Inklusion, das Politische und die Gesellschaft: Zur Aktualisierung des demokratischen Versprechens in Pädagogik und Erziehungswissenschaft 9783839453025

Ideologievorwurf, Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma, exkludierende pädagogische Praxen - die Hoffnungen inklusiver Pädag

205 50 2MB

German Pages 290 Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft: Zur Aktualisierung des demokratischen Versprechens in Pädagogik und Erziehungswissenschaft
 9783839453025

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1 Hinführung, oder: Das Problem mit der Teilhabe und die Suche nach der politischen Dimension von ›Inklusion‹
2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung) – Annäherung an ein umstrittenes Feld
3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren
4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt
5 Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment
6 Literaturverzeichnis

Citation preview

Jens Geldner Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Pädagogik

Jens Geldner, geb. 1986, ist im Arbeitsbereich Allgemeine Inklusionspädagogik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg beschäftigt. Er promovierte als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Zu seinen Forschungsthemen gehören u.a. (politik-)theoretische Fragen der Teilhabe an Bildung und Arbeit, Theorien des Politischen sowie Methoden der qualitativen Sozialforschung.

Jens Geldner

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft Zur Aktualisierung des demokratischen Versprechens in Pädagogik und Erziehungswissenschaft

Die vorliegende Arbeit wurde von der Fakultät für Erziehungs- und Sozialwissenschaft der Pädagogischen Hochschule Heidelberg im Jahr 2020 unter dem Titel »Inklusion als Einsatz. Politikphilosophische Studien zur Demokratisierung eines bildungspolitischen Versprechens« als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5302-1 PDF-ISBN 978-3-8394-5302-5 https://doi.org/10.14361/9783839453025 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Vorwort ............................................................................ 7 1

Hinführung, oder: Das Problem mit der Teilhabe und die Suche nach der politischen Dimension von ›Inklusion‹ ........................................13

2

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung) – Annäherung an ein umstrittenes Feld ......................................... 31 2.1 Zum Selbstverständnis der Integrationspädagogik und -forschung als einem demokratischen Projekt ...................................................... 37 2.2 ›Inklusion‹ – zur (Un-)Wirksamkeit eines bildungspolitischen Signifikanten..... 48 2.3 (Re-)Politisierung und Gesellschaftsanalyse als Ausweg?....................... 64 3

›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren .......................................... 75 3.1 Die symbolische Dimension der Demokratie und der leere Ort der Macht ........ 81 3.2 Die politische Differenz als Herausforderung für die politische Theorie........ 104 3.3 Die Radikalisierung des demokratischen Versprechens und die Affirmation des Streits .................................................................. 130 3.4 Zwischenfazit: Dimensionen einer (Re-)Politisierung der erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um Inklusion .................... 149 4

›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt ............................. 155 4.1 Gesellschaftstheorie als strategischer Einsatz................................ 160 4.2 Hegemonietheorie als radikaldemokratisches Projekt......................... 190 4.3 Zwischenfazit: Zur Bedeutung der Unmöglichkeit von Gesellschaft für die Möglichkeiten von Gesellschaftstheorie und -kritik ........................... 233

5

Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment ............. 239 5.1 Ausblicke auf ein radikaldemokratisches Forschungsprogramm .............. 242 5.2 Demokratisierung als Entscheidung .......................................... 246 5.3 ›Inklusion‹ als Einsatz für das demokratische Versprechen ................... 252 6

Literaturverzeichnis ........................................................ 257

Vorwort »Idee und Wirklichkeit moderner Politik sind gefangen zwischen den konfligierenden Ansprüchen von Institution und offener Gestaltung (Instituierung), Utopie und Realismus, liberaler und demokratischer Tradition, Vernunft und Leidenschaft, Universalismus und Partikularismus […]. Als radikal erwiese sich der Anspruch des Diskurses der radikalen Demokratie nur dann, wenn es ihm gelänge, diese Aporien nicht in einem wie auch immer gearteten Versöhnungshorizont aufzulösen, sondern als unendliche Aufgabe zu begreifen und zu gestalten.« (Hetzel 2011, S. 25)

Wissenschaftliche Arbeiten haben ihren Ort und ihre Zeit. Die qualitative Sozialforschung hat ein großes Repertoire entwickelt, um die Entstehungsbedingungen von Untersuchungen ebenso wie den Standpunkt, von dem aus sie verfasst werden, transparent und zugleich dem Erkenntnisgewinn zugänglich zu machen. Eine solche Studie war auch der Ausgangspunkt des vorliegenden Buches. Begonnen wurde das ihm zu Grunde liegende Promotionsvorhaben als ein empirisches Projekt im Feld der beruflichen Rehabilitation. Im Rahmen einer ethnographischen Studie mit dem Titel (Erwerbs-)Arbeit als Anspruch von und an Menschen mit (Seh-)Beeinträchtigungen – Eine machttheoretische Analyse von Strategien der Selbst- und Fremdregierung sollte untersucht werden, wie in und durch pädagogische Praxen Ansprüche der Teilhabe an Gesellschaft ebenso wie hiermit verbundene Normalitätserwartungen (re-)produziert werden.

8

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Das Projekt verstand sich als Teil einer sozialtheoretisch informierten Inklusionsforschung, welche die Analyse von gesellschaftlich bedingten Inklusionschancen und Exklusionsrisiken sowie hiermit verbundener pädagogischer Praxen ins Zentrum ihres Interesses rückt (vgl. hierzu ausführlich Puhr und Geldner 2017). Als diesem Forschungszugang zu Grunde liegende Annahme kann gelten, dass es ein Problem für demokratische Gesellschaften darstellt, wenn in ihnen der Anspruch der gleichberechtigten Teilhabe nicht angemessen gewährleistet ist. Des Weiteren geht ein solcher Zugang davon aus, dass Versuche der Realisierung dieses Anspruchs selbst verstrickt sind in gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse. In dieser Perspektive gehen diese Versuche deshalb mit spezifischen Verschiebungen der Möglichkeiten von Teilhabe und Ausgrenzung einher, heben diese also gerade nicht auf und müssen stets umstritten bleiben. In den ersten zwei Jahren des Projekts konnten im Rahmen mehrerer Feldaufenthalte intensive Einblicke in das beforschte Feld gewonnen werden. Diese zeichneten sich in Abhängigkeit von einer macht- und diskurstheoretischen Rahmung ebenso wie von meiner Involviertheit in den Forschungsprozess als Sonderpädagoge und Erziehungswissenschaftler durch die Geltendmachung vielfältiger Ambivalenzen in den pädagogischen Praxen aus. Zwischengespräche mit den beteiligten Projektpartner*innen offenbarten allerdings erhebliche Differenzen in den Vorstellungen bezüglich des potentiellen Erkenntnisgewinns einer solchen Perspektive. Bereits eine Analyse der hiermit verbundenen Aushandlungsprozesse des Zugangs zum Feld sowie dessen letztendlichem Scheitern wären für eine empirische Studie bezüglich der Bedingungen von Teilhabe und Ausgrenzung im Feld der beruflichen Rehabilitation von großem Interesse gewesen. Forschungsethische Ansprüche des Einbezugs aller beteiligten Akteur*innen in den Forschungsprozess stellten für die Legitimität eines solchen Vorgehens jedoch eine große Herausforderung dar. Im Anschluss an eine umfassende Auseinandersetzung mit hiermit zusammenhängenden Fragestellungen und in Hinblick auf die formellen Anforderungen an die Erstellung einer Qualifikationsarbeit musste ich deshalb die Entscheidung treffen, die empirischen Analysen aus meiner Dissertation auszuklammern und stattdessen die theoretischen Fundamente des Projekts weiter auszubauen. Diese zweifelsohne schwere Entscheidung hatte vielfältige Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Arbeit, die zum Zeitpunkt der Entscheidung selbst noch nicht abzusehen waren. Die Erfahrungen im Feld legitimierten zunächst eine erkenntnistheoretische Fokussierung solcher diskursanalyti-

Vorwort

schen Einsätze, welche die Konflikthaftigkeit des Sozialen zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen. Mit diesen rückten verstärkt Fragen nach der Begründung und Begründbarkeit inklusionspädagogischen Denkens und Handelns in den Fokus. Da ich für diese Überlegungen maßgeblich die hegemonietheoretischen Arbeiten Ernesto Laclaus heranzog, lag es wiederum nahe, nach der politischen Dimension inklusionsorientierter Pädagogiken und Forschungen zu fragen und die hiermit zusammenhängenden Überlegungen innerhalb radikaldemokratischer Perspektiven zu verorten. Im Rückblick mag es konsequent erscheinen, dass aus der Auseinandersetzung mit den Projektpartner*innen eine Arbeit entstanden ist, die sich einer politikphilosophischen Reflexion der Bedingungen und Möglichkeiten einer demokratischen Artikulation von ›Inklusion‹ sowie deren Erforschung widmet. Zugleich ist diese Rückschau nicht frei von jeder Ironie, da die erarbeitete Perspektive den Konflikt als Modus des Politischen in den Mittelpunkt stellt, ein Streit um die Bedeutung der empirischen Arbeiten mit der Entscheidung zu einer Theoretisierung der Konflikte aber letztlich gerade vermieden wurde. Wenn der hier skizzierte Forschungsprozess im folgenden Text nur noch bedingt erkennbar ist, liegt sein vorläufiges Ergebnis mit den folgenden Studien nun dennoch vor. Diese stellen erkenntnistheoretische und erkenntnispolitische Ausgangspunkte für weitere Einsätze in die Konflikte um das bildungspolitische Projekt mit dem Namen ›Inklusion‹ dar. Wenn hier von ›Einsätzen‹ die Rede ist, dann kann für dieses Buch im Anschluss an Jan Masschelein und Michael Wimmer (1996, S. 7ff.) eine dreifache Bedeutung des Begriffs geltend gemacht werden. So versteht sich die Arbeit erstens als ein Einsatz in die erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um ›Integration‹ und ›Inklusion‹ im Sinne eines (Neu- oder Wieder-)Anfangs in einem diskursiven Feld, dessen Geschichte sie als Ausgangspunkt anerkennt und in dem sie zugleich einen Unterschied zu markieren sucht. Mit diesem Einsetzen in den Fachdiskurs verbindet sich zweitens der engagierte Einsatz für die Vertiefung der demokratischen Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Solidarität sowie der hiermit verbundenen Spannungsverhältnisse und Möglichkeiten der Politisierung sozialer wie pädagogischer Ordnungen. Dieses Engagement gleicht dort einem Wagnis, wo es den Versuch der Verwirklichung dieser Ziele an den Begriff ›Inklusion‹ bindet – wenn auch nur vorläufig und im Modus des Experiments. Die Arbeit ist deshalb drittens ein Einsatz im Sinne einer Wette, deren Ausgang offen bleibt, oder eines Investments, dessen Auswirkungen nicht abzusehen sind. Gerade diese Offenheit – so die

9

10

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

diesem Buch zu Grunde liegende Überzeugung – ist aber eine Voraussetzung für jede Form der demokratischen Artikulation von ›Inklusion‹. Entscheidungen wie diejenige, die bereits geleisteten empirischen Arbeiten zu verwerfen und eine theoretische Arbeit zu schreiben, können einem von niemandem abgenommen werden. Trotzdem ist man nicht allein, während man sie trifft. In dem so lehrreichen wie schmerzhaften Prozess, der zur Erstellung dieser Arbeit geführt hat, haben mich zahlreiche Menschen auf unterschiedlichste Art und Weise begleitet und unterstützt. An erster Stelle möchte ich Kirsten Puhr danken, ohne die ich weder den Weg in die Wissenschaft gefunden, noch die hier zur Diskussion gestellten Positionen für mich entdeckt hätte. Über die letzten zehn Jahre haben wir gemeinsam an unterschiedlichen Projekten, Ideen und Texten gearbeitet. Wir waren dabei nicht immer einer Meinung und haben uns gegenseitig wiederholt an unsere Grenzen gebracht. Dass wir beide davon profitieren konnten, ist eine kostbare Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Wo ich aufgrund meiner Ausflüge in die politische Theorie an meine Grenzen kam, war mir Ralf Mayer ein wichtiger Berater. Seine Anmerkungen führten stets zu konstruktiven Infragestellungen und Verschiebungen. Ihn als Zweitbetreuer an der Seite gehabt zu haben, war für die Arbeit ein großer Gewinn. Meine Ideen, Erfahrungen aber auch Frustrationen konnte ich in unterschiedlichen kollegialen Kontexten teilen. Stellvertretend für alle Teilnehmer*innen des Kolloquiums Theoretische Konzepte empirischer Forschungen an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg danke ich Melanie Kuhn und Stefan Müller-Mathis. Beide waren mir in entscheidenden Phasen meiner Arbeit weit über inhaltliche Fragen hinaus wichtige Ansprechpartner*innen. Christiane Thompson ermöglichte mir die Teilnahme an dem von ihr geleiteten Forschungskolloquium des Fachbereichs Theorie und Geschichte von Erziehung und Bildung des Instituts für Allgemeine Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt a.M.. Dort konnte ich nicht nur eigene Arbeiten vorstellen und diskutieren, sondern fand auch bezüglich vieler anderer Fragestellungen anregende Gesprächspartner*innen. Insbesondere Judith Mahnert und Charlotte Spellenberg wurden zu wichtigen Kolleginnen und Nachfragerinnen. Im Rahmen der Jahrestagungen der Integrations- und Inklusionsforscher*innen bildete sich in den letzten Jahren eine lose Arbeitsgruppe heraus, die intensiv um theoretische wie politische Fragen bezüglich ›Inklusion‹ stritt. Die gemeinsam organisierten Symposien waren wichtige Orte für die Entwicklung meiner Gedanken. Alle hieran beteiligten Personen zu nennen, würde dieses Vorwort sprengen. Die Auseinandersetzungen mit

Vorwort

Mai-Anh Boger und Sven Bärmig hatten großen Einfluss auf den Einsatz dieser Arbeit. Tobias Buchner verdanke ich einige wichtige Hinweise ebenso wie unterhaltsame Treffen und Telefonate. Von Bastian Fischer habe ich die Vorzüge elektronischer Kommunikation lernen dürfen. Ich hoffe, wir werden sie in nächster Zeit wieder häufiger nutzen. Darüber hinaus war mir insbesondere Mirko Moll eine große Unterstützung, insbesonders in Hinblick auf die Verteidigung der Arbeit. Ich freue mich schon auf die Gelegenheiten, mich hierfür revanchieren zu können. Eine wissenschaftliche Arbeit ist jedoch nicht nur Resultat eines kollegialen Gedankenaustauschs, sondern ebenso abhängig von materiellen wie strukturellen Voraussetzungen und Privilegien. Der Pädagogischen Hochschule Heidelberg danke ich für die Anschubfinanzierung der empirischen Forschungen durch die Bereitstellung einer halben Stelle für die ersten zwei Jahre des Projekts. Den an der ethnographischen Studie beteiligten Personen danke ich für die vielfältigen Einblicke in ihren Alltag und ihr Leben sowie die vielzähligen Gespräche, auch wenn sie den Weg in diese Arbeit letztlich nicht gefunden haben. Ursula Belli-Schillinger gewährte mir in jener Phase Unterschlupf, in der die Arbeit ihre jetzige Form annahm. Wer weiß, wie die Arbeit ohne die Rue Cilly heute aussähe. Für die abschließenden Korrekturen am Text und die hierfür nötige zeitliche Flexibilität danke ich Alicia Hanf, Silvan Eppinger, Teresa Sansour und Dagmar Günther. Das alles wäre nicht möglich gewesen, ohne meine Familie – allen voran meine Eltern Ingrid und Siegfried Geldner. Sie haben mich über viele Jahre unterstützt, ohne genau zu wissen, was sie mir hiermit alles ermöglichten. Danke dafür. Der größte Dank von allen gebührt jedoch der Person, die mich immer wieder vor einem Abdriften in die theoretische Isolation bewahrt und mich und meine Arbeit stets unterstützt hat. Liebe Laura, diese Arbeit ist dir gewidmet.   Juni 2020, Jens Geldner

11

1

Hinführung, oder: Das Problem mit der Teilhabe und die Suche nach der politischen Dimension von ›Inklusion‹ »Die Entscheidung, die Teilung des Gesellschaftskörpers und den Konflikt als unauflösbar anzusehen oder nicht, führt uns mitten in das Zentrum des Rätsels des Politischen.« (Lefort und Gauchet 1990, S. 92; Herv. i. Original)

»Leistung von Menschen mit Behinderungen würdigen«1 . Diese Forderung richtete eine Petition des Vereins AbilityWatch e.V. im Herbst 2013 an die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Während Angela Merkel in den Neujahrsansprachen der vorangegangenen Jahre »zu Recht immer wieder auf Leistungsbereitschaft und Solidarität in unserem Land hingewiesen« und sich dafür bei Arbeitgeber*innen und -nehmer*innen bedankt habe, solle sie in der Rede am 31. Dezember 2013 nun ein Zeichen setzen: »Würdigen Sie diesmal auch die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit von Menschen mit Behinderungen in Deutschland«. Trotz der Tatsache, dass eine Vielzahl von Menschen mit Behinderungen heute regulär beschäftigt oder sogar selbst Arbeitgeber*innen seien, habe die Konjunktur auf die gesamte Gruppe keine nennenswerte Auswirkung und viele dieser Menschen würden »noch immer stark behindert oder gar ausgegrenzt«. Am Ende des von der Bundesregierung ausgerufenen ›Jahrs der Inklusion‹ sei es deshalb die Aufgabe der Kanzlerin, »den vielen

1

Die folgenden Zitate stammen aus dem Text der Petition, der auf der Internetseite des Petitionsportals change.org einsehbar ist. Online verfügbar unter https://www.change.org/p/vorschlag-f %C3 %BCr-neujahrsansprache-2013-leistung-von-menschenmit-behinderungen-w %C3 %BCrdigen-regsprecher, zuletzt geprüft am 05.12.2019. Hervorhebungen im Original wurden beibehalten.

14

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

tausend Arbeitnehmern mit Behinderung und solchen, die es werden wollen, [zu zeigen, J.G.] dass es sich lohnt zu kämpfen«. Unternehmen solle sie davon überzeugen, »dass es richtig und sinnvoll ist, Menschen mit Behinderungen als Arbeitskräfte einzustellen«. Die Kanzlerin könne damit zugleich unter Beweis stellen, dass sie »politisch in den nächsten Jahren noch vieles in diesem Bereich bewegen« wolle. Die Problembeschreibung, welche der Petition zu Grunde liegt – ein negativer Einfluss der sozialen Kategorie Behinderung auf die Chancen einer gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben – kann sich auf vielfältige statistische Erhebungen und Forschungsergebnisse stützen. Sie erweist sich vor deren Hintergrund auch heute noch als hoch relevant. Zwar zeigen aktuelle Zahlen des Mikrozensus laut Bundesagentur für Arbeit, dass die Erwerbstätigenquote der 15- bis unter 65-Jährigen, die als schwerbehindert gelten,2 in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich von 32 % auf fast 47 % gestiegen ist. Und im selben Zeitraum ist die Erwerbslosenquote dieser Gruppe von 13 % auf 4,3 % gesunken. Schwerbehinderung verliert als Zugangsbarriere zum Arbeitsmarkt also an Bedeutung (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 11). Nach wie vor gelten allerdings mit fast 1,6 Mio. Menschen ca. 50 % dieser Personen überhaupt nicht als erwerbsfähig. Im Vergleich hierzu beträgt die Erwerbsbeteiligung der Gesamtbevölkerung in derselben Altersgruppe 78 % (vgl. ebd., S. 12). Trotz einer positiven Entwicklung schränkt Behinderung die Möglichkeiten der gleichberechtigten beruflichen Teilhabe also weiterhin stark ein. Der wissenschaftliche Beirat des zweiten Teilhabeberichts der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen interpretiert diese Entwicklungen als ein Zeichen für weiterhin bestehende »hohe Zugangshürden« (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2017, S. 236) am Arbeitsmarkt. So sei hier nach wie vor »Ausgliederung und Diskriminierung in erheblichem Ausmaß« (ebd.) zu beobachten – auch wenn Studien zeigten, dass »erhebliche Unterschiede« (ebd., S. 246) bestünden, »je nachdem, welche Art von Beeinträchtigung« (ebd.) vorliege und welchem Wirtschaftszweig oder welcher Betriebsgröße man sich zuwende. Als mögliche Ursachen hierfür werden institutionelle Barrieren genannt, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Menschen mit Beeinträchtigungen seltener einen berufsqualifizierenden Abschluss erhalten als Menschen ohne Beeinträchtigungen (vgl. ebd., S. 140). Studien verweisen aber auch auf Einstellungsvorbehalte und 2

Hiermit ist der prozentuale Anteil der Erwerbstätigen an der Gruppe der Personen mit einem amtlich anerkannten Grad der Behinderung (GdB) über 50 aufgerufen.

1 Hinführung

ein »defizitorientierte[s] Denken bei der Beschäftigung beeinträchtigter Menschen« (ebd., S. 247). Vor dem Hintergrund des demokratischen Anspruchs einer gleichberechtigten Teilhabe erscheint es deshalb als ein konsequentes politisches Anliegen der Initiator*innen der Petition und deren circa 23.000 Unterzeichner*innen, sich für eine Anerkennung der »Leistungsbereitschaft und -fähigkeit von Menschen mit Behinderungen« am Arbeitsmarkt einzusetzen. Die Ermöglichung einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe ist in demokratischen Gesellschaften nun nicht nur ein Anliegen zivilgesellschaftlicher Bewegungen oder Organisationen, sondern wird ebenso als Auftrag sozialstaatlicher Institutionen aufgerufen. So formuliert das Sozialgesetzbuch IX (SGB-IX) (Deutscher Bundestag 2001) Leistungsansprüche »Behinderte[r] oder von Behinderung bedrohte[r] Menschen […], um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern« (SGB-IX, §1). Das Projekt (Erwerbs-)Arbeit als ambivalenter Anspruch von und an Menschen mit Beeinträchtigungen, aus welchem die vorliegende Dissertation hervorgegangen ist, widmete sich mit der beruflichen Rehabilitation demjenigen sozialstaatlichen wie pädagogischen Handlungsfeld, welches der Ermöglichung von beruflicher Teilhabe von Menschen dient, die dem Rechtskreis des SGB-IX zuzurechnen sind. Wie in anderen sonderpädagogischen Handlungsfeldern, sind in den letzten Jahren unter dem Begriff ›Inklusion‹ auch hier Maßnahmen in die Kritik geraten, welche eine gesellschaftliche Teilhabe maßgeblich durch gruppenspezifisch separierende Angebote zu gewährleisten versuchen. Unter Verweis auf die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) lässt sich fordern, auf Sonderarbeitswelten so weit wie möglich zu verzichten, notwendige Sonderarbeitswelten so normal wie möglich zu gestalten und auf eine inklusive Veränderung des Arbeitsmarktes hinzuwirken (vgl. Trenk-Hinterberger 2015, S. 105). So legitimieren sich zunehmende Bemühungen der Anbahnung und Unterstützung beruflicher Teilhabe direkt am ersten Arbeitsmarkt (vgl. Doose 2016).3 Aus sozialhistorischer Perspektive werden diese Möglichkeiten ebenso wie die ihnen zu Grunde liegenden Forderungen nach einer gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe unter anderem als Resultat des politischen 3

Beispiele hierfür sind Möglichkeiten der Arbeitsassistenz oder der unterstützten Beschäftigung, die finanzielle Förderung von Inklusionsbetrieben oder die Gewährleistung von Lohnzuschüssen im Rahmen eines Budgets für Arbeit.

15

16

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Engagements der von Ausgrenzung Betroffenen selbst thematisiert (vgl. Mürner und Sierck 2013, S. 32f.). Nachdem andere emanzipative Bewegungen eine Gleichstellung bereits früher erkämpft hätten, können die hier zur Diskussion stehenden Erfolge als eine »nachholende Befreiung« (Waldschmidt 2012, S. 48) einer Gruppe verstanden werden, deren Ansprüche auf eine gleichberechtigte Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft bis dato nicht erfüllt wurden. Eine solche, das emanzipative Engagement würdigende Lesart der Entstehung sozialstaatlicher Leistungen wird jedoch zunehmend durch Perspektiven ergänzt, die auf eine Kehrseite dieser Entwicklungen verweisen. So wird in Hinblick auf die Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse im flexiblen Kapitalismus vor einer ›Inklusion in eine exklusive Gesellschaft‹ (Wansing 2012) gewarnt. Autonomiebestrebungen seien heute in einem Kontext zu realisieren, »der durch das Wegbrechen und die Erosion hergebrachter Strukturen der Fürsorge geprägt ist, ohne dass sich neue Systeme der Unterstützung bereits gebildet hätten« (Waldschmidt 2012, S. 49). Wo Freiheit auf persönliche Autonomie verkürzt werde, lauere deshalb stets die Gefahr, dass Forderungen der Selbstverantwortung der Individuen genutzt würden, um sozialstaatliche Leistungen und Unterstützungsangebote abzubauen (vgl. ebd., S. 48f.). Autonomiebestrebungen ebenso wie deren Unterstützungsbemühungen von Seiten inklusionsorientierter Pädagogiken liefen so Gefahr, sich in ihr Gegenteil zu verkehren. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn man sich lediglich »idealistisch-appellativ gegen exkludierende Praktiken einer vom Nutzenkalkül beherrschten Gesellschaft« (Kluge et al. 2015a, S. 10) wende, die »strukturellen gesellschaftlichen Bedingungen einschließlich ihrer Selektionsprinzipien aber unangetastet« (ebd.) lasse. Vielmehr habe man sich bewusst zu machen, dass Ausgrenzung mehr denn je nicht außerhalb, sondern innerhalb der Gesellschaft stattfinde (vgl. Kronauer 2018, S. 46). So wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass trotz einer juristisch weitreichenden Gleichstellung und einer durchaus gegebenen öffentlichen wie medialen Aufmerksamkeit für die einer solchen Gleichstellung entgegenstehenden Barrieren nach wie vor von einer mangelnden Anerkennung von als behindert geltenden Personen ausgegangen werden müsse (vgl. Rösner 2014, S. 49). Empirische Ergebnisse zeigen zwar an, dass die Zustimmung zu abwertenden Aussagen gegenüber Menschen mit Behinderungen in der Gesamtbevölkerung vergleichsweise gering ausfallen (Zick 2017, S. 29f.). Da aber von einer anhaltend hohen Persistenz menschenfeindlicher Einstellungen gegenüber anderen Minderheiten ausgegangen werden müsse, beruhigen diese Ergebnisse in Hinblick auf einen ›weiten‹

1 Hinführung

Inklusionsbegriff nur wenig. Vielmehr erstarke mit der ›Neuen Rechten‹ ein politischer Akteur, der ›Inklusion‹ schlichtweg ablehne und entsprechende Entwicklungen zu verlangsamen drohe (vgl. ebd., S. 36). So sehen sich pädagogische wie zivilgesellschaftliche Bemühungen der Ermöglichung von gleichberechtigter Teilhabe mit einer ambivalenten Gleichzeitigkeit von inklusiven wie exklusiven gesellschaftlichen Entwicklungen konfrontiert. Dies stellt eine Irritation für solche inklusionsorientierten Pädagogiken dar, die sich selbst auf der Seite ihrer Adressat*innen wähnen und sich des Problems, der angemessenen Antworten hierauf sowie der Wirkungen des eigenen Handelns immer schon sicher sind. Die Integrations- wie die Inklusionsbewegung zeichnete(n) sich von Beginn an durch den Versuch aus, ihre Forderungen nach Möglichkeiten der gleichberechtigten Teilhabe als ein Anliegen der Demokratisierung des Bildungs- und Rehabilitationssystems zu artikulieren (vgl. hierzu z.B. Schnell 2003). Dieser wurde wiederholt mit dem Anspruch der Unteilbarkeit verbunden (vgl. z.B. Feuser 1989), also der Forderung, dass mit ›Integration‹ oder ›Inklusion‹ ausnahmslos alle zu berücksichtigen wären. Trotz der Erfolge im Bildungsbereich ebenso wie in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen zeigt sich jedoch, dass inklusive Bemühungen bis jetzt gerade nicht zu einer Schule, einer Arbeitswelt oder gar einer Gesellschaft für alle geführt haben. So lässt sich die Frage stellen, ob »es der inklusiven Pädagogik basierend auf dem Prinzip der Vielfalt und der Anerkennung von Verschiedenheit [gelingen wird], eine kontrahegemonische Schule […] zu verwirklichen« oder ob sie nicht vielmehr dazu beitrage, »bestehende hegemoniale Verhältnisse im Bildungswesen in einer neuen Qualität zu verfestigen und zu stabilisieren« (Pfahl et al. 2018, S. 94)?4 Gesellschaftskritische Perspektiven auf Teilhabe- und Inklusionsforderungen münden deshalb in Mahnungen an eine umfassende Diskussion darum, was gesellschaftliche Teilhabe eigentlich ausmache und welche Funktions- und Teilnahmebedingungen in der Gesellschaft anzutreffen seien (vgl. Wansing 2012). Damit ›Inklusion‹ nicht ausbeuterisch und kolonisierend, sondern transformierend wirken könne, müssten diese Debatten strikt politisch geführt werden (vgl. Jantzen 2015). Dies wirft jedoch die Frage auf, was hier mit ›politisch‹ gemeint sein kann oder soll. Verweist der Begriff auf einen spezifischen sozialen Ort oder eine gesellschaftliche Sphäre, an dem beziehungsweise in der die Debatten um

4

Diese Frage ließe sich in Hinblick auf die zurückliegenden Erläuterungen sicherlich auch an andere inklusionspädagogische Handlungsfelder richten.

17

18

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Teilhabebedingungen und -möglichkeiten zu führen wären? Hängt das Attribut ›politisch‹ an der Art und Weise, wie diese Diskussionen geführt werden oder an ihren Auswirkungen? Oder steht es nur ganz bestimmten Teilhabeforderungen zu? Hierüber scheint keineswegs Einigkeit zu herrschen. Die eingangs dargestellte Aktion von AbilityWatch e.V. könnte man aufgrund ihrer Eigenschaft als Petition an die Bundeskanzlerin als Beitrag zu den geforderten politischen Diskussionen verstehen. Vor dem Hintergrund der gesellschaftskritischen Positionen erweist sich diese aber als mindestens doppeldeutig. Zwar mag sie eine Aufmerksamkeit für die existierende Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am ersten Arbeitsmarkt schaffen und für die Anerkennung der von diesen Personen erbrachten Leistungen sensibilisieren. Es ließe sich jedoch problematisieren, dass die Leistungs- und Teilnahmeerwartungen der meritokratischen Gesellschaft als solche sowie die diesen Erwartungen zu Grunde liegenden gesellschaftlichen Verhältnisse hiervon weitestgehend unberührt bleiben. Diese werden aber dort zunehmend als Ursache von Behinderungserfahrungen diskutiert, wo mit der analytischen Perspektive des ›Ableism‹ der »Blick für einen besonderen Produktionsmodus der sozialen Ungleichheit geschärft [wird], der über die An- und Aberkennung von Fähigkeiten organisiert wird« (Buchner und Lindmeier 2019, S. 234; vgl. hierzu z.B. auch Maskos 2015). Aus einer solchen Perspektive lässt sich problematisieren, dass die Petition Gefahr läuft, die strukturellen Ursachen von Behinderung auszublenden, wenn nicht gar zu reproduzieren. Damit wird der potentielle Kreis der Erwerbsfähigen möglicherweise ausgeweitet, nicht jedoch die Grenzziehungen zwischen Erwerbsfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit in ihrer Bedeutung für gesellschaftliche Anerkennung in Frage gestellt. In Hinblick auf diejenigen Personen, welche sich einen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt erkämpft haben, lässt sich hingegen – durchaus zynisch – anmerken, dass dort, wo eine gleichberechtigte Teilhabe an der neoliberalen Gesellschaft gefordert und erstritten wird, Ausgrenzung durch Ausbeutung ersetzt wird (vgl. Maschke 2007, S. 309). Aber noch eine solche Kritik riskiert, auf vereindeutigende Vorstellungen gesellschaftlicher Teilhabe zurückzugreifen und soziale Praxen als entweder ›ausgrenzend‹, ›unterdrückend‹ und ›exklusiv‹ oder aber als ›emanzipativ‹, ›befreiend‹ und ›inklusiv‹ zu identifizieren. Eine solche Möglichkeit geht jedoch verloren, wo der Teilhabebegriff selbst als ein problematischer Begriff verstanden wird (vgl. z.B. Mayer 2017). Jenseits sozial-, bildungs- oder behindertenpolitischer Programmatiken, die Teilhabe zu einem positiven und erreichbaren normativen Ziel erklären, deutet sich in den angeführten Kritiken be-

1 Hinführung

reits an, dass der Teilhabebegriff selbst keinen festen Inhalt besitzt, sondern stets umstritten ist und bleibt. So zeigen sich konkrete Teilhabe(an)forderungen auf vielfältige Weisen verstrickt in die Auseinandersetzungen darum, was Teilhabe ausmachen soll und wem Teilhabe zu gewähren wäre. Als Erklärung für diese Unbestimmtheit kann angeführt werden, dass der demokratische Anspruch auf Teilhabe stets auf zwei Dimensionen verweise und miteinander verschränke, die zueinander in einem Spannungsverhältnis stehen: die Zugehörigkeit an einer Gemeinschaft einerseits und die Frage der Zugangsvoraussetzungen zu und Ordnungen innerhalb der Gesellschaft – also soziale Ungleichheit – andererseits (vgl. Dietrich 2017a, S. 29). Von hier aus lässt sich das Problem der Teilhabe konsequent machttheoretisch ausbuchstabieren. Teilhabemöglichkeiten legitimieren sich dann stets durch spezifische Teilhabevoraussetzungen oder -erwartungen. Die hiermit verbundenen Verteilungskämpfe um Anerkennung sowie um die Regeln deren Verteilung produzieren notwendigerweise Gewinner*innen wie Verlierer*innen. Versteht man diese Prozesse als konstitutiv für das Soziale, wird es einzelnen gesellschaftlichen Akteur*innen unmöglich, aus diesen Auseinandersetzungen herauszutreten. Damit geht aber auch ein eindeutiges Kriterium oder ein dem Streit entzogener Standpunkt verloren, von dem aus die Auseinandersetzungen letztgültig entschieden werden könnten. Eine solche Perspektive muss auch davon ausgehen, dass pädagogisches Denken und Handeln immer schon in diese Konflikte verstrickt sind. So kann darauf verwiesen werden, dass Bildung seit der Aufklärung als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe aufgerufen wird und im Sinne der Chancengerechtigkeit allen potentiellen Mitgliedern der Gesellschaft zu ermöglichen sei. Bildung erscheint in einem solchen Verständnis als Prozess und Ziel der Teilhabe zugleich (vgl. ebd., S. 30). Diskussionen um die (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit in und durch Bildung greifen die zuvor angedeutete machttheoretische Perspektive auf und formulieren von hier aus Zweifel an der Idee, dass Bildung tatsächlich angemessene Teilhabebedingungen garantieren könne und allen im selben Maß offen stehe (vgl. Miethe und Tervooren 2017, S. 2).5 Eine solche Problematisierung des Teilhabebegriffs lenkt den Fokus also auf die machtvollen Grenzziehungen und (Auf-)Teilungen, die mit unterschiedlichen Vorstellungen von Teilhabe und Bildung und damit verbundener pädagogischer Praxen notwendig einhergehen. 5

Hier ließe sich Behinderung als eine soziale Kategorie unter anderen explizit mitdenken (vgl. z.B. Maschke 2004; Powell 2007).

19

20

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

In analytischen Annäherungen an pädagogische Diskurse um Teilhabe wird nun darauf hingewiesen, dass hier insbesondere quantitative und normalisierende Vorstellungen von Teilhabe dominierten (vgl. Mayer 2017, S. 66f.). So gehe es stets darum, mehr Menschen Teilhabe zu ermöglichen, indem diese an die vorherrschenden Vorstellungen von Teilhabe herangeführt würden. Die Bemühungen zur Realisierung der Teilhabe gingen dabei von denjenigen aus, die bereits Teil der Gesellschaft seien. Ein solches Verständnis von Teilhabe und deren Anbahnung beziehungsweise Unterstützung gerät aber stets von zwei Seiten unter Bedrängnis. Erstens stellt sich die Frage, wie mit Teilhabeansprüchen von und an Menschen umgegangen werden soll, denen bei allen pädagogischen Bemühungen und trotz des Anspruchs der universellen Teilhabe die Erfüllung der Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe nicht möglich erscheint. Hier greifen gesellschaftliche Funktionssysteme nach wie vor auf separierende Angebote und Maßnahmen zurück, die sich im Zusammenhang mit Forderungen nach ›Inklusion‹ jedoch zunehmend in Frage gestellt sehen. Als prominente Beispiele im Bereich der beruflichen Rehabilitation können die Förder- und Betreuungsbereiche herangezogen werden, in welchen jene Menschen betreut werden, die die Anforderungen einer Werkstatt für behinderte Menschen nicht erfüllen (vgl. z.B. Sansour 2018). Solche Problematisierungen zeigen die Grenzen gesellschaftlicher Teilhabeerwartungen auf und fordern eine Auseinandersetzung damit ein, die sich diesen Grenzen gleichsam von innerhalb der Funktions- und Normalitätserwartungen der Gesellschaft sowie der Logik der Normalisierung annähert. Von der anderen Seite dieser Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe werden normalisierende pädagogische Praxen zweitens irritiert oder gar in Frage gestellt, wo Ansprüche artikuliert werden, die sich auf unterschiedliche Arten und Weisen von den hegemonialen Teilhabebedingungen abgrenzen. Als eine solche Irritation der Funktions- und Teilnahmebedingungen kann zum Beispiel freiwillig gewählte Arbeitslosigkeit als Konzept der Lebensgestaltung verstanden werden (vgl. Puhr 2009). Damit sind Fragen nach dem adäquaten Umgang mit Ansprüchen aufgeworfen, die sich den hegemonialen Dimensionen gesellschaftlicher Teilhabe entziehen oder verweigern und damit die Normen der gleichberechtigten Teilhabe als gesellschaftliche Erwartungen an Individuen enttarnen. Gegen diese Problematisierung der Grenzen pädagogischer Ordnungen ließe sich nun einwenden, dass eine ›inklusive Pädagogik‹, welche die Vielfalt des menschlichen Daseins ›wirklich‹ anerkenne, auf separierende Einrichtungen wie Förder- und Betreuungsbereiche verzichten müsse und die

1 Hinführung

Qualität der dann einzurichtenden Bildungs- oder Beschäftigungsangebote Widerstände gegen die Teilhabeforderungen obsolet werden ließe. ›Inklusion‹ wäre in einer solchen Argumentation so lange nicht erfüllt, wie sie das Kriterium der Unteilbarkeit nicht erfüllte. Jenseits der Frage, ob man die Förderund Betreuungsbereiche als Orte der Beschäftigung und Arbeitslosigkeit als Lebenskonzept befürwortet oder nicht, dürfte sich die Problematik einer solchen totalitären Ordnungsphantasie von selbst erklären. In ihr hätte selbst gewählte Exklusion keinen Platz. Geht man, wie davor erläutert, davon aus, dass Ordnungen der Teilhabe immer umstritten sind, werden auch Leitvorstellungen wie ›Inklusion‹ diese Fragen nicht stillstellen können. Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die hier aufgerufenen Fragen insistieren deshalb konsequenterweise auf den Zusammenhang von Inklusion und Exklusion (vgl. Dederich 2017). Viele empirische Arbeiten haben in den letzten Jahren gezeigt, dass inklusionsorientierte Bildungsangebote Grenzen eben nicht aufheben, sondern verschieben (vgl. z.B. Budde et al. 2017b; vgl. Puhr und Geldner 2017). Aus theoretischer Perspektive ließe sich darauf hinweisen, dass bereits der Anspruch der Durchsetzung einer ›Anerkennung von Vielfalt‹ auf die Nicht-Anerkennung von diesem Anspruch widerstreitenden Positionierungen angewiesen ist (vgl. Prengel 2006, S. 49). Vorstellungen einer ›inklusiven Pädagogik‹, gleich ob sie sich auf Schule, Arbeit oder andere Lebensbereiche beziehen, erweisen sich hier also selbst als hegemoniale Einsätze, die mit einer Aufteilung des gesellschaftlichen Raums einhergehen. Von hier aus lässt sich die Gefahr von positiv formulierten, vermeintlich erfüllbaren Normen der Teilhabe geltend machen, die konstitutiven Grenzziehungen zu verkennen, die jeder Teilhabeforderung zu Grunde liegen. Nimmt man von Vorstellungen Abstand, dass es nur ein entweder oder gibt – eine einschließende oder eine ausgrenzende Gesellschaft, eine inklusive oder eine exklusive Pädagogik, eine ›ungeteilte Inklusion‹ oder keine – wäre ›Inklusion‹ gerade nicht als eine Aufhebung von Grenzen per se zu verstehen. Die Forderung, ›Inklusion‹ müsse unteilbar sein, ist dann als eine Unmöglichkeit enttarnt. Was aber, so könnte man fragen, kann eine politische Diskussion von ›Inklusion‹ noch ausmachen oder ausrichten, wenn ihr universeller Anspruch doch als eine Illusion verstanden wird? Wäre das demokratische Selbstverständnis inklusionsorientierter Pädagogiken damit nicht hinfällig? Eine mögliche Antwort auf diese Fragen lässt sich durch eine Perspektivverschiebung auf die symbolische Dimension sozialer Prozesse am Beispiel der zu Beginn dargestellten Petition andeuten. Zwar reproduziert diese in ihrer Forderung die ableistischen Leistungserwartungen, die als Barrieren der Teil-

21

22

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

habe verstanden werden können. Zugleich macht sie aber auf einen Widerspruch aufmerksam, zwischen dem meritokratischen Gerechtigkeitsversprechen auf eine gleiche Anerkennung von Leistung sowie der Tatsache, dass es eine Gruppe von Personen gibt, denen die Anerkennung für ihre Leistung systematisch verwehrt wird. Diese Inszenierung eines Ungenügens des universalistischen Leistungsprinzips kann als die Öffnung eines Raums gelesen werden, in welchem diskutierbar wird, wer unter welchen Bedingungen für was Anerkennung bekommt und wo diese Normen der Anerkennung und die sich hierum strukturierenden Prozesse dem Anspruch ihrer universellen Gültigkeit widerstreben. Indem die Petition diese Differenz zwischen einer erbrachten Leistung und deren Anerkennung geltend macht, macht sie also zugleich das meritokratische Prinzip befragbar. Das politische Potential dieser Petition besteht aus einer solchen Perspektive nicht darin, dass sie sich für eine spezifische Form der Teilhabe oder Anerkennung einsetzt beziehungsweise die Antwort auf das Problem der verwehrten Anerkennung gibt. Es besteht vielmehr darin, dass sie eine Ungerechtigkeit inszeniert und damit einen Raum für die Befragung gegebener Gerechtigkeitsvorstellungen öffnet. Ob dieses Potential zu einer Verschiebung der Normen der Anerkennung – und damit zu neuen Grenzziehungen – führt oder nicht, wäre dann eine Frage der diskursiven Wirksamkeit der Aktion, nicht der Aktion selbst. Das politische Moment, welches sich in dieser Perspektive andeuten lässt, liegt nicht in der tatsächlichen Umsetzung einer partikularen oder universalistischen Ordnung (der Anerkennung) und einem hiermit verbundenem Heilsversprechen. Es zeigt sich in der Möglichkeit, durch die Artikulation partikularer Ansprüche gegebene Ordnungen mit dem Problem zu konfrontieren, dass sie nur unzureichend dazu in der Lage sind, die universalistischen demokratischen Prinzipien umzusetzen. Eine solche Perspektive auf die symbolische Dimension politischer Prozesse und Praxen macht also geltend, dass es erst der universelle demokratische Anspruch der Teilhabe ermöglicht, partikulare Vorstellungen davon, was hier eigentlich unter Teilhabe verstanden werden soll, in die Auseinandersetzungen hierum einzubringen. Berücksichtigt man eine solche symbolische Perspektive auf politische Prozesse und Praxen in den Diskussionen um ›Inklusion‹, ist die politische Dimension derselben nicht in der tatsächlichen Umsetzung der Institutionalisierungen einer ›Pädagogik für alle‹ zu suchen. Das Politische zeigte sich stets aufs Neue in der Behauptung der ›Unteilbarkeit‹ gegenüber konkret gegebenen Ausschlüssen und der hiermit verbundenen Möglichkeiten der Verschiebung gesellschaftlicher wie pädagogischer Ordnung(svorstellung)en.

1 Hinführung

Eine tatsächliche Umsetzung dieser ›Unteilbarkeit‹ wäre aber das Ende jeder Auseinandersetzung um das Universelle und zugleich das Ende der Demokratie. Ein demokratisches Verständnis von ›Inklusion‹ ist in dieser Perspektive deshalb nicht mit dem Politischen zu identifizieren. Es zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass es sich dem Politischen gegenüber öffnet und Infragestellungen der eigenen Ordnungsvorstellungen zulässt beziehungsweise solche affirmiert. Integrations- wie Inklusionspädagogiken verstehen beziehungsweise verstanden sich von Beginn an als demokratische Projekte (vgl. z.B. Muth 1986; Schnell 2003). Seitdem hat sich ›Inklusion‹ zu einer der zentralen pädagogischen und (bildungs-)politischen Leitvorstellungen entwickelt. Mit dem Erfolg des Begriffs ging eine Ausweitung des diskursiven Felds um ihn einher, mit dem sich vielfältige Herausforderungen verknüpfen – von Befürchtungen der ›Verwässerung‹ des politischen Anliegens bis hin zu systematischen Anfragen und Infragestellungen der hiermit verbundenen Konzepte, Begriffe und Vorstellungen. Eine zusätzliche Verunsicherung erfährt der Begriff durch die Geltendmachung der skizzierten gesellschaftlichen Entwicklungen. Vor dem Hintergrund solcher Irritationen sehen sich inklusionsorientierte Pädagogiken und Forschungen mit der Frage konfrontiert, welchen Stellenwert ihr Anliegen eines gleichberechtigten Zugangs zu allgemeiner Bildung und dessen jeweilige Umsetzungsversuche für die Einlösung des Versprechens der Demokratisierung von Bildungs- und Unterstützungssystemen einnehmen können. Worin läge der potentielle Beitrag einer inklusionsorientierten Pädagogik und Forschung für die angestrebten Demokratisierungsprozesse? Was kann es bedeuten, für ›Inklusion‹ einzutreten, ohne über deren politische Dimension verfügen zu können? Warum sollte man überhaupt für (ein demokratisches Verständnis von) ›Inklusion‹ eintreten? Mit diesen Fragen möchte sich die vorliegende Arbeit auseinandersetzen. Die möglichen Antworten, die sie zur Diskussion stellen wird, haben sich in der zurückliegenden Diskussion des Teilhabeanspruchs bereits angedeutet. Wo eine unteilbare ›Inklusion‹ als eine positiv formulierte Norm verstanden wird, die tatsächlich ohne Ausschlüsse auskommt, wird sie an ihrem demokratischen Anspruch scheitern. Wo sie auf den Anspruch der Unteilbarkeit verzichtet, wird sie es aber ebenso. In diesem Paradox liegen die Möglichkeiten von ›Inklusion‹ aufgehoben, an der Aktualisierung und Vertiefung des demokratischen Versprechens auf eine gleichberechtigte Teilhabe (an Bildung) mitzuwirken. In den letzten Jahren sind vielzählige Bücher erschienen, die sich auf je eigene Arten und Weisen dem Thema ›Inklusion‹ widmeten und auf die

23

24

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

genannten Fragen unterschiedlichste Antworten anbieten (vgl. z.B. Ahrbeck 2016; Becker 2016; Ellger-Rüttgardt 2016b; Feuser 2017; Singer 2018; Winkler 2018). Die Spezifität der vorliegenden Arbeit sowie der hiermit verbundenen Fragestellungen versteht sich als eine doppelte. Erstens möchte sie einen Beitrag zu einem ergebnisoffenen, inklusionspädagogischen Selbstverständigungsprozess liefern. Es geht ihr also nicht um die Hinzufügung eines weiteren Beitrags, der sich dem Status von ›Inklusion‹ bereits sicher ist – sei es in affirmativer oder in aversiver Weise. Zweitens will sie hierfür mit der politischen Philosophie ein theoretisches Feld erschließen, welches in den Diskussionen erstaunlich wenig Aufmerksamkeit erfährt. Erziehungswissenschaftliche Debatten um ›Inklusion‹ ziehen aktuell ein großes Reflexionspotential aus sozialwissenschaftlichen Arbeiten. Wenn die These zutreffend ist, dass Bestrebungen um ›Inklusion‹ immer ein politisches respektive demokratisches Selbstverständnis zu eigen war beziehungsweise ist, stellt sich die Frage, warum nicht häufiger Potentiale einer politikphilosophischen Diskussion erschlossen werden. Die vorliegende Arbeit wendet sich solchen Angeboten zu und diskutiert die zuvor genannten Fragestellungen unter Bezug auf Theorien der radikalen Demokratie. Da die aufgeworfenen Fragen den Kern inklusionspädagogischer Selbstverständnisse betreffen und sich nicht auf das Feld der beruflichen Rehabilitation beschränken, wird der bisherige inhaltliche Fokus im Folgenden auf inklusionspädagogische Diskussionen im Allgemeinen ausgeweitet. Kapitel 2 unternimmt eine Annäherung an das diskursive Feld, das sich um den Begriff ›Inklusion‹ organisiert. Aufgrund der Heterogenität der Diskussionen um den Begriff wird es nicht möglich sein, dieses Feld umfassend darzustellen. Vielmehr geschieht dies im Sinne eines Forschungsstandes selektiv vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit. Der Fokus liegt hierbei auf den deutschsprachigen sonder- und inklusionspädagogischen Debatten. Mit dem vorgeschlagenen Zugang soll eine Perspektive auf diese Auseinandersetzungen angeboten werden, die mit Versuchen einer Durchsetzung eindeutiger Lesarten von ›Inklusion‹ und deren politischen Implikationen bricht. Sie will die Diskussionen um den Begriff vielmehr in Hinblick auf die sich mit ihm verbindenden heterogenen Einsätze in die Auseinandersetzung um eine Demokratisierung des Bildungssystems lesen. Das Augenmerk liegt deshalb auf den Spannungsverhältnissen, die das diskursive Feld um ›Inklusion‹ organisieren. Diese ermöglichen zugleich unterschiedliche Verständnisse von ›Inklusion‹ wie die Infragestellung deren Eindeutigkeit und machen sie so erst dem demokratischen Streit zugänglich. Hierdurch werden unter anderem die

1 Hinführung

kontroversen Diskussionen um das Konzept der Dekategorisierung als Verweise auf das Spannungsverhältnis zwischen den demokratischen Prinzipien der Gleichheit und der Freiheit lesbar. Mit der diskursanalytisch informierten Perspektive erweisen sich gerade solche Ambivalenzen sowie eine Sensibilität für diese als möglicher Kern eines inklusionspädagogischen Selbstverständnisses. Die Differenzen zwischen den inklusionspädagogischen Ansprüchen wie der gegen sie in Stellung gebrachten Wirklichkeitsbeschreibungen können so als Zeichen dafür verstanden werden, dass eine demokratische Lesart von ›Inklusion‹ nicht letztgültig zu institutionalisieren, sondern immer wieder auf die hiermit verbundenen Effekte der Teilhabe und der Ausgrenzung zu befragen ist. Entgegen der Lesarten, die mit einer (Re-)Politisierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ oder deren gesellschaftsanalytischen Fundierung die Hoffnung verbinden, die Utopie einer inklusiven Schule, Arbeitswelt oder Gesellschaft tatsächlich umsetzten zu können, wird diesen Forderungen in der vorliegenden Arbeit somit ein systematischer Stellenwert für ein demokratisches Verständnis von ›Inklusion‹ zugeschrieben. Sie wären damit auf Dauer zu stellen. Die an diese Hinführung anschließenden Kapitel 3 und 4 setzen sich deshalb intensiv mit diesen Forderungen auseinander. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Irritationen eines ›politischen‹ Selbstverständnisses der Integrations- wie Inklusionspädagogik stellt Kapitel 3 die Frage nach den Möglichkeiten einer (Re-)Politisierung der Diskussionen um ›Inklusion‹. In Anerkennung des zuvor herausgearbeiteten demokratischen Selbstverständnisses der pädagogischen wie politischen Einsätze werden hierfür demokratietheoretische Überlegungen herangezogen. Der Fokus liegt dabei auf Theorien der radikalen Demokratie, da sich diese umfangreich Fragen nach dem Politischen widmen. Diese Arbeiten haben im sonder- und inklusionspädagogischen Diskurs bis jetzt allerdings wenig Aufmerksamkeit erfahren. Aus diesem Grund bietet das Kapitel in einer Fokussierung dreier zentraler Aspekte radikaler Demokratietheorien zugleich eine Annäherung an diese Arbeiten an und erschließt dieses Denken des Politischen in seiner Bedeutung für die Frage nach einer (Re-)Politisierung der inklusionspädagogischen Diskussionen. Zunächst ist für radikaldemokratische Arbeiten zentral, dass sie sich dem Politischen auf der symbolischen Ebene des Sozialen annähern. (Re-)Politisierung wäre dann eine Sichtbarmachung und Verschiebung der Grenzziehungen zwischen dem, was Gegenstand des öffentlichen Streits sein soll, und dem, was der demokratischen Auseinandersetzung entzogen wird. Möglich wird dies durch eine konstitutive Differenz zwischen der Politik und dem Politischen.

25

26

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Während der Begriff der Politik auf jeweils gegebene Institutionalisierungen von Macht verweist, wird das Politische als der Name für die Differenz aufgerufen, die jedem Gründungsversuch einer sozialen Ordnung eingeschrieben ist und so eine (Re-)Politisierung sozialer Verhältnisse erst ermöglicht. Insbesondere poststrukturalistische Perspektiven unternehmen im Anschluss hieran eine Befragung zentraler Begriffe der politischen Theorie. Sie können als eine erkenntnispolitische Praxis der (Re-)Politisierung derselben verstanden werden. Aus den Überlegungen zu einer politischen Differenz leitet sich jedoch auch ein großes Interesse für politische Praxen ab – insbesondere für diejenigen, die mit demokratischen Bewegungen in Zusammenhang stehen. Jenseits der Möglichkeit, eine umfassend gerechte Ordnung zu stiften, erweisen sich hier insbesondere die Prinzipien der Gleichheit und Freiheit sowie das zwischen ihnen angelegte Spannungsverhältnis als Ausgangspunkte demokratischer Kämpfe. Die Möglichkeit einer (Re-)Politisierung sozialer Verhältnisse wird somit eng geknüpft an das demokratische Dispositiv sowie die hieraus erwachsende Möglichkeit der Etablierung eines Streits darum, was als allgemeine Angelegenheit gelten soll und wer an diesem Streit zu beteiligen wäre. Diese unterschiedlichen Perspektivierungen radikaldemokratischen Denkens schließen jeweils mit Überlegungen zu deren Bedeutung für eine Reflexion der politischen Dimension von ›Inklusion‹. In deren Zusammenschau wird deutlich, dass eine solche Lesart darauf insistiert, dass nie abschließend zu klären sein wird, wer auf welche Art und Weise an Bildung zu beteiligen ist. Je gegebene Aufteilungen können unter Verweis auf den universellen Anspruch der gleichberechtigten Teilhabe an Bildung aber stets aufs Neue in Frage gestellt werden. Ein (radikal-)demokratisches Verständnis von ›Inklusion‹ kommt deshalb nie an sein Ende. Die Forderung einer (Re-)Politisierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ ist ihm vielmehr als eine dauerhafte Aufgabe aufgegeben. (Re-)Politisierung heißt dann, vehement für die Anerkennung der Kontingenz der eigenen Grundannahmen einzutreten und damit das Feld für Auseinandersetzungen um – nicht nur für – ›Inklusion‹ zu öffnen. Die in Kapitel 3 dargestellten Diskussionen um die politische Dimension des Sozialen sowie die hieraus erwachsenden Möglichkeiten einer (Re-)Politisierung der erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um ›Inklusion‹ nehmen ihren Ausgangspunkt auf die eine oder andere Art und Weise in der Unverfügbarkeit und Kontingenz jeder sozialen Ordnung. Eine solche Positionierung bleibt nicht ohne Folgen für eine gesellschaftsanalytische Fundierung der inklusionspädagogischen Diskussionen. Kapitel 4 widmet sich den hiermit zusammenhängenden Fragen.

1 Hinführung

Gesellschaft erweist sich hier als ein Referenzpunkt für wissenschaftlich codierte Auseinandersetzungen um das Allgemeine einer sozialen Ordnung. So werden Gesellschaftstheorie und -analyse als strategische Einsätze in soziale Konflikte lesbar. Vor dem Hintergrund dieser Charakterisierung lassen sich diejenigen gesellschaftstheoretischen Positionen befragen, die in erziehungswissenschaftlichen Debatten um ›Inklusion‹ aktuell herangezogen werden. Der vorgenommene Überblick orientiert sich dabei an einer Unterscheidung von differenzierungstheoretischen, ungleichheitstheoretischen sowie kulturtheoretischen Ansätzen und zeigt vielfältige Potentiale für inklusionsorientierte Forschungen auf. So insistieren diese konsequent auf den Zusammenhang von Bedingungen der Teilhabe und Ausgrenzung und können so für die mit jeder sozialen Ordnung einhergehenden Ausgrenzungsrisiken sensibilisieren. Damit stellen sie wichtige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung von pädagogischen Angeboten dar und liefern stichhaltige Argumente für eine Begrenzung der Erwartungen an deren gesellschaftsverändernde Potentiale. Zugleich werden aber dort Schwächen erkennbar, wo sich Fragen nach den Möglichkeiten der Veränderung dieser Bedingungen stellen. Mit einem erneuten Wechsel in das theoretische Repertoire der radikalen Demokratietheorien wird deshalb ein gesellschaftstheoretischer Ansatz erschlossen, der diese Aspekte zu berücksichtigen erlaubt. Mit der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus erweist sich Gesellschaft als ein unmögliches Objekt. Laclau geht also nicht davon aus, dass es Gesellschaft als eine letztgültige, mit sich selbst identische Ordnung geben kann. Vielmehr geht er davon aus, dass unterschiedliche Sinnprojekte dauerhaft um die Möglichkeit streiten, das Allgemeine zu repräsentieren. Zu einer hegemonialen Formation können diese dort werden, wo es ihnen gelingt, durch die Konstruktion eines gemeinsamen Gegners verschiedene partikulare Forderungen unter einem leeren Signifikanten zu vereinen. In Abgrenzung vom marxistischen Ökonomismus muss die Hegemonietheorie Laclaus deshalb als eine postmarxistische Sozialontologie gelesen werden, die Konflikt und Konflikthaftigkeit zu den negativen Ausgangspunkten jeder sozialen Ordnung erklärt und die Auseinandersetzungen um Hegemonie zum Gegenstand ihrer Analysen macht. Forderungen der Teilhabe werden so als politische Einsätze verstehbar, die an hegemonialen Konstruktionsprozessen von Gesellschaft beteiligt sind. Insofern noch die Hegemonieanalyse selbst einen Einsatz in diese Auseinandersetzungen darstellt, können Laclaus Arbeiten jedoch nicht auf den Aspekt der Analysen hegemonialer Konflikte reduziert werden. Vielmehr verstehen sie sich zugleich als Versuche einer Hegemonialisierung des (radikal-)demokra-

27

28

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

tischen Diskurses. Dieser müsse stets darum bemüht sein, Wege zu finden, die Grundlosigkeit des Sozialen zu symbolisieren und so die Kontingenz des eigenen Einsatzes transparent zu halten. Vor dem Hintergrund dieses Einsatzes wäre einerseits der inklusionspädagogische Diskurs in Hinblick auf hegemoniale Versuche der Schließung zu analysieren. Andererseits gelte es herauszufinden, ob ›Inklusion‹ als Name – und damit als leerer Signifikant – für eine hegemoniale Formation fungieren könnte, die sich dem demokratischen Versprechen verpflichtet sieht und zugleich die Kontingenz des eigenen Einsatzes transparent zu halten erlaubte. ›Inklusion‹ ist hier also nicht der Versuch der Etablierung einer Ordnung, die ohne Hegemonie auskommt, sondern selbst ein hegemonialer Einsatz. Im Anschluss hieran dient Kapitel 5 der Bilanzierung der unterschiedlichen Versuche einer radikaldemokratischen Artikulation von ›Inklusion‹. Hierfür werden zwei Fragen diskutiert, welche einzelne Aspekte der Arbeit nochmals aufzugreifen ermöglichen und so den erkenntnistheoretischen und erkenntnispolitischen Einsatz dieser Arbeit zuzuspitzen erlauben. Eine erste Frage gilt den Möglichkeiten der Formulierung eines radikaldemokratisch informierten Forschungsprogramms zu ›Inklusion‹. Ein solches verstünde sich als Einsatz für eine Demokratisierung der Diskussionen um ›Inklusion‹. Deshalb ginge es nicht darum, mit der Hegemonietheorie einen privilegierten Diskurs oder Forschungszugang zu behaupten. Vielmehr sind im Anschluss an die Überlegungen Laclaus Koalitionen zwischen unterschiedlichen (Forschungs-)Projekten zu suchen, die sich einer solchen Öffnung und Demokratisierung des Inklusionsdiskurses verpflichtet sehen. Die zweite Frage hingegen richtet sich an die Möglichkeiten der Begründung eines solchen Anliegens. Denn wo im radikaldemokratischen Sinne von der Kontingenz des Sozialen ausgegangen wird, erscheint es zumindest erklärungsbedürftig, warum gerade für eine solche Demokratisierung einzutreten wäre. Aus einer radikaldemokratischen Perspektive wird das Streiten für eine öffnende Normativität als eine Entscheidung verstehbar, die auf keinen Grund außerhalb des Akts der Entscheidung selbst gründet. In diesem Sinne versteht die vorliegende Arbeit ihr Eintreten für ›Inklusion‹ als eine kontingente Entscheidung für das demokratische Versprechen auf eine gleichberechtigte Teilhabe an Gesellschaft im Allgemeinen und Bildung im Besonderen. Von hier aus entwickelt sich die Argumentation dieser Arbeit. Auch eine radikaldemokratisch artikulierte, ›inklusive Pädagogik‹ muss also nicht auf eine normative Begründung verzichten. Eine solche Legitimation verweist aber nicht auf einen positiven Grund. Sie resultiert schlicht aus der Entscheidung für die Möglichkeit einer In-

1 Hinführung

fragestellung jeder pädagogischen Ordnung und setzt sich von hier aus für eine öffnende Normativität als ›Ab-Grund‹ des pädagogischen Handelns ein. Ob und wie sich ein solches Investment bezahlt macht, wird sich aber nicht rational absichern lassen, sondern in der Praxis zeigen müssen. Die zentrale Frage, welche diese Arbeit am Ende aufgibt, ist deshalb, ob ›Inklusion‹ der Name sein kann, unter dem sich unterschiedliche pädagogische Konzepte und erziehungswissenschaftliche Forschungen mit einem demokratischen Selbstverständnis bündeln lassen, um an einer Demokratisierung des Bildungssystems mitzuwirken. Das gilt es herauszufinden.

29

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung) – Annäherung an ein umstrittenes Feld

Der Begriff ›Inklusion‹ wurde Anfang der 2000er Jahre in den deutschsprachigen (sonder- und integrations-)pädagogischen Diskurs eingeführt.1 Wie bereits dargelegt, hat er seitdem eine steile Karriere und eine damit verbundene Ausdehnung durchlaufen, die Definitionsversuche mühsam, wenn nicht unmöglich machen. Die Debatten sind geprägt von kontroversen Diskussionen um seine Bedeutung für pädagogische und erziehungswissenschaftliche Fragestellungen ebenso wie für bildungs- und behindertenpolitische Weichenstellungen. Dabei bleiben diese nicht nur auf (fach-)wissenschaftliche Auseinandersetzungen begrenzt, sondern werden längst im öffentlichen Raum verhandelt. Dies wirft im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit in diesem Themenfeld unweigerlich die Frage nach den Möglichkeiten gegenstandsadäquater Annäherungen an den Begriff auf. In Abhängigkeit des Erkenntnisinteresses zeigen sich hier unterschiedlichste Umgangsweisen mit dessen Heterogenität. Mögliche Strategien reichen von einer disziplinären Einordnung – pädagogische vs. sozialwissenschaftliche Begriffe (vgl. z.B. Dederich 2017) – über historische Grenzziehungen – Inklusion vs. Integration (vgl. z.B. Hinz 2002) – bis hin zu einem Verweis auf den Geltungsbereich des mit dem Begriff verbundenen Gleichheitsanspruchs – enger vs. weiter Inklusionsbegriff

1

Das folgende Kapitel begrenzt sich auf die bildungspolitischen und erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um ›Inklusion‹ im deutschsprachigen Raum. Die Einführung des Begriffs in letztere wurde wiederholt auf Andreas Hinz zurückgeführt (vgl. hierzu die Kritiken von Ahrbeck 2016 oder Singer 2018). Entsprechende Artikel von Hinz selbst finden sich zum Beispiel bei Hinz 2002, 2004. Es wird allerdings darauf verwiesen, dass die Auseinandersetzung hierum erst mit der Ratifizierung der UN-BRK im Jahr 2009 eine besondere Dynamisierung erfahren habe (vgl. Wansing 2015, S. 43).

32

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

(vgl. z.B. Lindmeier und Lütje-Klose 2015). Vermeiden solche Ordnungsversuche meist noch eindeutige Zuschreibungen und Zuordnungen, kommt es in deren Folge dann nicht selten zu Entscheidungen für oder gegen die eine oder andere Seite und damit zur Konstruktion definitorischer Dichotomien. Solche Definitionsversuche laufen jedoch Gefahr, die Heterogenität des Begriffs zu unterschlagen und werfen damit stets die Frage nach deren Produktivität für den fachlichen Diskurs um ›Inklusion‹ auf. Dies zeigt sich zum Beispiel an Versuchen, den Begriff auf die theoretischen und handlungspraktischen Implikationen eines ›ursprünglichen‹ oder ›radikalen‹ inklusionspädagogischen Verständnisses zu reduzieren, sei es nun, um sich affirmativ auf eine solche Definition zu beziehen oder um sich hiervon abzugrenzen. Die Affirmation solcher vereindeutigenden Definitionen dient dabei nicht selten der Bewertung und somit der Legitimation oder Delegitimation unterschiedlichster bildungspolitischer Forderungen, institutioneller Ordnungen oder Handlungskonzepte. Diese erscheinen dann wahlweise als ›inklusiv‹ oder eben als ›verkehrte Inklusion‹ (Wocken 2014). Entsprechende machtförmige Abgrenzungsstrategien, die dem Versuch dienen, Deutungshoheit über Diskurse zu erlangen oder abzusprechen, finden sich jedoch nicht nur bei expliziten Vertreter*innen einer inklusiven Pädagogik. Sie spiegeln sich auch in den Kritiken hieran wider. So wird zum Beispiel argumentiert, dass eine differenzierte Kritik ›inklusionistischer‹ Positionierungen nur dann möglich sei, wenn ein inklusionspädagogisches Begriffsverständnis identifiziert und von dessen sonderpädagogischen und bildungspolitischen Umdeutungen unterschieden werde. Während letztere mit der pädagogischen Inklusionsidee nicht mehr viel zu tun hätten, eigneten sich erstere aufgrund deren Radikalität für eine kritische Auseinandersetzung in besonderer Weise (vgl. Singer 2018). Einwände gegen solche Engführungen ließen sich zunächst aus nominalistischer Perspektive anbringen, da mit dem Begriff ›Inklusion‹ aktuell eben weit mehr bezeichnet wird, als möglicherweise ursprünglich von einigen Autor*innen intendiert. Warum aber gerade deren begriffliche Bestimmungsversuche als Maßstab für eine Bewertung des Diskurses herangezogen werden sollten, ist zu begründen und entsprechende Begründungen bleiben stets prekär. Eine solche Begrenzung erscheint weiter aber auch aus erkenntnistheoretischer beziehungsweise -politischer Perspektive problematisch, weil damit implizit eine Deutungshoheit über den Begriff in Anspruch genommen oder zugeschrieben wird, die einer theoretischen Diskussion desselben möglicherweise eher entgegensteht als diese zu befördern. Unterschiedlichste Verständnisse des

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

Begriffs werden dann nicht mehr als strategische Einsätze in das diskursive Feld lesbar, die auf deren jeweils eigene Produktivität innerhalb desselben befragt werden könnten. Das folgende Kapitel versucht, auf eine solche vereinheitlichende Definition von ›Inklusion‹ zu verzichten. Es will die Diskussionen um den Begriff vielmehr in Hinblick auf die sich hiermit verbindenden heterogenen Einsätze in die Auseinandersetzung um die Frage einer angemessenen Gestaltung des Bildungssystems lesen. ›Inklusion‹ erscheint damit als Name für verschiedene Forderungen, welche die Legitimation des Bildungssystems an den demokratischen Anspruch »gleichberechtigter Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder und Jugendlichen« (Puhr 2017c, S. 15; Herv. i. Original) knüpfen und diese nicht in gruppenspezifisch separierenden Schulmodellen umgesetzt sehen wollen. Da das sich um diesen Anspruch organisierende diskursive Feld aufgrund des Umfangs der vorliegenden Arbeit jedoch eingegrenzt werden muss, findet hier eine Fokussierung auf diejenigen Einsätze statt, die auf unterschiedlichste Arten und Weisen wechselseitig (de-)legitimierend an Vorstellungen von behindernden Problemlagen gebunden sind.2 Der Ausgangspunkt dieser Darstellungen ist zunächst ein historischer, insofern die aufgerufenen pädagogischen Auseinandersetzungen um ›Inklu2

Zu einer Perspektive auf Behinderung als ›(de-)legitimierte pädagogische Kategorie‹ vgl. Puhr 2017a. Im Folgenden soll keine Diskursanalyse vorgelegt werden. Dennoch versteht sich das Kapitel als diskurstheoretisch informiert. Es orientiert sich an Lesarten der Diskurstheorie und -analyse, wie sie im erziehungswissenschaftlichen Kontext für die Analyse von Erfahrungsdiskursen vorgeschlagen wurde (vgl. Krüger et al. 2014; Schäfer 2011b). Hiervon übernimmt es einerseits das Verständnis von diskursiven Artikulationen als situative und performative Hervorbringung von Sinn (vgl. Krüger et al. 2014, S. 159) und andererseits die Vorstellung, dass sich die hiermit einhergehende Heterogenität eines diskursiven Feldes maßgeblich über »Paradoxien und problematische Konstellationen« organisiert, »die sich für das diskursive Geschehen als produktiv erweisen« (ebd., S. 167). Die hier zur Diskussion gestellte Annäherung an das diskursive Feld muss dabei selbst als kontingente diskursive Praxis verstanden werden, die bestimmte Erkenntnisse ermöglicht, andere jedoch ausschließt (vgl. Geldner 2017). Die für dieses Kapitel vorgenommene Einschränkung auf die Kategorie Behinderung und das hieraus erwachsende Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Verschiedenheit, zwischen Allgemeiner Pädagogik und Sonder- beziehungsweise Inklusionspädagogik lässt sich einerseits vor dem Hintergrund der disziplinären Verortung des Autors begründen, andererseits unter Verweis auf Beobachtungen und damit verbundene Fragestellungen, dass ›Inklusion‹ gegen anderweitige Bekundungen immer wieder maßgeblich in Bezug auf die Kategorie Behinderung diskutiert wurde und nach wie vor wird (vgl. Exner 2018).

33

34

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

sion‹ nicht nachvollziehbar erscheinen, ohne ihre integrationspädagogischen Vorläufer zu thematisieren (Abschn. 2.1.). Diese stellen einen wichtigen Bezugspunkt und Gegenhorizont vieler Beiträge zur aktuellen Debatte um ›Inklusion‹ dar. Die in den 1980er Jahren entstandenen integrationspädagogischen Einsätze werden im Folgenden als dem Anspruch nach politische Pädagogiken lesbar, die vor dem Hintergrund des Gleichheitspostulats demokratischer Gesellschaften weitreichende Transformationen des Bildungssystems, der Disziplin der Erziehungswissenschaft sowie der Gesellschaft als Ganze forderten. Sie knüpften hierbei an die vorangegangene Gesamtschulbewegung an und reformulierten deren Ansprüche der Bildungsgerechtigkeit mit dem Verweis auf die Kategorie Behinderung hinsichtlich einer Gruppe von Schüler*innen, denen bis dahin der Zugang zum allgemeinen Schulsystem weitestgehend verwehrt blieb (vgl. Schnell 2003, S. 29). Eine Konfrontation der integrationspädagogischen Ansprüche mit Beschreibungen der pädagogischen wie gesellschaftlichen Wirklichkeit legitimierte ab den 1990er Jahren jedoch zunehmend Kritik an den integrationspädagogischen Theorien und Praxen. So wurde die Figur der dialektischen Vermittlungen von Gleichheit und Verschiedenheit (vgl. z.B. Reiser et al. 1986a) aufgegriffen, um eine nach wie vor stark auf die Kategorie Behinderung fokussierte Integrationspädagogik gemeinsam mit anderen bewegungszentrierten Pädagogiken zu einer Pädagogik der Vielfalt weiterzuentwickeln (vgl. Hinz 1993; Prengel 2006; Preuss-Lausitz 1993). Diese verstand sich zunächst insbesondere als Antwort auf das Problem, dass die Integration das »Anderssein [der adressierten Schüler*innen, J.G.] nicht im Sinne einer Dialektik von Gleichheit und Differenz aller Schüler überwunden« (Hinz 2002, S. 357; Herv. J.G.), sondern nach wie vor an einer ›Zwei-Gruppen-Theorie‹ festgehalten habe (vgl. hierzu auch Moser 2017, S. 22). Andere problematisierten, dass der erhoffte transformative Impuls für das Schulsystem und die erziehungswissenschaftlichen Disziplinen ausgeblieben sei beziehungsweise zu versiegen drohe. Zwar seien einzelne Inseln der Integration entstanden, diese würden jedoch gerade nicht zu einer Veränderung des Bildungssystems und der segregierenden Pädagogik, sondern zu deren Stabilisierung beitragen (vgl. Feuser 1995). Der Hoffnung einer Realisierung einer ›Schule für alle‹ stünde vielmehr der wachsende neoliberale Einfluss auf die Bildungspolitik sowie die gesamtgesellschaftliche Abwertung von Menschen mit Behinderungen entgegen (vgl. Jantzen 1997, S. 7f.). Von vielen Befürworter*innen einer ›Schule für alle‹ wurden deshalb insbesondere eine Stärkung der gesellschaftstheoretischen Bezüge sowie eine (Re-)Politisierung der Debatten um Integration eingefordert, wobei

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

diese Forderungen in Abhängigkeit von den eigenen (erkenntnis-)politischen Positionierungen jeweils sehr unterschiedlich ausformuliert wurden. Diese Situation wird im weiteren Argumentationsverlauf des Kapitels als Ausgangslage für die Etablierung des Begriffs ›Inklusion‹ zu Beginn der 2000er Jahre gelesen (Abschn. 2.2). Denn mit dem Rückgriff auf diesen Begriff verband sich zunächst maßgeblich die Erwartung, die praktischen Defizite der Integrationspädagogik überwinden zu können. Insbesondere der Inklusionsbegriff der Salamanca-Erklärung (UNESCO 1994)3 sollte den Diskussionen um eine Pädagogik der Vielfalt neue Geltung verschaffen, insofern sich das hier aufgerufene Verständnis von ›besonderen Bedürfnissen‹ nicht nur auf (nicht-)behinderte Kinder, sondern ebenso auf »street and working children, children from remote or nomadic populations, children from linguistic, ethnic or cultural minorities and children from other disadvantaged or marginalized areas or groups« (ebd., S. 6) bezog. Eine breite Aufmerksamkeit erfährt dieser menschenrechtliche Einsatz in Deutschland jedoch erst mit der Ratifizierung des ›Übereinkommens über die Rechte der Menschen mit Behinderungen‹ (UN-BRK) (United Nations 2006)4 durch den Bundesrat im Jahr 2009. Unter Verweis auf den Inklusionsbegriff der UN-BRK legitimieren sich im Folgenden Forderungen der Transformation der Teilhabebedingungen am Bildungssystem auf kultureller, struktureller und praktischer Ebene (vgl. Platte 2015). Können im Anschluss hieran durchaus Erfolge hin zu mehr gemeinsamer Beschulung und den damit verknüpften disziplinären Veränderungen konstatiert werden, bleiben aber erneut kritische Stimmen nicht aus. ›Inklusion‹ reproduziere eine Fokussierung auf Behinderung sowie die Zuständigkeit der Sonderpädagogik. Diese 3

4

Im Anschluss an die UNESO Weltkonferenz ›Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität‹ im Jahr 1994 in Spanien formuliert die Salamanca-Erklärung Ansprüche an »fundamental policy shifts required to promote the approach of inclusive education, namely enabling schools to serve all children, particularly those with special educational needs« (UNESCO 1994, iii). Die UN-BRK stellt eine Spezifizierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Hinblick auf die Belange von Personen dar, »who have long-term physical, mental, intellectual or sensory impairments which in interaction with various barriers may hinder their full and effective participation in society on an equal basis with others« (UN-BRK, Art.1). Insofern handelt es sich hier um ein enger gefasstes Verständnis der Zielgruppe als bei der Salamanca-Erklärung. Die UN-BRK setzt sich dabei zum Ziel, »to promote, protect and ensure the full and equal enjoyment of all human rights and fundamental freedoms by all persons with disabilities« (ebd.). Ansprüche einer inklusiven Bildung werden maßgeblich in Artikel 24 der Erklärung formuliert.

35

36

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

›Sonderpädagogisierung der Inklusion‹ (Biermann 2019) zeige sich zum Beispiel an der zunehmenden Anzahl diagnostizierter sonderpädagogischer Förderbedarfe (vgl. Wocken 2019) und laufe Gefahr, die Logik unterschiedlicher Zuständigkeiten aufgrund der Zuschreibung von Leistungsdifferenzen im gemeinsamen Unterricht fortzuschreiben (vgl. Sturm 2015a). Erneut werden Leistungsnormen und -erwartungen geltend gemacht, welche gegen allzu naive Vorstellungen der Entwicklung einer inklusiven Pädagogik wie Gesellschaft sprächen (vgl. Buchner et al. 2015). So können viele aktuelle Beiträge als eine Wiederholung der Forderungen nach einer (Re-)Politisierung und gesellschaftsanalytischen Fundierung der Diskussionen um die gemeinsame Beschulung von (nicht-)behinderten Schüler*innen gelesen werden. Wie sich über das Kapitel hinweg zeigen wird, bleibt dem (bildungs-)politischen Versprechen einer gemeinsamen Beschulung von Schüler*innen mit unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen also auch unter dem Begriff der ›Inklusion‹ das Problem der Diskrepanz zwischen dem eigenen Anspruch wie der Einlösung desselben in der pädagogischen Praxis erhalten – sowohl in Bezug auf die Überwindung der Kategorie Behinderung als auch in Bezug auf das Anliegen, einen Beitrag zu einer Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft zu leisten. Die sich hieran anschließenden Forderungen einer (Re-)Politisierung und gesellschaftstheoretischen Fundierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ werden von dieser Arbeit grundsätzlich geteilt, insofern auch der Autor den Anspruch einer gleichberechtigten Teilhabe an Bildung von Menschen mit unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen nicht eingelöst sieht. Die Beobachtung aber, dass diese Forderungen von Beginn an Teil der Debatten um die Ausgestaltung des Bildungssystems waren und dies weiterhin zu bleiben scheinen, wirft gleichzeitig Fragen nach deren systematischen Bedeutung für eine demokratische (Bildungs-)Politik auf (Abschn. 2.3). Gegenüber den Arbeiten, welche sich mit vielfältigen Barrieren auf dem Weg der Umsetzung zu einer ›Schule für alle‹ auseinandersetzen – sei es, um diese zu überwinden oder um diese als Argumente gegen eine solche Institutionalisierung von Bildung anzuführen – schlägt diese Arbeit deshalb eine Verschiebung der Betrachtungsweise auf die Ambivalenzen vor, die mit dem demokratischen Anspruch der gleichberechtigten Teilhabe einhergehen. ›Inklusion‹ wird damit als Symbol dafür verstehbar, dass der universelle Anspruch auf Teilhabe (hier: an Bildung) jeder demokratischen Gesellschaft als Problem aufgegeben ist und bleibt. Vor dem Hintergrund eines solchen Einsatzes wäre jedoch neu zu diskutieren, was die

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

Forderungen einer (Re-)Politisierung und Gesellschaftsanalyse bedeuten können.

2.1

Zum Selbstverständnis der Integrationspädagogik und -forschung als einem demokratischen Projekt

Die Organisation des Bildungssystems ist in der Bundesrepublik Deutschland eine ministeriale Aufgabe, die den einzelnen Bundesländern obliegt. Als solche kann sie als ein genuiner Gegenstand von Bildungspolitik sowie -administration verstanden werden, weshalb Jakob Muth 1976 darauf hinwies, dass die Antwort auf die Frage, »[o]b behinderte Kinder und Jugendliche für die Dauer ihrer Schulpflicht für sich bestehende Sondereinrichtungen besuchen oder ob alle Kinder und Jugendlichen, die behinderten und die nichtbehinderten, gemeinsam unterrichtet und erzogen werden, […] abhängig von den Auffassungen [sei], die in der Bildungspolitik vorherrschend sind« (Muth 2009, S. 38). In Deutschland hat sich über das 19. und 20. Jahrhundert hinweg – ungeachtet unterschiedlicher anderweitiger Bestrebungen wie zum Beispiel der ›Verallgemeinerung‹ oder der ›Einheitsschulbewegung‹ – die Auffassung durchgesetzt und institutionalisiert, dass die praktische Realisierung eines allgemeinen Bildungsrechts sowie die hiermit verbundene pädagogische Idee der universellen Bildsamkeit am besten in Form separierender Bildungsangebote zu realisieren sei. Dies gilt auch und in besonderem Maße für Menschen, welchen eine Behinderung zugeschrieben wurde (vgl. Ellger-Rüttgardt 2016a). Versuche der Realisierung des universalistischen Anspruchs auf Bildung für diese Personengruppe folgten also maßgeblich der Strategie einer Ausweitung räumlich getrennter Einrichtungen sowie einer Ausdifferenzierung der mit diesen Einrichtungen betrauten Professionen (vgl. Powell 2007). Dabei hätten sich wechselseitig Vorstellungen von zielgruppenspezifischen Voraussetzungen und Bedürfnissen, von hierauf begründeten professionellen Zuständigkeiten und entsprechenden bildungs- und sozialpolitischen Weichenstellungen verschränkt, die in Hinblick auf die Organisation schulischer Bildung in der Bundesrepublik bis heute relevant gemacht werden können und diese gegenüber Veränderungsbestrebungen zu stabilisieren helfen (vgl. ebd., S. 325).

37

38

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Parallel zu dieser Entwicklung und in Widerspruch zu ihr wird jedoch die Entstehung einer Integrationsbewegung geltend gemacht, die im Kontext »der bürgerlichen Basisbewegungen der 1970er Jahre und deren erstarkendem demokratischen Selbstbewusstsein« (Knauer 2009, S. 55) verortet wird. Ausgehend von ersten Erfahrungen mit integrativen Angeboten im frühkindlichen Bereich forderte die Bewegung neben einem gemeinsamen Leben in der Freizeit, der Familie, beim Wohnen und der Arbeit auch und vor allen Dingen eine gemeinsame Unterrichtung von (nicht-)behinderten Schüler*innen. Eine solche setzte sie in ersten Versuchen gegen vielfältige Widerstände durch. Anfängliche Erfolge wurden wiederholt maßgeblich den Bemühungen von Elterninitiativen zugeschrieben, wenngleich auch darauf hingewiesen wird, dass sich zunehmend auch Mitglieder der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung wie auch Fachleute aus dem Bildungsbereich, der Behindertenhilfe, der Justiz und der Wissenschaft zum Kreis dieser Bewegung zählten (vgl. Schnell 2003, S. 40).5 Diese Heterogenität führte sowohl innerhalb der Bewegung(en) wie nach außen, sowohl innerhalb der benannten Gruppierungen wie zwischen ihnen zu kontroversen Diskussionen um die Deutungshoheit bezüglich der Frage einer angemessenen Beschulung von (nicht-)behinderten Schüler*innen: »Die Mitglieder der Gruppierungen waren mehr oder weniger direkt in der Bekanntmachung der Forderungen, an entstehender pädagogischer Praxis oder an der politischen Umsetzung gemeinsamen Lernens beteiligt bzw. haben sie bekämpft oder sich ihnen entzogen.« (Ebd., S. 30)6 Als ein Erfolg der Befürworter*innen einer solchen gemeinsamen Beschulung wird die Empfehlung des Deutschen Bildungsrates von 1973 gewertet, welche als erstes offizielles 5

6

Georg Feuser weist deshalb darauf hin, dass die ›Frage der Integration‹ nur angemessen diskutiert werden könne, wenn man die drei hierfür maßgeblichen politischen Bewegungen berücksichtige: die Elternbewegung, die Krüppelbewegung sowie die in Abgrenzung von utilitaristischen Beiträgen zur bioethischen Diskussion entstandene Bewegung, die das Lebensrecht von Menschen mit Beeinträchtigungen in den Mittelpunkt ihrer Forderungen stellte (vgl. Feuser 1995, S. 9). Die Argumente und Gegenargumente dieser Auseinandersetzungen waren und sind Gegenstand vielzähliger politischer Dokumente wie wissenschaftlicher Arbeiten und werden an dieser Stelle nicht wiederholt. Eine detaillierte Darstellung und Diskussion der Auseinandersetzungen und die weitere Entwicklung der Bewegung findet sich in Irmtraud Schnells Geschichte schulischer Integration von 2003. An dieser Stelle interessieren die Integrationsbewegung und deren politische Erfolge in den 70er Jahren insofern, als dass vielfach darauf verwiesen wird, dass »[d]iese konfliktträchtige Ausgangslage« als »der Hintergrund für die entstehende Integrationsforschung« (Preuss-Lausitz 2009, S. 458) gelesen werden kann.

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

bildungspolitisches Dokument die Möglichkeit einer integrativen, heißt: gemeinsamen Beschulung (nicht-)behinderter Schüler*innen einforderte.7 In der Argumentation der Empfehlung spiegelt sich die demokratische Argumentation der Befürworter*innen der Integration und deren Fokussierung auf die Kategorie Behinderung wider, insofern sie mit dem Verweis darauf legitimiert wird, dass »die Integration Behinderter in die Gesellschaft eine der vordringlichen Aufgaben jedes demokratischen Staates« (Deutscher Bildungsrat 1974, S. 16) sei. Und diese wäre am ehesten durch eine Überwindung der »Selektions- und Isolationstendenzen im Schulwesen« (Deutscher Bildungsrat 1974, S. 16) zu erreichen. Als Kern der Debatten um Integration erweisen sich somit der demokratische Anspruch auf eine gleichberechtigte Teilhabe an Bildung sowie die Frage, ob dieser Anspruch in Bezug auf diejenigen Schüler*innengruppen als realisiert betrachtet werden kann, die an spezifischen Sonderschulen unterrichtet wurden. Nach den politischen Kontroversen und der Etablierung erster ›Integrationsklassen‹ beziehungsweise ›-schulen‹ in den 70er Jahren entstand in den 80er Jahren der Bedarf einer wissenschaftlichen Begleitung dieser Versuche. Während die Frage nach der politischen Funktion dieser Begleitforschungen stets umstritten blieb (vgl. z.B. Muth 2009, S. 40; Schnell 2003, S. 155), bestand darin Einigkeit, dass sie die beteiligten Wissenschaftler*innen als spezifische Form der Auftragsforschung mit der vielfältigen und nicht selten ambivalenten Aufgabe konfrontierte, die Schulversuche zugleich zu beraten, zu evaluieren und die Interessen aller Beteiligten – einschließlich der eigenen politischen Positionierungen – zu berücksichtigen (vgl. Preuss-Lausitz 2009, S. 458f.). Diese ambivalenten Anforderungen werden heute als Ausgangspunkt der Etablierung einer »Integrationspädagogik als pädagogische Disziplin« (Knauer 2009, S. 55) aufgerufen. Gab es bis zu Beginn der 80er Jahre noch eher verstreute Auseinandersetzungen um integrierende und separierende Schule, um die Entwicklung der Gesamtschule, die Bedeutung der Schulen für Lernbehinderte oder die Frage der Deinstitutionalisierung der Behindertenhilfe, wird für die folgenden Jahre eine zunehmende Vernetzung zwischen den Projekten erinnert, die als Antwort auf die Herausforderung für die Forschenden gedeutet wird, »[z]wischen Praxis, theoretischer Aufarbeitung und Bildungspolitik […] ein angemessenes Selbstverständnis« (Schnell 2003, S. 102) zu entwickeln. 7

Eine ausführliche Diskussion und programmatische Einordnung der Empfehlung findet sich bei Muth 1986.

39

40

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Einigkeit schien dabei zunächst in den Fragestellungen der Forschungen zu liegen. Bei aller Heterogenität der Projekte im Detail – sei es in Bezug auf die Art und Anzahl der beteiligten Bildungsinstitutionen, die theoretischen oder methodologischen Grundlagen der Forschungen oder das tatsächliche Vorgehen in der Forschungs- und Beratungspraxis –,8 macht Preuss-Lausitz geltend, dass Integrationsforschung in den 80er Jahren durch die Frage geleitet wurde: »Wie wird es möglich, dass Kinder mit Behinderungen gemeinsam mit den übrigen Kindern ihres Alters und Wohnumfeldes aufwachsen, Beziehungen bilden, sich bilden, also gemeinsam zur Schule gehen, und dadurch selbstbewusste Individuen werden, die kooperativ mit anderen ihr Leben in die Hand nehmen?« (Preuss-Lausitz 2009, S. 467; Herv. J.G.) Im Zentrum der Forschungen stand dabei – das wird in dem angeführten Zitat deutlich – gerade nicht die Frage, ob eine gemeinsame Beschulung (nicht-)behinderter Kinder realisierbar wäre, sondern die Frage, wie dies qualitativ hochwertig gelingen kann. Die erste Frage kann im Sinne einer politischen Entscheidung bereits als beantwortet gelten. Wenn man die die Sonderpädagogik legitimierende Sonderanthropologie aufgebe und die Gleichheit von (nicht-)behinderten Menschen anerkenne, so gebe es schlicht keine Begründung dafür, dass nicht allen diesen Schüler*innen der Zugang zum allgemeinen Schulsystem gewährt werden sollte, so die Argumentation. Deshalb erübrigten sich auch »Schulversuche, die der Frage nachgehen, ob Integration möglich ist oder ob sie nicht möglich ist« (Muth 2009, S. 44), denn in solchen Versuchen werde so getan, »als müsste die Einlösung eines Menschenrechts empirisch belegt und begründet werden« (ebd., S. 44). Damit werden nun gerade nicht Schulversuche zur Effektivierung einer gemeinsamen Beschulung ausgeschlossen, ebenso wenig wie die Verbesserung der Praxis an Sonderschulen, so lange diese noch bestünden (vgl. ebd., S. 44). Eine empirische Begründung einer gemeinsamen Beschulung 8

Für einen kompakten Überblick über die unterschiedlichen konzeptionellen Linien der Integrationsversuche und -forschungen vgl. Deppe-Wolfinger 1990b, S. 21-26 sowie Hinz 1993, S. 24-32. Als wichtigste theoretische Ansätze der Integrationspädagogik gelten nach wie vor die materialistisch und tätigkeitstheoretisch begründete entwicklungslogische Didaktik (vgl. Feuser 1995), die in der Psychoanalyse und der Themenzentrierten Interaktion fundierte Theorie integrativer Prozesse (vgl. Reiser et al. 1986a, 1986b; Deppe-Wolfinger et al. 1990) sowie der ökosystemische Ansatz der KindUmfeldanalyse (vgl. Sander 1988).

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

sei jedoch nicht notwendig (vgl. hierzu auch Eberwein 1997, S. 60). Neben der Frage der Realisierung – nicht: Realisierbarkeit – integrativer Praxis wird eine solche normative Begründung der Integration als weitere bedeutsame Gemeinsamkeit der Forschenden aufgerufen. Wenngleich im Detail von einem geteilten normativen Verständnis der Integrationspädagogik sicherlich nur im wörtlichen Sinne ausgegangen werden kann – als ein Verständnis, das geteilt wurde und das teilte – so deutet sich in den zurückliegenden Erläuterungen bereits ein weiterer gemeinsamer Bezugspunkt an: Das Anliegen der Integrationspädagogik wird maßgeblich als ein demokratisches artikuliert. So konstatiert Helga Deppe-Wolfinger, dass – obwohl von einer gemeinsamen Theorie der Integration nicht ausgegangen werden könne – allen integrationspädagogischen Konzepten »die Grundentscheidung für eine kindgerechte, demokratische Schule ohne Aussonderung« (Deppe-Wolfinger 1990b, S. 25) zu eigen wäre. Für Muth stellt Integration »eine Aufgabe [dar], die den Menschen in einer demokratischen Gesellschaft aufgegeben« (Muth 2009, S. 43) sei. Die »gemeinsame Erziehung und Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen des Bildungswesens« (ebd., S. 43) reihe sich damit in die Demokratisierungsprozesse ein, welche die Französische Revolution ausgelöst hätte. Auch Helmut Reiser und seine Kolleg*innen begründen ihre Überlegungen zu einer ›Theorie integrativer Prozesse‹ unter Verweis darauf, »daß die möglichst weitgehende Gemeinsamkeit in der Betreuung behinderter und nichtbehinderter Kinder eine demokratische Selbstverständlichkeit sein sollte« (Reiser et al. 1986a, S. 118). Die gemeinsame Erziehung sei für die Forscher*innengruppe deshalb »die normale Ausgangslage«, im Anschluss an welche sich die Frage stelle, »welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit die optimale Entwicklung jedes Kindes gewährleistet werden« (ebd.) könne. Nicht zuletzt Georg Feuser setzt sich mit seiner entwicklungslogischen Didaktik für ein humanes und demokratisches Erziehungs-, Unterrichts- und Bildungssystem ein (vgl. Feuser 1995, S. 228). Die Integrationspädagogik versteht sich also von Beginn an selbst als politisches respektive demokratisches Projekt. Wie und ob dieses Politische oder Demokratische der Integrationspädagogik jeweils im Detail ausbuchstabiert und auf welche Weise gemeinsamer Unterricht als dessen Realisierung thematisiert wurde, hängt eng mit den theoretischen und methodologischen Ausgangsannahmen einzelner Beiträge zusammen und wäre eine im Detail zu klärende Frage. Eine umfassende Analyse dieser Artikulationen kann in dieser Arbeit nicht geleistet werden. Ein erster Überblick zeigt jedoch, dass

41

42

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

sich Forderungen der Integration nicht nur auf administrative Fragen einer gemeinsamen Beschulung von (nicht-)behinderten Kindern bezogen und somit als bildungspolitische Einsätze im engeren Sinne zu verstehen sind. Zunächst kann Integration auch als ein disziplinpolitischer Einsatz gelesen werden, insofern die durch die integrationspädagogische Praxis hervorgerufenen Veränderungen als eine Infragestellung des bisherigen Selbstverständnisses der Sonderpädagogik und damit als ›Paradigmenwechsel‹ für die Pädagogik als gesamte aufgerufen werden (vgl. Prengel 1990). Dabei gehe es nicht um eine einfache Suspendierung dieser erziehungswissenschaftlichen Subdisziplin, sondern um das Anliegen einer dialektischen Transformation der Allgemeinen Pädagogik hin zu einer Integrationspädagogik. So verknüpfen Reiser et al. eine Integrationspädagogik mit Vorstellungen einer »anderen, besseren Pädagogik« (Reiser et al. 1986a, S. 117) und betonen, dass in vielen Diskussionsbeiträgen der Integrationspädagogik deutlich spürbar sei, dass »die Aufhebung der Trennung von Regelerziehung und Sondererziehung« (ebd.) die Aktualisierung vielfältiger »Grundfragen der Erziehung« (ebd.) ermögliche, »wie der Ausgleich zwischen Individuum und Gruppe, das Verhältnis von Gleichheit und Ungleichheit, der Widerspruch zwischen Selbstwertgefühl und gesellschaftlich definierter Tüchtigkeit« (ebd.). An anderer Stelle betont Reiser, dass sich in den Schulversuchen gezeigt habe, dass integrative Pädagogik und Didaktik »nichts anderes als Pädagogik und Didaktik für heterogene Lerngruppen und deshalb nichts anderes als Pädagogik schlechthin« (Reiser 1990, S. 264) sei. Die Kategorie Behinderung wird damit zwar weiterhin als Ausgangspunkt der integrationspädagogischen Praxis und deren Theoretisierungen aufgerufen. Diesen Fokus gelte es in einem dialektischen Sinne jedoch in allgemein(pädagogisch)en Fragestellungen aufzulösen.9 Diese angestrebten administrativen und disziplinären Transformationen werden darüber hinaus – und das kann als weitere politische Dimension der Diskussionen verstanden werden – in einen gesellschaftlichen und

9

Im Anschluss an solche Beschreibungen des Einsatzes konstatiert Vera Moser, dass hier »die Kategorie Behinderung in die ›Bearbeitung von Differenzerfahrung in sozialen Interaktionen‹ beziehungsweise in die ›didaktische Bearbeitung heterogener Lernvoraussetzungen‹ übersetzt wurde und von daher schon immer auch über definierte Merkmale von Behinderung hinauswies« (Moser 2017, S. 21). In Hinblick auf die später folgenden Versuche der Bestimmung einer Inklusionspädagogik unter Verweis auf Überlegungen zu einem egalitären Differenzverständnis merkt sie hingegen an, dass auch dieser das »Dilemma der Differenz« (Moser 2017, S. 27) erhalten bliebe.

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

gesellschaftskritischen Kontext gestellt. Für Muth ist Integration »ein politisches Phänomen« (Muth 2009, S. 43), da sie sich »auf das Zusammenleben der Menschen, auf den einzelnen Menschen in seiner Gemeinsamkeit mit anderen« (ebd.) und damit »auf den Menschen als zoon politicon« (ebd.) beziehe. Es sei deshalb ebenso eine politische Handlung wie eine humane Verpflichtung, vorhandenen Prozessen der Desintegration und Diskriminierung entgegenzutreten, die unter anderem aus »Vorurteile[n] gegenüber Behinderten« (Muth 1986, S. 27), aus einem »Informationsdefizit« (ebd.) oder »den Normen der Nichtbehinderten« (ebd., S. 26) resultierten. Als Pädagoge schlussfolgert Muth hieraus, dass diese Normen zu verändern wären, indem die »Nichtbehinderten […] das Zusammenleben mit den Behinderten in der Unabsichtlichkeit des dauernden Miteinanders lernen« (ebd., S. 28). Andere Autor*innen verbinden mit diesem Gleichheitsanspruch Forderungen der Umverteilung und des Abbaus von (sozialer) Ungleichheit. Hier wird Behinderung als Kategorie sozialer Benachteiligung lesbar, die »durch das Maß an Einschränkungen gesellschaftlicher Teilhabe« (Iben 1983, S. 23) zu fassen wäre. Gusti Steiner fordert als Mitglied der Behindertenbewegung deshalb ein Selbstbewusstsein für diese Ausgrenzungsprozesse, welches die Grundlage für die Veränderungen der Situation der Ausgegrenzten darstelle (vgl. Steiner 1983, S. 90). Behinderung wird so zum Ausgangspunkt einer widerständigen Selbstpositionierung, nach der Integration »als politischer Prozeß der Veränderung von Bedingungen verstanden werden [solle]: nicht länger den Menschen an Bestehendes anpassen, sondern Bedingungen den Menschen anpassen« (ebd.). Eine ähnliche Fokussierung auf Prozesse der Ausgrenzung findet sich auch im Anschluss an materialistisch und tätigkeitstheoretisch fundierte Beiträge. Aus einer solchen Perspektive werden Behinderungen als die »extremen Bereiche der Verhinderung von Sozialisation und Individuation im Rahmen der gesellschaftlich gegebenen Möglichkeiten« (Jantzen 1976b, S. 430; Herv. i. Original) lesbar. Die Kategorie Behinderung wird hier also in einem engen Wechselverhältnis zu Gesellschaft konzipiert (vgl. Deppe-Wolfinger 1983a), wobei gefordert wird, dass entsprechende Isolationsprozesse nicht nur in Hinblick auf deren materielle Basis zu analysieren wären, sondern ebenso die »politischen und institutionellen Voraussetzungen« (vgl. Deppe-Wolfinger 1983b, S. 40) der Isolation in den Blick genommen werden müssten. Aus Sicht des dialektischen Materialismus erscheint Integration dabei zugleich als Resultat der gesellschaftlichen Widersprüche und birgt ein gesellschaftskritisches Potential. In dieser Argumentation erscheint der eintretende Erfolg der Integrationspädagogik ebenso

43

44

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

wie die Fokussierung auf die Individualisierung der Angebote zunächst als Resultat der Individualisierungstendenzen der kapitalistischen Gesellschaft (vgl. Deppe-Wolfinger 1990a). Andererseits wäre es in der integrativen Praxis durch die Vermittlung von Gleichheit und Verschiedenheit aber möglich, gegen damit verbundene Tendenzen einer Vereinzelung Solidarität zwischen den Schüler*innen zu stiften. Gelänge dies, »dann überschreitet integrativer Unterricht in der Tat das Maß an gesellschaftlich gewünschter Autonomie der Schüler« (Deppe-Wolfinger 1987, S. 93). In einer solchen Argumentation wird die politische Dimension der Integrationspädagogik letztlich in der Autonomiebehauptung der Pädagogik gegenüber der Gesellschaft verortet: »Indem der Schule die Aufgabe der Gestaltung eines demokratischen Gemeinschaftslebens unter optimaler Förderung aller Kinder zugewiesen wird, wird das Postulat der relativen Autonomie der Pädagogik erneuert. Dort, wo Integrationspädagogik verwirklicht wird, wird dieses Postulat im Widerspruch zur gesellschaftlichen Realität eingelöst.« (Reiser 1990, S. 272) Die Mehrheit der beteiligten Forschenden in den 80er Jahren identifiziert sich mit solchen Charakterisierungen des Projekts der Integration und setzte sich für eine umfassende Durchsetzung derselben ein (vgl. Prengel 2006, S. 141). So kann die Forderung von Eberwein an seine Kolleg*innen als paradigmatisch verstanden werden, diese sollten sich »als politische Pädagogen begreifen, die sich für gesellschaftliche Veränderung, für mehr soziale Gerechtigkeit und gegen soziale Benachteiligung sowie für ein integrationspädagogisches Paradigma engagieren« (Eberwein 1998, S. 359). Wie bereits thematisiert, stand die Erbringung von wie auch immer gearteten Wirksamkeitsnachweisen integrativer Beschulung vor dem Hintergrund dieser politischen Positionierungen nicht im Zentrum der Forschungen. Dennoch sei, so die Einschätzung vieler beteiligter Forscher*innen, bis zum Ende der 80er Jahre ein Nachweis für die Machbarkeit, Sinnhaftigkeit und Effektivität integrativer Beschulung erbracht worden (vgl. Schnell 2003, S. 112; Prengel 2006, S. 143; Heimlich 2003). Einzelne Autor*innen sehen Anfang der 90er Jahre deshalb »die große Chance, den historischen Fehler zu korrigieren, der […] mit der Gründung eigenständiger Sonderschulen begangen wurde« (Eberwein 1997, S. 58). Die zuvor kontrovers geführten Diskussionen um Integration innerhalb der Disziplin der Sonderpädagogik sind zu diesem Zeitpunkt zunehmend von Pragmatismus geprägt und die Möglichkeit einer gemeinsamen Beschulung scheint, wenn auch nur in sehr unterschiedlichem Umfang befürwortet, so doch von niemandem mehr ernsthaft

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

bestritten zu werden. Darüber hinaus zeigen sich auch weitere bildungspolitische Reformimpulse, wie zum Beispiel die Suspendierung des Begriffs der ›Sonderschulbedürftigkeit‹ durch den Begriff des ›Sonderpädagogischen Förderbedarfs‹ durch die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland (KMK) im Jahr 1994. Der Schwerpunkt der theoretischen Auseinandersetzungen innerhalb der Integrationsforschung und -pädagogik verschiebt sich in dieser Zeit von Fragen der sozialen Ungleichheit hin zu Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Gleichheit und Verschiedenheit. Die gemeinsame Beschulung von (nicht-)behinderten Schüler*innen hatte von Anfang an gezeigt, so die Begründung, dass die Heterogenitätsdimension Behinderung im Alltag immer wieder hinter andere Fragen der Differenz zurücktrete. Ob die integrationspädagogischen Theorieangebote – hier wurde sich maßgeblich auf die Theorie integrativer Prozesse von Reiser et al. bezogen – aber dem eigenen Anspruch gerecht würden und auch Aussagen über weitere Heterogenitätsdimensionen zuließen, wäre noch zu prüfen (vgl. Hinz 1993, S. 54). Die gemeinsame Artikulation der Integrationspädagogik mit anderen Differenzpädagogiken als Teile einer ›Pädagogik der Vielfalt‹ durch Andreas Hinz, Annedore Prengel oder Ulf Preuss-Lausitz 1993 können als jeweils unterschiedliche Versuche eines solchen Vorhabens gelesen werden.10 Beeinflusst durch die Diskussionen um Pluralität und Postmoderne wird hier um ein demokratisches Selbstverständnis gerungen, welches individuelle Verschiedenheit ins Zentrum der pädagogischen Arbeit zu stellen versucht. Preuss-Lausitz ist es um einen normativen Bildungsbegriff bestellt, der die Pluralität der Lebensverhältnisse im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht negiert und fordert deshalb »Mut zur Bildung für eine Pädagogik der Vielfalt in der Gemeinsamkeit« (Preuss-Lausitz 1993, S. 15; Herv. i. Original). Eine solche Pädagogik ziele auf Chancengleichheit »und ist 10

Während Andreas Hinz und Annedore Prengel die Gemeinsamkeiten und Spezifika der Integrationspädagogik mit der feministischen sowie der interkulturellen Pädagogik diskutieren, – Andreas Hinz in Bezug auf empirische Ergebnisse, Annedore Prengel in Bezug auf theoretische Auseinandersetzungen – argumentiert Preuss-Lausitz weniger vor dem Hintergrund etablierter pädagogischer Subdisziplinen als vielmehr entlang spezifischer gesellschaftlicher Herausforderungen, die er in einer sich verändernden Kindheit, der ökologischen Krise oder der Frage von Frieden und Krieg gegeben sieht. Was die Ansätze dabei eint, ist einerseits die Annahme, dass Behinderung nur eine Differenzkategorie unter anderen sei. Andererseits gehen sie bei der Begründung des pädagogischen Handelns von der Annahme relativ klar identifizierbarer Identitäten beziehungsweise Problemkonstellationen aus.

45

46

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

nicht-hegemonial orientiert« (ebd., S. 34; Herv. i. Original). Auch für Prengel ist die »Option für Differenz […] eine Option gegen Hegemonie« (Prengel 2006, S. 183). Während der demokratische Diskurs lange Zeit ›Gleichheit‹ ins Zentrum des Interesses gerückt und damit Anpassungsforderungen legitimiert habe, ginge es nun um eine »Erziehung zur demokratischen Vielfältigkeit« (ebd., S. 13). Die Pädagogik der Vielfalt sei damit »zuallererst der Demokratie und dem emanzipatorischen Bildungsideal der Mündigkeit verpflichtet« (ebd., S. 16). Während ein »[u]ndemokratisches Denken […] Hierarchisierung [vollziehe], wenn es von Gleichheit und Differenz spricht« (ebd., S. 34), wäre ein demokratisches Denken einer ›egalitären Differenz‹ verpflichtet. In diesem Sinne formuliert auch Andreas Hinz die zentrale Fragestellung seiner Studie zur ›Heterogenität in der Schule‹: »Wie kann Heterogenität in der Schule so bewältigt werden, daß nicht mehr die Homogenisierung mit den problematischen Konsequenzen der Anpassungsforderung und Aussonderungsdrohung dominiert, sondern eine Strategie des ›Miteinander des Verschiedenen‹ Platz greift, die zu einer gemeinsamen, vielfältigen Schule für alle Kinder beiträgt?« (Hinz 1993, S. 17) Auch er sucht die Antwort auf diese Frage in einem dialektischen Verständnis von Gleichheit und Verschiedenheit und damit in einer Universalisierung der Theorie integrativer Prozesse. Als gemeinsames Anliegen der Arbeiten kann so die Integration von integrativer, feministischer, interkultureller etc. und allgemeiner Pädagogik gelten. Als bewegungszentrierte Pädagogiken können sie, so Marcus Emmerich und Ulrike Hormel, als politische Pädagogiken verstanden werden, »die jedoch nicht mehr die Perspektive der gesamtgesellschaftlichen Modernisierung, sondern eine Perspektive der Emanzipation gesellschaftlicher Gruppen auf Basis libertär orientierter und postmoderner Politikformen verfolgten. Referenzthemen sind nicht mehr soziale Ungleichheit und Chancengleichheit, sondern Gleichberechtigung, basisdemokratische Mitbestimmung sowie Anerkennung von Identität.« (Emmerich und Hormel 2013, S. 123; Herv. i. Original) Parallel zu den benannten Erfolgen und theoretischen Entwicklungen werden für die 1990er Jahre für die Integrationsbewegung aber auch erste »Ermüdungserscheinungen« (Schnell 2003, S. 274) konstatiert. Nach den individuellen Erfolgen in einzelnen Schulversuchen, so die Beobachtung, seien »die kritischen Fragen nach der Existenz von Sonderschulen bei allen Betei-

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

ligten immer mehr in den Hintergrund« (ebd., S. 279) getreten. Dies wird auch für die wissenschaftlichen Diskussionen angemahnt, für welche innerhalb der Schulversuche maßgeblich die »Realisierung gemeinsamen Lernens, Begleitung und Beratung im Vordergrund« (ebd.) gestanden hätten, nicht jedoch die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen oder schulstrukturellen Rahmenbedingungen. Eine Übertragung der Schulversuche auf größere Kontexte sei allerdings vielerorts ausgeblieben. Vielmehr wurde festgestellt, dass eine integrative bildungspolitische Zielsetzung »in keinem Bundesland erkennbar [sei]. Im Gegenteil: Das Segregationsprinzip erfährt neuerlich eine Aufwertung – selbst anerkannte Errungenschaften […] sind nicht mehr sicher« (ebd., S. 269). In Hinblick auf eine Neoliberalisierung der Bildungspolitik sei die »auf Chancengleichheit, Vielfalt, Humanität und Gleichberechtigung bauende gemeinsame öffentliche Schule […] erneut und jetzt in ihrem Wesen gefährdet« (ebd.). Gleichzeitig wird die Frage aufgeworfen, »ob Integration unter dem Druck der Verhältnisse nicht zum Etikettenschwindel mutiert« (Deppe-Wolfinger 2009, S. 49) sei. Zwar habe »[d]ie gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder […] zu einer Pluralisierung des hierarchisch gegliederten Schulsystems beigetragen«, nirgendwo habe es dieses jedoch »in seinen Grundfesten erschüttert« (ebd.). Vielmehr habe die Praxis zu einer »kulturelle[n] Deformation der Integration« (ebd., S. 51) geführt. Maßnahmen wie die Umbenennung von Sonderschulen zu (sonderpädagogischen) Förderzentren oder die Einrichtung von Kooperationsklassen seien als ein »opportunistisch-revisionistische[s] Machen von Integration« (Feuser 1995, S. 15) zu bewerten, das zu einer weiteren Sonderpädagogik, nicht jedoch zu einer vertieften Integration geführt habe. Der Sonderpädagogik wiederum wird vorgeworfen, »neues sonderpädagogisches Klientel in Regelschulen« zu akquirieren, »ohne dass sich ihr Klientel in Sonderschulen verringert und ohne dass sie […] die Regelschule selbst dazu befähigt, für diese Kinder die Verantwortung zu übernehmen« (Reiser 2003, S. 307). Die Frage, ob »durch Theorie und Praxis der Integrationspädagogik überhaupt schon die Systemgrenzen des selektierenden und separierenden Erziehungsund Unterrichtssystems tangiert« (Feuser 1995, S. 9) wurden, kann im Kontext solcher Beobachtungen sicherlich als rhetorische verstanden werden. Ob das Paradigma der Integration aber überhaupt der richtige Weg für eine Überwindung des segregierenden Schulsystems wie einer segregierenden Gesellschaft darstellt, wird nicht zuletzt von Vertreter*innen aus der Behindertenbewegung selbst problematisiert. Ihnen scheinen den integrativen Bemühungen der Mehrheitsgesellschaft immer schon Anpassungserwartungen an die

47

48

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Norm eingeschrieben, weshalb einer Strategie der Politisierung der Betroffenen derjenigen der Integration gegenüber nicht selten der Vorzug gewährt wurde (vgl. Köbsell 2006). Ausbleibende Erfolge in Hinblick auf die Gleichstellung der Zielgruppe einer integrativen Pädagogik werden so insgesamt zum Legitimationsproblem der theoretischen Annahmen wie der praktischen Umsetzungsversuche von ›Integration‹, gegen die auf unterschiedliche Arten und Weisen maßgeblich zwei Forderungen in Stellung gebracht werden. Einerseits seien die Diskussionen um eine ›Schule für alle‹ zu (re-)politisieren. So wird ein Verständnis von Integration eingefordert, »welches Demokratie wieder als gesellschaftspolitische Dimension begreift […]. Integration wird nur dann Solidarität leben, wenn sie sich dem neoliberalen Zeitgeist« (Deppe-Wolfinger 2009, S. 51) widersetze. Eine pädagogische Diskussion schulischer Integration greife hingegen zu kurz, »wenn sie sich nur auf die einzelne Schule bezieht und nicht auf das Schulsystem insgesamt sowie auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb deren Schule agiert« (ebd., S. 47). Der durch die integrativen Schulversuche innerhalb des segregierenden Schulsystems errungene Raum werde nur dann als Impuls in Richtung eines integrativen Schulsystems wirken können, wenn sich die Integrationsbewegung »neu der politischen Brisanz bewusst [werde], die in ihrer Forderung nach einem nicht separierenden Schulsystem« (Schnell 2003, S. 284) liege. Mit dieser Forderung der (Re-)Politisierung eng in Zusammenhang stehend wird eine dezidiert gesellschaftstheoretische und -analytische Ausrichtung der Diskussionen gefordert. So hätten sich seit den ersten Integrationsversuchen »die gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen gründlich gewandelt« (Knauer 2009, S. 56), weshalb es an der Zeit sei, »die historischen Dimensionen auszuloten und die aus den unteilbaren, überdauernden, essenziellen Grundfragen abgeleiteten Programmatiken gegebenenfalls zu modifizieren« (ebd.).

2.2

›Inklusion‹ – zur (Un-)Wirksamkeit eines bildungspolitischen Signifikanten

Das im letzten Abschnitt skizzierte Ringen um die politische und gesellschaftliche Dimension der Integrationspädagogik und das hiermit verbundene Abarbeiten an der Differenz von Gleichheit und Verschiedenheit kann als der Nährboden für die Einführung des Inklusionsbegriffs in den deutschsprachi-

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

gen Diskurs gelesen werden. Denn mit ihm verbindet sich zunächst die Hoffnung, eine Neubestimmung der Integrationspädagogik leisten zu können: »Der Wechsel des Zielbegriffs (Inklusion statt Integration) hat den Hintergrund, dass die mit dem alten Begriff verbundene Praxis defizitär geworden ist. Die visionäre Kraft des Begriffs Integration scheint abgenutzt.« (Reiser 2003, S. 308) Der folgende Abschnitt widmet sich diesem Versuch der ›Reaktivierung‹ der Diskussionen um eine gemeinsame Beschulung. Dabei zeigt sich einerseits eine große Wirksamkeit des Inklusionsbegriffs in bildungspolitischen, pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Diskursen. Andererseits erweisen sich die hiermit einhergehende Heterogenität der Verwendungsweisen des Begriffs ebenso wie die an ihm geäußerten Kritiken erneut als Herausforderung für das politische Selbstverständnis einer Integrations- beziehungsweise Inklusionspädagogik. Der terminologische Wechsel von ›Integration‹ zu ›Inklusion‹ Anfang der 2000er Jahre knüpft an die Erfahrungen der ›Integration‹ an und versteht sich als ein »theoretischer Reflex eines geschärften Fokus angesichts einer konzeptionell verflachten und zunehmend problematischen Praxisentwicklung« (Hinz 2000, S. 230). Dieser solle es ermöglichen, »die Qualität und die ursprünglichen Ansprüche von Integration« (ebd., S. 234) wieder in den Blick zu nehmen. Andere Autor*innen zeigen sich bezüglich einer mit der begrifflichen Verschiebung verbundenen theoretischen Vertiefung der Integration skeptischer, sehen darin aber immerhin die Möglichkeit einer »Perspektivverschiebung auf gesellschaftlich bedingte Strukturen des Bildungssystems« (Reiser 2003, S. 305) – insbesondere aufgrund der begrifflichen Nähe zum systemtheoretischen Konzept von Inklusion/Exklusion (vgl. ebd.). Pate für die begriffliche Neubestimmung stand zunächst jedoch maßgeblich der im angloamerikanischen Sprachgebrauch gängige Begriff von ›Inklusion‹, wie er sich das erste Mal prominent in der Salamanca Erklärung der UNSECO (UNESCO 1994) wiederfindet. Mit diesem Dokument der UNESCO »über Prinzipien, Politik und Praxis der Pädagogik für besondere Bedürfnisse« (Wansing 2015, S. 45) verband sich die Forderung, alle sozialstaatlich verantworteten Regeleinrichtungen in Bezug auf die Organisation und Arbeitsweise so umzugestalten, »dass die Verschiedenheit aller Kinder anerkannt und wertgeschätzt« (ebd., S. 46) werde. Es ist maßgeblich der hier aufgerufene und über die Kategorie Behinderung hinausweisende Begriff von Inklusion, den deutschsprachige Integrationspädagog*innen Anfang der 2000er Jahre aufgreifen, um die Diskussionen

49

50

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

um eine ›Schule für alle‹ wieder in den Vordergrund zu rücken. Die konzeptionelle Nähe des Begriffs zu einer ›Pädagogik der Vielfalt‹ ermöglicht das Aufgreifen der Diskussionen ohne großen theoretischen Aufwand. Einer inklusiven Pädagogik gehe es diesem Verständnis nach »nicht um die Einbeziehung einer Gruppe Menschen mit Schädigungen in eine Gruppe Nichtgeschädigter, vielmehr liegt die Zielsetzung im Miteinander unterschiedlichster Mehr- und Minderheiten – darunter auch die Minderheit der Menschen mit Behinderungen« (Hinz 2002, S. 355). Während ›Inklusion‹ die Vielfalt aller Kinder und Jugendlichen anerkenne und damit anstrebe, »allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ihren individuellen Lernbedürfnissen gerecht zu werden« (Lindmeier und Lindmeier 2015, S. 44), habe die Integrationspädagogik – zumindest in ihrer praktischen Realisierung – die »Differenzlinien, an denen entlang Ausgrenzung erfolgte, nicht aufgehoben, sondern lediglich neu gezogen« (ebd., S. 43), so die Argumentation. ›Inklusion‹ wird hier also als eine ›optimierte und erweiterte Integration‹ (vgl. Sander 2002) verstanden und damit als Reaktion auf die konstatierten qualitativen wie quantitativen Probleme derselben (vgl. Hinz 2002). Einen Aufschwung – und damit auch bildungspolitische Relevanz – erhält diese Diskussion jedoch erst mit der Ratifizierung der UN-BRK im Jahr 2009 (vgl. Biermann 2019, S. 22), für die ›Inklusion‹ als ein Schlüsselbegriff neben anderen gelten kann (Wansing 2015, S. 43). Sie ermöglichte es, Forderungen nach einer ›Schule für alle‹ nicht nur moralisch oder ethisch zu begründen, sondern explizit als einen Rechtsanspruch zu artikulieren (vgl. Tervooren 2017, S. 11). In dieser Argumentationslinie erscheint ›Inklusion‹ als »Forderung zur grundlegenden Teilhabe aller«, die sich mit der »Selbstverpflichtung einer Zivilgesellschaft [verbindet], diese [Teilhabe, J.G.] in allen Bereichen öffentlichen und privaten Lebens herzustellen« (ebd.). Sei es im Bildungssystem, oder aber auch darüber hinaus in der Arbeitswelt, in der Politik, der Justiz, der Medizin, der Freizeitgestaltung oder bezüglich der Familiengründung – in allen relevanten Bereichen der Lebensgestaltung wäre Menschen mit unterschiedlichsten Voraussetzungen Zugang zu ermöglichen und deren Vorstellungen gesellschaftlicher Teilhabe zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob diese Voraussetzungen und Vorstellungen den Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft entsprächen oder nicht. Mit diesen Erwartungen verbundene Diskriminierungen und Marginalisierungen sollen vielmehr der Vergangenheit angehören. In einer so verstandenen ›inklusiven Gesellschaft‹ würden Menschen also »nicht mehr anhand vereinheitlichender Maß-

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

stäbe verglichen, beurteilt und in eine Werthierarchie eingeordnet« (Dederich 2017, S. 71) werden. Damit wird ›Inklusion‹ als »Wertbegriff« (ebd.) aufgerufen, der eine orientierende Funktion habe, insofern sich die Gesellschaft dazu verpflichte, »so weit wie möglich barrierefreie Strukturen zu schaffen und maximale Teilhabe an den Leistungen aller gesellschaftlichen Funktionssysteme zu ermöglichen« (ebd.) – eben auch an demjenigen der Bildung.11 Als zentrale Leitlinien für die Entwicklung eines diesen Ansprüchen entsprechenden Bildungssystems werden vom Deutschen Institut für Menschenrechte die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Akzeptierbarkeit und Adaptierbarkeit der Angebote aufgerufen (vgl. Platte 2015, S. 135f.). So seien Schulen vor Ort mit genügend Ressourcen auszustatten, um eine qualitativ hochwertige inklusive Bildung anbieten zu können. Zu diesen Angeboten sei allen Kindern diskriminierungsfreier Zugang zu gewähren, was durch eine Orientierung an den Lebenswelten der Schüler*innen sowie eine Berücksichtigung der sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse zu realisieren sei. Mit dieser menschenrechtlichen Argumentation einer gemeinsamen Bildung für alle Kinder verbinden sich deshalb Forderungen einer »grundlegende[n] Änderung der pädagogischen Kulturen, Strukturen und Praktiken« (ebd., S. 133; Herv. J.G.). Auch wenn bezüglich der grundsätzlichen Bedeutsamkeit damit zusammenhängender Fragen für das (Aus-)Bildungs- und Unterstützungssystem Einigkeit zu herrschen scheint, lassen sich die Ansprüche von ›Inklusion‹ und die damit verknüpften Aufforderungen zu Veränderungen von Pädagogik und Gesellschaft aber auf sehr unterschiedliche Arten und Weisen ausformulieren und in unterschiedlichem Ausmaß zu eigen machen. So wird zwar angemerkt, dass die breite fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema nach wie vor »von erheblicher Skepsis geprägt« (Lindmeier und Lindmeier 2015, S. 43) sei. Andererseits scheint es jenseits angemeldeter Bedenken gerade die angedeutete Verknüpfung der moralischen mit der menschenrechtlichen Legitimierung der Forderungen zu sein, die es in den letzten Jahren ermöglichte, einerseits vielfältige Veränderungsprozesse einzufordern und anzustoßen sowie andererseits unterschiedlichste Veränderungen als ›inklusiv‹ zu adressieren oder als ›nicht inklusiv‹ zu delegitimieren. Hiermit zusam-

11

Dass die UN-BRK durch den Bezug auf Behinderung gegen diese Lesart eher einen ›engen‹ Begriff von Inklusion nahelegt (vgl. Puhr 2017b, S. 83ff.; Tervooren 2017, S. 11), kann als ein Hinweis darauf verstanden werden, dass die Kategorie Behinderung auch dem Diskurs um ›Inklusion‹ immer wieder zum Problem wird.

51

52

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

menhängende Auseinandersetzungen sollen im Folgenden in Bezug auf pädagogische Kulturen, Strukturen und Praktiken skizziert werden. Zunächst müsse sich eine Inklusionspädagogik vor dem Hintergrund inklusiver Ansprüche »als eine allgemeine Pädagogik [verstehen], die es mit einer einzigen, untrennbar heterogenen Gruppe zu tun« habe, so Hinz (2002, S. 357). Vielfalt wäre von dieser als Ressource wertzuschätzen, eine negative Bewertung von Andersheit wäre zu ersetzen durch eine Anerkennung von individueller Verschiedenheit und der Heterogenität einer jeden Lerngruppe (vgl. Hinz 2006, S. 98). Zu entwickeln wäre damit eine professionelle Haltung und institutionelle Kultur, »die von der Menschenwürde und -achtung sowie der Leistungsfähigkeit jeder […] Persönlichkeit überzeugt ist, diese achtet und im gemeinsamen Leben, Lernen und Arbeiten eine demokratische, humane und solidarische Pädagogik zu verwirklichen trachtet« (Feyerer et al. 2018, S. 6). Eine solche Inklusionspädagogik könne als Versuch verstanden werden, das »pädagogische Grundproblem von Universalisierung und Individualisierung« (Dietrich 2017b, S. 182) in den Mittelpunkt der Diskussionen zu stellen und »dieses Spannungsverhältnis […] zur Seite einer individualisierenden, partikularen Hinwendung zum Einzelnen« (ebd., S. 183) aufzulösen. Dabei gehe es nicht darum, Differenzen zwischen einzelnen Personen zu negieren, sondern diese wahrzunehmen und zu akzeptieren. Eine zentrale Diskussion um schulische Inklusion entzündet sich vor dem Hintergrund solcher Verhältnissetzungen von Allgemeinem und Besonderem an dem Konzept der (De)Kategorisierung (vgl. Musenberg et al. 2018). Als ein Kritikpunkt an der integrationspädagogischen Praxis wird deren Festhalten an einer ›Zwei-Gruppen-Theorie‹ von behinderten und nichtbehinderten Schüler*innen aufgerufen (vgl. Hinz 2002, S. 357f.). Diese führe dazu, dass entsprechend diagnostizierte Kinder weiter abgewertet würden, eine exklusive Zuständigkeit der Sonderpädagog*innen oder Assistenzen für diese Kinder impliziert werde und die Unterrichtsplanung diese Kinder zwar auch berücksichtige, jedoch kein Angebot vorsehe, das von Beginn an für alle Schüler*innen konzipiert worden wäre (vgl. ebd., S. 357). Vor diesem Hintergrund gelte es auf administrative Etikettierungen zu verzichten. An solchen Forderungen entzünden sich wiederum Kritiken, welche die Notwendigkeit von Kategorisierungen für die pädagogische Praxis hervorheben (vgl. z.B. Ahrbeck 2016). Entgegen einer solchen Argumentation sei es den Befürworter*innen nach eigenem Bekunden aber gerade nicht um eine generelle Suspendierung der Kategorie Behinde-

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

rung bestellt (vgl. Wocken 2019). Vielmehr liege die Brisanz des Dekategorisierungsansatzes »in der Forderung einer Neugestaltung des Modus der Organisation (sonder-)pädagogischer Interventionen« (Walgenbach 2018, S. 11; Herv. i. Original). So stünde im Zentrum der Forderungen der »Verzicht auf separierende beziehungsweise personenbezogene Organisationsmodi in Bildungsinstitutionen« (Walgenbach 2018, S. 12; Herv. i. Original). Dekonstruktive Einsätze in diese Diskussionen wiederum verschieben die Perspektive auf die angezeigten Konflikte, insofern sie die grundsätzliche Notwendigkeit der Kategorisierung für Theorie und Praxis anerkennen und gleichzeitig die Kontingenz und Unbestimmtheit der je situativ herangezogenen Kategorien betonen beziehungsweise zum Ausgangspunkt machtanalytischer Fragestellungen machen (vgl. Dederich 2015; Haas 2012; Puhr 2017a). Vor dem Hintergrund der »prinzipiellen Unbestimmtheit der Kategorie ›Behinderung‹« (Dederich 2015, S. 201) lässt sich deren Verwendung im sonder- und inklusionspädagogischen Diskurs sowie in sich hiermit verbindenden Diskussionszusammenhängen nachzeichnen. So erscheint Behinderung nicht nur als marginalisierende und damit zu suspendierende Zuschreibung. Unterschiedliche personenbezogene, soziale und kulturelle Vorstellungen der Kategorie ermöglichen es gleichzeitig, diese zum Ausgangspunkt pädagogischen Denkens und Handelns, der Analyse gesellschaftlicher Barrieren oder spezifischer Formen der Identitätspolitik und Selbstermächtigung zu machen (vgl. Walgenbach 2018, S. 13), der stets problematisch bleiben muss (vgl. Puhr 2017a). Ähnlich heterogen wie die Frage nach der Bedeutung der Kategorie Behinderung für das disziplinäre Selbstverständnis wird die Frage der institutionellen Gestaltung eines inklusiven Schulsystems diskutiert. Auf dieser strukturellen Ebene reichen die Vorschläge »von der Beibehaltung des bestehenden Förder(schul)systems bis hin zu dessen Auflösung, verbunden mit einer grundlegenden Umwandlung des gesamten Bildungssystems« (Platte 2015, S. 131). Vor dem Hintergrund der UN-BRK lassen sich weitreichende Forderungen an die Umgestaltung der schulrechtlichen Rahmenbedingungen stellen und deren Ratifizierung als Auslöser für einen »vielschichtige[n] Prozess [aufrufen], der durch verbands- und parteipolitische Kontroversen gekennzeichnet ist, eine breite mediale Aufmerksamkeit erfährt und in den Ländern mit unterschiedlicher Dynamik« (Wachtel 2014, S. 40) verlaufe. Aufgrund des Föderalismus im Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland fänden sich in den unterschiedlichen Bundesländern sehr unterschiedliche Formen der Gewährleistung von Ansprüchen inklusiver Bildung (vgl. ebd., S. 39). Als kontroverse Gegenstände der Diskussionen erscheinen Fragen nach der Bedeu-

53

54

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

tung des Elternrechts auf die Wahl des Bildungsortes, die bereits angedeuteten Debatten um unterschiedliche Möglichkeiten der Klärung beziehungsweise Organisation (sonder-)pädagogischer Unterstützungsbedarfe, Diskussionen um die Definition der von den Schüler*innen zu erreichenden Lernziele oder Auseinandersetzungen um die Zukunft bisheriger Sonderinstitutionen (vgl. Wachtel 2014). Als Formen der Implementierung inklusiver Ansprüche werden dann auch so unterschiedliche Maßnahmen wie die grundsätzliche Ermöglichung zieldifferenten Unterrichts an allgemeinen Schulen, die Etablierung sogenannter Schwerpunkt- beziehungsweise Profilschulen und Modellregionen oder die Weiterentwicklung von Sonderschulen zu sonderpädagogischen Förderzentren genannt (vgl. ebd., S. 45-49). Strukturelle Forderungen beziehen sich jedoch nicht nur auf das Bildungssystem als Ganzes. Vielmehr lassen sich auch auf Ebene der Einzelschulen unterschiedliche konzeptionelle Veränderungen als Teil eines Prozesses hin zu einem inklusiven Bildungssystem thematisieren – von der Umgestaltung räumlicher und architektonischer Voraussetzungen (vgl. Imhäuser 2014) bis hin zur Etablierung von »Strukturen und Beteiligungsformen«, welche »eine kontinuierliche Schulentwicklung ermöglichen« (Lelgemann 2014, S. 118). Schule wird so als »partizipatives Gesellschaftsmodel« (ebd., S. 119) lesbar, als »politischer Ort des Lernens in und von demokratischen Praxen« (Puhr 2017d, S. 327; Herv. i. Original). Hiermit ist nun zugleich auf die konkreten Praxen inklusiver Bildung verwiesen. Ausgehend von der Annahme der Heterogenität von Lerngruppen als Normalfall lassen sich vielfältige Infragestellungen klassischer (sonder-)pädagogischer Handlungskonzepte formulieren. So wird die Didaktik als »Teildisziplin einer auf Inklusion neu auszurichtenden Pädagogik« (Markowetz und Reich 2016, S. 338) aufgerufen, die umfassend neu zu durchdenken wäre, »um das Lehren und Lernen in heterogenen Gruppen im Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit sehr unterschiedlichen Lern- und Entwicklungsausgangslagen professionell bewältigen zu können und Bildungserfolge für alle lernenden Subjekte chancengleich sicherzustellen« (ebd.).12 Von dieser Anforderung aus richten sich Ansprüche an die Gestaltung inklusiver Lehr-Lern-Formate, die neben der Methodik auch Fragen des Leitbilds, der Teamentwicklung oder der Verortung der Angebote in der Lebenswelt 12

Eine Darstellung der im Kontext einer integrativen und inklusiven Pädagogik im hier aufgerufenen Sinne entstandenen didaktischen Ansätze findet sich bei Markowetz und Reich 2016, S. 340.

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

der Schüler*innen zu umfassen hätten und so nicht zuletzt als notwendiger Bestandteil einer inklusiven Schulentwicklung zu verstehen wären (vgl. ebd.). Keinesfalls kann hier aber von einem einheitlichen Verständnis davon ausgegangen werden, »ab wann Unterricht inklusiv ist und wie dieser Unterricht zu gestalten ist, damit er inklusiv wirkt« (ebd., S. 340). Vielmehr zeichnen sich immer wieder Diskussionen um die Deutungshoheit darüber ab, was legitimerweise als ›Inklusion‹ zu bezeichnen wäre. Die vorgetragenen Forderungen reichen von der Transformation allgemeiner Didaktik zu einem Unterricht am gemeinsamen Gegenstand (vgl. Feuser 1999) oder in gemeinsamen Lernsituationen (vgl. Wocken 1998) über eine die reformpädagogische Tradition der Vorstellung guten Unterrichts vertiefende »Individualisierung und Differenzierung unter besonderer Berücksichtigung der Gemeinsamkeit« (Prengel 2006, S. 160) bis hin zu einem nach sonderpädagogischen Förderbedarfen stark differenzierten und individualisierten Unterricht (vgl. Beyer 2017; Heimlich 2004). Diskussionen entzünden sich hierbei maßgeblich an der Legitimität unterschiedlicher Formen der Differenzierung und damit an der Frage des Verhältnisses von Gemeinsamkeit und Verschiedenheit der Schüler*innen. In engem Zusammenhang hierzu werden aus dem Anspruch der Inklusion erwachsende Anforderungen an eine inklusive Diagnostik geltend gemacht.13 Deren Bedeutsamkeit lässt sich in Hinblick auf die »Ressourcenallokation sowie für die Planung und Gestaltung passender Lern, Förder- und Unterstützungsangebote« (Luder et al. 2016, S. 331) begründen und in Abhängigkeit der Problemdefinition in Bezug auf die Lernenden oder die Kontextfaktoren der Lernprozesse beziehen (vgl. ebd., S. 331). Formen der Diagnostik, welche als »Selektionsdiagnostik« (ebd., S. 332) problematisiert werden, können so Konzepte zur Generierung von »Informationen für die Förderplanung und Förderung« (ebd., S. 332) entgegengesetzt werden. Solche Gegenüberstellungen autorisieren wiederum Forderungen an eine Weiterentwicklung oder gar Überwindung bisher genutzter Testverfahren und eine Ausweitung des medizinischen Blicks auf die Bedeutung von Umweltfaktoren für Lernprozesse (vgl. Hollenweger 2016). Umstritten bleibt so, welche Informationen für eine Diagnostik im Rahmen einer inklusiven Pädagogik relevant gemacht werden sollten und welche Schüler*innen oder Situationen einer solchen Diagnostik zu unterziehen wären. Eine inklusive Diagnostik finde sich hier mit der spannungsreichen Anforderung konfrontiert, 13

Einen Überblick über unterschiedliche Verständnisse inklusiver Diagnostik leisten Luder et al. 2016 sowie Amrhein 2016.

55

56

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

stets »zwischen der Notwendigkeit diagnostischer Labels beziehungsweise Etiketten einerseits und einer kritischen Reflexion des dadurch entstehenden Stigmatisierungsrisikos andererseits« (Boger und Textor 2016, S. 79) abzuwägen. Als bedeutsam für ein inklusives diagnostisches Arbeiten erscheint so eine »Ambivalenz diagnostischer Kategorien und Verfahren« (ebd., S. 96) zwischen der Verbesonderung von Schüler*innen sowie dem Anspruch, diese als Teil der Allgemeinheit zu adressieren. In diese Ambivalenzen lassen sich wiederum Forderungen an die Professionalität und Professionalisierung angehender wie bereits tätiger Fachkräfte einschreiben. So erfordere eine inklusive Bildung »einen professionellen Umgang mit Verschiedenartigkeit« (Hoffmann 2014, S. 129), der nicht in einem Fach- und Reflexionswissen aufgehe und über didaktische und diagnostische Kompetenzen hinaus ebenso spezifische Einstellungen und Haltungen erfordere (vgl. Moser 2016, S. 667). Solche Forderungen werden inhaltlich nicht nur durch einen Verweis auf eine Wertschätzung von Heterogenität untersetzt. Sie werden ebenso in Hinblick auf ein verändertes Rollen- und Aufgabenverständnis spezifiziert (vgl. Schlienger 2016, S. 355), welches über klassische Aufgaben von (Sonder-)Pädagog*innen hinaus vor allem den Anforderungen der Kooperation in unklaren Settings und Zuständigkeiten gerecht zu werden habe (Moser 2016, S. 668). Besonders hervorgehoben wird hierbei immer wieder die Bedeutung der Beratung, die als Antwort auf die »hohe Komplexität der Handlungsfelder in der Inklusion und die Widersprüchlichkeit der Anforderungen« (Schlienger 2016, S. 353) aufgerufen wird, mit denen alle an der Inklusion beteiligten Personen konfrontiert seien. Vor dem Hintergrund der Beschreibung solcher Veränderungsprozesse lässt sich einerseits problematisieren, »dass professionsbezogene Forschungen im Kontext inklusiver Settings noch erhebliche Desiderata« (vgl. Moser 2016) aufwiesen. Andererseits lässt sich eine Veränderung der Ausbildung der Fachkräfte einfordern, welche die »[w]idersprüchliche[n] Ausgangslagen und Anforderungen« (Hoffmann 2014, S. 129) inklusiver Bildung zu berücksichtigen habe. Die Forderungen der Transformation, die sich mit dem Begriff der Inklusion verbinden und die sich hiermit verbindenden Ambivalenzen werfen also vielfältige Fragen bezüglich bisher gegebener Kulturen, Strukturen und Praktiken der Gewährleistung von Bildungsansprüchen auf. Diese spiegeln sich nicht zuletzt in unterschiedlichsten Forschungsaktivitäten wider,14 die selbst 14

Für einen Überblick über die vielfältigen Themenstellungen von Forschungen zu inklusiver Bildung vgl. z.B. Lichtblau et al. 2014. Ein Versuch eines systematischen Über-

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

auf ihren inklusiven Charakter hin befragt werden können (vgl. Kremsner et al. 2016; Buchner et al. 2016).15 Dies gilt nicht nur für die (Sonder-)Schulpädagogik. Ähnliche Diskussionszusammenhänge lassen zum Beispiel für die Elementarpädagogik (vgl. Ahrandjani-Amirpur und Platte 2017), die Berufspädagogik (vgl. Bylinski und Rützel 2016) oder die universitäre Bildung (vgl. Platte 2015, S. 137-140) anführen. So zeigt sich jenseits der kritisierten Fokussierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ auf sonder- und schulpädagogische Fragen die Bedeutsamkeit des Begriffs auch in anderen erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen (vgl. Sturm 2015b, S. 25). ›Inklusion‹ scheint sich also als bildungspolitische Leitformel durchgesetzt zu haben. Der Anspruch einer gleichberechtigten Teilhabe an Bildung (nicht-)behinderter Schüler*innen scheint damit auf die Erziehungswissenschaft als Ganze zurückgefallen und im demokratischen wie pädagogischen Anspruch einer gleichberechtigten Bildung aller Kinder aufgehoben.16 So kann konsta-

15

16

blicks in Abhängigkeit der zu Grunde gelegten Begriffe von Inklusion findet sich bei Lütje-Klose 2018, S. 38-42. Vor dem Hintergrund des Anspruchs nach einer umfassenden Ermöglichung von Partizipation kann eine ›inklusive Forschung‹ »›traditionelle‹ Wissenschaft und Wissensproduktion heraus[fordern], indem die Rollen und veranschlagten Kompetenzen von Wissenschaftler/innen in und durch solche Prozesse überdacht werden müssen – insbesondere hinsichtlich der in sie eingelagerten Machtverhältnisse« (Kremsner et al. 2016, S. 647). Die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft ruft ›Inklusion‹ und die »damit verbundenen Anfragen an die bisherige pädagogische Praxis, die bildungspolitischen Rahmenbedingungen und die erziehungswissenschaftliche Theoriebildung in Forschung und Lehre« (DGfE 2017, S. 2) als wichtige Herausforderung für die erziehungswissenschaftliche »Agenda der kommenden Jahre« (ebd.) auf. Als ein zentraler Anspruch der UN-BRK wird hier »die Ermöglichung gleichberechtigter Partizipation und sozialer Zugehörigkeit« (ebd., S. 4) herausgegriffen. Dieses ›Diskussionsangebot‹ verspreche eine »Bündelung von Fragen der Bildungs- wie der sozialen Ungleichheit im Allgemeinen und damit eine Bündelung von Gerechtigkeitsfragen im Besonderen« (ebd.). Es ist eine solche Reformulierung des spezifischen Anspruchs der UN-Behindertenrechtskonvention als allgemeiner Anspruch, die es erlaubt, der Disziplin der Erziehungswissenschaft eine Expertise bezüglich damit zusammenhängender Fragen zuzuschreiben: »Die Erziehungswissenschaft kann in diese Debatten [um Inklusion, J.G.] eine weitgefächerte Expertise einbringen und dabei auf umfangreiche Auseinandersetzungen mit Fragen von Behinderung und Benachteiligung, sozialer Ungleichheit, Diversity und Heterogenität aus den sonder- und integrations- beziehungsweise inklusionspädagogischen Diskussionen der letzten Jahre zurückgreifen, aber auch auf Beiträge aus der Allgemeinen Erziehungswissenschaft, der Frauen- und Geschlechterforschung, der Interkulturellen Pädagogik, der empirischen Bildungsforschung und

57

58

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

tiert werden, dass sich ›Inklusion‹ über (sub-)disziplinäre Grenzen hinweg gleichsam als Gegenstand, Ziel und Methode vielfältiger gesellschaftlicher, institutioneller wie individueller Transformationsprozesse durchgesetzt hat. Bezüglich dieser Ansprüche wird zwar kritisch angemerkt, dass deren Notwendigkeit keine umfassende theoretische Begründung erfahre und dass nur selten näher expliziert werde, wie eine solche ›inklusive‹ Gesellschaft konkret aussehen solle (vgl. Felder 2012, S. 18). Doch es scheint so, als ob sich gerade weil die anzustrebenden Formen der Teilhabe in ihrer Unbestimmtheit als noch nicht realisierte aufgerufen sind, mit ›Inklusion‹ ein Imperativ zur umfassenden Transformation der Teilhabebedingungen und damit des Sozialen verbinden lasse. Mit diesem diskursiven Erfolg verbinden sich aber erneut Zweifel bezüglich der Wirksamkeit von ›Inklusion‹. In Hinblick auf die Heterogenität der Diskussion wirft das Vorwort des Sammelbands zur Jahrestagung der Integrationsund Inklusionsforscher*innen 2017 die Frage auf: »Gelingt es dem Konzept der Inklusion, die Systeme und damit die Haltungen, Motive, Regeln und Strukturen der Akteurinnen und Akteure zu verändern oder wird das Konzept der Inklusion vom System so verändert, dass man es bald nicht mehr wiedererkennt?« (Feyerer et al. 2018, S. 6) Hier scheint eine doppelte Grenze des präskriptiven und normativen Diskursstranges artikuliert. Einerseits ist die Frage aufgerufen, welches Potential das Konzept ›Inklusion‹ für die angestrebten Veränderungen entfalten kann. Damit steht die Grenze der praktischen Wirksamkeit von ›Inklusion‹ zur Diskussion, nämlich die Veränderungsfähigkeit und -resistenz von Systemen, Institutionen oder Einstellungen der beteiligten Akteur*innen. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, welche der aktuell stattfindenden Veränderungen noch legitimer Weise als ›inklusiv‹ bezeichnet werden können. Es geht also auch um die Begrenzung dessen, was als ›Inklusion‹ bezeichnet werden darf und damit um eine Definitionsmacht über den Begriff ebenso wie über die angestrebten Veränderungen. Beide Grenzen sind immer wieder Gegenstand unterschiedlichster Auseinandersetzungen, die sich auch überlagern können. Es scheint so, als ob gerade die Normativität der Einsätze einerseits Diskussionen um deren Definition dauerhaft befeuert und andererseits dazu führt, dass sich die Ansprüche in dem Maße, in welchen sie für die Legitimation vielen anderen Teildisziplinen.« (Ebd., S. 2) Eine kritische Diskussion der Stellungnahme findet sich bei Puhr 2017b.

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

unterschiedlichster Innovationsprozesse an Bedeutung gewinnen, an ihrer eigenen Wirklichkeit messen lassen müssen. So wird wiederholt kritisiert, dass trotz der langjährigen Erfahrungen mit integrativer und inklusiver Bildung in Forschung und Praxis »ein inklusives Bildungssystem entsprechend der Vorgaben der UN-BRK in Deutschland noch nicht annähernd erreicht« (Platte 2015, S. 140f.) sei. Probleme werden zum Beispiel »im komplexen Zusammenwirken von Bildungs- und Sozialsystem, in der bisher nicht einschlägigen Qualifizierung des Fachpersonals sowie im deutlich abnehmenden Anteil gemeinsam unterrichteter Schüler_innen mit zunehmendem Alter« (ebd., S. 141) identifiziert. Zwar nehme der Anteil von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Regelschulklassen zu, der Anteil von Schüler*innen an der Sonderschule bleibe in den letzten Jahren aber relativ konstant (vgl. Biermann 2019, S. 20). Der Zuwachs der ›Inklusionsquote‹ gehe somit maßgeblich auf eine Ausweitung sonderpädagogischer Diagnostik zurück und somit paradoxerweise mit einer Aufwertung sonderpädagogischen Wissens einher. »Obwohl Sonderschulen als ausschließliche Schulform für Kinder mit Behinderungen an Legitimität verlieren, gewinnen die in ihnen konzentrierten sonderpädagogischen Expertisen und Ressourcen an Bedeutung, da diese als wesentliche Voraussetzung für die Realisierung des gemeinsamen Lernens von Kindern mit und ohne Behinderungen in Regelschulen angesehen werden.« (Biermann 2019, S. 22) Die historisch gewachsene, starke Institutionalisierung der Sonderpädagogik führe so zu einer »Sonderpädagogisierung von Inklusion« (Biermann 2019, S. 23) und einer ›maßlosen‹ Kategorisierung in (sonder-)pädagogische Förderbedarfe (vgl. Wocken 2019). Auch für die Diskussionen in der Berufspädagogik wird die Persistenz einer ›Zwei-Gruppen-Theorie‹ konstatiert: »Das Werben um die Anerkennung und Berücksichtigung von Heterogenität im Kontext von Inklusion« stehe »in Diskrepanz zu Tendenzen (zunehmender) Standardisierung in der beruflichen Bildung, durch welche Heterogenität reguliert, begrenzt und zum Teil auch problematisiert« (Thielen 2016, S. 114) werde. Über unterschiedliche Lebensbereiche hinweg lässt sich unter Verweis auf solche Beobachtungen problematisieren, dass die Idee der Inklusion »ohne zu zögern in das bestehende Aussonderungssystem integriert« (Sierck 2013, 41) werde. So schaffe es bis dato nur ein Teil der Gesellschaft,

59

60

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

»den Auftrag der UN-BRK anzunehmen und praktisch umzusetzen, während gleichzeitig eine Reihe an gesellschaftlichen Kräften intendiert oder unbeabsichtigt dem Ziel einer inklusiven Gesellschaft entgegenarbeitet« (Aichele 2019, S. 10). Diese Beobachtungen legitimieren nun einerseits Zweifel am Inklusionsbegriff selbst. So wird die Frage gestellt, ob dieser tatsächlich zu einer grundlegenden Transformation der Teilhabebedingungen beitragen könne oder vielmehr selbst als Bedingungsfaktor dieser Entwicklung zu verstehen sei. Zunächst wird kritisiert, die Fokussierung auf die Wertschätzung von Heterogenität führe zu einer Vernachlässigung der konflikthaften Vermittlungsprozesse, welche Integrationsprozesse notwendig begleiten würden (vgl. Reiser 2007). Dem Diskurs um ›Inklusion‹ fehle es hier an einer theoretischen Tiefe, welche Vorstellungen einer dialektischen Bestimmung von ›Integration‹ noch aufgewiesen hätten (vgl. Singer 2018, S. 151). Diskussionen um eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen seien aber gerade nicht auf harmonische Verständnisse von Gemeinschaftlichkeit zu reduzieren, sondern explizit als politische Diskussionen zu führen (vgl. Jantzen 2017). Des Weiteren wird ›dem Inklusionsdiskurs‹ vorgeworfen, aufgrund der letztlich doch vorhandenen Fixierung auf die Kategorie Behinderung »die Problematik, auf die er gerichtet ist – nämlich die Kategorisierung und Etikettierung von Menschen in behinderte Menschen« (Exner 2018, S. 77) und damit einhergehende Stigmatisierungseffekte selbst immer wieder hervorzubringen. So führe »die Umsetzung des Zieles Inklusion […] in eine Paradoxie: Sie soll darauf zielen gesellschaftliche Praxis stellvertretend zu verbessern und entkommt dabei den Mechanismen gesellschaftlichen Ausschlusses nicht« (Hummrich 2017, S. 176; Herv. i. Original). Mit der Beobachtung, dass der Begriff ›Inklusion‹ »zu Sonderdiskursen und letztendlich in Theorie und Praxis zur Manifestierung des Fokus auf das eine Merkmal Behindertsein betroffener Personen beziehungsweise Personengruppen« (Exner 2018, S. 77; Herv. i. Original) führe und Koalitionen mit anderen emanzipativen Projekten dadurch erschwere, lässt sich wiederum die Positionierung legitimieren, dass dieser für die angestrebten Veränderungen kontraproduktiv sei. Vielmehr sei es sinnvoll, »den universellen Begriff Gleichberechtigung ins Zentrum der Auseinandersetzungen um die Belange beeinträchtigter Menschen zu stellen« (Exner 2018, S. 82). Andere Positionen erkennen zwar ebenso ein Theoriedefizit des Diskurses um ›Inklusion‹, wollen diesem jedoch mit einer gesellschaftsanalytischen

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

Schärfung oder einer gesellschaftstheoretischen Vertiefung begegnen. Unter Verweis auf systemtheoretische Positionierungen lässt sich einerseits der Inklusionsanspruch funktional differenzierter Gesellschaften geltend machen (vgl. Wansing 2012, S. 383). Andererseits hinge jedoch von je spezifischen »Inklusionsbedingungen und Teilhaberegulierungen« (ebd., S. 384) ebenso wie von »individuellen Voraussetzungen seitens einzelner Personen« (ebd.) ab, wie »Teilhabe entsteht oder Behinderung und Ausgrenzung erzeugt werden« (ebd.). Deshalb bedeute ›Inklusion‹ in die Gesellschaft »unter realen Bedingungen nicht nur Teilhabe an der ›guten Gesellschaft‹ und ihren positiven Errungenschaften umfassender Rechte und Optionen. Vielmehr bedeute Inklusion immer auch die Konfrontation mit sozialen Pflichten, Erwartungen und Risiken« (ebd., S. 392), die es teilsystemspezifisch zu analysieren und gegebenenfalls zu problematisieren gelte (vgl. hierzu auch Wansing 2005). Aus ungleichheitstheoretischer Perspektive lässt sich wiederum eine Zusammenführung der pädagogischen Debatte um Inklusion mit der soziologischen Debatte um Exklusion fordern (vgl. Kronauer 2015). Inklusion und Exklusion werden hier als »historisch bestimmte, gesellschaftliche Verhältnisse« (ebd., S. 155) lesbar, die es zu analysieren und politisch zu gestalten gelte. Die Inklusivität moderner Sozialstaaten wird vor diesem theoretischen Hintergrund maßgeblich von sozialen Rechten garantiert, die jedoch in kapitalistischen Gesellschaften an marktförmige Arbeitsverhältnisse geknüpft und so stets prekär seien. In dieser Logik komme sozialstaatlichen Institutionen wie Schulen oder Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation die ambivalente Rolle zu, Inklusion zu ermöglichen und gleichzeitig über die Etablierung eines Wettbewerbs um Zertifikate Exklusion zu produzieren. Eine umfassende ›Inklusion‹, »die auf substanzielle Weise demokratisch wäre« (ebd., S. 149), sei in einem solchen System nicht angelegt. So ließe sich Ausgrenzung »nicht durch die ›Wiedereingliederung‹ der Ausgeschlossenen in ausgrenzende Verhältnisse überwinden. Wer Demokratie will, muss die ausgrenzenden Verhältnisse selbst in Frage stellen« (Kronauer 2012, S. 4). Die hier bereits angedeuteten, widersprüchlichen Anforderungen an eine Inklusionspädagogik werden wiederum unter Verweis auf kulturtheoretisch informierte Forschungen thematisierbar, welche gesellschaftliche Normen wie deren Analysen von den sie konstituierenden sozialen Praxen aus konzipieren. Aus Perspektive einer rekonstruktiven Inklusionsforschung wird so beispielsweise nachvollziehbar gemacht, »wie Lehrpersonen in — dem Anspruch nach — inklusivem Unterricht Differenzen zwischen Schüler/innen herstellen und bearbeiten und so Lern- und Bildungsprozesse behindert und/oder ermöglicht

61

62

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

werden« (Sturm 2015a, S. 224). Als zentrale Differenzkonstruktion erweise sich dabei die zugeschriebene Leistung von Schüler*innen,17 was wiederum anschlussfähig an ableismuskritische Perspektiven auf gesellschaftliche Ausgrenzungsprozesse in den Disability Studies sein dürfte (vgl. z.B. Buchner und Lindmeier 2019). Eine Zuspitzung solcher (Gesellschafts-)Kritiken findet sich im Editorial des Jahrbuchs für Pädagogik von 2015 im Anschluss an ideologiekritische Positionen, denen zufolge es um die Konfrontation des Inklusionsdiskurses mit »faktischen sozialen Gegebenheiten« (Kluge et al. 2015b, S. 14) und damit um einen Auseinandersetzung mit der Konjunktur von ›Inklusion‹ gehe. Hier ist zu lesen, die Pädagogik wolle »der exkludierenden Gesellschaft mit pädagogischen Mitteln begegnen, die die Situation der Benachteiligten aufbessern, die strukturellen gesellschaftlichen Bedingungen einschließlich ihrer Selektionsprinzipien aber unangetastet lassen sollen« (Kluge et al. 2015a, S. 10). Mit dieser Kritik verbinden die Redakteur*innen die These, dass solche Bestrebungen die gesellschaftlichen Machtverhältnisse einer vom »ökonomischen Nutzenkalkühl beherrschten Gesellschaft« (ebd.) reproduzierten, indem sie die Möglichkeit einer pädagogischen Lösung der Probleme suggerierten. An anderer Stelle weisen sie dann auch entschieden den Glauben an die Veränderbarkeit der Gesellschaft durch die Pädagogik als naiv zurück. Vielmehr werde die Diskussion »weitgehend ohne systematische gesellschaftstheoretische Reflexion idealistisch-appellativ geführt« (ebd., S. 11). Den Kritiken, die einer solchen Stoßrichtung entsprechen, sind die Diskussionen um ›Inklusion‹ – gegen deren selbstbekundeten transformativen Impetus – dann auch ein Zeichen für eine Weigerung der Erziehungswissenschaften insgesamt, sich grundlegend und kritisch mit ihren eigenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen: »Der Verzicht auf die Einbindung der Diskussion um Inklusion in ein gesellschaftstheoretisches Instrumentarium, das auf gesellschaftsanalytischen Begriffen von Gesellschaft, Sozialstruktur, Herrschaft und Hegemonie

17

Mit einer solchen Perspektive verbindet sich dann auch die Erwartung, »Behinderungen unterrichtlicher und schulischer Prozesse über die schuladministrative Differenzdimension des ›sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs‹ hinaus in den Blick […] nehmen« (Sturm 2015a, S. 224) zu können.

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

aufruht, signalisiert den fehlenden Willen der Disziplin Erziehungswissenschaft, pädagogische und bildungspolitische Probleme von einer grundsätzlichen, an ihre Wurzeln gehenden Argumentationsweise her zu erschließen.« (Bernhard 2012, S. 349) Unterscheiden sich die genannten Kritiken auch in ihren theoretischen Grundannahmen und erkenntnispolitischen Positionierungen, so ist ihnen doch gemein, dass sie gegen ein naiv anmutendes inklusionspädagogisches Postulat des »Es ist normal, verschieden zu sein« eine Auseinandersetzung mit Exklusionsmechanismen einfordern, welche »die Analyse derjenigen gesellschaftlichen und kulturellen Normalitätsvorstellungen voraus[setzt], die den Ausschluss begünstigen« (Thielen 2016, S. 115). Diese Analysen stellen ernstzunehmende Anfragen an das Anliegen einer Inklusionspädagogik und -theorie ebenso wie an erziehungswissenschaftliche Inklusionsforschungen dar. Auf diese gilt es zu reagieren, will man an dem demokratischen Anspruch der gleichberechtigten Teilhabe an Bildung unter dem Begriff der ›Inklusion‹ festhalten. Dies gilt einerseits, weil die genannten Kritiken gerade auch aus den Reihen derjenigen Personen heraus artikuliert werden, für die eine Inklusionspädagogik stets in Anspruch nimmt zu sprechen. Und das erscheint erforderlich, zeigt sich doch in der Rückschau über dieses Kapitel, dass die inklusionspädagogische Diskussion von ihren Anfängen eingeholt zu werden scheint und ihr erneut das Verhältnis von eigenem Anspruch und bildungspolitischer Wirklichkeit und somit letztlich von Gleichheit und Verschiedenheit, von Universellem und Partikularem oder von Teilhabe und Ausgrenzung zum Problem wird – insbesondere in Bezug auf die Kategorie Behinderung. Und erneut mehren sich Forderungen der (Re-)Politisierung und gesellschaftsanalytischen Fundierung der Debatten.18

18

Hieran ließe sich die Frage anknüpfen, ob dem Begriff ›Inklusion‹ in Konfrontation mit der damit verbunden Praxis in naher Zukunft dasselbe Schicksal ereilt wie bereits dem Begriff der ›Integration‹. Entsprechende Überlegungen finden sich zum Beispiel bei Katzenbach 2015 oder Hazibar und Mecheril 2013. Die vorliegende Arbeit kann als ein Plädoyer dafür gelesen werden, zunächst an dem Begriff der ›Inklusion‹ festzuhalten und seine Bedeutung an seinem Potential für die mit ihm verbundenen politischen Praxen zu messen (vgl. hierzu Abschn. 5.3).

63

64

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

2.3

(Re-)Politisierung und Gesellschaftsanalyse als Ausweg?

Seien es die Diskussionen unter Vertreter*innen einer inklusiven Pädagogik oder zwischen diesen und vermeintlichen Skeptiker*innen, seien es Uneinigkeiten in Bezug auf das Verhältnis von ›Inklusion‹ und ›Neoliberalismus‹ oder um eine Interpretation empirischer Hinweise auf eine (Re-)Produktion von Ausgrenzung in inklusiven Settings – alle diese Auseinandersetzungen stellen eine Herausforderung für ein Selbstverständnis von Inklusionspädagogiken und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschungen mit emanzipativem Anspruch dar. Dieser letzte Abschnitt des hinführenden Kapitels will vor dem Hintergrund der zurückliegenden Darstellungen Fragen nach der Bedeutung und nach den Möglichkeiten des Umgangs mit diesen Irritationen stellen. Wie sich positionieren gegenüber einer vermeintlichen Wiederkehr des Immergleichen? Wie umgehen mit den aufgezeigten Ambivalenzen? Welcher Stellenwert sollte hierbei den Forderungen der (Re-)Politisierung und gesellschaftstheoretischen wie -analytischen Fundierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ zukommen? Es wäre nun ein Leichtes, den rekonstruierten (Ausgrenzungs-)Praxen innerhalb vermeintlich inklusiver pädagogischer Settings schlicht den Status des Inklusiven abzuerkennen. Unabhängig von der Frage der Selbstbeschreibungen der Akteur*innen sind pädagogische Settings dann so lange nicht inklusiv, wie sie Ausgrenzungen (re-)produzieren. Beobachtete Ausgrenzungen stellen den Anspruch selbst dann nicht in Frage, da dieser schlicht nicht eingelöst wird. Erstens liefe eine solche Abwehr aber Gefahr, die aufgezeigten Probleme zu individualisieren und den (mangelhaften) ›inklusiven‹ Kompetenzen involvierter Pädagog*innen zuzuschreiben. Die Kritiken thematisieren jedoch häufig gerade nicht individuelle Verfehlungen, sondern verfolgen das Anliegen einer Diskussion struktureller Probleme. Zweitens wäre für eine solche Beurteilung ein objektiver Standpunkt notwendig, von dem aus die Entscheidung getroffen werden könnte, was ›richtige‹ und was ›falsche‹ Inklusion ist. Die Durchsetzung eines solchen allgemeingültigen Standpunkts scheint in Hinblick auf die dargestellte Heterogenität der Begriffsbestimmungen aber nur dann möglich, wenn der eigene Einsatz den Auseinandersetzungen hierum entzogen wird. Und dies würde dem wiederholt formulierten, demokratischen Selbstverständnis widersprechen. Drittens müsste gezeigt werden, dass die angesprochenen Probleme ein der ›Inklusion‹ äußerliches Moment sind. Es müsste also ein theoretisches Verständnis von ›Inklusion‹ und ›Inklusionspädagogik‹ zugrunde gelegt werden, das konstitutiv ohne

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

Ausgrenzung auskommt. Bereits die oben angeführten gesellschaftstheoretischen und sozialwissenschaftlichen Einsätze können aber als Hinweise darauf gelesen werden, dass die Probleme der Ausgrenzung oder Exklusion dem Anliegen der ›Inklusion‹ gerade nicht äußerlich, sondern immer schon in dieses eingeschrieben sind. Eine weitere Möglichkeit des Umgangs mit den Infragestellungen der Inklusionspädagogik deutet sich in einer Dichotomisierung zwischen ›Inklusionsbefürworter*innen‹ oder ›Inklusionist*innen‹ einerseits und ›Inklusionsgegner*innen‹ oder ›-verweigerer*innen‹ andererseits an. Eine solche Immunisierungsstrategie erscheint aber weder besonders fruchtbar für den fachlichen Austausch, noch ist damit der Stand der fachlichen Diskussionen angemessen wiedergegeben. Auch wenn sich solche Diffamierungen im Diskurs vielzählig zeigen, widerlegen sich diese Zuschreibungen bei einer genaueren Lektüre der Arbeiten. Denn meist ist es den Kritiken gerade nicht um den Anspruch der Realisierung von Teilhabemöglichkeiten, also um die »Utopie an sich« (Becker 2016, S. 7) bestellt, als vielmehr um die enge Verknüpfung des Anspruchs mit der Überzeugung, dass dieser nur auf spezifische Arten und Weisen zu realisieren sei. Es wird also eine mit der Inklusionspädagogik und -forschung zusammenhängende Tendenz zur »Polarisierung und Monopolisierung« (Dammer 2015, S. 22) des Diskurses ebenso wie seine »Moralisierung« (Dederich 2016, S. 48) und eine damit zusammenhängende Immunisierung vor Kritik (vgl. Becker 2016, S. 12) abgelehnt, die dem Anliegen möglicherweise eher entgegenstehe als diesem zu nutzen (vgl. Kluge et al. 2015b, S. 11). Dieselben Argumente lassen sich aber vortrefflich auch gegen viele Kritiken selbst richten (vgl. Wocken 2019). Sowohl der Ideologievorwurf wie auch die Unterstellung eines Theoriedefizits der gesamten ›Inklusionspädagogik‹ lässt sich aber sicherlich nur um den Preis aufrechterhalten, dass man die Heterogenität des Diskurses negiert und die theoretischen Entwürfe – zum Beispiel diejenigen, welche die Integrationspädagogik selbst hervorgebracht hat, oder die Rezeption der neueren sozialwissenschaftlichen Zugänge zum Thema – von ihm abspaltet. ›Inklusion‹ bzw. eine homogene Inklusionspädagogik ist als Gegner dann immer schon identifiziert und die ›Polarisierung und Monopolisierung‹ dadurch reproduziert. Im Folgenden soll ein anderer Weg beschritten werden, der die Einsätze der Inklusionspädagogik wie deren Kritiken in ihrer Argumentation ernst nimmt und diese in Hinblick auf deren systematische Bedeutung für die Auseinandersetzung um die Verwirklichung des demokratischen Anspruchs auf eine gleichberechtigte Teilhabe an Bildung befragt. Versucht man sich

65

66

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

an einer Einordnung der zurückliegenden Argumentationen, können zwei Blickrichtungen oder Schwerpunkte der kritischen Auseinandersetzung mit ›Inklusion‹ beobachtet werden. In einer ersten Argumentationslinie stehen maßgeblich die Hindernisse hin zu einer inklusiven Bildung oder gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe im Fokus – seien es bildungspolitische Rahmenbedingungen wie Schulgesetze oder Ressourcen, fachliche Voraussetzungen auf Seiten der Pädagog*innen oder aber gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie ›der Kapitalismus‹ und sich hiermit verbindende Leistungserwartungen. Das Ziel einer integrativen respektive inklusiven Pädagogik erscheint dann deshalb nicht erreicht, weil der politische Gestaltungswille der beteiligten Akteur*innen oder die gesellschaftlichen Verhältnisse (noch) nicht für die Durchsetzung eines inklusiven Bildungssystems ausreichen beziehungsweise geeignet erscheinen. Solche Kritiken können eingebunden werden in politische Forderungen der Veränderung, die sich unter Verweis auf gesellschaftsanalytische Ergebnisse zusätzlich autorisieren lassen. Somit weisen sie einen Weg in Richtung einer gleichberechtigteren Gesellschaft, ohne diesen Anspruch zwingend selbst befragen zu müssen. Eine solche Perspektive verschiebend oder diese ergänzend, deuten sich in den Kritiken jedoch auch Ambivalenzen an, die quer zu diesen Argumentationen gelesen werden können, insofern sie dem Anspruch gleichberechtigter Teilhabe selbst inhärent zu sein scheinen (vgl. hierzu auch Puhr 2017c, S. 16). Hier wird der Umstand betont, dass Normen der Teilhabe immer auch Ausschluss produzieren, soziale Ordnungen und deren Inklusionsregeln also immer mit Exklusionsrisiken einhergehen. In den aufgerufenen Arbeiten wurden diese Ambivalenzen unter anderem unter Verweis auf system-, ungleichheitsoder praxistheoretisch informierte Analysen thematisierbar. Sie lassen sich aber auch aus demokratietheoretischer Perspektive aufrufen, was vor dem Hintergrund der in diesem Kapitel herausgearbeiteten Selbstbeschreibung der Integrations- wie Inklusionspädagogik als einem demokratischen Projekt ein interessanter Weg zu sein scheint. Eine solche Perspektive eröffnet zum Beispiel Ralf Mayer im Anschluss an radikaldemokratische Einsätze. Teilhabe sei mit diesen nicht als demokratisches Ideal zu verstehen, »das nur differenziert genug gefasst und angewandt werden« (Mayer 2017, S. 66) müsste, sondern als ein stets umstrittenes normatives Konzept »im Kontext der Regulierungen, Distributionen und Besetzungen des sozialen Raums« (ebd., S. 65), das »unhintergehbar mit den hegemonialen Logiken und Antagonismen gesellschaftlicher Bedingungen, Verteilungsvorgänge und Ansprüche« (ebd., S. 65f.) konfrontiere. Die folgenden Überlegun-

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

gen schließen an solche Positionierungen an und versuchen, deren Bedeutung für die Reflexion inklusionspädagogischer Anliegen und deren Kritiken zu explizieren.19 Wie die aufgerufenen sozial- und kulturwissenschaftlichen Arbeiten machen radikaldemokratische Überlegungen den Umstand geltend, dass jede soziale Ordnung mit Kriterien der Zugehörigkeit einhergeht, die zugleich Teilhabe ermöglichen und Teilhabe ausschließen. Dies gelte auch für demokratische Ordnungen. Zwar werde der universelle Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe als eine »elementare Referenz für demokratische Vorstellungen von Gemeinschaft« (ebd., S. 66) aufgerufen. Entgegen diesem Anspruch seien demokratische Ordnungen aber gerade nicht durch die Abwesenheit von Ausschluss gekennzeichnet. Auch sie konstituieren sich also über die Etablierung von Grenzen, die zugleich Einschluss wie Ausschluss produzieren. Weil diese Ordnungen aber nicht mehr unter Bezug auf eine transzendentale Größe legitimiert werden können, bleiben die Kriterien der Teilhabe und damit auch diejenigen des Ausschlusses stets umstritten. Dieser Streit sei im demokratischen Dispositiv »über den unausgesetzten Konflikt zwischen dem […] elementaren Gleichheitskonzept und gesellschaftlichen Ordnungsvorgängen« (ebd.) auf Dauer gestellt. Im Anschluss hieran wäre es nicht die Etablierung von universeller Gleichheit, an welcher sich demokratische Politik messen lassen müsste. Vielmehr wäre es der Anspruch des abstrakten Gleichheitsbegriffs, der von einer partikularen Gruppe gegen eine vorhandene Ordnung geltend gemacht wird, der diese auszeichne. ›Gleichheit‹ wäre damit als streng relationaler Begriff zu verstehen, der »weder Einzelnen noch Kollektiven einfach zukommt« (ebd., S. 75). Vielmehr gebe es ›Gleichheit‹ »nur als konkrete aktive parteiische Artikulation, respektive als praktische ›Ermächtigung‹ inmitten einer spezifischen Aufteilung von Zeiten, Räumen und Tätigkeiten« (ebd., S. 75; Herv. J.G.). Demokratische Politik beginne also mit dem Streit, »wer auf welche, mit Legitimität, Relevanz, Verständigkeit usw. ausgestattete Weise(n) gezählt wird, wessen bzw. welches Sprechen und Handeln Anerkennung findet und wessen Tätigkeit und Reden eben nicht oder anders 19

Die systematischen Bezugspunkte der folgenden Argumentation sind angelehnt an die Auseinandersetzung mit dem Anspruch der Teilhabe an Bildung bei Mayer 2017 und beziehen sich dort maßgeblich auf die theoretischen Angebote Jacques Rancières. Im Laufe der Arbeit werden noch weitere radikaldemokratische Autor*innen und deren Arbeiten in Hinblick auf deren möglichen Beitrag für die Diskussionen um den Anspruch einer gleichberechtigten Teilhabe an Bildung befragt.

67

68

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

– etwa als Lärm, als weniger von Belang, als der Reglementierung bedürftig usw. – gesehen und gehört wird« (ebd., S. 74). Da dieser Streit nicht still gestellt werden könne, bleibe das Konzept der Teilhabe »eines der Hauptprobleme und Herausforderungen der Moderne« (ebd., S. 66). Aus einer solchen Perspektive ist es also gerade der Umstand, dass der universelle Gleichheitsanspruch nie erreicht werden kann und dennoch als imaginärer Bezugspunkt demokratischer Politik gilt, der den Streit um die soziale Ordnung in der Demokratie auf Dauer stellt und so erst Emanzipation und Politik ermöglicht. Die Fragen, die seit den 1970er Jahren unter dem Titel der Integrationspädagogik wie der Inklusionspädagogik verhandelt werden, können vor diesem (demokratie-)theoretischen Hintergrund als unterschiedliche Einsätze in diese Konflikte gelesen werden. Die erziehungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskussionen um ›Integration‹ und ›Inklusion‹ erscheinen so als Auseinandersetzungen um die Realisierung des universellen Anspruchs einer gleichberechtigten Teilhabe an Bildung und um die Frage, in welcher Form und für wen dieser Anspruch zu verwirklichen wäre – ohne dass Ersteres tatsächlich realisierbar wäre und ohne dass Letzteres endgültig entscheidbar wäre. Dies lässt sich insbesondere an der umstrittenen und kontingenten Kategorie Behinderung und deren Bedeutung für integrative oder inklusive Pädagogiken illustrieren. Trotz der Bekundungen hinsichtlich eines ›weiten‹ Inklusionsbegriffs wird den hier diskutierten Einsätzen immer wieder entgegengebracht, dass sie auf unterschiedliche Arten und Weisen an die Kategorie Behinderung gebunden bleiben. Gleichzeitig bleibt eine Artikulation konkreter Erfahrungen von Ungleichheit erforderlich, um den demokratischen Anspruch der Teilhabe aktualisieren zu können. Die hiermit zusammenhängenden Ambivalenzen kehren in Fragen nach angemessenen Handlungskonzepten inklusiver Pädagogiken wieder – von den Diskussionen um die (De)Kategorisierung, über die Fragen der strukturellen Organisation gemeinsamen Unterrichts bis hin zu den Auseinandersetzungen um ein angemessenes Verständnis inklusiver Didaktik und Diagnostik. Behinderung erweist sich hier als eine »(de-)legitimierte, kontingente, performative und zugleich ›unverzichtbare‹ Kategorie eines ambivalenten Selbstverständnisses möglicher Sonder-/Inklusionspädagogiken« (Puhr 2017a, S. 108). Ambivalent erscheint ein solches Selbstverständnis einer Inklusionspädagogik in doppelter Hinsicht: weil sie sich selbst als eine Pädagogik für alle Schüler*innen versteht, aber immer wieder auf die spezifische Differenzkategorie Behinderung zu-

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

rückgreift und weil diese Legitimation unter Verweis auf die »kontingente, vieldeutige und instabile Konstruktion« (Puhr 2017d, S. 338) der Kategorie Behinderung stets prekär bleiben muss. Der Streit um die Kategorie Behinderung verweist somit auf das stets problematische Verhältnis zwischen Gemeinsamkeit und Verschiedenheit, zwischen Allgemeinem und Besonderem oder zwischen Partikularem und Universellem. Und diese Ambivalenzen können als Möglichkeitsbedingungen dafür gelesen werden, vielfältige Anfragen an den Allgemeinheitsanspruch einer allgemeinen oder inklusiven Pädagogik sowie den Stellvertretungsanspruch der Sonderpädagogik richten zu können.20 Die angeführten Ambivalenzen und die hiermit verbundenen beziehungsweise hieraus resultierenden Möglichkeiten der Kritik inklusionspädagogischer Theorien und Praxen erweisen sich aus dieser Perspektive nicht länger als Infragestellung des inklusionspädagogischen Anspruchs der Realisierung einer gemeinsamen Beschulung aller Schüler*innen, sondern vielmehr als produktiver Kern eines inklusionspädagogischen Selbstverständnisses, das an den Umgang mit der Heterogenität der Ansprüche gleichberechtigter Teilhabe an Bildung gebunden bleibt. Was bedeutet eine solche Perspektive auf die Umstrittenheit demokratischer Ordnungen sowie deren Bezug auf die erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um ›Inklusion‹ nun für die Forderungen einer (Re-)Politisierung und/oder gesellschaftstheoretischen Fundierung, die – wie in dem zurückliegenden Kapitel aufgezeigt – immer wieder gegen die (vermeintlichen) theoretischen und praktischen Reduktionismen ›der Integrationspädagogik‹ und ›des Inklusionsdiskurses‹ geltend gemacht wurden und werden? Auch deren Wiederkehr ist nicht als Zeichen für eine Veränderungsresistenz einer inklusiven Pädagogik zu verstehen, vor der es wahlweise zu resignieren oder zu fliehen gilt. Sie sind vielmehr als Symbol dafür zu lesen, dass sich eine emanzipative oder demokratische Lesart von ›Inklusion‹ nicht letztgültig institutionalisieren kann, sondern als Prozess verstanden werden muss, in welchem gegebene Institutionalisierungen immer wieder auf die hiermit

20

Damit ist nicht gesagt, dass eine solche Funktion ausschließlich der Kategorie Behinderung zukäme. Solche Überlegungen ließen sich auch auf andere Differenzkategorien übertragen. Insofern wäre zu präzisieren, ob und inwiefern es sich bei Behinderung tatsächlich um eine »›unverzichtbare‹ Kategorie« (Puhr 2017a, S. 108) handelt. ›Unverzichtbar‹ für eine demokratische Ausbuchstabierung von ›Inklusion‹ wäre in der vorgeschlagenen demokratietheoretischen Lesart die Artikulation von Ungleichheit. Behinderung – wenn auch verstanden als kontingente Kategorie – stellt hierfür jedoch nur eine mögliche, nicht jedoch eine notwendige Kategorie dar.

69

70

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

verbundenen Effekte der Teilhabe und Teilung befragt werden. Von einer solchen Position aus werden einerseits die bereits erreichten Veränderungen als Resultate politischer Praxen lesbar. Andererseits können diese aber nicht als der Weisheit letzter Schluss gelten. Sie sind selbst der Kritik und dem Konflikt auszusetzen. (Re-)Politisierung und Gesellschaftsanalyse sind damit letztlich auf Dauer zu stellen. Vor dem Hintergrund der radikaldemokratischen Überlegungen werfen diese Forderungen aber eine Reihe von Fragen auf, die einer vertieften Aufmerksamkeit bedürfen. Zunächst zu der Forderung einer (Re-)Politisierung: Wenn jeder Versuch der Ordnungsstiftung konstitutiv auf die Durchsetzung von Ausschlüssen angewiesen ist, erscheint die Realisierbarkeit einer umfassenden gleichberechtigten Teilhabe an Bildung durch eine nicht-hegemoniale Pädagogik auch unter dem Namen ›Inklusion‹ zweifelhaft. Woran aber lässt sich eine Politizität des Projekts gemeinsamen Unterrichts dann noch festmachen? Diese Frage verweist sicherlich nicht auf eine spezifische gesellschaftliche Sphäre der ›(Bildungs-)Politik‹ im engeren Sinne, innerhalb derer ›inklusive‹ Forderungen zu artikulieren wären, um als ›politisch‹ zu gelten. Zwar wird eine Verbindung zwischen Bildungspolitik und Integrationsrespektive Inklusionsforschung immer wieder thematisiert (und recht unterschiedlich bewertet). Eine solche Verbindung macht Forschung allerdings noch nicht zu politischer Forschung in dem hier eingeforderten Sinn. Es wäre schließlich auch denkbar, sich innerhalb der Bildungspolitik für ein separierendes Schulsystem einzusetzen. Damit ist nun aber auch der Gegenstand der Diskussion für eine Identifizierung des Politischen nur bedingt geeignet. Denn die Frage nach dem Bildungssystem aufzuwerfen impliziert eben keinesfalls die von der Integrations- oder Inklusionspädagogik intendierten Antworten. Aber noch ein normativer Politikbegriff, der an Forderungen einer ganz spezifischen Institutionalisierung des Bildungssystems gebunden wird, hilft hier nicht weiter, da – wie erläutert – mit jeder Institutionalisierung konstitutiv Ausschlüsse einhergehen. Es gilt also eine begriffliche Klärung von Politik und Politischem anzustreben, welche es erlaubt, diese Ausschlüsse mit zu denken. Im Anschluss hieran stellt sich die Frage, ob es einen ›politischen‹ Begriff von ›Inklusion‹ in dem hier aufgerufenen Sinne überhaupt geben kann. Zumindest erscheint dies zweifelhaft, wenn er positiv an ganz spezifische Institutionalisierungen gebunden bleibt. Gleichzeitig scheint eine Beliebigkeit des Inklusionsbegriffs aber ebenso wenig produktiv für die angestrebten Veränderungen der Möglichkeiten der Teilhabe. Von hier aus drängt sich die Frage auf, ob ein politischer Begriff von ›Inklusion‹ über-

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

haupt ohne Hegemonie auskommen kann – wie das in den Pädagogiken der Vielfalt gefordert wurde (vgl. Prengel 2006, S. 183; Preuss-Lausitz 1993, S. 13). Wäre der Begriff damit hinfällig oder kann möglicherweise gerade dem Streit um seine Bedeutung selbst ein Stellenwert für eine politische Diskussion beigemessen werden? Einer Präzisierung des Begriffs des Politischen muss also gleichsam eine theoretische Arbeit am Inklusionsbegriff folgen. Nicht zuletzt wirft der angedeutete Verweis auf die Bedeutung der Artikulation von Ungleichheit für eine demokratische Politik erneut die Frage nach dem Verhältnis der Integrations- beziehungsweise Inklusionspädagogik zu emanzipativen Bewegungen und Ansprüchen der Selbstvertretung sowie den hieraus entstehenden Ambivalenzen auf. Von wo aus kann entschieden werden, welche Ansprüche als ›politische‹ Ansprüche aufgegriffen werden, welche hingegen nicht? Mit welchen Strategien legitimiert die Pädagogik hier ihre Position der Fürsprache und welche Positionierungen sind möglich? Ist es überhaupt die Pädagogik als professionelle Disziplin, von der aus politisch argumentiert werden kann, oder sind entsprechende Artikulationen nicht doch an andere Subjektpositionen gebunden? Insgesamt stellt sich also die Frage, was es vor dem Hintergrund der angedeuteten demokratietheoretischen Überlegungen bedeuten kann, eine (Re-)Politisierung der Inklusionspädagogik und -forschung einzufordern – jenseits der Unterstellung, sie wäre einmal politisch gewesen und sei es heute nicht mehr. Diese Frage soll unter Bezug auf unterschiedliche radikaldemokratische Theorieangebote in Kapitel 3 ausführlich diskutiert werden. Eine erste Antwort hierauf deutete sich im zurückliegenden Abschnitt bereits an. Mit radikaldemokratischen Einsätzen verweist die Frage nach dem Politischen weniger auf die theoretische, als vielmehr auf die praktische Ebene. Während die mit dem Anspruch der gleichberechtigten Teilhabe verbundenen Ambivalenzen – zwischen Gleichheit und Verschiedenheit, zwischen Allgemeinem und Besonderem, zwischen Paternalismus und Selbstvertretung usw. – auf der theoretischen Ebene nicht auflösbar sind, sind es gerade diese Ambivalenzen, die in der konkreten Praxis eine Entscheidung, Positionierung oder »aktive parteiische Artikulation« (Mayer 2017, S. 74) erfordern und ermöglichen.21 Der Anspruch der ›Inklusion‹ verweist aus einer radikaldemo-

21

Wie bereits erwähnt, verweist Mayer hier auf die Überlegungen Jacques Rancières. Aber auch bei anderen radikaldemokratischen Denker*innen spielt diese Figur eine Rolle. So spricht Chantal Mouffe vom »Entscheidenmüssen im unentscheidbaren Terrain« (Mouffe 2015, S. 24) und für Ernesto Laclau ist »der Abstand zwischen der Unent-

71

72

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

kratischen Perspektive also dort auf die politische Dimension, wo er sich als fähig erweist, einen demokratischen Streit um die Ausgestaltung des universellen Anspruchs auf Bildung zu instituieren, der bisherige Formen der Institutionalisierung dieses Anspruchs ebenso in Frage stellt wie etablierte Formen, auf hiermit zusammenhängende Irritationen zu antworten. Jede konkrete Artikulation einer ›Schule für alle‹ wiederum wird jedoch eigene Ordnungsvorstellungen produzieren, die mit spezifischen Teilhabebedingungen und Ausgrenzungseffekten einhergehen. Diese wären in einem niemals endenden Prozess der Demokratisierung jeweils zu reflektieren und gegebenenfalls erneut in Frage zu stellen.22 Damit rückt wiederum die Forderung einer gesellschaftsanalytischen Fundierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ ins Zentrum des Interesses. Was aber zeichnet eine solche Perspektive aus? Auch hinsichtlich dieser Forderung werfen die zuvor thematisierten radikaldemokratischen Einsätze vielfältige Fragen auf. Diese werden in Kapitel 4 diskutiert. Ausgangspunkt dieser Fragen ist auch hier die Beobachtung, dass jede Konstitution gesellschaftlicher Ordnungen auf Ausschlüsse angewiesen ist. Eine radikaldemokratische Perspektive macht dieses Ausgeschlossene geltend und betont, dass Gesellschaft stets umstritten bleibt und deshalb in letzter Instanz als ein ›unmögliches Objekt‹ (vgl. Marchart 2013a) zu verstehen ist. Gesellschaftsanalytisch informierte Ansätze einer Inklusionspädagogik konfrontiert dies mit einer doppelten Herausforderung. Einerseits lässt sich Gesellschaft jenseits der Auseinandersetzungen um sie nicht endgültig bestimmen. Andererseits muss jeder Versuch der Bestimmung dieser Ordnung selbst als Einsatz in diesen Streit verstanden werden, der mit Ausschlüssen einhergeht. Vor diesem Hintergrund können

22

scheidbarkeit der Struktur und der Entscheidung« (Laclau 2013b, S. 101) der Ort des Subjekts. Was die Einsätze eint, ist die Tatsache, dass Entscheidung hier nicht nur auf eine Auswahl zwischen Alternativen rekurriert, sondern dass mit jeder dieser Entscheidungen – beziehungsweise Unterscheidungen – gleichsam der politische Raum strukturiert wird (vgl. Sack 2019, S. 510). Eine ähnliche Perspektive auf das Wechselverhältnis von theoretischen Ambivalenzen und praktischem respektive politischem Handeln findet sich meines Erachtens in der Theorie der trilemmatischen Inklusion, mit der Mai-Anh Boger einen elaborierten Beitrag zur (Re-)Politisierung des Inklusionsbegriffs aus Perspektive politischer Bewegungen leistet (vgl. z.B. Boger 2017). Eine solche (selbst-)reflexive Perspektive auf inklusionspädagogische Diskurse und Praxen findet sich zum Beispiel bei Budde und Hummrich 2014 und bei Dannenbeck und Dorrance 2009 angedeutet, wenn auch jeweils mit unterschiedlichen theoretischen Bezugspunkten.

2 Zwischen Anspruch und Wirklichkeit(sbeschreibung)

Gesellschaftstheorie und -analyse als strategische Einsätze in die Auseinandersetzung um die Bestimmung von ›Gesellschaft‹ gelesen werden, die an der (De-)Konstruktion des ›unmöglichen Objekts Gesellschaft‹ mitarbeiten. Dies ermöglichst es, Gesellschaftstheorie und -analyse selbst in Bezug auf deren politische Dimension in den Blick zu nehmen (vgl. ebd.). Damit rücken einerseits die Potentiale der bereits bestehenden gesellschaftstheoretisch informierten Arbeiten im Kontext der Inklusionspädagogik und -forschung ins Zentrum des Interesses. Welche gesellschaftstheoretischen Positionen werden hierfür rezipiert? Welcher Stellenwert kommt innerhalb dieser Einsätze der Analyse gesellschaftlicher Rahmenbedingungen der konkreten Versuche einer Realisierung des universellen Bildungsanspruchs zu und welchen Ort haben darin Fragen nach der politischen Dimension dieser Versuche? Es rückt so eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftstheoretischen Ideen und Grundpositionen innerhalb inklusionsorientierter Pädagogiken und Forschungen in den Fokus. Andererseits wird es vorstellbar, einen eigenen gesellschaftstheoretischen wie -analytischen Einsatz zu formulieren, der diese politische Dimension als Bestandteil der Theoriebildung zu berücksichtigen erlaubt. Doch wie kann ›Gesellschaft‹ theoretisiert und analysiert werden, wenn sie nicht als bereits gegebene Totalität sozialer Prozesse verstanden wird? Der Rückgriff auf eine einheitliche Regel oder einen Ursprung wie die ›kapitalistische‹ oder ›ökonomische Logik‹ oder einen einheitsstiftenden Begriff wie ›die Leistungsgesellschaft‹ scheint hier nicht weiter möglich. Denn gerade solche Beschreibungen verleiten zu oder basieren auf holistischen Annahmen von ›Gesellschaft‹ und laufen damit Gefahr, die konstitutiven Ausschlüsse zu dethematisieren. Wie aber können solche Ausschlüsse gesellschaftstheoretisch wie -analytisch berücksichtigt werden, wo sie doch gerade außerhalb der Ordnung stehen? Das Ergebnis solcher Analysen wird auf die Konstruktion eines einheitlichen Bilds von der Gesellschaft verzichten müssen. Damit stellt sich aber auch die Frage, worin das Potential solcher Analysen für das Projekt einer gleichberechtigten Teilhabe an ›der Gesellschaft‹ läge, wenn eine solche nicht länger als gegeben vorausgesetzt werden kann und wenn jede Analyse selbst wiederum Ausschlüsse produziert. In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen wird sich zeigen, dass eine radikaldemokratische Perspektive gerade nicht auf den Gesellschaftsbegriff verzichten muss. Vielmehr wird ›Gesellschaft‹ als ›Quasi-Objekt‹ (vgl. ebd., S. 348f.) hier als ein notwendiger Horizont aufgerufen, in welchen sich je konkrete Forderungen der Teilhabe einschreiben lassen. Denn »[a]uch wenn das Soziale sich nicht in den intelligiblen und

73

74

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

instituierten Formen einer Gesellschaft zu fixieren vermag, so existiert es doch nur als Anstrengung, dieses unmögliche Objekt zu konstruieren« (Laclau und Mouffe 2012, S. 164; Herv. i. Original). Das Anliegen dieses Kapitels war eine Hinführung an das diskursive Feld um ›Inklusion‹ innerhalb der Erziehungswissenschaften. Dies stellte eine besondere Herausforderung dar, insofern wiederholt betont wird, dass eine umfassende Darstellung des Diskussionsstands nur noch schwer geleistet werden könne (vgl. z.B. Singer 2018, S. 41f.). Für das vorliegende Kapitel wurde deshalb eine doppelte Einschränkung vorgenommen. Einerseits fokussierte der Überblick Beiträge, welche auf unterschiedlichste Arten und Weisen an die Kategorie Behinderung gebunden sind. Andererseits legte die angedeutete diskurstheoretische Perspektivierung einen Schwerpunkt auf die mit dieser Kategorie verbundenen Möglichkeiten der (De-)Legitimation sonder-, integrations- wie inklusionspädagogischer Positionierungen. Zwei Aspekte erhielten hierdurch besondere Aufmerksamkeit: Einerseits wurde deutlich, dass sich mit ›Integration‹ oder ›Inklusion‹ vielfältige Ansprüche der Transformation pädagogischer Praxen, Strukturen und Kulturen verbinden lassen, die sich als Herausforderung an die Sonder- wie die Allgemeine Pädagogik verstehen. Insbesondere im letzten Abschnitt konnte gezeigt werden, dass dieses Potential nicht aus einer möglichen Suspendierung der Kategorie Behinderung erwächst, sondern aus der (Un-)Möglichkeit des demokratischen Anspruchs einer gleichberechtigten Teilhabe und dem notwendigen Umgang mit den hieraus entstehenden Ambivalenzen. Andererseits hat sich gezeigt, dass Feststellungen ausbleibender Teilhabemöglichkeiten im Rahmen von inklusionsorientierten Bildungsangeboten nicht als Infragestellungen des Anspruchs einer inklusiven Pädagogik verstanden werden müssen. Vielmehr kann eine kritische Auseinandersetzung mit konkreten Versuchen der Institutionalisierung gleichberechtigter Teilhabe an Bildung gerade als eine Voraussetzung eines Prozesses der Demokratisierung des Bildungssystems affirmiert werden. Forderungen der (Re-)Politisierung und gesellschaftsanalytischen Fokussierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ stellen mögliche Ausgangspunkte für einen solchen Prozess dar. Ausgehend von dem Ideal eines gleichberechtigten Zugangs zu zentralen gesellschaftlichen Bereichen für alle Menschen und von der Annahme, dass die Frage, was dies heißen soll, stets umstritten bleibt und bleiben muss, geht die vorliegende Arbeit deshalb im Weiteren den Möglichkeiten und Grenzen dieser Forderungen nach.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren »[W]enn wir eine theoretisch vorgefaßte Meinung von der Demokratie mitbringen, die wir nicht der demokratischen Auseinandersetzung aussetzen wollen, dann ist unsere theoretisch vorgefaßte Meinung entschieden undemokratisch.« (Butler in Lorey et al. 1995, S. 97)

Am Beginn der Integrationsbewegung standen – so die Erzählung, die zu Beginn dieser Arbeit aufgegriffen wurde – unterschiedlichste Artikulationen der Notwendigkeit einer Demokratisierung des Bildungssystems durch dessen Umbau hin zu einem allgemeinen Schulsystem, das in der Lage wäre, die Bedürfnisse aller Kinder und Jugendlichen zu berücksichtigen. Gleichwohl diese universalistische Forderung immer wieder maßgeblich unter dem partikularen Verweis auf unterschiedliche Konzepte von Behinderung ausbuchstabiert wurde beziehungsweise wird, verbinden sich verschiedenste Fassungen von ›Integration‹ und ›Inklusion‹ als normative Zielsetzung geradezu mit der Idee der Realisierbarkeit eines solchen bildungspolitischen Projekts. Vor dem Hintergrund entsprechender Forderungen legitimieren sich Vorstellungen der Integrations- und Inklusionspädagogik als einem politischen Vorhaben. Im vorangegangenen Kapitel hat sich gezeigt, dass der Begriff ›Inklusion‹ eine gewisse Wirksamkeit in Bezug auf die Transformation des Bildungswesens entwickelt und sich der sonder- und inklusionspädagogische Diskurs um ihn in diesem Zuge immer weiter ausdifferenziert hat. Es wurde aber auch deutlich, dass diese Ausdifferenzierung zugleich als Herausforderung für die in Anspruch genommenen politischen Selbstverständnisse gelesen werden kann. Ausgehend von dieser Perspektivierung des Forschungs-

76

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

stands macht sich die vorliegende Arbeit auf die Suche nach Möglichkeiten, am politischen Anspruch von ›Inklusion‹ festhalten zu können, ohne hinter die bezüglich eines solchen Vorhabens benannten Irritationen zurückzufallen. In gewisser Weise macht sich das vorliegende Kapitel also die Forderungen einer (Re-)Politisierung der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung zu eigen. Innerhalb einer solchen Argumentation wurde der Begriff ›Inklusion‹ wiederholt an Infragestellungen und Transformationen des Bildungssystems oder gar der gesamten Gesellschaft und die Reflexion hiermit zusammenhängender Inklusionschancen und Exklusionsrisiken gebunden. Bereits im letzten Kapitel wurde auf Wolfgang Jantzen verwiesen, der Diskussionen um Inklusion maßgeblich als eine politische Diskussion geführt sehen will. Für ihn wäre die Forderung nach »sozialer Inklusion« dann nicht nur ein »schlechter Witz« oder als »Paradiesmetapher« zu disqualifizieren, wenn damit »eine Transformation der Gesellschaft, im lokalen, regionalen, nationalen und globalen Rahmen« (Jantzen 2018, S. 94) angestrebt werde. Ganz im Einklang mit diesen Transformationsforderungen sieht Thomas Hoffmann eine »Humanisierung [der Unterdrückten, J.G.] durch Veränderung einer gesellschaftlichen Praxis« (Hoffmann 2018a, S. 40) als zentrale Aufgabe einer inklusiven »Pädagogik der Befreiung«. Clemens Dannenbeck und Carmen Dorrance zeigen sich bezüglich solcher Konzepte und Forderungen etwas zurückhaltender. Sie bestehen darauf, dass ›Inklusion‹ als kritische Perspektive und politisches Projekt vor allem hieße, »sich der Dynamik der sozialen und gesellschaftlichen Konstruktionsprozesse von Differenz(en) zu stellen« (Dannenbeck und Dorrance 2009), in welche auch inklusionsorientierte Pädagogiken immer eingebunden sein werden. So sei eine häufig geforderte Anerkennung von Vielfalt nur eine Bedingung inklusionsorientierter pädagogischer Praxis, die immer in Zusammenhang mit ihrer Kehrseite gedacht werden müsse, nämlich der »Dekonstruktion von Differenzsetzungen« (ebd.). Versuche einer (Re-)Politisierung der Inklusionspädagogik gibt es also bereits. Doch sind die sich hieran anschließenden Forderungen oder Analysen immer schon politisch? Oder etwas differenzierter: Was an diesen Forderungen wäre politisch beziehungsweise hätte ein politisches Potential? Und wie ließe sich ein solches politisches Selbstverständnis einer (Inklusions-)Pädagogik legitimieren? Am Ende des letzten Kapitels hat sich die Komplexität solcher Fragen bereits angedeutet. Mai-Anh Boger weist deshalb zu Recht darauf hin, dass es zu deren Diskussion in einem ersten Schritt vor allem einer analytischen Auseinandersetzung mit den Konzepten der ›Inklusion‹ und der

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

›Politik‹ sowie der Möglichkeiten deren Verhältnissetzung bedürfe (vgl. Boger 2018, S. 67).1 Eine solche Forderung scheint aber bislang nur unzureichend beachtet. So finden sich nur wenige Versuche einer theoretisch fundierten Verhältnisbestimmung dieser Begriffe und diese werden eher zurückhaltend rezipiert. Das vorliegende Kapitel befragt deshalb politikphilosophische Überlegungen auf die Möglichkeiten der Bestimmung des Begriffs der ›Politik‹ sowie bezüglich der hiermit einhergehenden Möglichkeiten der Diskussion unterschiedlicher Konzeptionen von Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlicher Inklusionsforschung. An dieser Stelle wäre der Bezug auf verschiedenste Ansätze politischer Theorie und Philosophie denkbar. Arbeiten des Marxismus sowie der kritischen Theorie wurden für die Inklusionspädagogik – insbesondere innerhalb und im Anschluss an die materialistische Behindertenpädagogik – breit diskutiert und scheinen nach wie vor interessante Perspektiven auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ermöglichen, in welche unterschiedlichste Bildungs- und Erziehungsbemühungen stets verstrickt sind (vgl. z.B. Hoffmann et al. 2018). Auch (queer-)feministische und postkoloniale Theorien werden zunehmend zur Kenntnis genommen und deren Sensibilität für die Analyse von Differenzkonstruktionen ebenso wie für die Frage nach dem Subjekt und den Politiken der ›Inklusion‹ fruchtbar gemacht (vgl. z.B. Boger 2019a, 2019b; Hazibar und Mecheril 2013). Für die vorliegende Arbeit fiel die Entscheidung zu Gunsten radikaler Demokratietheorien.2 Diese Entscheidung ließe sich auf sehr unterschiedliche Arten und Weisen mit Legitimation versehen. Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen und in Vorgriff auf die folgenden Darstellungen sollen hier vier mögliche Argumente herausgegriffen werden. 1 2

In Hinblick auf Kapitel 4 wäre den Begriffen ›Inklusion‹ und ›Politik‹ hier noch der Begriff ›Gesellschaft‹ hinzuzufügen. Für einen einführenden Überblick s. z.B. Comtesse et al. 2019a; Flügel-Martinsen 2017; Heil und Hetzel 2006. Die Annahme einer identifizierbaren Gruppe von Theorien der radikalen Demokratie ist vor dem Hintergrund der Heterogenität der hierunter firmierenden Arbeiten durchaus problematisch. Für einen Überblick über unterschiedliche ›Motivgruppen‹ radikaldemokratischer Theorieangebote und deren Abgrenzung von anderen Konzeptionen politischer Theorie vgl. Comtesse et al. 2019b, S. 465-474. In der vorliegenden Arbeit dient der Begriff als Klammer für diejenigen Einsätze, welche die Kontingenz moderner Gesellschaften zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen und dies durch einen Verzicht auf die Entwicklung von »Demokratiemodellen mit normativem oder empirischem Gültigkeitsanspruch« (ebd., S. 464) zu berücksichtigen suchen. Der Fokus liegt des Weiteren maßgeblich auf poststrukturalistischen Zugängen.

77

78

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Zunächst liegt eine solche Fokussierung insofern nahe, als dass sich die Arbeiten, die sich zum Beispiel mit Namen wie Claude Lefort, Ernesto Laclau, Chantal Mouffe, Jacques Derrida, Judith Butler oder Jacques Rancière verbinden, intensiv mit den Bedingungen von Demokratie auseinandersetzen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass in der sonder- und inklusionspädagogischen Diskussion ›Inklusion‹ und ›Demokratie‹ immer wieder zueinander ins Verhältnis gesetzt wurden beziehungsweise werden. Entsprechende Verknüpfungen der Begriffe und Konzepte sind allerdings voraussetzungsvoll und eine breite demokratietheoretische Befragung dieser Voraussetzungen scheint für die Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftliche Inklusionsforschung bislang höchstens angedeutet. Eine Bezugnahme auf radikale Demokratietheorien verspricht die Möglichkeit der Reflexion einer solchen Verhältnissetzung und damit die Möglichkeit, einen Beitrag zur Theoretisierung derselben leisten zu können (1). Mit der Frage nach den Bedingungen von Demokratie geht es radikaldemokratischen Arbeiten nun weniger darum, konkrete Forderungen bezüglich der Etablierung vermeintlich demokratischer Strukturen zu artikulieren und deren Umsetzungen vor einem solchen normativen Hintergrund zu evaluieren. Ihr Fokus liegt vielmehr auf der demokratischen Praxis, welche »unauflösbar an die Idee gebunden [sei], dass wir uns als Freie und Gleiche begegnen« (Comtesse et al. 2019c, S. 11).3 Demokratische Praxis beginne deshalb dort, wo etablierte (Ordnungs-)Vorstellungen mit den Ansprüchen der Freiheit und Gleichheit konfrontiert würden. Demokratie wird hier dann auch als »begriffliches wie praktisches Konfliktfeld« (Comtesse et al. 2019b, S. 457) verstanden, deren Werte »nicht nur von jeder Generation von Demokrat*innen neu gedacht, sondern vor allem praktiziert und verteidigt werden müssen« (ebd., S. 463). Vor diesem Hintergrund erfolgen in den entsprechenden Arbeiten umfassende Analysen von Auseinandersetzungen um soziale Räume und Ordnungen – maßgeblich in Bezug auf deren Bedeutung für die Bedingungen der Teilhabe oder Zugehörigkeit sowie deren Transformation. Sie bieten damit interessante, weil prozedurale Perspektiven auf Phänomene, die in sozialwissenschaftlichen Arbeiten unter den Begriffen Inklusion und Exklusion oder Teilhabe und Ausgrenzung verhandelt werden. Insofern lässt eine radikaldemokratische Perspektivierung über eine demokratietheoretische Diskussion hinaus eine analytische Perspektive

3

Zu den unterschiedlichen Konzeptionen der Begriffe ›Freiheit‹ und ›Gleichheit‹ innerhalb radikaldemokratischer Ansätze s. Comtesse 2019.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

erwarten, die für Fragestellungen der erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung von großem Interesse sein dürften (2).4 Diese Analysen verstehen sich wiederum explizit als Beiträge zu einer »umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft« (Heil und Hetzel 2006, S. 8) und somit als politische Einsätze in die jeweiligen Diskussionen. Hiermit ist aber keinesfalls ein positiver normativer Horizont aufgerufen, den es als radikaldemokratisches Ziel zu verfolgen gelte. Vor dem Hintergrund der Überzeugung, dass »ein wesentlicher Aspekt des Demokratischen darin besteht, Varianz, Unsicherheit und Streit nicht nur auszuhalten, sondern zu affirmieren« (Comtesse et al. 2019b, S. 457), wird Demokratisierung von ihnen als eine ›unendliche Aufgabe‹ (Hetzel und Heil 2006) der Konfrontation (nicht-)demokratischer Ordnungen mit den Prinzipien der Freiheit und Gleichheit verstanden. Als radikal können radikaldemokratische Theorieangebote somit gelten, weil sie die Frage nach der angemessenen Institutionalisierung der Demokratie gerade nicht beantworten. Sie halten den Anspruch der Demokratie als Frage offen und spiegeln ihn an je existierende soziale Verhältnisse zurück. Hier deutet sich also ein Verständnis von Normativität an, das einen anderen Umgang beziehungsweise eine andere Perspektive auf das häufig konstatierte Normativitätsproblem der Inklusionspädagogik ermöglichen könnte, insofern es auf jede Präskriptivität der eigenen Einsätze zu verzichten sucht (3). Als wichtigstes Argument für eine Erschließung der aufgerufenen Theorien für inklusionspädagogische Arbeiten dient jedoch der Ausgangspunkt der angedeuteten analytischen Perspektive sowie der hiermit zusammenhängenden Einsätze. Diese erklären sich insbesondere aufgrund einer Stärkung des Begriffs des Politischen gegenüber dem der Politik (vgl. Marchart 2010; Martinsen 2019b). Während letzterer auf je konkrete Institutionalisierungen und Ordnungen verweist, zielt ersterer maßgeblich auf die Unbegründbarkeit sozialer Ordnungen und die damit zusammenhängende, auf Dauer gestellte Notwendigkeit der Bestimmungsversuche derselben als Voraussetzung für je konkrete Formen der Po4

Ähnlich wie in inklusionspädagogischen Annäherungen an die Systemtheorie werden auch hier zwei unterschiedliche Perspektiven ersichtlich, welche sich mit dem Begriff Inklusion verbinden lassen – als Begriff für soziale beziehungsweise politische Prozesse einerseits, als Name für spezifische (bildungs-)politische Ziele andererseits. Um diese Verwendungsweisen in der Lektüre besser voneinander unterscheiden zu können, wird der Begriff Inklusion ohne spezifische Markierung verwendet, wo von den gesellschaftlichen Prozessen in dem hier aufgerufenen Sinne die Rede ist. Wo er als Name für ein (bildungs-)politisches Projekt verwendet wird, wird er wie im bisherigen Argumentationsverlauf der Arbeit weiter in Anführungszeichen dargestellt.

79

80

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

litik. Vor allem anderen legitimiert sich die hier angedachte Hinwendung zu den Theorien radikaler Demokratie also deshalb, weil sie mit der Differenzierung von Politik und Politischem eine theoretisch fundierte Bestimmung der politischen Dimension von ›Inklusion‹ erwarten lässt (4).5 Im folgenden Kapitel sollen diese Einsätze radikaler Demokratietheorien konkretisiert werden, um das hier angedeutete Potenzial für Fragestellungen der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung weiter auszuloten. Insofern die sich hiermit verbindenden Denkfiguren in den entsprechenden Diskursen bisher allerdings nur am Rand wahrgenommen wurden, dient es zunächst insbesondere der Annäherung an die mit den radikaldemokratischen Denkbewegungen einhergehenden erkenntnistheoretischen beziehungsweise erkenntnispolitischen Einsätze. In den folgenden drei Abschnitten geschieht dies anhand von Überlegungen zum Konzept der politischen Repräsentation (Abschn. 3.1), den Auseinandersetzungen um eine Differenz von Politik und Politischem (Abschn. 3.2) sowie der sich hieraus ergebenden spezifischen Perspektive auf (radikal-)demokratische Praxen (Abschn. 3.3). Dabei stehen jeweils zunächst die Arbeiten eines Autors im Vordergrund. Kleinere Verweise auf inklusionspädagogische Fra-

5

Neben diesen Argumenten, die auf die Theorien und deren Gegenstände selbst zielen, ließe sich eine Hinwendung zu radikalen Demokratietheorien zusätzlich in Bezug auf deren Konjunktur in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft begründen. Radikaldemokratische Einsätze wurden in der erziehungswissenschaftlichen Theoriebildung in den letzten Jahren einer breiteren Rezeption zugänglich gemacht und wiederholt für Verhältnissetzungen des Pädagogischen und des Politischen herangezogen – sei es in Form systematischer Studien, im Rahmen von Herausgeber*innenbänden zu einzelnen Autor*innen oder als einzelne Aufsätze in thematisch einschlägigen Sammelbänden (vgl. Casale et al. 2016; Mayer et al. 2019; Ricken und Balzer 2012; Schäfer 2011a, 2014). Auch in erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen wie der Erwachsenenbildung (Ebner von Eschenbach 2016), der politischen Bildung (Rajal et al. 2020) oder der Kunstvermittlung (Sternfeld 2009) finden sich entsprechende Bezugnahmen. Innerhalb der Inklusionspädagogik und -forschung allerdings haben radikaldemokratische Arbeiten sowie die erziehungswissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit ihnen bisher erstaunlich wenig Aufmerksamkeit erfahren. Eine Fokussierung dieser Theorien lässt also neben einer theoretischen Schärfung der politischen Dimension von ›Inklusion‹, deren Verhältnis zur Demokratie sowie der Analyse hiermit einhergehender Bedingungen der Teilhabe und Ausgrenzung auch die Möglichkeit einer wechselseitigen Bezugnahme bisher eher parallel verlaufender Diskurse innerhalb der Erziehungswissenschaften erwarten.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

gestellungen dienen deren Verdeutlichung.6 Jeder Abschnitt schließt darüber hinaus jedoch mit detaillierteren Überlegungen zu den möglichen Anknüpfungspunkten für die Frage nach den Bedingungen und Grenzen einer (Re-)Politisierung der Inklusionspädagogik beziehungsweise erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung. In einem letzten Abschnitt werden diese zusammengeführt (Abschn. 3.4). Im Überblick hierüber erweist sich ›Inklusion‹ einerseits als ein bildungspolitisches Projekt, das darauf hin zu befragen wäre, wie es sich in Diskussionen um die Begründung von Gesellschaft einbindet, welche Formen und Verständnisse von Zugehörigkeit und politischer Identität sich hiermit verknüpfen lassen und welche Effekte der Teilhabe und des Ausschlusses hiermit einhergehen. Als ein solches Projekt ließe es sich aber auch strikt radikaldemokratisch ausformulieren, indem ihm die demokratischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit und das hiermit verbundene Spannungsverhältnis zu Grunde gelegt werden. Eine solche Perspektive ermöglichte das Eintreten für ›Inklusion‹ und konfrontierte zugleich je gegebene normative Vorstellungen eines solchen Projekts und damit einhergehende soziale Ordnungen unablässig mit der demokratischen Kontingenzannahme. Im Überblick über die radikaldemokratischen Fragestellungen, Gegenstände und Autor*innen eröffnet das vorliegende Kapitel damit ein Sprachspiel, das nicht auf Vergewisserung abzielt, sondern auf die Öffnung der Fragen, die im Rahmen dieser Perspektive zu stellen wären.

3.1

Die symbolische Dimension der Demokratie und der leere Ort der Macht

Eine zentrale Frage radikaldemokratischer Theorien gilt den Konstitutionsprozessen politischer Räume. Allein diese Frage zu stellen, macht bereits einen Dissens zu vielen anderen politischen Theorien geltend. Denn eine solche macht nur dann Sinn, wenn man entgegen der gängigen Vorstellung innerhalb der Politikwissenschaften nicht davon ausgeht, dass das Politische mit dem gesellschaftlichen Teilbereich der Politik zusammenfällt und von der Zivilgesell6

Diese Beispiele verweisen nicht nur auf die Kategorie Behinderung, sondern ebenso auf andere Differenzkategorien und -konstruktionen. Zwar verortet sich die Arbeit im Sinne des zurückliegenden Kapitels weiterhin maßgeblich an der Schnittstelle von sonder- und inklusionspädagogischen Diskussionen. Mit den Pädagogiken der Vielfalt teilt sie aber das Anliegen einer Verknüpfung mit anderen emanzipativen Diskursen und Bewegungen sowie den hiermit verbundenen Pädagogiken.

81

82

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

schaft zu unterscheiden ist. Hier wäre der Raum des Politischen bereits mit der professionellen Sphäre der Entscheidungsfindung bezüglich und Verwaltung von gesellschaftlichen Angelegenheiten identifiziert. Der Ort und die Akteur*innen der Politik ebenso wie die zu verhandelnden Gegenstände wären gesetz(t) und letztlich nicht mehr befragbar. In radikalen Demokratietheorien wird aber gerade nicht davon ausgegangen, dass spezifische gesellschaftliche Institutionen per se der Ort des Politischen sind. Die in der Einleitung angeführte Online-Petition von AbilityWatch.eV kann als ein Beispiel hierfür herangezogen werden. Politische Auseinandersetzungen um die Gleichberechtigung von (nicht-)behinderten Menschen finden demzufolge eben nicht nur und auch nicht privilegiert in den institutionalisierten Bahnen der Behindertenpolitik statt. Vielmehr wird die Zivilgesellschaft zum Austragungsort der Auseinandersetzungen um die Bedingungen der gesellschaftlichen Teilhabe. In der Diskussion dieses Beispiels hat sich aber auch gezeigt, dass man ebenso wenig davon ausgehen kann, dass der Artikulation ganz bestimmter Forderungen innerhalb der Politik oder Zivilgesellschaft bereits per se der Status des Politischen zukommt. Vielmehr muss sich in der Praxis jeweils erweisen, ob diese Forderungen dazu in der Lage sind, einen politischen Raum zu inszenieren, in welchem eine andere Ordnung der gesellschaftlichen Angelegenheiten vorstellbar wird. Radikaldemokratische Theorien machen also geltend, dass »die Gesellschaft eine konstruierte symbolische Ordnung sei« (Breckman 2016, S. 51) und dass sich das Politische gerade im Streit um diese Ordnung zeigt. Da dies eine Herausforderung für etablierte Vorstellungen des Verhältnisses von Bürger*innen und deren Repräsentant*innen darstellt, soll diese »Idee des Symbolischen« (ebd.) und deren Auswirkungen für die politische Theorie im Folgenden an dem Konzept der politischen Repräsentation verdeutlicht werden. Politische Repräsentation stellt einen der wichtigsten Gegenstände der Politikwissenschaften sowie der politischen Theorie dar. Dies verwundert wenig, wird die Legitimation von Politik innerhalb der repräsentativen Demokratie doch maßgeblich an das Repräsentationsverhältnis zwischen Repräsentierenden und Repräsentierten geknüpft. Gleichzeitig droht diese Bedeutung des Repräsentationsprinzips andere Dimensionen politischer Repräsentation an den Rand der Aufmerksamkeit zu drängen. Im Folgenden wird deshalb zunächst eine Gegenüberstellung zweier Begriffe von politischer Repräsentation aufgerufen: als stellvertretendes Handeln einerseits und als Darstellung allgemeiner Prinzipien andererseits (Abschn. 3.1.1). Vor dem Hintergrund einer symbolischen Perspektive auf Politik wird deutlich, dass ein stellvertreten-

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

des Handeln politischer Akteur*innen stets an die Repräsentation allgemeiner Prinzipien gebunden ist und beide Formen politischer Repräsentation damit als stets miteinander verschränkt gedacht werden müssen. Des Weiteren zeigt sich, dass beiden Formen der Repräsentation kein einfaches Entsprechungsverhältnis zu Grunde liegt, sondern diese als vieldeutige und unsichere Konstruktionsprozesse politischer und gesellschaftlicher Identität verstanden werden müssen. Gerade die hiermit zusammenhängende Möglichkeit des Streits um die Frage darum, wer mit welchem Recht für wen und in Bezug auf was sprechen kann, erscheint damit als Grundlage jeder politischen Praxis. Der Bedeutung solcher Repräsentationsprozesse und -ansprüche für die Konstitution von Gesellschaft widmet sich mit Claude Lefort einer der wichtigsten Wegbereiter radikaler Demokratietheorien. Eine Darstellung seiner Arbeiten zum symbolischen Dispositiv der Demokratie schließt an die allgemeineren Überlegungen zur politischen Repräsentation an (Abschn. 3.1.2). Vor dem Hintergrund seiner Arbeiten kann geltend gemacht werden, dass die sich mit den Erfordernissen der Repräsentation verbindenden Unsicherheiten jeder Gesellschaftsform zu Grunde liegen. Doch erst die demokratische Revolution habe die notwendige Kontingenz gesellschaftlicher Gründungen zu Tage treten lassen und durch die Entleerung des Ortes der Macht selbst inszeniert. Diese Anerkennung der Grundlosigkeit gesellschaftlicher Ordnungen und die hiermit einhergehende Ermöglichung der Veränderung von Machtverhältnissen durch das demokratische Dispositiv habe so den Raum des Politischen zuallererst eröffnet. Seitdem ist ein Streit um die Institution des Gesellschaftlichen auf Dauer gestellt und kein demokratischer Gründungsversuch könne sich diesem Streit entziehen. Erste Überlegungen zur Bedeutung dieser Denkfiguren für die Auseinandersetzung mit je konkreten Institutionalisierungen von ›Inklusion‹ und hiermit verbundener Möglichkeiten der Zugehörigkeit schließen diesen Abschnitt (Abschn. 3.1.3). Die zuvor skizzierten Perspektiven auf Repräsentationsprozesse und -probleme lassen zunächst solche Begründungsversuche der Inklusionspädagogik fragwürdig werden, welche auf einen außerhalb der Gesellschaft liegenden Grund verweisen. Demgegenüber mündet eine radikaldemokratische Perspektivierung hier in einer analytischen Perspektive auf die umstrittenen Repräsentationsansprüche, welche im Feld der Inklusionspädagogik wie -forschung artikuliert werden und so zur Konstruktion politischer Identitäten und gesellschaftlicher Ordnungen beitragen. Vor diesem Hintergrund wird zuletzt nach dem Potential einer solchen Perspektive für eine (Re-)Poli-

83

84

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

tisierung der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung gefragt.

3.1.1

Zwei Begriffe politischer Repräsentation?

Der Begriff ›Repräsentation‹ wird innerhalb der Politikwissenschaften in vielfältigen Arten und Weisen aufgerufen und erscheint damit »ebenso bedeutsam wie deutungsoffen« (Lembcke 2016, S. 23). In ersten Annäherungen werden jedoch häufig zwei Verwendungsweisen des Begriffs voneinander unterschieden (vgl. Cheneval 2015, S. 139): das stellvertretende Handeln politischer Akteur*innen und die Notwendigkeit der symbolischen Darstellung politischer Ordnungen oder Kollektive. Repräsentative Demokratien binden die Autorisierung politischen Handelns und politischer Entscheidungen an das Repräsentationsprinzip sowie hiermit verbundener Vorstellung und Verfahren der Realisierung des Willens des Souveräns durch dessen Stellvertretung. Als ein stellvertretendes Handeln politischer Akteur*innen scheint Repräsentation der Demokratietheorie aber immer schon als Problem aufgegeben. So wirft es eine Vielzahl von Fragen auf, welche direkt an dessen Legitimität geknüpft zu sein scheinen (vgl. ebd., S. 144-156): Wer darf im politischen Raum für wen sprechen? Ist hierfür ein geteilter Erfahrungshorizont von Repräsentierenden und Repräsentierten erforderlich oder bilden sich unterschiedliche Interessen bereits angemessen in Wahlergebnissen ab? Ist für die Legitimation der Repräsentation überhaupt eine Wahl das richtige Verfahren oder wäre nicht das Los vorzuziehen? Wo eine Wahl stattfindet, wem wäre dann hierzu der Zugang zu gewähren, wer wäre also als Teil der politischen Gemeinschaft zu adressieren? Solche Fragen nach einer angemessenen politischen Vertretung von unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen stellen eine grundsätzliche Herausforderung für die Organisation und Legitimation repräsentativer Demokratien dar.7 In Hinblick auf Menschen, die als Mitglieder einer marginalisierten Gruppe gelten, scheinen sie sich noch zuzuspitzen, insofern hier die Durchsetzung des Anspruchs auf Repräsentation selbst im Zentrum der Argumentation stehen 7

Zu einer feministischen Perspektive auf diese Fragen vgl. Martinez Mateo 2019. Sie bezieht sich in ihren Überlegungen unter anderem auf das ›Brandenburger Paritätsgesetz‹, nach welchem Parteien in Brandenburg ab dem Jahr 2020 ihre Listen paritätisch nach Geschlechtsidentität besetzen müssen. Damit sei letztlich die Frage aufgeworfen, »welche Rolle die Identitätskategorie ›Frau‹ für die politische Repräsentation eines Gemeinwesens spielt oder spielen sollte« (Martinez Mateo 2019, S. 331).

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

kann8 und eine Stellvertretung durch Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft gegen die Ansprüche der Selbstvertretung als Ursache der Marginalisierung problematisierbar wird.9 Dies wirft wiederum Fragen nach der Bedeutung von Repräsentationsansprüchen im Spannungsverhältnis von ›Gemeinwohl‹ und ›Partikularinteressen‹ auf. Ist das Sprechen von Repräsentant*innen an den Willen derer zu binden, für die in Anspruch genommen wird, zu sprechen oder sind sie auf das ›Gemeinwohl‹ zu verpflichten? Wie wäre die Vermittlung von beidem möglich? Hat eine solche in der Auseinandersetzung zwischen den Repräsentierenden zu geschehen oder bereits in Person der Repräsentierenden? Wie also ist der Willensbildungsprozess zu gestalten? Wie kann dann gewährleistet werden, dass Repräsentierende nicht gegen den Willen oder die Interessen der Repräsentierten – seien es ›Partikularinteressen‹

8

9

Seit Jahren wird immer wieder die Frage des Ausschlusses von Menschen mit Lernschwierigkeiten von Wahlen diskutiert. Bis vor kurzem wurde ein solcher Ausschluss durch §13 Nr.2 des Bundeswahlgesetzes im Falle einer gerichtlich angeordneten ›Betreuung in allen Angelegenheiten‹ als legitim erachtet, da unter diesen Umständen die »Höchstpersönlichkeit der Wahl, demgemäß das Wahlrecht unveräußerlich und nicht übertragbar sei« (Jentsch 2014, S. 94-95), nicht gewährleistet werden könne. Am 21.02.2019 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein solcher pauschaler Ausschluss nicht Verfassungskonform ist und gegen das Gleichheitsprinzip verstößt. In Einzelfallentscheidungen sei ein Wahlausschluss aber dennoch möglich, »wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße« (Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Zweiten Senats vom 29.01.2019) bestehe. Auch gegen eine solche Einzelfallregelung kann sich jedoch Kritik wenden, da hierfür »auf der Grundlage sozialer Vorurteile [nach wie vor] eine willkürliche Grenzlinie zwischen der wahlberechtigten Bürgerschaft [gezogen werde], deren Mitglieder mutmaßlich gleichsam aus dem Nichts mündig beziehungsweise der autonomen Entscheidung fähig sind und daher weder einer Stellvertretung noch der Unterstützung bedürfen, und einem Rest der Bevölkerung, für den das nicht gilt« (Jentsch 2014, S. 95). Unterstützung erhält eine solche Kritik zum Beispiel von Seiten des Europäischen Gerichtshofes, der in einer Entscheidung im Jahr 2005 »das uneingeschränkte subjektive Recht auf politische Teilhabe« als Grundprinzip demokratischer Validität aufgerufen hat (vgl. ebd., S. 98). Solche Argumentationen zeigen sich vielzählig in der Geschichte der Behindertenbewegung – von der Frage nach dem Stellenwert der Beteiligung ›Nichtbehinderter‹ an den Krüppeltribunalen in den 1980er Jahren (vgl. Mürner und Sierck 2013, S. 100) bis hin zu den kürzlich ausgetragenen Auseinandersetzungen um die Bewertung des Bundesteilhabegesetzes oder des Intensivpflegegesetzes unter dem Schlagwort »#nichtmeingesetz« (vgl. hierzu z.B. die Dokumentationen auf www.abilitywatch.de).

85

86

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

oder das ›Gemeinwohl‹ – handeln? Kann oder muss zum Beispiel eine Rechenschaftspflicht bestehen, wem gegenüber müsste diese gelten und wie könnte diese gewährleistet werden? Solche Fragen stellen sich selbstverständlich nur dann, wenn entsprechende Formen der Repräsentation grundsätzlich als Modus von (demokratischer) Politik anerkannt werden. Dass eine solche Zustimmung nicht zwingend und auch nicht immer gegeben ist, deutet sich in Diskussionen um die ›Krise der politischen Repräsentation‹ an. Mit Markus Linden und Winfried Thaa (2011) lassen sich innerhalb entsprechender Krisendiagnosen einige grundlegende Argumentationsmuster unterscheiden. So werde zum Beispiel problematisiert, dass das Repräsentationsprinzip aufgrund einer zu starken oder grundsätzlichen Orientierung politischer Akteur*innen auf ›Partikularinteressen‹ zunehmend weniger in der Lage sei, zur Findung des ›Gemeinwohls‹ beizutragen (vgl. Linden und Thaa 2011, S. 13f.). Andere Einsätze kritisieren weniger diese Partikularität, als dass sie das Repräsentationsprinzip durch ein (Macht-)Ungleichgewicht bei der Vermittlung und Durchsetzung unterschiedlicher Interessen in Frage gestellt sehen – sei es aufgrund des ökonomischen Kapitals oder des Organisationsgrades entsprechend überrepräsentierter Akteur*innen (vgl. ebd., S. 14). Ein anderes Unbehagen gegenüber politischer Repräsentation äußert sich im Zusammenhang mit Vorstellungen republikanischer Bürgerlichkeit. Aus einer solchen Perspektive erscheint die Reduktion des politischen Handelns von Bürger*innen auf die Wahl ihrer Vertreter*innen als Ausgangspunkt einer Entfremdung derselben vom Gemeinwesen (vgl. ebd., S. 17). Zu viel Stellvertretung laufe deshalb stets Gefahr, zu einer Privatisierung und Entpolitisierung der Gesellschaft beizutragen. Ein weiterer Einwand gegen eine Überbetonung von politischer Repräsentation verknüpft sich mit dem Anspruch rationaler Politik (vgl. ebd., S. 19f.). Aus einer solchen Perspektive führe eine zu starke Orientierung am Wähler*innenwillen zu einer ›Steuerungskrise‹ der Demokratie, weil sachlich notwendige Reformen aufgrund fehlender Popularität nicht durchgeführt würden. Wiederum im Kontrast hierzu finden sich Kritiken, die in Hinblick auf sich verändernde Selbstverständnisse von Bürger*innen und deren Beteiligungsansprüche gerade ein Mehr an politischer Repräsentation fordern (vgl. ebd., S. 22f.). Neue Formen politischer Repräsentation erscheinen hier als möglicher Ansatz gegen eine konstatierte Legitimitätskrise westlicher Demokratien. In diesem Überblick zeigt sich, dass sowohl das Verhältnis zur politischen Repräsentation als auch zu Demokratie in diesem Krisendiskurs sehr heterogen ist. Die Forderungen, die sich den unterschiedlichen Positionierungen

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

anschließen, reichen entsprechend von einer Ausweitung politischer Repräsentation bis zu einer Einschränkung derselben, von einem Eintreten für die Demokratie bis hin zu einer Distanznahme von ihr. Und beide Linien – pro und contra politische Repräsentation und Demokratie – kreuzen sich mitunter. Was diese Einsätze zu einen scheint, ist erstens die Annahme, dass die politische Repräsentation ein Entsprechungsverhältnis zwischen Repräsentierten und Repräsentierenden darstelle oder zumindest anstrebe. Der »semantische Kern der Repräsentation« besteht also darin, so kann mit Oliver Lembcke im Anschluss an Hanna F. Pitkin konstatiert werden, »etwas Abwesendes (wieder) anwesend zu machen« (Lembcke 2016, S. 24). Das Interesse der Repräsentierten scheint damit immer schon gegeben und die Möglichkeit deren Transparenz wird ebenso grundsätzlich vorausgesetzt wie die Akteur*innen, die diese Interessen zu repräsentieren in der Lage sein sollen. Gegen naturalisierende Vorstellungen beider Seiten dieses Verhältnisses spricht nun aber, dass Repräsentierte im Akt der Repräsentation gerade nicht ›selbst‹ anwesend sind, sondern re-präsentiert werden. Das Repräsentationsverhältnis muss also verstanden werden als prekärer Konstruktionsprozess, der gekennzeichnet ist durch eine Gleichzeitigkeit von Anwesenheit und Abwesenheit, die mit der politischen Repräsentation verknüpfte Identitätsvorstellungen – auf Seiten der Repräsentierten, der Repräsentierenden und zwischen ihnen – immer schon unterläuft. Dies dürfte ein Grund für das dauerhafte Unbehagen mit politischer Repräsentation sein (vgl. ebd.). So verschiebt sich der Fokus der Aufmerksamkeit von politischer Repräsentation als Entsprechungsverhältnis hin zu der Geltendmachung unterschiedlichster Repräsentationsansprüche und deren Wirksamkeit in politischen Auseinandersetzungen (vgl. z.B. Saward 2006). Zweitens eint die angeführten Diskussionen um das stellvertretende politische Handeln, dass sie eine Differenz von Partikularem und Allgemeinem voraussetzen, die es in Hinblick auf ein Allgemeines wahlweise zu überbrücken, zu vermitteln oder zu übergehen gilt. Jedes stellvertretende Handeln – oder jeder Anspruch eines solchen – scheint also eingebettet in, gebunden an oder verwiesen auf Auseinandersetzungen um etwas diesem Verhältnis Äußerlichem und geht gerade nicht in einem dyadischen Verhältnis der Akteur*innen auf. Beide Aspekte zeigen somit an, dass sich politische Repräsentation nicht auf den reinen Akt der durch eine Wahl legitimierte Vertretung reduzieren lässt. Gegen ein solches funktionelles Verständnis scheint diese immer schon durch ihren relationalen Charakter irritiert und von vielfältigen

87

88

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Fragen der Identität und Differenz durchzogen (vgl. hierzu auch Laclau 1999; 2013a, S. 125-149). Mit Michael Saward kann deshalb gefordert werden: »We need to move away from the idea that representation is first and foremost a given, factual product of elections, rather than a precarious and curious sort of claim about a dynamic relationship.« (Saward 2006, S. 298) Dass diese Beziehung letztlich eine symbolische ist und dass sie hierdurch eine Relevanz nicht nur für das stellvertretende Handeln durch Politiker*innen besitzt, sondern weit darüber hinaus, kann im Anschluss an das zweite Verständnis von politischer Repräsentation weiter untermauert werden. Wie bereits angedeutet, wird mit ihm der Prozess der Darstellung oder Verkörperung der politischen Ordnung oder Gemeinschaft adressiert. Im Fokus steht also die Beobachtung, dass die allgemeinen Prinzipien einer Gesellschaft ebenso wie diese selbst nie direkt erfahrbar sind. Vielmehr müssen diese stets durch Symbole repräsentiert werden. So wird konstatiert, dass »das Volk als politische Gemeinschaft ohne bestimmte Form der Repräsentation streng genommen keine Realität« (Cheneval 2015, S. 138) habe. Vielmehr müsse »[d]as Gegenwärtigmachen des Volkes als Volk […] durch einen anerkannten konstitutiven Text, durch anerkannte Symbole oder durch anerkannte Personifizierungen geschehen« (ebd., S. 139). Erst Materialisierungen wie Urkunden, Flaggen, Parlamente, Gerichte, Denkmäler oder – weniger formell – Pamphlete, besondere Erkennungszeichen oder die Aneignungen von bestimmten Orten und deren Anerkennung durch die Mitglieder einer Gemeinschaft machen in einer solchen Perspektive aus einer reinen Ansammlung von Personen also spezifische politische Kollektive. Diese Symbole werden als soziokulturell eingebettet und insofern als einem historischen Wandel unterworfen vorgestellt. Es dürfte hier bereits deutlich werden, dass die Unterscheidung der beiden Begriffsverwendungen von politischer Repräsentation aus dieser zweiten Perspektive fragwürdig wird. Denn auch jedes stellvertretende Handeln für eine Person beziehungsweise eine Personengruppe birgt hiervor eine symbolische Dimension, insofern diese Stellvertretung die vertretene Person beziehungsweise deren Interessen als relevant für das Kollektiv präsent macht. So kann mit Paula Diehl festgestellt werden, dass »jede politische Handlung, jede Geste und jedes Wort von politischen Akteuren eine symbolische Dimension [hat] – ob diese intendiert ist oder nicht« (Diehl 2016, S. 19). Für den Gegenstandsbereich dieser Arbeit lässt sich dieser Sachverhalt zum Beispiel am Amt der beziehungsweise des Beauftragten der Bundesregierung für die

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

Belange von Menschen mit Behinderungen verdeutlichen.10 Diese Person repräsentiert durch die Ausführung (oder: Aufführung) dieses Amtes nicht nur die Interessen einer spezifischen Gruppe von Personen, sondern ebenso eine gesellschaftliche Institution. So repräsentiert sie den Anspruch derjenigen Bürger*innen, »die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungsund umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können« (BGG, §3), an all jenen Gesetzesverfahren beteiligt zu werden, welche die dieser Gruppe zugehörigen Personen betreffen. Gleichzeitig vertritt sie auch die Bundesregierung und symbolisiert deren Verpflichtung, für diese Personen einzutreten. Sie oder er inszeniert und aktualisiert diese Ansprüche und Forderungen der gesellschaftlichen wie politischen Zugehörigkeit nicht nur innerhalb von Gesetzesverfahren oder anderen parlamentarisch institutionalisierten Verfahrensformen, sondern ebenso bei vielfältigen Auftritten in der Öffentlichkeit. Ein solches Verständnis politischer Repräsentation verweist jedoch nicht nur auf einen Prozess der Darstellung der politischen Ordnung. Vielmehr wird damit auch geltend gemacht, dass politische Repräsentation gleichsam Repräsentationsansprüche, bestimmte Vorstellungen des Repräsentierten und des Repräsentierenden und nicht zuletzt von Vorstellungen der Politik überhaupt produziert beziehungsweise aktualisiert (vgl. Diehl 2016, S. 9). Politische Repräsentation hat also immer auch eine performative Dimension. So konstituiert die Einrichtung des Amtes zur Vertretung von Menschen mit Behinderungen gleichsam eine Gruppe, die einer solchen spezifischen Vertretung bedarf. Die Ernennung einer Person mit Beeinträchtigung für dieses Amt produziert und reproduziert allgemeine Vorstellungen über die dieser Gruppe zugehörigen Menschen ebenso wie bezüglich deren Recht und Fähigkeit, für sich selbst zu sprechen. Nicht zuletzt aktualisiert eine solche Institution Vorstellungen davon, wie Politik gestaltet sein kann oder 10

Das Amt der beziehungsweise des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen wurde mit dem Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2002 eingerichtet. Die beauftragte Person hat darauf hinzuwirken, »dass die Verantwortung des Bundes, für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen, in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erfüllt wird. Sie setzt sich bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe dafür ein, dass unterschiedliche Lebensbedingungen von Frauen mit Behinderungen und Männern mit Behinderungen berücksichtigt und geschlechtsspezifische Benachteiligungen beseitigt werden« (BGG, §18, Abs.3).

89

90

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

soll. So aktualisiert die Einrichtung und Ausführung des Amtes der oder des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung die Idee der ›deskriptiven Repräsentation‹, also die Ansicht, dass es Formen der Selbstrepräsentation bestimmter Gruppen durch Menschen mit gleichen sozialen Erfahrungen geben müsse, um die Auswirkungen sozialer Ungleichheit im Bereich der Politik auszugleichen.11 Solche Vorstellungen von Politik sind dabei eng an abstrakte Ideen und Leitvorstellungen geknüpft. Während weiter oben bereits das Spannungsverhältnis von ›Partikularinteresse‹ und ›Gemeinwohl‹ aufgerufen wurde, scheint dieses hier in dem Verhältnis von ›Gleichheit‹ und ›Differenz‹ reartikuliert, während es erstere durch die Berücksichtigung letzterer zu verwirklichen gelte. Prozesse der Symbolisierung und deren Performanz sind also an allgemein geteilte – aber durchaus umstrittene – Vorstellungen über die Gesellschaft gebunden, die mit Diehl im Anschluss an Cornelius Castoriadis auf die imaginäre Dimension des Politischen verweisen (vgl. ebd., S. 16f.). Das politische Imaginäre versteht sie als ›soziale Instanz‹, welche »die Generierung von Vorstellungen des Politischen« (ebd., S. 16) ermögliche und somit einen ›Resonanzboden‹ schaffe, auf dessen Grund politische Ordnungen überhaupt erst Akzeptanz finden können. Denn eine solche Akzeptanz basiere »niemals nur auf Gewalt oder auf dem pragmatischen Kalkül der Bürger und Bürgerinnen, sondern setzt auf kollektiv geteilte Vorstellungen und Gefühle, die durch Symbole, Rituale und Bilder aktiviert« (ebd., S. 18) würden. Das politische Imaginäre und die symbolische Dimension des Politischen sind Diehl zu Folge also aufs engste miteinander verknüpft, insofern das Imaginäre eine »normative Orientierung« (ebd., S. 19) für die Formen der Repräsentation bereitstellt, diese in der Symbolisierung aber auch auf das Imaginäre zurück-

11

Für eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Konzept deskriptiver Repräsentation aus postkolonialer Sicht am Beispiel von ›Ausländer- und Integrations(bei)räten‹ s. Bausch 2014. Eine Kritik der Essentialisierungsgefahr von Ansätzen der deskriptiven Repräsentation aus feministischer Perspektive findet sich bei Martinez Mateo 2019. Sie problematisiert, dass die »Annahmen über die geteilten Merkmale der Gruppe sowie die Frage, welche Gruppen tatsächlich einer besonderen deskriptiven Repräsentation bedürfen, […] innerhalb dieses Konzepts nicht zur Diskussion gestellt werden« (Martinez Mateo 2019, S. 334) könnten. Eine Auseinandersetzung mit der performativen Wirkung gleichstellungsbasierter (Behinderten-)Politiken findet sich zum Beispiel bei Rösner 2014, S. 255-257.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

wirken und insofern stets das Potential der Veränderung gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen in sich tragen.12 Politische Repräsentation geht aus einer symbolischen Perspektive also über die reine Vertretung von Interessen hinaus. Die institutionalisierten Formen repräsentativer Demokratie – Wahlen, Gewaltenteilung, Parteien etc. – sind konstitutiv auf symbolische Repräsentation angewiesen und tragen hierzu bei. Sie wirken dabei auf Vorstellungen und Ideen von Politik ein. Sie sind im politischen Imaginären verankert und können dieses verändern. Daraus folgt auch, dass die symbolische Ordnung der Demokratie nicht zwangsläufig und auch nicht ausschließlich an diese parlamentarischen Praxen und Formen der Repräsentation gebunden sein muss. »Es gibt nicht nur eine Form, die Demokratie symbolisch zu repräsentieren, sondern unterschiedliche Arten und Weisen.« (Ebd.)13 Wie Repräsentation institutionalisiert wird, muss also als Ergebnis historisch kontingenter und prekärer Prozesse verstanden werden. Politische Repräsentation auf den Akt der (Stell-)Vertretung einer Person durch eine*n politische*n Akteur*in (zum Beispiel einzelne Bürger*innen durch Abgeordnete) oder eines Kollektivsubjekts durch eine Vertretungskörperschaft (zum Beispiel die Arbeiter*innen durch die Arbeiterpartei oder das Volk durch das Parlament) zu reduzieren und damit an Prozesse wie Wahlen oder parlamentarische Verfahren zu binden, stellt aus dieser Perspektive einen zu engen Blick auf politische Prozesse dar (vgl. Saward 2006, S. 310). Bereits die zurückliegenden Beispiele aus dem Bereich der Behindertenpolitik haben darauf hingedeutet, dass sich die Frage der Repräsentation und somit auch der Politik auch über die Grenzen klassischer parlamentarischer Arbeit hinaus auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausweiten lässt. Zur weiteren Illustration eines solchen Verständnisses politischer Repräsentation ließe sich der in Bezug auf die Entstehung der Behindertenbewegung viel diskutierte ›Krüppelschlag‹ im Jahr 1981 heranziehen. Franz Christophs öffentlich vollzogener Schlag mit der Krücke gegen das Schienbein des damaligen Bundespräsidenten wird heute als Symbol für den Widerstand ›Behinderter‹ gegen die Bevormundungen 12 13

Ein Überblick über unterschiedliche Verwendungsweisen des Konzepts des Imaginären innerhalb radikaler Demokratietheorien findet sich bei Trautmann 2019. Hieraus folgt selbstverständlich nicht, dass die Formen der Repräsentation von Demokratie willkürlich wären. So schreibt Diehl weiter: »Diese Möglichkeiten sind zwar vielfältig, jedoch weder unendlich noch aleatorisch, denn das politische Imaginäre gibt mit den erzeugten Vorstellungen auch eine normative Orientierung.« (Diehl 2016, S. 19).

91

92

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

durch ›Nicht-Behinderte‹ interpretiert (vgl. Mürner und Sierck 2013, S. 96). Vor dem Hintergrund der skizzierten Perspektive auf die Herausforderungen politischer Repräsentation lässt sich nun einerseits die Schwierigkeit aufrufen, eine eindeutige Aussage darüber zu treffen, für wen und gegen wen Christoph hier sprichwörtlich eintrat. Wessen Repräsentation nahm der Aktivist also in Anspruch und wie legitimierte er diesen Anspruch? Wer fühlte sich hier repräsentiert, wer hingegen nicht? Welche Vorstellungen und Bilder von Behinderungen produzierte und/oder reproduzierte die Aktion? Welche Missstände ließen sich im Anschluss an diese öffentliche Inszenierung des Widerspruchs zum Gegenstand des politischen Konflikts machen, welche hingegen nicht? Die mit diesen Fragen einhergehende (Deutungs-)Offenheit der Aktion wäre dabei andererseits zugleich als Voraussetzung dafür zu thematisieren, dass sich im Anschluss an die Aktion überhaupt unterschiedlichste (Selbst-)Verständnisse in ihr wiederfinden konnten. Nur das Problem, dass die Antwort auf die Frage, wer hier mit welchem Recht für wen spricht, stets prekär bleibt, stellt also die Grundlage dafür dar, dass die Aktion überhaupt als politische Handlung verstehbar – also politisierbar – wurde.14 Doch nicht nur solche ›aktivistischen‹ Handlungen können vor dem Hintergrund einer solchen Perspektive zum Gegenstand der Analyse werden. Insofern selbst alltägliche kulturelle Praxen wie zum Beispiel die Ausstrahlung der Paralympics als spezifische Sportveranstaltung für Menschen mit Beeinträchtigungen, das Insistieren auf die Bereitstellung eines Gebärdendolmetschers bei öffentlichen Veranstaltungen oder die Delegation von Verantwortung für einzelne Schüler*innen von Regelschullehrkräften an Sonderpädagog*innen zum Ausgangspunkt für Auseinandersetzungen um die Konstitution sozialer Ordnungen gemacht werden können, wären auch diese in Bezug auf ihre symbolische und politische Dimension hin analysierbar. Das heißt nun keinesfalls, dass alles Soziale politisch ist. Aber das Politische kann eben nicht mehr länger auf die klassische Sphäre der Politik begrenzt werden. Politische Repräsentation wird so nicht nur als ein möglicher gesellschaftlicher Konstruktionsprozess unter anderen verstehbar. Vielmehr erweist sie sich als Möglichkeit, »politischen Handlungsspielraum zu gewinnen« (Martinez Mateo 2019, S. 349). Sie erscheint als eine symbolische

14

Eine solche Lesart wäre selbstverständlich in einer empirischen Auseinandersetzung mit der Rezeptionsgeschichte des ›Krüppelschlags‹ weiter zu vertiefen. Ausführlicher und differenzierter dargelegt ist eine solche Perspektive auf Repräsentationspraxen in Bezug auf eine politische Kategorie Frau bei Martinez Mateo 2019.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

Praxis der Konstituierung und Infragestellung von sozialer Ordnung und politischer Identität. Das Interesse gilt vor diesem Hintergrund weniger Fragen nach angemessenen Formen der Repräsentation als vielmehr den jeweiligen Praxen und Ansprüchen der Repräsentation selbst (vgl. Saward 2006, S. 298).

3.1.2

Die Repräsentation gesellschaftlicher Legitimität und der leere Ort der Macht

Gesellschaft kann vor dem Hintergrund dieser Erläuterungen als symbolischer Raum vorgestellt werden, in welchen sich unterschiedliche Repräsentationsansprüche und Ordnungsvorstellungen einschreiben, verschränken und miteinander um Geltung ringen. Politik wäre demnach maßgeblich in ihrer symbolischen Dimension zu analysieren. Diese symbolische Dimension und deren Bedeutung für die Konstitution von Gesellschaft findet in radikaldemokratischen Arbeiten besondere Aufmerksamkeit. So auch bei Claude Lefort, der in seinen Arbeiten nach dem symbolischen Dispositiv der Demokratie fragt und mit seiner Formel des ›leeren Orts der Macht‹ einen wichtigen Ausgangspunkt für radikaldemokratisches Denken geschaffen hat.15 Leforts Interesse gilt unter anderem den Konstituierungsprozessen der Gesellschaft – genauer: von unterschiedlichen Gesellschaftsformen beziehungsweise gesellschaftlichen Dispositiven. Dieses Interesse erklärt sich vor allem in Hinblick auf die Krise linken Denkens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit dem sowjetischen Totalitarismus hatte sich der real existierende Sozialismus als Alternative zur Demokratie disqualifiziert, und mit ihm spezifische Lesarten der marxistische Gesellschaftstheorie. Lefort kritisiert deshalb die ökonomistische Fokussierung des orthodoxen Marxismus auf die Produktionsverhältnisse, die dazu führe, dass das politische Potential der Demokratie von der Linken nicht erkannt werde (vgl. Lefort 1990a, S. 281; 1990b, S. 243). Zugleich arbeitet er sich aber auch an liberalen Demokratietheorien ab, welche die sozialen Auswirkungen einer an Rationalität ausgerichteten Politik nicht wahrnehmen könnten (vgl. Lefort und Gauchet 1990, S. 89). Vor diesem Hintergrund sucht Lefort nach anderen Möglichkeiten, sowohl die demokratische wie auch die sozialistische Gesellschaftsform in ihrer Konstitution zu erfassen. Er findet diese Möglichkeit in der Analyse der »Art ihrer 15

Für einen Einblick in Leforts Denken eignen sich insbesondere die von ihm verfassten Artikel in Rödel 1990. Für eine Hinführung zu seinen Arbeiten s. z.B. Abbas 2015; Oppelt 2019; Wagner 2013.

93

94

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Quasi-Repräsentation gegenüber sich selbst« (Abbas 2015, S. 136; Herv. i. Original). Die Konstitution von Gesellschaft wird so eng verknüpft mit der Frage der politischen Repräsentation. Entgegen dem Sozialismus und dem Liberalismus geht Lefort nicht davon aus, dass Vergesellschaftungsprozesse auf einen einheitlichen und positiv zu bestimmenden Ursprung zurückgeführt werden könnten – sei es das Ökonomische oder das Rationale. Vielmehr sei das Gesellschaftliche als die »fortgesetzte Stiftung und Institution seiner selbst« (Lefort und Gauchet 1990, S. 96; Herv. i. Original) zu verstehen und bleibe – ohne auf ein einheitliches Prinzip zurückgreifen zu können – stets umstritten und kontingent. Am Grund der Gesellschaft läge also schlicht die Tatsache, dass irgendeine Ordnung gestiftet werden müsse, nicht jedoch überhistorische oder außerweltliche Gesetze. Jede Gesellschaftsordnung sei deshalb auf eine ursprüngliche oder innere Teilung angewiesen, welche den kollektiven Raum der Gesellschaft hervorbringe und zugleich entgründe, auch wenn diese Teilung selbst nicht im Gesellschaftlichen präsent gemacht werden könne, sondern als deren Negativität zu verstehen sei (vgl. hierzu z.B. Gaus 2004, S. 72).16 Dieser Prozess der Selbstgründung der Gesellschaft, den Lefort als Formgebung (mise en forme) bezeichnet, vollziehe sich zugleich als Sinngebung (mise en sens) und als Inszenierung (mise en scène)(vgl. Lefort 1990a, S. 284). Er geht also davon aus, dass sich der gesellschaftliche Raum als »Raum des Intelligiblen entfaltet, insofern er sich gemäß einer je spezifischen Form der Unterscheidung zwischen dem Realen und Imaginären, dem Wahren und Falschen, dem Gerechten und Ungerechten, dem Erlaubten und Verbotenen, dem Normalen und Pathologischen aufgliedert« (ebd.). Die Prinzipien dieser Entfaltung müssten aber – sonst handelte es sich nicht um eine Selbstgründung – in diesem Raum selbst enthalten sein. Da eine Ordnung mit ihren Prinzipien jedoch nicht identisch sein könne, sei jede Gesellschaft auf eine weitere Teilung angewiesen – er nennt dies die äußere Tei16

Solche Überlegungen zu einer konstitutiven Differenz finden sich in fast allen radikaldemokratischen Einätzen als Ausgangspunkt für die Kontingenzannahme sozialer Ordnungen. Ausführlicher wird ein solches Verständnis von Negativität in dem Abschnitt zu Jacques Derrida dargestellt (vgl. Abschn. 3.2). Lefort bezieht sich in seinen Überlegungen jedoch nicht auf Derridas Konzept der Dekonstruktion, sondern auf die Phänomenologie von Maurice Merleau-Ponty (vgl. Gaus 2004, S. 66). Der Stellenwert von Negativität für gesellschaftsanalytische Überlegungen wird ein zentraler Gegenstand von Kapitel 4 sein.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

lung –, die einen Raum schaffe, innerhalb dessen sie sich auf sich selbst und ihre Prinzipien beziehen könne. Dieser Ort müsse innerhalb der Ordnung inszeniert beziehungsweise repräsentiert werden. Erst durch diese symbolische Teilung der Sphäre der Gesellschaft und der Sphäre der Macht erhielten Gesellschaftsformen ihre Identität (Lefort und Gauchet 1990, S. 96; vgl. hierzu auch Geenens 2013). Gesellschaft instituiere sich also, so fasst Nabila Abbas die Perspektive Leforts zusammen, »anhand der symbolischen Repräsentation der gesellschaftlichen Identität durch die Inszenierung von Macht« (Abbas 2015, S. 137) – sei es eine göttliche, eine monarchische oder eine parlamentarische. Unterschiedliche Gesellschaftsformen lassen sich vor diesem Hintergrund also maßgeblich in Bezug auf die Arten und Weisen voneinander unterscheiden, in denen in ihnen die Macht repräsentiert wird (vgl. Oppelt 2019, S. 350). Insofern ist es folgerichtig, dass Leforts gesellschaftsanalytisches Interesse insbesondere unterschiedlichen Formen der Repräsentation der Macht gilt.17 Die Spezifik der demokratischen Herrschaftsform verdeutlicht er in seinen Arbeiten nun insbesondere dadurch, dass er deren Machtverständnis von demjenigen des monarchischen Systems des Ancien Régime abgrenzt (vgl. Lefort 1990a, S. 292). In diesem zeichnete sich, so Lefort im Anschluss an die historischen Analysen von Ernst Kantorowicz, bereits eine erste Trennung von Staat und Zivilgesellschaft ab, die sich am Status des Fürsten in der Monarchie festmachen lasse. Dieser repräsentierte die Macht, doch hatte er keinesfalls eine grenzenlose Gewalt inne. Vielmehr wurde er als »Vermittlerfigur« (ebd.) zwischen den Menschen und den transzendenten Instanzen der Legitimation der Ordnung – zu Beginn Gott, später auch das Gesetz und die Vernunft – verstanden. Dabei ist es die Vorstellung eines geteilten Körpers des Fürsten, der diese Vermittlerfigur ermöglicht. So ist dieser zugleich sterblich wie unsterblich, zugleich dem Gesetz unterworfen wie über ihm stehend. Er verhilft in seinem Körper der hierarchisch gegliederten Ständegesellschaft zur Gestalt und garantiert gleichzeitig die Ordnung, indem er Macht, Recht und Wissen repräsentiert (vgl. ebd.). Mit dieser symbolischen Ordnung habe die demokratische Revolution aber mit der Guillitonierung König Louis XVI am 21. Januar 1793 gebrochen. Denn mit dem Verschwinden des Körpers des Königs wurden zugleich die Sphären

17

Dass dies eine erste Perspektive auf die Frage nach der Möglichkeit einer gesellschaftsanalytischen Diskussion um ›Inklusion‹ eröffnet, deutet sich hier und in der weiteren Argumentation immer wieder an. Leforts Arbeiten werden an dieser Stelle aber maßgeblich in ihrer Bedeutung für die Frage nach dem Politischen aufgerufen.

95

96

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

der Macht, des Wissens und des Rechts ebenso wie die Sphäre der Gesellschaft dekorporiert (vgl. Lefort 1990b, S. 259). Die Zeit nach diesem Ereignis kann als Suche nach einer neuen gesellschaftlichen Ordnung und neuer Formen der Repräsentation der Macht ebenso wie nach einem neuen Bild von Gesellschaft verstanden werden. Dafür konnte aber nicht mehr auf bisherige Formen der Repräsentation zurückgegriffen werden. Zunächst wurde der Ort der Macht mit der Enthauptung des Königs irreversibel zu einer »Leerstelle« (Lefort 1990a, S. 293). In dem Moment, in dem die sakrale Basis der Macht verloren ging, ging also auch die Unveränderlichkeit der Ordnung verloren. Vor diesem Hintergrund instituierte sich im liberalen Verfassungsstaat ein Wettstreit um eine Machtausübung auf Zeit, die »den Regierenden die Aneignung und Einverleibung der Macht« (ebd.) untersagt. Die politische Macht ist in der Demokratie also nur noch auf der politischen Bühne darstellbar, nicht aber könnten deren Darsteller jemals mit der Macht identifiziert werden, da diese weder Eigenschaft noch Eigentum derselben sein könne (vgl. hierzu auch Trautmann 2013, S. 105).18 Des Weiteren ging mit dieser Dekorporierung der Macht auch die Möglichkeit der einheitlichen Darstellung der Ständegesellschaft durch den königlichen Körper verloren – und damit die Möglichkeit der Legitimation der hiermit zusammenhängenden, gegliederten sozialen Hierarchie. So wurden innergesellschaftliche Konflikte als solche entblößt und konnten von nun an zum Gegenstand auf der politischen Bühne gemacht werden (vgl. Lefort 1990a, S. 294).19 Das symbolische Dispositiv der Demokratie zeichnet sich laut Lefort im Folgenden dadurch aus, dass es den Ort der Macht offen hält. Da es kein Symbol für eine Einheit des Volkes akzeptieren könne, sei die soziale Ordnung der Demokratie durch das dauerhafte Vorhandensein sozialer Konflikte geprägt. Lefort kommt deshalb zu der Diagnose, dass in der Demokratie die »rein gesellschaftliche Natur der Gesellschaft zum Vorschein« (ebd., S. 295) komme. Sie sei im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet »daß sie die Grundlagen aller Gewißheit auflöse. Sie eröffne eine Geschichte, in der die Menschen die Probe auf eine letzte Unbestimmtheit machen« (ebd.,

18

19

Lefort diskutiert in diesem Zusammenhang die Bedeutung der demokratischen Wahl (vgl. z.B. Lefort 1990a, S. 295), deren Funktion er nicht in der Auswahl der Repräsentant*innen oder in der Herausbildung des Allgemeinwillens sieht, sondern in der Symbolisierung der Kontingenz und Umstrittenheit von Gesellschaft (vgl. hierzu auch Oppelt 2019, S. 352). Dies geschah historisch zunächst zum Beispel in Form des Klassenkampfs, später unter anderem in Form neuer sozialer Bewegungen.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

S. 296), sowohl in Bezug auf die Frage der Macht, als auch in Bezug auf die Frage der Identität der Gesellschaft. Der Fokus auf die symbolische Ordnung der Gesellschaft trägt bei Lefort also »der Einsicht Rechnung, dass die Gesellschaft erst in und durch den Streit um die politische Macht erscheint und sie folglich von ihrer symbolischen Matrix sowie ihren symbolischen Praktiken her beschrieben werden muss« (Trautmann 2013, S. 92). Vor diesem Hintergrund versteht Lefort die demokratische Revolution maßgeblich als eine symbolische Revolution, die darin besteht, dass sie durch die Entleerung des Orts der Macht diese Selbstkonstitution der Gesellschaft transparent macht. Da für Lefort der Ort des Politischen gerade die Frage nach der Form dieser Teilung darstellt – also die Frage, welche Gestalt der Politik gegeben und welche Identität die Gesellschaft dadurch annehmen soll –, eröffnet für ihn erst das demokratische Dispositiv und dessen Anerkennung der Unbegründbarkeit von Gesellschaft und Politik – beziehungsweise der Unbegründbarkeit deren Trennung – den Raum des Politischen. Sowohl der Sozialismus wie auch der Liberalismus könnten diese politische Dimension des Gesellschaftlichen sowie die Notwendigkeit der Gestaltung von Gesellschaft nicht erkennen, weil sie die Entstehung derselben auf ein einheitliches Prinzip zurückführten, das nicht zur Disposition stehe (vgl. Lefort 1990a). Leforts Figur des leeren Orts der Macht und die sich hierin repräsentierende radikale Unbestimmtheit von Gesellschaft ebenso wie die sich hierin bereits andeutende Unterscheidung zwischen der Politik und dem Politischen entwickelt sich im Folgenden zu einem wichtigen Bezugspunkt radikaldemokratischen Denkens (vgl. Heil und Hetzel 2006, S. 9). Bevor diesen Aspekten im nächsten Abschnitt weiter nachgegangen wird, gilt es aber nochmals an den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit dem Konzept der politischen Repräsentation zu erinnern. Zwar wurde schon deutlich gemacht, dass vor dem Hintergrund der Betonung der symbolischen Dimension politischer Repräsentation diese nicht auf die Diskussionen um eine angemessene Stellvertretung politischer Interessen verkürzt werden könne. Doch welche Rückschlüsse radikaldemokratische Arbeiten vor diesem Hintergrund in Bezug auf die vermeintliche ›Krise der Repräsentation‹ zulassen, blieb noch ebenso unbeachtet wie Fragen nach deren möglichen Bedeutung für erziehungswissenschaftliche Diskussionen um ›Inklusion‹.

97

98

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

3.1.3

Das Problem der Repräsentation und die Institutionalisierungen von ›Inklusion‹

Vor dem Hintergrund bisheriger Überlegungen zur symbolischen Dimension politischer Repräsentation erscheinen entsprechende Krisendiagnosen zunächst lediglich als Krise der parlamentarischen Repräsentation, nicht jedoch jeglicher politischen Repräsentation. Möglicherweise sieht sich das Repräsentationsprinzip des Parlamentarismus durch abnehmende Möglichkeiten der Mitbestimmung und einen damit zusammenhängenden Vertrauensverlust der Bürger*innen ebenso wie durch die Existenz von nicht repräsentierten Gruppen in Frage gestellt. Dies muss aber vor dem Hintergrund der Überlegungen zur Symbolizität von Politik noch keinesfalls das Ende jeglicher politischen Repräsentation bedeuten. Der Parlamentarismus stellt nur eine mögliche Form der Politik unter anderen dar, wenn auch die derzeit hegemoniale (vgl. Balibar 2012, S. 64). Das Interesse an den beschriebenen Phänomenen verschiebt sich mit radikaldemokratischen Einsätzen deshalb von der Krise der parlamentarischen Repräsentation hin zur »Krise der Repräsentation als solche« (ebd., S. 65). Die Krise erscheint hiermit zunächst noch gesteigert, wird sie doch am Fundament des Gesellschaftlichen verortet. In dem Moment, in dem die Möglichkeit der Gründung der Gesellschaft in einem transzendentalen Grund verloren geht, lösen sich gleichsam transzendentale Gründe für politische Identitäten ebenso wie für politische Interessen auf. Genauso wenig wie also noch von einer vor der politischen Auseinandersetzung existierenden ›Gesellschaft‹ ausgegangen werden kann, kann noch von ›der Arbeiterklasse‹, ›den Frauen‹, oder ›den Behinderten‹ sowie diesen Positionen ›naturgemäß‹ entsprechenden Interessen ausgegangen werden. Aber auch hiermit ist nicht im Geringsten ein Ende der Politik angezeigt, da die Unmöglichkeit der Repräsentation im demokratischen Dispositiv gerade die Voraussetzung von Politik darstellt (vgl. ebd.). Es ist also die im Streit immer wieder aufscheinende Frage nach den angemessenen Formen der Repräsentation gesellschaftlicher Ordnungen ebenso wie nach damit verbundenen Formen der Zugehörigkeit, welche das Politische auszeichnen. In diese Auseinandersetzung investierte Repräsentationsansprüche werden als strategische Einsätze um die Gestaltung von Gesellschaft versteh- und analysierbar. Neben die Diagnose eines konjunkturellen Defizits der Demokratie tritt hier also das Insistieren auf ein konstitutionelles Defizit (vgl. Marchart 2010, S. 337) sowie die Aufforderung, das Prinzip der Negativität des Grundes der Gesellschaft für ein politisches Denken und Handeln anzuerkennen. Dieses

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

konstitutionelle Defizit kann dabei als Grund für ein dauerhaftes Unbehagen mit der Demokratie gelten. Denn »[d]ie Abwesenheit eines transzendenten Legitimationsgrundes, die Unmöglichkeit einer substanziellen Verkörperung der Gemeinschaft, die Leere des Ortes der Macht und die gleichzeitige Anerkennung der Legitimität des Konflikts um dessen immer nur vorübergehende Besetzung, all das stellt eine gehörige psychologische Zumutung dar« (ebd.). Diese demokratische Zumutung – darauf weist auch Lefort hin – ist stets der potentielle Ausgangspunkt für antidemokratische Politiken. Dass der Ort der Macht in der Demokratie leer gehalten wird, stellt die Anerkennung der Bedingungen der Selbstgründung jeglicher Gesellschaft dar: Jede Gesellschaftsform fußt auf einer kontingenten Grenzziehung und diese Kontingenz versucht das demokratische Dispositiv zu repräsentieren. Das heißt aber nicht, dass der Ort der Macht nicht dennoch besetzt werden könnte. Gerade deshalb bedürfe es »einer permanenten Anstrengung, ihn leer zu halten« (Abbas 2015, S. 141).20 Die Abwesenheit eines letzten Grundes kann aber andererseits immer auch eine Zumutung für konkrete Institutionalisierungen der Demokratie wie für Vorstellungen sozialer Identitäten darstellen. Sie ist so auch stets der Ausgangspunkt für deren Infragestellung und damit für politische Praxen. Aus einer Aufmerksamkeit für diese doppelte Zumutung – für die Mitglieder der Gesellschaft ebenso wie für die gesellschaftliche Ordnung selbst – folgt deshalb eine Aufforderung, sich stets kritisch-analytisch mit konkreten Formen der Politik und der hiermit verbundenen Aufteilung der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Das prekäre Moment jeder symbolischen Ordnung – auch und gerade dasjenige der Demokratie – wird deshalb zum Ausgangspunkt des politischen Denkens. Formen politischer Repräsentation können so auf deren Effekte für die (Un-)Möglichkeiten der Teilhabe und Zugehörigkeit befragt werden. 20

So vertritt Lefort die These, dass nicht nur die liberale Demokratie, sondern ebenso der Totalitarismus als eine Folge der demokratischen Revolution gelesen werden muss (vgl. Lefort 1990a, S. 286f.). Während das demokratische Imaginäre aber unbestimmt bleibe, werde im Totalitarismus durch die Besetzung des leeren Orts der Macht durch das Imaginäre eine Geschlossenheit und Immanenz etabliert, die die Selbstteilung der Gesellschaft leugne und das Politische damit letztlich tilge (vgl. hierzu auch Trautmann 2013, S. 108). Hieran anschließend ließen sich möglicherweise inklusionspädagogische Vorstellungen problematisieren, welche von der Realisierbarkeit einer ›inklusiven Gesellschaft‹ ausgehen, die ohne Ausschlüsse auskäme.

99

100

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Was können diese Überlegungen nun aber für eine demokratietheoretische Fundierung der erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um die Inklusionspädagogik und -forschung bedeuten? Auf welche Art und Weise lassen sich Fragen der Gestaltung des Bildungssystems mit den oben genannten Fragestellungen verknüpfen? Welche diskursiven Strategien ergeben sich hieraus? Zunächst kann mit unterschiedlichen Einsätzen in die erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um Integration und Inklusion geltend gemacht werden, dass die historisch gegebene Mehrgliedrigkeit des Schulsystems, eine damit verbundene Ausdifferenzierung der Pädagogiken und die hieraus resultierenden Möglichkeiten der Teilhabe keinesfalls eine notwendige Reaktion auf das individuelle Leistungsvermögen oder die individuellen Bedürfnisse von Schüler*innen sind. Vielmehr sind die Gestaltung des Schulsystems und die hieraus erwachsenden Möglichkeiten der Teilhabe an Bildung eingelagert in historisch gewachsene gesellschaftliche Machtverhältnisse, disziplinpolitische Interessen und diese stützende, normative Legitimationen (vgl. hierzu z.B. Powell 2007).21 Das mehrgliedrige und separierende Schulsystem konstruiert, legitimiert und repräsentiert also spezifische Formen sozialer Ungleichheit und damit gesellschaftliche Ordnung (vgl. z.B. Gomolla und Radtke 2009). Es reproduziert und stabilisiert diese, wo aus dem Anspruch einer an der vermeintlich individuellen Leistungsfähigkeit orientierten Förderung ungleiche Chancen für gesellschaftliche Teilhabe erwachsen (vgl. Powell 2007, S. 322; Hoffmann 2018b, S. 73f.). Auf diese Weise wirkt es an der Individualisierung gesellschaftlicher Ordnungen mit. Aus radikaldemokratischer Perspektive wäre nun – das wurde in den zurückliegenden Ausführungen deutlich – insbesondere die Kontingenz konkreter Aufteilungen gesellschaftlicher Sphären ebenso wie von bestimmten (politischen) Gemeinschaften oder (politischen) Identitäten und den hiermit verknüpften (politischen) Interessen zu betonen. So kann einerseits mit Jakob Muth erneut geltend gemacht werden, dass die Frage der Gestaltung des Bildungswesens und des Umgangs mit (nicht-)behinderten Schüler*innen maßgeblich eine Folge von (bildungs-)politischen Entscheidungen ist (vgl. Muth 2009, S. 38). Und deshalb sind die Ausgestaltung des Bildungssystems und die hiermit verbundenen Formen der Inklusion und Exklusion stets 21

Mit Vera Moser und Ada Sasse kann in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung eines Behinderungsparadigmas für die Legitimation disziplinärer Selbstverständnisse oder das separierende Schulsystem verwiesen werden (vgl. Moser und Sasse 2008).

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

auch (re-)politisier- und veränderbar (vgl. Kronauer 2015, S. 155).22 Soziale Ungleichheiten und die hiermit verbundenen Möglichkeiten der Teilhabe und Risiken der Ausgrenzung (und hiermit auch (Nicht-)Behinderung) werden so explizit als Resultate politischer Auseinandersetzungen lesbar (vgl. Maschke 2007). Andererseits wäre aus radikaldemokratischer Perspektive zusätzlich geltend zu machen, dass solche Auseinandersetzungen eben nicht nur in der etablierten Sphäre der Politik stattfinden, sondern ihren Ort ebenso im zivilgesellschaftlichen Raum und im Alltag von (Bildungs-)Institutionen haben. Hier wie dort sind es dabei insbesondere die demokratischen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit, die gegen gegebene Ordnungen geltend gemacht werden können. Denn erst vor deren Hintergrund wird die Ungleichbehandlung innerhalb gesellschaftlicher Institutionen problematisierbar (vgl. z.B. Gomolla und Radtke 2009, S. 16ff.). Nun mag es naheliegen, aus einer solche Kritik an einem Ungleichheit (re-)produzierenden Schulsystem zu schlussfolgern, dass die Mehrgliedrigkeit und Separierung in einer demokratischen ›Schule für alle‹ aufzuheben wäre, die ohne Ausschluss auskäme und so in der Lage wäre, die Gesellschaft als Ganze zu repräsentieren. Eine solche Vorstellung von oder Erwartung an inklusive Bildung verbindet sich zum Beispiel mit medialen Repräsentationen von ›Inklusion‹, welche Gesellschaft oder Schule als (z.T. geschlossenen) Kreis darstellen, der im Innen bunte Punkte versammelt, im Außen jedoch leer zu sein scheint.23 Doch wie auch immer eine ›Schule für alle‹ konkret ausgestaltet sein sollte, aus radikaldemokratischer Perspektive ist gegenüber einer solchen Idee von Gemeinschaft Skepsis geboten. Es gibt keinen privilegierten Ort, von dem aus ein solches Projekt eindeutig bestimmbar wäre. Weder für die Begründung einer sozialen Ordnung (an der teilzuhaben wäre), noch für die Stiftung einer Gemeinschaft (derer man zugehören könnte), noch für die Bestimmung einer Identität (deren Interessen zu vertreten wären), kann ein positiver Ursprung in Aussicht gestellt werden, der dann nur noch zu repräsentieren wäre. Gäbe es einen solchen Ort, erübrigte sich jeder demokratische

22

23

Solche Veränderungen sind zwar abhängig von gesellschaftlichen Machtverhältnissen, können aber auch auf diese zurückwirken. Für ein dialektisches Verständnis des Verhältnisses von ›Inklusion‹ bzw. ›Integration‹ und Gesellschaft vgl. z.B. DeppeWolfinger 2009. Eine solche Grafik findet sich unter anderem auf der Homepage der Aktion Mensch (online verfügbar unter https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion.html, zuletzt geprüft am 14.05.2020).

101

102

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Streit. Dieser wird jedoch möglich und notwendig, weil jede Ordnung konstitutiv auf Ausschlüsse angewiesen ist – selbst eine demokratische.24 Jede Identifikation von ›Inklusion‹ mit ganz spezifischen Strukturen, Qualitäten des Zusammenlebens, -lernens und -arbeitens sowie Kriterien der Zugehörigkeit bleibt deshalb prekär. Aus (radikal-)demokratischer Perspektive muss sie das jedoch auch. Denn die Möglichkeit von Politik im Allgemeinen und demokratischer Politik im Besonderen – und damit auch die Möglichkeiten der Artikulation von ›Inklusion‹ als emanzipativem Projekt – wird hier in der Unmöglichkeit verortet, die Frage nach den angemessenen Strukturen endgültig beantworten und den universellen demokratischen Anspruch tatsächlich verwirklichen zu können. Jegliche Idee der Möglichkeit einer positiven und abschließenden Repräsentation ist vor dem (radikal-)demokratischen Horizont also entschieden als totalitäres Phantasma zurückzuweisen. Deshalb ergibt sich aus einer (radikal-)demokratischen Strategie zuvorderst eine analytische Auseinandersetzung mit ›Inklusion‹, die sich für die jeweiligen Gründungsversuche dessen interessiert, was eine inklusive Pädagogik und deren Beitrag zu einer inklusiven Gesellschaft sein soll. Im Anschluss an eine Verbindung der in diesem Abschnitt diskutierten repräsentationstheoretischen Überlegungen mit den im letzten Kapitel dargestellten Diskussionen um gemeinsame Bildungsangebote von (nicht-)behinderten Schüler*innen ist dabei weniger danach zu fragen, ob durch eine bestimmte Institutionalisierung von Bildung für bestimmte Gruppen bestimmte Formen der Teilhabe realisiert sind. Eine solche evaluative Perspektive blendet die Frage nach dem Politischen aus, weil immer schon feststeht, wer auf welche Weise woran und in Hinblick auf was zu beteiligen (oder zu repräsentieren) ist. Gegen eine solche Blickrichtung ist vielmehr von Interesse, ob und wie durch bildungspolitische oder pädagogische Konzepte von ›Inklusion‹ und deren Realisierungen bestimmte Vorstellungen von Gemeinschaft (re-)präsentiert werden, welche Repräsentationsansprüche und hiermit einhergehende Identitätsunterstellungen als strategische Einsätze in das Feld der (Inklusions- und Sonder-)Pädagogik eingebracht werden und wie unter Verweis auf diese Ansprüche unterschiedlichste Forderungen der Teilhabe – und somit auch der Gestaltung von Gesellschaft – legitimiert werden können. Es ist aber ebenso danach zu fragen, welche Ausschlüsse mit diesen strategischen Einsätzen konstitutiv einhergehen. Dabei ist der Diskurs um ›Inklusion‹ gerade auch in 24

Dieser Aspekt wurde bereits in Kapitel 2 angedeutet und wird im nächsten Abschnitt noch zu vertiefen sein.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

Hinblick auf die Konflikte bezüglich dieser Fragen zu analysieren. Von welchen Orten aus kann sich wer mit seinen Ansprüchen und Forderungen in den Diskurs einschreiben? Wo wird dieser als ungenügend für die eigenen Forderungen kritisiert, transformiert oder abgelehnt? Und wo zeigt sich jeweils die Prekarität der mit diesen Forderungen verbundenen identitätspolitischen Konstruktionen? Eine solche analytische Perspektive auf die erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um Inklusion ist allerdings nicht zu verwechseln mit einer normativen Enthaltsamkeit. Sie stellt selbst einen (erkenntnis-)politischen Einsatz dar. Eine Analyse der Gründungsversuche von ›Inklusion‹ und deren ambivalenten Auswirkungen für die Möglichkeiten der Teilhabe und Ausgrenzung versteht sich hier als Beitrag zu einer Politisierung der Frage der Organisation von Bildung und Bildungssystem und knüpft diese strikt an die demokratischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit. Die damit zusammenhängenden und bereits genannten Anfragen (re-)politisierten die Diskussionen um ›inklusive Bildungsangebote‹ in doppelter Hinsicht. Einerseits kann die Stärkung der Kontingenzannahme sozialer Ordnungen bisherige Selbstverständlichkeiten und Gewissheiten sowie Positionierungen und Positionszuschreibungen innerhalb der Diskussionen um ›Inklusion‹ in Frage stellen und deren Prämissen so erst einer politischen Diskussion zugänglich machen. Die bereits mehrfach aufgerufenen Fragen danach, wer mit wem über wen in Bezug auf was spricht, könnten einen Ausgangspunkt für solche Reflexionen bieten, die nicht zuletzt für die Inklusionspädagogik selbst eine Herausforderung zum Streit darstellen dürften. Hier wäre noch stärker wie bisher die Auseinandersetzung mit Arbeiten der Disability Studies zu suchen. Damit ist andererseits angedeutet, dass Diskussionen um ›Inklusion‹ eben nicht nur als didaktische oder professionstheoretische Diskussionen zu führen wären. Vielmehr wären Fragen der gemeinsamen Beschulung konsequent vor dem Hintergrund deren Bedeutung für die sich hieraus eröffnenden Vorstellungen und Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe zu reflektieren. Trotz des analytischen Gestus oder gerade wegen desselben zeichnete sich eine entsprechende Perspektivierung also insbesondere durch die Entscheidung aus, die Kontingenzannahme zur Grundlage des Nachdenkens über ›Inklusion‹ zu machen und in den hieraus resultierenden Auseinandersetzungen die Forderungen der ›Gleichheit‹ und ›Freiheit‹ je aufs Neue zu aktualisieren. Eine radikaldemokratische Fokussierung der Repräsentationspraxen im Zusammenhang mit ›Inklusion‹ in diesem Sinne würde den aufgerufenen demokratischen Anspruch der Inklusionspädagogik also aufgreifen, ihn radikalisieren und gegen

103

104

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

das bildungspolitische Projekt ›Inklusion‹ selbst richten. Dass es sich bei einer solchen Forderung zwar durchaus um einen normativen, keinesfalls jedoch um einen positiven normativen Horizont handelt, der dem bildungspolitischen Projekt ›Inklusion‹ zu Grunde gelegt werden könnte, deutet sich hier bereits an und wird im nächsten Abschnitt noch zu vertiefen sein.25

3.2

Die politische Differenz als Herausforderung für die politische Theorie

Claude Lefort macht in seinen Arbeiten auf die konstitutive Teilung aufmerksam, die jeder Gesellschaft zu Grunde liegt und weist dem Konflikt um diese den Begriff des Politischen zu. Politik sei hingegen lediglich das Ergebnis dieser Teilung. Es ist dieses Insistieren auf unterschiedliche Vorstellungen einer Differenz zwischen der Politik (la politique) und dem Politischen (le politique) und die hieraus abgeleitete Bedeutung des Streits, die sich wie ein roter Faden durch das radikaldemokratische Denken zieht.26 Dieser Einsatz – auch das hat sich bei Lefort bereits angedeutet – erklärt sich vor der Annahme des Fehlens einer Möglichkeit der Begründung des Sozialen in einem metaphysischen, selbst nicht hinterfragbaren Fundament. Der Begriff des Politischen verweist in einer solchen Lesart auf die Notwendigkeit der Selbstgründung ebenso wie der Kontingenz von Gesellschaft – der Tatsache also, dass Gesellschaft zwar gegründet werden muss, in Hinblick auf das Resultat dieser Gründung aber stets auch anders gegründet werden könnte. Im Anschluss hieran ist davon auszugehen, dass »der Geltungsanspruch eines jeden Fundaments […] umkämpft [ist] und […] prinzipiell zur Disposition« (Marchart

25

26

Als mediale Repräsentation eines solchen erkenntnispolitischen Einsatzes ließe sich als Gegenentwurf zu den oben genannten Visualisierungen von ›Inklusion‹ die ›Demokratie-Fahne‹ diskutieren, die im Rahmen des Projekts ›History of The Democracy‹ des Künstler*innen-Kollektivs ›Das Beckwerk‹ entstanden ist. Hierbei handelt es sich um eine weiße Flagge, deren Zentrum aus einem aus dem Stoff herausgetrennten Kreis besteht. So zeigt sich der ›leere Ort der Macht‹ gerade in dem Versuch der Symbolisierung seiner Nicht-Repräsentierbarkeit (vgl. Diehl 2015, S. 229-234). Ein Abbild der Flagge findet sich online unter http://dasbeckwerk.com/History_of_The_Democracy/4_-_Destination_Iraq/, zuletzt geprüft am 14.05.2020. Gleichwohl wird diese Differenz nicht nur hier diskutiert. Eine Systematisierung unterschiedlicher Ansätze des Denkens der politischen Differenz findet sich bei Marchart 2010.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

2010, S. 16) steht. Gerade auf dieses Paradox einer Unmöglichkeit der Gründung der Gesellschaft und einer hieraus resultierenden Notwendigkeit des Streits um vorläufige Gründungen verweist die Differenz zwischen dem Politischem und der Politik (vgl. ebd., S. 17). Das Politische muss deshalb von der Politik geschieden werden, also die »Fakten der ›Politik‹« von dem »Wesen des ›Politischen‹« (Mouffe 2010, S. 15) – bei aller Skepsis, die diesen Begriffen selbstverständlich gebührt. Gleichzeitig bleiben Politik und das Politische aber stets aufeinander angewiesen, insofern erst die Differenz zwischen beiden die Möglichkeit der Gestaltung von Gesellschaft garantiert (vgl. Marchart 2010, S. 27).27 Wie legitimiert sich eine solche Perspektive und welche Konsequenzen lassen sich im Anschluss an sie für das politische Denken und Handeln einfordern? Wie bereits im vorhergehenden Abschnitt in der Auseinandersetzung mit den Arbeiten Leforts deutlich wurde, hängt eine Aufmerksamkeit für die politische Differenz eng mit der symbolischen Dimension sozialer Prozesse zusammen. Insbesondere eine poststrukturalistische Auseinandersetzung mit symbolischen Ordnungen kann dabei zeigen, dass diese Differenz nicht als eine Differenz unter anderen, sondern vielmehr als radikale Differenz gelesen werden muss, welche die Infragestellung konkreter Ordnungsversuche des Sozialen stets in dieselben einschreibt. In diesem Sinne sollen im Folgenden zunächst Derridas Überlegungen der différance und deren Bedeutung für ein Denken des Politischen dargestellt werden (Abschn. 3.2.1). Zwar scheint die Figur der différance weit über den hier aufgerufenen politischen Kontext hinauszuweisen. In der Auseinandersetzung mit ihr wird sich aber zeigen, dass Derrida selbst eine solche Verknüpfung nahelegt. Seine Überlegungen zu einer démocratie à venir können als Versuche verstanden werden, die Bedeutung einer radikalen Differenz für die Konstitution sozialer Ordnungen und eine damit einhergehende Unverfügbarkeit der Grundlagen politischen Handelns für ein nichtsouveränes Denken des Politischen und der Demokratie anzuerkennen.

27

Oliver Marchart verweist in diesem Zusammenhang auf Martin Heidegger und dessen Denkfigur der ontologischen Differenz. Dieser habe mit der Unterscheidung von ›Sein‹ und ›Seiendem‹ und dem Insistieren auf diese Differenz als Differenz als erster eine umfassende Kritik an der abendländischen Metaphysik entworfen, die für radikaldemokratisches Denken einer politischen Differenz immer wieder einen wichtigen Bezugspunkt darstelle (vgl. Marchart 2010, S. 18-27). Im folgenden Abschnitt soll diese Kritik der Metaphysik unter Verweis auf Jacques Derridas Begriff der différance vertieft werden (vgl. z.B. Derrida 1999).

105

106

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Ein solches Insistieren auf eine Unverfügbarkeit und Negativität sozialer Fundamente stellt für radikaldemokratische Einsätze einen Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit vielzähligen Begriffen der politischen Theorie dar. Diese werden in einem nächsten Schritt skizziert (Abschn. 3.2.2). Dabei zeigt sich, dass hier eine Infragestellung souveräner Vorstellungen von Politik nicht als das Ende, sondern vielmehr als der Anfang von politischem Denken und Handeln gedacht wird. Das politische Potential von Konzepten wie ›Identität‹, ›Gesellschaft‹, oder ›Subjekt‹ wird gerade in deren Unbestimmtheit und der hiermit verbundenen Möglichkeit verortet, je konkrete Fassungen dieser Begriffe mit ihren eigenen Ausschlüssen konfrontieren zu können. Radikaldemokratisches Denken kann somit als ein erkenntnispolitischer Einsatz in das Feld der politischen Theorie verstanden werden. In einem letzten Schritt wird an dem Beispiel zweier inklusionspädagogischer Einsätze dargestellt, was solche Überlegungen für die Reflexion der erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um ›Inklusion‹ bedeuten könnten (Abschn. 3.2.3). Vor dem Hintergrund der zuvor skizzierten sprachphilosophischen Überlegungen stellen sich schließende Verständnisse davon in Frage, was ›Inklusion‹ sein soll. So kann sich ein Nachdenken hierüber nicht auf einen privilegierten Standpunkt zurückziehen, von dem aus sein Gegenstand eindeutig zu bestimmen wäre. Ein solcher Versuch ist immer schon von einer konstitutiven Differenz durchzogen. Radikal wäre vor diesem Hintergrund weniger ein normativ bestimmtes Denken von ›Inklusion‹, als vielmehr die Affirmation der Möglichkeit dessen Infragestellung. Eine (Re-)Politisierung von ›Inklusion‹ implizierte hier eine Verschiebung der Aufmerksamkeit hin zu Möglichkeiten der Entgründung essentialistischer Vorstellungen von ›Inklusion‹ sowie hiermit verbundener Vorstellungen von Gesellschaft und gesellschaftlicher Teilhabe.

3.2.1

Zur Unbegründbarkeit symbolischer Ordnungen und der Figur der différance

Im letzten Abschnitt wurde die Symbolizität gesellschaftlicher Ordnungen als ein zentraler Gegenstand radikaldemokratischen Denkens thematisiert. Soziale oder gesellschaftliche Phänomene unter der Perspektive des Symbolischen zu thematisieren und damit nach Formen der Darstellung sozialer beziehungsweise gesellschaftlicher Prinzipien zu fragen, erscheint nun keines-

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

falls neu.28 Spätestens seit dem Strukturalismus lévi-strausscher Prägung gehören sie zum Repertoire der Kultur-, Sozial- und Gesellschaftswissenschaften (vgl. Breckman 2016, S. 52). Dieser hatte seine strukturelle Anthropologie unter anderem im Anschluss an Ferdinand de Saussures linguistisches Modell entwickelt. Dabei erschien ihm das Symbolische als eine »geschlossene Ordnung sozialer Repräsentation« (ebd.), in welcher jede Position in einer differenziellen Struktur durch ein klares Verhältnis zu anderen Positionen bestimmt ist beziehungsweise werden kann. Als solche könne diese Struktur zum Gegenstand empirischer Forschungen gemacht werden. Kritiken des Strukturalismus wenden jedoch ein, dass eine solche Struktur ein transzendentales Signifikat benötige, welches die Einheit derselben garantiere. Dieses könne jedoch nicht vorausgesetzt werden. Insbesondere die dekonstruktivistischen sowie die psychoanalytischen Auseinandersetzungen Jacques Derridas und Jacques Lacans setzen mit ihrer Kritik des Strukturalismus hier an. So kann konstatiert werden, dass sowohl Derrida als auch Lacan in »je eigener Art und Weise […] die strukturalistische Idee des Symbolischen als autarke, geschlossene Ordnung [dekonstruierten] und stattdessen ein in sich unstimmiges, von dem, was sein und was nicht sein kann, durchdrungenes Feld des Symbolischen [beschrieben haben]« (ebd., S. 52). Diese Infragestellung der Möglichkeit einer feststehenden Bedeutung sowie der Möglichkeit einer Erfassung derselben kann neben den im letzten Abschnitt thematisierten Einsätzen als weiterer systematischer Bezugspunkt radikaldemokratischer Theorien gelten. Doch was macht eine dekonstruktivistische Perspektive auf das Symbolische aus und in welchem Zusammenhang steht eine solche mit einem Denken des Politischen beziehungsweise der politischen Differenz?29

28

29

Auch in sonder- und inklusionspädagogischen Diskussionen finden sich Einsätze, welche das Symbolische zum Ausgangspunkt der Überlegungen machen, so zum Beispiel bei Dederich 2006, 2013 oder Musenberg 2013. Kulturelle Vorstellungen von Behinderungen, wie sie innerhalb der Disability Studies diskutiert werden, knüpfen ebenso an solche Überlegungen an (vgl. z.B. Dederich 2007; Waldschmidt 2003; Waldschmidt und Schneider 2007). Die folgende Darstellung widmet sich aufgrund des Umfangs dieses Kapitels ausschließlich den Arbeiten Derridas. Die Arbeiten Lacans werden hier nicht berücksichtigt. Diese Entscheidung legitimiert sich aufgrund der vielzähligen Arbeiten, die Derrida selbst zur politischen Theorie beigetragen hat. Für eine erste Annäherung an die Bedeutung dieser Arbeiten für die politische Theorie und Philosophie s. neben den

107

108

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Derrida verfolgt im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit einer Vielzahl philosophischer Kategorien eine grundlegende Kritik abendländischer Metaphysik. In dieser sei der Begriff der Wahrheit stets eng mit der Sprache verknüpft gewesen, wobei letztere der »Wiederaneignung einer verlorenen Präsenz« (Flügel 2004, S. 23) von ersterer verantwortet worden sei. In dieser Tradition stünden noch linguistische Zeichentheorien, welche davon ausgingen, dass ein Zeichen (Signifikant) direkt auf einen Begriff (Signifikat) verweisen könne (vgl. ebd., S. 23), zu diesem also – in der Terminologie der zurückliegenden Abschnitte – in einem direkten Repräsentationsverhältnis stehe. Ein solcher Logozentrismus sei letztlich auf eine Beherrschung der Welt durch Begriffe aus. Eine Möglichkeit der Kritik dieses Logozentrismus erkennt Derrida jedoch im Akt des Bezeichnens selbst.30 Einerseits insistiert er darauf, dass dem Bezeichnen eine besondere Zeitlichkeit eignet, die er ›Temporisation‹ nennt. So stelle das Zeichen »das Gegenwärtige in seiner Abwesenheit dar« (Derrida 1999, S. 35). Es verweise also auf die Aussicht darauf, dass ein ehemals Anwesendes in Zukunft wieder präsent (beziehungsweise Präsens) sein wird. Das Bezeichnen sei deshalb »zugleich sekundär und vorläufig« (ebd., S. 35; Herv. i. Original), da es sich nach einer verlorenen und vor einer fehlenden Präsenz einreihe. Die Gegenwärtigkeit der Bedeutung ist also geteilt durch und verwiesen auf Vergangenheit und Zukunft und damit im strengen Sinne eine unmögliche Gegenwart. Andererseits zeigt Derrida in seiner Auseinandersetzung mit Saussure, dass der Prozess des Bezeichnens auch der Bedingung einer spezifischen ›Verräumlichung‹ unterliegt (vgl. ebd., S. 36). Mit strukturalistischen Lesarten der Konstitution von Bedeutung teilt er die Vorstellung der Differentialität von Zeichen, d.h. die Einsicht, dass diese ihre Bedeutung erst im Verhältnis zu anderen Zeichen erhalten. Darüber hinaus bringt er – gegen eine verkürzte strukturalistische Lektüre Saussures – aber auch dessen Idee der Beliebigkeit von Zeichen zur Geltung. Denn wo sich die Bedeutung eines Zeichens lediglich aus der Position gegenüber einem weiteren Zeichen ableiten lässt, dieses Zeichen aber wie-

30

hier maßgeblich herangezogenen Artikeln von Flügel 2004 und 2007 insbesondere auch Flügel-Martinsen 2019a sowie Niederberger und Wolf 2007 und Saharaoui 2015. Dies ist ein wichtiger Aspekt, um die Denkbewegung der Dekonstruktion einordnen zu können. Es sind hier gerade nicht die Philosoph*innen, die bestimmte Annahmen von außen dekonstruieren und damit erneut einen Wahrheitsanspruch proklamieren. Vielmehr ist die Dekonstruktion als »eine Auto-Dekonstruktion zu verstehen […], die an inneren Spannungen von Begriffen und begrifflichen Oppositionen ansetzt« (FlügelMartinsen 2019a, S. 278).

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

derum selbst nur in der Differenzialität zu anderen Zeichen bestimmt werden kann, sei es letztlich unmöglich, einen Ursprung der Zeichenkette auszumachen. Da dieses Prinzip der Differenzialität für die Gesamtheit des Bezeichnungsprozesses relevant ist, also das Zeichen und das Bezeichnete betrifft, das Wort und den Begriff, verliert sich die Möglichkeit der eindeutigen Bestimmung von Begriffen im Raum der Differenzen (vgl. ebd.). Die Bedeutung, die von einem Zeichen repräsentiert wird, könne deshalb nie ganz präsent (oder Präsenz) sein.31 Dem Akt des Bezeichnens liegt Derrida folgend also ein Spiel zu Grunde, das zugleich als eine Verräumlichung und als eine Verzeitlichung verstanden werden kann. Als solches verunmöglicht es jede Fixierung von Bedeutung. Die von der abendländischen Metaphysik in Aussicht gestellte Möglichkeit einer Wiederaneignung eines Ursprungs wird deshalb stets aufgeschoben und so letztlich unmöglich. Diese Verunmöglichung der Fixierung von Bedeutung stellt aber gleichsam die Grundlage und Notwendigkeit der Produktion von Differenzen dar. Gerade weil Bedeutung nicht fixiert werden kann, wird beständig um deren Fixierung gerungen.32 Dieses Spiel bezeichnet Derrida mit der Wortschöpfung différance – in Unterscheidung zu différence (Differenz) (vgl. z.B. Derrida 1999). Von den unterschiedlichen Begründungen, die Derrida selbst für diesen Kunstgriff heranzieht, erscheinen an dieser Stelle insbesondere zwei Aspekte aussagekräftig, um den Charakter der différance zu verdeutlichen. So betont er einerseits, dass der Unterschied zwischen dem a und dem e in der Aussprache nicht wahrnehmbar sei (vgl. ebd., S. 30). Andererseits weist er darauf hin, dass die französische Endung -ance das entsprechende Wort weder dem Aktiv noch dem Passiv zuordnen lasse (vgl. ebd., S. 34). Die différance gehört also weder der Ordnung der Zeichen an, noch der Ordnung des bewussten Handelns oder der Erfahrung und damit weder dem Register

31

32

Diese Überlegungen zu der Unmöglichkeit der Transparenz von Bedeutung können als Grund verstanden werden, warum Derrida das Konzept einer Semiologie zu Gunsten einer Grammatologie aufgibt. Während erstere auf die Idee einer (er-)schließbaren Bedeutung angewiesen bleibt, kann sich letztere nur noch mit der Form der Sprache, nicht aber mit deren vermeintlichem Inhalt auseinandersetzen (vgl. Derrida 1999, S. 41). Der Begriff ›Spiel‹ scheint hier in unterschiedlichen Weisen bezeichnend: so verweist er auf eine Praxis, die einem Selbstzweck unterliegt – also nicht intentional auf ein Ziel außerhalb seiner selbst gerichtet ist – ebenso wie auf einen Zwischenraum, der sich aus einer fehlenden Passung zweier Gegenstände ergibt.

109

110

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

der Semiologie noch den klassischen Registern der Philosophie. Als Infragestellung der abendländischen Metaphysik der Präsenz versteht sie Derrida als Bewegung zwischen den Zeichen, als deren Grund, der selbst kein Grund sein kann.33 Es ist diese différance als Grenze der Systematizität, deren Spur Derrida in der Denkbewegung mit dem Namen ›Dekonstruktion‹ in Hinblick auf vielfältige Begriffe und Konzepte – auch der politischen Theorie – immer wieder nachgespürt hat. Von Interesse ist für diese Arbeit nun insbesondere seine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Demokratie. Um den Eindruck eines Sprungs von den allgemeinen Erläuterungen zur Grammatologie beziehungsweise der Dekonstruktion der Metaphysik zu den spezifischeren Überlegungen zur politischer Theorie zu vermeiden, sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass Derrida selbst feststellt, dass die Überlegungen zur différance von Beginn an Überlegungen zum Politischen gewesen seien. So schreibt er: »Das Denken des Politischen war immer ein Denken der différance, und das Denken der différance stets auch ein Denken des Politischen, des Umgangs und der Grenzen des Politischen, insbesondere über die rätselhafte Autoimmunität […] des Demokratischen.« (Derrida 2006, S. 62; Herv. i. Original) Was ist mit dieser ›rätselhaften Autoimmunisierung‹ gemeint und was bedeuten diese Überlegungen für ein Denken des Politischen? In der Aufsatzsammlung ›Schurken‹ (Derrida 2006), die in besonderer Weise die Verwobenheit seiner erkenntnistheoretischen und politiktheoretischen Arbeiten darstellt (vgl. Flügel 2007, S. 128), unternimmt Derrida den Versuch, Begriffe wie ›Vernunft‹, ›Gesetz‹ oder auch ›Demokratie‹ von den Ideen der ›Souveränität‹ zu lösen und an ein Denken des Ereignisses zu binden. Dabei fragt er unter anderem nach der Bedeutung des Ausnahmezustands für die Demokratie. Diese sei in der politischen Theorie eng mit Vorstellungen der Souveränität verknüpft. So verweist er auf Carl Schmitt, der die Möglichkeit der Erklärung des Ausnahmezustands als Zeichen von Souveränität gelesen habe, da der Souverän hiermit das Gesetz außer Kraft setzen könne, also außerhalb desselben stehe (vgl. Derrida 2006, S. 7). Derrida spürt im Laufe seines Essays solchen Situationen in Demokratien nach. Als Beispiel nennt er unter anderem die Aussetzung der algerischen Wahl 1992 zur Verhinderung einer drohenden Machtergreifung 33

Deshalb wehrt sich Derrida auch vor dem Vorwurf, die différance sei eine Ontologie. Vielmehr sei sie die Grundlage jeder Ontologie, insofern sie jeder Ontologie vorausgehe (vgl. Derrida 1999, S. 32).

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

durch radikale Islamisten (vgl. ebd., S. 55).34 Hierin sieht er eine Aussetzung oder Unterbrechung der Demokratie in ihrem Namen und zu ihrem Schutz, die ihn dazu veranlasst, von einer »selbstmörderische[n] Autoimmunreaktion« (ebd.) zu sprechen. Diesen Modus der Selbst-(De-)Konstitution des Demokratischen sieht Derrida jedoch nicht nur im Ausnahmezustand am Werk, sondern erachtet ihn als grundlegend für die Frage nach der Demokratie – von der Entstehung nationalstaatlicher Demokratien im Zusammenhang mit dem Kolonialismus bis hin zu der Bedeutung des Wahlrechts innerhalb derselben. So zeige sich eine konstitutionelle Aporie des Demokratischen zwischen den universellen Ansprüchen von Gleichheit und Freiheit sowie deren Begrenzung beziehungsweise Negierung zum Schutz eben dieser in deren Namen: »Um sich zu immunisieren, um sich gegen den (inneren oder äußeren) Angreifer zu schützen, sondert die Demokratie also ihre Feinde beiderseits der Frontlinie ab, und es bleibt ihr scheinbar keine andere Wahl als die zwischen Mord und Selbstmord.« (Ebd., S. 57)35 In diesen Autoimmunisierungsprozessen erkennt Derrida nun eine doppelte Verweisungslogik wieder – eine räumliche sowie eine zeitliche –, welche die Demokratie stets aufschiebt, den Raum für ein politisches Denken der Ereignishaftigkeit aber gleichsam öffnet. So werde unter anderem durch jedes Wahlrecht ein Raum konstituiert, der Partizipation ermögliche, gleichzeitig aber auch Personen hiervon ausnehme – zum Beispiel aufgrund des Alters, der Staatsangehörigkeit oder aufgrund der Zuschreibung von Vernunftfähigkeit – und den universellen 34

35

Ein weiteres Beispiel wäre die Einschränkung der Grundrechte in den USA durch die Antiterror-Gesetzgebung im Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001. Da die folgende Argumentation auf den demokratischen Modus der Wahl abzielt, bleibt dieses Beispiel im Weiteren aber ausgeblendet. Für die vorliegende Arbeit ließe sich möglicherweise übersetzen: Eine Aporie zwischen dem universellen Anspruch der Inklusion und der gleichzeitigen Notwendigkeit der Exklusion vermeintlicher ›Feinde‹ zum Schutz dieses Anspruchs. Dass dies für Pädagog*innen kein abstraktes Problem darstellt, kann anhand Peter Tiedekens Diskussion der Schwierigkeit nachvollzogen werden, im Kontext einer inklusiven Sozialen Arbeit mit Jugendlichen mit rechtsradikalen Einstellungen konfrontiert zu sein und hierauf eine Antwort finden zu müssen (vgl. Tiedeken 2015). Egal, wie man sich zu dieser Frage positionieren mag, der inklusive Anspruch der Anerkennung von Vielfalt wird entweder durch die Anerkennung dieser Jugendlichen und deren Einstellungen untergraben oder aber durch deren Ausschluss. So bleibt jede Entscheidung für eine spezifische Grenzziehung stets problematisch und dennoch notwendig.

111

112

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Anspruch der Demokratie gleichsam aus diesem Raum ausweise (vgl. ebd., S. 58). Der Verweis auf die allgemeine Gleichheit könne aber ebenso gegen konkrete Ausschlüsse geltend gemacht werden. So könne, »[j]e nach der in ihr vorherrschenden Syntax oder Grammatik […] der unumgängliche Verweis gleichzeitig oder abwechselnd den abweisenden Verweis des anderen durch Ausschluß oder den hinweisenden Verweis auf den anderen, die Achtung von dem Fremden oder der Andersheit des anderen bedeuten« (ebd., S. 59; Herv. i. Original). In beiden Fällen wird jedoch deutlich: Demokratie existiert lediglich als Verweis und wird nie selbst Präsenz. Genauso wenig wie Demokratie Präsenz sein könne, kann sie Derrida zufolge aber Präsens sein. Für die oben beschriebenen autoimmunitären Konflikte sei es konstitutiv, dass sich beide Seiten auf die Demokratie beriefen, sowohl diejenigen, die den Willen des Volks stark machten, um die Demokratie letztlich abzuschaffen, als auch diejenigen, welche die Demokratie gegen den Willen des Volks verteidigen wollen und sie hierfür aushebeln. So werde es fragwürdig, »von echter Demokratie im eigentlichen Sinne zu sprechen während doch gerade der Begriff der Demokratie selbst, in seinem eindeutigen und eigentlichen Sinne, gegenwärtig und für immer« fehle (ebd., S. 55f.; Herv. i. Original). Wo es keine eigentliche Idee von Demokratie gebe, eine Möglichkeit also, das Spiel der Bedeutungen von Demokratie stillzustellen, gebe es nur die Möglichkeit einer »endlose[n] Verlagerung des Präsens der Demokratie« (ebd., S. 61). Aber auch hier eröffnet der Verweis auf die Zukunft die Möglichkeit der Auseinandersetzung um dieselbe im Hier und Jetzt. Gerade weil das Präsens der Demokratie in die Zukunft verlagert ist, stellt sich gegenwärtig die Frage der Gestaltung von Gesellschaft im Namen einer zukünftigen Demokratie. Hier wird nun der enge Zusammenhang der Kritik der Metaphysik mit der politischen Theorie Derridas offensichtlich. Aus der Unmöglichkeit eine Entsprechung von Signifikant und Signifikat folgt die Unmöglichkeit der Präsenz/des Präsens der Demokratie. So fasst auch Oliver Flügel den demokratietheoretischen Einsatz Derridas zusammen: »Niemals existieren wird sie [die Demokratie, J.G.] im Sinne einer existence présente, niemals also wird sie sich, ebenso wenig wie das Signifikat, dem die Metaphysik nachspürt, aneignen lassen.« (Flügel 2007, S. 133; Herv. i. Original) Demokratie hat also keine ihr eigene Substanz und keine ihr eigene Identität. Sie ist das, »was sie ist, nur in der différance, in der sie (sich) von sich unterscheidet« (Derrida 2006, S. 62). Aus

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

diesem Grund verharrt die Demokratie stets im Kommen, sie ist eine démocratie à venir.36 Dieser Einsatz für eine im Kommen bleibende Demokratie stellt Derridas Versuch dar, das Demokratische und das Politische vom Begriff der Souveränität zu lösen. Der unendliche Aufschub in die Zukunft impliziert, dass Demokratie nicht weiter als ein normativer Horizont zu verstehen wäre, an welchem konkrete Politiken auszurichten sind, um diesen irgendwann zu verwirklichen. Eine solche Vorstellung der Demokratie lehnt Derrida unter Verweis auf seine Überlegungen zur différance sowie seiner hiermit zusammenhängenden Arbeiten zur Gerechtigkeit und Ethik entschieden ab. Erstens sei das Ankommen der Demokratie als »unvorhersehbare Ankunft des Anderen« (ebd., S. 120) zu verstehen, die jegliche Vorstellung von Souveränität untergrabe und auf die es in einer Dringlichkeit zu reagieren gelte, die nicht idealisiert werden könne. Eine solche Idealisierung würde dieses Ankommen und die Vorstellung einer Demokratie im Kommen negieren und dem Ankommenden Gewalt antun. Vielmehr sei man in dieser Ankunft zweitens mit einer Entscheidung konfrontiert, für die es keine endgültigen Regeln der Entscheidbarkeit geben könne. Denn wo solche Regeln existierten, könne nichts entschieden werden (vgl. ebd., S. 121). Gerade deshalb müsse eine démocratie à venir auf einen positiven normativen Horizont verzichten. Drittens müsse sich ein solches Verständnis von Demokratie durch die Struktur eines Versprechens ausweisen, welches sich im Hier und Jetzt auf eine Zukunft verpflichtet, die nie Präsens sein wird (vgl. ebd., S. 122). Die im Kommen bleibende Demokratie verpflichtet sich somit einem Denken des Ereignisses, das jede Souveränität untergräbt und der Idee einer regulativen Idee entgegensteht.37 Es gibt 36

37

Diese Überlegungen zum Ausgangspunkt eines ›demokratischen‹ Verständnisses der sonder- und inklusionspädagogischen Diskussionen um ›Inklusion‹ und die Entwicklung einer ›inklusiven‹ Gesellschaft zu machen, eröffnet m.E. interessante Perspektiven auf die bereits in Kapitel 2 angedeuteten dichotomisierenden Diskussionen zwischen vermeintlichen ›Inklusionist*innen‹ einerseits und ›Inklusionsgegner*innen‹ andererseits. Während beide Seiten für sich in Anspruch nehmen, einer gleichberechtigten Teilhabe für ›Menschen mit Behinderungen‹ an zentralen Bereichen der Gesellschaft zuzuarbeiten, wäre diese Auseinandersetzung i.A.a. Derrida als Hinweis auf die Unmöglichkeit zu lesen, ›Demokratie‹ tatsächlich zum Präsens oder zur Präsenz zu verhelfen. Im Anschluss hieran wäre zu fragen, inwiefern der Begriff ›Inklusion‹ und die in ihm angelegten Spannungsverhältnisse dazu beitragen können, den Streit um die ›Demokratie‹ stets offen zu halten. Dieser Aspekt wird in Abschn. 3.2.3 wieder aufgegriffen, um Markus Dederichs Vorschlag zu diskutieren, ›Inklusion‹ als eine ›regulative Idee‹ zu verstehen.

113

114

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

keinen Ort, von dem aus soziale Ordnungen letztgültig begründet werden könnten. Wo es einen solchen Ort nicht gibt, gibt es auch keine Zeit, in welcher der Streit um diese Ordnung letztgültig entschieden sein könnte. Vielmehr wird jede soziale Ordnung stets vom ausgeschlossenen Anderen heimgesucht, dem sie verantwortet bleibt. Das anzuerkennen bedeutet für Derrida, eine nicht-souveräne Idee von Demokratie zu vertreten, als ein Denken des kommenden Ereignisses. Mit dem Verweis auf die démocratie à venir geht es Derrida also weder darum, dass in Zukunft die Idee der Demokratie tatsächlich realisiert sein könnte, noch geht es darum, Forderungen der Demokratisierung auf unbestimmte Zeit auszusetzen (ebd., S. 50). Vielmehr verleihe der Begriff »der unbedingten Dringlichkeit der Demokratie und der Unmöglichkeit, sie mit einem festen Sinngehalt zu versehen« (Flügel 2007, S. 131), Ausdruck. Das Demokratische lässt sich genauso wenig aneignen wie jedes andere Signifikat. Das heißt, dass aktuelle Formen der Demokratie nie mit dem zusammenfallen können, was mit dem Begriff der Identität oder der Idee der Demokratie versucht wird zu fassen. Das heißt darüber hinaus aber auch, dass Vorstellungen einer ›Annäherung‹ an das Ideal der Demokratie zu verwerfen sind. Denn eine Annäherung wäre nur möglich, wenn das Politische der Ordnung der existierenden Demokratie selbst angehören würde. Flügel zu folge geht es Derrida also um eine Demokratie, die »zwischen Zukünftigbleiben und Ankommen verharrt« (ebd.).38 Als solche ist sie nur möglich, weil und indem sie sich immer wieder gegen sich selbst wendet. Im Anschluss an die différance ist also nicht nur die Gründung, sondern auch die Zukunft der Demokratie radikal unbestimmt. Diese Offenheit verbirgt sich in jedem neuerlichen Verweis auf die Demokratie. Das Insistieren auf einer démocratie à venir impliziert, das wurde in den zurückliegenden Erläuterungen deutlich, ein spezifisches Konzept des Politischen, welches mit substantiellen und prozeduralen Einsätzen normativer Demokratietheorie bricht (vgl. ebd.). Weder kann die demokratische Gemeinschaft auf eine gemeinsame, positive Identität zurückgeführt werden,

38

Ganz ähnlich argumentiert auch Etienne Balibar, wenn er darauf hinweist, dass der Widerstand eines Individuums oder einer Gruppe maßgeblich nicht aus einer gegebenen Gemeinschaft, sondern gerade aus einer kommenden Gemeinschaft resultiert, »die es zu erfinden und durchzusetzen gilt« (Balibar 2012, S. 249) und die sich »nur durch die Berücksichtigung des Anderen und des Rechts des Anderen« (ebd., S. 250) definieren lasse.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

noch kann diese in deliberativen Prozessen herausgebildet werden (vgl. ebd.). Beide Vorstellungen des Politischen bleiben einer Idee der Souveränität verhaftet, welche vor dem Hintergrund eines Denkens der différance fragwürdig wird. Als eine Infragestellung der Voraussetzungen beider Einsätze muss ein politisches Denken im Sinne Derridas vielmehr als ein »Ins-Fragen-Kommen und Im-Fragen-Bleiben« (ebd., S. 119) verstanden werden. Als ein solches Denken wird die Dekonstruktion von Derrida in die politische Theorie eingeführt und entwickelt sich zu einem wichtigen Bezugspunkt für radikaldemokratische Arbeiten. Wenn (die politische) Differenz an der ein oder anderen Stelle auch nicht so radikal gedacht werden mag wie hier, so lässt sich an diesen Überlegungen zur Demokratie gerade deswegen besonders gut zeigen, in welche Richtung ein Denken der politischen Differenz weist: Es ist die Anerkennung der Unbegründbarkeit und Kontingenz der Politik. Diese wird in unterschiedlichsten Zusammenhängen geltend gemacht, um zentrale Konzepte der politischen Theorie auf deren Potential für ein politisches Handeln zu befragen.

3.2.2

Einsätze in eine nicht-souveräne politische Theorie

Am Anfang eines Denkens des Politischen steht bei Derrida also die Unbegründbarkeit und Kontingenz jeder Politik. Daher sehen sich konkrete Praxen der Politik konfrontiert mit der Unverfügbarkeit ihrer eigenen Voraussetzungen. Diese Einsicht teilt er mit vielen anderen radikaldemokratischen Autor*innen. In einem ersten Schritt wirft das möglicherweise die Frage auf, wie politisches Handeln vor dem Hintergrund dieser Unverfügbarkeit noch legitimiert werden kann. Es muss hieraus aber keinesfalls eine fatalistische Haltung folgen, die vor dieser Unbestimmtheit kapitulieren würde. Vielmehr können radikaldemokratische Arbeiten als Versuche gelesen werden, eine solche Infragestellung der Souveränität als Ausgangspunkt politischen Denkens und Handelns anzuerkennen und zur Grundlage des Nachdenkens über die Demokratie zu machen. So befragen sie von diesem Ausgangspunkt aus unterschiedliche Begriffe und Konzepte der politischen Theorie kritisch auf deren politisches Potential. Durch die Darstellung einiger dieser Diskussionen soll dieser Modus radikaldemokratischer Kritik im Folgenden verdeutlicht und zugleich deren Anschlussstellen an erziehungswissenschaftliche Fragestellungen um ›Inklusion‹ angedeutet werden. Die mit einer solchen Perspektive zusammenhängende Reformulierung des Konzepts der politischen Repräsentation wurde am Beispiel des Einsatzes

115

116

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

von Lefort bereits angedeutet. Die Praxis der Repräsentation wird gerade nötig, weil die allgemeinen Prinzipien einer Gesellschaft selbst nicht präsent sein können. Die hiermit implizierte Differenz zwischen den repräsentierten Prinzipien sowie den Repräsentant*innen – also deren Nicht-Identität – stellt aber nicht nur einen Mangel politischer Repräsentation, sondern gerade die Grundlage des politischen Streits um das Allgemeine dar und ermöglicht so zuallererst politische Freiheit und politisches Handeln (vgl. Laclau 1999, Weymans 2006).39 Die Befragung eines weiteren zentralen Konzepts der politischen Theorie steht in engem Zusammenhang mit der Problematisierung dieses Prinzips und hat sich ebenso schon angedeutet: das Konzept der politischen Identität. Wird nicht weiter von der Verfügbarkeit einer vor beziehungsweise hinter der Repräsentation liegenden Wirklichkeit ausgegangen, steht eine Rückführung politischer Identitäten auf eine feststehende gesellschaftliche Ordnung ebenso in Frage wie Vorstellungen von einem feststehenden Entsprechungsverhältnis zwischen politischer Identität und politischen Interessen (vgl. Laclau und Mouffe 2012, S. 124). Politische Identität wird so als relational und temporär, nichtmehr jedoch als grundsätzlich fixierbar verstanden. Unterschiedliche Repräsentationsansprüche – wie sie sich zum Beispiel in verschiedenen Verständnissen von Weiblichkeit im Feminismus zeigen – werden so als strategische Einsätze in diskursive Auseinandersetzungen um Hegemonie lesbar (vgl. Butler 1993). Privilegierte Verbindungen zwischen spezifischen Politiken mit ›dem emanzipativen Projekt‹ – ähnlich der marxistischen Idee der Privilegierung der Arbeiterklasse – werden hingegen fragwürdig (vgl. Laclau und Mouffe 2012, S. 159). Der Verzicht auf positive Gründe geht daher mit einer Enttarnung essentialistischer Identitätspolitiken als exkludierende Gewalthandlungen einher. So kann betont werden, dass Identitätskategorien »niemals nur einen deskriptiven, sondern immer auch einen normativen und damit ausschließenden Charakter« (Butler 1993, S. 49) haben. Aber da auch hier gilt, dass die Repräsentation politischer Identität nicht bruchlos verläuft, sind

39

Insofern diese strukturelle Unentschiedenheit immer wieder aufs neue politische Entscheidungen erfordert, in denen auf keinen anderen Grund der Legitimation verwiesen werden kann, als auf diese Entscheidung selbst, können viele radikaldemokratische Arbeiten auch als dezisionistische politische Theorien verstanden werden (vgl. Sack 2019). Dieser Aspekt wird am Ende der Arbeit nochmals aufgegriffen, um den vorgeschlagenen Einsatz für eine (radikal-)demokratische Artikulation von ›Inklusion‹ als eine (un-)mögliche Entscheidung zu legitimieren (vgl. Abschn. 5.2).

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

es gerade die genannten Ausschlüsse, die genutzt werden können, um Identitätsvorstellungen zu politisieren (vgl. Martinez Mateo 2019, S. 347). Konkrete Identitätspolitiken können bestehende Machtverhältnisse und Vorstellungen von Identität also ebenso festigen, wie sie das Potential in sich tragen, diese in Frage zu stellen. Mit der vorgetragenen Repräsentationskritik lässt sich so eine Identitätskritik verknüpfen, die es vorstellbar macht, »neue, irritierende, ungeregelte Fürspracheverhältnisse aufzubauen, die dieses Sprechen als Verhältnis offenlegen, indem die Positionen – Für-Sprechende und Für-Gesprochene – unsicher und variabel bleiben und kontestiert werden können« (ebd., S. 348). So bleiben Identität wie Differenz in ihrem spannungsreichen Wechselverhältnis wichtige Referenzen für ein radikaldemokratisches Denken des Politischen. Eine solche Perspektive wird ein Verständnis von (Nicht-)Behinderung als einem »anhaltenden interaktiven, perzeptiven und repräsentativen Geschehen« geltend machen, »das den sozialen Tatbestand Behinderung in eine vermeintlich naturhafte, als solche identifizierbare und damit gleichsam Identität verleihende Tatsache ›verwandelt‹« (Homann und Bruhn 2020, S. 83). Von hier aus lässt sich das Konzept der ›Selbstbetroffenheit‹ als strategische Artikulation der Identitätsstiftung lesen und kritisieren, da diese politische Artikulationen ermöglicht und sich zugleich der Gefahr einer Partikularisierung und Vereinnahmung aussetzt (vgl. ebd., S. 84). Der Slogan ›Nichts über uns ohne uns!‹ wird so zum Ausgangspunkt einer Ermächtigung wie einer dauerhaften Befragung von Ordnungen der Identität und Zugehörigkeit. Mit der Figur der politischen Differenz wird neben der Identität politischer Akteur*innen aber auch die Identität von Gesellschaft irritierbar. So erscheint diese – zumindest im Sinne einer mit sich selbst identischen Totalität – geradezu als ›unmögliches Objekt‹ (vgl. Laclau 1990c). Gegen vereinheitlichende Vorstellungen von ›Gesellschaft‹ werden hier die Konstitutionsprozesse je konkreter Realisierungen des Gesellschaftlichen geltend gemacht. Auch hier ist es das Fehlen eines innerhalb oder außerhalb der sozialen Ordnung positiv feststellbaren Grunds, welches objektivistische Vorstellungen von Gesellschaft in Frage stellt (vgl. Marchart 2013a). Die symbolische Ordnung einer Gesellschaft könne nur stabilisiert werden, so die Argumentation, wenn eine Grenze dieser Ordnung konstruiert wird. Hierfür müsse das Außen der Gesellschaft innerhalb derselben symbolisiert werden, ohne dass dieses Symbol der gesellschaftlichen Ordnung (also den Relationen der Differenzen innerhalb derselben) selbst angehören dürfe (vgl. Laclau 2013a, S. 66). Gesellschaft ist in ihrer Konstitution also auf eine negative Differenz angewiesen, die ihre Identität immer schon untergräbt. Gesellschaftsanalyse

117

118

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

könne es deshalb nicht weiter darum gehen, die positive Essenz ihres Gegenstandes zu erschließen. Vielmehr ginge es darum, zu verstehen, »what prevents it [society] from being« (Laclau 1990b, S. 44). Dieses Insistieren auf eine konstitutive Differenz innerhalb des Gesellschaftlichen stellt einen Bruch mit dem marxistischen Gesellschaftsbegriff insofern dar, als dass Vorstellungen einer Möglichkeit der rationalen Durchdringung von Gesellschaft als Phantasma enttarnt werden. Jenseits einer solchen Möglichkeit bleibe ein »postfundamentalistisches Gesellschaftskonzept« (Marchart 2013a, S. 335) auf die Analyse der Auseinandersetzungen um das Gesellschaftliche und die darin enthaltenen Hinweise auf das jeweils Ausgeschlossene angewiesen. Auf den ersten Blick scheint damit die Möglichkeit einer Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse aufgegeben – zumindest in Hinblick auf ein anzustrebendes Allgemeines, wie dies normative Demokratietheorien zu leisten in der Lage wären (vgl. Flügel-Martinsen 2019b, S. 580). Auf den zweiten Blick aber wird deutlich, dass es radikaldemokratischen Einsätzen um Formen »einer befragenden, postessentialistischen Kritik« (vgl. ebd.) geht, welche die Grundlage der Gestaltung von Gesellschaft gerade in der Unbestimmtheit von Gesellschaft und dem hieraus resultierenden Ringen um deren Gestaltung verorten. Diese Kontingenz sei insbesondere durch die »historische Erfahrung der Einforderung von Freiheit und Gleichheit« (Comtesse 2019, S. 524) transparent geworden. Da sich diese – einmal in der Kontingenzerfahrung entdeckt, zum Bezugspunkt der Politik erklärt oder im sozialen Imaginären etabliert – immer wieder aufs Neue gegen je vorhandene Ordnungen geltend machen ließen, ohne zugleich auf den Ordnungsanspruch selbst verzichten zu müssen, gelte es gerade für diese Prinzipien der Gleichheit und Freiheit einzutreten und die Spannung zwischen ihnen zu radikalisieren. Vorstellungen einer ›wahrhaftig‹ inklusiven Gesellschaft verbieten sich vor diesem Hintergrund. Gerade der Fokus auf die Prozesse der Konstitution von Gesellschaft und der damit einhergehenden Formen der Teilhabe und Ausgrenzung scheinen jedoch anschlussfähig an Forderungen, im erziehungswissenschaftlichen Diskurs neben ›Inklusion‹ auch zunehmend (wieder) ›Exklusion‹ als Phänomen in den Blick zu nehmen (vgl. z.B. Kronauer 2015).40

40

In Kapitel 4 werden ein radikaldemokratisches Verständnis von ›Gesellschaft‹ und hieraus resultierende Möglichkeiten der ›Gesellschaftsanalyse‹ wieder aufgegriffen und ausführlich erläutert, um die Forderungen einer gesellschaftsanalytischen Fundierung der Auseinandersetzungen um ›Inklusion‹ zu diskutieren.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

Wo nun von der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse die Rede ist, stellt sich nicht zuletzt die Frage nach dem Subjekt dieser Gestaltung. Dieser zentrale Begriff politischer Theorie erfährt vor dem Hintergrund der Annahme einer radikalen Differenz eine ähnliche Dekonstruktion, wie bereits die zuvor genannten Begriffe. Das Subjekt wird in radikaldemokratischen Arbeiten nicht als Ursprung des politischen Handelns verstanden, sondern als dessen Resultat oder mit diesem gleichursprünglich. Gegen die Idee einer souveränen Täterschaft hinter dem Tun rücken deshalb Prozesse der Subjektivierung ins Zentrum des Interesses (vgl. Boelderl 2015; Butler 2001; Rancière 2011). So wird die Bedeutung von Prozessen der Anrufung für die Konstitution von Subjekten geltend gemacht, die in Regime der Anerkennung und Anerkennbarkeit eingebunden sind und ihre Wirksamkeit aus der Wiederholung gesellschaftlicher Normen und Konventionen beziehen (vgl. Butler 2001). Das Subjekt sei demnach »genötigt, nach Anerkennung seiner eigenen Existenz in Kategorien, Begriffen und Normen zu trachten, die es nicht selbst hervorgebracht hat« (ebd., S. 25) und erst in der Annahme dieser Normen wird das Subjekt überhaupt zum Subjekt. Eine solche Perspektive fokussiert also die gesellschaftliche und machtvolle Dimension von Prozessen der Anerkennung. Vor diesem Hintergrund lassen sich inklusionspädagogische Ansätze problematisieren, die Anerkennung als etwas grundsätzlich Positives und Erstrebenswertes konzipieren. So reproduzieren Forderungen einer Anerkennung von Differenz »die Verhältnisse der Differenz, die immer auch als Verhältnisse der Dominanz, der Über- und Unterordnung verstanden werden müssen. Da, wo Pädagogik einen Beitrag beispielsweise zur Anerkennung von Menschen mit Behinderungen leistet, bestätigt die Anerkennungspraxis das machtvolle Schema, das zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen unterscheidet und diese gesellschaftliche bedeutsame Differenzordnung hervorbringt.« (Hazibar und Mecheril 2013) Solche Prozesse werden innerhalb der radikalen Demokratietheorie aber gerade nicht als strukturell determiniert beziehungsweise determinierend verstanden. Denn die sich in der Wiederholung vollziehende Verschiebung von Bedeutung kann eine Infragestellung der Normen der Anerkennbarkeit und Nicht-Anerkennbarkeit von Subjektpositionen nach sich ziehen, welche einen Raum der politischen Auseinandersetzung erst eröffnet (vgl. Butler 2001, S. 95). Politische Handlungsfähigkeit erwächst dann nicht aus einer illusorischen Idee der Autonomie des Subjekts, sondern aus der Infragestellung

119

120

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

sowie Unverfügbarkeit dessen normativen Grundlagen. Sie entsteht in dem Moment, »wo ein bestimmtes Selbst in seiner Verständlichkeit und Anerkennbarkeit« in einem Streit für lebbarere Formen der Anerkennung »aufs Spiel gesetzt wird« (Butler 2007, S. 177), um gleichwertige Lebensbedingungen und Möglichkeiten der Partizipation einzufordern, ohne sich zugleich an gegebene Formen der Subjektivität anpassen zu müssen. Das Politische wird somit nicht in einem souveränen, immer schon handlungsfähigen Subjekt verortet, sondern in den stets prekären Prozessen der Subjektivierung im Raum zwischen »einer äußeren Normierung und einer (freizulegenden) Handlungsfähigkeit« (Raimondi 2019, S. 631). Von hier aus lassen sich provokative (An-)Fragen an Möglichkeiten des Sprechens und Handelns innerhalb des Diskurses um Behinderung stellen (vgl. Hetzel 2007, Buchner 2018). Insbesondere die von Butler zuletzt geltend gemachten konstitutiven Zusammenhänge von Handlungsfähigkeit und Verletzlichkeit (vgl. z.B. Butler 2010, 2016) dürften im Kontext der Diskussionen um Möglichkeiten einer gleichberechtigten Teilhabe von (nicht-)behinderten Menschen eine gewinnbringende Perspektive auf politische und auch Bildungsprozesse darstellen (vgl. z.B. Fritzsche 2018). Vor dem Hintergrund der Annahme einer Differenz zwischen der Politik und dem Politischen und dem damit einhergehenden Eintreten für eine Anerkennung der Kontingenz und Unverfügbarkeit der Grundlagen von Politik finden sich in radikaldemokratischen Arbeiten also viele unterschiedliche Begriffe der politischen Theorie kritisch auf deren politisches Potential hin befragt. Der Begriff des Politischen markiert hier deshalb eine »kritische Praxis eines über bestehende normative und institutionelle Verhältnisse Hinausdenkens und Hinausgehens« (Flügel-Martinsen 2019b, S. 580). So unterschiedlich die sich an diesen Einsatz anschließenden Analysen auch sein mögen, so teilen sie zunächst doch zwei Aspekte. Erstens geht es ihnen nicht darum, die diskutierten Begriffe einfach zu verwerfen. Vielmehr werden diese einer Analyse unterzogen, welche die politische beziehungsweise umstrittene Dimension derselben thematisierbar macht. Zweitens insistieren sie darauf, dass diese Dimension nicht positiv fassbar ist, sondern sich als radikale Differenz in seiner Negativität lediglich als ›Spur‹ in den Auseinandersetzungen um diese Konzepte manifestiert. Das Politische wird als Grundlage der Politik deshalb selbst nicht der Ordnung der Politik zugerechnet. Es wird vielmehr in radikaler Differenz hierzu positioniert. So wird betont, dass es im strengen Sinne weder positiv dargestellt (vgl. Boelderl 2015, S. 225), noch in seinem Namen gesprochen werden könne: »[e]s steht vielmehr für die Unmöglichkeit, in sei-

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

nem Namen zu sprechen« (Flügel et al. 2004 S. 9). In einem positiven beziehungsweise objektiven Sinne könne es deshalb auch weder normativ gefasst noch empirisch vorgefunden werden. Vielmehr ereigne es sich immer wieder auf neue Arten und Weisen in der Infragestellung konkreter Politiken als deren Negativität. Die radikaldemokratische Theorie versteht sich dennoch oder gerade deshalb »einem emphatischen Denken des Politischen verpflichtet« (ebd., S. 7). So gehe es ihr um eine »Wiederherstellung der politischen Philosophie« (Lefort 1990a, S. 281), welche gegen empirisch-komparatistische Verständnisse der Politikwissenschaft sowie normative Begründungsversuche der politischen Theorie geltend gemacht wird (vgl. Flügel et al. 2004, S. 7). Denn diese würden – so der Vorwurf – die jedem Gründungsversuch zu Grunde liegende Differenz verkennen und so »ein angemessenes politisches (und demokratietheoretisches) Denken im Ganzen« (Flügel-Martinsen 2015, S. 77) unterdrücken. Theorien der radikalen Demokratie machen das Feld der mit der Politik sowie dem Politischen befassten Wissenschaften damit selbst zu einer Arena der Politik. Das Insistieren auf den negativen Grundlagen des Sozialen kann als Versuch der Entgründung und Demokratisierung der Konzepte der politischen Theorie beziehungsweise Philosophie verstanden werden.

3.2.3

Die politische Differenz und der Streit um ›Inklusion‹

Die zurückliegenden Diskussionen radikaldemokratischer Einsätze haben gezeigt, dass sich diese auf je eigene Arten und Weisen in Diskussionen um die symbolische Dimension sozialer Prozesse einschreiben, die in Ermangelung eines besseren Begriffs als poststrukturalistisch bezeichnet werden können.41 Ausgehend von der Annahme einer Unbegründbarkeit und Unverfügbarkeit der sozialen respektive symbolischen Ordnung stellen sie essentialistische Verständnisse von Begriffen der politischen Theorie wie zum Beispiel ›Gesellschaft‹, ›Identität‹ oder ›Subjekt‹ und eben nicht zuletzt von ›Politik‹ selbst in Frage. Folgt man diesen Einsätzen, hat die Fokussierung der symbolischen Dimension des Sozialen beziehungsweise des Politischen mindestens zwei Auswirkungen auf die Formulierung von Demokratietheorien.

41

Zur Diskussion um die Subsumierung sehr heterogener Theorieansätze unter den Begriff ›Poststrukturalismus‹ s. Angermuller 2007.

121

122

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Zunächst kann eine Gesellschaft nicht auf eine spezifische Form(ation) verpflichtet werden. Vielmehr kann sie aufgrund ihrer Kontingenz immer auch anders repräsentiert werden. Dieser Aspekt lenkt die Aufmerksamkeit auf die Differenz zwischen aktuellen Politikverständnissen und der Dimension des Politischen als deren Grundlage. Jeder Versuch der Repräsentation einer gesellschaftlichen Ordnung produziert (Bedeutungs-)Aus- und Überschüsse, weshalb es keine Möglichkeiten der letztgültigen Kontrolle dieser Versuche geben kann. Gerade diese Überdeterminierung der Repräsentation der sozialen Struktur ermöglicht es, die soziale Ordnung immer wieder zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen zu machen (vgl. Laclau und Mouffe 2012, S. 132f.). Eine immer schon strukturierte Ordnung käme aus dieser Perspektive nämlich einem Ende jeglicher Politik gleich. Des Weiteren gilt vor diesem Hintergrund, dass radikaldemokratische Einsätze mit der Entscheidung für das demokratische Dispositiv zunächst selbst für eine soziale Ordnung eintreten, für die – wie für jede andere Ordnung auch – gilt, dass sie sich durch Ausschlüsse konstituiert. Die Tatsache aber, dass ihre Prinzipien der Gleichheit und Freiheit ein Spannungsverhältnis erzeugen, welches immer wieder zur Hinterfragung gegebener Ordnungen aufruft (vgl. Comtesse 2019), macht die Demokratie zu einer symbolischen Ordnung, welche die Kontingenzannahme auf unterschiedliche Arten und Weisen selbst inszeniert und so als eine »Probe auf eine letzte Unbestimmtheit« (Lefort 1990a, S. 296) permanent politische Auseinandersetzungen und Entscheidungen einfordert. Im vorangehenden Abschnitt wurden bereits einige Anknüpfungspunkte zwischen diesen Einsätzen und Fragestellungen innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Debatten um ›Inkusion‹ angedeutet. In diesem letzten Abschnitt zur Einführung in das Denken einer politischen Differenz soll nun noch diskutiert werden, was diese für die Bestimmung eines politischen oder demokratischen Begriffs von ›Inklusion‹ bedeuten können. Im Anschluss an Derrida gilt es, sich in einem ersten Schritt von der Annahme zu verabschieden, der Begriff ›Inklusion‹ verweise genuin auf eine ganz spezifische (pädagogische oder politische) Praxis. Folgt man seinen Überlegungen zur différance für eine demokratietheoretische Diskussion von ›Inklusion‹, gilt es, die Unmöglichkeit der Fixierung eines Bedeutungsgehalts von ›Inklusion‹ anzuerkennen. Der Begriff ›Inklusion‹ ist nicht genuin mit einer Wirklichkeit außerhalb der Auseinandersetzung um seine Bedeutung verbunden. Es gibt also nicht die eine Idee von Inklusion, die als Maßstab für pädagogische Praxen herangezogen werden könnte. Der Fokus der wissen-

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

schaftlichen Auseinandersetzung verschiebt sich damit von einem Interesse für eine normative Begründung von ›Inklusion‹ hin zu einer Analyse der Auseinandersetzungen um sowie der strategischen Verwendungsweisen des Begriffs im Feld der Pädagogik und der (Bildungs-)Politik. Das Erkenntnisinteresse gilt in einem ersten Schritt also der Frage, wie ›Inklusion‹ in unterschiedlichsten Diskussionszusammenhängen eingebracht wird, um Forderungen, Ansprüchen und Aussagen Geltung zu verleihen und diese zu verallgemeinern. ›Inklusion‹ erscheint so als ein Begriff der Pädagogik wie der Politik, der als solcher in seinen Verwendungsweisen zu analysieren wäre. Vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses der Inklusionspädagogik stellt diese Arbeit aber auch die Frage nach der politischen Dimension von ›Inklusion‹. In den zurückliegenden Erläuterungen sollte hinlänglich deutlich geworden sein, dass diese Frage aus einer radikaldemokratischen Perspektive nicht normativ im Sinne eines präskriptiven Verständnisses von ›Inklusion‹ zu beantworten sein wird. Wo man sich von einem souveränen Theorieverständnis des Politischen verabschiedet, können nicht länger positive Kriterien genannt werden, die eine Qualifizierung von ›Inklusion‹ als ›politisch‹ jenseits seiner konkreten Verwendungsweisen in sozialen Kontexten ermöglichte. Im Anschluss an dekonstruktivistische Positionierungen impliziert dies Fragen nach der in einem Begriff von ›Inklusion‹ angelegten Differenz, die den eigenen Anspruch stets zu untergraben droht und somit den Ausgangspunkt für die Möglichkeit wie die Notwendigkeit der Auseinandersetzung um ihn darstellt. Eine radikaldemokratische Artikulation von ›Inklusion‹ wäre also angehalten, die inneren Widersprüche inklusiver Ansprüche herauszuarbeiten, um deren politisches Potential geltend machen zu können. Um eine solche Perspektive zu explizieren, sollen im Folgenden beide Aspekte – der Versuch der Konstituierung beziehungsweise Beschreibung einer Ordnung sowie die in jeden dieser Versuche eingeschriebene Differenz – an zwei Einsätzen für einen pädagogischen Begriff von ›Inklusion‹ diskutiert werden: Markus Dederich schlägt vor, ›Inklusion‹ als eine regulative Idee zu verstehen. Clemens Dannenbeck und Carmen Dorrance hingegen formulieren die Forderung, ›Inklusion‹ sei gerade nicht als normative, sondern vielmehr als analytische Perspektive zu entwerfen. In einem Artikel, der sich mit den heterogenen Verwendungsweisen des Inklusionsbegriffs auseinandersetzt, plädiert Markus Dederich für einen pädagogischen Inklusionsbegriff, der ›Inklusion‹ als eine regulative Idee verstehbar macht (vgl. Dederich 2017). Einer um sich greifenden Begriffsverwirrung sei vorzubeugen, indem eine normative pädagogische Perspektive

123

124

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

strikt von sozialwissenschaftlichen Konzepten von Inklusion und Exklusion getrennt und die jeweils eigene Produktivität der Zugänge in den Vordergrund gestellt würden. Gleichzeitig wird im Laufe der Argumentation deutlich, dass beide Perspektiven wiederum aufeinander zu beziehen wären, insofern einerseits eine sozialwissenschaftliche Forschung inklusionspädagogische Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen in der Lage wäre und andererseits eine solche Forschung wiederum auf eine normative Perspektive angewiesen sei, um gegebene soziale Ordnungen überhaupt problematisieren und eine Veränderung dieser Verhältnisse vorstellbar machen zu können. Eine solche Perspektive, so die Hoffnung Dederichs im Ausblick des Aufsatzes, ließe sich mit ›Inklusion‹ verknüpfen, insofern diese als eine regulative Idee verstanden werde: »Wenn es einen Anspruch gibt, die Gesellschaft weiterzuentwickeln und Spielräume für Selbstbestimmung und Teilhabe zu vergrößern, brauchen wir ein Bild, ein Modell oder eine Vorstellung davon, wie eine Gesellschaft im Ganzen und das Bildungssystem im Besonderen sein sollten, denn nur so können wir überhaupt wissen, was zu verändern und welche Richtung einzuschlagen ist. Von hier aus gesehen wäre Inklusion als regulative Idee zu begreifen, die nicht vollumfänglich, sondern nur in mehr oder weniger guten Annäherungen zu verwirklichen wäre. Sie dürfte nicht statisch begriffen werden, sondern als Prozess, der nie zu einem endgültigen Abschluss kommen kann.« (Ebd., S. 80) Bei aller Nähe zu den bisherigen Erläuterungen, welche dieser zurückhaltende Bezug auf Normativität aufweist, stellt sich dennoch die Frage, wie sich ein solcher Entwurf des Inklusionsbegriffs zu den zurückliegenden Überlegungen zu einer möglichen Bestimmung der politischen Dimension von ›Inklusion‹ verhält?42

42

Mit dieser Anfrage an Dederichs Ausblick soll es weniger um die Frage gehen, ob das kantsche Konzept der regulativen Idee hier angemessen rezipiert ist. Dafür wäre von der Möglichkeit der Bewertung einer mehr oder weniger angemessenen Lektüre auszugehen und für ein solches Vorgehen wäre der Verweis auf das Konzept innerhalb dieses Artikels zu wenig systematisch ausgearbeitet. Im Sinne der zuvor erarbeiteten Perspektive geht es im Folgenden vielmehr darum, den Vorschlag Dederichs aufzugreifen, um danach zu fragen, welches politische Potential in einer solchen Konzeption von Normativität steckt und was möglicherweise Probleme einer solchen Konzeption sein könnten.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

Zur Diskussion dieser Frage kann auf die zurückliegende Darstellung der Arbeiten Derridas an dem Konzept einer démocratie à venir zurückgegriffen werden. Denn in diesen wird das kantsche Konzept der regulativen Idee explizit aufgegriffen. Dabei äußert Derrida eine Skepsis gegenüber dessen Prämissen und entwickelt die Idee einer im Kommen bleibenden Demokratie geradezu in der Abgrenzung zu ihm. Mit einer regulativen Idee werde ein Bild von der Zukunft gezeichnet, die es, wenn nicht zu erreichen, dann doch zu verfolgen gelte: »In diesem Fall verbleibt eine regulative Idee in der Ordnung des Möglichen, bleibt ein zweifellos mögliches, wenngleich ins Unendliche aufgeschobenes Ideal.« (Derrida 2006, S. 119) Damit verweise es erstens auf ein vermögendes Ich und auf hiermit zusammenhängende Vorstellungen der Autonomie und Souveränität. Mit diesen gelte es aber zu brechen, da sich die Demokratie jenseits kontrollierbarer Versuche der Ordnungsstiftung als Ereignis einer »unvorhersehbare[n] Ankunft des Anderen« (ebd., S. 120) zeige. Die Wahrnehmung der hiermit einhergehenden Verantwortung und Gerechtigkeit liege deshalb nicht – und das ist der zweite Vorbehalt gegenüber einer regulativen Idee – in der Anwendung einer zuvor festgelegten Norm. Eine solche Antwort auf den Anderen würde den Raum »[f]ür irgendeine Gerechtigkeit, irgendeine (rechtliche, politische, ethische usw.) Verantwortung« (ebd., S. 121) immer schon schließen und eine Entscheidung vorgeben, wo nichts mehr zu entscheiden sei. Die im Kommen bleibende Demokratie könne deshalb drittens gerade nicht als ein positives Bild einer gemeinsamen Zukunft entworfen werden. Sie müsse vielmehr als ein Versprechen im Hier und Jetzt gegenüber einer nicht absehbaren Zukunft verstanden werden (vgl. ebd., S. 122). Ausgehend von seinen Überlegungen zur différance sowie den hieraus gezogenen ethischen Überlegungen ergibt sich für Derrida also eine Skepsis gegenüber Konzeptionen der Demokratie als sich lediglich zurückziehender Horizont. Ein Bild, dem man sich annähert – so könnte man Dederichs Ausblick entgegnen – bleibt ein Bild, das eine Richtung vorgibt. Auch wenn das Ziel nie erreicht werden mag, wären ›Demokratie‹ oder ›Inklusion‹ hier die Namen für Versuche einer mehr oder weniger souveränen Annäherung an ein Ideal und gerade nicht für die Heimsuchung dieser Versuche sowie des Ideals durch die ereignishafte Ankunft des Anderen. In Derridas Lesart handelt es sich bei dem Konzept einer regulativen Idee also um ein schließendes Verständnis von Normativität, welches Gefahr läuft, die Andersheit des Andern zu verkennen und diesem so letztlich Gewalt anzutun. Nun kann Dederich sicherlich nicht vorgeworfen werden, dass er sich gegenüber der Bedeutung des Anderen für die Entwicklung sonder- wie inklu-

125

126

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

sionspädagogischer Fragestellungen ignorant verhalten würde. In einer Vielzahl von Veröffentlichungen setzt er sich intensiv mit Konzepten der Unbestimmtheit und des Anderen auseinander (vgl. z.B. Dederich 2015). Gerade deshalb lohnt möglicherweise eine genauere Betrachtung des oben angeführten Zitats. Zunächst geht er davon aus, dass es eine positive normative Perspektive für die Entwicklung der Gesellschaft brauche. Den Geltungsbereich eines solchen normativen Verständnisses von ›Inklusion‹ schränkt er dabei doppelt ein. Einmal wäre ›Inklusion‹ als Horizont zu verstehen, der nie vollumfänglich erreicht würde. Das andere Mal wäre ›Inklusion‹ ›nicht statisch‹ zu begreifen, sondern als ein nicht enden wollender Prozess. Damit wird der Begriff genau genommen auf zwei unterschiedlichen Ebenen verortet: auf einer quasi-ontologischen – als eine Idee, die wenn nicht erreicht, so doch bestimmt werden könnte – und einer ontischen – als Umsetzungsversuche dieser Idee. Möglicherweise eröffnet nun genau diese Differenz den Raum für eine Reformulierung dessen, was hier mit ›regulative Idee‹ gemeint ist. Denn wenn ›Inklusion‹ zugleich Ziel und Prozess sein soll, so ist nicht nur der Prozess auf Dauer gestellt – wie Dederich zu Recht feststellt. Dann wird auch jeder Versuch der Formulierung eines Ziels von diesem Prozess eingeholt, womit ›Inklusion‹ immer wieder neu zur Disposition stehen würde – nicht zuletzt durch das im Prozess Ausgeschlossene. Dies wäre möglicherweise eine Lesart einer ›regulativen Idee‹, die berücksichtigt, »dass sich das Objekt der kathektischen Besetzung selbst ständig verändert« (Laclau 2013c, S. 243) und deshalb die Auseinandersetzung hierum konsequent offen hält – auch und insbesondere für die ereignishaften Infragestellungen derselben.43 Das Konzept der regulativen Idee bruchlos für eine normative Begründung von ›Inklusion‹ heranzuziehen und so eine Perspektivierung auf die Versuche der Konstitution ganz spezifischer pädagogischer Ordnungen vorzunehmen, ohne die Kontingenz der Entscheidung hierfür selbst sichtbar zu machen, scheint aber einer Möglichkeit der Offenheit gegenüber dem Anderen eher entgegenzustehen. ›Inklusion‹ wäre dann der Gefahr einer Entpolitisierung ausgesetzt. 43

Eine weitere Differenz kann für die von Dederich selbst vorgeschlagene Zielperspektive geltend gemacht werden. Im zitierten Abschnitt ruft er hierfür die Begriffe ›Selbstbestimmung‹ und ›Teilhabe‹ auf. So knüpft auch er das Versprechen der Inklusion an die demokratischen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit sowie dem zwischen ihnen angelegten Spannungsverhältnis. Diese wurden in den zurückliegenden Erläuterungen wiederholt als eine Grundlage der dauerhaften Infragestellung demokratischer Ordnungen aufgerufen.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

Eine solche Gefahr sehen auch Clemens Dannenbeck und Carmen Dorrance, wenn sie davor warnen, dass eine »wertebasierte Gesellschaft« nur für den »Preis der Entpolitisierung des Inklusionsgedankens zu haben« (Dannenbeck und Dorrance 2009) sei. Sie lehnen ein normatives Verständnis von ›Inklusion‹ deshalb zu Gunsten einer »permanente[n] Reflexion der individuellen Konsequenzen und strukturellen Bedingungen des eigenen Handelns« (ebd.) explizit ab. Ähnlich wie Dederich versuchen auch sie eine Öffnung des Diskurses, wenn sie eine praktische Realisierbarkeit von Inklusion entschieden als »theoretische Falle« (ebd.; Herv. i. Original) zurückweisen. Eine solche »Wunschvorstellung einer inklusiven Gesellschaft« verweise auf »die Möglichkeit der (Re)Etablierung einer Gemeinschaft, deren notwendigerweise vormoderner Charakter wohl nicht zu hintergehen wäre« (ebd.). In einer modernen Gesellschaft könne Inklusion aber kein »normativer Orientierungspunkt für eine einzuschlagende Richtung gesellschaftlicher Veränderungen« (ebd.) sein. Sie müsse als eine theoretische Perspektive verstanden werden, welche eine »kulturelle, strukturelle und praxisbezogene Reflexion« (ebd.) (inklusions-)pädagogischen Handelns ermögliche. In der hiermit verbundenen Verwiesenheit auf die gesellschaftlichen Verhältnisse liege letztlich auch die Politizität dieser Perspektive, die es gegen lediglich wertorientierte Konzepte von Inklusion zu verteidigen gelte. »Inklusion in diesem Sinn bedeutet die Kritik und Auflösung stereotypen (sozial)pädagogischen Handelns als vermeintlich ›richtiges‹ Handeln, unabhängig von Situation und Kontext.« (Ebd.) Auch diese Argumentation scheint zunächst einzelne Aspekte der zurückliegenden Abschnitte aufzugreifen beziehungsweise mit diesen zu korrespondieren. So wird der Idee einer positiven Entsprechung von Inklusion eine Absage erteilt und Vorstellungen einer harmonischen Gemeinschaft aller werden zurückgewiesen. Denn werde ein ganz bestimmtes Verständnis von Inklusion vorausgesetzt, sei »ein potentielles Ende der kritischen Auseinandersetzung mit den Bedingungen des eigenen Handelns bereits mitgedacht. Ein solcher Abschluss kritischer Reflexion steht jedoch im Widerspruch zum Inklusionsbegriff selbst.« (Ebd.) Einen besonderen Stellenwert in der Argumentation nimmt dabei die symbolische Dimension des Sozialen ein, der sich analytisch zuzuwenden wäre, wolle man sich den »gesellschaftlichen Konstruktionsprozesse[n] von Differenz(en)« (ebd.) stellen. Im Anschluss an repräsentationskritische Überlegungen fordert Dannenbeck an anderer Stelle, jeglicher Universalisierung von partikularen Ansprüchen und Vorstellungen in inklusionsorientierten Settings gegenüber kritisch zu sein (vgl. Dannenbeck 2012, S. 59). In dieser Logik bleibt Inklusion als politisches beziehungsweise emanzipatives

127

128

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Projekt auf die »Analyse sich verändernder Inklusions/-Exklusionsordnungen [sic!][verwiesen], die stets Verschiebungen von Systemgrenzen (und nicht deren Aufhebung) sichtbar und benennbar werden lassen« (ebd., S. 66). Die Schlussfolgerung, die Dannenbeck und Dorrance hieraus ziehen, erscheint zunächst konsequent: Inklusion eigne sich nicht »als normativer Orientierungspunkt für eine einzuschlagende Richtung gesellschaftlicher Veränderungen« (Dannenbeck und Dorrance 2009). Dem Anliegen einer solchen Analyse ist aus radikaldemokratischer Perspektive sicherlich ebenso wenig entgegenzubringen wie der Infragestellung der Möglichkeit einer einfachen Aufhebung von (System-)Grenzen, wird hier doch gerade die Etablierung von Grenzen als Bedingung jeglicher Systematizität betont. Was bei Dannenbeck und Dorrance aber unberücksichtigt bleibt, ist die dieser Perspektive zu Grunde gelegte Entscheidung für die demokratischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit. Denn nur dadurch, dass Dannenbeck und Dorrance mit dem Verweis auf soziale Ungleichheit beziehungsweise auf deren Analyse das demokratische Prinzip der Gleichheit durch die Hintertür einführen, werden einzelne Differenzsetzungen hier erst problematisierbar.44 Dies verschweigen oder übersehen die Autor*innen – vermutlich aus Sorge vor möglichen Universalisierungseffekten des eigenen Einsatzes. Hier zeigt sich also, dass die Forderung einer kritisch-reflexiven Haltung einerseits reflexiv auf eine situativ gegebene soziale Ordnung verwiesen ist, sie aber andererseits selbst auf die Universalisierung der eigenen Prinzipien angewiesen bleibt. Dederich schlägt vor dem Hintergrund einer Differenzierung sozialwissenschaftlicher und pädagogischer Diskurse um ›Inklusion‹ vor, ›Inklusion‹ als eine dezidiert normative Perspektive zu entwerfen. Sein Verweis auf das Konzept der ›regulativen Idee‹ zeichnet sich dabei durch eine Figur der Zukunftsoffenheit aus, die ein zielgerichtetes pädagogisches Handeln vorstellbar macht, gleichzeitig jedoch Gefahr läuft, die Kontingenz dieser Zielsetzungen zu verkennen und damit die je aufs Neue gegebene Prekarität der Entscheidung im Angesicht des Anderen zu dethematisieren. Dannenbeck und Dorrance hingegen machen diese Gefahr normativer Grundlegungsversuche zum Ausgangspunkt ihrer Argumentation und ziehen hieraus den Schluss, auf die Universalisierung von Normen zu Gunsten der Reflexion pädagogischer Ordnungen komplett zu verzichten. Einerseits wirft das die Frage nach 44

Für die Bedeutung der Referenz auf formelle Gleichheit für die Wahrnehmung von sozialer Ungleichheit im Anschluss an Claude Lefort s. Weymans 2006, S. 191.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

den Möglichkeiten der Legitimation pädagogischen Handelns auf, andererseits scheinen sie dabei die normative Grundlegung des eigenen Einsatzes zu verkennen. Denn der Versuch, in der Argumentation von allzu naiven inklusionspädagogischen Vorstellungen von Gemeinschaftlichkeit zu einer Analyse des Feldes der Differenzen zu wechseln, gelingt ihnen nur, indem sie den normativen Horizont der Demokratie voraussetzen. Während der eine Einsatz also an dem Anspruch zu scheitern droht, ›Inklusion‹ als eine normative Perspektive zu entwerfen, deren Ziel gleichsam unbestimmt bleibt, ist es das Eintreten für diese Unbestimmtheit, die im anderen Einsatz die Produktivität von Normativität zu verkennen droht. Aus radikaldemokratischer Perspektive wäre deshalb mit und gegen beide Einsätze zu fragen, ob ›Inklusion‹ nicht doch als ein Zeichen verstanden werden könnte, das einen normativen Horizont aufzuspannen ermöglicht. Denn auch diese Demokratietheorie verzichtet nicht auf Normativität. Normativ gehaltvoll erscheint ihr die Demokratie jedoch »einzig durch die Positivierung ihrer leeren Mitte, durch die Abweisung aller Versuche, diese leere Mitte abschließend zu besetzen« (Hetzel 2019, S. 605). Analog zum Diskurs der radikalen Demokratie wäre das Eintreten für eine Radikalisierung von ›Inklusion‹ also als eine politische Entscheidung zu verstehen, die »keine transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit von Demokratie zulässt, die nicht selbst wiederum zum Gegenstand demokratischer Auseinandersetzungen werden könnten. Radikale Demokratie ist nicht in universalen Normen, Prinzipien oder Werten verwurzelt, die ihren Ort außerhalb der Demokratie selbst hätten.« (Hetzel 2017, S. 48) Eine radikaldemokratische Ausformulierung von ›Inklusion‹ erfordert deshalb eine stete Befragung konkreter Realisierungen inklusiver Ansprüche. Sie muss sich am Umgang mit solchen Infragestellungen messen lassen. Diese sind weder zu leugnen, noch in der eigenen Logik zu reformulieren. Vielmehr sind sie ebenso zu affizieren wie die Auseinandersetzungen um die je vorläufigen Definitionen des Inklusiven. Im Anschluss hieran sind bisherige, aktuelle wie zukünftige Begründungsstrategien einer inklusiven Pädagogik ebenso kritisch zu diskutieren wie diejenigen ihrer Kritiken. So lassen sich essentialistische Verständnisse von ›Identität‹, ›Subjekt‹ oder ›Gesellschaft‹ in Frage stellen, welche Vorstellungen von ›Inklusion‹ oder deren Kritiken an scheinbar unproblematische körper-, fähigkeits- oder geschlechtsspezifische Zuschreibungen, nationale, religiöse oder kulturelle Zugehörigkeiten sowie objektivierende Gesellschaftsanalysen binden.

129

130

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Die mit solchen Essentialismen einhergehenden Grenzen werden nirgendwo so deutlich, wie in den Konflikten und Kämpfen um dieselben beziehungsweise dort, wo sich vermeintlich sicher etablierte Ordnungen mit den von ihnen Ausgeschlossenen konfrontiert sehen. Deshalb wird politischen Auseinandersetzungen – sei es in Form des Streits, Konflikts oder Dissenses – in radikaldemokratischen Arbeiten eine besondere Aufmerksamkeit zu Teil. Im Anschluss hieran widmen sie sich in ihren Analysen insbesondere den Irritationen oder Reflexionen gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen, »die der Praxis politischer Aktivist*innen selbst entstammen: den Bewegungen der Globalisierungskritiker*innen, antikolonialistische Bewegungen, der Frauen-, Schwulen und Lesben-, Arbeitslosen- und Krüppelbewegung, der sans papiers und so weiter« (Hetzel 2019, S. 604). Der nächste Abschnitt dieses Kapitels widmet sich einigen dieser Analysen, die auch für die Inklusionspädagogik und -forschung von großem Interesse sein dürften.

3.3

Die Radikalisierung des demokratischen Versprechens und die Affirmation des Streits

Abschnitt 3.2 hat gezeigt, dass das Politische im Anschluss an radikaldemokratische Positionierungen nicht der ontischen Ebene zugeordnet werden kann, da es sich dieser stets entzieht und auf dieser keine positive Entsprechung findet. Vor diesem Hintergrund erklärt sich der politikphilosophische Einsatz der hier diskutierten Demokratietheorien. Diesem folgend gilt es anzuerkennen, dass die Politizität eines vermeintlich politischen Projekts – auch mit dem Namen ›Inklusion‹ – nicht länger theoretisch abzusichern ist. Dennoch ereignet sich das Politische in der Differenz und wird so als ›Spur‹ in der politischen Praxis des Konflikts lesbar.45 Neben den anspruchsvollen politikphilosophischen Überlegungen finden sich in den radikaldemokratischen 45

Die Begriffe Konflikt, Dissens oder Kampf spielen in radikaldemokratischen Ansätzen deshalb eine zentrale Rolle. Andreas Vasilache argumentiert, dass sich in dieser »hervorgehobenen Bedeutung von sozialen und politischen Konflikten und Kämpfen« eine »aus einem gemeinsamen philosophischen, thematischen, kritischen und begründungsskeptischen Horizont erwachsende Familienähnlichkeit« (Vasilache 2019, S. 494f.) manifestiere. Während einzelne dieser Aspekte bereits in den zurückliegenden Abschnitten ausführlich diskutiert wurden, kann der vorliegende Abschnitt als eine Fokussierung der ›thematischen‹ Familienähnlichkeiten gelesen werden.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

Arbeiten deshalb vielzählige Analysen konkreter gesellschaftlicher Konflikte. Von besonderer Bedeutung erscheinen hierbei zunächst historische Auseinandersetzungen mit der griechischen polis (vgl. Rancière 2014; Castoriadis 1990) sowie mit der Französischen Revolution (vgl. Balibar 2012, S. 17; Laclau und Mouffe 2012, S. 195; Lefort 1990b). Andere Arbeiten bieten eine kritische Relektüre von Alexis de Tocquevilles Schriften zur Amerikanischen Revolution (vgl. Gauchet 1990) oder zeigen ein Interesse an Gruppierungen der Englischen Revolution (vgl. Balibar 2012). Im Fokus stehen dabei Fragen nach den Bedingungen politischer respektive demokratischer Ereignisse, deren Möglichkeit an eine Artikulation der demokratischen Prinzipien der ›Freiheit‹ und ›Gleichheit‹ geknüpft wird (vgl. Comtesse et al. 2019b, S. 476). Diese Historisierungen sind nun nicht nur als politikwissenschaftliche beziehungsweise -historische Abhandlungen zu lesen. Die historischen Untersuchungen der Möglichkeiten politischen Handelns verstehen sich vielmehr als politische Einsätze in aktuelle Diskurse, durch welche bestehende Formen der Demokratie mit den demokratischen Prinzipien konfrontiert werden sollen. So weist zum Beispiel Marchart darauf hin, dass sich, »bei genauerer Betrachtung« feststellen ließe, »dass die demokratischen Forderungen keineswegs in ganzer Tiefe und Breite umgesetzt wurden« (Marchart 2015, S. 28). Neben einer Bedrohung sozialer Rechte durch den ›Ultraliberalismus‹ sieht er als Beleg für diese These zum Beispiel eine restriktive Auslegung des allgemeinen Wahlrechts, eine nur bedingt durchgesetzte Trennung von Staat und Kirche oder den andauernden Bestand konstitutioneller Monarchien in einigen Ländern der Europäischen Union. Deshalb gehe es ihm in seiner Erinnerung an den demokratischen Radikalismus darum, »die Blickachse auf den Möglichkeitshorizont der Demokratie wieder frei zu räumen« (ebd., S. 31) und für aktuelle Demokratisierungsbestrebungen nutzbar zu machen. Der »imaginäre Horizont« (ebd., S. 23), der durch die demokratischen Prinzipien aufgespannt wurde, ermögliche dabei immer wieder aufs Neue ein Anschließen an die demokratische Revolution. Dieses Potential zeige sich in den letzten Jahrzehnten insbesondere dort, wo sich emanzipatorische Bewegungen auf diese Prinzipien beriefen – vom Arabischen Frühling über die Occupy-Bewegung bis hin zu den Platzbesetzungen in Spanien oder Griechenland. Aus politiktheoretischer Sicht gehe es Marchart deshalb darum, »die Frage nach Demokratie vor dem Hintergrund solcher aktueller Kämpfe um Demokratie zu stellen« (ebd., S. 21; Herv. i. Original). Bei aller Theoretisierung und Historisierung könne eine radikaldemokratische politische Philosophie daher auch als eine »Gegenwartswissenschaft« (ebd.)

131

132

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

verstanden werden, die sich in aktuelle gesellschaftspolitische Fragestellungen einklinkt und hier das Versprechen der Demokratie zu aktualisieren versucht. Im folgenden Abschnitt soll dieser gesellschaftspolitische Einsatz der radikalen Demokratietheorien vertieft und zu den Diskussionen um inklusionsorientierte Bildungsangebote in Bezug gesetzt werden. In einem ersten Schritt wird in einer Auseinandersetzung mit Jacques Rancières Arbeiten zum ›Unvernehmen‹ (Rancière 2014) die zentrale Bedeutung herausgearbeitet, die der Möglichkeit der Einrichtung eines Streits oder Konflikts für die demokratische Praxis zukommt (Abschn. 3.3.1). Gegenüber einer ideologiekritischen Privilegierung einer intellektuellen Durchdringung von Herrschaftsverhältnissen macht er als Ausganspunkt emanzipativer Entwicklungen insbesondere subversive Praxen des Protests aus (vgl. Mayer et al. 2019, S. 6f.). So könne im demokratischen Dispositiv insbesondere die Inszenierung einer Gleichheit durch einen ›Anteil der Anteillosen‹ (Rancière 2014) als Grundlage einer Intervention in gegebene soziale Ordnungen verstanden werden. Sie ermögliche es, etablierte Ordnungen in Frage zu stellen und zugleich neue Ordnungen vorstellbar zu machen. Dieser Fokus auf die symbolische oder ästhetische Dimension demokratische Kämpfe lässt sich anhand einer Darstellung der radikaldemokratischen Affirmation einer ›Politik der Menschenrechte‹ weiter spezifizieren (Abschn. 3.3.2). Hier sind es erneut die demokratischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit sowie das zwischen ihnen angelegte Spannungsverhältnis, die in die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte eingearbeitet wurden und dort auf die Grundlosigkeit der sozialen Ordnung verweisen. So wird es unter Bezug auf sie möglich, je gegebene Ordnungen mit ihren Ausschlüssen zu konfrontieren und einen Streit um Anders- und Neuordnungen des Sozialen zu legitimieren. Vor dem Hintergrund der systematischen Bedeutung des Streits für radikaldemokratische Theorien erklären sich dann auch Kritiken an Politikverständnissen, die sich an Vorstellungen des Konsenses, der Kompromissbildung oder der rationalen Steuerung als Grundlage der Entscheidungsfindung orientieren. Insbesondere (neo-)liberale Konzeptionen der Politik sehen sich deshalb mit der Kritik konfrontiert, den Streit darum auszublenden, was überhaupt zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung werden soll. Diese Fokussierung demokratischer Bewegungen und deren Kämpfe wird zuletzt in ihren Implikationen für eine radikaldemokratische Auseinandersetzung mit Fragestellungen der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung diskutiert (Abschn. 3.3.3). Wie bereits in

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

den zurückliegenden Abschnitten wird auch hier deutlich, dass die radikaldemokratische Perspektive zuvorderst eine analytische Perspektive anbietet, welche sich einer Vereinnahmung für eine positive Begründung von ›Inklusion‹ versperrt. Gleichzeitig wird sich aber klarer als bisher zeigen, dass diese analytische Perspektive selbst als ein politischer Einsatz verstanden werden muss, der sich einem Projekt der ›Demokratisierung der Demokratie‹ verpflichtet sieht.

3.3.1

Die Verifizierung der Gleichheit

In den ersten beiden Abschnitten des Kapitels wurden insbesondere Claude Leforts sowie Jacques Derridas Arbeiten in ihrer Bedeutung für ein Denken des Politischen sowie der politischen Differenz herausgestellt und in ihrer Wirkung für die politische Philosophie skizziert. Mit einem Einblick in die zentralen Argumente Jacques Rancières setzt dieser Abschnitt in einem ersten Schritt am Denken eines weiteren politischen Philosophen an, der zwischen einer ontischen sowie einer ontologischen Ebene zu unterscheiden sucht. Die politische Differenz spielt also auch bei ihm eine Rolle, wenn auch unter Verwendung differenter Begrifflichkeiten – nämlich in seiner prominenten Unterscheidung von Polizei und Politik. Der Begriff der Polizei verweist hier auf die »Gesamtheit der Vorgänge, durch welche sich die Vereinigung und die Übereinstimmung der Gemeinschaften, die Organisation der Mächte, die Verteilung der Plätze und Funktionen und das System der Legitimierung dieser Verteilung vollziehen« (Rancière 2014, S. 39). Er fokussiert somit die Durchsetzung und Absicherung einer gesellschaftlichen Ordnung beziehungsweise einer »Ordnung des Sichtbaren und des Sagbaren« (ebd., S. 41). Mit dem Begriff der Politik verweist Rancière hingegen auf eine Praxis, welche dieser Logik widerstreitend ist und gegen Vorstellungen einer umfassenden Berechenbarkeit oder Darstellbarkeit des Gesellschaftlichen einen ›Anteil der Anteillosen‹ geltend macht (vgl. ebd.). Um Rancières Begriff der Politik zu erschließen und die Bedeutung des Anteils der Anteillosen für politisches Handeln und die Demokratie nachvollziehbar zu machen, bietet sich insbesondere eine Auseinandersetzung mit dem zentralen Stellenwert des Begriffs der Gleichheit in seinen Arbeiten an. So betont er selbst, dass demokratische Politik nur wegen dieses Prinzips existieren könne (vgl. ebd., S. 44). Vor dem Hintergrund der zurückliegenden Auseinandersetzungen mag diese Idee eines Grundes der Politik zunächst irritieren, wurde eine Gründungsfigur hier doch zu Gunsten der Idee einer ra-

133

134

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

dikalen Differenz suspendiert. Doch so wenig wie die politische Differenz als positiver Grund des Politischen zu fassen ist, so wenig ist Gleichheit hier als etwas einfach Gegebenes zu verstehen (ebd.). Vielmehr fungiert der Begriff als negativer Grund, dessen Bestimmung sich mit Rancières phänomenologischer – besser: ästhetischer – Perspektive auf die Welt erklärt (vgl. Niederberger 2004, S. 133). Mit dieser ästhetischen Perspektive rückt Rancière die sprachlichen und intersubjektiven Bedingungen in den Fokus, unter denen die Welt wahrgenommen werden kann. Von Interesse sind für ihn also die »allgemeine[n] Bedingungen der Wahrnehmbarkeit der Welt und ihrer Bestandteile« (Niederberger 2004, S. 133), die er als eine ›Aufteilung des Sinnlichen‹ versteht. Die Welt ist vor dieser Perspektive immer eine geteilte – und zwar im doppelten Sinne. So werden die Wahrnehmungsbedingungen der Welt und damit die Welt selbst von den ihr Angehörigen geteilt. Insofern können sie als Bedingungen der Teilhabe verstanden werden. Zugleich teilt die Aufteilung des Sinnlichen diese Welt aber auch in Teile, denen jeweils ein anderer Wert zukommt, ebenso wie sie andere Teile sowie andere Formen der Aufteilung konstitutiv ausschließt (vgl. ebd., S. 134). Die Aufteilungen operieren also maßgeblich über Ungleichheitsrelationen. Doch da sie als soziale Praxen kontingent und grundlos sind, liegt in ihnen auch die Möglichkeit der Artikulation beziehungsweise der Entdeckung einer Gleichheit begründet. Wegen der Grundlosigkeit und Kontingenz jeder sozialen Ordnung ist es zwar nicht möglich, einen allgemeinen Maßstab zu formulieren, vor dem die Frage der Gleichheit auf der ontischen Ebene jemals endgültig entschieden werden könnte. Aber wo es einen solchen letzten Grund nicht gibt, braucht es auch keinen positiven Maßstab. Es ist gerade die Beliebigkeit oder Kontingenz sozialer Ordnungen, welche den negativen Grund einer »Gleichheit zwischen Beliebigen« (Rancière 2014, S. 28) konstituiert. So stellt Flügel-Martinsen i.A.a Rancière fest: »Für die politische Infragestellung der polizeilichen Ordnung im Namen der Gleichheit ist kein (fester) Grund der Gleichheit erforderlich – damit im Namen der Gleichheit Anteillose eine solche kritische Befragung unternehmen können, reicht es umgekehrt aus, dass es keinen Grund gegen die Gleichheit gibt.« (Flügel-Martinsen 2015, S. 80) Zentral für ein Denken der Politik und der Demokratie im rancièrschen Sinne erweisen sich hier also zwei Aspekte. Erstens erscheint die Politik als eine Praxis der Infragestellung der gesellschaftlichen Ordnung beziehungsweise jeweils

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

konkreter Aufteilungen des Sinnlichen. Zweitens birgt sein Denken einen demokratischen Einsatz, insofern von ihm nur diejenigen Praxen als Politik qualifiziert werden, welche sich im Namen der Anteillosen auf das Prinzip der Gleichheit berufen beziehungsweise in Form eines ›Unvernehmens‹ das Fehlen dieser Gleichheit anprangern. Es ist also die Praxis des Insistierens auf der Existenz eines Anteils, der sich trotz des demokratischen Anspruchs der Gleichheit der üblichen Arithmetik oder Geometrie des Gesellschaftlichen entzieht oder aus dieser ausgeschlossen wird, die mit dem Namen der Politik verknüpft wird (vgl. Rancière 2014, S. 28). Politik und Polizei können im Anschluss an diese Überlegungen als zwei differente Modi der Zählung der Teile der Gemeinschaft verstanden werden: »Man kann die Gemeinschaft als Summe ihrer Teile zählen – als Summe ihrer Gruppen und der Ansprüche, die jede dieser Gruppen stellt. […] Oder man kann ein Supplement zu der Summe hinzuzählen, einen Anteil der Anteillosen, der die Gemeinschaft von ihren Teilen, Orten, Funktionen und Ansprüchen trennt. […] Und Politik ist derart keine Sphäre, sondern ein Prozeß.« (Rancière 2011, S. 485) Was diese abstrakten Überlegungen für eine Praxis der Politik bedeuten, wird insbesondere durch die Beispiele deutlich, die Rancière in seinen Arbeiten analysiert, wie etwa in seiner Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung (vgl. Rancière 2014, S. 63). Vor der kollektiven Artikulation des Unvernehmens hatten Arbeiter*innen als Arbeiter*innen nicht an der Sphäre des Öffentlichen teil. Insofern ihre Forderungen (zum Beispiel nach Lohnerhöhung) als individuelle Forderungen zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen, nicht jedoch als öffentliche Angelegenheit interpretiert wurden, waren diese in der öffentlichen Sphäre auch nicht verhandelbar. Im Moment der Formulierung ihrer Anliegen als politische Forderungen traten sie aber selbst in die öffentliche Sphäre ein. Sie transformierten die Frage der Entlohnung von einer privaten zu einer öffentlichen Angelegenheit und stellten zugleich unter Beweis, dass sie – gleich den Bürgern – berechtigt sind, für sich selbst zu sprechen. In diesem Beispiel zeigt sich nun ein drittes Charakteristikum politischen Handelns. Dieses besteht darin, dass sich mit der Praxis der Politik gleichsam etablierte Ordnungsvorstellungen und damit verbundene Zählweisen verschieben. Im Akt der Geltendmachung eines Unrechts, im Unvernehmen also, wird ein sinnlicher Raum eröffnet, in dem vermeintlich Anteillose als demos ihre Gleichheit entdecken und verifizieren. Sie weisen in einem solchen Akt aber nicht nur die Grundlosigkeit der bisherigen Aufteilung nach.

135

136

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Sie erproben zugleich neue Formen der Aufteilung (vgl. ebd., S. 50f.). Die Praxis der Politik wird von Rancière also als eine Verifikation der Gleichheit durch die Infragestellung und Verschiebung gegebener Ordnungen verstanden (vgl. ebd., S. 52): »Sie löst und stellt die Verhältnisse zwischen den Weisen des Tuns, den Weisen des Seins und den Weisen des Sagens neu zusammen« (ebd., S. 52; Herv. i. Original). Der politische Charakter einer Handlung erweist sich somit in der spezifischen Form, »die die Bestätigung der Gleichheit in die Einrichtung eines Streits, einer Gemeinschaft, die nicht vor ihrer Teilung bestand, einschreibt« (ebd., S. 43). Deshalb könne ein politischer Streit auch nicht als ein Streit um die Verteilung bestimmter Ressourcen an bereits konstituierte Akteur*innen verstanden werden, sondern sei, dem quasi vorausgehend, ein Streit darum, was zu verteilen und wer bei einer solchen Verteilung überhaupt zu berücksichtigen wäre: »Vor allem Abmessen der Interessen und der Ansprüche an diesen oder jenen Anteil betrifft der Streit das Dasein der Teile als Teile, das Dasein eines Verhältnisses, das sie als solche konstituiert.« (Ebd., S. 37) Insofern in einer solchen Praxis eine Gleichheit entdeckt und geltend gemacht wird, die zugleich immer schon da und doch unberücksichtigt war, wird der Gleichheitsbegriff bei Rancière zum »eigentlichen demokratischen ›Diskursoperator‹« (Niederberger 2004, S. 142). In diesem Sinne sind die politische Auseinandersetzung beziehungsweise der Streit als »polemische[r] Raum einer Beweisführung« (Rancière 2014, S. 101) zu verstehen. Und es sind solche Akte der Demonstration der Gleichheit, die Rancière zum privilegierten Gegenstand der Analyse werden.46 Diese drei Aspekte – die Infragestellung der Aufteilung des Sinnlichen in der Artikulation eines Unvernehmens und der mit diesem Insistieren auf die Gleichheit einhergehenden Verschiebung der Aufteilung – zeichnet für Rancière eine demokratische Praxis aus. Demokratie wird hier also – entgegen klassischer Lesarten politischer Theorie – nicht als Herrschaftsform diskutiert,

46

Dieses Interesse an und diese Priviligierung der politischen Auseinandersetzungen der Anteillosen kann auch als Zeichen eines Anti-Intellektualismus Rancières verstanden werden, der sich explizit gegen klassische Konzeptionen der Ideologiekritik richtet (vgl. Niederberger 2004, S. 132). Ihm zufolge sind es nicht die Intellektuellen, die ihre Einsichten in die strukturellen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Ordnung vermitteln und die Unterdrückten somit zu ihrer Emanzipation befähigen. Vielmehr sind es diese selbst, welche in ihren Praxen die Gleichheit entdecken und unter Beweis stellen.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

die an bestimmte Institutionen und Verfahren gebunden wäre. Sie wird vielmehr als Prozess der Infragestellung der Grundlagen dieser Institutionen und Verfahren aufgerufen. Demokratie bringt für Rancière somit »die quasitranszendentale Errungenschaft zum Ausdruck, dass der [gemeinschaftliche] Konstitutionsprozess unter Rekurs auf den Gleichheitsbegriff jeweils neu begonnen werden kann« (Niederberger 2004, S. 139). So könne sie »als eine spezifische Praxis der Partizipation aufgefasst werden, in deren Vollzug Logiken und Bedeutungsmuster bestehender Herrschafts- und Regierungsstrukturen durchbrochen und neu definiert werden, sofern Individuen bereit sind, sich selbst als handelnde Akteur*innen zu begreifen und einen politischen Raum zu eröffnen« (Martinsen 2019a, S. 9). Vor dem Hintergrund dieser negativen normativen Konzeption von Politik und Demokratie werden aber nicht nur soziale Praxen auf deren politisches Potential hin analysierbar. Es lassen sich auch konkrete gesellschaftliche Organisationsformen und Verständnisse der Politik in Hinblick darauf überprüfen, ob sie einer solchen Infragestellung der Aufteilung des Sinnlichen einen Raum bieten oder die Bedeutung der Politik (im rancièrschen Sinne) oder des Politischen (zum Beispiel im Sinne Leforts) leugnen beziehungsweise ausgrenzen.

3.3.2

Wider dem Konsens: Die Politik der Menschenrechte und die Kritik des (Neo-)Liberalismus

In der Darstellung der Positionen Rancières wird erneut deutlich, dass eine radikaldemokratische Position die Möglichkeit ausschließt, dass eine gesellschaftliche Ordnung in einem sie transzendierenden, metaphysischen Fundament gründen kann. Diese Grundlosigkeit und Kontingenz müssen als die zentrale demokratische Entdeckung verstanden werden, die sich im Anschluss an die demokratische Revolution in das demokratische Dispositiv einschrieb. Von hier aus wurden Negativität und Unbestimmtheit zum dauerhaften »Motor einer diskursiven Auseinandersetzung um die Ausgestaltung der Form der Gesellschaft« (Gaus 2004, S. 78). Zwar werden konkrete Ordnungsversuche damit nicht hinfällig. Nach dieser Entdeckung können diese aber nur noch als Resultate der Durchsetzung partikularer Ordnungen verstanden werden, die immer wieder zum Gegenstand der Auseinandersetzungen gemacht werden können. Während radikaldemokratische Arbeiten am Grund des Sozialen eine negative Gleichheit (vgl. Rancière 2014), einen

137

138

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

konstitutiven Antagonismus (vgl. Laclau 1990b), eine ursprüngliche Teilung (Lefort und Gauchet 1990) oder eine différance (vgl. Derrida 1999) ausmachen, sind es die vielfältigen Formen des Aufbegehrens gegen je konkrete Aufteilungen oder Antagonismen des Sozialen, die sie in den Blick nehmen. Damit erklären sie die Artikulation eines ›Unvernehmens‹ (Rancière 2014) gegen institutionalisierte Formen der Beteiligung sowie die diesen Formen zu Grunde liegenden Rationalitäten und Vorstellungen von Zugehörigkeit zur demokratischen Praxis schlechthin. Sie verstehen die »Konfrontation von institutionellen Logiken […] und sozialen Kräfteverhältnissen« als eine »dauerhafte Bedingung der Politik« (Balibar 2012, S. 229). Deshalb rücken gerade auch nicht-staatliche Formen der Politik durch ›abweichende Subjekte‹ und ›Aktivist*innen‹ und deren Bedeutung für die Konstitution von Staatlichkeit in den Fokus (vgl. ebd., S. 68f.). Ziviler Ungehorsam wird so als eine ›bürgerliche Tugend‹ verstehbar, die geradezu als Bedingung der modernen Demokratie erscheint (vgl. ebd., S. 236). Deshalb wundert es wenig, dass unterschiedliche Formen des Protests sowie vielfältige soziale Bewegungen zum privilegierten Gegenstand radikaldemokratischer Analysen werden. Deren Gegenstände reichen von der Dissidentenbewegung in der Sowjetunion und deren Rezeption in den westlichen Demokratien (vgl. Lefort 1990b), über die Platzbesetzungen während des arabischen Frühlings und wenig später in Südeuropa (vgl. Butler 2016) bis hin zu Protestaktionen von Menschen ohne Aufenthaltsstatus (vgl. Martinsen 2014). Was diese Bewegungen aus radikaldemokratischer Perspektive auszeichnet, ist das Bestreben, ihren Anliegen im öffentlichen Raum Geltung zu verschaffen, obwohl die Aufteilung des öffentlichen Raums eine solche Artikulation nicht vorsehe oder ihnen das Recht hierzu abgesprochen werde. Diese Kämpfe werden den Analysen zufolge auf die ein oder andere Art und Weise durch die Inanspruchnahme der demokratischen Prinzipien der ›Gleichheit‹ und ›Freiheit‹ ermöglicht. Folgt man den Autor*innen radikaler Demokratietheorien, findet diese Möglichkeit des demokratischen Modus der Politik insbesondere in den Menschenrechten ihre Institutionalisierung. Deshalb nehmen die unterschiedlichen historischen Erklärungen für sie einen prominenten Stellenwert ein und werden gegen kritische Lesarten innerhalb der politischen Theorie verteidigt. Seit der Französischen Revolution wurde von unterschiedlichsten Seiten die Verbindung von Bürger- und Menschenrechten diskutiert und kritisiert. Karl Marx sieht aufgrund seiner materialistischen Perspektive in den französischen und amerikanischen Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte der

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

1790er Jahre die Festschreibung subjektiver Freiheitsrechte und erkennt hierin deshalb ein Vehikel bürgerlicher Ideologie (vgl. Marx 1976). Das Prinzip der Gleichheit gelte hier deshalb nur in Hinblick auf die bürgerlichen Freiheiten und im Rahmen nationaler Zugehörigkeit, weshalb es sich um die Rechte »des egoistischen, des vom Menschen und vom Gemeinwesen getrennten Menschen« (ebd., S. 364) handele. Als solche ermöglichten sie zwar eine politische Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft vom Staat, nicht jedoch eine allgemeine Emanzipation des Menschen (vgl. hierzu Lefort 1990b).47 Hannah Arendt spricht in der Debatte um die Erklärung von 1948 von einer ›Aporie der Menschenrechte‹ (Arendt 2017, S. 601). Rechte, so ihre aristotelische Argumentation, könnten lediglich Staatsbürger*innen haben, nicht jedoch abstrakte Menschen ohne Bürger*innenstatus. Entweder seien die Menschrechte als Bürgerrechte deshalb die Rechte derer, die bereits Rechte hätten – und damit eine Tautologie – oder die Bürgerrechte seien als Menschenrechte die Rechte derer, die keine Rechte hätten – also eine Unmöglichkeit. Aus diesem Grund blieben Menschenrechte so lange bar jeder politischen Relevanz, wie sie nicht um ein »Recht jedes Menschen auf Mitgliedschaft in einem politischen Gemeinwesen« (Arendt 2011, S. 406) ergänzt würden. Nur in einer solchen politischen Gemeinschaft, nicht jedoch im Bereich des Privaten, wäre die Idee der Gleichheit überhaupt zu realisieren.48 Mit der radikaldemokratischen Thematisierung der Menschen- und Bürgerrechte verschiebt sich hingegen der Fokus der Auseinandersetzung von der Frage der Realisierung hin zu deren Bedeutung innerhalb konkreter politischer Auseinandersetzungen. Deshalb finden sich hier vielzählige Beispiele angeführt, in welchen die Berufung auf die Menschenrechte und eine hiermit verbundene Artikulation der demokratischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit eine Infragestellung gegebener gesellschaftlicher Ordnungen ermöglichte und zugleich die Zugehörigkeit bis dato Ausgeschlossener verifizierte. So zeigte sich eine Wirksamkeit der Menschenrechte, wo sich sowjetische oder chinesische Dissident*innen auf sie beriefen, gleichwohl die jeweiligen Verfassungen diese Möglichkeit ausschlossen (vgl. Lefort 1990b). Sie zeigte sich dort, 47

48

Diese Argumentation macht sich auch Annedore Prengel in der Begründung der ›Pädagogik der Vielfalt‹ zu eigen, um gegen ›konservative Lesarten‹ des Gleichheitsbegriffs einen ›universalistischen‹ und ›demokratischen‹ Gleichheitsbegriff zu stärken (vgl. Prengel 2006, S. 44). Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Argumentation Arendts und deren Rezeption bis in aktuelle Diskussionen um die Menschenrechte findet sich bei Martinsen 2019a, S. 61-65.

139

140

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

wo Frauen unter Verweis auf die Menschenrechte ein Wahlrecht einforderten (vgl. Rancière 2011, S. 482) oder geflüchtete Menschen sich einen Zugang zum öffentlichen Raum erstritten (vgl. Martinsen 2014, S. 206), gleichwohl ihnen das Recht hierzu abgesprochen wurde. Gegenüber den angeführten Kritiken an den Bürger- und Menschenrechten wird deshalb geltend gemacht, dass die Bedeutung derselben keinesfalls lediglich in der Festschreibung eines positiven Rechts liege, welches an der Abstraktheit seines Rechtssubjekts scheitern müsse. So wird den Kritiken zwar zugestimmt, dass der ›Mensch‹ keine positive Bestimmung haben könne und als ein Abstraktum zu verstehen sei. Aber genau hierin liege das Potential einer Politisierung. Da die Macht der Menschenrechte auf eine Grundlage zurückgeführt werde, »die ungeachtet ihrer Benennung keine Gestalt annimmt« (Lefort 1990b, S. 262), verweise der Begriff der Menschenrechte »in die Richtung eines unbeherrschbaren Territoriums« (ebd., S. 259), weshalb auch die Menschenrechte selbst über jede konkrete Formulierung eines Gesetzes hinaus gingen. So könne unter Berufung auf sie jede konkrete Realisierung eines positiven Rechts und damit auch jede gesellschaftliche Ordnung in Frage gestellt werden, nicht zuletzt auch die bürgerlich-liberale (vgl. ebd., S. 262). Menschenrechte seien also nicht nur als individuelle Rechte zu begreifen, welche die bürgerliche Ordnung stützten (vgl. ebd., S. 243). Gerade weil die Frage danach, wem die Rechte eigentlich gehören – wer hier also als Mensch und deshalb als ›Subjekt der Menschenrechte‹ gilt (vgl. Rancière 2011) –, unbeantwortet bleiben müsse, ermöglichten sie es, auf die jeder Gesellschaft zu Grunde liegenden Prozesse der (Auf-)Teilung – auch beziehungsweise insbesondere derjenigen zwischen der öffentlichen wie der privaten Sphäre – aufmerksam zu machen und diese in Frage zu stellen. Berücksichtigt man diese Bedeutung für eine Praxis der Politik der Menschenrechte, wird es möglich, die Verknüpfung von Bürger- und Menschenrechten nicht als eine Aporie zu qualifizieren – in dem Sinne, dass es sich um Rechte derjenigen handele, die keine Rechte hätten. Vielmehr handele es sich um eine ›doppelte Negation‹ (vgl. Rancière 2011, S. 481), insofern »die Menschenrechte die Rechte derer sind, die nicht die Rechte haben, die sie haben, und zugleich die Rechte haben, die sie nicht haben« (ebd.). Das politische Potential der Menschenrechte wird dann in der Möglichkeit der Geltendmachung eines Unrechts gesehen, also in einer politischen Subjektivierung, wo es das Subjekt eigentlich gar nicht gibt. Die Menschenrechte haben also eine symbolische Wirkung, weil sie die Inszenierung einer anderen Ordnung legitimieren. Wenn man davon ausgeht, dass soziale Verhältnisse nicht nur durch deren

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

materielle Basis bestimmt werden, steckt gerade hierin das politische Potential der Menschenrechte. Die Verschränkung von Bürger- und Menschenrechten sowie der Prinzipien der Gleichheit und Freiheit verstellten deshalb nicht den Weg hin zu politischen Praxen. Sie sind als die Bedingung der »Öffnung eines Intervalls [zu verstehen], in dem politische Subjektivierung möglich ist« (ebd., S. 483). Eine solche politische Lektüre der Menschenrechte impliziert jedoch nicht, dass diese Rechte per se politisch wären. Vielmehr insistiert sie auf deren praktischen Wirksamkeit »als Motor für politische Ermächtigungshandlungen« (Martinsen 2019a, S. 9), insofern sie und die in ihr formulierten Prinzipien »die Ansprüche sind, deren Erfüllung Menschen zum politischen Handeln« (ebd., S. 10) befähigen. Die Politizität der Menschenrechte ist also eine Frage der Praxis und somit deren Verwendung zur Generierung eines Dissens (Rancière 2011, S. 483). Aus radikaldemokratischer Perspektive manifestiert sich in den vermeintlichen Widersprüchen einer Erklärung der Bürger- und Menschenrechte also auf besondere Art und Weise die demokratische Entdeckung der Grundlosigkeit des Sozialen sowie die hieraus abgeleitete Notwendigkeit der dauerhaften Möglichkeit des Streits. Aber nicht nur die Menschenrechte ermöglichten eine solche ›Politik des Rechts‹. Vielmehr wird eine Vielzahl politischer Auseinandersetzungen aufgerufen, in welchen politische Akteur*innen die nicht vorhandenen Rechte geltend machten und ihre partikulare Situation in einen universellen Kontext einschrieben – von Kriegsdienstverweigerern bis hin zu Homosexuellen (vgl. Lefort 1990b, S. 269), von der Arbeiter- bis hin zur Frauenrechtsbewegung (vgl. Rancière 2014, S. 64). In solchen Praxen, so könnte man bilanzieren, konfrontieren politische Subjekte »nicht nur die Einschreibung von Rechten mit Situationen ihrer Verneinung; sie verbinden die Welt, in der diese Rechte Gültigkeit haben, mit der Welt, in der sie keine Gültigkeit haben. Sie verbinden eine Einschlußbeziehung mit einer Ausschlußbeziehung.« (Rancière 2011, S. 484) Das politische Potential der demokratischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit wird also gerade in dem Spannungsverhältnis verortet, das diese zueinander entwickeln und das es ermöglicht, konkrete Ansprüche und Forderungen in Formen des Streits in es einzuschreiben (vgl. Balibar 2012).49

49

Weiter oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass Prengels vielfaltspädagogischer Einsatz für ein egalitäres Differenzverständnis maßgeblich auf der Argumentation fußt, dass die Demokratietheorie historisch an einem eingeschränkten, weil ständisch orientierten und konservativen Gleichheitsbegriff festgehalten habe, der jeweils von

141

142

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Streits oder des Dissenses in radikalen Demokratietheorien verwundert deren Skepsis gegenüber Politikverständnissen nicht, die Politik an die Kompromissbildung, an die Findung eines Konsenses oder an die Etablierung spezifischer Institutionen binden, dem Streit hingegen nur eine instrumentelle, nicht jedoch eine systematische Rolle beimessen. Dies gilt für substantielle Politikverständnisse, welche die Bedingung der Demokratie in einer kollektiven Identität verorten, ebenso wie für prozedurale politische Theorien, welche deliberative Prozesse als Voraussetzung des Gemeinschaftlichen thematisieren (vgl. Flügel 2007). So wird konsensuellen beziehungsweise dialogischen Konzeptionen von Politik entgegen gehalten, dass sie in ihrer Fokussierung auf die Etablierung von Beteiligungsformen eine den politischen Auseinandersetzungen zu Grunde liegende Rationalität ebenso unterstellten, wie sie davon ausgingen, dass die relevanten Partner*innen der politischen Prozesse bereits feststünden. So leugneten sie aber gerade die Existenz eines Anteils der Anteillosen (vgl. Rancière 2014, S. 27) und blendeten soziale Ungleichheit sowie die Bedeutung von Machtverhältnissen in politischen Prozessen aus (vgl. Mouffe 2010, S. 72). Eine auf dem Prinzip des Konsenses beruhende Politik erscheint deshalb geradezu als Versuch, »die Politik zu beseitigen, indem die überschüssigen Subjekte verdrängt und durch wirkliche Partner, soziale oder identitäre Gruppen usw. ersetzt werpartikularen Standpunkten aus für eine partikulare Gruppe eingefordert worden sei (vgl. Prengel 2006, S. 47). Demgegenüber argumentiert sie für »universelle, das heißt ohne Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen konzipierte Gleichheitsvorstellungen« (Prengel 2006, S. 47), die sich in den historischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts und in einer Theorie der Pluralität erst langsam durchsetzten. Eine radikaldemokratische Perspektive auf politische Praxen macht hingegen geltend, dass jede Realisiserung des Gleichheitsanspruchs Ausschlüsse produziert, jedoch gerade die Kontingenz des Gleichheitsbegriffs den Ausgangspunkt für partikulare emanzipative Bewegungen darstellt. Die im weiteren Verlauf vorgeschlagene Perspektive mündet deshalb nicht in dem Streit um eine universalistische Ordnung, die ohne Ausschluss auskäme. Vielmehr ginge es um das Eintreten für die Möglichkeit der Politisierung jeder Institutionalisierung der demokratischen Ordnung, indem eine bisher nicht berücksichtigte, partikulare Forderung gegen deren universalistischen Anspruch erhoben wird. Diese Möglichkeit sehen viele radikaldemokratische Arbeiten bereits in der Verschränkung der Prinzipien der Gleichheit und Freiheit beziehungsweise von Menschen- und Bürgerrechten in den Erklärungen der Französischen Revolution angelegt (vgl. Balibar 2012; Lefort 1990b), nicht erst in den pluralistischen Forderungen der ›Neuen Sozialen Bewegungen‹.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

den. Dementsprechend werden die Konflikte in Probleme verwandelt, die durch Expertise und eine ausgehandelte Interessenabstimmung zu lösen sind. […] Mit anderen Worten, der Konsens ist die Reduktion der Demokratie auf die Lebensweise einer Gesellschaft, auf ihr ethos – d.h. auf den Ort (abode) und den Lebensstil einer Gruppe. Als Folge hiervon verkleinert sich täglich der politische Raum […].« (Rancière 2011, S. 486; Herv. i. Original) Entsprechenden Politikkonzepten wird also vorgeworfen, Politik zu entpolitisieren, indem sie diese jenseits des Streits positionierten. Eine solche Entpolitisierung der Politik wird in unterschiedlichen Arbeiten als das »zentrale Defizit des Liberalismus auf dem Gebiet des Politischen« (Mouffe 2010, S. 17) herausgestellt. Die sich mit dem (Neo-)Liberalismus verbindenden Vorstellungen der Messbarkeit des Volks und dessen Interessen sowie der Realisierbarkeit eines Konsenses hätten letztlich zu einer Hegemonie einer ›Politik der sachlichen Notwendigkeit‹ geführt. In dieser werde das staatliche Handeln paradoxerweise unter Verweis auf dessen vermeintliche Ohnmacht legitimiert (vgl. Rancière 2014, S. 122). Die Orientierung staatlichen Handelns an beispielsweise ökonomischen Kriterien werde dann damit gerechtfertigt, dass es hierzu keine Alternativen gebe. Ein solches Politikverständnis leugne aber die Möglichkeit einer anderen Aufteilung des Sinnlichen. Sie sei »die Regierungspraxis und die begriffliche Legitimierung einer Demokratie nach dem Demos, einer Demokratie, die die Erscheinung, die Verrechnung und den Streit des Volks liquidiert« (ebd., S. 111) habe. Deshalb müsse sie als eine Post-Demokratie qualifiziert werden. In einer solchen Tradition stünden auch liberale Lesarten der Menschenrechte, welche diese lediglich als Schutzrechte vor dem Staat verstünden, nicht jedoch als politische Rechte, die in der politischen Praxis erstritten werden können und müssen (vgl. Martinsen 2019a, S. 70). Die vorgetragenen Thesen einer Entpolitisierung der Politik wie der Menschenrechte verstehen sich also insbesondere als Kritiken derzeit hegemonialer Vorstellungen von Politik. Gleichzeitig geht es aber nur bedingt um die Rückkehr zu traditionellen Formen derselben (Mouffe 2010, S. 69). Denn die Abschaffung traditioneller Formen der Politik müsse nicht zwangsläufig einem Ende jeglicher Politik entsprechen. Das Problem aktueller Transformationen sei vielmehr, dass im Neoliberalismus die ›Abschaffung‹ der bisherigen Form von Politik – die eigentlich eine Transformation der Politik dar-

143

144

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

stelle – mit dem Versuch einer Tilgung des Politischen zusammenfalle.50 Solche Defizitdiagnosen führen zur Forderung der Stärkung des Streits innerhalb staatlicher Strukturen, sei es in Bezug auf das Feld der internationalen Beziehungen (vgl. ebd., S. 151) oder in Hinblick auf innerstaatliche Prozesse (Balibar 2012, S. 229). Radikalen Demokratietheorien geht es also weder um eine Restauration der sozialen Staatsbürgerschaft des 20. Jahrhunderts, noch um einen Exodus aus staatlichen Strukturen. Vielmehr streitet sie um die Durchsetzung eines Konzepts von Demokratie als »konfliktueller Prozess der Aktualisierung, Ausweitung und Vertiefung der Prinzipien der demokratischen Revolution« (Marchart 2015, S. 22). Was die radikaldemokratischen Einsätze bei aller Unterschiedlichkeit teilen, ist also die Bedeutung, welche sie einer demokratischen Praxis für ein emanzipatives Projekt beimessen, sowie die hieraus resultierende Skepsis gegenüber der Annahme einer genuinen Politizität spezifischer Institutionen, Projekte oder Akteur*innen. Welche konkreten Praxen dabei auch immer in den Fokus des Interesses rücken, als Gegenhalt zu problematisierten Tendenzen eint die Einsätze die Forderung nach einer Aktualisierung und Radikalisierung des demokratischen Versprechens. Innerhalb einer Gesellschaftsordnung, die sich selbst als demokratisch bezeichnet, erheben sie also »das vermeintlich Selbstverständlichste […] zum Programm« (Heil und Hetzel 2006, S. 8): die »Demokratisierung der Demokratie« (Balibar 2012, S. 16). Hieraus folgt eine nicht enden wollende kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Formen der Politik in Hinblick auf die Frage, wer an diesen Formen teilhaben und was vor diesem Hintergrund zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen werden kann.

3.3.3

›Inklusionspädagogik‹ als politische Pädagogik?

In den zurückliegenden Erläuterungen zu den Gegenständen radikaldemokratischer Analysen konnten zwei Richtungen herausgearbeitet werden, die ein auf der Kontingenz gesellschaftlicher Ordnungen insistierendes Denken des Politischen annehmen kann – wobei beide als eng miteinander verschränkt gelten müssen. Aus der Grundlosigkeit des Sozialen ergibt sich zunächst ein starkes Interesse an der politischen Praxis, insbesondere im Zusammenhang mit politischen Bewegungen. Weit davon entfernt, jeglichen Protest als politisch zu qualifizieren, rücken hier die diskursiven Strategien 50

Vgl. hierzu auch die Erläuterungen zur radikaldemokratischen Perspektive auf die Krise der politischen Repräsentation in Abschnitt 3.1.3.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

in den Fokus, welche es ermöglichen, durch die Darstellung der Grundlosigkeit des Sozialen eine Verschiebung der gesellschaftlichen Ordnung und hiermit verbundener Bedingungen der Teilhabe vorstellbar zu machen. Es sind gerade solche Praxen, mit denen das Projekt der Demokratie identifiziert wird. Gleichzeitig tragen die Arbeiten von einem solchen Standpunkt aus unnachgiebig Kritik an gegebenen sozialen Ordnungsvorstellungen vor, insbesondere an den bereits thematisierten Konzeptionen (neo-)liberaler Politik. Hier sei es gerade die Idee einer umfassenden Ordnung und eines vereinheitlichenden Prinzips des Sozialen, welches die konstitutive Bedeutung von Grenzziehungen leugne und so den Raum des Politischen schließe. Solchen Politikvorstellungen werden jedoch nicht etwa große gesellschaftstheoretische Entwürfe entgegengestellt. Vielmehr wird das Potential der Infragestellung hegemonialer Ordnungen in den demokratischen Praxen und Bewegungen selbst ausgemacht. Vor dem Hintergrund des in Kapitel 2 skizzierten Selbstverständnisses der Integrations- und Inklusionspädagogik als einer ›pädagogischen Bewegung‹ drängt sich nun die Frage auf, ob diese selbst als eine ›politische Bewegung‹ verstanden werden könnte oder sollte? Die zuvor aufgerufenen Beispiele mahnen hier zur Vorsicht und zur Differenzierung. Zunächst sehen sich solche (Selbst-)Beschreibungen inklusiver Pädagogiken durch die angedeutete Skepsis Rancières gegenüber einem Intellektualismus irritiert. Diese setzt sich in dessen kritischer Perspektive auf Pädagog*innen und Pädagogik weiter fort (vgl. Hilbrich und Ricken 2019, S. 45-46). Von hier aus gilt das Interesse einer radikaldemokratischen Perspektive auf ›Inklusion‹ wohl zuvorderst den Infragestellungen (inklusions-)pädagogischer Ordnungen in der pädagogischen Praxis, nicht jedoch der Formulierung pädagogischer Programme. Gerade dies scheint nun aber eine interessante Perspektive für erziehungswissenschaftliche Forschungen zu ›Inklusion‹ darzustellen. Rekonstruktive Analysen haben in den letzten Jahren verstärkt auf eine Paradoxie zwischen einem inklusionspädagogischen Verständnis egalitärer Differenz sowie praktisch relevanten Differenzsetzungen aufmerksam gemacht und dies als eine Herausforderung für einen professionellen inklusionspädagogischen Umgang mit Heterogenität aufgerufen (vgl. z.B. Fritzsche 2014; Hummrich 2017; Sturm 2015a). Eine radikaldemokratische Analyse könnte ergänzend hierzu diejenigen Praxen in den Blick nehmen, welche inklusionspädagogische Heterogenitätsvorstellungen und diesen zu Grunde gelegte Differenzkonstruktionen subvertieren. Solche Beobachtungen könnten dann zu einer (Re-)Politisierung inklusionspädagogischer Konzepte und Ordnungen beitragen. Aus-

145

146

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

gehen würde ein solcher Prozess aber von der Artikulation eines Unvernehmens in oder gegenüber der pädagogischen Praxis, nicht von im Vorfeld abzusichernden pädagogischen Theorien oder Konzepten. Eine Inklusionspädagogik wäre vor dem Hintergrund der rancièreschen Überlegungen also nicht als eine politische Pädagogik aufzufassen. Eine konsequent demokratisch ausformulierte Inklusionspädagogik bliebe aber stets offen gegenüber der Möglichkeit einer (Re-)Politisierung ihrer eigenen Prämissen. Dort, wo es einer solchen radikaldemokratischen Lesart einer Inklusionspädagogik um eine Transformation der hegemonialen Vorstellungen der Teilhabebedingungen an Bildung bestellt ist und sie den Anspruch erhebt, eine Allgemeine Pädagogik zu formulieren oder einen Beitrag zu einer solchen zu leisten, kann sie nun aber durchaus auch als ein disziplinpolitischer Einsatz verstanden werden. Und dieser ließe sich mit einer Vertiefung beziehungsweise Radikalisierung der demokratischen Prinzipien verknüpfen. Aus einer solchen Perspektive stellen sich Fragen nach den heterogenen Verhältnissetzungen einer ›Inklusionspädagogik‹ zu sozialen Bewegungen ebenso wie zu gesellschafts- und sozialpolitischen Diskussionen. Das Ziel einer Auseinandersetzung mit solchen Fragen wäre es sicherlich nicht, eine Einheit von Wissenschaft und (Bildungs-)Politik zu behaupten oder zu fordern (vgl. hierzu auch Boger 2018). Viel eher ginge es – hier könnte erneut Lefort herangezogen werden – um die Frage, wie entsprechende Grenzziehungen zwischen diesen Sphären stets aufs Neue (de-)legitimiert werden können, um unterschiedliche bildungs-, sozial- und gesellschaftspolitische Forderungen und Ansprüche zu artikulieren. Es wäre deshalb nach den heterogenen Verhältnissetzungen dieser Sphären zu fragen und den sich hieraus ergebenden Möglichkeiten des Sprechens. Hierzu gehörte neben der Analyse der Verschränkungen von Inklusionspädagogik und -forschung mit der Bildungspolitik sicherlich eine Analyse der Möglichkeiten der komplexen Verhältnissetzungen zwischen Inklusionspädagogik, Inklusionsforschung, Integrationsbewegung, Behindertenbewegung, Disability Studies und anderen mehr. Darüber hinaus wäre eine Analyse der Möglichkeiten der »Verkettung der Begriffsreihen« (ebd., S. 73) zwischen einer Inklusionspädagogik und -forschung mit anderen emanzipativen Koalitionen – wie zum Beispiel zwischen Feminismus, Postkolonialismus oder Umweltbewegung sowie deren wissenschaftlichen Partner*innen denkbar (vgl. ebd., S. 68-69). Es ginge also um die Frage, welche Koalitionen hier geltend gemacht werden (können) und worin deren jeweiliger strategischer Einsatz besteht. Von Interesse wären nicht nur Prozesse, in denen Forderungen sozialer Bewegungen in die Pädagogik übersetzt, also

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

pädagogisiert werden. Ebenso ließe sich nachzeichnen, ob und wie pädagogische Konzepte aus dem pädagogischen Feld heraus von Bewegungen angeeignet oder abgewiesen werden können. So wäre nicht zuletzt darum zu streiten, wo Grenzen gezogen werden – sowohl um die einzelnen Projekte voneinander zu differenzieren, als auch, um das gemeinsame Ziel von anderen Projekten abzugrenzen. Eine radikaldemokratische Lesart von ›Inklusion‹ wäre damit stets in dem spannungsreichen Verhältnis der Instituierung und Destituierung, zwischen der Etablierung einer inklusionspädagogischen Ordnung wie ihrer Destabilisierung zu verorten. Eine so verstandene Pädagogik und Erziehungswissenschaft ließe sich nicht an der Frage messen, ob sie eine bestimmte Institutionalisierung erkämpft hat. Sie würde sich an ihrer Aufmerksamkeit für die Paradoxie messen lassen müssen, dass sie selbst Bedingungen der Teilhabe und Ausgrenzung generiert, es aber gerade die Auseinandersetzungen um diese Bedingungen von Teilhabe sind, die auf die politische Dimension pädagogischen Denkens und Handelns verweisen. In dem zurückliegenden Abschnitt haben sich zwei Themenfelder angedeutet, die Ausgangspunkte für entsprechende Analysen darstellen könnten. Zunächst spielt für Debatten um ›Inklusion‹ spätestens seit der Ratifizierung der UN-BRK im Jahr 2009 eine menschenrechtliche Argumentationsstrategie eine zentrale Rolle (vgl. Abschn. 2.2). Einer radikaldemokratisch informierten Perspektive hierauf ginge es maßgeblich um die Bedeutung der Behindertenrechtskonvention für politische Praxen. Im Zentrum stünde also nicht die Frage, ob diese Rechte umgesetzt sind, sondern wie diese Rechte je situativ in Anspruch genommen werden (können), um gegebene Ordnungsvorstellungen in Frage zu stellen und neue Ordnungsvorstellungen zu inszenieren. Im Zentrum stünde so die symbolische Wirksamkeit der menschenrechtlichen Argumentation für ›Inklusion‹. Welche politischen, pädagogischen und nicht zuletzt juristischen Räume werden hierdurch eröffnet, welche Grenzen werden diesen dadurch aber auch gesetzt? Welche Unterschiede ergeben sich hierdurch im Vergleich zu grundgesetz- oder gleichstellungsgesetzbezogenen Legitimationsstrategien, welche im Vergleich zu moralischen oder ethischen? Wer gilt als Subjekt der Menschenrechte, wer als Subjekt der Behindertenrechtskonvention? Welche gesellschaftlichen Vorstellungen von Behinderung spiegeln sich hierin wider und welche politischen Handlungsoptionen ergeben sich hieraus? Welche werden damit aber auch verhindert? Von Interesse wäre somit, wie die Behindertenrechtskonvention genutzt und in Argumentationen

147

148

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

eingebaut werden kann, um unterschiedlichste politische Ansprüche zu artikulieren.51 Als zweites Themenfeld, das für Fragen um ›Inklusion‹ relevant sein dürfte, wurde die Rolle und Gestaltung des Sozialstaats aufgerufen. Eine radikaldemokratische Perspektive interessierte sich auch hier nur bedingt für die Frage, ob gegebene Institutionalisierungen des Sozialstaats bestimmte Formen der Teilhabe ermöglichten. Vielmehr gerät auch hier die Umstrittenheit dieser Institutionalisierungen in den Fokus. Gesellschaftskritische Einsätze innerhalb der Inklusionspädagogik verweisen vielfach auf die oben skizzierten sozialstaatlichen Transformationsprozesse, referieren hierfür aber meist auf Arbeiten, die diese Veränderung lediglich als Bedrohung gesellschaftlicher Teilhabe verstehen. So verbinden sich mit Begriffen wie ›Prekarisierung‹ (vgl. Castel 2000) beziehungsweise ›Exklusion‹ (vgl. Kronauer 2010a) Problematisierungen eines zunehmenden Abbaus sozialer Sicherung und der Erosion der sozialen Staatsbürgerschaft. Die Erläuterungen zu den radikaldemokratischen Analysen zeigen jedoch, dass eine Problematisierung dieser Prozesse nicht zwingend in Forderungen nach einer »Rekonstruktion des Sozialstaates als Garant sozialer Sicherheit seiner Bürger« (Gröschke 2011, S. 196) münden muss. Von hier aus wird das Eintreten für die Weiterentwicklung bisheriger Formen der sozialstaatlichen Problembearbeitung ebenso denkbar wie das Erkunden neuer, den Ansprüchen der Gleichheit und Freiheit entsprechenden Formen. Solche ›Erkundungen‹ würden möglicherweise gerade dort ihren Ausgang nehmen, wo vorhandene Ordnungen einem radikalen Gleichheitsanspruch ausgesetzt sind, der diese Ordnungen gleichsam mit Forderungen der Transformation konfrontiert. Durch das gesamte Kapitel hindurch deutet sich somit eine analytische Perspektive auf inklusionspädagogische Ordnungen, auf die hiermit einhergehenden Inklusionschancen und Exklusionsrisiken, auf deren Verstrickungen in Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Ordnungen sowie auf die hieraus erwachsenden Irritationen, Infragestellungen und Verschiebungen an.

51

Im erziehungswissenschaftlichen Kontext haben Teresa Behrends, Johanna Mierendorff und Ralf Mayer Rancières Überlegungen zu einer Politik der Menschenrechte aufgegriffen und Fragen nach dem Subjekt der Kinderrechte zu stellen. Diesem Anliegen entsprechende Beiträge haben sie in einer Ausgabe der Berliner Debatte Initial zusammengetragen (vgl. Behrends et al. 2017). Hier finden sich viele Hinweise, die für eine Diskussion der UN-Behindertenrechtskonvention bedeutsam sein dürften.

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

Als solche eröffnet sie (selbst-)kritische Auseinandersetzungen mit inklusionsorientierten Pädagogiken und Forschungen und bietet so vielfältige Reflexionspotentiale für inklusionspädagogisches wie -politisches Denken und Handeln. Über die Abschnitte hinweg hat sich zugleich gezeigt, dass diese analytische Perspektive konsequent als ein politischer Einsatz gelesen werden muss. Denn insofern sie auf die Grundlosigkeit und Kontingenz des Sozialen insistiert und diese in den Analysen sichtbar macht, verweist sie stets aufs Neue auf mögliche Ansatzunkte für eine Demokratisierung des Bildungssystems. Der abschließende Abschnitt fasst diese doppelte Perspektive zusammen, um sie in Bezug auf den Ausgangspunkt des Kapitels – die Forderungen einer (Re-)Politisierung der Inklusionspädagogik – zu schärfen.

3.4

Zwischenfazit: Dimensionen einer (Re-)Politisierung der erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um Inklusion

Die Integrations- und Inklusionspädagogik respektive -bewegung ist mit dem Anspruch einer Demokratisierung des Bildungssystems angetreten – so die gängige Selbstbeschreibung. Theoretische Arbeiten und empirische Analysen konfrontieren diesen Anspruch jedoch mit Beschreibungen von pädagogischen wie gesellschaftlichen Wirklichkeiten und fordern von hier aus eine (Re-)Politisierung der Diskussionen um ›Inklusion‹. Die vielfältigen Fragestellungen, die sich mit einer solchen Forderung verbinden, waren in einem ersten Schritt der Ausgangspunkt dieser Arbeit, sich in das Feld der politischen Theorie zu begeben. Aufgrund der in der Hinführung dieses Kapitels dargestellten thematischen Nähe zwischen Fragen inklusionsorientierter Pädagogiken und den Einsätzen radikaler Demokratietheorien wurde die Frage nach der politischen Dimension von ›Inklusion‹ vor dem Hintergrund dieser Ansätze erörtert. Das vorliegende Kapitel diente zunächst der Erarbeitung eines radikaldemokratischen Begriffs des ›Politischen‹. Vor dessen Hintergrund galt es dann, Möglichkeiten einer (Re-)Politisierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ zu diskutieren. Beide Aspekte sollen hier nochmals präzisiert werden. In einem ersten Schritt wurde deutlich, dass die Möglichkeit der Öffnung eines politischen respektive demokratischen Raums in radikaldemokratischen Arbeiten insbesondere auf der symbolischen Ebene des Sozialen als Austragungsort sozialer Kämpfe verortet wird. Ausgehend von der Annahme, dass Gesellschaft und deren Prinzipien selbst nicht präsent sein können,

149

150

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

erscheint politische Repräsentation im weitesten Sinne als Modus operandi der Herstellung, Durchsetzung und Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen. Mit diesen Praxen steht je aufs Neue zur Diskussion, wer an der Sphäre der Politik auf welche Arten und Weisen beteiligt wird und wie der Bereich der Politik als Sphäre der Macht geteilt wird von und ins Verhältnis gesetzt wird zu anderen gesellschaftlichen Bereichen (vgl. Lefort und Gauchet 1990). Konkrete Praxen der (politischen) Repräsentation werden so als strategische Einsätze in die Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen analysierbar. Das Spezifikum des historisch entstandenen demokratischen Repräsentationsregimes kann darin gesehen werden, dass es die Unmöglichkeit der Letztbegründung dieser Aufteilungen durch unterschiedliche Inszenierungen des ›leeren Orts der Macht‹ symbolisiert und so den Streit um diese Teilungen auf Dauer stellt. Entscheidungen darüber, was gesellschaftlich erwünscht oder unerwünscht ist, was eine adäquate Antwort auf gesellschaftliche Probleme darstellt, was überhaupt als Problem artikulierbar ist und wer an den Auseinandersetzungen um diese Fragen zu beteiligen wäre, können im demokratischen Dispositiv deshalb nicht unter Verweis auf übergeordnete, dem demokratischen Streit entzogene Kriterien legitimiert werden. Die Resultate dieser Entscheidungen sind stets (re-)politisierbar, können also in Frage gestellt und so dem demokratischen Streit ausgesetzt werden. Die Möglichkeit, in solchen Praxen gesellschaftliche Ordnungen nicht nur zu reproduzieren, sondern gerade auch andere Ordnungen vorstellbar zu machen, liegt dabei in der radikalen Differenz begründet, die jeder Instituierung einer symbolischen Ordnung konstitutiv eingeschrieben ist. Überlegungen zu einer politischen Differenz argumentieren, dass jeder konkrete Versuch der (Selbst-)Gründung einer Ordnung die Ziehung von Grenzen erfordert und deshalb konstitutiv auf Ausschlüsse angewiesen ist. Da die Ordnung in ihrer Gründung auf die Symbolisierung dieser radikalen Differenz angewiesen bleibt, schreibt sich diese in die Ordnung ein und entgründet sie zugleich. Während die Ordnungsversuche als Politik verstanden werden, verweist der Begriff des Politischen auf die Differenz zwischen den konkreten Praxen und diesem negativen Grund, der sich jeder positiven Bestimmung entzieht (vgl. Marchart 2010). Vor dem Hintergrund der Bedeutsamkeit, welcher hiermit der Kontingenz sozialer Ordnungen zugeschrieben wird, grenzen sich radikaldemokratische Theorien von normativen politischen Theorien und positivistischen Verständnissen der Politikwissenschaften ab. Sie streiten hingegen für eine politische Philosophie, welche die Unverfügbarkeit der Konzep-

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

te politischer Theorie zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen macht. Das politische Potential dieser Konzepte wird dabei in deren inneren Widersprüchen und den hieraus resultierenden Möglichkeiten für deren Infragestellung verortet (vgl. Derrida 2006, S. 150ff.). Gegen normative oder empiristische Fassungen der Demokratietheorie können so dekonstruktive Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Vorstellungen des Demokratischen zu einer (Re-)Politisierung derselben beitragen. Das Politische auf der symbolischen Ebene zu verorten, eröffnet somit eine Perspektive auf den prekären Status jeder sozialer Ordnungen. Diese Prekarität zeigt sich insbesondere dort, wo sich etablierte Ordnungsversuche in Frage gestellt sehen. Vor diesem Hintergrund legitimiert sich ein intensives radikaldemokratisches Interesse an politischen Praxen, welches sich in der Fokussierung des Streits, des Dissenses oder des Konflikts – beziehungsweise spezifischer Formen dieser sozialen Prozesse – niederschlägt. So widmen sich radikaldemokratische Analysen politischen Aktionen, Bewegungen oder Revolutionen und versuchen hierin dem Politischen auf die Spur zu kommen. Insbesondere die demokratischen Prinzipien der ›Gleichheit‹ und ›Freiheit‹ sowie deren wechselseitigen Verschränkungen und die sich hieraus ergebenden Paradoxien erweisen sich immer wieder als Möglichkeiten, soziale Ordnungen und deren Aufteilungen mit anderen Ordnungen zu konfrontieren und so in Frage zu stellen (vgl. Balibar 2012; Rancière 2014). So zeigt sich in den demokratischen Prinzipien der Motor für eine Radikalisierung des demokratischen Versprechens beziehungsweise einer (Re-)Politisierung der Demokratie. Radikale Demokratietheorien versuchen anzuerkennen, dass »Konflikt und Pluralität […] essentielle Eigenschaften der Demokratie [sind] und kein Mangel, der in einer harmonischen klassenlosen Gesellschaft oder in einem vernünftigen Konsens […] aufgelöst werden sollte« (Weymans 2006, S. 192). Deshalb fokussieren sie in erster Linie Prozesse der Infragestellung und Konfrontation von Wissensordnungen und Machtstrukturen. Über das Kapitel hinweg hat sich somit gezeigt, dass die Radikalität der dargestellten Ansätze in der konsequenten Verfolgung der Frage nach den grundlegenden Bedingungen politischen Handelns gesehen werden muss. Bei allen Differenzen eint die Arbeiten die Überzeugung, dass diese in der Unbestimmtheit des Sozialen begründet liegen, aus der die Notwendigkeit entsteht, gesellschaftliche Ordnungen in sozialen Praxen ständig neu zu bestimmen, wie auch die Möglichkeit, die hieraus resultierenden Bestimmungen erneut in Frage zu stellen. Gleichzeitig kann eine Radikalisierung in Hinsicht auf die demokratischen Prinzipien der ›Gleichheit‹ und ›Freiheit‹

151

152

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

konstatiert werden. Gerade das demokratische Dispositiv habe die Kontingenzannahme in die symbolische Ordnung aufgenommen und ermögliche deshalb eine stete (Re-)Politisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Aus diesem Grund treten die Arbeiten für eine »Demokratisierung der Demokratie« (Balibar 2012, S. 16) ein und artikulieren Forderungen nach einer »Demokratie im Kommen« (vgl. Derrida 2006, S. 111ff.) beziehungsweise einer »radikalen Demokratie« (vgl. Laclau und Mouffe 2012, S. 189ff.). In dieser Zusammenfassung ebenso wie in den zurückliegenden Abschnitten finden sich nun vielzählige Überlegungen, die für die Frage nach den Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen einer (Re-)Politisierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ relevant gemacht werden können und Hinweise für eine weitere Auseinandersetzung mit damit zusammenhängenden Fragen bieten. Vorstellungen und Institutionalisierungen ›inklusiver‹ Bildung wären aus radikaldemokratischer Perspektive zunächst der Sphäre der (Bildungs-)Politik zuzuordnen. Hiermit sind konkrete Organisationsformen des universellen Anspruchs auf Bildung angesprochen: konkrete Institutionalisierungen des Bildungssystems sowie diese legitimierende Vorstellungen von Adressat*innengruppen, hiermit verbundene Vorstellungen professioneller Zuständigkeiten, etablierte didaktische, methodische und inhaltliche Konkretisierungen von ›Inklusion‹ und deren Zielsetzungen. Von dieser Sphäre der Politik unterscheiden radikaldemokratische Arbeiten konsequent die Sphäre des Politischen, die als Möglichkeit der Infragestellung jeder institutionalisierten sozialen Ordnung aufgerufen wird. Die (bildungs-)politische Dimension von ›Inklusion‹ liegt hier also in der Möglichkeit aufgehoben, je gegebene Institutionalisierung des demokratischen Anspruchs der Teilhabe an Bildung dem Streit oder Konflikt auszusetzen, diese also zu (re-)politisieren. Eine radikaldemokratische Lesart von ›Inklusion‹ würde sich dafür einsetzen, diese Möglichkeit der (Re-)Politisierung durch eine konsequente Orientierung an den demokratischen Prinzipien offen zu halten und zu affirmieren. Mögliche Ebenen, an denen eine solche (Re-)Politisierung der Diskussionen ansetzen könnte, wurden in den zurückliegenden Abschnitten angedeutet. Im Anschluss an die Überlegungen zur politischen Repräsentation wird eine Auseinandersetzung mit den Versuchen der Institutionalisierung pädagogischer Ordnungen unter dem Namen ›Inklusion‹ vorstellbar, sowie der damit einhergehenden Teilhabe- und Ausgrenzungsbedingungen. Der Fokus läge hier auf den Bedeutungen, denen unterschiedlichsten Repräsentations- und Teilhabeansprüchen für die Konstitution dieser Ordnungsvor-

3 ›Inklusion‹ und das Politische – radikaldemokratische Denkfiguren

stellungen zukommen. Je konkrete Institutionalisierungen von ›Inklusion‹ und ›Bildung‹ und die diese konstituierenden Grenzen werden dabei durch eine Konfrontation mit den demokratischen Prinzipien von ›Gleichheit und Freiheit kritisierbar und somit eben auch (re-)politisierbar. Die analytische Perspektive ließe sich jedoch nicht nur auf die Umsetzungsversuche ›inklusiver Bildung‹ richten. Sie kann auch als Auftrag zu einer Auseinandersetzung mit den theoretischen Konzepten verstanden werden, die sich mit dem Begriff der ›Inklusion‹ verbinden und erstere somit potentiell autorisieren. Hier verspricht insbesondere eine dekonstruktive Auseinandersetzung mit den legitimierenden begrifflichen und normativen Fassungen von ›Inklusion‹ eine Möglichkeit, diese mit ihren Grenzen zu konfrontieren und somit der politischen Auseinandersetzung zugänglich zu machen. Nicht zuletzt wären unterschiedliche Möglichkeiten der Verhältnissetzung von ›Inklusionspädagogik‹ und sozialen Bewegungen ebenso wie deren Versuche der Einflussnahme auf bildungs-, sozial- und gesellschaftspolitische Fragestellungen daraufhin befragbar, in welcher Weise sie einen Beitrag zu einer Demokratisierung der Demokratie zu leisten in der Lage sind. Die Frage der (Re-)Politisierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ erforderte hier eine Analyse der diskursiven Wirksamkeit inklusionspädagogischer Artikulationen in Bezug auf die Möglichkeiten der Instituierung von Auseinandersetzungen um die Demokratie. Sei es in Auseinandersetzung mit pädagogischen Konzepten und Theorien oder mit (bildungs-)politischen Bewegungen und Forderungen, mit je unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Verschiebungen wären dabei ganz ähnliche Fragen zu diskutieren. Wie werden pädagogische Frage- und Problemstellungen unter dem Begriff ›Inklusion‹ aufgerufen und welche Strategien werden herangezogen, um eine pädagogische Bearbeitung der adressierten Probleme zu legitimieren? Wird hier Gesellschaft oder das Soziale als Horizont pädagogischen Handelns aufgerufen und wenn ja, wie? Oder finden sich eher individualisierende, entpolitisierende Problembeschreibungen wieder? Welche Rolle spielen je konkrete Aufteilungen des gesellschaftlichen Raums für die Artikulation inklusionspädagogischer Forderungen? Vor welchen Normalitätserwartungen legitimieren sich solche Problematisierungen, welche hingegen werden fragwürdig? Welche Vorstellungen von Zugehörigkeit und Teilhabe lassen sich hiermit verbinden und welche Teilungen werden damit in Kauf genommen? Wer oder was erscheint vor dem Hintergrund der vielfältigen Problembeschreibungen und Artikulationen von Ansprüchen als Adressat*in inklusionspädagogischen Handelns, wer als Akteur*in? Wel-

153

154

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

che Sprecher*innen-Positionen sind innerhalb der hiermit verbundenen Ordnungen vorgesehen? Wer hat also welche Möglichkeiten, seine Interessen auf welche Arten und Weisen zu artikulieren und welche Verantwortlichkeiten werden im Anschluss hieran legitimierbar? Wer hingegen kann nicht sprechen? Und welche Ausschlüsse gehen jeweils mit den Versuchen einher, auf diese Fragen konkrete Antworten zu finden? Ausgangspunkt all dieser Fragen ist die im demokratischen Dispositiv aufgehobene Kontingenzerfahrung, welche »das Streben nach Freiheit und Gleichheit hervorgebracht hat« (Comtesse 2019, S. 523). Ein radikaldemokratisches Denken insistiert also in »konsequenter Anwendung der postfundamentalen Denkweise« darauf, dass »weder Freiheit noch Gleichheit als letzter Grund oder als ausrichtendes Ideal« (ebd.) der eigenen Einsätze gelten können. Die Stärke radikaldemokratischer Ansätze und deren Anerkennung dieser Kontingenzannahme besteht »weniger in der Formulierung des ›richtigen‹ Demokratieverständnisses als vielmehr in der Eröffnung und Unterstützung einer radikaldemokratischen Praxis der Kritik« (Comtesse et al. 2019b, S. 475). Vor diesem Hintergrund bleibt einer Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung die Aufgabe der (Re-)Politisierung in den vielfältigen Spannungsverhältnissen zwischen der Notwendigkeit der Etablierung symbolischer Ordnungen – die konstitutiv auf Ausschlüsse angewiesen sind –, und dem universellen Anspruch, mit der eigenen Ordnung allen gerecht werden zu wollen – ohne jemals abschließend sagen zu können, wer mit diesem ›alle‹ gemeint sein soll –, stets erhalten. Eine radikaldemokratische Lesart von beziehungsweise auf ›Inklusion‹ zu entwickeln, ist damit als eine Entscheidung dafür zu verstehen, die Notwendigkeit des Umgangs mit diesen Paradoxien unter Berücksichtigung der Unbegründbarkeit wie Unbestimmbarkeit der eigenen Positionierungen geltend und zum Ausgangspunkt der Reflexionen zu machen.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt »Gesellschaft generiert ein ganzes Vokabular leerer Signifikanten, deren vorübergehende Signifikate das Ergebnis eines politischen Wettbewerbs sind. Weil Gesellschaft letztinstanzlich daran scheitert, sich selbst als Gesellschaft zu konstituieren […] wird die Distanz zwischen dem Universellen und dem Partikularen unüberbrückbar und wird folglich konkreten sozialen Akteuren jene unmögliche Aufgabe aufgebürdet, demokratische Interaktion zustande zu bringen.« (Laclau 2013a, S. 64)

An den Begriff ›Inklusion‹ lassen sich vielfältige Ansprüche, Hoffnungen und Befürchtungen der Veränderung gesellschaftlicher Teilhabemöglichkeiten und -bedingungen knüpfen. So wird beispielsweise betont, dass es »dem Konzept der Inklusion um die Teilhabe für alle in einer Gesellschaft«1 gehen müsse. ›Inklusion‹ sei »als Aufgabe für die gesamte Gesellschaft«2 zu verstehen. Die »Verbesserung der Inklusion in Deutschland« sei deshalb nicht auf einen gesellschaftlichen Bereich beschränkt, sondern als »eine ressortübergreifende Aufgabe«3 der Politik anzuerkennen. Wirtschaftsvertreter*innen

1 2 3

www.bpb.de/lernen/themen-im-unterricht/208749/inklusion https://www.tagesspiegel.de/themen/inklusion/ https://www.behindertenbeauftragter.de/DE/Presse-und-Aktuelles/DerBeauftragteAktuell/Artikel/2019/2019 1024_J %C3 %BCrgenDusel %20im %20Gespr %C3 %A4ch %20mit %20Kanzlerin %20Merkel.html

156

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

sehen sich der »gleichberechtigte[n] Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Arbeits- und Berufsleben« als einem »wichtige[n] gesellschafts- und arbeitsmarktpolitische[n] Anliegen«4 verpflichtet. Die Evangelische Kirche Deutschland fordert demgegenüber, ›Inklusion‹ »in Kirche und Gesellschaft« (Evangelische Kirche Deutschland 2014) zu leben. Sie fragt deshalb nach Möglichkeiten, wie Menschen »trotz all ihrer Verschiedenheit gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben« (ebd., S. 7) können. Und im Bereich der Kulturpolitik sucht der Landesverband SozioKultur Sachsen eine »Auseinandersetzung mit der Frage nach selbstverständlicher kultureller Teilhabe von Menschen mit Behinderungen« (Landesverband Soziokultur Sachsen, S. 2). ›Inklusion‹ sei »nicht als ein zukünftig zu erreichender Zustand zu verstehen, sondern vielmehr als permanente Aufgabe des ›kompetenten Umgangs mit Vielfalt‹, der sich hier und heute die gesamte Gesellschaft zu stellen« (ebd., S. 7) habe. Solche Forderungen des Zugangs zu zentralen gesellschaftlichen Bereichen finden sich dort qualitativ weiter ausbuchstabiert, wo unter Verweis auf ›Inklusion‹ gefordert wird, »dass alle Menschen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen«5 können sollen. So hätten »[i]n einer inklusiven Gesellschaft […] behinderte Menschen ihre Bedürfnisse nicht an die Gegebenheiten an[zu]passen, sondern die Gegebenheiten werden auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten«6 . Aspekte oder Bedingungen einer solchen ›inklusiveren Gesellschaft‹ seien »Empathie, Entschleunigung, Solidarität, Konkurrenzreduktion, Toleranz und eine Lebensführung ohne primär ökonomische Rationalität« (Becker 2016, S. 18). Gleichzeitig wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass Forderungen der uneingeschränkten Teilhabe an der Gesellschaft selbst gesellschaftlichen Anforderungen unterliegen können, die solchen Verständnissen des Inklusionsbegriffs entgegenstehen. So seien Inklusionsforderungen mitunter nicht frei von ökonomischen Interessen (vgl. ebd., S. 13). Vielmehr wird eine Nähe von Inklusionssemantiken zu neoliberalen Programmatiken kritisiert (vgl. Kluge et al. 2015b). Deshalb drohe nicht zuletzt eine ›Inklusion in einer exklusiven Gesellschaft‹ (vgl. Wansing 2012). Die Debatten um ›Inklusion‹ blieben im Mainstream jedoch »eigenartig unberührt von den kritischen Überlegungen

4 5 6

https://arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/id/de_inklusion-von-menschen-mitbehinderung https://leidmedien.de/geschichte/inklusion/ https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/behinderungen/inklusion/index.html

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

zu gesellschaftlichen Mechanismen der Ausgrenzung« (Becker 2016, S. 13). ›Inklusion‹ dürfe nicht – so die kritische Mahnung – auf einen ›Einschluss‹ in bisher Bestehendes reduziert, sondern müsse konsequent auf einen Zusammenschluss von Vielfalt bezogen werden. Nur so könnten sich »Veränderungen des gesellschaftlichen Gefüges und der zentralen ökonomischen Funktionslogik der Gesellschaft« (ebd., S. 17) ergeben. Sei es in affirmativer Bezugnahme oder in kritischer Auseinandersetzung – die hier aufgerufenen, mit dem Inklusionsbegriff assoziierten Diskursfragmente zeigen sich auf vielfältige Arten und Weisen in Fragen nach dem Gesellschaftlichen verstrickt. So scheint es folgerichtig, eine gesellschaftstheoretische oder -analytische Perspektive auf die Debatten um ›Inklusion‹ zu fordern oder einzunehmen. Der thematische Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf Auseinandersetzungen um eine inklusive Gestaltung von Bildungsangeboten. Auch in Bezug auf diesen Bereich wird ein Ausblenden gesellschaftlicher Kontextfaktoren problematisiert. Begründet wird dies mit einem Verweis auf beobachtete didaktische und sonderpädagogische Engführungen der Diskussionen. Gleichzeitig ließe sich aber geltend machen, dass in diesem Feld herangezogene Verständnisse von Behinderung in zunehmendem Maße an Barrieren der Teilhabe oder Teilnahme und somit an den Anspruch eines gleichberechtigten und gleichwertigen Zugangs zu zentralen gesellschaftlichen Bereichen gebunden werden (vgl. Röh 2016, S. 388). So gelten gemäß der Definition der UN-BRK Personen als behindert, »who have long-term physical, mental, intellectual or sensory impairments which in interaction with various barriers may hinder their full and effective participation in society on an equal basis with others« (United Nations 2006, Art.1). Auch im bio-psycho-sozialen Modell der ›Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit‹ (ICF) (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005) erscheint die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe als zentrales Kriterium für Diagnosen von Behinderung (vgl. Hollenweger 2016). Behinderung wird in den genannten Definitionen somit als soziales Phänomen lesbar. Der Begriff erlaubt die Markierung eines gesellschaftlichen Problems, von dem aus konkrete Bedingungen der Teilhabe kritisiert und deren Transformation eingefordert werden können. Auf Grundlage dieser Perspektive wären für die pädagogischen Praxis stets auch deren Kontextfaktoren mit zu berücksichtigen. Welche Faktoren hierbei relevant zu machen sind, bleibt freilich umstritten. Auch im pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Feld verknüpfen sich Debatten um ›Inklusion‹ also auf vielfältige Art

157

158

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

und Weise mit Auseinandersetzungen um die Teilhabemöglichkeiten an der Gesellschaft oder ihren Teilbereichen. Sie sind auf etwas verwiesen oder angewiesen, das je konkrete Situationen oder Fragestellungen überschreitet. Dabei ist ›die‹ Gesellschaft zugleich erstrebenswertes Ziel wie auch die Ursache für Marginalisierung; etwas, das noch zu realisieren ist und der Ausgangspunkt der hierfür anzustrebenden Transformationsprozesse. Im Sinne von Derrida ließe sich konstatieren, dass dieses Etwas mit dem Namen Gesellschaft nie wirklich Präsens oder Präsenz ist.7 Das vorangegangene Kapitel ging der Frage nach, wie die im Kontext dieser Debatten vorgetragenen Forderungen nach einer (Re-)Politisierung theoretisch gefasst werden können. In den Erläuterungen zu Lefort wie auch in den Auseinandersetzungen mit Derrida hat sich bereits angedeutet, dass die Bestimmung von Gesellschaft nicht nur eine wissenschaftliche Aufgabe darstellt, sondern selbst eine politische Dimension aufweist. Das folgende Kapitel widmet sich nun den Forderungen einer gesellschaftstheoretischen Fundierung der Debatten um ›Inklusion‹. Die Grundlage hierfür stellt die Erkenntnis des Kapitels 3 dar, wonach Fragen nach Politik und Gesellschaft immer schon problematisch und umstritten sind. Über die Arbeit hinweg hat sich nicht nur eine vielfältige Kritik an einer vermeintlichen Gesellschaftsvergessenheit der inklusionspädagogischen Debatten gezeigt, sondern ebenso, dass bereits eine Vielzahl gesellschaftstheoretisch wie -analytisch fundierter Einsätze besteht, die innerhalb des Fachdiskurses rezipiert werden. Die Heterogenität entsprechender Forderungen und deren gesellschaftstheoretische Bezugspunkte werfen deshalb zunächst Fragen nach deren Gemeinsamkeiten auf (Abschn. 4.1). Was zeichnet gesellschaftstheoretische Fundierungen wissenschaftlicher Arbeiten aus? Welche Vorannahmen bezüglich der sozialen Welt verbinden sich mit ihnen? Welche Kriterien müsste eine Arbeit erfüllen, die diesem Anliegen gerecht werden möchte? Welche Fragen wären hiermit theoretisch wie empirisch zu klären? Was bedeuteten sie für die Auseinandersetzungen um ›Inklusion‹? Und nicht zuletzt und vor dem Hintergrund des vorangegangenen Kapitels: Wie könnte hiermit das Verhältnis von Politik und Gesellschaft, von Politischem und Sozialem gefasst werden? Ausgangspunkt dieses Kapitels sind also zunächst Fragen nach unterschiedlichen Möglichkeiten der Konzeptualisierung von Gesellschaft und Gesellschaftsanalyse, insbesondere im Hinblick auf de-

7

Vgl. Abschn. 3.2.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

ren Verwendung in Kontexten inklusionsorientierter Pädagogiken und Forschungen. Im Anschluss an die Beobachtung, dass hierfür herangezogene Theorieund Analyseangebote die Bedeutung von Negativität für die Konstitution gesellschaftlicher Ordnungen nicht explizit berücksichtigen und innerhalb deren Theoriegebäude damit dem Politischen nur bedingt ein Platz eingeräumt wird, wendet sich das Kapitel im nächsten Schritt einem radikaldemokratischen Versuch der Formulierung einer gesellschaftstheoretischen und -analytischen Perspektive zu (Abschn. 4.2). Mit der Diskussion der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus wird in ein Denken eingeführt, das in Hinblick auf die bisherigen Fragen der Arbeit insbesondere deshalb aussichtsreich erscheint, weil es sich durch den Versuch auszeichnet, Gesellschaftstheorie und politische Philosophie miteinander zu verschränken (vgl. Flügel-Martinsen 2017, S. 16). Es ermöglicht damit differenzierte theoretische Auseinandersetzungen mit den Konstitutionsbedingungen sozialer Ordnungen und hat bereits vielfach empirische Arbeiten inspiriert. Die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes ergibt sich aus dem Irritationspotential, das aus seinem spezifischen Verständnis von Gesellschaft folgt. Laclau versteht Gesellschaft im Anschluss an die diskurstheoretischen Überlegungen Foucaults und Derridas und der hiermit zu konstatierenden Unabschließbarkeit symbolischer Ordnungen zugleich als ein unmögliches und ein notwendiges Objekt in und für diskursive Auseinandersetzungen um das Allgemeine. Auf diese Weise wird Gesellschaft als eine Totalität ebenso unmöglich wie Vorstellungen einer umfassenden Teilhabe. Vielmehr setzen sich im Rahmen sozialer Konflikte jeweils unterschiedliche partikulare Vorstellungen und Sinnprojekte als hegemoniale Formationen durch und repräsentieren das Allgemeine so lange, bis sie wieder in Frage gestellt werden. Vor diesem Hintergrund verschiebt sich der Fokus von Gesellschaftsanalyse in der Hegemonietheorie auf die Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen, in denen sich partikulare Forderungen universalisieren. Laclaus Arbeiten sind jedoch nicht nur als Bestandteile einer Hegemonietheorie und -analyse zu lesen, welche die Möglichkeiten politischen Handelns an die Fähigkeit bindet, eine hegemoniale Formation durchzusetzen und die hiermit zusammenhängenden Prozesse beschreibbar macht. Sie verstehen sich auch explizit als Teil eines radikaldemokratischen Projekts, dessen Anliegen es ist, die Möglichkeiten demokratischer Hegemonialisierungen zu diskutieren (Abschn. 4.3). Ein solches Projekt hat jedoch die radikaldemokratische Einsicht in die Kontingenz und Umstrittenheit jeder sozialen Ordnung selbst zu

159

160

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

berücksichtigen und seinen Ausgangspunkt in den Kämpfen demokratischer Bewegungen zu nehmen. Ob ›Inklusion‹ sich als Name für ein solches Projekt der Radikalisierung des demokratischen Versprechens eignet, ist im Anschluss hieran als eine offene Frage zu verstehen, die sich nur innerhalb sozialer Praxen und stets nur vorläufig beantworten lässt. Das laclausche Denken – und die mit ihm verbundene spezifische Lesart von Gesellschaftstheorie und -analyse – geben diese Frage jedem inklusiven Denken und Handeln auf.8

4.1

Gesellschaftstheorie als strategischer Einsatz

Der folgende Abschnitt geht der Bedeutung von Forderungen nach, Diskussionen um ›Inklusion‹ seien verstärkt gesellschaftstheoretisch bzw. -analytisch zu fundieren. Uwe Schimank problematisiert, dass mit solchen Verweisen auf Gesellschaft häufig nicht mehr gesagt sei, als dass die interessierenden sozialen Phänomene nicht isoliert diskutiert werden sollten. Gesellschaft erscheine in einer solchen Logik als Name für den Kontext, in welchem diese Phänomene stattfinden. Auf diese Weise werde Gesellschaft aber ausgehend von den Ein- und Auswirkungen hierauf konzipiert und nicht »aus eigenem Recht betrachtet« (Schimank 2014, S. 9). Dies führe dazu, dass der Gesellschaftsbegriff häufig nicht differenziert ausbuchstabiert sei. Für den Untersuchungsbereich der vorliegenden Arbeit lassen sich für diese These lose Verweise auf eine ›inklusive Gesellschaft‹ heranziehen sowie Hinweise

8

Kapitel 4 wird mit der Argumentationsstruktur in Kapitel 3 brechen. Während in Kapitel 3 unterschiedliche Problemfelder diskutiert wurden, um nach den Möglichkeiten einer (Re-)Politisierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ zu fragen und zugleich in den Diskurs radikaler Demokratietheorien einzuführen, kann dieser für die folgenden Überlegungen als bekannt vorausgesetzt werden. Dies erlaubt es einerseits, der Darstellung der gesellschaftstheoretischen und -analytischen Arbeiten im Feld der Inklusionspädagogiken und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschungen die Frage nach dem Politischen einzuschreiben, ohne diesen Begriff und die hiermit verbundene Perspektive nochmals explizieren zu müssen. Andererseits eröffnet dies den Raum, sich im weiteren Verlauf intensiv auf einen radikaldemokratischen Ansatz konzentrieren zu können. Die hierbei vorgenommene Fokussierung legitimiert sich mit den bereits angedeuteten inhaltlichen Schwerpunkten der laclauschen Hegemonietheorie, aber ebenso mit der Tatsache, dass hieran anschließende methodische Überlegungen für das empirische Projekt genutzt werden sollten, in welchem die vorliegende Dissertation ursprünglich verortet war.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

darauf, dass man eben (noch) nicht in einer solchen lebe, ohne dass im Detail geklärt wird, was an einer aktuellen Gesellschaft denn gerade nicht inklusiv sei und worin sich eine inklusive Gesellschaft letztlich von aktuellen Gesellschaftsbeschreibungen zu unterscheiden hätte. Mit der Formulierung einer Abgrenzung von ›dem Kapitalismus‹, ›dem Neo-Liberalismus‹ oder ›der Leistungsgesellschaft‹ ist den Aufforderungen nach einer gesellschaftstheoretischen Fundierung der Diskussionen sicherlich noch nicht entsprochen. Mit solchen Einwänden oder Vorhaltungen ist aber auch wenig darüber gesagt, was einen differenzierten Begriff oder eine differenzierte Betrachtung von Gesellschaft von solchen Verwendungsweisen unterscheidet. Außerdem scheint mit solchen Kritiken immer schon festzustehen, dass eine dem Gegenstand angemessene gesellschaftstheoretische Fundierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ ein »blinder Fleck« (Dammer 2015, S. 33) derselben ist. Verallgemeinernde Diagnosen einer »gesellschaftstheoretische[n] Unbedarftheit der pädagogischen Inklusionsdebatte« (Bernhard 2012, S. 347) müssen jedoch eine Vielzahl älterer wie neuerer Veröffentlichungen ausblenden, welche die aufgerufenen Fragen für eine Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftliche Inklusionsforschung explizit stellen und umfassend diskutieren.9 Sicherlich gibt es hier noch sehr viel Arbeit zu leisten. Gerade solche Arbeiten werden in den letzten Jahren aber zunehmend forciert. Sowohl im Rahmen der Teilhabeforschung als auch im Anschluss an die rekonstruktive Inklusionsforschung werden gesellschaftstheoretische Anfragen immer häufiger aufgegriffen, um sie für die theoretischen Diskussionen um ›Inklusion‹ und sich hieran anschließende empirische Forschungsvorhaben nutzbar zu machen. Vor dem Hintergrund dieses Diskussionstands skizziert der folgende Abschnitt zunächst einige Positionierungen dazu, was eine Gesellschaftstheorie und -analyse ausmache (Abschn. 4.1.1). Maßgeblicher Bezugspunkt dieser Annäherung sind zu Beginn soziologische Diskussionszusammenhänge – also diejenigen disziplinären Kontexte, denen der Begriff der Gesellschaft als zentraler Gegenstand gilt. In diesem Überblick wird sich weiter akzentuieren, was sich im 9

Interessanterweise legen auch die Titel zurückliegender Jahrestagungen der Inklusionsforscher*innen wiederholt eine gesellschaftstheoretische Auseinandersetzung mit ›Inklusion‹ nahe (2016: ›Leistung inklusive. Inklusion in der Leistungsgesellschaft‹; 2012: ›Doing Inclusion. Inklusion in einer nicht inklusiven Gesellschaft‹). Inwieweit sich die damit verbundenen Impulse der Veranstalter*innen auch im Programm widerspiegeln und welche Wirkungen diese innerhalb des Diskurses entfalten, ist jedoch eine andere Frage.

161

162

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

bisherigen Verlauf der Arbeit bereits angedeutet hat: Auch innerhalb soziologischer Arbeiten wird Gesellschaft als positive Referenz zunehmend problematisch. Im Anschluss an einen radikaldemokratisch informierten Einsatz in das Feld der Gesellschaftstheorie soll Gesellschaft deshalb im Folgenden nicht mehr länger als ein gegebenes ›Objekt‹, sondern vielmehr als strategischer Bezugspunkt für wissenschaftlich kodierte Auseinandersetzungen um die Gestaltung des Sozialen verstanden werden (vgl. Marchart 2013a). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche strategischen Einsätze sich mit denjenigen gesellschaftstheoretischen Arbeiten verbinden, die sich bereits in der Inklusionspädagogik und -forschung etabliert haben (4.1.2). Hierfür lassen sich differenzierungstheoretische, ungleichheitstheoretische und kulturtheoretische Ansätze unterscheiden und in Bezug auf ihre Produktivität für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ›Inklusion‹ diskutieren. Diese Untersuchung zeigt vielfältige (Reflexions-)Potentiale für die Weiterentwicklung inklusionsorientierter Bildungsangebote. In Hinblick auf den Stellenwert der Möglichkeit einer (Re-)Politisierung für eine demokratische Artikulation von ›Inklusion‹, wie sie in Kapitel 3 diskutiert wurde, wird jedoch deutlich, dass die bisherigen Formen der Rezeption gesellschaftstheoretischer Zugänge Gefahr laufen, gerade die politische Dimension der Auseinandersetzung um Gesellschaft auszublenden (4.1.3). Diese Erkenntnis legitimiert eine Erschließung politischer Theorien von Gesellschaft, wie sie in Abschnitt 4.2 in Bezug auf die hegemonietheoretischen Auseinandersetzungen mit dem ›unmöglichen Objekt‹ Gesellschaft unternommen wird.

4.1.1

Gesellschaftstheorie und -analyse als Bestimmungsversuche eines ›unmöglichen Objekts‹

Gesellschaft und Gesellschaftstheorie sind traditionelle Gegenstände der Soziologie.10 Mit Richard Münch lassen sich drei Aspekte angeben, die den Charakter von Gesellschaftstheorie auszumachen hätten. Zunächst nehme in ihr die Analyse von Gesellschaft einen breiten Raum ein (vgl. Münch 2004, S. 9). Der Gegenstand dieser Analyse werde dabei zweitens als eine soziale Einheit verstanden, die »mit eigenen Qualitäten ausgestattet […]« (ebd.) sei. Damit kennzeichne Gesellschaftstheorie drittens insbesondere die »Ausarbeitung eines eigenen theoretischen Instrumentariums zur Analyse von Gesell10

Einführende Überblicke finden sich z.B. bei Krossa 2018; Ritsert 2000 und Schimank 2014.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

schaft« (ebd.). Jürgen Ritsert spezifiziert, dass diese soziale Einheit eigener Qualitäten üblicherweise als eine Ordnung, eine Struktur oder ein Gefüge konzipiert wird (vgl. Ritsert 2000, S. 23), die bzw. das Beziehungen zwischen sozialen Elementen stiftet oder aus diesen hervorgeht (vgl. ebd., S. 25). Ein Hauptinteresse der Gesellschaftstheorie liegt somit in der Beschreibung und Erklärung der Organisation sozialer Beziehungen. Hiermit verbinden sich insbesondere Fragen danach, wie Gesellschaft überhaupt möglich wird, aus welchen Elementen sie besteht und welche Organisationsprinzipien ihr zu Grunde liegen. Ebenso lässt sich nach der Charakteristik sozialer Tatsachen fragen, wie nach Regeln gesellschaftlicher Veränderungsprozesse (vgl. Ritsert 2000). In Abhängigkeit unterschiedlicher gesellschafts- und sozialtheoretischer Grundannahmen – z.B. differenzierungstheoretischer, ungleichheitstheoretischer oder kulturtheoretischer Art (vgl. Schimank 2014) –, die mit spezifischen Erkenntnisgewinnen, aber auch mit jeweils eigenen Grenzen der Erkenntnis einhergehen, finden sich dann vielfältige Möglichkeiten, aktuelle und historische Gesellschaften zu beschreiben (vgl. Ritsert 2000, S. 159f.). Als Beispiele hierfür nennt Ritsert Theorien kapitalistischer Gesellschaften sowie Theorien der Risiko- und der Erlebnisgesellschaft (vgl. ebd., S. 159ff.). Er verweist aber ebenso auf Begriffe wie ›Dienstleistungsgesellschaft‹, ›Informationsgesellschaft‹, ›postmoderne Gesellschaft‹ oder ›Wissensgesellschaft‹. Während die Bemühungen in der Anfangszeit der Soziologie vorwiegend der Ausarbeitung holistischer Modelle von Gesellschaft galten, diese und die ihr innewohnenden Strukturdynamiken also ›als Ganzes‹ beschrieben werden sollten, zeigt sich in der hier angedeuteten Ausdifferenzierung der Soziologie jedoch auch eine Verschiebung von einem universellen Gesellschaftsbegriff hin zu »Begrifflichkeiten für die Charakterisierung spezifischer Gesellschaftsformen« (Schimank 2014, S. 15). So merkt Schimank an, dass große Entwürfe zur Beschreibung ›der Gesellschaft‹ weitgehend ausgedient hätten und dem Interesse an der Heterogenität sozialer Tatsachen gewichen seien.11 Diese Ausdifferenzierung und Spezialisierung kann als (Erfolgs-)Geschichte der Institutionalisierung der Soziologie sowie als Zeichen deren

11

In diesem Zusammenhang wird auch wiederholt auf die Entstehung sogenannter ›Bindestrichsoziologien‹ oder ›spezieller Soziologien‹ verwiesen (vgl. z.B. Kneer und Schroer 2010). Diese widmen sich nicht der Beschreibung der Gesellschaft als Ganze, sondern einer Analyse einzelner Felder sozialer Praxis. Im Kontext der Sonder- und Inklusionspädagogiken werden z.B. Arbeiten der Bildungssoziologie, der Soziologie der Behinderungen, der Körpersoziologie oder der Geschlechtersoziologie rezipiert.

163

164

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Produktivität gelesen werden (vgl. Kneer und Schroer 2010, S. 10). Sie stellt aber ebenso eine Irritation für die Disziplin dar. Denn sie wirft die Frage auf, ob Gesellschaft überhaupt noch als ein Grundbegriff derselben aufrecht zu erhalten ist (vgl. Krossa 2018, S. 1). So schreibt Ritsert von einem ›unergründlichen Grundbegriff der Soziologie‹ (Ritsert 2000) und einzelne Theoretiker*innen fordern explizit dazu auf, auf diesen Begriff zu verzichten (vgl. Krossa 2018, S. 1). Die Soziologie als Disziplin sieht sich deshalb mit dem Vorwurf konfrontiert, am Gesellschaftsbegriff nur noch festzuhalten, weil ihr sonst der zentrale Gegenstand verloren ginge (vgl. ebd.). Dennoch wird wiederholt konstatiert, dass »so gut wie alle Soziologinnen gesellschaftstheoretisches Wissen [benötigten], um ihre oft viel spezielleren Fragen gut bearbeiten zu können« (Schimank 2014, S. 5). Bei aller Kritik am Begriff von Gesellschaft als Ganze hält es Krossa deshalb nach wie vor für sinnvoll, an dem Begriff festzuhalten und ihn als analytischen Rahmen zu nutzen. »Um überhaupt in der Lage zu sein, die Komplexität des Sozialen, seine Muster sowie sein charakteristisches Sich-Wandeln zu erfassen, spielt Gesellschaft als ein konzeptueller Horizont und Bezugsrahmen eine zentrale Rolle. Andernfalls kommen wir über eine einfache Sammlung von Ideen und Perspektiven nicht hinaus, die an sich interessant und sinnvoll sein mögen, aber – nicht grundlegend aufeinander bezogen – primär deskriptiv sind und nur nebeneinander stehen können.« (Krossa 2018, S. 2) Der Gesellschaftsbegriff bereitet der Soziologie also einige Schwierigkeiten. Auf ihn verzichten scheint sie aber dennoch nicht zu können. Ritsert dient die Figur der Unergründlichkeit von Gesellschaft maßgeblich als polemischer Einsatz gegen die Heterogenität der Gesellschaftstheorie, die somit als Problem derselben erscheint. Es ist jedoch auch möglich, diese Unergründlichkeit oder diesen Mangel zum Ausgangspunkt gesellschaftstheoretischer Überlegungen zu machen und deren Heterogenität ebenso wie deren Umstrittenheit als Hinweis auf die Kontingenz und Politizität des Gegenstands selbst zu verstehen. Aus einer solchen Perspektive – die in vielen Aspekten eine Nähe zu den Überlegungen im vorangegangenen Kapitel aufweist und an diese anschließt – kann die soziologische Auseinandersetzung um Gesellschaft als ein Hinweis darauf gelesen werden, dass dieser Grundbegriff einen symbolischen Raum aufzuspannen ermöglicht, in welchem sich unterschiedliche Vorstellungen einer erstrebenswerten Ordnung einschreiben und immer wieder hinterfragen lassen. Im Fokus stünde also weniger das ›Objekt‹ Gesellschaft, als vielmehr die diskursive Bedeutsamkeit des Begriffs. So wäre es möglich, »in

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Gesellschaft eine Figur der Ungründbarkeit zu sehen, die dennoch – oder deshalb – zum paradoxen Fundament des Sozialen taugt« (Marchart 2013a, S. 13).12 Eine entsprechende Lesart lässt sich unter anderem mit historischen Beobachtungen zur Entstehung der Soziologie und damit der Gesellschaftstheorie selbst legitimieren. So wird darauf verwiesen, dass der Begriff ›Gesellschaft‹ seit seiner Entstehung eine politische Dimension aufgewiesen habe (vgl. ebd., S. 24). Die moderne Erfahrung, »dass soziale Ordnung auf keinen unumstößlichen Fundamenten aufruht und Gesellschaft daher auch anders geordnet sein könnte« (ebd., S. 30; Herv. i. Original), erscheint hier als Ausgangspunkt der Auseinandersetzungen um Gesellschaft (vgl. ebd., S. 29).13 Die in dieser Kontingenzerfahrung aufscheinende Möglichkeit, das Soziale zu gestalten, habe weiterhin dazu geführt, dass »[d]er sich im 19. Jahrhundert etablierende Begriff ›Gesellschaft‹ […] von Beginn an Vorstellungen mit sich [getragen habe], in denen normative Zuschreibungen, spezifische Einstellungen und allgemeine Werthaltungen mit systematischen Deutungen und spezifischen analytischen Bestimmungsversuchen verschmelzen« (Dollinger et al. 2014, S. 8). Mit Marchart machen diese Auseinandersetzungen vor den Toren der Sozialwissenschaften nicht halt. Die Sozialwissenschaften schließen auf verschiedene Arten und Weisen an die Konflikte an, importieren sie in die wissenschaftlichen Debatten und schreiben sich wiederum selbst in diese 12

13

Auf diesen Begriff zu verzichten hieße dann auch, auf einen umstrittenen gemeinsamen Bezugspunkt sozialer Prozesse zu verzichten, was sich z.B. in (neo-)liberalen Vorstellungen zeigt, die das Soziale als die Summe individueller, zweckrationaler Handlungen verstehen und somit Gesellschaft durch die unhinterfragbaren Gesetze des Markts ersetzen. Dies bedeutet jedoch auch, eine Idee politischen Handelns aufgeben zu müssen, welche auf die Möglichkeit der Veränderung des Sozialen gerichtet wäre. Vgl. hierzu die Kritik an (neo-)liberalen Perspektiven auf soziale Prozesse bei Marchart 2013a, S. 7ff. Für eine solche ›politische‹ Lesart der Entstehung und Verwendung des Gesellschaftsbegriffs s. den sehr kurzen Überblick bei Marchart 2013a, S. 24f. Hier versucht der Autor zu verdeutlichen, dass bis heute, »[w]o immer im öffentlichen Diskurs um die Definition des Gemeinwohls gestritten wird – von den Auseinandersetzungen um Sozial-, Wirtschafts- oder Finanzpolitik innerhalb des politischen Systems bis hin zu den Protesten sozialer Bewegungen –, […] immer auch die Bestimmung der Referenzgröße, das heißt die legitime Definition dessen, was als Gesellschaft gelten darf, auf dem Spiel« (ebd., S. 25f.) stehe.

165

166

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Konflikte ein. Unterschiedliche wissenschaftliche Bestimmungsversuche von Gesellschaft lassen sich so nicht nur vor dem Hintergrund wissenschaftsimmanenter Kriterien wie bezüglich der Gegenstandsangemessenheit eines Zugangs oder der Berücksichtigung wissenschaftlicher Trends erklären. Es spiegeln sich in ihnen neben disziplinpolitischen Positionierungen zugleich gesellschafts- oder sozialpolitische Konfliktlinien und Machtverhältnisse wider, in welche fachliche Diskussionen eingebettet sind. Die Rede von der Kontingenz des Gesellschaftsbegriffs innerhalb der Sozialwissenschaften verweist so konstitutiv auf dessen politischen Charakter und vice versa. Marchart konstatiert deshalb: »Dieselben Antagonismen durchziehen das Soziale und die Soziologie, nur brechen sie sich an den feldspezifischen Grenzen und werden […] entsprechend abgelenkt und reformatiert.« (Marchart 2013a, S. 23) Dies darf nun aber nicht als Infragestellung der Gesellschaftstheorie als wissenschaftliches Projekt missverstanden werden. Vielmehr wären Gesellschaftsbegriffe als gesellschaftspolitische Konzepte zu verstehen, die innerhalb der Sozialwissenschaften sozialtheoretisch gefasst werden müssten, um im wissenschaftlichen Feld auf Anerkennung hoffen zu dürfen. So wäre nicht nur der Gesellschaftsbegriff letztlich unbegründbar und gerade deshalb immer wieder neu zu erstreiten. Der von Ritsert problematisierte Mangel an Klarheit innerhalb der gesellschaftstheoretischen Diskussion wäre im Anschluss an Marchart gleichsam als konstitutiver Konflikt der Soziologie zu verstehen (vgl. ebd., S. 21), »deren disziplinäre Identität [sich] wesentlich im Streit um seine Konturen [des Gesellschaftsbegriffs, J.G.], ja um seine Notwendigkeit oder Überflüssigkeit herausgebildet hat« (ebd., S. 21). Was aus einer solchen Perspektive in den Blick gerät, ist die politische Dimension von Gesellschaft und Gesellschaftstheorie. Ausgangspunkt dieser Annäherung an soziologische Diskussionen um den Gesellschaftsbegriff war die Frage nach Möglichkeiten einer gesellschaftstheoretischen Fundierung der Diskussionen um ›Inklusion‹. In den zurückliegenden Erläuterungen deuteten sich nun zwei Möglichkeiten an, einem solchen Anliegen nachzugehen. In einer ›klassischen‹ Lesart ließen sich einzelne soziologische Theorien – seien sie eher partikular oder eher holistisch ausformuliert – heranziehen und hinsichtlich deren Aussagen in Bezug auf Teilhabechancen und Ausgrenzungsrisiken diskutieren. Vor dem Hintergrund dieser spezifischen Vorstellungen von Gesellschaft und gesellschaftlicher Teilhabe ginge es also um eine Analyse von gesellschaftlichen Prozessen und deren Problematisierung in Bezug auf die Auswirkungen auf den Anspruch einer gleichberechtigten Teilhabe. Eine solche Strategie findet

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

sich im Kontext der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung z.B. in der Rezeption systemtheoretischer und ungleichheitstheoretischer Arbeiten, wo diese genutzt werden, um Barrieren der Teilhabe in einzelnen Lebensbereichen zu thematisieren (vgl. Wansing 2005, 2012; Kronauer 2010b). Darüber hinaus findet sie sich in praxistheoretisch informierten Arbeiten wieder, welche soziale Praxen auf die ihnen inhärenten Logiken der Differenzkonstruktion und somit der Regulierung von Teilhabe befragen (vgl. Fritzsche 2014; Sturm 2016). Nimmt man jedoch die zuletzt angedeutete, explizit politische Lesart der Gesellschaftstheorie zum Ausgangspunkt der eigenen Arbeit, wäre zunächst danach zu fragen, welche Vorstellungen von Gesellschaft sich mit den zuvor genannten Einsätzen verbinden. Ausgehend von der Annahme, dass es innerhalb der Sozialtheorie keinen Gegenstand gibt, »der nicht zugleich Gegenstand sozialer Kämpfe wäre« (Marchart 2013a, S. 23), wird die Aufmerksamkeit darauf zu richten sein, wie sich diese Einsätze in die Auseinandersetzungen um die Ausdeutung von Gesellschaft einmischen und Gesellschaft damit auf je spezifische Art und Weise hervorbringen. Vor dem normativen Hintergrund der radikaldemokratischen Formulierung des Projekts ›Inklusion‹ in dieser Arbeit wären diese Ansätze in einem weiteren Schritt aber auch daraufhin zu befragen, inwiefern sie in der Lage sind, das Politische und damit die Möglichkeit der Infragestellung je gegebener sozialer Ordnungen mitzudenken. Es ginge um die Formulierung oder Suche nach einer Gesellschaftstheorie, welche es ermöglicht, den Gesellschaftsbegriff »politisch zu exponieren in einer Weise, die den eigenen Einsatz innerhalb der hegemonialen Kämpfe der Zeit bewusst hält« (ebd., S. 10). Aus dieser doppelten Perspektive heraus – Gesellschaftstheorien als strategische Einsätze zu lesen und diese zugleich an deren Möglichkeiten einer (Re-)Politisierung gesellschaftlicher Ordnungen zu messen – beziehen sich die folgenden beiden Abschnitte auf gesellschaftstheoretisch informierte Arbeiten innerhalb der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung.

4.1.2

Gesellschaftstheoretische Einsätze in das Feld der Inklusionspädagogik und -forschung

Wie bereits in der Hinführung zu diesem Kapitel angedeutet, stehen für eine gesellschaftsanalytische Konzeption einer Inklusionspädagogik und -forschung diverse gesellschaftstheoretische Perspektiven zur Verfügung. Und von diesen Positionierungen ausgehend, lassen sich ganz unterschiedliche

167

168

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Beschreibungen von Gesellschaft vornehmen. Kategorisierungsversuche dieser nicht selten widerstreitenden Perspektiven sind vielzählig und können problematisch sein, wo sie die Heterogenität gesellschaftstheoretischer Positionen zu stark reduzieren. Dies gilt insbesondere, wenn idealtypische Unterscheidungen als realtypische missverstanden werden (vgl. Krossa 2018, S. 3). Dass solche Unterteilungen ebenso wie der Gesellschaftsbegriff selbst umstritten sind, zeigt ein Blick in entsprechende Lehrbücher. So unterscheiden Lamla et al. (2014) in dem von ihnen herausgegebenen Handbuch der Soziologie acht gesellschaftstheoretische ›Grundpositionen‹. Münch (2004) hingegen bildet in seinem Lehrbuch ›Soziologische Theorie‹ fünf ›Paradigmenfamilien‹. Das vorliegende Kapitel orientiert sich an der idealtypischen Konstruktion von Theoriefamilien nach Schimank (2014), da sich die vorgeschlagenen Unterscheidungen in den Diskussionen um ›Inklusion‹ gut nachzeichnen lassen. Schimank grenzt drei soziologische Theorieprogramme voneinander ab, die »je für sich facettenreiche und in sich auch keineswegs völlig einheitliche Bündel von Teilperspektiven und Varianten dar[stellen], die jedoch jeweils eine grundsätzliche Familienähnlichkeit besitzen« (ebd., S. 34): Ungleichheitstheorien, Differenzierungstheorien und Kulturtheorien. Diese Perspektiven werden häufig miteinander in Widerstreit positioniert (vgl. Dollinger et al. 2014, S. 8). Sie lassen sich allerdings in Abhängigkeit des Erkenntnisinteresses auch kombinieren (vgl. Schimank 2014, S. 151-152), weshalb sich die unterschiedlichen, sich hiermit verbindenden strategischen Einsätze durchaus gleichzeitig in ein und denselben Arbeiten wiederfinden.14 Wenn im Folgenden diese Theoriefamilien genutzt werden, um das diskursive Feld zu ordnen, geht es also nicht um eine eindeutige Zuordnung einzelner Arbeiten. Vielmehr geht es darum, beispielhaft zu zeigen, welche gesellschaftstheoretischen Figuren herangezogen werden (können) und welche strategischen Einsätze um die Bestimmung von Gesellschaft sich hiermit verbinden lassen. Das Aufrufen dieser Einsätze geschieht dabei nicht mit einem Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr erklärt sich die vorliegende Thematisierung vor dem Hintergrund der Rezeption

14

Eine solche Perspektivenintegration, wie sie Schimank vorschwebt (vgl. Schimank 2014, S. 151ff.), sollte aber m.E. nicht als eine Triangulation theoretischer Einsätze missverstanden werden, welche es ermöglichen würde, Gesellschaft noch ›genauer‹ zu beschreiben, als dies anderen Ansätzen bisher gelungen wäre. Auch eine solche Perspektivenintegration kann der Kontingenz von Gesellschaft und Gesellschaftstheorie nicht entkommen und stellt nicht weniger einen erkenntnispolitischen Einsatz dar.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

dieser Ansätze innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um ›Inklusion‹. Differenzierungstheoretische Einsätze Differenzierungstheoretische Arbeiten fragen nach der Strukturierung von Gesellschaft maßgeblich in Bezug auf deren Funktionalität und damit auf der ›Sachebene‹. Sie gehen dabei von unterschiedlichen funktionalen Teilbereichen aus, die als Resultate der Rationalisierung innerhalb moderner Gesellschaften verstanden werden (vgl. ebd., S. 37). Als die im inklusionspädagogischen Diskurs prominenteste Theorie gesellschaftlicher Differenzierung kann die Systemtheorie im Anschluss an Niklas Luhmann gelten. Die Funktionsweise sozialer Ordnungen wird in diesem theoretischen Ansatz in der funktionalen, regelhaften Kommunikation ausdifferenzierter und in sich geschlossener (Teil-)Systeme bzw. deren Selbstbeschreibungen verortet. Es handelt sich also um eine Kommunikationstheorie, die Systeme als Resultate von Grenzziehungen zwischen System und Umwelt beschreibt (vgl. Luhmann 1994, S. 31). Was sich im Rahmen einer sich hieran anschließenden »funktionalen Analyse« (ebd., S. 83ff.) in den Blick nehmen lässt, sind die differenten ›Inklusionsbedingungen‹ der Systeme »als Form sozialer Ordnung« (Luhmann 1998, S. 621) ebenso wie kontingente Formen der gesellschaftlichen Problembearbeitung innerhalb dieser Ordnungen. Dem Inklusionsbegriff kommt innerhalb des luhmannschen Theoriegebäudes ein fester Platz zu. Inklusion ist hier zu verstehen als »Chance der sozialen Berücksichtigung von Personen« (Luhmann 1998, S. 620) in gesellschaftlichen Funktionssystemen. Luhmann konstatiert also, »daß das Gesellschaftssystem Personen vorsieht und ihnen Plätze zuweist, in deren Rahmen sie erwartungskomplementär handeln können« (ebd., S. 621). Moderne, differenzierte Gesellschaften zeichnen sich dabei dadurch aus, dass in ihnen ein Postulat der ›Vollinklusion‹ gilt. Individuen müsste potentiell ein Zugang zu allen Funktionssystemen möglich sein (vgl. ebd., S. 625). Dies bedeutet aber nicht, dass diese Optionen immer und umfassend realisiert wären. Vielmehr entscheiden die einzelnen Funktionssysteme nach jeweils eigenen Regeln über Formen der Inklusion und Exklusion. Hier deuten sich zwei weitere zentrale Punkte für den systemtheoretischen Inklusionsbegriff an: Ersten sind Inklusion und Exklusion – dies folgt unmittelbar aus dem Systembegriff – immer miteinander verschränkt. Denn Systeme werden als System-Umwelt-Differenzen gedacht und jede Grenzziehung konstituiert sowohl ein Systeminneres,

169

170

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

als auch ein Systemäußeres. Diese Differenzsetzungen sind konstitutive Operationen innerhalb funktional differenzierter Gesellschaften und deshalb – und das wäre der zweite Punkt – keinesfalls als Probleme aufzufassen. Der Systemtheorie ist es lediglich um deren Beschreibung bestellt, nicht um deren Bewertung.15 Eine solche Lesart der Systemtheorie kann in einer doppelten Differenz zu Inklusionspädagogiken gesetzt werden: erstens stellt die Systemtheorie eine Beobachtungs- und keine Handlungstheorie dar. Zweitens ist Inklusion hier kein normativer, sondern vielmehr ein deskriptiver Begriff, der an Exklusion gebunden bleibt. Gerade in diesen Differenzen wird aber auch das Potential der Systemtheorie für Diskussionen um inklusionsorientierte Pädagogiken und Forschungen gesehen. Dabei wird betont, dass »die mehrdimensionalen systemtheoretischen Positionierungen zum Konzept Inklusion/Exklusion […] für differenzierte Beobachtungen der Teilhabe und Ausgrenzungen von Personen in Gesellschaftsstrukturen, Interaktions- und Organisationssystemen sensibilisieren« (Puhr 2017c, S. 33) können. So ermöglichen sie differenzierte Beschreibung von Inklusions- und Exklusionsbedingungen auf der Gesellschaftssowie der Organisationsebene, zum Beispiel in Bezug auf die wohlfahrtstaatliche Behindertenhilfe (vgl. Wansing 2005) oder die Ausdifferenzierung der Disziplin der Sonderpädagogik (vgl. Moser 2003) als Formen des Umgangs mit den »Folgeprobleme[n] von Inklusion und Exklusion im Erziehungssystem« (Kuhn 2020, S. 31). Auf der Interaktionsebene lassen sich zum Beispiel kommunikative Anschluss- und Nicht-Anschlussoptionen in pädagogischen Settings beobachten (vgl. Kaack 2017). Wenn es sich bei der Systemtheorie auch nicht um eine Handlungstheorie im engeren Sinne handelt, so ermöglicht sie durch die Legitimation der Beobachtung systemimmanenter Kommunikationsregeln sowie das Aufzeigen funktionaler Äquivalente zudem die Auseinandersetzung mit Handlungsoptionen einer sich inklusiv verstehenden Pädagogik. Das Insistieren auf der wechselseitigen Angewiesenheit des Begriffspaars Inklusion und Exklusion wird dabei als eine Möglichkeit aufgerufen, die »Unterscheidungsoptionen innerhalb des aktuell geführten Inklusionsdiskurses« (Kaack 2017, S. 396) zu konturieren und vereinfachende Verhältnissetzungen der Begriffe Inklusion und Exklusion zu problematisieren. Nicht zuletzt lässt sich so auch »die Frage nach den Kriterien und damit nach der Legitimität für

15

Zu einer wachsenden Aufmerksamkeit für problematische Kumulationen von (Teil-)Ausschlüssen in den späten Schriften Luhmanns s. z.B. Wansing 2005, S. 49-54.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Exklusivität« (Dederich 2017, S. 79) stellen.16 Diese analytische Stärke der Systemtheorie wird aber gleichzeitig auch als ihre Schwäche thematisiert. Ihre Fokussierung auf die Sachebene gesellschaftlicher Ordnungen verunmögliche es, so die Kritik, aus der funktionalen Differenzierung hervorgehende soziale Ungleichheiten zu thematisieren oder gar zu kritisieren. Deshalb konstatiert Wansing, dass es dem »systemtheoretischen Ansatz funktionaler Differenzierung […] an gesellschaftstheoretischem Potential [fehle], wenn er darauf beschränkt bleibt, die strukturelle Form der Inklusion zu beobachten, ohne auf Gefährdungen und humane Folgeprobleme einzugehen, die aus dieser modernen Inklusionsform seitens subjektiver Lebenslagen resultieren« (Wansing 2005, S. 48). Diskussionen um die Funktionalität der systemtheoretischen Perspektive für inklusionsorientierte Pädagogiken und Forschungen kreisen somit maßgeblich um die Differenzen zwischen einem vermeintlich wertneutralen, systemtheoretischen Inklusionsbegriff und einer »moralisch unterfütterte[n] Inklusionsrhetorik« (ebd., S. 191, Herv. i. Original). Diese häufig vorgetragene Kritik verstellt aber möglicherweise den Blick auf ein tieferliegendes Problem des systemtheoretischen Zugangs, das sich an dessen Gesellschaftsbegriff festmachen lässt. Bei Luhmann erscheint Gesellschaft als paradoxer Begriff (vgl. Marchart 2013a, S. 188ff.).17 Einerseits wird Gesellschaft als ein (Teil-)System unter anderen gefasst. Als solches zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie »die jeweilige Form funktionaler Ausdifferenzierung« (ebd., S. 191) in die anderen Teilsysteme institutionalisiert. Gleichzeitig wird sie aber auch als »jenes umfassende Sozialsystem« verstanden, »das alle Kommunikationen und damit alle anderen Sozialsysteme beinhaltet« (ebd.). Aus dieser Beschreibung folgt, dass außerhalb von Gesellschaft nichts thematisierbar ist; denn wenn Gesellschaft alle Teilsysteme umfasst, gilt gleichsam, dass es »jenseits von Gesellschaft […] weder Kommunikation noch System« (ebd., S. 192) geben kann.

16

17

Legitimität kann hier jedoch nur in ihrer jeweiligen Funktionalität beschrieben werden. Fundierende Gründe für oder gegen die soziale Berücksichtigung von Personen auf spezifische Arten und Weisen lassen sich hieraus nicht ableiten. Diese paradoxale Figur erscheint theorieimmanent insofern nicht problematisch, da für Luhmann die »Letztfundierung in einem Paradox […] als eines der zentralen Merkmale postmodernen Denkens« (Luhmann 1998, S. 1144) gilt und die paradoxale Bestimmung von Gesellschaft somit in ihrer Selbstbeschreibung aufgeht.

171

172

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Wenn für Gesellschaft kein Außen thematisierbar ist, stellt sich aber die Frage, was die Einheit des Systems Gesellschaft stiftet. Und es stellt sich die Frage – das ist für den hier vorliegenden Diskussionszusammenhang zentral – wie eine andere als die vorgefundene Stiftung von Gesellschaft denkbar sein soll, wie also neben der Formulierung funktioneller Äquivalente radikale gesellschaftliche Veränderung in den Blick genommen werden kann. Während die normativ-deskriptive Differenz für die Reflexion der Praxen fruchtbar gemacht werden kann, werfen diese Überlegungen ein Problem auf, das die Grenzen der Systemtheorie für eine radikaldemokratische Lesart von ›Inklusion‹ darstellen dürfte, zumindest in ihrer bisherigen Rezeption: Während Theorien der radikalen Demokratie insbesondere auf die Notwendigkeit der Möglichkeit einer grundlegenden Veränderung gesellschaftlicher Ordnungen verweisen, wäre an die Systemtheorie und deren inklusionspädagogische Rezeption die Frage zu richten, wie eine solche Transformation beobachtet oder gar begründet werden soll, wenn ein Impuls von außerhalb der Systeme nicht denkbar ist und Kontingenz auf den immanenten Raum der Systeme begrenzt bleibt. Im Anschluss an die Fokussierung auf die Selbstreferentialität funktionaler Systeme und nicht zuletzt von Gesellschaft kann deshalb konstatiert werden, dass Luhmann »die für Welterschließungsprozesse und politische Prozesse gleichermaßen entscheidende Frage zu vermeiden [scheint], wie etwas in den Bereich des Sinnhaften zu treten vermag, was vorher außerhalb von diesem lag« (Ahrens 2018, S. 85). Dies heißt keinesfalls, dass Konflikte in der Systemtheorie keinen Platz hätten. Diese werden aber »auf ihre gesellschaftliche Funktion reduziert« (Marchart 2013a, S. 199), sodass die soziale Ordnung an sich nicht in Frage gestellt wird. So beobachtet Luhmann selbst: »Innerhalb der totalitären Inklusionslogik machen sich Exklusionen als ›Rest‹-Probleme bemerkbar, die so kategorisiert sind, daß sie die totalitäre Logik nicht in Frage stellen.« (Luhmann 1998, S. 626) Ein besonders illustratives Beispiel dieser Logik in Bezug auf die Adresse Behinderung stellt der Versuch von Peter Fuchs dar, das System der Sonderpädagogik als eine Reaktion auf die Irritiationen der Kommunikation im Bildungssystem zu beschreiben. So sei der Versuch, bisher im Bildungssystem nicht berücksichtigte Personen zu inkludieren, auf das Problem getroffen, »daß Behinderung in der Umwelt von Sozialsystemen in diesen Systemen nichtignorable Belastungen hervorruft, die zur Ausdifferenzierung einer Expertenkultur zwingt, die die gleichsam naturläufige Exklusionsdrift stoppen soll« (Fuchs 2002). Systeme reagieren also nicht mit einer grundsätzlichen Infragestellung der systemimmanenten Logiken, die das Problem erst

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

als ein solches erscheinen lassen. »Auf einer hier nicht ansatzweise auflistbaren Bandbreite ist der Effekt der Belastung: Differenzierung und immer nur Differenzierung« (ebd.).18 Vor diesem Hintergrund mag es wenig verwundern, dass transformative Forderungen einer inklusiven Pädagogik in der Auseinandersetzung mit bestehenden Logiken innerhalb des Bildungssystems selbst eine Transformation erfahren, vor deren Hintergrund Fragen nach dem Kern inklusiver Forderungen oder nach der Identität des politischen Projekts ›Inklusion‹ auftreten (vgl. Abschn. 2.1). Mit Hilfe der vorhandenen systemtheoretischen Angebote können solche Prozesse beobachtbar gemacht werden, weshalb sie für kritisch-reflexive Diskussionen um inklusionsorientierte Bildungsangebote unverzichtbar sind. Solche Zugänge sehen sich aber eben auch mit der Kritik konfrontiert, sich »indifferent gegenüber der Möglichkeit der Andersteilung der Welt – kurzum, dem Politischen« (Ahrens 2018, S. 86) zu verhalten. Ungleichheitstheoretische Einsätze Für ungleichheitstheoretische Arbeiten stellt nicht eine systemische Funktionslogik, sondern »soziale Ungleichheit das immer schon alles weitere prägende Strukturmerkmal« (Schimank 2014, S. 76) von Gesellschaften dar. Der Fokus liegt damit auf der Persistenz von sozialer Ungleichheit, die zumindest in Hinblick auf den stetigen gesellschaftlichen Wandel erklärungsbedürftig erscheint. Von sozialer Ungleichheit wird in der Regel dann gesprochen, »wenn Unterschiede in den gesellschaftsstrukturell verankerten Lebenslagen von Menschen nach vorherrschender Bewertung Schlechter- und Besserstellungen hinsichtlich der Lebenschancen bedeuten« (ebd., S. 77). Diskutiert werden hier Dimensionen wie Geschlecht, Ethnie und soziale Herkunft, aber auch Region, Generation, Lebensalter, Geldbesitz, Eigentum an Produktionsmitteln, Macht, Selbstbestimmtheit der Arbeit, Bildung, soziales Kapital, Mentalität oder Prestige finden Berücksichtigung (vgl. ebd., S. 79ff.). Zwar liegen hierzu unterschiedlichste Arbeiten vor. Es wird aber gerade deshalb beklagt, dass »übergreifende theoretische Konzepte und Modelle zum Verständnis sozialer Ungleichheit nahezu völlig« (ebd., S. 76) fehlten. Vielmehr ist von heterogenen theoretischen Hintergründen auszugehen, mit denen sich entsprechend heterogene sozialwissenschaftliche Konzepte legitimieren lassen. Diese reichen von Ansätzen der Armuts- und Lebenslagenforschung 18

Rudolf Stichweh diskutiert solche Formen der Ausdifferenzierung unter dem Begriff ›inkludierende Exklusion‹ (vgl. Stichweh 2009, S. 38f.).

173

174

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

über die Analyse von Phänomenen der Inklusion und Exklusion als Folgen sozialer Schließungsprozesse bis hin zur Problematisierung von Praxen der Diskriminierung (vgl. Maschke 2007). An die sich hieraus ergebenden Problembeschreibungen lassen sich wiederum ganz unterschiedliche sozialpolitische oder pädagogische Antworten knüpfen (vgl. ebd., S. 313). Für die Inklusionspädagogik und -forschung werden insbesondere Arbeiten im Kontext der sozialwissenschaftlichen Forschungen zum Thema der Exklusion relevant gemacht, in denen auch der Begriff der Inklusion explizit Verwendung findet. Der Fokus richtet sich hierbei auf gesellschaftliche und soziale Prozesse der Aus- und Einschließung von Bürger*innen sowie diejenigen Entscheidung(ssituation)en, welche diese Prozesse beeinflussen (vgl. ebd., S. 307). Exklusion wird hier also nicht als statischer Begriff konzipiert, sondern aus »dynamischer Perspektive« (ebd.) in den Blick genommen. Einer solchen Analyse wird das Potential zugeschrieben, »die bestehende Ordnung und auch deren wohlfahrtstaatliche Institutionen in Frage« (ebd., S. 310) zu stellen. Mit den Arbeiten von Martin Kronauer (Abschn. 2.2) wurde bereits ein Einsatz in die Exklusions-Debatte aufgegriffen, der sich auch in den Diskussionen um eine inklusive Pädagogik eingebracht hat (vgl. Kronauer 2010b, 2015). Im Folgenden sollen die oben skizzierten Argumente aufgegriffen und detaillierter dargestellt werden. Forschungen zum Phänomen der Exklusion können Kronauer zufolge als Reaktionen auf vielfältige Veränderungen in den europäischen Sozialstaaten in den letzten 30 bis 40 Jahren verstanden werden (vgl. Kronauer 2015, S. 149). Sie erklären sich hier als Versuche der kritischen Auseinandersetzung mit einer ›neuen sozialen Frage‹, die im Zusammenhang mit der Erosion bisheriger Standards staatlicher Wohlfahrt aufgekommen sei (vgl. Kronauer 2010b, S. 28). ›Exklusion‹ wird somit explizit als eine »Kategorie der Gegenwartsanalyse« (ebd., S. 41) konzipiert, die auf einen Bruch mit der Nachkriegsperiode hinweist. Während die Zeit bis in die 1970er Jahre »von relativer Vollbeschäftigung, zurückgehender Armut und der Ausweitung sozialstaatlicher Absicherung gekennzeichnet« (ebd., S. 24) gewesen sei, sehe man sich derzeit mit einer Periode »zunehmender und sich verfestigender Arbeitslosigkeit, wachsender Armut und Einkommensungleichheit, begleitet von schärfer werdenden Auseinandersetzungen darüber [konfrontiert], auf welchem Niveau sozialstaatliche Sicherheiten noch gewährleistet werden sollten und könnten« (ebd.). Inklusion – in diesem Zusammenhang verstanden als Einbindung in die Gesellschaft durch Partizipation und Zugehörigkeit – wird Kronauer zufolge

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

von modernen Sozialstaaten maßgeblich über zwei Dimensionen realisiert. Einerseits nennt er soziale Rechte, die allen Bürger*innen ein Mindestmaß der Teilhabe an kulturell geteilten Werten ermöglichen und so breite Bevölkerungsschichten vor »völliger Marktabhängigkeit« (Kronauer 2015, S. 149) schützen, »den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen« (ebd., S. 150) ermöglichen und so bestehende Klassenunterschiede reduzierten. Vor allem in der Nachkriegszeit konnte so die Entwicklung eines Wohlstandes für breite Bevölkerungsschichten realisiert werden. Andererseits sei Inklusion maßgeblich bestimmt durch die Beteiligung an Erwerbsarbeit, die eine Einbindung in soziale Wechselbeziehungen ermögliche. Erwerbsarbeit bilde deshalb die »wesentliche Voraussetzung für soziale Anerkennung, sei es in der Arbeit selbst oder durch das Geld, das man verdient« (Kronauer 2010b, S. 30).19 Einerseits seien soziale Rechte in kapitalistischen Gesellschaften aber immer prekär, da sie an die Erwerbsbeteiligung geknüpft werden, die eben nicht rechtlich garantiert, sondern »über einen Markt und im privatwirtschaftlichen Sektor unter dem Gesichtspunkt der Gewinnerzielung geregelt« (Kronauer 2015, S. 151) ist. Dies wurde insbesondere ab den 70er Jahren deutlich, als ein Rückgang der Erwerbsbeteiligung zu vielfältigen neuen Exklusionsrisiken führte. Diese Tendenz sei aber andererseits noch dadurch verstärkt worden, dass es seitdem zu einem Rück- oder Umbau sozialer Staatsbürgerrechte gekommen sei. Als Kern der Wohlfahrtstaatlichkeit könne seitdem nicht länger die De-Kommodifizierung gelten – der Schutz der Bürger*innen vor Marktrisiken –, sondern vielmehr deren Marktgängigkeit (vgl. Kronauer 2010b, S. 39). »Sozialpolitik gilt nun vornehmlich als Investition, die sich rechnen muss, als Investition in Menschen, die befähigt werden sollen, sich am Markt und

19

Kronauer blendet dabei keinesfalls Ausbeutungsverhältnisse innerhalb von Erwerbsarbeitsbeziehungen aus. Genauso wenig vernachlässigt er die Tatsache, dass die hier beschriebenen Formen der Einbindung in der Nachkriegsordnung vor allem eine Inklusion über männliche Erwerbsarbeit i.S. des Alleinernährermodells darstellte sowie weiterhin einer an den Nationalstaat gebundenen Vorstellung von Bürger*innenschaft verhaftet bleibt. Dies stellt jedoch die kulturelle Bedeutung von Erwerbsarbeit nicht in Frage. »Über Arbeit, insbesondere Erwerbsarbeit, vermittelte Wechselseitigkeit und diese wiederum verbunden mit und gestützt durch den Bürgerstatus stellen bis heute die zentralen Bezugspunkte dafür dar, was Menschen in Deutschland […] für sozial gerecht und ungerecht halten.« (Kronauer 2010a, S. 31)

175

176

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

in der Schockwelle zu behaupten, und immer weniger als kollektive Absicherung vor den Risiken des Marktes selbst (Lessenich 2008). Individuelle Rechte werden gestärkt, soziale Rechte aber werden geschwächt.« (Kronauer 2015, S. 153) Gegen eine solche Tendenz der Individualisierung führt Kronauer das Argument ins Feld, dass Erfolg oder Misserfolg keinesfalls nur einem individuellen Verdienst zugerechnet werden könnten. Vielmehr seien Exklusionsrisiken sozial höchst ungleich verteilt und verbunden mit unterschiedlichen Möglichkeiten des Zugangs zu ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen (vgl. ebd., S. 153).20 Zentral für die Klärung der Begriffe Inklusion und Exklusion sowie deren gesellschaftsanalytisches Potential ist nun, dass Exklusionsprozesse damit nicht auf ein Außerhalb der Gesellschaft verweisen: »Weniger denn je lässt sich Exklusion heute als Ausgrenzung aus der Gesellschaft begreifen. Stattdessen muss sie als Ausgrenzung in der Gesellschaft verstanden werden.« (Kronauer 2010b, S. 41, Herv. i. Original) Als Beispiel für diese These zieht Kronauer u.a. Menschen heran, die als Langzeitarbeitslose gelten und deshalb aus entsprechenden wechselseitigen Nahbeziehungen herausfallen, aber durch eine Vielzahl von Rechten und Pflichten an den Sozialstaat gebunden bleiben. Die Möglichkeit, weiterhin über politische und soziale Rechte zu verfügen, gewährleiste aber noch keine Inklusion. Dies gelte insbesondere, wenn die Ausgestaltung der sozialen Rechte den Personen nur bedingt die Teilhabe an den allgemein geteilten Lebensstandards ermögliche und sie von bestimmten Institutionen ausgeschlossen werden. »Inklusion bemisst sich somit nicht allein an der formalen Einbeziehung in Institutionen, sondern auch und vor allem an der sozial-materiellen Qualität möglicher Teilhabe, die durch die Institutionen vermittelt wird.« (ebd., S. 44) ›Exklusion‹ versteht Kronauer heute deshalb als Nichteinlösung eines »gewohnheitsmäßigen, normativen oder bereits formalisierten Anspruch[s] auf Zugehörigkeit und Teilhabe […]. Gerade deshalb kann Exklusion nur als

20

In Kapitel 2 wurde dieses Problem bereits als paradoxe Anforderung an (Bildungs-)Institutionen diskutiert, einerseits Inklusion gewährleisten zu sollen und andererseits durch die Bereitstellung von Zertifikaten selbst für Ausgrenzung zu sorgen. Auch eine sich inklusiv verstehende Schule oder eine sich an der UN-BRK orientierende Sozialpolitik werde dieses Problem nicht grundsätzlich lösen können, solange sie Anschlüsse an hoch selektive Arbeitsmärkte herzustellen haben (vgl. Kronauer 2015).

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Ausgrenzung in der Gesellschaft begriffen werden. Die Gleichzeitigkeit des ›Drinnen‹ und ›Draußen‹ macht ihr Wesensmerkmal aus.« (Ebd.; Herv. i. Original) Welches Potential liegt nun in einer solchen Perspektive auf Prozesse der gesellschaftlichen Einbindung für Fragen einer Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung beziehungsweise wie werden diese hier rezipiert? Zunächst mag an dieser Stelle verwundern, dass in den bisherigen Erläuterungen Behinderung keine explizite Rolle spielt. Exklusion wird als problematische, da sozial ungleich verteilte und negative Folge sozialer Schließungsprozesse innerhalb der Gesellschaft verstanden. Analysen von Prozessen der Inklusion und Exklusion sind somit nicht an eine spezifische Gruppe von (Staats-)Bürger*innen gebunden. Dies muss für eine Rezeption innerhalb der Inklusionspädagogik und -forschung allerdings kein Problem darstellen. Ganz im Gegenteil. Eine verstärkte Rezeption von Forschungen zu Exklusion ebenso wie im Anschluss an andere ungleichheitstheoretische Ansätze könnte eine lange diskutierte und angestrebte Ausweitung des pädagogischen Inklusionsbegriffs unterstützen (vgl. z.B. Wansing et al. 2016). Im Anschluss hieran ließe sich nicht nur der Begriff Inklusion, sondern ebenso der Begriff Behinderung reformulieren. So wird Behinderung im Anschluss an entsprechende Perspektiven als »Folge einer gesellschaftlichen Ordnung [verstehbar], in der Behindertenpolitik und ihre wohlfahrtstaatlichen Institutionen, wie Sonderschulen, Werkstätten für Behinderte oder Wohnheime eingebunden sind« (Maschke 2007, S. 309f.). Die Situation vieler Menschen mit Behinderungen erscheint so nicht länger aus dem Grund problematisch, dass sie individuelle Defizite aufweisen würden oder generell aus der Gesellschaft ausgeschlossen wären. Sie erscheint vielmehr dann als problematisch, wenn Personen entgegen dem Gleichheitsanspruch demokratischer Gesellschaften auf Institutionen angewiesen sind, die mit unterschiedlichsten Formen der Marginalisierung, Diskriminierung oder Benachteiligung verknüpft sind. Aus dieser Problembeschreibung lässt sich die Forderung ableiten, »für einzelne gesellschaftliche Teilbereiche die Institutionen, Gatekeeper und Prozesse, die zu Exklusion führen,« zu benennen »und exemplarische Handlungsoptionen« zu entwickeln (ebd., S. 307). Dies wäre zu leisten, gleich ob entsprechende Personen als behindert gelten oder ihre Lage durch den Verweis auf andere Ungleichheitsdimensionen beschrieben werden kann. So fordert Kronauer explizit eine »Politik der Inklusion« (Kronauer 2010b, S. 57), deren Beschrei-

177

178

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

bung eine erstaunliche Nähe zur bereits angesprochenen Diskussion um das Verhältnis von Integrations- und Inklusionspädagogiken aufweist: »Der deutlichste Unterschied zwischen dem Begriff der ›Integration‹ und dem der ›Inklusion‹ […] besteht darin, dass Integration von einer vorgegebenen Gesellschaft ausgeht, in die integriert werden kann und soll, Inklusion aber erfordert, dass gesellschaftliche Verhältnisse, die exkludieren, überwunden werden müssen.« (Ebd., S. 56) Der Fokus einer solchen Politik liegt – das wird aus den Erläuterungen deutlich – auf der Ebene der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen, der Frage nach deren Zugänglichkeit sowie der hiermit verbundenen Folgen für die individuelle Lebensführung. ›Politik‹ wird also als soziaalstaatliche bzw. wohlfahrtsstaatliche Politik konzipiert. Für Diskussionen im Kontext der Inklusionspädagogik sowie der erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung dürften hierin zwei Grenzen angezeigt sein – einerseits bezüglich des Verhältnisses dieser Politik zur Pädagogik, andererseits für deren Verhältnis zum Politischen. Das Augenmerkt liegt auf den Rahmenbedingungen pädagogischen Handelns, weniger auf diesem Handeln selbst. Zwar versteht Kronauer gesellschaftliche Teilhabe nicht nur als die Möglichkeit der Partizipation an sozialen (Bürger-)Rechten und Ressourcen, sondern verweist explizit auch auf deren Verschränkung mit Formen der Interdependenz und Reziprozität – also sozialen Beziehungen (Kronauer 2006, S. 4180). Aber in seinen Analysen fokussiert er letztlich Fragen der institutionellen Zugänglichkeit. Die mit dieser ›Politik‹ angestrebte soziale Ordnung bedarf zwar der Überwindung exkludierender Verhältnisse, letztendlich stehen ihr hierfür aber lediglich sozialstaatliche Mittel zur Verfügung. Diese Schwierigkeit, ›Politik‹ auch jenseits staatlicher Politik zu verstehen, dürfte den transformativen Horizont einer Theorie der Exklusion für inklusionspädagogische Arbeiten einschränken. Was Forschungen der ›Exklusion‹ ermöglichen, ist die differenzierte Reflexion der wohlfahrtstaatlichen Rahmenbedingungen inklusionspädagogischer wie -politischer Bemühungen. Aspekte, die für eine pädagogische und erziehungswissenschaftliche Diskussion darüber hinaus relevant sein dürften, bleiben hier bis jetzt aber eher marginal. So lässt sich z.B. fragen, wie sich diese institutionellen Rahmenbedingungen auf pädagogische Interaktionen auswirken (können). Von Interesse wäre aber auch, wie pädagogische Interaktionen selbst an der Herstellung von Ordnungen der Inklusion und Exklusion beteiligt oder in diese verstrickt sind und wie in Bezug hierauf Transformationen vorstellbar wären. Dies wirft erneut – wenn auch auf eine spezifisch andere Art und Weise als

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

dies bei den systemtheoretischen Arbeiten der Fall war – die Frage nach dem Verhältnis von (Inklusions-)Pädagogik und Politischem auf. Kulturtheoretische Einsätze Kulturtheoretische Einsätze eint das zentrale Interesse für ›kulturelle Orientierungen‹, die »als entscheidende Prägefaktoren der gesellschaftlichen Ordnung und ihrer Dynamiken angesehen werden« (Schimank 2014, S. 114). Die theoretische und analytische Aufmerksamkeit gilt kulturellen Normen, Werten, Codes oder Wissensbeständen – und damit der »kulturellen Dimensionen des Sozialen« (Moebius und Quadflieg 2011, S. 11). Arbeiten, welche Schimank zufolge einer solchen kulturwissenschaftlichen Tradition der Sozialwissenschaften zugerechnet werden können, reichen von Beiträgen des »›interpretativen Paradigma‹ der Soziologie bis zu Praxistheorien, von Diskursanalysen bis zur ›World-Polity‹-Perspektive, von ethnologischen bis zu sprachphilosophischen Einflüssen« (Schimank 2014, S. 114). Eine kulturtheoretische Perspektive auf das Soziale grenzt sich hier einerseits von systemtheoretischen Überlegungen ab, denen ›Kultur‹ als klar umrissenes Subsystem der differenzierten Gesellschaft erscheint. Vielmehr verweist der Begriff im Rahmen der kulturtheoretischen Ansätze »auf den Bereich der Lebensformen insgesamt, d.h. [auf] diejenigen welterschließenden symbolischen Strukturen und Sinnsysteme, durch die soziale Wirklichkeit erschaffen und ein gezieltes Handeln in der Welt möglich, aber auch begrenzt wird« (Moebius und Quadflieg 2011, S. 12; Herv. J.G.). Kulturtheoretische Einsätze lassen sich andererseits von vielen ungleichheitstheoretischen Arbeiten abgrenzen. Ihnen erscheint z.B. eine ›bürgerlicher Kultur‹ nicht als Spiegelbild objektiver gesellschaftlichen Strukturen. Vielmehr wird der Fokus hin zu den Werten, Normen und Praktiken verschoben, vor deren Hintergrund diese Strukturen erst ihre Bedeutung erhalten. Im Rahmen erziehungswissenschaftlicher Forschungen zu ›Inklusion‹ sind kulturtheoretische Einsätze dort von Relevanz, wo das Augenmerk auf die sozialen Konstruktionen unterschiedlichster Differenzen und deren Bedeutung für Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe wie auch der Ausgrenzung gerichtet werden soll. Hierfür werden unter anderem wissenssoziologische und praxistheoretische Analyseinstrumente ebenso wie (post-)strukturalistische Lesarten der Diskursanalyse herangezogen. Im Folgenden soll der Fokus auf den ersten beiden Perspektiven liegen, da mit ihnen maßgeblich Interaktionsgeschehen analysiert werden. So kann mit ihnen in den Blick genommen werden, was in Bezug auf die Exklusionsfor-

179

180

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

schung als Desiderat vorgestellt wurde: inklusionsorientierte pädagogische Interaktionen und Praxen.21 Vor dem Hintergrund konstruktivistischer Sozialtheorie zielt die Wissenssoziologie auf eine Analyse der »sozialen Bedingungen und Bedingtheiten des Erkennens und Wissens« (Kneer 2010, S. 707). Sie hegt also ein Interesse für die »intentionalen, symbolischen Ordnungen des Erlebens und ihre strukturellen Objektivationen« (Schützeichel 2018, S. 7). Für inklusionspädagogische Fragestellungen werden aktuell insbesondere sozialphänomenologische Ansätze im Anschluss an Alfred Schütz sowie deren sozialkonstruktivistische Rezeption von Peter L. Berger und Thomas Luckmann herangezogen. Letztere haben die wissenssoziologische Perspektive explizit auf eine allgemeine Sozialtheorie ausgeweitet (Kneer 2010, S. 712). Für Berger und Luckmann »stellt sich die Gesellschaft gleichermaßen als objektive wie subjektive Wirklichkeit dar« (ebd., S. 713). Als objektive Wirklichkeit wird Gesellschaft als »das Resultat menschlicher Handlungsprozesse [verstanden], in deren Verlauf sinnhafte Deutungsangebote entäußert, […] habitualisiert, […] institutionalisiert und schließlich […] legitimiert werden« (ebd.). Als subjektive Wirklichkeit ist Gesellschaft vom Subjekt angeeignete, internalisierte Gesellschaft (vgl. ebd.). Gesellschaft ist aus wissenssoziologischer Perspektive deshalb nicht als der Erkenntnis und dem Wissen vorgängiges Objekt zu verstehen. Ebenso wenig ist sie aber reine subjektive Konstruktionsleistung. Vielmehr finden sich Individuum und Gesellschaft hier in einem dialektischen Verhältnis wieder, aus dem die gesellschaftliche Institutionalisierung als Ordnung hervorgeht.22

21

22

In Abschn. 4.1 werden diskurstheoretische Ansätze noch eine verstärkte Aufmerksamkeit erfahren, da mit der gesellschaftstheoretischen Perspektive im Anschluss an Laclau und Mouffe eine diskurstheoretische Lesart der Gesellschaftsanalyse vorgeschlagen werden soll. Eine solche wird insbesondere durch eine Verschiebung des Analysefokus von Diskursen auf diskursive Praxen möglich. Diese Perspektive ist auch von Reiner Keller aufgenommen und in die wissenssoziologische Diskursanalyse eingearbeitet worden (vgl. Keller 2011). Mit ihr werden »Diskurse als die Handlungspraxis orientierenden sowie intersubjektiv geteilten Sinn- und Wissensbestände der Gesellschaft« (Angermuller und Wedl 2014, S. 179) verstanden. Während andere empirische Arbeiten innerhalb der Wissenssoziologie üblicherweise die Ebene des subjektiven Sinns fokussieren, zeigt die wissenssoziologische Diskursanalyse ein »makrosoziologische[s] Interesse an gesamtgesellschaftlichen Wissensbeständen« (ebd.). Innerhalb des inklusionspädagogischen Diskurses verfolgt Lisa Pfahl am konsequentesten einen solchen Forschungszugang (vgl. Pfahl 2014; Pfahl et al. 2015).

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Auch praxistheoretische Arbeiten gehen davon aus, dass »die soziale Welt ihre Gleichförmigkeit über sinnhafte Wissensordnungen, über kollektive Formen des Verstehens und Bedeutens, durch im weitesten Sinne symbolische Ordnungen« (Reckwitz 2003, S. 287) erhält. Anders als wissenssoziologische Zugänge, die sich durch ein Interesse für »kognitive Schemata der Beobachtung« auszeichnen, verstehen praxistheoretische Arbeiten Kultur jedoch »als ein praktisches Wissen, ein Können, ein know-how, ein Konglomerat von Alltagstechniken, ein praktisches Verstehen im Sinne eines ›Sich auf etwas verstehen‹« (ebd., S. 289). Die Alltagspraktiken werden in dieser Perspektive zum ›Ort‹ des Sozialen. Das Soziale selbst ist von den Subjekten inkorporiert und geht nicht zuletzt aus »routinisierten Beziehungen zwischen Subjekten und von ihnen ›verwendeten‹ materialen Artefakten« (ebd.) hervor. Die Aufmerksamkeit richtet sich damit auf unterschiedliche soziale Praktiken, welche die soziale Welt konstituieren. Dies können Praktiken des Selbst, Praktiken des Regierens oder eben auch Praktiken des Erziehens sein. Im Hinblick auf die grundlegende Kontingenz sozialer Ordnungen fragen Praxistheorien also nach der Möglichkeit der »Reproduzierbarkeit und Repetitivität von Handlungen über zeitliche Grenzen und über räumliche Grenzen hinweg« (ebd.). Die Antwort hierauf finden sie in dem Konzept einer »geteilte[n] und durch ein implizites, methodisches und interpretatives Wissen zusammengehaltene[n] Praktik« (ebd.), die sich auszeichnet durch oder zeigt in einer bestimmten Materialität. Und deren implizite Logik lässt sich in praxistheoretischen Studien rekonstruieren. Wissenssoziologische und praxistheoretische Ansätze lassen sich so durch das Bemühen kennzeichnen, die prozesshafte Konstitution sozialer Ordnungen rekonstruieren zu wollen. Anders als für die differenzierungstheoretischen und die ungleichheitstheoretischen Zugänge dargestellt, spielt der Begriff Inklusion innerhalb dieser kulturtheoretisch begründeten Theoriekonstruktionen aber zunächst keine Rolle – zumindest nicht in systematischer Hinsicht. Insbesondere Arbeiten der rekonstruktiven Inklusionsforschung nutzen kulturtheoretischen Ansätze jedoch, um inklusionsorientierte pädagogische Praxen oder Sinnzuschreibungen zum Gegenstand rekonstruktiver Analysen zu machen. ›Inklusion‹ kann im Anschluss hieran »als empirisch zu rekonstruierendes Phänomen« (Budde et al. 2017c, S. 13) verstanden werden. Den Bezugspunkt dieser Untersuchungen können historisch spezifische Praxiskomplexe (vgl. Budde et al. 2017a) oder auch subjektive aber sozial geteilte Sinnzuschreibungen (vgl. Sturm 2016) darstellen. Eine solche Perspektive versteht sich unter anderem als Kritik an einer

181

182

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

einseitigen Fokussierung auf Inklusionsquoten. An dieser wird kritisiert, dass sie impliziere, Inklusion lasse sich anhand der physischen Anwesenheit von Menschen mit Beeinträchtigungen ermessen. Dem wird eine Bezugnahme auf inklusionsorientierte pädagogische Praxen entgegengesetzt, die als »Ausdrucksgestalten des Umgangs mit der gesellschaftlich/gesetzlichen Inklusionsforderung« (Hummrich 2017, S. 177) verstanden werden. Diese Ausdrucksgestalten können als Verweis auf die »Vielfalt der Umgangsstrategien mit gesellschaftlicher Teilhabe« (ebd.) gelesen werden. Rekonstruktive Inklusionsforschung versteht sich somit einerseits »als Suche nach den Grundlagen von Teilhabe und Ausschluss und untersucht die Hervorbringung von Praxis im Anspruch der Umsetzung eines gesellschaftlichen Anspruches« (ebd.). Andererseits kann sie unter Verweis auf diesen doppelten Anspruch – den pädagogischen wie den gesellschaftlichen – als Reflexionsfolie für die Praxis aufgefasst werden, die sich nun an den eigenen Ansprüchen messen kann (vgl. Wagener 2018, S. 89). Unter dem Schlagwort ›rekonstruktive Inklusionsforschung‹ lassen sich mittlerweile viele unterschiedliche Arbeiten fassen. Zunehmend scheint es zu gelingen, den vormals stark sonderpädagogisch geprägten Diskurs der Inklusionspädagogik mit Diskussionen anderer Subdisziplinen der Erziehungswissenschaften zu verknüpfen (vgl. Budde et al. 2017a; Budde et al. 2017b; Bräu 2015; Knauth und Jochimsen 2017). Entsprechende Beiträge fokussieren z.B. die soziale Konstruktion von Behinderungen als handlungspraktische Hervorbringung in sozialen Interaktionen (vgl. Sturm 2016). Anschlussfähig an allgemeinpädagogische Fragestellungen ist eine solche Perspektive insbesondere deshalb, weil Behinderung als soziale Konstruktion nicht nur auf einen ›sonderpädagogischen Förderbedarf‹ verweisen muss. Es können explizit auch andere Differenzkonstruktionen thematisiert werden, die den Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe erschweren oder verhindern (vgl. Sturm 2015a, S. 224). Eine solche Perspektivierung wird als Chance aufgerufen, dem Problem der Resignifizierung insofern entgegenzutreten, als dass hiermit nicht lediglich die üblichen Differenzkategorien aufgerufen werden, sondern vielmehr nach dem doing difference in den pädagogischen Praxen gefragt wird (vgl. Budde et al. 2017a, S. 171). In diesem Sinne wird zum Beispiel die Konstitution von Leistungsdifferenzen in der Unterrichtsinteraktion in den Blick genommen (vgl. Wagener 2018) oder die Bedeutung sozialer und kultureller Normen in Praxen des Berufsbildungssystems problematisiert (vgl. Bücker et al. 2017). Aber auch die Peer-Interaktion zwischen Schüler*innen wird zum Gegenstand gemacht (vgl. Hackbarth 2017).

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Dass dabei wiederholt auf »Spannungsverhältnisse zwischen den Programmatiken und den Handlungspraktiken« (ebd., S. 206) inklusionsorientierter Bildungsangebote aufmerksam gemacht wird bzw. wurde, kann als strategische Verschiebung innerhalb der Inklusionsforschung verstanden werden. So sind mit der kulturtheoretischen Positionierung zunächst keine normativen oder gar präskriptiven Aussagen darüber verbunden, was ›Inklusion‹ sein sollte. Zumindest können solche Aussagen nicht theoretisch begründet werden. Vielmehr ist es der gesellschafts- und bildungspolitisch formulierte Anspruch der ›Inklusion‹, an welchem sich die beschriebenen Praxen selbst messen lassen können bzw. müssen (vgl. Fritzsche 2014, S. 329).23 Einerseits erlaubt dies, dem häufig beschworenen Normativitätsproblem der Inklusionspädagogik und -forschung zu entgehen. Andererseits ermöglicht das aber dennoch ein Aufzeigen »unterschiedliche[r] Problematisierungslinien inklusiver Beschulung« (Hummrich 2017, S. 177), ohne dass deren Anspruch selbst in Frage gestellt würde. In diesem spezifischen normativen Verzicht liegt dann aber auch die Grenze der hier thematisierten kulturtheoretisch-soziologisch konzipierten Forschungen: Sie sind – insofern sie sich normativen Aussagen enthalten – letztlich sozialwissenschaftliche Einsätze, deren Verhältnis zu Inklusionspädagogiken ein reflexives bleiben muss. Darüber hinaus bestehen für die angeführten Forschungen – und dabei insbesondere für praxistheoretisch konzipierte Arbeiten – zwei Herausforderungen. Stärker als alle anderen sozialwissenschaftlichen Ansätze beziehen sich kulturtheoretische Untersuchungen auf Mikropraktiken des Alltags. Diese Fokussierung veranlasst immer wieder zu der Mahnung, dass der Kontext der Praktiken nicht ausgeblendet werden dürfe, da sich beobachtete Praxen sonst nicht erklären würden oder strukturelle Macht- und Ungleichheitsverhältnisse aus dem Blick gerieten. Hier scheinen verschiedene erkenntnistheoretische Positionierungen aufeinander zu treffen, die zueinander ins Verhältnis gesetzt werden müssen. So betonen z.B. Susanne Gottuck und Paul Mecheril, dass »Auseinandersetzungen etwa im Jugendheim, Diskussionen zwischen Sozialarbeiterinnen und ihrer Klientel, Beleidigungen und andere moralische Adressierungen auf dem Schulhof in ihrer ›kulturellen Tiefe‹ [erst

23

Die rekonstruktive Inklusionsforschung kann vor diesem Hintergrund als eine Reaktion auf historisch spezifische Praktiken gelesen werden und ist somit selbst als Produkt historisch kontingenter Prozesse zu verstehen. Insofern wäre sie zu Beginn der Inklusions- bzw. Integrationspädagogik nicht denkbar gewesen, da der Anspruch ›inklusiver Beschulung‹ sich in den 80er und 90er Jahren noch nicht universalisiert hatte.

183

184

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

dann] erfasst werden« könnten, »wenn ein Wissen um gesellschaftliche Kontexte in Rechnung gestellt« (Gottuck und Mecheril 2014, S. 95) werde. Sie fordern aus diesem Grund, die sozialen Kontexte zu berücksichtigen, die sie als »normative, semantische und machtmittelnde Bezugsrahmen sozialer Praxen« (ebd., S. 98) verstehen. Zum anderen vernachlässigen die Arbeiten oft ein Potential, das in der Theorie eigentlich angelegt – oder zumindest angedeutet – ist. Im Fokus der empirischen Arbeiten liegen vorwiegend die Konstitutionsprozesse sozialer Ordnungen, also die ›Strukturen‹ – auch wenn diese als situativ und lokal hergestellt verstanden werden. Demgegenüber wird in der Theorie immer wieder darauf hingewiesen, dass dies nur eine Seite des praxistheoretischen Verständnisses der sozialen Welt darstelle. Reckwitz betont in diesem Sinne, »dass die Logik der Praxis nicht aus der Wiederholung von Routinen besteht, sondern dass sich hier auch immer wieder eine interpretative und methodische Unbestimmtheit, Ungewissheit und Agonalität ergibt, die kontextspezifische Umdeutungen von Praktiken erfordert und eine ›Anwendung‹ erzwingt und ermöglicht, die in ihrer partiellen Innovativität mehr als reine Reproduktion darstellt« (Reckwitz 2003, S. 294; Herv. J.G.). Diese Figur einer konstitutiven Agonalität – also Konflikthaftigkeit – des Sozialen, die sich nicht zuletzt im Scheitern hegemonialer Konstitutionsversuche und in der Etablierung gegenhegemonialer Praxen zeigt, wird in der empirischen Fokussierung auf die Konstitution sozialer Ordnungen im Moment noch zu wenig berücksichtigt. Eine solche Rekonstruktion subversiver Momente würde aber möglicherweise eine Dekonstruktion sozialer Ordnungen erlauben, welche gesellschaftstheoretisch fundierte Forschungen im Kontext von ›Inklusion‹ noch konsequenter als bisher an der konstitutiven Kontingenz des Sozialen ausrichtete. Eine solche Forschung hätte das Potential, für die Möglichkeit der Anders-Ordnung der sozialen Welt zu sensibilisieren und einen Anschluss zu finden an transformative Lesarten von ›Inklusion‹.

4.1.3

(Re-)Politisierung von Gesellschaftstheorie?

Der zurückliegende Abschnitt diskutierte die Rezeption gesellschaftstheoretischer Ansätze innerhalb inklusionsorientierter Pädagogiken und Forschungen. Im Folgenden wird diese Diskussion zusammengefasst und in Hinblick auf den Stellenwert zugespitzt, die hierin die politische Dimension von Inklusion einnehmen kann.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Mit Hilfe differenzierungstheoretischer Zugänge wird die gesellschaftliche Ordnung als Resultat von Modernisierungsprozessen verstehbar. Der Fokus dieser Zugänge liegt auf der Analyse der Funktion gesellschaftlicher Ausdifferenzierung. Insbesondere im Anschluss an die Systemtheorie Niklas Luhmanns wird Inklusion damit zu einer Frage der Regeln kommunikativer Berücksichtigung von Personen in gesellschaftlichen Teilsystemen. Dieser Ansatz ermöglicht eine Vielzahl theoretischer wie empirischer Auseinandersetzungen mit den Teilhabebedingungen gesellschaftlicher Teilsysteme sowie deren Umgang mit Irritationen ebenso wie Überlegungen zu ›funktionalen Äquivalenten‹ innerhalb systemischer Kommunikationslogiken. Vielfach wird diese Perspektive für Fragen im Zusammenhang mit dem Bildungssystem und damit für die Beobachtung inklusionsorientierter Bildungsangebote fruchtbar gemacht. Fragen nach einer Neu- oder Andersordnung der Gesellschaft, welche die existierenden Kommunikationsregeln radikal in Frage stellen würden, werden im inklusionspädagogischen Zusammenhang jedoch selten gestellt. Transformationen werden hier vielmehr innerhalb der existierenden Systemlogiken und in Hinblick auf deren Funktionalität beobachtet. Insofern weisen die systemtheoretisch informierten Arbeiten im Feld der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung eine große Sensibilität für Fragen der Differenz auf. Die Figur einer radikalen Differenz, welche eine Infragestellung der Aufteilung des sozialen Raums zu denken ermöglicht, wird jedoch nicht thematisiert. Ungleichheitstheoretische Einsätze ermöglichen eine Problematisierung negativer Auswirkungen individueller Unterschiede auf die Lebenschancen und -möglichkeiten von Personen. Die hiermit verbundene Persistenz sozialer Ungleichheit wird mit Blick auf sozialstrukturelle Verhältnisse erklärbar. Innerhalb der Inklusionspädagogik und -forschung werden vor allem jene Arbeiten diskutiert, welche die institutionellen Zugangsbedingungen zu sozialstaatlichen Leistungen sowie die Auswirkungen des Angewiesenseins auf spezifische Institutionen für die Möglichkeit der Teilhabe an kulturell geteilten Vorstellungen einer angemessenen Lebensführung problematisieren. Während ›Inklusion‹ damit als gesellschaftliche Zugehörigkeit durch Partizipation und Interdependenz verstehbar wird, ist ›Exklusion‹ als aktuelle, wenn auch historisch kontingente Form des Ausschlusses innerhalb der Gesellschaft kritisierbar, die sich in einer zunehmend (re-)ökonomisierten Gesellschaft auch in den sozialstaatlichen Institutionen wie einer inklusionsorientierten Schule finden lässt. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine ›Politik der Inklusion‹ fordern. Eine solche bleibt allerdings eine

185

186

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Politik im engeren Sinne des Wortes, insofern sie als sozialstaatliche Politik konzipiert wird. Dies erschwert eine Auseinandersetzung mit der politischen Dimension der Konstitution und Transformation von Inklusionschancen und Exklusionsrisiken in (pädagogischen) Alltagspraktiken. Eben diese Alltagspraktiken und deren Deutungen können vor dem Hintergrund kulturtheoretischer Annahmen in den Blick genommen werden. Gesellschaft wird hier beschreib- und analysierbar als historisch und lokal situierte Ordnung, welche aus kulturellen Orientierungen, kulturellen Codes, Wissens- oder Praxiskomplexen hervorgeht. Der Begriff ›Inklusion‹ verweist in diesem Kontext weder auf eine gesellschaftstheoretische oder -analytische Grundkategorie noch auf ein normatives Konzept zur Problematisierung von Exklusionsrisiken. Er fokussiert auf eine spezifische und empirisch zu rekonstruierende Form der Ermöglichung von Teilhabe vor dem Hintergrund aktueller gesellschafts- und bildungspolitischer Ansprüche. Auf dieser Grundlage können inklusionsorientierte Praxen unter anderem im Hinblick auf die in ihnen hervorgebrachten Differenzkonstruktionen befragt werden. Diese ermöglichen Teilhabe und produzieren zugleich immer auch Ausgrenzung. Da sich aus einer solchen rekonstruktiven Positionierung keine normativen Forderungen ableiten lassen, bleiben diese Arbeiten auf pädagogische oder politische Begründungen angewiesen, um die eigenen Beschreibungen, Aufmerksamkeiten und Problematisierungen zu legitimieren. Damit zeigt sich zunächst eine große Heterogenität der innerhalb der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung rezipierten gesellschaftstheoretischen Grundpositionen. Diese Unterschiede ermöglichen es, die theoretischen Angebote auf unterschiedliche Arten und Weisen für Forschungen im Themenfeld ›Inklusion‹ fruchtbar zu machen. Jenseits dieser Differenzen weisen die verschiedenen Arbeiten aber auch zwei Gemeinsamkeiten auf, die für die weitere Argumentation relevant sind. Erstens insistieren alle herangezogenen sozial- und gesellschaftstheoretischen Positionierungen darauf, dass Inklusion – wie auch immer diese konzipiert wird – konstitutiv an Exklusion gebunden bleibt, dass Teilhabe also nicht ohne Ausgrenzung zu denken und zu realisieren ist. Dies kann als ein strategischer Einsatz gegen eine romantisierende Vorstellung einer inklusiven Pädagogik verstanden werden. Diese Differenz betont Markus Dederich (2017) in einer Auseinandersetzung mit soziologischen Arbeiten zum Thema ›Inklusion‹. Während ein ›emphatisches‹ Inklusionsverständnis

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

»auf eine Vermeidung jeglicher vorgängiger Ausschlüsse, die Herstellung gleichberechtigter und selbstbestimmter Teilhabe aller sowie maximale Ausdehnung von Akzeptanz und Wertschätzung auf unterschiedslos alle Individuen zielt, konvergieren soziologische Begrifflichkeiten und Theoriebildungen in der Annahme, dass Inklusion und Exklusion komplementäre Begriffe sind, so dass das eine nicht ohne das andere gedacht werden kann« (ebd., S. 69). Diese Diagnose kann – hier ist Dederichs Argumentation zu folgen – nicht ohne Konsequenzen für Inklusionspädagogiken sein. Eine mögliche einseitige Orientierung an der Idee der Universalität des eigenen Einsatzes wird in Frage gestellt zu Gunsten einer Reflexion der selbst produzierten Ausschlüsse. Was die benannten gesellschaftstheoretischen Positionen zu einer entsprechend »reflektierten Begriffsverwendung« (ebd.) und möglicherweise auch zu einem Konzept einer »reflexiven Inklusion« (Budde und Hummrich 2014) beitragen können, ist also die Analyse der (nicht nur) durch Pädagogiken (re-)produzierten Funktions- und Normalitätserwartungen ebenso wie die Entschärfung allzu großer Erwartungen an inklusionsorientierte Pädagogiken. Die kritische Auseinandersetzung mit inklusionsorientierten Praxen muss damit nicht ausschließlich als deren Infragestellung gelesen werden, sondern kann gerade auch als Entlastung von diesen Erwartungen verstanden werden. Die zweite Gemeinsamkeit der verschiedenen Rezeptionen gesellschaftstheoretischer Positionen innerhalb der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung liegt darin, dass das gesellschafts- sowie bildungspolitische Projekt der ›Inklusion‹ gerade als ein solches erkennbar und seine Kontingenz damit transparent wird. Innerhalb der systemtheoretischen Perspektive erscheint das Projekt einer gemeinsamen Beschulung unterschiedlichster Schüler*innen als eine bildungspolitische Bestrebung der Entdifferenzierung des Bildungssystems, die als Transformation aber nur innerhalb der Systemlogik selbst erfolgen können wird. Eine Politik der Inklusion im Anschluss an Theorien der Exklusion kann als politische Forderung einer sozialstaatlichen Einhegung von Exklusionrisiken verstanden werden. Und die rekonstruktive Inklusionsforschung bleibt bei aller normativen Enthaltsamkeit der rekonstruktiven Logik auf die bildungs- und gesellschaftspolitischen Ansprüche von ›Inklusion‹ verwiesen, vor deren Hintergrund sich die Problematisierung der beobachteten Praxen erst erklärt. In allen drei Einsätzen zeigt sich somit ein enger Zusammenhang von ›Inklusion‹ und ›Politik‹. In der

187

188

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Auseinandersetzung hat sich aber auch gezeigt, dass den gesellschaftstheoretischen Grundannahmen jeweils Verständnisse von Politik zu eigen sind, welche vor allem die Ebene der Beschreibung des Status quo fokussieren und die Frage nach den Möglichkeiten der Veränderung desselben eher vernachlässigen. Eine solche Problematisierung findet Zuspruch in der Lektüre radikaldemokratischer Arbeiten, die soziologischen Gesellschaftstheorien die Kritik entgegenbringen, sie würden »das Politische aktiv verdrängen, indem sie den Status quo der Gesellschaft durch ihre Beschreibung quasi naturalisieren und das Politische in der institutionalisierten Politik einhegen« (Ahrens 2018, S. 75). Eine solche pauschalisierende Kritik ist sicherlich mit großer Vorsicht zu genießen – und Ahrens distanziert sich in der folgenden Argumentation auch hiervon, entwickelt er doch selbst eine explizit politische Lesart der Systemtheorie. Das vorliegende Kapitel zeigt aber, dass diese Kritik zumindest in Bezug auf die Rezeption gesellschaftstheoretischer Arbeiten durch die Inklusionspädagogik und -forschung eine gewisse Plausibilität hat. Möglicherweise sind die bisherigen Rezeptionen der gesellschaftstheoretischen Einsätze nur bedingt für eine (Re-)Politisierung der Inklusionspädagogik geeignet. Vielmehr bedürfte es zunächst einer (Re-)Politisierung der gesellschaftstheoretischen Bezüge. Von hier aus sind nun zwei Argumentationslinien denkbar. Eine erste Möglichkeit besteht darin, die vorgetragene Kritik zum Ausgangspunkt einer Theoriearbeit innerhalb der benannten Ansätze zu machen. Damit richtet sich der Fokus auf den Status des Politischen innerhalb der benannten Arbeiten. Es wäre dann z.B. nach noch nicht erschlossenen Positionierungen innerhalb der herangezogenen Gesellschaftstheorien zu fragen und diese Aspekte in die inklusionspädagogischen Diskussionen zu integrieren. Entsprechende Beispiele finden sich sowohl in der allgemeinen Erziehungswissenschaft als auch in der politischen Theorie. So verweist zum Beispiel Sönke Ahrens (2018) auf Möglichkeiten der Integration des Politischen in die Systemtheorie durch eine Berücksichtigung des Konzepts der Iterabilität. Demgegenüber macht Alexander Weiß (2016) die emanzipatorischen Potentiale des luhmannschen Kontingenzbegriffs gegen den Begriff der Differenzierung stark. Ansetzen könnten solche Arbeiten – das deutet sich mit Blick auf die genannten Beispiele bereits an – an der geschilderten Sensibilität für die wechselseitige Verwiesenheit von Inklusion und Exklusion. Hier ließe sich stärker als bisher die Kontingenz und Umstrittenheit der hiermit verbundenen Grenzziehungen in den Blick nehmen. Strategien dieser Art scheinen allerdings einen

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

nicht zu unterschätzenden erkenntnistheoretischen Aufwand zu implizieren, der in der Inklusionspädagogik oder -forschung bis jetzt nicht nachvollzogen wurde. Die zweite Möglichkeit, die Überlegungen des zurückliegenden Abschnitts für die Frage nach den Möglichkeiten einer gesellschaftstheoretischen und -analytischen Fundierung der Diskussionen um Inklusion fruchtbar zu machen, ist die Erschließung bisher nicht berücksichtigter gesellschaftstheoretischer Einsätze, welche die Bedeutung des Politischen, von radikaler Differenz und Negativität nicht vernachlässigen, sondern explizit berücksichtigen. Dass es solche Ansätze gibt, hat sich bereits in den vielfältigen radikaldemokratischen Verweisen auf die umstrittenen Praxen der Konstitution sozialer Ordnungen in Kapitel 3 angedeutet. Ein erneuter Wechsel in das theoretische Register der politischen Philosophie ist hier also vielversprechend. Während soziologische Grundannahmen bezüglich der Gesellschaft oder des Sozialen Versuche der Theoretisierung der Möglichkeit einer Anders-Ordnung der sozialen Welt vor erhebliche Herausforderungen stellen, könnte es die Rezeption eines gesellschaftstheoretischen Einsatzes aus der politischen Philosophie heraus ermöglichen, den Streit um die Konstitution der Gesellschaft an sich in das Zentrum der Analysen zu stellen. Wenn im weiteren Verlauf des Kapitels dieser zweite Weg eingeschlagen wird, ist das nicht als Absage an Versuche im Anschluss an die erste Perspektive zu verstehen. Die zurückliegenden Auseinandersetzungen mit den einzelnen soziologischen Annäherungen an Aspekte der gesellschaftlichen Teilhabe haben gezeigt, dass in diesen jeweils große Potentiale für Fragen der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung gesehen werden. Und diese könnten durch eine (Re-)Politisierung deren gesellschaftstheoretischen Grundannahmen sicherlich noch gesteigert werden. Eine solche vertiefende Lektüre der Selbstdekonstruktion24 der gesellschaftstheoretischen Annahmen inklusionsorientierter Pädagogiken und Forschungen kann hier einerseits aufgrund des Umfangs eines solchen Vorhabens nicht geleistet werden. Andererseits ist der Fortgang dieses Kapitels aber auch als eine theorie-systematische Entscheidung zu verstehen. Während die erste Perspektive ihren Ausgangspunkt nach wie vor in der Ausdifferenzierung oder Ordnung des sozialen Raums nimmt – auch wenn diese dann als kontingent

24

Vgl. hierzu Marchart 2013a, S. 48 sowie die Erläuterungen zu Derrida in Abschn. 4.2 dieser Arbeit.

189

190

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

und brüchig thematisiert werden könnte –, geht eine Perspektive der politischen Philosophie vom Problem der Emanzipation und der Teilhabe aus und damit immer schon von der Infragestellung und Umstrittenheit der sozialen Ordnung (vgl. Mayer 2017, S. 69). Wenn im weiteren Verlauf des Kapitels die Hegemonietheorie Ernesto Laclaus als Gesellschaftstheorie rezipiert wird, ist das also als eine konsequente Weiterführung der dieser Arbeit zu Grunde liegenden Entscheidung für eine Demokratisierung der Debatten um ›Inklusion‹ zu verstehen.

4.2

Hegemonietheorie als radikaldemokratisches Projekt

Der zurückliegende Abschnitt warf Fragen nach dem Stellenwert des Politischen in gesellschaftstheoretischen und -analytischen Rezeptionen der Inklusionspädagogik und erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung auf. Insofern ›Inklusion‹ in dieser Arbeit maßgeblich mit der (In-)Fragestellung jeweils gegebener Vorstellungen und Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe verbunden wird, erscheint eine spezifische gesellschaftstheoretische Konjunktur problematisch, die diese politische Dimension von ›Inklusion‹ nur schwer zu denken bzw. zu analysieren erlaubt. Aus diesem Grund soll im Folgenden Abschnitt mit den hegemonietheoretischen Arbeiten Ernesto Laclaus eine gesellschaftstheoretische Perspektive dargestellt und auf den inklusionspädagogischen Diskurs bezogen werden, die sich explizit der Auseinandersetzung mit der politischen Dimension des Gesellschaftlichen verschrieben hat.25 Das seinen Arbeiten zu Grunde liegende Verständnis von Gesellschaft bringt Laclau in einem nur wenige Seiten kurzen Artikel auf den Begriff, der den programmatischen Titel The Impossibility of Society (vgl. Laclau 1990c) trägt. Dies stellt zunächst eine Irritation für das Anliegen einer gesellschaftstheoretischen Auseinandersetzung dar, ließe sich doch fragen, warum und wie man ein ›unmögliches Objekt‹ (ebd., S. 92) überhaupt zum Gegenstand 25

Einen hinführender Überblick über die Arbeiten Laclaus bieten Hetzel 2004; Marchart 2017b und Nonhoff 2019a. Als wichtige Veröffentlichungen Laclaus für den vorliegenden Zusammenhang können Hegemonie und radikale Demokratie mit Chantal Mouffe (2012), die Schriften in Emanzipation und Differenz (2013a) sowie der kurz vor seinem Tod herausgegebene Band The Rhetorical Foundations of Society (2014a) gelten. Der folgende Abschnitt konzentriert sich maßgeblich auf die ersten beiden Veröffentlichungen und deren Rezeption.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

theoretischer und analytischer Arbeiten machen sollte. Müsste aus einer solchen Diagnose nicht gerade der Verzicht auf den Begriff folgen? Ernesto Laclau – und mit ihm Chantal Mouffe – gehen einen anderen Weg. In einer paradox anmutenden Wendung sprechen sie gleichzeitig von einer Unmöglichkeit wie einer Notwendigkeit von Gesellschaft (vgl. Marchart 2013a, S. 320) und verorten gerade in dieser Paradoxie die Möglichkeit, um Gesellschaft streiten zu können. Diesen gesellschaftstheoretischen wie -analytischen Einsatz gilt es im Folgenden auszubreiten. Die Arbeiten von Laclau resultieren aus einer Intervention in den klassischen marxistischen Diskurs. Die Annäherung an die Arbeiten erfolgt deshalb im Folgenden zunächst über seine Abgrenzung von diesem (Abschn. 4.2.1). Der Marxismus klassischer Prägung geht Laclau zufolge von Gesellschaft als einer objektiven und damit analytisch zu bestimmenden Einheit aus. Die Gesellschaftsformation, in welcher die gesellschaftlichen Verhältnisse mit dieser objektiven Bestimmung identisch wären, trage den Namen ›Sozialismus‹. Dieser Zustand werde letztlich durch ein emanzipatives Projekt erreicht, welches von der Arbeiterklasse getragen werde. Laclau bricht mit diesem Denken in doppelter Hinsicht. Einerseits löst er die enge Verbindung des emanzipativen Projekts mit dem Proletariat, um neue soziale Bewegungen wie den Feminismus, die Umweltbewegung oder die Friedensbewegung ebenso als emanzipative Projekte denken zu können. Andererseits gibt er die Vorstellung einer mit sich selbst identischen Gesellschaft zu Gunsten einer Idee der radikalen Demokratie auf, in welcher der Streit um die Instituierung des Sozialen auf Dauer gestellt ist. Die Formulierung einer radikaldemokratischen Gesellschaftstheorie gelingt Laclau im Wesentlichen durch eine strikte Abwendung vom Ökonomismus des klassischen Marxismus sowie einer Hinwendung zur politischen Dimension gesellschaftlicher Prozesse. Entscheidende Schritte in diese Richtung unternimmt Laclau gemeinsam mit Chantal Mouffe in Hegemonie und radikale Demokratie (2012) durch eine poststrukturalistische und diskurstheoretische Reformulierung der Hegemonietheorie Antonio Gramscis (Abschnitt 4.2.2). Insofern der Verfasser und die Verfasserin der Studie die Diskurstheorie hier konsequent als Sozialtheorie lesen, wird die gesellschaftliche Ordnung und deren Konstitution auf der Ebene des Symbolischen bzw. Diskursiven verortet. Da jede diskursive Struktur aus Artikulationen hervorgehe und diesen Artikulationen kein einheitliches Prinzip zu Grunde liege, werde keine soziale Ordnung jemals in sich geschlossen sein können. Deshalb wird das Soziale von Laclau als der vergebliche Versuch verstanden, das unmögliche Objekt Gesellschaft herzustellen (Abschn. 4.2.3).

191

192

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Herstellbar ist der gesellschaftliche Raum vor dem Hintergrund dieser poststrukturalistischen Überlegungen zum Symbolischen also nicht durch den positiven Verweis darauf, was Gesellschaft sein soll. Gäbe es ein solches Objekt tatsächlich, wäre jede Form politischen Handelns ebenso wie die Demokratie selbst hinfällig. Vielmehr ist es die Artikulation eines Gegners, welche eine Grenze zieht, den sozialen Raum antagonistisch zweiteilt und somit Bedeutung temporär fixiert (Abschn. 4.2.4). Konfliktualität wird somit zum abwesenden Grund des Sozialen. Politik ist vor diesem Hintergrund als Versuch zu verstehen, partikulare Grenzziehungen so zu artikulieren, dass sie sich letztlich universalisieren und so eine hegemoniale Formation der Deutung des Sozialen etablieren. Dieses Spiel um Hegemonie ebenso wie die diese Hegemonie subvertierenden, gegenhegemonialen Momente stellen die Voraussetzung von Demokratie dar. Denn weder ein Raum reiner Partikularitäten noch ein universeller Raum bietet Möglichkeiten des politischen Handelns. Eine Fokussierung der Frage nach dem Stellenwert der politischen Dimension für die laclausche Gesellschaftstheorie wird zuletzt zeigen, dass die Hegemonietheorie nicht nur als eine deskriptive Beschreibung solcher Kämpfe um Hegemonie verstanden werden darf, sondern selbst als der Versuch der Hegemonialisierung eines radikaldemokratischen Projekts gelesen werden muss (Abschn. 4.2.5). Hieraus ergeben sich vielfältige Impulse und Fragestellungen für inklusionsorientierte Pädagogiken und Forschungen.

4.2.1

Postmarxistische Alternativen …

Kapitel 3 hat deutlich gemacht, dass ein radikaldemokratisches Denken seinen Ausgangspunkt in der Annahme der Kontingenz sozialer Ordnungen sowie in der Umstrittenheit deren Instituierung nimmt. Dies gilt auch und möglicherweise in besonderer Weise für die Hegemonietheorie Ernesto Laclaus. In der Einleitung von The Rhetorical Foundations of Society (2014a) reflektiert dieser retrospektiv das Vorgehen seiner Arbeit und stellt sie in ihren historischen Kontext. Zusammenfassend bricht er sie auf zwei zentrale Aspekte herunter: »the hegemonic character of the social link and the ontological centrality of the political« (Laclau 2014b, S. 8). Beide Thesen müssen als eng miteinander verknüpft verstanden werden. Indem Laclau dem Politischen einen ontologischen Status beimisst, wird Konfliktualität innerhalb seines Theorieprojektes zur Grundvoraussetzung des Sozialen. Da die soziale Ordnung weiterhin nur im Streit gegründet werden kann, wird das Soziale

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

in seiner Prozessualität als ein Ringen um Hegemonie vorstellbar. Das Zitat spiegelt aber nicht nur die radikaldemokratische Überzeugung der Kontingenz sozialer Ordnung sowie deren Umstrittenheit wider. Es kann als eine implizite Problematisierung und Reformulierung zentraler Aspekte des Marxismus gelesen werden. In der Sekundärliteratur werden Ernesto Laclaus hegemonietheoretische Arbeiten in zweifacher Weise als postmarxistisch qualifiziert: als eine Abkehr von Marx’ Geschichtsphilosophie und als eine Reformulierung von dessen Idee des Klassenkampfs (vgl. Flügel-Martinsen 2017, S. 16; Nonhoff 2010, S. 33f.). Damit ist die Bearbeitung eines Widerspruchs durch Laclau markiert, der die marxschen Arbeiten durchzieht und immer wieder zum Gegenstand vielfältiger Auseinandersetzungen wurde. Der Begriff der Geschichte ist bei Marx einerseits deterministisch gedacht. Thesen von der bevorstehenden sozialistischen Revolution erklären sich vor dem Hintergrund der analysierten Entwicklung des Kapitalismus und der hiermit einhergehenden Annahme einer Zuspitzung des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit. Dies stellt eine historische Notwendigkeit dar, da sowohl die Revolution als auch der Klassenkonflikt als »der soziale und politische Ausdruck eines primär ökonomischen Widerspruchs« (Laclau und Mouffe 2012, S. 115) zwischen Produktionsverhältnissen und Produktivkräften verstanden werden. Dieser Widerspruch unterliegt also ausschließlich ökonomischen Gesetzen.26 Gegen ein solches deterministisches Gesellschaftsbild macht Laclau einerseits empirische Erfahrungen seit den Veröffentlichungen der Arbeiten von Marx geltend. So sei die vorhergesagte Revolution nicht eingetreten und eine »Lawine historischer Veränderungen« (ebd., S. 31) und hieraus erwachsende Kontingenzerfahrungen ließen ihn an der Idee einer notwendigen Entwicklung ebenso wie an dem hierfür vorauszusetzenden Ökonomismus zweifeln (vgl. Laclau 2007, S. 26). Vielmehr lasse sich »seit zweihundert Jahren eine zunehmende Vielzahl von nicht aufeinander reduzierbaren politischen Konflikten und Interessen feststellen«, die eben nicht in einem »linearen Entsprechungsverhältnis zu einer einzigen äußeren Ursache« (Demirović 2007, S. 59f.) zu stehen scheinen. Die Annahme, Geschichte vollziehe sich als objektiver Prozess, wird von Laclau jedoch nicht

26

Diese Reduktion gesellschaftlicher Prozesse auf ökonomische Prozesse ist die Grundlage für die Basis-Überbau-Unterscheidung, wonach der politische und soziale ›Überbau‹ lediglich die materialistische ›Basis‹ widerspiegelt und deshalb letztlich keinen Einfluss auf diese nehmen kann (vgl. Laclau und Mouffe 2012, S. 115).

193

194

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

nur von empirischer Seite in Frage gestellt, sondern ebenso auf theoretischer Ebene problematisiert. So stehe ein deterministisches Verständnis von Geschichte im Widerspruch zu Marx’ Vorstellung, »die Geschichte der Menschheit sei eine Geschichte der Klassenkämpfe gewesen« (Laclau 2007, S. 25). Im Anschluss an dieses Verständnis liege der Fokus auf den politischen und strategischen Auseinandersetzungen hin zum Sozialismus. Es stelle sich aber die Frage, warum es solche Überlegungen überhaupt brauche, wenn in Hinblick auf den gesellschaftlichen Entwicklungsstand der Produktivkräfte sowie der Produktionsverhältnisse im Kapitalismus ohnehin von einer historischen Notwendigkeit einer Entwicklung hin zum Sozialismus ausgegangen wird. Warum also überhaupt ein solches Projekt forcieren? Um dieser Frage nachzugehen, wendet sich Laclau von der Geschichtsphilosophie des Marxismus ab und fokussiert die politische Dimension desselben in der Theorie des Klassenkampfs (vgl. ebd., S. 25f.).27 Auch dieser Strang marxistischer Theorie bleibt jedoch nicht unwidersprochen (vgl. ebd., S. 35). Marx und seine frühen Interpreten gehen von einer Zuspitzung des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit aus, aus welchem das Proletariat als die universelle Klasse und damit als politisches Subjekt der Revolution hervorgeht. Diese Idee erscheint Laclau insbesondere angesichts seiner Erfahrungen mit dem Peronismus der 1970er Jahre in Argentinien wenig plausibel. Denn diese populistische Bewegung reichte weit über die Arbeiterklasse hinaus und umfasste weite Teile der Mittelschicht. Als Marxist wirft das für Laclau die Frage auf, wie sich eine populäre Bewegung wie der Peronismus und die Limitierung des Marxismus auf die Arbeiterklasse vermitteln lassen (vgl. Laclau 2014b, S. 2). Dieses Problem sieht er aber nicht nur für die spezifische Situation des Peronismus. Vielmehr universalisiert er es, indem er seine Relevanz für die globale Situation der 70er Jahre herausstellt. So nennt er als weitere Beispiele gegen eine Fokussierung auf das Proletariat die Kubanische Revolution, den Maoismus in China, das Aufkommen postkolonialer Bewegungen, die Mobilisierung innerhalb der Studentenproteste und von unterschiedlichsten Minderheiten in den USA sowie Europa oder die Entstehung der sogenannten neuen sozialen Bewegungen. Keines dieser Projekte sei ausschließlich von der Arbeiterklasse getragen worden. Vielmehr stünden diese Beispiele für eine Ausdifferenzierung und »Vermehrung der Kämpfe« (Laclau und Mouffe 2012, S. 31) und damit der politischen Identitäten seit dem Ende 27

Mit Andreas Hetzel lässt sich deshalb konstatieren, dass Laclau sich »eher dem Revolutionstheoretiker Marx an[schließt] als dem Strukturtheoretiker« (Hetzel 2004, S. 185).

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

des Zweiten Weltkriegs. Dies habe die marxistische Fokussierung auf das Proletariat in Frage gestellt: »We were faced with an explosion of new identities and with complex logics of their articulation that clearly called for a change of ontological terrain.« (Laclau 2014b, S. 3) Diese Problematik lässt sich mit einem Verweis auf den Gegenstandsbereich dieser Arbeit weiter verdeutlichen. Auch wenn Laclau die Integrationsbewegung und die Behindertenbewegung nicht explizit benennt, lassen sich diese vor dem Hintergrund der Erläuterungen in Kapitel 2 und 3 durchaus als Beispiele für die hier aufgerufenen neuen sozialen Bewegungen anführen (vgl. hierzu z.B. auch Schnell 2003). Nähert man sich von der laclauschen Problematisierung des Marxismus aus Arbeiten der materialistischen Behindertenpädagogik, findet man auch dort Hinweise auf eine Kritik am marxistischen Ökonomismus. Wolfgang Jantzen hatte vor dem Hintergrund der Bedeutung ökonomischer Prozesse im Materialismus zunächst vorgeschlagen, ›Behinderung‹ als ›Arbeitskraft minderer Güte‹ zu verstehen (vgl. Jantzen 1976a). Vor diesem Hintergrund sind emanzipative Potentiale einer Behindertenbewegung nur dann zu erwarten, wenn sich eine Behindertenpolitik in Kämpfe der Arbeiterklasse einschreibt bzw. sich diesen unterordnet. Helga Deppe-Wolfinger merkt hingegen an, dass sich der »menschliche Lebensprozess« nicht nur durch ökonomische Prozesse bestimmt, sondern »ebenso durch die politischen und sozialen, rechtlichen und kulturellen, technischen und ideologischen Beziehungen in der Gesellschaft« (Deppe-Wolfinger 1983b, S. 36f.). Auch Jantzen stellt in späteren Schriften fest, dass seine zunächst vorgeschlagene Perspektive zu kurz greife (vgl. Jantzen 2005, S. 7). Vielmehr sei – ganz dialektisch – »nach der vermittelnden Einheit von gesellschaftlichen Prozessen und der Konstitution von Behinderung in der Entwicklung des Subjekts im Rahmen gesellschaftlicher Praxis zu fragen« (ebd.) und deshalb »Isolation [vom gesellschaftlichen Erbe] als elementare Einheit zur Analyse von Behinderung« (ebd., S. 8) zu verstehen.28 Sowohl die Infragestellung einer ökonomistisch begründeten historischen Notwendigkeit wie auch der Notwendigkeit einer universellen proletarischen Klasse lastete Laclau und Mouffe zufolge also wie »ein Fragezeichen über einer ganzen Art und Weise, sich vom Sozialismus und den

28

Ob in dem hier aufgerufenen dialektischen Verhältnis die gesellschaftlichen Prozesse aber ausschließlich mit ökonomischen Prozessen identifiziert werden oder ob hier auch andere Prozesse vorstellbar sind, bleibt anhand einer Lektüre der neueren Schriften Jantzens zu erörtern.

195

196

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Wegen, die zu ihm führen sollten, einen Begriff zu machen« (Laclau und Mouffe 2012, S. 31). Da ein anderer emanzipativer Diskurs für Laclau jedoch nicht abzusehen war, entschied er sich für eine Dekonstruktion des Marxismus (vgl. Laclau 2014b, S. 3). Vor dem Hintergrund der geschilderten Engpässe marxistischer Theorie geht es Laclau im Folgenden um eine Irritation des marxistischen Diskurses, indem dessen theoretische Grundannahmen dort, wo sie mit aktuellen Erfahrungen kollidieren, als historisch bedingte Entscheidungen in ihrer Kontingenz rekonstruiert werden (vgl. ebd., S. 4). Diese Form der Theoriearbeit ist unter anderem von den Vorstellungen Edmund Husserls beeinflusst. Dieser stellt in seinen phänomenologischen Arbeiten fest, dass sich bestimmte Ideen verfestigen können und in diesem Zustand (›Sedimentierung‹) deren historische Bedingtheit in Vergessenheit geraten kann. Diese Bedingtheit kann jedoch wieder bewusst gemacht werden (›Reaktivierung‹). Während dieser Prozess für Husserl in den Zustand des transzendentalen Subjekts mündet, führt er für Laclau jedoch lediglich »to an instance of radical contingency in which many other decisions could have been taken« (ebd.). Theoretische Grundannahmen werden so sichtbar als theoretische Entscheidungen, die abhängig sind von ihrem historischen Kontext ebenso wie von den ihr zu Grunde liegenden gedanklichen Operationen (vgl. ebd.). So kann herausgearbeitet werden, dass jede Theorieentscheidungen immer auch hätte anders getroffen werden können ebenso wie die Alternativen geltend gemacht werden können, die mit diesen Entscheidungen letztlich verdrängt wurden. Ein solcher Zugang ermöglicht es Laclau, die (vergessene oder verdrängte) innere Pluralität von Diskursen (insbesondere des Marxismus) herauszuarbeiten (vgl. ebd.).29 Die prominenteste Arbeit, die aus diesem Theorieprojekt entstanden ist, ist die gemeinsam mit Chantal Mouffe verfasste Studie Hegemonie und radikale Demokratie (Laclau & Mouffe 2012/1985). Darin versuchen beide, »etwas von der Vielfalt und vom Reichtum der marxistischen Diskursivität aus der Zeit der Zweiten Internationalen wiederzubeleben, die durch die verarmte monolithische Gestalt des ›Marxismus-Leninismus‹ vernichtet zu werden drohte«

29

Dieser Verweis auf die Bedeutung Husserls für das Theorieprojekt Laclaus sei an dieser Stelle erlaubt, da hier die Methode von Laclaus Denken selbst sichtbar wird. So knüpft er – wie auch in der Auseinandersetzung mit Marx’ Schriften – an zentralen Punkten von Husserls Phänomenologie an, führt aber an einigen Stellen Theorieentscheidungen ein, welche es ermöglichen, die essentialistische Vorstellung eines transzendentalen Subjekts zu suspendieren.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

(ebd., S. 35). Den Versuch einer Verschiebung des ontologischen Terrains von der Ökonomie hin zur Politik unternehmen Laclau und Mouffe in ihrer gemeinsamen Studie unter anderem unter Verweis auf das Konzept der Hegemonie. Diesem gehen der Autor und die Autorin in der Geschichte des Sozialismus nach und reformulieren es letztlich poststrukturalistisch. Das Konzept der Hegemonie verweist dabei zunächst, so die Rekonstruktion von Laclau und Mouffe, auf die Frage nach der Identität politischer Akteur*innen. Mit dem marxistischen Ökonomismus orthodoxer Prägung waren nicht nur der historische Prozess hin zum Sozialismus bestimmt, sondern ebenso die Aufgaben, die den einzelnen politischen Klassen – in marxistischer Theorietradition das Bürgertum sowie das Proletariat – zukommen sollten. Dem Bürgertum war mit der ihr entsprechenden Ordnung der Demokratie dabei die Ablösung des Absolutismus aufgetragen, dem Proletariat die sozialistische Revolution. Bereits in Russland, wo sich bis zur (Februar-)Revolution 1918 kein Bürgertum und damit auch keine Demokratie ausgebildet hatte, stellte das das Proletariat vor die Herausforderung, diese Aufgabe des Bürgertums zu übernehmen, obwohl sie der Gesellschaftsanalyse folgend nicht ihrem Platz im Produktionsprozess, also nicht der ›objektiven‹ Identität der Klasse entsprach. Das klassische Verständnis von ›Hegemonie‹ verweist auf diesen Prozess der Übernahme von Interessen und Zielen, ohne dass davon die politische Identität der Akteur*innen betroffen wäre (vgl. ebd., S. 83). Das Proletariat bleibt aufgrund seines Platzes im Produktionsprozess die privilegierte Klasse, auch in der Übernahme bzw. Aneignung der politischen Forderungen des Bürgertums – so die Antwort auf die sich ergebenden Widersprüche. Folgt man Laclau und Mouffe (2012), bricht Antonio Gramsci mit dieser Vorstellung des privilegierten, weil historisch notwendigen Status des Proletariats. Der italienische Sozialist unternahm bereits in den 1920er und 30er Jahren eine politische Reinterpretation des Marxismus und wandte sich gegen dessen Ökonomismus. Gramsci vertrat die These, dass eine universelle Klasse nicht aus einer historischen Notwendigkeit entstehe. Vielmehr müsse sie als politische Konstruktion verstanden werden (Laclau 2014b, S. 6). Die Stellung einer Klasse ist für Gramsci also keine objektive Tatsache auf der ökonomischen Ebene, sondern das Resultat von antagonistischen Kämpfen um Hegemonie auf der politisch-ideologischen Ebene. Die Grundlage eines revolutionären Erfolgs sieht er weniger in einer objektiven historischen Konstellation begründet als vielmehr im strategischen Umgang mit historischen Kräfteverhältnissen. Ob ein politisches Projekt durchsetzbar ist, liegt demzufolge vor allem an der Fähigkeit, »sich jene [Interessen] der anderen Schichten zu ei-

197

198

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

gen machen« (Laclau und Mouffe 2012, S. 102) und hierdurch die ›Massen‹ mobilisieren oder Mehrheiten organisieren zu können. Im Anschluss hieran müsse davon ausgegangen werden, dass politische Interessen »ein Resultat der politisch-ideologischen Artikulation verstreuter und fragmentierter historischer Kräfte« seien, »die, an sich betrachtet, keine notwendige Klassenzugehörigkeit besitzen« (ebd., S. 103). So zeige Gramsci, dass die vermeintlich ›objektiven‹ Interessen einer Klasse nicht zwingend deren Klassenidentität repräsentierten und das Verhältnis zu anderen politischen Projekten nicht nur in der temporären Übernahme von Forderungen bestehe. Vielmehr lasse sich mit Gramsci betonen, dass politische Interessen erst in ihrer Artikulation als solche konstituiert werden.30 Damit reformulierte Gramsci die marxistische Verhältnisbestimmung der Sphären des Ökonomischen und des Politischen, indem er die eigenständige Bedeutung des Letzteren betonte. Zum analytischen Gegenstand wurden so »Fragen der politischen Analyse und Strategie des revolutionären Kampfes« (Flügel-Martinsen 2017, S. 21). Die Berücksichtigung dieser Aspekte der Arbeiten Gramscis ermöglicht Laclau und Mouffe eine Infragestellung der essentialistischen Idee des Basis-Überbau-Verhältnisses. Sie gehen nicht davon aus, dass die objektive Bestimmungsebene der Gesellschaft das Ökonomische darstellt, die Politik jedoch nur als unbedeutender Teil des Überbaus anzusehen ist, der die ökonomische Basis lediglich repräsentiert. Als Grundlage der Gesellschaft und als Triebkraft für deren Entwicklung erscheint ihnen nicht länger die historische Notwendigkeit, sondern vielmehr das, was bislang als ›Epiphänomen‹ thematisiert wurde – nämlich die Sphäre der Politik, in der um die Repräsentation des Allgemeinen gerungen wird (vgl. ebd.). Mit Gramsci geben Laclau und Mouffe deshalb die Produktionsverhältnisse als Gegenstand der Gesellschaftsanalyse auf und wenden sich der Analyse der Produktion von hegemonialen Formationen zu (vgl. Laclau 2007, S. 34). Nun werfen Laclau und Mouffe Gramsci allerdings vor, bei aller Gewichtung der politischen Sphäre unter der Hand letztlich weiterhin an der Begründung sozialer Konflikte und politischer Identität durch die ökonomische Basis und somit auch am marxistischen Ökonomismus festgehalten zu haben (vgl. Laclau und Mouffe 2012, S. 106). Denn die Artikulation unterschiedlichster Forderungen wird bei Gramsci am Ende entweder der neuen ›Klassenhe30

Hier taucht das symbolische Verständnis politischer Repräsentation wieder auf, das bereits in Abschnitt 3.1 diskutiert wurde und als wichtiger Bezugspunkt postmarxistischer Arbeiten gelten kann.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

gemonie‹ des Proletariats oder der Restitution der Macht des Bürgertums dienen. Andere politische Identitäten sehe seine Theorie nicht vor. Wie bei Marx bleibe auch bei Gramsci die politische Identität also auf der ökonomischen Basis begründet und werde nicht als Resultat politischer Artikulationen verstanden. Zwar habe er die »relationale Spezifik der hegemonialen Verknüpfung […] gänzlich sichtbar [gemacht] und theoretisiert« (ebd., S. 102), letztlich aber in seiner Tragweite nicht voll erschlossen. Am Ende gehe es ihm deshalb darum, welches Gewicht der Analyse des ›Überbaus‹ zugemessen wird, nicht aber um eine Verschiebung des ontologischen Terrains, wie sie Laclau und Mouffe fordern. Insofern bleibe der Ökonomismus und damit auch der Klassismus noch in Gramscis Hegemonietheorie erhalten (vgl. ebd., S. 112), was eine Fruchtbarmachung für die von den beiden angestrebte Verhältnisbestimmung des Marxismus zu neuen sozialen Bewegungen begrenze, wenn nicht sogar verhindere. An dieser Stelle führen Laclau und Mouffe nun eine alternative Theorieentscheidung ein: Sie wenden die Logik der Artikulation nicht nur auf die Ebene der politischen Interessen an, sondern weiten diese auch auf die Frage der politischen Identität aus. Laclau und Mouffe stellen also – mit Gramsci – die marxistische Vorstellung einer »vollständige[n] Trennung zwischen den hegemonialen Aufgaben der Arbeiterklasse und ihrer Klassenidentität« (ebd., S. 93) in Frage. Die von Gramsci theoretisierte »relationale Spezifik der hegemonialen Verknüpfung« (ebd., S. 102) beziehen Laclau und Mouffe jedoch nicht nur auf Auseinandersetzungen um politische Interessen. Die ›relationale Spezifik‹ wird als konstitutiv für die Strukturierung des gesamten sozialen Raums angenommen, die auch die Identität politischer Akteur*innen hervorbringt. Für das Konzept der politischen Identität und die Frage nach dem privilegierten Subjekt des emanzipativen Projekts hat dies eine doppelte Implikation: Wenn die Artikulation politischer Forderungen nicht nur politische Interessen, sondern auch politische Identitäten konstituiert, kann erstens nicht mehr von einer politischen Identität ausgegangen werden, die vom Platz der Akteur*innen im ökonomischen Prozess determiniert wäre. Zweitens wird jede Artikulation von politischen Forderungen immer auch zu einer Transformation der politischen Identität der Akteur*innen beitragen, weshalb auch nicht von einem anderen Grund ausgegangen werden kann, in welchem Identität endgültig fixiert werden könnte. Ein solches Verständnis von politischer Identität, politischer Forderungen und Hegemonie fokussiert also

199

200

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

»die strukturelle Mannigfaltigkeit der Verhältnisse, in denen soziale Akteure eingebettet sind, und ersetzt das Prinzip der Repräsentation durch das der Artikulation. Die Einheit zwischen diesen Akteuren ist dann nicht der Ausdruck eines gemeinsamen zugrundeliegenden Wesens, sondern das Resultat politischer Konstruktion und des politischen Kampfes.« (Ebd., S. 100) Diese Lesart von ›Hegemonie‹ untergräbt einerseits ein feststehendes Bild einer proletarischen Identität. Andererseits ermöglicht es die Verknüpfung des emanzipativen Projekts mit anderen Identitäten – und beides stellte für Laclau seit seinen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Peronismus und in Hinblick auf die Vervielfältigung sozialer Kämpfe seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine zentrale Forderung an den Marxismus dar.31 Bei der skizzierten Freilegung alternativer Theorieentscheidungen gegenüber dem Ökonomismus des klassischen Marxismus lassen es Laclau und Mouffe nun aber nicht bewenden. Denn eine reine Verschiebung der ontologischen Sphäre von der Ökonomie hin zur Politik würde an der Determiniertheit von Gesellschaft wenig ändern. Anstatt von der Ökonomie würde die Gesellschaft nun als durch die Politik determiniert aufgefasst. Laclau und Mouffe gehen deshalb den Weg einer poststrukturalistischen Reformulierung des Hegemoniekonzepts sowie des Begriffs der Politik. Die theoretischen Auseinandersetzungen mit und die Fokussierung der symbolischen Ebene der Gesellschaft veranlassen Laclau letztlich dazu, das Konzept von Gesellschaft als einer transparenten Totalität aufzugeben und im Sinne radikaldemokratischer Theorien von deren Unmöglichkeit zu sprechen (vgl. Laclau 1990c). Wie Gesellschaftsanalyse vor diesem Hintergrund vorstellbar ist, wird im Folgenden noch näher zu erläutern sein. Die doppelte postmarxistische Stoßrichtung der laclauchen Hegemonietheorie ist mit diesen Positionierungen aber deutlich vorgegeben:

31

Weiter oben wurde auf die Bestimmungsversuche von Behinderung in der materialistischen Behindertenpädagogik verwiesen. Sowohl bei Deppe-Wolfinger wie auch bei Jantzen deutete sich eine Verschiebung von den ökonomischen Prozessen hin zu anderen ›gesellschaftlichen Prozessen‹ an. Vor dem Versuch der Entgründung und Politisierung des Marxismus, wie sie von Laclau und Mouffe vorgeschlagen werden, wäre es nun möglich, ›Behinderung‹ als einen vielfältigen und heterogenen Einsatz in die Auseinandersetzungen um Gesellschaft und Emanzipation zu verstehen. Ob und wie ein solcher Einsatz an die Überlegungen der materialistischen Behindertenpädagogik anschlussfähig wäre, bleibt zu diskutieren.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

»Sie ist Post-Marxismus, indem sie über die objektivistischen Theorieverständnisse des Marxismus hinausgeht, von denen aus politische Fragen als Epiphänomene eines größeren, objektiv beschreibbaren Geschichtsprozesses […] erscheinen. Sie ist aber ebenso Post-Marxismus, da sie die politische Dimension gegenüber der objektivistischen ja gerade stärkt, um an der linken emanzipatorischen Ausrichtung der marxistischen Unternehmung festhalten zu können.« (Flügel-Martinsen 2017, S. 16; Herv. i. Original)

4.2.2

… und poststrukturalistische Knotenpunkte

Die Verlagerung der Konstitution politischer Identitäten auf die politischideologische Ebene ermöglicht es Laclau und Mouffe, die ökonomistische Ontologie des Marxismus aufzugeben. Dies stellt sie jedoch vor die Herausforderung, zu erklären, wie soziale Bewegungen und politische Projekte entstehen, wenn diese nicht als konstitutiv vom ökonomischen Prozess oder einer anderen, den gesellschaftlichen Prozessen und Konflikten zu Grunde liegenden einheitlichen Regel angetrieben vorgestellt werden sollen. Eine Antwort auf diese Frage finden der Autor und die Autorin in ihrem Konzept der Artikulation und der damit verbundenen relationalen Logik des Sozialen, welche sie bereits bei Gramsci angelegt sehen und die sie gegen die dichotome Logik des Marxismus ins Feld führen. »[T]he more we move away from the notion of simple determination, the more imperative it becomes to establish relational logics of a new type« (Laclau 2014b, S. 5). Diese relationale Logik, die es ermöglichen soll, Gesellschaft nicht-deterministisch zu fassen, finden Laclau und Mouffe im Konzept des Diskurses sowie dessen konsequenter poststrukturalistischen Ausrichtung. Mit dem Diskursbegriff fokussieren Laclau und Mouffe die symbolische Ebene politisch-ideologischer Auseinandersetzungen. Sie gehen davon aus, dass sich Identitäten und hiermit verbundene Antagonismen auf dieser Ebene konstituieren, indem sie sich in Kämpfen zueinander ins Verhältnis setzen. Hier greifen sie »die Vorstellung einer diskursiven und das heißt vor allem auch sich in Machtbeziehungen vollziehenden Erzeugung sozialer Wirklichkeit auf« (Flügel-Martinsen 2017, S. 20), die bereits bei Michel Foucault angelegt ist (vgl. z.B. Foucault 1973). Im Anschluss an Foucault und dessen Arbeiten erweiternd verstehen Laclau und Mouffe unter Diskurs eine »aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende strukturierte Totalität« (Laclau und Mouffe 2012, S. 141). Dabei spitzen sie in einem ersten Schritt den Anspruch der Archäologie des Wissens zu, die Einheit von Diskursen über die Verstreutheit

201

202

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

der diskursiven Formationen zu denken (vgl. ebd., S. 142). So verzichten Laclau und Mouffe auf die Bestimmung eines Bezugspunktes, von welchem aus die Verstreuung als Verstreuung erklärt werden könnte. Vielmehr fokussieren sie die »Regelmäßigkeit in der Verstreuung«, die sie als ein »Ensemble differentieller Positionen« (ebd., S. 142) verstehen. Hinter der Totalität des Systems wird also kein Prinzip lokalisiert, welches die Positionen und Bedeutungen der einzelnen Elemente im System vorbestimmen würde. Vielmehr entsteht die Ordnung aus der Artikulation selbst. Als Artikulation wird jede Praxis verstanden, »die eine Beziehung zwischen Elementen so etabliert, daß ihre Identität als Resultat einer artikulatorischen Praxis modifiziert wird« (ebd., S. 141). Des Weiteren suspendieren Laclau und Mouffe die im Anschluss an Foucault häufig in Anspruch genommene Unterscheidung von diskursiven und nicht-diskursiven Praxen, indem sie davon ausgehen, dass »kein Objekt außerhalb jeglicher diskursiver Bedingungen des Auftauchens gegeben ist« (ebd., S. 143). Damit stellen sie keinesfalls die Tatsache in Frage, dass es außerhalb des Denkens Gegenstände gäbe. Vielmehr problematisieren sie die Vorstellung, dass sich diese Gegenstände »außerhalb jeder diskursiven Bedingung des Auftauchens als Gegenstände konstituieren könnten« (ebd., S. 145). Damit wird der materielle Charakter von Diskursen unterstrichen. Und diese Materialität wird nicht nur als materielle Auswirkung von Diskursen im Sozialen verstanden. Auch die Relationierung von ›realen‹ Gegenständen zu Bedeutungszusammenhängen wird hier als diskursive Praxis aufgerufen, was dem Anliegen von Lacalu und Mouffe entspricht, die Basis-ÜberbauUnterscheidung zu suspendieren – und eben nicht nur umzukehren. Dies misst (linguistischen ebenso wie gegenständlichen) Relationen einen empirischen Wirklichkeitsstatus bei (ebd., S. 146f.). So stellt Demirović (2007) für die Arbeiten von Laclau und Mouffe fest, dass hier »Relation und Objektivität synonym« zu verstehen seien, insofern nichts »vor oder außerhalb des relationalen Zusammenhangs« (ebd., S. 61) in Erscheinung trete. Nicht eine ökonomische Rationalität strukturiert also die Beziehungen zwischen den Elementen des Sozialen. Diese Struktur geht aus nichts anderem hervor als aus der (re-)artikulierten Relationalität der Objekte innerhalb derselben. Laclau und Mouffe weisen in einem dritten Schritt aber darauf hin, dass der für diese Ordnung gewählte Begriff der ›strukturierenden Totalität‹ keinesfalls auf eine endgültig fixierte Totalität verweist. Eine solche endgültige Fixierung der sozialen Ordnung kann nicht gedacht werden, wenn deren Elemente erst aus der Beziehung zueinander hervorgehen. Wenn jedes Objekt in der Ordnung seine Identität nur im Verhältnis zu anderen Objekten erhält, kann

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

es kein ›letztes‹ Objekt geben, von dem aus die Identität einzelner Elemente endgültig bestimmt werden könnte: »[W]eit davon entfernt, eine essentialistische Totalisierung oder eine nicht weniger essentialistische Separierung zwischen Objekten zu sein, verhindert die Präsenz der einen Objekte in den anderen, daß irgendeine ihrer Identitäten fixiert wird« (Laclau und Mouffe 2012, S. 141). Diese Erläuterungen zur Unmöglichkeit der Fixierung von Bedeutung und damit auch von (politischer) Identität, welche der Autor und die Autorin mit dem Begriff der ›Überdeterminierung‹ verknüpfen, verortet das Theorieprojekt von Laclau und Mouffe innerhalb eines poststrukturalistischen Horizonts (vgl. hierzu auch Laclau 1993). Hier weist der Ansatz von Laclau und Mouffe insbesondere Bezüge zu Derrida auf. Im Überblick über radikaldemokratische Theoriezugänge in Abschnitt 3.2 wurde bereits auf Derridas Bruch mit dem Strukturalismus verwiesen. Er geht – mit und über Saussure hinaus argumentierend – nicht davon aus, dass die Elemente eines Systems über die Differenz zu den anderen Elementen festgelegt und somit klar bestimmbar wären. Vielmehr betont er, dass jede Bezeichnung nur auf eine weitere Bezeichnung innerhalb des (Zeichen-)Systems verweise, nicht jedoch auf ein Bezeichnetes. Wo ein System nur als System von Differenzen existiere, fehle ein außerhalb dieser Differenzen existierendes, transzendentales Signifikat. Und diese »Abwesenheit des transzendentalen Signifikats erweitert das Feld und das Spiel des Bezeichnens ins Unendliche« (Derrida 1972, S. 424). Derrida geht also vom Fehlen eines letzten Grundes der Bedeutungsgenerierung aus und bricht mit der Vorstellung eines »vollständig konstituierten, strukturellen Raumes« (Laclau und Mouffe 2012, S. 150). Diese poststrukturalistische Perspektive greifen Laclau und Mouffe auf und sprechen deshalb von einem »Feld der Überdeterminierung« (ebd., S. 148; Herv. i. Original). Es sei gerade diese Überdeterminierung jeder Artikulation, welche die endgültige Fixierung einer diskursiven Struktur verhindere. Die Unmöglichkeit einer letzgültigen Fixierung diskursiver Strukturen bedeutet jedoch nicht das Ende der theoretischen Auseinandersetzungen von Laclau und Mouffe. So gehen sie nicht nur von der Nicht-Fixiertheit jeder Struktur aus, sondern gerade auch von der Notwendigkeit einer ›partiellen Fixierung‹. Denn wenn ein System nicht zumindest zeitweise Fixierungen kennen würde, würde die Vorstellung von Bedeutung ebenso wie die Idee einer wie auch immer gestalteten Systematizität an sich hinfällig. »Die Unmöglichkeit einer endgültigen Fixiertheit von Bedeutung impliziert, daß es partielle Fi-

203

204

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

xierungen geben muß – ansonsten wäre das Fließen der Differenzen selbst unmöglich.« (Ebd., S. 150) Ein Diskurs wird deshalb als Versuch verstanden, das Gleiten der Signifikanten – das diskursive Feld – zum Stillstand zu bringen, auch wenn dies aufgrund der Relationalität des Systems endgültig nicht möglich sein wird. Punkte, an denen eine solche Fixierung dennoch gelingt, nennen Laclau und Mouffe Knotenpunkte: »Jedweder Diskurs konstituiert sich als Versuch, das Feld der Diskursivität zu beherrschen, das Fließen der Differenzen aufzuhalten, ein Zentrum zu konstruieren. Wir werden die privilegierten diskursiven Punkte dieser partiellen Fixierung Knotenpunkte nennen.« (Ebd., S. 150) Auch wenn sich Bedeutungen nicht endgültig fixieren lassen, wird die Entstehung temporärer Bedeutung also als Resultat der Auseinandersetzung um Haltepunkte verstanden, die als die »zumindest temporär sedimentierte Ergebnisse politischer Kämpfe begriffen werden können« (Flügel-Martinsen 2017, S. 20). Um die hiermit angedeutete politische Ausrichtung der diskurstheoretisch fundierten Sozialtheorie Laclaus und Mouffes in deren Tragweite für Laclaus Begriff von Gesellschaft nachvollziehbar zu machen, ist im Folgenden eine doppelte Präzisierung dessen notwendig, was hier als Konflikte und Kämpfe bezeichnet wird. Der Bruch mit dem marxistischen Ökonomismus und die Suspendierung der Basis-Überbau-Unterscheidung gelingen Laclau und Mouffe durch die Betonung der Rolle des Konflikts für die Konstitution des Sozialen. Mit ihrer Diskurstheorie unternehmen sie den Versuch, eine politische Ontologie zu formulieren, die aber explizit nicht als eine Determinierung des Sozialen durch das Politische verstanden werden soll. Diese Herausforderung einer nicht-deterministischen Ontologie begegnen der Autor und die Autorin im Rahmen einer Dekonstruktion des Konzepts des Antagonismus. Ein nicht-essentialistisches Verständnis von Antagonismus – eine Idee von Konflikt, die nicht davon ausgeht, dass konkrete Konflikte immer schon als logische Resultate der sozialen Ordnung zu verstehen sind – wirft jedoch die Frage nach der Möglichkeit der Konstitution konkreter Konflikte ebenso wie nach den Möglichkeiten, diese Konflikte zu analysieren, auf. Wie kommt es je aktuell zu den besagten Knotenpunkten und zu diskursiver Hegemonie? Die Erläuterungen des zurückliegenden Abschnitts lassen erahnen, dass eine Diskussion dieser Aspekte an die symbolische Ebene des Sozialen sowie das Konzept der Artikulation gebunden sein wird.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

4.2.3

Antagonismus, Negativität und die Grenze der Objektivität – von der Unbestimmtheit des Sozialen zur Unmöglichkeit von Gesellschaft

Laclau insistiert mit seiner diskurstheoretisch informierten Sozialtheorie auf eine Unmöglichkeit der Fixierung von Bedeutung, versucht aber zugleich der Notwendigkeit partieller Fixierungen Rechnung zu tragen. Diesem vermeintlichen Widerspruch begegnet er, indem er sozialen Konflikten einen zentralen Stellenwert für die Konstitution sozialer Ordnungen beimisst. Im Rahmen seiner politischen Theorie erhalten diese einen quasi-ontologischen Status. Soziale Konflikte werden hier nicht – wie in der klassischen marxistischen Theorie – als Folge ökonomischer Bedingungen aufgefasst. Laclau bricht mit der Annahme einer Ursächlichkeit sozialer Verhältnisse für die Entstehung von Konflikten. Vielmehr geht es ihm darum, Konfliktualität als Ursache für die Etablierung sozialer Ordnungen zu verstehen, ohne konkreten Konflikten einen determinierenden Charakter für das Soziale zuzuschreiben (vgl. Laclau 1990a, S. 160). Im Einklang mit dem in Abschnitt 4.2.1 skizzierten methodischen Vorgehen legt Laclau eine lange marxistische Tradition der Thematisierung sozialer Konflikte frei, auf die für eine politische Fundierung der Sozialtheorie zurückgegriffen werden kann. Diese verbindet sich maßgeblich mit dem Begriff des Antagonismus. Wie bereits beschrieben, versteht Marx die Geschichte als eine Geschichte von Klassenkämpfen. Die historische Entwicklung hin zum Sozialismus ist im Verständnis von Marx geprägt durch den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit. Dieser Konflikt stellt aus ökonomistischer Perspektive ein Abbild bzw. Resultat der ökonomischen Prozesse dar und ist den gesellschaftlichen Verhältnissen damit gerade nicht vorgängig. Insofern steht das klassische Verständnis von Antagonismus einer konflikthaften Fassung des Sozialen, wie sie Laclau vorschwebt, entgegen. Laclau gibt den Begriff des Antagonismus jedoch nicht auf, sondern macht sich die Frage nach dessen »ontologische[m] Status zur zentralen theoretischen Aufgabe« (Laclau 2007, S. 26; 2014a, S. 102). In Hegemonie und radikale Demokratie machen sich Laclau und Mouffe auf die Suche nach Arbeiten, die ein anderes, der orthodoxen Lesart entgegenstehendes Verständnis des Antagonismus ermöglichen. Einen ersten Anhaltspunkt hierfür finden sie im italienischen Marxismus der Della-Volpe-Schule, deren Vertreter im Anschluss an Kant vorschlagen, zwischen logischen Widersprüchen einerseits und Realoppositionen andererseits zu unterscheiden.

205

206

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Im Sinne des marxistischen Materialismus gehen sie strikt davon aus, dass es sich bei Antagonismen um Realoppositionen handele (Laclau und Mouffe 2012, S. 162). Diese Argumentation überzeugt Laclau und Mouffe jedoch nicht. Zwar stimmen sie mit der Position überein, dass Antagonismus kein dialektisches Verhältnis sei, insofern ein solches im Anschluss an Hegel auf der logischen Ebene verortet wäre. So weisen sie darauf hin, dass die Existenz von logischen Widersprüchen im Sozialen zwar nicht geleugnet werden könne. Hieraus folge jedoch weder, dass das Soziale ausschließlich widersprüchlich sei, noch, dass aus den existierenden Widersprüchen notwendigerweise soziale Konflikte resultieren müssten (ebd., S. 163). Es sei durchaus denkbar, dass eine Person mehrere unterschiedliche, zueinander im Widerspruch stehende Glaubenssätze in sich vereine, ohne dass diese zueinander in Konflikt geraten müssten. Eine dialektische Konzipierung des Antagonismus habe also möglicherweise einen Erklärungswert in Bezug auf konkrete bestehende Konflikte, verfehle jedoch die Frage nach Möglichkeiten einer grundsätzlich konflikthaften Bestimmung des Sozialen. Die vorgeschlagene Alternative hierzu überzeugt Laclau und Mouffe aber ebenso wenig. Eine Realopposition bezeichne bei Kant ein Verhältnis zweier differenter Objekte, welche sich in der ›Wirklichkeit‹ konträr gegenüberstehen. Der Konflikt wäre hier nicht länger auf der logischen, sondern vielmehr auf der materiellen Ebene verortet. Ein Zusammenstoß zweier eigenständiger Objekte – Laclau und Mouffe ziehen als Beispiel zwei Fahrzeuge heran (vgl. ebd., S. 163), Laclau an anderer Stelle zwei Steine (vgl. Laclau 2007, S. 26) – sei nun zwar eine materielle Tatsache, nicht jedoch ein antagonistischer Konflikt: »Es gibt nichts Antagonistisches bei einem Zusammenstoß zwischen zwei Fahrzeugen: es handelt sich um eine materielle Tatsache, die positiven physikalischen Gesetzen gehorcht. Dasselbe Prinzip auf das soziale Terrain anzuwenden, wäre mit der Behauptung gleichbedeutend, daß das Antagonistische im Klassenkampf in dem physischen Akt besteht, in dem ein Polizist einen militanten Arbeiter schlägt, oder im Geschrei einer Parlamentariergruppe, mit dem ein Mitglied aus dem Oppositionslager am Sprechen gehindert wird.« (Laclau und Mouffe 2012, S. 163) Beide Alternativen – ein Verständnis von Antagonismus als dialektischer Widerspruch oder als materieller Widerstand – erscheinen für sich genommen deshalb ungeeignet, um soziale Konflikte angemessen beschreiben zu können. Den Grund für diesen fehlenden Erklärungswert sehen Laclau und Mouffe darin begründet, dass Antagonismus hier als objektives Verhältnis konzi-

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

piert wird. Im Verhältnis der Realopposition stehen sich zwei Objekte gegenüber, die in keinerlei existenzieller Beziehung zueinander stehen. Ein Fahrzeug ist in seiner Existenz als Fahrzeug nicht auf ein weiteres Fahrzeug angewiesen, welches das erste in einen Unfall verwickelt. Vielmehr sind beide Objekte als eigenständige Positivitäten zu verstehen (A : B). Dem gegenüber steht in der Dialektik ein Begriff im Widerspruch zu einem anderen, da er nicht mit dessen Identität vereinbar ist (A : nicht A). Auch hier ist also von einer positiv gegebenen Identität von (begrifflichen) Objekten auszugehen. So haben Laclau und Mouffe zufolge beide Ansätze zur Bestimmung des Antagonismus gemein, »daß sie objektive Verhältnisse sind – Verhältnisse zwischen begrifflichen Objekten im zweiten und zwischen realen Objekten im ersten Fall. Aber in beiden Fällen ist es etwas, das die Gegenstände bereits sind, was die Beziehung intelligibel macht, das heißt in beiden Fällen handelt es sich um volle Identitäten.« (Laclau und Mouffe 2012, S. 164; Herv. i. Original) Zwei Gründe sprechen nun dagegen, Antagonismus auf diese Weise zu verstehen: Erstens könnte, wenn beide Identitäten bereits vor jeglichem Konflikt gegeben wären, nicht weiter davon ausgegangen werden, dass der Konflikt die Existenzbedingung der Identitäten darstellt. Denn in dieser Perspektive folgt der Antagonismus aus der Existenz der Objekte, nicht aber die Objekte aus der Existenz des Antagonismus. Beide Konzeptionen des Antagonismus – als Widerspruch oder als Realopposition – ermöglichen es nach Auffassung von Laclau und Mouffe also nicht, eine politische Ontologie zu formulieren und damit den Kern politischer Konflikte zu bestimmen. Zweitens wäre ein solches objektives Verständnis sozialer Verhältnisse nicht vereinbar mit der zuvor diskutierten, diskurstheoretisch fundierten Sozialtheorie. So sind beide Ansätze mit der bereits in Abschnitt 4.2.2 herausgearbeiteten Relationalität sozialer Ordnungen inkompatibel, der zufolge Elemente nicht als eigenständige Objekte existieren, sondern nur im bzw. als Verhältnis zu den weiteren Positionen im System. Dieses zeichentheoretische Argument greift Laclau in einem eigenständigen Artikel auf, um eine diskurstheoretische Lesart des Antagonismus zu präzisieren. Mit Saussure verweist er zunächst darauf, dass jede Bedeutung auf ein differentielles Zeichensystem und jedes Zeichensystem auf seine Grenzen angewiesen ist (vgl. Laclau 2013a, S. 66). Ohne ein ›Außen‹ könne kein System von Differenzen als ein solches in Erscheinung treten. Dies bedeute aber, dass ein System von Differenzen eine weitere Differenz benötige, um als System

207

208

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

überhaupt erfassbar zu werden. Hierbei müsse es sich jedoch um eine Differenz handeln, die sich von allen anderen Differenzen innerhalb des Systems unterscheidet. Wäre dies nicht der Fall, wäre diese Differenz lediglich eine Differenz unter anderen und könnte gerade nicht konstitutiv für das System sein (vgl. ebd., S. 69). Was erforderlich wird, ist der Gedanke einer radikalen Differenz. Im Anschluss an Laclau betont Marchart in diesem Zusammenhang: »Nur wenn wir das Außen des Systems als ›radikales‹ Außen – und die Grenze damit als eine ausschließende Grenze – fassen, können wir überhaupt von Systematizität oder Bedeutungserzeugung sprechen.« (Marchart 2010, S. 190) Daraus folgt für Laclaus Theorie zunächst, dass die Grenze des Systems selbst nicht positiv signifiziert werden kann, da sie ansonsten Teil des Systems wäre. Es handelt sich hierbei also nicht um eine objektive Grenze. Vielmehr ist sie die Grenze der Objektivität. Symbolisiert werden kann diese Grenze nach Laclau nur als »Unmöglichkeit der Verwirklichung dessen […] was innerhalb dieser Grenzen liegt« (Laclau 2013a, S. 66). Des Weiteren gilt, dass diese Grenze keine neutrale Grenze ist. Vielmehr werden jedes System und jede Identität durch einen Ausschluss konstituiert. Die Grenze des Systems ist eine konflikthafte Grenze, die mit einem Ausschluss dessen einhergeht, was nicht Teil des Systems ist (vgl. ebd., S. 66f.). ›Wahre‹ Grenzen sind deshalb, so Laclau, immer antagonistische Grenzen (vgl. ebd., S. 67). Die Tatsache, dass jedes System in seiner Konstitution auf die Negation eines Außen angewiesen ist, untergräbt dessen Stabilität. Das Moment der Negativität wird so zu einem konstitutiven Bestandteil des Konzepts des Antagonismus ebenso wie der laclauschen Theorie des Sozialen. Aus dem Antagonismus ergeben sich so gleichzeitig die Möglichkeit wie die Unmöglichkeit von Systematizität und Bedeutungserzeugung. Denn sowohl das System wie die aus ihm hervorgehende Bedeutung sind konstitutiv von den eigenen Grenzen durchzogen, da in der Konstitution auf die Negation angewiesen. Insofern »jede Sprache und jede Gesellschaft [nur][…] durch Unterdrückung des Bewußtseins der sie durchdringenden Unmöglichkeit konstituiert« (Laclau und Mouffe 2012, S. 165) werden könne, sei jede soziale Identität auch der Ambivalenz der ›Subversion‹ bzw. ›Dislozierung‹ ausgesetzt. Ein Beispiel für einen antagonistischen sozialen Konflikt benennen Laclau und Mouffe in Hegemonie und radikale Demokratie: eine Auseinandersetzung, in welcher ein Bauer durch einen Grundbesitzer von dessen Land vertrieben wird. Der Antagonismus zwischen beiden existiere nicht, weil der Grundbesitzer und der Bauer als zwei physikalische Kräfte zu verstehen seien, die sich gegeneinander aufheben. Der Antagonismus bestehe vielmehr, weil der

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Grundbesitzer den Bauer daran hindere, Bauer zu sein (ebd., S. 165). Gerade diese Verhinderung der Ausbildung der eigenen Identität ist für Laclau und Mouffe also zentral für antagonistische Verhältnisse. In Bezug auf antagonistische Konflikte habe man es immer mit »blockierten Identitäten« (Nonhoff 2017, S. 86; Herv. i. Original), mit der »Verunmöglichung einer jeden in sich geschlossenen, objektiven Identität« (Marchart 2013a, S. 307; Herv. i. Original) zu tun: »Die Präsenz des ›Anderen‹ hindert mich daran, gänzlich ich selbst zu sein. Das Verhältnis entsteht nicht aus vollen Identitäten, sondern aus der Unmöglichkeit ihrer Konstitution« (Laclau und Mouffe 2012, S. 164). Ein politischer Gegner ist deshalb keine positive Präsenz. Er ist ein Symbol für die Unmöglichkeit des Erreichens der eigenen Fülle (vgl. Laclau 2007, S. 27) und der Unmöglichkeit der Ordnung innerhalb der Ordnung. Die antagonistische Relation ist also eine Relation, »in der sich die Grenzen jeder Objektivitätskonstituierung anzeigen« (ebd., S. 26). Insofern Negativität in Form des Antagonismus konstitutiv für das Soziale ist, kann dieses »nicht den Status der Transparenz, vollständiger Präsenz [erlangen], und die Objektivität seiner Identitäten wird permanent untergraben« (Laclau und Mouffe 2012, S. 169). Chantal Mouffe spricht deshalb auch von einer »Dimension der radikalen Negativität« (Mouffe 2018, S. 100; Herv. J.G.), welche die politische Ontologie der Hegemonietheorie begründet.32 Antagonismus muss also als eines der zentralen Konzepte verstanden werden, dessen Sedimentierungen Laclau und Mouffe im marxistischen Diskurs nachspüren und es durch eine poststrukturalistische Reformulierung für ihre radikale Demokratietheorie reaktivieren (vgl. Laclau und Mouffe 2012, S. 161ff.). Die hiermit verbundene nicht-deterministische Perspektive

32

Diese Perspektive kann für eine gesellschaftstheoretische Diskussion von ›Inklusion‹ sicherlich auf vielfältige Arten und Weisen genutzt werden. Einige Beispiele hierfür werden in den nächsten Abschnitten genannt. Für die Illustration dieses Einsatzes sei an dieser Stelle lediglich auf zwei Aspekte verwiesen: In Bezug auf den Inklusionsbegriff lässt sich festhalten, dass dieser als politischer Begriff wohl keine positive Entsprechung findet, sondern seine Bestimmung maßgeblich vor konkreten Problematisierungen von Exklusionstendenzen erhält. Eine solche positive Identität ist auch für die politische Kategorie Behinderung auszuschließen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Möglichkeiten der Problematisierung von Ausgrenzungsprozessen maßgeblich zu deren Bestimmung beitragen. Beide Beispiele erscheinen vor dem Hintergrund des bisherigen Argumentationsverlaufs durchaus plausibel. Wie sich die grundsätzliche Konflikthaftigkeit des Sozialen auf der ontischen Ebene konkret artikuliert, wäre mit Hilfe der in Abschnitt 4.2.4 skizzierten Hegemonieanalyse zu untersuchen.

209

210

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

auf soziale Prozesse gilt dabei aber nicht nur für die Frage nach der Konstitution politischer Identität, sondern – und das ist für das vorliegenden Kapitel noch relevanter – auch für die Frage der Bestimmung von Gesellschaft. Gesellschaft kann auf dieser Grundlage nicht als Totalität oder mit sich selbst identisches Objekt verstanden werden, die politischen Identitäten immer schon zu Grunde liegt. Die Dimension der Negativität verhindert vielmehr »die vollständige Totalisierung der Gesellschaft und steht der Möglichkeit einer Gesellschaft jenseits von Spaltungen und Machtkämpfen entgegen« (Mouffe 2018, S. 100). Gesellschaft wird so zu einem »Grenzbegriff« (Marchart 2013a, S. 350), zu einem »Totalisierungsprojekt« (Demirović 2007, S. 63) und Bedeutungshorizont (ebd.). Einerseits gilt, dass Gesellschaft »niemals vollständige Gesellschaft sein [kann], weil alles in ihr von ihren Grenzen durchdrungen ist, die verhindern, daß sie sich selbst als objektive Realität konstituiert« (Laclau und Mouffe 2012, S. 167). Andererseits sind soziale Kämpfe immer auf die Formulierung einer Totalität angewiesen. Gesellschaft bleibt für Laclau und Mouffe damit so notwendig wie unmöglich. Das Soziale ist eben nicht nur das unendliche Spiel der Differenzen, sondern gerade auch »the attempt to limit that play, to domesticate infinitude, to embrace it within the finitude of an order« (Laclau 1990c, S. 91). Deshalb bringt Laclau seine Überlegungen zum Sozialen und zur Gesellschaft in seinem kurzen Artikel The Impossibility of Society (1990) auf den paradox anmutenden Satz: »The social only exists as the vain attempt to institute that impossible object: society.« (Ebd., S. 92). Die Dekonstruktion der marxistischen Gesellschaftstheorie und -analyse ist wohl nirgends so prägnant auf den Punkt gebracht wie in dem zitierten Artikel. Von der Idee einer Gesellschaft, die durch eine rationale Durchdringung derselben irgendwann mit sich selbst identisch sein wird, bleibt so nur der auf Dauer gestellte Konflikt um die Bestimmung von Gesellschaft. Jeder dieser Bestimmungsversuche ist konstitutiv auf Ausschlüsse angewiesen, welche die Möglichkeit einer mit sich selbst identischen Gesellschaft stets subvertieren. Die Betonung der Überdeterminierung jeder diskursiven Struktur sowie die vorgenommene Reformulierung des Antagonismuskonzepts ermöglichen Laclau und Mouffe also die Formulierung einer »Kritik objektivistischer Gesellschaftstheorien«, von der aus sich »scheinbar feste Bezugspunkte in eine auflösende Bewegung bringen« (Flügel-Martinsen 2017, S. 20) lassen. So tritt »an die Stelle einer objektivistischen Gesellschaftstheorie eine Theorie der politischen Instituierung des Sozialen« (ebd.).

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Laclau und Mouffe formulieren also eine nichtdeterministische, politische (Sozial-)Ontologie. Mit dem Begriff Antagonismus verweisen Laclau und Mouffe auf die konstitutive Bedeutung von Konfliktualität als Grund des Sozialen. Die Betonung der Dimension der Negativität verdeutlicht, dass es sich hierbei nicht um eine einfache Ontologie handelt, mit der dieser Grund positiv bestimmbar wäre. Vielmehr stellt der Grund des Sozialen einen Ab-Grund (vgl. Marchart 2013a) dar, vor dem die Notwendigkeit konkreter Gründungsversuche erst ersichtlich wird. So können die diskutierten Aspekte als Fragmente einer Gesellschaftstheorie gelesen werden, »der von vornherein die Unmöglichkeit einer objektiven und umfassenden Erfassung des Begriffs der Gesellschaft klar vor Augen steht, weil es die Gesellschaft gerade nicht gibt […], sondern stattdessen wechselnde Konstellationen auf politischem Wege erkämpft werden« (Flügel-Martinsen 2017, S. 16f.). Für die Frage nach den Möglichkeiten (der Begründung) politischen Handelns führt die mit dieser Grundlosigkeit verbundene Kontingenz nun aber dazu, dass »das Feld der artikulatorischen Praxen enorm« erweitert wird und dass »jede Grenzfront in etwas wesentlich Vieldeutiges und Instabiles« transformiert wird, »das beständigen Verschiebungen unterworfen ist« (Laclau und Mouffe 2012, S. 175). Dies wirft die Frage auf, wie sich trotz der Unbestimmtheit des Sozialen immer wieder Bestimmtheitseffekte vollziehen können. Wie lässt sich also eine Etablierung der genannten Knotenpunkte vorstellen, welche das Fließen der Signifikanten zumindest für kurze Momente still stellt, ohne die Unmöglichkeit dieses Vorhabens zu leugnen? Hier wird den Autor*innen »die Konstitution gerade der Identitäten, die sich einander antagonistisch gegenüberzustehen haben« zum »vordringlichste[n] politische[n] Problem« (ebd.; Herv. i. Original). Jenseits der theoretischen Überlegungen zur Konfliktualität des Sozialen ist dies die Frage nach den (gesellschafts-)analytischen Konzepten Laclaus und Mouffes, die als eine Antwort »auf das durchaus technische diskurstheoretische Problem [gelesen werden können], wie ein System von Differenzen zumindest partiell stabilisiert werden kann und so überhaupt erst einen Bedeutungseffekt produziert« (Marchart 2013a, S. 308).

4.2.4

Hegemonialisierungen, leere Signifikanten und das Verhältnis von Universellem und Partikularem

Der Begriff des Antagonismus verweist für Laclau und Mouffe – das wurde im letzten Abschnitt deutlich – auf die notwendigen Grenzziehungen für die

211

212

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Konstitution sozialer Ordnungen und damit auf die Grenze jeglicher Objektivität. Konflikthaftigkeit wird so zur Grundlage sozialer Prozesse. Sie ist jedoch nicht als positiver Grund zu fassen. Vielmehr entzieht sich dieser Grund, womit auf die Bedeutung der Dimension der Negativität verwiesen ist. Dieser Versuch der Theoretisierung einer politischen Ontologie als Grundlage sozialer Prozesse stellt für Laclau und Mouffe die Voraussetzung für die Frage nach konkreten politischen Praxen und Antagonismen (im Plural) auf der ontische Ebene der Politik dar.33 Ebenso wie die Theoretisierung der politischen Ontologie ist für den Autor und die Autorin also auch die Auseinandersetzung mit den konkreten politischen Praxen und Prozessen der Vergesellschaftung ein Bestandteil der Gesellschaftstheorie und -analyse – wenn auch in ihren Arbeiten weniger prominent gesetzt. Denn auch wenn der Antagonismus (oder das Politische) eine ontologische Kategorie darstellt und somit nie positiv zu fassen ist, kann ein »Verständnis dieser Kategorie […] nur auf der ontischen Ebene entstehen, also aus einer Betrachtung politischer Phänomene und historischer Prozesse« (Nonhoff 2010, S. 41). Diese Prozesse verstehen Laclau und Mouffe als ein stetes Ringen um Hegemonie. Während in den bisherigen Erläuterungen die Unmöglichkeit der Instituierung einer stabilen Ordnung im Zentrum stand, wird im Folgenden zu diskutieren sein, wie die Durchsetzung solcher wechselnder Konstellationen aus hegemonietheoretischer Perspektive vorstell- und analysierbar ist.34 Wie konkrete Versuche der Konstituierung von sozialen Ordnungen in einem tendenziell unbegrenzten Feld aussehen können, hängt eng mit der Durchsetzung von Grenzen zusammen, die mit Laclau als eine Hegemonialisierung von Idealvorstellungen und Sinnprojekten verstanden werden kann. Im Anschluss

33 34

Zu einer Differenzierung der ontologischen sowie der ontischen Ebene unter Verweis auf die Begriffe ›Antagonismus‹ und ›Antagonismen‹ bei Laclau s. Nonhoff 2017. Eine solche Hegemonieanalyse findet in den Politikwissenschaften breite Anwendung (vgl. Howarth et al. 2000; Marchart 2013b; Nonhoff 2006) und hat dort die eigenständige ›Essex School‹ der Diskursanalyse hervorgebracht (vgl. Marchart 2017a). Auch in anderen Disziplinen wurde eine hegemonietheoretisch informierte Diskursanalyse bereits genutzt, um die machtvollen und stets umstrittenen Prozesse der Durchsetzung sozialer Ordnungen zu untersuchen. In den Erziehungswissenschaften finden sich entsprechende Referenzen z.B. bei Jergus 2011; Macgilchrist 2015; Schäfer 2011b; Thon 2011. Im Folgenden geht es weniger darum, eine spezifische Analysemethode zu entwerfen. Eine solche wäre in einzelnen Studien in Abhängigkeit des Erkenntnisinteresses jeweils neu zu konzipieren. Vielmehr geht es darum, diejenigen Analysekategorien zu markieren, die in einer solchen Arbeit zu berücksichtigen sind.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

an die zurückliegenden Erläuterungen ruft Martin Nonhoff Hegemonie als »eine dominante Lesart der Welt und die mit dieser Lesart verbundenen vorherrschenden Praktiken und Subjektivierungen« (ebd.) auf, die notwendig umstritten ist. Wie kommt es aber – wenn auch nur temporär und immer brüchig – zu Hegemonie? Was also charakterisiert eine hegemoniale Logik? Nonhoff nennt hier drei Schritte, die für die Etablierung eines hegemonialen Projekts notwendig sind und die somit zu analysieren wären (Nonhoff 2017, S. 90; vgl. auch Nonhoff 2019b): die Artikulation unterschiedlicher Forderungen und Identitäten in einer Äquivalenzkette, die antagonistische Zweiteilung des sozialen Raums durch die Konstruktion eines Gegners, welcher der Realisierung der Gesamtheit dieser Forderung entgegen steht, sowie die Durchsetzung einer partikularen Forderung, die eine Überwindung dieses Gegners verspreche. Diese drei Schritte sollen im Folgenden dargestellt und durch Beispiele aus dem pädagogischen Diskurs um ›Inklusion‹ illustriert werden. Systematizität entsteht – wenn auch brüchig und vorläufig – stets in einem Feld der Differenzen. Diese diskurstheoretische Perspektive auf das Soziale wurde bereits im letzten Abschnitt dargestellt. Damit sich ein System etablieren kann, ist es erstens nötig, unterschiedliche Differenzen in einem Äquivalenzverhältnis zueinander zu artikulieren. Für den politischen Raum heißt dies: Unterschiedliche Forderungen und politische Identitäten (Differenz) werden miteinander in Beziehung gesetzt und als gemeinsames politisches Projekt vorgetragen (Äquivalenz), sodass eine Äquivalenzkette entsteht. Äquivalent sind die einzelnen differenten Elemente der Zeichenkette allerdings nur, wenn auf einen gemeinsamen Bezugspunkt aller verwiesen werden kann, durch welchen die Differenzen gleichgesetzt werden können – sonst bliebe nichts als Differenz.35 Unterschiedliche Forderungen – wie z.B. (a) die Gewährleistung von sonderpädagogischen Ressourcen im Regelschulsystem, (b) die Abschaffung der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sowie (c) 35

Diese Relationalität von Gleichheit ist auf die eine oder andere Weise immer wieder Gegenstand der Auseinandersetzung um den Begriff. Auch Prengel weist in der ›Pädagogik der Vielfalt‹ auf diesen Aspekt hin (Prengel 2006, S. 29ff.). Während sie die Ambivalenz zwischen Gleichheit und Differenz aber in einer Idee der ›Gleichheit von Verschiedenheit‹ aufzulösen versucht, die letztlich ohne Hegemonie und auch ohne ein konkretes Allgemeines auskommen soll (vgl. Prengel 2006, S. 183), ist für Laclau das demokratische Dispositiv gerade daran gebunden, dass das Verhältnis von Äquivalenz und Differenz ohne einen universellen Bezugspunkt erst die Notwendigkeit des Ringens um Hegemonie und damit auch die Möglichkeit des Ringens um die Demokratie stiftet (vgl. Laclau 2013a, S. 77f.; vgl. hierzu auch Nonhoff 2019a).

213

214

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

die Bereitstellung von geschlechtersensiblen Unterrichtsmaterialien – sind einander also nicht per se gleich. Dies ist nur der Fall, wenn sie in Bezug auf ein Drittes artikuliert werden können. Jedes Element eines Diskurses hat deshalb eine in sich gespaltene Identität, die zwischen Differenz und Äquivalenz changiert. So schreiben Laclau und Mouffe, dass »die Äquivalenz eine zweite Bedeutung [erzeugt], die die erste, obwohl sie von ihr zehrt, untergräbt: die Differenzen heben sich einander gegenseitig auf, insofern sie etwas ihnen allen zugrundeliegendes Identisches ausdrücken. Das Problem ist, dieses ›identische Etwas‹ zu bestimmen, das in den verschiedenen Gliedern der Äquivalenz anwesend ist.« (Laclau und Mouffe 2012, S. 167) Vor dem Hintergrund der Überlegungen zur Bedeutung des radikalen Ausschlusses und der Negativität für die Konstitution von Systemen kann dieses ›Etwas‹, bzw. das Allgemeine, welches diese Äquivalenz stiftet aber kein positiver Bezugspunkt sein. Im letzten Abschnitt wurde dargelegt, dass die Einheit eines Bedeutungssystems nicht durch ein weiteres Element des Systems, sondern nur durch seine eigene Grenze gesichert werden kann. Hieraus folgen nun zwei weitere Aspekte, die für die Etablierung einer hegemonialen Formation erforderlich sind. Wenn die Etablierung eines Diskurses immer an eine Durchsetzung von Grenzen gebunden ist, diese Grenzen aber selbst nicht positiv symbolisiert werden können, erfordert die Schließung eines Diskurses zweitens die Konstruktion eines Gegners, der die Unmöglichkeit der Realisierung des Allgemeinen symbolisiert. Die Etablierung eines hegemonialen Projekts ist also stets an machtvolle Ausschlüsse dessen gebunden, was nicht Teil des Systems sein soll (vgl. hierzu auch Laclau 2013a, S. 66). Dies ermöglicht erst die Herstellung von Äquivalenz.36 In Differenz zu den zuvor angedeuteten Forderungen wären dies z.B. (a) eine Deprofessionalisierung individueller Förderung, (b) die Separation von Personen in totalen Institutionen oder (c) die Herstellung und 36

In Richtung einer ›Pädagogik der Vielfalt‹ könnte angemerkt werden, dass diese in ihrer Selbstvergewisserung auf den Ausschluss Anti-Pluralistischer Positionierungen angewiesen ist: »All jene Tendenzen, die monistisch, hegemonial, totalitär die Gleichberechtigung der Differenzen zu zerstören trachten, können aus pluraler Sicht nur bekämpft werden.« (Prengel 2006, S. 49) Diese klare Positionierung ist aus der hier aufgerufenen radikaldemokratischen und hegemonietheoretischen Perspektive sicherlich zu begrüßen. Dies darf aber nicht zu einer Entpolitisierung dieser Positionierung führen, indem ausgeblendet wird, dass diese selbst um Hegemonie streitet.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Verwendung Diskriminierung reproduzierender Unterrichtsmaterialien. Der Grund für die Systematizität eines Diskurses liegt also in einer Ab- oder Ausgrenzung dessen, was das Erreichen des erstrebten Ziels verhindert. Die Gemeinsamkeit der Elemente einer Äquivalenzkette liegt nicht in einem Kern des Systems begründet, sondern ergibt sich aus der Konstruktion der Grenze dieses Systems. Gleich sind sie sich nur in der Abgrenzung von einem Außen. Als Bedeutungssystem hängt ein Diskurs damit von der Etablierung eines Antagonismus ab, der als eine »über Negation etablierte Äquivalenz« (Marchart 2010, S. 190) zu verstehen ist. Mit den beispielhaft genannten Forderungen zeigt sich jedoch bereits, wie komplex dieser Konstruktionsprozess ist. Auch auf der gegnerischen Seite der antagonistischen Zweiteilung des sozialen Raums muss eine Äquivalenzkette zwischen den einzelnen Differenzen hergestellt werden. Denn »[n]ur wenn das Jenseits zum Signifikanten reiner Bedrohung, reiner Negativität, des schlichtweg Ausgeschlossenen wird, kann es Grenzen und ein System geben (das heißt eine objektive Ordnung)« (Laclau 2013a, S. 68). Es stellt sich somit auch auf der antagonistischen Seite das Problem der Unmöglichkeit einer positiven Formulierung eines Allgemeinen, oder besser: eines Gegnerischen. Da eine Symbolisierung des Allgemeinen (oder des Feindlichen) im positiven Sinne nicht möglich ist, braucht es für die Durchsetzung einer hegemonialen Formation drittens eine Forderung, die die Überwindung des ›gemeinsamen‹ Gegners aller einzelnen Forderungen verspricht und so zur Stellvertreterin des Allgemeinen wird. Diese Forderung ist Teil des Bezeichnungssystems und somit eine Differenz unter anderen. Sie nimmt aber insofern einen besonderen Platz ein, als sie gleichzeitig verspricht, das dem Gemeinwohl Entgegenstehende zu überwinden. Um in der Lage zu sein, die allgemeine Fülle zu repräsentieren, muss die Forderung sich jedoch seinem partikularen Sinn so weit wie möglich entleeren. Denn »eine solche Signifikation [ist] nur möglich, wenn die differentielle Natur der Bezeichnungseinheiten subvertiert wird, wenn die Signifikanten sich ihrer Verknüpfung mit einzelnen Signifikaten entleeren und die Rolle übernehmen, das reine Sein des Systems zu repräsentieren – oder vielmehr das System als reines Sein« (ebd., S. 69). Ein solches Zeichen benennt Laclau mit dem mittlerweile weit geläufigen Begriff des leeren Signifikanten. Mit diesem Begriff, der im weiteren Verlauf des Abschnitts noch weiter präzisiert wird, versucht er der Schwierigkeit zu begegnen, dass »das Moment des antagonistischen Aufeinanderpralls« (Laclau

215

216

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

2007, S. 31) selbst nicht signifiziert werden kann. Deshalb geht er davon aus, dass dieser nur »durch die Produktion eines leeren Signifikanten (oder vielmehr von zwei leeren Signifikanten: einen auf jeder Seite der antagonistischen Grenze)« (ebd.) möglich wird. Ein Diskurs produziert zur Stabilisierung seiner Bedeutung also auf der einen Seite der antagonistischen Zweiteilung einen Signifikanten, der das Allgemeine repräsentiert. Und auf der anderen Seite der Teilung produziert er einen Signifikanten, der das Feindliche – oder im demokratischen Duktus: das Gegnerische – repräsentiert.37 Die Durchsetzung dieser Signifikanten sichert letztlich die Hegemonie eines politischen Projekts: »Genau dieses Verhältnis, in dem ein bestimmter partikularer Inhalt seine eigene Partikularität überflutet und zur Inkarnation der abwesenden Fülle der Gesellschaft wird, nenne ich eine hegemoniale Relation.« (Laclau 2013a, S. 111) Mit Blick auf den Gegenstand der vorliegenden Arbeit kann zur Illustration auf die Begriffe ›Inklusion‹ – diesseits der Grenze – und ›Exklusion‹ oder ›Segregation‹ – jenseits der Grenze – verwiesen werden. Eine genauere Betrachtung der weiter oben aufgerufenen Forderungen verdeutlicht aber insbesondere die Umstrittenheit und Unsicherheit von Hegemonialisierungsversuchen. So kann einerseits die Bedeutung der Disziplin Sonderpädagogik für das Projekt ›Inklusion‹ als äußerst umstritten gelten – zumindest in ihrer bisherigen Form (a). Andererseits kann in Frage gestellt werden, ob sich Forderungen der Geschlechterforschung innerhalb der Erziehungswissenschaften unter den Begriff ›Inklusion‹ subsumieren lassen (c). Und in Hinblick auf aktuelle Entwicklungen in der Behindertenhilfe kann bezweifelt werden, ob sich der Begriff ›Inklusion‹ tatsächlich mit Forderungen einer Deinstitutionalisierung verbunden hat (b). Forderungen einer Ausweitung des Begriffs über die Kategorie Behinderung hinaus oder Auseinandersetzungen um ein ›richtiges‹ und ein ›falsches‹ Verständnis von ›Inklusion‹ können vor diesem Hintergrund jedoch als Versuche gelesen werden, eine solche Hegemonie zu erlangen. Letztendlich wäre es aber eine (diskurs- oder gesellschafts-)analytische Frage, ob und wie von einer hegemonialen Formation gesprochen werden kann, die sich mit dem leeren Signifikanten ›Inklusion‹ verbindet. Damit sind die theoretischen Grundfiguren dargestellt, welche es im Anschluss an die hegemonietheoretischen Arbeiten Laclaus ermöglichen, den Prozess der Stabilisierung einer sozialen Ordnung aus deren Unmöglichkeit 37

Nonhoff spricht deshalb von einer ›negativ-negatorischen‹ und einer ›positiv-negatorischen‹ Kraft (vgl. Nonhoff 2010, S. 39).

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

heraus zu erklären und zu beschreiben. Als relevante Kategorien für die Analyse hegemonialer Formationen können neben dem Begriff der Hegemonie selbst insbesondere die Kategorien der Artikulation, der Äquivalenz und der Differenz sowie der Begriff des leeren Signifikanten gelten. Insbesondere der letztgenannte Begriff soll im Folgenden noch in Bezug auf zwei Aspekte präzisiert werden. Einerseits gilt es, das laclausche Verständnis des leeren Signifikanten zu vertiefen und von anderen Begriffsverwendungen abzugrenzen. Zum andern soll die politische Funktion geschärft werden, die dem Begriff zugeschrieben wird. Beide Aspekte sind an dieser Stelle notwendig, da dem Inklusionsbegriff immer wieder der Status eines leeren Signifikanten zugeschrieben wird, ohne jedoch weiter zu explizieren, welche theoretischen Figuren sich hinter diesem Begriff verbergen. Zur Verdeutlichung dieser These kann zum Beispiel auf Kerstin Hazibar und Paul Mecheril verwiesen werden, die in ›Inklusion‹ einen »leere[n], multipel instrumentalisierbare[n] Signifikant[en]« (Hazibar und Mecheril 2013, S. 2) vermuten. Deshalb drohe »Inklusion zu einer Markierung auf einem Markt zu werden, unter der politische und pädagogische Praxen versammelt sind, die teilweise wenig mit dem, was Inklusion programmatisch sinnvoll meinen kann, zu tun haben und unter dem Ausdruck Inklusion etwa segregative Praxen und den Vorteil, den einige Institutionen wie Akteure davon haben, konservieren« (ebd.). Während in dem zitierten Text für diese Problembeschreibung noch andere Gründe genannt werden, wird gerade der Begriff des leeren Signifikanten im Folgenden zu einer Referenz für die Kritik an einer Beliebigkeit des Begriffs.38 Auch Saskia Schuppener greift diese Argumentation auf, wenn sie anmahnt, dass ›Inklusion‹ kein leerer Signifikant sein dürfe: »Er darf nicht zu einem falsch verwendeten oder gar missbrauchten Begriff werden. Er sollte sich als Anspruch und gesellschaftliches sowie politisches Begehren verstehen und dadurch auch eine selbstverständliche Wirkung entfalten können« (Schuppener 2014, S. 7).

38

Das gesamte Zitat lautet: »›Inklusion‹ ist mithin eine ganze Menge, beispielsweise: ein leerer, multipel instrumentalisierbarer Signifikant; eine modische Formel, die (wissenschafts-)kulturell mittlerweile in bestimmten Feldern bedient werden muss; ein professionelles Karrierefeld; eine aktuelle Möglichkeit, die eigene (wissenschaftliche) Expertise wirksam und öffentlich werden zu lassen.« (Hazibar und Mecheril 2013, S. 2).

217

218

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Eine Beliebigkeit des Begriffs stellt nun sicherlich eine große Herausforderung für ein emanzipatives Projekt dar, dies soll hier nicht in Frage gestellt werden. Aber einerseits ist es im Anschluss an Laclau nicht die Beliebigkeit, die einen leeren Signifikanten auszeichnet. Und andererseits kann diese Herausforderung im Umkehrschluss auch nicht bedeuten, dass der Inklusionsbegriff mit einem klar identifizierbaren Inhalt zu füllen ist. Dies wird deutlich in Laclaus Präzisierung des Konzepts des leeren Signifikanten, in der er den Begriff systematisch herleitet und gegen andere Lesarten abzugrenzen versucht (vgl. Laclau 2013a, S. 65). Zunächst verweist die laclausche Rede von der Leere des Signifikanten nicht auf dessen vermeintlich äquivoken Charakter. Leer ist der Signifikant nicht, weil er in unterschiedlichen Kontexten eine unterschiedliche Verwendung findet. Dann wäre lediglich die Arbitrarität von Zeichen aufgerufen. Der Signifikant wäre nicht leer, sondern in jedem seiner Artikulationskontexte wäre er – zwar anders, aber doch jeweils – vollständig gefüllt. Völlig bedeutungsleer kann der Signifikant jedoch auch nicht sein, da er dann kein Signifikant mehr wäre, sondern lediglich ein Geräusch ohne jegliche Bedeutung. Eine andere Möglichkeit besteht deshalb darin, die Leere des Signifikanten unter Verweis auf das Fließen der Signifikanten, also der Über- oder Unterdetermination der Signifikate zu begründen. Dies wirft vor dem Hintergrund der poststrukturalistisch ausformulierten Diskurstheorie allerdings die Frage auf, warum nicht jeder Signifikant als leerer Signifikant zu verstehen ist. Mit Derrida ist gerade auf die grundsätzliche Unbestimmtheit von Bezeichnungsprozessen zu verweisen. Gegen diese Interpretationsmöglichkeiten der Leere des Signifikanten und in Hinblick auf die bereits dargestellten Bedingungen für die Etablierung einer hegemonialen Formation ist mit Laclau erneut darauf zu insistieren, dass der leere Signifikant »von innerhalb des Bezeichnungsprozesses die diskursive Gegenwärtigkeit seiner eigenen Grenze anzeigt« (ebd., S. 65f.). Und um diese Funktion erfüllen zu können, muss er sich seines partikularen Inhalts entleeren, und so Äquivalenz zwischen den Differenzen eines Diskurses herstellen. Denn nur »durch die Privilegierung der Äquivalenzdimension bis hin zu dem Punkt, an dem ihre differentielle Natur fast schon ganz getilgt ist«, könne »das System sich selbst als Totalität bezeichnen« (ebd., S. 69). Der leere Signifikant wird so zur »eigentliche[n] Bedingung für Hegemonie« (ebd., S. 74). Denn nur indem »ein partikularer Inhalt zum Signifikanten der abwesenden gemeinschaftlichen Fülle wird« (ebd.), kann ein hegemoniales Verhältnis überhaupt entstehen. Beliebig ist er deshalb aber nicht. Er ist vielmehr umstritten und kontingent, insofern

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

auch andere partikulare Forderungen diesen Platz einnehmen könnten.39 Vor dem Hintergrund dieser Erläuterungen bleibt das Problem der Konstitution und Durchsetzung eines Namens für ein emanzipatives Projekt nun durchaus erhalten. Denn insofern der leere Signifikant eine Unmöglichkeit symbolisiert, die nie erreicht werden kann, werden seine systematischen Effekte stets »das Ergebnis des unbeständigen Kompromisses zwischen Äquivalenz und Differenz« (ebd., S. 70) und deshalb umstritten sein. Die Rede von der Leere des sich etablierenden Signifikanten verweist hier aber nicht auf dessen Beliebigkeit, sondern auf die Tatsache, dass sich der bzw. ein Begriff für die Formulierung und Durchsetzung eines Projekts – also für die Etablierung einer Äquivalenzkette – entleeren muss. Nur so kann sich eine Forderung universalisieren und die Möglichkeit der Überwindung des gemeinsamen Gegners symbolisieren.40 Eine solche Perspektive demokratisiert die Diskussionen um die Deutungshoheit des Begriffs ›Inklusion‹. Einerseits ist darauf hinzuweisen, dass der Inklusionsbegriff gerade als leerer Signifikant eine Orientierungsfunktion für bildungspolitische Diskussionen haben könnte (vgl. Labhart 2018). Hier wäre Dederich zuzustimmen, der vermutet, »dass es genau diese Vieldeutigkeit und mangelnde Spezifität ist, die den Begriff so attraktiv macht« (Dederich 2019, S. 18). Der Begriff würde dann jedoch nicht länger auf einen genuinen Bedeutungskern der sich unter seinem Namen versammelnden bildungspolitischen Diskussionen verweisen können. Denn leere Signifikanten gibt es nur deshalb, »weil jedes Signifikationssystem um einen leeren Platz herum konstruiert ist, der aus der Unmöglichkeit resultiert, ein Objekt zu produzieren, welches die Systemhaftigkeit des Systems trotz alledem erfordert« (Laclau 2013a, S. 70; Herv. J.G.). Leere Signifikanten sind zur Konstruktion eines Diskurses also notwendig. Sie werden, insofern sie stets in das Verhältnis von Äquivalenz und Differenz eingespannt bleiben, das Allgemeine immer schon verfehlen und damit die demokratische Auseinandersetzung auf Dauer stellen. 39

40

»Jeder Begriff, der in einem bestimmten politischen Kontext zum Signifikanten des Mangels wird, spielt dieselbe Rolle. Politik ist möglich, weil die konstitutive Unmöglichkeit von Gesellschaft sich nur durch die Produktion leerer Signifikanten repräsentieren kann.« (Laclau 2013a, S. 76) Laclau blendet nun selbst nicht aus, dass es Forderungen gibt, die aus unterschiedlichen Diskursen heraus artikuliert werden. Zu nennen wären hier zum Beispiel die Gleichberechtigung der Geschlechter, die von wirtschaftsliberalen ebenso wie von sozialistischen Projekten gefordert wird. Solche miteinander konkurrierende Signifikanten nennt er jedoch ›floating signifiers‹ (vgl. hierzu z.B. Nonhoff 2017, S. 91).

219

220

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Ob ›Inklusion‹ als leerer Signifikant in dem hier vorgeschlagenen Sinne wirkt, ist allerdings zunächst eine empirische Frage, die hegemonieanalytisch zu klären wäre. Jenseits historischer (Macht-)Konjunkturen gibt es keinen Grund, warum sich emanzipative Projekte ausgerechnet mit diesem Begriff verknüpfen sollten. Ebenso denkbar wären also hegemoniale Verhältnisse, die sich unter einem anderen Begriff oder unter anderen Begriffen organisieren. Und es können auch gute Argumente dafür angeführt werden, auf den Inklusionsbegriff zu verzichten (vgl. Exner 2018). Eine solche Diskussion (oder Analyse) von Inklusion als einem leeren Signifikanten korrespondiert also mit der in Kapitel 3 entworfenen, radikaldemokratisch legitimierten Forderung nach einer Selbstkritik der inklusionspädagogischen Diskussionen. Wenn man die politische Funktion von leeren Signifikanten in den Blick nimmt, die diesen im demokratischen Dispositiv zukommt, zeigt sich neben der dargestellten analytischen Fokussierung ein weiterer Aspekt, der für die Diskussionen um ›Inklusion‹ bedeutsam sein dürfte. Politische Durchsetzungskraft ist im Anschluss an Laclau nur zu erreichen, wenn ein Signifikant sich seiner differentiellen Bedeutung so weit wie möglich entleert, sodass seine äquivalenzielle Funktion in den Vordergrund rückt und so den Zusammenschluss unterschiedlicher politischer Forderungen und Vorstellungen zu einer Hegemonie ermöglicht. So bedeutet Hegemonie letztlich nichts weiter, »als dass Universalität nur an einem Partikularen erscheint, dass jede Partikularität sich aber andererseits immer schon auf ein Universales hin zu überschreiten im Begriff ist. Beide bilden eine verwickelte Hierarchie wechselseitiger Konstitution und Dekonstitution« (Hetzel 2004, S. 192). Es gibt im Anschluss an Laclau also kein reines Universelles (oder Allgemeines). Vielmehr übernimmt immer eine partikulare Forderung die Aufgabe der Repräsentation des Universellen. Hieraus ergibt sich, »daß das Universelle nichts anderes ist als ein zu einem bestimmten Zeitpunkt dominant gewordenes Partikulares« (Laclau 2013a, S. 52). Damit bleiben Partikulares und Universelles aber stets aufeinander verwiesen und subvertieren sich zugleich gegenseitig: »Universalität existiert nur als Verkörperung – und Subversion – einer Partikularität, umgekehrt aber kann keine Partikularität politisch werden, ohne zum Ort von Universalisierungseffekten zu werden.« (Laclau 2013b, S. 71). Letztlich führen diese Überlegungen dazu, das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem als dauerhaft asymetrisch und umstritten zu verstehen:

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

»Wenn Demokratie möglich ist, dann weil das Universelle […] keinen notwendigen Inhalt besitzt; stattdessen wetteifern verschiedene Gruppen miteinander, um ihren Partikularismen eine Funktion universeller Repräsentation zu geben« (Laclau 2013a, S. 64; Herv. i. Original). Die Frage nach dem Universellen wird so zu einer Frage diskursiver Auseinandersetzungen um das Universelle und seiner machtvollen Durchsetzung – und damit zu einer Frage der Hegemonie. Dies eröffnet einerseits eine Perspektive auf die Prozesse, in denen sich Vorstellungen des Allgemeinen wie des Besonderen konstituieren. Andererseits schärft eine hegemonietheoretische Perspektivierung dieser Prozesse die Sensibilität für die mit diesen Aufteilungen einhergehenden Politisierungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten. Beide Aspekte scheinen nun wiederum relevant für bzw. anschlussfähig an Diskussionen um die erziehungswissenschaftliche Bedeutung von ›Inklusion‹, insofern hier immer wieder auf das Verhältnis von Universellem und Partikularem verwiesen wird – sei es in Begriffen des Allgemeinen und des Besonderen (vgl. Tervooren 2017) oder von Gleichheit und Differenz (vgl. Prengel 2006). Die zwischen diesen Begriffen angelegte Ambivalenz sowie die hieraus erwachsenden Konflikte lassen sich auf Grundlage von Laclaus Überlegungen zur Rhetorizität des Sozialen innerhalb der Demokratie nicht auflösen, bzw. nur um den Preis, dass das Politische und damit auch die Demokratie aufgegeben würden. Gerade das demokratische Paradox, dass der universelle Anspruch auf Gleichheit nur von einem partikularen Standpunkt aus artikuliert werden kann und deshalb um das Universelle gestritten werden muss, wird hier als Grundlage für die Dynamisierung des sozialen Raums ersichtlich. Gesellschaft ist somit nicht als Objekt, sondern nur mehr als Ringen um das Universelle vorstellbar. Mit sich selbst versöhnen ließe sich die Gesellschaft nur im Totalitarismus. Auf dieser Grundlage stellen sich Vorstellungen von ›Inklusion‹ in Frage, die an harmonisierende oder relativistische Ideen von ›Pluralismus‹ gebunden sind. Aus einer hegemonietheoretischen Perspektive wäre ›Pluralismus‹ nicht als eine wünschenswerte »Lösungsstrategie für politische Konflikte« (vgl. Prinz 2019, S. 682) zu verstehen. Der Begriff stünde für die diskursive Ermöglichungsbedingung für einen dauerhaften Streit um das Allgemeine.41 Es ginge 41

Janosch Prinz unterscheidet normative von konstitutiven Verwendungsweisen des Pluralismusbegriffs. Während erstere sich »sowohl auf die Idee [beziehen], dass gesellschaftlicher Pluralismus wünschenswert ist, als auch darauf, dass Pluralismus eine Lösungsstrategie für politische Konflikte darstellt« (Prinz 2019, S. 682), bergen letztere

221

222

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

also nicht nur um eine Anerkennung von Heterogenität oder Vielfalt, sondern gerade um die Ermöglichung eines Raums »für die Anfechtung […] gegenwärtiger Machtverhältnisses und sozialer Identitäten« (ebd., S. 683) und damit auch der gegebenen Formen der Thematisierung von Heterogenität. Berücksichtigt man die Kritik an einer harmonisierenden Inklusionsrhetorik, scheint gerade ein solches Verständnis eines ›agonalen Pluralismus‹ (vgl. Mouffe 2007) im Inklusionsdiskurs nicht sehr stark ausgeprägt. So beklagt z.B. Dannenbeck eine »kritische Orientierung einbüßende[n] praxisdominierte[n] Inklusionsromantik« (Dannenbeck 2012, S. 65f.). Und auch gegen theoretisch elaborierte Einsätze wie z.B. die ›Pädagogik der Vielfalt‹ von Prengel wird der Vorwurf erhoben, Vorstellungen des Pluralismus anzuhängen, die Gefahr laufen, gegenüber konkreten Machtverhältnissen blind zu sein. So neigten »affirmativ auf Anerkennung setzende[r] pädagogische[r] Ansätze« (Krenz-Dewe und Mecheril 2014, S. 59) mitunter »zu einer Unterschätzung der Wirkung hegemonialer politischer Ordnungen und damit zu einer Art Überschätzung des Pädagogischen« (ebd.). Gegen solche Lesarten wäre in einem radikaldemokratischen Verständnis von ›Inklusion‹ die konstitutive Bedeutung des Streits und des Konflikts um das Allgemeine für den sozialen Raum anzuerkennen, in dem auch pädagogisches Handeln involviert ist. Pluralismus verweist in einer solchen Argumentation auf das schwierige »Verhältnis von notwendigem Ausschluss und Offenhaltung von Anfechtungsmöglichkeiten« (Prinz 2019, S. 685). Die Möglichkeit, inklusive Forderungen zu stellen und durchzusetzen hängt von der Fähigkeit und der Bereitschaft ab, um deren Hegemonie zu kämpfen und zugleich die Partikularität dieses Einsatzes nicht zu leugnen, also diesen für potentielle Infragestellungen offen zu halten. Die Vorstellung eines radikaldemokratischen Pluralismus bliebe so stets an Fragen gesellschaftlicher Machtstrukturen gebunden (vgl. ebd., S. 687). Es würde ihm nicht um eine Eliminierung von Macht gehen, sondern um eine Suche nach Formen der Macht, »die mit den demokratischen Werten vereinbar sind« (Mouffe 2007, S. 44).

»unterschiedliche Verständnisse davon, wie ein angemessenes Verständnis der Triebkräfte der Formierung politischer Ordnung […] innerhalb existierender Gesellschaften ihren Kern in Widerstreit und Unterschieden haben« (ebd.). Radikaldemokratische Theorien beziehen sich maßgeblich auf das konstitutive Verständnis von Pluralismus, wenn sie davon ausgehen, dass Streit und Konflikt den Ausgangspunkt, nicht jedoch ein zu überwindendes Hindernis für Vergesellschaftungsprozesse darstellen.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Die zurückliegenden Erläuterungen zur Konfliktualität des Sozialen machen deutlich, dass eine demokratisch artikulierte inklusionsorientierte Pädagogik nicht ohne Hegemonie auskommen wird. Die Behauptung jedes inklusionspädagogischen Partikularen als eine Repräsentation des Universellen kann dabei jedoch immer nur eine unvollständige Repräsentation sein. Als Ergebnis gesellschaftlicher Konflikte kann es sich bei den hieraus resultierenden Übereinkünften jeweils nur um versuchte artikulierte Schließungen handeln. Und die Prekarität dieser Repräsentationsversuche kann als Voraussetzung dafür verstanden werden, dass eine Transformation gegebener Teilhabebedingungen und Ausgrenzungsrisiken stets möglich bleibt. Genauso wenig wie sich eine Inklusionspädagogik jenseits sozialer Auseinandersetzungen durchsetzen können wird, ist es jedoch möglich, bei der Analyse dieser Kämpfe aus dem ›Spiel um Hegemonie‹ herauszutreten. Vielmehr ist jede Analyse des Sozialen wie der diesen Raum konstituierenden Differenz(setzung)en auf die Artikulation des Gleichheitsanspruchs angewiesen und deshalb immer schon in diesen dynamischen Raum involviert. Forschungen ist so immer auch eine politische Dimension zu eigen. Dies gilt insbesondere für gesellschaftsanalytische Forschungen, die nach den Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe und Ausgrenzung fragen. Der folgende Abschnitt fasst die dargestellten gesellschaftstheoretischen Überlegungen nochmals pointiert zusammen und fragt nach dieser politischen Dimension der laclauschen Gesellschaftstheorie und -analyse.

4.2.5

Hegemonietheorie und -analyse als radikaldemokratischer Einsatz

In den zurückliegenden Abschnitten wurden die politiktheoretischen Einsätze Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes in Hinblick auf deren Bedeutung für gesellschaftstheoretische und -analytische Fragestellungen dargestellt. Die Diskussion deren hegemonietheoretischen Arbeiten mündete in der Qualifizierung von Gesellschaft als einem ›unmöglichen Objekt‹ (vgl. Laclau 1990c; Marchart 2013a). Der nachfolgende Abschnitt fasst diesen paradoxen Einsatz zusammen und spitzt ihn in Bezug auf hiermit verbundene Potentiale für die pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Diskussionen um ›Inklusion‹ zu. So wird deutlich, dass die Hegemonietheorie und -analyse zugleich als analytischer wie als politischer Einsatz für eine radikale Demokratie verstanden werden müssen. Er kann damit eng mit Möglichkeiten

223

224

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

einer radikaldemokratischen Artikulation von inklusionsorientierten Pädagogiken und Politiken verknüpft werden. Im klassischen Marxismus – so die Kritik Laclaus, die zugleich den Ausgangspunkt der Dekonstruktion der marxistischen Prämissen bildet – gelte Gesellschaft als eine objektive Totalität, welche den ökonomischen Gesetzen unterliege. Der Sozialismus werde hierbei als diejenige Ordnung verstanden, in welcher die Gesellschaft durch eine rationale Steuerung mit sich selbst identisch, die objektive Totalität also erkannt und transparent sein wird. Mit einer solchen teleologischen Vorstellung historischer Entwicklung brechen Laclau und Mouffe. Sie gehen stattdessen von einer Diskursivität des Sozialen aus. Von hier aus verstehen sie das Soziale als relationalen Raum diskursiver Elemente. So bestehen sie darauf, dass Gesellschaft »niemals mit sich identisch sein [könne], da jeder Knotenpunkt in einer ihn überfluteten Intertextualität konstituiert ist« (Laclau und Mouffe 2012, S. 151). Die Offenheit der diskursiven Struktur wird damit als Prinzip der Offenheit des Sozialen in die Gesellschaftsanalyse integriert: »Wir müssen folglich die Offenheit des Sozialen als konstitutiven Grund beziehungswiese als ›negative Essenz‹ des Existierenden ansehen sowie die verschiedenen ›sozialen Ordnungen‹ als prekäre und letztlich verfehlte Versuche, das Feld der Differenzen zu zähmen. Demnach kann die Vielgestaltigkeit des Sozialen weder als ein System von Vermittlungen noch die ›soziale Ordnung‹ als ein zugrundeliegendes Prinzip begriffen werden. Es gibt keinen ›der Gesellschaft‹ eigentümlichen genähten Raum, weil das Soziale selbst kein Wesen hat.« (Ebd., S. 130) Gesellschaft ist für Laclau und Mouffe also keine Einheit, welche die diskursive Struktur stiftet, und ebenso wenig eine in sich geschlossene Identität, die aus der Artikulation hervorgeht und vor einer Desartikulation geschützt wäre. Das Soziale wird niemals abschließend in der Lage sein, sich »in den intelligiblen und instituierten Formen einer Gesellschaft zu fixieren« (ebd., S. 150; Herv. i. Original). Laclau geht allerdings nicht davon aus, dass das Soziale ein völlig unstrukturiertes Chaos ist. Soziale Machtverhältnisse sind zwar kontingent, deswegen aber nicht weniger wirksam. Der Gesellschaftsbegriff wird in der laclauschen Theorie des Sozialen deshalb alles andere als hinfällig. Er muss vielmehr als Name für den Versuch verstanden werden, eine solche Einheit zu artikulieren. Wie diese Anstrengungen einer temporären und partiellen Fixierung des Sozialen trotz seiner Überdeterminiertheit potentiell möglich werden, wurde un-

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

ter Verweis auf die Hegemonietheorie expliziert. Eine hegemoniale Formation kann im Anschluss hieran dadurch temporär erkämpft und fixiert werden, dass ein sich entleerender Signifikant das Allgemeine oder das dieses Allgemeine Blockierende repräsentiert und so eine Äquivalenzkette zwischen unterschiedlichen partikularen Forderungen stiftet. Jede Form der Macht wird hierbei »auf pragmatische Art und Weise und dem Sozialen innerlich durch die entgegengesetzten Logiken der Äquivalenz und Differenz konstruiert« (ebd., S. 184). Gerade deshalb könne Macht aber niemals grundlegend sein. Als Folge politischer Auseinandersetzungen können vorhandene Machtverhältnisse stets wieder politisiert werden. Die laclausche Gesellschaftstheorie eröffnet also eine Lesart sozialer Prozesse, die es erlaubt, die Unentscheidbarkeit zwischen Universalismus und Partikularismus zum Ausgangspunkt der Überlegungen zu machen. Vor diesem Hintergrund scheinen sowohl die Frage nach dem ›Ganzen‹ der Gesellschaft als auch nach deren ›Teilen‹ als nicht zu lösendes Problem, das jedem Streit um die Gesellschaft zu Grunde liegt. Jenseits essentialistischer Annahmen von Gesellschaft rücken damit Prozesse der Vergesellschaftung in den Fokus. Da es im demokratischen Dispositiv kein positives Element gebe, das die Einheit des Sozialen stiftet, sondern nur die Negation der Positivität, dürfe die zentrale gesellschaftsanalytische Frage hierbei nicht lauten, was Gesellschaft ist oder sein sollte. Die zentrale Frag lautet vielmehr: »what prevents it from being« (Laclau 1990b, S. 44). In dieser Zusammenfassung zeigt sich, dass die politische Dimension des Sozialen einen prominenten Stellenwert in der laclauschen Gesellschaftstheorie und -analyse einnimmt. So lässt sich konstatieren, dass Laclau eine »politisch gebrochene Gesellschaftstheorie« (Flügel-Martinsen 2017, S. 16) vorlegt, mit welcher er »die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse als politische Konstellationen zu denken vermag« (ebd.; vgl. hierzu auch Sigwart 2016). Insofern erweist sich die dargestellte poststrukturalistische Hegemonietheorie als eine vielversprechende Möglichkeit, die in Kapitel 4.1 dargestellten Inklusionsforschungen um eine politische Perspektive zu ergänzen. Das Politische wird hier einerseits zu einem zentralen Gegenstand der Gesellschaftstheorie. Dies hängt eng mit dem zusammen, was in Kapitel 3 mit dem Begriff der politischen Differenz gefasst wurde. Wie bei anderen radikaldemokratischen Autor*innen spielt auch bei Laclau die Unterscheidung zwischen der Politik und dem Politischen eine gewichtige Rolle. Mit dem Begriff Politik lässt sich mit Laclau einmal mehr ein »etablierte[s] Gefüge von Institutionen« (Hetzel 2004, S. 187) bezeichnen, wohingegen das Politische »als vorbildlose und unbedingte Praxis der Instituierung von Gesellschaft« (ebd.) zu verste-

225

226

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

hen ist. Der Begriff des Politischen ruft deshalb stets zwei Dimensionen auf, die notwendigerweise miteinander verstrickt sind: Er verweist auf das einsetzende Moment des Gesellschaftlichen und auf die Notwendigkeit der Unabgeschlossenheit aller politischen Institutionen (vgl. Laclau 1999, S. 112f.).42 Dieses doppelte Moment gilt Laclau als der paradoxe Ausgangspunkt demokratischer Gesellschaften: »Das was das Politische ermöglicht – die Kontingenz der Maßnahmen der Institution – ist auch das, was es verunmöglicht, da letztlich kein einsetzender Akt jemals vollständig durchführbar ist.« (Ebd., S. 113) Dieses Paradox hat aber andererseits auch bedeutende Konsequenzen für die Möglichkeiten, demokratische Politik und deren Ziele zu bestimmen. Da jede etablierte Ordnung in ihrer Konstitution auf eine radikale Differenz angewiesen ist, kann keine hegemoniale Ordnung jemals stabil oder mit sich selbst identisch sein. Dies macht aber die Idee einer universellen Emanzipation unmöglich (vgl. Flügel-Martinsen 2017, S. 18). Die traditionelle Vorstellung emanzipativer Politik basiert Laclau zufolge auf der Annahme der Möglichkeit einer objektiven und transparenten Struktur, ebenso wie auf der Idee eines ›Anderen‹, das zur Befreiung zu überwinden wäre und der objektiven Struktur äußerlich ist (Laclau 2013a, S. 29). Da dieser Gegner aber immer schon eine Differenz in jede Ordnung einschreibt, bedeute Emanzipation »in ein und demselben Moment radikale Gründung und radikale[n] Ausschluss, sie postuliert zugleich sowohl einen Grund des Sozialen als auch seine Unmöglichkeit« (ebd.; Herv. i. Original). Aus der Beobachtung, dass der Begriff der Emanzipation auf einem logischen Terrain zerfällt, folge aber nicht, »daß dies ausreicht, um ihn sozial in-operativ zu machen« (ebd.; Herv. i. Original). Der logische Widerspruch ist für Laclau vielmehr die Voraussetzung der praktischen Wirksamkeit des Emanzipationsbegriffs. Vorstellungen davon, wer sich wie von was oder wem emanzipieren soll, müssen als kontingente Resultate der Durchsetzung partikularer Forderungen und als Folge hegemonialer Operationen verstanden werden. Klingt das zunächst als Infragestellung des Emanzipationsgedankens als Ziel von Politik, ermöglicht dies Laclau und Mouffe in Hegemonie und radikale Demokratie gerade die angestrebte Öffnung marxistischer Theorie von der Fokussierung ökonomischer Kämpfe hin zu den neuen sozialen

42

Hier begegnet uns somit erneut das spannungsreiche Verhältnis von Instituierung und Destituierung, das den Raum für radikaldemokratische Artikulationen von ›Inklusion‹ öffnet (vgl. Abschn. 3.3.3).

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Bewegungen.43 Diesen gelinge es auf je eigene Weise unter Bezugnahme auf die demokratischen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit Unterordnungsverhältnisse als Unterdrückungsverhältnisse zu artikulieren und gegen diese zu mobilisieren (Laclau und Mouffe 2012, 194; 202). Eine solche Perspektive auf soziale Kämpfe setzt aber voraus, die Hoffnung auf die Realisierbareit eines Universellen aufzugeben, auch wenn die Behauptung dieses Universellen zur Durchsetzung eines politischen Projekts nach wie vor erforderlich bleibe (vgl. Flügel-Martinsen 2017, S. 25; Herv. i. Original). So stellt Laclau den »eschatologischen Hoffnungen des klassischen linken Projekts marxistischer Prägung […] eine postfundamentalistische Idee der Demokratie« (ebd., S. 24) entgegen, in der die »Formen der Artikulation eines Antagonismus, weit davon entfernt, vorherbestimmt zu sein, […] das Resultat eines hegemonialen Kampfes« (Laclau und Mouffe 2012, S. 211) sind: »Genau aus diesem Grund kann es demokratische Politik geben: Eine Abfolge finiter und partikularer Identitäten, die eine universale Aufgabe zu übernehmen versuchen, die über sie hinausgeht; die aber folglich niemals in der Lage sind, die Distanz zwischen Aufgabe und Identität zu überdecken und die jederzeit durch alternative Gruppen ersetzt werden können. Unvollständigkeit und Vorläufigkeit gehören zur Essenz der Demokratie.« (Laclau 2013a, S. 41) Der hegmonietheoretische Einsatz Laclaus und Mouffes impliziert also zugleich die Analyse gesellschaftlicher Auseinandersetzungen wie er als ein engagiertes oder radikales Eintreten für die demokratischen Prinzipien zu verstehen ist. Ähnlich wie Lefort insistieren auch Laclau und Mouffe darauf, dass das durch die demokratische Revolution eröffnete Terrain keinesfalls in demokratischen, die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit ausweitenden Artikulationen münden müsse (vgl. Abschn. 3.1.3). Das demokratische Dispositiv ermögliche demokratische Artikulationen ebenso wie anti-demokratische oder totalitäre (vgl. Laclau und Mouffe 2012, 213ff.; 231). Deshalb müsse man in der Demokratie stets für die Demokratie kämpfen. Laclaus Arbeiten sind vor diesem Hintergrund als ein Eintreten für die Möglichkeit einer kontinuierlichen Vertiefung der demokratischen Prinzipien zu lesen, die er mit dem

43

Unter ›neue soziale Bewegungen‹ fassen Laclau und Mouffe »urbane, ökologische, anti-autoritäre, anti-institutionelle, feministische, anti-rassistische« Kämpfe sowie solche von »ethnische[n], regionale[n] oder sexuelle[n] Minderheiten« (Laclau und Mouffe 2012, S. 200) zusammen.

227

228

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Begriff der radikalen Demokratie umschreibt.44 Dieses von ihm vertretene Demokratieverständnis soll zum Abschluss dieses Abschnitts expliziert und auf seine mögliche Bedeutung für die Artikulation eines radikaldemokratischen Projekts von ›Inklusion‹ befragt werden. In Anerkennung der Grundlosigkeit des Sozialen ist für Laclau eine demokratische Gesellschaft »nicht etwa jene, in welcher der ›beste‹ Inhalt unherausgefordert dominiert, sondern vielmehr eine, in der kein Ziel ein für allemal erreicht ist und es immer die Möglichkeit der Herausforderung gibt« (Laclau 2013a, S. 144ff.). Die Antwort auf die Frage, was ›das Beste‹ sein sollte, kann im demokratischen Dispositiv nicht letztgültig entschieden werden. Sie kann lediglich temporär durchgesetzt werden. Deswegen zeichne eine Demokratie aus, dass in ihr die Möglichkeit eines öffentlichen Ringens zwischen unterschiedlichen Sinnprojekten und Positionierungen aufrechterhalten wird (vgl. Nonhoff 2017, S. 90). Als radikal kann Laclaus Demokratieverständnis gelten, weil es erstens »Demokratie als Modus des politischen Streits unter Bedingungen der Kontingenz, also unter Bedingungen der Abwesenheit letzter, fundierender Gründe« (Flügel-Martinsen 2017, S. 23f.) verstehbar macht. Zweitens ist mit Laclaus Demokratieverständnis zugleich die Forderung verbunden, diese Kontingenz anzuerkennen und zu institutionalisieren. Ein solches Verständnis der Demokratie ist nicht in einer ökonomischen, rationalen oder natürlichen Notwendigkeit bereits angelegt oder gegeben. Es kann selbst nur hegemonial werden durch eine politische Konstruktion (vgl. Laclau und Mouffe 2012, S. 217). »Die beiden wesentlichen Voraussetzungen für die Konstruktion eines neuen politischen Imaginären, das radikal libertär und in seinen Zielen unendlich anspruchsvoller als das der klassischen Linken ist, sind die Ablehnung von privilegierten Bruchpunkten und der Vorstellung des Zusammenfließens der Kämpfe zu einem einheitlichen politischen Raum sowie im Gegensatz dazu die Anerkennung der Pluralität und Unbestimmtheit des Sozialen.« (Ebd., S. 192) Radikal ist eine solche alternative linke Konstruktion, die Laclau gemeinsam mit Mouffe gegen neoliberale und neu-rechte Vorstellungen von Demokratie

44

Die Überlegungen Laclaus und Mouffes in Hegemonie und radikale Demokratie stammen aus den späten 80er Jahren und den Anfängen der 90er Jahre. Hierauf beziehen sich auch ihre Beispiele. In Hinblick auf die derzeitigen Diskurse um Erfolge der ›Neuen Rechten‹ erscheint diese Perspektiv aber aktueller denn je (vgl. z.B. Mouffe 2018).

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

in Position bringt, drittens dort, wo sie den Geltungsbereich der demokratischen Logik der Gleichheit und Freiheit immer weiter vorantreibt und ausdehnt. Deshalb solle die »Alternative der Linken darin bestehen, sich selbst vollständig auf dem Feld der demokratischen Revolution zu verorten und die Äquivalenzketten zwischen den verschiedenen Kämpfen gegen Unterdrückung zu erweitern« (ebd., S. 219). Es geht ihm also um den Kampf um eine gemeinsame Hegemonie demokratischer Bewegungen in Form eines neuen ›common sense‹. Dieser solle »die Identität der verschiedenen Gruppen so verändern, daß die Forderungen jeder einzelnen Gruppe mit jenen der anderen äquivalent artikuliert werden« (ebd., S. 227). Laclau und Mouffe warnen hierbei insbesondere vor der Gefahr, dass die Interessen einzelner marginalisierter Gruppen gegeneinander ausgespielt werden (ebd., S. 228). Dies könne insbesondere dort geschehen, wo Forderungen lediglich auf Grundlage individueller Problemlagen artikuliert werden. Gerade deshalb sei es wichtig, verschiedene Forderungen unter einem gemeinsamen leeren Signifikanten zu versammeln, der es erlaubt die Forderungen in einen allgemeinen Kontext einzuschreiben.45 Gleichzeitig müsse jedoch auch die liberale Logik der individuellen Freiheit erhalten

45

Laclau und Mouffe problematisieren hier z.B. eine »Verteidigung von Arbeiterinteressen […] auf Kosten von Frauen-, Immigranten- oder Konsumentenrechten« (Laclau und Mouffe 2012, S. 228). Ein solches Ausspielen kann in doppelter Weise Wirkung zeigen. Einerseits setzen sich partikulare Interessen auf Kosten anderer partikularer Anliegen durch. Andererseits kann damit ein partikularer Konflikt befriedet und so ein Veränderungsdruck auf das gesamte System geschwächt werden. Eine Solidarisierung der Projekte schwächt hingegen sowohl die Konkurrenz zwischen diesen, als auch die Möglichkeit, das gesamte Projekt durch die Erfüllung einer partikularen Forderung zu untergraben. Es dürfte nachvollziehbar sein, warum diese Problematik auch in Hinblick auf ›Inklusion‹ relevant ist – nicht nur in Hinblick auf das Verhältnis von Interessen bei Behinderungen und derjenigen anderer marginalisierten Gruppen, sondern auch innerhalb der Kategorie Behinderung. Einerseits kann hier auf Argumentationsweisen hingewiesen werden, die die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe an die Erfüllung hiermit verbundener Leistungserwartungen knüpfen (vgl. Hinz 2006, S. 97). Auf diese Schwierigkeit reagiert z.B. der Slogan, ›Inklusion‹ sei nicht teilbar. Andererseits wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass individuelle Erfolge des gemeinsamen Unterrichts den Veränderungsdruck auf das gesamte Schulsystem reduzierten, wo Akteur*innen ihren Einsatz »im Sinne des Werbens für ihr Anliegen, nicht als Kampf um Macht bzw. um Veränderung des Schulsystems insgesamt« (Schnell 2003, S. 275; Herv. J.G.) verstanden.

229

230

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

bleiben. Nur so sei es möglich, radikaldemokratische Politik als eine »Bündnispolitik zwischen verschiedenen Bewegungen« zu denken, »die aber die Autonomie der jeweiligen Kämpfe achtet« (Nonhoff 2019a, S. 341). In dieser Bestimmung radikaldemokratischer Politik kehrt also erneut das nicht aufzulösende Spannungsverhältnis von Gleichheit und Freiheit wieder: »Zwischen einer Logik völliger Identität und einer reinen Differenz muß die Erfahrung der Demokratie aus der Anerkennung der Vielfalt sozialer Logiken und der Notwendigkeit ihrer Artikulation bestehen. Diese Artikulation muß jedoch beständig neu geschaffen und neu ausgehandelt werden – es gibt keinen Schlusspunkt, an dem ein für allemal ein Gleichgewicht erreicht sein wird.« (Laclau und Mouffe 2012, S. 233) Für eine Bestimmung radikaldemokratischer Politik und deren Analyse können aus der Unabgeschlossenheit sozialer Strukturen wie des politischen Prozesses drei Aspekte gefolgert werden, die auch für Überlegungen zu einer radikaldemokratisch ausbuchstabierten Inklusionspolitik relevant sein dürften. Erstens sei ein essentialistischer Apriorismus aufzugeben (vgl. ebd., S. 220), nach dem sich der soziale Raum nach einer ganz bestimmten Regel oder Logik strukturiert. Die angezeigte politische Analyse könne ihr Potential nur dann entfalten, wenn sie auf Essentialismen wie den Klassismus, den Etatismus oder den Ökonomismus verzichte. Die Verstrickung inklusiver Politiken in neoliberale Logiken kann deshalb nur ein Feld der Auseinandersetzung darstellen. Ein alleiniger Fokus auf diese Aspekte verkennt das politische Potenzial, das inklusive Forderungen auf unterschiedlichen Ebenen entwickeln können. Dies eröffnet eine analytische Perspektive auf die differenten Rationalitäten, die in der Auseinandersetzung um Gesellschaft und gesellschaftliche Teilhabe geltend gemacht werden und die Potentiale, die sich daraus in Hinblick auf eine Vertiefung des demokratischen Versprechens ergeben können. Des Weiteren wäre auf einen Revolutionsbegriff zu verzichten, der von der Möglichkeit eines radikalen Bruchs mit der bisherigen und der Etablierung einer neuen Ordnung ausgehe. Einen grundlegenden Punkt oder ein grundlegendes Ereignis, von dem aus die gesamte Gesellschaft neu organisiert werden könnte, könne es nicht geben (vgl. ebd., S. 221). Demokratische Politik habe sich vielmehr auf die Möglichkeiten der Verschiebung und Subversion vorhandener Ordnungen zu konzentrieren. Die Durchsetzung inklusiver Forderungen wird nicht zu einem Bruch mit bisherigen Logiken führen. Gerade das zeigen viele sozialwissenschaftlich informierte Arbeiten. Dies bedeutet

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

im Umkehrschluss jedoch nicht, dass sie keine Veränderungen in Richtung einer demokratischeren Gesellschaft anstoßen könnten. Hier wäre einerseits der Anspruch inklusiver Politiken kritisch zu hinterfragen. Andererseits wird die Möglichkeit einer analytischen Perspektive eröffnet, welche die Politizität inklusionsorientierter Praxen und Forderungen auch jenseits großer gesellschaftlicher Umbrüche zu erkennen erlaubte. Und in einem dritten Schritt habe sich demokratische Politik auf eine Vervielfältigung der politischen Räume einzustellen (vgl. ebd., S. 221). Wenn von einem Ökonomismus und dem zentralen Stellenwert der Arbeiterklasse abgesehen wird, geht es nicht nur um Arbeiterkämpfe. Vielmehr multiplizieren sich die Räume, in denen für die Prinzipien der Gleichheit und Freiheit gestritten werden kann und gestritten wird. Auch wird dieser Streit nicht nur in der klassischen Sphäre der Politik ausgetragen, sondern gerade dort, wo soziale Verhältnisse politisiert werden. Dies kann zunächst als Voraussetzung gesehen werden, dass sich in den 70er Jahren jenseits der Arbeiterbewegung überhaupt eine politische Behinderten- und Integrationsbewegung entwickeln konnte, deren Forderungen in den 90er Jahren gemeinsam mit anderen Forderungen in einer Pädagogik der Vielfalt artikuliert wurden. Das wird aus einer hegemonietheoretischen Perspektive aber nicht als das Resultat einer im demokratischen Dispositiv angelegten ›inneren Logik‹ verstanden. Es wird schlicht als das Ergebnis kontingenter politischer Kämpfe lesbar. Und vor diesem Hintergrund kann nach weiteren Orten gesucht werden, an denen entsprechende Auseinandersetzungen stattfinden. Relevant sind in diesem Zusammenhang sicherlich nicht nur die Bereiche der Bildungs- und der Arbeitsmarktpolitik. Ebenso ist eine Fokussierung auf die klassische Sphäre der Politik in Frage zu stellen. Es gilt vielmehr, die unterschiedlichen sozialen Orte auszumachen, an denen Teilhabebedingungen und Ausgrenzungsrisiken politisiert und zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung gemacht werden. Und es ist nach Subjektpositionen jenseits von Behinderung, Geschlecht oder Migration zu fragen, die sich dafür eignen, Unterdrückungsverhältnisse zu artikulieren.46 Ausgangspunkt eines solchen Projekts ist also die soziale respektive politische Praxis selbst.

46

Um hier einem Missverständnis vorzubeugen: Wie bereits weiter oben angedeutet, verweist der Begriff Unterdrückungsverhältnis bei Laclau und Mouffe strikt artikulationstheoretisch argumentiert auf ein politisiertes Unterordnungsverhältnis und ist insofern immer schon Ausgangspunkt widerständiger Praxen (vgl. Laclau und Mouffe 2012, S. 149).

231

232

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Diese drei Fokussierungen verdeutlichen nochmals, dass im Anschluss an die poststrukturalistisch ausformulierte Hegemonietheorie Laclaus nie im Voraus feststehen kann, wo Konfliktformationen entstehen und ob diese in Hinblick auf die Bestimmung von Gesellschaft hegemonial werden (vgl. Nonhoff 2010, S. 34). Vielmehr – so Nonhoff – entscheide allein »die zwar durch bestehende Machtverhältnisse stets geprägte, aber dennoch kontingente politische Praxis […], welche Kämpfe in den Vordergrund rücken und um welche Aspekte des Gemeinwohls in diesen Kämpfen gerungen wird« (ebd.). Temporär hegemonial gewordene und sedimentierte Grenzziehungen und Konfliktlinien können stets erneut befragt werden. Hegemoniale und gegenhegemoniale Bewegungen bleiben so konstitutiv für jede demokratische Auseinandersetzung. Unter Bezugnahme auf Ernesto Laclau kann man das Soziale »gewissermaßen als eine Form des Politischen im ›Schlafzustand‹ verstehen. Wo immer wir hinsehen, an den Wurzeln sozialer Verhältnisse werden wir das Politische ausmachen« (Marchart 2010, S. 216). Im Anschluss hieran ginge es deshalb um eine (Re-)Politisierung sozialer Sedimente in Hinblick auf die Möglichkeit der Vertiefung des demokratischen Versprechens der Gleichheit und Freiheit durch die Infragestellung gegebener Ordnungsvorstellungen und die Aufnahme von Forderungen breiter Bevölkerungsteile (vgl. Hetzel 2004, S. 188). Ähnlich wie die bereits in Kapitel 3 vorgestellten Autor*innen radikaler Demokratietheorien insistiert auch Laclau in Theorie und Praxis darauf, »dass das Politische nicht auf Politik reduziert werde, oder umgekehrt, dass die Politik für das Politische offen bleibe« (ebd.). Vor diesem Hintergrund kann seine Unternehmung zugleich als »emanzipatorisch ausgerichtete Realpolitik« (Flügel-Martinsen 2017, S. 15) und als »kritisch orientierte[n] Theoriepolitik« (ebd.) verstanden werden, die in einer »miteinander verschränkten Doppelbewegung darauf [abzielt], praktische politische Wirksamkeit dadurch zu entfalten, dass sie theoretisch avancierte Denkmittel für emanzipatorische politische Bewegungen bereit stellt« (ebd.). Hierin kann ein – im radikaldemokratischen und kontingenztheoretischen Sinne – unermessliches Potential für die demokratische Artikulation von ›Inklusionspädagogik‹ und ›-forschung‹ gesehen werden.

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

4.3

Zwischenfazit: Zur Bedeutung der Unmöglichkeit von Gesellschaft für die Möglichkeiten von Gesellschaftstheorie und -kritik

Ausgangspunkt des Kapitels war die Beobachtung, dass Forderungen nach ›Inklusion‹ auf vielfältige Arten und Weisen mit und in Fragen nach dem Gesellschaftlichen verstrickt sind. Mit dem Begriff ›Inklusion‹ verbinden sich unterschiedliche Forderungen, gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen bzw. Teilhabebedingungen zu verändern. Diese Forderungen werden aber auch mit Gesellschaftsbeschreibungen konfrontiert, welche auf die Grenzen und Probleme dieser transformativen Ansprüche hinweisen. So legitimieren sich Kritiken einer unzureichenden oder gar fehlenden sozial- beziehungsweise gesellschaftstheoretischen Fundierung dieser Diskussionen. Diese Kritiken wiederum sind der Ausgangspunkt für gesellschaftstheoretisch informierte Studien, welche die Ansprüche der Inklusionspädagogik und die Umsetzung dieser Ansprüche in inklusionsorientierten Bildungsangeboten zu analysieren und zu reflektieren ermöglichen. Einige dieser sozialwissenschaftlichen Arbeiten und deren Lesarten gesellschaftstheoretischer Grundpositionen wurden im ersten Abschnitt dieses Kapitels dargestellt. Dabei wurde herausgearbeitet, welche gesellschaftstheoretischen Entwürfe in diesen Studien aufgerufen werden, mit welchen strategischen Einsätzen sich diese in die Diskussion um die Bestimmung von Gesellschaft einbringen und wie sie im Verhältnis zu dem transformativen Gehalt eines (radikal-)demokratisch ausformulierten Inklusionsbegriffs stehen. Dabei wurde ein zweifaches Potential dieser differenzierungstheoretisch, ungleichheitstheoretisch und kulturtheoretisch informierten Arbeiten für Diskussion um ›Inklusion‹ deutlich. Sie ermöglichen es einerseits, die wechselseitige Verwiesenheit von Prozessen der Inklusion und Exklusion zu thematisieren. Andererseits wird ›Inklusion‹ aus ihrer Perspektive als ein Projekt lesbar, das sich mit spezifischen Einsätzen in die Bildungspolitik verbindet. Vor dem Hintergrund der radikaldemokratischen Positionierungen in Kapitel 3 wurde jedoch problematisiert, dass diese inklusionspädagogischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Rezeptionen der sozialwissenschaftlichen Gesellschaftstheorien einer Erfassung dessen eher entgegenstehen, was die politische Dimension von ›Inklusion‹ genannt werden könnte. Der Überblick über den gesellschaftstheoretischen Forschungsstand im Feld der Inklusionspädagogik und der erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung evozierte deshalb Fragen nach den Möglichkeiten einer politischen Bestimmung des Gesellschaftsbegriffs

233

234

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

sowie sich hieran anschießenden empirischen Auseinandersetzungen um ›Inklusion‹. Für die Diskussion dieser Fragen wurde die Hegemonietheorie Ernesto Laclaus herangezogen, da diese in der Sekundärliteratur explizit als eine politische Lesart der Gesellschaftstheorie rezipiert wird. Als ein Ausgangspunkt dieses Theorieprojekts wurde zu Beginn des zweiten Abschnitts dieses Kapitels das Problem der Verhältnissetzung der marxistischen Klassentheorie mit sich diversifizierenden sozialen Konflikten sowie der diese Konflikte adressierenden neuen sozialen Bewegungen eingeführt. Eine Artikulation emanzipativer Forderungen jenseits der Arbeiterklasse erschien vor dem Hintergrund der klassischen marxistischen Theoreme nicht möglich. Mit Hilfe einer poststrukturalistisch informierten Reformulierung des Konzepts der Hegemonie sowie einer konsequenten Fokussierung der symbolischen Dimension des Sozialen lösten Laclau und Mouffe in Hegemonie und radikale Demokratie die marxistische Theorie von dieser Fokussierung und befreiten sie zugleich von einem objektivistischen und ökonomistischen Gesellschaftsbild, in welchem die Stellung einzelner Akteur*innen in der Gesellschaft immer schon vorbestimmt wäre. Vor dem Hintergrund dieser Theorie wird ersichtlich, »dass soziale Konstellationen und Konfigurationen als verschiebbare und niemals abgeschlossene Sedimentierungen politischer Kämpfe begriffen werden müssen« (Flügel-Martinsen 2017, S. 17). Gesellschaft verliert so ihren objektiven Status in der Gesellschaftsanalyse. Demgegenüber wären hegemoniale Formationen zu analysieren, welche partikulare Vorstellungen des Allgemeinen und von Gesellschaft stets durchsetzen müssen. Gesellschaftlicher Wandel ist im Anschluss hieran nicht länger das Resultat vorgegebener Entwicklungslogiken, sondern muss als eine Abfolge dieser Konstellationen und Kämpfe verstanden werden, die in jede gesellschaftliche Formation eine »Signatur des bloß Partikularen« (ebd.) einschreiben. Zu Gesellschaftseffekten kommt es also nur, weil partikulare Projekte um die Möglichkeit streiten, das Universelle zu repräsentieren und in der Durchsetzung dieser Position das diskursive Feld der Differenzen zwischenzeitlich vereinheitlichen. Und da dies nur möglich ist, wenn sich ein Element der Struktur entleert, um den Platz des Allgemeinen einzunehmen, kann dessen Status nicht abgesichert werden. Marchart fasst diese Perspektive auf soziale Prozesse und Konflikt deshalb treffend zusammen, wenn er schreibt: »An keiner Stelle treffen wir auf einen festen Grund sozialer Bezugsproduktion.« (Marchart 2013a, S. 325) Während in den zurückliegenden Erläuterungen der Einfachheit halber von einzelnen hegemonialen Projekten die Rede war, muss an dieser Stel-

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

le noch ergänzt werden, dass sich in einer Demokratie nicht nur eine einzelne hegemoniale Formation bildet. Jede spezifische gesellschaftliche Formation ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl von leeren Signifikanten und hegemonialen Projekten. Hegemonie als Begriff verweist deshalb nicht auf eine spezifische hegemoniale Formation, sondern auf einen »politische[n] Typus von Beziehung, eine Form, wenn man so will, von Politik, aber keine bestimmbare Stelle innerhalb einer Topographie des Gesellschaftlichen« (Laclau und Mouffe 2012, S. 181). Es gibt also Gesellschaft als Totalität nicht nur deshalb nicht, weil jede Machtkonfiguration und Durchsetzung eines Allgemeinen stets kontingent und brüchig ist. Darüber hinaus gibt es auch deshalb kein Zentrum von Gesellschaft oder Macht, weil von einer »Pluralität politischer und sozialer Räume« (ebd., S. 182) auszugehen ist. In der Rückschau über dieses Kapitel wäre nun zu fragen, was von der häufig vorgetragenen Forderung einer gesellschaftstheoretischen wie -analytischen Fundierung der Inklusionspädagogik wie der erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung bleibt. In einem ersten Schritt konnten die Vorwürfe einer gesellschaftstheoretischen und -analytischen Naivität inklusionsorientierter Pädagogiken und Forschungen entkräftet werden. So wurde gezeigt, dass hier durchaus sozial- und gesellschaftstheoretische Konzepte Berücksichtigung finden. In Hinblick hierauf erweisen sich entsprechende Vorwürfe weniger als angemessene Beschreibung des wissenschaftlichen Diskurses um ›Inklusion‹ denn vielmehr als eine Legitimationsstrategie für die eigenen gesellschaftstheoretischen Arbeiten, die diesen Mangel zu beheben versprechen. In einem weiteren Schritt konnte die Kritik auf eine spezifische Art und Weise zugespitzt werden, insofern eine erkenntnistheoretische Engführung kritisiert wurde, welche die politische Dimension von ›Inklusion‹ nicht ausreichend zu berücksichtigen ermöglicht. Mit der Hinwendung zur Hegemonietheorie und deren Verschränkung von Gesellschaftsanalyse und Demokratietheorie konnte in einem letzten Schritt deutlich gemacht werden, dass diese Forderung zugleich berechtigt ist und nie an ihr Ende kommen wird. Insofern die Dynamik des demokratischen Dispositivs aus den in ihm angelegten, nicht zu lösenden Spannungsverhältnissen resultiert, erweist sich Gesellschaftsanalyse geradezu als eine Möglichkeit der dauerhaft notwendigen Auseinandersetzung mit den ambivalenten Vergesellschaftungsprozessen. Die Forderung einer gesellschaftsanalytischen Auseinandersetzung darf also nicht verbunden werden mit dem Versprechen auf eine mit sich selbst versöhnte Gesellschaft. Es ginge vielmehr darum, die Analyseinstrumente immer wieder gegen solche Versprechen zu richten.

235

236

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

So geschärft diese gesellschaftsanalytische Perspektive mit Blick auf ihre theoretischen Grundlagen und die hieraus resultierenden Fragen und Analysekategorien auch sein mag, dies alles reicht nicht aus, um ein politisches Projekt zu formulieren oder dieses gar durchzusetzen. Auch Laclau und Mouffe weisen darauf hin, dass eine reine »Strategie der Opposition« (ebd., S. 234) im Sozialen wirkungslos bleiben müsse, weil sie »von vornherein keine Fähigkeit zum hegemonialen Handeln« (ebd., S. 233) habe. Vielmehr sei hierfür eine »Strategie der Konstruktion einer neuen Ordnung« (ebd., S. 234) erforderlich, die ein Positives bzw. eine Utopie – wenn auch nicht umzusetzen versucht – so doch zu formulieren in der Lage ist. Am Ende wird ein radikaldemokratisches Projekt deshalb eine Entscheidung für ein Positives treffen müssen. Ein solches Projekt müsse die hegemonietheoretischen und radikaldemokratischen Positionen jedoch berücksichtigen und sich »auf die Suche nach einem Ort des Gleichgewichts zwischen einem maximalen Voranbringen der demokratischen Revolution in möglichst vielen Bereichen und der Fähigkeit zur hegemonialen Führung und zur positiven Rekonstruktion dieser Bereiche seitens der untergeordneten Gruppen stützen« (ebd.). Dieser prekäre Ort wird jedoch nicht theoretisch abzusichern sein, hängt seine Möglichkeit doch gerade von den logischen Widersprüchen des demokratischen Dispositivs ab. Eine radikale und plurale Demokratie kennzeichne deshalb »die Weigerung – intellektuell oder politisch – jede vorausgesetzte ›letzte Grundlage‹ des Sozialen zu beherrschen« (ebd., S. 227). Sie sei nicht möglich, »ohne den Verzicht auf den Diskurs des Universalen und seiner impliziten Behauptung eines privilegierten Zugangspunktes zu ›der Wahrheit‹, die nur von einer begrenzten Zahl von Subjekten erreicht werden kann« (ebd., S. 237). Dies schließt die Idee einer privilegierten Form von Politik oder eines privilegierten politischen Subjekts ebenso aus wie die Idee einer privilegierten politischen Theorie. Es wäre vielmehr immer wieder aufs Neue praktisch zu eruieren, was dies bedeuten kann. Es ginge somit um eine analytische wie praktische Auseinandersetzung mit und Subvertierung von sozialen Logiken und Grenzen, die einem radikaldemokratischen Projekt entgegenstehen und um die Formulierung einer Utopie, deren Erreichen zugleich deren Ende wäre (ebd., S. 235). »Jede radikale demokratische Politik sollte beide Extreme vermeiden, die sowohl im totalitären Mythos eines idealen Staates als auch im positivistischen Pragmatismus der Reformisten ohne Projekt repräsentiert sind.« (Ebd.)

4 ›Inklusion‹ und Gesellschaftsanalyse – Inklusionsforschung als hegemoniales Projekt

Die zentrale Frage, welche dieses Kapitel aufgibt, ist demnach, ob ›Inklusion‹ eine solche Utopie darstellen kann. Ist der Begriff der ›Inklusion‹ geeignet, die Rolle eines leeren Signifikanten zu übernehmen, unter dem sich unterschiedliche demokratische Bewegungen versammeln? Das gilt es im Streit hierum herauszufinden. Hierzu sind auf der Ebene der theoretischen wie auf der Ebene der sozialen Auseinandersetzungen Koalitionen zu schmieden. Diese Koalitionen sind nicht als eine abgeschlossene Synthese der einzelnen Projekte zu verstehen. Sie stellen vielmehr heterogene Versuche dar, die Autonomie der einzelnen Projekte zu behaupten. Die Diskussion der hegemonietheoretischen und radikaldemokratischen Einsätze zeigt, dass hierfür kein revolutionärer Bruch mit bisherigen Erfahrungen und Vorstellungen notwendig ist. Ebenso wenig akzeptabel ist es jedoch, den Diskurs auf dieselbe Art und Weise fortzuführen oder gar zu alten Antworten auf die hiermit zusammenhängenden Fragen zurückzukehren. Vielmehr wäre ein Spannungsverhältnis zu institutionalisieren, das es immer wieder ermöglicht, das eigene Projekt zu hinterfragen (vgl. ebd., S. 236). Wo von einer Grundlosigkeit des Sozialen ausgegangen wird, bleiben Demokratie und Hegemonie wechselseitig aufeinander verweisen. Ein demokratisches Konzept von ›Inklusion‹ wird ohne Hegemonie deshalb nicht auskommen. Mit ihr aber ebenso wenig.

237

5 Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment »This moment of the institution of the social through contingent decisions is what I call ›the political‹.« (Laclau in Worsham und Olson 1999, S. 18)

Die vorliegende Arbeit nahm ihren Ausgang in einer Irritation bezüglich des aktuellen Stands der Diskussionen um ›Inklusion‹. Diese Irritation verband sich mit der Gleichzeitigkeit einer konstatierten Realisierung von inklusiven Ansprüchen in einem noch nicht dagewesenen Ausmaß einerseits und der Befürchtung einer zunehmenden Tendenz gesellschaftlicher Ausgrenzungs- oder Ausbeutungserscheinungen andererseits. Ein erster Überblick über den deutschsprachigen inklusions- und sonderpädagogischen Diskurs konnte zeigen, dass dieses spannungsreiche Verhältnis zwischen Teilhabeforderung und Vereinnahmungsbefürchtung unterschiedlichen Bestrebungen der Etablierung gemeinsamer Bildungsangebote für (nicht-)behinderte Menschen von Beginn an eingeschrieben war und sich immer wieder neu auf unterschiedlichste Arten und Weisen artikulierte. Insbesondere Forderungen nach einer (Re-)Politisierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ und nach einer gesellschaftstheoretischen Fundierung derselben wurden über die Jahrzehnte wiederholt gegen die problematisierten Tendenzen in Stellung gebracht. Diese Beobachtung wiederum evozierte vielfältige Fragen bezüglich der Bedingungen, Möglichkeiten und Intentionen solcher Forderungen. In Anerkennung der Tatsache, dass sich die ersten Versuche einer gemeinsamen Beschulung von (nicht-)behinderten Schüler*innen in der Bundesrepublik Deutschland explizit als demokratische Projekte legitimierten, sollten diese Fragen aus demokratietheoretischer Perspektive diskutiert werden. Die Entscheidung fiel hier zu Gunsten radikaler Demokratietheorien,

240

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

da sich diese intensiv mit Phänomenen der Teilhabe und Ausgrenzung, mit den Möglichkeiten der Bestimmung des Politischen sowie mit sozialen Bewegungen auseinandersetzen und damit eine große thematische Nähe zum Gegenstandsbereich dieser Arbeit aufweisen. In Bezug auf die Forderungen einer (Re-)Politisierung der Debatten um ›Inklusion‹ kann als zentrale Aussage radikaldemokratischer Arbeiten gelten, dass das Politische nicht mit der Sphäre der Politik identifiziert werden sollte. Im Anschluss an Überlegungen zu einer konstitutiven Differenz von Politik und Politischem wäre es vielmehr als das abwesende Fundament jeder sozialen Ordnung zu verstehen (vgl. Marchart 2010). Nur diese quasi-ontologische Dimension des Politischen garantiere die Möglichkeit, dass spezifische Institutionalisierungen von Politik und die hiermit einhergehenden Vorstellungen, wer innerhalb dieses Raumes sprechen darf oder gezählt wird, als kontingente Setzungen in Frage gestellt werden können. Eine (Re-)Politisierung ist vor diesem Hintergrund die Eröffnung eines Streits, »in dem buchstäblich alles aufs Spiel gesetzt wird: der Gegenstand des Streits und die Kriterien, mit deren Hilfe er geschlichtet werden könnte ebenso, wie die Identität der streitenden Parteien« (Hetzel 2017, S. 55). Von dieser erkenntnispolitischen Position aus lassen sich wiederum objektivistische Verständnisse von Gesellschaft und Gesellschaftsanalyse in Frage stellen. Gesellschaftsanalysen (sowie die Forderungen nach solchen) erweisen sich vielmehr selbst als Argumente in den Auseinandersetzungen um das Allgemeine – wenn diese auch nach wissenschaftlichen Regeln zu formulieren sind (vgl. Marchart 2013a). Der strategische Einsatz einer radikaldemokratisch informierten Gesellschaftsanalyse liegt hierbei maßgeblich in einer (Re-)Politisierung beziehungsweise Öffnung deterministischer Vorstellungen von Gesellschaft. Diese wird hier also nicht als ein Objekt verstanden, welches durch bestimmte Logiken, Regeln oder Gesetze letztgültig bestimmt ist oder werden könnte. Vielmehr gilt es analytisch nachzuvollziehen, wie entsprechende Gründungsversuche des Sozialen stets in sich brüchig bleiben. In der hegemonietheoretischen Perspektive auf Prozesse der Vergesellschaftung im Anschluss an Laclau erscheint das Soziale deshalb als symbolischer Raum diskursiver Praxen, in welchen sich unterschiedliche partikulare Forderungen durch die Entleerung eines Signifikanten zu einer Äquivalenzkette zusammenschließen und so eine hegemoniale Formation bilden. Die hiermit einhergehenden Annahmen, dass die Etablierung einer Ordnung immer auf eine Negation angewiesen ist und dass jedes Element dieser Ordnung in die Momente der Äquivalenz und Differenz geteilt ist, lässt jede diskursive re-

5 Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment

spektive soziale Ordnung als grundsätzlich instabil erscheinen. Gesellschaft als eine geschlossene Ordnung wird so letztlich unmöglich. Legt man den artikulierten Forderungen einer gesellschaftstheoretischen und politischen Fundierung der Diskussionen um ›Inklusion‹ diese radikaldemokratischen Einsätze zu Grunde, ergibt sich eine Vielzahl spannender Fragen. Denn weder für die Bestimmung der politischen Dimension von ›Inklusion‹ noch für die Bestimmung einer Gesellschaft, an der teilzuhaben oder die zu realisieren wäre, können dann noch eindeutige, objektive oder letztgültige Kriterien genannt werden. Vielmehr verweisen die diskutierten Arbeiten immer wieder auf die Auseinandersetzungen um diese Kriterien. So stellen sie die Bedeutung dieser Konflikte für die Konstitution gesellschaftlicher Ordnungen und von hiermit verbundenen Vorstellungen der Teilhabe heraus. Je gegebene Institutionalisierungen von ›Inklusion‹ und deren Infragestellungen werden so zu einem Gegenstand der Analyse. Zugleich wird es aber auch vorstellbar, ein radikaldemokratisches Verständnis von ›Inklusion‹ zu formulieren, welches an die Unabschließbarkeit des demokratischen Prozesses gebunden wird. Ziel des vorliegenden letzten Kapitels ist es nun nicht, die in der Arbeit ausgebreitete Argumentation nochmals im Detail nachzuvollziehen. Einzelne Zusammenfassungen finden sich bereits am Ende eines jeden Kapitels. Im Folgenden sollen vielmehr zwei Fragen diskutiert werden, denen bis jetzt noch nicht explizit Raum gegeben wurde, die sich am Ende dieser Arbeit – auch wegen deren konflikthaften Entstehungskontexts – aber dennoch aufdrängen. Diese Fragen sollen genutzt werden, um den Einsatz der Arbeit zu schärfen. Hierfür werden einzelne Aspekte der zurückliegenden Kapitel nochmals aufgegriffen und neu zueinander in Bezug gesetzt. Die erste Frage bezieht sich auf den Stellenwert der Analyse innerhalb des radikaldemokratischen Diskurses. Über die Arbeit hinweg haben sich vielfältige Analyseperspektiven angedeutet, die in Hinblick auf inklusionsorientierte Politiken, Pädagogiken und Forschungen fruchtbar gemacht werden können. Auf unterschiedliche Arten und Weisen versprechen diese eine Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung mit den Essentialismen, die sich mit dem pädagogischen Verständnis von ›Inklusion‹ verbinden. In Hinblick auf die Heterogenität dieser Perspektiven stellt sich die Frage, ob zum Abschluss dieser Arbeit hieraus die Formulierung eines radikaldemokratischen ›Forschungsprogramms‹ folgen könnte oder müsste (Abschn. 5.1). Wenn dem so wäre, wie könnte ein solches Programm aussehen, wie könnte verhindert werden, dass dieser Forschungsansatz eigenen Essentialismen aufsitzt und

241

242

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

wie wäre sein Verhältnis zu anderen inklusionsorientierten Pädagogiken und Forschungen zu verstehen? Die zweite Frage betrifft die Möglichkeiten der Legitimation des radikaldemokratischen Einsatzes und damit auch des hier vorgeschlagenen Forschungsprogramms. Hiermit ist ein Spannungsverhältnis aufgerufen, welches die radikaldemokratischen Arbeiten durchzieht und wiederholt zum Ausgangspunkt für Kritik an ihnen wurde. Wenn das Soziale grundsätzlich unbestimmt ist, von wo aus lässt sich dann legitimieren, dass man ausgerechnet für eine demokratische Ordnung eintreten sollte (Abschn. 5.2)? Lässt sich ein Engagement für die demokratischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit dann überhaupt noch begründen? In Bezug auf die vorliegende Arbeit wurde zwar deutlich, dass ›Inklusion‹ als ein demokratisches Anliegen artikuliert werden kann. Es stellt sich aber die Frage, warum eine Vertiefung einer inklusionsorientierten Pädagogik und Forschung und damit das angedeutete Forschungsprogramm überhaupt affiziert werden soll. Es scheint sich hier eine Diskrepanz zwischen dem radikaldemokratischen Insistieren auf einer Grundlosigkeit des Sozialen und dem vehementen Eintreten für eine »Demokratisierung der Demokratie« (Balibar 2012, S. 16), die »Demokratie im Kommen« (vgl. Derrida 2006, S. 111ff.) oder einer »radikalen Demokratie« (vgl. Laclau und Mouffe 2012, S. 189ff.) zu ergeben. Auch wenn konkrete Vorschläge der Institutionalisierung in den radikaldemokratischen Theorien überwiegend ausbleiben, stellt sich also dennoch die Frage nach der Legitimation oder Begründung dieser Einsätze. Vor dem Hintergrund der Diskussion dieser Fragen soll der erkenntnistheoretische beziehungsweise -politische Einsatz dieser Arbeit abschließend pointiert zusammengefasst werden (Abschn. 5.3). ›Inklusion‹ wird vor diesem Hintergrund als ein zugleich grundloser wie gründender Einsatz für das demokratische Versprechen lesbar.

5.1

Ausblicke auf ein radikaldemokratisches Forschungsprogramm

Im Sinne eines Ausblicks dieser Arbeit gilt es sich zunächst der Frage zu widmen, ob sich vor dem Hintergrund der zurückliegenden Diskussionen ein mögliches inklusionspädagogisches Forschungsprogramm formulieren ließe. Was also wäre die gemeinsame Stoßrichtung der zurückliegenden Kapitel

5 Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment

und welche Folgerungen können hieraus für eine radikaldemokratisch informierte Inklusionsforschung gezogen werden? Theorien der radikalen Demokratie finden ihre Gemeinsamkeit nicht in einem positiven normativen Bezugspunkt. Vielmehr eignet ihnen ein ›negativer Universalismus‹ (vgl. Hetzel 2017, S. 48), insofern sie die demokratische Erfahrung zum Ausganspunkt machen, dass jede soziale Ordnung kontingent und damit befrag- und veränderbar ist (vgl. Abschn. 3.2). Dies gelte für jede soziale Ordnung, in besonderer Weise aber für das demokratische Dispositiv, in welchem die Kontingenz des Sozialen selbst zu repräsentieren gesucht werde (vgl. Abschn. 3.1). In ihren Studien nähern sich radikaldemokratische Autor*innen ihren Gegenständen – zum Beispiel der Politik oder der Gesellschaft – deshalb stets von deren Grenzen her (vgl. Abschn. 3.2.2). Für eine radikaldemokratisch informierte Inklusionsforschung folgte hieraus, dass auch sie ›Inklusion‹ und die hiermit verbundenen Möglichkeiten der Teilhabe konsequent von deren Grenzen her zu denken hätte. In theoretischen Studien läge der Fokus dabei maßgeblich auf der AutoDekonstruktion der pädagogischen Ordnungen und Begriffe (vgl. Abschn. 3.2). So wäre das Potential einer Vertiefung der demokratischen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit im Rahmen von ›Inklusion‹ nicht darin zu sehen, in einer souveränen Geste eine inklusionspädagogische Zielgruppe (und seien es auch alle), eine spezifische Form inklusiven Unterrichts oder einen Katalog erforderlicher pädagogischer Kompetenzen oder Einstellungen zu definieren. Auch die Formulierung positiver ›inklusiver‹ Normen oder Gerechtigkeitsvorstellungen wären aus dieser Perspektive noch kein Schritt in die Richtung einer demokratischeren Gesellschaft. Vielmehr wäre danach zu fragen, was diese Definitionen und Formulierungen jeweils konstitutiv ausschließen, wie diese stets von ihren konstitutiven Ausschlüssen eingeholt zu werden drohen und welche politischen Potentiale sich aus deren inneren Widersprüchen ergeben.1

1

Die Annäherung an den sonder- und inklusionspädagogischen Diskurs um ›Inklusion‹ in Kapitel 2 kann als eine erste Vorstudie für eine solche Perspektive verstanden werden. Hier wurden die Heterogenität der Begriffe ›Behinderung‹ und ›Inklusion‹ sowie die dieser Heterogenität inhärenten Spannungsverhältnisse in Hinblick auf deren Potentiale für eine dauerhafte Auseinandersetzung um (inklusions-)pädagogische Autorisierungen befragt. Eine solche Perspektive auf das diskursive Feld einer erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung oder Inklusionspädagogik wäre weiter zu systematisieren.

243

244

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

In empirischen Studien hingegen wären die praktischen Infragestellungen pädagogischer Ordnungen zu fokussieren – dort, wo sich Praktiken selbst in Widersprüche verstricken oder dort, wo sich in der Artikulation eines Widerstreits unter Verweis auf die demokratischen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit neue politische Ansprüche und Akteur*innen konstituieren (vgl. Abschn. 3.4). In einer solchen Perspektive wären also nicht nur die Konstitutionsprozesse pädagogischer Ordnungen zu rekonstruieren. Während hierzu in den letzten Jahren eine Vielzahl gewinnbringender Studien entstanden ist (vgl. Abschn. 4.1.2), fokussierte eine radikaldemokratisch informierte Inklusionsforschung verstärkt die Möglichkeiten und Praxen der Subversion pädagogischer Ordnungen. Für eine so verstandene Inklusionsforschung ergäbe sich also der Auftrag, inklusionsorientierte Pädagogiken vor dem Hintergrund der demokratischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit immer wieder aufs Neue mit Fragen nach der Bestimmung ihres Gegenstandes ebenso wie nach den Konsequenzen ihrer Praxen für die Möglichkeiten der Teilhabe zu konfrontieren. Wie wird ›Inklusion‹ jeweils konzipiert? Was wird damit sichtbar, was wird ausgeschlossen? Welche Zielgruppe pädagogischen Handelns wird hiermit adressiert, wer hingegen bleibt außen vor? Welche sozialen Ordnungen, welche Funktions- und Teilnahmebedingungen werden damit reifiziert und welche nicht? Wo zeigt sich die Kontingenz dieser Setzungen? Wo hingegen wird sie verdeckt und damit das inklusionspädagogische Feld entpolitisiert? Dabei wären diejenigen Praxen verstärkt in den Blick zu nehmen, in denen inklusionsorientierte pädagogische Konzepte unter Verweis auf Teilhabeansprüche und die Prinzipien der Gleichheit und Freiheit selbst in Frage gestellt werden. All diese Fragen wären nicht zu stellen, um Bestrebungen der Realisierung eines gleichberechtigten Zugangs zu Bildung zu delegitimieren, sondern mit dem Ziel, die Verknüpfung dieses bildungspolitischen Projekts mit den demokratischen Prinzipien zu stärken. Diese Forschungen wären also explizit als Einsätze für eine Vertiefung des demokratischen Versprechens zu verstehen, sei es in Bezug auf die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung, sei es in Bezug auf den Zugang zu anderen gesellschaftlichen Bereichen. Eine solche Inklusionsforschung darf jedoch nicht – dies ist die Frage nach der Gefahr vor eigenen essentialistischen Setzungen – als einziger Weg hin zu einer Vertiefung der demokratischen Prinzipien verstanden werden. Sie wäre auch nicht der privilegierte Weg dorthin. Wo nicht weiter von einer determinierten und determinierenden sozialen Struktur ausgegangen wird, kann weder ein politisches Projekt noch eine Perspektive auf das Soziale die

5 Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment

Möglichkeiten von Emanzipation letztgültig bestimmen (vgl. Abschn. 4.2.5). Weder ist also eine alle sozialen Verhältnisse erklärende Theorie zu schreiben, noch kann ein akademischer Diskurs oder ein privilegierter sozialer Kampf der Ort sein, von dem aus der emanzipative Prozess durchdrungen oder bestimmt werden könnte (vgl. Abschn. 3.2.1; 4.2.5). Wo mit dem »Mythos einer rationalen und transparenten Gesellschaft« (Laclau und Mouffe 2012, S. 236) gebrochen und auf den »Diskurs des Universalen« (ebd., S. 237) verzichtet wird, delegitimiert sich zugleich die »Behauptung eines privilegierten Zugangspunktes zu ›der Wahrheit‹« (ebd.). Vielmehr eröffnet der Verzicht auf einen einheitlichen linken Diskurs eine Vielzahl von Orten und eine Vielzahl von Wegen, gegebene Ordnungsvorstellungen mit den demokratischen Prinzipien zu konfrontieren und so für deren Vertiefung zu kämpfen – auch innerhalb der Wissenschaften. Unterschiedliche historische Koalitionen zwischen Integrationsforschung, Integrationsbewegung, Behindertenbewegung und Disability Studies zeigen bereits an, wie heterogene Verhältnissetzungen unterschiedlicher demokratischer Projekte Demokratisierungspotentiale entwickeln können (vgl. Abschn. 3.3.3). In wissenschaftlichen Kontexten wäre vor dem Hintergrund der hegemonietheoretischen Überlegungen nun insbesondere die Autonomie differenter Zugänge zu betonen (vgl. Abschn. 4.2.5), die sich zum Beispiel immer wieder in dem spannungsreichen Verhältnis von Inklusionsforschung und Disability Studies bemerkbar macht. Es wird also nicht darum gehen, einen einheitlichen Diskurs zu artikulieren, um die Perspektiven und Zugänge der Inklusionspädagogik mit denjenigen der Disability Studies zu versöhnen oder zu synthetisieren. Vielmehr wird es darum gehen, ein gemeinsames Projekt zu formulieren, welches die Eigenständigkeit der beteiligten Perspektiven zu berücksichtigen erlaubt. Die pädagogische Bearbeitung der Frage einer gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft wird notgedrungen eine andere sein, wie diejenige der Aktivist*innen, die ein Unterdrückungsverhältnis artikulieren (vgl. Abschn. 3.3.3). Die hiermit einhergehenden und auszutragenden Konflikte wären aber nicht als Versuche der gegenseitigen Delegitimation zu verstehen, sondern als dauerhafte Grundlage des demokratischen Wettstreits. Diesen nicht als ein zu überwindendes Problem aus der eigenen Ordnung auszuschließen, sondern aus unterschiedlichen Positionierungen temporäre Synergieeffekte zu generieren, wäre die Aufgabe, welche einem solchen wissenschaftlichen Projekt aufgegeben wäre. Die wissenspolitischen Auseinandersetzungen um die Kategorie Behinderung sind aber nur ein mögliches Feld, das für eine radikaldemokratisch ausformulierte Inklusi-

245

246

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

onsforschung von Interesse wäre. Ebenso bedeutsam dürften andere soziale Bewegungen und die sich hierum entfaltenden, wissenspolitischen Auseinandersetzungen sein (Abschn. 3.3.3). Auch hier gälte es also im Streit miteinander Koalitionen zu schmieden und Äquivalenzketten zu artikulieren, ohne die Eigenständigkeit der jeweiligen Kämpfe zu negieren. Ob ein solches Vorhaben gelingen würde, ist selbst aber nicht rational abzusichern. Vielmehr wäre in der wissenschaftlichen Praxis beziehungsweise im wissenschaftlichen Streit selbst herauszufinden, wie diese Projekte zueinander ins Verhältnis gesetzt werden können und inwiefern ›Inklusion‹ als ein leerer Signifikant für solche Äquivalenzketten geeignet wäre (vgl. Abschn. 4.2.5). Wäre für die Inklusionsforschung also ein radikaldemokratisches Forschungsprogramm anzustreben? Dies war die Ausgangsfrage dieses Abschnitts. Wenn hierunter eine klar umrissene, methodisch ausbuchstabierte, über einen gemeinsamen Gegenstand definierte Einheit verstanden wird, lautete die Antwort auf diese Frage ganz sicher: Nein. Wenn es darum ginge, für die Vertiefung der demokratischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit eine Auseinandersetzung um ›Inklusion‹ zu suchen, dafür die Idee eines einheitlichen linken Diskurses aufzugeben und stattdessen Koalitionen zwischen Partner*innen zu bilden, die auf ihre je eigene Weisen an einem solchen Projekt arbeiteten – eine solche Demokratisierung der Inklusionsforschung wäre sicherlich zu begrüßen.

5.2

Demokratisierung als Entscheidung

In der Skizzierung möglicher Forschungsaktivitäten deutete sich erneut die doppelte Stoßrichtung radikaldemokratischer Arbeiten an, die sich durch die gesamte Arbeit zieht. Diese unternehmen differenzierte Analysen politischer Praxen, mit denen sie Beschreibungen des Sozialen als einem heterogenen, stets umstrittenen Raum ermöglichen und sie verstehen diese Analysen zugleich als politische Einsätze für eine Demokratisierung der Demokratie. Über die zurückliegenden Kapitel hinweg wurde so sichtbar, dass sich radikaldemokratische Einsätze über eine öffnende Normativität definieren und sich hierdurch von objektivistischen, rein deskriptiven politikwissenschaftlichen Analysen ebenso abgrenzen wie von vermeintlich schließenden normativen Zugängen der Demokratietheorie. Diese Verschränkung zeigte sich zum Beispiel bei Ernesto Laclau, der seine Hegemonietheorie eng mit dem Projekt einer radikalen Demokratie verbindet (vgl. Nonhoff 2019a; vgl. auch Abschn.

5 Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment

4.2.5). Wenn in radikaldemokratischen Arbeiten eine demokratische Politik »als Kampf gegen die institutionalisierten Grenzen der Demokratie« (Abbas 2015, S. 144) ausgerufen wird, darf dies also nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Infragestellung gegebener Ordnungen explizit als ein Eintreten für die Demokratie verstanden wird. Nicht selten fordern die Theorien »ein Bekenntnis zur Grundlosigkeit der eigenen Gesellschaft, eine Offenheit für Veränderungen, eine grundsätzliche Hinwendung zum Anderen und die Anerkennung der Prinzipien von Freiheit und Gleichheit« (Sievi 2017, S. 438). Dieses Eintreten für die Demokratie legitimiert sich unter Verweis auf die Annahme, dass das demokratische Dispositiv wie kein anderes die Grundlosigkeit des Sozialen anerkenne. Gerade deshalb vertritt auch die vorliegende Arbeit die Position, dass eine radikaldemokratische (Re-)Artikulierung inklusions- und sonderpädagogischer Theorien, Konzepte und Fragestellungen eine Vertiefung des Versprechens einer gleichberechtigten Teilhabe an Gesellschaft ermöglichen könnte. Hier scheint sich nun aber ein Bruch in der Argumentation zu ergeben. Denn genauso wenig wie sich aus einer empirischen Tatsachenbeschreibung eine normative Forderung ableiten lässt, kann man aus dem Kontingenzbewusstsein radikaler Demokratietheorien einfach die Forderung der Anerkennung der Kontingenz und damit die Priorisierung der Demokratie ableiten.2 Laclau und Mouffe selbst betonen, dass »die demokratische Revolution bloß das Terrain ist, auf dem eine durch ein egalitäres Imaginäres gestützte Logik der Verschiebung wirksam wird, daß sie jedoch nicht die Richtung vorherbestimmt, in der dieses Imaginäre wirksam werden wird« (Laclau und Mouffe 2012, S. 210; Herv. i. Original). Die Einführung der relationalen Logik des Sozialen suspendiert also deterministische Vorstellungen der Ableitbarkeit sozialer Ordnungen. Sie zeigt damit aber auch, dass der »diskursive Umfang der demokratischen Revolution den Weg für verschiedene politische Logiken eröffnet: einerseits für Rechtspopulismus und Totalitarismus und andererseits für radikale Demokratie« (ebd.).3 Vor diesem Hintergrund ist es eine Sache, die Grundlosigkeit sozialer Prozesse zu konstatieren. Eine ganz andere hingegen ist es, diese Grundlosigkeit zum Ziel politischen Handelns zu erklären. 2

3

Für den inklusionspädagogischen Diskurs könnte darauf hingewiesen werden, dass die Beobachtung von Heterogenität als sozialer Tatsache keine Aussage darüber zulässt, dass, warum, wie und welche Heterogenität zu einer pädagogischen Norm zu erklären ist. In ähnlicher Weise argumentiert auch Lefort (vgl. Lefort 1990a; vgl. hierzu auch Abschn. 3.1.3).

247

248

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Das radikaldemokratische Insistieren auf dem Prinzip der Negativität mag also eine effektive Begründung für Kritik darstellen. Die Frage, warum eine solche Bewegung affiziert werden und warum diese die Richtung einer ›Demokratisierung‹ annehmen sollte, ist damit jedoch noch nicht geklärt. Dies hat den hier zur Diskussion stehenden Theorien wiederholt die Kritik eingebracht, kein begründetes oder begründendes Kriterium dafür angeben zu können, warum man sich überhaupt für die Demokratie einsetzen sollte (vgl. z.B. Jörke 2006, S. 260). Die Herausforderung für radikale Demokratietheorien wird hier deutlich: Weil sie selbst mit jeder Form des Essentialismus hart ins Gericht gehen, müssen sie »eine Lösung vorlegen, wie sie demokratische Werte verteidigen können, ohne auf irgendwelche Dogmen oder Essentialismen zurückzugreifen, andernfalls würden sie sich selbst unglaubwürdig machen« (Sievi 2017, S. 442). Ihre Antwort auf diese Anfragen ist – ganz im Einklang mit den bisherigen Erläuterungen – im strengsten Sinne eine politische. Deutlich wird dies in einer Auseinandersetzung mit dem spezifischen Verständnis von Normativität, welches den Ansätzen implizit oder explizit zu Grunde gelegt wird. Zunächst muss die Annahme der Kontingenz jeglicher Bedeutung auch für Normen gelten, denn wenn es einen Bereich gäbe, der von der Kontingenzannahme ausgenommen wird, wäre erneut ein Fundament des Sozialen behauptet und der Raum des Politischen geschlossen. Konkrete Normen werden hier also nicht als notwendig oder alternativlos erachtet. Vielmehr unterliegen auch sie machtvollen Auseinandersetzungen um deren Geltung, aus denen sie performativ hervorgehen. Wenn die Geltung einzelner Normen nicht als notwendig erachtet wird, heißt dies aber nicht, dass die Bedeutung von Normen oder deren Existenz an sich in Frage gestellt wird. Vielmehr wird auch deren produktive, weil integrative Seite herausgestellt. Normen ermöglichen es, »Weisen des Zusammenlebens [zu] erschaffen und für Stabilisierung [zu] sorgen« (ebd., S. 357). Dies ermöglichen sie jedoch nicht aufgrund überdauernder Eigenschaften aus sich selbst heraus, sondern weil sie in machtvollen Praxen auf spezifische Arten und Weisen hervorgebracht werden und so im Sozialen Effekte hervorrufen können. Jenseits der Möglichkeit, die Legitimation von Normen auf einen Grund zurückzuführen oder diese selbst zu einem letztgültigen Grund zu erklären, gehen diese aus kontingenten Entscheidungen hervor. Auch Artikulationen von Normen werden somit letztlich als strategische Einsätze in gesellschaftliche Auseinandersetzungen lesbar. Sie sind erstens politische Setzungen, die nicht letztgültig begründbar sind: »Sich für Normen in einem politischen Akt zu entscheiden, ist der einzige

5 Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment

Weg, um zu Normen zu gelangen.« (Ebd., S. 444) Damit sind sie einer politischen Auseinandersetzung unterworfen, weshalb sie zweitens als vieldeutig und wandelbar verstanden werden können und gerade nicht als überdauernd. Aus dieser Qualifizierung folgt drittens, dass es keine universellen Normen gibt, sondern nur in politischen Auseinandersetzungen universalisierte Normen. Wenn Normen auch nicht als letztgültige Gründe des Sozialen verstanden werden, können sie aus radikaldemokratischer Perspektive also dennoch zu seiner Begründung herangezogen werden. Vor diesem Hintergrund rückt ein Begriff in den Fokus, der bereits mehrfach aufgerufen wurde: der Begriff der Entscheidung (vgl. Abschn. 3.2; 4.2 und 4.3). Dieser wird zentral, wo davon ausgegangen wird, dass es »keine a priori gegebene soziale Fixierung, keine essentialistische gesellschaftliche Relation, keinen gegebenen Antagonismus und keinen Ort des souveränen Erlasses gibt« (Sack 2019, S. 509-510). Vielmehr werden Entscheidungen im radikaldemokratischen Diskurs als letzter, wenn auch nicht letztgültiger oder fundierender Grund vorstellbar (ebd., S. 511) – sowohl von sozialen Ordnungen wie auch von deren Politisierung. So konstatiert Sack, dass hier »über den Begriff der Entscheidung eine jederzeit und überall mögliche Politisierung gedacht wird, die aber – und das ist das Wesentliche – sich nicht auf eine vorgängige Begründbarkeit stützen kann. Legitimation gewinnt die Politisierung allein aus dem Akt der Dezision« (ebd.). Wichtig ist, dass der Ort der Entscheidung hier selbst nicht als ein souveräner Standpunkt missinterpretiert werden darf. Das radikaldemokratische oder dekonstruktivistische Verständnis von Entscheidung referiert nicht auf ein souveränes Subjekt, das unter Rückgriff auf eine abgesicherte Rationalität eine Auswahl aus gegebenen Optionen trifft. Entscheidungen eröffnen den Raum des Politischen und sind radikal, wo sich gegebene Rationalitäten in Paradoxien verstricken oder mit diesen gebrochen wird und so neue Aufteilungen des Sozialen denkbar beziehungsweise notwendig werden. Insofern handelt es sich hier im Sinne Derridas (vgl. Abschn. 3.2.1) stets um Entscheidungen auf einem unentscheidbaren Terrain (vgl. hierzu auch Laclau 1999). Entscheidungen sind der performative Ort einer Hervorbringung des Subjekts ebenso wie von sozialen Ordnungen.4 Laclau und Mouffe sprechen in 4

Bei Butler sind es die potentiellen Verschiebungen von Normen in deren Reproduktion, die etablierte Vorstellungen von Subjektivität subvertieren und dem Subjekt noch in der Unterwerfung eine Handlungs- oder Widerstandsfähigkeit verlei-

249

250

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Bezug auf politische Artikulationen deshalb auch von ›radikalen Investments‹. Denn was man in einen leeren Signifikanten investiere, könne nicht strukturell vorgegeben sein. »Es ist ›radikal‹, weil es zur Gänze von außen kommt, und es ist ein ›Investment‹ […], weil man ein Strukturelement mit einem Wert versieht, der nicht aus seinem Platz in der Struktur hervorgeht.« (Laclau 2007, S. 33)5 Weder ist der Akt der Entscheidung also ein souveräner, noch sind die Auswirkungen der Entscheidung absehbar oder kontrollierbar. Die Folge wird aber stets eine radikale sein, insofern sich vom Ort der Entscheidung her das Soziale jeweils neu aufgliedert. Sich angesichts der Grundlosigkeit des Sozialen für deren Anerkennung zu entscheiden, ist vor dem Hintergrund der demokratischen Revolution(en) sowie der hiermit einhergehenden Kontingenzerfahrung aus radikaldemokratischer Sicht also möglich, nicht jedoch notwendig. Radikale Demokratietheorien entscheiden sich hierzu und von dieser Entscheidung her entfaltet sich die in dieser Arbeit dargestellte Perspektive auf soziale Prozesse und der ihr innewohnende ›negative Universalismus‹ (vgl. Hetzel 2017, S. 48). Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung kritisieren radikaldemokratische Theorien jene Normen, »die ihre Begründung aus essentialistischen Legitimationen ziehen und die als universell und wahr präsentiert werden« (Sievi 2017, S. 446). Demgegenüber werden diejenigen Normen, »welche die eigene Kontingenz nicht nur anerkennen und diese offen zugeben, sondern welche die eigene Grundlosigkeit zum festen Bestandteil haben« (ebd.) befürwortet. Vor dem Hintergrund der zurückliegenden Überlegungen zu den demokratischen Normen der Gleichheit und Freiheit lässt sich nun auch die Befürwortung der Demokratie und deren Prinzipien erklären. In ihren Analysen weisen Arbeiten der radikalen Demokratietheorie immer wieder aufs Neue nach, dass die demokratischen Prinzipien in der Lage sind, die Grundlosigkeit der Gesellschaft in Szene zu setzen. Hierin muss der Grund für ihre Affirmation der Demokratie ge-

5

hen (vgl. Abschn. 3.2.2). Für Laclau und Mouffe ist es die Entscheidung, ein Unterordnungsverhältnis als ein Unterdrückungsverhältnis zu artikulieren, das zugleich das Subjekt wie den Antagonismus hervorbringt (vgl. Abschn. 4.2.5). Mit Rancière hat Subjektivierung ihren Ort in der Artikulation eines Widerstreits, welcher die artikulierende Gruppe erst konstituiert (vgl. Absch. 3.3.1). Ein Überblick über radikaldemokratische Verständnisse von Subjekt und Subjektivierung findet sich bei Raimondi 2019. Politisches Handeln besteht dann nicht in der Übernahme einer durch die Struktur vorgegebenen Aufgabe, sondern wird verstanden als eine artikulatorische Praxis »katechrestische[r] Dislokationen, eines immer wieder neuen und unerwarteten Gebrauchs von einzelnen Bedeutungsträgern« (Hetzel 2017, S. 34).

5 Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment

sehen werden. So erfordern die Spannungsverhältnisse zwischen Gleichheit und Freiheit, zwischen Universalität und Partikularität oder zwischen Äquivalenz und Differenz immer wieder aufs Neue Entscheidungen in einem unentscheidbaren Terrain und stellen den Konflikt um das Allgemeine damit auf Dauer. Deswegen setzen sich radikaldemokratische Autor*innen für sie ein. Ihre Arbeiten sind also »keine neutrale Beschreibung dessen, was in der Welt vor sich geht, sondern eine Beschreibung, deren Möglichkeitsbedingung ein normatives Element ist, das von Anfang an regelt, welches Verständnis von ›Tatsachen‹ als Tatsachen es überhaupt geben kann« (Laclau 2013b, S. 103). Dieses normative Moment liegt in der Entscheidung für die Anerkennung der Grundlosigkeit des Sozialen gegründet. Gerade weil radikale Demokratietheorien diese Entscheidung aber als Entscheidung transparent machen, bleibt sie auch dem demokratischen Streit zugänglich. Eine Demokratisierung der Demokratie ist in der radikaldemokratischen Perspektive also nicht einfach logisch aus der Grundlosigkeit des Sozialen ableitbar. Es handelt sich um eine Forderung, welche einer Entscheidung folgt, die auf keine Regel oder Logik zurückführbar ist. Erst von diesem Einsatz aus ergeben sich dem radikaldemokratischen Denken Möglichkeiten der Kritik gegebener Ordnungen. Von einem klassisch ideologiekritischen Standpunkt aus mag dies als ein schwaches Fundament der Kritik erscheinen, da die Kritik dann nicht mehr länger mit einem dem Streit entzogenen Wahrheitsanspruch auftreten kann (vgl. Laclau 2013a, S. 174-200). Aus der Perspektive der radikalen Demokratietheorien eröffnet dies aber ein Verständnis von Kritik als einer ethisch-politischen Praxis (vgl. Marttila und Gengnagel 2017, S. 109), welche die Bedeutung politscher Konflikte ins Zentrum stellt und Mut zur politischen Praxis macht. Denn wo der eigene Anspruch als politischer Einsatz transparent gemacht wird, ist zugleich die Grundlosigkeit des gegnerischen Einsatzes enttarnt. Eine solche Perspektive auf die Begründung sozialer Ordnungen und Praxen, welche das Spannungsverhältnis zwischen der Unmöglichkeit einer letztgültigen Begründung des Sozialen und der Notwendigkeit des Ringens um temporäre Begründungen entscheidungstheoretisch fruchtbar macht, wäre auch der Ausgangspunkt radikaldemokratischer Artikulationen von ›Inklusion‹. Von hier aus gibt es keine Notwendigkeit dafür, überhaupt für ›Inklusion‹ einzutreten oder ein solches Projekt radikaldemokratisch auszubuchstabieren. Genauso wenig gibt es jedoch einen Grund, dies nicht zu tun. Von der kontingenten Entscheidung aus, den Diskurs um ›Inklusion‹ mit den demokratischen Normen der Freiheit und Gleichheit zu artikulieren

251

252

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

und diesen zugleich mit ihnen zu konfrontieren, eröffnet sich aber eine spezifische Rationalität, welche eine kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe ebenso impliziert, wie mit je gegebenen Versuchen der Institutionalisierung und Theoretisierung von ›Inklusion‹. Wo man sich für eine solche Perspektive entscheidet – ›Inklusion‹ an das demokratische Versprechen zu binden und diese Entscheidung als eine kontingente transparent zu machen –, wird man zwar auf die Kontrolle der diskursiven Wirksamkeit des Signifikanten ›Inklusion‹ verzichten müssen. Die zurückliegende Arbeit hat jedoch in unterschiedlichen Arten und Weisen gezeigt, dass sich ein solches Einsetzen, Aussetzen oder Investment durchaus bezahlt machen kann.

5.3

›Inklusion‹ als Einsatz für das demokratische Versprechen

Pädagogische Verständnisse von ›Inklusion‹ verbinden sich vielfach mit Forderungen einer Anerkennung der Heterogenität der Adressat*innen pädagogischen Handelns als Voraussetzung für eine Schule für alle (vgl. Abschnitt 2.2). Eine solche hätte der Ausgangspunkt der Gestaltung des Schulsystems, von diagnostischem und didaktischem Handeln ebenso wie für pädagogische Beziehungen zu sein. Wenn einer inklusiven Pädagogik diese Anerkennung gelungen wäre, wäre sie zu einer wahren Allgemeinen Pädagogik transformiert. Die vorliegende Arbeit insistiert darauf, dass diese Idee, wo sie als eine tatsächlich umsetzbare Realität verstanden wird, nur scheitern kann. Mit dem vorangegangenen Abschnitt ist zunächst darauf hinzuweisen, dass aus der Beobachtung von Heterogenität gerade keine Anerkennung derselben folgen muss, weder idealiter noch real. Es ist eben »nicht ›normal‹ verschieden zu sein – sondern es ist vielmehr normal, dass wir alle verschieden sind« (Dannenbeck 2012, S. 63). Dies ist ein wichtiger Unterschied. Denn erst vor dieser Tatsache wird politisches Handeln überhaupt notwendig und möglich. Sie macht es erforderlich, soziale Ordnungen hervorzubringen und darum zu streiten, wer auf welche Art und Weise an dieser Ordnung teilhaben können soll. Vor diesem Hintergrund wird nie abschließend zu klären sein, wer Teil des adressierten Kollektivs ist oder sein soll. Konkrete Antworten auf diese Fragen werden jeweils verstrickt sein in gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse. Eine Ordnung, in welcher diese Konflikte getilgt wären, in denen also so getan wird, als ob die soziale Ordnung völlig transparent ist, wäre eine totalitäre Ordnung. Mit Blick auf eine anerkennungstheoretische Fundierung von ›Inklusion‹ ist deshalb davor zu warnen, die stets gegebene gesellschaft-

5 Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment

liche und politische Dimension pädagogischer Praxen zu unterschätzen oder gar auszublenden (vgl. Krenz-Dewe und Mecheril 2014, S. 59). Universalistische Forderungen der Anerkennung sind weder völlig frei von gesellschaftlichen Funktions- und Teilnahmeerwartungen, noch können sie den ontologischen Spalt zwischen dem Partikularen und dem Universellen überwinden. Eine Pädagogik, welche dies übersieht, verliert die Möglichkeit der Reflexion des eigenen Einsatzes wie dessen Involviertheit. Auch inklusionsorientierte pädagogische Praxen und Forschungen sowie damit verbundene Normen der Anerkennung konstituieren sich über den Ausschluss anderer Partikularitäten, wenn sie sich unter Verweis auf das Versprechen der Teilhabe legitimieren – und damit eben auch Teilung produzieren. Sie sind also immer schon in die Auseinandersetzungen darum verwickelt, was Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft sein soll und (re-)produzieren so gesellschaftliche Logiken. Diese Prozesse der Konstitution sozialer Ordnungen sind aber stets prekär und bergen deshalb zugleich einen Überschuss oder ein Potential für deren Subversion. Das ist für inklusionsorientierte Pädagogiken nun zunächst keine völlig neue Erkenntnis. Bereits materialistische Arbeiten der Integrationspädagogik hatten darauf verwiesen, dass die gesellschaftliche Ordnung nicht allein durch ökonomische Prozesse determiniert verstanden werden dürfe (vgl. DeppeWolfinger 1990a; vgl. hierzu auch Abschn. 2.1). Wie in den zurückliegenden zwei Kapiteln wurde die Möglichkeit der Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse auch hier unter anderem auf der kulturellen Ebene verortet: »Stellt auch die politische Ökonomie die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft dar, so reicht ihre Analyse nicht aus, die Komplexität der Gesellschaft, ihre inneren Zusammenhänge, Widersprüche und Bewegungen zu kennzeichnen. Der menschliche Lebensprozeß bestimmt sich ebenso durch die politischen und sozialen, rechtlichen und kulturellen, technischen und ideologischen Beziehungen in der Gesellschaft. Diese stellen keineswegs eine bloße Widerspiegelung der je spezifischen Produktionsweise dar.« (Deppe-Wolfinger 1983b, S. 36f.) Mit dem Entwurf der radikaldemokratischen Perspektive dieser Arbeit ist an diesen Einsatz zugleich anzuschließen, wie er zu überschreiten ist. Denn mit ihr ist der Fokus zwar auf diese Ebenen und deren Verschränkungen zu richten. Der ›menschliche Lebensprozess‹ ließe sich aber eben genauso wenig durch die hier genannten Aspekte bestimmen oder wäre durch diese determiniert. Vielmehr ist es die konstitutive Relationalität der benannten Beziehungen, die jede Fixierung in einer Struktur verunmöglicht. So gibt es weder

253

254

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

für die ökonomischen noch für die kulturellen Prozesse letztgültige Gesetze. Auch für politische Prozesse sind diese ausgeschlossen. Ein radikaldemokratisches Verständnis von ›Inklusion‹ fokussiert gerade die Auseinandersetzungen um diese Gesetzmäßigkeiten und deren Beziehungen. Teilhabebedingungen und -möglichkeiten können deshalb nicht einfach als ein zu erreichendes Ideal verstanden werden, sondern sind konstitutiv umstritten (vgl. Mayer 2017, S. 66; vgl. hierzu auch Abschn. 2.3). Die Forderung einer Anerkennung von Heterogenität ist nur eine mögliche Forderung unter vielen, die in diesen Streit investiert werden kann. Sie ist diesem weder enthoben, noch wird sie ihn auflösen. Aber – und das ist zentral – das in ihr geborgene Spannungsverhältnis von Gleichheit und Differenz oder von Gleichheit und Freiheit entwickelt eine negative Dynamik in Bezug auf je gegebene Institutionalisierungen von ›Inklusion‹ (vgl. hierzu auch Abschn. 2.3). Die rekonstruktive Inklusionsforschung ist der beste Beleg für diese These, insofern sie konkrete Realisierungen von ›Inklusion‹ immer wieder mit den Ansprüchen derselben konfrontiert. Wenn ›Inklusion‹ im Anschluss hieran als ein Name für ein Verhältnis von Universellem und Partikularem verstanden werden soll, in welchem »das Allgemeine keine Vorrangposition vor dem Besonderen hat« (Tervooren 2017, S. 16), dann ist das im Anschluss an die radikaldemokratischen Überlegungen nur als ein uneingelöstes und uneinlösbares Versprechen auf ein Gleichgewicht der beiden Pole denkbar. Wem gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden soll und wie diese Gesellschaft zu bestimmen wäre, ist immer Resultat von hegemonialen und damit partikularen Forderungen und deshalb von Konflikten und Grenzziehungen, mit denen notwendigerweise Ausschließungen einhergehen. Auch inklusionsorientierte Pädagogiken können dem nicht entgehen. Versteht man ›Inklusion‹ allerdings als einen Einsatz für das Versprechen und widersteht der Versuchung, den Begriff mit diesem Versprechen selbst zu identifizieren, wird es vorstellbar, zugleich für und um ›Inklusion‹ zu streiten. ›Inklusion‹ als einen Verweis auf das demokratische Versprechen zu verstehen, das an die Uneinlösbarkeit seines universellen Anspruches gebunden bleibt – das kann als Herausforderung und Bedingung eines radikaldemokratischen Verständnisses von ›Inklusion‹ gelten. Ein solches Projekt kann nicht auf einem positiven normativen Fundament ruhen, sondern muss die Unbegründbarkeit sozialer beziehungsweise pädagogischer Ordnungen zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen machen. Dies impliziert eine unausgesetzte Konfrontation der pädagogischen Ordnungsvorstellungen mit den demokra-

5 Bilanzierung: Inklusionspädagogik und -forschung als radikales Investment

tischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit. Bisherige inklusionspädagogische Theorien und Praxen sind damit ebenso in Frage zu stellen, wie sonderpädagogische Autorisierungsstrategien. Wohin dieser Weg führt und welche Koalitions- und Konfrontationsmöglichkeiten er eröffnet, ist notwendig unbestimmt. Wenn sich inklusionsorientierte Pädagogiken mit dieser Unbestimmtheit verbänden, so der Einsatz dieser Arbeit, wären sie der Formulierung einer Allgemeinen Pädagogik aber ein gutes Stück nähergekommen – gerade weil sie sich von dem Anspruch ihrer tatsächlichen Realisierbarkeit entfernt hätten. Die politische Dimension von ›Inklusion‹ öffnet sich also in der Entscheidung für die Begründung einer demokratischen Ordnung für alle, deren faktischen Unmöglichkeit sowie dem dennoch gegebenen Versprechen auf deren Verwirklichung. In diesem und für dieses prekäre Verhältnis sollten sich inklusionsorientierte Professionen einsetzen. Ihrem Wesen nach politisch ist die Inklusionspädagogik und -forschung nur dort, wo sie nicht der Versuchung erliegt, diesen Raum voreilig zu schließen. Denn »[e]ine Zukunft haben die Bildung wie auch die Demokratie […] nur solange, wie das unvermeidbare Bemühen um klare Grenzen, Bestimmungen und Strukturen, um Problemlösungen, Stabilisierungen und Gewissheiten scheitert, so dass aus den Möglichkeiten keine Fakten werden, weil es beides nur gibt, solange es ein Versprechen und im Kommen bleibt.« (Wimmer 2014, S. 371)

255

6 Literaturverzeichnis

Abbas, Nabila (2015): Der Konflikt um die Leerstelle. Das politische Denken Claude Leforts zwischen Totalitarismus und Demokratie. In: Oliver Flügel-Martinsen und Franziska Martinsen (Hg.): Demokratietheorie und Staatskritik aus Frankreich. Neuere Diskurse und Perspektiven. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 131-146. Ahrandjani-Amirpur, Donja; Platte, Andrea (Hg.) (2017): Handbuch Inklusive Kindheiten. Opladen, Toronto: Barbara Budrich. Ahrbeck, Bernd (2016): Inklusion. Eine Kritik. 3., aktualisierte Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. Ahrens, Söhnke (2018): Die politische Indifferenz. Zur Verortung des Politischen in der funktional-differenzierten Gesellschaft. In: Carsten Bünger, Olaf Sanders und Sabrina Schenk (Hg.): Bildung und Politik nach dem Spätkapitalismus. Hamburg: Argument, S. 75-94. Aichele, Valentin (2019): Eine Dekade UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. In: APuZ 69 (6-7), S. 4-10. Amrhein, Bettina (Hg.) (2016): Diagnostik im Kontext inklusiver Bildung. Theorien, Ambivalenzen, Akteure, Konzepte. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Angermuller, Johannes (2007): Nach dem Strukturalismus. Theoriediskurs und intellektuelles Feld in Frankreich. Bielefeld: Transcript. Angermuller, Johannes; Wedl, Juliette (2014): Diskursforschung in der Soziologie. In: Johannes Angermuller, Martin Nonhoff, Eva Herschinger, Felicitas Macgilchrist, Martin Reisigl, Juliette Wedl, Daniel Wrana und Alexander Ziem (Hg.): Diskursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Band 1. Theorien, Methodologien und Kontroversen. 2 Bände. Bielefeld: Transcript, S. 162-191. Arendt, Hannah (2011): Es gibt nur ein einziges Menschenrecht. In: Christoph Menke und Francesca Raimondi (Hg.): Die Revolution der Menschenrech-

258

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

te. Grundlegende Texte zu einem neuen Begriff des Politischen. Berlin: Suhrkamp, S. 394-410. Arendt, Hannah (2017): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. 20. Auflage. München, Berlin, Zürich: Piper. Balibar, Étienne (2012): Gleichfreiheit. Politische Essays. Berlin: Suhrkamp. Bausch, Christiane (2014): Die Hervorbringung von Migranten als Andere – Deskriptive Repräsentation aus postkolonialer Perspektive. In: Markus Linden und Winfried Thaa (Hg.): Ungleichheit und politische Repräsentation. Baden-Baden: Nomos, S. 145-162. Becker, Uwe (2016): Die Inklusionslüge. Behinderung im flexiblen Kapitalismus. 2. Auflage. Bielefeld: Transcript. Behrends, Teresa; Mierendorff, Johanna; Mayer, Ralf (2017): Wer ist das Subjekt der Kinderrechte? In: Berliner Debatte Initial 28 (2), S. 3-11. Bernhard, Armin (2012): Inklusion – Ein importiertes erziehungswissenschaftliches Zauberwort und seine Tücken. In: Behindertenpädagogik – Vierteljahresschrift für Behindertenpädagogik und Integration Behinderter in Praxis, Forschung und Lehre 51 (4), S. 342-351. Beyer, Friederike (2017): Didaktik des gemeinsamen Unterrichts – Kompetenzen und Erfordernisse im Kontext von Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung als Bestandteil einer »Schule für alle«. In: Markus Lang, Ursula Hofer und Friederike Beyer (Hg.): Didaktik des Unterrichts mit blinden und hochgradig sehbehinderten Schülerinnen und Schülern. Band 1: Grundlagen. 2. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer, S. 84-122. Biermann, Julia (2019): »Sonderpädagogisierung der Inklusion«. Artikel 24 UN-BRK und die Diskurse über die Entwicklung inklusiver Schulsysteme in Nigeria und Deutschland. In: APuZ 69 (6-7), S. 19-23. Boelderl, Artur R. (2015): Nach dem Subjekt ist vor dem Subjekt. Vom politischen Sinn der Subjektivierung bei Jean-Luc Nancy und Philippe LacoueLabarthe. In: Oliver Flügel-Martinsen und Franziska Martinsen (Hg.): Demokratietheorie und Staatskritik aus Frankreich. Neuere Diskurse und Perspektiven. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 223-238. Boger, Mai-Anh (2017): Theorien der Inklusion – eine Übersicht. In: Zeitschrift für Inklusion. Online verfügbar unter https://www.inklusion-online. net/index.php/inklusion-online/article/view/413/317, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Boger, Mai-Anh (2018): Das Politische und die Politik der Inklusionsforschung. In: Maik Walm, Thomas H. Häcker, Falk Radisch und Anja Krüger

6 Literaturverzeichnis

(Hg.): Empirisch-pädagogische Forschung in inklusiven Zeiten. Konzeptualisierung, Professionalisierung, Systementwicklung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 64-75. Boger, Mai-Anh (2019a): Politiken der Inklusion. Die Theorie der trilemmatischen Inklusion zum Mitdiskutieren. Münster: edition assemblage. Boger, Mai-Anh (2019b): Subjekte der Inklusion. Die Theorie der trilemmatischen Inklusion zum Mitfühlen. Münster: edition assemblage. Boger, Mai-Anh; Textor, Annette (2016): Das Förderungs-StigmatisierungsDilemma Oder: Der Effekt diagnostischer Kategorien auf die Wahrnehmung durch Lehrkräfte. In: Bettina Amrhein (Hg.): Diagnostik im Kontext inklusiver Bildung. Theorien, Ambivalenzen, Akteure, Konzepte. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 79-97. Bräu, Karin (Hg.) (2015): Soziale Konstruktionen in Schule und Unterricht. Zu den Kategorien Leistung, Migration, Geschlecht, Behinderung, soziale Herkunft und deren Interdependenzen. Opladen: Barbara Budrich. Breckman, Warren (2016): Zwei Ordnungen des Symbolischen: Radikale Demokratie zwischen Romantik und Strukturalismus. In: Paula Diehl und Felix Steilen (Hg.): Politische Repräsentation und das Symbolische. Historische, politische und soziologische Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS, S. 51-64. Buchner, Tobias (2018): Die Subjekte der Integration. Schule, Biographie und Behinderung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Buchner, Tobias; Koenig, Oliver; Schuppener, Saskia (Hg.) (2016): Inklusive Forschung. Gemeinsam mit Menschen mit Lernschwierigkeiten forschen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Buchner, Tobias; Lindmeier, Christian (2019): Grundzüge, Rezeptionslinien und Desiderate ableismuskritischer Forschung im deutschsprachigen Raum. In: Sonderpädagogische Förderung heute 64 (3), S. 233-239. Buchner, Tobias; Pfahl, Lisa; Traue, Boris (2015): Zur Kritik der Fähigkeiten: Ableism als neue Forschungsperspektive der Disability Studies und ihrer Partner_innen. In: Zeitschrift für Inklusion. Online verfügbar unter https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/ article/view/273/256, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Bücker, Lisa; Schläger, Grete; Thielen, Marc (2017): Die Förderung von sozialer Kompetenz in berufsvorbereitendem Unterricht im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion in der Berufsbildung. In: Jürgen Budde, Andrea Dlugosch und Tanja Sturm (Hg.): (Re-)Konstruktive Inklusionsforschung.

259

260

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Differenzlinien – Handlungsfelder – Empirische Zugänge. Leverkusen: Barbara Budrich, S. 321-335. Budde, Jürgen; Blasse, Nina; Johannsen, Svenja (2017a): Praxistheoretische Inklusionsforschung im Schulunterricht. In: Zeitschrift für Inklusion 2016. Online verfügbar unter https://www.inklusion-online.net/index. php/inklusion-online/article/view/358/310, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Budde, Jürgen; Dlugosch, Andrea; Sturm, Tanja (Hg.) (2017b): (Re-)Konstruktive Inklusionsforschung. Differenzlinien – Handlungsfelder – Empirische Zugänge. Leverkusen: Barbara Budrich. Budde, Jürgen; Dlugosch, Andrea; Sturm, Tanja (2017c): (Re-)Konstruktive Inklusionsforschung – eine Einleitung. In: dies. (Hg.): (Re-)Konstruktive Inklusionsforschung. Differenzlinien – Handlungsfelder – Empirische Zugänge. Leverkusen: Barbara Budrich, S. 11-19. Budde, Jürgen; Hummrich, Merle (2014): Reflexive Inklusion. In: Zeitschrift für Inklusion. Online verfügbar unter https://www.inklusion-online. net/index.php/inklusion-online/article/view/193/199, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Bundesagentur für Arbeit (Hg.) (2019): Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung. Nürnberg. Online verfügbar unter https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/201812/analyse/analyse-arbeitsmarktschwerbehinderte/analyse-arbeitsmarkt-schwerbehinderte-d-0-201812pdf.pdf, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2017): Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Bonn. Bundesverfassungsgericht (2019): Beschluss des Zweiten Senats vom 29.01.2019. Online verfügbar unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2019/01/cs20190129_2bvc006214.pdf;jsessionid=B0D058D3D6B874E9FC119E9ED18330D7.2_cid392?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Butler, Judith (1993): Kontingente Grundlagen. Der Feminismus und die Frage der »Postmoderne«. In: Seyla Benhabib, Judith Butler und Drucilla Cornell (Hg.): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart. Frankfurt a.M.: Fischer, S. 31-58. Butler, Judith (2001): Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Butler, Judith (2007): Kritik der ethischen Gewalt. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Butler, Judith (2010): Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen. Frankfurt a.M., New York: Campus.

6 Literaturverzeichnis

Butler, Judith (2016): Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung. Berlin: Suhrkamp. Bylinski, Ursula; Rützel, Josef (Hg.) (2016): Inklusion als Chance und Gewinn für eine differenzierte Berufsbildung. Bielefeld: W. Bertelsmann. Casale, Rita; Koller, Hans-Christoph; Ricken, Norbert (Hg.) (2016): Das Pädagogische und das Politische. Zu einem Topos der Erziehungs- und Bildungsphilosophie. Paderborn: Schöningh. Castel, Robert (2000): Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit. Konstanz: UVK. Castoriadis, Cornelius (1990): Die griechische polis und die Schaffung der Demokratie. In: Ulrich Rödel (Hg.): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 298-327. Cheneval, Francis (2015): Demokratietheorien. Zur Einführung. Hamburg: Junius. Comtesse, Dagmar (2019): Freiheit und Gleichheit. In: Dagmar Comtesse, Oliver Flügel-Martinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 523-533. Comtesse, Dagmar; Flügel-Martinsen, Oliver; Martinsen, Franziska; Martin Nonhoff (Hg.) (2019a): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp. Comtesse, Dagmar; Flügel-Martinsen, Oliver; Martinsen, Franziska; Nonhoff, Martin (2019b): Demokratie. In: dies. (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 457-483. Comtesse, Dagmar; Flügel-Martinsen, Oliver; Martinsen, Franziska; Nonhoff, Martin (2019c): Einleitung. In: dies. (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 11-21. Dammer, Karl-Heinz (2015): Gegensätze ziehen sich an. Gemeinsamkeiten und Synergieeffekte zwischen Inklusion und Neoliberalismus. In: Sven Kluge, Andrea Liesner und Edgar Weiss (Hg.): Inklusion als Ideologie. Jahrbuch für Pädagogik 2015. Frankfurt a.M., Bern u.a.: Peter Lang, S. 2139. Dannenbeck, Clemens (2012): Wie kritisch ist der pädagogische Inklusionsdiskurs? Entpolitisierungsrisiko und theoretische Verkürzung. In: Kerstin Rathgeb (Hg.): Disability Studies. Kritische Perspektiven für die Arbeit am Sozialen. Wiesbaden: Springer VS, S. 55-67. Dannenbeck, Clemens; Dorrance, Carmen (2009): Inklusion als Perspektive (sozial)pädagogischen Handelns – eine Kritik der Entpolitisierung des Inklusionsgedankens. In: Zeitschrift für Inklusion. Online verfüg-

261

262

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

bar unter https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/ article/view/161/161, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Dederich, Markus (Hg.) (2006): Inklusion statt Integration? Heilpädagogik als Kulturtechnik. Gießen: Psychosozial-Verlag. Dederich, Markus (2007): Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability Studies. Bielefeld: Transcript. Dederich, Markus (2013): Philosophie in der Heil- und Sonderpädagogik. Stuttgart: Kohlhammer. Dederich, Markus (2015): Kritik der Dekategorisierung. Ein philosophischer Versuch. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 84 (3), S. 192-205. Dederich, Markus (2016): Unterstützung durch Dekategorisierung? Eine Replik auf Andreas Hinz und Andreas Köpfer. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 85 (1), S. 48-52. Dederich, Markus (2017): Inklusion und Exklusion. In: Jürgen Budde, Andrea Dlugosch und Tanja Sturm (Hg.): (Re-)Konstruktive Inklusionsforschung. Differenzlinien – Handlungsfelder – Empirische Zugänge. Leverkusen: Barbara Budrich, S. 69-82. Dederich, Markus (2019): Schulische Inklusion: Grundannahmen, Probleme und Perspektiven. In: Britta Baumert und Mareike Willen (Hg.): Zwischen Persönlichkeitsbildung und Leistungsentwicklung. Fachspezifische Zugänge zu inklusivem Unterricht im interdisziplinären Diskurs. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 17-46. Demirović, Alex (2007): Hegemonie und die diskursive Konstruktion der Gesellschaft. In: Martin Nonhoff (Hg.): Diskurs – radikale Demokratie – Hegemonie. Zum politischen Denken von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Bielefeld: Transcript, S. 55-85. Deppe-Wolfinger, Helga (Hg.) (1983a): Behindert und abgeschoben. Zum Verhältnis von Behinderung und Gesellschaft. Weinheim: Beltz. Deppe-Wolfinger, Helga (1983b): Behinderung und Gesellschaft. Thesen zu einer Soziologie der Behinderten. In: dies. (Hg.): Behindert und abgeschoben. Zum Verhältnis von Behinderung und Gesellschaft. Weinheim: Beltz, S. 30-42. Deppe-Wolfinger, Helga (1987): Die gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder – Zum Menschenbild einer neuen bildungspolitischen Bewegung. In: Wilhelm-Ludwig Federlin und Edmund Weber (Hg.): Unterwegs für die Volkskirche. Festschrift für Dieter Stoodt zum 60. Geburtstag. Frankfurt a.M.: Lang, S. 87-101.

6 Literaturverzeichnis

Deppe-Wolfinger, Helga (1990a): Integration im gesellschaftlichen Wandel. In: Helga Deppe-Wolfinger, Annedore Prengel und Helmut Reiser (Hg.): Integrative Pädagogik in der Grundschule. Bilanz und Perspektiven der Integration behinderter Kinder in der Bundesrepublik Deutschland; 1976 – 1988. München: DJI Verlag Deutsches Jugendinstitut, S. 310-324. Deppe-Wolfinger, Helga (1990b): Zur Geschichte integrativer Klassen und Schulen. In: Helga Deppe-Wolfinger, Annedore Prengel und Helmut Reiser (Hg.): Integrative Pädagogik in der Grundschule. Bilanz und Perspektiven der Integration behinderter Kinder in der Bundesrepublik Deutschland; 1976 – 1988. München: DJI Verlag Deutsches Jugendinstitut, S. 11-26. Deppe-Wolfinger, Helga (2009): Schulische Integration im Prozess gesellschaftlicher Desintegration. In: Hans Eberwein und Sabine Knauer (Hg.): Handbuch Integrationspädagogik. 7. Auflage. Weinheim: Beltz, S. 46-52. Deppe-Wolfinger, Helga; Prengel, Annedore; Reiser, Helmut (Hg.) (1990): Integrative Pädagogik in der Grundschule. Bilanz und Perspektiven der Integration behinderter Kinder in der Bundesrepublik Deutschland; 1976 – 1988. Deutsches Jugendinstitut. München: DJI Verlag Deutsches Jugendinstitut. Derrida, Jacques (1972): Die Schrift und die Differenz. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Derrida, Jacques (1999): Die différance. In: ders. (Hg.): Randgänge der Philosophie. 2. Auflage. Wien: Passagen, S. 29-52. Derrida, Jacques (2006): Schurken. Zwei Essays über die Vernunft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) (2017): Inklusion: Bedeutung und Aufgabe für die Erziehungswissenschaft. Online verfügbar unter https://www.dgfe.de/fileadmin/OrdnerRedakteure/ Stellungnahmen/2017.01_Inklusion_Stellungnahme.pdf, zuletzt geprüft am 13.05.2019. Deutscher Bildungsrat (1974): Empfehlungen der Bildungskommission: Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher. Stuttgart. Deutscher Bundestag (2001): Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. SGB IX, vom 29.03.2017. In: Bundesgesetzblatt (1), S. 1046. Deutscher Bundestag (2002): Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. BGG, vom 10.07.2018. In: Bundesgesetzblatt (1), S. 1467-1468.

263

264

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) (2005): Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Köln. Diehl, Paula (2015): Das Symbolische, das Imaginäre und die Demokratie. Eine Theorie politischer Repräsentation. Baden Baden: Nomos. Diehl, Paula (2016): Repräsentation im Spannungsfeld von Symbolizität, Performativität und politischem Imaginären. In: Paula Diehl und Felix Steilen (Hg.): Politische Repräsentation und das Symbolische. Historische, politische und soziologische Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS, S. 7-22. Dietrich, Cornelie (2017a): Teilhabe – Teil sein – Anteil nehmen. Anthropologische Argumente der Zugehörigkeit. In: Ingrid Miethe, Anja Tervooren und Norbert Ricken (Hg.): Bildung und Teilhabe. Zwischen Inklusionsforderung und Exklusionsdrohung, S. 29-46. Dietrich, Fabian (2017b): Inklusion im Mehrebenensystem: Überlegungen und explorative Analysen zur Einführung der »Inklusiven Schule« aus der Perspektive einer rekonstruktiven Gouvernanceforschung. In: Jürgen Budde, Andrea Dlugosch und Tanja Sturm (Hg.): (Re-)Konstruktive Inklusionsforschung. Differenzlinien – Handlungsfelder – Empirische Zugänge. Leverkusen: Barbara Budrich, S. 181-195. Dollinger, Bernd; Kessl, Fabian; Neumann, Sascha; Sandermann, Philipp (2014): Gesellschaftsbilder Sozialer Arbeit. In: Bernd Dollinger, Fabian Kessl, Sascha Neumann und Philipp Sandermann (Hg.): Gesellschaftsbilder Sozialer Arbeit. Eine Bestandsaufnahme. Bielefeld: Transcript, S. 7-11. Doose, Stefan (2016): Arbeit. In: Ingeborg Hedderich, Gottfried Biewer, Judith Hollenweger und Reinhard Markowetz (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 448-453. Eberwein, Hans (1997): Integrationspädagogik als Weiterentwicklung (sonder-)pädagogischen Denkens und Handelns. In: Hans Eberwein (Hg.): Handbuch Integrationspädagogik. Kinder mit und ohne Behinderung lernen gemeinsam. 4. Auflage. Weinheim, Basel: Beltz, S. 55-68. Eberwein, Hans (1998): Integrationspädagogik als Element einer allgemeinen Pädagogik und Lehrerausbildung. In: Anne Hildeschmidt und Irmtraud Schnell (Hg.): Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle. Weinheim: Juventa, S. 345-362. Ebner von Eschenbach, Malte (2016): Doing difference – Die Reflexion auf Unterscheidungen als Ansatz Politischer Erwachsenenbildung. In: Magazin Erwachsenenbildung.at. 28, S. 1-10.

6 Literaturverzeichnis

Ellger-Rüttgardt, Sieglind Luise (2016a): Historischer Überblick. In: Ingeborg Hedderich, Gottfried Biewer, Judith Hollenweger und Reinhard Markowetz (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 17-27. Ellger-Rüttgardt, Sieglind Luise (2016b): Inklusion. Vision und Wirklichkeit. Stuttgart: Kohlhammer. Emmerich, Marcus; Hormel, Ulrike (2013): Heterogenität – Diversity – Intersektionalität. Zur Logik sozialer Unterscheidungen in pädagogischen Semantiken der Differenz. Wiesbaden: Springer VS. Evangelische Kirche Deutschland (EKD) (2014): Es ist normal, verschieden zu sein. Inklusion leben in Kirche und Gesellschaft. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Exner, Karsten (2018): Warum die Anwendung des Inklusionsbegriffes kontraproduktiv ist. Zwei Thesen und eine Frage zum Inklusionsdiskurs im Behindertenbereich. In: Maik Walm, Thomas H. Häcker, Falk Radisch und Anja Krüger (Hg.): Empirisch-pädagogische Forschung in inklusiven Zeiten. Konzeptualisierung, Professionalisierung, Systementwicklung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 76-87. Felder, Franziska (2012): Inklusion und Gerechtigkeit. Das Recht behinderter Menschen auf Teilhabe. Frankfurt a.M., New York: Campus. Feuser, Georg (1989): Allgemeine integrative Pädagogik und entwicklungslogische Didaktik. In: Behindertenpädagogik – Vierteljahresschrift für Behindertenpädagogik und Integration Behinderter in Praxis, Forschung und Lehre 28 (1), S. 4-48. Feuser, Georg (1995): Behinderte Kinder und Jugendliche. Zwischen Integration und Aussonderung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Feuser, Georg (1999): Integration – eine Frage der Didaktik einer Allgemeinen Pädagogik. In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft 22 (1), S. 39-49. Feuser, Georg (Hg.) (2017): Inklusion – ein leeres Versprechen? Zum Verkommen eines Gesellschaftsprojekts. Gießen: Psychosozial-Verlag. Feyerer, Ewald; Prammer, Wilfried; Prammer-Semmler, Eva; Kladnik, Christine; Leibetseder, Margit; Wimberger, Richard (2018): Vorwort. In: Ewald Feyerer, Wilfried Prammer, Eva Prammer-Semmler, Christine Kladnik, Margit Leibetseder und Richard Wimberger (Hg.): System. Wandel. Entwicklung. Akteurinnen und Akteure inklusiver Prozesse im Spannungsfeld von Institution, Profession und Person. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 5-7.

265

266

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Flügel, Oliver (2004): Démocratie à venir: Jacques Derrida. In: Oliver Flügel, Reinhard Heil und Andreas Hetzel (Hg.): Die Rückkehr des Politischen. Demokratietheorien heute. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 19-42. Flügel, Oliver (2007): Jenseits von Prozedur und Substanz. Jacques Derrida und die normative Demokratietheorie. In: Andreas Niederberger und Markus Wolf (Hg.): Politische Philosophie und Dekonstruktion. Beiträge zu einer politischen Theorie im Anschluss an Jacques Derrida. Bielefeld: Transcript, S. 119-141. Flügel, Oliver; Heil, Reinhard; Hetzel, Andreas (Hg.) (2004): Die Rückkehr des Politischen. Demokratietheorien heute. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Flügel-Martinsen, Oliver (2015): Die demokratische Subversion der polizeilichen Ordnung. Jacques Rancières Kritik der politischen Philosophie. In: Oliver Flügel-Martinsen und Franziska Martinsen (Hg.): Demokratietheorie und Staatskritik aus Frankreich. Neuere Diskurse und Perspektiven. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 75-88. Flügel-Martinsen, Oliver (2017): Die Kontingenz der demokratischen Gesellschaft. Zum demokratietheoretischen Gehalt Ernesto Laclaus Hegemonietheorie. In: Oliver Marchart (Hg.): Ordnungen des Politischen. Einsätze und Wirkungen der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus. Wiesbaden: Springer VS, S. 13-31. Flügel-Martinsen, Oliver (2019a): Jacques Derrida. In: Dagmar Comtesse, Oliver Flügel-Martinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 275-284. Flügel-Martinsen, Oliver (2019b): Kritik. In: Dagmar Comtesse, Oliver FlügelMartinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 576-582. Foucault, Michel (1973): Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Fritzsche, Bettina (2014): Inklusion als Exklusion. Differenzproduktionen im Rahmen des schulischen Anerkennungsgeschehens. In: Anja Tervooren, Nicolas Engel, Michael Göhlich, Ingrid Miethe und Sabine Reh (Hg.): Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern. Internationale Entwicklungen erziehungswissenschaftlicher Forschung. Bielefeld: Transcript, S. 329-345. Fritzsche, Bettina (2018): Inklusion als Anerkennung einer primären Verletzbarkeit. Zum Ertrag von Judith Butlers Anerkennungskonzept für die Analyse von inkludierenden und exkludierenden Effekten pädagogischer

6 Literaturverzeichnis

Praktiken. In: Tanja Sturm und Monika Wagner-Willi (Hg.): Handbuch schulische Inklusion. Opladen, Toronto, S. 61-75. Fuchs, Peter (2002): Behinderung und Soziale Systeme. Anmerkungen zu einem schier unlösbaren Problem. In: Das gepfefferte Ferkel. Online-Journal für systemisches Denken und Handeln. Online verfügbar unter https://www.ibsnetworld.de/Ferkel/Archiv/fuchs-p-02-05_behinderungen.html, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Gauchet, Marcel (1990): Tocqueville, Amerika und wir. Über die Entstehung der demokratischen Gesellschaften. In: Ulrich Rödel (Hg.): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 123206. Gaus, Daniel (2004): Demokratie zwischen Konflikt und Konsens. Zur politischen Philosophie Claude Leforts. In: Oliver Flügel, Reinhard Heil und Andreas Hetzel (Hg.): Die Rückkehr des Politischen. Demokratietheorien heute. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 65-86. Geenens, Ralf (2013): Claude Lefort und Pierre Castres: Einheit und Teilung. In: Andreas Wagner (Hg.): Am leeren Ort der Macht. Das Staats- und Politikverständnis Claude Leforts. Baden-Baden: Nomos, S. 49-66. Geldner, Jens (2017): Exkurs: Zur Entstehung der analytischen Erzählungen. In: Kirsten Puhr und Jens Geldner (Hg.): Eine inklusionsorientierte Schule. Erzählungen von Teilhabe, Ausgrenzungen und Behinderungen. Wiesbaden: Springer VS, S. 239-242. Gomolla, Mechthild; Radtke, Frank-Olaf (2009): Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. 3. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Gottuck, Susanne; Mecheril, Paul (2014): Einer Praxis einen Sinn zu verleihen, heißt sie zu kontextualisieren. Methodologie kulturwissenschaftlicher Bildungsforschung. In: Florian von Rosenberg und Alexander Geimer (Hg.): Bildung unter Bedingungen kultureller Pluralität. Wiesbaden: Springer VS, S. 87-108. Gröschke, Dieter (2011): Arbeit, Behinderung, Teilhabe. Anthropologische, ethische und gesellschaftliche Bezüge. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Haas, Benjamin (2012): Dekonstruktion und Dekategorisierung: Perspektiven einer nonkategorialen (Sonder-)Pädagogik. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 63 (10), S. 404-413. Hackbarth, Anja (2017): Schülerkooperation in inklusiven und exklusiven Schulformen. In: Jürgen Budde, Andrea Dlugosch und Tanja Sturm (Hg.):

267

268

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

(Re-)Konstruktive Inklusionsforschung. Differenzlinien – Handlungsfelder – Empirische Zugänge. Leverkusen: Barbara Budrich, S. 196-209. Hazibar, Kerstin; Mecheril, Paul (2013): Es gibt keine richtige Pädagogik in falschen gesellschaftlichen Verhältnissen. Widerspruch als Grundkategorie einer Behinderungspädagogik. In: Zeitschrift für Inklusion 2013. Online verfügbar unter https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusiononline/article/view/23/23, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Heil, Reinhard; Hetzel, Andreas (2006): Die unendliche Aufgabe – Perspektiven und Grenzen radikaler Demokratie. In: Andreas Hetzel und Reinhard Heil (Hg.): Die unendliche Aufgabe. Kritik und Perspektiven der Demokratietheorie. Bielefeld: Transcript, S. 7-23. Heimlich, Ulrich (2003): Integrative Pädagogik. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer. Heimlich, Ulrich (2004): Didaktische Konzepte für den zieldifferenten Gemeinsamen Unterricht. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 55 (6), S. 288-295. Hetzel, Andreas (2004): Demokratie ohne Grund. Ernesto Laclaus Transformation der Politischen Theorie. In: Oliver Flügel, Reinhard Heil und Andreas Hetzel (Hg.): Die Rückkehr des Politischen. Demokratietheorien heute. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 185-210. Hetzel, Andreas (2011): Politische Repräsentation und radikale Demokratie. In: fiph Journal, S. 24-25. Online verfügbar unter https://fiph.de/ veroeffentlichungen/journale/cover-downloads/FIPH-Journal-2011Fruehjahr.pdf?m=1570630343&, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Hetzel, Andreas (2017): Eine Politik der Dislokation. Laclaus verallgemeinerte Rhetorik. In: Oliver Marchart (Hg.): Ordnungen des Politischen. Einsätze und Wirkungen der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus. Wiesbaden: Springer VS, S. 33-56. Hetzel, Andreas (2019): Radikal_ität. In: Dagmar Comtesse, Oliver FlügelMartinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 604-607. Hetzel, Andreas; Heil, Reinhard (Hg.) (2006): Die unendliche Aufgabe. Kritik und Perspektiven der Demokratietheorie. Bielefeld: Transcript (Edition moderne Postmoderne). Hetzel, Mechthild (2007): Provokation des Ethischen. Diskurse über Behinderung und ihre Kritik. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Hilbrich, Ole; Ricken, Norbert (2019): Vom ›Hass der Pädagogik‹ zum ›Unvernehmen‹ der Generationen – Überlegungen zur systematischen Bedeutung von Streit für Theorien der Erziehung. In: Ralf Mayer, Alfred Schäfer

6 Literaturverzeichnis

und Steffen Wittig (Hg.): Jacques Rancière. Pädagogische Lektüren. Wiesbaden: Springer VS, S. 45-69. Hinz, Andreas (1993): Heterogenität in der Schule. Integration – interkulturelle Erziehung – Koedukation. Hamburg: Curio-Verlag Erziehung und Wissenschaft. Hinz, Andreas (2000): Vom halbvollen und halbleeren Glas der Integration – Gemeinsame Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Maren Hans und Antje Ginnold (Hg.): Integration von Menschen mit Behinderung. Entwicklungen in Europa. Neuwied: Luchterhand, S. 230-237. Hinz, Andreas (2002): Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung? In: Zeitschrift für Heilpädagogik 53 (9), S. 354-361. Hinz, Andreas (2004): Vom sonderpädagogischen Verständnis der Integration zum integrationspädagogischen Verständnis der Inklusion!? In: Irmtraud Schnell (Hg.): Inklusive Pädagogik, S. 41-74. Hinz, Andreas (2006): Inklusion. In: Georg Antor und Ulrich Bleidick (Hg.): Handlexikon der Behindertenpädagogik. Schlüsselbegriffe aus Theorie und Praxis. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kohlhammer, S. 97-99. Hoffmann, Ilka (2014): Anforderungen an die Professionalität inklusiv arbeitender Fachkräfte. In: Susann Kroworsch (Hg.): Inklusion im deutschen Schulsystem. Barrieren und Lösungswege. Berlin, Freiburg i.Br.: Lambertus-Verlag, S. 129-134. Hoffmann, Thomas (2018a): Inklusive Pädagogik als Pädagogik der Befreiung. Fünf Thesen. In: Thomas Hoffmann, Wolfgang Jantzen und Ursula Stinkes (Hg.): Empowerment und Exklusion. Zur Kritik der Mechanismen gesellschaftlicher Ausgrenzung. Gießen: Psychosozial-Verlag, S. 19-48. Hoffmann, Thomas (2018b): Leistungsfähigkeit und Leistungsgerechtigkeit aus behinderten- und inklusionspädagogischer Perspektive. In: Teresa Sansour, Oliver Musenberg und Judith Riegert (Hg.): Bildung und Leistung. Differenz zwischen Selektion und Anerkennung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 70-80. Hoffmann, Thomas; Jantzen, Wolfgang; Stinkes, Ursula (Hg.) (2018): Empowerment und Exklusion. Zur Kritik der Mechanismen gesellschaftlicher Ausgrenzung. Gießen: Psychosozial-Verlag. Hollenweger, Judith (2016): Klassifizierungen der Medizin und Gesundheitswissenschaft. In: Ingeborg Hedderich, Gottfried Biewer, Judith Hollenwe-

269

270

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

ger und Reinhard Markowetz (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 161-165. Homann, Jürgen; Bruhn, Lars (2020): Wer spricht denn da? Kritische Anmerkungen zum Konzept der Selbstbetroffenheit. In: David Brehme, Petra Fuchs, Swantje Köbsell und Carla Wesselmann (Hg.): Disability Studies im deutschsprachigen Raum. Zwischen Emanzipation und Vereinnahmung. Weinheim, Basel: Beltz Juventa, S. 80-89. Howarth, David; Norval; Aletta; Stavrakakis, Yannis (Hg.) (2000): Discourse theory and political analysis. Identities, hegemonies and social change. Manchester: Manchester University Press. Hummrich, Merle (2017): Rekonstruktive Inklusionsforschung als (rekonstruktive) Bildungsforschung im Anspruch einer reflexiven Wissenschaft. In: Jürgen Budde, Andrea Dlugosch und Tanja Sturm (Hg.): (Re-)Konstruktive Inklusionsforschung. Differenzlinien – Handlungsfelder – Empirische Zugänge. Leverkusen: Barbara Budrich, S. 165-180. Iben, Gerd (1983): Zum Begriff der sozialen Benachteiligung. In: Helga DeppeWolfinger (Hg.): Behindert und abgeschoben. Zum Verhältnis von Behinderung und Gesellschaft. Weinheim: Beltz, S. 23-29. Imhäuser, Karl-Heinz (2014): Bauliche Voraussetzungen für Inklusion. In: Susann Kroworsch (Hg.): Inklusion im deutschen Schulsystem. Barrieren und Lösungswege. Berlin, Freiburg i.Br.: Lambertus-Verlag, S. 147-159. Jantzen, Wolfgang (1976a): Materialistische Erkenntnistheorie, Behindertenpädagogik und Didaktik. In: Demokratische Erziehung 2 (1), S. 15-29. Jantzen, Wolfgang (1976b): Zur begrifflichen Fassung der Behinderung aus der Sicht des historischen und dialektischen Materialismus. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 27 (7). Jantzen, Wolfgang (1997): 25 Jahre Empfehlung der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates zur Pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher. Weiterentwicklung – Stillstand – Rückschritt. Online verfügbar unter http://basaglia.de/ Artikel/bildungskommission.pdf, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Jantzen, Wolfgang (2005): »Es kommt darauf an, sich zu verändern …«. Zur Methodologie und Praxis rehistorisierender Diagnostik und Intervention. Gießen: Psychosozial-Verlag. Jantzen, Wolfgang (2015): Inklusion und Kolonialität – Gegenrede zu einer unpolitischen Inklusionsdebatte. In: Sven Kluge, Andrea Liesner und Edgar Weiss (Hg.): Inklusion als Ideologie. Jahrbuch für Pädagogik 2015. Frankfurt a.M., Bern u.a.: Peter Lang, S. 241-253.

6 Literaturverzeichnis

Jantzen, Wolfgang (2017): Inklusion als Paradiesmetapher? Zur Kritik einer unpolitischen Diskussion und Praxis. In: Georg Feuser (Hg.): Inklusion – ein leeres Versprechen? Zum Verkommen eines Gesellschaftsprojekts. Gießen: Psychosozial-Verlag, S. 51-76. Jantzen, Wolfgang (2018): Soziale Inklusion. In: Maik Walm, Thomas H. Häcker, Falk Radisch und Anja Krüger (Hg.): Empirisch-pädagogische Forschung in inklusiven Zeiten. Konzeptualisierung, Professionalisierung, Systementwicklung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 88-102. Jentsch, Sabine (2014): Politische Emanzipation und demokratische Inklusion. In: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheitsund Sozialbereich. 34 (133), S. 93-102. Jergus, Kerstin (2011): Liebe ist. Artikulationen der Unbestimmtheit im Sprechen über Liebe – eine Diskursanalyse. Bielefeld: Transcript. Jörke, Dirk (2006): Wie demokratisch sind radikale Demokratietheorien? In: Andreas Hetzel und Reinhard Heil (Hg.): Die unendliche Aufgabe. Kritik und Perspektiven der Demokratietheorie. Bielefeld: Transcript, S. 253266. Kaack, Martina (2017): Inklusion und Exklusion in der Interaktion. Systemtheoretische Betrachtung am Beispiel einer pädagogischen Studie. Bielefeld: Transcript. Katzenbach, Dieter (2015): Zu den Theoriefundamenten der Inklusion. Eine Einladung zum Diskurs aus der Perspektive der kritischen Theorie. In: Irmtraud Schnell (Hg.): Herausforderung Inklusion. Theoriebildung und Praxisw. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 19-32. Keller, Reiner (2011): Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. 3. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Kluge, Sven; Liesner, Andrea; Weiss, Edgar (2015a): Editorial. In: dies. (Hg.): Inklusion als Ideologie. Jahrbuch für Pädagogik 2015. Frankfurt a.M., Bern u.a.: Peter Lang, S. 9-17. Kluge, Sven; Liesner, Andrea; Weiss, Edgar (Hg.) (2015b): Inklusion als Ideologie. Jahrbuch für Pädagogik 2015. Frankfurt a.M., Bern u.a.: Peter Lang. KMK (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland) (1994): Empfehlung zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland. Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 06.05.1994. Online verfügbar unter https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_be-

271

272

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

schluesse/1994/1994_05_06-Empfehl-Sonderpaedagogische-Foerderung.pdf, zuletzt geprüft am 24.06.2020. Knauer, Sabine (2009): Integrationspädagogik im gesellschaftlichen Umbruch. In: Hans Eberwein und Sabine Knauer (Hg.): Handbuch Integrationspädagogik. 7. Auflage. Weinheim: Beltz, S. 53-61. Knauth, Thorsten; Jochimsen, Maren A. (Hg.) (2017): Einschließungen und Ausgrenzungen. Zur Intersektionalität von Religion, Geschlecht und sozialem Status für religiöse Bildung. Münster, New York: Waxmann. Kneer, Georg (2010): Wissenssoziologie. In: Georg Kneer und Markus Schroer (Hg.): Handbuch Spezielle Soziologien. Ein Handbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 707-723. Kneer, Georg; Schroer, Markus (Hg.) (2010): Handbuch Spezielle Soziologien. Ein Handbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Köbsell, Swantje (2006): Im Prinzip: Jein! Zum Verhältnis der deutschen Behindertenbewegung zur Integration behinderter Menschen. In: Markus Dederich (Hg.): Inklusion statt Integration? Heilpädagogik als Kulturtechnik. Gießen: Psychosozial-Verlag, S. 62-71. Kremsner, Gertraud; Buchner, Tobias; König, Oliver (2016): Inklusive Forschung. In: Ingeborg Hedderich, Gottfried Biewer, Judith Hollenweger und Reinhard Markowetz (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 645-649. Krenz-Dewe, Daniel; Mecheril, Paul (2014): Einsicht, Charisma, Zwang. Die illusionären Grundlagen pädagogischer Führung und Nachfolge. In: Alfred Schäfer (Hg.): Hegemonie und autorisierende Verführung. Paderborn: Schöningh, S. 41-65. Kronauer, Martin (2006): »Exklusion« als Kategorie einer kritischen Gesellschaftsanalyse: Vorschläge für eine anstehende Debatte. In: Karl-Siegbert Rehberg (Hg.): Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München 2004. Frankfurt a.M., New York: Campus, S. 4179-4190. Kronauer, Martin (2010a): Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus. 2. Auflage. Frankfurt a.M., New York: Campus. Kronauer, Martin (2010b): Inklusion – Exklusion. Eine historische und begriffliche Annäherung an die soziale Frage der Gegenwart. In: Martin Kronauer (Hg.): Inklusion und Weiterbildung. Reflexionen zur gesellschaftlichen Teilhabe in der Gegenwart. Bielefeld: W. Bertelsmann, S. 24-58.

6 Literaturverzeichnis

Kronauer, Martin (2012): Inklusion, Exklusion und Arbeitsgesellschaft. Impulsreferat im Rahmen der Veranstaltung »Inklusion und Ausgrenzung in der Arbeitsgesellschaft« der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt am 8. Oktober 2012 in Halle/Saale. Online verfügbar unter https:// weiterdenken.de/de/2014/02/21/inklusion-exklusion-und-arbeitsgesellschaft, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Kronauer, Martin (2015): Wer Inklusion möchte, darf über Exklusion nicht schweigen. Plädoyer für eine erweiterte Debatte. In: Sven Kluge, Andrea Liesner und Edgar Weiss (Hg.): Inklusion als Ideologie. Jahrbuch für Pädagogik 2015. Frankfurt a.M., Bern u.a.: Peter Lang, S. 147-158. Kronauer, Martin (2018): Was kann die Inklusionsdebatte von der Exklusionsdebatte lernen? In: Ewald Feyerer, Wilfried Prammer, Eva PrammerSemmler, Christine Kladnik, Margit Leibetseder und Richard Wimberger (Hg.): System. Wandel. Entwicklung. Akteurinnen und Akteure inklusiver Prozesse im Spannungsfeld von Institution, Profession und Person. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 40-54. Krossa, Anne Sophie (2018): Gesellschaft. Betrachtungen eines Kernbegriffs der Soziologie. Wiesbaden: Springer VS. Krüger, Jens Oliver; Schäfer, Alfred; Schenk, Sabrina (2014): Zur Analyse von Erfahrungsdiskursen. Eine empirische Annäherung an Bildung als Problem. In: Christiane Thompson, Kerstin Jergus und Georg Breidenstein (Hg.): Interferenzen. Perspektiven kulturwissenschaftlicher Bildungsforschung. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, S. 153-174. Kuhn, Andreas (2020): Das Pädagogische der Sonderpädagogik? Überlegungen zu einer pädagogischen Begründung der Sonderpädagogik zwischen Einheit und Differenz des Pädagogischen. In: Michael Grosche, Claudia Gottwald und Hendrik Trescher (Hg.): Diskurs in der Sonderpädagogik. Widerstreitende Positionen. München: Ernst Reinhardt. S. 24-35. Labhart, David (2018): Information zur Schule: Die Vereinzelung der Professionellen sowie der Schülerinnen und Schüler und das nichtinstitutionalisierte Gemeinsame. Mündlicher Vortrag an der Tagung »Die Vereinzelung der Menschen und die Aneignung des Gemeinsamen« in Basel. Online verfügbar unter https://www.researchgate.net/profile/David_Labhart/publication/331166602_Information_zur_Schule_Die_Vereinzelung_der_Professionellen_sowie_der_Schulerinnen_und_Schuler_und_das_nicht-institutionalisierte_Gemeinsame/links/5c6a6826299bf1e3a5af14be/Information-zur-Schule-Die-Vereinzelung-der-Professionellen-sowie-der-Schuelerinnen-und-Schueler-und-das-nicht-insti-

273

274

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

tutionalisierte-Gemeinsame.pdf?_sg%5B0%5D=Suid_Dx5ZgVep8yegAckd7q1TfjCDpWZh3BbSqT_9S0Wjcp0E74Msd9gFKUPwSJaL4cOyLBds6PPDQhnvz31CCYfOw.ViENASZHS8oGNqZuUlXAbHBxo8lyBO-JDqKceiQ69wwFsll6g_lFGCoYVIo4xD0xO6KCSNdNhTWzhj_HF534vA&origin=publicationDetail, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Laclau, Ernesto (Hg.) (1990a): New Reflections on the Revolution of Our Time. London: Verso. Laclau, Ernesto (1990b): New Reflections on the Revolution of Our Time. In: ders. (Hg.): New Reflections on the Revolution of Our Time. London: Verso, S. 3-85. Laclau, Ernesto (1990c): The Impossibility of Society. In: ders. (Hg.): New Reflections on the Revolution of Our Time. London: Verso, S. 89-92. Laclau, Ernesto (1993): Discourse. In: Robert E. Goodin, Philip Pettit und Pogge Thomas (Hg.): A Companion to Contemporary Political Philosophy. 2. Auflage. Hoboken: Blackwell Publishing Ltd., S. 541-547. Laclau, Ernesto (1999): Dekonstruktion, Pragmatismus, Hegemonie. In: Chantal Mouffe (Hg.): Dekonstruktion und Pragmatismus. Demokratie, Wahrheit und Vernunft. Wien: Passagen, S. 111-153. Laclau, Ernesto (2007): Ideologie und Post-Marxismus. In: Martin Nonhoff (Hg.): Diskurs – radikale Demokratie – Hegemonie. Zum politischen Denken von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Bielefeld: Transcript, S. 2539. Laclau, Ernesto (Hg.) (2013a): Emanzipation und Differenz. Wien: Turia und Kant. Laclau, Ernesto (2013b): Identität und Hegemonie: Die Rolle der Universalität in der Konstitution von politischen Logiken. In: Judith Butler, Ernesto Laclau und Slavoj Žižek (Hg.): Kontingenz, Hegemonie, Universalität. Aktuelle Dialoge zur Linken. Wien: Turia und Kant, S. 57-111. Laclau, Ernesto (2013c): Struktur, Geschichte und das Politische. In: Judith Butler, Ernesto Laclau und Slavoj Žižek (Hg.): Kontingenz, Hegemonie, Universalität. Aktuelle Dialoge zur Linken. Wien: Turia und Kant, S. 227263. Laclau, Ernesto (Hg.) (2014a): The Rhetorical Foundations of Society. London: Verso. Laclau, Ernesto (2014b): Introduction. In: ders. (Hg.): The Rhetorical Foundations of Society. London: Verso, S. 1-9. Laclau, Ernesto; Mouffe, Chantal (2012): Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus. 4. Auflage. Wien: Passagen.

6 Literaturverzeichnis

Lamla, Jörn; Laux, Henning; Rosa, Hartmut; Strecker, David (2014): Handbuch der Soziologie. Konstanz: UVK. Landesverband Soziokultur Sachsen (Hg.): Handbuch zur Planung und Umsetzung von Barrierefreiheit in Jugend- und Kultureinrichtungen. Online verfügbar unter https://www.inklusion-kultur.de/wp-content/uploads/ 2018/03/Handbuch-Barrierefreiheit.pdf, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Lefort, Claude (1990a): Die Frage der Demokratie. In: Ulrich Rödel (Hg.): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 281-297. Lefort, Claude (1990b): Menschenrechte und Politik. In: Ulrich Rödel (Hg.): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 239-280. Lefort, Claude; Gauchet, Marcel (1990): Über die Demokratie: Das Politische und die Instituierung des Gesellschaftlichen. In: Ulrich Rödel (Hg.): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 89-122. Lelgemann, Reinhard (2014): Strukturen und Beteiligungsformen für eine inklusive Schulentwicklung. In: Susann Kroworsch (Hg.): Inklusion im deutschen Schulsystem. Barrieren und Lösungswege. Berlin, Freiburg i.Br.: Lambertus-Verlag, S. 117-128. Lembcke, Oliver (2016): Theorie demokratischer Repräsentation. In: Oliver Lembcke, Claudia Ritzi und Gary S. Schaal (Hg.): Zeitgenössische Demokratietheorie. Band 2: empirische Demokratietheorien. Wiesbaden: Springer VS, S. 23-58. Lessenich, Stephan (2008): Die Neuerfindung des Sozialen. Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus. Bielefeld: Transcript. Lichtblau, Michael; Blömer, Daniel; Jüttner, Ann-Kathrin; Koch, Katja; Krüger, Michaela; Werning, Rolf (Hg.) (2014): Forschung zu inklusiver Bildung. Gemeinsam anders lehren und lernen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Linden, Markus; Thaa, Winfried (2011): Krise und Repräsentation. In: dies. (Hg.): Krise und Reform politischer Repräsentation. Baden-Baden: Nomos, S. 11-41. Lindmeier, Christian; Lindmeier, Bettina (2015): Inklusion aus Perspektive des rechtlichen und ethischen Begründungsdiskurses. In: Erziehungswissenschaft 51 (26), S. 43-51. Lindmeier, Christian; Lütje-Klose, Birgit (2015): Inklusion als Querschnittsaufgabe in der Erziehungswissenschaft. In: Erziehungswissenschaft 26 (51), S. 7-16.

275

276

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Lorey, Isabell; Mesner, Maria; Borek, Johanna; Birkhan, Ingvild; Saurer, Edith; Wagner, Birgit; Nagl-Docekal, Herta (1995): Diskussion mit Butler. In: L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 6 (1), S. 82-97. Luder, Reto; Kunz, André; Diezi-Duplain, Peter (2016): Diagnostik. In: Ingeborg Hedderich, Gottfried Biewer, Judith Hollenweger und Reinhard Markowetz (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 331-337. Luhmann, Niklas (1994): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. 4. Auflage. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Luhmann, Niklas (1998): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Band 2. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Lütje-Klose, Birgit (2018): Überlegungen zur Konzeptualisierung von Inklusion – Einordnungen, Ansätze, Hinweise zur Operationalisierung. In: Maik Walm, Thomas H. Häcker, Falk Radisch und Anja Krüger (Hg.): Empirischpädagogische Forschung in inklusiven Zeiten. Konzeptualisierung, Professionalisierung, Systementwicklung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 2750. Macgilchrist, Felicitas (2015): Geschichte und Dissens. Diskursives Ringen um Demokratie in der Schulbuchproduktion. In: Susann Fegter, Fabian Kessl und Antje Langer (Hg.): Erziehungswissenschaftliche Diskursforschung. Empirische Analysen zu Bildungs- und Erziehungsverhältnissen. Wiesbaden: Springer VS, S. 193-209. Marchart, Oliver (2010): Die politische Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben. Berlin: Suhrkamp. Marchart, Oliver (2013a): Das unmögliche Objekt. Eine postfundamentalistische Theorie der Gesellschaft. Berlin: Suhrkamp. Marchart, Oliver (2013b): Die Prekarisierungsgesellschaft. Prekäre Proteste. Politik und Ökonomie im Zeichen der Prekarisierung. Bielefeld: Transcript. Marchart, Oliver (2015): Demokratischer Radikalismus und radikale Demokratie. Historisch-programmatische Anmerkungen zum Stand politischer Theorie. In: Berliner Debatte Initial 26 (4), S. 21-32. Marchart, Oliver (2017a): Die Diskursanalyse der Essex School. Modell und Methode. In: ders. (Hg.): Ordnungen des Politischen. Einsätze und Wirkungen der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus. Wiesbaden: Springer VS, S. 57-80.

6 Literaturverzeichnis

Marchart, Oliver (Hg.) (2017b): Ordnungen des Politischen. Einsätze und Wirkungen der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus. Wiesbaden: Springer VS. Markowetz, Reinhard; Reich, Kersten (2016): Didaktik. In: Ingeborg Hedderich, Gottfried Biewer, Judith Hollenweger und Reinhard Markowetz (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 338-346. Martinez Mateo, Marina (2019): Füreinander Sprechen. Zu einer feministischen Theorie der Repräsentation. In: Leviathan. Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaften 47 (3), S. 331-353. Martinsen, Franziska (2014): Politik des »als-ob«. Demokratische Teilhabe der Nichtrepräsentierten? In: Markus Linden und Winfried Thaa (Hg.): Ungleichheit und politische Repräsentation. Baden-Baden: Nomos, S. 195214. Martinsen, Franziska (2019a): Grenzen der Menschenrechte. Staatsbürgerschaft, Zugehörigkeit, Partizipation. Bielefeld: Transcript. Martinsen, Franziska (2019b): Politik und Politisches. In: Dagmar Comtesse, Oliver Flügel-Martinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 583592. Marttila, Tomas; Gengnagel, Vincent (2017): Die postfundamentalistische Diskursanalyse und die Engpässe kritischer Praxis. In: Oliver Marchart (Hg.): Ordnungen des Politischen. Einsätze und Wirkungen der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus. Wiesbaden: Springer VS, S. 103-124. Marx, Karl (1976): Zur Judenfrage. In: Marx Engels Werke. Band 1. Berlin: Dietz, S. 347-377. Maschke, Michael (2004): Behinderung als Feld wohlfahrtsstaatlicher Politik – eine Systematisierung der Behindertenpolitik. In: Berliner Journal für Soziologie 14 (3), S. 399-420. Maschke, Michael (2007): Behinderung als Ungleichheitsphänomen – Herausforderungen an Forschung und politische Praxis. In: Anne Waldschmidt und Werner Schneider (Hg.): Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung. Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld. Bielefeld: Transcript, S. 299-320. Maskos, Rebekka (2015): Ableism und das Ideal des autonom Fähig-Seins in der kapitalistischen Gesellschaft. In: Zeitschrift für Inklusion. Online verfügbar unter https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/ article/view/277/260, zuletzt geprüft am 13.05.2020.

277

278

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Masschelein, Jan; Wimmer, Michael (1996): Alterität Pluralität Gerechtigkeit und der Einsatz der Dekonstruktion in der Pädagogik. Einleitung. In: dies. (Hg.): Alterität. Pluralität. Gerechtigkeit. Randgänge der Pädagogik. Leuven: Leuven University Press, S. 7-23. Mayer, Ralf (2017): Teilhabe und Teilung. In: Ingrid Miethe, Anja Tervooren und Norbert Ricken (Hg.): Bildung und Teilhabe. Zwischen Inklusionsforderung und Exklusionsdrohung, S. 65-85. Mayer, Ralf; Schäfer, Alfred; Wittig, Steffen (2019): Jacques Rancère – zum Anfang. In: dies. (Hg.): Jacques Rancière. Pädagogische Lektüren. Wiesbaden: Springer VS, S. 1-43. Miethe, Ingrid; Tervooren, Anja (2017): Einleitung. In: Ingrid Miethe, Anja Tervooren und Norbert Ricken (Hg.): Bildung und Teilhabe. Zwischen Inklusionsforderung und Exklusionsdrohung, S. 1-7. Moebius, Stephan; Quadflieg, Dirk (2011): Kulturtheorien der Gegenwart – Heterotopien der Theorie. In: Stephan Moebius und Dirk Quadflieg (Hg.): Kultur – Theorien der Gegenwart. 2., erweiterte und aktualisierte Auflage. Moser, Vera (2003): Konstruktion und Kritik. Sonderpädagogik als Disziplin. Opladen: Leske und Budrich. Moser, Vera (2016): Professionsforschung. In: Ingeborg Hedderich, Gottfried Biewer, Judith Hollenweger und Reinhard Markowetz (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Moser, Vera (2017): Historische Kontextualisierungen der Integrations- und Inklusionsforschung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Jürgen Budde, Andrea Dlugosch und Tanja Sturm (Hg.): (Re-)Konstruktive Inklusionsforschung. Differenzlinien – Handlungsfelder – Empirische Zugänge. Leverkusen: Barbara Budrich, S. 21-32. Moser, Vera; Sasse, Ada (2008): Theorien der Behindertenpädagogik. München, Basel: Reinhardt. Mouffe, Chantal (2007): Pluralismus, Dissens und demokratische Staatsbürgerschaft. In: Martin Nonhoff (Hg.): Diskurs – radikale Demokratie – Hegemonie. Zum politischen Denken von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Bielefeld: Transcript, S. 41-53. Mouffe, Chantal (2010): Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Lizenzausgabe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Mouffe, Chantal (2015): Agonistik. Die Welt politisch denken. Lizenzausgabe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Mouffe, Chantal (2018): Für einen linken Populismus. 2. Auflage. Berlin: Suhrkamp.

6 Literaturverzeichnis

Münch, Richard (2004): Soziologische Theorie. Frankfurt a.M., New York: Campus. Mürner, Christian; Sierck, Udo (2013): Behinderung. Chronik eines Jahrhunderts. Lizenzausgabe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Musenberg, Oliver (Hg.) (2013): Kultur – Geschichte – Behinderung. Die kulturwissenschaftliche Historisierung von Behinderung. Oberhausen: Athena. Musenberg, Oliver; Riegert, Judith; Sansour, Teresa (Hg.) (2018): Dekategorisierung in der Pädagogik. Notwendig und riskant? Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Muth, Jakob (1986): Integration von Behinderten. Über die Gemeinsamkeit im Bildungswesen. Essen: Neue-Deutsche-Schule-Verlag. Muth, Jakob (2009): Zur bildungspolitischen Dimension der Integration. In: Hans Eberwein und Sabine Knauer (Hg.): Handbuch Integrationspädagogik. 7. Auflage. Weinheim: Beltz, S. 38-45. Niederberger, Andreas (2004): Aufteilung(en) unter Gleichen. Zur Theorie der demokratischen Konstitution der Welt bei Jacques Rancière. In: Oliver Flügel, Reinhard Heil und Andreas Hetzel (Hg.): Die Rückkehr des Politischen. Demokratietheorien heute. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 129-145. Niederberger, Andreas; Wolf, Markus (Hg.) (2007): Politische Philosophie und Dekonstruktion. Beiträge zu einer politischen Theorie im Anschluss an Jacques Derrida. Bielefeld: Transcript. Nonhoff, Martin (2006): Politischer Diskurs und Hegemonie. Das Projekt »Soziale Marktwirtschaft«. Bielefeld: Transcript. Nonhoff, Martin (2010): Chantal Mouffe und Ernesto Laclau: Konfliktivität und Dynamik des Politischen. In: Ulrich Bröckling und Robert Feustel (Hg.): Das Politische denken. Zeitgenössische Positionen. Bielefeld: Transcript, S. 33-57. Nonhoff, Martin (2017): Antagonismus und Antagonsimen – hegemonietheoretische Aufklärung. In: Oliver Marchart (Hg.): Ordnungen des Politischen. Einsätze und Wirkungen der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus. Wiesbaden: Springer VS, S. 81-102. Nonhoff, Martin (2019a): Ernesto Laclau. In: Dagmar Comtesse, Oliver FlügelMartinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 337-345.

279

280

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Nonhoff, Martin (2019b): Hegemonie. In: Dagmar Comtesse, Oliver FlügelMartinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 542-552. Oppelt, Martin (2019): Claude Lefort. In: Dagmar Comtesse, Oliver FlügelMartinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 346-355. Pfahl, Lisa (2014): Techniken der Behinderung. Der deutsche Lernbehinderungsdiskurs, die Sonderschule und ihre Auswirkungen auf Bildungsbiografien. Bielefeld: Transcript. Pfahl, Lisa; Plangger, Sascha; Schönwiese, Volker (2018): Institutionelle Eigendynamik, Unübersichtlichkeit und Ambivalenzen im Bildungswesen: Wo steht Inklusion? In: Ewald Feyerer, Wilfried Prammer, Eva PrammerSemmler, Christine Kladnik, Margit Leibetseder und Richard Wimberger (Hg.): System. Wandel. Entwicklung. Akteurinnen und Akteure inklusiver Prozesse im Spannungsfeld von Institution, Profession und Person. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 93-102. Pfahl, Lisa; Schürmann, Lena; Traue, Boris (2015): Das Fleisch der Diskurse. Zur Verbindung von Biographie- und Diskursforschung in der wissenssoziologischen Subjektivierungsanalyse am Beispiel der Behindertenpädagogik. In: Susann Fegter, Fabian Kessl und Antje Langer (Hg.): Erziehungswissenschaftliche Diskursforschung. Empirische Analysen zu Bildungs- und Erziehungsverhältnissen. Wiesbaden: Springer VS, S. 89106. Platte, Andrea (2015): Inklusive Bildung: Leitidee von der Kindertageseinrichtung bis zur Hochschule. In: Theresia Degener und Elke Diehl (Hg.): Handbuch Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 130-146. Powell, Justin (2007): Behinderung in der Schule, behindert durch Schule? Die Institutionalisierung der ›schulischen Behinderung‹. In: Anne Waldschmidt und Werner Schneider (Hg.): Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung. Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld. Bielefeld: Transcript, S. 321-343. Prengel, Annedore (1990): Integration als pädagogisches Paradigma? In: Helga Deppe-Wolfinger, Annedore Prengel und Helmut Reiser (Hg.): Integrative Pädagogik in der Grundschule. Bilanz und Perspektiven der Integration behinderter Kinder in der Bundesrepublik Deutschland; 1976 – 1988. München: DJI Verlag Deutsches Jugendinstitut, S. 273-290.

6 Literaturverzeichnis

Prengel, Annedore (2006): Pädagogik der Vielfalt. 3. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Preuss-Lausitz, Ulf (1993): Die Kinder des Jahrhunderts. Zur Pädagogik der Vielfalt im Jahr 2000. Weinheim: Beltz. Preuss-Lausitz, Ulf (2009): Integrationsforschung. In: Hans Eberwein und Sabine Knauer (Hg.): Handbuch Integrationspädagogik. 7. Auflage. Weinheim: Beltz, S. 458-470. Prinz, Janosch (2019): Pluralismus. In: Dagmar Comtesse, Oliver FlügelMartinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 681-689. Puhr, Kirsten (2009): Inklusion und Exklusion im Kontext prekärer Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen. Biografische Portraits. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Puhr, Kirsten (2017a): Behinderung als (de-)legitimierte pädagogische Kategorie. In: Christiane Thompson und Sabrina Schenk (Hg.): Zwischenwelten der Pädagogik. Paderborn: Schöningh, S. 95-110. Puhr, Kirsten (2017b): Drei Thesen zu Forschungsbedingungen der Erziehungswissenschaft im Themenfeld Inklusion. Eine Lektüre der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft zu Inklusion 28 (55), S. 79-88. Puhr, Kirsten (2017c): Theoretische Einsätze in Erzählungen von Teilhabe, Ausgrenzungen und Behinderungen im Kontext inklusionsorientierter Schulvorstellungen. In: Kirsten Puhr und Jens Geldner (Hg.): Eine inklusionsorientierte Schule. Erzählungen von Teilhabe, Ausgrenzungen und Behinderungen. Wiesbaden: Springer VS, S. 13-61. Puhr, Kirsten (2017d): Thesen zu inklusionsorientierten Schulvorstellungen. In: Kirsten Puhr und Jens Geldner (Hg.): Eine inklusionsorientierte Schule. Erzählungen von Teilhabe, Ausgrenzungen und Behinderungen. Wiesbaden: Springer VS, S. 325-351. Puhr, Kirsten; Geldner, Jens (Hg.) (2017): Eine inklusionsorientierte Schule. Erzählungen von Teilhabe, Ausgrenzungen und Behinderungen. Wiesbaden: Springer VS. Raimondi, Francesca (2019): Subjektivierung. In: Dagmar Comtesse, Oliver Flügel-Martinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 622-632. Rajal, Elke; trafo.K; Marchart, Oliver; Landkammer, Nora; Maier, Carina (Hg.) (2020): Making Democracy. Aushandlungen von Gleichheit, Freiheit und Solidarität im Alltag. Bielefeld: Transcript.

281

282

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Rancière, Jacques (2011): Wer ist das Subjekt der Menschenrechte? In: Christoph Menke und Francesca Raimondi (Hg.): Die Revolution der Menschenrechte. Grundlegende Texte zu einem neuen Begriff des Politischen. Berlin: Suhrkamp, S. 474-490. Rancière, Jacques (2014): Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. 5. Auflage. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Reckwitz, Andreas (2003): Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive. In: Zeitschrift für Soziologie 32 (4), S. 282-301. Reiser, Helmut (1990): Ergebnisse der Untersuchung. In: Helga DeppeWolfinger, Annedore Prengel und Helmut Reiser (Hg.): Integrative Pädagogik in der Grundschule. Bilanz und Perspektiven der Integration behinderter Kinder in der Bundesrepublik Deutschland; 1976 – 1988. München: DJI Verlag Deutsches Jugendinstitut, S. 259-272. Reiser, Helmut (2003): Vom Begriff Integration zum Begriff Inklusion – Was kann mit dem Begriffswechsel angestoßen werden? In: Sonderpädagogische Förderung 48 (4), S. 305-312. Reiser, Helmut (2007): Inklusion – Vision oder Illusion? In: Dieter Katzenbach (Hg.): Vielfalt braucht Struktur. Heterogenität als Herausforderung für die Unterrichts- und Schulentwicklung. Frankfurt a.M.: JohannWolfgang-Goethe-Universität, S. 99-105. Reiser, Helmut; Klein, Gabriele; Kreie, Gisela; Kron, Maria (1986a): Integration als Prozeß. Teil 1. In: Sonderpädagogik 16 (3), S. 115-122. Reiser, Helmut; Klein, Gabriele; Kreie, Gisela; Kron, Maria (1986b): Integration als Prozeß. Teil 2. In: Sonderpädagogik 16 (4), S. 154-160. Ricken, Norbert; Balzer, Nicole (Hg.) (2012): Judith Butler. Pädagogische Lektüren. Wiesbaden: Springer VS. Ritsert, Jürgen (2000): Gesellschaft. Ein unergründlicher Grundbegriff der Soziologie. Frankfurt a.M., New York: Campus. Rödel, Ulrich (Hg.) (1990): Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Röh, Dieter (2016): Grundbegriffe und Grundlagen: Gesellschaft, Partizipation und Benachteiligung. In: Ingeborg Hedderich, Gottfried Biewer, Judith Hollenweger und Reinhard Markowetz (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 387-396. Rösner, Hans-Uwe (Hg.) (2014): Behindert sein – behindert werden. Texte zu einer dekonstruktiven Ethik der Anerkennung behinderter Menschen. Bielefeld: Transcript.

6 Literaturverzeichnis

Sack, Detlef (2019): Entscheidung. In: Dagmar Comtesse, Oliver FlügelMartinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 504-512. Saharaoui, Nassima (2015): Die messianische Kraft der Demokratie. Zu Politik, Geschichte und Zeitlichkeit bei Jacques Derrida. In: Oliver Flügel-Martinsen und Franziska Martinsen (Hg.): Demokratietheorie und Staatskritik aus Frankreich. Neuere Diskurse und Perspektiven. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 205-222. Sander, Alfred (Hg.) (1988): Behinderte Kinder und Jugendliche in Regelschulen. Jahresbericht 1987 über schulische Integration im Saarland. St. Ingbert: Röhrig. Sander, Alfred (2002): Von der integrativen zur inklusiven Bildung – Internationaler Stand und Konsequenzen für die sonderpädagogische Förderung in Deutschland. In: Anette Hausotter, Werner Boppel und Helmut Meschenmoser (Hg.): Perspektiven Sonderpädagogischer Förderung in Deutschland. Dokumentation der Nationalen Fachtagung vom 14.-16. November 2001 in Schwerin. Middelfart, S. 143-164. Sansour, Teresa (2018): Zwischen Leistung und Sinnstiftung – arbeitsweltorientierte Angebote für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung. In: Wolfgang Lamers (Hg.): Teilhabe von Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung an Alltag, Arbeit, Kultur. Oberhausen: Athena, S. 83-94. Saward, Michael (2006): The Representative Claim. In: Contemporary Political Theory 5 (3), S. 297-318. Schäfer, Alfred (2011a): Das Versprechen der Bildung. Paderborn: Schöningh. Schäfer, Alfred (2011b): Irritierende Fremdheit. Bildungsforschung als Diskursanalyse. Paderborn: Schöningh. Schäfer, Alfred (Hg.) (2014): Hegemonie und autorisierende Verführung. Paderborn: Schöningh. Schimank, Uwe (2014): Gesellschaft. Bielefeld: Transcript. Schlienger, Ines (2016): Beratung. In: Ingeborg Hedderich, Gottfried Biewer, Judith Hollenweger und Reinhard Markowetz (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 353-359. Schnell, Irmtraud (2003): Geschichte schulischer Integration. Gemeinsames Lernen von SchülerInnen mit und ohne Behinderung in der BRD seit 1970. Weinheim: Juventa. Schuppener, Saskia (2014): Blickrichtung Inklusion. In: InterAktiv (1), S. 4-7.

283

284

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Schützeichel, Rainer (2018): Vorwort. In: Rainer Schützeichel (Hg.): Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Köln: Herbert von Halem Verlag, S. 7-10. Sierck, Udo (2013): Budenzauber Inklusion. Neu-Ulm: AG-SPAK-Bücher. Sievi, Luzia (2017): Demokratie ohne Grund – kein Grund für Demokratie? Zum Verhältnis von Demokratie und Poststrukturalismus. Bielefeld: Transcript. Sigwart, Hans-Jörg (2016): Das Ganze der Gesellschaft und das Politische: Zum Problem einer Theorie gesamtgesellschaftlicher Integration. In: Michael Haus und Sybille de La Rosa (Hg.): Politische Theorie und Gesellschaftstheorie. Zwischen Erneuerung und Ernüchterung. Baden-Baden: Nomos, S. 117-147. Singer, Philipp (2018): Inklusion und Fremdheit. Abschied von einer pädagogischen Leitideologie. Bielefeld: Transcript. Steiner, Gusti (1983): In eigener Sache. In: Helga Deppe-Wolfinger (Hg.): Behindert und abgeschoben. Zum Verhältnis von Behinderung und Gesellschaft. Weinheim: Beltz, S. 79-92. Sternfeld, Nora (2009): Das pädagogische Unverhältnis. Lehren und Lernen bei Rancière, Gramsci und Foucault. Wien: Turia und Kant. Stichweh, Rudolf (2009): Leitgesichtspunkte einer Soziologie der Inklusion und Exklusion. In: Rudolf Stichweh und Paul Windolf (Hg.): Inklusion und Exklusion. Analysen zur Sozialstruktur und sozialen Ungleichheit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 29-42. Sturm, Tanja (2015a): Herstellung und Bearbeitung von Differenz im inklusiven Unterricht. In: Karin Bräu (Hg.): Soziale Konstruktionen in Schule und Unterricht. Zu den Kategorien Leistung, Migration, Geschlecht, Behinderung, soziale Herkunft und deren Interdependenzen. Opladen: Barbara Budrich, S. 223-234. Sturm, Tanja (2015b): Inklusion: Kritik und Herausforderung des schulischen Leistungsprinzips. In: Erziehungswissenschaft 26 (51), S. 25-32. Sturm, Tanja (2016): Rekonstruktiv-praxeologische Schul- und Unterrichtsforschung im Kontext von Inklusion. In: Zeitschrift für Inklusion (4). Online verfügbar unter https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusiononline/article/view/321/273, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Tervooren, Anja (2017): Zum Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft. Das Thema der Inklusion als Herausforderung. In: Ingrid Miethe, Anja Tervooren und Norbert Ricken

6 Literaturverzeichnis

(Hg.): Bildung und Teilhabe. Zwischen Inklusionsforderung und Exklusionsdrohung, S. 11-27. Thielen, Marc (2016): Die Debatte um inklusive Berufsbildung im Spannungsfeld von Heterogenität und Standardisierung. In: Ursula Bylinski und Josef Rützel (Hg.): Inklusion als Chance und Gewinn für eine differenzierte Berufsbildung. Bielefeld: W. Bertelsmann (Berichte zur beruflichen Bildung), S. 113-123. Thon, Christine (2011): Die Politik der Individualität. Zur Hegemonietheoretischen Kritik aktueller geschlechterpolitischer Diskurse. In: Gender 3 (2), S. 114-128. Tiedeken, Peter (2015): Kulturelle Bildung auch für Nazis? Perspektiven und Widersprüchlichkeiten von Akzeptierender Jugendarbeit und Inklusion mit Bezügen zur rechtsextremistischen Musikszene. Online verfügbar unter https://www.kubi-online.de/artikel/kulturelle-bildung-auch-nazisperspektiven-widerspruechlichkeiten-akzeptierender, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Trautmann, Felix (2013): Die Fortdauer des Politisch-Imaginären: Das Symbolische der Macht und die Phantasmen gesellschaftlicher Einheit nach Claude Lefort. In: Andreas Wagner (Hg.): Am leeren Ort der Macht. Das Staats- und Politikverständnis Claude Leforts. Baden-Baden: Nomos, S. 91-116. Trautmann, Felix (2019): Das Imaginäre. In: Dagmar Comtesse, Oliver FlügelMartinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 553-562. Trenk-Hinterberger, Peter (2015): Arbeit, Beschäftigung und Ausbildung. In: Theresia Degener und Elke Diehl (Hg.): Handbuch Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 105-117. UNESCO (1994): The Salamanca Statement and Framework for Action on Special Needs Education. Online verfügbar unter https://unesdoc.unesco.org/ ark:/48223/pf0000098427, zuletzt geprüft am 13.05.2020. United Nations (2006): Convention on the Rights of Personswith Disabilities and Optional Protocol (UN-BRK). Online verfügbar unter https://www.un.org/disabilities/documents/convention/convoptprote.pdf, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Vasilache, Andreas (2019): Dissen/Konflikt/Kampf. In: Dagmar Comtesse, Oliver Flügel-Martinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff (Hg.): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin: Suhrkamp, S. 492-503.

285

286

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Wachtel, Peter (2014): Zum Stand der Umsetzung der inklusiven Schule in den Bundesländern. In: Susann Kroworsch (Hg.): Inklusion im deutschen Schulsystem. Barrieren und Lösungswege. Berlin, Freiburg i.Br.: Lambertus-Verlag, S. 39-55. Wagener, Benjamin (2018): Inklusion aus Perspektive der Praxeologischen Wissenssoziologie. In: Tanja Sturm und Monika Wagner-Willi (Hg.): Handbuch schulische Inklusion. Opladen, Toronto: Barbara Budrich, S. 77-92. Wagner, Andreas (Hg.) (2013): Am leeren Ort der Macht. Das Staats- und Politikverständnis Claude Leforts. Baden-Baden: Nomos. Waldschmidt, Anne (Hg.) (2003): Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Disability Studies. Tagungsdokumentation. Kassel: bifos e.V. Waldschmidt, Anne (2012): Selbstbestimmung als Konstruktion. Alltagstheorien behinderter Frauen und Männer. 2., korrigierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Waldschmidt, Anne; Schneider, Werner (Hg.) (2007): Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung. Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld. Bielefeld: Transcript. Walgenbach, Katharina (2018): Dekategorisierung – Verzicht auf Kategorien? In: Oliver Musenberg, Judith Riegert und Teresa Sansour (Hg.): Dekategorisierung in der Pädagogik. Notwendig und riskant? Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 11-39. Wansing, Gudrun (2005): Teilhabe an der Gesellschaft. Menschen mit Behinderung zwischen Inklusion und Exklusion. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wansing, Gudrun (2012): Inklusion in einer exklusiven Gesellschaft. Oder: Wie der Arbeitsmarkt Teilhabe behindert. In: Behindertenpädagogik – Vierteljahresschrift für Behindertenpädagogik und Integration Behinderter in Praxis, Forschung und Lehre 51 (4), S. 381-396. Wansing, Gudrun (2015): Was bedeutet Inklusion? Annäherung an einen vielschichtigen Begriff. In: Theresia Degener und Elke Diehl (Hg.): Handbuch Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 43-54. Wansing, Gudrun; Westphal, Manuela; Jochmaring, Jan; Schriener, Mario (2016): Herstellungsweisen und Wirkungen von Differenzkategorien im Zugang zu beruflicher (Aus-)Bildung. In: Ursula Bylinski und Josef Rützel

6 Literaturverzeichnis

(Hg.): Inklusion als Chance und Gewinn für eine differenzierte Berufsbildung. Bielefeld: W. Bertelsmann, S. 71-85. Weiß, Alexander (2016): Left after Luhmann? Emanzipatorische Potentiale in Luhmanns Systemtheorie und ihre Anwendung in der Demokratietheorie. In: Michael Haus und Sybille de La Rosa (Hg.): Politische Theorie und Gesellschaftstheorie. Zwischen Erneuerung und Ernüchterung. BadenBaden: Nomos, S. 169-191. Weymans, Wim (2006): Freiheit durch politische Repräsentation – Lefort, Gauchet und Rosanvallon über die Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft. In: Andreas Hetzel und Reinhard Heil (Hg.): Die unendliche Aufgabe. Kritik und Perspektiven der Demokratietheorie. Bielefeld: Transcript, S. 185-207. Wimmer, Michael (2014): Die Agonalität des Demokratischen und die Aporetik der Bildung. Zwölf Thesen zum Verhältnis zwischen Politik und Pädagogik. In: Michael Wimmer (Hg.): Pädagogik als Wissenschaft des Unmöglichen. Bildungsphilosophische Interventionen. Paderborn: Ferdinand Schöningh, S. 359-374. Winkler, Michael (2018): Kritik der Inklusion. Am Ende einer Illusion. Stuttgart: Kohlhammer. Wocken, Hans (1998): Gemeinsame Lernsituationen. Eine Skizze zur Theorie des gemeinsamen Unterrichts. In: Anne Hildeschmidt und Irmtraud Schnell (Hg.): Integrationspädagogik. Auf dem Weg zu einer Schule für alle. Weinheim: Juventa, S. 37-52. Wocken, Hans (2014): Verkehrte Inklusion: Über die ungerührte Fortsetzung der Separation und die ungeziemende Eingemeindung der Nichtbehinderten. Eine statistische Analyse der schulischen Inklusionsentwicklung in Bayern. In: Hans Wocken (Hg.): Bayern integriert Inklusion. Über die schwierige Koexistenz widersprüchlicher Systeme. Hamburg: Feldhaus Ed. Hamburger Buchwerkstatt, S. 63-81. Wocken, Hans (2019): Das Phantom der Nonkategorisierung. Wider der Hyperkategorisierung im pädagogischen Umgang mit Verschiedenen. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 88 (3), S. 171-177. Worsham, Lynn; Olson, Gary A. (1999): Hegemony and the Future of Democracy: Ernesto Laclau’s Political Philosophy. In: JAC Online 19 (1). Online verfügbar unter http://jaconlinejournal.com/archives/vol19.1/worshamhegemony.pdf, zuletzt geprüft am 13.05.2020. Zick, Andreas (2017): Die Macht des Vorurteils oder: Menschenfeindliche Inklusionsvorstellungen. In: Birgit Lütje-Klose, Mai-Anh Boger, Benedikt

287

288

Inklusion, das Politische und die Gesellschaft

Hopmann und Philip Neumann (Hg.): Leistung inklusive? Inklusion in der Leistungsgesellschaft. Band I: Menschenrechtliche, sozialtheoretische und professionsbezogene Perspektiven. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 2638.

Pädagogik Kay Biesel, Felix Brandhorst, Regina Rätz, Hans-Ullrich Krause

Deutschland schützt seine Kinder! Eine Streitschrift zum Kinderschutz 2019, 242 S., kart., 1 SW-Abbildung 22,99 € (DE), 978-3-8376-4248-3 E-Book: 20,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4248-7 EPUB: 20,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4248-3

Julia Heisig, Ivana Scharf, Heide Schönfeld

Kunstlabore: Für mehr Kunst in Schulen! Ein Ratgeber zur Qualität künstlerischer Arbeit in Schulen Februar 2020, 216 S., französische Broschur, durchgängig vierfarbig 27,99 € (DE), 978-3-8376-4985-7 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation, ISBN 978-3-8394-4985-1

Nadja Köffler, Petra Steinmair-Pösel, Thomas Sojer, Peter Stöger (Hg.)

Bildung und Liebe Interdisziplinäre Perspektiven 2018, 412 S., kart., 11 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4359-6 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4359-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Pädagogik Robert Wunsch

Pädagogik der Bildungslandschaften Ein Arbeitsbuch Januar 2020, 210 S., kart., Dispersionsbindung, 1 SW-Abbildung 29,99 € (DE), 978-3-8376-5119-5 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5119-9

Jasmin Donlic, Elisabeth Jaksche-Hoffman, Hans Karl Peterlini (Hg.)

Ist inklusive Schule möglich? Nationale und internationale Perspektiven 2019, 312 S., kart., Dispersionsbindung, 11 SW-Abbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4312-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4312-5

Sybille Wiescholek

Textile Bildung im Zeitalter der Digitalisierung Vermittlungschancen zwischen Handarbeit und Technisierung 2019, 258 S., kart., Dispersionsbindung, 53 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4687-0 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4687-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de