Museum und Inklusion: Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe 9783839444207

How can inclusive education at the museum be successful for students with a cognitive handicap - even beyond the educati

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Museum und Inklusion: Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe
 9783839444207

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Grußwort der Kulturstiftung des Bundes
Wie normal es ist, verschieden zu sein
Museum inklusive
Das Museum als sozialer Ort zwischen Museumspädagogik und Sozialarbeit
Vom unbekannten zum vertrauten Ort – neue Besucherinnen und Besucher im Museum
»Zwei sind allemal besser dran …«
mehr ¬ Sinn® Geschichten erzählen, erleben und verstehen
»Geschichten, die das Leben schreibt«
Volxkultur im Museum
Workshop »Partizipative Zugänge«
Workshop »Mit allen Sinnen«
Workshop »Biografische Zugänge«
Workshop »Leichte Sprache im Museum?«
Perspektiven im Dialog
Abbildungen
Autorinnen und Autoren

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Bärbel Maul, Cornelia Röhlke (Hg.) Museum und Inklusion

Edition Museum  | Band 34

Bärbel Maul, Cornelia Röhlke (Hg.)

Museum und Inklusion Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Cornelia Röhlke, Rüsselsheim, 2017, Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim Korrektorat: Demian Niehaus, Nürnberg Satz: Michael Rauscher, Bielefeld Produktion: Die Produktion, Köln Print-ISBN 978-3-8376-4420-3 PDF-ISBN 978-3-8394-4420-7 EPUB-ISBN 978-3-7328-4420-3 https://doi.org/10.14361/9783839444207 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Projekt »StadtMuseum inklusive« Gefördert im Fonds Stadtgefährten der

Herausgegeben im Auftrag des Magistrats der Stadt Rüsselsheim am Main

Inhalt

Vorwort Bärbel Maul, Cornelia Röhlke | 7

Grußwort der Kulturstiftung des Bundes Carl Philipp Nies | 11

Wie normal es ist, verschieden zu sein Andreas Grünewald Steiger | 13

Museum inklusive Herausforderungen für die Erwachsenenbildung für und mit Menschen mit geistiger Behinderung Werner Schlummer | 17

Das Museum als sozialer Ort zwischen Museumspädagogik und Sozialarbeit Bernhard Graf | 33

Vom unbekannten zum vertrauten Ort – neue Besucherinnen und Besucher im Museum Das Projekt »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!« Cornelia Röhlke | 45

»Zwei sind allemal besser dran …« Eine Par tnerschaft für Inklusion und ihre Wirkung Bärbel Maul, Steffen Walther | 63

mehr ¬ Sinn ® Geschichten erzählen, erleben und verstehen Barbara Fornefeld | 73

»Geschichten, die das Leben schreibt« Biografiearbeit im Museum für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Ines Bader | 85

Volxkultur im Museum Theaterarbeit mit heterogenen Gruppen als Zugang für Menschen mit kognitiven Einschränkungen Matthias Gräßlin | 97

Workshop »Partizipative Zugänge« Henriette Pleiger, Birgit Baumgart | 111

Workshop »Mit allen Sinnen« Birgit Tellmann, Melanie Knaup | 121

Workshop »Biografische Zugänge« Ann-Katrin Adams, Börje Nolte | 131

Workshop »Leichte Sprache im Museum?« Anne-Kathrin Berg | 141

Perspektiven im Dialog Projektwerkstatt Sabine Jank, Cornelia Röhlke | 147

Abbildungen  | 151 Autorinnen und Autoren  | 161

Vorwort

»Wir wollen mit dabei sein« – das ist die treffende Formel, auf die einer unserer Besucher aus den Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e. V. den Wunsch von Menschen mit Unterstützungsbedarf nach kultureller Teilhabe brachte. Und dafür muss man nicht die viel zitierte und noch relativ junge Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) ins Feld führen. Bereits in deren Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 heißt es: »Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen […]« Das Museum für alle ist kein neuer Gedanke und bedeutete in den letzten vier Jahrzehnten stets eine weitere Öffnung und Bewegung. Viele Museen haben sich seit den 1970er Jahren auf diesen Weg heraus aus ihrem Elfenbeinturm gemacht, und das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim ist eines davon. Für sein Konzept zur Präsentation der Geschichte der Arbeit wurde es als erstes deutsches Museum mit dem Museumspreis des Europarats ausgezeichnet. Kenneth Hudson, der große englische Museumserzähler, erklärte es zum ersten Museum mit einem sozialen Gewissen. Seitdem hat die Erde sich weitergedreht und die Museen mit ihr. War es in den 1970ern noch revolutionär, die Bedingungen und Wirkweisen von industrieller Produktion im Museum zu präsentieren, ist dies heute längst in vielen Industriemuseen Alltag. Was noch immer nicht vollständig gelungen ist, obwohl wir daran seit mehr als drei Jahrzehnten arbeiten, ist die Öffnung des Museums für Menschen, die nicht dem gut situierten, mobilen und bestens ausgebildeten Bürgertum angehören. Das bezieht sich nicht nur, aber ganz besonders auch auf Besucherinnen und Besucher mit Handicap. Erst in den vergangenen zehn Jahren hat die Debatte um Inklusion Fahrt aufgenommen, werden die Häuser, ihre Medien und Vermittlungsformen auf möglicherweise vorhandene Barrieren hin untersucht.

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Bärbel Maul, Cornelia Röhlke

Uns scheint die Diskussion um Inklusion im Vergleich mit der um die Frage nach dem Museum in der Einwanderungsgesellschaft zuweilen etwas mechanistisch geraten: Haben wir genug Induktionsschleifen für Hörgeschädigte? Ist ein Leitsystem für Menschen ohne Augenlicht vorhanden? Wie sieht es mit Fahrstühlen aus? Gibt es Texte in Leichter Sprache? Eine App in Gebärdensprache? Und ist die Website barrierefrei? Das alles ist wichtig, um das Museum als Einrichtung barrierefrei zu machen. Aber reicht das eigentlich? Inklusion fängt beim Abbau physischer Barrieren erst an. Gelebt wird sie – und dies ist ein Ergebnis vieler Pilotprojekte, auch von »StadtMuseum inklusive« in Rüsselsheim – nur im Miteinander. Ohne das Aufeinanderzugehen von kultureller Einrichtung einerseits und Betroffenengruppe, Behinderteneinrichtung oder Vertretung von Menschen mit Einschränkungen physischer oder kognitiver Art andererseits wird die Öffnung nicht gelingen. Zunächst gilt es in der Museumswelt, viel über die Menschen zu lernen, die wir als neue Stammgäste gewinnen wollen. Das Projekt »StadtMuseum inklusive« und die Entwicklung, die es in unserem Haus in Gang gesetzt hat, wären – wie auch dieser Tagungsband – ohne das Programm »Stadtgefährten« der Bundeskulturstiftung nicht realisierbar gewesen. Dafür möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken. Bereits für die Antragstellung brauchten wir Partner in der Stadt und fanden sie in den Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e. V. (WfB), dem Kunstverein Rüsselsheim e. V. sowie der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Wir haben uns gemeinsam auf den Weg gemacht und wir im Museum haben von den Kolleginnen und Kollegen sowie den Beschäftigten in der WfB viel gelernt, das die Arbeit fruchtbar gemacht hat – und wir tun es noch. Aus diesem Konzept des freundschaftlichen Miteinanders von Partnern, die zusammenfinden, um gemeinsam Inklusion zu verwirklichen, wurde bei der Fachtagung ein interdisziplinärer Dialog zwischen Sonderpädagogik und Museum, Fachleuten aus der Praxis der Behindertenarbeit und Wissenschaft, Kuratorinnen und Kuratoren und Museumspädagoginnen und Museumspädagogen. Dem Stadtmuseum wird als sozialer Ort viel zugetraut – auch die in diesem Band vertretenen Autorinnen und Autoren tun das. Für Stadtmuseen ist die Öffnung für partizipative Prozesse, die konstruktive Auseinandersetzung um den geteilten Stadtraum und das gemeinsame Leben

Vor wor t

in der Stadt eine Herausforderung, bei der die Gratwanderung gelingen muss, die Kernaufgaben und die besondere Rolle des Museums als städtisches Gedächtnis nie aus dem Auge zu verlieren. Es gilt, mit den Mitteln des Museums Kreativität zu entfalten und Geschichten zu erzählen. Und es gilt, das selbstverständliche Miteinander in diesem Teil des öffentlichen Raums zu ermöglichen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Projekts »StadtMuseum inklusive« waren nicht an einem weiteren kreativen Angebot in der Behinderteneinrichtung interessiert. Sie wollen als Museumsbesucherinnen und -besucher ganz selbstverständlich an Veranstaltungen und Projekten im Haus und im Stadtraum teilnehmen. Sie wollten selbst sichtbar werden, und die Frage, ob andere Gäste ihre Zugänge und Sichtweisen auf das Museum als fremd wahrnehmen, stellte sich ihnen nicht. Und nach vielen Veranstaltungen und wunderbaren Begegnungen in unserem Haus stellte sie sich uns auch nicht mehr. Der vorliegende Tagungsband fasst die anregenden Vorträge und Workshopbeiträge der Fachtagung »Mittendrin: Kreative Zugänge zum Museum für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung« im April 2018 im Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim zusammen und bietet so auch denjenigen einen Einblick in den Stand der Diskussionen, die nicht teilgenommen haben. Grundsätzliche Positionen zum Thema Museum und Inklusion skizzieren aus Sicht der Förderpädagogik der Pädagoge und Journalist Dr. Werner Schlummer sowie aus der Perspektive der Museen Prof. Dr. Bernhard Graf (Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz). Anhand ausgewählter Beispiele gibt Werner Schlummer einen Überblick über bestehende künstlerische Angebote für Menschen mit einer geistigen Behinderung und zeigt Möglichkeiten für Museen auf, die auf dem Weg zu einer inklusiven Einrichtung sind. Hierbei betont er die Notwendigkeit einer professionellen Kooperation von Kulturinstitutionen und Einrichtungen der Behindertenhilfe. Bernhard Graf beschäftigt sich mit der sich wandelnden Ausrichtung und Bedeutung von Museen und sieht gerade vor dem Hintergrund ihrer Profile und Aufgaben in den Stadtmuseen die geeigneten Institutionen für die Realisierung von Inklusionsprojekten. Über Ziele, Inhalte, Erfahrungen und Ergebnisse des Projekts »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!« sowie die gelungene Kooperation zwischen Museum und Behindertenwerkstatt im Projektverlauf berichten Cornelia Röhlke, Dr. Bärbel Maul (beide Stadt- und Industrie-

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Bärbel Maul, Cornelia Röhlke

museum Rüsselsheim) sowie Steffen Walther (Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e. V.). Verschiedene Methoden und Ansätze für kulturelle Bildung und Teilhabe, die ihren Ursprung in der Förderpädagogik haben und als besonders vielversprechende Ansätze für die Museumsarbeit im Projekt »StadtMuseum inklusive« zum Tragen kamen, stellen Prof. Barbara Fornefeld (Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln), die Pädagogin Ines Bader (bis 2017 Diakonie Stetten) und der Theatermacher und Dozent Matthias Gräßlin (Theaterwerkstatt Bethel) vor. Barbara Fornefeld gibt einen Überblick über die für Menschen mit Komplexer Behinderung entwickelten mehr ¬ Sinn® Geschichten, deren Ansatz sich auch auf die Vermittlung im Rahmen von musealen Angeboten übertragen lässt. Wie biografisches Arbeiten in der kulturellen Bildung für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung im Museum aussehen könnte und welche Bedingungen hierbei zu beachten sind, schildert Ines Bader. Matthias Gräßlin gibt anhand von Beispielen aus der Theaterarbeit in Bethel Einblicke in die Möglichkeiten von inklusiven theaterpädagogischen Projekten in Museen. Ganz unterschiedliche Ansätze und Zugänge für kulturelle Bildung aus bestehenden Angeboten werden als gelungene Beispiele inklusiver Kulturarbeit vorgestellt, etwa die partizipative Ausstellung »TOUCHDOWN« der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn, die Vermittlung »mit allen Sinnen« im Rahmen des Projekts »Pilot Inklusion« sowie das Angebot für Menschen mit Demenzerkrankung »Kohle weckt Erinnerung« oder Museumstexte in Leichter Sprache. Das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim dankt an dieser Stelle allen, die zum guten Gelingen der Fachtagung und des vorliegenden Bandes beigetragen haben, sowie unseren Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge und dem transcript Verlag für die fachlich versierte Betreuung unserer Publikation. Bärbel Maul, Cornelia Röhlke

Grußwort der Kulturstiftung des Bundes

Wie können Menschen mit Beeinträchtigungen durch die Museen erreicht werden? Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit sie sich im Museum willkommen fühlen? Finden sie sich, ihre Stadt, ihre Lebenswelt in den Ausstellungen und Sammlungen wieder? Diese und weitere Fragen standen am Anfang des Projektvorhabens »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!«, welches das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim in Kooperation mit dem Verein Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e. V. (WfB) entwickelte. Gerade Stadt- und Regionalmuseen nehmen oftmals für sich in Anspruch, ein »Museum für alle« zu sein. Statt elitärer Abgrenzung wird deshalb vielfach der Abbau von sichtbaren und unsichtbaren Zugangshindernissen angestrebt. In Bezug auf Menschen mit Beeinträchtigung oder Unterstützungsbedarf steht dabei in der Praxis oft das Thema »Barrierefreiheit« im Zentrum, das aber nur einen  – wenn auch einen wichtigen – Teilaspekt des Themenfeldes Inklusion ausmacht. In einem umfassenderen Verständnis verlangt Inklusion aber die Gelegenheit zu vollumfänglicher Teilhabe in allen Lebensbereichen. Dazu gehört das Recht zur gleichberechtigten Teilhabe am kulturellen Leben. Die UN-Behindertenrechtskonvention vom 13. Dezember 2006 sieht etwa ausdrücklich Maßnahmen vor, um behinderten Menschen die selbstbestimmte Entfaltung und Nutzung ihres kreativen, künstlerischen und intellektuellen Potenzials zu ermöglichen. Das Projekt »StadtMuseum inklusive« setzte sich in diesem Sinne das Ziel, auch Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen aktiv in die Stadtkultur einzubeziehen und sie als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelt an der Entwicklung neuer Zugänge zum Museum sowie an der Erarbeitung von Angeboten für ihre gruppenspezifischen Bedürfnisse und Fähigkeiten zu beteiligen. Das auf soziale Inklusion gerichtete Konzept ließ sich in besonderer Weise mit dem zentralen Anliegen des

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Carl Philipp Nies

Fonds Stadtgefährten der Kulturstiftung des Bundes verbinden, über geeignete Partnerschaften insbesondere solchen Gruppen aus der Stadtbevölkerung eine Sichtbarkeit im Museum zu verleihen, die dort bisher nicht oder kaum vorkommen. Durch die Zusammenarbeit mit den WfB als Hauptpartner konnte so am Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim erstmals eine Gruppe von Menschen mit Beeinträchtigungen ihre persönliche Sicht auf die Stadt und ihr Leben mit kreativen Mitteln im Museum darstellen. Gleichzeitig öffnete sich das Museum für ihre Belange. Als weiterer Partner brachte der Kunstverein Rüsselsheim e. V. seine langjährige Erfahrung mit kunstpädagogischen Formaten und Ausdrucksformen ein und bot beispielsweise inklusiv angelegte Workshops zum Urban Sketching an. Als dritter Partner unterstützte die Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel das Projekt dabei, die Ergebnisse im Rahmen einer gemeinsamen Fachtagung mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem Museumsbereich und der Sonderpädagogik zu diskutieren. Dafür dankt die Kulturstiftung des Bundes allen voran den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den Wohn- und Betreuungseinrichtungen der WfB, die ihre persönlichen Ideen und individuellen Beiträge in die Veranstaltungen und Ausstellungen des Projekts eingebracht haben. Ebenso danken wir der WfB und den anderen bereits genannten Partnern, deren ehrenamtliche wie festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Projekt mit Engagement und viel Einfallsreichtum begleitet haben. Schließlich gilt unser Dank dem Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim, das sich als Team unter Anleitung von Museumsleiterin Dr. Bärbel Maul sowie Projektleiterin Cornelia Röhlke mit großem Einsatz für eine zusätzliche Gruppe geöffnet und dabei neue »Gefährten« für die Museumsarbeit gewonnen hat. Carl Philipp Nies Wissenschaftlicher Mitarbeiter Stadtgefährten – Fonds für Stadtmuseen Kulturstiftung des Bundes

Wie normal es ist, verschieden zu sein

Im Verlauf der Tagung »Mittendrin: Kreative Zugänge zum Museum für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung« war in einem Pausengespräch unter den Teilnehmenden ein Satz zu hören, der zunächst überraschte, dann nachdenklich stimmen musste: »Ich muss mit den Nichtbehinderten nicht unbedingt etwas zusammen machen.« Diese Anmerkung kam von jemandem, um den es in dieser Tagung ging, einem Menschen mit körperlicher und kognitiver Einschränkung. Das Thema Inklusion hat noch keine lange Tradition. Die Abkehr von der »überfürsorglichen Gesellschaft«, die sich um diejenigen kümmert, denen man Selbstbestimmung nicht zutrauen mag oder will, lässt sich etwa mit dem Haltungswandel der Aktion Mensch datieren, die ihren Schwerpunkt seit 1999 auf die soziale Gleichberechtigung, Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander und größtmögliche Autonomie behinderter Personen legt. Viele Museen haben erst in der jüngsten Zeit damit begonnen, sich intensivere Gedanken darüber zu machen, wie sie die Herausforderung einer wirklichen Inklusion in ihrer ganzen Konsequenz und in Form von Teilhabe an ihrer Bildungsarbeit realisieren können. Dabei geht es bei weitem nicht nur um die Schaffung von rollstuhlgerechten Ausstellungen, um Texte in Leichter Sprache oder um Hörtexte, nicht nur um Gebärdensprache oder Orientierungshilfen in Braille-Schrift. Im Kern geht es darum, Angebote zu konzipieren, die alle am Museum interessierten Menschen gemeinsam ansprechen, ohne dass sie wiederum in Zielgruppen separiert und damit erneut segregiert werden. So verstanden bedeutet Inklusion eine Herausforderung für die Institution Museum und deren Organisation. Sie stellt hohe Ansprüche an die Professionalität des Personals – von der Leitung des Hauses über die Kuratoren und das Personal der Bildungsabteilungen bis hin zum Front Office und den technischen Diensten. Sie erfordert Auseinandersetzung mit Werten und Veränderung von Haltungen gegenüber den Ansprüchen der Besucher,

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Andreas Grünewald Steiger

und sie bewirkt einen Wandel der gesellschaftlichen Aufgaben und Funktionen, so, wie sie das Museum traditioneller Weise in der Vergangenheit aufgefasst hat. Auf der Ebene des International Council of Museums (ICOM) sind diese Entwicklungen früh wahrgenommen worden und entsprechende Reaktionen darauf erfolgt. So formuliert ICOM etwa in der Präambel der ethischen Richtlinien für Museen: »Das gesamte Ethos des Dokuments bleibt das des Dienstes an der Gesellschaft, des Gemeinwesens, der Öffentlichkeit und ihrer unterschiedlichen Gruppierungen sowie der Professionalität von Museumsmitarbeiter/innen.« (ICOM 2004) Bezogen auf das Thema Inklusion findet sich die Konkretisierung dieser zunächst grundsätzlichen Formulierung als »Dienst an der Gesellschaft« wieder in zwei Leitfäden, die gemeinsam vom Bundesverband Museumspädagogik und dem Deutschen Museumsbund herausgegeben wurden: »Qualitätskriterien für Museen: Bildungs- und Vermittlungsarbeit« (Berlin 2008) und »Das inklusive Museum – Leitfaden zur Barrierefreiheit und Inklusion« (in Zusammenarbeit mit dem Bundeskompetenzzentrum, Berlin 2013). Ein weiterer Leitfaden mit dem Titel »Museen, Migration und kulturelle Vielfalt« (Berlin 2015) erweitert den inklusiven Gedanken folgerichtig um einen anderen aktuellen und für die Arbeit der Museen relevanten Aspekt. Diese Handreichungen stellen aber nicht nur methodische Instrumentarien dar. Sie stehen auch dafür, dass Museen, die sich mit dieser Zielstellung auseinandersetzen wollen, in Zukunft sowohl die Formate als auch die Inhalte der Vermittlung verändern müssen. Getrieben und gestützt durch die kulturpolitische Diskussion wird mit dem Erreichen breiterer Bevölkerungsschichten die gesellschaftliche Legitimation der Museen auf dem Prüfstand stehen. Die Demokratisierung der Institution konzentriert sich dabei im Wesentlichen auf die Begriffe der Teilhabe und Partizipation  – beides immanente Bestandteile jedes inklusorischen Konzeptes. Sowohl für die Museen als Organisation als auch für die Vermittlung in ihrer inhaltlichen und methodischen Struktur bedeutet dies einen radikalen Wandel in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Ursprünglich verlief diese, im inneren Kern des Museums beginnend, über die Fachabteilungen und die Schnittstelle der Vermittlung nach außen. Nun allerdings hat sich ihre Reihenfolge, ganz wie es der Deutsche Museums-

Wie normal es ist, verschieden zu sein

bund in der Ankündigung des Projektes »Hauptsache Publikum  – Das besucherorientierte Museum« formuliert, ins Gegenteil verkehrt: »Das Museum von seinen Besuchern her denken, sie in ihrer Heterogenität anerkennen, sich ihren Bewertungen stellen, ihre Interessen, Wahrnehmungsweisen, Bedürfnisse und Einstellungen als wichtigen Bezugspunkt für alle Bereiche des Museums ernst nehmen und die eigene Arbeit mit Blick auf diese hinterfragen und weiterentwickeln – so kann das Museum für möglichst Viele Realität werden.«

»Ich muss mit den Nichtbehinderten nicht unbedingt etwas zusammen machen«: Dieser Satz bedeutet, dass offenbar auf dem Weg der behinderten Menschen zu einer Emanzipation, von der vollständigen Übernahme der Verantwortung durch andere hin zu ihrem eigenen selbstbewussten und selbstständigen Handeln, viel erreicht worden ist. Dies ist in erster Linie den Einrichtungen und Institutionen sowie den Betroffenen zu verdanken, die den »spatial turn« von der Idee »Sorgenkind« hin zum Menschen, der, unabhängig von seinen Präferenzen, gleichberechtigter Teil der Gesellschaft ist, vollzogen haben und diese Entwicklung weiter verfolgen. Im Rahmen dieser Tagung standen dafür – auch stellvertretend für viele begleitende Einrichtungen auf diesem Gebiet – Steffen Walther mit seinem Team aus behinderten und nichtbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Verein Werkstätten für Behinderte Rhein-Main, die das Programm und die Diskussionen stark geprägt und bereichert haben. Ganz im Sinne von »Nicht ohne uns über uns« waren die Impulse und – genauso wesentlich – eben jene Begegnungen und Gespräche wichtig und erhellend für die anwesenden Kolleginnen und Kollegen aus den Museen. Auch wenn das von Cornelia Röhlke und der Leiterin des Stadt- und Industriemuseums, Dr. Bärbel Maul, geleitete Rüsselsheimer Treffen nicht das erste zu diesem Thema war, hatte es doch mit diesem Ansatz und diesem Konzept eine Vorreiterfunktion, indem es alle an dem Thema Interessierten und Involvierten in einen intensiven Informations- und Erfahrungsaustausch gebracht hat. Ein ebenso wichtiger Effekt dieser Tagung war, den Beteiligten Mut zu machen, die hier so anschaulich gezeigte fachübergreifende Kooperation für und mit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen konsequent weiterzuentwickeln und gezielt auszubauen. Es ist ein anspruchsvoller Weg, der, neben den notwendigen Professionen und Rahmenbedingungen, neben dem Wissen um die besonderen Bedürfnisse der Menschen mit Ein-

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Andreas Grünewald Steiger

schränkungen, auch Geduld und Empathie fordert. Gemeinsam, so wie mit diesem Projekt des Stadtmuseums Rüsselsheim und den Werkstätten für Behinderte Rhein-Main bewiesen, kann eine umfassende und wirkliche Form von Inklusion in Museen gelingen. Wünschenswert bleibt, dass sehr viel mehr dieser Kooperationen aktiv gesucht, gefunden und gefördert werden, um den Anspruch der Museen adäquat zu erfüllen: in Zukunft ein inklusiver Ort der Kultur und Bildung für viele zu sein. Andreas Grünewald Steiger Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel

Museum inklusive Herausforderungen für die Erwachsenenbildung für und mit Menschen mit geistiger Behinderung Werner Schlummer Dieser Beitrag befasst sich mit ausgewählten Aspekten der künstlerischen Tätigkeit von Menschen mit geistiger Behinderung. Er skizziert Möglichkeiten, dieses kreative Arbeiten in Angebote von Museen aufzunehmen, und beschreibt institutionelle Herausforderungen wie Kooperationen zwischen Museen und Einrichtungen der Behindertenhilfe, durch die museumspädagogisches Arbeiten und die Angebote der Museen selbst mehr in Richtung inklusives Museum verändert werden können. Dabei werden vor allem die Bedeutung einer professionellen Zusammenarbeit mit Fachleuten aus der Behindertenpädagogik und methodische Aspekte thematisiert. Eine kurze Darstellung methodischer und konzeptioneller Ansätze aus der Heil- und Sonderpädagogik ergänzt den professionellen Anspruch in diesem Themenkomplex.

A m A nfang : eine F ülle von F r agen Zur Ausgangssituation dieses Beitrags gehören etliche Fragen, bei denen bereits ein erstes Dilemma auftritt: Eindeutige Antworten sind schwierig, doch vielfältige Hinweise sind möglich. Bei allem Ringen um passende Antworten kann zu Beginn zumindest schon eine Empfehlung ausgesprochen werden: fachlich fundiert ausprobieren! Dabei will dieser Beitrag Anregungen liefern, die Thematik aus der jeweiligen institutionellen oder individuellen Sicht zu reflektieren.

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Werner Schlummer

V or der V ertiefung : eine V orbemerkung Vor der inhaltlichen Darstellung und Auseinandersetzung ist eine Vorbemerkung zu den Begrifflichkeiten erforderlich. Während im Titel der zugrunde liegenden Tagung die Bezeichnung »Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung« verwendet wird, kursieren in der Fachwelt und bei betroffenen Menschen mit Behinderung, die dann oftmals als Experten in eigener Sache bezeichnet werden, weitere Begriffe wie z. B. »Menschen mit Lernbehinderung«, »Menschen mit Lernschwierigkeiten« oder »Menschen mit geistiger Behinderung«. Letzterer scheint überholt zu sein, nicht nur, weil viele in dieser Formulierung eine Diskriminierung dieser Menschen sehen. Gebildet wurde er 1958 in der Phase der Entstehung der Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind, dem Vorläufer der heutigen Bundesvereinigung Lebenshilfe. Seitdem ist in Sachen Behinderung, beim Engagement für Menschen mit dieser und anderen Behinderungen und auch in den wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit einer derartigen Behinderung befassen, viel passiert. Dieser Beitrag enthält im Titel den Begriff »Menschen mit geistiger Behinderung«, da er für mich im Rahmen fachlicher oder wissenschaftlicher Auseinandersetzungen eindeutiger ist und eine oftmals erforderliche Beschreibung von Menschen mit dieser Behinderung unterstützt, ohne zu diskriminieren, auszugrenzen oder zu etikettieren. Vielmehr soll er den Blick auf vorhandene oder anzunehmende Behinderungen und damit mögliche Beeinträchtigungen bzw. Unterstützungserfordernisse schärfen. Die Bezeichnung »Menschen mit Lernschwierigkeiten« grenzt sich vor allem umgangssprachlich nicht wirklich von der »alten« Behinderungsform Lernbehinderung ab und erschwert meiner Ansicht nach eher die erforderliche Objektivierung und damit die gewünschte Antidiskriminierung (vertiefende Ausführungen zum »Dilemma eines Begriffs« bietet Klauß 2008).

Z um G rundsät zlichen : von K unst , K ultur , K re ativität und Teilhabe Für eine Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Kunst, Kultur, Kreativität und Teilhabe im Kontext von Behinderung ist ein Blick auf wesentliche Rechtsgrundlagen erforderlich. Seit 2009 gilt in Deutschland ein Gesetz, das in der Regel mit »UN-Behindertenrechtskonvention«

Museum inklusive

(UN-BRK) bezeichnet wird. Diese Konvention wurde von den Vereinten Nationen zwar bereits 2006 verabschiedet, die Bundesregierung hat sie aber erst 2008 ratifiziert – mit Rechtsgültigkeit ab 1. Januar 2009. Für die inhaltlichen Bezüge dieses Beitrags ist besonders Artikel 30 dieser UNBRK relevant. Er ist überschrieben mit »Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport«. Die darin etwas verklausuliert formulierten folgenden Passagen sind grundlegend: »(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilzunehmen, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen a) Zugang zu kulturellem Material in zugänglichen Formaten haben; [...] c) Zugang zu Orten kultureller Darbietungen oder Dienstleistungen, wie Theatern, Museen, Kinos, Bibliotheken und Tourismusdiensten, sowie, so weit wie möglich, zu Denkmälern und Stätten von nationaler kultureller Bedeutung haben. (2) Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potential zu entfalten und zu nutzen, nicht nur für sich selbst, sondern auch zur Bereicherung der Gesellschaft.« (Bundesgesetzblatt 2008)

Schon kurz nach Erscheinen dieser UN-BRK gab es in Deutschland eine Version in Leichter Sprache – herausgegeben vom damaligen Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (Hüppe 2010). Der in der deutschen Originalfassung dargestellte Artikel wird in der Leichte-Sprache-Version unter der Überschrift »Etwas unternehmen und dabei sein« so wiedergegeben: »Jeder Mensch mit Behinderung soll auch in seiner Freizeit überall dabei sein können. Jeder Mensch mit Behinderung soll ins Theater, Kino, Museum oder in die Bücherei gehen können.« Und: »Jeder Mensch mit Behinderung soll auch selber Kunst machen können. Zum Beispiel kann es Mal-Kurse geben. Oder TheaterGruppen«. Die UN-BRK macht deutlich, dass kulturelle Teilhabe ein Menschenrecht ist. Das bedeutet, dass Menschen mit Behinderung im Rahmen einer globalen Kultur zu ihren Rechten kommen müssen. Neben dieser menschenrechtlichen Bedeutung hat Kultur aber auch eine zweite Bedeutung, und diese liegt im kreativen Bereich. Gerade auch im Zusam-

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menhang mit der kreativen Ausrichtung von Kultur darf nicht übersehen werden, was zu Kreativität von Künstlerinnen und Künstlern oftmals dazugehört: nämlich Störungen, »Umtriebigkeiten« und andere Schwierigkeiten – bis hin zu Behinderungen. Dieses Gemenge liefert Künstlerinnen und Künstlern häufig wichtige Impulse für kreatives Schaffen oder ist verschiedentlich sogar Voraussetzung dafür. In diesem Spannungsfeld müssen auch Aspekte berücksichtigt werden, die zu institutionellen und interdisziplinären Herausforderungen gehören oder zu ihnen werden müssen.

Z ur K ultur : M otor für soziales M iteinander »Kultur macht das Leben nicht bequem, sondern unruhig«  – so hat es Gert Heidenreich, Schriftsteller, Journalist und Sprecher, einmal formuliert (Heidenreich 2009). In seinem Essay »Wir sind Kultur  – Über geistige Ernährung« verweist er darauf, dass Kultur zum prozessualen Charakter des Lebens gehört. Für Heidenreich braucht Kultur Individuen, die den Dialog entdecken und realisieren. Soziales Miteinander und gesellschaftliche Kommunikation können seiner Ansicht nach nur durch möglichst viele Beiträge von Individuen gelingen. Die kritische Auseinandersetzung von Künstlerinnen und Künstlern und ihren Rezipientinnen und Rezipienten ist dabei eine wesentliche Grundlage. Diese eher feuilletonistische Herangehensweise deckt sich allerdings auch mit pädagogischen Ansätzen, wie z. B. in den Positionen von Wolfgang Klafki (Klafki 1991). So lässt sich eine kulturwissenschaftliche Ausrichtung mit einer bildungswissenschaftlichen Fundierung verknüpfen. Bei einer sehr verkürzten Darstellung des Klafki’schen Bildungsverständnisses ist hervorzuheben, dass er Allgemeinbildung als zentrales Bezugssystem in der Pädagogik herausstellt. Für Klafki hat der Zusammenhang von Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit eine zentrale Bedeutung. In seinem Bildungsverständnis sind diese drei Aspekte auch auf die ästhetische Wahrnehmungs-, Gestaltungs- und Urteilsfähigkeit bezogen. Grundlegend ist dabei für Klafki die Kritikfähigkeit als ein zentrales Moment für gelingende Auseinandersetzungen mit den von ihm so bezeichneten »epochaltypischen Schlüsselproblemen«. Dazu zählt er u. a. gesellschaftlich produzierte Ungleichheit, etwa zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen. Klafki postuliert eine multi- und interkulturelle Erziehung als bedeutende Aufgabe

Museum inklusive

zur Überwindung von Ungleichheit in einer vielfältigen und vielschichtigen Bevölkerung. Wenn man die feuilletonistische mit der pädagogischen Herangehensweise verknüpft, wird deutlich, dass Kultur in einer demokratischen und menschenrechtsorientierten Gesellschaft offen, offensiv und im kritischen Diskurs von selbstbewussten und selbstbestimmten Menschen aufgegriffen und gestaltet werden muss. In diesem Sinne ist Kultur ein Motor für soziales Miteinander.

Z um künstlerischen S chaffen : von und mit M enschen mit geistiger B ehinderung Schon seit vielen Jahren lassen sich kulturelles und künstlerisches Schaffen und damit das Engagement von Institutionen der Behindertenhilfe und einzelner Akteure aufzeigen. Es kann hier nicht umfassend und wissenschaftlich systematisch aufgezeigt werden, welche Wurzeln und Aktivitäten es z. B. allein im deutschsprachigen Raum für die Unterstützung und Umsetzung kultureller Beiträge von Menschen mit geistiger Behinderung gibt. Skizzenhaft  – und dabei lediglich anhand von drei ausgewählten Beispielen  – weisen die folgenden Ausführungen auf erfolgreiches Arbeiten im Rahmen von Ateliers bzw. kreativen Werkstätten im Bereich bildender Kunst hin. Nicht berücksichtigt werden die ebenso wichtigen Arbeiten im Bereich der darstellenden Künste (wie Theater, Tanz und Filmkunst) sowie der Literatur und Musik. Auch auf diesen Gebieten sind Menschen mit geistiger Behinderung seit vielen Jahren einbezogen und leisten als Kulturschaffende wichtige Beiträge zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft, und das nicht nur in gesellschaftlichen Nischen oder als Alibi-Akteure im Kontext von Inklusion. Vorausgeschickt sei eine kleine Chronologie der Stationen künstle­ rischen Schaffens, die für den Personenkreis von Menschen mit geistiger Behinderung und damit seine Rezeption im Kulturraum bedeutsam sind: • Die Kreative Werkstatt der Diakonie Stetten wird 1966 gegründet. • Der 1978 erstmalig von der Stadt Radolfzell verliehene »Bundeskunstpreis für Menschen mit einer Behinderung« wird mittlerweile seit vielen Jahren gemeinsam mit der Carl-Müller-Mettnau-Stiftung verliehen, im Jahr 2018 zum 21. Mal.

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• In Hamburg entsteht 1980 die Ateliergemeinschaft »Die Schlumper«. • Als Dachverband zur Vertretung der Interessen von Künstlerinnen und Künstlern mit Beeinträchtigungen im deutschsprachigen Raum wird 1989 ebenfalls in Hamburg EUCREA gegründet. • Im Heilpädagogischen Centrum Augustinum (HPCA) in MünchenOberschleißheim bildet sich 1995 ein Atelier als Künstlergemeinschaft. • Aufgrund der Initiative dieses Münchner Ateliers wird im Jahr 2000 zum ersten Mal der Europäische Kunstpreis »euward« vergeben. Mit dem Untertitel »art in disability« werden in 2018 bereits zum siebten Mal Künstlerinnen und Künstler mit geistiger Behinderung für ihre Werke in den Bereichen Malerei und Grafik ausgezeichnet. Diese Stationen sind durchaus als Meilensteine für die künstlerische Betätigung von Menschen mit geistiger Behinderung anzusehen. Sie sind gleichzeitig wichtige Beiträge für eine Wahrnehmung ihres künstle­rischen Schaffens im öffentlichen Raum und somit für die Verwirklichung von Inklusion. Hier eine ausführlichere Darstellung dreier dieser Institutionen:

Die Kreative Werkstatt, Stetten Die Gründung der Kreativen Werkstatt im Jahr 1966 ist eng mit dem Engagement von Anne Dore Spellenberg, Heilerziehungspflegerin, Kunstpädagogin und Dozentin an der Ludwig-Schlaich-Schule in Stetten, Baden-Württemberg (gest. 1997), verbunden. Anfänglich angelegt als ein »Ausgleich zum Arbeitsprozess« der Menschen, die in der Werkstatt für behinderte Menschen (Wf bM) beschäftigt sind, entwickelte sich dieses Angebot rasch zu einer künstlerischen Werkstatt, in der kreative Begabungen behinderter Menschen gefördert wurden. Durch diese Initiative und Pionierleistung entstanden national wie international nach dem Vorbild der Kreativen Werkstatt Stetten in vielen Einrichtungen und Initiativen der Behindertenhilfe Räume künstlerischen Schaffens. So gingen von Stetten wichtige Impulse für die Förderung und Anerkennung von Künstlerinnen und Künstlern mit geistiger Behinderung aus. Auch heute erhalten diese Unterstützung von einem künstlerisch und pädagogisch ausgebildeten Mitarbeiterteam, wobei der Mensch und seine persönliche Entfaltung im Vordergrund stehen, weniger das kreative Endprodukt.

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»Die Schlumper«, Hamburg Auf Initiative des Hamburger Künstlers Rolf Laute gründete sich 1980 die Ateliergemeinschaft »Die Schlumper«. Durch den 1985 ins Leben gerufenen gemeinnützigen Trägerverein »Freunde der Schlumper« sollten die Aktivitäten der Künstlergruppe abgesichert werden. 2002 sind die Schlumper in die Trägerschaft der Evangelischen Stiftung Alsterdorf übergegangen. Dort sind sie Bestandteil der Werkstatt für behinderte Menschen alsterarbeit gGmbH. Zum Konzept der Schlumper gehören Begegnungen im Atelier, die z. B. für Schulklassen und andere Gruppen angeboten werden. Auf diese Art und Weise vermittelt die Galerie der Schlumper ein besonderes Erlebnisangebot. Dieses ist verknüpft mit Gruppen-Workshops in den Räumen der Galerie, so dass ein galeriepädagogischer und inklusiver Rahmen für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene entsteht. So will die auf Inklusion ausgerichtete Initiative auf Praxisebene Möglichkeiten vermitteln, Kunst zu entdecken und zu erforschen und dabei Künstlerinnen und Künstlern der Schlumper zu begegnen.

Kunsthaus K AT18, Köln Mit langem Planungsvorlauf wurde 2014 das Kunsthaus KAT18 in der Kölner Südstadt bezogen. Es bietet seitdem dem künstlerischen und kunsthandwerklichen Arbeiten eines Bereichs der Gemeinnützigen Werkstätten Köln (GWK) ein neues Zuhause. Künstlerisch-kreatives Arbeiten fand allerdings schon seit 1993 an einem anderen Standort statt. In der Ateliergemeinschaft arbeiten derzeit 24 Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung, die durch Assistenz bei der Produktion und bei der Vermittlung ihrer Werke unterstützt werden. Ziel dieses Engagements ist die Entwicklung des eigenen und freien künstlerischen Ausdrucks. Dabei reicht das Spektrum der Ateliergemeinschaft von Zeichnungen, Malerei, Skulptur, Design und Performance bis hin zur Videokunst. Es entstehen aber auch Keramikunikate, keramische Editionen und Kleinserien. Beispielhaft ist auch die seit einigen Jahren bestehende Kooperation mit dem Kunst­museum Bonn. Hier geht es vor allem um Kunstvermittlung. In so genannten Tandem-Angeboten arbeiten Kunstschaffende aus dem Kunsthaus und ein Kunstvermittler bzw. eine Kunstvermittlerin aus dem Museum zusammen. Diese Kooperation kann auch auf internationale Aktivitäten ver-

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weisen, wie etwa eine deutsch-italienische Zusammenarbeit zum Thema Architektur: Im Rahmen der Ausstellung »Dialoge/Dialoghi« im Kunst­ museum Bonn wurden 2017/2018 Beiträge präsentiert.

Z u den H er ausforderungen :

institutionelle und heilpädagogische B eitr äge für   inklusive und barrierefreie M useumsangebote Die skizzierten Beispiele zum Kunstschaffen von Menschen mit geistiger Behinderung sind oftmals eingebettet in Aktivitäten von so genannten Werkstätten für behinderte Menschen. Sie sind damit gleichzeitig auch Beispiele für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben. Derartige Aktivitäten sind gleichermaßen kunst- und arbeitspädagogisch angelegt. Nicht selten sind sie eingebettet in Erwachsenenbildungsangebote, und in diesem Sinne verdienen sie eine besondere Betrachtung. Die »Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung« beleuchtet solche Formen von Erwachsenenbildung seit ihrem Bestehen, unter anderem in ihrer seit 1990 erscheinenden Fachzeitschrift »Erwachsenenbildung und Behinderung« (ZEuB). Bereits das zweite Heft widmete sich 1990 mit einem Schwerpunkt dieser Thematik; seitdem waren auf dem Deckblatt vieler Ausgaben Werke von Künstlerinnen und Künstlern mit geistiger Behinderung zu sehen. Die letzte schwerpunktmäßige Behandlung von »Kunst – Kultur – Inklusion« erfolgte im Doppel-Heft 2010.

Bedeutung der Er wachsenenbildung Sieht man sich die dargestellten Aspekte allein in diesem letzten Schwerpunktheft an, werden etliche Hinweise auf institutionelles und erwachsenenbildnerisches Engagement deutlich. Und genau darin liegt die Chance, Beiträge für inklusive und barrierefreie Museumsangebote zu gestalten. Dabei sind einige Grundsätze für eine erfolgreiche Erwachsenenbildung mit Menschen mit geistiger Behinderung auch im künstle­ rischen Bereich wichtig: • Besonderheit des Lernens • Lebensnähe und Lernen durch Handeln • Subjektorientierung und Individualisierung

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• Prozessgeleitetes Vorgehen • Zeit und Kontinuität • Freiwilligkeit, Wahlmöglichkeiten, Selbst- und Mitbestimmung • Ganzheitlich-integratives Prinzip • Erwachsenengemäße Ansprache (vgl. Schlummer/Schütte 2006, S. 157). Das, was sich in einer solchen Aufzählung scheinbar leicht formulieren lässt, enthält allerdings bei einer Übertragung auf museumspädagogische und künstlerische Aktivitäten eine Reihe von Herausforderungen – bis hin zu Widersprüchen. Diese müssen von allen Akteuren beachtet und reflektiert werden. Im Folgenden soll der Blick auf institutionelle Akteure gerichtet werden.

Institutionelle Aktivitäten Kooperationen von und Partnerschaften zwischen Museen und Institutionen der Behindertenhilfe scheinen besonders »ertragreich« zu sein. Schließlich kommen hier zwei Professionen zusammen, die zum einen das künstlerische und zum anderen das heilpädagogische Know-how einbringen. Zu diesen Aktivitäten gibt es einige Forderungen an die Zusammenarbeit:

Künstlerisches Schaffen von Menschen mit Behinderung im Museum wertschätzen Die Gefahr eines Showrooms mit diskriminierendem Nebeneffekt, dass also Menschen mit Behinderung »vorgeführt« werden, besteht natürlich. Sie kann nur durch kontinuierliches Tun verhindert werden. Menschen mit Behinderung müssen an einem solchen Ort zugegen sein und wahrgenommen werden können. So müssen ausstellende Künstlerinnen und Künstler mit (geistiger) Behinderung zum normalen Angebot eines Museums gehören. Dass Kunstvermittlung durch diese zu museumspädagogischen Angeboten dazugehört, muss zur Selbstverständlichkeit werden. Institutionen, in denen Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung aktiv sind, müssen auf Museen zugehen und Museen müssen solche Kooperationen suchen.

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Einwerben von Kooperationspartnern durch Öffentlichkeitsarbeit Aufgrund der in Deutschland auf hohem Niveau organisierten Behindertenhilfe möchte ich von einer hilfreichen »Bündelung« sprechen, die sich leichter in eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit von Museen integrieren lässt. Hier besteht die Chance, all diese Dienste und Einrichtungen nutzen zu können, um direkter auf die Zielgruppe »Menschen mit Behinderung« und ihre Familien oder Angehörigen zugehen zu können. Für eine mögliche Kontaktaufnahme stellen diese Institutionen daher wichtige Multiplikatoren dar. Die Zielgruppe ist auf diesem Weg und über diese Institutionen erreichbar. Dadurch kann inklusive und barrierefreie Museumsarbeit gezielt unterstützt werden. Museumsfachleute können sich dies zu Nutze machen, wenn sie auf diese Zielgruppe zugehen, Angebote unterbreiten, Zusammenarbeit anbieten und die besonderen Kompetenzen von Menschen mit Behinderung und ihrer Angehörigen bzw. der einbezogenen Fachleute für die museale Bildungsarbeit nutzen. Eine Liste von eher klassischen Institutionen der Behindertenhilfe  – Frühförderung, Kindergärten, Förderschulen, Wohneinrichtungen und Werkstätten für behinderte Menschen  – lässt sich rasch erweitern, wenn z. B. auch spezielle Vereine oder Organisationen wie Behindertensportvereine und Einrichtungen der Erwachsenenbildung für Menschen mit Behinderung, aber auch Wohlfahrtsverbände, Landesarbeitsgemeinschaften »Hilfe für Behinderte« oder so genannte »People First«- bzw. »Mensch zuerst«-Gruppen einbezogen werden. Wenn es gelingt, vorurteils- und mitleidsfrei auf diese Menschen und Institutionen zuzugehen, sind stets aufgeschlossene und interessierte Gesprächsund Projektpartner anzutreffen.

Museumspädagogische Arbeit zur Zielgruppe bringen Ein wichtiger (Zwischen-)Schritt zum Abbau von Barrieren ist, die museumspädagogische Arbeit zur Zielgruppe zu bringen, indem niederschwellige Angebote geschaffen werden. Dieser Ansatz scheint einem Inklu­sionsanspruch zu widersprechen und eher einen Rückschritt in Richtung Segregation darzustellen. Gemeint ist dieser Gedanke aber als eine Art Zwischen- und Durchgangsstation, um Kontakte anzubahnen und zu vertiefen, Scheu vor einem Musentempel abzubauen und damit

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letztlich auch Schwellenangst zu reduzieren oder gar ganz zu beseitigen. Theater nutzen beispielsweise ähnliche Ideen, um neue oder andere Zielgruppen zu erreichen, wenn etwa Spielorte aus dem »großen Haus« in andere Räumlichkeiten verlagert werden. Dahinter steht vor allem die Idee, mögliche Barrieren abzubauen oder Schwellen zu verringern. Das »Museum vor Ort« bietet die Möglichkeit, mit entsprechenden Kooperationspartnern aus dem Bereich der Behindertenhilfe gemeinsam in diese Richtung zu gehen. Solche möglichen Zwischenschritte sind genau zu überlegen; bei ihrer Planung kommt es vor allem auf eine konkrete Klärung oder Eingrenzung der Zielgruppe an. Menschen mit einer schweren oder Komplexen Behinderung könnten zu einer solchen besonders anzusprechenden Zielgruppe gehören.

Vermittlungs- und Aneignungswege gestalten Museumspädagogik ist immer auch die Suche nach Vermittlungswegen. Gleiches gilt für die Heil- und Sonderpädagogik. Das Konzept der »Elementarisierung« kann hier nützlich sein (Heinen 1989). Dabei handelt es sich nicht um eine simple Vereinfachungsstrategie. Vielmehr geht es im Kern darum, den gesamten Lernprozess zu strukturieren, zu verdichten und zu konkretisieren (Schütte/Schlummer 2016, S. 121). In der Weiterentwicklung des pädagogischen und didaktischen Konzeptes der Elementarisierung in der Sonderpädagogik wurde der bisherige Aspekt der Vermittlungswege zur Dimension der »elementaren Aneignungswege« verändert (Lamers/Heinen 2006). Denn beim bisherigen Konzept der Elementarisierung ist deutlich geworden, dass nicht eine eher einseitige, vom Lehrer geprägte Wahl der Methoden im Vordergrund stehen darf, wie es bei einem reinen Vermittlungsaspekt der Fall zu sein scheint. Vielmehr ist Elementarisierung als ein Beziehungsgeschehen zu sehen und meint »Lehr- und Lernentscheidungen, die unter lebensweltlichen und biografischen Bedingungen, in sozialen und kulturellen Kontexten, im Zusammenhang von ethisch-moralischen Traditionen getroffen werden oder sich ergeben« (Lamers/Heinen 2006, S. 163). Das bedeutet u. a., dass »Vermittlung« als Begriff nicht ausreicht, da er nicht eindeutig die wechselseitige Beziehung z. B. zwischen Lehrerin und Schülerin darstellt. Der Perspektivenwechsel hin zu »elementaren Aneignungswegen« erweitert bisherige Vorstellungen von Handlungsmöglichkeiten und bietet einen neuen Blick auf die Anwendung der Elementarisierung im Sinne des ge-

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meinsamen Beziehungsgeschehens, an dem der Mensch mit geistiger Behinderung einen wichtigen Anteil hat. So können sach- und personengerechte Lernarrangements und individuelle Aneignungsprozesse ermöglicht werden. Für museumspädagogisches Arbeiten mit der Zielgruppe »Menschen mit geistiger Behinderung« bedeutet dies, dass der Museumspädagoge nicht lediglich ein Methodenexperte und Vermittler von Inhalten sein darf, sondern dass er sein »Gegenüber« in seiner Ganzheitlichkeit, mit seinen persönlichen und individuellen Erfahrungen berücksichtigen und einbeziehen muss.

Methodisch-didaktische Kompetenz aus der Heil- und Sonderpädagogik integrieren Eine Auswahl von Konzepten, Modellen und Methoden aus der Heil- und Sonderpädagogik und der Behinderten- bzw. Geistigbehindertenpädagogik mag verdeutlichen, welcher Professionalisierungsanspruch für Kooperationen anzustreben ist. Hier gilt es vor allem, entsprechende Kompetenzen professionell in die Museumsarbeit zu integrieren. Bei der Auswahl wird die von Bernasconi und Böing (2015) eingesetzte Systematik verwendet.

Körper – Wahrnehmung – Bewegung Zu nennen ist hier zunächst die »Basale Stimulation«. Bei dem von Andreas Fröhlich entwickelten Ansatz handelt es sich um ein entwicklungsorientiertes Konzept. Ferner ist der von Wolfgang Praschak begründete handlungsorientierte Ansatz »Sensumotorische Kooperation« zu berücksichtigen.

Beziehung – Dialog – Kommunikation Zu dieser Kategorie gehört die »Basale Kommunikation«, ein kommunikationsorientierter Ansatz nach Winfried Mall. Bedeutsam ist ferner die »Elementare Beziehung«, ein dialogorientiertes Konzept nach Barbara Fornefeld. Schließlich gehört in diese Reihe auch die vielfältige »Unterstützte Kommunikation«. Diese kommunikationsorientierte Methode wurde in Deutschland vor allem durch Ursula Braun weiterentwickelt und verbreitet.

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Didaktische Konzepte Der von Heinz Mühl entwickelte didaktische Ansatz »Handlungsorientierter Unterricht« ist hier besonders zu nennen. Ferner ist bedeutsam die »Entwicklungslogische Didaktik«, ein von Georg Feuer entwickeltes pädagogisches und inklusionsorientiertes Konzept. Schließlich gehören in diese Gruppe auch das von Norbert Heinen auf die Geistigbehindertenpädagogik übertragene Konzept der »Elementarisierung« und das bereits zitierte, hieraus gemeinsam von Wolfgang Lamers und Norbert Heinen weiterentwickelte bildungsorientierte Konzept »Bildung mit ForMat«. Außerhalb klassischer heil- und sonderpädagogischer Ansätze seien abschließend noch das eher theoretisch angelegte anthropologisch-sozialphilosophische Konzept der »Resonanz« nach Hartmut Rosa und die aus der Öffentlichkeitsarbeit in die heilpädagogisch orientierte Biografiearbeit übertragene Methode der »Institutiografiearbeit« nach Werner Schlummer (Kleinen/Schlummer 2006) aufgeführt. Bei letzterem Ansatz geht es darum, die institutionelle Entwicklung über einen längeren Zeitraum mit den Lebenserfahrungen der zu begleitenden Menschen in Bezug zu setzen. In diesem Sinne reflektiert die »Institutiografiearbeit« die Entwicklungen und Erfahrungen im Umgang mit Behinderung im direkten Bezug zur eigenen Einrichtung der Behindertenhilfe. »Institutiografiearbeit« versteht sich somit als besondere Form der Biografiearbeit, indem sie individuelle Biografien in eine professionelle institutionelle Öffentlichkeitsarbeit integriert.

Vielfalt und Erfahrungen – erfolgreiches Wechselspiel?! Im Zusammenhang mit den lediglich skizziert aufgelisteten Methoden im Rahmen einer inklusionsorientierten Museumsarbeit ist vor allem zu unterstreichen, dass die vorgestellten Konzepte, Modelle und Methoden einer professionellen Anwendung bedürfen. Aus Sicht des Museums bedeutet dies in der Regel, dass eine fachliche Zusammenarbeit mit Professionellen aus der Behindertenhilfe gewährleistet sein sollte. Durch dieses methodische, pädagogische und künstlerische Zusammenwirken dürfte sich eine gegenseitig anregende und weiterentwickelnde professionelle Zusammenarbeit im Sinne einer inklusionsorientierten Perspektive ergeben. Die Vielfalt von heil- und sonderpädagogischen Konzepten wird im Zusammenspiel mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Museen zu einem erfolgreichen Wechselspiel zwischen den Beteiligten führen.

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H eilpädagogische und E rwachsenenbildungskompetenz im K onte x t von K unst und K ultur Bei dieser Thematik sind verschiedene Aspekte miteinander verknüpft. Zunächst geht es darum zu verdeutlichen, dass Institutionen der Erwachsenenbildung im Kontext von Kunst und Kultur überhaupt eine Bedeutung haben. Bei ihnen liegt aber auch die besondere (Mit-)Verantwortung dafür, die Verbindung von Kultur und Bildung ständig und stetig zu aktualisieren. In diesem Sinne sind die dort professionell Tätigen immer auch auf der Suche nach neuen Wegen und Verbesserungsmöglichkeiten. Diese Professionellen verstehe ich als Querdenker: Sie greifen systemkonforme und -kritische Aspekte auf, beziehen sie in kulturellen Bildungsprozessen aufeinander und machen sie somit durchschaubar. So sind die in diesem kulturellen Kontext verwendeten Methoden in besonderer Weise geeignet, wesentliche kritische und innovative Impulse vor allem durch persönliche Erfahrbarkeit zu erzeugen. Hier wird die etymologische Wurzel von Kultur deutlich. Das lateinische Wort cultura meint »Bearbeitung«, »Pflege« und »Ackerbau«. So geht es in Kunst und Kultur im weitesten Sinne immer darum, was der Mensch selbst gestaltet und hervorbringt. Dieser Hintergrund verdeutlicht dadurch auch  – und hier spreche ich bewusst von Kunst – die »hohe Kunst« der Erwachsenenbildung, die für den Kontext des lebenslangen Lernens erforderlich ist. Zum Selbstverständnis einer solchen Kunst der Erwachsenenbildung gehört es, das Individuum als sich bildende und den eigenen Bildungsprozess aktiv gestaltende Persönlichkeit zu sehen. Dazu gehört ferner, Möglichkeiten des selbst gesteuerten Lernens zu schaffen. Voraussetzung dafür ist die intensive Förderung individueller Lernbedingungen. Das abgestimmte Zusammen-»Spiel« der beiden Professionsfelder Heil- und Sonderpädagogik sowie Kunst- und Museumspädagogik ist dabei grundlegend. Es geht darum, Stärken und Schwächen im Verlauf individueller Lernprozesse zu berücksichtigen und somit das Fundament für lebenslanges Lernen zu schaffen: für individuelle Lernerinnen und Lerner, für individuelles Lernen und für ein individuelles Lerntempo. Wenn man sich abschließend institutionelle Aktivitäten anschaut, so bieten innerhalb der Museumsarbeit aus meiner Sicht besonders Stadtmuseen eine sehr gute Ausgangsposition für eine Zusammenarbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung. Sie stellen mit ihren lebens-, alltags- und bürgernahen Bezügen nämlich einen fruchtbaren Boden für

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diese Zusammenarbeit dar und eine kreativ aufzugreifende Themenvielfalt ist dort besonders gegeben.

Z um A bschluss : ein M ut machendes K re ativ -B eispiel Mit dieser abschließenden Bemerkung wende ich mich gegen ein häufig anzutreffendes Vorurteil, dass Menschen mit geistiger Behinderung vor allem durch ihre Defizite auffallen oder gar zu charakterisieren sind. Hier besteht die Gefahr, mögliche positive Überraschungen nicht wahrzunehmen bzw. gar nicht zu erwarten. Im Rahmen einer Kölner Initiative, die im Zusammenhang mit dem 2003 durchgeführten Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen entstanden ist, haben sich Menschen mit und ohne Behinderung mit ihrer Lebenssituation befasst  – nicht als Selbstzweck, sondern um die Lebensverhältnisse in ihrer Großstadt kritisch zu beleuchten und zu verbessern. Diese Menschen haben sich damals zur Gruppe »IncluCity Cologne« zusammengeschlossen (Inclucity 2008). Auch Menschen ohne Behinderung brachten sich dabei ein, um die Mitglieder mit Behinderung in dieser Gruppe u. a. engagiert zu unterstützen und zu begleiten. Bei ganz unterschiedlichen Aktionen und Treffen gab es auch viele kreative Phasen, in denen z. B. den Alltag bezeichnende und beschreibende Sätze formuliert und entwickelt wurden. Ein Satz scheint mir besonders deutlich zu machen, was Kreativität von Menschen bedeuten kann. So hat eine junge Frau mit geistiger Behinderung selbstkritisch, ironisch und letztlich auch unsere Gesellschaft entlarvend formuliert: »Kann ich Ihnen behinderlich sein?« Treffender und humorvoller kann man eigentlich wohlmeinende gesellschaftliche Gepflogenheiten wohl kaum »auf die Schippe« nehmen.

L iter atur Bernasconi, Tobias/Böing, Ursula: Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung, Stuttgart 2015. Bundesgesetzblatt: Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte

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von Menschen mit Behinderungen. In: Bundesgesetzblatt, Jahrgang 2008, Teil II, Nr. 35, Bonn 2008. Heidenreich, Gert: Wir sind Kultur  – Über geistige Ernährung. SWR2 Aula v. 13. Dezember, Stuttgart 2009. Heinen, Norbert: Elementarisierung als Forderung an die Religionsdidaktik mit geistigbehinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Aachen 1989. Hüppe, Hubert – Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen: UN-Behindertenrechtskonvention – Leichte Sprache, Berlin, Bonn 2010. Inclucity: IncluCity Cologne  – eine Selbstvertretungsgruppe von Menschen mit Lernschwierigkeiten stellt sich vor. In: Gerd Heß/Gaby Kagemann-Harnack/Werner Schlummer (Hg.): Wir wollen – wir lernen  – wir können! Erwachsenenbildung, Inklusion, Empowerment, Marburg 2008, S. 138–145. Klafki, Wolfgang: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik – Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik, Weinheim 1991. Klauß, Theo: »Geistige Behinderung« – vom Dilemma eines Begriffs. In: Gerd Heß/Gaby Kagemann-Harnack/Werner Schlummer (Hg.): Wir wollen  – wir lernen  – wir können! Erwachsenenbildung, Inklusion, Empowerment, Marburg 2008, S. 196–203. Kleinen, Michael/Schlummer, Werner: Von der Biografie- zur Institutiografiearbeit. Die Bedeutung von Lebensgeschichten für die Öffentlichkeitsarbeit in Einrichtungen der Behindertenhilfe. In: Zeitschrift Erwachsenenbildung und Behinderung, H. 2, Berlin 2006, S. 29–40. Lamers, Wolfgang/Heinen, Norbert: Bildung mit ForMat – Impulse für eine veränderte Unterrichtspraxis mit Schülerinnen und Schülern mit (schwerer) Behinderung. In: Desiree Laubenstein/Wolfgang Lamers/Norbert Heinen (Hg.): Basale Stimulation: kritisch – konstruktiv, Düsseldorf 2006, S. 141–205. Schlummer, Werner/Schütte, Ute: Mitwirkung von Menschen mit geistiger Behinderung, München 2006. Schütte, Ute/Schlummer, Werner: Schülermitverantwortung. Förderschulen und inklusive Schulen erfolgreich gestalten, Stuttgart 2016. ZEuB  – Zeitschrift Erwachsenenbildung und Behinderung: Seit 1990 Fachzeitschrift und Publikation der Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung, weitere Informationen: www.geseb.de.

Das Museum als sozialer Ort zwischen Museumspädagogik und Sozialarbeit Bernhard Graf

V orbemerkung : Z ur R olle des M useums Die Museen sind einzigartige Institutionen, die Originale und Kontexte des kulturellen Erbes und Naturerbes sammeln und ausstellen. Ihre Relevanz ist schon immer mit ihrer Bildungsfunktion begründet worden. Museen kommunizieren aktiver als andere klassische Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Durch ihre Dauer- und Sonderausstellungen sowie ihre inhaltsgeprägten Event- und Begegnungsformate erreichen Museen ein breites Publikum und sind eigenständige und erfolgreiche Agenten einer auf viele Bevölkerungsschichten ausgerichteten Wissensund Wissenschaftskommunikation (Graf/Rodekamp 2012, S. 417).

D as M useum als sozialer O rt Nach ihrem Selbstverständnis sind Museen Träger und Vermittler des materiellen und immateriellen Kulturerbes der Menschheit und des Naturerbes. Museen haben durch die Erschließung ihrer Sammlungen und durch die aktive Erforschung ihrer Kontexte einen herausgehobenen gesellschaftlichen Stellenwert. Doch wie steht es um die Außensicht? Wenn über Museen gesprochen oder geschrieben wird, denken die meisten an Kunstmuseen oder kulturgeschichtliche Museen des klassischen Typs, oder es wird über nationale Vorzeigeprojekte wie das Humboldt Forum debattiert, das ja überwiegend außereuropäische Kulturen zeigen soll und wird und dabei nach Meinung bekannter Feuilletonisten eben eine transkulturelle, nicht-west-

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liche Perspektive vermissen lässt. Der Anteil des der Stadt Berlin gewidmeten Stockwerks, das Paul Spieß und die Stiftung Stadtmuseen Berlin mit allgemeinen und globalen Themen bespielen wird, tritt dabei oft in den Hintergrund. Wieso sollten sich also gerade Museen als Imageträger der Hochkultur besonders eignen, Inklusion zu befördern? Museen gewinnen ihre Bedeutung immer im Dialog mit der Gesellschaft. Jede Sammlung, die Grundlage aller Museen, ist zeitbasiert, ebenso die Forschung an den Objekten. Museen teilen dieses Schicksal mit allen Einrichtungen unseres Wissenschaftssystems, aber das Bewusstsein über diesen Umstand ist bei Museen in der Regel gering ausgeprägt. Aus wissenschaftshistorischer Perspektive sind Museen also gut beraten, sich zu verdeutlichen, dass sie die Geschichte und ihre erzählten Geschichten von der jeweiligen Gegenwart aus erklären und vermitteln. Das macht allerdings deutlich, wie fragil die Evidenz ihrer Aussagen ist. Damit sind Museen per se soziale Orte  – sowohl für ihr Publikum, das sie vor Ort besucht, als auch für all diejenigen, die sich mit ihnen wissenschaftlich oder persönlich auseinandersetzen. Der Soziologe Volker Kirchberg, der heute an der Universität Lüneburg lehrt, formuliert das folgendermaßen: »Museen, die auch ihren städtischen Standort als Arbeitsauftrag verstehen, müssten die heutigen Probleme des sozialen Umfeldes in ihre Arbeit aufnehmen und die Diskussion dieser Probleme mit Besuchern suchen.« (Kirchberg 2005, S. 106) Dass den Museen auch Eigenschaften des »Social Engineering« zugeschrieben werden, legitimiert sie zusätzlich. Es besteht aber die Gefahr, dass dabei Konzepte entstehen können, die Museen auch ohne klassische Kernaufgaben und ohne das Fundament einer Sammlung als möglich erscheinen lassen. Davor warnt Kirchberg ganz ausdrücklich. Er formuliert das wie folgt: »Allerdings sollte das nicht zu einer vollständigen Eliminierung der traditionellen Funktionen führen: die Diskussion und das Vermitteln gegenwartsbezogener Themen sollte immer in sozialgeschichtlichen Zusammenhängen stattfinden, denn ansonsten wäre das Museum allein ein städtisches Kulturzentrum.« (Kirchberg 2005, S. 107)

Das Museum als sozialer Or t zwischen Museumspädagogik und Sozialarbeit

»A ntihegemoniale F unktion von M useen in der S tadt«: S ind inklusive S tadtmuseen noch M useen oder schon die M useen der Z ukunf t ? Stadtmuseen scheinen besonders geeignet, über ihre traditionellen Aufgaben hinaus soziale Funktionen im Sinne einer inklusiven Museumsarbeit zu ermöglichen. Dies wird aus den Konzeptionen aktueller Stadtmuseumsprojekte deutlich. Hier soll exemplarisch auf die Neukonzeption in Frankfurt a. M. und Stuttgart eingegangen werden. Im Leitbild des Historischen Museums Frankfurt a. M. heißt es u. a.: »Das Historische Museum Frankfurt verwandelt sich gerade vom Fachmuseum für Geschichte zum Stadtmuseum der Mainmetropole und eröffnet 2017 sein neues Ausstellungshaus mit den Dauerausstellungen Frankfurt Jetzt! und Frankfurt Einst?. Es wird zum Ort der Information, Reflexion und Diskussion über Frankfurt und bietet differenzierte Erklärungen und Hintergründe der städtischen Geschichte an. Als Forum für die wichtigen Themen der Stadtgesellschaft trägt es zur Verständigung über die Gegenwart und Zukunft der Stadt bei. Das Museum reagiert mit seinen Sammlungen, Ausstellungen und Veranstaltungen ebenso auf die Gegenwart, wie es zukunftsbezogene Fragen stellt. Das Museum ist partizipatorisch ausgerichtet, es nimmt den Erfahrungs- und Wissensschatz seiner Besucher ernst und nutzt ihn als integrierten Bestandteil. Das neue Historische Museum Frankfurt spricht alle Bewohner/innen und Besucher/innen der Mainmetropole an. Es richtet sich in spezifischer Weise an die zahlreichen Neubürger aus den unterschiedlichsten Kulturen der Welt und an die internationalen Gäste am Messestandort und Verkehrsknotenpunkt Frankfurt.« (https://www.historischesmuseum-frankfurt.de/de/ueberuns)

Das Stadtmuseum Stuttgart formulierte im Juli 2013 sein Leitbild wie folgt: »Das Stadtmuseum stellt die Menschen – als Besucher ebenso wie als Akteure in Vergangenheit und Gegenwart – in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Die Lebenserfahrungen von Stuttgarterinnen und Stuttgartern und ihre vielfältigen Geschichten stehen im Zentrum des Museums. Das Museum ist sich bei der Wahl seiner Themen und Präsentationen seines pluralistischen Publikums bewusst, denn es will als kommunale Einrichtung eine möglichst breite Öffentlichkeit ansprechen. Kinder und Jugendliche mit ver-

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schiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen sind eine besonders wichtige Zielgruppe des Museums. Das Stadtmuseum Stuttgart hat einen Kultur- und Bildungsauftrag, den die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums als gesellschaftlichen Grundwert und als Beitrag zur sozialen Qualität der Stadt verstehen. Besucherorientierung ist ein Grundsatz des Stadtmuseums: Inhalte werden lebendig präsentiert, komplexe Zusammenhänge verständlich erklärt. Besondere Vorkenntnisse sind für das Verständnis und Erleben der Ausstellungen nicht nötig. Alle Ausstellungen und Aktivitäten werden im Zusammenspiel von Wissenschaft und Pädagogik entwickelt. Die Besucherinnen und Besucher des Stadtmuseums sollen sich willkommen und wohl fühlen. Das Stadtmuseum ist ein öffentlicher städtischer Raum – Besucherservice und Besuchskomfort sind ein integraler Bestandteil der Konzeption. Barrierefreiheit ist ein Gebot.« (www.stadtmuseum-stuttgar t.de/assets/files/newsroom/allgemein/stadtmu​ seum/sms-presse_stadtmuseum_leitbild.pdf)

Martin Gentischer hat 2011 am Beispiel des in Planung befindlichen Stuttgarter Stadtmuseums eine Fallstudie für das Museumsmarketing erarbeitet. Darin formuliert er Ziele für das im April 2018 eröffnete Museum: »Soziale Ziele: • Ort der Gemeinschaft sein, gegen zunehmende Vereinsamung des Individuums in der Großstadt, wo es immer mehr Singles und alleinstehende ältere Menschen gibt; • Ort des Dialogs und der Kommunikation zur Pflege des sozialen Miteinanders; • Partizipation der Ansprechgruppen an der Gestaltung der Inhalte; • Hohe Mitarbeiterzufriedenheit; • Soziale Erfüllung und Befriedigung für ehrenamtliche Mitarbeiter.« (Gentischer 2011, S. 39)

Auch die Deutsche Arbeitswelt Ausstellung Dortmund (DASA) hat sich 2017 dem Thema »Museum als sozialer Ort« verschrieben. Die DASA Arbeitswelt Ausstellung ist ein 1993 als Deutsche Arbeitsschutzausstellung eröffnetes Museum in Dortmund und versteht sich als kreativer Lernort für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit mit Freizeitwert. Die Ausstellung präsentiert auf 13.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche Arbeitswelten von gestern, heute und morgen. Sie ist die ständige bildungsaktive Einrichtung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz

Das Museum als sozialer Or t zwischen Museumspädagogik und Sozialarbeit

und Arbeitsmedizin und informiert die Öffentlichkeit über die Arbeitswelt, ihren Stellenwert für Individuum und Gesellschaft sowie über die Bedeutung menschengerechter Gestaltung der Arbeit. Jährlich richtet die DASA ein Szenografie-Kolloquium aus, das im Jahr 2017 unter dem Motto »Ausstellung als sozialer Raum« stattfand. Im Programm dazu heißt es: »Das Museum ist dem Sammeln und Bewahren verpflichtet. Dabei ist das Museum heute weit mehr als nur ein Ort für die Präsentation von Objekten. Immer stärker steht die Thematisierung der Gegenwart im Fokus. Mehr noch: Das Museum ist ein Raum, in dem soziale Aktion stattfindet und der als herausgehobenes Aktionsfeld dabei helfen kann, Formen des sozialen Handelns weiterzuentwickeln.«

Folgende Leitfragen standen beim Szenografie-Kolloquium im Mittelpunkt: • »Wie können sich Museen den neuen Anforderungen einer sich immer differenzierteren und divergierenden Gesellschaft stellen? • Welche neuen inhaltlichen Zugänge können geschaffen werden? Welche Rolle spielen hierbei Themen wie Perzeption, Dialog, Emotion und Authentizität? • Verschieben sich durch geforderte und neue Formen der Partizipation die klassischen Rollenverhältnisse zwischen Kurator und Publikum, und • welche Strategien braucht die Szenografie, um den Forderungen nach Repräsentation, Teilhabe und sozialer Inklusion auch in der Ausstellungsgestaltung nachzukommen?« (https://www.dasa-dortmund.de/fachbesucher/szenografie-in-der-dasa/kollo​ quium-2017/)

Im Folgenden sollen einige Leitbegriffe der aktuellen Debatte diskutiert werden. Dabei sind die vorgestellten Begriffspositionen keineswegs als abgeschlossener Forschungsstand zu verstehen, sondern vielmehr als Aufforderung, auf dieser Basis weiter zu denken. Nur so wird Forschung zum Prozess, an dem wir alle beteiligt sind, sei es als theoriebasierte Disputanten oder als Partner reflektierenden Handelns in der Praxis.

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W as ist Partizipation ? Hier sei auf die Arbeit von Nina Simon verwiesen. In ihrem Buch »The Participatory Museum« unterscheidet sie vier Partizipationsmodelle für Museen, die abhängig vom Ziel des Museums oder des Projekts angewandt werden können, jedoch nicht qualitativ miteinander verglichen werden sollten (vgl. Simon 2010, S. 188).

1. Contribution (dt. Mitarbeit): Der gängigste Weg der Partizipation ist die Mitarbeit. Besucherinnen und Besucher können sich einbringen, indem sie ihre Gedanken und Werke in öffentlichen Foren teilen, bei Museumsbesuchen mündlich oder schriftlich Feedback geben, Objekte oder Werke für Crowdsourcing-Ausstellungen und Sammelprojekte zur Verfügung stellen, ihre Meinung im Gästebuch, auf Kommentarwänden, auf Fahrten oder Bildungsprogrammen äußern oder Erinnerungen und Fotografien im Internet zur Schau stellen (vgl. Simon 2010, S. 203 f.).

2. Collaboration (dt. Zusammenarbeit): Während unter Contribution eine eher beiläufige Mitarbeit der Besucher zu verstehen ist, basieren Collaborations-Projekte auf einer Bindung zwischen Teilnehmenden und Museum und werden von den Museen initiiert. Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter arbeiten mit Partnern aus der Community an neuen Programmen, Ausstellungen und Angeboten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können vom Museum aufgrund ihres spezifischen Wissens, ihrer Fähigkeiten oder ihrer Verbindung zu relevanten Kultur- oder Zielgruppen ausgewählt werden. Bei manchen Collaboration-Projekten können die Teilnehmenden als Beraterinnen und Berater dienen, bei anderen als (ehrenamtliche) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zusammen mit dem Museumspersonal an der Planung und Durchführung von Projekten arbeiten (vgl. Simon 2010, S. 231 f.).

Das Museum als sozialer Or t zwischen Museumspädagogik und Sozialarbeit

3. Co-creation (dt. Mitbegründung): Co-creation-Projekte basieren auf Partnerschaften mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und sind nicht allein darauf ausgelegt, den Zielen der Institution zu dienen. So können Communities die Beihilfe des Museums suchen, um Projekte zu ermöglichen, oder das Museum kann den Kontakt zu bislang unbeachteten Gruppen suchen, um voneinander zu profitieren. Co-creation-Projekte ermöglichen es Kultureinrichtungen, lokalen Communities eine Stimme zu geben und auf ihre Bedürfnisse einzugehen, den Community-Mitgliedern einen Ort zu geben, an dem sie sich engagieren und in Dialog treten können, und Teilnehmerinnen und Teilnehmern dabei zu helfen, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln, so dass sowohl individuelle wie auch Ziele der Community gefördert werden (vgl. Simon 2010, S. 263 f.).

4. Hosting (dt. Moderation): Bei Hosting-Projekten stellt das Museum einen Teil seiner Räumlichkeiten und/oder Ressourcen zur Verfügung, um Angebote zu präsentieren, die von Gruppen oder Besucherinnen und Besuchern entwickelt und durchgeführt werden. Die Institutionen teilen ihren Raum und/oder ihre Werkzeuge mit gänzlich unterschiedlichen Gruppen, von Amateurastronomen bis hin zu Strickern. Hosting-Projekte ermöglichen es Teilnehmerinnen und Teilnehmern, den Rahmen der Institution zu nutzen, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Die Beteiligung des Museums ist dabei minimal. Hosting-Projekte können die Öffentlichkeit ermutigen, die Institution auf vielfältige Art und Weise zu nutzen, unterschiedlichen Perspektiven, Ausstellungen und Performances Raum bieten, die Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nicht präsentieren wollen oder können, sowie neue Zielgruppen erreichen, die die Institution bislang nicht als Ort für ihre Interessen begriffen haben (vgl. Simon 2010, S. 281). Was kann passieren, wenn Museen das in die Praxis umsetzen? Martin Düspohl, der frühere Direktor des Kreuzberg-Museums, gab auf dem Dortmunder Szenografie-Kolloquium im Januar 2017 einige Hinweise zur Wirkung von Partizipation in Museumsausstellungen.

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»Beispiel 2: Wer Partizipation will, muss sich darauf einlassen und so manches akzeptieren. In einer weiteren Ausstellung holte man die Bewohner ins Museum. Als Zeitzeugen sollten sie sich und ihr Leben vorstellen. Sie gestalteten kleine Bereiche mit Fotos, Texten, Objekten und subjektiven Eindrücken. Die Gestaltung entsprach nicht unbedingt dem üblichen Anspruch, die Inhalte waren auch geschichtlich nicht immer korrekt, aber die Ausstellung verfügte so über viel Authentizität. Auf Kritik jüngerer Besucher hin, die sich dort nicht abgebildet fühlten, wurden nachträglich Berichte von jüngeren Zeitzeugen ergänzt. Neben den ausgestellten Objekten sollten auch die Zeitzeugen hin und wieder selbst anwesend sein. Doch die Bewohner kamen plötzlich täglich (30–40 Personen), erzählten jedem ihre Geschichte, brachten Essen und Trinken mit, trafen sich im Museum und verbrachten dort ihre Zeit. Der Bezug zwischen Zeitzeugen und Museumsteam wurde auch immer enger. Und so kam man auch mit alltäglichen Problemen z. B. mit Behörden auf das Team zu. Klingt zunächst gut, doch auf so etwas ist ein Museum nicht vorbereitet, hat keine passenden und ausreichend großen Räume, Essgelegenheiten und personellen Kapazitäten. Die Ausstellung verselbständigte sich und wurde mehr zum Stadtteiltreff. Trotzdem war sie insgesamt ein Erfolg. Das lag unter anderem an drei Dingen: 1. Wenn man Menschen um Beiträge bittet, bekommt man nicht immer das, was man im Idealfall gerne hätte. Nicht jede Geschichte, die einem Menschen wichtig ist, passt. Nicht jede Gestaltung entspricht den eigenen Vorstellungen. Doch bis zu einem gewissen Grad muss man eigene Vorstellungen oder Ansprüche zurückstellen, um die Teilhabe nicht gleich wieder im Keim zu ersticken. 2. Auch inhaltlich muss man offen bleiben. Nicht alle Aussagen der Zeitzeugen waren geschichtlich korrekt. Besucher kritisierten das. Gleichzeitig führte es aber auch zu Gesprächen! Man muss also den Mut haben Subjektivität und eventuell streitbare Aussagen zu akzeptieren, die letztlich auch positive Effekte haben können. 3. Man sollte flexibel sein und bleiben. Nicht nur während des Entstehungsprozesses, auch danach können sich in der Praxis Fehler, Probleme oder Entwicklungen zeigen, an die man vorher nicht gedacht hat. Gerade bei partizipativen Projekten, die nicht selten etwas Neues (neues Team, neuer Prozess, neue Ideen) ausprobieren, ist das nichts außergewöhnliches! In diesem Beispiel waren die Zeitzeugen teilweise etwas überambitioniert, womit man irgendwie umgehen musste. Zudem hat man jüngere Menschen vorab zu wenig bedacht, worauf man noch während der Ausstellung reagierte.

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Trotzdem hat man aus Sicht von Martin Düspohl bei diesem Projekt auch nicht alles richtig gemacht. Ein Kritikpunkt der Besucherseite war, dass es sowohl inhaltlich als auch bei der Gestaltung an Struktur fehlte. Ganz alleine kann und sollte man die Teilnehmer daher nicht lassen. Eine räumliche, gestalterische, erzählerische Struktur, aber auch Ergänzungen von Fachleuten (in dem Fall historische Fakten) sollten eine Grundlage schaffen bzw. ergänzt werden. Gerade dieser Part bedarf aber viel Feingefühl und auch zeitlichen Aufwand: Man muss vermitteln, unterstützen, sich auch mal anpassen oder etwas umstrukturieren, aber nicht zu viel aufdrängen oder zu sehr beeinflussen wollen. Interessant ist auch seine Erfahrung, dass man Partizipation immer wieder herstellen muss. Nur weil die Anwohner bei diesem oder einem anderen Projekt beteiligt waren, kamen sie nicht immer von alleine wieder. Man muss sie immer wieder aktiv einbeziehen, ihr Interesse gewinnen, um eine nachhaltige Wirkung zu erreichen.« (Zitiert nach Stein/Stein 2017)

V on der V ielfalt zur I nklusion : D er D iversit y -A nsat z und die F r age nach G ruppen und G ründen . Z unächst : W as ist I nklusion ? Peter Siller bestimmt den Begriff der Inklusion aus ihrem Gegenteil: »Aus der Perspektive von Exklusion und Inklusion erfolgt die Beschreibung unserer Gesellschaft nicht mehr nach dem bloßen Kriterium der materiellen Unterschiede, sondern nach dem Maßstab des gesellschaftlichen Ausschlusses von zentralen Orten, Netzen und Systemen. Der eigentliche Gerechtigkeitsskandal besteht danach in einem weitreichenden Ausschluss bestimmter gesellschaftlicher Gruppen von entscheidenden öffentlichen Gütern: Bildung, Arbeit, Gesundheit, öffentliche Räume etc. Materielle Armut wurde so von dem zu einem Element der Exklusionsbeschreibung. Als positive Gegenbegriffe zur Exklusionsdiagnose etablierten sich Begriffe wie ›Teilhabe‹, ›Zugang‹ oder ›Durchlässigkeit‹ fest im politischen Begriffsarsenal. All diese Begriffe haben ihre Stoßrichtung darin, die sozialen Blocka­d en für bestimmte Gruppen zu überwinden.« (Siller 2017, S. 19)

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Im Jahr 2018 lässt sich eine Debatte um faire Teilhabechancen nicht führen, ohne im Sinne des Diversity-Ansatzes auch die individuellen Unterschiede von Menschen in den Blick zu nehmen. Nach Anita Rowe und Lee Gardenswartz lässt sich Diversity dabei in individuelle, soziale, organisationsbezogene, nationale und kulturelle Ebenen differenzieren. Als zentrale Dimensionen werden benannt: »Persönlichkeit, Geschlecht, Ethnizität, Alter, sexuelle Orientierung, Befähigung/ Behinderung, Bildung, Glaube, Familienstand, Elternschaft, Arbeitsfeld, Funktion, Abteilung, Dienstalter, Arbeitsort, politische Struktur, Wirtschaftssystem, Verteilung des Wohlstands, Individualität, soziale Hierarchie, Werte, politische Überzeugung, Lebensstil, Geschmack, Moden etc.« (Gardenswartz/Rowe 1998, S. 21)

Wie können Museen das in der Kuratierung ihrer Dauer- und Sonderausstellungen aufgreifen? Hier sei auf die Handreichungen für die Museumsarbeit »Museen als Schaufenster in die neue Welt. Im Blick: Migration und Flucht« verwiesen. Im Abschnitt »Jenseits der Vielfalt: Die sozialen Blockaden abbauen« werden »Zentrale Handlungsansätze« vorgestellt: »Museen können dazu beitragen, das soziale Gefüge in Städten und Kommunen zu stärken. Dafür sollte unter anderem die Gegenseitigkeit kultureller Beeinflussung und Durchdringung mehr in den Vordergrund gerückt werden. Dazu gehört auch, Ängste zu thematisieren, die im Zusammenhang mit dem Migrationsdiskurs stehen. Die Multiperspektivität einer Einwanderungsgesellschaft fordert mehr Wissen über die kulturellen Hintergründe der Einwanderer; beim Kuratieren von Ausstellungen und bei der Formierung der Sammlungen sollten daher kulturell bedingte Unterschiede in der Wahrnehmung dezidiert Verständnis finden. Das museale Archiv gewinnt vor diesem Hintergrund an Bedeutung. Denn durch eine Vielzahl von Perspektiven wird der Weg zur Interpretation von Objekten sehr komplex; will man mit einem Vermittlungsangebot eine bestimmte Gruppe von Besuchern erreichen, sind differenziert dargestellte Geschichten zu den ausgestellten Objekten unabdingbar. Gleichzeitig müsste eine gesunde Balance gefunden werden, die es erlaubt, das museale Spiegelbild von bestimmten Gesellschaften nicht zu stark zu kulturalisieren. Die transkulturelle Fragestellung darf nicht aus dem Blick geraten, weil sie dazu in der Lage ist, die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Themenstellungen zu integrieren.

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Und schließlich: Auch die Zusammensetzung des Personals sollte in den Museen mehr Diversität und interkulturelle gesellschaftliche Kompetenzen spiegeln. Mehrsprachigkeit und Diversifizierung des Museumsteams sollten selbstverständlicher Bestandteil der konzeptionellen Arbeit werden.« (Hillmann/Düspohl 2010, S. 17)

Doch nicht nur Stadtmuseen, auch klassische Kunst- und Kulturmuseen eignen sich sehr dazu, inklusive Angebote zu erarbeiten und Programme im Rahmen ihrer museumspädagogischen Arbeit anzubieten. Das zeigt das Förderprogramm »Pilot Inklusion« zur Entwicklung inklusiver Bildung und Vermittlung für Museen, das der Bundesverband Museumspädagogik e. V. von 2015 bis 2017 mit seiner Expertise unterstützte. Ziel war es, allen Kulturinteressierten mit ihrer Individualität in unserer divergenten Gesellschaft Zugang zu qualifizierten, teilhabeorientierten und gemeinschaftlichen Bildungserlebnissen zu bieten. Im Projekt »Pilot Inklusion« erarbeiteten und erprobten vier Museen modellhaft Ansätze für inklusive Bildung und Vermittlung und dokumentierten die dazu benötigten internen Prozesse. Partner im Projekt waren die Bundeskunsthalle in Bonn (gleichzeitig auch Projektträger), die Klassik Stiftung Weimar, das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg sowie die Städtischen Museen Freiburg. Die Ergebnisse wurden durch die Fachgruppe »Barrierefreiheit in Museen und Inklusion« in den Landes- und Regionalverbänden vorgestellt und diskutiert sowie in der Fachzeitschrift »Standbein Spielbein. Museumspädagogik aktuell« veröffentlicht. Der Kölner Verein Blinde und Kunst e. V. brachte seine Expertise ein und erhielt für das Projekt Unterstützung von der Aktion Mensch und der Kämpgen-Stiftung. Speziell an Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung richtete sich von 2016–2018 das von der Kulturstiftung des Bundes im Fonds Stadtgefährten geförderte Projekt »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!« des Stadt- und Industriemuseums Rüsselsheim. Die aktuellen Projekte in Rüsselsheim wurden im Rahmen der Tagung »Mittendrin: Kreative Zugänge zum Museum für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung« vorgestellt und diskutiert.

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L iter atur Bundeskunsthalle (Hg.): Pilot Inklusion: Module und Prozesse für Inklusion in Museen, Abschlussdokumentation des Förderprojekts »Entwicklung eines modularen Vermittlungskonzepts zu inklusiver Bildung im Museum (2015–2017)«, Bonn 2017. Als barrierefreies PDF https://www. bundeskunsthalle.de/fileadmin/user_upload/04Ver​m ittlung/inklu​ sion_ ​integration/Pilot_Inklusion_barrierefrei_.pdf (Zugegriffen: 20.08.2018). Gardenswartz, Lee/Rowe, Anita: Managing Diversity: A Complete Desk Reference and Planning Guide, New York 1998. Gentischer, Martin: Museumsmarketing: Fallstudie am Beispiel des Stuttgarter Stadtmuseums, Wiesbaden 2011. Graf, Bernhard/Rodekamp, Volker (Hg.): Museen zwischen Qualität und Relevanz. Denkschrift zur Lage der Museen, Berliner Schriften zur Museumsforschung, Bd. 30, Berlin 2012. Hillmann, Felicitas/Düspohl, Martin: Museen als Schaufenster in die neue Welt. Im Blick: Migration und Flucht. Handreichungen für die Museumsarbeit, Berlin 2016, https://leibniz-irs.de/fileadmin/user_upload/ Museen-als-Schaufenster-Handreichung.pdf (Zugegriffen: 20.08.2018). Kirchberg, Volker: Gesellschaftliche Funktionen von Museen: Makro-, meso- und mikrosoziologische Perspektiven, Berliner Schriften zur Museumskunde, Bd. 20, Wiesbaden 2005. Siller, Peter: Strategie Inklusion: Gleichheit in der pluralistischen Gesellschaft. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Grünbuch soziale Teilhabe in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme, Berlin 2017, S. 19–24, https:// www.boell.de/de/2017/01/05/gruenbuch-soziale-teilhabe-deutschland (Zugegriffen: 20.08.2018). Simon, Nina: The Participatory Museum, Santa Cruz 2010. Stein, Henning/Stein, Katharina: Zum Szenografiekolloquium 2017, www. eveosblog.de/2017/02/09/partizipation-beispiele-vorteile-risiken-sze​ nografie-kolloquium-2017/ (Zugegriffen: 20.08.2018).

Vom unbekannten zum vertrauten Ort – neue Besucherinnen und Besucher im Museum Das Projekt »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!« Cornelia Röhlke

Das zweijährige Projekt »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!« gehörte zu den ersten Vorhaben, die die Kulturstiftung des Bundes seit 2016 im Fonds Stadtgefährten förderte. Mit dem Fonds unterstützt die Stiftung Kooperationsprojekte zwischen Museen und ihren neuen Partnern in kleinen und mittleren Städten. Ziel der Projekte ist es, gemeinsam auf neue Besuchergruppen in der Stadtgesellschaft zuzugehen und ihnen den Weg ins Museum zu ebnen. Da es für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung vielfach noch an kulturellen Bildungsangeboten in Museen und anderen Kultureinrichtungen mangelt, initiierte das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim gemeinsam mit seinen Partnern, den Werkstätten für Behinderte RheinMain e. V. (WfB), dem Kunstverein Rüsselsheim e. V. und der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel das Projekt für kulturelle Teilhabe im Museum. Zwischen September 2016 und Juni 2018 entwickelte das Museum gemeinsam mit und für Menschen mit Beeinträchtigung museumspädagogische Angebote und Veranstaltungen. Die Mehrheit der Beteiligten, die an den Angeboten des Museums teilnehmen, kommt aus der WfB: Sie arbeiten als Beschäftigte in den Werkstätten in Rüsselsheim und den Standorten im Landkreis GroßGerau, Biebesheim und Mörfelden, leben in einer der Wohnstätten, besuchen die Integrative Kindertagesstätte oder nutzen als Senioren das Angebot der WfB zur Gestaltung des Tages. Der Kunstverein Rüsselsheim

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leistete wertvolle Unterstützung bei Kunstprojekten vor Ort, z. B. bei den Urban-Sketching-Angeboten, und gemeinsam mit der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel organisierte das Museum im April 2018 die Fachtagung »Mittendrin: Kreative Zugänge zum Museum für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung«.

Projektziele »StadtMuseum inklusive« startete im Herbst 2016 mit dem Ziel, für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung Möglichkeiten zur Teilhabe an kulturellen Angeboten zu entwickeln. Diese Zielgruppe, für die das Museum vielfach ein noch unbekannter Ort war, sollte gewonnen werden und sich das Haus und seine Ausstellung als Lern- und Erfahrungsort erobern. Nicht nur als Besucherinnen und Besucher waren sie willkommen, sondern gleichfalls als Akteurinnen und Akteure, die eingeladen waren, Kulturprojekte mitzugestalten und so zur Stadtkultur beizutragen: Partizipation sollte ermöglicht werden. Das Museum machte sich zur Aufgabe, Veranstaltungen für Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung zu konzipieren, um sie auch nach Abschluss des Projekts zu einem festen Bestandteil des Bildungsangebots im Museum werden zu lassen. Die Weitergabe der Projekterfahrungen an andere Museen und Träger kultureller Bildung sowie der Austausch und die Diskussion mit Kolleginnen und Kollegen hatte sich das Museumsteam für die letzte Projektphase vorgenommen. Im Rahmen der Fachtagung »Mittendrin: Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe im Museum für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung«, die im April 2018 realisiert werden konnte, sensibilisierte das Museum Bildungseinrichtungen und Förderpädagoginnen und -pädagogen für das Thema und diskutierte die in zwei Jahren gesammelten Erfahrungen. Auch im Haus selbst und im Mitarbeiterkreis strebte das Museum Inklusion an, so dass die Schaffung einer Arbeitsgelegenheit für einen Kollegen mit Beeinträchtigung fester Bestandteil des Projekts war.

Die Menschen im Mittelpunkt Das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim pflegt seit vielen Jahren zahlreiche Partnerschaften mit verschiedensten Einrichtungen der Stadt wie dem Kunstverein Rüsselsheim e. V., der Stiftung Alte Synagoge, der

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Bürgerstiftung Festung und ihres Freundeskreises und der Volkshochschule. Es ist in vielfältige kulturelle Netzwerke der Stadt eingebunden und wirkt mit seiner Arbeit in den Stadtraum hinein. Da Menschen mit Beeinträchtigung bisher kaum als Akteure im öffentlichen Raum auftreten, hat das Museum sich zur Aufgabe gemacht, sie als Teil der Stadtgesellschaft sichtbar werden zu lassen. Mit unterschiedlichen kreativen Zugängen wie künstlerischen Mitteln, Methoden aus der Theaterarbeit und der Museumspädagogik sowie Ansätzen der Förderpädagogik möchte es Wege zur Erreichung von Partizipation und Inklusion im Museum erproben sowie Zugänge zu seiner Ausstellung und zur kulturellen Bildung für diese Zielgruppe eröffnen, um Teilhabe zu erreichen. Diesem Ansatz liegt die Erfahrung zugrunde, dass eine rein verbale Vermittlung für Menschen mit Handicap nicht ausreichend ist. Die Veranstaltungen, die im Rahmen des Projekts zu entwickeln waren, sollten sich an den Bedürfnissen und Interessen der Besuchergruppe orientieren und so gestaltet sein, dass sie sich im Museum willkommen fühlen können. Da ein großer Teil der Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung nach der Beobachtung des Museums nicht die Möglichkeit hat (oder diese noch nicht nutzt), als Individualbesucherinnen und -besucher in ihrer Freizeit in ein Museum zu gehen, sich eine Ausstellung anzuschauen oder an einer Veranstaltung teilzunehmen, stand vor allem die Erarbeitung von Gruppenangeboten im Fokus des Projektes. Die Inhalte, anknüpfend an ihre Alltagserfahrungen und Kenntnisse, sollten »mit allen Sinnen erfahrbar« sein und ihnen darüber hinaus Raum geben, selbst aktiv zu werden. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten nach ihren Möglichkeiten und Interessen einbezogen werden und dabei sein können.

U mse t zung der P rojek tinhalte Erste Projektschritte Den Auftakt bildete im Herbst 2016 ein rund zweistündiges Angebot unter dem Titel »Spaß mit Seifenblasen«, bei dem rund 30 Gäste aller Altersgruppen zum Experimentieren mit Seifenlauge und zur »Schaumfabrik« in die Rüsselsheimer Festung kamen. Das Museum griff hier auf Elemente einer Mitmachausstellung des Kindermuseums München zu-

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rück, mit der das Team bei vorhergehenden Besuchen von Menschen mit Beeinträchtigung sehr gute Erfahrungen gemacht hatte. Die Arbeit mit Seifenlauge und Schaum bietet voraussetzungslose Zugangsmöglichkeiten für alle, auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen können über unterschiedliche sinnliche Ebenen teilhaben. Ziel war es, die neuen Besucherinnen und Besucher näher kennen zu lernen, ihr Interesse am Museum zu wecken und zu erfahren, mit welchen Bedürfnissen sie ins Museum kommen. Gleichzeitig bot sich ihnen die Gelegenheit, erste Kontakte zu der Einrichtung und dem gesamten Museumsteam herzustellen, das tatkräftig mit anpackte: Wichtig war hierbei vor allem, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Gelegenheit zu geben, sich mit dem Ort anzufreunden, Vertrauen aufzubauen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Mitmachausstellungen gehören seit Jahren zum festen Programm des Stadt- und Industriemuseums, so dass auch im Rahmen des Projekts verschiedene Gruppen der WfB unterschiedlichen Alters für ein bis zwei Stunden die jeweiligen Ausstellungen besuchten. Bereits im Herbst 2016 kamen einige Senioren aus dem Bereich »Gestaltung des Tages« der WfB, eine Gruppe Jugendlicher sowie die integrative Kindertagesstätte in die aktuelle Ausstellung zum Thema Energie, »An & Aus. Energie in Natur und Technik«. Gemeinsam probierten sie die verschiedenen Mitmachstationen aus, drehten ein Wasserrad, trieben Windräder an und schlossen einen menschlichen Stromkreis, um so kleine Autos in Gang zu setzen. Verschiedene Klassen einer Rüsselsheimer Förderschule waren 2017/2018 in der darauffolgenden Mitmachausstellung über Architektur und Bauen zu Gast und profitierten sehr von den verschiedenen Aktionsmöglichkeiten, die die Besucherinnen und Besucher auf ganz unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen ansprechen.

Plan der weiteren Aktivitäten Für die folgenden Projekte und Angebote wählten die Projektverantwortlichen verschiedene kreative Zugänge, um den neuen Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit zu geben, sich das Haus und seine Ausstellung erschließen zu können. Veranstaltungsformate mit unterschiedlicher Intensität und zeitlicher Dauer sowie verschiedene Organisationsformen und Termine wurden geplant. Im Mittelpunkt stand der Wunsch, weiterhin von und mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu lernen

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und Erfahrungen zu sammeln, die in die Planung weiterer Veranstaltungen einfließen konnten. Ferner fanden Ansätze aus der Praxis der Förderpädagogik und Arbeitsweisen der Museumspädagogik Eingang in die Veranstaltungsvorbereitungen, etwa Elemente der Unterstützten Kommunikation, die Verwendung von Leichter Sprache, eine mehrsinnliche Herangehensweise, die Stimulierung verschiedener Wahrnehmungsebenen, narrative Vermittlung, die Elementarisierung geplanter Arbeitsschritte oder Ansätze aus der Biografiearbeit. Im Verlauf des Projektzeitraums organisierte das Museum Veranstaltungen und Workshops mit kreativem und künstlerischem Zugang (z. B. Töpfern nach historischen Vorbildern, Bau einer Kugelbahn als Teambildungsangebot) und partizipative (z. B. das Ausstellungsprojekt »Rüsselsheim anders bauen«) sowie inklusive Angebote (»Lebendiges Museum: Theater am laufenden Band!« und Urban Sketching). Es gab Aktionen unterschiedlicher Dauer und Intensität (z. B. mehrtägige Veranstaltungen, ein- bis zweistündige Führungen oder Angebote über mehrere Monate). Mit diesen Projekten konnten wertvolle Erkenntnisse in Bezug auf Inhalte, Angebotsformate und Vermittlungsformen gewonnen werden. Unterstützung bei der Realisierung von Projekten erhielt das Museum von professionellen Künstlerinnen und Künstlern, Theaterpädagoginnen und Illustratorinnen.

A usge wählte Z ugänge Partizipativer Zugang: »Rüsselsheim anders bauen. Wie wir leben wollen« Ziel des partizipativen Ausstellungsprojekts »Rüsselsheim anders bauen. Wie wir leben wollen« war die gemeinsame Gestaltung einer begehbaren Stadtskulptur, die die Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Rüsselsheim, ihren Alltag, ihre Wünsche und Bedürfnisse im Stadtraum widerspiegeln sollte. Bewusst als Freizeitangebot geplant, fanden die Treffen am Freitagnachmittag statt. Damit stand der Workshop in Konkurrenz zu anderen Aktivitäten wie z. B. Sport, Computerkursen, Begegnungen mit Freunden und Verwandten oder Haushaltstätigkeiten nach einer langen Arbeitswoche für die Werkstattbeschäftigten. Es brauchte daher anfangs eine gewisse Zeit, bis sich eine feste Ausstellungsgruppe

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von zehn Personen zusammengefunden hatte. Ein Sonderausstellungsraum des Museums entwickelte sich im Verlauf von knapp drei Monaten zu einer Kunstwerkstatt. Unter der Leitung zweier Künstler beschäftigte sich die Gruppe mit grundlegenden Fragen: Wo fühlen wir uns wohl? Was gefällt uns an Rüsselsheim? Was könnte anders werden? Als Inspiration und Themeneinführung geplante gemeinsame Erkundungen in die Stadt mussten aufgrund der Witterungsbedingungen entfallen. Stattdessen bildeten über die gesamte Workshopzeit ein situativer Ansatz, ein mehrsinnlicher Zugang sowie Elemente der Biografiearbeit die Grundlage für die beständige Auseinandersetzung mit der Stadt und dem eigenen Leben in dieser. Ideen, Wünsche, Erinnerungen, spontane Einfälle, aber auch Ärgernisse, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ihrem Alltag mitbrachten, wurden aufgegriffen. Die Teilnehmenden wählten selbstständig den Aspekt der Stadt, mit dem sie sich auseinandersetzen und kreativ beschäftigen wollten: Die Stadt als Erlebnis- und Wunschraum stand im Mittelpunkt. Für einen Teilnehmer waren es Teile der eigenen Biografie, die er in Gebäude umwandelte, wie z. B. der Bahnhof, an den er Kindheitserinnerungen hatte, weil er dort so gern seinen Vater bei der Arbeit besucht hatte, oder das Krankenhaus, in dem er vor Jahren als Jugendlicher operiert worden war. Andere gestalteten aus Ärger über die vielen Baustellen, die zu dieser Zeit Rüsselsheims Stadtbild prägten, und die damit verbundenen Umwege eine schlingernde Straße mit einem Schilderwald durch den Ausstellungsraum. Manche wünschten sich eine größere Nähe zur Natur in der Stadt und gestalteten einen Garten oder ein Heim (bzw. einen Schutzraum) für Tiere. Es entstand eine begehbare Stadt mit ganz individuellen Ausstellungsstücken, z. B. einer Kirche, einem Marktstand oder Bushaltestellen. Der Wunsch der Teilnehmenden nach Teilhabe und »Dabei sein« wurde ebenso deutlich wie die zentrale Bedeutung von begrenzter Mobilität und physischen Barrieren, die sie in ihrer Bewegungsfreiheit behindern, oder soziale und finanzielle Einschränkungen, die der Teilhabe im Weg stehen. Das frustrierende Erlebnis eines Gruppenmitglieds, das wegen seines Rollstuhls nicht mit seiner Gruppe auf die Bühne gelangen konnte, war der Hintergrund für den Bau einer barrierefreien Bühne in der Ausstellung. Was in der Realität nicht möglich gewesen war, konnte im Museum mit vereinten Kräften realisiert und anschließend musikalisch eingeweiht werden. Ersichtlich wurde aber auch, wo Inklusion in der Stadtgesellschaft bereits

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gelebt wird, wie z. B. im RCV, dem Rüsselsheimer Carneval-Verein, in dem sich einer der Teilnehmer engagiert, der einen Fastnachtsturm und eine Bütt gestaltete. Ergänzend zu ihren Kunstwerken stellten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Ausstellungsbesuchern in Einzelporträts auch persönlich vor und wurden so als Kuratorinnen und Kuratoren in der Öffentlichkeit sichtbar. Bei der Eröffnungsveranstaltung kam es zu vielfältigen Kontakten und einem direkten Austausch zwischen den Museumsbesuchern und den Protagonisten, die ihre Stücke zeigten. Die Ausstellung »Rüsselsheim anders bauen« stellte ein Novum im Museum dar: Erstmals hatten Menschen mit Beeinträchtigung Gelegenheit, über ihren Alltag, ihre Arbeit, ihre Freizeit und ihre Vorlieben zu berichten. Sie erlebten sich dabei als kompetent für ihr eigenes Leben und erfuhren Wertschätzung und Anerkennung. Für alle verbindend war im Rahmen der Ausstellung auch die Beobachtung, dass zwischen ihren Vorstellungen und Bedürfnissen in Bezug auf die Stadt und denen der anderen Rüsselsheimerinnen und Rüsselsheimern »keine Welten liegen«; vielmehr wurde sehr viel Gemeinsames deutlich. Die Mitglieder der Ausstellungsgruppe selbst ließen sich im Rahmen der Ausstellungsvorbereitungen auf sehr viel Neues ein. Sie selbst, ihr Alltag und ihre Meinung über die Stadt standen erstmals im Mittelpunkt des Interesses, was eine für sie ungewohnte Situation darstellte, ebenso wie die Aufgabe, hieraus eine Ausstellung zu gestalten. Um zum Museum zu gelangen, hatten die Teilnehmenden einen bisher unbekannten Weg zurückzulegen, sie arbeiteten mit neuem Werkzeug und Material, agierten in einer fremden Umgebung und mit unbekannten Menschen. Doch schon innerhalb weniger Wochen wandelte sich das Museum für sie zu einem vertrauten Ort.

I nklusive V er anstaltungen Mit dem Ziel, Veranstaltungen zu gestalten, die für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung gleichermaßen gewinnbringend verlaufen sollten, wählten die Projektverantwortlichen ein Angebot mit einem künstlerischen Zugang sowie ein theaterpädagogisches Projekt aus.

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Auseinandersetzung mit Stadt im öffentlichen Raum: Urban Sketching Einen inklusiven und künstlerischen Zugang boten zwei Angebote zum Thema Urban Sketching 2017 und 2018. An jeweils drei Samstagen war eine z. T. zehn- bis zwanzigköpfige Gruppe an verschiedenen Orten in Rüsselsheim unterwegs, um Szenen städtischen Lebens zu zeichnen. Künstlerisch angeleitet wurden sie von drei Illustratorinnen. Eingebunden in die Gruppe konnten die Teilnehmenden neue Perspektiven auf bekannte Orte ausprobieren und gestalten. Neben dem Spaß am Zeichnen boten die Workshops die Möglichkeit zu einem selbstverständlichen Miteinander, bei dem jeder in seinem persönlichen Tempo an gemeinsamen Themen kreativ arbeitete. So wurde der Workshop als Erfolg erlebt und im Folgejahr wiederholt. Die Ergebnisse dokumentierte das Museum für alle einsehbar auf der eigenen Homepage.

Theater im Museum Den inklusiven theaterpädagogischen Workshop »Lebendiges Museum: Theater am laufenden Band« bot das Museum in seinem Jahresprogramm an. An einem Wochenende im Mai 2017 probte und arbeitete eine Gruppe von rund 20 Personen unter der Leitung einer Theaterpädagogin und einer Tänzerin zwei Tage in der Ausstellung. Mit Hilfe theaterpädagogischer Mittel erprobte das Museum einen neuen Zugang zu den Themen der Ausstellung. Die Abteilung zum Thema Festungsgeschichte mit ihren Exponaten bildete hierbei eine animierende Bühne für improvisierte Theaterszenen. Auch die im Museum gezeigten Fließbänder und Schattenrisse von Arbeitern, die ihre immer gleichen Handbewegungen ausführen, wirkten als geeignete Inspiration. Die Teilnehmenden setzten sich nach einem Ausstellungsbesuch spielerisch und tänzerisch mit alltäglichen Bewegungen, z. B. den Handgriffen ihrer eigenen Arbeit in der Werkstatt sowie den Arbeitsabläufen an ausgestellten Fließbändern und Maschinen auseinander. Um den Gegensatz zwischen Handarbeit und Maschinenarbeit auch körperlich wahrzunehmen und auszudrücken, stellte die Gruppe mit Bewegungen eine präzise arbeitende menschliche Maschine dar. Darüber hinaus erweckten die Teilnehmenden mit kleinen improvisierten Szenen in den Ausstellungsräumen Einzelaspekte der Festungsgeschichte zum Leben, etwa indem sie sich in Wache haltende

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Landsknechte hineinversetzten. Sie entwickelten bei ihrem Spiel die Inhalte weiter und brachten individuelle Fähigkeiten ein: So kam die Gruppe ganz unverhofft in den Genuss einer Bauchtanzeinlage und konnte einem Flamenco zuschauen.

Kreativer Zugang und Teambildung: Ein gemeinsames Maschinenprojekt Im Rahmen eines dreitägigen Workshops waren 14 Jugendliche aus verschiedenen Werkstätten des Berufsbildungsbereichs der WfB im Museum zu Gast. Unter künstlerischer Leitung übten sie sich in Teamarbeit und tüftelten gemeinsam an dem Projekt »Kugelbahn«. Die Bahn war so groß angelegt, dass ihr Bau nur gemeinsam als Gruppe zu bewältigen war. Vorab wurden von den Projektverantwortlichen Teams gebildet, denen Aufgaben und die Erarbeitung bestimmter Teilstücke der Bahn zugewiesen wurden. Die Jugendlichen experimentierten anschließend mit verschiedensten Materialien und Gestaltungstechniken. Wie müssen die einzelnen Bahnen geneigt sein, damit eine Kugel ihr Ziel erreicht? Wie lassen sich die Schwerkraft, Methoden der Kraftübertragung und der Einsatz von Transmissionsriemen und Zahnrädern sinnvoll nutzen? Anregungen und Anwendungsbeispiele fanden die Jugendlichen vorab in der Ausstellung des Museums. Wichtig war es, alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ihren Fähigkeiten in das Gesamtprojekt einzubinden und an der Gestaltung mitwirken zu lassen. Neben den Techniktüftlern sorgte beispielsweise die Kreativgruppe dafür, dass die Bahn zu ihrer ausgefeilten Streckenführung noch fantasievoll und bunt gestaltet wurde. Auch in den Pausen wurde der Teambildungsgedanke weitergeführt, indem die Jugendlichen beispielsweise als lebendiges Fließband mannschaftsweise einen Ball transportieren sollten. Festzustellen war hierbei, dass Teamarbeit und gemeinsames Agieren für einige noch sehr fremd und ungewohnt waren. Dass sich die Gruppe am Ende der drei Tage als ein großes Ganzes fühlte und stolz auf das Erreichte war, zeigte sich an einer Collage von Handabdrücken aller Teilnehmenden, vorgeschlagen und realisiert von einer Jugendlichen.

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A usgangspunk t D auer ausstellung des M useums Kreativer Zugang und eine hohe Intensität: Töpfern nach historischen Vorbildern Die Ausstellung der Keramikfunde aus der Rüsselsheimer Festung im Museum stellte den Ausgangspunkt für ein besonders gelungenes, langfristiges Vermittlungsprojekt dar. Durch die Verbindung eines Töpferangebots des Museums mit einer arbeitsbegleitenden Maßnahme der WfB im Rahmen der dortigen Kunst-AG gelang eine sehr intensive Auseinandersetzung mit Exponaten des Museums. Einige der Programmpunkte fanden im Museum, andere während der gewohnten Zeiten unter der Leitung einer Keramikerin in der WfB-Werkstatt der AG statt. Nach dem Vorbild von frühneuzeitlicher Keramik töpferte die Gruppe unter dem Motto »Entdeckungen im Museum« Geschirr für ein späteres Festessen. Vorab war sie in der Ausstellung zu Gast gewesen und hatte sich die Originalfunde angeschaut sowie sich mit Lebensbedingungen in der Festung beschäftigt: Wie sah das Geschirr zur Zeit der Landsknechte aus? Welche Gefäße nutzen wir heute? Was aßen Landsknechte und wie lebten sie in der Festung? Anschließend trafen sich die Teilnehmenden einmal wöchentlich in ihrer Werkstatt und setzten sich anhand von Fotos und Gesprächen sowie ihrer eigenen Arbeiten immer wieder mit den Formen und Funktionen der Schalen, Teller und Becher des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auseinander. Dabei töpferte eine Teilnehmerin nach mittelalterlichem Vorbild ein ganz besonderes Stück: ein Aquamanile – ein Gefäß zum Händewaschen in Schildkrötenform – samt dazugehöriger Schale. Zum Abschluss des dreimonatigen Projekts bereitete die Gruppe ein Festessen im Museum zu und aß von dem selbst hergestellten Geschirr. Die Resonanz auf dieses Angebot war sehr positiv. Über Wochen setzte sich die Gruppe intensiv handwerklich und inhaltlich mit dem Thema Keramikgeschirr auseinander. Das eigene Bearbeiten und Formen des Tons mit den Händen ermöglichte ein sinnliches Begreifen der selbst hergestellten Geschirrformen, das über das reine Berühren z. B. von Keramikrepliken weit hinausging. Die Formen und Oberflächen der bearbeiteten Stücke prägten sich auf diese Weise nachhaltig ein und stellten zudem einen persönlichen Bezug zwischen dem Gefäß und den Teilnehmenden her, z. B. gab die Schöpferin der erwähnten Schildkröte

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dieser einen Namen. Die Reduzierung des Angebots und die Konzentration auf ein Thema und einzelne Ausstellungsstücke förderten ebenfalls die Nachhaltigkeit des Vermittlungsangebots. Die abschließende gemeinsame Zubereitung des Festmahls im Museum wirkte darüber hinaus als Wertschätzung und Belohnung für die geleistete Arbeit und besaß einen gemeinschaftsfördernden Charakter.

Das regelmäßige Angebot: Der Museumstreff oder die »Freitagsgruppe« Ebenfalls als Ausgangspunkt und Lernanreiz wirkte die Dauerausstellung des Museums während eines regelmäßigen Museumsangebots, das als Vorbereitung für die Erarbeitung eines filmischen Ausstellungsführers diente. Nach und nach entdeckte eine zehn- bis zwölfköpfige Gruppe im Zweiwochen-Rhythmus die Ausstellungsabteilungen, fotografierte Lieblingsstücke und verstärkte das im Museum Gesehene und Gehörte im Rahmen ganz unterschiedlicher kreativer Zusatzangebote. Das Museumsteam nutzte unterschiedliche Ansätze der förder- und museumspädagogischen Arbeit, wie z. B. den mehrsinnlichen Zugang unter Verwendung diverser Zusatzmaterialien (Wolle, Getreidekörner, Blätter, Holzkohlestifte usw.), Unterstützter Kommunikation sowie verschiedener Repliken von Ausstellungsstücken. Handlungsorientierte Angebote kamen ebenfalls regelmäßig zum Einsatz, beispielsweise die Verwendung des museumseigenen Gärtopfes beim Thema »Konservierung von Nahrungsmitteln im 19. Jahrhundert«. Dabei stellte die Gruppe gemeinsam aus Weißkohl eigenes Sauerkraut her, das nach mehreren Wochen von Freiwilligen probiert werden konnte. Als besonderer Bestandteil des Projekts fungierten die so genannten Mappen, die alle Teilnehmenden anhand von Fotos der Ausstellungsbesuche und ihrer Person, eigenen Zeichnungen und Zusatzmaterialien als individuellen »Museumsführer« erarbeiteten. Diesen Mappen, die am Ende mit nach Hause genommen werden konnten, kommen verschiedene Bedeutungen zu: Sie laden zum Blättern, Zeigen, Erzählen und Erinnern ein, ermöglichen eine nachhaltige Auseinandersetzung mit den Museumsbesuchen und sind eine wichtige Gedächtnisstütze für Menschen, denen es schwerfällt, Informationen länger zu behalten. Da die Auseinandersetzung mit den einzelnen Abteilungen der Ausstellung im Gegensatz zur vorher beschriebenen Töpferaktion inhaltlich umfangreicher und nicht so intensiv war, war

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dieser methodische Ansatz besonders wichtig. Ferner wirken sie als ein Bestandteil von Biografiearbeit, da sie einen Ausschnitt aus der Lebensgeschichte dokumentieren und der Selbstvergewisserung und der Stärkung des Ich-Gefühls (vor allem durch die Fotos der eigenen Person) dienen: Das bin ich, das habe ich gemacht, das hat mich interessiert und dies sind meine Vorlieben. Eine Teilnehmerin hat in diesem Zusammenhang immer wieder sich selbst mit ihren Angehörigen als Figuren in die Mappe gezeichnet und so eine direkte Verbindung zu ihrer Geschichte hergestellt. Ob die Mappen am Ende des Projekts mit nach Hause genommen werden könnten, war eine oft wiederholte Frage und zeigt die Wertschätzung dieser Arbeit. Wichtig im Rahmen dieses Angebots war es auch, den Part des bloßen Zuhörens kurz zu halten und den Teilnehmenden viele Möglichkeiten zu geben, selbst aktiv zu werden. Der Kollege, den das Museum im Rahmen eines Außenarbeitsplatzes der WfB einstellen konnte, arbeitete an der Planung und Organisation der Veranstaltungen mit und führte die Gruppe von Zeit zu Zeit durch verschiedene Ausstellungsabteilungen, so dass auch die Workshopleitung inklusiv besetzt war. Als weitere Angebote, die von der Museumsausstellung ausgingen und einen mehrsinnlichen Zugang ermöglichten, organisierte das Museum für den Familien unterstützenden Dienst Basis e. V.-Mainspitze im Sommer 2017 eintägige Ferienaktionen für Kinder und Jugendliche (z. T. inklusiv) zu den Themen »Alltag in der Festung« und »Leben in der Eisenzeit«. Die Jugendlichen lernten z. B. Alltagsgegenstände aus der Eisenzeit kennen, die sie mit heutigen, ihnen bekannten Dingen verglichen, konnten nachgenähte historische Kleidung anprobieren, kosteten das Hauptnahrungsmittel der Epoche, Hirsebrei, und probierten so genannte Keltenkringel.

E rgebnisse des P rojek ts : W as sagen die Teilnehmenden ? Auf eine Kurzumfrage bei der zuvor schon erwähnten Freitagsgruppe, die sich über einen Zeitraum von rund neun Monaten regelmäßig traf, erhielt das Museum ein aufschlussreiches Feedback. Bei der Frage, was ihnen an den Angeboten des Museums insgesamt gefällt, nannten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass sie es im Museum schätzen,

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• sich etwas anschauen zu können, Neues zu erfahren und zu lernen, eine Abwechslung vom Alltag zu erleben; • kreativ zu sein, selbst etwas tun zu können, wie z. B. bauen, malen, basteln, töpfern; • an den Nachmittagen gemeinsam Kaffee zu trinken und Kekse zu essen. Unter den Museumsangeboten wurden von den Gruppenmitgliedern, die an verschiedenen Angeboten teilgenommen hatten, das Ausstellungsprojekt »Rüsselsheim anders bauen« und das Museums-Theaterprojekt hervorgehoben; sie hatten besonderen Spaß gemacht. Bei anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern bestand ein individuelles Interesse an bestimmten Themen und Ausstellungsstücken (z. B. Exponate aus der »Ritterzeit« wie Rüstungen, die Geschichte von Opel, alte Autos, die Geschichte der Feuerwehr). Ausnahmslos alle gaben an, wieder bei einer Aktion mitmachen zu wollen. Als eher kritische Rückmeldungen sind zu nennen, dass manche die Lautstärke in bestimmten Situationen störte oder dass sie teilweise das Zuhören als zu lang empfanden. Die Antworten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer machen deutlich, dass ihnen daran liegt, Neues zu sehen, zu erleben und zu lernen, dass sie gern selbst kreativ tätig sind und die Gemeinschaft der vertrauten Gruppe mit ihren Ritualen und Gewohnheiten schätzen. Die besonders positive Resonanz, die das partizipative Ausstellungsprojekt »Rüsselsheim anders bauen« und der Theater-Workshop hervorgerufen haben, hat ähnliche Gründe. Gemeinsam ist diesen Angeboten, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Rahmen der Veranstaltungen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen. Sie konnten sich als aktiv und selbstwirksam erleben und haben sehr viel dazugelernt, neue Kompetenzen entwickelt sowie für ihre Ausstellungsstücke bzw. das Mitspielen in kleinen Szenen von vielen Seiten Anerkennung und Wertschätzung erhalten. In der Ausstellungswerkstatt hatten sie die Möglichkeit, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, in bisher unbekanntem Rahmen zu bauen und zu malen und sich zudem Wünsche zu erfüllen. Auch bei der Theaterarbeit erhielten alle die Möglichkeit, auf ihre eigene Weise dabei zu sein und sich mit ihren individuellen Fähigkeiten einzubringen.

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Mit Spaß und Enthusiasmus dabei: Projekterfahrungen des Museums Aus der Begegnung und der intensiven Zusammenarbeit mit der neuen Zielgruppe konnten die Projektverantwortlichen wertvolle Erfahrungen sammeln und in die Museumsarbeit einfließen lassen. Das Interesse der Besucherinnen und Besucher mit Handicap an den Angeboten des Museums ist groß. Ist der persönliche Kontakt erst hergestellt, Vertrauen entstanden sowie der Ort und die Frage der Mobilität geklärt, sind viele der Angesprochenen gern und regelmäßig zu Gast. Die gemeinsamen Aktivitäten im Rahmen des Projekts machten allen Beteiligten Spaß und waren auch für das Museumsteam bereichernd. Das Interesse am Museum, den gezeigten Dingen und am gemeinsamen Tun verband die Zielgruppe und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses. Die Neugier der Besucherinnen und Besucher und ihre Freude an den Veranstaltungen waren ansteckend. Viele Themen und Momente regten die Teilnehmenden an, das Wissen und die Kompetenzen einzubringen, die in der alltäglichen Werkstattarbeit nur selten zum Tragen kommen, z. B. zur Funktionsweise von Dampflokomotiven oder zu landwirtschaftlichen Themen.

Vernetzung und Kommunikation Zu den wichtigsten Ergebnissen des Projekts zählte, dass die Vernetzung mit Einrichtungen der Behindertenhilfe eine Voraussetzung für jegliche Form kultureller Bildung für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung darstellt. Ohne die Unterstützung und die Kommunikation mit dem dort arbeitenden Betreuungspersonal können langfristig keine erfolgreichen Angebote geschaffen werden (vgl. den Beitrag von Bärbel Maul und Steffen Walther in diesem Band). Um Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung zu erreichen, sie auf Angebote aufmerksam zu machen und zur Teilnahme zu überzeugen, reicht die alleinige Verteilung von Informationsmaterialien wie Jahresprogrammen, Flyern, Plakaten, Newslettern usw. nicht aus.

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Aktiv mit allen Sinnen Eine rein verbale Vermittlung, wie eine gängige Ausstellungsführung, garantiert vielen Menschen mit Handicap noch keinen spannenden und befriedigenden Museumsbesuch, auch wenn sie in Leichter oder einfacher Sprache erfolgt, dies wurde im Projekt rasch deutlich. Schnell droht die Aufmerksamkeit bei der Zuhörerschaft nachzulassen. Anregender, Spaß fördernder und damit erfolgreicher war es, möglichst viele Gelegenheiten zu schaffen, um Sinneswahrnehmungen einzubeziehen, die Präsentationselemente sowie Aktionen handlungsorientiert zu gestalten und damit unterschiedliche Wahrnehmungsebenen anzusprechen, die dazu beitragen können, mögliche körperliche Beeinträchtigungen auszugleichen. Rundgänge in der Ausstellung fanden daher häufig mit zusätzlichen Materialien wie Repliken von Kleidungsstücken, Gefäßen oder auch Handwerkszeug aus den so genannten »Museumskoffern« statt: Sie konnten befühlt, anprobiert, »beschnuppert« oder später auch gekostet werden, z. B. durch Trocknen konservierte Äpfel in der Abteilung Landwirtschaft (Obstdarren). Zusätzlich zu dem Anschauungsmaterial wurden im Anschluss an den Ausstellungsbesuch meist kreative Aktivitäten angeboten, die das Thema vertieften. Sowohl hier als auch innerhalb von Veranstaltungen waren Aktionsangebote wichtig, die alle Besucherinnen und Besucher mit ihren Interessen und Möglichkeiten einbezogen. Aktivitäten in mehrere Bestandteile aufzuteilen und Inhalte zu elementarisieren, waren Voraussetzungen, damit wirklich alle mittun und dabei sein konnten. Es zeigte sich, dass ganz besonders die Menge der zu vermittelnden Themen auf den Prüfstand gehörte: Sind wirklich alle Details so ausschlaggebend, dass sie zur Sprache kommen müssen? Als sinnvoller erwies es sich, das Programm so zu gestalten, dass die wesentlichen Informationen größeren Raum erhielten und so eine Konzentration stattfinden konnte. So stellte das Museumsteam z. B. bei Angeboten zum Leben in der Eisenzeit die Inhalte in den Mittelpunkt, die die Besucherinnen und Besucher auch aus ihrer Lebenswirklichkeit kennen: Was aßen die Menschen, welche Kleidung trugen sie, hatten sie schon Smartphones? Es war wichtig, von Anknüpfungspunkten in der Erfahrungswelt der Beteiligten auszugehen und so Verbindungen zu ihrem Leben und ihrem Alltag herzustellen. Für inklusive Veranstaltungen, die sich gleichermaßen an Menschen mit und ohne Beeinträchtigung richten, sind die Rahmenbedingungen, etwa die Variabilität in der inhaltlichen Fülle und

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Geschwindigkeit der Angebote, für das Gelingen der Veranstaltung ausschlaggebend, will man allen Beteiligten in gleicher Weise gerecht werden. Können die Einzelnen nach ihrem Tempo und ihren Interessen und Möglichkeiten handeln? Von Beginn an wurde sehr deutlich, dass gleichbleibende Abläufe und Ansprechpersonen sowie Pausen wichtige Elemente im Verlauf von Museumsworkshops und Veranstaltungen sind. Ein gemeinsamer Beginn, eine Abschlussrunde, Bewegung und Spiel zwischendurch, z. B. auf der Wiese vor der Festung und ein Spaziergang über den Festungswall, oder das Kaffeetrinken in der Freitagsgruppe gehörten zur Gestaltung der allermeisten Aktionen fest dazu. Da die Besuchergruppen meist sehr heterogen und der Unterstützungsbedarf individuell unterschiedlich waren, waren die Angebote daran anzupassen. Neben zusätzlichen Assistenzpersonen, die notwendigerweise häufig die Ausstellungsbesuche begleiteten, war auch der Unterstützungs- und Personalbedarf beim museumspädagogischen Team erhöht. Diese Erfahrungen sind Teil des Lernprozesses des Museums, der am Ende des Projekts noch nicht abgeschlossen ist. Die Qualität der Angebote soll gehalten und auch zukünftig stetig weiterentwickelt werden – für Inklusion und kulturelle Bildung im Museum gibt es keine Patentlösungen.

Das konnte erreicht werden: Mittendrin und miteinander Menschen mit Beeinträchtigungen sind regelmäßig im Museum zu Gast, vor und hinter den Kulissen gehören sie dazu und nehmen ganz selbstverständlich aktiv an kulturellen Projekten teil und gestalten sie mit. Der Kontakt und die Zusammenarbeit mit ihnen haben den Blick des Museumsteams auf das Haus und die eigene Arbeit beeinflusst und verändert. Die gesammelten Erfahrungen in der Museumspädagogik fließen in die Planung aktueller und zukünftiger Angebote ein und kommen so auch bisherigen Besuchern in Form von neuen und ergänzten Veranstaltungen zugute: So wurde z. B. eine neue Führung zum Thema Kleidung konzipiert und ins Programm aufgenommen. Die Zugangsmöglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigung wurden mit Hilfe von Informationen in Leichter Sprache auf der Homepage und anderen Materialien des Museums verbessert, und eine inklusive digitale Führung ermöglicht einen selbstständigen Ausstellungsrundgang anhand von Lieblingsstü-

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cken einer Projektgruppe. Es ist gelungen, Kooperationen mit Einrichtungen der Behindertenhilfe aufzubauen und zu festigen, z. B. mit dem Familien unterstützenden Verein Basis e. V.-Mainspitze und dem Kooperationspartner WfB Rhein-Main. Es konnten neue Kontakte, etwa zu Förderschulen, initiiert und damit Grundlagen für spätere Kooperationen gelegt werden. Auch innerhalb des Museums ist Inklusion geglückt: Im Rahmen des Projekts konnte eine bleibende Arbeitsgelegenheit für einen Mitarbeiter mit Beeinträchtigung geschaffen werden, der den Besucherservice unterstützt und die Veranstaltungen von »StadtMuseum inklusive« mitgestaltet.

Wie geht es weiter? Veranstaltungen mit und für Menschen mit Beeinträchtigung werden auch in Zukunft fester Bestandteil des Museumsangebots bleiben. Sie sollen auf der erreichten Grundlage ausgedehnt und weiterentwickelt werden. Bestehende Kooperationen mit Partnern in der Behindertenhilfe sowie Kultureinrichtungen im Rhein-Main-Gebiet sollen weiter ausgebaut und gefestigt und darüber hinaus neue Kooperationspartner inner- und außerhalb Rüsselsheims gewonnen werden. Da Inklusion in Museen und Kultureinrichtungen nicht von den Institutionen allein verwirklicht werden kann, sondern Bestandteil einer generellen Aufgabe von Politik und Gesellschaft ist, ist das Museum dabei auf weitere Unterstützung angewiesen.

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»Zwei sind allemal besser dran …« Eine Partnerschaft für Inklusion und ihre Wirkung Bärbel Maul, Steffen Walther

Viele Stadtmuseen haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten neu erfunden. Aus den Schatzkammern der Bürgergesellschaft wurden soziale Orte, die ihre Rolle in der Stadt nicht mehr länger vorrangig in der Präsentation gesicherter Wissensbestände sehen. Es gilt, die Stadt in ihrer Pluralität in den Fokus zu nehmen und umfassend Beteiligung an ihr zu ermöglichen. Das Museum für alle, das »einen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt eines Ortes leistet« (Meijer-van Mensch 2011, S. 84), bietet sich den Bürgerinnen und Bürgern nicht als Ort der passiven Rezeption, sondern der aktiven Teilhabe an. Parallel zur Debatte um »Social Inclusion« entspann sich eine Diskussion um Inklusion im Museum, die an die verschiedenen Gesetzesinitiativen zur Barrierefreiheit im öffentlichen Raum anknüpfte. Ob es sich um den nachträglichen Einbau von Aufzügen, Hör- und Taststationen, Übersetzungen in Gebärdensprache oder auch Leichte Sprache handelte, die barrierefreie Ausstellung wurde als »Schrittmacher der Besucherorientierung« verstanden, der allen nutzen würde (Weiß 2016, S. 88). Obwohl in Stadt und Kreis zahlreiche Betreuungseinrichtungen beheimatet sind, besuchten kaum Menschen mit geistiger Behinderung das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim. In Bezug auf Barrierefreiheit konnte es seit seiner Sanierung in den Jahren 2011/12 mit einer verbesserten Zugänglichkeit für Gehbehinderte aufwarten. Ein Angebot in Leichter Sprache gab es bis zum Beginn des Projekts »StadtMuseum inklusive« jedoch nicht. Allerdings waren die Mitmachausstellungen für das junge Publikum offensichtlich auch für Menschen mit Unterstützungsbedarf interessant, denn es meldeten sich für diese Angebote immer wieder Gruppen aus Förderschulen oder Betreuungseinrichtungen für Erwachsene an. Unter diesen Besucherinnen und

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Besuchern waren auch schwerst- und mehrfach behinderte Menschen. Die Familienausstellungen funktionierten also bereits als inklusives Angebot, bevor das Museum Inklusion als Aufgabe definierte und die ersten Maßnahmen ergriff. Hier startete die Auseinandersetzung des Museumsteams mit der Frage, was sich Menschen mit kognitiven Einschränkungen vom Museum wünschen. Elementar war dabei die Beratung mit Betreuerinnen und Betreuern aus den Einrichtungen, um zu klären, was die jeweilige Besuchergruppe braucht. Im Folgenden konnte intern besprochen werden, wer vom Personal für die Betreuung geeignet sein könnte und ob es Möglichkeiten gab, das Angebot so abzuwandeln, dass es bei den Adressaten noch besser ankommt. Ausgrenzung oder Teilhabe – am Selbstverständnis der Einrichtung und der Vorstellung von Bildungsprozessen im Museum entscheidet sich letztlich, ob Barrieren niedergelegt werden oder noch ein wenig höher aufgestapelt werden. Der erste Kontakt zwischen Museum und Behindertenorganisation kann auch so ausfallen, dass kulturelle Teilhabe im Keim erstickt wird. Noch bis in die 1970er Jahre war es »normal«, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten sowohl Bildungsfähigkeit als auch jegliches kreatives Potential abgesprochen wurde (vgl. Schmitz-Gilge 2005, S. 149–156). Auch heute, Jahre nach der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention der UN, gibt es Berichte aus Behinderteneinrichtungen darüber, dass kulturelle Institutionen aus diesem und anderen Gründen vom Besuch abraten. Grundsätzlich gilt es, zunächst einmal die eigenen Vorstellungen von Bildungsprozessen im Museum zu hinterfragen: Die Besucherinnen und Besucher können auch an einem Experiment teilnehmen, wenn sie nur zuschauen oder lediglich Teilaspekte selbst ausprobieren. Neue Erkenntnisse, ästhetische Erfahrungen, emotionales Lernen, dabei sein und mitmachen, das Erleben von Selbstwirksamkeit – der Museumsbesuch kann gelingen und all dies bewirken, wenn die Bedürfnisse und Wünsche von Menschen mit Unterstützungsbedarf ernst genommen werden. Zurecht weisen Jens Maedler und Kirsten Witt darauf hin, dass der kulturellen Teilhabe häufig eine Angebotsorientierung im Wege steht, die Differenz nicht anerkennt und zur Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lebenswelten der Teilnehmenden nicht bereit ist (Maedler/ Witt 2014, S. 58–67). Kern des Vorgehens beim Projekt »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern« war die sorgfältige Auseinander-

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setzung mit den Lebenswelten von Menschen mit Unterstützungsbedarf in Stadt und Region. Dabei war auch die Differenzierung innerhalb der Zielgruppe eine Herausforderung, die es zu meistern galt. Zu den treuen Besuchern der Stadtmuseen zählen beispielsweise traditionell die Senioren. Doch wie steht es eigentlich um Menschen mit Behinderung im dritten Lebensabschnitt? In Deutschland kommt der demographische Wandel in den Behinderteneinrichtungen verspätet an. Ursache dafür sind die NS-»Euthanasie«-Verbrechen der Jahre 1941 bis 1945, die zur Ermordung einer Generation von Menschen mit Behinderung und psychischer Erkrankung führten (Wunder o. J.). Heute sind Senioren mit kognitiven Einschränkungen eine wachsende Gruppe und ihre Lage unterscheidet sich naturgemäß deutlich von der jüngerer Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die in den Alltag der Werkstattbetriebe eingebunden sind. Es sollte doch gelingen, ganz besonders sie für das Museum und eine gemeinsame Arbeit hier vor Ort zu gewinnen! Wo leben Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung und wie? Welche Faktoren halten sie bisher vom Museumsbesuch ab? Wo können wir ihr Interesse wecken und mit welchem Angebot? Was bewegt sie und treibt sie um? Für die Antwort auf diese Fragen benötigte das Museum einen starken Partner, der über die personellen Ressourcen für eine kontinuierliche und auch konzeptionelle Mitarbeit an einem langfristig angelegten Projekt verfügte, und fand ihn in den Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e. V. (WfB). Die WfB gehört zu den Großen unter den Anbietern von Hilfen für Menschen mit Behinderung im Rhein-Main-Gebiet. Das vereinsgetragene Sozialunternehmen kümmert sich in insgesamt 14 Diensten und Einrichtungen mit rund 300 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern um über 800 Menschen. Das Angebotsspektrum reicht von der Frühförderung über eine Kindertagesstätte mit Hort bis hin zum Bereich Wohnen und zu ambulanten Hilfen sowie tagesbegleitenden Angeboten für Menschen, die nicht mehr im Arbeitsleben stehen. Der Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Bereich Arbeit. Unter dem Motto »Wege zur Selbstständigkeit ebnen« fördert die WfB seit Mitte der 1970er Jahre Menschen mit einer so genannten geistigen Behinderung durch Teilhabe am Arbeitsleben. In drei Werkstätten – zwei davon mit angegliederten Tagesförderstätten für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf – und einer Tochterwerkstatt für Menschen mit seelischer Behinderung sowie einem Integrationsunternehmen werden die Mitarbeiterinnen und Mit-

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arbeiter durch berufliche Bildung und vor allem durch die Teilnahme am Arbeitsleben integriert. Darüber hinaus vermittelt die WfB Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in externe betriebsintegrierte Beschäftigungsplätze oder auf den ersten Arbeitsmarkt, auch wenn Letzteres nur selten gelingt. In den Werkstätten entstehen hochwertige Produkte für den freien Markt. Bei einer Garantie für die stets gleichbleibende Qualität der Produkte muss die Gratwanderung gelingen, passende Beschäftigungsplätze für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Basis von individuellen Assistenz- oder Förderplänen zu gestalten. Dabei wird der Produktionsprozess in kleine, zum Teil kleinste Schritte aufgeteilt, damit jeder einen sinnvollen Anteil daran hat. Die Arbeit an Dingen, die wirklich gebraucht werden, ist für das Selbstwertgefühl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von hoher Bedeutung. Dazu gehören z. B. Gurte zur Sicherung von Flugzeugfracht, von denen die WfB pro Jahr rund 250.000 herstellt. Sie ist das einzige Unternehmen in Deutschland und eines von sechs weltweit, das dieses Produkt mit den erforderlichen Sicherheitsstandards versehen ausliefern kann. Zu den Fördermaßnahmen zählen neben der beruflichen Qualifizierung im engeren Sinne auch die Persönlichkeitsbildung und die Vermittlung von allgemeinen Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Der interne Soziale Dienst organisiert in diesem Zusammenhang vor Ort arbeitsbegleitende Angebote wie Computer- und Schreibkurse, aber auch Sport- und Bewegungsangebote sowie Theaterprojekte, kreative Workshops oder auch musikalische Angebote. Assistenz zur Selbstbestimmung anstelle einer bevormundenden Betreuung ist der professionelle Ansatz, den die pädagogischen Fachkräfte der WfB in ihrer Arbeit verfolgen. Zur möglichst selbstständigen Erschließung des Sozialraums durch die Beschäftigten gehört immer auch die Auswahl unter mehreren Möglichkeiten – insbesondere bei der Verwirklichung von Freizeitinteressen. Kulturangebote nicht nur als Kurse in den Werkstätten zu organisieren, sondern mit und in einer der großen Kultureinrichtungen der Stadt gemeinsam langfristig zu entwickeln, war für das Leitungsteam daher eine besondere Herausforderung, der man sich gern stellen wollte. Der partizipative Grundgedanke des Projekts »StadtMuseum inklusive« und seine Ausrichtung auch auf die Erschließung des öffentlichen Raums machten das Projekt für die Behinderteneinrichtung zusätzlich attraktiv.

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Die gemeinsame Arbeit am Förderantrag war für beide Partner – WfB und Museum – eine wichtige Phase, in der sich die Einrichtungen gegenseitig kennen lernten, ihr Selbstverständnis gegenüber dem Projekt überprüften und Ziele definierten. Die Partner konnten dabei unterschiedlicher kaum sein: hier das Museum mit seinem kleinen Mitarbeiterstab und kurzen Entscheidungswegen, dort die größte Behinderteneinrichtung im Kreis mit ihren vielfältigen Aufgaben- und Organisationsbereichen. Die WfB brachte die sonderpädagogische Expertise ein und wies der Stabsstelle für externe und interne Kommunikation die Funktion der Schnittstelle zum Museum und die Funktion der verantwortlichen Mitarbeit am Projekt zu. Damit war eine wesentliche Vorentscheidung getroffen, die entscheidend zum Gelingen des Unternehmens beitrug. Mit dem Mitautor des Artikels, Steffen Walther, war der »Außenminister« der Einrichtung mit an Bord, der in der Einrichtung mit ihrer komplexen Struktur die Kommunikation der Ziele, Angebote und Anforderungen von »StadtMuseum inklusive« ermöglichte. Denn während sich im Museum die Arbeit phasenweise stark auf das Projekt fokussieren konnte, musste in der WfB selbstredend der reguläre Betrieb weitergehen. Für das Museum waren die langen Planungszeiträume, die von der WfB aufgrund der komplexen Strukturen und der knappen Ressourcen eingefordert wurden, zunächst ungewohnt, erwiesen sich aber als Grundvoraussetzung für die Organisation. Zu Beginn galt es, in den verzweigten Diensten der WfB Überzeugungsarbeit für die Aktivitäten im Museum zu leisten, die zunächst einmal eine Mehrbelastung für das Personal bedeuteten: Hausleitung, Sonderpädagoginnen, Sozialarbeiter und Gruppenleiterinnen mussten für das Projekt gewonnen werden. Das Interesse war nicht bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gleich hoch. Natürlich steht im Vordergrund ihres professionellen Tuns, dass die tägliche Arbeit sichergestellt werden muss – und das bei steigenden Kosten und nicht sehr üppigen Budgets, was insbesondere im Bereich Wohnen durch das neue Bundesteilhabegesetz in den nächsten Jahren noch erschwert wird. Dass der Besuch eines Stadtmuseums eine höchst staubige, sterbenslangweilige Angelegenheit sein kann, ist zudem ein auch im (sonder-)pädagogischen Bereich verbreitetes Vorurteil. Gemeinsam verwendete die Projektgruppe insbesondere in den ersten Monaten viel Zeit darauf, Teambesprechungen der WfB zu besuchen und Rundgänge durch die Werkstatt zu machen oder mögliche Interessenten zu Inforunden in der Werkstatt einzuladen. Nach und nach

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wuchs das Vertrauen in das Projekt und in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums. Schließlich wurden die Betreuungskräfte der WfB zu wichtigen Botschaftern des Museums in ihren Einrichtungen, die dafür sorgten, dass ihre Klientinnen und Klienten rechtzeitig von Terminen und Workshops erfuhren, und sie zur Teilnahme ermutigten. Und ebenso bedeutsam war, dass die WfB für das Projektteam auch Agent und Mittler in andere Organisationen der Behindertenhilfe wurde und den Weg zu weiteren Vereinen, Stiftungen und Einrichtungen ebnete, die in der Betreuung von Menschen mit Unterstützungsbedarf aktiv sind. Ziel des Projekts war und ist, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich mit dem Museum ein Stück Stadt erobern, mit Bildern und Objekten ihrer Heimat in Kontakt kommen und sich selbst als Teil der Stadtgesellschaft wahrnehmen, die sie mitgestalten. Ausstellung und Sammlung, die Kernaufgaben des Museums, waren dabei Ausgangspunkt und Gegenstand der Auseinandersetzung. Dabei stand stets die Frage im Mittelpunkt, was das Museum als sozialer Ort mit seinen spezifischen Mitteln leisten kann. Es sollte nicht darum gehen, die kreativen Angebote am Standort der WfB zu erweitern, sondern darum, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter »mittendrin« am städtischen Kulturleben teilhaben zu lassen. Dabei wurden alle Klientinnen und Klienten der WfB vom Museum gleichermaßen angesprochen: Für alle, Kinder, Jugendliche des Berufsbildungsbereichs, erwachsene Beschäftigte und Senioren, gab es ein differenziertes Angebot. Und es gab Einladungen, die tatsächlich inklusiv im besten Sinne des Wortes waren und alle potentiellen Besucherinnen und Besucher mit einbezogen. Zum Teil ließen sich die Einzelprojekte ohne weiteres mit den Bildungszielen der WfB verknüpfen. So war im Museumsworkshop für die Jugendlichen aus dem Berufsbildungsbereich der Aspekt der Teambildung und der Gruppenerfahrung ein wichtiger Bestandteil, der sich positiv auch auf die weitere Arbeit in der Werkstatt auswirkte. Auch andere Bereiche der Bildungsarbeit der WfB konnten vom Projekt profitieren und tun es noch, ob es sich nun um die intensivierten Kontakte zur freien Kunstszene und zum örtlichen Kunstverein oder die selbstverständliche Teilnahme an öffentlichen Aktionen des Museums wie dem Internationalen Museumstag handelt. Die Einbindung der WfB-Tochter Solvere, einer Einrichtung für psychisch Kranke, erwies sich als schwierig und wurde nicht weiter von uns verfolgt. Hier herrschten andere Rahmenbedingungen, gab es andere Hürden für die Teilnahme und neue Herausforderungen, die im Projekt

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nicht zu meistern waren. Im Rahmen von Inklusion alle erreichen zu wollen, führt möglicherweise dazu, schließlich keiner Zielgruppe gerecht zu werden. Unsere Erfahrung ist, dass man die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Besuchergruppen zwingend im Vorfeld mitdenken muss. Einer Inklusion, die sich mit dem althergebrachten Instrumentarium gleichermaßen an alle richtet, droht die Gefahr, sich zugleich an keinen zu richten, ganz besonders nicht an Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Es galt, unsere potentiellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in ihrem vielfach fremdbestimmten Alltag abzuholen und sie für unsere Angebote zu gewinnen. Freiwilligkeit der Teilnahme war dabei fast durchgängiges Prinzip. So legten die Projektbeteiligten aus der WfB großen Wert darauf, dass die Aktionen des Museums nicht während der regulären Arbeitszeit, sondern in der Freizeitphase der Beschäftigten stattfanden. Das markiert nicht zuletzt ein Stück Normalität, entspricht es doch auch der Lebenswirklichkeit von Menschen, die nicht in einer betreuten Werkstatt arbeiten. Das Museumsangebot stand und steht damit in Konkurrenz zu vielen anderen attraktiven Freizeitangeboten. Im Projekt mussten wir unsere Methoden zur Besuchergewinnung neu erfinden. Unsere Adressaten haben in der Regel keine Vorannahmen zum Museum. Sie fragen sich: Was erwartet mich da? Bin ich dort willkommen? Finde ich dort etwas, das mich interessiert und das mir Spaß macht? Auch muss der Zeitpunkt der Angebote im Wochenplan verankert werden und Wege ins Museum müssen eingeübt werden. Vor dem Besuch der Kultureinrichtung musste aber zuallererst das Vertrauen der Adressatinnen und Adressaten wachsen. Es galt, eine Beziehung zum Haus und den dort handelnden Personen aufzubauen. So wurde unser Angebot ganz persönlich von den Akteuren und der Projektleitung, begleitet von WfB-Mitarbeiterinnen und -mitarbeitern, also bekannten Bezugspersonen, mit einem Schnupperangebot in den Einrichtungen vorgestellt. Das Museum bekam so für die potentiellen Teilnehmenden ein Gesicht und sie gewannen einen ersten Eindruck von unserem Angebot. Unsere Werbemittel, vor allem die Plakate, die wir gemeinsam entwickelten und in die Einrichtungen gaben, arbeiteten mehr als sonst mit wiederkehrenden Bildelementen und Wiedererkennungseffekten. Entscheidend war aber nicht das massenhafte und rechtzeitige Versenden von Flyern und Plakaten, sondern vielmehr die direkte Ansprache durch das Personal der WfB, das nach und nach zum Agenten kultureller Bil-

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dung in den Einrichtungen wurde. Daher waren wir bestrebt, es immer wieder neu für unser Vorhaben einzunehmen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behinderteneinrichtungen ebnen den meisten unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer buchstäblich den Weg zum Museum, denn viele können unbegleitet nicht kommen. In der Ausstellung, die wir gemeinsam mit einer Gruppe aus der WfB zum Thema »Stadt« erarbeitet haben, wurde dieses Grundproblem überdeutlich. Mit einer Bushaltestelle und Bussen, Straßen und Absperrungen thematisierten unsere Ko-Kuratoren ihre Schwierigkeit, von A nach B zu kommen, und ihre Abhängigkeit von Dritten. Eine möglichst selbstständige Erreichbarkeit des Museums für die Teilnehmenden führte dazu, dass wir uns auf Rüsselsheim und die direkte Umgebung konzentrieren mussten und externe Standorte zunächst ausgeklammert blieben. Eigenständige Mobilität ist nicht nur kompliziert, sondern sie kostet auch Geld, über das unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht verfügen. Auch einen regulären Museumseintritt oder Teilnahmegebühren zu entrichten, fällt vielen von ihnen außerordentlich schwer. Durch die Fördermittel waren wir in der privilegierten Situation, all unsere Angebote kostenfrei öffnen zu können. Das Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe ist, das haben wir in den letzten Monaten gelernt, für viele Mitmenschen außerordentlich voraussetzungsreich. Hier sind zukünftig nicht nur Museum und Behinderteneinrichtung gefordert. Denn genau genommen sind die Stadtgefährten in Rüsselsheim eine Reisegemeinschaft der »armen Schlucker«: Die Partner kommen beide aus Bereichen, die traditionell mit knappen Ressourcen arbeiten müssen. Gemeinsam versuchen wir nun, dem Projekt zumindest in Teilen Nachhaltigkeit zu verleihen. So haben sich auf Initiative der Projektverantwortlichen Vertreterinnen und Vertreter von Landkreis und Stadt sowie Akteure in Kultur und Behinderteneinrichtungen zu einem Netzwerk für kulturelle Teilhabe zusammengeschlossen. Es geht dabei darum, die kulturellen Angebote für Menschen mit Handicap nutzbar zu machen, die Träger der kulturellen Einrichtungen für ihre Belange zu sensibilisieren und tragfähige Strukturen und Angebote für eine aktive Teilhabe zu schaffen. Gern würden wir eine Servicestelle einrichten, die Behinderteneinrichtungen und Kulturschaffende vernetzt und berät, Angebote unterstützt und vielleicht auch die Arbeit hier im Museum weiterführt.

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Im Laufe des Projekts wurden die beiden Partner zu echten Gefährten, und das Museum war nach einer Weile für viele ein sehr vertrauter Ort. Die Beschäftigten der WfB kommen gerne hierher und berichten auch an ihrem Arbeitsplatz, der Werkstatt, immer wieder von dem hier Erlebten. Bisweilen werden direkt am Arbeitsplatz oder in der Wohnstätte durch ihre Mundpropaganda weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Aktionen geworben. Sie schätzen es, die Dinge gemeinsam entwickeln zu können und die Möglichkeit zu haben, sich gestaltend einzubringen. Insgesamt war die Resonanz des Projekts außerordentlich positiv, was uns die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wieder bestätigten: Da ist zum Beispiel der Gruppenleiter, der sich darüber freut, dass seine Mitarbeiter von den im Museum gemachten Erfahrungen profitieren. Und da ist die Mitarbeiterin im Sozialen Dienst, die weiß, welch hohen Stellenwert Kulturvermittlung und kulturelle Teilhabe haben sollte und nun auch hat. Oder die Kollegin, die erkannt hat, wie Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die gemeinsamen Projekte mit dem Berufsbildungsbereich in ihrer persönlichen Entwicklung gestärkt werden. Profitiert hat auch das Museum, das in den letzten Monaten gelernt hat, wie Inklusion gehen kann. Dabei waren manche Anfänge ein wenig holprig, aber unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren geduldig mit uns und wir haben dazugelernt. So sind in den letzten Monaten aus seltenen Gästen Stammkunden geworden. Für beide Partner war dies eine sehr arbeits- und betreuungsintensive Phase und eine beglückende Erfahrung. Und wie geht es nun weiter? Mit dieser Frage sind wir rasch auf der wirtschaftlichen Seite des Problems. Unsere Teilnehmenden verfügen nur über ein geringes Taschengeld. Schon der normale Museumseintritt würde es zu einem guten Teil verschlingen. Die Werkstätten haben die Aufgabe, gesellschaftliche Teilhabe und Bildung auch jenseits der ökonomischen Verwertbarkeit im Produktionsprozess zu fördern. Allerdings ist der Etat, der dort dafür zur Verfügung steht, äußerst gering. Noch sind wir nicht am Ende des gemeinsam beschrittenen Weges angelangt, auch wenn die Projektförderung der Bundesstiftung für Kultur endet. Schon die Bibel weiß: »Zwei sind allemal besser dran als einer allein. Wenn zwei zusammenarbeiten, bringen sie es eher zu etwas.« So hoffen wir, dass wir es zu zweien in der Inklusion weiter zu etwas bringen.

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L iter atur George, Uta: Leichte Sprache als barrierearmer Zugang in Gedenkstätten und Museen. In: Museumskunde 79, H. 2, 2014, S. 63–66. Meijer-van Mensch, Léontine: Stadtmuseen und »Social Inclusion«. Die Positionierung des Stadtmuseums aus der »New Museology«. In: Claudia Gemmeke/Franziska Nentwig (Hg.): Die Stadt und ihr Gedächtnis. Zur Zukunft der Stadtmuseen, Bielefeld 2011, S. 81–92. Schmitz-Gilge, Eva: Sprechende Hände, sehende Finger. Sonderpädagogik und Museen. In: Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern (Hg.): Museum und Schule. Wege zu einer erfolgreichen Partnerschaft, Berlin 2005, S. 149–156. Weiß, Gisela: Museumspädagogik in der Bundesrepublik Deutschland – Bildungs- und Vermittlungsarbeit seit 1990. In: Beatrix Commandeur/Hannelore Kunz-Ott/Karin Schad (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 84–95. Wunder, Michael: Der dritte Lebensabschnitt bei Menschen mit Behinderung  – Neue Herausforderung an die Behindertenhilfe, o. O. u. J., www.beratungszentrum-alsterdorf.de/fileadmin/abz/data/Menu/Fach​ diskussion/Alsterdorfer_Fachforum/DerdritteLebensabschnitt.pdf (Zugegriffen: 20.08.2018).

mehr ¬ Sinn ® Geschichten erzählen, erleben und verstehen Barbara Fornefeld

E inführung Als gemeinnützige Einrichtung steht das Museum im Dienst der Gesellschaft und ihrer Entwicklung. Es beschafft, bewahrt und erforscht materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt und macht sie bekannt, indem es sie ausstellt (vgl. die Ethischen Richtlinien für Museen des International Council of Museums Deutschland, ICOM 2010). Das Museum hat somit auch einen Bildungsauftrag. »Kulturelle Bildungsarbeit«, so Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der Übergabe des Hauses Bastian an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2017, »ist eine ständige Einladung, die phantasievoll und in vielen Varianten gestaltet und ausgesprochen werden muss, um möglichst alle dauerhaft in unserem Land lebenden Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt zu erreichen und für Kunst und Kultur zu begeistern. Das ist einerseits sehr anspruchsvoll, aber es ist andererseits das Mindeste, was Bürgerinnen und Bürger von der Kulturnation Deutschland erwarten können. Denn gesellschaftliche Teilhabe setzt kulturelle Teilhabe voraus.« (vgl. https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/09/2017-09-28bkm-haus-bastian.html)

Die Forderung nach kultureller Teilhabe ist an sich nicht neu. Bereits 1948 legten die Vereinten Nationen in der Menschenrechtscharta fest: »Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen [und] sich an den Künsten zu erfreuen […].« (Artikel 27, Absatz 1) Im »Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung« von 2006 (meist als »UN-Behindertenrechtskonvention« bezeichnet) for-

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dern die Vereinten Nationen, dass es Menschen mit Behinderung ermöglicht werden muss, gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben, z. B. Theater, Musik, Literatur und Kunst, teilzunehmen (vgl. UN-BRK, Artikel 30, Absatz 1). Waren Museen früher Imageträger der Hochkultur, müssen sie sich heute zu Orten partizipativer Kulturvermittlung für alle Bürgerinnen und Bürger wandeln. Die Umsetzung der politischen Forderungen scheint die Museumslandschaft zu spalten. Die Befürworter preisen die Vorteile inklusiver Museen, während die Kritiker eine Trivialisierung befürchten. Dabei zeigen die vielen gelungenen Einzelinitiativen von Museen, wie z. B. das Rüsselsheimer Projekt »StadtMuseum inklusive: beteiligen  – nicht behindern!« oder »TOUCHDOWN – Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom« der Bundeskunsthalle Bonn, dass inklusive Bildung und kulturelle Teilhabe für Menschen mit Behinderung im Museum möglich ist. Teilhabe von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen im Museum gelingt, wenn nicht nur Zugangsbarrieren abgebaut, sondern zudem geeignete Vermittlungsformate gewählt werden. Das Konzept der mehr ¬ Sinn® Geschichten ist ein solches Format, das Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung ein Verstehen musealer Inhalte ermöglicht. In Ergänzung zu teilhabeorientierten Prinzipien der Museumspädagogik wird nachfolgend das mehr ¬ Sinn® GeschichtenKonzept vorgestellt und durch zwei Beispiele veranschaulicht.

K ulturvermit tlung für M enschen mit   kognitiver  B eeintr ächtigung Deutschland ist stolz auf seine Kulturvielfalt und -tradition. Die vielen Museen gehören zu dieser bunten Kulturlandschaft. Die Teilhabe aller ist nur möglich, wenn das Museum nicht allein dem Bildungsbürgertum vorbehalten bleibt. Kultur betrifft alle. Sie stellt die Gesamtheit unserer Symbolsysteme, d. h. der in unserer Gesellschaft ausgeübten und zur Verfügung stehenden Künste und Medien, dar. Ihr Zweck liegt in der Erzeugung und Vermittlung ästhetischer Erfahrungen (vgl. Groß-Kunkel 2017, S.  20). Dies kann vielfältige Formen annehmen. Solcherart verstanden kennt Kultur keine Grenzen; vielmehr lädt sie auch Menschen mit kog­ nitiven Beeinträchtigungen ein, an Kulturvermittlung und -erzeugung

mehr ¬ Sinn ® Geschichten erzählen, erleben und verstehen

teilzuhaben. In diesem weiten Verständnis kennt Kultur keine Grenzen. In der Erzeugung und Vermittlung ermöglicht Kultur auch Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen den Zugang zu den Künsten und zu Museen.

Teilhabe erreicht man durch Teilen gemeinsamer Erfahrungen im kulturellen Raum. Das Teilen gemeinsamer Erfahrungen ermöglicht Bildung. Sie ist also nur dort möglich, wo kulturelle Teilhabe stattfindet, in einem »kulturellen Raum« (vgl. Groß-Kunkel 2017, S.  29). Teilhabe braucht »Bildungsräume«, damit (Selbst-)Bildungsprozesse gelingen. Teilhabe und Bildung verweisen aufeinander. Das Museum, das heute stärker als zuvor soziale und politische Aufgaben zu erfüllen und mit Diversität umzugehen hat, ist ein solcher »Bildungsraum«, in dem gemeinsame ästhetische Erfahrungen möglich und neue Formen der Kulturaneignung denkbar werden. Es geht längst nicht mehr allein um barrierefreie Führungen durch aktuelle Ausstellungen, sondern um partizipative Kulturarbeit zu gesellschaftsrelevanten Themen. Eine zentrale Rolle in der Bildungsarbeit spielt die Museumspädagogik. Sie kennt didaktische Prinzipien, die gerade in der Arbeit mit Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung wichtig sind, wie z. B. das an der North Carolina State University entwickelte »Mehr-Sinne-Prinzip« oder die »KISS-Regel« nach Harrison Owen (»keep it short and simple«) (vgl. Auer 2007, S.  38). Besucherinnen und Besucher mit kognitiver Beeinträchtigung benötigen mehr Zeit, um museale Inhalte zu erfassen. Sie brauchen mehr Zeit zum Anschauen des Exponats, Zeit und Möglichkeiten für Fragen sowie eine wiederkehrende Aufforderung, Fragen stellen zu dürfen (vgl. Föhr 2007, S. 126). Die inhaltliche Komplexität darf nicht einfach nur reduziert werden. Sie muss elementarisiert werden, d. h. das Wesentliche des musealen Inhalts muss beispielhaft herausgegriffen und auf bereitet werden, damit es in klarer, prosodischer Sprache und in sinnlich-anschaulicher Form vermittelt werden und von den Gästen mit Behinderung verstanden werden kann. Dabei ist der Bezug zur Gegenwart der Museumsbesucher wichtig. Kulturelle Teilhabe von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung gelingt nur, wenn sie eine feste Verankerung in der jeweiligen Museumskultur hat, was wiederum von der Haltung der Verantwortlichen abhängt (vgl. Maaß 2007, S. 18).

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Museumspädagogische Methoden, die auf abstrakte Denkleistungen setzen, kommen bei Besucherinnen und Besuchern mit kognitiven Beeinträchtigungen an ihre Grenzen. Zu viel »schwere Sprache« und langes Zuhören während einer Führung drängt sie in eine passiv-rezipierende Rolle und steigert die Verständnisschwierigkeiten. Museumsgäste mit kognitiven Beeinträchtigungen müssen zum Verstehen des Gezeigten einen Bezug zu sich selbst oder ihrem Leben herstellen oder, anders ausgedrückt, sich mit der Ausstellung oder einem musealen Kulturprojekt identifizieren können. Man könnte es auf folgenden Nenner bringen: Für das Verstehen eines musealen Angebots sind die Person und ihre Weise der Vermittlung des Inhalts entscheidend.

Z ur B edeutung der N arr ation im M useum Teilhabeorientierte Museumsarbeit verlangt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Empathie für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Sie kann entstehen, wenn narrative Vermittlungswege im Museum gewählt werden, weil das Erzählen von Geschichten Menschen einander näher bringt. »Es gibt keinen Bereich unserer Alltagspraxis, in dem nicht erzählt wird. Mit Geschichten taxieren wir unser Tagewerk, regeln wir unsere Beziehungen, bestimmen wir unseren gesellschaftlichen Status, verbinden wir die existentiellen Punkte des Lebens, machen wir aus Geburt, Ausbildung, Elternschaft, Karriere, Krankheit, Tod etwas Zusammengehöriges, Einheitliches, das wir dann, jeder für sich, ›mein Leben‹ nennen. Im Vollzug dieses Lebens werden wir unaufhörlich in Geschichten verwickelt.« (Barricelli 2011, S. 61 nach Hassel 2017, S. 42)

Menschen können sich und die Welt um sie herum nur aus den eigenen Geschichten und denen der anderen verstehen. Das Leben basiert auf Narration: Geschichtenerzählen ist ein existentielles Bedürfnis des Menschen, weil es der Identitätsfindung und Selbsterkenntnis dient. Es ist aber auch ein soziales Bedürfnis, eine Form der Kommunikation sowie des Fremd- und Weltverstehens. Geschichtenerzählen ist ein Bildungsbedürfnis, eine Form des Lernens, des Lehrens und der Entwicklung. Nicht zuletzt hilft das Geschichtenerzählen, Zeit zu strukturieren sowie Ereignisse und Sachverhalte einzuordnen.

mehr ¬ Sinn ® Geschichten erzählen, erleben und verstehen

Erzählen und Geschichten bringen Menschen einander näher, machen es möglich, das Leben für einen Augenblick im Miteinander zu gestalten. Die eine erzählt, der andere hört zu  – ohne Zuhörer keine Erzählerin. Die Kultur des Erzählens bietet sich im Museum geradezu als Verbindung zwischen Exponat und Museumsbesucher und als partizipative Vermittlungsform an. Durch die erzählte Geschichte, die sich um ein Exponat rankt, kann der Bezug zu den eigenen Erfahrungen hergestellt werden, was die Identifikationsmöglichkeiten mit dem Gehörten erhöht. Verstehen ist eben nicht nur ein kognitiver Prozess, sondern ein ganzheitliches Geschehen, in dem sich Erinnerungen, sinnliche Erfahrungen und Denken zu einem ästhetischen Erleben verbinden.

mehr  ¬ S inn ® G eschichten als teilhabeorientierte M e thode der K ulturvermit tlung im M useum »Der einzige Zugang zu uns selbst erfolgt über die Geschichten, in die wir verstrickt sind. Der Zugang zu den anderen Menschen über die Geschichten, in die diese verstrickt sind […].« (W ilhelm S chapp 2012, S. 136)

Exponate und Artefakte in Museen sind Zeugnisse des »Verstricktseins« von Menschen. Sie symbolisieren beispielsweise Epochen mit ihren Produkten und Machthabern oder Lebensgeschichten und -werke von Künstlerinnen und Künstlern. Dieses »Verstricktsein« kann für die museale Erzählung genutzt und an Besucherinnen und Besucher weitergegeben werden. Auf der theoretischen Grundlage der »Philosophie der Geschichten« von Wilhelm Schapp (2012) und Paul Ricœur (2007) ist an der Universität zu Köln am Lehrstuhl Pädagogik und Rehabilitation bei Menschen mit geistiger und schwerer geistiger Behinderung (Prof’in Dr. Barbara Fornefeld) das Konzept der mehr ¬ Sinn® Geschichten entstanden, das sich als kulturelles Teilhabeangebot versteht (vgl. Fornefeld 2011  & 2016a). Die mehr ¬ Sinn® Geschichten sind Neubearbeitungen von klassischen Literaturvorlagen wie Märchen, Sagen, Legenden, Bilderbüchern oder lyrischen und religiösen Geschichten in einem spezifischen Format (vgl. Fornefeld 2016b, S. 25 f.). Sie verdichten die literarische Originalvorlage

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so, dass Menschen mit Komplexer Behinderung sie verstehen können. »Komplexe Behinderung« ist ein Fachausdruck für Menschen mit mehrfachen Behinderungen, kognitiven Beeinträchtigungen und nur geringer oder keiner Verbalsprache. Durch den mehr ¬ sinnlichen Ansatz werden Inhalte auf allen sinnlichen Ebenen erlebbar als Geschichten zum Lauschen, Schauen, Schmecken, Riechen und Fühlen. Indem individuelle Empfindungen, Emotionen und Erinnerungen geweckt werden, entstehen bei Zuhörenden und Erzählenden Gefühle von Freude und Zufriedenheit sowie sach- und zwischenmenschliches Verstehen. Das mehr ¬ sinnliche Geschichtenerzählen ist ein überaus dynamischer Prozess, der sich aus einem ausgewogenen Zusammenspiel von bearbeitetem Inhalt, Dramaturgie, Sprache, Prosodie der Stimme, Requisiten, Musik, Inszenierung und Beziehung zwischen Erzählerinnen und Erzählern sowie Zuhörenden ergibt. Sechs der Kölner mehr ¬ Sinn® Geschichten sind im Handel erhältlich. Sie sind in der Praxis erprobt und urheberrechtlich geschützt. Das Konzept der mehr ¬ Sinn® Geschichten ist mehrfach ausgezeichnet worden. Auch die mehr ¬ Sinn® Geschichten-Kiste mit den Requisiten wurde durch das Patent- und Markenamt in Jena ebenfalls urheberrechtlich geschützt (Informationen unter www.kubus-ev.de). Das Konzept der mehr ¬ Sinn® Geschichten basiert auf einer phänomenologischen Anthropologie, die von der Grundannahme ausgeht, dass jeder Mensch unabhängig vom Grad seiner Beeinträchtigung in Kultur lebt und kulturelle Angebote versteht. »Aufgrund jenes ›Verstrickt-Seins‹, auf das schon Cassirer hinwies, und der durch die Leiblichkeit hervorgebrachten Zeitlichkeit ist es falsch anzunehmen, dass Menschen mit geistiger Behinderung nur in der Gegenwart leben. Vielmehr tragen sie ihre Geschichte, begonnen mit den ersten pränatalen Urerfahrungen, in sich.« (Hassel 2017, S. 42) Je mehr Erfahrungen der Mensch im Verlauf seines Lebens sammelt, desto vielschichtiger wird sein Verständnis von Geschichten. »Durch das Aufnehmen von Eindrücken und das Erleben von Emotionen und sozialen Beziehungen kann das Lebensumfeld erfasst und durch Geschichten erweitert werden. Es entstehen individuelle Bilder, die die seelischen Grundkräfte, das Denken, das Fühlen, das Empfinden und die Intuition ansprechen.« (Ebd.) Man kann dies als konkret sinnliches Denken bezeichnen. »Bleibt eine Verständigung über die Vergangenheit aus, wird Menschen mit geistiger Behinderung eine Grundlage ihrer Teilhabe, das historisch-leibliche Lernen sowie eine

mehr ¬ Sinn ® Geschichten erzählen, erleben und verstehen

Möglichkeit zur Gewinnung autobiographischer Erinnerung vorenthalten.« (Ebd.)

mehr ¬ Sinn® Geschichten machen Sinn und schaffen Sinn! Sie machen mehr Sinn! mehr ¬ Sinn® Geschichten sind ein teilhabeorientiertes Bildungs- und Beziehungsangebot für alle Menschen.

A nwendungsbeispiele Zwei Studien, die hier nur kurz vorgestellt werden können, zeigen, dass sich die Methode des mehr ¬ sinnlichen Geschichtenerzählens zur teilhabeorientierten Führung im Museum eignet. Jasmine Vasiljevic hat 2015 auf der Grundlage des Konzepts der mehr ¬ Sinn® Geschichten einen historischen Rundgang durch das Residenzschloss Arolsen mit einer Gruppe von fünf Erwachsenen mit kognitiver Behinderung entwickelt. Hierzu hat sie sechs Räume ausgewählt, in denen sie mit Hilfe von Requisiten, pointierter Sprache und Musik das Leben des Fürsten Friedrich Anton Ulrich und seiner Familie veranschaulicht hat. Nach Räumen unterteilt hat sie in einem Regieheft den kurzen Erzähltext, die benötigten Requisiten und die Form der Darbietung (die Regie) festgehalten. Die Erzählung beginnt im Steinernen Saal, in dem Fürst Friedrich Anton Ulrich als Bauherr des Schlosses vorgestellt wird. Im Weißen Saal wird von der Geldnot des Fürsten sowie von Fürstin Bathildis berichtet, die das Bathildisheim für Menschen mit Behinderung in Bad Arolsen gegründet hat. Diese Information ist für die Museumsbesucherinnen und -besucher wichtig, weil sie einen Bezug zum Bathildisheim haben. Das Waldecker Wappen, das überall im Schloss zu sehen ist, wird im Roten Empiresalon erläutert. Hier wird auch von der Geheimtür für die Bediensteten erzählt. Die Lebensbedingungen der Fürstenfamilie werden im Blauen Schlafzimmer veranschaulicht, indem ein Vergleich mit heutigen Badezimmern hergestellt wird. Das Spielzimmer zeigt nicht nur die Spielsachen der Fürstenkinder, sondern es erklingt auch Musik, um das Herumtollen und die Geräusche der vielen Kinder zu vermitteln. Im Kronprinzenzimmer endet die Führung. Um die Verbindung zum Roten Empiresalon herzustellen, wird der »Waldecker Stern« auf der Tischdecke gezeigt. Da dieser Raum

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der Bewirtung der Gäste diente, werden die damaligen Essgewohnheiten beschrieben: »Es gab leckere Sachen zu essen. Und als Nachtisch gab es häufig Gebäck.« (Vasiljevic 2015, S. XIV) Zu dieser Erzählpassage reichte Frau Vasiljevic der Gruppe gebackene »Waldecker Sterne«, um durch Riechen und Schmecken »eine Vorstellung von den Essensszenen in diesem Raum« entstehen zu lassen (ebd.). Einige Tage später hat Frau Vasiljevic die Besucherinnen und Besucher danach befragt, was sie von der mehr ¬ sinnlichen Führung behalten haben. Anna-Lena erinnert sich als erstes an die 24 Geschwister des Fürsten: »Das war ’ne ganz schöne Fußballmannschaft«, sagt sie. Und Wolfgang weiß noch, dass kein König, sondern ein Fürst im Schloss gewohnt hat: »Der war auf dem großen Bild.« Frau Vasiljevic analysiert die Äußerungen der Teilnehmenden im Hinblick auf ihr Geschichtsbewusstsein und zeigt, dass sie in unterschiedlichem Maße Temporalbewusstsein, Wirklichkeits-, Historizitäts-, politisches und ökonomisch-soziales Bewusstsein besitzen. Des Weiteren zeigt sie, dass die Führung auf der Grundlage des mehr ¬ Sinn® Geschichten-Konzepts zur historischen Identitätsbildung und zur zeitlichen Praxisorientierung beiträgt. »Das Miterleben erzählter historischer Geschichten nach dem Prinzip des mehr ¬ sinnlichen Geschichtenerzählens unterstützt Menschen mit Behinderung im Erinnern auch an ihre persönliche Situation. Derart vermitteltes historisches Wissen fördert die Entwicklung ihres biografischen Lebenswegs und macht ihnen ihre eigene Geschichte zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewusst.« (Ebd. S. 72) »Und ob die Menschen alle mal wieder auferstehen, das weiß auch keiner.« (Wolfgang in Vasil jevic 2015, S. 72)

Marie Hassel konzipierte 2017 eine Führung für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung durch das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart in Form der mehr ¬ Sinn® Geschichte »Die vier Könige von Württemberg«. Neben der Entwicklung des narrativ-teilhabeorientierten Führungskonzepts hat sie sich mit der theoretischen Fundierung eines solchen Konzeptes auseinandergesetzt. Zentral war dabei die Frage, wie sich die Bedürfnisse der Besucherinnen und Besucher mit kognitiver Beeinträchtigung mit museumspädagogischen Grundlagen verbinden lassen. Hierbei spielen historisches Lernen, Leiblichkeit und Zeitlichkeit sowie die

mehr ¬ Sinn ® Geschichten erzählen, erleben und verstehen

Geschichtsvermittlung eine zentrale Rolle. Die Elementarisierung versteht Marie Hassel als mesodidaktischen Ansatz in der musealen Bildung von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Die von ihr entworfene Führung bezieht sich auf Friedrich  I. (reg. 1797–1816: »Der schwäbische Zar«), Wilhelm I. (reg. 1816–1864: »Der Reformer«), König Karl von Württemberg (reg. 1864–1891: »Der milde Regent«) und Wilhelm  II. (reg. 1891–1918: »Der bürgerliche König«). Hier kann nicht vertiefend auf das gut durchdachte und methodisch kreative Konzept der Führung eingegangen werden. Darum soll nur auf die zentralen Requisiten hingewiesen werden, mit denen Frau Hassel die Eigenschaften der Könige und ihrer Regentschaft symbolisiert. Sie hat sich für die Waldorfpuppe entschieden, eine gesichtslose Stoffpuppe, der sie je nach Charakter des Herrschers eine andere Füllung und ein anderes Kleid gibt: Das Symbol für Friedrich I., den narzisstischen Herrscher, ist eine Puppe mit widerspenstigem rotem Filzumhang und harter Füllung aus Kirschkernen. Wilhelm  I., der verantwortungsvolle und reformerische Regent, wird durch eine biegbare und mit Watte gefüllte Puppe symbolisiert. Der freiheitsliebende König Karl wird durch eine Puppe versinnbildlicht, die in graue Seide gekleidet und mit einem leichten Dinkelspelz gefüllt ist. Das Symbol für Wilhelm II., den bürgerlichen König, ist mit einem schweren Plastikgranulat gefüllt, dass seine Verbundenheit mit seinem Volk widerspiegeln soll, ebenso wie auch der lederne Umhang. Neben den Puppen schlägt Frau Hassel weitere Requisiten und Musik zur Veranschaulichung der Regentschaft der vier Könige während der mehr ¬ sinnlichen Führung vor. Sie hat den Erzähltext, Requisiten, Musik und die Regieanweisungen in einem übersichtlichen Regieheft zusammengefasst. Man kann dem gut durchdachten Konzept von Frau Hassel nur wünschen, dass es regen Gebrauch findet und so vielen Menschen mit Behinderung den Zugang zum Württembergischen Landesmuseum eröffnet. Derzeit werden an der Universität zu Köln weitere museale mehr ¬ ​ Sinn® Geschichten entwickelt. Die Erfahrungen zeigen:

mehr ¬ Sinn® Geschichten machen mehr Sinn – auch im Museum!

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L iter atur Auer, Katrin: Barrierefreie Museen  – Rechtliche Rahmenbedingungen. In: Patrick S. Föhl/Stefanie Erdrich/Hartmut John/Karin Maaß (Hg.): Das barrierefreie Museum. Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch, Bielefeld 2007, S. 34–44. Föhl, Patrick S.: Ausgewählte Vermittlungsmethoden für Menschen mit Lernschwierigkeiten im Museum. In: Patrick S. Föhl/Stefanie Erdrich/Hartmut John/Karin Maaß (Hg.): Das barrierefreie Museum. Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch, Bielefeld 2007, S. 121–130. Fornefeld, Barbara: Mehr ¬ sinnliches Geschichtenerzählen. Eine Idee setzt sich durch. Multi-Sensory Storytelling. An Idea Gets Through, Münster 2011. Fornefeld, Barbara (2016a): mehr ¬ Sinn® Geschichten. Erzählen – Erleben – Verstehen. Konzeptband, 2. Aufl., Düsseldorf 2016. Fornefeld, Barbara (2016b): Teilhabe für die Stadtmusikanten. Mehr ¬ ​ sinnliches Erzählen für Menschen mit Demenz. In: Ingrid Kollak (Hg.): Menschen mit Demenz durch Kunst und Kreativität aktivieren. Eine Anleitung für Pflege- und Betreuungspersonen, Berlin/Heidelberg 2016, S. 21–37. Groß-Kunkel, Anke: Kultur, Literacy und Behinderung. Teilhabe verstehen und verwirklichen mit den LEA Leseklubs, Bad Heilbrunn 2017. Hassel, Marie: Museumspädagogik einmal anders. Eine Konzeptualisierung einer Führung für Menschen mit geistiger Behinderung im Landesmuseum Stuttgart. Unveröffentlichte Masterarbeit im Rahmen des Studium Heilpädagogik und Rehabilitation bei Komplexer Behinderung an der Universität zu Köln 2017. ICOM: Schwerpunkte  – Museumsdefinition, https://www.icom-deutsch​ land.de/schwerpunkte-museumsdefinition.php, 2010 (Zugegriffen: 20.08.2018). Maaß, Karin: Das barrierefreie Museum aus museumspädagogischer Perspektive. In: Patrick S. Föhl/Stefanie Erdrich/Hartmut John/Karin Maaß (Hg.): Das barrierefreie Museum. Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch, Bielefeld 2007, S.15–27. Ricœur, Paul: Zeit und Erzählung, Bd. 1.: Zeit und historische Erzählung, 2. Aufl., München 2007.

mehr ¬ Sinn ® Geschichten erzählen, erleben und verstehen

Schapp, Wilhelm: In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Ding und Mensch, 5. Aufl., Frankfurt a. M. 2012. Vasiljevic, Jasmine: Erzählte Geschichten und das Geschichtsbewusstsein von Erwachsenen mit geistiger Behinderung. Ein mehr ¬ sinnlich, historischer Rundgang durch das Residenzschloss Arolsen. Unveröffentlichte Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der ersten Staatsprüfung an der Universität zu Köln 2015.

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»Geschichten, die das Leben schreibt« Biografiearbeit im Museum für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Ines Bader

V orbemerkung Ich habe fast 38 Jahre (bis 2017) in der Diakonie Stetten als Psychologin gearbeitet und meine Ausführungen beziehen sich auf viele Gespräche und Begegnungen mit den Menschen, die ich in diesen Jahren kennen gelernt und begleitet habe. Meine eigene Geschichte und meine Lebenserfahrung haben sich zu einem großen Teil mit den Lebensgeschichten dieser Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen verwoben. Mein besonderes Interesse galt in dieser Zeit den Biografien der Menschen mit Behinderung und ihrer Suche nach individueller und sinnhafter Lebensgestaltung auch unter schwierigen Lebensbedingungen. Mir war es immer wichtig, dass wir gemeinsame Aktivitäten erleben, und so haben auch Museumsbesuche und die Auseinandersetzung mit Kunst den Menschen mit Behinderung Impulse und Anregungen geben können, um die eigenen Erfahrungen in neuen Zusammenhängen zu betrachten.

B edeutung der E rinnerung Aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass eine bewusste Erinnerung erst im Alter von ungefähr vier bis fünf Jahren einsetzt. Frühere Ereignisse erinnern wir in aller Regel durch Erzählungen von anderen Menschen sowie durch Fotos, Gegenstände oder vertraute Orte. Doch auch frühere Erinnerungen tragen wir in uns; diese Emotionen oder at-

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mosphärischen Eindrücke sind in einer Art »Körper-Erinnerung« gespeichert. Da sie mit bestimmten Erlebnissen verknüpft sind, können Sinneseindrücke wie Gerüche, Geschmack, Musik, landschaftliche Eindrücke, Gedichte oder vertraute Geschichten diese frühen Erinnerungen wachrufen. Für Menschen mit schwerer geistiger Behinderung ist die Verankerung von Erinnerungen in Körpererfahrungen von besonderer Bedeutung. Diese Erinnerungen können sich dann in besonderen Vorlieben, Ängsten und Handlungsritualen zeigen und müssen in einem verstehenden Prozess von uns entschlüsselt werden. Für diesen verstehenden Prozess ist es wichtig, dass Bezugspersonen möglichst viel von der Lebensgeschichte des behinderten Menschen wissen. Um mit Erinnerungen umzugehen, benötigen wir Ordnungsstrukturen, die das eigene Leben in der Rückschau stimmig machen, z. B. Zeitstrukturen, Kategorisierungen und die Fähigkeit zu Selbstreflexion und Perspektivenwechsel. Diese Ordnungsstrukturen können erst ab einem bestimmten kognitiven Entwicklungsstand aufgebaut werden und sind Menschen mit schwerer kognitiver Beeinträchtigung (noch) nicht zugänglich. Menschen benötigen Hilfen und vielfältige Anregungen, um den Prozess der Erinnerung zu gestalten und zu strukturieren. Sie benötigen Personen, denen sie aus ihrem Leben erzählen können, die sich mit ihren Lebenswelten vertraut gemacht haben und die auch bruchstückhafte Elemente verstehen und einordnen können. In diesem Kommunikationsprozess erfahren wir viel über die Persönlichkeit der Menschen, über ihr Selbstbild und über ihre Strategien, ihren Alltag zu organisieren und zu bewältigen. Menschen mit Behinderung haben wie alle Menschen den Wunsch, ihrem Leben einen Sinn zu geben und »das Beste daraus zu machen«.

L ebensl äufe und L ebensgeschichten : »S ie haben eine A k te , aber keine G eschichte « In der Biografiearbeit wird zwischen Lebensläufen und Lebensgeschichten unterschieden. Der Lebenslauf stellt die Außenseite des Lebens dar, die Chronologie und die einzelnen Lebensetappen. Im besten Fall ist diese Chronologie in den Akten der behinderten Menschen vorhanden, sonst muss sie (soweit wie möglich) durch Gespräche mit Angehörigen,

»Geschichten, die das Leben schreibt«

ehemaligen Mitarbeitenden und anderen Bezugspersonen rekonstruiert werden. Ansonsten erfahren wir in den Akten häufig viel über die jeweils geltenden fachlich-historischen Sichtweisen und Stigmatisierungen, die behinderte Menschen und ihre Familien erfahren mussten. Die Lebensgeschichte ist die Innenseite des Lebens und entspricht dem, was die einzelne Person aus ihrem Lebenslauf macht, welche Bedeutungen den Erlebnissen gegeben werden und wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verwoben sind. Durch die Lebensgeschichten erfahren wir viel über das Selbstkonzept und die subjektiven Alltagstheorien der behinderten Menschen, in ihnen manifestiert sich der Sinn, den die Einzelne ihrem Leben gibt. Die Erinnerungen in den Lebensgeschichten der behinderten Menschen sind immer sehr persönlich und konkret. Die erzählten Ereignisse beziehen sich auf einzigartige Geschehnisse. Verallgemeinerungen und Zusammenfassungen kommen nicht vor. Oft bleiben diese leidvollen persönlichen Erlebnisse ohne zeitliche Distanzierung und werden so erzählt, als ob sie sich erst kürzlich ereignet hätten. So sieht Frau K. in einem Bildband ein Foto einer älteren Frau mit Haarknoten, schlägt auf das Bild ein und schreit sehr aufgeregt »Maja hauen«. Sie hat uns damit von ihren eigenen Gewalterfahrungen und den aggressiven Gefühlen erzählt, die sie nach vielen Jahren immer noch begleiten. In den erinnerten Berichten wird die eigene Person häufig positiv, kompetent und selbstbestimmt dargestellt. Die realen Erfahrungen von Fremdbestimmung und Kränkung werden umgedeutet und verändert. In der Neukonstruktion spielen autonomes Handeln, Selbstverantwortung und die besondere Bedeutung der eigenen Person eine wichtige Rolle, hierzu gehören z. B. Erklärungen für die Aufnahme in das Heim, für Verlegungen und Umzüge. Traumatische, schlimme Ereignisse werden oft nicht erzählt, sondern sind vergessen oder verdrängt und treten manchmal in verschlüsselten Signalen an die Oberfläche, z. B. als Ängste, Zwänge oder soziale Probleme. Das Gespräch in einer Gruppe von Menschen, die über ähnliche Lebenserfahrungen verfügen, wie einer Senioren- oder Zeitungsgruppe, ist sehr hilfreich für die Rekonstruktion von Erinnerungen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer helfen sich beim Erinnern, ergänzen Namen und Ereignisse und bilden sowohl interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer als auch »Zeugen«, die die individuellen Geschichten bestätigen können.

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Die Erarbeitung von Biografien und die Wertschätzung der Subjektivität von Erinnerungen bilden eine wichtige Grundlage für eine »verstehende Haltung« und einen respektvollen Umgang mit behinderten Menschen und stellen die Basis für personenzentrierte Assistenzleistungen dar.

B edeutung der B iogr afie arbeit mit M enschen   mit kognitiver B eeintr ächtigung Mit Hilfe der Biografiearbeit werden die persönlichen Eigenarten und Eigenständigkeiten des behinderten Menschen wahrgenommen und gestärkt. Es kann zu einer größeren Wertschätzung der Person und zu einem Erkennen von Fähigkeiten und Potentialen kommen, die verschüttet waren oder in der aktuellen (institutionellen) Situation nicht aktualisiert werden können. Zu diesem Prozess können auch Museumsbesuche beitragen. Bei verschiedenen Führungen in der Staatsgalerie Stuttgart haben wir die Themen Weihnachten und Ostern behandelt und die Menschen mit Behinderung haben sich dabei als sehr kompetent erleben können, da sie aufgrund ihrer Sozialisation in einer diakonischen Einrichtung viel über biblische Geschichten und Personen erfahren und gelernt haben und dieses Wissen jetzt in einen neuen Kontext stellen konnten. Besuche von Museen der Stadtgeschichte, Freilichtmuseen oder historischen Ausstellungen können diese Verwobenheit von individuellen Geschichten mit äußeren Rahmenbedingungen deutlich machen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg 2018 in Waiblingen zu »Verwahrlost und gefährdet? Heimerziehung in Baden-Württemberg 1945 bis 1975«. Diese Ausstellung ermöglichte es Menschen mit Behinderung und den meist jüngeren Mitarbeitenden, die Geschichte von Institutionen besser zu verstehen und die soziokulturellen Einflüsse in den Lebensgeschichten zu erkennen. Die Sensibilität der Mitarbeitenden gegenüber den Erfahrungen der Menschen mit Behinderung erhöhte sich und es kam in einigen Fällen zu einer Bearbeitung der oft leidvollen Erinnerungen. Anhand dieser Erfahrungen werden die verschiedenen Bedeutungsebenen der Biografiearbeit offenbar: Bei der Auseinandersetzung mit dem vergangenen Leben gelingt es, Belastungen zu verarbeiten, die aktuelle Lebenssituation zu verstehen und Zukunftsperspektiven zu gewinnen. Auf der Basis der biografischen Kenntnisse verändert sich der Blick auf

»Geschichten, die das Leben schreibt«

die Gegenwart, so dass fördernde und hemmende Bedingungen besser erkannt und verändert werden können. (Verschüttete) Kompetenzen der Person werden erkannt. Die Gestaltung der Zukunft kann mit dem Wissen über die Vergangenheit zu einem Zugewinn an Individualität und Selbstbestimmung führen. Die Verbindungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft können hergestellt werden, wodurch behinderte Menschen die Gewordenheit ihres Lebens erkennen. So lassen sich die Gefühle von Ohnmacht und Ausgeliefertsein möglicherweise reduzieren. Erinnerung kann spontan auftreten und Erlebnisse hervorbringen, die zum Vergnügen erzählt werden. Mit Hilfe des Erinnerns können Erlebnisse und Erfahrungen im Rückblick neu strukturiert und bewertet werden. Der aktive Erinnerungsprozess kann aber auch Gefühle wie Wut und Trauer, Bedauern und Verlust auslösen oder die Auseinandersetzung mit nicht akzeptierten Erlebnissen neu entfachen. Bei der Begleitung dieser Prozesse ist ein hohes Maß an Sensibilität und Selbstreflexion erforderlich und es kann die Notwendigkeit therapeutischer Hilfe entstehen, z. B. wenn es Hinweise auf ein posttraumatisches Belastungssyndrom mit den bekannten Flashbacks gibt. Die meisten meiner Gesprächspartnerinnen und -partner haben bereits seit ihrer Kindheit in Heimen gelebt, die älteren Personen, von denen jetzt schon viele verstorben sind, haben sehr bewusst die Leiden und Ängste des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs miterlebt und oft nur unzureichend verarbeiten können. Viele von ihnen sind in ihrem körperlichen und psychischen Wohlbefinden durch Anfallsleiden und durch Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken beeinträchtigt worden und haben belastende Erfahrungen von Ausgrenzung und Misserfolg erleben müssen. Auch sind viele in ihrem Leben Opfer von ungünstigen familiären, schulischen, materiellen und politischen Konstellationen geworden, die sie in ihrer kognitiven und psychosozialen Entwicklung gehemmt und häufig sozial stigmatisiert haben. Erst in den letzten 25 Jahren haben diese Menschen durch die Verbesserung des Lebensstandards in den Einrichtungen, durch individuelle Wohn- und Unterstützungsformen und durch eine vermehrte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ihre Potentiale entfalten und ihr Leben vermehrt selbst bestimmen können. Sie fühlen sich, so ihre Aussagen, freier und glücklicher als in ihrer Vergangenheit. In vielen Lebensgeschichten nehmen Schilderungen der Kindheit und Jugend einen großen Raum ein, vor allem, wenn die Kindheit in der

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Familie gelebt worden ist. Das Leben in der Familie (»daheim«) wird ausführlicher und genauer berichtet, obwohl es viel kürzer war als die langen Jahrzehnte innerhalb der Einrichtung. In den Berichten lassen sich bestimmte Grundmuster der Erinnerungen und der Verarbeitungsstrategien erkennen.

Schuldgefühle und Ablehnung Durch viele Erinnerungen ziehen sich wie ein roter Faden Erlebnisse von Ablehnung und Zurücksetzung. So berichtet eine jetzt 76-jährige Frau: »Meine Mutter hat gesagt, ich bin so geworden, weil ich als kleines Kind vom Tisch gefallen bin. Meine Mutter hat viel geschimpft und hat auch gesagt, da sei ich viel selber schuldig. Da habe ich oft gedacht, warum bin ich selber schuldig.«

Trauma »Trennung« Die Trennung von der Familie wird von vielen Gesprächspartnern sehr traumatisch erlebt, vor allem, wenn der Aufnahme ins Heim der Tod von Vater oder Mutter vorausgegangen ist. Eine Frau mit Down-Syndrom, die mit 35 Jahren ins Heim aufgenommen worden ist, hat sich lange die Heimaufnahme damit erklärt, dass dies zur Strafe passiert sei, weil sie schuld am Tod der Mutter gewesen wäre. Erst durch viele behutsame Gespräche ist es gelungen, sie von diesem Schuldgefühl zu entlasten.

Verklärung der Erinnerung Eine andere Frau (sie wäre jetzt bereits weit über 90 Jahre alt) hat noch mit 75 Jahren für sich die Identität der »Tochter aus gutem Hause in Berlin« aufgebaut, und diese Rolle »stimmte« auch bis zu ihrer Heimaufnahme im Jahr 1948. In ihren Erinnerungen überwogen Beschreibungen der elterlichen Wohnung, der Urlaubsreisen und Feste, der Einkäufe im Kaufhaus Wertheim, des Kinderfräuleins und von Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg. Das Leben im Heim (ab 1948) sah sie als Fehlentscheidung an (»Was soll ich auch mit diesen Kranken?«), die sich nur damit begründen ließ, dass ihre Eltern ausgebombt wurden und nach dem Krieg bald gestorben sind. Diese Frau kostete es große Mühe und Kämpfe, sich mit den Bedingungen des Heims zu arrangieren.

»Geschichten, die das Leben schreibt«

Aufwertung und Kompetenz Auffällig ist, dass in vielen Geschichten von der eigenen Bedeutung und Wirksamkeit bei wichtigen Ereignissen erzählt wird. Es scheint, als ob die Erfahrung der Fremdbestimmung in der Erinnerung eine Umdeutung bekommt, die zu einer verspäteten Stärkung des Selbstwertgefühls beiträgt. So berichtet eine 80-jährige Frau über ihre Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges: »Ich habe dann immer zu meiner Mutter gesagt, komm, nimm die Petroleumlampe, wir müssen in den Keller, die Flieger kommen wieder.« Viele behinderte Menschen geben ihrer stigmatisierenden Verlegung in den geschlossenen Heimbereich Hangweide auch eine andere positive Bedeutung: »Der Inspektor hat gewollt, dass ich auf die Hangweide zum Schaffen komme.«

R ahmenbedingungen und M e thoden für eine U mse t zung in die P r a xis Biografiearbeit ist ein Bildungs- und Kommunikationsprozess zwischen Menschen. Menschen mit und ohne kognitive Beeinträchtigung tragen Erinnerungen zusammen, sie unterstützen sich beim Füllen von chronologischen Lücken und suchen nach Informationen über die jeweilige Vergangenheit. Zur Umsetzung dieses Prozesses sind Rahmenbedingungen notwendig, z. B. Offenheit, Neugierde, Freude am Zuhören und Erzählen auf der Seite der Betreuerinnen und Betreuer. Genauso wichtig ist es, besondere Zeiten und Orte für die Gestaltung der Gespräche zu schaffen und individuelle Dokumentationsformen zu entwickeln und zu gestalten. Hierzu können Fotoalben mit ausführlicher Beschriftung, die Sammlung von persönlichen Erinnerungsstücken oder Gespräche mit Angehörigen und früheren Bekannten und Bezugspersonen gehören. Zur Gestaltung dieser Dokumentation haben sich verschiedene Methoden bewährt, z. B. Lebensbücher, Lebensbaum, Schatzkiste und Integration der Lebensgeschichte in die Assistenzplanung. Basis der Biografiearbeit sind Gespräche mit Hilfe von verschiedenen Bildern und Objekten. Ebenso können Besuche an den Orten der Vergangenheit und Museumsbesuche zur Aktivierung von Erinnerungen und zum lebendigen Austausch beitragen.

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In Gesprächsgruppen können behinderte Menschen aus ihrem Leben erzählen und sich gegenseitig bei der Erinnerung helfen. Diese Gespräche können in bestehenden Gruppen stattfinden oder als besonderes Angebot im Rahmen der Erwachsenenbildung durchgeführt werden. Die Lebensgeschichten werden erzählt, gemeinsam ergänzt und aufgeschrieben; das Aufschreiben dieser Lebensgeschichte in einem Lebensbuch oder die Erstellung eines Ich-Passes hat häufig hohe Bedeutung für den behinderten Menschen. Die Schwerpunktthemen in den Gesprächsgruppen können sich an den chronologischen Abschnitten des Lebenslaufs orientieren, wobei berücksichtigt werden muss, dass Menschen mit Behinderung sich mit nichtbehinderten Menschen (z. B. Geschwistern oder Bekannten) vergleichen und erkennen müssen, dass wichtige Phasen des Erwachsenenlebens, z. B. Führerschein, Partnerschaft, Kinderwunsch oder viel Geld zu verdienen, für sie nur schwer oder gar nicht verwirklichbar sind. Die Konzeption der »persönlichen Zukunftsplanung« greift diese Lebensträume auf und versucht, diese gemeinsam mit dem behinderten Menschen und seinem so genannten »Unterstützerkreis« zu bearbeiten und realisierbare Lösungen zu finden.

P r a xisbeispiele »M useumsbesuche « In den letzten dreißig Jahren habe ich gemeinsam mit behinderten Menschen regelmäßig verschiedene Museen in der Region Stuttgart besucht und ich freue mich sehr, dass sich aus den ursprünglich persönlich motivierten Einzelaktivitäten jetzt regelmäßige und vielfältige Angebote im Rahmen der Erwachsenenbildung entwickelt haben, bei denen viele Menschen mitwirken und die mit entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen unterstützt werden. Seit mehreren Jahren gehören Museumsbesuche zum regelmäßigen Fortbildungsprogramm der Remstal Werkstätten in der Diakonie Stetten. Außerdem führt die Kunstwerkstatt in Esslingen (Teilbereich der Diakonie Stetten) mehrmals im Jahr Besuche in Kunstmuseen und Galerien durch. Sowohl unsere »historischen« als auch die aktuellen Erfahrungen machen deutlich, welche Themen und Eindrücke besonders wichtig für die Menschen mit Behinderung sind.

»Geschichten, die das Leben schreibt«

Verbindung zu den eigenen Erfahrungen und Interessen Wir haben 1985 mit den ersten Museumsbesuchen begonnen, weil ein Kollege und ich selbst ein großes Interesse an Kunst haben und wir den Wunsch hatten, dieses Interesse mit den behinderten Menschen zu teilen. Im Rahmen der damaligen »Heimvolkshochschule« haben wir dann regelmäßig Besuche in der Staatsgalerie Stuttgart (Kunstmuseum) und dem Lindenmuseum (ethnologische Sammlungen) angeboten. Teilweise haben wir themenbezogene Führungen selbst durchgeführt, teilweise konnten wir mit dem museumspädagogischen Dienst der jeweiligen Museen zusammenarbeiten. In den großen Museen wie der Staatsgalerie hat es sich bewährt, unter einem bestimmten Thema wenige Bilder auszuwählen, um diese genauer zu betrachten, z. B. religiöse Themen, Darstellungen von Menschen und ihren Gefühlen, Tierbilder oder Frühlingsbilder. Wir haben mit den Themen Weihnachten und Ostern sehr gute Erfahrungen gemacht, da die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die religiösen Inhalte von Altartafeln sehr gut verstehen und über die jeweiligen Personen und Handlungen erzählen konnten. Sie kannten viele biblische Geschichten und haben sehr selbstbewusst und freudig ihr Wissen mitgeteilt. Manche Personen haben in den Gemälden ihre eigenen Bilder gesehen: So hat eine Frau beim Betrachten eines Bildes von Kandinsky (in rosa und lila gemalt) ihr eigenes Bild wiedererkannt und war außer sich vor Freude, dass dieses offensichtlich in der Staatsgalerie ausgestellt ist. Tatsächlich hatte sie ähnliche Motive und Farben wie Kandinsky verwendet. Andere Personen verknüpften die Objekte und Motive mit ihren eigenen Lebensthemen und Vorlieben, z. B. erinnerten die indianischen Puppen im Lindenmuseum eine Frau an ihre eigene Puppensammlung und mit Begeisterung suchte sie gezielt nach allen Puppen, die im Museum zu finden waren. Eine Frau mit autistischen Zügen beschäftigte sich mit den Themen »Blut« und »Vollmond« und fand diese Motive in unzähligen Bildern wieder. Sie ist Künstlerin in der Kreativen Werkstatt der Diakonie Stetten und verarbeitete anschließend diese Motive in ihren eigenen Bildern. Ähnliche Erfahrungen werden im Rahmen des Fortbildungsprogramms der Remstal Werkstätten gemacht. Die Besuche im Bibelmuseum in Stuttgart interessieren viele Menschen mit Behinderung. Dort gibt es

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so genannte Bibliorama, wo biblische Szenen und Figuren in Lebensgröße nachgebaut sind und die Geschichten sinnlich erlebt werden können. Bei einer Führung zeigten die Teilnehmenden ihr Fachwissen, und daraus hat sich eine Zusammenarbeit mit dem Museum ergeben. Eine kleine Gruppe hat nun gemeinsam mit den Mitarbeitenden des Museums den Audioguide für das Bibliorama in Leichter Sprache überarbeitet. Die Menschen mit Behinderung wirken an der Gestaltung des Museums mit, sie bringen ihre Kompetenzen ein und werden vom passiven Rezipienten zum aktiven Gestalter.

Auseinandersetzung mit Kunst Die Kunstwerkstatt Esslingen besucht regelmäßig die Kunstmuseen in Stuttgart, das Würth-Museum in Schwäbisch Hall und das Museum Zander für Naive Kunst in Bönnigheim. Den Teilnehmenden ist sehr wichtig, zu sehen, was andere Künstler früher gemacht haben und welche Kunst heute geschaffen wird. Sie interessieren sich für die jeweiligen Themen und verbinden diese mit den eigenen Arbeiten. In den Gesprächen werden zu den Bildern oder Skulpturen gemeinsam Geschichten erzählt oder es wird überlegt, wie die Menschen auf den Bildern früher gelebt haben und welche Gefühle sie hatten. In einer Ausstellung über Künstlerinnen und Künstler aus Mittelamerika waren die präsentierten Kleider von Frida Kahlo besonders interessant und die Teilnehmenden haben anschließend genau darauf geachtet, ob sie diese Kleider in den Bildern wiederfinden können. Auch Skulpturen wie z. B. die Badenden von Picasso lösten großes Interesse aus und bei den Teilnehmenden entstand der Wunsch, ähnliche Skulpturen aus Holzlatten nachzubauen. Viele Personen erinnerten sich noch längere Zeit nach den Besuchen an diese Eindrücke, sie erkannten die Gebäude oder einzelne Bilder und Skulpturen wieder und einige von ihnen konnten diese Eindrücke bei ihrem eigenen künstlerischen Arbeiten aufgreifen und in ihren eigenen Werken reproduzieren. Dazu wurden zum Teil Prospekte oder Abbildungen in Katalogen verwendet. Diese Künstlerinnen und Künstler nahmen sich dann in einer Reihe mit anderen Künstlern wahr. Dies zeigte sich vor allem bei den Künstlerinnen und Künstlern der klassischen Moderne, der zeitgenössischen Kunst und der Art Brut.

»Geschichten, die das Leben schreibt«

Verknüpfung mit beruflichen Erfahrungen Im Fortbildungsprogramm der Remstal Werkstätten sind themen- und berufsbezogene Angebote ausgeschrieben, die mit Museumsbesuchen verknüpft werden. So besuchen die Mitarbeitenden, die für die Firmen Daimler und Porsche tätig sind, regelmäßig deren Museen in Stuttgart. Sie nehmen an Führungen teil und fühlen sich dabei als wichtige Arbeiterinnen und Arbeiter, die an diesen Autos mitgewirkt haben. Im Museum für Stadtgeschichte in Waiblingen gibt es eine Abteilung für römische und mittelalterliche Töpferei. In der Wf bM gibt es ebenfalls eine Töpferei, und die Mitarbeitenden haben eine Führung und einen Workshop zum Thema »Römische Ziegeln« besucht, der ihnen vermittelte, in welchen historischen Kontext ihr Arbeitsplatz und ihre Arbeitsleistung einzuordnen sind.

Historische Erfahrungen und das eigene Leben Die Besuche in historischen Museen (z. B. Museen der Stadtgeschichte oder Freilichtmuseen) bieten vor allem älteren Menschen mit Behinderung eine gute Möglichkeit, sich an die oft bäuerlichen Lebenswelten ihrer Kindheit zu erinnern. Eine besondere emotionale Bedeutung hat der Besuch in der Gedenkstätte Grafeneck, der regelmäßig im Fortbildungsprogramm angeboten wird. Dieser Besuch wird sehr intensiv vor- und nachbereitet. Die Menschen mit Behinderung kennen den Gedenkstein für die Euthanasie-Opfer in Stetten und empfinden bei dem Besuch in Grafeneck eine große Nähe zu diesen. Selbst aus dem zeitlichen Abstand von 80 Jahren stellen die Teilnehmenden einen Bezug zu ihrer eigenen Lebenssituation her. Sie müssen sich immer wieder vergewissern, dass solche schrecklichen Ereignisse nie mehr stattfinden werden. 2018 hat sich nun eine Kooperation mit Studierenden der Sonderpädagogik ergeben, die ein Curriculum zum Thema Euthanasie und Gedenken erarbeiten. Zwei Menschen mit Behinderung, die sich besonders für dieses Thema interessieren, arbeiten mit den Studierenden an dem Curriculum mit.

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F azit Die Rückmeldungen der Teilnehmenden sind sehr positiv: Die Museumsbesuche machen Spaß und bieten neue Gesprächsthemen und Anregungen. Für die Menschen mit Behinderung ist es wichtig, in den Museen andere Menschen zu treffen und sich als dazugehörig zu erleben. Das Gespräch und die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Objekten, Kunstwerken und Installationen führen zu neuen Eindrücken und zu manchmal erstaunlichen Verbindungen zur eigenen Lebenswelt und zur eigenen Lebenserfahrung. So können dann auch diese Erlebnisse genau wie andere Erinnerungen an die Vergangenheit Teil einer zufriedenen Gegenwart werden, im Sinne des folgenden Zitats von Haruki Murakami: »Erinnerungen sind das, was den Körper von innen wärmt.«

L iter atur Bader, Ines: Lebensgeschichten »begreif bar« machen. In: Orientierung. Fachzeitschrift für Behindertenhilfe, Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (Hg.), H. 3, 2012, S. 14 ff. Emrich, Carolin: Ich geh meine eigenen Wege. Das Konzept der Persönlichen Zukunftsplanung. In: Orientierung. Fachzeitschrift für Behindertenhilfe, Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (Hg.), H. 1, 2008, S. 1 ff. Hofmeier, Sigrid: Ich-Pass, www.ich-pass.de (Zugegriffen: 20.08.2018). Lindmeier, Bettina/Oermann, Lisa: Mein Lebensbuch, Marburg 2014. Lindmeier, Christian: Biografiearbeit mit geistig behinderten Menschen, Weinheim, München 2004. Specht-Tomann, Monika: Biografiearbeit in der Gesundheits-, Krankenund Altenpflege, Heidelberg 2009. Winter, Jörn: Die Tecklenburger Biografie-Methode (TBM). In: Orientierung. Fachzeitschrift für Behindertenhilfe, Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (Hg.), H. 1, 2016, S. 10 ff.

Volxkultur im Museum Theaterarbeit mit heterogenen Gruppen als Zugang für Menschen mit kognitiven Einschränkungen Matthias Gräßlin Zu Museen gibt es in der Bevölkerung höchst unterschiedliche Haltungen. Einerseits reicht die Verbundenheit von der Mitgliedschaft im Förderverein über den regelmäßigen oder sporadischen Besuch bis zur gelegentlichen Nutzung durch vermittelnde Lehrerinnen und Lehrer, pädagogisches Museumspersonal oder Events. Andererseits halten sich viele Menschen bewusst von Museen fern, weil sie sich der musealen Welt nicht zugehörig fühlen. Sie haben nie Zugang gefunden oder ihre soziale Zugehörigkeit sieht den Besuch von derartigen Kultureinrichtungen nicht vor. Sich mangelnden Vorkenntnissen und sozialen Widerständen zum Trotz in ein Museum zu begeben, ist mit einigen Hürden verbunden. Das gilt auch für Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Ihre Zugangsvoraussetzungen sind auf verschiedene Weise behindert. Dazu gehört z. B. häufig ihre durch die Betreuungssituation bedingte hohe soziale Abhängigkeit: Je nach Aufmerksamkeit, Flexibilität, eigener Interessenlage und Vermittlungskompetenz der Mitarbeitenden einer Unterstützung leistenden Organisation oder der betreuenden Angehörigen gestalten sich auch die Zugangsmöglichkeiten zu kulturellen Angeboten.

H ürden ins M useum Das traditionelle Museum setzt generell bei Besucherinnen und Besuchern Expertenwissen voraus. Das beginnt damit, wie man sich in diesem Umfeld angemessen zu verhalten hat. Die allgemeine Ruhe, die Kleidung der Menschen, Objekte, Bilder, Zeichen, Architektur, die aus konserva-

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torischen Gründen klimatisierte Luft: All das verweist auf Zusammenhänge und Codes, von denen das, was zu sehen ist, nur die Spitze des (Vor-)Wissens-Eisberges zu sein scheint. Aus Gesprächen mit Museumsfachleuten kenne ich deren Ambivalenz zwischen Erklärungs- und Mitteilungsbedürfnis und dem ästhetischen Anliegen, dass das Dargebotene im Idealfall für sich spreche. Die Betrachtenden mögen sich einen eigenen Zugang verschaffen. Beides kann für ungeübte und nicht einschlägig vorgebildete Museumsgäste starke Barrieren bedeuten. Weiß ich genug? Verstehe ich, was ich verstehen soll? Sehe ich das zu Beobachtende richtig? Und wie gehe ich mit meinem Bedürfnis um, Dinge mit allen Sinnen wahrnehmen zu wollen, sie gerne anzufassen, zu begreifen und zu benutzen? Bei der Vorstellung, dass jemand die matt glänzende, von feinsten Rissen wellig gewordene Firnis eines alten Meisters berühren, das Modell eines Dreimasters anheben oder die ausgestellte Tracht aus dem 17. Jahrhundert anziehen wollte, fährt Museumsfachleuten ebenso wie wohlerzogenen Museumsbesucherinnen und -besuchern ein Schauer über den Rücken. Es ist aus konservatorischen Gründen verboten – verständlicherweise. Dabei löst gerade eine sehr gut gemachte Ausstellung solche Reize, Neugier und Fragen aus. Wie bei den gemalten Früchten eines alten Stilllebens möchte man zugreifen. Und im Zögern läuft einem das Wasser im Munde zusammen. Was strahlt das Exponat aus? Was erzählt es mir? Wie sind seine Formen entstanden? Wer hat das Ding gemacht, früher schon benutzt oder gesehen? Traditionell geübte Museumsbesucherinnen und -besucher betrachten das Dargebotene im stillen Dialog mit sich selbst. Entdeckungen, Irritationen, Wiedererkennungen oder Einordnungen werden im besten Falle zu anregenden geistigen Abenteuern. Hier spiegelt sich mein Wissen, ergänzt durch neue Aussichten und Informationen. Da führt mich der kuratorische Kunstgriff zu einer neuen Erfahrung oder Erkenntnis. Hier kann ich insgeheim meine Fantasie spielen lassen. Da komme ich aus der Versenkung in ein Bild, einer historischen Geschichte oder einer technischen Finesse heraus auf eine Inspiration oder eine unverhoffte Idee für die Bewältigung eines eigenen Problems. All dieses findet im Stillen statt. Unmittelbar zu reagieren, sich direkt zum Ausdruck zu bringen, gestattet das traditionelle Museum nicht. Es würde stören. Im besten Falle bräuchte es eine vertraute Person, mit der ich teilen kann, was mich be-

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wegt; flüsternd oder im gepflegten Gespräch beim Kaffee danach. Andererseits: Was wäre, wenn ich all meine Empfindungen, Gedanken, Ideen, Deutungen doch unmittelbar zum Ausdruck bringen könnte? Wenn ich im Museum laut sprechen, jauchzen, aufschreien, singen, tanzen würde?

M enschen mit kognitiven E inschränkungen im  M useum? Es gibt eine ganze Reihe von Bevölkerungsgruppen, die aufgrund ihrer ihnen zugeschriebenen Eigenschaften nicht ohne weiteres leichten Zugang zu musealen Angeboten finden können. Laut ICD, der Internationalen Klassifizierung aller bekannten Krankheiten und Störungen (vgl. Weltgesundheitsorganisation [WHO], Internationale Klassifikation psychischer Störungen), sind z. B. Menschen mit einer so genannten »geistigen Behinderung« eingeschränkt in ihren Fähigkeiten zu erinnern, sich etwas zu merken, einen großen Wortschatz zu bilden und zu nutzen, sich vertieftes Fachwissen anzueignen und komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Es ist zu vermuten, dass Besucherinnen und Besuchern dieser Zielgruppe vieles an Hintergrundwissen zu einem Ausstellungsthema fehlt und vielleicht das meiste von dem, was die Ausstellungsmacherinnen und -macher bei ihrer Präsentation inhaltlich ausspielen oder in Texten erläutern, nicht zugänglich ist. Andererseits sprechen die Aktivistinnen und Aktivisten der Selbsthilfebewegungen lieber von Menschen mit besonderen Begabungen. Sie fordern, sie weniger von ihrer Beeinträchtigung her zu sehen als vielmehr von ihren Möglichkeiten. »Behinderungen« haben in der Persönlichkeitsentwicklung zumeist die Ausbildung ausgleichender Begabungen zur Folge. Blinde und Sehbehinderte sind mehr auf andere Sinne angewiesen und prägen diese im Laufe ihres Lebens weit besser aus als andere. Menschen mit kognitiven Einschränkungen nehmen häufig ihre Umgebung emotionaler wahr. Sie sind stärker auf die soziale Vermittlung rational komplexer Inhalte angewiesen. Ihnen deswegen ästhetisches Gespür, seelisches Empfinden und eigenständiges Denken abzusprechen, bedeutete einen fatalen Fehlschluss. Ihre Wahrnehmungen der Welt passen in der Regel nicht zu den Erfordernissen des normierten Alltags, sondern können allenfalls in Sonderwelten ausgelebt werden. So ist die Ausgrenzung vom öffentlichen kulturellen Leben vorprogrammiert.

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M useen im D ilemma Um sich im Museum auf dem klassischen Weg der Vermittlung auf Menschen mit kognitiven Einschränkungen einzustellen, müssten die intendierten Inhalte so heruntergeschraubt werden, dass die damit einhergehenden Frustrationen beide Seiten deprimieren würden. Da wurde mit so viel Mühe ein Thema auf bereitet, so viel geschrieben, ein Reichtum an Dingen zusammengetragen, dass die Fülle die Betrachtenden erschlagen mag. Frustrationen führen zu Verunsicherung, Distanzierung und Desinteresse, zum Rückzug. Dieses Dilemma betrifft allerdings nicht nur die angesprochene Zielgruppe. Auch für Kinder, Jugendliche, Menschen mit so genanntem bildungsfernem Hintergrund, Migrantinnen und Migranten oder auch Menschen, die sich aufgrund erzwungener Erfahrungen in Erziehung und Schule leicht belehrt oder bevormundet fühlen, bedeutet die Aura des klassischen Museums eine deutliche Hürde. Für jede dieser Gruppen spezielle Vermittlungsangebote zu schaffen, übersteigt die Möglichkeiten der meisten Einrichtungen. Das beginnt schon bei der Motivation der Adressatinnen und Adressaten, bzw. deren Betreuungs- und Vertretungspersonen, Erzieherinnen und Erziehern sowie Lehrerinnen und Lehrern. Wie viele Sprachen sollen per Audio-Guide und in Führungen angeboten werden? Wie viele auf die jeweiligen Adressatinnen und Adressaten hin qualifizierte Vermittelnde? Doch halt, all diese Bemühungen würden letztlich immer nur ein Mehr desselben bedeuten: Nie können sie Genüge tun.

W as also tun ? Hanno Rauterberg hat in seinem Essay-Band »Die Kunst und das gute Leben«, wenn auch aus ganz anderen Gründen, aus diesem Problem herausführende Vorschläge gemacht. Eher aus der Analyse der Veränderung der Funktionen von Kunst und der Rolle der Künstlerinnen und Künstler in den letzten 100 Jahren fordert er eine neue Freiheit im Umgang mit Kunst und anderen Artefakten. Er möchte Kunst und Museen vom Diktat des Marktes und der Deutungshoheit der Macher frei geben und wünscht sich, beide als Möglichkeitsräume zu eröffnen. Rauterberg zitiert dazu Christoph Menke: »Die Spielräume, die wir im gesellschaft-

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lichen Handeln ausloten müssen, sind keine Räume des Spiels, denn sie stehen unter dem Gesetz des Erfolges, des Überlebens. [...] Die Kunst ist das Gegenexperiment zu den Schicksalsexperimenten, die wir gesellschaftlich bei Strafe des Scheiterns vollziehen müssen. Dazu brauchen wir die Kunst, um die Möglichkeit der Freiheit jenseits der Spielräume gesellschaftlicher Anpassung und ihrer biologischen Ideologie zu erfahren.« (Menke 2012) Rauterberg schließt daraus: »Das Museum könnte ein solcher Spielraum jenseits der Nöte und Strafen sein. Um diesen Raum zu gewinnen, muss es sich selbst aufs Spiel setzen und ins Spiel bringen.« (Rauterberg 2015) Spiel im radikalsten Sinne lautet also das Lösungswort. Es gilt, sich und andere zu ermutigen, eigene Wahrnehmungen, Gedanken und Deutungen zuzulassen und diese mit-zu-teilen. Das erfordert einige Erlaubnisse und das Brechen mancher Tabus. So würde etwa die Stille gebrochen. Mit Spaß und Mut dürfte mitten im Museum frei geäußert werden, was im Angesicht des Ausgestellten assoziiert und persönlich verbunden wird. Es könnte empfunden, ja gefühlt werden, Unausgesprochenes geäußert und mit anderen ins Gedankenspiel gebracht werden. Dazu bräuchte es Mut zur Begegnung mit Fremdem und Fremden.

J eder M ensch hat seine eigenen unmit telbaren Z ugänge zur W elt Nicht, dass die Ausstellungsdidaktik und Museumspädagogik hier in den letzten Jahrzehnten geschlafen hätte. Längst gibt es in vielen Museen reichlich Infotainment, vor allem im Bereich der Technik-, Industrie- und Naturkundemuseen. Bei Kunst und Kunstgewerbe ist allerdings allzu oft Schluss mit lustig. Dabei hätten alle etwas davon: Die Besucherinnen und Besucher könnten mit Lust und Laune eigene Zugänge entwickeln. Sie könnten Entdecktes teilen, einander unterstützen, Irritationen zuerst albern freien Lauf lassen und dann zur Be-Sinnung kommen. Befreit von der Angst vor richtig und falsch öffneten sich die Sinne für Verwunderung über das, was einem an Neuem begegnet. Die Gastgebenden, die sich öffnen und interessieren, könnten einiges von ihrem und über ihr Publikum erfahren. Menschen mit so genannten kognitiven Einschränkungen würden in so einer Atmosphäre von den im Alltag allgegenwärtigen Überforderun-

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gen befreit. Auch sie dürften erst einmal staunen, sich interessieren, langweilen, verweilen und sich in ihrer Art äußern. Gut, wenn sie dabei nicht unter sich blieben, sondern auf aufgeschlossene Gastgebende und andere Besuchende treffen. Wenn ihre Empfindungen und Gedanken mit Muße und Freude Gehör finden. Wenn das Museum ein Ort der Begegnung von Fremden ist, die für die Zeit des Besuches ein Thema aufgreifen und in lebendigen Austausch treten können. Vielleicht schaffen die Gastgebenden hierzu Hilfen. Sie könnten Workshops und offene Führungen anbieten, in denen Interaktion  – soweit gewünscht  – keine Störung bedeutet, sondern ein Anregungsfeld und damit den von Hanno Rauterberg geforderten erweiterten Möglichkeitsraum.

V ol xkultur : ein A nsat z für die offene G esellschaf t Der seit vielen Jahren in der Theaterwerkstatt Bethel praktizierte Ansatz des Volxtheaters ermöglicht vielfältig zusammengesetzten Gruppen selbstbestimmtes und themenzentriertes künstlerisches Arbeiten (vgl. Gräßlin 2008). Im Zusammenspiel möglichst unterschiedlicher Menschen entstehen Szenen, Choreografien und Stücke als eigenes Theater. Die Grundidee dieses Ansatzes ist, soziokulturelle Gelegenheiten zu schaffen und Räume zu gestalten, in denen Menschen selbst aktiv werden möchten. Wenn sehr unterschiedliche Menschen zusammenkommen, stehen sofort interessante Themen im Raum. Können diese von den Anwesenden selbst geäußert werden, entfalten sie bereits eine erste Wirkung. Im Dialog mit anderen entsteht bald ein Impulsfeld aus Gedanken, Ideen, Befürchtungen, Behauptungen. Im Zusammenspiel gehen diese fließend in einen gemeinsamen künstlerischen Prozess ein. Interessanterweise geschieht das nicht nur in Proben und offenen Werkstätten, sondern auch in strukturellen Prozessen: in der Ideenentwicklung, Organisation und Produktion von Projekten. Kaum etwas wird im Volxtheater am grünen Tisch ausgedacht, geplant und dann durchgeführt. Es werden Prozesse initiiert, um im Wechselspiel mit anderen Neues zu lernen und entstehen zu lassen. Hierin liegt für alle Beteiligten eine große Bereicherung. Die sich so entwickelnde »Volxkultur« erweist sich zunehmend als fruchtbarer Ansatz zur Pflege unserer zunehmend von Kapitalisierung

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und Abgrenzungstendenzen bedrohten offenen Gesellschaft (vgl. Welzer 2014). Seit 2016 gibt deshalb die Volxakademie der Theaterwerkstatt Bethel Raum, sich in verschiedensten Lebensbereichen der Gesellschaft in besonderer Art und Weise auszutauschen und für inklusive Kultur zu engagieren. In einem dreijährigen Projekt wurden in exemplarischen Prozessen Methoden inklusiver Kulturarbeit entwickelt, erprobt und erforscht. Das Team der Volxakademie erweitert sich seitdem ständig um neue, im Bereich der inklusiven Kultur qualifizierte, professionelle und ehrenamtliche Expertinnen und Experten. Es entsteht ein wirksames Netzwerk und ein Instrumentarium von Arbeitsweisen zur Initiierung von Projekten mit vielfältig zusammengesetzten Gruppen. Dazu gehören Strategien und Verfahren zur Überwindung von Tendenzen der Homogenisierung, Ausgrenzung und Segregation gesellschaftlicher Gruppen ebenso wie die Entwicklung von offenen Haltungen und neuen Formen der Zusammenarbeit in Gruppen und Teams. Einzelpersonen und Organisationen profitieren von dieser Bestärkung in ihren eigenen Kompetenzen und Möglichkeiten. Menschen mit Ausgrenzungserfahrungen erhalten individuellen Zugang zu Kulturveranstaltungen und werden in ihrer aktiven Mitwirkung unterstützt. Mitglieder soziokultureller Milieus werden zu Erfahrungen über ihren gewohnten Bereich hinaus ermutigt. Organisationen und Einrichtungen erhalten innovative Impulse und Beratung zur (Weiter-)Entwicklung inklusiver Kultur in ihrem Feld. Fachinteressierte qualifizieren sich im Bereich inklusiver Kulturarbeit. Im inklusiven Forschungszirkel werden Fragen und Herausforderungen inklusiver Kultur evaluiert, erforscht, zur Debatte gestellt und veröffentlicht. In der Zusammenarbeit mit Akteurinnen und Akteuren aus den Bereichen Soziales und Kultur entstehen nachhaltig nutzbare Netzwerke. Das Team der Volxakademie ist damit in der Lage, viele Akteure zu unterstützen: vom kulturell Interessierten über Fachkräfte bis hin zu Einrichtungen in Kultur, Bildung, Wirtschaft und Religion. Dabei entstehen mit jedem neuen Kontakt inhaltliche und organisatorische Ideen. In der Überwindung persönlicher und struktureller Grenzen wachsen so die Möglichkeiten, kreatives und soziales Potential mehr und mehr zu entfalten. Damit dies gelingt, haben sich im Rahmen unserer Arbeit einige grundlegende Prinzipien bewährt:

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• Alle Anwesenden bestimmen mit. • Statt einseitig Vorgaben zu machen, werden Initiativen unterstützt. • Im Wechsel aus Einzel-, Paar-, Kleingruppen- und Plenumsarbeit finden alle Gelegenheit, einander wahrzunehmen, zu berücksichtigen und zum Zuge kommen zu lassen. • Die langsamsten Mitwirkenden bestimmen das Tempo. • Anstatt zu moralisieren, wird der Diskurs gefördert. • Anstatt eigenmächtig zu bewerten und für richtig oder falsch zu erklären, wird gemeinsam fokussiert. • Anstelle ausschließender Mehrheitsentscheide werden gemeinsame Ideen gesammelt, entwickelt und erprobt. Volxtheater bietet auch für die Museumsarbeit einen reichen metho­ dischen Kanon. Die folgenden Beispiele zeigen seinen Einsatz in jeweils unterschiedlichen Kontexten: als Vermittlungsangebot sowie als Methode der Projekt- und Organisationsentwicklung in Museen und anderen Kultureinrichtungen.

Beispiel 1: Eine Volxtheater werkstatt zur Ausstellung »Unsere Amerikaner« in der Kunsthalle Bielefeld Im Herbst 2017 stellte die Kunsthalle Bielefeld nordamerikanische Kunstwerke des 20. Jahrhunderts der eigenen Sammlung aus. Im Rahmenprogramm boten wir hierzu eine dreistündige so genannte Volxtheaterwerkstatt an. Der Einladung im Halbjahresprogramm, der Presse und durch Newsletter beider Einrichtungen folgten insgesamt 26 Interessierte. Etwa die Hälfte der Teilnehmenden fühlte sich durch die Theaterwerkstatt Bethel angesprochen. Während der Vorstellungsrunde wurde deutlich: Die meisten davon hatten Theatererfahrungen und kamen aus allen möglichen Bereichen der Gesellschaft, waren jedoch nie zuvor in einer Ausstellung der Kunsthalle Bielefeld. Fünf von ihnen galten im Alltag als geistig behindert, lernbehindert oder autistisch. Über die Öffentlichkeitsarbeit der Kunsthalle Bielefeld kam die andere Hälfte der Teilnehmenden dazu. Die meisten von ihnen kannten die Kunsthalle und ihr Angebot, sie lebten in Bielefeld, vier von ihnen waren aus der weiteren Umgebung angereist. Männer und Frauen hielten sich zahlenmäßig in etwa die Waage. Das Altersspektrum reichte von Anfang 20 bis über 70 Jahre. Es war also gelungen, eine vielfältig zusammengesetzte Gruppe

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zu bilden, ideal für einen mutig aufspielenden und anregungsreichen Workshop. Die Gastgeberin und Kunstvermittlerin Christiane Lutterkort machte zu den Inhalten und Hintergründen der Ausstellung anfangs nur wenige Andeutungen. Wir hatten uns in der Vorbereitung dafür entschieden, die Teilnehmenden sich den Zugang zu den Kunstwerken allein über ihre sinnlichen Wahrnehmungen erschließen zu lassen. Die Begrüßung, Vorstellungsrunde und erste Bewegungseinheit fanden in der Eingangshalle statt. Hier gibt es eine etwa 100 Quadratmeter große Fläche vor dem etwa sieben Meter breiten und zweieinhalb Meter hohen Gemälde »Khurasan Gate I« von Frank Stella aus dem Jahr 1968. Mit einer einfachen Spiegelübung konnten sich die bis dahin einander völlig fremden Teilnehmenden zunächst kennen lernen und in der gegenseitigen Bewegungsanregung wahrnehmen. Intuitiv spielten die großen farbigen Bögen des Gemäldes hierbei bereits eine Rolle, gleich einem Symbol für die Verbindungsbrücken zwischen den tanzenden Figuren. Im Folgenden schlug ich vor, das Gemälde wie eine grafische Notation zu lesen und – jede und jeder für sich – dazu verschiedenste Bewegungsformen zu entwickeln. Im Dialog mit den Partnerinnen und Partnern wurden diese ausgetauscht, über die Bewegungsmotive eigene Bezüge zum Gemälde aufgezeigt und anschließend besprochen. Dieses Prozedere setzte sich anschließend in kleinen Gruppen fort. Als Tanzmusik dienten verschiedene Stücke von Musike­ r­innen und Musikern, die im letzten Jahrhundert eng mit amerikanischen bildenden Künstlerinnen und Künstlern in Verbindung standen, darunter Nick Cave, The Velvet Underground, John Cage u. a. Schon vor der Pause konnten wir uns sieben erste kleine Choreografien anschauen. Im zweiten Teil schwärmten kleine Teams in die gesamte Ausstellung aus. Jedes wählte gemeinsam ein Kunstwerk und entwickelte mit einem ähnlichen Verfahren jeweils eine eigene Performance. In kürzester Zeit entstanden so mitten unter den Werken kurze Stücke aus Dialogen, Körperskulpturen, Rauminstallationen und Choreografien. Dann wurden über die Lautsprecheranlage alle in der Kunsthalle anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Präsentation eingeladen. Musik ertönte, Texte, ungewöhnliche Haltungen und Bewegungen  – all das verwandelte das Haus für eine Zeit in einen höchst lebendigen Ort. Mit Mut und Bedacht brachen die Akteure die Stille und Regungslosigkeit des Museums auf und platzierten ihre Ideen als Kommentar, formale Ergänzung, Unterstreichung oder Kontrastierung der ausgestellten Werke.

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Den unbeteiligten Besucherinnen und Besuchern blieb die Wahl, diese unverhofften Eingriffe zu betrachten oder sich unabhängig davon durch die Ausstellung zu bewegen. Die meisten verfolgten die Aktionen jedoch gebannt und dankten mit nachdrücklichem Applaus. Zum Abschluss trafen sich die Teilnehmenden noch einmal in einer Runde vor dem Stella-Gemälde. Jede Performance wurde im Gespräch noch einmal zu den jeweiligen Werken in Bezug gesetzt. Es kamen formale, thematische, philosophische und persönliche Aspekte zur Sprache. Die Kunstwissenschaftlerin zeigte sich verblüfft von den in eigenen künstlerischen Prozessen generierten Wahrnehmungen und Deutungen der Teilnehmenden, gingen diese doch weit über subjektive Aspekte hinaus und verdeutlichten Inhalte, die auch in einer kunstwissenschaftlichen Interpretation Erwähnung gefunden hätten. Noch eine ganze Weile wurden neue Fragen aufgeworfen, diskutiert und so aus der Rezeption »Unserer Amerikaner« gemeinsam persönliche Erkenntnisse gewonnen. Diese Volxtheaterwerkstatt wirkte in mehrdimensionaler Weise. Aus der Sicht der Teilnehmenden wurde ein neuer, für viele sogar erstmaliger Zugang zum Museum und zu moderner Kunst geebnet. Sie konnten sich auf jeweils eigene Weise zur Kunst verhalten, sich mit ihr auseinandersetzen und unmittelbar austauschen. In der Verbalisierung wurden künstlerische Positionen und Wirkungsweisen bewusst gemacht. Die Teilnehmenden äußerten, dass ihnen dieses Angebot Zugang zu einer neuen Welt verschafft habe und sie »endlich einmal mit dieser Kunst etwas anfangen konnten«. Auch die erfahreneren Kunsthallenbesucherinnen und -besucher freuten sich über die Erlaubnis, sich Kunstwerken einmal ganz anders anzunähern und auf ästhetischem Wege darüber in Austausch zu kommen. Im Resümee baten alle gemeinsam darum, solcherlei Angebote fest ins Programm aufzunehmen. Für das Team der Kunsthalle wurde durch diese Aktion eine ganze Reihe neuer Besucherinnen und Besucher gewonnen. Aus Sicht der fachlichen Begleitung wurde eine zeitgemäße Vermittlung gewährleistet. Das Team der Volxakademie der Theaterwerkstatt Bethel zeigte sich dankbar für die Gelegenheit, eine neue Form der künstlerischen Rezeption und Recherche entwickeln und im »Ernstfall Museum« erproben zu können. Im Laufe der Jahre 2017 und 2018 kamen in weiteren Kultureinrichtungen variierte Spielarten dieses Formates zum Einsatz. Aus zweien soll hier kurz berichtet werden.

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Beispiel 2: Volxtheater werkstätten im Museum Burg Hülshoff bei Münster Im Rahmen der Projektentwicklung des neuen NRW-Literaturzentrums »Center of Literature Burg Hülshoff« bei Münster gaben mehrere Workshops Anregungen für die Erarbeitung des Gesamtkonzeptes sowie der architektonischen, inhaltlichen und personellen Planungen. Die Grundlage hierzu bildete die Entwicklung inklusiver Haltungen, Handlungsweisen und Beteiligungsformen anhand konkreter inklusiver Erfahrungen und deren Reflexion. In den Volxtheaterwerkstätten zu den Themen Literarische Wurzeln, Architektur und Zukunft der Burg Hülshoff konnten Interessierte unterschiedlichster Bezugs- und Nutzergruppen ab Beginn an der Entwicklung des Zentrums mitwirken. Dazu zählten neben dem allgemeinen Kulturpublikum Neugierige aus der Nachbarschaft, Verantwortliche aus Politik und Kulturverwaltung, Förderinnen und Förderer, Vertreterinnen und Vertreter von Interessengruppen und gezielt angesprochene Bevölkerungsgruppen, die die Burg Hülshoff und den Literaturbetrieb bisher nicht für Freizeitgestaltung, Bildung und Kulturgenuss nutzen. Die künstlerischen Ergebnisse wurden gründlich dokumentiert und bilden seither eine wichtige Basis der Beratungen zur inklusiven Konzept- und Organisationsentwicklung. In zwei weiteren Volxtheaterwerkstätten wurden darüber hinaus neue Formate der Vermittlung von Literatur, Baukultur und Kulturgeschichte entwickelt. Hier stand das Leben und Werk der westfälischen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff im Mittelpunkt. Die Mitwirkenden tauchten ein in die Umgebung, in der diese aufwuchs und den Großteil ihrer Texte schuf. Im Spiel wurden Gedichte und Erzählungen lebendig und stifteten zum eigenen Schreiben und Rezitieren an. Die Gebäude und Parkanlagen aus dem 15. Jahrhundert, ausgestattet mit dem Interieur des 19. Jahrhunderts, wurden so zum inspirierenden Ort für schöpferische Prozesse und Begegnungen. Frei begehbar wurden die Räume zum Schauplatz der ästhetischen Auseinandersetzung mit den dort in Bezug stehenden und durch die Teilnehmenden selbst eingebrachten zeitaktuellen Themen. Tanzend, spielend, meditierend, schreibend und sprechend eroberten die Gäste diese zum Stillstand gekommene Welt und machten sie wieder lebendig, weltläufig und provokativ wie Annette von Droste Hülshoff zu ihrer Zeit. So verlor das Museum seine Hermetik.

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Beispiel 3: Volxtheater werkstatt im LWL-Industriemuseum Dortmund zur Unterstützung der Projektentwicklung zur Ausstellung »Alles nur geklaut?« Das LWL-Industriemuseum Zeche Zollern zeigt 2019 die Ausstellung »Alles nur geklaut? – die abenteuerlichen Wege des Wissens«. Auf 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche sollen die Besucherinnen und Besucher darin auf eine Zeitreise von der Antike bis in die Gegenwart gehen und dabei Erfinder, Fälscher, Spione und Whistleblower kennen lernen. Das inklusive Team der Volxakademie hat die Entwicklung dieses Großprojektes von Anfang an begleitet. Basis dieser Beratung war auch dieses Mal eine Volxtheaterwerkstatt mit einer vielfältig zusammengesetzten Gruppe aus Mitgliedern des Projektteams (Projektleitung, Kurator, Gestalter, wissenschaftlicher Beirat, Museumsmitarbeitende, Projektbeiratsmitglieder) und Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Zielgruppen. In einer zweieinhalbstündigen Session wurden in den historischen Räumen der zukünftigen Ausstellung Exponate und dokumentarische Bilder und Texte zum Impulsmaterial für inspirierende Spielprozesse. In den Performances der Teilnehmenden wurden die potentiellen Themen und Protagonisten lebendig und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln erörtert. Zugleich machten die Beteiligten eine inklusive kulturelle Erfahrung, die für die weitere Projektentwicklung wegweisend sein sollte. Nicht die kulturgeschichtliche und museumspädagogische Fachdebatte allein, sondern auch die Bezüge aus heutiger Sicht sowie die aktuellen Erfordernisse potentieller Nutzergruppen waren von vornherein präsent. Der methodische Ansatz der Volxtheaterwerkstatt diente als Grundmodell für die Entwicklung der Ausstellungsinszenierung und diverser Vermittlungsangebote.

L ob des E igenen Die dargestellten Beispiele mögen Verantwortliche in Museen ermutigen, in ihren Häusern neue spielerische Formen der Beschäftigung mit ausgestellten Werken und Objekten zuzulassen, zu initiieren und zu begleiten. Das erfordert neue Allianzen zwischen unterschiedlichen Kulturakteuren und Multiplikatoren von Zielgruppen, die aus den dargelegten Gründen bisher keinen Zugang zum Museum finden konnten. Die Organisation heterogener Besuchsgruppen wird nicht nur dem durch verschiedene

Volxkultur im Museum

UN-Konventionen gesetzlich verbindlich gewordenen Recht auf kulturelle Teilhabe und Inklusion gerecht. Zusammenkünfte von Menschen verschiedenen Alters sowie vielfältiger sozialer Herkunft bilden besondere Potentiale, die aus sich heraus kulturelle Bildungsprozesse anregen. Das bedeutet im Hinblick auf das zu lösende Wahrnehmungsproblem vieler Museen in der Öffentlichkeit eine große Chance. Nicht mehr die elitäre Anmutung, sondern die durch aktive Erfahrung angeeigneten kulturellen Schätze selbst werden weit über den Schulunterricht und die bisher üblichen Kreise hinaus zum Gesprächsthema  – mitten in der Gesellschaft in Stadt und Land. Wie so oft kann dies nur durch den eigenen Ausbruch aus traditionellen Haltungen und Handlungsweisen heraus gelingen. Neue, mehrdimensionale Vermittlungsformen entstehen nur aus der eigenen Neugier, allem voran auf die Interessen und Resonanzen der Besucherinnen und Besucher, sowie aus Freude an ungewohnten Methoden. Die eigene Offenheit, das eigene Spiel und ungewöhnliche Kooperationen stecken an. Sie strahlen aus, ziehen neue Nutzerinnen und Nutzer nach sich. Fühlen sich diese eingeladen und nach ihren Interessen gefragt, können sie sich in ihrer Art und Weise äußern und einbringen, so dass das Museum zum Teil ihres kulturellen Lebens werden kann.

L iter atur Gräßlin, Matthias (Hg.): Das eigene Theater. Die Theaterwerkstatt Bethel als Raum für künstlerische Entfaltung, Bielefeld 2008. Gräßlin, Matthias/Zielke, Nicole: Volxkultur. Ein schöpferischer Ansatz für die inklusive Gesellschaft, Oberhausen 2019. Menke, Christoph: »Brauchen wir Kunst?« In: Die Zeit, Ausgabe 25/2012 vom 21.06., https://www.zeit.de/2012/25/Documenta-Menke (Zugegriffen: 20.08.2018). Rauterberg, Hanno: Die Kunst und das gute Leben, Berlin 2015. Weltgesundheitsorganisation (WHO): Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD–10 Kapitel  V (F)  – Klinisch-diagnostische Leitlinien, herausgegeben von Horst Dilling/Werner Mombour/Martin H. Schmidt, 10. überarbeitete Auflage, Göttingen 2015. Welzer, Harald: Selbst Denken – eine Anleitung zum Widerstand, Frankfurt a. M. 2014.

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Workshop »Partizipative Zugänge« Henriette Pleiger, Birgit Baumgart Menschen mit Beeinträchtigung nicht nur als »Konsumenten« von Kultur willkommen zu heißen, sondern sie auch zu Akteurinnen und Akteuren in der Museumsarbeit im Rahmen partizipativer Projekte werden zu lassen, ist das Ziel inklusiver Museumsarbeit. Wie Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung in die Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit eingebunden werden und welche neuen Impulse hiervon ausgehen können, stellten die Referentinnen und Referenten an zwei Beispielen im Workshop »Partizipative Zugänge« vor. Die Veranstaltung, geleitet von Henriette Pleiger (Bundeskunsthalle, Bonn), Birgit Baumgart (Staatliches Museum Schwerin) und Maik Penning (capito Mecklenburg-Vorpommern), befasste sich mit Fragen, die bei der partizipativen Entwicklung und Vermittlung von Ausstellungen entstehen. Henriette Pleiger stellte aus der Perspektive einer Ausstellungskuratorin das partizipative Ausstellungsprojekt »TOUCHDOWN. Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom« (2016–2018) vor. Hierbei standen allgemeine Überlegungen zum Begriff »Partizipation« im Vordergrund. Welche Bedingungen müssen in den institutionellen Arbeitsabläufen geschaffen werden, um die Teilhabe und Mitbestimmung von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung überhaupt zu ermöglichen? Birgit Baumgart und Maik Penning berichteten von ihrem inklusiven Projekt »Neue Wege zur Kunst – Museumsführungen immer inklusive«, bei dem Menschen mit geistiger Behinderung sowie Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen innerhalb eines halben Jahres zu Museumsführerinnen und -führern ausgebildet wurden. Das Zusammenspiel aus kuratorischer und vermittelnder Perspektive der Workshop-Leiterinnen und -Leiter regte eine engagierte Diskussion mit den Teilnehmenden an, insbesondere zu den Chancen, Herausforderungen und Grenzen von Mitbestimmung in der realen Umsetzung inklusiver

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Projekte. Maik Pennings Beitrag war hierbei besonders wichtig, denn er schilderte eindrucksvoll, wie die professionelle Rolle als Museumsführer sein Selbstvertrauen gestärkt habe. Auch die kuratorische Arbeit betreffende Fragen, wie zum Beispiel der Versuch einer konsequent partizipativen Auswahl von Ausstellungsstücken, wurden diskutiert. Hierbei wurde klar, dass es noch viele institutionelle und gesellschaftliche Hindernisse zu überwinden gibt. Gleichzeitig wurde das bereits Erreichte bei allen Beteiligten der geschilderten Projekte – Durchführenden, Mitwirkenden und Besuchenden – als so bereichernd erlebt, dass aus Sicht der Referierenden das Ermöglichen neuer partizipativer Zugänge eine der wichtig­ sten Aufgaben heutiger Museen bleiben muss.

D ie P rojek te »TOUCHDOWN. Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom« Henriette Pleiger Die Idee zu der Ausstellung »TOUCHDOWN. Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom«, entwickelt von der Bundeskunsthalle gemeinsam mit dem Forschungsprojekt TOUCHDOWN  21, entstand bereits 2013. Das Kuratorenteam umfasste Katja de Bragança, Heinz Greuling, Rikola-Gunnar Lüttgenau, Georg Wieghaus und Henriette Pleiger, die Autorin dieses Beitrags. Hier kamen mehrere wertvolle Expertisen zusammen: Humangenetik, Wissenschaftsjournalismus, Geschichtswissenschaften und ein künstlerisches und vor allem interdisziplinäres Interesse aller Beteiligten. Zwei konzeptionelle Dinge standen für uns von Anfang an fest: Erstens sollte die Ausstellung interdisziplinär sein, eine Mischung aus Wissenschaft und Kunst, die das Thema in erster Linie kulturhistorisch aufarbeiten wollte. Kunst von Menschen mit Down-Syndrom  – als ein mögliches Mittel des selbstbestimmten Ausdrucks  – wollten wir allerdings nicht als bloße »Outsider Art« zeigen, sondern eingebettet in den Kontext der Biografien und Lebenswelten der Künstlerinnen und Künstler und in den übergeordneten Erzählstrang der Ausstellung, der vor allem als eine historische Spurensuche angelegt war: Wir wollten nichts weniger als die Geschichte des Down-Syndroms schrei-

Workshop »Par tizipative Zugänge«

ben. Zweitens sollte die Ausstellung von Anfang an partizipativ entwickelt werden. Hierfür stand die Redaktion des Bonner Magazins Ohrenkuss, gemacht von Menschen mit Down-Syndrom und gegründet von Katja de Bragança, als zentrale Bezugsgruppe zur Verfügung. Julia Bertmann, Redaktionsmitglied, fungierte als partizipativer Beirat der Ausstellung. Des Weiteren bildete sich im Rahmen des von Katja de Bragança neu gegründeten Forschungsprojektes TOUCHDOWN  21 eine Kerngruppe heraus, deren Mitglieder mit Down-Syndrom – als Expertinnen und Experten in eigener Sache – sich sämtliche vom Kuratorenteam ohne Down-Syndrom vorgeschlagenen Ausstellungsinhalte in Workshops erarbeiteten und auf ihre Verständlichkeit prüften. Von zentraler Bedeutung war hier die vermittelnde Rolle von Anne Leichtfuß, die das Projekt als Übersetzerin für Leichte Sprache begleitete. Der Verwendung einer klar verständlichen Sprache in allen Ausstellungs-, Buch- und Pressetexten ging ein Lernprozess voraus, denn es gab zu Beginn die Befürchtung einer drohenden Vereinfachung entscheidender Inhalte. Wir entschieden uns deshalb gemeinsam auch begrifflich für eine »klare Sprache«, die sich zwar an die Regeln der Leichten Sprache hielt, aber auch schwierigere Begriffe mit einer beigefügten Erklärung zuließ. Anstatt getrennter »Sprachkanäle« für 46 und 47 Chromosomen wollten wir eine einheitliche Ausstellungssprache verwenden, die allen Besucherinnen und Besuchern den Genuss und das Verstehen der Ausstellung ermöglichen würde. Tatsächlich haben wir zumindest in der Bundeskunsthalle selten so lange lesend verweilende Besucherinnen und Besucher in einer Ausstellung beobachtet. Über die Hälfte aller Texte wurde von Menschen mit Down-Syndrom selbst geschrieben und ohne Korrekturen unsererseits in der Ausstellung und im Begleitbuch veröffentlicht. Die Ausstellung hatte an ihren drei Stationen (nach der Bundeskunsthalle in Bonn die KulturAmbulanz Bremen und das Zentrum Paul Klee, Bern) zwischen Oktober 2016 und Mai 2018 insgesamt 81.400 Besucherinnen und Besucher. »TOUCHDOWN« erzählte gleich zwei Geschichten: die reale Geschichte des Down-Syndroms, eingebettet in eine partizipativ entwickelte fiktive Geschichte, die in der Ausstellung in den lebensgroßen Comiczeichnungen des Künstlers Vincent Burmeister erzählt wurde. Die Geschichte beginnt mit der Landung eines Raumschiffes. An Bord befindet sich die siebenköpfige Crew einer fremden Intelligenz vom Planeten Kumusi, die sich Second Mission (Zweite Mission) nennt. Vor 5.000 Jahren

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ist ihre Erste Mission auf der Erde gelandet und hier geblieben, es sind die Menschen mit Down-Syndrom. Die Second Mission hat den Auftrag zu erforschen, wie es den Nachfahren ihrer Ersten Mission hier ergangen ist, wie sie heute leben und ob es ihnen im Zusammenleben mit den Menschen ohne Down-Syndrom gut geht. Das Begleitbuch »TOUCHDOWN. Die Geschichte des Down-Syndroms«, erschienen in der Reihe »Zeitbilder« der Bundeszentrale für politische Bildung, ist das Logbuch dieser Forschungsreise. Zunächst untersucht die Second Mission die Gegenwart. Dieser Teil der Ausstellung wurde wie kaum ein anderer von den Kolleginnen und Kollegen mit Down-Syndrom mitgestaltet, denn hier war ihr Alltag Thema. Selbst ausgesuchte Exponate zu Liebe, Arbeit, Selbstständigkeit, persönlichen Rechten, aber auch Gewalterfahrungen, wurden zusammen mit selbst verfassten Labeltexten präsentiert. Nach dieser Bestandsaufnahme begibt sich die Second Mission auf eine Zeitreise in die Vergangenheit, nur um festzustellen, dass sie bis in die jüngste Zeit nicht Teil unserer Geschichtsschreibung waren. Sie entdecken den englischen Arzt John Langdon-Down, der 1866 das Syndrom als erster beschrieb. Seine pionierhaften Fördermethoden, sein Fotonachlass und kaum bekannte Biografien von Menschen mit Down-Syndrom des 19. Jahrhunderts bildeten einen Höhepunkt der Ausstellung. In den Tandem-Führungen, die während der Ausstellungslaufzeit mehrmals wöchentlich von je einer Person mit und einer Person ohne Down-Syndrom durchgeführt wurden, stellte sich heraus, dass John Langdon-Down für unsere Kolleginnen und Kollegen mit Down-Syndrom zur wichtigsten historischen Identifikationsfigur in ihrer eigenen Geschichtsschreibung wurde, vielleicht auch weil er einen gleichnamigen Enkel mit Down-Syndrom hatte. Die identitätsstiftende Rolle einer eigenen Geschichte mit eigenen Vorbildern wurde überdeutlich. Gleichzeitig kündigte sich hier aber bereits drohendes historisches Unheil an. Denn die Bedeutung des von Langdon-Down bloß beschreibend und noch nicht diskriminierend verwendeten Begriffs »Mongolismus« verschärfte sich um 1900. Die Ausstellung zeichnete den Weg von Johann Friedrich Blumenbachs Rassentheorie bis zur »Rassenhygiene« der Nationalsozialisten nach, mit dem Fokus auf den fatalen Debatten um »Ballastexistenzen« und die Vernichtung »lebensunwerten Lebens«. Wie wichtig es war, auch dieses Thema anzusprechen, zeigte die Tatsache, dass der Bundestag erst am 27. Januar 2017 – während der Laufzeit unserer Ausstellung – die erste Gedenkstunde für die annähernd

Workshop »Par tizipative Zugänge«

300.000 Opfer der »Euthanasie« im NS-Staat abhielt. Dieses Ausstellungskapitel stellte uns allerdings vor partizipative Herausforderungen, denn nicht alle Kolleginnen und Kollegen mit Down-Syndrom wissen von diesem erschütternden Teil unserer Geschichte. Das Thema wurde in einem abgetrennten Raum präsentiert, so dass jeder Besucher selbst entscheiden konnte, ob er sich ihm aussetzen wollte. Nach dieser historischen Recherche widmet sich die Second Mission den heutigen Erkenntnissen der Wissenschaft. Hier versuchten wir, für alle verständlich über wissenschaftliche, gesundheitliche und soziale Fragen im Zusammenhang mit dem Down-Syndrom zu informieren: Was ist eine Trisomie 21? Was ist der Unterschied zwischen einem Syndrom und einer Krankheit? Was ist die Pränataldiagnostik? Auch das Thema Schwangerschaftsabbruch wurde thematisiert, allerdings ähnlich behutsam wie das Thema »Euthanasie«. Wir wollten vorurteilsfrei aufklären und – statt fertiger Antworten – einen Beitrag zu einer nachhaltig klügeren Debatte um gesellschaftliche Vielfalt und Teilhabe leisten. Das Ende der Ausstellung gehörte den Menschen mit Down-Syndrom allein: In einem Hörstück diskutiert die Crew der Second Mission im Sinne eines Fazits ihrer Forschungsreise mit heute auf der Erde lebenden Menschen mit Down-Syndrom, ob sie hier bleiben oder mit zurück nach Kumusi reisen wollen. Eine freie Entscheidung, die in einer geheimen Abstimmung fällt. Wir anderen, die wir so oft über das Leben von Menschen mit DownSyndrom entschieden haben, erfahren das Ergebnis nicht. Das Projekt wurde von vielen Kolleginnen und Kollegen in der Bundeskunsthalle als Zäsur empfunden. Es wurde klar, dass die Bereitschaft zu partizipativem und inklusivem Arbeiten allein nicht genügt. Um Teilhabe, auch im Sinne von Mitbestimmung, zu ermöglichen, bedarf es institutioneller Bedingungen wie zum Beispiel einer längerfristigen Zeitplanung und langsamerer Abläufe in der Ausstellungsproduktion. Kontinuierliche Abstimmungsprozesse auf Augenhöhe brauchen Zeit und Sicherheit. Unsere Ausstellung hat einige Meter in diese Richtung zurückgelegt und das Ziel einer echten Mitbestimmung in kuratorischen und vermittelnden Funktionen in den Blick genommen, aber das Ziel selbst liegt noch in weiter Ferne.

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Partizipative Zugänge am Beispiel des Vermittlungsprogramms »Neue Wege zur Kunst – Museumsführungen immer inklusive« im Staatlichen Museum Schwerin Birgit Baumgart Innerhalb eines halben Jahres wurden 2017 sechs Menschen mit einer kognitiven Einschränkung bzw. einer psychischen Erkrankung im Staatlichen Museum Schwerin zu Museumsführerinnen und -führern ausgebildet. In den zehn Workshops im Museum erarbeitete sich die Gruppe gemeinsam mit der Museumspädagogin Birgit Baumgart (der Autorin dieses Beitrags) und den Begleitern des Lebenshilfewerks Hagenow, Marita Arnaschus-Krueger und Nils Wöbke, die Ausstellungsräume, die Kunstwerke der Sammlung und die vielseitigen Zugänge zur Kunst. Die Teilnehmenden lernten, die Rolle des Führenden einzunehmen. Auf der Basis ihrer Entscheidung, welches Bild sie den Besucherinnen und Besuchern vorstellen wollen, begann eine intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Werk. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchten während der Ausbildung ein anderes Museum, um erneut die Rolle der Besucher einnehmen zu können. Ein Höhepunkt im Projekt war der Workshop mit der Theaterpädagogin Tina Koball vom Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin. Hier lernten die angehenden Museumsführerinnen und -führer, ihren Körper und ihre Stimme vor anderen bewusst und optimal einzusetzen. Am 28.10.2017, im Rahmen der jährlich stattfindenden Schweriner Kulturnacht, fanden zwölf Führungen vor sechs Kunstwerken statt. Die Besucherinnen und Besucher wurden jeweils im Anschluss eingeladen, mit den Protagonistinnen und Protagonisten sowie den Projektträgern ins Gespräch zu kommen. Im Laufe des Abends nahmen ca. 130 Besucherinnen und Besucher an den Führungen teil, manche mehrmals. Mittlerweile gehören diese Führungen fest zum Programm des Museums, sei es als Abendveranstaltung in der »Rendezvous«-Reihe, am Internationalen Museumstag oder als öffentliche Führung am Wochenende. Das Projekt verfolgt das Ziel, Menschen mit kognitiver Einschränkung oder psychischer Erkrankung kulturelle Teilhabe im Museum zu ermöglichen und gleichzeitig gemeinsam mit ihnen allen Besucherinnen und Besuchern ein inklusives Angebot zu unterbreiten. So eröffnen sich partizipative Zugänge für die Führenden wie auch für die Besuchenden.

Workshop »Par tizipative Zugänge«

Die ersten Workshops im Museum waren geprägt von Wahrnehmungsübungen im Raum und zur eigenen Person sowie von Gesprächen, was die Einzelnen bewegt, hier im Museum zu arbeiten. Es war wichtig, dass jeder seinen eigenen Weg, entsprechend seiner Kompetenzen, gehen konnte. Das zeigte sich bereits in der Wahl des Kunstwerks und den ersten ganz unterschiedlichen Zugängen zu den Bildgegenständen. In Gesprächen und Übungen, sich vor anderen zu präsentieren, musste jeder lernen, sich immer wieder zu fragen; »Wer bin ich bzw. möchte ich sein, wenn ich einer Gruppe von Besucherinnen und Besuchern meine Ansichten zum Bild vorstelle?« Die Teilnehmenden entwickelten Vertrauen in ihre eigene Führungsfähigkeit und übernahmen immer wieder Verantwortung für ihre Besuchergruppen. Maik Penning, einer der Führenden, erzählte anschließend stolz, dass er sich nun, durch die Ausbildung und den Einsatz als Museumsführer, mehr zutraut und aufgeschlossener geworden ist. Außerdem ließ er sich als Interessenvertreter der Beschäftigten einer Werkstatt in den dortigen Werkstattrat wählen. Ein anderer Museumsführer mit einer psychischen Erkrankung erzählte, dass er nie gedacht hätte, noch einmal in seinem Leben so selbstbestimmt und souverän vor anderen Menschen aufzutreten. Das Angebot »Neue Wege zur Kunst« bietet gleichzeitig eine intensive kulturelle Teilhabe für alle anderen Museumsbesucherinnen und -besucher. Sie erfahren, dass die Zugänge zur Kunst nicht immer intellektuell anspruchsvoll und für den einen oder anderen schwer verständlich sein müssen. Vielmehr erleben sie, dass die Führungen mit einem persönlichen Bezug, in Leichter Sprache und mit verschiedenen Methoden und Medien abwechslungsreich und leicht verständlich sein können. Die Führungen lassen die Zuhörenden in eine Welt eintauchen, die in unserer Gesellschaft leider oft verborgen bleibt. Dabei ist diese Welt so reich an Ideen und Lebensstrategien! Sie macht uns, Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter wie Besucherinnen und Besucher, betroffen, wenn es um biografische Bezüge geht. Gleichzeitig sind die Zuhörerinnen und Zuhörer fasziniert von der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit der Präsentationen. Am Ende entstehen neue und ungewöhnliche Dialoge zwischen Führenden und Kunstwerk, Führenden und Publikum und nicht zuletzt zwischen Publikum und Kunstwerk. Im Gespräch mit den Besucherinnen und Besuchern in der Kulturnacht gaben diese folgendes Feedback: »Von Museumsführungen wünsche ich mir, dass für alle Bevölkerungsgruppen ein Zugang zur Kunst

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gefunden wird, was selbstverständlich sein müsste.« Ein anderer Besucher meinte: »Montag erzähle ich meinen Arbeitskollegen von einer lebendigen und außergewöhnlichen Führung im Schweriner Museum.« Die Rolle des Museums wandelt sich. Während früher die Deutungshoheit und die Auswahl der Fakten und Analysen zum Bild allein in der Hand der Kuratorin lagen, haben heute alle Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, sich einzumischen, sei es in dialogischen Führungen, in Diskussionen im Rahmen unserer »Rendezvous«-Reihe oder aber ganz souverän in eigenen Führungen. Dieser Prozess, Macht abzugeben und der Gesellschaft Verantwortung für den Umgang mit ihrem kulturellen Erbe zu geben, hat erst begonnen. Nun kann man kritisieren, dass nicht alle Besucher führen, sondern sechs Menschen mit kognitiver Einschränkung bzw. psychischer Erkrankung. Die meisten Besucherinnen und Besucher können sich Informationen zu partizipativen Angeboten im Umfeld Museum jedoch selbstständig verschaffen und haben auch die Kompetenz, diese wahrzunehmen, sei es im Freundeskreis, an Diskussionsabenden oder in Mitmachaktionen während der Wechselausstellungen. Menschen jedoch, die von Wohlfahrtsverbänden wie der Lebenshilfe oder Diakonie betreut werden und in Werkstätten arbeiten, haben bisweilen Schwierigkeiten, einen offenen Zugang zu Kultur und Kunst zu bekommen, wie es die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen fordert. Hierbei benötigen sie die Möglichkeit, sich über die Werkstatt und Wohngruppe hinaus in anderen Projekten zu beweisen, sowie Unterstützung im Umgang mit ihrer Freizeit und bei der Förderung ihrer Kompetenzen. Ohne die engagierte und zuverlässige Begleitung des Projektes durch das Lebenshilfewerk Hagenow und capito MecklenburgVorpommern wäre diese intensive und erfolgreiche Ausbildung und der Einsatz der Teilnehmenden als Museumsführerinnen und -führer nicht denkbar gewesen. In vielen Nachbesprechungen zu den Workshops und während der Museumsbesuche vor einem Auftritt wurden die Führenden individuell und mit dem richtigen Maß an Forderung und Förderung vorbereitet. Das Museum ist ein öffentlicher Raum, der Menschen zusammenbringt, um sich gemeinsam mit Kunst zu beschäftigen. Dabei wird gerade die Verknüpfung des Dargestellten mit dem eigenen Leben und dem der anderen als anregend, zufriedenstellend und zuweilen beunruhigend empfunden. Das Museum ist ein Ort der Kommunikation. Seit vielen Jahren wissen das auch die Förderzentren und Behindertenverbände in

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Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus. Es finden kontinuierlich inklusive Begegnungen statt. Mit dem Projekt wurde ein weiterer Schritt getan, der das Museum dem Ziel, attraktive Angebote und kulturelle Teilhabe für alle Menschen zu gewährleisten, näher kommen lässt.

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Workshop »Mit allen Sinnen« Birgit Tellmann, Melanie Knaup Mehrsinnliche Zugänge zur Verwirklichung kultureller Teilhabe für alle Museumsbesucherinnen und -besucher, insbesondere für Menschen mit Beeinträchtigung, stehen im Zentrum verschiedener museumspädagogischer Ansätze. Wie eine Vermittlung mit allen Sinnen – hören, fühlen, riechen, schmecken, sehen  – im Rahmen von Ausstellungen und Museumsangeboten eingesetzt werden kann, um Inklusion zu erreichen, stellten die Referentinnen Birgit Tellmann (Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn) und Melanie Knaup (Institut für Förderpädagogik und Inklusive Bildung, Justus-Liebig-Universität Gießen) anhand ihrer Projekte zur Diskussion. Birgit Tellmann wies in ihrem einleitenden Vortrag auf die interaktiven, multisensuellen Stationen zu einzelnen Wetterphänomenen in der Ausstellung »Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft« der Bundeskunsthalle (07.10.2017 bis 04.03.2018) hin, die im Rahmen des Förderprojekts »Pilot Inklusion« umgesetzt werden konnten. Die dort installierten Ausstellungsteile entsprächen genau dem, was eine sinnenorientierte Museumspädagogik leisten könne, um auch Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung zu erreichen, erläuterte Melanie Knaup. Die konzeptionellen Erzählmuster einer Ausstellung sollten mit den Erfahrungswelten und Handlungsfeldern von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung übereinstimmen. Die Ausstellung »Wetterbericht« zeigte einen interdisziplinären Zugang, der unterschiedliche Perspektiven der Kulturgeschichte und der Naturwissenschaften vereinte. Sie sollte die Besucher aber auch emotional ansprechen. Der Workshop ermutigte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ohne Beschränkung (Budget, Personal etc.) gemeinsam konkrete Projektideen am Beispiel von »Wetterbericht« zu entwickeln. In Arbeitsgruppen soll-

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ten sie eine multisensorische Station zum Thema »Klimawandel« planen und diskutieren, die sich mit den Auswirkungen auf zukünftige Generationen befasst. Alle Gruppen präsentierten unterschiedliche Ideen, wie z. B. eine Bühneninstallation, auf der Wetterphänomene zu erleben sind, und zeigten dabei deutlich, dass durch die Gestaltung einer interaktiven oder multisensorischen Ausstellungsstation grundlegende Voraussetzungen geschaffen werden, damit die kulturelle Bildungspraxis – wie sie dem Selbstverständnis der Museen entspricht – ihren Teilhabeanspruch auch für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung einlösen kann.

D ie P rojek te Wege zur Teilhabe im Museum für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung im Rahmen des Förderprojekts »Pilot Inklusion« Birgit Tellmann Grundsätzlich seien Museen Orte, an denen Inklusion in besonderem Maße gelingen könne, so Folker Metzger (Metzger 2016, S.  285), denn hier kann jeder Besucher sein Tempo selbst bestimmen, Inhalte auswählen und seine eigene Perspektive einnehmen, anders als es in anderen kulturellen Einrichtungen möglich sei, wie etwa in einem Theater. Aber dafür müssen Museen Voraussetzungen schaffen, wenn sie nicht nur einzelne Zielgruppen erreichen wollen.

Das Projekt »Pilot Inklusion« Wie das innovativ und nachhaltig geschehen kann, haben die sechs Kooperationspartner des Förderprojekts  – Bundeskunsthalle, Klassik Stiftung Weimar, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Augustinermuseum Freiburg, Blinde und Kunst e. V., Bundesverband Museumspädagogik e. V.  – im Rahmen von »Pilot Inklusion« in einem kooperativen Prozess erarbeitet. Siegfried X. Saerberg von Blinde und Kunst e. V. wurde Berater der Bundeskunsthalle. Der Verein erhielt für das Projekt eine Förderung der Aktion Mensch und der Kämpgen-Stiftung. »Pilot Inklusion« wurde initiiert, um andere Zugänge für Menschen mit Beeinträchtigungen des Sehens, des Hörens, der Bewegung und der

Workshop »Mit allen Sinnen«

kognitiven Wahrnehmung zu entwickeln, dabei aber auch gleichzeitig zu Lösungen mit einem Zugewinn, dem so genannten inklusiven Mehrwert, für alle zu gelangen. Im Wesentlichen verfolgte das Pilotprojekt folgende Ziele: Inklusion als Haltung in der Institution zu implementieren, den Ausbau von tragfähigen Netzwerken voranzutreiben und eine Ausstellungsgestaltung zu entwickeln, die alle anspricht. Das bedeutet, von Beginn an einen barrierefreien Zugang zu Ausstellungsinhalten zu planen und als Querschnittaufgabe im Museum umzusetzen. In der Abschlussdokumentation »Pilot Inklusion: Module und Prozesse für Inklusion in Museen« (www.bundeskunsthalle.de) sind diese Beispiele beschrieben.

Beispiel: Die Ausstellung »Wetterbericht« Für die Ausstellung »Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft« der Bundeskunsthalle wurden Aspekte des Wetters in jedem Raum multisensorisch erlebbar gestaltet und zusammen mit Künstlerinnen und Künstlern mit Beeinträchtigungen konkrete Module entwickelt. Maßnahmen und Module für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung zählten in der Bundeskunsthalle bereits zuvor auch zu den Schwerpunkten. Am Beispiel der Wetterbericht-Ausstellung zeigte sich, wie sich Konzepte öffnen können. Die interdisziplinär angelegte Ausstellung näherte sich dem Thema Wetter und Klima aus verschiedenen Perspektiven, die inklusiven Stationen erweiterten diese um die Möglichkeit des Wettererlebens. Dieses Konzept folgte drei Grundgedanken. Erstens: Die eigenständigen Stationen zu den zwölf Themenräumen folgten einem multisensorischen Präsentations- und Vermittlungsansatz. Nicht jede Station war in allen Sinnesmodalitäten erfahrbar, aber als Ganzes war die Reihe für jeden Sinn zugänglich. Nicht Inklusion und Barrierefreiheit in allen Punkten wurde angestrebt, sondern vielmehr, dass für alle Besucherinnen und Besucher etwas dabei ist. Zweitens: Inhalte wurden auch aus der Perspektive verschiedener Gruppen präsentiert. Und drittens waren die Stationen wiedererkennbar gestaltet (Bodenmarkierung, farbliche Gestaltung). Folgende Beispiele richteten sich insbesondere an Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung, boten aber allen Besucherinnen und Besuchern ein ungewöhnliches Wettererlebnis. Im Ausstellungsraum »Gewitter« entwickelte das Ausstellungsteam, zusammen mit Blinde und Kunst e. V., eine inklusive Station in Form eines Möbels, das man sitzend, liegend oder auch tastend nutzen konnte, um Gewitter leiblich-körperlich, mittels Vibrationen und akustischer Eindrücke, zu erfahren. Auch wenn

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diese Art von Wetterempfinden primär gehörlose Menschen haben, veranschaulichte es eindrücklich, wie sich ein Gewitter allmählich aufbaut und entlädt: ein in allen Aspekten barrierefreier Zugang für jeden Besucher. Für den Raum »Wolken« entschieden wir uns für eine künstlerische Umsetzung: Hier schwebten berührbare Wolken von der Decke, die die unberührbaren Luftgebilde in feine Stofflichkeit übersetzten, aber nicht nur für blinde und sehbehinderte Menschen gedacht waren. Der Hamburger Künstler Michael Gerdsmann fertigte ein Ensemble aus betastbaren Wolken an. Seine textilen Häkel-Objekte waren zwischen einem Wolkentypisierungsmodell und Landschaftsgemälden ausgestellt: sinnlich und spannend zu erkunden in haptischer Vielfalt. Michael Gerdsmann ist Mitglied der Ateliergemeinschaft Die Schlumper e. V., in der Künstlerinnen und Künstler mit unterschiedlichen Behinderungen arbeiten. Jeder Besucher konnte am Eröffnungswochenende mit Gerdsmann ins Gespräch kommen, der zu einer Präsentation nach Bonn eingeladen war. Er beantwortete Publikumsfragen und gab einen ausführlichen Einblick in seine Arbeitsweise sowie seinen Lebensalltag. Es war uns ein Anliegen, künstlerische Beiträge von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung zu zeigen, weil Teilhabe nicht nur passive Kulturnutzung, sondern auch aktive Kulturproduktion bedeutet (UN-BRK). Hier sieht Irmgard Merkt ein großes Ungleichgewicht, hervorgerufen durch die anhaltend negative Einstellung gegenüber Künstlerinnen und Künstlern mit Behinderung. Die Barrieren der Kulturbetriebe sind noch immer groß (Merkt 2017, S. 181 ff.); Kunstschaffende mit und ohne Behinderungen sind selten gleichberechtigt in Ausstellungen vertreten.

Beispiel: Pina Bausch und das Tanztheater Ein weiteres modellhaftes Projekt entstand zur Ausstellung »Pina Bausch und das Tanztheater« (2016), als die Bundeskunsthalle und der Verein Blinde und Kunst mit der Pina Bausch Foundation und dem Kunsthaus KAT18 zusammenarbeiteten. Es war ebenso experimentell wie einzigartig, da es an der Schnittstelle zwischen Museum, Tanz und Behinderung ansetzte. Sechs Künstlerinnen und Künstler aus der Kölner Ateliergemeinschaft nahmen an unterschiedlichen öffentlichen (Führungen, Diskussionen, öffentlichen Proben) sowie speziell für sie konzipierten Angeboten (Tanzworkshop) teil. Modellhaft waren auch der strukturelle Auf bau und die Konzeption, denn von Beginn an wurde den Künstlern des KAT18 ein möglichst vielseitiger, multiperspektivischer und multi-

Workshop »Mit allen Sinnen«

medialer Zugang zum Werk Pina Bauschs ermöglicht. Die Begegnungen mit den Tänzerinnen und Tänzern und die eigenen Tanzerfahrungen wurden zum Ausgangspunkt für eine bildnerische Auseinandersetzung mit Pina Bausch und dem Tanztheater. In ihren poetischen Zeichnungen, Bildern und Texten erzählten die Künstlerinnen und Künstler von der eigenen körperlichen Bewegtheit, von dem, was sie durch Tanz erfahren haben, aber auch von Alltagserlebnissen. Es zeigte sich, dass Pina Bauschs Bildsprache, die als universell gelten kann, auch von den Künstlerinnen und Künstlern aus dem Kunsthaus unmittelbar verstanden und verinnerlicht wurde. Mit einer Ausstellung sowie einer Tanzperformance zur Vernissage in den Räumen von KAT18 wurde das Projekt nach drei Monaten der interdisziplinären Zusammenarbeit beendet. Dazu erschien der gemeinsam verfasste Katalog PINA BAUSCH:! mit Übersetzung in Einfache Sprache und Audiodeskription für Blinde. Um den Teilhabeanspruch für Menschen mit (kognitiver) Beeinträchtigung einzulösen, sollten Museen sich zukünftig so ausrichten, dass »man versucht, alle mitzunehmen«, so die Vision der Mutter eines Betroffenen. Das können Museen leisten, und es wird immer auch einen Zugewinn für alle bedeuten.

L iter atur Blinde und Kunst e. V. (Hg.): PINA BAUSCH:! Eine künstlerische Recherche zur Ausstellung Pina Bausch und das Tanztheater, Kerpen 2017. Bundeskunsthalle (Hg.): Pilot Inklusion: Module und Prozesse für Inklusion in Museen, Abschlussdokumentation des Förderprojekts »Entwicklung eines modularen Vermittlungskonzepts zu inklusiver Bildung im Museum (2015–2017)«, Bonn 2017. Als barrierefreies PDF https://www.bundeskunsthalle.de/fileadmin/user_upload/04Ver​mit​ tlung/inklusion_integration/Pilot_Inklusion_barrierefrei_.pdf (Zugegriffen: 20.08.2018). Merkt, Irmgard: Kostbarkeiten zu verzollen? Kulturelle Teilhabe und Inklusion. In: Jakob J. Koch (Hg.): Inklusive Kulturpolitik. Menschen mit Behinderung in Kunst und Kultur, Kevelaer 2017, S. 177–196. Metzger, Folker: Inklusion im Museum. In: Beatrix Commandeur/Hannelore Kunz-Ott/Karin Schad (Hg.): Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, München 2016, S. 285–289.

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Birgit Tellmann, Melanie Knaup

Sinnenorientierte Museumspädagogik für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung Melanie Knaup Im Rahmen ihres Dissertationsvorhabens »Museumspädagogik und Geistige Behinderung. Informelles Lernen im musealen Raum« am Institut für Förderpädagogik und Inklusive Bildung der Universität Gießen forscht Melanie Knaup zu den Voraussetzungen und Gelingensbedingungen informeller Lernprozesse von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung im musealen Raum. Barrierefreiheit bedeutet ihrer Auffassung nach mehr als »nur« den Abbau baulicher, technischer und organisatorischer Barrieren. Die konzeptionellen Erzählmuster einer Ausstellung sollten mit den Erfahrungswelten und Handlungsfeldern von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung übereinstimmen.

Museumspädagogik mit allen Sinnen Liegt der »Vorzug« des Museums gegenüber anderen Bildungsorten in der Anschaulichkeit der ausgestellten Exponate und vollziehen sich Wissensaneignung und Verstehen von Bedeutungszusammenhängen an jenen realen Objekten, gilt es zu beachten, dass sich die dazugehörigen Informationen nicht jeder Besucherin über Texte oder das gesprochene Wort erschließen. Einer der grundlegenden Vermittlungsaufträge inklusionsorientierter Museen lautet demnach, die originalen Objekte – die Wissensund Bedeutungsträger einer anderen Zeit, Kultur oder Gesellschaft – ansprechend, verständlich, multisensorisch und interaktiv zu gestalten und zu präsentieren, so dass sie sich an alle Besucherinnen und Besucher richten. Dabei ist von einer stark subjektiven Form der Wahrnehmung auszugehen. Das heißt, individuelle Wahrnehmungsweisen und -fähigkeiten wirken sich auf das Wahrnehmungserlebnis im Museum aus.

Das inklusive Museum Gehören zu den neu zu erschließenden Besuchergruppen Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung, gilt es in einem hohen Maße, die »Vermittlung sinnlicher Erfahrung« (Kulturausschuss der Kultusministerkonferenz, 1996) in den Blick zu nehmen. Eine langsamere Entwicklung ihrer sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten, ein eingeschränktes Erinnerungsvermögen und möglicherweise auch zusätzliche Beeinträch-

Workshop »Mit allen Sinnen«

tigungen der Motorik, des Sehens und des Hörens erfordern besondere museumspädagogische Angebote. Diese sollten über ein klassisches Präsentieren der originalen Objekte in Vitrinen und eine Informationsvermittlung auf Textebene hinausgehen. Die dinglichen und semantischen Komponenten einer Ausstellung sollten dem Personenkreis von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung gegenüber vielfältig präsentiert und vermittelt werden. Neben einer sprachlichen Vermittlung in einfacher Sprache könnten auch nonverbale, szenische oder handlungsorientierte Formen der Vermittlung einen musealen Verstehensprozess anregen. Dabei sollten die konzeptionellen Erzählmuster einer Ausstellung mit den gegenwartsbezogenen Erfahrungswelten der Besucherinnen und Besucher übereinstimmen. So könnte sich eine lebensweltliche Handlungsorientierung museumspädagogischer Angebote darin zeigen, etwas anfassen oder gar benutzen zu dürfen. Die aus dem praktischen Tun (gegebenenfalls mit handwerklichen oder künstlerischen Techniken) resultierende sinnliche Erfahrung und ihre Reflexion dienen zur Herstellung von Gemeinsamkeiten innerhalb einer Gruppe und ermöglichen eine räumliche und zeitliche Orientierung sowie eine kritische Auseinandersetzung mit den Exponaten. Friedrich Waidacher schreibt in seinem Handbuch der Allgemeinen Museologie: »Je mehr dieser Zugänge angeboten werden, desto vielfältiger können Informationen aufgenommen, verankert und verstanden werden. Einerseits bevorzugen bestimmte Menschen bestimmte Formen der Aufnahme, andererseits können durch ein vielschichtiges Angebot Assoziationen besser geknüpft und Informationen sinnvoller in größere Zusammenhänge eingeordnet werden.« (Waidacher 1999, S. 208) Da die Wahrnehmungsweise in einem Museum als eine Kommunikation mit den präsentierten und dargebotenen Exponaten zu verstehen ist, bedeutet jedoch auch jede Einschränkung der menschlichen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit unweigerlich eine Überforderung, die zu Unbehagen und schlimmstenfalls Unverständnis führen kann. Deshalb sollte bei der Vermittlung auf die Möglichkeit einer beschränkten Auswahl einzelner Exponate geachtet werden. Darüber hinaus sollten Vermittlungsangebote unterschiedliche Schwierigkeitsgrade bieten, um dadurch individuelle Fähigkeiten von Besuchern und Besucherinnen zu berücksichtigen. Durch bildnerisch-praktische, erforschende und multisensorische Vermittlungsformate werden stets mehrere Sinne angesprochen, so dass sich derartige Stationen in besonderer Form für

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Birgit Tellmann, Melanie Knaup

Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung eignen. Die sinnliche Erfahrung kann durch elementare Phänomene wie »Berührung«, »Dinglichkeit«, »Materialität«, »Körperlichkeit« und »Gefühl« erreicht werden (vgl. Kilger 2012, S. 161). Anstelle der aus konservatorischen Gründen in Vitrinen präsentierten Originale bieten Nachbildungen, Funktionsmodelle, Tastfolien, Reliefs oder sonstige robuste Hands-on-Objekte alternative taktile Erfahrungsmöglichkeiten. Riech- und Hörstationen entsprechen der olfaktorischen und auditiven Wahrnehmung. Das Hervorrufen von sinnlichen und sinnstiftenden Erfahrungen unterstützt den Wahrnehmungs- und Aneignungsprozess in einem so hohen Maße, dass Museen ihr »hohes Potenzial für individuelles, gezieltes, aber auch informelles Lernen« (Bundesverband Museumspädagogik e. V. 2004) auch für Menschen mit Behinderungen werden einsetzen können. Dann könnte der Wunsch des Inklusionspädagogen Andreas Hinz aus seinem Aufsatz »Menschen mit Behinderungen im Museum – (k)eine Selbstverständlichkeit« aus dem Jahr 2002 tatsächlich eine Selbstverständlichkeit im Museumsalltag werden – »von großen Schritten und Zielen zu träumen und die kleinen Schritte und Ziele in die Richtung der großen zu realisieren« (Hinz 2002, S. 44).

L iter atur Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (Hg.): Die UN-Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die amtliche, gemeinsame Übersetzung von Deutschland, Österreich, Schweiz und Lichtenstein der Resolution vom 13.12.2006, Berlin 2017, www. behindertenbeauftragte.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Broschue​ re_UNKonvention_KK.pdf. (Zugegriffen: 30. August 2018). Bundesverband Museumspädagogik e. V.: Zum Bildungsauftrag der Museen. Stellungnahme des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V,. Verfügbar unter: https://www.museumspaedagogik.org/fileadmin/user_ upload/bund/PDF/2_9_4_KMK2004.PDF (Zugegriffen: 19. Juni 2018). Dannenbeck, Clemens (unter Mitarbeit von Pia Arend, Bernadette Felder und Marion Fuhrmann): Theater mit dem Museum – Inklusion

Workshop »Mit allen Sinnen«

und kulturelle Teilhabe. In: Zeitschrift für Inklusion-online.net, H. 4, 2011, https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/ article/view/79/79 (Zugegriffen: 30. August 2018). Hinz, Andreas: Menschen mit Behinderungen im Museum  – (k)eine Selbstverständlichkeit. In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft 25, H. 2-3, 2002, S. 35–44. Kilger, Gerhard: Über die Qualität der Szenographie. Vortrag anlässlich des Museumstreffens im Düsseldorfer Museum Kunstpalast am 30.09.2011, https://www.dasa-dortmund.de/fileadmin/user_upload/pdf/VA/Sze​ no/2012/Vortrag_Dr_Kilger_Qualität_Szenografie.pdf (Zugegriffen: 30. August 2018). Kulturausschuss der Kultusministerkonferenz: Handreichung zu den Aufgaben der Museen vom 27.06.1996. RS IIIB-425/96 vom 03.09.1996, https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/ 1996/1996_06_27-Aufgaben-Museen.pdf (Zugegriffen: 30. August 2018). Waidacher, Friedrich: Handbuch der Allgemeinen Museologie. 3. unv. Aufl., Wien, Köln, Weimar 1999.

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Workshop »Biografische Zugänge« Ann-Katrin Adams, Börje Nolte Persönliche Erfahrungen und eigenes Erleben als Ausgangspunkt und Zugangsmöglichkeit im Rahmen kultureller Vermittlungsarbeit haben sich als besonders fruchtbar erwiesen. Museen und Sammlungen verschiedenster Fachrichtungen wie kulturhistorische, stadtgeschichtliche oder industriegeschichtliche Häuser sowie Kunstmuseen bieten vielfältige Ansätze für biografische Zugänge in der Museumspädagogik. Beispielhaft berichteten im Rahmen des Workshops »Biografische Zugänge« die Doktorandin Ann-Katrin Adams und der Pädagoge Börje Nolte von ihren Projekten für Menschen mit Demenz. In ihrem gemeinsamen Workshop gaben Ann-Katrin Adams (GoetheUniversität Frankfurt a. M.) und Börje Nolte (Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur, Projekt »Kohle weckt Erinnerung«) Einblicke in die Vermittlungspraxis kultureller Angebote bei Menschen mit Demenzerkrankung und stellten sowohl Programme im Museumsraum als auch mobile Vermittlungsangebote in Einrichtungen der Altenhilfe vor. Ann-Katrin Adams schilderte ihre Erfahrungen aus ihrer laufenden Dissertation »MIA  – Museumsbasierte Interventions-Angebote für Menschen mit Demenz. Entwicklung eines erziehungswissenschaftlich-gerontologischen Leitfadens«, in der sie Qualitätskriterien für Museumsangebote für Menschen mit Demenz entwickelt. Anhand von Originalobjekten aus dem Steinkohleabbau wie einer Grubenlampe und einem Stück Grubenseife veranschaulichte Börje Nolte Möglichkeiten der Vermittlung in der Praxis und diskutierte sie anschließend mit den Teilnehmenden. Ausgehend von der jahrelangen Erfahrung Noltes in der Kulturvermittlung für Menschen mit Demenz einerseits und Adams’ wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Führungen in Kunstmu-

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Ann-Katrin Adams, Börje Nolte

seen andererseits kam es zu einem direkten Erfahrungsaustausch mit den Teilnehmenden. Vor allem Fragen der praktischen Umsetzung der Vermittlungsangebote stießen im Rahmen des Workshops auf Interesse. Allerdings äußerten die Teilnehmenden auch Bedenken bezüglich der Umsetzbarkeit dieser Angebote in den jeweiligen Häusern. Es entstand u. a. eine Diskussion darüber, was Museen in diesem Bereich leisten könnten und ob nicht vielmehr Einrichtungen der Altenarbeit dazu aufgerufen seien, kulturelle Teilhabe für Menschen mit Demenz zu ermöglichen, da sie den Bedürfnissen ihrer Klientel besser gerecht werden könnten als Kunst- und Kulturvermittler. In einem offenen Gespräch mit den Teilnehmenden diskutierten Adams und Nolte, wie ein Vermittlungsangebot funktionieren, welche Herausforderungen es dabei aber auch geben könnte. Die Referierenden ermutigten die anwesenden Museumspraktikerinnen und -praktiker, Vermittlungsangebote für Menschen mit Demenz zu initiieren und sich hierfür stabile Netzwerke zu schaffen (z. B. Einrichtungen der Altenarbeit, Alzheimergesellschaften etc.). Im Sinne der Ermöglichung von Teilhabe an gesellschaftlichen Entwicklungen und am öffentlichen Leben sahen sie es als wünschenswert an, dass Institutionen sich öffnen, Ängste abbauen und Begegnung fördern.

D ie P rojek te Begegnungen mit Menschen mit Demenz im Kunstmuseum. Vom Schaffen neuer Zugänge zum öffentlichen Raum »Museum« Ann-Katrin Adams Ann-Katrin Adams untersucht im Rahmen eines laufenden, von der Diakonie Hessen und Nassau geförderten Dissertationsprojektes an der Universität Frankfurt a. M. Museumsführungen für Menschen mit Demenz. Zielsetzung der Arbeit ist eine fundierte Analyse der Bedingungen und Herausforderungen, denen bereits vorhandene Museumsangebote unterliegen, sowie eine Identifikation der Potentiale, die sie beinhalten. Dies bedeutet auch eine kritische Reflexion der Angemessenheit der vorhandenen Angebote in Bezug auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz. Bei den Teilnehmenden der bereits existierenden Museumsführungen

Workshop »Biografische Zugänge«

handelt es sich im weit überwiegenden Teil um ältere und alte Menschen, darunter sowohl Menschen mit Demenz als auch ihre oftmals pflegenden Partnerinnen und Partner. Die Ansprache der Teilnehmenden durch die Kunstvermittlerinnen und -vermittler muss daher immer auch das Lebensalter der Teilnehmenden in den Blick nehmen. Die Zielgruppen der Führungen, die es seit 2007 in Deutschland gibt und die z. B. das Lehmbruck Museum in Duisburg, die Bundeskunsthalle, das Kunstmuseum Bonn und die Kunsthalle Bremen anbieten (Ganß/Kastner/Sinapius 2016) unterscheiden sich in unterschiedlicher Hinsicht. So gibt es Angebote für Menschen mit Demenz, die in einer Pflegeeinrichtung leben, teils kooperieren Museen auch mit Stiftungen, die Kontakte zu verschiedenen Einrichtungen haben und diese gezielt zu Führungen einladen. Bei Angeboten für Menschen mit Demenz in häuslicher Pflege werden häufig die pflegenden Angehörigen oder Berufsbetreuenden als Partnerinnen und Partner mit einbezogen. Vereinzelt gibt es auch offene Führungen für Menschen mit und ohne Demenz. Bei einigen Führungen wird gemeinsames kreatives Arbeiten angeschlossen, wobei die Themen der Führung in ein anderes Medium übersetzt, mit anderen Sinnen erfahrbar gemacht werden sollen. Dabei geht es um das momenthafte Assoziieren oder auch um das Produzieren von künstlerischen Erzeugnissen, die mit nach Hause genommen, ausgestellt oder als Erinnerung genutzt werden. Auch die Ansätze der Vermittlung in den Museen sind unterschiedlich und richten sich nach dem jeweiligen pädagogischen Leitgedanken, dem Konzept und der Zielsetzung der Angebote sowie nach dem Charakter der ausgestellten Werke. Von abstrakter Malerei über Skulpturen bis zu Fotografien stellen die Kunstwerke natürlich unterschiedliche Anforderungen an die Vermittlung. So kann man um Skulpturen herumgehen, sie von verschiedenen Seiten und Winkeln betrachten und sie – wenn es Duplikate davon gibt – sogar haptisch erfahren (Winkler-Rufenach/Kastner 2010). Abstrakte Malerei kann auf Gegenständliches verweisen, sie kann Assoziationen zu Gegenständlichem wecken, sie kann aber auch durch Farben und Formen bestimmte Stimmungen evozieren, die für jeden Menschen unterschiedlich sein können  – gerade in der abstrakten Malerei steckt damit auch das Potential, einen wertungsfreien Austausch zu ermöglichen, in dem es nicht darum geht, richtige Antworten zum Bild zu finden, sondern gemeinsam kreative Ideen dazu zu entwickeln. Fotografien oder gegenständliche Gemälde (oder auch kulturelle und

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historische Erzeugnisse) hingegen können beispielsweise eine eher biografische Vermittlung ermöglichen, in der allerdings weniger an die individuellen Biografien der Menschen als an kohortenspezifische Erlebnisse angeknüpft werden kann. Allgemeine Themen wie der Alltag vor fünfzig Jahren, regionalspezifische Themen wie z. B. Kohleabbau (siehe Beitrag Börje Nolte) sowie alltagsnahe Themen wie Kleidung und Mode, Essen, Urlaubsreisen etc. können anhand von Kunstwerken oder Gebrauchsobjekten buchstäblich vor Augen geführt werden und eventuell auch die Erinnerungen der Teilnehmenden stimulieren. Ein hohes Maß an Flexibilität und die Fähigkeit, sowohl auf individuelle Anliegen zu reagieren als auch die Gesamtgruppe nicht aus den Augen zu verlieren, sind Ansprüche, die (wenn auch in Führungen für alle Zielgruppen wirksam) an die Kunstvermittlerinnen und -vermittler in Bezug auf Führungen für Menschen mit Demenz gestellt werden. Dabei ist sehr viel an Sensibilität nötig, beispielsweise wenn Menschen im verbalen Ausdruck beeinträchtigt sind. Hier kann es sinnvoll sein, eine andere Form der Äußerung zu ermöglichen, etwa eine kreative Handlung, denn die Kunst als Kommunikationsmedium kann emotionale Äußerungen zulassen und eine Auseinandersetzung der Teilnehmenden mit ihrer Umwelt und ihrer eigenen Situation ermöglichen. Im Rahmen der Erforschung der Angebote hat sich gezeigt, dass eine Öffnung des Museums für Menschen mit Demenz, wie sie in vielen Häusern bereits stattfindet, weiter vorangetrieben werden sollte. Eine weitergehende Anpassung an die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz, eine Normalisierung in dem Sinne, dass die Menschen auch im Museumsbetrieb sichtbarer werden, ist wünschenswert. Damit einher geht eine Reflexion der Lebensbedingungen von Menschen, die am öffentlichen Leben nur eingeschränkt partizipieren können. Wir müssen uns in stärkerem Maße auf sie einstellen – das bedeutet aber auch, Rahmenbedingungen zu gestalten, in denen Platz für Menschen ist, deren Verhaltensweisen für viele andere nicht als »normal« gelten würden. Auch muss der Raum dafür existieren, dass Menschen Dinge anders wahrnehmen und (z. B. in Bezug auf Kunst) anders gestalten. Dies erfordert gegenseitiges Kennenlernen und eine kritische Reflexion der eigenen Erwartungen an Begegnungen (Gronemeyer 2009, s. auch Adams et al. 2018).

Workshop »Biografische Zugänge«

L iter atur Adams, Ann-Katrin/Schall, Arthur/Tesky, Valentina A./Oswald, Frank/ Pantel, Johannes: Kulturelle Bildung und Teilhabe im Kunstmuseum  – Überlegungen zur Konzeptualisierung von kunstbasierten Angeboten für Menschen mit Demenz. In: Renate Schramek/Cornelia Kricheldorff/Bernhard Schmidt-Hertha/Julia Steinfort-Diedenhofen (Hg.): Alter(n), Lernen, Bildung. Theorien, Konzepte und Diskurse, Stuttgart 2018, S. 291–301. Ganß, Michael/Kastner, Sybille/Sinapius, Peter: Kunstvermittlung für Menschen mit Demenz. Kernpunkte einer Didaktik, Berlin 2016. Gronemeyer, Reimer: Neue Wege im Umgang mit Demenz? In: Stiftung Diakonie Hessen und Nassau (Hg.): Kunst trotz(t) Demenz (Ausstellungskatalog), Frankfurt a. M. 2009, S. 14–15. Winkler-Rufenach, Friederike/Kastner, Sybille: Museumsarbeit für Menschen mit Demenz im Wilhelm Lehmbruck Museum. In: Kim de Groote/Almuth Fricke (Hg.): Kulturkompetenz 50+. Praxiswissen für die Kulturarbeit mit Älteren, München 2010, S. 110 ff.

»Kohle weckt Erinnerung« – ein mobiles Angebot des LWL-Industriemuseums Börje Nolte Börje Nolte stellte ein mobiles museumspädagogisches Angebot vor, das er im Auftrag des LWL-Industriemuseums mit anderen Museumspädagoginnen und -pädagogen organisiert. Die Veranstaltungen unter dem Titel »Kohle weckt Erinnerung« richten sich an Menschen mit Demenzerkrankung, die ihr berufliches und privates Leben in der Bergbauregion verbracht haben. Ausgestattet mit Gegenständen des Alltags früherer Bergarbeiterfamilien besuchen sie Seniorenheime und Tagesstätten, um mit den Bewohnerinnen und Bewohnern über ihr früheres Leben im Bergbau zu sprechen und Erinnerungen wach werden zu lassen. Das LWL-Industriemuseum ist eines der Landesmuseen im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und verfügt über acht Standorte, von denen sich drei mit dem Thema Steinkohlenbergbau beschäftigen –

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die Zeche Zollern in Dortmund, die Zeche Hannover in Bochum und die Zeche Nachtigall in Witten. Neben den technischen, sozialen und historischen Themen werden im Rahmen von Ausstellungen und Bildungsangeboten auch aktuelle Themen für alle Generationen kurzweilig und spannend vermittelt (www.lwl.org).

Ausgangssituation und Grundlagen Auf den demografischen Wandel müssen sich auch Museen mehr und mehr einstellen. In einer Analyse der Bedürfnisse von Bewohnerinnen und Bewohnern in Einrichtungen der Seniorenpflege 2007 zeigte sich schnell, dass für sie Besuche an den Standorten des Industriemuseums nicht ohne Weiteres möglich sind (LWL-Industriemuseum, Tagungsbericht 2007). Um den Menschen im hohen Alter kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, wurden daher mobile Vermittlungsangebote entwickelt, denen die didaktische Methode des Museumskoffers zu Grunde liegt. Neben den mitgebrachten Objekten, die haptisch erfahren werden können, stehen der Dialog und ein Austausch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Zentrum der Gesprächsrunden. Erste praktische Schritte wurden u. a. in den Feierabendhäusern der Diakonie Ruhr in Witten gemacht. Bei einer großen Gruppe, die sich integrativ aus über 40 orientierten sowie dementiell veränderten Bewohnerinnen und Bewohnern zusammensetzte, wurden unterschiedliche Vermittlungsansätze gewählt. Neben den mitgebrachten Museumsobjekten wurden per Beamer eine Präsentation und Fotomaterial gezeigt. Bei einem anschließenden Feedback mit der Leitungsebene des Feierabendhauses rückte das Thema Demenz stärker in den Fokus der Vermittlungsarbeit mit der Frage: Wie kann kulturelle und museale Teilhabe für Menschen mit Demenz in Einrichtungen der Altenpflege möglich sein? Da Inklusion bereits in Kultureinrichtungen stattfindet, sollte kulturelle Inklusion auch bei dementiell veränderten Menschen in Altenpflegeeinrichtungen möglich sein. Auf diese Weise können Kompetenzen der Menschen mit Demenz erhalten und gefördert, die Lebensqualität und Lebensfreude erhöht sowie das Selbstwert- und das Wir-Gefühl gestärkt werden. Jede und jeder kann seine noch vorhandenen Fähigkeiten einsetzen, so dass sowohl eine aktive als auch eine passive Teilhabe möglich ist. So wird durch das Projekt ein besonderer Akzent im Alltag gesetzt, bei dem die Menschen mit Demenz Kultur mit allen Sinnen erleben. Anknüpfend an Methoden der Erwachsenenbildung soll das Angebot Erfah-

Workshop »Biografische Zugänge«

rungen und Erinnerung stimulieren, welche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Zeit vor der Erkrankung gemacht haben (Nolte 2006, S. 70). Das Lernen findet hier nicht auf einer unmittelbar kognitiven, sondern auf einer emotionalen Ebene statt.

»Kohle weckt Erinnerung« – vier Module Das Angebot »Kohle weckt Erinnerung« ist nicht nur in Bezug auf die Objekte und die in vier Module aufgeteilte Rahmengeschichte authentisch, sondern wird aktuell durch Personen durchgeführt, die alle einen Bergbauhintergrund bzw. ihr Berufsleben in der Steinkohle verbracht haben. Folgende Themen werden angeboten: 1. Glück auf! der Steiger kommt – Bergbau und Steinkohle: Hier geht es im Kern um die Arbeit unter Tage. Als Objekte sind u. a. eine Wetterlampe, Kohlenbrocken und ein Abbauhammer dabei. 2. Kumpel Klaus hat Geburtstag – Alltag in Küche und Haushalt: Hier wird mit Hilfe des Geschmackssinns die Erinnerung geweckt, z. B. wird Kaffee frisch gemahlen und getrunken. Ebenso ist einfaches Blechgeschirr vorhanden, welches im Haushalt mitunter üblich war. 3. Kaputtes Gezähe und Schuhe für die Pferde  – Arbeit in der Werkstatt und Schmiede: Gegenstände und Werkzeug, besonders Hufeisen und Miniaturamboss, stehen hier im Mittelpunkt. Zeitungspapier, Holzstücke und Kohle sind wichtig für das Entfachen eines Feuers z. B. in einem Kohlenofen oder einer Schmiedeesse. 4. Erbsensuppe und ein Staubbekämpfer – Essen auf der Arbeit: Auch hier greift wieder die gustatorische Methode. Schmalzbrote in einer Blechdose und eine Erbsensuppe im Henkelmann sowie ein Bier lassen manche Erinnerung und Erfahrung lebendig werden. (Siehe www.lwl.org/industriemuseum/standorte/zeche-nachtigall/fuehrun​ gen/erwachsene-und-senioren/kohle-weckt-erinnerung) Die Museumspädagoginnen und -pädagogen kommen vierzehntägig an einem festen Tag zu fester Uhrzeit in die Einrichtungen und arbeiten mit einer festen Bewohnergruppe. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehören zu dieser Gruppe, weil sie einen biografischen Bezug haben. Manche waren selbst unter Tage beschäftigt, andere hatten Männer, Väter, Brüder oder Onkel, die im Bergbau gearbeitet haben. Begleitet wird das

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Angebot von einer Pflegekraft, die als vertraute Person insbesondere bei Erstbesuchen Kontakte zu den Teilnehmenden erleichtern und Gespräche unterstützen kann. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden um aktive Mithilfe gebeten, wenn beispielsweise der Tisch gedeckt werden soll oder es im Austausch darum geht, wie am besten ein Kohlenofen angeheizt wird. So können die erlebten Erfahrungen und Kompetenzen positiv einbezogen werden. »Wir behalten in der Regel 10 Prozent von dem, was wir lesen, 20 Prozent von dem, was wir hören, 30 Prozent von dem, was wir sehen, 70 Prozent von dem, was wir sagen – aber 90 Prozent von dem, was wir zugleich sagen und tun« (Eilean Hooper-Greenhill, zitiert nach Lepenies 2003, S. 62). Gleichzeitig findet eine Wertschätzung statt, die in Seniorenprogrammen/-pflege eine wesentliche Rolle spielt. Ein weiterer Aspekt dieses Projektes ist die fachübergreifende Zusammenarbeit. So übernimmt das Feierabendhaus der Diakonie Ruhr die fachliche Weiterbildung des museumspädagogischen Personals des LWLIndustriemuseums, damit es sich in die Welt der Menschen mit Demenz einfühlen kann. Neben der Entwicklung eines Vermittlungskonzeptes unter der Berücksichtigung, wie Museumsinhalte und -schwerpunkte für Menschen im hohen Alter bzw. mit Demenz erfahrbar und erlebbar werden können, wurden bei einer eintägigen Veranstaltung im Sommer 2010 erstmalig zwei Museumspädagogen der Zeche Nachtigall durch Gerontofachkräfte der Einrichtung in Bezug auf Krankheitsbilder, Validation, Umgang mit dementiell veränderten Menschen und Reduzierung des eigenen Anspruches – »weniger ist mehr« – geschult. 2013 und 2017 fanden weitere Schulungen statt, durch die Inhalte vertieft, neue Ergebnisse aus der Gerontologie und Kulturarbeit präsentiert und neue Museumspädagoginnen und Museumspädagogen gestärkt wurden. Schulungen zum Thema Demenz führt das Feierabendhaus der Diakonie Ruhr durch. Greifen die Komponenten ineinander, knüpfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ihren eigenen Geschichten und Erfahrungen daran an. Generationen von Menschen im Ruhrgebiet haben ihr (Arbeits-)Leben im Steinkohlenbergbau und der Montanindustrie verbracht. Auch das Leben in der Siedlung war geprägt vom Rhythmus der Arbeit. Die Bergmannsfrauen trugen Sorge, dass die Männer bei Kräften blieben, versorgten die Alten und Kranken und wuschen die Arbeitskleidung. »Die Grubenhemden kenn’ ich noch. Die mussten wir immer waschen. Für drei Männer. Als der Vater noch auf Zeche war. Und für mein’ Mann und mein’ Bruder.« Solche Aussagen und Zitate tauchen

Workshop »Biografische Zugänge«

immer wieder im Gespräch mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Senioreneinrichtungen auf. Sie sind fest verankerte Erinnerungen, die mit den Objekten geweckt werden  – Steinkohle als Teil des kollektiven Gedächtnisses.

Vom Projekt zum innovativen Vermittlungsangebot Inzwischen bietet das LWL-Industriemuseum das konzipierte Modell in Altenhilfeeinrichtungen in ganz Nordrhein-Westfalen an. Der Schwerpunkt liegt nach wie vor im Ruhrgebiet. Aktuell wird »Kohle weckt Erinnerung« in sechs Einrichtungen regelmäßig, d. h. im oben beschriebenen Turnus, durchgeführt. Darüber hinaus konnte das Museum integrative mobile Angebote etablieren, die seit 2010 in rund 100 Einrichtungen der Altenpflege z. T. mehrfach angeboten werden konnten. Dies geschah nicht nur zum Thema Bergbau, sondern auch zum Eisenhüttenwesen oder zum Brieftaubensport, der eng mit dem Ruhrgebiet verknüpft ist. Die Henrichshütte in Hattingen ist ein weiterer Standort des LWLIndustriemuseums. Diese erfolgreiche Verankerung gelang durch eine verstärkte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie den Einsatz von Faltblättern, einem Internetauftritt und einer professionellen Organisation, um die Anfragen und Besuche zu koordinieren. Die Senioreneinrichtungen bilden einen Querschnitt aller privaten und kirchlichen Träger. 2017 erreichten die mobilen Programme ca. 3.000 Menschen  – bei 180 Terminen. Seit 2012 werden die Teilnehmerzahlen erfasst. Rechnet man überschlägig die Jahre 2008 bis 2011 hinzu, kommt das LWL-Industriemuseum mit seinen so genannten Outreach-Angeboten auf über 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

L iter atur Lepenies, Annette: Wissen vermitteln im Museum, Köln 2003. LWL-Industriemuseum: Tagungsbericht 2007, www.lwl.org/wim-down​ load/ausstellungen-download/Tagungen/www.lwl.org/wim-download/ pdf/TagungsberichtGenerationGrau.pdf) (Zugegriffen: 20.08.2018). Nolte, Börje: Industriemuseum und Erwachsenenbildung? Museumspädagogische Programme, Praxen und Innovationen für Erwachsene, unveröffentlichte Diplomarbeit, Düsseldorf 2006.

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Workshop »Leichte Sprache im Museum?« Anne-Kathrin Berg Leichte Sprache als wohlüberlegtes Medium der Kommunikation besticht durch kurze Sätze und bekannte Wörter, unterstützende Illustrationen sowie Erläuterungen von schwierigen Zusammenhängen. Auch die klare Struktur und eine leicht lesbare und große Schrift erleichtern der Zielgruppe den Zugang zu Inhalten. Das Ziel von Texten in Leichter Sprache ist es, Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Menschen, die nur mühsam lesen können, ein Hilfsmittel zu sein. Leichte Sprache kann mit Hilfe verständlicher Ausdrücke eine Brücke bilden, um Verständnis und Teilhabe zu erleichtern. Der Einsatz von Leichter Sprache ist dabei mehr als eine nette Geste ausgewählter Institutionen: Sowohl die UN-Behindertenrechtskonvention als auch das Behindertengleichstellungsgesetz sehen den Einsatz von verständlichen Texten für die genannten Zielgruppen explizit vor. Im Workshop »Leichte Sprache im Museum?« berichtete Anne-Kathrin Berg, die Leiterin des Zentrums für Leichte Sprache der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz, unter Präsentation vieler Fotos von vergangenen und aktuellen Projekten im Museumsbereich. Im Dialog mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gab sie u. a. Tipps und Empfehlungen, worauf es beim Übersetzen ankommt und wie sich die Leichte Sprache im Unterschied zu Einfacher Sprache definiert. Die Fragen der Teilnehmenden standen besonders im Mittelpunkt, z. B.: Wie nähert man sich dem Thema und wie schreibt man für ein Publikum, das nicht immer selbstverständlich und schnell lesen kann? Welche Möglichkeiten gibt es, verschiedene Menschen und verschiedene Sinne anzusprechen? Die lebendigen Diskussionen in beiden Workshops berührten aber auch kritische Fragen: Welche Risiken birgt Leichte Sprache neben den genannten Chancen? Wie wird sichergestellt, dass Inhalte nicht verfälscht werden?

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Anne-Kathrin Berg

Ziel der Veranstaltungen war es, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Anregungen und Ideen für die eigene Arbeit zu vermitteln. Dass es zu Beginn von Projekten Fragen oder Unsicherheiten geben kann, sollte kein Hinderungsgrund sein, ein Inklusionsprojekt zu starten. Berührungsängste sind normal und können abgebaut werden. Es geht darum, sich kennen zu lernen und Gegebenheiten sowie Bedürfnisse abzugleichen. Am besten erfolgen Planungen im Dialog miteinander anstatt übereinander. Hilfreich sind auch Perspektivenwechsel der Beteiligten, welche das Miteinander erleichtern können. Besonders bereichernd war es auch im zweiten Workshop, dass zwei Teilnehmerinnen des Projektes »Museum einfach für alle« anwesend waren. Diese berichteten aus erster Hand rege von ihren persönlichen Erfahrungen in Museen und ließen die anderen wissen, worauf es für sie bei einem gelungenen Museumsbesuch ankommt.

F azit Es ist zu jedem Zeitpunkt nützlich, Menschen aus der Zielgruppe in Projektplanungen einzubeziehen. Der Kontakt sollte dabei keine Einbahnstraße bleiben und über die Erstellung von Texten in Leichter Sprache hinausreichen. Das heißt, es ist nicht damit getan, einen Flyer oder eine Broschüre zu übersetzen, die anschließend in einem schlecht platzierten Prospektständer verstauben. Es ist auch nicht sinnvoll, einen Text in Leichter Sprache auf der Internetseite im Untermenüpunkt 17 zu verstecken. Zunächst gilt es stattdessen ein paar einfache Fragen für sich zu klären: Warum soll unser Museum besucht werden? Haben wir etwas Interessantes zu erzählen? Gibt es in unserem Museum etwas Besonderes zu sehen? Das sollte in ein paar prägnanten Hauptsätzen und sinnvoll illustriert auf den Punkt gebracht werden. Anschließend sollte sichergestellt werden, dass die Informationen ihren Weg zur Zielgruppe finden. Ein Vorschlag, so simpel wie effektiv, ist es, die Menschen, die angesprochen werden sollen, nach ihrer Meinung zu fragen: »Was interessiert Sie?« »Was wünschen Sie sich?« Es wird sich lohnen, die Antworten umzusetzen.

Workshop »Leichte Sprache im Museum?«

I nklusionsprojek te und L eichte S pr ache im M useum Das Zentrum für Leichte Sprache Das Zentrum für Leichte Sprache besteht seit 2015 und gehört dem Landesverband Rheinland-Pfalz der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V. an. Anne-Kathrin Berg schreibt und übersetzt dort Texte in Leichte und Einfache Sprache (für Einfache Sprache gibt es im Unterschied zur Leichten Sprache z. B. keine einheitlichen Regeln, die Sätze können etwas länger sein und der Text muss nicht unbedingt geprüft werden) und überprüft gemeinsam mit der Prüfgruppe der in.betrieb Gesellschaft für Teilhabe und Integration Textprodukte auf Lesbarkeit und Verständlichkeit. Das Zentrum bietet neben Übersetzungen und Texten in Leichter Sprache auch Seminare und Workshops an und betreut kulturelle Inklusionsprojekte. Vor allem im Museumsumfeld konnte es sich in den letzten Jahren einen Namen machen.

Die Kunstausstellung »Andere Wirklichkeiten« Den Startschuss für die Museumsarbeit des Zentrums für Leichte Sprache bildete 2016 die Kunstausstellung »Andere Wirklichkeiten« im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen. Die Ausstellung zeigte Werke von Künstlerinnen und Künstlern mit geistiger oder psychischer Behinderung, wobei nicht deren Beeinträchtigung im Fokus stand, sondern die Kunstschaffenden selbst, die aus sieben Ateliers in Rheinland-Pfalz kamen, und deren Kunstwerke. Überwiegend wird Kunst von Menschen mit Behinderung außerhalb von regulären Kulturbetrieben gezeigt. Künstlerinnen und Künstler mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen haben jedoch ebenso wie andere ihre individuelle Weltsicht mitzuteilen und zeigen, dass diese künstlerisch wertvoll, spannend und anspruchsvoll ist. Im Arp Museum bot sich die Gelegenheit, einem breiten Publikum innerhalb eines renommierten Kunstmuseums ausdrucksstarke Werke zu präsentieren. Das Thema Inklusion wurde hierbei großgeschrieben. Neben der Ausstellung gab es ein facettenreiches Begleitprogramm. Museumsbesucherinnen und -besucher konnten sich auf inklusive Workshops freuen, die von den Künstlerinnen und Künstlern selbst mitgestaltet wurden. Ebenso konn-

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Anne-Kathrin Berg

ten Gäste des Museums an inklusiven Kuratoren-Führungen unter Beteiligung der Künstlerinnen und Künstler teilnehmen. Verfügbar war auch ein Audioguide in Einfacher Sprache. Es gab Führungen in Gebärdensprache sowie in Einfacher Sprache, und im begleitenden Museumskatalog gab es u. a. Informationen in Leichter Sprache über die Ausstellung und die verschiedenen Ateliers sowie zahlreiche farbenfrohe Abbildungen der Kunstwerke. Zu Anfang schien es, als würden im Projekt zwei unterschiedliche Welten aufeinanderprallen  – die Welt der Sozialarbeit und die Welt der Museumsschaffenden. Doch es erwies sich schnell, dass die Arbeit der Mitarbeitenden auf beiden Seiten durchaus mehr verband als trennte. Die Museumspädagogik, die Öffentlichkeitsarbeit, die Kuratorinnen bis hin zur Direktion des Arp Museums befürworteten Vielfalt im Museum und schufen innovative Zugänge und Möglichkeiten. Auch »auf der anderen Seite« fanden sich Engagierte, die mit Stolz und Freude das Projekt unterstützten. Am Ende waren die »Anderen Wirklichkeiten« gar nicht so anders als die eigenen, denn die Kunst baute aus sich heraus Brücken und Zugänge.

»Museum einfach für alle« Auf das Projekt der »Anderen Wirklichkeiten« folgten weitere Kooperationen mit Museen sowie mit dem Museumsverband Rheinland-Pfalz. Besonders zu nennen ist das durch Aktion Mensch geförderte Projekt »Museum einfach für alle« der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz (2017–2018). Hierzu wurden vier Modellmuseen ausgewählt: das Gutenberg-Museum Mainz, das Rheinische Landesmuseum Trier, das Landesmuseum Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein sowie das Historische Museum der Pfalz Speyer. Ziel war es, die Museen für und mit Menschen mit Behinderung zu erschließen und sich sowohl mit Inhalten als auch mit Aspekten der Barrierefreiheit zu beschäftigen, wobei sich dieser Begriff nicht auf bauliche Aspekte reduzierte, sondern ein besonderes Augenmerk auf dem ungehinderten Zugang zu Informationen lag. Im Projekt wurden u. a. Texte in Leichter Sprache bereitgestellt, die Mediengruppe der Lebenshilfe Bad Dürkheim produzierte Kurzfilme über die Museen aus Sicht der Zielgruppe und es gab begleitete Bildungsangebote für Menschen mit Lernschwierigkeiten, welche die Lebenshilfe Rheinland-Pfalz im Rahmen ihrer Fort- und Weiterbildung vorbereitete und durchführte. Das Zentrum für Leichte Sprache warb u. a. auf der

Workshop »Leichte Sprache im Museum?«

Jahrestagung des Vereins Schlösser und Gärten in Deutschland im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf dem Hambacher Schloss (2017) und auf der Inklusionsmesse Rheinland-Pfalz (2018) für das Projekt. Es ging besonders darum, deutlich zu machen, »warum Barrierefreiheit nicht am Aufzug endet«. Das Museum als sozialen Ort wahrzunehmen, als Treffpunkt zu nutzen und für inklusive Begegnungen Raum zu schaffen, darum ging es auch im durch die Aktion Mensch geförderten Projekt »Lese-Spaß für alle«. Die Gründung eines »LEA Leseklubs« in Kooperation mit dem Landesmuseum Mainz (2018) trug dazu bei, dass sich nun vierzehntägig in inklusiver Runde getroffen werden kann. LEA steht für »Lesen einmal anders« und ist ein einfaches, aber geniales Leseklub-Konzept des Kubus e. V. aus Köln. Unterschiedliche Erwachsene, egal ob mit oder ohne Behinderung, treffen zusammen und können im öffentlichen Raum den Spaß am Lesen teilen. Menschen, die nicht lesen können, sind ebenso willkommen wie andere Leser. Wichtig ist nur, dass man Bücher mag. Die Teilnahme ist kostenlos. Lesen und Vorlesen sind soziale Tätigkeiten, die Fantasie und Konzentration gleichermaßen fördern. Lautes Lesen, Zuhören und über das Gelesene sprechen sind kommunikative Akte, die im Alltag leider zu wenig Raum finden. Durch das Projekt sollen Klischees, Berührungsängste und Vorurteile abgebaut werden. Der LEA Leseklub im Landesmuseum Mainz ist der erste seiner Art in Rheinland-Pfalz. Es bleibt zu hoffen, dass sich das Konzept in der Fläche des Bundeslandes weiter ausbreitet. Interessante Übersetzungsaufträge übernahm das Zentrum für Leichte Sprache häufig auch für kulturelle Institutionen aus Trier und Umgebung. Zu nennen sind in diesem Kontext zum Beispiel: • Die Übersetzung des Audioguides zur Nero-Ausstellung für das Dommuseum Trier (2016). • Die Übersetzung der Paneelen des Trierer Amphitheaters (2018). • Die Übersetzung des »Kommunistischen Manifests« von Karl Marx und Friedrich Engels für das Stadtmuseum Simeonstift Trier (2017–2018). • Die Übersetzung von Saaltexten der Ausstellung »Confrontations. Ein Museum für Alle« für die Villa Vauban  – Kunstmuseum der Stadt Luxemburg (2018). Mehr über das Zentrum für Leichte Sprache auf: www.lebenshilfe-leichtesprache.de.

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Perspektiven im Dialog Projektwerkstatt Sabine Jank, Cornelia Röhlke

Die am Projekt »StadtMuseum inklusive« Beteiligten haben gemeinsam die Erfahrung gemacht, dass für die Entwicklung inklusiver Museumsangebote und die Erreichung kultureller Teilhabe für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung die Kooperation zwischen Museen und Kulturinstitutionen auf der einen sowie den Betroffenen selbst und den Einrichtungen der Behindertenhilfe (Werkstätten, Tagesstätten, Wohnstätten, betreutes Wohnen, Familien unterstützende Einrichtungen usw.) auf der anderen Seite von besonderer Bedeutung ist. Dies wurde als wesentliches Ergebnis der Arbeit am Projekt betrachtet. Ein reger Informationsaustausch und persönliche Kontakte zwischen beiden sowie die Kenntnis der Bedürfnisse aller am Projekt Beteiligten sind wichtige Grundlagen für das Gelingen kultureller Veranstaltungen mit und für Menschen mit Beeinträchtigung. Diese Erfahrungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung im Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim nahezubringen und ihnen einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, war das Ziel der Projektwerkstatt »Perspektiven im Dialog«. Im Rahmen des rund 90-minütigen Workshops am zweiten Tagungstag hatten die etwa 90 Tagungsgäste Gelegenheit, in disziplinübergreifenden Arbeitsgruppen in verschiedenen vorgegebenen Szenarien selbst aktiv zu werden und sich mit konkreten Aufgaben auseinanderzusetzen.

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Sabine Jank, Cornelia Röhlke

Z ielse t zung der P rojek t werkstat t Im Rahmen des für die Tagung eigens entwickelten Workshops waren die Vertreterinnen und Vertreter aus den Museen und Fördereinrichtungen sowie die Menschen mit Beeinträchtigung dazu aufgerufen, in einen Dialog über kulturelle Bildung im Museum zu treten. Ziel war es, den Erfahrungsaustausch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlicher Disziplinen zu fördern, um ihnen für ihre eigenen zukünftigen Projekte Einblicke in die Arbeit, Organisationsformen und das Selbstverständnis der jeweils »anderen Seite« zu ermöglichen und sie hierfür zu sensibilisieren. Es sollten Empathie und Verständnis unter den Beteiligten gefördert und so bestehende Vorurteile abgebaut werden. Transparenz hinsichtlich der jeweiligen Wirkungskreise und Rahmenbedingungen der Förder- und Kultureinrichtungen sollte gefördert und daraus gegebenenfalls gemeinsame Anknüpfungspunkte der Zusammenarbeit geschaffen werden. Dies wurde durch den gezielten Einsatz verschiedener Methoden aus dem Design Thinking und dem Change- und Innovationsmanagement erreicht, wie beispielsweise der Purpose Map (Zweck-Landkarte), mit der sich Ziele und Motivationen der Institutionen herausarbeiten lassen, oder auch der Stakeholder Map (Landkarte möglicher Interessengruppen), die zur Erarbeitung und Auswahl möglicher Beteiligtengruppen dient.

V erschiedene P erspek tiven in einen D ialog bringen Um die Sichtweisen der verschiedenen Institutionen innerhalb der Arbeitsgruppen möglichst umfassend widerzuspiegeln, waren diese zu gleichen Teilen aus Vertreterinnen und Vertretern der einzelnen Institutionen zusammengesetzt. Im ersten Schritt galt es für die Gruppen, einerseits die Zielsetzung der jeweiligen Institution, der sie zugeordnet waren – beispielsweise einem Museum, einer Einrichtung der Behindertenhilfe oder einer Senioreneinrichtung –, herauszuarbeiten und andererseits den gewünschten Mehrwert eines inklusiven kulturellen Angebots für diese zu formulieren: Warum liegen mir als Institution solche Vorhaben am Herzen und welchen positiven Effekt gewinnt meine Einrichtung daraus?, lautete die Eingangsfrage. Durch den gemeinsamen Klärungsprozess der eigenen Intention den anderen fachlichen Disziplinen gegenüber wurden die jeweiligen Standpunkte deutlicher gemacht.

Perspektiven im Dialog

Im nächsten Schritt konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der einzelnen Gruppen anhand eigens dafür entwickelter Szenarien vertieft in mögliche Arbeitswirklichkeiten der Institutionen eintauchen. Zu den fünf festgelegten Szenarien gehörte das Beispiel eines Museums, das ein partizipatives Projekt plant, sich aber über mögliche Interessen und passende Themen für die Zielgruppe im Unklaren ist. In einem anderen Fall wollte eine Einrichtung der Behindertenhilfe das nahe gelegene Museum besuchen, war jedoch unsicher, was sie dort erwartet und ob sie für ihre Klientinnen und Klienten überhaupt etwas Geeignetes vorfindet. In der Folge erarbeiteten die Arbeitsgruppen mögliche Beteiligte bzw. einen Kreis von Beteiligten, die aus ihrer Sicht für die beschriebenen Vorhaben angesprochen werden sollten: Hierzu konnten Menschen mit Beeinträchtigung ebenso zählen wie Beschäftigte der Institutionen oder auch Geldgeber. Ferner legten sie fest, welche unterschiedlichen Perspektiven in die Vorbereitung ihres Projekts eingebunden werden sollten. Nach vorgegebenen Schwerpunktinteressen (Fragen der Finanzierung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Organisation usw.), die das zukünftige Handeln bestimmen sollten, wählte jede Gruppe beispielhaft die Beteiligten aus, die ihr am wichtigsten schien (z. B. Menschen mit Beeinträchtigungen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Finanzinstituten, Beschäftigte einer Behindertenwerkstatt). Beispielsweise wurden im Szenario, in dem es um ungeklärte Finanzierungsfragen für ein geplantes Museumsangebot ging, mögliche Sponsoren als wichtigste Gruppe identifiziert, die es anzusprechen galt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten jetzt die Aufgabe, sich deren mögliche Interessen, Gründe und Motivationen im Hinblick auf die beschriebenen Szenarien bewusst zu machen und zu formulieren: Welchen Nutzen und positiven Effekt hätte das Vorhaben (z. B. partizipatives Projekt, Sponsoring einer Veranstaltung usw.) für diese Gruppe und welche Bedarfe hat sie möglicherweise selbst? Anschließend ging es darum, die eigenen Ziele und Bedürfnisse als Institution mit den Nutzen und Bedarfen der ausgewählten Beteiligten­ gruppe zu vergleichen: Wie passt die eigene Position (Ziel-Mehrwert) der Institution zu der Position (Nutzen-Bedarfe) der ausgewählten Beteiligtengruppe? Wo passt diese nicht? Diese Prozessphase ist von größtem Interesse, da hier transparent wird, inwieweit die eigenen Vorstellungen der Institution sich mit denen der Beteiligtengruppe decken, sich von ihnen entfernen oder sich ihnen annähern. In der Praxis generieren sich daraus die notwendigen Maßnahmen, Aktionsmöglichkeiten und Methoden, die

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Sabine Jank, Cornelia Röhlke

die institutionelle Zielsetzung und den daraus resultierenden Mehrwert sinnvoll auf die Bedarfe und den Nutzen der Beteiligtengruppe abstimmen. Die variierende Zusammensetzung der Gruppen sowie die verschiedenen Szenarien und Schwerpunkte bedingten in den Arbeitsgruppen ganz unterschiedliche Diskussionsprozesse, die aufgrund der komplexen Aufgabenstellung und der hohen Zahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht in jedem Fall abgeschlossen werden konnten. Gleichwohl initiierte die Prozessgestaltung der Projektwerkstatt wichtige Perspektivwechsel, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowohl für die Ideen und Bedürfnisse als auch für die Möglichkeiten, die die jeweils »andere Seite« bietet, sensibilisiert wurden. So erhielten die Teilnehmenden einen Einblick, wie Kommunikationsprozesse mit dem Ziel der Inklusion und kulturellen Teilhabe für Menschen mit Beeinträchtigung gestaltet werden können. Das Fazit lautete denn auch: Mittendrin und miteinander – nur so kann es gehen.

Abbildungen

Beitrag »Vom unbekannten zum vertrauten Ort – neue Besucherinnen und Besucher im Museum«, Cornelia Röhlke. Abb. 1: Auftaktaktion »Spaß mit Seifenblasen«

© Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

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Museum und Inklusion

Abb. 2: Workshop »Rüsselsheim anders bauen«

© Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

Abb. 3: Eröffnung der Ausstellung »Rüsselsheim anders bauen«, März 2017

© Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

Abbildungen

Abb. 4: Theater spielen im Museum

© Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

Abb. 5: Eine lebendige Maschine

© Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

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Museum und Inklusion

Abb. 6: Töpfern nach historischen Vorbildern im Museum

© Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

Abb. 7: Detail der Kugelbahn

© Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

Abbildungen

Abb. 8: Inklusiver Urban Sketching-Workshop am Landungsplatz in Rüsselsheim

© Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

Abb. 9: Ausstellungsbesuch zum Thema Eisenzeit

© Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

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Museum und Inklusion

Beitrag »mehr ¬ Sinn ® Geschichten«, Barbara Fornefeld. Abb. 1: mehr ¬ Sinn® Geschichten

© Kubus e.V.

Beitrag »Volxkultur im Museum«, Matthias Gräßlin. Abb. 1: Teilnehmende der Volxtheaterwerkstatt in der Kunsthalle Bielefeld entwickelten verschiedenste Bewegungsformen vor dem Bild »Khurasan Gate I« von Frank Stella

© Mathias Gräßlin

Abbildungen

Beitrag »Partizipative Zugänge«, Henriette Pleiger und Birgit Baumgart. Abb. 1: Eröffnung der Ausstellung »TOUCHDOWN. Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom« am 28. Oktober 2016

Foto: Jirka Jansch. © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn

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Museum und Inklusion

Abb. 2: Jörg Hübner bei seiner Führung

© Staatliches Museum Schwerin, 2017

Abbildungen

Beitrag »Mit allen Sinnen«, Birgit Tellmann. Abb. 1: Wolken, Michael Gerdsmann, Ensemble aus Textilobjekten, 2017, Inklusive Station in der Ausstellung »Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft« (7.10.2017–4.3.2018) in der Bundeskunsthalle Bonn

Foto: David Ertl. © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

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Museum und Inklusion

Beitrag »Biografische Zugänge«, Börje Nolte. Abb. 1: Kohle weckt Erinnerung

© LWL Industriemuseum

Beitrag »Perspektiven im Dialog«, Sabine Jank und Cornelia Röhlke. Abb. 1: Projektwerkstatt auf der Rüsselsheimer Fachtagung, April 2018

© Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

Autorinnen und Autoren

Ann-Katrin Adams studierte Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum sowie Alternde Gesellschaften an der Technischen Universität Dortmund (2009–2015). Seit 2015 arbeitet sie an ihrer Promotion am Frankfurter Forum für interdisziplinäre Alternsforschung (FFIA) der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Arbeit wird im Rahmen eines Promotionsstipendiums der Stiftung DiaDem der Diakonie Hessen gefördert. Sie verfügt über mehrjährige Erfahrungen aus ihrer Mitarbeit in verschiedenen Museen wie im Rahmen von »Situation Kunst«, Bochum und dem LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, Dortmund. Ines Bader war nach einem Studium der Psychologie und Pädagogik an der Universität Tübingen von 1979 bis 2017 als Psychologin in der Diakonie Stetten in Kernen bei Stuttgart in verschiedenen Funktionen tätig. Inhaltliche Schwerpunkte ihrer Arbeit waren die Förderung und Bildung von Menschen mit schweren geistigen Behinderungen (auch im Bereich Teilhabe an kulturellen Angeboten wie Museen und Konzerten) sowie die Therapie und Förderung (vor allem im Bereich der Kommunikation) autistischer Menschen. Darüber hinaus verantwortete sie u. a. die Entwicklung und Durchführung von Konzepten zur Biografiearbeit, Zukunftsplanung, Sexualpädagogik und zum Altwerden. Birgit Baumgart arbeitet seit 2005 als Museumspädagogin im Staatlichen Museum Schwerin. Sie studierte u. a. Kunstpädagogik in Dresden und arbeitete zehn Jahre als Lehrerin. In Projekten und Veranstaltungen, z. B. »Kultur macht stark«, »Woche des Sehens«, »Alzheimertag« und Museums-AGs mit Schulen zur individuellen Lebensbewältigung, sammelte sie wichtige Erfahrungen in der inklusiven Vermittlungsarbeit. Seit 2016

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Museum und Inklusion

ist sie Sprecherin des Arbeitskreises Vermittlung des Museumsverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Anne-Kathrin Berg M. A., studierte Kommunikations- und Sprechwissenschaften sowie Erwachsenenbildung in Aachen und Marburg und leitet seit 2015 das Zentrum für Leichte Sprache der Lebenshilfe RheinlandPfalz. Sie übersetzt oder publiziert eigene Texte in Leichter Sprache und gibt regelmäßig Seminare und Workshops zum Thema. Zudem wirkt sie aktiv an kulturellen Inklusionsprojekten mit, z. B. im Rahmen der Kunstausstellung »Andere Wirklichkeiten« im Arp Museum Bahnhof Rolandseck (2016) oder am Museumsprojekt »Museum einfach für alle« der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz in Zusammenarbeit mit dem Museumsverband Rheinland-Pfalz (2017–2018) sowie im Rahmen der Gründung eines LEA Leseklubs im Landesmuseum Mainz (2018). Prof. Dr. Barbara Fornefeld hat seit 1996 die Professur für Pädagogik und Rehabilitation bei Menschen mit geistiger und schwerer Behinderung an der Universität zu Köln, Humanwissenschaftliche Fakultät, inne. Nach zehnjähriger Tätigkeit als Sonderschullehrerin wurde sie 1986 an die Heilpädagogische Fakultät der Universität zu Köln abgeordnet, wo sie 1989 promoviert wurde. Von 1991–1993 hatte sie eine Professur für Körperbehindertenpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg/Reutlingen inne und von 1993–1996 eine Professur für Mehrfachbehindertenpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg; 1994 erfolgte ihre Habilitation an der Universität zu Köln. Barbara Fornefeld wirkt als Studiendekanin und Mitglied des Senats und ist darüber hinaus Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Forschungs- und Gutachtergremien. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Grundlagen-, Bildungs- und Teilhabeforschung für Menschen mit geistiger und Komplexer Behinderung, der Forschung zur internationalen und interkulturellen Pädagogik und Rehabilitation bei Menschen mit Komplexer Behinderung sowie der Lebensqualitäts- und Migrationsforschung im Kontext geistiger Behinderung, oft im Rahmen internationaler Forschungskooperationen (Australien, Belgien, England, Irland, Japan, Korea, Niederlande, Schottland, Taiwan, USA). Prof. Dr. Bernhard Graf ist Leiter des Instituts für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, wo er die Berei-

Autorinnen und Autoren

che Historische Museologie, Museumsmanagement, Besucherforschung, Medienforschung und besucherbezogene Museumsfragen verantwortet. Er lehrt als Honorarprofessor für Wissens- und Kulturkommunikation an der Freien Universität Berlin, Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, und hat im Weiterbildungsinstitut der Freien Universität Berlin mehrere Zertifikatsprogramme zum Museumsmanagement und zur Provenienzforschung entwickelt. Ferner wirkte er an der Konzeption und Begutachtung verschiedener neuer Museen bzw. Museumskomplexe in Deutschland mit und ist in 16 wissenschaftlichen Beiräten und Stiftungsräten unterschiedlicher Bildungs- und Forschungseinrichtungen tätig, insbesondere auch großer Landesmuseen. Seit 2015 ist er Vorsitzender des Programmrates für das FUTURIUM in Berlin. Bernhard Graf hat zahlreiche Monografien und Aufsätze zur Evaluierung von Museumsausstellungen, -programmen und -aktivitäten veröffentlicht. Zu seinen wichtigsten Publikationen gehört u. a. die »Denkschrift zur Lage der Museen« (Berliner Schriften zur Museumsforschung, Bd.  30: Graf, Bernhard/Rodekamp, Volker [Hg.]: Museen zwischen Qualität und Relevanz. Denkschrift zur Lage der Museen, Berlin 2012). Matthias Gräßlin ist Theatermacher und Dozent für kulturelle Bildung sowie seit 1994 Leiter der Theaterwerkstatt Bethel und Initiator des Volx­ theaters und der Volxakademie  – Zentrum für inklusive Kultur in der Theaterwerkstatt Bethel und Lehrbeauftragter der Fachhochschule Bielefeld und der Fachhochschule der Diakonie. Er absolvierte eine freie künstlerische Ausbildung mit den Schwerpunkten Theater, Maskenarbeit, Bewegung und Performance neben einer Erzieherausbildung und einem Sozialpädagogikstudium. Wichtige Lern- und Arbeitsbegegnungen hatte Matthias Gräßlin mit Else Natalie Warns, Christoph Riemer, Katya Delakova und Moshe Budmor, José Posada, Augusto Boal, Eugenio Barba, Zygmunt Molik und Yoshi Oida. Seit 1989 arbeitet er als freier Theatermacher und Dozent für kulturelle Bildung in Aus-, Fort- und Weiterbildung. 1998 begann er seine Theaterarbeit mit Menschen mit Komplexen Behinderungen, mit theatralen Interventionen im öffentlichen Raum sowie im Rahmen von Organisationsentwicklung und Kommunikationsberatung. Matthias Gräßlin ist Autor zahlreicher theaterpädagogischer Publikationen. Andreas Grünewald Steiger, Dr. phil., Diplomstudium der Kulturpädagogik an der Universität Hildesheim mit den Schwerpunkten Kunst, Lite-

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Museum und Inklusion

ratur, Psychologie, Pädagogik/Museumspädagogik und Museologie. Seit 1991 ist er Leiter des Programmbereichs Museum an der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Sabine Jank ist Kreativdirektorin und Mitbegründerin der transdisziplinären Plattform szenum.Berlin. Im Rahmen ihrer Forschungs- und Arbeitsgebiete Digitale Transformation, Creative Leadership und Partizipative Kultur ist sie sowohl beratend für Kulturinstitutionen und Unternehmen tätig als auch als zertifizierte Coach und Trainerin auf die Professionalisierung von Kulturschaffenden spezialisiert. Sie hält Vorträge und ist Autorin zahlreicher Publikationen. Seit 2001 lehrt sie an verschiedenen Hochschulen. Melanie Knaup M. A., ist seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Förderpädagogik und Inklusive Bildung der Universität Gießen und arbeitet überwiegend zur Kulturellen Teilhabe von Menschen mit einer geistigen Behinderung. Ihre Dissertation geht der Frage nach, welche Grundvoraussetzungen und Handlungsparameter Museen und Ausstellungen erfüllen sollten, damit die kulturelle Bildungspraxis ihren Teilhabeanspruch für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung an Orten der unterhaltsamen Freizeitgestaltung sowie auch der Wissensvermittlung einlösen kann bzw. welche sinnlichen und sinnstiftenden Erfahrungen den Wahrnehmungs- und Aneignungsprozess von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung im Sinne eines informellen Lernens unterstützen. Zuvor arbeitete sie als Diversity-Beauftragte am Zentrum für Lehrerbildung an der Justus-Liebig-Universität Gießen und war bis 2008 als Museumspädagogin im Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn tätig. Bis 2004 studierte sie an der Universität Paderborn Literaturwissenschaften, Medienwissenschaften und Kulturwissenschaftliche Anthropologie. Dr. Bärbel Maul studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte und Pädagogik in Mainz und leitet seit 2009 das Stadtund Industriemuseum Rüsselsheim. Zuvor war sie Leiterin des Projektbüros Stadtmuseum im Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden und bis 1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Pädagogischen Institut im Schwerpunkt Erwachsenenbildung sowie der Zentralstelle für Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Mainz. Bärbel Maul ist Autorin

Autorinnen und Autoren

verschiedener Publikationen zur Orts- und Lokalgeschichte, zur Frauenforschung sowie zu museumspädagogischen Fragen und zur Gedenkstättenarbeit. An den Universitäten Mainz und Gießen hält sie Lehraufträge zur Museumspädagogik. Seit 2018 ist sie Stellvertretende Vorsitzende des Hessischen Museumsverbands. Börje Nolte arbeitet als Diplom-Pädagoge in den Tätigkeitsbereichen Konzeption und Vermarktung von mobilen Angeboten für Menschen im hohen Alter und Menschen mit einer Demenz, wobei er eng mit Senioreneinrichtungen kooperiert. Er ist in der Realisierung barrierefreier Angebote in Museen und in der Akquise von Bildungspartnern tätig und ist Ansprechpartner und Experte für o. g. Angebote im LWL-Industriemuseum, Dortmund. Ferner führt er Schulungen und Weiterbildungsangebote zum Thema »Demenz und hohes Alter« in Kooperation mit der Diakonie Ruhr, Feierabendhäuser, durch. Börje Nolte ist spezialisiert auf Erwachsenenbildung – insbesondere die Vermittlung der Themen rund um den Steinkohlenbergbau –, die Konzeption und Durchführung von Bildungsund Vermittlungsformaten sowie die Weiterbildung und Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im noch aktiven Produktionsbereich und des Bergbauerbes. Henriette Pleiger studierte Sinologie, Philosophie und Germanistik an den Universitäten Wien, Frankfurt a. M. und Bonn sowie an der Pädagogischen Hochschule Peking. Seit 2016 absolviert sie ein berufsbegleitendes Promotionsstudium an der University of Manchester mit dem Thema »Interdisciplinary Exhibitions and the Production of Knowledge«. Seit 2002 ist sie als Ausstellungsleiterin und Kuratorin in der Bundeskunsthalle in Bonn tätig. Zu ihren Ausstellungen zählen »Dschingis Khan und seine Erben. Das Weltreich der Mongolen« (2005), »James Cook und die Entdeckung der Südsee« (2009/10), »TOUCHDOWN. Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom« (von 2016 bis 2018 auf Tour) und »Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft« (2017/18). Cornelia Röhlke M. A., wissenschaftliche Mitarbeiterin des Stadt- und Industriemuseums Rüsselsheim, studierte Mittlere und Neuere Geschichte sowie Europäische Ethnologie an der Universität Göttingen und ist seit 2016 Leiterin des Projekts »StadtMuseum inklusive: beteiligen – nicht behindern!«. Aus ihrer Tätigkeit als Historikerin und Kuratorin verfügt sie

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Museum und Inklusion

über langjährige Ausstellungs- und Vermittlungserfahrung in verschiedensten Museen und Projekten. Sie ist Autorin diverser Veröffentlichungen zu stadthistorischen Themen sowie zur Geschichte der DDR. Dr. phil. Werner Schlummer, Diplom-Pädagoge und Journalist, war von 2002 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2016 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Pädagogik und Rehabilitation bei Menschen mit geistiger und schwerer Behinderung an der Universität zu Köln. Zuvor war er u. a. im Themenbereich Behinderung als Bildungsreferent beim Landesverband Lebenshilfe Baden-Württemberg und als Geschäftsführer der Lebenshilfe München tätig. Seine besonderen Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Erwachsenenbildung und Mitbestimmung von Menschen mit (geistiger) Behinderung. Birgit Tellmann studierte Kunstgeschichte und Germanistik (M. A.) und ist in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland im Unternehmensbereich Kunstvermittlung/Bildung für die ausstellungsbezogenen Rahmenprogramme und Projekte im Bereich Inklusion zuständig. Zu ihren Themenschwerpunkten zählen u. a. Angebote für Seniorinnen und Senioren, Förderprogramme für Erzieherinnen und Erziehern, Audio- und Mediaführungen sowie Inklusion im Museum. Sie hatte die Projektleitung für das Kooperationsprojekt »Pilot Inklusion  – Entwicklung eines modularen Vermittlungskonzepts zu inklusiver Bildung im Museum« (2015–2017) der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien inne und entwickelte mit Vertreterinnen und Vertretern von Verbänden und Museen »Das inklusive Museum. Ein Leitfaden zu Barrierefreiheit und Inklusion« für den Deutschen Museumsbund. Für den Bundesverband Museumspädagogik e. V. leitet sie die Fachgruppe »Inklusion und Barrierefreiheit im Museum« und ist in der Fachgruppe »Generation 60plus« aktiv. Steffen Walther ist seit 2014 als Assistent des Vorstands und Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Vereins Werkstätten für Behinderte Rhein-Main tätig. Er vertritt den Verein in verschiedenen Gremien, ist Mitglied im Kreissprecherrat des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und Vorstandsmitglied der Stiftung Soziale Teilhabe behinderter Menschen in Rhein-Main. Davor arbeitete er viele Jahre für ein hessisches Medienunternehmen.

Museum Ann Davis, Kerstin Smeds (eds.)

Visiting the Visitor An Enquiry Into the Visitor Business in Museums 2016, 250 p., pb., numerous ill. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3289-7 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3289-1

Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hg.)

Das Museum als Provokation der Philosophie Beiträge zu einer aktuellen Debatte Januar 2018, 286 S., kart., zahlr. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4060-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4060-5

Andrea Kramper

Storytelling für Museen Herausforderungen und Chancen 2017, 140 S., kart., zahlr. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4017-5 E-Book PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4017-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4017-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Museum NÖKU-Gruppe, Susanne Wolfram (Hg.)

Kulturvermittlung heute Internationale Perspektiven 2017, 222 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3875-2 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3875-6

Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber (Hg.)

Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart 2016, 344 S., kart., zahlr. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3081-7 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3081-1

Robert Gander, Andreas Rudigier, Bruno Winkler (Hg.)

Museum und Gegenwart Verhandlungsorte und Aktionsfelder für soziale Verantwortung und gesellschaftlichen Wandel 2015, 176 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3335-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3335-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de