Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat: Beiträge zum Dienstrecht und zur Dienstrechtsreform [1 ed.] 9783428434398, 9783428034390

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Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat: Beiträge zum Dienstrecht und zur Dienstrechtsreform [1 ed.]
 9783428434398, 9783428034390

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Das Berufsbeamtenturn im demokratischen Staat

Das Berufsbeamtenturn im demokratischen Staat Beiträge zum Dienstrecht und zur Dienstrechtsreform

herausgegeben von

Prof. Dr. W alter Leisner

DUNCKER & HUMBLOT I

BERLIN

Alle Rechte, auch' die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Belträge vorbehalten @ 1975 Dunelter & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1975 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Prlnted in Germany ISBN 8 428 03439 2

Vorwort Dienstrechtsreform ist eines der großen Themen dieser Jahre. Manche fordern mit ihr die Abschaffung des Berufsbeamtentums, viele seine Erneuerung an Haupt und Gliedern. Vertreter des Staats- und Verwaltungsrechts an deutschen und Österreichischen Universitäten wollen hier zu dieser Reformdiskussion einen Beitrag leisten, in dem Rechtspolitik aus Rechtstheorie, Rechtsgeschichte, Rechtsdogmatik erwächst. Wie immer man zum Berufsbeamtenturn stehen mag - in unseren Ländern war und ist es eine Erscheinung von staatsgrundsätzlicher Bedeutung. Seine Erneuerung ist Staatsreform. Erlangen, den 2. Februar 1975 Walter Leisner

Inhaltsverzeichnis Öffentliche Ausschreibung Von Felix Ermacora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Tarifvertrag als Gewerkschafts-Staats-Vertrag. Das arbeitsrechtliche Regelungsverfahren im Öffentlichen Dienst Von J osef Isensee ........................ . ......... ,. . . . . . . . . . . . . .

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Die Bedeutung des Beamtenturns für die Herausbildung des modernen Staates Von Otto Kimminich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Sicherung des Österreichischen Berufsbeamtenturns Von Hans R. Klecatsky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die "Lebensluft" des Öffentlichen Dienstes , Von Herbert Krüger .... ..... ................................ ... . ... 101 Der Beamte als Leistungsträger - Die Anwendbarkeit des beamtenrechtlichen Funktionsvorbehalts (Art. 33 Abs. IV GG) auf die Leistungsverwaltung Von Walter Leisner ...... .... .......................... .... .. ...... 121 Beamtenversorgung und Sozialversicherung Von Wolfgang Rüfner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Gespaltener Beamtenstatus? Bemerkungen zu einem Reformprojekt Von Hans Heinrich Rupp ... .............. .. .. . .............. ... ... 167 Öffentlicher Dienst zwischen öffentlicher Amtsverfassung und privater Arbeitsverfassung? Verwaltungsstrukturelle Grenzen der Dienstrechtsreform Von Rupert Scholz . . . . . ......... . . .. ... . ... . . ... ........ .. . . ... . .. 179

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Inhaltsverzeichnis

Das Streikrecht der Beamten Von Werner Weber .............................................. . . 199 Die Rolle der Bürokratie im pluralistischen Staat Von Reinhold Zippelius . .. ......................................... 217 Verzeichnis der Mitarbeiter .................................. .... .... 227

Öffentliche Ausschreibung Von Felix Ermacora In der von mir verfaßten Allgemeinen Staatslehre habe ich auf die Rechtssysteme hingewiesen, die in den Staaten dieser Erde hauptsächlich existieren1 • In diese Rechtssysteme eingebaut sind Träger und Exekutoren der Staatsgewalt. Die für den Staat handelnden Menschen werden seit H. J. Wolff mit dem Ausdruck "Organwalter" bezeichnet2 ; ein Ausdruck, der den Menschen als Staatsdiener von dem einen Komplex von Zuständigkeiten und Sacheinheiten bezeichnenden Ausdruck "Organ" abgrenzt. Für die Art der Ausübung der Staatsgewalt kommt es wesentlich darauf an, wie die Stellung des Organwalters im Rahmen der jeweiligen staatlichen Organisation beschaffen ist. In den Demokratien, gleichgültig ob westlicher oder östlicher Prägung, werden die Vertreter unmittelbarer Staatsorgane am besten wohl als Volksbeauftragte zu bezeichnen sein. Dazu gehören die Abgeordneten, Regierungsmitglieder, auch Mitglieder von Verfassungsgerichten3 • Die andere Type der Staatsdiener sind ernannte oder gewählte Personen, die auf Lebenszeit oder für einen bestimmten Zeitraum als Bedienstete und als ehrenamtlich Tätige den öffentlichen Aufgaben dienen. Für die Organwalter der Gerichtsbarkeit hat sich der Ausdruck "Richter" in allen Rechtssystemen als maßgebend herausgebildet. Vom Richter soll hier nicht die Rede sein. Es geht vielmehr um die die öffentliche Verwaltung Ausübenden. Ihre Stellung hängt vom Rechts- und Gesellschaftssystem ab. Auf die monolithischen und pluralistischen Gesellschaftsformen sei Bezug genommen. Als Beispiel seien die Staaten der kommunistischen und die Staaten des westlich-demokratischen Systems, so wie es im Europarat verkörpert ist, herangezogen. Dem Recht kommt in diesen beiden staatlichen Ordnungstypen eine je andere Funktion zu. Im monolithischen System ist alles Recht seiner Funktion nach öffentliches Recht und hat in erster Linie die Aufgabe, politische Macht und politische Zielsetzungen zu stärken. Das Recht in seiner Ausgleichsfunktion ist die Ausnahme. Im pluralistischen Gesellschaftssystem, das von der Achtung der 1 2

F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 2. Bd., 1970, S. 952. H. J. Wolff, Organschaft und juristische Person, 1933.

3 Soferne diese indirekt oder direkt durch Parlamentsbeschluß bestellt werden.

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Vielfalt der Kräfte getragen sein und daher nie zum Monolithischen umschlagen sollte, hat das Recht die Funktion, eigenständige Maßgabe für die gesellschaftlichen Verhältnisse und Ausgleichsmittel im Kampfe der Teile des pluralistischen Systems zu sein~. Das Recht soll als Mittel des Ausgleichs über den Kräften der Gesellschaft stehen. Es soll vor allem dazu dienen, für alle diejenigen, die nicht in die politischen und beruflichen Kräftegruppierungen integriert sind, den Ausgleich ihrer Interessen gewährleisten helfen. Hierbei kommt allen jenen, die Recht setzen und anwenden, eine erhebliche Rolle zu. Im monolithischen System ist die Staatsdienerschaft ein in das politische System festgefügtes Element. Ganz abgesehen von der Entwicklung zur neuen Klasse ist der Staatsdiener im monolithischen System ein Diener am (National-) Sozialismus. Er ist notwendigerweise ein "Regimebeamter"5 • Im pluralistischen Staatssystem erhebt sich von vornherein die Frage, ob die Staatsdienerschaft eine den pluralistischen Kräfteverhältnissen angepaßte Stellung einnehmen soll und, wenn ja, wie sie diese einnehmen kann. Die Hauptfrage hiebei ist, wie das Problem zu lösen ist, das darin besteht, daß in pluralistischen Systemen die Auswechselbarkeit der Regierungen die Regel, ihre Unveränderbarkeit die Ausnahme ist. Wem soll in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung die Staatsdienerschaft dienen? Die Frage gilt nicht so sehr jener Staatsdienerschaft, die mehr oder minder technische Fertigkeiten dem Gemeinwesen zur Verfügung stellt als jenen Staatsdienern, die a) die Rechtsetzung vorzubereiten, b) die Durchführung der Gesetze unmittelbar vorzunehmen und c) an der Vorbereitung der Regierungshandlungen teilzunehmen haben. Soll und kann diese Staatsdienerschaft ein Teil des jeweilig machthabenden Regierungssystems- also ein wandelbares Regimebeamtentum sein, oder soll und kann diese Staatsdienerschaft ein über den jeweiligen politischen Verhältnissen stehendes Staatsbeamtenturn sein, das Gesetze entsprechend den gegebenen Sach- und Fachregeln vorbereitet bzw. sie nach juristischen Kunstregeln vollzieht? Diese Frage war in monarchischen Staatsordnungen leicht zu beantworten, weil alle Staatsdiener in ihrem Dienstverhältnis auf den Monarchen als Staatsoberhaupt eingeschworen waren. Die demokratische Republik gibt eine viel schwierigere Frage zur Lösung auf, nachdem vor allem von der modernen Politologie der Staat geradezu als ein Anachronismus abgewertet und aus den wissenschaftlichen Systemen verbannt wird: hier kann ein Dienstverhältnis zum Staat nur mehr auf eine formaljuristische Kategorie herabgesetzt werden. 4 Ein Funktionswandel positiven Rechts scheint sich in den modernen Sozialwissenschaften anzubahnen. & Die Lehre vom Regimebeamten wurde vor der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, 1956, H. 13, von Naumann explicit und von SpanneT in der Problemstellung entwickelt (S. 104, 117, 121).

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Das Gesetz wird - grob gesprochen - von Richtern und Verwaltungsbeamtenhoheitlich vollzogen. Durch die Unabhängigkeit des Richters hat die pluralistische Demokratie jedes Regimebeamtenturn ausgeschlossen, wenngleich auch dort im Wege der Personalpolitik diese Unabhängigkeit unterlaufen werden kann. Anders ist es bei der Kategorie des Verwaltungsbeamten. Er ist systembedingterweise nicht unabhängig, sondern weisungsgebunden6 • D. h. daß jeder Verwaltungsbeamte durch das Mittel der Weisung zum Regimebeamten umfunktioniert werden könnte. Dabei könnte die Weisung, die nach Außen ein homogenes Staatshandeln gewährleistet, in ihrer Innenwirkung zu Gewissenkonflikten führen. Das aber auf die Weisung tatsächlich verzichtende Regierungssystem wäre imstande, mit der Staatsdienerschaft eine nach jeder Richtung hin abgesicherte infrastrukturelle Staatsgewalt aufzubauen7 • Doch wäre der Verzicht auf die Weisung jedem geordneten Verwaltungssystem eines nach zahlreichen Aufgaben differenzierten modernen Staates von vornherein fremd. Daraus folgt, daß in einem pluralistischen Staat, der von der Auswechselbarkeit der Regierungen getragen ist, nach Möglichkeiten gesucht werden muß, um die "Entpolitisierung des Staatsdieners" zu erreichen. Entpolitisierung bedeutet, daß der öffentliche Dienstnehmer nicht einer politischen Gruppe, sondern der Verfassung und den Gesetzen dienen und die Staatsgeschäfte so besorgen soll, daß sie mit der Grundnorm des jeweiligen Staates im Einklang stehen. Das setzt auch in einer materialisierten Welt Beamtenethos und Sachkenntnis voraus. Vielleicht sollte das jeweilige politische Regime in seinen Ministerien die gesellschaftspolitischen Grundsatzabteilungen schaffen, die mit "Regimebeamten" zu besetzen wären, die die politischen Leitlinien grundlegender Regierungsvorlagen zu entwerfen hätten, aber entsprechend der Wandelbarkeit der Machthaber auch auswechselbar sind8 • Akzeptiert man dieses, an realen Machtfragen orientierte, Zugeständnis, so müßte aber die Masse der Staatsdiener von diesem politischen Kompromiß ausgenommen werden. Sie müßten ihrer ganzen Anlage nach Staatsdiener bleiben und nicht zu Regimedienern werden. Welches sind nun die Vorkehrungen, die ru treffen wären, um das zu erreichen? Das einzige Mittel, um in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung eine Staatsdienerschaft zu formen, die nicht von vornherein als Regimebeamtenschaft anzusehen ist, wäre die Art und Weise der Rekrutierung der Staatsbediensteten. In den meisten europäischen Staaten, 8 Die Kategorie der Weisungsgebundenheit als positivrechtliches Wesenselement der Staatsfunktion Verwaltung ist von A. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927 (Neudruck 1964), S. 41, herausgestellt worden. 7 -Daß hier die Staatsdienerschaft zur Bürokratie umschlägt, habe ich im Exkurs 11 meiner Allgemeinen Staatslehre, 1 Bd., 1970, S. 491, herausgestellt. 8 Eine derartige Tendenz sCheint sich im § 7 des Österreichischen Bundesministeriengesetzes, BGBl. Nr. 389/1973 anzudeuten.

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die Mitglieder des Europarates sind, erfolgt die Rekrutierung der Staatsbediensteten nach einem System, das aus den monarchischen Staatsordnungen übernommen ist. Hiebei war dieses System auf die Personalund Diensthoheit des Monarchen abgestellt: der jeweilige Repräsentant der Dienstgeber (Staat und Gemeinden, Länder und Gemeinden sowie Bund) bestellt die Mitarbeiter so als würden sie nicht Diener des Staates, sondern Mitarbeiter des politischen Funktionärs und daher nach eigenem Gutdünken bestellbar sein, wenn sie nur die allgemeinen Voraussetzungen für den öffentlichen Dienst erfüllen8 • Diese unbegrenzte Funktion des politischen Machthabers, kombiniert mit der Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechtes, wonach niemand einen Anspruch auf die Bestellung in den öffentlichen Dienst habe10, ist der Hebel, um von der Basis her eine Weichen-stellende Personalpolitik zu betreiben. An dieser Stelle könnte angesetzt werden, um mit einem juristischen Mittel dazu beizutragen, daß die Staatsdienerschaft in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung nach jenen Grundsätzen bestellt wird, die eher eine "good administration" als eine "parteipolitisch good administration" gewährleistet. Dieses Mittel ist die öffentliche Ausschreibung freigewordener Dienstposten der öffentlichen Verwaltung und die Bestellung von sich auf Grund einer solchen Ausschreibung bewerbenden Personen durch ein unabhängiges Kollegialorgan. Die öffentliche Ausschreibung und die Bestellung von Bediensteten durch ein unabhängig gestelltes Kollegialorgan sind jene Mittel, die das "Spoilsystem" und das "Patronagesystem"11 , von denen Bestellungsvorgänge in Europa teilweise noch immer beherrscht werden, verdrängen. Die Entpolitisierung der Staatsbeamtenschaft wird dadurch weitgehend erreicht. Grundsatzfragen sind hiebei: Wie soll der Staatsdiener bestellt werden, welche Verpflichtungen erwachsen ihm aus dem Amte und welche Unabhängigkeit muß er erhalten, um allein dem Gemeinwesen und nicht Partikularinteressen zu dienen? Die ausgeprägteste und durchdachteste Form hat die Entpolitisierung der Staatsdiener in England und in den USA gefunden, wo die Reform zum unparteiischen Staatsdiener unter dem Schlagwort des "merit systems" - ein System der Beamtenauslese - bekannt wurde. Sein Ziel ist die diskriminationslose Zulassung zum öffentlichen Dienst und die Beurteilung der Aufnahme nach menschlichen und sachlichen Fähigkeiten o Im monarchischen System absoluter Prägung ist die Identifizierung von Monarch und Staat verständlich. to Seit der belgiseben Verfassung 1831 ist der Grundsatz allgemein, wonach nur der Staatsbürger öffentlich Bediensteter sein soll. Für die Österreichischen Verhältnisse siehe Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte, 1963, S. 108 und 510. 11 'Ober die Bedeutung dieser Systeme siehe Ermacora, Allgemeine Staatslehre, S. 935.

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durch unabhängige Organe. Sieht man von Frankreich ab, von dem behauptet wird, daß es dort die "Vasallisation" des Beamten nie in dem Maße 'Yie in de~ übrigen parlamentarischen Systemen gegeben habe12, so haben die übrigen europäischen Staaten und die Staaten Südamerikas wohl auch den Schritt zur Entpolitisierung getan. Dieser wurde durch verschiedene Maßnahmen und Vorkehrungen versucht. Zu einer so vollendeten formellen Ausbildung des Leistungsprinzips für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst wie in Großbritannien, in den USA und in seinerzeit von England abhängigen Gebieten13, ist es aber nirgends gekommen. Das amerikanische System kann als legislatives Vorbild für das Optimum einer Entpolitisierung des öffentlichen Dienstes gelten, es sei denn, man bekennt sich zum französischen System des Concours. Das soll nicht heißen, daß es nicht auch dort in der Praxis zu Unzulänglichkeiten käme, sie liegen aber im Menschen eher begründet als im System. Für die Rechtsverhältnisse in den USA, und zwar im Bund, ist zunächst das als Pendleton Act bekanntgewordene Gesetz des Bundes vom 16. Jänner 1883 (Act to regulate and improve the civil service of the United States)14 zu nennen. Dieses sieht- nach britischem Vorbild- die Einrichtung einer aus drei Personen bestehenden Kommission, der Civil Service Commission, vor, die vom Präsidenten der USA zu ernennen und abzuberufen und deren innere Ordnung mit Verordnung zu geben ist. Die Kommissionsmitglieder sind unabhängig, sie genießen Immunität. Die Kommission hat die Aufgabe, Bewerber nur auf Grund einer fachlichen Eignungsprüfung aufzunehmen. Schon bei der Einstellung kommt es auf fachliche Qualität des Bewerbers an; eine föderalistische Quote bei der Einstellung ist zu berücksichtigen. Die wesentlichen Regelungen über die Entpolitisierung des Staatsdienertums sind im Art. 2 P. Ziff. 5 leg. cit. zu finden: "No person in the public services is . .. under 12 Vgl. hiezu Fourrier, S. 51 ff., 235 ff. Im übrigen siehe zu den französischen Verhältnissen A. Plantey, Traite pratique de la fonction publique, 2 Bde., 1963 -ein Handbuch mit eingehenden Entscheidungsreferenzen; B. Gregoire, La fonction publique, 1954 (auch in englischer Übersetzung); R. Chatherine, Le fonctionnaire franr;ais, 1961. 13 Ohne hier nähere Nachweise zu bringen, kann hervorgehoben werden, daß in den meisten englischen Gebieten das Meritsystem eingeführt war und sich erhalten hat. Über die Bedeutung des Systems sei auf den Report on Racial Discrimination der ICJs über British Guiana, 1965, S. 95 -verwiesen und auf die verschiedenen Pressemeldungen, denen zufolge das Meritsystem als Lösung der Spannungen in einer multirassischen Gemeinschaft angesehen wird. Siehe ferner Muneer Ahmad, The Civil Servant in Pakistan, 1964; K. Younger, The Public Service in New States, 1960 (und zwar in Afrika). Der UN-Beitrag zu der Ausbildung eines fähigen Civil Service wird durch "Technical Assistance in Public Administration" geleistet (vgl. UN. Doc. E/TAC/L. 162 und Corr. 1 sowie E/3017). 14 Unter 22 (= Bd.) Stat (= The Statutes at !arge of the United States of America) 403 (= Seitenzahl des Gesetzbandes) zu finden.

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FeHx E:rmac6rä

any obliga.tion to contribute to any political fund, or to render any political service, and that he not will be removed or otherwise prejudiced for refusing to do so." Art. 2 P. Ziff..6 bestimmt: "No person ... has any right to usehis official authority of influence to coerce the political action of any person or body16." Eine viel kritisierte Regel enthielt Art. 2 P. Ziff. 7, der von der Fachprüfung politische Ausnahmen zuließ. Mit der Executive order 9980141 wurde einmal mehr das "merit system" ausdrücklich betont und ein grundlegendes und differenziertes Diskriminierungsverbot hinsichtlich "Rasse, Farbe, Religion oder nationaler Herkunft" getroffen. Der Kommission wird die Funktion einer Rechtsmittelinstanz in ~llen Dienstrechtsangelegenheiten übertragen. Das im Jahre 1883 gegründete System ließ aber noch immer die Möglichkeit offen, 10 bis ao Ofo der öffentlich Bediensteten des Bundes nach dem "spoil-sys~::::." zu bestellen; diese wurde nun durch die nachfolgende Verordnungsgebung beseitigt. Das Schwergewicht des amerikanischen Systems im Vergleich zu den kontinentaleuropäischen liegt nun darin, daß grundsätzlich nicht der Departmentchef über die Einstellung, die Beförderung, die Disziplinierung und die Entlassung eines öffentlichen Dienstnehmers zu entscheiden hat, sondern eine unabhängige Kommission. Diese hat dem Träger der vollziehenden Gewalt über ihre Tätigkeit zu berichten. Die Berichte über die allgemeine Personalpolitik werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So z. B. letzter Bericht der USA: CSC im 81. Annual Report, 1964/89th Congress, 1st session, House Document Nr. 13. Eine derartige Einrichtung kennt das europäische Recht nicht, sieht man vom französischen Concours ab. Die Einrichtung hat sich bewährt: Die Entpolitisierung wurde weitgehend erreicht, das Leistungsprinzip optimal verwirklicht17• Wo das Funktionieren des Systems Mängel aufweist, so liegen diese in der Fehlbarkeit der Menschen, nicht aber im System. Wesentlich ist, daß die Mitglieder der Kommission, mögen sie politisch auch gebunden sein, keine Partikularinteressen vertreten18• 15 Besondere Antidiskriminierungsbestimmungen wurden später aufgenommen, so das Verbot der Diskriminierung wegen des Familienstandes, wegen physischer Mängel. Die entsprechenden Hinweise auf Gesetzgebung und Praxis finden sich unter 5 (title), USCa (= United States Code annotated), 1950, p. 632. 1• In: Code of Federal Regulations, title 3, 1943 bis 1948, 1957. 17 Vgl. New York Civil Service Commission, 2nd Report, 1885, S. 20; Weißberg, Civil Service Rights, 1950; F. Heady, The Hatch Act Decision, in: APSR 41 (1947), S. 687. - Vgl. hiezu die Urteile in: United Public Workers v. Mitchell, 91. L. Ed. 509, 67 S. Ct. 556 (1947); Oklahoma v . United States Civil Service Commission, 91 L. Ed. 537, 67 S. Ct. 544 (1947). 0. P. Field, Civil Service Law, 1939; N . J. Powell, Personnel Administration in Government, 1956, ein reich dokumentiertes Werk (Literaturübersicht ab S. 487); A. C. Klein, Civil Service in Public Welfare, 1940. 18 Das ergibt sich aus den praktischen Erfahrungen, die man mit Civil Service Commissions in anglophonen Staaten hat.

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Alle übrigen Staaten kommen diesem System nicht nahe. Wenngleich auch etwa in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland die fachliche Qualität die Voraussetzung für die Einstellung ist18, die zumeist von unabhängigen Organen der Universitäten und der Richterschaft vorgeprüft sind, so obliegt doch die letzte Entscheidung dem Chef der Dienstbehörde, sei es einem Beamten, sei es einem Politiker. Daher sind die Vorkehrungen, die gegen die Verpolitisierung des Beamten in den libe~alen Demokratien getroffen werden, im letzten nicht effektiv genug, um das spoilund patronage-System, auf das im Zusammenhang mit der Funktion politischer Parteien hingewiesen wurde, gänzlich auszumerzen. Ist die Basis der Begründung der tatsächlichen Gewaltausübung durch den öffentlichen Bediensteten in den westlichen Demokratien auch verschieden, so zielt sie auf die Entpolitisierung des Dienstnehmers hin. Manche Sicherungen zur Erhaltung der politischen Unabhängigkeit (von der staatsrechtlichen Unabhängigkeit als Richter oder als Verwaltungsbeamtersei nicht die Rede) der Staatsdiener werden geschaffen: Immunitäten20, Inkompatibilitäten21, das gesicherte Gehalts- und Pensionssystem22 und- das soll zeigen, daß die Erhaltung der politischen Unabhängigkeit in der Demokratie nicht gleichgesetzt werden kann mit politischer Unmündigkeit - die politischen Rechte (d. i. das Wahlrecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung)28• 19 Das ist auch das eine Modell der englischen Beamteneinstellung, daß eine bestimmte schulische bzw. akademische Vorbildung verlangt wird; siehe hierzu J. C. Friedrich, Verfassungslehren, S. 76 ff., jedoch obliegt die Auswahl der Civil Service Commission; für Osterreich vgl. die Anstellungserfordernisse für Bundesbedienstete in der Dienstzweigeverordnung, BGBl. Nr. 164 aus 1948. Das Österreichische Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten führt eine Fachprüfung nach Punktesystem durch, doch auch hier kommt die Auswahl des Kandidaten dem Ressortchef zu! Auch der deutsche kraft § 8 des Bundesbeamtengesetzes 1953 (dBGBl. I S. 551 i. d. g. F.) eingerichtete Bundespersonalausschuß kann nicht als eine Civil Service Commission angesehen werden, eher als ein Organ, das berufen ist, Bewerber abzuhalten. Vgl. dazu Fischbach, Bundesbeamtengesetz, 3. Auft. 1964, Bd. 1, S. 195. Ferner Langensiepen, Zur Qualifikation des leitenden Verwaltungsbeamten, in DVBl. 1966, S. 918 - ; I. G. Gilbert, La formation et le perfectionnement dans la fonction publique britannique, in: RISA XXXI (1965), S. 195 -. 20 Vgl. S. 590 ff. 21 Vgl. z. B. E. N. Gladden, Civil Services of the United Kingdom, 1967, S. 154 f., für die Bundesrepublik Deutschland A. Bochalli, Grundriß des deutschen Beamtenrechtes, 1965, S. 51 und J. Lüthje, Zur politischen Betätigung von Beamten in Parlamentsfraktionen, in: Zeitschrift für Beamtenrecht, 16 (1968), H. 8. 22 Für Osterreich normiert u. a. im Gehaltsüberleitungsgesetz (BGBl. Nr. 22/1947 i. d. g. F.) und in § 60 der Dienstpragmatik (RGBl. Nr. 15/1914 i. d. g. F.) für die Bundesrepublik Deutschland im Bundesbesoldungsgesetz (dBGBl. 1957 I S. 993 i. d. g. F.). 23 Vgl. hiezu die Übersichten bei Fourrier, sowie J. Frowein, Die politische Betätigung des Beamten, in: Recht und Staat Bd. 341/342, 1967.

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:Feiix :Ermäcorä

Wenn man auch darauf Bedacht hat, den öffentlichen Dienstnehmer im politischen System der liberalen Demokratien zugunsten demokratischer Ideale unabhängig zu stellen, sofern es sich nicht um die klassische Weisungsgebundenheit des Beamten im Dienst handelt, so hat er seinerseits einen Beitrag zu leisten. Die westlichen Demokratien haben unter der dialektischen Entwicklung der Staatsform erfahren, daß jede Staatsform aus sich heraus zur Veränderung drängt. Der bewegende Faktor zur Verkehrung der Staatsform ist der Mensch in seinem Verhältnis zu Ideen und zu Sachen. Die Gefahr für die demokratische Staatsform wird in der "totalen Demokratie" gesehen, d. h. in den Bestrebungen politischer Kräfte, auf demokratischem Wege die Verfassungsordnung zu verkehren. Hierbei denkt man an die Bedeutung des Staatsdieners. Diese Verpflichtung des Staatsdieners wird, soweit sie für die Allgemeine Staatslehre bedeutsam ist, mit dem Begriff der Loyalität gekennzeichnet. Catherine entwickelt drei Typen der Loyalität des Staatsdieners24. Die persönliche Loyalität: sie besteht darin, daß der Staatsdiener einer ganz bestimmten in seinem Diensteid oder seinen sonstigen Pflichten festgelegten Person - dem Monarchen oder dem "Führer" - gegenüber loyal zu sein hat. Die Loyalität gegenüber der Regierung: So erklären die Parteiendemokratien, daß der Soldat oder ein anderer Staatsdiener der ordnungsgemäß eingesetzten Regierung gegenüber zur Loyalität verpflichtet ist. Und schließlich die nationale Loyalität: Sie besteht darin, daß der Staatsdiener der Unabhängigkeit des Staates, der Verfassung und den Gesetzen, der Staatsidee gegenüber verpflichtet zu sein hat. Ein besonderes Problem, das an sich juristisch unlösbar ist, besteht in der Loyalitätspflicht des verfassungsmäßig unabhängig gestellten Organs; hierunter fällt der im deutschen Sprachraum Unabhängigkeit genießende Professor einer Hochschule (Universität) bzw. der Richter. Die Literatur setzt sich mit dieser Frage eingehend auseinander25. Die Verpflichtung wird durch das Disziplinarrecht sanktioniert26, das jeweils verschiedene Formen aufweist. Nur im anglosächsischen System ist es von einer unabhängigen Civil Service Commission garantiert. u Uber die Loyalität des Staatsdieners siehe im 'besonderen: R. Böttcher, Die politische Treupflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation, in Schriften zum öffentlichen Recht, Bd. 46 (1967); Fourrier, S. 178 - gibt einen Überblick über die Treuebestimmungen für Staatsbedienstete in Deutschland, der Schweiz, Belgien, Holland und zeigt hier insbesondere das Verhältnis des Beamtenturns zur allfälligen Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Partei auf. 25 Vgl. Art. 5 Abs. 3 GG, und dazu Thoma, Die Lehrfreiheit der Hochschullehrer, 1952; A. Köttgen, Die Freiheit der Wissenschaft und die Selbstverwaltung der Universität, in Handbuch: Die Grundrechte (Hrsg. Neumann, Nipperdey, Scheuner), Bd. II, 1954, S. 291 ff.; H. Thieme u. H. Wehrhahn, Die Freiheit der Künste und Wissenschaften, 1967.

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Eine ganze Reihe westlicher Demokratien verbietet direkt oder indirekt Parteigängern kommunistischer oder neofaschistischer Parteien den Eintritt in den Staatsdienst. Die weltanschaulichen Änderungen in den europäischen Staaten haben nahezu überall zur Säuberung der Dienstnehmerschaft nicht nur einmal, sondern mehrere Male geführt. Auf folgende Beispiele sei verwiesen: In der Bundesrepublik Deutschland sind es die Rechtsvorschriften, die auf Grund des Art. 131 GG erlassen worden sind, die die Staatsdienerschaft von nationalsozialistischen Elementen gereinigt haben, so vor allem das Gesetz 1Jllr Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1951, dBGBL I S. 307 i. d. g. F.27• Bemerkenswert sind ferner die Folgen, die das durch das BVerfG ausgesprochene Verbot der "alten" kommunistischen Partei Deutschlands auf die Angestelltenverhältnisse indirekt ausgeübt hat28• Jüngst hat der Radikalenerlaß im Falle Götz Aufsehen erregt. In Österreich hat das Nationalsozialistengesetz 194728 eine Säuberung der Staatsdienerschaft von nationalsozialistischen Elementen zur Folge gehabt. Sie wurde sogar durch einen internationalen Vertrag - dem Staatsvertrag 1955- bestärkt; Art. 12 dieses Vertrages legt Beschränkungen für die Zusammensetzung des Personalstandes des Heeres fest, die sich auf nationalsozialistische Parteigänger bezogen haben. In den USA ist es nach wie vor der Hatch Act 1939, 1940, det im Art. 9 ausdrücklich bestimmt, daß die Zugehörigkeit zu einer Organisation, deren Ziel die Staatsumwälzung ist, mit der Ausübung eines Bundesamtes unvereinbar ist. Der Bedienstete hat vor seiner Aufnahme in den Bundesdienst eine entsprechende Erklärung abzugeben. Der Staatspräsident hat in einer Verordnung vom 21. März 1947 "Employees Loyality Program in the Executive Branch of the Government" die Untersuchung politischen Verhaltens von Bewerbern durch die Civil Service Goromission angeordnet30• Danach wurde der International Security Act 1950 erlassen31 , der u. a. kommunistisch ausgerichteten Organisationen befahl, Personenlisten der Obrigkeit zu übergeben. Im Jahre 1954 wurde im Kongreß erklärt, daß auf Grund der getroffenen Maßnahmen 2000 28 Vgl. A. Clemens, Der europäische Beamte und sein Disziplinarrecht, 1962; er gibt Übersichten über das Disziplinarrecht in Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande, dies auf den S. 69 ff. 27 Vgl. hiezu den grundlegenden Beitrag zum Problem: Naumann, Die Berufsbeamten und die Staatskrisen, in: VdVdtstLe 13 (1954), S. 88. 23 Vgl. F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, S. 306. 29 BGBl. Nr. 25 aus 1947. 30 Es handelt sich um die Executive Order No. 9835, 12. F. R. 1935: "There shall be a loyality investigation of every person entering the civil servician employment of any department or agency of the executive branch of the Federal Government." 31 Public Law 831 - 81st Congress - Chap. 1024 2 D Session H . R. 9490.

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Staatsbedienstete den Dienst verlassen mußten32 • 26 Staaten der USA verlangen Solidaritätserklärungen - auch von Professoren! Gegen die Anwendung dieser Rechtsvorschriften wurden schwere Bedenken geltend gemacht, die sich vor allem auf die Vereinbarkeit mit den Grundrechten bezogen haben. Es versteht sich von selbst, daß ähnliche Maßnahmen in der Republik Südafrika getroffen wurden, und zwar im Communism Supression Act

vom 26. Mai 195033• Die Fassung des Gesetzes ist so unbestimmt, daß nicht nur der kommunistische Parteigänger von den Sanktionen des Gesetzes betroffen wird, sondern jeder Opponent der Apartheid-Politik. Auch Australien folgte mit dem Gesetz vom 20. Oktober 1950 diesem Weg34• Allerelings wurde das Gesetz vom australischen OGH am 9. März 1951 aufgehoben. Ebenso ist die Personalpolitik im englischen Personaldienst darauf aus, den kommunistischen Parteigänger vom Dienste auszuschließen. Dies wurde mit Verwaltungsmaßnahmen verfügt3 6. In Österreich ist das System der Dienstpostenbesetzung nach wie vor nach Grundsätzen geordnet, wie man sie in der aus dem Jahre 1914 stammenden Dienstpragmatik vorfindet30 : der Dienstgeber, das war seinerzeit der Monarch, war Dienst- und Personalherr. Diese Funktionen sind, soweit es sich um die Dienstnehmerschaft des Bundes handelt, im Wege der Verfassungsüberleitung 1918/20 auf den Bundespräsidenten übergegangen37. Dieser hat seine Befugnis, Beamte zu ernennen, aufgrundeiner verfassungsrechtlichen Ermächtigung an die Leiter der Bundesministerien- die Bundesminister- weitergegeben38 : es sind ihm selbst nur nominelle Kompetenzen verblieben. Für den Bereich des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten hat sich allerdings ein Vorprüfungssystem, das sogenannte Präalable, erhalten: im Bereiche des Rechnungshofes scheint man ähnlichen Praktiken zuzuneigen. Die sozialisti32

So verlangte der Akademische Senat der Universität California von

4000 Bediensteten eine Loyalitätserklärung und eine Erklärung, daß sie nicht

der kommunistischen Partei angehörten. 33 So bestimmt Art. 1 para. 3 dieses Gesetzes: Jeder ist Kommunist, welcher das Bekenntnis zum Kommunismus ablegt oder welchen der Generalgouverneur . .. nachdem man dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, für einen Kommunisten hält ..." 84 Die Art. 9, 10, 11 stellen auf die Wahrscheinlichkeit ab, daß eine Person Tätigkeiten entfaltet oder entfalten konnte, die sich gegen die Verfassung richten. In umfassender Weise wird in diesem Artikel ein Beschäftigungsverbot für jedermann, d.e r in dieser Weise verdächtigt ist, ausgesprochen. 35 Darauf geht E. N. Gladden (Anm. 21), S. 160 ff., ausführlich ein. 88 Vgl. §§ 1- 8 Dienstpragmatik, RGBl. Nr. 15/1914; §§ 4, 5, 15 und 20 GÜG 1946.

37 Vgl. § 7 V-ÜG 1920 idF BGBl. Nr. 368/1925. 38 Vgl. Art. 66 B-VG in Verbindung mit den Entschließungen vom 12. August 1924, BGBl. Nr. 312 und vom 14. Mai 1930, BGBI. Nr. 168.

Öffentliche Ausschreibung

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sehe Regierung Kreisky hat die öffentliche Ausschreibung der Dienstposten als Ziel ihrer Regierungspolitik verkündet. Diese Ankündigung hat sich 1n der Regierungsvorlage 748 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII.GP niedergeschlagen. Diese wurde im Sommer 1973 einem parlamentarischen Ausschuß und von diesem einem Unterausschuß zur weiten Behandlung zugewiesen. Der wesentliche Mangel des von der Regierung Kreisky vorgeschlagenen Beamtenberufungssystems liegt darin, daß es nicht beide für die optimale Unabhängigkeit der Staatsdienerschaft notwendigen Elemente aufweist. Das von der Österreichischen Regierung vorgelegte Ausschreibungssystem behandelt nur den Vorgang der Ausschreibung (auch dieser ist nicht lückenlos, weil wichtige Kategorien von Dienstposten von der Ausschreibung ausgenommen sind)39, nicht aber auch den Vorgang der unpolitischen Besetzung der Dienstposten. Nach dem Entwurf der Regierungsvorlage ist nach wie vor der vom Bundespräsidenten Delegierte und vor allem der zuständige Bundesminister maßgebend, die Bestellung eines Dienstpostenwerbers vorzunehmen. An die Einrichtung einer unabhängigen Dienstposten-Besetzungskommission ist nicht gedacht'0 • Die Regierungsvorlage Kreisky betritt in Österreich kein undiskutiertes Neuland. Schon im Jahre 1954 hat die in Österreich durch ihr offenes Wort bekannt gewordene Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft einen Gesetzentwurf über die Besetzung von Dienstposten und Stellen in der Verwaltung des Bundes nach öffentlicher Ausschreibung der Öffentlichkeit unterbreitet41 • Nach diesem Gesetzesentwurf, der seinerzeit in der Öffentlichkeit nicht weiter diskutiert wurde, soll eine Bewerbungskommission die Qualitäten des Bewerbers prüfen und die Geeignetsten dem jeweiligen zur Bestellung zuständigen Organ vorschlagen42 • 39 § 1 der Regierungsvorlage beschränkt die Ausschreibung von Dienstposten auf Funktionen und bestimmte Staatsämter ohne die Gesamtheit der verfügbaren Dienstposten zu erfassen. Vgl. dazu die Kritik der Kurzstudie der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft, Nr. 6: Die öffentliche Ausschreibung von leitenden Funktionen des Bundes, o. J. 40 Es ist vor allem die anglosächsische Civil-Service-Commission, die hier vorbildlich ist. 41 SWA-Studienarbeit, Probleme des öffentlichen Dienstes I. 42 Die entsprechenden Vorschläge lauten: "Bewerbungserfordernisse: § 3 (1) Bewerber um einen Dienstposten der Dienstpostengruppe VI beziehungsweise des Entlohnungsschemas I der Entlohnungsgruppe Ahaben 1. eine Klausurarbeit aus dem Fachgebiet abzulegen, das auf dem zu besetzenden Dienstposten hauptsächlich zu bearbeiten ist. Die Klausurarbeit ist nach allgemeinen Fachkenntnissen und der Darstellungsgabe des Bewerbers zu beurteilen, · 2. eine Disputation über die Klausurarbeit abzulegen. Diese ist nach allgemeinen Fachkenntnissen und der Redegewandtheit des Bewerbers zu beurteilen, sie darf eine Stunde nicht überschreiten.

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Der Vorschlag, daß auch die Ernennung von öffentlichen Bediensteten in den Aufgabenbereich dieser Kommission fallen sollte, wurde jedoch auch damals nicht gemacht. Vom Legistischen her wäre die Einrichtung einer derartigen Kommission oder derartiger Kommissionen nicht schwierig. Es bietet sich in Österreich als verfassungsrechtliche Grundlage für die Einrichtung solcher Kommissionen der Art. 133 Z. 4 B.-VG. an. Dieser Artikel ermöglicht nach der ständigen Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes die Einrichtung von Kollegialbehörden durch die zuständigen Gesetzgeber (Bundes- oder Landesgesetzgeber) auf allen Sachgebieten der Verwaltung. Solche Kommissionen müssen wenigstens einen Richter als Mitglied haben, auch die übrigen Mitglieder der Kommissionen dürfen in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden sein, die Bescheide dürfen nicht der Aufhebung oder der Abänderung im Verwaltungswege unterliegen und die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes darf nicht ausdrücklich für zulässig erklärt sein. Auch die Frage, wer die Mitglieder einer so gewichtigen (2) Bewerber um einen Dienstposten der Dienstpostengruppe I beziehungsweise um eine Stelle im Sinne des § 1 (1) haben 1. den Nachweis einer durchschnittlich sehr guten Dienstbeschreibung in den der Bewerbung vorangegangenen sechs Dienstjahren, 2. den Nachweis eines dem zurückgelegten Hochschulstudium entsprechenden akademischen Grades, 3. den Nachweis der hinreichenden Kenntnis der Österreichischen Verwaltungsorganisation und des Österreichischen Verfassungsrechtes, 4. den Nachweis der für die Leitung der Behörde (des Amtes, der Sektion) erforderlichen Fachkenntnisse und 5. den Nachweis, daß er durch mindestens zehn Jahre in dem Dienstzweig, in dem die ausgeschriebene Stelle zur Besetzung gelangt, in der Verwendungsgruppe A (Gehaltsüberleitungsgesetz), Dienstpostengruppe li (bei Besetzung von Stellen mindestens in der Dienstpostengruppe IV) effektiv in Verwendung gestanden ist, zu erbringen." "Bewerbungsverfahren (§ 7): (4) Die Bewerbungskommissionen haben die qualiftzierten Bewerber je nach dem Ergebnis ihrer Qualiftkation in eine Liste zu reihen. Diese Liste haben sie den verfassungsmäßig zur Ernennung beziehungsweise bei Vertragsbediensteten zum Vertragsabschluß zuständigen Organen vorzulegen. Gleichzeitig haben die Bewerbungskommissionen Namen und Alter der Dienstpostenwerher gemäß ihrer Reihung im Amtsblatt zur Wiener Zeitung zu veröffentlichen. (5) Die Bewerbungskommissionen sind von der Ernennung der von ihnen qualiftzierten Dienstpostenwerber unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Die Bewerbungskommissionen haben hierauf die Namen der Vorgeschlagenen und die der tatsächlich ernannten Dienstpostenwerber - jeweils gegenübergestellt- im Amtsblatt zur Wiener Zeitung zu veröffentlichen. (6) Die Bewerbungskommissionen haben der Bundesregierung über ihre Tätigkeit und deren Ergebnisse jeweils bis zum 31. Dezember jedes Jahres schriftlich zu berichten. Die Bundesregierung hat die Berichte der Bewerbungskommissionen zusammenfassend dem Nationalrat zur Kenntnis zu bringen."

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Kommission zu ernennen hätte, ist unschwer lösbar. Da die Mitglieder der Kommission Bundesfunktionäre sind, könnte der Gesetzgeber gemäß Art. 65 B.-VG. ausdrücklich anordnen, daß der Bundespräsident die Ernennungen von Kommissionsmitgliedern vornehmen muß. Allerdings wären seine Akte an Vorschläge der Bundesregierung oder des zuständigen Bundesministers gebunden. Daher wäre zu klären, welches Organ Kommissionsmitglieder vorzuschlagen hätte. Um die Unabhängigkeit der Kommission am besten zu gewährleisten, könnte daran gedacht werden, die Mehrzahl von Kommissionsmitgliedern von den Plenarversammlungen der Gerichtshöfe öffentlichen Rechtes vorzuschlagen. Die Einrichtung einer derartigen Kommission würde allerdings erheblich in den Wirkungsbereich der Bundesminister eingreifen. Wenngleich die Judikatur nicht ganz sicheren Boden für die Antwort auf die Frage liefert, ob die Einrichtung derartiger Kommissionen nicht den Wirkungsbereich der Minister von vornherein in verfassungsmäßig zulässiger Weise eingrenzt, wäre es doch ratsam, die Kommissionen, die das Ernennungsrecht der Minister einschränken, auf den Boden einer verfassungsrechtlichen Regelung zu stellen. Vom Verfassungsrechtlichen her wäre auch diese verfassungsrechtliche Regelung kein Kunststück. Doch stellte die Regelung, die den Bundesministern und dem Bundespräsidenten Ernennungsrechte in Personalangelegenheiten entzieht, ein grundlegendes politisches Problem dar. Sind die derzeitigen Dienst- und Personalherren bereit, ihre Gewalt einzuschränken und damit auf wichtige Mittel der Personalpolitik zu verzichten? Das ist eine Frage, deren Antwort im Gesellschaftssystem zu suchen ist.

Der Tarifvertrag als Gewerkschafts-Staats-Vertrag Das arbeitsrechtliche Regelungsverfahren im Offentliehen Dienst Von J osef Isensee I. Der Grunddissens über das Einheitsdienstrecht Im Streit um die Neugestaltung des Öffentlichen Dienstes herrscht immerhin Übereinstimmung über die Prämisse, daß die gegenwärtige Rechtsspaltung zwischen Beamten und Arbeitnehmern von Übel sei und in der Einheit des öffentlicher. Dienstrechts das Heil liege. Die Rechtsentwicklung der letzten Jahrzehnte hat den Weg zur Einheit bereits weitgehend geebnet. Die Konkurrenz der Rechtskonzepte hat - alles in allem genommen - heilsamen Anpassungsdruck ausgeübt und wechselseitige Angleichung gefördert. Soweit Unterschiede fortbestehen, zeichnen sich zumeist diskutable Konkordanz-Möglichkeiten ab. Belege dafür liefern die Vorschläge, welche die Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts gemacht hatt. In einer Frage hat jedoch auch die Studienkommission keine einmütige Lösung zu finden vermocht: wie nämlich die Diskrepanz aufzuheben sei zwischen dem beamtenrechtlichen Regelungsverfahren, das dem Gesetzgeber die einseitige, hoheitliche Entscheidungsmacht zuspricht, und dem arbeitsrechtlichen, das diese Funktion der Tarifparteien überträgt. Mehrheit und Minderheit der Kommission beharren auf gegensätzlichen Vorstellungen. Der Dissens über das Regelungsverfahren hat die eigentliche politische Entscheidungsmaterie freigelegt. Die vielfältigen Unterscheidungsmerkmale der Rechtsfiguren reduzieren sich nunmehr auf ein einziges. Auch für die rechtsdogmatische Betrachtung liegt nun offen zutage, was Substanz und was Akzidenz des jeweiligen Status ist. Nicht Ernennungsform und Dienstzeitbemessung, nicht Besoldungs- und Versorgungsmodalitäten konstituieren letztlich das Beamten- und das Arbeitsverhältnis, sondern das Regelungsverfahren. Von der Entscheidung zwischen Gesetz und Tarifvertrag hängt es ab, ob die Einheit des Öffentlichen Dienstes im Zeichen des Beamtenrechts oder im Zeichen des Arbeitsrechts hergestellt wird. 1 Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bericht der Kommission, 1973.

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Die Minderheit der Studienkommission sucht allerdings die Lösung nicht im Entweder-Oder der Regelungssysteme, sondern im SowohlAls-Auch und entwirft ein ·gemischtes "Gesetz-/Tarif-Modell" 2 • - Hier stellt sich die FI"age, ob die vorgeschlagene Kombination in Wahrheit einen dritten, mittleren Weg weist oder nur einen Seitenpfad ze1gt, der auf eine der beiden Hauptstraßen mündet. Wer den rechtspolitischen Gehalt und die verfassungsrechtlichen Konsequenzen des "Gesetz-/TarifModells" analysieren möchte, tut gut daran, zunächst das reine Tarifmodell zu untersuchen. Die folgenden verfassungsrechtlichen Überlegungen befassen sich daher vorrangig mit dem arbeisrechtlichen Regelungsverfahren als dem aktuellen Fundament des geltenden Vertragsdienstrechts und als der möglichen Grundlage eines künftigen Einheitsdienstrechts. TI. Der Gemeinplatz vom Sonderstatus des Beamten und vom Normalstatus des Vertragsbediensteten Das arbeitsrechtliche Konzept zeigt sich von vornherein in vorteilhaftem Licht als "sozial", "emanzipatorisch", "fortschrittlich". Es braucht sich nicht der Vorwürfe zu erwehren, die dem Berufsbeamtentum entgegenschlagen, es sei autoritär, vergangenheitsbelastet, sklerosiert und effizienzmindernd. Es leidet nicht unter dem beamtenfeindlichen Ressentiment, wie es in Deutschland Tradition hat; als Beispiel stehe des Freiherrn vom Stein Verachtung für die formensteife Kleinmeisterei und die allfürsorgende Zudringlichkeit des königlichen Beamtenturns und seine Schelte auf die "besoldeten, buchgelehrten, interesselosen, eigentumslosen Buralisten, die, es regne oder scheine die Sonne, ihren Gehalt aus der Staatskasse erheben und schreiben, schreiben, schreiben"3 • Da die Stellung des Tarifpersonals keinen spezifischen Bezug zum Staat aufweist, zieht sie auch nicht jene Kritik auf sich, die am Staatsdienst abreagiert, was eigentlich dem Staat selbst anzulasten wäre. Das Arbeitsrecht des Öffentlichen Dienstes nimmt auch in der juristischen Diskussion eine Vorzugsstellung ein. Während das "hergebrachte" Beamtenrecht argwöhnisch auf seine Vereinbarkeit mit der Ordnung des Grundgesetzes untersucht wird, scheint das Recht der Vertragsbediensteten diesem verfassungsrechtlichen Rechtfertigungszwang nicht zu unterliegen. Die Übereinstimmung mit der Verfassung stellt sich als selbstverständlich dar4. So werden die Beamtenpflichten zu Amtsverschwiegen1 Minderheitsvotum mit dem "Gesetz-/Tarif-Modell": Bericht (N 1), S. 356 bis 373, Rn 914- 980. 3 So die Darstellung bei Heinrich v. Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 1. Tl., 19047, S. 272 f. ' So setzen etwa Rüthers und Söhnen die Zulässigkelt eines Streikrechts der Vertragsbediensteten und seinen Nötigungseffekt gegenüber dem Haushalts-

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heit oder Verfassungstreue der subtilen, sensiblen Prüfung am Maßstab der Freiheitsgrundrechte unterzogen, indes die inhaltsgleichen Arbeitnehmerpflichten regelmäßig ausgespart bleiben5• Das Beamtenverhältnis ist seit den Tagen der konstitutionellen Monarchie Schulbeispiel für das "besondere Gewaltverhältnis", und somit Gegenstand besonderer Wachsamkeit des rechtsstaatlich engagierten Juristen. Das Recht des Tarif..: personals liegt dagegen zumeist außerhalb des Blickfeldes. Die Lehre vom "besonderen Gewaltverhältnis" des Beamten erhält auf diese Weise eine zusätzliche Dimension: Das "Besondere" liegt nicht nur (wie es dem ursprünglichen Sinn der Kategorie entspricht) im Unterschied zum "allgemeinen Gewaltverhältnis", in dem der Bürger und Untertan zur Staatsgewalt steht. Vielmehr hebt sich der "Sonderstatus" auch von der Stellung des Vertragsbediensteten ab, der damit zum Normalstatus stabilisiert wird. Die Pflichten und Rechte des Beamten erscheinen mit einem Mal als Sonderlasten oder als Privilegien, die sich am arbeitsrechtlichen Standard messen lassen müssen•. Es kann dahinstehen, wieweit der (häufiger einschlußweise als ausdrücklich vertretene) Topos vom "Normalstatus" des Arbeitnehmers aus der zeitgenössischen Ideologie der "Arbeitnehmer-Gesellschaft" hervorgegangen ist. Der Klärung bedarf aber die Frage, ob diese Prämisse im geltenden Recht eine Grundlage findet. Das rechtswissenschaftliche Schrifttum bietet auffallend wenige Lösungshinweise. Wer den verfassungsrechtlichen Bezügen des Tarifrechts im Öffentlichen Dienst nachgeht, stößt auf kaum beackertes dogmatisches Gelände7 • Die Rechtsmaterie, von der immerhin das rechtliche Los von über 1,7 Millionen Beschäftigten abhängt, ist eine Art Niemandsland, als Folge des negativen Kompetenzkonflikts zweier Rechtsdisziplinen. Die Verwaltungsrechtslehre beschränkt sich auf das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis. Die arbeitsrechtliche Doktrin ist dagegen auf die Arbeitsverhältnisse der Privatwirtschaft fixiert und vernachlässigt das Eigengesetz der Staatsorganisation. gesetzgeber als a priori selbstverständlich voraus, wenn sie die Argumente gegen den Beamtenstreik erörtern, und lassen Einwände schon deshalb nicht gelten, weil sie sich auch gegen den Streik des Tarifpersonals richten müßten (Der Staat 11 [1972], 559). s Das seltene Beispiel der Grundrechtsprüfung einer Angestelltenpfticht: BVerfGE 28, 191 (198- 204)- zur Amtsverschwiegenheit. 8 Von der Prämisse, daß das Beamtenrecht ein Ausnahmerecht sei, geht etwa das Minderheitenvotum der Studienkommission aus (Bericht [N 1], S. 364 Rn 947). 7 Bibliographien, die neben dem beamtenrechtlichen Schrifttum auch das des öffentlichen Arbeitsrechts zusammenstellen: Jung, Die Zweispurigkeit des öffentlichen Dienstes, 1971, S. 201 - 224; Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 361 - 398.

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Die Tarifautonomie auf dem Boden der Privatwirtschaft

Immerhin hat die Blickrichtung des Arbeitsrechtiers ihren guten Grund. Die Rechtsinstitute des Arbeitsrechts haben sich auf dem Boden der Privatwirtschaft ausgebildet und sind erst nachträglich in den Staatsbereich übernommen worden. Das gilt insbesondere für Tarifautonomie und Arbeitskampf. Der ursprüngliche Sinn der Institute kann allein von ihrem primären Bezugsfeld her verstanden werden. Die Tarifautonomie entfaltet sich nur im staatsfreien Raum einer Marktwirtschaft. Tarifautonomie bedeutet vor allem Ausschluß staatlicher Lohnregulierung. Der Staat des Grundgesetzes hat sich damit eines der wirksamsten Lenkungsinstrumente begeben, die der Staat einer sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft in der Hand hält. Die Regelungsmacht ist den nichtstaatlichen Repräsentanten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zu gemeinsamer Ausübung überantwortet. Die öffentliche Gewalt kann in der Materie der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, grundsätzlich jedenfalls, nicht hoheitlich einseitig entscheiden, sondern sich lediglich auf der Ebene der Gleichordnung in konzertierter Aktion mit den gesellschaftlichen Trägern der Tarifautonomie arrangieren. Die Anerkennung der Tarüautonomie ist damit eines der wesentlichen liberalen Elemente der geltenden Wirtschaftsordnung - die schärfste Absage an ein sozialistisches System zentraler Lohnplanung. Dieser Machtverzicht des Staates wird durch das Vertrauen geleitet, daß die gesellschaftlichen Kräfte in freier Auseinandersetzung und freier Einigung von selbst die gemeinwohlgemäßen Lösungen hervorbringen. Der liberale Glaube an die prästabilisierte Harmonie der Gesellschaft lebt hier in gewandelter Form weiter. Er ist heute geschwächt, soweit er ausschließlich auf die Vertragsfreiheit des Einzelnen gebaut und angesichts der rechtlichen Gleichheit der Vertragspartner deren reale Ungleichheit vernachlässigt hatte. In dem Maße aber, in dem sich nunmehr die Individualvertragsfreiheit nicht mehr als tragfähige Vertrauensbasis erweist, tritt die Tarifautonomie ein. Die Hoffnung auf die gesellschaftliche Selbstregulierung verlagert sich damit von der individualrechtliehen auf die kollektivrechtliche Ebene. Für den Kredit, den das Gemeinwesen den Trägern der Tarifautonomie einräumt, sprechen gute Gründe. Wirtschaftliche wie rechtliche Momente wehren dem Mißbrauch der kollektiven Regelungsmacht: -

Die Regelungsmacht kommt nicht einer einseitigen Interessenorganisation, sondern den Vertretern widerstreitender Interessen zur gesamten Hand zu.

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Die tariflichen Einigungsmöglichkeiten werden durch die wirtschaftliche Lage des Betriebs und die allgemeine Marktlage begrenzt. Die Arbeitnehmer haben kein Interesse an der Durchsetzung von Forderungen, die die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs beeinträchtigen und damit den Arbeitsplatz gefährden. Es herrscht zwischen den Repräsentanten von Arbeit und Kapital gleichermaßen relativer Interessengegensatz wie relative Interessenharmonie. Beide Momente lassen sich nicht isolieren. Der legitime soziale Antagonismus ist auf ein gemeinsames Friedensziel ausgerichtet. Er ist nicht Ausdruck destruktiven Klassenkampfes. Auf der anderen Seite kann der Gegensatz auch nicht voreilig zur spannungslosen Partnerschaft harmonisiert werden. Diese Überkreuzung von Interessenwiderstreit und Interessenparallelität wirkt auf eine maßvolle, gemeinwohlgerechte Ausübung der kollektiven Regelungsmacht hin.

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Zwischenden Gegenspielern bestehen soziales Gleichgewicht und rechtliche Parität8 • Für die gegenseitige Interessendurchsetzung gilt das Gebot der Waffengleichheit. Das Prinzip der Gegnerfreiheit gewährleistet klare Fronten und vollendet damit die innergesellschaftliche Gewaltenteilung. (Es sei nur am Rande vermerkt, daß dieses System der checks and balances durch den Ausbau der paritätischen Mitbestimmung aufgehoben wird, wenn die Koalition, die den Streik beschließt, auch über die Ausperrung mitentscheidet und wenn der Tarifvertrag sich dem gewerkschaftlichen In-sich-Geschäft nähert88.)

Der Staat, der die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Einigung der gesellschaftlichen Kräfte überträgt, ist damit allerdings nicht aus seiner Letztverantwortung für das Gemeinwohl entlassen. Ihm kommt die Rolle der neutralen Instanz im Widerstreit der Tarifpartner zu9 • Er gibt die Spielregeln des autonomen Einigungsverfahrens und überwacht ihren Vollzug. Er ist der ehrliche Makler. Er verfügt als ultima ratio über die hoheitliche Eingrüfsreserve für den Fall, daß die gesellschaftliche Selbstregulierung versagen sollte10• 8 Zu Parität, Waffengleichheit, Gegnerfreiheit: s. Nipperdey, in: Festschrift für Möhring, 1965, S. 87 -113; (Hueck-)Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, II/2, 19707 , S. 928 f.; Kaiser, Die Parität der Sozialpartner, 1973, insbes. S. 38 bis 57; Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 115- 119; Biedenkopf, Mitbestimmung, 1972, S. 222 f. sa Dazu näher Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, 1974, 8.102-123. 9 Zur staatlichen "Neutralität" im Arbeitskampf: Schiaich (N 8), S. 112- 120 (Nachw.). 10 Zur staatlichen Eingriffsmöglichkeit in die Tarifautonomie und ihre Grenzen: Biedenkopf, Die Grenzen der Tarifautonomie, 1964, S. 178- 220; (Hueck-) Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II/1, 19677, S. 44.

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IV. Die Vbertragung des privatwirtschaftliehen Regelungsverfahrens auf das "Dienstleistungsunternehmen Staat" Die Grundlagen aus denen die Tarifautonomie im marktwirtschaftliehen System Sinn und Maß bezieht, entfallen mit der Rezeption in das öffentliche Dienstrecht. Nunmehr fehlt der legitimierende Widerstreit von Kapital und Arbeit. Weder der Staat als Abstractum noch seine einzelnen Organwalter bilden eine Entsprechung zum Privatunternehmer. Die Staatsziele lassen sich nicht auf Kapitalinteressen reduzieren. Wenn der Staat aus der Rolle des Gemeinwohl-Garanten in die der Tarifpartei gedrängt wird, kann er gleichwohl nicht echter sozialer Gegenspieler seiner Bediensteten werden. Im Öffentlichen Dienst steht nicht Gruppeninteresse wider Gruppeninteresse, sondern Gruppeninteresse wider Gemeinwohl. Die Lohnkosten der Öffentlichen Hand werden weder durch Umverteilung von Gewinnen noch durch Überwälzung auf die Preise aufgebracht, sondern über die Steuer. Der Staat hat keine dem Privatunternehmen vergleichbare Marktposition zu behaupten. Er steht außerhalb des Wettbewerbs und seiner Risiken. Er ist konkursunfähig. Der Steuerstaat, der sich seine Einnahmen durch einseitigen Gesetzesbefehl erschließt, ist unbegrenzter tariflicher Zugeständnisse fähig, die ausschließlich und unmittelbar von der Allgemeinheit zu tragen sind. - Damit fällt die wesentliche ökonomische Schranke der Tarifautonomie. Bereits diese wirtschaftlichen Gründe sprechen gegen die Annahme, der Staat sei ein reines Dienstleistungsunternehmen; zwischen Staat und Privatbetrieben bestehe lediglich eine quantitative Differenz. Auf dieser staatstheoretischen Prämisse beruhen jedoch die Versuche, die Tarifautonomie im Öffentlichen Dienst als Phänomen der Rechtswirklichkeit oder als Rechtsformideal zu rechtfertigen. Eine solche Staatsauf:liassung ist unpolitisch, weil sie die eigentümliche politische Qualität des Staates verkennt. Sie ist auch verfa:ssungsblind. Die "Dienstleistungen", welche die öffentliche Hand in Polizei und Rechtspflege, Sozialhilfe und Daseinsvorsorge erbringt, folgen nicht privatwirtschaftliehen Zielen, sondern ausschließlich Forderungen des Gemeinwohls. Der Einsatz der Verwaltung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder zur Herstellung angemessener gesellschaftlicher Lebensbedingungen erfüllt den Verfassungsauftrag des sozialen Rechtsstaats. Der Staat hat Funktionen der Energieversorgung oder der sozialen Sicherheit gerade deshalb in Eigenregie übernommen, weil diese gemeinwohlwichtigen Aufgaben nicht den Unsicherheiten ausgesetzt sein sollen, wie sie die erwerbswirtschaftliche Ordnung in Privatautonomie, Wettbewerb und Arbeitskampf aufweist. Die öffentliche Gewalt muß sich aber ihrerseits vor den privatwirtschaftliehen Risiken

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abschirmen. Insbesondere hat sie ihr Dienstrecht so zu organisieren, daß die stetige, unbedingte Dienstbereitschalt sichergestellt ist, und daß die Verwaltungsmacht nicht als Instrument eigennütziger Gruppeninteressen der Bediensteten gehandhabt werden kann. Die Sonderstellung des Öffentlichen Dienstes gebietet damit vor allem den Ausschluß des Streiks11 • Die Sonderstellung des Staates wird häufig mit der Begründung geleugnet, daß Privatbetriebe in vielen Bereichen (etwa der Energieversorgung, der Ernährungs- und Gesundheitsvorsorge) die gleiche gemeinwohl-wichtige Bedeutung erreichten wie die öffentlichen Verwaltung12• Die Prämisse trüft zu, doch trägt sie nicht die Folgerung, daß deshalb die Staatsorganisation ohne Schaden für ihre Gemeinwohl-Verantwortung ein erwerbswirtschaftsgemäßes Dienstrechtskonzept übernehmen könnte13• Im Gegenteil: Die Staatsähnlichkeit bestimmter Privatunternehmen rechtfertigt 'die besondere Inpflichtnahme für das öffentliche Interesse und staats-analoge Rechtsbindungen. Rechtsinstitute des Wirtschaftsrechts wie Kontrahierungszwang, Mißbrauchskontrolle und Wirtschaftsaufsicht sowie die Drittwirkung der Grundrechte weisen in diese Richtung. Die Gemeinwohl-Nähe von Privatbetrieben spricht deshalb dafür, die Arbeitskampffreiheit in diesem Bereich einzuschränken, nicht aber, sie auf den staatlichen Bereich auszudehnen. Wenn Anwälte des arbeitsrechtlichen Regelungsverfahrens in der rechtspolitischen Debatte gleichwohl die umgekehrte Folgerung ziehen14, so arbeiten sie mit der unwahren Voraussetzung, daß der Staats-Ähnlichkeit exponierter Privatbetriebe die priv-atwirtschaftliche Struktur der Staatsverwaltung entspreche. Einzuräumen ist allerdings, daß die staatsspezifische, ausschließliche und unmittelbare Herrschaft der öffentlichen Interessen nicht in allen Exekutivfunktionen gleichmäßig wirksam ist. So folgt der Einsatz des Dazu mit Nachw. Isensee, Beamtenstreik, 1971. So deutet Reinhard Hoffmann den Staat als .,Wirtschaftszweig" (AöR 91 [1966], 180- 183). Auf gleicher Linie bewegt sich das Minderheitsvotum der Studienkommission: Bericht (N 1), S. 363 Rn 943 f. - Repräsentativ für die Gegenposition (Besonderheit des Staates gegenüber der Privatwirtschaft, sogar in der Leistungsverwaltung): Leisner, Mitbestimmung im Offentliehen Dienst, 1970, S. 71-78; ders., Grundlagen des Berufsbeamtentums, 1971, S. 47 bis 55; SchoZz, in: Öffentlicher Dienst und Gesellschaft- eine Leistungsbilanz, 1974, S.174 -183. 13 Paradoxerweise werden heute unter der rechtspolitischen Fahne des "sozialen Fortschritts" zwei völlig entgegengesetzte Ziele verfochten: die Verstaatlichung der Privatwirtschaft und die Privatisierung der Staatsorganisation (durch Umgestaltung des Offentliehen Dienstes nach privatwirtschaftliebem Muster). 14 s. etwa Reinhard Hoffmann, AöR 91 (1966), 180- 189; DäubZer, Der Streik im öffentlichen Dienst, 19711, S. 226 f., 232-237 und passim; Ramm, Diskussionsbeitrag, in: 48. DJT-II 0 S. 65 f. Ähnlich auch WiethöZter, Rechtswissenschaft, 1968, S. 310. 11

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Josel tsen~ee technischen Hilfspersonals (Dienstkräfte für Schreibarbeit, Gebäudereinigung etc.) oder die eigentlich fiskalische Tätigkeit der Sparkassen, Staatsbanken und ähnlicher Betriebe im wesentlichen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Wenn sich das arbeitsrechtliche Konzept hier als 'a ngemessen erweist, weil sich der Staat unter das Gesetz des Wettbewerbs gestellt hat16, so ist damit kein Argument dafür gewonnen, daß Entsprechendes im Ausschließlichkeitsbereich der Staatstätigkeit gelten müsse. Vielmehr ergibt sich hier nur ein Anlaß zur Prüfung, ob derartige fiskalischeNebenfunktionen die nicht von den legitimen Staatsnotwendigkeitengetragen werden, besser und ökonomischer in Privathand auf~hoben sind. V. Der Gewerkschafts-Staats-Vertrag und die Souveränitätsfrage Im Staat des Grundgesetzes müßte es jeder loyale Bürger als Blasphemie gegen die Idee der parlamentarischen Demokratie ansehen, wenn die Kapitalgesellschaften beanspruchten, die Höhe der von ihnen zu entrichtenden Körperschaftssteuer durch Vereinbarung mit dem Fiskus zu bestimmen, wenn sich der Bauernverband die Kompetenz zuspräche, die staatliche Subventionierung der Landwirtschaft, der ADAC, die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Bundesfernstraßen einvernelunlich mit dem Staat zu regeln. Die herrschende Rechtsmeinung nimmt dagegen keinen demokratischen Anstoß daran, daß auf Grund des geltenden Tarifsystems im Öffentlichen Dienst die Gewerkschaften mit dem Staat als gleichgeordnete Vertragspartner Normen über die allgemeinen Amtspflichten zu Verfassungstreue, Weisungsgebundenheit und Verschwiegenheit erlassen18 • Von diesen Pflichten hängen die Leistungsfähigkeit und die Integrität der öffentlichen Verwaltung ab. Die inhaltliche Ausgestaltung betrifft nicht allein die Vertragsbediensteten, sondern wesenhaft die Allgemeinheit. Die parlamentarische Demokratie behält die Entscheidung über Angelegenheiten der Allgemeinheit ausschließlich dem Gesetzgeber vor. Die Legislative als Repräsentantin des Staatsvolkes darf Jhre Entscheidungsmacht mit keiner gesellschaftlichen Gruppe teilen. Zwar kann jedermann, legitimiert durch die Grundrechte, seine Sonderinteressen gegenüber der Volksvertretung darstellen. Interessenverbände dürfen und sollen im Gesetzgebungsverfahren gehört werden. Mitentscheiden jedoch können sie nicht. Der demokratische Souverän ist eifersüchtig wie 15 Vgl. den Hinweis des DBB, in: Dienstrechtsreform, 1973, S. 96; s. auch Isensee, Beamtenstreik (N 11), S. 101 - 104. - Die dienstrechtlichen Aspekte dieser staats-untypischen Randbereiche können im Zusammenhang der verfassungsrechtlichen Grundsatzüberlegungen außer Betracht bleiben. u Vgl. §§ 6; 8 I 2, II; 9 BAT.

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der Gott des Alten Testamentes; er duldet keine anderen innerstaatlichen Souveräne neben sich. Ein solcher Nebensouverän ersteht jedoch auf der Grundlage der Tarifautonomie in den Gewerkschaften. Die Gewerkschaften übernehmen mit der Regelung der Bezahlung effektive Mit-Entscheidung über die Staatsausgaben. Die eigentliche Disposition über die öffentlichen Finanzen entgleitet dem Parlament und geht auf die Tarifpartner über. Damit wird die einheitliche Leitungsmacht aufgespalten und in zweifacher Weise verlagert: zum einen innerhalb der Staatsorganisation von der Legislative auf die tarifpolitisch handelnde Exekutivspitze; zum anderen aus der Staatsorganisation hinaus auf die nichtstaatlichen Verbände. Der Gewerkschafts-Staats-Vertrag beläßt dem Parlament in der politischen Realität nur die ohnmächtige Rolle, haushaltsgesetzlich zu ratifizieren, was die Tarifpartner über die Personalkosten beschlossen haben. Der dualistische tarifliche Interessenausgleich schaltet den umfassenden parlamentarischen Interessenausgleich aus. Der entmachtete Haushaltsgesetzgeber vermag den Verfassungsbefehl, für das "gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" zu sorgen (Art. 109 li GG), nicht zu erfüllen17. VI. Demokratisches oder grundrechtliches Mandat der Gewerkschaften

Wenn das Rückzugsgebiet der Staatlichkeit von gewerkschaftlicher Kollektivgewalt besetzt wird, so fragt sich, ob die Gewerkschaft den Verlust an demokratischer Legitimation der Dienstregelung nicht kraft eigener demokratischer Substanz ausfüllen kann. Ist die Gewerkschaft nicht selbst eine demokratische Einrichtung? Ist die Partizipation der Gewerkschaften an der staatlichen Entscheidungsgewalt nicht geradezu Ziellegitimer Demokratisierung? Im Begriff "Demokratie" muß unterschieden werden zwischen dem Sprachgebrauch der politischen Rhetorik und dem des Grundgesetzes. In der politischen Rhetorik steht "Demokratie" für Staatsform wie für Gesellschaftsverfassung; für Gehalte, die (nach verfassungsrechtlicher Qualifikation) grundrechtlicher und sozialstaatlicher Natur sind; für Grundgesetzmäßiges wie für Grundgesetzwidriges; Pragmatisches wie Utopisches. Wenn die Gewerkschaften am Maßstab der alldeutbaren politischen Heilsformel als "demokratisch" ausgewiesen werden, so liegt n Das Minderheitsvotum versucht, die haushaltswirtschaftliche Vertretbarkeit der Tariflösung darauf zu stützen, daß die Tarifparteien an die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gebunden seien (Bericht [N 1], S. 365 Rn 948). Für eine solche Bindung fehlt aber die Rechtsgrundlage; die zitierte Vorschrift über Orientierungsdaten (§ 3 StabG) schafft keine Verpflich-

tung.

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darin kein juristischer Erkenntniswert. "Demokratisch" im Verfassungssinne ist nur eine Institution, die repräsentativ Herrschaft des Staatsvolkes ausübt und dazu durch Wahlen ermächtigt ist. Die Gewerkschaften sind nicht Organe, mittels derer die staatlich organisierte Allgemeinheit handelt, sondern gesellschaftliche Verbände. Sie legitimieren sich nicht durch ein demokratisches Mandat der Aktivbürgerschaft, sondern durch ein grundrechtliches Mandat ihrer Mitglieder1s. Die demokratische wie die grundrechtliche Legitimation haben je ihre eigene Würde. Jedoch müssen sie streng auseinander gehalten werden. Die rechtsstaatliche Demokratie lebt aus der Unterscheidung zwischen der Herrschaft des Staatsvolkes und der grundrechtliehen Freiheit der Individuen. Legitime Verbandsgewalt leitet sich entweder aus dem demokratischen Gesamtwillen ab oder aus der kollektiven Grundrechtsausübung Einzelner. Für die Koalitionen gilt die zweite Alternative1e. Die Fragestellung kann daher nur lauten, ob die Gewerkschaften krafteines Grundrechts- in Betracht kommt die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 111 GG) - dazu berufen sind, mit dem Instrumentarium des Tarifvertrages über das Dienstrecht, insbesondere über die Besoldung, mitzubestimmen. Im Schrifttum wird diese Frage häufig bejaht mit der Begründung, daß Tarifvertrag und Arbeitskampf zum Wesenskern der Koalitionsfreiheit gehörten, mithin auch den Staatsbediensteten nicht vorenthalten werden dürften20• Der Verfassungstext selbst verbürgt jedoch die Institute des kollektiven Arbeitsrechts nicht. Die Rechtsquellen der Tarifautonomie und der Streikfreiheit liegen unterhalb der Verfassungsebene im Gesetzesrecht sowie im richterrechtlich fortgebildeten Gewohnheitsrecht. Die geltenden arbeitsrechtlichen Institute sind Ausgestaltungen des Grundrechts, die dem Rahmen der heutigen Wirtschaftsordnung angepaßt und in ihm sinnvoll sind. Sie teilen aber nicht den Verfassungsrang der Koalitionsfreiheit, ebensowenig, wie die bürgerlichen Ausprägungen des verfassungsrechtlich verbürgten Eigentums 1s Die grundlegende Darstellung des dogmatischen Zusammenhanges, daß sich die Koalitionsfreiheit nicht aus dem demokratischen Prinzip, sondern aus dem grundrechtliehen status collectivus der mitgliedschaftlieh verbundenen Individuen ableitet: Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, bes. S. 121 - 150, 158 - 176. - Kritisch zum selbst erteilten Mandat der Gewerkschaften, das Ganze der Gesellschaft zu repräsentieren ("Offentlichkeitsauftrag"): Zacher, in: Festschrift für Berber, 1973, S. 549-573 (bes. S. 565- 570). 18 Von der Frage, ob die Gewerkschaften demokratisch legitimiert sind, ist die zu unterscheiden, ob sie- ungeachtet ihres grundrechtliehen Fundaments -nicht ihre innere Verbandsorganisation- in bestimmter Analogie zum Verfahren staatlicher Willensbildung- nach "demokratischen Grundsätzen" gestalten müssen, wie sie Art. 21 I 3 GG für die politischen Parteien vorschreibt. Dazu Scholz (N 18), S. 374 - 380. zo Insbes. Däubler (N 14), S. 135-170 (Nachw.). Ebenso Minderheitsvotum, in: Bericht (N 1), S. 362 (N 938).

I>er 'l'arifvertrag als Gewerkschafts-Staats-Vertrag

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ihrerseits Grundrechtsniveau erreichen21 • Die Verfassung ermächtigt den Gesetzgeber nicht dazu, im Zuge der Grundrechtskonkretisierung das demokratische Prinzip einzuschränken. Der Schutzbereich der Grundrechte und der Ausgrüf möglicher Grundrechtsausgestaltung enden an den notwendigen Staatsfunktionen. Die Grundrechte geben keine Rechtstitel zur Privatisierung der demokratisch verfaßten Offentliehen Gewalt22. So vermag auch die Koalitionsfreiheit nicht die Abspaltung staatlicher Entscheidungszuständigkeit zu rechtfertigen und den Verlust an demokratischer Legitimation auszugleichen. Die Grundrechtsidee selbst verbietet die Privatisierung von Herrschaftsfunktionen. Denn nur in der Staatsorganisation sind umfassende Grundrechtsbindung und wirksame Grundrechtskontrolle gewährleistet. Wenn originäre Hoheitskompetenz auf nichtstaatliche Organisationen übergeht, so wird der Grundrechtsschutz der Betroffenen erschwert und verkürzt. Die Zuständigkeit der Gewerkschaften zur kollektivvertragliehen Regelung des Öffentlichen Dienstes unterscheidet sich wesenhaft von der verwaltungsrechtlichen Institution der "Beleihung". Der Staat, der einen Privaten mit Hoheitsbefugnissen "beleiht", entäußert sich ihrer nicht, steuert ihre Ausübung weiterhin und kann sie jederzeit wieder an sich ziehen23• Die Staatsfunktionen werden in der Hand des "Beliehenen" nicht zum Gegenstand der Grundrechtsausübung. Sie bleiben Emanation der Staatsgewalt. Die Rechtsfigur der "Beleihung" tastet daher die demokratische Grundnorm nicht an, daß alle Staatsgewalt aus einem einheitlichen Ursprung im Staatsvolk herzuleiten sein muß. Für die Tarüregelung des Offentliehen Dienstes läßt sich dieser Nachweis nicht führen. Die Gewerkschaften treten dem Staat als unabhängige, kraft eigenen Rechts gleichgeordnete, Vertragspartner gegenüber. Die Rege11 Die Tarifautonomie und die weiteren einfachgesetzlichen Ausprägungen der Koalitionsfreiheit dürfen jedoch nicht vom Gesetzgeber ersatzlos beseitigt werden. Solange sich in der Rechtsentwicklung keine situationsangemessene Alternative zum bestehenden "Unterbau" des Koalitionsgrundrechts abzeichnet, genießt dieser daher mittelbaren verfassungsrechtlichen Bestandsschutz. Dazu näher Isensee (N 11), S. 23- 31 (Nachw.). 22 Das demokratische Prinzip verbietet auch. daß die privatwirtschaftliehen Rechtsfiguren der Mitbestimmung pauschal in die Staatsverwaltung rezipiert werden. Während die Obernahme der personellen und sozialen Mitbestimmung in bestimmtem Umfang als zulässige Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit der Staatsbediensteten gewertet werden kann, gilt das nicht für eine "direktive" Mitbestimmung über die Amtsausübung (als Seitenstück zur "wirtschaftlichen" Mitbestimmung). Wenn sich grundrechtlich geschütztes (Unternehmens-)Eigentum Privater innerhalb gewisser Grenzen umverteilen läßt, so doch nicht demokratische Herrschaftszuständigkeiten des Staatsvolkes. Die Demokratie duldet nicht die Aufrichtung einer konkurrierenden Beamtenoligarchie. Dazu näher Leisner, Mitbestimmung (N 12), S. 44 f., 73; Püttner, Die Mitbestimmung in kommunalen Unternehmen, 1972, S. 49 - 65; Obermayer, Mitbestimmung in der Kommunalverwaltung, 1973, S. 24 - 26, 29 - 34. u Zur Stellung des Staates gegenüber seinen privaten Verwaltungsmittlern: Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 159 - 201; Gallwas, ebd., S. 221 - 232.

8 Berufobeamtentum

Josef tsensee 1ungsmacht, die heterogenen Vertragspartnern zur gesamten Hand übertragen ist, verwirklicht nicht das monistische demokratische Legitimationsprinzip, sondern ein dualistisches, das den staatlich repräsentierten Allgemeinwillen und den gewerkschaftlich formulierten Gruppenwillen gleichermaßen anerkennt. Das arbeitsrechtliche Regelungsverfahren ist nicht auf die Voraussetzungen der grundgesetzliehen Staatsform abgestellt, sondern auf den staatsrechtlichen Dualismus von Demokratie und Gewerkschaftsmacht. In der Dienstrechtskonzeption, die auf Tarifvertrag und Streik aufbaut, sind Einheit und Einzigkeit der staatlichen Entscheidungsgewalt aufgehoben. Einheit und Einzigkeit sind die Bedingungen, unter denen der Staat der Neuzeit den Rechtsfrieden herstellt. Nunmehr etabliert sich als politisches Prinzip die Rivalität der Herrschaftsorganisationen, die sich im Dienstkampf befehden und in der Kollektivvereinbarung Frieden schließen. In den modernen Rechtsphänomenen erneuert sich der Antagonismus der mittelalterlichen Feudalverfassung. VII. Parität Staat - Gewerkschaft? Die Koexistenz zwischen dem staatlichen Dienstgeber und den Gewerkschaften läßt sich nicht auf jene Parität und Machtbalance gründen, die zwischen den Tarifpartnern der Privatwirtsch,aft bestehen. Die Öffentliche Hand ist ihrem Tarifpartner schon deshalb unterlegen, weil die Gegnerfreiheit nicht gewährleistet ist. Die Ämterorganisation in der Demokratie enthält keine Vorkehrungen dagegen, daß der Vertreter des öffentlichen Arbeitgebers selbst der Gewerkschaft angehört, mit der er Tarifverhandlungen führt, und sich als Diener zweier Herren zu unangemessenen Zugeständnissen auf Kosten der Allgemeinheit bereitfindetua. Mit der Gegnerfreiheit entfällt die arbeitsrechtliche Voraussetzung einer sauberen Darstellung kollektiver Interessen und eines fadren Verfahrens. Die Vorstellungen von Parität und Machtbalance müssen dann a1s Illusion verfliegen, wenn der Streik als Fortsetzung der Tarifpolitik mit anderen Mitteln eingesetzt wird. Die staatlich verfaßte Allgemeinheit ist denjenigen, die den Schalthebel der öffentlichen Leistungsmonopole bedienen, hoffnungslos unterlegen. Das demokratische System ist nicht für die Machtprobe mit dem Staatsdienst gerüstet; es ist auf seine spontane Loyalität und Dienstbereitschaft unausweichlich angewiesen. Ein eindrucksvolles Lehrstück darüber, wer am längeren Hebel der Staatlichkeit sitzt, bot im Frühjahr 1974 der Streik, über den eine Gewerkschaft des Tarifpersonals mit relativ geringem Einsatz den Bundes2sa Dazu näher Rüthers, "Interessenverfilzung zu Lasten des Bürgers", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 12. 1974, Nr. 290, 8.13.

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kanzlerzum Nachgeben zwang und zu Zugeständnissen nötigte, die dieser kurz zuvor als gesamtwirtschaftlich unvertretbar abgelehnt hatte24 • Das Regelungsverfahren des Öffentlichen Dienstes enthält in der heutigen Verfassungsrealität die Entscheidung der Souveränitätsfrage. überspitzt läßt sich formulieren: Souverän ist, wer über die Müllabfuhr entscheidet. Tarifautonomie und Arbeitskampf in der Staatsorganisation sind Hebel zur Errichtung des Gewerkschaftsstaates. VIII. Mutation des arbeitsrechtlichen Tarifvertrags zum Surrogat des Beamtengesetzes Mit der Rezeption der arbeitsrechtlichen Kollektivvereinbarung in das staatliche Dienstrecht wandelt sich ihre Geltungsweise. Der Tarifvertrag hat in seinem privatwirtschaftliehen Ursprungsbereich die Aufgabe, zugunsten des Arbeitnehmers einen Mindeststandard der Arbeitsbedingungen zu sichern und damit die reale Unterlegenheit gegenüber dem Arbeitgeber auszugleichen (Günstigkeitsprinzip)25 • Die Kollektivautonomie soll ·dieGefahren bannen, die dem einzelnen Arbeitnehmer aus der individuellen Vertragsfreiheit erwachsen. Die Vorteile der Privatautonomie werden dagegen Illi.cht angetastet. Das Tarifrecht wie die sonstigen Normen des Arbeitsschutzrechts belassen dem Arbeitnehmer die Chance, für sich persönLich außertarifliche und übertarifliche Bedingungen zu erreichen. Das Tarifsystem ist seinem Ursprung nach Schutz und Ergänzung der Individualvertragsfreiheit. Im Rahmen des Öffentlichen Dienstes dagegen ist es geradezu sein Ersatz. Es legitimiert sich nicht mehr aus dem Günstigkeitsprinzip. Die tarifliche Regelung der Bezahlung markiert nunmehr nicht allein die Untergrenze, sondern bildet zugleich die Obergrenze. Sie schafft die zwingende Teilnormierung des Dienstverhältnisses: Die Vertragsfreiheit des öffentlichen Arbeitnehmers existiert in der Regel nur noch als Abschlußfreiheit: als die Möglichkeit, das umfassend kollektivvertraglich vorgeformte Vertragsangebot anzunehmen und sich damit den heterogenen Dienstbedingungen zu unterwerfen. Diese Freiheit aber hat der Beamte auch, der nur auf Grund seiner Zustimmung ernannt werden kann. Die Bandbreite, die das Dienstrecht für individuelle Gestaltungen des Arbeitsverhältnisses offen hält, ist nicht wesent24 Rüthers bewertet in einem Kommentar zu diesem Ereignis den Streik gegen öffentliche Arbeitgeber als "punktuellen Syndikalismus". Die stärkeren Gewerkschaften zwängen den Staat, der seine Legitimation demokratischen Wahlen verdanke, von Fall zu Fall in die Knie ("Gewerkschaftsmacht gegen Staatsmacht?", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. 2. 1974, Nr. 46, S. 9. 25 Dazu (Hueck-)Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II/1, 19677, S. 232 f., 568-614.

J osef lsensee lieh größer als die, innerhalb deren das Beamtenrecht persönliche Zusicherungen gestattet. Der Status des Vertoogsbediensteten ist ebenso starr vorgeformt wie der des Beamten. Die Typisierung der Bezahlung wird bereits durch Grundsätze des Finanzrechts erzwungen. So dürfen Personalausgaben, die nicht auf Gesetz oder Tarifvertrag beruhen, nur geleistet werden, wenn der Haushaltsplan dafür Ausgabenmittel besonders zur Verfügung stellt2t. Der wesentliche Grund für die schematische Regelung liegt in der strengen Bindung der öffentlichen Hand an den Gleichheitssatz. Mit der unbeschränkten Herrschaft der Gleichheitsidee endet jene Regelungs-Elastizität, wie sie im Raum der Privatautonomie und des Wettbewerbs möglich ist. Das geltende tarifliche Regelungssystem deckt sich in seiner gegenständlichen Reichweite mit den Beamtengesetzen. Tariflich geregelt sind nicht nur die üblichen Kollektivvertrags-Materien, in denen es um die Besserstellung des Arbeitnehmers geht (wie Bezahlung und Arbeitsrecht), sondern auch interessen-indifferente Fragen wie die Schriftform des Arbeitsvertrages27 ; darüber hinaus sogar der Pflichtenkodex des Bediensteten, von der Pflicht, Verfassungstreue zu geloben, über Gehorsam und Verschwiegenheit bis zur Eigenhaftung28• Der Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes wirkt damit auch zu Lasten des einzelnen Bediensteten. Er hat sich in Inhalt und Geltungsweise den Beamtengesetzen so weit angeglichen, daß der Status des Vertragsbediensteten dem des Beamten um vieles nähersteht als dem des privatwirtschaftliehen Arbeitnehmers28. Der Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes hat mit dem des privatwirtschaftliehen nicht viel mehr gemeinsam als den Namen30•

IX. Grenzen grundgesetzlicher Tolerierung Die dienstrechtliche Tarifautonomie ist im System der rechtsstaatliehen Demokratie ein Fremdkörper. Gleichwohl zögert das Grundgesetz, diesen sogleich zur Gänze abzustoßen. Von Verfassungs wegen ist das arbeitsrechtliche Regelungsverfahren nur soweit ausgeschlossen, § 28 li HGrG, § 51 BHO. n Vgl. § 4 BAT. zs Vgl. §§ 6, 8 li, 9,14 BAT. Zu den Pflichten der Vertragsbediensteten: Wacke, Das Recht der Angestellten und Arbeiter im Offentliehen Dienst, 19645, S. 26 bis 32, 39 f. Kritik am "Irrweg in die Tarife": Wacke, Grundlagen des Offentliehen Dienstrechts, 1957, S. 45 f. 29 Die Mutation des Tarifvertrags zum Gesetzessurrogat rechtfertigt nicht die (von rechtstheoretischer und staatsrechtlicher Reflexion ungetrübte) These der Kommissionsminderheit, Tarifvertrag und Gesetz seien "als Rechtsquelle" gleichwertig (Bericht [N 1], S. 366 Rn 952 - 954). 30 Nach Rüthers können Tarifautonomie und Arbeitskampf im Offer.tlichen Dienst "wohl in einer formal-analogen Weise praktiziert werden". Sie setzten zu ihrer Funktionsfähigkeit privates und damit risikobehaftetes Produktionsmitteleigentum voraus (N 24). te

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wie der Beamtenvorbehalt des Art. 33 IV GG reicht31 • Wenn das Grundgesetz nicht die umfassende Verbeamtung fordert, so läßt es erkennen, daß es die vorgefundene arbeitsrechtliche Alternative nicht schlechthin mißbilligt. Überdies lassen einzelne Kompetenz- und Überleitungsvorschriften32 einschlußweise erkennen, daß der Verfassunggeber davon ausgeht, daß die Existenz des Vertragsbediensteten in bestimmtem Umfang und in bestimmter Hinsicht zulässig ist. Hier zeigt sich eine Inkonsequenz des Verfassungstextes. Gleichwohl muß die Verfassung als Einheit gesehen und ausgelegt werden: nicht als ·die Einheit eines logischen Systems, sondern als die Einheit eines politischen Kompromisses. Die Entscheidungen, die in diesen Kompromiß eingegangen sind, haben unterschiedliches normatives Gewicht. Zwischen Substanz und Akzidenz der staatlichen Grundordnung muß unterschieden werden. Insbesondere heben sich die wesentlichen Staatsform- und Staatszielbestimmungen, die selbst für Verfassungsänderung tabuiert sind (Art. 79 Ill GG), über die kontingenten Einzelvorschriften empor. Die Verfassungsentscheidung für die rechtsstaatliche Demokratie und die Verfassungsentscheidungen zum öffentlichen Dienstrecht fügen sich zu praktischer Konkordanz: 1. Allein das gesetzliche Regelungsverfahren entspricht dem demokratischen Prinzip. Die Beamtenprärogative des Parlaments, die von der institutionellen Garantie des Berufsbeamtenturns umschlossen ist, enthält kein Sonderrecht für Beamte, sondern wiederholt das Normalrecht der Demokratie, wie es sich im Vorbehalt des förmlichen Gesetzes (Art. 20 III GG) manifestiert. 2. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist der Beamtenstatus die staatsform-gerechte Regel, der Vertragsbedienstetenstatus die Anomalie83 • Die kollektivvertragliche Ausübung von Staatsfunktionen ist ein vorkonstitutionelles Fossil- als anachronistisches Rechtsphänomen vergleichbar dem Finanzmonopol oder der erwerbswirtschaftlichen Staatstätigkeit: Überbleibseln aus vorsteuerstaatlicher und vorgrundrechtlicher Ära, die vom Grundgesetz gleichwohl nicht liquidiert worden sind84• 3. Die Einrichtung des Tarifpersonals wird- im Unterschied zum Beamtentum - vom Grundgesetz nicht garantiert, sondern nur (inneral Zur Kontroverse über die Reichweite des Funktionsvorbehalts in Art. 33 IV GG, jeweils mit Nachw.: Jung (N 7), S. 127 -192; Isensee (N 11), S. 84- 96; Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag?, 1973, S. 20- 48; Scholz (N 12), s. 172-187. 31 Vgl. Art. 73/8; 75/1; 85 II 2; 131; 132 I 2, 3; 137 I GG. aa Dazu näher Leisner, Grundlagen (N 12), S. 9 - 58. 34 Nachw. zur verfassungsrechtlichen Problematik der Finanzmonopole und der Fiskalverwaltung: Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 201- 203, 204- 216, 277 f., 286- 289; Graf Pestalozza, Der Staat, 11 (1972), 161-188.

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halb bestimmter Grenzen) toleriert. Es steht dem Gesetzgeber frei, die Reichweite des Beamtenrechts auszuweiten und das öffentliche Arbeitsrecht aufzuheben. Die Vorschrift des Art. 33 IV GG stünde nicht entgegen, weil sie lediglich einen Funktionsvorbehalt zugunsten der Beamten, aber keine Funktionssperre zu seinen Lasten enthält35. 4. Wenn das Grundgesetz mittelbar die Existenz des öffentlichen Arbeitsrechts hinnimmt, so billigt es nicht pauschal die Gesamtheit der arbeitsrechtlichen Normen. Die verfassungsrechtliche Duldung erstreckt sich auch nicht auf alle die Vorschriften, die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes gegolten haben. Ein derartiges Traditionsprivileg genießen noch nicht einmal die eigens anerkannten "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" (Art. 33 V GG). Diese sind nur soweit in das Grundgesetz einbezogen worden, wie sie mit den fundamentalen Verfassungsentscheidungen über Staatsform und Staatsziel übereinstimmen36• Falls das Arbeitsrecht mit gleich strengem Maß gemessen würde, müßte es schlechthin aus dem Öffentlichen Dienst verbannt werden. Wenn auch das Grundgesetz diese Konsequenz nicht zieht, so kann es doch nicht hinnehmen, daß eine nur.geduldete vorkonstitutionelle Einrichtung in äußersten Widerspruch zur geltenden Verfassungsordnung gerät. Das Verfassungsrecht ermöglicht und fordert eine differenzierende Prüfung des hergebrachten öffentlichen Arbeitsrechts. Aus grundgesetzlicher Sicht stellt sich dabei jedenfalls das angebliche Streikrecht des Tarifpersonals als unerträglicher Verfassungsbruch dar: Nötigung der Allogerneinheit und ihrer demokratisch legitimierten Vertreter, Störung der notwendigen Wirksamkeit des sozialen Rechtsstaats, Überwältigung des Gemeinwohls durch Gruppenmacht37 •

5. Im Tarifsystem des Öffentlichen Dienstes erübrigt sich die Lösung der Streitfrage, ob und wieweit der staatliche Gesetzgeber kraft eines ius evocandi Materien an sich ziehen, die an sich der Regelungsmacht der (privatwirtschaftlichen) Tarifpartner unterliegen, und so 3 ~ So die zutreffende herrschende Meinung: Ule, ·Öffentlicher Dienst, in: Bettermann/Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte IV/2, 1962, S. 559; Maunz (/Düri g!Herzog), Grundgesetz, Stand 1973, Art. 33/Rn 41. - Abweichend Otto, ZBR 1956, 236. 38 BVerjGE 3, 58 (137); 15, 167 (195). 37 Die (noch) herrschende Meinung sieht diese Konsequenz nicht und bejaht das Streikrecht des Tarifpersonals; Nachw. bei Däubler (N 14), S. 21-24, 94-97. Die Gegenposition eines (zumindest grundsätzlichen) Streikverbots für Vertragsbedienstete vertreten: Wacke, Grundlagen (N 28), S. 90; ders., Das Recht der Angestellten (N 28), S. 29; ders., in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 3. 4. 1974, Nr. 79, S. 17; Nikisch, Arbeitsrecht II, 19592, S. 142-144: v. MangoldtKlein, Das Bonner Grundgesetz, 19662, S. 334 (hinsichtl. der Angestellten); Isensee (N 11), S. 134.

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das Substrat der Kollektivvereinbarung schmälern darf38• Die Eingriffsmöglichkeit des Gesetzgebers ist nur deshalb problematisch, weil die Tarifautonomie im gesellschaftlichen Bereich auf einem Grundrechtsfundament ruht; sie ist, wenn auch nicht grundrechtlich sanktioniert, so doch grundrechtlich legitimiert. Die Tarifautonomie des Öffentlichen Dienstes ist hingegen außerhalb des Grundrechtshorizonts zu orten: im Bereich materieller Staatshoheit. Wenn der Gesetzgeber davon absieht, die Arbeitsbedingungen der Staatsbediensteten selbst zu gestalten, so folgt er Vorstellungen über politische Opportunrl.tät, nicht ;aber einem Verfassungsgebot zur Achtung der Tarifautonomie. Es fehlt die grundrechtliche Basis für die Schranken des Übermaßverbots oder des Subsidiaritätsprinzips. Das Grundgesetz erkennt dem staatlichen Gesetzgeber die umfassende Regelungsmacht über die Rechtsverhältnisse aller öffentlichen Bediensteten zu; die Gesetzgebungshoheit ist lediglich zwischen Bund und Ländern aufgeteilt (Art. 73/8, 75/1 GG)39• Die Verfassung duldet also, daß der Vorbehalt des Gesetzes in bestimmtem Umfang zurücktritt. Der Vorrang des Gesetzes bleibt aber in voller Geltung. 6. Obwohl sich das arbeitsrechtliche Regelungsverfahren nicht als schlechthin verfassungswidrig erweist, so ist es doch nicht verfassungsadäquat. Es scheidet damit als mögliches Modell für ein künftiges Einheitsdienstrecht aus. Im Rahmen der geltenden Fassung steht bereits die Garantie des Art. 33 IV, V GG entgegen. Selbst wenn diese Garantie im Wege förmlicher Verfassungsänderung aufgehoben würde, so wäre damit noch nicht ohne weiteres die Tür zu einem arbeitsrechtlichen Einheitsdienstrecht geöffnet. Denn die Gewährleistung des beamtenrechtlichen Regelungsverfahrens (Parlamentsprärogative und Streikverbot) gehört nicht zu den kontingenten, beliebig ersetzbaren Bestandteilen der formellen Verfassung, sondern zu den staatsrechtlichen Wirksamkeitsbedingungen der Staatsform- und Staatszielbestimmungen des Art. 20 GG. Diese aber sind durch Art. 79 III GG der legalen Verfassungsänderung entrückt. Der Beamtenvorbehalt des Art. 33 IV GG verkörpert das demokratische Minimum für den Öffentlichen Dienst. Ein Einheitsdienstrecht, das in Tarifvertrag und Dienstkampf gründete, führte zur Relativierung des sozialen Rechtsstaats, zum umfassenden Abbau parlamentarischer Entscheidungsgewalt im Personalsektor und zur korrespondierenden Aufrichtung von Gewerkschaftsstaatlichkeit. Der Versuch, ~s Zum Problem eines ius evocandi: Kaiser, Der politische Streik, 19592, S. 32 f.; Rüthers, Streik und Verfassung, 1960, S. 130 f.; Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, 1968, S. 50 f. 39 Zum Verhältnis des Gesetzes zum Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes: Wacke, Grundlagen (N 28), S. 45 - 76.

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einen derartigen Systemwechsellegal auszulösen, müßte an der Undhtastbarkeit der tragenden Verfassungsprinzipien scheitern. X. Das Gesetz-/Tarü-Modell als dritter Weg? Es fragt sich, ob das "Tarif/Gesetz-Modell", das die Minderheit der Studienkommission vorschlägt, im Unterschied zum bisher geprüften reinen Tarümodell der verfassungsrechtlichen Prüfung standhält. Dieses Modell sieht vor: "Das Dienstrecht für alle öffentlichen Bediensteten wird je nach Gegenstand teils durch Gesetz, teils durch Tarifvertrag geregelt. Der tarifvertragliehen Regelung unterliegen die Bezahlung und andere Elemente der Gegenleistung, insbesondere also - die Ausgestaltung des Bezahlungssystems, - die Ausgestaltung des Systems einer Dienstpostenbewertung, - die Höhe der Bezahlung, - die sonstigen finanziellen Leistungen, - der Urlaub, - die Bemessung der regelmäßigen Arbeitszeit, - die Zusatzversorgung. Alle übrigen Gegenstände des Dienstrechts werden gesetzlich geregelt. Insoweit ist für einen Arbeitskampf kein Raum'o." Die eigentlich brisanten Materien des Dienstrechts wie die Bezahlung werden hier der Tarüautonomie überantwortet. Dem Gesetzgeber verbleibt an Regelungsstoff, was kaum noch Gegenstand politischer Auseinandersetzung sein kann. Der Verzicht darauf, auch noch das Bestechungsverbot tariflich zu erfassen, bedeutet wohl kein sonderlich großes politisches Opfer. Wenn der Minderheitsvorschlag die Bemessung der Arbeitszeit als Beispiel für die "Gegenleistung" des Dienstgebers nennt, so dürfte darin mehr liegen als eine redaktionelle Fehlleistung. In Wahrheit lassen sich "Leistungs"- und "Gegenleistungs"-Materie nicht trennen. Wer die eine beherrscht, gestaltet auch die andere mit. Der Reformvorschlag beläßt dem Gesetz lediglich eine Supplementfunktion gegenüber der Kollektivvereinbarung. Im übrigen wird jede gesetzliche "Leistungs"-Pflicht durch die Zulassung des Streiks um bessere tarüliche "Gegenleistung" relativiert.- In seiner politischen Substanz entspricht das Gesetz-/Tarif-Modell dem reinen Tarükonzept'1• Minderheitsvotum, in: Bericht (N 1), S. 390 Rn 98. Die Vertreter des Gesetz-/Tarif-Modells gehen davon aus, daß ihr Vorschlag nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist und schlagen eine Verfassungsänderung vor, ohne aber deren Obereinstimmung mit Art. 79 III GG als Frage 40 41

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Lehrreich ist die Anregung, welche Vorkehrungen für Notdienste im Streikfall getroffen werden sollen: "Das Grundgesetz bestimmt, daß Arbeitskampfmaßnahmen von Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG im öffentlichen Dienst die Wahrnehmung folgender öffentlicher Aufgaben nicht unmittelbar gefährden dürfen: - Schutz von Leib, Leben, Gesundheit, - Schutz vor Verstößen gegen die Strafgesetze, - Schutz des Staates vor Angriffen von außen, - Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung, - Schutz der Funktionsfähigkeit der obersten Verfassungsorgane in Bund und Ländern. Durch Tarifvertrag wird geregelt, wie die Wahrnehmung der genannten Aufgaben organisatorisch sicherzustellen ist. Die Frage, ob eine unmittelbare Gefährdung vorliegt, unterliegt gerichtlicher Kontrolle42." Das Reformkonzept geht von der zynischen Prämisse aus, daß eine

mittelbare Gefährdung von Leib, Leben, Gesundheit und sonstiger höch-

ster Rechtsgüter, deren Schutz der eigentliche Rechtfertigungsgrund des Staates ist, erlaubt sein solle, wenn die Staatsbediensteten um höherer Bezahlung oder längeren Urlaubs willen in den Ausstand treten. Die Grenze des Dienstkampfes wird nach einem quasi-polizeirechtlichen Gesichtspunkt, der unmittelbaren Gefährdung, bestimmt. Das Kriterium der Unmittelbarkeit (Konkretheit) hat freilich eine gewisse Trennschärfe, wenn es um einen polizeilichen Eingriff im Einzelfall geht, nicht aber wenn eine unabsehbare Zahl von Bediensteten zu einer Kollektivaktion schreitet. Die unmittelbare Gefährdung der Schutzgüter des Staates ist entweder stets zu bejahen oder nie. Ein Gericht wäre hoffnungslos überfordert, wenn es die Grenzen des legalisierten Chaos rechtzeitig und wirksam kontrollieren sollte; das übliche prozeßrechtliche Instrumentarium schafft nicht die Voraussetzung dazu, den komplexen Streiksachverhalt, der das ganze Gemeinwesen berührt, in der gebotenen Eile festzustellen und zu beurteilen. Der Rechtsstreit darüber, ob der Streik der Bundeswehrangehörigen um bessere "Zusatzversorgung" den "Schutz des Staates vor Angriffen von außen" nur mittelbar (also legal), oder unmittelbar (also illegal), gefährdet, könnte sich im übrigen im Falle militärischer Bedrohung rasch von selbst erledigen ... Ein naiver Rechtsbetrachter mag die vorgeschlagene tarifliche Notdienstregelung als Ausdruck gewerkschaftlicher Selbstdisziplinierung zu sehen (Bericht [N 1], S. 372 Rn 976 f.). Immerhin distanziert sich die Kornmissionsminderheit damit von den Versuchen des jüngeren Schrifttums, Tarifautonomie und Streik unmittelbar aus dem geltenden Verfassungstext zu deduzieren: Systemveränderung durch Verfassungsauslegung (s. etwa Reinhard. Hoffmann, AöR 91 [1966], 141- 192; Däubler [N 14]). 42 Bericht (N 1), S. 390 Rn 99.

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und Staatsverantwortung deuten. In Wahrheit sieht dieser Vorschlag die weitgehende Machtübernahme durch die Gewerkschaften vor. Sie sollen die Entscheidungsgewalt über Polizei, Justiz, Verfassungsschutz, Landesverteidigung mit den demokratisch legitimierten Staatsorganen teilen43• Im Zeiehen der "Demokratisierung" wird Demokratie halbiert. Das Modell hat staatstheoretisChen Erkenntniswert: Selten ist das Konzept des GewerksChaftsstaates so rein und offen dargelegt worden. XI. Die rechtspolitischen Verheißungen und Folgen des (Gesetz-/)Tarif-Modells

An die Ausweitung des arbeitsrechtlichen Regelungsverfahrens wird die Verheißung geknüpft, der Beamte solle aus dem "Objektsein" befreit werden, zu der ihn die Abhängigkeit von der einseitigen Regelungsgewalt des Staates verurteilt habe44• Gesetzt der Fall, der Beamte befinde sich wirklich in einer solchen Lage, so wäre es dennoch voreilig, aus dem Abbau von Staatsgewalt automatisCh auf einen Zugewinn an individueller Freiheit zu schließen und auf Grund der Teilung der Regelungshoheit ohne weiteres den Effekt der klassischen liberalen Gewaltenteilung zu erwarten: die Sicherung des Individuums vor Maehtmißbraueh. Ein Freiheitsmoment kann auf Grund der bisherigen Feststellungen schon von vornherein ausgeschlossen werden: Das Tarifmodell (in seiner reinen wie in seiner kaschierten Form) ist nieht darauf angelegt, dem einzelnen Beamten ein Mehr an individueller Regelungsmöglichkeit, sondern allein der Beamtengewerkschaft ein Mehr an genereller Regelungsmacht zu verschaffen. - Wenn das geltende Beamtenrecht mit seinem dichten Netz von Normen ebenfalls der individuellen Gestaltungsfreiheit keinen Raum läßt, so ermöglicht es gerade dadurch eine besondere Freiheitssicherung: Es macht das Handeln des Dienstherrn berechenbar und schützt vor Willkür.

Das Regelungsermessen des Dienstherrn ist überdies durch die "hergebrachten Grundsätze" des Berufsbeamtenturns grundgesetzlich determiniert. Der einzelne Beamte vermag über das Medium der Verfassungsbeschwerde seine grundrechtsgleichen Rechte, die aus der institutio43 Noch einen Schritt weiter geht Reinhard Hoffmann. Er spricht (de lege lata!) dem Staat "jede einschränkende Fremdbestimmung über Inhalt und Ausdehnung des Streikrechts" im Öffentlichen Dienst ab. Die souveräne Kompetenz-Kompetenz über die Grenzen des Dienstkampfes soll "allein der ausschließlichen Eigenverantwortung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften" überlassen bleiben (KJ 1971, 55 f.; ähnlich ders., in: 48. DJT-11, 0 S. 161 f.). 44 So die Begründung des Minderheitsvotums im Bericht der Kommission (N 1), s. 364, Rn 945, 946.

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nellen Verfassungsgarantie fließen, gegen den Gesetzgeber durchzusetzen. Dem Arbeitnehmer steht ein vergleichbarer Weg nicht offenschon deshalb, weil die Gegenstände der Tarifautonomie nicht entsprechend verfassungsrechtlich vorgeformt sind. Das arbeitsrechtliche Modell weist nur ein Verfahren, keine materiellen Regelungsdirektiven auf. Der Angehörige des Tarifpersonals vermag nur durch Ausübung von Mitgliedschaftsrechten Einfluß auf den Kollektiv-Sachwalter seiner tarifpolitischen Interessen zugewinnen-falls er sich entschließt, Mitglied zu werden und die Mitgliedspflichten zu übernehmen. Der Umstand, daß das beamtenrechtliche Regelungsverfahren aus Achtung vor dem Eigengesetz demokratischer Staatlichkeit der Koalitionsbetätigung geringeren Raum beläßt als das arbeitsrechtliche Verfahren, begründet an sich noch keinen rechtspolitischen Appell, dazu die kollektivrechtliche Benachteiligung der Beamten aufzuheben45 • Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit legitimiert die Verbandsgewalt nicht als Selbstzweck, sondern als Instrument der Selbstbehauptung des Individuums auf dem Arbeitsmarkt. Kollektivmacht rechtfertigt sich aus der sozialen Unterlegenheit des Einzelnen. Die typische soziale Schwäche und Unsicherheit, die in der Privatwirtschaft die Stellung des Arbeitnehmers kennzeichnen, sind im Beamtenrecht weitgehend durch Sekuritätsgarantien wie Unkündbarkeit und Unterhalts-Grundrecht aufgehoben. Der Vorzug an individualrechtlicher Sicherung wiegt die Schmälerung kollektivrechtlicher Einflußnahme auf. Das geltende Arbeitsrecht des Öffentlichen Dienstes muß übrigens dem Einzelnen eine vergleichbare Kompensation schuldig bleiben, wenn sich in der Allgemeinheit ein klareres Demokratiebewußtsein und im Tarifpersonal ein höheres Verfassungsethos durchsetzt, so daß die herkömmliche grundgesetzwidrige Anmaßung eines Streikrechts gegen den Staat nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Wenn die Gewerkschaften die Regelungsmacht über das Recht der Staatsbediensteten mit dem Staat teilen, so bietet ihre Organisation nicht die gleichen Garantien demokratischer Transparenz und Kontrollierbarkeit wie der Staat, vor allem auch nicht die gleichen rechtsstaatliehen Kautelen. Die exponierte "öffentliche" Bedeutung der Gewerkschaften spricht dafür, daß sie bestimmten rechtlichen Bindungen, welche das Grundgesetz für den Staat vorsieht, in vorsichtiger Analogie unterworfen und auf (drittwirkende) Grundrechte sowie auf demokra45 Zu der noch unbewältigten rechtspolitischen Aufgabe, wie die koalitionsmäßige Interessenwahrung der Beamten wirksamer gestaltet werden kann, ohne daß die Letztentscheidungs-Kompetenz des Parlaments und die grundgesetzliche Zuweisung der Gesetzesinitiative angetastet werden: Schick, in: Forsthoff, v. Münch, Schick u. a., Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, 1973, S. 246- 252; Seidel, DVBI. 1974, 144- 146.

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ti.sche Grundsätze - ähnlich wie die politischen Parteien - verpflichtet werden41• Der Gesetzgeber hat sich bisher gescheut, diese Frage zu klären, während er für die private Unternehmensverfassung und für die innere Organisation der politischen Parteien Vorkehrungen zur sozialen Machtbeschränkung und Publizität getroffen hat. - Dennoch könnte der Geset:zJgeber von den Gewerkschaften nicht das gleiche Maß grundrechtlicher und demokratischer Bindung verlangen, das für den Staat gilt. Die grundrechtlich gesicherte Verbandsautonornie, Bedingung beweglicher, effektiver Koalitionsbetätigung, darf nicht angetastet werden. - Dieser Grundrechtsschutz steht jedoch unter dem Vorbehalt, daß der Grundrechtsträger nicht seinerseits Staatsfunktionen übernimmt. Diese Voraussetzung ist aber erfüllt, wenn die Koalitionen im arbeitsrechtlichen Regelungsverfahren über Staatsaufgaben und Staatsausgaben mitbestimmen. Nunmehr ist es allerdings Gebot staatsrechtlicher Konsequenz, daß auch alle staatlichen Bindungen auf sie erstreckt werden. Es fragt sich, ob am Ende die Gewerkschaften den Machtzuwachs, den ihnen das arbeitsrechtliche Regelungsverfahren beschert, nicht durch eine Einbuße an Verbandsfreiheit bezahlen müssen. Das Koalitionsgrundrecht wird auch gefährdet, wenn der Tarifvertrag das Vehikel des Einheitsdienstrechts werden soll. Tarifliche Regelungen vermögen die Unterscheidungen zwischen organisierten und nichtorganisierten Bediensteten nicht zu überspringen (es sei denn, daß der Staat durch Allgemeinverbindlicherklärung obrigkeitliche Hilfestellung leistet). Die Vielfalt der Gewerkschaften ermöglicht Rechtszersplitterung. Unter dieser Voraussetzung ist es schlechthin in Frage gestellt, daß die Rechtseinheit des Öffentlichen Dienstes auf der Grundlage des rechtsstaatlichen Gleichheitsgebots verwirklicht werden kann; es mag offen bleiben, woher die größere Gefahr erwächst: aus dem Nivellierungsdruck der größeren Quantitäten, dem Differenzierungsdruck der Funktionseliten oder aus der Wettbewerbsnot der Regelungskonkurrenten. Die Ursache dieser Aporie, der Verbandspluralismus im Öffentlichen Dienst, kann nur beseitigt werden auf Kosten der (kollektiven) Vereinigungsfreiheit der bestehenden Gewerkschaften und auf Kosten des (individuellen) Koalitionsgrundrechts des Individuums'7 •

ce Zum "Öffentlichkeits"-Status der Gewerkschaften: Scholz (N 18), S. 195 bis 222; Zacher (N 18), S. 565-570. Zu den Schranken der Koalitionsfreiheit: Scholz (N 18), S. 325 - 380 (lnsbes. S. 368 - 380). 47 Das Dilemma des Einheitsdienstrechts durch Tarifvertrag wird zutreffend von der Studienkommission dargestellt: Bericht (N 1), S. 351-353, Rn 901 bis 904 (unschlüssiger Widerlegungsversuch des Minderheitsvotums: S. 366 f., Rn 955 - 957).

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XII. Kritik an der Beamtenprärogative kaschierte Parlamentarismus-Kritik Die Betrachtung der Tarüautonomie im Öffentlichen Dienst hat bestätigt, daß das Grundgesetz mit der Garantie des beamtenrechtlichen Regelungsverfahrens ein Gebot staatsrechtlicher Konsequenz erfüllt, und daß die Verfassung keine andere Grundlage eines Einheitsdienstrechts duldet. Die Kritik an der Beamtenprärogative des Gesetzgebers ist letztlich Kritik am parlamentarischen System. Die Zeit ist überreü dafür, daß die Dauerdebatte über die staatsrechtlich vorgegebenen Fundamente des Beamtenrechts geschlossen wird. Diese Diskussion mag in ihren Anfängen sinnvoll gewesen sein, der Ruf nach Beamten-Streik und Beamten-Tarüvertrag hat Nachdenken ausgelöst über zuvor allzuwenig beachtete Existenzbedingungen unseres Verfassungsstaates. Langfristig aber muß das totale In-Frage-Stellen des parlamentarischen Entscheidungsprozesses zur Erosion des allgemeinen Rechtsbewußtseins führen und dienstliche Loyalität zerstören. Erst das Ende des aufwendigen Streits über die Grundlagen kann jene Reformenergien freisetzen, die für eine grundgesetz-gemäße Erneuerung des Öffentlichen Dienstes erforderlich sind.

Die Bedeutung des Beamtenturns für die Heranbildung des modernen Staates Von Otto Kimminich I. Banalität und Aktualität des Themas Die Kenntnis der Tatsache, daß das Beamtenturn mit dem modernen Staat in einem begrifflichen Zusammenhang steht und historisch gleichzeitig mit ihm gewachsen ist, gehört in Mitteleuropa zur Allgemeinbildung. Auch die wissenschaftlichen Werke, die in größerer Oberschau die historische Entwicklung entweder des Staates oder des Beamtenturns schildern, enthalten in der Regel diese pauschale Feststellung, die häufig durch die Eingrenzung auf eine bestimmte verfassungsrechtliche Epoche, nämlich den Absolutismus, präzisiert wird. Kein Geringerer als Hugo Preuss hat das Berufsbeamtenturn und das Berufsheer als die "Tragepfeiler" bezeichnet, "auf denen sich der Bau des absoluten Fürstenstaates in den meisten kontinentalen Ländern und so auch in den deutschen Territorien erhoben hat" 1 • Gustav Schmoller stellte nur die Frage, ob "darin, daß dieses Beamtenturn den absolutistischen Polizeiund Militärstaat begründete"2 , ein Fortschritt liege. Die Tatsache jenes Kausalzusammenhangs setzt er als gegeben voraus, er fügt sogar noch hinzu: "Der Militärstaat war die Konsequenz des Beamtenstaates3." Schmoller war weit davon entfernt, solche Feststellungen als Vorwürfe zu betrachten oder zur Grundlage von Vorwürfen zu machen. Er rühmt die "Fülle von Charakter und Talent, von Wissen und Können", die sich bei den Kanzlern und Ministern, Offizieren und Generälen im Zeitalter des Absolutismus erkennen lasse, sowie die überwältigende "Summe von Ehrbarkeit, von Gottvertrauen, von Pflichttreue, von Hingebung an das Vaterland, von erschöpfender Arbeitstätigkeit bis zum letzten Atemzug"', die sich bei ihnen zeige. Später änderte sich diese Beurteilung, und bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg faßte einer 1 Hugo Preuss, Stichwort "Beamte", in: Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, 1. Bd., Jena 1918, S. 315. t Gustav Schmoller, Der deutsche Beamtenstaat vom 16. - 18. Jahrhundert, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1894 (18. Jahrgang), S. 12. a SchmolleT, S. 13. 4

SchmoUer, S. 14.

Otto Kimminicb der besten Kenner des deutschen Beamtenrechts die damals im westlichen Ausland herrschende Meinung in dem Urteil zusammen, "das deutsche Berufsbeamtenturn sei eine ständisch abgeschlossene Kaste, ein soziologisches Fossil der überwundenen Epoche des Absolutismus und der Monarchie"6 • Auf Urteile aus der Gegenwart kann hier verzichtet werden. Es ist nicht Aufgabe einer kurzen Betrachtung, derartige Urteile zu entkräften oder zu untermauern. Wenn aber über die Reform des öffentlichen Dienstrechts in der Gegenwart gesprochen wird, darf eine Besinnung auf historische Wahrheiten nicht fehlen. Die Wahrheit liegt immer in der Mitte. Auch ohne tiefgründige Untersuchungen erscheint es daher vernünftig, zwar einerseits den Zusammenhang zwischen Beamtenturn und modernem Staat nicht zu leugnen, aber andererseits vor übereilten Schlußfolgerungen aus diesem Zusammenhang und seiner Koinzidenz mit der verfassungsgeschichtlichen Epoche des Absolutismus zu warnen. Doch darf aus der Antizipation des Ergebnisses nicht gefolgert werden, daß die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Gegenstand überflüssig sei. In der Diskussion über ein Reformvorhaben darf keine Aussage kritiklos übernommen werden. Die einzige entschuldigende Vorbemerkung, die der verfassungshistorischen Untersuchung vorangeschickt werden muß, ist daher lediglich der Hinweis darauf, daß eine analytische Untersuchung auf so engem Raum nicht möglich ist, und es sich daher in erster Linie um die Mitteilung und Ordnung bereits vorliegender relevanter Forschungsergebnisse handelt. D. Allgemeiner Staatsbegriff und moderner Staat Die nur in der deutschsprachigen akademischen Lehre beheimatete Disziplin der Allgemeinen Staatslehre mit der dazugehörigen Literatur hat mehreren Generationen von deutschen Juristen- bewußt oder unbewußt- die Überzeugung vermittelt, daß der Staat eine begriffliche Kategorie ist, die bestimmte Wesenselemente zergliedert und die abstrakt analysiert werden kann. Schon die Schwierigkeiten bei der Schaffung einer Typologie der Staatsform lassen erkennen, daß das Begriffsbildungsproblem kaum zu bewältigen ist6. Die Anwendung des Begriffsschemas der Allgemeinen Staatslehre auf die historisch nachweisbaren Herrschaftsformen aber zeigt deutlich, daß sich die Verfassungsgeschichtchen Phänomene jeder Schematisierung, Generalisierung und Abstrahierung entziehen. Eine Zusammenarbeit zwischen Allgemeiner Staats5 Ernst Kern, Die Institution des Berufsbeamtenturns im kontinentaleuropäischen Staat, Bonn 1951, S. 10. • Vgl. Erich Kii.chenhoff, Möglichkeiten und Grenzen begrifflicher Klarheit in der Staatsformenlehre, Berlin 1967.

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lehre und Verfassungsgeschichte erscheint demnach unmöglich. Eine derart von der Verfassungsgeschichte losgelöste Allgemeine Staatslehre kann schwerlich der Versuchung widerstehen, einzelne Elemente organisierter Gruppenherrschaft aus ihrem historischen Gefüge herauszubrechen und zu einem künstlichen Gebilde zusammenzusetzen, das keine Beziehung zur historischen Wirklichkeit hat, die ja auch die Wirklichkeit der Gegenwart ist7 • Die Verfassungsgeschichte aber benutzt eben diese unhistorisch entstandenen Begrüfe und gerät dadurch in die Gefahr, eine gigantische Sprachverwirrung zu erzeugen und folgenschwere Mißverständnisse entstehen zu lassen. Nur so erklärt sich z. B. der heftige Gelehrtenstreit über die Frage, ob die mittelalterlichen Herrschaftsformen als Staat bezeichnet werden können oder nicht8 • Aus diesem Dilemma gibt es verschiedene Auswege. Die Geschichtswissenschaft kann mit einer eigenen Terminologie arbeiten, die jede Verwechslung mit den Abstraktionen der Allgemeinen Staatslehre ausschließt, wodurch die Kluft zwischen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte vertieft wird. Sie kann den Begrüf "Staat" eigenständig definieren und dabei die historische Entwicklung in der Weise berücksichtigen, daß der "Staat des Mittelalters" etwas anderes ist als der "moderne Staat", wodurch die Begriffsbildung fragwürdig wird. Sie kann einen allgemeingültigen Grundbegriff des Staates durch Hinzufügung eines epochenspezifischen Attributs historisch kennzeichnen (z. B. als "Lehensstaat", "Ständestaat", "Patrimonialstaat"), wodurch die Allgemeingültigkeit des Grundbegriffs praktisch wieder aufgehoben wird. In jedem Fall muß sich dann ein besonderer Wissenschaftszweig, der zwischen der Geschichte und der Staatslehre steht und auch die Etymologie einbezieht, mit dem Bedeutungswandel des StaatsbegrUfs beschäftigen11• Eine grö.tlere historische Überschau läßt aber leicht den Gedanken aufkommen, der Staat sei überhaupt nur eine historische Kategorie, und der Ausdruck "Staat" bezeichne ausschließlich eine be7 Die philosophische Frage, ob es wirklich eine Gegenwart gibt, oder ob das, was in der Alltagssprache als Gegenwart bezeichnet wird, "in Wirklichkeit" nur die unstete, flüchtige, in permanenter zeitlicher Bewegung befindliche Trennungslinie zwischen Vergangenheit und Zukunft ist, soll hier nicht aufgegriffen werden. 8 Die umfangreiche Literatur hierzu kann hier nicht aufgeführt werden. Doch seien einige Marksteine genannt: Georg v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Leipzig 2. Aufl. 1925; Otto Brunner, Land und Herrschaft, Wien- Wiesbaden, 4. Aufl. 1959; Heinrich Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, 8. Aufl. Weimar 1968. Eine Übersicht über diesen Streit gibt Ernst Kern, Moderner Staat und Staatsbegriff, Harnburg 1949. 8 Vgl. Paul Ludwig Weinacht, Staat. Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes von den Anfängen bis in das 19. Jahrhundert, Berlin 1968; Wolfgang Mager, Zur Entstehung des modernen Staatsbegriffs, Mainz 1968; Arnold Oskar Meyer, Zur Geschichte des Wortes Staat, Die Welt als Geschichte 1950 (10. Jg.), S. 229 ff.; Werner Suerbaum, Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff, München 1961.

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stimmte Herrschaftsorganisation in der Neuzeit. So sagt z. B. Herbert Krüger unmißverständlich: "Wort- und Begriffsgeschichte haben bestätigt, daß der Staat ein Gebilde ist, das der Geschichte, und zwar der Neuzeit, angehörtlO," In dieser Betrachtungsweise wird der moderne Staat zum Staat schlechthin, während die älteren Herrschaftsformen mit ihren konkreten historischen Erscheinungsbildern bezeichnet werden müssen, wobei dann geprüft werden kann, ob oder in welchem Grade sie sich dem Staatsbegriff nähern. So kann untersucht werden, welche Elemente des Staatsbegriffs bereits in der römischen Republik, im germanischen Stammesherzogtum oder im mittelalterlichen Königtum vorhanden waren. Diese Betrachtungsweise führt die Verfassungsgeschichte und die Allgemeine Staatslehre in gewisser Weise wieder zusammen. Aber sie bedeutet letztlich, daß die Generalisierungen der Allgemeinen Staatslehre keine Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen können, sondern nur Abstraktionen aus einer bestimmten Herrschaftsform der Neuzeit sind und mit dieser in die Geschichte eingehen werden. Mit anderen Worten: sobald diejenige Epoche, die- in etwas unbedachter Namensgebung- als "Neuzeit" bezeichnet worden ist, ihr Ende gefunden hat, wird auch die "Allgemeine Staatslehre" nicht mehr eine allgemeine, d. h. theoretische Disziplin sein, sondern Teil der Geschichte der Staatstheorien. Mit diesen keineswegs einfachen Problemen ist jede Untersuchung im Bereiche der Staatstheorie und der Verfassungsgeschichte belastet. Durch sie verliert z. B. die Feststellung, das Beamtenturn sei ein Begriffsbestandteil des modernen Staates - eine Feststellung, die sich in fast allen Lehrbüchern des Staatsrechts und des Beamtenrechts findet - ihre Aussagekraft völlig. Wenn der Staatsbegriff durch diejenigen historischen Kräfte geschaffen worden ist, die in der Neuzeit gewirkt haben, so gehört d~ eben auch das Beamtentum, und seine Existenz, Funktion und Wirkungsweise ist bereits definitionsgemäß im Staatsbegriff enthalten. Die Diskussion darüber, ob das Beamtenturn den modernen Staat oder der moderne Staat das Beamtenturn geschaffen habe, gleicht dem Streit über die Frage, ob die Henne vor dem Ei dagewesen sei, oder das Ei vor der Henne. Will man die historische Bedeutung des Beamtenturns in einem bestimmten Staat untersuchen, so darf man den Staat nicht mit Hilfe des Beamtenturns definieren, sondern muß die Möglichkeit einräumen, daß auch Herrschaftsformen ohne Beamtentum Staaten sein können, wenn auch mit ganz anderer Definition. Das bedeutet aber, daß die Frage, inwieweit frühere Herrschaftsformen als Staaten bezeichnet werden können, beiseitegelassen werden muß. Der "moderne Staat", d. h. der Staat der Neuzeit, wird dadurch zum 10

Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1964, S. 15.

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begrifflich und historisch abgrenzbaren Phänomen. Auf dieser Grundlage kann untersucht werden, welche Rolle das Beamtenturn bei der Herausbildung dieses Phänomens spielte, wobei der gesamte historische Vorgang nicht in Objektiv-Subjektiv-Verhältnisse aufgelöst wird, sondern so gesehen wird, wie es der Wirklichkeit entspricht, nämlich als Wechselwirkung zahlreicher Faktoren. 111. Die Wechselwirkung von Konstitution und Administration in den Epochen der deutschen Verfassungsgeschichte

Der Streit darüber, ob sich in Mitteleuropa vor Beginn der Neuzeit ein Staat nachweisen läßt, könnte auf der Ebene der Verfassung fortgesetzt werden. Begreift man aber die Verfassung im weitesten Sinn als Ordnung des Zusammenlebens in einem bestimmten räumlich, sachlich oder personell abgegrenzten Bereich, so kann nicht gezweifelt werden, daß jede menschliche Gemeinschaft eine Verfassung aufweist, sofern sie nicht der Anarchie huldigt. Die Anarchie aber läßt sich in keiner historischen Ebene nachweisen. Wenn die Geschichte in ihrem bisherigen Verlauf etwas bewiesen hat, so ist es die tatsächliche Unmöglichkeit der Anarchie. Für die deutsche Verfassungsgeschichte ist das Problem noch komplizierter, weil ihr Beginn nicht festliegt, was die ohnehin schwierige Epochenabgrenzung noch weiter erschwert. Da es aber hier nur auf einen späteren Zeitpunkt ankommt, kann diese Schwierigkeit umgangen werden. Über die zeitliche Verknüpfung des modernen Staates mit der Neuzeit herrscht bei Historikern und Verfassungsjuristen Einmütigkeit. Vor der Neuzeit liegt das Mittelalter, dessen konstitutionelle und administrative Strukturen daraufhin untersucht werden müssen, inwieweit sie den modernen Staat vorbereitet haben oder von ihm überwunden wurden. Ob diese Strukturen in eine Zeit zurück:reichen, die von manchen Gelehrten noch nicht zur deutschen Verfassungsgeschichte gerechnet wird, ist dabei unerheblich. Wichtiger ist die Epocheneinteilung innerhalb der Neuzeit selbst. Der größte Einschnitt ist der Westfälische Frieden von 1648, mit dem viele Verfassungshistoriker den modernen Staat beginnen lassen, obwohl die Neuzeit im politischen und kulturellen Sinn bereits gute 150 Jahre früher anzusetzen ist. Aber das braucht nicht zu verwirren. Eineinhalb Jahrhunderte sind eine angemessene Zeitspanne für die Herausbildung einer so mächtigen historischen Kategorie wie derjenigen des modernen Staates. Man tut gut daran, eine solche Zeit des Umbruchs und der Vielfalt, des Absterbens und Aufbaus, nicht mit einer allzu vereinfachenden Formel zu umschreiben. Es ist besser, sie als eine Übergangsphase zu be-

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trachten und die in ihr enthaltenen Vorgänge und Strukturelemente besonders sorgfältig zu untersuchen. Die darauffolgenden Epochen der deutschen Verfassungsgeschichte sind leicht zu markieren: Absolutismus, aufgeklärter Absolutismus, konstitutionelle Monarchie. Diese drei Epochen führen bis weit über die Mitte des 19. Jahrhunderts, d. h. bis in eine Zeit, die heute noch als unbewältigte Vergangenheit fortwirkt. Wer aktuelle Probleme des modernen Staats begreifen will, muß die bleibenden Auswirkungen der genannten Verfassungsepochen kennen. Allen Verfassungsepochen ist jedoch eines gemeinsam: die bereits angedeutete Wechselwirkung zwischen den Normen der Verfassung und den sie prägenden Faktoren. Dies ist keine Besonderheit des Verfassungsrechts, sondern gilt für alle Rechtsnormen. Das größte Mißverständnis bezüglich der normativen Kraft des Faktischen liegt in der Auffassung, daß nur ein einseitiges Objekt-Subjekt-Verhältnis zwischen Narrnativität und Faktizität besteht, daß also stets die Normen durch die Fakten gebildet und beeinfiußt werden. Dagegen hat Jellinek, auf den sich die Vertreter dieser mißverstandenen Theorie der Narrnativität des Faktischen berufen, unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß für ihn das Tatsächliche nur ein Element in dem Prozeß der Schaffung von Rechtsnormen ist. Von besonderer Eindringlichkeit ist der folgende Satz: "Würde bloß das Tatsächliche als normativ anerkannt werden, so käme es in jeder geschichtlichen Epoche zu einem Punkte, wo vermöge der Umänderung der gesellschaftlichen Verhältnisse der Rechtscharakter des Tatsächlichen entschwände, ohne daß etwas Neues an die Stelle zu treten vermöchte. Lange Zeiträume wilder Anarchie wären die notwendige Folge11." So hat also die Geschichte, in der sich solche langen Zeiträume wilder Anarchie nicht nachweisen lassen, jene mißverstandene Lehre von der normativen Kraft des Faktischen gründlich widerlegt. Aber ebenso unrealistisch wie das törichte Leugnen der normativen Kraft der Normen ist selbstverständlich das Leugnen der echten normativen Kraft des Faktischen, wie sie Jellinek dargelegt hat. Die Wechselwirkung zwischen Normen und Fakten ist der Seinsboden jeder Rechtsordnung, der zugleich sozusagen der Mutterboden der Gesamtkultur ist, als deren untrennbarer Bestandteil die Rechtskultur gedeiht. Nicht nur geschichtliche Phänomene, sondern auch gegenwärtige Erscheinungen sind nur auf der Grundlage des Begreüens jener Wechselwirkung zu verstehen. In der sprachlichen Darstellung muß die Wechselwirkung allerdings in Objekt-Subjekt-Verhältnisse aufgelöst werden. Deshalb muß für jede Verfassungsepoche einzeln geprüft werden, welche Bedeutung und Funktion die Verfassung dem administrativen Apparat und seinen Trägern zuweist, und wie umgekehrt der administrative 11 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Neudruck Bam Hornburg v. d. H. 1966, S. 353.

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Apparat, seine Arbeitsweise, das Verhalten und die Herkunft seiner Träger, die Art, wie er seine Funktion im Rahmen der Verfassung erfüllt, eben diese Verfassung gestaltet und im Laufe der Zeit möglicherweise auch verändert. Diese Trennung, die uns unsere Sprache - und wohl auch das von ihr beeinflußte Denken - aufzwingt, birgt stets die Gefahr in sich, daß wichtige Verbindungslinien durchschnitten werden, die in einer zusammenfassenden Überschau nur notdürftig wieder miteinander verknüpft werden können. Hierunter leidet jede historische Analyse. Aber der Versuch, die natürlichen Verknüpfungen wenigstens notdürftig wiederherzustellen, ist immer noch besser als die Beschränkung auf den analytischen Schnitt. IV. Der Feudalismus und seine Nachwirkungen Mit dem Ausdruck "Feudalismus" wird diejenige Ordnung bezeichnet, die in Mitteleuropa vor der Herausbildung des modernen Staates herrschte und ihre Hochblüte in der Zeit zwischen 900 und 1250 erlebte. Bezüglich dieser Feststellungen herrscht Einmütigkeit unter den Historikern. Im übrigen gibt es mancherlei Meinungsverschiedenheiten. Mitteis verwendet den Ausdruck "Feudalismus" als Oberbegriff für Grundherrschaft und Lehenswesen12• Brunner setzt Feudalismus und Lehenswesen gleich13• In der Tat ist die Grundherrschaft eine Voraussetzung für das Lehenswesen; denn das Lehen ist dadurch gekennzeichnet, daß der Herr einen Mann seines Gefolges (den Vasallen) mit einem Gut (Benefizium) ausstattet, dessen Erträge den Vasallen in die Lage versetzen sollen, dem Herrn Dienste, insbesondere Kriegsdienste, zu leisten. Bei der Frage, wie denn überhaupt der Herr in die Lage kommt, Güter zu vergeben, stößt man auf den Begriff der Grundherrschaft, der aus dem germanischen Recht stammt und nicht mit dem römischrechtlichen Eigentumsbegriff gleichgesetzt werden darf. Selbst in der späteren Zeit, als der römischrechtliche Eigentumsbegriff eindrang und zu einer Aufspaltung in Obereigentum (dominium directum) und Untereigentum (dominium utile) führte, blieb die Grundherrschaft als solche ein personenrechtliches Verhältnis. Der Grundherr (nicht "Grundeigentümer") überläßt das Land anderen Personen gegen einen Anteil am Ertrag in Gestalt von Abgaben und Diensten und übernimmt zugleich die Pflicht zu Schutz und Schirm nicht nur für die Nutzung selbst, sondern auch für die nutzungsberechtigten Personen, über die er aus dem gleichen Rechtsgrund die Gerichtsbarkeit ausübt. Mit Recht wird daher die Grundherr12 Heinrich Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, 8. Aufl. Weimar 1968, S.16 ff. u Otto Brunner, "Feudalismus". Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte, in: Otto Brunner, Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Aufl. Göttingen 1968, s. 128 ff.

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schaft definiert als eine "an Bodenbesitz anknüpfende Ausgestaltung des im Prinzip personalen Herrschaftsgedankens" 14• Der zweite Ursprung des Lebewesens liegt ebenfalls in einer Institution des germanischen Rechts, nämlich in der Gefolgschaft, deren Grundlage die freiwillig übernommene Treueverpflichtung des Gefolgsmanns gegenüber seinem Herrn war. Auch dieses Treueverhältnis war gegenseitig: der Gefolgsmann war zu Rat und Kriegsdienst verpflichtet, der Herr zu Schutz und "Milde", d. h. Belohnung. Anders als das römische öffentliche Recht begründete das Gefolgschaftsverhältnis kein Überund Unterordnungsverhältnis auf der Grundlage von Befehl und Gehorsam. Ein Vorgesetztenverhältnis gab es nicht. "Was Führer und Gefolgsmann fester verkettete als der Gehorsam, war das Band der Freundschaft und der Treue15." Beide Wurzeln des Lehensrechts sind somit Ausdruck des germanischen Staatsdenkens, wobei völlig dahingestellt bleiben kann, ob es gerechtfertigt ist, die Herrschaftsverbände der Germanen als Staaten zu bezeichnen. Fest steht, daß für die Germanen der Staat keine mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit ausgestattete Institution war, sondern ein Personenverband, der durch ein Geflecht von gegenseitigen Rechten und Pflichten zusammengehalten wurde. Die Rechte und Pflichten des Königs waren besonderer Art nach Umfang und Bedeutung, nicht aber nach ihrer Rechtsqualität. Sie umschrieben nicht den Kreis des "öffentlichen Rechts". Das, was im römischen Recht diese Bezeichnung verdiente, fand sich im germanischen Recht auch bei der Sippe und beim einzelnen. Demzufolge bestand auch kein Untertanenverhältnis, sondern eher ein Vertragsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten. Das Lehenswesen ist ein besonderer Ausdruck dieser Organisationsstruktur und zugleich der Wirtschaftsstruktur, nämlich der Agrarwirtschaft, da es ja auf der Landnutzung beruhte. Das dem Vasall zur Nutzung überlassene Gut (Benefizium) war ein Landgut. Durch die Zuspitzung des als Nutzungsentgelt geschuldeten Dienstes auf den Kriegsdienst gewann das Lehenswesen eine besondere Verbindung mit der Heeresverfassung. Deshalb wurde die stufenweise Folge von Lehensverhältnissen als "Heerschildordnung" bezeichnet. Auch die Heerschildordnung machte deutlich, daß der Feudalismus keine unmittelbare Unterordnung eines "Staatsbürgers" unter eine "Staatsgewalt" kannte, sondern nur ein System von stufenförmig gestaffelten, miteinander verbundenen gegenseitigen persönlichen Treueu Friedrich Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Berlin 1966,

s. 61.

15 Walter Schlesinger, Herrschaft und Gefolgschaft in der germanisch-deutschen Verfassungsgeschichte, in: Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Bd. 1, Göttingen 1963, S. 18.

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Verhältnissen. Mit dem König beginnend setzte sich die Heerschildordnung fort über die weltlichen und geistlichen Fürsten bis zu den sogenannten "einschildigen" Rittern hinab, die zwar ein Lehen nehmen, es aber selbst nicht weiter ausgeben konnten. Der Angehörige eines Heerschildes konnten ein Lehen nur von einem Ranghöheren empfangen, andernfalls erniedrigte er seinen Heerschild um eine Stufe. Erst im 14. Jahrhundert, als allmählich Söldnerheere an die Stelle der Ritterheere traten, verlor sich die Bedeutung der Heerschildordnung, die der Lehensordnung aber blieb noch ein weiteres Jahrhundert erhalten.

Es gibt kaum einen größeren Unterschied als den zwischen dem Personenverhand des Feudalstaates und dem durch die Herrschaft des Souveräns oder der Gesetze gekennzeichneten modernen Staat. Trotzdem ist der moderne Staat nicht durch die zielstrebige Vernichtung oder Verdrängung des Feudalstaates entstanden, sondern durch langsame Veränderungen, die viel Altes in die neue Zeit einbrachten. Liermann beschreibt dies mit folgenden Worten: "Der moderne Beamtenstaat ist im späten Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit aus dem mittelalterlichen Lehnsstaat herausgewachsen. Mittelpunkt des Lehnsstaates war der Lehnsherr, dem seine Lehnsleute durch ein Band persönlicher Treue verbunden waren. Mit ihnen und durch sie hielt er das Staatsgefüge zusammen. In einem langsamen Entwicklungsgang ist aus dem Lehen ein Amt, aus dem Lehnsmann ein ,Beamter' geworden. Der Übergang findet sich in dem Wort ,Amtmann'. Das Wort ,Beamter' tritt erst in der zweiten Hälfte 'des 16. Jahrhunderts auf18." Gerade dieses "Herauswachsen" einerneuen Ordnung aus einer alten, das sich über Generationen hinzog und mit einer völlig veränderten Einstellung des einzelnen zur Gemeinschaft verbunden war, muß die Neugier des historisch Interessierten erregen. Betrachtet man die AusgangsJage und den Endpunkt der Entwicklung, so sieht man, daß aus einem gegenseitigen Freundschafts- und Treueverhältnis ein System der Über- und Unterordnung geworden ist. Liegt hier einfach eine degenerative Entwicklung vor? Sind Pflichten mißachtet und mißdeutet worden? Sind Rechte mißbraucht worden? Haben sich Gewaltverhältnisse zu Rechtsverhältnissen gewandelt? Allen diesen Fragen sind zahlreiche Untersuchungen nachgegangen, und es bedeutet keine Herabsetzung der Geschichtswissenschaft, wenn erwähnt wird, daß positive wie negative Beantwortungen überzeugend begründet werden konnten. Hinsichtlich te H. Liermann, Beamtenethos -geschichtlich gesehen, Zeitschrift für Beamtenrecht 1960, S. 240. Liermann wagt die Behauptung, daß der Treuegedanke vom Beamtenturn "als wertvollstes Erbe des Lehnsstaates mit übernommen worden" sei, und er weist darauf hin, "daß der Beamteneid lange Zeit hindurch mit dem Lehnseid identisch gewesen ist. Noch Goethe hat, als er Weimarischer Geheimer Rat wurde, wie ein mittelalterlicher Lehnsmann geschworen, er wolle seinem Herzog ,treu, hold und gewärtig' sein".

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der Marksteine der Entwicklung besteht aber weitgehende Einmütigkeit. Der erste Markstein ist das 'Obergreüen des Lehensrechts auf das Ämterwesen. Das Amt ist an sich eine Institution des römischen Rechts. Während die fundamentale römische Staatsauffassung von den Germanen bewußt abgelehnt wurde, fand das Amt schon relativ früh Eingang in das germanische Recht. Wenn germanische Völkerstämme in den römischen Herrschaftsbereich aufgenommen wurden und dort Siedlungsland zugeteilt erhielten, konnte es nicht ausbleiben, daß ihre Könige oder Herzöge mit Aufgaben im Rahmen der Verteidigung oder Verwaltung des römischen Reiches betraut wurden. Häufig war dies sogar der Grund für die Aufnahme des betreffenden Volkes; gelegentlich ergab es sich im Laufe der Zeit, wenn die römische Militärmacht und Verwaltungskraft nachließ und germanische Siedler in römische Dienste traten und dort in der Hierarchie aufstieg~m. Auch nach der Beendigung der römischen Herrschaft behielten die germanischen Amtsträger ihre früheren Amtsbezeichnungen bei. Nach der Beseitigung des letzten weströmischen Kaisers leiteten sie häufig die Berechtigung zur Führung von Amtsbezeichnungen einfach auf den oströmischen Kaiser über, obwohl dies gar nicht den Tatsachen entsprach. Je unabhängiger sie aber wurden, desto mehr sahen sie sich genötigt oder berechtigt, ihrerseits Amtsträger zu ernennen und Ämter zu schaffen oder zu beseitigen. Bereits im 9. Jahrhundert griff das Lehensrecht auf die Ämter über. Der Graf, der im Karolingerreich eine Verwaltungs- und Rechtsprechungsfunktion erfüllte, erhielt das mit diesem Amt zusammenhängende Gut als Benefizium. Später wurde dann das Amt des Grafen selbst nach Lehensrecht vergeben. Diese Entwicklung fand sich auch bei anderen Ämtern, bis schließlich alle Amtsträger des Reichs Vasallen des Kaisers waren und ihre Ämter als Lehen erhielten. Erst nach Abschluß dieser Entwicklung war der mittelalterliche Lehensstaat perfekt. Für die Zeit der Hochblüte des Lehenswesens gelangen die Historiker zu dem einhelligen Ergebnis, "daß nicht die Grundstücks-, sondern die Ämterleihe das Wesentliche war" 17• Ein zweiter Markstein war die "Verdinglichung des Lehensrechts" 18• Sie war in besonderer Weise geeignet, die persönliche Natur der gegenseitigen Rechte und Pflichten immer mehr in den Hintergrund treten zu lassen. Diese Entwicklung begann damit, daß die Lehenspflicht, die ur17 Erich Wyluda, Lehnrecht und Beamtentum, Berlin 1969, S. 25. Ebenso Wilhelm Ebel, über den Leihegedanken in der deutschen Rechtsgeschichte, in:

Vorträge und Forschungen, Bd. V, Studien zum mittelalterlichen Lehenswesen, Lindau und Konstanz 1960, S. 33. 18 Josef Engel, Von der spätmittelalterlichen respublica christiana zum Mächte-Europa der Neuzeit, in: Handbuch der europäischen Geschichte, hrsg. von Theodor Schieder, Bd. 3, Stuttgart 1971, S. 389.

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sprünglich fast vollständig aus dem Kriegsdienst bestand, auf andere Dienstleistungen ausgedehnt wurde. Schon bei der Vergabe der Ämter als Lehen zeigte sich dieser Wandel, da hier in erster Linie administrative Dienste zu leisten waren. Immerhin blieb die Kriegsdienstpflicht erhalten und wurde auch häufig in Anspruch genommen. Sobald aber auch Kriegsdienstunfähige als Lehensträger anerkannt wurden (man denke etwa an die Reichsäbtissinnen), mußte gestattet werden, daß ein an sich zum Kriegsdienst Verpflichteter seine Lehensdienste durch andere besorgen lassen konnte. Diese allmähliche Loslösung von dem Grundgedanken der persönlichen Dienste bereitete den Weg für die Erblichkeit der Lehen. Dadurch war der "Heimfall", d. h. die Beendigung des Lehensverhältnisses mit dem Tode des Vasallen, ausgeschlossen. Diese Entwicklung fand ihren Abschluß mit dem Erbrecht der Frauen, durch das sichergestellt wurde, daß ein Lehen auch dann in der Familie blieb, wenn in einer Generation kein männlicher Nachfolger vorhanden war. Ein Reichsspruch von 1299 ließ die Lehenserneuerung für die Frauen mit Zustimmung des Landesherrn zu. Damit war die Lehenserneuerung nach dem Tode des Vasallen auf der ganzen Linie zum bloßen Formalakt geworden. Diese Gesamtentwicklung, deren Abschluß das Ende des Lehensstaates signalisiert, war nur möglich auf der Grundlage einer Änderung des Verhältnisses zwischen Vasallität und Benefizium, die schon während der Hochblüte des Lehenswesen eingetreten war. Wurde ursprünglich das Benefizium wegen des bestehenden Vasallenverhältnisses gegeben, so war es später umgekehrt: der Lehensmann verrichtete seine Dienste um des Benefiziums willen. Die Einengung der Dienstpflicht stellte dann praktisch die zweite Phase dieser Entwicklung dar. Noch im 11. Jahrhundert bestand die Lehenspflicht grundsätzlich aus "Heerfahrt", d. h. Teilnahme an den Feldzügen des Lehensherrn, und "Hoffahrt", d. h. Teilnahme an den vom Lehensherrn abgehaltenen Hoftagen und Erscheinen auf den besonderen Ruf des Lehensherrn. Aber seit der Mitte des 12. Jahrhunderts konnte sich der Lehensmann tlurch die Zahlung einer Heersteuer von dieser Pflicht befreien. Und selbst die Hoffahrt, die zur Zeit des Wahlkönigtums eine echte demokratische Komponente darstellte, weil sie eine Beratung des Königs durch die Großen des Landes bedeutete {in England bildete sich hieraus die Keimzelle des Parlaments), wurde zur bloßen Formalität, zur Prunkentfaltung und zur Schau. {Das Wort "hoffärtig" erinnert noch heute daran.) Von den Zeitgenossen wahrscheinlich weitgehend unbemerkt, lockerten sich so die persönlichen Bindungen, welche die verschiedenen Stufen der mittelalterlichen Lehenspyramide zusammengehalten hatten und wurden zur formellen Institution. Die Inhalte der Lehenspflicht aber erlebten ein unterschiedliches Schicksal. Die Ablösung der Kriegsdienstpflicht durch Geldleistun-

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gen oder die Stellung von Ersatzmännern bereitete das Söldner- und Berufsheer vor, die Verstärkung der administrativen Funktionen der lehensrechtlichen Dienstleistungen im Rahmen des Ämterwesens schuf die Grundlage für die Verwaltung des nicht mehr als Personenverband begriffenen Staates und für das Beamtentum. Eine dritte Entwicklung beschleunigte diese Tendenzen, obwohl sie unabhängig von den ersten beiden (Verlehenrechtlichung der Ämter und VerdingHebung des Lehensrechts) auftrat: die sogenannten Dienstlehen. Mit der Verlehenrechtlichung der Ämter stand sie insofern zusammen, als sie eine Vergabe von Ämtern als Lehen betraf. Sie stellte aber insofern eine Sondererscheinung dar, als sie einen anderen Stand betraf als denjenigen, auf dem das Lehenswesen eigentlich beruhte, nämlich dem grundbesitzenden Adel. Die Dienstlehen haben einen anderen Ursprung als die Ämterlehen. Wurde bei den Ämterlehen ein Benefizium vergeben, mit dem bestimmte administrative Funktionen verbunden waren, so erschien beim Dienstlehen das Benefizium von vornherein lediglich als Belohnung für geschuldete und geleistete administrative Dienste. Die Träger dieser Lehen waren tatsächlich Dienstleute, und zwar überwiegend sogar ehemalige Unfreie oder deren Nachkommen, die in der Verwaltung von Häusern und Gütern aufgestiegen waren. Noch im 11. Jahrhundert waren diese "Ministerialen" rechtlich unfrei und traten durch Geburt in den Ministerialenstand ein. Ihr Dienstherr konnte über sie verfügen, ihnen Aufgaben übertragen und wieder entziehen, sie von einem Ort zum anderen versetzen und bei Verletzung ihrer Dienstpflicht bestrafen. Nachwirkungen dieser Unfreiheit zeigten sich auch später noch, als sie längst persönlich frei waren. So durften sie ihre Dienstpflicht nicht einseitig lösen (wie es die Lehensmannen tun konnten, wenn sie auf das Lehen verzichteten) und bedurften, wenn sie heiraten wollten, der Zustimmung des Dienstherrn. Das gegenseitige Pflichten- und Treueverhältnis, von dem das Lehenswesen gekennzeichnet war, fehlte bei ihnen. Es ist eigentlich ganz selbstverständlich, daß bei niederen Lehensträgern, die nicht allzuviel zu verwalten hatten, die Ministerialität keine große Rolle spielen konnte. Am Hofe des Königs aber gab es einen erheblichen Bedarf, und so erklärt es sich ,daß die Reichsministerialität die eigentlich eine Königsministerialität war- eine zunehmende Bedeutung erlangte19• Damit vollzog sich gleichzeitig eine Rangerhöhung der Ministerialen. Zwar wurden die Dienstlehen zunächst noch streng von den Ritterlehen unterschieden und waren diesen untergeordnet, aber im Laufe des 12. Jahrhunderts begannen Adlige, in den Stand der Ministerialen einzutreten, was gleichzeitig Ausdruck der bereits erfolgten Er19 Vgl. Kari Bosi, Die Reichsministerialität der Salier und Staufer, 2 Bd., Stuttgart 1950, 1951.

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höhung des Prestiges der Ministerialen war, als auch weiterhin zu dieser beitrug. Wenn nun Ritter als Ministeriale mit einem Benefizium belehnt wurden, so behielten sie ihren Rang nach der Heerschildordnung bei, und das Dienstlehen hatte damit praktisch den gleichen Rang erreicht wie das Ritterlehen. Schon in der Zeit, in welcher der Sachsenspiegel in lateinischer Ursprache geschrieben wurde (1221 -1224) scheint dies die Praxis gewesen zu sein, obwohl der Sachsenspiegel noch zu berichten weiß, daß die Dienstlehen nicht als vollwertige 'Lehen zu gelten haben. Manche Autoren sehen in der Ministerialität einen unmittelbaren Vorläufer oder gar Anfang des modernen Beamtentums, weil bei ihr die lehensrechtliche Treuverpflichtung praktisch bereits durch eine Amtspflichtersetzt war20. Diese Auffassung enthält sicher ein Körnchen Wahrheit2t, aber die tatsächliche Entwicklung ist doch komplizierter. Auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches entwickelte sich nämlich der moderne Staat nicht auf der Ebene des Reiches, sondern auf der Territorialebene. Wäre es richtig, daß das Überhandnehmen der Ministerialen die Schaffung eines Beamtenapparates bedeutet, der seinerseits zum wichtigsten Instrument und Begriffsmerkmal des modernen Staates wurde, so hätte sich das Reich zum modernen Flächenstaat entwickeln müssen; denn nur auf der Ebene des Reiches war eine derartig mächtige und funktionsfähige Ministerialität vorhanden. In der Tat ist die Stärkung des Königtums ·die logische Entwicklung des gesamten Lehenswesens, weil ja der König an der Spitze der Lehenspyramide steht, womit eine inhärente Tendenz des Lehenswesens zur Zentralisierung vorhanden ist. Diese Entwicklung hat tatsächlich in England und Frankreich stattgefunden. In Deutschland wurde dagegen die zentrale Königs- und Kaisergewalt zunehmend geschwächt, und der moderne Staat enstand auf der Ebene der Territorialfürsten, während das Reich in der Neuzeit schon von vielen Zeitgenossen nicht mehr als Staat anerkannt wurde und in der Rückschau eher als ein völkerrechtliches Gebilde erscheint22• Diese deutsche Sonderentwicklung erklärt sich daraus, daß eben die Ministerialität nur eine von drei großen Teilentwicklungen war. Die beiden anderen (Verlehenrechtlichung des Ämterwesens und Verdinglichung des Lehensrechts) führten eine andere Tendenz zum Siege, die ebenfalls dem Lehenswesen inhärent ist: die Zerstückelung der Staatsgewalt. Manche Autoren sprechen von einer "Verlehenrechtlichung des 20 Vgl. Robert Scheyhing, Eide, Amtsgewalt und Bannleihe, Köln- Graz 1960, S. 113 f.; Wyluda, S. 35. 21 Dadurch wird allerdings die von Liermann (Beamtenethos geschichtlich gesehen, Zeitschrift für Beamtenrecht 1960, S. 240) vertretene Auffassung, das

Beamtenethos habe sich aus dem lehnsrechtliehen Treuebegriff entwickelt, in Frage gestellt. 22 Vgl. Albrecht Randelzhojer, Völkerrechtliche Aspekte des Heiligen Römischen Reiches nach 1648, Berlin 1967.

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Staates" 23• Eine genaue Untersuchung dieser Formulierung würde wieder zu der Streitfrage über die Staatsqualität der mittelalterlichen Herrschaftsverhände führen, die- wie eingangs erläutert- im vorliegenden Zusammenhang unfruchtbar ist. Die Ausdrucksweise ist auch insofern irreführend, als sie anzudeuten scheint, daß vorher ein nicht vom Lehenswesen geprägter Staat bestanden habe. Das ist nicht der Fall; denn der ganze mittelalterliche "Staat" bestand ausschließlich aus dem Geflecht der lehensrechtlichen gegenseitigen Treueverhältnisse. Doch ist es unleugbar, daß eine zunehmende Verlehenrechtlichung der Reichsorganisation, d. h. der administrativen Funktionen des Kaisers, stattfand, die bereits gegen Ende des 12. Jahrhunderts abgeschlossen war und von da an ihre Wirksamkeit entfaltete, die in erster Linie in der Schwächung der Zentralgewalt des Kaisers bestand. Weitblickende Kaiser hatten die darin liegende Gefahr frühzeitig erkannt und ihr entgegenzuwirken versucht, und zwar insbesondere durch den Einsatz von Geistlichen im Rahmen der kaiserlichen Verwaltung. Auf der Ebene der Kanzleitätigkeit konnte dies durch geistliche Schreiber geschehen, auf der Ebene der Reichsämter aber nur durch die Beleihung mit diesen Ämtern. Sie hatte für den Kaiser den Vorteil, daß der geistliche Amtsträger keine Erben hinterließ, so daß bei seinem Tod stets ein Heimfall eintrat. Bekanntlich führte diese Praxis, deren sich Otto der Große mit Erfolg bedient hatte, zur schärfsten Auseinandersetzung zwischen Kaisertum und Papsttum im Mittelalter- zum sogenannten Investiturstreit - , die schließlich beiden großen Mächten zum Verhängnis wurde. Der scheinbare Sieg des Papsttums verhinderte den Ausbau einer geistlichen Beamtenschaft des Reiches. Die Überwucherung der Ämterorganisation durch das Lehenswesen ging daher weiter und raubte dem König die Instrumente seiner Zentralgewalt, so daß er sich nicht energisch genug gegen die partikularistischen Bestrebungen der Territorialherren wehren konnte. Obwohl dies nicht der einzige Faktor ist, der das Erstarken des Partikularismus in Deutschland- im krassen Gegensatz zu Frankreich - begünstigte, ist es doch einer der wichtigsten Faktoren, die bereits im Spätmittelalter wirkten24• Daher wäre es eher angezeigt, von einer "Verlehenrechtlichung des Reiches" bei gleichzeitigem Aufbau der Keimzellen des modernen Staates auf der darunterliegenden Ebene zu sprechen. Die drei Hauptentwicklungen des Lehensrechts wirkten daher in Deutschland in verschiedener Richtung. Die wachsende Bedeutung der :s Vgl. Francois Louis Ganshof, Was ist das Lehnswesen?, Darmstadt 1961, insbesondere S. 178 f. 24 Das Hauptattribut des modernen Staates, die Souveränität, entwickelte sich in bewußter Frontstellung der Territorialherren gegen Kaiser und Papst bereits im späten Mittelalter. Vgl. Friedrich August Frhr. v. d. Heydte, Die Geburtsstunde des souveränen Staates, Regensburg 1952.

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Dienstlehen führte zwar zu einem Erstarken der Reichsministerialität und blieb zweifellos eine Stütze des Kaisers, konnte aber nicht verhindern, daß die beiden anderen Entwicklungstendenzen das Entstehen des modernen Staates auf der Reichsebene unmöglich machten. Die Verdinglichung des Lehensrechts zerstörte die personenverbandsrechtliche Struktur des mittelalterlichen Staates, die Verlehenrechtlichung des Ämterwesens schwächte die Zentralgewalt und äußerte sich hauptsächlich in einer Verlehenrechtlichung des Reiches. Auf der Ebene der Territorialfürsten wirkte sowohl die Verdinglichung des Lehensrechts als auch die Verlehenrechtlichung des Ämterwesens, wobei die letztere ebenfalls zur weiteren Parzeliierung der Staatsgewalt beitrug, die aber bei der Erreichung einer bestimmten Minimalgröße aufhörte. Mit anderen Worten: sobald das Territorium klein genug ist, um von landesherrlichen Ministerialen verwaltet zu werden, hört die dezentralisierende Wirkung des deutschen Lehenssystems auf, und der Weg ist frei für die Entstehung der reinen Dienstlehen, die Umwandlung des Lehensmannes in den Amt-

mann. Aus der Tatsache, daß diese Entwicklung zum modernen Staat - die als eine Entwicklung vom Personenverband zur Flächenadministration bezeichnet werden kann - nicht auf der Ebene des Reiches, sonder» auf der Ebene der Territorien vor sich ging, ergibt sich zwangsläufig, daß der ganze Vorgang, der überdies einen langen Zeitraum benötigte, in den einzelnen Territorien sehr unterschiedlich verlief. So gab es lange Zeit ein Nebeneinander von Lehensleuten und Beamten, das sich in manchen Territorien bis ins 18. Jahrhundert feststellen läßt26• In Österreich, vor allem in Tirol, läßt sich dieser Zustand schon für die Regierungszeit Maximilians I. (1493 -1519) nachweisen26• In Preußen dauerte das Nebeneinander von Lehensleuten und Beamten bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts27• Mitten in diese Übergangszeit fällt der Beginn einer neuen verfassungsrechtlichen Epoche, nämlich derjenigen des Absolutismus, der das definitive Ende des mittelalterlichen Lehensstaates bedeutet und die Entstehung des modernen Staates markiert. Daß der Wandel der administrativen Struktur nicht mit dem konstitutionellen Wandel übereinstimmt, ist bezeichnend. Die administrative Struktur wurde nicht schlagartig verändert, sondern im Laufe einer langen Übergangszeit, deren erste Hälfte vor dem großen verfassungsrechtlichen Einschnitt liegt, die zweite Hälfte danach. Solche Überschneidungen haben später zu der irreführenden Auffassung geführt, die Verwaltung habe eine größere Bestandskraft als die Verfassung. Vgl. Erich Wyluda, Lehnrecht und Beamtenturn, Berlin 1969, S. 55 ff. Vgl. Gustav SchmoUer, Der deutsche Beamtenstaat vom 16.- 18. Jahrhundert, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1894, S. 3. 25

te

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Wyluda, S. 126.

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Otto Kimminich V. Voraussetzungen, Nachwirkungen und Folgen des Absolutismus

Wohl kaum jemand bestreitet die Feststellung von Eckart Kehr: "Der moderne Staat ist mit Beginn des Absolutismus entstanden28." Fast alle Historiker geben den Beginn der Epoche übereinstimmend mit großer Genauigkeit an, indem sie den Westfälischen Frieden als die entscheidende Schwelle bezeichnen. In der Tat hat dieses Dokument das wichtigste Attribut des modernen Staates, nämlich die Souveränität, rechtlich zementiert. Wie oben erwähnt, stammt der Gedanke der Souveränität aus dem späten Mittelalter und wurde bereits vor dem Westfälischen Frieden gute zwei Jahrhunderte hindurch von den Territorialherren mit wachsendem Erfolg vertreten. Insofern bedeutet der Westfälische Frieden nur eine Fortsetzung und Vertiefung einer längst vorhandenen Tendenz oder auch ihren endgültigen Durchbruch. In einer anderen Beziehung aber unterbrach der Westfälische Frieden ebenso alte Tendenzen mit Gewalt: die Ansätze zu einer demokratischen Regierungsform in den freien Städten und in den Territorien mit landständischer Verfas-sung. Die Freiheit der Städte reicht bis ins hohe Mittelalter zurück. Dagegen trat die politische Repräsentation der Stände, obwohl die ständische Gliederung des Volkes germanische Vorbilder hat, erst später in Erscheinung. Sie war ein Gegengewicht gegen die zunehmende Macht der Territorialherren und konnte daher erst dann bedeutsam werden, als die im vorstehenden erwähnten Entwicklungen, die zur Schwächung der Zentralgewalt des Kaisers führten, bereits gewisse Erfolge erzielt hatten. So ist für manche Historiker der "Ständestaat" das älteste Stadium des modernen Staates, das bereits als "postfeudal" zu bezeichnen ist29• Mit größerer Berechtigung kann es aber als Spätform des Feudalstaates betrachtet werden, in der die drei großen Entwicklungen des Lehenswesens, die im vorhergehenden Abschnitt erläutert worden sind, auf der Ebene des Reiches und der Territorien in der dort angegebenen unterschiedlichen Weise wirkten. Auf jeden Fall war es eine Übergangszeit, die auf der Ebene der Territorien durch den Kampf zwischen den um ihre Freiheit besorgten Landständen und den immer mächtiger werdenden Landesherren gekennzeichnet war. Eckart Kehr identifiziert den Absolutismus mit der "Überführung des von Ständen, Monopolisten und Fürsten gemeinsam bzw. gegeneinander regierten ,Staates' aus dem dreifachen Kondominium in den ausschließ2s Eckart Kehr, Zur Genesis der preußischen Bürokratie und des Rechtsstaates, in: Moderne deutsche Sozialgeschichte, hrsg. von Hans-Ulrich Wehler, Köln - Berlin 1966, S. 37. 29 Vgl. Werner Näf, Frühformen des modernen Staates, Historische Zeitschrift 1951 (Bd. 171), S. 225 ff.

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liehen Privatbesitz des Fürsten"30• Man wird dieser Formulierung insofern widersprechen müssen, als sie die inhaltlichen Wesensmerkmale des Absolutismus nicht zu erklären vermag, aber man muß ihr insofern zustimmen, als im Zuge dieses Vorgangs tatsächlich der Absolutismus entstand. Aus der Sicht der Stände und der "Monopolisten", d. h. der finanzkräftigen Bürger, die durch Kredite an verschuldete Fürsten politischen Einfluß gewonnen hatten, erschien jener Vorgang wirklich als ein "großer Enteignungsprozeß"31 • Allerdings ist zu berücksichtigen, daß sowohl der landbesitzende Adel als auch das Bürgertum im Dreißigjährigen Krieg außerordentlich schwere Verluste erlitten hatte, die diese Stände nicht nur physisch dezimierten, sondern auch ihre Wirtschaftskraft erheblich schwächten. Im Gegensatz zu den Pestepidemien des Mittelalters, die für die Überlebenden stets eine Ansammlung von Wohlstand bedeuteten, war von den Verwüstungen der Dreißigjährigen Krieges auch die Kapitalausstattung betroffen. In weiten Gebieten war der Viehbestand fast völlig vernichtet, und es dauerte Jahrzehnte, bis er wieder aufgezogen werden konnte. Fluren waren verunkrautet, Häuser und Stallungen niedergebrannt, das Ackergerät zum Teil mutwillig zerstört, zum Teil abgenutzt. Die Produktion neuer Geräte war während des Krieges völlig zum Erliegen gekommen. Das gleiche galt für das Handwerk und den Handel. Der Rückgang der Metallgewinnung und das Abschneiden der Handelsbeziehungen hatten der deutschen Wirtschaft weitere Schläge versetzt. Viele Sachwerte waren überdies von den fremden Truppen aus Deutschland verschleppt worden. Die Schweden hatten in Norddeutschland sogar in großem Umfang Wälder gerodet und das Holz ins Ausland verkauft. Die Kriegskontributionen taten ein übriges. Neben diese wirtschaftlichen Faktoren trat ein psychologischer: die überlebenden Bürger und Landadeligen waren mit ihren wirtschaftlichen Existenzsorgen so beschäftigt und durch die Unbilden des langen Krieges dermaßen eingeschüchtert, zugleich aber in der Freude über den endlich erreichten Frieden so stark auf materielle Güter ausgerichtet, daß sie kaum noch politische Ambitionen entfalteten. In dieser Situation war es den Fürsten leicht, ihren seit langem erhobenen Anspruch auf Alleinherrschaft unter Berufung auf die rechtliche Zementierung ihrer Position durch den Westfälischen Frieden endgültig durchzusetzen. Die im vorstehenden geschilderte Lage des Landadels und des Bürgertums erklärt zugleich, warum die Fürsten keine Schwierigkeit hatten, den Personalbedarf des Beamtenapparates und des Offizierskorps zu decken.

° Kehr, S. 37.

3

Georg Jellinek, Der Kampf des alten mit dem neuen Recht, Ausgewählte Schriften, Bd. I, Berlin 1911, S. 406. 31

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Jedoch sollte man die Zielstrebigkeit der Fürsten nicht überschätzen. Jellinek hat zweifellos recht, wenn er den Vorgang der Herausbildung der absoluten Monarchie auch deshalb für lehrreich hält, weil er uns zeigt, ,.wie die größten geschichtlichen Resultate unbeabsichtigte Nebenwirkungen zweckbewußter Handlungen sein können. Den einheitlichen Staat aus dem losen Gefüge feudal-ständischer Verbände herzustellen, war keineswegs die ursprüngliche Absicht der Fürsten"32• Wenn Macauley von den Engländern sagt, sie hätten ihr Weltreich in einem Anflug von Geistesabwesenheit (,.in a fit of absent-mindedness") geschaffen, so meint er im Grunde nichts anderes als das, was bei näherer Betrachtung für alle nichtrevolutionären Vorgänge gilt. Niemand wird die Heftigkeit, ja sogar Brutalität bestreiten, mit der die Landesherren, allen voran die Kurfürsten von Brandenburg und später die preußischen Könige, gegen die Stände vorgingen. Aber es läßt sich auch nicht leugnen, daß der größte Teil von Adel und Bürgertum die Neuordnung des Staates begrüßte oder zumindest für notwendig hielt, so daß Gewaltmaßnahmen nur gegen eine Minderheit erforderlich waren. Die wirtschaftliche Not nach dem Dreißigjährigen Krieg und die Unsicherheit der politischen Lage zwangen die Landesherren, ,.alle Mittel zusammenzuhalten, die Behörden zu reorganisieren, die Steuern auszubilden, eine militärische Macht um sich zu sammeln". Mit diesen Worten umreißt Schmoller das Gebot der Stunde am Ende des Dreißigjährigen Krieges und fährt dann ohne jede weitere Erklärung fort: ,.Und so sehen wir von 1650 ab die ständische Macht mehr als früher im Rückzug, die Beamtenorganisation im Vordringen. Die kleineren Territorien holen 1650- 1750 nach, was die größeren schon im 16. Jahrhundert erreicht: sie bilden ihre kleine unstete Kanzlei zu einem festen Regierungskollegium mit geordneter Kanzlei, mit mehreren Abteilungen um. Österreich und Preußen aber, und die anderen Staaten, welche nun mehrere Territorien umfassen, erhalten durch diese Vereinigung den wichtigsten Antrieb, die Behördenorganisation weiter zu bilden, das Beamtenturn als das eigentliche Bindemittel, als Hauptorgan der Staatseinheit zu stärken33." Mit diesen drei Sätzen ist die gesamte Entwicklung des Beamtenturns vom Ende des Feudalismus bis ins 19. Jahrhundert zusammengefaßt, die von sämtli~ chen bisherigen Einzeluntersuchungen bestätigt worden ist34• 32

Georg Jetlinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. Neudruck Bad Hornburg

v. d. H. 1966, S. 325.

33 Gustav SchmoUer, Der deutsche Beamtenstaat vom 16.- 18. Jahrhundert, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 1894, S. 7. u Vgl. S. Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtenturns vom Anfang des 15. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart, 3 Bde. Berlin 1874, 1978, 1884, Neudruck Aalen 1962; Albert Lotz, Geschichte des deutschen Beamtentums, 2. Aufl. Berlin 1914; Otto Hintze, Der Österreichische und der preußische Beamtenstaat im 17. und 18. Jahrhundert, in: Otto Hintze, Staat und Verfassung, hrsg. von Gerhard Oestreich, 3. Aufl. Göttingen 1970, S. 321 ff.

l3eamtentum und moderner Staat Die Bezeichnung des Beamtenturns als "Bindemittel" und als "Hauptorgan der Staatseinheit" im absolutistischen Staat weist auf die Gegebenheit hin, die im dichten Geflecht historischer Kräfte weder vom Absolutismus isoliert noch ihm eindeutig zugeordnet werden kann. Es ist zunächst nichts anderes als die Tatsache, daß die Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts häufig aus heterogenen Gebieten bestanden, die durch die Zufälligkeiten dynastischer Erbfolgen, Eroberungen und sonstiger Ge~ bietserwerbstitel zusammengewürfelt waren. Doch kann die Buntheit der Territorien nicht als Wesensmerkmal des Absolutismus bezeichnet werden, da sie auch in anderen Verfassungsepochen möglich und tatsächlich nachweisbar ist. Die einem Lehensmann gegebenen Benefizien lagen nur selten nebeneinander, so daß im Mittelalter jede Landkarte, die den räumlichen Geltungsbereich der einzelnen Herrschaften zeigte, mindestens genauso bunt sein mußte. Der Unterschied liegt in der Grundstruktur des Gesamtstaates. Während der mittelalterliche Lehensstaat noch immer ein Personenverband war, ist der moderne Staat nur als Flächenstaat zu begreifen. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Grundstrukturen liegt nicht darin, daß der eine Staat nur auf Personen, der andere nur auf dem Territorium beruht; er liegt vielmehr in der unterschiedlichen Grundlage des Verwaltungsaufbaus. Im Personenverbandsstaat, der grundsätzlich genossenschaftlich organisiert ist, und dem daher alle strengen über- und Unterordnungsverhältnisse fehlen, wird der rechtliche Zusammenhalt, die hierarchische Struktur und die Kompetenzverteilung nur durch personenrechtliche Bindungen (Treueverhältnisse) erreicht. Im Territorialstaat mag der Verwaltungsaufbau zentralisiert oder dezentralisiert sein, d. h. es mag Behörden geben, die für das ganze Staatsgebiet zuständig sind, oder das Staatsgebiet mag aufgeteilt sein in zahlreiche Verwaltungsbezirke: immer bleibt das Gebiet die Grundlage für die Ausübung der Staatsgewalt. Nur in diesem Sinne ist der Übergang von der personenverbandsrechtlichen Struktur zur territorialstaatlichen Struktur zu verstehen. Wie im vorstehenden bereits ausgeführt, vollzog sich der Übergang vom Personenverbandsstaat zum Flächenstaat auf der Ebene der Territorien bereits am Ende des Mittelalters. Der Absolutismus hatte also die neue Grundstruktur nicht geschaffen, sondern vorgefunden. Im Absolutismus aber konzentrierten sich alle Bindungen, die aus der Zugehörigkeit von Menschen und Dingen zu einem Territorium entstanden, auf den Monarchen. Auch insoweit diese Bindungen Menschen betrafen, waren es keine gegenseitigen, persönlichen Treuebindungen mehr, sondern einseitige Bindungen des Untertanen an den Landesherrn. Diese Rechtskonstruktion war nur möglich auf der Grundlage des römischen Rechts, das ebenfalls vor der Herausbildung des Absolutismus rezipiert worden war. 5 Berufsbeamtentum

ötto K.lmminich In welchem Umfang die Rezeption des römischen Rechts zur Festigung der Staatsgewalt der Fürsten und damit letztlich zum Absolutismus beigetragen hat, wird von den einzelnen Autoren unterschiedlich beurteilt. Auf der einen Seite wird hervorgehoben, daß erst das römische Recht die alte germanisch-rechtliche Auffassung vom Staat als Personenverband, auf der die mittelalterliche Lehensordnung gegründet war, endgültig beiseite schieben konnte35 • Andere Autoren bestreiten einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen römischem Recht und Absolutismus und verweisen auf das Bedürfnis des schon vorher entstandenen Territorialstaates nach Rechtseinheit36• Offensichtlich handelt es sich auch hier wieder um jene Wechselwirkung der Faktoren, die bei allen geschichtlichen Vorgängen zu beobachten ist. Weder die Behauptung, daß die Macht der Territorialherren auf dem römischen Recht beruhte, noch die umgekehrte Behauptung, daß die Macht des römischen Rechts auf dem Willen der Territorialherren beruhte, entspricht der historischen Wahrheit. Die Rezeption des römischen Rechts liegt zeitlich vor der Herausbildung des Absolutismus und bereitete diesem insofern den Weg, als es tatsächlich die Reste des Feudalismus überwinden half. Diese Tatsache kam den Fürsten zugute. Aber die Stärkung ihrer Macht gegenüber dem Kaiser beruhte doch auf anderen Faktoren. In der Literatur wird besonderes Gewicht auf den Umstand gelegt, daß das römische Recht Juristenrecht war, wodurch die Herausbildung eines speziell ausgebildeten Beamtenstandes unerläßlich wurde. Daran ist zunächst richtig, daß die gelehrten Juristen das römische Recht bevorzugten, weil sie das stark zersplitterte deutsche Recht nicht beherrschten. Hieraus erklärt sich zu einem großen Teil der ganze Vorgang der Rezeption, der an sich auf den ersten Blick unverständlich erscheint. Richtig ist ferner, daß jedes Juristenrecht die Tendenz zur Zentralisierung hat. In Deutschland aber kam es unter der Geltung des rezipierten römischen Rechts nicht zu einer Stärkung der Zentralgewalt, sondern zum Partikularismus. Der Grund hierfür liegt in den gleichen Faktoren, die bereits dem Lehenswesen - im Gegensatz zur Entwicklung in Frankreich und England- die zentralisierende Tendenz versagt hatten. In der Situation, in der sich Kaiser und Reich befanden, konnte sich ein reichseinheitlicher Juristenstand nicht herausbilden. Die Zentren der politischen Macht lagen in den Territorien, und dort lag daher auch das Betätigungsfeld der Juristen. Nicht das römische Recht, sondern das Fehlen der Zentralgewalt begünstigte daher die Festigung der Rechtsposition der Landesherren. Abstrakt betrachtet, hätte das römische Recht die Zentralgewalt, 35 Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. II, Karlsruhe 1966, 8 . 342. ao Georg Dahm, Zur Rezeption des römisch-italienischen Rechts, Darmstadt 1955, s. 21 f.

~eamtentutn

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also die Macht des Kaisers, stärken müssen, zumal es ja gerade unter Berufung auf seine Qualität als Kaiserrecht in Deutschland übernommen worden war37 • Da aber die Zentralgewalt des Kaisers aus anderen Gründen zu schwach war, entfaltete die staatsrechtliche Konstruktion des römischen Rechts ihre Wirkung nicht auf der Ebene des Reichs und Kaisers, sondern auf der Ebene der Territorien und Fürsten, denen die Juristen dienten. Zunächst galt dasselbe auch für die Städte, die in zunehmendem Maße römischrechtlich gebildete Juristen einstellten, doch verloren die Städte als Folge des Dreißigjährigen Krieges und des damit verbundenen wirtschaftlichen Niedergangs weitgehend ihre Freiheit und politische Bedeutung. Die Identifizierung des juristisch gebildeten Beamten mit dem römischen Recht hatte für das Beamtenturn weitreichende Folgen. Die Selbstverständlichkeit, mit der noch heute von ,.jener in Deutschland bis zum 20. Jahrhundert nicht überwundenen Kluft zwischen Volk und Recht, Volk und Juristen" gesprochen wird38, ist erschreckend. Fast wörtlich mit dem vorstehenden Zitat übereinstimmende Urteile von Juristen, Soziologen und Politologen ließen sich in großer Fülle anführen. Das Zitat ist nur deshalb gewählt worden, weil es einer Abhandlung entstammt, in welcher die Verwendung des römischrechtlich ausgebildeten Juristen im Zeitalter des Absolutismus als Ursache jener verhängnisvollen Kluft nachgewiesen wird. Das Sprichwort "Gute Juristen, böse Christen", das bereits im Spätmittelalter aufkam, zeigt die Einstellung des Volkes. Im Absolutismus aber mag noch ein weiteres hinzugekommen sein: der stumme, ohnmächtige Haß gegen ungerechte, bösartige, verschwenderische, gewalttätige oder mit sonstigen schlechten Eigenschaften ausgestattete Fürsten, als deren Repräsentanten die Beamten auftraten. Es wäre sicher falsch, den Absolutismus deswegen zu verurteilen, weil es leider viele solcher schlechter Fürsten gab. Immerhin kann auch auf vorbildliche Herrscher hingewiesen werden, insbesondere in der Zeit des "aufgeklärten Absolutismus". (Hinzuzufügen wäre noch, daß nicht alle von der Aufklärung beeindruckten Fürsten tatsächlich gute Herrscher waren, während umgekehrt gerade die besten absoluten Monarchen, wie z. B. Maria Theresia von Österreich, wenig von der Aufklärung hielten. Trotzdem gehören alle zum "aufgeklärten Absolutismus", womit sich wieder erweist, daß historische Gesamtbezeichnungen mit Vorsicht zu behandeln sind.) Der entscheidende Einwand gegen den Absolutismus ist vielmehr die Tatsache, daß er es der Laune der Erbanlagen, der Fürstenerziehung oder sonstigen persönlichen Umständen des Herr37 Vgl. Paul Koschaker, Europa und das römische Recht, 2. Aufl. München 1953, s. 79, s. 252. 38 Friedrich Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 3. Aufl. Berlin 1966, S. 324 f.

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schers überläßt, wie der Staat regiert wird. Daß der Fürst legibus solutus ist, hat dieser Staatsform ihren Namen gegeben. Noch bedeutsamer ist die Tatsache, daß der Fürst sich mit dem Staat identifiziert. Was nützt es dann, wenn der Fürst sich als ersten Diener seines Staates bezeichnet? Er sagt damit praktisch nur, daß er sein eigener erster Diener ist. Wessen Diener aber ist der Beamte in der absoluten Monarchie? Die Antwort kann nicht schwerfallen: er ist der Diener des Monarchen, damit aber zugleich Diener des Staates. Das auf diese Bindungen gestützte Beamtenethos muß zwangsläufig anders sein als das des Lehensmannes oder auch des Amtmanns im Ständestaat. Trotzdem muß aber daran festgehalten werden, daß das Beamtenturn nicht, wie häufig behauptet wird, "erst das Produkt des absoluten Staates" ist39• Der Absolutismus fand das Beamtenturn vor, das sich zu Beginn des Absolutismus bereits seit mehr als eineinhalb Jahrhunderten in jener Übergangsphase befand, die im vorstehenden Abschnitt gekennzeichnet worden ist. Soweit in dieser Übergangsphase Beamte und Lehensleute nebeneinander tätig waren, mußte der Absolutismus selbstverständlich die Beamten bevorzugen, da nur sie zur Verwaltung eines Flächenstaates fähig sind. Wieder liegt also eine Wechselwirkung vor: einerseits wäre ohne Beamtenturn die Verwaltung des vom absoluten Monarchen regierten Landes nicht möglich gewesen; insofern ist das Beamtenturn die notwendige VoraussetZJUng des Absolutismus. Andererseits verwendet der Absolutismus das Beamtenturn (neben dem Militär) bewußt als Stütze seiner Macht und bildet es ebenso bewußt weiter; in diesem Sinne kann gesagt werden, daß die "Ausbildung" des Berufsbeamtenturns "zweifellos eine Leistung dieses Staates" ist40 • Fehlt bei den meisten Untersuchungen dieses Gegenstandes schon die Erkenntnis dieser Wechselwirkung, so übersehen sie erst recht die hinter ihr stehende historische Wahrheit: nicht nur der absolute Monarch benötigte ein Berufsbeamtentum, um den modernen Flächenstaat zu verwalten, sondern jede andere Staatsform wäre vor den gleichen Aufgaben gestanden. Alle historischen Tendenzen kulminierten darin, dem Berufsbeamtentum jene Rolle zuzuweisen, die es im modernen Staat nun einmal spielt. Daß der moderne Staat in seiner ersten Phase als absolute Monarchie auftrat, ist nicht Schuld oder Verdienst des Berufsbeamtentums, sondern beruht auf anderen historischen Kräften. Umgekehrt mußte das Berufsbeamtenturn in der Phase des Absolutismus von diesem geprägt werden. Doch ist auch dies keine Besonderheit des Berufsbeamtentums: 39 Eckart Kehr, Zur Genesis der preußischen Bürokratie und des Rechtsstaates, in: Moderne deutsche Sozialgeschichte, hrsg. von Hans-Ulrich Wehler, Köln - Berlin 1966, S. 38. 4° Friedrich Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 3. Auft. Berlin 1966, S. 327.

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auch die Stellung des Bürgers, des Landadeligen, des Offiziers, des Pfarrers, war im Absolutismus anders als in anderen Verfassungsepochen. Die historische Wahrheit sieht also wesentlich anders aus als die Klischeevorstellung vom Beamtenturn als Kreatur des absoluten Monarchen, als willfährigem Werkzeug einer jeden Obrigkeit, ohne Rücksicht auf deren Einstellung zu Gesetz und Recht. Ebenso unrichtig ist allerdings die Vorstellung vom Beamtenturn als dem Schöpfer des modernen Staates. Wie man sieht, fällt die Zerstörung beider Legenden nicht schwer. Aber die Zerstörung von Legenden kann niemals der Abschluß eines Gedankengangs sein, sondern muß den Anfang für weitere Überlegungen bilden. Eine historische Betrachtung der Funktion und der Wesensmerkmale des Beamtenturns in den verschiedenen Verfassungsepochen darf nicht bei der Herausbildung des modernen Staates stehen bleiben, sondern muß dessen Weiterentwicklung in den Epochen des Konstitutionalismus und der Demokratie verfolgen. Als Parallelerscheinung zur Beseitigung der Identifizierung von Fürst und Staat löste sich das Beamtenturn bereits im Konstitutionalismus von der zur Einheit verschmolzenen Treuebindung gegenüber Fürst und Staat und setzte an ihre Stelle die alleinige Treue gegenüber dem Staat, der in eben dieser Epoche zum Rechtsstaat heranwuchs. Der Fürst war nicht mehr von den Gesetzen losgelöst, sondern ihnen unterworfen, und das Beamtenturn wurde zum unbestechlichen Diener des Rechts41 • Diese Wandlung, die sich nach dem hier betrachteten Zeitraum vollzog, ist unbestritten. Jedoch werden bezüglich der Folgezeit ebenfalls historisch verbrämte Vorwürfe erhoben, die in der Behauptung gipfeln, das Beamtenturn halte stets an Strukturen und Denkweisen der jeweils vergangenen Verfassungsepoche fest. Solche Behauptungen müssen mit größter Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden. Die Übernahme von Formen und Inhalten vergangener Epochen in die Gegenwart und Zukunft ist aber keine Besonderheit des Beamtentums, sondern gilt für alle Institutionen, sogar für solche, die sich ausdrücklich als revolutionär bezeichnen. (Man denke etwa an die konsequente Fortsetzung der Außenpolitik des zaristischen Rußlands durch die Sowjetunion.) Auch das Grundgesetz, das bei der Normierung der Funktionen des Staatsoberhauptes an die Leitbilder der konstitutionellen Monarchie anknüpft, gibt hiervon Zeugnis. Jede derartige Übernahme alter Institutionen in einen neuen Verfassungsrahmen bedarf sorgfältiger Begründung, und alle Entscheidungen - nicht nur solche über das 41 Selbst unter der Herrschaft des Rechtspositivismus bleibt der von einem solchen Beamtenturn verwaltete Staat zumindest ein "Gesetzesstaat". Vgl, Ernst RudoZf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. II, Stuttgart 1960, S. 16 f.

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Fortbestehen alter Institutionen -sind der späteren Nachprüfung zugänglich. Historische überlegungen können bei einer solchen Nachprüfung weder die rechtlichen noch die politischen Entscheidungen ersetzen. Trotzdem tut jeder :i'iUr Entscheidung Berufene gut daran, sie nicht achtlos beiseite zu schieben.

Sicherung des Österreichischen Berufsbeamtenturns Von Hans R. Klecatsky

I. Die Österreichische Bundesverfassung ist äußerlich und innerlich eine Ruine. Die Republik hat weithin den juristischen Begriffsapparat und - verhüllt oder unverhüllt - viele staatsrechtliche Institutionen aus der konstitutionellen Monarchie und ihrer Dezemberverfassung 1867 übernommen. Zahlreiche Teilreformen wurden und werden seit Jahrzehnten diskutiert, kaum eine wurde verwirklicht, geschweige denn eine organische Totalrevision - wie etwa in der Schweiz1 - wirksam in Angriff genommen. Hier liegt eine entscheidende Ursache für die Österreichische "Malaise" im allgemeinen2 • So kann es auch nicht verwundern, daß die geltende Bundesverfassung keine zentrale verfassungsrechtliche Garantie zugunsten des Berufsbeamtenturns nach Art des Art. 33 des Bonner Grundgesetzes normiert. Indes lassen die zahlreichen Bestimmungen, in denen die Bundesverfassung offensichtlich von Berufsbeamten spricht, keinen Zweifel daran zu, daß sie grundsätzlich die Führung der vollziehenden Staatsfunktionen der Gerichtsbarkeit und der Verwaltung durch Berufsbeamte voraussetzt, ja daß darüber hinaus auch und gerade die Kontrolle der gesetzgebenden Staatsfunktion durch den Verfassungsgerichtshof unter überwiegender Mitwirkung von Berufsbeamten (Rechtsprofessoren, Richter, rechtskundige Verwaltungsbeamte) zu üben ist3 • Sicherlich wird in den neuen Katalog der Grund1 Vgl. insbesondere den Schlußbericht der Arbeitsgruppe für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung, Bern 1973. Nach Fertigstellung des Manuskripts hat endlich die Bundesregierung am 27. Jänner 1975 (vgl. "Wiener Zeitung" vom 28. Jänner 1975) zufolge zahlreicher öffentlicher Mahnungen beschlossen, daß eine Arbeitsgruppe eine Fragebogenaktion nach Schweizer Muster einleiten soll. 2 Vgl. etwa Klecatsky: "Hat Österreich eine Verfassung?" JB11965, S. 544 ff.; ders. in "Die Republik Österreich- Gestalt und Funktion ihrer Verfassung", Vorwort; ders. in "Aktuelle Fragen des Presserechts", Wien 1972, S . 18 f.; ders.: "Das Österreichische Bundesverfassungsrecht", Wien 1973, Vorwort und Einführung. 3 Näheres darüber bei Klecatsky: "Zur rechtlichen Lage des Österreichischen Berufsbeamtentums" in "Der Beamte in der Demokratie", Heft 2/1966 der Schriftenreihe des Instituts für Politik und Sozialreform, Wien, S. 4 ff.; ders.:

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und Freiheitsrechte, der seit bald einem Jahrzehnt von einem vom Bundeskanzleramt einberufenen Expertenkollegium erarbeitet wird, auch eine umfassende Garantie des Berufsbeamtenturns aufgenommen werden müssen. Doch reicht schon die gegenwärtige Verfassungsrechtslage aus, um essentielle Eingriffe in das System des Österreichischen Berufsbeamtenturns - in Bund und Ländern - als Gesamtänderung der Bundesverfassung4 erscheinen zu lassen, die nach Art. 44 Abs. 2 B-VG auch einer Volksabstimmung bedürfte. Der Selbstverständlichkeit, mit der das System des Berufsbeamtenturns aus der Monarchie in die Republik übernommen wurde - und im Interesse der Aufrechterhaltung eines geordneten Gemeinwesens auch übernommen werden mußte5 - entspricht die Selbstverständlichkeit seiner gegenwärtigen Existenz. Das Berufsbeamtenturn ist ein unverzichtbares Element der rechtsstaatlichen, demokratischen, sozialstaatliehen Struktur der Republik11• Der Österreichische Verwaltungsgerichtshof hat einmal in einer kritischen Situation, in der man ihn um tagespolitischer Effektewillen vom Weg des Rechtes abzudrängen versuchte7 , die Kernfrage bloßgelegt: "Indem der Verwaltungsgerichtshof das Gesetz und nur das Gesetz vollzieht, vollstreckt er- wie auch die übrigen Gerichte und Verwaltungsbehörden - den im Gesetz geäußerten Willen des Staatsvolkes. Der Verwaltungsgerichtshof hatte es nicht in der Hand, die Vollstreckung dieses im Gesetz rechtsverbindlich geäußerten Volkswillens zu unterlassen. Solange das Staatsvolk seinen im geltenden Gesetz geäußerten Willen nicht rechtsverbindlich "Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", Wien 1967, S. 177 ff.; vgl. auch

Schambeck: "Der Beamte und das B-VG" in Hellbling-Festschrift, Salzburg

1971, s. 629 ff. 4 Die Feststellung Friaufs (in "Der öffentliche Dienst am Scheideweg", Godesberger Taschenbücher - Schriften zur Staats- und Gesellschaftspolitik 9, Bonn-Bad Godesberg 1972, S. 35): "Der Stellung des öffentlichen Dienstes kommt im Rahmen des Staatsganzen eine so zentrale Bedeutung zu, daß sie sich nur in voller Homogenität mit der gesamten Verfassungsstruktur vorstellen läßt ..." trifft also auch für Osterreich zu. 5 Vgl. Merkl in Heft 7 der "Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer", Berlin- Leipzig 1932, S. 61. Kennzeichnend ist auch der Art. 15 des Renner-Mayr-Verfassungsentwurfes, der den Beratungen des Verfassungsunterausschusses der Konstituierenden Nationalversammlung vorlag, und die erläuternden Bemerkungen hiezu (Texte bei Ermacora: "Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht 1920", Wien 1967, S. 196 und 251 ff. Zur Wiederherstellung der "Gesetzlichkeit" nach den Aktionen "Lokaler Räteorganisationen" vgl. auch S.190). 8 Was Leisner in seiner Schrift: "Grundlagen des Berufsbeamtentums", Bonn-Bad Godesberg 1971, über die Zusammenhänge zwischen Berufsbeamtenturn und den Grundprinzipien des Freistaates gesagt hat, ist auch vom Boden österreichischer Erkenntnisse und Erfahrungen aus zu bestätigen. Vgl. neuestens auch Kneucker: "Bürokratie und Demokratie" in "Dynamische Demokratie", Wien 1973, S. 42 ff. 7 Vgl. Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 1963, III-74 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates X.GP.

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geändert hat, vermag sich niemand auf eine solche Willensänderung rechtmäßigerweise zu berufen. Es steht im Rechtsstaat kein Mensch über dem Recht und keiner außerhalb des Rechtss."

Es ist in der Tat das demokratisch erzeugte, grundrechtskonforme Gesetz, das im Zenturn des modernen Freistaates steht, ja diesem Staat gegenüber dem "pluralistischen" Chaos erst konstituiert. Es gewährleistet die Herrschaft des Volkes, es schützt den Einzelnen, es verteilt die wirtschaftlichen Güter in sozialem Geist und es integriert die gesellschaftlichen Gruppen9 • Wohin das Gesetz nicht reicht, dort bleiben seine Wirkungen: Freiheit, Gleichheit, Sicherheit, Frieden aus, dort herrscht Kampf ohne Kampfesregel, dort sinkt der Einzelne ab zum Manipulationsobjekt der Sozial- und Politmagie. Gegen die dumpfe, unlegitimierte Herrschaft der Ideologien, Irrationalismen, Platituden - wie sie die zeitgenössische Regressionswelle herangeschwemmt hat- das rational geschaffene und vollzogene Gesetz zu setzen, bedeutet einen Aufklärungs- und damit Befreiungsvorgang moderner Art. Das Gesetz aber ist zunächst Papier. Wobei angemerkt sei, daß selbst die Ausfertigung dieses Papiers die Unentbehrlichkeit des Österreichischen Berufsbeamtenturns augenscheinlich macht. Denn die Berufsbeamten sind es ja allein, die beim gegenwärtigen Stand legislativer Technik in Österreich die Regierungsvorlagen von Gesetzen (etwa 90 Ofo) und dazu auch noch- hinter den parlamentarischen Kulissen- einen Teil der wenigen Initiativanträge von Abgeordneten (etwa 10 Ofo) ausarbeiten müssen10• Seine Wirkungen entfaltet das Gesetz aber nur durch strikte Vollziehung und eben um dieser Vollziehung willen bedarf es einer in seiner rechtlichen und sozialen Stellung gesicherten Berufsbeamtenschaft. Denn nur der so gesicherte Beamte kann auf die Dauer den ungesetzlichen Wünschen der Macht mit Erfolg Widerstand leisten11 • Erkenntnis vom 24. Mai 1963, VwSlg NF 6035 A. Vgl. etwa Klecatsky: "Gedanken zum Rechtsstaatsprinzip, im besonderen zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung", Journal der Internationalen Juristen-Kommission, Genf 1963, Band IV/2, S. 263 ff.; ders.: "Der Verwaltungsgerichtshofund das Gesetz", Festschrift- 90 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich, Wien 1966, S. 46 ff.; ders.: "Was verlangt der Rechtsstaat heute?", OJZ 1967, S. 113 ff.; ders.: "Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen"; ders.: "Die Funktion des Gesetzes im modernen demokratischen Rechtsstaat", Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins 1970, S. 169 ff. u. a. 10 Vgl. Kneucker: "Austria: An Administrative State. The Role of Austrian Bureaucracy" in österreichischer Zeitschrift für Politikwissenschaft 1973, S. 95 ff. (S. 125); Klecatsky: "Zur rechtlichen Lage des Österreichischen Berufsbeamtentums", S. 7; Fischer, OJZ 1969, S. 283; Busek in "Die Republik" 1968, S.8u.a. 11 Vgl. etwa auch Merkl, S. 94; Spanner in Heft 13 der "Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer", Berlin 1955, S. 153, Leitsatz 12; Klecatsky: "Zur rechtlichen Lage des Österreichischen Berufsbeamtentums", S. 8 ff.; Schambeck, S. 650; Rechtsgutachten Nr. 18 der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft, Wien, S. 3 f.; Tomandl, JBl. 1968, S. 122, 126. 8

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Österreich kann für diesen einfachen und für jedermann einsichtigen Sachverhalt historische und gegenwärtige Beispiele in Fülle liefern12 •

II. Schon Tocqueville sah die Lage der Beamtenschaft "modern": "In der konstitutionellen Monarchie ist die Macht zwischen dem Volk und dem Fürsten geteilt. Beide sind an einer stabilen Verwaltung interessiert. Der Fürst will das Schicksal der Beamten nicht den Händen des Volkes anvertrauen, aus Angst, sie könnten sich gegen seine Autorität versündigen; das Volk fürchtet seinerseits, daß die Verwaltung, wenn sie einseitig vom Fürsten abhängt, nur der Unterdrückung der Freiheit dient; so läßt man sie gewissermaßen von niemandem abhängig sein. Aus dem gleichen Grund, aus dem Fürst und Volk den Beamten unabhängig machen, halten sie dann nach Garantien gegen den Mißbrauch seiner Unabhängigkeit Ausschau, damit er sie nicht gegen die Autorität des Fürsten oder die Freiheit des Volkes anwendet." Von hier aus ist auch das in der Österreichischen Monarchie entwickelte System der Balance zwischen einer besonderen rechtlichen Stellung der Berufsbeamten und einem besonderen Pflichtenkreis mit einer spezifischen Kontrolle zu verstehen13. Hier liegt die Wurzel der richterlichen Garantien, des "pragmatischen" Dienstverhältnisses, der Ansätze einer Beamtenautonomie bei der Besetzung von richterlichen Dienstposten, im Qualifikations-, Disziplinar- und Dienstprüfungswesen14• Der Untergang der Monarchie setzte das Berufsbeamtenturn von der kaiserlichen Spitzengewalt frei und lieferte das auf strikte Gesetzesvollziehung angelegte Gewaltenteilungselement15 der neuen Republik als wehrloses Beu12 Vgl. das nur aus dem Jahre 1973 stammende parlamentarische Interpellationsmaterial II-1085, 1401, 1455, 1623, 1922, 2172, 2184, 2199, 2279, 2285, 2286, 2425, 2427, 2428, 2513, 2651, 2886 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII.GP. Vgl. auch Berner: "Struktur und Träger der Verwaltung" in "Österreich - Die Zweite Republik" (hrsg. von Weinzierl-Skalnik), 2. Band, Wien 1972, S. 156; vgl. aus jüngster Zeit vor allem Morschers interessante, reichbelegte Äußerung über das "spezifisch gestörte Verhältnis" der gegenwärtigen Regierung "zur Beamtenschaft", JBI. 1973, s. 572 ff. 13 "Die Demokratie in Amerika", Frankfurt- Harnburg 1956, S. 77. 14 Darüber etwa Gumplowicz: "Das Österreichische Staatsrecht", Wien 1891, S. 180 ff.; Ulbricht: "Das Österreichische Staatsrecht", Tübingen 1909, S. 86 ff.; Herrnritt: "Handbuch des Österreichischen Verfassungsrechtes", Tübingen 1909, S. 179ff.; vgl. auch Draxler-Weiler: "Freiheit und Recht", Wien 1966, s. 30 f. 15 Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 B-VG, soweit die Verwaltung in Frage kommt; hinsichtlich der Gerichtsbarkeit: Art. 86, 88 B-VG in Verbindung mit dem Umstand, daß auch die Gerichtsbarkeit nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden darf (vgl. Klecatsky: "Das Österreichische Bundesverfassungsrecht", S. 176, 303). Gleiches gilt selbstverständlich auch von allem Anfang an für die von Berufsrichtern getragene Verwaltungsgerichtsbarkeit. Über das Berufsbeamtenturn als "Voraussetzung der Gewaltenteilung im parlamentarischen System" vgl. die treffenden Ausführungen Leisners, s. 36 ff.

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teobjekt dem zur Gewaltenverschmelzung drängenden Parteienstaat aus. Obwohl vom demokratischen Gleichheitssatz (Art. 7 B-VG) her die Neutralität der Gesetzesvollziehung durch das Berufsbeamtenturn institutionell der neuen gesellschaftlichen Lage entsprechend auszubauen und abzusichern gewesen wäre, geschah solches nicht, ja Gegenteiliges. Hier seien nur einige Grundtatsachen angeführt. Entgegen Art. 20 des neuen Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1. Okt. 1920, der klar sagte: "Unter der Leitung der Volksbeauftragen führen nach den Bestimmungen der Gesetze auf Zeit gewählte Organe oder ernannte berufsmäßige Organe die Bundes- oder die Landesverwaltung", erklärte der Verfassungsgerichtshof schon im Jahre 1923, es gehörten dazu auch die privatrechtlich angestellten Organwalter141• Auch heute wird noch mit Recht diese Auffassung als "verfassungsrechtlich keineswegs unbedenklich" bezeichnet17• Schlägt man nämlich in der amtlichen Entscheidungssammlung nach, so findet man - wie so häufig - für weichenstellende Sentenzen, an die sich dann die "übereinstimmende Auffassung von Praxis und Wissenschaft" 18 klammert, keinerlei Begründung - dafür den für Symptomdenker bemerkenswerten Umstand, daß die Erkenntnis einen Totengräber und sein Verhältnis zur Friedhofsordnung betraf19• Gewiß hatte es bereits in der Monarchie einen "privatrechtlichen Staatsdienst" gegeben, aber bezeichnenderweise hieß es in einem 1909 erschienenen System des "Osterreichischen Staatsrechts"20: "Der privatrechtliche Staatsdienst ist anwendbar in Wirtschaftsbetrieben des Staates und zur Beschaffung technischer Dienstleistungen ohne obrigkeitliche Macht. Auch hier ist öffentlich-rechtlicher Staatsdienst möglich und es VfSlg 225. Walter: "österreichisches Bundesverfassungsrecht". Wien 1971/72, S. 388. Auch die an der Schaffung der Bundesverfassung des Jahres 1920 beteiligt gewesenen ersten Kommentatoren Froehlich!Merkl!Kelsen ("Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920", Wien - Leipzig 1922, S. 87 f.) waren offenbar der Auffassung, daß Art. 20 B-VG nur öffentlich-rechtlich "ernannte" und nicht auch privatrechtlich angestellte Organe vorsehe. Darauf deutet folgender Satz: "Während die mit der Leitung der Verwaltung- und zwar gleicherweise der Bundes- und Landesverwaltung - betrauten Organe ausschließlich auf demokratischem Wege bestellt, also gewählt werden, ist bei den ihnen unterstellten Organen nicht nur der Weg dieser demokratischen Bestellung, sondern auch der einer autokratischen Bestellung, d. h. der Ernennung von Seite höherer Verwaltungsorane zugelassen" (Hervorhebung durch mich). 18 Vgl. Tomandl, JBI. 1968, S. 120; siehe auch die Anmerkungen Tomandls 62 und 5 (S. 113). 19 Der maßgebende Rechtssatz aus VfSlg 225 lautet wörtlich: "Daraus, daß die Friedhofsordnung dem Totengräber die Rechte eines öffentlichen Organs verleiht und seine Beeidigung vorschreibt, folgt noch keineswegs, daß sein Dienstverhältnis ein unkündbares pragmatisches sei, denn auch Personen, deren Dienstverhältnis auf einem privatrechtliehen Vertrag beruht, können behördliche Funktionen übertragen erhalten." 18 17

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Ulbrich, S. 88.

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ist vielfach nur historisch zu erklären, daß bald die eine, bald die andere Art des Verwaltungsdienstes Anwendung findet. In Regalbetrieben, zum Beispiel der Post, hat der öffentlich-rechtliche Staatsdienst seit jeher Anwendung gefunden, während im Bereiche der ohnehin zumeist durch Erwerb von Privateisenbahnen mit Übernahme ihrer Beamten entstandenen Staatseisenbahnen der privatrechtliche Gesichtspunkt überwiegt." Daß aber - einmal die republikanische Verfassungsschleuse willkürlich geöffnet- das privatrechtliche "Vertragsbediensteten"-Verhältnis weit über den "privatwirtschaftlichen" Staatsbereich hinaus auch in den hoheitlichen Verwaltungsbereich Eingang gefunden hat21 , ist nur macht-logisch, denn selbstverständlich bot und bietet22 der "elastische" Privatrechtsbereich den politischen Machthabern weit mehr Manipulationsmöglichkeiten als der starrere öffentlich-rechtliche. Rückläufig war die Entwicklung auch im Bereich der Gerichtsbarkeit. § 5 des nur wenige Tage nach der Ausrufung der Republik erlassenen Grundgesetzes über die richterliche Gewalt vom 22. Nov. 1918 (StGBl. Nr. 38) band die politischen Organe bei der Ernennung von Richtern an die Besetzungsvorschläge der richterlichen Personalsenate. Dieses "in dem bindenden Charakter der Personalvorschläge enthaltene personelle Selbstbestimmungsrecht der Gerichte", "im Interesse der Unabhängigkeit der Gerichte statuiert", wurde durch das Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 "vornehmlich aus politischen Gründen" wieder beseitigt23. Die aus der Monarchie stammende "Dienstpragmatik" vom 25. Jänner 1914 - die auch heute noch geltende Grundordnung des öffentlichrechtlichen Beamtendienstverhältnisses - wurde bis zum Jahre 1965 nicht wesentlich geändert24 • 21 Darüber Adamovich sen.: "Handbuch des Österreichischen Verwaltungsrechtes", 1. Band, Wien 1954, S. 70 ff.; Schambeck, S. 636 ff.; Tomandl, S. 113 ff.; zur Rechtsstellung der "pragmatisierten" Beamten und der Vertragsbediensteten vgl. die Übersicht von Floretta-Martinek in "österreichische Landesberichte zum VI. Internationalen Kongreß für das Recht der Arbeit und der Sozialen Sicherheit in Stockholm (15. bis 17. August 1966)" (herausgegeben von Floretta), Wien 1967, S. 42 ff.; aber schon Merkl, in Heft 7 der "Veröffentlichungen der deutschen Staatsrechtslehrer", S. 59 ff. 22 Darüber Klecatsky, JBl. 1954, S. 473 ff. und 503 ff., JBl. 1957, S. 333 ff.; ders.: "Die verfassungsrechtliche Problematik des modernen Wirtschaftsstaates", Graz 1968, u. a. m.; Kobzina, ÖJZ 1961, S. 421 ff. u. a. m. 23 So Froehlich-Kelsen-Merkl, S. 180; vgl. dazu weiter Klecatsky: "Die Gestalt des Richters", Neues Forum 1966, S. 569 ff.; ders.: "Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", S. 161 ff.; ders.: "Über die Ernennung der Richter", Staatsbürger 1967, F 4, S. 1 f.; ders.: "Für eine moderne Justiz", Staatsbürger 1968, F 4, S. 2; ders.: ,.Über die Notwendigkeit und das Ziel einer umfassenden Reform der Österreichischen Gerichtsorganisation", Schima-Festschrift, Wien 1969, S. 22 f.; die vom österr. Bundesministerium für Justiz herausgegebene Denkschrift:" Gesamtreform der Justiz", Wien 1969, S. 138 ff. 24 Vgl. Hackl: "Die Dienstpragmatik", 6. Auflage, Wien 1970, S.10.

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Das Beamtendienstrecht im ganzen verblieb in einem höchst unübersichtlichen, die Rechtssicherheit permanent verletzenden Zustand. Das Verfassungsgebot des Art. 21 B-vau, das Dienstrecht einschließlich des Besoldungssystems und des Disziplinarrechtes für die Angestellten des Bundes und der Länder, die behördliche Aufgaben zu besorgen haben, nach einheitlichen Grundsätzen (Art. 10 Abs. 1 Z. 16 und Art. 12 Abs. 1 Z. 8 B-VG) zu regeln, blieb nicht nur völlig unbeachtet, es wurde schließlich sogar durch die Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1974, BGBL Nr. 444 (Art. I Z. 19) beseitigt. "Entwicklung und Reform des Beamtenrechtes" - ausgehend von der Lage in der Ersten Republik - behandelt der Österreicher MerkZ im Oktober 1931 in Halle auf der Tagung der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer2t. Seine zahlreichen Warnungen- wie "Der Parteipolitiker in der Maske und Rechtsform des Bürokraten bedeutet die Kompromittierung der Bürokratie, die deren Realität auf die Dauer aufzuheben droht"- gipfeln schließlich in seinem Leitsatz 1: "Das geschichtliche Rechtsgut des deutschen Berufsbeamtenturns hat im Deutschen Reich und in Osterreich in übereinstimmender Rechtsentwicklung alle Wandlungen der Staatsform überdauert und ist in schwerster Krisenzeit eine feste Stütze der Republiken geworden. Immer mehr wird jedoch der Berufsbeamtenkörper durch das Eindringen von Berufspolitikern und Vertragsangestellten einerseits, durch- die Berufstradition zersetzende- parteipolitische Einflüsse andererseits gefährdet. Die Erhaltung eines parteipolitisch neutral wirkenden Berufsbeamtenturns als Brücke über die parteipolitische Zerrissenheit des deutschen Volkes ist rechtspolitische Aufgabe für die ganze, staatlich gespaltene deutsche Nation27."

Bald ein Vierteljahrhundert später erörtert die Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer auf ihrer Tübinger Tagung im Oktober 1954 wieder das Thema: "Die Berufsbeamten und ·d ie Staatskrisen"28• Spanner kann nun auch aus den Erfahrungen des Österreichers mit dem autoritären Regime 1933 - 1938 und der nationalsozialistischen Herrschaft 1938 bis 1945 schöpfen. Um so überzeugender klingt sein Leitsatz 12: "Zusammenfassend kann gesagt werden: Ein für die Stabilität des Staates notwendiges und damit auch gegen das Entstehen von Staatskrisen wirksames, eine objektive Ausübung der staatlichen Funktionen, insbesondere der Verwaltung, gewährleistendes Beamtenturn bedarf einer einheitlichen Staatsidee, auf der die Verfassung beruht und die eine klare Richtlinie zu geben vermag, es bedarf entsprechender Sicherung der Existenz des einzelnen Beamten mit der Möglichkeit eines Rechtsschutzes durch unabhängige Gerichte und 25 In seiner ursprünglichen und der durch § 1 Z 2 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 205/1962 bestimmten Fassung. 26 Heft 7 der "Veröffentlichungen der deutschen Staatsrechtslehrer", BerlinLeipzig 1932, S. 55 ff. n Ebd., S. 102. 28 Heft 13 der "Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer", Berlin 1955.

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einer Entpolitisierung im Sinne der Herbeiführung und des Bestandes einer parteipolitischen Neutralität bei Ausübung seiner Funktionen29." Aber Spanner kennt auch die Lage des Österreichischen Beamten in der von der Großen Koalition30 beherrschten Zweiten Republik und die in "demokratischem" Gewande einhergehenden Formen des Abbaues und der Unterwanderung eines das demokratische Gesetz respektierenden neutralen Beamtentums. So sagt er etwa: "Man denke ... vor allem an den Einfluß parteipolitischer Momente im Bereich der Personalpolitik selbst, die freilich führend regelmäßig von den gewählten politischen Funktionären gesteuert wird. Wenn für die Österreichischen Verhältnisse ein so gründlicher und erfahrener Kenner der Verwaltung wie Adamovich, der sich zudem als Präsident des Verfassungsgerichtshofes stets in seinen Veröffentlichungen außerordentliche Zurückhaltung auferlegt, sich veranlaßt sieht, in dem kürzlich (1954) erschienenen 1. Band seines ,Handbuchs des Österreichischen Verwaltungsrechts' ,Abkehr vor allem von dem verheerenden Prinzip einer parteimäßigen (proportionellen) Besetzung von Amtsposten' " - a.a.O., S. 44- "zu fordern, so mag dies ein Zeichen dafür sein, welches Ausmaß und welche Bedeutung dieser Praxis bereits zukommt31." Tatsächlich ist die rechtliche Lage des Österreichischen Berufsbeamtenturns am Ende der zwanzigjährigen ,,Großen Koalition" (Frühjahr 1966) trostlos32 • Gewiß ist die Infiltration des Beamtenkörpers durch offene oder getarnte Partei- und Interessenmänner33 beträchtlich, die schwersten Destruktionswirkungen aber werden durch Niederhaltung der beamtenrechtlichen Institutionen erzielt. r :

Hierher gehört etwa die Einschränkung des Funktionsbereiches des Berufsrichterturns durch das Überhandnehmen pseudorichterlicher Organtypen, die nicht als "Volksvertreter", ja nicht einmal als demokratisch bestellte Interessenvertreter anzusehen sind34• Hier ist weiter Ebd., S. 153. Über ihre Einwirkungen auf die Staatsstruktur überhaupt vgl. Ermacora im "Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart", Band 16 (1967), S. 251 ff. at Ebd., S. 144 f. 32 Ich habe diese Lage in meiner Abhandlung: "Zur rechtlichen Lage des Österreichischen Berufsbeamtentums", S. 4 ff., unter Angabe der notwendigen Belege beschrieben. Vgl. aber auch die treffenden Ausführungen von Berner, S.135 ff. aa Vgl. auch Kneucker, S. 99, 105. 34 Vgl. Walter: "Verfassung und Gerichtsbarkeit", Wien 1960, S. 156 ff.; ders. im Band II/4 der "Verhandlungen des Ersten Osterreichischen Juristentages", S. 46 f.; ders. in "Osterreichische Richterzeitung" Nr. 11/12/1965 (Sonderdruck S. 6); ders.: "Das Problem der Laienbeteiligung in der Sozialgerichtsbarkeit" in "Vorträge zum Thema: Reform der Sozialversicherungsgerichtsbarkeit", Wien 1968, S. 63 ff.; vgl. dazu auch Klecatsky: "Gerichtsbarkeit im sozialen Rechtsstaat", ebd., S. 115 ff., und Loebenstein: "Verfassungsrechtliche Kritik des bestehenden Rechtes und des Entwurfes unter besonderer Berücksichtigung des Begriffs der ordentlichen Gerichtsbarkeit und des Problems der sogenannten Doppelernennungen", ebd., S. 87 ff. Vgl. schließlich "Gesamtreform der Justiz. Plan einer Neugestaltung der Organisation der Gerichtsbarkeit und ihrer Stellung im Verfassungsgefüge", herausgegeben vom Österreichischen Bundesministerium für Justiz, Wien 1969, S. 44 ff., 83 ff. 18

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die Tragödie der Schulaufsichtsorganisationen35 zu nennen. Nach den bis zur sogenannten "Schulreform" des Jahres 1962 in Geltung gestandenen Rechtsvorschriften gehörten den kollegialen Schulaufsichtsbehörden auch Vertreter der Lehrerschaft an. Ab 1945 unterläßt man es unter Bruch der Verfassung, die Schulaufsichtsbehörden tatsächlich kollegial einzurichten. Als endlich der Verfassungsgerichtshof, später auch der Verwaltungsgerichtshof die Rechtswidrigkeit dieser Lage feststellt, gestaltet man kurzerhand durch eine Verfassungsänderung die zur Beschlußfassung berechtigten Kollegien zu einem dem Parteienproporz unterworfenen "Spiegelbild der politischen Verhältnisse im Land" bzw. im Bezirk, um, wobei freilich in diesem politischen Rahmen auch die Lehrer ihre unentbehrliche Hilfe zur Verfügung stellen dürfen. Trotz des Versprechens des Bundesverfassungsgesetzgebers (Art. 21 Abs. 1 B-VG) wird den Beamten eine gesetzliche Personalvertretung vorenthalten, weil kraft eines gesetzlosen Erlasses des Bundeskanzleramtes vom 17. Juli 1946 die Personalvertretung der Bundesbediensteten allein den unselbständigen Fachgewerkschaften des Österreichischen Einheits-Gewerkschaftsbundes überantwortet ist36• In seinen Tätigkeitsberichten an die Bundesregierung fordert der Verfassungsgerichtshof immer wieder vergeblich die Einräumung eines Rechtszuges gegen Disziplinarentscheidungen an den Verwaltungsgerichtshof, weil die Unabhängigkeit der Mitglieder der Disziplinarkommissionen nur auf dem Papier steht. In seinem Erkenntnis VfSlg. 2311/1952 bezeichnet der Verfassungsgerichtshof die Errichtung eines "aus jedem Ressortverband gelösten Disziplinargerichtshofes als ... begrüßenswerte Fortbildung des Dienstrechtes der öffentlich-rechtlichen Bediensteten" 37 • Es g~bt ihn bis heute nicht; immerhin wurde mit der as Dazu Klecatsky, JBl. 1955, S. 305 ff. und S. 332 ff., ÖJZ 1960, S. 561; ders.: "Zur rechtlichen Lage des Österreichischen Berufsbeamtentums", S. 10. as Vgl. Klecatsky: "Zur rechtlichen Lage des Österreichischen Berufsbeamtentums", S. 15 f.; Ermacora: "über die Interessenvertretung des Österreichischen Bundesbeamten" in "Der Beamte in der Demokratie", S. 17 ff. Mit welcher Beharrlichkeit der Osterreichische Gewerkschaftsbund seine (gesetzlose) Monopolstellung gegen alle Initiativen zur Schaffung einer gesetzlichen Interessenvertretung der Bundesbediensteten verteidigte, ist in dem Kommentar von Heinl-Kirschner: "Die Personalvertretung", Wien 1967, S. 38 ff., nachzulesen. Diese Ausführungen sind um so instruktiver, als die beiden Autoren als Beamte des Bundeskanzleramtes 17 bzw. 5 Jahre das Ringen um die Personalvertretung miterlebten (vgl. Vorwort). 37 Darüber im einzelnen Klecatsky an der in der Anmerkung 36 angegebenen Stelle S. 10 f. Vgl. auch den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes 1971 vom 10. 5. 1972: "Die Bundesregierung hatte im Jahre 1968 zur Zl. 93.6862a/68 den Entwurf eines Verfassungsgesetzes ausgearbeitet, in dem u. a. die Aufhebung der Z. 2 des Art. 133 B-VG vorgesehen war. Durch die Verwirklichung dieses Vorhabens würde öffentlich Bediensteten insbesondere dadurch, daß damit auch die Möglichkeit der Geltendmachung der Verletzung der Entscheidungspflicht vor dem Verwaltungsgerichtshof gegeben wäre, in ihre Existenz berührenden Fragen ein wirksamer Rechtsschutz gewährt werden."

Hans lt. Klecatsky

Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1974 (Art. I Z. 37) der Rechtszug an den Verwaltungsgerichtshof eröffnet. Auch dem einzelnen Beamten fehlt es an hinreichendem Schutz. Dem Willkür- und Machtstreben sind folgende Tore weit geöffnet: das Anstellungs- und Beförderungswesen, der Mangel eines subjektiven Rechtes des Beamten auf eine angemessene Beschäftigung, die Versetzung, die Dienstzuteilung, die Dienstbeurteilung und das Disziplinarwesen38,

m. Die Nationalratswahl vom 5. März 1966 brachte das Ende der "Großen Koalition". In der 11. Gesetzgebungsperiode38 konnte der Verfasser als (parteiloser) Leiter des Justizressorts in der Bundesregierung Klaus (II) an einer erheblichen Verbesserung der rechtlichen Lage des Berufsbeamtenturns mitwirken und überdies einen umfassenden Plan einer

Neugestaltung der Organisation der Gerichtsbarkeit und ihrer Stellung im Verfassungsgefüge der Öffentlichkeit vorlegen. Die Zielrichtung dieser Maßnahmen war in der Regierungserklärung vom 20. April 1966 angegeben:

"Ein besonderes Anliegen ist die Neuordnung der Rechtsverhältnisse des öffentlichen Dienstes, wobei der Frage des Nachwuchses und der Fortbildung besonderes Augenmerk zu widmen sein wird. Hierbei wird dem Leistungsprinzip durch eine leistungsgerechtere Entlohnung stärker Rechnung zu tragen sein. Eine Sicherung der Einrichtung des verfassungsgesetzlich vorgesehenen Berufsbeamtenturns durch eine moderne Gesetzgebung ist für die gesamte staatliche Ordnung von grundlegender Bedeutung. Von diesem Gedanken ausgehend wird ein Personalvertretungsgesetz für die Interessenvertretung der öffentlich Bediensteten ehestens zu schaffen sein. Ein Beamtenschutzgesetz soll, aufbauend auf der Einrichtungsgarantie des Berufsbeamtentums, Schutz gegen politische WiHkür bieten•o."

Über die Gerichtsbarkeit war in der Regierungserklärung vor allem gesagt worden: "Unerläßlicher Bestandteil einer rechtsstaatliehen Ordnung ist die Kontrolle aller Staatsakte durch unabhängige Gerichte. Die Gewährleistung einer unparteiischen und von politischen Einflüssen freien Rechtsprechung ist ein vordringliches Anliegen der Bundesregierung ... Eine Stärkung der ordentlichen Gerichtsbarkeit erwartet sich die Bundesregierung davon, daß die Staatsanwaltschaften bei Strafverfolgung streng nach dem Legalitätsprinzip vorgehen werdenu." 38 Darüber im einzelnen Klecatsky an der in Anmerkung 36 angegebenen Stelle, S. 11 ff. 38 19. April 1966 bis 20. April 1970. Vgl. auch zu der Entwicklung des Beamtenrechtes in dieser Gesetzgebungsperiode Berner. 40 Vgl. "Erfolg für Österreich Durchführung der Regierungserklärung 1966", Wien 1969, S. 41 f. u Ebd.,S.14.

Sicherung des Österreichischen l3erufsbeamtentums

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Denkt man daran, daß Regierungserklärungen durch die im vorangegangenen Wahlkampf akzentuierte gesellschaftliche Lage zumindest mitbestimmt werden, so erscheint auch von da die Situation des Berufsbeamtenturns Mitte der Sechzigerjahre düster. Nun aber erhielten die Bundesbediensteten (ohne Bahn, Post und Richter) mit dem Bundes-Personalvertretungsgesetz vom 10. März 1967 (BGBI. Nr. 133)4! nach jahrzehntelangen Forderungen endlich jene Rechte, die den Dienstnehmern in der Privatwirtschaft bereits seit einem halben Jahrhundert zustanden43 • Dies nicht ohne stürmische parlamentarische Verhandlungen''· Es folgte die Dienstpragmatik-Novelle 1969 (BGBI. Nr. 148) als "Beamtenschutzgesetz"45. Sie brachte die bedeutungsvollsten Änderungen der Dienstpragmatik seit ihrer Erlassung im Jahre 1914, vor allem die nachfolgend bezeichneten«. Die Vorschriften über die Dienstbeurteilung wurden neu gefaßt, dabei das Anfechtungsrecht des Beamten gegenüber der Gesamtbeurteilung erweitert, eine Oberste Dienstbeurteilungskommission beim Bundeskanzleramt geschaffen und die Mitglieder sämtlicher Dienstbeurteilungskommissionen - alle Beamte - durch eine Verfassungsbestimmung (§ 17 Abs. 1 Dienstpragmatik) in Ausübung dieses Amtes selbständig unabhängig erklärt. Verbessert wurde auch das Disziplinarrecht. So wurde eine Verjährung für Disziplinarvergehen eingeführt, die die Mö.g lichkeit eröffnet, bei einem Schuldspruch von der Verhängung einer Disziplinarstrafe abzusehen, und eine Oberste Disziplinarkommission beim Bundeskanzleramt geschaffen. Selbstverständlich sind auch die Mitglieder der Disziplinarkommissionen - sämtliche Beamte- in Ausübung dieses Amtes selbständig und unabhängig (§ 101 Abs. 6 Dienstpragmatik). Neben diesem Ausbau der Beamtenautonomie wurden weitreichende Schutzbestimmungen gegenüber Versetzungen erlassen. Die Zuteilung zu anderen Dienststellen ohne Zustimmung des Beamten wurde zeit42 Vgl. dazu den Kommentar von Heinl-Kirschner: "Die Personalvertretung", Wien 1967. 43 Heinl-Kirschner, S. 36 ff., beschreiben die jahrzehntelange Entstehungsgeschichte des Gesetzes. 44 Vgl. dazu Heinl-Kirschner, S. 43 f.; Ermacora in "Der Beamte in der modernen Demokratie", S. 19 ff. Vgl. auch den Minderheitsbericht der sozialistischen Opposition, 417 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XI. GP. Das Personalvertretungsgesetz wurde in der XII. Gesetzgebungsperiode einhellig novelliert (BGBl. Nr. 284/1971). 45 Vgl. die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage 356 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XI. GP. und das Stenographische Protokoll der 137. Sitzung des Nationalrates vom 27. März 1969, XI. GP. 46 Vgl. auch Hackl: "Die Dienstpragmatik", S. XI.

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lieh beschränkt. Versetzungen an eine andere Dienststelle und bestimmte Änderungen der Verwendung innerhalb der Dienststelle sind grundsätzlich nur mehr bei Vorliegen wichtiger dienstlicher Interessen zulässig. Bei Versetzung an einen anderen Dienstort sind überdies die persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse des Beamten zu berücksichtigen. Was die Österreichische Justiz anlangt, so stagniert das die Gerichtsorganisation betreffende Verfassungsrecht im wesentlichen seit einem Jahrhundert. Immer wieder habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß die Österreichische Justiz endlich den Sprung in den Verfassungs- und Volksstaat des 20. Jahrhunderts tun muß47 • Auf Grund jahrelanger Untersuchungen arbeitete unter meiner unmittelbaren Leitung eine Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Justiz den "Plan einer Neugestaltung der Organisation der Gerichtsbarkeit und ihrer Stellung im Verfassungsgefüge" aus. Die Denkschrift wurde unter dem Titel: "Gesamtreform der Justiz" Ende 1969 veröffentlicht. Daß die Verwirklichung der darin enthaltenen Vorschläge organisationsökonomischer Art, vor allem die Neugliederung der Gerichtsbarkeit und der Zuständigkeiten der einzelnen Gerichtstypen für das Österreichische Berufsbeamtenturn weitreichende Vorteile im allgemeinen bringen würde, braucht im Rahmen dieser Abhandlung nicht weiter erörtert zu werden. Die Denkschrift enthält indes auch detaillierte Darlegungen zu von mir wiederholt vorgetragenen Reformforderungen, die das Verhältnis der Richter zur Justizverwaltung und die Problematik der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte, also die Stellung dieser Berufsbeamten unmittelbar betreffen. Davon soll später noch die Rede sein.

IV. Die in der XI. Gesetzgebungsperiode erzielten Erfolge reichen selbstverständlich nicht aus, um der Zersetzung des Berufsbeamtenturns endgültig Einhalt zu gebieten. Die Reformanstrengungen müssen fortgesetzt werden. Das wurde schon bei der Vorbereitung und der parlamentarischen Behandlung des Bundes-Personalvertretungsgesetzes klar. Abgesehen davon, daß sich dieses Gesetz- wie erwähnt- nicht auch auf den Bundesbereich der Österreichischen Bundesbahnen, der Post und Telegraphenverwaltung und der Richter erstreckt48 , bezieht es sich - mit Aus47 Vgl. etwa Ktecatsky, Österreichische Richterzeitung 1968, S. 4; ders.: "Über die Notwendigkeit und das Ziel einer umfassenden Reform der Österreichischen Gerichtsorganisation", Schima-Festschrift, Wien 1969, S. 38. 48 § 1 Abs. 2 und 3 des Bundes-Personalvertretungsgesetzes. Vgl. auch HeintKirschner, S. 51; hinsichtlich der Richter vgl. S. 49. Die richterlichen Standesvertretungen wünschten selbst, von dem Gesetz ausgenommen zu werden.

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nahrne der Landeslehrer49 - auch nicht auf die Landes- und Gemeindebediensteten50. Überdies fehlt dem gegenwärtigen Personalvertretungssystemauch eine "gemeinsame Spitze"51 • Die "Zentralausschüsse" 52 sind ressortgebunden. Das ist kein legistisches Versehen, sondern das Ergebnis politischer Kompromisse53 zu Gunsten gewerkschaftlicher Machtinteressen. Die berufliche Selbstverwaltung der Beamten sollte nicht zu stark werden54• Eben eine solche Stärke aber ist notwendig, soll sich das Berufsbeamtenturn mit seinen, die einzelnen Beamtensparten übersteigenden beruflichen Interessen im Österreichischen Meta-Interessensystem durchsetzen können. Österreich ist bekanntlich ein "Kammerund Gewerkschaftsstaat". Die Großverbände der Arbeiterkammern, Handelskammern, Landwirtschaftskammern und des Österreichischen Gewerkschaftsbundes sind über die politischen Großparteien mit Parlament und Regierung eng verbunden. Sie sind jeweils für sich scharf zentralisiert und haben sich überdies einen gesetzlosen, das Leben der Nation beherrschenden Zusammenschluß untereinander, aber auch mit der Bundesregierung in Form der "Paritätischen Kommission für Lohnund Preisfragen" geschaffen55 . Es versteht sich von selbst, daß in einem solchen Regierungssystem die Stimme des Berufsbeamtenturns nur dann vernehmbar werden kann, wenn seine Interessenrepräsentation aus der Hügellandschaft wenn schon nicht in die Höhe der neoabsolutistischen "Gipfel", so doch wenigstens zu den "Spitzen" (Österreichischer Arbeiterkammertag, Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, Österreichischer Gewerkschaftsbund) aufstiege. Die Österreichischen Kammern als öffentlich-rechtliche Berufsvertretungen, rekrutiert aus Zwangsmitgliedern, waren in der Monarchie ein Teilersatz demokratisch-parlamentarischer Willensbildung. Entfaltet 49 §§ 1 Abs. 1, 42 des Bundes-Personalvertretungsgesetzes; vgl. auch HeinlKirschner, S. 47, 189 ff. 5o Vgl. Heinl-Kirschner, S. 47, Anmerkung 12. st Vgl. Heinl-Kirschner, S. 47. 52 § 13 des Bundes-Personalvertretungsgesetzes. 53 Vgl. Heinl-Kirschner, S. 36 ff., insbesondere S. 44. 54 Vgl. die Rede des Abgeordneten Dr. van Tongel in der 50. Sitzung des

Nationalrates XI. GP vom 10. März 1967, Stenographisches Protokoll S. 3979. Vgl. auch die gewerkschaftlichen Vorstellungen, die im Zuge der Entstehungsgeschichte des Gesetzes geäußert wurden, wiedergegeben bei Heinl-Kirschner, s. 39 ff. 55 Darüber etwa Klecatsky: "Die kollektiven Mächte im Arbeitsleben und die Bundesverfassung" in "Die kollektiven Mächte im Arbeitsleben" (herausgegeben von Floretta-Strasser), Wien 1963, S. 29 ff., 157 ff.; ders.: "Interessenverbände und Parlament" in Heft 3/1965 der Schriftenreihe des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform, Wien, Neue Folge S. 23 ff.; ders.: "Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", S. 207 ff. und S. 237 ff.; Adamovich: "Handbuch des Österreichischen Verfassungsrechts", 6. Auflage, Wien 1971, S. 111 ff.; Ermacora: "Osterreichische Verfassungslehre", Wien 1971, S. 126 ff.; u. a. m.

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haben sie sich aber erst in der Republik, obwohl sie ihrer rechtlichen Konstruktion nach nur schlecht in das "volldemokratisierte" Verfassungsgefüge passen. Die Handelskammern waren die ersten. Die Arbeiterkammern wurden erst in der Republik (1920) errichtet. Die demokratische Gruppengleichheit der bis dahin nicht zustande gekommenen Arbeiterselbstverwaltung wurde durch das sogenannte "Gleichstellungsgesetz (BGBl. Nr. 424/1921) hergestellt: Jedes Recht der Handelskammern sollte auch den Arbeiterkammern zustehen56• Hoch an der Zeit wäre es nun, gegenüber der Arbeiterselbstverwaltung die demokratische Gruppengleichheit zugunsten der Berufsbeamten zu verwirklichen und eine zentrale öffentlich-rechtliche Beamtenkammer für alle Bundes-, Landes- und Gemeindebediensteten zu schaffen. Der Plan ist nicht neu57• Bereits 1874 forderte der Allgemeine Beamtenverein die gesetzliche Schaffung einer Beamtenkammer. Im Jänner 1919 veranstaltete die Regierung eine Enquete der Beamtenverbände über diesen Gegenstand. Im selben Jahr arbeitete der "Zentralverband der Österreichischen Staatsbeamtenvereine" den Entwurf eines Kammergesetzes aus. Im Jahre 1949 legte die Bundesregierung dem Verfassungsgerichtshof zum Zwecke der Kompetenzfeststellung58 den Entwurf eines Personalvertretungsgesetzes vor, der eine Spitzenpersonalvertretung vorsah. 1959 veröffentlichte die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft, Wien, einen Gesetzesentwurf, mit dem die Errichtung einer Bundeskammer der öffentlichen Bediensteten vorgeschlagen wurde. Im gleichen Jahr brachte die Freiheitliche Partei Osterreichs einen ähnlichen Gesetzesentwurf im Nationalrat ein, 1963 wiederholte sie ihre Initiative59• 1963 versendete auch das Bundeskanzleramt den Entwurf eines Gesetzes, mit dem auch ein Bundeszentralausschuß geschaffen werden sollte. Anfangs 1966 forderten Ermacora60 und ich61 die Errichtung einer zentralen, alle öffentlichen Bediensteten umfassenden Beamtenkammer. Nach wie vor ist die Schaffung einer solchen zentralen Beamtenkammer notwendig und im Sinne des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes geboten. Zusammen mit föderalistisch gegliederten Personalvertretungsorganen hätte diese Beamtenkammer die Interessen aller öffentlich Bediensteten ohne Rücksicht auf die Art ihrer Tätigkeit und die Vgl. Klecatsky: "Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", S. 210 ff. Die nachstehende Darstellung der Bemühungen um eine zentrale Interessenvertretungder Berufsbeamten orientiert sich an Heinl-Kirschner, S. 36 ff. 58 Vgl. VfSig. 1936. Die wesentlichen Rechtssätze siehe bei Klecatsky: "Das Österreichische Bundesverfassungsrecht", S. 217 f. 58 Vgl. auch die Rede des Abgeordneten Dr. van Tongel in der 50. Sitzung des Nationalrates XI. GP. vom 10. März 1967, Sten.Prot. S. 3979. 80 "Über die Interessenvertretung des Österreichischen Bundesbeamten" in "Der Beamte in der modernen Demokratie", S. 19. 81 Klecatsky in "Zur rechtlichen Lage des Österreichischen Berufsbeamtentums", S. 14 ff. 58

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rechtliche Gestaltung ihres Dienstverhältnisses zu vertreten, gleichgültig, ob ihr Dienstgeber der Bund, ein Land oder eine Gemeinde ist, oder ob sie dem Aktiv- oder dem Ruhestand angehören. Daß bei der gesetzlichen Errichtung dieses Interessenvertretungssystems auf die einzelnen Beamtengruppen, ihre Zusammensetzung und ihre Funktionen gleicherweise Bedacht ,genommen werden muß, wie auf die Sicherung wirklich freier Wahlen zur Bestellung der Organe, liegt auf der Hand62 • Die rechtliche Stärke des Berufsbeamtenturns im ganzen würde nicht nur der Lage des einzelnen Beamten zugute kommen, sondern auch dem demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungsgefüge neue Kraft- insbesondere Widerstandskraft gegen den Mißbrauch der Vollziehung zu parteiegoistischen Zwecken- vermitteln63 •

V. Daß die Österreichische Justiz einer organisatorischen Gesamtreform bedarf, wurde bereits gesagt. Wiederholt habe ich die Hauptziele dieser Reorganisationsaufgabe aufgezeigt64 • Notwendig ist es, der noch in der monarchischen Zeit gesetzten ersten Etappe in der Befreiung der Richter von der politischen Gewalt eine zweite Etappe folgen zu lassen. In dieser zweiten Etappe wären die historisch überkommenen, als kaiserliche Reservate sinnlos gewordenen Brückenköpfe der politischen Gewalt in der Justiz weiter abzubauen und die Richterautonomie weiter zu stärken. Im Rahmen dieser großen Aufgabe wären vor allem die Vorschläge, die nach der Bundesverfassung (Art. 86 B-VG) richterliche Senate für die Besetzung von Richterdienstposten zu erstatten haben, mit bindender Wirkung zu versehen65• Dies ist eine jahrzehntelange Forderung der richsz Vgl. auch die Studie der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft, Wien: "Gesetzesentwurf über ein Personalvertretungsgesetz", Wien 1959, und das Rechtsgutachten Nr. 35 der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft: "Die Interessenvertretung im öffentlichen Dienst." 83 Ermutigend ist, daß der Vorsitzende der Gewerkschaft der öffentlich Bediensteten, Dr. Alfred Gasperschitz, jetzt auch Abgeordneter zum Nationalrat, schon im Jahre 1966 eingeräumt hat: "Die Schaffung einer Beamtenkammer brächte mancherlei Vorteile für eine wirksame Interessenvertretung. Eine Konkurrenzierung mit den Gewerkschaften der öffentlich Bediensteten würde genau so wenig eintreten, wie es die Praxis zwischen Arbeiterkammern und den Gewerkschaften der Arbeiter und Privatangestellten zeigt." (in "Der Beamte in der Demokratie", S. 27). Diese Klarstellung ist um so wertvoller, als Gasperschitz von der damaligen Regierungspartei beauftragt war, für sie an der Vorbereitung des Bundes-Personalvertretungsgesetzes mitzuwirken (vgl. die Zeitschrift: "Der Professor" Nr. 1/2/1966, S. 2 f.). 84 Vgl. etwa Klecatsky: "Die Gestalt des Richters" in ,.Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", S. 161 ff. (S. 172 ff.), oder "Über die Notwendigkeit und das Ziel einer umfassenden Reform der Österreichischen Gerichtsorganisation". 85 Vgl. Klecatsky: "über die Ernennung der Richter", Staatsbürger 1967, Folge 4; ders.: "Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", S. 161 ff.; ders.:

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terlichen Standesvertretungen66 • Wie ausgezeichnet sich ein solches Selbstbestimmungsrecht bewährt, beweist der Verwaltungsgerichtshof. Die von ihm zu erstattenden Dreiervorschläge für die Senatspräsidentenund Ratsposten sind bereits seit langem mit bindender Wirkung ausgestattet67. Ni€mals sind hier irgendwelche Schwierigkeiten aufgetreten. Deshalb wären auch die gegenwärtig im geheimen Kabinettsverfahren besetzten Präsidenten- und Vizepräsidentenposten des Verwaltungsgerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs68 demselben offenen Besetzungsverfahren zu unterwerfen. Präzise Vorschläge zur Neuregelung des Besetzungsverfahrens liegen vor; unter anderem habe ich vor Jahren vom Bundesministerium für Justiz den Entwurf eines Richterautonomiegesetzes ausarbeiten lassen6~. Hand in Hand mit einer derartigen Neuregelung sollte eine "Demokratisierung" der richterlichen Personalsenate gehen70. Verfassungsrechtlich eigenartig ist die Österreichische Justizverwaltung geregelt. Soweit richterliche Senate oder Kommissionen Justizverwaltung besorgen, handelt es sich um von der Verwaltung unabhängige Gerichtsbarkeit (Art. 87 Abs. 2 B-VG). Soweit aber Einzelrichter als Justizverwaltungsorgane eingesetzt sind, sind sie als Verwaltungsorgane weisungsgebunden. Hier drängt sich also der Gedanke einer Verlagerung von Justizverwaltungskompetenzen auf richterliche Kollegialbehörden von selbst auf71 . Auch in dieser Hinsicht hat das Bundesministerium für Justiz früher Vorarbeiten geleistet72 • Überdies würde auf diesem Weg auch eine gewisse Föderalisierung der in Österreich im allgemeinen dem Bund überantworteten Justiz bewirkt werden73. Die Aktualität gerade dieser auf die Justizverwaltung gerichteten Reformbestrebungen zeigte sich erst vor kurzem in besonders anschaulicher "Aufgaben der Österreichischen Justizverwaltung", Österreichische Monatshefte 1967, S. 7 ff.; "Gesamtreform der Justiz", S. 138 ff. 66 Vgl. Klecatsky, Staatsbürger 1967, Folge 4, und den damaligen Präsidenten der Vereinigung der Österreichischen Richter Dr. Bröll, laut österreichischer Richterzeitung 1968, S. 2 ff. 87 Art. 134 Abs. 2 B-VG. 68 Vgl. Art. 134 Abs. 2 B-VG und§ 32 Abs. 4 des Richterdienstgesetzes, BGBl. Nr. 305/1961. 69 Vgl. "Gesamtreform der Justiz", S.150. 70 Vgl. "Gesamtreform der Justiz", S.151. 71 Vgl. Klecatsky: "Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", S. 173 f.; ders. im Staatsbürger 1966, Folge 22; ders.: "Die föderalistischen Strukturelemente der Österreichischen Gerichtsbarkeit" in "Föderalismus in Österreich" herausgegeben von Hellbling, Mayer-Maly, Marcic, Wien 1970, S. 157 ff. (S. 182 ff.) u. a . 72 Vgl. "Gesamtreform der Justiz", S.126 ff. 73 Vgl. Klecatsky: "Die föderalistische Natur der Justiz", Staatsbürger 1966, Folge 23; ders.: "Die föderalistischen Strukturelemente der Österreichischen Gerichtsbarkeit".

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Weise. Seit langem sind die beiden Höchstgerichte, die von der Bundesverfassung zur Kontrolle der Gesetzgebung und der Verwaltung eingerichtet sind- der Verfassungs- und der Verwaltungsgerichtshof- bestrebt, ihre Präsidenten in der "Justizverwaltung" selbständig und vom Bundeskanzler unabhängig zu machen. Dabei geht es nur um die Angelegenheiten des nichtrichterlichen Personals und der sachlichen Erfordernisse, die nach der einfachen, verfassungsrechtlich bedenklichen Gesetzeslage74 in Unterordnung unter den Bundeskanzler geführt werden. Dahingehenden parlamentarischen Initiativanträgen wurde die Zustimmung der Regierungspartei versagt75. Abzubauen wäre weiter die umfassende Weisungsgebundenheit staatsanwaltschaftlicher Organe, derzufolge politische Organe erheblichen Ein-

fluß auf konkrete Strafprozesse nehmen können78 . Außerdem ist das "Weisungsrecht" gegenüber staatsanwaltschaftliehen Organen schon gegenwärtig anders zu sehen als das gegenüber Verwaltungsorganen77· 78. 74 Vgl. § 13 Abs. 1 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953, BGBL Nr. 85, § 18 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1965, BGBL Nr. 2. Demgegenüber

setzt die Bundesverfassung selbst die beiden Präsidenten als eigene, den übrigen Mitgliedern gegenübergestellte Organe ein (Art. 134 Abs. 1 und Art. 147 Abs. 1 B-VG). Der Gedanke, daß die damit zweifelsfrei verfassungsrechtlich normierte Leitungsbefugnis dieser Organe von der "Verantwortlichkeit" eines von den beiden Gerichtshöfen zu kontrollierenden Organs abhängig sein kann, ist abwegig. Hätte es doch sonst von verfassungswegen der Bundeskanzler in der Hand, die Kontrollorgane durch Vorenthaltung des notwendigen nichtrichterlichen Personals und der notwendigen Sacherfordernisse lahmzulegen und ihre Kontrollfunktion auszuschalten. Unrichtig auch die Regierungsvorlage, 483 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII. GP, in ihren Erläuternden Bemerkungen, S. 25. Vgl. auch den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofs 1972 vom 18. 6. 1973, Zl1/13-Pr/73; weiter Welan in "Demokratie und Verfassung in Österreich", Wien 1971, S. 259 ff. 75 Vgl. die Initiativanträge der Abgeordneten zum Nationalrat Prof. Dr. Ermacora, Dr. Broesigke, Dr. Prader und Genossen II-2757, 2758 und 2759 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII. GP und die Rede des Mitgliedes des Bundesrates, Professor Dr. Schambeck, in der 324. Sitzung des Bundesrates vom 18. Juli 1973, Stenographisches Protokoll S. 9586 ff. Vgl. auch Klecatsky in "Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung"- Festschrift für Willi Geiger, Tübingen 1974, S. 942. 76 Vgl. Klecatsky: "Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", S. 173; ders., ÖJZ 1967, S. 115 ff.; ders.: "Justiz und Justizminister", Staatsbürger 1966, Folge 11; ders. in Österreichische Monatshefte 1967, S. 9; ders.: "Die Opposition gegen die Justiz", Staatsbürger 1967, Folge 11 (mit Richtigstellung Folge 12); ders.: ""über die Notwendigkeit und das Ziel einer umfassenden Reform der Österreichischen Gerichtsorganisation", S. 20 f.; Literaturverzeichnis im übrigen bei Klecatsky in "Die föderalistischen Strukturelemente der Österreichischen Gerichtsbarkeit", S. 186 f. Vgl. auch "Gesamtreform der Justiz", S. 135. 77 Darüber Klecatsky: "Der Staatsanwalt im demokratischen Rechtsstaat", Staatsbürger 1969, Folge 8. 78 Verwiesen sei insbesondere auf die ausgezeichneten Äußerungen des Österreichischen Generalprokurators Dr. Liebscher (siehe das in Anmerkung 76 zitierte Literaturverzeichnis und zuletzt Staatsbürger 1973, Folge 22 und 23). Im Staatsbürger 1973, Folge 22 und 23 setzt sich Liebscher in treffenden Worten mit der Schrift Günthers: "Staatsanwaltschaft - Kind

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Neu zu regeln wäre auch das gesamte Gnadenwesen. Daß Richter streng nach dem demokratisch erzeugten Gesetz Recht sprechen und Verwaltungsorgane ohne nähere Determinierung dieses Recht wieder beseitigen oder eine solche Beseitigung rechenschaftslos dem Gnadenwerber verweigern können, mag mit den Herrschaftsansprüchen des Monarchen verträglich gewesen sein79 • Mit den Grundvorstellungen des demokratischen Rechtsstaates ist das unvereinbar, ja schon das Wort "Gnade" ist für den Demokraten unerträglich. Ich habe Vorschläge zur Demokratisierung des Gnadenwesens erstattetso. Eine Sanierung des Funktionsbereiches der demokratiefernen Österreichischen Laiengerichtsbarkeit sollte deren Verhältnis zum Berufsrichterturn verfassungsmäßig gestalten81 • Schließlich wäre das Anfechtungsrecht gegenüber präjudiziellen Gesetzen allen Gerichten einzuräumen82• VI.

Nicht minder wäre die zweite Sparte der Vollziehung - die V erwaltung- in eine zeitgemäße Distanz zu den Trägern politischer Gewalt zu setzen, soll nicht das Gesetz gerade dort, wo es sieht- und fühlbar in die Lebenssphäre des Einzelnen eintritt, zur Beute kollektiver Ideologien und Manipulationen werden. Dies wurde bereits auf internationaler Ebene klar erkannt. Schon am 15. Dezember 1962 haben Richter, Rechtsanwälte, Verwaltungsjuristen und Rechtslehrer aus 75 Staaten unter der Schirmherrschaft der Internationalen Juristen-Kommission die Entschließung von Rio de Janeiro zu dem Thema: "Maßnahmen der Exekutive und Rechtsstaat" gefaßt. Darin findet sich folgender Leitsatz: "Zur Sicherung der Unabhängigkeit von Mitgliedern von Verwaltungsbehörden, die herkömmlicherweise gerichtsähnliche Entscheidungen treffen, und zu ihrem Schutz gegen ungebührliche Eingriffe dürfen solche Mitglieder während ihrer Amtsperiode nicht absetzbar sein, außer aus wichtigen Gründen und durch gerichtliches Verfahren88." der Revolution", Frankfurt am Main- Berlin 1973, auseinander. Vgl. übrigens auch die vortreffliche Studie ,.Der Staatsanwalt in der Dritten Gewalt", DRiZ 1968, s. 3 ff. 79 über diesen Problemkreis vgl. insbesondere Klecatsky: "Die staatsrechtlichen Wurzeln des Gnadenrechtes", JB1.1967, S. 445 ff. 80 Vgl. Klecatsky: ,.Gedanken zu einer Neugestaltung des Gnadenrechtes", JBl. 1968, S. 225 ff. 81 Vgl. die Anmerkung 34 und ,.Gesamtreform der Justiz", S. 83 ff.; Klecatsky: "Die Problematik der Laiengerichtsbarkeit" in Osterreichische Monatshefte 1968, Heft 3, S. 13 ff., Heft 4, S. 18 ff. 82 Vgl. ,.Gesamtreform der Justiz", S. 179 ff. Auch die Frage, welche Bedeutung die gehörige Kundmachung von Verordnungen für Gerichte haben soll, wäre von verfassungswegen klarzustellen (S. 181).

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Das ist nicht nur rechtspolitisches Postulat oder Konsequenz einer sich - so ist zu hoffen - immer mehr der der Richter annähernden organisatorischen Stellung konkret-individuell entscheidender oder verfügender Verwaltungsbeamter84, 'sondern auch von der Europäischen Menschenrechtskonvention her intendiert. Die völkerrechtlichen und in Österreich auch verfassungsrechtlichen85 Normen der Artikel 5, 6 und 13 bedeuten, wie immer die Probleme im einzelnen liegen mögen, jedenfalls weitere Verwandlung wesentlicher Verwaltungsstrukturen hin zur Gerichtsbarkeit. Und das nicht von zufälligen oder exponierten Punkten des Rechtssystems, sondern von ihrem ideologischen und normativen Herzstück her: den Menschenrechten und Grundfreiheiten. Treffend haben Golsong - Petzold - Furrerse darauf aufmerksam gemacht, daß im deutschen und Österreichischen Bundesgesetzblatt die Übersetzung des in Art. 6 Abs. 1 der Menschenrechtskonvention enthaltenen Begriffs: "civil rights and obligations" ("droits et obligations de caractere civil") mit "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" zu eng sei, es vielmehr richtig: "bürgerlich-rechtliche und staatsbürgerliche Rechte und Pflichten" heißen müßte. Der Österreichische Verfassungsgerichtshof hat im Einklang mit den Straßburger Instanzen gleichfalls erkannt, daß unter die in Art. 6 der Konvention ausgesprochene Garantie eines fairen gerichtlichen Verfahrens auch Ansprüche fallen können, über die Verwaltungsbehörden zu entscheiden haben87 • Art. 6 Abs. 1 der Konvention sei auch dann entsprochen, wenn zwar primär Verwaltungsbehörden zu entscheiden haben, diese aber der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs unterliegen. Daher bot auch nur die Existenz der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine innere Rechtfertigung für den Österreichischen Vorbehalt gegenüber Art. 5 der Konvention zu Gunsten des durchaus veralteten Österreichischen Verwaltungsstrafsystems88. Rechtfertigend wirkte dabei selbstverständlich nicht die formalstatische Existenz der Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern ihre aus der 83 "Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Grundsätze und Definitionen", Genf 1967, S. 27. Vgl. dazu Klecatsky, OJZ 1967, S. 116. 84 Vgl. dazu auch Weiler: "Der Verwaltungsjurist", JBl. 1966, S. 493 ff., insbesondere S. 501. 85 BGBl. Nr. 210/1958, Nr. 59/1964, Art. II. 88 "Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte", Köln - Berlin - Bonn- München 1970, Band 1, S. IX f. 87 Entscheidungen zusammengestellt bei Klecatsky: "Das Österreichische Bundesverfassungsrecht", S. 739 ff.; vgl. insbesondere die Rechtssätze 10, 12, 13; darunter vor allem die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vom 16. 7. 1971 - Ringeisen gegen die Republik östereich, die auch der "Osterreichischen Juristenkommission" Anlaß zu entsprechenden Beratungen und Empfehlungen gab (vgl. Osterreichische Richterzeitung 1973, S. 8). Siehe auch Schäffer, OJZ 1965, S. 511 ff. 88 Darüber Klecatsky: "Europäische Menschenrechtskonvention und unser Verwaltungssystem", Staatsbürger 1972, Folgen 23, 24, 25.

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Vergangenheit herauf und weiter geübte dynamische Einflußnahme auf ihr Kontrollobjekt: die Verwaltung. Es ist symptomatisch, daß in der 1966 erschienenen Festschrift: "90 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich" auch ein Beitrag des inzwischen verstorbenen großen alten Mannes des Österreichischen Verwaltungs- und Verfassungsrechtes, Egbert MannZicher, mit dem Titel: "Der Weg zur rechtlichen Ebenbürtigkeit von Verwaltung und Justiz" erschienen ist89 • Er beginnt mit den Worten: "Es gehört zu den interessantesten Erscheinungen auf dem Gebiete des Rechts, wie sich in Osterreich - in manchen Beziehungen beispielgebend für andere Staaten - im Laufe der Zeit die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß auch die öffentliche Verwaltungstätigkeit in einem Rechtsstaat nichts anderes sein kann als Rechtsausübung und gleich dem Bereich der Justiz allen Sicherungen zur Einhaltung des Rechtes unterworfen sein muß. In dieser Entwicklung ist ... der Verwaltungsgerichtsbarkeit gerade nach der hier verwirklichten Art und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine ganz besondere Rolle zugekommen." Vor dem Hintergrund dieses rechtlichen Entwicklungsprozesses hatten in Österreich schon in den Zwanzigerjahren Körner90 und Kelsen dieser in seiner in vieler Hinsicht richtungsweisenden Schrift: "Justiz und Verwaltung" 91 - den Gedanken vertreten, den mit Rechtsprechung betrauten Verwaltungsbeamten Unabhängigkeit einzuräumen und diese Unabhängigkeit in gleicher Weise zu garantieren wie den Richtern.

KeZsen schrieb im Jahre 1929: "Eine besonders ernst zu nehmende Begründung aber findet die Forderung nach Unabhängigkeit der rechtsprechenden Verwaltungsbeamten in dem legitimen Bedürfnis nach Entpolitisierung der Verwaltung. Der parteipolitisch so gut wie hemmungslos ausgesetzte Minister ist nur zu leicht geneigt, den auf ihn ausgeübten Druck in die Bahnen des der Rechtsprechung gewidmeten Verwaltungsverfahrens weiter zu leiten9!." Auf dieser Linie liegt der bis heute nicht erfüllte Programmsatz des Art. 11 Abs. 5 B-VG, der die Übertragung des Verwaltungsstrafverfahrens in oberster Instanz an Verwaltungsstrafsenate vorsieht, deren Mitglieder in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden sein sollen. Auch gibt esin Österreich in oberster Instanz viele kollegial organisierte Verwaltungsbehörden, die nach der Bundesverfassung (Art. 133 Z 4 B-VG) durch einfache Bundes- oder Landesgesetzes derart organisiert werden dürfen, daß unter den Mitgliedern sich wenigstens ein Richter befindet, auch die übrigen Mitglieder in Ausübung dieses Amtes an keine Weisungen gebunden sind und ihre Bescheide nicht der AufheEbd., S. 61 ff. "Unabhängigkeit der Verwaltungsrechtsprechung", Prager Juristische Zeitschrift, VII. Jahrgang Nr. 8. 91 Abgedruckt in "Die Wiener rechtstheoretische Schule", herausgegeben von Klecatsky-Marcic-Schambeck, Wien 1968, 2. Band, S. 1781 ff. 92 Ebd., S. 1799. 89 90

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bung und Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen. Ihre Tätigkeit ist sogar von der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof befreit, wenn nicht die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gesetzlich ausdrücklich für zulässig erklärt ist93 • Da diese Kollegialbehörden allerdings durch Beisitzer, die von Interessenvertretungen entsendet werden, in neue Abhängigkeiten geraten94 , geht die allgemeine Meinung dahin, es sollten diese Kollegialbehörden der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen werden95• Zudem gibt es - worauf von verschiedenen Seiten aufmerksam gemacht wurde - Verwaltungsfunktionen (wie Gutachten, Tatsachenermittlungen etc.) im verwaltungsbehördlichen Prozeß, die schon ihrem Wesen nach Weisungen ausschließen96• Jedenfalls gehört das umfassende Weisungsrecht politischer Funktionäre gegenüber der gesetzesvollziehenden und dem Verwaltungsgerichtshof zu kontrollierenden Verwaltung97 zu jenen aus der Monarchie in die republikanische Verfassung übernommenen juristischen Institutionen, die heute keinen anderen Sinn mehr haben, als Machtbedürfnissen zu dienen. Im Interesse einer transparenten Volksverwaltung ist ein solches Weisungsrecht heute abzuschaffen, wobei den weisungsfrei zu stellenden Verwaltungsorganen auch noch richterähnliche Garantien zum Schutz gegen Politikerwillkür eingeräumt werden müssen. Ein solches Verwaltungssystem wäre dem Prinzip nach die auf einer kontinuierlichen Österreichischen Entwicklungslinie liegende Verwirklichung eines menschenrechtskonformen Rechtsschutzsystems; wozu allerdings auch noch gewisse Verbesserungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit treten müßten98 und an die Übertragung des Rechtes zur Anfechtung von präjudiziellen Gesetzen und Verordnungen auch an Verwaltungsbehörden zu denken wäre99 • In diesem Zusammenhang verdienen besondere Erwähnung die Beamten des Rechnungshofes, der von der Bundesverfassung (Art. 121 ff. Vgl. Ktecatsky: "Das Österreichische Bundesverfassungsrecht", S. 430 ff. Vgl. das Rechtsgutachten Nr. 8 der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft, Wien: "Kammern und Kollegialbehörden". 95 Vgl. Winkter in "Gerichtsschutz gegen die Exekutive" (herausgegeben von Mosler), 2. Band, Köln - Berlin - Bonn - München 1971, S. 854. Siehe auch den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofs 1971 vom 10. 5. 1972. 96 Vgl. Weiter, S. 501. 07 Zur Lage des Weisungsrechtes in der "Privatwirtschaftsverwaltung" vgl. Barfuß: "Die Weisung", Wien 1967, S. 80 f. unter Hinweis auf Melichar, Ktecatsky und Plöchl. 98 Vgl. Ktecatsky: "Europäische Menschenrechtskonvention und unser Verwaltungssystem"; ders.: "Brauchen wir heute noch eine sonderverwaltungsgerichtliche Verfassungsgerichtsbarkeit?", ÖJZ 1973, S.ll3 ff. 99 Vgl. Pfeifer: "Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeit" in "Zur Reform der Österreichischen Innenpolitik 1955 - 1965" (herausgegeben von MarcicMock-Schmötz-Weinzierl), Wien- Salzburg 1966, S. 69. 93

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B-VG) zur Rechnungs- und Gebarungskontrolle des Bundes, der Länder, der Gemeinden, anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften und sonstiger Rechtsträger berufen ist. Die Beamten des Rechnungshofes unterliegen den Weisungen des Präsidenten, der, wie der Vizepräsident, vom Nationalrat gewählt wird (Art. 122 Abs. 4 B-VG) und voll vom Vertrauen des Nationalrates abhängig ist (Art. 123 Abs 2 B-VG). Zur Gewährleistung einer von den zu kontrollierenden Staatsorganen unbeeinflußten Kontrolle wurde schon im Jahre 1953 auf dem ersten Kongreß der Internationalen Vereinigung der Rechnungshöfe in Havanna eine institutionell garantierte Unabhängigkeit der Rechnungshofbeamten geforderttoo. VII. Ist auch dank der Beamtenschutzbestimmungen des Jahres 1969 die offene Verdrängung von Berufsbeamten aus ihrer Dienststelle schwieriger geworden, so kommt es nun zu Aktionen, die im Bereich der Gerichtsbarkeit durch das Verfassungsprinzip der festen Geschäftsverteilung und des Verbotes der Abnahme der einem Richter nach der Geschäftsverteilung zufallenden Sache (Art. 87 Abs 3 B-VG) ausgeschlossen sind. So hat Morscher in einer auf präzises parlamentarisches Material gegründeten übersicht101 dargetan, in welchem Ausmaß es heute in Österreich üblich ist, im Bereich des Bundes "oberste Führungs- und Leitungstätigkeit" auf Einrichtungen "außerhalb des herkömmlichen Berufsbeamtentums", "Berater", "politische Büros", "Ministerbüros", "Stabsstellen", "Beiräte", "Kommissionen", "Projektgruppen", "Forschungsbeauftragte", usw. zu stützen. Morscher spricht mit Recht von einer "wahren Inflationsflut" solcher Erscheinungen, indem er feststellt, daß allein an "Nichtbeamten-Beiräten, Kommissionen und Projektgruppen" vom April1970 bis Mitte 1971 ca. 60 und von 1971 bis August 1972 zumindest 15 bis 18 (ausschließlich des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung) neu gegründet oder reaktiviert worden seien. Hier wird wohl nur eine nicht ressortgebundene Interessenvertretung des Berufsbeamtenturns Abhilfe schaffen können. Gewiß wird aber auch eine zeitgemäße Fortbildung der Berufsbeamten der Einschleusung von wirklichen oder angeblichen Experten in die Verwaltung entgegenwirken können102• Mit 1. Juli 1975 tritt ein Bundes100 Vgl. "INTOSAI-Documents Nr. 2 (Empfehlungen früherer Kongresse 1953- 1967)", Wien 1971, S. 7. Vgl. auch "Finanzkontrolle international gesehen", herausgegeben vom Österreichischen Rechnungshof, Wien 1967, S. 20 ff. (Inter-

nationale übersieht über die Unabhängigkeit oder Weisungsgebundenheit der Bediensteten der Rechnungshöfe); vgl. auch schon Kohl in der Festschrift: "200 Jahre Rechnungshof", Wien 1961, S. 49. 101 JBl. 1973, s. 572 ff. 102 Vgl. Wran: "Der Berufsbeamte und seine Rolle. Die Probleme der Verwaltungsausbildung in Österreich". In "Dynamische Demokratie", Wien 1973, 5.119 ff.

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gesetz, mit dem eine Verwaltungsakademie des Bundes errichtet wird, in Kraftl03 . Die Verwaltungsakademie soll vier Aufgabenbereiche betreuen: Grundausbildung, Aufstiegshilfe, berufsbegleitende Fortbildung, Führungskräfteschulung. Eine Konzentration der bereits bestehenden Ausbildungseinrichtungen soll allerdings nicht erfolgen (§ 20). Der Direktor der Verwaltungsakademie wird vom Bundeskanzler nach Anhörung eines Beirates, der seinerseits vom Bundeskanzler zusammengestellt wird ( § 6), bestellt und abberufen (§ Abs. 1 und 3). Die Betrauung der Mitglieder des Lehrkörpers mit ihren Aufgaben obliegt dem vom Bundeskanzler bestellten Direktor nach Anhörung des vom Bundeskanzler zusammengestellten Beirates(§ 11 Abs. 1). Die Verwaltungsakademie wird also eine von außen autokratisch lenkbare Einrichtung sein. Richtig wäre es dagegen gewesen, die Verwaltungsakademie zu einer Einrichtung eines um fassenden Selbstverwaltungskörpers der Berufsbeamten zu machen. VIII. Anwendungsfall einer sinnhaften "Demokratisierung" im Bereich des Beamtenrechtes ist vor allem das Anstellungs- und Beförderongswesen. Hier herrscht volle Rechtslosigkeit. Die Verfassungsbestimmung des Art. 3 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, RGBI. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger besagt zwar: "Die öffentlichen Ämter sind für alle Staatsbürger gleich zugänglich" 104, aber irgendwelche rechtlich verfolgbaren Chancen erwachsen daraus nicht. Es besteht nach der Rechtsprechung weder ein subjektives Recht auf Anstellung noch auf Beförderung, die rechtswidrige Hintansetzung gegenüber objektiv schlechter qualifizierten Personen kann weder im Instanzenzug noch vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts geltend gemacht werden105. Denn der Bewerber hat im "Ernennungsverfahren" keine Parteitos BGBl. Nr. 122/1975.

104 Vgl. aber auch die Verfassungsbestimmungen des Art. 66 Abs. 2 des Staatsvertrages von St. Germain, StGBl. Nr. 303/1920, und des Art. 8 des Staatsvertrages von Wien, BGBl. Nr. 152/1955. 105 Vgl. dazu Klecatsky: "Zur rechtlichen Lage des Österreichischen Berufsbeamtentums", S. 11 f.; Melichar: "Beamtendienstrecht und die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts" in Schmitz-Festschrift, Band 1, Wien- München 1967, S. 178 ff. (186 ff.); Hackl, S. 444 ff. Dagegen erfreulich das neuere Erkenntnis VfSlg. 6151: Die in einem (gesetzlich) verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Personen bilden eine Verfahrensgemeinschaft Sie haben ein Recht auf Teilnahme an dem durch den Besetzungsvorschlag (Besetzungsvorschläge) konkretisierten Verleihungsverfahren. Die Aufnahme in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag ist eine Angelegenheit, die den Beamten zur Partei im Sinne des § 3 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes macht. So später auch die Erkenntnisse des VfGH v. 28. 6. 1973, G 48, 49/72, G 7, 8/73, G 10 - 13/73, V. 28. 6. 1973, B 168/72, V. 28. 6. 1973, B 187- 189/72.

Hans :R.Klecatsky stellung106 und daher nicht einmal einen Anspruch auf bescheidmäßigen Abspruch über seine Bewerbung107• So hat also der Art. 3 des zitierten Staatsgrundgesetzes nur die Bedeutung des Verbotes der "Verweigerung einer freien Bewerbung"tos. Aber selbst diese "Bewerbung" erscheint in Österreich im allgemeinen tatsächlich nicht gewährleistet zu sein, weil ja zahllose Dienstposten unter der Hand ohne öffentliche Ausschreibung vergeben werden. Seit 1. Jänner 1975 ist zwar ein Bundesgesetz, mit dem Bestimmungen über

die Ausschreibung bestimmter leitender Funktionen getroffen werden,

in Kraft1011, doch ist dieses völlig unzureichend. Es bezieht sich eben nur auf die Betrauung mit "bestimmten leitenden Funktionen" in der Bundesverwaltung. Weiter ist darin zwar eine Begutachtung der eingelangten Bewerbungen durch Personalkommissionen vorgesehen, doch soll das Gutachten die ,am Betrauung.svorgang beteiligten Organe nicht binden110• Schließlich werden die Personalkommissionen auch nicht von den Beamten gewählt111 und endlich wird den Bewerbern ausdrücklich die Parteistellung abgesprochen112•

Sollen hier ernste Fortschritte erzielt werden, so müßte der gesamte Vorgang der Besetzung von Dienstposten und die Betrauung zumindest mit leitenden öffentlichen Funktionen113 für Bund, Länder und Gemeinden nach folgenden Grundsätzen bundesverfassungsgesetzlich geregelt werden: 1. Für die Dienstposten und Funktionen sind gesetzlich objektive Qualifikationsmerkmale festzulegen.

2. Dienstposten und Funktionen sind unter Festsetzung einer Frist für die Bewerbungen öffentlich auszuschreiben. 3. Außerhalb der Bewerbungsfrist einlangende Bewerbungen sind nicht zu berücksichtigen. 1os Vgl. VwSlg. NF 1079, 3963. VfSlg. 5918. Siehe aber VfSlg. 6151 (zitiert in Anmerkung 105). 107 VwGH 16. Juni 1965, Zl 993/65. VfSlg. 5918. Siehe aber VfSlg. 6151 (zitiert in Anmerkung 105). 1os VfSlg. 415, 779, 1689, 1709, 1881, 2330, 2602, 3480 u. a. 109 BGBl. Nr. 700/1974; vgl. auch die Regierungsvorlage 748 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII. GP. 110 Vgl. § 4 des Gesetzes und die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage. 111 § 5 des Gesetzes. m § 7 des Gesetzes. 113 Vgl. die Regierungsvorlage 748 derBeilagen zu den StenographischenProtokollen des Nationalrates XIII. GP und die kritische Studie der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft, Wien: "Die öffentliche Ausschreibung von leitenden Funktionen des Bundes" (1971) zu dem der Regierungsvorlage vorangegangenen Gesetzesentwurf.

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4. Gewählte autonome Beamtenkommissionen nach Art der richterlichen Personalsenate haben für die vorschlags- und ernennungs- oderbetrauungsbefugten Organe bindende Besetzungs-, bzw. Betrauungsvorschläge zu erstatten. 5. Niemand kann vorgeschlagen, ernannt oder betraut werden, der sich nicht fristgerecht darum beworben hat. 6. Die Bewerber haben im gesamten Verfahren vor den Verwaltungsorganen und im Beschwerdeverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes Parteistellung. 7. Die zur Ernennung bzw. zur Betrauung zuständigen Organe haben die Bewerbungsgesuche der nichtberücksichtigten Bewerber bescheidmäßig abzuweisen und dabei zu begründen, warum sie dem einen vor den anderen den Vorzug gegeben haben114 • Auf diese Art würde endlich der Art. 3 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger nach über hundert Jahren Leben erhalten. Die Grundrechtssphäre des Berufsbeamten ist aber auch sonst nicht hinreichend gesichert. Hier seien nur einige Hinweise gemacht. Das Beamtendienstverhältnis ist ein Dauerrechtsverhältnis, aber in Österreich genießen "wohlerworbene Rechte" überhaupt keinen verfassungsrechtlichen Schutz115, daher auch nicht die wohlerworbenen Rechte aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnism. Dazu kommt, daß nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz nach Art. 5 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger nicht Ansprüchen öffentlichrechtlicher Art, also auch nicht den Gehalts- und Ruhegenußansprüchen "pragmatisierter" Beamten zukommt117 • Was das in der sogenannten "postindustriellen" Gesellschaft bedeutet, die offensichtlich wesensgemäß Inflationsgesellschaft, also eine Gesellschaft permanenter Enteignung, ist, liegt auf der Hand. Im Zusammenhang mit der künftig zu erlassenden verfassungsrechtlichen Institutionsgarantie zugunsten des Berufsbeamtenturns wären daher auch die aus dem Beamtendienstverhältnis wohlerworbenen Rechte zu schützen. Dabei sollte nicht auf eine Wertsicherungsklausel vergessen werden. Vgl. auch Kneucker: "Bürokratie und Demokratie", S. 49 f. Vgl. die Rechtsprechung, wiedergegeben bei Ktecatsky: "Das Österreichische Bundesverfassungsrecht", S. 254, Nr. 44. m Vgl. die Rechtsprechung bei Hackt, S. 455 f. 117 Vgl. die Rechtsprechung bei Ktecatsky: "Das Österreichische Bundesverfassungsrecht", S. 622 f., Nr. 4; weiter Hackt, S. 452 f . Vgl. dazu auch ErmacoraKtecatsky-Ringhofer, OJZ 1956, S. 628; weiter Ermacora: "Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte", Wien 1963, 8.135 f. 114 115

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Weiter müßte ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht des Beamten auf aktive Ausübung seines Amtes118 geschaffen und die besonders bedrohte Meinungsfreiheit des Beamten119 auch besonders abgesichert werden. IX.

Daß diese und andere, hier nicht zu erörternde Schwächen des "pragmatischen" -also des öffentlich-rechtlichen- Dienstverhältnisses die Arbeitsrechtswissenschaft zu einem Vergleich mit den rechtlichen und sozialen Errungenschaften der bei privaten Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer geradezu herausfordern, ist um so verständlicher, als ja Bund, Länder und Gemeinden - wie schon erwähnt - auch noch die zahlreichen .,Vertragsbediensteten" beschäftigen120• Da sich deren Dienstverhältnisseinfolge der verfassungsrechtlich gebotenen gesetzlichen Determinierung der für den Dienstgeber auftretenden Staatsorgane121 weithin den "pragmatischen" Dienstverhältnissen angenähert haben, ist die Frage berechtigt, ob über diese Brücke zwischen öffentlichem Dienstrecht und "privatem" Arbeitsrecht die reformatorische Entwicklung nach der einen oder der anderen Richtung gesteuert werden soll122 • Es scheint, VfSlg. Anhang Nr. 29/1952. Darüber das Rechtsgutachten Nr. 46 der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft, Wien: "Freie Meinungsäußerung und Dienstpragmatik" (1972). Vgl. über die "Maulkorberlässe" Morscher, JBl. 1973, S. 573, Anmerkung 27. Morscher verteidigt hier mit Recht das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. 5. 1972, Zl 64/72 (JBl. 1972, S. 585 ff.) gegen Tomandl (ZAS 1973, S. 152 ff.) und die von diesem vertretene "Grundauffassung der Handels- und Arbeitsrechtswissenschaft über Beschäftigungsverhältnisse". no Vgl. etwa Schambeck, S. 637 ff.; Melichar, S. 179 f.; Rechtsprechung bei Hackl, S. 444 ff. Vgl. aber vor allem auch die ausgezeichnete Übersicht über die Rechtsstellung der öffentlich-rechtlichen Beamten und der Vertragsbediensteten von Floretta-Martinek. 121 Art. 18 Abs. 1 B-VG (Verfassungsrechtliches Legalitätsprinzip). Rechtsprechung dazu bei Klecatsky: "Das Österreichische Bundesverfassungsrecht", S. 174 ff. Literatur ebendaS. 177 f. Vgl. auch Tomandl, JBl. 1967, S. 114: "Vertragsbedienstete schließen wie schlichte Arbeitnehmer individuelle Arbeitsverträge ab, für beide gilt im Prinzip Privatrecht. Der Unterschied liegt darin, daß die Inhaltsgestaltung der Arbeitsverträge der Vertragsbediensteten weithin durch generelle Normen erfolgt, beim BUnd etwa grundlegend durch das Vertragsbedienstetengesetz, sonst vielfach durch Dienstordnungen und Besoldungsordnungen . .. Die Intention der Vertragsbedienstetennormen richtet sich eben nicht nur auf die Etablierung eines Dienstnehmerschutzes, sondern auch auf die Determinierung des Verhaltens des jeweils für den Bund als Dienstgeber auftretenden Organs." 122 Vgl. Kirschner: "Unterschiede und Übereinstimmungen im Beamtenrecht und im Arbeitsrecht", ZAS 1967, S. 73 ff., mit folgender klarer Zusammenfassung (S. 77): "Auf dem Boden der Österreichischen Verfassung muß auch an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß der öffentlich Angestellte im Bereiche der Hoheitsverwaltung und der Gerichtsbarkeit tätig ist. Unter diesem Gesichtswinkel teilen wir die Auffassung von Nikisch, daß zwar das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers in dem einen oder anderen Punkt dem 11s

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daß die Österreichische Diskussion dabei die besondere Sachgesetzlichkeit des öffentlichen Dienstes nicht ignoriert. Das gilt- mit Anerkennung sei das vermerkt - auch für die Österreichische Arbeitsrechtslehre123. So hat auch der Arbeitsrechtslehrer Tomandl Schwächen und Rückständigkeit des öffentlichen Dienstrechtes gegenüber dem Arbeitsrecht aufgezeigt124, zugleich aber auch erkennen lassen, daß ihn dabei keineswegs "Beamtenfeindlichkeit" leite125• Um so ernster sollten im einzelnen seine arbeitsrechtlichen Darlegungen überdacht werden. Hier indes soll nur über eine staatsrechtliche Grundfrage kurz gesprochen werden. Tomandl erkennt in seinem arbeitsrechtlichen Plädoyer richtig, daß bei allen Annäherungen des öffentlichen Dienstverhältnisses - sei es nun öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich begründetl26 - an die allgemeinen Arbeitsrechtsverhältnisse es eine grundsätzliche Kluft gibt, nämlich117 : "Die Distanz ist dagegen nach wie vor groß im Bereich der kollektiven Normsetzung. Das Kollektivvertragsgesetz ist auf öffentlich-rechtliche Dienstver-

hältnisse nicht anwendbar. Aber auch für Vertragsbedienstete der Gebietskörperschaften und der von ihnen verwalteten Betriebe, Unternehmungen, Anstalten, Stiftungen und Fonds können keine Kollektivverträge abgeschlossen werden, sofern der wesentliche Inhalt dieser Dienstverträge zwingend durch Gesetz fetsgelegt ist. Für Vertragsbedienstete des Bundes kommt somit grundsätzlich wegen des Vertragsbedienstetengesetzes der Abschluß von Kollektivverträgen nicht in Betracht." Das ist in der Tat der springende Punkt. Wie immer die einfachgesetzliche Rechtslage heute beschaffen sein mag, so deutet nichts darauf hin, daß die Gebietskörperschaften von der Bundesverfassung her beBeamtenverhältnis angeglichen wird (ebenso umgekehrt), daß aber eine Gleichstellung des Beamten mit dem Arbeitnehmer (und umgekehrt) an den Lebensgesetzen der Wirtschaft ebenso wie an der besonderen Sachgesetzlichkeit des öffentlichen Dienstes scheitern müßte." Vgl. auch Ftoretta-Martinek, S. 53 f. 12s Vgl. Ftoretta-Martinek, S. 53 f. 124 "Dienstrechtliche Probleme der staatlichen Privatwirtschaftsverwaltung -Kritische Gedanken zum öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis", JBl. 1968, S.ll3 ff. 125 Ebd., S. 120, 122, 126. Tomandt legt an diesen Stellen das Bekenntnis ab, daß seine Ausführungen keineswegs darauf abzielen, "den Beamten seiner Prärogativen entkleiden, ihn zum schlichten Arbeitnehmer umwandeln und das überkommene Berufsethos des Berufsbeamtenstandes in Frage stellen zu wollen". In diesem Zusammenhang bewertet er die Arbeit Gallents (JBl. 1966, S. 61 ff.): "Die beamtenrechtliche Pflicht zur Wahrung des Standesansehens" als "ausgezeichnet". Die Geschichte habe gelehrt, daß es zur Sicherung der Amtsführung des Beamten "eines besonderen Schutzes" bedürfe. Die 1931 ausgesprochenen Bedenken Merkts gegen das Eindringen von Berufspolitikern in die Verwaltung hätten nichts an Aktualität verloren. Die "traditionellen Beamtentugenden" dürften durch die Umgestaltung des Dienstverhältnisses nicht gefährdet werden, usw. 120 Vgl. die Anmerkung 120. 127 Ebd., S. 118. 7 Berufobeamtentum

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fugt wären, ihre Bediensteten in eine Normsetzung durch Kollektivverträge zu entlassen. Dagegen spricht nicht nur die eingangs bezeichnete Verfassungslage im allgemeinen, und das verfassungsrechtliche Legalitätsprinzip (Art. 18 i\bs. 1 B-VG)128, sondern auch die strenge Unterscheidung, die durch .die mit der Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1974 erfolgte Neuordnung der föderalistischen Kompetenzverteilung zwischen dem "Dienstrecht", den "Bediensteten des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände" und dem "Arbeitsrecht" gemacht wurde128• Überdies hat der Kollektivvertrag in Osterreich überhaupt keine verfassungsrechtliche Basis und damit auch keine irgendwie erkennbaren verfassungsrechtlichen Konturen. Seit ich vor über einem Jahrzehnt die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Absicherung der für das gesellschaftliche Leben so wichtigen Kollektivverträge erstmals klar zu machen versuchte130, hat sich darüber zwar eine außerordentlich lebhafte, im Ergebnis aber bitter enttäuschende Diskussion entfaltet. Einerseits kann man sich nicht zur verfassungsrechtlichen Sanierung aufraffen, andererseits ist keine allgemein überzeugende verfassungskonforme Interpretation zu finden131 • Daß es dabei nicht nur um sogenannte "formaljuristische" Fragen geht - wie es in der Terminologie ideologischer Rechtsunterwanderung heißt - stellte ich schon vor einem Jahrzehnt klar. Eine rein normative Analyse zeigt vielmehr, "daß neben der dem Gesamtvolk zurechenbaren Gesetzesordnung eine bloß formalgesetzlich delegierte und daher verfassungsrechtlich nicht gedeckte Gruppenrechtsordnung steht, die lediglich den bei ihrer Erzeugung repräsentierten InVgl. die Anmerkung 121. ue Vgl. dazu die Darlegungen in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage 182 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII. G. P., S. 10 ff., insbesondere S. 11 : "Aus dem Titel des Kompe12s

tenztatbestandes ,Arbeitsrecht' werden daher künftighin die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis der Bediensteten des Bundes, der Länder und der Gemeinden und der Gemeindeverbände nicht geregelt werden dürfen." Vgl. dazu auch Floretta-Martinek, S. 45. 13o Vgl. Klecatsky: "Die kollektiven Mächte im Arbeitsleben und die Bundesverfassung", S. 29 ff. und in "Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", s. 237 ff. 131 H. Müller hat in seiner außerordentlich gründlichen Abhandlung: "Ist eine verfassungsrechtliche Absicherung des Kollektivvertragsrechtes wirklich überflüssig?" (Das Recht der Arbeit 1972, S. 209 ff.) die Vorstellungen der Apologetiker samt und sonders analysiert, um am Ende "klar auszusprechen, daß der Kollektivvertrag eine in der Bundesverfassung nicht vorgesehene und nicht gedeckte Rechtssatztype ist" (S. 233). Die "Bilanz" des "Theorienstreits", die der Arbeitsrechtslehrer Schwarz in unmittelbarem Anschluß an die Arbeit Müllers gezogen hat (S. 234), verstärkt nur die Besorgnisse eines Verfassungsjuristen. Vgl. auch die Darlegungen Mayer-Malys: "Hauptprobleme des deutschen und des Österreichischen Tarifvertragsrechtes" in "Kollektivverträge in Europa", München- Salzburg 1972, S. 153 ff. (insbesondere S. 158 ff. über den "Tarifvertrag und die Verfassung").

Sicherung des Österreichischen :Seru:fsbeamtentums

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teressenten zurechenbar ist" 132 • Es ist gar nicht notwendig, sich mit der "inneren Demokratie" der am Abschluß der Kollektivverträge beteiligten Kollektive zu beschäftigen183• Offenkundig ist es, daß sie damit ein nicht nur die "Sozialpartner", sondern die Lebensinteressen des gesamten Staatsvolkes tief beeinflussendes Recht schaffen134, wobei allerdings auch noch fraglich ist, wie weit sie überhaupt zur Optimierung der Wirtschaftspolitik beitragen135• Wie reformbedürftig auch der heutige Parlamentarismus sein mag, so ist seine demokratische Repräsentationskraft immer noch ungleich größer als die der "Sozialpartnerschaft". Der parlamentarische Gesetzgeber, der in einer solchen Lage, dienst- und besoldungsrechtliche Belange der für die Vollziehung seiner Gesetze verantwortlichen Bediensteten kollektivvertraglicher Rechtssetzung überläßt, liefert nicht nur diese Bediensteten rechtlicher Unsicherheit136 aus. Er entledigt sich auch eines entscheidenden 'l'eiles seiner im Interesse des Gesamtvolkes zu übenden Organisations- und Budgetierungsaufgabe137 und vermindert damit die demokratische Basis der Staatsorganisation138• Klecatsky: "Die kollektiven Mächte im Arbeitsleben", S. 38. m Vgl. die besonders instruktiven Darlegungen über die Willensbildung in den Österreichischen Wirtschaftsverbänden in dem großen Sammelwerk: "Verbände und Wirtschaftspolitik in Österreich" (herausgegeben von Pütz), Berlin 1966, s. 237 fi. 134 Vgl. Klecatsky: "Die kollektiven Mächte im Arbeitsleben", S. 36, 40; derselbe in "Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", S. 224; vgl. auch H. Schneider in "Der öffentliche Dienst am Scheideweg", S. 172; Forsthoff: "Der Staat der Industriegesellschaft", München 1971, S. 120 usw. 135 Darüber etwa Pütz, der seinen Beitrag: "Die Bedeutung der Wirtschaftsverbände für die Gestaltung der Österreichischen Wirtschaftspolitik" in dem von ihm herausgegebenen, in Anmerkung 133 zitierten Sammelwerk (S. 135 ff.) mit folgenden kennzeichnenden Worten schließt: "Was oben über den Beitrag der Verbände zur Optimierung der Wirtschaftspolitik gesagt wurde, gilt aber nur mit einer wichtigen Einschränkung: dieser Beitrag besteht weitgehend nur darin, einzelne Maßnahmen für je bestimmte Ziele auf Teilgebieten der Wirtschaftspolitik und soweit solche Maßnahmen innerhalb eines Ressorts getroffen werden, möglichst sachgerecht bzw. zweckmäßig zu gestalten. Dagegen wurde die optimale Koordination der einem Ziel dienenden verschiedenen Maßnahmen verschiedener Ressorts durch den Einfluß der Verbände eher erschwert als gefördert; das gilt noch mehr im Hinblick auf die viel anspruchsvollere und schwierigere Aufgabe einer Koordination der allen Zielen dienenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen." (Hervorhebung durch Pütz, S. 224 f.). Vgl. auch Schluep: "Überforderungsgefahren von Arbeitskonflikten", Bern 1973, S. 45 f. 136 So treffend Löwisch in "Der öffentliche Dienst am Scheideweg", S. 54 ff. 137 Vgl. auch Friauf, S. 44 f.; H. Schneider, S. 169 ff. Vgl. auch Siedentopf: "Funktion und allgemeine Rechtsstellungs-Analyse und Funktionen des öffentlichen Dienstes", Baden-Baden 1973, S. 172: "Gegen die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien anstelle des Parlaments läßt sich jedoch anführen, daß durch die Teilnahme an der Entscheidungsbefugnis den öffentlichen Bediensteten wie keiner anderen Interessengruppe im parlamentarischen Staat die institutionelle Möglichkeit eingeräumt würde, mit Hilfe der Mitentscheidung über Haushaltsmittel die Interessen anderer zugunsten ihrer eigenen zurückzudrängen." 132

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ltans R. Klecatslcy

Das sind nur e1ruge Hinweise, aber sie mögen gegenwärtig, da in Österreich über solche Fragen nicht diskutiert wird, hinreichen.

X. Nach all dem kann die reformatorische Grundaufgabe nicht zweifelhaft sein. Der Berufsbeamte ist von allen organisatorischen und dienstrechtlichen Fesseln zu befreien, die ihn im Ruinenfeld der Österreichischen Verfassungs- und Rechtsordnung zum bloHen "Gehilfen", "Befehlsempfänger", "Handlanger", "Komplicen" legitimer oder illegitimer Gewalt degradieren. Die Grundfunktion des Berufsbeamtenturns in der Gegenwart ist eine von den politischen Kräften unabhängige, ja ihnen- wenn im Interesse der Aufrechterhaltung einer rationalen, den Grundrechten des Einzelmenschen verpflichteten Rechtsordnung notwendig - entgegengesetzte Aufgabe1111• Zu verwerfen sind alle pseudoreformatorischen Vorschläge, die das Berufsbeamtenturn zum Werkzeug eines irrationalen Neoabsolutismus politischer Funktionärscliquen machen.

taa So treffend H. Schneider, insbesondere S . 172, 182. Vgl. auch Leisner: "Reform der Mitte", ZBR 1973, S. 97 ff. tau Vgl. auch Klecatsky in ,.Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen", 8.177 f.

Die "Lebensluft" des Öffentlichen Dienstes Von Herbert Krüger Für das umfangreiche Schrifttum, das sich mit dem Thema "Berufsbeamtentum" und seiner Reform beschäftigt, stehen durchweg andere Fragen im Vordergrund des Interesses als eine Besinnung auf Eigenart und Aufgabe dieser Institution -, auf ihrer Entbehrlichkeit oder Unentbehrlichkeit in einer modernen Industrie- und Wohlstandsgesellschaft-, oder schließlich auf die "Umwelt", deren es bedarf, um im Falle seiner Unentbehrlichkeit zu gedeihen und zu wirken1 • Eine Exegese der beamtenrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes reicht zur Beantwortung dieser Fragen nicht aus: Selbst wenn das Grundgesetz das Berufsbeamtentum als Institution so unbedingt gewährleistete wie eine solche Gewährleistung nur unbedingt sein kann, so wäre die gesellschaftspolitische Notwendigkeit dieser Institution damit noch nicht dargetan, also insbesondere auch seine Existenz nicht legitimiert2 • Erhält überhaupt jede institutionelle Garantie ihren Bestand ·erst dadurch, daß sie im gesellschaftlichen Bewußtsein anerkannt ist, so gilt dies erst recht für das Berufsbeamtentum: Muß man doch damit rechnen, daß sich die gesellschaftliche Wirklichkeit, ihre Notwendigkeiten und ihr Selbstverständnis derart gewandelt haben3 , daß das Berufsbeamtenturn in der sozialen Realität und ihren Ideologien keine Stätte mehr findet. Selbst wenn aber die Unentbehrlichkeit eines besonderen Offentliehen Dienstes deduktiv aus den gesellschaftlichen Prämissen dargetan wäre, so wäre damit noch nicht ausgemacht, daß es diejenigen Bedingungen vorfände (die "Lebens1 Vgl. hierzu Walter Leisner, Grundlagen des Berufsbeamtenturns (BonnBad Godesberg 1971), S. 1: "Zum ersten Mal in seiner Geschichte bedarf heute das Berufsbeamtenturn der Begründung, der grundsätzlichen Rechtfertigung ... Eine staatsrechtliche Begründung des Berufsbeamtenturns ist nie versucht worden. Das Beamtenrecht erging sich in rechtstechnischer Fortentwicklung von axiomatischen Prinzipien . . ." z Vgl. jedoch das Bundesverwaltungsgericht vom 22. Juni 1968, in BVerwGE 30.75: Zweck des Art. 33 V= "das Berufsbeamtenturn in seiner staatstragenden Funktion zu erhalten". Dies läuft heute darauf hinaus, daß das Tragende das Getragene wiederherzustellen hat. 3 Wie dies W. Thieme, Empfiehlt es sich, das Beamtenrecht unter Berücksichtigung der Wandlungen von Staat und Gesellschaft neu zu ordnen? Gutachten in Verhandlungen des 48. Deutschen Juristentages (1970) Band II 0 behauptet, ohne allerdings über Orakel hinauszukommen.

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luft"), deren es bedarf, um gedeihen und wirken zu können. Gerade eine Institution als "objektivierter Geist" ist auf eine kongeniale Geistesverfassung und Gestimmtheit derjenigen Gruppe angewiesen, deren Gesamtbewußtsein sie angehört: Ist sie eine Hervorbringung der Vergangenheit, die in dem gegenwärtigen Gesamtbewußtsein nicht mehr wurzelt, also ein bloßes "Residuum", dann kann ihr keine Beschwörung der Verfassung helfen -, bei nächster Gelegenheit wird ihre Existenz auch formell beendet werden. Es mag sein, daß die spezifische Krise des Berufsbeamtenturns in diesem Widerspruch beschlossen sein könnte: Zwar dürfte es für die nüchterne Überlegung gerade in einer Industrie- und Wohlstandsgesellschaft im Prinzip notwendiger sein als jemals zuvor-, solche Überlegungen schlagen jedoch nicht an, wenn der Zeitgeist ihnen entgegen weht. Vor vielen Jahren habe ich einmal die Frage aufgeworfen\ ob das Berufsbeamtentum sich in einer Umwelt halten kann, deren vornehmstes Ideal der Überfluß an Wirtschafts- und Verbrauchsgütern ist und die solchen Überfluß durch erwerbswirtschaftlich motivierten Wettbewerb am sichersten hervorbringen zu können glaubt. Hier soll dieselbe Frage in einer anderen Richtung gestellt werden: Steht und fällt das Berufsbeamtenturn mit der Idee des Amtes, ist aber das Amt seinem Wesen nach Institution und Institution wiederum ein Strategem des großen Gedankens der Repräsentation, dann setzt es sich in offensichtlichen Widerspruch zu seiner Gesellschaft, die in alledem genau entgegengesetzten Idealen huldigt5 - , wobei die Frage, ob dies mit Recht oder mit Unrecht geschieht, ganz unerheblich ist. Gegenstand des folgenden Versuchs soll demgemäß sein: Würdigung der Möglichkeit, es könnte sich das geistige Klima der Nation dergestalt geändert haben, daß das Berufsbeamtenturn nicht mehr die "moralische" Voraussetzung von Gedeihen und Wirksamkeit vorfindet'; ferner: Prüfung der Frage, ob nicht gerade eine Wohlstandsgesellschaft, die die Voraussetzungen solchen Gedeihens und Wirkens verneint, nicht dennoch eines besonderen Öffentlichen Dienstes bedürfen könnte, ja vielleicht sogar noch notwendiger bedürfen könnte als alle ihre Vorgängerinnen, und schließlich Erörterung der Möglichkeit, wie sich ein solcher Öffentlicher Dienst gegen den Zeitgeist bilden und durchsetzen könnte. 4 H. Krüger, Welchen Sinn hat es, diesem Staat zu dienen?, 6. beamtenpolitische Tagung 1964, H. 33 der Schriftenreihe des DBB. 5 Vgl. zuletzt etwa den Bericht K. F. Frommes über die Tagung des Deutschen Beamtenbundes in Bühlerhöhe 1974, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Januar 1974; dort habe man festgestellt eine "Grundstimmung gegen den öffentlichen Dienst, als dessen Inkarnation das Berufsbeamtenturn gilt". 8 Vgl. hierzu W. Leisner (oben Anm. 1), S. 2: "So erschien denn die Aufgabe des Beamten sogleich als ein sakralisiertes ,Amt', das einer Leistungsgesellschaft suspekt sein muß ..."

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Mit alledem wird selbstverständlich nicht mehr geboten als erste vorläufige Überlegungen, die weit davon entfernt sind, das letzte Wort in dieser Sache sein zu wollen.

I. Was die Stellung des Zeitgeistes zu Amt, Institution und Repräsentation angeht, so kann man sie auf die Formel bringen: "Weg von der Institution- ,Zurück zur Natur' 7." Selbstverständlich kann hier nicht ein Kolossalgemälde des Zeitgeistes entworfen werden: Einige Andeutungen müssen genügen. 1. "Institution" ist das Ergebnis des Entschlusses einer Gruppe, sich über eine angeborene oder erworbene Schwäche mittels Kunst zu erheben, indem man ·an die Stelle eines natürlich-sinnlichen Sachverhaltes eine künstliche, gedankliche Konstruktion setzt~!. Durchweg handelt es sich hierbei darum, den Bestand einer Gruppe oder eines Verhältnisses auch dann zu sichern, wenn die Realfaktoren, die sie begründen, nicht wirken sollten. Das häufigste Beispiel einer solchen Art von Lösung ist der Vertrag: Seine ratio essendi besteht darin, daß er die Gebundenheit der Partner unabhängig stellt von der jeweiligen Interessenlage und dem augenblicklichen Belieben, also etwa der Ehe Bestand sichert unabhängig vom Barometerstand der Gefühle. Das umfassendste und bedeutendste Beispiel einer solchen Lösung ist der Staat: Hier sichert sich eine Nation Zusammenhang, Ordnung und Leistung dadurch, daß sie sich in allen diesen Hinsichten löst von der jeweiligen Fähigkeit und Bereitschaft eines jeden einzelnen Bürgers -, vielmehr ohne hierauf zu verzichten sich doch durch die Erhebung von alledem zu einer Institution unabhängig stellt von der Aktualität der natürlichen Wirklichkeit. Das Berufsbeamtentum ist insofern Institution in diesem Sinne als es seine Mitglieder über die Wirklichkeit ihrer individuellen Person, ihrer Interessen, Launen, kurzum aller Zufälligkeiten und Ungewißheiten erheben soll, damit ihr Dienst für die Allgemeinheit ein sachlicher, richtiger und vor allem unbedingt sicherer ist.

2. Es bedarf kaum der Darlegung im einzelnen, daß schwerlich etwas anderes unserer Gegenwart so gründlich zuwider ist wie "Institution" und daß sie überall darauf ausgeht, sie durch "Natur" zu ersetzen, insbesondere also durch den Menschen als Menschen. Die Freiheit ist das Vehikel, das diese Veränderung zu bewirken hat: Erschöpft sich ihr Inhalt 7 Ebenso wohl K. H. Friauf, Abschied vom Berufsbeamtentum? In: Der öffentliche Dienst am Scheidewege? (Godesberg 1972) S. 29 ff., S. 33 : "Letztlich bläst ... der Wind der Kritik dem Berufsbeamtenturn deshalb ins Gesicht, weil es als Status in einer statusfeindlichen Umwelt erscheint . .. " s Vgl. hierzu Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Auflage (Stuttgart 1966), S. 168 ff., 232 ff., 253 ff.

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darin, daß sie immer mehr Freiheit fordert als sie im Augenblick umfaßt, (Wenn man die Forderung nach "Liberalisierung" sich vor Augen führt, wie der Neoliberalismus sie seit zwanzig Jahren verfolgt, dann wird dies deutlich werden), dann kann vor ihr nichts Bestand haben außer ihrer selbst- also der Mensch in vollster Willkür. Um solcher Freiheit willen läßt man etwa faktische Verhältnisse im Zustand der Faktizität: Man heiratet nicht mehr, sondern lebt zusammen usw. usw. Neben "Freiheit" ist auch die "Gleichheit" in derselben Richtung wirksam: Wenn sie "Demokratisierung" verlangt, dann heißt dies nichts anderes als Verdrängung des allgemeinen Willens durch die individuelle Willkür -, die Legitimierung eines Verhaltens, wie es Lust und Laune gerade eingeben. Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, daß die Selbsthilfe wieder Anerkennung und Bestätigung findet: Ja, wenn man einen zum Evangelium erhobenen Streik und seine Propheten bedenkt9, dann kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, daß Selbsthilfe, insbesondere auch die Selbsthilfe mittels Gewalt, als das Kennzeichen des freien, humanen Menschen gilt. Methodisch ist es vor allem die Ideologie-Kritik, die solche Natur wieder hervortreten läßt und sie zur Herrschaft bringt.

n. Bejahung oder Verneinung eines Öffentlichen Dienstes hängen nicht davon ab, ob er einem gefällt oder nicht. Dasselbe gilt insbesondere für die Verleihung des Streikrechts an das Berufsbeamtentum: Mag man das Streikrecht auch als die Krönung der Menschlichkeit des Menschen preisen und daher auch dem Beamten zu derartiger höchster Menschlichkeit verhelfen wollen-, entscheidend ist allein: Vermag die Industrie- und Wohlstandsgesellschaft gerade bei der Bewältigung ihrer lebenswichtigen Probleme mit Amateuren, Interessenten und dergl. auszukommen, oder bedarf sie, wenn sie nicht denaturieren und degenerieren, insbesondere auf das Wohlleben verzichten will, nicht einer besonderen Gruppe, die unabhängig von Interessen, Gefühlen und ähnlichen Subjektivitäten dafür sorgt, daß die Allgemeinheit jederzeit und überall mit denjenigen Leistungen unbedingt sicher versehen wird, deren sie zur Erhaltung ihrer Existenz bedarf. Wenn man daraufhin die Notwendigkeit eines Öffentlichen Dienstes bejaht, dann stellt sich weiter die Frage, ob es sich mit dem, was er für die Allgemeinheit zu leisten hat, verträgt, daß er solche Leistungen einstellt, um durch solche vis absoluta seine persönlichen Verhältnisse zu verbessern? Schließlich stellt sich die Frage, ob die überkommene Gestalt des Öffentlichen Dienstes noch geeignet ist, diesen 8 Vgl. Wolfgang Däubler, Das Grundrecht auf Streik- eine Skizze, in: Zeitschrift für Arbeitsrecht 1973, S. 201 ff. Vgl. hierzu B . Rüthers und R. Söhnen, Demokratisierung durch Beamtenstreik, in: Der Staat 1972, S. 550.

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Notwendigkeiten mit dem besten Ergebnis und dem geringsten Aufwand zu entsprechento. Die hiermit grundsätzlich aufgeworfene Frage ist in zweifacher Hinsicht zu behandeln, einmal nach der Art der einem Offentliehen Dienst anvertrauten Aufgaben, und zweitens nach der Art der Mittel, die dieserhalb eingesetzt werden. 1. Man kann die Bedürfnisse der Allgemeinheit in notwendige und nützliche einteilen, mit der Folge, daß die Verantwortung für die erste Art der Institution "Staat" aufzuerlegen ist, in die sich die Allgemeinheit eben deswegen immer wieder verfaßt, während die zweiten von der Gesellschaft selbst zu befriedigen sind. In diesem Zusammenhang ist die Wohlstandsgesellschaft dadurch gekennzeichnet, daß ihr immer mehr Bedürfnisse zu notwendigen werden, und zwar paradox gesprochen, auch solche Bedürfnisse, die im Grunde genommen nicht als lebensnotwendig angesprochen werden können wie z. B. die Unterhaltung insbesondere Fußball. Es zeigt sich dieser Zug insbesondere im Verhältnis von Marktwirtschaft und Staatswirtschaft. Selbst ideologische Verfechter dieses Modells müssen, wenn auch widerwillig zugeben, daß es lebenswichtige Bedürfnisse der Allgemeinheit gibt wie z. B. die Versorgung mit Energie, wegen deren Befriedigung man sich nicht mehr allein auf den Automatismus der Marktgesetzlichkeiten verlassen kann - , vielmehr eigene Aktivität der Allgemeinheit gefordert ist. Während sich die Marktwirtschaft dergestalt an wichtigen Stellen entökonomisiert, weil für die Allgemeinheit lebensnotwendige Bedürfnisse auf ökonomische Art und Weise nicht mehr sicher und ausreichend befriedigt werden können, bewegen sich gewisse Vorschläge zu einer Reform des Offentliehen Dienstes in genau entgegengesetzter Richtung: Der bisher eben deswegen anökonomische Öffentliche Dienst soll ihrem Willen zufolge privatisiert und ökonomisiert werd,en - im übrigen das groteske Ende einer Bewegung, die ausgegangen war, um den Menschen von der Okonomisierung des Menschen {"Die Arbeit als Ware") zu befreien! Ferner: Während sich in der Gesellschaft staatsartige Gebilde entwickelt haben und das Selbstverständnis der für sie verantwortlichen Personen demgemäß ein öffentliches schon geworden ist oder jedenfalls sehr bald werden sollte1 t, geht man 10 Vgl. Studienkommission für die Reform des öffentlichen DienstrechtesBericht der Kommission- (Baden-Baden 1973), S. 94: "Damit stellt sich die Frage, ob das überkommene Dienstrechtssystem, das für eine im wesentlichen statisch begriffene Umwelt konzipiert und sich in diesem Rahmen bewährt hat, die Bedingungen einer sich schnell entwickelnden Gegenwart und der Zukunft noch gerecht werden kann." Inwiefern man die Welt des 19. Jahrhunderts mit allen ihren "Revolutionen" als "statisch" bezeichnen kann, bleibt das Geheimnis der Kommission. 11 Hierzu Herbert Krüger, Öffentliche Elemente der Unternehmensverfassung, in: Planung V (Baden-Baden 1971), 8.19, mit weiteren Nachweisen.

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im gleichen Augenblick darauf aus, diejenigen Bürger, die bereits öffentliche Verantwortung tragen, hiervon zu entbinden und sie zu gewöhnlichen Privatleuten, die zufällig im "öffentlichen" Dienst stehen, umzufunktiolllieren. Hier zeigt sich, wie die Ideologie hinter der Wirklichkeit zurückbleiben, ja ihr geradezu entgegenlaufen kann, wobei uns die Freiheitlichkeit der Demokratie davor bewahrt (?), daß eine falsche Ideologie einer richtigen Wirklichkeit aufgezwungen und die nationale Entwicklung dadurch auf einen vergangenen Stand zurückgeworfen wird. Die Verfechter einer Privatisierung und Kommerzialisierung des Öffentlichen Dienstes sind zuweilen bereit, gewissermaßen auf halbem Wege stehen zu bleiben: Sie wollen einen solchen Dienst beibehalten für die Hoheitsverwaltung, ihn jedoch durch Menschen ersetzen in der sog. Leistungsverwaltung. Es wird dabei übersehen, daß die Wohlstandsgesellschaft auf die Leistungsverwaltung mindestens ebenso vital angewiesen ist, oder sich jedenfalls als angewiesen betrachtet, wie auf die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung. Zwischen der Art der Darbietung von beiden, insbesondere ihrer Unbedingtheit, läßt sich somit ein Unterschied nicht begründen: Bekanntlich kann ein Ausbleiben von "Spielen" die Massen nicht minder erregen als das Ausbleiben von Brot12 • Ein solches Zurück zum natürlichen, d. h. heute: ökonomischen Menschen, wie es vor allem auch die Räte-Idee predigt, ließe sich nur verwirklichen, wenn man bereit wäre, auf Wohlstand zu verzichten und sich Frugalität zu verschreiben, wie dies schon die Frühsozialisten klar erkannt haben13 • Von einer solchen Bereitschaft lassen sich jedenfalls in der BRD 14 nicht einmal Spuren entdecken. Im Gegenteil: Der Wohlstand soll immer mehr gesteigert und vor allem immer weiter verbreitet werden. Das ist insbesondere auch das Ziel, dem Marx die Menschheit entgegenführen will ("Jedem nach seinen Bedürfnissen"!). Worauf also diejenigen Stimmen, die die Beseitigung eines besonderen Öffentlichen Dienstes in einer Wohlstandsgesellschaft fordern, hinauswollen, ist das, was man volkstümlich "Kauen auf zwei Backen" oder "Tanzen auf zwei Hochzeiten" nennt: Man wünscht sich der Wohltaten der Wohlstandsgesellschaft zu erfreuen, ohne den Preis hierfür entrichten zu wollen. 12 Dazu, daß auch die Leistungsverwaltung eines Öffentlichen Dienstes grundsätzlich nicht entbehren kann, vgl. F. Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, in: VVDStL 29 (Berlin 1971), S. 129 ff., S. 161 und Rupert Scholz, Das Berufsbeamtenturn im Staat der öffentlichen Leistungen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Januar 1974. 13 W . Godwin, der erste Kritiker der industriellen Welt, hat daher die Überwindung der mit ihr verbundenen "Entfremdung" nur für möglich gehalten in "a frugal agrarian economy", in "a state of the most rigid simplicity" ; nach Isaac Kramnick, in: American Political Science Review 1972, S. 120. 14 Anders im China Mao's.

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Daß einhoherund steigender Wohlstand ohne einen besonderen "Öffentlichen Dienst" nicht gedacht werden kann, zeigen nicht zuletzt die kommunistischen Staaten. Die Meinung Lenins, daß ein Öffentlicher Dienst nichts anderes sei als eine Veranstaltung der Bourgeoisie zur Niederhaltung der arbeitenden Klasse, und daß jeder Proletarier ohne weiteres imstande sei, die Aufgaben der Verwaltung zu erledigen (die aus dem erwähnten Grunde von der Bourgeoisie als schwierig hingestellt während sie in Wahrheit kinderleicht seien), ist längst, ja geradezu zu einem Übermaß preisgegeben. Hiergegen spricht nicht, daß der Staatsdienst dort unter Arbeitsrecht steht. Einmal ist dieses Arbeitsrecht in den Dienst der Produktivität gestellt, und zweitens und vor allem sind es die einen und einzigen Parteien, die hier das repräsentieren, was in bürgerlichen Staaten das Berufsbeamtenturn darstellt. 2. Nachdem die Auffassung, daß die Verbannung von Herrschaft aus der Gesellschaft nicht nur erwünscht, sondern auch möglich - , und zwar schon in der Gegenwart und ohne weiteres möglich sei (Gegenwartsutopie) in den Hintergrund getreten ist, wird auch nicht mehr bestritten, daß man Herrschaft nicht Jedermann, insbesondere nicht jedem beliebigen Privatmann anvertrauen darf -, daß hierfür vielmehr nur besondere Träger in Betracht kommen. Was zunächst den Titel angeht, der eine solche Trägerschaft zu begründen und zu rechtfertigen allein imstande ist, so ist man sich darüber einig, daß es sich nicht um einen privatrechtliehen Titel, insbesondere Eigentum handeln darf16 - , daß hierfür vielmehr eine Legitimation eigener Art unerläßlich ist. Es ist der Berufsbeamte, von dem man bisher angenommen hat, daß er solchen Titel und eine derartige Legitimation mit sich bringe -, was allerdings nicht gehindert hat, daß man in weitem Umfang Angestellte mit der Wahrnehmung von Aufgaben mit hoheitlichen Mitteln betraut hat18 • Wenn es das Wesen des Feudalismus ausmacht, daß private Herrschaft auch zu öffentlicher Herrschaft zu berechtigen vermag, also etwa Grundeigentum zu Grundherrschaft -, und wenn ferner heute alter und neuer Feudalismus gleichermaßen verneint werden, dann zeigt sich, daß man auch in Zukunft einer besonderen Gruppe bedürfen wird, die allein Hoheit innehaben und ausüben darf, beides gegründet auf einem ausschließlich öffentlich-rechtlichen Titel. Nicht so einig scheint man sich bezüglich derjenigen Art von Verwaltung zu sein, die zwar in der Sache eine öffentliche ist, die aber mit den Instituten des "Verwaltungsprivatrechtes" 17 arbeitet. Man scheint vielSo auch Art. 33 Abs. IV GG. Vgl. Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstes- Bericht der Kommission- (Baden-Baden 1973), S. 48 ff. 17 Diese Prägung scheint mir nicht recht glücklich, weil sie nichts darüber erkennen läßt, ob man den Akzent auf "Verwaltung" oder auf "privat" zu legen hat. 15

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fach der Meinung zu sein, daß der hergebrachte Berufsbeamte hierfür nicht wendig und nicht initiativ genug sei18 , und daß es an dieser Stelle eines anderen Types von öffentlichem Bediensteten bedürfte. Mag dies an sich nicht unrichtig sein19, so kann es doch nicht bedeuten, daß hier "wirtschaftlich" denkende und entscheidende Menschen einzusetzen wären. Genau das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Wenn es sich zum Beispiel um Wirtschaftspolitik mit den Mitteln des Privatrechtes handelt, dann darf der zuständige Bedienstete gerade nicht als Kaufmann oder gar als Privatmann denken und entscheiden, und zwar insbesondere auch dann nicht, wenn es sich um die Wirksamkeit eines Öffentlichen Unternehmens handelt: Wirtschaftspolitik kann niemals privatwirtschaftlich, vielmehr immer nur gemeinwirtschaftlich verstanden werden: Die Gewährung von Subventionen iiSt nicht ein Bankgeschäft, sondern ein Staatsakt20. Gilt das für Aufgabe und Sinn einer derartigen Tätigkeit, dann kann das hierfür als Mittel eingesetzte Privatrecht kein echtes Privatrecht, ,also ein Recht des privaten Vorteils sein, und zwar auch nicht auf der Empfängerseite: Mangels eigener Institute entleiht man sich hiermit fremde Institute, ohne ihren Sinn zu übernehmen. Da die Versuchung, Ziele und Mittel ökonomisch-privat mißruverstehen (wie gerade das Öffentliche Unternehmen zeigt, wenn man ihm z. B. verständnislos vorwirft, es habe keine Gewinne erzielt), bedarf es an dieser Stelle einer noch stärkeren Immunisierung des ÖffentlichenBediensteten gegen solche Versuchung als im Bereich der Hoheitsverwaltung: Sie müssen frei von jedem privatwirtschaftliehen Denken ausschließlich und allein gesamtwirtschaftlich denken - sie müssen in der Wirtschaft stehen als ob sie nicht in ihr stünden. Ihr Dienstverhältnis kann daher nur ein öffentlich-rechtliches sein und ebenso ihr Selbstverständnis: Die Mitglieder der Bundesbank mögen hierfür 'als Beispiel und Vorbild dienen. Es kommt heute hinw, daß die Wohlstandsgesellschaft nicht nur auf Ordnung und Sicherheit, sondern nicht minder auf den ordentlichen und sicheren Fluß von Wohltaten angewiesen ist. Die Unbedingtheit der Darbietung ist von der Leistungsverwaltung ebenso gefordert wie von der Hoheitsverwaltung. Die erste vermag daher private Gewalt, insbesondere den Streik, womöglich noch weniger zu ertragen als die zweite. Solche Gewalt verhilft zudem in einer solchen ·G esellschaft zu einem unverdienten Vorteil. Hängt hier alles davon ,ab, daß die einzelnen Beiträge planmäßig, sicher und richtig geleistet werden, damit das gesonte Gesamtergebnis zustandekommt, dann sieht sich diese Gesellschaft gezwungen, sich von solcher 1s Vgl. hierzu statt unendlich vieler Belege etwa die Neue Zürcher Zeitung vom 18. Februar 1974: "Prlvatwirtschaftlicher Schwung- auch im öffentlichen Amt." 10 Vgl. unten Anmerkung 29. 20 Vgl. Herbert Krüger, Das Wirtschaftspolitische Mitwirkungsverhältnis (Hamburg 1974}.

Die ,.i.ebensiuft" des Öffentlichen Dienstes Gewalt mit einem Überpreis loszukaufen, den letztlich die Schwachen, die der Fähigkeit zu Gewalt entbehren, ·7JU bezahlen haben, was mit der Idee der Gleichheit schwerlich zu vereinbaren ist.

m. Es sei mit dem Ergebnis der unter II. unterbreiteten Darlegungen davon ausgegangen, daß ein besonderer Öffentlicher Dienst gerade in der Wohlstandsgesellschaft unentbehrlich ist und daß ein solcher Dienst jedenfalls nicht auf die Person, ihre Interessen und ihre Zufälligkeiten gestellt werden kann, also ein entpersönlichter im Sinne dieser Gegenpositionen sein muß. Damit läuft er einem Zeitgeist zuwider, der überall auf Natürlichkeit, Spontaneität und Naivität hinaus will. Muß sich also das hergebrachte Berufsbeamtenturn gegen diesen Zeitgeist erhalten, so müßte eine neue Gestalt des Öffentlichen Dienstes sich gegen ihn durchsetzen -, eine Feststellung, die die Überlegungen über eine solche neue Gestalt vor allem auch auf deren Durchsetzbarkeit lenkt. Beides, Erhaltung oder Durchsetzung, läßt sich nicht allein, ja nicht entscheidend durch Rückgriff auf die Artikel 33 IV und V des Grundgesetzes bewirken. Insbesondere gibt hierfür die Herkömmlichkeit selbst dann nicht genug her, wenn sie konstitutionell sanktioniert ist21• Es muß vielmehr für die Zwecke der Untersuchung von allem Verfassungs- und Gesetzesrecht abgesehen und der Ursachverhalt ins Auge gefaßt werden, auf den allein es entscheidend ankommt, weil er die unabdingbare Voraussetzung von aller Normierung ist. Dieser Ursachverhalt läßt sich etwa wie folgt umschreiben: Bedürfen rue Allgemeinheit und das Gemeinwohl ihrer Verwirklichung wegen einer Gruppe von Menschen, die über eine besonders gesteigerte Berufung und eine ebensolche Eignung für diese Verwirklichung verfügt? Sollte diese Frage zu bejahen sein22, dann wäre weiter zu prüfen, worin solche Berufung und Eignung bestehen und wie man, da sie von Hause nicht zu erwarten sind, zu ihnen gelangen könnte. 1. Die Prüfung dieser Frage soll auf den letztlich entscheidenden Umstand abheben - die Eigenart der dem Öffentlichen Dienst und seiner Angehörigen wesentlichen Motivation. In dieser Hinsicht huldigt unser Zeitalter vor allem in den Bereichen von Wirtschaft und Arbeit der skeptischen Auffassung, daß der Mensch zu einem gesellschaftlich erwünschten Verhalten nur durch die Aussicht auf den persönlichen

u Eine Erörterung der "Verfassungsrechtlichen Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechtes" (= Band 5 der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstes - Baden-Baden 1973 -) ist zwar gewiß unerläßlich, vermag aber kaum etwas dazu beizutragen, daß es einen Öffentlichen Dienst gibt, der den betreffenden Erfordernissen genügt. 11 Vgl. oben li.

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lterbert l{rüger

Vorteil zu bewegen ist, den es ihm verheißt. Es zeigt sich die Herrschaft dieser Auffassung nicht zuletzt darin, daß sie dem Berufsbeamtenturn a priori Leistungslosigkeit zuschreibt, weil es herkömmlicherweise ohne solche Anreize wirken soll, und in den Versuchen, auch das Berufsbeamtentom durch derartige Anreize zu aktivieren23• a) Entgegen diesem Befund sei hier eine Überlegung angestellt, die früher schon einmal angesponnen worden ist2' : Wenn es zu den Strategemen des modernen gesellschaftswissenschaftliehen Denkens gehört, Ordnung und Zusammenhang immanent dadurch zu stiften, daß man einer jeden Kraft die entsprechende Gegenkraft entgegensetzt, dann zwingt die Vorherrschaft der Auffassung, daß nur die Aussicht auf persönlichen Vorteil zu gesellschaftlichem Handeln zu bewegen verspricht, zu der Folgerung, daß der Kraft "Eigennutz" eine Gegenkraft "Uneigennützigkeit" entgegengesetzt werden muß, wenn das Gefüge der Gesellschaft in sich ausgeglichen sein soll. Grob gesprochen: Ein Volk kann nicht bestehen, wenn es sich lediglich aus Krämern zusammensetzt, ja gerade die Krämer selbst müssen um ihrer Selbsterhaltung willen darauf bedacht sein, daß es auch das Gegenteil von Krämerturn gibt. Es mag sein, daß früher die Kirche die Gegenkraft "Uneigennützigkeit" dargestellt hat. Die Trennung von Staat und Kirche schließt heute eine solche Lösung jedenfalls de jure aus - die weltliche Gesellschaft muß selbst für die gesellschaftlichen Gegenwirkungen sorgen, die seinerzeit von den Kirchen ausgegangen sind. Von der entsprechenden weltlichen Vorkehrung läßt sich im allgemeinen zum Unterschied von der religiösen Veranstaltung sagen, daß sie nicht der Beschaulichkeit gewidmet sein kann. Wenn vielmehr überall Aktivität verlangt wird, dann muß diese gesellschaftliche Funktion einer Tätigkeit zugeordnet werden, und zwar einer Tätigkeit, die ihr entgegenkommt, die also von Hause aus auf Uneigennützigkeit eingestellt ist. Hierher gehören heute vor allem die (reinen) Weltanschauungsparteien: Sie sind eine Art von weltlichem Salz der Erde und haben als solche vor allem den Eigennutz der Individuen zum Gegner. Eine andere Möglichkeit der Lösung dieses Problems besteht in der Placierung der Gegenkraft "Uneigennützigkeit" in denjenigen Gruppen, die Allgemeinheit und Gemeinwohl zu verwirklichen haben, also etwa in den Parlamenten oder im Staatsdienst. Daß es sich in der zweiten Hinsicht in der Tat so verhält, zeigen zwei 23 Wohl das kurioseste Beispiel hierfür bietet der italienische, kurz nach dem zweiten Weltkrieg unternommene Versuch, zu einem Leistungslohn zu gelangen, der sich an der Zahl der von dem fraglichen Beamten angelegten Aktenstücke orientierte. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß dieser Versuch sehr bald abgebrochen worden ist. 24 Vgl. Herbert Krüger, Die Modernität des Modernen Staates, in: Verfassung und Recht in Übersee 1973, S. 5 ff.

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hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums: Die Lebenslänglichkeit26 und das Alimentationsprinzip, wobei die Angriffe auf das letzte bekunden, wie sehr das Prinzip des Eigennutzes sich aus Wirtschaft und Arbeit auf dem Vormarsch in das Innere des Staates befindet. Insbesondere die Forderung nach Streik und Ausperrung auch für den Öffentlichen Dienst sind bezeichnend für die Energie, die für eine Kommerzialisierung des Öffentlichen Dienstes eingesetzt wird. b) Zu dieser, das Ganze von Gesellschaft und Staat umfassenden Überlegung und ihrem Ergebnis "Der Öffentliche Dienst als Gegenkraft zur Kraft ,Eigennutz' überhaupt" kommt eine zweite Notwendigkeit hinzu. Sie ergibt sich aus der Veränderung des Selbstverständnisses der Parlamentsabgeordneten. In zunehmendem Maße wird festgestellt, daß diese Abgeordneten sich nicht mehr, wie es in der BRD Art. 38 GG verlangt, als "Vertreter des ganzen Volkes" verstehen, die "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sind-, um von der Forderung nach Verwandlung des repräsentativen in ein imperatives Mandat ganz zu schweigen. Es binden sie vielmehr vor allem der Fraktionszwang an ihre Partei und darüber hinaus mancherlei Umstände an irgendwelche organisierten oder auch nichtorganisierten Interessen. Es zeigt sich auch an dieser Stelle: Der Anreiz, der Menschen sich um ein Mandat bewerben läßt, ist heute weniger ein allgemein-politischer als ein besonderer-interessierter. Zwar sind die Diäten als ein Gegenstück zur Alimentation konzipiert insofern sie die Anfälligkeit für die Wahrnehmung fremder oder eigener Interessen soweit sie auf finanzieller Beengtheit beruht, gegenstandslos machen sollenH. Aber man kann nicht damit rechnen, daß diese Maßnahme vollen Erfolg gehabt hat. Auf jeden Fall muß der Staat auch hier der ungünstigeren Möglichkeit entsprechen. Auch in dieser Relation bedarf es daher des Einsatzes einer Gegenkraft, die nicht nur quantitativ, sondern hier abermals vor allem qualitativ die erste Kraft balanciert und neutralisiert. Es ist die Exekutive, die sich als eine solche Gegenkraft anbietet, und zwar nicht nur weil man hofft, daß das Gesetz, das sie auszuführen hat, durch den Kampf der Interessen im Parlament eine Norm des Gemeinwohles geworden ist oder sich ihr jedenfalls angenähert hat - , sondern weil man annehmen darf, daß der Öffentliche Dienst weniger anfällig gegenüber privaten Interessen ist als Politiker, insbesondere weil diese auf Wiederwahl bedachtsein müssen27 • 25 Vgl. hierzu E. Forsthoff, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechtes (oben Anm. 21), S. 17 ff., S. 24, S. 25, S. 27: Lebenslänglichkeit, weil Staat nicht auf Gewinnerzielung ausgeht. 26 Vgl. hierzu das Bundesverfassungsgericht in: BVerfGE 20.103. 27 Selbstverständlich soll damit nicht gesagt sein, es müßten noch mehr Beamte in Parlamenten sitzen als dies jetzt schon ohnehin der Fall ist.

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Wie wenig man sich solcher Zusammenhänge bewußt ist, zeigen die Angriffe .gegen das "Juristenmonopol". Eigenart und Sittlichkeit des Juristen nämlich bestehen darin, daß er unparteiisch ist, also sich mit keinem Interesse identifiziert und deswegen das "Prinzip der NichtIdentifikation" zu repräsentieren vermag, das den modernen Staat kennzeichnet. Jede andere Disziplin hingegen ist interessiert - vor allem auch an einem Modell, einer Doktrin, an einem Ideal (Valkswirte Marktwirtschaft u.s.f.). Die Ausbildung des Juristen sollte daher weniger eine empirische, als eine normative sein, die ihn von allen Interessen distanziert und als "allgemeinen Stand" konstituiert. c) Bisher ist bewußt der Schwerpunkt der Untersuchung auf die eigentümliche und notwendige Art der Motivation gelegt worden, um die Existenznotwendigkeit eines Öffentlichen Dienstes aus dem Gesamt von Gesellschaft und Verfassung, jedenfalls soweit beide dem Modell Kraft-Gegenkraft huldigen, a priori darzulegen: Es ist die Verneinung des Eigennutzes, die die Eigenart dieser Motivation als erstes Element ausmacht. Von dem, was diese Motivation positiv bestimmen soll, dem Amtsethos, soll später eingehend die Rede sein. Jetzt gilt es, auf den zweiten Bestandteil einzugehen, der in der Idee des Berufsbeamtenturns enthalten ist: Beruf gekennzeichnet durch Sachkunde. Dieses rationale Moment der Idee des Berufsbeamtenturns hat durch die Entwicklung der Gesellschaft zur Wohlstands- und Genußgesellschaft ungemein an Bedeutung gewonnen. Diese Gesellschaft verlangt eine unerhörte, ständig steigende materielle Produktivität, und zwar bis hin zu Freizeit, Unterhaltung u. ä. m. Da die Aussicht auf unendliche Steigerbarkeit des Wohlstandes verhindert, daß der Mensch mit dem Erreichten zufrieden sein könnte, ja eine solche Zufriedenheit wegen des Ideales (unendliches) "Wachstum" gar nicht erwünscht ist, ist heute nicht der Mangel, sondern der Überfluß (genau: das Ausbleiben einer Vermehrung des Wohlstandes für Jedermann) die Hauptursache, die eine Krise, ja den Untergang eines Staates bewirken kann. Zwar hat der freiheitlich-demokratische Staat die Sorge für alles dies nicht selbst in die Hand genommen, sondern vor allem in der Wirtschaft seinen Bürgern, dem Markt und dem Wettbewerb überlassen. Aber gerade deswegen steigt auch seine Verantwortlichkeit dafür, daß die Freiheit seiner Bürger den von ihnen geforderten Wohlstand wirklich hervorbringt: Solche "freien" Bürger pflegen irgendeinen Mißstand sich nicht selbst, sondern dem Staat zuzurechnen. Der Hauptanteil dieses, dem Wachstum des Wohlstandes parallelen Wachstums der Verantwortung fällt Regierung und Verwaltung zu28, und zwar der Regierung der politische Genius, dem Offentliehen Dienst oder einem elitären Tech18

Vgl. G. Burdeau, Traite de Science Politique, III, 2. Aufl. (Paris 1968}.

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nokratentum die Sachkunde, die sich auf diese Weise zu einer Wirkungseinheit verbinden, wie sie die Wohlstandsgesellschaft mit ihren steigenden Erwartungen verlangt. Es kann keineswegs als ausgemacht gelten, daß es das Berufsbeamtenturn sein wird, das in diesem Bündnis den Part der Sachkunde bestreiten wird. Es mag vielmehr auch dahin kommen, daß sich hierfür ein neuer Typ als erforderlich erweist, der etwa als "Staatsmanager" zu umschreiben wäre. Hier kommt es nur auf die Feststellung an, daß das Berufsbeamtenturn nicht etwa ersatzlos wegfallen und durch Arbeitnehmer, wie sie sich überall finden, ersetzt werden kann, um von "Amateuren", "Begeisterten" u. a. m. ganz zu schweigen: Wenn vielmehr selbst und gerade eine freiheitliche Wohlstandsgesellschaft nicht ohne Expertokratie bestehen und gedeihen kann - es sei denn, ihre Mitglieder entschlössen sich wieder Schäfer und Schäferinnen zu werden28 - , dann kann sie der Bejahung einer solchen Notwendigkeit sich nicht entziehen, da selbstverständlich ein solches "Zurück zur Natur" für sie nicht in Betracht kommt. Es bleibt also lediglich zur Wahl die Frage, wie diese Expertokratie aussehen soll, wobei Selbstlosigkeit3° auch von ihr in erster Linie zu prästieren ist, also noch vor dem Sachverstand. 2. Es hat sich gezeigt, daß auch und gerade die Wohlstandsgesellschaft einer besonderen Gruppe nicht entraten kann, die auf eine besondere Art und Weise die wichtigsten allgemeinen Angelegenheiten dieser Gesellschaft erledigt. Dies vorausgesetzt gilt es nunmehr zu versuchen, das Bild einer solchen Gruppe zu entwerfen, an dem das hergebrachte Berufsbeamtenturn gegebenenfalls zu messen und notfalls zu verändern wäre. Dieser Entwurf soll unter das Stichwort "Askese" als Arbeitshypothese gestellt werden. Als extrem soll es die Schärfe des Gegensatzes auch äußerlich hervorheben, in dem man sich zum Prinzip befindet, demgemäß allein der eigene Vorteil zur Förderung fremder, vor allem allgemeiner Angelegenheiten zu bewegen vermag. In der Sache rechtfertigt sich diese Wahl durch Überlegungen, die bereits früher angestellt worden sind: Bedarf jede gesellschaftliche Kraft oder Tendenz (hier: Streben nach materiellem Glück, und zwar immer mehr solchen Glückes) eines Kontrapunktes zwecks Balancierung und Neutralisierung31 , dann Vgl. hierzu auch oben Anm. 13. Wie wenig man heute Uneigennützigkeit einer solchen Gruppe für möglich hält, zeigt die Unterentwicklung des Rechtsschutzes durch die Verwaltung selbst in der BRD: Man ist ihr abhold, insbesondere was die Feststellung der Sachverhalte angeht, weil die Verwaltung immer "in eigener Sache" ermittele; vgl. hierzu F. Scharpf, Die politischen Kosten der Demokratie (Tübingen 1970), S. 41. Daß "Amt" und "Eigene Sache" sich ausschließen könnten, wird offensichtlich für undenkbar gehalten. 81 Vgl. hierzu K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip (Tübingen 1972); F. J. SäckeT, Gruppenparität und Staatsneutralität als ver29

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kann die entsprechende Gegenkraft nur ,.Askese" sein, weil sie allein den Gegensatz zu "Fülle" darstellt. Eine Gruppe, die sich diesem Ideal verschrieben hat, würde sich also zum Unterschied von der Gesellschaft nicht vom Motiv des eigenen Vorteils in fremden und allgemeinen Angelegenheiten leiten lassen dürfen -, sie würde ihre Wirksamkeit durch andere Ideale und Motive bestimmen müssen. Natürlich klingt das Wort "Askese" für eine Wohlstandsgesellschaft beinahe lachhaft. Etwas derartiges kommt praktisch allenfalls erzwungen in Betracht, wenn es sich um Abmagerung handelt. Demgegenüber sei daran erinnert, daß Max Weber32 Kraft und Leistung des Kapitalismus auf "innerweltliche Askese" zurückgeführt hat: Man könnte hieran eine Bestätigung der These sehen, daß nur eine Kombination von Kraft und (heterogener) Gegenkraft diejenige Struktur und eine ebensolche Dynamik vermittelt, die das Äußerste des Möglichen und Richtigen hervorzubringen vermag. a) "Askese" meint im gegenwärtigen Zusammenhang als erstes Bestreitung, daß Güter Güter sind, die die Wohlstandsgesellschaft für Güter hält und deren Inn~habung und Nutzung sie daher als "Glück" ansieht und anstrebt: Kurze und immer kürzere Arbeitszeit, immer mehr Freizeit, die allerdings nicht mehr, wie ursprünglich im Sozialismus angelegt, dem Menschen gestatten soll, sich von der Fron der Arbeit um der täglichen Notdurft willen zu befreien und zu sich selbst als Menschen zu kommen, die vielmehr "Frei"(zeit) im Sinne einer Freiheit versteht, der eine Bestimmung nicht mehr.innewohnt und deren Leere daher irgendwie durch Leeres ausgefüllt wird -, also insbesondere durch eine gewisse Art von Unterhaltung; ferner Steigerung der Entgelte, damit Jedermann an diesem Glück teilhaben und teilnehmen kann; schließlich und nicht zuletzt die Überbürdung der Verantwortlichkeit für den Mitmenschen und sogar die Allgemeinheit auf amtliche Veranstaltungen oder auf natürliche Gesetzlichkeiten und Sicherung des hierdurch gewonnenen "Freiheits"raumes durch, als Abwehrrechte mißverstandene Grundrechte. Positiv meint "Askese" hier die Unvermitteltheit des Verhältnisses zu derjenigen Sache, der man sich gewidmet hat, insbesondere die Unvermitteltheit im Hinblick auf den persönlichen Vorteil als Medium. Für den Entschluß, sich einer derartigen Sache zu widmen, z. B. einem Unternehmen und dessen Führung, ist die Faszination, die von ihr ausgeht, entscheidend. Dasselbe gilt für den Dienst an einer solchen Sache: Es ist das Gefühl der Verantwortung für das Gedeihen der Sache, der man sich verschrieben hat - die Ehre, die man hiermit vor allem vor fassungsrechtliche Grundprinzipien des Arbeitskampfrechtes (Heidelberg 1974), vor allem S. 98 ff. ' 32 Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 6. Auflage (Tübingen 1972), S. 84 ff.

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sich selbst einlegt -, der Stolz des Gelingens und nicht zuletzt auch das Ansehen, das eine solche Wirksamkeit selbst in einer Wohlstandsgesellschaft bewirkt, die durchweg den Reichtum als das Kriterium der bedeutenden Leistung ansieht. Als ich33 ausgeführt habe, die Paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten der Großen Unternehmen von nationalem Gewicht sei insbesondere auch mit Rücksicht auf Art. 15 verfassungsrechtlich nur dann haltbar, wenn eine solche weitere "Privatisierung" der Unternehmen durch einen elften Mann ausgeglichen werde, der als unabhängiger Staatsdiener die Belange der Allgemeinheit zur Geltung bringen müsse, da hat man mir selbst bei Zustimmung in der Sache entgegengehalten, solche zugleich erstklassigen und materiell uninteressierten Männer würden sich nicht finden lassen34• So bezeichnend dieser Einwand für die Geistige Situation der Wohlstandsgesellschaft ist, so kann doch sie selbst eine solche Situation nicht dulden (vgl. oben: Selbst eine Wirtschafts- und Wohlstandsgesellschaft kann nicht ausschließlich aus Krämern bestehen); vor allem aber bin ich davon überzeugt, daß sich solche Menschen finden werden, wenn ihnen die Verantwortlichkeit für eine große, bedeutende, würdige, ansehnliche Sache angeboten wird. Unsere Extremisten sind ein Beispiel dafür, daß es sie gibt, daß man sie jedoch nicht nutzt und sich deswegen in Sinnlosigkeiten verpuffen läßt. Die Kirchen haben sich durch das, was man symbolisch "Franziskanertum" nennen kann, immer wieder erneuert. Warum sollten Gesellschaft und Staat sich diese Erfahrung nicht zu eigen machen, zumal wenn man das Institut "Opposition" hierfür geschaffen hat -, abermals allerdings ohne es hierfür zu nutzen, wie denn die Außerparlamentarische Opposition allein durch ihr Dasein zeigt, daß die Opposition nicht mehr Auffang-, Klär- und Durchsetzungsvehikel neuer Strömungen und Ideen ist. Was hier ausgeführt wurde, beruht auf kalter Beobachtung und nüchterner Überlegung. Es handelt sich also nicht um ein Exemplar derjenigen Gattung von Gejammer, die einen Verfall von Idealismus zu beklagen pflegt, für den sie zudem selbst ursächlich ist. Auf jeden Fall handelt es sich immer darum, daß man einen Mangel an Idealismus (vor allem natürlich in der Jugend) an anderen feststellt und tadelt, weil sie anderen Idealen huldigt als denjenigen, die die Tadler vertreten und für alleinseligmachend erklärt haben36 • 33 Paritätische Mitbestimmung Unternehmensverfassung - Mitbestimmung der Allgemeinheit (Düsseldorf 1973), S. 93 ff. 8' So etwa Otto Kunze in der Besprechung meiner soeben erwähnten Schrift in "Das Mitbestimmungsgespräch" 1974, S. 72 (Die erheiternde Überschrift "Ein Staatsrechtslehrer im Alleingang" stammt nicht von 0. K., sondern von der Redaktion). 85 Ein prächtiges Beispiel solchen Gejammers hat neuerdings Jürgen Eick geliefert; vgl. "Ohne Ideale", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Oktober 1974.

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b) Alles drängt nunmehr zur Stellung und Behandlung der Frage, durch welche Art von Motiven sich diejenigen Menschen leiten lassen und vor allem leiten lassen müssen, die zu einer solchen Entscheidung für Askese als diejenige Haltung bereit sind, in der sie gesellschaftliche Angelegenheiten zu erledigen gedenken. Im Rahmen des hergebrachten Berufsbeamtenturns ist es die parallele Frage nach dem Amtsethos", die hiermit aufgeworfen ist. Eine Geschichte des Berufsbeamtenturns im Lichte des Amtsethos und seiner Wandlungen im Laufe der Jahrhunderte gibt es allenfalls in Ansätzen81 oder in Andeutungen. Die Monarchie wesentlich als Gottesgnadentum38, der Pietismus, der Kategorische Imperativ sind in diesem Zusammenhang genannt worden. Neuerdings mag auch der entpersönlichte, verweltlichte Staatsgedanke eine Rolle gespielt haben, ja man muß heute in dieser Idee die einzige nicht-materielle Quelle einer solchen Inspiration sehen. Daß die Monarchie auch nicht in Nachwirkungen mehr hierfür in Betracht kommt, versteht sich von selbst38• Sollten religiöse und sittliche Kräfte hierfür noch in Betracht kommen, dann dürften sie von vornherein in einer Wohlstandsgesellschaft nur eine Minderheit ansprechen. Sobald das Berufsbeamtentum eine Massenerscheinung geworden ist, kommt allenfalls noch der Staatsgedanke als Geistige Grundlage in Betracht. Jedoch zeigt sich auch an dieser Stelle wieder: Gerade in einem Augenblick, in dem man an der Staatsidee und eines entsprechenden Staates am dringendsten bedurft hätte, und zwar insbesondere auch um der Erhaltung der persönlichen Freiheit gegen die gesellschaftlichen Mächte willen, hat sich eine Art von verspielter Freiheitsfreundschaft darin gefallen, diese Gebilde eines selbständigen Wertes zu entkleiden. Selbst aus dieser letzten Quelle ist daher für lange Zeit, wenn nicht für immer, nichts mehr für ein Amtsethos zu holen: Die Askese unserer gesuchten Asketen wird sich von vornherein hierauf einzustellen haben. ss Vgl. hierzu zuletzt etwa W. Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland (Neuwied und Berlin 1972), S. 174, 208,235, 273 ff. a1 Der Historiker Carl Hinrichs hat mir einmal erzählt, er plane eine solche Geschichte. Er ist jedoch gestorben, bevor er diesen Plan verwirklichen konnte; einiges schon in "Preußen als historisches Problem" (Berlin 1964). Das beste findet sich zur Zeit hierüber bei Michael Walzer, The Revolution of the Saints (Harvard UP 1963), S. 233 ff., 254, 287. ss Vgl. hierzu als Beispiel für den Übergang von der konkreten zur Amtsperson des Herrschers: Kiderlen-Wächter, Der Staatsmann und der Mensch, Briefwechsel und Nachlaß, herausgegeben von E. Jäckh (Berlin und Leipzig 1925), I, S. 107: "Wegen der Beeidigung der Beamten (so nach dem Tode Kaiser Wilhelms I.) ist noch nichts verfügt. Der Reichskanzler hatte sie schon angeordnet, dann aber kurz darauf Gegenbefehl erlassen, weil die Beamten auf den Kaiser im allgemeinen, nicht auf die bestimmte Person wie die Truppen (sie!) vereidigt seien ..." su Daraus kann jedoch nicht, wie wohl Werner Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 3. Auft. (Berlin 1970), S. 38, 45, geschlossen werden, daß dem Berufsbeamtenturn eine von zwei oder drei moralischen Stützen entzogen worden wäre.

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Angesichts solcher "moralischen" tabula rasa, die im Grunde nur noch Zynismus oder Nihilismus übrigläßt40 , scheint die Frage nach dem Ethos unserer besonderen Gruppe und damit nach der Kraft für ihre Askese praktiSCh unlösbar - und hiermit wieder scheint sich die Auffassung abermals zu bestätigen, daß in einer Wohlstandsgesellschaft derartige Menschen nicht zu finden seien41• Wie es sich auch immer hiermit verhalten mag, auf jeden Fall wird man diesen Teil unseres Problems mit· äußerster Behutsamkeit und ebensolcher Umsicht anzugehen haben. Zweifellos- gibt es hier ein Vakuum, das in seltsamem Widerspruch nach Ausfüllung zugleich verlangt und ihr widerstrebt. Es zeigt sich, daß auch eine Leere, vor allem eine leere Freiheit, sich durchaus als Terror zu äußern vermögen. Ansprechbar bleibt in einem solchen Klima allein der Mensch (jedenfalls wenn man alles Utopische, Schwärmerische u. ä. m. als inadäquat von vornherein ausscheidet: Ist es doch gerade diese Mentalität, die ohne eine besondere Gruppe für die Angelegenheiten der Allgemeinheit auskommen zu können wähnt). Das bedeutet- was schon früher hervorgetreten ist -, daß es nur die Sache selbst sein kann, die als Vermittlerin von Antrieb und Richtung ihrer Wirksamkeit für die Mitglieder unserer Gruppe in Betracht kommt: Es sind die Faszination, ,die von der Sache ausgeht, und die Bereitschaft, auf solche Faszination zu eri.vidern- auf sie allein kann noch gesetzt werden, wenn man zu einer Gruppe wie hier als erforderlich angenommener gelangen will. Diese Faszination unterscheidet sich von Religion und Sittlichkeit dadurch, daß ihre Quellen der Sache selbst innewohnen und sich dadurch zur Geltung bringen, während etwa im Berufsgedanken42 es eine höhere Macht ist, die den Menschen qua Fügsamkeit ihr gegenüber in ein Verhältnis zur' Sache setzt und diese hierdurch adelt, gleich welche Eigenart und Wertigkeit ihr selbst innewohnt4ll. Als eine solche "Sache" haben wir bereits das "Unternehmen an sich" kennengelernt. Jetzt stellt sich die Frage, ob die Allgemeinheit, gleich ob als Staat formiert oder nicht, als eine solche Sache in Betracht kommt. Staat und Politik haben gewiß einmal eine solche Anziehungskraft ausgeübt, auf Geister, die auf Großes ausgingen. Ob dies heute noch der F1all ist, muß zum mindesten bezweifelt werden. Hier würde man also vor der Situation stehen, daß ~die Bereiten 'die Sache selbst mitbringen oder aufbauen müßten, der sie sich widmen wollen- eine Art von Münchhausiade, wie sie auch denjenigen Unternehmern angesonnen wird, die es als um der Wirtschaft selbst unerläßlich anerkennen, den Staat aus der •o Wie er von gewissen Massenmedien kultiviert wird. Vgl. oben Anm. 34. Vgl. hierzu John Dunn, The Political Thought of John Locke (Cambridge UP 1969), S. 245 ff. u u

43 Auf diese Weise kann man selbst das Hinrichten zum "Gottesdienst" erheben.

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Wirtschaft neu aufzubauen. Letztlich hat man an dieser Stelle derjenigen Arbeiter zu gedenken, die um Sinn und Würde ihrer Arbeit kämpfen, obwohl d.ie technische und ökonomische Sache solches nicht eigentlich hergeben. c) Es sei für das folgende davon ausgegangen, daß die Sache "Allgemeinheit"'' imstande ist, Diener für sich zu gewinnen, und zwar vor allem innerlich für sich zu gewinnen, daß sie also den Mitgliedern einer neuen Gruppe das sein könnte, was das "Amtsethos" für den Beamten ist oder jedenfalls gewesen ist46. Die Zuordnung zu einer "Sache" genießt heute vor dem "Aufgehen in ein Amt" den Vorzug, daß es nicht eine Institution ist, der der bereite Mensch sich zuzuordnen hat. Damit ist jedoch nicht ausgemacht, ob das Ergebnis so ausfallen wird, wie es die Sache "Allgemeinheit" verlangt. Es handelt sich darum, ob diese Sache eine Verpflichtung von gleicher Umfassendheit und Stärke für einen Menschen unmittelbar zu begründen vermag, wie Gott, Monarch, Religion oder Sittlichkeit es vermocht haben. Mir scheint, daß es nicht an Sachverhalten fehlt, die eine Bejahung an unserer Stelle jedenfalls nicht ausschließen: Solche "Sachen" sind etwa für den Wissenschaftler die Erkenntnis um der Erkenntnis willen, für den Mediziner die Gesundheit um der Gesundheit willen. In unserem Zusammenhang würde es sich um Zusammenleben und Zusammenwirken von Menschen handeln: Es ist schwer vorstellbar, daß es keine Menschen geben sollte, für die eine derartige Aufgabe nicht als Sache erscheinen könnte, der sie sich zu verschreiben bereit sind. Es käme jedenfalls auf einen Versuch antrotz der Skepsis, die dergleichen von vornherein für aussichtslos erklärt48. Dieser Versuch müßte in kleinem jedoch wesentlichem Rahmen jedenfalls begonnen werden. Noch herrscht nämlich jene Verwirrung des Geistes vor, die darin, daß ein Mensch sich einer Sache "mit Haut und Haaren" verschreibt, der sich also nicht alles vorbehält einschließlich einer Schädigung dieser Sache, eine Preisgabe der Freiheit, ja der Menschlichkeit sieht47 , eine Ungesellschaftlichkeit von Freiheit und 44 Von Staat ist hier bewußt nicht die Rede, weil wir es bewirkt haben, daß ein solcher Appell, um es drastisch auszudrücken, keinen Hund hinter dem Ofen hervorlockt. 45 Vgl. hierzu und zum folgenden: "Amt und Beamter eine Einheit- Vortrag gehalten auf der Festversammlung aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens des Bundes der Deutschen Zollbeamten e. V. in der Festhalle des Bundes der Deutschen Zollbeamten e. V. in der Festhalle von Planten und Biomen von Herrn Professor Dr. Ht:rbert Krüger, Bund der Deutschen Zollbeamten e. V. Hamburg. Vgl hierzu auch W. Hennis, Amtsbegriff und Demokratie, jetzt in: Die mißverstandene Demokratie (Freiburg i. B. 1973), S. 9 ff. u Vgl. oben Anm. 34 und 41. 47 So zuletzt etwa wieder Thomas Breit auf der Tagung der Deutschen Postgewerkschaft in Harnburg 1974: "Der Beamte muß aus seiner diskriminieren-

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Menschheit, wie sie seltsamerweise gerade diejenigen verfechten, die nicht genug an "Gesellschaftspolitik" (lucus a non lucendo!) im Munde führen können. Es könnte auf diese Weise dazu kommen, daß zu den hergebrachten Berufsbeamten eine neue Gruppe von Anwälten der "Sache" Allgemeinheit tritt, die nicht ,,Amtsträger", sondern "Sachträger" sind. Der erste ist idealtypisch charakterisiert dadurch, daß er sich seines Menschlichen im Sinne von Allzumenschlichen entkleidet und sich in ein Organ oder wie immer man diese neue Wesentlichkeit nennen will, verwandelt, also sich zu einem "Weltlichen Kleriker" gesteigert hat48 • Die "Sache" hingegen läßt idealtypisch den Menschen so wie er ist. Als solcher stellt er sich jedoch in ihren Dienst, und zwar aus Freude an der Sache oder wie immer man dies kennzeichnen will, und läßt sich in seinen Überlegungen und Motivationen dieserhalb ausschließlich von der Sache bestimmen. Er ist daher weit entfernt davon, vielleicht würde er es sogar als Verrat an der Sache empfinden, wenn er sich unter Berufung auf Grundrechte diesem Dienst entziehen wollte- er wird vielmehr in solchem Dienst an der Sache die von Verfassungs wegen gewollte, ja Sinnerfüllung seiner Grundrechte sehen. Die Möglichkeit einer Zweiheit von "Amtsträgern" und "Sachwaltern braucht nicht zu schrecken. Das mag ein Blick auf fremde Rechte bestätigen. So hat man sich in China49 und in Indien entschlossen, für die Wirtschaftspolitik einen besonderen Typ von Öffentlichen Bediensteten zu schaffen und einzusetzen. Was die gegensätzliche Zweiheit angeht, so hat man es in Malaysia unternommen, durch die Bildung einer Minderheit von Öffentlichen Bediensteten neuen Schlages die "hergebrachten" Beamten sowie ihre Denk- und Arbeitsweise zu modernisieren und mobilisierenli() .Zu einem Ethos der Mehrheit der Angehörigen des Öffentlichen Dienstes ist mir eine Aussage noch nicht möglich: Wahrscheinlich wird sie erst dann möglich sein, wenn genügend Erfahrungen mit dem "Ethos der Sache selbst" gesammelt sind61, den Rolle als Staatsbürger zweiter Klasse befreit werden." Nach: Die Welt vom 24. Oktober 1974. •s So Otto Hintze in: Der Beamtenstand, Vorträge der Gehe-Stiftung zu Dresden, Bd. III, Leipzig 1911. 49 Vgl. Franz Schurmann, Ideology and Organization in Communist China (California UP 1966), S. 222 (dieses Buch ist inzwischen in neuer Auflage erschienen). Vgl. hierzu auch L. W. Pye, China, an Introduction (Boston Mass. 1972), S. 64: Die Idee eines Civil Service ist Chinas bedeutendster Beitrag für die Welt. 50 Vgl. hierzu Milton J. Esman, Administration and Development in Malaysia, Institution Building andReform in a Plural Society (Cornell UP 1972). n In diesem Sinne könnte man die Meinung des Verfassers, im Falle der Einführung der Paritätischen Mitbestimmung müßte ein elfter Mann als Repräsentant der Allgemeinheit vorgesehen werden, zugleich als Ansatzpunkt für eine Reform des Öffentlichen Dienstes nutzen, in dem man es hier mit "Sachwaltern" versuchte.

Der Beamte als Leistungsträger Die Anwendbarkeit des beamtenrechtlichen Funktionsvorbehalts (Art. 33 Abs. IV GG) auf die Leistungsverwaltung Von Walter Leisner Diese Abhandlung ist dem Gedächtnis von Ernst Forsthoff gewidmet. Seine berühmte Schrift! hat ein neues Verständnis der Verwaltung begründet. Es gilt, aus ihm die dienstrechtlichen Folgerungen zu ziehen: Die Berufsbeamten sind die typischen Sachwalter der Staatlichkeit. Leistungsträger ist der Staat nur dann, wenn die zentralen Leistungsaufgaben von Beamten erfüllt werden. I. Stand der Diskussion- Die h. L. von der Anwendbarkeit des Funktionsvorbehalts auf die Leistungsverwaltung 1. Die herrsche,nde Lehre

"Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe

in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in

einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen" (Art. 33 Abs. IV GG).

Diese Verfassungsbestimmung verlangt, daß Funktionen, zu deren Erfüllung obrigkeitliche Gewalt im Sinne einseitiger Regelungsbefugnis eingesetzt wird, von Beamten wahrzunehmen sind. Dies ist ebenso unbestritten2, wie allgemein anerkannt wird, daß die Fiskaltätigkeit der öffentlichen Hand von diesem Funktionsvorbehalt nicht erfaßt wird3 • Was die sog. "gewährende Verwaltung" anlangt, welche "Daseinsvorsorge" im Sinne von Ernst Forsthoff bietet und daher meist "LeistungsDer Staat als Leistungsträger, 1938. Vgl. f. viele I . v. Münch, Anl. Bd. V zum Bericht d. Studienkommission zur Reform des öffentlichen Dienstrechts, 1973, S. 71 (113) m. Nachw., ebenso sämtliche anderen dort abgedruckten Gutachten; neuerdings noch E. Feindt, Zum Schicksal des Funktionsvorbehalts für Beamte, DÖD 1974, S. 73 (74). 3 Dazu u. a. C. H. Ule, Anl. Bd. V zum Bericht d. Studienkommission, S. 441 (454); F. Mayer, ebd., S. 557 (598); E. Feindt (FN 2), S. 75; E. Lindgen, Der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. IV und seine Durchbrechungen, DÖD 1972, S. 1 (4/5); F. Matthey, Zur Rechtsangleichung bei Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, 1971, S. 245m. Nachw.; grds. J. Isensee, "Fiskalbeamte" -ein Fiskalprivileg, DÖV 1970, S. 397 ff.; abw. z. T. P. Kirchhof!, Der Begriff d. hoheitsrechtl. Befugnisse im Art. 33 IV GG, 1968, S. 127. 1

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Walter Leisner

Verwaltung" genannt wird, so ist allgemein anerkannt, daß sich der Funktionsvorbehalt jedenfalls auf alle jene Veranstaltungen bezieht, welche Hoheitsgewalt im Sinne der obrigkeitlichen Macht, des staatlichen Imperiums zum Einsatz bringen, selbst wenn sie "darreichenden" (Sozialversicherung), nicht aber "eingreifenden" Polizei-) Charakter tragen4 • Darüber hinaus wird von der ganz h. L. auch die übrige, also die gesamte Leistungsverwaltung dem Funktionsvorbehalt unterworfen5 • Zu zahlreichen früheren Äußerungen8 sind, vor allem im Verlauf der Diskussion um die Dienstrechtsreform, weitere gekommen 7 • Die Ar.gumente lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen: Der Funktionsvorbehalt solle sicherstellen, daß die zentralen Staatsaufgaben von besonders qualifizierten Bediensteten, den Beamten, erfüllt würden; angesichts der heutigen Bedeutung der Leistungsverwaltung würde er weithin leerlaufen, wenn das nicht auch für diesen Bereich gelte8 • Die Leistungsverwaltung erbringe existentiell wichtige Leistungen für den Bürger, daher sei hier die gesteigerte beamtliche Bindung an den Staat besonders bedeutsam9 • Der Begriff "Hoheitsgewalt" sei schließlich heute erweiterungsbedürftig, er werde auch allgemein in einem weiteren Sinne gebraucht1°. Zeitgemäß sei daher nur ein Verfassungsverständnis, das den Funktionsvorbehalt der Entwicklung der Staatsaufgaben anpasse. Der Inhalt des Funktionsvorbehalts sei deshalb auch laufend "dynamisch" zu bestimmen11 , was die Anerkennung eines gewissen staatlichen Ermessens bei der Bestimmung der Aufgabenqualität bedeute. 4 z. B. C. H. Ule (FN 3), S. 458 f.; E. Feindt (FN 2), S. 75. s Daß eine ganz h. L. vorliegt, daß die "überwältigende Mehrheit" im Schrifttum diese Auffassung vertritt, erkennen auch die Vertreter der Gegenmeinung an: W. Thieme, Anl. Bd. V z. Bericht der Studienkommission, S. 301 (348); E. Feindt (FN 2), S. 75; J . Jung, Die Zweispurigkeit d. öffentl. Dienstrechts, 1971, S. 130 f. m. Nachw. e Einen Überblick gibt J. Jung (FN 5), S. 130 Anm. 207 und S. 131 Anm. 213. 7 1. v. Münch (FN 1), S. 116/7; W. Schick, Anl. Bd. V z. Ber. d. Studienkommission, S.171 (193); F. Mayer (FN 3), S. 596/7; E. Lindgen (FN 3), S. 3; J. Isensee (FN 3) (zurückh.); F. Ossenbühl, VVDStL 29, S. 161/2; W. Leisner, Grundlagen d. Berufsbeamtentums, 1971, S. 46 f. m. weit. Nachw. Auch Forsthoff sieht zwar den Funktionsvorbehalt als schwer bestimmbar an, meint jedoch, daß er sich nicht auf den Einsatz obrigkeitlicher Gewalt beschränken lasse und daß auch die "schlichte Hoheitsverwaltung" i. S. v. W. Jellinek einzubeziehen sei vgl. Anl. Bd. V z. Bericht der Studienkommission, S. 17 [56 f.]). 8 f. viele W. Schick (FN 7); E. Lindgen (FN 3), S .3; F. Ossenbühl (FN 7); dies ist der Kern der sog. "teleologischen Interpretation", dazu Jung, J. (FN 5), S. 151 ff., krit. zu ihm Ule, C. H. (FN 3), S. 458. 8 I. v. Münch (FN 2), S. 116; W. Leisner (FN 7). 10 z. B. W. Schick (FN 7), S. 193; krit. dazu J. Jung (FN 5), S. 134/5. 11 Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 33 Rdnr. 33; krit. dazu J. Jung (FN 5), S. 139/40, S. 151 ff., krit. zu ihm C. H. Ule (FN 3), S. 458; noch weitergehend E. Forsthoff (FN 7), S. 60, der ihm nur den Charakter einer "Richtlinie" zuerkennen will.

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Das BVerfG hat die Frage ni~t ausdrücklich entschieden, aber erkennen lassen, daß es der h. L. Zilstimmt: "Immerhin hattrotzder Verflechtung von hoheitlicher und nicht hoheitlicher Verwaltung die Tätigkeit der Angestellten und Arbeiter regelmäßig ein geringeres politisches Gewicht als die der Beamten, denn die dauernde Ausübung hoheitsrechtlieber Befugnisse soll in der Regel Beamten und nicht Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes übertragen werden12." Wenn "die öffentlichen Verwaltungen in zunehmendem Maße Arbeitnehmer beschäftigen" (BVerfG}, dies aber vor allem, wenn nicht ausschließlich, im Bereich der Leistungsverwaltung festzustellen ist13 und doch nicht ausschließt, daß der Tätigkeit der Beamten ein größeres politisches Gewicht zukommt- so bedeutet dies, daß auch in der Leistungsverwaltung, die ja in der Tat mit der Eingriffsverwaltung vielfach verzahnt ist (dazu unten II), die Erfüllung der wesentlichen Aufgaben in Beamtenhand liegen muß. 2. D i e Ge g e n t h es e : R es tri k t i v e Auslegung des Funktionsvorbehalts Die Vertreter der Gegenmeinung, nach der nur dort Beamte ständig und in der Regel eingesetzt werden müssen, wo staatliches Imperium zum Tragen kommt, sind demgegenüber bisher isoliert geblieben14 mit Recht: Ihre Argumente gegen die Begründung der h. L. schlagen nicht durch (i. folg. a}), die Begründung ihrer eigenen These überzeugt nicht (i. folg. b)). a) Der h. L. wird vor allem entgegengehalten, ihre "teleologische Auslegung" sei unhaltbar. Wenn das GG durch den Funktionsvorbehalt die Wahrnehmung aller "wichtigen Staatsfunktionen" habe in die Hand von Beamten legen wollen, weil diese hierfür "besonders qualifiziert" seien, so treffe dies gerade für die Leistungsverwaltung nicht zu. Hier BVerfGE 9, S. 268 (284). Dazu J. Jung (FN 5), S. 124 f. m . Nachw. 14 Lange Zeit wurde diese Auffassung nur von Werner Thieme konsequent vertreten (Der Aufgabenbereich der Angestellten im öff. Dienst, 1962, S. 27; ders.: Der öffentliche Dienst in der Verfassungsordnung des GG, 1961, S. 57; ders.: Empfiehlt es sich, das Beamtenrecht unter Berücksichtigung der Wandlungen von Staat und Gesellschaft neu zu ordnen, 48. DJT 1970, D 12/13 (wo er allerdings zugibt: "Einerseits steht fest, daß nicht nur Akte der eingreifenden Verwaltung dazugehören"); ders.: Anl. Bd. V z. Bericht der Studienkommission, S. 301 [344 f.]). Neuerdings hat sie Jung (FN 5) eingehend zu begründen versucht. Ule (FN 3) schließt die nichthoheitliche Leistungsverwaltung aus dem Funktionsvorbehalt aus, weil dort die "hoheitlichen Befugnisse" soweit reichten, wie die "Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht" nach Art. 20 Abs. III GG. Auch Feindt (FN 3) tritt für restriktive Auslegung ein, fügt allerdings keine wesentlichen Argumente hinzu. Im selben Sinn i. Erg. auch J. Kölble, Grundprobleme einer Reform des öff. Dienstes, DOV 1970, S. 447 (458), ohne nähere Begründung. 12

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Walter Leisner

seien die Arbeitnehmer mindestens ebenso15, vielleicht sogar besser qualifiziert .als Beamtete. Ob dies tatsächlich oder nach der rechtlichen Ausgestaltung des Angestelltenverhältnisses der Fall ist, bleibt jedoch gleichgültig: Wenn die Verfassung anders und den Beamtenstatus höher wertet, so können faktische Verhältnisse- die zudem kaum eindeutig festzustellen sind - oder niederrangiges Recht dies nicht ändern. Die "Eignung" der Arbeitnehmer wird überdies meist damit begründet, daß ihr Beschäftigungsverhältnis dem Beamtenstatus weitgehend angeglichen sei. Dies ist aber jedenfalls in einem Punkt nicht der Fall, der heute schlechthin entscheidend ist: Beamte dürfen nicht streiken17• Wenn also die Verfassung auch nur deshalb alle zentralen Staatsfunktionen, auch die der gesamten Leistungsverwaltung, in Beamtenhand legen will18, so ist dies sachgerecht; der "teleologischen Interpretation" der h. L. können also Leistungen und Qualifikationen der Arbeitnehmerdie im übrigen kaum von irgendjemandem bestritten werden - nicht entgegengehalten werden. Gegen die h. L. wird ferner eingewendet, wenn sie den Funktionsvorbehalt für die Leistungsverwaltung mit der Notwendigkeit begründe, auch hier die Kontinuität der Staatlichkeit in jedem Fall, selbst bei einem Arbeitskampf, sicherzustellen, so berufe sie sich auf etwas tatsächlich Unmögliches, weil auch das Beamtenverhältnis hier keine Sicherheit biete (wilde Streiks)18 , oder weil die Arbeitnehmer jedenfalls den öffentlichen Dienst lahmlegen könnten, sei es auch nur durch Verweigerung von Hilfsdiensten. - "Dienst nach Vorschrift" ist rechtswidrig und eine Form der Anarchie10, der Streik der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst wird als legitim angesehen. Wenn das Verfassungsrecht versucht, den "Dienst nach Vorschrüt" als Störungsfaktor rechtlich auszuschließen, so ist diese Entscheidung zu beachten, selbst wenn der Erfolg nicht immer eintritt - andernfalls wäre auch das gesamte Strafrecht unbeachtlich. Etwas anderes könnte nur bei wesentlicher und totaler Wirkungslosigkeit des Arbeitskampfverbotes für Beamte gelten. Davon kann jedoch nach den bisherigen Arbeitskampferfahrungen im öffentlichen Dienst nicht die Rede sein - das Streikverbot für Beamte hat stets mäßigend gewirkt, Auswirkungen von Arbeitskämpfen in Grenzen gehalten. Die Ausdehnung des Funktionsvorbehalts auf die Leistungsverwaltung setzt also dort nicht etwa ein "generell untaug15 So etwa W. Thieme, 48. DJT (FN 14); J. Jung (FN 5), S. 151 f. widmet dem eingehende Darlegungen. ta E. Feindt (FN 2), S. 107. 11 Grdl. dazu J. Isensee, Beamtenstreik zur rechtlichen Zulässigkelt des · Dienstkampfes, 1971. 18 W. Thieme, 48. DJT (FN 14). 18 Dazu J. Isensee, Dienst nach Vorschrift als vorschriftswidriger Dienst, JZ 1971, s. 73 ff.

Der Beamie als :Le!stungstdtget liches Mittel" ein - übrigens wäre dies in der Eingriffsverwaltung dann auch der Fall, so daß das Arbeitskampfverbot überhaupt sinnwidrig wäre. Gegen die "dynamische" Bestimmung des Funktionsvorbehalts wird schließlich vorgebracht, die Struktur des öffentlichen Dienstes sei schon 1949 übersehbar und im wesentlichen vorhersehbar gewesen. Der Verfassunggeber habe daher die Frage der Einbeziehung der Leistungs~ verwaltung in den Funktionsvorbehalt schon damals entscheiden können und entschieden20• Für ein verändertes Verfassungsverständnis wäre dann kein Raum, eine "dynamische Interpretation" ausgeschlossen. Hier wird jedoch das Anliegen der "dynamischen Interpretation" des Funktionsvorbehalts verkannt. Diese erstrebt keine Auslegung contra constitutionem - sie geht davon aus, daß die Leistungsverwaltung grund~ sätzlich in den Funktionsvorbehalt einzubeziehen sei. Sie will auch die "hoheitsrechtlichen Befugnisse" nicht etwa zum völlig "offenen Begriff" erklären, der beliebige Inhalte aufnehmen könne. Es geht ihr vielmehr um gewisse Grenzkorrekturen dessen, was etwa im Einzelfall noch als (Leistungs-)Verwaltung, nicht mehr als "reine Erwerbstätigkeit", anzusehen sei. Daß dies nötig, daß auf diese Weise der Verwaltungsbegriff fortzuentwickeln ist, kann gar nicht bestritten werden. Die Argumentation der Beschränkung auf Eingriffsverwaltung verstrickt sich übrigens in einen Widerspruch von grundsätzlicher Bedeutung: Einerseits kann ihr Ziel doch nur die "Aufwertung" der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst sein, denen etwa bestimmte Leistungsaufgaben nicht vorenthalten werden dürften. Damit wird aber die Bedeutung der Leistungsverwaltung besonders unterstrichen - mit Recht. Dann kann jedoch, andererseits, dem Hauptargument der h. L. nichts mehr entgegengesetzt werden, nach der die Einbeziehung der Leistungsverwaltung gerade wegen dieser Bedeutung erforderlich ist. Die Vertreter der restriktiven Auslegung von Art. 33 Abs. IV GG haben denn auch bisher nie dartun können, welchen Sinn der Funktionsvorbehalt (noch) habe, wenn er nicht auf die gesamte Leistungsverwaltung erstreckt werde. Die Verfassung würde dann eine - allenfalls rein historisch begründete - Teillösung bringen. Es wäre somit Aufgabe des Gesetzgebers, die Gedanken der Verfassung insoweit "weiterzudenken" und seinerseits den Funktionsvorbehalt auf die Leistungsverwaltung zu erstrecken. Abschaffen kann der Gesetzgeber auch einen restriktiv auf Eingriffsverwaltung beschränkten Funktionsvorbehalt nicht. Könnte dann ernsthaft gefordert werden, etwa gar noch im Namen eines "modernen" Dienstrechts in einem Gemeinwesen, das sich immer mehr zum Leistungsstaat entwickle, daß der Gesetzgeber Vorzo J. Jung (FN 5), S. 139/40.

Wa1ter Leisnel' stellungen auch noch konserviere, die allenfalls vor Jahrzehnten berechtigt gewesen sein mochten- die "besondere Bedeutung" und "Gefährlichkeit" der Eingriffsverwaltung? Wer das erweiterte Verständnis des Funktionsvorbehalts ablehnt, der redet einer Festlegung des Dienstrechts auf eine ferne Vergangenheit das Wort, obwohl doch gerade die Verfassung selbst hier die Notwendigkeit einer Fortentwicklung andeutet (Art. 33 Abs. V GG). Gegen die Begründung der h. L. kann also nichts eingewandt werden. b) Die Gründe, weiche für eine restriktive Auslegung des Gesetzesvorbehalts angeführt werden, überzeugen auch im übrigen nicht.

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Die parlamentarischen Vorarbeiten zu Art. 33 Abs. IV GG werden zwar häufig bemüht21 , doch läßt sich aus ihnen "nicht mit Sicherheit entnehmen, was unter dem Wort hoheitsrechtliche Befugnisse verstanden werden sollte", da "das Plenum des Parlamentarischen ~ates kaum einen politischen Willen damit verbunden hat" (Werner Thieme)22. Zwar sollte ersichtlich der Funktionsvorbehalt nicht allzuweit ausgedehnt werden, andererseits wurde damals als Beispiel für eine Tätigkeit, die nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolge, das "Betreiben von Wirtschaftsbetrieben" genannt23 • Hier spielten wohl noch Reminiszenzen des BRÄG2aa mit, das aber einer Erstreckung des Funktionsvorbehalts auf die Leistungsverwaltung nicht entgegensteht24. Wie dem auch sei- eine Auslegung aus der Entstehungsgeschichte könnte nJUr entscheiden, wenn das Normverständnis nicht schon auf Grund von objektiver Interpretation festläge. Dies aber ist nach h. L. hier der Fall. Für eine - zudem so unsichere - subjektive Auslegung ist daher kein Raum.

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Die Abgrenzung zwischen privatem und öffentlichem Recht sei, so wird behauptet, problematisch. Klare Kriterien gebe es heute kaum mehr25 • Die h. L. orientiere sich aber an dieser Unterscheidung; sie könne so den Inhalt des Funktionsvorbehalts nicht bestimmen. -

21 Vgl. E. Forsthoff (FN 7), S . 58; J. v. Münch (FN 2), S. 111 f.; W. Thieme, Anl. Bd. V, S. 346; E. Lindgen (FN 3), S . 1 f .; H . Siedentopf, Funktion und allg. Rechtsstellung-Analyse d. Funktionen d. ö. D., 1973, S. 33; J. Jung (FN 5),

5.136 f.

Ebd., S. 347 und 354. Darauf macht aufmerksam J. v. Münch, S. 112. 23a Vom 30. 6. 1933, RGBl I 433. 24 § 1 definiert die nichtobrigkeitlichen Aufgaben als solche, die sich "ihrer Art nach von solchen des allgemeinen Wirtschaftslebens nicht unterscheiden". Damit wäre - jedenfalls nach heutiger Vorstellung - nicht Leistungs-, sondern Fiskaltätigkeit gemeint, weil erstere eben gegenüber dem "allgemeinen Wirtschaftsleben" Besonderheiten - etwa wettbewerblicher Art, vgl. dazu unten III.- aufweist. 25 W. Thieme, S. 349; J. Jung (FN 5), S. 102 f. m. Nachw.; vgl. auch F . Matthey (FN 3), S. 247. 22

2s

I>er Beamte als teistungstr~gel'

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Sicher gibt es nicht wenige .A:bgrenzungsschwierigkeiten zwischen öffentlichem und privatem Recht. Die Unterscheidung als solche besteht jedoch, auf ihr beruht vor allem die Ordnung des gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. etwa § 40 VwGO). Sie wird täglich judiziert, mag im einzelnen verbesserungswürdig sein, aber doch allenfalls in Randbereichen. Kriterien, die immerhin präzise genug sind, um gerichtliche Zuständigkeiten abzugrenzen, vermögen an sich auch den Inhalt des Funktionsvorbehalts zu bestimmen. Dies geschieht übrigens, was ·die Vertreter der Restriktionsthese verkennen, hier gerade nicht auf Grund der Abgrenzung von privatem und öffentlichem Recht: Wenn der Funktionsvorbehalt auf die gesamte Leistungsverwaltung erstreckt wird, auch soweit sie in Form des Privatrechts erfolgt (DB), so spielt ·die "Distinktion privat-öffentlich" insoweit gerade keine Rolle. Die Abgrenzungsschwierigkeiten sprechen also allenfalls für, nicht gegen ·die h. L. -

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Die öffentliche Verwaltung läßt in erheblichem Umfang Verwaltungsaufgaben durch beliehene Unternehmer erledigen. Daraus soll sich die Unrichtigkeit der Hauptbegründung der h. L. ergeben, gewisse Aufgaben könnten nur im Beamtenstatus wahrgenommen werden28• - Wenn dies zutrifft, so ist der Funktionsvorbehalt als solcher, nicht nur seine Erstreckung auf die Leistungsverwaltung, problematisch, weil ja Private vor allem mit Hoheitsaufgaben beliehen werden. Der Funktionsvorbehalt als solcher steht aber hier nicht zur Diskussion. Im übrigen ist die Beleihung keineswegs grenzenlos zulässig27 • Ihre Beschränkungen mögen heute noch nicht ausreichend und verbesserungswürdig sein. Der Geltung und Sinnerfüllung einer Verfassungsvorschrift steht dies nicht entgegen, die allerdings mehr als bisher zur Beschneidung eines Wildwuchses von "Beleihungen" eingesetzt werden sollte. Die "Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse" (Art. 33 Abs. IV GG) soll nur insoweit vorliegen, als die "vollziehende Gewalt an Gesetz und Rechte gebunden" sei (Art. 20 Abs. III GG). Dies aber gelte nur für die Hoheitstätigkeit; sie allein werde daher durch den Funktionsvorbehalt erfaßt28. - Dem steht entgegen, daß die Bindung an Gesetz und Recht auch für die Leistungsverwaltung gilt29 , mag sie auch 20

w. Thieme, S. 351.

Darüber werden, gerade in Verbindung mit dem Dienstrecht, heute durchaus Erwägungen angestellt. So meint etwa E. Lindgen (FN 3), S. 6: "Grenzen der Übertragung können sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Verfassungsrechts ergeben, wozu z. B. das Prinzip der quantitativen Begrenzung der delegierten Zuständigkeiten und Befugnisse gehört. Ein ungeschriebener Verfassungsgrundsatz geht dahin, daß die öffentliche Verwaltung in der Regel behördliche Verwaltung sein soll." 28 So neuerdings C. H. ute (FN 3), S. 449 f. 29 Vgl. dazu Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 20, Rdnr. 129. 27

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intensiver im Bereich der Eingriffsverwaltung wirken211 • Mögen die "Leistungen" nicht ebenso präzis normativ fixiert sein wie Eingriffsbefugnisse, dennoch ist die Verwaltung hier stets an die "öffentliche Zweck-lex" ihres Handeins gebunden (Erfüllung spezifischer sozialer Aufgaben) und sie muß die Grundrechte beachten (vgl. dazu unten 1!1.). Insoweit wenigstens liegt eine "Bindung an Gesetz und Recht" i. S. von Art. 20 Abs. III GG vor, das Argument spricht also für, nicht gegen die h. L. Selbst wenn aber die Leistungsverwaltung keinerlei Legalitätsbindung unterläge, so stünde dies einer Erstrekkung des Funktionsvorbehalts auf sie nicht entgegen- im Gegenteil: Gerade weil dann der Bürger nicht normativ-justiziell geschützt wäre, käme seiner "organisationsrechtlichen Sicherung" durch ein besonders staatsverpflichtetes Berufsbeamtenturn noch größere Bedeutung zu. -

Der Funktionsvorbehalt soll die Leistungsverwaltung nicht erfassen, weil Art. 33 Abs. V auch die Angestellten anspreche30 ; auch ihr Recht sei unter Beachtung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns zu regeln, ihr Funktionsbereich sei daher so wichtig, daß er sich nicht nur auf Bereiche der Nicht-Hoheits- und Nicht-Leistungsverwaltung beschränken dürfe. - Dagegen spricht entscheidend: Die (möglichen) Angestelltenfunktionen sind auch dann noch bedeutsam: Sie betreffen die gesamte Fiskaltätigkeit, die Erfüllung nicht-ständiger Aufgaben und "ausnahmsweise" die Wahrnehmung von Beamtenaufgaben. Art. 33 Abs. V GG behielte also seinen guten Sinn. Nach h. L. betrifft er aber ohnehin den Arbeitnehmerbereich nicht31 ; damit entfällt das Argument als solches.

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Der Funktionsvorbehalt sei ein "hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums", er könne daher nur mit jenem Inhalt gelten, der sich in der Tradition herausgebildet habe. Zu dieser gehöre jedoch auch (noch} die Weimarer Zeit. Spätestensam Ende derselben sei jedoch die Personalstruktur in der Eingriffsverwaltung bereits eine andere gewesen als in der Leistungsverwaltung, wo weitgehend Angestellte beschäftigt worden seien. Deshalb habe Art. 33 Abs. IV GG von Anfang an nur für die Eingriffsverwaltung gegolten32• Zweifelhaft ist schon, ob es sich insoweit um einen "hergebrachten Grundsatz" handeln köllllte, der immerhin "während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraumes, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt" worden wäre33• Das Vordringen der Angestellten setzt erst in der Kriegsao W. Thieme, Der Aufgabenbereich der Angestellten im ö. D., 1962, S. 22 f. at Dazu näher m. Nachw. J. Jung (FN 5), S. 143 f. u J. Jung (FN 5), S. 145. aa BVerfGE 8, S. 332 Ls. 1.

ber :Beamte als l..eistungsträgel'

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und in der Weimarer Zeit ein. Daß damit eine nicht nur vorübergehende Zurückdrängung des Berufsbeamtenturns verbunden sein könnte, wird erst gegen Ende der Weimarer Zeit bewußt. Sicher wurde es nicht allgemein als ein Rechtsgrundsatz angesehen, sondern als eine, weithin bedauerte, Entwicklung, der übrigens damals keine · rechtsgrundsätzliche Bedeutung zukommen konnte, weil es einen Verfassungsgrundsatz des Funktionsvorbehalts nicht gab. Überdies bietet der Zustand der Weimarer End-Zeit kein so eindeutiges Bild zugunsten der Angestellten, daß daraus rechtsgrundsätzliche Überzeugungen abzuleiten wären34• Und nicht zuletzt kann eine spezielle Entscheidung, wie sie Art. 33 Abs. IV GG redaktionell vor Art. 33 V GG trüft, schon aus systematischen Gründen nicht sogleich wieder so weitgehend aus der nachfolgenden, allgemeineren Norm heraus relativiert werden. Aus Art. 34 GG, der haftungsmäßig Beamte und Angestellte insoweit gleichgestellt, als sie Imperium ausüben, soll sich eine Beschränkung des Funktionsvorbehalts auf die Erngriffsverwaltung ergeben, weil andernfalls "der von Art. 34 GG akzeptierte Typ des Angestellten als regelmäßiger Hoheitsträger keinesfalls mit Art. 33 Abs. IV zu vereinbaren wäre" 35 • - Träfe dies zu, so könnte dies allenfalls einen "festen Platz der Arbeitnehmer in der Hoheitsverwaltung" legitimieren, ein Ergebnis zur Leistungsverwaltung ließe sich daraus überhaupt nicht ableiten. Für diese könnte jedenfalls derselbe Funktionsvorbehalt gelten wie für die Eingriffsverwaltung. Art. 34 GG hat aber zur Zulässigkeit der Beschäftigung von Beamten und Angestellten gar nichts aussagen wollen, er regelt insoweit nur die Rechtsfolge der Haftung, während sich die Voraussetzungen dienstrechtlicher Art aus Art. 33 GG ergeben. Art. 34 GG behält auch, was unbestritten ist, seinen guten Sinn im Bereich des Funktionsvorbehalts, weil dieser eben die Tätigkeit von Angestellten auch in der Eingrüfsverwaltung nicht völlig ausschließt, haftungsmäßig hier jedoch jedenfalls Klarheit bestehen muß. Neuere Bestrebungen, einheitliche Haftungsregeln für Eingrüfs- und Leistungsverwaltung zu schaffen, wollen aus der Erstreckung des Funktionsvorbehalts auf die Leistungsverwaltung auch haftungsrechtliche Folgen ziehen. Art. 137 GG, der lnkompatibilitäten gleichermaßen für Beamte wie für Angestellte des öffentlichen Dienstes vorsieht, soll nur sinnvoll

34 So zeigen gerade die Tafeln bei J. Jung, S. 78 f., daß noch durchaus nicht alle "überwiegenden Leistungsverwaltungen" überwiegend auch mit Arbeitnehmern besetzt waren. Bei den Landesverwaltungen gab es noch 72 °/o Beamte. Überdies sind die Zahlen schon deshalb ohne Aussagekraft, weil sie weder den Anteil der "nicht-selbständigen" Aufgaben noch den der (technischen) Hilfsdienste aufschlüsseln, die gerade in dieser Zeit wesentlich zunahmen, jedoch von den Angestelltenanteilen abzuziehen wären.

ss J. Jung (FN 5), S. 14 f.

9 Berufsbeamtentum

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sein, wenn die Entscheidungsaufgaben der Leistungsverwaltung in Arbeitnehmerhand liegen dürften. Andernfalls hätten die Angestellten keine Bedeutung, welche die Inkompatibilität rechtfertigen könnte36. - Art. 137 GG behält seinen Sinn selbst im Fall einer Ausdehnung des Funktionsvorbehalts auf die Leistungsverwaltung: In begrenztem Umfang können in der gesamten Verwaltung dennoch Arbeitnehmer auch in leitenden Funktionen eingesetzt werden; die Fiskalverwaltung steht ihnen ohnehin offen- auch hier aber droht eine Interessenkonfusion, wenn Bedienstete dieses Bereiches ins Parlament gewählt werden. Selbst für Hilfsdienste trifft dies zu, weil dem Parlament auch hier allgemeine Kontrollrechte zustehen, vor allem aber das Tarifverhalten der Exekutive parlamentarischer Überwachung unterliegt. 3. N o t w e n d i g k e i t w e i t e r e r Vertiefung des Problems

Es ist also kein Argument ersichtlich, das entscheidend für die Einengung des Funktionsvorbehalts auf die Hoheitsverwaltung spräche. Damit ist jedoch das Problem "Funktionsvorbehalt auch für die Leistungsverwaltung" noch nicht endgültig bereinigt, es genügt nicht, sich auf eine gesicherte h. Lehre zu berufen. Es bedarf vor allem aus drei Gründen weiterer Vertiefung: a) Die h. L. ist, insbesondere in letzter Zeit, nicht mehr eingehend begründet worden. Sie beruft sich vor allem auf Sinn und Zweck des Funktionsvorbehalts, ohne die dogmatischen Voraussetzungen zu klären, insbesondere den "Verwaltungsbegriff", von dem sie ausgeht. Es kann nicht der Hinweis genügen, diese Aufgaben seien "wichtig", deshalb brauche man hier Beamte. Vielmehr muß der Nachweis erbracht werden, daß das erweiterte Verständnis des Funktionsvorbehalts einem Begriff der Verwaltung zuzuordnen ist, der dem öffentlisunfähigkeit, während das Beamtenrecht, den Beamten insoweit begünstigend, nur die Dienstunfähigkeit kennt. Die Gesamtversorgung wegen Berufsunfähigkeit beträgt gern. § 41 Abs. 3 der Satzung der VBL 80 Ofo der Versorgung wegen Erwerbsunfähigkeit. Sie liegt damit für jüngere Arbeitnehmer zwar immer noch deutlich über den Ruhegehältern vergleichbarer Beamter, bleibt aber bei Invalidität in höherem Alter hinter der Beamtenpension zurück. Vgl. dazu im einzelnen v. Zezschwitz, DVB11972, S. 4 f . . 84 Abhilfe ist ggf. nur über den Unterhaltsbeitrag (§ 120 BBG) möglich. 115 Vgl. in diesem Sinn den Bericht der Studienkommission (21), S. 321, Nr. 794 ff. und S. 326, Nr. 811 ff. Er schlägt für die Frühpensionierung entweder eine Zurechnungszeit oder eine Erhöhung der Steigerungssätze vor.- Im geltenden Recht enthält§ 108 Abs. 2 BBG eine Vergünstigung, welche dem Gedanken der Zurechnungszeit im Ansatz entspricht: Das Ruhegehalt ist von der Dienstaltersstufe zu berechnen, die der Beamte erreicht hätte, wenn er bis zur Altersgrenze im Dienst geblieben wäre; i. d. Regel ist also die Endstufe Berechnungsgrundlage. Zu den nicht unerheblichen Auswirkungen dieser Vergünstigung vgl. v. Zezschwitz, DVBl 1972, S. 4. Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung . des Besoldungsrechts in Bund und Ländern (2. BesVNG Drucks. VII/1906 des Bundestags), Art. IV, § 1 Nr. 12 sieht eine weitere Verbesserung vor.

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als die Hälfte seines Berufslebens im öffentlichen Dienst zugebracht hat, eher zu viel38• Dem spät eintretenden Beamten könnte die Möglichkeit gegeben werden, sich eine bessere Versorgung durch Zahlung einer Geldsumme zu erkaufen37• In der Regel wird er jedoch bereits eine Grundversorgung aus der Rentenversicherung mitbringen. Für diesen Fall trifft § 160 a BBG neuerdings Vorsorge, um die ansonsten leicht erreichbare und früher weithin übliche Doppelversorgung zu vermeiden. Auch ist zu überlegen, ob nicht die Bestimmungen der Rentenversicherung über die Witwenversorgung gerechter sind als die des Beamtenrechts. Das Beamteprecht fußt noch ganz auf der Vorstellung, daß die Witwe auf den Unterhalt ihres Mannes unbedingt angewiesen ist, was um so merkwürdiger berührt, als auf Grund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Beamtenversorgung im Gegensatz zur Rentenversicherung die unbedingte Witwerpension eingeführt werden mußte38• Die Rentenversicherung beläßt es für die arbeitsfähige Witwe unter 45 Jahren bei einer Grundversorgung - Witwengeld auf der Basis der Berufsunfähigen-Rente ohne Zurechnungszeit- bewenden, gibt aber der Witwe mit Kindern, der 45 Jahre alten oder der arbeitsunfähigen (berufs- oder erwerbsunfähigen) Witwe ausreichende Mittel (§ 1268 RVO). Auch insoweit könnte das Sozialrecht für das Beamtenrecht Vorbild werden38• Nicht übertragbar in das Beamtenrecht ist die Unterscheidung der Rentenversicherung zwischen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit. Die Frage spielt eine vergleichsweise geringere Rolle, weil im Beamtendienst die körperliche Beanspruchung in der Regel gering ist, so daß die Dienstunfähigkeit, die als Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten definiert ist, tatsächlich zumeist der Erwerbsunfähigkeit der Rentenversicherung gleichkommt. Immerhin liegen die Dinge in den Betriebsverwaltungen von Bundesbahn und Bundespost anders. Eine geringere Versorgung wegen Berufsunfähigkeit und Verweisung auf einen Zusatzverdienst außerhalb des öffentlichen Dienstes wäre jedoch mit der Verpflichtung zur Alimentation schlechthin unvereinbar4o. 36 In diesem Sinn für eine lineare Staffelung Lehmhöfer, ZBR 1971, S. 339 ff.; desgleichen der Bericht der Studienkommission (21), S. 321, Nr. 794 ff. 37 Dafür Lehmhöfer, ZBR 1971, S. 339. 38 Vgl. BVerfGE 21, 329 und dagegen E 17,1 zur gesetzlichen Rentenversicherung. Vgl. jedoch auch BVerfG v. 12. 3. 1975, s.o. Fußnote 25. 39 Für eine solche Regelung Lehmhöfer, ZBR 1971, S. 340 f. •o Das schließt Rehabilitation, u. U. auch für einen Beruf außerhalb des öffentlichen Dienstes nicht aus, wie sie Lehmhöfer, ZBR 1971, S. 340 fordert. Jedoch kann sich der Dienstherr der Alimentationspflicht nicht entledigen. Die - auch gegenüber Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes - erheblich bessere Stellung des Beamten - (vgl. v. Zezschwitz, DVBl 1972, S. 5) liegt in der Logik des Alimentationsprinzips.

:13eamtenvers6rgufig und Soziaiversicherun.g

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Grundsätzlicher werden die Reformprobleme von denen gesehen, welche mit einer Änderung der Beamtenversorgung die Mobilität zwischen öffentlichem Dienst und beruflicher Betätigung in der Wirtschaft fördern wollen. Die jetzige Regelung gilt als günstig für einen Wechsel in den Beamtenstatus, aber als sehr ungünstig für ein Ausscheiden des Beamten. Freilich sind hier schon die Fakten und auch die Ziele umstritten. So ist nicht sicher, ob tatsächlich das geltende Recht das Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst ernsthaft behindert'1 • Dabei ist zu bedenken, daß zwar die Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen ihrer linearen Staffelung dem ausscheidenden Beamten im Zweifel weniger mitgibt als die erdienten Ruhegehaltsansprüche42 , jedoch wird dieser Nachteil teilweise durch die Zurechnungszeit ausgeglichen. Sicher steht sich der höhere Beamte schlechter, wenn er nicht einen Ausgleich durch eine Ruhegeldzusage seines neuen Arbeitgebers erhält. Ein Abwandern in einen freien Beruf legt ihm in jedem Fall erhebliche Opfer auf. Bezweifelt wird auch, ob die im öffentlichen Dienst erforderlichen Berufskenntnisse überhaupt in sehr großem Umfang in der Wirtschaft verwendbar sind48• Das wird in der allgemeinen inneren Verwaltung anders sein als in den technischen Verwaltungen. Schließlich ist die Kernfrage, ob das Ausscheiden nach einigen Jahren im Staatsdienst erwünscht ist44 • Unser Beamtenrecht geht vom Bild des Lebenszeitharnten aus und gewährt deshalb die vollen Vorteile des Beamtenstatus nur Personen, welche auf Lebenszeit Beamte bleiben. Es nimmt bewußt durch die degressive Staffelung der Ruhegehälter und auch durch relativ großzügige Anrechnungsbestimmungen (vgl. insbesondere die für den höheren Dienst nicht uninteressante mögliche Anrechnung einer Tätigkeit als Rechtsanwalt oder Notar in § 116 Abs. 1 I a BBG) in Kauf, daß Leute erst in den öffentlichen Dienst eintreten, nachdem sie anderswo Erfahrungen gesammelt haben45 • Für ein Ausscheiden des Beamten hat es dagegen wenig Verständnis. 41 Ule, in Verfassungsrechtliche Grenzen (1), S. 522 meint, die größere Mobilität, die ein anderes Versorgungssystem ermögliche, spiele keine wirklich entscheidende Rolle. 42 Vgl. Lehmhöfer, ZBR 1971, S. 338 ff. 43 F. Mayer, in: Verfassungsrechtliche Grenzen (10), S. 648 f. hält die Mobilität aus sachlichen Gründen ohnehin für beschränkt, da die öffentliche Verwaltung spezielle Berufskenntnisse erfordere. Ähnlich Ule (12), S. 30. 44 Ule, in: Verfassungsrechtliche Grenzen (10), S. 522, hält es für zweifelhaft, ob die größere Mobilität erwünscht sei, gegen die der Grundsatz, daß das Beamtenverhältnis einen Lebensberuf darstelle, sowie das Laufbahnprinzip sprächen. Auch die Studienkommission, Bericht (21), S. 314, Nr. 767, hält es für wünschenswert, daß der Bedienstete in jungen Jahren in den öffentlichen Dienst eintritt und später in ihm verbleibt.

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Dagegen läßt sich gewiß einwenden, auch wenn man am Prinzip des Lebenszeitbeamten festhalte, solle doch der Beamte persönlich nicht aus finanziellen Gründen an den öffentlichen Dienst gefesselt werden46• Auch wird die erwünschte Unabhängigkeit des Beamten gestärkt, wenn ihm ein Ausscheiden nicht zu sehr erschwert wird47• Ein einfacher und verfassungsrechtlich unbedenklicher Ausweg wäre eine Nachversicherung nicht nur in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern auch in der Zusatzversorgung. Sie ist aber bisher noch nicht vorgesehen48. Arbeitnehmer, die aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden, verlieren ihre Ansprüche auf die Zusatzversorgung nicht in vollem Umfang, allerdings nehmen sie an der Dynamisierung nicht mehr teil48• Auch daran ließe sich vielleicht etwas ändern. Gewiß sind diese Probleme auch auf radikalere Weise lösbar. Wären alle Beamten in der gesetzlichen Rentenversicherung, und nur in ihr, pflichtversichert, so machte ein Ausscheiden keine besonderen Schwierigkeiten. Allerdings muß sich eine solche Lösung wie überhaupt jede Umstellung der Beamtenversorgung auf ein Beitrags- oder Versicherungssystem auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung überprüfen lassen. Das Alimentationsprinzip verlangt eine lebenslängliche amtsgemäße Versorgung, welche nach der derzeitigen Struktur der Sozialversicherung nicht gewährleistet ist. Immerhin wäre eine Ergänzung durch eine Zusatzversorgung möglich60• 4ll Vgl. Lehmhöfer, ZBR 1971, 338 f., der darauf hinweist, daß die gegenwärtige Regelung den später eintretenden Beamten begünstigt. Die Studienkommission, Bericht (21), S. 323 f., Nr. 799 ff. will deshalb die Anrechnung auf Dienstleistungen für den Staat, Ausbildungszeiten und hauptberufliche Tätigkeiten nach dem 17. Lebensjahr, soweit sie notwendige Voraussetzungen für die Übernahme in den öffentlichen Dienst waren, beschränken, um dem unerwünschten Zustrom älterer Bewerber entgegenzuwirken. Auf derselben Linie liegt ihr Vorschlag zu einer linearen Staffelung des Steigerungssatzes für das Ruhegehalt, vgl. Anm. 36. 4& So der Bericht der Studienkommission (21), S. 314, Nr. 767 und S. 325, Nr. 807 ff., der sich für eine bessere Situation des Ausscheidenden einsetzt, freilich dieses Problem nicht nur beamtenrechtlich, sondern im Gesamtzusammenhang der Mobilität bei betrieblicher Altersversorgung sieht. Für erleichtertes Ausscheiden ·auch Schick (20), S. 239, der sogar die Möglichkeit eines Formenmißbrauchs durch Festhalten der Beamten mit finanziellen Mitteln erwägt. 47 Aus diesem Grund befürwortet auch Siburg, ZBR 1970, S. 278, eine Erleichterung des Ausscheidens. Vgl. auch die vorsichtig abwägende Stellungnahme von Dagtoglou, in: Dagtoglou-Herzog-Sontheimer (10), S. 88 f. 48 § 30 Abs. 2 S. 1 der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder; dazu Wiese, DVB11970, S. 649. 41 ·vgl. §§ 37, 44, 52 ff. der Satzung der VBL. Es werden monatlich 1,25 Ofo der eingezahlten Beiträge, also jährlich 15 Ofo der Gesamtbeiträge gezahlt. 50 In diese Richtung tendieren auch alle einschlägigen Vorschläge, eine bloße Verweisung auf die Sozialversicherung wird nicht befürwortet. Vgl. etwa Wiese, DVBl 1970, S. 649; ders., Staatsdienst (8), S. 305; Schäfer (1), S. 22;

~eamtenversorgung

und Sozialversicherung

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Der Kern des Problems liegt tiefer: Das Beamtenverhältnis als ein immer noch persönlich geprägtes Verhältnis des Beamten zu seinem Dienstherrn erfordert, daß der Dienstherr selbst die volle Verantwortung für die soziale Sicherung des Beamten trägt. Damit wäre zwar eine Umstellung der Beamtenversorgung auf die Beitragsfinanzierung nicht unvereinbar, zumalessie im 19. Jahrhundert und vorher durchaus gegeben hat51 • Der Dienstherr darf sich aber nicht wie ein normaler privater Arbeitgeber seiner Verantwortung entledigen, indem er dem Beamten die Möglichkeit gibt- eine Gehaltserhöhung wäre dafür Voraussetzung - , sich Ansprüche gegen einen Sozialversicherungsträger zu verschaffen. Gewiß sind die praktischen Konsequenzen aus dieser Einschränkung gering, da an der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Sozialversicherungsträger kaum Zweifel bestehen werden. Zudem könnte und müßte der Dienstherr für die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung und der Zusatzversorgung einstehen52• Es würde sich also nur um eine andere technische Abwicklung der grundsätzlich unveränderten Beamtenversorgung handeln, für die es im übrigen-Ansätze bereits bei den Versorgungskassen kleinerer Verwaltungsträger gibt53• Eine solche Umstellung der Beamtenversorgung würde indes einen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand erfordern, dem greifbare Finger, ZBR 1971, S. 10. Vgl. auch den Vorschlag einiger Mitglieder der Stu-

dienkommission, Bericht (21), S. 336 ff., Nr. 859 ff., wo allerdings auch gesehen wird, daß die Mobilitätsprobleme damit allein noch nicht gelöst sind, da auch die "Mitnahme" der Zusatzversorgung gesichert werden muß (bes. Nr. 863 und 874). 51 Vgl. Hintze (3), S. 157 ff. (63 ff.); dazu das preußische Pensions-Reglement für die Civil-Staatsdiener vom 30. 4. 1825, abgedruckt in den von K. A. v. Kamptz herausgegebenen Annalen der Preußischen innern Staats-Verwaltung, 16. Bd., Jg.1832, S. 843 U. 52 In der Literatur sind die Auffassungen über die Zulässigkelt einer versicherungsrechtlichen Organisation der Beamtenversorgung geteilt. Scharf ablehnend Siburg, ZBR 1970, S. 277; Jacob, Das Risiko der Witwenschaft in der Geschichte des deutschen Beamtenrechts bis 1933, 1971, S. 171 f.; v. Campenhausen, ZevKR Bd. 18 (1973), S. 266 f.; W. Bogs, DÖV 1974, S. 524 f., der auch eine Einfügung in die gesetzliche Rentenversicherung mit Ausfall- und Ergänzungsgarantie des Dienstherrn für ausgeschlossen hält. F. Mayer, Verfassungsrechtliche Grenzen (1), S. 693 f., hält eine beitragsrechtliche Lösung nicht für schlechthin ausgeschlossen, betont aber, daß die unmittelbare Beziehung zum Dienstherrn gewahrt bleiben müsse; vgl. auch ders., Festschrift Scupin, 1973, S. 277 f.; ähnlich Schick, ebenda, S. 238 f.; v . Münch, ebenda, S. 158 f. und Ule, ebenda, S. 522, ebenso ders. (12), S. 32 ff. wollen eine andere technische Abwicklung zulassen, wenn die Prinzipien der überkommenen Versorgung, insbesondere die amtsgemäße Versorgung gewahrt bleiben. An anderer Stelle (VSSR 1973, S. 22 ff.) meint Ule, eine versicherungsrechtliche Lösung sei nicht ausgeschlossen, wenn der Dienstherr selbst eine Versorgung nach den bisherigen Maßstäben gewährleiste; ebenso Obermayer, ZevKR, Bd. 18 (1973), S. 266 f. Dagegen will Thieme, in: Verfassungsrechtliche Grenzen (1), S. 398 ff. dem Gesetzgeber freie Hand geben. Auch Lehmhöfer, ZBR 1971, S. 290, hält eine Versorgung durch die Sozialversicherung und eine Zusatzversicherung für zulässig; ähnlich Finger, ZPR 1971, S.10 :f.; Schäfer (1), S. 21 f. 53 Darauf weist Schäfer (1), S. 21, hin. 11 ßerqfabeamtentum

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Vorteile nicht entsprechen54• Die Möglichkeit für einen leichteren Wechsel aus dem Beamtendienst ließe sich, wie gezeigt, auch auf andere Weise schaffen, wenn sie gewünscht wird. Solange jedoch der Lebenszeitbeamte der erwünschte Regeltypus bleibt, besteht kein Anlaß, von der Versorgung durch den Dienstherrn auf ein kompliziertes und teuereres System der Beitragsfinanzierung überzugehen. Wer allerdings die Mobilität so weit gefördert sehen möchte, daß -der jung €intretende Beamte regelmäßig wied€r ausscheidet, muß für seine Einbeziehung in die Sozialversicherung plädieren. Er geht damit freilich weit von dem überkommenen Bild des Berufsbeamtenturns ab. Bleibt der Berufsbeamte auf Lebenszeit die nur von wenigen Ausnahmen durchbrochene Regel, ist eine grundsätzliche Änderung des gegenwärtigen Systems zumindest sehr unzweckmäßig.

111. Die Unfallfürsorge Während das Beamtenrecht in der Alters- und Hinterbliebenenversorgung vorbildlich für das Sozialrecht war und nur in Einzelheiten eine Anpassung an das Sozialrecht festzustellen oder für die Zukunft zu befürworten ist, liegt es beim Recht der Unfallfürsorge anders. Hier ging das Sozialrecht mit der gesetzlichen Unfallversicherung voraus. Erst nach Einrichtung der Unfallversicherung wurde auch für Beamte eine Unfallfürsorge geschaffen66. Diese beamtenrechtliche Unfallfürsorge, die hier mcht in allen Einzelheiten besprochen werden soll, ist deutlich von dem Bestreben geprägt, dem Beamten das zu geben, was ein Arbeitnehmer in entsprechender Situation erhält. Allerdings zeigen sich schon bei den Voraussetzungen gewisse Unterschiede: Da der Beamte sich mehr als der Arbeitnehmer mit seiner ganzen Persönlichkeit dem Dienst zur Verfügung stellt, besteht eine gewisse Tendenz, den Begriff des Dienstunfalls weiter zu fassen, als den des Arbeitsunfalls. Der private Bereich ist beim Beamten etwas enger56. Grundlegende Verschiedenheiten ergeben sich daraus in der Regel jedoch ebensowenig wie aus der anderen Formulierung der Ausschlußklausein (§ 149 Abs. 1 BBG Vorsatz, § 553 RVO Absicht bei Herbeiführungdes Unfalls) 67 • Die Leistungen bezüglich des Heilverfahrens sind im wesentlichen für Beamte und Arbeitnehmer gleichwertig (§ 137 BBG, §§ 557 ff. RVO), Vgl. Bartsc1l, ZBR 1974, S. 351 f. Vgl. Plog-Wiedow-Beck, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, Anm. II, Rd.Nr. 7 vor§ 134 BBG. su Vgl. dazu Schick, ZBR 1969, S. 66 f. mit Nachweisen. 57 Vgl. dazu W. Däubler, Der Streik im öffentlichen Dienst, 1970, S. 223. 54

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wenn auch die Bestimmungen der RVO wesentlich detaillierter sind. Das Verletztengeld der Unfallversicherung (§§ 560 ff. RVO) entfällt für Beamte schon deshalb, weil die Gehaltszahlung nicht unterbrochen wird. Wesentliche Unterschiede bestehen in den Dauerleistungen, welche Beamte und Arbeitnehmer erhalten: Der Beamte bekommt Dauerleistungen grundsätzlich - abgesehen vom Unfallausgleich gern. § 139 BBG - nur bei unfallbedingter Versetzung in den Ruhestand. Das dann zu zahlende Ruhegehalt beträgt mindestens 66 2/3 °/o der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge (die ggf. nach § 108 Abs. 2 BBG erhöht werden) und mindestens 75 °/o der Bezüge aus der Endstufe von A 3. Hätte der Beamte nach allgemeinen Vorschriften bereits ein Ruhegehalt von 47 Ofo erdient, so hat er Anspruch auf einen Zuschlag von 20 Ofo. Höchstens erhält er ein Unfallruhegehalt von 75 °/o seiner ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, wenn diese über A 3 lagen58• Die Hinterbliebenenversorgung errechnet sich aus dem Unfallruhegehalt ähnlich wie nach den allgemeinen Vorschriften, jedoch beträgt das Waisengeld 30 Ofo des Unfallruhegehalts (§ 144 BBG, Einzelheiten in § 145 ff. BBG). Gewisse Sondervergünstigungen bestehen nach § 141 a und § 148 a BBG, wenn der Beamte in Ausübung einer lebensgefährlichen Diensthandlung sein Leben eingesetzt oder einen dienstlich bedingten rechtswidrigen Angriff abgewehrt hat. Außerdem hat der Beamte Anspruch auf einen Unfallausgleich, wenn er infolge des Unfalls in seiner Erwerbsfähigkeit wesentlich beschränkt ist. Der Unfallausgleich wird entsprechend der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz berechnet (§ 139 BBG). Die gesetzliche Unfallversicherung zahlt für den Erwerbsunfähigen 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes als Vollrente und für Minderung der Erwerbsunfähigkeit ab 20 Ofo entsprechende Teilrenten (§ 581 RVO). Der Jahresarbeitsverdienst entspricht dem wirklichen Arbeitseinkommen im Jahr vor dem Arbeitsunfall (§ 571 RVO), jedoch gibt es Mindest- und Höchstgrenzen (§ 575 RVO). Kann ein Schwerverletzter (Minderung der Erwerbsfähigkeit 50 Ofo oder mehr) einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen und erhält er auch keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, so erhöht sich die Verletztenrente um 10 Ofo (§ 582 RVO), so daß höchstens eine Rente von 73 1/3 Ofo erreichbar ist. Die Witwenrente. beträgt gemäß § 590 3/10 des Jahresarbeitsverdienstes, für Berufsunfähige, Erwerbsunfähige und über 45 Jahre alte Witwen sowie für Witwen mit waisenrentenberechtigten Kindern 2/5 des Jahresarbeitsverdienstes. Die Waisenrente beträgt gemäß § 595 RVO aa Art. IV, § 1 Nr. 14 des Entwurfs 2. BesVNR (35) sieht hier Verbesserungen vor.

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für Vollwaisen 3/10 und für Halbwaisen 1/5 des Jahresarbeitsverdienstes und wird höchstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt (§ 595 Abs. 2, § 583 Abs. 2 RVO). Allerdings ergibt sich aus den Vorschriften über die Unfallversicherung kein vollständiges Bild über die tatsächliche Versorgung: Ist nämlich Berufs- und Erwerbsunfähigkeit die Folge des Arbeitsunfalls, so tritt in aller Regel ru der Unfallrente noch die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bis zur Höchstgrenze des§ 1278 (für Hinterbliebene des § 1279) RVO. Dadurch sind für den Verletzten insgesamt Renten bis zu 85 Ofo des Jahresarbeitsverdienstes oder 85 °/o der persönlichen Bemessungsgrundlage in der Rentenversicherung möglich. Im Gesamtvergleich ist die Rente aus der Unfallversicherung und der Rentenversicherung zusammen für den Verletzten zumeist erheblich günstiger als das Unfallruhegehalt des Beamten. Dies gilt um so mehr, als die Renten aus der Unfallversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung steuerlich günstiger behandelt werden als das Ruhegehalt und bei Ausscheiden aus dem Arbeitsleben auch eine Entlastung von anderen Kosten (Beiträge zur Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung) eintritt. Nur für hohe Beamte kann das Unfallruhegehalt wegen der Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes (§ 575 RVO) günstiger sein. Dazu tritt ein weiteres: Die Unfallversicherung gewährt schon für Leichtverletzte einen Ausgleich in Form einer Teilrente. Praktisch wird dieser Ausgleich zumeist neben dem voll weiter erzielbaren Arbeitsverdienst gezahlt. Selbst die Vollrente wegen Erwerbsunfähigkeit schließt eine weitere Erwerbstätigkeit rechtlich nicht aus, so daß es auch insoweit zu einer Überversorgung kommen kann. Insgesamt muß daher die Unfallversorgung der Beamten in der Regel als erheblich geringer bezeichnet werden als die der Arbeitnehmers•. Das Beamtenrecht ist hier der Entwicklung des Sozialrechts nicht gefolgt. Reformüberlegungen können nicht außer acht lassen, daß das Unfallversicherungsrecht in vieler Hinsicht überaltert ist und mit seinem starren Festhalten an der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Rücksicht auf den individuellen Verdienstausfall der neueren Entwicklung der beruflichen Möglichkeiten nicht gefolgt ist. Die Unfallversicherung führt daher in Fällen leichterer Verletzungen oft zu einer Überversorgung. Insoweit ist sie selbst reformbedürftig und keinesfalls ein Vorbild für die Beamtenversorgung. Dagegen ist zu überlegen, ob nicht eine Erhöhung des Unfallruhegehalts über den jetzigen Höchstsatz von 75 °/o hinaus angebracht ist. 68

Vgl. Däubler (57), S. 223; Matthey (2), S. 216.

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Die Unfallversicherung läßt den Verletzten zusammen mit der Rentenversicherung an 85 °/o seines Arbeitsverdienstes und damit zumeist an sein bisheriges Nettoeinkommen herankommen. Eine ähnliche Regelung wäre ·auch im Beamtenrecht sozial .gerechtfertigt80• Eine derartige Änderung wäre möglich, ohne daß das System der Unfallfürsorge verändert werden müßte, was sich aus den dargelegten Gründen kaum empfiehlt. Insgesamt zeigt sich, daß eine grundlegende Veränderung der Beamtenversorgung weder erforderlich noch zweckmäßig ist. Reformen in Einzelheiten sind dagegen angebracht. Dabei sollte durchaus das Ziel angestrebt werden, die soziale Sicherung des Beamten durch seinen Dienstherrn und die soziale Sicherung des Arbeitnehmers durch die Sozialversicherung in den Ergebnissen nicht zu verschieden auszugestalten. Die Entwicklung der Vergangenheit; die zu einer weitgehenden Annäherung geführt hat, ist darum auch vom Standpunkt des Beamtenrechts nicht negativ zu beurteilen.

eo Vgl. Beridlt der Studienkommission (21), S. 327 ff., Nr. 815 ff., bes. Nr. 828, wo ein Unfallruhegehalt in Höhe bis zu 85 Ofo der letzten Bezüge vorgesdllagen wird.

Gespaltener Beamtenstatus? Bemerkungen zu einem Reformprojekt Von Hans Heinrich Rupp

I. Die in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg immer wieder auflebende Diskussion um eine Reform und Vereinheitlichung des öffentlichen Dienstrechts hat in jüngster Vergangenheit eine Neuauflage erlebt: Mit Beschluß vom 27. Februar 1970 hatte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung ersucht, "eine Studienkommission unabhängiger Fachleute zu berufen, die Stellung und Aufgaben des öffentlichen Dienstes in Staat und Gesellschaft von heute untersucht und dem Deutschen Bundestag möglichst bis zum 31. Dezember 1972 Vorschläge für eine zeitgemäße Weiterentwicklung eines modernen öffentlichen Dienstes unterbreitet". Der Bericht dieser Studienkommission liegt inzwischen vor1• Er bestätigt -ungewollt- den schon vorher auf der Hand liegenden Befund, daß die Aussichten für eine Vereinheitlichung des öffentlichen Dienstrechts äußerst gering sind und kaum damit gerechnet werden kann, daß der bisherige Dualismus des öffentlichen Dienstrechts in der Bundesrepublik Deutschland durch eine neue einheitliche Konzeption in naher Zukunft abgelöst werden wird. Nun mag man sicher darüber streiten, ob in Anbetracht der vom öffentlichen Dienst wahrgenommenen Funktionen und Aufgaben jene überkommene Aufteilung der öffentlichen Bediensteten in Beamte einerseits und Angestellte und Arbeiter andererseits noch gerechtfertigt ist. Diese Frage stellt sich um so mehr, als das Recht der nichtbeamteten öffentlichen Bediensteten sich de facto stetig an die Funktions- und Haftungsnormen des Beamtenrechts angenähert hat und auch die Statusnormen dieser Bediensteten, einschließlich der Versorgungsregelung, vom Beamtenrecht nicht mehr weit entfernt sind. Trotz dieser weitgehend stillschweigend vollzogenen Annäherung des Rechts der öffentlichen Angestellten und Arbeiter an das Beamtenrecht ist jedoch ein Grundunterschied bestehen geblieben: Während die Emanzipation des Beamtenturns aus fürstlichem Absolutismus entsprechend der allgemeinen rechtsstaat1 Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts. Bericht der Kommission, Baden-Baden 1973.

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liehen Entwicklung des Verwaltungsrechts auf das Gesetzmäßigkeitsprinzip zulief und der gesetzliche Rechtsstatus des Beamten mehr und mehr die personelle Abhängigkeit des ,,besonderen Gewaltverhältnisses" verdrängte, verlief die vergleichbare Bewegung des Rechts der öffentlichen Angestellten und Arbeiter in einer anderen Richtung: Dies vor allem deshalb, weil das Recht der nichtbeamteten Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes historisch nicht als eigene Kategorie des öffentlichen Dienstrechts entstand, sondern als dem privatrechtliehen Dienstund Arbeitsrecht zugehörend verstanden wurde, was sich bekanntlich bis heute in der an sich unverständlichen unterschiedlichen Rechtszugehörigkeit beider Rechtsgebiete mitsamt unterschiedlicher Rechtswegzuständigkeit niederschlägt. Jedenfall~ nahm auf Grund dieser Entwicklung das Recht der öffentlichen Angestellten und Arbeiter in der hier interessierenden Frage einen ganz anderen Verlauf als das Recht der Beamten: Es nahm teil an der ganz allgemeinen Entwicklungsgeschichte des privatrechtlichen Dienst- und Arbeitsrechts und partizipierte solchermaßen auch an all den sozialen Errungenschaften' und kollektivrechtlichen Schutzsystemen, ,die heute das moderne Arbeitsrecht auszeichnen. Anders ausgedrückt: Während sich das Beamtenrecht aus der Herrschaft fürstlicher Willkür in die Unabhängigkeit gesetzlicher Statusgarantien fortentwickelte, machte die stärkere Einbindung des privatrechtliehen Dienst- und Arbeitsverhältnisses in gesetzliche Schutznormen nur einen Teil der Entwicklung aus, während der andere Teil in anderen Strukturen verlief und in Gestalt der Tarifautonomie der Sozialpartner und des kollektiven Arbeitskampfrechts ganz spezifische Ausgleichs- und Regelungssysteme freisetzte, die weitgehend jene Funktion und Aufgabe übernahmen, die im Bereich des Beamtenrechts dem Gesetz zukam und noch heute zukommt. Tarifvertrag und Streik sind denn auch die wesentlichen Unterschiede, die nicht nur das Recht der öffentlichen Angestellten und Arbeiter vom Recht der Beamten und Richter scheiden, sondern die letztlich einer Vereinheitlichung des Rechts aller öffentlichen Bediensteten im Wege stehen. Dieser Befund resultiert freilich nicht so sehr aus sachlichen Unmöglichkeiten, sondern hat andere Ursachen. Ihnen nachzugehen hat jüngst Luhmann versucht2 • Luhmann meint, die Reform des öffentlichen Dienstrechts sei in das Magnetfeld eines politischen Code, nämlich der Begriffe "konservativ" und "progressiv" und damit in ein "Patt" geraten. Schon der Zusammensetzung der als Expertenkommission gedachten Studienkommission habe ein bereits politisierter Begriff des Experten zugrundegelegen; es sei daher zugleich auf "repräsentative" Zusammensetzung (Parteien, Verbände, Wirtschaft, Wissenschaft, Bürokratie in Bund, Län1 Der politische Code. "Konservativ" und "progressiv" in systemtheoretischer Sicht. Zeitschrift für Politik, 1974, S. 253 ff. (264- 267).

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dern, Gemeinden) geachtet worden. Außerdem sei die ganze Problemlandschaft bereits politisch insoweit vorpolarisiert gewesen, als letztlich alle Erörterungen mehr oder weniger auf eine Frage hinzielten: Ob nämlich ein neu zu schaffendes einheitliches Dienstrecht mehr dem überlieferten Beamtenrecht oder aber mehr dem System des privatrechtliehen Dienst- und Arbeitsrechts (mit Tarifvertrags- und Streikrecht) folgen solle. Dabei sei sogleich die beamtenrechtliche Lösung mit dem politischen Code "konservativ" und die Anknüpfung an das Arbeitsrecht mit dem Code "progressiv" belegt worden und damit in ein Kraftfeld geraten, das, an ganz bestimmten Polen orientiert, das ganze Verfahren der Kommission zu einem politischen Balanceakt habe werden lassen, ohne daß in den entscheidenden Fragen die codierte Gegensätzlichkeit habe überbrückt werden können. "Das politisch codierte Patt blieb, angereichert durch Argumente, bis zur Endabstimmung erhalten3 ." Luhmann, selbst Mitglied der Kommission, meint, ein mit Hilfe solcher politischer Codierung hochgespieltes Problem werde leicht politisch unentscheidbar. Die Verzerrung der Reformthematik durch einen politischen Code könne die Reform selbst verhindern oder auf einem Seitengleis zum Entgleisen bringen. Dann blieben nur noch Möglichkeiten kleiner pragmatischer Reformschritte, die, im Dunkel der Ministerialbürokratie .geplant und realisiert, jene Wege vermieden, "auf denen man die großen Hunde wecken würde" 4• Diese Sicht der Dinge deckt sich mit der empirischen Erfahrung, die ganz allgemein mit dem bereits wieder abgeklungenen Reformprogressismus in der Bundesrepublik gemacht werden konnte. Sobald beispielsweise der politische Code "Demokratisierung" am Horizont auftauchte, verloren in der Regel alle Argumente ihre argumentative Kraft. Der Marktwert richtete sich nur nach der Codierung, ganz gleichgültig, was sich hinter dem Code verbarg. Diesem Zwang war vor allem die Bildungs- und Hochschulpolitik ausgesetzt, mit der Folge, daß bestimmte Reformvorhaben sogar dann noch verlangt und in Angrüf genommen wurden, als ihr praktisches Scheitern bereits empirische Gewißheit war. Die Macht politischer Code ist also überaus wirksam. Indessen wird man sich fragen müssen, ob dieser Erklärungsversuch ausreicht, um ·die Diagnose vom Scheitern eines einheitlichen öffentlichen Dienstrechts zu begründen. Denn ganz offensichtlich spielen hierbei noch andere Faktoren und Einwirkungen eine erhebliche Rolle. Das wird evident, wenn man die Frage stellt, warum überhaupt bestimmte politische Codierungen entstehen, wer sie in ·die Welt setzt und wer ein Interesse an einer Polarisierung des Argumentationsfeldes durch politische Codierungen besitzt. Erst bei solcher Fragestellung gelangt man zu tieferen a Ebd., S. 265. 4 Ebd., S. 26~.

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Ursachen: Mit der Verführungskraft bestimmter Codebegrüfe lassen sich nicht nur Gebrauchsartikel verkaufen, sondern auch Machtansprüche und bestimmte politische Ziele durchsetzen. Politische Codierungen können also, psychologisch eingesetzt, sowohl als Immunisierungs-, Favorisierungs- oder Distanzierungsstrategien verwendet werden, und deshalb steht zu vermuten, daß dort, wo ein hochkomplexes Problemfeld in die emotionale Eindimensionalität eines politischen Code geraten ist, nicht Zufall oder spontane öffentliche Naivität, sondern bestimmte Steuerungsimpulse am Werk waren und es ihnen zuzuschreiben ist, daß bestimmte Schlüsselbegriffe im öffentlichen Bewußtsein als besetzt zu gelten haben und sich eine ganz bestimmte politische Codierung mitsamt ganz bestimmter Meinungsschemata und Sprachregulierungen breit machen. Aus dieser Sicht stößt man auch bei dem hier zu 'behandelnden Problem auf den entscheidenden Befund: Eine Vereinheitlichung des öffentlichen Dienstrechts auf der Basis beamtenrechtlicher Grundsätze ist nicht schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil dieser Weg mit dem politischen Code "konservativ" belegt ist - Konservativismus scheint derzeit ohnehin wieder gesellschaftsfähig zu werden -, sondern deshalb, weil eine solche Reform ganz massiv den politischen Besitzstand und das Aktionsfeld der Gewerkschaften als einer der maßgebenden Machtfaktoren der heutigen Gesellschaft beschnitte. Die Diskussion um eine Reform und Vereinheitlichung des öffentlichen Dienstrechts ist also nicht nur in das Magnetfeld eines politischen Code geraten, sondern befindet sich im Kraftfeld verbriefter gewerkschaftlicher Rechte, die zurückdrängen zu wollen derzeit gänzlichunrealistisch wäre. Aus dieser Sicht hat denn auch das von der Mehrheit der Studienkommission vorgeschlagene "Gesetz-Modell" 5 trotz seiner Plausibilität nur akademischen, aber keinen realpolitischen Wert. Denn dieses Modell schlüge den für Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst zuständigen Gewerkschaften gerade aus der Hand, was ihre Existenz ausmacht: Tarifvertrag und Arbeitskampf. Damit ist politisch der Weg, auf der Grundlage des Beamtenrechts zu einer Vereinheitlichung des öffentlichen Dienstrechts zu gelangen, blockiert. Das gilt aber auch für den "progressiven" Weg einer Vereinheitlichung des gesamten öffentlichen Dienstrechts auf der Basis des arbeitsrechtlichen Systems: Insoweit bestehen nicht nur erhebliche verfassungsrechtliche Widerstände gegenüber einer Auflösung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums8 , sondern mindestens ebenso starke faktische Barrieren wie bei Beschreiten des "konservativen" Weges. Das Bericht der Kommission, S. 342 ff. Vgl. z. B. Leisner, Grundlagen des Berufsbeamtentums, 1971, S. 39, 44; von Münch, Rechtsgutachten zur Frage eines Streikrechts der Beamten, 1970; Isensee, Beamtenstreik. Zur rechtlichen Zulässigkeit des Dienstkampfes, 1971. 5

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nimmt nicht wunder: Eine Institution wie das deutsche Berufsbeamtentum lebt nicht nur von Verfassungsvorschriften, sondern ist ein Element der Verfassungswirklichkeit, geprägt von ganz bestimmten Vorstellungen und getragen von beruflichem Selbstverständnis nicht nur der Berufsangehörigen, sondern der breiten Öffentlichkeit. Bei diesem Befund sollte man sich keiner Täuschung hingeben, daß die Umpolung des bisherigen Beamtenrechts auf Tarifautonomie und Arbeitskampf mit Sicherheit eine weit größere Welle öffentlichen Unmutes mobilisieren würde, als dies heute -unter dem Eindruck sedativer Codewirkungen- angenommen zu werden pflegt. Dies gilt um so mehr, als die derzeitige Öffentlichkeit auch gegenüber .gewerkschaftlicher Macht sensibel zu werden beginnt und einer Einbindung des Beamtenrechts in gewerkschaftliche Regelungsmacht und Konfliktsmechanismen mit Sicherheit nicht kritiklos zusehen würde. Schließlich dürfen in dem politischen Kräftefeld, das hier in Betracht steht, auch die Beamtenverbände nicht ignoriert werden, die sich durchaus dessen bewußt sind, welch starken Hebel sie im Falle eines Angriffs auf ihr Selbstverständnis in der Hand halten. Sowohl der "konservative", als auch der "progressive" Weg einer Vereinheitlichung des öffentlichen Dienstrechts ist damit blockiert, Reformen auf diesem Gebiet haben kaum Realisierungschancen.

n. Offenbar unter dem Eindruck dieser politischen Realitäten hat denn auch die Minderheit der Kommissionsmitglieder ein Konzept angeboten, welches auf den ersten Anschein die abgeblockten Wege meidet, sich als Kompromiß präsentiert und als "Gesetz-/Tarif-Modell" bezeichnet7• Damit wird impulsiv der Eindruck erweckt, als gebe es neben der Alternative Gesetzesherrschaft einerseits und Kollektivvertrag und Arbeitskampf andererseits noch eine versöhnende Mittellösung, die in sich Elemente der beiden anderen Wege vereine, und auf deren Basis durchaus eine Vereinheitlichung des öffentlichen Dienstrechts zu erreichen sei. Ob dieser Eindruck richtig oder falsch ist, ob es sich bei diesem "Gesetz-/Tarif-Modell" nur um eine andere Bezeichnung des Tarif-Modells handelt, ob also nur ein neuer politischer Code für eine alte Sache eingeführt wird, und ob der "gespaltene Beamtenstatus" in Wahrheit doch nur jene Umpolung des Beamtenstatus bedeutet, von der eingangs gesprochen wurde, soll im Folgenden untersucht werden. 1. Das "Gesetz-/Tarif-Modell" baut auf der Forderung auf, das Dienstrecht für alle öffentlichen Bediensteten "je nach Gegenstand"8 teils durch -1

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Bericht der Kommission, S. 356 ff. Bericht der Kommission, S. 356.

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Gesetz, teils durch Tarifvertrag zu regeln. Als Gegenstände tarifvertraglieheT Regelung werden genannt: "Die Bezahlung und andere Elemente der Gegenleistung." Dazu sollen "insbesondere" gehören: Die Ausgestaltung des Bezahlungssystems, die Ausgestaltung des Systems einer Dienstpostenbewertung, die Höhe der Bezahlung, die sonstigen finanziellen Leistungen, der Urlaub, die Bemessung der regelmäßigen Arbeitszeit sowie die Zusatzversorgung. Bei diesen tarifvertragliehen Bereichen soll der Arbeitskampf zulässig sein. Dies soll nicht für die gesetzlich zu regelnden Gegenstände des öffentlichen Dienstrechts gelten. Das sind nach den Vorstellungen der Kornmissionsminderheit diejenigen Gegenstände, die nicht der Tarifautonomie unterliegen. Mit dieser negativen Abgrenzung ist freilich nicht viel gewonnen, und die Kommissionsminderheit legte offenbar auch keinen besonderenWert darauf, die Gegenstände gesetzlicher Regelung näher zu präzisieren und ins Auge zu fassen. Sie wendet sich ausschließlich der tariflich-arbeitskampfrechtlichen Seite der Medaille zu, nachdem zum Thema Gesetzesregelung lakonisch festgestellt wurde', ein Aspekt des Dienstverhältnisses als Lebenssachverhalt sei die Eingliederung des Bediensteten in die Organisation der Verwaltung und der öffentlichen Betriebe. In diesem Bereich gehe es um die Frage, wie die öffentlichen Aufgaben in Anforderungen an die Bediensteten und an die Personalverwaltung umzusetzen seien. Insoweit sei dem Parlament, das die öffentlichen Aufgaben durch Gesetz konkretisiere, die Entscheidung "über die Teile des Dienstrechts vorzubehalten, die unmittelbar die Aufgabenerfüllung betreffen". Analysiert man diese Hinweise, so erweisen sie sich als absolut unergiebig: Wurde zunächst der Eindruck geweckt, daß die statusbegründenden Normen des Rechts der öffentlichen Bediensteten einer gesetzlichen Regelung vorbehalten sein sollten, so schmilzt diese Regelungskompetenz in Ausgestaltung und Begründung auf einen undefinierbaren Rest zusammen. Dies um so mehr, als die Kommissionsminderheit ihren Vorschlag zusätzlich mit der überraschenden Forderung verbunden hat, der Status des öffentlichen Bediensteten sei durch Vertrag zu be. gründen10• Denn der Vertrag, sollte er überhaupt einen Sinn haben, setzt eine durch Vertrag gestaltbare Regelungsmasse voraus, hat also nur dort Platz, wo die gesetzliche Regelung zugunsten einer vertraglichen Regelung Spielraum läßt. Dann kann man aber diesen für den Status zentral wichtigen Bereich nicht mehr als Anleihe aus dem "Gesetzesmodell" anbieten, sondern sollte offen sagen, daß der Individual• Ebd., S. 358, Tz. 923. 1o Ebd., S. 374, Tz. 981.

Gespaltener geamtenstatus1 vertrag nur eine Vorstufe für die Einführung des "Tarifmodells" auch in diesem Bereich ist, da der einzelne ohne unmittelbare gesetzliche Ausgestaltung des Bedienstetenstatus auf gewerkschaftlichen Beistand angewiesen ist, wie dies die Kommissionsminderheit zur Begründung der tarifrechtliehen Seite der Medaille ausführlich dargelegt hat11 • Wenn demgegenüber bei der Forderung nach vertraglicher Begründung des Bedienstetenverhältnisses daraJUf hingewiesen wird, die Rechtsform der Begründung des Dienstverhältnisses habe mit seiner inhaltlichen Ausgestaltung nichts zu tun12, so fällt es schwer, die Gutgläubigkeit solchen Irrtums zu unterstellen. 2. Die große Frage ist daher, was bei dem "Gesetz-/Tarif-Modell" überhaupt noch einer gesetzlichen Regelung vorbehalten bleiben soll. Stellt man die Frage so, so schmilzt das "Gesetz-/Tarif-Modell" gänzlich auf das "Tarifmodell" zusammen, stellt sich also in Wahrheit nicht als Kompromiß zwischen den Strukturprinzipien des Beamten- und des Arbeitsrechts dar, sondern als Festschreibung und Ausdehnung tarifvertrags-arbeitskampfrechtlicher Grundsätze auf das Gebiet des bisherigen Beamtenrechts. Insofern verschleiert das Etikett "Gesetz-/TarifModell", daß ein reines Tarifmodell ohnehin nirgends existiert, vielmehr das Arbeits- und Dienstvertragsrecht allemal nur zum Teil individualoder kollektivvertraglicher Regelung zugänglich ist, während es zum anderen Teil gesetzlicher Normierung untersteht und unterstehen muß. Die grundgesetzliche Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiete des Arbeitsrechts (Art. 74 Nr. 12 GG) legt dafür beredtes Zeugnis ab. 3. Der soeben gewonnene Eindruck, daß das "Gesetz-Tarif-Modell" kein Kompromiß, sondern nichts anderes als die ausdehnende Festschreibung des arbeitsrechtlichen Tarif-Streik-Modells darstellt, wird dadurch verstärkt, daß die Kommissionsminderheit sub specie "Bezahlung und andere Elemente der Gegenleistung" sowohl das "Bezahlungssystem" als auch das "System der Dienstpostenbewertung" und die Arbeitszeitregelung dem gesetzlichen Regelungsbereich entzieht und tarifrechtlich-arbeitskampfrechtlicher Herrschaft unterwirft. Im Klartext kann dies nur heißen, daß nicht nur die Laufbahnvorschriften und das gesamte Besoldungsrecht mitsamt seiner Besoldungssysteme in Zukunft tarüvertraglicher Disposition zugewiesen werden soll, sondern daß auch die amts- und funktionsmäßige Stufung der einzelnen Dienstposten innerhalb der amtsrechtlichen Hierarchie aus der parlamentarischen Verantwortlichkeit in den Sog tarifvertJ.'!aglich-arbeitskampfrechtlicher Agenden gerät. Denn zwischen der institutionellen Amts- und Funktionsstruktur des beamten- und dienstrechtlichen Stellengefüges u Ebd., S. 359, Tz. 929. 11 Ebd., S. 374, Tz. 982.

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einerseits und den personalen Besoldungs- und Versorgungssystemen andererseits besteht ein unauflösbares sachliches Junktim, das eine Zerreißung in zwei autonome Regelungssysteme schlechterdings ausschließt: Ging bisher das gesetzliche Besoldungssystem von ganz bestimmten Amts- und Funktionsstufen innerhalb der öffentlichen Verwaltung aus und war die Besoldung nur der symmetrische Widerspiegel jener Amtsund Funktionsarchitektur, so besteht bei einer Zuweisung der Dienstpostenbewertung und der Bezahlungssysteme in tarifvertragliche Hoheit die Getahrnicht nur einer umgekehrten Entwicklung, sondern einer völligen Vel'drängung parlamentarischer Verantwortlichkeit auf dem Gebiete des Beamtenrechts. Wer die Regelungsbefugnis über die Dienstpostenbewertung und die Bezahlungssysteme besitzt, entscheidet de facto auch ·über die Amts- und Funktionsstruktur; denn noch immer gilt der Satz, daß eine geringe Besoldung selbst ein hohes Amt inhaltlich entwertet, auf Dauer keine qualifizierten Bewerber mehr anzieht und letztlich auf die Funktionsstruktur der Ämter und Personalstellen zurückschlägt. Der Herr der Dienstpostenbewertung und der Vergütungssysteme ist also kraft Sachzusammenhangs allemal auch Herr der aufgabenmäßigen Funktionsstrukturen und der personellen Stellengliederung. Bemerkenswerterweise ist denn auch die Kommissionsminderheit mit keinem Wort auf dieses Problem und darauf eingegangen, wie neben der Tarifherrschaft noch eine gesetzliche Regelung die "öffentlichen Aufgaben in Anforderungen an die Bediensteten und an die Personalverwaltung umzusetzen" in der Lage sein soll und wie das Parlament, "das die öffentlichen Aufgaben durch Gesetz konkretisiert", jene Teile des Dienstrechts soll noch eigenverantwortlich ordnen können, "die unmittelbar die Aufgabenerfüllung betreffen" 13• Das "Gesetz-/Tarif-Modell" ist demnach eine besonders extensive Form des "Tarif-Modells" und hat mit einem ausgleichenden Kompromiß zwischen den hergebrachten dualistischen Systemen nichts zu tun. Das in aller Klarheit auszusprechen, ist deshalb erforderlich, weil ein politischer Code auch einen Etikettenschwindel darstellen kann. Man sollte daher, wenn immer das "Gesetz-/'Darif-.Modell" von der politischen Praxis ausgegriffen und unter seiner Flagge eine Umpolung des Beamtenrechts •gefordert werden sollte, erhebliche Skepsis walten }a:ssen. 4. Die Kommissionsminderheit hat die tarifrechtlich-arbeitskampfrechtliche Ausgestaltung des gesamten öffentlichen Dienstrechts mit der Erwägung zu rechtfertigen versucht, daß es bei allen, deren Ausbildung oder berufliches Interesse auf den öffentlichen Dienst ausgerichtet sei, keine berufliche Entscheidungsalternative gebe und ihnen deshalb, werde ihnen keine tarifrechtliche Mitentscheidung und kein 13

Bericht der Konunission, S. 358, Tz. 923.

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arbeitskampfrechtliches Instrument an die Hand gegeben, die Möglichkeit verschlossen sei, "den Wert ihrer Arbeit bei der Bemessung der Gegenleistung angemessen zur Geltung zu bringen" 14• Das tarifvertragliehe System biete eine Lösung dieses Problems: Durch den Tarifvertrag würden die ungleichen Machtverhältnisse ausgeglichen; die Bediensteten erhielten "durch kollektive Wahrnehmung ihrer Interessen" eine Machtposition, die derjenigen des Dienstgebers "gleichwertig" sei15 • a) Abgesehen davon, daß solch undifferenzierte Pauschalurteile über die Güte kollektivrechtlich ausgeübter Macht und die Annahme ihrer Identität sowohl mit dem Allgemein- als auch dem Individualinteresse an allen modernen erfahrungs- und politikwissenschaftlichen Erkenntnissen vorbeigeht15a, wird man sich nach dem bisher Gesagten zu fragen haben, welche "Macht" die Kommissionsminderheit überhaupt im Auge hatte, als sie ihr gegenüber den Bediensteten in Gestalt des Tarifvertragskonzepts Gegenmacht zu gewähren für erforderlich hielt. Ganz offenbar war dabei ein archaisches Arbeitgeber-/Arbeitnehmer-Konzept zugrundegelegt, welches nicht nur im angestammten Bereich der Privatwirtschaft unter dem Zeichen der "Mitbestimmung" in voller Auflösung begriffen ·ist, sondern welches im Bereich des öffentlichen Dienstes nur absoluter Realitätsferne oder einseitiger Ideologie entspringen kann. Die öffentlichen "Arbeitgeber" sind im Verhältnis zu den öffentlichen "Arbeitnehmern" niemals scharf abgrenzbar. Die Zahl öffentlicher Bediensteter in den Parlamenten wächst vielmehr ständig, in den Regierungen sind Gewerkschaftsmitglieder gelegentlich in der Mehrheit, der für das öffentliche Dienstrecht zuständige Minister gehört häufig selbst der Gewerkschaft an, öffentliche Bedienstete sitzen 'a n allen Schalthebeln der Macht. Bei diesem Befund ist es nichts anderes als eine politische Mystifikation, wenn man so tut, als gebe es einen irgendwie mit dem fürstlichen Souverän vergangener Zeiten identifizierbaren öffentlichen Arbeitgeber, dem gegenüber erst mit Hilfe kollektiver Gegenmacht die Interessen der öffentLichen Arbeitnehmer nahegebracht werden könnten. Die heutige Wirklichkeit sieht gänzlich anders aus: Gewerkschaften und öffentliche Bedienstete nehmen in vielfacher Funktion und auf allen Ebenen an staatlichen Regelungs- und Herrschaftsfunktionen teil, staatliche Willensbildung vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, gesellschaftlich-gewerkschaftliche Macht ist bereits in den staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß integriert. Wenn daher im Parlament über das Beamtenrecht durch Ges.e tz entschieden wird, so ist dies bereits das Ergebnis eines Kompromisses aus den vielfältigen Interessen, VorBericht der Kommission, S. 359, Tz. 928. Ebd., S. 359, Tz 929. 15a Vgl. zur modernen sozialwissenschaftliehen Kritik nur etwa Mancur Olson, Die Logik kollektiven Handelns, Dt. Ausg. 1968. 14

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lians 1teinrich Rupp

stellungen und Meinungen der pluralistischen Gesellschaft. Sie alle gehen bereits in das Gesetz ~in. Die Einführung des Tarümodells in das gesamte öffentliche Dienstrecht würde deshalb nicht zu einer Balancierung von Arbeitgebermacht durch kollektive Arbeitnehmermacht, sondern viel eher umgekehrt zu einer syndikalistischen Machtdominanz insoweit führen, als nunmehr die Gewerkschaften an beiden Seiten des Verhandlungstisches Platz nähmen, also das einträte, was in der heutigen Diskussion unter dem Stichwort der faktischen Doppelrepräsentation erörtert zu werden pfl.egt18• Dieses Problem ist außerordentlich komplexer Natur. Die geplante Einführung der paritätischen Mitbestimmung im Bereich des Unternehmensrechts hat unter dem Aspekt der "Gegnerfreiheit" und "Gegnerunabhängigkeit" gerade dieses Problem als zentrales tarü- und verfassungsrechtliches Problem hervortreten lassen, weil das gesamte System und Funktionsschema von Tarifautonomie und Arbeitskampf auf eine solche Gegnerfreiheit ausgelegt ist. Es steht mit Sicherheit zu erwarten, daß diese Diskussion sich auch des öffentlichen Dienstes annehmen und es nicht mehr ohne Kritik hinnehmen wird, daß in diesem Bereich die gesetzliche Regelungskompetenz vollends zugunsten einer "Sozialpartnerschaft" abgebaut wird, die keine ist und die mangels Gegnerunabhängigkeit der öffentlichen "Dienstgeber" zur Vollsyndikalisierung des öffentlichen Dienstes führen müßte. b) Die Kommissionsminderheit hat - befangen von wirklichkeitsfremden Schlagwörtern - vor diesem Problem ebenso die Augen geschlossen, wie vor dem Problem, daß die von der Kommission befürwortete Übertragung des lebenszeitlichenBeamtenverhältnisses auf das gesamte öffentliche Dienstrecht17 im Falle einer tarifvertraglich-arbeitskampfrechtlichen Ausprägung des öffentlichen Besoldungssystems zu einer weiteren Risikoverlagerung auf den öffentlichen "Dienstgeber" führen müßte, so daß dessen "Macht" auf null zusammenschrumpfte. Im sicheren Gefühl, nicht den wirtschaftlichen Zusammenbruch des bestreikten Unternehmens zu riskieren und damit die eigene Existenzgrundlage aufs Spiel zu setzen, unkündbar und de facto auch von Aussperrungen oder aussperrungsähnlichen Wirkungen - bezeichnenderweise hat die Kommissionsminderheit diese Frage offenbar nicht einmal für erwägungsbedürfti.g gehalten - verschont zu sein, wäre ein gewerkschaftlicher Streik .aller öffentlicher Bediensteter für diese praktisch risikolos und zwänge die öffentlichen "Dienstgeber" ·allemal zur Kapitulation. Diese ginge in jedem Fall aruf Kosten des ganzen Gemeinwesens; die 18 Vgl. z. B. Zacher, Aktuelle Probleme der Repräsentativstruktur der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: Festschrüt für Berber, 1973,

s. 549 ff.

n Bericht der Kommission, S. 144 f., Tz. 238.

Gespaltener ~eamtenstatus?

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Vorstellung, im kontradiktorischen Balancement der Sozialpartner eine gemeinwohlverträgliche Mitte zu finden, bräche endgültig zusammen17a. c) Immerhin scheint die Problematik des Streiks öffentlicher Bediensteter der Kommissionsminderheit nicht ganz verborgen geblieben zu sein. Ganz offensichtlich suchte sie nach einer zumindest verbalen Kompensation der Probleme, indem sie das an sich von ihr befürwortete Streikrecht gegenständlich zu beschränken suchte. Insoweit schlug sie vor, durch Grundgesetzänderung zu bestimmen, ,.daß Arbeitskampfmaßnahmen von Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG im öffentlichen Dienst die Wahrnehmung folgender öffentlicher Aufgaben nicht unmittelbar gefährden dürfen18 : Schutz von Leib, Leben und Gesundheit Schutz vor Verstößen gegen die Strafgesetze Schutz des Staates vor Angriffen von außen Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung Schutz der Funktionsfähigkeit der obersten Verfassungsorgane in Bund und Ländern." Was bei diesem Vorschlag zunächst auffällt, ist seine in umgekehrtem Verhältnis zu seiner sonstigen ,.Progressivität" stehende hausbackene Begründung. Im Interesse der Allgemeinheit - wozu auch die Interessen der Bediensteten als Bürger gehörten - sei es, so wird argumentiert18, erforderlich, die Anwendung von Arbeitskampfmitteln im öffentlichen Dienst zu begrenzen. Das mag an sich zweckmäßig erscheinen, aber verwundern muß doch, daß erst an dieser Stelle und noch dazu in diesem Zusammenhang das Gemeinwohl berufen wird, wo doch in der extrem arbeitsteiligen Gesellschaft von heute Leben, Gesundheit und Wohlergehen nicht nur vom Funktionieren öffentlicher Dienstleistungen abhängt. Doch sieht man einmal hiervon ab, so wird man sich zugleich zu fragen haben, ob und in welcher Weise sich die genannten Schutzgüter im Sinne einer operationalen arbeitskampfrechtlichen Grenzziehung von streikzugänglichen Bereichen abscheiden lassen. Insoweit ist schon die Frage, wann ein Streik eine "unmittelbare Gefährdung" dieser Schutzgüter bewirkt und warum nur die ,.unmittelbare" nicht aber die mittelbare Gefährdung eine Streikgrenze darstellen soll, mehr als problematisch. Jeder Streik führt wegen der gegenseitigen Angewiesenheit und Abhängigkeit der arbeitsteiligen Gesellschaft zu 17a Neuerdings hat Bernd Rüthers, Interessenverfilzung zu Lasten des Bürgers. Die Zerstörung der Tarifautonomie im öffentlichen Dienst, FAZ vom 14. Dezember 1974, S. 13, auf aktuelle Beispiele und Folgen dieser Art Tarifund Streikherrschaft hingewiesen. 18 Bericht der Kommission, S. 356 f., Tz. 918; S. 371, Tz. 973. 19 Bericht der Kommission, S. 371, Tz. 970.

12 Berulebeamtentum

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ltans Heinrich ltupp

Kettenreaktionen ungewissen Ausmaßes. Soll also beispielsweise die Bestreikung öffentlicher Wasser- oder Elektrizitätsversorgungsanlagen als solche erlaubt sein, weil von ihr nur "mittelbar" Leben und Gesundheit der Bevölkerung abhängt? Oder von wann ab ist der Schutz der "verfassungsmäßige Ordnung" "unmittelbar gefährdet" und damit der Streik illegal? Der Streik ist keine finale menschliche Handlung, sondern ein sozialer Konflik~prozeß, der sich nicht gegenständlich, sondern nur thematisch (Arbeitsbedingungen) und formalrechtlich (gewerkschaftlicher Streik) von der Illegalität abgrenzen läßt, soll diese Grenzziehung im Ernstfall nicht selbst zum Konfliktsstoff werden. Es zeugt bei dieser Situation von erstaunlicher Naivität, wenn die Kommissionsminderheit allen Ernstes zu glauben scheint, beim gerichtlichen Rechtsschutz Zuflucht nehmen und den Gerichten die Entscheidung zuschieben zu können, "ob eine Arbeitskampfmaßnahme im Einzelfall die Wahrnehmung der genannten Aufgaben unmittelbar gefährdet" 20• Indessen scheint auch hier die Kommissionsminderheit die Augen nicht ganz vor den Realitäten verschlossen zu haben; denn sie machte zugleich einen weit realistischeren Vorschlag zur Bestimmung der Grenzen des öffentlichen Arbeitskampfes: "Durch Tarifvertrag wird geregelt, wie die Wahrnehmung der genannten Aufgaben organisatorisch sicherzustellen ist21 ." Damit wird klar: Die Interpretation der offenen Grenzen des Streiks liegt bei den Streikenden selbst und wer die Interpretationsgewalt besitzt, ist auch zugleich Herr der Grenzen. Dann aber läßt sich von verfassungsrechtlichen Grenzen des Streiks schlechterdings nicht mehr reden, die ganze Argumentation ist in Wahrheit ein Ablenkungsmanöver, das mit der Suggerierung von Streikgrenzen den Streik nur schmackhafter zu machen sucht. Das "Gesetz-/Tarif-Modell" bedeutet daher in Wahrheit eine bedingungslose Umpolung des Beamtenrechts auf Tarifvertrag und Arbeitskampf. Selbst die Kommissionsminderheit kam nicht daran vorbei, daß sich eine solche Umpolung nur durch förmliche Verfassungsänderung bewirken lasse22. Vor einem solchen unbedachten Weg kann nur nachhaltig gewarnt werden.

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Bericht der Kommission, S. 357, Tz. 920; S. 372, Tz. 975. Bericht der Kommission, S. 357, Tz. 919; S. 371 f., Tz. 974. Bericht der Kommission, S. 372, Tz. 976.

Öffentlicher Dienst zwischen öffentlicher Amtsverfassung und privater Arheitsverfassung? Verwaltungsstrukturelle Grenzen der Dienstrechtsreform Von Rupert Scholz

I. Die Refonn des öffentlichen Dienstrechts wird nach wie vor von dem Streit um Erfordernis und Legitimation des Berufsbeamtenturns im modernen Verfassungsstaat beherrscht. Trotz der grundsätzlichen Verfassungsentscheidungen zugunsten eines solchen Beamtenturns in Art. 33 IV, V GG stehen sich die Positionen von Befürwortern und Gegnern des Berufsbeamtenturns in fast unveränderter Unversöhnlichkeit gegenüber. Hieran haben auch die eingehenden Erhebungen und Untersuchungen der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts1 nichts Wesentliches .geändert; trotz des eindeutigen und, wie schon an dieser Stelle vorausgeschickt sei, inhaltlich kaum anfechtbaren Mehrheitsvotums dieser Kommission für Bestand und Fortentwicklung des Berufsbeamtenturns geben sich dessen Gegner keinesfalls geschlagen. Im Gegenteil, das inhaltlich zum Teil konträre Votum der Ko:rnmissionsminderheit soll die argumentative Handhabe gegen den offiziellen (mehrheitlich verabschiedeten) Kommissionsbefund bieten und so zur formalen Rechtfertigung des jetzt stärker oder doch offener auf den Plan tretenden Arguments vom (angeblichen) Erfordernis der politischen Durchsetzung dienen. In diesem Sinne erfährt ein Minderheitsvotum auch hier ein Schicksal, wie es - zumindest an politisch brisanten Stellen - auch sonst bzw. zunehmend mehr gerade Minderheitsvoten verfassungsgerichtlicher Art nehmen. Das Minderheitsvotum dient zunehmend nicht mehr nur der Offenheit und diskursiven Transparenz; es wird vielmehr und oft zur Tarnung oder Verdeckung der sachlich schwächeren bzw. unterlegenen Position und im weiteren gerade als politischer Argumentationshebel gegen die sachlich oder rechtlich obsiegende (Mehrheits-)Position verwandt. Obwohl hier nicht der Ort ist, Stilbrüche oder Verfahrensmißbräuche 1 Vgl. Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bericht der Kommission, 1973.

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dieser Art um das Institut des Minderheitsvotums im einzelnen zu verfolgen oder näher zu bewerten, auch gegenüber der Diskussion und namentlich gegenüber der Kritik an der Arbeit der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts auf Erscheinungen dieser Art aufmerksam zu machen. Bericht und Untersuchungen der Studienkommission zum Status und zur Reformbedürftigkeit des öffentlichen Dienstes haben jedenfalls eines erreicht und bewirkt: Sie haben die Bilanz zum bisherigen Meinungsstand gezogen und in vorsichtiger Abschichtung Relevantes von Irrelevantem, wirklich Erforderliches von Vordergründigem oder nur scheinbar Plausiblem geschieden. Trotzdem werden in der anhaltenden Diskussion nach wie vor Argumente jeder Art - relevante wie irrelevante - angeführt; namentlich von den Gegnern und Kritikern des Berufsbeamtentums.

u. 1. Die grUndsätzliche Antithese zum Berufsbeamtenturn und zur maßgebend in ihm instituierten öffentlich-rechtlichen Dienstverfassung heißt: öffentlicher Dienst nach den Strukturgesetzen der privat-rechtlichen Arbeitsverfassung1• In diesem Sinne wird das Berufsbeamtenturn als historischer Ausfluß von monarchischem und liberalem Staat mit der diesem eigentümlichen Scheidung von Staat und Gesellschaft apostrophiert. Im modernen Sozialstaat seien Staat und Gesellschaft dagegen miteinander identisch; ein rein öffentlich-rechtlicher bzw. staatlich organisierter öffentlicher Dienst wie das Berufsbeamtenturn vertrüge sich mit diesem Verfassungssystemnicht bzw. nicht meh.r3. Hinter dieser Argumentation steht maßgebend die Vorstellung, daß die öffentlich-rechtliche bzw. staatliche Organisation des öffentlichen Dienstes diesen gleichsam "gesellschaftsfrei" organisiere oder dessen Angehörige, obwohl Teile der (staatsfreien) Gesellschaft, gleichsam aus dieser heraus in die (impermeable) Staatspersönlichkeit überführe. Zugespitzt könnte man diese Überlegung auch dahin ausdrücken, daß das öffentliche Dienstrecht (Beamtenrecht) die Angehörigen des öffentlichen Dienstes gleichsam "verstaatliche", obz Zur diesbezüglichen Antithetik vgl. auch R. Scholz, Die Personalvertretung 1975, s. 81 ff. 3 Zur entsprechenden Kritik am öffentlichen Dienst bzw. Berufsbeamtentum vgl. z. B. und zugleich zum folgenden bes. Sontheimer-Bleek, in: Dagtoglou-Herzog-Sontheimer, Verfassungspolitische Probleme einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, in: Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 6, 1973, S. 231 (236 ff.); Zeidler, DVBl 73, 719 (720 ff.); flartjiel, Ideologie und Arbeitsplatzstruktur der öffentlichen Verwaltung zwischen technischem Fortschritt und sozialem Wandel, 1971, S. 3 ff.; Ellwein-Zoll, Berufsbeamtenturn- Anspruch und Wirklichkeit, 1973, S. 205 ff.; R. Hoffmann, in: ÖTV (hrsg.), Modernisierung im öffentlichen Dienst, 1971, S. 15 ff.

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wohl diese wie alle anderen Bürger auch Angehörige einer freien und autonomen Gesellschaft sind. Mag auch manche, freilich längst überwundene Reminiszenz zum "Beamten im besonderen Gewaltverhältnis" an solche Überlegungen erinnern, verfassungsrechtlich realen Boden besitzen derartige sowie alle vergleichbaren Argumentationen nicht. Denn ihnen liegt ein Staatsverständnis zugrunde, das nicht das des Grundgesetzes und seiner demokratisch-rechtsstaatliehen Verfassungsstaatlichkeit ist. Auch im demokratischen Rechtsstaat sind Staat und Gesellschaft nicht vollends miteinander identisch; auch hier bestehen prinzipielle, wenn auch funktional relativierte Scheidungen oder Distanzen zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Organisation - Scheidungen und Distanzen, die gerade zum Schutz bürgerlicher und gesellschaftlicher Freiheit vor staatlicher Macht instituiert und garantiert sind'. Daraus folgt, daß "Verstaatlichungen der Gesellschaft", auch partieller Art, unzweifelhaft verfassungswidrig sind6• Daraus folgt umgekehrt aber auch, daß "Vergesellschaftungen des Staates" bzw. seiner Kompetenzen und Organisationen ebenso unzulässig sind8 • Das eine verstieße gegen Prinzipien und Gewährleistungen von Rechtsstaat und Grundrechten; das andere verstieße gegen die Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates. "Verstaatlichungen" gesellschaftlicher Freiheits- oder Bürgerbereiche liegen dem öffentlichen Dienstrecht bzw. Beamtenrecht jedoch nicht zugrunde. Denn das Recht des öffentlichen Dienstes ist genuines Organisationsrecht des Staates und nicht etwa staatliches Recht zur Organisation der Gesellschaft. Der öffentliche Dienst bildet das personelle Substrat der staatlichen Verwaltungsorgane und damit das "Subjekt" der staatlichen Organisation, nicht aber deren (regelungsfähiges) "Objekt". Wer das Gegenteil behauptet, verkennt und mißversteht, wie noch näher zu zeigen sein wird, die Funktion und Legitimation des öffentlichen Dienstes in der Organisation der staatlichen Amter. 2. Im weiteren Zusammenhang treffen sich mit Argumentationen der vorstehenden Art schließlich jene Protagonisten eines mehr oder weniger marxistisch gefärbten Staatsverständnisses, die mit der staatlichen Organisation auch den öffentlichen Dienst als Instrument oder Bestandteil 4 Vgl. Böckenförde, Hefermehl-Festgabe, 1972, S. 11 (16 ff.); R. Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 154 ff.; ders., Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, 1974, S. 29 ff. 6 Vgl. Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1960, S. 11 ff.; Biedenkopf, BB 68, 1005 (1009 f.); Rupp, in: Hoppmann, Konzertierte Aktion, 1971, S. 1 (8); R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 183 f.; ders., Staat 74, 91 (96). e Vgl. die Nachw. vorstehend N. 5; im unmittelbaren Bezug zum öffentlichen Dienst vgl. auch bereits R. Scholz, in: Öffentlicher Dienst und Gesellschafteine Leistungsbilanz, 1974, S. 170 (174 f.); vgl. weiterhin namentlich Ronneberger, Die Verwaltung 1973, 129 (132 ff.).

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der kapitalistischen Reproduktions- und Herrschaftsverhältnisse zu erklären suchen7 • Daß ein solches Staatsverständnis dem grundgesetzliehen Verfassungsstaat aber unbekannt und für diesen von vornherein nicht akzeptabel ist, bedarf kaum der näheren Begründung. Wesentlich erscheint jedoch, daß auch diese (ideologische) Quelle mancher ·g egen das Berufsbeamtenturn gerichteten Argumentation nicht im Verborgenen bleibt. 3. Im System des Verfassungsstaates funktioniert das Berufsbeamtentum weder als Instrument noch als Organ bestimmter (gesellschaftlicher) Interessen oder (klassenmäßiger) Machtansprüche. Im Gegenteil, gerade das Berufsbeamtenturn garantierte und garantiert kraft seiner persönlichen Unabhängigkeit (Lebenszeitanstellung) und sachlichen Unabhängigkeit (dienstliche Verpflichtung allein auf Gesetz und Recht) die politische und soziale Neutralität der staatlichen Verwaltung und sorgte bzw. sorgt damit für Gleichheit, Sicherheit, Kontinuität und vor der Allgemeinheit gerechte Verwaltungsleistung. Das Berufsbeamtenturn wurde damit zum maßgebenden Pfeiler und Garanten des demokratischen und sozialen Rechtsstaats8 • In diesem Sinne bestand auch der Verfassunggeber von 1949 - trotz verschiedener, wesentlich auswärtig initiierter Gegenbestrebungen - auf der Institution eines Berufsbeamtenturns (Art. 33 V GG) und dessen organschaftliebem Vorrang im System der demokratisch begründeten Staatsaufgaben (Art. 33 IV GG). Dies ist der verfassungspolitische Sinn und Hintergrund namentlich des Funktionsvorbehalts aus Art. 33 IV GG, und mit dieser Maßgabe gilt auch heute der unveränderte Funktionsvorrang des Berufsbeamtentums9. Verfassungsrechtlich läßt sich dieser nicht in Frage stellen. Verfassungspolitisch mag man mit einem Teil der aktuellen Reformdiskussion die Frage nach Sinn und Rechtfertigung einer entsprechend entgegengesetzten Verfassungsänderung (Aufgabe des beamtenrechtlichen Funktionsvorbehalts) stellen. Plausibelläßt sich .diese Frage aber nicht auf dem Boden der grundgesetzliehen Verfassungsstaatlichkeit selbst stellen. Denn in deren Immanenz bleiben der Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG und mit ihm auch die Institution des Berufsbeamtenturns (Art. 33 V GG) unangreifbar. Legitim läßt sich die Frage nach fortbestehendem Sinn und dauerhafter Rechtfertigung des Berufsbeamtenturns allein auf der Grundlage der tatsächlichen Funktionsfähigkeit eines Berufsbeamtenturns und seiner gegebenen Ordnung stellen. Hier bestehen Zweilei ebenso vonseitender Organisation der öffentlichen Verwaltung wie von seiten der Aufgabenstruktur der modernen Leistungsverwaltung. Vgl. in diesem Sinne z. B. Hoffmann, S. 17 ff. Vgl. dazu eindrucksvoll besonders Leisner, Grundlagen des Berufsbeamtentums, 1971, S. 13 ff., 36 ff., 41 ff., 46 ff. 8 Vgl. hierzu bereits R. Scholz, in: Öffentlicher Dienst, S. 172 ff. 7

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m. 1. Die Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtenturns werden vornehmlich auf die veränderten Strukturen des Sozialstaats in der mobilen Industriegesellschaft gegründet10• Der soziale Leistungsstaat hat wesentlich wirtschaftliche und dienstleistungsmäßige Funktionen übernommen ("Daseinsvorsorge"). Mit diesen Funktionen erfüllt der Staat Aufgaben, die aus der Sicht des liberalen Staates "gesellschaftliche" ("soziale") Agenden bilden und deren realer Vollzug häufig ökonomische Leistungsapparaturen erfordert. Wo die öffentliche Verwaltung im liberalen Rechtsstaat vor allem Ordnungs- und Sicherheitsaufgaben mit dem Spezifikum des hoheitlichen Eingriffs erfüllte, dort hat die öffentliche Verwaltung im sozialen Rechtsstaat wesentlich auch Leistungsaufgaben mit den ökonomischen Spezifika wirtschaftlicher Produktion und Distribution zu erfüllen.

An diesen Wandel der verwaltungsrechtlichen Aufgabenstruktur knüpfen sich die Behauptung vom angeblichen funktionellen Leistungsdefizit des Berufsbeamtenturns und das Postulat von der "gesellschaftlichen" Öffnung zum allgemeinen Arbeitsrecht hin11 • Tatsächlich sieht sie eine solche Öffnung durch die faktische Zweiteilung des öffentlichen Dienstes in Beamte und Arbeitnehmer (Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes) bereits wesentlich eingeleitetu. Diese Zweiteilung hat sich ohne viel organischen Halt und allzu oft auch ohne rechtliche Legitimation ergeben. Sie hat das gesamte System der öffentlichen Verwaltung durchsetzt sowie über10 Vgl. näher und zum folgenden, sowie gerade mit Blickrichtung auf die Funktionsstruktur des öffentlichen Dienstes Sontheimer-'Bleek, in: Studienkommission, S. 236 ff. ; Ellwein-Zoll, Zur Entwicklung der öffentlichen Aufgaben in der Bundesrepublik Deutschland, in: Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 8, 1973, S. 203 ff.; Ellwein, DÖV 72, 13 ff.; Galette, in: Funktionsgerechte Verwaltung im Wandel der Industriegesellschaft, 1969, S. 49 ff.; Jung, Die Zweispurigkelt des öffentlichen Dienstes, 1971, S. 73 ff., 87 ff.; Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 1973, bes. S. 163 ff., 369 ff.; Siedentopf, Funktion und allgemeine Rechtsstellung Analyse der Funktionen des öffentlichen Dienstes, Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 8, 1973, S. 17 (29 ff.); Dagtoglou, in: Dagtoglou-Herzog-Sontheimer, Verfassungspolitische Probleme einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 6, 1973, S. 13 (23 ff.); Herzog, ebenda, S. 161 (173ff.); Galette, in: Funktionsgerechte Verwaltung im Wandel der Industriegesellschaft, 1969, S. 49 ff.; Thiele, ebenda, S. 88 ff. 11 Vgl. z. B . Sontheimer-Bleek, in: Studienkommission, S. 280 ff., 285 ff.; vgl. auch z. B. Thieme, Der Aufgabenbereich der Angestellten im öffentlichen Dienst und die hoheitsrechtliehen Befugnisse nach Artikel 33 Absatz 4 des Grundgesetzes, 1962, S. 25 ff. 12 Zur Entwicklung siehe beispielsweise Jung, Zweispurigkeit, S. 32 ff., 47 ff., 65 ff.

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lagert13 und stellt das wohl zentrale Reformproblem des heutigen Dienstrechts dar. Die entstehungsmäßigen Grundlagen dieser Entwicklung liegen wesentlich bei den vorgenannten Veränderungen der verwaltungsrechtlichen Aufgabensysteme. Die teilweise fast lawinenartig gewachsenen Verwaltungsaufgaben haben zu korrespondierendem Wachstum des Verwaltungspersonals, insbesondere im Bereich der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, geführt. Diese nehmen heute tatsächlich nicht nur fiskalische Aufgaben, sondern eine Fülle auch verwaltungsrechtlicher Aufgaben gerade auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung wahr. 2. Auf diesen Tatbestand hat sich rechtlich einmal die Forderung nach (Wieder-)Herstellung der Einheit des öffentlichen Dienstes und zum anderen das Streben nach einer nicht nur öffentlich-rechtlichen, sondern auch privat- bzw. arbeitsrechtlichen Konstituierung des öffentlichen Dienstrechts gegründet. Ihren gegenständlichen Niederschlag fanden jene Bestrebungen in jenem Konzept des öffentlichen Dienstrechts, das über die Differenzierung zwischen (öffentlichem) Statusrecht und (privatem) Folgerecht die Strukturen von öffentlichem Dienstrecht (Statusrecht) und privatem Arbeitsrecht (Folgerecht) zu verschmelzen sucht. Dieses Kombinationsmodell wird vor allem vom DGB14, von der ÖTVlli, vom Lande Berlin18 sowie auch von der Minderheit der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts17 vertreten. Im öffentlichen Statusrecht dominieren die Elemente der öffentlichrechtlichen Dienstverfassung; denn die in ihm enthaltenen Regelungen namentlich zur Begründung und Beendigung des Dienstverhältnisses, über die grundlegenden Pflichten und Rechte des Bediensteten und zur laufbahnmäßigen Dienststruktur sollen allein durch das Gesetz bewirkt werden. Im Folgerecht dominieren dagegen die Elemente der privatrechtlichen Arbeitsverfassung; denn die zum Folgerecht gerechneten Regelungen über alle finanziellen Leistungen etc. sowie zum Teil auch über die Dienstpostenbewertung (Minderheit der Studienkommission) sowie zum Teil auch über die Dienstpflichten und -rechte (DGB) sollen der Regelungskompetenz der Sozialpartner, d. h. der Tarifautonomie und dem Arbeitskampf, überlassen bleiben. Das Arbeitskampfrecht soll institutio18 Zu Recht hat schon F. WeTner darauf hingewiesen, daß die Zweiteilung des öffentlichen Dienstes wesentlich Teil und Folge des Verlusts der Einheit der Verwaltung ist (vgl. Die Situation des modernen Berufsbeamtentums, 1964, s. 16). ' 14 Vgl. Grundsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Neuordnung des Beamtenrechts. Gliederung in Statusrecht und Folgerecht, 1970. 15 Vgl. ÖTV, Modernisierung im öffentlichen Dienst, 1971. 1' Vgl. Berliner Modell vom 7. 12. 1973, Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucks. 6/1169. n Vgl. Bericht, S. 356 ff.

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nell allerdings dort beschränkt werden (Streikverbot), wo es um den "Schutz von Leib, Leben, Gesundheit; den Schutz vor Verstößen gegen die Strafgesetze; den Schutz des Staates vor Angriffen von außen; den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung; den Schutz der Funktionsfähigkeit der obersten Verfassungsorgane in Bund und Ländern" geht (Berliner Modell). Funktionell implizieren diese Ausgrenzungen eine unterschiedliche Qualifizierung der Verwaltungsaufgaben nach ihrem Gemeinwohlnutzen oder nach ihrer Gemeinwohlevidenz. Eine solche Differenzierung setzt damit jedoch gleichzeitig die Definitionsfähigkeit entsprechender Qualitätsunterschiede voraus; und dies fordert wiederum den inhaltlich oder wertmäßig geschlossenen Kanon der staatlichen Verwaltungsaufgaben insgesamt. Eben dieser existiert im System des sozialen Leistungsstaates jedoch nicht oder doch nicht mehr. Methodisch ähnlich angelegt sind diejenigen Versuche, die die gegebene und vielfach willkürlich anmutende Zweiteilung des öffentlichen Dienstes in Beamte und Arbeitnehmer in aufgabenadäquater Weise zu überwinden suchen. Hierbei differenziert man vor allem anhand der Grundunterscheidung von Eingriffs- und Leistungsverwaltung, indem man die erstere dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG zuordnet und die letztere dem Arbeitnehmerstatus öffnet. Als repräsentativ für solche Bestrebungen mag namentlich der konkrete Abgrenzungsversuch von J. Kölble18 wiedergegeben sein, der den Beamtenstatus für die folgenden Aufgaben als adäquat erkennen will: "Innere Verwaltung und allgemeine Staatsaufgaben einschließlich Umweltschutz, Naturschutz, Landschaftspflege, Landesplanung, Raumordnung; auswärtige Verwaltung; Finanzverwaltung; Rechtsschutz; öffentliche Sicherheit und Ordnung; Verteidigung", und den Arbeitnehmerstatus für folgende Aufgabenbereiche empfiehlt: "Wirtschaftsunternehmen der öffentlichen Hand; Betriebsverwaltungen; soziale Sicherung; Gesundheitspflege, Förderung von Sport- und Leibesübungen; Kulturverwaltung; Unterricht, Volksbildung; Wissenschaft; Wirtschafts- und Verkehrsverwaltung". Als zugrunde liegende Implikation dieser und ähnlicher Abgrenzungsversuche gelten wiederum die qualitative Meßbarkeit und Differenzierbarkeit der genannten Verwaltungsagenden und darüber hinaus eine entsprechend enge Interpretierbarkeit des Funktionsvorbehalts aus Art. 33IVGG. 3. Beide vorstehenden Voraussetzungen sind indessen nicht erfüllt. Der Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG erstreckt sich nach richtiger Auffassung nicht nur auf die Eingriffsverwaltung, sondern auch auf die 1s Vgl. DÖV 70, 447 (458).

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Leistungsverwaltung19• Die funktionelle Orientierung des Berufsbeamtenturns an der Eingriffsverwaltung ist im selben Moment entfallen, in dem die Leistungsverwaltung neben die Eingriffsverwaltung trat und in gleicher Weise wie diese in das Zentrum staatlicher Verwaltungsverantwortung insgesamt trat. Die von der Verfassung in Art. 33 IV, V GG für den öffentlichen Dienst postulierten Eigenschaften gelten für die Leistungsverwaltung ebenso wie für die Eingriffsverwaltung. Der Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG gilt für grundsätzlich alle politisch substantiellen bzw. vom demokratischen Gesetzgeber als genuin-staatlich legitimierten Verwaltungsaufgaben sowohl eingriffs-wie leistungsrechtlicher Art, d. h. für alle Aufgaben, die als Emanation staatlicher Macht politisch relevante Ordnungsfunktionen im sozialen Rechtsstaat erfüllen. Und zu diesen Funktionen gehören selbstverständlich auch die Leistungsaufgaben im Rahmen von sozialer Ordnung und sozialer Verwaltungsstaatlichkeit20. Im System des grundgesetzliehen Sozialstaates ist überdies der Kanon materiell umgrenzter oder doch umgrenzbarer Staatsaufgaben, wie ihn der liberale Staat noch voraussetzen durfte, verloren gegangen. Der Sozialstaat steht der Gesellschaft und ihren Ordnungsbedürfnissen offen gegenüber, weil er für ihre Bedürfnisse wesentliche (soziale) Verantwortung übernommen hat. Die Aufgabenstruktur der öffentlichen Verwaltung im Sozialstaat ist damit notwendig offen und dynamisch21 ; und dies fordert in der Konsequenz auch die interpretative Dynamisierung des Funktionsvorbehalts aus Art. 33 IV GG (beamtenrechtlicher Funktionsvorbehalt als Verfassungsauftrag) 22• Eine umgekehrt verengende (statische) Interpretation des Art. 33 IV GG ist mithin schon von Verfassungs wegen unstatthaft. 19 Vgl. Leisner, Grundlagen, S. 47 ff.; Lerche, Verbeamtung als Verfassungsauftrag?, 1973, S. 21 ff.; Ule, in: Forsthoff-v. Münch-Schick-Thieme-Ule-Mayer, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 5, 1973, S. 441 (455 ff.); Mayer, ebenda, S. 557 (598); Maunz-Dürig-Herzog, GG, Art. 33 Rdnr. 33; Fürst, GKÖD, Bd. 1, K § 4 Rdnr. 7, 17; Quaritsch; Wacke-Festschrift, 1972, S. 29 (38 f.); R. Scholz, in: Öffentlicher Dienst, S. 176 ff. A. A. bes. Jung, Zweispruigkeit, S. 73 ff., 83 ff., 106 ff., 119 ff., 142 ff., 151 ff., 192; Sontheimer-Bleek, in: Studienkommission, S. 261., 276ff.; Isensee, Beamtenstreik. Zur rechtlichen Zulässigkeit des Dienstkampfes, 1971, S. 88 ff.; Kölble, DÖV 70, 458. 20 Vgl. bereits R. Scholz, in: Öffentlicher Dienst, S.176 ff. 21 Zur Offenheit der Staatsaufgaben in diesem Sinne vgl. z. B. Ellwein, Regierung und Verwaltung, 1. Teil, 1970, S. 88; BuU, Staatsaufgaben, S. 369 ff. 22 Vgl. richtunggebend bes. Lerche, · Verbeamtung als Verfassungsauftrag?, S. 48 ff.; vgl. weiterhin R. Scholz, in: Öffentlicher Dienst, S. 184 f.; siehe auch schon BVerfGE 7, 155 (163); entsprechend auch Jung, Zweispurigkeit, S. 101 ff.; Forsthoff, in: Forsthoff-v. Münch-Schick-Thieme-Ule-Mayer, Verfassungsr echtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 5, 1973, S.17 (61).

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Mit der Offenheit der staatlichen Verwaltungsaufgaben entfällt zugleich die Möglichkeit, innerhalb eines vermeintlich vorgegebenen Aufgabenkatalogsabzuwägen bzw. vorab nach Evidenz und/oder politischer Bedeutsamkeit einzelner Verwaltungsaufgaben zu unterscheiden. Mit der Offenheit der Staatsaufgaben entfällt jeder legitime apriorische Wertmaßstab, auch für die Zukunft innerhalb staatlicher Aufgaben qualitativ zu differenzieren; derartige Differenzierungen sind allenfalls für den Augenblick bzw. für den konkret-präsenten Funktionsstatus möglich. Folgerichtig greifen die vorgenannten Regeln zum Streikverbot im System des Folgerechts ins Leere. Denn die politische Verantwortung und Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung sind nicht nur in jenen existentiellen Fällen des Schutzes von Leib, Leben und Gesundheit, der Str-afgesetze und des Angriffs von außen usw. gefährdet. Staatliche Verantwortung und funktionierende Verwaltung sind ebenso ernsthaft bedroht, wenn z. B. alle Bahn- oder Postbediensteten streiken und die öffentlichen Verkehrs- oder Kommunikationssysteme lahmlegen; wenn alle Lehrer streiken und das öffentliche Unterrichtswesen für einige oder längere Zeit lahmlegen; wenn alle Bediensteten gemeindlicher Energieversorgungsunternehmen ·streiken und die öffentliche Energieversorgung unterbrechen usf. Die technischen und sozialen Apparaturen der modernen Gesellschaft sind heute auf so intensive und vielschichtige Weise von den Leistungen der öffentlichen Verwaltung abhängig geworden, daß selbst scheinbar "kleinere" Ausfälle im einen oder anderen Leistungssektor zu unverhältnismäßigen oder gar irreparablen Schädigungen und Gefährdungen für die Allgemeinheit führen können. Bereits diese Erkenntnis läßt keinen 'anderen Schluß zu, als daß das nach wie vor rechtlich bestehende Streikverbot im öffentlichen Dienst auch de lege ferenda aufrecht zu erhalten ist23• Aus der Einsicht in die (offene) Aufgabenstruktur der öffentlichen Verwaltung folgt weiterhin, daß sich .die Strukturelemente der privatrechtliehen Arbeitsverfassung innerhalb des öffentlichen Dienstes keinesfalls in der Weise aufnehmen und verwirklichen ließen, wiesiedas Arbeitsrecht vorgibt und wie sie die Vertreter des Kombinationsmodells um Status- und Folgerecht dem Recht :a Vgl. Leisner, Grundlagen, S. 11 f., 14,39 ff., 44 ff.; ders., ZBR 73, 97 (98 ff.); ders., Politische Studien 1973, 359 (370); R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 334; ders., in: Öffentlicher Dienst, S. 182 f.; Isensee, Beamtenstreik, S. 33 ff.; BroxRüthers, Arbeitskampfrecht, 1965, S. 67 ff.; Lorenz, AöR 98, 410 ff.; Quaritsch, 48. DJT, Bd. II, 1970, Teil 0, S. 34 (48 ff.); Kaiser, Der politische Streik, 2. Aufl. 1959, S. 41; Forsthoff, in: Studienkommission, S. 50 ff.; Schick, ebenda, S. 252 ff.; Mayer, ebenda, S. 663 ff.; Ule, ebenda, S. 481 ff.; vgl. auch bereits BVerfGE 8, 1 (17). A. A.: Däubler, Der Streik im öffentlichen Dienst, 1970, bes. 193 ff., 230 ff.; R. Hoffmann, AöR 91, 141 (183 ff.); Benz, Beamtenverhältnis und Arbeitsverhältnis, 1969, bes. S. 128 ff.; vgl. auch Thieme, in: Forsthoff-v. Münch-SchickThieme-Ule-Mayer, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 5, 1973, S. 303 (401 ff.).

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des öffentlichen Dienstes in möglichst identischer Form zu imputieren suchen24• IV. 1. Die Institutionen des Arbeitsrechts gründen sich wie alles Privatrecht auf die zentralen Prinzipien der Privatautonomie, die Grundsätze eines freien (Arbeits-)Marktes mit den Regeln von Angebot und Nachfrage, die interessenbestimmenden (wesentlich interessenmonistischen) Maximen wirtschaftlichen Verhaltens und die Voraussetzungen von prinzipiell freier Disposition über Arbeitsleistung und Wirtschaftserfolg in der Person der am Arbeitsverhältnis konkret Beteiligten. Diese institutionellen' Grundvoraussetzungen der privaten Arbeitsverfassung heben sich von den strukturellen Grundvoraussetzungen der öffentlichen Dienstverfassung eindeutig ab26• Denn das öffentliche Dienstrecht kennt weder die Prinzipien von Privatautonomie, Wettbewerb und interessenmonistischem Wirtschaftsverhalten, noch erkennt es die Dispositionsbefugnis der am Dienstverhältnis Beteiligten über Arbeitsleistung und Wirtschafts- bzw. Verwaltungserfolg an.

Für die Begründung und Beendigung des Beamtenverhältnisses kämen zwar auch Formen des Dienst- oder Arbeitsvertrages in Betracht. Deren Konditionen müßten aber gesetzlich präformiert sein, sie müßten namentlich auch das Prinzip der Lebenszeitanstellung anerkennen, soll das Recht des öffentlichen Dienstes nicht in ein gleichheits-und demokratiewidriges System unterschiedlichster Privilegierungen wie Unterprivilegierungen umschlagen2t. Dies wäre nämlich die zwingende Folge einer vollen privatautonomen- sei es einzelvertraglichen (arbeitsvertraglichen) oder kollektivvertragliehen (tarifvertraglichen) - Gestaltungsfreiheit im Bereich der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Gültige Differenzierungen können sich hier allein aus dem Leistungsbezug und Leistungserfolg der konkreten Dienst- oder Arbeitsleistung ergeben. Dieser Bezug und Erfolg läßt sich aber nicht anband allgemeingültiger, namentlich nicht anband primär ökonomischer Parameter erfahren27• Denn die Arbeitsleistung im öffentlichen Dienst ist :in ihrer gesetzlichen und in24 Zur diesbezüglichen Kritik am Kombinationsmodell von Status- und Folgerecht vgl. bes. H. Schneider, Wacke-Festschrift, 1972, S. 61 ff.; Quaritsch, ebenda, S. 29 ff.; Leisner, ZBR 73, 99 f.; Löwisch, in: Der öffentliche Dienst am Scheideweg, 1972, S. 49 (54 ff.); vgl. auch R. Scholz, Die Personalvertretung 1975, s. 86 ff. n Vgl. auch Schick, JZ 70, 449 f.; Leisner, ZBR 73, 97 ff.; Löwisch, S. 49 ff.; Isensee, Beamtenstreik, S. 129 ff.; Dagtoglou, in: Studienkommission, S. 112 f.; R. Scholz, in: Öffentlicher Dienst, S. 182 f. 28 Vgl. Löwisch, S. 61 f.; Isensee, S. 130; Quaritsch, Wacke-Festschrift, S. 41, 44f. 27 Vgl. bereits R. Scholz, in: Öffentlicher Dienst, S. 179 f.; auch F. Wagener, Neubau der Verwaltung, 1969, S. 299 ff.

Öffentliche Amtsverfassung - prlvate Arbeitsvedass\Uig

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haltlieh offenen Basis nicht wie die privatwirtschaftliche Arbeitsleistung meßbar. Im Gegensatz zu dieser ist sie nicht allein ökonomisch bestimmt und damit nicht interessenmonistisch veranlagt. Oder anders ausgedrückt: Das ökonomische Gesetz vom geringstmöglichen Aufwand bei größtmöglichem Erfolg gilt in der öffentlichen Verwaltung nur begrenzt28. Auch hier gilt zwar das Prinzip von der Optimalität des Nutzens; dieser ,ist aber nicht nur ökonomisch, sondern auch und primär bedarfsmäßi·g definiert2•,

2. Die Arbeitsleistung im öffentlichen Dienst dient und erfüllt vielfältige und nur in den seltensten Fällen eindeutig wirtschaftlich fixierte Zwecke; sie ist damit interessenpluralistisch veranlagt. Diese Pluralität dienstmäßiger (Verwaltungs-)Interessen baut in sich wiederum allein auf dem Gesetz und seiner Ordnungsentscheidung auf; diese Entscheidung ist aber politisch bestimmt, d. h. nicht wertmäßig (qualitativ) vorab bestimmbar bzw. vergleichenden Erfolgsparametern zugänglich. Aus diesen Gründen haben im öffentlichen Dienst bisher auch alle KostenNutzen-Analysen versagt80• Denn deren Maßstabstechnik ist für die öffentliche Verwaltung wie für den öffentlichen Dienst zu eng bzw. zu eindimensional. Die Meßbarkeit der Leistungen oder Leistungsfähigkeiten des öffentlichen Dienstes nennt zwar in der Tat eine der zentralen Fraeeund Problemstellungen der heutigen Verwaltungswissenschaft. ErkeMbare Lösungen lassen sich hier und vorerst noch nicht absehen. Erkennt man dies, so wird der Versuch, die Leistungen des öffentlichen Dienstes den Regeln privatautonomer Wertung und Disposition zu unterstellen, vollends fragwürdig. Offenkundig werden Fragwürdigkeiten dieser Art namentlich dort, wo auch die Bewertung von Dienstposten der tarüvertraglichen Folgerechtsregelung unterstellt werden soll. 3. Der Arbeitskampf bildet die kollektiv-rechtliche Form des Wettbewerbs am Arbeitsmarkt. Diese setzt wiederum die tarifvertragsrechtliche Dispositionsbefugnis der Tarüpartner und deren Gleichgewicht (Grundsatz der Koalitions-- bzw. Kampfparität) voraus31• Dies ist die !8 Vgl. näher bes. Luhmann, VerwArch 65, 303 ff.; Dagtoglou, in: Studienkommission, S. 37 f.; König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, 1970, S. 159 ff.; R. Scholz, in: Öffentlicher Dienst, S. 179 f.; Höhn, Verwaltung heute. Autoritäre Führung oder modernes Management, 1970, S. 141; zur allgemein akzessorischen, nicht wertautonomen Geltung ökonomischer Leistungsmaßstäbe vgl. bes. nachdrücklich schon Weisser, Wirtschaftspolitik als Wissenschaft. Erkenntniskritische Grundfragen der praktischen Nationalökonomie, 1934, S. 28 ff., 49 ff., 113 ff.; ders., FinArch 1937, S. 70 (79 ff.). " Richtig z. B. Höhn, Verwaltung heute. Autoritäre Führung oder modernes Management, S. 141. 10 Vgl. auch Dagtoglou, in: Studienkommission, S. 37; Emde, in: Öffentlicher Dienst und Gesellschaft- eine Leistungsbilanz, 1974, S. 115 (130); a. A. aber Fischer-Menshausen, in: Kaiser, Planung li, 1968, S. 73 (101). 81 Vgl. näher BAG, APArt. 9 GG Arbeitskampf Nr. 43; Kaiser, Die Parität der Sozialpartner, 1973; S. 4 ff. u. passim; Bötticher, Waffengleichheit und

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wesentliche Aussage der grundrechtliehen Garantie der Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG), die nach h. M. sowohl die Tarifautonomie als auch den Arbeitskampf gewährleistet32• Beide Gewährleistungen sollen nach Auffassung der Vertreter einer (partiell-)arbeitsrechtlichen Lösung des öffentlichen Dienstrechts auch für den öffentlichen Dienst gelten. Hierbei wird jedoch bereits übersehen, daß die Anwendung des Art. 9 111 GG auf den öffentlichen Dienst gerade in den Gewährleistungskomponenten von Tarifautonomie und Arbeitskampf den verfassungssystematischen Einschränkungen des Art. 33 IV, V GG mit den Folgen des Streikverbots für Beamte und des Vorbehalts der gesetzlichen Regelung für die "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" im Sinne des A-rt. 9 111 GG unterliegtU. Auch rechts- und verfahrenspolitisch ist an dieser Ordnungsentscheidung nichts zu ändern. Denn die Zulassung von Tarifautonomie und Arbeitskampf im öffentlichen Dienstrecht wäre auch aus der Sicht des Koalitionsrechts nicht sinn- bzw. verfassungskonform. Denn das Prinzip der gleichgewichtigen Auseinandersetzung der Tarifpartner fordert nach herrschender Arbeitsrechtslehre34 auch die Aussperrung als Gegenstück oder komplementäre Garantie zum Streikrecht35• Eine Aussperrung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes wird jedoch für eine Regierung in aller Regel nicht in Betracht kommen. Denn die Regierung unterliegt allein ihrem gesetzlichen Auftrag vor der Allgemeinheit; und diesem Auftrag kann sich nicht dadurch entziehen, daß sie ihre eigenen Verwaltungsfunktionell durch die Aussperrung ihres Verwaltungspersonals lahmlegt. Regierung und Verwaltung verfügen nicht über die (privatautonomen) Dispositionsbefugnisse des Arbeitgebers in der Privatwirtschaft. Wo dieser aus Gründen des Arbeitskampfes auch seinen Betrieb vorübergehend oder gar völlig stillegt, dort haben Regierung und Verwaltung ihren "Betrieb", d. h. den Staat, permanent funktionsfähig zu Gleichbehandlung der Arbeitnehmer im kollektiven Arbeitsrecht, 1956; Säcker, Gruppenparität und Staatsneutralität als verfassungsrechtliche Grundprinzipien des Arbeitskampfrechts, 1974, bes. S. 98 ff., 112 ff.; R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 262 ff., 316 ff., 353 ff. 32 Vgl. für die Tarifautonomie z. B. BVerfGE 4, 96 (106); 20, 312 (317); BAGE 2, 75 (77); 21, 201 (205); Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969, S. 71 ff.; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 1964, S. 102 ff. Für den Arbeitskampf vgl. z. B. BAGE 1, 291 (304 ff.); BAG, AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 43; Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 41 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 81 ff. 33 Zu dieser Beschränkung des Art. 9 II! GG vgl. näher bereits R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 333 f. 34 Vgl. z. B. BAGE 1, 291 (311); BAG, APArt. 9 GG Arbeitskampf Nr. 43; Bötticher, Waffengleichheit, S. 6 f.; Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 49; Richardi, RdA 66, 241 (248). 35 Vgl. für die hiesige Fragestellung z. B. Löwisch, in: Öffentlicher Dienst am Scheideweg, S. 66 ff.; R. Scholz, Die Personalvertretung 1975, S. 88 f.

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halten. Unter Arbeitskampfgesichtspunkten bedeutet dies aber, daß der öffentliche Dienstherr in der Tarifauseinandersetzung mit den Gewerkschaften der Bediensteten am kürzeren - koalitionsrechtlich gesprochen: paritätswidrigen - Hebel sitzt. Diese tatbestandlieh eindeutige Folge der arbeitsrechtlichen Lösung des Dienstrechts darf kein Reformgesetzgeber übersehen. Jede Öffnung des Dienstrechts zum Tarifvertragsrecht fordert die vorherige Sicherung auch der koalitionsrechtlichen Parität. Rechtstechnisch mag diese vielleicht auch ohne das Kampfmittel der Aussperrung zu erreichen sein; unerreichbar ist sie aber ohne ein wenigstens entsprechendes Kampfmittel wie beispielsweise die Massenänderungskündigung36. Verwaltungsrechtlich führte aber auch diese zur (gesetzwidrigen) Lahmlegung der staatlichen Verwaltung; auch dieses Kampfmittel wäre verwaltungsrechtlich damit unzulässig. 4. Unvereinbarkeiten dieser Art zwischen privateT ATbeitsveTfassung und äffentlieheT DienstveTjassung bestehen auch noch in anderer Richtung. Des näheren Eingehens auf diese bedarf es jedoch nicht, da schon anband der vorstehenden Erwägungen der grundsätzliche und rechtlich kaum zu überwindende Dissens zwischen den öffentlich-rechtlichen Bindungen des öffentlichen Dienstes und den privatautonomen Dispositionsbefugnissen des Arbeitsrechts offenbar geworden ist. Verfolgt man diesen Dissens freilich noch weiter, so zeigt sich, daß die Gründe, die gegen einen (partiell-)arbeitsrechtlich organisierten öffentlichen Dienst sprechen, weniger oder doch nicht primär im Recht des öffentlichen Dienstes selbst als mehr und bereits im Funktions- und Organisationsrecht der öffentlichen Verwaltung allgemein bzw. der öffentlichen AmtsveTjassung insgesamt liegen.

V. 1. Die öffentliche Amtsverfassung als StTuktuTprinzip der staatlichen Verwaltung formuliert die entscheidenden Einwände gegen eine (partiell-) arbeitsrechtliche Lösung des öffentlichen Dienstrechts. Bei näherem Zusehen ergibt sich jedoch auch, daß die eigentlichen, der bestehenden Organisation des öffentlichen Dienstes angelasteten Reformprobleme in Wirklichkeit oder doch zum überwiegenden Teil Probleme der bestehenden Verwaltungsstruktur bilden bzw. in ·d ieser angelegt sind. Die öffentlich-rechtliche Dienstverfassung (und nicht privatrechtliche Arbeitsverfassung) bildet zwar einen elementaren Bestandteil der öffentlichen Amtsverfassung; die strukturellen Probleme der letzteren lassen sich aber nicht allein auf dem Boden oder zu Lasten der ersteren lösen und beheben. Oder anders ausgedrückt: Strukturelle Probleme und 38 Vgl. z. B. Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, 1968, s. 57 f.

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Schwächen der gegebenen Verwaltungsorgane lassen sich in aller Regel nicht in der Person der für diese Organe bestellten Organwalter lösen. Der öffentliche Dienst beweist in seiner derzeitigen Struktur zwar viel Reformerfordernis; ein Großteil der momentanen Kritik am öffentlichen Dienst richtet sich in Wahrheit aber gegen die Organisation und Funktionsfähigkeit der Verwaltung. Eines der zentralen Mißverständnisse der gegebenen Reformdiskussion liegt mit anderen Worten in der weitgehenden Verwechslung von Anliegen und Zielen einer Verwaltungsreform mit solchen einer Dienstrechtsreform. Dies sei im folgenden anhand der wichtigsten Kritikpunkte ausgeführt. 2. Die öffentliche Verwaltung erfüllt im sozialen Leistungsstaat eine Fülle ökonomisch instrumentierter Dienstleistungsfunktionen. Sie hat sich immer komplizierteren Sachverhalten zu stellen. Sie hat im weitesten Umfange die wirtschaftlichen, sozialen und technischen Voraussetzungen einer funktionierenden Leistungs- und Industriegesellschaft zu schaffen oder zu sichern. An diese Tatbestände knüpfen sich Behaup. tungen und Argument, daß der öffentliche Dienst und hier namentlich das Berufsbeamtenturn nicht mehr imstande seien, diesen neuartigen Verwaltungsfunktionen mit dererforderlichen Funktions- und Leistungsfähigkeit zu begegnen. Für diese Funktionen bedürfe es statt dessen eines Verwaltungspersonals, das nicht nach hierarchisch-bürokratischen, sondern nach ökonomischen Funktionsregeln agiere. Denn, so heißt es, ein hierarchisch organisierter und bürokl'latisch verfahrender öffentlicher Dienst sei zu statisch, zu unbeweglich, zu wenig verantwortlich bzw. verantwortungsbewußt, zu unelastisch, zu autoritätsgläubig usw.37• Statt dessen bedürfe es eines öffentlichen Dienstes, dessen Struktur managementmäßig angelegt sei; denn nur der als Manager o. ä. operierende soziale "Arbeitsbürger"38 sei vor den Hemmnissen und Leistungsmängeln des hierarchisch gebundenen Bürokraten sicher38• Hinter diesen und ähnlichen Argumentationen verbergen sich nicht nur - fast zur Karikatur herausfordernde- Miß- oder Unverständnisse von Hierarchie, Bürokratie und Managementkonzeption. Hinter diesen Argumentationen verbergen sich auch nicht nur bestimmte ideologische Strategien, denen ein öffentlicher Dienst, der sich mit staatlicher Autorität und gesetzlicher Verantwortung identifiziert, Dorn im Auge sein muß. Hinter diesen Argumentationen stehen auch berechtigte Kritiken ver17

Vgl. im einzelnen die Nachweise oben N. 3.

as Zeidler, DVBI 73, 723. 88 Vgl. z. B. Hartjiel, Ideologie und Arbeitsplatzstruktur, S. 12 ff., 14 ff.; vgl. in grundsätzlicher Kritik auch Ellwein-Zoll, Berufsbeamtentum, S. 229, 244 f.; Sontheimer-Bleek, in: Studienkommission, S. 261 ff., 276 ff.; Kölble, DOV 70, 454 f .; Zeidler, DVBI 73, 723 ff.

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waltungspolitischer Art. Dies bedeutet zugleich allerdings, daß es sich nicht oder nicht primär um berechtigte Kritiken dienstpolitischer Art handelt bzw. handeln kann. Die heutige Verwaltung ist in der Tat an vielfachen Stellen auf neue, beweglichere Organisations- und Verfahrensformen angewiesen. Die öffentliche Verwaltung ist in wachsendem Maße auch auf ökonomische Organisations- und Verfahrenstechniken angewiesen40. Die klassisch hierarchisch-bürokratische Bauform der Verwaltung bedarf unzweifelhaft neuer Zweckrationalitäten, neuer Reagibilitäten und verstärkter Effizienzkontrollen41. Dies ist die kaum noch in Frage gestellte Bilanz der bisherigen Debatte um die funktionale Verwaltungsreform. In diesem Zusammenhang hat man sich nicht nur begrifflich-methodisch daran gewöhnt, verwaltungsrechtliche Hierarchien und Kompetenzverhältnisse verstärkt auch als (quasi-) industrielle Handlungsabläufe zu verstehen42• Man hat vielmehr und mit Recht auch auf deren Effizienzverständnis zurückgegriffen, um innerhalb der öffentlichen Verwaltung Effizienzsteigerungen zu erreichen. Auf der anderen Seite wird aber mit genausoviel Recht betont und festgehalten, daß verwaltungsmäßige Leistung und Effizienz eben nicht rein kommerziell bestimmbar sind43 (Prinzip der verwaltungsmäßigen Interessenpluralität und damit auch der leistungsmäßigen Pluralität); und dies bedeutet, daß jedes ökonomische Leistungsoder Effizienzkriterium nur begrenzte (relative) Bedeutungskraft für die öffentliche Verwaltung besitzt oder zu erreichen vermag". 3. Hinzu kommt ein weiteres: Hierarchie und bürokratisches Verwaltungsverfahren sind nicht, wie z. T. in vordergündiger Vereinfachung behauptet wird, Ausdruck und Schema mehr oder weniger erstarrter Subsumtionsmechanismen innerhalb der öffentlichen Verwaltung46 • Sie sind vielmehr Form und Ausdruck rechtsstaatlich und demokratisch gebundener wie kontrollierter Verwaltung; und mit dieser Maßgabe ist eine prinzipiell hierarchisch-bürokratische Verwaltungsorganisation unverzichtbar. Die Hierarchiediskussion ist im übrigen auch in der Frage der 40

Vgl. sehr abgewogen hierzu zuletzt Eichhorn, Wolff-Festschrift, 1973,

s. 39 ff.

41 Zur modernen Hierarchiedebatte vgl. bes. Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 1974, S. 161 ff.; ders., Staat 64, 129 (139 ff.); Höhn, Verwaltung heute. Autoritäre Führung oder modernes Management, bes. S. 63 ff., 108 ff., 127 ff.; Lepper, Die Verwaltung 1972, S. 141 ff.; Laux, in: Aktuelle Probleme der Ministerialorganisation, 1972, S. 317 ff.; Schnur, in: Demokratie und Verwaltung, 1972, S. 557 ff.; Schönfelder, Hierarchie und Management im Wandel der öffentlichen Verwaltung, 1972, bes. S. 13 ff., 92 ff.; Hartfiel, Ideologie und Arbeitsplatzstruktur, S. 5 ff.; Wahl, Staat 74, 383 (395 ff.); R. Scholz, VSSR 73, 283 (293 ff.). 42 König, Erkenntnisinteressen, 5.121. 43 Vgl. z. B. Zeidler, DVBl 73, 726. 44 Vgl. die Nachweise oben N. 28. 45 Vgl. so z. B. Hartfiel, S. 24 f.

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Effizienz noch längst nicht ausgetragen; die grundsätzlichen Erkenntnisse Max Webers48, gerade zur stabilisierenden Funktion einer hierarchischen Organisati011, sind in viielfacher Hinsicht unverändert richtunggebend geblieben. Den Kritikern des Hierarchieprinzips ist lediglich zuzugeben, daß dessen Anwendung heute erheblich differenzierter und z. T. auch ungleich offener als zu Zeiten rein gesetzesvollziehender Verwaltung erfolgen muß. Gleichgültig jedoch, welche Konsequenzen man aus dieser Einsicht ziehen will, jedenfalls haben sich diese im Rahmen einer Verwaltungsreform und nicht im Rahmen einer Dienstrechtsreform zu erfüllen. 4. Ähnlich ist die Frage nach der managementmäßig orientierten Verwaltung zu beantworten. Der Begriff des Managements ist wirtschaftswissenschaftlicher Art und beschreibt hier eine bestimmte - in sich freilich gleichfalls umstrittene - Funktionsstruktur, die für die öffentliche Verwaltung nur im Bereich der öffentlichen Unternehmen bzw. der öffentlichen Betriebsverwaltungen in Betracht kommen kann47• Eine wirklich gültige und praktikable Managementkonzeption ist für die öffentliche Verwaltung bisher aber noch nicht entwickelt worden48 • Der Grund dafür liegt jedoch nicht bei irgendwelchen, vermeintlich elementaren Unterschieden zwischen "Staatsdiener" und "Unternehmungsdiener" (hier bestehen in Wahrheit heute schon kaum noch sehr gravierende Gegensätze) 49 ; der Grund hierfür liegt wiederum im Problem der Verwaltungsorganisation selbst. Die wirtschaftende Verwaltung bedarf unzweifelhaft auch ökonomisch rationaler Organisationsformen. Der "öffentliche Verwaltungsbetrieb", das "öffentliche Unternehmen" oder im kommunalen Bereich auch der Eigenbetrieb bilden solche Organisationskategorien, die namentlich dadurch gekennzeichnet sind, daß sie von der allgemeinen Verwaltung geschieden bzw. dieser gegenüber partiell verselbständigt sind. Diese organisatorische Sonderstellung der öffentlichen Wirtschaftsverwaltungen erklärt sich aus deren spezifisch ökonomischer Zielsetzung. Andererseits impliziert diese Organisationsstruktur aber keine uneingeschränkte ökonomische Ausrichtung solcher Verwaltungen. Denn deren Grundziel und Grundlegitimation bleibt metaökonomisch, d. h. verwaltungsrechtlich. Jede öffentliche Wirtschaftsverwaltung dient zunächst einem bestimmten wirtschafts- oder sozialpolitischen Zweck (Versorgung etc.); (unternehVgl. Wirtschaft und Gesellschaft, 1956, 1. Halbband, S. 160 ff. Vgl. hierzu grundlegend jetzt Reichard, Managementkonzeption des öffentlichen Verwaltungsbetriebes, 1973; vgl. weiterhin hierzu, freilich zu einseitig, Höhn, Verwaltung heute. Autoritäre Führung oder modernes Management, 1970; Schönfelder, Hierarchie und Management im Wandel der öffentlichen Verwaltung, 1972. 48 Vgl. Reichard, passim, und zusammenfassend 8.183. 49 Vgl. eindrucksvoll hierzu wiederum Reichard, S . 183 sowie passim. 48

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mens-)wirtschaftlich sind allein ihre Instrumentarien zur Erreichung jenes Zwecks. In diesem Sinne kann man zwar von "formeller", nicht aber von "materieller" Wirtschaft wie im Bereich der Privatwirtschaft mit ihren rein ökonomisch ausgerichteten Zielsetzungen (Gewinnmaximierung) sprechen50• Jeder Einsatz ökonomischer Organisations-, Verhaltensoder Zielkategorien innerhalb der öffentlichen Verwaltung untersteht dem Vorbehalt der rechtlichen (gesetzlichen) Zweckermächtigung. Eine "freie Wirtschaft" im Sinne reiner ("materieller") Erwerbswirtschaft ist dem Staat bekanntlich grundsätzlich verschlossen, die schmalen Bereiche statthafter Fiskalität ausgenommen. Nur in jenem letzteren Bereich kann sich demgemäß die Frage einer voll betriebswirtschaftliehen Unternehmens- und Leistungsstruktur stellen; nur hier sind "staatliches" und "privates" Management voll miteinander vergleichbar. Im Bereich wirtschaftender Verwaltung gilt jedoch wesentlich Anderes. Hier sind zunächst die Ziel-, Verfahrens- und Organisationsgrundsätze der allgemeinen öffentlichen Amtsverfassung maßgebend; und erst sekundär kann unter ökonomischen Effizienzaspekten auf Managementkonzepte etc. zurückgegriffen werden. Auch diese haben für die öffentliche Verwaltung nur instrumentalen Rang. Organisatorisch vorgegebene oder gar automatische Konvergenzen bestehen zwischen Privat- und Verwaltungswirtschaft nicht. Diese Feststellung gehört für Verwaltungsrecht und Verwaltungsreform längst zum Selbstverständlichen. In der Diskussion um die Dieostrechtsreform scheint man sie aber, zumindest mancherorts, vergessen zu haben. Dies offenbart sich vor allem dort, wo für den öffentlichen Dienst ohne Rücksicht auf Verwaltung und Verwaltungsorganisation Managementkonzepte gefordert oder befürwortet werden.

VI. 1. Der öffentliche Dienst ist ein Teil der öffentlichen Verwaltung. Die öffentliche Verwaltung untersteht vor Gesetz und Verfassung ihrem institutionellen Amtsauftrag. Dieser bestimmt die Struktur der öffentlichen Amtsverfassung. Diese ist damit auch für die Organisation des öffentlichen Dienstes maßgebend; oder anders ausgedrückt: Zwischen Dienstverfassung und Amtsverfassung besteht ein unlöslicher Konnex.

Dieser Konnex liegt auch in dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG zugrunde. Wo es um die Wahrnehmung entsprechend staatlich-öffentlicher Aufgaben geht, dort soll das Berufsbeamtenturn zuständig sein; denn dessen öffentlich-rechtliche Organisation .gewährleistet jenen 50 Vgl. bereits R. Scholz, Das Wesen und die Entwicklung der ,gemeindlichen öffentlichen Einrichtungen, 1967, S. 114 f.

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Konnex. Die öffentliche Amtsverfassung untersteht notwendig der gesetzlichen und verwaltungsrechtlichen Organisationsgewalt. Die Organisation der öffentlichen Ämter darf aus ihr nicht entlassen werden, da andernfalls der gesetzlich-demokratische Funktionsauftrag der öffentlichen Verwaltung dem Einfluß oder der Disposition außerstaatlicher, d. h. nicht gesetzlich verantwortlicher Instanzen unterläge. Dies verstieße jedoch, wie gezeigt, namentlich dann gegen die Verfassungsgrundsätze des demokratischen Rechtsstaates, wenn die Organisation der öffentlichen Ämter "vergesellschaftet", d. h. nicht entsprechend legitimierten gesellschaftlichen Gruppen unterstellt würde. Vor jeder derartigen "Vergesellschaftung" ist die öffentliche Amtsverfassung zu sichern. Am deutlichsten wird dies bei der Frage der (paritätischen) Mitbestimmung in der öffentlichen Verwaltung; eine solche Mitbestimmung wäre verfassungswidrig61. Das gleiche zeigt sich an "vergesellschaftenden" Vorgängen, wie sie die im Regierungsentwurf zum Postverfassungsgesetz angestrebte Neuorganisation der Bundespost zum "öffentlichen Unternehmen"62 mit dominierender Leitungsmacht außerstaatlicher Repräsentanten verdeutlicht63• 2. Die Trennung von Staat und Gesellschaft schließt damit auch "Vergesellschaftungen" des öffentlichen Dienstes aus. Denn ein "vergesellschafteter" öffentlicher Dienst implizierte auch den Schritt zur (partiellen) "Vergesellschaftung" der öffentlichen Amtsverfassung.· Eine solche "Vergesellschaftung" des öffentlichen Dienstes kann einmal durch unmittelbare Beteiligung außerstaatlicher Kräfte an der staatlichen Personalhoheit und kann zum anderen auch mittelbar durch entsprechende Veränderungen in der rechtlichen Struktur der Dienstverfassung selbst bewirkt werden. Die überkommene Struktur der Dienstverfassung heißt öffentliches Dienstrecht (Beamtenrecht) zumindest für alle politisch essentiellen Staatsaufgaben. Diese Struktur bildet die logische Konsequenz der öffentlichen Amtsverfassung, da mit der öffentlich-rechtlichen (gesetzlichen) Organisation des öffentlichen Dienstrechts der staatliche Organisations- und Regelungsvorbehalt auch in diesem Teilbereich der Amtsverfassung erhalten blieb bzw. bleibt. st

Vgl. näher hierzu bes. Leisner, Mitbestimmung im öffentlichen Dienst,

1970, S. 39 ff., 44 ff., 62 ff., 65 ff.; Ossenbühl, Erweiterte Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1972, S. 35 ff.; Obermayer, Mitbestimmung in der Kommunalverwaltung, 1973, S. 22 ff.; Püttner, in: v. Oertzen, "Demokratisierung" und Funktionsfähigkeit der Verwaltung, 1974, S. 73 ff.; BiedenkopfSäcker, ZfA 1971, 211 ff.; R. Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz 1974, S. 30 f. st Vgl. Gesetzesentwurf vom 25.1.1973, BT-Drucks. 7/81.

ss Vgl. näher und kritisch hierzu bereits R. Scholz, Funktionsfähige Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat. Zweifelsfragen zur geplanten Neuordnung der Postverfassung, Sonderpublikation des Deutschen Postverbandes 1973, S. 5 ff.; ders., Staat 74,92 f.

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Überließe man diesen Teilbereich dagegen einem "Privatdienstrecht" bzw. einer arbeitsrechtlichen Organisation, so wäre damit auch die rechtliche (Teil-)Privatisierung der öffentlichen Amtsverfassung verbunden; und eine solche organisationsrechtliche Privatisierung schlösse politisch die (mittelbare) "Vergesellschaftung" der öffentlichen Amtsverfassung mit eip.. Am deutlichsten offenbart sich dies bei der trarifvertraglichen Regelung der Dienstbedingungen, sprich: "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" im Sinn des Art. 9 III GG. 3. Die Übernahme arbeitsrechtlicher Strukturprinzipien in die (öffentliche) Dienstverfassung und damit auch in die öffentliche Amtsverfassung untersteht folglich den vorstehenden Vorbehalten. Der spezifisch dienstrechtliche Sinngehalt dieser Vorbehalte findet sich in der Bestimmung des Art. 33 IV GG konzentriert. Dies haben alle diejenigen zu beachten, die über eine schlichte Verfassungsänderung im Bereich des Art. 33 GG zu einer partiell arbeits- bzw. privatrechtliehen Organisation des öffentlichen Dienstes gelangen wollen. Selbst mit einer solchen formellen Verfassungsänderung wären die (unveränderlichen) Vorbehalte des demokratischen und rechtsstaatliehen Verfassungsprinzips und deren Votum für eine öffentliche Dienstverfassung als Teil der notwendig öffentlichen Amtsverfassung kaum zu umgehen.

Über eine sinngerechte Transformation einzelner Elmente des Arbeitsrechts in das Recht des öffentlichen Dienstes ließe sich sicher diskutieren. Die bisherigen Vorschläge hierzu namentlich in Gestalt des Modells um Status- und Folgerecht enthalten jedoch keine sinngerechte Transformationslösung dieser Art. Über die Brücke der tarifvertragliehen und arbeitskampfrechtlichen Ausfüllung des Folgerechts droht vielmehr die nicht verfassungskonforme Aushöhlung der öffentlichen Dienstverfassung. 4. Jede aktuelle Reformpolitik zum Recht des öffentlichen Dienstes hat zu beachten, daß sie über eine Reform des öffentlichen Dienstrechts nicht Aufgaben einer Verwaltungsreform lösen kann. Jede Reformpolitik dieser Art sollte sich schließlich vor jeder voreiligen Strukturänderung die bestehenden und erfahrungsgemäß uiiverzichtbaren Vorzüge eines unabhängigen, allein dem Gesetz unterworfenen Berufsbeamtenturns vor Augen halten. Eine (partiell-)arbeitsrechtliche Lösung des öffentlichen Dienstrechts gäbe diese Vorzüge zum großen Teil preis. Die Richtigkeit dieser Prophezeiung belegen nicht nur ausländische Erfahrungen vielfältiger Art. Sie belegen auch und gerade Erfahrungen aus dem System der DDR, das als sozialistische Zentralverwaltungswirtschaft auf einen besonders verfaßten öffentlichen Dienst verzichtet hat54 u Vgl. allerdings anders noch Art. 3 VI DDR-Verfassung vom 7. 10. 1949.

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und alle "Mitarbeiter in den Staatsorganen", gleichgültig, ob diese - im westlichen Sprachgebrauch - wirtschaftliche oder verwaltende Funktionen wahrnehmen, dem für alle Arbeitnehmer geltenden Gesetzbuch der Arbeit vom 12. 4. 1961 (GBl I S. 27) unterstellt hat55 • Die tatsächliche Rechtsentwicklung in der DDR hat jedoch gezeigt, daß selbst dieses System die (fiktive) Einheit im Status von allgemeinem Arbeitnehmer und Verwaltungsbedienstetem nicht durchhalten kann. Ohne daß man dies freilich ausdrücklich zugestanden hätte, hat sich unter dem Mantel jener fiktiven Rechts- und Statuseinheit längst wieder ein spezielles Dienstrecht für einzelne und besonders wichtige Gruppen unter den "Mitarbeitern in den Staatsorganen" entwickeltM. Die Gründe hierfür liegen, wie ein näheres Zusehen leicht ergibt, auf der Hand: Auch der sozialistische Staat bzw. der Staat, der ·die (rechtsstaatliche) Distanz von Staat und Gesellschaft verneint, kann auf die besonderen Amtspflichten und die besondere (Gemeinwohl-)Verantwortung eines speziell öffentlich Bediensteten nicht verzichten. Für diesen Staat stellt sich zwar nicht das Problem einer "vergesellschafteten" Amtsverfassung. Unter den Aspekten eines effizienten, funktionsfähigen und verantwortlichen öffentlichen Dienstes sind die Unterschiede zum demokratischen Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland aber keineswegs so groß, wie man auf den ersten Blick vielleicht anzunehmen geneigt wäre. Und daraus folgt, daß eine Reformpolitik zum Recht des öffentlichen Dienstes, die die Vorzüge eines Berufsbeamtenturns überkommener Ordnung nicht hinreichend zu würdigen vermöchte, gegebenenfalls aus den Erfahrungen und Bestrebungen in jenen' Ländern, die über ein solches Berufsbeamtenturn als stabilen Grundstock der öffentlichen Amtsverfassung (bisher) nicht verfügen, lernen kann und lernen sollte.

55 Vgl. näher Mampet, ZBR 68, 165 ff.; zu Funktion und System des Arbeitsrechts in der DDR vgl. allgemein bes. Pleyer/Lieser-Triebnigg, RdA 71, 65 ff.; Mampet, Arbeitsverfassung und Arbeitsrecht in Mitteldeutschland, 1966, bes. s. 29 ff., 177 ff., 181 ff. 5e Vgl. hierzu näher die Nachweise in: Materialien zum Bericht der Lage · der Nation 1974, BT-Drucks. 7/2423, Kapitel: Die öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR, Tz 1186 mit N. 212 ff.

Das Streikrecht der Beamten Von WernerWeber

I. Eine Streikfreiheit der Beamten gibt es im geltenden deutschen Recht nicht. Gemeint ist hierbei nicht eine Arbeitsverweigerung beliebiger Art, die, von Maßnahmen im Rahmen des Widerstandsrechts nach Art. 20 Abs. 4 GG abgesehen, ohnehin unzulässig wäre. Vielmehr richten wir unsere Betrachtung nur auf eine Arbeitsniederlegung, die unter Autorisation durch eine gewerkschaftliche Vereinigung zur Verbesserung der Arbeits- und Lohnbedingungen geschieht. Das Recht zu einem solchen Streik haben die deutschen Beamten nicht, obwohl auch sie darin frei sind, Koalitionen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG zu bilden und obgleich den Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes, von einer allerdings bedeutenden Mindermeinung abgesehen1, das Streikrecht zuerkannt wird. Im übrigen soll die Problematik eines Streiks der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes außer Betracht bleiben; es geht hier nur um die Streikfreiheit der Beamten. Daß die Beamtenaufgrund der Vereinigungsfreiheit das Recht haben, sich in Gewerkschaften oder Berufsverbänden zusammenzuschließen, ist unstreitig; § 57 BRRG und § 91 BBG sagen es ausdrücklich. Die Beamten nehmen also teil an der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG2• Würde Art. 9 Abs. 3 GG mit der Koalitionsfreiheit auch Kampfmittel und als ultima ratio auch das Streikrecht umschließen, so würde dieses Recht an sich auch den Beamten zustehen. Nun gibt es eine große und sich mehrende Anzahl von Stimmen, die das Recht zum Streik als Kampfmaßnahme von der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG als umschlossen ansehen, es also als verfassungsrechtlich gewährleistet be1

Ein Streikverbot für alle im öffentlichen Dienst Tätigen nehmen die bei

Josef Isensee, Beamtenstreik (1971), S. 77 Anm. 1 zitierten Autoren an. Zu ihnen treten noch hinzu Ernst Forsthoff, Rechtsgutachten in Anlagenband 5 zu

dem Bericht der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts (1973), S. 52 ff. und Franz Mayer, Arbeitskampf im öffentlichen Dienst, BayVBl. 1973, 225 ff., 229 ; derselbe, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, ZBR 1974, 275 ff., 278 f.; Gerhard Wacke, Im öffentlichen Dienst gibt es kein Streikrecht, FAZ Nr. 79 vom 3. April1974. 2 So auch BVerfGE 19, 303 (322).

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trachten und seine Herleitung aus Art. 2 Abs. 1 GG damit verwerfen3 • Seitdem· durch die Novelle von 1968 in Art. 9 Abs. 3 GG als Satz 3 eine Erwähnung der Arbeitskämpfe eingefügt ist, .gegen die sich Maßnahmen im Rahmen des Notstandes nicht richten dürfen, hat diese Auffassung weitere Unterstützung gefunden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 28, 295 ff. [304]) hat betont, Art. 9 Abs. 3 GG schütze nicht nur- als Individualgrundrecht- für jedermann das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, sondern auch die Koalitionen als solche, ihren Bestand und ihr Recht, durch spezifisch koalitionsgemäße Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen4 • Arbeitskampfmaßnahmen und als äußerstes Mittel auch den Streik wird man mithin als verfassungsrechtlich anerkannt ansehen müssen. Was diese Anerkennung bedeutet und ob nicht der Gesetzgeber das Streikrecht, da Art. 9 Abs. 3 GG nur einen Kernbereich der Koalitionsbetätigung schützt5, bei der Ausformung der institutionellen Garantie der Koalitionsfreiheit wenigstens für bestimmte Personengruppen, bestimmte Lagen und bestimmte Tätigkeiten beschränken könnte, kann hier dahingestellt bleiben. Denn daß die Koalitionsfreiheit das Streikrecht nicht zwingend einschließt, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 18, 18 ff.) mit der Wendung anerkannt, daß bei verfassungskonformer Auslegung (Art. 9 Abs. 3 GG) der Begriff der Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes nicht nur kampfwillige Organisationen umfasse. Vor allem steht, was die Beamten betrifft, dem Art. 9 Abs. 3 GG die Vorschrift in Art. 33 Abs. 5 GG gegenüber, daß das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns zu regeln ist. Diese institutionelle Garantie des Berufsbeamtenturns ist nicht nur ein Programmsatz oder eine bloße Anweisung an den Gesetzgeber, sondern unmittelbar geltendes Recht, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt betont hat (BVerfGE 8, lff. [17]; 9, 268ff. [286]; 15, 167ff. [195]). Sie umschließt auch den Grundsatz, daß der einzelne Beamte keine eigenen rechtlichen Möglichkeiten hat, "auf die nähere Ausgestaltung seines Rechtsverhältnisses, insbesondere auf die Höhe seines Gehalts, einzuwirken; ebensowenig ist er nach hergebrachten Grundsätzen befugt, zur Förderung gemeinsamer Berufsinteressen kollektive 3 Vgl. die bei Josef Isensee, Beamtenstreik (1971), S. 28 Anm. 7 Zitierten; ferner etwa Manfred-Carl Schinkel, Arbeitskampf im öffentlichen Dienst, ZBR 1974,282 ff., 284. ' Ähnlich schon vorher BVerfGE 17, 319 (333); 18, 18 (26); 19, 303 (312,

314); 20,312 (317, 320). 5 So BVerfGE 18, 18 (27); 19,303 (321 f.); 28,295 (305).

Das Streikrecht der Beamten

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wirtschaftliche Kampfmaßnahmen zu ergreifen. Er ist auf die Regelung angewiesen, die sein Dienstherr als Gesetzgeber getroffen hat" (BVerfGE 8, 17). Daß dies ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns sei, hat das Bundesverfassungsgericht mit Recht angenommen. Denn dem monarchischen Staatswesen bis 1918 war der Beamtenstreik unbekannt. Auch die Weimarer Republik hat nach anfänglichen Zweifeint den Streik der Beamten als unzulässig verworfen7 und hat daran mit vollkommener Selbstverständlichkeit festgehalten. Dieser Aufassung hat man sich nach 1949 angeschlossen. Im Bundesbeamtengesetz wurde ein anfänglich darin enthaltener Paragraph, der den Streik verbot, weggelassen, weil das Strei.kvel'bot eine Selbstverständlichkeit sei8 • So ist das Streikverbot unbestreitbar zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtenturns zu rechnen9 • Damit aber modifiziert Art. 33 Abs. 5 GG für Beamte den Art. 9 Abs. 3 GG dahin, daß Beamte aus Art. 9 Abs. 3 GG das Recht zu besoldungs- oder arbeitspolitischen Kampfmaßnahmen nicht herleiten können. Daß die Verfassungsvorschrift des Art. 33 Abs. 5 GG den Rang und die Kraft besitzt, das aus Art. 9 Abs. 3 GG hergeleitete Streikrecht für die Beamten zu verneinen, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Auch Streiksurrogate, wie Bummelstreik, mögen sie sich ·als "Dienst nach Vorschrift" oder wie immer einkleiden, sind danach ausgeschlossento. Es fehlt für einen Beamtenstreik auch der legitimierende Zweck, zu einem Tarifabschluß hinzuführen. Die arbeitsrechtlichen Kampfmaßnahmen, zu denen als ultima ratio der Streik gehört, finden ihre Rechtfertigung darin, einen neuen Tarifvertragsabschluß herbeizuführen. Hier wird in Auseinandersetzungen zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern in einer der Marktwirtschaft und dem Arbeitsmarkt insbesondere entsprechenden Weise um die Verteilung von Erträgen und e Dazu Isensee, Beamtenstreik, S. 56 f.

Eine Notverordnung des Reichspräsidenten vom 1. Februar 1922 (RGBl. I S. 187) hatte bestimmt, daß den Beamten der Reichsbahn ebenso wie allen übrigen Beamten nach dem geltende!) Beamtenrecht die Einstellung oder Verweigerung der ihnen obliegenden Arbeit verboten sei. s Der Ausschußbericht des Abg. Kleindienst (Nachtrag zur BundestagsDrucks. 1/4246, S. 8) rechtfertigte die Streichung des § 57 mit dem Bemerken, das Verbot des Beamtenstreiks sei in den Rechtsvorstellungen der Beamten wie der Staatsbürger so fest verankert, daß der Ausschuß die Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift ins BBG für entbehrlich gehalten habe. e Mit Recht hat Wolfgang Zöllner, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 9 Abs. 3 GG, AöR 98 (1973), S. 71 ff. (93) hervorgehoben, daß dieser Satz des Bundesverfassungsgerichts merkwürdigerweise in der Diskussion über das Streikrecht der Beamten wenig hervorgehoben worden sei. 10 So auch Josef Isensee, Dienst nach Vorschrift als vorschriftswidriger Dienst, JZ 1971, 73 ff.; derselbe, Beamtenstreik, S. 143 ff.; Hans-Dietrich Weiss, "Dienst nach Vorschrift" als Dienstvergehen, ZBR 1973, 221 ff.; Manfred-Carl Schinkel, Arbeitskampf im öffentlichen Dienst, ZBR 1974, 282, 288 f. r

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Gewinnen gerungen und schließlich ein Ausgleich gefunden, der in einem Tarifvertrag die Bedingungen innerhalb der Unternehmerwirtschaft neu ordnet. Die Rechtsverhältnisse des Beamten hingegen, seine Besoldungs- und Versorgungsbeziehungen sind bis in die letzten Einzelheiten gesetzlich festgelegt. Änderungen sind nur durch den Gesetzgeber im Wege der Gesetzgebung möglich. Der Adressat eines Beamtenstreiks wäre also der Gesetzgeber selbst, und Sinn des Streiks wäre es, ihn zu einem bestimmten Handeln zu nötigen, wofür er die Mittel nicht im Rahmen wirtschaftlicher Disposi~ionen zu gewinnen, sondern sie durch Erhöhung von Steuereinnahmen oder durch Einsparungen im Haushalt zu erzielen hätte. Der Beamtenstreik würde also in weit stärkerem Umfange als ein Streik im Bereich der Wirtschaft nicht den "Arbeitgeber" Staat berühren als die betroffene Allgemeinheit, er würde dadurch den für das Wohl der Allgemeinheit verantwortlichen Gesetzgeber in arge Verlegenheit bringen und ihn zu Maßnahmen nötigen, die er aus seiner Verantwortung als Mandatar des Volkes nicht getroffen hätte. Hier ergäbe sich sofort und unmittelbar der Tatbestand, daß der streikende Beamte dem Gesetzgeber selbst gegenübertritt und auf ihn mit massivem Druck Einwirkungen ausübt, die ihn in seiner demokratischen Legitimation beeinträchtigen. Es liegt auf der Hand, daß diese handfeste Einflußnahme auf den demokratischen Gesetzgeber den Beamtenstreik zu einem antidemokratischen Kampfmittel, daß er ihn zu einem - verbotenen - politischen Streik werden lassen würde, der mit dem Streik im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG wenig oder nichts mehr gemein hätte11 • Ein Beamtenstreik wäre deshalb unzulässige politische Druckausübung; er würde nicht zu einem Tarifvertragsabschluß hinführen und wäre von Art. 9 Abs. 3 GG her nicht zu rechtfertigen. Ihm steht auch entgegen, daß der Staat als Gegenspieler streikender Beamter das dem Streik entsprechende Kampfmittel, nämlich die suspendierende oder auflösende Aussperrung, nicht anwenden könnte. Denn die geltenden Gesetze lassen eine solche Aussperrung nicht zu, und ihr Ausspruch verbietet sich auch deshalb, weil der Staat um der notwendigen Erfüllung der öffentlichen Aufgaben willen das Tätigwerden der Beamten nicht ausschließen kann12• So ist sich denn auch die erdrückende Mehrheit der Stimmen des Schrifttums darin einig, ein Streikrecht des Beamten nicht anzuerkennen13. Die Mehrheit der Studienkommission für die Reform des öffent11 Anderer Ansicht, aber mit unzutreffender Begründung Friedrich E. Schnapp, Beamtenstreik-Eine Zwischenbilanz, DÖV 1973, 32 ff., 38 f. 12 So auch neben anderen Carl Hermann Ule, Gutachten in: Verfassungs-

rechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, Anlagenband 5 zum Bericht der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts (1973), S. 485 ff.; Franz Mayer, Gutachten ebenda, S. 669 f.

Das Streikrecht der Beamten

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liehen Dienstrechts hat sich gleichfalls allgemein gegen ein Streikrecht im öffentlichen Dienst erklärt14 , und die Minderheit hält jedenfalls die Anerkennung eines Streikrechts der Beamten de lege lata nicht für zulässig; es müsse zunächst Art. 33 Abs. 5 GG geändert werden15• Von den Gutachtern der Studienkommission lehnen Ernst Forsthoff, Walter Schick, Carl Hermann UZe und Franz Mayer ein Streikrecht für Beamte ab16.

II. Diese bis zum Jahre 1966 unbestrittene Auffassung ist neuerdings (in den Jahren 1966 bis 1970) durch mehrere Autoren in Zweifel gezogen worden. Ihre Darlegungen machen es notwendig, den· Dingen weiter nachzugehen. Daß es ein Streikverbot für Beamte gebe, ist zunächst von Reinhard Hoffmann bestritten worden17• Er mißt entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dem Art. 33 Abs. 5 GG nur die Bedeutung einer Anweisung an den Gesetzgeber für die künftige Regelung des Beamtenrechts bei und meint außerdem, daß diese Bestimmung auch nicht den Gesetzgeber zu einem Streikverbot für Beamte verpflichte (S. 150). Im übrigen ist er der Ansicht, zum kollektiven Arbeitskampf gehöre in der demokratischen Gesellschaft notwendig das Streikrecht. Daher könne es für die Beamten nicht ausgeschlossen werden. Ein Streikverbot für Beamte würde in der Bundesrepublik mehr als eine Million abhängiger Arbeitnehmer daran hindern, in wichtigen Bereichen der demokratischen ·Gesellschaft mitzuentscheiden (S. 187). Alle dagegen erhobenen Bedenken werden von Hoffmann in den Wind geschlagen. Eberhard Menzel stellt das Streikverbot für Beamte vor allem deshalb in Frage, weil der Streik dem die gleiche Funktion ausübenden Angestellten erlaubt und weil auch im Ausland der Beamtenstreik anerkannt seP8 • 1s Vgl. die bei Isensee, S. 13 f. Anm. 7 und 9 zitierten Autoren; ferner etwa SchinkeZ, ZBR 1974, 282 ff.; Franz Mayer, BayVBl. 1973, 225 ff.; Dietmar Seidel,

DVBI. 1974, 141 ff. u Bericht der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts (1973), Tzn. 891 ff. u Bericht, Tzn. 961 ff., 976. 16 Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, Anlagenband 5 zum Bericht der Studienkommission (1973): Ernst Forsthoff, S. 50 ff.; WaZter Schick, S. 252 ff.; CarZ Hermann Ule, S. 481 ff.; Franz Mayer, S. 663 ff. 17 Reinhard Hoffmann, Beamtenturn und Streik, AöR 91 (1966), S. 141 ff. 18 Eberhard Menzel, Die strukturelle Desorganisation des öffentlichen Dienstes in der Bundesrepublik, DOV 1969, 513 ff., 519 f. DäubZer, Der Streik im öffentlichen Dienst (1970), S. 31 ff. stellt fest, daß es in der Schweiz, den Niederlanden, den USA und Japan ein Streikverbot für Beamte gebe, daß Belgien, Luxemburg, Osterreich und Dänemark Länder mit unklarer Rechtslage seien, während Frankreich, Italien, England, Schweden und Norwegen "streik-

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Im gleichen Jahre wie der Aufsatz von Menzel {1969) erschien die Arbeit von Winfried Benz19 , eine von Thilo Ramm betreute Dissertation. Dieser Autor räumt ein, daß die herrschende Lehre den Beamtenstreik verwirft; er hält aber die dafür vorgebrachten Gründe nicht für tragfähig. Die Merkmale Dienst- und Treueverhältnis oder Organschaft hält er wegen des Vergleichs mit den übrigen Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes nicht für durchschlagend. Auch bei der Untersuchung der Frage, ob der Beamtenstreik als "politischer" Streik abzulehnen sei, kommt er zu einem negativen Ergebnis. Den Beamten gegenüber sei der Staat nicht "neutraler" Staat, sondern Dienstgeber. Im übrigen müsse man zwischen den verschiedenen Staatstätigkeiten nach den AUBWirkungen, die ein Beamtenstreik hervorrufen könne, differenzieren, um danach streikzulässige von streikunzulässigen Bereichen zu trennen. Da die Streikfreiheit .nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen dürfe, sei ein Streik beispielsweise für Bundeswehr und BWldesgrenzschutz, für die Spionageabwehr und für die mit zivilem Bevölkerungsschutz befaßten Stellen unzulässig. Den Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gliedert Benz in Tätigkeiten auf, die für die Aufrechterhaltung .georoneter Zustände absolut unentbehrlich sind, und solche, deren Nichterfüllung nicht den Charakter des Irreparablen hat. Im Rechtsprechungswesen will Benz für die Masse ·der Zivilsachen einen Richterstreik zulassen, wobei er auf die Gerichtsferien hinweist. Der Tätigkeitsbereich der Finanzbeamten sei gegen kurzfristige Unterbrechung relativ immun. Im Gebiet der Sozialhilfe komme ein Beamtenstreik nur in Frage, wo die Sozialhilfe die Sicherung des Existenzminimums überschreite. In der Versorgung würden Rechtsansprüche der Begünstigten durch einen Streik der Beamten weder gefährdet noch verletzt. Bei der Sozialversicherung werde hingegen der Beamtenstreik unzulässig. In der Leistungsverwaltung würden Darbietungen erbracht, die tägliche existentielle Bedürfnisse des einzelnen befriedigten, während die Wirksamkeit anderer Leistungen nicht davon abhänge, daß sie jederzeit angeboten würden. Soweit ein Streik das Existenzminimum bedrohe, werde aus Streikfreiheit Streikverbot; soweit er die Persönlichkeitsentfaltung berühre, habe er weitere Grenzen. Im übrigen lasse sich ·d ie reine Gewährleistung des Existenzminimums wie überhaupt bei lebenswichtigen Betrieben meist mittels Streiknotdienst sicherstellen. Den Lehrerstreik hält Benz für zulässig. Soweit das Ausbildungsziel erreicht werde und das Bildungsniveau erhalten bleibe, ließen sich Streikfreiheit und freundliche" Regelungen hätten. Ober die schlechten Erfaprungen mit dem Beamtenstreik in Schweden hat WalteT Leisner, Beamtenstreik? Das "Schwedische Modell" auf dem Prüfstand (1971) berichtet. 19 Win;fried Benz, Beamtenverhältnis und Arbeitsverhältnis (1969).

bas Streikrecht der Beamten

2o!)

das Recht auf Erziehung und Bildung durchaus miteinander vereinbaren. Allerdings hänge die Vereinbarkeit mit der Verfassung vom zeitlichen Ausmaß des Streiks ab. Irgendwann sei der Zeitpunkt des Umschlags von der Rechtmäßigkeit in die Rechtswidrigkeit erreicht, weil von jetzt an die entstandenen Lücken einfach nicht mehr zu füllen seien. Das Subventionswesen sei relativ unempfindlich gegen zeitweilige Untätigkeit der Subventionsbehörden. Ebenso seien bei staatlicher Planung, Raumaufteilung und -einteilung, bei Vermessung und Naturschutz verfassungsmäßige Schranken der Streikfreiheit praktisch nicht relevant. Auch bei der Vermögensverwaltung, dem eigenen Bauwesen, Behördenorganisations- und Personalverwaltung, Beschaffung, Einrichtung, Erstausstattung, dem Kassenwesen und der Rechnungsprüfung handele es sich um Bereiche verfassungsmäßig unproblematischer Streikfreiheit. Es liegt auf der Hand, daß diese Unterscheidungen sehr summarisch getroffen und daß sie in der Praxis kaum vollziehbar sind, ganz abgesehen davon, daß sie die Beamtenschaft in zwei Gruppen, streikbefugte und streikunbefugte zerlegen würden, wozu sich noch eine weitere Gruppe solcher Beamter gesellt, die teils Streikfreiheit genießen, teils unter Streikverbot stehen. Am breitesten greift Wolfgang Däubler mit seiner aus einem Forschungsauftrag des ÖTV-Hauptvorstandes hervorgegangenen Arbeit aus20• Ihm erscheint das Streikrecht auch für die Beamten durch die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG als garantiert (S. 66 ff.). Die dagegen erhobenen Einwendungen sucht er zu widerlegen (S. 80 ff.). Daß das Streikverbot ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG sei, vermag er nicht anzuerkennen (S. 105 ff.). Er sieht in ihm keinen Grundsatz des Beamtenturns und vermißt daran auch das Moment des Hergebrachten. Außerdem stelle Art. 33 Abs. 5 GG nur eine Leitlinie an den Gesetzgeber ohne unmittelbare Rechtswirkung dar. Er könne weder Rechtsgrundlage eines aktuellen, den einzelnen Beamten bindenden Streikverbotes sein, noch könne er den Gesetzgeber verpflichten, ein solches zu erlassen. Der Streik verstoße auch nicht gegen eine Treuepflicht des Beamten (S. 114 ff.). Die Treuepflicht des Beamten habe keine personal~ Bindung zum Inhalt. Jedenfalls unterscheide sich die beamtenrechtliche Treupflicht nicht wesensmäßig von der des Arbeitnehmers; sie bedeute lediglich die Pflicht zur Förderung der Belange des Dienstherrn. An ihr könne ein Beamtenstreik nicht scheitern. Der Streik stelle ferner keine Verletzung der öffentlich-rechtlichen Natur des Beamtenverhältnisses dar (S.123 ff.). Das erscheint Däubler deshalb einleuchtend, weil die Entwicklung zu 20

Wolfgang Däubler, Der Streik im öffentlichen Dienst (1970).

Werner Weber einer faktischen Auflösung der realinadäquat gewordenen starren Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht geführt habe. Er setzt sich dann mit einigen Einwendungen gegen die Streikfreiheit auseinander, die in der Tat nur geringeres Gewicht haben (S. 127 ff.), um anschließend darzulegen, daß auch das Übermaßverbot und die Wesensgehaltsgarantie das Streikverbot für Beamte nicht rechtfertigten (S. 135 ff., 139 ff.). Däubler legt sodann dar, daß nach Art. 9 Abs. 3 GG auch Beamten-Tarifverträge zulässig seien. Lehne man dies aber ab, so sei ein Beamtenstreik dennoch - obwohl gegen den Gesetzgeber gerichtet - kein rechtswidriger politischer Streik, da sich seine Zulässigkeit auch bei fehlendem Tarifsystem aus Art. 9 Abs. 3 GG sowie aus der Erwägung ergebe, daß der Staat hier nur in seiner Arbeitgeberfunktion betroffen werde (S. 143 ff.). Das Bedenken, das gegen den Beamtenstreik aus der fehlenden Möglichkeit zur Aussperrung hergeleitet wird, findet sich bei Däubler bagatellisiert (S. 166 ff.) , ebenso der Einwand von Forsthoff, der Beamtenstreik verstoße gegen das Prinzip der staatlichen Neutralität in Arbeitskämpfen, da er den Staat in die Position des Angegriffenen versetze (S. 168 f.). Däubler sucht sodann noch, aus Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention und aus Art. 6 Nr. 4 der Europäischen Sozialcharta, der die Bundesrepublik durch Gesetz vom 19. September 1964 (BGBL II S. 1261) zugestimmt hat, eine allgemeine Streikfreiheit für Beamte herzuleiten (S. 171 ff.), ein Unternehmen, dem später noch Aufmerksamkeit zu widmen sein wird.

Zum Schluß legt sich Däubler Rechenschaft über die Grenzen des Beamtenstreiks ab (S. 231 ff.). Er prüft nacheinander die Lage bei den Versorgungsbetrieben, den Verkehrsbetrieben, der Bundespost, den Lehrern, den Hochschullehrern und wissenschaftlichen Hilfskräften, den Ärzten und dem Pflegepersonal, bei Krankenkassen, beim Rundfunk und Fernsehen, bei den allgemeinen Verwaltungsbehörden, bei den Richtern und dem sonstigen Personal der Justiz, der Polizei, der Berufsfeuerwehr und den Fmanzbearnten durch und gelangt zu differenzierten Ergebnissen, die im ganzen aber der Zulässigkeit des Beamtenstreiks günstig sind. Auch die Arbeit von Thilo Ramm21 stellt ein Rechtsgutachten dar, das der Autor im Auftrag des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes erstattet hat. Ramm geht zunächst auf die Europäische Sozialcharta ein, der er die Wirkung einräumt, den Beamtenstreik zuzulassen, wenn nicht eine deutsche Verfassungsentscheidung vorläge, nach der der Beamtenstreik unzulässig wäre. Eine solche Verfassungsentscheidung erblickt er in Art. 33 Abs. 5 GG nicht, weil das Streikver21

Thilo Ramm, Das Koalitions- und Streikrecht der Beamten (1970).

:Das Streikrecht der t3eamten

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bot für die Beamten kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns sei. Auch sonst enthalte das Grundgesetz keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein Streikverbot. Aus einem historischen Rückblick zieht er die Konsequenz, daß seit dem Zusammenbruch von 1945 der Weg für eine neue Wertung des Beamtenturns frei geworden sei. Das Beamtenverhältnis könne in einem freiheitlichen Staate nur ein freiheitliches Rechtsverhältnis sein, und der Sozialstaat lasse für das Beamtenverhältnis eine rechtliche Sonderbewertung überflüssig werden (S. 114 f.). Der Streik sei in Art. 9 Abs. 3 GG für Beamte wie für alle Arbeitnehmer verfassungsrechtlich garantiert (S. 116 ff., 120 ff.). Allerdings gebe es für den Streik verfassungsrechtliche Grenzen, die aber für jedermann gälten ohne Unterschied, ob er privater Arbeitnehmer, Angehöriger des öffentlichen Dienstes oder Beamter sei. Ramm sieht die Grenzen in der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG für gegeben. Danach dürfe der Streik nicht die Rechte anderer verletzen und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen. Ramm klammert danach in eigenartiger Weise eine ganze Reihe von Staatstätigkeiten von der Zulässigkeit eines Streiks aus. Den Ausführungen von Benz, Menzel, Däubler und Ramm hat sich Friedrich E. Schnapp 1972 und 1973 im wesentlichen angeschlossen22,

während sie im übrigen auf Widerstand und Ablehnung gestoßen sind23 •

m. Bei der Beurteilung des Problems muß man, was häufig nicht geschieht, unterscheiden zwischen der heute gegebenen Rechtslage und den Vorstellungen, die man für eine künftige Ordnung des Beamtenrechts entwickeln könnte. 22 Friedrich E. Schnapp, Beamtenstatus und Streikrecht (1972); derselbe, Beamtenstreik-Eine Zwischenbilanz, DOV 1973, 32 ff. 23 So bei Josef Isensee, Beamtenstreik (1971); Dietmar Seidel, Beamtenstreik de lege ferenda, DVBl. 1974, 141 ff.; Bernd Rüthers und Rüdiger Söhnen, Demokratisierung durch Beamtenstreik, Der Staat 1972, 550 ff.; Ingo v. Münch, Rechtsgutachten zur Frage eines Streikrechts der Beamten (1970); derselbe, Beamtenstreik und Sozialstaatsprinzip, ZBR 1970, 371 ff.; Peter Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie im Recht der Arbeitsbedingungen (1970); Peter Hanau, Kein Streikverbot für Beamte? JuS 1971, 120 ff.; Dieter Lorenz, Der Beamtenstreik - Recht und Rechtspolitik, AöR 98 (1973), S. 410 ff.; Manfred Löwisch, DOV 1970, 686 f.; Erich Feindt, Streikrecht für einen künftigen öffentlichen Dienst, ZBR 1974, 309 ff.; Manfred Rehbinder, DVBl. 1970, 709; C. H. Ule, DVBl. 1970, 639, 709; Helmut Quaritsch, Referat auf dem Juristentag 1970, II 0 48 ff. Die Bundesregierung hat durch den Bundesminister Genscher erklären lassen: "Das geltende Recht schließt das Streikrecht für Beamte aus ... Das Streikverbot gehört zu den elementaren Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums" (Anlage 2 zum Sten. Ber. Dt. Bundestag, 6. Wahlp., 132. Sitzung vom 25. Juni 1971, S. 7719). Vgl. ferner den oben (Anm. 14, 16) zitierten Bericht der Sachverständigenkommission und die dazu erstatteten Gutachten.

Werner Webet Für die gegenwärtige Rechtslage geben die Europäische Menschenrechtskonvention und die Europäische Sozialcharta nichts her. Art. 11 der Menschenrechtskonvention gewährt in Abs. 1 allen Menschen das Recht, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. Es heißt in Abs. 2 weiter, daß die Ausübung dieser Rechte keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden dürfe als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der i·nneren und äußeren Sicherheit, 7JU.1' Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Verbrechensverhütung, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig seien. Dieser Artikel verbiete nicht, so fährt Abs. 2 fort, daß die Ausübung ·dieser Rechte für Mitglieder der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung gesetzlichen Einschränkungen unterworfen werde. Man erkennt sogleich, daß die Regelung sich mit der Garantieklausel des Art. 9 Abs. 3 GG deckt, auch hinsichtlich der Einschränkungen, die möglich sind. Da sie im deutschen Rechtsbereich nur mit der Kraft eines einfachen Gesetzes wirkt, geht ihr Art. 9 Abs. 3 GG vor, und wenn diese Bestimmung des Grundgesetzes durch die institutionelle Garantie des Berufsbeamtenturns in Art. 33 Abs. 5 GG im Sinne eines Beamtenstreikverbots beschränkt wird, so gilt dieses Verbot in jedem Falle auch gegenüber Art. 11 Abs. 1 der Menschenrechtskonvention. Teil Il Art. 6 der Europäischen Sozialcharta hat folgenden Wortlaut: "Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien 1. -3....

und anerkennen 4. das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen." Der Anhang der Sozialcharta, der nach Art. 38 ihr Bestandteil ist, sagt dazu: · "Es besteht Einverständnis darüber, daß jede Vertragspartei für sich die Ausübung des Streikrechts durch Gesetz regeln kann, vorausgesetzt, daß jede weitere Einschränkung dieses Rechts auf Grund des Art. 31 gerechtfertigt werden kann." Art. 31 wiederum hat folgenden Wortlaut: "Die in Teil I niedergelegten Rechte und Grundsätze dürfen nach ihrer Verwirklichung ebenso wie ihre in Teil II vorgesehene wirksame Ausübung anderen als den in diesen Teilen vorgesehenen Einschränkungen oder Begrenzungen nur unterliegen, wenn diese gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer oder zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Sicherheit des Staates, der Volksgesundheit und der Sittlichkeit notwendig sind.

Das Streikrecht der Beamten

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Von den nach dieser Charta zulässigen Einschränkungen der darin niedergelegten Rechte und Verpflichtungen darf für keinen anderen als den vorgesehenen Zweck Gebrauch gemacht werden." Auch diese Klauseln stehen dem nicht entgegen, daß Unterzeichnerstaaten der Sozialcharta den Beamtenstreik für unzulässig erklären. Hinzu kommt aber noch, daß die Bestimmungen der Charta nur die Unterzeichnerstaaten verpflichten, indessen nicht in deren innerstaatliches Recht erhoben worden sind. Denn der Anhang zur Sozialcharta sagt zu Teil III: "Es besteht Einverständnis darüber, daß die Charta rechtliche Verpflichtungen internationalen Charakters enthält, deren Durchführung ausschließlich der in ihrem Teil IV vorgesehenen überwachung unterliegt." Die in Art. IV vorgesehene Überwachung ist aber rein völkerrechtlicher Art. Außerdem heißt es in der Einleitung von Teil II der Charta, daß die Vertragsparteien sich durch die in den folgenden Artikeln und Absätzen festgelegten Verpflichtungen nach Maßgabe des Teils III gebunden erachten. Nach Teil III (Art. 20) wiederum verpflichtet sich jede der Vertragschließenden, mindestens 5 der Artikel 1, 5, 6, 12, 13, 16 und 19 als für sich bindend anzusehen und zusätzlich so viele Artikel oder numerierte Absätze des Teils II der Charta auszuwählen und als für sich bindend anzusehen, daß die Gesamtzahl der Artikel oder numerierten Absätze, durch die sie gebunden ist, mindestens 10 Artikel oder 45 numerierte Absätze beträgt. Diese ausgewählten Artikel oder Absätze sind dem Generalsekretär des Europarats zu notifizieren. Aus diesem Zusammenhang erhellt eindeutig, daß die Bestimmungen der Sozialcharta nur die Vertragschließenden als solche binden, jedoch nicht zum innerstaatlichen Recht der Vertragschließenden geworden sind und schon aus diesem Grunde für ein Streikrecht der deutschen Beamten nichts hergeben24 , im übrigen auch nichts beitragen wollen. Es bleibt also dabei, daß die institutionelle Garantie des Berufsbeamtenturns in Art. 33 Abs. 5 GG als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtenturns den Streik der Beamten ausschließt, ebenso wie es hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns ist, daß die Rechtsverhältnisse der Beamten bis in alle Einzelheiten hinein gesetzlich geregelt sind, daß Beamten-Tarifverträge ausgeschlossen sind und für eine Tarifautonomie der Beamtenvereinigungen, die Voraussetzung für ein Streikrecht der Beamten wäre, kein Raum ist. 24 So auch Wilhelm Wengler, Die Unanwendbarkeit der Europäischen Sozialcharta im Staat (1969); Rüthers/Söhnen, Der Staat 1972, S. 556 f. Das hat auch die Bundesregierung in der Begründung des Gesetzes zur Sozialcharta (BTDrucks. IV/2117) hervorgehoben. Vgl. auch die Materialien zur Lage der Nation 1972 (BT-Drucks. VI/3080, Kap. IV, Tz. 327).

14 Berufsbeamtentum

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Werner Weber IV.

Die Frage nach der Zulässigkeit eines Beamtenstreiks ist nach geltendem Recht mithin verneinend zu beantworten. Sie kann eine positive Antwort nur in einem künftigen Recht des öffentlichen Dienstes finden und nur nach einer Verfassungsänderung, die den Art. 33 Abs. 5 GG beseitigt oder mindestens abwandelt. Daß Art. 33 Abs. 4 und 5 nicht durch Art. 79 Abs. 3 GG einer Verfassungsänderung entzogen sind, kann als unbestritten .gelten25 • Das Problem hat die Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstes bewegt; die Lösungsversuche haben sich in ihrem Bericht niedergeschlagen. Übereinstimmend ist die Kommission dazu gelangt, die Unterscheidung zwischen Beamten und sonstigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes aufzugeben und für alle ein an einheitlichen _Grundsätzen orientiertes Dienstrechtssystem zu entwickeln, das die Rechtsverhältnisse aller öffentlichen Bediensteten umfaßt (Bericht s. 141 f.). Darin, welches Regelungsverfahren für dieses einheitliche Dienstrecht gewählt werden soll, war sich die Studienkommission nicht einig. Die Mehrheit der Kommission hat sich dahin entschieden, daß das Dienstrecht aller öffentlichen Bediensteten durch Gesetz zu regeln sei. Damit war für sie auch die Entscheidung gegen die Streikfreiheit im öffentlichen Dienst gefallen. Dazu entwickelt der Bericht (Tzn. 891 ff.) die folgenden Gedanken: Die der öffentlichen Hand zugewiesenen Aufgaben erfaßten heute nahezu alle Lebensbereiche. Nur der Staat sei in der Lage, die vielfältigen Gemeinschaftsbedürfnisse einer entwickelten Industriegesellschaft angemessen zu befriedigen. Im öffentlichen Dienst hätten Kampfmaßnahmen in der Regel wesentlich weitergehende Auswirkungen als im sonstigen Arbeitsleben; sie könnten die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören, die Daseinsvorsorge ·und den sozialen Ausgleich gefährden und damit die Belange der Allgemeinheit schwer beeinträcht·~gen. Der einzelne und ·die Gesellschaft seien von der Funktionszuverlässigkeit kollektiver Leistungssysteme so abhängig geworden, daß selbst zeitweilige Störungen nachhaltige Schäden anrichten könnten. In den meisten öffentlichen Bereichen habe der Staat eine Monopolstellung, die dem Bürger in der Regel keine Möglichkeit belasse, bei Leistungsausfall auf andere Einrichtungen auszuweichen. Hier fehle mithin die Elastizität des Marktes, die den Arbeitskampf in der Wirtschaft für die von ihm betroffenen Verbraucher oder Produzenten im allgemeinen noch erträglich mache. Die Androhung öffentliche Einrichtungen lahmzulegen, müsse dagegen 25

In diesem Sinne

1974, 141.

Franz Mayer, ZBR 1974, 279 f.; Dietmar Seidel, DVBI.

t>as Streikrecht der neamiel1 als Nötigung empfunden werden, vor der die Allgemeinheit kapitulie-

ren müsse; sie würde vor allem die sozial Schwachen treffen, die auf die öffentlichen Leistungen in besonderem Maße angewiesen seien. Der Staat könne daher nicht zulassen, daß die Funktionszuverlässigkeit seiner Leistungssysteme durch seine eigenen Personalkräfte in Frage gestellt werde. Der Versuch, das Streikrecht im öffentlichen Dienst so zu differenzieren, daß wenigstens eine notdürftige Aufgabenerfüllung gesichert bleibe, biete keinen Ausweg. Schon die vielfältigen Zusammenhänge innerhalb des Geflechts der öffentlichen Funktionen ließen eine eindeutige und praktikable Abgrenzung der lebenswichtigen von den weniger lebenswichtigen Leistungen nicht zu; eine solche Regelung könne daher auch nicht justitiabei gestaltet werden.~ Würde aber die Zulässigkeit von Kampfmaßnahmen dergestalt eingeschränkt, daß der Staat alle wesentlichen Funktionen noch erfüllen könne, dann hätte ein Streikrecht keinen Sinn, weil es als wirksames Druckmittel nicht mehr eingesetzt werden könnte. Ein weitergehendes Streikrecht, das den Staat hindern würde, die dem Bürger geschuldeten Leistungen zu erbringen, wäre verfassungswidrig. Auch unter allgemeinwirtschaftlichen Gesichtspunkten ließen sich Kampfmaßnahmen im öffentlichen Dienst mit Lohnauseinandersetzungen im sonstigen Arbeitsleben nicht vergleichen. Dem Interesse der Arbeitskräfte an möglichst hohem Einkommen und guten Arbeitsbedingungen stehe in der öffentlichen Verwaltung zwar ebenfalls das Bestreben gegenüber, die Personalkosten niedrig zu halten. Hier fehlten aber die Marktbedingungen, die in der Wirtschaft eine für alle Beteiligten tragbare Lösung von Verteilungskonflikten erzwängen. Personalausgaben seien in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Bereich ein wesentlicher Kostenfaktor. Während jedoch in der Wirtschaft die Gewinnchance und das Verlustrisiko unter dem Konkurrenzdruck die Kostenentwicklung regulierten, habe eine Erhöhung der öffentlichen Personalausgaben keine Ertragsminderung zur Folge; sie verschlechtere nicht die Marktposition des Arbeitgebers, auf die auch die Gewerkschaften Rücksicht nehmen müßten, sondern zwinge zu haushalts- und finanzpolitischen Anpassungsmaßnahmen, die aus sich heraus keinen Gegendruck erzeugten, weiLder Staat gemeinhin als "unbeschränkt leistungsfähig" ·g elte. Hier fehle daher das Regulativ, das in der Privatwirtschaft die Ausübung der Tarifautonomie begrenze. Denn die meisten öffentlichen Aufgaben seien unbedingt zu erfüllen; sie könnten nicht unter Hinweis auf steigende Kosten ohne weiteres eingestellt oder eingeschränkt werden. Im öffentlichen Bereich fehle ferner die im sonstigen Arbeitsleben rechtlich gesicherte Kampfparität der Tarifpartner. Das Mittel der Aus-

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sperrung stehe dem sozialen Rechtsstaat nicht zur Verfügung, weil er auf Grund seines Verfassungsauftrags die von ihm geforderten Leistungen jederzeit und gleichmäßig erbringen müsse. Insbesondere dürfe ein verwaltungsinterner Bezahlungskonflikt ihn nicht veranlassen, Leistungen, auf die der Bürger angewiesen sei, zu unterbrechen oder einzuschränken. Schließlich sei grundsätzlich darauf hinzuweisen, daß Tarifhoheit und Streikrecht im Gesamtzusammenhang der Rechte und Pflichten der öffentlichen Dienstrechtssysteme betrachtet und gewertet werden müßten. Anstellung auf Lebenszeit und wirtschaftlich gesicherte Rechtsstellung seien mit Tarifautonomie und Arbeitskampf prinzipiell unvereinbar. Deshalb könne für den hier vertretenen Standpunkt auch nicht eingewendet werden, daß zur Zeit für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes Tarifautonomie bestehe und ihr Entzug ein sozialer Rückschritt sei. Es seien allerdings, so fährt der Bericht (Tzn. 897 ff.) fort, flankierende Vorkehrungen für Konfliktlösungen, insbesondere vorbeugende Verfahrensregelungen notwendig, die eine weitgehende Beteiligung der Verwaltungsangehörigen und ihrer Organisationen am Zustandekommen eines angemessenen Interessenausgleichs sicherstellten, damit möglichen Konfliktursachen rechtzeitig und in vertrauensvollem Zusammenwirken begegnet werden könne. Zu diesem Zweck schlägt der Bericht vor: "Regierung und Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften kommen regelmäßig zu Gesprächen über allgemeine Regelungen der dienstrechtlichen Verhältnisse zusammen. Darüber hinaus können Regierung und Spitzenorganisationen innerhalb festzulegender Fristen die Erörterung verlangen. Die Regierung hat bei der Vorbereitung von Gesetz- und Verordnungsentwürfen dienstrechtlichen Inhalts und bei Stellungnahmen zu Vorlagen anderer initiativberechtigter Organe, soweit das öffentliche Dienstrecht betroffen ist, die Spitzenorganisationen zu beteiligen und deren Auffassungen in das gesetzgebensehe Verfahren einzubringen. Ist die Regierung nicht bereit, Anregungen der Spitzenorganisationen zu Gesetzesinitiativen zu entsprechen, hat sie dem Parlament zu berichten!e," · Diese Regelung hält der Bericht (Tzn. 906 ff.) in vollem Umfange mit den Verfassungsvorschriften für vereinbar. Der Verfassungsauftrag des Grundgesetzes werde optimal erfüllt, wenn die dem heutigen Beamtenrecht entsprechende Regelungskompetenz auf den ganzen öffentlichen Dienst erstreckt werde. Die Zuständigkeit des Gesetzgebers sei auch mit Art. 33 Abs. 4 vereinbar. Aus Art. 9 Abs. 3 GG könnten Einwendungen 28 Zu ähnlichen Vorschlägen gelangen DietmaT Seidel, Beamtenstreik de lege ferenda?, DVBI. 1974, 141 ff., 144 ff.; WalteT LeisneT, Reform der Mitte. Der Beamte zwischen Staatsdiener und Staatsarbeiter, ZBR 1973, 97 ff.; WalteT Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland (1972), S. 289 ff.; ETich Feindt, ZBR 1974, 309 ff., 325 f.

bas Streikrecht der Beamten gegen die Regelung nicht hergeleitet werden. Auch künftig müsse den Verwaltungsangehörigen freigestellt sein, Koalitionen zu bilden oder sich ihnen anzuschließen. Wegen der Besonderheit dieses Bereichs sei hier aber die Tarifautonomie unvereinbar mit anderen grundlegenden und unabdingbaren Wertentscheidungen der Verfassung, insbesondere mit solchen Vorschriften, die die Rechte der Staatsbürger gewährleisteten. Nur in den damit gezogenen Grenzen lasse das Grundgesetz die Koalitionsfreiheit au$ im öffentlichen Dienst zu. · Gegenüber dieser Auffassung der Mehrheit der Studienkommission hat die Minderheit empfohlen, in Verfolg der Aufgliederung in Statusund Folgerecht das Dienstrecht für alle öffentlichen Bediensteten je nach Gegenstand teils durch Gesetz, teils durch Tarifvertrag zu regeln (Bericht, Tzn. 914 ff.). Dabei sollen der tarifvertragliehen Regelung die Bezahlung und andere Elemente der Gegenleistung unterliegen, insbesondere ·d ie Ausgestaltung des Bezahlungssystems, die Ausgestaltung des Systems einer Dienstpostenbewertung, die Höhe der Bezahlung, die sonstigen finanziellen Leistungen, der Urlaub, die Bemessung der regelmäßigen Arbeitszeit, die Zusatzversorgung. Alle übrigen Gegenstände des Dienstrechts sollen gesetzlich geregelt werden. Insoweit sei für einen Arbeitskampf kein Raum. Soweit das Dienstrecht durch Tarifvertrag geregelt wird, schlägt die Minderheit zur Sicherung der Funktionszuverlässigkeit des gesamten öffentlichen Dienstes vor, das Grundgesetz solle bestimmen, daß Arbeitskampfmaßnahmen von Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG im öffentlichen Dienst die Wahrnehmung folgender öffentlicher Aufgaben nicht unmittelbar gefährden dürften: Schutz von Leib, Leben und Gesundheit, Schutz vor Verstößen gegendie Strafgesetze, Schutz des Staates vor Angriffen von außen, Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung, Schutz der Funktionsfähigkeit der obersten Verfassungsorgane in Bund und Ländern. Durch Tarifvertrag soll geregelt werden, wie die Wahrnehmung der genannten Aufgaben organisatorisch sicherzustellen ist, und die Frage, ob eine unmittelbare Gefährdung vorliegt, soll gerichtlicher Kontrolle unterliegen.

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Bei der Regelung durch Gesetz schlägt die Minderheit ein ähnliches Zusammenwirken zwischen Regierung und Spitzenorganisationen vor, wie es auch die Mehrheit empfiehlt. Die für den Bereich einer tarifvertragliehen Regelung von der Mehrheit gegen Kampfmaßnahmen im öffentlichen Dienst vorgebrachten Be-, denken sucht die Minderheit zu widerlegen. Die Tarifautonomie habe im öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft die gleiche Bedeutung. Auch seien die Nachteile des Streiks im öffentlichen Dienst nicht grundsätzlich schwererwiegend als die eines Streiks außerhalb des öffentlichen Dienstes. Außerdem sei die Wertentscheidung des Grundgesetzes für Tarifautonomie im öffentlichen Dienst gefallen. Allerdings sei die ausschließlich gesetzliche Regelung ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtenturns im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG. Die Minderheitsmeinung gehe daher davon aus, daß die Realisierung ihres Vorschlages, soweit er die jetzigen Beamten betreffe, eine Änderung des Grundgesetzes voraussetze. Gegen den Vorschlag der Minderheit, teilweise Tarifabschlüsse und auch Kampfmaßnahmen zuzulassen, haben sich WalteT Leisner, Franz Mayer und Gottfried Neesse gewandt27 ; über Widerstände aus dem Bereich der Gewerkschaften gegen Mehrheits- und Minderheitsmeinung hat Wolfgang Losehelder berichtet28•

V. Der Bericht der Studienkommission insgesamt legt also die Auffassung zugrunde, daß nach geltendem Recht die Beamten kein Streikrecht besitzen und es ihnen nur durch eine Änderung des Art. 33 Abs. 5 GG, der wenigstens einen Teil der beamtenrechtlichen Regelung der Tarifautonomie erschließt, gewährt werden könnte. Ob es in absehbarer Zeit zu einer solchen Verfassungsänderung kommen wird, ist zweifelhaft. In gleicher Weise aber bleibt offen, ob ohne Verfassungsänderung eine Regelung getroffen wird, die den gesamten öffentlichen Dienst, d. h. Beamte, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes gleichermaßen einer bis in die Einzelheiten gehenden einheitlichen Gesetzesordnung unterwirft, die dann auch das mehrheitlich zur Zeit anerkannte Arbeitskampfrecht der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes beseitigen würde. Man wird, wie die Dinge liegen, damit rechnen müssen, 27 Walter Leisner, Reform der Mitte. Der Beamte zwischen Staatsdiener und Staatsarbeiter, ZBR 1973, 97 ff., 98 f.; Franz Mayer, Arbeitskampf im öffentlichen Dienst, BayVBl. 1973, 225 ff.; Gottfried Neesse, Das Wort der Wissenschaft zur Reform des öffentlichen Dienstrechts, ZBR 1974, 377, 378 f. 28 Wolfgang Loschelder, Dienstrechtsreform auf dem Wege der Realisierung? Zum Bericht der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, ZBR 1973, 189 ff., 196.

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daß auf längere Sicht das Streikrecht der Beamten ausgeschlossen bleibt, während dasjenige der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes innerhalb bestimmter Grenzen eine mehrheitliche Anerkennung behält. Die Entscheidung über die Gestaltung der Dinge in der Zukunft wird davon abhängen, welches Staatsverständni~ man zugrunde legt. Wer den Staat für ein Gemeinwesen hält, das seiner Struktur nach von der Lage der Unternehmerwirtschaft unterschieden ist und das verpflichtet ist, seine rechtsstaatliche, demokratische und sozialstaatliche Ordnung unverkürzt 2lU erhalten, wird einen Streik der Beamten auch in fernerer Zeit als unzulässig ansehen müssen.

Die Rolle der Bürokratie im pluralistischen Staat Von Reinhold Zippelius• I. Der Interessenpluralismus und die Aufgabe eines gerechten Interessenausgleichs1 Ein Staat funktioniert als "materielle Demokratie" vor allem dadurch, daß die verschiedenen, in der Gesellschaft vorhandenen Interessen und Meinungen der einzelnen Bürger eine Chance erhalten, sich zur Geltung zu bringen. Zu diesem Zweck versuchen sie insbesondere, auf die verbindlichen Regelungen der Staatsgewalt Einfluß zu gewinnen. Da die Interessen und Meinungen einander oft widerstreiten und da diese Widersprüche sich faktisch nicht aus der Welt schaffen lassen, soll durch Diskussion und Konkurrenz ein Kompromiß zwischen den verschiedenen Interessen und Auffassungen angebahnt werden. So erscheint der Kompromiß als Lebensform der materiellen Demokratie und das Gemeinwohl als Ergebnis dialektisch geführter Auseinandersetzungen. Es gehört aber auch zu den Binsenwahrheiten politischer Einsicht, daß die in der Gemeinschaft vorhandenen Interessen nicht immer "verhältnismäßig", entsprechend der Zahl der Interessenten und getnäß dem Grad ihrer Interessiertheit, zur Geltung gebracht werden. Schuld daran trägt vor allem die Organisierung der Interessen, die einerseits zur "Artikulation" der Interessen und Meinungen unentbehrlich ist, andererseits aber die Gefahr birgt, daß die Bestorganisierten, die Aktivsten, die ökonomisch Leistungsfähigsten einen Einfluß gewinnen, der außer Verhältnis zu ihrem tatsächlichen Anteil an der Gesamtheit der vorhandenen Interessen und Meinungen steht. So bringt das pluralistische "System der Bedürfnisse" ganz von selbst die Aufgabe hervor, für einen gerechten Ausgleich der Interessen zu sorgen. Dieser Zusammenhang ist- von sehr verschiedenen Ansatzpunkten aus und mit einem sehr unterschiedlichen Begriffsinstrumentarium, in der wesentlichen Einsicht jedoch übereinstimmend- immer wieder gesehen worden. • Friedrich Berber in Verehrung gewidmet. Näher zum Folgenden R. Zippelius, Allg. Staatslehre, 4 1973, § 19 II, V, § 20, mit weiteren Nachweisen. 1

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So ist etwa die Interessenjurisprudenz sehr rasch über den Ansatz hinausgelangt: die Gesetze seien "die Resultanten der in jeder Rechtsgemeinschaft einander gegenübertretenden und um Anerkennung ringenden Interessen"2 , und hat gerade auch das Problem und die Aufgabe einer gerechten Interessenahwägung in den Vordergrund gerückt. Früher und grundsätzlicher ist in der Lehre von "Staat und Gesellschaft" die Notwendigkeit gesehen worden, daß gegenüber dem "System der Bedürfnisse" eine regulierende Instanz bestehe, die nicht nur für eine formale Kanalisierung und Koordination der in der Gesellschaft vorhandenen Interessen sorgt, sondern auch deren gerechten Ausgleich gewährleistet. Diese Dialektik hat im wesentlichen schon Regel erfaßt: in der Gegenüberstellung der Gesellschaft, als des Systems der Bedürfnisse, und des Staates, als einer sittlichen Institution3 • Eine etwas andere Fassung des Problems findet sich in der Staatstheorie Lorenz von Steins: nämlich in der Unterscheidung der Gesellschaft, als des Reichs der egoistisch verfolgten Sonderinteressen, und des Staates, als der Einheit des Willens aller einzelnen, in der alle zu gleicher Freiheit erhoben werden4 ; Richtschnur der staatlichen Willensbildung habe demnach nicht der Egoismus der Sonderinteressen zu sein, sondern für die Bildung des Staatswillens habe jeder den anderen gegenüber als gleich und frei zu gelten. Auch wer davon ausgeht, daß das Gemeinwohl in der Demokratie nicht etwas Fertiges, sondern weithin erst das Ergebnis dialektisch geführter Auseinandersetzungen ist, kommt um die Frage und die Aufgabe der Gerechtigkeit nicht herum5 : Im Prozeß des Interessenausgleichs soll "Verfahrensgerechtigkeit" gewahrt werden: Es sollen Chancengleichheit und öffentliche Kontrolle der Interessenverwirklichung gewährleistet sein. Und es besteht darüber hinaus die Forderung, daß die kollidierenden Interessen auch gerecht gegeneinander abgewogen und abgegrenzt werden: nämlich nach dem Maßstab der sozialethischen Vorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft herrschen, d. h. die breitestmögliche Basis zwis