Die Koka- und Kokainwirtschaft Perus: Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft und entwicklungspolitische Ansatzpunkte zur Eindämmung 9783964566904

Eine vertiefte Untersuchung der peruanischen Koka- und Kokainwirtschaft gibt es bislang kaum. Die Besonderheit dieser Ar

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Die Koka- und Kokainwirtschaft Perus: Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft und entwicklungspolitische Ansatzpunkte zur Eindämmung
 9783964566904

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Übersichten
Verzeichnis der Abbildungen
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen
1. Einleitung
2. Die Koka- und Kokainwirtschaft in Lateinamerika im Überblick
3. Landeskundliche Einführung
4. Die Koka- und Kokainwirtschaft in Peru
5. Politik zur Eindämmung der Drogenproblematik
6. Umsetzung und Wirksamkeit entwicklungspolitischer Maßnahmen gegen den illegalen Kokaanbau
7. Schlußfolgerungen: Voraussetzungen für eine Politik der Alternativen Entwicklung in Peru
8. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Liste der Gesprächspartner
Danksagung

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Ingolf Dietrich

Die Koka- und Kokainwirtschaft Perus

Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde • Hamburg Band 47

Ingolf Dietrich

Die Koka- und Kokainwirtschaft Perus Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft und entwicklungspolitische Ansatzpunkte zur Eindämmung

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1998

Institut für Iberoamerika-Kunde - Hamburg

Verbund Stiftung Deutsches Übersee-Institut Das Institut für Iberoamerika-Kunde bildet zusammen mit dem Institut für Allgemeine Überseeforschung, dem Institut für Asienkunde, dem Institut für Afrika-Kunde und dem Deutschen Orient-Institut den Verbund der Stiftung Deutsches Übersee-Institut in Hamburg. Aufgabe des Instituts für Iberoamerika-Kunde ist die gegenwartsbezogene Beobachtung und wissenschaftliche Untersuchung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Lateinamerika. Das Institut für Iberoamerika-Kunde ist bemüht, in seinen Publikationen verschiedene Meinungen zu Wort kommen zu lassen, die jedoch grundsätzlich die Auffassung des jeweiligen Autors und nicht unbedingt die des Instituts darstellen.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Dietrich, Ingolf Die Koka- und Kokainwirtschaft Perus : Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft und entwicklungspolitische Ansatzpunkte zur Eindämmung / Ingolf Dietrich. [Institut für Iberoamerika-Kunde, Hamburg ; Verbund Stiftung Deutsches Übersee-Institut]. Frankfurt am Main : Vervuert, 1998 (Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde, Hamburg ; Bd. 47) Zugl.: München, Techn. Univ., Diss., 1997 ISBN 3-89354-247-7 ©Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1998 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Konstantin Buchholz Gedruckt auf säure- und chlorfrei gebleichtem, alterungsbeständigen Papier Printed in Germany: Rosch-Buch, Scheßlitz

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Übersichten

X

Verzeichnis der Abbildungen

XIII

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen

XIV

1. Einleitung

1

1.1. Problemstellung und Zielsetzung

2

1.2. Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit

3

1.3. Methode

4

2. Die Koka- und Kokainwirtschaft in Lateinamerika im Überblick

6

2.1. Kolumbien - Drehscheibe im internationalen Kokainhandel

8

2.2. Bolivien - ein 'drogenabhängiges' Land?

9

2.3. P e r u - d a s größte Kokaanbauland 3. Landeskundliche Einführung 3.1. Gesellschaft und soziale Lage

10 12 12

3.2. Politik und Wirtschaftsentwicklung - ein Rückblick auf die vergangenen 25 Jahre

13

3.3. Agrarwirtschaft 3.3.1. Ressourcenausstattung 3.3.2. Agrarpolitik und -entwicklung in den 70er und 80er Jahren 3.3.3. Die Agrarpolitik der Regierung Fujimori

16 16 19 22

4. Die Koka- und Kokainwirtschaft in Peru

25

4.1. Datenmaterial und Datenunsicherheit

25

4.2. Beschreibung der Koka- und Kokainwirtschaft in Peru 4.2.1. Arten, Ansprüche und Verbreitung der Kokapflanze 4.2.2. Kokaanbau 4.2.3. Ernte der Kokablätter 4.2.4. Weiterverarbeitung: Von Koka zu Kokain 4.2.5. Der illegale Markt für Koka und Kokain 4.2.6. Traditioneller Kokakonsum 4.2.6.1. Historisch-kultureller Hintergrund der Kokapflanze 4.2.6.2. Traditioneller Kokakonsum und Kokamarkt heute

28 28 29 33 34 37 37 37 38 V

4.2.7. Entwicklung des Kokaanbaus und Entstehung der Kokainwirtschaft 4.2.7.1. Migrations- und Siedlungsgeschichte der Selva 4.2.7.2. Migrations- und Siedlungsprozeß im Huallaga-Tal 4.2.7.3. Entstehung des 'Kokabooms' 4.2.7.4. Vermarktungssystem für die Vorstufen von Kokain (PBC und PBL) 4.2.7.5. Repressive Maßnahmen, Rolle der staatlichen Sicherheitsorgane 4.2.7.6. Guerillabewegungen und Drogenwirtschaft - eine strategische Allianz 4.2.8. Umfang des Kokaanbaus 4.2.8.1. Methoden zur Bestimmimg des Umfangs des Kokaanbaus 4.2.8.2. Bestimmung des Umfangs der Kokafläche nach Cuánto 4.2.8.3. Zusammenfassung und Entwicklung eigener Schätzwerte 4.3. Dimension der Koka- und Kokainwirtschaft: Verfahren zur Bestimmung des Produktionswertes, der Wertschöpfung und des Exportwertes 4.3.1. Verfahren nach Cuánto 4.3.1.1. Bestimmung des Produktionsumfangs auf den verschiedenen Stufen 4.3.1.2. Monetäre Bewertung der Produktion von Koka und ihrer Weiterverarbeitungsprodukte 4.3.1.3. Vorleistungen bei der Produktion von Kokablatt, PBC, PBL und HCL 4.3.1.4. Wertschöpfting bei der Erzeugung von Kokablatt, PBC, PBL und HCL 4.3.1.5. Zusammensetzung der Wertschöpfung der Kokablatt-, PBC-, PBL- und HCL-Erzeugung 4.3.1.6. Darstellung der Daten in einer Input-Output-TabeUe 4.3.1.7. Bewertung der Vorgehensweise und Gegenüberstellung des Produktions- und Exportwertes und der Wertschöpfung mit den Werten von USAID, Núflez und Reátegui sowie Macroconsult 4.3.2. Eigene Ausarbeitungen 4.3.2.1. Bestimmung des Produktionsumfangs von Kokablatt, PBC, PBL und HCL 4.3.2.2. Monetäre Bewertung der Produktion von Kokablatt, PBC, PBL und HCL 4.3.2.3. Brattoproduktionswert, Wertschöpfung und Exportwert der gesamten Koka- und Kokainwirtschaft 4.4. Volkswirtschaftliche Aspekte 4.4.1. Stellenwert der Drogenwirtschaft in der Gesamtwirtschaft 4.4.2. Deviseneinnahmen und -Verwendung 4.4.3. Wirkung des Dollarangebotes auf Währungsreserven, Zahlungsbilanz und Liquidität 4.4.4. Wechselkurs VI

41 42 44 48 52 57 60 64 65 71 76 77 78 79 80 81 81 82 83

84 86 87 90 92 94 95 99 108 114

4.4.5. Wirkungen des Ressourcenbooms (Holländische Krankheit) 4.4.6. Inflationseffekte 4.4.7. Beitrag zum Wirtschaftswachstum 4.4.8. Beschäftigungseffekte 4.4.9. Auswirkungen auf die Agrarwirtschaft 4.4.10. Direkte Kosten 4.4.11. Zusammenfassung und Bewertung 4.5. Auswirkungen auf Staat, Gesellschaft und Umwelt 4.5.1. Umfang und Bedeutung des Drogenkonsums 4.5.2. Ökologische Aspekte 4.5.3. Korruption von Polizei, Militär, Justiz und Politik 4.6. Einzelwirtschaftliche Aspekte des Kokaanbaus, der Herstellung von PBC und der legalen Agrarproduktion 4.6.1. Wirtschaftlichkeit des Kokaanbaus 4.6.2. Wirtschaftlichkeit der Herstellung von Kokapaste 4.6.3. Familien- bzw. Betriebseinkommen aus dem Kokaanbau und der PBC-Herstellung 4.6.4. Wirtschaftlichkeit legaler Agrarproduktion 4.6.5. Zusammenfassung 5. Politik zur Eindämmung der Drogenproblematik

118 120 124 128 129 132 132 133 133 143 147 151 152 156 158 159 168 170

5.1. Grundzüge der Drogenpolitik 5.1.1. Nachfragereduzierung 5.1.2. Angebotsreduzierung

170 170 171

5.2. Internationaler Rahmen 5.2.1. Internationales Recht 5.2.2. Das System der Vereinten Nationen 5.2.3. Wertung der internationalen Drogenpolitik

171 172 177 180

5.3. Die nationale Drogenpolitik Perus 5.3.1. Rechtlicher und programmatischer Rahmen 5.3.1.1. Allgemeines Drogengesetz (Decreto Ley N° 22095) 5.3.1.2. 'Fujimori-Doktrin' (Doctrina Fujimori) 5.3.1.3. Bilaterales Rahmenabkommen mit den USA 5.3.1.4. Gesetz der Alternativen Entwicklung CDecreto legislativo No. 753) 5.3.1.5. "Nationaler Drogenplan' 5.3.2. Institutioneller Rahmen 5.3.3. Umsetzung und Wirksamkeit der Politik Perus 5.3.3.1. Wiederholung der Gesetze und widersprüchliche Politik 5.3.3.2. Mangelnde staatliche Effizienz und fehlender politischer Wille

182 182 183 184 186

5.4. Interamerikanische Politik

187 189 191 193 194 196 199 VII

5.5. Die Rolle der USA

203

5.6. Die Politik anderer Geber 5.6.1. Bundesrepublik Deutschland 5.6.2. Europäische Union 5.6.2.1. Nord-Süd-Zusammenarbeit 5.6.2.2. Spezielle Handelspräferenzen für die Andenländer

207 207 210 211 212

6. Umsetzung und Wirksamkeit entwicklungspolitischer Maßnahmen gegen den illegalen Kokaanbau

214

6.1. Maßnahmen des peruanischen Staates

214

6.2. Maßnahmen der Vereinten Nationen 6.2.1. Ziel und Methodik der UNDCP-Projekte 6.2.2. Alternative Entwicklung in der Huallaga-Region 6.2.2.1. Beschreibung der Projektaktivitäten 6.2.2.2. Wirkungen der Projektaktivitäten in der Huallaga-Region 6.2.3. Alternative Entwicklung in der Region La Convención und Lares 6.2.3.1. Beschreibung der Projektaktivitäten in der Region La Convención und Lares 6.2.3.2. Wirkungen der Projektaktivitäten in der Region La Convención und Lares 6.2.4. Alternative Entwicklung im Apurimac-Tal 6.2.4.1. Beschreibung der Projektaktivitäten in der Apurimac-Region 6.2.4.2. Wirkungen der Projektaktivitäten im Apurimac-Tal 6.2.5. Bewertung der Maßnahmen von UNDCP

215 216 218 218 221

6.3. Maßnahmen der USA 6.3.1. Das Upper Huallaga Area Development Project (UHAD) 6.3.2. Wirkungen des Upper Huallaga Area Development Project {UHAD) 6.3.3. Zusammenfassende Wertung und Erkennmisse 6.3.4. Alternative Development Project

236 236 240 245 247

6.4. Maßnahmen anderer Geber 6.4.1. Deutschland 6.4.2. Kanada 6.4.3. Nichtregierungsorganisationen

249 249 256 256

7. Schlußfolgerungen: Voraussetzungen für eine Politik der Alternativen Entwicklung in Peru 7.1. Internationale Ebene 7.1.1. Handelserleichterungen 7.1.2. Abbau der Agrarexportsubventionen der Industrieländer

VIII

226 227 229 231 232 234 234

257 257 257 258

7.1.3. Bereitstellung ausreichender Finanzmittel 7.1.3.1. Schuldentausch gegen Alternative Entwicklung 7.1.3.2. Vergrößerung der Geberbasis für Programme der Alternativen Entwicklung 7.1.4. Stärkung des internationalen Stellenwertes der Alternativen Entwicklung 7.1.5. Stärkung der Effizienz der internationalen Drogenpolitik 7.1.6. Verringerung der Drogennachfrage in den Hauptkonsumzentren

260 260 262 264 264 266

7.2. Politische Ebene 7.2.1. Formulierung einer konsistenten Drogenpolitik 7.2.2. Stärkung der institutionellen Strukturen 7.2.3. Bekämpfung der Weiterverarbeitung und des Handels 7.2.4. Stärkung des politischen Willens 7.2.5. Gestaltung entwicklungskonformer Rahmenbedingungen

267 267 268 268 269 270

7.3. Makroökonomische Ebene

273

7.4. Sektorale Aspekte (Agrarpolitik) 7.4.1. Agrarsektorplanung 7.4.2. Regelung der Eigentumsverhältnisse 7.4.3. Ländliches Finanzwesen 7.4.4. Agrarberatung und Agrarforschung 7.4.5. Vermarktung

275 275 276 278 279 281

7.5. Maßnahmenebene 7.5.1. Nachhaltigkeit 7.5.2. Eigenanteil und Eigenverantwortung 7.5.3. Institutionelle Eingliederung 7.5.4. Programm- statt Projektansatz 7.5.5. Keine gewaltsame Kokavernichtung und Trennung entwicklungspolitischer und repressiver Maßnahmen 7.5.6. Weitere Aspekte

283 283 284 285 285

8. Zusammenfassung und Ausblick

286 287 288

8.1. Darstellung der Koka- und Kokainwirtschaft

288

8.2. Wirkungen der Koka- und Kokainwirtschaft

289

8.3. Ansätze zur Eindämmung

292

8.4. Schlußfolgerungen

296

8.5. Ausblick

301

Literaturverzeichnis

303

Liste der Gesprächspartner

311

IX

Verzeichnis der Übersichten Übersicht 1:

Klassifikation des Landnutzungspotentials in Peru

Übersicht 2:

Bierverkäufe in Tingo Maria von 1984 bis 1988

Übersicht 3:

Wertschöpfung des Handwerks in den Departements Huánuco und San Martin und im Landesdurchschnitt

Übersicht 4:

Höhe der Landeabgaben für kolumbianische Kleinflugzeuge auf den wichtigsten Landepisten im Huallaga-Tal im Jahr 1989

Übersicht 5:

Sicherstellungen bzw. Zerstörungen durch die Operationen Cóndor

Übersicht 6:

Umfang des Kokaanbaus im Oberen Huallaga-Tal nach verschiedenen Methoden und Autoren

Übersicht 7:

Umfang der Kokafläche (ermittelt nach der Methode der verfügbaren Arbeitskräfte) in verschiedenen Departements Perus

Übersicht 8:

Vorliegende und eigene Schätzwerte über den Umfang der Kokafläche in Peru

Übersicht 9:

Preise für Koka und Weiterverarbeitungsprodukte 1992 nach Cuánto

Übersicht 10: Produktionswerte der Kokaerzeugung und der Weiterverarbeitungsprodukte Übersicht 11: Produktionswert, Vorleistungen und Wertschöpfung bei der Erzeugung von Kokablatt, PBC, PBL und HCL für das Jahr 1992 Übersicht 12: Input-Oulput-TabeWe Peru

von Koka und -Weiterverarbeitungsstufen für

Übersicht 13: Produktionswert, Wertschöpfung und Exportwert der Koka- und Kokainwirtschaft nach Cuánto (1992), US AID (1991), Núñez und Reategui (1988) und Macroconsult (1989) Übersicht 14: Exportquoten für Kokablatt, PBC, PBL und HCL für die Jahre 1980 bis 1995 Übersicht 15: Umfang der Kokafläche in Peru für die Jahre 1980 bis 1995

Übersicht 16: Umfang der Erntemenge getrockneter Kokablätter in Peru für die Jahre 1980-1995 (korrigiert um die legale Verwendung von 10.0001) Übersicht 17: Umfang der Produktionsmenge PBC in Peru für die Jahre 1980-1995 Übersicht 18: Umfang der Produktionsmenge PBC in Peru, die für den Export bzw. fllr die Weiterverarbeitung zu PBL zur Verfügung steht, für die Jahre 1980-1995 Übersicht 19: Umfang der Produktionsmenge PBL in Peru für die Jahre 1980-1995 Übersicht 20: Umfang der Produktionsmenge HCL in Peru für die Jahre 1980-1995 Übersicht 21: Durchschnittspreise von Kokablatt, PBC, PBL und HCL in den Jahren 1980-1995 Übersicht 22: Produktionswert der Kokablattproduktion in Peru für die Jahre 19801995 (einschließlich legaler Verwendung von 10.0001) Übersicht 23: Produktionswert der PBC-Produktion in Peru für die Jahre 1980-1995 Übersicht 24: Produktionswert von PBL in Peru für die Jahre 1980-1995 Übersicht 25:

Produktionswert von HCL in Peru für die Jahre 1980-1995

Übersicht 26: Bruttoproduktionswert der Koka- und Kokainwirtschaft in Peru für die Jahre 1980-1995 Übersicht 27: Wertschöpfiing (Bruttoinlandsprodukt) der Koka- und Kokainwirtschaft in Peru für die Jahre 1980-1995 Übersicht 28: Exportwert der Koka- und Kokainwirtschaft in Peru für die Jahre 1980-1995 Übersicht 29: Bruttoinlandsprodukt der Koka- und Kokainwirtschaft und Bruttoinlandsprodukt mit bzw. ohne Koka im Vergleich (1980 - 1994) Übersicht 30: Bruttoinlandsprodukt der Koka- und Kokainwirtschaft und Agrarinlandsprodukt sowie Bergbauinlandsprodukt im Vergleich (19801994) Übersicht 31:

Bruttoproduktionswert der Kokablattproduktion im Vergleich mit dem Agrarinlandsprodukt 1980 - 1994

Übersicht 32: Herleitung der effektiven Deviseneinnahmen aus den Exporten von Kokain und Kokainvorprodukten

XI

Übersicht 33: Vergleich der effektiven Deviseneinnahmen aus den Exporten von Kokain und Kokainvorprodukten mit den legalen Exporteinnahmen (1980- 1994) Übersicht 34: Vergleich der effektiven Deviseneinnahmen aus den Exporten von Kokain und Kokainvorprodukten mit den Agrarexporteinnahmen Übersicht 35: Gegenüberstellung der Deviseneinnahmen aus dem Drogengeschäft mit den Währungsreserven und der Zahlungsbilanz Übersicht 36: Entwicklung des Anteils der Bargeldmenge an der Geldmenge M 1 Übersicht 37: Wirkung verschiedener Wechselkursregime auf den Wechselkurs 1980 bis 1992 Übersicht 38: Entwicklung der Konsumentenpreise in ausgewählten Städten Perus Übersicht 39: Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens ohne und mit Berücksichtigung der Koka- und Kokainwirtschaft (1980-1992) Übersicht 40: Prozentuale Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts auf Departementsebene 1970 bis 1987 Übersicht 41: Konsum verschiedener Suchtstoffe auf nationaler Ebene Übersicht 42: Aktueller Gebrauch verschiedener Suchtstoffe in Peru Übersicht 43: Arbeitskräfte- und Materialbedarf für einen Hektar Koka (im dritten Jahr). Vergleich und Zusammenfassung verschiedener Studien Übersicht 44: Ermittlung des Nettoerlöses (Gewinns) und des Familieneinkommens aus einem Hektar Kokaanbau Übersicht 45: Ermittlung des Nettoerlöses (Gewinns) der PBC-Herstellung aus der Verarbeitung der Erntemenge eines Hektars Kokaanbau (2.000 kg) im Juli 1993 Übersicht 46: Nettoerlös der Kokablatt- und PBC-Herstellung im Vergleich mehrerer Jahre Übersicht 47: Gewinn pro Hektar bei ausgesuchten Kulturen im Huallaga-Tal Übersicht 48: Familieneinkommen pro Hektar (legale Agrarproduktion) Übersicht 49: Familieneinkommen pro Hektar und Monat (legale Agrarproduktion)

XII

Übersicht 50: Wirtschaftlichkeit des Arbeitseinsatzes verschiedener Kulturen im Vergleich Übersicht 51: Jährliches Familieneinkommen verschiedener Kulturen im Vergleich (US-Dollar/Betrieb) bei Einsatz von 340 Arbeitstagen Übersicht 52: UNDCP-Projekte in der Huallaga-Region seit 1984 Übersicht 53: Entwicklung der Produktionskennzahlen verschiedener Kulturen in der Huallaga-Region 1985 und 1993 Übersicht 54: UNDCP-Projekte in der Region La Convención und Lares Übersicht 55: Aufstellung der von deutscher Seite unterstützten Vorhaben im Bereich der Alternativen Entwicklung in Peru Übersicht 56: Aufstellung der von kanadischer Seite unterstützten Vorhaben im Bereich der Alternativen Entwicklung

Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1:

Kokaanbaugebiete in Südamerika

Abbildung 2:

Kokaanbaugebiete in Peru

Abbildung 3:

Dollarzufluß und -verbleib in der peruanischen Wirtschaft

Abbildung 4:

Inlandsmarkt für Devisen (Wirkung einer Ausdehnung des Devisenangebots)

Abbildung 5:

Das System der VN zur Drogenkontrolle

XIII

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen ADA

Autoridad Autónoma para el Desarrollo Alternativo (Autonome Behörde für Alternative Entwicklung)

AK

Arbeitskraft

AKT

Arbeitskrafttage

APEP

Asociación Peruana de Estudios e Investigación para la Paz (Peruanische Vereinigung für Studien und Untersuchungen für den Frieden) Alianza Popular Revolucionaria Americana (Revolutionäre amerikanische Volksallianz; traditionelle peruanische Partei mit sozialdemokratischem Profil) Banco Rural del Perú (Ländliche Bank Perus, 1996 in Planung)

APRA

BANRUP BAP

Banco Agrario del Perú (Agrarbank von Peru)

BIP

Bruttoinlandsprodukt

BIPK.

Bruttoinlandsprodukt der Koka- und Kokainwirtschaft

BIPm.K.

Bruttoinlandsprodukt mit Berücksichtigung der Koka- und Kokainwirtschaft Bruttoinlandsprodukt ohne Berücksichtigung der Koka- und Kokainwirtschaft Bruttoinlandsprodukt der Landwirtschaft Bruttoinlandsprodukt des Bergbaus Bruttoinlandsprodukt der Kokablattproduktion Bruttoinlandsprodukt der Landwirtschaft und der Kokablattproduktion Cooperativas Agrarias Productivas (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften) Centro de Información y Educación para la Prevención del Abuso de Drogas (Informations- und Bildungszentrum zur Prävention von Drogenmißbrauch) Comité Européen de Lutte Anti Drogue (Europäisches Komitee zur Drogenbekämpfiing) Comisión Interamericana para el Control del Abuso de Drogas (Interamerikanische Kommission zur Kontrolle des Drogenmißbrauchs) Centro de Investigaciones de la Universidad del Pacífico (Forschungszentrum der Pazifikuniversität) United Nations Commission on Narcotic Drugs (VNKommission zur Drogenkontrolle)

BIPo.K. BIPagr BIPBerg BIPKo.blatt BIPagri-Ko.blatt CAP CEDRO

CELAD CICAD

CIUP CND

XIV

COFIDE

Cooperación Financiera de Desarollo S.A. (halbstaatliche Kooperation zur Entwicklungsfinanzierung)

COMUCOD

Comité Multisectoral de Control de Drogas (Multisektorales

CORAH

Control y Reducción de la Coca en el Alto Huallaga (Kontrolle und Reduzierung der Koka im Oberen HuallagaTal-Projekt) Development Assistance Committee (Entwicklungsausschuß der OECD) Drug Enforcement Administration (US-Drogenbekämpfungsbehörde des Justizministeriums) Dirección de Investigación del Tráfico ilícito de Drogas (Leitende Stellung zur Untersuchung des illegalen Drogenverkehrs)

Komitee zur Drogenkontrolle)

DAC DEA DINTID

DIPOD

Dirección de la Policía de Drogas (Direktion der Drogenpolizei)

DL DND

Decreto-Ley (Gesetzesverordnung) United Nations Division of Narcotic Drugs (VN-Einheit zur Drogenkontrolle)

DS

Decreto-Supremo (Präsidialverordnung)

ECASA

Empresa Comercializadora de Alimentos Sociedad Anónima (Marketingunternehmen für Nahrungsmittel) Economic and Social Council (Wirtschafts- und Sozialrat der VN) Empresa Nacional de Coca (Nationales Kokaunternehmen) Empresa Nacional de Comercialización de Insumos (Nationales Marketingunternehmen für landwirtschaftliche Inputs) Empresa de Propiedad Social (Unternehmen mit Sozialeigentum) Empresa Pública de Servicios Agropecuarios (Öffentliches Unternehmen für Agrardienstleistungen) Entwicklungszusammenarbeit Foreign Assistance Act (USA) Fuerzas Aéreas Peruanas (Peruanische Luftwaffe)

ECOSOC ENACO ENCI

EPS EPSA EZ FAA FAP FZ

Finanzielle Zusammenarbeit

FONDEAGRO FRASA

Fondo para el Desarollo del Agro (landwirtschaftlicher Entwicklungsfonds) Fondo de Reactivación Agraria y Seguridad Alimentaria (Fonds zur Reaktivierung der Landwirtschaft und Nahrungsmittelsicherheit)

GTZ

Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit

XV

HCL

Hidratoclorido de Cocaína (Kokain-Hydrochlorid = kristallines Kokain)

IDEA

Instituto de Desarollo Alternativo (Institut filr Alternative Entwicklung)

ILD

Instituto Libertad y Democracia (Institut Freiheit und Demokratie)

INADE

Instituto Nacional de Desarrollo (Nationale Entwicklungsbehörde)

INCB

International Narcotics Control Board International Narcotics Control Strategy Report (Jährlicher Bericht des US-State Departments zur globalen Entwicklung der Drogensituation)

INCSR

INEI INIA

Instituto Nacional de Estadística e Informática (Nationales Institut für Statistik und Informatik) Instituto Nacional de Investigación Agraria (Nationales Agrarforschungsinstitut)

INM

Bureau for International Narcotics Matters (Büro für internationale Drogenangelegenheiten, US-State Department)

KfW MIPRE

Kreditanstalt für Wiederaufbau

MRTA

Movimiento Revolucionario de Tupac Amaru (Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru - Guerillaorganisation)

NAU

Narcotic Assistance Unit (Drogenbekämpfungsabteilung des US-State Departments) Nichtregierungsorganisation Organisation Amerikanischer Staaten Organization for Economic Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)

NRO OAS OECD

Ministerio de la Presidencia (Präsidialministerium)

OFECOD

Oficina Ejecutiva de Control de Drogas (Exekutivbüro zur Drogenkontrolle)

ONDCP

Office of National Drug Control Police, USA Office of Project Support Pasta Básica de Cocaína (Kokapaste) Pasta Básica Lavada (gewaschene Kokapaste oder Kokainbase) Proyecto Especial Alto Huallaga Proyecto Especial Alto Mayo Policía Nacional del Perú (Nationale Polizei Perus) Sociedad Agrícola de Interés Social (Landwirtschaftsgesellschaften von sozialem Interesse)

OPS PBC PBL PEAH PEAM PNP SAIS

XVI

SECTI SWAP TZ UMOPAR UNAS UNDCP UNFDAC UNIDO UNRISD USAID USIA USIS VN WB

Secretaría Ejecutiva de la Cooperación Técnica Internacional (Sekretariat für internationale Technische Zusammenarbeit) System Wide Action Plan (Drogenaktionsplan der VN) Technische Zusammenarbeit Unidad Móvil de Patrullaje Rural (Mobile Landpatrouille der peruanischen Polizei) Universidad Nacional Agraria de la Selva (Nationale Agraruniversität für die Tropen) United Nations International Drug Control Programme United Nations Fund for Drug Abuse Control United Nations Industrial Development Organisation United Nations Research Institute for Social Development U.S. Agency for International Development (US-amerikanische Behörde für Internationale Entwicklung) United States Information Agency (US-amerikanische Informationsagentur) United States Information Service (US-amerikanischer Informationsservice) Vereinte Nationen Weltbank

XVII

1. Einleitung Die Rauschgiftproblematik hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend internationale Aufmerksamkeit erlangt. Zu Recht, denn Anbau von Drogenpflanzen, Weiterverarbeitung, Handel und Konsum haben weltweit ein beunruhigendes Ausmaß erreicht. Die früher gültige Arbeitsteilung mit den Entwicklungsländern als Produzenten und den Industrieländern als Konsumenten von Drogen muß heute differenzierter bewertet werden. Gerade die Entwicklungsländer sehen sich zunehmend mit Konsumproblemen konfrontiert und sind zum größten Nachfrager von Drogen geworden. Das Drogengeschäft wirkt sich in den Entwicklungsländern in steigendem Maße auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung aus. In Lateinamerika ist die Drogenwirtschaft in erster Linie vom Anbau des Kokastrauches und der Weiterverarbeitung der Kokablätter zu Kokain geprägt. In das Bewußtsein der breiteren Öffentlichkeit sind im besonderen die von Seiten der Drogenorganisationen ausgehende Gewalt und ihre politische Einflußnahme in Kolumbien getreten. Aus Bolivien wird regelmäßig von mehrwöchigen Protestmärschen der Kokabauern in die Hauptstadt La Paz berichtet. Die besondere Bedeutung Perus leitet sich aus seiner Schlüsselrolle als Rohstoffproduzent ab: Knapp zwei Drittel der weltweit erzeugten Kokablätter stammen aus Peru. Darüber hinaus vereint Peru weitere Charakteristika, die das Land für eine umfassende Untersuchung der Koka- und Kokainwirtschaft besonders interessant erscheinen lassen. Hier sind insbesondere der hohe Anteil kleinbäuerlicher Kokaproduzenten, die Verwicklung von Untergrundorganisationen in das Drogengeschäft und das Vorhandensein eines legalen, traditionellen Kokaanbaus zu nennen. Die im Vergleich zu den Nachbarländern Kolumbien und Bolivien in qualitativer und quantitativer Hinsicht ungünstigere Daten-, Quellen- und Literaturgrundlage rechtfertigt in besonderem Maße eine wissenschaftliche Analyse der

1

Koka- und Kokainwirtschaft in Peru. Eine vertiefte wissenschaftliche Untersuchung der peruanischen Koka- und Kokainwirtschaft gibt es bisher nicht, lediglich einzelne Teilaspekte wurden näher beschrieben. Die Besonderheit dieser Arbeit ist es, auf der Basis nachvollziehbar hergeleiteter Schätzwerte den Erkenntnisstand der bisherigen Forschung zu dokumentieren, zu vertiefen und zu erweitern. Damit grenzt sich die vorliegende Arbeit von bisherigen Untersuchungen ab.

1.1. Problemstellung und Zielsetzung Die selten zufriedenstellenden Erfolge in der Drogenbekämpfung verdeutlichen, daß Formulierung und Umsetzung einer wirkungsvollen Drogenpolitik diffizile und komplexe Aufgaben sind. Die Schwierigkeiten liegen häufig in einem mangelnden Grundverständnis über Ursachen, Dimension und Wirkungen der Drogenproblematik begründet. In Peru sind die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen möglichen Ursachen, die zur Entstehung der Koka- und Kokainwirtschaft beigetragen haben, und den Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft bisher nicht in ausreichendem Maß objektiv untersucht und zur Grundlage von Politik- bzw. Strategieformulierungen gemacht worden. Eine Reihe von Fragestellungen wird kontrovers diskutiert. Hierzu zählt die Debatte über die Ursachen und den tatsächlichen Umfang der Drogenwirtschaft. Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob die Koka- und Kokainwirtschaft dem Land eher nützt oder schadet, und die Diskussion über die relative Wettbewerbsfähigkeit der Kokaproduktion im Vergleich zur legalen landwirtschaftlichen Erzeugung. Darüber hinaus hat die Debatte um die Effizienz des nationalen und internationalen rechtlichen, politischen und institutionellen Rahmens zur Bekämpfung der illegalen Drogenwirtschaft einen hohen Stellenwert. Von besonderer Relevanz ist die Beurteilung der Wirksamkeit der einzelnen Gegenmaßnahmen wichtiger Geberländer. Die Arbeit greift diese Fragestellungen auf. Im Mittelpunkt steht dabei die Diskussion der Auswirkungen der Koka- und Kokainwirtschaft auf Peru. Ziel der Arbeit ist es, • in einem ersten Schritt deskriptiv die Koka- und Kokainwirtschaft darzustellen, • in einem zweiten Schritt die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Koka- und Kokainwirtschaft qualitativ und - wo möglich quantitativ zu beschreiben und • in einem dritten Schritt entwicklungspolitische Ansatzpunkte zur Eindämmung des Kokaanbaus zu diskutieren.

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Die Arbeit hat primär eine entwicklungspolitische Orientierung. Diese basiert auf der Annahme, daß zwischen der Ausdehnung des Kokaanbaus und den schwierigen sozioökonomischen Gegebenheiten für die peruanischen Bauern seit Beginn der 80er Jahre ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Daher werden Lösungsansätze in erster Linie mit Blick auf die Entwicklungszusammenarbeit und die Schaffung entwicklungskonformer Rahmenbedingungen diskutiert. Besondere Berücksichtigung findet das Konzept der Alternativen Entwicklung, das seit Ende der 80er Jahre im Mittelpunkt entwicklungspolitischer Ansätze zur Verringerung des Kokaangebots steht. Gegenmaßnahmen im polizeilich-repressiven Bereich werden nur in dem Maße erörtert, in dem sie für die entwicklungspolitische Betrachtungsweise relevant sind. Weitere Politikansätze, wie die Liberalisierung bzw. Legalisierung des Drogenmarktes und die Ansätze zur Reduzierung der Nachfrage nach Kokain aus den Industrieländern, werden nicht behandelt.

1.2. Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit Die Beschreibung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen baut auf einer umfassenden Untersuchung der Koka- und Kokainwirtschaft auf. Dabei sollen die Ursachen und die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die zur Entstehung der Koka- und Kokainwirtschaft beigetragen haben, berücksichtigt werden. Kapitel 1 leitet in die Arbeit ein und legt Problemstellung, Zielsetzung, Vorgehensweise und Methode dar. Ein Überblick der Koka- und Kokainwirtschaft in Lateinamerika wird in Kapitel 2 gegeben. Ziel ist es, eine Einordnung Perus in den südamerikanischen Kontext zu ermöglichen. Dabei werden die spezifischen Merkmale der einzelnen Erzeugerländer von Kokablatt beschrieben. Ziel von Kapitel 3 ist es, die Grundlagen für die Erörterung der drogenspezifischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Eine Kenntnis der Wirtschafts- und Agrarentwicklung ist Voraussetzung für das Verständnis der Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen möglichen Ursachen, die zur Entstehung der Koka- und Kokainwirtschaft beigetragen haben, und den Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Demzufolge gibt dieses Kapitel einen Überblick über die Wirtschaftsentwicklung in den vergangenen 25 Jahren, über die Ressourcenausstattung im Agrarbereich und über die Agrarpolitik seit Ende der 60er Jahre. Kapitel 4 beschreibt die Koka- und Kokainwirtschaft in Peru. Der Problematik der Datenlage wird ein eigener Unterpunkt gewidmet. Die Entwicklung des Kokaanbaus und die Entstehung der Kokainwirtschaft wird detailliert dar-

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gestellt. Von einer plausiblen Quantifizierung der Kokafläche im Zeitraum von 1980 bis 1995 werden die relevanten monetären Kenngrößen Produktionswert, Wertschöpfung und Exportwert abgeleitet, die eine Beurteilung der Dimension der Koka- und Kokainwirtschaft und einen Vergleich mit volkswirtschaftlichen Größen gestatten. Der Analyse der makroökonomischen Auswirkungen der Koka- und Kokainwirtschaft folgen Untersuchungen der Auswirkungen auf Staat, Gesellschaft und Umwelt sowie einzelwirtschaftliche Betrachtungen des Kokaanbaus. Die Diskussion über die Ansatzpunkte zur Eindämmung der Koka- und Kokainwirtschaft beginnt mit Kapitel 5. Ziel ist es, internationales und nationales Drogenrecht zu analysieren, Politik, Strukturen und Institutionen der Drogenbekämpfung zu untersuchen und ihre Wirksamkeit zu bewerten. Dabei stehen die VN-Drogenpolitik, die nationale Politik Perus und die auf die peruanische Drogenwirtschaft gerichtete US-amerikanische Außenpolitik im Vordergrund. Kapitel 6 erörtert die bisherigen Erfahrungen bei der Umsetzung und die Wirksamkeit entwicklungspolitischer Maßnahmen. Da die Vereinten Nationen und die Vereinigten Staaten über langjährige und fundierte Projekterfahrungen in Vorhaben zur Verringerung des Kokaanbaus verfugen, stehen deren Maßnahmen im Mittelpunkt der Betrachtungen. Auf der Grundlage der Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel werden in Kapitel 7 Schlußfolgerungen für entwicklungspolitische Maßnahmen zur Eindämmung des Kokaanbaus gezogen. Die Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Umsetzung von Maßnahmen werden entsprechend den verschiedenen politischen Eingriffsebenen diskutiert. Kapitel 8 faßt die in den Einzelschritten gewonnenen, wesentlichen Feststellungen und Ergebnisse zusammen. Ein Ausblick auf die Zukunft rundet die Aussagen der Arbeit ab.

1.3. Methode Die vorliegende Arbeit ist auf der Grundlage von Forschungsaufenthalten vor Ort sowie einer umfassenden Auswertung der vorliegenden Primär- und Sekundärliteratur entstanden. Einer ersten Orientierungs- und Informationsreise in die drei Kokaanbauländer Kolumbien, Peru und Bolivien folgte eine mehrmonatige Groborientierung über den Forschungsstand und die Verfügbarkeit von Primär- und Sekundärliteratur. Der anschließenden thematisch und geographisch schärferen Eingrenzung schloß sich ein etwa vierwöchiger Aufenthalt in Peru an. Die insgesamt fünf Reisen nach Peru (1991, 1992, 1993, 1994 und 1995) ermöglichten die Auseinandersetzung mit nur vor Ort verfügbarer Literatur. Es

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handelt sich dabei in erster Linie um Primärliteratur in Form von Studien, Projektfortschritts- und -Prüfberichten. Daneben gaben die Aufenthalte die Gelegenheit, auf der Grundlage von nicht standardisierten Befragungen und Beobachtungen authentische Informationen zu erhalten und eigene Eindrücke von der Situation in den Kokaanbaugebieten zu gewinnen. Um zu einem differenzierten Aussagebild zu gelangen, wurde das Spektrum der Gesprächspartner breit gewählt: Kokabauern, Vertreter der Kokabauem und der landwirtschaftlichen Produzentenkomitees, Genossenschaftsverantwortliche, Angehörige staatlicher Institutionen auf der Verwaltungs- und Politikebene, Projektverantwortliche, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Botschaftsangehörige, Journalisten und Fachleute aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Die wiederholten Reisen waren in besonderem Maße geeignet, bisherige Ergebnisse vor Ort rückzukoppeln, zu kontrollieren und Informationslücken zu schließen. Darüber hinaus konnte durch die vor Ort gewonnenen Eindrücke die Qualität der Auswertung der Quellen erheblich erhöht werden, da ein Vergleich mit den eigenen Erfahrungen Rückschlüsse auf die Seriosität der entsprechenden Quellen zuließ. Schriftliche Quellen wurden im Vergleich zu den mündlichen Aussagen bevorzugt verwertet, da diese in der Regel in strukturierterer und reflektierterer Form vorlagen. Der Mangel an gesicherten und verläßlichen Quellen ist eine der größten Schwierigkeiten für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit quantitativen Größen der Koka- und Kokainwirtschaft. Dem wurde durch einen sehr vorsichtigen Umgang mit den Daten und durch die Ableitung eigener Schätzwerte nach Plausibilitätskriterien Rechnung getragen.

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2. Die Koka- und Kokainwirtschaft in Lateinamerika im Überblick Die Grundlage für die Koka- und Kokainwirtschaft ist der Kokaanbau, der den Rohstoff - das Kokablatt - fur die Kokainherstellung liefert. Die Kokablatterzeugung konzentriert sich im wesentlichen auf Lateinamerika und dort auf die drei Andenländer Peru, Bolivien und Kolumbien. Die aus Ekuador, Brasilien und Venezuela stammenden Erntemengen sind im Vergleich zur lateinamerikanischen Gesamtproduktion verschwindend gering (U.S.-Department of State 1991:94, 109, 129). Die Anbaugebiete fur Koka liegen überwiegend an der Andenostabflachung, der sog. Ceja de selva, wo günstige klimatische Bedingungen für den Kokaanbau vorherrschen und die Abgelegenheit und Unzugänglichkeit der Regionen staatliche Kontrollmaßnahmen erschweren. Darüber hinaus behindert die ungünstige infrastrukturelle Anbindung dieser Gebiete die Entstehung einer auf Verkehrs- und Vermarktungsstrukturen angewiesenen legalen Wirtschaft. Während bis Mitte der 80er Jahre in erster Linie die drei Länder Peru, Bolivien und Kolumbien mit der Koka- und Kokainwirtschaft in Verbindung gebracht wurden, gibt es heute kaum einen lateinamerikanischen Staat, der nicht in das Drogengeschäft involviert ist (Observatoire géopolitique des drogues 1993: 217). Die nicht direkt in den Produktionsprozeß eingebundenen Länder spielen insbesondere als Transitländer, als Zentren für Geldwäsche und als Lieferanten für chemische Vorprodukte zur Drogenherstellung eine bedeutende Rolle. Die schwerwiegendsten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Auswirkungen der Koka- und Kokainwirtschaft zeigten sich allerdings in den drei Erzeugerländern von Koka und Kokain: Peru, Bolivien und Kolumbien. Dabei fallt auf, daß die boomartige Entwicklung der Drogenwirtschaft in den 80er Jahren - insbesondere in Peru und Bolivien - mit der tiefgreifendsten Wirtschafts6

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krise der Länder in diesem Jahrhundert zusammenfiel (Hoffmann 1992: 479; Alvarez 1992: 1 Off.)- Bedingt durch eine arbeitsteilige Rollenverteilung der Länder auf Produktions-, Verteilungs- und Handelsstufe sind die Auswirkungen der Koka- und Kokainwirtschaft innerhalb der Andenländer quantitativ und qualitativ verschieden.

2.1. Kolumbien - Drehscheibe im internationalen Kokainhandel In Kolumbien sind etwa 10 bis 20% des lateinamerikanischen Kokaanbaus zu finden. Damit hat die Rohstoffproduktion im Vergleich zu Peru und Bolivien eine wesentlich geringere Bedeutung. Die 'traditionelle Rolle' Kolumbiens besteht in der Verarbeitung von überwiegend aus Peru und Bolivien importierter Kokainbase zu kristallinem Kokain sowie in der Kontrolle des gewinnträchtigen internationalen Kokainverteilernetzes. Kolumbien gilt als Drehscheibe des weltweiten Kokainhandels. Über den tatsächlichen Umfang der kolumbianischen Kokainproduktion liegen keine gesicherten Angaben vor, die Schätzungen über die Höhe der jährlichen Einnahmen aus dem Kokaingeschäft belaufen sich auf bis zu fünf Mrd. US-Dollar (Hoffmann 1991: 147). Die Angaben differieren erheblich, jedoch kann davon ausgegangen werden, daß Kolumbien mit 80% Marktanteil am weltweiten Kokainangebot die herausragende Stellung einnimmt. Die Vormachtstellung Kolumbiens in der Kokainbranche ist zum großen Teil durch die geographische Nähe zum wichtigsten Absatzmarkt USA bedingt. Darüber hinaus boten sich Mitte der 70er Jahre gerade in Kolumbien günstige Voraussetzungen (Sarmiento/Krauthausen 1991: 85) fiir eine entstehende Kokainwirtschaft: • ein schwacher Staat, der lange Zeit weder gewillt, noch in der Lage war, die zunehmenden illegalen Aktivitäten zu unterbinden, • beachtliche Kenntnisse, Erfahrungen und bereits vorhandene Strukturen fiir verbotene Wirtschaftsaktivitäten durch eine lange 'illegale Tradition' (z.B. Marihuana- und Smaragdschmuggel), die den Einstieg in die illegale Kokainwirtschaft erleichterten, sowie • die massive Auswanderung kolumbianischer Staatsbürger in die USA, die den Aufbau und die Tarnung notwendiger illegaler Vertriebsnetze ermöglichte.

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Die ökonomischen Auswirkungen1 der Kokainwirtschaft auf die Gesamtwirtschaft werden in Kolumbien im Vergleich zu Peru und Bolivien geringer eingeschätzt, auch wenn die absoluten Profit- und Umsatzwerte höher liegen. Die im lateinamerikanischen Kontext vergleichsweise positiv verlaufende Wirtschaftsentwicklung Kolumbiens wird vielfach mit dem ins Land strömenden Devisenzufluß aus dem Drogengeschäft in Zusammenhang gebracht. Dem stehen bedrohliche politische Auswirkungen für Staat und Gesellschaft durch die Kokainwirtschaft gegenüber. Gewalt, ausgeprägte Korruption und Bestechung auf allen Ebenen, Unterwanderung des Polizei- und Justizapparates und der Regierungsebene führten im Zusammenhang mit der Drogenwirtschaft zu einer tiefgreifenden Destabilisierung der staatlichen Institutionen Kolumbiens. Die Reaktion des Staates war eine verstärkte Bekämpfung des Drogenhandels. Die sog. Kartelle2, insbesondere das Medellin-Kartell Anfang der 90er Jahre, reagierten mit der als Drogenkrieg bekannt gewordenen Gewaltwelle, eine Erscheinung, die in Peru und Bolivien nicht in diesem Ausmaß bekannt ist. Im Gegensatz zu den Nachbarländern gibt es in Kolumbien keinen legalen Kokaanbau. Darüber hinaus ist eine räumliche Konzentration des Kokaanbaus auf wenige Gebiete nicht feststellbar.

2.2. Bolivien - ein 'drogenabhängiges' Land? Etwa 20 bis 30% der weltweiten Kokablattproduktion hat ihren Ursprung in Bolivien. Im Gegensatz zu Kolumbien gibt es in Bolivien auch legalen Kokaanbau für den traditionellen Gebrauch (Kauen der Blätter, Kokatee etc.). In diesen legalen Konsum fließen ca. 10% der bolivianischen Ernte, 90% absorbiert das illegale Kokaingeschäft. Hauptanbaugebiete sind die sog. Yungas von La Paz mit weitgehend legalem, traditionellem Anbau sowie die Chapare-Region im Departement Cochabamba mit überwiegend illegalen Kulturen. Der Großteil der illegal produzierten Kokablätter wird in Bolivien zu Kokapaste verarbeitet und nach Kolumbien transportiert, wo die weiteren Verarbeitungsschritte vollzogen werden. Seit Mitte der 80er Jahre wird zunehmend auch Kokainbase in ' 2

Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Drogenhandels in Kolumbien vgl. Hoffinann 1991: 146ff; Sarmiento/Krauthausen 1991: 83fT.; Ambos 1993:28ff.; United States Department of State 1991:95ff. Als Kartelle werden im allgemeinen die Zusammenschlösse kolumbianischer Drogenorganisationen wie das Medellin-Kartell und das Cali-Kartell bezeichnet. Das Cali-Kartell war vor seiner weitgehenden Zerschlagung im Jahr 199S ein Zusammenschluß von vier Gruppierungen, die selbständige Einheiten darstellten, sich jedoch durch Arbeitsteilung und Spezialisierung unterschieden. Ursprünglich engagierten sich die einzelnen Gruppierungen des Cali-Kartells auf allen Stufen des Drogengeschaftes, angefangen vom Anbau über die Verarbeitung hin zum Vertrieb. Mit dem Cali-Kartell sollen etwa 50 bis 100 kleinere unabhängige Gruppierungen zusammengearbeitet haben. Bei den Zusammenschlüssen handelt es sich nicht um Kartelle im streng wirtschaftlichen Sinn, da das vorrangige Ziel nicht Produktions-, Absatz- und Preisabsprachen sind.

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Bolivien zu kristallinem Kokain verarbeitet. Als Ursache werden die verstärkte Kontrolle des Luftraumes und die damit einhergehenden Schwierigkeiten der kleinen Transportflugzeuge auf dem Weg von und nach Kolumbien genannt. Weiterhin sind die Preise für Kokablätter und Kokapaste seit Ende der 80er Jahre deutlich gefallen. Die bolivianische Koka- und Kokainwirtschaft versucht die entstehenden Einkommensverluste durch eine Erweiterung der Verarbeitungstiefe und der damit einhergehenden höheren Wertschöpfung zu kompensieren. Die stark steigende Nachfrage nach Kokain aus dem nahen Brasilien ist eine weitere Erklärung für diese Entwicklung. Die hohe Eigenständigkeit der bolivianischen Koka- und Kokainwirtschaft wurde 1995 deutlich, als die im Zusammenhang mit der erfolgreichen Bekämpfung des Cali-Kartells aufgetretenen Preiseinbrüche in Kolumbien und Peru in Bolivien nicht feststellbar waren. Der hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad der bolivianischen Kokabauern gestattet der Regierung keinen harten Konfrontationskurs gegen die Bauern. Dies führt gemeinsam mit der Bedeutungslosigkeit der bolivianischen Guerilla zu einer vergleichsweise entspannten Sicherheitslage in den Kokaanbaugebieten Boliviens. Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Koka- und Kokainwirtschaft werden für Bolivien höher als für Kolumbien oder Peru eingeschätzt. Verschiedene Autoren (Dirmoser 1989: 30; Herf 1992: 7; González 1990: 35) bezeichnen die bolivianische Wirtschaft als 'geprägt vom Kokaanbau'. Ein substantieller Beitrag der Einnahmen aus dem Drogengeschäft zum allgemeinen Wirtschaftsgeschehen ist offensichtlich. Allerdings sind verschiedentlich publizierte Daten, die meist auf Schätzungen bzw. Annahmen beruhen, vorsichtig zu behandeln.

2.3. Peru - das größte Kokaanbauland In Peru3 befinden sich rund 60% der weltweiten Kokaflächen. Damit ist Peru das wichtigste Erzeugerland für Kokablätter und Kokapaste. Die vor 1978 mit Koka bepflanzten Flächen, rund 10% des derzeitigen Flächenumfanges, sind legal. Die aus legalem Anbau stammenden Blätter werden über ein autorisiertes Staatsuntemehmen (Empresa Nacional de Coca - ENACO) vermarktet. Die legale Koka stammt überwiegend aus den traditionellen Anbauregionen Convención und Lares im Raum Cusco. Der Anbauschwerpunkt Perus liegt im Oberen und Mittleren Huallaga-Tal. Weitere wichtige Anbaugebiete sind das Untere Huallaga-Tal, die Flußtäler des Marañon, des Ene, des Ucayali, des Pachitea Auf Peru wird hier nur in knapper Form eingegangen, um einen Überblick der peruanischen Situation im Vergleich zu den Gegebenheiten in Bolivien und Kolumbien zu ermöglichen. Eine ausfuhrliche Darstellung der Situation in Peru erfolgt in Abschnitt 4.2.

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und neuerdings zunehmend des Apurimac. Kennzeichnend ist eine hohe Dynamik in bezug auf Auflösung bestehender und Entstehung neuer Anbauregionen. Die in Peru erzeugte Kokainbase wird zur Weiterverarbeitung noch immer überwiegend nach Kolumbien transportiert, allerdings besteht eine steigende Tendenz zur Verarbeitung in Peru selbst. Die Gründe sind die gleichen wie in Bolivien: zunehmende und effizientere Bekämpfung der Handelsrouten mit entsprechender Verteuerung der Transportkosten und fallende Kokapreise bzw. fallende Deckungsbeiträge aus der Kokaproduktion. Die Größenordnung der peruanischen Koka- und Kokainwirtschaft ist aufgrund der größeren Flächenausdehnung absolut bedeutender als in Bolivien, relativ bleiben die gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen jedoch hinter denen des Nachbarlandes Bolivien zurück. Charakteristisch in Peru ist die Existenz einer Allianz zwischen politischen Guerillabewegungen und den Drogenhändlern, die insbesondere in den 80er Jahren sehr ausgeprägt war. Die Guerilla finanziert sich aus den Drogeneinnahmen und bietet im Gegenzug Schutz vor dem Zugriff staatlicher Ordnungsinstanzen. Der rein strategische Pakt schränkt die staatliche Einflußnahme in den betreffenden Regionen empfindlich ein.

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3. Landeskundliche Einführung Ziel dieses Kapitels ist es, Grundlagen für die Diskussion der drogenspezifischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Eine Kenntnis der Wirtschafts- und Agrarentwicklung ist Voraussetzung für das Verständnis der Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen möglichen Ursachen, die zur Entstehung der Koka- und Kokainwirtschaft beigetragen haben, und den Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Demzufolge gibt Kapitel 3 einen Überblick über die Wirtschaftsentwicklung in den vergangenen 25 Jahren, die Ressourcenausstattung im Agrarbereich und die Agrarpolitik seit Ende der 60er Jahre.

3.1. Gesellschaft und soziale Lage Die Bevölkerungszahl Perus im Jahr 1994 wird auf 23,5 Millionen geschätzt (Webb 1995: 553, Tabelle 18.2). Die Wachstumsrate liegt bei 2,2% und damit über dem lateinamerikanischen Durchschnitt. Mit 45% Bevölkerungsanteil ist die indigene Bevölkerung die stärkste Gruppe, gefolgt von 40% Mestizen und 10% Weißen. Der Anteil von Stadt- und Landbevölkerung hat sich in den vergangenen Jahren aufgrund interner Migration umgekehrt: Heute leben 70% der Menschen in den Städten und 30% auf dem Lande. Zu Beginn der 90er Jahre galten 54% der Bevölkerung als arm, d.h. sie konnten ihre minimalen Konsumbedürfnisse nicht befriedigen. 22% galten als extrem arm, weil sie nicht über die Mittel zur Sicherstellung einer ausreichenden Ernährung verfügten. Am ausgeprägtesten ist die Armut im Andenhochland, wo 47% als extrem arm und 66% als arm eingestuft werden. Auffallig ist

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die hohe Korrelation zwischen ethnischer Herkunft und Armut: 79% der indigenen Bevölkerung sind arm und 55% extrem arm4. Das Pro-Kopf-Einkommen war von über 1.300 US-Dollar zu Beginn der 80er Jahre kontinuierlich auf 943 US-Dollar im Jahr 1992 gesunken und hat sich bis 1994 wieder auf 1.100 US-Dollar erhöht. Damit zählt Peru zu den ärmeren Ländern Lateinamerikas. Erschwerend kommt hinzu, daß Einkommen und Vermögen in Peru traditionell sehr ungleich verteilt sind. Die Analphabetenrate ist mit 12,8% vergleichsweise moderat, erreicht jedoch bei Frauen 18% und bei der ländlichen Bevölkerung bis zu 47%. Als Folge der hohen Armut sowie der stark defizitären Gesundheitsversorgung und Sanitärinfrastruktur kommt es zu gravierenden Gesundheitsproblemen (Cholera, Tuberkulose, hohe Kinder- und Müttersterblichkeit).

3.2. Politik und Wirtschaftsentwicklung - ein Rückblick auf die vergangenen 25 Jahre Die wirtschaftliche Entwicklung Perus ist seit Ende der 60er Jahre wesentlich durch eine wechselhafte Politik geprägt und nachteilig beeinflußt worden. Mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Konzepten gestalteten verschiedene Militärund Zivilregierungen die Entwicklung, die Ende der 80er Jahre in einen wirtschaftlichen Niedergang mit teilweise zweistelligen negativen Wachstumsraten mündete. 1990 lagen sowohl das Pro-Kopf-Einkommen als auch die Gesamtproduktion unter dem Niveau von 1970 (Fuhr/Hörmann 1992: 444). Die 1968 durch Militärputsch an die Regierung gekommene Regierung unter General Velasco versuchte in der Zeit von 1968-1975 mit umfassenden Reformanstrengungen die peruanische Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu modernisieren. Im Rahmen einer importsubstituierenden Industrialisierungsstrategie (ISI) wurden in erster Linie der Binnenmarkt begünstigt, neue politische und wirtschaftliche Mitbestimmungsmodalitäten für alle Bevölkerungsschichten ermöglicht, ausländische Firmen und - im Rahmen der Agrarreform5 - Großgrundbesitz enteignet. Eine starke staatliche Regulierung schränkte jedoch die erhoffte Dynamisierung der Industrieentwicklung und die Initiativen der privaten Unternehmerschaft ein. Die Ausweitung des Staatsapparates sowie das entwicklungsstrategisch umstrittene Engagement des Staates in Großprojekten und -unternehmen führten zu starken Belastungen des Staatshaushaltes, an denen die Politik der reformistischen Militärs letztlich scheiterte. Erfolge konnte

KfW, SozioCkonomische Kurzanalyse Peru, (unveröffentlicht) (Frankfurt: 1994). Zur Agrarreform vgl. auch Abschnitt 3.3.2.

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die Regierung Velasco in den Bereichen Alphabetisierung, verbesserte Mitbestimmungsrechte für die Bevölkerung und gerechte Landverteilung erzielen. General Bermúdez übernahm 1975 durch einen Staatsstreich die Macht und leitete eine Abschwächung der unter Velasco begonnenen Reformen ein. Nach verschiedenen, vor allem anfanglichen Erfolgen (Verbesserung der terms of trade, öffentliche Einsparungen, Verbesserungen der Bedingungen für ausländische Investoren etc.) führten Preisfreigaben und Massenentlassungen im öffentlichen Sektor zu einer deutlichen Verschlechterung der Beschäftigungs- und Einkommensverhältnisse und zu sozialen Spannungen, die schließlich die Regierung Bermúdez veranlaßten, den Weg für eine Redemokratisierung freizumachen. Schwerpunkt der aus den freien Wahlen hervorgegangenen Regierung Belaúnde (1980-1985) war die Liberalisierung der Wirtschaft und die Erhöhung des Außenhandels und der Auslandsinvestitionen in Peru. Es gelang der Regierung jedoch nicht, die in sie gesetzten Hoffnungen zu erfüllen. Externe Faktoren, wie die weltweite Rezession zu Beginn der 80er Jahre und hohe Zinssätze auf den internationalen Kapitalmärkten, bedingten eine Verschlechterung der terms of trade und hohe Außenhandelsdefizite. Aufgrund unverändert hoher interventionsbedingter Staatsausgaben gelang es der Regierung auch intern nicht, den Staatshaushalt zu konsolidieren. Die Regierungszeit Belaúndes endete in einer schweren Wirtschaftskrise mit hoher Auslandsverschuldung, Inflation und starken Reallohnverlusten. 1985 kam der mit absoluter Mehrheit gewählte sozialdemokratische Alán García an die Macht und begann eine heterodoxe Wirtschaftspolitik, die insbesondere in den beiden Anfangsjahren der Regierungszeit (1985 bis 1990) durchaus Erfolge aufwies. Die nationale Wirtschaft sollte durch gezielte Erhöhung der inländischen Nachfrage positive Impulse erhalten. Massive Reallohnsteigerungen und eine Ausweitung der Beschäftigung, gekoppelt mit Preiskontrollen, vorgegebenen Wechselkursen und umfangreichen staatlichen Förderprogrammen, ließen das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 1986 um 9,5% und im Jahr 1987 um 6,9% steigen (Kruse 1992: 8), erhöhten die Kapazitätsauslastung der Industrie und senkten die Inflationsrate beträchtlich. Die Wirtschaftskennzahlen verschlechterten sich jedoch im Lauf des Jahres 1987 wieder. Es zeigte sich, daß der kurze Boom durch eine unseriöse Finanz- und Wechselkurspolitik erkauft war. Daraus resultierten Leistungsbilanzdefizite und eine Zunahme internationaler Zahlungsrückstände und Außenschulden. Die wirtschaftlichen Konsequenzen dieser Politik waren katastrophal: Das Bruttosozialprodukt fiel um 7,4% (1988), um 12,4% (1989) und um 2,4% (1990). Die ab 1988 beginnende Hyperinflation (1988: 1.722%, 1989: 2.776%, 1990: 7.650%) (Webb/ Fernández Baca 1992: 551, Tabelle 16.3.) und die angekündigte Verstaatlichung des Finanzsektors bewirkten national und international einen großen

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Vertrauensverlust und mündeten in einen außergewöhnlichen wirtschaftlichen Niedergang mit Reallohnverlusten von 60% zwischen 1987 und 1990. Angesichts dieser Situation leitete die neu gewählte Regierung Fujimori, die am 28. Juli 1990 ihr Amt antrat, sofort ein umfassendes neoliberales Stabilisierungs- und Strukturanpassungsprogramm ein. Ähnliche, insbesondere von der Weltbank propagierte Programme, waren bereits in verschiedenen lateinamerikanischen Staaten (Chile, Bolivien, Argentinien) in Angriff genommen worden. Die Regierung begann eine Reihe von Reformen, um auf der Grundlage einer stabilisierten Volkswirtschaft langfristiges Wirtschaftswachstum zu erreichen. Die Reformen sollten Preisverzerrungen abbauen, durch eine Reduzierung der staatlichen Subventionen zur Kontrolle des Haushaltsdefizits und der Inflation beitragen sowie eine Deregulierung und Liberalisierung des Binnenmarktes herbeifuhren. Die Stabilisierungsmaßnahmen setzten am zentralbankfinanzierten Haushaltsdefizit an, der eigentlichen Ursache der Hyperinflation. Die Regierung ergriff Maßnahmen zur Senkung ihrer Ausgaben und zur Erhöhung der Einnahmen. Es kam zum sog. Anpassungsschock vom August 1990, im Zuge dessen verschiedene, bis dahin staatlich regulierte und subventionierte Tarife für Brennstoffe, Elektrizität, Wasser und Telefon drastisch angehoben wurden, die Treibstoffpreise beispielsweise um den Faktor 40. Die Geld- und Wechselkurspolitik war weniger restriktiv. Der bislang festgelegte Zinssatz wurde freigegeben, die volle Konvertierbarkeit der heimischen Währung mit dem Dollar ermöglicht und ein weitreichendes Deregulierungs- und Privatisierungsprogramm6 eingeleitet. Es erfolgte eine Einschränkung staatlicher Monopole und die Freigabe nahezu aller Preise. Ferner wurden diskriminierende Hemmnisse gegen ausländische Investoren abgebaut, eine Finanzsektorreform zum Aufbau eines wettbewerbsfähigen und soliden Finanzsystems eingeleitet, die monatlichen Mindestlöhne bei gleichzeitiger Abschaffung der inflationstreibenden automatischen Anpassung der Löhne und Gehälter an die Preisentwicklung angehoben und schließlich eine Reihe von einschneidenden Maßnahmen zur Handelsliberalisierung (insbesondere Zollsenkungen) eingeleitet. Von einigen Ausnahmen abgesehen konnten die Reformen realisiert werden. Insgesamt gilt das Anpassungsprogramm der Regierung Fujimori als erfolgreich, auch wenn sich Peru bis 1992 aus der kritischen wirtschaftlichen Situation nicht befreien konnte. Doch monatliche Inflationsraten von 4% (nach 7.650% im Gesamtjahr 1990) und ein Wirtschaftswachstum von 2,1% im Jahr 1991 (nach Rückgängen in den Jahren 1989 und 1990 um 12,4 bzw. 2,4%) (The World Bank 1992: 26) waren deutliche Zeichen, die zumindest auf eine Stabilisierung der Situation hinwiesen. 6

Ein wesentliches Element der Politik Fujimoris war die Privatisierung von Staatsbetrieben. Dabei flössen zwischen 1991 und 1994 etwa 3 Mrd. US-Dollar in die Staatskasse. Etwa SO Unternehmen aus den Bereichen Bergbau, Fischerei und Fischverarbeitung, Banken- und Dienstleistungsunternehmen wurden verkauft. Die öffentliche Telefongesellschaft, die staatlichen Elektrizitäts- und Gaswerke und die Erdölindustrie- und -vermarktungsuntemehmen wurden teilprivatisiert (vgl. Kroll 1993).

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Seit 1992 geht es stetig aufwärts. Das Wirtschaftswachstum erreichte 1994 eine Rekordzunahme von 12,9% (nach 6,5% im Jahr 1993). 1995 ist die Wirtschaft mit einer Zunahme des Bruttosozialprodukts von etwa 7% erneut kräftig und über dem lateinamerikanischen Durchschnitt gewachsen (Neue Zürcher Zeitung 30. Januar 1996). Die vom Vorgänger Fujimoris abgebrochenen Beziehungen zum Internationalen Währungsfonds, zu anderen internationalen Finanzinstitutionen und Privatbanken sind wieder voll hergestellt. Zwischenzeitlich interessieren sich auch ausländische Investoren erneut für Peru. Trotz dieser Erfolge hat die Politik noch nicht in erforderlicher Weise zur Linderung der extrem hohen Armut beitragen können. Hierin liegt die große Herausforderung für die zweite Amtszeit des am 9. April 1995 mit großer Mehrheit wiedergewählten Präsidenten: Die makroökonomischen Erfolge müssen zukünftig stärker zur Beseitigung der Massenarmut im Land beitragen.

3.3. Agrarwirtschaft Peru ist aufgrund ungünstiger natürlicher Voraussetzungen kein Agrarland im eigentlichen Sinn: Nur 12% des Bruttosozialproduktes stammten 1991 aus der agrarischen Produktion (Webb/Femändez 1992: 594, Tab. 17.8). Ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung ist im Agrarsektor beschäftigt, 1970 war es noch knapp die Hälfte. Während die ländliche Bevölkerung in den vergangenen 30 Jahren um 25% zunahm, wuchs die städtische Bevölkerung um 230% (Webb/Fernändez 1992: 483).

3.3.1. Ressourcenausstattung Die 23,5 Mio. Einwohner Perus bewohnen mit 1,3 Mio. km2 eine Fläche, die diejenige des vereinigten Deutschlands um das 3,6fache übertrifft. Das Land wird durch drei ausgesprochen unterschiedliche Hauptregionen geprägt: Etwa 11% der Fläche nimmt der schmale und langgezogene Küstenstreifen (Costa) ein. Das Hochland (Sierra) mit rund 30% Flächenanteil besteht aus dem parallel zur Küste verlaufenden Andenmassiv und dessen Ausläufern. Im Osten schließt sich der tropische Regenwald (Selva) an, bestehend aus der Andenostabflachung (Ceja de Selva) bzw. tropischem Hochwald (Selva Alta) und dem Amazonastiefland (Selva Baja). Die Selva erstreckt sich über 59% der Landesfläche. Die von Wüste geprägte Costa ist überwiegend arid. Während die Sierra extreme Oberflächenformen und ausgeprägte Klimaunterschiede aufweist, leidet die Selva eher unter zu hohen Niederschlägen, fragilen Ökosystemen und 16

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Neben den Investitionskosten ist dabei an die Kosten für Bodenkonservierung und Aufforstung in den Einzugsgebieten der Bewässerungssysteme gedacht.

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4. Die Koka- und Kokainwirtschaft in Peru Kapitel 4 beschreibt die Koka- und Kokainwirtschaft in Peru. Der Problematik der Datenlage wird ein eigener Unterpunkt gewidmet. Die Entwicklung des Kokaanbaus und die Entstehung der Kokainwirtschaft wird detailliert dargestellt. Von einer plausiblen Quantifizierung der Kokafläche im Zeitraum von 1980 bis 1995 werden die relevanten monetären Kenngrößen Produktionswert, Wertschöpfung und Exportwert abgeleitet, die eine Beurteilung der Dimension der Koka- und Kokainwirtschaft und einen Vergleich mit volkswirtschaftlichen Größen gestatten. Der Analyse der makroökonomischen Auswirkungen der Koka- und Kokainwirtschaft folgen Untersuchungen der Auswirkungen auf Staat, Gesellschaft und Umwelt sowie einzelwirtschaftliche Betrachtungen des Kokaanbaus.

4.1. Datenmaterial und Datenunsicherheit Eine quantitative Bewertung der Kokawirtschaft gestaltet sich extrem schwierig, da gesicherte Daten nicht existieren. Zusätzlich variieren die vorliegenden Angaben zur Kokawirtschaft und ihren Auswirkungen erheblich. Die vorliegende Literatur weist unabhängig von ihrer Seriosität stark abweichendes Zahlenmaterial auf. Die Angaben über den Umfang der Kokafläche in Peru variieren beispielsweise um den Faktor 3,5". Die Relativität von Aussagen12 wird noch verständlicher, wenn man die Datenunsicherheit auf allen Stufen des Produktionsprozesses von Koka zu Kokain berücksichtigt. Es existieren weder fundierte Daten über den durchschnittlichen Hektarertrag von Kokablättern, " 12

Vgl. auch Übersicht 8. Nach Hadinghaus erwirtschaftet die Kokaökonomie 3 bis 4 Mrd. US-Dollar pro Jahr, vgl. Hadinghaus (1991:33).

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noch über den durchschnittlichen Gehalt des Alkaloides Kokain in den Blättern, die Höhe von Ernte- und Lagerverlusten sowie den Wirkungsgrad des Extraktionsprozesses auf den verschiedenen Stufen. Auf die einzelnen, hier nur angedeuteten Variablen wird unten ausführlicher eingegangen. Hier sollen zunächst die Gründe der Datenunsicherheit näher beleuchtet werden: • Die Hauptursache für den Mangel an verläßlichen Daten ist die Illegalität des Koka- und Kokaingeschäftes. Bei legalen Kulturen werden von offizieller Seite Zahlenreihen über relevante Daten entwickelt. Wirtschaft und Politik sind auf Planungsgrundlagen angewiesen und bedienen sich verschiedener Einrichtungen13, um verläßliche Zahlenreihen und Statistiken zu erhalten. Im illegalen Bereich sind die Akteure allerdings nicht um Transparenz, sondern im Gegenteil, um Verschleierung und Tarnung ihrer Aktivitäten bemüht. So wurden Journalisten und Wissenschaftler nicht selten bei ihren Untersuchungen behindert oder bedroht. Einige Journalisten mußten ihre Recherchen mit dem Leben bezahlen. • Darüber hinaus ist die Datensammlung im Agrarbereich generell und im besonderen in infrastrukturell schlecht erschlossenen Ländern wie Peru problematisch. Die Gründe sind vielschichtig und reichen von schwierigen geographischen und topographischen Verhältnissen über die Heterogenität der landwirtschaftlichen Betriebe und Betriebssysteme, die unterschiedlichste Produktivitätsstufen bedingen, bis hin zu der großflächigen Streuung der landwirtschaftlichen Betriebe. Ferner stehen vielfach weder ausreichend Mittel noch qualifiziertes Personal für die Erstellung zuverlässiger Zahlenreihen zur Verfugung. Die Tatsache, daß die Sammlung von Daten im legalen Agrarbereich bereits erhebliche Schwierigkeiten bereitet, macht verständlich, warum zuverlässiges Zahlenmaterial zur Kokawirtschaft kaum existiert. • Ein wichtiger Grund für die Datenunsicherheit sind die Schwierigkeiten der Datenerhebung durch die Entlegenheit der Kokaanbaugebiete (remoteness factor) (Älvarez 1992: 13). Die Abgelegenheit der Gebiete und die damit einhergehende schlechte Anbindung an die wirtschaftlichen Zentren ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg illegaler landwirtschaftlicher Aktivitäten, da die Unzugänglichkeit komparative Kostenvorteile illegaler Kulturen gegenüber legalen mit sich bringt. In der Weise, wie mit zunehmender Abgelegenheit die Vermarktungskosten für legale Produkte steigen, sinken die Risikokosten für den illegalen Anbau durch abnehmende staatliche Kontrollmöglichkeiten. Je geringer die staatliche Präsenz, desto höher werden die Kosten der Datenerhebung sein und diese erschweren oder unmöglich machen. Daher beruhen die meisten Angaben auf Schätzungen14.

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In Peru sind dies beispielsweise das INEI (Instituto Nacional de Estadística e Informática), Cuánto, Universitäten, die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank. Vgl. auch Abschnitt 4.2.8.1. Dort werden verschiedene Schatzmethoden vorgestellt.

• Die unterschiedlichen edaphischen und klimatischen Bedingungen, unter denen Koka erzeugt wird, stellen ein weiteres Problem dar. Der Alkaloidgehalt (Kokain) der Kokablätter weist beachtliche Schwankungen auf. Abhängig von der Jahreszeit, dem Alter der Kokapflanzen, der Sorte bzw. der Varietät des Pflanzenmaterials und den Wachstumsbedingungen (Bodenqualität, Klima, Pflege etc.) werden Kokaingehalte zwischen 0,25% und 1,25% in den Kokablättern gemessen. Selbst im gleichen Gebiet kann der Gehalt um mehr als 100% schwanken (Clawson/Lee 1992: 27). Hinzu kommt, daß im Bereich der Weiterverarbeitung sehr unterschiedliche Fertigkeiten und Techniken vorzufinden sind, die von primitiven Extraktionsvorrichtungen mit in der Regel ungeschultem Hilfspersonal bis zu hochtechnisierten Laboratorien mit professionellen Chemikern reichen. In Abhängigkeit vom Entwicklungsstand und von der technischen Ausrüstung steigt der Extraktionskoeffizient für Kokain. • Eine Beurteilung der gesamten nationalen Koka- und Kokainproduktion ist vor allem deshalb schwierig, weil der 'Export-Mix' nicht bekannt ist, d.h. man weiß nicht, welcher Anteil der jeweiligen Produktionsstufen exportiert und welcher weiterverarbeitet und dann auf einer höheren Stufe ausgeführt wird. Übereinstimmung besteht in der Einschätzung, daß Kokablätter kaum mehr international gehandelt werden und daß die steigende Tendenz zu höherer interner Verarbeitungstiefe anhält. • Der überwiegende Teil der Transaktionen wird im Rahmen von Bargeschäften auf Dollarbasis getätigt. Da die Dollarnoten auf Parallelmärkten in heimische Währung umgetauscht werden und unkontrolliert in den nationalen Finanzkreislauf einfließen15, kann der Geldtransfer statistisch nicht erfaßt werden. Eine genaue Berechnung des Umfanges der Drogenwirtschaft durch Feststellung der Höhe der in Zusammenhang mit ihr getätigten Finanztransaktionen ist damit nicht möglich. • Schließlich unterliegt die gesamte Koka- und Kokainwirtschaft einer hohen Dynamik. Die Preise der Zwischen- und Endprodukte, aber auch die der Rohstoffe sind extrem schwankend. Für die Beteiligten des illegalen Geschäftes ist es notwendig, ständig Taktiken, Handelswege und Standorte für Weiterverarbeitung und Anbau zu ändern, um den Repressionsmaßnahmen staatlicher Kontrollorgane zu entgehen. Es entstehen laufend neue Handels-, Verarbeitungs- oder Anbauzentren. Die geschilderten Schwierigkeiten bei der Erhebung von Daten und die daraus resultierende Datenunsicherheit machen einen sehr vorsichtigen Umgang mit dem vorliegenden Datenmaterial erforderlich. Verschiedene Autoren verwenden in ihren Veröffentlichungen absolute Werte, ohne im einzelnen die Methoden der Datenerhebung zu beschreiben oder die Quellen zu nennen. Zu dieser Grup"

Vgl. auch Abschnitt 4.4.2.

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pe zählen beispielsweise die Arbeiten von Morales (1989), Cuánto (1991, 1992), de Rementería (1989, 1990), Amad y León et al. (1991), Lindlein (1990). Eine andere Gruppe von Autoren, wie Álvarez (1990, 1992), Núñez und Reátegui (1990), Macroconsult (1990a, 1990b), Cuánto (1993), versucht sich der Problematik einer realistischen Quantifizierung zu nähern, indem sie mit Bandbreiten arbeitet, innerhalb derer sich Daten zur Koka- und Kokainwirtschaft bewegen. Im Rahmen dieser Arbeit soll versucht werden, das Problem der Datengrundlage differenzierter anzugehen und plausible Schätzwerte zu entwickeln.

4.2. Beschreibung der Koka- und Kokainwirtschaft in Peru 4.2.1. Arten, Ansprüche und Verbreitung der Kokapflanze Die Kokapflanze aus der Gattung Erythroxylon ist ein holziger, immergrüner Strauch mit kleinen, gelblich weißen Blüten und länglich oval geformten roten Früchten". Aus den Blättern der Kokapflanze wird Kokain gewonnen, wobei der Alkaloidgehalt sorten- und standortbedingt zwischen 0,25 und 1,25% schwankt". Die Botanik unterscheidet etwa 250 verschiedene Arten der Gattung Erythroxylon. Von wirtschaftlicher Bedeutung sind jedoch nur zwei Arten (Lee 1989: 21 f.) (Erythroxilum coca L und Erythroxilum novogranatense) mit jeweils mehreren Varietäten. Wegen ihres höheren Kokaingehaltes ist Erythroxilum coca L heute verbreiteter und insbesondere im Bereich der Ceja de selva Perus und Boliviens in einem Höhenbereich von 600 bis 2000 m zu finden. Diese Art ist in bezug auf die klimatischen Bedingungen relativ anspruchsvoll. Sie bevorzugt konstante Tagesdurchschnittstemperaturen von 15 bis 20° C und regenreiches, feuchtwarmes Klima. Auf Temperaturschwankungen außerhalb dieser Bandbreite reagiert die Pflanze mit deutlich geringerem Alkaloidgehalt. Die Bodenansprüche von Erythroxilum coca L sind relativ gering. Die Varietät Erythroxilum coca ipadit wird vor allem im tropischen Tiefland von Bolivien bis Kolumbien kultiviert. Sie ist besser an die tropischen Klimabedingungen des Amazonasbeckens angepaßt. Die vorwiegend in Kolumbien beheimatete Erythroxilum novogranatense ist im Hinblick auf Klima- und Bodenansprüche wesentlich toleranter. Sie hat ei16

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Vgl. Lindlein (1990: 421). Nach firmenintemer Geschichtsschreibung des Coca-Cola Konzems ist die Form der Coca-Cola Flasche der Frucht der Kokapflanze nachempfunden (Coca-Cola wird aus Kokablattern hergestellt, denen jedoch heute das Kokain entzogen wird). Die Farben des weltbekannten Coca-Cola Schriftzuges sind in Anlehnung an die Nationalfarben Perus rot und weiß. Zu den Angaben Uber den Kokaingehalt von Kokablättem vgl. Ambos (1993: 12); Gantzer/Kasischke/Losno (1975: 26); U.S. Department of Justice - Drag Enforcement Administration (1991: 1).

nen geringeren Kokainanteil, wird jedoch wegen des süßlichen Geschmacks für das traditionelle Kokakauen bevorzugt. Die Varietät Erythroxilum novogranatense truxillense hat eine noch höhere Akzeptanz in bezug auf klimatische Schwankungen. Sie soll in der nördlichen Küstenwüste Perus18 sowie im relativ trockenen oberen Maranön-Tal zu finden sein. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Kokapflanze ein breites Spektrum ökologischer Bedingungen akzeptiert: arme und sehr fruchtbare Böden, immerfeuchte tropische und saisonal trockene Klimate, Fluß- oder Tieflandebenen und steile Berghänge sowie Höhen zwischen 100 bis 2000 Meter. Abgesehen von den andinen Hochlandregionen sind möglicherweise die meisten Gebiete des tropischen Zentral- und Südamerika zum Anbau des Kokastrauches geeignet.

4.2.2. Kokaanbau Hinsichtlich der Anbautechniken bestehen zwischen traditionellen (meist legalen) Anpflanzungen und den überwiegend der Kokainproduktion dienenden Kulturen erhebliche Unterschiede. Traditioneller Kokaanbau ist in der Regel Teil einer seit Jahrhunderten praktizierten Mischwirtschaft, die neben Marktfrüchten vor allem Produkte für die Eigenversorgung der Familien umfaßt. In diesem bewährten und angepaßten Produktionssystem schafft die Kokaproduktion ein regelmäßiges Einkommen, eine Funktion, die vor allem aufgrund des nur gering ausgeprägten Sparverhaltens und der mangelnden Sparmöglichkeiten für die Liquidität der Familien wichtig ist (Ruppert 1990: 69). Das überwiegend bergig-hügelige Gelände der traditionellen Anbauregionen erfordert einen hohen Arbeitsaufwand. Nur durch Terrassierung kann eine angepaßte, erosionsmindernde und damit nachhaltige Produktionsweise gewährleistet werden. Diese aufwendige, ausgefeilte und im Verlauf mehrerer Jahrhunderte entwickelte traditionelle Anbautechnik wird in den jüngeren und meist illegalen Pflanzungen kaum oder nur sehr reduziert angewandt. Zum einen mangelt es den meist aus andinen Hochregionen in die Kokagebiete migrierten Bauern an entsprechenden Kenntnissen und Erfahrungen, zum anderen verhindert das durch den illegalen Status erhöhte Risiko und die dadurch bedingte Unsicherheit Investitionen in sorgfaltig angelegte Terrassierungen. Darüber hinaus ist ein Teil der illegalen Kokapflanzer vielmehr an schnellem wirtschaftlichen Erfolg als an nachhaltiger Produktionsweise interessiert". "

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Morales ist der Ansicht, daß der KUstenbereich mit 3-250 Höhenmetem und der relativen Trockenheit fllr den Kokaanbau ungeeignet ist. Seiner Meinung nach liegt hier ein Mißverständnis vor, welches möglicherweise daher rührt, daß Erythroxilum novogranatense truxillense (auch Trujillo Coca genannt) am Oberlauf des Marañón kultiviert wird. Der Oberlauf des Maraflon fließt durch das Departamento La Libertad, dessen Hauptstadt die in der WUstenregion gelegene KUstenstadt Trujillo ist (vgl. Morales 1989: 51 f.). Vgl. hierzu auch Abschnitt 4.5.2 (Ökologische Aspekte).

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Illegale Koka wird von 60 bis 70% der landwirtschaftlichen Betriebe im Huallaga-Tal angebaut. Aramburú (1989: 253) und Núñez/Reátegui (1990: 82) unterscheiden unter den illegalen Kokaerzeugern zwei Typen: • Familienbetriebe, die Koka nur als eine von mehreren Kulturen ihres diversifizierten Betriebssystems anbauen: Die Kokafläche dieser Betriebe schwankt zwischen 0,5 und 3 ha. Durch die verstärkte Integration der Koka in das Betriebssystem werden entweder bestehende Kulturen ersetzt oder neue und abgelegenere Standorte durch Kokaanbau genutzt. Die intensivere Nutzung der Produktionsfaktoren Fläche und Arbeit für den Kokaanbau erfolgt auf Kosten der legalen landwirtschaftlichen Produktion. • Spezialisierte Betriebe, die ausschließlich Koka anbauen (bis 7 ha): Diese Betriebe sind in der Regel in abgelegenen und neu gerodeten Gebieten (z.B. Seitentälern) anzutreffen. Die Besitzer sind meist neu in die Region gekommen und leben normalerweise nicht auf den Betrieben oder in den nahegelegenen Orten. Sie sind überwiegend auf Lohnarbeitskräfte angewiesen. Der Großteil dieser Betriebe hat sich schon relativ früh und in großem Umfang der Weiterverarbeitung von Kokablättern gewidmet. Die marginalen und oft steilen Flächen, auf denen Koka von den spezialisierten Betrieben angebaut wird, sind in der Regel für andere landwirtschaftliche Kulturen nicht geeignet. Allerdings sind die Hektarerträge auf diesen Flächen geringer als auf traditionellen landwirtschaftlichen Flächen in Talnähe. Nach Aramburú ist die Anzahl der diversifizierten Familienbetriebe deutlich höher. Diese Gruppe stellt den Großteil der fest ansässigen Bevölkerung im Huallaga-Tal. Die starke Ausweitung des Kokaanbaus ab Anfang der 80er Jahre dürfte jedoch überwiegend von neuen Migranten aus dem Hochland bzw. der Costa und Selva getragen worden sein bzw. getragen werden20. Núñez und Reátegui (1990: 45) erkannten in der Frage der vorherrschenden Form des Kokaanbaus eine gewisse Dynamik. In Zeiten der starken Kokaexpansion praktizierten die Bauern den Anbau überwiegend in monokultureller Form. Mit Beginn der verstärkten repressiven Maßnahmen gegen den Kokaanbau mußten sie diese Flächen aufgeben bzw. verlagern und widmeten sich zunehmend dem Anbau legaler Kulturen. Die umfangreichen Schwierigkeiten bei der legalen Agrarproduktion in bezug auf die Vermarktung, Wirtschaftlichkeit, Qualitätsstandards usw. veranlaßten jedoch viele Bauern, neben Kaffee, Kakao und Bananen weiterhin Koka anzubauen. Diese Mischform des Kokaanbaus war 1990 von größerer Bedeutung und ist weiter zunehmend. Eine neuere Studie (Wachtholz 1996: 24) über die landwirtschaftlichen Betriebssysteme im Apurimac-Tal unterscheidet ebenfalls zwei Systeme: den diversifizierten landwirtschaftlichen Betrieb {sistema agrícola diversificado) und 20

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Persönliche Mitteilung von Tito Hernández (Projektleiter des UNDCP-Projektes in der Region) und eigene Erfahrungen im Rahmen eines zehntägigen Besuches des Huallaga-Tales im Oktober 1992.

den Kokabetrieb (sistema agricola cocalerö). Einteilungskriterium war die wirtschaftliche Bedeutung des Kokaanbaus innerhalb des Betriebs. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, daß die diversifizierten Betriebe über eine günstigere Faktorausstattung verfügen (höhere Flächenausstattung, bessere Böden, günstigere Verkehrsanbindung). Diese Betriebe finden sich überwiegend in Talnähe. Die Kokabetriebe bewirtschaften dagegen nur ein Drittel der Flächen, die zudem meist in höhergelegenen Hügelregionen liegen. Ihre legalen landwirtschaftlichen Aktivitäten weisen eine vergleichsweise geringe Produktivität auf, und sie haben in geringerem Umfang Eigentumstitel. Je ungünstiger die Produktionsbedingungen sind, desto höher ist die wirtschaftliche Bedeutung des Kokaanbaus in den Betrieben. Von der Landnahme bis zur Ernte können beim illegalen, nichttraditionellen Kokaanbau im typischen Fall sechs Schritte unterschieden werden (Morales 1989: 52): Rodung, Setzlingsanzucht, Bodenvorbereitung, Anpflanzung, Pflege und Ernte der Blätter. Die Rodung - der beschwerlichste Teil der Arbeit - erfolgt in der Regel als Brandrodung im Sommer. Zuerst wird das Unterholz gerodet, die größeren Bäume gefallt und anschließend in Brand gesteckt. Nach Entfernung der nicht oder nur unvollständig verbrannten Baumstämme bzw. Baumstümpfe muß die Fläche möglichst umgehend für die Anpflanzung vorbereitet werden, denn krautige und strauchige Vegetation und Gräser wachsen innerhalb weniger Wochen nach. Geneigte Flächen werden gar nicht oder mit nur wenig Erfahrung und Sorgfalt terrassiert21. Zur weiteren Bodenvorbereitung werden Pflanzlöcher von 35 cm Tiefe und 22 cm Durchmesser gegraben (ein Loch pro m 2 ). Die Pflanztechniken sind regional verschieden. Teilweise werden vor dem Ausbringen der Setzlinge Schattenpflanzen gepflanzt, die die jungen Kokapflanzen in den ersten drei bis vier Monaten vor zu intensiver Sonneneinstrahlung schützen. Später muß jede Art von Beschattung wegfallen, um gute Erträge mit hohem Alkaloidgehalt in den Blättern zu erzielen. Kokakulturen werden nicht immer auf neu gerodetem Land angelegt. Zum Teil wird die nach der Brandrodung kurzfristig sehr fruchtbare Fläche erst durch traditionelle Kulturen (Reis, Mais, etc.) genutzt. Auch breitete sich der illegale Kokaanbau gerade in den Zeiten des sogenannten Kokabooms auf traditionellen Agrarflächen aus. Im typischen Fall werden die illegalen Kulturen jedoch auf kurz zuvor brandgerodetem Neuland angepflanzt. Nach der Bodenvorbereitung muß eine ausreichende Zahl von Setzlingen zur Verfügung stehen, die entweder von spezialisierten Bauern zugekauft oder 21

In der Literatur wird die Frage der Umweltverträglichkeit des Kokaanbaus kontrar dargestellt. Einige Autoren beschreiben den Kokaanbau als standortangepaßte Dauerkultur mit entsprechend geringen negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Andere schreiben den Kokakulturen extrem schädliche, erosionsbedingte Umweltwirkungen zu. Hier muß jedoch differenziert werden, denn die ersteren beziehen sich auf den traditionellen, die anderen auf den jüngeren illegalen Kokaanbau; vgl. auch Abschnitt 4.5.2. (ökologische Aspekte).

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selbst gezogen werden. Hierfür werden die getrockneten und selektierten Kokasamen in ein auf ca. 10 cm Tiefe gelockertes Beet gesät. Spezialisierte Setzlingserzeuger desinfizieren Boden und Samen durch Einsatz von Fungiziden, da die keimenden Samen und die jungen Pflanzen sehr anfallig für Pilzbefall sind. Pflanzbeete für Kokasetzlinge werden in der Regel beschattet (oft mit den aus der Weiterverarbeitung stammenden Plastikfolien). Nach etwa vier bis acht Wochen können die Setzlinge mit einer Größe von ca. 30 cm an ihren endgültigen Standort gepflanzt werden. Eine neuere und insbesondere bei der Varietät E. ipadü praktizierte Methode (U.S. Department of Justice 1991: 3) ist die vegetative Vermehrung über Stecklinge. Hierzu werden entweder mehrere Zweige einen halben Meter tief in den Boden gesteckt oder ein etwa zehn Zentimeter langes Teilstück eines Zweiges mit Seitenzweig nach eintägigem Wässern in lockere Erde gepflanzt. Durch diese Methode kann die Nutzung der Kokasträucher etwa sechs Monate früher beginnen. In bezug auf den regional unterschiedlichen Pflegeaufwand ist es schwierig, allgemeingültige Aussagen zu tätigen. Neben klimatisch und sortenbedingten Abweichungen hinsichtlich des Krankheits-, Schädlings- und Unkrautdruckes ist der Pflegeaufwand vom erwarteten, stark schwankenden Erlös für die Kokablätter abhängig (der Kokabauer verhält sich nach dem Grenzproduktivitätsprinzip). Im typischen Fall wird in den beiden ersten Jahren bis zur vollen Reife der Kokasträucher mehrmals jährlich Unkraut gehackt. Die Kokapflanze ist im allgemeinen ein widerstandsfähiger Strauch, doch epidemisches Auftreten natürlicher Feinde32, vor allem im monokulturellen Anbau, macht gegebenenfalls Pflanzenschutz notwendig. Seit Anfang der 90er Jahre kommt es zunehmend zum Absterben von Kokaflächen im Huallaga-Tal, das durch einen pilzlichen Erreger (Fusarium oxisporum) ausgelöst wird, der die Leitungsbahnen im Wurzelbereich der Kokapflanze befallt und blockiert. Diese Krankheit hat nach Aussagen von Vertretern der Vereinten Nationen bereits 6.000 ha Kokapflanzen im Oberen Huallaga-Tal vernichtet23. Etwa in einem Dreijahresrhytmus werden die Kokapflanzen zurückgeschnitten, um beginnenden Ertragsdepressionen zu begegnen. Nach sechs bis zwölf Monaten ist die Pflanze wieder voll nachgewachsen und zeigt deutlich höhere Blatterträge. Kokasträucher können bei guter Pflege 30 bis 40 Jahre lang genutzt werden. Im illegalen Anbau werden die Pflanzen jedoch häufig übernutzt und ungenü-

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Die gefährlichsten tierischen Schädlinge fllr die Kokapflanze sind die Larve der Motte Elona Noyesi, die Blattschneideameise Acromyrex sowie der Käfer Aegoides Pacificus. Persönliche Mitteilungen der Mitarbeiter des UNDCP-Projektes anläßlich zweier Besichtigungsreisen im Jahr 1992 und 1993. Nach ÖGD soll sich die Anbaufläche im Huallaga-Tal wegen der Pilzkrankheit bereits um die Hälfte reduziert haben, vgl. Observatoire géopolitique des drogues (ÖGD) (1993: 221).

gend gepflegt, so daß hier von 10 bis 15 Jahren Nutzungsdauer ausgegangen werden kann.

4.2.3. Ernte der Kokablätter Wenn die Kokasträucher eine Höhe von etwa einem Meter erreicht haben und entsprechendes Blattwachstum zeigen, wird mit der ersten Ernte begonnen24. In traditionellen Anbaugebieten (Centro de Estudios Ecológicos y de Desarrollo Integral - CEEDI 1990: 48ff.) hat man die Erfahrung gemacht, daß der Zeitpunkt der ersten Ernte von den Bauern bevorzugt später angesetzt wird. Damit wird verhindert, daß eine zu wenig entwickelte und nur bedingt gegen Krankheiten und Schädlinge resistente Pflanze dem 'Streß' des ersten Pflückens ausgesetzt wird. Der Zeitpunkt der ersten Blatternte ist neben lokalen Gewohnheiten vor allem vom Klima abhängig. Durch Samen vermehrte Kokapflanzen erreichen ihre Reife 12-24 Monate nach dem Auspflanzen. Die Blattreife erkennt man an einer rötlichen Verfärbung des Blattstieles und an einer leichten Ablösbarkeit sowie Sprödigkeit der Blätter (reife Blätter brechen, wenn sie geknickt werden). Die ersten fünf Pflückvorgänge werden im Abstand von etwa drei Monaten mit großer Sorgfalt und meist von den Bauern selbst durchgeführt. Geerntet werden die großen und ausgewachsenen Blätter, während - im Gegensatz zur Tee-Ernte - die kleinen Blätter und die Blattknospen am Zweig belassen werden. Die Erntearbeiter versuchen, die Triebe und Knospen nicht zu verletzen, um ein zügiges Nachwachsen sicherzustellen. Ebenso ist darauf zu achten, daß die Blätter möglichst unversehrt bleiben, da Blattverletzungen eine Verfärbung und geringere Erlöse nach sich ziehen. Ab dem dritten Jahr wird zur Erhöhung der Ernteleistung häufig die Erntemethode geändert. Statt dem 'Abzupfen' einzelner Blätter werden Zweige zwischen die Finger genommen und die auf dem Zweig sitzenden Blätter zusammen abgestreift. Zur Erleichterung und zum Schutz der Finger werden zum Teil spezielle Metallringe benutzt, die allerdings die Zweige verletzen, anfalliger für Pilzbefall machen und darüber hinaus die Kokablätter schädigen können. Für den traditionellen Kokakonsum (vor allem Kokakauen) sind diese Blätter nur noch bedingt geeignet. In Betrieben ab etwa einem Hektar Kokafläche wird die Beschäftigung von Lohnarbeitern erforderlich, da für die Ernte von einem Hektar, abhängig von der Höhe des Blattertrages und der Erntemethode, 15 bis 25 Arbeitskrafttage erforderlich sind. Die Kokapflücker, meist Wanderarbeiter aus dem Hochland, werden tageweise angestellt und erhalten in der Regel Verpflegung plus einen 24

Die Mehrzahl der Aussagen Uber die Ernte der Kokablätter basieren a u f persönlichen Mitteilungen von Kokabauem, mit denen im Rahmen mehrerer Reisen in verschiedene Anbauregionen in Pem und Bolivien in den Jahren 1991, 1992, 1993 und 1994 gesprochen wurde (vgl. Liste der Gesprächspartner im Anhang).

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festen Tagelohn. Auch leistungsbezogene Entlohnung, entsprechend der gepflückten Menge an Kokablättern, ist gebräuchlich. Die Ernte wird sowohl von Männern und Frauen ausgeführt, wobei Frauen um etwa 30% niedriger entlohnt werden. Die geernteten Kokablätter werden in großen Körben gesammelt, zur Hofstelle transportiert und in unmittelbarer Nähe zum Trocknen ausgelegt. Trokkenanlagen in Form von brennholzbetriebenen Trocknungshäuschen sind heute in der Regel nur in den legalen Anbauregionen verbreitet, da sie in illegalen Anbaugebieten leicht von den Kontrollbehörden identifiziert und zerstört25 werden können. Daher ist die gebräuchlichste Methode, die Kokablätter auf ebenen Flächen auszubreiten und an der Sonne zu trocknen. Solche Trocknungsflächen sind aus der Luft ein sicheres Erkennungsmerkmal für Kokagehöfte. Verschiedentlich werden die Kokablätter zwischen Ernte und Trocknung mehrfach befeuchtet und durch Stampfen mit den Füßen mechanisch behandelt, um einen Fermentationsprozeß auszulösen. Derartig aromatisch verbesserte Blätter werden in einigen Regionen zum Kokakauen bevorzugt. Allgemeine Aussagen über Hektarerträge sind sehr problematisch. Die genaue Bestimmung der durchschnittlichen Hektarerträge ist eine jener Ungewißheiten, die eine realistische Einschätzung des Gesamtumfanges der Kokaernte und damit der Kokawirtschaft erschweren. Die Angaben der verschiedenen Quellen schwanken zwischen 0,9 t/ha und über 3 t/ha. Neben Standortfaktoren, dem unterschiedlich hohen Ertragspotential der verschiedenen Varietäten und unterschiedlicher Anbauintensität sind die Schwankungen in den Angaben zum Teil politisch motiviert. Schließlich ist für die starken Abweichungen auch der für illegale Kulturen typische Mangel an verläßlichen Erhebungen ausschlaggebend.

4.2.4. Weiterverarbeitung: Von Koka zu Kokain Kokain wird in einem dreistufigen chemischen Prozeß aus den Kokablättern gewonnen. Die erste Stufe, die Verarbeitung der Kokablätter zu Kokapaste (pasta bäsica de cocaina = PBC), wird überwiegend in den Anbauregionen, also in Peru und Bolivien vollzogen. Der zweite Schritt, die Weiterverarbeitung von Kokapaste zu Kokainbase (pasta basica de cocaina lavada = PBL), findet sowohl in Peru und Bolivien als auch in Kolumbien statt. Der letzte Verarbeitungsschritt, die Umwandlung der Kokainbase zu kristallinem Kokainhydrochlorid, war lange eine Domäne Kolumbiens. In den vergangenen Jahren wur-

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So geschehen in Peru seit 1978. Kurioserweise wurde die Zerstörung solcher Trockenhäuschen von den Behörden immer wieder als 'Entdeckung und Aushebung von Kokainküchen' gefeiert; vgl. Morales (1989: 56).

den jedoch auch in Peru und in Bolivien in steigendem Maße die beiden letzten Herstellungsstufen vollzogen. Die ersten beiden Verarbeitungsschritte der Kokainerzeugung sind ein relativ einfacher Prozeß, der weder ungewöhnliche Chemikalien noch technisch aufwendige Produktionsanlagen erfordert. Die notwendigen technischen Voraussetzungen, vor allem für die ersten beiden Verarbeitungsschritte, lassen sich durchaus in abgelegenen Regenwaldregionen mit überwiegend kleinbäuerlicher Sozialstruktur finden. Investitionskosten und organisatorische Anforderungen sind insbesondere bei der Herstellung von Kokapaste, verglichen mit traditionellen Weiterverarbeitungsprozessen, gering. Die für die Produktion von Kokain wichtigsten Chemikalien und Lösungsmittel sind weit verbreitet und durch andere Chemikalien substituierbar. Eine Kontrolle dieser Vorprodukte und ihrer Substitute ist aufgrund ihrer verbreiteten Verwendung in legalen Wirtschaftsprozessen äußerst schwierig. Im folgenden wird exemplarisch die im Oberen Huallaga-Tal in Peru praktizierte Methode (Núñez 1990: 91 ff.) des ersten Verarbeitungsschrittes beschrieben. Der erste Schritt von den Kokablättern zu Kokapaste wird in gewöhnlichen Gruben (pozos) in der Nähe der Kokafelder durchgeführt. Eine solche Mazerations- oder Einweichgrube ist in der Regel eine 20 m2 große, 0,5 m bis 1 m tiefe Mulde, die mit einer starken Plastikfolie ausgekleidet ist. Zum Teil werden statt der Gruben auch einfach 200 1 Fässer verwendet. Meist befinden sich die pozos wegen des hohen Wasserbedarfs in der Nähe von Wasserläufen. Zuerst wird die sogenannte limonada hergestellt, eine Mischung aus Wasser und Schwefelsäure (etwa 3 kg konzentrierte Schwefelsäure auf 100 1 Wasser). Mit dieser Lösung vermischt man die Kokablätter. Von sogenannten Kokatretern (pisacocas) wird die Masse etwa vier Stunden gestampft. Es folgen bis zu vier weitere, zwei bis vier Stunden lange StampfVorgänge sowie eine längere Einweichphase (Mazeration). Am folgenden Tag werden die Blätter aus der Einweichgrube genommen und die viskose, gelbgrüne Flüssigkeit, die das Kokainalkaloid enthält, in eine zweite, kleinere, ebenfalls mit Plastikfolie ausgekleidete Grube gegeben. Es folgt die Läuterung (clarificación) durch Zugabe von Kalk und Kerosin. Mehrstündiges Rühren bewirkt, daß sich das Alkaloid nahezu vollständig im Kerosin löst. Das Kerosin/Alkaloid-Gemisch steigt an die Oberfläche und wird vorsichtig abgeschöpft. Der Kerosinlösung wird nun unter ständigem Rühren eine Schwefelsäure/Wasserlösung beigegeben, so lange, bis die anfänglich bitter schmeckende Kerosinlösung den bitteren Geschmack verliert und 'nur' noch den Geschmack reinen Kerosins hat. Das nun reine Kerosin wird abgeschöpft und kann wieder verwendet werden. Durch Hinzugabe von Kalziumkarbonat (kohlensaurer Kalk) zu der kristallinen Lösung schlägt sich eine Masse, die Kokapaste, am Boden nieder. Diese wird abgefiltert, getrocknet und gewöhnlich in Stücken zu je einem Kilogramm verkauft oder direkt zu Kokainbase weiterverarbeitet. Der gesamte Vorgang wird 35

mit den Blättern wiederholt (bis zu viermal), wobei die daraus resultierende Paste von geringerer Qualität ist. Der Gesamtprozeß dauert drei bis vier Tage. Um ein Kilogramm Kokapaste (ca. 40% Kokaingehalt) zu gewinnen, müssen rund 100 kg getrocknete Kokablätter verwendet werden. Eine wichtige Rolle beim Verarbeitungsprozeß spielt der sogenannte quimico, der Chemiker, der aufgrund seiner speziellen Fertigkeiten in bezug auf den Extraktionsprozeß einen höheren Lohn als die sonstigen Helfer erhält. Die Verarbeitung der Kokapaste zu Kokainbase verläuft komplizierter als der vorangegangene Prozeß und erfordert verfeinerte Techniken und entsprechende Fertigkeiten. Die Produktion der Kokainbase kann örtlich direkt mit der Kokapaste verbunden sein. In der Regel sind die Labors jedoch nicht direkt in den Anbauregionen angesiedelt. Sie werden ebenfalls in der Nähe von Wasserläufen betrieben. Oft befinden sie sich in direkter Nähe versteckter Landebahnen für Kleinflugzeuge, die sowohl dem Antransport der Rohstoffe und der chemischen Vorprodukte dienen, als auch für den Abtransport der Kokainbase genutzt werden. Diese Verarbeitungsstufe wird in der Regel von sog. firmas betrieben, die über entsprechende Kontakte sowie über genügend Kapital und Liquidität zur Finanzierung der aufwendigen Labors, der großen Mengen der Ausgangsprodukte (hauptsächlich PBC), der Sicherheitsvorkehrungen und der Transportsysteme verfügen. Ähnlich wie bei der Produktion der Kokapaste gibt es auch bei der PBLHerstellung verschiedene 'Rezepte'. Die hier gewählte Beschreibung (Nünez/Reätegui 1990: 97) bezieht sich auf die im Oberen Huallaga-Tal gebräuchliche Methode. In Wasser gelöste Kokapaste wird in eine Kaliumpermanganat" Wasser-Lösung gegeben und unter ständigem Rühren homogenisiert. Während dieses als Oxidation bezeichneten Schrittes werden andere Alkaloide der Kokapflanze und andere im Endprodukt unerwünschte Bestandteile extrahiert und ausgefallt und können nach einer mehrstündigen Ruhephase abgefiltert werden. Dabei setzt sich die Kokainbase am Boden ab. Diese wird zentrifugiert, um den größten Teil der Feuchtigkeit zu eliminieren, zerkleinert und in speziellen Öfen getrocknet. Die getrocknete PBL wird üblicherweise in 2,5 kg Portionen luftdicht verpackt und ist nun fertig für den 'Export', in der Regel nach Kolumbien. Aus 1.000 kg Kokapaste (PBC) erhält man durchschnittlich 410 kg Kokainbase (PBL). Der letzte Verarbeitungsschritt von Kokainbase zu Kokainhydrochlorid stellt die höchsten Anforderungen in bezug auf technische Ausrüstung und Knowhow und ist im Vergleich zu den vorangegangenen Schritten relativ gefahrlich. Kokainhydrochloridherstellung erfordert teure, schwerer erhältliche und oft nicht im Land selbst produzierte Chemikalien 26 . Die Labors, auch Kokainküchen genannt, sind in der Regel gut ausgerüstete Gebäudekomplexe mit um26

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Z.B. Äther, Azeton; die Kontrolle dieser Chemikalien bietet theoretisch und praktisch einen Ansatzpunkt zur Unterbindung bzw. Reduzierung der Kokainherstellung.

fangreicher Infrastruktur wie Schlaf- und Speiseräumen, Büroeinheit, Lagereinrichtungen und dem eigentlichen Kokainlabor. Im typischen Fall hat ein derartiger Laborkomplex Zugang zu einer Landepiste für Kleinflugzeuge. Während die Mehrzahl dieser Einrichtungen noch vor wenigen Jahren im Amazonasgebiet und in Urbanen Randzonen Kolumbiens zu finden waren, werden sie zunehmend auch in entlegenen ländlichen Regionen und in Städten Perus und Boliviens vermutet.

4.2.5. Der illegale Markt für Koka und Kokain Die Illegalität des Marktes bringt mit sich, daß die Ware jederzeit von den Behörden beschlagnahmt werden kann und daß für die Beteiligten ständig die Gefahr einer Festnahme besteht. Darüber hinaus ist es im Falle von Verstößen, Übergriffen und Gewaltanwendungen nicht möglich, auf das formelle Rechtsund Justizsystem zurückzugreifen. Die spezifischen, durch die Illegalität bedingten Rahmenbedingungen der Drogenwirtschaft erfordern spezielle Unternehmensstrategien. So sind hohe Gewaltbereitschaft, ein starkes Bestreben nach politischer Einflußnahme und der Aufbau klandestiner Netzwerke aus Sicht der Beteiligten durchaus rationale Verhaltensweisen, um sich auf illegalen Märkten wie dem Drogenmarkt behaupten zu können. Der internationale Drogenhandel wird zuweilen als oligopolistisch beschrieben (Eschenbacher 1990: 38). Von vertikal integrierten Konzemen, die Anbau und Weiterverarbeitung in den Herstellungsländern sowie Transport und Verteilung in den Konsumländern kontrollieren, ist die Rede. Ein vorsichtiger Umgang mit den oft klischeeartigen Beschreibungen von 'mächtigen Kartellen' und 'kriminellen Syndikaten' ist geboten. Ohne Zweifel hat der Kokainhandel ein wirtschaftlich bedeutendes Ausmaß. Es zeigt sich aber, daß der Umfang der beschriebenen Drogenumsätze mit zunehmender Seriosität der Quellen abnimmt. Kennzeichnend fiir das Drogengeschäft sind die auf den einzelnen Herstellungsund Vermarktungsstufen überproportional ansteigenden Gewinnspannen.

4.2.6. Traditioneller Kokakonsum 4.2.6.1. Historisch-kultureller Hintergrund der Kokapflanze Grabfunde belegen, daß Koka bereits in vorkolumbischen und vorinkaischen Epochen von den Ureinwohnern Amerikas genutzt wurde. Die ältesten archäologischen Funde, die auf den Gebrauch von Kokablättern hinweisen, werden der Valdivia-Periode (etwa 3000 v. Chr.) in Ekuador und der 'Asien I Gesellschaft' in Peru (ca. 2000 v.Chr.) zugerechnet (Abruzze 1989: 95). Verschiedene Auto37

ren (Bühler, zitiert in: Gantzer/Kasischke/Losno 1975: 3) legen die Ursprünge der Verwendung des Kokablattes in den Nordosten Südamerikas, in den Bereich des heutigen Kolumbiens und Venezuelas. Dort ansässige Indianerstämme, die durch nachrückende Stämme aus Zentralamerika weiter in den Süden abgedrängt wurden, sollen den Gebrauch der Kokablätter in die Andenregion gebracht haben, wo er nach dieser Theorie von den Quechua- und AymaraIndianern übernommen wurde. Funde aus der Mochica-Kultur (800-200 v.Chr.) deuten auf eine weite Verbreitung von Anbau und Verwendung der Kokapflanze zumindest im heutigen Norden Perus hin. Im hierarchisch strukturierten Inka-Staat waren Kokafelder in Staatsbesitz, der Gebrauch von Koka stark eingeschränkt und nur höhergestellten Persönlichkeiten erlaubt. In dieser Zeit war die Verwendung von Kokablättern dem herrschenden Adel sowie den Priestern und Schamanen für religiöse und medizinische Zwecke vorbehalten. Für die übrige Bevölkerung war Koka nicht frei verfugbar, konnte jedoch zu verschiedenen Anlässen zugeteilt werden. Die Staffelläufer beispielsweise, die die Grundlage des inkaischen Informationssystems bildeten, erhielten zur Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit Kokablätter. Erst nach dem Zusammenbruch des Inkareiches durch die spanische Eroberung fand die Koka allgemeine Verbreitung. Die traditionellen Beschränkungen bestanden nicht mehr. Nach der systematischen Zerstörung der Inkareligion stellte die Koka für die Inka-Nachkommen ein Band zu alten Traditionen dar und wurde als Relikt vergangener, besserer Tage angesehen. Allerdings trat die religiöse und kultische Bedeutung der Kokapflanze in den Hintergrund und machte einem eher weltlichen Gebrauch - dem Kokakauen - Platz (Gantzer/ Kasischke/Losno 1975: 4)- Die Spanier unternahmen anfanglich verschiedene Versuche, den 'heidnischen' Kokagenuß zu unterbinden. Sie mußten jedoch bald erkennen, daß der fehlende Kokakonsum die Leistungsfähigkeit und Ausdauer der Indios in den Minen beeinträchtigte. Kokaanbau und -Verteilung wurden instrumentalisiert. Die Spanier übernahmen die Pflanzungen, intensivierten den Anbau und verteilten Koka an die Minen- und Landarbeiter. Dabei nutzten sie den Umstand, daß die Verteilung von Kokablättern zu Inkazeiten als besondere Großzügigkeit galt und zu Gegenleistungen, z.B. dem Bereitstellen der eigenen Arbeitskraft, verpflichtete. 4.2.6.2. Traditioneller Kokakonsum und Kokamarkt heute Noch heute ist die Kokapflanze ein elementarer Bestandteil der kulturellen Identität der südamerikanischen Indios, auch wenn die religiöse, kultischrituelle und politisch-soziale Funktion der Koka nach der Zerschlagung des Inkareiches abgenommen hat. Das Festhalten an der Koka bedeutet ein Band zu den alten Traditionen und ist auch heute für eine eigene, sich von der abendländischen Zivilisation unterscheidende und unabhängige Identität von großer 38

Bedeutung. Die Kokapflanze ist etwas den Indios Eigenes und vermittelt ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Dabei ist es sekundär, ob der Gebrauch religiös, kultisch-rituell bedingt ist oder die Koka Genußzwecken dient. Die heutige kulturelle Bedeutung wird vor allem durch die Tatsache unterstrichen, daß der Kokagebrauch über 400 Jahre bei den andinen Hochlandindianern überdauert hat. Der Koka werden in der indianischen Kultur verschiedene Bedeutungen bzw. Funktionen zugeschrieben. Die verbreitetste Form des Kokagebrauches ist das Kokakauen (coceada). Dabei werden mehrere getrocknete Blätter entrippt, im Mund mit Speichel vermischt und zu einem Ballen geformt. Die gelegentliche Zugabe von Kalk oder anderen alkalischen Substanzen und leichtes Bewegen des Kokaballens in der Backentasche setzt während des ein- bis zweistündigen Kauaktes eine grünliche Flüssigkeit frei, in der Alkaloide gelöst sind. Das Kokakauen erfolgt wegen seiner stimulierenden Wirkung häufig vor und während des Arbeitens. Besonders bei den harten Lebens- und Arbeitsbedingungen in großer Höhe wirkt sich die Koka positiv auf die Atmung und die Leistungsfähigkeit aus, vermittelt ein Gefühl von Stärke und Ausdauer und verbessert das individuelle Allgemeinbefinden. Hinzu kommt, daß Koka Hunger-, Durst-, Schmerz- und Kältegefühle unterdrückt. Viele der früheren Entwicklungen und der heutigen Anstrengungen in Lateinamerika (z.B. im Bergbau, in der Landwirtschaft) wären ohne Koka nicht möglich gewesen. Vor den Bergwerken Boliviens sitzen die Minenarbeiter noch heute 1-2 Stunden vor Beginn der Arbeit gemeinsam vor den Stollen, um Koka zu kauen und sich so auf die extremen körperlichen Belastungen vorzubereiten27. Eine weitere wichtige Funktion des Kokakauens ist dessen soziale und integrative Bedeutung. Kokakauen als ritueller Akt stärkt das Zusammengehörigkeits- und Gruppengefühl sowie das Traditionsbewußtsein. Gemeinsames Kokakauen fördert das Solidaritätsempfinden und überbrückt soziale Unterschiede. Koka wird zu verschiedensten Anlässen gekaut: beim Treffen von Bekannten, bei Unterhaltungen, beim Aushandeln von Geschäften usw. Traditionelle Formen der Gemeinschaftsarbeit in der Landwirtschaft (minga und ayni) wären ohne Kokakonsum nicht möglich. Darüber hinaus ist der religiös-kultische Gebrauch der Koka verbreitet. Die Blätter der Pflanze spielen bei vielen religiösen Ritualen eine wichtige Rolle. Wie schon die Inkas geht auch die heutige, vor allem ländliche, Indiobevölkerung davon aus, daß die Koka eine heilige Pflanze ist, in der der Segen Gottes ruht. Die spezifischen Wirkungen des Kokagenusses erleichtern den Eintritt in einen Trancezustand, mit dem eine Verbindung zwischen Überirdischen und Irdischen hergestellt wird. Kokablätter finden ferner in der Wahrsagung Ver-

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Eigene Beobachtung während einer Bolivienreise 1988.

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wendung. Hellseher werden regelmäßig konsultiert und um Rat für anstehende Entscheidungen oder nach Vorhersagen gefragt. Der Gebrauch von Koka für medizinische Zwecke ist keineswegs nur auf die Heilung von Krankheiten in entlegenen Gebieten mit unzureichender medizinischer Versorgung beschränkt. Auf die heilende Wirkung der Kokablätter verläßt sich ein großer Teil der städtischen und ländlichen Bevölkerung der Andenländer, also auch Bevölkerungsgruppen, die keine coqueros (Kokakauer) sind. Koka gilt als bewährtes Mittel gegen fast jede Art von Beschwerden und ist in vielen, nicht nur indianischen, Hausapotheken vorhanden. Kokatee wird gegen Unwohlsein und vor allem gegen die Höhenkrankheit verabreicht. Bei der Ankunft im Flughafen El Alto von La Paz (auf ca. 4000 m Höhe) wird empfindlichen Reisenden Kokatee angeboten. Im gesamten nordandinen Bereich ist er ein verbreitetes und beliebtes Getränk. Kokatee und Kokapräparate für medizinische Zwecke werden heute industriell verarbeitet und vermarktet. In abgelegeneren Regionen haben Kokablätter auch eine wichtige Bedeutung im Wirtschaftsgeschehen. Die getrockneten Blätter sind Tausch- bzw. Zahlungsmittel für Güter, die im Rahmen der vorherrschenden Subsistenzlandwirtschaft nicht selbst erzeugt werden. Tagelöhner beziehen einen Teil ihrer Entlohnung in Form von Kokablättern. Der relativ hohe Wert der Blätter, vor allem im hochandinen Bereich, macht sie zu einem beliebten und begehrten Geschenk. Die Verwendung der Koka und ihre soziokulturelle Bedeutung ist in den abgelegenen Hochlandregionen am ausgeprägtesten. Die zunehmende Erschließung dieser Gebiete und der steigende Einfluß westlicher Zivilisation drängt die traditionellen Elemente der Indiogemeinschaften immer mehr zurück und führt zu einem kontinuierlichen Bedeutungswandel des Kokagebrauches, der jedoch nicht notwendigerweise mit einem Rückgang des Kokakonsums verbunden ist. Wie bedeutend das Kokakauen noch heute in den Andenländern ist, verdeutlichen folgende Zahlen (Instituto Indigenista Interamericano 1989: 18): In Bolivien wird mit 3,4 Mio. Konsumenten gerechnet, in Peru zwischen 4 und 5 Mio. und mit 200.000 bis 300.000 in Argentinien. In Ekuador, Kolumbien, Venezuela und Chile ist der Kreis der coqueros viel geringer. Die Gesamtzahl der Kokakonsumenten dürfte zwischen 7 und 8 Mio. liegen. Andere Quellen (Gantzer/ Kasischke/Losno 1975: 26) gehen von wesentlich niedrigeren Zahlen aus, z.B. 1 Mio. für Peru. Ein coquero kaut durchschnittlich etwa 30 bis 60g Kokablätter pro Tag. Man nimmt heute an, daß das in den Blättern enthaltene Kokain durch Speichel und Magensäfte zu der verträglicheren Substanz Ekognin abgebaut wird, die eine 80fach schwächere Wirkungseigenschaft als Kokain aufweist. Pharmakologisch besteht damit zwischen Kauen von Kokablättern und dem Kokainkonsum ein erheblicher Unterschied (Scherer 1989: 353). Die Diskussion über die gesundheitlichen Auswirkungen des Kokakauens wird seit Jahren kontrovers geführt. Vor allem in den 40er und 50er Jahren die40

ses Jahrhunderts überwog in der wissenschaftlichen Literatur eine negative Einschätzung des traditionellen Dauerkonsums. Verschiedene Untersuchungen (Gantzer/Kasischke/Losno 1975: 11 ff.) waren damals zu dem Schluß gekommen, daß das Kokakauen die Ursache für den schlechten Gesundheits- und Ernährungszustand der andinen Bevölkerung sei. Das Kokakauen wird für die introvertierten bis apathischen Verhaltensmuster vieler Indios verantwortlich gemacht. Andere Autoren glaubten im Kokakonsum die Ursache für Analphabetismus und Unterentwicklung gefunden zu haben. Hier wurden oft monokausale Wirkungszusammenhänge mit Koka als einziger Variablen unterstellt. Ab den 70er Jahren änderte sich die negative Einschätzung des Kokakonsums grundlegend. Die Aussagen über den negativen Einfluß auf Ernährungs- und Gesundheitszustand wurden revidiert, als man den hohen Gehalt an Vitaminen und Mineralien der Kokablätter nachwies. Nun konnten empirische Studien zeigen, daß Kokakauer häufig einen im Vergleich zur 'nicht-kauenden' Bevölkerung besseren Ernährungszustand aufweisen. Auch soll Kokakonsum die Nahrungsumsetzung verbessern, die Körpertemperatur und die Sauerstoffaufnahme erhöhen. Heute geht man davon aus, daß Kokakauen weder zu Suchterscheinungen, noch - abgesehen von übermäßigem Konsum - zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen fuhrt (Martin 1975: 25ff.). In Peru übernimmt das staatlich autorisierte Unternehmen ENACO den Aufkauf der legalen Kokaernte und regelt die weitere Verwendung. Der Großteil der legalen Ernte wird über ein Netz von lizensierten Einzelhändlern an die überwiegend indianischen Konsumenten verkauft. Ein kleinerer Teil wird im Land selbst zu Teebeuteln, kokahaltigen Essenzen und Pasten weiterverarbeitet oder an ausländische Pharmaunternehmen und die Firma Coca Cola exportiert, die die Blätter zur Herstellung ihres bekannten Getränkes verwendet.

4.2.7. Entwicklung des Kokaanbaus und Entstehung der Kokainwirtschaft Während der spanischen Kolonialzeit war der Kokaanbau in erster Linie der damals entstehenden neuen Landbesitzerklasse (überwiegend Mestizen) vorbehalten. Kokaanbau und -handel waren Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ein einträgliches Geschäft und sicherten vielen Familien einen gewissen Wohlstand und einen mittelständischen Status in der Gesellschaft (Morales 1989: 28). Der damalige Kokaanbau konzentrierte sich auf das Tal 'La Convención' unweit der ehemaligen Inka-Hauptstadt Cusco. Während die Inkas das sog. mitimaes anwandten, ein Arbeitssystem, welches Familien unterworfener Volksgruppen umsiedelte und diese zum Kokaanbau zwang, war in der kolonialen Periode Leibeigenschaft, Zwangsarbeit und Sklaverei zur Erzeugung von Ko-

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kablättern üblich. Nach der Unabhängigkeit führte der hohe Arbeitskräftebedarf des Kokaanbaus zum Einsatz afrikanischer und asiatischer Immigranten. 4.2.7.1. Migrations- und Siedlungsgeschichte der Selva Ein Exkurs in die Migrations- und Siedlungsgeschichte der Selva veranschaulicht, warum der Kokaanbau gerade in Regionen mit starken Migrationsbewegungen derartige Bedeutung erlangen konnte. Koka wird überwiegend in der Ceja de Selva21 kultiviert. Erste wirtschaftliche Bedeutung erhielt die Region der Selva um die Jahrhundertwende durch den damaligen Kautschukboom, der jedoch nicht zu einer Anbindung der Region an das übrige Peru beitrug, da das Kautschukgeschäft über den Amazonas Richtung Brasilien und Atlantik abgewickelt wurde. Abgesehen von einigen traditionellen Beziehungen gab es kaum Austausch zwischen dem Raum östlich der Anden und dem Rest des Landes. Armutsbedingte bzw. wirtschaftlich motivierte Wanderungsbewegungen waren selten. Die peruanische Bevölkerung wuchs im Zeitraum von 1950 bis 1995 um durchschnittlich 2,6% jährlich und hat dabei von 7,6 Mio. Personen auf 23,5 Mio. Menschen im Jahr 1995 (Webb/Fernändez 1995: 213, Tab. 4.1) zugenommen. Insbesondere in der Sierra führte dieser Bevölkerungsanstieg, verbunden mit Realerbteilung und einer ohnehin ungünstigen kleinbäuerlichen Landbesitzstruktur, dazu, daß das Potential an landwirtschaftlich nutzbarem Boden nicht mehr ausreichte, um der gesamten andinen Bevölkerung eine ausreichende Lebensgrundlage zu garantieren. In der Sierra standen kaum mehr frei verfugbare Flächenreserven für die landwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung, und eine Intensivierung der Produktion auf den vorhandenen, oft erosionsgefährdeten Flächen hatte bereits zu massiven Schäden geführt. Es kam zu erheblichen, bis heute andauernden Abwanderungsbewegungen der Menschen aus dem Andenraum überwiegend in Richtung der städtischen Metropolen. Die Migration in die Städte führte dort zur Entstehung von Elendsvierteln mit bekannten Problemen wie Wohnraumenge und dem weitgehenden Fehlen von öffentlichen Dienstleistungen (Trinkwasserversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung, Schulen, Gesundheitseinrichtungen), welche die Elendsviertel zu sozialen Konfliktherden machten. Die Regierung suchte bereits in den 60er Jahren nach Möglichkeiten einer Umlenkung der Migrationswellen in Regionen mit höherem Entwicklungspotential, als es das bereits vollkommen überlastete Lima aufzuweisen hatte. In der ausgedehnten und - abgesehen von etwas Kaffee, Kakao und Kautschukanbau - bis dahin nahezu unberührten Selva östlich des Andenhauptkammes glaubte man dieses Potential vorzufinden. Die Bevölkerungs- und "

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Ceja de Selva; wörtlich: Augenbraue des Urwaldes; gemeint sind die Taler des Andenostabhanges.

Wirtschaftspolitik zielte darauf ab, migrationswillige Hochlandbewohner und Bewohner der überbevölkerten Städte freiwillig zur Umsiedlung in die Gebiete östlich der Anden zu bewegen. Umfangreiche Siedlungsprogramme mit aufwendigen Straßenbauvorhaben wurden begonnen, die das Ziel hatten, Land für interessierte Siedler zu erschließen und neues Agrarland in die peruanische Wirtschaft zu integrieren. Ein erster Schritt war der Bau der Carreteras de Penetración, wie beispielsweise die Straße Lima-Tingo Maria-Pucallpa in den 50er Jahren, die von weiteren Entwicklungsmaßnahmen begleitet waren. Zu jener Zeit entstanden die landwirtschaftliche Versuchsstation in Tingo Maria (heute Universität) sowie erste Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. In mehreren großen, noch in der ersten Regierungszeit Belaúndes (19631968) begonnenen Siedlungsprojekten erfolgte der Bau von Querstraßen, wie der bekannten Carretera Marginal durch das Huallaga-Tal. Mehr als 100.000 ha für über 5.000 Familien sollten dort erschlossen werden (The World Bank 1992: 66). Die Bestrebungen kamen jedoch zum Erliegen, als 1968 der durch Putsch an die Macht gekommene General Velasco die Agrarpolitik prioritär auf die Regionen der Costa und der Sierra ausrichtete. In der Folge gingen die staatlichen Unterstützungen für die Selva stark zurück. Die Wirtschaftskrise der späten 70er Jahre beschleunigte den Prozeß des Rückzugs staatlicher Institutionen und führte dazu, daß die Präsenz des peruanischen Staates (Sicherheitskräfte, öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenstationen etc.) in der Ceja de Selva Ende der 70er Jahre irrelevant war. Nach seiner Wiederwahl 1980 griff Belaünde seine alten Kolonisierungspläne wieder auf. Die staatliche Siedlungspolitik wurde unter anderem durch eine Anzahl von Großprojekten (proyectos especiales) über das nationale Entwicklungsinstitut INADE (Instituto Nacional de Desarrollo) gelenkt. Die verschiedenen proyectos especiales erstrecken sich über ein Gebiet von knapp 8 Mio. Hektar, von denen etwa 1,6 Mio. Hektar landwirtschaftlich genutzt werden können. Rund 125.000 Familien profitieren davon. Insgesamt werden die Resultate der Siedlungsprogramme jedoch kritisch beurteilt. Die Projektergebnisse blieben weit hinter den Erwartungen zurück, die zum Teil zu hoch angesetzt waren. Fehleinschätzungen in bezug auf den wahren Finanzbedarf der überaus kostspieligen Infrastrukturmaßnahmen bzw. falsche Annahmen im Hinblick auf die Ergiebigkeit nationaler und internationaler Finanzquellen führten bald zu Finanzierungsschwierigkeiten. Aber auch unrealistische und mehr vom Wunschdenken getragene Einschätzungen des tatsächlichen bzw. des mobilisierbaren Agrarpotentials waren mitverantwortlich dafür, daß eine große Zahl von enttäuschten und zum Teil hoffnungslos verschuldeten Siedlern in der Selva alta zurückblieb. Neben der gelenkten gab es auch spontane Besiedlung der Regionen, die vom Umfang bedeutender und zum Teil für den begrenzten Er-

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folg der geplanten Siedlungsvorhaben mitverantwortlich war, da das massive Auftreten der 'wilden Siedler' sämtliche Planungen ad absurdum führte. Die bisherigen Entwicklungsbemühungen haben gezeigt, daß der Aufbau einer gesunden regionalen Ökonomie auf der Basis einer nachhaltigen Landwirtschaft in der Selva sehr schwierig ist (The World Bank 1992: 37). 4.2.7.2. Migrations- und Siedlungsprozeß im Huallaga-Tal Am Huallaga-Tal soll beispielhaft für die Selva alta der Siedlungs- und Migrationsprozeß erläutert werden. Dabei wird verständlich, warum die ab Ende der 70er Jahre massiv steigende externe Nachfrage nach Kokain bzw. dem Ausgangsprodukt Kokablatt gerade in den neuen Siedlungsgebieten östlich des Andenhauptkammes günstige Voraussetzungen für die Entstehung und Ausweitung des Kokaanbaus fand. Die konfusen und ungeregelten Besitzverhältnisse haben diese Entwicklung im Oberen Huallaga-Tal erleichtert. Die starke Zunahme des Kokaanbaus hat auch Nachfrage und Preis landwirtschaftlicher Flächen deutlich erhöht und den Zuzug in die Region erheblich beschleunigt. Von 1940 bis 1981 hat sich die Bevölkerung im Huallaga-Tal (Aramburú 1989: 231-259) von rund 11.500 auf 135.000 Personen erhöht. Für 1987 liegt eine Schätzung von 170.000 Personen (Astede/Tejada, zitiert in: Alvarez 1992: 66) vor, während 1991 von 210.000 Menschen ausgegangen wird (Ministerio de Agricultura 1992: 17). Die Bevölkerung hat demnach in den vergangenen 50 Jahren nahezu um den Faktor 20 zugenommen. Die Besiedlung des Oberen Huallaga-Tales erfolgte von Tingo Maria aus im Süden parallel zum Bau der Carretera Marginal Richtung Norden. Während bis zu Beginn der 60er Jahre das Gebiet um Tingo María Ziel der neuen Siedler war, haben sich die Neuankömmlinge in den 70er Jahren im zentralen Bereich des Oberen Huallaga-Tales (Aucayacu) und in den 80er Jahren im Norden des Oberen Huallaga-Tales (Uchiza, Tocache) niedergelassen. Der Bau der Carretera Marginal war demnach der Impuls für die Migrationsbewegungen und die Besiedlung des Oberen Huallaga-Tales. Erhebungen von Aramburú bei rund 400 Siedlerfamilien im Jahr 1981 zeigten interessante Aspekte: Als Motive für die Migration wurden von 53% der Befragten die 'Suche nach Agrarland', von 32% die 'Suche nach Arbeit', von 12% das 'Vorhandensein von Verwandten' und von 3% 'staatliche Hilfe' angegeben. Rund 70% der Siedler kamen aus der Sierra, knapp 25% aus der Selva und etwas über 5% aus dem Bereich der Costa (Aramburú 1989: 248). Der hohe Anteil an Landsuchenden ist verständlich, wenn man die Herkunft der Migranten betrachtet. Gerade in der Sierra ist das Hauptmotiv für die Abwanderung die Landknappheit. Der Anteil der Arbeitsuchenden ist im älteren Siedlungsgebiet höher, da sich dort bereits arbeitsintensive Dauerkulturen, die zusätzliche Arbeitskräfte erfordern, etablieren konnten. Der überwiegende Teil der Migration erfolgte spontan ohne direktes Eingreifen des Staates. Dies brachte 44

erhebliche Probleme mit sich, da staatliche Leistungen, wie Landzuteilung, Landtitelvergabe, Kreditbereitstellung und Beratungsdienst, für eine viel höhere Zahl von Siedlern bereitgestellt werden mußten, als ursprünglich geplant war. Dies stellte die staatlichen Institutionen vor unlösbare Aufgaben. Mitte der 60er Jahre wurde das Siedlungsprojekt Tingo Maria-Tocache begonnen. Während der ersten sechs Jahre des auf insgesamt 20 Jahre konzipierten Vorhabens sollten 130.000 ha Fläche mit Landtiteln an etwa 4.200 Siedler {colonos) vergeben werden. Bei Projektende 1973 war das Ziel zu über 90% erreicht. Dies wäre ein eindrucksvolles Ergebnis gewesen, wenn das Projekt nicht gleichzeitig mit einer großen Zahl von Schwierigkeiten konfrontiert worden wäre. Die nicht immer adäquate Auswahl und Zusammensetzung der empfohlenen Kulturarten, eine kaum bedarfsorientierte Beratungstätigkeit, administrative Schwierigkeiten, mangelnde Verkehrsanbindung und fehlende Basisdienste, zum Teil geringe Bodenproduktivität und letztlich der schwierige Zugang zu Krediten haben die Projekterfolge stark eingeschränkt. Darüber hinaus konnte das Siedlungsvorhaben die Aktivitäten der vielen 'wilden' Siedler nicht kontrollieren. Die Folge all dieser Schwierigkeiten war eine hohe Abwanderungsrate und eine häufige Aufgabe der zugewiesenen Flächen, die dann wiederum von 'wilden' Siedlern in Besitz genommen und zum Teil über spezielle Präferenzregelungen legal an neue Siedler verkauft wurden. Damals verfolgte die offizielle Politik auch die Förderung kollektiver Flächen. Neben privaten Parzellen hatten die einzelnen colonos einen Anteil an einer Gemeinschaftsfläche, die gemeinsam bearbeitet werden sollte. Schwierigkeiten bei der Administration dieser Flächen, mangelnde Erfahrung unter den Siedlern mit dieser Bewirtschaftungsweise, die häufige Abgelegenheit der Gemeinschaftsflächen von der eigenen Parzelle und schließlich der Mangel an Arbeitskräften und Kapital für diese kollektiven Flächen ließen auch dieses System scheitern. Dadurch wurden im Prinzip nur die privaten Parzellen bewirtschaftet, während neue Siedler die Kollektivflächen in Besitz nahmen. Ein weiterer Umstand hat die Besitzverhältnisse in der Region verkompliziert. Es gab dort durch die Praxis der mehljährigen Brache zur Erholung der Flächen einen entsprechenden Anteil an Brachland. Dieses Brachland wurde von den Siedlern, vor allem jenen aus der Sierra, denen diese Praxis unbekannt war, als ungenutzte Fläche angesehen und in Besitz genommen. Zum Teil wurden auch brachliegende, bereits stark degradierte Flächen an unerfahrene colonos verkauft. Die Folge war eine Zunahme der Konfusion über die Besitzverhältnisse, soziale Spannungen sowie ein insgesamt sinkender wirtschaftlicher Erfolg der Siedler. Aramburü fand bei seinen Forschungsarbeiten 1981 im Huallaga-Tal heraus, daß weniger als 50% der Bauern legale Eigentumstitel für die von ihnen bewirtschaftete Fläche hatten. Dabei dürfte die Zahl zu hoch geschätzt sein, da lediglich im damaligen Projektgebiet Erhebungen gemacht wurden. Gerade außerhalb hatten sich eine große Zahl von Siedlern niedergelassen, die überwie45

gend ohne Titel wirtschafteten. Rund 80% der Nutzfläche außerhalb des Projektgebietes wurde 1981 ohne legale Eigentumstitel gehalten, was nicht allein an der Lage außerhalb des Projektgebietes lag, sondern auch mit dem Umstand zusammenhing, daß hier die meisten Kokaflächen zu finden waren. Im Jahr 1973 (CENCIRA, zitiert in Aramburú 1989: 249) - bei Beendigung des in den 60er Jahren begonnenen staatlichen Siedlungsprojektes im Oberen Huallaga-Tal - gab es 2.617 Familienbetriebe mit insgesamt 57.273 ha, 755 Viehwirtschaftsbetriebe mit insgesamt 44.091 ha und zehn ländliche Kooperativen mit 21.320 ha. Knapp zehn Jahre später (1981) werden für das Obere Huallaga-Tal 5.713 kleine Familienbetriebe ( 0 25,5 ha) mit insgesamt 149.561 ha angegeben (Aramburú 1989: 250). Die Zahl der Kooperativen (einschließlich großer Plantagen) wird auf 10 mit 31.800 ha und die der forstwirtschaftlichen Betriebe auf 196 mit knapp 165.000 ha beziffert. Zwischenresümee Die Situation der Bauern im Oberen Huallaga-Tal Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre kann folgendermaßen zusammengefaßt werden: • Unsichere Eigentumsverhältnisse: Zwischen 60 und 70% der Bauern im Oberen Huallaga-Tal bewirtschaften Land, ohne dafür offizielle Eigentumstitel zu halten. Fortgesetzte Migrationsbewegungen, die Praxis der Anwendung der Brache, die Fragmentation und Aufteilung der Flächen durch nicht registrierten Verkauf erhöhen die unsicheren Eigentumsverhältnisse. Ohne reguläre Landtitel bzw. Besitzzertifikate (Certificado de posesión) ist es unmöglich, Zugang zu formellen Krediten und zu Beratungsleistungen zu erhalten. Um ein Certificado de posesión zu erhalten, darf keine Koka angebaut werden. Damit befindet sich der Bauer in einem Teufelskreis: Ohne Kreditmöglichkeiten ist er auf Koka zur Finanzierung seiner Agrarproduktion angewiesen, mit Koka ist es unmöglich, die ungeklärten Eigentumsverhältnisse durch offizielle Landtitel zu legalisieren. • Fragmentation der landwirtschaftlichen Parzellen: Durch einen überwiegend migrationsbedingten hohen Bevölkerungsdruck bei gleichzeitig begrenzten Flächenressourcen kam es zu einem schnell fortschreitenden Fragmentationsprozeß der vorhandenen Fläche. Zwischen 1980 und 1983 hat die Zahl der registrierten landwirtschaftlichen Betriebe um 400% von etwa 4.650 auf 18.550 zugenommen. Während 1980 nur 1,6% der Betriebe unter 10 ha Fläche bewirtschafteten, waren es 1983 bereits 43% der Betriebe. Dieser Prozeß konzentrierte sich auf die Hauptkokaanbauzonen (Tingo María, Aucayacu und Umgebung), wo sich die Zahl der Betriebe sogar um 800% erhöhte. Kokaanbau auf kleinen Flächen zeigt gewisse Vorteile. Zum einen vermindert eine kleine Kokafläche das Risiko, von den Behörden ausfindig gemacht und zerstört zu werden. Zum anderen ist der Kokaanbau nicht me46

chanisiert, weshalb bei größeren Flächen keine Skalenvorteile (economies of scale) zum Tragen kommen. Degradierung der Bodenfruchtbarkeit: Die von den Siedlern in den Migrationsgebieten der Selva alta betriebene Landwirtschaft trägt in hohem Maße zur Abnahme der Fruchtbarkeit der fragilen Tropenböden bei. Praktiken wie Kahlschlag, Brandrodung, Anbau an Steilhängen, Anbau von Jahreskulturen ohne entsprechende Bodenbedeckung (wie z.B. Mais) und ein sehr geringes Niveau an Düngereinsatz verursachen die starke Degradierung der Böden. Koka gedeiht sehr gut auf degradierten Flächen, solange diese gut dräniert sind. Das bedeutet, daß die Koka die ideale Kultur für die verarmten Böden in der Selva alta ist. Berücksichtigt man noch die lange Lebensdauer der Kokasträucher, deren hohe Widerstandskraft gegen Krankheiten und die hohen, drei- bis viermal im Jahr anfallenden Erträge, wird die hohe Akzeptanz der Koka bei den Siedlern verständlich. Niedrige Produktivität: Die Mehrzahl der tropischen Kulturen (Mais, Maniok, Reis, Kaffee, Banane etc.) weisen auf den Parzellen der Siedler geringe physische Erträge auf. Neben der Verarmung der Böden sind auch die wenig angepaßten traditionellen Bewirtschaftungsmethoden der Siedler in bezug auf Düngung, Unkraut- und Krankheitsbekämpfung für die relativ geringen Erträge verantwortlich. Im Oberen Huallaga-Tal sanken die Erträge in der Zeit von 1980 bis 1985 um 25% bei Kaffee, um 19% bei Mais und 17% bei Bananen. Ungenügender Zugang zu formalen Krediten: Die meisten der kleineren Betriebe verfugten kaum über liquide Mittel oder kurzfristig mobilisierbares Kapitalvermögen. Der Zugang zu Krediten der formalen Kreditinstitutionen war schon Anfang der 80er Jahre für die Bauern sehr schwierig und hat sich stetig verschlechtert (die Agrarbank wurde zwischenzeitlich ganz aufgelöst). Dadurch sind die Finanzierungskosten im Vergleich zur Preisentwicklung für landwirtschaftliche Produkte viel schneller gestiegen. Trotz subventionierter Zinssätze wurden Kredite immer weniger rentabel. Dies führte häufig zu der Situation, daß mit den Erträgen aus dem Kokaanbau die legale landwirtschaftliche Produktion finanziert wurde, d.h. daß der illegale Kokaanbau die Finanzierungsfunktion des nicht mehr vorhandenen formalen Kreditwesens übernommen hatte. Ungünstige Verkehrs- und Vermarktungsinfrastruktur: Die Anbindung der Siedlungsgebiete an die Küstenregionen war zwar durch den Bau der Straßen gegeben, allerdings erlaubten die Straßenbedingungen keinen kostengünstigen Transport an die Verbraucherzentren der Costa. Die ungünstigen Vermarktungsbedingungen bewirkten niedrige /oco-Hofpreise für die Bauern und verschlechterten die relative Wettbewerbsfähigkeit der legalen Kulturen gegenüber dem Kokaanbau.

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• Geringe und sinkende Rentabilität: Aufgrund der o.g. technischen und ökonomischen Probleme auf den kleineren und mittleren Betrieben im Siedlungsgebiet ist auch die Rentabilität der Mehrzahl der erzeugten Kulturen sehr gering. Aramburü (1989: 256) kalkulierte für die vier wichtigsten Kulturen der tropischen Regionen (Reis, Mais, Maniok, Banane) für die Jahre 1980 bis 1985 einen Anstieg der Produktionskosten zwischen 350 und 530%, während die Preise im gleichen Zeitraum um lediglich 60 bis 120% gestiegen sind. Die Rentabilität hat sich um den Faktor 4 bis 6 verschlechtert. Die zusammenfassende Betrachtung der Situation der Bauern im Oberen Huallaga-Tal Ende der 70er Jahre und zu Beginn der 80er Jahre macht deutlich, daß es nicht alleine die vorzüglichen ökologischen Bedingungen für die Kokapflanze und die hohe Rentabilität des Kokaanbaus waren, die zu dessen starker Ausbreitung beigetragen haben. Die Zunahme des Kokaanbaus korrespondierte in hohem Maße mit den sozioökonomischen Gegebenheiten im Oberen Huallaga-Tal. 4.2.7.3. Entstehung des 'Kokabooms' Etwa 1974 entwickelte sich das Gebiet um die Stadt Tingo Maria im Oberen Huallaga-Tal zum Zentrum der Erzeugung und Vermarktung von Kokablatt und der ersten Weiterverarbeitungsstufe, der Basispaste (pasta bäsica). Die damals 16.000 Einwohner zählende Stadt erlebte einen beginnenden Handel mit Konsumgütern. Es gab weder einen Vertragshändler für Fahrzeuge noch Handwerk in nennenswertem Umfang. Die großen Kaffee- und Kakaohändler begannen damals in der näheren Umgebung der Stadt mit dem Kokaanbau in größerem Umfang. Die Flächen umfaßten zwischen 5 und 30 ha (Nünez/Reätegui 1990: 36). Zur Bearbeitung dieser Flächen wurden lokale Arbeitskräfte beschäftigt. Migrierende Saisonarbeiter waren anfangs entsprechend dem Arbeitsanfall bei den traditionellen Dauerkulturen nur zur Kaffee-, Tee- und Kakaoernte verfügbar. Verschiedene wirtschaftlich bedeutendere Familien fingen mit der Weiterverarbeitung und der Vermarktung von pasta bäsica an. Gleichzeitig begannen auch die kleineren Bauern, die bis dahin ihre Ernte an ENACO verkauft hatten, einen steigenden Teil ihrer Ernte an die großen Produzenten zu verkaufen. Deren Preise für Kokablätter waren besser als die von ENACO. Später war auch die Menge an erzeugtem Kokablatt zu umfangreich, um von ENACO aufgekauft und vermarktet werden zu können. Ab etwa 1975 begannen auch Land- und Wanderarbeiter aus der Sierra mit dem Anbau von Koka auf kleinen Flächen. Die Ernte verkauften sie in der Regel an ihre früheren Arbeitgeber bzw. an die großen Produzenten. Auf diese Weise entstand in größerem Umfang Kokaanbau auf kleinen Flächen. Die Weiterverarbeitung war unter den Kleinproduzenten damals nicht üblich. Zum 48

einen waren die Preise für Kokablatt relativ hoch und boten ausreichend Einkommen für die Familien. Zum anderen waren die Kleinproduzenten nicht mit der Technik der Herstellung von pasta bäsica vertraut. Darüber hinaus stellte damals der Transport der Kokablätter - auch von größeren Mengen und über längere Distanzen - kein größeres Risiko dar. Die Erzeugung der pasta bäsica lag in den Händen der großen Kokaproduzenten. Diese Organisationen - auch als firmas bezeichnet - übernahmen die Weiterverarbeitung und die Vermarktung der illegalen Substanzen. Die Weiterverarbeitungsanlagen bzw. Labors der firmas waren in dieser Zeit relativ aufwendig gebaut und technisch hoch entwickelt. Dort lagerten auch die für die Weiterverarbeitung erforderlichen chemischen Substanzen, die meist aus Lima kamen und die damals noch nicht mit einem Risikoaufschlag behaftet waren, sondern auf die lediglich die Frachtkosten und eine geringe Handelsspanne aufgeschlagen waren. Die Einnahmen aus dem Drogengeschäft konnten in dieser Periode noch direkt nach Lima transferiert und in den Banken deponiert werden. Die pasta bäsica wurde zum Teil von den kleineren firmas selbst nach Leticia an der kolumbianischen Grenze gebracht. Es gab damals noch keine gewachsenen (illegalen) Strukturen im Drogengeschäft, die bei einer Stationierung von lediglich 20 Polizisten in Tingo Maria (Nünez/Reätegui 1990: 39) auch nicht erforderlich waren. Ende der 70er Jahre wurde die Koka die wichtigste Kultur für die neuen Siedler in der Selva alta, insbesondere im Huallaga-Tal, welches sich zum größten Kokaanbaugebiet Perus entwickelte. Mit dazu beigetragen hat auch die Erkenntnis, daß die edaphischen und klimatischen Bedingungen in der Ceja für den Kokaanbau im Vergleich zu den traditionellen Anbauregionen geeigneter waren, was sich nicht nur in höheren Hektarerträgen des Kokablattes äußerte, sondern auch in einem bis zu dreimal höheren Alkaloidgehalt der Blätter. Neue Siedler wurden von dem entstehenden Boom angezogen und das Siedlungsgebiet der Selva alta war die Region mit den höchsten Wachstumsraten in ganz Peru. Die Anbaufläche hatte vor allem ab Anfang der 80er Jahre enorme Steigerungsraten zu verzeichnen (vgl. Übersicht 8). Migration war Ursache und Wirkung der in Peru als 'Bonanza' bezeichneten Entwicklung, in deren Verlauf es zu substantiellen Veränderungen der Ressourcennutzung durch ungeregelte Besiedlung und zu einer wenig standortangepaßten Bewirtschaftung der Hügelregionen kam. Bis 1984 hatten überwiegend aus andinen Regionen kommende Bauern umfangreiche Flächen in Besitz genommen und mit Koka bepflanzt. Ab 1983 waren jedoch auch Migranten aus anderen Regionen (Tarapoto, Lamas, Juanjuy) der Selva alta ins Obere Huallaga-Tal gezogen. Ein großer Teil dieser Bauern kehrte Jahre später wieder in die Herkunftsregionen zurück. In ihrer Abwesenheit hatten sie den Anbau und die Weiterverarbeitung von Koka gelernt und waren somit ein wesentlicher Multiplikator für die Ausweitung des Kokaanbaus in nördliche Regionen, wie das Mittlere und Untere Huallaga-Tal und den Oberen 49

und Unteren Mayofluß, durchweg Regionen, die später mit der Kokaerzeugung des Oberen Huallaga-Tales konkurrierten (Núñez/Reátegui 1990: 44). Bis Anfang der 80er Jahre wurde die pasta básica überwiegend auf dem Landweg nach Pucallpa und von dort flußabwärts nach Iquitos und schließlich nach Leticia an die kolumbianische Grenze gebracht. Seit 1981 landeten jedoch regelmäßig aus Kolumbien kommende Kleinflugzeuge auf den Pisten im Huallaga-Tal und in anderen Verarbeitungsgebieten. Die enormen Geldbeträge in Form von US-Dollarnoten, die im Gegenzug für die Kokapaste erhalten wurden, konnte der lokale Markt nicht absorbieren. Diese Beträge wurden von speziellen Geldwechslern nach Lima gebracht und in nationale Währung umgetauscht und in den legalen Wirtschaftsprozeß geschleust. Ein Teil der nationalen Währung floß direkt in das Bankensystem, während der Rest zur Begleichung der überwiegend in den Produktionsgebieten anfallenden Kosten (Löhne, Chemikalien) verwendet wurde. Es existieren eine Reihe von Berichten und Schilderungen über die Verhältnisse im Huallaga-Tal in den 80er Jahren, die häufig anekdotische Qualität haben und weniger eine seriöse bzw. objektive Berichterstattung darstellen. Das vielzitierte Beispiel des barfußigen indianischen Kokabauern, der mit einer Plastiktüte voller US-Dollarnoten in den Verkaufsraum des Toyota-Händlers in Tingo María kommt, einen nagelneuen Geländewagen kauft und bar bezahlt, dürfte in diese Kategorie einzuordnen sein (zu einzelwirtschaftlichen Aspekten des Kokaanbaus auf Betriebsebene vergleiche Abschnitt 4.6.). Rumrrill (1992: 79ff.), der sich als Journalist und Buchautor seit Beginn der 70er Jahre mit den Problemen der peruanischen Selva auseinandersetzt, beschreibt die Situation in der kleinen Stadt Aucayacu, etwa 30 km nördlich von Tingo María: "...eine 'Drogenkultur' breitete sich in der peruanischen Amazonasregion aus. Diese offenbarte sich in einer farbigen aggressiven Art und Weise, bei der die sichtbaren Zeichen des Wohlstandes bei den Bewohnern in Erscheinung traten. Zuerst erschienen die glänzenden Motorräder und brausten über die staubigen Straßen und Pfade von Aucayacu [...]. Es dauerte nicht lange, dann tauchten die ersten vierradgetriebenen Toyota und Datsun Pick-up-Trucks in der gleichen Straße auf. Die japanische Motorrad- und Autoindustrie fand im Oberen Huallaga-Tal einen hervorragenden Absatzmarkt. Die Autohändler in Tingo Maria erzielten regelmäßig jährliche Verkaufsrekorde für Fahrzeuge in Peru. [...] Während dieser Jahre schössen Kneipen und Restaurants wie die Pilze aus dem Boden. In nahezu jedem Gebäude wurde das Wohnzimmer freigemacht und eine Bar oder ein Imbiß eingerichtet. Nachts schien niemand zu schlafen. In den Bordells wurden die Mädchen den höchstbietenden Freiem angeboten. Die Bordellmanager fuhren bis Lima, Bogotá und Miami, um neue Mädchen für die verschwenderische Klientel anzuwerben [...]. Bier floß nachts im Überfluß. Jeder Anlaß wurde für eine Feier genutzt [...]. Der Bierkonsum erhöhte sich auch durch einen neuen 'Trinkstil', der als Ausdruck von Eleganz und guten Manieren angesehen wurde: man nahm jeweils nur einen Schluck eines Glases und schüttete den Rest auf den staubigen Boden [...]. Diejenigen, die nicht von der Drogenwirtschaft lebten, konnten sich das teure Leben auf US-Dollarbasis nicht leisten. Dementsprechend widerstanden wenige Be-

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w o h n e r A c a y a c u s und d e s Oberen Huallaga-Tales d e n V e r s u c h u n g e n des D r o g e n geschäftes..."

Einige Familien begannen ansehnliche und massive Häuser in den Ortschaften des Siedlungsgebietes zu bauen. Oft war in diesen Häusern auch ein Labor und Lager für die Herstellung von pasta básica untergebracht. Der Großteil der Bewohner versuchte jedoch den enormen Wohlstand zu verbergen. Während sie im Huallaga-Tal in einfachen Hütten und Holzhäusern lebten, kauften sie in den schicken Vororten Limas Appartmentwohnungen29, schickten ihre Kinder auf gute Schulen und unternahmen Auslandsreisen. Die beiden größten nationalen Fluglinien, Aero Peru und Faucett, flogen zeitweise dreimal täglich die Strecke Lima - Tingo Maria mit Maschinen, die über 60 Passagiere faßten. Reservierungen mußten mindestens zwei Wochen im voraus getätigt werden, wobei verschiedene Banken feste Platzreservierungen für ihre Mitarbeiter hatten, um so die Kontinuität des Geldstromes aus dem Huallaga-Tal zu gewährleisten (Rumrrill 1992: 85). Offizielle oder inoffizielle Zahlen zur Belegung und Quantifizierung des Kokabooms in Peru existieren nicht. Es müssen indirekte Indikatoren herangezogen werden, um die Entwicklung aufzuzeigen. Die Aufstellung der verkauften Biermenge von vier fuhrenden peruanischen Brauereien nach Tingo María (vgl. Übersicht 2) kann beispielsweise als Ausdruck eines exzessiven Konsums im Zusammenhang mit den enormen Einnahmen aus dem Drogengeschäft bewertet werden. Insbesondere die Jahre 1986 und 1987 fallen nach dieser Aufstellung durch besonders hohen Bierkonsum auf. Die im Jahr 1987 verbrauchte Menge entspricht einem Verkaufswert von rund 40 Mio. US-Dollar. Dies zeigt, daß ein hoher Anteil der Einnahmen aus dem Drogengeschäft in den Bierkonsum floß. Ü b e r s i e h t 2: Braucrei/''ahr P. Trujillo

B i e r v e r k ä u f e in T i n g o M a r i a v o n 1984 b i s 1988 (in K i s t e n p r o J a h r ) 1984

1985

1986

1987

1988

--

60.230

110.340

87.301

34.600

P. Callao

60.280

91.370

158.390

393.025

84.187

San Juan

40.000

136.410

270.000

407.050

188.300

177.740

238.400

256.300

77.000

Cristal

-

¡

Quelle: Torres, C., Universidad Agraria de la Selva, 1989, zitiert in: Núflez/Reátegui (1990: 61).

Am Beispiel der relativen Veränderungen der Wertschöpfung des Handwerks auf Departementsebene im Vergleich zum Landesdurchschnitt wird eine überdurchschnittliche Entwicklung der Departements Huänuco und San Martin in Die trotz anhaltender Rezession rege Bautätigkeit in Lima wird mit den Gewinnen aus dem Drogengeschäft in Verbindung gebracht. Man spricht von narcoarquitectura (Drogenarchitektur) und meint damit die in den letzten Jahren entstandenen und nach wie vor entstehenden großen BUro- und Geschäftskomplexe sowie die schicken Häuser in den Vororten La Molina und Cineguilla.

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den Jahren 1986 und 1987 deutlich sichtbar (vgl. Übersicht 3). Hierbei handelt es sich um offizielle Zahlen eines legalen Wirtschaftssektors, in dem die wirtschaftlichen Aktivitäten des Drogengeschäftes nur indirekt zum Ausdruck kommen. Übersicht 3: Wertschöpfung des Handwerks in den Departements Huänuco und San Martin und im Landesdurchschnitt (Veränderungen in %) Peru insgesamt Huánuco San Martín X Jahr\Departement -> !

1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987

0,48 -0,07 -6,64 -2,47 6,99 28,15 32,55

1,82 -1,07 -4,61 1,65 6,67 17,94 23,16

0,67 -1,00 -16,89 5,49 4,90 15,94 11,63

Quelle: Instituto Nacional de Estadística, in: NúñezWeátegui (1990: 58).

Das Jahr 1989 brachte einschneidende Veränderungen für die weitere Entwicklung der Koka- und Kokainwirtschaft mit sich. Die Ereignisse in Kolumbien hatten einen dramatischen Rückgang der Nachfrage nach peruanischer pasta básica zur Folge. Nach der Ermordung des aussichtsreichen kolumbianischen Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galán im August 1989 leitete die kolumbianische Regierung harte Maßnahmen gegen die Drogenkartelle von Medellin und Cali ein. Der Nachfragerückgang bedingte einen weiteren Einbruch bei den ohnehin drastisch gesunkenen Preisen für Kokablatt, PBC und PBL. Von 1989 bis 1990 fielen die Preise für Kokablatt von 1,34 US-Dollar/kg auf 0,86 US-Dollar/kg, für PBC von rund 268 US-Dollar/kg auf etwa 144 USDollar/kg und für PBL von 1.000 US-Dollar/kg auf 420 US-Dollar/kg (vgl. Übersicht 21). Auch wenn sich die Preise in der Folgezeit wieder erholten, so wurde damals vielen bewußt, daß das Kokageschäft seine Blütezeit überschritten hatte und eine ähnliche Entwicklung wie bei anderen Boomphasen in Peru eintreten könnte: Weder der Kautschukboom zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch die boomartigen Entwicklungen der Guano- und Fischereiwirtschaft in den 50er und 60er Jahren hatten sich als nachhaltig erwiesen. 4.2.7.4. Vermarktungssystem für die Vorstufen von Kokain (PBC und PBL) Im Lauf der Jahre hat sich in Peru ein komplexes und ausgefeiltes Vermarktungssystem für die Vorstufen des Kokains und in begrenztem Ausmaß für Kokain herausgebildet. Damit ging eine hohe Effizienz und eine im Zeitablauf zu52

nehmende Integration in bezug auf die Verarbeitungstiefe einher. Bestimmend für diesen Prozeß waren verschiedene Faktoren. Zum einen ist hier die vergleichsweise hohe Rentabilität zu nennen, die auf den einzelnen Verarbeitungsstufen anfänglich gegeben war und den wirtschaftlichen Anreiz für die zunehmende Verarbeitungstiefe schuf. Zum anderen können die subversiven Aktivitäten der Guerillaorganisationen sowie die repressiven Maßnahmen von staatlicher Seite als Bestimmungsfaktoren für die Herausbildung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Akteuren angeführt werden. Zwischen den ersten beiden Stufen der Kokainerzeugung, der Produktion der Kokablätter und der Erzeugung von PBC, findet kaum Handel statt, da mittlerweile PBC überwiegend von den Kokabauern selbst hergestellt wird30. Vorausgegangen waren repressive Maßnahmen der Polizei, die den Transport großer Mengen Kokablätter immer risikoreicher gestalteten und dadurch eine direkte Weiterverarbeitung in der Nähe des Betriebes forderten. Darüber hinaus waren die Preise für Kokablatt und damit die Rentabilität des Kokaanbaus im Lauf der 80er Jahre stark gesunken und haben, verbunden mit einer Verbreitung des Know-how für die PBC-Herstellung, dazu geführt, daß eine zunehmende Zahl von Kokabauern mit der Produktion von PBC begann. Es können zwei Gruppen von Zwischenhändlern unterschieden werden. Zum einen sind dies diejenigen, die als nichtselbständige Akteure auf drei Handelsstufen im Auftrag der sogenannten firma tätig sind, die auch die Finanzierung des Handels übernimmt. Zum anderen gibt es auf den verschiedenen Stufen selbständig agierende Zwischenhändler, die Kosten und Risiko des An- und Verkaufs von PBC und PBL selbst tragen. Die Kokapaste wird in der Regel durch Kleinhändler, in Peru traqueteros genannt31, in geringen Mengen (kiloweise) von den Erzeugern aufgekauft und an die zweite Stufe, einen sog. recolector weitergegeben. Etwa drei bis vier traqueteros arbeiten für einen recolector, der in der Regel auch die Finanzierung32 für den Handel bereitstellt. Daneben können die traqueteros, sofem sie selbständig arbeiten, auch direkt an die dritte Stufe, einen Großhändler (mayorista) oder gänzlich ohne Zwischenhändler an eine firma verkaufen. Ein recolector ist entweder für einen mayorista tätig, der dann wiederum die Finanzierung übernimmt, oder er ist selbständig. Auch bei den Großhändlern gibt 30

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Núflez/Reátegui (1992: 110). Danach verkauften im Jahr 1988 lediglich 14% der Bauern ihre Kokablatter, 30% produzierten selbst PBC und 56% ließen PBC im Auftrag herstellen. Nach Cuánto (1993: 66) liegt der Anteil der Kokabauem, die ihre Kokablatter verkaufen, bei 30%. troquelero (spanisch) - wfirtlich: Knatterer (von traquetear = knattern); diese Zwischenhändler werden so genannt, weil sie mit ihren 'knatternden' Zweitakt-Motorrtdem durch die Region reisen, um Kokapaste zu kaufen. Die Notwendigkeit einer Finanzierung im Zwischenhandel ergibt sich aus den für die Beteiligten in den landlichen Regionen teilweise enormen Geldbetragen, die schon auf der ersten Ebene der traqueteros für den Aufkauf erforderlich sind. Für den Kauf von zehn Kilogramm PBC waren beispielsweise 1988 etwa 8.000 US-Dollar nötig (zum Vergleich: das durchschnittliche jahrliche Pro-Kopf-Einkommen in Peru betragt etwa 1.200 US-Dollar).

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es solche, die direkt im Auftrag und mit Finanzierung einer Firma arbeiten, und andere, die selbständig sind und häufig ein Labor zur Herstellung von PBL betreiben. Die Grenzen sind dabei oft fließend. In der Tendenz ist die Bedeutung des Zwischenhandels in den von den Weiterverarbeitungsstätten abgelegenen und schwer erreichbaren Gebieten mit entsprechend umfangreichem Kokaanbau größer. Mit zunehmender räumlicher Nähe eines Erzeugers von PBC zu einem Labor zur Herstellung von PBL sinkt die Bedeutung des Zwischenhandels. Darüber hinaus hat der Zwischenhandel bzw. dessen verschiedene Stufen auch die Funktion, das Risiko für die nächste Stufe bzw. für die firma zu verringern. Aufgrund der Illegalität steigt mit einer zunehmenden Anzahl von direkten 'Handelspartnern' auch das Risiko. Zur Fortbewegung und für den Transport nutzen die Zwischenhändler Kleinmotorräder, Boote und teilweise auch vierradgetriebene Autos. Das Informationsniveau bzw. die Markttransparenz für PBC und PBL ist hoch. In den Kokaanbaugebieten ist der Tagespreis für beide Produkte wichtiges Gesprächsthema für die Bewohner33 und allgemein bekannt. Da die Qualität der PBC stark die Rentabilität der PBL-Erzeugung beeinflußt, gibt es ein allgemein anerkanntes System der Qualitätskontrolle. Bei zu hohem Feuchtigkeitsgehalt oder zu großem Anteil an Verunreinigungen werden Preisabschläge vorgenommen, die unter Umständen 25% erreichen können (Nünez/Reätegui 1990: 72). Die zentrale Rolle im Vermarktungssystem hat die firma inne. Sie übernimmt den 'Export' der Halbfertigprodukte, in der Regel PBL. Gleichzeitig ist die firma im typischen Fall auch Erzeuger von PBL. Durch Aufkauf von PBC und deren Weiterverarbeitung zu PBL sowie durch Aufkauf von PBL wird die für eine Flugzeugladung notwendige Menge PBL (400 bis 1.000 kg) erreicht, die dann mit Kleinflugzeugen in die meist in Kolumbien34 liegenden Kokainlabors zur Herstellung des Endproduktes, des Kokainhydrochlorids, geschafft wird. Die Anzahl derfirmas ist begrenzt. Nünez und Reätegui (1990: 68) veranschlagen für das Obere Huallaga-Tal 21 firmas im Jahr 1989, von denen die Mehrzahl in kolumbianischer Hand sind. Nicht nur die Bezeichnung firma deutet auf mafiaähnliche Strukturen hin, auch die Namen der Chefs der firmas erinnern an die Welt der Mafia. Sie nennen sich 'Tigre' (Tiger), 'Vampiro' (Vampir), 'El Ministro' (Minister) und 'El Vaticano' (Vatikan). Daneben werden auch die bürgerlichen Namen der Chefs gebraucht, wie Pratto, ein Italiener, der der erste große und bekannte Drogenhändler im Huallaga-Tal war und der vermutlich der internationalen Mafia zum 13

M

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Eigene Gespräche mit Betroffenen im Rahmen des Besuches im Huallaga-Tal im Oktober/November 1992. Dabei nahmen die aktuellen Preise fUr Kokapaste und Kokabase während der Unterhaltungen einen Stellenwert ein wie andernorts das Wetter. Durch massives Vorgehen der kolumbianischen Regierung gegen diese Kokainlabors im kolumbianischen Teil des Amazonastieflandes kam es in den vergangenen Jahren zu einer tendenziellen Verlagerung der Verarbeitung von Kolumbien in die Nachbarlander. Die kolumbianischen Organisationen haben ihre Produktionsstätten vielfach in entlegene und schwer zu kontrollierende Regionen des tropischen Regenwaldes in Bolivien, Brasilien, Peru und Ekuador transferiert.

Opfer fiel. Ihm folgte der berühmte 'Kokazar' Catalino Escalante, der lange Zeit unbestritten die führende Rolle im Huallaga-Tal innehatte, bevor er sich mit dem Tigre in verlustreiche Machtkämpfe verstrickte und schließlich einem Komplott in Kolumbien zum Opfer fiel (Gamboa 1991: 51ff.). Bis 1993 galt El Vaticano als 'Kokabaron' im Gebiet von Juanjui und als einflußreiche Größe im Drogenhandel". Er war der Eigentümer der Landepiste in Campanilla und hatte eine zwischen 70 und 80 schwerbewaffnete Männer umfassende, als Bürgerwehr gegen den Sendero Luminoso getarnte Kleinarmee beschäftigt (Valenzuela 1992: 3f.). Die herausragende Macht- und Marktstellung einer firma ist durch ihre Kontakte und Verbindungen begründet, die zu den kolumbianischen Aufkäufern bestehen und den Zugang zu dem externen Markt für PBL eröffnen. Die Transaktionen von größeren Mengen des Halbfertigproduktes erfordern neben Management- bzw. Organisationsqualifikationen ein hohes Maß an Vertrauen in die jeweiligen Partner. Dies erklärt auch den hohen Anteil an kolumbianischen firmas in Peru. Falls keine direkten Familienbeziehungen zwischen der in Peru ansässigen firma und den kolumbianischen Aufkäufern bestehen, erfolgt die Sicherung der Geschäftsbeziehungen häufig durch Austausch eines Familienmitgliedes, welches als 'Pfand' für eine 'ordnungsgemäße Geschäftsabwicklung' dient. Nünez und Reätegui (1990: 73) haben im Rahmen ihrer Arbeit im Oberen Huallaga-Tal die Abwicklung eines derartigen PBL-Exportes näher beschrieben. Demnach ist die erste Vorbedingung für den Beginn der Operationen das Fehlen von aktiven Repressionsmaßnahmen, d.h. es dürfen zu diesem Zeitpunkt keine Polizeieinsätze stattfinden. Ist diese Situation gegeben, wird Funkkontakt mit dem kolumbianischen Partner {patrön) aufgenommen. Dabei wird meist die Gesamtmenge und die notwendige Anzahl von Flügen festgelegt. Die genauen Preisabsprachen finden erst ein paar Tage vor der jeweiligen Transaktion statt. Ist die firma dann mit den Preisvorstellungen des patrön einverstanden, die bis zu 5% vom allgemein gültigen Niveau abweichen können, wird Tag und Ort des Eintreffens des Flugzeuges festgelegt. Bis zu diesem Zeitpunkt muß die firma die vereinbarte Menge PBL bereithalten. In der Regel hat sie die Gesamtmenge nicht selbst 'auf Lager' und muß bei Großhändlern (mayoristas) von PBL die entsprechende fehlende Menge 'bestellen' oder PBC kaufen und selbst zu PBL verarbeiten. In der Zeit vor der Transaktion stehen die firma und der patrön in engem und regelmäßigem Funkkontakt, einigen sich schließlich über die genaue Menge und den Preis und tauschen noch Informationen über die aktuellen lokalen Bedingungen aus. Da es bei den Transaktionen üblich ist, die Ware direkt gegen Bargeld (US-Dollar) zu übergeben, muß die Geldmenge abgezählt vom Piloten des Kleinflugzeuges bereitgehalten werden. Von seiten der firma sind neben der Bereitstellung der verabredeten Menge PBL verschiedene

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El Vaticano wurde Ende 1993 in Kolumbien festgenommen und an Peru ausgeliefert.

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andere Vorkehrungen zu treffen. Hierzu gehört insbesondere die Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufes bei Landung und Start des Kleinflugzeuges. Soll für die Transaktion eine offizielle Landepiste benutzt werden, muß mit den verschiedenen 'Autoritäten' (Bürgermeister, Militärkommandant, Polizeichef, Guerillavertreter) die 'Gebühr' für die Landegenehmigung vereinbart werden. Wird hingegen eine der etwa 200 verbotenen Landepisten (Andean Commission of Jurists 1995: 7) benutzt, muß mit dem jeweiligen Besitzer und der entsprechenden 'Autorität' verhandelt werden. Dort sind die Gebühren in der Regel niedriger, allerdings sind die Pisten meist nur für sehr kleine Flugzeuge mit entsprechend geringer Ladekapazität geeignet. Die durchschnittlichen Gebühren für wichtige Landepisten im Oberen Huallaga-Tal betrugen 1989 zwischen 6.000 und 15.000 US-Dollar: Übersicht 4: Höhe der Landeabgaben für kolumbianische Kleinflugzeuge auf den wichtigsten Landepisten im Huallaga-Tal im Jahr 1989 Ort der Landepiste Gebühr pro Flugzeug (in US-Dollar) Autorität Uchiza 12.000 Sicherheitskräfte Tocache 15.000 Sicherheitskräfte Paraíso 7.000 Sendero Luminoso Madre Mía 10.000 Sicherheitskräfte Sion 6.000 Sendero Luminoso Quelle: Núflez/Reátegui (1990: 75).

Im Zusammenhang mit der Verlagerung des Koka- und Kokaingeschäftes in Richtung Norden ins Mittlere Huallaga-Tal gewannen die dortigen Landepisten an Bedeutung. 1992 galten Campanilla und Huicungo als die bedeutendsten Umschlagplätze für PBL im Huallaga-Tal. Die Gebühren schwanken hier je nach Größe des Flugzeuges und Umfang der Ladung zwischen 6.000 und 12.000 US-Dollar für eine Landung (Valenzuela 1992: 3). Nach anderen Quellen variieren die Abgaben je nach Größe des Flugzeuges zwischen 5.000 und 17.000 US-Dollar (Strong 1992: 129). Die Flüge für die Kleinflugzeuge sind seit etwa 1990 risikoreicher geworden. Die Drogenbekämpfungsbehörden verfügen seither über US-amerikanische Radarüberwachungssysteme, mit denen sie Kleinflugzeuge orten und in Verbindung mit speziellen Luftwaffeneinheiten auch zur Landung zwingen können. Neben den bodenstationierten Radaranlagen in Santa Lucia und Yurimaguas ist auch ein Spezialflugzeug vom Typ AWACS zur Ortung von Kleinflugzeugen im Einsatz. Gewisse Erfolge bei der Bekämpfung des Transportes mit den Kleinflugzeugen haben dazu geführt, daß diese ihre Flüge verstärkt nachts durchführen, da sie in der Dunkelheit vor Abfangaktionen der Drogenbekämpfungsbehörden relativ sicher sind. Hierzu wurden die Flugzeuge mit entsprechenden Instrumenten für Nachtflüge tauglich gemacht. Die verantwortliche firma am Zielort muß lediglich für eine ausreichende Markierung (Befeuerung) 56

der Landepiste sorgen, was in der Regel mit Hilfe von einigen Dutzend Fackeln bewerkstelligt wird36. Während die bei Tag durchgeführten Transaktionen auf den Landepisten in Minutenschnelle durchgeführt werden (Entladen des Geldes, Beladung mit PBL und Auftanken des Flugzeuges), dauern die Aufenthalte bei Nacht länger. Die Ankunft erfolgt zwischen 22°° Uhr und 24°° Uhr und der Start zwischen 3 0 0 Uhr und 4 0 0 Uhr morgens (Valenzuela 1992: 4). Unmittelbar nach der Transaktion werden im 'Büro' der firma die Folgegeschäfte erledigt. Der Mittelsmann für die 'Landegebühr' wird ausbezahlt, und die Großhändler, die PBL 'en contra' geliefert hatten, erhalten ihr Geld. Die Praxis des Handels en contra ist vor allem bei kleinen firmas üblich, die nicht über die entsprechende Liquidität verfügen, um eine gesamte Flugzeugladung37 aus eigenen Mitteln zu finanzieren und die PBL daher 'auf Kommission' verkaufen. Eine wichtige Rolle nehmen dabei die Geldwechsler ein, die in der Regel mit entsprechend hohen Summen nationaler Währung bereitstehen und diese gegen US-Währung tauschen. Die Zulieferer der firma sind überwiegend in nationaler Währung zu bezahlen, denn trotz zunehmender 'Dollarisierung' der Wirtschaftsabläufe in den Kokaanbaugebieten ist die US-Währung nach wie vor bei der Bevölkerung unerwünscht. Zum einen ist die Angst vor 'Blüten' hierfür ausschlaggebend, zum anderen wird man als Inhaber von US-Dollar sofort mit dem Kokaingeschäft in Verbindung gebracht. 4.2.7.5. Repressive Maßnahmen, Rolle der staatlichen Sicherheitsorgane Im Jahr 1978 kam es erstmals zu einer ernsthaften Verbotspolitik. Mit der Verabschiedung des peruanischen Drogengesetzes (Decreto Ley 22095) wurden endgültige Fristen für eine Vernichtung und Substitution der Kokakulturen gesetzt. Mit den Operationen 'Grünes Meer' begann die damalige Militärregierung wirkungsvolle Maßnahmen gegen die großen und sichtbaren Kokaflächen im Gebiet von Tingo María durchzuführen. Das Ergebnis war eine Zersplitterung des Kokaanbaus durch die Anlage neuer, kleinerer und abgelegenerer Kokaflächen. Die Anbauzentren verlagerten sich Richtung Norden in die Gebiete um Aucayacu, Progreso, Tocache und Uchiza. Auch die zentrale Rolle Tingo Marías im Drogenhandel wich, statt dessen entwickelte sich die Stadt zu einem regionalen Handelszentrum für Konsumgüter und Waren des alltäglichen Gebrauchs. Der Beginn der repressiven Maßnahmen war entscheidend für die Umstellung der Kokawirtschaft. Neben der starken Zunahme und der regionalen Verlagerung des Anbaus kam es zu einer Verkleinerung der durchschnittlichen Parzellengrößen sowie zu Verschiebungen des Kokaanbaus innerhalb der Re-

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Eigene Gespräche mit Betroffenen und UNDCP-Mitarbeitem im Rahmen des Besuches im Huallaga-Tal im Oktober/November 1992. Bei einer durchschnittlichen Ladekapazität von 700 kg ergeben sich je nach PBL-Preis der vergangenen Jahre Werte filr eine Flugzeugladung, die zwischen 500.000 und 1.000.000 US-Dollar liegen.

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gionen von den gut zugänglichen, aber riskanten Lagen in Talnähe hinauf zu den entlegeneren Hügelregionen. Die nicht zerschlagenen Organisationen gingen aus den repressiven Maßnahmen der Regierung gestärkt hervor, formierten sich neu, geordneter und angepaßter für die Arbeit in der Illegalität. Im Lauf der folgenden Jahre kam es zu einer verstärkten Verarbeitung der Kokablätter direkt auf den Betrieben der Kokabauern. Dieser Prozeß hin zu einem höheren Verarbeitungsgrad ist eng verknüpft mit der staatlichen Kontrollpolitik. Zum einen wurde der Transport großer Mengen Kokablatt zu den Weiterverarbeitungsanlagen immer risikoreicher. Zum anderen waren die kleinen, oft nur aus verschiedenen Plastikplanen, einigen Fässern und Wannen bestehenden 'Labors' im Vergleich zu den großen, teuren und technisch hoch entwickelten Anlagen kaum ausfindig zu machen und damit der neuen Situation besser angepaßt. Letztlich haben auch die sich stetig verschlechternden Kokablattpreise, insbesondere im Vergleich zu den Preisen für die Kokapaste, mit dazu beigetragen, daß immer mehr Kokabauern selbst die Produktion von Kokapaste übernahmen. Das entsprechende Know-how hatten sie sich als Lohnarbeitskräfte (peones) bei anderen Kokabetrieben angeeignet. 1983 wurde mit dem von den USA finanzierten Projekt 'Kontrolle und Reduzierung der Koka im Oberen Huallaga-Tal' (Control y Reducción de la Coca en el Alto Huallaga - CORAH) begonnen. Das Ziel des Projektes war die Zerstörung von Kokafeldern, teilweise verbunden mit Entschädigungen von 1.000 US-Dollar/ha. CORAH beschäftigte teilweise bis zu 600 Arbeiter, die in Gruppen von etwa 150 Mann aufgeteilt wurden. Bei den Aktivitäten wurden 30 Arbeiter getötet, 19 davon allein bei einem einzigen Zwischenfall (Gorriti 1988: 10). Aufgabe der UMOPAR (Unidad Móvil de Patrullaje Rural) war es, die Vernichtungsaktionen vor Übergriffen der Kokabauern oder der firmas zu schützen. Mit der Beendigung der Politik der staatlichen Vernichtung von Kokaflächen durch die peruanische Regierung wurde das CORAH-Projekt nach sechsjähriger Laufzeit 1989 abgebrochen. Laut offiziellen Angaben sind 9.000 ha Koka vernichtet worden. Das Projekt hatte seinen Sitz in dem Stützpunkt Santa Lucia, der mit extremen Sicherheitsvorkehrungen versehen ist. Der Stützpunkt ist heute noch die Basis und der Ausgangspunkt für Operationen der Drogenbekämpfung sowohl für die FAP als auch für die PNP. Das Projekt hat jedoch nicht verhindern können, daß sich die Kokafläche insgesamt im Projektgebiet stark ausgeweitet hat. Darüber hinaus werden die Verlagerungsbewegungen des Kokaanbaus in andere Regionen sowie die entstehende Allianz zwischen Kokabauern und der maoistischen Guerillabewegung Leuchtender Pfad auch mit dem CORAH-Projekt in Verbindung gebracht. Unter General Alberto Arciniega - dem Oberbefehlshaber für die Region sollte durch eine Entkriminalisierung des Kokaanbaus die Unterstützung der Bevölkerung gewonnen und damit der Guerillabewegung entzogen werden. Diese Strategie war in bezug auf die Terrorismusbekämpfung überwiegend er58

folgreich, da es gelang, das Vertrauen der Bevölkerung zu erhalten, den Leuchtenden Pfad zu isolieren und militärisch zurückzudrängen (González 1991: 5763; Ambos 1993: 95). Zu weiteren Veränderungen im Bereich der Weiterverarbeitungsstrukturen und -Schwerpunkte kam es im Zusammenhang mit den 'Operationen Cóndor' (Cóndor I bis VII) in den Jahren 1985 bis 1988. Dabei wurden auch eine größere Menge neuer Labors zur Herstellung von PBL [pasta básica lavada) im Gebiet um Uchiza und Tocache zerstört. Der Export von PBL hatte etwa ab 1985 in größerem Umfang begonnen. Die steigende Produktion von PBL in Peru, zu Beginn der Kokawirtschaft eine 'Aufgabe' der Kolumbianer, dürfte mit den verstärkten Repressionsmaßnahmen der peruanischen Regierung (mit massiver Unterstützung durch die US-amerikanische Seite) zusammenhängen. Im Rahmen dieser Operationen, deren Erfolge unterschiedlich bewertet werden, wurden unter anderem 62 Labors zur Herstellung von PBL zerstört und umfangreiches Material (Flugzeuge, Waffen, Fahrzeuge) sichergestellt. Übersicht 5 gibt eine detailliert Aufstellung der Beschlagnahmungen der Operationen Cóndor wieder: Übersicht 5: Sicherstellungen bzw. Zerstörungen durch die Operationen Cöndor (1985-1988) (in Einheiten bzw. kg) Operation (Nr.)-» I II III IV V VI VII Sicherstellungl Drogen (kg) 2.377 376 44.040 350 28.510 23.126 4.946 Kokablatt (kg) 357.670 359.705 115.246 Landepisten 6 16 124 22 4 4 1 Flugzeuge 7 6 5 9 1 4 Waffen 2 100 6 16 100 Chemikalien (kg) 25.735 5.325 59.940 40.070 59.950 32.772 8.510 1 2 36 2 Fahrzeuge 1 143 8 1 Funkgeräte 8 27 6 38 5 Stromaggregate 11 5 20 4 4 23 9 4 4 11 Labors (PBL) 20 13 10 260 Labors (PBC) 216 214 31 1 Festnahmen 3 59 53 1.179 12 Quelle: Fuerzas Policiales del Perú, in: Núflez/Reátegui (1990: 51).

Knappe finanzielle Mittel verhindern eine zweckmäßige Ausstattung der Polizei und der Streitkräfte für ihre Einsätze in den Kokaanbau- und -weiterverarbeitungsgebieten. Den Einheiten fehlt es an grundlegender Ausrüstung wie Munition, Kraftstoff, geeigneter Kleidung und Schuhwerk. Die schlechte Bezahlung", vor allem der unteren Dienstgrade, erhöht die Unzufriedenheit und "

Das Problem der viel zu geringen Bezahlung peruanischer Armeeangehöriger wird auch von US-amerikanischer Seite (Narcotic Assistance Unit - NAU) gesehen und wurde zeitweise mit einem 'topping up' von 120 US-Dollar im Monat fUr die in den relevanten Drogenregionen stationierten peruanischen Offiziere zum

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schlechte Moral bei Polizei und Militär und weitet die ohnehin verbreitete Korruption noch aus. Von Menschenrechtsverletzungen bei Polizei und Militär wird regelmäßig berichtet, ohne daß in nennenswertem Umfang eine Verfolgung der Vergehen stattfindet. Eine Beteiligung am Drogengeschäft wird Polizei und Armee regelmäßig nachgesagt. Insbesondere bei der Erhebung von Start- und Landeabgaben, sog. cupos, scheint eine maßgebliche Beteiligung, wenn nicht sogar Kontrolle der Sicherheitsorgane eine allgemein bekannte Tatsache zu sein39. Valenzuela schreibt über korrupte Angehörige der Sicherheitskräfte: "Local oficiáis, and other inhabitants, refer constantly to army protection of drug trade. Some army offlcers and their force pilots also talk, with greater or lesser enthnsiasm, about the need to take part in the trade to compensate for equipment and wage or ration shortfalls..." (Valenzuela 1992: 1 ff.).

Die Probleme werden dadurch verschärft, daß es zwischen Polizei und Armee regelmäßig zu Differenzen über die Zuständigkeiten kommt. Formal ist die Nationale Polizei Perus (PNP) für die Terrorismusbekämpfung und für die Drogenbekämpfung zuständig. Gemäß ihres Verfassungsauftrages, auch die innere Ordnung zu schützen, werden die Streitkräfte - nach Erklärung des Ausnahmezustandes - zur Bekämpfung des Terrorismus eingesetzt. Terrorismus- und Drogenbekämpfung kann jedoch wegen der zum Teil engen Verbindungen zwischen Guerilla und Drogenmafia nicht klar getrennt werden. 4.2.7.6. Guerillabewegungen und Drogenwirtschaft eine strategische Allianz Im Jahr 1984 tauchten an Häuserwänden und auf Straßen im Huallaga-Tal erstmals politische Losungen des Leuchtenden Pfades wie 'destruir para construir' (Zerstörung für Neuaufbau) und 'abajo la erradicación de las plantaciones de coca' (nieder mit der Zerstörung der Kokapflanzungen) auf (Saldedo 1989: 40). Als die ersten Gewaltaktionen gestartet wurden, griff das Militär ein. Für kurze Zeit schienen die Untergrundbewegungen zurückgedrängt, und die Armee wurde auf Druck der USA wieder von der für Drogenbekämpfung zuständigen Polizei abgelöst (Krauthausen 1991: 51). Die Tatsache, daß die Guerillabewegungen 1986 gestärkt und effizient organisiert wieder in der Region auftauchten, hat den Gegnern des Rückzugs der Armee im nachhinein recht gegeben. Der Ausweitung des Einflusses der beiden Guerillaorganisationen Leuchtender Pfad und MRTA bis hin zur vollständigen Kontrolle ganzer Landstriche, waren jahrelang Verfolgung und Mißhandlung der Kokabauern durch die PoliTeil ausgeglichen. Die unteren Dienstgrade sollen 100 US-Dollar zusätzlich erhalten; vgl. GorTiti (1988: 10).

Persönliche Aufzeichnungen von Gesprächen mit Projektmitarbeitem aus dem Oberen und Mittleren Huallaga-Tal, Aguaytia und Pachitea. Aus Gründen des Personenschutzes werden hier keine Namen genannt.

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zei sowie Unterdrückung und Ausbeutung durch die Zwischenhändler des Drogengeschäftes vorausgegangen. Ab Ende der 70er Jahre war die Situation fur die Kokabauem kontinuierlich schwieriger geworden. Von staatlicher Seite trug insbesondere die Vernichtung der Kokapflanzungen durch die CORAH sowie die Korruption der Polizei dazu bei. Die Polizei ließ gegen Bezahlung von 'Gebühren' den Kokaanbau und -handel gewähren. Vielfach konnte man sich einer Festnahme durch die Bezahlung einer höheren Summe entziehen, und Hauptmotiv der Polizeiaktionen dürfte weniger die Durchsetzung von Recht und Ordnung als vielmehr persönliche Bereicherung der 'Ordnungskräfte' gewesen sein. Auf der anderen Seite waren die meist kolumbianischen Zwischenhändler, die von den Bauern anfangs die Kokablätter, später die pasta básica aufkauften. Unter Androhung von Gewalt wurden die Bauern gezwungen, die von den Händlern festgesetzten Preise zu akzeptieren und keinesfalls den Aufkäufer zu wechseln (Strong 1992: 117). Die alltägliche Gewaltanwendung, bei der sich die Drogenhändler häufig bewaffneter Banden, sog. sicarios bedienten, war extrem hoch und reichte von Raub, Erpressung, Vergewaltigung bis zu Mord. Von den Polizeikräften konnten sich die Bauern am wenigsten Hilfe erwarten, nicht nur wegen deren Korruptheit, sondern auch, weil sich die Bauern selbst durch Kokaanbau und -Weiterverarbeitung außerhalb der Legalität bewegten. Die sozialen Verhältnisse machten es dem Sendero möglich, ab 1986 im Huallaga-Tal politisch und militärisch Fuß zu fassen und eine eigene Ordnung aufzubauen. Die Bewegung bot Schutz vor Polizei und Drogenhändlern und übernahm de facto staatliche Ordnungsfunktionen. Dabei profitierte sie von der Angst und dem Schrecken der Kokabauern vor den staatlichen Sicherheitskräften. Trotz und gerade wegen des ebenfalls brutalen Auftretens der Guerillabewegung gewann diese schnell an Einfluß und wurde von einem überwiegenden Teil der Bevölkerung als Macht anerkannt. Ein Bewohner Tingo Marias schilderte seine Haltung gegenüber dem Sendero folgendermaßen: "...es gibt nun viel weniger Kriminalität. Die Partei [Sendero Luminoso] ist überall sehr beliebt. Die Leute fühlen sich durch sie beschützt und glauben mehr an ihre Gerechtigkeit als an die der Polizisten, die selbst die größten Verbrecher sind..." (Strong 1992: 131, freie Obersetzung).

Die Vorgehensweise des Sendero verlief in der Regel immer nach dem gleichen Muster. Nach der Infiltration von Informanten in die Gemeinden, welche die örtlichen und sozialen Strukturen erkundeten, tauchte eines Tages eine 'Kolonne' des Sendero im Ort auf und exekutierte potentielle Gegner und Personen, die sich offen gegen die Bewegung aussprachen. Die Dörfer wurden in 'comités populares abiertos' (offene Volkskomitees) umorganisiert. Aus der Bevölkerung wurden vom Sendero Delegierte als neue Autoritäten bestimmt. Wenn die Kolonnen nach Wochen wiederkamen, erkundigten sie sich nach Unregelmäßigkeiten in bezug auf die von ihnen aufgestellte Ordnung. Übertretungen wurden mit brutaler Strenge bestraft (Arroyo 1992: 32; González 1989: 14ff.). 61

Die Strategie des Sendero wie auch der zweiten Guerillaorganisation MRTA {Movimiento Revolucionario Tupac Amaru) beruhte jedoch nicht allein auf Terror. Für pasta básica wurden 'gerechte Preise' festgesetzt und Unterschreitungen der Preise sowohl auf Ankaufs- als auch auf Verkaufsseite hart bestraft. Die relative Sicherheit der Kokabauern vor den Aktionen der staatlichen Ordnungskräfte und vor Übergriffen der Drogenhändler wurde trotz der damit verbundenen Einschränkungen der persönlichen Freiheit von der Mehrzahl der Bewohner anfanglich als positiv empfunden. Daneben bekämpften die Guerillaorganisationen im Rahmen ihrer Ordnungsvorstellungen 'kapitalistische Auswüchse1, wie Prostitution, Drogen- und Trunksucht und die Durchsetzung von Interessen nach dem 'Recht des Stärkeren' sowie gewöhnliche Straßenkriminalität, und trugen damit vorübergehend zu einer Verbesserung des sozialen Friedens in verschiedenen Gemeinden bei. Dort hatten schnell und leicht verdientes Geld, gewalttätige Auseinandersetzungen und das Fehlen jeglicher staatlicher Autorität bereits zu einem starken Verfall der familiären und sozialen Strukturen gefuhrt. Das Hauptinteresse der beiden Guerillaorganisationen in den Kokaanbaugebieten war jedoch weniger die 'politische Arbeit'. Die politischen Überzeugungen der Bewegungen teilten die Bewohner nur in den wenigsten Fällen. Auch die von der Guerilla langfristig angestrebte kollektive Bewirtschaftung der Flächen war selten im Interesse der Bauern. Für die Untergrundbewegungen ging es in erster Linie um die Beteiligung an dem sehr einträglichen Koka- und Kokaingeschäft. Die damit verbundenen hohen Einnahmen, die auf 20 bis 50 Mio. US-Dollar pro Jahr geschätzt werden (Larmer 28.9.1992: 17; Arroyo 1992: 32), dienten und dienen der Finanzierung der 'Revolution'. Die Einnahmen stammen zum großen Teil aus der Erhebung der Start- und Landeabgaben fiir die Kleinflugzeuge und werden durch Schutzgelder ergänzt, die von den Kokabauern, Zwischenhändlern, Reisenden und Geschäftsleuten gezahlt werden. Die Guerillabewegungen selbst bestreiten die Erhebung von Schutzgeldern und Abgaben und behaupten, daß sie von kriminellen Gruppierungen unter ihrem Namen vorgenommen werden. Tatsächlich sind die Zusammenhänge und die Verwicklungen der verschiedenen beteiligten Gruppen (Drogenhandel, Subversion und staatliche Repression) ausgesprochen unübersichtlich. Zwischen den beiden Untergrundbewegungen Sendero Luminoso und MRTA gab es wiederholt verlustreiche Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft im Huallaga-Tal, bei denen sich die Guerilleros des Leuchtenden Pfades meist durchsetzten. Im März 1987 kam es im Gebiet von Tocache zu einem langen Feuergefecht zwischen den beiden Organisationen, bei dem die MRTA geschlagen wurde und vierzig bis sechzig Kämpfer verlor. Die MRTA zog sich daraufhin Richtung Norden in das Mittlere und Untere Huallaga-Tal zurück, während der Sendero seinen Einfluß im Oberen Huallaga-Tal, auch gegen die staatlichen Sicherheitskräfte, weiter ausweitete. In den Jahren 1988 und 1989 62

galt der Leuchtende Pfad als uneingeschränkter Herrscher des Oberen HuallagaTales. Der peruanische Staat war praktisch nicht existent. Ab 1989 begann sich die Situation für die Guerillabewegungen in den Kokaanbaugebieten gründlich zu ändern. Beide Organisationen verloren stark an Einfluß und mußten sich aus weiten Gebieten sukzessive zurückziehen. Für diese Wende können verschiedene Ursachen verantwortlich gemacht werden. Nach einem Überfall von etwa 200 Rebellen auf das Polizeihauptquartier in Uchiza im März 1989, bei dem in mehrstündigen Gefechten 16 Polizisten starben, 14 schwer verletzt wurden und erheblicher Sachschaden in der ganzen Stadt entstand, mußten auch die politisch Verantwortlichen den Ernst der Situation und der Kräfteverhältnisse im Huallaga-Tal erkennen. Der Ausnahmezustand wurde über die Region verhängt und die Befehlsgewalt an ein 'politisch-militärisches Kommando' übertragen40. Die Strategie des eingesetzten Generals Alberto Arciniega war es, durch Entkriminalisierung bzw. Tolerieren des Kokaanbaus die Unterstützung der Bauern zu gewinnen und so den Guerillaorganisationen den Rückhalt zu entziehen. Innerhalb von sechs Monaten, nach einer Vielzahl von Gefechten, konnte der Sendero aus dem Huallaga-Tal weitgehend zurückgedrängt werden. Eine weitere Ursache für den Rückzug des Sendero war der schon vor dem Eingreifen der Armee schwindende Rückhalt in der Bevölkerung. Viele der Zwischenhändler wichen in andere Gebiete aus, um den strengen 'Gesetzen' der Guerillaorganisation zu entgehen. Daraus resultierte ein Überangebot an pasta bâsica. Das Mindestpreissystem funktionierte nicht mehr, da der 'gerechte Preis' für pasta bâsica zu hoch angesetzt war und der fallenden Tendenz nicht angepaßt wurde. Darüber hinaus machte den Kokabauern der Ende der 80er Jahre auftretende Pilz {fusarium oxisporum) in den Kokapflanzungen zu schaffen. Vielen wurde bewußt, daß der Kokaanbau, ähnlich wie in früheren Jahren der Kautschuk- und Zuckerrohranbau, eines Tages seine hohe wirtschaftliche Attraktivität verlieren kann. Zudem haben sich die Versprechungen der Guerilla von einem 'besseren Leben' nicht erfüllt, und die Vorgehensweise des Sendero wurde mit der Zeit immer rigoroser und willkürlicher. Dies führte schließlich seit 1990 zur Bildung sog. Rondas Campesinas (bewaffnete Bauernwehren) und Comités de Defensa Civil (zivile Selbstverteidigungskomitees), die sich mit Erfolg gegen Übergriffe der Untergrundbewegungen zur Wehr setzen41 und letztlich mitentscheidend für deren politische und militärische Niederlage waren (Huber 1995: 68).

40

41

Nach der Ausrufung des Ausnahmezustandes durch das Parlament wurde ein sog. 'politisch-militärisches Kommando' in dem entsprechenden Gebiet eingesetzt, dem auch alle Polizeikräfte unterstehen. Während es sich bei den Rondas Campesinas um autonome Organisationen handelt, die von den Bauern selbst spontan ins Leben gerufen wurden, sind die Comités de Defensa Civil Organisationen, die auf Initiative der Armee gegründet und teilweise mit Waffen ausgestattet werden. Sie unterstehen theoretisch dem Oberbefehl der Armee. Im Oberen Huallaga-Tal gab es 1992 etwa 25 solcher Bauemorganisationen, und im Mittleren Huallaga-Tal wird die Zahl im Jahr 1993 mit 30 angegeben; vgl. DESCO (1993: 6-11); Arroyo (1992: 33).

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Bis auf das traditionelle Kokaanbaugebiet Convención und Lares waren in allen bedeutenden Kokaanbaugebieten Guerillabewegungen aufgetreten. Der Einfluß der MRTA bezog sich Ende der 80er Jahre auf das Gebiet des Einzugsbereiches des Pachitea und südlich angrenzende Regionen sowie auf weite Bereiche des Mittleren und Unteren Huallaga-Tales und den angrenzenden Einzugsbereich des Mayoflusses. Der Leuchtende Pfad hatte die Kokaanbaugebiete im Oberen Huallaga-Tal, am Apurímac, Ene und am Aguaytia unter Kontrolle. 4.2.8. Umfang des Kokaanbaus Ausgangspunkt für eine Bestimmung der wirtschaftlichen Bedeutung der Kokaund Kokainwirtschaft ist eine möglichst genaue bzw. realistische Schätzung der tatsächlichen Produktionsmenge von Kokablättern, über die dann die Mengen der Zwischen- und Endprodukte und letztlich der gesamte Produktionswert der Koka- und Kokainwirtschaft abgeleitet werden können. Dies wiederum setzt die ungefähre Kenntnis der Kokaanbaufläche voraus. Gesicherte Angaben über den Umfang der Kokaanbaufläche gibt es nicht, d.h. es muß auf der Basis von Schätzungen gearbeitet werden. Die Schätzungen über den Umfang der Kokaanbaufläche schwanken für die Zeit ab Mitte der 80er Jahre von etwa 100.000 ha bis 380.000 ha, d.h. sie variieren um den Faktor drei bis vier. Einen Eindruck von der Streuung der verschiedenen Angaben gibt Übersicht 8. Die Gründe dieser enormen Spanne sind vielgestaltig und neben den Schwierigkeiten bei der Datenerhebung (vgl. Abschnitt 4.1.) auch durch die Verwendung verschiedener Quellen und unterschiedlicher Erhebungsmethoden bedingt. Die Angaben der US-amerikanischen Seite beruhen beispielsweise überwiegend auf Luftaufnahmen, die wegen des hohen Bewölkungsgrades, der örtlichen Bedeckung durch Schattenbäume und der ständig neu hinzukommenden Anbaugebiete nur relative Aussagekraft haben. Auch führt die Auswertung des gleichen Luftbildes oft zu unterschiedlichen Aussagen über den Umfang der Kokaanbaufläche. Darüber hinaus sind politische Motive bei der Veröffentlichung von Daten zum Umfang der Kokaanbaufläche nicht auszuschließen. Die peruanische Regierung wird Interesse an möglichst hohen Schätzzahlen haben, um ihre Verhandlungsposition für Kompensationszahlungen oder bei der Vergabe internationaler Entwicklungsgelder im Zusammenhang mit Kokaflächenreduzierung zu stärken. Demgegenüber könnte die internationale Gebergemeinschaft, insbesondere die USA als wichtigster Akteur, an vorsichtigen Schätzungen interessiert sein, um derartige Zahlungen niedrig zu halten. Auch der öffentliche und politische Druck in den USA nach Erfolgen im 'War on Drugs' wäre ein Motiv für sehr vorsichtige Schätzverfahren (Lee 1989: 23).

64

4.2.8.1. Methoden zur Bestimmung des Umfangs des Kokaanbaus Im folgenden werden die Ergebnisse und die angewandten Methoden zur Bestimmung der Kokafläche aus verschiedenen Veröffentlichungen vorgestellt. Álvarez (1992: 26), Núñez und Reátegui (1990: 170ff.) und Cuánto (1993) haben sich relativ intensiv mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt und dabei auf die Arbeiten weiterer Autoren zurückgegriffen. Astete und Tejada (zitiert in: Alvarez 1992: 64) entwickelten in ihrer Studie aus dem Jahr 1988 für den damaligen Drogenkontrollfonds der Vereinten Nationen (UNFDAC, heute UNDCP) erstmalig eine Methode zur Bestimmung der Kokafläche im Oberen Huallaga-Tal. Die Arbeit wird im folgenden als VN-Studie bezeichnet. Nach der Festsetzung der Kokafläche im Huallaga-Tal wird auf die Gesamtfläche Perus geschlossen. Laity (zitiert in: Alvarez 1992: 64) lehnt sich an die Methodik der VN-Studie an, verwendet jedoch realistischere Daten und Schätzwerte. Die Vorgehensweise der Studie der Vereinten Nationen soll beispielhaft herangezogen werden. Dabei wird deutlich, auf welch 'dünnem Eis' sich selbst die ernstzunehmenderen Arbeiten bewegen. Vier alternative Methoden zur Bestimmung des möglichen maximalen Umfanges der Kokaanbaufläche im Huallaga-Tal werden angewandt: Bestimmung nach a) Flächenpotential, b) Arbeitskräfteverfügbarkeit c) Luftaufnahmen und d) Kerosinverbrauch. a) Flächenpotential Die Untersuchungsregion wird in verschiedene Nutzungskategorien eingeteilt (beste Flächen für einjährige Kulturen, weniger gute, jedoch für Dauerkulturen geeignete Flächen, Weideland, für forstwirtschaftliche Nutzung geeignetes Land und letztlich Flächen, die weder agrar- noch forstwirtschaftlich nutzbar sind). Die Studie kommt zu folgender Aufstellung (Rechenfehler in der Ausgangsliteratur wurden korrigiert): Flächenverfügbarkeit im Oberen Huallaga-Tal: (1) Gesamtfläche im Oberen Huallaga-Tal (2) Landwirtschaftliche Nutzfläche (3) für legale Kulturen genutzte Flächen (4) offizielle Kokafläche (5) Weideland (6) Brachland (7) wegen Regenerationsphase nicht verfügbare Fläche (8) davon potentiell für Kokaanbau geeignet (9) Forstfläche (Hügel, Wälder und sonstige) (10) davon 10% für Koka geeignet (11) potentielle Kokafläche (3 + 8 + 1 0 )

(in Hektar) 1.859.000 192.702 69.381 30.183 10.238 82.796 54.349 28.456 75.168 7.516 66.155

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Eine nachvollziehbare Erläuterung der Aufstellung wird nicht gemacht. Dennoch ist die Darstellung aufschlußreich, weil sie einerseits die Schwierigkeiten einer realitätsnahen und plausiblen Einschätzung des Umfanges der Kokafläche verdeutlicht. Andererseits wird ein Eindruck der Größenordnung vermittelt, in der sich die tatsächliche Kokafläche bewegen könnte. Die wesentlichen Kritikpunkte an obiger Aufstellung sind: •

Die Unterscheidung zwischen Flächen für legale Kulturen und offizieller Kokafläche ist fraglich, da bekanntlich Kokasträucher oft zwischen legalen Kulturen verborgen werden. Somit wird der Umfang der illegalen Koka unterschätzt. • Der Umstand, daß ein großer Teil der Koka auf geschützten Flächen bzw. auf Flächen kultiviert wird, die eine herkömmliche landwirtschaftliche Nutzung nicht erlauben, schränkt die Bedeutung obiger Angaben stark ein, da diese Flächen in der Aufstellung nicht berücksichtigt sind. • Durch eine Veränderung einiger der oben getroffenen Annahmen kann die potentielle Kokafläche leicht verdoppelt werden: Wird z.B. angenommen, daß aufgrund hoher Rentabilität die gesamte Regenerationsfläche für den Kokaanbau verwendet wird, stehen 25.893 ha zusätzlich zur Verfügung. Nimmt man an, daß statt 10% etwa 25% der Forstfläche für den Kokaanbau geeignet sind, dann ergibt sich eine Erhöhung der Fläche um 11.276 ha von 7.516 ha auf 18.792 ha. Allein diese Veränderungen würden die potentielle Gesamtfläche auf 103.324 ha (66.155 ha + 25.893 ha + 11.276 ha) erhöhen. b) Arbeitskräfteverfügbarkeit

Diese Herangehensweise zur Bestimmung des Umfanges der Kokafläche basiert auf einer Schätzung des Arbeitskräftebedarfes für die existierenden legalen Kulturen im Huallaga-Tal, der von der Zahl der insgesamt verfugbaren Arbeitskräfte abgezogen wird. Die verbleibenden Arbeitskräfte werden mit einem Schätzwert des Arbeitskräftebedarfs pro Hektar Koka verrechnet. Damit erhält man die potentielle Kokafläche, die mit den verbleibenden Arbeitskräften bewältigt werden kann. Die demographischen Daten entstammen einer Projektion der Bevölkerungsentwicklung auf der Basis der Volkszählung von 1981. Der Arbeitskräftebedarf für den Anbau legaler Kulturen lieferte die Zweigstelle der Agrarbank in Tingo Maria. Der Arbeitskräftebedarf im Kokaanbau wurde durch Befragungen von Kokabauern ermittelt. Daneben wurden Daten über Migrationsbewegungen aus den Nachbarprovinzen mitverwertet. Die VN-Studie kommt je nach angenommenem Migrationsgrad zu einer Kokafläche von 42.000 bis 53.000 ha im Huallaga-Tal. Das Ergebnis basiert auf folgenden Schritten:

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Aufstellung des Arbeitskräftepotentials 1987 (abgeleitet aus den Daten der Volkszählung 1981) 169.758 63.954 24.060 39.894 36.817 14.914 21.903

Gesamtbevölkerung im Huallaga-Tal Erwerbstätige davon in der Stadt auf dem Land davon AK für landwirtschaftliche Tätigkeit für legale Landwirtschaft benötigte Arbeitskräfte verbleiben für den Kokaanbau (Arbeitskräfte)





Migrationsbedingte Erhöhung des Arbeitskräftepotentials. Zusätzlich sind Arbeitskräfte in der Zeit von 1981 bis 1987 aus den fünf Nachbarprovinzen (Huänuco, Huamalies, Maranön, Pataz und Coronel Portillo) in das Obere Huallaga-Tal migriert. Bei einem angenommenen Migrationsgrad von 10% der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte (77.384 AK) aus den Provinzen errechnen sich 7.738 AK, die zusätzlich potentiell für den Kokaanbau zur Verfügung stehen. Unterstellt man eine Migration von 20% der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte aus den Nachbarprovinzen, erhält man entsprechend 15.477 zusätzliche AK. Somit stehen für den Kokaanbau potentiell zur Verfügung: bei 10% Migration (7.738 AK + 21.903 AK)

=

29.641 AK

bei 20% Migration (15.477 A K + 21.903 AK)

=

37.380 AK

Berechnung des Arbeitskräftebedarfs für den Kokaanbau Wird von dem relativ hohen Arbeitskräftebedarf pro Hektar Kokafläche der VN-Studie ausgegangen (sie unterstellt 208 Arbeitskrafttage pro Hektar und Jahr und dividiert diese Zahl durch 300 Arbeitskrafttage pro AK und Jahr), ergibt sich ein Bedarf von 0,7 AK pro ha Kokafläche. Damit erhält man die oben genannten Werte: bei 10% Migration (29.641 AK / 0,7 AK/ha)

=

42.344 ha

bei 20% Migration (37.380 A K / 0 , 7 AK/ha)

=

53.400 ha

Laity legt in seiner Arbeit einen wesentlich geringeren AK-Bedarf pro Hektar Kokafläche zugrunde (125 Arbeitskrafttage pro Hektar Kokafläche). Damit erhält man einen Bedarf von 0,42 AK pro Hektar Kokafläche und bei 20% Migrationsrate eine potentielle Kokafläche von 89.000 Hektar (37.380 / 0,42 AK/ha). Die Aussagekraft dieser Vorgehensweise zur Bestimmung der potentiellen Kokafläche muß ebenfalls relativiert werden. Zu viele Annahmen wurden gemacht, ohne deren Plausibilität zu erläutern.

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Insbesondere die demographischen Daten sind vorsichtig zu bewerten. Sie wurden auf der Grundlage der Volkszählungen aus den Jahren 1972 und 1981 extrapoliert. Dabei ist fraglich, ob dies der hohen Dynamik und den umfassenden Veränderungen im Huallaga-Tal gerade ab Beginn der 80er Jahre gerecht wird42. Darüber hinaus sind die Annahmen in bezug auf die migrierten Arbeitskräfte nicht überzeugend. Eigene Gespräche mit Kokabauern im Huallaga-Tal43 und dessen Einzugsgebieten haben gezeigt, daß ein großer Teil der Kokabauem aus deutlich entfernteren Regionen als den der Berechnung zugrundegelegten fünf Provinzen ins Huallaga-Tal gekommen ist. Eine Begründung für die Migrationsraten von 10% bzw. 20% wird nicht gegeben. Die Bandbreite, in der sich die errechnete potentielle Kokafläche bewegt, ist insbesondere wegen der Unsicherheit über den tatsächlichen AK-Bedarf (208 AK-Tage oder 125 AK-Tage pro Hektar Kokafläche) sehr groß. Eine weitere Arbeit, die auf der Basis der Arbeitskräfteverfugbarkeit eine Schätzung der Kokafläche durchführte, ist die Studie von Cuánto. Die Studie ist in bezug auf Methodik, Sorgfalt und Ausführlichkeit den anderen Arbeiten deutlich überlegen und wird daher in einem eigenen Abschnitt (vgl. 4.2.8.2.) beschrieben. c) Bestimmung der Kokafläche durch Luftaufnahmen Die dritte in der VN-Studie herangezogene Methode zur Bestimmung des Umfanges der Kokafläche basiert auf Luftaufnahmen, die in der Zeit von 1986 bis 1988 gemacht wurden. Von den insgesamt 1.859.900 ha im Oberen HuallagaTal sollten 1.013.000 ha fotografiert werden. Die verbleibenden 846.900 ha werden als ungeeignet für forst- und agrarwirtschaftliche Nutzung eingeschätzt. Das Resultat dieser Vorgehensweise - knapp 45.000 ha potentielle Kokafläche im Huallaga-Tal - ergibt sich aus folgender Aufstellung: gesamte zu fotografierende Fläche zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Studie bereits fotografierte Fläche davon als Kokaflächen bzw. potentielle Kokaflächen identifiziert Kokafläche in Prozent der fotografierten Fläche zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Studie noch nicht fotografierte Fläche 42

41

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1.013.000 ha 455.850 ha 29.501 ha 6,5% 507.150 ha

UNDCP geht beispielsweise im Jahr 1992 von 603.669 Einwohnern aus, bezieht sich dabei allerdings auf die Flache des Projektgebietes, die neben dem Oberen Huallaga-Tal das Mittlere Huallaga-Tal und die Einzugsbereiche der Flüsse Aguaytia und Pachitea umfaßt. Vgl. UNDCP (1994:2). Persönliche Mitteilungen von Kokabauem, mit denen im Rahmen verschiedener Reisen in die Kokaanbauregionen Perus in den Jahren 1991, 1992, 1993 und 1994 gesprochen werden konnte (vgl. Liste der Gesprächspartner im Anhang).

geschätzter Anteil Kokafläche an der noch nicht fotografierten Fläche geschätzter Kokaflächenanteil an der noch nicht fotografierten Fläche (0,03 x 507.150 ha) gesamte potentielle Kokafläche

3% 15.215 ha 44.716 ha

Neben fehlenden Begründungen für den Schätzwert von 3% bleibt vor allem fraglich, ob die Mischkulturen mit Koka berücksichtigt werden konnten. Die Autoren merken selbst an, daß durch diese Methode keine genaue Bestimmung der potentiellen Kokafläche möglich war, da zum einen die Erhebungszeit von mehr als drei Jahren zu Verzerrungen fuhrt, zum anderen die Kokapflanzungen im Zuge des 'Booms' auf die Wald- und Schutzflächen ausgedehnt wurden und damit nur teilweise von der Untersuchung erfaßt werden konnten. Bemerkenswert ist der Umstand, daß die US Narcotics Assistance Unit (NAU) bei der Auswertung des gleichen Fotomaterials auf 60.000 bis 70.000 ha potentielle Kokafläche kommt. Dieser Unterschied im Ergebnis verdeutlicht die Schwierigkeit der Interpretation des Fotomaterials und die eingeschränkte Aussagekraft dieser Methode. d) Bestimmung der Kokaproduktion über den Kerosinverbrauch Die letzte im Rahmen der VN-Studie vorgestellte Methode zur Bestimmung des Umfanges der Kokafläche ist die Schätzung des Kerosinverbrauchs, des wesentlichen Vorproduktes für die Kokain- bzw. Kokapasteherstellung. Daraus können Rückschlüsse auf die eingesetzte Menge von Kokablättern und auf die Kokafläche gezogen werden. Die Autoren der Studie unterstellen, daß 25% des Kerosinverbrauchs des Jahres 1984 zuzüglich der gesamte Zuwachs (55%) in den Jahren 1984 bis 1987 für die Produktion von Kokapaste verwendet wurden. Dies bedeutet, daß rund 550.000 Barrel (1 Barrel entspricht 157 Liter) oder 50% der Produktion der vier nächstgelegenen Raffinerien Iquitos, Yurimaguas, Pucallpa und Tarapoto für die Kokaproduktion zur Verfügung stehen. Nun wird ein Verbrauch von 17 Barrel für 1.000 kg Kokablatt sowie ein Hektarertrag von 1.000 kg Kokablätter pro Jahr unterstellt. Damit ergeben sich 32.353 Tonnen Kokablattverbrauch (550.000/17) bzw. entsprechend 32.353 ha Kokafläche. Allerdings zeigt auch diese Kalkulation deutliche Mängel: • Kerosin wird in der Regel mehrmals (mindestens zweimal) verwendet. Damit verdoppelt sich die Menge der Kokablätter, die mit dem vorhandenen Kerosin verarbeitet werden kann. Entsprechend ist auch die Kokafläche auf rund 65.000 ha anzupassen. • Andererseits ist der zugrundegelegte Hektarertrag von Kokablättern (1.000 kg pro ha) für das Obere Huallaga-Tal zu niedrig44. 44

Zu den durchschnittlichen Hektarertägen vergleiche auch Obersicht 43.

69

• Morales (1989: 74), der sich im Gegensatz zu den Autoren der VN-Studie mehrere Jahre in den Kokaanbaugebieten aufgehalten hat, kalkuliert einen Kerosinverbrauch von 229 Litern (entspricht etwa 1,5 Barrel) für 1.000 kg Kokablatt und liegt damit bei weniger als einem Zehntel des in der VNStudie zugrundegelegten Wertes. Übersicht 6 faßt die Ergebnisse der verschiedenen Studien zusammen: Übersicht 6: Umfang des Kokaanbaus im Oberen Huallaga-Tal nach verschiedenen Methoden und Autoren (in Hektar) Quelle 1 Methode 1 Flächenpotential Arbeitskräfte Luftaufnahmen Kerosinverbrauch

VN-Studie 66.156 42.344 - 53.400 44.716 32.353

Laity >100.000 89.000 65.000

andere

242.333a 60.000-70.000° >200.000c

Die Werte der VN-Studie und von Laity sind entnommen aus: Alvarez (1992: 64). a

Cuánto (filr Peru insgesamt im Jahr 1991), vgl. 4.2.8.2.

" Narcotic Assistance Unit (NAU). c

Álvarez.

1

Núñez und Reátegui (1990: 178ff.), deren Berechnungen eine andere Methode zugrundeliegt, beziffern die Kokafläche im Oberen Huallaga-Tal für das Jahr 1988 auf 67.000 ha und befinden sich damit im Bereich der von USamerikanischer Seite genannten Schwankungsbreite. Die beiden Autoren nehmen darauf aufbauend eine landesweite Schätzung des Umfanges der Kokafläche vor. Da ihr Wert in bezug auf das Obere Huallaga-Tal relativ gut mit den Werten der Narcotic Assistance Unit übereinstimmt, beziehen sie sich auf deren Auswertung von Luftaufnahmen und kommen damit landesweit auf 117.000 ha Kokafläche (35.000 ha für das Gebiet Convención und Lares, 10.000 ha für die Region Aguaytia und 5.000 ha für das Mittlere Huallaga-Tal sowie ihr eigener Wert von 67.000 ha für das Obere Huallaga-Tal). Eine detaillierte Arbeit existiert von der nationalen peruanischen Entwicklungsinstitution Instituto Nacional de Desarrollo - INADE (1991). Im Rahmen des Regionalentwicklungsprojektes APODESA (Apoyo a la política de desarrollo Selva alta) für die Entwicklung der Selva alta wurde als Basis für die regionale Entwicklungsplanung eine Studie über Landnutzung, Landnutzungspotentiale sowie Siedlungs- und Waldentwicklung mittels eines Geographischen Informationssystems erarbeitet. Dabei werden auch der Umfang und die Verteilung des Kokaanbaus bestimmt. Die Erhebungsmethode ist nicht genauer beschrieben. Der Kokaanbau wird auf 241.975 ha beziffert, von denen zwischen 85 und 90% illegal sein sollen. Die Departements San Martin mit rund 110.000 ha, 70

Huánuco mit knapp 50.000 ha und Cusco mit rund 35.000 ha sind dabei die wichtigsten Regionen, und innerhalb dieser ragen insbesondere die Provinzen Tocache, Mariscal Cáceres, Leoncio Prado und Convención heraus. Interessant ist auch der Vergleich der Kokafläche der jeweiligen Provinzen mit der Fläche, die mit legalen Kulturen bepflanzt sind. Demnach ist die Kokafläche in den Provinzen Huamalíes, Marañón, Huallaga, Mariscal Cáceres und Tocache zweibis dreimal so groß wie die mit legalen Kulturen bepflanzte Fläche. Damit wird die Intensität und Bedeutung des Kokaanbaus in diesen Provinzen deutlich. Für die gesamte Region Selva alta ergibt sich eine Relation Koka zu legalen Kulturen von 0,58:1. 4.2.8.2. Bestimmung des Umfangs der Kokafläche nach Cuánto Die bisher ausführlichste und überzeugendste Ermittlung des Umfangs der Kokafläche wurde von Cuánto (1993) nach der Methode der Arbeitskräfteverfügbarkeit durchgeführt. Dabei konnte auf vergleichsweise neues und umfangreiches Datenmaterial des Zensus von 1991 zurückgegriffen werden. Auf Departementsniveau werden methodisch sorgfaltig Bevölkerungsumfang, wirtschaftlich aktive Bevölkerung und die verfügbaren Arbeitskrafttage (AKT) abgeleitet. Nach einer detaillierten Herleitung der in der legalen Landwirtschaft benötigten Arbeitskrafttage konnte das für den Kokaanbau zur Verfügung stehende Arbeitskräftepotential berechnet und auf den Umfang des potentiellen Kokaanbaus geschlossen werden. Die Ergebnisse von Cuánto ermöglichen darüber hinaus einen Überblick der Verteilung des Kokaanbaus auf Departementsebene (vgl. Übersicht 7).

71

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I K 1989 1991 1992 1993 1993 1993 1993 Bezugsjahr 1989 Hektarertrag (kg ge1.880 1.570 2.070 2.000 1.840 2.024 2.880 1.920 2.023 2.000 trocknetes Blatt/ha) ARBEITSLEISTUNG (in Arbeitstagen) Düngung (Boden) 6 6 10 3 6 4 4,4 4 Pflegearbeiten 12 15 9 12 14 15 15 12 11,5 BlattdUngung 2 2 2 2 2 4 4 4 2,8 3 Pflanzenschutz 2 2 4 3 12 20 8 8 7,4 7 Blatternte 96 120 125 130 133 94 120 168 123 123 Trocknung der 4 3 8 2 1,9 Blätter Sonstige Arbeiten 8 36 28 8,5 9 ARBEITSLEISTUNG 162 198 165 179 200 190 232 268 200 200 (gesamt) MATERIAL NPK-Dünger (Sack) 2 2 3 0,9 1 Bayfolan (Liter) 4 7 8 4 2,9 3 Stickstoff (kg) 200 250 400 400 156 156 Spezialdünger (Sack) 4 4 4 1,5 1,5 Tamaron (Liter) 2 2 8 7 8 4 3,9 4 Sevin (kg) 2 2 3 3 8 2 2 Cupravit (kg) 12 1,5 1,5 Herbox (Liter) 10 8 5 2,9 3 Gramaxone 16 2 2 Polypropylen-Säcke 20 2,5 2,5 TRANSPORT 1 1 1 (400 kg Material) A: Uchiza, Tocache und Alto Limón (Nóflez und Reátegui 1990). B: Tingo María und Umgebung (Núfiez und Reátegui 1990). C: Aguaytia (Osanayo 1991). D: Alto Huallaga (Novos Ingenieros 1992). E: Tocache (PEAH 1993). F: Tingo Maria (PEAH 1993). G: Juanjui (PEAH 1993). H: Leoncio Prado (CEDRO 1994). I: Durchschnittswerte (A-H). K: Dietrich (Durchschnittswette aus I gerundet und leicht berichtigt).

154

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| Quelle: eigene Ausarbeitung auf der Grundlage der vorangegangenen Übersichten.

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228

er, ertragreicher und resistenter Sorten ersetzt. Eine Saatgutvermehrung und der Betrieb einer Genbank für Kakaopflanzen sind wichtige Elemente für die Verbreitung der genetisch verbesserten Sorten. Im Bereich der Vermarktung hat das Projekt in zweifacher Hinsicht zu Verbesserungen beigetragen: einerseits durch die Förderung der Direktvermarktung unter Umgehung des privaten Zwischenhandels, andererseits durch die Einführung von Rotationsfonds zur Finanzierung von Lagerhaltung und Vermarktung. Darüber hinaus hat das Programm verschiedene infrastrukturelle Maßnahmen unterstützt. Im produktiven Bereich wurden in erster Linie Anlagen der Nacherntebehandlung gefordert, aber beispielsweise auch Schreinereien zur Herstellung von Bienenstöcken bzw. Verpackungsmaterial unterstützt. In verschiedenen Gemeinden hat das Projekt den Aufbau von Gesundheitszentren teilfinanziert. Die Verkehrsinfrastruktur wurde durch den Bau und die Unterhaltung sekundärer und tertiärer Straßen sowie durch die Initiierung und Beteiligung am Bau eines Kleinflughafens unterstützt (UNDCP 1994: 15). 6.2.3.2. Wirkungen der Projektaktivitäten in der Region La Convención und Lares In der ersten Phase war der Projektansatz sehr eng gewählt und zielte auf die direkte Substitution von Koka durch alternative Kulturen ab. Da jedoch der Großteil des Kokaanbaus (80%) auf Hanglagen betrieben wird, die zudem starke Verluste der Bodenfruchtbarkeit aufweisen und sich meist nicht für Alternativkulturen eignen, wurde der Ansatz modifiziert und eine 'ökonomische Substitution' gewählt. Dabei wird der Anbau von Alternativkulturen auf anderen Flächen unterstützt, während die Kokaflächen von den Bauern vernachlässigt und aufgegeben werden. Im Rahmen der 'ökonomischen Substitution' kommt der Diversifizierung der Produktion aufgrund des vorherrschenden monokulturellen Anbaus eine besondere Bedeutung zu. Nach eigenen Schätzungen von UNDCP wurden bis 1995 etwa 850 ha direkt substituiert und 2.500 ha aufgegeben (Liljeson 1995: 10). Damit haben die Bruttoeinnahmen aus dem Kokaanbau in der Region um etwa 1,5 Mio. US-Dollar abgenommen, wenn das in der Region La Convención und Lares übliche Bruttoeinkommen von rund 450 US-Dollar pro Hektar Kokaanbau zugrunde gelegt wird. Diesen Einkommensverlusten stehen Bruttoeinnahmen durch die Neuanlage bzw. Rehabilitierung folgender Kulturen gegenüber:

229

Kultur

Fläche (ha)

Kaffee (neu und rehabilitiert) Kakao (neu und rehabilitiert) Achiote Cochenille-Laus Obst sonstige (Mais, Bohnen, Soja) Vieh- und Bienenhaltung Gesamt

4.658 2.102 412 236 306 940

Wert (US-$) 1.770.000 840.000 52.000 178.000 46.000 118.000 30.000 3.034.000

Damit wurde vom Projekt Einkommen etwa in doppeltem Umfang geschaffen, wie durch die Verringerung des Kokaanbaus verloren ging. Bei geschätzten 3.000 direkt vom Projekt begünstigten Familien ergibt sich ein durchschnittliches Bruttojahreseinkommen von rund 1.000 US-Dollar pro Familie. Die Trägerforderung, insbesondere die Wiederherstellung der Funktionsfahigkeit der Kaffeekooperativen und der Aufbau neuer Produzentenvereinigungen, war weitgehend erfolgreich und stellt eine entscheidende Voraussetzung für die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Produktion und Vermarktung dar. Die Unterstützung in diesem Bereich hat eine deutliche Zunahme der Produktionsmenge und beachtliche Qualitätssteigerungen ermöglicht. Dabei waren die Verbesserungen und die Ausweitung der Produktion bei den traditionellen Kulturen Kaffee und Kakao quantitativ erfolgreicher als die Diversifizierung der Erzeugung durch die Einfuhrung neuer landwirtschaftlicher Produkte. Die Nachhaltigkeit bzw. die Sicherstellung eines eigenständigen Entwicklungsprozesses ist in La Convención und Lares im allgemeinen gesichert. Die meisten geforderten Produzentenorganisationen werden in der Lage sein, nach Auslaufen der externen Förderung die begonnenen Aktivitäten eigenständig weiterzuführen. Ein Problem könnte sich ergeben, wenn die von den Organisationen angebotenen Dienstleistungen zukünftig von den Produzenten bezahlt werden müssen und sich dadurch die Produktionskosten erhöhen. Hoch einzuschätzen ist die Multiplikatorwirkung und der Modellcharakter verschiedener Projektaktivitäten. Die konkreten Ergebnisse hatten Einfluß auf weitere Produzentengruppen, Privatunternehmen und öffentliche Institutionen, indem sie diese zur Nachahmung ähnlicher Aktivitäten motivierten. Ein Kritikpunkt am UNDCP-Programm ist die Auswahl der Zielgruppe. Durch die Projektaktivitäten wurden die marginalisierten und ärmeren Bauern nur unvollständig erreicht. Gerade diese Gruppe ist es aber, die am anfalligsten für die Aufnahme bzw. die Wiederaufnahme des Kokaanbaus ist (Liljeson 1995: 16). Die Vernachlässigung ist durch die Strategie des Programms - Zusammenarbeit mit Produzentenorganisationen - zu erklären. Es sind in erster

230

Linie die Bauern mit einem bestimmten Grad an 'Unternehmergeist 1 und entsprechenden administrativen und technischen Fähigkeiten, die sich organisieren und dadurch am Projekt partizipieren. Wie im Huallaga-Tal hat auch das Vorhaben La Convención und Lares nur wenig Ansätze - mit Ausnahme der Förderung der Cochenille-Laus - zur Verringerung des Kokaanbaus in den höheren Steillagen identifizieren können. Trotz verschiedener Anstrengungen wie beispielsweise die Untervertragnahme von Fachleuten zur Untersuchung der forstwirtschaftlichen Möglichkeiten, hat das Programm diesem Aspekt bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt (Gutelman et al. 1993: 35f.). Ohne den Nutzen einzelner Infrastrukturmaßnahmen wie beispielsweise des Kleinflughafens für die Bevölkerung in Frage zu stellen, scheint das Projekt hier in Bereichen tätig zu werden, die nicht mehr zu den originären Aufgaben des Programms zählen.

6.2.4. Alternative Entwicklung im Apurimac-Tal Mit dem erst im April 1995 begonnenen Alternativen Entwicklungsvorhaben im Apurimac-Tal versucht UNDCP, aufbauend auf den Erfahrungen aus den oben beschriebenen Vorhaben in den Regionen Huallaga und La Convención und Lares, grundlegende konzeptionelle Veränderungen einzuleiten. So sollen die zukünftigen Anstrengungen in Peru in ein nationales Alternatives Entwicklungsprogramm mit maßgeblicher Unterstützung der peruanischen Regierung eingebunden sein. Dies beinhaltet insbesondere auch die Verfügbarkeit von nationalen und internationalen finanziellen Ressourcen in ausreichendem Umfang. Alternative Entwicklung soll mit den meist weitreichenderen Ansätzen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit besser abgestimmt werden. UNDCP will die Eingliederung von Drogenaspekten in allgemeine Ländliche Entwicklungsprogramme fördern und in erster Linie eine Rolle als Fürsprecher, technischer Partner, Koordinator und Teilfinanzier der von der Regierung getragenen Initiativen einnehmen. Dabei soll spezielles Gewicht gelegt werden auf das Monitoring des illegalen Anbaus, die Ausgestaltung vertraglich festgelegter Vereinbarungen mit den Gemeinden zur Reduzierung des illegalen Anbaus und die Erarbeitung integrierter Entwicklungspläne, die sich zur Finanzierung durch bilaterale und multilaterale Geber eignen (UNDCP 1995: 6f.). Mit rund 35.000 ha Kokafläche hat sich die Apurimac-Ene Region in der ersten Hälfte der 90er Jahre zum zweitgrößten Kokaanbaugebiet Perus entwickelt. Etwa 30.000 Familien widmen sich seit etwa 1989 überwiegend dem Kokaanbau und haben den seit den 50er und 60er Jahren betriebenen Kaffee- und Kakaoanbau vernachlässigt oder aufgegeben. Noch 1979 galt das Apurimac-Tal als das drittgrößte Kaffeeanbaugebiet Perus. 231

Zu dieser Entwicklung hat entscheidend das Auftreten der Untergrundorganisation Sendero Luminoso beigetragen, die zeitweise das Tal 'kontrollierte' und das Gebiet zu einem rechtlosen Raum machte. Die Terrororganisation mußte sich allerdings Ende der 80er Jahre vor der immer stärker werdenden Bewegung der zivilen Selbstverteidigungskomitees der Bauern (DECAS - Defensa Civil Anti Subversivä) zurückziehen. Seit 1993 gilt das Apurimac-Tal als befriedet, auch wenn es gelegentlich zu kleineren Zwischenfallen kommt (The Peru Report 1995: 33). Der florierende Kokaboom erlebte jedoch 1995 durch den massiven Preisverfall bei Kokablatt von drei US-Dollar im Januar auf 0,40 US-Dollar in der zweiten Jahreshälfte ein abruptes Ende. Die Koka- und Kokainwirtschaft wie auch die gesamte lokale Ökonomie brachen völlig zusammen 100 . Die Erfolgsaussichten für eine Alternative Entwicklung in der Apurimac-Region haben sich dadurch deutlich verbessert. 6.2.4.1. Beschreibung der Projektaktivitäten in der Apurimac-Region Ziel des Vorhabens ist es, die grundsätzlichen Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung im Apurimac-Tal auf der Basis einer legalen Wirtschaft herzustellen. Die oben beschriebene konzeptionelle Richtungsänderung von UNDCP soll sich in dem neuen Alternativen Entwicklungsprogramm in der ApurimacRegion widerspiegeln. Das Vorhaben begann mit einer 'strategischen Orientierungsphase', in der eine weitreichende, von den Gebern getragene Regionalentwicklungsplanung unter der Schirmherrschaft der nationalen Entwicklungsbehörde (INADE) in die Wege geleitet werden soll. Durch das Vorhaben wird auch ein von der Regierung getragener, ständiger Dialog über Alternative Entwicklung angestoßen, der die verschiedenen Akteure (peruanische Regierung, bilaterale und multilaterale Geber, UNDCP und Privatsektor) vereinen und zu koordiniertem Vorgehen führen soll. Neben den dargestellten programmatisch-koordinierenden Aktivitäten leistet UNDCP im Projektgebiet selbst konkrete technische Zusammenarbeit in den Bereichen Kakao- und Kaffeeanbau, Diversifizierung, Sozialorganisation der Produzenten, Beratung und Unterstützung der Lagerhaltung und Vermarktung. Hier kann UNDCP auf den langjährigen Erfahrungen und auf routiniertes Personal aus den anderen Projektgebieten aufbauen.

100

Für den Zusammenbruch der Ökonomie gibt es verschiedene Indikatoren. Der Flugbetrieb Lima-San Francisco wurde von täglich zwei Flügen (Januar 199S) auf wöchentlich zwei Flüge (Juni 1993) reduziert und schließlich ganz eingestellt (August 1995). Der Bootsverkehr auf dem Apurlmac ist auf 10% seines ursprunglichen Umfanges zurückgegangen. Händler in San Francisco berichten von Umsatzrückgängen von I.SOO US-Dollar auf 100 US-Dollar pro Tag (Berichte von Betroffenen im Rahmen eines Besuches in der Region im Oktober 1995).

232

Das Projekt hat insbesondere Initiativen zur Reaktivierung der Kakao- und Kaffee-Erzeugung durch Steigerung der Produktion, der Produktivität und der Qualität begonnen. Sowohl bei Kaffee als auch bei Kakao ist ein mit relativ geringem Aufwand zu mobilisierendes Potential vorhanden. Im Zusammenhang mit dem Kokaboom wurden die etwa 12.000 ha Kakaoplantagen vernachlässigt und verwilderten. Pflegearbeiten (Unkrautbekämpfung oder Baumschnitt) sind selten, und meist werden nur die Früchte geerntet. Demzufolge sind die Erträge dieser Plantagen sehr niedrig. Allein durch den Befall mit Hexenbesen soll es zu 60-70% Ernteeinbuße kommen (UNDCP/OPS 1995: 5). Darüber hinaus erfahren die Kakaofrüchte häufig einen Preisabschlag von bis zu 50% aufgrund der unzulänglichen Nacherntebehandlung. Weitere Abschläge ergeben sich durch die von den Zwischenhändlern einbehaltene Handelsspanne bei der Vermarktung des Kakaos. Zusammengenommen fuhren diese Aspekte zu einer geringen Wirtschaftlichkeit des Kakaoanbaus. Das Projekt hat der Ausbildung der Bauern in der Nacherntebehandlung von Kakao besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Bis September 1995 hatten rund 300 Bauern an 38 dreitägigen Ausbildungskursen teilgenommen (UNDCP/OPS 1995: 6). Ähnlich verhält sich die Situation für die etwa 12.500 ha umfassende Kaffeeproduktion im Apurimac-Tal. Auch hier werden die Kaffeekirschen ohne Durchfuhrung nennenswerter Pflegearbeiten nur geerntet. Die Erträge sind entsprechend gering, und die Nacherntebehandlung ist wie bei Kakao unzulänglich. Das Projekt unterstützt den Aufbau von Anlagen zur Kaffeevermehrung. In 46 Gemeinden wurde mit über 900 Bauern zusammengearbeitet und Pflanzmaterial für 556 ha Kaffeeplantagen erzeugt (UNDCP/OPS 1995: 5). Das Projektgebiet selbst teilt sich in fünf Zonen, wobei für jede Zone ein eigener Berater (extensionista) unter Vertrag genommen wurde. 162 speziell ausgesuchte sogenannte landwirtschaftliche Promotoren aus 100 Gemeinden werden in besonderen Ausbildungskursen auf ihre Arbeit vorbereitet. Inhalte der Kurse sind die Einführung von Technologiepaketen sowie die Verbesserung von Managementqualitäten und Beratung. Im Bereich der Sozialorganisation bzw. Trägerforderung wurde vom Projekt mit der Umstrukturierung der existierenden zivilen Selbstverteidigungskomitees in Produzentenkomitees begonnen. Diese werden in das Genossenschaftssystem eingebunden. Die Genossenschaften selbst werden grundlegend erneuert und ihre technischen und unternehmerischen Fähigkeiten gestärkt. Ein wichtiger Aspekt ist die Reaktivierung ehemaliger Genossenschaftsmitglieder. Bis September 1995 waren rund 1.000 ehemalige Mitglieder wieder in die Genossenschaften eingetreten (UNDCP/OPS 1995: 7). Darüber hinaus hatte das Projekt Ende 1995 den Aufbau eines ländlichen Ausbildungszentrums mit Versuchsstation begonnen. Gelände und Infrastruktur dieser ehemaligen Versuchsstation wurden dem Projekt von der Regionalregierung zur Verfügung gestellt. 233

6.2.4.2. Wirkungen der Projektaktivitäten im Apurimac-Tal Für eine fundierte Beurteilung der Projektwirkungen ist es zu früh, da das Projekt seine operative Phase erst im April 1995 begonnen hat. Allerdings konnte eine hohe Akzeptanz des Projektes und der Projektaktivitäten bei der Bevölkerung festgestellt werden 101 . In den ersten sechs Monaten wurden Aktivitäten in beachtlichem Umfang mit einer großen Zahl von Begünstigten angefangen. Von großem Vorteil ist sicherlich die langjährige Erfahrung von UNDCP aus dem Huallaga-Tal und der Region La Convención und Lares bei der Durchfuhrung konkreter Projektaktivitäten im Rahmen der Technischen Zusammenarbeit. Es besteht allerdings die Gefahr, ausschließlich die Arbeiten aus den bisherigen Projektgebieten zu kopieren (mit den Defiziten im Bereich der Nachhaltigkeit). Es gilt insbesondere, die im Projektdokument zum Ausdruck gebrachte strategische Initiator- und Koordinatoraufgabe zur Einleitung eines umfassenden Programms mit umfangreicher nationaler und internationaler Beteiligung zu verwirklichen. Eine Evaluierungsmission im Juli 1996 bestätigt dem Projekt, innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit eine Reihe von Aktivitäten mit hoher Akzeptanz bei der Bevölkerung begonnen zu haben. Insbesondere Methode und Technologietransfer werden positiv erwähnt (Merediz/Liljeson/Núñez del Prado/Krause 1996: 4f.). Defizite werden in einer zu weiten Fächerung der Aktivitäten, einer fehlenden partizipativen Planung, einer zu geringen Berücksichtigung der ausschließlich Koka produzierenden Zonen und fehlenden Interventionsmechanismen für den Kokaanbau in den höheren Lagen gesehen (Krause 1996: 2ff.).

6.2.5. Bewertung der Maßnahmen von UNDCP Zusammenfassend kann die Arbeit von UNDCP in Peru positiv beurteilt werden. Angefangen von einer zwischenzeitlich schlüssigen Zielsetzung und konsistenten Methodik ist die konzeptionelle Ausgestaltung der Programme im Lauf der Jahre gereift und stellt heute ein zweckmäßiges Instrument zur Verringerung des Kokaanbaus dar (mit gewisser Einschränkung des Kokaanbaus in höheren Lagen). Verschiedentlich sind allerdings Divergenzen zwischen schriftlich formulierten Ansprüchen und der Projektwirklichkeit feststellbar. Die Projektwirkungen müssen im Zusammenhang mit den teilweise äußerst schwierigen Ausgangsbedingungen beurteilt werden. Besonders hervorzuheben sind die Erfolge im Bereich der Sozialorganisation bzw. Trägerforderung und die Tatsache, daß das Vertrauen eines großen Teils der Bevölkerung gewonnen werden konnte. Dies war eine Voraussetzung für 101

Beobachtungen im Rahmen einer Reise in das Projektgebiet im Oktober 1995.

234

die Umsetzung der technischen Ansätze. Die Praxis von UNDCP, prioritär mit wirtschaftlichen Interessengruppen und weniger mit zu politischen und gewerkschaftlichen Zwecken organisierten Gruppierungen zusammenzuarbeiten, wird verschiedentlich kritisiert und für die Defizite im Bereich der Nachhaltigkeit verantwortlich gemacht102. Die Organisation der landwirtschaftlichen Basisgruppen war ein wichtiger Faktor zur Verringerung des Einflusses der Drogenhändler und der subversiven Gruppen im Huallaga-Tal. Die landwirtschaftliche Diversifizierung, die Ausweitung der Anbauflächen legaler Kulturen und die Steigerungen der Erträge und der Produktqualitäten haben zu einer Zunahme des landwirtschaftlichen Produktionswertes geführt. Dadurch haben sich die legalen Einkommen erhöht und so zu einer geringeren Abhängigkeit von den Einnahmen aus der Kokaproduktion geführt. Dies hat neben anderen Faktoren - zu einer signifikanten Verringerung der Kokafläche im Projektgebiet beigetragen. Defizite sind bei den UNDCP-Vorhaben insbesondere durch die nicht gesicherte Nachhaltigkeit der Projektwirkungen gegeben. Der Großteil der geförderten Produzentenorganisationen ist trotz der relativ langen Förderdauer noch nicht in der Lage, die vom Programm eingeleiteten Entwicklungen selbständig weiterzuführen. Ein tragfahiger, eigenständiger Entwicklungsprozeß konnte im allgemeinen nicht eingeleitet werden. Die Gründe hierfür sind in einer nicht ausreichenden Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsaspektes bei der Projektplanung und -konzeption zu suchen. Ein weiteres Defizit ist die nicht ausreichende Zusammenarbeit und die geringe Verzahnung der Programmaktivitäten mit lokalen und nationalen Behörden. Insbesondere auf nationaler Ebene war nicht immer eine ausreichende Identifizierung und damit Unterstützung für die Vorhaben gegeben. Auch dies wirkt sich negativ auf die Nachhaltigkeit der Vorhaben nach dem Ende der Förderung durch UNDCP aus. Die zu geringe Berücksichtigung des Kokaanbaus in höheren und steileren Lagen hat zu einer Konzentration der Projektwirkungen auf ausgesuchte, meist tiefer gelegene Zonen geführt und damit einen großen Teil der Problemgebiete ausgelassen. Eine ähnliche Wirkung hat die Auswahl der Zielgruppe, die leistungsfähigere Landwirte bevorzugt und die für den Kokaanbau besonders anfälligen ärmeren und marginalisierten Bauern vernachlässigt. Die unzureichende Berücksichtigung der Marktverhältnisse hat in einigen Fällen zur Förderung unwirtschaftlicher Kulturen geführt. Hier wurden unnötig Ressourcen verbraucht, und die Mißerfolge haben dem Image des Programms geschadet. Die häufig sehr technische und produktbezogene Vorgehensweise, die nicht in ausreichender Weise das gesamte landwirtschaftliche Betriebssystem in die Planungen einbezog, hat wiederholt Schwierigkeiten bei der Einführung und eine teilweise geringe Akzeptanz neuer Kulturen bereitet. 102

Persönliche Mitteilung von Hugo Cabiesis (Berater des Zusammenschlusses der Organisationen der Kokabauem aus Kolumbien, Bolivien und Peru) am 22. Mai 1996 in Berlin.

235

Die unzureichenden finanziellen Ressourcen haben es dem Programm nicht möglich gemacht, flächendeckend alle Kokaanbaugebiete in die Projektarbeit mit einzubeziehen. Für flächendeckende und auf die Gesamtbevölkerung abzielende Maßnahmen sind deutlich umfangreichere Mittel erforderlich als in der Vergangenheit verfugbar waren.

6.3. Maßnahmen der USA Formell begann das US-amerikanische Engagement in Peru im Bereich der Alternativen Entwicklung im Jahr 1981 mit dem Beginn des Upper Huallaga Area Development Project (UHAD). Dem mehrmals verlängerten und im Jahr 1993 beendeten UHAD folgte 1995 das Alternative Development Project, das neben dem Oberen- und Mittleren Huallaga-Tal auch Maßnahmen im Pachitea-, Apurimac- und Aguaytia-Tal vorsieht.

6.3.1. Das Upper Huallaga Area Development Project (UHAD) Der Initiative zur Formulierung und Umsetzung des UHAD waren mehrere umfangreiche Kokavernichtungsoperationen seitens der peruanischen Regierung vorausgegangen, die große Unsicherheit bei den Kokabauern hervorgerufen hatten. Die damalige US-Drogenstrategie zielte auf gemeinsame und koordinierte Verbots-, Vernichtungs- und Entwicklungsmaßnahmen ab. Allerdings hat der Ansatz eines gemeinsamen und koordinierten Vorgehens zwischen den Kokavernichtungsoperationen und den Maßnahmen zur Agrarentwicklung nicht funktioniert. Als Gründe werden die zunehmende Gewalt und die technische Inkompatibilität zwischen den zwei Vorgehensweisen genannt (Acciön Agraria 1994: 1). Oberziel (goal) des Vorhabens war die 'Steigerung und Diversifizierung der Agrarproduktion in der peruanischen Selva altd. Das Projektziel (purpose) dagegen war die 'Förderung der staatlichen Agrardienstleistungen und die Entwicklung und Erprobung landwirtschaftlicher Technologiepakete im Oberen Huallaga-Tal' (Acciön Agraria 1994: 1). Als Durchfuhrungsorganisation wurde PEAH (Proyecto Especial Alto Huallaga) ins Leben gerufen. Formell ist UHAD ein amerikanisches Projekt, das eng mit der US-amerikanischen Antidrogenstrategie verknüpft ist, während PEAH als peruanische Durchfuhrungsorganisation für die von amerikanischer und peruanischer Seite finanzierten Aktivitäten fungierte und in erster Linie

236

Koordinierungs- und Kontrollfunktionen ausüben sollte103. Als UHAD Ende 1993 auslief, hat die peruanische Regierung PEAH in kleinerem Umfang fortgesetzt. Durch die anfängliche administrative Eingliederung des PEAH in das Präsidialministerium sollten Koordinierung auf höchster Ebene, die Vereinfachung bürokratischer Wege und höhere Gehälter für qualifizierteres Personal sichergestellt werden. Später fiel der PEAH in die Verantwortung der nationalen Entwicklungsbehörde INADE, die auch für die anderen 'Proyectos especiales' zuständig ist (USAID/Peru 1995b: 6). Das Projektbudget für die Zeit von 1981 bis 1993 betrug 51,6 Mio. USDollar. Der Betrag setzt sich zusammen aus 31,3 Mio. Dollar US-amerikanischem Anteil (16,3 Mio. US-Dollar Zuschuß und 15 Mio. US-Dollar Kredit) und 20,3 Mio. US-Dollar peruanischem Anteil (USAID/Peru 1995b: 5). Die zwölfjährige Laufzeit teilt sich in drei Projektphasen, die jeweils den Erkenntnissen der Vorphase und den veränderten Rahmenbedingungen entsprechend modifiziert wurden. Sie unterscheiden sich hinsichtlich Schwerpunktsetzung, Strategie und Projektgebiet (Acción Agraria 1994: 1 ff.). In der ersten Phase von 1981 bis 1985 beschränkte sich das Projekt auf das Obere Huallaga-Tal, umfaßte vier Provinzen und 23 Distrikte. Es erstreckte sich über knapp 47.000 km2. Die Projektaktivitäten konzentrierten sich zwischen Tingo María im Departement Huánuco und der 180 km flußabwärts gelegenen Stadt Puerto Pizana im Departement San Martin. Aufgrund der erheblichen Ausdehnung des Projektgebietes mußten sich die Aktivitäten auf ausgesuchte Gebiete, meist entlang der Straße Carretera Marginal, beschränken. Andere Gebiete mit hohem Agrarpotential wie die gesamte linke Flußseite des Huallaga blieben vom Projekt unberücksichtigt (Acción Agraria 1994: 3). Das ursprüngliche Projektdokument von 1981 sah Projektaktivitäten in folgenden Bereichen vor: Agrarforschung und -beratung, Ausbildung, Agrarkredit, Agrardienstleistungen (farm production services), Erweiterung und Auswertung der Datenbasis, Straßenunterhaltung, Trinkwasser, Sanitäranlagen, Projektverwaltung und -evaluierung (USAID/Peru 1995b: 5). Das Projektbudget für die ersten fünf Jahre betrug 26,5 Mio. US-Dollar. Davon entfielen 41,5% auf Agrarentwicklung, Forschung, Beratung und Ausbildung sowie je 18,8% auf Straßenunterhaltung und Kreditbereitstellung. Die Mittel für Trinkwasser- und Sanitärmaßnahmen fielen in dieser Phase mit 1,8% kaum ins Gewicht (Acción Agraria 1994: 4). Während der zweiten Phase von 1986 bis 1991 verschlechterten sich die Rahmenbedingungen zunehmend: Kokaanbau war zeitweise außerordentlich profitabel, die von Terrorgruppen und Drogenhändlern ausgehende Gewaltanwendung gegen die Bauern und das Projektpersonal hatten bedrohliche Formen 103

Die Unterscheidung UHAD und PEAH erscheint zum Teil etwas kunstlich; zuweilen entsteht sogar der Eindruck, daß von Seiten der Berichtentatter UHAD die positiven Ergebnisse zugeschrieben werden, während fllr Mißerfolge PEAH verantwortlich gemacht wird.

237

angenommen, und das Engagement der peruanischen Regierung in der Region war stark zurückgegangen. Als Reaktion darauf kam es zu Modifizierungen des Vorhabens, die in erster Linie eine Verschiebung der bis dahin überwiegend landwirtschaftlichen Orientierung (crop substitution) in Richtung einer stärkeren Berücksichtigung von Elementen der Gemeindeentwicklung (Trinkwasserversorgung, sanitäre Anlagen, Bildungs- und Gesundheitsprogramme, kommunale Dienstleistungen) zum Inhalt hatten. Die Modifizierung war notwendig geworden, als die Untergrundbewegungen die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Kokavernichtungspolitik nutzten und dem Projektpersonal, das sie mit den Vernichtungsaktionen in Verbindung brachten, eine Fortsetzung ihrer Arbeit in ländlichen Gebieten unmöglich machten. Die meisten staatlichen Einrichtungen hatten die Huallaga-Region verlassen oder ihre Tätigkeiten einstellen müssen, da Personal getötet und Projekte zerstört worden waren (USAID/Peru 1995a: 1). PEAH war - gemeinsam mit UNDCP - zeitweilig die einzige funktionierende öffentliche Institution in der Projektregion. Die ursprüngliche Koordinierungsrolle konnte in dem entstandenen institutionellen Vakuum nicht aufrechterhalten werden, statt dessen mußte das Projekt selbst direkt in die Durchführung von Maßnahmen eingreifen. Es handelte sich meist um konkrete Kleinmaßnahmen mit kurzfristigem Nutzen für die Begünstigten. Darüber hinaus gründete die Umorientierung in Richtung Gemeindeentwicklung in der Erkenntnis, daß unzulängliche Lebensbedingungen und soziale Marginalisierung ein fruchtbarer Boden für den zunehmenden Terrorismus und die wachsende Drogenwirtschaft darstellten. Mit einer Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen sollte dem Terrorismus und der Drogenwirtschaft der Boden entzogen werden. Ab 1989 entwickelte PEAH eine eigene Identität, die sich deutlich von der der Kokavernichtungsinstitutionen unterschied. Die enge Verknüpfung von Kokavernichtungsoperationen und Entwicklungsmaßnahmen wurde aufgegeben. Damit hatte sich die Akzeptanz bei der Bevölkerung verbessert, die Zerstörung von Projekteinrichtungen durch Terroraktionen hielt jedoch an. Eine Bekämpfung des Drogenhandels, die institutionell von den Entwicklungsmaßnahmen getrennt ist, stellte allerdings auch weiterhin eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg von Entwicklungsmaßnahmen dar, da dadurch die Kokapreise auf einem niedrigen Niveau gehalten wurden. Die dritte Phase (1992-1993) des UHAD-Projektes war gekennzeichnet durch eine gesunkene Wirtschaftlichkeit des Kokaanbaus, ein gestiegenes Interesse der Bevölkerung an legalen Einkommensalternativen, insbesondere an rentablen neuen Kulturen, und eine zurückgegangene Gewaltanwendung gegen PEAH-Mitarbeiter und staatliche Angestellte. Diesen positiven Aspekten standen allerdings eine Reihe von im Vergleich zu den vorangegangenen Phasen ungünstigeren Voraussetzungen gegenüber. Im besonderen hatte sich die Ver238

kehrsinfrastruktur verschlechtert und damit die Vermarktungskosten sowie die Isolation abgelegener Ortschaften erhöht. Öffentliche Agrardienstleistungen (Forschung, Beratung, Kreditwesen) waren weiterhin nicht vorhanden oder stark defizitär. Aus dieser veränderten Situation resultieren weitere strategische Modifikationen bezüglich des Projektziels und der Projektaktivitäten. Das revidierte Projektziel lautete nun: "...lo support the Government of Peru's alternative development objectives in the Huallaga Valley by strengthening local government and Community participation in the alternative development process, improving physical and social infrastructure and promoting agricultural activities which replace illicit crops" (Acción Agraria 1994: 13).

Im Mittelpunkt der neuen Projektstrategie standen das Irttegrated Cuenca Development-Konzept (ICD), das die Entwicklung von cuencas (in der Regel kleinere Flußläufe mit existierendem oder möglichem Kokaanbau) forcierte sowie die Democratic Community Deve/op/we«r-Komponente (DCD). Bei letzterem handelt es sich um vertrauensbildende, kurzfristig erfolgswirksame Maßnahmen zur Schaffung günstiger Voraussetzungen für die Durchfuhrung des ICD. In einem ersten Schritt sollten über das DCD die öffentliche Präsenz wiederhergestellt und dann in einem zweiten Schritt die ICD-Maßnahmen durchgeführt werden. Die Strategie der dritten Phase bedeutete die volle Übernahme des Konzeptes der Alternativen Entwicklung. Sie zielte auf die allgemeine Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Steigerung von Privatinvestitionen und auf die Erhöhung der Lebensqualität ab. Darüber hinaus kam es zu einer räumlichen Ausweitung der Projektaktivitäten auch auf das Mittlere Huallaga-Tal. Das bedeutendste Einzelvorhaben in der dritten Phase war die Finanzierung der am 17. August 1993 von Präsident Fujimori eingeweihten 263 m langen Picota-Brücke über den Huallaga-Fluß. Damit wurden die beiden Seitentäler Ponaza und Biabo mit etwa 20.000 Menschen an die Carretera Marginal und das landesweite Verkehrsnetz angebunden. Mit der Konstruktion der Brücke und der Instandsetzung von etwa 50 km Verbindungswegen haben sich die Vermarktungsmöglichkeiten für legale Produkte deutlich verbessert. Der US-amerikanische Anteil am Gesamtbudget über die zwölf Jahre in Höhe von rund 31 Mio. US-Dollar teilt sich, differenziert nach Züschuß- und Kreditanteil, wie folgt auf104:

eigene Ausarbeitungen nach: USAID/Peni (1995b: 24).

239

Zuschuß (in Mio. US-$) Forschung Beratung (extension) Ausbildung (training) Agrarkredit Production Services Resource Information Straßenunterhaltung Trinkwasserversorgung Proj ektverwaltung Gemeindeentwi cklung Sonstiges Gesamt

1,6 3,6 1,0 0,2 0,2 0,4 4,3 0,2 1,0 3,4 0.2 16,1

Kredit (in Mio. US-$) 1,4 2,1 0,9 3,0 0,6 0,3 4,3 0,6 1,7 0,1 15,0

gesamt in % 9,6 18,3 6,1 10,3 2,6 2,3 27,7 2,6 8,7 11,2 0.6 100,0

6.3.2. Wirkungen des Upper Huallaga Area Development Project (UHAD) Eine Beurteilung des US-amerikanischen Engagements im Huallaga-Tal muß vor dem Hintergrund der schwierigen Situation dort und der sich aus der speziellen Rolle der USA in der Drogenbekämpfung ergebenden Konflikte betrachtet werden. Die Rolle und das Ansehen der USA sind in Peru historisch bedingt problematisch, und von einem Großteil der Bevölkerung werden die USA für die internen Probleme Perus verantwortlich gemacht. Die verbreiteten Ressentiments in der peruanischen Bevölkerung gegen die USA, ihre Vertreter und auch ihre Entwicklungsmaßnahmen werden teilweise durch unsensibles und ungeschicktes US-amerikanisches Vorgehen weiter verstärkt. Daraus resultiert eine im Vergleich zu anderen Gebern, insbesondere zu den neutralen Vereinten Nationen, ungünstigere Ausgangssituation für die Durchführung von Maßnahmen. US-amerikanische Vorhaben sehen sich einem latenten Mißtrauen und verstärkten Angriffen (verbal und materiell) ausgesetzt. Zwei Evaluierungsberichte (USAID/Peru 1995b: 43) bescheinigen dem Projekt einen hohen Grad an Zielerreichung und konstatieren, daß das Vorhaben unter Berücksichtigung der schwierigen Rahmenbedingungen während der Projektlaufzeit erfolgreich war. Der USAID Project Assistance Completion Report untermauert die Aussage mit verschiedenen Indikatoren (USAID/Peru 1995b: 8):

240

Geplantes Ergebnis Ausbildung von Fachleuten

Ergebnis bei Projektende Etwa 70% der Absolventen sind noch in der Region tätig.

Verbesserung landwirtschaft- Verbesserte Reis-, Mais-, Bananen-, Bohnen-, licher Technologie Kakao- und Papayasorten wurden eingeführt. Vereinbarungen mit der lokalen Universität (UNAS) und dem Nationalen Agrarforschungsinstitut (INIA) zur Erprobung nichttraditioneller Kulturen und organischen Düngers wurden umgesetzt. Verbesserung der Kulturen Bei lokalen Bauern wurden Anlagen zur Nachzucht neuer Varietäten etabliert. Im Projekt wurden sowohl für kurzfristige als Erweiterung des Kreditauch für mittelfristige Kredite Marktzinsen systems durchgesetzt. Verbesserung der Agrardienstleistungen

Dienstleistungen in den Bereichen Marketing und Landtitelvergabe wurden bereitgestellt. UNAS und INIA unterstützten Vieh- und Landwirtschaftsberatungsdienste, Ausbildung für Berater und technische Hilfe für die Bauern.

Reduzierung der Transportkosten

Die Straßenverbesserungen verringerten die Reisezeit zwischen Tingo María und Tocache um 60%. Der Bau der Picota-Brücke und die Instandsetzung der Hauptstraße im PonazaTal reduzierten die Transportkosten um 5 0 % und die Reisezeit um 80% zwischen Picota und Ponaza.

Leider sind die Ergebnisse außer den Angaben zur Ausbildung und zu den Transportkosten nur qualitativ und erlauben keine Beurteilung der tatsächlichen Wirksamkeit. Bei beiden Evaluierungsberichten fällt eine gewisse Scheu vor quantitativen Angaben zu den Projekterfolgen auf. Werden Ergebnisse mit Zahlen belegt, dann sind sie kaum überzeugend, wie nachfolgende Aufstellung der Produktionszuwächse während der Projektdauer zeigt (USAID/Peru 1995b:

9).

241

Zielindikator

Ergebnis

Reisproduktion Maisproduktion Bananenproduktion Maniokproduktion

Steigerung Steigerung Steigerung Steigerung

von von von von

3.300 t (1980) 8.4001 (1980) 31.200 t (1980) 27.5001 (1980)

auf auf auf auf

3.901t 9.050 t 80.732 t 57.535 t

(1992) (1992) (1992) (1992)

Die Erzeugung der beiden Produkte mit externem Markt, Reis und Mais, hat sich in den zwölf Jahren nur unwesentlich erhöht. Bei Banane und Maniok handelt es sich in der Regel um Subsistenzprodukte, die die Kokabauern neben dem Kokaanbau für die Eigenversorgung erzeugen. Vergleicht man die Ausdehnung der Produktion von Banane und Maniok mit dem Bevölkerungszuwachs in der Projektregion, die im gleichen Zeitraum von 130.000 auf 320.000 (USAID/Peru 1995b: 1) Personen anstieg, dann ist die oben dargestellte Produktionssteigerung eher ein zwingendes Resultat der Bevölkerungszunahme und weniger ein positives Projektergebnis. Auch stehen die oben genannten allgemein positiven Projektwirkungen im Widerspruch zu den zum Teil sehr kritischen Ausfuhrungen in den Evaluierungsberichten: • Die enge (institutionelle) Verknüpfung von Entwicklungsmaßnahmen und gewaltsamer Kokavernichtung hat dem UHDP/PEAH sehr geschadet. Auf der einen Seite kam es zu Gewaltreaktionen der Bauern gegen das Kokavernichtungsprogramm, da sie ihre einzige sichere Einkommensquelle in Gefahr sahen und verteidigten. Die gewaltsamen Vernichtungsaktionen bereiteten einen fruchtbaren Boden für die Erfolge der Terrorgruppen, die sich als 'Verteidiger des Kokaanbaus' zweifelhafte Legitimität verschafften. Das UHDP/PEAH-Projekt wurde unausweichlich mit den repressiven Vernichtungsmaßnahmen in Verbindung gebracht und büßte einen großen Teil seines Vertrauens und Einflusses ein. Darüber hinaus lähmte die Angst vor Vergeltungsmaßnahmen die Projektarbeit. • Auf der anderen Seite waren Entwicklungsmaßnahmen und Vernichtungsaktionen nicht immer kompatibel, da die Anbaugebiete von Koka häufig nicht mit denen legaler Kulturen übereinstimmten. Ein Großteil der Kokafelder befindet sich in Hanglagen, die für die meisten legalen Kulturen ungeeignet sind. Die Erwartung, daß nach den Vernichtungsoperationen das UHDP/ PEAH-Projekt mit technischer und wirtschaftlicher Hilfe Ersatz für die zerstörten Kulturen schaffen sollte, war in aller Regel nicht zu erfüllen (Acciön Agraria 1994: 1). • Von Beginn an stand die große Flächenausdehnung des Projektes im Ungleichgewicht zu den vorhandenen finanziellen Ressourcen. Es wurden hohe Erwartungen bei der Zielbevölkerung geweckt, die kaum erfüllt werden konnten. In der Folge mußte sich das Projekt auf einige begrenzte Gebiete 242

meist entlang der Carretera Marginal - beschränken. Dabei kam die linke Flußseite des Oberen Huallaga ebensowenig in den Genuß von Fördermaßnahmen wie viele der Seitentäler des Huallagaflusses. Mit einer Fläche von etwa 20.000 ha erfaßten die Projektmaßnahmen rund ein Sechstel der landwirtschaftlich genutzten Fläche (Acción Agraria 1994: 3). Wald- und Schutzzonen waren aus der Projektforderung ausgenommen. Damit konnte das UHAD/PEAH-Projekt der dramatisch zunehmenden Umweltzerstörung nicht begegnen, bei der weite Waldgebiete durch unkontrollierten Holzeinschlag und Brandrodung der Migranten vernichtet wurden. Das UHDP/PEAH-Projekt war nicht in der Lage, seine Kontroll- und Koordinierungsfunktionen wirkungsvoll zu erfüllen. Ursprünglich als Koordinierungs- bzw. Managementeinheit konzipiert, sah sich das Projekt immer stärker mit direkten Durchführungsaufgaben konfrontiert. Die Zahl der anfanglich vorgesehenen, lokalen Partnerorganisationen erhöhte sich im Lauf der Projektdurchführung deutlich, wodurch die Managementkapazitäten des Projektes überbeansprucht wurden. Die anschließende Vergabe von Unteraufträgen brachte mangels geeigneten Personals und angemessener Berichtsund Kontrollverfahren keine befriedigenden Ergebnisse, so daß die meisten Verträge wieder aufgelöst wurden (Acción Agraria 1994: 25). Ein Problem für die Projektdurchführung war das Fehlen eines vernünftigen Monitoringsystems im Projekt selbst. Erschwerend kam hinzu, daß die Komplexität des Projektes die Tendenz verstärkte, einzelne Projektaktivitäten so durchzuführen, als wären sie eigenständig und unabhängig. Dies erhöhte die Probleme bei der Koordinierung und dem Monitoring der Aktivitäten zusätzlich. Der landwirtschaftliche Beratungsdienst verfügte über kein Beratungsnetzwerk, welches es erlaubt hätte, technische Probleme der Bauern zu lösen, die über den individuellen Kenntnisstand der lokalen Berater hinausgingen. Existierende Netzwerke der Nationalen Universität oder des Nationalen Agrarforschungsinstitutes wurden nicht genutzt. Einer der schwerwiegenderen Kritikpunkte am UHAD/PEAH-Vorhaben bezieht sich auf die Defizite im Bereich der AgrarfÖrderung, insbesondere auf deren geringen Umfang. Die Projektaktivitäten im Agrarbereich sind sowohl hinter der Zielsetzung als auch hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Der Evaluierungsbericht von Acción Agraria (1994: 11) stellt fest: "PEAHdid not provide alternative economic activities, primarily agricultural production schemes, for coca producers who wished to abandon coca production." Die strategische Modifizierung des Projektes in Richtung verstärkter Gemeindeentwicklung ging auf Kosten der AgrarfÖrderung und hat nicht dazu geführt, die Agrarproduktion zu erhöhen und zu diversifizieren. Damit konnte zu dem originären Ziel, Einkommensalternativen zur Kokaproduktion zu schaffen, kein direkter Beitrag geleistet werden. 243

• Nicht weniger gravierend sind die Aussagen des Evaluierungsberichtes zu den Wirkungen der AgrarfÖrderung. Demnach gibt es keine Anzeichen, daß die landwirtschaftliche Diversifizierung im Projektgebiet der Zielbevölkerung wirtschaftliche Vorteile gebracht hat. Es gibt kein Monitoringsystem, welches die Einfuhrung neuer oder verbesserter Pflanzen überprüfte bzw. die ökonomischen Wirkungen und die Akzeptanz ermittelte. Bemängelt wird auch das Fehlen von Wirtschaftlichkeits- und Marktanalysen vor Beginn der Projektaktivitäten. • Die AgrarfÖrderung orientierte sich zu stark auf die Produktion und berücksichtigte Vermarktungsaspekte zu wenig oder überhaupt nicht. Dies sind Mängel der Projektkonzeption, die dazu führten, daß Marktrealitäten nicht beachtet und verschiedene Kulturen (Achiote, Kakao) trotz negativer Marktentwicklung empfohlen und gefordert wurden. • Auch die Agrarkreditkomponente war nicht erfolgreich und mußte eingestellt werden, nachdem 80% der Betriebsmittel- und 90% der Investitionskredite rückständig waren. Die Kredite waren häufig für Produktionslinien vergeben worden, bei denen eine Wirtschaftlichkeit nicht oder noch nicht gegeben war (Acción Agraria 1994: 24). • 1992 initiierte das Projekt einen Plan zum Aufbau einer kleinen Agroindustrie. Elf Anlagen zur Weiterverarbeitung von Banane, Maniok, Reis, tropischen Früchten und zur Herstellung von Mischfutter wurden errichtet. Doch nach anfanglich großem Interesse seitens der Bevölkerung reduzierte sich die Unterstützung, als erste Schwierigkeiten auftraten und die Erwartungen bezüglich verbesserter Vermarktungsmöglichkeiten durch die Weiterverarbeitung sich nicht erfüllten. Acción Agraria (1994: 24, 37) stellt fest: "...these plañís have been afailure without any major impact ort the local economies". • Auch die in verschiedenen Gemeinden eingeführte Teichwirtschaft hat nicht die erwarteten Resultate erbracht. Die meisten Fischteiche wurden aufgrund von Schwierigkeiten in der Bewirtschaftung, unbefugten Fischentnahmen und enttäuschter Hoffnungen hinsichtlich erwarteter Einnahmen aufgegeben (Acción Agraria 1994: 38). Den kritischen Aspekten können folgende positive Wirkungen gegenübergestellt werden: • Die Tatsache, daß das Projekt seine Aktivitäten auch während der kritischen Phase regelmäßiger Terroranschläge aufrechterhielt, verdient höchste Anerkennung. Die Signalwirkung der Präsenz des UHDP/PEAH-Projekts in dieser Zeit ist hoch einzuschätzen. Nach dem Zurückdrängen des Einflusses der Untergrundorganisationen konnte auf verbliebene Strukturen zurückgegriffen werden. Der Neuaufbau wäre um ein Vielfaches schwieriger gewesen. • Das Gemeindeentwicklungsprogramm ist positiv zu bewerten, da es die Anwesenheit und den Einfluß öffentlicher Institutionen aufrechterhielt und 244

stärkte. Die Bevölkerung partizipierte an den Maßnahmen, und es zeigte sich, daß mit Beteiligung der Bevölkerung erstellte infrastrukturelle Einrichtungen in wesentlich geringerem Umfang von subversiven Kräften zerstört wurden. • Die Arbeiten im Bereich der Verkehrsinfrastruktur haben zu einer Integration verschiedener Abschnitte und Seitentäler des Huallaga-Tales in die regionale Wirtschaft beigetragen. Allerdings stellt die teilweise defizitäre Verkehrsanbindung außerhalb des Projekteinflußbereichs noch immer ein Hindernis für die Vermarktung in die wichtigsten Konsumentenmärkte der Küstenregion dar. Straßenbau und -Unterhaltung werden von der lokalen Bevölkerung allgemein sehr positiv und als wesentlich für die wirtschaftliche Erholung beurteilt, insbesondere in den Tälern von Ponaza und Biabo.

6.3.3. Zusammenfassende Wertung und Erkenntnisse (lessons learned) Eine Bewertung der Projektwirkungen muß im Kontext der extrem schwierigen Ausgangsbedingungen für jegliche Art von Entwicklungsmaßnahmen gesehen werden. Die US-Maßnahmen sahen sich mit einer äußerst kritischen Sicherheitslage sowie mit verbreiteten Ressentiments gegen US-amerikanisches Engagement im Drogenbereich konfrontiert. Große Defizite sind im Bereich der AgrarfÖrderung festzustellen. So hat das UHAD/PEAH-Vorhaben nicht zu einer Schaffung legaler Einkommensmöglichkeiten für Kokabauern beigetragen, die den Kokaanbau aufgeben wollten. Weiterhin gilt die Flächenausdehnung des Projektes als zu groß. Die Vernachlässigung von Umweltaspekten und das unzureichende Evaluierungs- und Monitoringsystem sind weitere Kritikpunkte. Der Einfluß des Projektes auf die Beschäftigung war indirekt und bezog sich überwiegend auf den Transport-, Handels- und Dienstleistungssektor. Die Wirkung auf die landwirtschaftliche Beschäftigung war sehr gering und lokal begrenzt (Acción Agraria 1994: 38). Auch die Einkommenswirksamkeit des UHAD/PEAH-Projekts ist gering zu bewerten. Allerdings hat das Vorhaben für eine Alternative Entwicklung im Huallaga-Tal grundlegende Voraussetzungen geschaffen, und es wurden wesentliche Erfahrungen gesammelt. Ein Wechsel vom Kokaanbau zu legalen Kulturen in größerem Umfang erfordert einen längeren Zeithorizont und günstigere Ausgangsbedingungen, als im UHAD/PEAH-Projekt gegeben waren. Das Bewußtsein in bezug auf Notwendigkeit und Möglichkeiten einer legalen Wirtschaft wurde gestärkt und beginnt die Denk- und Verhaltensweise der Bevölkerung zu beeinflussen. Bei zukünftigen Maßnahmen sind die Probleme in den Bereichen Vermarktung, Forschung und Beratung, Technische Zusammenarbeit und Straßenunterhaltung gezielt zu bearbeiten und zu lösen. 245

Das Projekt hat im Rahmen seiner Aktivitäten der Gemeindeentwicklung (Community Development) einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau der lokalen Administration und zur Beteiligung der Bevölkerung an demokratischen Entscheidungsprozessen geleistet. Allerdings handelte es sich dabei um keinen nachhaltigen Prozeß, da die soziale und politische Mobilisierung ohne die Projektunterstützung deutlich an Schwung verlor. Gewaltsame Kokavernichtung hat in aller Regel in Peru keinen Erfolg. Die bis 1989 durchgeführten Vernichtungsaktionen haben die Anstrengungen zur Reduzierung der Kokaflächen nur erschwert, da sie die Kokabauern gesellschaftlich ausgegrenzt und das Anwachsen des Terrorismus gefordert haben. Das Vertrauen bei der Bevölkerung ging verloren, es kam zu Vergeltungsmaßnahmen, die Kokabauem wurden in die Illegalität und in die Hände der Untergrundgruppen gedrängt, und schließlich waren die beiden Ansätze auch technisch nicht kompatibel. In einigen Fällen trugen die Vernichtungsprogramme zu einer Verstärkung der Umweltzerstörung bei, weil viele Kokabauern den Anbau in entlegenere, oft geschützte Waldgebiete verlagerten und dabei umfangreiche Flächen rodeten. Alternative Entwicklungsprogramme müssen, um erfolgreich zu sein, die Bauern überzeugen, ihre Kokaflächen freiwillig zu verringern. Eine nachhaltige Reduzierung von Kokaflächen wird nicht durch einfaches Vernichten der Kokapflanzen erreicht, sondern durch eine ökonomisch bedingte Verhaltensänderung der Kokabauern (USAID/Peru 1995b: 4). Starke Lokalregierungen, die über einen wirkungsvollen Partizipationsmechanismus verfugen, sind die Voraussetzung einer auf legalen Aktivitäten basierenden nachhaltigen, sozialen und ökonomischen Entwicklung. Eine effektive und umfassende Partizipation der Bevölkerung hat zu einer Identifizierung mit den Entwicklungsbemühungen gefuhrt, bei denen die Bevölkerung eine aktive Rolle spielte, den Einfluß des Terrorismus zurückdrängte, die Herausbildung von organisiertem Widerstand gegen Drogenhändler erleichterte und die Grundlage für Vereinbarungen zur Verringerung des Kokaanbaus bildete. Law e«/örce/we«/-Maßnahmen werden aus verschiedenen Gründen als notwendig erachtet. Sie sollen den Drogenhandel unterbinden, die Erwartungen der Kokabauem hinsichtlich verläßlicher und lohnender Einnahmen aus dem Kokaanbau reduzieren, Sicherheit für die Entwicklung legaler Aktivitäten gewährleisten und schließlich das Risiko und die Kosten von illegalen Tätigkeiten erhöhen. In Peru müssen Alternative Entwicklungsprogramme wegen der wirtschaftlichen, sozialen, politischen, ökologischen und kulturellen Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen und innerhalb der Regionen flexibel gestaltet werden. Isolierte Entwicklungsaktivitäten haben keine nachhaltige Wirkung. Maßnahmen der Alternativen Entwicklung müssen breit angelegt sein ur.d sowohl die sozialen als auch die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Zielbevölkerung berücksichtigen. 246

6.3.4. Alternative Development Project Bevor das UHAD-Projekt 1993 zu Ende ging, wurden Planungen für ein Nachfolgevorhaben in die Wege geleitet, dessen Beginn für das Jahr 1994 vorgesehen war. Aufgrund einer Revision der US-amerikanischen Drogenpolitik wurde jedoch 1994 kein neues Vorhaben gebilligt, und erst 1995 begannen die USA ein Nachfolgevorhaben, das Alternative Development Project. Projektoberziel (goal) ist die Verringerung des Kokaanbaus im Projektgebiet in Übereinstimmung mit dem Nationalen Drogenplan Perus. Projektziel (purpose) ist die Erhöhung der Beschäftigung und der Einkommen in den Projektregionen, was einen direkten Beitrag zur Erreichung des Oberziels leisten soll (USAID/Peru 1995a: 9). Im Vergleich zum Vorgängerprojekt UHAD sind die Ziele mehr auf die Grundproblematik des Kokaanbaus ausgerichtet und benennen nicht mehr direkt die Agrarforderung als Ziel. Das Projekt wird in ausgewählten Flußeinzugsgebieten durchgeführt, in denen der Kokaanbau eine bedeutende Einnahmequelle für die Bevölkerung ist. Die Gebiete liegen in den fünf Hauptanbauregionen (Oberes Huallaga-Tal, Aquaytia, Mittleres Huallaga-Tal, Pichis Palcazu, Apurimac-Tal) und wurden nach ihren Potentialen sowohl für nachhaltige Entwicklung, insbesondere im Agrarbereich, als auch für eine Verringerung des Kokaanbaus ausgesucht. Im allgemeinen verfügen die Gebiete über gute, für den Anbau von Marktfrüchten nutzbare Böden, geeignete Basisorganisationen, mit denen Vereinbarungen über die Verringerung des Kokaanbaus getroffen werden können, und über ein Potential zum Aufbau kleiner Weiterverarbeitungsanlagen für landwirtschaftliche Produkte. Daneben spielt bei der Auswahl der Gebiete die Intensität des Kokaanbaus, der Umfang des Drogenhandels und die Sicherheitslage eine Rolle. Das Vorhaben fordert einkommenschaffende Aktivitäten, kleinere soziale Infrastrukturmaßnahmen, die Reaktivierung der Privatwirtschaft, komplementäre Infrastrukturmaßnahmen sowie staatliche und lokale Träger, die in der Projektdurchführung beteiligt sind. Drei wechselseitig verbundene und sich gegenseitig verstärkende Projektkomponenten sollen zur Zielerreichung beitragen: Die beschäftigungs- und einkommenschaffende Komponente (Employment and Income Generation Component - EIG) soll den Kokaanbau im Projektgebiet reduzieren helfen und die peruanischen Institutionen dabei unterstützen, legale einkommenschaffende Aktivitäten zu entwickeln und durchzuführen. Dabei werden insbesondere die Produktion und Weiterverarbeitung solcher landwirtschaftlicher Erzeugnisse gefordert, die über ein nachhaltig einkommenschaffendes Potential verfügen. Aktivitäten mit kurz- und mittelfristigen Ergebnissen innerhalb einer sechsmonatigen bis dreijährigen Periode werden bevorzugt. Die Agrarunterstützung umfaßt unter anderem angewandte Forschung und Beratung für Mais, Baumwolle, Kakao, Viehhaltung, Futterproduktion, Reis, 247

Boden-, Wald-, Wasser- und Weidebewirtschaftung. Darüber hinaus wird Warenhilfe für die Ausstattung von Forschungslabors gewährt, Technische Zusammenarbeit bei der Erstellung von Studien der landwirtschaftlichen Vermarktungs- und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten in die Wege geleitet, marketing assistance sowie Beratung in den Bereichen Kreditwesen, Kreditsicherung und Finanzplanung angeboten. Gemeindeentwicklung ist die zweite Komponente des Projektes. Die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für einkommenschaffende Maßnahmen, für selbstbestimmte Partizipation bei Entwicklungsaktivitäten und für den Zugang zu Basisdienstleistungen sind Anreize zur Aufgabe der Kokaproduktion. Die vergleichsweise kleinen und kurzfristig wirksamen Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Sanitär- und Trinkwasserversorgung, Kleinbewässerung, Gemeindeorganisation und Umweltschutz sollen von den lokalen Organisationen wirkungsvoll eingeführt und unterhalten werden können. Die dritte Komponente - Umweltschutz und Umweltbewußtsein - wird als notwendig erachtet, da die laufende Umweltzerstörung durch den Kokaanbau und nicht standortgerechte Produktionsmethoden langfristig die legale Produktionsbasis gefährden. Technische Hilfe und Fortbildung für angepaßte Anbaumethoden, Boden- und Wassermanagement, landwirtschaftliche Nachhaltigkeit und Wiederaufforstung werden vom Projekt bereitgestellt. Die Durchführungsverantwortung der einzelnen Aktivitäten und Maßnahmen liegt formell in den Händen der peruanischen Regierung. Das Präsidialministerium (Ministerio de la Presidencia - MIPRE) und das dort angesiedelte Sekretariat für Internationale Technische Zusammenarbeit (Secretaría Ejecutiva de Cooperación Técnica Internacional - SECTI) übertragen die Koordinierungsund Kontrollverantwortung an INADE. INADE verbindet die verschiedenen Vorschläge in einer von USAID genehmigten Jahresarbeitsplanung. Mit der Durchführung der Einzelmaßnahmen beauftragt INADE geeignete lokale Organisationen, die über speziell entwickelte Auswahlverfahren identifiziert werden. Ein wesentliches methodisches Element ist die Konditionierung der Zusammenarbeit mit den beteiligten Bauerngruppen und Gemeinden, die sich im Rahmen von Vereinbarungen verpflichten, in einem festgesetzten Zeitraum eine vorgeschriebene Kokafläche durch legale Produktion oder Wiederaufforstung zu ersetzen. Der Umfang des Kokaanbaus soll von staatlichen Stellen vor Beginn der Projektaktivitäten bestimmt und die Reduzierung überprüft werden. Das Gesamtbudget des Vorhabens beläuft sich auf 44 Mio. US-Dollar. Von US-amerikanischer Seite stehen 30 Mio. US-Dollar über einen Zeitraum von fünf Jahren zur Verfügung. 14 Mio. US-Dollar übernimmt die peruanische Regierung, wovon 10 Mio. US-Dollar Mittel des PL 480 Titels sind, die der peruanischen Regierung zur eigenständigen Verwendung zur Verfügung gestellt

248

werden, und 4 Mio. US-Dollar direkt aus dem peruanischen Staatshaushalt stammen (USAID/Peru 1995a: 20). Ein Management Information System (MIS) soll das Vorhaben bei den erforderlichen Aufgaben im Bereich Koordinierung, Monitoring und Evaluierung unterstützen. Über die Wirkungen des Alternative Development Project sind aufgrund der kurzen Laufzeit seit Mitte 1995 noch keine Aussagen möglich. Die Projektformulierung ist jedoch mit großer Sorgfalt vorgenommen worden und berücksichtigt die lessons learned des Vorgängerprojektes. Gemeinsam mit den deutlich verbesserten Rahmenbedingungen im Vergleich zum UHAD-Vorhaben läßt dies einen positiveren Projektverlauf mit einem substantiellen Beitrag zur Zielerreichung erwarten.

6.4. Maßnahmen anderer Geber 6.4.1. Deutschland Mit den USA und Kanada ist Deutschland der dritte bilaterale Geber, der sich in größerem Umfang für Entwicklungsmaßnahmen zur Eindämmung des Kokaanbaus in Peru engagiert. Das BMZ unterstützt Peru mit einem umfassenden und vielseitigen Maßnahmenpaket. Die Vorhaben umfassen zum einen Pilotprojekte zur Erprobung innovativer Ansätze der Alternativen Entwicklung bzw. legaler Einkommensalternativen. Zum anderen werden Maßnahmen der Alternativen Entwicklung direkt in den Kokaanbaugebieten oder in potentiellen Kokaanbaugebieten durchgeführt. Auch in Abwanderungsgebieten, aus denen Menschen in die Kokaanbaugebiete migrieren, sind Maßnahmen zur Verbesserung der dortigen Lebens- und Einkommensverhältnisse in Vorbereitung. Das deutsche Engagement in diesem Bereich ist vergleichsweise neu - die ersten Zusagen erfolgten 1990. Aufgrund der teilweise sehr langen Prüfphasen deutscher Durchführungsorganisationen sind die Vorhaben der Finanziellen Zusammenarbeit noch in Vorbereitung. Auch für die Vorhaben der Technischen Zusammenarbeit liegen in der Regel noch zu wenig Erfahrungen für eine fundierte Beurteilung der Wirksamkeit vor. Charakteristisch für die deutschen Vorhaben ist die Freiwilligkeit bei der Reduzierung bzw. eine Nicht-Konditionierung der Leistungen an quantitative Vorgaben zur Flächenreduktion. Dabei werden längerfristigen Maßnahmen die größten Aussichten auf nachhaltige Wirkungen beigemessen. Übersicht 55 faßt die von deutscher Seite unterstützten Projekte in Peru zusammen.

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