geschilderten Entwicklungen schon etwas beängstigend erscheinen können. Und ein Weiteres: Die Voraussage, dass wir uns bei der nächsten Tagung damit beschäftigen werden, ist nicht besonders gewagt. Wir können das jetzt aus Zeitgründen leider nicht sofort ausdiskutieren. Bitte, Herr Köhler. Prof. Dr. Köhler Ich würde gerne folgende Frage stellen: Es gab letztens noch eine Pressemeldung, dass Amazon 16 Mrd. t in die Forschung steckt und damit VW

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als größtes deutsches forschendes Unternehmen mit 12 Mrd. t bei Weitem überholt. Ich wüsste jedenfalls nicht, ich kenne Amazon nicht näher, dass Amazon in irgendeiner Form in Deutschland Forschung und Entwicklung betreibt. Sie sagen jetzt gleichwohl, dass die Wertschöpfung hier in Deutschland läge, während ich so umgekehrt Folgendes überlegte: So ein deutscher Autokonzern plant ja auch, in Zukunft seine Autos digital zu vermarkten, und der wird auch sicherlich immer mehr digitale Marktforschung betreiben, immer mehr Daten einsammeln, um zu wissen, wer morgen das Auto kaufen möchte, dass er dem Kunden mithilfe der gesammelten Daten bereits heute und ohne Vorbestellungszeiten bauen kann. Und wenn wir diesen Weg gehen, meine ich, bekommen Sie keine saubere Trennung zwischen einem rein digitalen Unternehmen und einem sich zunehmend digitalisierenden Unternehmen. Ist unsere heutige Situation nicht die Folge einer Art von Monopolstellung einiger US-Konzerne, die mit extrem geringen Vertriebskosten ein super Geschäftsmodell aufgebaut haben, was wir in Europa verschlafen haben? Können wir diese dafür zusätzlich besteuern, verkennend, dass wir diese Diskussion um die Wertschöpfung am Ende verlieren? Sie haben es ja eigentlich schon gesagt, bleiben wir bei unseren Autobauern: Die forschen hier, die entwickeln hier, die verkaufen nur im Ausland, aber weil sie im Ausland verkaufen, werden sie plötzlich im Ausland besteuert, als ob dort tatsächlich die Wertschöpfung stattgefunden hätte. Und das Fass machen Sie gerade auf. (Applaus) Prof. Dr. Lüdicke Ich bin ja nicht dafür bekannt, ständig das Bundesfinanzministerium in Schutz zu nehmen, aber ich glaube, hier muss man es wirklich einmal in Schutz nehmen. Und ich glaube, Herr Kreienbaum hat auch völlig zu Recht gesagt, da sind wir nicht ganz so deutlich. Wir sind da ein bisschen die Getriebenen, und Sie können natürlich sagen, ich spiele im Sandkasten nicht mit, aber Sie wissen alle, was passiert, wenn Sie im Sandkasten nicht mitspielen. Das ist auch nicht gut. – Herr Nußbaum, bitte. Nußbaum Ich bin mir nicht sicher, ob wir nur die Getriebenen sind oder nicht auch die treibende Kraft sind. Aber das macht es für ein multinationales Unternehmen relativ schwierig, sich zu diesem Thema zu positionieren. Auf der einen Seite haben wir sehr hohe Steuersätze in Deutschland. Wenn man die Steuerreform in den USA berücksichtigt, ist Deutschland wieder

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eher ein Hochsteuerland, und Fakt wird auch sein, egal, wie man digitale Geschäftsmodelle am Ende abgrenzt, die Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle wird dazu führen, dass im Ausland mehr an Steuersubstrat zu versteuern sein wird. Unter Berücksichtigung niedrigerer Steuersätze im Ausland ist es als Unternehmen schwierig, sich abschließend zu positionieren: Finde ich das jetzt gut oder schlecht? Niedrige Steuerzahlungen im Ausland sind eigentlich vorteilhaft. Wenn ich meinem Vorstand unsere Position erklären möchte, sieht er das als globales und nicht nur als rein nationales Thema. Ich würde als Bürger dieses Landes aufgrund zu erwartender geringerer Steuereinnahmen in Deutschland gegen eine Besteuerung der digitalen Geschäftsmodelle sein, aus unternehmerischer Sicht würde es aber für den Gesamtkonzern vorteilhaft werden. Und das macht es schwierig. Ich kann auch nicht nachvollziehen, warum Deutschland auf der einen Seite die treibende Kraft bei diesem Thema ist, dann aber auf der anderen Seite versucht, wieder einzubremsen. Fidler Ein kurzer Hinweis dahingehend, dass die Politik hier janusköpfig agiert: Laut einer Studie des BDI gibt es in vielen europäischen Ländern – Deutschland ausgenommen – Steuerincentivierungsmodelle für die digitale Wirtschaft über alle Größenklassen hinweg. Gleichzeitig versucht man, die digitale Wirtschaft, soweit sie vornehmlich aus den USA heraus agiert, mit Sondersteuern zu belasten. Hier bedarf es einer Klarstellung, wie man zukünftig mit digitalen Geschäftsmodellen umgehen möchte. Kreienbaum Vielleicht nur als kurze Replik, Herr Nußbaum: Die Frage ist aus meiner Sicht nicht, ob die Diskussion um die Besteuerung der digitalen Wirtschaft geführt wird oder nicht. Aus Sicht eines einzelnen Staats stellt sich nur die Frage, ob er sich an der Diskussion beteiligen möchte und wie er sich dort positioniert. Es gibt oder gab in dieser Diskussion durchaus Fundamentalopposition aus einigen Staaten, aber auch da ist die Einsicht gewachsen, lieber Teil der Diskussion sein zu wollen als einfach nur behandelt zu werden. Die Diskussion zu ignorieren und hinzunehmen, dass sich dann Staaten, die wir vorhin schon genannt haben, mit unilateralen und nicht abgestimmten Maßnahmen aufstellen, das ist sicherlich die schlechteste Lösung. Die Beteiligung an der Diskussion erlaubt zum einen ein Einwirken auf die Diskussion, und das Führen einer international

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abgestimmten Diskussion erlaubt auch, konsistente Regelungen zu bewirken, die zumindest den doppelten Zugriff vermeiden. Die Alternative ist nicht, ebenso wie bei BEPS vor fünf Jahren, die Diskussion und die zugrunde liegende Problematik zu ignorieren. Nußbaum Es ging nicht darum, sich nicht daran zu beteiligen, sondern es zu treiben. Das ist ein feiner Unterschied. Prof. Dr. Lüdicke Darüber könnten wir sicherlich noch lange diskutieren. Wir werden dazu wohl im nächsten Jahr bei unserer Tagung Gelegenheit haben, wenn dann die konkreten Vorschläge da sind. Ich möchte noch einmal die Gelegenheit nutzen, Frau Birnbaum, Ihnen für den Vortrag zu danken. Zum Abschluss noch eine Frage: Verstehen Sie sich als digitalisiertes Unternehmen, weil Sie ja nun Produkte in diesem Bereich vertreiben, oder würden Sie sagen, der Vertrieb ist eigentlich eher klassisch und es ist so gesehen egal, was Sie machen? Birnbaum Wir vertreiben in der Tat u.a. digitale Produkte, allerdings auch über den klassischen Vertrieb. Prof. Dr. Lüdicke Mir lag eben noch auf der Zunge, als Sie sagten, Sie versuchen immer noch, mit der Digitalisierung noch vor der Finanzverwaltung zu sein: Vielleicht sollten Sie mal die Finanzverwaltung auf SAP setzen! Birnbaum Ich glaube, die Finanzverwaltung nutzt zum Teil sogar schon SAP-Lösungen. Prof. Dr. Wacker Natürlich ist es klug, sich an dem Diskussionsprozess zur digitalen Wirtschaft zu beteiligen. Gestatten Sie noch einen Hinweis zum Brexit: Wenn es dazu kommen sollte, und danach sieht es ja bei allen Verwerfungen gegenwärtig aus, wird das auch Einfluss auf die Wegzugsbesteuerung haben. Die Regelungen in § 6 AStG lassen Zweifel aufkommen, ob

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der bloße Verbleib im Vereinigten Königreich zum Widerruf der Stundung führt. Die literarische Diskussion ist in vollem Gange und man könnte da vielleicht die Erwartung hegen, Herr Kreienbaum, dass der Gesetzgeber da, in welcher Richtung auch immer, aktiv wird. Prof. Dr. Lüdicke Ja, der Gesetzgeber sollte auch in anderer Richtung zugunsten der deutschen Wirtschaft noch klarstellend aktiv werden. Im letzten IStR-Heft1 können Sie etwas zur Problematik von nach Deutschland ausgeschütteten englischen Dividenden nachlesen. Nach meiner Ansicht wird im Fall eines harten Brexits ein starres Beharren auf der Regelungslage, so wie sie wohl nach Ansicht der Finanzverwaltung zu interpretieren ist, den Gegebenheiten nicht gerecht, nachdem Großbritannien nun immerhin auch Jahrzehnte Mitglied der EU war. Aber das ist auch eine steuerpolitische Frage.

1 Lüdicke, IStR 2017, 936.

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Hybrids: alle Schotten dicht? Prof. Dr. Stefan Köhler Steuerberater EY, Eschborn/Frankfurt am Main

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . I. Standortbestimmung. . . . . . . II. Verfahrensstand . . . . . . . . . . . III. Vielfältige Umsetzung. . . . . .

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B. Überblick über die HybridRegelungen der ATAD 2 . . . .

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C. Ausnahmen im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . I. Inkongruenz. . . . . . . . . . . . . . II. Beteiligungsvoraussetzungen III. Hybrides Finanzinstrument – nur im Zusammenhang mit hybrider Übertragung?. . . . . . IV. Hybride Übertragungen – nur bei Absicht?. . . . . . . . . . . V. Hybrides Finanzinstrument – nur bei finaler Inkongruenz .

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D. Analyse ausgewählter Abwehrregeln und Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Double Deduction (Art. 9 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . II. Double Deduction bei Doppelansässigkeit (Art. 9b) . . . . III. Deduction/No inclusion (Art. 9 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . IV. Umgekehrt hybride Gestaltungen (Art. 9a) . . . . . . . . . . . V. Unberücksichtigte Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Importierte Hybride (Art. 9 Abs. 3) . . . . . . . . . . . .

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E. Zusammenfassung . . . . . . . . 128

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A. Einleitung I. Standortbestimmung Die EU hat sich grundsätzlich keinen Harmonisierungsauftrag für die direkten Steuern gegeben.1 Entsprechend beschränkten sich die Aktivitäten der EU bislang in diesem Bereich auf den Erlass einiger, weniger Richtlinien (Mutter-Tochter-Richtlinie,2 Zins- und Lizenzrichtlinie,3 Merger-Directive4). Diese bestimmen, ähnlich den DBA, Schranken für

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Vgl. Art. 114, 115 AEUV. RL v. 30.11.2011 – 2011/96/EU, ABl. EU 2011, Nr. L 345, 8. RL v. 3.6.2003 – 2003/49/EG, ABl. EG 2003, Nr. L 157, 49. RL v. 19.10.2009 – 2009/133/EG, ABl. EG 2009, Nr. L 310, 34.

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nationale Steuerregeln, um Doppelbesteuerung zu vermeiden bzw. im Rahmen von EU-grenzüberschreitenden Umwandlungen eine Buchwertfortführung zu ermöglichen. Diese Richtlinien führen entsprechend in aller Regel zur Entlastung der Stpfl., dienen der Herstellung eines einheitlichen Markts und steigern damit unzweifelhaft auch die Attraktivität und Effizienz des Binnenmarkts. Im Rahmen der sog. Anti Tax Avoidance Directive (ATAD)5 und deren Erweiterung insbes. bzgl. der steuerlichen Behandlung von Hybriden (sog. ATAD 2),6 schlägt die EU dagegen nun erkennbar einen anderen Weg ein. Hier geht es nicht um den Abbau von Doppelbesteuerung. Vielmehr verfolgt die EU das Ziel, bestimmte einheitliche Besteuerungsregelungen im Bereich des materiellen Steuerrechts für bzw. in allen Mitgliedsstaaten i.S. eines Mindeststandards einzuführen, die i.d.R. bemessungsgrundlagenerhöhend, d.h. belastend wirken; z.B. durch die EU-weite Einführung der Zinsschranke, einer Hinzurechnungsbesteuerung sowie u.a. auch von Abwehrregeln gegen hybride Strukturen und hybride Finanzierungen („Hybride“). Insoweit entwickelt sich damit die EU zumindest punktuell von einem primären Wettbewerbshüter (Abbau steuerlicher Hemmnisse) hin zu einem Steuerkartell, in dem in gewissem Umfang einheitliche Mindestbesteuerungsstandards zwar einerseits auch als Ausdruck des „Ausbaus“ eines einheitlichen Wirtschaftsraums angesehen werden können, aber andererseits die Setzung von Mindeststandards auch zugleich als eine Reduktion des Steuerwettbewerbs und damit als Kartellierung gedeutet werden könnte. Unter Umständen ist die Legitimation von Regelungen gegen Hybride in diesem Zusammenhang jedoch von einigen anderen Regelungen der ATAD zumindest graduell abzuschichten. Während z.B. die gleichfalls zwingend einzuführende Zinsschranke generell den Abzug von bestimmten Betriebsausgaben (zumindest temporär) ab einer bestimmten Höhe ohne besondere weitere Tatbestandsvoraussetzungen versagt, zielen die Regelungen bezüglich der Hybride „nur“ auf vergleichsweise spezielle Fälle, die sich aus einem Konflikt bei der Einordnung eines Finanzinstruments (Eigenkapital oder Fremdkapital), eines Unternehmens (transparent oder intransparent, d.h. Behandlung als Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft), der Zuordnung bzw. Nichtzuordnung von Zahlungen oder aus doppelten Abzügen ergeben. Damit werden nur spezifisch Fälle von Asymmetrien der steuerlichen Behand5 RL v. 12.7.2016 – 2016/1164/EU, ABl. EU 2016, Nr. L 193, 1. 6 RL v. 29.5.2017 – 2017/952/EU, ABl. EU 2017, Nr. L 144, 4.

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lung zwischen verschiedenen Staaten aufgegriffen, aufgrund derer die hierauf nicht abgestimmten Steuersysteme keine regelrechte Besteuerung bewirken können. Insoweit versuchen die Hybrid-Regeln „nur“, ein systemgerechtes Besteuerungsergebnis i.S. eines Korrespondenzprinzips zu erzielen. Hierfür werden aber wiederum Systembrüche in Kauf genommen: –

einem wirksamen Abzug in einem Staat soll auch eine steuerlich zu berücksichtigende Einnahme in einem anderen Staat gegenüberstehen;



derselbe Aufwand soll nur dann in zwei Staaten und damit „zweimal“ steuerlich abzugsfähig sein, wenn auch in beiden Staaten korrespondierend Einnahmen „zweimal“7 steuerpflichtig sind.

Ob vorstehende Überlegungen tatsächlich ausreichen, um Art und Umfang der Hybrid-Regelungen vollends zu legitimieren, soll hier dahingestellt bleiben. Darüber hinausgehend sollen die Regelungen zu den Hybriden keine Auswirkungen auf die allgemeinen Steuersysteme der Mitgliedstaaten nehmen,8 d.h., Minder- oder Nichtbesteuerung aus anderen Gründen werden nicht erfasst (z.B. wegen des Steuerstatus des Zahlungsempfängers, Präferenzregimen oder Besteuerungsunterschieden bzw. Unterschiede bzgl. des Werts einer Zahlung einschließlich der Behandlung für Zwecke der Verrechnungspreisbestimmung9).

II. Verfahrensstand Zunächst wurden im Rahmen der Erstfassung der ATAD-Richtlinie (12.7.2016)10 in Art. 9 bezüglich Hybriden nur sehr rudimentär Regelungen vorgesehen. Erst durch die Änderung der Richtlinie per 29.5.2017 7 Vgl. Rechtsgedanke des § 3c Abs. 1 EStG. Allerdings mit der Erweiterung, dass dieser über zwei Jurisdiktionen hinweg gespiegelt wird. 8 Vgl. Erwägungsgrund 24 ATAD, RL v. 29.5.2017 – 2017/952/EU, ABl. EU 2017, Nr. L 144, 4. 9 Vgl. Erwägungsgründe 16, 18 ATAD, RL v. 29.5.2017 – 2017/952/EU, ABI. EU 2017, Nr. L 144, 4. Unter letztere Fallgruppe könnten z.B. zinslose Darlehen fallen, die bei dem Darlehensgeber keiner Korrektur aufgrund von Verrechnungspreisregelungen unterfallen (d.h. keine Annahme einer vGA oder Anwendung einer § 1 AStG entsprechenden Regelung). Auf der Seite des Darlehensnehmers kann aber gleichwohl ein fiktiver Zinsaufwand in Höhe des üblichen Marktzinses, der eigentlich hätte entrichtet werden müssen, abgezogen werden). 10 2016/1164/EU, ABl. EU 2016, Nr. L 193, 13.

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(sog. ATAD 2)11 wurden dann umfangreiche Definitionen in Art. 2 Abs. 9 und Abs. 11 sowie materielle (Abwehr-)Regelungen in Art. 9, 9a und 9b zusätzlich eingefügt. Zwar ist insofern häufig von der ATAD-2-Richtlinie die Rede. Tatsächlich gibt es aber nur eine ATAD-Richtlinie, die lediglich in zwei Schritten ihren vollen Regelungsgehalt erreicht hat. Entsprechend sind auch für die ATAD-2-Richtlinie, soweit keine Spezialregelung besteht, die Bestimmungen der „ursprünglichen“ ATAD-Richtlinie zu beachten, da in diese eingebettet (z.B. sonstige Definitionen oder auch das sog. Mindestschutzniveau gem. Art. 3). Die Umsetzung bzw. erstmalige Anwendung der Hybrid-Regelungen muss in allen Mitgliedsstaaten bis zum 1.1.2020 erfolgt sein (Art. 2 Abs. 1). Lediglich bzgl. Art. 9a (sog. umgekehrt hybride Gestaltungen) gilt der 1.1.2022 (Art. 2 Abs. 3). Ein früherer Termin ist aber auch hier zulässig. Ausgangspunkt für die Hybrid-Regelungen der Richtlinienerweiterung durch die ATAD 2 ist der OECD-Bericht Aktionspunkt 212 im Rahmen der sog. BEPS-Initiative vom 5.10.2015, der in der englischen Fassung immerhin einen beachtlichen Umfang von 486 Seiten aufweist. Gemäß Erwägungsgrund 28 ATAD 2 soll bei der Umsetzung der Regelungen zu den Hybriden der OECD-Bericht zu Aktionspunkt 2 einschließlich der Beispiele als Referenz oder zur Auslegung herangezogen werden, soweit dieser mit den Bestimmungen der Richtlinie und dem Unionsrecht vereinbar ist. In diesem Zusammenhang mag man sich damit auch fragen, ob dieser Verweis auf den OECD-Bericht für die Regelungen zu den Hybriden zugleich auch Einfluss auf das sog. Mindestschutzniveau des Art. 3 der Richtlinie nimmt (d.h. dieses im Zweifel verschärfend erhöht).

III. Vielfältige Umsetzung Die Richtlinie ist kein unmittelbar anwendbares Recht, sondern lediglich die Vorgabe für die Umsetzung in den Mitgliedstaaten. Sie enthält bestimmte Wahlrechte und eröffnet auch gewisse tatsächliche bzw. faktische Spielräume (wie zu zeigen sein wird). Im Rahmen der Abschätzung des daraus womöglich resultierenden zukünftigen Steuerrechts sind damit mehrere Ebenen und Dimensionen zu unterscheiden: 11 2017/952/EU, ABl. EU 2017, Nr. L 144, 1 ff. 12 Neutralising the Effects of Hybrid Mismatch Arrangements, Action 2 2015 Final Report.

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Umsetzung in Deutschland,



jeweils unterschiedliche und damit abweichende Umsetzung in den anderen Mitgliedstaaten,



wiederum mutmaßlich andere (oder gar keine) Umsetzung des Aktionspunkt 2 zu Hybriden gemäß OECD-BEPS-Report in Drittstaaten,



(Rück-)Wirkungen auf andere Staaten („Gegenmaßnahmen“) aufgrund der vorstehenden Rechtsentwicklungen sowie



unterschiedliche Sicht und daher Ausgestaltung der Hybrid-Regelungen je nach Perspektive eines Staats (tendenziell eher als Zahler- bzw. Empfängerstaat und/oder In- oder Outbound- bzw. ThroughboundStatus bestimmter Staaten).

Die Umsetzung in das jeweilige lokale Recht und das sich daraus ergebene effektive „Schutzniveau“ für den EU-Raum wird damit insbes. auch davon abhängen, wie (un-)abgestimmt die Staaten trotz der Vorgaben vorgehen werden, welche Reaktionen und Gegenreaktionen sich einstellen bzw. inwieweit abweichende Interessen, Ausgangssituationen und Zielsetzungen zu Unterschieden in der Ausformung und Umsetzung führen. Diese Überlegungen verdeutlichen, dass auch innerhalb der EU die Umsetzung sich stets im Spannungsfeld zwischen Standortpolitik einerseits, Fiskalpolitik andererseits sowie Unionstreue abspielen wird. Aufgrund der Wahlrechte und Spielräume ist folglich davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung unterschiedliche Akzente setzen werden: –

einige werden wohl hybride Gestaltungsmöglichkeiten möglichst abschließend erfassen und (vermeintliche) Lücken im Steuersystem entsprechend umfassend schließen wollen,



andere Staaten werden wohl eine Tendenz zeigen, als steuerlich attraktiver Standort in der EU fortzubestehen, und daher tendenziell weniger scharf umsetzen.

Damit sind vielfältige und unterschiedliche (Detail-)Regelungen zu erwarten. Dies wird zu unterschiedlichen Schutzniveaus und unterschiedlichen effektiven Wirkungen führen. Diese vielen Unterschiede werden auch zu (sehr) erheblichem, zusätzlichem Befolgungsaufwand für international tätige Unternehmen führen.

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B. Überblick über die Hybrid-Regelungen der ATAD 2 Im Grundsatz folgen die Regelungen dem bereits aus der ATAD-Richtlinie bekannten System: In Art. 2 Nr. 9 erfolgen umfangreiche Definitionen dessen, was zu hybriden Strukturen führen bzw. als hybrid gelten kann (in diesem Zusammenhang wird die Kritik geübt, dass die Definition anhand der Symptome erfolge)13. Darauf aufbauend regelt dann Art. 9 für unterschiedliche Fallgruppen Hybrider die Rechtsfolgen („Abwehrregeln“). In Ergänzung dazu und auch mit bestimmten Abweichungen zu den vorgenannten Grundsätzen sehen die Art. 9a und 9b eigenständige, weitere Regelungen14 vor. Dies hat zur Folge, dass die Regelungen in Bezug auf Wortlaut, Verweise sowie Definitionen nicht immer umfassend in sich geschlossen erscheinen. Unter Umständen führt die Verwendung unterschiedlicher Begriffe auch zu einer anderen Beurteilung bezüglich dessen, was jeweils als schädlich erfasst werden soll oder gerade nicht15 (dazu unten näher) und nehmen der ATAD-2-Richtlinie auch zusätzlich Übersichtlichkeit (soweit man hiervon in diesem Zusammenhang überhaupt sprechen kann).16 Generell geht die Richtlinie wie folgt vor: Asymmetrien werden dadurch bekämpft, dass –

entweder Betriebsausgaben (gegen die allgemeinen Grundsätze) vom Abzug ausgeschlossen werden oder



grundsätzlich nicht steuerbare Einkünfte (gegen die allgemeinen Grundsätze) dennoch in die Besteuerung einzubeziehen sind.

Damit versucht die Richtlinie nicht, eine einheitliche Einordnung von Instrumenten oder Rechtsformen herzustellen (und damit die Ursache der Asymmetrien zu beseitigen), sondern lediglich, die Symptome der unterschiedlichen Einordnung zu bekämpfen. Da sich die Regelungen zu den Hybriden allerdings auch gegen Drittstaaten richten (wohl insbes. auch gegen die USA und die dort mögliche „check the box election“ die in 13 Vgl. Kahlenberg/Oppel, NWB 2017, 1732. 14 Sowohl Art. 9a und 9b definieren „neben“ Art. 2 Abs. 9 eigenständig „Hybride“ i.S.d. Richtlinie. 15 So umfassen z.B. die importierten hybriden Gestaltungen gem. Art. 9 Abs. 3 wohl nicht auch solche, die Art. 9a oder 9b erfassen; weiterhin grenzt Art. 9a schädliche von unschädlichen Strukturen nicht danach ab, ob die Einkünfte bei der Besteuerung „berücksichtigt“ wurden (so aber relevant für Art. 9), sondern dass diese „besteuert“ werden. 16 Vgl. Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325.

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Köhler – Hybrids: alle Schotten dicht?

besonderem Maße die Existenz von hybriden Rechtsformen „befördert“), ist allerdings einzuräumen, dass eine systematische, einheitliche Einordnung auf weltweiter Basis wohl eine (politische) Illusion wäre und daher dem Richtliniengeber wohl keine andere Möglichkeit blieb, als den eingeschlagenen Weg zu verfolgen. Insbesondere dort, wo ein Abzugsverbot bei dem Zahler wegen Nichteinbeziehung bei dem Empfänger erfolgt, bedeutet dies eine „Umkehr der Steuerschuld“. Nicht derjenige, der die Einkünfte erzielt, muss diese versteuern, sondern der, dessen Einkünfte durch eine Betriebsausgabe geschmälert sind und der die Vermögensminderung erleidet. Er zahlt doppelt: die Betriebsausgabe selbst und die Steuer auf die volle ungeschmälerte Einnahme einer anderen Rechtsperson (ohne die Möglichkeit der Geltendmachung von etwaig in diesem Zusammenhang relevanten Betriebsausgaben des eigentlichen Einkunftsbeziehers). Eine solche Vorgehensweise erscheint nicht einfach legitimierbar, da dieses Vorgehen den Falschen belastet und darüber hinaus zu einer Bruttobesteuerung führt. Da im Grundsatz (fast) nur Konzernkonstellationen getroffen werden, könnte man die Regelungen womöglich dahingehend verstehen, dass innerhalb eines Konzerns eine Einmalbesteuerung gesichert werden soll, unabhängig davon, ob die Zahlung bei dem Empfänger oder systematisch unzutreffend bei dem Zahlenden der Besteuerung unterworfen wird. Ginge man allerdings zur Legitimierung diesen Schritt einer Gesamtbetrachtung eines Konzerns als besteuerungswürdiges Ganzes, so stellt sich i.S.d. Folgerichtigkeit die Frage, wie der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund den Grundsatz durchhalten möchte, z.B. in der Gewinnabgrenzung jede Konzerngesellschaft stets getrennt und einzeln von anderen Konzerngesellschaften behandeln zu wollen. Die nachfolgende Darstellung gibt eine Übersicht über den Regelungsaufbau. Eine detailliertere Darstellung einzelner Abwehrmechanismen, deren Hierarchie zueinander (Primär- und Sekundärregel) sowie wichtige Ausnahmen bzw. Gegenausnahmen geben die beiden daran anschließenden Übersichtsdarstellungen sowie die nachfolgenden weiteren Ausführungen.

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Übersicht über die Hybrid-Regelungen          

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D/NI: Deduction/No Inclusion DD: Double Deduction

Tabellarischer Überblick (1)   

 

   

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