Die Globalisierung und das Politische: Überlegungen zur Aktualität von Carl Schmitt [1 ed.] 9783428552856, 9783428152858

»Globalization and the Political«The focus of this research is the investigation of Carl Schmitt's intention in his

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Die Globalisierung und das Politische: Überlegungen zur Aktualität von Carl Schmitt [1 ed.]
 9783428552856, 9783428152858

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Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 190

Die Globalisierung und das Politische Überlegungen zur Aktualität von Carl Schmitt

Von Seyed Alireza Mousavi

Duncker & Humblot · Berlin

SEYED ALIREZA MOUSAVI

Die Globalisierung und das Politische

Beiträge zur Politischen Wissenschaft

Band 190

Die Globalisierung und das Politische Überlegungen zur Aktualität von Carl Schmitt

Von

Seyed Alireza Mousavi

Duncker & Humblot · Berlin

Die Sozial- und Verhaltenswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 978-3-428-15285-8 (Print) ISBN 978-3-428-55285-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85285-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt sich um eine politikwissenschaftliche Dissertation, die ich im Juni 2016 an der FSU Jena eingereicht habe. Sie wurde von Prof. Dr. Micheal Dreyer mit ebenso viel Engagement wie Hilfsbereitschaft betreut. Dafür gilt ihm mein herzlicher Dank. Aufrichtig danken möchte ich auch meiner Frau Claudia Mousavi, die sorgsam meine Doktorarbeit sprachlich optimiert bzw. korrigiert hat. Dabei soll ich erwähnen, dass ich als ein in der I. R. Iran geborener und aufgewachsener Doktorand wegen meines besonders großen Interesses an der deutschen Kultur und Geisteswissenschaft motiviert war, diese Arbeit zum Schluss zu bringen. Ich bin der Graduierten-Akademie der FSU Jena und der FAZIT-Stiftung zu besonderem Dank verpflichtet, die mir bei der Anfertigung meiner Doktorarbeit und deren Veröffentlichung finanziell geholfen haben. Das vorliegende Werk ist meinen Eltern gewidmet, die mich liebevoll bei der wissenschaftlichen Karriere in Deutschland unterstützt haben. Dresden, im August 2017

Seyed Alireza Mousavi

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft  . . . . . . . . . 21 I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Die wissenschaftliche Arbeit bei Max Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Carl Schmitt und die wertfreie Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Der Begriff des Politischen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Das dem Staat vorausgehende Politische  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Unterscheidung zwischen parteipolitischen und politischen Orientierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 III. Pluralismus- und Liberalismuskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Harold J. Laski und der Pluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Der über anderen Assoziationen stehende Staat . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Carl Schmitt und der Anti-Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung . . . . . . . . . . . 74 I. Politische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Romantik und Okkasionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Romantik zwischen dem totalen Staat und Liberalismus . . . . . . . . . 83 3. Was ist Politische Theologie?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4. Carl Schmitt zwischen Theokratie und Postmoderne . . . . . . . . . . . . 93 5. Katholizismus und Politische Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Monotheismus und Reichstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Politische Theologie und Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Reichstheologie im NS-Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Disjunktion von Theologie und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Säkularisierungsprozess der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Karl Löwith und die Frage nach der Entstehung des Fortschrittsdenkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Hans Blumenberg und die Selbstbehauptung der Neuzeit . . . . . . . . 116 3. Legitimität der Neuzeit; Kontroverse zwischen Carl Schmitt und Hans Blumenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz  . . . . . . . . 127 I. Der moderne Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Leviathan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Der Schmittsche Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 II. Legalität und Legitimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

8 Inhaltsverzeichnis 1. Das der Macht vorausgehende Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Legalität vs. Legitimität in der Weimarer Republik  . . . . . . . . . . . . 145 3. Die Kontroverse zwischen Carl Schmitt, Jürgen Habermas und Hans Kelsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Verfassungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Verfassung als politische Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Das Verhältnis zwischen politischer Entscheidung und Grundrecht . 170 IV. Menschheitsdemokratie vs. Massendemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Demokratie und Homogenität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Parlamentarismuskritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität . . . . . . . . . . 186 I. Nomos vs. Universalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Immanuel Kant und das Völkerrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Das Gleichgewicht als Prinzip der internationalen Beziehungen . . . 193 3. Hans Kelsen und die Lehre von den Grundrechten des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 II. Großraum als Alternative der globalen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Entpolitisierung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Katechon als Aufhalter der Welteinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Die konkrete völkerrechtliche Ordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 III. Feindlichkeit und Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Die wirkliche und absolute Feindseligkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Die Weltgesellschaft und die Menschenrechte; Carl Schmitt vs. Jürgen Habermas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 IV. Das Problem des Bürgerkriegs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Bürgerkrieg im globalen Zeitalter   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Theorie des Partisanen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 F. Globalisierungskritik in den Kategorien von Carl Schmitts Gedankengut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 I. Die Entmächtigung des Nationalstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Die Demokratisierung des Rechtsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Der Kampf gegen den neutralen Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen . . . . . . . . . . 254 1. Die supranationalen Institutionen und die Menschenrechte . . . . . . . 254 2. Der Kampf gegen Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

A. Einleitung Die Globalisierung und das Politische; Überlegungen zur Aktualität von Carl Schmitt Carl Schmitt war ein deutscher Staatsrechtler, dessen politische Gedanken über die Staatwissenschaft hinausgegangen sind, weil er seinerseits die Schlüsselkonzepte derselben Wissenschaft in Bezug auf deren philosophische und theologische Wurzeln analysieren wollte.1 Was Schmitt nämlich dazu geführt hat, sich grundlegend mit der Staatwissenschaft auseinanderzusetzen, hängt von seinem wesentlichen Problem mit dem abstrakten Vernunftdenken im Zeitalter der Aufklärung ab, während er sich ja hierbei auf die konservativen Bewegungen wie die Romantik innerhalb der Moderne beruft, um die Hauptwerte der Moderne, nämlich individuelle Freiheit und Menschenrechte zu hinterfragen. Dabei ist u. a. zu bemerken, dass Schmitt nicht nur ein Staatsrechtler im wissenschaftlichen Sinne wie Hans Kelsen war, sondern dass er sich aktiv in die angespannte Politik seiner Epoche eingemischt hat, dessen Höhepunkt seine Zusammenarbeit mit dem NSRegime war, in dem er als Kronjurist des Dritten Reiches galt. In dem ungeheuer turbulenten 20. Jahrhundert hat Carl Schmitt fünf politische Systeme erlebt: das Kaiserreich, die Weimarer Republik, das Dritte Reich, das Besatzungsregime und die Bonner Republik. Auch die Systemwechsel verliefen meist ebenso wenig friedlich, wie bestimmte Phasen der Systeme selbst. Auf die Niederlage im ersten Weltkrieg folgte zunächst eine revolutionäre Umbruchphase, die Schmitt hautnah in München erlebt hat. Auf der Schwelle zwischen der Weimarer Republik und der Machtübernahme der Nationalsozialisten stand der permanente Ausnahmezustand der Präsidialregime Brüning, Papen und Schleicher. Der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht nach dem Ende des NS-Regimes folgte eine mehr1  Carl Schmitt als ein rechtskonservativer Denker habe ohne Zweifel das politische wie auch das politikwissenschaftliche Denken in Deutschland im 20. Jahrhundert wesentlich mitgeprägt. Doch in der Disziplingeschichte der Politikwissenschaft spiele er bis auf jene Wenigen seiner Schüler, die in den sechziger Jahren in der Bundesrepublik in diesem Fach zu professoralen Ehren kamen (zum Beispiel Roman Schnur und Bernard Willms in Bochum), keine Rolle. Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, S. 214.

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jährige Besatzung durch die vier Alliierten in Deutschland.2 Obgleich Schmitt während der Herrschaft der jeweiligen Rechtsordnung ambivalente politische Orientierungen eingenommen hat, blieb das Hauptthema seiner Werke immer das Staatliche. Carl Schmitt gehört zu denjenigen Autoren, die sich intensiv auf den aktuellen Zustand ihrer Gesellschaft fokussieren, wobei sie überzeugt sind, dass die Politik und deren Entscheidungen einen Beitrag zur Verbesserung, bzw. Verschlechterung desselben Zustandes leisen könnte. Was Schmitt jedoch von den oben genannten Autoren unterscheidet, ist, dass er die Analyse der politischen Einstellungen in Abhängigkeit von der Untersuchung der philosophischen und theologischen Basis der herrschenden Prinzipien des betroffenen politischen Systems, wonach die Entscheidungen getroffen werden, ansieht. Insofern setzt er sich philosophisch, methodisch und terminologisch mit den Prinzipen des modernen Staates, nämlich des neutralen Staates, woraus politische Entscheidungen zustande kommen, auseinander. Demzufolge ist Schmitt ein bemerkenswerter Staatsrechtler, der sich nicht nur über das aktuelle politische Geschehen seiner Epoche geäußert und sogar daran mitgewirkt hat, sondern vor Augen gehalten hat, dass Politik einen komplizierten historischen und philosophischen Hintergrund hat. Trotzdem glaubte er immer daran, dass die Politische Entscheidung – deren spezifische Bedeutung bei Schmitt in dieser Schrift untersucht wird – eine historische Krise einfach hinter sich lassen und sogar zu einem neuen Anfang führen kann. Dies macht die Schmitt-Forschung spannend, weil man mit einem Staatsrechtler konfrontiert ist, der eine Brücke zwischen der abstrakten Vergangenheit und der lebendigen Gegenwart aufbaut. Die Schmitt-Forschung hat sich in Deutschland in vier unterschiedlichen Kategorien spezialisiert, nämlich in Politische Philosophie, Politische Theologie, Staatswissenschaft und Internationale Beziehungen. Insofern werden Schmitts Werke ganz ausdifferenziert rezipiert, weil bei der wissenschaftlichen Arbeit ja der Forschungsgegenstand eingegrenzt werden soll. Obwohl die Forschungen als solche Schmitts politische Ideen aufgrund der Textanalyse wissenschaftlich rekonstruiert haben, befassen sie sich dennoch nicht mit Schmitt als einem konservativen politischen Denker, der sich mit einem konkreten Problem in seinem historischen Kontext auseinandergesetzt hat, sondern mit Schmitt entweder als dem politischen Philosophen, oder dem Theologen, oder dem Staatsrechtler, oder dem Theoretiker der internationalen Politik. Demzufolge ist die bisherige Schmitt-Forschung nicht fähig einen konkreten Überblick über Schmitts politische Gedanken, nämlich seine Intentionen im Feld der Politikwissenschaft, herauszustellen. 2  Vgl.

Voigt, Denken in Widersprüchen: Schmitt wider den Zeitgeist, S. 7.



A. Einleitung11

Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen dieser Forschungsarbeit über Schmitt basierend auf der Auffassung, welche Schmitts Intention bei seinen politischen Gedanken in den Mittelpunkt der Forschung stellt, untersucht werden, welcher Faden alle vier Kategorien, mit denen Schmitt sich befasst hat, verbinden kann. Dabei wird die These vertreten, dass Schmitt ein Vorläufer der Globalisierungskritiker war, der die Entpolitisierung der Welt befürchtet.3 Insofern umfasst die vorliegende Forschungsarbeit unumgänglich alle vier Kategorien, in denen Schmitt seine Ideen entwickelt hat. Die Arbeit wird dennoch eingegrenzt, indem sie sich mit denjenigen Themen bei der jeweiligen Kategorie befasst, die das antiglobale Gedankengut Schmitts herausschälen. Anschließend werden alle Hauptpunkte bei der jeweiligen Kategorie, die die These der Arbeit betrifft, als Konsequenz der Arbeit zusammengebracht, damit Schmitts Intention hierbei analytisch herausgestellt wird. Die vorliegende Forschungsfrage soll mittels hermeneutischer Analyse beantworten werden. Hermeneutik ist eine Auslegungstechnik, die primär auf das Verstehen von Texten abzielt. Texte sind jedoch grundsätzlich polysemantisch; d. h. sie können, so Holger Zapf, eine Vielzahl von verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten aufweisen. Der Autor könne diese Bedeutungen unmöglich kontrollieren, entsprechend seien Bedeutungen nicht objektiv gegeben, sondern entstünden im interpretatorischen Zusammenspiel von Autor, Text und Leser.4 In dieser Forschungsarbeit wird die orthodoxe hermeneutische Analyse vertreten, wobei die Darstellung der Ideen des Autors im Mittelpunkt der Analyse steht; man versucht also möglichst genau zu zeigen, was Schmitt tatsächlich gemeint hat und zwar was bei Schmitt das Hauptproblem in den politischen Gedanken seiner Zeit war, welches er zu lösen versucht hat. Sollte stark auf die Intentionen des Autors fokussiert werden, so zielt das Verfahren auf eine Interpretation ab, die der Bedeutung möglichst nahe kommen will, welche der Autor selbst seinem Text beigemessen hat. Hierzu ist der Ansatz der Cambridge School in der Politikwissenschaft, wie er von Quentin Skinner vertreten wurde, mit dem vorgenommenen methodischen Ziel der Arbeit kompatibel. Gewöhnlich versuchen Ideengeschichtler den Ideen der von ihnen untersuchten Autoren ein kohärentes Muster zuschreiben. Dabei ringen sie, so Mark Bevir darum, in einem einzigen Text oder mehreren Texten desselben Autors augenscheinlich widersprüchliche Ideen miteinander zu versöhnen; 3  Das Thema der Globalisierung ist fast ein neues Thema in der Politikwissenschaft, welches in den 30er Jahren nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung war. Schmitts Gedankengut konzipierte dennoch die Grundzüge der Globalisierungskritik, die erst später systematisch entwickelt wurde. 4  Vgl. Zapf, Methoden der Politischen Theorie: Eine Einführung, S. 56.

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manchmal versuchen sie gar, in die verstreuten, unverbundenen Bemerkungen eines Autors Ordnung zu bringen, indem sie sie zu einer von diesem so niemals zum Ausdruck gebrachten übergreifenden Theorie in Bezug setzen.5 Quentin Skinners hat sich jedoch gegen einen solchen Kohärenzmythos gewandt. Dabei schreibt er: „Der Mythos der Kohärenz führt zu einem weiteren metaphysischen Glaubenssatz, nämlich dass man nicht nur davon ausgehen kann, dass ein Autor innere Kohärenz aufweist, die herauszuarbeiten Pflicht des Interpreten ist, sondern dass alle offensichtlichen Hindernisse, die sich dabei ergeben, weil das Werk offensichtliche Widersprüche zu enthalten scheint, keine wirklichen Hindernisse sein können, weil es sich ja nicht um echte Widersprüche handeln kann. In solch zweifelhaften Situationen lautet die richtige Frage nicht, ob der jeweilige Autor inkonsequent war, sondern vielmehr: Wie kann man die – scheinbaren – Widersprüche erklären?“6

Die meisten methodischen Schlussfolgerungen Skinners rühren von seiner Überzeugung her, dass man illokutionäre Intentionen des Autors erfassen müssen, um Äußerungen zu verstehen. Eine solche Fokussierung auf illokutionäre Intentionen untergräbt somit das Interesse an der Kohärenz des Werks eines Autors.7 Wenn ein Interpret nämlich vorgefertigte Paradigmen an sein Material heranträgt, hält Skinner dies für problematisch, weil er die historische Entstehung desselben Materials nicht berücksichtigen will. In diesem Zusammenhang hinterfragt Skinner die Textanalyse. Er schreibt: „Selbst wenn ein Ideengeschichtler sich ausschließlich auf die Textanalyse beschränkt, und selbst wenn die von ihm verwendeten Paradigmen die Textstruktur korrekt widerspiegeln, bleibt die grundsätzliche Gefahr bestehen: die Gefahr, dass eben die Vertrautheit der von ihm verwendeten Konzepte deren prinzipielle Nicht-Anwendbarkeit auf das historische Material verschleiert.“8 Folglich setzt Skinner die Bedeutung eines Textes mit den Intentionen seines Autors gleich. Bevir, Geist und Methode in der Ideengeschichte, in: Mulsow, S. 204. Bedeutung und Verstehen in der Ideengeschichte, in: Mulsow, S. 43. 7  Vgl. Bevir, Geist und Methode in der Ideengeschichte, in: Mulsow, S. 212 f. 8  Skinner, Bedeutung und Verstehen in der Ideengeschichte, in: Mulsow, S. 54. Dabei ist man Skinner zufolge einer Art Geschichtsschreibung begegnet, in der die Aussagen des Autors mehr oder weniger nur deshalb in Erscheinung treten, weil die relevanten Ideen – der Gesellschaftsvertrag, die Idee der Utopia, die Große Kette der Wesen usw. – in seinem Werk nachgewiesen werden können, so dass man laut Skinner behaupten kann, er hätte zu ihrer Entwicklung beigetragen. Zur dieser Art Geschichtsschreibung vgl. ebd., S. 67: „Diese Art von Geschichtsschreibung gibt keinen Aufschluss darüber, welche Rolle – belanglos oder bedeutend – die fragliche Idee im Denken eines einzelnen Denkers, der sie zufällig erwähnt hat, gespielt oder welchen Stellenwert – typisch oder außergewöhnlich – sie im intellektuellen Klima der Zeit, in der sie auftauchte, eingenommen hat.“ 5  Vgl.

6  Skinner,



A. Einleitung13

Skinners hermeneutische Position besteht darin, dass es die vornehmliche Aufgabe des Interpreten sei, die ursprünglichen Intentionen des Autors zu entdecken, aus denen sich die wahre Botschaft des Textes dann erschließt. Um die Autorintention zu eruieren, müssen Historiker, so David Harlan, die geistige Welt, in der er sein Werk verfasst hat, rekonstruieren, also die Gesamtmenge all jener sprachlicher Prinzipien, symbolischer Konventionen und ideologischer Annahmen, die das Denken und Leben des Autors bestimmten.9 Dabei schreibt Skinner: „Die grundlegende Aufgabenstellung, mit der wir uns bei der Textanalyse daher konfrontiert sehen, besteht darin, herauszufinden, was ein Autor zu der Zeit, in der er schrieb, dem Publikum, das er ansprechen wollte, durch das Machen der Äußerung tatsächlich mitzuteilen beabsichtigte. Es muss also bei jedem Versuch, die Äußerung selbst zu verstehen, das Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein, diese komplexe Absicht des Autors zu rekonstruieren.“10 Die politische Sprache einer jeden Gesellschaft sei von Natur aus ambivalent, da sie Wendungen aus einer Vielzahl von Quellen umfasse, wie etwa dem juristischen oder theologischen Vokabular. Statt einer kohärenten Einheit sei eine politische Sprache vielmehr eine polyvalente Struktur, die die Äußerung vielfältiger und widersprüchlicher Propositionen begünstige.11 Vor diesem methodischen Hintergrund sollen Carl Schmitts politische Gedanken mit Berücksichtigung des historischen Umstands, in dem er seine Ideen entwickelte, untersucht werden. Vor allem entsteht seine ambivalente politische Sprache aus der Komplexität der historischen politischen Situationen, in denen er gelebt hat. Wenn Schmitt z. B. im Jahr 1932 – in der Kategorie der Staatswissenschaft – die Schrift über „Legitimität und Legalität“ schrieb, damit er die Weimarer Republik vor der Gefahr des Faschismus und Kommunismus schützen könnte, widerspricht dies nicht unbedingt seiner zukünftigen Zusammenarbeit mit dem NS-Regime, das antidemokratisch war. Wenn Schmitt z. B. im Jahr 1923 – in der Kategorie der Politischen Theologie – die Schrift über „Römischer Katholizismus und politische Form“ verfasste, in der er für eine Art Theokratie plädiert hat, widerspricht dies nicht unbedingt seiner zukünftigen Zusammenarbeit mit dem NS-Regime, das ein nationaler Staat war. Schmitts politische Gedanken sollten nämlich in ihrem komplizierten historischen Kontext analysiert werden. Vor allem gehörte Schmitt denjenigen konservativen Denkern an, die sich an der Politik ihres Zeitalters beteiligt haben, was ihn ja davon abgehalten hat, seine politischen Gedanken entfernt von den ständigen 9  Harlan, Der Stand der Geistesgeschichte und die Wiederkehr der Literatur, in: Mulsow, S.  161 f. 10  Skinner, Bedeutung und Verstehen in der Ideengeschichte, in: Mulsow, S. 81. 11  Vgl. Bevir, Geist und Methode in der Ideengeschichte, in: Mulsow, S. 207.

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politischen Umwälzungen im 20. Jh. zu entwickeln. Es ist zu bemerken, dass konservatives Denken schwieriger zu erfassen sei, weil es durch eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem umfassenden Wahrheits- und Gestaltungsanspruch von politischen Ideologien gekennzeichnet sei. Wer konservativ sei, habe selten den Ehrgeiz, wie der Liberale oder der Sozialist ein einigermaßen kohärentes System von politischen Axiomen zu entwickeln und dieses auch noch auszuformulieren.12 Demzufolge zielt die vorliegende Arbeit nicht darauf ab, ein kohärentes System von Schmitts Politischen Gedanken aufzubauen, wonach man Schmitt als Antiliberalen, Theologen oder Faschisten bezeichnen kann. Es geht hierbei vielmehr darum klarzumachen, was Schmitts Hauptintention im Feld der Politikwissenschaft war. Mit anderen Worten, was Schmitt dazu veranlasst hat zu philosophieren. Je nach Paradigma, von welchem man ausgeht, wird Schmitt unterschiedlich dargestellt. Heinrich Meier versucht z. B. bei seiner Schmitt-Forschung theologische Aspekte bei seinem Gedankengut herauszufinden, wobei er Schmitt im Endeffekt eher als einen Theologen als einen Faschisten vorstellt.13 Im Gegensatz dazu stellt Claus Heimes bei seiner Schmitt-Forschung fest, dass Schmitt nicht ein Theologe, sondern vielmehr ein postmoderner Philosoph ist.14 Diverse Konsequenzen als solche widersprechen bei der Schmitt-Forschung nicht unbedingt einander, sondern sie spielen darauf an, dass Schmitts politische Gedanken in komplizierten historischen Umständen entwickelt wurden, wobei er sie in vier ausdifferenzierten Kategorien entwickelte. Jede Aussage sei in jedem Fall die Verkörperung einer bestimmten Absicht zu einem bestimmten Anlass und solle der Lösung eines bestimmten Problems dienen; deshalb kann es laut Skinner nur naiv sein, sie über diese spezifische Situation heraus verallgemeinern zu wollen. Die entscheidende Implikation ist hier nicht nur, dass sich klassische Texte niemals mit unseren Fragen und Antworten beschäftigen können, sondern nur mit ihren eigenen.15 Es wird hierbei nicht versucht ein kohärentes System von Schmitts Gedankengut darzustellen, sondern aufgrund der Analyse der oben genannten vier Kategorien wird versucht, Schmitts Intentionen herauszuschälen. Zudem wird die These vertreten, dass Schmitt ein Vorläufer der Globalisierungskritiker war, der sich mal als Staatstheoretiker, mal als Theologe, mal als Romantiker, mal 12  Großheim, Staat und Ordnung im konservativen Denken, in: Großheim / Hennecke, S. 12. (Einleitung der Schrift). 13  Meier, Die Lehre Carl Schmitts: Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie. 14  Heimes, Politik und Transzendenz: Ordnungsdenken bei Carl Schmitt und Eric Voegelin. 15  Vgl. Skinner, Bedeutung und Verstehen in der Ideengeschichte, in: Mulsow, S. 83.



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als Faschist usw. identifizierte. Je nach dem Paradigma, von welchem der Interpret ausgeht, wird Schmitt unterschiedlich rezipiert. Es geht folglich bei der von Skinner übernommenen Hermeneutik im Wesentlichen darum die Autorenintention zu entschlüsseln. Mit anderen Worten dürften die Ideen­geschichtler den Text nicht aus ihrer eigenen Situation heraus verstehen, sondern müssten sich in die Kultur und in die Denkweise des Autors hineinversetzen.16 Hans Georg Gadamer verurteilte diese methodische Vorgehensweise in „Wahrheit und Methode“ zum Scheitern. Dabei wies er laut David Harlan darauf hin, dass kein Historiker sich von seinen ererbten Vorurteilen und vorgefassten Meinungen befreien und sich auf diese Weise in den Autor hineindenken könne, da gerade die vorgefassten Meinungen und Vorurteile erst ein Verstehen ermöglichen.17 Man geht somit an die Vergangenheit keineswegs in einem Zustand historischer Jungfräulichkeit heran, sondern mit all den vorgefassten Meinungen, Annahmen und Vorurteilen, was Gadamer unter der hermeneutischen Produktivität versteht.18 Dass man ständig in Überlieferungen, nämlich vorgefassten Meinungen, steht, bewertet Gadamer ja positiv. Denn dies führt dazu, dass der Text über die Intention des Autors hinaus weiterentwickelt und sogar besser als der Autor desselben Textes verstanden wird. Gadamers Analyse zeigt nämlich, dass der Text niemals völlig von den Interpretationen losgelöst werden kann, mit denen er uns überliefert wurde und die nunmehr die geschichtliche Wirklichkeit seines Seins bestimmen.19 Die zentrale Differenz zu Skinner besteht darin, während er einem Autor einen Inhalt zuschreibt, schreibt Gadamer einem Text einen Inhalt zu, weil die Texte bei Gadamer nach der Entstehung durch Akte der Rezeption stets mit neuer Bedeutung aufgeladen werden. Die Cambridge School vertritt eine innerkulturelle Ideengeschichte, in der die Interpreten kulturelles Vorwissen als Verstehenshorizont und Kontext für die Texte anlegen. Die Aufgabe von Ideengeschichte und politi16  Vgl. Harlan, Der Stand der Geistesgeschichte und die Wiederkehr der Literatur, in: Mulsow, S. 165. 17  Vgl. ebd., S. 165. 18  Zur hermeneutischen Produktivität vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 267: „Die Wirkung der fortlebenden Tradition und die Wirkung der historischen Forschung bilden eine Wirkungseinheit, deren Analyse immer nur ein Geflecht von Wechselwirkungen anzutreffen vermöchte. Wir tun daher gut, das historische Bewusstsein nicht – wie es zunächst scheint – als etwas radikal Neues zu denken, sondern als ein neues Moment innerhalb dessen, was das menschliche Verhältnis zur Vergangenheit von jeher ausmachte. Es gilt, mit anderen Worten, das Moment der Tradition im historischen Verhalten zu erkennen und auf eine hermeneutische Produktivität zu befragen.“ 19  Vgl. ebd., S. 266.

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scher Theorie müsse aber darin liegen, über diese kulturellen Bestände hinauszugehen und diese in Frage zu stellen.20 D. h. Ideengeschichte soll über das bestehende Vorwissen im historischen Kontext hinausgehen, damit sie perspektivisch den Text im hypothetischen Kontext weiterentwickeln können, was als transkulturelle Ideengeschichte bezeichnet wird.21 Es gibt also einerseits den Versuch, Texte von Kontexten her zu lesen, und andererseits Texte auf hypothetische Kontexte hin zu lesen. Der zweite Versuch rezipiert den Text nicht aus dem historischen Kontext, in dem er zustande kam, sondern aus dem perspektivischen Kontext, in dem der Interpret lebt. Es geht hier laut Alexander Weiß aber nicht darum, neue objektive Kontexte einzubringen, sondern die Tatsache, dass Kontexte konstruiert sind, anzuerkennen.22 Dass das Problem der Globalisierung bei dieser Schmitt-Forschung im Mittelpunkt der Analyse steht, bedeutet Schmitts Gedankengut methodisch in den neuen Kontext hineinzubringen. Schmitt setzt sich mit einem spezifischen Problem, nämlich der Entpolitisierung der Welt, auseinander, die sich perspektivisch im 21. Jahrhundert unter dem Globalisierungskonzept vergegenwärtigen lässt. Insofern wird Schmitts Gedankengut hierbei in einem sogenannten hypothetischen Kontext rekonstruiert, während die vorliegende Arbeit den historischen Kontext des Autors und dessen Intention ernstnimmt. Genauer gesagt, geht die Arbeit von einer konkreten Intention des Autors aus, die aufgrund des hypothetischen Kontexts, was hierbei globale Welt heißt, rekonstruiert wird. Die Cambridge School kann dann nämlich weiterhin als Korrektiv fungieren, indem sie offensichtlich philologisch oder historisch falsche und unzulässige Dekontextualisierungen als solche kennzeichnet und hilft, diese auszusortieren. Schmitts politische Gedanken werden somit innerhalb der vier Kategorien, nämlich Politische Philosophie, Politische Theologie, Staatswissenschaft und internationale Beziehungen analysiert, wobei die relevanten Themen bei der jeweiligen Kategorie ausgewählt werden, die die These der Arbeit be20  Weiß, Kontexte? Welche Kontexte? Ein hypothetischer Kontextbegriff für die Inter- und transkulturelle Ideengeschichte, in: Klevesath / Zapf, S. 110. 21  Zum Begriff des hypothetischen Kontexts, vgl. ebd., S. 113: „Der Begriff des hypothetischen Kontexts, der hier vorgeschlagen wird, ermöglicht es dagegen eher, mit komplexen Strukturen in einem Text umzugehen und etwa zu fragen, auf welche Problemlagen diese Strukturen anwendbar sind. Dies dreht die Figur der Cambridge School um und fragt nicht, auf welche Kommunikationssituation ein Text eine Reaktion ist, sondern welche Kommunikation mit einem Text begonnen werden kann.“ Zur transkulturellen Ideengeschichte, vgl. De La Rose, Zur Möglichkeit der Verständigung über kulturelle Grenzen hinweg, in: De La Rose, S. 15–42. 22  Vgl. De La Rose, Zur Möglichkeit der Verständigung über kulturelle Grenzen hinweg, in: De La Rose, S. 119.



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treffen. Die Arbeit folgt keiner historischen Linie, in der Schmitt seine Idee entwickelt hat, sondern sie sortiert die Themen nach den oben genannten Kategorien nacheinander, wonach Schmitts Intention als ein konservativer und politischer Denker herausgeschält wird. Es wird dennoch in jeder Kategorie auf wichtige politische und historische Geschehen eingegangen, die Schmitts politische Gedanken beeinflusst haben; aber nicht seine Intention. Diese wird dann im Ergebnis der Arbeit analytisch dargestellt. Da die Arbeit sich nicht auf Schmitts historischen Kontext beschränken will, wird die Textanalyse herangezogen, indem auf die Kontroversen zwischen Schmitt und anderen Denkern, wie z. B. zwischen ihm und Hans Blumenberg, Hans Kelsen oder Ernst Fraenkel und wichtige aktuelle Rezeptionen seiner Werke, was z. B. durch Jürgen Habermas erfolgt ist, fokussiert wird. D. h. Schmitts Gedankengut wird mittels der Vertreter der modernen Politikwissenschaft und Staatwissenschaft bewertet und zwar werden die unwissenschaftlichen und die durch persönliche und politische Motive geprägten Aspekte seiner politischen Gedanken hervorgehoben. Im ersten Kapitel wird Schmitts methodische Kritik an der Politikwissenschaft untersucht, wobei Max Webers Vortrag über Wissenschaft als Beruf dessen Ausgangspunkt ist. Im Folgenden soll seine Einstellung über zwei politische Konzepte, nämlich Pluralismus und Liberalismus, behandelt werden. In diesem Kapitel wird allerdings auf Schmitts Kritik am Positivismus fokussiert, welcher die Souveränität der einzelnen Staaten im Feld der Politikwissenschaft seinerseits in Frage stellt. Im zweiten Kapitel wird Carl Schmitts Politische Theologie und deren Einfluss auf seine Vorstellung vom Politischen untersucht, wobei man diese grundlegende Frage stellen soll, ob Schmitt von der Theologisierung der Politik ausgehen oder einen methodischen Ausgangspunkt für sein politisches Gedankengut aussuchen will. In diesem Kapitel wird auf die Rolle der Transzendenz im politischen Feld bei Schmitt fokussiert, weil sie das Politische aus der Kette der modernen Rechtsverfahren befreiten könne, was die Verstärkung der staatlichen Macht zur Konsequenz habe. Es geschieht ja auf Kosten der Belastung der demokratischen und liberalen Werte. Im dritten Kapitel wird das Verhältnis zwischen Recht und Macht bei Carl Schmitt untersucht, woraus der Unterschied zwischen dem Staat als gesetzgebender Gewalt und der Rechtsordnung als Zeichen der Verfahrensrationalität herausgeschält wird. Dabei soll der juristische Hintergrund von Schmitts Zusammenarbeit mit dem NS-Regime analysiert werden. In diesem Kapitel wird der Legitimationsprozess der Rechtsordnung bei Schmitt analysiert, der sich nicht global, sondern ganz regional definieren lässt. Im vierten Kapitel wird die Gleichgewichtstheorie, und zwar die Großraumtheorie bei Schmitts Gedankengut untersucht, die der Weltgemein-

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schaftstheorie im modernen Völkerrecht gegenübersteht. Dabei beruft sich Schmitt bei der Kriegstheorie nicht auf justa causa, sondern auf justus hostis. Dies führt zu seiner grundlegenden Kritik an den globalen und liberalen Werten, wie Menschenrechte, humanitäre Interventionen und zivilem Ungehorsam, worauf sich hierbei bezogen wird. In diesem Kapitel wird Schmitts These im Feld der internationalen Beziehungen herausgestellt, welche beabsichtigt der Globalisierung der Welt entgegenzuwirken. Um Schmitts Intention, nämlich die Kritik am Globalisierungsprozess bei seinen politischen Gedanken analytisch darzustellen, soll Globalisierung hierbei definiert werden, weil sie unterschiedliche Bedeutungen je nach dem Objekt der Forschung bekommen kann.23 Mit der Globalisierung ist in dieser Arbeit in Bezug auf Jürgen Habermas’ Gedankengut die Demokratisierung des Rechtsverfahren in der Innenpolitik und die Verrechtlichung des Naturzustandes zwischen den Staaten in der Außenpolitik gemeint,24 woraus die Weltgesellschaft entstanden ist. Dabei sind supranationale Gemeinwesen organisatorisch zur Verrechtlichung der globalen Werte, nämlich der Menschenrechte, verpflichtet.25 Demzufolge ist vom Globalisierungsprozess die Demokratisierung des Rechtsverfahrens im Staat und Verrechtlichung des Naturzustandes zwischen den Staaten gemeint, deren Hohepunkt die Weltgemeinschaft ist. Im vierten Kapitel wird das Weltgemeinschaft-Konzept bei Habermas untersucht und aufgrund dessen die These der vorliegenden Arbeit im letzten Kapital tabellarisch aufgestellt. Schmitts Gedankengut wird somit im Kontext der globalen Rechtsordnung analysiert, während die Arbeit Schmitts Intention in seinem historischen Kontext berücksichtigt. Schmitt wird hierbei als ein konservativer Denker, der ein grundlegendes Problem mit der neuen durch die Globalisierung zustande gekommenen Weltordnung hat, herausgestellt, was alle seine Rollen, nämlich als Philosoph, Theologe, Staatstheoretiker, Romantiker usw. umfasst. Wir leben im 21. Jahrhundert, und zwar in einer globalen Welt, deren Werte Menschenrechte und Liberaldemokratie und deren Organisationen UNO und Europäisches Union sind. Insofern setzt die moderne Wissenschaft diese globalen Werte voraus, aufgrund deren die Wissenschaft als 23  Zur Bedeutung der Globalisierung vgl. Scherrer, Globalisierung, S. 9–21. Vgl. Zum Verhältnis zwischen Demokratie und Globalisierung vgl. Müller, Globalisierung, S. 21–38. 24  Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens – aus dem historischen Abstand von 200 Jahren, in: Kritische Justiz, S. 305 f. Vgl. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, in: Kritische Justiz, 1987, S. 6. 25  Habermas, Die Krise der Europäischen Union im Lichte einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: Zur Verfassung Europas: Ein Essay, S. 58, 85 und 89.



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solche entwickelt wird. Eine Rückkehr auf konservative Denker wie Schmitt, die im 20. Jahrhundert gelebt haben, in welchem der Prozess der Globalisierung schon so weit vorangeschritten ist, hilft uns einerseits die philosophische, juristische und politische Basis dieses Prozesses zu analysieren und anderseits die gegenwärtige Herausforderung der globalen Welt im politischen Bereich zu untersuchen. Schmitt wird hierbei als ein konservativer Denker zur Forschung ausgewählt, weil er die Schwächung der staatlichen Souveränität in der globalen Welt in vier unterschiedlichen oben genannten Kategorien untersucht hat, wonach man die Entstehung der globalen Rechtsordnung erforschen kann. Dabei führt die Rechtsordnung als solche Schmitt zufolge zu neuen Problemen, wie Bürgerkrieg, Identitätskrise, globalem Terrorismus usw. in der Innen- und Außenpolitik. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage: inwieweit Schmitts Kritik an der Globalisierung, nämlich die Demokratisierung des Rechtsverfahrens und die Verrechtlichung des Naturzustandes konsistent und korrekt ist, leistet automatisch einen Beitrag dazu, dass man einen konkreten und konzeptionellen Überblick über die aktuellen politischen Probleme in der Welt bekommen kann. Die zwei wichtigen aktuellen politischen Geschehen in der Welt sind derzeit der Bürgerkrieg in Syrien und die Flüchtlingskrise in Europa, was als die Herausforderungen des globalen Zeitalters bezeichnet werden darf. Wenn die Demokratisierung des Rechtsverfahrens und Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen eingeführt wird, dann tauchen globalen Organisationen auf, die verpflichtet sind, die Verstöße gegen die Grundgesetze der Weltgesellschaft, die durch Mitgliedstaaten solcher Organisationen getan werden, zu strafen, indem sie z.  B. einen militärischen Einsatz oder / und wirtschaftliche Sanktionen gegen solche Staaten einführen oder u. a. die Menschen, die von der Gewalt der Mitgliedstaaten betroffen sind, organisatorisch unterstützt werden. D. h. die vorliegende Arbeit zielt darauf ab den theoretischen Rahmen der globalen Rechtsordnung darzustellen, damit der Leser herausfinden könnte, unter welchen philosophischen, historischen und politischen Umstände die Ordnung als solche entwickelt worden ist, wobei die Arbeit ausgehend von der historischen Entwicklung der modernen Politikwissenschaft und deren Entkoppelung von metaphysischen Ideen wie Theologie über die Entwicklung der modernen Rechtsordnung bis zur Analyse der zwischenstaatlichen Beziehungen und der Begründung der globalen Organisationen zum Feld der Untersuchung voranschreitet. Um die extremistischen Richtungen, die normalerweise bei den großen Herausforderungen der Weltgesellschaft in der Innen- und Außenpolitik auftauchen, zu entkräften, sollen wir die philosophischen Grundlagen der globalen Gesellschaft kennen. Zudem soll diese Frage beantwortet werden, warum das staatsbezogene Bürgerrecht sich im 20. Jahrhundert, nämlich nach den zwei

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Weltkriegen, ins Weltbürgerrecht umgewandelt hat.26 Hierbei wird zwar nicht auf die obengenannten aktuellen politischen Herausforderungen in der Welt eingegangen, aber die Arbeit gibt den Lesern eine fruchtbare konzeptionelle Kenntnis, womit man die Herausforderung der globalen Welt ideengeschichtlich analysieren kann.

26  Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 296 und 301 f. Hierzu entwickelt Carl Schmitt seine Großraumtheorie, die man als dritten Weg bezeichnen kann. Vgl. Schmitt, Der Reichsbegriff im Völkerrecht, in: Positionen und Begriffe: Im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles 1923–1939, S. 353.

B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft 1. Die wissenschaftliche Arbeit bei Max Weber Um das Politische bei Schmitt besser zu verstehen, sollte man sich zuerst auf das Wesen der wissenschaftlichen Arbeit bei Max Weber und anschließend Schmitts Kritik an derselben wertfreien Wissenschaft konzentrieren. In diesem vorliegenden Abschnitt wird sich eingehend mit dieser Frage auseinandergesetzt: Was bedeutet Wissenschaft bei Max Weber? Die Antwort auf diese Frage ist für uns grundlegend, weil man der Bedeutung der wissenschaftlichen Arbeit nach bei Weber in der Lage wäre, Schmitts Ausgangspunkt bei seiner Theorie über das Politische grundlegend zu begreifen. In diesem Zusammenhang wird auf einen Vortrag von Weber hingewiesen, an dem sehr wohl Schmitt im Jahre 1919 teilnahm. „Wissenschaft als Beruf“ ist aus einem Vortrag hervorgegangen, den Weber im Rahmen einer Vortragsreihe mit dem Titel „Geistige Arbeit als Beruf“ am 7. November 1917 – damals war Deutschlands Kriegslage im ersten Weltkrieg immer schlechter geworden – im Steinicke-Saal in der Nähe von der Universität München hielt.1 Diesen Vortrag veranstaltete der „Freistudentische Bund“. Die Frage lautet zunächst in diesem Zusammenhang, warum dieser Freistudentische Bund eine solche Veranstaltung mit diesem Thema „Geistige Arbeit als Beruf“ ausrichten wollte. Der Freistundentische Bund war ein Verband, der aus der Bewegung aller freien, nichtkorporierten Studenten hervorgegangen ist, die die Massifikation der Universitätsausbildung und die Spezialisierung des Universitätsstudiums nicht für wünschenswert hielten.2 Diese Bewegung 1  Vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 49 (Editorischer Bericht). 2  Zur Struktur der freistudentischen Organisation, vgl. Hoeniger, Die Rechtsnatur der Freistudentischen Organisationen, S. 1–38, hier 1: „In den Satzungen der Freien Studentenschaft an der Universität Freiburg i. Br. lauten, um ein Beispiel anzuführen, diese Bestimmungen wörtlich: Freie Studenten sind alle immatrikulierten, Studenten und Studentinnen, die nicht einer Vereinigung mit korporativem Charakter an der hiesigen Hochschule angehören.“

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

war als Reaktion auf die tiefgreifende Veränderung des deutschen Hochschulwesens entstanden. Diese Freistudenten, die den traditionellen studentischen Korporationen nicht angehörten, haben sich im Jahr 1900 zu einem Gesamtverband, der „Deutschen Freien Studentenschaft“ zusammengeschlossen und den Anspruch, alle nichtkorporierten Studenten zu vertreten, erhoben.3 Es war ihre ursprüngliche Idee, die Übermacht der Korporationen zu brechen und die Einigung der Gesamtstudentenschaft zu einer in sich geschlossenen, selbstständigen Körperschaft zu verwirklichen, den schlechten sozialen Zustand vieler Studenten zu verbessern, den geistigen Gesichtskreis der Studenten über das Studium des Fachbereiches hinaus zu erweitern und die regierungstreue Wissenschaft, die dem kapitalistischen System dient, zu hinterfragen und ihren Blick auf die allgemeinen Prinzipienfragen der Wissenschaft sowie auf die Fragen nach der Grundlage der Kultur zu richten.4 Zusammenfassend gingen die wichtigsten Fragen der Studenten um das Wesen der neuen Wissenschaft sowie um das neue Phänomen des Spezialistentums. Genauer gesagt, beklagten sie „dass die Hochschule nicht Menschen mit abgerundeter, selbständiger Weltanschauung erziele, sondern Fachmenschen züchte, die meist wenig Verständnis für diejenigen Kulturfragen besitzen, die außerhalb des engen Kreises ihrer Berufspflichten liegen.“5 Weber wurde in diesem Zusammenhang durch den Aufsatz „Beruf und Jugend“ von Alexander Schwab provoziert, den dieser unter dem Pseudonym Franz Xaver Schwab in der Zeitschrift „Die weißen Blätter“ am 15. Mai 1917 veröffentlicht hatte. Der Protest gegen die Hochschule als eine Stätte reiner Berufsausbildung ist durch Alexander Schwab, einer der führenden Mitglieder des Kreises der Freistudenten, in eine Kritik des Berufsgedankens überhaupt gemündet.6 Von daher nahm Weber die Einladung dieser Bewegung auf, damit er die antirationalen Gedanken der Studenten hinterfragen konnte. In diesem Zusammenhang wird auf den Inhalt des Artikels von Schwab eingegangen, weil er versuchte den philosophischen Hintergrund der Freistudenten darzustellen. Schwab nennt den Beruf den Götzen, der gestürzt werden müsse. Er sei der Götze der heutigen westeuropäisch-amerikanischen bürgerlichen Welt und nur Entfremdung könne aus dieser Situation erwachsen.7 D. h. man sehe im Rahmen der neuen Beruflichkeit eine Spaltung 3  Vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 49 (Editorischer Bericht). 4  Vgl. ebd., S. 50. 5  Ebd., S. 51. 6  Vgl. ebd., S. 51 f. 7  Vgl. Schwab, Beruf und Jugend, in: Die Weiße Blätter, S. 104. Zum Beruf und dessen Rolle in der modernen Gesellschaft vgl. ebd., S. 103: „Der Beruf ist das Grenzproblem des jugendlichen Lebens, fast ebenso wie der Tod das Grenzproblem



I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft23

zwischen dem leiblichen Leben und dem Geist, die sich nicht überwinden lasse und im Dienst der fremden Mächte sei. Schwab war der Meinung, dass Wiederversöhnung des geistigen und leiblichen Lebens darin bestehe, die Herrschaft des Berufs und des mit ihm verbundenen Spezialistentums zu überwinden.8 Dabei setzt er den Zustand der griechischen Welt der modernen westeuropäisch-amerikanischen bürgerlichen Welt entgegen. In diesem Zusammenhang meint er: „Bei den Griechen sei die Erwerbstätigkeit trotz ihres Strebens nach einer rationalen Wirtschaft letztlich ein bloßes Mittel zum Zweck des guten Lebens geblieben, und dies habe einen harmonischen Spannungsausgleich zwischen dem leiblichen und dem geistigen Pol des menschlichen Lebens möglich gemacht. Heute dagegen werde die Erwerbstätigkeit zum Selbstzweck und damit erst zum Beruf im eigentlichen Sinn des Wortes gestempelt, und dies entferne unsere Welt „unsäglich weit“ nicht nur von der griechischen, sondern auch von jener zukünftigen „Periode der Erfüllung, da von neuem in schöner Mitte die ungeheure Spannung zwischen Leben und Idee vollkommene leiblich-geistige Gestalten zeugt zu unermesslicher Fülle.“9

Schwab hat einen romantischen Antikapitalismus, der die Münchner Freistudenten kaum besonders erregen konnten, vertreten. Aber solche Tendenzen, wovon Schwab ausging, waren bei diesen Studenten keine Seltenheit.10 Demzufolge nahm Weber die Einladung der Freistudenten auf. Weber sah nämlich die Krankheit in der Sehnsucht der akademischen Jugend nach der Befreiung vom wissenschaftlichen Rationalismus durch das Erlebnis, das von Alexander Schwab propagiert worden war.11 Im Folgenden wird auf die von Max Weber gehaltenen Vorträge, nämlich „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als Beruf“, die mit dem Hauptthema dieser Forschung verbunden sind, fokussiert. In diesem Vortrag konzentriert Weber sich implizit auf den Unterschied zwischen der Religion und der neuen Wissenschaft, weil die neue Wissenschaft nicht die Religion ersetzen wolle. D. h. die neue Wissenschaft hat alles Lebens ist: wo Jugend ist, da ist noch nicht Beruf; wo Beruf ist, da ist nicht mehr Jugend, und wie die Priester strengeren Christentums vom Ordensleben sagen, es sei nur Vorbereitung auf die jenseitige Welt, so predigen die Pfaffen heutiger Bürgerlichkeit von der Vorbereitung auf den Beruf.“ 8  Vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf; Politik als Beruf, in: J. Mommsen, S. 111 (Nachwort). 9  Vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 53 (Editorischer Bericht). 10  Vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf; Politik als Beruf, in: J. Mommsen, S. 111 (Nachwort). 11  Vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 107 (Nachwort).

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

nicht vor an die Stelle der Religion zu treten und die Erwartungen der Religion zu erfüllen.12 Auf die Frage, was wir tun, wie wir leben sollen, antworte keine in der Aufdeckung von Kausalzusammenhängen noch so erfolgreiche Wissenschaft. Es sei also keineswegs so, dass der wissenschaftsgeschichtliche Prozess der Entzauberung der Welt der Religion die Existenzberechtigung nehme.13 Die moderne Wissenschaft eigne sich gerade nicht als Religionsersatz. Trotzdem heiße dies nicht, dass sie mit der Religion in Harmonie leben könnte. Denn sie sei für Weber eine spezifische gottfremde Macht.14 Am Anfang seines Vortrages verwies Weber auf den Polytheismus, der sich auf den Glauben an verschiedene Götter beruft. Polytheismus geht vom Verhältnis zwischen der Persönlichkeit und dem Erleben aus. Dabei schreibt Weber: „Jene Götzen sind: die Persönlichkeit und das Erleben. Beide sind eng verbunden: die Vorstellung herrscht, das letztere mache die erstere aus und gehöre zu ihr. Man quält sich ab zu erleben, – denn das gehört ja zur standesgemäßen Lebensführung einer Persönlichkeit, – und gelingt es nicht, dann muss man wenigsten so tun, als habe man diese Gnadengabe.“15

Die Persönlichkeit spielt auf dem wissenschaftlichen Gebiet jedoch keine Rolle, weil Wissenschaft nach Weber nur der Sache dienen müsse. Weil das Wissen, das sich auf die persönlichen Erlebnisse bezieht, nichts mit der neuen Wissenschaft zu tun hat. Weil dies nur einen Kampf der Weltanschauungen auslösen kann, der nicht zu einer objektiven Erkenntnis 12  Wissenschaft entzieht sich nach Weber den Wertkonflikten, die die Religionen auslösen. Vgl. Fitzi, Max Weber, S. 56: „lässt sich auch durch die Anwendung der Wissenschaft nicht entscheiden, was in Wertkonflikten zu bevorzugen ist, sondern nur beschreiben, welche Wertkonstellationen dabei aufeinanderprallen.“ Zur Entzauberung der Welt und dem Verhältnis zwischen der wissenschaftlichen und religiösen Existenz vgl. Mehring, Politische Ethik in Max Webers Politik als Beruf und Carl Schmitts Der Begriff des Politischen, in: Politische Vierteljahresschrift; Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, S. 609. 13  Vgl. Schluchter, Die Entzauberung der Welt: Sechs Studien zu Max Weber, S. 12. 14  Vgl. ebd., S. 12. 15  Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 84. Zu den Kämpfen zwischen Götzen vgl. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 507: „Es handelt sich nämlich zwischen den Werten letztlich überall und immer wieder nicht nur um Alternativen, sondern um einen unüberbrückbar tödlichen Kampf, wie zwischen Gott und Teufel. Zwischen diesen gibt es keine Relativierungen und Kompromisse.“ Polytheismus basiert also nach Weber auf subjektiven Werten, die nur einen Kampf zwischen Götzen auslösen könnten, weil ein Gott dem anderen Gott gegenüber ein Teufel ist. Vgl. L. Ulmen, Politischer Mehrwert, eine Studie über Max Weber und Carl Schmitt, S. 285.



I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft25

führt.16 Im Gegensatz dazu kann man in der neuen Wissenschaft mittels der Methode seine Objekte überprüfen und untersuchen und den reinen subjektiven Erfahrungen, und zwar religiösen Erfahrungen, entkommen. In diesem Zusammenhang verwies Weber u. a. auf die Kunstwerke, die man nicht mit anderen Kunstwerken vergleichen könne, weil beide von den persönlichen Erfahrungen ausgingen und dazwischen hätten wir kein festes Kriterium, eines dem anderen vorzuziehen. Von diesem Punkt ausgehend, entstehe das Fortschritt-Konzept im Sachgebiet der modernen Wissenschaft, das eben nicht bei der Logik der künstlerischen Arbeit relevant sei. Dabei schreibt Weber: „Diesen mit der Kunst gemeinsamen Vorbedingungen unserer Arbeit steht nun gegenüber ein Schicksal, das sie von der künstlerischen Arbeit tief unterscheidet. Die wissenschaftliche Arbeit ist eingespannt in den Ablauf des Fortschritts. Auf dem Gebiete der Kunst dagegen gibt es – in diesem Sinne – keinen Fortschritt … Ein Kunstwerk, das wirklich Erfüllung ist, wird nie überboten, es wird nie veralten; der einzelne kann seine Bedeutsamkeit für sich persönlich verschieden einschätzen; aber niemand wird von einem Werk, das wirklich im künstlerischen Sinne Erfüllung ist, überholt sein. Jeder von uns dagegen in der Wissenschaft weiß, dass das, was er gearbeitet hat, in 10,20,50 Jahren veraltet ist.“17

Demzufolge wird man in der Neuzeit mit der zunehmenden Intellektualisierung und Rationalisierung konfrontiert. Aber dieser Prozess des Zuwachses der Intellektualisierung habe eben nicht mit allgemeinen Kenntnissen der Lebensbedingungen, unter denen man steht, zu tun, sondern er bedeute etwas Anderes, wobei Weber schreibt: „Wissenschaft oder den Glauben daran: dass man, wenn man nur wolle, es jederzeit erfahren könnte, dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne.“18 Er impliziert also, dass man seine Umgebung berechenbar untersuchen kann, indem die Welt methodisch rekonstruiert wird. Und dies bedeutet: die Entzauberung der Welt. Es ist doch zu bemerken, dass Entzauberung der Welt durch die neue Wissenschaft für Weber 16  Zum ewigen Kampf zwischen Weltanschauungen vgl. Schmitt, Die Tyrannei der Werte, in: Schelz, S. 30–32 und hier 31: „Die rein subjektive Freiheit der Wertsetzung führt aber zu einem ewigen Kampf der Werte und der Weltanschauungen, einem Krieg aller mit allem, ….“. 17  Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 85. 18  Ebd., S. 87. Vgl. Fitzi, Max Weber, S. 54: „Die Urmenschen wussten viel mehr über ihre Umwelt und ihre Werkzeuge als die modernen Menschen über das Funktionieren etwa einer Straßenbahn, nur glauben Letztere, dass sie alles über die Straßenbahn erfahren könnten, wenn sie es wollten. Sie gehen also davon aus, dass es keine geheimnisvollen, unberechenbaren Mächte gibt und dass man die Dinge durch Berechnen beherrschen kann.“

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

nicht bedeute, dass der heutige Mensch im Unterschied zu seinen Vorfahren seine Lebensbedingungen besser kenne.19 Man kann nämlich nicht mittels der Wissenschaft die Antwort auf diejenige Frage, welche um die Bedeutung des Lebens geht, finden. In diesem Zusammenhang wird auf seine Rezeption des Anfangs des siebenten Buches von Platons Politeia hingewiesen, wonach Weber den Ansatz der neuen Wissenschaft mit der antiken Philosophie zu vergleichen versuchte. Er schreibt: „Wenn Sie sich erinnern an das wundervolle Bild zu Anfang des siebenten Buches von Platons Politeia: jene gefesselten Höhlenmenschen, deren Gesicht gerichtet ist auf die Felswand vor ihnen, hinter ihnen liegt die Lichtquelle, die sie nicht sehen können, sie befassen sich daher nur mit den Schattenbildern, die sie auf die Wand wirft, und suchen ihren Zusammenhang zu ergründen. Bis es einem von ihnen gelingt, die Fesseln zu sprengen, und er dreht sich um und erblickt: die Sonne. Geblendet tappt er umher und sammelt von dem, was er sah. Die anderen sagen, er sei irre. Aber allmählich lernt er in das Licht zu schauen, und dann ist seine Aufgabe, hinabzusteigen zu den Höhlenmenschen und sie emporzuführen an das Licht. Er ist der Philosoph, die Sonne aber ist die Wahrheit der Wissenschaft, die allein nicht nach Scheingebilden und Schatten hascht, sondern nach dem wahren Sein.“20

Die neue Wissenschaft habe eben nicht dieses Ziel, das Wesen der Dinge zu verstehen. Die Empfindung der Jugend ist heute nach Weber wohl eher die umgekehrte und zwar seien die Gedankengebilde der Wissenschaft ein hinter- weltliches Reich von künstlichen Abstraktion, die mit der berechenbaren Methode zu erhaschen seien.21 Hier im Leben, in dem, was für Platon das Schattenspiel an den Wänden der Höhle gewesen sei, pulsiere die wirkliche Realität.22 Von daher liegt der Wissenschaft die Prämisse zugrunde, die man Methode nennen darf. Also ist bei jeder wissenschaftlichen Arbeit immer die Geltung der Regeln der Logik und Methodik die Prämisse, nämlich diese allgemeinen Grundlagen unserer Orientierung in der Welt. In diesem Zusammenhang greift Weber auf das Problem der Erwartung der Menschen von der Wissenschaft zurück. Alle Naturwissenschaften gäben uns Antwort auf die Frage: Was sollen wir tun, wenn wir das Leben technisch beherrschen wollen? Ob wir es aber technisch beherrschen sollen und wollen, und ob das letztlich eigentlich Sinn hat, das ließen sie ganz dahingestellt oder setzten es für ihre Zwecke voraus. Insofern unterscheidet Weber die Werte von der wissenschaftlichen Analyse. Weil die Werte, wie gesagt, auf persönlichen Erfahrungen basiert sind.23 19  Vgl. Schluchter, Die Entzauberung der Welt: Sechs Studien zu Max Weber, S. 12. 20  Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 88 f. 21  Vgl. ebd., S. 89. 22  Vgl. ebd., S. 89.



I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft27

Der Weberschen Wissenschaft nach sind solche Fragen ebenfalls nicht relevant: Ob wir mit der Methode unsere Welt verstehen sollen? Ob man gerade diese Regeln aufstellen soll? darauf antwortet sie nicht, sondern sie kann nur angeben: wenn man den Erfolg will, so ist diese Rechtsregel nach den Normen unseres Rechtsdenkens das geeignete Mittel, ihn zu erreichen.24 Demzufolge betont Weber u. a., dass praktisch-politische Stellungnahme und wissenschaftliche Analyse politischer Gebilde und Parteistellung zweierlei sei,25 weil eine Stellungnahme persönliche Erfahrungen und Interessen ausdrücken will, die nicht einer wissenschaftlichen Analyse entspricht. Insofern sieht Weber denjenigen, der eine Stellungnahme erheben will, als Propheten oder Demagogen vor. Die Stellungnahme sei also prinzipiell im Sachgebiet der wissenschaftlichen Arbeit deshalb sinnlos, weil verschiedene Wertordnungen der Welt in unlöslichem Kampf gegeneinander stehen wollten. Demzufolge könne man nach Weber den Polytheismus der Wissenschaft entgegensetzen, indem letztere sich auf den monotheistischen Ansatz, nämlich die vorgegebene Methode, stützen wolle.26 Dabei schreibt Weber: 23  Vgl. ebd., S. 92 ff. Es ist doch zu bemerken, was Weber von Werten bei seiner wertfreien Wissenschaft meint. Er gehörte zur Schule des Neukantianismus, die eine abstrakte Vorstellung von Werten hatten, die nur auf Maximem beruhen. Im Gegensatz dazu gab es die phänomenologische Wertphilosophie als Alternative, die von objektiven Werten ausging und deren Vertreter Max Scheler war. Vgl. Ulmen, Politischer Mehrwert, eine Studie über Max Weber und Carl Schmitt, S. 268. Zu seiner abstrakten Vorstellung von Werten vgl. Schmitt, Die Tyrannei der Werte, in: Schelz, S. 31: „Die Geltung der Werte beruht auf Setzungen. Wer ist es nun, der hier die Werte setzt? Bei Max Weber finden wir die klarsten und insofern auch ehrlichsten Antworten auf diese Frage. Demnach ist es das menschliche Individuum, das in voller, rein subjektiver Entscheidungsfreiheit die Werte setzt.“ 24  Zur praktischen Wertung im akademischen Unterricht vgl. Weber, gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 489. 25  Vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 96. 26  Max Weber geht davon aus, dass der Glaube an Götter zunächst dem menschlichen Geiste viel natürlicher sei als der Glaube an einen einzigen Urheber und Lenker der Natur; d. h. es geht der Polytheismus dem Monotheismus und zwar den monotheistischen Religionen voraus. Vgl. Schluchter, Die Entzauberung der Welt: Sechs Studien zu Max Weber, S. 5. Anschließend hält Weber daran fest, dass der Mensch durch die monotheistischen Religionen den ersten Schritt zur Entzauberung der Welt gegangen ist, weil die Welt nicht mehr von magischen Gewalten, die polytheistische Ansichten hervorbrachten, kontrolliert werden, sondern durch die kausalen Beziehungen. Vgl. ebd., S. 5. Aber im zweiten Schritt ist die Spannung zwischen der Wertsphäre des religiösen Heils und der des denkenden Erkennens aufgetaucht und in dieser Zeit, so Weber, ist der Mensch in die Entzauberung der Welt durch die Wissenschaft eingetreten. Je stärker sich die Wissenschaft an die logischen Begriffe, das rationale Experiment und die Mathematisierung bindet, desto mehr monopolisiert die Wissenschaft das Reich des Rationalen und verdränge die Religion daraus. Vgl. ebd., S. 11. Daher sei der Mensch laut Weber zunächst dem Poly-

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

„Wenn man von der reinen Erfahrung ausgehe, komme man zum Polytheismus.“27 Weber versucht daher den Widerspruch zwischen den persönlichen Erfahrungen, nämlich den Stellungnahmen mit der wissenschaftlichen Arbeit hervorzuheben. Hierzu schreibt er: „Je nach der letzten Stellungnahme ist für den einzelnen das eine der Teufel und das andere der Gott und der Einzelne hat sich zu entscheiden, welches für ihn der Gott und welches der Teufel ist. Und so geht es durch alle Ordnungen des Lebens hindurch. Der großartige Rationalismus der ethisch-methodischen Lebensführung, der aus jeder religiösen Prophetie quillt, hatte diese Vielgötterei entthront zugunsten des Einen.“28

Der Wissenschaft liegt also laut Weber die Methode zugrunde, damit man seinen Sachverhalt nachvollziehbar auffassen und sich der Relativität, die aus dem Glauben an Götter hervorginge, entgehen könne. Weil man aus dem Glauben an diverse Götter nicht allgemeine und objektive Prinzipien ziehen kann. Demzufolge plädiert Weber dafür, dass Wissenschaft heute ein fachlich betriebener Beruf im Dienst der Selbstbesinnung und der Erkenntnis tatsächlicher Zusammenhänge sei und nicht mit der Offenbarungen spendenden Gnadengabe von Sehern, Propheten oder ein Bestandteil des Nachdenkens von Weisen und Philosophen über den Sinn der Welt zu tun habe.29 2. Carl Schmitt und die wertfreie Wissenschaft Bevor „Politik als Beruf“ bei Weber und Schmitts Rezeption dazu im Folgenden analysiert wird, wird auf das Buch „Die neue Wissenschaft der Politik“, das versuchte die wertfreie Wissenschaft zu hinterfragen, eingegangen.30 theismus und danach den monotheistischen Religionen begegnet und dann schließlich der Wissenschaft, der die nachvollziehbaren Methoden zugrunde liegen. 27  Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 99. 28  Ebd., S. 99. Vgl. Weber, gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 507. 29  Vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 105. Vgl. Weber, gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 492: „Es ist doch ein beispielloser Zustand, wenn zahlreiche staatlich beglaubigte Propheten nicht auf den Gassen oder in den Kirchen oder sonst in der Öffentlichkeit, oder, wenn privatim, dann in persönlich ausgelesenen Glaubenskonventikeln, die sich als solche bekennen, predigen, sondern in der angeblich objektiven, unkontrollierbaren, diskussionslosen und also vor allem Widerspruch sorgsam geschützten Stille des vom Staat privilegierten Hörsaals im Namen der Wissenschaft maßgebende Kathederentscheidungen über Weltanschauungsfragen zum Besten zu geben sich herausnehmen.“ 30  Die Form des Voegelinschen Denkens verweigert sich in spezifischer Weise der Moderne. Diese Verweigerung hat er mit einem anderen Denker des 20. Jahrhunderts gemeinsam: Carl Schmitt. Vgl. Henkel, Eric Voegelin, zur Einführung,



I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft29

Eric Voegelin versuchte in seiner Schrift mit dem Titel „Die neue Wissenschaft der Politik“ zunächst klarzumachen, was wertfreie Wissenschaft bei Max Weber bedeutet und von diesem Ausgangspunkt aus begann er anschließend die moderne Wissenschaft zu hinterfragen. Dabei schreibt er: „Wertfreie Wissenschaft bedeutete für Weber die Erforschung von Ursachen und Wirkungen, die Konstruktion von Idealtypen des Handelns und der Institutionen und insbesondere die Konstruktion typischer Kausalbeziehungen. Eine solche Wissenschaft wäre nicht in der Lage, jemandem zu sagen, ob er ein wirtschaftsliberaler oder ein Sozialist, ein konstitutioneller Demokrat oder ein marxistischer Revolutionär sein solle, aber sie könnte ihm sagen, welche Folgen es hätte, wenn er die von ihm bevorzugten Werte in die politische Praxis umsetzen wollte.“31

Aus dieser Passage her ergibt sich dieser Punkt, dass die Werte politischer Ordnung aufgrund der Wissenschaft einerseits über kritischen Wertungen stehen und andererseits sich die Politikwissenschaft den aktuellen politischen Einstellungen entzieht. D. h. es ist eine Unterscheidung zwischen der Stellungnahme und der wissenschaftlichen Arbeit in dem Bereich der Politikwissenschaft anzusehen. Indem Weber die Frage nach der wertfreien Wissenschaft bis zu dem pragmatischen Punkt zuspitze, hebe er doch die Debatte über die methodologische Streitigkeit hinaus auf die Ebene theoretischer Relevanz.32 Es habe Weber nach der Wissenschaft verlangt, weil er Klarheit über die Welt suchte, an der man leidenschaftlich teilnahm. Leidenschaftlich bedeutet bei Voegelin die Einmischung der Persönlichkeit und der Erfahrungen, worauf man eben verzichten muss, um eine wissenschaftliche Arbeit betreiben zu können. Demzufolge kommt die wissenschaftliche Arbeit laut Voegelin über die Ebene des pragmatischen Handelns nicht hinaus.33 Denn in dem intellektuellen Klima der methodologischen Debatte sollten die Werte als fraglos hingenommen werden. Und die Ratio der Wissenschaft reduziere sich nur daraufhin nach Voegelin auf die Kausalität des Handelns. So versuchen Wissenschaftler ihren Gegenstand nach der Methode berechenbar, genau wie bereits im Hinblick auf Weber erläutert wurde, unabhängig von persönlichen Erfahrungen zu untersuchen.34 S. 12. Was Max Weber betrifft, setzt Voegelin sich in seiner Dissertation damit auseinander, wie die Sozialwissenschaft sich von den Fesseln neukantianischer Methodenreinheit befreien kann. Vgl. Ley, Voegelin in Wien: Frühe Schriften 1920–1938, S. 51. 31  Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 30. 32  Vgl. ebd., S. 31. Pragmatisch in diesem Sinne, dass die Politik sich nunmehr organisatorisch nur mit dem Wohl seiner Betroffenen beschäftigen will. 33  Ebd., S. 31. 34  Die Theorie ist nach Voegelin in der modernen Wissenschaft den methodologischen Forschungen untergeordnet und dies führt in der positivistischen Wissenschaft im Verein mit dem Postulat der Wertfreiheit von Wissenschaft zum Verlust

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

In diesem Zusammenhang bemüht sich Voegelin die von Weber eingenommene Perspektive über Politikwissenschaft zu hinterfragen, wobei er schreibt: „Der Ausdruck Werturteil ist an sich sinnlos; er empfängt seinen Sinn nur aus einer Situation, in der er den Tatsachenurteilen gegenübergestellt wird; und diese Situation ist durch das positivistische Dogma geschaffen worden, nur Tatsachenurteile, betreffend der phänomenalen Welt sind objektiv, während Urteile über die richtige Ordnung von Mensch und Gesellschaft subjektiv sind.“35 Mit anderen Worten, während die Urteile, die aus der nachvollziehbaren Methode hervorgehen, als wissenschaftlich zu betrachten sind, sind die Urteile, die aus den Erfahrungen, nämlich den Werten hervorgehen, als unwissenschaftlich anzusehen.36 Voegelin ist überzeugt, dass man nicht auf die spezifischen Situationen, von denen Wissenschaft ausginge, zum Aufbau der Wissenschaft verzichten könne. Genauer gesagt, Wissenschaft geht von der vorwissenschaftlichen Existenz des Menschen aus; d. h. „von seiner Teilnahme an der Welt mit seinem Leib, seiner Seele, seinem Intellekt und seinem Geist; von seinem ursprünglichen Griff in alle Seinbereiche, der ihm dadurch gesichert ist, dass seine eigene Natur ihrer aller Abriss ist.“37 Es ist eben zu bemerken, dass unsere vorwissenschaftliche Teilnahme an der Ordnung der Welt, nämlich unsere vorwissenschaftlichen Erlebnisse von Recht und Unrecht dazu neigen, sich in der nächsten Phase auf theoretisches und wissenschaftliches Verständnis zu erheben. Demzufolge liege der wertfreien Wissenschaft laut Voegelin die vorwissenschaftliche Situation zugrunde, worauf man nicht verzichten dürfe. Soll man die vorwissenschaftlichen Situationen als Basis der Prägung der Wissenschaft voraussetzen, dann könnte man nicht mehr von der modernen Wissenschaft ausgehen, sondern von diversen wissenschaftlichen Perspektiven. Das ist eben genau Webers Hauptkritik an denjenigen, die die Wissenschaft nicht auf einer objektiven Basis begründen. Und dann wird, was für den einen der Teufel ist, nach Weber hier für den anderen der Gott.38 der Frage nach dem Wesen der Seinsbereiche und öffnet dem Relativismus die Tore. Vgl. Henkel, Eric Voegelin, zur Einführung, S. 130. 35  Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 28. 36  Zum Verhältnis zwischen Methodologie und wertfreier Wissenschaft vgl. Weingartner, Werte in den Wissenschaften, in: Zecha, S. 72: „Da die spezifische Methodologie mit ihren spezifischen Regeln zu jeder Wissenschaft gehört, ist – in Hinsicht auf ihre Methode – ebenfalls keine Wissenschaft wertfrei; denn die Erfüllung dieser Regeln sind ja Mittel in Bezug auf das Ziel der Wissenschaft.“ Vgl. Ley, Voegelin in Wien: Frühe Schriften 1920–1938, S. 54 f und 61 f. 37  Vgl. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 23 f. 38  Von daher stellt Weber fest, dass die Wissenschaft sich über den vorwissenschaftlichen Zustand, nämlich über die Werte erheben will. Vgl. Ulmen, Politischer Mehrwert, eine Studie über Max Weber und Carl Schmitt, S. 286: „dass die Kluft zwischen Wissenschaft und einer universal-bindenden Orientierung nicht überschrit-



I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft31

Voegelin stellt u. a. fest, dass die Objektivität, die Weber sucht, sich nur von den authentischen Ordnungsprinzipien herleiten konnte. Und jene authentischen Ordnungsprinzipien habe eben ihre Korrelation mit der vorwissenschaftlichen Lage zusammengebracht. Von diesem Punkt ausgehend kann man feststellen, was Voegelin unter Positivismus – vor allem wenn er Weber als Positivist bezeichnen will –verstand, nämlich: Der Positivismus ist mit Weber zu seinem inneren Abschluss gekommen, indem die Wissenschaft sich bei ihm den Fakten unterordnet, die auf Kosten der Belastung der Mannigfaltigkeit der menschlichen Existenz zustande gekommen sind. Die Politikwissenschaft setzt sich von daher mit den Fakten, und zwar der Machtbeziehung auseinander, welche aus den Methoden hervorgegangen sind und die Untersuchung der Machtbeziehung steht somit im Mittelpunkt der Forschung, weil sie das wichtigste Zeichen der Politik im wissenschaftlichen Sinne ist. Demzufolge vertritt Voegelin die These: Wenn die Wissenschaft sich auf die konkreten Werte, nämlich die vorwissenschaftliche Lage, berufen werde, dann gibt es eben viele Arten politischer Geschichte und politischer Wissenschaft, welche man nicht auf die universale Politikwissenschaft reduzieren könnte.39 Es ist hierbei zu bemerken, dass Weber nicht mit der Wissenschaft als solcher einverstanden ist, weil dieser Ansatz keinen Beitrag zur Klarheit der wissenschaftlichen Arbeit leisten könnte. Und vor allem entzieht sich die Politik als solche der Verantwortungspolitik, die in der modernen Wissenschaft bei Weber ein Schlüsselkonzept ist. Es wurde gezeigt, dass die Wissenschaft sich mit den Fakten auseinandersetzen will. Demzufolge kann man, wie gesagt, von der Entwicklung des menschlichen Wissens, und zwar dem Fortschritt, ausgehen, wobei Weber feststellt, dass die Wissenschaft heute ein fachlich betriebener Beruf im Dienst der Selbstbesinnung und der Erkenntnis tatsächlicher Zusammenhänge ist. Insofern hält sich die Wissenschaft methodisch von den konkreten Werten zurück, um nur der Sache zu dienen. Carl Schmitt fokussiert sich hierbei auf das Verhältnis zwischen Werten und der wissenschaftlichen Methode im modernen Zeitalter. In Deutschland haben Schmitt zufolge hundert Jahre rapider Industrialisierung den Wert zu einer wesentlichen ökonomischen Kategorie gemacht. Der Wert sei heute für das allgemeine Bewusstsein so stark ökonomisiert, dass diese Imprägnierung nicht mehr rückgängig zu machen sei, am wenigsten in einer Zeit industriellen Fortschritts, wachsenden Reichtums und perten werden kann, weil es einen unüberbrückbar tödlichen Kampf zwischen den Werten gibt.“ 39  Vgl. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 30.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

manenter Umverteilung.40 Ökonomisierung der Werte bedeutet bei Schmitt Säkularisierung der Welt, die mit der Verwissenschaftlichung des Lebens einhergeht. In diesem Zusammenhang meinte Schmitt, dass es zwei Lehren über Werte gibt. Max Weber vertritt nach Schmitt eine rein formale Wertlehre, die aus subjektiver Entscheidungsfreiheit hervorgeht. Das Problem besteht jedoch darin, dass die rein subjektive Freiheit der Wertsetzung zu einem ewigen Kampf der Werte und der Weltanschauungen führe, also einem Krieg aller mit allen.41 Von daher versuchte Weber nach Schmitt die Prinzipien der Wissenschaft über diverse konkrete Werte hinauszuheben. Im Gegensatz dazu hätten bedeutende Philosophen wie Max Scheler und Nicolai Hartmann versucht, dem Subjektivismus der Wertungen, wovon Weber ausging, zu entgehen und eine objektive und materielle Wert-Philosophie zu finden.42 Dass die großen Denker sich mit dem Thema der Werte befasst haben, hatte damit zu tun, dass sie sich laut Schmitt für die Überwinder des Materialismus hielten. Aber ihre Reflektion über die Werte hat die Tendenz zu einer neutralisierenden Verwissenschaftlichung beschleunigt.43 Die wertfreie Wissenschaft basiert somit auf einer rein formalen Wertlehre, die zwar Schmitt zufolge auf den ersten Blick sogar den Anschein einer grenzlosen Toleranz erweckt, aber sie könne nicht den Kampf der subjek­ tiven Werte überwinden.44 Weil eine solche Wissenschaft sich nicht mit Werten auseinander setzt um einen Kompromiss zwischen denselben Werten zu schließen, sondern die Wissenschaft neutralisiert die Werte, indem sie die praktischen Wertungen von der wissenschaftlichen Analyse abtrennt.45 In diesem Zusammenhang ist Schmitt ebenfalls überzeugt, dass „ein Philosoph der objektiven Werte, für den es höhere Werte gibt als das physische Dasein der jeweils lebenden Menschen, breit ist, die Vernichtungsmittel der modernen Wissenschaft und Technik einzusetzen, um diese höheren Werte durchzusetzen; und ein anderer Philosoph der objektiven Werte hält es für ein Verbrechen, menschliches Leben um angeblich höherer Werte willen zu vernichten.“46 Von daher gelang es der wertfreien Wissenschaft Schmitt Schmitt, Die Tyrannei der Werte, in: Schelz, S. 14. ebd., S. 31. 42  Vgl. ebd., S. 32. 43  Vgl. ebd., S. 17. 44  Vgl. ebd., S. 22. 45  Schmitt bezeichnet die wertfreie Wissenschaft als nihilistische Wertfreiheit. Vgl. ebd., S. 35: „Doch ist nicht schwer zu erkennen, dass diese Art Neutralität keine andere ist als die des naturwissenschaftlichen Positivismus, dessen nihilistischer Wertfreiheit man doch gerade entgehen wollte, als man sich in die Freiheit des rein subjektiven Wertes stürzte und den dadurch entfesselten Kampf aller mit allen auf sich nahm, um die große Nihilismuskrise zu überwinden.“ 46  Ebd., S. 36. 40  Vgl. 41  Vgl.



I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft33

zufolge nicht den Kampf der Werte aufzuheben, sondern die Wissenschaft als solche radikalisiert den Kampf der Werte, indem sie deren Kampf aufgrund ihrer Toleranz auf die Zukunft verschiebt.47 Dass Schmitt sich pessimistisch über Werte äußert, solle keinesfalls im Sinne eines irgendwie gearteten positivistischen Objektivitätskonzeptes missverstanden werden, weil er nur vor Wertneutralität warnt. Von daher, wenn er laut Günter Meuter die Wertneutralität bekämpfte, so bekannte er sich damit zu Werten.48 Schmitt geht u. a. mit der wertfreien Wissenschaft juristisch um. Wenn Weber feststellt, dass die Wissenschaft der Sache dient, versuchte er als Jurist herauszufinden, was er von Sachlichkeit meint. Schmitt ist überzeugt, dass die Sachlichkeit der Legalität im politischen Sinne entspricht. Legalität sei eben nur eine Art der Rechtmäßigkeit. D. h. die wertfreie Wissenschaft reduziere sich auf eine der drei Arten der Rechtmäßigkeit, die Schmitt für rechtmäßig hielt. Schmitt setzt sich also, wie gesagt, als ein Jurist mit der Wissenschaft auseinander: „Jeder Jurist, der seiner Arbeit, bewusst oder unbewusst, einen Begriff von Recht zugrunde legt, fasst dieses Recht entweder als eine Regel (Legalität), oder als eine Entscheidung, oder als eine konkrete Ordnung und Gestaltung auf.“49 Schmitt impliziert, dass die Rechtmäßigkeit nach der wertfreien Wissenschaft sich nur auf Legalität beschränken will. Insofern konfrontiert man sich dann Schmitt zufolge nicht mit der Rechtmäßigkeit, sondern mit der Gesetzmäßigkeit. In diesem Zusammenhang wird zunächst auf die konkrete Ordnung, die Schmitt als dritte Art der Rechtmäßigkeit genannt hat, hingewiesen, weil die Ordnung als solche sich eben auf die Werte berufen will, welche wir bei Weber aus dem Bereich der wissenschaftlichen Forschung ausschließen müssen. Hierzu schreibt Schmitt: „Die verschiedenen Völker und Rassen sind verschiedenen Denktypen zugeordnet, und mit der Vorherrschaft eines bestimmten Denktypus kann sich eine geistige und damit politische Herrschaft über ein Volk verbinden. Es gibt Völker, die ohne Boden, ohne Staat, ohne Kirche, nur im Gesetz existieren; ihnen erscheint das normativistische Denken als das allein vernünftige Rechtsdenken und jede andere Denkart unbegreiflich, mystisch, phantastisch oder lächerlich.“50

47  Um die Tyrannei der Werte zu vermeiden, beziehe sich Schmitt auf dezisionistisches Ordnungsdenken, das katholisch geprägt sei, weil es keinen axiologischen Polytheismus und deshalb auch keine pluralistische Punktualisierung der Werte anerkenne. Vgl. Meuter, Der Katechon: zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit, S. 385 und 387 f. 48  Vgl. Meuter, Der Katechon: zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit, S. 380. 49  Schmitt, Über drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 7. 50  Ebd., S.  9 f.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

Dieser Passage zufolge will Schmitt uns darauf hinweisen, dass man nicht auf die diversen Denktypen der verschiedenen Völker, nämlich die konkrete Ordnung bei der wissenschaftlichen Analyse, verzichten soll. Sollte man den Denktypus des jeweiligen Volkes ignorieren um Wissenschaft zu treiben, dann entsteht eine wissenschaftliche Perspektive, die der Rechtswissenschaft nach auf der bloßen Legalität basiert ist. Insofern bedeutet Positivismus für die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts laut Schmitt zunächst etwas Polemisches, und zwar „die Ablehnung alles außergesetzlichen, alles nicht durch menschliche Satzung geschaffenen Rechts, mag es als göttliches, natürliches oder vernünftiges Recht auftreten.“51 Daher vertritt Schmitt diese These, dass das positive Recht aufgrund des legalen Verfahrens zustande kommt. Im Gegensatz dazu bedeutet die Ablehnung alles Außergesetzlichen bei Weber eben den Ausgangspunkt dessen, was man Wissenschaft nennen könne. Schmitt will das Politische über die Legalität hinweg rekonstruieren.52 Demnach fokussiert er sich auf die diversen Denktypen der Völker. Von daher ist konkrete Ordnung ein Schlüsselkonzept bei Schmitt, sowie vorwissenschaftliche Situation bei Voegelin, wonach er sich kritisch über die wertfreie Wissenschaft äußert. Folglich ist zu bemerken, dass Schmitt und Voegelin in ähnlicher Weise mit ihren Konzepten, nämlich der konkreten Ordnung und der vorwissenschaftlichen Situation, gegen die wertfreie Wissenschaft vorgingen, weil beide sich auf dieselbe Idee beziehen wollen, welcher Weber polytheistische Denkweise vorwirft. Was die Entscheidung betrifft, meint Schmitt, dass das Urteil dem Gesetz vorausgeht. Mit andern Worten entstehen die Gesetze aus den Entscheidungen, die über dieselbe Gesetzmäßigkeit hinauslaufen. In „Gesetz und Ur51  Ebd., S. 26. Ablehnung alles Außergesetzlichen spielt auf die Werte an, die als vormoderne Rechte bekannt sind. Insofern stehen die Werte der absoluten Wertfreiheit des wissenschaftlichen Positivismus gegenüber. Vgl. Ulmen, Politischer Mehrwert, eine Studie über Max Weber und Carl Schmitt, S. 285: „Danach ist es das menschliche Individuum, das in voller, rein subjektiver Entscheidungsfreiheit die Werte setzt. Auf diese Weise entgeht es der absoluten Wertfreiheit des wissenschaftlichen Positivismus und setzt ihm seine freie, das heißt: subjektive Weltanschauung entgegen.“ 52  Was die Legalität betrifft, spricht Weber bei seinem Vortrag über „Politik als Beruf“ von drei Art der Legitimität der Herrschaft; die erste Art der Legitimität lautet die Autorität des ewig Gestrigen, die sich auf die geheiligten Sitten, nämlich die Tradition, stützt und die Zweite basiert auf der Autorität der außeralltäglichen persönlichen Gnadengabe, nämlich den Charismata. Bei dieser Herrschaft taucht der Prophet oder, auf dem Gebiet des Politischen, der gekorene Kriegsfürst oder der plebiszitäre Herrscher auf. Die dritte Art heißt die Herrschaft kraft der Legalität, kraft des Glaubens an die Geltung legaler Satzung, die in der sachlichen Kompetenz verankert sei und das Zeichen der modernen Lesart von Legitimation ist. Vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 160.



I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft35

teil“ befasst sich Schmitt mit der Praxis der staatlichen Gesetzgebung und vor allem der richterlichen Urteilsbildung, wobei Schmitt überzeugt ist, dass jedes Recht auf Entscheidungen gründet und zwar auf Entscheidungen, die sich letztlich nicht unter vorgegebene naturrechtliche oder positive Normen subsumieren lassen.53 Aber das Problem besteht doch darin, dass die unbedingte Bindung des Richters an das Gesetz mit der Aufstellung der Gesetzmäßigkeit einer Entscheidung als Kriterium seiner Richtigkeit zum Ausgangspunkt genommen wird. Wenn man jedoch laut Schmitt mit den Mitteln historischer Interpretation an dieses Problem herangeht, so wird man Gesetzmäßigkeit dahin auslegen müssen, dass es der Wille des Gesetzes oder des Gesetzgeber war, den Richter an den klaren Sinn der Gesetze zu binden.54 Mit anderen Worten, wenn man den historischen Hintergrund der Gesetze betrachten will, dann soll man automatisch dem Gesetzgeber, nämlich der Entscheidung Priorität, geben, womit dieselben Gesetze zustande gekommen sind. Schmitt stellt fest, dass es ein Verhältnis zwischen dem Positivismus und der wertfreien Wissenschaft gibt. Weil er sich eine wissenschaftliche Analyse, die aus derselben Wissenschaft hervorgehen, mit diesen Merkmalen vorstellt: „Objektivität, Festigkeit, Unverbrüchlichkeit, Sicherheit und Berechenbarkeit, kurz, der Positivität.“55 Der Positivismus wird laut Schmitt dann für eine rein juristische Methode gehalten, wenn sowohl alle metaphysischen wie auch alle metajuristischen Erwägungen ausgeschieden werden. Trotzdem führt Schmitt aus: „Ein reiner Normativismus müsste die positive Norm aus einer überpositiven Norm ableiten; das konkrete Ordnungsdenken werde ebenfalls zu einer überpositiven, umfassenden, totalen Ordnungseinheit führen.“56 D. h. man kann sich nicht in der Lage befinden, die konkreten Ordnungen zu ignorieren, um Wissenschaft zu betreiben, weil dieselbe konkrete Ordnung, nämlich der Denktypus des Volkes, eben schon positive 53  Vgl. Bielefeldt, Kampf und Entscheidung: Politischer Existentialismus bei Carl Schmitt, Helmuth Plessner und Karl Jaspers, S. 21. 54  Vgl. Schmitt, Gesetz und Urteil: Eine Untersuchung zum Problem der Rechts­ praxis, S. 8. Schmitt wollte die Rolle der staatlichen Entscheidungen hervorheben, damit man die Volkseinheit bewahren kann und insofern sollen die positiven Gesetze und parteilichen Konflikte ihm zufolge dem Staat und dessen Stabilität dienen, wobei Schmitt den Staat als objektive Vernunft bezeichnet. Vgl. Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, S. 365: „Unter dem Druck von Parteien und Interessengruppen verschiedenster Art wurde der Staat gezwungen, quantitativ total zu werden und in alle Sphären des menschlichen Zusammenlebens zu intervenieren. Der Staat hört auf, ein Bereich der objektiven Vernunft zu sein, und alle Mittel der politischen Willensbildung veränderten ihren Sinn.“ 55  Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 26. 56  Ebd., S. 31.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

Normen hervorgebracht habe.57 Von daher geht die vorgegebene Ordnung, nämlich die Konkrete Ordnung, bei Schmitt der Wissenschaft, nämlich der Legalität, voraus, wobei er schreibt: „Für das konkrete Ordnungsdenken ist Ordnung auch juristisch nicht in erster Linie Regel oder eine Summe von Regeln, sondern umgekehrt, die Regel nur ein Bestandteil und ein Mittel der Ordnung.“58 Zusammenfassend schafft die Norm oder Regel, so Schmitt, nicht die Ordnung; sie könne vielmehr nur aufgrund einer gegebenen Ordnung, nämlich der konkreten Ordnung, eine gewisse regulierende Funktion mit einem relativ kleinen Maß in sich verselbstständigen. Demzufolge beabsichtigt Schmitt die unüberwindbare Grenze, die Weber zwischen Werten und Wissenschaft festlegte, zu beseitigen, weil die Gesetze in modernem Sinne aus der konkreten Ordnung Schmitt zufolge entkoppelt sind. Sollte man somit die Basis der Wissenschaft über die Fakten hinaus festlegen, dann ist das nicht möglich, eine wissenschaftliche Analyse im Weberschen Sinne durchzuführen, weil die Wissenschaft als solche auf der Methode basiert, die sich den Werten entzieht. Mit anderen Worten kann man aufgrund der Konkreten Ordnung, welcher die abstrakten Werte zugrunde liegen, nicht von dem objektiven Wissen ausgehen, wofür Weber plädiert. Diese Hinterfragung der wertfreien Wissenschaft lässt sich dann beleuchten, wie Schmitt feststellt: „Es gibt aber andere Bereiche menschlichen Daseins, für welche die Übertragung eines derartigen Funktionalismus der Regelhaftigkeit gerade das spezifisch rechtliche Wesen der konkreten Ordnung zerstören würde. Das sind alle Lebensgebiete, die sich nicht verkehrsmäßig-technisch, sondern institutionell gestaltet haben. Sie haben eine eigene rechtliche Substanz, die wohl auch generelle Regeln und Regelmäßigkeiten kennt, aber nur als Ausfluss dieser Substanz, nur aus ihrer konkreten eigenen, inneren Ordnung heraus, die nicht die Summe jener Regeln und Funktionen ist.“59

Schmitt reduziert die neue Wissenschaft auf Funktionalismus und Regelhaftigkeit, die sich von der konkreten Ordnung entkoppelt haben. Hierzu wird auf die Erwartungen der Freistudenten von der Wissenschaft zurückgekehrt, damit Schmitts Kritik an der wertfreien Wissenschaft fassbar wird. Die Studenten stellten eine wichtige Frage bei Weber: welche Erwartungen sollen wir von der neuen Wissenschaft haben? In diesem Zusammenhang setzten die Studenten diese Erwartung voraus, dass die Wissen57  Hierzu wurde bereits hingewiesen, dass Voegelin von den vorwissenschaftlichen Situationen ausgeht, denen man nicht entgehen kann. Vgl. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 36. Statt der vorwissenschaftlichen Situationen formuliert Schmitt dieses Konzept, nämlich Konkrete Ordnung, die teilweise ähnliche Bedeutung mit der vorwissenschaftlichen Situation hat. 58  Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 11. 59  Ebd., S. 17.



I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft37

schaft den geistigen Gesichtskreis der Studenten über das Studium des Fachbereiches hinaus erweitern solle; d. h. Wissenschaft solle sich auf kulturelle Elemente einer Gesellschaft, die z. B. Religion oder Nationalität sind, berufen. Weber nahm gerade wegen dieser falschen Erwartung von der neuen Wissenschaft die Einladung dieser Bewegung auf, um die Perspektive der neuen Wissenschaft zu beleuchten. Weber reagierte also auf deren Einladung, weil er sich gegen den wachsenden Irrationalismus und den Erlebniskult deutscher Intellektueller wenden wollte, der im Laufe des ersten Krieges in Deutschland dominiert hat. In Deutschland dominierte damals der Romantizismus, der sich den Klassikern als Vertreter des Rationalismus entgegensetzte. Diese moderne intellektualistische Romantik des Irrationalen, die vom Nietzsche-Kult über den George-Kreis bis zu den Anarchosyndikalisten reichte, hat in seinen Augen den Intellektualismus und auch gerade die wissenschaftliche Arbeit verteufelt.60 Weber nennt diese Haltung die moderne intellektualistische Romantik. Demzufolge kann man sowohl Schmitt als auch Voegelin diesen intellektuellen Kreisen zurechnen, die sich aufgrund unterschiedlicher Motivationen gegen den Rationalismus aussprachen. Von daher ist es Weber zufolge unmöglich und widersprüchlich die persönlichen und regionalen Erfahrungen, die Schmitt als konkrete Ordnung bezeichnet, mit den Prinzipien der wissenschaftlichen Arbeit zu verbinden. Die Abneigung gegen den wissenschaftlichen Intellektualismus war, wie gesagt, bei der akademischen Jugend weit verbreitet. Hierzu ist zu bemerken, dass die Vorträge in einem Abstand von über einem Jahr, „Wissenschaft als Beruf“ am 7. November 1917 und „Politik als Beruf“ am 28. Januar 1919, gehalten worden sind.61 Zwischen diesen Daten liegen die endgültige militärische Niederlage des Deutschen Reiches und die Novemberrevolution. Von daher hatte Weber Sorge um den Zustand seines Landes und er stellte fest, dass das Schicksal Deutschlands unumgänglich mit der modernen Kultur zu verknüpfen ist. Max Weber hat seinerseits national gedacht. Und doch hat er diejenigen bekämpft, die den deutschen Geist, als ein eigenes Selbstgewachsenes und Höheres dem aufklärerischen demokratischen Individualismus Westeuropas und Amerikas entgegensetzt haben.62 60  Weber, Wissenschaft als Beruf; Politik als Beruf, in: J. Mommsen, S. 98 (Nachwort). 61  Ebd., S. 49 (Editorischer Bericht). 62  Vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf; Politik als Beruf, in: J. Mommsen, S. 91 (Nachwort). Vgl. Radkau, Max Weber: die Leidenschaft des Denkens, S. 662: „Der Krieg mit der angloamerikanischen Welt war für ihn ein großes Unglück und der Aufbau einer ideologischen Front im Zeichen des Gott strafe England von Grund auf verkehrt: Um eine kraftvolle Nation zu werden, mussten die Deutschen vielmehr von den im Puritanismus erzogenen Briten und Amerikanern lernen, anstatt nichtwestliche deutsche Traditionen romantisch zu verklären.“

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

Demzufolge musste Deutschland nach Weber Abschied von den Illusionen nehmen. Aber was bedeutet Illusion im Bereich der Politik bei Weber? Um diese Frage zu beantworten, versucht Weber vorher das Verhältnis zwischen Politik und Ethik darzustellen. Wenn es um das Verhältnis von Ethik und Politik geht, so könnte man prinzipiell zwei unversöhnliche Positionen vertreten: zum einen die Auffassung, dass diese beiden Bereiche nichts miteinander zu tun haben, zum anderen die Auffassung, dass politisches Handeln derselben Ethik untersteht wie jedes andere Handeln auch. Es scheint so, als habe man nur die Wahl zwischen anethischer oder ethischer Politik. Es gibt jedoch am Ende einen dritten Weg, den Weber eingeschlagen hat; also so etwas wie eine politische Ethik, die sowohl der Eigenlogik und dem Eigenwert der Politik als eigenständiger Wertsphäre und Lebensordnung gerecht wird als auch dem berechtigten gesellschaftlichen Interesse an einer wie auch immer gearteten ethischen Standards folgenden Politik,63 indem Weber einen Unterschied zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik anführt. Gesinnungsethik ist durch religiöse und überweltliche Ethik geprägt, die sich nur auf die Artikulierung der Maxime richtet, wobei der Politiker eine pseudoreligiöse Einstellung im Feld der Politik vertritt, die von der realen Politik weit entfernt ist.64 Und im Gegensatz dazu entwirft Webers Konzept von Verantwortungsethik eine nicht metaphysische Ethik der Welt, die den Politiker darauf verpflichtet, Totalitätsansprüche zu begrenzen, um Lebenschancen zu ermöglichen und offenzuhalten.65 63  Vgl. Müller, Max Weber: Eine Einführung in sein Werk, S. 218. Zum Vergleich der nikomachischen Ethik des Aristoteles und Kants Metaphysik der Sitten und deren Rekonstruktion bei Weber vgl. Schluchter, Werturteilsfreiheit und Wertdiskus­ sion: Max Weber zwischen Immanuel Kant und Heinrich Rickert, in: Das Ethische in der Ökonomie; Festschrift für Hans G. Nutzinger, S. 53 ff. 64  Vgl. Mehring, Politische Ethik in Max Webers Politik als Beruf und Carl Schmitts Der Begriff des Politischen, in: Politische Vierteljahresschrift; Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, S. 610, und hier 613: „Sein Einwand geht dahin, dass der Gesinnungsethiker nicht um der Welt willen handelt, selbst wenn er seine Gesinnung in der Welt behauptet; sein Reich ist ‚nicht von dieser Welt‘.“ 65  Vgl. ebd., S. 608. Weber beschränkt sich laut Emanuel Richter einerseits auf eine Art Situationsethik, die aus dem augenblicklichen Handlungsbedarf des Politikers heraus die verantwortungsvolle Handlungsmaxime begründet; andererseits schränkt er die Verantwortungsethik auf eine individuelle Positionsbestimmung ein, die den unübersichtlichen Horizont kollektiver Handlungssituationen nicht ins Blickfeld rückt. Doch die Eigenschaft des Prinzips Verantwortung, das neuerdings in der politischen Ethik einen herausgehobenen Stellenwert gewinnt, weist daher nach Richter deutlich über Weber hinaus. Die Verantwortung werde also historisiert und auf die Komplexität der Handlungszusammenhänge in der Gesellschaft zugeschnitten. Vgl. Richter, Politische Ethik als Verantwortungsethik: Die Folgenabschätzung als Begründungsfundament?, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, S. 168 f.



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Wenn man die rationale, wissenschaftsbestimmte Erkenntnis durch das Erlebnis ersetzen wollte, verwickelt man sich in die Gesinnungspolitik, welche die Realität missachtet und man entzieht sich somit der Verantwortungspolitik. Der Gesinnungspolitik, die bei Weber in Deutschland zu kritisieren ist, liegt jene utopische Idee zugrunde, die sich den Tatsachen und der Verantwortungspolitik zu entziehen vermag. Wer die absolute Gerechtigkeit z. B. auf Erden mit Gewalt herstellen wolle, der bedarf dazu der Gefolgschaft und zwar des menschlichen Apparates. Diesem müsse er die nötigen inneren und äußeren Prämien – himmlischen oder irdischen Lohn – in Aussicht stellen, sonst funktioniere er nicht.66 Man soll sich eben von jener Perspektive, welche die Wissenschaft ideologisch konzipieren will, nach Weber verabschieden, weil sie nicht den wissenschaftlichen Fakten entspricht, woraus man konkrete Konsequenzen analytisch ableiten kann. D. h. sie entspricht nicht der Verantwortungspolitik. Im Gegensatz dazu basiert die Gesinnungspolitik auf der jeweiligen Art der Politisierung, welche sich laut Weber auf Führerschaft stützt und zu den subjektiven Erlebnissen beizutragen vermag. Weber versuchte daher in seinen Vorträgen diese falsche Erwartung der Freistudenten über die Wissenschaft zu korrigieren, weil Deutschland aufgrund derselben falschen Vorstellung von Politik gerade eben 1918 in die schwierige Situation beim Ersten Weltkrieg geraten sei. Im Gegensatz dazu setzte sich Schmitt jedoch mit derselben wertfreien Wissenschaft, die nach und nach das Europa im 20 Jahrhundert beherrschte, kritisch auseinander. In diesem Zusammenhang wird auf einen satirischen Aufsatz von Schmitt „Die Buribunken“ hingewiesen, der in der Zeitschrift „Summa“ (Jahrgang 1917 / 18) veröffentlicht wurde. Dieser Aufsatz ist bemerkenswert, weil „Buribunken“ um die Zeit des von Weber gehaltenen Vortrages herum geschrieben wurde. In dieser Schrift hat Schmitt ironische Bemerkungen über die wissenschaftliche Arbeit geäußert. Schmitt spielt auf die Spezialisierung der Wissenschaft, welche Weber als Schicksal der Moderne bezeichnet, an. Hierzu Schreibt Schmitt satirisch: „Doch sind wir wohl befugt, uns mit dem Hinweis darauf zu begnügen, dass bereits über 4.000.000 buribunkologische Dissertationen (20 Divisionen!) erschie66  Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 245. Weber gebrauchte den Begriff der Verantwortungspolitik wenig systematisch und richtet ihn mehr polemisch gegen die zeitgenössischen Literaten und Gesinnungsethiker: insbesondere gegen jene revolutionären Sozialisten und Syndikalisten, die während des Weltkriegs pazifistische Forderungen erhoben und jetzt, in der Münchner Revolutionslage vom Frühjahr 1919, nach Revolution schrien. Vgl. Mehring, Politische Ethik in Max Webers Politik als Beruf und Carl Schmitts Der Begriff des Politischen, in: Politische Vierteljahresschrift; Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, S. 610.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

nen sind; dass die wöchentlichen Preisausschreiben des Internationalen Buribunkologischen Instituts für Ferker- und verwandte Forschung (Ibiffuff) seit Jahren stets mit mehreren Preisen und lobenden Anerkennungen enden. Der buribunkologische Verlag stellt außerdem einen der blühendsten Zweige unsers hochentwickelten buchhändlerischen Gewerbes dar, und – last not least – die Buribunken – und Ferkerforschungsausschlußkommission (Buffak) hat ein normales Jahresbudget von mehreren Milliarden. Gerade diese gewaltige Realität ist von imponierender Beweiskraft.“67

In dieser von Schmitt ausgeführten Passage ist die Spezialisierung der Wissenschaft ironisch angedeutet und anschließend ist auf die Betreibung der Wissenschaft in der Neuzeit hingewiesen worden, welche die Kommerzialisierung der Drucke zur Folge hatte. Bei diesem Artikel konzentriert sich Schmitt u. a. auf die Tagebücher, die als Zeichen der Neuzeit zu beschreiben sind. Die modernen Menschen schreiben selbst den Weltgeist unabhängig von den himmlischen Mächten auf und sie betreiben selbst die Geschichte betreffend den Entwurf, über den sie schon nachgedacht haben, während Gott doch keine Rolle mehr spielt. Schmitt schreibt: „Darin finden wir aber auch das Mittel, uns an die Stelle des schreibenden Weltgeistes zu setzen. Die einzelnen Buchstaben und Worte sind ja nur die Werkzeuge der List der Weltgeschichte.“68 Schmitt spricht in diesem Text von den Buribunkischen Institutionen, die wissenschaftliche Arbeiten voranzutreiben vermögen, und zwar die wissenschaftlichen Arbeiten, welche sich mit den messbaren Tatsachen befassen.69 Zum Schluss geht Schmitt auf die wertfreie Wissenschaft als Buribunke mit dem Hinblick auf das Christentum ein: „Der Buribunke braucht kein Christentum, noch sonst eine Ideologie. Darüber ist er ohne Effekt, ohne Entrüstung lächelnd erhaben. Er ist, neben vielem anderen, auch Christ, aber er weiß vom Christentum mehr als tausend Theologen. Denn er ist nur Christ; er ist Christ, wie er auch Buddhist, Mohammedaner, Gnostiker ist, er ist alles, denn er erkennt alle Dinge in ihrer Realität, das heißt in der Relativität ihrer historischen Bedingtheit.“70

67  Schmitt, Die Militärzeit 1915 bis 1919: Tagebuch Februar bis Dezember 1915; Aufsätze und Materialien, in: Hasert, S. 454. 68  Ebd., S.  470 f. 69  Die „Buribunken“ ist nach Friedrich Balke eine frühe Satire auf jene bereits im 19. Jahrhundert erfundene normalistische Wissens-Macht, deren Analytik M ­ ichael Foucault dann in den siebziger Jahren schreiben sollte. Balke ist überzeugt, dass der Text das Verhältnis zwischen Macht und Wissenschaft darstellen will und in diesem Zusammenhang vergleicht er die Buribunken, also die moderne Wissenschaft aufgrund Foucaults Gedankengut mit der Polizeiwissenschaft. Vgl. Balke, Der Staat nach seinem Ende: Die Versuchung Carl Schmitts, S. 196 und 198 f. 70  Vgl. ebd., S. 470 f. Schmitt, Die Militärzeit 1915 bis 1919: Tagebuch Februar bis Dezember 1915; Aufsätze und Materialien, in: Hasert, S. 470 f.



I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft41

In dieser Passage bezieht sich Schmitt auf das Schicksal des modernen Menschen, welcher der sich selbst Schreibende, sich selbst betreibende Weltgeist in seiner unmittelbaren unwiderleglichen Tatsächlichkeit sei.71 Schmitt versuchte in diesem Aufsatz ironisch und theologisch die wertfreie Wissenschaft, deren Merkmal Messbarkeit sei, zu hinterfragen. Theologisch gesehen sieht er die Wissenschaft als ein neues Dogma, das nach ihren Prinzipien ein neues Christentum auslösen wolle. Schmitt reduzierte, wie gesagt, die wissenschaftliche Arbeit auf den positivistischen Ansatz, der mit der bloßen Legalität betraut ist, und daher versuchte er gegen die wertfreie Wissenschaft, die durch Weber geprägt worden war, zu stoßen. Denn Schmitt impliziert, dass die Wissenschaft als solche die politischen Interessen Deutschlands – ganz im Gegensatz zu Weber – nicht erfüllen kann, weil die neue Wissenschaft sich auf die von den Werten der Gesellschaft entkoppelten Fakten beruft. Im Gegensatz dazu plädierte Weber für eine wertfreie Wissenschaft, weil er bei den Freistudenten eine pessimistische Denkweise gegen den Rationalismus sah, die im politischen Feld zur Führerschaft führe. Insofern ist zu erforschen, inwieweit man Schmitts Argumentation im NS-Regime für Führerschaft aufgrund Webers Gedanken analysieren darf. Historisch betrachtet, veröffentlichte Schmitt während der Herrschaft des dritten Reiches eine Schrift, die zum Teil ein Plädoyer für die Führerschaft war. Von daher kann man die konkreten Konsequenzen seiner Kritik an der wertfreien Wissenschaft bei dieser Schrift, die im NS-Regime herausgegeben wurde, erforschen. Seine Schrift „Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens“ geht einerseits von der Konkreten Ordnung aus, die – wie schon erwähnt wurde – gegen jene Rechtswissenschaft, der die normative Ordnung zugrunde liegt, stößt und sich andererseits auf die politische Entscheidung fokussiert, die eben über dieselbe normative Ordnung hinausgehen dürfe. Obgleich die konkrete Ordnung und politische Entscheidung bei Schmitt im Endeffekt dasselbe sind. Die Konkrete Ordnung, die Schmitt in diesem Buch konzipiert, kann man aufgrund der Politik der Gleichschaltung des NS-Regimes nachvollziehen. Die Konkrete Ordnung basiert bei ihm auf deutschen Werten, die sich über die normative Ordnung im modernen Sinne erhebt.72 Historisch betrachtet, reduzierte sich die Ordnung als solche nur auf die politische Entscheidung des Führers. 71  Vgl.

ebd., S. 470 f. Ordnung beruht nach Schmitt auf Rechtspositivismus, dessen nihilistischer Wertfreiheit man in der Neuzeit zu entgehen versucht, vgl. Schmitt, Die Tyrannei der Werte, in: Schelz, S. 19 f und 37. 72  Normative

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

Es wurde gezeigt, dass Alexander Schwab der Meinung war, dass die neue Wissenschaft, die sich mit der Beruflichkeit identifizieren könne, der Vertreter des Interesses der westlichen und globalen Mächte sei.73 In diesem Buch postuliert Schmitt ebenfalls, dass die Rechtswissenschaft nichts mit der konkreten Situation Deutschlands zu tun habe; demzufolge vertrat er die These, dass die Menschen den verschiedenen Denktypen zuzuordnen seien und man nicht den verschiedenen konkreten Ordnungen die vorgegebenen Kanons, nämlich wertfreie Prinzipien der modernen Wissenschaft, zuschreiben dürfe. Dass Schmitt jedoch von der konkreten Ordnung zur politischen Entscheidung in diesem Buch als dritte Quelle der Rechtmäßigkeit gelangte, könnte man so verstehen, dass Führerschaft als Instanz der politischen Entscheidung darüber entscheidet, was die Bedeutung einer spezifischen konkreten Ordnung ist. D. h. es haben beide dieselbe Bedeutung. Von daher ist zu bemerken, dass die konkrete Ordnung, die der normativen Ordnung als wertfreie Ordnung bei Schmitt vorausgeht, keinen klaren Gegenstand hat. Hält man z. B. die deutsche Kultur für das Symbol der konkreten Ordnung, so soll man untersuchen, wie die deutsche Kultur sich artikulieren lässt; bzw. welche Faktoren Schmitt als Symbole derselben Kultur bezeichnen würde. Schmitt schrieb diese erwähnte Schrift im Zeitalter des NS-Regimes; daher kann man daran festhalten, dass die Konkrete Ordnung mit Bezug auf diesen totalen Staat und zwar die politische Entscheidung verstehbar ist. D. h. es liegt der konkreten Ordnung dann die politische Entscheidung des Führers zugrunde. Sollen Freistudenten gegen amerikanische und globale Ideen argumentieren, so müssten sie dann Schmitt zufolge davon ausgehen, dass die politische Entscheidung der normativen Ordnung, also der Legalität vorausgreift. Zum Schluss wird auf Voegelin zurückgeführt, weil er diese Prämisse, von welcher Schmitt ausgeht, mit anderen Worten umschrieb. Voegelin schreibt: „Der Mensch wartet für die Auslegung seines Lebens nicht auf die Wissenschaft, und wenn der Theoretiker sich mit der sozialen Realität befassen will, findet er 73  Zum Vergleich zwischen dem Demagogen und der beruflichen Tätigkeit vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 245. Weber spricht sich in seinem Vortrag allerdings für die Trennung zwischen der beruflichen Tätigkeit des akademischen Lehrers und der Propagierung von praktischen Wertungen aus. Die Rolle des Lehrers ist die fachliche Bildung der Jugend, nicht ihre politische Prägung, weil er nicht ein Demagoge ist. Vgl. Fitzi, Max Weber, S. 50: „Das heißt für Weber nicht, dass Professoren kein Recht haben, ihre Meinung auszudrücken. Wie jeder andere Bürger können sie dies in der Öffentlichkeit tun, brauchen dafür nicht das Katheder zu benutzen. Im Hörsaal soll unterrichtet werden, wie man Berufsmensch wird, also was die Hingabe an die Wissenschaft als Aufgabe bedeutet, wie man (auch unbequeme) Tatsachen erkennt und die eigene Person hinter die Sache zurückstellt.“



I. Die Frage nach der modernen Politikwissenschaft43 das Feld bereits von etwas beschlagnahmt, was man als die Selbstinterpretation der Gesellschaft bezeichnen kann. Denn die menschliche Gesellschaft ist mehr als eine Tatsache oder ein Ereignis in der Außenwelt, das ein Beobachter wie ein Naturphänomen untersuchen könnte.“74

Voegelin will uns somit darauf hinweisen, dass die wertfreie Wissenschaft unabhängig von der kulturellen historischen Entwicklung der jeweiligen Menschen, die menschliche Gesellschaft untersuchen will. Er stellt fest, dass die menschliche Gesellschaft mehr als eine wissenschaftliche Tatsache sei. Diese von Voegelin ausgeführte Passage beruft sich zwar auf die Auslegung des Lebens; aber im Bereich der Wissenschaft setzt sich der Wissenschaftler eben nicht Weber zufolge mit der Interpretation des Lebens auseinander, um diesem einen Sinn einzuräumen. Demzufolge soll man daran festhalten, dass sowohl Voegelin als auch Schmitt jene Erwartung von der Wissenschaft haben, welche man nicht nach den Prinzipien der wertfreien Wissenschaft erfüllen kann. Mit Hinblick auf den politischen Bereich schreibt Voegelin: „Um repräsentative zu sein, genügt es nicht, wenn eine Regierung im konstitutionellen Sinn repräsentative ist (unser deskriptiver Typus repräsentativer Institutionen); sie muss auch im existentiellen Sinn repräsentative sein, indem sie die Idee der Institution verwirklicht.“75 Demzufolge hinterfragt Voegelin genauso wie Schmitt die Politikwissenschaft im Weberschen Sinne, welche sich nur mit den Fakten, und zwar der Machtbeziehung, befassen will. Sollen die Abgeordneten in einem Staat ihr Volk repräsentieren, so müssten sie laut Voegelin nicht nur ihr Volk konstitutionell repräsentieren, sondern auch dessen Vertreter im existentiellen Sinne sein; d. h. sie müssten ebenfalls dessen Denktypus, – mit Schmittschen Worten – artikulieren. Das Problem besteht darin, sofern man daran festhält, dass Wissenschaft an Rechenschaftsfähigkeit gebunden bleibt, d. h., da Forschungsergebnisse kommunikativ begründet und intersubjektiv nachvollzogen werden können, muss Voegelins Rekurs auf Wesenseinsichten problematisch bleiben, da solche Einsichten nur sehr schwer intersubjektiv demonstriert werden können. Vor diesem Hintergrund werde sich sein Wissenschaftsverständnis immer wieder selbst jenem Vorwurf ausgesetzt sehen, den er der positivistischen Wissenschaft entgegengehalten habe, jenem nämlich des Subjektivismus.76 Entsprechend geht Schmitt davon aus, dass normative Ordnung auf der spezifischen konkreten Ordnung begründet wird. Im Gegensatz dazu hält Weber, wie gesagt, daran fest, dass die Wissenschaft sich nicht mit den persönlichen Erfahrungen befassen will, die gewissermaßen zu relativistischen Ansichten und daraufhin zur Rechtfertigung der totalen Regime führen. 74  Voegelin,

Die neue Wissenschaft der Politik, S. 43. S. 63. 76  Vgl. Henkel, Eric Voegelin, zur Einführung, S. 134. 75  Ebd.,

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

II. Der Begriff des Politischen 1. Das dem Staat vorausgehende Politische Soll man die wertfreie Wissenschaft, die von Weber geprägt worden ist, im Sachgebiet der Politikwissenschaft hinterfragen, so lässt sich die Politik von der Staatsforschung unterscheiden. Schmitt impliziert, dass die Politik von den wissenschaftlichen Methoden, die sich auf die messbaren Fakten berufen sollen, verdrängt ist. Aufgrund dieser Prämisse versucht Schmitt das Politische unabhängig vom Staatlichen herauszuarbeiten. Schmitt sei nicht politischer Philosoph im traditionellen Sinne, sondern Philosoph des Politischen, vielleicht sogar der erste Philosoph des Politischen. Er bestimme Politik nicht mehr im Rahmen moralphilosophischer, rechtsphilosophischer, geschichtsphilosophischer, juristischer oder soziologischer Überlegungen, in denen genuin politische Fragen eher am Rande mitschwingen.77 In diesem Zusammenhang bemüht Schmitt sich zunächst das Staatliche und das Politische auseinanderzuhalten, wobei er schreibt: „In einem allgemeinen Sinne wird der Begriff Politik bisher üblicherweise dadurch bestimmt, dass er auf den Staat und die staatliche Macht bezogen wird. In dieser Bedeutung des Wortes ist alles Politisch, was vom Staat ausgeht oder auf ihn einwirkt. Alle Bestätigung des Staats als solchen (Außenpolitik, Innenpolitik, Finanz-, Kultur-, Sozial-, Kommunal-usw.-Politik) ist danach politisch; politische Parteien und Bestrebungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf die staatliche Willensbildung Einfluss hatten oder sich solchen zu verschaffen suchen; Politik als Wissenschaft ist Staatswissenschaft oder Staatslehre; Politik als Kunst ist Staatskunst oder angewandte Staatslehre.“78

Dieser allgemeinen Vorstellung von Politik, die Schmitt vorbringt, liegt laut ihm ja die zugrunde, dass der Staat die einzige oder doch die allein wesentliche und normale Erscheinungsform der politischen Welt sei. Hinge77  Bielefeldt, Kampf und Entscheidung: Politischer Existentialismus bei Carl Schmitt, Helmuth Plessner und Karl Jaspers, S. 19. 78  Schmitt, Politik, in: Maschke, S. 133. Zu dem geschichtlichen Hintergrund des Staatlichen vgl. Engi, Was heißt Politik?, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, S. 239 f.: „Staat stammt vom lateinischen status. In seiner modernen Form wird es als stato früh verwendet von Machiavelli. Im Deutschen entwickelte der Begriff seine heutige Bedeutung erst im 17. Jahrhundert. Er ist also deutlich modern geprägt und sollte nicht auf die Polis angewandt werden.“ Das Wort Politik aber müsse sich auf die Verhältnisse in Griechenland beziehen können. Denn als etwas spezifisch Neuzeitliches wird man Politik schon aufgrund der Begriffsgeschichte nicht auffassen können. So spricht denn vieles dafür, Staat und Politik begrifflich auseinanderzuhalten. Politik wird sich immer, nach Engi auf eine Art von Gemeinwesen beziehen. Sie werde immer eines Raumes bedürfen, in dem das in ihrem Bereich Entschiedene gilt, und eines institutionellen Umfeldes, das die Durchsetzung ihrer Ergebnisse erlaubt.



II. Der Begriff des Politischen 45

gen sei das Volk bei Schmitt der Normbegriff der politischen Einheit.79 D. h. Schmitt stellt dem Staat das Volk gegenüber, weil er überzeugt ist, dass das Staatliche von der wertfreien Wissenschaft ausgeht, die das Politische eben auf das Staatliche reduzieren wolle. Demzufolge leitet er seine Schlussfolgerung ab, indem er feststellt, dass die Politik als Wissenschaft die Staatswissenschaft ist; d. h., dass beide dasselbe sind. Was das Politische betrifft, schreibt er: „Doch Politisch ist alles was die Lebensfragen eines Volkes als eines einheitlichen Ganzen betrifft.“80 Demzufolge setze der Begriff des Staates nach Schmitt vorab den Begriff des Politischen voraus.81 Hermann Heller hält als deutscher Jurist jüdischer Abstammung genauso wie Schmitt daran fest, dass der Begriff des Politischen sehr viel umfangreicher als der des Staatlichen ist. Das Sein des Staates ist bei Heller aus den lebendigen politischen Entscheidungsakten hervorgegangen. Also ist der Staat ihm zufolge die festgelegte Form vom politischen Kampf. Dabei schreibt er: „Das Sein des Staates ist eben sein Werden in immer erneuten politischen Entscheidungsakten, sein Werden im politischen Kampf zwischen wirklichen Willensmächten, denen gegenüber eine absolute Neutralität des Erkenntnissubjektes glattweg unmöglich ist.“82 Trotzdem ist Heller überzeugt, dass das Politische als Wissenschaft grundsätzlich ohne eine ausdrückliche oder auch stillschweigend vorausgesetzte Staatslehre nicht möglich ist. Mit anderen Worten will sie Wissenschaft sein, so muss sie bestrebt sein, die Worte Staat, Recht, Staatsgewalt, Verfassung, Souveränität, Gebiet, Volk usw. als eindeutige und widerspruchslose Begriffe zu verwenden.83 Der Staat ist laut Schmitt seinem Wortsinn und seiner geschichtlichen Erscheinung nach ein besonders gearteter Zustand eines Volkes.84 Was den Schmitt, Politik, in: Maschke, S. 133. S. 133. 81  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 19. 82  Heller, Staatslehre, S. 70. Hierzu wollte Heller die antimetaphysischen Positivisten kritisieren, die in Bezug auf die reine empirische Methode das Politische als unwissenschaftliche Wissenschaft zu isolieren versuchen. Obwohl sie laut Heller doch notwendig zu denjenigen Grundfragen Stellung nehmen müssen, die metaphysische Konstellation haben. Zum Beispiel müssen sie sich entscheiden, ob sie den Menschen als vorwiegend gut oder böse, als vernünftig oder triebhaft in der Politik handeln lassen wollen oder nicht. Vgl. ebd., S. 73 f. 83  Vgl. ebd., S. 73. 84  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 19. Die Identifikation von Politik und Staat erscheint laut Heiner Bielefeldt, Schmitt nur für einen historischen Zeitraum plausibel, in dem der Staat das Monopol des Politischen innehatte. Dies sei der Fall in der 300-jährigen Epoche der neuzeitlichen europäischen Staatlichkeit gewesen, die im 20. Jahrhundert zu Ende gegangen sei. Historisch gesehen hätten im Zeitalter der Massendemokratie, in der die gesamte Gesellschaft während der 79  Vgl.

80  Ebd.,

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

Zustand eines Volkes herauskristallisiert, ist doch die politische Gruppenbildung, die der Staatswissenschaft vorausgeht. Insofern ist das Politische nicht länger allein vom Staat her zu verstehen, sondern der Staat muss umgekehrt vom Politischen her erfasst werden. Im Allgemeinen wird, wie gesagt, doch das Politisch in irgendeiner Weise, so Schmitt mit Staatlich gleichgesetzt oder wenigstens auf den Staat bezogen. Aber Schmitt will einen Unterscheid zwischen dem Politischen und dem Staatlichen einführen, indem er eine neue Definition von Politik aufstellt, worauf im Folgenden eingegangen wird. Schmitt geht somit auf Distanz zur überkommenen allgemeinen Staatslehre aus der Zeit des deutschen Kaiserreiches. Seine Eröffnungsformel spielt nämlich auf Georg Jellinek an, den bedeutendsten Repräsentanten dieser Disziplin. In Jellineks 1900 erschienener „Allgemeiner Staatslehre“ steht der Satz: „Politisch heißt, staatlich; im Begriff des Politischen hat man bereits den Begriff des Staatlichen gedacht. Alle Herrschermacht im Staate kann nur vom Staate selbst ausgehen.“85 Der Staat ist, so Jellinek, nichts, als Rechtssubjekt; d. h. er stellt sich unter das Recht und er wird Träger von Rechten und Pflichten.86 Schmitt weist in wörtlicher Anlehnung an Jellinek darauf hin; kehrt aber dessen Verhältnisbestimmung um und zwar: „Bei Jellinek wurde der Begriff des Politischen noch von dem des Staates her definiert.“87 Im Gegensatz dazu geht der Begriff des Politischen nach Schmitt dem Staatsbegriff voraus, dessen Begriff nicht mehr vom Staatsbegriff her gewonnen werden darf. Jellinek geht davon aus, dass der Volkswille selbst nicht physischer Wille einer Einheit ist, sondern ein auf Grund von Rechtssätzen aus physischen Willensakten gebildeter juristischer Wille; denn aus dem Willen vieler wird psychologisch niemals ein einheitlicher Wille, am allerwenigsten aber, wenn einer Majorität eine dissentierende Minorität gegenübersteht.88 Daher müsse man einen bereits feststehenden Rechtssatz anordnen, dass eine relative, Weltkriege politisiert worden sei, Staat und Gesellschaft einander zunehmend durchdrungen und der Staatsbegriff habe seine klassische Eindeutigkeit als abgegrenzte Sphäre öffentlich-rechtlicher Hoheitsgewalt eingebüßt und demzufolge sei die schlichte Rückführung des Politischen auf den Staat bei Schmitt nicht mehr möglich gewesen. Vgl. Bielefeldt, Kampf und Entscheidung: Politischer Existentialismus bei Carl Schmitt, Helmuth Plessner und Karl Jaspers, S. 31. Vgl. Deppe, Politisches Denken zwischen den Weltkriegen, S. 81. 85  Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 180. Vgl. Boldt, Staat, Recht und Politik bei Georg Jellinek, in: Anter, S. 28 ff. 86  Vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 183 f. 87  Schönberger, Der Begriff des Staates in Carl Schmitts Begriff des Politischen, in: Mehring, S. 21. 88  Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 145.



II. Der Begriff des Politischen 47

absolute Zwei-Drittel-Mehrheit als Gesamtheitswille zu gelten habe. D. h. das Volk kann mittels der Rechtsvorschriften dessen Wille umsetzen. Der Volkswille hat somit unabhängig von dem Rechtssatz keine Bedeutung.89 Hingegen hält Schmitt daran fest, dass das Politische dem Rechtssatz vorauszugehen hat. Weil das Politische im Schmittschen Sinne, welches sich als die Gruppierung einer Gesamtheit von Menschen nach dem Gegensatz von Freund und Feind erfassen lässt, sich theoretisch vom Staatlichen lösen könne.90 Dabei vertritt Heller ebenfalls in Bezug auf Hans Kelsen diese These: wenn man den Staat als historisch-politische Wirklichkeit zu verneinen vermag, wird der Staat sinneswissenschaftlich zu einer ideellen Normordnung entwirklicht und werden diese möglichst inhaltlosen, trotzdem aber selbstverständlich gegenwartsgebundenen Rechtsformen auch noch als geschichtstranszendent verabsolutiert.91 In diesem Zusammenhang lässt sich die Frage aufwerfen, wie Schmitt das Politische als eine politische Gruppenbildung, wie bereits erwähnt wurde, definiert. Lässt sich der Wille des Volkes in der Kategorie der Rechtsvorschriften, wie Schmitt behauptete, nicht artikulieren, so soll man herausfinden, wodurch sich das Volk politisch identifizieren lässt. Eine Begriffsbestimmung des Politischen könne nur durch die Aufdeckung und Feststellung der spezifisch politischen Kategorien gewonnen werden. Das Politische müsse deshalb in eigenen letzten Unterscheidungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden könne.92 Das Politische hat nämlich laut Schmitt seine eigenen Kriterien, die gegenüber den verschiedenen, relativ selbständigen Sachgebieten menschlichen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, Ästhetischen und Ökonomischen in eigenartiger Weise wirksam werden. Schmitt definiert das Moralische in seinen letzten Unterscheidungen nämlich als Gut und Böse, das Ästhetische in seinen letzten Unterscheidungen nämlich als Schön und Hässlich und das Ökonomische in seinen letzten Unterscheidungen nämlich 89  Dabei schreibt Hans Kelsen, der zusammen mit Georg Jellink zur Gruppe der österreichischen Rechtspositivisten zählte, über das Verhältnis zwischen Rechtsordnung und Staat: „Ein derartiges Verhältnis von Staat und Recht, demzufolge der erstere das prius, das letztere das posterius ist, muss jedoch mit Entschiedenheit abgelehnt werden, da ein Staat ohne Recht ebenso wenig denkbar ist wie ein Recht ohne Staat und die historische Forschung die Anfänge des Rechts und der staatlichen Organisation nicht voneinander getrennt aufzeigen kann. Staat und Recht müssen zweifellos als zwei verschiedene Seiten derselben Tatsache betrachtet werden.“ Vgl. Kelsen, Hauptproblem der Staatsrechtslehre: entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, S. 406. 90  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 22. 91  Vgl. Heller, Staatslehre, S. 70. 92  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 25.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

als nützlich und schädlich.93 Demzufolge schreibt Schmitt: „Die spezifische politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.“94 Von daher ist das Sachgebiet des Politischen, womit man die Politik identifizieren kann, die Freund- und Feind Gruppierung. Wenn diese Gruppierung jedoch im politischen Feld beseitigt wird, entgeh uns das Politische. Hierzu ist zu bemerken, dass das Politische eine existentielle Bedeutung bei Schmitt hat; d. h. es entzieht sich das Politische den jeweils vorgegebenen Inhalten, welche man dem Politischen zuzuschreiben vermag. Die Freundund Feindgruppierung als solche beruft sich implizit auf die konkrete Ordnung, indem das Politische sich als Symbol der Volkseinheit herausstellt. Daher kann das Politische sich nicht theoretisch in der Kategorie der ökonomischen, moralischen oder religiösen Ideologien definieren lassen. Mit anderen Worten ist die Unterscheidung von Freund und Feind nach Leo Strauss jenen andern Unterscheidungen nicht gleichwertig und analog, weil das Politische kein eigenes neues Sachgebiet bezeichnet.95 Hierzu schreibt Schmitt: „Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch hässlich zu sein; er muss nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so dass im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im Voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines unbeteiligten und daher unparteiischen Dritten entschieden werden können.“96

Da die Feindseligkeit eine existentielle Bedeutung bei Schmitt hat, muss man nicht die politische Gruppenbildung als existentielle Gruppierung mit den anderen Kategorien, nämlich dem Ökonomischen oder Moralischen, als essenzielle Gruppierung gleichsetzen.97 Politisch ist immer die Gruppierung, Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 25. S. 25. 95  Vgl. Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Meier, S.  102 f. 96  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 26. 97  Grundlegend ist bei Schmitt das Verhältnis zwischen Existenz und Essenz. Dabei ist die Einsicht bestimmend, dass die Existenz der Essenz vorausgehe und ihr gegenüber als das Primäre zu denken sei. So sei das Dasein und das dass früher zu verstehen als das was oder Sosein. Existenz könne dabei nicht nur als zeitlich früher, sondern gerade als Grund der Essenz begriffen werden. Hierzu ist das Politische das Zeichen des Daseins, das man mittels der essenziellen Kategorien zum Ausdruck bringen kann. Vgl. Hitschler, Zwischen Liberalismus und Existentialismus: Carl Schmitt im englischsprachigen Schrifttum, S. 130, 134, und hier 132: „Im eigentlich Politischen geht es um den Primat des Daseins gegenüber dem Sosein und um die 93  Vgl.

94  Ebd.,



II. Der Begriff des Politischen 49

welche sich an dem Ernstfall orientiert. Die Freund-Feind-Unterscheidung sei insofern keine abstrakte Kategorie, sondern gewinnt ihren Sinn erst im praktischen Vollzug; sie müsse praktisch-politisch geleistet werden. Schmitt betont laut Bielefeldt daher die konkret-existentielle Bedeutung des FreundFeind-Gegensatzes, der nicht durch normative Begriffe vermittelnd aufgefangen, sondern als unmittelbare seinsmäßige Wirklichkeit in den Blick gefasst wird.98 Im Konflikt wollen die Beteiligten unter sich ausmachen und entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb zu bekämpfen ist. Schmitt schreibt: „Das Politische bezeichnet kein eigenes Sachgebiet, sondern nur den Intensitätsgrad einer Assoziation oder Dissoziation von Menschen, deren Motive religiöser, nationaler, wirtschaftlicher oder anderer Art sein können und zu verschiedenen Zeiten verschiedene Verbindungen und Trennungen bewirken.“99 Also ist die reale Freund- und Feindgruppierung nach Schmitt doch seinsmäßig, die ja mit anderen Kategorien radikalisiert werden kann. Das Politische ist nämlich als Kriterium, als die Unterscheidung zwischen Freund und Feind, zunächst ohne eine eigene Substanz zu denken. Substanz haben die verschiedenen Sachgebiete; sie leiten ihre jeweiligen spezifischen letzten Unterscheidungen von dieser Substanz ab. Das Politische könne seine Kraft aus den verschiedensten Bereichen menschlichen Lebens ziehen und andere Bereiche des Lebens, die essenzielle Konstellation haben, politisieren.100 Demzufolge kann das Politische sich mit jeder Materie verbinden und sich dann in der Öffentlichkeit herausstellen. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass Schmitt beabsichtigt den Liberalismus in Frage zu stellen, der den Feind von der Geschäftsseite her in einen Konkurrenten, von der Wissenschaftsseite in einen Diskussionsgegner aufzulösen versucht.101 Das Politische lässt sich doch nicht auf wirtFreiheit zur Selbstdefinition dieses Soseins in unbedingter Selbstverantwortung; des weiteren geht es um die Totalität des Politischen, das heißt um die Anerkennung des Politischen als das Totale und alle Aspekte des Lebens umfassende.“ Nach dem zweiten Weltkrieg erwähnte Schmitt in seinem Glossarium, dass seine Freund- und Feind Gruppierung eine existenzielle Kategorie ist. Schmitt, Glossarium: Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951, in: Freiherr von Medem, S. 205: „Und ich hab trotz des langjährigen Geredes von Existenz und Existenzialismus noch niemals eine andere existenzielle Kategorie wahrnehmen können als die Unterscheidung von Freund und Feind.“ 98  Vgl. Bielefeldt, Kampf und Entscheidung: Politischer Existentialismus bei Carl Schmitt, Helmuth Plessner und Karl Jaspers, S. 32. 99  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 36. 100  Hitschler, Zwischen Liberalismus und Existentialismus: Carl Schmitt im englischsprachigen Schrifttum, S. 140. 101  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 27. Dabei ist zu bemerken, dass Schmitt die Welt der Politik im Sinne seines Freund-Feind-Gegensatzes bejaht hat,

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

schaftliche oder ökonomische Ideologien in seinen letzten Unterscheidungen reduzieren. Obwohl die Ideologie als solche das Politische radikalisieren kann. Dabei schreibt er: „Die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existentiellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole, nicht vermischt und abgewischt durch ökonomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privatindividualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gefühle und Tendenzen.“102

Daher zeigt sich die seinsmäßige Sachlichkeit und Selbständigkeit des politischen schon in dieser Möglichkeit, einen derartig spezifischen Gegensatz wie Freund- und Feindgruppierung von anderen Unterscheidungen abzutrennen und als etwas Selbstständiges zu begreifen, wobei Leo Strauss schreibt: „Schmitts Aufgabe ist durch das Faktum des Scheiterns des Liberalismus bestimmt. Mit diesem Scheitern hat es folgende Bewandtnis. Der Liberalismus hat das Politische negiert; er hat es damit aber nicht aus der Welt geschafft, sondern nur verdeckt; er hat dazu geführt, dass vermittelst einer antipolitischen Redeweise Politik getrieben wird. Der Liberalismus hat also nicht das Politische, sondern nur das Verständnis des Politischen, die Aufrichtigkeit hinsichtlich des Politischen getötet.“103 Strauss ist überzeugt, dass der Liberalismus, geboren und befangen in einer Welt der Kultur ist und daher vergisst er das Fundament der Kultur, nämlich den Naturzustand. Der Naturzustand bezieht sich auf die menschliche Natur in ihrer Gefährlichkeit. Schmitt geht somit wider den Liberalismus auf dessen Urheber, auf Hobbes, zurück, um in Hobbes’ ausdrücklicher Negation des Naturzustandes die Wurzel des Liberalismus zu treffen.104 Der Naturzustand wird von Schmitt allerdings grundsätzlich anders bestimmt als von Hobbes. Für Hobbes ist er Strauss zufolge der Stand des Krieges von Individuen, während er für Schmitt der Stand des Krieges von Gruppen als Volkseinheit ist. Für Hobbes ist im Naturzustand jeder jedes anderen Feind, während alles politische Verhalten für Schmitt ausgerichtet auf Freund und Feind ist. Der Feind und der Kriegsbegriff, wie sie Schmitt in seiner Schrift darstellt, treffen nicht auf Individuen, sondern auf eine Gemeinschaft zu. Weil diese Gruppierung daraus entsteht, dass die zwei unterschiedlichen Denktypen, die sich auf eine Gemeinschaft beziehen, gegeneinanderstehen. Demzufolge kann der hobbessche Naturzustand bei weil die Welt ohne Politik als solche eine Welt des Konsums, der Technik und der ewigen Diskussion, ja eine liberalistische Welt ohne tieferen Ernst ist / wäre. Vgl. Eisermann, Max Weber und Carl Schmitt, in: Der Staat; Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte, S. 91. 102  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 27. 103  Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 100. 104  Vgl. ebd., S. 109.



II. Der Begriff des Politischen 51

Schmitt nicht als Kriegszustand relevant sein; da sich bei Hobbes Individuen und nicht organisierte Gruppen einander gegenüberstehen.105 Im Gegensatz dazu ist der Feind bei Schmitt immer der öffentliche Feind; es ist der hostis nicht der inimicus.106 Ob man den Gegensatz als solchen für verwerflich hält, oder einen atavistischen Rest barbarischer Zeiten darin findet, dass die Völker sich immer noch wirklich nach Freund- und Feind gruppieren würden, alles das kommt Schmitt zufolge nicht in Betracht. Denn es handelt sich hierbei nicht laut Schmitt um Fiktionen und Normativität, sondern um die seinsmäßige Wirklichkeit und die reale Möglichkeit dieser Unterscheidung, die man in der Tat nicht leugnen kann.107 D. h. es ist das Politische, weil es die Möglichkeit des Krieges ist. Trotzdem ist doch das Politische keineswegs der Krieg. Die Möglichkeit des Krieges löst bei Schmitt alles Politische aus. Doch das Politisch besteht nicht in der Austragung des Krieges, sondern in dem, was aus dem Wissen um die Möglichkeit des Krieges heraus passiert.108 Das Politische ist, so Strauss, ein Status des Menschen und zwar ist es der Status als der natürliche, als der fundamentale und extreme Status des Menschen. Demzufolge setzt sich politische Philosophie mit dem Sinn des menschlichen Lebens, und wie Strauss meint, mit der Frage nach dem richtigen Leben auseinander.109 Insofern bemüht sich Schmitt das Politische vom Staatlichen auseinanderzuhalten, weil die Politik als Symbol des Naturzustands die Basis der Gesellschaft als Zivilzustand prägt. Und Schmitt beabsichtigt diese Beziehung zwischen Naturzustand und Zivilzustand, die durch den Liberalismus gebrochen worden sei, aufrechtzuerhalten.

105  Tucker, Der Ausnahmezustand – An den Grenzen von Aufklärung und Liberalismus, in: Hansen, S. 99 f. 106  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 27. 107  Vgl. ebd., S. 27. 108  Engi, Was heißt Politik?, S. 242. 109  Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 121. Hierzu vertritt Heinrich Meier die These, was Strauss der Politischen Philosophie zuschreibt, schuldet Schmitt der politischen Theologie. Vgl. Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und Der Begriff des Politischen zu einem Dialog unter Abwesenden, S. hier 50: „Wenn Strauss den Ernst der Frage nach dem Richtigen als den Rechtsgrund des Politischen bestimmt, so heißt dies zum einen, dass die Frage nach dem Richtigen gestellt werden muss, und es besagt zum anderen, dass sie grundsätzlich, in der fundamentalsten Hinsicht, mit den Mitteln der menschlichen Vernunft beantwortet zu werden vermag. Schmitt hingegen glaubt, dass das Eine, was not tut, nur geglaubt werden kann, weil es der Glaube, dass es sich bei der Frage, auf die am Ende alles ankommt, nicht um eine Frage des Menschen handelt, sondern um die Frage an den Menschen, ob er Gott oder er dem Satan gehorche, und dass das Politische in der Unabweisbarkeit dieser Frage seine letzte Begründung findet.“

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

Das Politische lässt sich, wie gesagt, bei Schmitt der Kategorie der Freund- und Feind-Gruppierung unterordnen, die eben aus der Sachlichkeit, die gerade Weber zufolge das wichtigste Zeichen der wertfreien Wissenschaft ist, entweichen würde. Im Gegensatz dazu muss Politik laut ihm wie andere Gemeinschaften als Ergebnis eines Gemeinschaftshandelns und eine Beziehungsform gedacht werden. Hingegen steht das Politische bei Schmitt über allen anderen Assoziationen, wobei das Politische eben der Beziehungsform entgeht. Denn er geht von Existenzform bzw. Freund- und Feindgruppierung aus. Weber ist überzeugt, dass Politiker sich mit dem Streben nach Macht als unvermeidlichem Mittel befassen. Die Sünde gegen den heiligen Geist ihres Berufes beginne doch da, wo dieses Machtstreben unsachlich und ein Gegenstand rein persönlicher Selbstberauschung werde anstatt ausschließlich in den Dienst der Sache zu treten.110 Weber hält daran fest, dass wir heute unter der Politik nur verstehen wollen: „Die Leitung oder die Beeinflussung der Leitung eines politischen Verbandes, heute also: eines Staates.“111 Weber ist zwar mit Schmitt einverstanden, dass das Politische dem Staat geschichtlich vorausgegangen sei, aber beide seien im Dienst der Macht.112 Demzufolge heißt Politik: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung. Weber will das Politische als Beziehungsform, die nach Macht streben will, in der Kategorie der aus der wissenschaftlichen Methode hervorgehenden sachlichen Kompetenz analysieren. Im Gegensatz dazu stellt sich das Politische bei Schmitt primär als die Freund- und Feind-Gruppierung heraus; nicht als Streben nach Machtanteil.113 Mit andern Worten bringt sich das Politisch nach Schmitt im Konfliktfall zwischen zwei Arten der Existenzformen zum Ausdruck. Insofern ist das Problem der Beziehung zwischen Bürgern und Herrscher bei Schmitt ganz irrelevant, weil dies das Thema der Staatswissenschaft sei. Der Machtanteil innerhalb des Staates ist eben nach Weber Ausgangspunkt der Untersuchung der Politik. Im Gegensatz dazu betont Schmitt die Außenpolitik, um das Thema der Politik aus den universellen Prinzipien, die in Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 228. S. 157. 112  Vgl. ebd., S. 157 ff. 113  Während Weber die Politik als Streben nach Macht identifiziert, soll man nach Sternberger diese Frage stellen, wozu solche Macht und Herrschaft dienen, wohin sie führen, was daraus werden soll, wobei er anschließend im Gegensatz zu Schmitt meint, dass die Politik sich nicht mit Freud- und Feindgruppierung identifiziert, sondern mit dem Streben nach Frieden und Vermeiden der militärischen Konflikte. Sternberger, Das Wort Politik und der Begriff des Politischen, S. 10, 19, hier 19: „Sie gibt von der Seite der alltäglichen Bedeutung einen guten Fingerzeig für die Bestimmung des Begriffs. Ein Konflikt soll politisch gelöst werden, das heißt offenbar nicht militärisch, durch Verhandlung, nicht durch wechselseitige Tötung. Politisch, das heißt offenbar in dieser Bedeutung: friedlich, nicht kriegerisch.“ 110  Vgl.

111  Ebd.,



II. Der Begriff des Politischen 53

der wertfreien Wissenschaft verankert seien, zu befreien. Die Außenpolitik unterjocht sich, so Schmitt nicht den ihr übergeordneten Prinzipien, wobei Schmitt u. a. gegen die Sachlichkeit, wofür Weber plädiert, vorgeht. Schmitt schreibt: „Dieses Denken hat seine eigene Realität und Ehrlichkeit, indem es absolut sachlich, das heißt bei den Dingen bleibt. Das Politische ist ihm unsachlich, weil es sich auf andere als nur ökonomische Werte berufen muss. Der Katholizismus ist aber im eminenten Sinne politisch, zum Unterschied von dieser absoluten ökonomischen Sachlichkeit. Politisch bedeutet hier nämlich nicht die Behandlung und Beherrschung gewisser sozialer und internationaler Machtfaktoren, wie es der machiavellistische Begriff der Politik will, der aus ihr eine bloße Technik macht, indem er ein einzelnes, äußerliches Moment des politischen Lebens isoliert.“114

Da Schmitt eine theologische Darstellung von der Politik anstrebt, die sich intensiv auf die Außenpolitik bezieht, fehlt ihm eine messbare Politisierung innerhalb des Staates, womit man sich den betroffenen Bürgern gegenüber verantwortlich fühlt. Von daher führt Weber eben kritisch aus: „Es gibt letztlich nur zwei Arten von Todsünden auf dem Gebiet der Politik: Unsachlichkeit und – oft aber nicht immer, damit identisch – Verantwortungslosigkeit.“115 Weber geht davon aus, dass die Politiker ständig von Ideen wie Gerechtigkeit sprechen, der die Gesinnungsethik zugrunde liegt. Hierzu ist jedoch zu bemerken, wie die Politiker ihre Idee, wie sie Gerechtigkeit nach der Verantwortungsethik umsetzen können.116 Weber schreibt: „Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt – religiös geredet: der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim, oder unter der verantwortungsethischen: dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.“117 Insofern, wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung übel sind, so gilt nach der Gesinnungsethik, laut Weber, nicht der Handelnde, sondern die Welt oder der Wille Gottes, der sie so geschaffen hat, dafür verantwortlich. Weber schreibt: „Der Verantwortungsethiker dagegen rechnet mit eben jenen durchschnittlichen Defekten der 114  Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, S. 27. Obwohl Schmitt sich negativ über Machiavelli äußert, beruft er sich hingegen begeistert und kritisch auf Hobbes, der dessen Ausgangspunkt vorbereitete. Während Schmitt nach Gottfried Eisermann den Titel ein Hobbes des modernen Zeitalters trug, wurde Max Weber als Machiavelli unserer Zeit bezeichnet. Vgl. Eisermann, Max Weber und Carl Schmitt, in: Der Staat, S. 79 ff. 115  Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 228 f. 116  Weber bringt die Verantwortungsethik und Wissenschaft in Einklang, weil er davon überzeugt ist, dass die Konsequenzen der wissenschaftlichen Untersuchungen nachvollziehbare Gegenstände sind. In Bezug auf dieselbe Klarheit fühlen die Politiker sich dann den Bürgerinnen und Bürger gegenüber verantwortlich. 117  Ebd., S. 237.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

Menschen.“118 Politik ist also nach Weber die Untersuchung des Machtanteils, der sich auf die Fakten berufen will. Die Politik hingegen befindet sich bei Schmitt in der Außenpolitik, die sich seiner Interpretation nach eben aus der Verantwortung, nämlich der Darstellung der Machtverteilung in dem innenpolitischen Feld, befreien will. Weil das Politische aufgrund der Freund- und Feindgruppierung, die sich nicht der ihr übergeordneten Prinzipien unterzuordnen vermag, zustande kommt. Während die politische Gemeinschaft bei Schmitt erst durch die öffentliche Feindschaft und die mit ihr gegebene reale Möglichkeit des Kampfes gestiftet wird, ist dies bei Weber nicht der Fall. Die Feindseligkeit ist bei Weber außeralltäglich und muss irgendwann wieder dem Alltag weichen. Schmitt hingegen versuchte gerade nicht das Politische nach der bestehenden Ordnung zu definieren, sondern nach der Grenzsituation. Weber sprach, wie schon erwähnt wurde, vom ewigen Kampf, der aus den Werten und zwar persönlichen Erfahrungen und daraus resultierenden sittlichen Ideen hervorgegangen ist. Und dieselben Werte können nur laut Weber die ewige Feindschaft auslösen. Soll man doch seine sittliche Idee nach der auf den Fakten beruhenden wertfreien Wissenschaft rekonstruieren, so lässt es sich folglich dem ewigen Kampf, nämlich der Feindseligkeit entkommen. Da Schmitt sich auf die konkrete Ordnung bzw. Existenzform berufen will, so kann man somit die Freund-Feindgruppierung nicht aus dem Politischen ausschließen. In seinem Vortrag über Wissenschaft als Beruf verwies Weber auf den Polytheismus, der sich auf den Glauben an verschiedenen Götter bezieht. Dieser Polytheismus gehe von den diversen sittlichen Ideen aus, welche man nicht als eine Tatsache behandeln könne.119 Die seinsmäßige Sachlichkeit120, worauf Schmitt sich in seiner Schrift „Der Begriff des Politischen“ bezieht, entspricht eben demselben Polytheismus, weil man Aufgrund dieses Konzeptes nicht in der Lage ist, zwischen diversen konkreten Ordnungen einen Kompromiss zu schließen. Mit andern Worten hat die jeweilige Konkrete Ordnung Schmitt zufolge ihre inneren Prinzipien. Insofern ist die ewige Feindseligkeit bei Schmitt Zeichen der Politisierung. Die Existenzform, bzw. konkrete Ordnung geht nämlich von den verschiedenen Göttern aus, die immer gegeneinanderstehen. Von daher führt Weber aus: „Und über diesen Göttern und in ihrem Kampf waltet das Schicksal, aber ganz gewiss keine Wissenschaft.“121 118  Ebd., S. 238. Weber betrachtet es ja als keinen absoluten Gegensatz zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik in dem politischen Feld, sondern als Ergänzungen, die zusammen erst die echte Politikwissenschaft ausmachen. 119  Vgl. ebd., S. 7. 99. 120  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 26. 121  Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 100.



II. Der Begriff des Politischen 55

In diesem Zusammenhang traf Weber zwischen der Stellungnahme und der wissenschaftlichen Analyse einen Unterscheid. Die Stellungnahme geht von den persönlichen Erfahrungen bzw. der Existenzform aus, welche sich nicht der wissenschaftlichen Methode unterwerfen lassen. Denn die seinsmäßige Sachlichkeit löst verschiedene Wertordnungen aus, deren Mannigfaltigkeit man nicht entkommen kann. Folglich vertritt Weber diese These: „Wenn man von der reinen Erfahrung ausgehe, komme man zum Polytheismus.“122 Man kann insofern auf die Freund- und Feindgruppierung im politischen Feld pochen, als man sich nicht mit den Fakten, welche aus der wissenschaftlichen Methode hervorgehen, auseinandersetzen will, sondern mit der seinsmäßigen Sachlichkeit, worauf sich Schmitt beruft. Soll man sich mit den Fakten befassen, so gibt es keine geheimnisvollen Unberechenbaren mehr, die in die Untersuchung einfließen können. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Im Gegensatz dazu will Schmitt allgemeine Prinzipien, nämlich die Methode, aufgrund derer man seine Objekte empirisch und berechenbar behandeln würde, ablehnen. Demzufolge ist die Rolle der Feindseligkeit bei Schmitt hervorgehoben. Denn es gibt keine Brücke zwischen diversen Werten der Staaten, nämlich verschiedenen Existenzformen, womit man sich auf nachvollziehbare Prinzipien einigen könnte. Von daher müsste mit Weberschen Worten ein ewiger Kampf zwischen den Staaten vorausgesetzt werden. 2. Unterscheidung zwischen parteipolitischen und politischen Orientierungen In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass die Politik in der Ausdrucksweise der innerstaatlichen Tagespolemik laut Schmitt gleichbedeutend mit parteipolitisch gebraucht wird.123 Jene Gleichung sei dann möglich, wenn der Staat seine Kraft als umfassende, alle innenpolitischen Parteien und ihre Gegensätzlichkeit relativierende politischen Einheit verliere und infolgedessen die innerstaatlichen Gegensätze zwischen den Parteien eine stärkere Intensität erhielten als der gemeinsame außenpolitisch Gegensatz gegen einen anderen Staat.124 So hebt er den Unterschied zwischen der 122  Ebd.,

S. 99. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 30. 124  Vgl. ebd., S. 31. Man kann die Formulierungen und das Konzept der Politik von Weber für innenpolitisch und dasjenige von Schmitt für außenpolitisch halten, weil Schmitt politische Konflikte auf die Außenpolitik übertragen will, damit man Bürgerkrieg im Land vermeiden kann, während Weber den Kampf zwischen Innenparteien nur kontrollieren will, indem er einerseits einen Unterschied zwischen politischer Einstellung und wissenschaftlicher Analyse anführt, anderseits stellt er die 123  Vgl.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

parteipolitischen und politischen Orientierung hervor; der laut ihm im Zeitalter des Liberalismus verschwunden ist. Politische Orientierung hat bei Schmitt keine andere Bedeutung als Freund- und Feindgruppierung, die sich in der Außenpolitik und nicht in der Innenpolitik austragen will. Die politische Orientierung der Parteien innerhalb eines Staates beweist sich nach Schmitt als die Konkurrenz zwischen den innerstaatlichen Gruppen, welche einen rein geistigen Kampf der Diskussion vertreten wollen. Das Politische, das sich auf die seinsmäßige Unterscheidung stützt, hat doch ihm zufolge nicht mit den innerstaatlichen Unterscheidungen zu tun. In diesem Zusammenhang schreibt Schmitt: „Die reale Möglichkeit des Kamp­ fes, die immer vorhanden sein muss, damit von Politik gesprochen werden kann, bezieht sich bei einem derartigen Primat der Innenpolitik bzw. dem Kampf zwischen den Parteien, nicht mehr auf den Krieg zwischen organisierten Völkereinheiten, sondern auf den Bürgerkrieg.“125 Entsteht ein Streit über die bloße Diskussion hinaus zwischen den Parteien innerhalb eines Staates, sei dieser Kampf nicht im Sinne des politischen Kriegs, sondern im Sinn des Bürgerkriegs. Dabei schreibt Schmitt: „Krieg ist bewaffneter Kampf zwischen organisierten politischen Einheiten, Bürgerkrieg bewaffneter Kampf innerhalb einer organisierten Einheit.“126 Da man die existenzielle Bedeutung der Feindseligkeit im Krieg zwischen zwei autonomen organisierten Einheiten bzw. zwei Staaten finden kann, tritt das Politische laut Schmitt nur im Sachgebiet der zwischenstaatlichen Beziehungen zutage. Die politische Einheit eines Volkes sei eine Existenzform und dieselbe Existenzform werde von einer anderen Existenzform in Frage gestellt. Insofern definiert Schmitt die Feindschaft als die seinsmäßige Negierung eines anderen Seins. Daher lässt sich das Politische nicht innerhalb des Staates anwenden, sondern in der Außenpolitik. Wenn innerhalb eines Staates die parteipolitischen Gegensätze restlos zu politischen Gegensätzen geworden sind, so ist zwar der äußerste Grad der innenpolitischen Freundund Feindgruppierungen für die bewaffnete Auseinandersetzung maßgebend, aber derselbe Staat verwickelt sich laut Schmitt in dieser spannenden Situation in den Bürgerkrieg, der nicht unbedingt auf das Politische zutrifft. Weil die dem Politischen zugrunde liegende Freund- und Feindgruppierung bei ihm von einem Krieg zwischen organisierten Völkereinheiten, nämlich Staaten, ausgeht. Es ist auch zu bemerken, wenn es um das Politische geht, muss diese Freund- und Feindgruppierung nur in der Außenpolitik verankert werden. Dabei schreibt Gottfried Eisermann: „Das Politische orientiert sich Verantwortungspolitik der Gesinnungspolitik gegenüber, um politische Konflikte im Land entschärfen könnte. 125  Ebd., S. 31. 126  Ebd., S. 31.



II. Der Begriff des Politischen 57

nur an Außenwelt, Freund-Feind-Verhältnis, Erfolg; das Sittliche an Innenwelt, Stimme des Gewissens, Selbsttreue … Im Sittlichen ist es die innere Idee, im Politischen die äußere Notwendigkeit, die das Handeln rechtfertigt.“127 Schmitt argumentiert u. a. aufgrund seiner Theorie über das Politische, die in der Außenpolitik verankert ist, gegen die Pazifisten, welche der Konsequenz des Politischen, nämlich der Feinseligkeit zwischen den Staaten als Merkmal der Politik entkommen wollen, wobei er schreibt: „Würde die pazifistische Gegnerschaft gegen den Krieg so stark, dass sie die Pazifisten gegen die Nicht-Pazifisten in den Krieg treiben könnte, in einen Krieg gegen den Krieg, so wäre damit beweisen, dass sie wirklich politische Kraft habe, weil sie stark genug sei, die Menschen nach Freund und Feind zu gruppieren.“128 Daher will Schmitt uns darauf hinweisen, dass man nicht in der Lage ist, das Politische, welches auf der Freund- und Feindgruppierung beruht, in der Neuzeit absolut einzugrenzen. Schmitt beabsichtigt eigentlich eine entzauberte Welt aus der Ruhe ihrer Routinen, die sich auf die Bürokratie im Rahmen des Staates reduziert, zu reißen.129 Es ist ja also keineswegs so, als wäre das politische Dasein nichts als blutiger Krieg, oder als könnten wir nicht gerade den Krieg verhindern, sondern es bedeutet, dass der Krieg als reale Möglichkeit heute noch vorhanden ist.130 Mit anderen Worten will Schmitt das Politische mit der realen Möglichkeit des Krieges identifizieren, aber nicht den Krieg als solchen auslösen. Das Politische tritt daher laut Schmitt zutage, wo eine Existenzform der anderen Existenzform gegenübersteht.131 Es ist bei Schmitt zu betrachten, in welchem Bereich die Existenzform erscheint. In diesem Zusammenhang bezieht sich Schmitt auf die Außenpolitik. Es wurde gezeigt, dass das Politische als die Gruppierung einer Gesamtheit von Menschen nach dem 127  Eisermann,

Max Weber und Carl Schmitt, in: Der Staat, S. 92. Der Begriff des Politischen, S. 34. Anschließend schreibt er: „Den Krieg als Menschenmord verfluchen und dann von den Menschen verlangen, dass sie Krieg führen und im Kriege töten und sich töten lassen, damit es nie wieder Krieg gebe, ist ein manifester Betrug.“ Ebd., S. 46. 129  Vgl. Ladwig, Die Unterscheidung von Freund und Feind als Kriterium des Politischen, in: Mehring, S. 48 f. 130  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 35. Hierzu vertritt Strauss die These, dass Schmitt aufgrund seiner These einen bellizistischen Nationalismus dem pazifistischen Internationalismus entgegenzusetzen versucht. Vgl. Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 115. 131  Vgl. Ladwig, Die Unterscheidung von Freund und Feind als Kriterium des Politischen, in: Mehring, S. 52: „Diese These besagt, dass die Unterscheidung von Freund und Feind uns gerade dann wie ein Schatten folge, wenn wir sie loswerden wollen und schon überwunden zu haben glauben. In keinem Fall könnten wir ihr normativistisch entkommen.“ 128  Schmitt,

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

Gegensatz von Freund und Feind sich theoretisch vom Staat löst. Daher trägt sich das Politische in der Sphäre der Außenpolitik aus. Die europäische Staatskunst des 17. Und 18. Jahrhunderts bildet laut Schmitt, historisch betrachtet, die klassische Epoche des Politischen und man könne darin das Wesen des Politischen verstehen, weil in dieser Zeit ein Gleichgewicht zwischen den europäischen Ländern vorgeherrscht habe. Europa gelang laut Schmitt in dieser Epoche die Trennungslinie von Innen und Außen und folglich kann man von der wahren Politisierung ausgehen. In diesem Zusammenhang schreibt Bernard Tucker: „Während es im Innern gelang, die Konflikte der Zentralgebiete zu befrieden und politisch zu entschärfen, war das Äußere das eigentliche Feld des politischen.“132 Da das Kriterium des Politischen sich laut Schmitt an der Außenpolitik orientiert, tritt das Politische in den zwischenstaatlichen Beziehungen zutage. Insofern ist der innere Konflikt eine Bedrohung für den Staatswillen, der Politik betreiben will. Soll man somit den Vorzug der politischen Assoziation vor andere Assoziationen in einer Gesellschaft bei Schmitt besser verstehen, dann ist zu erörtern, wie die Außenpolitik das Politische in der Öffentlichkeit prägt. Schmitt beruft sich stets auf die Rolle des Politischen als wichtigste Assoziation in der Gesellschaft, weil die Besonderheit des Staates als Instanz der Politik gegenüber anderen gesellschaftlichen Organisationen von der Außenpolitik her gesichert wird: „Solange das Wesen des politischen nicht erkannt oder nicht beachtet wird, ist es möglich, eine politische Assoziation pluralistisch neben eine religiöse, kulturelle, ökonomische oder andere Assoziation zu stellen und sie mit ihnen in Konkurrenz treten zu lassen.“133

Also unterscheidet sich das Politische dann von anderen Assoziationen, wenn es sich aufgrund der Außenpolitik identifizieren lässt.134 Schmitt verteidigt allerdings die Klarheit der klassischen zwischenstaatlichen Kriege in Bezug auf die Geschichte Europas im 17. und 18. Jahrhundert, die durch die 132  Tucker, Der Ausnahmezustand – An den Grenzen von Aufklärung und Liberalismus, in: Hansen, S. 98 f. 133  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 42. 134  In diesem Zusammenhang ist ja zu betrachten, dass seine Betonung auf der Rolle des Politischen und vor allem der Außenpolitik an dem Zustand Deutschlands im ersten Weltkrieg verankert ist, wobei Christoph Schönberger ausführt: „Schmitt knüpft mit der Erstfassung seiner Schrift (Der Begriff des Politischen) überwiegend an seine außenpolitischen Beiträge der zwanziger Jahre an, die sich mit dem Versailler Vertrag, der französischen Rheinlandbesetzung und dem Völkerbund beschäftigen. Es geht ihm dort um die Kritik an den Einschränkungen der außenpolitischen Souveränität des deutschen Reiches nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg.“ Schönberger, Der Begriff des Staates in Carl Schmitts Begriff des Politischen, in: Mehring, S. 33.



III. Pluralismus- und Liberalismuskritik59

neuen humanitären Interventionen und globalen Kriege im 20. Jahrhundert belastet worden ist.

III. Pluralismus- und Liberalismuskritik 1. Harold J. Laski und der Pluralismus Als Schmitt das Politische als eine seinsmäßige Sachlichkeit, die sich in der Kategorie der Freund- und Feindgruppierung definieren lässt, konzipierte, versuchte er entsprechend jene politische Theorie, die sich dem Politische entziehen wollte, zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang verweist Schmitt auf den Pluralismus, der die souveräne Einheit des Staates zu leugnen versuche und sich immer darauf beziehen wolle, dass der einzelne Mensch in zahlreichen verschiedenen sozialen Bindungen und Verbindung lebe.135 Dabei schreibt Schmitt: „Vielmehr können sich die verschiedenen Assoziationen, jede auf einem verschiedenen Gebiet, als die stärksten erweisen, und der Konflikt der Loyalitäts- und Treuebindungen kann nur von Fall zu Fall entschieden werden. Es wäre z. B. denkbar, dass die Mitglieder einer Gewerkschaft, wenn dieser Verband die Parole ausgibt, keine Kirche mehr zu besuchen, trotzdem zur Kirche gehen, aber gleichzeitig eine von der Kirche erlassene Aufforderung, aus der Gewerkschaft auszutreten, ebenfalls nicht befolgen.“136

Demzufolge meinte Schmitt, dass die Prinzipien der jeweiligen Assoziation in einer pluralen Gesellschaft, nicht unbedingt mit den Prinzipien anderen Assoziationen vereinbar sei. Pluralismus sei der Sammelname für eine Vielzahl im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entwickelten und zeitweise namentlich in England und Frankreich einflussreichen, politischen Theorien, die zwar nach Fraenkel im Einzelnen weit voneinander abwichen, denen jedoch gemeinsam sei: „1. Der Widerstand gegen den Monopolanspruch des Staates auf die Loyalität seiner Angehörigen; 2. Die Forderung nach der prinzipiellen Gleichwertigkeit der Macht des Staates und der Macht der autonomen Gruppen innerhalb des Staates.“137 In diesem Zusammenhang ist Schmitt überzeugt, dass die deutsche Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts gegen die Persönlichkeit des Staates 135  Der Pluralismus beruht laut Fraenkel auf der Hypothese, in einer differenzierten Gesellschaft könne im Bereich der Politik das Gemeinwohl lediglich a posteriori als das Ergebnis eines delikaten Prozesses der divergierenden Ideen und Interessen der Gruppen und Parteien erreicht werden. Vgl. Fraenkel, Gesammelte Schriften, Demokratie und Pluralismus, in: v. Brünneck, S. 259. 136  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 39. 137  Fraenkel, Gesammelte Schriften, Demokratie und Pluralismus, S. 383.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

angesichts der Säkularisierung der theologischen Formeln von der Omnipotenz vorgegangen sei. Insofern sei die Rolle des Staates als eine Assoziation, welche über anderen Assoziationen steht, geschwächt worden. Die pluralistische Staatstheorie, der der Liberalismus zugrunde liegt, ist in sich selber pluralistisch; d. h. sie hat kein einheitliches Zentrum. Im Pluralismus verwandelt sich der Staat in eine Assoziation, die mit anderen Assoziationen konkurrieren werde. Es besteht eine Gesellschaft neben und zwischen anderen Gesellschaften, innerhalb oder außerhalb des Staates. Hierzu schreibt Thor v. Waldstein: „Der auf Christian Wolf zurückgehende Ausdruck Pluralismus bezeichnet ursprünglich einen philosophischen Standpunkt, der die Wirklichkeit als aus vielen selbständigen Wesenheiten bestehend auffasst, denen kein Prinzip durchgehender Einheit zugrunde liegt.“138 In diesem Zusammenhang setzt Harold J. Laski als einer der bekannten Begründer dieser Idee in der Politikwissenschaft den Pluralismus dem Monismus entgegen.139 Der von Laski erstmals geprägte politische Pluralismus-Begriff war eigentlich polemisch bestimmt als Gegenposition gegen die Vorstellung einer Allmacht des Staates. Laski rekonstruiert nämlich gegenüber den Omnikompetenzansprüchen die Rolle der Kirche, Gewerkschaften und sonstiger Verbände, im Rahmen einer vernetzten Gemeinschaft. Entsprechend bringt er vor: that society (is) pluralist and not monist in its nature. Der Pluralismus als die Macht sozialer Größen über die staatliche Willensbildung wurde bei Laski maßgeblich von seiner antithetischen Stellung zum Monismus gekennzeichnet. Der pluralistische Staat sei vor allem der antimonistische Staat, ein Staat, in dem keine eigenständige Quelle der Autorität bestehe, die allmächtig und umfassend sei, nämlich die Souveränität, kein einheit­ liches Rechtssystem, kein zentralisiertes Verwaltungsorgan, keine Verallgemeinerung des politischen Willens. Laski schreibt zum Beispiel: „Wenn eine Gruppe oder eine Einzelperson mit einer anderen Gruppe oder einer anderen Einzelperson in Verbindung steht, dann ist sie deshalb nicht gezwungen, 138  Waldstein,

S. 24.

Der Beutewert des Staates: Carl Schmitt und der Pluralismus,

139  Die monistische Staatstheorie leitet seine Beurteilung nach Laski von seinen Beziehungen ab, indem der Staat die einzige legitime Instanz ist, nach dessen Prinzipien man die partikularen Werte bei den gesellschaftlichen Assoziationen beurteilen kann. Die pluralistische Theorie dagegen bestreitet, dass die Beziehungen, seien sie noch so tiefgreifend, das einzige Kriterium sind, nach dem ein Mensch zu beurteilen ist. Insofern meinte er, dass man in der monistischen Staatstheorie kein Wesen besitzt, weil alles sich auf den Staat berufen müsste. Vgl. Laski, Die Souveränität des Staates (1915), in: Nuscheler, S. 68 und hier 75: „In der monistischen Staatstheorie scheint es keine Garantie zu geben, dass der Mensch überhaupt ein Wesen besitzt. Seine Persönlichkeit, für ihn das Realste von allem, wird einem Idol geopfert, das auf tönernen Füßen steht, wie bereits die geringste Kenntnis der Geschichte beweist.“



III. Pluralismus- und Liberalismuskritik61 mit jedem anderen Teil des Gemeinwesens in Beziehung zu treten. Wirft eine Gewerkschaft ein Mitglied hinaus, weil es sich weigert, eine politische Abgabe zu entrichten, so tritt sie damit in keine Beziehung zu der Mormonenkirche. Eine Gewerkschaft als solche verbindet nichts mit der Mormonenkirche; sie steht ganz auf ihren eigenen Füßen.“140

Insofern lehne die pluralistische Staatslehre die Identitätstheorie, bzw. monistische Staatstheorie mit aller erdenklicher Entschiedenheit ab und betrachte sich als ihre Antipodin.141 Weil die pluralistische Staatslehre davon ausgeht, dass es den partikularen Wille gibt, der sich nicht unbedingt auf den Staat berufen will. Hierzu verweist Schmitt auf Laski, in dessen Denkweise ganz unklar sei, aus welchem Grunde die Menschen dazu kämen, neben den religiösen, ökonomischen und anderen Assoziationen auch noch politische Assoziationen zu bilden, und worin der spezifisch politische Zweck dieser Assoziation bestehe.142 D. h. wenn der Staat eine Assoziation neben anderen Assoziationen ist, warum soll man denn vom Staat sprechen. Mit anderen Worten, was lässt den Staat sich von anderen Assoziationen unterscheiden. Wenn man laut Schmitt die politische Einheit bestreitet und sie als politische Assoziation wesensgleich neben andere, z. B. religiöse oder ökonomische, Assoziationen stellt, so muss er vor allem die Frage nach dem spezifischen Inhalt des Politischen beantworten. Schmitt schreibt: „Man findet aber in keinem der vielen Bücher Laskis eine bestimmte Definition des Politischem, obwohl immer von Staat, Souveränität und Government die Rede ist.“143 Laski besteht darauf, dass der Staat, wie jede andere Assoziation, sich an seiner Leistung messen lassen müsse. Daher führt er einen Unterscheid zwischen der Politik und der Gesellschaft an, während die monistische Staatstheorie an der Identität von Staat und Gesellschaft festhält.144 Laski schreibt: „there is a difference between the State and society. The State may set the keynote of the social order, but it is not identical with it.“145 Also stellt sich der laskische Staat als öffentliches Dienstleistungsunternehmen zur Befriedigung seiner Konsumenten heraus. Genauer gesagt, sei der Staat 140  Vgl.

ebd., S. 67. Gesammelte Schriften, Demokratie und Pluralismus, S. 265. 142  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Positionen und Begriffe: Im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles 1923–1939, S. 77. 143  Schmitt, Pluralismus als Theorie der Auflösung des Staates, in: Nuscheler, S. 97. 144  Laski hat hiermit die Theorien der Identität von Gesellschaft und Staat zurückgewiesen, die von Hegel, Bosanquet und Rousseau entwickelt wurden. Schultes, Harold J. Laski: eine Staatstheorie der sozialen Demokratie, in: Zeitschrift für Politik, S. 263. 145  Laski, Grammar of politics, S. 26. 141  Fraenkel,

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

jene Assoziation, welche die friedlichen Beziehungen zwischen anderen Assoziationen regulieren wird. Laski verstand den Staat als eine Willensorganisation, dessen einzige legitime Geschäftsgrundlage die Zustimmung des menschlichen Geistes und dessen ausschließliche Existenzberechtigung die Solidität seiner moralischen Leistung sei.146 Dabei ist zu bemerken, dass Laski sich auf seine Ansicht berief, dass der Staat nicht mehr souverän sei, sondern die Souveränität mit andern Verbänden teile.147 Weil der Staat eine Funktion neben den diversen Funktionen anderer Assoziationen hat. Von daher basiert der Staat nicht auf irgendwelchen Abstraktionen: „We must obey the State, not because is theoretic purpose is a splendid one, but because of our conviction that it is genuinely seeking to make that purpose valid in events. Power is thus in itself morally neutral; what gives it colour is the performance it can demonstrate. Our ultimate allegiance is always to the ideal; and to the legal power that seeks to bind us our loyalty is conditioned by the purpose and substance we can discover in its effort.“148

Der Staat erscheine laut Laski als eine Vereinigung zum Schutze der Interessen der Bürger; mit anderen Worten als eine Einrichtung, über deren Struktur die Bürger selbst entscheiden. Hierzu schreibt Laski: „that is the function of the State in society. It is the association to protect the interests of men as citizens,“149 wobei der Staat sich von jeden anderen Assoziationen unterscheide, indem Mitgliedschaft in ihm zum einen auf Zwang beruhe. Zum anderen sei er in seinem Wesen räumlich. Hierzu schreibt Laski: „… the State is obviously a public service corporation. It differs from every other association in that it is, in the first place, an association in which membership is compulsory. It is, in the second place, essentially territorial in nature. The interests of men as consumers largely neighborhood interests; they require satisfaction, for the most part in a given place. And, at a given level, the interests of its members are identical interests. They all need food and clothing, education and shelter.“150

Die Autorität eines Staates laut Laski hängt davon ab, ob der Staat die Ansprüche seiner Bürger erfüllen könne. Und jene Beziehung zwischen Staat und Bürger könne man im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Rechnung 146  Waldstein, Der Beutewert des Staates: Carl Schmitt und der Pluralismus, S. 45. Es ist doch zu bemerken, dass Laski einen Unterschied zwischen state und government einführt. State ist the way of organizing the collective life of a given society, während das government organisierte Form von state ist. Vgl. Harold J. Laski, The State in Theory and Practice, S. 10 ff. 147  Vgl. Fraenkel, Gesammelte Schriften, Demokratie und Pluralismus, S. 263. 148  Laski, Grammar of politics, S. 27. 149  Ebd., S. 70 f. Laski u. a. schreibt: „With the state there comes security; and security is the condition upon which the satisfaction men seek to secure are capable of peaceful attainment.“ Laski, The State in Theory and Practice, S. 4. 150  Ebd., S.  69 f.



III. Pluralismus- und Liberalismuskritik63

begreifen.151 Man konfrontiert sich also nicht mit der Abstraktion, sondern mit der Funktion. Anschließend muss man danach fragen, was die Souveränität bei Laski bedeutet. Definiert man Souveränität, so Schmitt, als eine Instanz, welche die Entscheidung über die vom Parlament erlassenen Gesetze hinaus treffen dürfte, so ist Laski überhaupt nicht damit einverstanden. Was Laski für wichtig hält, ist das Interesse des Individuums. Insofern bedeutet Souveränität nichts anderes als die Fähigkeit, sich der Zustimmung zu versichern und der Staat muss im Wettbewerb wie die andere Assoziationen antreten. Denn der Staat sei kein Zweck in sich selbst, sondern lediglich Mittel zum Zweck, der nur in der Bereicherung des menschlichen Lebens verwirklicht ist. Hierzu schreibt Laski: „Externally, surely, the concept of an absolute and independent sovereign State which demands an unqualified allegiance to government from its members, and enforces that allegiance by the power at its command, is incompatible with the interests of humanity. If we are to have a morally adequate theory of political obligation, we must approach the problem from a different angle. In a creative civilization what is important is not the historical accident of separate States, but the scientific fact of world-interdependence.“152

Nach der von Laski ausgeführten Passage kann man daran festhalten, dass der laskische Staat ein Souveränitätenpluriversum sei, das zum einen die staatliche Willkür mit der Willkür des Individuums vertauscht habe.153 Weil der Wille des Staates sich gegenüber dem Willen den anderen Gruppen so lange durchsetzt, wie er klug genug interpretiert worden ist, um allgemeine Zustimmung zu finden. Und zum anderen neigt der Staat als solcher dazu sich in die globalen Kooperationen mit anderen Staaten zu integrieren. Dementsprechend schreibt Schmitt: „Der Staat wird zu einer sozialen Grup151  Waldstein,

Der Beutewert des Staates: Carl Schmitt und der Pluralismus, S. 47. Grammar of politics, S. 64 f. 153  Waldstein, Der Beutewert des Staates: Carl Schmitt und der Pluralismus, S. 48. Um zu beleuchten, dass es zwischen dem Staat und anderen Assoziationen keinerlei Unterschied des Prinzips der Autorität gibt, bezieht sich Laski auf den Fall des großen Krieges. Laski schreibt: „Wenn der Staat nur eine der Gruppen ist, denen der einzelne angehört, dann ist an einen einheitlichen Gehorsam nicht zu denken. Die Antwort darauf lautet schlicht und einfach, dass unsere Treue zum Staat in der Tat nicht einheitlich ist. Im Fall eines großen Krieges zum Beispiel kann man als Mitglied des Staates zum Kampf aufgerufen werden; als Mitglied einer andern Gruppe – der Quäker zu Beispiel – kann man aufgerufen sein, dieser Forderung Widerstand leisten. Es ist offensichtlich wenig gewonnen, wenn man von übergeordneten Forderungen spricht und zum Beispiel sagt, die Forderungen des Staates seien wichtiger als alle anderen. Wichtiger als alle anderen ist es nur für den Staat selbst.“ Laski, Die Souveränität des Staates, S. 69. Im Gegensatz dazu geht Schmitt davon aus, dass man das Politische aufgrund der Freund- und Feindgruppierung, welche sich in dem Krieg artikulieren kann, verstehen soll. Vgl. Schmitt, Pluralismus als Theorie der Auflösung des Staates, in: Nuscheler, S. 93 ff. 152  Laski,

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

pe oder Assoziation, die bestenfalls neben, keinesfalls über den anderen Assoziationen steht. In seiner ethischen Konsequenz führt das zu dem Ergebnis, dass der einzelne Mensch in einer Mehrheit von ungeordnet nebeneinander geltenden sozialen Verpflichtungen und Loyalitätsbeziehungen lebt.“154 Es ist doch zu bemerken, dass man bei Laski einen Übergang von autonomen Staaten zur globalen Welt sehen kann, der sich ausschließlich mit dem Wohlbefinden des Individuums befassen will. Schmitt hat eben diesen Punkt als einen Ausgangspunk genommen um den laskischen Staat in Frage zu stellen. Historisch betrachtet, ist seine Auseinandersetzung mit Laski an seine Kritik an der Weimarer Republik gebunden. Schmitt war damals also überzeugt, dass das Gegeneinander der sozialen und politischen Gruppen in der Weimarer Republik, die sich in ihrer Kompromissfähigkeit als verhängnisvoll eingeschränkt erwiesen haben, von Anfang an selbst den staatlichen Organismus blockierte.155 Insofern forderte Schmitt die Begründung einer Präsidialregierung, damit die pluralistischen Tendenzen der Weimarer Republik verkraftet werden können. Er erblickte Fraenkel zufolge eine besonders große Gefahr in der Möglichkeit der Verbindung der pluralistischen mit föderalistischen und polykratischen Elementen der Verfassung.156 Demzufolge soll man die Krise der Weimarer Republik von der schwachen Rolle des Staates her begreifen, weil der Staat laut Schmitt sich nicht über anderen Assoziationen erheben konnte um maßgebende Entscheidungen im Ausnahmezustand zu treffen. Mit anderen Worten wurde dem Staat seine Souveränitätsrolle entzogen. 2. Der über anderen Assoziationen stehende Staat Obwohl Laski, wie gesagt, davon ausgeht, dass der Mensch in zahlreichen Assoziationen lebt, von denen keine allmächtig ist, widerspricht dies nicht unbedingt Schmitts These. Weil Schmitt hierbei eine Frage stellte, worauf es bei Laski keine klare Antwort seinerseits gibt. Er schreibt: „Aber damit ist die Frage noch nicht beantwortet, welche soziale Einheit den Konfliktfall entscheidet und die maßgebende Gruppierung nach Freund und Feind bestimmt.“157 Mit anderen Worten kann man laut Schmitt nicht be154  Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat, in: Positionen und Begriffe: Im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles 1923–1939., S. 152. 155  Waldstein, Der Beutewert des Staates: Carl Schmitt und der Pluralismus, S. 53. 156  Vgl. Fraenkel, Gesammelte Schriften, Demokratie und Pluralismus, S. 384. Unter Polykratie verstand Schmitt die Existenz einer Vielzahl von der Zentrale unabhängiger öffentlich-rechtlicher ökonomischer und sozialer Träger politischer Macht (Reichsbank, Reichsbahn, Reichspost, Sozialversicherungsträger, vor allem aber Kommunen und Kommunalverbände).



III. Pluralismus- und Liberalismuskritik65

haupten, dass alle verschiedenen Assoziationen nebeneinander parallel stehen, weil jene Assoziation gewiss über anderen Assoziationen stehe, die über die Freund- und Feindgruppierung entscheiden werde. Will man nicht darüber eine Entscheidung treffen, so überlässt man unumgänglich diese Entscheidung Schmitt zufolge den Fremden. Anders gesagt, entfällt diese Entscheidung, so entfällt auch das Politische selbst. Folglich ist das Politische nach Schmitt jene Assoziation, welche sich an dem Ernstfall orientiere. Schmitt stellt fest, dass die pluralistische Staatstheorie schließlich nichts anders tue, als im Dienste des freien Individuums und seiner freien Assoziation die eine Assoziation gegen die andere auszuspielen, wobei alle Fragen und Konflikte vom Individuum aus entschieden werden.158 Es ist eben zu bemerken, dass Schmitt im Gegensatz zu Laski, der den Pluralismus innerhalb des Staates postuliert, den Pluralismus in die politische Welt der Tausend Staaten projizieren will. Mit anderen Worten geht er von der Einheit des Staates aus, die sich pluralistisch in der Außenpolitik ausdrückt. In diesem Zusammenhang setzt Schmitt die Konkrete Ordnung dem Pluralismus entgegen, welcher sich nur innerhalb einer normativen Ordnung durchsetzen kann.159 Waldstein schreibt: „Das konkrete Ordnungsdenken ist der archimedische Punkt, von dem aus Carl Schmitt die Dekadenz des Politischen aufheben wollte.“160 Schmitt geht nämlich von dem ethischen Anspruch des Staates auf Treu und Loyalität aus, womit das Politische sich identifizieren lässt. Dabei schreibt Schmitt: „Ethische Beziehungen wie Treue und Loyalität sind in der Wirklichkeit des konkreten Lebens nur gegenüber konkret existierenden Menschen oder Gebilden möglich, nicht gegenüber Konstruktionen und Fiktionen.“161 Also stellt Schmitt fest, dass dem Pluralis157  Schmitt,

Der Begriff des Politischen, S. 40. ebd., S. 42. 159  Pluralismus stellt sich bei Schmitt als jene Idee heraus, die die konkrete Ordnung belasten will; indem er Vielfältigkeit, und zwar Heterogenität innerhalb des Staates beanspruchen will. Hingegen fokussiert sich Schmitt beim Pluralismus auf zwischenstaatlichen Beziehungen. Mit anderen Worten versucht Schmitt eine neue Art vom Pluralismus herauszuarbeiten, der zum einen nicht die konkrete Ordnung benachteiligen will und zum anderen sich auf die pluralistische Welt – im Gegensatz zur pluralistischen Gesellschaft – zu richten vermag, was im vierten Kapital ausführlich analysiert wird. Man könnte insofern von vielfältigen konkreten Ordnungen ausgehen, wonach die verschiedenen Arten vom Normativismus zwangsläufig zustande kommen, weil die konkrete Ordnung den Normen bei Schmitt vorausgreift. Insofern konfrontiert man sich nicht mit dem Pluralismus innerhalb eines Staates, sondern mit dem Pluralismus zwischen Staaten; d. h. jeder Staat hat seine eigene Perspektive über spezifische Werte zu Verfügung. 160  Waldstein, Der Beutewert des Staates: Carl Schmitt und der Pluralismus, S. 104. 161  Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat, in: Positionen und Begriffe: Im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles 1923–1939, S. 155. 158  Vgl.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

mus eine funktionale Ansicht zugrunde liegt, die nicht der menschlichen Existenz bzw. deren Loyalität entspricht. Vor diesem Hintergrund ist Schmitt überzeugt, dass die Demokratie eine Identität von Regierenden und Regierten zu verwirklichen sucht.162 Der Demokratie liegt somit als Symbol der Volkseinheit die Homogenität zugrunde, wobei Fraenkel meint, dass Carl Schmitts Definition der Demokratie als Identität von Regierenden und Regierten, wie er in der zweiten Auflage der Parlamentarismus-Schrift selbst ausgeführt habe, auf Rousseau zurückgehe.163 Der Apostel des Anti-Pluralismus sei Jean Jacques Rousseau. Nach Rousseau sei bereits die isolierte Geltendmachung von Partikularwillen vom Übel. Ihre kollektive Geltendmachung führe unfehlbar zur Zersetzung der volonté générale. Carl Schmitt und Rousseau stimmen, so Fraenkel, im Prinzip der Staatslehren darin überein, dass sie in der Homogenität der Bürger ein wesensmäßiges Merkmal eines jeden Staates erblicken, welcher auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruht. Der Pluralismus steht auch in dieser Frage im offenen Gegensatz zu Rousseau und zu Carl Schmitt. Hierzu schreibt Fraenkel: „Der Pluralismus hält zwar ein Minimum von Homogenität für erforderlich, jedoch ein Maximum von Homogenität nicht für erstrebenswert. Der Anti-Pluralismus hält ein Minimum von Heterogenität zwar für unvermeidlich, glaubt jedoch, dass eine Heterogenität, die dieses Minimum übersteigt, unerträglich ist. Pluralismus und Anti-Pluralismus gehen prinzipiell über die Frage auseinander, wo das Optimum einer anzustrebenden Homogenität zu suchen und mittels welcher Methoden es zu verwirklichen ist.“164

Es wurde bereits gezeigt, dass die politische Einheit nach Schmitt den intensivsten Grad der Einheit bezeichnet. Von dieser Intensität ausgehend, tritt die intensivste Unterscheidung, nämlich die Gruppierung nach Freund und Feind, zutage. Hierzu besteht ja die wichtigste Rolle des Politischen darin, dass es die gegensätzlichen Gruppierungen (innerhalb des Staates) daran hindern könnte, sich bis zur extremen Feindschaft, d. h. bis zum Bürgerkrieg zu dissoziieren.165 Schmitt stellt also fest, dass der auf dem Indi162  Vgl.

S. 21.

Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus,

Fraenkel, Gesammelte Schriften, Demokratie und Pluralismus, S. 265. S. 268. Obwohl Schmitt und Rousseau von Homogenität bei ihrer Staatslehre ausgehen, besteht ein fundamentaler Unterschied bei ihnen laut Fraenkel darin, dass Schmitts Denken sich nicht in der Größenordnung eines überschaubaren Kleinstaats, der nach den Vorstellungen Rousseaus allein der Schauplatz sein kann, bewegt, auf dem die volonté générale realisierbar ist. Carl Schmitt ist hingegen bestrebt, seine Homogenitätstheorie in einer Großraumordnung zu verwirklichen. Vgl. ebd., S. 269 f. 165  Vgl. Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat, in: Positionen und Begriffe: Im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles 1923–1939, S. 160. 163  Vgl.

164  Ebd.,



III. Pluralismus- und Liberalismuskritik67

vidualismus beruhende Pluralismus zum Bürgerkrieg zwischen den diversen Assoziationen führt. Denn keine der Assoziationen verfüge über die Befugnis, die über alle Assoziationen hinaus eine Entscheidung treffen und den Staat aus dieser Krise, bzw. diesem Bürgerkrieg befreien könne.166 Das Problem besteht, so Fraenkel, wie gesagt, darin, dass Antipluralisten skeptisch gegen die Heterogenität der politischen Öffentlichkeit sind und von daher versuchen sie die Mannigfaltigkeit der liberalen Gesellschaft zu hinterfragen, indem sie Heterogenität mit dem Bürgerkrieg gleichsetzen. Und vor allem übertragen sie die Heterogenität als solche auf die Außenpolitik. Insofern kann man daran festhalten, dass Schmitt nicht deswegen den Pluralismus akzeptiert, weil er bei seiner Staatslehre von Homogenität ausgeht, welche sich in der Außenpolitik innerhalb der realen Möglichkeit der Gruppierung von Freund und Feind ausdrückt.167 Historisch betrachtet sieht Schmitt den Faschismus als eine Alternative, welche der Gefahr der pluralistischen Gesellschaft entgegenwirken könnte. Vor dem NS-Regime sollte man hierbei seine Neigung zum totalen Staat und die Abneigung gegen den Pluralismus als jene Idee, die den Staat neben anderen Assoziationen stellen will, verfolgen. Im Hinblick auf den italienischen Faschismus z. B. führt Schmitt im Jahr 1929 aus: „Ist es denkbar, dass heute ein Staat gegenüber den wirtschaftlichen und sozialen Gegensätzen und Interessen die Rolle des höheren Dritten spielt (das ist der Anspruch des faschistischen Staates); oder ist er notwendigerweise nur der bewaffnete Diener einer jener wirtschaftlichen und sozialen Klassen (die bekannte marxistische These); oder ist er eine Art von neutralem Dritten, … (was er bis zu einem gewissen Grade heute faktisch in Deutschland ist, wobei die Reste des alten Beamtenstaates die Rolle eines solchen pouvoir neutre spielen).“168

Hierzu deutet Schmitt auf die Spannung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Italien an, die zu Mussolinis Regierung führte, was die Spannung als solche zwischen den Assoziationen überwunden habe. Dabei schreibt er: „Der faschistische Staat entscheide nicht als neutraler, sondern 166  Pluralismus plädiert zwar für die Interessen der Individuen, die durch den Staat und seinen Monopolanspruch verdrängt würde, aber er führt, so Schmitt, in der Tat zu der Souveränität der sozialen Gruppen. Fraenkel, Gesammelte Schriften, Demokratie und Pluralismus, S. 157: „Sozialer Pluralismus im Gegensatz zu staatlicher Einheit bedeutet weiter nichts, als dass der Konflikt der sozialen Pflichten der Entscheidung der einzelnen Gruppe überlassen bleibt. Das bedeutet dann Souveränität der sozialen Gruppen nicht aber Freiheit und Autonomie des einzelnen Individuums.“ Demzufolge steht die Souveränität im Ausnahmezustand nicht dem Staat sondern den Assoziationen zu. 167  Vgl. Schmitt, Pluralismus als Theorie der Auflösung des Staates, in: Nuscheler, S. 93–98. 168  Schmitt, Wesen und Werden des faschistischen Staates, in: Positionen und Begriffe: Im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923–1939, S. 125.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

als höherer Dritter. Das ist seine Suprematie.“169 Während Marxisten die Interessen einer bestimmten Klasse, nämlich des Proletariats, verfolgen, lösen Liberale laut ihm aufgrund deren pluralistischen Denkweise und der Autonomie der Assoziationen voneinander einen schwachen Staat aus und ein Staat als solcher sei nur Diener des Privateigentums. Insofern hat Schmitt im Jahr 1934 das Konzept der Konkreten Ordnung und politischen Entscheidung herausgestellt, um juristische Antworten auf nationalsozialistische Fragen zu finden. Genauer gesagt, hielt Schmitt daran fest, dass das NS-Regime vor allem nach dem Chaos der Weimarer Endzeit eine Alternative ist, die sich nicht mehr auf die Normativität und zwar das positive Recht reduzieren will. Zu seiner konkreten Motivation schreibt Waldstein: „Sein konkretes Ordnungskonzept leitet sich somit aus zwei entgegengesetzten Motivsträngen ab: zum einen aus dem Bestreben, der politischen Kraft der NSFaktizität ein staatstheoretisches Ordnungsmodell unterzuschieben, zum anderen aus der Überzeugung, auf der Seite der kommenden Dinge zu stehen. Das konkrete Ordnungsdenken besteht also auch, aber eben nicht nur aus nationalsozialistischen Komponenten.“170

Was Schmitt als Konkrete Ordnung konzipierte, kann man ja nicht im NS-Regime als ein Prinzip vorfinden. Diese Hoffnung sollte gründlich enttäuscht werden. D. h. es waren die Normen nicht durch die Konkrete Ordnung, sondern durch eine Flut von Führerbefehlen und Maßnahmen ersetzt worden. Die Machthaber des Dritten Reiches versanken im Sumpf des Maßnahmen-Staates, während sie weder die Rechtsordnung als Normativität noch die Konkrete Ordnung als Prinzip des deutschen Denktypus ernst nahmen. Vor allem ist beim konkreten Ordnungsdenken zu bemerken, dass man von Mannigfaltigkeit des Ordnungsdenkens im Sachgebiet der Außenpolitik ausgehen soll und obwohl der Staat somit davor zurückgehalten werden soll, in innere Angelegenheiten anderen Staaten einzugreifen, sieht man doch wie das NS-Regime im Laufe seiner Herrschaft viele Länder in Europa angegriffen hat. Waldstein schreibt: „Schmitts Vorhaben, den Nationalsozialismus gewissermaßen als Montesquieu des Dritten Reichs durch die verdeckt konstitutionelle Methode des konkreten Ordnungsdenkens in die Verfassung zu bringen, entpuppte sich sehr schnell als graue Theorie und zugleich als gefährliche Utopia.“171 Obwohl das konkrete Ordnungsdenken bei Schmitt der Antipode zum Pluralismus eines souveränitätslosen Wachstums ist, wollte er die Mannig169  Ebd.,

S. 128. Der Beutewert des Staates: Carl Schmitt und der Pluralismus,

170  Waldstein,

S. 173. 171  Ebd., S.  176 f.



III. Pluralismus- und Liberalismuskritik69

faltigkeit des Lebens anerkennen, indem er Vielfalt als solche in institutionelle Formen, also eine staatliche Form umwandeln würde. Hingegen entweicht die Mannigfaltigkeit des Lebens bei Laski aus den institutionellen Formen, bzw. staatlichen Formen. Denn dem Pluralismus liegt bei Laski der Individualismus zugrunde; im Gegensatz dazu liegt dem Pluralismus bei Schmitt die Konkrete Ordnung zugrunde; d. h. Mannigfaltigkeit tritt laut ihm nicht in den szs. individuellen Formen zutage, sondern in den institutionellen Formen; bzw. den staatlichen Formen: „Aus dem Begriff des Politischen ergeben sich allerdings … pluralistische Konsequenzen, aber nicht in dem Sinne, dass innerhalb ein und derselben politischen Einheit an die Stelle der maßgebenden Freund- und Feindgruppierung ein Pluralismus treten könnte, ohne dass mit der Einheit auch das politische selbst zerstört wäre.“172

3. Carl Schmitt und der Anti-Liberalismus Schmitts antipluralistisches Gedankengut ist mit seinem Antiliberalismus verbunden. Hierzu sollen drei antiliberale Motive bei Schmitt erwähnt werden, was in den folgenden Kapiteln ja ausführlich analysiert wird. Es ist nämlich zu betrachten, aus welchen historischen und theoretischen Grundlagen Schmitt gegen den Liberalismus stößt. Das erste Motiv wurzelt in seinem theologischen Glauben, der bei seinem Gedankengut dominiert. Auf dem Grunde aller Politik stößt man laut Schmitt stets auf die Theologie. Sein Anti-Liberalismus liegt allerdings in seinem Katholizismus begründet. Dieser Katholizismus sei durchtränkt von einer scharfen Kritik an der Moderne, die im Liberalismus des 19. Jahrhunderts ihren bedeutendsten Ausdruck findet, dessen Stichworte Säkularisierung, Selbstinthronisation des Menschen, die Leugnung des Sündenfalls und die These des Satanismus seien.173 Die Leugnung des Sündenfalls betreffend ist Schmitt überzeugt, dass eine Theologie aufhöre, Theologie zu sein, wenn er die Menschen nicht mehr für sündhaft oder erlösungsbedürftig halte.174 Demzufolge unterscheidet er Theologie von Moral, indem der Moralist eine Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse voraussetze; der Theologe gehe eben davon aus, dass man eine Unterscheidung zwischen Erlösten von NichtErlösten und Auswählten von Nicht-Auswählten im Voraus treffen müsse. Indem die Theologie, so Schmitt, Moraltheologie wird, tritt dieser Gesichtspunkt der Wahlfreiheit hervor und die Lehre von der radikalen Sündhaftig172  Schmitt, 173  Vgl.

S. 56.

Der Begriff des Politischen, S. 42. Maschke, Drei Motive im Anti-Liberalismus Carl Schmitts, in: Hansen,

174  Schmitt,

Der Begriff des Politischen, S. 59.

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

keit des Menschen verblasst. Genauer gesagt, basiert bei ihm Theologie auf der im Voraus festgelegten Spaltung von Gut und Böse.175 Dementsprechend versucht Schmitt eine Analogie zwischen Theologie und dem Politischen zu formulieren, wobei er schreibt: „Das theologische Grunddogma von der Sündhaftigkeit der Welt und der Menschen führt ebenso wie die Unterscheidung von Freund und Feind zu einer Einteilung der Menschen, zu einer Abstandnahme, und macht den unterschiedslosen Optimismus eines durchgängigen Menschenbegriffes unmöglich.“176 Schmitt verweist somit auf Machiavelli und Hobbes, weil sie in ihrem Pessimismus ebenso wie die Theologen eine reale Möglichkeit und Wirklichkeit der Unterscheidung von Freund und Feind vorausgesetzt hatte. Das zweite Motiv geht um die inneren politischen Probleme, die die Weimarer Republik hervorbrachte, wobei Schmitt sich auf den Parlamentarismus fokussierte. Im Jahr 1918 war Deutschland geprägt von dramatischen politischen Umwälzungen. Der erste Weltkrieg endete mit einer deutschen Niederlage und darauf folgte die Novemberrevolution. Nach dem ersten Krieg geriet Deutschland in innere Konflikte und zwar kam es in München zum Bürgerkrieg. Wegen der Instabilität der Koalitionen in der Weimarer Republik ging Schmitt gegen den Liberalismus vor. Er geht davon aus, dass die Übertragung liberaler Prinzipien auf eine Wirklichkeit, die durch weltanschaulich sich scharf voneinander abgrenzende Massenparteien geprägt sei, nur in Richtung Bürgerkrieg und Selbstzerfleischung führen könne.177 Daher ist der liberale Staat Schmitt zufolge nicht in der Lage eine Entscheidung zu treffen, damit er einen Kompromiss zwischen Parteien schließen könnte. Hierzu schreibt er: „Die systematische Theorie des Liberalismus betrifft fast nur den innenpolitischen Kampf gegen die Staatsgewalt und liefert eine Reihe von Methoden, um diese Staatsgewalt zum Schutz der individuellen Freiheit und des Privateigentums zu hemmen und zu kontrollieren.“178 Beim dritten Motiv handelt es sich um außenpolitische und völkerrechtliche Motive. Mit Hinblick auf den Genfer Völkerbund und Versailles stellt Schmitt fest, dass Deutschland nach dem ersten Weltkrieg mit jenen Völ175  Gut und Böse sind dabei, so Strauss, nicht in einem speziell moralischen und ethischen Sinne zu nehmen; sondern gut ist als ungefährlich, böse als gefährlich zu verstehen. Das ist die letzte Frage, ob der Mensch ein gefährliches oder ungefährliches Wesen ist. Insofern setzen alle echten politischen Theorien bei Schmitt die Gefährlichkeit des Menschen voraus. 113. Vgl. Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 112 ff. 176  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 60. 177  Vgl. Maschke, Drei Motive im Anti-Liberalismus Carl Schmitts, in: Hansen, S.  65 f. 178  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 64.



III. Pluralismus- und Liberalismuskritik71

kerbünden konfrontiert war, die sich universal erweisen wollten. Insofern steht den im 18. Jahrhundert dominierten zwischenstaatlichen Verträgen die entpolitisierte universale Gesellschaft gegenüber. In diesem Zusammenhang sind, so Schmitt, die Adressaten der Verträge nicht mehr Staaten, d. h. zwischenstaatlichen Beziehungen, sondern Individuen; die von ihrer staatlichen Identität entkoppelt sind. Schmitt schreibt: „Universalität müsste aber völlige Entpolitisierung und damit vor allem zunächst einmal mindestens konsequente Staatenlosigkeit bedeuten.“179 Der Genfer Völkerbund hat Deutschland laut Schmitt mit seiner radikalen globalen Juridifizierung belastetet. In den internationalen Beziehungen sieht Schmitt daher die Auswirkung des liberalen Gedankenguts auf die klassischen zwischenstaatlichen Beziehungen. Will man generell die Frage beantworten, worin denn der Antiliberalismus Schmitts besteht, so ist nach Maschke zu sagen: „Er wurzelt weltanschaulich im Katholizismus, juristisch im Dezisionismus, politisch im Etatismus, und sein gesellschaftliches Ideal ist die geeinte Nation.“180 Schmitt ist überzeugt, dass dem Liberalismus der Individualismus zugrunde liegt. Also ist der Ausgangspunk der liberalen Gesellschaft der Schutz der Individuen vor dem Eingriff des Staates. Die systematische Theorie des Liberalismus betrifft nach Schmitt fast nur den innenpolitischen Kampf gegen die Staatsgewalt und liefert somit eine Reihe von Methoden, um diese Staatsgewalt zum Schutz der individuellen Freiheit und des Privateigentums zu hemmen und zu kontrollieren.181 Anschließen schreibt er: „… die Negation des politischen, die in jedem konsequenten Individualismus enthalten ist, führt wohl zu einer politischen Praxis des Misstrauens gegen alle denkbaren politischen Mächte und Staatsformen, niemals aber zu einer eigenen positiven Theorie von Staat und Politik.“182 Daher gebe es eine liberale Politik als polemischen Gegensatz gegen staatliche, kirchliche oder andere Beschränkungen der individuellen Freiheit. Was dieser Liberalismus von Staat und Politik eben noch gelten lässt, beschränkt sich laut ihm darauf, die Bedingungen der Freiheit zu sichern und Störungen der Freiheit zu beseitigen.183 Das liberale Denken ignoriere insofern den Staat und die Politik und 179  Ebd.,

S. 52. Drei Motive im Anti-Liberalismus Carl Schmitts, in: Hansen, S. 73. 181  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 64. 182  Ebd., S. 64. 183  In diesem Zusammenhang wurde gezeigt, dass die politische Einheit nach Schmitt das Opfer des Lebens verlangt. Aus der Sicht der Liberalen sei dieser Anspruch auf keine Weise zu erreichen und zu begründen. Vielmehr gibt es für den Einzelnen keinen Feind, mit dem er auf Leben und Tod kämpfen müsse. Man geht nämlich von privaten Individuen aus, die sich als freien Konkurrenten charakterisieren lassen. 180  Maschke,

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B. Carl Schmitt und die Hinterfragung der Politikwissenschaft

bewege sich stattdessen in einer typischen, immer wiederkehrenden Polarität von zwei heterogenen Sphären, nämlich von Ethik und Wirtschaft, Geist und Geschäft, Bildung und Besitz.184 Also sei der Ausgangspunkt des Liberalismus die Dichotomisierung zweier heterogener gesellschaftlicher Sphären: die Polarität von Ethik und Wirtschaft. Der ethische Liberalismus geht vom Individualismus aus. Seine ureigene Sphäre seien Ethik, Geist und Bildung und sein Medium sei die Diskussion. Der Ethische Liberalismus hält daran fest, dass aus dem freien Kampf der Meinungen die Wahrheit entsteht. Eine solche Wahrheit sei aber notwendig stets relational zum Diskussionsstand.185 Der wirtschaftliche Liberalismus geht laut Schmitt aus der ethisch motivierten Kritik an staatlicher und politischer Herrschaft gegenüber der individuellen Freiheit des Privateigentum und der freien Konkurrenz hervor. Dabei schreibt Schmitt: „Jede Beeinträchtigung, jede Gefährdung der individuellen, prinzipiell unbegrenzten Freiheit, des Privateigentums und der freien Konkurrenz heißt und ist eo ipso etwas Böses.“186 Philosophisch betrachtet, ergeben sich Komponenten einer liberalen Weltanschauung laut Kurt Salamun aus ihrer Einstellung zur Wahrheitsfrage: „Aus liberaler Sicht wird die Idee, dass es eine absolut gerechtfertigte Wahrheit gibt, die ein für allemal unveränderlich ist und dem menschlichen Erkenntnis- und Auffassungsvermögen in irgendeiner Form zugänglich sein soll, entschieden abgelehnt. Das liberale Wahrheitsverständnis ist ein relatives, hypothethisches oder plurales. Der liberale Standpunkt betont stets den Wert der Pluralität und des Individuellen und steht damit im Gegensatz zu weltanschaulichen Positionen, die Einheit, Ganzheit, oft auch eine einheitliche Geschlossenheit, beschwören und gleichzeitig damit alles Individuelle, Singuläre, Unvollständige, Differenzierte und Vielfältige als unzulänglich abwerten.“187

Der liberale Standpunkt betont stets den Wert der Pluralität und des Individuellen und steht damit im Gegensatz zu weltanschaulichen Positionen wie Einheit und Ganzheit, wofür Schmitt eben plädiert. Schmitt will alles Individuelle, Unvollständige, Differenzierte und Vielfältige als unzulänglich abwerten. Denn Schmitt geht davon aus, dass der Mensch ein gefährliches Lebewesen ist und von daher die Heterogenität, welche aufgrund der liberalen Freiheit zustande kommt, zu Bürgerkrieg und Entpolitisierung führt. 184  Vgl.

Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 64. Entpolitisierter Liberalismus oder politische Einheit?, in: Mehring,

185  Gusy,

S. 141. 186  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 65. Zum Ergebnis schreibt er: „So wird der politische Begriff des Kampfes im liberalen Denken auf der wirtschaftlichen Seite zur Konkurrenz, auf der andern, geistigen Seite zur Diskussion; an die Stelle einer klaren Unterscheidung der beiden verschiedenen Status Krieg und Frieden tritt die Dynamik ewiger Konkurrenz und ewiger Diskussion.“ Ebd., S. 66. 187  Salamun, Grundkomponenten liberalen Denkens, in: Brünner, S. 83.



III. Pluralismus- und Liberalismuskritik73

Hierzu ist jedoch zu bemerken, dass John Rawls als ein liberaler Philosoph nicht nur die Mannigfaltigkeit der Menschen innerhalb des Staates anerkennt, sondern er versucht aufgrund seiner Konsenstheorie die politischen Entscheidungen, die von derselben Mannigfaltigkeit profitieren, zu rationalisieren.188 Es ist u. a. bei Laski zu bemerken, dass der Individualismus, wovon die Liberalen ausgehen, nicht eine Theorie des isolierten Individuums ist. Die Individualrechte seien vielmehr gesellschaftliche Rechte; ihnen entsprächen gesellschaftliche und soziale Pflichten, sie seien nicht avenues of personal enjoyment, sondern soziale-funktional.189 Insofern kann man daran festhalten, was Schmitt sich vom Individuum vorstellt, basiert auf einer Philosophie, welche den Mensch als ein gefährliches Lebewesen vorsieht, was nicht bei liberalen Denkern relevant ist. Zusammenfassend stellt Schmitt den Liberalismus in Frage, indem er sich auf das Politische beruft, dessen Sachgebiet seinerseits nicht auf das Individuum, sondern auf die Gemeinschaft, nämlich die Volkseinheit, zutrifft. Und da die jeweilige Volkseinheit laut ihm anderen gegenübersteht, weil jedes Volk seiner Eigengesetzlichkeit folgt, soll man das wichtige Zeichen der Politisierung in Bezug auf Freund- und Feindgruppierung auffassen. Von daher ist Feindseligkeit bei Schmitt ein entscheidendes Konzept im Feld des Politischen. Wenn man nämlich von den verschiedenen Denktypen, also der Konkreten Ordnung ausgehen würde, tritt die Freund- und Feindgruppierung zutage. Dies ist doch Webers Kritik an jeder Sicht, die sich auf die Werte berufen will, was ja die Gefahr der Rechtfertigung eines totalen Staats zur Folge hat. Mit anderen Worten verwickelt man sich aufgrund der diversen Konkreten Ordnungen automatisch in die Relativität, womit man nicht z. B. die Menschenrechte als die universellen Prinzipien postulieren kann.

188  Vgl. Rawls, Der Gedanke eines übergreifenden Konsenses, in: Hinsch, Die Idee des Politischen Liberalismus; Aufsätze 1987–1998, S. 295–306 und hier 294: „Darüber hinaus muss diese politische Konzeption so beschaffen sein, dass Hoffnung besteht, sie könne die Unterstützung eines übergreifenden Konsenses gewinnen, das heißt eines Konsenses, bei dem sie von den widerstreitenden religiösen, philosophischen und moralischen Lehren akzeptiert wird, die sich mutmaßlich über Generationen hinweg in einem mehr oder weniger gerechten und demokratisch verfassten Staat entfalten werden, dessen Gerechtigkeitskriterium eben diese politische Konzeption ist.“ 189  Schultes, Harold J. Laski: eine Staatstheorie der sozialen Demokratie, in: Zeitschrift für Politik, S. 264.

C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung I. Politische Theologie 1. Romantik und Okkasionalismus Die Romantik entwickelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts und entfaltete eine bedeutende kulturelle Wirkung. Schmitt arbeitet in seinem Buch „Politische Romantik“ Einstellungsmuster der Romantiker zu ihrer Umwelt heraus und er untersucht weiterhin, welche Wirkungen dieses Einstellungsmuster in der Sphäre des Politischen hinterlässt. Mit den Romantikern scheint er den richtigen Gegner gefunden zu haben, weil das Politische für Schmitt das Ernste darstellen sollte, während die Romantiker das Unernste und das Spielerische darstellen wollten. Dabei schreibt Mehring: „Carl Schmitt wollte mit seiner Studie über die Politische Romantik nicht nur eine historische Bewegung und Epoche treffen, sondern auch einen existentiellen Habitus, den er historisch-soziologisch am Bürgertum fest­ machte.“1 „Politische Romantik“ erschien im Jahr 1919. Zu dieser Zeit war Deutschland geprägt von dramatischen politischen Umwälzungen. D. h. der Erste Weltkrieg endete mit einer deutschen Niederlage und es folgten die Novemberrevolution am 09.11.1918 und Revolte. Nach dem ersten Krieg geriet Deutschland in den Bürgerkrieg. Es kam nämlich in München zum Bürgerkrieg. In dieser Situation versuchte Schmitt die Romantiker als eine Bewegung zu beschreiben, die aufgrund ihrer Weltanschauung, der seiner Ansicht nach der Individualismus zugrunde liegt, Instabilität im Deutschland ausgelöst hätten. Wegen der damaligen historischen Lage sah Schmitt die Notwendigkeit sich freizumachen von der eigenen politischen Unentschiedenheit, von den intellektuellen Verführungen folgenloser Diskussionen als Vorwand für die Politik. Daher wollte er diejenige Denkweise entkräften, die durch den Romantizismus geprägt worden war, während er u. a. manche Idee von den Romantikern aufnahm, womit er einen totalen Staat rechtfertigte.

1  Mehring, Überwindung des Ästhetizismus? Carl Schmitts selbstinquisitorische Romantikkritik, in: Behler, S. 125.



I. Politische Theologie75

Bevor seine Auseinandersetzung mit der Romantik bearbeitet wird, soll ein Überblick über die Epoche der Romantik gegeben werden. Der Begriff der Romantik beschreibt eine geistige, künstlerische und literarische Epoche, deren Auffassung und Darstellung der Welt sich durch eine besondere Neigung zum Gefühlvollen, Wunderbaren, Märchenhaften und Phantastischen auszeichnet. Die Romantiker gingen von dem Bewusstsein aus, dass der Mensch mehr sei als eine mit Vernunft begabte biologische Maschine und dass Ratio allein nicht die Antworten auf alle Probleme des Lebens geben könne. Zusammenfassend sahen die Romantiker die Einseitigkeit bei der Zeit der Aufklärung, die sich der bloßen Rationalität unterwarf. Im Gegensatz dazu richtet sich der Romantiker auf die Kräfte des Gefühls und der schöpferischen Phantasie aus. Sollte man die Romantiker den Klassikern entgegensetzen, dann lässt es sich so umschreiben: „Die Romantik stellt dem streng rationalen, bzw. demonstrativem Erkennen ein unmittelbares, intuitives Erfassen an die Seite; sie setzt der kalten, aufklärerischen Vernunftreligion ein lebendiges, gefühlswarmes religiöses Erleben gegenüber.“2 D. h. die Romantik wandte sich gegen den starken und bloßen Rationalismus der Aufklärung und gegen die steigenden Auswüchse von Industrialisierung und Modernisierung. Es wäre trotzdem einseitig, dass man die Romantik nur als Urgegensatz der Aufklärung verstehen will. Denn jede geistesgeschichtliche Bewegung steht auf den Schultern ihrer Vorgänger. Hierzu schreibt Andreas Groh: „So wird der Individualismus, der Subjektivismus der Aufklärung in der Philosophie des deutschen Idealismus fortgesetzt und in der Frühromantik sogar auf die Spitze getrieben, ehe die organische Umkehr, die Einbindung in Ganzheit erfolgt.“3 Die Romantik ist als eine geistesgeschichtliche Richtung zu begreifen, die in ihrer Weltanschauung an die Aufklärung und den deutschen Idealismus anknüpft und deren Rationalismus um weitere Erkenntnisse ergänzt. Der Schwerpunkt der Romantik lag zuerst vorwiegend in der Sphäre der Literatur. Doch blieb es nicht dabei. Die Romantik griff auf andere geistige Bereiche über, und daher gibt es auch eine politische Romantik.4 Obwohl 2  Groh, Die Gesellschaftskritik der Politischen Romantik: Eine Neubewertung ihrer Auseinandersetzung mit den Vorboten von Industrialisierung und Modernisierung, S. 22. 3  Ebd., S. 23. 4  Vgl. Reiss, Politisches Denken in der deutschen Romantik, S. 7. Im Sachgebiet der politischen Romantik kann man drei Hauptperioden unterscheiden: „In der ersten, die in die Zeit vor der Französischen Revolution fällt, vertraten englische Dichter revolutionäre Ansichten, die sie aber aufgaben, als die Revolution ihre Hoffnungen enttäuschte. Die Zweite Periode ist die deutsche. Sie betraf vor allem diejenige Denker, welche in den Jahren der Französischen Revolution jung waren. Zuerst

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

die politische Romantik in Europa sich durch unterschiedliche und manchmal widersprüchliche politische Orientierungen – also liberal, sozial, konservativ und revolutionär – ausgedrückt hat, kann die politische Romantik in Deutschland als Gegenpol zu Aufklärung und Liberalismus gesehen werden. Die meisten deutschen Romantiker waren während der Revolution von 1789 in Frankreich zuerst radikale Anhänger der Revolution, weil sie an die Unabhängigkeit und Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz glaubten. Als der blutige Missbrauch der Macht, der Terror der Revolution bei französischen Revolutionären ihre Hoffnungen enttäuschte, haben sie sich rasch von den liberalen Ideen abgewandt.5 Ihre Reaktion war entscheidend, sie kehrten sich völlig von den Ideen von 1789 ab und entwickelten politische Anschauungen, die genauso unrealistisch waren wie ihre frühere Begeisterung.6 Insofern setzt sich Schmitt mit der Romantik als ein Konservativer auseinander, damit er eine theoretische Basis findet um den Liberalismus zu kritisieren und um genauso wie die deutschen Romantiker in der Spätromantik moderne Errungenschaften mittels Rückkehr auf antimoderne Ideen hinterfragen zu können. Schmitt hielt in seiner Schrift über „Politische Romantik“ im Hinblick auf Donoso Cortes daran fest, dass die Weltanschauung der Menschen, welche von der ästhetischen Auffassung des Volkes ausgeht, die politische und kulturelle Orientierung einer bestimmten Epoche beleuchtet.7 Denn die Kunst sei das notwendige Resultat des sozialen, politischen und religiösen Zustandes der Völker. Insofern nennt Schmitt die Literatur einen Reflex der ganzen Gesellschaft. Von diesem Punkt ausgehend lässt sich die Wurzel der Neuzeit im politischen Feld laut Schmitt aus dem Romantizismus ableiten. Genauer gesagt, ist er der Ansicht, dass die Entpolitisierung der Welt, die aus dem Liberalismus hervorgegangen ist, zum Teil die Konsequenz der romantischen Denkweise ist. Im Folgenden wird diese von Schmitt vertretene These dargestellt. waren die meisten von ihnen begeisterte Anhänger der Revolution, aber bald wurden sie zu ihren erbitterten Feinden. Die dritte Periode spielte sich vorwiegend in Frankreich ab. Sie war teils reaktionär und restaurativ, teils radikal und sozialistisch.“ Ebd., S. 7. 5  Hierzu ist zu bemerken, dass die Reflexions on the Revolution in France des Engländers E. Burke, die 1790 erschien und eine brillant verfasste antirevolutionäre Streitschrift war, eine beachtliche Wirkung in Deutschland entfaltete und auf die Entwicklung der Organismusvorstellung in der späteren romantischen Staatstheorie großen Einfluss ausübte, vgl. Schwering, Politische Romantik, in: Schanze, S. 484 f. Vgl. Dreyer, Politisches Denken in der Romantik und die Rezeption in der Politikwissenschaft, in: Dreyer, S. 34. 6  Vgl. Reiss, Politisches Denken in der deutschen Romantik, S. 8. 7  Schmitt, Politische Romantik, S. 12.



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Romantiker befassen sich laut Schmitt mit demjenigem Problem, das die Klassiker nicht lösen konnten und zwar der Trennung von Geist und Materie. Der Ausgangspunkt der Forschung der Romantiker sei also die Spaltung zwischen Vernunft und Gefühl, die aus der rationalen Perspektive hervorgegangen sei. Romantiker setzten doch eine universale und harmonische Einheit der Welt voraus; der zufolge sie die Spaltung zwischen Geist und Materie mittels der Kräfte des Gefühls und der Phantasie auflösen wollten, wobei die Romantiker sehr individualistisch und strikt subjektiv seien. In diesem Zusammenhang beharrt er nachdrücklich darauf, dass man Romantik nicht durch die als romantisch empfundenen Gegenstände (Mondnacht, Burgruine etc.) definieren kann, sondern allein durch das romantische Ich, also den Romantiker selbst mit all seinen Einstellungen zur Umwelt.8 Romantiker wollen laut Schmitt unfassbar sein und sich auch nicht von außen definieren lassen. Mit anderen Worten entweichen sie aus der vorgegebenen Feststellung; bzw. seien Romantiker mit ihrer starken Subjektivität, die auf dem reinen Ästhetischen basiert sei, der im Voraus festgelegte Form stets entzogen. Formlosigkeit ist daher eine der wichtigsten Merkmale der Romantiker.9 Schmitt versteht nämlich den Romantizismus als eine Bewegung, die sich in der spezifischen historischen Situation mittels der Ironie und Phantasie definieren lasse und sich doch einfach den unterschiedlichen vorgegebenen Situationen anpassen würde; insofern können sie mal liberal oder mal konservativ oder sogar revolutionär sein.10 Demzufolge versuchte Schmitt die Romantiker mit dem Begriff des Okkasionalismus zu begreifen. Und um dieser Bewegung entgegenzuwirken, beruft sich Schmitt auf seinen eigenen Dezisionismus, was im Folgenden erklärt wird. Hierzu soll auf die Spaltung zwischen Materie und Geist zurückgekehrt werden, woraus, so Schmitt, der Okkasionalismus als Reaktion auf dieselbe Spaltung zustande kam. Die Spaltung zwischen Geist und Materie ist hierbei, wie schon erwähnt wurde, der Ausgangspunkt von Schmitts Forschung. In diesem Zusammenhang bezieht sich Schmitt auf zwei wichtige Ereignisse im Feld der Physik und Philosophie: „Im Anfang dieser Moderne stehen zwei große Veränderungen, die sich zu einer interessanten Gegenbewegung zusammenstellen lassen. Mit dem Kopernikanischen Planetensystem, auf dessen umgestaltende Bedeutung sich Kant gern berief, hatte die Erde aufgehört, der Mittelpunkt des Weltsystems zu sein. Mit der Philosophie des Descartes begann die Erschütterung des alten ontologischen 8  Vgl.

ebd., S. 5. ebd., S. 10. 10  Romantik sei für Schmitt wesensmäßig eine Vermeidung der Wirklichkeit und ein Ausweichen vor grundsätzlichen weltanschaulichen Entscheidungen. Vgl. Schwering, Politische Romantik, S. 479. 9  Vgl.

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Denkens; ihre Argumentation cogito, ergo sum, wies den Menschen an einen subjektiven und internen Vorgang, an sein Denken, statt an die Realität der Außenwelt.“11

Das naturwissenschaftliche Denken der Menschen habe daher aufgehört, geozentrisch zu sein und habe den Mittelpunkt außerhalb der Erde gesucht, während das philosophische Denken egozentrisch geworden sei und den Mittelpunkt in Sich gesucht habe. Mit diesen Umwälzungen im Feld der Physik und Philosophie sei eine Spaltung zwischen Geist und Materie zustande gekommen, die die Menschen bisher noch nicht erfahren hätten.12 Die moderne Philosophie ist somit laut Schmitt durch den Zwiespalt zwischen Denken und Sein, Begriff und Wirklichkeit, Geist und Natur, Subjekt und Objekt geprägt, wobei moderne Philosophen mittels der kantischen und nachkantischen Methode laut Schmitt versuchen den Dualismus als solchen zu beheben, was seiner Sicht nach scheiterte.13 Aufgrund der kantischen und nachkantischen Philosophie, die sich als die moderne Philosophie charakterisieren, versuchte Schmitt daraufhin die Reaktion der Romantiker auf den Dualismus klarzustellen. Schmitt sieht hierbei die Romantik also im Kontext der philosophischen Kritik des neuzeitlichen Dualismus und Neukantianismus.14 Insofern seien 11  Schmitt,

Politische Romantik, S. 78. ebd., S. 78. 13  Kant bemühte sich z. B. laut Schmitt zuerst darum, dieselbe Spaltung aufzulösen. Doch die transzendentale Lösung Kants habe jenen Zwiespalt nicht behoben, weil sie dem denkenden Geist die Realität der Außenwelt nicht wiedergegeben habe, bzw. die Objektivität des Denkens für sie darin bestehe, dass es sich in objektiv gültigen Formen bewege und das Wesen der empirischen Wirklichkeit, das Ding an sich, gar nicht erfasst werden solle. D. h. Kant formulierte laut Schmitt zwar das Grundmuster des Verstandes, demnach man die Welt auffassen kann; aber diese Voraussetzung löste eben den Zwiespalt zwischen Geist und Materie aus. Vgl. ebd., S. 78. Anschließend geht Schmitt auf die nachkantische Philosophie und pantheistischen Rationalismus ein, vgl. ebd., S. 80: „Die Systeme des nachkantischen Idealismus enthalten auch eine Intuition Philosophie und reagieren mit einem pantheistischen Rationalismus, gegen einen abstrakten Rationalismus, der nur analytisch-abstrakte, deshalb nie zur konkreten Individualität gelangende Begriffe kennt. Spinozas System ist die erste, und zwar eine jener nachkantischen Analogien, philosophische Reaktion auf den modernen, damals durch Descartes und Hobbes vertretenen abstrakten Rationalismus, auf eine mechanische Weltauffassung. Also Spinoza versuchte diese Spaltung durch die Aufhebung des Unterschieds zwischen dem Gott und der Natur zu lösen.“ Da das transzendentale Ich die Spaltung zwischen dem Menschen und der Natur verschärft und daraus sich eine mechanische Weltauffassung ergeben habe, hat sich die nachkantische Methode Schmitt zufolge darum bemüht, den Unterschied zwischen dem Menschen und der Natur aufgrund eines Pantheistischen Rationalismus aufzuheben. 14  Mehring, Überwindung des Ästhetizismus? Carl Schmitts selbstinquisitorische Romantikkritik, in: Behler, S. 131. 12  Vgl.



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Romantiker auf der Suche nach einem absoluten Grund, damit sie den Dualismus überwinden können. Dabei schreibt Schmitt: „Die höchste und sicherste Realität der alten Metaphysik, der transzendente Gott, war beseitigt. Wichtiger als der Streit der Philosophen war die Frage, wer seine Funktionen als höchste und sicherste Realität und damit als letzter Legitimationspunkt in der historischen Wirklichkeit übernahm. Zwei neue diesseitige Realitäten traten auf und setzen eine neue Ontologie durch, ohne auf die Beendigung der erkenntnistheoretischen Diskussion zu warten: die Menschheit und die Geschichte.“15

Hierzu meint Schmitt, dass die Romantik die theoretischen Probleme, die sie am Ende nicht lösen konnte, ignorierte und Volk und Geschichte als praktische Demiurgen hypostasierte. Schmitt stellt laut Mehring zwar fest, dass der Romantiker Volk und Geschichte sucht; er meint aber, dass der Romantiker diese neuen Legitimationspunkte nicht als politische Wirklichkeit akzeptierte, sondern nur zum Anlass seines Möglichkeitssinns nahm.16 Die Romantiker brachten somit zwar den Dualismus laut Schmitt nicht zu einer Einheit wie die Philosophen, lösten aber die Gegensätze in ästhetische oder gefühlsmäßige Kontraste auf.17 Tritt die Spaltung zwischen Menschen und Natur zutage, so lässt sich danach fragen, wie man diese Spaltung zwischen Außen- und Innenwelt beheben kann. Schmitt stellt theologisch fest, dass diese sicherste Verbindung zwischen Menschen und Natur in der alten Metaphysik Gott gewesen ist. Hierzu führt er aus: „Die höchste und sicherste Realität der alten Metaphysik, der transzendente Gott in der Neuzeit, war beseitigt und in diesem Rahmen wichtiger als der Streit der Philosophen war die Frage, wer seine Funktionen als höchste und sicherste Realität und damit als letzter Legitimationspunkt in der historischen Wirklichkeit übernahm.“18 Als Reaktion auf diese Frage seien viele Gegenbewegungen zur Moderne und ihrem Rationalismus entstanden. Insofern sei die Romantik eine Oppositionsbewe15  Schmitt,

Politische Romantik, S. 86. Mehring, Überwindung des Ästhetizismus? Carl Schmitts selbstinquisitorische Romantikkritik, in: Behler, S. 132. Die Romantiker personalisieren und individualisieren laut Puschner die Nation, die mehr als die Summe der ihr angehörenden Individuen ist und die als Handlungssubjekt eines kollektiven Geschehens fungiert. In Bezug auf Fichte meint Puschner, dass, wenn der Staat ein organisiertes Produkt der Natur ist, so können dessen Mitglieder nur dadurch Rechte erwerben und ein befriedigendes Leben führen, dass sie Teile dieses Organismus sind. Der einzelne gehe nun im Kollektivindividuum Staat auf. Insofern sei die Basis dafür, dass Fichte in den Reden an die deutsche Nation den Opfertod für die nationale Gemeinschaft fordern kann, gelegt. Vgl. Puschner, Antisemitismus im Kontext der politischen Romantik: Konstruktion des Deutschen und des Jüdischen bei Arnim, Brentano und Saul Ascher, S. 103. 17  Vgl. Schmitt, Politische Romantik, S. 135. 18  Ebd., S. 86. 16  Vgl.

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gung gegen die philosophische Moderne gewesen, die dabei allerdings als eine gefühlsmäßig-ästhetizistische Bewegung in Erscheinung getreten sei. Doch sie haben Schmitt zufolge kein philosophisches System geboten und sich darauf verstanden, die Ungewissheiten und Gegensätze der neuen Zeit in eine ästhetisch ausbalancierte Harmonie zu bringen.19 Der Platz des letzten Legitimationsgebers, nämlich der transzendente Gott, scheint in der Neuzeit, so Schmitt, vakant und seine Stelle ist als neu zu besetzen. In diesem Zusammenhang versuchte Schmitt zu untersuchen, wie Romantiker mit diesem Problem umgingen. Dabei postuliert er: „Was der mittelalterliche Mystiker in Gott gefunden hatte, suchte das romantische Subjekt selbst zu übernehmen.“20 D. h. die Romantiker behoben diesen Zwiespalt mit deren ästhetischen Auffassung. Daraufhin geht Schmitt auf den methodischen Umgang der Romantiker mit der Welt ein, während er schreibt: „Wenn nämlich etwas die Romantik total definiert, so ist es der Mangel jeglicher Beziehung zu einer causa.“21 Genauer gesagt, wehrt sie sich gegen die absolute Kausalität, d. h. gegen ein absolut berechenbares, adäquates Verhältnis von Ursache und Wirkung. So entziehen sich Romantiker den Beziehungen, die sich auf die klare Kausalität stützen wollen. Von daher stellt Schmitt die Klassiker den Romantikern gegenüber. Indem Klassiker die Welt aufgrund des Verhältnisses zwischen der Ursache und Wirkung verstehen, während Romantiker laut Schmitt den Begriff der causa, d. h. den Zwang einer berechenbaren Ursächlichkeit verneinten; dann aber auch jede Bindung an eine Norm. Denn Körper und Geist haben den Romantiker zufolge keinen kausalen Einfluss aufeinander. Demzufolge braucht man ein drittes Element, das eine Verknüpfung zwischen beiden anführen könne. Insofern kann man die Logik der Romantik so definieren: Da die Ursache nicht klar zu erfassen wäre, könnte es sich keine logische Konsequenz für ein entsprechendes Handeln geben. In diesem Zusammenhang bringt Schmitt den Begriff occasio als Gegensatz zu dem Begriff causa. Aufgrund dessen sind wir an Schmitts Schlüsselkonzept in diesem Zusammenhang angelangt, nämlich den Okkasionalismus. Hierzu geht Schmitt auf die Denkrichtung der Okkasionalisten, wie Malebranche ein, die sich mit jener noch aufzulösenden Spaltung zwischen Seele und Leib befasst haben, wobei er schreibt: „Diese Denkrichtung versuchte den Dualismus von Descartes dadurch aufzulösen, indem der Gott der alten christlichen Metaphysik beibehalten wurde.“22 D. h. die Wechsel19  Vgl.

ebd., S. 82 ff. S. 100. 21  Vgl. ebd., S. 120. 22  Ebd., S. 15. Erst wenn unser Körper einmal seinen Dienst verweigert und wir ihn vergebens dazu bringen wollen, sich zu bewegen – etwa dann, wenn unser Arm 20  Ebd.,



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wirkung zwischen Geist und Materie kann man in Bezug auf das unmittelbare Eingreifen Gottes überwinden. Der Dualismus von Geist und Materie wird überwunden, indem beide Teile in einem höheren Dritten aufgelöst werden.23 Dabei schreibt Schmitt: „Der Gott des okkasionalistischen Systems hat wesentlich diese Funktion, wahre Realität zu sein, in welcher der Gegensatz von Leib und Seele ins Wesenlose verschwindet.“24 Der Okkasionalismus findet also in Gott alle wahre Ursache und alle Vorgänge dieser Welt und demnach sind alle Geschehnisse nur Anlässe und Gelegenheit für Gottes Eingriffe. Okkasionalisten antworteten auf Descartes. Sie fanden das neuzeitliche Problem des Dualismus vor und auf der Suche nach einem wahren Grund und der wahren Realität bezogen sie sich traditionell auf Gott, während die Romantiker diese Suche aber an modernen Demiurgen festmachten.25 Daher vertritt Schmitt die These, dass die Romantik keine eigenständige Bewegung ist, sondern nur eine Spielart des Okkasionalismus d. h. ein subjektivierter Okkasionalismus; d. h. die Romantiker setzen den Menschen, also das Ich, an die Stelle Gottes, was zu einer Verabsolutierung des Meneingeschlafen ist –, werden wir auf die Differenz zwischen Willensakt und körperlicher Handlung aufmerksam. Es ist doch erstaunlich, dass wir jemals fähig sind, unseren Körper durch die Macht unseres Denkens in Bewegung zu setzen. Wie kann man aber überhaupt das Eine mit dem Anderen in Beziehung setzen? Descartes hatte dieses Problem aufgrund seiner extremen Zwei-Substanzen-Lehre nicht lösen können. Hierzu versuchte Malebranche (1638–1715) mit dem System der Gelegenheitsursachen, Okkasionalismus genannt, dieses Problem zu lösen. Dieser Lehre zufolge sollte Gott bei der Gelegenheit der Bewegung unseres Körpers in unserem Bewusstsein die entsprechenden Empfindungen entstehen lassen und umgekehrt bei Gelegenheit etwa einer Willensregung im Bewusstsein die entsprechenden Körperbewegungen. Also ist es in Wahrheit jeweils Gott, der dafür sorgt, dass das Eine auf das Andere folgt und mit ihm in kausaler Verbindung zu stehen scheint. Vgl. Hauskeller, Ich denke, aber bin ich? Phantastische Reisen durch die Philosophie, S. 86. Vgl. Zum Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie bei Malebranche Rohls, Philosophie und Theologie in Geschichte und Gegenwart, S. 330 und hier 331: „Die Philosophie wird bei Malebranche letztlich selbst zur Theologie, so dass er die Religion geradezu als die wahre Philosophie bezeichnen kann, da sie uns von der durch die Sünde bedingten Abhängigkeit unseres Geistes vom Körper befreit und zur göttlichen Erleuchtung führt.“ 23  Dabei verweist Schmitt, wie gesagt, auf Nicolas Malbrache als Hauptvertreter des Okkasionalismus, der den so genannten Zwiespalt mit der Vermittlung des klassischen Gottes überwunden hat. Vgl. Schmitt, Politische Romantik, S. 136. 24  Ebd., S. 127. 25  Vgl. Mehring, Überwindung des Ästhetizismus? Carl Schmitts selbstinquisitorische Romantikkritik, in: Behler, S. 133. Vgl. Schmitt, Politische Romantik, S. 15: „Im eigentlichen Okkasionalismus habe zumindest noch Gott seine letzte Ordnung und Stelle garantiert, doch im romantischen Okkasionalismus sei dieses letzte Strukturprinzip, also Gott, auch noch beseitigt worden.“

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schen laut Schmitt führt. Infolgedessen kommt Schmitt zu seiner weiteren Schlussfolgerung; nämlich, dass die Romantiker an die Stelle Gottes den Menschen, also das absolute Ich gesetzt haben, wobei Schmitt schreibt: „In der Romantik entfaltet der Begriff der occasio seine ganze auflösende Kraft, weil jetzt nicht mehr Gott, etwas Absolutes und Objektives im Zentrum steht, sondern das einzelne Subjekt die Welt als occasio seiner Tätigkeit und Produktivität behandelt.“26 Die Romantik ist daher subjektivierter Okkasionalismus, weil ihr eine okkasionelle Beziehung zur Welt wesentlich ist, statt Gottes aber nunmehr das romantische Subjekt die zentrale Stelle einnimmt. Mit anderen Worten, was der mittelalterliche Mystiker in Gott gefunden hatte, suchte das romantische Subjekt selbst zu übernehmen. Die Besonderheit des romantischen Okkasionalismus liegt darin, dass er laut Schmitt den Hauptfaktor des okkasionalistischen Systems, also Gott, subjektiviert hat. Da die Romantik als subjektivierte Spielart des Okkasionalismus die letzte Instanz in das Individuum verlegt habe, entsteht das geniale Ich, so Schmitt, als ein Hauptcharakteristikum der Romantiker. Wenn das isolierte und emanzipierte Ich daher seine okkasionelle Haltung verwirklichen wollte, lehnte es somit jegliche feste Konsequenzen ab.27 Alles wird nämlich zum Anlass, damit Romantiker ihre Phantasie entfalten können. Aus den jeweiligen Phantasien entsteht eine okkasionelle Welt; aber ohne Substanz, Konklusion und Entscheidung. Demzufolge geht Schmitt davon aus, dass die Romantiker nicht in der Lage sind, eine weltanschauliche Entscheidung zu treffen. Sie wollen in ihrer Illusion leben und dementsprechend haben sie Angst davor der Realität zu begegnen: „Der Romantiker, der kein Interesse daran hat, die Welt in Realität zu ändern, hält sie für gut, wenn sie ihn in seiner Illusion nicht stört. Ironie und Intrige bieten ihm ausreichende Waffen, um seine subjektivistische Autarkie zu sichern und im Occasionellen zu halten, im Übrigen überlässt er die äußern Dinge ihrer eignen Gesetzmäßigkeit.“28

26  Ebd.,

S. 138. kritisiert den Romantiker als den Typus eines Menschen, der sich selbst und seine Persönlichkeit so wichtig nimmt, dass er einer Akzeptanz oder gar Hingabe an objektive Mächte nicht mehr fähig sei. Die davon geprägten letzten Menschen dieser Kulturentwicklung erschienen Weber als Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz. Vgl. Motschenbacher, Katechon oder Großinquisitor?: eine Studie zu Inhalt und Struktur der Politischen Theologie Carl Schmitts, S. 42. 28  Schmitt, Politische Romantik, S. 139 f. Vgl. Rumpf, Carl Schmitt und Thomas Hobbes: Ideelle Beziehungen und aktuelle Bedeutung mit einer Abhandlung über: Die Frühschriften Carl Schmitts, S. 24: „Die okkasionelle Welt ist eine Welt ohne Substanz, eine Welt des Zufalls, die dem Romantiker nur Gelegenheit zu seinen 27  Schmitt



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2. Romantik zwischen dem totalen Staat und Liberalismus Was die Konsequenzen Schmitts Rezeption der Romantiker in dem politischen Feld betrifft, soll man zunächst danach fragen, ob die Romantik, genauso wie Schmitt es dargestellt hat, auf den Okkasionalismus reduzierbar ist. Hierzu lehnt Groh seine Analyse ab, dass die Romantik sich nur durch Ästhetizismus auszeichne, deren Ursprung der Okkasionalismus sei. Über die von Schmitt vertretene These, dass die Romantiker nicht in der Lage seien, eine weltanschauliche Entscheidung zu treffen, weil sie alles im Hinblick auf eine okkasionalistische Sicht relativieren würden, schreibt Groh: „Die Romantik ist nicht auf die Tat gerichtet, sondern auf den Geist, in dem Handeln geschieht, und deshalb ist sie der keinesfalls beliebige Gegensatz zu Schmitts Dezisionismus.“29 Weil die normative Kraft bei Schmitt eine Basis ist, womit man zwischen dem Recht und Unrecht einen Unterschied trifft und daraufhin eine Ordnung daraus ziehen kann. Also will Schmitt die Romantik als jenen Ansatz bezeichnen, der sich verweigert eine Entscheidung wegen ihrer okkasionellen Ungebundenheit zu treffen.30 Mit dieser Feststellung ist Geist für Schmitt wertlos, nur die Tat, die Handlung zählt. Insofern kann der romantische Geist die jeweilige Handlung romantisieren und ästhetisieren. Dies wäre jedoch falsch, weil es durchaus feste Konstanten im politischen Denken der Romantiker gebe und diese auch eine politische Ordnung bilden könnten.31 Also darf man nicht laut Groh Romantizismus auf den Okkasionalismus reduzieren, weil der Kern des Romantizismus eben feste Inhalte beinhaltet. In diesem Zusammenhang muss man jedoch bemerken, was Schmitt unter Okkasionalismus versteht. Er bezieht sich auf den Individualismus und dessen liberale Konsequenzen, welche sich den kollektiven spezifischen Werten, d. h. dem Politischen entziehen. Dabei schreibt Walter Pauly: „Der tiefe Grund für Schmitts Attacke gegen den Subjektivismus finde sich in seiner Furcht vor dem von den Romantikern entdeckten archimedischen Prinzip der Moderne und damit verbundenen Auflösung der tradierten Bestände autoritärer Verankerung.“32 Insofern lässt sich Romantizismus als Okkasionalismus bei Schmitt als Beseitigung aller Form von Weltanschauungen auffassen. Ob man Romantik als solche wahrsubjektiv empfundenen Schöpfungen ist.“ Vgl. zur Unfähigkeit der Romantiker bei weltanschaulichen Entscheidungen Schwering, Politische Romantik, S. 479. 29  Groh, Die Gesellschaftskritik der Politischen Romantik, S. 26. 30  Vgl. Dreyer, Politisches Denken in der Romantik und die Rezeption in der Politikwissenschaft, in: Dreyer, S. 29: „Schmitt stellte den vermeintlichen subjektiven Occasionalismus der Romantik gegen seinen eigenen Dezisionismus und postulierte, dass Occasionalismus zu Passivität führe.“ 31  Vgl. Groh, Die Gesellschaftskritik der Politischen Romantik, S. 27. 32  Pauly, Carl Schmitts Kritik der romantischen Freiheit, in: Dreyer, S. 276.

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nehmen kann, ist jedoch problematisch. Es wird hierbei ja nicht auf die vermeintliche Substanz der Romantik eingegangen, sondern die Konsequenzen Schmitts Rezeption der Romantik im Feld des Politischen analysiert. Trotzdem soll beachtetet werden, dass Romantik anders und mehr als schlichter, subjektiver Okkasionalismus ist. Über die Aufgabe der Romantiker meint Karl Mannheim, dass bei dem immer komplizierter werdenden Gesellschaftsprozess seine intellektuelle Durchleuchtung immer nötiger wird, was Mannheim als qualitatives Denken beschreibt.33 Humboldt fürchtete z. B. den Extremismus der Französischen Revolution, er ist sich nämlich der Gefahren bewusst, welche das Streben nach Gestaltung des politischen Lebens durch abstrakte Vernunft hervorruft.34 Insofern kann man daran festhalten, dass Humboldt nicht die Revolution in Frage stellen, sondern die abstrakte Vernunft bei den Revolutionären kritisieren wollte, ohne maßlos zu werden. Also beruhe Humboldts Denken auf dem Prinzip der Individualität und Vielfalt, und so sei er nie ein Gegner des Individualismus und der Freiheit gewesen. Die Schmittsche Romantikkritik hat in seiner Schrift über die politische Romantik gravierende Mängel. Sie bezieht sich nach Schwering auf eine Textbasis, die im Wesentlichen aus Schriften A. Müllers und des späten F. Schlegel besteht; die Frühromantik kommt kaum in ihren Blick.35 Schmitt bezieht sich ausschließlich auf die Kritik der Konservativen an der liberalen Verfassungsbewegung, welche sich aus denselben Motiven wie diejenige an der Französischen Revolution speist: „Ihr wird vorgeworfen, sie betreibe ohne Rücksicht auf den geschichtlich gewachsenen Aufbau von Staat und Volk in Deutschland den Import fremder Ideen und Modelle, die den historischen Zusammenhang zerschnitten und Entzweiung in der Gesellschaft brächten.“36 33  Vgl. Mannheim, Das konservative Denken, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, S. 116. Zum qualitativen Denken bei französischen Literaten, vgl. Mannheim, Das konservative Denken, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, S. 117: „Die aufklärerische Geistigkeit der französischen Literaten musste die fehlende wissenschaftliche Unterbauung durch Witz und Geistreichelei ersetzen. Dieser Witz wird im romantischen Stadium zu einer spezifischen Sensibilität – zu einem Herausspüren qualitativer Feinheiten, zur einfühlenden Virtuosität. So erwächst hier aus dem intellektuellen Strome der Literatengeistigkeit und Romantik eine Komponente dessen, was wir qualitatives Denken oder Denken des qualitativen nennen werden.“ 34  Vgl. Reiss, Politisches Denken in der deutschen Romantik, S. 16 f. 35  Vgl. Schwering, Politische Romantik, S. 479 f. In seinen Vorlesungen über die neuere Geschichte (1810 / 11) und in Signatur des Zeitalters (1820 / 23) habe F. Schlegel seine Stellung zu verfassungspolitischen Fragen deutlich gemacht. Er spotte über die Sehnsucht nach den zwei Kammern, als dem höchsten Ziel menschlicher Glückseligkeit. Auch A. Müller lehne in Die Elemente der Staatskunst (1809) den als revolutionär interpretierten liberalen Freiheitsbegriff ab. 36  Ebd., S. 500.



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Insofern wenn Schmitt die Romantik als okkasionellen Geist auffasst, soll man davon ausgehen, dass er daraus konkrete politische Konsequenzen abzuleiten versucht. Schmitt folgt nämlich aufgrund seiner Rezeption der Romantik einer politischen Orientierung, die einerseits theoretisch gegen eine pluralistische Gesellschaft vorgeht und andererseits politisch eine Basis für die Rechtfertigung eines totalen Staates vorbereiten könnte. Da das geniale Ich, das an die Stelle Gottes tritt, keine äußere Realität mehr kennt, sondern sich immer wieder die ästhetischen Produkte erschafft, fühlen Romantiker gegenüber ihrer realen Welt keine Verantwortlichkeit. Demzufolge spielen laut Schmitt moralische und rechtliche Entscheidungen keine Rolle in ihrem Leben, wobei Schmitt schreibt: „Eine rechtliche oder moralische Entscheidung wäre sinnlos und müsste die Romantik vernichten. Der Romantiker ist deshalb nicht in der Lage, aus bewusstem Entschluss Partei zu ergreifen und sich zu entscheiden.“37 Schmitt impliziert: Obwohl die Romantiker der Entscheidung und zwar der politischen Entscheidung entgehen wollen und sie somit einen Raum für Liberalismus vorbereiten, gibt es doch bei ihnen die Gefahr, dass das geniale Ich im politischen Feld in den totalen Staat umgewandelt wird. Weil der Staat den Romantiker zufolge ein Kunstwerk ist, welcher die Rolle des höheren Dritten spielen wird, indem er über der Orientierung der politischen Parteien steht. Hierzu kommt Schmitt zu diesem Punkt: „Das ist also der Kern aller politischen Romantik: der Staat ist ein Kunstwerk, der Staat der historisch-politischen Wirklichkeit ist occasio zu der das Kunstwerk produzierenden schöpferischen Leistung des romantischen Subjekts, Anlass zur Poesie und zum Roman, oder auch zu einer bloßen romantischen Stimmung.“38

Romantiker gehen also von einer organischen Gesellschaft aus, welche die rationalistische Forderung nach Gleichheit als absurd und gefährlich bezeichnen. Die Idee des Organismus ist insofern zentral für das politische Denken der Romantik; seine politische Verwendung sei allerdings keine Erfindung der Romantik. Deren politische Philosophie vollzieht, so Dreyer, im Grunde nur eine Entwicklung nach, die sich in der allgemeinen Philosophie schon angekündigt hatte, und zwar nicht erst bei Fichte, Hegel und Schelling, sondern bereits bei Kant.39 Und in diesem Zusammenhang sei der 37  Schmitt,

Politische Romantik, S. 172. S. 173. 39  Dreyer, Politisches Denken in der Romantik und die Rezeption in der Politikwissenschaft, in: Dreyer, S. 35. Bei Kant findet sich schon der Gedanke einer Übertragung der Vorstellung eines Organismus auf den Staat, demnach der monarchische Herrscher aus dem organischen Wesen des Staates gerechtfertigt wird, indem jeder Organismus einen Vereinigungspunkt braucht und dieser Punkt ist eben der Monarch. Vgl. Dreyer, Politisches Denken in der Romantik und die Rezeption in der Politikwissenschaft, in: Dreyer, S. 36. Hierzu ist doch zu bemerken, dass für die 38  Ebd.,

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Staat ebenso wie ein geniales Ich ein Anlass zu Poesie und er wolle die Widersprüche, und zwar diverse politische Orientierungen in der Öffentlichkeit in Bezug auf seinen organischen Charakter, auflösen. Also geht Schmitt von einem lebendigen und organischen Staat aus, der die unterschiedlichen politischen Einstellungen in sich selbst auflösen will, indem er als Kunstwerk über allen Assoziationen steht. Daraus kann man diese Folgerung ableiten, dass der romantische Staat den Fakten, mit Weberschen Worten, entweichen würde. Und insofern warf Weber den Kritikern der neuen Wissenschaft die moderne intellektualistische Romantik vor.40 Weil die Romantiker zwar Kritik an der damals bestehenden Rationalität und auch Sehnsucht nach der Vergangenheit hatten, sie aber keine konkreten Alternativen vorbrachten. Insofern nannte Schmitt die Romantik subjektivierter Okkasionalismus. Hierzu kann man aufgrund des subjektivierten Okkasionalismus einerseits Schmitt als ein Romantiker auffassen, indem er beim NS- Regime mitarbeiten wollte, weil er diesen totalen Staat als organischen Staat über Böse und Gut, nämlich über die politische Orientierung hinaus begreifen wollte. Andererseits kann man ja seine opportunistische Strategie auffassen, dass er schnell nach dem Auftauchen des NS-Regimes auf diesen totalen Staat zukam, obwohl er vorher für die Weimarer Republik plädierte. Zusammenfassend sieht Schmitt zwar bei den Romantikern die Möglichkeit der Rechtfertigung eines organischen Staates, den er für richtig hält, aber er stellt fest, dass die Romantiker, wie am Anfang erwähnt wurde, durchaus wegen der Flucht vor der konkreten Entscheidung eine Neigung zu einer pluralistischen Gesellschaft und zwar zum Liberalismus haben. D. h. der Romantiker als das vereinzelte, isolierte und emanzipierte Individuum wird in der liberalen bürgerlichen Welt zum Mittelpunkt. Nur in einer individualistisch aufgelösten Gesellschaft habe das ästhetisch produzierende Ich das geistige Zentrum in sich selbst verlegen können, d. h. nur in einer deutschen Romantiker nicht die allgemeinen Gesetze, die für alle Menschen zu allen Zeiten gültig sind, aufgrund der abstrakten Vernunft gelten. Im Gegenteil, sie vertreten eine relativistische Ethik. Auf dem Gebiet der Politik lehnen sie somit die Ideen der amerikanischen und Französischen Revolution ab, besonders die Theorie des Gesellschaftsvertrages. Insofern steht der organische Staat bei ihnen dem modernen Staat, der aus dem Vertrag als solchem entstanden ist, gegenüber. Vgl. Reiss, Politisches Denken in der deutschen Romantik, S. 10. 40  Weber, Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf, in: Mommsen, S. 92. Es soll betrachtet werden, dass Schmitt sich in seiner Schrift über politische Romantik bei dem Staatsthema auf das Werk Staatskunst von A. Müller fokussiert. Adam Müller betreibt aber keine Wissenschaft im herkömmlichen Sinn, seine Methodik entzieht sich den Kategorien der Rationalität. Was einem Kunstwerk wohl ansteht, darf nicht in der Wissenschaft sein. Mit anderen Worten haben Subjektivität, Intuition und Poesie hierbei keinen Platz, wo allein Logik und Schlüssigkeit zählen. Vgl. Koehler, Ästhetik der Politik: Adam Müller und die politische Romantik, S. 109.



I. Politische Theologie87

bürgerlichen Welt, die das Individuum im Geistigen isoliert, wobei es somit sein eigener Priester in der Welt als solcher sein könne. Zudem stellt Schmitt fest, dass die Illusion Gott zu sein, nur in einer geregelten bürgerlichen Gesellschaft der Fall ist, weil sonst die Bedingung für die ungestörte Beschäftigung mit der eignen Stimmung fehlen.41 Dieser Punkt leitet uns in das Sachgebiet der politischen Theologie hinein, was im Folgenden analysiert wird. 3. Was ist Politische Theologie? Im vorliegenden Abschnitt wird auf diese Frage eingegangen, was Politische Theologie bei Schmitt bedeutet. Bevor dieses Thema untersuchen wird, ist zu bemerken, dass Schmitt Romantik in der Kategorie der theologischen Begriffe zu verstehen versuchte. In diesem Zusammenhang sei Romantik eine Reaktion auf die deistische Vorstellung der Klassiker von Gott in der Neuzeit. Vor der Neuzeit habe nämlich eine theistische Vorstellung von Gott dominiert. Doch in der Neuzeit hat sich allmählich laut Schmitt eine deistische Weltanschauung in der Theologie entwickelt. Deren Gemeinsamkeit mit dem Theismus besteht darin, dass beide einen Gott annehmen, der die Schöpfung vollzog. Der Unterschied besteht doch im weiteren Verhalten Gottes. Während der Deismus annimmt, dass Gott nicht weiter in die Welt eingreift, nimmt der Theismus an, dass Gott jeder Zeit als Kausalursache in die Welt eingreifen darf. Hauptvertreter der deistischen Denkweise seien Rationalisten, die in der Französischen Revolution eine grundlegende Rolle spielten. Im Gegensatz dazu haben die Romantiker, die nicht die kausalen Beziehungen in der Welt ertragen können, eine theistische Ansicht entwickelt, welche sich ja nicht mehr auf Gott, sondern, wie schon gesagt, auf das geniale Ich berufen wolle. Mit anderen Worten nimmt das romantische Ich bei ihnen die Stelle Gottes ein.42 Die deistische Vorstellung von Gott hat sich laut Schmitt in der nächsten Phase in den pantheistischen Rationalismus umgewandelt. Während der Deismus nämlich eine völlige Trennung von Gott und Welt postuliert hat, hat der Pantheismus angenommen, dass Gott und Welt letztlich eine Einheit bilden. Somit wandelte sich der Deismus in den Pantheismus um. Hierzu führt Schmitt aus: „Die Illusion, Gott zu sein, konnte natürlich nur in pantheistischen oder panentheistischen Gefühlen Bestand haben.“43 Denn der Pantheismus hat die Spaltung zwischen Immanenz und Transzendenz überwunden, indem Gott und die Welt identisch sind. Demzufolge kann der Mensch Schmitt zufolge als IndividuSchmitt, Politische Romantik, S. 141. ebd., S. 107. 43  Ebd., S. 107. 41  Vgl. 42  Vgl.

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um sich nunmehr unabhängig von Gott als transzendentaler Begriff entwickeln. Insofern ist das Individuum den Romantiker nach ein irdischer Gott, der sich mit Bezug auf dessen eigene Gesetze entwickelt. Die Romantik sei somit nur ein Phänomen der Säkularisierung; sie verlege die letzte Instanz von Gott weg in das geniale Ich und schaffe eine Welt ohne Substanz.44 Folglich geht Schmitt von der Analogie zwischen der theologischen und philosophischen Vorstellung und deren Einwirkung in den politischen Bereich aus.45 Insofern ist es für uns grundlegend, dass Schmitt in der Kategorie der theologischen Begriffe versucht, die Neuzeit und deren Phänomene im politischen Feld zu rekonstruieren, wobei man doch nicht übersehen darf, dass es Schmitt bei der Analogie von theologischer und politischer Transzendenzvorstellung nicht darum geht, dem Souverän göttliche Eigenschaften zuzuschreiben oder ihn zu einem Gott zu machen. Vielmehr wolle er an dieser Analogie exemplifizieren, dass sich theologische und politische Begriffe entsprächen und zwar zunächst als Begriffe einer bestimmten Zeit.46 Dabei schreibt Schmitt: „zu dem Gottesbegriff des 17. und 18. Jahrhunderts gehört die Transzendenz Gottes gegenüber der Welt, wie eine Transzendenz des Souveräns gegenüber dem Staat zu seiner Staatsphilosophie gehört.“47 Um den subjektivierten Okkasionalismus zu verkraften, bezieht sich Schmitt einerseits auf Etatismus und andererseits auf Katholizismus. Was im Folgenden untersuchen wird, geht auf die politische Theologie bei Schmitt ein, dabei wird thematisch das Verhältnis zwischen Transzendenz und Immanentisierung analysiert. Da das Verhältnis zwischen Transzendenz und der irdischen Welt, so Schmitt, in dem modernen Zeitalter abgebrochen wurde, versuchte Schmitt 44  Vgl. Mehring, Überwindung des Ästhetizismus? Carl Schmitts selbstinquisitorische Romantikkritik, in: Behler, S. 138. 45  Vgl. zu der Analogie zwischen der theologischen und philosophischen Vorstellung von Gott und deren politischen Konsequenzen vgl. Schmitt, Politische Romantik, S. 88: „Bonald hatte eine Analogie zwischen der theologischen und philosophischen Vorstellung von Gott und der politischen Gesellschaftsordnung ausgeführt, die zu dem Ergebnis kam, dass der theistischen Vorstellung eines persönlichen Gottes das monarchische Prinzip entspreche, weil es einen persönlichen Monarchen als sichtbare Vorsehung verlange; der deistischen Annahme eines außerweltlichen Gottes soll eine monarchisch-demokratische Verfassung gemäß sein, wie jene Konstitution von 1791, nach welcher der König im Staat so machtlos war, wie der Gott des Deismus in der Welt.“ Zum Unterschied zwischen Theismus und Deismus bei Carl Schmitt vgl. Groh, Arbeit an der Heillosigkeit der Welt: Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts, S. 201. 46  Vgl. Brokoff, Carl Schmitts Avantgardismus, in: Brokoff / Fohrmann, S. 57. 47  Schmitt, Politische Theologie: Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, S.  63 f.



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diesen Kontakt wiederum durch die neue Definition des Politischen in der Kategorie der theologischen Begriffe aufrechtzuerhalten. Mit anderen Worten sei die Transzendenz als Ursprung der ganz konkreten Ordnungsakte der menschlichen Gesellschaft in der Geschichte der modernen Ideologien nicht präsent, ja sie schließen jede Göttlichkeit aus ihrem Ordnungsdenken geradezu aus. Demnach sei Gott gegenüber der modernen Gedanken nicht in der Ordnung, sondern jenseits der Ordnung.48 Will man das Verhältnis zwischen Transzendenz und Immanenz im politischen Feld bei Schmitt verstehen, so sollte man sich auf die Rolle der Theologie bei seinem Gedankengut fokussieren. Hierzu gab Schmitt seine Schrift über Politische Theologie 1922 heraus, in der er sich u. a. darum bemüht, aufgrund der von ihm angeführten Verknüpfung zwischen der Struktur der Theologie und dem Politischen, die Legitimität der Neuzeit in Frage zu stellen. Jahrtausende lang war das Nachdenken und waren die Lehren über die politische Ordnung unter den Menschen verbunden mit religiösen und – in christlicher Zeit – auch theologischen Vorstellungen. Erst die politischen Theoretiker des ausgehenden 17. und des 18. Jh. suchten eine rein rationale Theorie der politischen Ordnung aufzustellen, die von den elementaren Naturbedürfnissen der Menschen und deren Befriedigung ausging, wenngleich bei ihnen doch nach Ernst-Wolfgang Böckenförde religiös-theologische Topoi und Argumente noch erheblich nachwirkten.49 Insofern ist zu bemerken, dass der Ausdruck politische Theologie nämlich in der gegenwärtigen Diskussion nicht einheitlich, sondern in verschiedener sachlich-systematischer Bedeutung verwendet wird. Hierzu ist somit zu bemerken, in welcher Kategorie Schmitt seine These über die Politische Theologie dargestellt hat. In diesem Zusammenhang vertritt Schmitt die These: „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe.“50 Anschließend schreibt er: „Nicht nur ihrer historischen Entwicklung nach, weil sie aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden, indem zum Beispiel der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde, sondern auch in ihrer systematischen Struktur, deren Er48  Vgl. Heimes, Politik und Transzendenz: Ordnungsdenken bei Carl Schmitt und Eric Voegelin, S. 118. 49  Böckenförde, Politische Theorie und politische Theologie: Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis, in: Taubes, S. 16. Es ist doch zu betrachten, dass in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine intensive Diskussion über die Politische Theologie stattfindet. In ihr formuliert sich eine intellektuelle Stellungnahme zur Moderne nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges. Der Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts ist verschwunden, der Krieg erscheint als eine Niederlage der Vernunft. Vgl. Adam, Politische Theologie: Eine kleine Geschichte, S. 144. 50  Schmitt, Politische Theologie, S. 49.

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kenntnis notwendig ist für eine soziologische Betrachtung dieser Begriffe.“51 Insofern geht Schmitt von der Analogie zwischen theologischen und politischen Konzepten aus, wobei er seine These über Politische Theologie aufstellt, was man als juristische politische Theologie bezeichnen darf.52 Dabei gibt Schmitt zwei Beispiele: die Idee der Allmacht und den Begriff des Wunders. Die Allmacht illustriert eine entwicklungsgeschichtliche Linie, indem aus dem allmächtigen Gott der omnipotente Gesetzgeber wird; dagegen stellt der Begriff des Wunders eine strukturelle Analogie dar, indem das, was das Wunder für die Theologie bedeutet, den Ausnahmezustand für die Staatslehre bedeute.53 Es wurde bereits erwähnt, dass die Idee des modernen Rechtsstaats laut Schmitt der deistischen Denkweise entsprungen ist. Diese Lesart von Theologie verweise doch das Wunder als wichtigstes Merkmal der klassischen Theologie aus der Welt. Schmitt stellt fest, dass man die Einwirkung dieser neuen Lesart von Theologie u. a. in dem politischen Feld bei liberalen Schriftstellern verfolgen kann. Hierzu schreibt Schmitt: „… Die im Begriff des Wunders enthaltene, durch einen unmittelbaren Eingriff eine Ausnahme statuierende Durchbrechung der Naturgesetzte ebenso ablehnt wie 51  Ebd.,

S. 49. politischer Theologie werde einerseits verstanden der Inbegriff der Aussagen eines Gottesglaubens über den Status, die Legitimation, Aufgabe und evtl. Struktur der politischen Ordnung, einschließlich des Verhältnisses der politischen Ordnung zur Religion, was man als institutionelle politische Theologie bezeichnet kann. Andererseits meine Politische Theologie die Interpretation der christlichen Offenbarung im Hinblick auf das von ihr geforderte Engagement der Christen und der Kirche für die politisch-soziale Ordnung als Verwirklichung christlicher Existenz. Was Schmitts Lesart der Politischen Theologie betrifft, bezeichne sie den Vorgang der Übertragung theologischer Begriffe auf den staatlich-juristischen Bereich. In diesem Sinn habe 1922 Carl Schmitt den Begriff der Politischen Theologie in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt und ihm seinen klassischen Bedeutungsgehalt verliehen. Bei dieser Form politischer Theologie spricht man laut Böckenförde richtigerweise von juristischer politischer Theologie. Vgl. Böckenförde, Politische Theorie und politische Theologie: Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis, in: Taubes, S. 19 ff. 53  Es sind nach Ilse Staff drei unterschiedliche Komponenten, die bei Schmitt diesen Prozess der Säkularisierung bestimmen: die historische, die strukturelle und die metaphysische. Die historische Komponente der Säkularisierung sehe Schmitt in der Übertragung theologischer Begriffe auf Begriffe der Staatslehre im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung. Strukturell werde Säkularisierung von Schmitt begriffen als Parallelität theologischer und juridischer Begriffe in ihrer radikal systematischen Struktur. Die metaphysische Komponente von Säkularisierung werde von Schmitt bereits in der 1919 erschienen Politischen Romantik hervorgehoben, wenn er sagt, das Denken und Empfinden jedes Menschen beinhalte immer einen bestimmten metaphysischen Charakter. Vgl. Staff, Zum Begriff der Politischen Theologie bei Carl Schmitt, in: Dilcher / Staff, S. 182 f. 52  Unter



I. Politische Theologie91 den unmittelbaren Eingriff des Souveräns in die geltende Rechtsordnung. Der Rationalismus der Aufklärung verwarf den Ausnahmefall in jeden Form.“54

Im Gegensatz dazu hätten die theistischen Überzeugungen konservativer Schriftsteller der Gegenrevolution veranlasst, mit Analogie aus einer theistischen Theologie die persönliche Souveränität des Monarchen ideologisch zu stützen.55 Demzufolge ist es zu bemerken, dass Schmitt sich dieser Analogie nach als ein konservativer Denker, der gegen den Liberalismus argumentieren wollte, vorstellt. Anders gesagt, versuchte er in der Kategorie der theologischen Begriffe den Übergang von der Transzendenz zur Immanentisierung in der Neuzeit im politischen Feld zu behandeln, damit er die Liberalen angreifen könnte, bei denen die Rolle der politischen Entscheidung, was den Ausnahmezustand betrifft, seinerseits abgeschwächt würde. Insofern geht Schmitt von der politischen Entscheidung aus, weil die Entscheidung als solche im Ausnahmezustand auftritt, in dem der Staat sich über die im Voraus festgelegten positiven Gesetze erheben wolle, weil man nicht in der Lage sei, die großen Herausforderungen unbedingt mittels der positiven Gesetze zu überwinden. Anders als bei Max Weber sei für Schmitt das Wesen der staatlichen Souveränität nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmonopol, sondern als Entscheidungsmonopol juristisch zu definieren.56 Von daher ist eine solche Analogie zwischen Theologie und Politik bei Schmitt bemerkenswert, weil er die Theologie zugunsten der jeweiligen politischen Stabilität instrumentalisieren will. Hierzu schreibt er: „Zu dem Gottesbegriff des 17. und 18. Jahrhunderts gehört die Transzendenz Gottes gegenüber der Welt, wie eine Transzendenz des Souveräns gegenüber dem Staat zu seiner Staatsphilosophie gehört. Im 19.Jahrhundert wird in immer weiterer Ausdehnung alles von Immanenzvorstellungen beherrscht. Alle die Identitäten, die in der politischen und staatsrechtlichen Doktrin des 19. Jahrhunderts wiederkehren, beruhen auf solchen Immanenzvorstellung: die Demokratie-These von der Identität der Regierenden mit den Regierten oder Kelsens Lehre von der Identität des Staates mit der Rechtsordnung.“57

Was Schmitt hier hinterfragen will, geht um die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft im Liberalismus und insofern leistet die Politische Theologie einen Beitrag dazu, die Rolle des Staates im Immanenz-Zeitalter hervorzuheben. Schmitt geht davon aus, dass der Positivismus in der Neuzeit die Immanenz-Vorstellung als solche hervorgebracht hat. Denn man mache im posi54  Schmitt,

Politische Theologie, S. 49. ebd., S. 49. 56  Vgl. Motschenbacher, Katechon oder Großinquisitor?: eine Studie zu Inhalt und Struktur der Politischen Theologie Carl Schmitts, S. 61. 57  Schmitt, Politische Theologie, S. 63. 55  Vgl.

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

tivistischen Zeitalter seinem wissenschaftlichen Gegner den Vorwurf, dass er Theologie oder Metaphysik treiben wolle.58 Hierzu ist zu betrachten, dass die große Linie der Entwicklung in der Neuzeit laut Schmitt dahin geht alle Vorstellungen von Transzendenz zu beseitigen und stattdessen eine mehr oder weniger starke Immanenz-Vorstellung gegen die Transzendenz herauszustellen, woraufhin die Rolle des Staates geschwächt wird. Es ist dennoch grundlegend, dass Schmitts Gedankengut nicht darauf abzielt, für die Theokratie zu plädieren, obwohl er für den Theismus als eine voraufklärerische Tradition argumentiert. Schmitt will nämlich aufgrund der politischen Theologie den Souveränitätsbegriff in die Debatte bringen, um damit dem liberalen neutralen Staat entgegenzuwirken. Dabei schreibt Ilse Staff: „Die politische Theologie besteht in der Neuzeit zufolge darin, dass es gilt, die Wirklichkeit eines Feindes, dessen reale Möglichkeit er auch in einem restlos enttheologisierten Gegenbild noch zu erkennen glaubt, zu realisieren.“59 Insofern verbindet Schmitt mit dem Konzept der politischen Theologie keine theologische, sondern eine politische Orientierung. Genauer gesagt: wenn er seine These über die Politische Theologie aufstellt, will er nur die Rolle der Souveränität in dem politischen Feld hervorheben und nicht daraus substanzielle theologische Konsequenzen ableiten. Wenn Schmitt schreibt Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet, kann dies dem Begriff der Souveränität als einem Grenzbegriff allein gerecht werden. D. h. seine Definition ist nicht an den Normalfall gebunden, sondern an einen Grenzfall. Insofern hält Schmitt daran fest, dass die Souveränität in einem Dualismus zwischen dem Normalzustand und dem Ausnahmezustand zu begreifen ist. Und die Ausnahme lässt sich bei Schmitt folglich mit einer politischen Entscheidung überwinden, die sich den generellen Normen entzieht. Hierzu schreibt Schmitt: „Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles; sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme. In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarren Mechanik.“60

58  Vgl. ebd., S. 51. Zur Leugnung des Ausnahmezustandes im Immanenz-Zeitalter, vgl. Motschenbacher, Katechon oder Großinquisitor?: eine Studie zu Inhalt und Struktur der Politischen Theologie Carl Schmitts, S. 63: „Beleg für Schmitts These ist der Werdegang der Neuzeit: Analog zur Entwicklung der Theologie über Deismus und Aufklärung, in deren Verlauf Gott immer mehr aus der Welt hinausgedrängt und diese sich selbst überlassen wurde, leugnete man auch in der Rechtslehre mehr und mehr die Möglichkeit des Ausnahmezustandes und eines Eingriffes des Souveräns von außen her.“ 59  Staff, Zum Begriff der Politischen Theologie bei Carl Schmitt, in: Dilcher /  Staff, S. 193. Vgl. Adam, Politische Theologie: Eine kleine Geschichte, S. 146. 60  Schmitt, Politische Theologie, S. 22.



I. Politische Theologie93

Demzufolge kann man begreifen, warum Schmitt nicht von einer politischen Theorie oder von einem politischen System spricht, sondern vom Politischen. Hierzu schreibt Bernard Tucker: „Das scheint ein Paradigma zu sein: das Politische ist substanziell gleichsam die Ausnahme von alldem – von Theorien, Systemen und Institutionen, es lässt sich als existenzielles Grundphänomen letzten Endes nicht reduzieren auf historische, soziale und psychologische Regelzustände; sein Begriff verhält sich auf eine merkwürdig innerweltliche Weise transzendental gegenüber idealistischen oder materialistischen Gedankenkonstruktionen.“61 Im liberalen Staat geht man doch davon aus, dass es die institutionellen Apparate gibt, die sich für ein politisch legales System engagieren werden. Im Gegensatz dazu markiert die Außenseite die Grenze derselben Apparate. Wo Apparate total würden, geht das Politische in den Untergrund.62 Folglich vergegenwärtigt Schmitt das Politische in Bezug auf den Ausnahmezustand, wonach die Grenze der Existenzform, also das Politische, von anderen festgelegt wird. Insofern sei der Souverän derjenige, der über den Ausnahmezustand entscheidet. Er entscheidet also sowohl darüber, ob der extreme Notfall vorliegt, als auch darüber, was geschehen soll, um ihn zu beseitigen. Die moderne rechtsstaatliche Entwicklung will das Politische als solche ignorieren. Hierzu schreibt Schmitt: „Alle Tendenzen der modernen rechtsstaatlichen Entwicklung gehen dahin, den Souverän in diesem Sinne zu beseitigen.“63 Dabei rezipiert Heinrich Meier diesen Satz: „Die Ausnahmestellung des Politischen ergibt sich gerade daraus, dass das Politische kein Gebiet neben anderen Gebieten bezeichnet und dass es nicht im Relativismus der liberalen Kulturphilosophie auf- oder untergeht.“64 In diesem Zusammenhang wird man mit diesen Fragen konfrontiert: Woher die Politische Theologie als solche kommt und welche konkrete Ziele Schmitt im politischen Feld verfolgen will. 4. Carl Schmitt zwischen Theokratie und Postmoderne Heinrich Meier ist überzeugt, dass Schmitt nicht politische Philosophie betreiben will, sondern dass er sich auf die Konzepte bezieht, welche nicht mit der Philosophie zu tun haben. Hierzu führt er aus: „Die Politische Theologie steht und fällt mit dem Glauben an die Offenbarung. Denn sie setzt die Wahrheit der Offenbarung voraus, welche eine Wahrheit des Glaubens 61  Tucker, Der Ausnahmezustand – An den Grenzen von Aufklärung und Liberalismus, in: Hansen, S. 95. 62  Vgl. ebd., S. 95. 63  Schmitt, Politische Theologie, S. 13. 64  Meier, Die Lehre Carl Schmitts: Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, S. 58.

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ist. Im Kampf zwischen Glaube und Irrglaube darf es keinen Neutralen geben: An der Wahrheit der Offenbarung scheiden sich Freund und Feind.“65 Demzufolge tritt laut Meier die Freund und Feindgruppierung bei Schmitt zutage, weil die Gruppierung nach Glaube und Irrglaube Ausgangspunkt der Religiosität sei. Die Politische Theologie wisse, dass sie auf Glauben gegründet sei, und sie wolle es sein, weil sie zu wissen glaube, dass jedes menschliche Leben auf Glauben gegründet sein müsse. Immer stehe nach Schmitts Lehre Glaube gegen Glaube, Metaphysik gegen Metaphysik, Religion gegen Religion.66 Nach diesen theologischen Voraussetzungen wird daher die Freund-und Feindgruppierung im politischen Feld als Basis hervorgehoben, wobei eben zu betrachten ist, dass der katholische Christ in der Politischen Theologie von dem Dogma der Erbsünde ausgeht; im Begriff des Politischen wird das dahin zugespitzt, dass eine Theologie aufhört, Theologie zu sein, wenn sie die Menschen nicht wie bei Schmitt mehr für sündhaft oder erlösungsbedürftig hält und Erlöste von Nicht-Erlösten, Auserwählte von Nicht-Auserwählten nicht mehr unterscheidet. Demzufolge bezogen sich das theologische Grunddogma von der Sündhaftigkeit der Welt und der Menschen und die Unterscheidung von Freud und Feind aufeinander.67 Wer von den Voraussetzungen sprechen will, die Schmitts Begriff des Politischen zur Grundlage hat, kann vom Glauben an die Offenbarung nicht schweigen. Schmitts Lehre des Politischen könne nicht begreifen, wer sie nicht als ein Stück seiner Politischen Theologie begreife.68 Infolgedessen kann man ja diese Frage aufwerfen, warum Schmitt mit dem Dritten Reich, das nicht auf Glaube, sondern auf Rassismus beruhte, kooperierte. Meier beantwortet diese Frage: „Schmitt ist kein Theoretiker des Nationalismus, sondern politischer Theologe. Der Nationalismus hat für ihn in der entscheidenden Rücksicht keinen anderen Status als die inferiore Mythologie des 65  Ebd., S. 109. Zu der Unterscheidung zwischen Politischer Philosophie und Politischer Theologie, vgl. Assmann, Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel, S. 27: „Als politische Theologie richtet er sich gegen politische Theorie oder Philosophie, die von der Möglichkeit einer rein säkularrationalen Grundlegung politischer Ordnung ausgeht. Eine Theologie ist dann politisch, und eine Staatslehre ist dann theologisch, wenn sie eine solche Grundlegung postuliert, etwa in der Form des heiligen und daher letztinstanzlich verpflichtenden Status des politischen Verbandes (Volk und Vaterland) oder in der des Gottesgnadentums oder aber auch in der Form des politischen Auftrags der Kirche.“ 66  Vgl. Meier, Die Lehre Carl Schmitts: Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, S. 74. 67  Schmidt, Politische Theologie III: Anmerkungen zu Carl Schmitt und Leo Strauss, in: Gaitanides, S. 25. 68  Vgl. Meier, Die Lehre Carl Schmitts: Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, S. 52.



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Sozialismus.“69 Insofern sah Schmitt diesen totalen Staat als einen mythologischen Antrieb vor, womit man diese theologische Unterscheidung in der Realität auslösen kann. Von daher sei seine These auf Glauben gegründet gewesen, obwohl das NS-Regime keine Theokratie im eigentlichen Sinne war. Es ist eben grundlegend, dass dieser totale Staat sich auf die Freundund Feindgruppierung berief. Meier geht daher davon aus, dass die Betonung auf der Feindlichkeit bei Schmitt von seinem Offenbarungsglauben ausgegangen sei. Hierzu schreibt Meier: „Das Judentum hat von Anbeginn und ohne Schwanken geleugnet, dass Jesus der Christus ist. Schmitts Judenfeindschaft erwächst ihrer tiefsten Wurzel nach aus seinem Offenbarungsglauben. Sie steht in der schreckensreichen Tradition des christlichen Antijudaismus, was sie keineswegs veranlasst, Distanz zur Judenfeindschaft der Nationalsozialisten zu halten, die sich aus ganz anderen Quellen speist.“70

Um zu verstehen, warum Schmitt einem Buch den Titel „Politische Theologie“ verleiht, ist zu bemerken, gegen welchen Feind er sich aufrichtet, zu welchem Meier schreibt: „Schmitt nimmt diesen Ausdruck nicht von der Stoa oder Varro auf, sondern von Bakunin.“71 Bakunin attackiere die Wahrheit der Offenbarung, leugne die Existenz Gottes, wolle den Staat beseitigen und verneine den universalen Anspruch des römischen Katholizismus. Bakunin vertritt nach Jan Assmann die Auffassung, „dass die Religion abgeschafft werden muss, weil sie ein Instrument der Unterdrückung in Händen der Herrschenden ist und der Mensch aus eigener Kraft und Vernunft in der Lage ist, gerechte, herrschaftsfreie Formen des Zusammenlebens zu errichten.72 Bei Bakunin findet Schmitt allerdings den Begriff und wendet ihn ins Positive. Schmitt rechnet Bakunin nämlich den Atheisten zu, die den Offenbarungsglauben und weiterhin den Staat als böse leugnen wollten. Meier Schreibt: „Die konkrete Gegensätzlichkeit, im Blick auf welche Schmitt den Ausdruck Politische Theologie zu seinem Begriff macht, ist der Gegensatz von Autorität und Anarchie, von Offenbarungsglaube und Atheismus, von Gehorsam und Empörung gegen den höchsten Souverän.“73 Wenn Bakunin diesen Ausdruck als Böse negiert, versuchte Schmitt die Politische Theologie in einen positiven Begriff zu verwandeln, wobei Meier feststellt, dass Schmitt Politische Theologie als eine Politische Theorie verstehen will, die für sich in Anspruch nimmt, auf 69  Ebd.,

S. 220. S. 234. 71  Meier, Was ist Politische Theologie?, S. 5. 72  Assmann, Monotheismus als Politische Theologie, in: Brokoff / Fohrmann, S. 21. 73  Meier, Was ist Politische Theologie?, S. 7. 70  Ebd.,

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den Glauben an die göttliche Offenbarung gegründet zu sein.74 Sowohl Politische Theologie als auch Politische Theorie befassen sich zwar mit der Frage wie soll ich leben, aber es gibt, so Meier, eine bedeutende Unterscheidung mit der Antwort auf diese Frage zwischen der Politischen Theologie und Politischen Theorie in dem Umgang mit den sozialen Problemen. Hierzu führt Meier aus: „Während die Politische Theologie rückhaltlos auf das „unum est necessarium“ des Glaubens baut und in der Wahrheit der Offenbarung ihre Sicherheit findet, stellt die Politische Philosophie die Frage nach dem Richtigen ganz und gar auf den Boden menschlicher Weisheit, um sie hier in der grundsätzlichsten und umfassendsten Art und Weise zu entfalten, die dem Menschen zu Gebote steht.“75

Der ursprüngliche Sinn der politischen Philosophie entsteht somit aus der rationalen Begründung des philosophischen Lebens und sie bedarf der Selbsterkenntnis. Doch die Politische Theologie leugnet laut ihm die Möglichkeit einer derartigen Begründung von Anbeginn an, weil sie auf Glauben gegründet sein muss. Zu diesem grundlegenden Unterschied schreibt Leo Strauss: „The fundamental question, therefore is, whether men can acquire that knowledge of the good without which they cannot guide their lives individually or collectively by the unaided efforts of their natural powers, or whether they are dependent for that knowledge on Divine Revelation. No alternative is more fundamental than this: human guidance or divine 74  Vgl. ebd., S. 8 f. Der Anarchismus müsse für Bakunin atheistisch sein, da der Kern jeder Religion in seinen Augen in der Herabsetzung der Menschheit zum größeren Ruhm der Gottheit bestehe. Alle menschliche Autorität stütze sich auf eine Vergöttlichung menschlicher und die daraus abgeleitete natürliche Minderwertigkeit des Menschen und seine fundamentale Unfähigkeit, sich aus sich selbst heraus, außerhalb aller göttlichen Erleuchtung zu gerechten und wahren Ideen zu erheben. Hier sei das Wesen aller hierarchischen Ordnung zu sehen, die nach oben hin aufsteigend eine zunehmende Verbindung mit der Transzendenz postuliere. Vgl. Motschenbacher, Katechon oder Großinquisitor?: eine Studie zu Inhalt und Struktur der Politischen Theologie Carl Schmitts, S. 83. 75  Vgl. Meier, Die Lehre Carl Schmitts: Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, S. 73. Für Leo Strauss bestehen in einem Leben aus gehorsamen Glauben einerseits und einem Leben aus freier Einsicht andererseits die unterschiedlichen Möglichkeiten, um auf die Frage nach der richtigen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens zu reagieren, ohne deren Beantwortung die politische Wissenschaft nicht Wissenschaft sein kann. Strauss geht also vom theologisch-philosophischen Dilemma, das man nicht einfach überwinden kann, aus. Vgl. Schmidt, Politische Theologie III: Anmerkungen zu Carl Schmitt und Leo Strauss, in: Gaitanides, S. 29 f. Zu diesem Dilemma zwischen Philosophie und Religion, vgl. Strauss, Natural Right and History, S. 74: „The Dilemma cannot be evad­ ed by harmonization or synthesis. For both philosophy and the Bible proclaim something as the one thing needful, as the only thing that ultimately counts, and the one thing needful proclaimed by the Bible is the opposite of the proclaimed by philosophy: a life of obedient love versus a life of free insight.“



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guidance. The first possibility is characteristic of philosophy or science in the original sense of the term, the second is presented in the Bible.“76 Im Gegensatz dazu geht Claus Heimes davon aus, dass Schmitt den Begriff Politische Theologie quasi als Metapher für alle größeren Gedankensysteme, die gesellschaftlich prägend wirken, benutzt.77 Also sei die Transzendenz als Ursprung der ganz Konkreten Ordnungsakte der menschlichen Gesellschaft in der Geschichte der modernen Ideologien nicht präsent, ja sie schlössen jede Göttlichkeit, bzw. verschiedenen Art von Gedankensystemen aus ihrem Ordnungsdenken geradezu aus.78 D. h. Schmitt spielt aufgrund der politischen Theologie darauf an, dass der Ursprung der Gedankensysteme aus der Transzendenz entsteht. In diesem Zusammenhang schreibt Heimes: „Die genauere Bestimmung der Existenzform, das Selbstverständnis der Gemeinschaft und ihre Sicht auf die Welt, bestimmen die Formulierung dessen, was innerhalb des Staates richtig und wichtig ist. Es ist deutlich geworden, dass sowohl Voegelin als auch Schmitt politische Ideen als die Fundamentale Größe einer Staatslehre betrachten. Erst auf einer Idee können sich politische Einheit, Ordnung und Form aufbauen, die dann auch positives Recht als genauere Ausgestaltung entwickeln kann.“79

Demzufolge impliziert Schmitt, dass man von den diversen Existenzformen ausgehen soll, welche die vielfältigen Rechtssystems aufgrund der jeweiligen Erfahrungen von Transzendenz zur Folge haben. Dementsprechend ist festzustellen, dass Schmitt von verschiedenen Ordnungssystem ausgeht, die aufgrund der jeweiligen Transzendenz-Orientierung zustande kommen. Insofern stellt Schmitt die Politische Theologie als solche heraus, damit er das Politische von einem institutionellen Sinne auf einen existenziellen Sinn übertragen könnte.80 Mit anderen Worten, während die Politische Theorie von wissenschaftlichen und globalen Prinzipien geprägt worden ist, entgeht die Politische Theologie denselben Prinzipen, weil Schmitt von verschiedenen Ordnungssystemen ausgehen will. Dabei schreibt Heimes: „Wenn die politische Moderne nun als die Epoche der weltimmanenten Denksysteme bestimmt wird, dann gehört ein Archimedischer Punkt zu jedem ihrer Denksysteme. Die Postmoderne ist … die Auflösung der Systeme in die Plurale unter gleichzeitigem und notwendigem Verlust eines Archimedischen Punktes. Im Vergleich dazu befindet sich die Grammatik der Ordnung mithin in einer Art Zwischenposition. Sie kann auf der anderen Seite keineswegs als geschlossenes Sys76  Ebd.,

S. 74. Heimes, Politik und Transzendenz, S. 33. 78  Vgl. ebd., S. 118. 79  Ebd., S. 36. 80  Schmitt nimmt insofern die Unterscheidung von Freund und Feind als existenzielle Kategorie, damit man das Politische definieren kann. Vgl. Schmitt, Glossarium: Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951, S. 205. 77  Vgl.

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tem dargestellt werden, da sie ins Unbekannte nämlich ins Jenseits hinein offen ist, bleibt aber gleichzeitig im Besitz eines Archimedischen Punktes, eben jener Transzendenz.“81

Demzufolge ist festzustellen, dass man bei Schmitt mit einer Perspektivität konfrontiert ist, die er mittels der theologischen Begriffe konstruieren will. D. h. die Welt ist jeweils so darzustellen, wie sie von einer bestimmten Gruppe erfahren wird. Anstatt von der Politikwissenschaft im Weberschen Sinne auszugehen, will er sich auf das Politische berufen, weil es genausoweit der Politikwissenschaft vorausgeht, wie die Transzendenz der Immanenz. Insofern konzipiert er die Vielfältigkeit der Prinzipien je nach den diversen Ordnungssystemen im Feld der Politik. Folglich ist Schmitt überzeugt, dass die Politikwissenschaft als wertfreie Wissenschaft auf den vorgegebenen Kanons, also der wissenschaftlichen Methode basiert ist. Mit anderen Worten, wenn man Wissenschaft im Weberschen Sinne betreiben will, so muss man zwingend die Perspektivität ignorieren. So kommt seine These nach Heimes der Postmoderne nahe. 5. Katholizismus und Politische Form Es ist hierbei nicht auszublenden, dass Schmitt 1923 eine Schrift über „Römischen Katholizismus und politische Form“ schrieb, in der er implizit für die Theokratie plädiert hat. Dabei stellt er fest, dass Liberalismus und Sozialismus sich in einer mechanistischen Mythologie verfingen, woraus sie sich nicht befreien lassen. Hierzu schreibt Schmitt: „Die Welt wird für diese naive mechanistische und mathematische Mythologie zu einer riesigen Dynamomaschine. Hier gibt es auch keinen Unterschied der Klassen. Das Weltbild des modernen industriellen Unternehmers gleicht dem des Industrieproletariers wie ein Zwillingsbruder dem anderen. Darum verstehen sie einander gut, wenn sie gemeinsam für das ökonomische Denken kämpfen.“82

Insofern meint Schmitt, dass die bürgerliche Gesellschaft nicht mehr die Fähigkeit und Kraft zur Repräsentation besitzt, schon aus ihren eigenen Grundlagen heraus, weil ökonomisches Denken nur eine Art Form, nämlich technische Präzision, kennt, und das ist die weiteste Entfernung von der Idee des Repräsentativen.83 Schmitt vertritt die These, dass den heutigen 81  Heimes,

Politik und Transzendenz, S. 122. Römischer Katholizismus und politische Form, S. 22. 83  Vgl. ebd., S. 35. In der Repräsentation kommt nach Schmitt eine höhere Art des Seins zur konkreten Erscheinung. Die Idee der Repräsentation beruht darauf, dass ein als politische Einheit existierendes Volk gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art zu sein hat. Zur Bedeutung der Repräsentation bei Schmitt vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 208–215. 82  Schmitt,



I. Politische Theologie99

Menschen mit der Fähigkeit zu Repräsentation zugleich auch das Verständnis für jede Art von Repräsentation verloren ging. Weil der moderne Staat wirklich das geworden zu sein scheine, was Max Weber in ihm sehe: ein großer Betrieb.84 Der Begriff der Repräsentation hat, so Motschenbacher, daher für Schmitt nur zu offensichtlich auch einen polemischen Sinn und dient der Kritik eines Denkens, das bestimmt ist von Immanenzvorstellungen und sich so willig in den Dienst rein ökonomischer Interessen stellen lässt.85 Insofern beruft sich Schmitt auf den Katholizismus als eine Art existenzieller Idee, womit man die politische Einheit aufrechterhalten kann, wobei er schreibt: „dieser Idee widerspricht alles, was das ökonomische Denken als seine Sachlichkeit und Ehrlichkeit und seine Rationalität empfindet.“86 In diesem Zusammenhang ist doch zu bemerken, dass Schmitt Katholizismus dem Protestantismus entgegensetzt. Schmitt vertritt die These, dass Protestanten mit ihrer innerweltlichen Askese jeden Boden zu ihrer Berufsarbeit gemacht haben und überall ein komfortables Heim haben, wo sie zum Herrn der Natur werden und sie unterjochen.87 Von daher sind Protestanten nach Schmitt nicht in der Lage das Volk zu repräsentieren, weil sie nicht wie die Katholiken menschliche Arbeit und organisches Wachstum in Einklang gebracht haben.88 Hierzu stehen die pragmatischen, von jeder geschichtlichen Herleitung losgelösten Analysen Webers mit der Forderung nach Wertfreiheit aller politischen Theorie sowohl der von Schmitt auf der konkreten Ordnung basierten politischen Theologie als auch dem römischen Katholizismus gegenüber.89 Schmitt bezeichnet hierbei die Anarchisten als den Feind, weil sie nach ihm einen Kampf gegen den Staat und den Geist begonnen haben und daher versucht er in Bezug auf den Katholizismus für das Staatliche zu plädieren um die Freund- und Feindgruppierung aufrechtzuerhalten.90 Es ist ebenfalls zu bemerken, dass der Katholizismus als eine substanzielle Idee die Volkseinheit nicht mechanistisch wie der Liberalismus und Sozialismus, sondern 84  Vgl. Motschenbacher, Katechon oder Großinquisitor?: eine Studie zu Inhalt und Struktur der Politischen Theologie Carl Schmitts, S. 54. 85  Vgl. ebd., S. 57. 86  Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, S. 23. 87  Vgl. ebd., S. 18. 88  Vgl. ebd., S. 17 f. 89  Vgl. Kröger, Bemerkungen zu Carl Schmitts „Römischer Katholizismus und Politische Form“, in: Quaritsch, S. 159–164. 90  Schmitt unterscheidet die Theologie von der Moral, indem der Moralist eine Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse voraussetzt; der Theologe jedoch geht davon aus, dass er eine Unterscheidung zwischen Erlösten von Nicht-Erlösten und Auswählten von Nicht-Auswählten im Voraus anführen muss. Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 59.

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

organisch herstellen wolle.91 Insofern kann man spekulieren, dass der Katholizismus als eine Alternative herausgestellt wird, womit Schmitt dem von dem liberalen Zeitalter entstandenen neutralen Staat entgegenzuwirken versucht. Dabei zielte Schmitt, historisch betrachtet, im NS-Regime darauf ab, Katholizismus und Nationalismus in Einklang zu bringen, was im nächsten Abschnitt untersucht wird.

II. Monotheismus und Reichstheologie 1. Politische Theologie und Trinitätslehre Erik Peterson war einer der wichtigsten Kritiker der Politischen Theologie, der aus einer theologischen Perspektive Schmitts These in Frage zu stellen versuchte. Die Kontroversen zwischen Peterson und Schmitt beziehen sich auf Petersons Traktat über den „Monotheismus als politisches Problem“, der 1935 veröffentlicht wurde, worin Peterson sich mit der Frage nach der politischen Theologie befasste. In der christlichen Reichstheologie alter und neuer Prägung lassen sich laut Peterson zwei Begründungsmuster unterscheiden. Das eine bezieht sich, so Peterson, auf die horizontale geschichtliche Ebene und zwar erfüllen sich die Verheißungen des Alten und Neuen Testaments im christlichen Reich, wobei im antiken Falle dieses christliche Reich Konstantins Imperium Romanum und die Pax Augusta fortsetzte.92 Das andere bezieht sich auf das Gebiet der Trinitätslehre. Aufgrund dessen ist nach Peterson das Reich Gottes jenseitig und gehört nicht diesem Äon an. Hierzu sagte Jesus: Mein Reich ist nicht von dieser Welt.93 Daher kann man dem zweiten Begründungsmuster nach keine Reichstheologie konzipieren. Dem Christentum liegt laut Peterson der dreieinige Gott zugrunde und nach dieser Auffassung 91  Historisch betrachtet ist zu bemerken, dass Schmitts Politische Theologie implizit gegen Liberalismus und Bolschewismus argumentiert. Beide Weltanschauungen beruhen also bei Schmitt auf einer universalen Weltsicht, mit deren Durchsetzung man von Tyrannei, Ausbeutung und Ungerechtigkeit befreit wird. Schmitt stellt laut William Rasch die Politische Theologie im Namen der Autonomie des Politischen gegen die vorherrschenden politischen Theologien auf, die auf den Humanitätsreligionen des Sozialismus und Liberalismus basiert sind. Vgl. Rasch, Messias oder Katechon? Carl Schmitts Stellung zur politischen Theologie, in: Brokoff / Fohrmann, S. 39. Genauer gesagt, er wollte der politischen Theologie zufolge die Autonomie des Politischen vor den universalen Weltsichten schützen, welche das Politische verdrängt haben. Weil Liberale und Sozialisten das Ende der Politik aussprechen. 92  Vgl. Nichtweiß, Erik Peterson: neue Sicht auf Leben und Werk, S. 775. 93  Vgl. ebd., S. 776.



II. Monotheismus und Reichstheologie101

von Gott könne man keine politische Theologie, nämlich eine Analogie zwischen politischem Souverän und Gott feststellen.94 Petersons These ist nach Armin Adam als Mahnung an Carl Schmitt gerichtet; doch tatsächlich erfasst sie eine ganze Gruppe von Schriftstellern, die in den zwanziger Jahren und in den ersten Jahren des so genannten Dritten Reichs politische Theologien entwerfen und politische Theologie betreiben.95 Peterson geht davon aus, dass Schmitts Theorie über die politische Theologie auf einer monotheistischen Interpretation vom Christentum basiert, welche nicht dem wahren Christentum entspricht. Denn der Monotheismus ist als politisches Problem, so Peterson, aus der hellenistischen Umbildung des jüdischen Gottesglaubens hervorgegangen, wobei der Monarchianismus sich durch die monotheistische Interpretation des Christentums habe rechtfertigen können.96 Denn der Monarchie-Begriff habe sich nicht einfach auf die Trinität übertragen lassen, welche die Wahrheit des Christentums beleuchte: „Der Monotheismus als politisches Problem war aus der hellenistischen Umbildung des jüdischen Gottesglaubens hervorgegangen. Indem der Gott der Juden mit dem monarchischen Prinzip der griechischen Philosophie verschmolzen wurde, erhielt der Begriff der göttlichen Monarchie zunächst die Funktion einer politischtheologischen Propagandaformel für die Juden. Dieser politisch-theologische Propagandabegriff wird von der Kirche bei ihrer Ausbreitung im Römischen Reiche übernommen. Er stößt dann auf einen Begriff der politischen Theologie der Heiden, wonach der göttliche Monarch wohl herrschen, aber die nationalen Götter regieren müssen. Um dieser heidnischen, auf das Imperium Romanum zugeschnittenen Theologie entgegentreten zu können, wurde nun von christlicher Seite behauptet, die nationalen Götter können gar nicht regieren, da durch das Imperium Romanum der nationale Pluralismus aufgehoben worden sei.“97

Peterson fügt dieser Passage anschließend bei, dass die Lehre von der göttlichen Monarchie am trinitarischen Dogma scheitern müsse. Denn dieser Einheitsbegriff habe in der geschaffenen Kreatur keine Entsprechung.98 D. h. bei der Politischen Theologie, welche vom Monotheismus ausgeht, sieht 94  Vgl.

ebd., S. 776. Adam, Politische Theologie: Eine kleine Geschichte, S. 147. Peterson war Theologe. Als solcher hat er Erscheinungen wie den Faschismus und den Nationalsozialismus in theologischen Kategorien wahrgenommen, nicht in politischen oder staatsrechtlichen. Insofern sei das Politische für den Theologen Peterson alles anderes als unbedeutend und unwichtig; seine Theologie habe von Anfang an eine politische Dimension. Vgl. Maier, Erik Peterson und der Nationalsozialismus, in: Nichtweiß, S. 242. 96  Vgl. Peterson, Der Monotheismus als politisches Problem, in: Nichtweiß, S. 51. 97  Ebd., S. 58. 98  Vgl. ebd., S. 58. 95  Vgl.

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

man eine Parallelisierung von irdischer und himmlischer Monarchie, dem König auf Erden entspricht ein Gott im Himmel. Insofern ist die Politische Theologie als solche im Sachgebiet der Trinitätslehre nicht relevant, wobei nicht nur theologisch der Monotheismus als politisches Problem Peterson zufolge erledigt und der christliche Glaube aus der Verkettung mit dem Imperium Romanum befreit worden ist, sondern auch grundsätzlich der Bruch mit jeder politischen Theologie vollzogen ist, welche die christliche Verkündigung zur Rechtfertigung einer politischen Situation missbraucht.99 Das Trinitätsdogma hat, so Peterson, folglich in der irdischen Kreatur keine Entsprechung. Jan Assmann schreibt: „Nach Peterson kann es keine Form politischer Herrschaft geben, die sich durch Berufung auf theologische Sätze legitimiert, weil der Geheimnischarakter der Trinität jede irdische Korrespondenz ausschließt.“100 Von daher gibt es laut Peterson das Geheimnis der Dreieinigkeit nur in der Gottheit selber, aber nicht in der Kreatur. Zusammenfassend geht man im Christentum nach der Trinitätslehre von einer reinen Trennung zwischen Religion und Politik aus. Im Mittelalter hätten Theologen versucht die Trennung als solche eben zu überwinden, indem sie sich mit dem Polytheismus, der einen politischen Pluralismus der heidnischen Nationen habe auslösen wollen, auseinandergesetzt hätten.101 Insofern hat nach Peterson die Verchristlichung des Reiches unter Konstantin die Durchsetzung des Monotheismus fortgesetzt, was ja Augustus prinzipiell begonnen hatte.102 D. h. Peterson bezeichnet das römische Kaisertum, vor allem Konstantins Monarchie als Nachahmung der himmlischen Monarchie. Insofern entwickelte sich die Politische Theologie um ein spezifisches politisches System zu rechtfertigen, weil sie ursprünglich ein Akt des Festhaltens an der Vergangenheit sei,103 indem sie sich auf eine Analogie zwischen politischen und theologischen Begriffen berief. Mit anderen Worten ist die Politische Theologie, so Peterson, auf einer monotheistischen Sicht basiert. Von daher will Peterson uns darauf hinweisen, dass Schmitt mittels der Politischen Theologie ein spezifisches politisches System recht99  Vgl.

ebd., S. 59. Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel, S. 28. Zu der Dreieinigkeit und deren entpolitisierten Charakter bei Petersons Gedankengut vgl. Adam, Politische Theologie: Eine kleine Geschichte, S. 146: „Die zentralen Elemente des christlichen Glaubens, so Peterson, sperren sich einer Übersetzung in politische Strukturen. Mit dem gekreuzigten Christus ist kein Staat zu machen und die Dreieinigkeit eignet sich denkbar schlecht als ein Modell säkularer Monarchie, da sie sich einer innerweltlichen Repräsentation versperrt. Peterson rückt mahnend den Begriff der Politischen Theologie zurecht.“ 101  Vgl. Peterson, Der Monotheismus als politisches Problem, in: Nichtweiß, S. 51. 102  Vgl. ebd., S. 52. 103  Maier, Nachdenken über das Christentum: Reden und Aufsätze, S. 191. 100  Assmann,



II. Monotheismus und Reichstheologie103

fertigen wollte, welches ja nicht der Wahrheit des Christentums entspreche. Mit anderen Worten instrumentalisiert Schmitt das Christentum um eine theoretische Basis für seine politische Orientierung zu schaffen. 2. Reichstheologie im NS-Regime Es ist doch zu bemerken, dass das Hauptthema des Traktates über den Monotheismus als politisches Problem nicht Politische Theologie war, sondern die Reichstheologie. Peterson berücksichtigt hierbei das Verhältnis zwischen Schmitts Politischer Theologie und der Reichstheologie. Das NSRegime stellte sich nicht nur als Nationalsozialismus, sondern auch als eine katholische Reichsideologie mit deren antidemokratischer, autoritativen Weltanschauung vor. Insofern heißt eine politische Theologie zu proklamieren in diesem Sinn für Peterson, so Hans Maier, nicht mehr unterscheiden können zwischen der Gemeinde Christi und dem deutschen Volk, zwischen dem universellen Wort des Glaubens und dem partikularem Volk, zwischen dem universellen Wort des Glaubens und der partikularen nationalen Sprache, zwischen Bischofsamt und Führertum.104 Der Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk am 1. Februar 1933 bezeichnet das Christentum als Basis der gesamten Moral der Deutschen, welches die neue Regierung in ihren festen Schutz nehmen wird. Aber diese Versicherungen bewirkten im katholischen Lager kaum ein nennenswertes Einschwenken. Die deutschen Katholiken seien nämlich noch nicht bereit gewesen, im neuerstandenen Reich eigene Hoffnungen erfüllt zu sehen; vor allem wenn Hitler seinen Regierungsantritt geschickt mit der Kulisse einer nationalen Erhebung zu umgeben verstanden habe.105 Mit anderen Worten hatten bis 1933 die deutschen Bischöfe nationalsozialistische Gedanken verworfen. Die Bedenken der Bischöfe gegenüber der NSDAP, die sich immer nur auf weltanschaulich-ideologische Elemente bezogen und einen neuen Kulturkampf befürchten ließen, wurden doch durch die Regierungserklärung Hitlers am 23. März 1933 zerstreut. Durch die Entgiftung des 104  Vgl.

ebd., S. 199. Breuning, Die Vision des Reiches: Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur 1929–1934, S. 176. Am Anfang der Machtergreifung Hitlers sah man doch eine Auseinandersetzung zwischen der Nationalität und Religiosität. Hierzu soll z. B. auf den Aufruf der katholischen Standesorganisationen zu den nach der Auflösung des Reichstages am 1. Februar 1933 angesetzten Märzwahlen eingegangen werden, wobei sie daran festhalten: „dass wir den entscheidenden und unbeugsamen Willen, an der Schicksalsgestaltung unseres Reiches und Volkes zu neuer Größe und allgemeiner Wohlfahrt mitzuwirken haben und aus dieser gewissenhaften Verantwortung heraus sagen wir: Was sich seit Mitte März vorigen Jahres in unserem Lande ereignet hat, ist ein nationales Verderben.“ Vgl. ebd., S. 177. 105  Vgl.

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

öffentlichen Lebens versprach Hitler, die Voraussetzungen für eine wirklich tiefe innere Religiosität zu schaffen.106 Dabei ist zu bemerken, dass der deutsche Katholizismus als Sozialform aus den Rudimenten der alten Reichskirche entstanden sei und sich als Emanzipationsbewegung nach dem Ersten Weltkrieg einen Platz im modernen Nationalstaat sucht. Sie beriefen sich, so Reinhard Richter, auf die universalen Vorstellungen, welche sich in der romantischen Sehnsucht nach einem ideellen Reich der mittelalterlichen Kaiserherrlichkeit, in der großdeutschen Orientierung und in der ultramontanen Rombezogenheit segmenthaft erhalten haben.107 Insofern habe die traditionell übernationale Ausrichtung der Katholiken in den frühen zwanziger Jahren den Eindruck erweckt, als die Suche nach neuen europäischen Ordnungsmodellen durch die Schrecken des Krieges und die Situation der Nachkriegszeit in Intellektuellenkreisen angeregt worden sei, Orientierung zu bieten,108 woraus der Abendland-Kreis zustande kam. Kennzeichnend für den Abendland-Kreis bleiben, so Reinhard Richter, neben der Verbindung von Katholizismus, Antisozialismus und Korporatismus des Antiborussianismus und der großdeutsche Gedanke.109 Die Idee eines Dritten Reiches, nach dem mittelalterlichen Ersten und dem wilhelminischen Zweiten Reich, habe für die Reichsvisionäre erhebliche Attraktivität entwickelt, hätten sie doch in einem erneuerten Reich gehofft, die mittelalterliche organische Ordnung wiederbeleben zu können. Dies erkläre auch ihre Bereitschaft, sich den immer einflussreicher werdenden Nationalsozialismus zu nähern.110 Die Abendländer, die sich im Bannkreis des Reiches bewegten, erlagen somit genau jener Faszination, welche auch die konservativen Revolutionäre an die Seite der neuen Machthaber des Januar 1933 antrieb. Vorangetrieben wurden die ideelle Entwicklung und auch die organisatorische Annäherung der Abendländer an den Nationalsozialismus vor allem durch den katholischen Akademikerverband.111 106  Köhler, Der deutsche Katholizismus zwischen Widerspruch zur nationalsozialistischen Ideologie und nationaler Loyalität, in: Bendel, S. 129. 107  Richter, Nationales Denken im Katholizismus der Weimarer Republik, S. 28. 108  Conze, Das Europa der Deutschen: Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920–1970), S. 29. 109  Vgl. Richter, Nationales Denken im Katholizismus der Weimarer Republik, S. 151. Zur Abendland-Idee ebd., S. 143: „Die Abendland-Idee ist zu Recht als eine ethisch-kulturelle und politische Erneuerungsidee in den Jahren der Weimarer Republik bezeichnet worden, die auf dem Wege zum geeinten Europa eine geistige Voraussetzung darstellt.“ 110  Vgl. Conze, Das Europa der Deutschen: Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920–1970), S. 50. 111  Vgl. ebd., S. 51. Die Aufgabe des Bundes lautetet: „Die besondere Aufgabe des Bundes an den Intellektuellen ist wesentlich erwachsen durch das seit Deismus



II. Monotheismus und Reichstheologie105

Hierzu ist zu bemerken, dass neben Vertretern der katholisch-akademischen Elite sich auch konservative Revolutionäre wie Carl Schmitt dem Rechtskatholizismus zuwandten. In diesem Zusammenhang soll auf einer Sondertagung der Katholischen Akademie hingewiesen werden, welche darauf abzielt eine katholische Lesart vom Nationalsozialismus darzustellen. Hierbei nahm Schmitt zusammen mit einigen preußischen nationalsozialistischen Staatsräten im Juli 1933 an der der Reichstheologie gewidmeten Sondertagung des Katholischen Akademikerverbandes in Maria Laach teil. Die Sondertagung des Katholischen Akademikerverbandes in Maria Laach ist eben ein Versuch um Christentum und NS-Regime in Einklang zu bringen; es war nämlich bei dieser Sondertagung der Katholischen Akademie die Gleichschaltung der Kirche im Nationalsozialismus das Ziel. Das Ziel der Laacher Tagung war Idee und Aufbau des Reiches, indem sie sich um die Gleichschaltung des Christentums mit dem szs. nationalen Staat bemühte. In einem von Abt Herwegen gehaltenen Vortrag „über die geistigen Grundlagen der nationalen Bewegung“ in Maria Laach kann man dieses Ziel verfolgen: „Was auf religiösem Gebiet die liturgische Bewegung ist, ist auf dem politischen Gebiet der Faschismus. Der deutsche Mensch steht und handelt, unter Autorität, unter Führerschaft, die sich in Stufung und Gliederung zur Hierarchie aufbaut. Die Gefolgschaft wird dem Führer geleistet aus Gemeinschaftsgeist und zur Wahrung der Totalität, das heißt der Ganzheit aller Lebensbeziehungen im Hinblick auf das Wohl des Ganzen … Sagen wir ein rückhaltloses Ja zu dem neuen soziologischen Gebilde des totalen Staates, das durchaus analog gedacht ist dem Aufbau der Kirche. Die Kirche steht in der Welt wie das heutige Deutschland in der Politik. Der Schritt aus der Idee zur Wirklichkeit vollzieht sich nicht immer glatt.“112

Also bezeichnet er den Nationalsozialismus als religiöse Auffassung von Politik und zwar als eine autoritäre und doch christliche Linie der Entwicklung vom ständischen Aufbau über die totale Erfassung des Menschen zum Reich. Insofern kann man feststellen, dass die Laacher Tagung zu der Verbreitung der Reichsideologie innerhalb der katholischen Akademikerschaft einen beachtlichen Beitrag geleistet habe.113 Die Tagung war ja vor allem und Aufklärung fühlbare und sichtbare negative Symptom der Infektion dieser Kreise durch Liberalismus, Relativismus und die kantische Seelen- und Geisteshaltung. In einer Reinigung des Geistes und der Seele unserer Intellektuellen von dieser Atmosphäre durch vertieftes Eindringen in die katholische Welt … sehe ich die große, besondere Aufgabe … unseres Bundes, so formulierte es der Generalsekretär des Verbandes, Kaplan Franz Xaver Münch.“ Ebd., S. 52. 112  Breuning, Die Vision des Reiches: Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur 1929–1934, S. 209. 113  Vgl. ebd., S. 211.

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

von dem Vortrag des Laacher Mönches Damasus Winzen „über den Aufbau des Reiches in theologischer Sicht“ beherrscht, wobei er das Reich als ein politisches System zwischen der hierarchischen Theokratie und dem säkularen Staat dargestellt hat.114 Er meinte, dass das Reich als weltliches Korrelat der Kirche zwar in sich universal sei, aber da es wie die Kirche in einem bestimmten zeitlichen und geographischen Punkt geschichtsgebunden geworden sei, sei es in bestimmten Räumen und von daher in bestimmten Völkern zu konkretisieren: „Doch bedeutet die freiwillige Bindung, die das Ewige Wort mit dem Kulturgut bestimmter Völker und Zeiten eingeht, keinen unlösbaren, ewigen Vorrang dieses Volkes in seiner politischen Vormachtstellung. Es liegt im Gegenteil darin, dass der Auftrag des Reiches von dem ewigen Christus her an ein bestimmtes Volk ergeht, auch zugleich die Möglichkeit der translatio imperri, der Übertragung des Reiches an ein anderes Volk. Die Übertragung geschieht dann, wenn sich ein Volk des Reiches unwürdig erwiesen hat, oder wenn es physisch das Reich nicht mehr tragen kann … Daraus erhellt, dass der Vorrang eines Volkes im Reich nicht nur eine biologische Grundlage hat, die bei einseitiger Betonung leicht in stolze Überhebung ausarten kann, sondern vor allem eine geistige, die in dem hingebenden Dienst an seinem Auftrag zum Reiche liegt.“115

Insofern kann man daran festhalten, dass der katholische Akademikerverband darauf abzielt, die NSDAP theologisch zu rechtfertigen, indem das neue Reich bei ihm als Erbe der mittelalterlichen organischen Ordnung identifiziert wurde. 3. Disjunktion von Theologie und Politik Es wurde bisher gezeigt, dass man zwischen der Politischen Theologie und der Reichstheologie im NS-Regime ein Verhältnis annehmen darf. Hierzu wurde auf Schmitts Schrift „Römischer Katholizismus und politische Form“ hingewiesen, womit seine Neigung zu einem Staat, der sich theologisch rekonstruieren will, vergegenwärtigt wird. Er hebt hierbei den Rationalismus der Kirche hervor und unterscheidet deren autoritäre Form vom unpersönlichen bzw. ökonomischen Denken der Moderne. Vor allem betrachtet er die autoritäre Form des römischen Katholizismus in ihrer Vorbildlichkeit für die Gegenwart. Schmitt verknüpfte laut Karl-Egon Lönne seine Verteidigung des Politischen mit der katholischen Kirche. Er machte damit den Katholizismus seiner Gegenwart auf Aufgaben aufmerksam, die ihm nach seiner Auffassung auf dem Gebiete der Politik in grundlegender Weise gestellt waren.116 114  Vgl.

ebd., S. 241. S. 241. 116  Lönne, Carl Schmitt und der Katholizismus der Weimarer Republik, in: Wacker, S. 14. 115  Ebd.,



II. Monotheismus und Reichstheologie107

Was Schmitt nach dem zweiten Weltkrieg über Politische Theologie geschrieben hat, sei, wie gesagt, eine juristische Aussage über systematische Struktur-Verwandtschaft von theologischen und juristischen Begriffen.117 Insofern sei Peterson ja nicht gegen den Begriff des Politischen als solchen und auch nicht gegen ein mit ihm verbundenes Forschungsvorhaben und er habe keineswegs die systematische Strukturverwandtschaft von theologischen und juristischen Begriffen geleugnet, sondern das Problem bestehe darin, dass er aus ihr in vielen Fällen konkrete politische Konsequenzen gezogen habe.118 Hierzu kann man diese Frage aufwerfen: War Schmitt also selbst ein politischer Theologe, der die christliche Verkündigung zur Rechtfertigung einer politischen Situation missbraucht, indem er zentrale theologische Inhalte in einer politischen Theorie säkularisiert? Die meisten Schmitt-Interpreten bejahen diese Frage. Schmitt war in dieser Sicht nicht nur am historischen Sachverhalt der Politisierung der theologischen Begriffe interessiert, sondern versuchte die Konsequenz dieser Forschung in die aktuelle Politik hineinzubringen. Schmitt hat, so Meier, den Liberalismus aufgrund der Politischen Theologie bekämpfen wollen und er versuchte mittels des katholischen Glaubens die politischen Begriffe gegen den Liberalismus aufzubauen. Dabei schreibt Meier: „Die Politische Theologie weiß, dass sie auf Glauben gegründet ist, und sie will es sein, weil sie zu wissen glaubt, dass jedes menschliche Leben auf Glauben gegründet sein muss. Immer steht nach Schmitts Lehre Glaube gegen Glaube, Metaphysik gegen Metaphysik, Religion gegen Religion.“119

Daher trägt die katholische Verschärfung zu der von Schmitt geprägten politischen Theorie bei, womit er gegen den Liberalismus argumentieren konnte. Und insofern wird die Theologie ein Bestandteil des politischen Denkens und Peterson versuchte insofern das Christentum aus der Verkettung des Politischen, wofür Schmitt plädiert, zu entlassen. Peterson appelliert laut Hans Maier an die Katholiken, sich nicht in ähnlicher Weise an Geschichte, Sprache, Politik eines Volkes zu binden, sondern an ihrer übernationalen Verfassung als Grundlage einer an alle Menschen gerichteten Verkündigung festzuhalten.120 Insofern unterscheidet Peterson die christliche 117  Schmitt, Politische Theologie II: die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, S. 79. 118  Nichtweiß, Erik Peterson: neue Sicht auf Leben und Werk, S. 812. 119  Meier, Die Lehre Carl Schmitts, S. 74. 120  Vgl. Maier, Erik Peterson und der Nationalsozialismus, in: Nichtweiß, S. 245. Hierzu ist doch zu betrachten, dass Peterson eine Interpretation über das Konzept der Feindschaft im Christentum herausstellt, die Schmitts Darstellung über Feindseligkeit im Begriff des Politischen gegenübersteht. Während Schmitt nämlich das Gebot der Feindesliebe als allein private Forderung verstehen wollte und es damit als möglichen Störfaktor für seine Politik-Definition ausschaltete, bezog Peterson es

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

Lehre vom Politischen, weil sie, wie gesagt, nicht den politischen Konstellationen entspricht. Schmitt bemüht sich Petersons Kritik an der Politischen Theologie zu beantworten. Erik Peterson hat laut ihm für eine theologische Kehrtwendung plädiert, welche die Religion von dem konkreten geschichtlichen Geschehen entfernen will.121 Die Trinitarische Theologie sei für Peterson jenseits von aller Politik, die absolute Unerreichbarkeit und Unbelehrbarkeit vom Politischen her. Er versuche, in der geschichtlichen Wirklichkeit religiöse und politische Motive und Ziele als zwei inhaltlich bestimmbare sauber zu trennen und die orthodoxe Theologie sei für ihn die reine, unpolitische Theologie.122 Petersons Argumentation bewege sich somit in einer Trennung von rein-Theologisch und unrein-Politisch, in einer abstrakt absoluten Disjunktion, in deren Auswirkung er an jeder konkreten, geistlichweltlich gemischten Wirklichkeit des konkreten geschichtlichen Geschehens vorbeigehen könne. Aufgrund der Konkreten Ordnung will Schmitt hingegen die abstrakte und absolute Trennung von reiner Theologie und unreiner Politik, wofür Peterson argumentiert, hinterfragen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Transzendenz der Ursprung der Ordnung bei Schmitt ist und insofern sei die jeweilige Ordnung im Voraus eine politische Ordnung. Bevor man sich nämlich in einer normativistisch hergestellten Situation befindet, lebt man in einer Konkreten Ordnung, deren wichtigster Bestandteil eben Religion sei, wobei Schmitt schreibt: „Wenn das Religiöse nicht mehr eindeutig von der Kirche und das Politische nicht mehr eindeutig vom Reich oder vom Staate her bestimmbar ist, versagen sachinhaltliche Trennungen der zwei Reiche und Bereiche, mit denen in Epochen anerkannter Institutionen solche Trennungen praktisch gehandhabt werden. Dann stürzen die Wände ein, und die früher getrennten Räume durchdringen und durchstrahlen sich wie in den Labyrinthen einer Lichtarchitektur. Der Prätention einer absoluten Reinheit des Theologischen fehlt dann der Glaube. Petersons Verdikt wird leer.“123

laut Barbara Nichtweiß durchaus auf den öffentlichen Feind. Dieser Feind sei nicht bei Peterson der Opponent, der nun einmal notwendig (und dialektisch notwendig) zu jeder Position gehöre, sondern er sei der Feind und Hasser, der in einer dämonischen Tiefe aufgewühlt und daher keine Person sei, sondern Feind in einem unheimlich objektiven und unpersönlichen Gehalt. Vgl. Nichtweiß, Apokalyptische Verfassungslehren. Carl Schmitt im Horizont der Theologie Erik Petersons, in: Wacker, S.  48 ff. 121  Vgl. Schmitt, Politische Theologie II, S. 67. 122  Vgl. Nichtweiß, Erik Peterson: neue Sicht auf Leben und Werk, S. 817. 123  Schmitt, Politische Theologie II, S. 68.



II. Monotheismus und Reichstheologie109

Schmitt geht davon aus, dass man nicht eine absolute Trennung zwischen dem politischen und theologischen Raum einführen darf, weil diese Räume unumgänglich sich durchdringen würden. Denn die Aufgabe des Politischen besteht, wie im ersten Kapital erwähnt wurde, nach Schmitt darin, den Denktypus des Volks in der Gesellschaft zu artikulieren. Genauer gesagt, geht Schmitt vom Denktypus des Menschen aus, der sich mit Bezug auf vier Faktoren, nämlich Boden, Volk, Kirche und Staat charakterisieren lässt.124 Insofern kann die Politik sich nicht von der Religion entkoppeln, weil sie die Religion als Denktypus strukturell artikulieren will. Ist eben von der absoluten Disjunktion auszugehen, so verwickelt man sich laut Schmitt in den Dogmatismus.125 D. h. es ist die Aufgabe einer dogmatischen Theologie, dass sie sich ganz abstrakt definieren und derselben Definition nach sich von anderen Sachgebieten unterscheiden lasse. Das Politische sei doch kein abgrenzbarer Gegenstandsbereich, der neben oder unterhalb des religiösen Bereichs steht, es stelle vielmehr ein öffentliches Beziehungsfeld zwischen Menschen und Menschengruppen dar, das durch einen bestimmten Intensitätsgrad der Assoziation oder Dissoziation nach Schmitt gekennzeichnet sei, wobei Religion, bzw. Glaubensinhalte, religiöse Grundeinstellungen, religiös-theologische Lehren und Verhaltensgebote ebenfalls immer wieder, je nach der gegebenen Situation, in das Beziehungs- und Spannungsfeld des Politischen geraten könnten.126 Theoretisch betrachtet geht Peterson hierbei von einer institutionellen politischen Theologie aus, weil es bei der Politischen Theologie um die Struktur der politischen Ordnung und das Verhältnis derselben politischen Ordnung zur Religion geht. Hierzu Schreibt Böckenförde: „In einem weiter verengten Sinn ist dieser Begriff von politischer Theologie von dem Theologen Erik Peterson in seiner berühmt gewordenen Schrift „Der Monotheismus als politisches Problem“ verwendet worden. Politische Theologie bezeichnet danach nur die theologische Rechtfertigung cäsaropapistischer oder sonstiger politischer Einherrschaft; diese erklärte Peterson wegen des Trinitätsdogmas der christlichen Religion für christlich-theologisch unmöglich und baute darauf seine These von Erledigung aller politischen Theologie durch den trinitarischen Gottesbegriff der christlichen Offenbarung auf.“127

Was Schmitt hingegen über Politische Theologie zum Ausdruck bringt, bezieht sich laut Böckenförde auf eine juristische Darstellung der Politischen Theologie.128 Was die Strukturverwandtschaft theologischer und jurisSchmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 9. Schmitt, Politische Theologie II, S. 67. 126  Vgl. Böckenförde, Politische Theorie und politische Theologie: Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis, in: Taubes, S. 24. 127  Ebd., S. 20. 128  Vgl. ebd., S. 19. 124  Vgl. 125  Vgl.

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

tischer Begriffe betrifft, geht es bei Schmitt um den Vorgang der Übertragung theologischer Begriffe auf den staatlich-juristischen Bereich, nicht um eine Analyse des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat. Schmitt will dennoch nicht die Religion aus der Öffentlichkeit ausschließen. Und in diesem Zusammenhang ist es für Schmitt doch nicht der Fall, dass das Politische einen Beitrag für die Religiosität leisten müsse, sondern ganz umgekehrt. Insofern kann man dafür argumentieren, dass Schmitt eine Reichstheologie etablieren wollte, deren Aufgabe ist die Macht des Staatlichen zu garantieren. Daher kann man daran festhalten, dass Schmitt angesichts seiner Teilnahme an der Sondertagung der Katholischen Akademie eine Theorie über Staat und Nationalität entwickeln wollte, der die religiösen Überzeugungen zugrunde lagen. Insofern warf Peterson ihm vor, dass er mittels der Politischen Theologie die staatliche Macht rechtfertigen wolle. Mit anderen Worten zielte Schmitt nicht darauf ab, wie schon gesagt, die Theokratie zu theoretisieren, sondern er legitimiert aufgrund der Theologie die herrschende politische Macht. Und in diesem Zusammenhang war es seine Aufgabe, den Katholizismus zur Rechtfertigen der staatlichen Macht zu instrumentalisieren. Also ist Peterson überzeugt, dass der Politischen Theologie jener Ansatz zugrunde liegt, der einen konkreten Politischen Sachverhalt zu rechtfertigen vermag. Von daher gehe es Peterson darum, an der Unterscheidung zwischen Theologie und Politik, zwischen dieser und jener Welt festzuhalten.129 Folglich ist die trinitarische Theologie bei Peterson das Jenseits aller Politik, die sich nicht der politischen Orientierung unterjochen wollte. Es sei gewiss richtig, dass Peterson die von Schmitt konstatierte Auflösung der Unterscheidung von Jenseits und Diesseits, von Transzendenz und Immanenz nicht habe hinnehmen wollen, ebenso wenig wie die Politisierung und Remythisierung des Staatlich-Institutionellen, so auch nicht eine bestimmte Form von Politisierung der religiösen Institution.130 Daher geht es hierbei Peterson darum, dass die Theologie mittels der politischen Interessen missbraucht wird, indem Schmitt im Sachgebiet der Theologie politische Sachverhalte konzipieren will.

129  Vgl. 130  Vgl.

Adam, Politische Theologie: Eine kleine Geschichte, S. 147. Nichtweiß, Erik Peterson: neue Sicht auf Leben und Werk, S. 818.



III. Säkularisierungsprozess der Neuzeit111

III. Säkularisierungsprozess der Neuzeit 1. Karl Löwith und die Frage nach der Entstehung des Fortschrittsdenkens Schmitt vertritt die These, dass alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre säkularisierte theologische Begriffe seien.131 Also nimmt Schmitt keine Spaltung zwischen den vormodernen theologischen Begriffen und den modernen politischen Begriffen an, wobei die theologischen Konzepte sich in eine säkulare Form umgewandelt haben, während sie ihre theologische Struktur beibehielten. Insofern ist die moderne Staatslehre bei ihm Säkularisierung der theologischen Weltanschauung, indem sie sich ja von der Transzendenz abbringen lässt, und stattdessen auf irdische Ziele fokussiert.132 In diesem Zusammenhang befasst sich Karl Löwith u. a. mit dem Fortschrittsbegriff und dessen Entstehung in der Neuzeit, welcher die Säkularisierung der christlichen Eschatologie sei. Um Schmitts Gedankengut über den Prozess der Säkularisierung in der Neuzeit im Sachgebiet der Politik zu vergegenwärtigen, soll auf Löwiths Gedankengut eingegangen werden. Schmitt und Löwith gehören jenen Interpreten an, die den Säkularisierungsbegriff im genannten Sinne gebraucht haben. Während Schmitt sich mit den Begriffen der modernen Staatslehre auseinandersetzt, fokussiert sich Löwith speziell auf die moderne Geschichtsphilosophie mit ihrer immanenten Enderwartung als Säkularisierung der mittelalterlichen Vorstellung einer Heilsgeschichte, der christlichen Eschatologie und alttestamentlichen Prophetie.133 Fortschritt ist in unserem Sprachgebrauch ein Begriff, der im 18. Jahrhundert entstanden ist. Obwohl es schon immer ein gewisses Bewusstsein über einen Fortschritt gab, ist man sich dennoch einig, dass man sich erst in der Neuzeit, vor allem im 18 Jahrhundert intensiv mit der Kategorie Fortschritt auseinandersetzte und ihn empirisch zu beweisen versuchte und gewisse Erwartung an ihn knüpfte, wobei das entscheidende Schmitt, Politische Theologie, S. 49. unterscheidet hierbei, wie schon gesagt, zwei Aspekte von Säkularisierung, einen historischen und einen systematischen. Historisch seien theologische Begriffe wie der des allmächtigen Gottes und des Wunders auf den Begriff des omnipotenten Gesetzgebers und des Ausnahmezustands übertragen worden. Systematisch betrachtet bestehe eine strukturelle Analogie zwischen theologischen und staatsrechtlichen Begriffen, deren Erkenntnis im Blick auf eine begriffssoziologische Betrachtung notwendig sei. Vgl. Groh, Arbeit an der Heillosigkeit der Welt: Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts, S. 156 ff. 133  Wetz, Hans Blumenberg zur Einführung, S. 43. Vgl. Heidenreich, Mensch und Moderne bei Hans Blumenberg, S. 151. 131  Vgl.

132  Schmitt

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

Problem die Frage nach der Entstehung des Fortschrittsdenkens ist. Während einige Historiker und Theologen davon ausgehen, dass es sich aus der christlichen Erwartung auf ein künftiges Heil entwickelte – was bei Karl Löwith und Jacob Taubes der Fall ist –, gibt es auch Vertreter der These, dass das Fortschrittsdenken ausschließlich aufgrund technischer und wissenschaftlicher Neuerungen aufgekommen und daher unabhängig vom christ­ lichen Glauben entstanden ist. Hierzu kann man auf Hans Blumenberg verweisen, der das Säkularisierungsverständnis von Schmitt und Löwith hinterfragt hat, was im Folgenden untersucht wird. Im Mittelalter war das Leben der Menschen stark auf das Jenseits ausgerichtet. Die Menschen hatten Hoffnung auf das Ewige Leben im Jenseits. Mit der Renaissance wendete sich diese Hoffnung mehr dem irdischen Leben zu und von daher versuchten moderne Philosophen das Leben der Menschen aufgrund des menschlichen Intellekts zu verbessern. Der Glaube an die menschliche Vernunft ersetzte immer mehr die Religion und die Menschen bemühten sich darum selbst ihre Zukunft zu gestalten. Dieser Prozess mündete in die Aufklärung, wo die kirchliche Herrschaft in Frage gestellt wurde. Zahlreiche Quellen aus dem 18. Jahrhundert belegen, dass viele Denker sich in dieser Zeit mit der Idee eines fortschreitenden Menschen befassten. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wächst hierbei doch immer mehr die Kritik an den einlinigen Fortschrittstheorien der Gesellschaft und ihren fatalen Folgen.134 In diesem Zusammenhang kann man diese Frage stellen, ob es vor der Moderne keine Vorstellung von Fortschritt gab? Hierzu wollte Löwith die Moderne als eine unabhängige Idee, die sich auf die menschliche Vernunft stützt, hinterfragen, was bei Schmitt auch u. a. der Fall ist. In seinem 1953 erstmals erschienenen Werk „Weltgeschichte und Heilsgeschehen“ vertritt Löwith die These, dass der Glaube an den Fortschritt den Glauben an zukünftiges Heil durch Gott ersetzt hat.135 Um diese These 134  Hierzu bezieht sich Willi Oelmüller auf die bekanntesten Thesen der Intellektuellen im 19. Und 20 Jahrhundert, die von einer skeptischen Vorstellung über die Zukunft der Menschheit geprägt sind. Vgl. Oelmüller, Religionen in modernen Rechts- und Verfassungsstaaten – eine Utopie der Vergangenheit, in: Manemann, S. 112 f.: „Nietzsches bekannte Thesen lauten: Wenn Gott tot ist, dann sind nicht nur die europäische Moral, sondern auch alle seit der Aufklärung entwickelten Vorstellungen vom Menschen als Subjekt mit neuen Freiheiten und Rechten erledigte Vergangenheit. Der letzte Mensch ist das Verächtlichste in der Welt. Max Webers Charakterisierung des letzten Menschen lautet ähnlich: Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben. Nach dem Ende der faschistischen und stalinistischen Systeme am Ende des 20. Jahrhunderts sind für uns die neuen weltweiten Herausforderungen unübersehbar.“ 135  Zur christlichen Zuversicht auf eine künftige Erfüllung und deren Einfluss auf die Moderne vgl. Löwith, Das Verhängnis des Fortschritts, in: Kuhn, S. 19: „Die



III. Säkularisierungsprozess der Neuzeit113

zu beweisen, versuchte er in geschichtsphilosophischen Entwürfen bekannter Religionskritiker einen theologischen Kern zu finden. Er bezieht sich hierbei auf die Bedeutung der Weltgeschichte in der griechischen Weltanschauung. Die Griechen seien von der sichtbaren Ordnung und Schönheit des natürlichen Kosmos ergriffen gewesen und das kosmische Gesetz des Werdens und Vergehens sei auch das Vorbild ihres Geschichtsverständnisses gewesen.136 Dabei schreibt er: „nach griechischer Weltanschauung bewegt sich alles in einer ewigen Wiederkehr des Gleichen, wobei der Hervorgang in seinen Anfang zurückkehrt.“137 Insofern sei die Revolution laut Löwith ursprünglich ein natürlicher, kreisförmiger Umlauf; aber kein Bruch mit einer geschichtlichen Überlieferung. Mit der Entstehung des Christentums und Judentums habe sich jedoch die Bedeutung der Weltgeschichte verändert.138 Während die griechische Kultur sich damit begnügt habe, sich von der offenbaren Ordnung des Kosmos ergreifen zu lassen und diesen als ewige Wiederkehr des Gleichen zu fassen, bedeute für Juden und Christen Geschichte immer ein Heilsgeschehen.139 Die Vorstellung, dass die Geschichte nicht Zirkular, sondern linear verläuft, entspringt, so Löwith, dem Christentum. Mit anderen Worten richtet sich die Geschichte auf einen Endzweck hin und somit ergründet diese von der griechischen Weltanschauung abgewichene Vorstellung den Sinn der Weltgeschichte.140 Hierzu schreibt Löwith: christliche Zuversicht auf eine künftige Erfüllung ist zwar dem modernen Geschichtsbewusstsein abhandengekommen, aber die Sicht auf die Zukunft als solche und auf eine unbestimmte Erfüllung ist herrschend geblieben.“ 136  Vgl. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, S. 14. 137  Ebd., S. 14. 138  Vgl. ebd., S. 14. 139  Heidenreich, Mensch und Moderne bei Hans Blumenberg, S. 151. Während Löwith in seinem Buch das zyklische Geschichtsdenken der Griechen der linearen Geschichtsauffassung gegenüberstellte, wie sie aus dem christlichen Glauben erwuchs, zeigte Michael Landmann, dass Herder und die Historische Schule eine dritte Geschichtsmetaphysik entwickeln hätten. Nur jeweilig, im Nebeneinander der Kulturen sei aufgrund der dritten Lehre der Sinn der Geschichte produktiv zu ergreifen. Vgl. Pöggeler, Schritte zu einer hermeneutischen Philosophie, S.  464 f. 140  In dem von Jakob Taubes 1947 erschienenen Buch wird die Möglichkeit kritischer, rein immanent verfahrender Geschichtsphilosophie radikal in Frage gestellt, indem er behauptete, dass der Sinn von Geschichte sich nur von ihrem Ende her erfassen lasse. Maß und Stand lässt sich in der Frage nach dem Wesen der Geschichte nur gewinnen, wenn vom Eschaton her gefragt werde. Denn im Eschaton übersteigt die Geschichte ihre Grenze und wird selbst sichtbar. Vgl. Taubes, Abendländische Eschatologie, S. 3–9, hier 7: „Der Weg des Menschen in die Zeit ist die Geschichte als Offenbarung des Menschen. Im Aeon der Sünde beginnt das Sein als Zeit, ausgerichtet auf den Tod. Die Zeit trägt in sich das todbringende Prinzip.“

114

C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

„Es ist wohl kein Zufall, dass unser Sprachgebrauch die Worte ‚Sinn‘ und ‚Zweck‘, sowie ‚Sinn‘ und ‚Ziel‘ vertauscht; es ist gemeinhin der Zweck, der die Bedeutung von Sinn bestimmt. Der Sinn aller Dinge, die nicht von Natur aus sind, was sie sind, sondern von Gott oder vom Menschen gewollt und geschaffen sind, bestimmt sich aus ihrem Wozu und Zweck. Ein Tisch ist dadurch Tisch, dass er auf ein Wozu verweist, das über sein dingliches Sein hinausweist.“141

Demzufolge sind die geschichtlichen Geschehnisse nur dann sinnvoll, wenn sie auf einen Zweck jenseits der tatsächlichen Ereignisse verweisen, und da die Geschichte eine zeitliche Bewegung sei, müsse der Zweck das zukünftiges Ziel sein. Hierzu schreibt Löwith: „Die Annahme, dass die Geschichte einen letzten Sinn habe, antizipiert also einen Endzweck als Endziel, das die tatsächlichen Geschehnisse überschreitet.“142 Diese neue christliche Vorstellung spielt auf eine quasi universale Perspektive an, welche sich gegenüber der griechischen Weltanschauung auf die vorgegebene Sinnlichkeit von allen Ereignissen berufen wollte. In diesem Zusammenhang schreibt Löwith: „Nur innerhalb dieser eschatologischen Umgrenzung des historischen Prozesses wurde die Geschichte auch universal. Ihre Universalität beruht nicht schon auf dem Glauben an einen allmächtigen Herrn, sondern auch darauf, dass er der Menschheitsgeschichte Einheit verleiht, indem er sie von Anfang an auf ein letztes Ziel hin lenkt.“143

In der christlichen Lehre hat die Welt einen Anfang und ein Ende und zwischen der Schöpfung und der Errichtung des Reiches Gottes auf Erden verläuft die Geschichte als ein zielgerichteter Prozess. Dem Christentum zufolge sei nämlich die zeitliche Dimension eines endgültigen Zieles eine eschatologische Zukunft und Zukunft sei für die Gläubigen nur da in Erwartung und Hoffnung. Während eine solche Erwartung am leidenschaftlichsten bei den jüdischen Propheten lebendig gewesen sei; sei sie den griechischen Philosophen fremd gewesen.144 Während die Heilsgeschichte sich nach der Lehre des Christentums in der Weltgeschichte vollzieht, nämlich alle Geschehnisse auf der Erde Teil des verborgenen göttlichen Plans sind; ist das moderne Fortschrittsdenken nach Löwith säkularisierter Prozess derselben Heilsgeschichte. Der moderne Mensch bezieht sich auf den Glauben an einen innerweltlichen Fortschritt, der durch das Selbstbewusstsein des Menschen vorangetrieben wird.145 141  Löwith,

Weltgeschichte und Heilsgeschehen, S. 15. S. 15. 143  Ebd., S. 26. 144  Vgl. ebd., S. 15. 145  Der Fortschritt sei eine Bewegung des Werdens auf etwas Künftiges hin; aber nicht jedes Werden und nicht jede Entwicklung ist schon ein Fortschritt. Die Wassermassen eines Flusslaufes bewegen sich z. B. nach Löwith auf etwas hin, der Fluss 142  Ebd.,



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Fortschritt entstand also aus jener Vorstellung, die den Menschen in den Mittelpunkt der Welt stellt, sodass er sich aufgrund seines Intellekt entwickeln kann. Zusammenfassend schreibt Löwith: „Die griechischen Historiker erkundeten und erzählten Geschichten, die um ein großes politisches Ereignis kreisen; die Kirchenväter entwickelten aus der jüdischen Prophetie und der christlichen Eschatologie eine Theologie der Geschichte, die sich an dem überhistorischen Geschehen von Schöpfung, Inkarnation, Gericht und Erlösung orientiert; der moderne Mensch dachte eine Philosophie der Geschichte aus, indem er die theologischen Prinzipien im Sinne des Fortschritts zu einer Erfüllung säkularisierte und auf eine ständig wachsende Zahl von empirischen Kenntnissen anwendete, die sowohl die Einheit der Weltgeschichte wie ihren Fortschritt in Frage stellen.“146

Löwith ist überzeugt, dass das Fortschrittsdenken in der Moderne aus der Eschatologie im Christentum vorhergegangen sei und von daher geht er davon aus, dass die Moderne keine unabhängige Weltanschauung gegenüber dem Christentum vertritt. Folglich habe Löwith den Weg von der Geschichtsphilosophie zur Geschichtstheologie und schließlich zur Eschatologie als einen esoterischen Weg der Initiierung in den eschatologischen Sinn des Geschehens beschrieben.147 Insofern analysiert er ebenso das Fortschrittsdenken in der Kategorie des Theologischen, wie Schmitt die Staatslehre in derselben Kategorie. Genauer gesagt, Schmitt verlagert genauso die theologischen Begriffe auf das politische Sachgebiet, wie Löwith die eschatologische Zukunftserwartung des Christentums auf das Fortschrittsdenken in der Neuzeit. Hierzu ist doch zu bemerken, dass Schmitts erste bündige Skizze über das Geschichtsbild seine Rede über das Zeitalter der Neutralisierung und Entpolitisierung ist. Sie skizziert die politische Dynamik der Neuzeit als einen Prozess von Umbesetzungen. Die Neigung zu einer Flucht vor der Politik in Neutralisierungen und Entpolitisierungen verlegte demnach das Politische nur an einen anderen Ort. Die Ironie dieser Geschichte laut Mehring ist, dass die Sehnsucht nach Neutralisierungen und Entpolitisierungen in neue Politisierungen umschlägt und sich die Totalität des Politischen macht aber keine Fortschritte. Mit anderen Worten gehe dieses natürliche Werden und Anderswerden aber nicht endlos weiter und gehe weiter fort zu immer neuen Veränderungen, sondern es habe in jedem Exemplar seiner Gattung ein bestimmtes Endziel. Der Fortschritt in der individuellen Entwicklung des Menschen und in den allgemeinen Veränderungen der Menschengeschichte hingegen zeigt laut Löwith jedoch keine natürliche Vollendung. Er komme nie ans Ziel, er geht immer noch weiter fort und das Ende ist nicht abzusehen. Vgl. Löwith, Das Verhängnis des Fortschritts, in: Kuhn, S. 15 ff. 146  Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, S. 26. 147  Vgl. Mehring, Karl Löwith, Carl Schmitt, Jacob Taubes und das Ende der Geschichte, in: Zeitschrift für Religion- und Geistesgeschichte, S. 234.

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

gegen die Neigung zum Unpolitischen durchsetzt.148 Am Prozess der Neuzeit demonstriert Schmitt das Politische als das totale und bestimmt so den geschichtlichen Rahmen seiner Untersuchungen. Nach der Kriegsniederlage des Deutschen Reiches wendet er sich 1942 vom Reichsbegriff ab und kehrt sich zur weltpolitischen Betrachtung der Völkerrechtsgeschichte, wobei er eine Geschichtstheologie entwickelt, indem er sich mit einer Stelle des Neuen Testaments, die um das Paulus-Wort über den bzw. das Katechon im zweiten Brief an die Thessalonicher geht, befasst.149 Hierzu fragt er nach dem Aufhalter des Endes der Geschichte, wobei Schmitts Politische Theologie, so Mehring, Geschichtstheologie wird, weil er die katechonische Aufhalterfunktion nicht mehr in einer bestehenden politischen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg zu identifizieren vermag.150 Hierzu schreibt Willi Oelmüller: „Zum Politikbegriff der politischen Theologie gehört für Carl Schmitt konstitutiv (1.) die Unterscheidung von Freund und Feind, während des Zweiten Weltkrieges die zwischen West und Ost, nachher die zwischen Land und Meer, (2.) das Katechon, die Verzögerung des weiteren geschichtlichen Verfalls durch den römischen Katholizismus und andere politische Institutionen.“151

Es geht bei Schmitt nach dem zweiten Weltkrieg um eine eschatologische Darstellung der Welt, welche sein Gedankengut von einer staatlichen Betrachtung auf die weltpolitische Betrachtung der Völkerrechtsgeschichte aufgrund seiner These über die Entpolitisierung der Welt verlagert hat. 2. Hans Blumenberg und die Selbstbehauptung der Neuzeit Im Gegensatz zu Löwiths Gedankengut vertritt Hans Blumenberg die These, dass die Fortschrittsidee keine Säkularisation der christlichen Eschatologie ist. Er argumentiert gegen die These, welche die Moderne als Säkularisierung der christlichen Idee begreifen will. In diesem Zusammenhang setzt er sich zuerst mit dem Fortschrittsgedanken in der Neuzeit bei Löwith und dann mit der Politischen Theologie, welche Schmitt konzipiert hat, auseinander. Löwith ist überzeugt, dass das neuzeitliche Geschichtsbewusstsein aus der Säkularisierung der christlichen Idee der Heilsgeschichte hervorgegangen ist. Blumenberg stelle jedoch in Abrede, dass die geschichtsphilosophische ebd., S. 233. Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 61–74. Schmitt, Die Einheit der Welt, in: Maschke, S. 850. 150  Mehring, Karl Löwith, Carl Schmitt, Jacob Taubes und das Ende der Geschichte, in: Zeitschrift für Religion- und Geistesgeschichte, S. 234. 151  Oelmüller, Religionen in modernen Rechts- und Verfassungsstaaten – eine Utopie der Vergangenheit, in: Manemann, S. 115. 148  Vgl. 149  Vgl.



III. Säkularisierungsprozess der Neuzeit117

Enderwartung und die moderne Fortschrittsidee bloße Metamorphosen der neutestamentlichen Eschatologie seien.152 Denn die neuzeitliche Geschichtsphilosophie entwickelt sich nach einem ihr innewohnenden Plan und läuft zielstrebig auf eine letzte Erfüllung hin.153 Mit anderen Worten versucht der Mensch in der Neuzeit selbst seine Geschichte zu beeinflussen und aufzubauen. Insofern sei die Geschichtsvorstellung als solche laut Blumenberg der neutestamentlichen Eschatologie völlig fremd. Eschatologie erwarte ein nahe bevorstehendes von außen in die Welt einbrechendes Endereignis und dieser Erwartung nach erscheine die religiöse Vorstellung von Geschichte als Verhinderung derjenigen Einstellungen und Aktivitäten, die dem Menschen die Realisierung seiner Möglichkeiten und Bedürfnisse gewährleisten könnten.154 Die entscheidende formale Differenz ist daher laut Blumenberg, dass die Eschatologie von einem in die Geschichte einbrechenden, ihr selbst transzendenten und heterogenen Ereignis redet, während die Fortschrittsidee von einer der Geschichte immanenten und in jeder Gegenwart mitpräsenten Struktur aus in die Zukunft extrapoliert.155 Von daher sind Begriffe, wie historisches Bewusstsein und die Entwicklung der Geschichte hierbei nicht relevant. Mit anderen Worten spielen die Menschen keine aktive Rolle in der christlichen Vorstellung von der Geschichte, weil sie nicht aufgrund des menschlichen Intellekts, wie es in der Neuzeit der Fall ist, die Geschichte beeinflussen können. Die religiöse Vorstellung von der Geschichte, welche sich auf den Erwartungsbegriff stützt, hat laut Blumenberg nichts mit der Entwicklung der Geschichte, bzw. des Fortschritts, die aus der Neuzeit entstanden sei, zu tun. Mit Hinblick auf Kant schreibt Blumenberg: „Die Geschichte als vom Menschen gemachte erscheint als voraussagbar. Kant spricht von einer a priori möglichen Darstellung der Begebenheiten, die da kommen sollen, ebenso wie von der wahrsagenden Geschichtserzählung des Bevorstehenden in der künftigen Zeit, weil hier das theoretische Subjekt zugleich der praktische Ursprung seiner Gegenstände ist.“156

Soll die Geschichte als der von Menschen gemachte Plan vorgesehen werden, dann ist der Mensch in der Lage den Vorgang der Geschichte vorauszusagen und somit seinen Zustand zu beeinflussen. Blumenberg findet es ja problematisch, dass man den Fortschrittsbegriff in der Neuzeit in der Kategorie der eschatologischen Erwartung auffassen will. Denn es gebe nicht nur keinen Zusammenhang zwischen dem Fortschrittsbegriff und der eschatologischen Erwartung im Christentum, sondern die Erfüllung derselWetz, Hans Blumenberg zur Einführung, S. 45. ebd., S. 45. 154  Vgl. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 40. 155  Blumenberg, Säkularisation: Kritik einer Kategorie historischer Illegitimität, in: Kuhn, S. 243. 156  Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 43. 152  Vgl. 153  Vgl.

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

ben eschatologischen Erwartung mittels der säkularen Methode sei auch eine Verfälschung der modernen Perspektive. Trat der Fortschrittsbegriff nämlich zutage, um die Enttäuschung der Menschen an der transzendenten Erwartung mit einer weltlichen Lösung zu beantworten, sei es eine falsche Erwartung von der Neuzeit, die nicht der modernen Denkweise entspreche. Blumenberg ist überzeugt, dass zwar viele neuzeitliche Begriffe und Vorgänge ihrer Substanz nach nichts mit theologischen Gehalten des christlichen Mittelalters zu tun haben, aber dennoch deren Fragen aufgenommen und somit ihre Stelle ausgefüllt haben.157 Daher seien Absolute Subjektivität, Fortschritt, Geschichte, Geld, Rasse, Nation und viele andere Begriffe einerseits keine entstellenden Verformungen theologischer Begriffe, andererseits träten sie in der Neuzeit an die freigewordene Stelle. Sicherlich hätten sie insofern nicht dieselbe Substanz wie die religiösen Vorstellungen, aber dieselbe Funktion.158 Genauer gesagt, da die mittelalterliche Ansicht nicht die Fragen der Menschen im Mittelalter, welche um Geschichte und das Leben gingen, beantworten konnte, wurde die Moderne nach Blumenberg als eine Bewegung wahrgenommen, die dieselbe Frage aufgrund des menschlichen Intellekts zu beantworten versucht. Dementsprechend müsse die neuzeitliche Geschichtsphilosophie als jener Versuch gewertet werden, der mittelalterliche Fragen mit den nachmittelalterlich verfügbaren Mitteln beantworten wolle. Dabei werde doch die Fortschrittsidee zu einer Generalisierung gedrängt, die ihren ursprünglich regional begrenzten und gegenständlich gebundenen Aussageumfang überbeanspruchte.159 Hierzu schreibt Blumenberg: „Es ist nicht so, dass die neuzeitliche Fortschrittsidee nur durch die Vorgängerschaft der theologischen Eschatologie möglich geworden wäre oder dass sie deren Aussage ihrer eigentlichen Intention entzogen und transformiert hätte – wohl aber ist es so, dass die Fortschrittsidee ihren ursprünglich regional begrenzten, gegenständlich gebundenen Aussageumfang erweitern und zu Geschichtsphilosophischer Allgemeinheit überanstrengen musste, um eine Frage zu beantworten, die gleichsam herrenlos und ungesättigt, im Raume stehen geblieben war, nachdem die Theologie sie virulent gemacht hatte.“160

Aufgrund dieser falschen Erwartung von der Moderne traten die metaphysischen Weltanschauungen am Beginn der Neuzeit hervor, welche die Frage als solche zu beantworten versuchten, die schon das Christentum vorgebracht hatte. D. h. metaphysische Weltanschauungen überforderten in der Neuzeit die moderne Rationalität, indem sie die Fragen und Erwartun157  Vgl.

ebd., S. 59. Wetz, Hans Blumenberg zur Einführung, S. 47. 159  Vgl. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 60. 160  Blumenberg, Säkularisation: Kritik einer Kategorie historischer Illegitimität, in: Kuhn, S. 249. 158  Vgl.



III. Säkularisierungsprozess der Neuzeit119

gen, die bei der Religion angesetzt waren, zu beantworten und erfüllen versuchten. Hierzu führt Blumenberg aus: „Die Neuzeit hat Probleme als sich aufgegeben angenommen, die das Mittelalter gestellt und vorgeblich beantworten hatte, die aber nur und gerade deshalb aufgeworfen worden waren, weil man sich schon im Besitz der Antworten glaubte.“161 Insofern nahm die Moderne die Fragen auf, welche im Mittelalter gestellt wurden, während die Fragen als solche über die moderne Perspektive hinausgreifen. Denn Blumenberg ist überzeugt, dass der Fortschrittsgedanke von einer empirischen Grundlage ausgeht: „Als eine Aussage über die Totalität der Geschichte und damit der Zukunft ist der Fortschrittsgedanke von seiner empirischen Grundlage in der Erweiterung der theoretisch zugänglich und verfügbar gewordenen Realität und in der Leistungsfähigkeit der dabei effektiven theoretischen Methodik abgezogen und heteronom funktionalisiert worden.“162

Will man die Enttäuschung der Menschen an der transzendenten Erwartung mit einer modernen Lösung beantwortet, so gerät man laut Blumenberg auf einen falschen Weg, woraus die Kontinuität der Geschichte und zwar die Theorie der Säkularisierung der Welt, welche von Schmitt vertreten wird, folgert. Im Folgenden wird auf die Kontroversen zwischen Schmitt und Blumenberg fokussiert. 3. Legitimität der Neuzeit; Kontroverse zwischen Carl Schmitt und Hans Blumenberg Schmitt musste sich bereits durch den 1964 veröffentlichten Vortrag Blumenbergs mit dem Titel „Säkularisation, Kritik einer Kategorie historischer Illegitimität“ angegriffen fühlen. Die ausführlichen Ausführungen in der ersten Auflage der „Legitimität der Neuzeit“ haben ihn dann zu einer Replik veranlasst.163 In der zweiten, erweiterten Auflage von „Politische Theologie“ von 1970 wendet sich Schmitt mit seiner Kritik nicht nur gegen Einsprüche von Erik Peterson, sondern auch gegen Hans Blumenberg. In Blumenberg und Schmitt standen sich das Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft und der Mitgestalter dieser Herrschaft gegenüber; doch ging es Blumenberg darum, über die unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen und Einstellungen hinaus zu der geschichtlichen Konstellation und zur sachlichen Problematik durchzudringen.164 Dabei ist zu bemerken, dass Blumenbergs These der Legitimität der Neuzeit Schmitts Politische Theologie von 161  Blumenberg,

Die Legitimität der Neuzeit, S. 59. S. 60. 163  Vgl. Heidenreich, Mensch und Moderne bei Hans Blumenberg, S. 193. 164  Pöggeler, Philosophie und hermeneutische Theologie, S. 237. 162  Ebd.,

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

der anderen Seite her negiere, also nicht von der theologischen, sondern von der wissenschaftlichen.165 Schmitt vertritt die These, dass die Neuzeit Säkularisierung der theologischen Ideen ist, wonach er keine Unterbrechung zwischen der Neuzeit und dem Mittelalter betrachten will. Für den Denker der Kontinuität, also Schmitt, entspringt die Neuzeit nicht dem autonomen Herkommen, sondern der theologischen Kategorie, indem die theologischen Begriffe in der Neuzeit mit der Beibehaltung der theologischen Perspektive in die säkulare Form umgestaltet worden sind. Von daher stellte Schmitt fest, dass Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre säkularisierte theologische Begriffe sind, wobei nach Ilse Staff zu fragen ist, welcher ideenpolitischen Kategorie das zuzuordnen ist, was Schmitt als Säkularisierung bezeichnet. Dass alle heute verwendeten staatsrechtlichen Begriffe sich auf einen säkularen Staat beziehen, sagt angesichts des vielfältigen Bedeutungswandels des Begriffs Säkularisierung hinsichtlich Schmitts speziellen Säkularisierungsverständnisses nichts aus.166 Zur Bedeutung der Säkularisierung schreibt Ilse Staff: „Die Begriffsbildung die sich aus dem Wort saeculum ergeben haben, sind nur zum Teil in ihrem Sinngehalt synonym. Eindeutig ist allein der Begriff Säkularisation als Entzug oder Entlassung einer Sache, eines Territoriums oder einer Institution aus kirchlich-geistlicher Observanz und Herrschaft. Säkularisierung meinte zunächst die geistige Emanzipation aus den autoritativen Bindungen an die eine Kirche, wie sie sich im Protestantismus, aber auch in neu-religiösen Strömungen zeigte; sie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Max Weber und Ernst Troeltsch, als positive individualistische Entwicklung verstanden.“167

Im Gegensatz zu dieser populären Definition von der Säkularisierung steht Schmitts Politische Theologie von Anfang an laut Michele Nicoletti nicht etwa für die Säkularisierung der Herrschaft oder die Politisierung der Religion, d. h. die Verflachung und Verdinglichung einer Dimension zugunsten der anderen, sondern sie ruft vielmehr nach Vermittlung, indem sie als Brücke zwischen den zwei Welten auftritt.168 Säkularisierung bedeutet somit 165  Groh, Arbeit an der Heillosigkeit der Welt: Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts, S. 158. 166  Staff, Zum Begriff der Politischen Theologie bei Carl Schmitt, in: Dilcher / Staff, S. 201. 167  Ebd., S. 201. 168  Nicoletti, Die Ursprünge von Carl Schmitts Politischer Theologie, in: Quaritsch, S. 117. Schmitt hatte bereits in seiner Habilitationsschrift von 1914 zu erkennen gegebenen, dass er unter Säkularisierung so viel wie Verwirklichung und Sichtbarmachung der wahren Begriffe in der empirischen Welt versteht. Vgl. Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 56: „Aus der Entgegensetzung der Norm und der realen empirischen Welt folgt die Stellung des Staates als Übergangspunkt der einen Welt zur andern. In ihm als Konstruktionspunkt, wird das



III. Säkularisierungsprozess der Neuzeit121

nicht Ignorierung der Transzendenz zugunsten weltlicher Immanenz, sondern ganz im Gegenteil bedeutet sie Verweltlichung der Transzendenz, bzw. deren Präsenz in der Welt, weil sie Offenbarung der Seinsordnung ist. Diese kontinuierliche Dynamik, die von der Theologie über die Politik hin zur Jurisprudenz führt, ist der Ausgangspunkt für Schmitts These und demzufolge versucht er den Prozess der Säkularisierung zu untersuchen. Die Transzendenz sei also als Ursprung der ganz konkreten Ordnungsakte der menschlichen Gesellschaft in der Geschichte der Neuzeit nicht mehr präsent und Schmitt versucht somit aus dieser polemischen Perspektive die Moderne zu analysieren. Obwohl die Transzendenz nicht in der Neuzeit präsent ist, hat die Neuzeit laut ihm die Struktur der mittelalterlichen Ansicht beibehaltet und von daher zielt die Moderne darauf ab, die theologischen Erwartungen säkular, nämlich aufgrund des menschlichen Intellekts, zu erfüllen. Hierzu wurde doch festgestellt, dass die Erwartungen als solche in der Neuzeit nach Blumenberg Verfälschung der Moderne ist. Die Neuzeit hat hierbei, so Schmitt, keine Legitimität, weil sie sich auf theologische Begriffe beruft, wobei man zuerst diese Frage aufwerfen soll, wie Schmitt den Begriff der Legitimität definiert. Hierzu schreibt er: „Im heutigen Sprachgebrauch bedeutet Legitimität rechtmäßig, Legalität gesetzmäßig. Legalität ist ein Funktionsmodus der staatlichen oder einer sonstigen, berechenbar funktionierenden Bürokratie. Aus dem gesetzmäßigen Funktionieren eines Verfahrensablaufs könnte nur Legalität als die kompatible Art der Rechtfertigung der Neuzeit in betrachtet kommen.“169 In diesem Zusammenhang stellt er u. a. fest, dass legitim immer mit Dauer, Alter, Herkommen, Erbe, Vaterschaft und Tradition zu tun hat. Hierzu hätten wir uns fälschlich daran gewöhnt, dass griechische Wort Nomos mit Gesetz zu verdeutschen.170 Von daher kann man nicht von der Legalität her eine legitime Rechtsordnung herleiten, weil Legitimität bei ihm der Legalität vorausgeht. Schmitt ist davon überzeugt, dass das Geschichtsbewusstsein in der Neuzeit die Säkularisierung der Heilsgeschichte ist. Und da die Legitimität einer Epoche im Bruch mit der Vergangenheit bestehe, stellt Schmitt die Legitimität der Neuzeit in Frage, weil er von keinem Bruch ausgeht.

Recht als reiner Gedanke zum Recht als irdischem Phänomen. Der Staat ist danach das Rechtsgebilde, dessen Sinn ausschließlich in der Aufgabe besteht, Recht zu verwirklichen.“ 169  Schmitt, Politische Theologie II, S. 87. 170  Vgl. ebd., S. 9 f. Was Schmitt als Denktypus philosophisch versteht, Identifiziert er im Sachgebiet der Jurisprudenz mit dem Legitimitäts-Konzept. Vgl. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 7.

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

Während die Signatur der Neuzeit laut Schmitt Verweltlichung ist, bezeichnet Blumenberg die Neuzeit als Weltlichkeit, wobei er schreibt: „Die Rede von Säkularisierung ist also in ihrer Möglichkeit bedingt durch den Vorgang, der allererst Weltlichkeit begründet hatte. Weltlichkeit gab es nicht, bevor es nicht Unweltlichkeit gab.“171 Sollte die Enttheologisierung, wie Blumenberg meint, als Merkmal und Leistung der Neuzeit betrachtet werden, dann erledigt sich eine politische Theologie Schmittscher Prägung von selbst, weil es dann in der Moderne schlicht keine theologische Grundlage für die Unterscheidung von Freund und Feind mehr gibt.172 Was den Begriff der Legitimität betrifft, so scheint Blumenberg Schmitt die Instrumentalisierung der Theologie zugunsten der politischen Interessen vorzuwerfen. Blumenberg schreibt: „Der Zusammenhang der Begriffe Säkularisierung und Legitimität ist durch die Replik von Carl Schmitt deutlicher geworden und zwar gerade dadurch, dass er seine theoretische Angewiesenheit auf die Grundfigur der Säkularisierung als Heilsmittel der Legitimitätsthematik neuerdings ins Undeutliche zurückgedrängt hat.“173 Hierzu führt Blumenberg einen Unterschied zwischen Rationalismus und Voluntarismus ein und er meinte, dass der Rationalismus den Vorzug hat, seine Funktionsweise auf einen unpersönlichen Mechanismus gründen zu können, während der Voluntarismus notwendig auf ein Subjekt, und sei es ein fiktives, angewiesen ist.174 Insofern sei Blumenbergs Kritik an Schmitt folglich ausdrücklich nicht als Beginn jener Interpretation zu verstehen, welche Schmitt als originär katholischen Denker begreife, der seinen Katholizismus in politische Kategorien säkularisiere. Vielmehr werde Schmitt als genuin politischer Denker verstanden, der theologische Topoi aus rhetorischen Gründen instrumentalisiere.175 Von daher geht Schmitt aufgrund seiner Säkularisierungsthese von der Theologie als Politik aus und insofern ist, was Carl Schmitt als Politische Theologie bezeichnet, in Wirklichkeit nichts anderes als theologische Metaphorik.176 Die politische Macht bezieht ihre Legitimation 171  Blumenberg,

Die Legitimität der Neuzeit, S. 58. Arbeit an der Heillosigkeit der Welt: Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts, S. 158. 173  Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 110. 174  Vgl. ebd., S. 110. 175  Vgl. Heidenreich, Mensch und Moderne bei Hans Blumenberg, S. 195. 176  Vgl. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 104. Theologie als Politik bedeutet laut Groh Theologie als Ideologie der Politik, und zwar in genau dem Sinn, den Schmitt selbst ihr gegebenen hat, als er schrieb, dass die gegenrevolutionären Autoren versucht hätten, mit Analogien aus einer theistischen Theologie die persönliche Souveränität des Monarchen zu stützen. Vgl. Groh, Arbeit an der Heillosigkeit der Welt: Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts, S. 170. Zu theologischer Metaphorik vgl. Heidenreich, Mensch und Moderne bei Hans Blumenberg, S. 195. 172  Groh,



III. Säkularisierungsprozess der Neuzeit123

nicht mehr laut Blumenberg aus ihrer göttlichen Herkunft, sondern durch ihre Leistung, was man als Ursprung der Legitimation in der Neuzeit bezeichnen darf.177 Hierzu bezieht sich Blumenberg auf entscheidende Sätze der politischen Theologie, womit Schmitt seine These über Säkularisierung entwickelt hat. Der Satz: Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe ist von Schmitt zuerst 1922 ausgesprochen worden. Hierzu führt Blumenberg aus, dass man diesen Begründungszusammenhang gerade umgekehrt herstellen kann, „indem sie (die Politische Theologie Carl Schmitts) die theologische Phänomenalität der politischen Begriffe als Folge der absoluten Qualität politischer Realitäten interpretierte.“178 Demzufolge impliziert Blumenberg, dass Schmitt deswegen die Politische Theologie entwickelte, weil er damit seine konkrete politische Orientierung konzeptionell habe rechtfertigen können. Insofern entsteht die Politik nicht aus der Theologie, sondern ganz umgekehrt Theologie aus der Politik. Anschließend verweist Blumenberg auf einen anderen von Schmitt ausgeführten Satz: Der Rationalismus der Aufklärung verwarf den Ausnahmefall in jeder Form. Darauf reagiert Blumenberg: „Für die Aufklärung war die Verwerfung des Ausnahmezustandes primär auf das Naturgesetz bezogen, das nicht mehr als über die Natur verhängte Gesetzgebung, sondern als aus der Natur der Dinge hervorgehende Notwendigkeit keine Ausnahme, keinen Eingriff der Allmacht möglich bleiben lassen konnte.“179 Aufgrund der Naturgesetze als solche kann man im Feld der Jurisprudenz nicht gegen die vom Parlament erlassenen Gesetze verstoßen und dies beziehe sich auf die Idee der rechtlichen Gleichheit der Menschen, die ebenso eine Analogiebildung zur Ausnahmslosigkeit des Naturgesetzes wie die Unantastbarkeit eines Verfassungskodex sei.180 Hierzu insistiere die Betonung der Grenzfälle und Ausnahmezustände bei Schmitt auf einer Funktion des Staates, die vom Scheitern der Aufklärung ausgehen müsse; aber es müsse nicht ungefragt heißen, auf die Begrifflichkeit vor der Aufklärung zurückgreifen und diese in ihrer säkularisierten, nämlich irdischen, Form wiederholen zu müssen.181 Blumenberg wirft also Schmitt vor, dass er eine theologische Begrifflichkeit, welche der Selbstbehauptung der Menschen widerspricht, in einer säkularen Form in der Neuzeit rekonstruieren will. Im Folgenden vergleicht Schmitt den allmächtigen Gott mit dem Omnipotenten Gesetzgeber. Hierzu schreibt Blumenberg: „wenn diese Behaup177  Vgl.

ebd., S. 167. Die Legitimität der Neuzeit, S. 102. 179  Ebd., S. 102. 180  Ebd., S. 102. 181  Vgl. ebd., S. 102. 178  Blumenberg,

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

tung richtig sein sollte, kann nicht andere zutreffen, dass nach dem Scheitern der Aufklärung die konservativen Schriftsteller der Gegenrevolution versucht hätten, mit Analogien aus einer theistischen Theologie die persönliche Souveränität des Monarchen ideologisch zu stützen.“182 Insofern bleibt die Politische Theologie Inbegriff einer Metaphorik, womit die Rückkehr in den totalen Staat möglich wird. Im Folgenden wird auf den Kern der Auseinandersetzung zwischen Schmitt und Blumenberg eingegangen, um ihre zwei unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. In diesem Zusammenhang soll das Verhältnis zwischen Instanz und Substanz bei Schmitt hervorgehoben werden: „Ein Konflikt ist immer ein Streit von Organisationen und Institutionen im Sinne Konkreter Ordnungen, ein Streit von Instanzen und nicht von Substanzen. Die Substanzen müssen erst eine Form gefunden, sie müssen sich irgendwie formiert haben, ehe sie überhaupt als streitbare Subjekte … einander entgegentreten können.“183

Schmitt impliziert, dass die Moderne sich der konkreten Ordnung und zwar der Substanz entziehen will und sich somit auf den Funktionalismus reduziert.184 Hingegen stellt Blumenberg fest, dass Säkularisierung nicht das Resultat eines Substanzentzuges sein könne.185 Um diesen Punkt zu vergegenwärtigen, kehrt Blumenberg auf die Frage zurück: Was ist Säkularisierung? Säkularisierung sei also nach dem Denkmuster von Hobbes die Integration des religiösen Interesses in das Öffentliche, angelegt auf die Reduktion der am Bewusstsein beteiligten Instanzen.186 Es sei aber nicht eine verweltlichte Theologie, sondern die Selektion des weltlich Erträglichen aus der Theologie, das dann seinerseits als Normen des Dekretierten ausgegeben werden könne.187 D. h. der Säkularisierung liegt die menschliche Vernunft zugrunde und die religiösen Ideen werden insofern in das Öffentliche inte182  Vgl. ebd., S. 103. Vgl. Groh, Arbeit an der Heillosigkeit der Welt: Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts, S. 170. 183  Schmitt, Politische Theologie II, S. 83. 184  Schmitt geht nicht von der Legitimität der Neuzeit aus, sondern von der Legalität der Neuzeit. Die Neuzeit sei nämlich eine bloße Gesetzmäßigkeit, welche sich zwingend auf den Funktionalismus stütze. Vgl. ebd., S. 88: „Wenn es streng gesetzmäßig zugeht, Ausnahmen perhorresziert, Mutationen Verdächtig, Wunder geradezu Sabotageakte sind, dann liegt die Frage nahe, woher denn bei solcher Gesetzmäßigkeit das ununterbrochen Neue kommen soll.“ 185  Vgl. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 106. 186  Vgl. ebd., S. 106. Blumenberg führt, so Heidenreich, Hobbes’ Staatsphilosophie als das Resultat einer säkularen Bewegung an. Weil bei Hobbes daher die Umbesetzung vom schöpferischen Gott zum schöpferischen Menschen paradigmatisch stattfinde. Vgl. Heidenreich, Mensch und Moderne bei Hans Blumenberg, S. 167. 187  Vgl. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 106.



III. Säkularisierungsprozess der Neuzeit125

griert, als dieselben Ideen sich auf die Überzeugungskraft beziehen.188 Weil im weltanschaulich neutralen Staat, so Jürgen Habermas, nur diejenigen politischen Entscheidungen als legitim gelten dürfen, die im Lichte von allgemein zugänglichen Gründen unparteilich, also gleichermaßen gegenüber religiösen wie nicht-religiösen Bürgern, oder Bürgern verschiedener Glaubensrichtungen, gerechtfertigt werden können.189 Von daher bringt sich zwar eine säkulare Gesellschaft von der Transzendenz ab, es bedeutet aber nicht, dass sie die Religion verweltlichen will, was Schmitt bei der Politische Theologie vor Augen hat. Was Schmitt insofern als Konflikt von Substanzen vorbringt, gebe es auch gar nicht, weil solche Konflikte, so Blumenberg, von der Politischen Theologie ausgehen. Dabei schreibt er: „Die Wahrheit gehört auf die Seite der Substanz, sie kann auf der Ebene der Instanzen nicht verändert, wohl aber im Maße ihrer öffentlichen Verträglichkeit integriert und damit als Rechtstitel der Insistenz auf der privaten Autonomie entschärft werden.“190 Genauer gesagt, stellen die Substanzen sich als die Werte des Glaubens heraus und von daher können sie sich ja insofern ins Öffentliche integrieren, als sie sich nachvollziehbar für alle betroffene Bürger artikulieren lassen. Anderenfalls müssten sie sich in die private Sphäre zurückziehen. Im Gegensatz dazu wollte Schmitt der Moderne die Belastung der Substanz vor188  Zum Charakter des säkularisierten Staates und dessen Umgang mit Religionen vgl. Böckenförde, Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, in: Bormann, S. 326: „Der Charakter des säkularisierten Staates lässt sich zunächst dahin umschreiben, dass in ihm die Religion beziehungsweise eine bestimmte Religion nicht mehr verbindliche Grundlage und Ferment der staatlichen Ordnung ist. Staat und Religion sind vielmehr grundsätzlich voneinander getrennt, der Staat als solcher hat und vertritt keine Religion. Er hat sich aus der Umfangenheit von Religion, welche für die politische Ordnung in Antike und Mittelalter lange Zeit bestimmend war, emanzipiert und insofern säkularisiert. Er verfolgt in der Gestaltung des Zusammenlebens der Menschen allein weltliche Zwecke und legitimiert sich aus ihnen; geistliche und religiöse Zwecke liegen außerhalb seines Befugniskreises.“ Aber die Religion wird nach Ernst-Wolfgang Böckenförde vom säkularisierten Staat keineswegs negiert oder beiseite gestellt. Weil zum einen die Religion, vom Staat freigegeben, in Freiheit gesetzt werde. Ihre Zulassung, Organisation und Ausübung sei dann keine staatliche Angelegenheit mehr, werde auch vom Staat nicht gelenkt und dirigiert. Zum anderen aber werde die Freiheit und Wirklichkeit der Religion vom Staat und seiner Rechtsordnung unter dem Gesichtspunkt seiner weltlichen Aufgaben zum Zwecke auch eingegrenzt. Vgl. ebd., S. 327 f. Insofern bedeutet Weltlichkeit in dem säkularen Staat nach Blumenberg nicht Verweltlichung der theologischen Idee, wie Schmitt meint, sondern die klare Trennung zwischen der christlichen Theologie, die auf Glaube basiert, von der Moderne, die auf Vernunft basiert ist. 189  Habermas, Religion in der Öffentlichkeit, in: Philosophische Texte, S. 268. 190  Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 106.

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C. Politische Theologie und der Prozess der Säkularisierung

halten, indem er von einer Politischen Theologie ausgeht, welche auf den Glauben gegründet ist, nicht von der politischen Philosophie.191 Schmitts These über die Säkularisierung führt dazu, dass die Moderne nicht in der Lage ist, sich zu legitimieren, weil sie einerseits Säkularisierung der theologischen Ideen sei und andererseits sich von der Transzendenz entkoppelt habe. Daraus folgert er: „Ihre Immanenz, die sich polemisch gegen eine theologische Transzendenz richtet, ist nichts anderes als Selbstermächtigung.192 Im Gegensatz dazu ist Blumenberg überzeugt, dass die Erkenntnis keiner Rechtfertigung bedarf und sie rechtfertigt sich selbst, sie verdankt sich nicht Gott, hat nichts mehr von Erleuchtung und gnädigem teilhaben lassen, sondern ruht in ihrer eigenen Evidenz. Vor allem meint Blumenberg, dass die Rationalität der Moderne sich auf Selbstbehauptung, nicht auf Selbstermächtigung beruft: „Zu sagen, ein Rationalismus bedürfe nicht der historischen Rechtfertigung, er baue sich aus sich selbst autonom auf, sei indifferent gegen die Konditionen der Zeit seiner Durchsetzung, was allein seiner Selbstdefinition entspricht; und andererseits darauf zu bestehen, dass dem bestreitbaren und bestrittenen Anspruch dieser Rationalität, die Kontingenz der Geschichte durch einen standardisierten Prozess zu ersetzen, eine bestimmte historische Funktion der Selbstbehauptung zukomme.“193

Zusammenfassend vertritt Blumenberg die These, dass die politische Theologie, wie schon erwähnt wurde, eine metaphorische Theologie ist und die quasi-göttliche Person des Souveräns Legitimität hat und haben muss.194 Insofern bezieht sich Schmitt auf die Politische Theologie, damit er die politische Entscheidung des Souveräns, der ein grundloser Anfang zugrunde liegt und daher Gesetzwidrig ist, rechtfertigen könne. Während Schmitt hierbei die Legitimität in Bezug auf Dauer, Alter, Herkommen, Erbe, Vaterschaft und Tradition vergegenwärtigen will, versteht Blumenberg den Legitimitätsbegriff in der Kategorie Selbstbehauptung der Menschen, welche sich aufgrund des menschlichen Intellekts von den transzendentalen Begriffen in der Öffentlichkeit zu befreien vermag.

191  Vgl. Meier, Die Lehre Carl Schmitts: Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, S. 73 f. 192  Schmitt, Politische Theologie II, S. 88. 193  Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 107. 194  Vgl. ebd., S. 112.

D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz I. Der moderne Staat 1. Leviathan Carl Schmitt stellt in seiner Schrift „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes“, welche im Jahre 1939 verfasst wurde, die Idee des modernen Staates dar, wobei er die These vertritt, dass Thomas Hobbes zum ersten Mal die Idee des modernen Staats thematisiert hat, welche im 18. Jahrhundert zum Liberalismus führte. Schmitts Leviathan sei ja keine systematisch deutende Darstellung der politischen Philosophie Hobbes’, wie wir sie in deutscher Sprache von Leo Strauss und Bernard Willms besäßen. Vor allem sei die Darstellung der Lehre des Thomas Hobbes für Schmitt kein Selbstzweck und auch kein philosophisches Anliegen, sondern Anlass zur Beantwortung staatstheoretischer Fragen seiner Zeit aus dem Geist und der Erfahrung Hobbes.1 Hobbes geht vom methodologischen Individualismus aus, bzw. ist die Basis seiner Theorie der einzelne Mensch. Er führte einen Unterschied zwischen dem Naturzustand und dem staatlichen Zustand ein, den man als Basis der modernen Politischen Philosophie bezeichnen kann.2 Hobbes konstruiert einen Naturzustand, der hochgradig lebensfeindlich ist. Demzufolge beschäftigt er sich mit der Überwindung des von Furcht, Ruhmsucht und Unsicherheit geprägten gesellschaftlichen Naturzustands durch die Gründung des Staats, also der Übertragung der Macht auf einen Souverän. Dies geschieht durch einen Gesellschaftsvertrag. Hierzu führt Schmitt aus: „Der Schrecken des Naturzustandes treibt die angsterfüllten Individuen zusammen; ihre Angst steigert sich aufs äußerste; ein Lichtfunke der Ratio blitzt auf und plötzlich 1  Vgl. Rumpf, Carl Schmitt und Thomas Hobbes: Ideelle Beziehungen und aktuelle Bedeutung mit einer Abhandlung über: Die Frühschriften Carl Schmitts, S. 62. 2  Mit Hobbes löse sich nämlich die Neuzeit radikal von der Gleichsetzung des Natürlichen und des Politischen, die noch für Platon selbstverständlich war. Dazu gehöre etwa die auch heute wichtige Erkenntnis, dass der Mensch, um auf Dauer überhaupt unter seinesgleichen existieren zu können, den Staat als institutionalisierte politische Ordnung brauche. Vgl. Voigt, Den Staat denken; Der Leviathan im Zeichen der Krise, S. 243.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

steht vor uns der neue Gott.“3 Der Mensch sei eben ein rationaler Egoist, der gemäß dem rationalen Kosten-Nutzen-Prinzip handelt. Demzufolge schafft er einen sterblichen Gott, nämlich den Leviathan, der sein Leben vor den Gefahren schützen könnte.4 Der Leviathan wurde daher laut Schmitt zu nichts anderem als zu einer großen Maschine, zu einem riesenhaften Mechanismus im Dienst der Sicherung des diesseitigen, physischen Daseins der von ihm beherrschten und beschützten Menschen.5 Insofern erscheint der Mensch hier als ein Wesen, dem es zunächst und vor allem um seine Sicherheit geht, für deren Realisation der Staat die Freiheit nehmen darf.6 Schmitt ist überzeugt, dass der Leviathan als der sterbliche Gott die Rolle einer Maschine spielt, welche von jedem Inhalt politischer Ziele und Überzeugungen unabhängig wird und die Wert- und Wahrheitsneutralität eines technischen Instruments erhält. Der moderne Staat sei der neue Gott, gegenüber allen einzelnen Vertragspartnern transzendent, freilich nur in einem juristischen, nicht in einem metaphysischen Sinne.7 Schmitt stellt Hobbes in den Rahmen von Descartes’ mechanistischer Metaphysik. Dabei unterscheidet er drei verschiedene Vorstellungen: das mystische Bild, die juristische Vertragskonstruktion und den cartesianischen Mechanismus, während Hobbes ja das mystische Bild nur beiläufig aufgegriffen habe. Die juristische Vertragskonstruktion sei durch den Mechanismus überformt und der Mechanismus des Staates wirke auf das Menschenbild zurück.8 So will 3  Schmitt,

Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 48. bezeichnet Schmitt das Zeitalter der Vormoderne im Europa in Bezug auf Hobbes als mittelalterlichen Pluralismus, den man durch den modernen Staat überwinden sollte. Vgl. Schmitt, Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes, in: Maschke, S. 143: „Für Hobbes kommt es darauf an, durch den Staat die Anarchie des feudalen, ständischen oder kirchlichen Widerstandsrechts zu überwinden und dem mittelalterlichen Pluralismus die rationale Einheit eines berechenbar funktionierenden, zentralistischen Staates entgegenzusetzen.“ 5  Vgl. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 54. 6  Im Absolutismus träten Freiheit und Sicherheit als zumindest potenzielle Konkurrenzgüter auseinander, was man als Freiheit in Sicherheit bezeichnen könne! Der schlechten Alternative von Freiheit und Sicherheit hatte, so Gerhard Beestermöller, die Aufklärung die Idee der Republik entgegengestellt. Für Kant stehe der Mensch zunächst und vor allem als autonome Freiheit unter sittlichem Anspruch. Der gute Wille, nicht die physische Existenz, sei der einzig absolute Wert. Alle anderen Güter einschließlich des Lebens seien nur Medium seiner Realisation. Zum Verhältnis zwischen der Sicherheit und Freiheit in der modernen Gesellschaft vgl. Beestermöller, Kehrt Leviathan zurück? Der Terrorismus fordert die freiheitliche Demokratie heraus, in: Herder Korrespondenz, S. 335 f. 7  Vgl. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 52. 8  Mehring, Thomas Hobbes im konfessionellen Bürgerkrieg: Carl Schmitts Hobbes-Bild und seine Wirkung im Kreis der alten Bundesrepublik, in: Der Leviathan, S.  521 f. 4  Hierzu



I. Der moderne Staat129

der Staat nicht mehr eine metaphysische Idee repräsentieren, sondern er will nur die soziale Beziehung der Menschen in der Gesellschaft regulieren und den Krieg aller gegen alle verhindern. In diesem Zusammenhang stellt Schmitt fest, dass die Entwicklung des naturwissenschaftlichen Denkens starken Einfluss auf die moderne Geisteswissenschaft hinterlassen hatte.9 Und Hobbes versuchte insofern das Politische gemäß der empirischen Methode zu thematisieren und den Staat als eine riesige Maschine darzustellen. Vor allem bedürfe eine neue empirische Methode keines neuen metaphysischen Entschlusses.10 Hobbes schließt nämlich, so Armin Adam, den politischen Raum gegen jede Transzendenzvorstellungen ab und der Souverän bestimmt die Grenze dieses Raumes. Insofern diene die Rede vom sterblichen Gott ja nicht nur der Entwicklung des Konzepts des Souveräns in der Moderne, sondern zugleich der Eingrenzung des Raumes seiner Macht. Der Souverän sei nämlich gerade nicht Gott, insofern seine Handlungsmöglichkeiten strengstens auf den Bereich des Irdischen begrenzt seien.11 Daher begegnet man einer Welt, in der alles mechanistisch verstanden werden müsse. Von daher sei es für die technisch vorgestellte Neutralität entscheidend, dass die Gesetzte des Souveräns von jeder inhaltlich substanzhaften, religiösen oder rechtlichen Wahrheit und Richtigkeit unabhängig würden und nur noch infolge der positiven Bestimmtheit staatlicher Entscheidung als Befehlsnormen gälten.12 In diesem Zusammenhang äußert sich Schmitt gegen den Positivismus, weil dieser sich von jeder inhaltlich substanzhaften Wahrheit befreien wolle, um eine nachvollziehbare Wissenschaft weiterzugeben. 9  Hierzu verweist Schmitt eben auf Descartes, dass er durch seine Philosophie alle menschlichen Dinge im Kern revolutionär verändert habe, weil er den menschlichen Körper als Mechanismus begriffen habe. Im Vergleich zur Mechanisierung des menschlichen Körpers sei die Mechanisierung des Staates sekundär und weniger mittelbar. Vgl. Schmitt, Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes, in: Maschke, S.  139 ff. 10  Vgl. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 59. 11  Adam, Allmacht, Nichtwissen und Ohnmacht: Thomas Hobbes’ Politische Theologie, in: Voigt, S. 170 f. Hierzu geht Armin Adam auf Hobbes Anti-Katholizismus ein, die zu seiner mechanistischen Vorstellung vom Staat führt. Der Papst könne nämlich die Christen vom Gehorsam gegenüber bestimmten Gesetzen und bestimmten Fürsten entpflichten, wenn Gesetz und Fürst gegen die Gesetze des Glaubens verstießen. Hobbes’ Anti-Katholizismus sei allererst durch den Kampf gegen die friedensbedrohenden, weil staatsauflösenden indirekten Gewalten des Papstes begründet. Vgl. ebd., S. 172 f. Schmitt setzt sich hierbei mit den Rezeptionen des Leviathans auseinander, die Hobbes’ Politische Philosophie als Politische Theologie wahrgenommen, bzw. abgelehnt haben. Vgl. Schmitt, Die vollendete Reformation: Bemerkungen und Hinweise zur neuen Leviathan-Interpretation, in: Der Staat, S. 51–56. 12  Vgl. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 67.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

Und der Positivismus ist zuerst laut Schmitt von Hobbes in der politischen Philosophie erfasst und als klarer Begriff systematisch gestaltet worden. Daraus entsteht im Sachgebiet der modernen Politischen Philosophie laut Schmitt eine Spaltung zwischen Außen und Innen, weil der innere Glaube stets der Öffentlichkeit entkommen will. Begründet man den Staat im hobbesschen Sinne, so müsse der innerliche Glaube ins Private ansatzweise abgedrängt und von der Trennung zwischen Innern und Äußeren ausgegangen werden. Daraus folgert Schmitt: „dann begibt sich die Seele eines Volkes auf den geheimnisvollen Weg, der nach innen führt.“13 Im Inneren seines Herzens sei der Mensch daher frei, weil der Souverän hier keinen Zugang finde.14 Der Leviathan als ein irdischer Gott lasse sich daher auf den Gegensatz von Innerlich und Äußerlich ein und er habe damit die letztliche Überlegenheit des Innerlichen gegenüber dem Äußerlichen, des Unsichtbaren gegenüber dem Sichtbaren, des Stillen gegenüber dem Lauten, des Jenseits gegenüber dem Diesseits bereits erkannt.15 Genauer gesagt, repräsentiert der Staat nicht mehr – wenn man es mit Schmittschen Worten sagen will – den Denktypus eines Volkes, sondern er will sich mit den Machtverhältnissen als eine Tatsache identifizieren und demnach die Sicherheit der Bürger als seine Aufgabe gewährleisten. Hierzu schreibt Schmitt: „Rechtsstaat bedeutet überhaupt nicht Ziel und Inhalt eines Staates, sondern nur Art und Charakter, dieselben zu verwirklichen. Damit war sowohl die neue Trennung von Inhalt und Form, Ziel und Charakter, wie auch der im 18. Jahrhundert entwickelte Gegensatz von Innen und Außen rechtsbegrifflich gesichert.“16

Hobbes verlagere zugleich das Feindliche in die äußeren Beziehungen zwischen den Staaten, wobei hier laut Voigt der gleiche Naturzustand wie im Inneren der Gesellschaft gilt: der ewige Krieg aller gegen alle. Dabei lässt sich laut ihm durchaus eine Parallele zum Schmittschen Freund-FeindDenken – wenn auch quasi mit umgekehrten Vorzeichen – herstellen.17 Mit anderen Worten überwindet Hobbes den Bürgerkrieg, indem er zum einen den inneren Glauben ins private abdrängt und zum anderen die Feindseligkeit vom Staatlichen auf das Zwischenstaatliche verlagert. Was die Spaltung zwischen Außen und Innen betrifft, sei der Rechtsstaat im modernen Sinne, so Schmitt, nichts anders als die Umsetzung der positiven Rechte, welche durch den Souverän erlassen würden. Während die 13  Ebd.,

S. 94. Allmacht, Nichtwissen und Ohnmacht: Thomas Hobbes’ Politische Theologie, in: Voigt, S. 177. Hobbes begründet nach Adam die Gewissensfreiheit des Menschen allererst durch eine technische Schwäche des Staates, der keinen Zugriff auf die Seele des Einzelnen hat. 15  Vgl. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 95. 16  Ebd., S. 106. 17  Vgl. Voigt, Den Staat denken; Der Leviathan im Zeichen der Krise, S. 292. 14  Adam,



I. Der moderne Staat131

Rechte als solche dem inneren Glauben entgehen. Demzufolge entsteht eine Spaltung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, welche Schmitt zufolge als Hauptmerkmal des modernen Staates anzusehen ist. Diese Spaltung als solche führt ja nach ihm zum Tod des sterblichen Gottes, bzw. des Staats.18 Denn diese Zerspaltung von Innen und Außen löse quasi eine Fremdartigkeit zwischen Staat und Gesellschaft aus, die aus seiner Sicht dessen Tod als Konsequenz hat. Mit anderen Worten dürfe jeder Mensch innerlich hierbei glauben, was er wolle, nur im äußeren Bekenntnis sei er an die Entscheidung des Souveräns gebunden. Dieser Vorbehalt wurde laut Helmut Kremers zum Todeskeim, der den mächtigen Leviathan von innen her zerstört und den sterblichen Gott zur Strecke gebracht hat.19 Was die zwischenstaatlichen Beziehungen betrifft, ist bei Schmitt zu bemerken, welche Konsequenzen die moderne Vorstellung vom Staat in den internationalen Beziehungen hat. Er ist überzeugt, dass die zwischenstaatlichen Beziehungen aufgrund des hobbesschen Staates im Rahmen des Gleichgewichts zu erfassen sind. Die Machtverhältnisse zwischen Nationalstaaten basieren nämlich auf dem Respekt vor der Souveränität der jeweiligen modernen Staaten. In Bezug auf Hobbes’ Gedankengut stellt Schmitt dennoch fest, dass Völker und Länder, welche nicht imstande sind, die zu einem modernen Staat gehörende Organisation aufzubringen, unzivilisiert sind!20 Das Gleichgewicht ist bei Schmitt eine Grundlage, wodurch zwischenstaatliche Beziehungen reguliert werden, welche er hierbei vom Leviathan aufgenommen hat. Von daher sind die Kriege, welche zwischen den modernen Staaten geschehen werden, nach dieser These reine Staatenkriege. Denn die modernen Staaten repräsentieren nicht mehr Weltanschauungen, welche der Religiosität zugerechnet werden, weil diese prinzipiell über die staatlichen Grenzen hinausgreifen. Hierzu schreibt Schmitt: „Die Kriege werden reine Staatenkriege, d. h. sie hören auf, Religionskriege, Bürgerkriege, Parteienkriege oder etwas Ähnliches zu sein … Daraus folgt, dass die Frage des gerechten Krieges für einen solchen zwischen-staatlichen Staatenkrieg ebenso inkommensurabel ist, wie innerhalb dieses Staates die Frage des gerechten Widerstandes gegen einen solchen Staat.“21 Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 99. Kremers, Der Leviathan will nicht sterben: Der totale Staat bei Thomas Hobbes und Carl Schmitt, in: Lutherische Monatshefte: ökonomische Korrespondenz; Kirche im Dialog mit Kultur, Wissenschaft und Politik, S. 14. 20  Vgl. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 72 und hier 73: „Sie werden daher zu Kolonien, Protektoraten oder sonst wie zu Objekten des Schutzes und der Beherrschung durch solche Staaten, die dieser organisatorischtechnischen Leistung fähig sind und daher die Qualität von Subjekten dieses Völkerrechts haben.“ 21  Ebd., S. 73. 18  Vgl. 19  Vgl.

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Der sterbliche Gott geht folglich von der Unabhängigkeit aller modernen Staaten aus, deren Sinn aus dem modernen Begriff der Souveränität entsteht. Souveränität sei bei Hobbes die Antwort der Politischen Theorie auf politisch-theologische Loyalitätskonflikte. Die Herausbildung der Nationalstaatlichkeit einerseits und die Auflösung der religiösen Einheitsvorstellung im Zuge der Reformation andererseits bilden den Hintergrund eines Konzeptes der Staatsgewalt, das in seiner mechanischen und juridischen Technizität neuartig sei. Man hat somit in diesem Konzept der Souveränität den Kern einer Politik gesehen, deren Ziel die Neutralisierung der Religion wäre.22 Insofern sind die Fragen nach dem gerechten Widerstand laut Schmitt innerhalb derselben Staaten nicht legitim. Denn der sterbliche Gott steht über allen und er entscheidet über die Legitimität des Handelns, was die bürgerliche Öffentlichkeit betrifft. Es ist hierbei zu bemerken, dass verschiedene politische Denkrichtungen sich verschiedenen Axiomen und Aspekten Hobbes’ Gedankensystems bemächtigten. Dies sei nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Hobbes sowohl Naturrechtler als auch Machttheoretiker gewesen war, der sowohl eine Lehre vom Gesellschaftsvertrag als auch eine Souveränitätstheorie begründet habe.23 Die einen hätten seine Naturrechtslehre im Blick, die anderen seine Souveränitätstheorie; die einen den Vertrag, die anderen die Entscheidung; die einen das Recht, die anderen die Macht; einmal werde er neben Kant gestellt, sonst neben Machiavelli. Fast jede Richtung könne überzeugende Hobbes-Deutungen aufweisen,24 wobei Schmitt sich ja auf die Rolle des sterblichen Gottes als Souverän fokussiert, welcher über allen anderen Assoziationen steht, während er bei seiner Rezeption auf Hobbes als Naturrechtstheoretiker teilweise verzichtet. Es ist zu bemerken, dass er während der Herrschaft des NS-Regimes diese Schrift, also den Leviathan schrieb. Am Anfang des Dritten Reiches sei es nämlich zu einer unheiligen Allianz zwischen Intellektuellen und Nazis gekommen.25 Er hält insofern Hobbes’ Staatslehre für augenfällig, als 22  Vgl. Adam, Allmacht, Nichtwissen und Ohnmacht: Thomas Hobbes Politische Theologie, in: Voigt, S. 167. 23  Vgl. Rumpf, Carl Schmitt und Thomas Hobbes, S. 64. 24  Vgl. ebd., S. 65. 25  Vgl. Kremers, Der Leviathan will nicht sterben: Der totale Staat bei Thomas Hobbes und Carl Schmitt, in: Lutherische Monatshefte: ökonomische Korrespondenz; Kirche im Dialog mit Kultur, Wissenschaft und Politik, S. 13. Schmitt wollte den Leviathan von Hobbes aufgrund des derzeitigen politischen Zustandes in Deutschland rekonstruieren, um die Legitimität des faschistischen Staates juristisch konzipieren zu können. Genauer gesagt, wollte er diesen Staat dazu ermächtigen, sich über andere Assoziationen innerhalb Deutschlands zu erheben um den Bürgerkrieg in der Weimarer Republik überwinden zu können. Während Schmitt hierbei



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sie das Bestreben nach Überwindung des liberal-pluralistischen Staates durch den nationalen Einheitsstaat hat, wobei Schmitt ja den Scheinwerfer seiner Darstellung auf den machtstaatlichen Oberbau richte und die rechtsphilosophische Basis im Schatten lasse.26 Hobbes verlangt nämlich zwar von den Bürgern unbedingten Gehorsam gegen die staatlichen Gesetze, aber wenn die Staatsmaschine nicht mehr das physische Dasein seines Bürgers garantieren kann, entfällt ihm automatisch die Herrschaft. Hierzu schreibt Hobbes: „The Covenants, not to defend a man’s own body, are voyd.“27 Was das NS-Regime betrifft, entfiel ihm eine Garantie, womit das physische Dasein der Bürgen geschützt würde. Vor allem war es ein Teil seiner Ideologie, dass die NSDAP absolut das physische Dasein der Juden in Deutschland verachtete. Hierzu ist doch zu betrachten, dass Hobbes sein Staatsmodell für die Christen entwickelte, wonach die unterschiedlichen theologischen Strömungen friedlich in der Öffentlichkeit leben können und insofern wurde der Bund eines Volkes mit Gott bei Hobbes säkularisiert, indem der Bund als solcher sich in den Vertrag als juristisch fixierte Form umgewandelt hat. Hierzu schreibt Günter Maschke: „Es bleibt noch Hobbes als christlicher Denker, für den der Vertrag als juristisch fixierte Form des wechselseitigen Vertrauens erst möglich und im Durchschnitt haltbar ist durch den Bund eines Volkes mit Gott. Die christliche Herkunftswelt ergänzt oder fundiert den Vertrag. Dass Hobbes sein Modell für einen Staat von Christen entwickelt und dass seine innenpolitische Friedensformel lautet: Jesus is the Christ, als die allen sonst unterschiedlich denkenden und glaubenden Christen einsichtige Wahrheit, ist für einen Nationalsozialisten unerträglich, nimmt man das nationalsozialistische Heidentum so ernst, wie man es nehmen muss.“28

In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass der Begriff des Staates den Begriff des Politischen bei Schmitt voraussetzt. Man kann daher den Naturzustand als Symbol des Politischen verstehen, indem Hobbes den Naturzustand als einen Krieg aller gegen alle gekennzeichnet hat, der im Staat überwunden wird. Von daher ist die Politik bei Schmitt ein Kampf um Macht, wie der Naturzustand, und der Staat eine befriedende Ordnungsmacht. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass „während Hobbes den natürlichen Kampfzustand verwirft und ihn nur zu Rechtfertigung des Staates unterstellt, als die von der Ordnung zu überwindende Anarchie, nimmt die mechanistische Vorstellung vom Staat und die Spaltung zwischen Innen und Äußern bei Hobbes kritisiert, befürwortet er den Staat als solchen, der über allen Assoziationen steht und sich durch seine Entscheidung ausdrücken will. 26  Vgl. Rumpf, Carl Schmitt und Thomas Hobbes, S. 66. 27  Hobbes, Leviathan, S. 151. 28  Maschke, Zum Leviathan von Carl Schmitt, in: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 199 f.

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Carl Schmitt ihn anscheinend als unabänderlich gegeben hin, scheint ihn an einigen Stellen sogar positiv zu bewerten.“29 2. Der Schmittsche Staat Schmitt versucht u. a. aufgrund seiner Rezeption von Thomas Hobbes’ Leviathan gegen den modernen Staat im liberalen Sinne zu argumentieren. Hierbei fokussiert er sich auf den Souveränitätsbegriff bei Hobbes und versucht das Verhältnis zwischen den Individuen als politischen Akteuren und dem Staat als Ausdruck deren Willen darzustellen. Hierzu soll auf die Bedeutung der Freiheit bei Hobbes hingewiesen werden, welche Schmitts Gedankengut stark beeindruckt hat. Hobbes schreibt: „The Libertie, whereof there is so frequent, and honourable mention, in the Histories, and Philosophy of the Antient Greeks, and Romans, and in the writings, and discourse of those that from them have received all their learning in the Politiques, is not the Libertie of Particular men: but the Libertie of the Commonwealth: which is the same with that, which every man then should have, if there were no Civil Laws, nor Common-wealth at all.“30

Hobbes vertritt die These, dass die Freiheit, welche in der Geschichtsschreibung und Philosophie der alten Griechen und Römer gepriesen wird, nicht die Freiheit von Einzelmenschen sei, sondern die Freiheit des Staats. Soll man hierbei von der individuellen Freiheit ausgehen, dann gäbe es nach Hobbes nicht mehr den Staat und die Gesetze, womit man den Naturzustand überwinden kann. Insofern verlagert Hobbes die individuelle Freiheit in den staatlichen Bereich, der sich mittels der Souveränität ausdrucken lässt. Hierzu schreibt Tom Sorell: The liberty of a commonwealth can be a valuable thing, because even a limited and local peace allows all of the good things in life to be pursued with some hope of attaining them. But this liberty resides in the sovereign representative, and not in each of his subjects. Like the liberty of individuals, the liberty of sovereigns always coexists with war; but it relocates and shrinks war-yones.31 Die Freiheit steht somit im Feld des Staatlichen, deren Macht aus dem Volkswillen entsteht. Vor diesem Hintergrund führt Schmitt den Unterschied zwischen dem Formprinzip der Repräsentation und des Gesellschaftsvertrags an, um seine These über den Staat und Demokratie herauszustellen. Schmitt stellt fest: was nur Privatsache und nur privaten Interessen dient, könnte wohl vertreten werden; es kann seine Agenten, Anwälte und Exponenten finden, aber es wird nicht in einem spezifischen Sinne repräsen29  Rumpf,

Carl Schmitt und Thomas Hobbes, S. 76. Leviathan, S. 149. 31  Sorell, The Burdensome Freedom of Sovereigns, in: Sorell / Foisneau, S. 185. 30  Hobbes,



I. Der moderne Staat135

tiert.32 Genauer gesagt, kann man nur die privaten Interessen durch den Vertrag versichern. Die Pflicht des Staates geht eben bei Schmitt über die Versicherung der privaten Interessen hinweg, was bei Hobbes relevant ist. Um die Bedeutung der Repräsentation bei ihm aufzufassen, soll man sich damit befassen, was Schmitt vom Staatsbegriff versteht: „Staat ist ein bestimmter Status eines Volkes, und zwar der Status politischer Einheit. Staatsform ist die besondere Art der Gestaltung dieser Einheit. Subjekt jeder Begriffsbestimmung des Staates ist das Volk. Staat ist ein Zustand, und zwar der Zustand eines Volkes. Aber das Volk kann auf zwei verschiedene Weisen den Zustand politischer Einheit erreichen und halten.“33

Demzufolge ist der Staat ein Zustand, in dem das Volk sich artikuliert. Schmitt deutet darauf an, dass das Volk sich auf zwei unterschiedliche Weisen politisch artikulieren kann. Wo das Volk als Subjekt der verfassungsgebenden Gewalt auftrete, setze es seinen Willen direkt durch und in diesem Moment könne man daran festhalten, dass Nation da sei.34 Sollte der Willen des Volkes direkt als gesetzgebende Gewalt auftreten, so kann man dann bei Schmitt von der politischen Identität ausgehen. Das entgegengesetzte Prinzip geht davon aus, dass die politische Einheit des Volkes als solche niemals in realer Identität anwesend sein könne und daher immer durch Menschen persönlich repräsentiert werden müsse. Insofern kann man von der Repräsentation sprechen, weil die Artikulierung des Volkswillens nicht immer möglich sei. Es ist hier ja zu bemerken, dass der Begriff der Repräsentation allerdings in seiner staatsrechtlichen und politischen Besonderheit erkannt und aus der Vermengung mit anderen Begriffen wie Auftrag, Vertretung, Geschäftsführung, Kommission, etc. … befreit werden müsse, weil sonst privatrechtliche und ökonomisch-technische Vorstellungen seine Besonderheit zerstören.35 Insofern trifft Schmitt einen klaren Unterscheid zwischen der Repräsentation und dem Vertrag, welcher Thomas Hobbes fehlte. Was die Privatsache und privaten Interessen betrifft, könne wohl nämlich zwar vertreten werden; es wird aber laut Schmitt nicht in einem spezifischen Sinne repräsentiert. Dabei schreibt Schmitt: „In der Repräsentation dagegen kommt eine höhere Art des Seins zur konkreten Erscheinung. Die Idee der Repräsentation beruht darauf, dass ein als politische Einheit existierendes Volk gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat.“36 Von daher sei der Staat Repräsentant des Denktypus der 32  Schmitt,

Verfassungslehre, S. 210. S. 205. 34  Vgl. ebd., S. 205. 35  Vgl. ebd., S. 208. 36  Ebd., S. 210. Schmitt kritisiert die Vertragstheorie im allgemeinen Sinn in Bezug auf Rousseaus Politische Philosophie, indem er eine neue Bedeutung daraus ab33  Ebd.,

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

Menschen, den man nicht auf sachliche private Interessen der Bürger reduzieren dürfe. Um dem Staat als solchem mechanistischen Staat im hobbesschen Sinne entgegenzuwirken, stellt Schmitt das ökonomische Denken der Idee der Repräsentation gegenüber. Hierzu schreibt er: „Das ökonomische Denken kennt nur eine Art Form, nämlich technischer Präzision, und das ist die weiteste Entfernung von der Idee des Repräsentativen. Das Ökonomische in seiner Verbindung mit dem Technischen – die innere Verbindung mit dem Technischem – die innere Verschiedenheit beider wird noch zu erwähnen sein – verlangt eine Realpräsenz der Dinge.“37 Er spielt auf die Marktpolitik im Liberalismus an, die alles auf sachliche Güter reduzieren wollte. Die Repräsentation habe doch nichts mit der Sachlichkeit zu tun. Demzufolge hält Schmitt daran fest, dass die Repräsentation über den hobbesschen Vertrag hinausgeht. Denn sie will die politische Einheit als Ganzes artikulieren. Hierzu schreibt er: „In dieser Repräsentation liegt etwas, das über jeden Auftrag und jede Funktion hinausgeht. Daher ist nicht jedes beliebige Organ Repräsentant. Nur wer regiert, hat teil an der Repräsentation. Die Regierung unterscheidet sich von der Verwaltung und Geschäftsbesorgung dadurch, dass sie das geistige Prinzip der politischen Existenz darstellt und konkretisiert.“38

Daraus wird gefolgert, dass der Schmittsche Staat nicht zum Teil dem modernen Staat entspricht. Denn er versucht die Aufgabe des Staates über das Wohlergehen der Gemeinschaft hinweg zu konzipieren. Schmitt geht von der Repräsentation aus, welche an den abstrakten Glauben verankert ist und hierbei sei der Staat verpflichtet die Repräsentation in der Öffentlichkeit zu artikulieren. Im Gegensatz dazu ist die Repräsentation als solche bei Hobbes Ursprung des Konflikts zwischen den Konfessionen, welche nur einen Bürgerkrieg auslösen könnte. zuleiten vermag. Der Gedanke des freien Vertrages aller mit allen kommt nach ihm aus einer ganz andern, gegensätzliche Interessen, Verschiedenheiten und Egoismen voraussetzenden Gedankenwelt, aus dem Liberalismus, während die Volonté générale wie Rousseau sie konstruiert, in Wahrheit Homogenität sei. Schmitt ist überzeugt, dass Rousseau sich mit der Volonté générale auf Homogenität berufen will, die nicht dem Vertrag als Summe der gegensätzlichen Interessen entspricht, sondern der Repräsentation als Zeichen der substanziellen Einheit. Vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 35. Der Staat bei Rousseau trete nämlich als eine Einheit handelnd auf und zwar sowohl gegenüber seinen Mitgliedern als auch gegenüber anderen Staaten. D. h. ein Willen materialisiere sich in ihm, der nicht einfach die divergierenden Einzelwillen seiner Träger widerspiegele, sondern aus ihnen einen einzelnen Willen eines Mitgliedes ergeben könne, der aber dennoch aus diesen einzelnen Willen gebildet werden müsse. Vgl. Rotermundt, Staat und Politik, S. 86. 37  Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, S. 35. 38  Schmitt, Verfassungslehre, S. 212.



II. Legalität und Legitimität137

II. Legalität und Legitimität 1. Das der Macht vorausgehende Recht Schmitt argumentiert zum Teil gegen den hobbesschen Staat, indem er eine Unterscheidung zwischen der Rechtstheorie und Machttheorie trifft. Wenn man nach dem Grund des Rechts und nach dem Recht des Rechts fragt, werde man aufgrund der Machttheorie mit der Tatsache bzw. der Macht konfrontiert. Schmitt schreibt: „Wird von der Machttheorie das Recht als Resultat einer bestimmten Verteilung sozialer Kräfte aufgefasst, … so bleibt es in der Sache gleichgültig, ob die Überlegenheit, von der das Recht ausgeht, eine rein physische oder eine psychische ist.“39 Genauer gesagt, will Schmitt daran festhalten, dass die Machttheorie sich einem spezifischen Inhalt des Rechts entziehen will. In diesem Zusammenhang enthält jede Berufung auf ein Recht den Hinweis auf eine Macht und die Argumente, mit denen ein Recht artikuliert wird, sind sublimierte Berechnungen der Möglichkeit, sich durchzusetzen. Das Recht ordnet sich laut Schmitt im Sachgebiet der Machttheorie der Kausalität, d. h. dem positiven Recht unter. In diesem Zusammenhang führt er aus: „… wird das Recht betrachtet als etwas, das einmal da ist, so unterliegt es dem Gesetze der Kausalität wie alles, was da ist.“40 Im Gegensatz dazu beruft sich die Rechtstheorie laut Schmitt nicht auf eine Autorität, woraus dann Recht entsteht, sondern das Recht artikuliert sich aus sich selbst heraus. Dabei schreibt Schmitt: „… bedeutet für die Rechtstheorie ein Hinweis auf die Meinung der meisten, der anständig und billig denkenden Menschen, eine Bezugnahme auf etwas, das nicht aus eigener Autorität gilt, sondern nur einen Inhalt bezeichnet, der dem entspricht, was sein soll.“41 Es ist bei Schmitt zu bemerken, dass die Verweisung der Gesetze auf die herrschende Anschauung eine Rückkehr zum Prinzip der Macht sei. Denn die anständigen Menschen, so Schmitt, sind in der Mehrzahl und setzen sich durch mit ihrer Meinung, die gälte, weil sie herrschen. Im strengsten Gegensatz dazu erhalten die Anschauungen, auf die im Rahmen der Rechtstheorie verwiesen wird, eine eigene Würde, welche sich nicht aus den Tatsachen, sondern aus Argumenten ergibt.42 Sie gelten nämlich aber auch, wenn die meisten Menschen anderer Ansicht seien, ja wenn es keinen anständigen Menschen mehr gebe. Insofern geht Schmitt von einem spezifischen Inhalt aus, der sich unabhängig von der Zustim39  Schmitt, 40  Ebd.

41  Ebd., 42  Vgl.

Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 22.

S. 25. ebd., S. 26.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

mung der Mehrheit, in einem quasi theologischen Sinne artikuliert. Reinhard Mehring vertritt hierbei die These, „dass Schmitt auf das Problem der Rechtsgeltung mit einem politisch-theologischen Begründungsrekurs antwortete. Schmitt perspektivierte seine Politische Theologie von der rechtsphilosophischen Ausgangsfrage des Frühwerks nach dem Verhältnis von Macht und Recht ausgehend.“43 Was Schmitt nämlich hier als Rechtstheorie bei seiner Schrift Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen 1914 dargestellt hat, wurde als Basis der Legitimation desjenigen Staates vorausgesetzt. Um zu beleuchten, inwieweit die Rechtstheorie die Basis der Politischen Theologie sein kann, soll auf die Spaltung zwischen Sollen und Sein bei Schmitt hingewiesen werden. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass das Recht der Macht gegenübersteht, dann tritt eine Spaltung zwischen Sollen und Sein zutage. Hierzu führt Schmitt aus: „… es fragt sich eben, ob Tatsachen ein Recht zu begründen vermögen. Wird die Frage verneint, so ist der Gegensatz zweier Welten gegeben. Wird das Recht der Macht gegenüber selbstständig und unabhängig, so folgt daraus ein Dualismus, der den Antithesen von Sollen und Sein, von normativer und genetischer, kritischer und naturwissenschaftlicher Betrachtung entspricht.“44 43  Mehring, Macht im Recht. Carl Schmitts Rechtsbegriff in seiner Entwicklung, in: Der Staat, S. 1 f. 44  Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 26. Hierbei stellt Peter Schneider drei unterschiedliche Beziehungen zwischen dem Recht und der Macht vor. Die Möglichkeit der Identität, bzw. der Identifizierung von Recht und Macht, wobei die Substanz des Volkswillens z. B nach nationalsozialistischer Auffassung sich im Führerwillen, offenbart, d. h. sie offenbart sich in ihm als dem Gerichtsherrn, Gesetzgeber und Verwalter von Recht und Gerechtigkeit zugleich. Die Möglichkeit der Antimonie zwischen Recht und Macht, wobei Schneider sich auf Hans Kelsen bezieht, welche die Geltung der Rechtsordnung in einer Grundnorm als ihrer transzendental-logischen Voraussetzungen begründet. Die reine Rechtslehre bei Kelsen nimmt nämlich die unreine Macht überhaupt nicht wahr. Weil Identität von Recht und Staat hier nicht heißt, dass Staatsmacht immer auch schon formell und allenfalls auch materiell Rechtsmacht sei, sondern ganz einfach, dass Macht, Wille und Staat juristisch normativ allein als Normengefüge sichtbar werden könnten. Kelsen wolle die Notstandsregelung erfinden, welche jeglichen Machtmissbrauch unmöglich mache. Die Möglichkeit der dialektischen Spannung zwischen Recht und Macht will ja laut Schneider die Vorteile und Nachteile der ersten und zweiten Theorie darstellen und daraus wird die dritte neue Theorie herausgestellt. Wenn man berücksichtigt, dass die absolutistische Identifikation von Recht und Macht Friedenswirkungen und Machtberuhigungen erbringen könne, so seien doch die mit der Verabsolutierung des Ordnungswertes gegebenen Gefahren des Machtmissbrauchs nicht zu verkennen. Unter dem Aspekt der Antinomie erscheine das Verhältnis zwischen Recht und Macht dem Betrachter als unproblematisch, weil er aus methodischen Erwägungen eins vom andern völlig isoliere. Auf der anderen Seite aber zeige sich unter diesem Aspekt die Tendenz zur restlosen Bändigung der Macht durch das Recht, die vielfach mit einer Art Machtblindheit gekloppt sei und nicht selten eine Tendenz zur Machtentfesselung geradezu provo-



II. Legalität und Legitimität139

Demzufolge lässt sich ein Unterschied zwischen Norm und Willen einführen. Wenn das Recht nämlich als Macht definiert wird, so ist es nicht mehr wesentlich Norm, sondern wesentlich Wille und Zweck. Das geltende Recht sei dann eine Summe bestimmter Vorschriften, die von einer zwecksetzenden Stelle ausgingen.45 Will man das Recht im Sachgebiet der Interessen der Bürger auffassen, dann entsteht das Recht nicht als Norm, sondern als Zweck. Denn die Norm steht laut Schmitt über dem Mechanismus von Mittel und Zweck. In diesem Zusammenhang versucht Schmitt theologisch dafür zu plädieren, dass Norm sich über Mittel und Zweck hinweg definiert. Die Norm könne nämlich nicht Subjekt einer Einwirkung und somit nicht Subjekt eines Wollens, nicht Träger eines Zweckes sein; das Recht sei nicht Wille, sondern Norm, nicht ein Befehl, sondern Gebot, demgegenüber der einzelne Mensch als Gegenstand der Welt der Wirklichkeit später komme.46 Schmitt ist überzeugt, dass das Recht eine Norm sei, indem es nicht aus der Außenwelt ableitbar sei. Das Recht sei nämlich ein abstrakter Gedanke, der nicht aus den Tatsachen abgeleitet und nicht auf Tatsachen einwirken kann; Subjekt des auf die Verwirklichung des Rechts gerichteten Wollens kann nur eine Realität sein.47 D. h. das Recht als reine, wertende, aus Tatsachen nicht zu rechtfertigende Norm gehe dem als Macht erscheinenden Staat logisch vor.48 Insofern bezeichnet Schmitt den Staat im theologischen Sinne als Rechtssubjekt, der die Norm als solche in der Öffentlichkeit durchsetzen würde, ziere. Dieser Abwertung einseitiger Theorien entspricht laut Schneider wohl die positive Wertung von komplexen oder dialektischen Theorien, welche weder die Macht aufs Recht, noch das Recht auf die Macht reduzieren, welche die Wechselbeziehungen zwischen beiden Größen zu erhellen suchen und ein Ergänzungsverhältnis zwischen ihnen fordern. Vgl. Schneider, Über das Verhältnis von Recht und Macht, in: Bracher, S. 582–597. Vor diesen Hintergrund wird Schmitts Theorie über das Verhältnis zwischen Recht und Macht in die erste Kategorie einsortiert, weil die Macht und das Recht weder einander begrenzen noch dialektischen Kontakt haben. Das Recht geht zwar hierbei der Macht voraus, aber sie sind am Ende dieselbe, was ebenfalls bei Hobbes aber andersrum der Fall ist. D. h. obwohl die Macht aus dem Recht bei ihm entsteht, sind doch beide dasselbe. 45  Vgl. Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 28 f. 46  Vgl. ebd., S. 42. Hierzu ist zu betrachten, dass der Mensch sich bei Schmitt dem spezifischen Recht unterordnet. Insofern geht er gegen Menschenrechte vor, welche als das globale Recht bezeichnet werden. 47  Vgl. ebd., S. 42. Nach diesem von Schmitt ausgeführten Punkt kann man seine Herausforderung mit Max Weber besser verstehen. Genauer gesagt, befasst sich Wissenschaft laut Weber mit der Tatsache, die aus der Methode hervorgeht. Im Gegensatz dazu geht Schmitt, wie gesagt, davon aus, dass man nicht das Recht aus der Tatsache ableiten kann. 48  Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität: Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, S. 38.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

wobei doch zu beachten ist, dass die Normen nicht aus den Tatsachen, nämlich der empirischen Welt abgeleitet werden sollten.49 Schmitts ganze Haltung zum Staat steht, wie schon gesagt, unter dem Vorbehalt, dass der Staat im Ausnahmezustand entscheidet, Ordnung schafft und eine Relation von Schutz und Ordnung stiftet. Weil für ihn der Staat nicht nur eine Justizorganisation sei; sei er etwas anderes als ein bloßer neutraler Schiedsrichter oder Schlichter. Sein Wesen liege darin, dass er politische Entscheidungen trifft,50 wobei Schmitt einen normativen Anspruch erhebe, den er als Selbstlegitimation der Macht begreife. Das komme schon in seiner Souveränitätsformel zum Ausdruck. Sie formuliert insofern laut Mehring Kriterien, welche Macht als Recht konstituieren: die effektive Ordnungsstiftung (soziale Geltung) und die rhetorische Formulierung des Rechtsanspruches.51 Da es nämlich eine Spaltung zwischen Norm und Sein gebe, will der Schmittsche Staat die Norm als solche, welche nicht aus dem Konsens des Volkes entsteht, sondern eine quasi theologische Substanz hat, mittels der Souveränität in der Gesellschaft umsetzen. Und insofern hat die Entscheidung im Ausnahmezustand keine andere Bedeutung als Schutz derselben Substanz, bzw. Schutz derselben Rechtsordnung, wobei Schmitt stets, so Mehring, meint, dass nicht jede Macht Recht konstituiert, sondern nur diejenige, die sich als Ordnung durchsetzt und die Rechtsbegriffe und das Rechtsbewusstsein bestimmt. Mit anderen Worten wollte Schmitt zeigen, dass die juristische Form, sofern sie substantiell sei, d. h. das tatsächliche Leben wirklich in eine Ordnung bringe, stets in der Verbindung von autoritativer Entscheidung und Normsetzung bestehe.52 Das aber heißt, dass der Souverän und damit der Staat selbst als Subjekt des rechtlichen Ethos transzendent sind.53 Von daher traf Schmitt einen Unterschied zwischen Repräsentation und Vertrag.54 Denn der Staat als Rechtssubjekt will dasjenige Recht in der Gesellschaft durchsetzen, das eben nicht ein Produkt des menschlichen Konsenses sei. Genauer gesagt, beruft sich das Recht bei Schmitt nicht auf die privaten Interessen, sondern Normen, welche, wie gesagt, über die privaten Interessen hinausgehen. Insofern führt Schmitt im Bereich der Staatswissenschaft aus: „Da aber das Recht seinem Wesen nach Norm ist, nach deren Richtigkeit unabhängig von ihrer Tatsächlichkeit ge49  Vgl.

ebd., S. 40. Pünder, Carl Schmitt als Theoretiker der Macht – Ein Aussenseiter, in: Rechtstheorie: Zeitschrift für Logik und juristische Methodenlehre, S. 16. 51  Mehring, Macht im Recht. Carl Schmitts Rechtsbegriff in seiner Entwicklung, in: Der Staat, S. 22. 52  Vgl. Walther, Gott und Staat: Hans Kelsen und Carl Schmitt im Kampf und die Ent- (Re-)Mythologisierung des Staates, in: Walther, S. 255. 53  Vgl. Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 86. 54  Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 208. 50  Vgl.



II. Legalität und Legitimität141

fragt werden kann, so dürfen Recht und Staat nicht wie zwei reale Tatsachen in eine kausale Beziehung zueinander gebracht werden.“55 Der Staat ist nämlich Rechtssubjekt, während man ja das Recht unabhängig von dem Staat vorstellen kann. Schmitt plädiert hierbei für den Primat des Rechts, um den Liberalismus, dem der Individualismus zugrunde liegt, in Frage stellen zu können. Genauer gesagt, geht er davon aus, dass der Liberalismus der Machttheorie entspringt, und zwar, dass das Zusammenwirken einzelner Menschen der Ursprung des Rechts ist. Das Recht sei doch nicht aus dem Staat, sondern der Staat aus dem Recht zu definieren: „Der Staat, der etwas anderes sein soll, als der als selbständiges Wesen gedachte Effekt eines Zusammenwirkens einzelner Menschen, ein Schnittpunkt von Ursachen und Wirkens mehr als eine sinnlose Macht, wird in den Rhythmus von Wertungen hineingezogen, zum Gliede einer Welt, die nicht auf ihm ruht, sondern in der er eine Bedeutung zuerteilt bekommt, die er nicht bestimmt, sondern durch die er bestimmt wird.“56

Es ist somit abzuleiten, dass der Staat nicht Schöpfer des Rechts, sondern das Recht Schöpfer des Staates sei; d. h. das Recht geht dem Staat voraus. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass Schmitt eine andere Auffassung vom Rechtsstaat als die liberalen Autoren hat. Das Problem des Rechtsstaats entsteht laut Schmitt erst aus der Unterscheidung von Gerechtigkeit und positiver staatlicher Legalität.57 Der Rechtsstaat als solcher befasse sich nämlich mit dem Begriff der Gerechtigkeit, welche dem jeweiligen Denktypus des Volkes entspringe und der positiven staatlichen Legalität vorausgehe. Alles Recht ist in diesem Sinne Situationsrecht. Hierzu schreibt Hofmann: „Ist dem aber so, dann muss sich in Schmitts Philosophie der Rechtsverwirklichung das Hauptinteresse zwangsläufig auf die Herstellung und Erhaltung der faktischen Normalität richten, die Diktatur zum kritischen Begriff der Rechtsverwirklichung werden und der Ausnahmezustand als notwendiger Ausgangspunkt aller Erwägungen erscheinen; denn nur vom Ausnahmezustand her lässt sich das Problem der Rechtsverwirklichung, die Frage also nach der rechtlichen Gestaltung und Umgestaltung der Wirklichkeit, fundamental, unbedingt und in aller Schärfe stellen.“58 55  Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 44. Der Staat verleiht dem Recht die Macht; er ist Subjekt des Rechts, indem er es ausspricht. Er ist höchste Gewalt, weil er vom Rechte ausgeht. Der Wert des Staates ergibt sich, so Christoph Gusy, demnach aus seiner Verwurzelung im Recht. Dies sei unabhängig davon, inwieweit er die rechtlichen Gebote selbst erkennt und unverfälscht zum Ausdruck bringe. Vgl. Gusy, Legitimität im demokratischen Pluralismus, S. 49. 56  Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 50. 57  Vgl. Schmitt, Der Rechtsstaat, in: Maschke, S. 108. 58  Hofmann, Legitimität gegen Legalität: Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, S. 57 f.

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Der Fehler liegt nach Schmitt doch darin, dass der Begriff des Rechts im Rechtsstaat in einen positivistischen Normativismus umgedeutet werde, dessen folgerichtiger Schluss nur dem rücksichts- und bedenkenlosen Individualismus der liberalen Epoche zugutekomme.59 Er dient laut Schmitt nicht der Gerechtigkeit im materiellen Sinne, sondern einer positivistischen Voraussehbarkeit.60 Mit anderen Worten wird der Rechtsstaat aus der liberalen Sicht auf Gesetzlichkeit reduziert, indem er Gesetzlichkeit und Gerechtigkeit gleichsetzen will. D. h. der Staat will Schmitt zufolge dasjenige Recht artikulieren, welches sich unabhängig von den individuellen Bedürfnissen identifizieren will. Der Staat als solcher ist doch zwar seinem Wesen nach in einer besonderen Position zum Recht zu erblicken, aber alles Recht ist, wie schon gesagt, in diesem Sinne Situationsrecht, was zur Trans­ zendierung desselben Staates dem Volkswillen gegenüber führt. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Primat des Rechts nicht mit den Grundrechten, denen der Individualismus zugrunde liegt, zu tun hat. Vielmehr geht es um die Normen, welche sich der realen empirischen Welt entgegensetzen. Von daher konfrontiert man sich, so Schmitt, mit den subjektiven Normen und der empirischen Welt, die keinen Einfluss aufeinander haben. Insofern tritt der Staat laut Schmitt als Mittler des Rechts in der Welt zutage: „Dadurch aber, dass der Staat die Verbindung herstellt zwischen dem Recht und der empirischen Welt, fließt in die durch den Staat proklamierte Rechtsnorm, die durch den Staat als Medium hindurchgegangen ist und so eine spezifische Modifikation erlitten hat, ein Moment des Empirischen mit ein.“61

Der abstrakte Rechtsgedanke müsse nämlich zum positiven Gesetz werden, ehe der Staat für eine Verwirklichung tätig sein könne, d. h. seinen Zwangsapparat in Bewegung setze, um einen der Norm entsprechenden Zustand auszulösen.62 Insofern kann man von der Verstaatlichung des Schmitt, Der Rechtsstaat, in: Maschke, S. 112. Rechtstheorie von der Rechtfertigung der Macht durch eine Rechtsidee entwickelt doch laut Mehring keine materiale Gerechtigkeitslehre. Weil dem rechtsphilosophischen Gehalt seiner Theorie die Politische Theologie zugrunde liegt, die hier als Parteinahme für theistische und personalistische Voraussetzungen des dezisionistischen Rechtsdenkens gelesen wurde. Der rechtstheoretische Ansatz führte nämlich zu einer starken metaphysischen Parteinahme, die Schmitt theistisch fundiert. Diese Motive finden sich dann, so Mehring, auch in der Selbstdeutung der Option für Hitler. Schmitt versteht den Nationalsozialismus von der Person Hitlers her und deutet ihn Geschichtsphilosophisch als Vollstrecker der Idee. Vgl. Mehring, Macht im Recht. Carl Schmitts Rechtsbegriff in seiner Entwicklung, in: Der Staat, S. 22. Denn Rechtstheorie als solche reduziert sich aufgrund ihrer theistischen Basis auf die Entscheidungen, welche der bestehenden Ordnung gegenüberstehen. 61  Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 75. 62  Vgl. ebd., S. 81. 59  Vgl.

60  Schmitts



II. Legalität und Legitimität143

Rechts zum Schutze der abstrakten Norm ausgehen, weil der Staat ein Faktum sei. Wenn er legitim sein solle, müsse er Rechtsstaat sein. Jeder Rechtsstaat institutionalisiere den Konnex von Macht und Recht. Nur als Mittel des Rechts sei Macht legitim.63 Will man den Rechtsstaat daher definieren, dann müsse man den Staat als Mittler des Rechts, nicht als Ursprung der positiven Gesetze, nämlich als Gesetzgeber bezeichnen, wobei er schreibt: „(Demzufolge) sprechen die Gesetze nur aus, was geschehen oder nicht geschehen soll; sie geben keine Bürgschaft dafür, dass das Gebotene wirklich geschieht, und das Verbotene wirklich unterlassen wird.“64 Von daher soll man einerseits daran festhalten, dass Schmitt eine quasi theologische Aufgabe dem Staat auferlegen will, damit er das Staatliche im liberalen Zeitalter hervorheben könnte. Andererseits spielt er auf die Rolle der staatlichen Entscheidung an, die über das positive Gesetz hinausgreift. Aufgrund seiner Vorstellung vom Staat argumentiert Schmitt gegen den Individualismus, indem das konkrete Individuum vom Staat gezwungen wird, und seine Pflicht wie seine Berechtigung ist nur der Reflex des staatlichen Zwanges.65 Schmitt wolle hierbei dem Einzelnen seine metaphysische Bedeutung durch das Recht sichern, ohne schon ein System der subjektiven Rechte oder Grundrechte zu formulieren.66 Mit anderen Wort geht Schmitt nicht von jenen Grundrechten aus, welche als vorstaatliche Rechte bezeichnet werden, weil das Individuum unabhängig vom Staat bei ihm nicht vorstellbar ist. Insofern kann man Schmitt als Kritiker der Menschenrechte betrachten, der nicht an die grundlegenden Rechte der Menschen glaubt, welche über den Weltanschauungskonflikten stehen, wobei die Idee der Menschenrechte Schmitt zufolge aus dem Liberalismus entstanden ist. Im Gegensatz zu ihm stellt Nikolas Luhmann fest, dass man Grundrechte von ihrem metaphysischen Ballast befreien müsse. Luhmanns Antwort auf die Frage nach der Funktion der Grundrechte sei, dass sie ein bestimmtes Maß an Differenziertheit der Gesellschaft aufrechterhielten.67 Was ja bei Schmitts Politischer Philosophie nicht akzeptabel ist, weil das Individuum dann die Anerkennung bekommt, wenn es sich der staatlichen Substanz unterwerfen lässt. Insofern bezeichnet Luhmann die Grundrechte als einzigen Garant der Menschenwürde, die sich vorstaatlich identifizieren. Hierzu schreibt Luhmann: „Grundrechte gewährleisten weder Freiheit noch Würde. Das steht nicht in der Macht des Staates. Dieser muss voraussetzen, dass der Mensch genug Verstand und Erfahrung besitzt, um seine Persönlichkeit Mehring, Carl Schmitt: Aufstieg und Fall: Eine Biographie, S. 61. Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 84. 65  Vgl. ebd., S. 86. 66  Vgl. Mehring, Carl Schmitt: Aufstieg und Fall, S. 61. 67  Vgl. Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 307. 63  Vgl.

64  Schmitt,

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richtig zu handhaben. Insofern ist es sinnvoll, Freiheit und Würde als vorstaatliche Rechtsgüter zu betrachten.“68 Schmitts Vorstellung vom Recht ist insofern ganz anderes als das Konzept der Menschenrechte in dem liberalen Sinne: „Aber das wesentliche ist hier, dass in dem bewussten Denken die Hingabe an die Gesetze und Werte des richtigen Denkens liegt, wodurch das zufällige Einzelindividuum verschwindet, um teilzunehmen an einem außerindividuellen Wert, der allein das zum wertenden gewordene Prädikat Sein verdient. Nicht weniger gestattet die Bemerkung Lichtenbergs, es sei vielleicht richtiger zu sagen es denkt in mir statt ich denke.“69

Demzufolge wird der Staat bei Schmitt auf Kosten der Individualität begründet. Denn der Staat ist bei Schmitt keine Konstruktion, die Menschen sich gemacht haben, sondern er macht theologisch aus den Menschen eine Konstruktion, was der Menschenwürde gegenübersteht. Das Recht, vom dem Schmitt spricht, geht der Macht als bloßer Tatsache, bzw. dem Individuum voraus. Ein Individuum erhält somit seinen juristischen Wert nur im Normsystem des Staates. Demzufolge, wenn man davon ausgeht, dass eine Norm gut und richtig sei, habe es nicht mit den Interessen der aufsummierten einzelnen Menschen zu tun. Vielmehr wichtiger als dass es Menschen gebe, sei, dass es gute und gerechte Menschen gebe.70 D. h. es wird die Menschheit, der Mensch aufgrund der Qualität der Beziehung mit dem Staatlichen bewertet. Dabei schreibt Jürgen Habermas: „Je stärker die Grundrechte das ganze Rechtssystem durchdringen, umso häufiger greifen sie über die vertikale Beziehung des einzelnen Bürgers zum Staat hinaus 68  Luhmann, Grundrechte als Institution: Ein Beitrag zur politischen Soziologie, S. 72. Luhmann geht von den differenzierten Sozialordnungen aus, welche eine Vielheit unterschiedlicher Persönlichkeiten für die zahlreichen speziellen, auseinandergelegten Funktionen benötigen, die sie erfüllen müssen. Daher müssten sie die Unterschiedlichkeit der einzelnen Persönlichkeiten legitimieren und als Recht auf Individualität bewusst machen. Vgl. ebd., S. 48. 69  Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 88. Dabei hat Schmitt rassistisch im Jahre 1933 daran festgehalten, dass der Mensch in die tiefsten, unbewusstesten Regungen des Gemütes, aber auch bis in die kleinste Gehirnfaser hinein, in der Wirklichkeit dieser Volks- und Rassenzugehörigkeit stehe. Hierbei steht dem Rassenzugehörigen ein Artfremder gegenüber, der sich noch so kritisch gebärden und noch so scharfsinnig bemühen möge, Bücher lesen und Bücher schreiben möge, aber er denke und verstehe anders, weil er anders geartet sei, und bleibe in jedem entscheidenden Gedankengang in den existenziellen Bedingungen seiner eigenen Art. Vgl. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk: die Dreigliederung der politischen Einheit, S. 45. Die Unterscheidung zwischen den Rassenangehörigen und Artfremden beweist, dass Schmitts Gedankengut der Idee gegenübersteht, die von der Gleichheit der Menschen unabhängig von der Mannigfaltigkeit der Religion und Rassen ausgeht. 70  Vgl. ebd., S. 98.



II. Legalität und Legitimität145

und in die horizontalen Beziehungen zwischen den einzelnen Bürgen ein.“71 Hierbei gehen Menschenrechte, so Habermas, um den Wert des Einzelnen in den horizontalen Beziehungen zwischen den Menschen, nicht um die Stellung des Menschen in der vertikalen Beziehung zu Gott oder zu untergeordneten Seinsstufen.72 Insofern sind Menschenrechte als solche nicht bei Schmitt relevant, weil sie sich unabhängig von der Transzendenz, bzw. dem Staat identifizieren wollen. Schmitt richtet sich ebenfalls gegen die Gesellschaftsvertragstheorie auf, weil dieser Theorie der Individualismus zugrunde liegt, wobei die Menschen dem Staat eine Konstruktion geben. Genauer gesagt, wird der Staat auf einen Vertrag gegründet. Und er soll dadurch entstanden sein, dass mehrere Individuen zusammentraten und sich zu einem Gesamtwesen verbanden. Schmitt vertritt hingegen die These, dass die Rechtsordnung dem von Individuen gegründeten Vertrag vorgeht. Hierzu schreibt er: „… so verweist ein solcher Vertrag bereits auf eine vorausgesetzte Rechtsordnung. Die Individuen, von denen es heißt, dass sie den Staat durch Vertrag gegründet haben, treten nicht als beliebige Einzelmenschen, sondern als Kontrahenten im Rahmen einer Rechtsordnung auf, sodass der Vorgang der Staatsgründung durch Vertrag nicht mehr ein historisches, sondern ein juristisches Ereignis bedeutet. Der Fehler der Vertragstheorie war daher nicht die Konstruktion eines Vertrages, sondern die Annahme empirischer Individuen als Vertragsparteien.“73

Was Schmitt in diesem Zusammenhang mit der Rechtsordnung meint, wird im Folgenden in Bezug auf den Dualismus zwischen der Legitimität und Legalität bei Schmitt analysiert. 2. Legalität vs. Legitimität in der Weimarer Republik Als die Weimarer Republik im Jahre 1932 in der Phase der politischen Krise war, versuchte Schmitt ein Präsidialsystem in seiner Schrift „Legalität und Legitimität“ zu konstruieren, um damit die Weimarer Republik vor deren Sturz zu schützen. Was den Vorwurf der fehlenden nationalsozialistischen Gesinnung während der Herrschaft der NSDAP für Schmitt zur Folge hatte. Seine Schrift gliedert sich in zwei Hauptteile; der erste behandelt das 71  Habermas, Das Konzept der Menschenwürde und die realistische Utopie der Menschenrechte, in: Zur Verfassung Europas: Ein Essay, S. 20. Dabei meint Luhmann ebenfalls, dass der Mensch seine Individualität als Persönlichkeit nur im sozialen Verkehr gewinnt, indem auf seine Selbstdarstellung, sei es durch Konsens, sei es durch Dissens, eingegangen wird. Vgl. Luhmann, Grundrechte als Institution: Ein Beitrag zur politischen Soziologie, S. 61 f. 72  Vgl. Habermas, Das Konzept der Menschenwürde und die realistische Utopie der Menschenrechte, in: Zur Verfassung Europas: Ein Essay, S. 28. 73  Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 105 f.

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Legalitätssystem des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates, der zweite drei außerordentliche Gesetzgeber der Weimarer Verfassung, bzw. Legitimität, wobei Schmitt eine Unterscheidung zwischen Liberalismus und Demokratie trifft, was im Folgenden untersucht wird. Aufgrund der Legalität sei das politische System Gesetzesstaat. Nur dem Gesetz werde Gehorsam geschuldet; nur ihm gegenüber sei das Widerstandsrecht vernichtet.74 Insofern gibt es nur Legalität, nicht Autorität oder Befehl von oben. Der letzte, eigentliche Sinn des fundamentalen Prinzips der Gesetzmäßigkeit alles staatlichen Lebens liege darin, dass schließlich überhaupt nicht mehr geherrscht oder befohlen werde, weil nur unpersönlich geltende Normen geltend gemacht würden. In diesem Zusammenhang betont Schmitt darauf, dass der Staat einen Unterschied zwischen dem Gesetz im formalen Sinne und dem Gesetz im materiellen Sinne treffen müsse. Wenn Schmitt vom Gesetz im materiellen Sinne spricht, meint er damit ein Gesetz, das sich auf einen spezifischen Inhalt berufen wolle. Und man kann nicht das Gesetz als solches im Gegensatz zum Gesetz im formalen Sinne mit der jeweiligen Abstimmung abschaffen. Hingegen bezieht sich Gesetz im formalen Sinne auf ein bestimmtes Verfahren, welches sich dem festen Inhalt entzieht. In einem solchen Staatswesen, das sich nur auf das Gesetz im formalen Sinne beruft, ist doch ein rein formaler, von jedem Inhalt unabhängiger Gesetzesbegriff evident. Wenn man doch bedingungslos, voraussetzungslos und rücksichtslos alles, was die zuständigen Stellen im Gesetzgebungswege beschließen, als alleinmaßgebendes, positives Recht ansieht, kann man nicht mehr an der Rechtsnorm im eigentlichen Sinne, festhalten. Hierzu führt Schmitt aus: „Gesetz im materiellen Sinne ist Rechtsnorm oder Rechtssatz, eine Bestimmung dessen, was Rechtens sein soll für jedermann. Man hielt daran fest, dass das Gesetz im formellen Sinne normalerweise einen Rechtssatz im materiellen Sinne enthalte und von einem beliebigen Befehl zu unterscheiden sei.“75

Konsequent stellte Carl Schmitt, so Christoph Gusy, im Jahre 1932 fest, dass das Legale als etwas nur Formales und das in der Sache Legitime als Gegensätze empfunden wurden. War der ordentliche Gesetzgeber der Weimarer Verfassung zur Erfüllung der Staatsaufgaben nicht mehr in der Lage, so war der außerordentliche Gesetzgeber aufgerufen, die verlorengegangene Einheit und Handlungsfähigkeit wieder herzustellen.76 Schmitt impliziert: Wenn man von dem Rechtsstaat als Legalitätssystem ausgeht, setzt man voraus, dass der Staat als solcher auf Grundgesetzen basiert ist, die sich in Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 21 f. S. 25. 76  Vgl. Gusy, Legitimität im demokratischen Pluralismus, S. 50. 74  Vgl.

75  Ebd.,



II. Legalität und Legitimität147

festen Inhalten verankern.77 Was Schmitt vom Gesetz im materiellen Sinne versteht, ist das Gesetz als Eingriff in Freiheit und Eigentum des Staatsbürgers.78 Also gibt es materiell-rechtliche Normen, welche über die jeweilige Abstimmung hinausgehen und sich nicht dem formalen Gesetzgebungsverfahren unterwerfen lassen. Mit anderen Worten gibt es Voraussetzungen, die man als Grundgesetze eines Systems als Sollen bezeichnen müsse. In einer heterogenen Gesellschaft, die von liberalen Werten ausgeht, sei insofern erforderlich, dass sie für spezifische homogene Werte plädiere, wonach man eine Gesellschaft als solche begründen könne. Denn Heterogenität schließe Schutzbedürftigkeit ein.79 Wenn man eben vom formalen Gesetzgebungsverfahren ausgeht, begegnet man dann dem inhaltslosen Legalitätssystem. Schmitt schreibt: „Der Gesetzgeber macht im Gesetzgebungsverfahren was er will; es ist immer Gesetz und schafft immer Recht. Damit war der Weg offen zu einer absolut neutralen, wert- und qualitätsfreien, inhaltlos formalistisch-funktionalistischen Legalitätsvorstellung.“80 Entfallen z. B. laut ihm die Voraussetzungen des parlamentarisch-demokratischen Gesetzgebungsstaates, so liegt es nahe, vor der konkreten Verfassungslage die Augen zu verschließen und sich an einen absolut wertneutralen funktionalistisch-formalen Gesetzesbegriff zu klammern, um dadurch das inhaltlose Legalitätssystem zu retten. Der Gesetzesbegriff des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates habe zwar in sich eine weitgehende Neutralität gegenüber den verschiedensten Inhalten, aber er müsse doch gewisse Qualitäten (generelle Normierung, inhaltliche Bestimmtheit, Dauer) enthalten, wenn er überhaupt einen Gesetzgebungsstaat tragen solle. Vor allem dürfe er nicht gegen sich selbst und seine eigenen Voraussetzungen neutral sein. Werde die parlamentarische Körperschaft ohne Rücksicht auf irgendwelche Qualitäten ihrer Mitglieder zu einer bloßen Funktion allgemeiner Mehrheitswahlen gemacht und unter Verzicht auf jedes materielle Erfordernis des Gesetzes ihr Mehrheitsbeschluss der Gesetzesbeschluss, so endeten alle Garantien der Gerechtigkeit und Vernünftigkeit, aber auch der Gesetzesbegriff und die Legalität selbst in einer konsequent funktionalistischen Substanz- und Inhaltslosigkeit bei 77  Schmitt will hierbei, wie gesagt, dem Einzelnen seine metaphysische Bedeutung durch das Recht sichern, ohne schon ein System der subjektiven Rechte oder Grundrechte zu formulieren. Mit anderen Wort geht Schmitt nicht von jenen Grundrechten aus, welche als vorstaatliche Rechte bezeichnet werden, was in der modernen Gesellschaft die Basis der Menschenrechte bildet. 78  Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 25. 79  Vgl. Kirchheimer, Bemerkungen zu Carl Schmitts Legalität und Legitimität, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, S. 470. 80  Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 27.

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arithmetischer Mehrheit im Parlament.81 Mit anderen Worten, wenn man von der Inhaltslosigkeit der bloßen Mehrheitsstatistik, nämlich der 51-prozentigen Mehrheit ausgehen will, kann man dann keinen Unterschied von Recht und Unrecht treffen. Denn das Recht lässt sich nicht laut Schmitt durch die jeweiligen Mehrheiten definieren. Hierzu ist Schmitt überzeugt, dass ein System, welches sich auf bloße Legalität, nämlich eine 51-prozentige Mehrheit, berufen will, immer mit dieser Gefahr konfrontiert ist, in einen totalen Staat zu entarten. Hierzu schreibt er: „Die im legalen Besitz der staatlichen Machtmittel stehende Mehrheitspartei muss annehmen, dass die Gegenpartei, wenn sie ihrerseits in den Besitz der legalen Macht gelangt, die legale Macht dazu benutzen werde, um sich im Besitz der Macht zu verschanzen und die Tür hinter sich zu schließen, also auf legale Weise das Prinzip der Legalität zu beseitigen.“82

Da es daher keine Grundgesetze gibt und das System sich stets auf die jeweilige Mehrheit beruft, kommt alles darauf an, wer die legale Macht in der Hand hat und anschließend seine Macht auf einer neuen Grundlage konstituieren wollte. Das höhere Gesetz sei doch (als Verfassungsgesetz) von dem einfachen Gesetz zu unterscheiden, indem es sich dem Willen der jeweiligen Zweidrittelmehrheit unterordne.83 Diese neue und höhere Art von Jeweiligkeit steht eben im Widerspruch zu der ersten und niederen Art, weil sie nicht inhaltlos wertneutral und daher auch nicht funktionalistisch gedacht ist. Es ist hierbei zu beachten, dass Schmitt den zweiten Hauptteil der Weimarer Verfassung als Symbol der materiellen Gesetzlichkeit bezeichnet hat. Die Weimarer Verfassung sei zwischen der Wertneutralität ihres ersten und der Wertfülle ihres zweiten Hauptteils buchstäblich gespalten.84 Er geht nämlich davon aus, dass es bestimmte, durch die Verfassung selbst herausgehobene Wertinhalte, ja sogar heilige Institutionen und Einrichtung gebe, wie Ehe (Art. 119)85 und Religionsübung (sic!) (Art. 135)86, die unter dem Schutz der Verfassung selbst stehen sollten, während die funktionalistische Jeweiligkeit des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates in ihrer unbedingten 81  Vgl.

ebd., S. 30. S. 38. 83  Vgl. ebd., S. 48. 84  Ebd., S. 52. 85  Art. 119, Abs. 1. „Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.“ 86  Art. 135. „Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter stattlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt.“ 82  Ebd.,



II. Legalität und Legitimität149

Wertneutralität auch der Beseitigung gerade dieser Heiligtümer zur Verfügung stehen wolle. Hierzu ist zu bemerken, dass obwohl Schmitt die Zweidrittelmehrheit als Merkmal des höheren Gesetzes bezeichnete, es laut ihm eine unmoralische Ausrede ist, wenn man erklärt, die Beseitigung der Ehe oder der Kirchen sei zwar legal möglich, aber es werde hoffentlich nicht zu den einfachen oder Zweidrittelmehrheiten kommen, welche auf legale Weise die Ehe abschaffen oder einen atheistischen oder laizistischen Staat durchführen.87 Obwohl Schmitt nämlich aus der Weimarer Verfassung jene Grundrechte ableiten wollte, wonach er diese demokratische Verfassung vor der Beseitigung hätte schützen können, geht es ihm hierbei nicht mehr um die Interpretation der Weimarer Republik oder einer ähnlich strukturierten demokratischen Verfassung, sondern um die ideelle Konstitution eines dem Wert- und Rechtfertigungssystem Carl Schmitts entsprechenden Staatssystems. Hier könnten Legalität und Legitimität auseinandertreten; hier könne Legalität durch Legitimität vollständig verdrängt werden.88 In diesem Zusammenhang sei wenigstens das bürgerlich-rechtliche System der Weimarer Republik selbst mit seinem Gesetz und seinem Freiheitsbegriff heilig; d. h. es ist die liberale Wertneutralität der Republik als ein Wert anzusehen. Schmitt hielt allerdings daran fest, dass die Weimarer Republik aufgrund des Prinzips der Legalität durch Faschismus und Bolschewismus bedroht ist: „Ich möchte gegenüber den vielen Gutachten und Gerichtsurteilen über die Legalität oder Illegalität der nationalsozialistischen Organisationen, über die beamtenund arbeitsrechtliche Beurteilung der Zugehörigkeit zu solchen Organisationen, über die Friedlichkeit ihrer Versammlungen usw. nochmals betonen, dass für Nationalsozialisten, Kommunisten, Gottlose oder was immer die entscheidende Antwort auf derartige Fragen, wenn sie rechtswissenschaftlich objektiv gegeben werden soll, keineswegs aus einzelnen, isolierten Verfassungsartikeln, zum Beispiel Art. 118 (Freiheit der Meinungsäußerung) oder 130 (politische Gesinnungsfreiheit der Beamten) oder gar aus einzelnen Bestimmungen von Gelegenheitsgesetzen oder Notverordnungen entnommen werden darf, sondern aus dieser grundsätzlichen Auffassung des Legalitätssystems und insbesondere des Art. 76.“89 87  Vgl.

ebd., S. 49. Kirchheimer, Bemerkungen zu Carl Schmitts Legalität und Legitimität, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, S. 484. 89  Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 51 f. Art. 76. „Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen Beschlüsse des Reichstages auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen. Auch Beschlüsse des Reichsrats auf Abänderung der Verfassung bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich. Hat der Reichstag entgegen dem Einspruch des Reichsrats eine Verfassungsänderung beschlossen, so 88  Vgl.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

Diese herrschende Auffassung des Art. 76, heiße es dort, nehme der Weimarer Verfassung ihre politische Substanz und ihren Boden und mache sie zu einem gegenüber jedem Inhalt indifferenten, neutralen Abänderungsverfahren, das namentlich auch der jeweils bestehenden Staatsform gegenüber neutral sei. Hierzu kann man nach Schmitt nur durch politische Entscheidung dieses juristisch neutrale Abänderungsverfahren entkräften.90 Demzufolge schützt eine Verfassung, welche die materiell-rechtliche Verfassungsgesetze in größerem Umfang den einfachen Gesetzen überordnet, die Normen einer organisatorischen Einrichtung vor dem einfachen ordentlichen Gesetzgeber, der ein bestehendes System stets zu beseitigen droht.91 Von diesem Punkt ausgehend leitet Schmitt seine entscheidende These ab, welche gegen globale Werte geht. Es gebe Staaten mit zwei verschiedenen, einander prinzipiell konstruktiv und organismische sogar widersprechenden Verfassungen oder Verfassungsstücken. Es solle sich eigentlich von selbst verstehen, dass die Art eines Staatswesens durch die Art seiner Grund- und Fundamentalrechte bestimmt werde.92 Lassen sich nämlich die Staaten in Bezug auf deren Grundgesetze artikulieren, so kann man von den verschiedenen Strukturen des Staatswesens aufgrund derselben jeweiligen Grundund Fundamentalrechte ausgehen. In diesem Zusammenhang schrieben die allgemeinen Freiheitsrechte z. B. laut Schmitt die soziale Struktur einer individualistischen Ordnung um, deren Aufrechterhaltung und Wahrung die organisatorische Regelung des Staates dienen solle. Hierzu ist zu bemerken, dass Schmitt einerseits zwar von der politischen Substanz, und zwar den Grundrechten, ausgeht, womit man ein politisches System vor der Beseitigung durch undemokratische Parteien bewahren kann, man sieht aber andererseits bei ihm eine Ansicht, wonach man einen totalen Staat, wie seine Zusammenarbeit mit dem NS-Regime, rechtfertigen kann. Denn er will nicht das Grundrecht in der Kategorie der individuellen Werte verstehen. Die Grundrechte berufen sich nicht bei ihm auf individuelle Werte, weil Schmitt nicht die individuellen Freiheiten vor einem Eingriff des Staates zu schützen beabsichtigt, sondern er will hierbei den Sturz darf der Reichspräsident dieses Gesetz nicht verkünden, wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid verlangt.“ 90  Vgl. ebd., S. 51 f. 91  Dabei seien die Grundentscheidungen der Weimarer Verfassung, was man als deren politische Substanz bezeichnet kann, die Entscheidung für die Demokratie; ferner die Entscheidung für die Republik; die Entscheidung für eine grundsätzlich parlamentarische-repräsentative Form der Gesetzgebung und Regierung; schließlich die Entscheidung für den bürgerlichen Rechtsstaat mit seinen Prinzipien: Grundrechte und Gewaltenunterscheidung. Vgl. Pünder, Carl Schmitt als Theoretiker der Macht – Ein Aussenseiter, in: Rechtstheorie, S. 16 f. 92  Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 60.



II. Legalität und Legitimität151

des jeweiligens Staates juristisch aufgrund der Grundgesetze, welche in der Verfassung als unabänderliche Artikel verankert sind, vermeiden. Dabei ist zu bemerken, dass er von der Homogenität der Gesellschaft ausgeht, die sich nur durch den Staat identifiziert. 1933 schrieb er: „Es ist eine erkenntnistheoretische Wahrheit, dass nur derjenige imstande ist, Tatsachen richtig zu sehen, Aussagen richtig zu hören, Worte richtig zu verstehen und Eindrücke von Menschen und Dingen richtig zu bewerten, der in einer seinsmäßigen, artbestimmten Weise an der rechtsschöpfenden Gemeinschaft teilhat und existenziell zu ihr gehört.“93 In diesem Zusammenhang wird auch seine Zusammenarbeit mit dem NS-Regime beleuchtet, weil es sein Ziel war nur den Staat vor der Gefahr der Beseitigung zu bewahren. Der Staat als politische Einheit sei somit Voraussetzung, Grundbedingung und Ausgangspunkt aller Gesetze. Die Gesetze beziehen ihre Geltung als konkrete Form ihrer Existenz aus dem Staat. Der Staat als den Gesetzen vorgelagerte Einheit entziehe sich so juristischer Hinterfragung.94 Neben den Grundgesetzen im materiellen Sinn beim zweiten Teil der Weimarer Verfassung, welche sich über bloße Legalität hinausheben, bringt Schmitt den zweiten Ursprung der Legitimität der Weimarer Republik, nämlich den Volksentscheid vor, wobei er auf vier Fälle eines Volksentscheids im Rahmen der Weimarer Republik hinweist.95 In diesem Zusammenhang bezieht sich Schmitt ebenfalls auf einen Artikel, der ein selbstständiges Volksgesetzgebungsverfahren der unmittelbaren Demokratie einführen will. Dieses Verfahren als solches läuft konkurrierend zum ordentlichen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren parallel, wobei ein Gesetz durch 93  Schmitt,

Staat, Bewegung, Volk, S. 45. Gusy, Legitimität im demokratischen Pluralismus, S. 48. 95  Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 62. Art. 73, Abs. 1. „Ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz ist vor seiner Verkündung zum Volksentscheid zu bringen, wenn der Reichspräsident binnen eines Monat es bestimmt.“ Art. 73, Abs. 2. „Ein Gesetz, dessen Verkündigung auf Antrag von mindestens einem Drittel des Reichstags ausgesetzt ist, ist dem Volksentscheid zu unterarbeiten, wenn ein Zwanzigstel der Stimmberechtigten es beantragt.“ Art. 74, Abs. 3. „Im Falle des Einspruchs wird das Gesetz dem Reichstag zur nochmaligen Beschlussfassung vorgelegt. kommt hierbei keine Überstimmung zwischen Reichstag und Rechtsrat zustande, so kann der Reichspräsident binnen drei Monaten über den Gegenstand der Meinungsverschiedenheit einen Volksentscheid anordnen. Macht der Präsident von diesem Rechte keinen Gebrauch, so gilt das Gesetz als nicht zustande gekommen. Hat der Reichstag mit Zweidrittelmehrheit entgegen dem Einspruch des Reichstags beschlossen, so hat der Präsident das Gesetz binnen drei Monaten in der vom Reichstag beschlossenen Fassung zu verkünden oder einen Volksentscheid anzuordnen.“ Art. 76, Abs. 2. „Hat der Reichstag entgegen dem Einspruch des Reichsrats eine Verfassungsänderung beschlossen, so darf der Reichspräsident dieses Gesetz nicht verkünden, wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid verlangt.“ 94  Vgl.

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Volksentscheid auf Volksbegehren zustande kommt.96 Schmitt hält daran fest, dass das Volksgesetzgebungsverfahren das zweite Element der Legitimität sei, welches sich über Legalität, nämlich das Parlament hinaus artikulieren dürfe. Anschließend bezeichnet Schmitt den Art. 48, Abs. 2 als den dritten Ursprung der Legitimität der Weimarer Republik. Dieser Artikel befasst sich nämlich mit einer außerordentlichen Situation, welche die Stabilität des Landes in Frage stellt. In dieser außerordentlichen Situation steht es der Regierung zur Verfügung, dass sie Maßnahmen über die bestehenden Gesetze hinaus beschließen kann, um das politische System vor der Beseitigung zu schützen. Demzufolge plädiert Schmitt dafür, dass Normen nur für normale Situationen gelten und die vorausgesetzte Normalität der Situation ein positivrechtlicher Bestandteil ihrer Geltung ist. Der Gesetzgeber der normalen Situation sei doch etwas anderes als der die normale Situation (die Sicherheit und Ordnung) wiederherstellende Aktionskommissar der abnormen Lage.97 96  Vgl. ebd., S. 62. Art. 73, Abs. 3. „Ein Volksentscheid ist ferner herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Verlegung eines Gesetzentwurfs stellt. Dem Volksbegehren muss ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zu Grunde liegen. Er ist von der Reichsregierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstag zu unterbreiten. Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im Reichstag unverändert angenommen worden ist.“ 97  Vgl. ebd., S. 72. Art. 48, Abs. 2. „Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 1234 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.“ Schmitt macht den Reichspräsidenten als eine neutrale, vermittelnde, regulierende und bewahrende Gewalt zum Mittelpunkt eines Systems plebiszitärer wie auch parteipolitisch neutraler Einrichtungen und Befugnisse und versucht bei der geltenden Reichsverfassung gerade aus den demokratischen Prinzipien heraus ein Gegengewicht gegen den Pluralismus sozialer und wirtschaftlicher Machtgruppen zu bilden und die Einheit des Volkes als eines politischen Ganzen zu wahren. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 132–137, hier 132: „Die Meinungsverschiedenheiten und Differenzen zwischen den Trägern politischer Entscheidungs- oder Einflussrechte lassen sich, wenn nicht gerade offene Verfassungsverletzungen geahndet werden sollen, im Allgemeinen nicht justizförmig entscheiden. Sie werden entweder durch eine über den differierenden Meinungen stehende, stärkere politische Macht von oben, also durch einen höheren Dritten beseitigt – das wäre dann aber nicht der Hüter der Verfassung, sondern der souveräne Herr des Staates; oder sie werden vermittels einer nicht über-, sondern nebengeordneten Stelle beigelegt oder ausgetragen, also durch einen neutralen Dritten.“ Hierbei setzt Schmitt alle seine Hoffnungen auf den Reichspräsidenten von Hindenburg. Vgl. Pünder, Carl Schmitt als Theoretiker der Macht – Ein Außenseiter, in: Rechtstheorie, S. 21. Vgl. Haungs, Diesseits oder jenseits von Carl Schmitt?: Zu einer Kontroverse um die Frankfurter Schule und Jürgen Habermas, in: Hans / Hennis, S. 534.



II. Legalität und Legitimität153

Zusammenfassend will Schmitt in Bezug auf drei Ursprünge der Legitimität der Weimarer Verfassung, nämlich Gesetze in materieller Form (Grundrechte), Volksentscheid und Artikel 48, Abs. 2 gegen die einseitige Legalität der Verfassung argumentieren. Im Sachgebiet der Verfassung kann man bei Schmitt insofern von der Legitimität sprechen, als die substanziellen Einrichtungen in derselben Verfassung festgelegt werden. Genauer gesagt, sind die substanziellen Einrichtungen diejenigen Gesetze, welche über bloße Legalität hinausgreifen und insofern können sie die Rechtsordnung in der außerordentlichen Situation vor dem Sturz bewahren. Dabei schreibt Schmitt: „Eine Verfassung, die es nicht wagen würde, sich hier zu entscheiden, sondern statt einer substanzhaften Ordnung den kämpfenden Klassen, Richtungen und Zielsetzungen die Illusion geben wollte, dass sie legal auf ihre Rechnung kommen, alle ihr Parteiziel legal erreichen und alle ihren Gegner legal vernichten können, ist heute nicht einmal mehr als ein dilatorischer Formelkompromiss möglich und würde im praktischen Ergebnis auch ihre eigene Legalität und Legitimität zerstören.“98

Insofern kann man feststellen, dass der Legitimität laut Schmitt das Recht zugrunde liegt und man das Recht als Norm, welches sich dem legalen Verfahren überordnen wolle, charakterisieren soll. Mit anderen Worten ordnet sich die Legitimität der Legalität über, indem sie sich über die bestehenden Gesetze hinaus identifizieren lässt. Hierzu ist für uns entscheidend, dass Schmitt die Legitimität ganz unabhängig von der Gesetzmäßigkeit verstehen will, d. h. über das Verfahren der zustande kommenden Gesetze hinweg. In diesem Zusammenhang wird auf Jürgen Habermas und Hans Kelsens Gedankengut eingegangen, die gegen die Legitimität als solche argumentierten. 3. Die Kontroverse zwischen Carl Schmitt, Jürgen Habermas und Hans Kelsen Habermas stellt fest, dass das Rechtssystem jeweils durch ein von theologischen und juristischen Fachleuten exegetisch verwaltetes sakrales Recht überwölbt wird. Alles Recht entlehne nämlich seinen Geltungsmodus aus der göttlichen Herkunft des christlich verstandenen Naturrechts. Neues Recht könne nur im Namen der Reformation oder Wiederherstellung des guten alten Rechts geschaffen werden.99 Es habe das göttliche oder natürliche Recht gegeben, das nicht dem irdischen politischen Herrscher zur 98  Schmitt,

Legalität und Legitimität, S. 97 f. Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, in: Kritische Justiz,

99  Habermas,

S.  1 f.

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Disposition stehe. Genauer gesagt, gab es laut Habermas vor der Moderne den legitimierenden Rahmen, innerhalb dessen der Herrscher über die Funktionen der Rechtsprechung und der bürokratischen Rechtsetzung seine profane Herrschaft ausübte.100 Der Herrscher untersteht nämlich jenem sakralen Recht, wonach er seine politische Herrschaft ausüben durfte. Hierzu ist zu bemerken, dass das sakrale Recht sich als Ursprung der Legitimität bezeichnet. Man darf sich hierbei insofern auf die irdischen Gesetze, nämlich Legalität, berufen, als die Gesetze als solche sich dem sakralen Recht unterordnen lassen. Habermas betont allerdings: „Zwischen diesen beiden Momenten – der Unverfügbarkeit des in der gerichtlichen Konfliktregelung vorausgesetzten Rechts, der Instrumentalität des für die Herrschaftsordnung in Dienst genommenen Rechts – besteht eine unaufgelöste Spannung.“101

Es gibt also eine Spannung zwischen irdischen Gesetzen und deren Ursprung, nämlich dem sakralen Recht. Genauer gesagt, lag das Problem darin, inwieweit man in Anspruch nehmen darf, dass die Aufgabe der irdischen Gesetze als Symbol der Legalität die Konkretisierung des sakralen Rechts als Symbol der Legitimität sind, während sakrales Recht laut Habermas unverfügbar ist.102 In diesem Zusammenhang bezeichnet Habermas die Positivierung des Rechts als eine Reaktion auf diese Spaltung zwischen irdischen Gesetzen und sakralem Recht, was bei Schmitt, wie schon erwähnt wurde, durch eine Spaltung zwischen dem Sollen und Sein ausgedrückt wird. Dem positiven Recht falle nämlich die Aufgabe zu, die Lücke, welche das theologisch verwaltete Naturrecht hinterlassen habe, aus eigener Kraft durch politische Gesetzgebung zu füllen. Fortan fließe alles Recht aus dem souveränen Willen des politischen Gesetzgebers.103 Wenn man davon ausgeht, dass der Ursprung der Legalität, nämlich deren Legitimität, vor der Moderne aus dem sakralen Recht entstand, lässt sich dann diese Frage aufwerfen, was der Ursprung der Legalität im Sachgebiet des positiven Rechts in modernen Sinne ist, bzw. wie legitimiert sich die Legalität? Weil das positive Recht seinen Kontakt mit der metaphysischen Unverfügbarkeit abgebrochen hat. Worauf Habermas antwortet: „… dass das positive Recht seine Autonomie aus eigener Kraft, d. h. durch die dogmatischen Leistungen einer gesetzestreuen, aber gegenüber Politik und 100  Vgl.

ebd., S. 1 f. S. 1 f. 102  Insofern identifiziert deswegen Schmitt den Staat als Subjekt des rechtlichen Ethos, weil er die Aufgabe hat, das sakrale Recht in der Gesellschaft zu artikulieren. Vgl. Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 86. 103  Vgl. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, in: Kritische Justiz, S. 3. 101  Ebd.,



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Moral verselbständigten Justiz aufrechterhalten könne.“104 Mit anderen Worten geht Habermas von einem Rechtsverfahren als Symbol der Legitimität aus, welches sich nicht mehr den metaphysischen Ideen unterwerfen lässt. Genauer gesagt, mache sich das moderne Rechtssystem von sachlichen Prinzipen abhängig; bzw. das Rechtssystem stellt sich auf eine Verfahrensrationalität um.105 Man kann somit diese Verfahrensrationalität als neuen Ursprung der Legitimität bezeichnen, welche gegenüber der Unverfügbarkeit des sakralen Rechts sich positivistisch durchsetzt. Eine rationale Herrschaft sei nach Max Weber ebenfalls dann legitimiert, wenn zwei Prämissen hinreichend erfüllt seien: a) die normative Ordnung muss positiv gesetzt sein, und b) die Rechtsgenossen müssen an ihre Legalität, d. h. an das formal konkrete Verfahren der Rechtsschöpfung und Rechtsanwendung glauben.106 In diesem Zusammenhang ist doch zu bemerken, dass Habermas einen Unterschied zwischen einem moralischen und einem juristisch-positivistischen Ursprung des Rechts traf. Hierzu schreibt Habermas: „Sobald die Rechtsgeltung jeden über die Dezision des Gesetzgebers hinausgreifenden moralischen Bezug zu Aspekten der Gerechtigkeit einbüßt, wird die Identität des Rechts selber diffus. Dann fehlen nämlich die legitimierenden Gesichtspunkte, unter denen das Rechtssystem auf die Bewahrung einer bestimmten Struktur festgelegt werden könnte.“107

104  Ebd.,

S. 5. S. 6. 106  Vgl. Becker, Die Parlamentarismuskritik bei Carl Schmitt und Jürgen Habermas, S. 99. 107  Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, in: Kritische Justiz, S. 5. Dabei will Habermas ebenfalls die Menschenrechte aus den Ketten der moralischen Hintergründe befreien und sie durch das juristisch-positivistische Rechtsverfahren sicherstellen. Mit anderen Worten, während die klassischen Menschenrechtserklärungen von angeborenen oder unveräußerlichen Rechten, inherent oder natural rights ausgehen, geht Habermas von der Positivierung des Menschenrechts aus, damit eine Rechtspflicht zur Realisierung überschießender moralischer Gehalte erzeugt wird, die sich in das Gedächtnis der Menschheit eingegraben hat. Vgl. zum Übergang von der Vernunftmoral zum Vernunftrecht, Habermas, Das Konzept der Menschenwürde und die realistische Utopia der Menschenrechte, in: Zur Verfassung Europas: Ein Essay, S. 24–33, hier 25: „Der Übergang von der Vernunftmoral zum Vernunftrecht verlangt einen Wechsel von den symmetrisch verschränkten Perspektiven der Achtung und Wertschätzung der Autonomie des jeweils anderen zu den Ansprüchen auf Anerkennung und Wertschätzung der jeweils eigenen Autonomie vonseiten des Anderen.“ Menschenwürde sei insofern keine Eigenschaft, welche man von Natur aus besitzen kann wie Intelligenz oder blaue Augen; sie markiere vielmehr diejenige Unantastbarkeit, die allein in den interpersonalen Beziehungen reziproker Anerkennung, im egalitären Umgang von Personen miteinander eine Bedeutung haben könne. Vgl. Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 28. 105  Ebd.,

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Daraus wird gefolgert, dass das auf der Moral basierte Recht ganz unverfügbar und subjektiv ist und das Recht als solches sich nicht in der Gesellschaft als Faktum artikulieren lässt. Im Gegensatz dazu nähert sich das juristische Verfahren, so Habermas, den Forderungen vollständiger Verfahrensrationalität, weil es mit institutionellen, also unabhängigen Kriterien verknüpft ist, anhand derer sich aus der Perspektive eines Unbeteiligten feststellen lässt, ob eine Entscheidung regelgerecht zustande gekommen ist oder nicht.108 Mit anderen Worten kann man nicht in der modernen Gesellschaft dem auf Moral basierten Recht vertrauen, weil das Recht als solches ganz subjektiv und metaphysisch ist und es sich der Messbarkeit entzieht. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, dass das Vernunftrecht nicht nur laut Habermas auf den Zerfall des religiös und metaphysisch begründeten Naturrechts reagiert, sondern vielmehr auf die Entmoralisierung einer zunehmend naturalistisch gedeuteten; auf Selbstbehauptungsinteressen umgestellten Politik.109 Habermas spielt auf Schmitt an, der aufgrund des Legitimitätsanspruchs für die politische Entscheidung argumentiert, die über die vom Parlament erlassenen Gesetze hinausgeht.110 Es wurde gezeigt, dass Legitimität bei Schmitt im Sachgebiet der politischen Theologie mit Dauer, Alter, Herkommen, Erbe, Vaterschaft und Tradition zu tun hat. Hingegen sei Legalität ein Funktionsmodus der staatlichen oder einer sonstigen, berechenbar funktionierenden Bürokratie.111 Legitimität geht nämlich bei Schmitt über das Gesetzgebungsverfahren hinweg. Die politischen Entscheidungen, genauso wie die drei Ursprünge der Legitimität, die schon erwähnt wurden, sind ein Instrument, womit der normale Vorgang der Gesetzgebung suspendiert wird, um die bestehende Rechtsordnung vor dem Chaos zu bewahren. Schmitt geht von der Trennung zwischen Legalität und Legitimität aus, genauso wie von der Trennung zwischen Macht und Recht, was Habermas für eine vormoderne Idee hält.112 Habermas will die Legitimität von der Unverfügbarkeit, nämlich den Traditionen und Werten, sowie von Erbe und Herkunft, wovon Schmitt 108  Vgl. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, in: Kritische Justiz, S. 13. 109  Vgl. ebd., S. 6. 110  Jedes Gesetz als normative Regelung bedarf bei Schmitt zu seiner Gültigkeit im letzten Grunde einer ihm vorhergehenden politischen Entscheidung, welche von einer politisch existierenden Macht oder Autorität getroffen wird. Vgl. Gusy, Legitimität im demokratischen Pluralismus, S. 47. 111  Schmitt, Politische Theologie II, S. 87. 112  Carl Schmitt war nach Ansicht von Habermas kein Sozialwissenschaftler, er habe vielmehr etwa das Wesen des Politischen wie ein traditioneller Philosoph untersucht. Vgl. Haungs, Diesseits oder jenseits von Carl Schmitt?: Zu einer Kontroverse um die Frankfurter Schule und Jürgen Habermas, in: Hans / Hennis, S. 540.



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ausgeht, befreien, indem er den Angelpunkt der Legitimität von der Unverfügbarkeit auf Rationalität des Rechtsverfahrens umgestellt hat. Insofern hinterfragt er politische Befehle und zwar politische Entscheidungen im Schmittschen Sinne. Dabei schreibt Habermas: „Die Reduktion von Rechtsnormen auf Befehle des politischen Gesetzgebers bedeutet, dass sich Recht in Politik gleichsam auflöst. Damit zersetzt sich aber der Begriff des Politischen selbst. Unter dieser Prämisse kann jedenfalls politische Herrschaft nicht mehr als rechtlich legitimierte Macht verstanden werden; denn ein der Politik vollständig verfügbar gewordenes Recht verliert seine legitimierende Kraft.“113

Insofern wollte Habermas nicht nur Rechtsnormen aus dem moralischabstrakten Hintergrund, sondern auch von den politischen Befehlen befreien, welche den Machtmissbrauch zur Folge haben. Hierbei sei man unzureichend gegen die Gefahr gesichert, dass im Namen des Rechtes gerade die Verabsolutierung der Macht inszeniert werde.114 Insofern wird bei Habermas die Rechtsordnung nicht aufgrund der politischen Entscheidungen legitimiert, sondern aufgrund des rationalen Verfahrens der Gesetzgebung, das zum Beschluss der Gesetze führt. Der Glaube, man könne Recht wie Schmitt durch bloße Dezision begründen, gehe daher in die Irre. Habermas will, so Hartmuth Becker, das Legalitätssystem in der Form akzeptieren, weil er die Notwendigkeit einsieht, dass eindeutige Verantwortlichkeiten für das Zustandekommen der Gesetze formulieren werden müssen. Doch diese Instanzen seien Teil eines Herrschaftssystems, das im Ganzen legitimiert sein müsse.115 Zusammenfassend lässt sich die Institutionalisierung vom Gesetzgebungsverfahren bei Habermas als Vorgang der Legitimation charakterisieren. Hingegen greift der Vorgang der Legitimation bei Schmitt über das Gesetzgebungsverfahren hinaus. Es wurde gezeigt, dass die Macht bei Schmitt aus dem Recht entsteht und zwar müsse das Recht als Norm durch den Staat als Faktum artikuliert werden. Insofern geht der Staat als Mittler des Rechts über das positive Recht hinaus. Denn der Staat als Souverän stehe über den von der Gesetzgebungsgewalt erlassenen Gesetzen. Man kann nämlich bei Schmitt insofern von dem positiven Gesetz ausgehen, als dasselbe Recht sich der höheren Ordnung, nämlich dem Recht als Norm unterwerfen lässt. Von daher stellt Schmitt, wie gesagt, drei Ursprünge der Legitimität der Weimarer Verfassung heraus, welche dem positiven Recht, nämlich der Legalität, vorausge113  Habermas,

S. 5.

114  Schneider,

115  Vgl.

mas, S. 99.

Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, in: Kritische Justiz,

Über das Verhältnis von Recht und Macht, in: Bracher, S. 597. Becker, Die Parlamentarisumskritik bei Carl Schmitt und Jürgen Haber-

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hen. Das Gesetz ist somit nur bei Schmitt ein Instrument, damit der Staat das Recht als Norm verwirklichen kann. Hieraus ergibt sich, dass man das Gesetz nicht als Zeichen der Souveränität anerkennen soll, weil es sich der höheren Ordnung, nämlich dem Recht als Norm unterlegen will, die sich dann bei politischer Entscheidung ausdrückt. Daher steht der Staat als Mittler des Rechts über den positiven Gesetzen, welche bei einer plural- parlamentarischen Demokratie durch das Mehrheitsprinzip verabschiedet werden, weil er seine Legitimität nicht mehr aus einer höheren Ordnung ableitet, sondern aus sich selbst heraus. In diesem Zusammenhang ist zu fragen, woraus die legitimierende Qualität des Mehrheitsprinzips entsteht. Hierbei schreibt Hans Hugo Klein, „dass Mehrheiten nicht von selbst im Recht seien, sondern nur dank einer vorpolitisch verankerten, aber nicht unzerstörbaren kollektiven Identität; dass die Mehrheitsregel ihre legitimitätsschaffende Wirkung nur im Rahmen einer geeinten politischen Körperschaft entfalten könne.“116 D. h. die Mehrheit verdankt nicht ihre Macht der politisch- staatlichen Aktivität, woran Schmitt in seiner Schrift über Legalität und Legitimität festhält, weil sie an sich ein vorpolitischer Zustand ist, aufgrund dessen man nicht die Legitimation in Anspruch nehmen darf. Sie kann dann ihre Machtausübung legitimieren, wenn sie durch ein Rechtsverfahren in einer Rechtsordnung zustande kommt. Was hier mit der Mehrheit gemeint ist, betrifft die religiöse und nationale Mehrheit im vorpolitischen Zustand, welche die Minderheiten im politischen Zustand juristisch unterdrücken können.117 Schmitt betrachtet hingegen die Minderheiten als politische Gruppen, welche aufgrund der pluralistisch- parlamentarischen Demokratie entstehen und die Basis der Verfassung und Homogenität der Gesellschaft im existenziellen Sinne in Frage stellen können. Vor diesem Hintergrund identifiziert Hans Kelsen die Legitimität nicht wie Schmitt als Tradition oder Erbe, was vorstaatliche Phänomene sind, sondern als Verfahrensregelungen, welche nicht nur den Entscheidungsträger, sondern auch den Gang der Entscheidungsfindung bestimmen, in deren Verlauf den Rechten und berechtigten Interessen der Beteiligten und Betroffenen Rechnung zu tragen ist.118 Soll man sich aufgrund des Legiti116  Klein,

Legitimität gegen Legalität, in: Börner, S. 646. Legitimität der Mehrheitsentscheidung, vgl. ebd., S. 653: „Die Ungleichheit der Entscheidungsbeteiligten entziehe der Mehrheitsentscheidung Legitimität. Die Legitimität der Mehrheitsentscheidung folgt indessen nicht aus deren angenommener oder gar erwiesener Richtigkeit. Die Frage, wer Recht hat, Mehrheit oder Minderheit, bleibt im demokratischen System vielmehr offen. Diese Offenheit ist eine notwendige Folge der vorausgesetzten Gleichberechtigung aller Staatsbürger.“ 118  Vgl. Gusy, Legitimität im demokratischen Pluralismus, S. 27. Zum Verhältnis zwischen Legalität und Legitimität bei der Verfassung der Bundesrepublik, vgl. 117  Zur



II. Legalität und Legitimität159

mationsprinzips auf die politische Entscheidung im Schmittschen Sinne berufen um die Rechtsordnung vor dem Chaos zu schützen, dann erkläre diese Auffassung die Revolution für rechtens. Es ergebe sich nämlich daraus die absurde und gefährliche Lage, dass ein überpositiv berechtigter, von allem geltenden Verfassungsrecht unabhängiger Verfassungsgeber dem verfassten Verfassungsgeber gegenüberstehe. Aber das sei nur durch Revolution, durch Umsturz, nicht auf dem Wege des Rechtes möglich. Die Etablierung einer neuen Legitimitätsgrundlage und damit einer neuen Verfassung sei tatsächlich möglich, aber vom Standpunkt der geltenden Verfassung aus betrachtet unabdingbar rechtswidrig; sie bedinge deren Zerstörung.119 Nach Kelsens reiner Rechtslehre sei demnach eine Norm unter zwei Bedingungen legitim: sie müsse nach dem durch die jeweilige Rechtsordnung vorgesehenen Erzeugungsverfahren erlassen sein und dürfe nicht nach dem dafür vorgesehenen Verfahren oder durch eine revolutionäre Änderung der Verfassung aufgehoben sein. Ein Rechtssatz erlange Legitimität allein durch die Tatsache seines rechtmäßigen Zustandekommens. Rechtsetzung erzeuge den Rechtsakt zugleich als legitimen Akt.120 Die politische Entscheidung der Rechtsordnung ist dann legal bzw. legitimiert, wenn sie sich aus den Verfahrensregelungen derselben Rechtsordnung ergeben hat, nicht aus einem transzendentalen Ursprung.121 Was den transKlein, Legitimität gegen Legalität, in: Börner, S. 649: „Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland besitzt nicht nur eine zeitlich begrenzte Legalität, die durch eine andere beliebigen Inhalts jederzeit ersetzt werden dürfte, sondern jene Legitimität, also innere Verbindlichkeit, die ihr aus der allgemeinen Anerkennung in Jahrhunderten schmerzlicher Erfahrungen und Kämpfe errungener Werte und Rechtsgüter erwächst, was sich innerhalb der Verfahrensregelungen juristisch ausdrückt.“ 119  Vgl. ebd., S. 657–685. Vgl. Gusy, Legitimität im demokratischen Pluralismus, S. 26. So sei eine Rechtsnorm gültig, wenn sie von der zuständigen Stelle erlassen werde, wobei sich die Zuständigkeit aus dem Stufenbau der Rechtsordnung ergebe, den die Grundnorm abschließe. Das kann aber nach Neumann Volker schwerlich der Ansatz von Schmitt sein, weil das Kennzeichen des Ausnahmezustands, in dem die Entscheidung fällt, die Suspendierung der geltenden Rechtsordnung ist. Also kann sich die Zuständigkeit nicht aus dem geltenden positiven Recht ergeben. Vgl. Volker, Theologie als Staatsrechtswissenschaftliches Argument: Hans Kelsen und Carl Schmitt, in: Der Staat, S. 176. 120  Vgl. Gusy, Legitimität im demokratischen Pluralismus, S. 27. 121  Bis zu diesem Punkt könnte Kelsens Rechtslehre nach Raphael Gross als Kritik einer monotheistischen Religion verstanden werden. Sobald er aber die Bezogenheit Gottes auf die Natur und die des Staates auf das Recht untersuchte, wurde seine Kritik zur Kritik des Christentums und dessen Lehre von der Menschwerdung Gottes. Die Transzendenz Gottes gegenüber der Natur finde hierbei in der Transzendenz des Staates gegenüber dem Recht seine Entsprechung. Vgl. Gross, Carl Schmitt und die Juden: Eine deutsche Rechtslehre, S. 246: „Die Eigenschaft der Souveränität des Staates bedeute nichts anderes als die Behauptung, der Staat sei ein Absolutum. Dieses Absolutum trete wiederum in Theologie und Jurisprudenz als absolute Sub­

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

zendentalen Ursprung des Rechtes betrifft, besteht das Problem bei Kelsen, so Manfred Walther, in den antinomischen Versuchen, das Verhältnis von Staat und Rechtsordnung so zu bestimmen, dass zum einen der Staat der Rechtsordnung als deren Schöpfer vorausgehen, zum anderen aber eben diesem seinem eigenen Geschöpf unterworfen sein soll. Hier wird die Einheit der Rechtsordnung noch einmal in der Person des Staates hypostasiert und ihr gegenüber gestellt, so dass das Vermittlungsproblem unlösbar wird.122 Insofern sei die Überwindung und Aufhebung der theologischen Methode bei Hans Kelsen die Herstellung der Einheit und Reinheit des Systems.123 Carl Schmitt sei einer der wirkungsmächtigen Vertreter eines metaphysischen Staatsdenkens, dem der Staat als gesellschaftstranszendente und überlegene autoritative Instanz zugleich der Garant dafür sei, dass die Eigentlichkeit menschlicher Existenz im Modernisierungsprozess der Neuzeit angesichts ihrer Degeneration im bloßen Vollzug technischer Imperative nicht verloren gehe.124 Während die Rückgewinnung eines sub­ stantiellen Staatsbegriffes Ausgangspunkt Schmitts Politischer Philosophie ist, geht Kelsen von der reinen Rechtslehre aus, welche in Kelsens Worten eine von allen politischen Ideologien und allen naturwissenschaftlichen Elementen gereinigte Rechtstheorie ist. Seine Theorie kann insofern als wissenschaftliche Weiterentwicklung der positivistischen R ­ echtswissenschaft des 19. Jahrhunderts verstanden werden.125 Kelsen hält hierbei die Selbstständigkeit der Rechtswissenschaft von anderen Wissenschaften auseinander um das positive Recht als Ursprung der Legitimität der modernen Rechtsordnung im Sachgebiet seiner These über die Reine Rechtslehre konzipieren zu können. Hierzu schreibt Kelsen: „Dass die Rechtswissenschaft eine selbständige, von der Theologie, Politik oder Ethik verschiedene Disziplin, dass sie überhaupt eine Ordnungslehre sei, die mit ihrer spezifischen Ordnung nichts anders als mit einer höchsten, nicht weiter ableitbaren, letzten Geltung operieren kann. Damit erscheint aber die Souveränität des Staates identisch mit der Positivität des Rechtes.“126

stanz oder als reale Person auf – eine Substanz, die Kelsen nicht nur aus der politischen, sondern auch aus der juristischen Sphäre eliminieren wollte.“ Vgl. Walther, Gott und Staat: Hans Kelsen und Carl Schmitt im Kampf und die Ent- (Re-) Mythologisierung des Staates, in: Walther, S. 251. 122  Vgl. ebd., S. 251. 123  Vgl. Volker, Theologie als Staatsrechtswissenschaftliches Argument: Hans Kelsen und Carl Schmitt, in: Der Staat, S. 173. 124  Walther, Gott und Staat: Hans Kelsen und Carl Schmitt im Kampf und die Ent- (Re-) Mythologisierung des Staates, in: Walther, S. 252. 125  Vgl. Gross, Carl Schmitt und die Juden: Eine deutsche Rechtslehre, S. 243. 126  Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts: Beitrag zu einer reinen Rechtslehre, S. 86. Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 197 ff.



II. Legalität und Legitimität161

Daraus wird abgeleitet, dass er die Rechtswissenschaft aus der Kette der anderen Disziplinen, vor allem der Politik und Theologie, befreien will, um die Positivierung des Rechtes als Ursprung der Souveränität des Staates herauszustellen. In diesem Zusammenhang will Kelsen genauso wie Habermas das positive Recht vom Naturrecht, Moral und Theologie unterscheiden, wonach die Souveränität des Staates bei ihm identisch mit der Positivität des Rechtes erscheint. Die reine Rechtstheorie vom Staat sei insofern eine Staatslehre ohne Staat. Entsprechend sei der Souverän nicht als Substanz – und zwar weder als Person noch als Mythos –, sondern als eine Funktion vorzustellen. In der Staatslehre Kelsens habe die Souveränität jegliche Funktion verloren. Schmitt bemerkte daher ganz richtig, dass Kelsen den Begriff der Souveränität für seine Rechtslehre nicht brauche. Er gehöre für Keslen in die alte Staatstheologie und ihren Systemdualismus von Gott und Welt bzw. von Staat und Recht.127 In diesem Zusammenhang schreibt Kelsen: „Der Begriff des positiven Rechtes hat sich im Gegensatz zu demjenigen des Natur-Rechtes entwickelt. Mit der Behauptung der Positivität des Rechtes lehnte man die naturrechtliche Anschauung ab, die das Recht aus der Vernunft, der Natur der Sache, der Moral oder sonst einer nicht spezifisch rechtlichen Ordnung abzuleiten versuchte, die somit die Geltung der Rechtsordnung auf die Geltung einer über dem Rechte gedachten Norm eines anderen Normsystems zurückführen zu müssen glaubte. Das wesentliche der von der positivistischen Rechtserkenntnis abgelehnten naturrechtlichen Auffassung und zugleich der Grund dieser Ablehnung ist darin zu erblicken, dass die Naturrechtstheorie die Geltung einer als Recht behaupteten Norm nur durch deren Einklang mit der Vernunft, Natur, Moral oder sonst einem höheren Prinzipe legitimiert, während der Positivismus auch die vernunft-, natur- oder moralwidrige Rechtsnorm für gültig erkennt, indem er es ablehnt, die Gültigkeit des Rechtes weiter zu rechtfertigen oder, mit anderen Worten, aus einer höheren Ordnung abzuleiten, der gegenüber sich das Recht als eine irgendwie qualifizierte Teilordnung darstellt.“128

Demzufolge kann man dann von der Souveränität des positiven Rechtes ausgehen, wenn das Recht als solches sich nicht der höheren Ordnungen, wie Moral, Naturrecht oder Politik, und zwar der politischen Entscheidung im Schmittschen Sinne, unterordnet. Das positive Recht stellt sich als der nicht weiter ableitbare Grundsatz heraus. Kelsen will im Gegensatz zu Schmitt, der das subjektive Recht als Norm und Ursprung der Legitimität bezeichnete, das positive Recht als dasselbe charakterisieren. Kelsen setzt das positive Recht an die Stelle des subjektiven Rechts, welches laut Habermas unverfügbar ist. Genauer gesagt, obwohl man das positive Recht wie das subjektive Recht als den nicht weiter ableitbaren Grundsatz charakGross, Carl Schmitt und die Juden: Eine deutsche Rechtslehre, S. 24. Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts: Beitrag zu einer reinen Rechtslehre, S. 87. 127  Vgl.

128  Kelsen,

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

terisiert, lässt sich doch das positive Recht dem subjektiven Recht gegenüber analytisch und aufklärerisch untersuchen.129 Hingegen plädiert Schmitt für dasjenige Recht, welches aus der Theologie, bzw. der politischen Entscheidung entstanden ist, indem dasselbe Recht sich nicht aus dem Gesetzgebungsverfahren ergibt, sondern aus der politischen Entscheidung, d. h. dem politischen Willen. Insofern lässt sich der Staat bei Kelsen nicht als Mittler des Rechts, sondern als die gesetzgebende Gewalt definieren, welche identisch mit Recht ist. Mit anderen Worten, im Gegensatz zu ihm sei für Schmitt der Geltungsgrund der Rechtsordnung nicht eine Grundnorm, welche sich auf eine Verfahrensrationalität mit Habermas Worten beruft, sondern die Entscheidung des faktischen Machthabers, des Herren über den Ausnahmezustand. Die Dezision als souveräne Entscheidung schaffe als Willensvorgang erst Recht, indem sie von der existentiellen Ordnung Abweichendes in die Ordnung zurückführe.130 Wenn Schmitt u. a. davon ausgeht, dass das Recht der Macht vorausgreift, will er den Staat als Mittler des Rechts, welcher sich durch politische Entscheidung identifiziert, über die positiven Gesetze stellen. Im Gegensatz dazu kann man bei Kelsen nicht von dem der Macht vorausgehenden Recht reden, weil das Recht bei ihm sowie bei Habermas aus dem Verfahren der Gesetzgebung hervorgeht. Kelsen und Habermas wollen nämlich die Machtbegrenzungsfunktion des Rechtes hervorheben, indem sie die Rolle der Transzendenz bei der Rechtswissenschaft ignorieren. Schmitt will hingegen den Staat vor dem Prozess der Säkularisierung in der Moderne schützen, indem er sich auf die politische Entscheidung beruft. Dabei schreibt Rüdiger Voigt: „Versteht man wie Kelsen die Rechtsordnung als autonom vom Staat und die Staatsfunktion als Rechtsetzungsfunktion, dann kann Souveränität nur ein Bestandteil der unpersönlichen Rechtsordnung sein. Sieht man hingegen wie Schmitt das Recht als Subjekt der politischen Entscheidung, dann erscheint Souveränität als Attribut des personifizierten Entscheidungsträgers.“131 D. h. während der Staat und die Rechtsordnung bei Kelsen identisch sind, geht Schmitt von der politischen Entscheidung 129  Hans Kelsen sei einer der radikalsten Vertreter einer Rechtswissenschaft im nachmetaphysischen Denken. Aufklärerisch sei Kelsen, weil er die Welt für wissenschaftlich durchdringbar halte und Widerstände gegen die wissenschaftliche Aufklärung der Verhältnisse als mit Herrschaftsinteressen verwoben verstehe; spätaufklärerisch, weil er praktische Fragen nicht für rational entscheidbar halte; nachmetaphysisch schließlich, weil er Einheitsbegriffe nicht mehr substantiell, sondern nur noch systematisch-funktional auffasse. Vgl. Walther, Gott und Staat: Hans Kelsen und Carl Schmitt im Kampf und die Ent- (Re-)Mythologisierung des Staates, in: Walther, S. 249. 130  Vgl. Voigt, Das Souveränitätsdreieck. Souveränitätsdenken bei Hermann Heller, Hans Kelsen und Carl Schmitt, in: Voigt, S. 111. 131  Ebd., S. 117.



III. Verfassungslehre163

aus, damit er das Staatliche unabhängig vom Recht herausstellen kann. Hierzu schreibt ebenfalls Reinhard Mehring: „Dem juristischen Normativismus, dessen Hauptvertreter Kelsen sei, stellt Schmitt Thomas Hobbes als klassischen Vertreter des dezisionistischen Typus entgegen, welcher das Recht von der autoritären Entscheidung her als Befehl dachte.“132 Es ist indessen zu bemerken, dass Schmitt die politische Entscheidung als ein Instrument betrachten will, damit das Politische sich über andere Assoziationen erheben könnte um die politische Einheit aufrechtzuerhalten. D. h. Dezisionismus ist für Schmitt nicht das Ziel, sondern die politische Einheit.

III. Verfassungslehre 1. Verfassung als politische Tat Im Hinblick auf die politische Entscheidung, die das Wesen der Politik darstellt, hinterfragt Schmitt die Verfassung als Norm der Normen, welche durch Hans Kelsen geprägt worden ist. Verfassung sei bei Kelsen etwas Normatives, ein bloßes Sollen. Es handele sich dabei nicht um einzelne Normen, sondern um die Gesamtnormierung des staatlichen Lebens überhaupt, um das Grundgesetz im Sinne einer geschlossenen Einheit, um das Gesetz der Gesetze. Alle anderen Gesetze und Norm müssten auf diese Norm zurückgeführt werden können. In einer solchen Bedeutung des Wortes werde der Staat zu einer auf der Verfassung als Grundnorm beruhenden Rechtsordnung, d. h. einer Einheit von Rechtsnormen.133 In diesem Zusammenhang schreibt Kelsen: „Als höchste Norm muss sie nicht vorausgesetzt sein, da sie nicht von einer Autorität gesetzt sein kann, deren Kompetenz auf einer noch höheren Norm beruhen müsste. Ihre Geltung kann nicht mehr von einer höheren Norm abgeleitet, der Grund ihrer Geltung nicht mehr in Frage gestellt werden. Eine solche als höchste vorausgesetzte Norm wird hier als Grundnorm bezeichnet. Alle Normen, deren Geltung auf eine und dieselbe Grundnorm zurückgeführt werden kann, bilden ein System von Normen, eine Normative Ordnung.“134

Die Rechtsordnung ist insofern nicht ein System von gleichgeordneten, nebeneinanderstehenden Rechtsnormen. Ihre Einheit ist durch den Zusammenhang hergestellt, der sich daraus ergibt, dass die Geltung einer Norm, die gemäß einer anderen Norm erzeugt wurde, auf dieser anderen Norm beruht, deren Erzeugung wieder durch andere bestimmt ist; ein Regreß, der laut Kelsen letztlich in der vorausgesetzten Grundnorm, was man Verfas132  Mehring,

Carl Schmitt: Aufstieg und Fall, S. 126. Verfassungslehre, S. 7. 134  Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 197. 133  Schmitt,

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

sung nennen darf, mündet. Damit sei eine Norm nur dann gültig, wenn sie in eine Rechtsordnung eingebettet sei, d. h. in ein geschlossenes System von höheren und niederen Normen, die sich auf einen jeweils höheren Geltungsgrund berufen könnten.135 Nach Kelsen müsse die Suche nach immer höherrangigen Geltungsgründen ja bei einer höchsten Norm enden. Diese höchste Norm sei die Grundnorm.136 Hierzu ist bei Schmitt zu bemerken, dass positive Normen bei Kelsen nur gelten; und sie gelten nicht, weil sie richtigerweise gelten sollen, sondern ohne Rücksicht auf Qualitäten wie Vernünftigkeit, Gerechtigkeit usw. nur deshalb gelten, weil sie positiv sind.137 Wenn die Verfassung sich nämlich als Grundnorm charakterisieren wollte, die sich nicht der höheren Ordnung unterwirft, dann kann man von der Verfassung im Kelsenschen Sinne und deren Legitimität sprechen.138 Kelsen schreibt: „Fasst man zunächst nur eine staatliche Rechtsordnung ins Auge, stellt die Verfassung die positivrechtlich höchste Stufe dar.“139 Aus dieser radikal positivistischen Perspektive lasse sich der Staat selbst nur als relativ zentralisierte Rechtsordnung, d. h. als Einheit eines Normenzusammenhangs auffassen. Die einheitlich normative Betrachtungsweise des Staates als System von Normen führt dann zwangsläufig zu der Annahme, dass Staat und Recht identisch seien.140 135  Vgl. Unruh, Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz; Ein verfassungstheoretischer Vergleich, S. 61. Vgl. Schau, Das Verhältnis von Verfassung und einfachem Recht in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik, S. 69. 136  Vgl. Unruh, Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz; Ein verfassungstheoretischer Vergleich, S. 62. 137  Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 9. 138  Zur Legitimität der Verfassung vgl. Herbst, Legitimation durch Verfassunggebung: Ein Prinzipienmodell der Legitimität staatlicher und supranationaler Hoheitsgewalt, S. 29: „Legitimität ist, in einem allgemeinen Sinne, die Rechtfertigungsfähigkeit einer Herrschaftsordnung oder einzelner ihrer Hoheitsakte nach einem einzigen, Allgemeinverbindlichkeit beanspruchenden Prinzip; Legitimität bezieht sich also immer auf Herrschaft. Eine Rechtsnorm ist dann legitim, wenn der mit ihrer Durchsetzung verbundene Zwang legitim ist. Eine (Staats-)Verfassung ist eine spezielle Rechtsnorm, deren Zweck in erster Linie allerdings nicht darin besteht, gegenüber den Bürgern verbindliche Regelungen aufzustellen, sondern darin, eine Grundordnung für die Organe des Staates und deren Verhältnis zum Bürger verbindlich festzulegen.“ 139  Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 228. Aus der Überordnung der Verfassung über das Gesetz folge, dass ein Gesetz nur dann gültig sein könne, wenn es der Verfassung gemäß zustande gekommen ist und auch sonst der Verfassung nicht widerspreche. Vgl. Unruh, Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz; Ein verfassungstheoretischer Vergleich, S. 71. 140  Vgl. Unruh, Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz; Ein verfassungstheoretischer Vergleich, S. 60. Zum identischen Charakter der Rechtsordnung und des Staates vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 289: „jede Rechtsordnung ist ein Staat. Weder die vorstaatliche Rechtsordnung der primitiven Gesellschaft noch die über(oder zwischen-)staatliche Völkerrechtsordnung stellen einen Staat dar. Um ein Staat



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Der Begriff der Rechtsordnung enthält eben bei Schmitt zwei völlig verschiedene Elemente: das normative Element des Rechts und das seinsmäßige Element der konkreten Ordnung. Die Einheit und Ordnung liege in der politischen Existenz des Staates, nicht in Gesetzen, Regeln und irgendwelchen Normativitäten.141 Schmitt hält daran fest, dass den positiven Gesetzen die konkrete Ordnung zugrunde liegt. Aufgrund der Ordnung als solche könne man von der Rechtsordnung im Kelsenschen Sinne ausgehen. Mit anderen Worten geht die Ordnung der Rechtsordnung voraus.142 Wenn Schmitt von der Ordnung unabhängig von der Rechtsordnung ausgeht, was nicht bei Kelsen der Fall ist, kommt er ja dem Dezisionismus nahe. Hierzu schreibt Schmitt: „Auch wenn eine solche Reihe von Verfassungsgesetzen durch eine eigens zu diesem Zweck berufene verfassungsgebende Versammlung beschlossen ist, liegt die Einheit der in ihr enthaltenen Bestimmungen nicht in ihrer inhaltlichen, systematischen und normativen Geschlossenheit, sondern außerhalb dieser Normen in einem politischen Willen, der alle diese Normen überhaupt erst zu Verfassungsgesetzen macht … .“143

Daraus ist zu folgern, dass dem positiven Gesetz der politische Willen zugrunde liegt. Schmitt schlage hierbei deshalb nichts Geringeres als einen Paradigmenwechsel vor. Die juristische Theorie solle nämlich die bewusste Dienerin der Praxis sein.144 Obwohl die Verfassung aus den einzelnen positiven Gesetzen zusammengesetzt ist, geht sie im Voraus von der existierenden politischen Einheit aus. Genauer gesagt, kommt das positive Gesetz durch die politische Einheit, also durch die Ordnung zustande; dieses Verhältnis sei doch nicht umgekehrt. Insofern darf man nicht die Verfassung auf die einzelnen Gesetze reduzieren. In diesem Zusammenhang schreibt Schmitt: „Durch die Relativierung der Verfassung zum Verfassungsgesetz und die Formalisierung des Verfassungsgesetzes ist die sachliche Bedeutung der Verfassung ganz zurückgetreten.“145 Jede existierende politische Einheit habe somit ihren Wert und ihre Existenzberechtigung nicht in der Richtigzu sein, muss die Rechtsordnung den Charakter einer Organisation im engeren Sinne und spezifischen Sinne dieses Wortes habe.“ 141  Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 10. 142  Zu der dem Recht vorausgehenden Ordnung, vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität: Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, S. 56: „Faktische Ordnung, d. h. Nicht-Chaos ist begrifflich selbstständig Voraussetzung des Rechts; es gibt nämlich im Ausnahmefall – welcher dann eintritt, wenn die Rechtsordnung durch Erschütterung der faktischen Normalität gesprengt wird, ohne dass indessen schon Anarchie und Chaos herrschen – Ordnung ohne Recht, aber niemals Recht ohne Vorhandenheit rein tatsächlicher Ordnung im Sinne faktischer Normalität.“ 143  Schmitt, Verfassungslehre, S. 15. 144  Mehring, Carl Schmitt: Aufstieg und Fall, S. 39. 145  Schmitt, Verfassungslehre, S. 19.

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keit oder Brauchbarkeit von Normen, sondern in ihrer Existenz.146 Schmitt ist überzeugt, dass die politische Einheit nicht aus den positiven Gesetzen hervorgeht, sondern die Gesetze als solche sollen nur diese ihnen vorausgehende politische Einheit artikulieren. Das Wesen der Verfassung liege für Schmitt also nicht in einer Norm, sondern in einer inhaltlich zunächst unbestimmten Entscheidung. Im Gegensatz zu Kelsens Theorie der Grundnorm sei die normierte Verfassung, das Verfassungsgesetz in seiner Geltung von einer politischen Grundentscheidung abhängig.147 Schmitt geht wie Kelsen von Grundnormen aus, welche gegenüber den wechselnden Mehrheitsbeschlüssen des Parlaments eine dauernde, unverletzliche Regel geben; in jeder Regierung müsse etwas Fundamentales liegen, etwas wie eine große Charte, die beständig und unveränderlich sei.148 Im Gegensatz zu Kelsen will Schmitt jedoch nicht die Verfassung mittels der Grundgesetze definieren. Denn die Verfassung ist bei Schmitt zunächst Inbegriff des politischen Willens. Hans Kelsen will, wie schon gesagt, das positive Recht an die Stelle des subjektiven Rechts setzen, indem er ein Rechtverfahren begründen will. Dabei ist Schmitt überzeugt, dass die liberale Idee eines Rechtsstaates sich in eine Reihe von einzelnen positiven Verfassungsgesetzen verwandelt. Hingegen schreibt Schmitt: „Eine Verfassung beruht nicht auf einer Norm, deren Richtigkeit der Grund ihrer Geltung wäre. Sie beruht auf einer, aus politischem Sein hervorgegangenen politischen Entscheidung über die Art und Norm des eigenen Seins.“149 Denn der Wille des Volkes als die verfassunggebende Gewalt, sich eine Verfassung zu geben, könne nur durch die Tat bewiesen werden und nicht durch Beobachtung eines normativ geregelten Verfahrens. Er könne selbstverständlich auch nicht von früher und bisher geltenden Verfassungsgesetzen aus beurteilt werden.150 In diesem Zusammenhang schreibt Schmitt: „Der verfassungsgebende Wille des Volkes ist an kein bestimmtes Verfahren gebunden. Doch wurde schon oben ausgeführt, dass die heutige Praxis der demokra146  Vgl.

ebd., S. 22. Unruh, Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz; Ein verfassungstheoretischer Vergleich, S. 103. 148  Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 40. 149  Ebd., S. 76. Die politische Einheit müsste sich mit der Verfassungsgebung, neben der Tatsache der bloßen Entscheidung für eine bestimmte Verfassung entschieden haben. So identifizierte er die Verfassung mit der Entscheidung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt. Doch kann mit dem auf diese Weise gewonnen Verfassungsbegriff die Frage nach dem Kern einer Verfassung laut Götz-Friedlich Schau gar nicht erfasst und beantwortet werden, da die Tatsache, dass sich das deutsche Volk entschieden hat, keine Antwort auf die Frage liefert, wofür es sich entschieden hat. Vgl. Schau, Das Verhältnis von Verfassung und einfachem Recht in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik, S. 173 f. 150  Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 83. 147  Vgl.



III. Verfassungslehre167 tischen Verfassungen bestimmte Methoden, sei es der Wahl einer verfassunggebenden Versammlung, sei es der Volksabstimmung, herausgebildet hat. Diese Methoden werden häufig mit dem Gedanken der demokratischen Legitimität verbunden, so dass man ein bestimmtes Verfahren in den Begriff der Legitimität hineinzieht und dann nur solche Verfassungen als wahrhaft demokratisch bezeichnet, welche die Zustimmung einer im Verfahren geheimer Einzelabstimmung errechneten Mehrheit der Staatsbürger gefunden haben.“151

Die Bestätigung der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes sei insofern für Schmitt grundsätzlich nicht an ein konkretes Verfahren gebunden. Die Quelle der Normativität könne nicht an normative Verfahrensregeln gebunden werden. Der Wille des Volkes zur Gesamtentscheidung über Form und Inhalt der politischen Einheit werde durch irgendeinen erkennbaren Ausdruck seines Gesamtwillens bestätigt, d. h. durch die Tat, und nicht durch die Beachtung eines normativ geregelten Verfahrens.152 Daraus folgt, dass der dezisionistische Verfassungsbegriff ein formaler Begriff ist und als solcher kein Maßstab für die Frage nach dem materiellen Kern einer Verfassung sein kann. Man kann nämlich insofern davon ausgehen, dass der politische Wille, welcher sich durch das Volk oder den Fürst als verfassungsgebende Gewalt charakterisieren lässt, dem Gesetz im materiellen Sinne vorausgeht. Daher bedeutet Legitimität einer Verfassung laut Schmitt nicht, dass eine Verfassung nach dem Grundgesetz zustande gekommen ist, was man bei Kelsen als Rechtsverfahren charakterisiert. Denn Schmitts Verfassungsbegriff wolle nicht ohne Rücksicht auf die Form die Summe der für das politische Zusammenleben eines Volkes grundlegenden gesetzlichen Regelungen umschreiben. Er suche vielmehr die letzte Realität, von der aus die Verfassung sich einheitlich, d. h. sowohl umfassend wie auch in strenger, folgerichtiger Systematik konstruieren lasse.153 Und diese letzte und höchste Realität ist für den Idealisten und Ideologen Schmitt etwas Geistiges: die 151  Ebd.,

S. 90. Unruh, Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz; Ein verfassungstheo­ retischer Vergleich, S. 107. Wenngleich Schmitt ausdrücklich während der Weimarer Republik betonte, dass die Substanz der gegenwärtigen Verfassung, die auf einer grundlegenden politischen Entscheidung beruhe, als unantastbar zu gelten habe und dass durch jede Vernichtung von garantierten Grundrechten diese Verfassung als solche gefährdet sei, habe er doch andererseits seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, dass ein politischer Auflösungsprozess jederzeit von neuem beginnen könne. Gerade im Lichte der jüngsten politischen Erfahrungen der Deutschen setzte Schmitt, so Hans-Christof Kraus, nicht auf die Idee historischer Kontinuität, sondern betonte die stets gegenwärtige Möglichkeit zum Wandel. Neben und über der Verfassung bleibe der Wille zur verfassunggebenden Gewalt vorhanden. Vgl. Kraus, Verfassungslehre und Verfassungsgeschichte: Otto Hintze und Fritz Hartung als Kritiker Carl Schmitts, in: Murswiek, S. 645. 153  Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität: Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, S. 126. 152  Vgl.

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bewusst einheitliche Gesamtentscheidung eines Kollektives über Art und Form der eigenen politischen Einheit. Insofern geht Schmitt von den grundlegenden politischen Entscheidungen aus, womit die Verfassung als der konkrete Gesamtzustand politischer Einheit und sozialer Ordnung eines bestimmten Staates definiert wird. Das Wort Verfassung bezeichnet dann laut Schmitt nicht ein System oder eine Reihe von Rechtssätzen und Normen, nach welchen die Bildung des staatlichen Willens und die Ausübung staatlicher Tätigkeit sich regelt und in deren Befolgung die Ordnung erblickt wird, sondern eigentlich nur den konkreten einzelnen Staat – Deutsches Reich, Frankreich, England – in seiner konkreten politischen Existenz. Der Staat habe nicht eine Verfassung, der gemäß ein staatlicher Wille sich bilde und funktioniere, sondern der Staat sei Verfassung.154 Es steht nämlich dem Staat zu Verfügung, dass er im Ausnahmezustand maßgebende Entscheidungen treffe, um die politische Einheit vor deren Zerstörung zu schützen. Insofern gibt es bei der jeweiligen politischen Einheit unterschiedliche grundlegende Entscheidungen, womit man den Staat, also die Verfassung schützen kann. Eine Verfassungsänderung, die einen auf dem monarchischen Prinzip beruhenden Staat z. B. in einen von der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes beherrschten Staat verwandle, sei auf keinen Fall verfassungsmäßig.155 Und insofern müsste dies durch eine politische Entscheidung hierbei vermieden werden. Für die Weimarer Verfassung konstatiert Schmitt folgendes: die Entscheidung nicht für die Monarchie, sondern für die Demokratie. Insofern begegnet man einer modernen bürgerlichrechtsstaatlichen Verfassung und die Verfassung als solche sei nichts anderes als ein System von Rechtsnormen zum Schutze des Einzelnen gegen den Staat.156 Sollte der Individualismus als Basis dieses demokratisch- liberalen Staates innerhalb der Rechtsordnung in Frage gestellt werden, dann taucht die politische Entscheidung – außerhalb des Rechtsverfahrens – auf um die politische Einheit als solche zu schützen. Bei näherem Zusehen erscheinen doch Hasso Hofmann zufolge sowohl die politische Qualität dieser Gesamtentscheidung wie auch die Bewusstheit dieser Dezision bei Schmitt fragwürdig. Denn einerseits solle die politische Einheit erst mit jener politischen Gesamtentscheidung zustande kommen, wozu die Entscheidung für die rechtsstaatlichen Prinzipien (Grundrechte Schmitt, Verfassungslehre, S. 4. ebd., S. 103. 156  Vgl. ebd., S. 125. Zur Verfassung des demokratisch- liberalen Staates, vgl. ebd., S. 131: „Die Verfassung erscheint als das Grundgesetz dieses Systems von Gesetzen. Es wird fingiert, dass erstens die Verfassung nichts ist als ein System von gesetzlichen Normierungen, dass zweitens dieses System geschlossen und dass es drittens souverän ist, d. h. an keiner Stelle aus Gründen und Notwendigkeiten der politischen Existenz durchbrochen oder nur beeinflusst werden kann.“ 154  Vgl. 155  Vgl.



III. Verfassungslehre169

und Gewaltenunterscheidung) rechnet, die in ihrer geschlossenen Ganzheit verfasst würde. Während zum anderen die Prinzipien des bürgerlichen Rechtsstaates gerade als unpolitische, ja antipolitische, nämlich liberale, die Totalität der politischen Einheit negierende Elemente bei ihm gekennzeichnet würden, welche also den positiven politischen Formprinzipien antithetisch gegenübergestellt würden.157 Mit anderen Worten, während Schmitt davon ausgeht, dass die Verfassung auf gesetzgebender Gewalt, sei es demokratisch, sei es undemokratisch, basiert ist, hält er trotzdem der demokratisch- liberalen gesetzgebenden Gewalt vor, dass sie unpolitisch ist, indem sie die politische Einheit in Frage stelle. Weil sie sich nur auf das Gesetz im formellen Sinne beruft, und nicht im politischen Sinne. Schmitt ist überzeugt, dass die Herrschaft des Gesetzes eine leere Redensart ist, wenn sie nicht durch einen bestimmten Gegensatz ihren eigentlichen Sinn bekommt.158 Er will nämlich hierbei auf die Freund- und Feind Gruppierung anspielen, welche er als Basis des Politischen bezeichnete. Insofern ist der Verfassungsbegriff bei ihm ebenso wie die politische Freund / Feind-Unterscheidung inhaltsneutral.159 Schmitt führt zwei unterschiedliche Definitionen vom Gesetz ein, nämlich den formellen Gesetzesbegriff und den politischen Gesetzesbegriff. Aus dem formellen Gesetzesbegriff ergibt sich laut Schmitt diese Definition: Gesetz ist das, was von den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen in dem für die Gesetzgebung vorgeschriebenen Verfahren vorgenommen wird.160 D. h. wenn das Gesetz durch das Rechtsverfahren zustande kommt, dann kann man von dem Gesetz im formellen Sinne sprechen. Habermas will eben durch eine solche Verbindung zwischen Gesetz und Verfahrensrationalität einen demokratischen Rechtsstaat, wie schon erwähnt wurde, konzipieren.161 Gesetz im Sinne des Politischen sei hingegen konkreter Wille und Befehl und ein Akt der Souveränität. Gesetz in einem Staat des monarchischen Prinzips sei daher der Wille des Königs; Gesetz in einer Demokratie sei der Wille des Volkes.162 Schmitt will aufgrund der gesetzgebenden Gewalt die demokrati157  Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität: Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, S. 127. 158  Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 139. 159  Vgl. Unruh, Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz; Ein verfassungstheo­ retischer Vergleich, S. 103. 160  Vgl. ebd., S. 143. 161  Zur Verfahrensrationalität Vgl. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, in: Kritische Justiz, 1987, S. 15: „Nun haben wir gesehen, dass sich die legitimierende Kraft, die in der Rationalität rechtlicher Verfahren ihren Sitz hat, der legalen Herrschaft nicht nur über die Verfahrensnormen der Rechtsprechung mitteilt, sondern mehr noch über das demokratische Gesetzgebungsverfahren.“ 162  Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 146.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

sche Rechtsordnung, welcher der Individualismus zugrunde liegt, zunächst relativieren und dann ihr die Geltung entziehen. Genauer gesagt, wenn Schmitt davon ausgeht, dass das politische System aus der Konkreten Ordnung entsteht, wollte er uns darauf hinweisen, dass man nicht das liberale System als einzige legitime Rechtsordnung anerkennt. Nach der jeweiligen Verfassung begegnet man nämlich den unterschiedlichen Rechtsordnungen, die diverse politische Entscheidung, wie gesagt, zur Folge haben. Er stellt trotzdem im Hinblick auf den liberalen Staat fest, dass das Bestreben eines konsequenten und geschlossenen Rechtsstaates dahin gehe, den politischen Gesetzesbegriff zurückzudrängen, um an die Stelle einer konkret existierenden Souveränität eine Souveränität des Gesetzes zu stellen.163 D. h. im Gegensatz zur existierenden Souveränität verdrängt der geschlossene Rechtsstaat das Gesetz im Sinne des Politischen. Wenn man sich hingegen auf die Verfassung als politischen Willen beruft, dann erhebt sie sich im formellen Sinne über die Gesetze hinaus. Dies führt laut ihm zur Geltung der beiden Arten von Gesetzen. Obwohl sowohl Kelsen als auch Schmitt hierbei die Stabilität des Staates in Bezug auf die Verfassung und zwar die Grundrechte beibehalten wollen, besteht der Unterschied darin, dass Staat und Rechtsordnung bei Kelsen dasselbe sind, was sich bei den Grundrechten zum Ausdruck bringt, während der Staat bei Schmitt der Rechtsordnung vorausgeht, welcher sich bei dem Entscheidungsbegriff zum Ausdruck bringt. Insofern kann die demokratisch- liberale Gesetzgebungsgewalt nicht Schmitts Erwartung über die politische Einheit erfüllen, weil sie nicht durch Grundrechte in einem geschlossenen Rechtstaat sichergestellt wird, sondern durch die politische Entscheidung in einem totalen Rechtstaat. 2. Das Verhältnis zwischen politischer Entscheidung und Grundrecht In diesem Zusammenhang soll auf Schmitts Definition von den Grundrechten, und zwar deren Entstehung, eingegangen werden, welche das Wesen der Verfassung bei ihm bestimmt. Er schreibt: „Die feierliche Erklärung 163  Vgl. ebd., S. 146. Der umfassende Regelungsanspruch der Verfassung sei in der reinen Rechtslehre Kelsens besonders ausgeprägt. Das Fehlen verfassungsrechtsfreier Räume der politischen Gestaltung folge bei ihm zunächst aus der Identität von Recht und Staat. Wenn der Staat nichts anders sei als eine relativ zentralisierte Rechtsordnung, und die Verfassung als höchste positivistische Norm anzusehen sei, dann regele diese Verfassung die Selbstregulierung der staatlichen Ordnung in einem umfassenden Sinn. Vgl. Unruh, Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz; Ein verfassungstheoretischer Vergleich, S. 73. Dabei fehlt der Verfassung als solche nach Schmitt das Gesetz im politischen Sinne.



III. Verfassungslehre171

von Grundrechten bedeutet, dass Prinzipien aufgestellt werden, auf welchen die politische Einheit eines Volkes beruht und deren Geltung als wichtigste Voraussetzung dafür anerkannt wird, dass diese Einheit sich immer von neuem herstellt und formiert.“164 Die Legitimität des Grundrechts geht somit nach Schmitt aus der politischen Tat hervor. Insofern sind alle echten Grundrechte, so Schmitt, absolute Grundrechte, d. h. sie werden nicht nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet. Ihr Inhalt ergebe sich nicht aus dem Gesetz, sondern der gesetzliche Eingriff erscheine als Ausnahme, und zwar als prinzipiell begrenzte und messbare, generell geregelte Ausnahme.165 Wenn Schmitt demzufolge von der politischen Entscheidung als Eingriff ins Rechtsverfahren spricht, wollte er nicht die positiven Gesetze aufheben, sondern suspendieren, damit die Grundrechte als Zeichen der politischen Einheit sichergestellt werden. Von diesem Punkt ausgehend ist es bei Schmitt zu bemerken, dass jede Rechtsordnung sich den jeweiligen Grundrechten unterordnet, welche durch die politische Tat, also den gesetzlichen Eingriff gewährleistet werden. Hierzu ist zu beachten, dass das Volk als Subjekt der verfassungsgebenden Gewalt laut Schmitt auftritt und die Verfassung sich nicht auf die ein164  Schmitt,

Verfassungslehre, S. 161. ebd., S. 166. Hierbei bezieht sich Schmitt auf die Grundrechte als politischer Einheit im bürgerlichen Rechtsstaat, welche von der Freiheit des einzelnen ausgeht und die staatliche Beschränkung als Ausnahme ansieht. Vgl. ebd., S. 163: „Dass Grundrechte im bürgerlichen Rechtsstaat nur solche Rechte sind, die als vorund überstaatliche Rechte gelten können, die der Staat nicht nach Maßgabe seiner Gesetze verleiht, sondern als vom ihm gegeben anerkennt und schützt und in welche er nur in einem prinzipiell messbaren Umfang und nur in einem geregelten Verfahren eingreifen darf. Diese Grundrechte sind also ihrer Substanz nach keine Rechtsgüter, sondern Sphären der Freiheit, aus der sich Rechte, und zwar Abwehrrechte, ergeben. Das zeigt sich am klarsten bei den Freiheitsrechten, welche geschichtlich den Anfang der Grundrechte bedeuten: Religionsfreiheit, persönliche Freiheit, Eigentum, Recht der freien Meinungsäußerung bestehen nach dieser Vorstellung vor dem Staat, erhalten ihren Inhalt nicht aus irgendwelchen Gesetzen, nicht nach Maßgabe von Gesetzen oder innerhalb der Schranken von Gesetzen, sondern bezeichnen den Prinzipiell unkontrollierten Spielraum der individuellen Freiheit.“ Insofern ging Schmitt nicht auf den Inhalt der Grundrechte im bürgerlichen Rechtsstaat ein, sondern er wollte nur bezeichnen, wo man Grundrechte suchen kann. Während das Grundrecht sich hierbei als die vorstaatlichen Rechte identifiziert, die sich über positive Gesetze erheben, könne man die Familie z. B. nicht als eine der Grundrechte bei der liberalen Verfassung bezeichnen. Vgl. ebd., S. 173: „… solche subjektiven Rechte (Familie) sind nur verfassungsgesetzliche Rechte, keine echten Grundrechte im Sinne des fundamentalen Verteilungsprinzips des bürgerlichen Rechtsstaat.“ Hierbei setzt das Grundrecht im bürgerlichen liberalen Rechtsstaat den einzelnen mit seiner prinzipiell unbegrenzten Freiheitssphäre als gegeben voraus. Was ja durch die politische Tat sichergestellt wird, indem der Staat im Ausnahmezustand zum Schutz der Grundrechte in das Rechtsverfahren eingreift. 165  Vgl.

172

D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

zelnen Gesetze beschränkt. Demzufolge artikuliert das Volk als gesetzgebende Gewalt den konkreten Gesamtzustand politischer Einheit, welche bei Schmitt nicht durch die aus dem Parlament entstandenen Gesetze, sondern durch Plebiszit, also politische Entscheidung zustande kommt. Insofern ist es ganz klar, dass Schmitt für eine Massendemokratie plädiert. Die unteilbare Einheit des ganzen deutschen Volkes ist hierbei für Schmitt in der Weimarer Republik die wichtigste Stütze der These vom Reichspräsidenten als Hüter der Verfassung und zwar der Grundrechte. Wenn nämlich daran festgehalten wird, dass die Weimarer Verfassung eine politische Entscheidung des einheitlichen deutschen Volkes als des Trägers der verfassunggebenden Gewalt bedeutet, kann man die Entscheidung als solche nur im Wege der Repräsentationsfiktion wiedererkennen, obwohl die Verfassung mittels des Beschlusses eines Parlaments zustande kam. Daraus schließt Schmitt, dass die Frage nach dem Hüter der Verfassung sich anders beantworten lässt als durch fiktive Justizförmigkeit.166 Mit anderen Worten können die Grundrechte als Zeichen der politischen Einheit nicht durch Rechtsverfahren, sondern durch die politische Entscheidung sichergestellt werden, weil deren Inhalt, wie schon erwähnt wurde, nicht aus dem Gesetz, sondern aus dem gesetzlichen Eingriff ins Rechtsverfahren entsteht. Schmitt macht hierbei den Reichspräsidenten als eine neutrale, vermittelnde, regulierende und bewahrende Gewalt zum Mittelpunkt des politischen Systems, dessen Aufgabe der Schutz der Grundwerte des Staats ist.167 Im Gegensatz dazu meint Kelsen, „wenn die Verfassung ein Verfassungsgericht einsetzt, dies keine fiktive Justizförmigkeit, sondern die Schaffung einer realen Institution ist; und dass, wenn hier etwas als fiktiv bezeichnet werden kann, es eben jene Einheit des Volkes ist, die Carl Schmitt als real gegeben voraussetzt und zugleich durch das in Wirklichkeit vorhandene pluralistische System als aufgehoben behauptet, um als Abhilfe gegen diesen Zustand, als Wiederhersteller dieser Einheit das Staatsoberhaupt erklären zu können.“168 Die Weimarer Verfassung beruft eben nicht, so Kelsen, nur den vom ganzen Volke gewählten Reichpräsidenten, sondern auch, ja in erster Linie, den von eben demselben Volk gewählten Reichstag und damit jenes politische System, das Carl Schmitt als pluralistisch bezeichnet. Kelsen vertritt die These, dass Schmitt sich auf ein fiktives Konzept, nämlich die Volkseinheit beruft um die pluralistische Gesellschaft zu beseitigen. Schmitt wolle den Staat gegen den verfassungswidrigen Pluralismus retten, was seiner Sicht nach Aufgabe des Reichspräsidenten sei.169 An die Stelle Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 70. ebd., S. 132–137. 168  Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, S. 42. 169  Vgl. ebd., S. 54. 166  Vgl. 167  Vgl.



III. Verfassungslehre173

des positivrechtlichen Verfassungsbegriffes schiebt sich, so Kelsen, insofern die Einheit als ein naturrechtliches Wunschideal, was sich ja durch die politische Entscheidung, welche aus dem Rechtsverfahren ausweicht, artikuliert. Während Schmitt ausdrücklich betont, dass die Substanz der gegenwärtigen Verfassung, die auf einer grundlegenden politischen Entscheidung beruht, als unantastbar gilt, hält er aufgrund seiner These andererseits daran fest, dass ein politischer Auflösungsprozess jederzeit von neuem beginnen könnte. Neben und über der Verfassung bleibt der Wille zur verfassunggebenden Gewalt immer vorhanden, was eben nicht bei Kelsen vorstellbar ist, weil man sonst nicht von der Rechtsordnung ausgehen kann. Es ist doch u. a. zu bemerken, dass ein wirklich grundlegender Verfassungswandel bei Schmitt nur durch eine umstürzende politische Entscheidung des Inhabers der verfassungsmäßigen Gewalt möglich sei. Dies führt dann zu der Unmöglichkeit, die Verfassung dem Wandel der Zeit anzupassen, Abgestorbenes ohne Umsturz zu beseitigen.170 Insofern wird die Rolle der politischen Entscheidung bei Schmitt zum Schutze des Staates übertrieben hervorgehoben, während der Raum des Rechtsverfahrens, welcher prinzipiell zum Schutz der Rechtsordnung eingerichtet ist, verengt wird. Die Konsequenz dieser Denkweise man kann u. a. zum Teil im NS-Regime sehen. In Deutschland sei es der NSDAP unmöglich gewesen, auf irgendeine nazistische Institution zu deuten und sie als das Organ zu bezeichnen, in welchem die politischen Entscheidungen fallen. Es verstehe sich, dass Hitler lediglich die wichtigsten Entscheidungen selber getroffen und auch hierbei bloß einem Kompromiss zwischen verschiedenen Kräften der herrschenden Klasse Ausdruck verliehen habe, wobei der Nationalsozialismus an die Stelle einer Rechtsordnung ein System nicht-rechtsförmiger Kommunikation in einer Sphäre totalisierter Souveränität gesetzt habe.171 Zusammenfassend will Schmitt die Verfassung als den konkreten Gesamtzustand politischer Einheit, bzw. als einheitliches Ganzes definieren, welches den einzelnen positiven Gesetzen entgeht. Insofern charakterisiert sich die Verfassung als eine politische Tat, welche die politische Einheit in der Öffentlichkeit artikulieren will. Wenn Schmitt hierbei die These vertritt, dass die Ordnung dem Gesetz vorgeht, impliziert er damit, dass die verfassunggebende Gewalt als Symbol der politischen Einheit sich über positive Gesetze im Ausnahmezustand erheben darf. Demzufolge kann man nicht die 170  Kraus, Verfassungslehre und Verfassungsgeschichte: Otto Hintze und Fritz Hartung als Kritiker Carl Schmitts, in: Murswiek, S. 652 f. 171  Vgl. Bast, Totalitärer Pluralismus: Zu Franz L. Neumanns Analysen der politischen und rechtlichen Struktur der NS-Herrschaft, S. 293–296.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

Verfassung bei Schmitt als einen Teil der Jurisprudenz, die sich auf Gesetze berufen würde, bezeichnen, sondern als einen Teil des politischen Willens. Während Kelsen hingegen die Selbstständigkeit der Rechtswissenschaft von anderen Wissenschaften konzipiert, damit die Rechtsordnung nicht durch abstrakte Moral und politischen Willen ausgenutzt wird.

IV. Menschheitsdemokratie vs. Massendemokratie 1. Demokratie und Homogenität Schmitt ist überzeugt, dass die Demokratie eine Identität von Regierenden und Regierten zu verwirklichen sucht.172 Was er insofern von der Demokratie versteht, betrifft die moderne Massendemokratie. Anschließen hält er daran fest, dass der Demokratie die Homogenität zugrunde liegt. Charakterisiert man die Identität von Regierenden und Regierten als das wichtigste Merkmal der Demokratie, so soll man seiner Meinung nach die Homogenität des Volkes voraussetzen: „Es gibt eine Heterogonie der Zwecke, einen Bedeutungswandel der praktischen Gesichtspunkte und einen Funktionswandel der praktischen Mittel, aber es gibt keine Heterogonie der Prinzipien. Wenn wir z. B. mit Montesquieu annehmen, dass das Prinzip der Monarchie die Ehre ist, so lässt sich dieses Prinzip nicht einer demokratischen Republik unterschieben, ebenso wenig wie sich auf dem Prinzip der öffentlichen Diskussion einer Monarchie fundieren lässt.“173

Demnach ordnet sich jede politische Struktur den jeweiligen homogenen Prinzipien unter. Insofern treten laut Schmitt verschiedenen Rechtsordnung zutage. Obgleich es innerhalb einer Rechtsordnung laut ihm unterschied­ liche Meinungen geben könnte, ordnet sich dieselbe Heterogonie der Meinungen den homogenen Prinzipen unter. Was die Demokratie hierbei betrifft, schreibt er: „Demokratie ist eine dem Prinzip der Identität (nämlich des konkret vorhandenen Volkes mit sich selbst als politischer Einheit) entsprechende Staatsform.“174 Mit anderen Worten setzt sich die Homogenität einer 172  Vgl.

S. 21.

Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus,

173  Schmitt,

Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 8. Verfassungslehre, S. 223. Der wahre Staat existiert, so Schmitt, nur nach Rousseau, wo das Volk so homogen ist, dass im wesentlichen Einstimmigkeit herrscht. Während der Gedanke des freien Vertrages aller mit allen aus einer ganz andern, gegensätzliche Interessen, Verschiedenheiten und Egoismen voraussetzenden Gedankenwelt komme, aus dem Liberalismus, sei die Volonté générale wie Rousseau sie konstruiert, in Wahrheit Homogenität. Vgl. Schmitt, Die geistesgeschicht­ liche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 19 f. Zu der Volonté générale, vgl. Thiele, Die Grande Terreur: Skandal oder Leitbild der Demokratietheorie?, in: Der 174  Schmitt,



IV. Menschheitsdemokratie vs. Massendemokratie175

Gesellschaft am besten bei der Staatsform der Demokratie, und zwar der Massendemokratie, durch, wobei diese Fragen aufzuwerfen sind: Wie kann man die Homogenität Konzeptionell darstellen; ob Homogenität einen substanziellen Inhalt hat? Oder soll man sie formell auf die Kategorie der Freund- und Feind Gruppierung reduzieren? Es ist bei Schmitt zu bemerken, dass Homogenität sich mittels der Abgrenzung von den von ihr abweichenden Merkmalen definiert. Demzufolge muss man einen Unterschied zwischen Gleichen und Ungleichen treffen. Die Gleichheit, die zum Wesen der Demokratie gehört, richtet sich laut Schmitt nur nach innen und nicht nach außen: innerhalb eines demokratischen Staatswesen seien alle Staatsangehörigen gleich.175 Bei Gleichheit handelt sich doch, so Schmitt, nicht um abstrakte, logisch arithmetische Spielereien, sondern um die Substanz der Gleichheit. Sie könne in bestimmten physischen und moralischen Qualitäten gefunden werden, z. B. in der staatsbürgerlichen Tüchtigkeit … .176 Insofern man kann davon ausgehen, dass Schmitt die Homogenität des Volkes auf einen substanziellen Inhalten berufen will. Hierzu führt Schmitt aus: „Soweit man hier von einer Demokratie spricht, handelt es sich darum, dass ein neues religiöses Gefühl die Grundlage einer neuen Gemeinschaft wird, innerhalb deren die Gemeinschaftsmitglieder sich als gleich betrachten. Auch hier kann man nicht von einer substanzlosen Menschengleichheit sprechen. Vielmehr lag in der Gemeinsamkeit echten religiösen Glaubens die Substanz dieser demokratischen Gleichheit.“177

Worin besteht die Homogenität? Es ist notwendig, eine weitere Frage zu stellen, nämlich in Bezug auf den Inhalt der Homogenität. Wolfgang Böckenförde verstehe Homogenität als seinsmäßige Gegebenheit und schließe sich damit an die deutsche konservative Tradition an, die in besonderer Weise von romantisch-organologischen Vorstellung geprägt sei. Bei Schmitt Staat, S. 588–594, hier 588: „Wären wir Götter, könnten wir weder irren noch Unrecht tun. Denn zum einen würde unsere volonté de tous die vernünftige Volonté générale, die auf das Gemeinwohl zielt, niemals verfehlen. Da wir zum anderen als unsterbliche Wesen keine endlichen Interessen hätten, wären wir auch vor der Versuchung gefeit, für uns selbst bei der Anwendung von selbstgegebenen Gesetzen gelegentlich eine Ausnahme machen zu wollen. Da uns Menschen diese doppelte Perfektion aber notwendig abgeht, können wir in theoretischer und moralischer Hinsicht fehlen. Deswegen sollten wir – so Rousseaus Fazit – auf keinen Fall politische Funktionen in eigener Person ausüben, die Unrecht tun können, indem sie recht­ lichen Zwang anordnen oder gar vollziehen, sondern uns darauf beschränken, zukünftigen staatlichen Zwang allgemeinen Rechtsregeln zu unterwerfen.“ 175  Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 227. 176  Vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 14. 177  Schmitt, Verfassungslehre, S. 231.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

selbst sei die Antwort auf die Frage, inwiefern substantielle Gleichheit als Bedingung staatlicher Einheit etwas einfach Gegebenes sei, alles andere als eindeutig. Mit Gründen könne man Schmitt so verstehen, dass politische Einheit nicht einfach so vorhanden sei, sondern, wie ein Interpret formuliert, organisiert werden muss.178 Das Leitbild der modernen, entfalteten Demokratie seit der Französischen Revolution ist jedoch die nationale Demokratie. Ihr Kriterium substantieller Gleichheit ist die nationale Demokratie. Insofern geht Schmitt von der nationalen Homogenität aus, welche staatlich durchgesetzt werden müsse, indem die relativ allgemeine Menschengleichheit innerhalb des Staates durch den entschiedenen Ausschluss aller nicht zum Staate gehörigen, außerhalb des Staates verbleibenden Menschen bewahrt werde.179 Diese Einheit sei somit keine natürliche, spontane, mechanische Gegebenheit, sondern eine Entscheidung.180 Dass Schmitt die Demokratie als Massendemokratie begreifen will und sich hierbei auf eine substantielle Homogenität beruft, soll man ja als die Schmittsche Kritik am Pluralismus verstehen. Denn Pluralismus sei nicht in der Lage die politische Einheit sicherzustellen. Schmitt hält insofern daran fest, dass Homogenität sich durch die Idee der Repräsentation konkretisiert, wobei er schreibt: „In der Repräsentation kommt eine höhere Art des Seins zur konkreten Erscheinung. Die Idee der Repräsentation beruht darauf, dass ein als politische Einheit existierendes Volk gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat.“181 Daher scheint Demokratie bei ihm Ausdruck der jeweils Volkseinheit zu sein. Hierzu schreibt er: „Dass die politische Einheit als ein homogenes und geschlossenes Ganzes von allen weiteren, innerpolitischen Gruppierungen und Organisationen in spezifischer Weise unterschieden wird, ist wesent­ liche Voraussetzung der politischen Demokratie.“182 In diesem Zusammenhang sei das allgemeine und gleiche Wahl- und Stimmrecht vernünftigerweise nur die Folge der substanziellen Gleichheit innerhalb des Kreises der 178  Vgl. Reiß, Homogenität oder Demokratie als einigendes Band? Zur Diskus­ sion der Voraussetzungen des Rechtsstaats bei Böckenförde und Habermas, in: MenschenRechtsMagazin, S. 208. 179  Vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 17. Denn Tatsächlich kann man schon bei Schmitt selbst nachlesen, dass die Herstellung von Homogenität die Reduktion von Heterogenität bedeutet, entweder durch Assimilierung oder Unterdrückung. Vgl. dazu Schmitt: Verfassungslehre, S. 209. Vgl. Pasquino, Politische Einheit, Demokratie und Pluralismus: Bemerkungen zu Carl Schmitt, Herrmann Heller und Ernst Fraenkel, in: Müller, S. 119. 180  Vgl. ebd., S. 121. 181  Schmitt, Verfassungslehre, S. 210. 182  Ebd., S. 273.



IV. Menschheitsdemokratie vs. Massendemokratie177

Gleichen. Genauer gesagt, habe ein gleiches Recht als solches einen guten Sinn, wo Homogenität bestehe.183 Demzufolge gehört das allgemeine und gleiche Wahlrecht in der Demokratie den betroffenen Bürgern an, welche vom Staat als Volk anerkannt worden sind. Geht man im Sachgebiet der Demokratie davon aus, dass das Volk sich der spezifischen kollektiven Homogenität unterordnet, dann ist die Demokratie, wie gesagt, nicht die Gleichheit aller Menschen als Menschen. Genauer gesagt, argumentiert Schmitt hierbei gegen den Liberalismus, der auf dem Individualismus basiert und ja entkoppelt von den konkreten Attributen ist. Wenn man den Mensch als Mensch betrachte, indem jeder Mensch jedem anderen Mensch gleichberechtigt sei, setze er eine Menschheitsdemokratie an die Stelle der bisher bestehenden, auf der Vorstellung substanzieller Gleichheit und Homogenität beruhenden Demokratie.184 Schmitts Stoßrichtung gehe somit gegen ein Verständnis der Gleichheit als allgemeiner Menschengleichheit, und folglich gegen die Demokratie als Menschheitsdemokratie.185 Daher trifft Schmitt einen Unterschied zwischen Massendemokratie und Menschheitsdemokratie, nämlich den Liberalismus. Schmitt schreibt: „Die Gleichheit aller Menschen als Menschen ist nicht die Demokratie, sondern eine bestimmte Art Liberalismus, nicht Staatsform sondern individualistisch-humanitäre Moral und Weltanschauung.“186 Schmitt stellt fest, dass aus dem Liberalismus keine spezifisch politische Idee gewonnen werden könne.187 Denn er beruft sich nur auf die Interessen der Individuen. Im Gegensatz dazu basiert Demokratie bei ihm eben auf einem substanziellen Inhalt, welcher durch die Idee der Repräsentation ausgedrückt wird. Insofern kann man daran festhalten, dass Schmitt eine Art Massendemokratie und zwar die Identität von Regierenden und Regierten herausstellen will, welche nicht im eigentlichen Sinn den heutigen demokratischen Staaten, denen der Pluralismus zugrunde liegt, entspricht. Weil die heutige Demokratie, die auf dem Individualismus basiert ist, eben die Heterogonie der Individuellen vor dem Eingriff des Staates schützen will. Hingegen schreibt er: „Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.“188 183  Vgl.

S. 16.

184  Vgl.

Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus,

ebd., S. 16. Gosewinkel, Homogenität des Staatsvolks als Stabilitätsbedingungen der Demokratie? Zur Politik der Staatsangehörigkeit in der Weimarer Republik, in: von Kieseritzky / Sick, S. 191. 186  Vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 18. 187  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 64. 188  Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 14. 185  Vgl.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

Ausgehend von derselben theoretischen Annahme der politischen Einheit bei Schmitt betrachtet aber Hermann Heller besonders das Problem des inneren Aufbaus der politischen Einheit, die keine Gegebenheit ist, sondern ein anzustrebender Zustand, ein Integrationsprozess. Demokratie solle nämlich bewusste politische Entscheidung von unten nach oben sein, alle Repräsentation vom Gemeinschaftswillen juristisch abhängig bleiben. Das Volk als Vielheit solle sich selbst bewusst zum Volk als Einheit bilden. Ein bestimmtes Maß sozialer Homogenität müsse trotzdem gegeben sein, damit politische Einheitsbildung überhaupt möglich sein solle.189 Mit anderen Worten geht Heller zwar wie Schmitt von der Homogenität aus, aber er beruft sich hierbei auf die Verfassung und zwar auf Grundrechte, womit man nicht die Heterogenität der Gesellschaft aufgrund der Mehrheitsmacht verdrängen kann. Insofern geht er von dem Minimum an Homogenität aus, welche durch die Verfassung garantiert wird, jedoch nicht durch den direkten Volkswillen. Wahrscheinlich liegt der wesentliche Unterschied zwischen beiden Verfassern, so Pasquino, darin, „dass Schmitt den substantiellen Charakter der Homogenität betont, während Heller das Homogenitätsbewußtsein unterstreicht. Man könnte vielleicht sagen, dass die Homogenität für Heller einen symbolischen Charakter hat: sie stellt sich dar als die Annahme oder eher die Identifizierung der verschiedenen politischen Subjekte mit einem gemeinsamen Werte- und Repräsentationssystem. Heller spricht ausdrücklich von Wir-Bewusstsein und verdeutlicht, dass die soziale Homogenität ein sozio-psychologischer Zustand ist.“190 Um pluralistisch sein zu können, muss der Staat ein bestimmtes Maß an Homogenität besitzen, was durch die Verfassung sichergestellt wird. Hierbei nimmt Fraenkel ebenfalls Stellung gegen das Homogenitätskonzept bei Schmitt, weil es nicht der Realität der modernen Gesellschaft, die tatsächlich in unterschiedliche Interessen zerklüftet ist, entspricht. Der Prozess der lebendigen Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Interessen sei darauf angelegt, einen Kompromiss zwischen den divergierenden Positionen zu finden. Durch den Kompromiss werde ein Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen hergestellt. Die Kompromissbildung im kontroversen Sektor könne jedoch nur gelingen, wenn ein umfassender Konsens über die formellen Regeln sowie über die inhaltlichen Grenzen und Vorgaben dieses Prozesses bestehe. Die formellen Regeln für die politische Willensbildung im Plura189  Vgl. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, in: Politische Wissenschaft; Probleme der Demokratie, S. 40. 190  Pasquino, Politische Einheit, Demokratie und Pluralismus: Bemerkungen zu Carl Schmitt, Herrmann Heller und Ernst Fraenkel, in: Müller, S. 122. Vgl. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, in: Politische Wissenschaft; Probleme der Demokratie, S. 41. Vgl. Grawert, Homogenität, Identität, Souveränität: Posi­ tionen jurisdiktioneller Begriffsdogmatik, in: Der Staat, S. 191 f.



IV. Menschheitsdemokratie vs. Massendemokratie179

lismus sehe Fraenkel hauptsächlich im Verfassungsrecht definiert. Der Konsens über die Verfassung sei ein zentraler Bestandteil des nicht-kontroversen Sektors.191 Hans Kelsen setzt sich u. a. mit der Massendemokratie auseinander, indem er einen Unterschied zwischen der Demokratie im formellen Sinne und materiellen Sinne trifft: „Wenn Demokratie nur eine Form, nur eine Methode ist, die soziale Ordnung zu erzeugen, gerade dann erscheint ihr Wert – sofern nun auch nach diesem die Frage – im höchsten Maße problematisch. Denn mit einer spezifischen Erzeugungsregel, mit einer bestimmten Staats-oder Gesellschaftsform ist noch in keiner Weise die offenbar viel wichtigere Frage nach dem Inhalt der staatlichen Ordnung beantwortet. Für die Lösung des sozialen Problems scheint es doch darauf anzukommen, wie staatliche oder gesellschaftliche Ordnung materiell gestaltet sein soll … .“192

Um die Entstehung der Massendemokratie zu verhindern, soll der Inhalt der staatlichen Ordnung vergegenwärtigt werden, indem sowohl die Mehrheit als auch die Minderheit sich auf die Verfassung und zwar auf die Grundrechte berufen.193 Hierbei fehlt Schmitt allerdings die juristische Darstellung von der Homogenität als solche, wobei er u. a. einen Unterschied zwischen konstitutioneller Demokratie und reiner Demokratie trifft. Die reine Demokratie sei eine unmittelbare und absolute Demokratie, an deren Stelle eine normierte Zuständigkeit trete.194 Schmitt sieht nämlich einen Widerspruch zwischen der ordentlichen Zuständigkeit und dem Volkswillen, wenn er schreibt: „Das Volk kann aber keine ordentlichen Zuständigkeiten ausüben, ohne aufzuhören, Volk zu sein.“195 Mit anderen Worten will Schmitt hierbei den Volkswillen aus dem Rechtsverfahren befreien, um eben eine Art Massendemokratie auszulösen, welche man als antikonstitutionelle Demokratie bezeichnen darf, während er den Parlamentarismus als Symbol der ordentlichen Zuständigkeit und die Demokratie als Symbol des Volkswillens zum Ausdruck bringt. Vor allem eine Gruppe könnte aufgrund Schmitts Vorstellung vom Politischen zum Feind erklärt und von vornherein als inhomogen ferngehalten werden. Die Feinderklärung als solche ist in Schmitts These 191  von Brünneck, Ernst Fraenkels Konzept der pluralistischen Demokratie, in: Voigt, S.  20 ff. 192  Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 91. 193  Als Hans Kelsen im Jahre 1925 seine Staatslehre abgeschlossen habe, sei Homogenität noch kein Leitbegriff gewesen, Kelsen habe der Gesellschaft und dem Staat allein dessen Rechtsordnung überantwortet. Vgl. Grawert, Homogenität, Identität, Souveränität: Positionen jurisdiktioneller Begriffsdogmatik, in: Der Staat, S. 192. 194  Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 259. 195  Ebd., S. 259.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

nicht nur angelegt, sondern unter Umständen sogar geboten. Hierzu ist zu bemerken, dass Feindschaft bei ihm eine existenzielle Bedeutung hat und sich daher nicht unbedingt auf die Verfassung als positive Gesetze berufen lässt. „Konnte sich das Volk als Träger der Gleichartigkeit grundsätzlich auch nach dem Kriterium der Rasse bestimmen, so mussten Fremdrassige ausgeschlossen bleiben.“196 Also habe sich das formale Homogenitätspostulat im NS-Regime bei Schmitt zur substantiellen, d. h. vor allem antijüdischen Feinderklärung konkretisiert, die Nicht-Artgleiches nicht nur ferngehalten, sondern ausgestoßen habe.197 2. Parlamentarismuskritik Es wurde bereits erwähnt, dass Demokratie bei Schmitt auf dem substanziellen Inhalt basiert ist. Von daher will Schmitt die Legitimität der Legalität entgegenhalten um die Demokratie aus der jeweiligen Abstimmung zu entlassen. Denn eine inhaltslose Demokratie kann durch die jeweilige Abstimmung beseitigt werden. Genauer gesagt, wenn jene Parteien an den Besitz der legalen Macht gelangen, welche die legale Macht dazu benutzen, um sich im Besitz der Macht zu verschanzen und die Tür hinter sich zu schließen. In diesem Zusammenhang hält Schmitt die Demokratie als solche dem Parlamentarismus entgegen. Das Wesentliche des Parlaments sei also öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, wobei zunächst noch nicht an Demokratie gedacht zu werden brauche.198 Das Parlament ist nämlich der Platz, an dem die unter den Menschen verstreuten, ungleich verteilten Vernunftpartikeln sich sammeln und sich zur öffentlichen Herrschaft bringen. Das Parlament sei laut Schmitt der Platz, an dem unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Interessen mit einander diskutieren um einen Konsens zu schließen und dann schält sich die zugestimmte Wahrheit heraus. Hier liege doch der geistige Kern dieses Parlamentarismus überhaupt, sein spezifisches Verhältnis zur Wahrheit, die zu einer bloßen Funktion eines ewigen Wettbewerbs der Meinungen werde, wobei Wahrheit den Verzicht auf ein definitives Resultat bedeute.199 Vor allem 196  Gosewinkel, Homogenität des Staatsvolks als Stabilitätsbedingungen der Demokratie? Zur Politik der Staatsangehörigkeit in der Weimarer Republik, in: von Kieseritzky / Sick, S. 193 f. 197  Vgl. Gosewinkel, Homogenität des Staatsvolks als Stabilitätsbedingungen der Demokratie? Zur Politik der Staatsangehörigkeit in der Weimarer Republik, in: von Kieseritzky / Sick, S. 193 f. 198  Vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 43. 199  Vgl. ebd., S.  46. Zur Volksversammlung vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 319: „Die Öffentliche Volksversammlung ist nicht mehr der Platz, in welcher auf



IV. Menschheitsdemokratie vs. Massendemokratie181

treten die Parteien laut Schmitt nicht mehr als diskutierende Meinungen im Parlament einander gegenüber, sondern als wirtschaftliche Machtgruppen und berechnen die beiderseitigen Interessen und Machtmöglichkeiten und schließen auf dieser faktischen Grundlage Kompromisse und Koalitionen.200 Im Gegensatz dazu basiert Demokratie Schmitt zufolge auf der Identitätsvorstellung, welche sich nicht auf ewige Diskussionen reduzieren will. Hierbei trifft Schmitt einen Unterschied zwischen Demokratie und Liberalismus, indem er davon ausgeht, dass die Demokratie auf Homogenität und der Liberalismus auf Heterogenität basiert seien: „Der Glaube an den Parlamentarismus, an ein goverment by discussion, gehört in die Gedankenwelt des Liberalismus. Er gehört nicht zur Demokratie. Beides, Liberalismus und Demokratie, muss voneinander getrennt werden, damit das heterogen zusammengesetzte Gebilde erkannt wird, das die moderne Massendemokratie ausmacht.“201

Schmitt geht nämlich davon aus, dass der Parlamentarismus das Volk als das isolierte Individuum von der politischen Entscheidung ferngehalten und an dessen Stelle die politischen Parteien gesetzt hat. Das parlamentarische System sei doch nur eine schlechte Fassade für die Herrschaft von Parteien und wirtschaftlichen Interessen.202 In diesem Zusammenhang ist ebenfalls zu beachten, dass eine durch den Gegensatz der Parteien bewirkte Balancierung der Meinungen sich niemals auf absolute Fragen der Weltanschauung erstrecken könne, sondern nur Dinge beträfe, die ihrer relativen Natur nach für einen derartigen Prozess geeignet seien.203 Es müsse hierbei gegenüber den wechselnden Mehrheitsbeschlüssen des Parlaments eine dauernde, unverletzliche Regel geben; in jeder Regierung müsse etwas Fundamentales Grund der öffentlichen Diskussion die Entscheidung zustande kommt. Das Parlament wird eine Art Behörde, die in geheimer Beratung beschließt und das Ergebnis der Beschlußfassung in einer öffentlichen Sitzung in der Form von Abstimmungen verkündet …“ Zur Ratio des Parlamentarismus, vgl. Schmitt, Die Prinzipien des Parlamentarismus, in: Kluxen, S. 42–50 hier 42: „Die Ratio des Parlamentarismus liegt nach der treffenden Bezeichnung von Rudolf Smend im Dynamisch-Dialektischen, das heißt in einem Prozess der Auseinandersetzung von Gegensätzen und Meinungen, aus dem sich der richtige staatliche Wille als Resultat ergibt. Das Wesentliche des Parlaments ist also öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion, Parlamentieren, wobei zunächst noch nicht an Demokratie gedacht zu werden braucht.“ 200  Vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 11. 201  Ebd., S. 13. 202  Vgl. ebd., S. 29. 203  Vgl. ebd., S. 58. Weder die Staatsgewalt noch irgendeine metaphysische Überzeugung dürfe in unmittelbarer Apodiktizität auftreten; alles müsse in dem absichtlich komplizierten Prozess der Balancierung vermittelt werden. Vgl. Schmitt, Die Prinzipien des Parlamentarismus, in: Kluxen, S. 50.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

liegen, etwas wie eine große Charte, die beständig und unveränderlich sei.204 Dem parlamentarischen System liegen insofern bei Schmitt die großen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen zugrunde, welche nicht mehr Ergebnis einer Balancierung der Meinungen in öffentlicher Rede und Gegenrede und nicht das Resultat parlamentarischer Rede seien. Das parlamentarische System, das auf der Diskussion basiert ist, setzt sich nämlich nicht mit den Fragen auseinander, welche über die Werte der liberalen Gesellschaft hinausgreifen. Aus seiner Perspektive setzt sich somit der moderne Parlamentarismus nur im Sachgebiet des Liberalismus durch, weil er auf einer normierten Demokratie beruht, die von den liberalen Normen ausgeht. Während die geistesgeschichtliche Basis des Parlamentarismus bei Schmitt auf dem Glauben an die öffentliche Diskussion als solcher beruht, meint Herrmann Heller, dass sie auf den Glauben an die Existenz einer gemeinsamen Diskussionsgrundlage und damit der Möglichkeit eines Fair Play für den innerpolitischen Gegner basiert ist, mit dem man sich unter Ausschaltung der nackten Gewalt einigen könne. Erst dort, wo dieses Homogenitätsbewußtsein verschwinde, werde die bis dahin parlierende zur diktierenden Partei.205 Heller ist überzeugt, dass nur eine organisierte Gesellschaft Politik betreiben kann, was ja durch die Regulierungen des parlamentarischen Systems sichergestellt wird. Was man hier dann als unverletzliche Regeln bezeichnen kann, sind nicht Herrschaft von Parteien und wirtschaftlichen Interessenten, sondern Rechtsverfahren, innerhalb derer politische Akteure auf die Machtergreifung abzielen. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, wenn Schmitt gegen den Parlamentarismus argumentiert, will er daraufhin eine Art Massendemokratie postulieren, welche nicht aus einem Räsonnement oder einer Zweckmäßigkeitserwägung entspringt, sondern aus den Tiefen echter Lebensinstinkte.206 Der Parlamentarismus sei laut ihm Inbegriff der Rationalität, der die Unmittelbarkeit des Lebens, nämlich die konkrete Ordnung, fälschen werde.207 Wenn Schmitt hierzu von der Unmittelbarkeit spricht, kann man einfach feststellen, dass er bei seiner Schrift, „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ (1923) die Basis der Legitimation für ein präsidentielles Regierungssystem zu konzipieren versucht, was er als Schmitt, Verfassungslehre, S. 40. Politische Demokratie und soziale Homogenität, in: Politische Wissenschaft; Probleme der Demokratie, S. 40. 206  Vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 80. 207  Vgl. ebd. S. 84. Hierzu spricht Schmitt von jenem Mythus, dem zu seiner Zeit in Bezug auf Mussolini die Nationalität zugrunde liegt. Vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 88 f. 204  Vgl.

205  Heller,



IV. Menschheitsdemokratie vs. Massendemokratie183

repräsentatives Prinzip der Demokratie bezeichnet. In diesem Zusammenhang ist ja einerseits seine Betonung auf der direkten politischen Entscheidung und andererseits auf dem substanziellen Inhalt der Politisierung ein Zeichen dafür, dass er den Weg für eine Massendemokratie vorbereiten wollte, deren Konsequenz, historisch gesehen, das NS-Regime war. Obwohl man nicht feststellen kann, dass Schmitt absichtlich ein solches Ziel verfolgte. Hierbei ist die Frage aufzuwerfen, ob der heutige Modus parlamentarischer Darstellung der nationalen Einheit, der in einem Pluralismus der Kräfte und Interessen gespaltene moderne Gesellschaft repräsentiert wird, mit den Elementen unmittelbarer Volksentscheidung kombiniert werden darf. Auf diese Frage antwortet Ulrich Scheuner: „Das repräsentative Prinzip kann mit Elementen unmittelbarer Volksentscheidung zusammenwirken, in ihnen sogar eine Verstärkung seiner Legitimation suchen, aber es geht weder mit der cäsaristischen Konzentration der Repräsentation in der Exekutive noch mit der täuschenden Vorstellung einer Selbstregierung des Volkes im Gedanken der Identität, mit der Berufung auf einen stets präsenten, allmächtigen und rechtlich unbeschränkten Volkswillen zusammen.“208

Es wurde schon impliziert, dass Schmitt einen Unterschied zwischen Rechtsstaat und Gesetzesstaat traf. Dem Rechtsstaat liegt bei Schmitt die spezifische Vorstellung von der Gerechtigkeit zugrunde, während die heutigen Rechtsstaaten nicht mehr mit der Gerechtigkeit, sondern vielmehr mit der Sicherheit und Berechenbarkeit zu tun haben. Genauer gesagt, diene er nicht der Gerechtigkeit im materiellen Sinne, sondern einer positivistischen Voraussehbarkeit.209 Insofern führt der Rechtsstaat als solcher laut Schmitt folgerichtig zu einem ebenfalls neutralen, auswechselbaren Gesetzespositivismus und verwandelt den Rechtsstaat in sein Gegenteil, nämlich in einen indifferenten Gesetzesstaat.210 Dies sei ja im Parlamentarismus der Fall. Schmitt ist somit überzeugt, dass der moderne Rechtsstaat, dem die Berechenbarkeit zugrunde liegt, nicht im eigentlichen Sinne Rechtsstaat, sondern Gesetzesstaat ist. Vor allem spiegelt der moderne Rechtsstaat, und zwar der Gesetzesstaat, die Interessen der Individuen wieder, welcher jeder Art kollektiver Weltanschauung entgehen wollte. Insofern identifiziert Schmitt die Rechtsordnung unabhängig von dem demokratischen Verfahren, weil Recht dem Verfahren als solches vorausgeht. Es ist ebenfalls zu bemerken, dass man im akademischen Betrieb zwar Recht und Politik oft in einem Atemzug nenne, aber gleichzeitig habe man sich daran gewöhnt, das Recht, den 208  Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: Kluxen, S. 373. 209  Vgl. Schmitt, Der Rechtsstaat, in: Maschke, S. 112. 210  Vgl. ebd., S. 122.

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D. Die aus dem politischen Willen hervorgehende Jurisprudenz

Rechtsstaat und die Demokratie als Gegenstände zu betrachten, die verschiedenen Disziplinen zugehörten.211 Im Gegensatz zu Schmitt geht Jürgen Habermas von einem internen Zusammenhang von Rechtsstaat und Demokratie aus. „Die allgemeine These von Habermas besagt dabei, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, das Prinzip der Menschenrechte und das der Volkssouveränität, oder, wie er es häufig ausdrückt: private und öffentliche Autonomie gleichursprünglich sind; d. h. dass keines der beiden Prinzipien auf das andere zurückgeführt werden kann und dass sie sich wechselseitig voraussetzen; d. h. dass es keines der beiden Prinzipien ohne das andere geben kann.“212 Dieser interne Zusammenhang ergibt sich, so Habermas, aus dem Begriff des modernen Rechts selber wie aus dem Umstand, dass das positive Recht seine Legitimität nicht mehr aus höherem Recht schöpfen kann. Das moderne Recht legitimiert sich an der gleichmäßig für jeden Bürger gewährleisteten Autonomie, wobei sich private und öffentliche Autonomie wechselseitig voraussetzen.213 Insofern sind die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Volkssouveränität Habermas zufolge gleichursprünglich und zwischen ihnen besteht kein hierarchisches Verhältnis, was bei Schmitts Gedankengut der Fall ist. Hierzu geht Habermas von zwei Autonomien aus, wovon die eine nicht die andere beinträchtigen darf. Also ermöglichen sich die subjektiven Handlungsfreiheiten des Privatrechtssubjekts und die öffentliche Autonomie des Staatsbürgers wechselseitig. Dabei schreibt er: „Die politische Autonomie der Bürger soll sich in der Selbstorganisation einer Gemeinschaft verkörpern, die sich durch den souveränen Willen des Volkes ihre Gesetze selber gibt. Die private Autonomie der Bürger soll andererseits in Grundrechten Gestalt annehmen, die die anonyme Herrschaft der Gesetze gewährleisten.“214 211  Vgl. Habermas, Über den internen Zusammenhang von Rechtsstaat und Demokratie, in: Politische Theorie, philosophische Texte, S. 140. 212  Reiß, Homogenität oder Demokratie als einigendes Band? Zur Diskussion der Voraussetzungen des Rechtsstaats bei Böckenförde und Habermas, in: MenschenRechtsMagazin, S. 210. 213  Vgl. Habermas, Über den internen Zusammenhang von Rechtsstaat und Demokratie, in: Politische Theorie, philosophische Texte, S. 140 f. Das positive geltende Recht, wovon Habermas spricht, will die moralisch urteilenden und handelnden Personen aus der ganz subjektiven und unverfügbaren Moral entlassen. In diesem Zusammenhang will das moderne Recht, so Habermas, die Schwächen einer anspruchsvollen Moral, die, wenn man auf die empirischen Folgen schaut, nur kognitiv unbestimmte und motivational ungesicherte Ergebnisse liefert, kompensieren. Vgl. ebd., S. 143 f. Da die moralisch urteilende Person nämlich aufgrund jener Prinzipien handeln will, die weder vermittelbar noch auf gesicherten Ergebnissen basiert sind, bezieht sich Habermas hierbei auf das positive Recht und zwar auf die Positivierung des Rechtes.



IV. Menschheitsdemokratie vs. Massendemokratie185

Der Kern des Arguments besteht darin, dass Habermas die Ausübung von Volkssouveränität nicht wie Schmitt als die Ausübung der kollektiven Autonomie einer durch vorausliegende substantielle Gleichheit bestimmten politischen Einheit verstehe, sondern als kollektive Selbstbestimmungspraxis einer politischen Einheit, welche sich durch Prozesse diskursiver Meinungsund Willensbildung erst als solche hervorbringe.215 Mit anderen Worten kommt bei Habermas letztlich die demokratische Autonomie nicht einer homogenen, ethisch-kulturell integrierten Gemeinschaft zu, sondern dem Prozess der öffentlichen Meinungsbildung, welcher sich am bestem im parlamentarischen System artikuliert. Durch die Rechtsförmigkeit werde nämlich die Heterogenität der Bürger geschützt. Das sei eine genau gegensätzliche Bestimmung zu derjenigen Schmitts, wonach sich der politische Begriff der Volkssouveränität auf eine homogene Einheit beziehe.216 Schmitt ist zusammenfassend überzeugt, dass der Staat der Rechtsordnung vorausgeht, in der die parlamentarische Diskussion bei den Parteien ausgetragen wird. Hierbei steht die politische Entscheidung über der parlamentarischen Diskussion. Schmitt präferiere einen Typus identitärer direkter Demokratie. Es bleibe insofern die Akklamation als Artikulationsform des Volks übrig. Habermas erkläre dagegen den Typus liberal-bürgerlicher Öffentlichkeit zu einer unbedingten Notwendigkeit hinsichtlich einer Rationalisierung politischer Herrschaft durch Diskussion, die er anstrebe.217 Habermas geht nämlich von Verfahrensrationalität, in der parlamentarische Diskussionen ausgetragen werden, aus.218 Während Schmitt die parlamentarische Legalität zugunsten der Legitimität negieren will, will Habermas das Spannungsverhältnis zwischen Legalität und Legitimität im Sachgebiet der Verfahrensrationalität entschärfen. Der Schmittschen Demokratie liegt jenes Recht zugrunde, welches über die Diskussion hinausgreift und das Recht als solches müsse durch den Staat, und zwar die politische Entscheidung als Vertreter des Volkes, welche aus der direkten Demokratie entstanden ist, artikulieren werden. Hingegen geht der demokratische Rechtsstaat aus der Diskussion, nämlich der Verfahrensrationalität hervor, welche im Prozess des Parlamentarismus zustande kommt. 214  Vgl.

ebd., S. 146. Homogenität oder Demokratie als einigendes Band? Zur Diskussion der Voraussetzungen des Rechtsstaats bei Böckenförde und Habermas, in: MenschenRechtsMagazin, S. 212. 216  Vgl. ebd., S. 213. 217  Vgl. Becker, Die Parlamentarismuskritik bei Carl Schmitt und Jürgen Habermas, S. 144. 218  Vgl. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, in: Kritische Justiz, S. 6. 215  Reiß,

E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität I. Nomos vs. Universalismus 1. Immanuel Kant und das Völkerrecht Die Schrift Zum ewigen Frieden von Immanuel Kant selbst führt nach insgesamt sechs Präliminarartikeln drei Definitivartikel aus: 1. Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein; 2. Das Völkerrecht soll auf einen Föderalismus freier Staaten gegründet sein. 3. Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein. Die Artikel seien systematisch aufgebaut und schritten vom Frieden in einem republikanischen Staatswesen über den Völkerfrieden zu einem kosmopolitischen Frieden durch das Weltbürgerrecht der Hospitalität fort.1 Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll nach Kant republikanisch verfasst sein. Hierbei argumentiert Kant für die Republik: „Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen); zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen); und drittens, die nach dem Gesetz der Gleichheit derselbe (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung – die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muss, ist die republikanische.“2 In diesem Zusammenhang soll man nicht verkennen, dass die republikanische Verfassung die gleiche Bedeutung bei Kant wie die demokratische hätte. Während nämlich nur diejenigen Staatsverfassungen bei Kant als republikanisch gelten können, bei denen Regierung und Ge1  Vgl. Baumgartner, Dreimal Ewiger Friede. Über Struktur und Kontexte der Kantischen Rede vom ewigen Frieden, in: Lutz-Bachmann, S. 81. 2  Kant, Zum ewigen Frieden, Auszüge aus der Rechtslehre, Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, S. 20. Der unmittelbare Anlass, über diesen Gegenstand eine Abhandlung zu schreiben, war für Kant wahrscheinlich, so Allen W. Wood der zwischen Frankreich und Preußen im März 1795 geschlossene Friedensvertrag von Basel. Dieser führte das Ende des Ersten Koalitionskrieges zwischen den monarchischen Staaten Europas und der französischen Republik herbei. Zum ewigen Frieden kann insofern als Ausdruck der Unterstützung für die Republik als solche und für die preußische Politik des Friedens mit Frankreich gelesen werden. Vgl. Wood, Kants Entwurf für einen ewigen Frieden, in: Merkel, S. 67.



I. Nomos vs. Universalismus187

setzgebung nicht in derselben Hand liegen, legt sich Kant offenbar nicht darauf fest, wessen Hand das jeweils sein soll. Insofern kann man davon ausgehen, dass Kant sich hierbei nicht auf die Demokratie als Regierung der meisten Bürger beziehen wollte, weil die Regierung und Gesetzgebung nicht bei ihm in derselben Hand liegen dürften. Der Schlüssel zum Verständnis der republikanischen Demokratie ist nach Kant Repräsentation, wobei er ausführt: „Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willen sein kann.“3 Insofern sei die Demokratie ein Despotismus, weil die Mehrheit sowohl die Regierung als auch die Gesetzgebung zur Verfügung habe. Bevor Kant anschließend auf das Völkerrecht eingeht, versuchte er das Staatliche bezüglich der Prinzipien der Aufklärung zu definieren. Der Staat sei eine Gesellschaft von Menschen, über die niemand anders als er selbst zu gebieten und zu disponieren habe. Ihn aber, der selbst als Stamm seine eigene Wurzel hatte, als Pfropfreis einem andern Staate einzuverleiben, heißt laut Kant seine Existenz als einer moralischen Person aufzuheben.4 Kant bezeichnet den Staat als eine moralische Person, dessen moralische Prinzipien dieser selbst herausstellt. Demzufolge vertritt Kant die These, dass kein Staat sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staats gewalttätig einmischen soll. Kant steht insofern nach Karl-Heinz Nusser innerhalb des Hobbeschen rekonstruktiven Vertragsdenkens mit dem im Naturzustand unbedingt geltenden Naturgesetzt, dass die Individuen bzw. die Staaten den Frieden suchen sollen, dass sie aber gleichermaßen berechtigt sind, sich durch die Rüstung und Wehrbereitschaft zu verteidigen, wenn der andere dies auch tut.5 „Während den Menschen also kraft Natur Freiheit zukommt, ist Souveränität ein Rechtstitel, der den Staaten durch das Völkerecht zuerkannt ist. Innere Rechtmäßigkeit, zumindest im Falle der republikanischen Staaten, und völkerrechtlich approbierte Souveränität unterscheiden die Staaten somit Kant zufolge von den Menschen.“6 Hierbei bezieht 3  Kant, Zum ewigen Frieden, Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, S. 23. Zu dem historischen Grund der Befürwortung einer republikanischen Demokratie bei Kant, vgl. ebd., S. 222: „Die These vom repräsentativen Charakter der Exekutive ermögliche es Kant, historisch gesehen, eine Brücke zwischen einer im strikten Sinn republikanischen Verfassung und einer ihrem Geist entsprechenden Regierungsart und damit zwischen dem republikanischen Frankreich und dem aufgeklärt-despotischen Preußen zu schlagen. Kant biete nämlich dem preußischen König damit ein neues Selbstverständnis an.“ 4  Vgl. ebd., S. 13. 5  Vgl. Nusser, Ist Kant für oder gegen den Weltstaat?: Reflexionen zu seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“, in: Rauscher, S. 172. 6  Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, in: Lutz-Bachmann / Bohman, S. 42.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

sich Kant auf das Prinzip der Autonomie aller Staaten und leitet daraus das Interventionsverbot als eines der wichtigen Prinzipien der internationalen Beziehungen ab.7 Der Staat sei daher, wie Kant betont, selbst eine moralische Person, d. h. er besitze die Fähigkeit, freie Entscheidungen zu treffen und insofern solle das Verbot der Einmischung sicherstellen, dass jeder Staat in der Lage sei, als Völkerrechtspersönlichkeit Verträge zu schließen. Das könne ein Staat offensichtlich nicht, wenn ihm seine Entscheidungen von außen mit militärischer Gewalt diktiert werden.8 Und was die Autonomie betrifft, so soll man bemerken, dass die Autonomie als solche eine staatsrechtliche und nicht völkerrechtliche Kategorie sei. D. h. die gewaltsame Einmischung von außen untergrabe die Unabhängigkeit der Staatsvölker voneinander und damit ihre Fähigkeit zur freien Selbstbestimmung. Im Fall des Staates, in den interveniert werde, um Entscheidungen der Regierung und Verfassung zu beeinflussen, liege es auf der Hand, dass er seiner Entscheidungsfreiheit in Regierungs- und Verfassungsfragen beraubt werde.9 Insofern kann man davon ausgehen, dass die staatsrechtliche Kategorie bei Kant den völkerrechtlichen Prinzipien überlegen ist. Von daher herrscht Kant zufolge im Sachgebiet der zwischenstaatlichen Beziehungen der Naturzustand, weil kein Staat sich den über ihm stehenden höheren Prinzipien unterzuordnen vermag. Hierzu schreibt Kant: „Da der Krieg doch nur das traurige Notmittel im Naturzustand ist (wo kein Gerichtshof vorhanden ist, der rechtskräftig urteilen könnte), durch Gewalt sein Recht zu behaupten; wo keiner von beiden Teilen für einen ungerechten Feind erklärt werden kann (weil das schon einen Richterausspruch voraussetzt), sondern der Ausschlag desselben (gleich als vor einem so genannten Gottesgerichte) entscheidet, auf wessen Seite das Recht ist; zwischen Staaten aber sich kein Bestrafungskrieg (bellum punitivum) denken lässt (weil zwischen ihnen kein Verhältnis eines Obern zu einem Untergebenen stattfindet).“10

Daraus ist zu folgern, dass die Zuerkennung der Strafe in den internationalen Beziehungen eines Gerichtshofes bedürfe, den es über den Staaten im Naturzustand nicht gebe. Daher versuche jeder Staat, durch Gewalt sein 7  Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, S. 15 ff. Zum Verbot der Intervention im klassischen Völkerecht, vgl. Rohlfes, Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, S. 113: „Das Verbot der Intervention und die Achtung der Unverletzlichkeit jedes Staates gehören zum klassischen Arsenal völkerrechtlicher Vereinbarungen. Sie sind der Kern der meisten bilateralen oder kollektiven Sicherheitsabkommen. Wird das Verbot korrekt beachtet, könnte es die Entstehung von Hegemonialmacht verhindern; dies ist jedoch in der bisherigen Geschichte nie recht gelungen.“ 8  Vgl. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 34–40. 9  Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, S. 15 ff und 190 f. 10  Ebd., S. 16.



I. Nomos vs. Universalismus189

Recht zu behaupten und seinen Sieg im Krieg als ein Gottesgericht zu deuten, und das entscheide, auf wessen Seite das Recht gelegen habe.11 In der Staatslehre u. a. schreibt Kant: „kein Krieg unabhängiger Staaten gegeneinander kann ein Strafkrieg (bellum punitivum) sein.“12 Solange jeder Staat nämlich Richter in eigener Sache ist, kann kein Staat zu einem ungerechten Feind erklärt werden, indem derselbe Staat rechtmäßig bestraft wird. Genauer gesagt, die Verwendung der Kategorie des ungerechten Feindes sei im Naturzustand unmöglich, solange kein Gerichtshof vorhanden sei, welcher eine der beiden Parteien rechtskräftig ins Unrecht setzen könne.13 Denn der Staat kann insofern von dem Strafkrieg und zwar dem gerechten Krieg ausgehen, als er sich der völkerrechtlichen Kategorie unterordnen will. Mit anderen Worten kann man sich nur hierbei von der völkerrechtlichen Kategorie her die Konzeption des gerechten Feindes vorstellen. Da nämlich kein Gewaltmonopol entsteht, dem sich alle Staaten unterstellen, kann man nicht vom Strafrecht ausgehen. Genauer gesagt, da zwischen den Staaten kein Gewaltmonopol besteht, kann sich Kant, so Karl-Heinz Nusser, nicht auf den Zwangscharakter des Rechts berufen, um den ewigen Frieden zwischen den Staaten herzustellen.14 Übrig bleibt nur die Moral bei Kant, womit man den Frieden in den zwischenstaatlichen Beziehungen sicherstellen kann. Also während die innerstaatlichen Beziehungen sich dem positiven Recht unterordnen, entlassen sich zwischenstaatliche Beziehungen aus dem 11  Vgl.

ebd., S. 200. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, in: Ludwig, S. 168. Ein Völkergerichtshof im umfassenden Sinn des Begriffes ist somit für Kant nicht vorstellbar. Vgl. Merkel, Lauter leidige Tröster? – Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“ und die Idee eines Völkerstrafgerichtshofs, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, S. 164. 13  Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, S. 201. 14  Vgl. Nusser, Ist Kant für oder gegen den Weltstaat?: Reflexionen zu seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“, in: Rauscher, S. 173. Denn wenn es kein Recht über den Staaten gibt, so kann auch nach Volker Marcus Hackel ein Unrechtsurteil nicht gefällt werden. Aus dem zwischenstaatlichen Recht könne daher im Naturzustand nicht gegen den Einsatz von Gewalt zwischen den Staaten argumentiert werden. Krieg könne zwar auch deshalb kein von der Vernunft gefordertes Mittel zum Erreichen eines Zustands des Rechts sein, weil sein Ausgang nicht vom Recht, sondern von der Macht abhänge. Vgl. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 68. Kants Vorgänger, so Oliver Eberl, gehen vor allem davon aus, dass im Konflikt mit einem ungerechten Feind zwei naturrechtliche Beschränkungen entfallen, die gegenüber einem rechtmäßigen Gegner zu beachten sind: „im Einsatz von Kriegsmitteln (da dem Feind die Anerkennung als gleichberechtigte Kriegspartei entzogen wird) und in der Verfolgung von Kriegszielen (da im Umgang mit dem ungerechten Feind ein Strafkrieg angezeigt ist). Kant, Zum ewigen Frieden, Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, S. 200. Hierzu ist daher zu bemerken, dass man aufgrund des Strafkrieges einen blutigen Kampf auslösen darf. 12  Kant,

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

selben Recht. Mit der Moral habe es jedoch die Bewandtnis, dass die Menschen ihr nicht immer folgten und hinter den von ihr vorgegebenen Zielen zurückblieben. Kants Lösung dieses Dilemmas bestehe in einer empirischen Umdeutung des christlichen Geheimnisses der göttlichen Gnade, welche dem Menschen beim Handeln hilft.15 Da Kant im Sachgebiet der zwischenstaatlichen Beziehungen vom Naturzustand ausgeht, trifft er einen Unterschied zwischen Völkerbund und Völkerstaat: „Völker, als Staat, können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d. i. in der Unabhängigkeit von äußern Gesetzen) schon durch ihr nebeneinandersein lädieren, und deren jeder, um seiner Sicherheit willen, von dem andern fordern kann und soll, mit ihm in eine, der bürgerlichen ähnliche, Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann.“16 Dies wäre dann, so Kant, der Völkerbund, der aber gleichwohl kein Völkerstaat sein müsste. Kants Lösung hat also keinen eigenen staatsrechtlichen Charakter. Weil ein jeder Staat das Verhältnis eines Oberen (Gesetzgebenden) zu einem Unteren (Gehorchenden, nämlich dem Volk) enthält.17 Und dies steht, so Kant, der Forderung gegenüber, dass viele Völker in einem Staat ein Volk ausmachen werden. Wenn man nämlich vom Völkerstaat ausgehen will, muss man zwangsläufig feststellen, dass viele Völker sich einem spezifischen globalen Staat untergeordnet haben. Insofern gerät man in den Widerspruch, weil man nicht mehr von der Souveränität der einzelnen Staaten sprechen kann. Mit andern Worten: „Denkt man den Staatenstaat als einen Staat, dessen Staatsvolk die Einzelstaaten sind, so stehen die einzelstaatlichen Gesetzgeber als Gehorchende im Verhältnis zum Staatenstaat, der Repräsentant eines gedachten allgemeinen Willens der Staaten ist. Dann sind die Staaten nicht mehr nur durch den allgemeinen Willen ihres Staatsvolkes bestimmt, sondern durch den allgemeinen Willen aller Staaten. Dadurch werden die Staatsvölker aller Einzelstaaten zu einem einzigen Staatsvolk. In einem Staatenstaat kann es daher nur ein Staatsvolk geben. Dann wären die Staaten in einem Weltstaat aufgegangen.“18 Hierzu stellt Kant fest, dass für Staaten nach dem Völkerrecht nicht eben das gelten könne, was für Menschen im gesetzlosen Zustande nach dem Naturrecht gelte, aus diesem Zustande herausgehen zu sollen, weil die Staaten innerlich schon eine rechtliche Verfassung hätten.19 15  Vgl. Nusser, Ist Kant für oder gegen den Weltstaat?: Reflexionen zu seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“, in: Rauscher, S. 173. 16  Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, S. 25. 17  Vgl. ebd., S. 25. 18  Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 65 f. 19  Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, S. 27.



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Insofern ist daran festzuhalten, dass Kant den Primat des Staatsrechts konzipieren wollte, weil der Staat sich schon in der innenstaatlichen Rechtsordnung befindet und aufgrund dessen im Hinblick auf seine Interessen sich dann dem Völkerrecht freiwillig anschließen könnte. Von daher zielt der Völkerbund nach Kant auf keinen Erwerb irgendeiner Macht des Staats ab, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der Freiheit eines Staats, für sich selbst und zugleich für andere verbündete Staaten, ohne dass diese doch sich deshalb (wie Menschen im Naturzustande) öffentlichen Gesetzen und einem Zwange unter denselben unterwerfen dürfen.20 Insofern ordnet sich der Staat nicht der oberen gesetzgebenden Macht unter, sondern das Völkerrecht des Völkerbundes stellt die Erhaltung und Sicherung der Freiheit desselben Staates sicher. Nach dem Muster der innerstaatlichen Rechts- und Friedensordnung könne ein Völkerbund nämlich nur gedeihen, wenn seine Mitglieder gemeinsame Rechtsnormen vereinbaren und respektieren. Im Unterschied zum Staat gäbe es im internationalen Leben jedoch keine Instanz, welche die Einhaltung der Rechtsvorschriften erzwingen kann. Das Funktionieren eines Völkerbundes sei allein vom guten Willen seiner souveränen Mitglieder abhängig.21 Daher weist das Völkerrecht bei Kant, so Oliver Eberl, zwei wichtige Merkmale des öffentlichen Rechts überhaupt auf, während es sich in einem dritten Merkmal davon unterscheidet. Erstens beruhe auch das Völkerrecht darauf, dass seine Mitglieder in eine der bürgerlichen ähnlichen Verfassung träten. Zweitens spiegle sich auf der internationalen Ebene der Übergang von provisorischen zu peremtorischen Rechtsverhältnissen. Erst der Übergang vom Recht des Stärkeren zum positivrechtlichen Zustand leiste nämlich die Neubestimmung dessen, was rechtmäßig und unrechtmäßig sei. Dazu bedürfe es im Staatsrecht der gesetzgebenden und der rechtsprechenden Instanzen über den Individuen, während das Völkerrecht analoge Institutionen ebenfalls vorsehe. Drittens aber, und in diesem Merkmal unterscheidet sich das Völkerrecht des Völkerbundes fundamental vom öffentlichen Recht innerhalb des Staates, solle der Föderalismus freier Staaten, weder gewaltsam gestiftet noch gewaltsam erhalten werden dürften, noch sollten seine rechtlich bindenden Beschlüsse gewaltsam durchgesetzt werden.22 Dass die Durchsetzung der Gesetze ebenso wie die Erhaltung des staatlichen Zustandes auf Zwangsmaßnahmen zurückgreift, ist für den öffentlich-rechtlichen Zustand zwischen den Völkern nicht vorgesehen, weil die Staaten innerlich schon im Gegensatz zum Individuum eine Verfassung 20  Vgl.

ebd., S. 27. Rohlfes, Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden, S. 115. 22  Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, S.  232 ff. 21  Vgl.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

haben. Es wurde gezeigt, dass die Individuen laut Kant im Naturzustand völlig rechtlos existieren. Im Gegensatz dazu etablieren die Staaten im Innenverhältnis einen Zustand, in dem sie in der Lage sind die Rechte ihrer Bürger zu gewährleisten. Insofern sind die Staaten als moralische Personen laut ihm zu betrachten, welche freiwillig einen Völkerbund zur Sicherheit des Weltfriedens etablieren können. Kant lehnt insofern einen Weltstaat ab und begnügt sich mit der Forderung nach einem Friedensbund.23 Nach der Darstellung des Völkerbundes geht Kant auf das Weltbürgerrecht ein, welches auf die Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein soll.24 Dabei ist zu bemerken, dass das Weltbürgerrecht wie der Friedensbund unter der Voraussetzung steht, dass es mehrere Staaten gibt. D. h. „Würde ein Weltstaat bestehen, bräuchte man keine Weltbürger­ schaft.“25 Das Weltbürgerrecht ist hierbei das rechtliche Minimum, welches jedes vernunftfähige Wesen, Mensch oder Staat, aufgrund dieser Eigenschaft von anderen vernunftfähigen Wesen fordern kann. Unter der Voraussetzung, dass eine Staatenrepublik tatsächlich alle bisherigen Rechtsbeziehungen zwischen den Staaten, aus denen sie hervorgegangen ist, restlos aufhebt und in ein innerstaatliches Recht auf Weltebene transformiert, wäre der Einwand Kants gegen eine Staatenrepublik oder einen Völkerstaat berechtigt. Doch sei diese Voraussetzung nicht zwingend. Sie unterstellt nämlich, so Matthias Lutz-Bachmann, erstens, dass tatsächlich alle Staaten der Welt dieser Staatenrepublik beigetreten sind, nachdem sie sich zuvor in ihrem Innern zu rechtsstaatlichen Republiken reformiert hatten, und zweitens, dass die republikanischen Einzelstaaten so miteinander fusionieren, dass ein neues Weltstaatsbürgerrecht alle überlieferten Rechtsbeziehungen restlos aufhebt und sich an seine Stelle setzt.26 D. h. obwohl Kant von der staatlichen Souveränität ausgeht, sieht man dennoch bei ihm die ersten wissenschaftlichen Schritte zu der Herstellung einer globalen Ordnung im rechtlichen Sinne, nicht unbedingt im moralischen Sinne. Hierzu hinterfragt Allen W. Wood Kants Gedankengut:

23  Vgl. Fröhlich, Mit Kant, gegen ihn und über ihn hinaus: Die Diskussion 200 Jahre nach Erscheinen des Entwurfs zum ewigen Frieden, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, S.  492 f. 24  Vgl. Kant, Zum ewigen Frieden, Kommentar von Oliver Eberl und Peter Niesen, S. 30. Die Hospitalität geht laut Kant um das Recht eines Fremdlings, bei seiner Ankunft auf dem Boden eines anderen Staats nicht feindselig behandeln zu werden. Das Weltbürgerrecht regelt die Beziehungen zwischen Staaten und Einzelpersonen und ist also als Kommunikationsrecht zu verstehen. 25  Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht, S. 91. 26  Vgl. Lutz-Bachmann, Kants Friedensidee und das rechtsphilosophische Konzept einer Weltrepublik, in: Bachmann / Bohman, S. 40.



I. Nomos vs. Universalismus193

„In der Friedensschrift ist die internationale Föderation ganz offensichtlich eher auf das Recht als auf die Moralität gegründet. Das bedeutet, dass sie Zwangsgewalt erfordert, doch in Kants Darstellung fehlen nicht nur die praktischen Mechanismen, sondern sogar die theoretischen Grundlagen für ein Rechtssystem, das auf eine solche Organisation Anwendung finden würde.“27 Zusammenfassend ist daran festzuhalten, dass Kants Theorie der globalen Rechtsordnung entgehen will, weil sie nicht dem Prinzip der staatlichen Souveränität entspricht. Während er sich gleichzeitig darum bemüht, zwischenstaatliche Beziehungen aufgrund des Völkerbundes konzeptionell zu etablieren. Dabei ist zu bemerken, dass, bevor der Staat in die zwischenstaatlichen Beziehungen eintreten will, er schon eine Verfassung zu Verfügung hat. Insofern versuchte Schmitt diese These u. a. zu entwickeln, um die Rolle des Staates in der globalen Welt hervorzuheben. Die wichtige Frage hierbei lautet, warum es überhaupt ein Völkerrecht als solches geben soll und nicht vielmehr ein universales Staatsrecht. Diese Frage ist grundlegend, weil sie im Folgenden aufgrund Schmitts Gedankengut u. a. beantwortet wird, wobei Schmitt die globale Welt zu hinterfragen versucht. 2. Das Gleichgewicht als Prinzip der internationalen Beziehungen Schmitt versucht das Staatliche aufgrund von Kants Idee und zwar den Staat als moralische Person aus der Kette der universalen und liberalen Gedanken zu befreien. Zunächst ist zu bemerken, wie Schmitt das Recht in den zwischenstaatlichen Beziehungen definiert. Alles Recht ist bei Schmitt nur Recht am rechten Ort. Insofern sind der Zusammenhang von Ordnung und Ortung und die Raumgebundenheit allen Rechts vor Augen zu halten. Wo die Ortung und Ordnung zusammenfallen, kann man bei Schmitt vom Nomos sprechen. Hierzu schreibt Schmitt: „Das griechische Substantivum Nomos kommt von dem griechischen Verbum Nemein. Solche Substantiva sind nomina actionis und bezeichnen ein Tun als einen Vorgang, dessen Inhalt durch das Verbum gegeben ist. Welches Tun und welchen Vorgang bezeichnet also das Wort Nomos? Offenbar die Handlung und den Vorgang des Nemein. Nemein bedeutet erstens: Nehmen. Das deutsche Wort Nehmen hat dieselbe Sprachwurzel wie das griechische Wort Nemein.“28

Demzufolge ist Nomos aus der Landnahme entstanden. Wenn man ein Land nämlich nehmen würde, begründet man Recht nach doppelter Rich27  Wood,

Kants Entwurf für einen ewigen Frieden, in: Merkel, S. 81. Nehmen / Teilen / Weiden: Ein Versuch, die Grundfragen jeder Sozialund Wirtschaftsordnung vom Nomos her richtig zu stellen, in: Forsthoff, S. 97. 28  Schmitt,

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

tung, nach innen und nach außen, weil man mit der Landnahme die Einhegung des spezifischen Landes auslöst, welche sich aus dem außen unterscheidet. Schmitt schreibt: „Nach innen, das heißt innerhalb der landnehmenden Gruppe, wird mit der ersten Teilung und Einteilung des Bodens die erste Ordnung aller Besitz- und Eigentumsverhältnisse geschaffen.“29 Anschließend führt er aus: „Nach außen steht die landnehmende Gruppe andern landnehmenden oder landbesitzenden Gruppen und Mächten gegenüber.“30 Demzufolge kann man nach Schmitt aufgrund der Einhegungen von der Entstehung des Rechtes ausgehen, während sich keine Felder in das Meer einsäen ließen um eine Einhegung zu ziehen. Dabei schreibt er: „Die Schiffe, die das Meer durchfahren, hinterlassen keine Spur. Auf den Wellen ist alles Welle.“31 Daher entsteht nicht aus dem offenen Meer das Recht, weil es keine Einhegungen und keine Grenzen auf dem Meer gibt. Vor allem gibt es auf dem Meer kein Eigentum, wofür man sich einen rechtlichen Zustand vorstellen kann. Die Geschichte der Völker mit ihren Wanderungen, Koloniesierungen und Eroberungen sei eine Geschichte der Landnahme. Diese sei entweder ein Nehmen freien, d. h. bisher herrenlosen Bodens, oder die Eroberung fremden, dem bisherigen Inhaber unter Rechtstiteln des außenpolitischen Krieges genommenen Bodens oder der mit Methoden innenpolitischer Ächtung und Entrechtung neu verteilte Boden.32 Hierzu schreibt Peter Paul Pattloch: „Recht und Ordnung sind an diesem Ursprung der Landnahme eins und können hier, an ihrem Anfang, wo Ortung und Ordnung zusammenfallen, nicht voneinander getrennt werden. Die Landnahme ist somit eine Herausnahme eines bestimmten Raumes aus einer an und für sich unbestimmten und unendlichen Räumlichkeit, aus dem bodenhaften Urgrund, und erscheint gleichsam als eine Verdichtung des unendlichen Raumes zu einer konkreten Raum-Gestalt.“33

Die Landnahme geht daher bei Schmitt der ihr folgenden Ordnung nicht nur logisch, sondern auch geschichtlich voraus, weil aus der Landnahme her ein rechtlicher Zustand vorstellbar sei.34 Demzufolge beruft sich die Rechtsordnung auf die begrenzte Ortung, welche als Basis der Ordnung zu bemerken ist. Wo die Ortung und Ordnung zusammenfallen, da kann man 29  Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, S. 16. 30  Ebd., S. 16. 31  Ebd., S. 19. 32  Vgl. Schmitt, Nehmen / Teilen / Weiden: Ein Versuch, die Grundfragen jeder Sozial- und Wirtschaftsordnung vom Nomos her richtig zu stellen, in: Forsthoff, S. 100. 33  Pattloch, Recht als Einheit von Ordnung und Ortung: Ein Beitrag zum Rechtsbegriff in Carl Schmitts Nomos der Erde, S. 54. 34  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 19.



I. Nomos vs. Universalismus195

folglich bei Schmitt vom Nomos ausgehen. Also sei das griechische Wort für die erste, alle folgenden Maßstäbe begründende Messung, für die erste Landnahme als die erste Raum-Teilung, für die Ur-Teilung und Ur-Verteilung: Nomos.35 „Für seinen Begriff des Nomos bedeutet Landnahme nicht Machtübernahme auf einem Gebiet, sondern Ergreifung und Einteilung des Bodens an sich, womit denn nicht nur alles abgeleitete Maß, sondern auch die Gestalt der politischen, sozialen und religiösen Ordnung gegeben seien,“36 wobei Schmitt den Nomos dem positiven Gesetz entgegensetzten will. Denn das positive Gesetz artikuliert sich bei Schmitt nicht als Quelle der Ordnung, sondern als Produkt derselben. Der Nomos sei hingegen die Unmittelbarkeit einer Rechtskraft, welche als Quelle der Ordnung anzuerkennen sei. „Nomos bedeutet für Schmitt mehr als bloß Gesetz. Zuallererst bezeichnet es einmal Nahme, Landnahme, Nehmen, dann auch Teilen und Weiden. Diese Begriffe kommen Schmitts Wunsch entgegen, dem abstrakten Gesetzesbegriff einen die Einheit von Ordnung und Ortung, Raum und Recht darstellenden Begriff entgegenzusetzen.“37 Nomos sei nicht gleichzusetzen mit Gesetz oder Norm, es sei, so Schmitt, ein Urwort, das abgeleitet sei von nemein und die Bedeutung nehmen hat.38 Demzufolge stellt Schmitt fest, dass Gesetz unabhängig vom Nomos ganz substanzlos sei. Er schreibt kritisch: „Ich möchte dem Wort (Nomos) seine erste Kraft und Größe zurückgeben, obwohl es im Laufe der Zeit, und schon in der Antike, seinen ursprünglichen Sinn verloren hat und schließlich zu einer substanzlosen, allgemeinen Bezeichnung jeder irgendwie gesetzten oder erlassenen, normativistischen Regelung und Anordnung herabgesunken ist.“39 Also geht Schmitt davon aus, dass der Unterschied zwischen Nomos und Gesetz im Laufe der Zeit verschwunden sei und man somit in eine Art bloße Satzung geriet. Hierzu schreibt Schmitt: „Der Nomos im ursprünglichen Sinne aber ist gerade die volle Unmittelbarkeit einer nicht durch Gesetze vermittelten Rechtskraft; er ist ein konstituierendes geschichtliches Ereignis, ein Akt der 35  Vgl. ebd., S. 36. Hierbei könnte ja nach Helmut Rumpf gefragt werden, ob er berechtigt war, das Wort Nomos zur Bezeichnung seines Begriffes eines raumeinteilenden Grundvorganges zu verwenden, ob das griechische Nomos tatsächlich und eindeutig ursprünglich das Wort für die erste Messung, die Ur-Verteilung war und einen raumhaften Sinn hatte. Dazu müssten sich die Sprachwissenschaftler und Graecisten äußern. Vgl. Rumpf, Der Nomos der Erde und der Geist des Völkerrechts, in: Archiv des Völkerrechts, S. 191. 36  Ebd., S. S. 192. 37  Gross, Carl Schmitts Nomos und die Juden, in: Merkur; Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, S. 419. Vgl. Voigt, Denken in Widersprüchen: Carl Schmitt wider den Zeitgeist, S. 206. 38  Vgl. Staff, Der Nomos Europas: Anmerkungen zu Carl Schmitts Konzept einer Weltpolitik, in: Gaitanides, S. 41. 39  Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 36.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

Legitimität, der die Legalität des bloßen Gesetzes überhaupt erst sinnvoll macht.“40 Dabei stellt Helmut Rumpf diese Frage, wenn also die spezifische Landnahme weder die positive Geltung begründet, noch prinzipielle Voraussetzung der inhaltlichen Überlieferung von Rechtssätzen ist, was sie juristisch noch konstituieren könne.41 Mit anderen Worten geht Schmitt von der spezifischen Landnahme aus, woraus nicht unbedingt eine Rechtslehre abgeleitet wird. Insofern ist festzustellen, dass Landnahme zuallererst eine politische Bedeutung und nicht eine juristische Bedeutung hat. Hierzu schreibt Helmut Rumpf: „Das Völkerrecht beruht nach der Nomos-Lehre Carl Schmitts systematisch nicht etwa auf einer Grundnorm, auch nicht auf zwischenstaatlichen Willensäußerungen, auf Grundwerten, oder auf obersten göttlichen Gesetzen. Es beruht auf einem konstituierenden geschichtlichen Vorgang, einem Akt, der Landnahme, bzw. Seenahme. Logisch und methodologisch gesehen sind – je nach der Prämisse – verschiedene Grundlegungen des Völkerrechts im Rahmen der entsprechenden Betrachtungsweise möglich.“42

In diesem Zusammenhang vertritt Alexandre Kojève die These, dass jeder historische Nomos bisher immer mit Gewalt, d. h. mit Nehmen, verbunden gewesen sei. Nach Kojève trete dann an die Stelle des Nehmens das Geben. Ein gebender Kapitalismus werde das bestimmende Moment des modernen und gewaltlosen Nomos der Erde sein.43 Kojeve äußerte diese These bei einem Vortrag in Düsseldorf im Januar 1975, zu dem ihn Schmitt eingeladen hatte. Schmitt reagierte heftig auf Kojèves Position und brachte ein theologisches Argument dagegen vor. Dabei schreibt Schmitt: „Es wurde Kojève erwidert, dass kein Mensch geben kann, ohne irgendwie genommen zu haben. Nur ein Gott, der die Welt aus dem Nichts erschafft, kann geben ohne zu nehmen, und auch er nur im Rahmen der von ihm aus diesem Nichts erschaffenen Welt.“44 Schmitt vertritt die These, dass die Ignorierung des Nehmens die Einheit der Welt auslöst, womit er ja ein grundlegendes Problem hat. Insofern beharrt er darauf einen Unterschied zwischen Gesetz und Nomos vorzusehen. Schmitt stellt aufgrund der Unterscheidung zwischen Gesetz und Nomos eine neue Interpretation der zwischenstaatlichen Beziehungen dar, welche bereits in Bezug auf Kant theoretisch untersucht wurde. Es ist hierbei zu bemerken, dass Schmitt das Recht in Bezug auf die Landnahme, die 40  Ebd.,

S. 42. Rumpf, Der Nomos der Erde und der Geist des Völkerrechts, S. 193. 42  Ebd., S. 191. 43  Vgl. Palaver, Globalisierung und Opfer: Carl Schmitts Lehre vom Nomos, in: Dieckmann, S. 194. 44  Schmitt, Nehmen / Teilen / Weiden: Ein Versuch, die Grundfragen jeder Sozialund Wirtschaftsordnung von Nomos her richtig zu stellen, in: Forsthoff, S. 504. 41  Vgl.



I. Nomos vs. Universalismus197

zwangsläufig zur Einteilung der Welt führt, definiert. Wenn man davon ausgeht, dass das Recht sich in Bezug auf die Landnahme identifiziert, dann werden verschiedene Rechtsordnungen vorausgesetzt. Denn jedes Land beruft sich auf die jeweilige Rechtsordnung, welche sich von anderen Rechtsordnungen unterscheidet. Hierzu lässt Schmitt seine These auf dem nachmittelalterliche europäische Völkerrecht des Zeitalters vom 16. bis 20. Jahrhundert, was als klassische Völkerrecht bekannt ist, beruhen. Das klassische Völkerrecht hat eine Rechtsordnung zwischen unabhängigen, gleichberechtigten Staaten begründet, der das Gleichgewicht der Mächte zugrunde lag. Die Herrschaft des römischen Imperiums habe hingegen eine solche Rechtsordnung deshalb ausgeschlossen, weil die wenigen an der Peripherie des Imperiums existierenden Staaten – in der Zeit der Hochblüte der römischen Weltherrschaft blieb nur das Perserreich unerobert – nicht als gleichberechtigt anerkannt worden seien.45 „Jener Abschnitt der europäischen Staatengeschichte, der mit der Epoche des klassischen Völkerrechts zusammenfällt, ist gekennzeichnet durch den Begriff der Souveränität. Da der in Münster und Osnabrück geschlossene Westfälische Frieden, mit dem der Dreißigjährige Krieg beendet wurde, das erste völkerrechtliche Dokument ist, in dem die Souveränität ausdrücklich bestätigt wurde.“46 In diesem Zeitalter trat der reine Staatenkrieg des neuen europäischen Völkerrechts gegen den Religionskrieg und gegen den Bürgerkrieg, die das Mittelalter beherrschten, um die Gegensätze der Parteien zu neutralisieren und die Bürgerkriege zu überwinden. Der Krieg war insofern, so Schmitt, ein Krieg in Form, weil er zum Krieg zwischen flächenmäßig klar begrenzten europäischen Staaten wurde.47 Schmitt setzt das mittelalterliche Völkerrecht dem nach-mittelalterlichen europäischen Völkerrecht, also dem klassischen Völkerrecht, entgegen, weil die mittelalterliche Rechtskategorie sich der christlichen Theologie unterwarf, welche sich über die Grenzen des nationalen Staates identifizierte. In diesem Zusammenhang ist bei Schmitt zu bemerken, dass es im Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 30 f. Einführung in das Völkerrecht, S. 36. Es ist zu betrachten, obwohl Schmitt für das klassische Völkerrecht plädiert, verursachte dasselbe Völkerrecht den Positivismus, womit Schmitt ja ein grundlegendes Problem hat. Dabei schreibt P. Fischer: „Die Völkerrechtswissenschaft des 19. Jh. verliert weitgehend jeden Zusammenhang mit der bisher vorherrschenden Naturrechtslehre und wendet sich einem Positivismus zu, der seine letzte Rechtfertigung aus der Effektivität des Rechtes des einzelnen Staates erhält, der nunmehr als der eigentliche Träger des Völkerrechtes angesehen wird. Der Verlust des Begriffes der Völkergemeinschaft als einer vorgegebenen Rechtsgemeinschaft hat zum Teil philosophische Gründe, wie in der Auffassung Georg Wilhelm Friedrich Hegels, dass der Staat als Träger der Souveränität keine Macht, auch nicht die des Völkerrechts, über sich haben könne, und dieses damit allenfalls als äußeres Staatsrecht zu begreifen sei.“ Vgl. P. Fischer, Allgemeines Völkerrecht, S. 26. 47  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 113. 45  Vgl.

46  Hobe,

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

zwischenstaatlichen Recht der Souveräne, also im klassischen europäischen Völkerrecht, keine höchste und letzte richterliche Instanz über den beiden Parteien gebe, denn hier gelte der Grundsatz der Gleichheit der Souveräne.48 Schmitt wollte eben dieselbe Lehre, die vom europäischen Gleichgewicht ausging, im 20. Jahrhundert rekonstruieren, damit er das Staatliche von den universalen Ideen, die nach dem zweiten Weltkrieg bis heute hinein herrschen, befreien könnte. Insofern ist festzustellen, dass Schmitt zwischenstaatliche Beziehungen im Rahmen des Naturzustandes postuliert. Mit anderen Worten identifiziert Schmitt wie Kant den Staat als moralische Person, weil der Staat sich auf dessen eigene rechtliche Kategorie stützen will, die von den anderen rechtlichen Kategorien unabhängig ist. Schmitt verweist auf Hobbes und Kant, wobei die Staaten untereinander im Naturzustand sind. Hierzu schreibt er: „Von Hobbes und Leibniz bis Kant, von Rachel bis Klüber behaupten alle berühmten Autoren, dass die Staaten als moralische Personen nach dem Völkerrecht untereinander im Naturzustand leben, das heißt, dass die Träger des jus belli, ohne eine institutionelle gemeinsame höhere Autorität, als souveräne Personen gleichberechtigt und gleichgerecht einander gegenüberstehen. Man kann das als einen anarchischen, aber durchaus nicht als einen rechtlosen Zustand ansehen … . Weil die souveränen Personen von Natur, d. h. in diesem Naturzustande gleich, nämlich in gleicher Qualität souveräne Personen sind, haben sie weder einen gemeinsamen Gesetzgeber noch einen gemeinsamen Richter über sich.“49

Die Staaten stehen daher nebeneinander im Naturzustande als gleichberechtigte, moralische Personen, welche sich nicht einer universalen Rechtsordnung unterwerfen wollen. Insofern stimmt Schmitt Kant zu, dass der Staat als moralische Person sich nicht der ihm höheren Ordnung unterordnen darf. Anderenfalls könnte man nicht von den Staaten ausgehen, sondern man sollte einen Weltstaat voraussetzen. Schmitt sieht trotzdem bei Kants Theorie ein doppeltes Gesicht, das seine These unklar macht. Auf der einen Seite gehe er davon aus, dass die Staaten nebeneinander im Naturzustande 48  Vgl. Pattloch, Recht als Einheit von Ordnung und Ortung, S. 104. Zu den Regeln des klassischen Völkerrechts, vgl. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 37: „Mit voller Berechtigung gilt die Souveränität als tragende Säule des gesamten Systems des klassischen Völkerrechts. Diese Grunderkenntnis bildet den Schlüssel für das Verständnis zahlreicher Institutionen und Regeln des klassischen Völkerrechts, wie des Grundsatzes der Staatengleichheit, der Einstimmigkeit bei internationalen Beschlüssen, des Interventionsverbots usw. Vor allen Dingen aber wurde während dieser Epoche aus der Souveränität das Recht zum Kriege abgeleitet. Die von den Vätern des Völkerrechts geführte Kontroverse über den gerechten Krieg war damit endgültig abgebrochen. Jeder Krieg, zu dem ein Souverän sich entschloss, war Rechtens. Dieses Prinzip galt bis zum Ende der Epoche des Klassischen Völkerrechts im 20. Jahrhundert.“ 49  Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 119.



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als gleichberechtigte, moralische Personen ständen; jeder von ihnen habe das gleiche Recht zum Kriege. Auf der anderen Seite aber führe Kant überraschender Weise den Begriff des ungerechten Feindes ein, obwohl es einen solchen im Naturzustande nicht geben könne.50 Schmitt stellt fest, dass die von der Kirche ausgehende völkerrechtliche Einhegung des Krieges in Religionskriegen und konfessionellen Bürgerkrieg untergegangen sei.51 Der Grund besteht darin, dass das mittelalterliche Völkerrecht von dem gerechten Krieg ausging, welcher zwangsläufig zur Diskriminierung des ungerechten Gegners führte. Weil das mittelalterliche Völkerrecht auf dem Christentum basiert war, dessen Gegner als Ungläubige betrachtet wurden. Die Lehre vom gerechten Krieg im Sinne der justa causa belli sei eine Auffassung, wonach ein Krieg nur dann ethisch und rechtlich legitim sei, wenn er bestimmten Anforderungen genüge. Das Recht zum Krieg sei demnach einer rechtmäßigen Autorität vorbehalten. Genauer gesagt, gehört diese Autorität laut Schmitt im Mittelalter der Kirche, indem sie die Welt in zwei theologische Gruppierungen, nämlich Gläubige und Ungläubige einteilte. Hierzu führt Schmitt aus: „Allerdings steckt in der Gerechtigkeit des Krieges, wenn diese auf die justa causa bezogen wird, immer ein latenter Ansatz zur Diskriminierung des ungerechten Gegners und damit zur Beseitigung des Krieges als Rechtsinstitut.“52 Diese Idee vom Krieg führt laut Schmitt zur Diskriminierung des Gegners und der Krieg als solcher kann vor allem einen blutigen Kampf auslösen, weil man den Krieg der theologischen Kategorie unterziehen wolle. Im Gegensatz dazu habe das nach-mittelalterliche europäische Völkerrecht vom 16. bis 20. Jahrhundert die justa causa zurückdrängen wollen. Der formale Anhaltspunkt für die Bestimmung des gerechten Krieges sei nämlich hier nicht mehr die völkerrechtliche Autorität der Kirche, sondern die gleichberechtigte Souveränität der Staaten. Die Ordnung des Völkerrechts gehe fortan, statt von der justa causa, vom justus hostis aus und die neue Ordnung als solche erkennt laut Schmitt jeden zwischenstaatlichen Krieg zwischen gleichberechtigten Souveränen als rechtmäßigen Krieg an.53 In der staatsbezogenen Raumordnung sind nämlich nicht mehr die über Grenzen der staatlichen Souveränität hinweg moraltheologischen Prinzipien der Fall, sondern juristisch-staatlichen Konstellation. Insofern setzen sich die Staaten miteinander auseinander, ohne dass einer sich dem anderem rechtlich überordnen darf. Dass der Krieg in aller Schärfe zu einem zwischen souveränen europäischen Staaten als solchen geführten Krieg geworden ist, dass er staatlich autori50  Vgl.

ebd., S. 140. ebd., S. 120. 52  Ebd., S. 93. 53  Vgl. ebd., S. 91. 51  Vgl.

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siert und staatlich organisiert wurde, war bei Schmitt ja eine europäische Leistung. Das Ziel eines jeden Rechtes kann daher bei Schmitt nur die Ordnung und Einschränkung des Kampfes mit der Anerkennung des Gegners, nicht aber seine Abschaffung sein. Schmitt wollte nämlich nicht den Krieg überwinden, sondern das Gleichgewicht nach einem eingehegten Krieg konzipieren, der sich der universalen Idee entziehen würde. „Konsequenterweise hatte Schmitt seinen Gedanken vom diskriminierenden Kriegsbegriff dann dort wieder aufgenommen, wo er seinen Pluralismus der Staatenwelt gegen die universalistische Ideologie liberal- demokratischer Herkunft verteidigte.“54 Pattloch schreibt: „Sobald sich jedoch die kämpfenden Perspektiven mit einer universalmonistischen Idee identifizieren, artet der Kampf in einen totalen Krieg aus, der die Vernichtung des Feindes zum Ziele hat; denn eine universalmonistische Idee kann jede ihr entgegengesetzte Idee nicht neben sich dulden.“55 Daher führt Schmitt einen Unterschied zwischen dem gerechtem Krieg und dem ungerechten Feind ein. Demzufolge geht er gegen die universale Rechtsordnung vor, welche sich über die Souveränität der Staaten hinaus artikulieren wolle. Genauer gesagt, beruft sich der gerechte Krieg theologisch auf globale Ideen, während die Theorie des gerechten Feindes die Vielfältigkeit der rechtlichen Ordnung anerkennt.56 Kant und Schmitt haben übereinstimmend erklärt, dass man keinen Krieg unabhängiger Staaten gegeneinander als einen Strafkrieg bezeichnen dürfe. Denn der Staat kann insofern einen Strafkrieg führen, als er sich der über ihm stehenden höheren Rechtsordnung unterordnet. D. h. man darf hierbei dann nicht den Staat als eine moralische Instanz betrachten, weil er nicht unabhängig ist. Kant schreibt: „Kein Krieg unabhängiger Staaten gegeneinander kann ein Strafkrieg (bellum punitivum) sein. Denn Strafe findet nur im Verhältnisse eines Oberen (imperantis) gegen den unterworfenen (subditum) statt, welches Verhältnis nicht das der Staaten gegeneinander ist.“57 In diesem Zusammenhang versuchte Schmitt einen Unterschied zwischen dem von den staatlichen Souveränen geführten Krieg und dem Strafkrieg zu 54  Hofmann,

Legitimität gegen Legalität, S. 197. Recht als Einheit von Ordnung und Ortung, S. 103. 56  Zu den Konsequenzen des gerechten Krieges, Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 197: „Unter dem Aspekte des Kriegsbegriffs bedeutet das: Jede universalistische Ideologie bringt eine Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff mit sich, zu einem Begriff des Krieges also, der die kriegführenden Parteien nicht mehr einheitlich und ohne moralische Bewertung als Kombattanten umfasst, sondern zwischen ihnen nach Maßgabe des gerechten Grundes qualitativ differenziert und den Krieg demzufolge nur noch in einer Richtung als Krieg, nämlich als gerechten Krieg anerkennt, in der anderen Richtung aber als kriminelle Friedenslösung diskreditiert.“ 57  Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, in: Ludwig, S. 168. 55  Pattloch,



I. Nomos vs. Universalismus201

treffen: „Nur der bewaffnete Kampf zwischen staatlichen Souveränen ist Krieg im völkerrechtlichen Sinne und kann den Begriff des justus hostis erfüllen. Alles andere ist Strafverfolgung und Unterdrückung von Räubern, Rebellen und Piraten.“58 Von daher geht Schmitt davon aus: Wenn man den Strafkrieg dem Prinzip des Gleichgewichtes nach ablehnen will, dann könnte man nicht mehr an dem ungerechten Feind festhalten. Weil der ungerechte Feind sich ebenso sehr wie ein Strafkrieg der universal-rechtlichen Kategorie unterwirf. Kant führt dennoch laut Schmitt überraschender Weise den Begriff des ungerechten Feindes ein, obwohl er den Staat als moralische Person betrachtet. Hierzu scheibt Kant: „Was ist aber nun nach Begriffen des Völkerrechts, in welchem, wie überhaupt im Naturzustande, ein jeder Staat in seiner eigenen Sache Richter ist, ein ungerechter Feind? Es ist derjenige, dessen öffentlich (es sei wörtlich oder tätlich) geäußerter Wille eine Maxime verrät, nach welcher, wenn sie zur allgemeinen Regel gemacht würde, kein Friedenzustand unter Völkern möglich, sondern der Naturzustand verewigt werden müsste.“59

Schmitt sieht bei der von Kant ausgeführten Passage einen Widerspruch, weil der Naturzustand selbst ein Zustand der Ungerechtigkeit sei. Der Philosoph fahre in völliger Verwirrung der alten Lehre vom justus hostis fort.60 Schmitt bemerkt ja hierbei nicht: wenn Kant vom ungerechten Feind spricht, wollte er sich auf jenen Feind beziehen, welcher gegen öffentliche Verträge verstoßen hat. Obwohl man vor allem bei Kant den gegen öffentliche Verträge verstoßenden Feind als ungerechten Feind bezeichnen könne, dürfe man nicht denselben Feind gleichsam auf der Erde beseitigen.61 Insofern greifen öffentlichen Verträge bei ihm der Souveränität des Staates voraus. Schmitt vertritt daher eine These in den internationalen Beziehungen, der das Gleichgewicht zugrunde liegt. Er betrachtet also den Staat als Ausgangspunkt der Politik, der sich keiner über ihm stehenden höheren Ordnung unterordnet. Anderenfalls könnte man nicht vom Politischen ausgehen. Genauer gesagt, betrachtet er aufgrund des klassischen europäischen Völ58  Schmitt,

Der Nomos der Erde, S. 124. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, in: Ludwig, S. 171. 60  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 141. 61  Vgl. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, in: Ludwig, S. 171: „Dergleichen ist die Verletzung öffentlicher Verträge, von welcher man voraussetzen kann, dass sie die Sache aller Völker betrifft, deren Freiheit dadurch bedroht wird, und die dadurch aufgefordert werden, sich gegen einen solchen Unfug zu vereinigen, und ihm die Macht dazu zu nehmen; – aber doch auch nicht, um sich in sein Land zu teilen, einen Staat gleichsam auf der Erde verschwinden zu machen, denn das wäre Ungerechtigkeit gegen das Volk, welches sein ursprüngliches Recht, sich in ein gemeines Wesen zu verbinden, nicht verlieren kann; sondern es eine neue Verfassung annehmen zu lassen, die, ihrer Natur nach, der Neigung zum Kriege ungünstig ist.“ 59  Kant,

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kerrechtes vom 16. bis 20. Jahrhundert eine staatsbezogene Raumordnung in den internationalen Beziehungen, welche der universalen Rechtsordnung gegenübersteht. Vor allem wurde der Staat als das Modell der politischen Einheit, der Staat als der Träger des erstaunlichsten aller Monopole, nämlich des Monopols der politischen Entscheidung, nach dem ersten Weltkrieg entthront. „Damit ist für Schmitt die völkerrechtliche Balance, die in einem Gleichgewicht der Staaten bestand, in Gefahr geraten. Dies bedeutet für ihn auch, dass der bisherige nach europäischem Völkerrecht geltende Kriegsbegriff seiner Substanz beraubt wird.“62 Allerdings verschweige Schmitt u. a., dass jene alte Ordnung in dem Prinzip der absoluten Souveränität der Staaten ein ihr notwendig eigenes Element der Selbstvergiftung besessen habe. Weil die mit diesem Prinzip verbundene Selbstherrlichkeit der politischen Zielsetzung einen expansiven Imperialismus erzeugt habe. Die eigentliche Ursache des Unterganges des Jus Publicum Europaeum sei somit in der ethischen Bindungslosigkeit der absoluten Souveränität der Staaten zu erblicken.63 Mit anderen Worten, da die absolute Souveränität des klassischen Völkerrechts sich nicht den über ihr stehenden höheren Prinzipien unterwarf, erzeugte sie einen expansiven Imperialismus. Und vor allem ist zu bemerken, dass das klassische Völkerrecht sich nicht außereuropäisch identifiziert habe. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei noch das Völkerrecht als europäisches öffentliches Recht gemeint gewesen.64 Die 1815 durch den Wiener Kongress geschaffene europäische Ordnung ging im Ersten Weltkrieg unter. „Durch den Friedensvertrag von Versailles griffen erstmals (einerseits) außereuropäische, raumfremde Mächte in die territoriale Ordnung Europas ein, indem sie, einer neuen Raumordnung unfähig, zwei europäische Großmächte (das Deutsche Reich und ÖsterreichUngarn), zwei Säulen der bisherigen Raumordnung beseitigen.“65 An die Stelle des durch die Niederlage der Mittelmächte gestörten Gleichgewichts sollte andererseits eine internationale Friedensordnung in Form des neu geschaffenen Völkerbundes treten. Die USA jedoch, die durch ihren Kriegseintritt auf Seiten der Entente zu dieser Entwicklung entscheidend beigetragen hatten, hielten sich in einem Rückfall in splendid isolation vom Völkerrecht fern und nahmen ihm damit von Anfang an die Möglichkeit, als eine Weltorganisation im eigentlichen Sinn zu erscheinen.66 62  Staff, Der Nomos Europas: Anmerkungen zu Carl Schmitts Konzept einer Weltpolitik, in: Gaitanides, S. 37. 63  Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 204. 64  Vgl. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 36. 65  Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 201. 66  Vgl. Fischer, Allgemeines Völkerrecht, S. 28.



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Da der Völkerbund darüber hinaus ein Teil des Diktats von Versailles war, erfreute er sich bei den besiegten Staaten weniger Sympathien und konnte in der Folge auch die in ihn gesetzten Erwartungen nur in einem geringen Maße erfüllen. Deutschland gehörte hierbei der Seite der besiegten Staaten an, und insofern versucht Schmitt theoretisch dieses neue Völkerrecht zu hinterfragen. Ist die staatsbezogene europäische Raumordnung preisgegeben, dann tritt nach Schmitt ein leerer Normativismus an deren Stelle, welcher sich über die staatlichen Beziehungen hinaus identifiziert.67 Insofern gerät man in die globale Welt in einem postnationalen Sinne, in der die Staaten sich der universalen Rechtsordnung unterordnen müssen und das Recht als solches sich folglich der Ortung entzieht,68 während das Recht bei Schmitt hingegen, wie gesagt, Zusammenhang von Ortung und Ordnung bedeutet. In diesem Zusammenhang ist im globalen Zeitalter zu bemerken, dass nicht mehr moraltheologische Ideen, wie im Mittelalter, sondern die positiven Rechte als Quellen des Rechts betrachtet werden. Während Schmitt gegen die universale Rechtsordnung aufgrund seiner These über den Unterschied zwischen Gesetz und Nomos argumentiert, soll man hierbei fragen, ob er eine Alternative im Sachgebiet der internationalen Beziehungen aufgestellt hat. Schmitt stellt fest, dass zwischenstaatlich keineswegs die Isolierung jedes Völkerrechtssubjekts dieser Art Ordnung bedeutet. Im Gegenteil sei der zwischenstaatliche Charakter selbst nur aus einer umfassenden, die Staaten selbst tragenden Raumordnung zu verstehen.69 Von daher entwickelt Schmitt seine These im Sachgebiet der internationalen Beziehungen, was Großraumtheorie genannt wird. Bevor Schmitts These untersucht wird, ist systematisch das globale Völkerrecht zu analysieren und hierbei wird auf Hans Kelsens Gedankengut eingegangen. Kelsen vertrat im Gegensatz zu Schmitt und zum Teil Kant die Idee der universalen Rechtsordnung im positivistischen Sinne.

Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 200. Prozess der Globalisierung, vgl. Habermas, Der gespaltene Westen, S. 174: „Als Globalisierung bezeichnen wir die gerichteten Prozesse der weltweiten Ausbreitung von Handel und Produktion, von Güter- und Finanzmärkten, von Moden, Medien und Programmen, Nachrichten und Kommunikationsnetzen, Verkehrsströmen und Migrationsbewegungen, von Risiken der Großtechnologie, Umweltschäden und Epidemien, von organisiertem Verbrechen und Terrorismus. Dabei verstricken sich die Nationalstaaten in Abhängigkeiten von einer zunehmend interdependenten Weltgesellschaft, deren funktionale Spezifizierung ganz unbekümmert um territoriale Grenzen fortschreitet.“ 69  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 183. 67  Vgl.

68  Zum

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

3. Hans Kelsen und die Lehre von den Grundrechten des Völkerrechts Hans Kelsen analysiert drei Grundmöglichkeiten in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Entweder seien die beiden Normensysteme voneinander gänzlich verschieden und unabhängig. In diesem Zusammenhang sei jede Beziehung ein Einheitsbezug. Oder das Verhältnis der Über- und Unterordnung bestehe zwischen beiden Systemen. Oder das der Koordination, hergestellt durch eine gemeinsam über den beiden koordinierten Ordnungen aufgebaute, beide als Teilordnungen gleichermaßen umfassende höhere Ordnung.70 Man kann doch bei Kelsen keine zwei voneinander unabhängigen Ordnungen vorstellen, die eine Ordnung auf die andere zurückführen könnten, weil es keine Brücke zwischen denselben Ordnungen gibt. Dabei schreibt Kelsen: „Von den möglichen Beziehungen zweier Normensysteme kommt mit Rücksicht auf das Verhältnis des Völkerrechts zur staatlichen Rechtsordnung zunächst nur das der Über- und Unterordnung in Betracht. Die Nebenordnung zweier Normensysteme ist nur mit Hilfe einer über den beiden koordinierten Systemen stehenden, sie gegenseitig abzugrenzenden und so koordinierenden Ordnung denkbar.“71 Kelsen geht eigentlich davon aus, dass ein Völkerrecht, das auf einen von der Quelle staatlichen Rechts gänzlich verschiedenen Ursprung zurückgeführt wird, für den Juristen ebenso überhaupt nicht vorhanden ist, wie die Moral.72 Man kann nämlich von dem Völkerrecht insofern sprechen, als entweder das Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen beiden Systemen besteht oder das der Koordination zwischen beiden Systemen, indem sie sich der von ihnen aufgebauten höheren Ordnung unterwerfen. Die Konstruktion des Völkerrechts kann laut Kelsen daher nur in dem Sinne möglich sein, dass die Betrachtung entweder vom Standpunkt der staatlichen Rechtsordnung oder von demjenigen des Völkerrechts ausgeht, wobei für jeden der beiden Standpunkte die Ordnung des andern nicht gegeben sein kann. Weil jede dieser Ordnungen auf unterschiedlichen Ausgangspunkten basiert seien. Kelsen nennt jene Theorie, die von der staatlichen Rechtsordnung ausgeht, Anerkennungstheorie, weil sie die Souveränität der Staaten in den internationalen Beziehungen hervorheben wolle. Insofern stellt die Rechtstheorie die Aufgabe, die Souveränität des Staates mit der Vorstellung eines Völkerrechts in Einklang zu bringen.73 In diesem Zusammenhang sei die 70  Vgl. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 104. 71  Ebd., S. 111. 72  Vgl. ebd., S. 121. 73  Vgl. ebd., S. 155. Hierbei geht Georg Jellinek von der Staatengemeinschaft aus, die eine fundamentale Tatsache der Staatswissenschaft sei, deren Ignorierung



I. Nomos vs. Universalismus205

Quelle, d. h. der Geltungsgrund des Völkerrechts für den Staat sein Wille, also dieselbe Quelle wie die des staatlichen Rechts, bzw. der Wille des Staates könne nur sich selbst verpflichten. Demzufolge sind die völkerrechtlichen Normen keinerlei das Produkt einer über den Staaten stehenden höheren Macht. Weil man ansonsten nicht von der Souveränität des Staates als Autonomie im Rahmen des Völkerrechts ausgehen könnte. In diesem Zusammenhang schreibt Kelsen: „Die völkerrechtlichen Normen sind nicht das Produkt einer über den Staaten stehenden höheren Macht, welche ihm dieselben etwa aufdrängte, es ist das Völkerecht kein überstaatliches Recht, sondern es entspringt formell derselben Quelle, wie alles objektive Recht: dem Willen des rechtssetzenden Staates.“74 Die Vertreter einer dualistischen Konstruktion betrachten das Völkerrecht laut Kelsen als ein System verbindlicher Rechtsnormen, welche neben den Normen des staatlichen Rechts in Geltung stehen und mit ihnen in Konflikt geraten können. Wenn sie die Frage beantworten, warum die Normen des Völkerrechts den Einzelstaat binden, was der Grund ihrer Geltung ist, gehen sie, so Kelsen, von der von ihnen als selbstverständlich vorausgesetzten Geltung der eigenen Staatsordnung aus.75 Daher sei Völkerrecht dem Souveränitätsdogma nach Vertrag, nicht Gesetz, weil das Völkerrecht das mehreren Staaten gemeinsame, für jeden Staat durch seinen eigenen Willen geschaffene äußere Staatsrecht sei.76 Insofern entsteht das völkerrechtliche Gesetz nach dem Primat des Staatsrechts ebenso aus der staatlichen Rechtsordnung, wie das öffentliche Recht. In diesem Zusammenhang betrachtet man die wechselseitige Anerkennung zwischen Staaten, welche sich auf staatliche Interessen bezieht. Weil die ein tieferes Verständnis der staatlichen Probleme unmöglich mache. Der Staat sei in diesem Zusammenhang die höchste Form der als Herrschaft organisierten menschlichen Gemeinschaft und da die Staatengemeinschaft nur eine natürliche Nebenordnung, aber keine organisierte Über- und Unterordnung laut Jellinek ist, folgt er daraus, dass das Leben der Staatengemeinschaft sich durch die spontanen Willensäußerungen der Einzelstaaten vollziehe, welche vermöge der Gemeinschaft, in welche sie hineingestellt seien, sich gezwungen sähen, ihren Willen einzuschränken, sich selbst Normen vorzuzeichnen, welche sie in ihren Beziehungen zu anderen befolgten. Das Dasein eines Staates ist insofern nach Jellinek ein natürliches Faktum, die Anerkennung ein Akt des freien Willens der Staaten, durch welchen sie die natürliche Tatsache in einen Rechtszustand verwandeln. Darin zeige sich das Wesen des Völkerrechts als einer auf dem Willen der Staaten beruhenden Rechtsordnung. Vgl. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, in: Pauly, S. 93–99. 74  Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 170. 75  Vgl. Kelsen, Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, S. 235. 76  Vgl. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 183.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

Quellen des Völkerrechts die Staaten sind. Kelsen sieht dennoch in dieser wechselseitigen Anerkennung einen Widerspruch: „Wenn der Versuch gemacht wird, durch die Vorstellung einer wechselseitigen Anerkennung den Schein einer Koexistenz mehrerer Staaten aufrecht zu erhalten, so ist dieser Schein leicht durch die Einsicht zu zerstören, dass diese wechselseitige Anerkennung nichts anderes bedeutet, als den steten Wechsel des juristischen Erkenntnisstandpunktes, dessen Einheit aber gerade das Wesen der juristischen wie jeder Erkenntnis ist.“77

Wenn die staatliche Rechtsordnung laut Kelsen einen Vertrag mit anderen staatlichen Rechtsordnungen ausmachen wird, ordnet sie sich den gesetzten Normen unter, welche schon aus dem Vertrag hervorgegangen sind. Demzufolge könnte man nicht ebenso denselben Vertrag einseitig ändern, wie eine über den beiden als koordiniert gedachten Staaten stehende Völkerrechtsordnung. Dabei ist doch zu bemerken, dass man bei der Völkerrechtsordnung von einem Nichtkönnen, bei der Anerkennungstheorie aber von einem Nichtsollen des Staates zu sprechen geneigt sei.78 Allerdings sei die Staatssouveränität im Völkerrecht ihm zunächst nur ein ideologisches Dogma, mit dem die Unterworfenheit des Staates unter dem Völkerrecht abgewehrt werden solle.79 Für Kelsen habe das Wesen der Souveränität rechtswissenschaftlich nicht aus dem Inhalt des geltenden materiellen Rechts gewonnen werden können. Insofern habe er sich gegen einen Rechtsinhaltsbegriff der Souveränität gewandt. Nach diesem falschen Verständnis von Souveränität stelle die staatliche Souveränität ein Bündel von materiellen Kompetenzen dar.80„Als insofern vorwissenschaftlich, und da aus Begriffen ohnehin keine Rechtsnormen hergeleitet werden könnten, sondern nur umgekehrt, fordert Kelsen zunächst die Eliminierung dieses Begriffs aus der Rechtswissenschaft. Demgegenüber hält er aber die als Begriffskern in allen Souveränitätslehren erkannte Aussage logischen Zuhöchstseins für wissenschaftlich fruchtbar.“81 Die Souveränität sei bei Kelsen lediglich, so Jochan von Bernstoff, als eine logische Qualifikation zu betrachten; das „ zu Höchst sein“ sei normlogisch als nicht weiter ableitbare Ordnung von Normen zu verstehen. Hier deute sich an, wem Kelsen das normlogische-hierarchisierende Attribut der Souveränität zusprechen möchte. Nur ein Normensystem bzw. eine Rechtsordnung könne aus seiner Sicht als Souverän bezeichnet werden. Der Souverä77  Ebd.,

S. 190. ebd., S. 190. 79  Vgl. Rub, Hans Kelsens Völkerrechtslehre; Versuch einer Würdigung, S. 415. 80  Vgl. Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht: Zur Völkerrechtstheorie Hans Kelsens und seiner Schüler, S. 55. 81  Rub, Hans Kelsens Völkerrechtslehre; Versuch einer Würdigung, S. 415. 78  Vgl.



I. Nomos vs. Universalismus207

nitätsbegriff werde damit gänzlich vom personifizierten Staat oder einer anderen faktischen Willenseinheit gelöst.82 Daher kann die Souveränität bei ihm nur formell das Zeichen der Grundnormen sein, die von spezifischen materiellen Kompetenzen entkoppelt ist.83 Des Weiteren geht Kelsen auf die Theorie des Primates des Völkerrechts ein. Hierzu schreibt er: „Soll das Völkerrecht überhaupt Recht, soll es ein System gültiger Normen sein, dann muss seine Geltung in dem Sinne objektiv sein, dass sie von dem Willen der verpflichteten Subjekte unabhängig sei.“84 Indem man eine objektive Geltung des Völkerrechts den einzelnen Staaten gegenüber behauptet, stellt man, so Kelsen, sich auf den Standpunkt eines Primates des Völkerrechts.85 Daher werden die zwischenstaatlichen Beziehungen vom Standpunkt des Völkerrechts her betrachtet, indem die Geltung der eingesetzten Normen nicht auf Einzelstaaten beruhen wird, sondern auf einem über den einzelstaatlichen Rechtsordnungen stehenden Normensystem. Kelsen bezeichnet diese Ordnung als eine Universalordnung, welche die einzelnen Staaten aus ihrer Isolation heraushebt, um sie zu einer Weltgesellschaft zu verbinden:

82  Vgl. Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht: Zur Völkerrechtstheorie Hans Kelsens und seiner Schüler, S. 57. 83  Die Annahme einer Grundnorm bringt ja laut Walter die Normativität des Erkenntnisgegenstandes zum Ausdruck und manifestiert zugleich die Relativität aller Aussagen der Rechtswissenschaft, die eben nur unter dieser Grundnorm richtig sind. Vgl. Walter, Das Lebenswerk Hans Kelsens: Die Reine Rechtslehre, in: Adolf J. /  René, S. 4. 84  Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 207. 85  Kelsen unterstellt der Anerkennungstheorie die subjektivistische Anschauung, während er die Völkerrechtsordnung als objektivistische Weltanschauung darstellt. Vgl. Kelsen, Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, S. 246 f.: „So wie die subjektivistische Anschauung von dem eigenen souveränen Ich ausgeht, um die Außenwelt zu begreifen, und daher diese nicht als Außenwelt, sondern nur als Innenwelt, als Vorstellung und Willen des Ichs begreifen kann, so geht die als Primat der staatlichen Rechtsordnung bezeichnete Konstruktion vom eigenen souveränen Staat aus, um die Außenwelt des Rechts, das Völkerrecht und die andern staatlichen Rechtsordnung zu begreifen. So wie die objektivistische Weltanschauung von der realen Außenwelt ausgeht, um das Ich, nicht nur das eigene Ich des Betrachters, sondern jedes Ich, zu begreifen, dabei aber dieses Ich nicht als souveränes Wesen und Zentrum der Welt, sondern als nur als integrierenden Bestandteil der Welt bestehen lassen kann, so geht die als Primat der Völkerrechtsordnung bezeichnete Konstruktion von der Außenwelt des Rechtes, dem Völkerrecht, als gültiger Rechtsordnung aus, um die rechtliche Existenz der Einzelstaaten zu begreifen, kann dabei diese nicht als souveräne Autoritäten, sondern nur als dem Völkerrecht eingegliederte Teilrechtsordnungen gelten lassen.“

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

„Die Vorstellung ist aber nur möglich mit Hilfe einer juristischen Hypothese: dass über den als Staaten angesehenen Gemeinwesen eine Rechtsordnung steht, die die Geltungsbereiche der Einzelstaaten gegenseitig abgrenzt, indem sie Eingriffe des einen in die Sphäre des andern verhindert oder doch an gewisse, für alle gleiche Bedingungen knüpft; eine Rechtsordnung; die das gegenseitige Verhalten dieser Gemeinwesen durch für alle gleiche Normen regelt, bei der Gestaltung der besonderen Rechtsverhältnisse zwischen den einzelnen Staaten grundsätzlich jeden Rechtsmehrwert des einen gegenüber dem anderen ausschließt, und die als eine Universalordnung, die zu besonderen Rechtssubjekten personifizierten einzelstaatlichen Rechtsordnung aus ihrer Isoliertheit (und damit aus ihrer Höchstwertigkeit oder Souveränität) heraushebt, um sie – nunmehr als Teilordnungen – zu einem Ganzen, zu einer Gemeinschaft zu verbinden.“86

Demzufolge beruft sich Kelsen auf die Lehre der Grundrechte, welche sich über das Staatliche hinaus identifizieren will, weil diese Lehre sich auf das Primat des Völkerrechts bezieht. In diesem Zusammenhang werden die Grundrechte nicht durch Willkürakte der Staaten zustande gebracht, sondern sie sind eben notwendige Voraussetzung für die internationalen Willensakte der Staaten. Kelsen bezeichnet das Grundrecht als ein objektives und positives Recht, das auch nichts mit dem Naturrecht oder Moral zu tun hat, weil das Recht als solches ganz subjektiv ist.87 Da das Völkerrecht hierbei das Verhalten von Staaten, und das heißt das Verhalten der auf Grund staatlicher Rechtsordnungen als Staatsregierung fungierenden Menschen regelt, muss das Völkerrecht nach Kelsen bestimmen, was ein Staat im Sinne des Völkerrechts ist,88 weil die Staaten sich auf Grundnormen des Völkerrechts berufen. Kelsen kritisiert allerdings das Souveränitätsdogma, weil es, wie gesagt im materiellen Sinne keine juristische Konstellation hat. Sofern man die einzelstaatliche Rechtsordnung als Souverän voraussetzt, muss die Frage nach ihrer ersten Entstehung notwendigerweise, so Kelsen, außerhalb des Sachgebiets des Juristischen bleiben, weil man der Souveränität hierbei die metajuristische Natur zuzuschreiben vermag. Kelsen will eben die metajuristische Natur des Primats des Staatsrechts hinterfragen, welche ja bei Kant und Schmitt durch moralische Anweisungen oder theologische Ideen gerechtfertigt wurde. Kelsen stellt fest, dass die zahlreichen immer wieder unternommenen Versuche der Staatsrechtstheorie, welche die Entstehung des Staates juristisch zu begreifen versuchten, scheitern mussten, weil sie an dem Dogma von der Souveränität des Staates festgehalten haben, was 86  Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 204 f. 87  Vgl. ebd., S. 213. 88  Vgl. Kelsen, Die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, S. 239.



I. Nomos vs. Universalismus209

juristisch nicht untersuchbar ist.89 „Kelsen geht wissenschaftlich von der Prämisse aus, jede Wissenschaft konstituiere sich durch Eingrenzung und widerspruchsfreie Systematisierung ihres Gegenstandes. Für die Rechtswissenschaft leistet er dies durch die Grundnorm, indem die Rückführbarkeit auf diese zum Kriterium der Systemzugehörigkeit gemacht wird.“90 Dies ist ja bei dem Souveränitätsdogma nicht relevant, weil es sich auf materielle Kompetenzen, seien es moralische, seien es theologische, beruft. Unter der Hypothese des Völkerrechtsprimats kann Kelsen zufolge hingegen nicht von der Souveränität der Staaten gesprochen werden. Souveränität ist dann vielmehr die Völkerrechtsordnung. Insofern ordnen sich Staaten bei Kelsen der über ihnen stehenden juristischen Konstruktion unter, damit sie eine universale Rechtsordnung herstellen können. Dieselbe Konstruktion könne eben unterschiedliche staatliche Rechtsordnungen überwinden und Gerechtigkeit in den zwischenstaatlichen Beziehungen hervorbringen, wobei Kelsen schreibt: „Denn nur der Rekurs zu einer Völkerrechtsordnung, die über den territorial nebeneinander stehenden wie zeitlich aufeinander folgenden Staaten oder Verfassung sich erhebt, bringt die gesuchte Lösung des Problems, schlägt auch über den Abgrund, den die Revolution zwischen zwei Verfassungen legt, die Brücke des Rechts.“91 Zusammenfassend geht Kelsen hierbei von Grundrechten aus, welche nicht nur der staatlichen Souveränität vorausgehen, sondern sich als positive Normen artikulieren wollen. Kelsen vertritt weder ein Normensystem als Einheitsbezug, weil es das Völkerrecht unmöglich macht, noch das Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen beiden Systemen, weil es keine Garantie für die Gerechtigkeit in den zwischenstaatlichen Beziehungen ist und vor allem wirft Kelsen hierbei der Souveränitätslehre metajuristische Elemente vor, womit nicht Rechtswissenschaft im moderne Sinne betrieben wird. Schmitt geht zum einen im Sachgebiet der internationalen Beziehungen vom Gleichgewicht der Mächte aus, weil er das Politische hervorheben will, dem die Freund- und Feindgruppierung zugrunde liegt. Während diese Gruppierung sich der globalen Rechtsordnung entzieht, weil die Gruppierung als solche bei Schmitt, wie schon gesagt, eine existenzielle Bedeutung hat. Kant entzieht sich zum anderen der globalen Rechtsordnung, weil sie der staatlichen Rechtsordnung widerspricht und deswegen beruft er sich auf Moral im Sachgebiet der zwischenstaatlichen Beziehungen. Allerdings basiert das Souveränitätsdogma nach Kelsen auf einer metajuristischen Idee, 89  Vgl. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 236. 90  Rub, Hans Kelsens Völkerrechtslehre; Versuch einer Würdigung, S. 420. 91  Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 238.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

weil dessen Ausgangspunkt nicht das positive Recht, sondern Moral oder Theologie ist. Schmitt geht nicht von der universalen Rechtsordnung aus, weil er sich auf die konkrete Ordnung bezieht, welche Ordnung und Ortung zusammenbringen will. Pattloch schreibt: „Das konkrete Ordnungsdenken Carl Schmitts zielt keinesfalls auf eine absolute Wahrheit oder auf eine einheitliche-universelle logische Struktur der Wirklichkeit ab. Die Möglichkeit der Erfassung einer Wirklichkeit mit unwandelbarem, einheitlichem, logischstrukturiertem Wesensgehalt wird von Carl Schmitt entschieden geleugnet. Für ihn gilt einzig und allein die Richtigkeit einer Sache und Frage in einer jeweils konkreten Situation.“92 Genauer gesagt, nimmt Schmitt eine perspektivische Sicht ein, die einer globalen Erkenntnis zu entkommen vermag. hierzu schreibt Pattloch: „Man muss hier wiederum den Perspektivismus des konkreten Ordnungsdenkens berücksichtigen, um zu verstehen, mit welchem Abscheu Carl Schmitt gerade Konfessionskriege oder überhaupt gerechte Kriege verwirft; alle Begriffe wie Gott, Religion, Menschheit, Gerechtigkeit sind für ihn universal- monistische Begriffe, die nichts, aber auch gar nichts konstituieren, wenn sie auch unter gewissen Voraussetzungen als regulative Ideen ihre Nützlichkeit haben können.“93

Hierbei soll aufgrund dieses Perspektivismus untersucht werden, welche Theorie Schmitt der globalen Rechtsordnung gegenüber entwickelte, die einerseits das Prinzip der staatlichen Souveränität nicht verletzt und anderseits eine Garantie für Frieden in der Welt ist.

II. Großraum als Alternative der globalen Welt 1. Entpolitisierung der Welt Es wurde im ersten Kapital gezeigt, dass der Hauptfeind für Schmitt das herrschende System liberaler Begriffe war. Dem Liberalismus warf er vor, alle politischen Begriffe zu entpolitisieren, aus dem Kampf Konkurrenz und Diskussion zu machen, aus Staat Gesellschaft und Menschheit, aus Volk Konsumenten und Publikum, aus Macht Kontrolle und Propaganda.94 Schmitt hält doch die Entpolitisierung der Welt für eine Illusion, weil der Liberalismus nicht der Freund- und Feindgruppierung entkommen könne. Schmitt teilt hierbei die Neuzeit in Zentralgebiete ein, welche er mit den jeweiligen Jahrhunderten, vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, gleichsetzt. 92  Pattloch,

Recht als Einheit von Ordnung und Ortung, S. 32. S. 103. 94  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 66. 93  Ebd.,



II. Großraum als Alternative der globalen Welt211

Unter Zentralgebieten versteht Schmitt Zentren des geistigen und politischen Streits. Dieser Streit wird durch das jeweils folgende Zentralgebiet neutralisiert. D. h. der Konflikt wird entpolitisiert, der Streit wird befriedet. Hierzu schreibt er: „Erinnern wir uns der Stufen, in denen sich der europäische Geist der letzten vier Jahrhunderte bewegt hat, und der verschiedenen geistigen Sphären, in denen er das Zentrum seines menschlichen Daseins fand. Es sind vier große, einfache, säkulare Schritte. Sie entsprechen den vier Jahrhunderten und gehen vom Theologischen zum Metaphysischen, von dort zum Humanitär-Moralischen und schließlich zum Ökonomischen.“95 In den vergangenen vier Jahrhunderten europäischer Geschichte hatte das geistige Leben allerdings, so Schmitt, vier verschiedene Zentren. Es ist doch zu beachten, dass die spezifischen Begriffe der einzelnen Jahrhunderte ihren charakteristischen Sinn von dem jeweiligen Zentralgebiet des Jahrhunderts erhalten. Hierzu führt Schmitt aus: „So ergibt sich für ein theologisches Zeitalter alles von selbst, wenn die theologischen Fragen in Ordnung gebracht sind; alles andere wird den Menschen dann zugegeben werden. Entsprechend für die anderen Zeitalter: für eine humanitärmoralische Zeit handelt es sich nur darum, die Menschen moralisch zu erziehen und zu bilden, alle Probleme werden zu Erziehungsproblemen; für eine ökonomische Zeit braucht man nur das Problem der Gütererzeugung und Güterverteilung richtig zu lösen … .“96

Wenn ein Gebiet zum Zentralgebiet wurde, so sind die Probleme der anderen Gebiete laut Schmitt von dort aus aufgelöst worden, weil das Zentralgebiet eine Perspektive vorstellen wollte, um sich mit dieser um alle verschiedenen Probleme zu kümmern. Es ist bei Schmitt zu bemerken, dass alle Zentralgebiete einen Rhythmus von Streit und Befriedung, von Entpolitisierung und Politisierung erfahren haben; d. h. sie konnten sich letztendlich nicht dem Politischen entziehen, weil das Neutralgebiet sich im Laufe der Zeit ins Kampfgebiet umgewandelt habe.97 In diesem Zusammenhang schreibt Schmitt: „Immer wandert die europäische Menschheit aus einem 95  Ebd.,

S. 74. S. 79. 97  Zum Widerspruch zwischen dem Schmittschen Existenzielismus und Schmitts Darstellung der Zentralgebiete, vgl. Ottmann, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, in: Mehring, S. 161: „Schmitts Begriff von Politik war gegen Ende der 20er Jahre ein existentieller geworden. Politik war demnach ein Kampf um Sein oder Nicht-Sein. Feindschaft sollte sich nicht durch geistige Motive bestimmen, sondern durch bloßes „Da“ und „Anderssein“ des Feindes. Die Zentralgebiete mit ihrer Fokussierung im geistigen Streit hätten somit eine Gefahr für den Schmittschen Existentialismus darstellen können. Je prominenter die Zentralgebiete mit ihren geistigen Streitquellen geworden wären, umso mehr wäre das Pathos des rein Existentiellen gefährdet gewesen. Das angeblich rein Existentielle hätte sich als abhängig erweisen können von den geistigen Streitfragen der jeweiligen Zeit.“ 96  Ebd.,

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

Kampfgebiet in neutrales Gebiet, immer wird das neu gewonnene neutrale Gebiet sofort wieder Kampfgebiet und wird es notwendig, neue neutrale Sphären zu suchen.“98 Insofern erzeuge die Säkularisierung in der modernen Zeit nichts neues, sondern einen bloßen Wechsel der Instanzen.99 Mit anderen Worten hätte die Säkularisierung das Kampfgebiet, was bei Schmitt immer ein politisches Gebiet bedeutet, zu neutralisieren versucht. Hierzu bezieht Schmitt allerding die Zentralgebiete und den Entwicklungsverlauf des neuzeitlichen Staates aufeinander. Hierzu schreibt Henning Ottmann: „Der Leser muss sich hinzudenken, wie die Transformationen des neuzeitlichen Staates, vom absoluten über den neutralen zum totalen Staat, mit der Abfolge der Zentralgebiete zu parallelisieren sind. Schmitt scheint die Zentralgebiete eher als Zentren des geistigen als des politischen Streits darstellen zu wollen. Zwar kommt die Politik ins Spiel. Aber sie wird nicht über den Begriff des Staates eingeführt.“100 Die Neuzeit ist bei Schmitt eine Kette von Glaubenskämpfen, in denen der Glaubenskrieg immer neue Formen annimmt. Am Anfang der Neuzeit stehen der Glaube und der Glaubenskrieg. Im 20. Jahrhundert herrscht auch wieder ein Glaube, der Glaube an die Technik und deren segensreiche Fortschritte. Die Neutralität der Technik sei doch etwas anderes als die Neutralität aller bisherigen Gebiete. Die Technik sei immer nur Instrument und Waffe, und eben weil sie jedem diene, sei sie nicht neutral.101 Da die Technik keine Völker und Staaten kenne, könne irgendeine Person sie verwenden um ihre spezifische Idee umzusetzen. Insofern geht Schmitt davon aus, dass aus nur technischen Prinzipien und Gesichtspunkten sich weder eine politische Fragestellung noch eine politische Antwort ergebe. Hierbei führt Henning Ottmann einen Unterschied zwischen der Vorstellung Schmitts und Spenglers von Technik ein: „Schmitt und Spengler, sie beide deuten den Glauben an die Technik als eine Art von Religion. Der Unterschied zwischen beiden liegt allerdings darin, dass Schmitt, anders als Spengler, nicht in der Pose des Untergangspropheten auftritt.“102 Schmitt wollte nämlich die Technizität nicht als letzte Phase der Welt ansehen. Technik ist für ihn kein Zeichen des nahenden Endes. Der Technizität will Schmitt sogar Geist zuschreiben, der zu der neuen Vision der internationalen Beziehungen in der Welt führt, indem Schmitt sich auf eine theologische Idee, d. h. die Lehre vom Katechon beruft, die im Folgenden erklärt wird. 98  Schmitt,

Der Begriff des Politischen, S. 82. Ottmann, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, in: Mehring, S. 165. 100  Ebd., S. 160. 101  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 83. 102  Ottmann, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, in: Mehring, S. 166. 99  Vgl.



II. Großraum als Alternative der globalen Welt213

2. Katechon als Aufhalter der Welteinheit Bevor auf Schmitts These, nämlich die Großraumlehre eingegangen wird, ist auf die Lehre vom Katechon hinzuweisen, welche Schmitt vom Christentum aufnahm und die eben eine starke Auswirkung auf die Großraumlehre hinterließ. „Eine der rätselhaftesten Stellen des Neuen Testaments ist ohne Zweifel das Paulus-Wort über den bzw. das Katechon in dem zweiten Brief an die Thessalonicher. Im Verlauf der Jahrhunderte hat sich eine Fülle von Deutungen ergeben, und noch heute bemühen sich Theologen und Philologen um die einzige wirklich vernünftig-logische Entschlüsselung des Rätsels.“103 Hintergrund des Katechon sei die Lehre von Paulus an die Thessalonicher, dass der Tag, an dem der Herr komme, also das Jüngste Gericht bei den Christen, nicht unmittelbar bevorstehe. Bevor die Apokalypse, bzw. das Ende der Geschichte komme, müsse der Feind Gottes auftreten, der alles Böse in sich vereinige. Dies könne nicht geschehen, solang der Feind Gottes aufgehalten werde. Dieser werde ein Mensch sein, der sich in radikalster Weise gegen Gott wende und der auch nicht davor zurückschrecke, sich selbst als Gott anbeten zu lassen.104 Insofern bleibt der Herr solange im Verborgenen, als es den Aufhalter, bzw. den Katechon gibt. Schmitt datiert im Glossarium seine Bekanntschaft mit dieser Lehre in das Jahr 1932 (Eintragung vom 11. 1. 48). Schmitt schreibt: „Ich glaube an den Katechon; er ist für mich die einzige Möglichkeit, als Christ Geschichte zu verstehen und sinnvoll zu finden.“105 103  Grossheutschi, Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon, S. 9. Vgl. Rasch, Messias oder Katechon? Carl Schmitts Stellung zur politischen Theologie, in: Brokoff / Fohrman, S. 53. Vgl. Laska, Katechon und Anarch: Carl Schmitts und Ernst Jüngers Reaktionen auf Max Stirner, S. 35 f. 104  Vgl. Grossheutschi, Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon, S. 12. Er war aber vielleicht nach Henning Ottmann dieser Lehre des zweiten Briefes an die Thessalonicher schon früher begegnet, etwa durch die Vermittlung von Peterson, den er seit 1924 kannte. Die Geschichte sei von Schmitt jedenfalls als eine dem Menschen eingeräumte Frist verstanden worden. Das Ende aller Tage sei verheißen gewesen. Da es aber noch nicht eingetreten gewesen sei, habe es aufgehalten worden sein müssen. Vgl. Ottmann, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, in: Mehring, S. 166. 105  Schmitt, Glossarium; Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951, in: Medem, S. 63. Vgl. Heimes, Politik und Transzendenz, S. 68–70, hier 68: „Mit der Lehre vom Katechon gewinnt Schmitts Werk an christlich-apokalyptischem Charakter. Er öffnet mit dieser Figur das Feld der innerweltlichen Politik zum Transzendenten, bindet sie ein in einen großen Rahmen christlicher Geschichtsphilosophie und schließt somit die Politik an einen Erlösungsprozess christlichen Entwurfs an.“ Die Vorstellung des Katechon leistet ein Dreifaches, vgl. Meier, Die Lehre Carl Schmitts: Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, S. 246: „Zum einen erklärt sie die Parusie-Verzögerung, sie bietet eine Antwort auf die Frage an, aus welchem Grund es überhaupt noch Geschichte gibt. Zu dem Zweck war der

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

In diesem Zusammenhang habe das Imperium Romanum die Rolle des Aufhalters gespielt, indem dieses Heilige Reich das Auftauchen des Antichristen verhindert habe. Anderenfalls hätte der Antichrist auftauchen müssen und es wäre die Welt untergegangen. Reich bedeutet hier laut Schmitt die geschichtliche Macht, welche das Erscheinen des Antichristen und das Ende des gegenwärtigen Äon aufzuhalten vermag.106 Als das Römische Reich sich in das deutsche Kaiserreich verwandelte, hielt Thomas v. Aquin nicht, so Felix Grossheutschi, daran fest, dass das römische Reich im Reich der deutschen Kaiser weiterlebt, obwohl der Antichrist sonst erschienen wäre. Daher versuchte Thomas v. Aquin eine Lösung zu finden um dieses Problem zu beheben. Hierzu vertrat laut Felix Grossheutschi Thomas v. Aquin diese These: „das Imperium Romanum hat eine Wandelung erfahren, d. h. es wurde von einem zeitlichen zu einem geistigen Reich. In zeitlicher Hinsicht ist das Imperium Romanum längst untergegangen, die Völker haben sich zerstreut; in geistiger Hinsicht existiert es als Glaube der römischen Kirche weiter. Erst der Abfall nicht nur von dem zeitlichen, sondern auch von dem geistigen Imperium Romanum führt zu Erscheinung des Antichristen.“107 Es ist doch zu bemerken, dass diese Idee im Zeitalter der Aufklärung ihre Werte verlor. „(Denn) die Reformation brachte insoweit eine Änderung in der Katechon-Deutung, als der Antichrist für Luther bereits gekommen war, die aufhaltende Macht also der Vergangenheit angehörte. Seit 1520 glaubte er fest, im Papsttum den Antichristen sehen zu müssen. Der Papst wurde so zum offiziellen Antichristen des Protestan­ tismus.“108 Diese neue Interpretation von Katechon führte zwangsläufig zu der Entwertung desselben und so verlor der Begriff für die Deutung der politischen Gegenwart seine entscheidende Rolle. Schmitt als ein Katholik nahm jedoch den Faden auf und versuchte die Lehre vom Katechon zu rekonstruieren. Der Katechon ist bei Schmitt daran zu erkennen, dass er die Welteinheit nicht erstrebt, weil die Einheit der Welt das Ende der Welt bedeutet, was die Entstehung des Antichristen zur Konsequenz hat. Mit anderen Worten ist der Katechon bei Schmitt insofern bemerkenswert, als diese Lehre das Ende der Welt, d. h. Entstehung des Ausdruck von Paulus ursprünglich eingeführt worden. Zum anderen schützt sie das geschichtliche Handeln vor Mutlosigkeit und Verzweiflung angesichts eines scheinbar übermächtigen historischen Prozesses, der auf das Ende hin fortscheitet. Zum dritten feit sie das geschichtliche Handeln umgekehrt gegen die Geringschätzung für Politik und Geschichte in der Gewissheit des verheißenen Sieges.“ 106  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 29. Vgl. Motschenbacher, Katechon oder Großinquisitor?: Eine Studie zu Inhalt und Struktur der Politischen Theologie Carl Schmitts, S. 205. 107  Grossheutschi, Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon, S. 55. 108  Ebd., S. 55.



II. Großraum als Alternative der globalen Welt215

Antichristen aufhalten kann. Das Letztere deutet darauf hin, dass Schmitt den Katechon als Aufhalter des Politischen, und zwar der Freund- und Feindgruppierung, verstehen will. Hierzu ist zu betrachten, dass Schmitt die Welteinheit als nihilistische Zentralisierung bezeichnet, die zur Zerstörung des Rechts führt.109 Insofern ist die so gefasste Katechon-Idee für Schmitt als Christ eine geschichtstheologische Notwendigkeit, die zu diversen politischen Ordnungen in der Welt führt, wobei er in Bezug auf das Mittelalter schreibt: „Ganze Jahrhunderte der mittelalterlichen christlichen Geschichte und deren Idee des Reiches beruhen auf der Überzeugung, dass das Reich eines christlichen Fürsten die Aufgabe hat, ein derartiger Katechon zu sein.“110 Folglich verbindet Schmitt hier auf eigenartige Weise zwei Deutungen des Katechon miteinander: „Zum einen der heilsgeschichtliche Aufhalter des realen, physischen Endes der Welt veranschaulicht an den mittelalterlichen Kaisern und zum anderen der Aufhalter als notwendige Kategorie echten historischen Denkens.“111 Politisch betrachtet schreibt William Rasch: „Der Katechon, als Figur des Politischen, weist das Versprechen der Parusie zurück und schützt die Gemeinschaft sowohl vor der gefährlichen Illusion letztgültiger Vollkommenheit, wie auch vor derjenigen eines absoluten Bösen. Das Politische zu akzeptieren kann nur dann als nihilistisch betrachtet werden, wenn man sich der Hoffnung hingibt, die Stadt der Menschen schon hier auf Erden durch die Stadt Gottes zu ersetzen, wenn man sich also kein Drittes denken kann zwischen dem absoluten Guten und dem absoluten Bösen.“112

Es ist grundlegend, dass Schmitt nicht vom dem Staat, sondern vom Reich ausging. Schmitt schreibt: „Reich bedeutet hier die geschichtliche Macht, die das Erscheinen des Antichrist und das Ende des gegenwärtigen Äon aufzuhalten vermag.“113 Insofern schreibt Schmitt dem Reich die Rolle des Aufhalters zu, welches die Einheit der Welt, d. h. das Auftauchen des Antichristen verhindern würde. Hierzu geht Schmitt nicht von einem 109  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 159. Schmitt hält daran fest, dass das Heidentum keines geschichtlichen Denkens fähig ist, weil es zyklisch denkt. Insofern seien der aufklärerische und der positivistische Fortschrittsglaube nur säkularisiertes Judentum und Christentum gewesen. Das Christentum ist hierbei laut Schmitt in seinem Wesenskern keine Moral und keine Doktrin, keine Bußpredigt und keine Religion im Sinne der vergleichenden Religionswissenschaft, sondern ein geschichtliches Ereignis von unendlicher, unbesitzbarer, unokkupierbarer Einmaligkeit. Vgl. Motschenbacher, Katechon oder Großinquisitor?: Eine Studie zu Inhalt und Struktur der Politischen Theologie Carl Schmitts, S. 206. 110  Schmitt, Die Einheit der Welt, in: Maschke, S. 850. 111  Vgl. Grossheutschi, Carl Schmitt und die Lehre vom Katechon, S. 91. 112  Rasch, Messias oder Katechon? Carl Schmitts Stellung zur politischen Theologie, in: Brokoff / Fohrman, S. 53. 113  Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 29.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

Reich, sondern von diversen Reichen aus, weil das Reich als solches sich auf die Einheit von Ordnung und Ortung bezieht. Das Problem besteht jedoch darin, solange die westlichen Imperien Schmitt zufolge die Weltordnung prägen, kann sich das Reich nicht seinem eigenen Wesen nach entwickeln. Im Folgenden wird auf den Reich-Begriff, woraus Schmitt seine These im Sachgebiet der internationalen Beziehungen entwickelte, fokussiert. 3. Die konkrete völkerrechtliche Ordnung Das klassische Völkerrecht war, wie gesagt, ein europäisches Recht, welches die europäischen Staaten im Zuge ihrer kolonialen Eroberungen auf die ganze Welt ausdehnten. „Da die Kolonialgebiete nicht selbstständig waren, handelte es sich in Wirklichkeit stets um die Beziehungen zwischen europäischen Staaten, auch wenn sich diese auf fremden Kontinenten gegenüberstanden. Mit der Aufnahme der Türkei und Japan in den Kreis der Völkerrechtsgemeinschaft begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Ausweitung des Völkerrechts über den christlich-abendländischen Kulturkreis hinaus.“114 Mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges zerstoben die letzten Reste des Konzepts des Gleichgewichts der Mächte, wie es dem System des Wiener Kongresses zugrunde lag. Die Entscheidung für den Krieg, die im klassischen Völkerrecht allein Sache des zum Krieg schreitenden Staates gewesen war, wurde nach den bitteren Erfahrungen des ersten Kriegs ausdrücklich zur Angelegenheit der organisierten Völkerrechtsgemeinschaft erklärt, wobei die Pariser Friedenskonferenz, die vom 18. Januar 1919 bis zum 21. Januar 1920 stattfand, das Ziel hatte, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Friedensbedingungen festzulegen. Um die neue Perspektive im Völkerrecht zu vergegenwärtigen, sind die Pariser Friedensverhandlungen, also die sog. Versailler Konferenz mit dem Wiener Kongress zu vergleichen. Hierbei schreiben Normen Paech: „Auf beiden Konferenzen wollten die Staatenvertreter einen sog. Ewigen Frieden durch einen internationalen universellen Mechanismus begründen. Ein wesentlicher Unterschied bestand aber darin, dass im Fall des Wiener Kongresses das jus ad bellum reguliert, mitnichten jedoch jede militärische Gewaltanwendung zwischen Staaten ausgeschlossen werden sollte. In Versailles hingegen sollte mit dem Völkerbund ein kollektiver universeller, nicht nur auf Europa beschränkter Mechanismus geschaffen werden, der den Ausbruch eines Krieges und militärische Gewaltanwendung zwischen Staaten letztlich ganz ausschloss.“115

114  Hobe,

115  Paech,

S. 156.

Einführung in das Völkerrecht, S. 51. Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen,



II. Großraum als Alternative der globalen Welt217

Das erste Dokument, das von dem großen Umbruch des Völkerrechts Zeugnis gebe, sei die Satzung des Völkerbunds.116 Der Völkerbund, konzeptioniert als universale Organisation, habe wichtige Funktionen zur Durchsetzung des Versailler Vertrages gegenüber den überlegenen Mittelmächten erhalten, also zur Regulierung der Kriegsfolgen.117 „Unter den Prinzipien, die in ihrer Präambel genannt werden, nimmt das Versprechen der Staaten, bestimmte Verpflichtungen zu übernahmen, nicht zum Kriege zu schreiten, den ersten Platz ein.“118 Im klassischen Völkerrecht hatte die Entscheidung über Krieg und Frieden konkrete Rechtsfolgen; sie selbst aber war eine politische, von keiner höheren Instanz nachprüfbare Entscheidung. Jetzt wurde sie zur Rechtsfrage, die einer Nachprüfung durch eine internationale Instanz unterworfen war. Da der Völkerbund ein Teil des Diktats von Versailles gewesen sei, habe er sich bei den besiegten Staaten weniger Sympathien erfreutet und habe in der Folge auch die in ihn gesetzten Erwartungen nur in einem geringen Maße erfüllen können.119 Hierzu gehörte Deutschland zu einem der besiegten Staaten, dessen Intellektuellen vor allem im NS-Regime, wie Carl Schmitt, das neue Völkerbundsystem kritisierten. „Schon während der Weimarer Zeit hatte nur eine Minderheit von Völkerrechtlern, wie der prominenteste unter ihnen, Hans Kelsen, oder Hans Wehberg, den Völkerbund grundsätzlich akzeptiert. Die Behandlung Deutschlands in den Versailler Verträgen empfanden sie noch nicht einmal als ungerecht wie die überaus große Mehrheit, von der sie als Pazifisten oder als Erfüllungspolitiker bezeichnet wurden.“120 Durch die gesamte Weimarer Zeit hindurch habe Schmitt sich von den Nazis ferngehalten, obschon seine Thesen oft genug denjenigen sehr nahe gekommen seien, die von bekennenden Nazi-Juristen wie etwa Otto Koellreutter verfochten worden seien.121 Das alte System kennzeichnete er, laut Harald Kleinschmidt, als Instrument der Unterdrückung, indem er auf den Versailler Vertrag verwies, durch den Deutschland in eine besondere, rechtlich abnorme Lage gebracht worden sei; denn es sei kein gleichberechtigter Staat.122 Hierbei setzt sich Schmitt mit der neuen Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 51. Paech, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, S. 157. Zur Ausweitung des partiellen Kriegsverbots im Völkerbund und Briand-Kellogg-Pakt, vgl. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 48–50. 118  Vgl. ebd., S. 45. 119  Vgl. Fischer, Allgemeines Völkerrecht, S. 28. 120  Paech, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, S. 214. 121  Vgl. Kleinschmidt, Carl Schmitt als Theoretiker der internationalen Beziehungen, in: Studien zur internationalen Politik, S. 17. 122  Vgl. ebd., S. 23. 116  Vgl. 117  Vgl.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

globalen Weltordnung auseinander, welche durch den Völkerbund geprägt wurde und er stellt seine These, nämlich die konkrete Weltordnung heraus, die seinerseits zwischen dem überkommenen Gleichgewicht der Mächte und der globalen Weltordnung steht. Während Schmitt sich in der Weimarer Republik auf den Staatsbegriff einließ, rückte er ganz beim NS-Regime vom Staat ab. Schmitt entwarf nämlich eine neue These in den internationalen Beziehungen, welche er als dritten Weg bezeichnete. 1939 schrieb er: „In dieser Lage besteht die Aufgabe der deutschen Völkerrechtswissenschaft darin, zwischen einer nur konservativen Beibehaltung des bisherigen zwischenstaatlichen Denkens und einem von dem westlichen Demokratien her betriebenen, unstaatlichen und unvölkischen Übergreifen in ein universalistisches Weltrecht den Begriff einer konkreten Großraumordnung zu finden, der beiden entgeht und sowohl den räumlichen Maßen unseres heutigen Erdbildes als auch unseren neuen Begriffen von Staat und Volk gerecht wird.“123

Schmitt betrachtete während der Herrschaft der Nationalsozialisten das zwischenstaatliche Völkerrecht als eine überkommene Denkweise. Denn er ging davon aus, dass die Entstehung des dritten Reichs den Staatsbegriff überwunden hat. Stattdessen bringt Schmitt den Volksbegriff vor, weil die Rolle des Volks im dritten Reich laut ihm hervorgehoben sei.124 Es ist doch zu bemerken, dass Schmitt nicht auf die Rolle des Staates bei seiner Theorie verzichten wollte, weil der Staat das Volk organisatorisch mobilisieren könne. Dabei schreibt er: „Nur darf nicht übersehen werden, dass im bisherigen Staatsbegriff ein Mindestmaß von innerer, berechenbarer Organisation und innerer Disziplin enthalten ist und dass dieses organisatorische Minimum die eigentliche Grundlage all dessen bildet, was man als die konkrete Ordnung Völkerrechtsgemeinschaft ansehen konnte.“125 Der Unterschied besteht doch darin, dass Schmitt nunmehr sich nicht mehr so sehr auf die Staaten, wie das Reich, bzw. das Volk fokussieren wollte. Aus dieser neuen Perspektive her entwickelte Schmitt im Dritten Reich die Großraumlehre, welche nach dem zweiten Weltkrieg in der Schrift „Der Nomos der Erde“ weiterentwickelt wurde. Schmitts Großraumstheorie beruft sich auf das Interventionsverbot, was die methodisch grundlegende Kritik der nach dem ersten Weltkrieg herrschenden Weltordnung war. Schmitt stößt methodisch nämlich gegen den Positivismus vor, der sich auf die objektiven Gesetze berufen will, deren Geltung prinzipiell über eine spezifische staatliche Rechtsordnung hinausgeht. In diesem Zusammenhang schreibt er: 123  Schmitt, Der Reichsbegriff im Völkerrecht, in: Positionen und Begriffe: Im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles 1923–1939, S. 353. 124  Vgl. ebd., S. 349. 125  Ebd., S. 349.



II. Großraum als Alternative der globalen Welt219 „Bei aller humanitären Ideologie und weltanschaulichem Pazifismus wurde doch immer betont, dass es sich um positives Völkerrecht handle und die Jurisprudenz eine positiv-rechtliche Wissenschaft bleibe, deren Recht nur Zwangsnorm und nichts anderes war. Gerade Rechtslehrer, die von einer normativistischen reinen Rechtslehre sprachen, lehnten das Naturrecht ab und legten großen Wert darauf Positivisten zu sein.“126

Historisch betrachtet stellt Schmitt fest, dass die positive Grundlage dieses positivistischen Rechtsbetriebes der Versailler Vertrag mit den anderen Pariser Vorortverträgen sei.127 „Den Grund dafür, dass dieses universale Völkerrecht als abstraktes Normensystem der politischen Wirklichkeit nicht mehr gerecht werde, sieht Schmitt in der Ausdehnung des spezifisch europäischen Völkerrechts. Durch seine Entortung, d. h. die Loslösung von spezifischen räumlichen Voraussetzungen, und seine Übertragung auf die ganze Erde unter Missachtung räumlicher kontinentaler Zusammenhänge verflachte es von einer konkreten Ordnung zum leeren Normativismus angeblich allgemein anerkannter Regeln.“128 Schmitt findet die Lösung in einer Re-Ortung des Völkerrechts, in einem Pluralismus in sich geordneter, koexistierender Großräume, Interventionssphären und Kulturkreise, der das neue Völkerrecht der Erde bestimmt. Mit seinen Studien über den Raum und Großraum versucht er laut Harald Kleinschmidt den Versailler Vertrag aus den Angeln zu heben und dessen Bestimmungen über internationale Grenzen und die Staatsgebiete zu revidieren.129 Um den Versailler Vertrag verkraften zu können, bezieht sich Schmitt hierbei auf die Monroe-Doktrin, welcher eben das Interventionsverbot zugrunde lag. Monroes Lehre sei die erste Erklärung in der Geschichte des modernen Völkerrechts, die von einem Großraum gesprochen und für ihn den Grundsatz der Nichtintervention raumfremder Mächte aufgestellt habe.130 Demzu126  Schmitt, Nationalsozialismus und Völkerrecht, in: Maschke, S. 395. Zum positiven Völkerrecht u. a. vgl. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte: ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, in: Ritterbusch, S. 30: „In der völkerrechtswissenschaftlichen Systematik und Begriffsbildung ist die Behandlung der wichtigen Frage völkerrechtlicher Raumordnungsprinzipien im letzten Jahrhundert völlig vernachlässigt worden. Das erklärt sich durch die Herrschaft eines leeren Gesetzes- und Vertragspositivismus, der nichts anderes war, als das juristische Instrument der Legalität und Legitimität des status quo, und zwar hauptsächlich des status quo von Versailles.“ 127  Vgl. Schmitt, Nationalsozialismus und Völkerrecht, in: Maschke, S. 396. 128  Gruchmann, Nationalsozialistische Großraumordnung: Die Konstruktion einer deutschen Monroe-Doktrin, S. 25. 129  Vgl. Kleinschmidt, Carl Schmitt als Theoretiker der internationalen Beziehungen, in: Studien zur internationalen Politik, S. 44. 130  Vgl. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte: ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, in: Ritterbusch,

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

folge bedeutet Großraum bei Schmitt einen politischen Raum für einen starken Staat als Reich, in dem er seine Idee entwickeln könnte. Mit der Großraumordnung sei ein über das Staatsgebiet weit hinausgehender Raum bezeichnet, ein Großraum im völkerrechtlichen Sinne des Wortes. Die überkommene amerikanische Völkerrechtslehre habe eben ihn juristisch als eine Zone der Selbstverteidigung konstruiert.131 Schmitts versucht somit, eine Monroe-Doktrin für Deutschland zu konstruieren und sie auf Europa anzuwenden.132 Dabei ist der Unterschied zwischen Großraum, Reich und Staat bei Schmitt zu bemerken. Er schreibt: „Der Großraum ist natürlich nicht identisch mit dem Reich in dem Sinne, dass das Reich der von ihm vor Interventionen bewahrte Großraum selber wäre; und nicht jeder Staat oder jedes Volk innerhalb des Großraumes ist selber ein Stück Reich, sowenig jemand bei der Anerkennung der Monroedoktrin daran denkt, Brasilien oder Argentinien zu einem Bestandteil der Vereinigten Staaten von Amerika zu erklären. Wohl aber hat jedes Reich einen Großraum, in den seine politische Idee ausstrahlt und der fremden Interventionen nicht ausgesetzt sein darf.“133 D. h. Schmitt geht von einem starken Staat als Reich aus, dessen politische, wirtschaftliche und kulturelle Auswirkung über denselben Staat hinausgreift. Das bedeutet aber nicht, dass das Reich die ihm unterworfenen Staaten annektieren wolle. Hierzu schreibt Lothar Gruchmann: S. 41. Als Monroe-Doktrin wird derjenige Teil der Rede zur Lage der Nation vom 2. Dezember 1823 bezeichnet, in der der US-Präsident James Monroe vor dem Kongress die Grundzüge einer langfristigen Außenpolitik der Vereinigten Staaten entwarf und die angloamerikanische Variante des Panamerikanismus entscheidend prägte. Darin erklärte er, dass jede weitere Errichtung von Kolonien in der neuen Welt durch eine europäische Macht oder jeder Versuch, das europäische System dort einzuführen, als unfreundlicher Akt angesehen werde und dass die Vereinigten Staaten ihrerseits sich von rein europäischen Angelegenheiten fernhalten würden. Damit war klargestellt, dass das europäische Konzert in der Form der Heiligen Allianz zumindest seine Grenze an der Atlantikküste fand. Vgl. Paech, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, S. 92. 131  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 256. 132  Der Versuch der nationalsozialistischen Großraumpolitik, die Monroe-Doktrin als Vorbild für das eigene Handeln hinzustellen, wurde von einer Reihe von Großraumtheorien verschiedener Herkunft und Richtung begleitet. Hierzu kann man von zwei Hauptschulen im NS-Regime sprechen, nämlich von der geopolitischen und der biologischen Schule. Vgl. Gruchmann, Nationalsozialistische Großraumordnung: Die Konstruktion einer deutschen Monroe-Doktrin, S. 21. Schmitt gehörte hierbei der geopolitischen Schule an und deswegen verwarfen SS-Autoren wie Höhn und Diener Schmitts Begriff des Großraumes als zu abstrakt und nicht in rassistischen Kategorien gründend. Wo Schmitt das Reich wollte, wollten die SS-Leute im Endeffekt den Holocaust. Vgl. Kleinschmidt, Carl Schmitt als Theoretiker der internationalen Beziehungen, in: Studien zur internationalen Politik, S. 35. 133  Schmitt, Der Reichsbegriff im Völkerrecht, in: Positionen und Begriffe: Im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles 1923–1939, S. 344.



II. Großraum als Alternative der globalen Welt221 „Ein Reich sei die Voraussetzung für jeden Großraum. Großmächte nämlich, deren politische Idee in einen bestimmten Großraum ausstrahlt und die für diesen Großraum die Interventionen fremdräumiger Mächte grundsätzlich ausschließen, sind in der Gegenwart nach Schmitt nicht mehr Staaten, sie erheben sich vielmehr über die Staaten dieses betreffenden Raumes, die von ihnen zu einer neuen Ordnung zusammengefasst werden.“134

Mit seiner Vorbereitung einer deutschen Monroe-Doktrin rechtfertigte Schmitt letztlich im NS-Regime die deutsche militärische Expansion nach Mittel- und Osteuropa. Es ist jedoch theoretisch zu bemerken, wenn Schmitt den Inhalt der ursprünglichen Monroe-Doktrin als die Nichtintervention außeramerikanischer Mächte in diesen (d. h. amerikanischen) Raum bezeichnet, so ist das teilweise falsch. Hierzu schreibt Lothar Gruchmann: „Die ursprüngliche Monroe Doctrine richtet sich nicht gegen jede europäische Intervention auf dem amerikanischen Kontinent: für die Beziehungen der europäischen Staaten zu ihren amerikanischen Kolonien erklärt sich die Monroe Doctrine nicht zuständig und beweist damit ihren defensiven Charakter. Allerdings bleibt das geographische Prinzip insofern gewahrt, als europäische Mächte mit amerikanischen Besitzungen deshalb nicht als amerikanische Staaten gelten. Aber auch Intervention europäischer Staaten in ihre gegenseitigen Kolonialgebiete berühren die Doktrin nicht.“135 Während Schmitt theoretisch mittels seiner These den deutschen Aufmarsch in den Nachbarländern im NS-Regime rechtfertigte, ist doch zu betrachten, dass neue Mächte im Laufe des zweiten Weltkrieges, wie die USA, Sowjetunion und China in der Welt auftauchten, welche die Gleichgewichtstheorie als eine europäische und klassische Theorie sinnlos gemacht hatten. Europa wurde hierbei nicht mehr als Zentrum der Welt betrachtet. Von daher inspirierte die Monroe-Doktorin Schmitt dazu, eine neue Völkerrechtstheorie zu entwickeln. Er betonte ja darauf, „dass wir hier nicht eine deutsche Monroedoktrin vorschlagen, sondern nur den berechtigten Kerngedanken der ursprünglichen Monroe-Botschaft freilegen, nämlich den Gedanken der völkerrechtlichen Unzulässigkeit von Interventionen raumfremder Mächte in einen von einem Ordnungsprinzip beherrschten Großraum.“136 Insofern kann man daran festhalten, dass Schmitt zwar die Grenze der Souveränität, nämlich die Prinzipien der Rechtsordnung über den Staat hinweg ziehen will, aber er wollte sich absichtlich von der Idee der Weltgesellschaft fernhalten. Er bezeichnet die neue Weltordnung entweder als Universalis134  Gruchmann, Nationalsozialistische Großraumordnung: Die Konstruktion einer deutschen Monroe-Doktrin, S. 23. 135  Ebd., S. 30. 136  Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte: ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, in: Ritterbusch, S. 43.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

mus der Mächte des liberaldemokratischen, völkerassimilierenden Westens oder als Universalismus des bolschewistisch-weltrevolutionären Ostens.137 Hierzu wollte Schmitt somit die Großraumordnung als die neue Alternative in den internationalen Beziehungen im 20. Jahrhundert vorstellen, die laut ihm der globalen Idee, sei es Liberalismus, sei es Kommunismus entgeht. Hierzu spricht Schmitt z. B. von einer ostasiatischen oder japanischen Monroedoktrin, wie die deutsche Monroe-Doktrin, womit er das Monopol der globalen Weltanschauung hinterfragen könnte. Und das wichtige Prinzip von der jeweiligen Großraumordnung ist, wie gesagt, das Interventionsverbot. Daher geht Schmitt davon aus, dass die Großraumordnung sich von anderen universalen Ordnungen zu unterscheiden vermag, indem sie theoretisch nicht dem Weltstaat im kommunistischen und liberalen Sinne entspricht. Die Großraumordnung stellt sich nämlich nicht aus einer universellen Perspektive heraus, weil sie hingegen von verschiedenen konkreten völkerrechtlichen Ordnungen ausgeht. Insofern führt Schmitt einen Unterschied zwischen Reich und Imperium an: „Reich, Imperium, Empire sind nicht dasselbe und, von innen gesehen, untereinander nicht vergleichbar. Während Imperium oft die Bedeutung eines universalistischen, Welt und Menschheit umfassenden, also übervölkischen Gebildes hat, ist unser Deutsches Reich wesentlich volkhaft bestimmt.“138 Das Problem besteht jedoch, so Gruchmann, darin, dass Schmitts völkerrechtliche Großraumordnung über die Rechtsbeziehungen innerhalb des Großraumes nichts Konkretes aussagt. Weder aus dem Begriff des Reiches noch aus dem Begriff des Großraumes lässt sich in dieser Hinsicht etwas Genaues entnehmen. Die Staaten seien nämlich im Großraum ihrer echten erstrangigen Völkerrechtspersönlichkeit und auch ihrer Souveränität und Impermeabilität zugunsten des Reiches beraubt. Der Großraum solle kein auf gleichberechtigten Staaten aufbauendes Vertragsgebilde, kein zwischenstaatliches Gebilde sein.139 Was die Großraumtheorie betrifft, geht Schmitt 137  Vgl. ebd., S. 59. Schmitt meint, dass die ursprüngliche amerikanische Monroe-Doktrin im Endeffekt mit den Grundsätzen und Methoden des modernen liberalkapitalistischen Imperialismus nichts zu tun hat. Die Umwandelung eines raumhaft gedachten Nichteinmischungsprinzips in ein raumlos allgemeines Einmischungssystem sei dadurch möglich geworden, dass Woodrow Wilson den ideologischen Gedanken der liberalen Demokratie und der mit ihr zusammenhängenden Vorstellungen, insbesondere des freien Welthandels und freien Weltmarktes, an die Stelle der ursprünglichen und echten Monroedoktrin gesetzt habe. Vgl. Schmitt, Großraum gegen Universalismus: Der völkerrechtliche Kampf um die Monroedoktrin, in: Positionen und Begriffe, S. 336 f. 138  Schmitt, Der Reichsbegriff im Völkerrecht, in: Positionen und Begriffe: Im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles 1923–1939, S. 345. 139  Vgl. Gruchmann, Nationalsozialistische Großraumordnung: Die Konstruktion einer deutschen Monroe-Doktrin, S. 121 f.



II. Großraum als Alternative der globalen Welt223

nur vom Interventionsverbot zwischen den Großräumen aus, damit er den Universalismus, der auf positiven Gesetzten basiert ist, verkraften könnte. Während Schmitt den einzelnen Staaten, die innerhalb des jeweiligen Großraumes sind, dem Reich gegenüber das Prinzip der Souveränität entzieht. Es ist allerdings laut Harald Kleinschmidt schwer zu bestimmen, was Schmitt unter Recht verstand, seine lebenslange Aversion gegen positives Recht führte ihn dazu, Rechtsquellen locker auszulegen. Er war stets für neue Interpretationsansätze zu begeistern und entwickelte eine Vorliebe für Verfassungsrevisionismus.140 Jürgen Habermas vertritt hierbei die These, dass der Rückgriff auf Schmitts Großraumtheorie im Rahmen der Diskussion um alternative Visionen einer neuen Weltordnung einen fatalen Zeitgeist-Appeal gewinnen könnte. Schmitt beruft sich laut ihm auf eine Weltordnung, welche durch das Gleichgewicht großer Mächte gestaltet werden könnte und nicht durch das Recht. Und die Weltordnung als solche findet durch jeweils homogene nationale Lebensformen ihren Zusammenhalt und entscheidet von daher über Inklusion und Exklusion betroffener Individuen. Dieses Design berühre sich mit der Idee eines Kampfes der Kulturen. Eine Theorie als solche korrespondiert, so Habermas, mit einer weit verbreiteten Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer interkulturellen Verständigung über allgemein zustimmungsfähige Interpretationen von Menschenrechten und Demokratie.141 Die Verneinung einer Verallgemeinerungsfähigkeit von Gerechtigkeitsvorstellungen richtet sich nämlich gegen jede interkulturelle Verständigungsmöglichkeit über eine allgemeine zustimmungsfähige Interpretation von Menschenrechten. Demzufolge setzt sich automatisch die Großraumlehre der Lehre der Menschenrechte entgegen. Schmitt schreibt: „Zu einem solchen Weltreich gehört kein Völkerrecht, sondern ein allgemeines Welt- und Mensch­ heitsrecht.“142 Insofern setzt sich die Großraumtheorie nicht nur mit der nach den zwei Weltkriegen herrschenden universalen Weltordnung auseinander, sondern auch mit deren wichtigen Konsequenzen, nämlich der Menschenrechte und der Weltgesellschaft, wovon Habermas spricht.143 Im Folgenden wird dies in Bezug auf Schmitts Gedankengut analysiert.

140  Vgl. Kleinschmidt, Carl Schmitt als Theoretiker der internationalen Beziehungen, in: Studien zur internationalen Politik, S. 41. 141  Vgl. Habermas, Der gespaltene Westen, S. 192. Vgl. Staff, Der Nomos Europas: Anmerkungen zu Carl Schmitts Konzept einer Weltpolitik, in: Gaitanides, S. 41. 142  Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte: ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, in: Ritterbusch, S. 61. 143  Vgl. Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens – aus dem historischen Abstand von 200 Jahren, in: Kritische Justiz, S. 305 f.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

III. Feindlichkeit und Menschenrechte 1. Die wirkliche und absolute Feindseligkeit Der Krieg existiert, so Schmitt, als Mittel, solange es als Zweck das Politische gibt, nämlich die kämpferische Selbstbehauptung der politischen Einheit.144 Die Unterscheidung der verschiedenen Arten des Krieges hängt bei ihm von der jeweiligen Definition der Feindseligkeit ab, wobei er die These vertritt: „jeder Versuch einer Hegung oder Begrenzung des Krieges muss von diesem Bewusstsein getragen sein, dass – im Verhältnis zum Begriff des Krieges – Feindschaft der primäre Begriff ist und dass der Unterscheidung verschiedener Arten des Krieges eine Unterscheidung verschiedener Arten der Feindschaft vorangehe.“145 Die jeweilige Definition der Feindseligkeit wirkt sich nämlich auf die Art und Weise der Kriegsführung aus, den die Staaten führen. Demzufolge führt Schmitt einen Unterschied zwischen dem wirklichen Feind und absoluten Feind an, welcher bei ihm zu der klaren Unterscheidung von Krieg und Frieden, Militär und Zivil, Feind und Verbrecher, Staatenkrieg und Bürgerkrieg führt. Bevor auf diesen Unterschied verwiesen wird, soll Schmitts historischer Ausgangspunkt hervorgehoben werden, wonach er seine Kriegstheorie aufbaut. Schmitt bezieht sich auf den Kabinettskrieg des 18. Jahrhunderts, der auf der klaren Trennung des am Kampf teilnehmenden Soldaten vom unbeteiligten gewerbetreibenden Bürger, des Kombattanten vom Nicht-Kombattanten, beruhte.146 Der Krieg war nämlich in den absolutistischen Staaten das Mittel der Fortsetzung der Politik. Insofern war Carl von Clausewitz der Meinung, dass der Krieg bloßes Instrument der Politik sei,147 was Schmitt als Basis seiner These aufgenommen hat.148 Der Krieg als solcher war ein staatlicher Akt, welchem der Unterschied zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten zugrunde lag. Hierbei schreibt Clausewitz: „Der Krieg wurde also nicht bloß seinen Mitteln, sondern auch seinem Ziele nach immer mehr auf das Heer selbst beschränkt. Das Heer mit seinen Festungen und eigenen eingerichteten Stellungen machte einen Staat im Staate aus, innerhalb 144  Vgl. Meuter, Lob der Feindschaft: Carl Schmitts Sinngebung des Krieges, in: Voigt, S. 415. 145  Schmitt, Theorie des Partisanen: Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, S. 91. 146  Schmitt, Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat, in: Maschke, S. 482. 147  Vgl. Meuter, Lob der Feindschaft: Carl Schmitts Sinngebung des Krieges, in: Voigt, S. 396. 148  Zu der geistigen Nähe zwischen Carl Schmitt und Carl von Clausewitz vgl. Vad, Strategie und Sicherheitspolitik; Perspektive im Werke von Carl Schmitt, S. 116.



III. Feindlichkeit und Menschenrechte225 dessen sich das kriegerische Element langsam verzehrte. Ganz Europa freute sich dieser Richtung und hielt sie für eine notwendige Folge des fortschreitenden Geistes.“149

Der Volkskrieg habe doch alle Hegungen der Kabinettskriege abgestreift, was von der Französischen Revolution erstmals laut Clausewitz entfesselt worden ist. Hierzu schreibt Herfried Münkler: „Im Gefolge der französischen Revolution ist das kriegerische Element, von allen konventionellen Schranken befreit, mit seiner ganzen natürlichen Kraft losgebrochen. Wiewohl der Wiener Kongress (1815) den Krieg in seinen alten Hegungen zurückzuführen versucht hat, ist Clausewitz im Hinblick auf zukünftige Kriege skeptisch geblieben; er befürchtete, dass die Schranken, wenn sie einmal eingerissen sind, sich nicht leicht wieder aufbauen lassen.“150 Die Französische Revolution stellte durch die Rückverwandlung des Kriegs der Kabinette in den Krieg der Völker und die damit verbundene Re-Ideologisierung des Krieges die Hegungen der Kriege grundsätzlich wieder in Frage. Die 149  Clausewitz,

Vom Kriege, in: Hahlweg, S. 969. Krieg und Frieden bei Clausewitz, Engels und Carl Schmitt: Dialektik des Militarismus oder Hegung des Krieges, in: Leviathan, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, S. 21. In diesem Zusammenhang stellte Clausewitz die Eskalation und Mäßigung der Gewalt dar und erhoffte eine neuerliche Hegung des Krieges durch ein europäisches Gleichgewicht und die Eindämmung der von der französischen Revolution freigesetzten Kräfte, obwohl das Wesen der zukünftigen Kriege für ihn unklar blieb. Hierzu schreibt er: „Ob es nun immer so bleiben wird, ob alle künftigen Kriege in Europa immer mit dem ganzen Gewicht der Staaten und folglich nur um große, den Völkern naheliegende Interessen geführt sein werden, oder ob nach und nach wieder eine Absonderung der Regierung von dem Volke eintreten wird, dürfte schwer zu entscheiden sein, und am wenigsten wollen wir uns eine solche Entscheidung anmaßen.“ Vgl. Clausewitz, Vom Kriege, in: Hahlweg, S. 972. Clausewitz hat laut Münkler jene Dialektik des Militarismus gesehen, wie sie von der Französischen Revolution erstmals entfesselt worden ist. Clausewitz habe weder doktrinär auf die Eskalation noch auf die Mäßigung des Krieges gesetzt, sondern in seiner Theorie des Krieges beide Prinzipen als einander entgegengesetzte Kräfte behandelt. Während Friedrich Engels sich hierbei laut Münkler auf die Seite der Eskalation der Gewalt einlässt, lässt sich Schmitt auf die Seite der Mäßigung derselben ein. Engels sei es um die endgültige Abschaffung von Krieg und Militarismus gegangen, als er auf ihre geschichtsphilosophisch prognostizierte Selbstaufhebung gesetzt habe. Schmitt fasse das strikte Gegenteil ins Auge: die Sicherstellung der Möglichkeit eines Krieges als das letzte Mittel der Politik durch Eingrenzung seiner Verheerungen. Mit anderen Worten, im Gegensatz zu Engels habe Schmitts Analyse gerade nicht darauf abgezielt, durch eine unlimitierte Eskalation von Krieg und Kriegsvorbereitung diesen schließlich gänzlich aus der Geschichte verschwinden zu lassen. Im Gegenteil: um ihn als prinzipielle Möglichkeit der Politik bewahren zu können, habe er auf die Limitierung der Auswirkungen des Krieges gesetzt. Vgl. Münkler, Krieg und Frieden bei Clausewitz, Engels und Carl Schmitt: Dialektik des Militarismus oder Hegung des Krieges, in: Leviathan, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, S. 21, 34–37. 150  Münkler,

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

Kabinette der europäischen Fürstenkoalition hatten laut Münkler auf für sie verhängnisvolle Weise die von der Revolution freigesetzten kriegerischen Potenzen unterschätzt.151 Das Zeitalter der gehegten Kriege beruhte somit für Schmitt im Wesentlichen auf der Identifikation des Staatlichen mit dem Politischen. Ideologisierung des Krieges beim Volkskrieg setzt sich nämlich dem Staatskrieg entgegen, der auf den Unterschied zwischen dem Kombattanten vom NichtKombattanten beruht. Schmitt habe solche Kriege als ideologische Krieg klassifiziert, mit der Folge, dass die sie jeweils in Anspruch nehmende Partei sich selbst eine höhere Legitimität der Gewaltanwendung attestiere als der Gegenseite.152 Schmitt bezeichnet den Volkskrieg als eine Art der Ideologisierung des Krieges, wobei er unterschiedliche Inhalte aufnehmen kann. Hierzu Schmitt schreibt: „Ein echter Religionskrieg macht den Soldaten zum Werkzeug des Priesters oder des Predigers. Die Ausprägung des totalen Krieges, die von der Wirtschaft her gewonnen wird, macht ihn zum Werkzeug wirtschaftlich leitender Machtgruppen.“153 Wenn Schmitt vor diesem Hintergrund vom absoluten Feind spricht, beruft er sich auf den ungerechten Feind, „weil die Feinde sich gegenseitig nicht mehr auf der gleichen moralischen und juristischen Ebene anerkennen.“154 Diese Ansicht mag nach Schmitt eine Rückkehr von einem juristisch gedachten justus-hostis-Begriff zu einem quasi-theologischen Feindbegriff sein.155 Weil die Feindschaft sich hierbei über das Souveränitätsprinzip des modernen Staates hinweg theologisch identifiziert. Mit anderen Worten könnte man bei der absoluten Feindseligkeit keine Einhegung der Kriege durchführen, weil die Analyse der Feindseligkeit einer universalen Rechtsordnung unterliegt, wobei der Feind als ganz rechtlos betrachtet wird. Hierzu schreibt Hasso Hofmann: „Die absolute Feindschaft des revolutionären Weltbürgerkrieges sprengt alle Hegungen, anerkennt keine gemeinsame Basis der Feinde und zielt auf die Vernichtung.“156 Genauer gesagt, identifiziert sich der Feind nicht als eine moralische Person, welche sich seinen eigenen Prinzipien unterwerfen könnte. Demzufolge wird der Feind laut Schmitt diskriminiert, indem die Unterscheidung von Recht und 151  Vgl.

ebd., S. 22. ebd., S. 33. 153  Schmitt, Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat, in: Maschke, S.  483. Schmitt ist der Meinung, dass der englische Seekrieg u. a. das in sich geschlossene Völkerrecht, nämlich das kontinentale Völkerrecht, das die gehegten Kriege hervorbrachte, in Frage gestellt hat. Vgl. ebd., S. 484 f. 154  Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 95. 155  Vgl. ebd., S. 95. 156  Hofmann, Feindschaft – Grundbegriff des Politischen?, in: Zeitschrift für Politik, S. 25. 152  Vgl.



III. Feindlichkeit und Menschenrechte227

Unrecht des Krieges dazu diene, dass der Feind nicht mehr als justus hostis, sondern als krimineller Verbrecher behandelt werde. Nach dem Ersten Weltkrieg sei es, historisch betrachtet, zunächst durch den Versailler Vertrag zu einer moralischen Rückwendung hin zu einem diskriminierenden Kriegsbegriff und zum Gedanken des gerechten Krieges gekommen. Mit der Errichtung des Genfer Völkerbundes, dem Abschluss des Briand-Kellogg-Paktes und der weltweiten Etablierung des Verbotes des Krieges als Mittel der Politik sei eine solche Rückwendung schließlich auch in rechtlicher Hinsicht erfolgt.157 In diesem Zusammenhang werden die Kriege nicht als zwischenstaatliche Kriege identifiziert, sondern als Strafaktionen, weil der Gegner nicht als moralische Person und mit deren eigenen Rechten anerkannt werde, sondern er sich einer Art des öffentlichen Rechts unterordne, das nicht national, sondern global durchgeführt werde. Der Krieg hört somit Schmitt zufolge auf, ein völkerrechtlicher Begriff zu sein.158 Soll man von dem ungerechten Feind ausgehen, dann geht man gegen jene zwischenstaatlichen Kriege vor, denen die Souveränität des Staates zugrunde liegt, welche historisch betrachtet in den Kabinettskriegen der Fall war. Daher werden die Kriege im Sinne des modernen Kriminalrechts auf eine Strafaktion reduziert, weil man seinen Feind nach Schmitt im moralischen Sinne, aber nicht im politischen Sinne strafen will.159 Im Gegensatz zum absoluten Feind, der sich universal definieren wird, konzipierte Schmitt eine andere Art der Feindseligkeit, welche sich regional identifizieren will. Der Feind sei nämlich nicht etwas, was aus irgendeinem Grunde beseitigt und wegen seines Unwertes vernichtet werden müsse. Der Feind stehe auf der eigenen Ebene, auf die der Freund stehe. Aus diesem Grunde müsse sich der Freund mit ihm kämpfend auseinandersetzen, um das eigene Maß, die eigene Grenze, die eigene Gestalt zu gewinnen,160 weil der Feind als solcher als eine moralische Person bezeichnet wird, der eigene Prinzipen hat. Insofern kann man nicht mehr vom gerechten Krieg ausgehen, weil der Krieg als solcher sich auf die objektiven Prinzipien beruft, welche über den Staat hinausgehen. Der absolute Feind vertritt nämlich bei Schmitt die objektiven Werte, die sich 157  Vgl. Schmidt, Bellum iustum; Gerechter Krieg und Völkerrecht in Geschichte und Gegenwart, S. 346. 158  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 94 f. 159  Hierdurch nehme der moderne Krieg als Sanktionsmaßnahme wiederum Strafcharakter an. Der Feind werde zum Verbrecher. Besonders wegen der modernen Waffenmittel würden Diskriminierung und Vernichtung des Gegners, im Vergleich zur mittelalterlichen Lehre vom gerechten Krieg, nun notwendigerweise aber bis zum Äußersten, also bis zum totalen Krieg, getrieben. Vgl. Schmidt, Bellum iustum; Gerechter Krieg und Völkerrecht in Geschichte und Gegenwart, S. 349. 160  Vgl. Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 88.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

universal identifizieren wollen. Mit anderen Worten, da die Werte als solche sich ganz objektiv definieren, erheben sie sich über diverse konkrete Ordnungen hinweg, wobei die Intensität des Krieges in der Kategorie der absoluten Feindseligkeit verschärft und somit die Vernichtung des Feindes herbeigeführt wird. Hierzu schreibt Schmitt: „Die Vernichtung wird dann ganz abstrakt und ganz absolut. Sie richtet sich überhaupt nicht mehr gegen einen Feind, sondern dient nur noch einer angeblich objektiven Durchsetzung höchster Werte, für die bekanntlich kein Preis zu hoch ist. Erst die Ableugnung der wirklichen Feindschaft macht die Bahn frei für das Vernichtungswerk einer absoluten Feindschaft.“161 Und insofern hat der große Verdienst des ius publicum Europaeum in einer Anerkennung des Feindes als iustus hostis und damit in einer Wendung zum nicht diskriminierenden Kriegsbegriff gelegen, da grundlegend erst hierdurch eine Hegung des Krieges erreicht worden ist. Ob die iustus-hostis-Lehre, also das Gleichgewicht der Mächte zum Frieden in der Welt führt, soll man bezweifeln. Weil das mit der iustushostis-Lehre einhergehende unbeschränkte Kriegführungsrecht nicht nur die Menge der sogenannten Kabinettskriege legalisierte, sondern auch die geltende völkerrechtliche Grundlage bildete für eine zulässige Eröffnung eines qualitativ gänzlich andersgearteten Konflikts, des Ersten Weltkrieges mit seinen fast fünfzehn Millionen Opfern.162 Gegen die These von Schmitt, die daran festhält, dass der Feind in der globalen Welt als krimineller Verbrecher behandelt wird, lässt sich sagen, dass die Wendung zu einem diskriminierenden Kriegsbegriff im Gefolge der Kriegsächtung, trotz entsprechender Ansätze in der Theorie, in der Praxis nicht dazu führte, dass der Aggressor als Verbrecher oder Pirat außerhalb des geltenden Völkerrechts gestellt und so einer kriegsrechtsschrankenlosen Bestrafung in einem totalen Vernichtungskrieg ausgesetzt wurde. Dabei soll auf die Monografie „Just and Unjust Wars“ des Soziologen Michael Walzer hingewiesen werden, die im Jahr 1977 in den Vereinigten Staaten erschien. Dieses Werk kann durchaus als bedeutender Versuch angesehen werden, ein umfassendes ethisch-moralisches Konzept vom gerechten Krieg in der Moderne zu entwerfen. Bei der Behandlung der Frage nach einem jus ad bellum geht Walzer von einer Theorie der Aggression aus. Die Aggressionstheorie entspricht für ihn der alten Lehre vom gerechten Krieg, da sie begründet, wann das Kämpfen erlaubt und möglicherweise sogar moralisch wünschenswert ist. Hierzu schreibt Walzer: „Aggression is remarkable because it is the only crime that 161  Ebd.,

S. 96. Schmidt, Bellum iustum; Gerechter Krieg und Völkerrecht in Geschichte und Gegenwart, S. 347. 162  Vgl.



III. Feindlichkeit und Menschenrechte229

states can commit against other states.“163 Walzer beschreibt, so Peter Schmidt, mit seiner Theorie der Aggression letztlich nichts anderes als den Grundcharakter des modernen und durch den Briand-Kellogg-Pakt sowie durch die UNC kodifizierten Völkerrechtszustandes eines ius contra bellum, wonach der Angriffskrieg geächtet ist und die Wahrung bzw. Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit primäre Zielwerte darstellen, abgesichert durch das allgemeine Gewaltverbot, die souveräne Gleichheit der Rechtssubjekte und das Nichteinmischungsprinzip.164 Die Frage nach der gerechten Führung eines Krieges, was für uns hierbei grundlegend ist, behandelt der amerikanische Soziologe unter der Überschrift War Convention. Ein elementarer Grundsatz ist für ihn, dass hiervon auferlegte Limitierungen für den Aggressor und den Verteidiger gleichermaßen Anwendung finden müssten, eine moralische Diskriminierung infolge der Aggressionstheorie insoweit also nicht stattfinden dürfe. Walzer schreibt: „The purpose of the war convention is to establish the duties of belligerent states, of army commanders, and of individual soldiers with reference to the conduct of hostilities. I have already argued that these duties are precisely the same for states and soldiers fighting wars of aggression and wars of defense.“165 D. h. man geht zwar hierbei von einer universellen Rechtsordnung aus, aber dies führt nicht – wie Schmitt behauptet – dazu, dass die von den globalen Werten abgewichenen Staaten diskriminiert werden, indem ihnen Grundrechte, bzw. Menschenrechte entzogen werden. Es ist eben zu bemerken, dass War Convention auf den Unterschied zwischen Kombattanten und Nicht- Kombattanten basiert ist. Hierzu schreibt Walzer: „The war convention rests first on a certain view of combatants, which stipulates their battlefield equality. But it rests more deeply on a certain view of noncombatant, which holds that they are men and women with right and that they cannot be used for some military purpose, even if it is a legitimate purpose.“166 Es ist folglich bei Schmitt daran festzuhalten, dass das über dem Staat herrschende objektive Recht zur Diskriminierung des Feindes, also dessen Vernichtung führt, indem der Feind seines Rechtes auf Verteidigung beraubt wird. Schmitt verkennt doch die Darstellung der Feindschaft in der globalen 163  Walzer,

S. 51.

Just and Unjust Wars; a moral Argument with historical illustrations,

164  Vgl. Schmidt, Bellum iustum; Gerechter Krieg und Völkerrecht in Geschichte und Gegenwart, S. 398. 165  Walzer, Just and Unjust Wars; a moral Argument with historical illustrations, S. 127. Vgl. Schmidt, Bellum iustum; Gerechter Krieg und Völkerrecht in Geschichte und Gegenwart, S. 402. 166  Walzer, Just and Unjust Wars; a moral Argument with historical illustrations, S. 137.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

Welt.167 Denn die Verrechtlichung des Völkerrechts institutionalisiert die Grundrechte der Weltbürger, und zwar unabhängig davon, ob sie den Feinden der Weltgesellschaft oder den Befürwortern derselben angehören. Vor allem den kleinen Staaten hilft die Verrechtlichung des Völkerrechts sich vor der Aggressivität der großen Mächte zu schützen, was ja in den Weltkriegen nicht der Fall gewesen war. Hierzu ist das Thema der Verrechtlichung des Völkerrechts und Schmitts Lesart von Feindschaft aus einer methodischen und philosophischen Sicht umzudenken. Es wurde zuvor erwähnt, dass Schmitt eine perspektivische Sicht einnimmt, welche einer globalen Erkenntnis zu entkommen vermag. Schmitt vertritt die These, dass die absolute Feindschaft zum Absolutismus führt, indem die Feindschaft als solche aus einer globalen Basis her zustande kommt. Insofern kann man im Sachgebiet der absoluten Feindseligkeit nicht von der Einschränkung des Kampfes ausgehen, weil die Feindschaft als solche für sich ein globales Ziel in Anspruch nimmt. Mit anderen Worten erkennt man keinerlei Werte an, denen nicht die Liberal-Demokratie zugrunde liegt. Dass der wirkliche Feind sich nicht auf die Abschaffung der Kriege, sondern deren Einschränkung berufen wolle, bedeutet dann, dass die kollektiven Werte der Fremden insofern toleriert werden, als die Fremden in gleichen Maßen unsere Werte anerkennen. In diesem Zusammenhang schreibt Pattloch: „Ziel eines jeden Rechtes kann daher für dieses Denken nur die Ordnung und Einschränkung des Kampfes, nicht aber seine Abschaffung sein. Sobald sich jedoch die kämpfenden Perspektiven mit einer universalmonistischen Idee identifizieren, artet der Kampf in einen totalen Krieg aus, der die Vernichtung des Feindes zum Ziele hat; denn eine universalmonistische Idee kann jede ihr entgegengesetzte Idee nicht neben sich dulden.“168 Daher entkommt der wirkliche Feind der universalmonistischen 167  Zur Nicht-Bezeichnung der Feinde als Verbrecher in der globalen Welt, vgl. ebd., S. 136: „The rules of war apply with equal force to aggressors and their adversaries. And we can now see that it is not merely the moral equality of soldiers that requires this mutual submission; it is also the rights of civilians. Soldiers fight­ ing for an aggressor state are not themselves criminals: hence their war rights are the same as those of their opponents. Soldiers fighting against an aggressor state have no license to become criminals.“ 168  Pattloch, Recht als Einheit von Ordnung und Ortung, S. 103. Es ist doch zu bemerken, dass Schmitt über Feindschaft in allen Schattierungen und Härtelagen schreibt; aber Feindschaft ist etwas anderes als der Feind, und über den Feind schreibt er, so Gerd Roellecke, systematisch gesehen nichts. Mit anderen Worten wollte er sich nicht mit den Gründen der Feindseligkeit befassen, um sie zu überwinden, sondern er wollte nur die Struktur der Feindschaft darstellen, welche auf den Freund- und Feindgruppierungen basiert ist. Insofern sei Schmitts Darstellung politisch im Sinne von feindlich und polemisch. Sie erzeuge Feinde und könne nur Freunde überzeugen. Vgl. Roellecke, Die Entscheidung über Krieg und Feind, in: Mehring, S. 95.



III. Feindlichkeit und Menschenrechte231

Idee, die sich in der Neuzeit gewissermaßen Schmitt zufolge als theologisch herausstellt. Folglich ist zu bemerken, dass Schmitt die absolute Feindschaft als einen raumlosen, globaluniversalen, absoluten Weltfeind bezeichnet. Schmitt argumentiert gegen die Feindschaft als solche, weil sie die staatliche Souveränität in Frage stellt. Hingegen setzt der wirkliche Feind eine perspektivische Sicht voraus, die alle Beteiligten auf eine Ebene stellen werde. 2. Die Weltgesellschaft und die Menschenrechte; Carl Schmitt vs. Jürgen Habermas Schmitt argumentiert gegen jene Idee, welche die universelle Rechtsordnung strukturieren würde, weil die Idee als solche die Staaten eben als moralische Personen benachteiligen wolle. Genauer gesagt, müssen diverse Staaten sich einer universellen Rechtsordnung unterordnen und dies bedeutet für ihn den Tod der Staaten, bzw. des Politischen. Schmitt nahm seine Position gegenüber dem Universalismus zum Teil von Kant auf und versuchte sie u. a., wie schon erwähnt wurde, zu entwickeln. Hierbei hinterfragt Jürgen Habermas diese antiglobale Idee, weil sie sich der Verantwortlichkeit im Völkerrecht entzieht. Während das Völkerrecht wie alles Recht im Naturzustand nur aufhebend gilt, würde das Weltbürgerrecht bei Habermas jedoch, wie das staatlich sanktionierte Recht, den Naturzustand definitiv beenden. D. h. während das Weltbürgerrecht bei Kant auf die Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt werden sollte, wird das Weltbürgerrecht bei Habermas objektiv, nämlich rechtmäßig, identifiziert. Hierzu schreibt er: „Für den Übergang zum weltbürgerlichen Zustand bemüht Kant deshalb immer wieder die Analogie zu jenem ersten Ausgang aus dem Naturzustand, der mit der gesellschaftsvertraglichen Konstituierung eines bestimmten Staates den Bürgern des Landes ein Leben in gesetzlich gesicherter Freiheit ermöglicht.“169 Aber der weltbürgerlich ausgezeichnete Zustand soll sich, wie schon gesagt, bei Kant vom innerstaatlichen Rechtszustand dadurch unterscheiden, dass sich die Staaten nicht wie die einzelnen Bürger den öffentlichen Zwangsgesetzen einer übergeordneten Gewalt unterwerfen, sondern ihre Unabhängigkeit beibehalten: „Völker, als Staat, können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d. i. in der Unabhängigkeit von äußern Gesetzen) schon durch ihr nebeneinandersein lädieren, und deren jeder, um seiner Sicherheit willen, von dem andern fordern kann und soll, mit ihm in eine, der bürgerlichen 169  Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens – aus dem historischen Abstand von 200 Jahren, in: Kritische Justiz, S. 295.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

ähnliche, Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann. Dies wäre ein Völkerbund, der aber gleichwohl kein Völkerstaat sein müsse.“170

Aus dieser von Kant ausgeführten Passage kann man ableiten, dass die Sicherheit des Völkerrechts nicht so sehr grundlegend ist, wie die des Staates. Mit anderen Worten braucht man insofern das Völkerrecht, als es sich als Garantie der Sicherheit der Staaten herausstellt, wobei diese Frage aufzuwerfen ist, warum Kant sich so zurückhaltend gegenüber der Weltgesellschaft verhielt, obwohl er diese Idee zum ersten Mal konstruierte. Habermas will Kants Idee über das Weltbürgerrecht kontextualisieren und demnach beantwortet er diese Frage: „Historisch betrachtet, war Kants Zurückhaltung gegenüber dem Projekt einer verfassten Völkergemeinschaft gewiss realistisch. Der aus der Amerikanischen und Französischen Revolution soeben hervorgegangene demokratische Rechtsstaat war damals noch die Ausnahme, nicht die Regel. Das System der Mächte funktionierte unter der Voraussetzung, dass allein souveräne Staaten Subjekte des Völkerrechts sein können,“171 wobei damals nicht die Weltgesellschaft im eigentlichen Sinne, und zwar im juristischen Sinne, vorstellbar war. Von daher ist Kants Begriff eines auf Dauer gestellten und gleichwohl die Souveränität der Staaten respektierenden Völkerbundes bei Habermas nicht konsistent, weil das Weltbürgerrecht so institutionalisiert werden müsse, dass es die einzelnen Regierungen bindet. Anderenfalls könnte man nicht von der Weltgesellschaft, die eine Garantie für Frieden ist, ausgehen. Hierzu braucht man nämlich feste Regelungen, und zwar ein supranationales Gemeinwesen, mit deren Hilfe das Verhalten der Staaten rechtmäßig überwacht wird. Hierzu schreibt Habermas: „Erst damit wird sich das instabile, auf wechselseitiger Bedrohung beruhende System sich selbst behauptender souveräner Staaten in eine Föderation mit gemeinsamen Institutionen verwandeln, die staatliche Funktionen übernehmen, nämlich den Verkehr ihrer Mitglieder untereinander rechtlich regeln und die Einhaltung dieser Regeln kontrollieren.“172 Im Gegensatz dazu hielt Kant die Schran170  Kant,

Zum Ewigen Frieden, S. 25. Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 296. 172  Ebd., S. 302. Habermas sieht die Europäische Union als ein supranationales Gemeinwesen an, womit die zwischenstaatlichen Beziehungen Institutionalisiert werden. Das supranationale Gemeinwesen als solche konstituiert sich, so Habermas, als Rechtsgemeinschaft und wahrt die Verbindlichkeit des Unionsrechts auch ohne Deckung durch Gewaltmonopol und Letztentscheidungsbefugnis. Die Europäische Union binde in Ausübung ihrer Gesetzgebungs- und Rechtssprechungskompetenzen die Mitgliedstaaten als ausführende Organe, ohne über deren Sanktionspotenziale zu verfügen. Insofern meinte Habermas, dass die Vereinten Nationen als eine politisch verfasste Gemeinschaft von Staaten und Bürgern, die reorganisiert und gleichzeitig auf die Kernfunktionen der Friedenssicherung und der globalen Durchsetzung der Menschenrechte beschränkt werden sollten. Eine demokratische Verrechtlichung der 171  Habermas,



III. Feindlichkeit und Menschenrechte233

ke staatlicher Souveränität für unüberwindlich, weil er den Staat als moralische Person vorsah, der sich seiner einigen Rechtsordnung unterziehen solle. Die wichtige Aufgabe der Weltgesellschaft, die durch ein supranationales Gemeinwesen zustande kommt, ist es das Weltbürgerrecht, und zwar die Menschenrechte, zu garantieren. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Menschenrechtsfrage endgültig wegen den aufgedeckten Verbrechen des Nationalsozialismus zum Gegenstand der internationalen Politik. Die Staatengemeinschaft müsste somit bei der Durchsetzung und dem Schutz der Menschenrechte die Verantwortung übernehmen und zwar laut Habermas durch die Kodifizierung der Menschenrechte und die Schaffung von Institutionen zu ihrem Schutz.173 Es ist doch zu bemerken, dass der Gegenstand der Weltgesellschaft nicht die Staaten, sondern die Individuen, also die Menschen sind. Das Weltbürgerrecht besteht vielmehr darin, dass es über die Köpfe der kollektiven Völkerrechtssubjekte hinweg auf die Stellung der individuellen Rechtssubjekte durchgreife und für diese eine nicht-mediatisierte Mitgliedschaft in der Assoziation freier und gleicher Weltbürger begründen werde.174 Das ist genau der Punkt, um Schmitts These über Souveränität in Frage stellen zu können. Die Weltgesellschaft stellt sich nämlich nicht auf die zwischenstaatlichen Beziehungen, sondern auf die Individuen. Daher überlassen die Vereinten Nationen, so Habermas, den Menschenrechtschutz nicht allein dem nationalen Vollzug; sie verfügen über ein eigenes Instrumentarium zur Feststellung von Menschenrechtsverletzungen.175 Demzufolge verlangt Habermas eine demokratische Verrechtlichung der Politik der Vereinten Nationen und wir reden somit im Hinblick auf die Aufgaben der Vereinen Natio­ nen nicht schlicht von Moral, sondern von Recht und Politik. Das Recht muss laut Habermas überall dort einspringen, wo eine moralische Arbeitsteilung nötig wird, weil individuelle Urteile und Motivationen nicht ausreiPolitik der Vereinten Nationen verlangt, so Habermas, freilich weiterhin die unwahrscheinliche Rückkoppelung des Weltparlamentes an die Meinungs- und Willensbildung der periodisch zur Wahl aufgerufenen Weltbürger. Vgl. Habermas, Die Krise der Europäischen Union im Lichte einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: Zur Verfassung Europas: Ein Essay, S. 58, 85 und 89. 173  In der Charta der Vereinten Nationen wurde die Beachtung der Menschenrechte, ohne diese freilich zu spezifizieren, mit Artikel 1 (3) zu einem Prinzip der internationalen Politik gemacht und mit der nach Artikel 68 gegründeten UNOMenschenrechtskommission eine Instanz zur Ausgestaltung der Menschenrechte und ihrer Überwachung geschaffen. Vgl. Ruloff, Weltstaat oder Staatenwelt?: Über die Chancen globaler Zusammenarbeit, S. 124. 174  Vgl. Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 304. 175  Vgl. ebd., S. 304.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

chen.176 Von daher soll man feststellen, dass die Menschenrechte in vielen Fällen gegen die nationalen Regierungen durchgesetzt werden müssen, weil bei den Menschenrechten nicht Staaten, sondern Individuen betroffen sind. Mit anderen Worten stehen die Menschenrechte über der Souveränität der einzelnen Staaten. Kant vermied jedoch laut Habermas, den Übergang vom Völkerrecht zum Weltbürgerrecht zu konzipieren. Denn er wusste, dass die Weltgesellschaft sich über die Grenzen der Staaten hinweg zu identifizieren vermag. Die gegenwärtige Weltlage lässt sich doch bei Habermas als Übergang vom Völkerrecht zum Weltbürgerrecht verstehen.177 Habermas ist der Meinung, dass die Weltorganisation von den Legitimitätsdifferenzen ihrer Mitglieder innerhalb der Staatengemeinschaft abstrahieren will.178 Schmitt hebt im Gegenzug die Legitimitätsdifferenzen der Staaten aufgrund seines erdachten Konzepts, nämlich der Konkreten Ordnung, hervor, weil er von diversen Anerkennungen der Legitimationsquelle der Staaten ausgeht; aber nicht von der Freiheit der Individuen. Ignorierung der Legitimitätsdifferenzen führt, so Schmitt, nicht nur zur Verletzung der staatlichen Souveränität, sondern, wie gesagt zur absoluten Feindschaft. Schmitt hält daran fest: „wer Menschheit sagt, will betrügen.“179 Demzufolge habe der Betrug des Humanismus seine Wurzel in der Hypokrisie eines Rechtspazifismus, der im Zeichen von Frieden und Weltbürgerrecht gerechte Kriege auslösen wolle: „Wenn der Staat im Namen der Menschheit seinen politischen Feind bekämpft, so ist das kein Krieg der Menschheit, sondern ein Krieg, für den ein bestimmter Staat gegenüber seinem Kriegsgegner einen universalen Begriff zu okkupieren sucht, ähnlich wie man Frieden, Gerechtigkeit, Fortschrift und Zivilisation missbrauchen kann, um sie für sich zu vindizieren und dem Feinde abzusprechen. Menschheit ist ein besonders brauchbares ideologisches Instrument imperialistischer Expan­ sionen … .“180

Dass Kriege im Namen der Menschheit geführt werden, hat laut Schmitt somit einen besonders intensiven politischen Sinn, was man unter Moralisierung der Politik verstehen kann. Im Gegensatz zu Schmitt ist Habermas überzeugt, dass die universale Rechtsordnung nicht das Politische intensivieren will, sondern mit der Kodifizierung der Grundrechte, also der Menschenrechte, zum einen die Konflikte entkräften und zum andern das Völkerrecht verrechtlichen will, indem der Gegensand der internationalen Be176  Vgl. Habermas, Die Krise der Europäischen Union im Lichte einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: Zur Verfassung Europas: Ein Essay, S. 91. 177  Vgl. Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 305. 178  Vgl. ebd., S. 306. 179  Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 51. 180  Ebd., S. 51.



III. Feindlichkeit und Menschenrechte235

ziehungen nicht nur Staaten, sondern auch Weltbürger umfasst.181 Im Folgenden wird Schmitts antiglobales Gedankengut im Kontext der drei Themen, nämlich Intervention, Widerstandsrecht und Ziviler Ungehorsam bei Habermas untersucht. Wenn von der Weltgesellschaft ausgegangen werden sollte, so müsste man mit Demokratisierungsprozessen und gewaltfreien und / oder militärischen Interventionen rechnen, weil es hierbei universale Grundrechte, und zwar die Demokratie, die alle Staaten von ihrer Umwelt abhängig gemacht hat, gibt.182 Die Staaten sind in gesellschaftliche Prozesse eingebettet worden, die auf die zunehmende Verwirklichung der Menschen- und Bürger181  Die Praxis der Nicht-Diskriminierung des Krieges soll nach Schmitt die Kriegshandlungen begrenzen und vor den Übeln eines totalen Krieges schützen. Insoweit präsentiert Schmitt die Forderung nach einer Rückkehr zum begrenzten Kriegen lediglich als die realistischere Alternative zu einer weltbürgerrechtlichen Pazifizierung des Naturzustandes zwischen den Staaten. In diesem Zusammenhang hat Habermas eine Vorstellung von der Weltgesellschaft konstruiert, welche der Vorstellung von Schmitt gegenübersteht. Habermas führt aus: „… die Etablierung eines weltbürgerlichen Zustandes bedeutet, dass Menschenrechtsverstöße nicht unmittelbar unter moralischen Gesichtspunkten beurteilt und bekämpft, sondern wie kriminelle Handlungen im Rahmen einer staatlichen Rechtsordnung – nach institutionalisierten Rechtsverfahren – verfolgt werden. Gerade die Verrechtlichung des Naturzustandes zwischen den Staaten schützt vor einer moralischen Entdifferenzierung des Rechts … .“ Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 312 f. Sollte man nämlich den Naturzustand, der zwischen staatlichen Beziehungen vorherrschend ist, verrechtlichen, dann könnte man nicht mehr von den diskriminierenden politischen Akten sprechen. Weil dem Völkerrecht nunmehr nicht die Moral, wie Schmitt behauptet, sondern das Rechtsverfahren zugrunde liegt, das durch einen neutralen Staatvollzug artikuliert wird. 182  Es gebe ein einfaches Modell des Verhältnisses von Grundrechten und Demokratie. Danach seien Grundrechte einerseits etwas zutiefst Demokratisches und andererseits etwas zutiefst Undemokratisches. Zutiefst demokratisch seien Grundrechte deshalb, weil sie mit der Garantie der Freiheits- und Gleichheitsrechte die Entwicklung und die Existenz von Personen sicherten. Zutiefst undemokratisch seien die Grundrechte, weil sie mit der Bindung auch dem Gesetzgeber der demokratisch legitimierten Mehrheit Entscheidungsbefugnisse entzögen. Vgl. Alexy, Grundrechte und Demokratie in Jürgen Habermas prozeduralem Rechtsparadigma, in: Behrends, S. 82. Nach Habermas besteht, wie schon erwähnt wurde, zwischen Menschenrechten und der Volkssouveränität, zwischen privater und öffentlicher Autonomie und damit zwischen Grundrechten und Demokratie ein interner Zusammenhang. Im Gegensatz zu Schmitt, geht Jürgen Habermas vom internen Zusammenhang von Rechtsstaat und Demokratie aus. Die allgemeine These von Habermas besagt dabei, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, dass das Prinzip der Menschenrechte und das der Volkssouveränität, oder, wie er es häufig ausdrückt: private und öffentliche Autonomie gleichursprünglich sind; d. h., dass keines der beiden Prinzipien auf das andere zurückgeführt werden kann und dass sie sich wechselseitig voraussetzen; d. h., dass es keines der beiden Prinzipien ohne das andere geben kann. Vgl. Reiß, Homogenität oder Demokratie als einigendes Band? Zur Diskussion der Voraussetzungen des Rechtsstaats

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

rechte, also auf die Demokratisierung gerichtet sind.183 Nach Habermas darf man dann von Intervention in einen Staat sprechen, wenn derselbe Staat sich nicht dem demokratischen Verfahren, das auch Menschenrechte umfasst, in seiner Innenpolitik unterordnet. Interventionen reichen von gewaltfreien Einmischungen, wie die Unterstützung der Opposition über wirtschaftliche Sanktionen bis hin zum militärischen Eingreifen, wobei er z. B. ausführt: „Länder, die sich weigern, die Abgeordneten (unter Berücksichtigung ihrer nationalen Minderheiten) nach demokratischen Verfahren wählen zu lassen, könnten einstweilen von nichtstaatlichen Organisationen vertreten werden, die das Weltparlament selbst als Repräsentanten der unterdrückten Bevölkerungen bestimmt.“184 Hierbei meint Habermas u. a. mit Bezug auf UN-Beschlüsse, dass „wenn UN-Beschlüsse in der Form legaler Interven­ tionen ausgeführt werden sollen, muss auch das humanitäre Völkerrecht zu einem rechtsstaatlichen, an militärische Notwendigkeiten angepassten Polizeirecht fortentwickelt werden.“185 Schmitt sieht eben die Intervention als solche rechtswidrig, weil sie das Souveränitätsprinzip verletzt. Würden die Menschenrechte als die Basis des staatlichen Verhältnisses betrachtet, dann soll man nach Schmitt, wie gesagt, von der Moralisierung der Politik ausgehen, die automatisch zur Diskriminierung der Feinde führt. Habermas versuchte diesen Hauptpunkt bei Schmitt aufgrund der zwei Prämissen zu rekonstruieren, damit er dessen These hinterfragen kann: „(a) die Politik der Menschenrechte dient der Durchsetzung von Normen, die Teil einer universalistischen Moral sind; (B) da moralische Urteile dem Kode von Gut und Böse gehorchen, zerstört die negative moralische Bewertung (eines politischen Opponenten bzw.) eines Kriegsgegners die rechtlich institutionalisierte Begrenzung (der politischen Auseinandersetzung bzw.) des militärischen Kampfes.“186 Während die erste Prämisse falsch sei, sugbei Böckenförde und Habermas, S. 210. Vgl. Alexy, Grundrechte und Demokratie in Jürgen Habermas prozeduralem Rechtsparadigma, in: Behrends, S. 83. 183  Zur Entstehung des Konzepts der Intervention zugunsten von Demokratisierungsprozessen im Ost-West-Konflikt im Kalten Krieg, vgl. Czempiel, Gewaltfreie Intervention zugunsten von Demokratisierungsprozessen, in: Schwan, S. 59, 64 und 73 f. Ein militärisches Eingreifen ist nach Walzer in einen fremden Staat im Falle massiver Menschenrechtsverletzungen seitens der herrschenden Kräfte durch Versklavung oder Massakrierung von politischen Gegnern, nationalen Minderheiten oder religiösen Sekten erlaubt:„Against the enslavement or massacre of political opponents, national minorities, and religious sects, there may well be no help unless help comes from outside.“ Walzer, Just and Unjust Wars; a moral Argument with historical illustrations, S. 101. 184  Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 308. 185  Habermas, Die Krise der Europäischen Union im Lichte einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: Zur Verfassung Europas: Ein Essay, S. 88. 186  Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 310.



III. Feindlichkeit und Menschenrechte237

geriere die zweite Prämisse, im Zusammenhang mit einer Politik der Menschenrechte, eine falsche Voraussetzung. Menschenrechte haben bei Habermas einen doppelten Charakter: „als Verfassungsnormen genießen sie positive Geltung, aber als Rechte, die jeder Person als Menschen zukommen, wird ihnen zugleich eine überpositive Geltung zugeschrieben.“187 Im Gegensatz zu Schmitts Vorstellung sei doch der Begriff des Menschenrechts nicht moralischer Herkunft, sondern eine spezifische Ausprägung des modernen Begriffs subjektiver Rechte, also einer juristischen Begrifflichkeit. Menschenrechte seien von Haus aus juridischer Natur. Was ihnen den Anschein moralischer Rechte verleiht, sei nicht ihr Inhalt, erst recht nicht ihre Struktur, sondern ein Geltungssinn, der über nationalstaatliche Rechtsordnungen hinausweise.188 Insofern führt Habermas einen Unterschied zwischen Menschenrechten und Moral an. Er sieht Menschenrechte als Grundrechte vor, die bei Verfassungsnormen ohnehin einen Vorzug haben. Demzufolge schreibt er: „Und ihrer Struktur nach sind Grundrechte einklagbare subjektive Rechte, die gerade den Sinn haben, Rechtspersonen auf eine wohlumschriebene Weise von moralischen Geboten zu entbinden, indem sie den Aktoren gesetzliche Spielräume für ein von je eigenen Präferenzen geleitetes Handeln einräumen. Während moralische Rechte aus Pflichten begründet werden, die den freien Willen autonomer Personen binden, ergeben sich Rechtspflichten erst in der Konsequenz von Berechtigungen zu willkürlichem Handeln, und zwar aus der gesetzlichen Einschränkung dieser subjektiven Freiheiten.“189

Mit andern Worten bilden Menschenrechte als Grundrechte ein juristisches Verfahren heraus, im Rahmen dessen die Willkürfreiheit des Einzelnen sichergestellt wird. Daher diene anders als die Moral, welche aus der Pflichtaufgabe her begründet werde, das Recht dem Schutz der Willkürfreiheit des Einzelnen gemäß dem Prinzip, dass alles erlaubt ist, was nicht explizit durch allgemeine freiheitsbegrenzende Gesetze verboten ist. Wenn aber die erste Prämisse, dass Menschenrechte von Haus aus die moralischen Rechte sind, falsch ist, wird die zweite Aussage anschließend erschüttert, sodass eine interventionistische Menschenrechtspolitik zu einem Kampf gegen das Böse entarten müsste. Widerstand gegen staatliche Handlung und Unterlassungen könne im Rechtsstaat auf vielfältige Weise geübte werden.190 Zu unterscheiden sei vor 187  Ebd.,

S. 310. ebd., S. 310. 189  Ebd., S. 312. 190  Semantisch gesehen verstehe man unter Widerstand das Vorhandensein einer Kraft, die sich einer Bewegung hindernd in den Weg stelle. Revolution dagegen leite sich aus dem aktiven „revolvere“, umwälzen ab. Entsprechend ziele die Revolution auf Umwälzung, d. h. Beseitigung mindestens von Teilen der bestehenden 188  Vgl.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

allem zwischen legalem und illegalem Widerstand. Legaler Widerstand sei dadurch definiert, dass er sich innerhalb der Grenzen des positiven Rechts halte, illegaler dadurch, dass er positives Recht verletze. Dass es ein Recht auf legalen Widerstand gibt, so Ralf Dreier, ist unproblematisch und steht außer Frage. Es wird in der Bundesrepublik durch die Grundrechte gewährleistet.191 Was die Grenzen des legalen Widerstandes überschreitet, dazu gibt es zwei Ausnahmen in der Bundesrepublik. Dabei schreibt Ralf Dreier: „Die erste betrifft den Widerstand in totalitären Diktaturen. Die zweite Ausnahme betrifft das Widerstandsrecht, das 1968 als neuer Absatz 4 in Art. 20 GG eingefügt wurde. Danach haben alle Deutschen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist, das Recht auf Widerstand gegen Bestrebungen, die auf Beseitigung der rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung gerichtet sind.“192 Ob es eine dritte Ausnahme gibt, ein sozusagen kleines Widerstandsrecht der Normallage, ist nach ihm strittig. Dies führt uns ja zum Thema des Zivilungehorsams. Ziviler Ungehorsam könne als Kampf ums Recht geübt und verstanden werden. Daher ist laut Dreier mit ihm die Absicht vereinbar, die Normverletzung vor Gericht als berechtigte Grundrechtsausübung zu erweisen. Nur die Bereitschaft sich einem Gerichtsverfahren zu stellen und das damit verbundene Prozessrisiko zu tragen, sei wesentliches Elemente des zivilen Ungehorsams.193 Dabei ist diese Frage zu stellen: „an welchem Punkt aber endet die Pflicht, sich den von einer Gesetzgebungsmehrheit beschlossenen Gesetzen oder den von ihr unterstützten Handlungen der ausführenden Gewalt zu fügen?“194 Aufgrund des Schutzes der positiven Rechte in der demokratischen Rechtsordnung ist Habermas der Meinung, dass die Verfassung aus Prinzipien gerechtfertigt werden können muss, deren Gültigkeit nicht davon abhängig sein darf, ob das positive Recht mit ihnen übereinstimmt oder nicht. Rechtsordnung und Einführung einer neuen Ordnung, während der Widerstand der Erhaltung oder Wiederherstellung der bestehenden Ordnung diene, also im Rahmen der bestehenden Ordnung ausgeübt werde. Vgl. Hagen, Widerstand und ziviler Ungehorsam: politische Philosophie und rechtliche Wertung, S. 2. 191  Vgl. Dreier, Widerstandsrecht und ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, in: Glotz, S. 54. 192  Ebd., S.  55 f. 193  Vgl. ebd., S. 61  f. Ziviler Ungehorsam richte sich definitionsgemäß gegen schwerwiegendes Unrecht. Er bediene sich dazu bewusst eines Ungehorsamkeits­ aktes, verstoße also gezielt gegen eine geltende Rechtsnorm, freilich nicht in der Absicht der Aufkündigung des Rechtsgehorsams, der Loyalität gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung als solcher, sondern mit der (auch beim großen Widerstandsrecht vorausgesetzten) Intention der Verfassungsbewahrung. Klein, Ziviler Ungehorsam im demokratischen Rechtsstaat?, in: Rüthers, S. 183. 194  Hagen, Widerstand und ziviler Ungehorsam: politische Philosophie und rechtliche Wertung, S. 129.



III. Feindlichkeit und Menschenrechte239

Deshalb könne der moderne Verfassungsstaat von seinen Bürgern Gesetzesgehorsam nur erwarten, wenn und soweit er sich auf anerkennungswürdige Prinzipien stütze, in deren Licht dann, was legal sei, als legitim gerechtfertigt – und gegebenenfalls als illegitim verworfen werden könne.195 D. h. es sind nur die Normen Habermas zufolge gerechtfertigt, die ein verallgemeinerungsfähiges Interesse zum Ausdruck bringen, welches durch Rechtsverfahren, wie schon gesagt, und nicht durch das einzelne positive Gesetz erfüllt wird. Es ermutige dann den Bürger, der in einer Staatsstreich- oder bürgerkriegsähnlichen Situation die grundgesetzliche Ordnung verteidigen wolle, zu sonst verbotenen Mitteln zu greifen, und es ermögliche es dem Richter, der später über den Sachverhalt zu urteilen habe, die fragliche Handlung positivrecht, d. h. ohne Rückgriff auf überpositives Recht, zu rechtfertigen.196 Habermas stellt hierbei fest, dass die Anwälte des autoritären Legalismus sich vorzugsweise auf Carl Schmitt berufen, weil sie davon ausgehen, dass die friedensstiftende Funktion des weltanschaulich neutralen Staates den Gehorsam der Bürger gegenüber einem übergeordneten Souverän erfordert. Anderenfalls gerät der Staat in den Bürgerkrieg.197 Demzufolge steht ziviler Ungehorsam der Stabilität des Staates gegenüber. Der demokratische Rechtsstaat sei gewiss neutral gegenüber den grundrechtlich geschützten subjektiven Glaubensgewissheiten seiner Bürger; keineswegs neutral verhalte er sich gegenüber der Intersubjektivität anerkannter moralischer Grundlagen der Legalität und des Rechtsgehorsam.198 D. h. die Geltung der Verfassung basiert auf einem verallgemeinerungsfähigen Interesse, welches die Rechtsordnung zum Ausdruck bringen will und diese basiert somit weder auf einzelnen positiven Gesetzen noch auf metaphysischen Quellen, welche Schmitt als konkrete Ordnung bezeichnet. In Bezug auf ein supranationales Gemeinwesen hält Habermas u. a. daran fest, dass man bei Schmitts Theorie einfach eine Diskriminierung der zivilen Oppositionen rechtfertigen könne. Dabei schreibt Habermas: „… wo unabhängige Gerichte und die (in extre195  Vgl. Habermas, Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat. Wider den autoritären Legalismus in der Bundesrepublik, in: Glotz, S. 37. 196  Vgl. Dreier, Widerstandsrecht und ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, in: Glotz, S. 56 f. Die Behörden haben somit nach Habermas hinreichend Spielraum bei der Entscheidung, ob Anklage erhoben und das Hauptverfahren eröffnet werden soll, ob eine Verurteilung nötig ist und wie gegebenenfalls die Strafe zu bemessen ist. In jedem Fall sollten aber die Gerichte erkennen lassen, dass ziviler Ungehorsam keines der üblichen Delikte sei. Vgl. Habermas, Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat. Wider den autoritären Legalismus in der Bundesrepu­ blik, in: Glotz, S. 43. 197  Vgl. ebd., S. 44. 198  Vgl. ebd., S. 44.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

men Fällen durch zivilen Ungehorsam aktivierten) Staatsbürger in ihrer Gesamtheit über sensible Fragen des verfassungswidrigen Verhaltens entscheiden, stellt es Carl Schmitt in das Ermessen der jeweiligen Machthaber, politische Gegner als Bürgerkriegsgegner zu kriminalisieren.“199 Der Grund besteht darin, dass Schmitt kein Rechtsverfahren, welches über die Entscheidung des Staates hinausgeht, anerkennen will. Zusammenfassend kann man davon ausgehen, dass Schmitt den Staat als Ausgangspunkt der Rechtsordnung betrachten will. Von dieser Prämisse her richtet er sich gegen zivilen Ungehorsam und zwar den Bürgerkrieg, weil er ihn als einen Verstoß gegen die Rechtsordnung ansehen will. Im Gegensatz dazu bildet Habermas über den Staat hinaus ein rechtliches Verfahren heraus, um staatliche Verstöße gegen die Bürgerfreiheit und den globalen Frieden rechtlich verurteilen zu können. Daher geht er nicht vom Staat, wie Schmitt, sondern von der Weltgesellschaft aus.

IV. Das Problem des Bürgerkriegs 1. Bürgerkrieg im globalen Zeitalter Zum Schluss wird noch einmal auf das Problem des Bürgerkrieges eingegangen, weil es bei Schmitt einerseits als eines der wichtigen Symbole des globalen Zeitalters bezeichnet worden ist und dies andererseits die Einleitung zum Thema des Partisans bei Schmitt ist. Der Bürgerkrieg sei eine innere Angelegenheit des einzelnen Staates, in dem er vor sich gehe. Nach der klassischen Lehre, dass das Völkerrecht die Rechte und Pflichten der souveränen Staaten gegeneinander zum Gegenstand habe, sei also der Bürgerkrieg an sich kein Gegenstand des Völkerrechts. Dabei betrachtet Walter Simons in Bezug auf den Spanischen Bürgerkrieg in den 30er Jahren den Bürgerkrieg als eine reine Tatfrage, weil die Grenze zwischen Unruhe, Aufruhr und Bürgerkrieg eine gleitende ist. Eine kriegsführende Partei anerkennen, bedeutet somit nach ihm dasselbe, wie einen bestehenden Staat anerkennen; es ist eine Anerkennung de facto, die gewisse rechtliche Wirkungen hat. So liege bei der Anerkennung einer kriegführenden Partei de facto nichts vor als Zugeständnis der Tatsache, dass innerhalb eines bisher einheitlichen Staatsgebiets zwischen zwei Machtzentren Krieg geführt werde und dass sich die ausländischen Mächte damit abzufinden hätten.200 199  Habermas,

Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 317. Bürgerkrieg und Völkerrecht, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, S.  593–586 f. 200  Simons,



IV. Das Problem des Bürgerkriegs 241

Das Thema des Bürgerkriegs wurde im Kalten Krieg im Sachgebiet der internationalen Beziehungen quasi verrechtlicht. Der Begriff des Bürgerkrieges sei im Völkerrecht nirgendwo allgemeinverbindlich definiert. Artikel 1 des Protokolls ll über die innerstaatlichen bewaffneten Konflikte vom 10. Dezember 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 führe nur einige Merkmale auf, die den Bürgerkrieg charakterisieren. Demzufolge könnte man, so Gerd Seidel, einen Bürgerkrieg definieren als eine militärische Auseinandersetzung größeren Umfangs, die innerhalb eines Staates (meist zur Durchsetzung politischer Ziele) zwischen dessen Streitkräften und Aufständischen oder zwischen anderen bewaffneten Gruppierungen ausgetragen wird, wobei die Parteien einen nicht unbeachtlichen Teil des Staatsterritoriums kontrollieren, militärisch organisiert und die kriegsrechtsschrankenlosen Bestimmungen des Protokolls einzuhalten in der Lage sind.201 Der UN-Sicherheitsrat darf dann Zwangsmaßnahmen nach Kapitel Vll der Charta der Vereinten Nationen ergreifen, wenn der Bürgerkrieg in einem Staat den Weltfrieden und die internationale Sicherheit berührt.202 Der offene Bürgerkrieg gilt hierbei nach Schmitt als ein bewaffneter Aufstand, der mit Hilfe des Belagerungszustandes durch Polizei und Truppen der regulären Armee niedergeschlagen wird, wenn er nicht zur Anerkennung der Aufständischen als kriegführende Partei führt.203 Im kantischen Sinne könnte man die Rebellen nicht als moralische Personen anerkennen, weil sie keine eigenen Rechte, die vom Staat unabhängig sind, zu Verfügung haben. Demzufolge ist der Bürgerkrieg bei ihm eine innere Angelegenheit des einzelnen Staates und an sich kein Gegenstand des Völkerrechts. Es ist bei Schmitt in der Außenpolitik grundlegend, dass die Grenze zwischen den staatlichen Kriegen und bürgerlichen Kriegen allmählich nach dem ersten Weltkrieg verschwunden ist. Genauer gesagt, sieht er einen Prozess im Völkerrecht, der zur Legitimierung der Aufstände führte. Schmitt deutet auf die Genfer Konventionen hin, die die konkreten Regeln für den 201  Dabei müssten innerstaatliche bewaffnete Auseinandersetzungen also eine bestimmte Schwere aufweisen, um als Bürgerkriege eingestuft werden zu können. Zu den Bürgerkriegen zählten damit auch nicht jene bewaffneten Konflikte, in denen Völker gegen Kolonialherrschaft und ausländische Okkupation und gegen rassistische Regimes in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts kämpften. Vgl. Seidel, Bürgerkrieg und Völkerrecht, in: neue Justiz, S. 108. 202  Vgl. ebd., S. 108. 203  Vgl. Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 18. Wenn aufständische Rebellen einen territorialen Machtbereich erobern, können die Staaten sie, so Schmitt, als kriegführende Gruppe anerkennen. In diesem Zusammenhang schreibt Schmitt: „Wenn die aufständischen Rebellen im Bürgerkrieg einen territorialen Machtbereich und eine staatliche Organisation erreicht haben, kann die Regierung eines dritten Staates sie als kriegführende Partei anerkennen.“ Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 139.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

Schutz von Individuen über die Befugnisse der Staaten hinaus einrichteten. Dies stellt sich laut Schmitt als ersten Verstoß gegen das Staatliche heraus. Er bringt z. B. vor: „Die Genfer Konventionen erweitern den Kreis der den regulären Kämpfern gleichgestellten Personen vor allem dadurch, dass sie die Mitglieder einer Miliz und Freikorps gleichstellen und ihnen auf diese Weise die Rechte und Vorrechte der regulären Kombattanten verleihen.“204 Es ist doch zu bemerken, dass diese Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung aufgrund des universellen Friedens internationale Konflikte, welche mit Waffengewalt ausgetragen werden, den zwischenstaatlichen Kriegen des klassischen europäischen Völkerrechts gleichstellt. Schmitt deutet u. a. bei der Genfer Liga auf den Begriff der Sanktion hin – was manchmal zum Schutz der Rebellen eingerichtet wird –, welcher dem nichtdiskriminierenden Staatenkrieg des bisherigen europäischen Völkerrechts widerspricht.205 Weil die Sanktionen als solche gegen die Rechtsordnung eines spezifischen Staates laut Schmitt vorgehen. Demzufolge sieht Schmitt die Anerkennung der Rebellen als ein Zeichen der globalen Welt, wonach das Staatliche verdrängt wird. Schmitt hält u. a. in der Innenpolitik daran fest, dass der liberale und neutrale Staat, was er als Leviathan bezeichnet, zum Bürgerkrieg führt. Schmitt ist überzeugt, dass der Leviathan als der sterbliche Gott die Rolle einer Maschine spielt, die von jedem Inhalt politischer Ziele und Überzeugungen unabhängig wird und die Wert- und Wahrheitsneutralität eines technischen Instruments erhält.206 Während die religiösen Parteien ihre Energien nämlich aus Quellen bezogen, welche außerhalb der fürstlichen Machtbereiche lagen, konnten sich die Fürsten nur gegen sie durchsetzen, wenn sie, so Reinhart Koselleck, das Primat des Religiösen brachen.207 Entscheidend an dieser Figur sei aber die Permanenz des Bürgerkrieges für das Bestehen des Staates. Die Paradoxie der Souveränität bestehe nämlich laut Schmitt darin, dass sie jede Beteiligung am Staat nach Abschluss des Unterwerfungsvertrages unter den Leviathan konzeptionell ausschließe, während der Staat doch den moralischen Innenraum als den unbewältigten Rest des Naturzustandes schaffe, der in den formvollendeten Staat hineingeragt habe. Eben hier setze Schmitts Kritik an. Die Notwendigkeit, dem Individuum einen moralischen Innenraum zuzugestehen, bedeute für Schmitt schon den An204  Schmitt,

Theorie des Partisanen, S. 31. Der Nomos der Erde, S. 215. 206  Vgl. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 54. Vgl. Mehring, Thomas Hobbes im konfessionellen Bürgerkrieg: Carl Schmitts HobbesBild und seine Wirkung im Kreis der alten Bundesrepublik, in: Leviathan, S. 519. 207  Missfelder, Die Gegenkraft und ihre Geschichte: Carl Schmitt, Reinhart Koselleck und der Bürgerkrieg, in: Zeitschrift für Religion- und Geistesgeschichte, S. 321. 205  Schmitt,



IV. Das Problem des Bürgerkriegs 243

fang vom Ende des Leviathans.208 D. h. die Spaltung zwischen Innen und Äußern führt zum Ende desselben Staates. Denn der Staat als solcher vertritt nach Schmitt keine substanzielle Idee, womit er die politische Einheit garantieren kann, wobei die Einheitsbildung Konstruktion eines totalen Staates sein Ziel ist.209 Der Leviathan ist allerdings verdrängt, weil er zum einen keinen Zugang zur privaten Sphäre in der Innenpolitik hat und zum anderen ist er in seiner entwickelten Version, der globalen Rechtsordnung und zwar der Weltgesellschaft, in der Außenpolitik untergeordnet. Demnach dürfen die supranationalen Organe in den Bürgerkrieg unter den von der UNO vorgeschriebenen Bedingungen eingreifen. Hierbei verlässt sich Schmitt auf den Partisanen um das Staatliche weiter aufrechterhalten zu können. 2. Theorie des Partisanen Die moderne Gestalt des Partisanen analysiert Schmitt unter den Gesichtspunkten des Raumes, der Zertrümmerung sozialer Strukturen, des weltpolitischen Zusammenhangs sowie unter einem technisch-industriellen Aspekt. Das Recht sei, wie gesagt, die Einheit von Ordnung und Ortung. Der Partisan verändert nach Schmitt eben diese Vorstellung vom Recht aufgrund seines irregulären Kampf, weil der irreguläre Kampf sich nicht auf einen spezifischen Raum beschränken kann. Der Partisan kämpfe wider alle Konvention des Kriegsrechts. Sein Töten erfahre nicht die Rechtfertigung, die einem regulären Soldaten zukomme.210 Dabei schreibt Schmitt: „Im Partisanenkampf entsteht ein kompliziert strukturierter neuer Aktionsraum, weil der Partisan nicht auf einem offenen Schlachtfeld und nicht auf der gleichen Ebene des offenen Frontenkrieges kämpft. Er zwingt vielmehr seinen Feind in einen anderen Raum hinein. So fügt er der Fläche des regulären, herkömmlichen Kriegsschauplatzes eine andere, dunklere Dimension hinzu, eine Dimension der Tiefe, in der die zur Schau getragene Uniform tödlich wird.“211 Schmitt betont dennoch den bodenständigen, tellurischen Aspekt des Partisanen, der sich für die politische Einheit engagiert. Marcus Llanque 208  Vgl.

ebd., S. 322. Mehring, Thomas Hobbes im konfessionellen Bürgerkrieg: Carl Schmitts Hobbes-Bild und seine Wirkung im Kreis der alten Bundesrepublik, S. 525. 210  Llanque, Ein Träger des Politischen nach dem Ende der Staatlichkeit: Der Partisan in Carl Schmitts politischer Theorie, in: Münkler, S. 62. 211  Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 72. 209  Vgl.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

schreibt: „Der Partisan sucht weder den Gegner noch den absoluten Feind. Er nimmt vielmehr den wirklichen Feind wahr. Er erfährt ihn persönlich als existenziell anderen und nimmt aus dieser politischen Grundentscheidung heraus, die er gleichfalls persönlich fällt, den Kampf mit ihm auf, und zwar auf der höchsten Intensitätsstufe der Auseinandersetzung, dem Kriege.“212 Die Legitimität des Partisans wurzelt insofern laut Schmitt in seinem tellurischen Charakter. Mit tellurisch ist die enge Verbundenheit des Partisanen zu seinem Heimatboden gemeint, wobei diese Frage aufzuwerfen ist, was bildet den Hintergrund für die Beschäftigung Schmitts mit der Problematik des Partisans? Nach dem zweiten Weltkrieg setzte er sich wiederholt mit der Vision einer technisch möglich gewordenen Einheit der Welt auseinander. Eine raumhafte Begrenzung solcher globalen Ambition erfolgt, so Joachim Klaus Ronneberger, für Schmitt vor allem durch die tellurische Fundierung des Partisanen, welche ihm bei aller taktischen Mobilität eine defensive Grundposition verleiht und zugleich die Legitimität seiner partisanischen Irregularität darstellt, wobei tellurisch die Verwurzelung mit dem Boden, die Verbindung zur ansässigen Bevölkerung und die besondere Kenntnis der speziellen Topographie des Landes bedeute.213 Der Partisan hat somit bei Schmitt einen wirklichen, aber nicht einen absoluten Feind. Das folge aus seinem politischen Charakter. Eine andere Grenze der Feindschaft folge aus dem tellurischen Charakter des Partisanen. Er verteidige ein Stück Erde, zu dem er eine autochthone Beziehung habe.214 Vor diesem Hintergrund sieht Schmitt den Partisan als Gegner der Globalisierung an, während der Staat und dessen Heer, also die Kombattanten nicht mehr in der Lage seien, den Prozess der Einheit der Welt zu vermeiden. Der tellurische Charakter schließlich solle die Erd- und Heimatverbundenheit des Partisanen beschrieben. Durch diese Fixierung auf sein eigenes Land unterscheide er sich vom exportierbaren Terroristen.215 Obgleich der Partisan einen tellurischen Charakter aufnehmen kann, sei es der Kampf gegen Kolonisation, sei es der Kampf gegen den bestehenden Staat, würde er nach Schmitt trotzdem in der globalen Welt zu einem ma212  Llanque, Ein Träger des Politischen nach dem Ende der Staatlichkeit: Der Partisan in Carl Schmitts politischer Theorie, in: Münkler, S. 68. 213  Ronneberger, Der Partisan im terroristischen Zeitalter: Vom gehegten Kriegsraum zum reinen Krieg. Carl Schmitt und Paul Virilio im Vergleich, in: Münkler, S. 90. 214  Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 93. 215  Vgl. Llanque, Ein Träger des Politischen nach dem Ende der Staatlichkeit: Der Partisan in Carl Schmitts politischer Theorie, in: Münkler, S. 62. Hierbei deutet Schmitt auf Mao hin, der mit dem Prinzip einer territorial-begrenzbaren, wirklichen Feindseligkeit der chinesisch-asiatischen Defensive gegen den kapitalistischen Kolonialismus gekämpft hat, während dessen rebellische Strategie der Kampf gegen one world war. Vgl. Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 63.



IV. Das Problem des Bürgerkriegs 245

nipulierten Werkzeug weltrevolutionärer Aggressivität.216 Der weltpolitische Kontext der modernen Partisanen ergebe sich somit dadurch, dass der einst bodenständige, tellurische und irreguläre Kämpfer von einer internationalen Zentralsteuerung dirigiert werde und seine ursprüngliche Defensivität zugunsten weltrevolutionärer Irregularität aufgegeben habe.217 Schmitt fokussiert auf die Rolle der weltrevolutionären Partisanen, weil Rebellen als solche u. a. eben eine Art der absoluten Feindseligkeit entwickeln, die der Theorie der wirklichen Feindseligkeit widerspricht. Der Partisan als solcher vertritt die spezifischen absoluten Werte, die sich über die staatliche Souveränität hinaus durchsetzen wollten. Schmitt hebt die Rolle der weltrevolutionären Partisanen hervor, weil sie in der globalen Welt mit den modernen Kampfmitteln ausgerüstet sind, was deren Macht verschärfen könnte.218 Der Partisan kämpfe in der Irregularität gegen die Legalität auf der Grundlage einer veränderten politischen Legitimität. Der Partisan sei damit Carl Schmitt zufolge eine repräsentative Leitfigur einer neuen Zeit. Er sei Ausdruck einer neuen Ordnung des Raumes und einer veränderten Charakteristik des bewaffneten Konfliktes.219 Von daher bedarf der Partisan einer Legitimierung. Anderenfalls senkt er sich, so Schmitt, in die Kriminalität ab.220 D. h. soll sich der Partisan aus den Prinzipen des bestehenden Staats entkoppeln, so müsste er sich auf eine neue Legitimitätsquelle berufen um sich immer noch in der Sphäre des Politischen halten zu können. Schmitt schreibt: „Wer für sich in Anspruch nimmt, den Feind zu bestimmen, nimmt eine eigene, neue Legalität für sich in Anspruch, wenn er sich der Feindbestimmung der bisherigen legalen Regierung nicht fügen will.“221 Folglich ist für Schmitt die Theorie des Partisanen insofern bemerkenswert, als er für sich in Anspruch nimmt, den wirklichen Feind zu bestimmen, damit die politische Einheit aufrechterhalten wird. Es gibt immer Schmitt zufolge gleichzeitig die Gefahr, dass der Partisan eine Ideologie, welche zu der absoluten Feindschaft führt, vertritt, die ja den Prozess der Globalisierung verschärfen kann. Für eine theoretische Abhandlung diffe216  Vgl.

ebd., S. 77. Vad, Strategie und Sicherheitspolitik; Perspektive im Werke von Carl Schmitt, S. 131. Dabei bezieht sich Schmitt auf Sozialisten und Marxisten, deren Ideologie zu der absoluten Feindschaft führt. Ihr konkreter absoluter Feind sei der Klassenfeind, der Bourgeois, der westliche Kapitalist und dessen Gesellschaftsordnung in jedem Lande gewesen, in dem sie herrschte. Vgl. Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 57. 218  Vgl. ebd., S. 77. 219  Vgl. Vad, Strategie und Sicherheitspolitik; Perspektive im Werke von Carl Schmitt, S. 134. 220  Vgl. Schmitt, Theorie des Partisanen, S. 85. 221  Ebd., S. 87. 217  Vgl.

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E. Das Gleichgewicht der Mächte als Aufhalter der Globalität

renziert Schmitt ja den Gebrauch des Begriffs Partisan nicht deutlich genug. Jedenfalls weist die disparate Fülle von verschiedenen Interpretationen so Marcus Llanque auf diesen Mangel hin. So werde der Partisan einmal verstanden als das Schreckbild dessen, was sich im Zuge der Aufhebung der Hegung des Krieges politisch entwickeln könne. An anderen Stelle werde der Partisanenkrieg nur für jenes Phänomen gehalten, das in der Situation der Unmöglichkeit offener Staatenkriege entstehen kann.222 Dabei ist zu bemerken, dass die Theorie des Partisanen eine Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen ist. D. h. der Partisan ist für Schmitt insofern beachtenswert, als er einen Beitrag zum Politischen leistet.

222  Vgl. Llanque, Ein Träger des Politischen nach dem Ende der Staatlichkeit: Der Partisan in Carl Schmitts politischer Theorie, in: Münkler, S. 77 f.

F. Globalisierungskritik in den Kategorien von Carl Schmitts Gedankengut I. Die Entmächtigung des Nationalstaats 1. Die Demokratisierung des Rechtsverfahrens Bei der Entmächtigung des Nationalstaats denkt man zu allererst an die längst festgestellten Veränderungen des modernen, aus dem Westfälischen Frieden hervorgegangenen Staatensystems. Nach diesem Modell besteht die Staatenwelt, so Habermas, aus unabhängigen nationalstaatlichen Akteuren, die in einer anarchischen Umgebung nach Präferenzen eigener Machterhaltung oder Machterweiterung mehr oder weniger rationale Entscheidungen treffen.1 Die westfälisch genannte Form nationalstaatlicher Souveränität geht nämlich davon aus, dass der Umgang eines Staates mit den eigenen Bürgern dessen innere Angelegenheit sei. Nach modernem Verständnis sei Staat ein juristisch definierter Begriff, der sich sachlich auf eine nach innen wie außen souveräne Staatsgewalt, räumlich auf ein eindeutig abgegrenztes Territorium, das Staatsgebiet, und sozial auf die Gesamtheit der Angehörigen, das Staatsvolk, beziehe. Die staatliche Herrschaft konstituiere sich in den Formen des positiven Rechts, und das Staatsvolk sei Träger der auf den Geltungsbereich des Staatsgebiets beschränkten Rechtsordnung.2 Insofern ist der Souverän nur der Staat, der im Inneren Ruhe und Ordnung aufrechterhalten und nach außen seine Grenzen de facto schützen kann. Der Staat ist daher, wie Kant betont, selbst eine moralische Person, d. h. er besitzt die Fähigkeit, freie Entscheidungen in den zwischenstaatlichen Beziehungen zu treffen, wobei das Verbot der Einmischung sicherstellen sollte, dass jeder Staat in der Lage ist, als Völkerrechtspersönlichkeit Verträge abzuschließen. 1  Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, S. 807 f. Dabei versuchte der Wiener Kongress (1815) diese zwischenstaatliche Ordnung, welche durch die Französische Revolution unstabil geworden war, wieder in eine neue Struktur zurückzuführen. 2  Habermas, Der europäische Nationalstaat – zu Vergangenheit und Zukunft von Souveränität und Staatsbürgerschaft, in: Die Einbeziehung des Anderen: Studien zur politischen Theorie, S. 129 f.

248 F. Globalisierungskritik in den Kategorien von C. Schmitts Gedankengut

In diesem Zusammenhang geht Habermas auf die Geschichte der Nationalität in Europa ein, woraus die modernen Staaten sich entwickelten. Nach dem klassischen Sprachgebrauch der Römer sei natio ebenso wie gens ein Oppositionsbegriff zu civitas. Nationen seien zunächst Abstammungsgemeinschaften, die geographisch durch Siedlung und Nachbarschaft, kulturell durch gemeinsame Sprache, Sitte und Überlieferung, aber noch nicht politisch, im Rahmen einer staatlichen Organisationsform integriert seien. Dabei hatten sich aus dem Lehnverband des Deutschen Reiches, so Habermas, in diesem unpolitischen Sinne Ständestaaten entwickelt; sie basierten laut ihm auf Verträgen, in denen der auf Steuern und militärische Unterstützung angewiesene König oder Kaiser dem Adel, der Kirche und den Städten Privilegien, also eine begrenzte Teilhabe an der Ausübung politischer Herrschaft einräumte. Und diese in Parlamenten oder Landtagen zusammentretenden Herrschaftsstände hätten gegenüber dem Hof das Land oder eben die Nation repräsentiert. Seit dem späten 18. Jahrhundert setzt die voranschreitende Transformation der Adelsnation in die Volksnation schließlich Habermas zufolge einen Bewusstseinswandel voraus, der die Nationalität im politischen Sinne zu definieren vermag,3 indem die Nation sich nicht mit der Abstammungsgemeinschaft, sondern mit einem demo­ kratischen Verfahren gleichsetzen will, welches durch Konsens zustande kommt. Das Problem liegt jedoch laut Habermas darin, dass die positive Selbststilisierung der eignen Nation zum gut funktionierenden Mechanismus der Abwehr alles fremden, der Abwertung anderer Nationen und der Ausgrenzung nationaler, ethnischer, religiöser Minderheiten und insbesondere der Juden wurde. Dabei habe der Nationalismus sich in Europa mit dem Antisemitismus verbunden.4 Die Geschichte des europäischen Imperialismus zwischen 1871 und 1914 illustriere wie der integrale Nationalismus des 20. Jahrhunderts – ganz zu schweigen vom Rassismus der Nazis – die traurige Tatsache, dass die Idee der Nation weniger dazu gedient habe, die Bevölkerungen in ihrer Loyalität zum Verfassungsstaat zu bestärken, als vielmehr dazu, die Massen für Ziele zu mobilisieren, die kaum mit republikanischen Grundsätzen in Einklang zu bringen seien.5 Ein kollektiver Begriff nationaler Freiheit als öffentliche Autonomie konkurriert somit aufgrund der Nationalstaatslehre 3  Ebd., S.  133 f. Vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 312–331. Zur Bedeutung des Rechtsverfahrens vgl. Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich? in: Kritische Justiz, S. 6. 4  Habermas, Der europäische Nationalstaat – zu Vergangenheit und Zukunft von Souveränität und Staatsbürgerschaft, in: Die Einbeziehung des Anderen: Studien zur politischen Theorie, S. 134. 5  Vgl. ebd., S. 141.



I. Die Entmächtigung des Nationalstaats249

mit der privaten Autonomie der Staatsbürger.6 Das Modell der öffentlichen Autonomie kann naturalistisch interpretiert werden, indem die Nation als ein vorpolitischer Zustand definiert werde. Demzufolge besteht die Freiheit der Nation laut Habermas wesentlich in der Fähigkeit, ihre Unabhängigkeit notfalls mit militärischer Gewalt zu behaupten. Wie die Privatleute auf dem Markt, so verfolgten die Völker ihre je eigenen Interessen in der freien Wildbahn der internationalen Machtpolitik.7 Insofern könnte nur ein nicht-natura6  Diesen problematischen Zusammenhang zwischen subjektiv-privaten Freiheiten und staatsbürgerlicher Autonomie versucht Habermas mit Hilfe des Diskursbegriffes des Rechts aufzuklären, damit er die Legitimitätsbasis der Massendemokratie in Frage stellen kann. Der Beginn der Lehre vom subjektiven Recht war laut Habermas durch die normative Verselbständigung von moralisch gehaltvollen subjektiven Rechten gekennzeichnet, die gegenüber dem politischen Gesetzgebungsprozess eine höhere Legitimität beanspruchen. Der freiheitssichernde Sinn sollte insofern, so Habermas, den subjektiven Rechten eine von der demokratischen Rechtsetzung unabhängige moralische Autorität verleihen, die innerhalb der Rechtstheorie selbst gar nicht zu begründen war. Darauf reagiere eine Entwicklung, die mit der abstrakten Unterordnung subjektiver Rechte unter das objektive Recht ende, wobei sich dessen Legitimität schließlich in der Legalität einer gesetzpositivistisch verstandenen politischen Herrschaft erschöpfe. Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung: Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, S. 117. D. h. die abstrakten Rechte, die bisher eine moralisch- abstrakte Basis hatten, haben sich legalisiert, indem sie nunmehr durch das Rechtsverfahren zustande kommen. Hierzu hält Kelsen ebenfalls daran fest, dass das Grundrecht als ein objektives und positives Recht, welches nichts mit dem Naturrecht oder Moral zu tun hat, zu betrachten ist. Vgl. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 204 f. Das Problem besteht ja laut Habermas darin, dass dieser Lehre nicht zu erklären gelang, woher das positive Recht seine Legitimität bezieht. Insofern versucht Habermas aufgrund der Diskurstheorie diese Spaltung zwischen privater und öffentlichen Autonomie aufzulösen, indem die Idee der Selbstgesetzgebung von Bürgern laut ihm nicht auf die moralische Selbstgesetzgebung einzelner Personen zurückgeführt werden darf. Autonomie müsse allgemeiner und neutraler begriffen werden. Deshalb hat er ein Diskursprinzip eingeführt, welches gegenüber Moral und Recht zunächst indifferent ist. Das Diskursprinzip solle erst auf dem Wege der rechtsförmigen Institutionalisierung die Gestalt eines Demokratieprinzips annehmen, welches dann seinerseits dem Prozess der Rechtsetzung legitimitäterzeugende Kraft verleihe. Vgl. ebd., S. 154. D. h. die politischen Rechte begründen den Status freier und gleicher Staatsbürger, der insofern selbstbezüglich ist, als er es den Bürgern ermöglicht, ihre materiale Rechtsstellung mit dem Ziel der Interpretation und Ausgestaltung privater und öffentlicher Autonomie zu verändern, wobei man von den ständigen wechselseitigen Kontakten zwischen den Bürgern und dem Staat ausgeht, woraus die positiven Rechte, und zwar politischen Gesetze, aufgrund der rationalen Diskurse zustande kommen, ohne dass die private und öffentliche Autonomie sich widersprechen. Insofern kommt Habermas m E. einen Schritt weiter im Vergleich mit Kelsen, der sich nur mit der Positivierung des Rechts befasst hat. 7  Vgl. Habermas, Der europäische Nationalstaat – zu Vergangenheit und Zukunft von Souveränität und Staatsbürgerschaft, in: Die Einbeziehung des Anderen: Studien zur politischen Theorie, S. 138.

250 F. Globalisierungskritik in den Kategorien von C. Schmitts Gedankengut

listischer Begriff von Nation, der sich nicht mehr auf eine vorpolitische Gegebenheit eines naturwüchsigen Volkes bezieht, sich mit dem universalistischen Selbstverständnis des demokratischen Rechtsstaates in Einklang bringen. Indem die Rechtsordnung sich, wie schon gesagt, laut Habermas dem rationalen institutionalisierten Rechtsverfahren im politischen Sinne sowohl bei innerstaatlichen Konstellationen, als auch bei zwischenstaatlichen Beziehungen unterordnen soll.8 Im Gegenteil gewinne das Volk, das in der Demokratie als Subjekt der verfassunggebenden Gewalt gilt, seine Identität nicht erst aus der Verfassung, sondern diese Identität ist vielmehr ein vorkonstitutionelles Faktum. Schmitt führt laut Habermas eine strikte Trennung zwischen dem rechtsstaatlichen und dem politischen Bestandteil der Verfassung durch und verwende dann die Nation als Scharnier, das die überlieferten Prinzipien des bürgerlichen Rechtsstaates mit dem demokratischen Grundsatz der Selbstbestimmung des Volkes zusammenfüge. Mit anderen Worten erkläre er nationale Homogenität zur notwendigen Bedingung für eine demokratische Ausübung politischer Herrschaft.9 Dabei schreibt Schmitt: „Wird die Nation als Substanz der demokratischen Gleichheit aufgefasst, so ergeben sich daraus praktische Konsequenzen besonderer Art. Ein demokratischer Staat, der in der nationalen Gleichartigkeit seiner Bürger die Voraussetzungen seiner Demokratie findet, entspricht dem sog. Nationalitätsprinzip, nach welchem eine Nation einen Staat bildet, ein Staat eine Nation.“10 Also setzt Schmitt eine demokratische Gleichheit voraus, welche er substantielle Gleichheit nennt.11 Aus dieser Substantialisierung des Staatsvolkes ergibt sich nach Habermas als weitere begriffliche Weichenstellung eine existentialistische Auffassung des demokratischen Entscheidungsprozesses,12 welche in der vorpolitischen Gegebenheit eines naturwüchsigen Volkes verankert ist. Insofern trennt sich die Demokratie vom Rechtsstaat, weil der politische Wille bei Schmitt nicht aus dem Rechtsverfahren entsteht, sondern vielmehr aus dem vorpolitischen Zustand des homogenen Volks. Weil der richtungweisende politische Wille keinen vernünftigen normativen Gehalt habe, sich vielmehr im expressiven Gehalt eines naturalistischen Volksgeistes erschöpfe, brauche er auch nicht aus öffentlicher Diskussion hervorzugehen.13 Insofern 8  Habermas,

Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 312 f. Habermas, Inklusion – Einbeziehen oder Einschließen? Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie, in: Die Einbeziehung des Anderen: Stu­dien zur politischen Theorie, S. 160. 10  Schmitt, Verfassungslehre, S. 231. 11  Vgl. ebd., S. 228. 12  Vgl. Habermas, Inklusion – Einbeziehen oder Einschließen? Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie, in: Die Einbeziehung des Anderen: Stu­dien zur politischen Theorie, S. 161. 13  Vgl. ebd., S. 161 f. 9  Vgl.



I. Die Entmächtigung des Nationalstaats251

gilt das Volk bei Habermas nicht wie bei Schmitt als vorpolitische Gegebenheit, sondern als Produkt des Gesellschaftsvertrages. „Indem sich die Beteiligten gemeinsam entschließen, von ihrem ursprünglichen Recht, unter öffentlichen Freiheitsgesetzen zu leben, Gebrauch zu machen, bilden Sie eine Assoziation freier und gleicher Rechtsgenossen.“14 Die Ebene der gemeinsamen politischen Kultur müsse von der Ebene der vorpolitisch geprägten Identitäten entkoppelt werden, weil der Nationalstaat heute sich laut Habermas im Inneren durch die Sprengkraft des Multikulturalismus und von außen durch den Problemdruck der Globalisierung herausgefordert sieht.15 Insofern geht Habermas von einem nachmetaphysischen Rechtsordnungsmuster aus,16 welches sich nicht auf vorpolitische Gegebenheiten bezieht, sondern vielmehr auf das Rechtsverfahren, welches sich diskursiv entwickelt. In diesem Zusammenhang ist diese Frage zu entwerfen, inwieweit die Bürger in einer multikulturellen, demokratischen Rechtsordnung ihre unterschiedlichen Werte in der Öffentlichkeit durchzuführen versuchen dürfen. Die Antwort auf diese Frage ist wichtig, weil die demokratische Rechtsordnung sich nicht auf eine vorpolitische Homogenität beruft, welche für Schmitt die Basis des Rechtsstaates ist. Im weltanschaulich neutralen Staat dürfen, so Jürgen Habermas, nur diejenigen politischen Entscheidungen als legitim gelten, die im Lichte von allgemein zugänglichen Gründen unparteilich, also gleichermaßen gegenüber religiösen wie nicht-religiösen Bürgern, oder Bürgern verschiedener Glaubensrichtungen gerechtfertigt werden können.17 2. Der Kampf gegen den neutralen Staat Es wurde ausführlich in vier unterschiedlichen Kategorien analysiert, dass Schmitt dem neutralen Staat als Zeichen der Globalisierung in der Innenpolitik entgegenwirken will. Methodisch hinterfragt er die wertfreie Wissenschaft, welche die Werte neutralisieren will, indem sie die praktischen Wertungen von der wissenschaftlichen Analyse trennt. In diesem Zusammenhang schreibt Schmitt: „Eine kausalgesetzliche und deshalb wertfreie Wissenschaft bedrohte die Freiheit des Menschen und seine religiös-ethisch14  Vgl.

ebd., S. 163. Habermas, Der europäische Nationalstaat – zu Vergangenheit und Zukunft von Souveränität und Staatsbürgerschaft, in: Die Einbeziehung des Anderen: Studien zur politischen Theorie, S. 141 f. 16  Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung: Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, S. 135. 17  Habermas, Religion in der Öffentlichkeit, in: Philosophische Texte, S. 268. 15  Vgl.

252 F. Globalisierungskritik in den Kategorien von C. Schmitts Gedankengut

juristische Verantwortlichkeit.“18 Die Geltung der Werte beruht laut Schmitt in der wertfreien Wissenschaft auf Setzungen: Wer ist es nun, der hier die Werte setzt? Bei Max Weber finden wir laut ihm die klarsten und insofern auch ehrlichsten Antworten auf diese Frage. Es sei das menschliche Individuum, das in voller, rein subjektiver Entscheidungsfreiheit die Werte setzt.19 Schmitt spielt auf den Positivismus an, der die konkrete Ordnung zu ignorieren vermag um eine nachvollziehbare Wissenschaft zu entwickeln.20 Der Mensch habe zu allererst doch eine vorwissenschaftliche Teilnahme an der Ordnung der Welt, wobei seine vorwissenschaftlichen Erlebnisse von Recht und Unrecht dazu neigen sich dann in der nächsten Phase auf theoretisches und wissenschaftliches Verständnis zu erheben.21 Im Gegensatz dazu ignoriert die wertfreie Wissenschaft laut Schmitt die konkrete Ordnung, weil die Ordnung als solche Max Weber zufolge nur Relativismus auslösen könnte. Schmitt hält an der konkreten Ordnung fest, damit er die Legitimität des Staates auf den vorpolitischen Zustand zurückführen und demnach den neutralen Staat bekämpfen könnte. Schmitt versucht u. a. das Verhältnis zwischen Transzendenz und der irdischen Welt, die seiner Ansicht nach im modernen Zeitalter abgebrochen wurde, wieder aufrechtzuerhalten, indem er das Politische in der Kategorie der theologischen Begriffe definiert. Anders als bei Max Weber sei für Schmitt das Wesen der staatlichen Souveränität nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmonopol, sondern als Entscheidungsmonopol juristisch zu definieren.22 Es geht Schmitt bei der Analogie von theologischer und politischer Transzendenzvorstellung nicht darum, dem Souverän göttliche Eigenschaften zuzuschreiben oder ihn zu einem Gott zu machen, sondern die Entscheidungskraft des Staates, nämlich die Souveränität, vor der Positivierung des Rechts zu schützen. Schmitt trifft einen Unterscheid zwischen der Rechtstheorie und der Machttheorie, wonach ein Staat zustande kommt. Die Machttheorie entzieht sich einem spezifischen Inhalt des Rechts, weil das Recht aufgrund der Machttheorie nur Resultat einer bestimmten Verteilung sozialer Kräfte ist. 18  Schmitt,

Die Tyrannei der Werte, S. 31. ebd., S. 31. 20  Zu der Bedeutung der konkreten Ordnung vgl. Schmitt, Über drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 9 f. Die verschiedenen Völker und Rassen sind laut Schmitt verschiedenen Denktypen zugeordnet, und insofern könnte sich mit der Vorherrschaft eines bestimmten Denktypus eine geistige und damit politische Herrschaft über ein Volk verbinden, welche sich strukturell von anderen politischen Herrschaften unterscheide. 21  Vgl. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 23 f. 22  Vgl. Motschenbacher, Katechon oder Großinquisitor?; eine Studie zu Inhalt und Struktur der Politischen Theologie Carl Schmitts, S. 61. 19  Vgl.



I. Die Entmächtigung des Nationalstaats253

Insofern ordnet sich das Recht laut Schmitt im Sachgebiet der Machttheorie der Kausalität, und zwar dem positiven Recht, unter.23 Im Gegensatz dazu beruft sich die Rechtstheorie, wofür Schmitt plädiert, nicht auf eine Autorität, woraus dann Recht entsteht, sondern das Recht artikuliert sich laut ihm aus sich selbst heraus, wobei Schmitt schreibt: „… bedeutet für die Rechtstheorie ein Hinweis auf die Meinung der meisten, der anständig und billig denkenden Menschen, eine Bezugnahme auf etwas, das nicht aus eigener Autorität gilt, sondern nur einen Inhalt bezeichnet, der dem entspricht, was sein soll.“24 D. h. das Recht ist nicht das Produkt des Rechtsverfahrens, sondern es bezieht sich auf einen vorpolitischen Zustand. Der Legitimität des Staates liegt somit das Recht als solches zugrunde, welches sich vorpolitisch definiert, wobei zu bemerken ist, dass die Legitimität bei Schmitt mit Bezug auf Dauer, Alter, Herkommen, Erbe, Vaterschaft und Tradition definiert werden soll. Hingegen sei Legalität ein Funktionsmodus der staatlichen oder einer sonstigen, berechenbar funktionierenden Bürokratie.25 Schmitt bezeichnet den Staat der kantischen Tradition nach als eine moralische Person, dessen moralische Prinzipien dieser selbst herausstellt. Demzufolge vertritt Schmitt die These, dass kein Staat sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staats einmischen darf, weil man nicht von einer globalen Rechtsordnung ausgehen könne. Denn alles Recht ist bei Schmitt nur Recht am rechten Ort. Insofern seien der Zusammenhang von Ordnung und Ortung und die Raumgebundenheit allen Rechts vor Augen zu halten. Die Landnahme geht somit, so Schmitt, der ihr folgenden Ordnung nicht nur logisch, sondern auch geschichtlich voraus, weil aus der Landnahme her ein rechtlicher Zustand vorstellbar sei.26 Wo Ortung und Ordnung zusammenfallen, kann man bei Schmitt vom Nomos sprechen. Nomos ist bei Schmitt somit das Zeichen der historischen Entwicklung der Gesetze, die sich aufgrund der vorpolitischen Zustände entwickelt haben. Und dies setzt sich der Demokratisierung des Rechtsverfahrens entgegen, weil Nomos im Schmittschen Sinne auf naturalistischer Auffassung der Gesetzgebungsverfahren basiert ist. Allerdings argumentiert Schmitt für einen Staat, der sich nicht der Positivierung des Rechtsverfahrens unterwerfen will, weil er sonst seine wichtigen Attribute, nämlich die Souveränität, verliert und sich dann im Prozess der Globalisierung auflösen lässt. Insofern hebt Schmitt den vorpolitischen Zustand hervor, wobei er m. E. in den vier Kategorien seines Gedankenguts die dualistischen Konzeptionen, wie Konkrete Ordnung vs. Normative OrdSchmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 22. S. 25. 25  Schmitt, Politische Theologie II, S. 87. 26  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 19. 23  Vgl.

24  Ebd.,

254 F. Globalisierungskritik in den Kategorien von C. Schmitts Gedankengut

nung, Transzendenz vs. Immanenz, Legitimität vs. Legalität und Nomos vs. Gesetz entwickelt usw., damit er konzeptionell für den Staat plädieren könnte.

II. Die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen 1. Die supranationalen Institutionen und die Menschenrechte Der weltbürgerliche Zustand soll sich bei Kant vom innerstaatlichen Rechtszustand dadurch unterscheiden, dass sich die Staaten nicht wie die einzelnen Bürger den öffentlichen Zwangsgesetzen einer übergeordneten Gewalt unterwerfen, sondern ihre Unabhängigkeit beibehalten. Insofern gilt das Völkerrecht wie alles Recht im Naturzustand nur aufhebend. Diese Idee ist für Habermas nicht konsistent, weil das Weltbürgerrecht so institutionalisiert werden müsse, dass es die einzelnen Regierungen bindet. Anderenfalls könnte man nicht von der Weltgesellschaft, welche eine Garantie für Frieden ist, ausgehen. Im Gegensatz zu Kant würde das Weltbürgerrecht nämlich Habermas zufolge, wie das staatlich sanktionierte Recht, den Naturzustand definitiv beenden. Zur Institutionalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen schreibt Habermas: „Erst damit wird sich das instabile, auf wechselseitiger Bedrohung beruhende System sich selbst behauptender souveräner Staaten in eine Föderation mit gemeinsamen Institutionen verwandeln, die staatliche Funktionen übernehmen, nämlich den Verkehr ihrer Mitglieder untereinander rechtlich regeln und die Einhaltung dieser Regeln kontrollieren.“27 Dieses von Kant stammende Projekt sei erst mit dem Völkerbund, also nach mehr als 200 Jahren auf die politische Agenda gelangt und die Idee der Herstellung einer weltbürgerlichen Ordnung habe erst mit der Gründung der Vereinten Nationen eine dauerhafte institutionelle Gestalt angenommen.28 Dieses Projekt bedeutet der Prozess der Globalisierung in der Außenpolitik, während dasselbe Projekt sich in der Innenpolitik innerhalb der Demokratisierung des Rechtsverfahrens ausdrücken lässt.29 Die Kompetenzverschiebungen von der nationalen zur übernationalen Ebene reißen freilich laut Habermas Legitimationslücken auf. „Denn die 27  Habermas,

Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 301. Habermas, Eine politische Verfassung für die pluralistische Weltgesellschaft?, in: Zwischen Naturalismus und Religion, Philosophische Aufsätze, S. 324. 29  Habermas verwendet den Begriff Globalisierung für die Beschreibung eines Prozesses, nicht eines Endzustandes. Dieser Begriff kennzeichnet den zunehmenden Umfang und die Intensivierung von Verkehrs-, Kommunikations- und Austauchbeziehungen über nationale Grenzen hinweg. Vgl. Habermas, Die postnationale Kon­ s­tellation und die Zukunft der Demokratie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, S. 806. 28  Vgl.



II. Die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen255

neuen Formen der internationalen Zusammenarbeit entbehren einer Legitimation, die auch nur entfernt den Anforderungen der nationalstaatlich institutionalisierten Verfahren genügen würde.“30 Mit anderen Worten ist Habermas der Meinung, dass die Weltorganisation von den Legitimitätsdifferenzen ihrer Mitglieder innerhalb der Staatengemeinschaft abstrahieren will.31 Schmitt hebt im Gegenzug die Legitimitätsdifferenzen der Staaten aufgrund seines erdachten Konzepts, nämlich der Konkreten Ordnung hervor, weil er von den Anerkennungen der diversen Legitimationsquellen der Staaten ausgeht. Die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen jedoch heißt, dass die Staaten sich den internationalen Gesetzen unterordnen, welche sich auf eine spezifische globale Legitimitätsquelle berufen. Der libertäre Affekt begrüße somit die Öffnung der territorialen und sozialen Grenzen als Emanzipation in beiden Richtungen, nämlich sowohl als Befreiung der Herrschaftsunterworfenen von der normalisierenden Gewalt staatlicher Regulierung wie auch als Befreiung der Individuen von den Zwängen zur Assimilation an die Verhaltensmuster eines nationalen Kollektivs.32 In diesem Zusammenhang schreibt Habermas über die Zukunft der Demokratie: „Eine ebenso beunruhigende Frage stellt sich auch im Hinblick auf die Zukunft der Demokratie. Denn die demokratischen Verfahren und Arrangements, die den vereinigten Staatsbürgern die Möglichkeit zur politischen Einwirkung auf ihre gesellschaftlichen Lebensbedingungen geben, müssen in dem Maße Leerlaufen, wie der Nationalstaat Funktionen und Handlungsspielräume verliert, ohne dass dafür auf supranationaler Ebene Äquivalente entstehen.“33

Habermas hält nämlich daran fest, dass man die demokratischen Werte nicht mehr innerhalb der staatlichen Grenzen schützen kann. Weil neue über die nationalen Grenzen hinausgehenden Problemlagen in der Welt entstehen bzw. sich verschärfen, die nicht mehr regional gelöst werden können, wobei die Demokratie selbst eine rechtlich vermittelte Form der politischen Integration sei. D. h. Demokratie sei auf eine von allen Bürgern geteilte politische Kultur angewiesen. Hierzu ist ein Unterschied zwischen Europa und der Weltgesellschaft zu treffen. Die Erwartung Habermas ist in Europa, „dass der Prozess des nation building auf die Grenzen Europas erweitert wird, wodurch sich so etwas wie eine europäische, der gemeinsamen Geschichte bewusste Staatsbürgernation konstituiert. Im Rahmen eines solchen erweiterten nation building sollen wiederum eine europäische Identität und die 30  Vgl.

ebd., S. 808. Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 306. 32  Vgl. Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, S. 811. 33  Habermas, Der europäische Nationalstaat unter dem Druck der Globalisierung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, S. 429 f. 31  Vgl.

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jeweiligen kulturellen Zugehörigkeitsgefühle zu Europa entstehen.“34 In diesem Zusammenhang vertritt Habermas diese These: Wenn man bedenkt, dass in den europäischen Staaten des 19. Jahrhunderts Nationalbewusstsein und staatsbürgerliche Solidarität erst allmählich, mithilfe von nationaler Geschichtsschreibung, Massenkommunikation und Wehrpflicht erzeugt worden sind, warum sollte sich dieser Lernprozess laut Habermas nicht unter Fremden über nationale Grenzen hinaus fortführen lassen?35 D. h. die einzelnen europäischen Staaten sollen ihr Gewaltmonopol in dem oben genannten Prozess preisgeben. In der politisch verfassten Weltgesellschaft müssen sich die souveränen Staaten hingegen laut ihm ohne formale Preisgabe ihres Gewaltmonopols zugleich als pazifizierte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft und als potente Mitspieler in internationalen Organisationen verstehen.36 Indem der souveräne Staat die Aufgabe habe, innerhalb nationaler Grenzen die Grundrechte positivierter Menschenrechte zu garantieren; diese Funktion erfülle der Verfassungsstaat im Auftrag seiner demokratisch vereinigten Bürger.37 Genauer gesagt, obwohl die Staaten in der universalen Ebene ihr Gewaltmonopol nicht preisgeben, sollen sie sich den Prinzipen der Menschrechte, die schon juristisch durch supranationale Institutionen kodifiziert sind, unterwerfen.38 D. h. ein rechtlich-moralisches Selbstverständnis könnte auf der kosmopolitischen Ebene lediglich den Frieden garantieren. Die wichtige Aufgabe der Weltgesellschaft, welche durch ein supranationales Gemeinwesen zustande kommt, ist somit das Weltbürgerrecht, und zwar die Menschenrechte, zu garantieren.39 In diesem Zusammenhang ist zu fragen, was ist das Wesen des Menschen, wenn man von den Menschenrechten spricht. Das Wesen des Menschen könne je nach der historischen Situation und den eigenen Vorurteilen außerordentlich unterschiedlich interpretiert werden und dementsprechend zu 34  Costa, Europa und das Verhältnis Zentrum-Peripherie in der Weltgesellschaft: Eine Kritik am Habermasschen Ansatz, in: Brunkhorst, S. 116. 35  Vgl. ebd., S. 435. 36  Habermas, Eine politische Verfassung für die pluralistische Weltgesellschaft?, in: Zwischen Naturalismus und Religion, Philosophische Aufsätze, S. 339. 37  Vgl. ebd., S. 353 f. 38  Mit Blick auf die bereits bestehenden internationalen Institutionen wie UNO oder Internationaler Strafgerichtshof spreche Habermas dann zwar von deren Möglichkeiten und den damit verbundenen Hoffnungen, sehe in ihnen aber keine adäquaten funktionsfähigen politischen Steuerungsinstrumente. Vgl. Weisensee, Demokratie, Staat und Gesellschaft in der Globalisierung, S. 302. 39  Insofern meinte Habermas, dass die Vereinten Nationen als eine politisch verfasste Gemeinschaft von Staaten und Bürgern reorganisiert und gleichzeitig auf die Kernfunktionen der Friedenssicherung und der globalen Durchsetzung der Menschenrechte beschränkt werden sollten. Vgl. Habermas, Die Krise der Europäischen Union im Lichte einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts, S. 58, 85 und 89.



II. Die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen257

extrem gegensätzlichen Wertsystemen führen. Der Konsens sei die heute als üblich und gültig angesehene Methode. Der Konsens habe ja eine Schwäche: wenn einige dann doch nicht ratifizieren oder später erklären, sie würden sich nicht daran halten, geht er eben verloren und fungiert nicht mehr als Berufungsinstanz.40 Habermas ist deshalb überzeugt, dass der souveräne Staat in der Weltgesellschaft die Aufgabe habe, innerhalb nationaler Grenzen die positivierten Menschenrechte zu garantieren. Andernfalls würde die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen und das kantische Prinzip des Weltbürgerrechts nicht praktiziert Da die Vorstellung von Menschenwürde und Menschenrechten auf internationalen Konferenzen noch ein hohes Ansehen genieße, trete die Argumentation meist in der Form auf, dass den individualistischen Menschenrechten, die als solche der westlichen Tradition qualifiziert würden, kulturalistische und kollektivistische Rechte gegenübergestellt würden. Mit anderen Worten sind die Menschenrechte, denen die individuellen Werte zugrunde liegen, eurozentrisch geprägt, obwohl die Menschenrechte von der Menschheit im allgemeinen Sinne sprechen, wobei sie auch die kollektiven Werte der nicht-westlichen Länder ignorieren. Diese Idee entstand ursprünglich laut Walter Reese-Schäfer aus dem Bündnis zwischen staatssozialistischen Ländern, die damals als Zweite Welt bezeichnet wurden, und der damals und vorläufig trotz des Wegfalls der Zweiten Welt immer noch so genannten Dritten Welt.41 Die Hauptfrage bei diesem Konflikt lautet, ob es die universalen Menschenrechte gibt. Weil der westliche Individualismus aus der Sicht bestimmter Drittwelt-Eliten nichts anderes als eine Verlängerung des Imperialismus und ein Eingriff in ihren Herrschaftsbereich sei, den sie kulturell oder ethnisch als Zone eigenen Rechts begreifen würden.42 Hierzu meint Sérgio Costa, dass die Menschenrechte auf der europäischen Entwicklungsgeschichte basiert sind. Insofern ist diese Erwartung, dass in nichteuropäischen Ländern die Entwicklung als solche wiederholt werden könne, irreführend. Man muss laut Sérgio Costa vielmehr die Hier-Dort-Polaritäten 40  Vgl. Reese-Schäfer, Politisches Denken heute: Zivilgesellschaft, Globalisierung und Menschenrechte, S. 235. 41  Vgl. ebd., S. 350. In den Konflikten im Vorfeld und auf der Menschenrechtskonferenz von 1993 komme die Auseinandersetzungen über Universalisierbarkeit oder im Gegenteil Relativität und kulturelle Begrenztheit der Normen zum Vorschein. Zu solchen umstrittenen Normen gehören laut Claas Christophersen zuvorderst die Menschenrechte. Vor allem die Entwicklungsländer haben laut ihm eine tiefe Skepsis gegen eine universalistische Fassung der Menschenrechte ausgebildet, die ihnen in Wahrheit als eine partikularistische, nämlich westliche Konzeption erscheinen. Vgl. Christophersen, Kritik der transnationalen Gewalt: Souveränität, Menschenrechte und Demokratie im Übergang zur Weltgesellschaft, S. 144. 42  Vgl. Reese-Schäfer, Politisches Denken heute: Zivilgesellschaft, Globalisierung und Menschenrechte, S. 266.

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überwinden, die die moderne Geschichte in eine West-Rest-Antinomie pressen.43 In diesem Zusammenhang vertritt Costa diese These: „Sollen die Menschenrechte eine kosmopolitische Weltordnung kognitiv und politisch vorantreiben, so muss jegliche Apologie der europäischen Geschichte vermieden werden, stattdessen wären die multiplen Dezentrierungsgeschichten der Menschenrechte zu rekonstruieren, schließlich gewinnen die Menschenrechte erst dann einen verbindlichen Appellcharakter, wenn sie mit historischen konkreten Erfahrungen vor Ort assoziiert werden können.“44

Die Apologie der europäischen Geschichte hat sich zugespitzt, indem die Menschrechte als Konsequenz der europäisch- christlichen Kultur bei Samuel Huntington dargestellt wurden,45 wobei Schmitt an die Seite Huntingtons zu stellen sei. Mit Huntington berühre sich Schmitt vor allem in seiner geopolitischen Ausrichtung. Er setze auf einen zukünftigen Nomos der Erde, der in einer Aufteilung der Welt in mehrere politische Großräume bestehe.46 Weil Nomos ein Zusammenhang von Ortung und Ordnung bei Schmitt ist, welcher nicht mit Gesetz, Regelung, Norm oder mit irgendwelchen ähnlichen Ausdrücken zu verwechseln sei.47 Insofern sind die Menschenrechte als ein Teil der europäischen Entwicklungsgeschichte zu betrachten. Der Allgemeine Charakter der Menschenrechte sei ohne Zweifel in der Idee der Einheit des Menschengeschlechts begründet, wie sie zuerst in der 43  Costa, Europa und das Verhältnis Zentrum-Peripherie in der Weltgesellschaft: Eine Kritik am Habermasschen Ansatz, in: Brunkhorst, S. 126. 44  Vgl. ebd., S. 127. 45  Huntington vertrete die These, dass nach dem Ende des Kalten Krieges mit der Sowjetunion an die Stelle des politisch-wirtschaftlich-sozialen Systemkonflikts ein kulturalistisches Deutungsmodell zu setzen sei. Die neuen Konfliktlinien und Feindbilder würden sich an Hand kultureller Differenzen ergeben. Die wirtschaftliche und soziale Modernisierung auch außerwestlicher Gesellschaften werde keine universale Kultur erzeugen, sondern vielmehr andere, insbesondere die islamische und die chinesische Kultur mit neuen Machtpotentialen ausstatten. Huntington habe sehr nachdrücklich darauf verwiesen, dass der ökonomische Modernisierungsprozess den Kerngehalt einer Kultur nicht unbedingt verwandelt. Huntington trete für die identitätsstiftende Mobilisierung westlichen Bewusstseins inklusive des zumindest in Europa deutlich im Rückgang begriffenen Christentums ein. Der Westen sei für ihn der Westen gewesen, bevor er sich modernisiert habe. Christentum und Islam seien insofern für ihn als auf Religionen basierende Lebensformen unvereinbar, weil beide Religionen monotheistisch seien, sich also nicht wie polytheistische Religionen zusätzliche Gottheiten einverleiben könnten, weil beide universalistisch seien und dazu neigten, die Welt dualistisch in ein wir und sie zu teilen. Reese-Schäfer, Politisches Denken heute: Zivilgesellschaft, Globalisierung und Menschenrechte, S. 212  ff., 241 f. und 320 f. 46  Vgl. Palaver, Globalisierung und Opfer: Carl Schmitts Lehre vom Nomos, in: Dieckmann, S. 182. 47  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 39.



II. Die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen259

Theologie des frühen Christentums hervortreten. Einen solchen Gedanken haben laut Hans Maier weder die Römer entwickelt noch vor ihnen die Griechen.48 Obwohl in der christlichen Welt die Menschheit als Einheit gedacht wurde, umfasste diese monotheistische Weltanschauung doch nicht die ganze Welt. Weil ihre Universalität immer wieder in Stücke auseinanderbrach: „aus der christlichen Menschheit wurde ein Gegenüber von Christen und Heiden, aus universellen Verpflichtungen des Menschen wurde christliche Binnenethik in einem abendländischen, sich erst allmählich ausweitenden Kontext.“49 Die Aufklärung löste endlich das Konzept Menschheit aus seiner christlichen Verankerung und konzipierte die Gleichheit der Menschen und zwar die Menschenrechte. Hierzu schreibt der katholische Intellektuelle Hans Maier: „Sie setzen sich durch in einer geschichtlichen Situation (zu Ende des 18. Jahrhunderts, in den USA, in Frankreich, auch in Deutschland), in der die Person gegenüber dem Allgemeinen (Staat, Stand, Korporation) Subjektcharakter gewinnt und der im Staat konzentrierten Souveränität mit dem Anspruch auf eine eigene, unabhängige, mit natürlichen Rechten ausgestattete Lebenssphäre gegenübertritt. Dies geschieht ebenso im Bund mit christlichen Überlieferungen wie im Widerspruch gegen konkrete zeitgeschichtliche Ausprägungen des Christentums. Weder das eine noch das andere darf übersehen werden.“50

Die heutige wissenschaftliche Literatur über die Menschenrechte ist sich insofern darin einig, dass diese keine christliche Entstehungsgeschichte haben, obgleich die Idee der Menschheit aus einer monotheistischen Religion, und zwar dem Christentum, entstand. Die Menschenrechte sind also neue und sich weiter entwickelnde Wertvorstellungen, die ihrerseits einen Rechtswandel bewirken. Indem der Begriff des Menschenrechts Habermas zufolge nicht aus dem Moralischen entsteht, sondern eine spezifische Ausprägung des modernen Begriffs subjektiver Rechte ist, also einer juristischen Begrifflichkeit. Menschenrechte seien von Haus aus juridischer Natur.51 Insofern unterscheidet sich der Begriff des Menschenrechts von der Religiosität, welche sich moralisch ausdrückt, wobei Diktaturen mit der Betonung kommunitaristischer Rechte, die Habermas für subjektive Rechte hält, in nichtwestlichen Ländern nur allzu oft die Einschränkung politisch-ziviler Menschenrechte legitimieren könnten. Demzufolge verteidige Habermas im Kern die universalistische, westliche Fassung der Menschenrechte.52 Men48  Maier, Christentum und Menschenrechte – historische Umrisse, in: Böhm, S. 67. 49  Ebd., S. 67. 50  Ebd., S.  66 f. 51  Vgl. Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 310. 52  Vgl. Christophersen, Kritik der transnationalen Gewalt: Souveränität, Menschenrechte und Demokratie im Übergang zur Weltgesellschaft, S. 145.

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schenrechte seien die entwickelten Wertvorstellungen, die sich laut Habermas von der abstrakt-moralischen Stufe zum objektiv-juristischen Niveau erhoben haben, wonach die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen durchgeführt wird. Dies steht ja Schmitts Politischen Gedanken gegenüber, der wiederum einen vorpolitischen Zustand aufrechterhalten will. 2. Der Kampf gegen Menschenrechte Es wurde ausführlich in vier unterschiedlichen Kategorien analysiert, dass Schmitt dem Prozess der Globalisierung in der Außenpolitik, welcher sich durch die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen durchsetzt, entgegentritt. Die verschiedenen Völker und Rassen seien verschiedenen Denktypen zugeordnet und mit der Vorherrschaft eines bestimmten Denktypus könne sich eine geistige und damit politische Herrschaft über ein Volk verbinden.53 D. h. die Legitimität der Rechtsordnung basiert nach Schmitt auf der konkreten Ordnung, die den Denktypus der unterschiedlichen Bevölkerungen ausdrückt. Juristisch gesehen kann man im Sachgebiet der Verfassung bei Schmitt insofern von der Legitimität sprechen, als die substanziellen Einrichtungen in derselben Verfassung festgelegt werden. Genauer gesagt, sind die substanziellen Einrichtungen das, was über das bloße Legalitätssystem hinausgreift. Hierzu schreibt er: „Eine Verfassung, die es nicht wagen würde, sich hier zu entscheiden, sondern statt einer substanzhaften Ordnung den kämpfenden Klassen, Richtungen und Zielsetzungen die Illusion geben wollte, dass sie legal auf ihre Rechnung kommen, alle ihr Parteiziel legal erreichen und alle ihren Gegner legal vernichten können, ist heute nicht einmal mehr als ein dilatorischer Formelkompromiss möglich und würde im praktischen Ergebnis auch ihre eigene Legalität und Legitimität zerstören.“54

Das Problem besteht darin, dass die Weltorganisation in der globalen Welt von den Legitimitätsdifferenzen ihrer Mitglieder innerhalb der Staatengemeinschaft abstrahieren wolle.55 Schmitt hebt im Gegenzug die Legitimitätsdifferenzen der Staaten aufgrund seiner Vorstellung von der Verfassung hervor, deren Grundrechte substanziellen Inhalt im vorpolitischen Sinne haben sollten.56 Insofern geht er von der Anerkennungen der diversen Le53  Schmitt,

Über drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 9 f. Legalität und Legitimität, S. 97 f. 55  Vgl. Habermas, Kants Idee des Ewigen Friedens, in: Kritische Justiz, S. 306. 56  Substanz bedeutet bei Schmitt die subjektiven Werte, die von der Theologie stammen und diese institutionalisieren sich dann in dem objektiven Sinne. Demzufolge gibt es laut ihm unterschiedliche Rechtsordnungen, denen die diversen Legitimitätsquellen zugrunde liegen. Hierzu schreibt er: „Ein Konflikt ist immer ein Streit 54  Schmitt,



II. Die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen261

gitimationsquellen der Staaten aus. Die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen hingegen heißt, dass die Staaten sich den internationalen Grundnormen unterordnen, deren Legitimität über staatliche Normen hinausgeht. Es ist zu bemerken, dass Positives Recht in der globalen Rechtsordnung nicht deshalb legitim sei, weil es inhaltlichen Gerechtigkeitsprinzipien entspreche, sondern, weil es in Verfahren gesetzt worden sei, welche ihrer Struktur nach gerecht, d. h. demokratisch seien.57 Die globale Rechtsordnung ist eben dieses Verfahren, dem die einzelnen Staaten sich unterordnen. Insofern geht man nicht von dem spezifischen Volk, sondern von den Menschen aus, die unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit als Betroffene der Weltgesellschaft zu betrachten sind. Habermas vertritt die These, dass die Demokratie und Menschenrechte begrifflich verschränkt seien58, während Schmitt daran festhält, dass die supranationalen Institutionen die Auflösung der staatlichen Souveränität mit sich bringen, welche die Zerstörung der demokratischen Rechtsordnung bedeutet. Die politische Demokratie kann bei Schmitt nämlich nicht auf der Unterschiedslosigkeit aller Menschen beruhen, sondern nur auf der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk, weil er von der konkreten Ordnung ausgeht. Auf diese Weise bringt Schmitt das Volk polemisch, so Habermas, in die Stellung gegen eine humanistisch konzipierte Menschheit, mit der sich der moralische Begriff des gleichmäßigen Respekts für jedermann verbindet.59 Der zentrale Begriff der Demokratie ist bei Schmitt das Volk, nicht die Menschheit. Es gebe, wenn Demokratie überhaupt eine politische Form sein solle, nur Volks- und keine Menschheitsdemokratie. Schmitt schreibt: „Demokratie ist eine dem Prinzip der Identität (nämlich des konkret vorhandenen Volkes mit sich selbst als politischer Einheit) entsprechende Staatsform.“60 Insofern ist die Idee der Menschengleichheit für ihn abvon Organisationen und Institutionen im Sinne Konkreter Ordnungen, ein Streit von Instanzen und nicht von Substanzen. Die Substanzen müssen erst eine Form gefunden, sie müssen sich irgendwie formiert haben, ehe sie überhaupt als streitbare Subjekte … einander entgegentreten können.“ Schmitt, Politische Theologie II, S. 83. 57  Vgl. Habermas, Inklusion – Einbeziehen oder Einschließen? Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie, in: Die Einbeziehung des Anderen: Stu­dien zur politischen Theorie, S. 164. 58  Vgl. ebd., S. 163. Schmitt ist überzeugt, dass die Demokratie eine Identität von Regierenden und Regierten zu verwirklichen sucht. Der Demokratie liegt somit als Symbol der Volkseinheit die Homogenität im vorpolitischen Sinne zugrunde. Vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 21 f. 59  Vgl. Habermas, Inklusion – Einbeziehen oder Einschließen? Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie, in: Die Einbeziehung des Anderen: Stu­dien zur politischen Theorie, S. 163. 60  Schmitt, Verfassungslehre, S. 223.

262 F. Globalisierungskritik in den Kategorien von C. Schmitts Gedankengut

surd, weil die Gleichheit, die zum Wesen der Demokratie gehöre, sich nur nach innen und nicht nach außen richtet. D. h. innerhalb eines demokratischen Staatswesens seien nur alle Staatsangehörigen gleich.61 Vor allem ist zu bemerken, dass Schmitt nicht die individuellen Rechte, die unabhängig vom Staatlichen definiert werden, anerkennen will. Hierzu schreibt Schmitt: „Aber das wesentliche ist hier, dass in dem bewussten Denken die Hingabe an die Gesetze und Werte des richtigen Denkens liegt, wodurch das zufällige Einzelindividuum verschwindet, um teilzunehmen an einem außerindividuellen Wert, der allein das zum wertenden gewordene Prädikat Sein verdient. Nicht weniger gestattet die Bemerkung Lichtenbergs, es sei vielleicht richtiger zu sagen es denkt in mir statt ich denke.“62

Der Staat ist bei Schmitt keine Konstruktion, die Menschen sich begründet haben, sondern er macht theologisch aus den Menschen eine Konstruktion, was ja der Philosophie der Menschenrechte entgegengesetzt ist. Wichtiger als dass es Menschen gibt, ist für Schmitt, dass es gute und gerechte Menschen gibt. D. h. der Mensch hat bei ihm unabhängig von den vorpolitischen Werten, welche der Staat als Vermittler des rechtes artikulieren solle, keine Bedeutung.63 Schmitt kann deshalb nicht den globalen Rechtsordnungen und den Menschenrechten zustimmen, wobei er seine Alternative, nämlich die Großraumtheorie im Rahmen der internationalen Beziehungen, herausstellt. Schmitts Großraumtheorie beruft sich auf das Interventionsverbot, welches die grundlegende Kritik der nach dem ersten Weltkrieg herrschenden Weltordnung war. Der Großraum bedeutet ja im Endeffekt bei Schmitt einen politischen Raum für einen starken Staat als Reich, in dem er seine Macht entwickeln könnte. Mit der Großraumordnung sei ein über das Staatsgebiet weit hinausgehender Raum bezeichnet, ein Großraum im völkerrechtlichen Sinne des Wortes.64 Obwohl Schmitt hierbei von einem Raum spricht, der über den starken Staat hinausgeht, ist der Staat als solcher den anderen Rechtsordnungen innerhalb dieses politischen Raums überlegen. D. h. es geht Schmitt nicht unbedingt darum eine überstaatliche Institution in einer Großraumordnung zu begründen, sondern die Sicherheit des starken Staates zu garantieren. Hierbei ist zu bemerken, dass die Großraumordnung die verschiedenen konkreten völkerrechtlichen Ordnungen voraussetzt, weil er sich wiederrum auf den vorpolitischen Zustand, nämlich Rasse, Religion, Sprache usw. beziehen will. Hierzu ist zu bemerken, dass der Berührungspunkt zwischen Schmitt und Huntington sich auf einer tieferen Ebene ihrer 61  Vgl.

ebd., S. 227. Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, S. 88. 63  Vgl. ebd., S. 98. Vgl. Mehring, Carl Schmitt: Aufstieg und Fall, S. 61. 64  Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde, S. 256. 62  Schmitt,



II. Die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen263

jeweiligen Argumentation zeigt. Beide schreiben nämlich nach Wolfgang Palaver der Religion eine wichtige Rolle für die Geopolitik zu. Schmitts Nomos-Lehre speise sich aus einer Theologie, die Gott und Raum eng miteinander verknüpft: Gott sei tot, heiße der Raum sei tot.65 Schmitt betrachtet den Staat allerdings als Mittler des Rechts, also ein Recht, welches nicht durch Individuen entwickelt, sondern ihnen staatlich aufgezwungen wird. Schmitt plädiert daher für eine substantialisierte Volksdemokratie,66 welche sich auf einen vorpolitischen Zustand beruft, damit die Demokratie als solche dem Prozess der Globalisierung, der die Positivierung des Rechtsverfahren in der Innenpolitik und Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen in der Außenpolitik herauskristallisieren will, entgegenwirken könnte. Im Folgenden wird Schmitts Kampf gegen den Prozess der Globalisierung tabellarisch dargestellt, wobei er durch die Herstellung des Dualismus versucht, aufgeklärte Ideen zu relativieren. Tabelle 1 Carl Schmitts Kampf gegen den Prozess der Globalisierung in den vier Kategorien Politische Philosophie

Konkrete Ordnung vs. Normative Ordnung

Kollektivismus vs. Individualismus

Das Politische vs. Das Staat­liche

Homogenität vs. Hetero­ genität

Politische Theologie

Okkasionalismus vs. Rationalismus

Transzendenz vs. Immanenz

Katechon vs. Antichrist

Substanz vs. Instanz

Staatswissenschaft

Recht vs. Macht

Legitimität vs. Legalität

Ausnahmezustand vs. Normalzustand

Formprinzip der Repräsentation vs. Gesellschaftsvertrag

Interna­ tionale Beziehungen

Nomos vs. Gesetz

Volk vs. Menschheit

Wirkliche Feindschaft vs. Absolute Feindschaft

Großraumordnung vs. Weltgesellschaft

65  Vgl. Palaver, Globalisierung und Opfer: Carl Schmitts Lehre vom Nomos, in: Dieckmann, S. 182. 66  Vgl. Habermas, Inklusion – Einbeziehen oder Einschließen? Zum Verhältnis von Nation, Rechtsstaat und Demokratie, in: Die Einbeziehung des Anderen: Stu­dien zur politischen Theorie, S. 161 ff.

Fazit Die Untersuchung der Intention Carl Schmitts bei seinen politischen Gedanken stand im Mittelpunkt der vorliegenden Forschungsarbeit, wobei die Arbeit methodisch Bezug auf die Cambridge School genommen hat. Um die illokutionäre Intention des Autors herauszufinden, strukturierte die Arbeit Schmitts Gedankengut in den vier Kategorien Politische Philosophie, Politische Theologie, Staatswissenschaft und Internationale Beziehungen. Insofern versuchte die vorliegende Arbeit Schmitts Intention bei seinen Werken, aus denen nicht unbedingt ein kohärentes Muster entsteht, herauszukristallisieren. Die Arbeit vertrat insofern die These, dass Schmitt ein Vorläufer der Globalisierungskritiker war, der sich mal als Staatstheoretiker, mal als Theologe, mal als Romantiker, mal als Faschist usw. identifizierte, wobei er als ein konservativer Denker immer die situationsbezogenen Lösungen für ein nachhaltiges Problem, nämlich die Entmächtigung der Staatssouveränität in der globalen Welt, anbot. Methodisch hinterfragte Carl Schmitt die wertfreie Wissenschaft, welche die Werte neutralisieren will, indem sie die praktischen Wertungen von der wissenschaftlichen Analyse trennt. Schmitt hat festgestellt, dass die menschliche Gesellschaft mehr als eine wissenschaftliche Tatsache ist. Er kritisierte die Politikwissenschaft im Weberschen Sinne, welche sich nur mit den Fakten, und zwar der Machtbeziehung, befassen will. Sollen die Abgeordneten in einem Staat ihr Volk repräsentieren, so müssen sie Schmitt zufolge nicht nur ihr Volk konstitutionell repräsentieren, sondern auch dessen Vertreter im existentiellen Sinne sein. Hierzu bezog sich Schmitt auf vorpolitische Elemente, wie Sprache, Rasse, Religion usw., welche er als konkrete Ordnung bezeichnete, die der normativen Ordnung vorausgeht. Die Hervorhebung der diversen Denktypen der Bevölkerung verhindert somit bei Carl Schmitt im Sachgebiet der wissenschaftlichen Analyse die Entwicklung einer Wissenschaft, die auf globalnachvollziehbaren Prinzipien basiert ist. Insofern greift Schmitt methodisch jene Wissenschaft an, welche einen Beitrag zur Entwicklung der globalen Ordnung leisten will. In der liberal- pluralen Gesellschaft setzen die Individuen, in voller, rein subjektiver Entscheidungsfreiheit die Werte, während der Staat hierbei neutral bleibt. Schmitt setzte die konkrete Ordnung dem Pluralismus entgegen, welcher sich nur innerhalb einer normativen Ordnung durchsetzen könne,

Fazit265

weil dem Pluralismus laut Schmitt eine funktionale Ansicht zugrunde liegt, die nichts mit der menschlichen Existenz zu tun habe. Um die bevorstehenden Konflikte der Werte, was Schmitt als Ausnahmezustand im juristischen Sinne kennzeichnet, zu vermeiden, bezog sich Schmitt auf dezisionistisches Ordnungsdenken, das katholisch geprägt ist, weil es keinen Polytheismus und deshalb auch keine pluralistische Punktualisierung der Werte anerkennt. Schmitt wechselt insofern von der Rolle eines Philosophen in die eines Theologen, wobei das Politische laut ihm dann im Leben auftaucht, wenn die Entscheidung über Freund- und Feindgruppierung getroffen werden muss. Schmitt als ein konservativer Schriftsteller hob aufgrund einer theistischen Theologie die Staatssouveränität hervor, indem er den Antichristen als den Feind, welcher einen Kampf gegen die Transzendenz, und zwar den Staat, beginnt, bezeichnete. Die Freund- und Feindgruppierung als solche basiert bei Schmitt auf der vorpolitischen Homogenität der jeweiligen Bevölkerung, aufgrund derer von einem ewigen Kampf zwischen den Staaten ausgegangen werden soll. Mit anderen Worten wandelte Schmitt das Konfliktfeld der individuellen Beziehungen in ein Konfliktfeld der zwischenstaatlichen Beziehungen um. Schmitt wollte daher mittels der theologischen Konzeptionen, wie Transzendenz, Wunder, Katechon usw. den politischen Institutionen einen Inhalt geben, wodurch er das staatliche vor den objektivjuristischen Normen in der globalen Welt bewahren konnte. Genauer gesagt, ging es Schmitt dabei im Endeffekt nicht darum, dem Souverän göttliche Eigenschaften zuzuschreiben oder ihn zu einem Gott zu machen, sondern die Entscheidungskraft des Staates, nämlich die Souveränität vor dem Prozess der Globalisierung zu schützen. Vor diesen Hintergrund identifizierte sich Schmitt als ein Staatsrechtler, welcher dem theologischen Inhalt eine juristische Struktur verlieh. Indem er eine Unterscheidung zwischen dem Recht als Zeichen der vorpolitischen Gegebenheit und der Macht als Zeichen des politischen Zustandes traf. Demzufolge führte Schmitt eine Trennung zwischen dem rechtsstaatlichen und dem politischen Bestandteil der Verfassung durch, wonach das Volk seine Identität nicht erst aus der Verfassung als Zeichen der Legalität gewinnt, sondern diese Identität ist vielmehr ein vorkonstitutionelles Faktum. D. h. Schmitt erklärt die nationale Homogenität als Zeichen der Legitimität zur notwendigen Bedingung für eine Ausübung politischer Herrschaft im legalen Sinne. Insofern ist eine Reduzierung der Verfassung auf einzelne positive Gesetze ebenso sehr absurd, wie die Unterwerfung der einzelnen Staaten der globalen positiven Ordnung. Weil die Staaten in der Außenpolitik, genauso wie das Volk in der Innenpolitik als gesetzgebende Gewalt gelten. Die sachliche Bedeutung der Verfassung sei daher durch die Relativierung der Verfassung zum Verfassungsgesetz und die Formalisierung des

266 Fazit

Verfassungsgesetzes zurückgetreten. Die Verfassung wird nämlich Schmitt zufolge jeweils von der politischen Einheit, nämlich der vorpolitischen Homogenität hervorgebracht. Soll man demnach die Verfassung als Ausdruck der politischen Einheit verstehen, so ist die Verfassung als solche den globalen Normen, welche durch die supranationalen Institutionen vertreten werden, überlegen. Im Sachgebiet der zwischenstaatlichen Beziehungen wechselt Schmitt von der Rolle des Staatsrechtlers in die des Theoretikers der internationalen Beziehungen. Schmitt bezeichnete den Staat der kantischen Tradition nach als eine moralische Person, dessen moralische Prinzipien dieser selbst he­ rausstellt. Insofern bringen die supranationalen Institutionen Schmitt zufolge die Auflösung der staatlichen Souveränität mit sich, welche die Zerstörung der demokratischen Rechtsordnung bedeute. Dabei beruhte die politische Demokratie bei Schmitt nicht auf der Unterschiedslosigkeit aller Menschen, sondern nur auf der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk, weil er von der konkreten Ordnung ausging. Insofern entwickelte Schmitt seine Großraumordnungstheorie, die den globalen Ordnungstheorien gegenüberstand. Die Großraumordnung stellt sich nämlich nicht aus einer universellen Perspektive heraus, weil sie von verschiedenen konkreten völkerrechtlichen Ordnungen ausgeht. Schmitts Großraumtheorie berief sich auf das Interventionsverbot, welches die grundlegende Kritik der nach dem ersten Weltkrieg herrschenden Weltordnung war. Schmitt stellte nämlich die Großraumordnung als die neue Alternative in den internationalen Beziehungen im 20. Jahrhundert heraus, die sich laut ihm der globalen Ideen, sei es Liberalismus, sei es Kommunismus, entzieht, weil die Ordnung als solche nach Schmitt nicht die humanistisch-globalen Ziele in Anspruch nehmen will. Allerdings argumentiert Schmitt in der Innenpolitik für einen Staat, der sich nicht der Positivierung des Rechtsverfahrens unterwerfen will, weil er sonst sein wichtigstes Attribut, nämlich die Souveränität verliert und sich dann im Prozess der Globalisierung auflösen lässt. Schmitt hob, im Gegensatz zu den Weltorganisationen, die Legitimitätsdifferenzen der Staaten aufgrund seiner Vorstellung von der Verfassung, nämlich das Volk als gesetzgebende Gewalt, hervor, deren Grundrechte substanziellen Inhalt im vorpolitischen Sinne haben sollen. Menschenrechte sind hierbei in der Außenpolitik die entwickelten Wertvorstellungen, die sich von der abstrakt-moralischen Stufe zum objektivjuristischen Niveau erhoben haben, wonach die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen durchgeführt wird. Dies steht ja Schmitts Politischen Gedanken gegenüber, der wiederum einen vorpolitischen Zustand aufrechterhalten will. Schmitt widersetzt sich daher der Positivierung des Rechtsverfahrens und der Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Be-

Fazit267

ziehungen, welche den Prozess der Globalisierung vorantreiben. Indem er den vorpolitischen Zustand bei den jeweils obengenannten vier Kategorien hervorhob, setzte er der normativen Ordnung die konkrete Ordnung, der Immanenz die Transzendenz, dem Normalzustand den Ausnahmezustand und der Weltgesellschaft die Großraumordnung entgegen. Die Arbeit stellte Schmitt als einen konservativen Denker dar, der die situationsbezogenen Lösungen für die Entmächtigung der Staatssouveränität in Innen- und Außenpolitik anbot. Dabei hat er sich in den unterschiedlichen Bereichen innerhalb der Geisteswissenschaft und in den unterschiedlichen Positionen innerhalb der aktuellen Politik in Deutschland befunden. Obgleich die Globalisierung in den 30er Jahren, in denen Schmitt seine wichtigste Schrift Der Begriff des Politischen schrieb, nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung war, entwickelte Schmitt die Grundzüge der Globalisierungskritik, die erst später diszipliniert strukturiert wurde. Die Arbeit versuchte insofern eine fruchtbare konzeptionelle Kenntnis anzubieten, womit die Basis der Argumente der neuen Rechtskonservativen in den globalen Krisen, und zwar das Verhältnis zwischen den Staaten und supranationalen Institutionen in Bezug auf das Problem der Menschenrechte und wirtschaftliche Sanktionen bei den aktuellen Themen, wie z. B. der Flüchtlingskrise in Europa oder dem Bürgerkrieg in Syrien, wissenschaftlich umrissen werden.

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Personenregister Assmann, J.  95, 102 Blumenberg, H.  17, 112, 116–119, 121–126 Böckenförde, E.  89, 109, 125 Clausewitz, C. von  224 f. Descartes, R.  77 f., 80 f., 128 f. Fraenkel, E.  17, 59, 64, 66 f., 178 f. Gadamer, H.  15 Habermas, J.  17f, 20, 125, 144 f., 153–157, 162, 169, 184 f., 223, 231–240, 247–251, 254–257, 259, 261 Heller, H.  45, 47, 178, 182 Hitler, A.  103 f., 142, 173 Hobbes, T.  50 f., 53, 70, 78, 124, 127–137, 139, 163, 187, 198 Huntington, S.  258, 262 Jellinek, G.  46., 204 f. Kant, I.  38, 77 f., 85, 117, 128, 132, 186–193, 196, 198–201, 203, 208 f., 231 f., 234, 241, 247, 254

Kelsen, H.  9, 17, 47, 91, 138, 153, 158–167, 170, 172–174, 179, 203–209, 217, 249 Kojève, A.  196 Laski, H.  60–65, 69, 73 Löwith, K.  111–116 Maier, H.  103, 107, 259 Malebranche, N.  80 f. Meier, H.  14, 51, 93–96, 107 Mussolini, B.  67, 182 Peterson, E.  101–103, 107–110, 119, 213 Rawls, J.  73 Scheler, M.  27, 32 Schwab, A.  22f, 42 Skinner, Q.  11–15 Strauss, L.  48, 50 f., 57, 70, 96, 127 Voegelin, E.  28–31, 34, 36 f., 42f, 97 Walzer, M.  228 f., 236 Weber, M.  17, 21–34, 36–39, 41–44, 52–55, 73, 82, 86, 91, 98 f., 112, 120, 139, 155, 252

Sachregister Anarchie  95, 128, 133, 165 Artikel 48  152 f. Ausnahmezustand  9, 64, 67, 90–93, 111, 123, 140 f., 159, 162, 171, 173, 265, 267 Bürgerkrieg  19, 55 f., 67, 70, 72, 74, 130, 136, 197, 199, 224, 226, 239, 240–243, 267 Deismus  87 f., 92, 104 Dezisionismus  71, 77, 83, 163, 165 Dualismus  78–81, 92, 138, 263 Fortschritt  25, 31, 89, 111 f., 114–119, 215 Funktionalismus  36, 124 Genfer Völkerbund  70 f., 227 Gesellschaftsvertrag  12, 86, 127, 132, 134, 145, 251 Gesetzesstaat  146, 183 Gesinnungsethik  38 f., 53 f. Gleichgewicht  17, 131, 197, 200–202, 209, 216, 218, 223, 225, 228 Globalisierung  11, 14, 16, 18 f., 203, 244 f., 251, 253 f., 260, 263–267 Großraum  20, 66, 203, 213, 218–223, 258 Grundrechte  142–145, 147, 149 f., 152 f., 167 f., 170–172, 178f, 208 f., 229 f., 234–238, 256, 260, 266 Heterogenität  65–67, 72, 176, 178, 181, 185 Homogenität  66 f., 136, 151, 158, 174–178, 180–182, 250 f., 261, 263, 265 Hospitalität  186, 192, 231

Instanz  42, 58, 60, 63, 82, 88, 124 f., 160, 191, 198, 200, 212, 217, 233, 261, 263 Intention  10–18, 118, 238, 264 Interventionsverbot  188 f., 198, 218 f., 223, 262 Justizförmigkeit  172 Kabinettskrieg  224–228 Katechon  116, 212–215, 263, 265 Katholizismus  13, 53, 69, 71, 88, 98–100, 104, 106, 110, 116, 122, 129 Konsens  73, 140, 145, 178, 180, 248, 257 Kultur  5, 15 f., 22, 37, 42–44, 50, 58, 74, 76, 82, 93, 103 f., 106, 113, 185, 216, 219, 220, 223, 248, 251, 255–258 Landnahme  193–197, 253 Liberalismus  17, 49–51, 56, 60, 69–73, 76, 85 f., 91, 98–100, 105, 107, 127, 136, 141, 143, 146, 174, 177, 181 f., 210, 222 Machttheorie  137, 141, 252 f. Massendemokratie  45, 172, 174–176, 179, 183, 249 Menschenrechte  9, 18, 73, 139, 143, 144 f., 147, 155, 184, 223, 229, 232–237, 256–259, 261 f., 266 Monroe-Doktrin  219–222 Nomos  121, 195 f., 203, 218, 253 f., 258, 263 NS-Regime  9, 13, 17, 41 f., 67 f., 86, 95, 100, 105 f., 132 f., 150 f., 173, 180, 183, 217 f., 220 f.

284 Sachregister Okkasionalismus  77, 81–84, 86, 88 Pantheismus  87 Parlamentarismus  66, 179–183, 185 Polytheismus  24, 27 f., 33, 54 f., 102, 265 Positivismus  17, 31 f., 34 f., 41, 91, 129, 130, 161, 197, 218 f., 252 Pluralismus  17, 59 f., 65–69, 101 f., 128, 152, 172, 176 f., 183, 200, 219, 264 f. Rechtstheorie  137 f., 142, 160 f., 208, 221, 249, 252 f. Rechtsverfahren  17–19, 155, 157 f., 167, 168 f., 171–173, 179, 182, 235, 240, 249–251, 253f, 263, 266 Reichstheologie  100, 103, 105 f., 110 Repräsentation  98 f., 102, 134–136, 172, 176,-178, 183, 187 Romantizismus  37, 74, 77, 83 Säkularisierung  32, 60, 88, 90, 111 f., 116, 119–124, 126, 162, 212 Souveränität  17, 19, 58, 60–64, 66–68, 91 f., 122, 124, 131 f., 134, 140, 158, 159–162, 169 f., 173, 184 f., 187, 190, 192 f., 197–202, 204–210, 222 f., 227, 231.236, 242, 247, 252 f., 259, 261, 264–267 Staatengemeinschaft  204 f., 233 f., 255 Strafkrieg  189–201 Substanz  36, 49, 81 f., 84, 88, 92 f., 99, 118, 124 f., 129, 136, 138, 140, 143,

147, 150, 153, 160 f., 167, 171, 173, 175–177, 183, 195, 202, 243, 250, 260, 261, 263, 266 Supranationales Gemeinwesen  232 f., 239, 256 Transzendenz  17, 87–89, 91 f., 96–98, 108, 110 f., 121, 125 f., 129, 145, 159, 252, 254, 263, 265, 267 Universalismus  222 f., 231 Verantwortungsethik  38, 53 f. Verfahrensrationalität  155, 162, 169, 185 Versailles  70, 202 f., 216 f., 219, Völkerbund  58, 70 f., 190–193, 202 f., 216–218, 227, 232 Völkerstaat  190, 192, 232 Volksentscheid  149–153, 183 Volkswille  46 f., 134 f., 138, 142, 178 f., 183 Weimarer Republik  9, 13, 64, 70, 86, 104, 132, 145, 149, 151 f., 172, 218 Weltbürgerrecht  20, 186, 192, 231– 235, 254, 256 f. Weltgesellschaft  18 f., 203, 207, 221, 223, 230, 232–235, 240, 254–257, 261, 267 Wiener Kongress  202, 216, 225 Ziviler Ungehorsam  18, 235, 238 f.